Die Sagbarkeit der Heldin: Jeanne d'Arc in Quellen des 15. und Filmen des 20. Jahrhunderts 9783412214487, 9783412207984

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Die Sagbarkeit der Heldin: Jeanne d'Arc in Quellen des 15. und Filmen des 20. Jahrhunderts
 9783412214487, 9783412207984

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Morten Kansteiner Die Sagbarkeit der Heldin

Beiträge zur Geschichtskultur Band 36

herausgegeben von Jörn Rüsen

Morten Kansteiner

Die Sagbarkeit der Heldin Jeanne dʼArc in Quellen des 15. und Filmen des 20. Jahrhunderts

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Zugleich Dissertation TU Dortmund 2009 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildungen: Jeanne dʼArc, Miniatur, ca. 1450–1500 (Paris, Centre Historique des Archives Nationales, AE II 2490) und Filmstill aus Jeanne dʼArc von Luc Besson (1999)

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: General Druckerei GmbH, Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Hungary ISBN 978-3-412-20798-4

Inhalt

Vorwort..........................................................................................................

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Einleitung ...................................................................................................... 11 Die Frage – Die Quellen – Die Fachliteratur – Das Vorgehen

A. Theorie ................................................................................................... 25 a. Gender ............................................................................................. 25 Psychoanalytische Ansätze – Historisierende Perspektiven – Der Rückgriff auf den Diskurs

b. Diskurs ............................................................................................ 34 I. Entfaltung................................................................................. 34 Der Aufbau des Diskurses nach L’archéologie du savoir – Entwicklungen des Begriffes

II. Aneignung ................................................................................ 42 Referential – Subjektposition – Assoziiertes Feld – Strategie

c.

Erzählung ........................................................................................ 55 Die Struktur der Erzählung – Der Kontext der Erzählung

B. Jeanne d’Arc als Heldin ihrer ZeitgenossInnen .................................... 65 a. Referential ....................................................................................... 67 I. Der Ort der Sagbarkeit ............................................................ 69 Spätmittelalterliche Heiligenverehrung – Verbindungen der Heldin zur Heiligenverehrung

II. Mögliche Diskursobjekte......................................................... 75 Modelle der Heiligkeit – Die Heldin als Mischform der Modelle

III. Mögliche Narrationen ............................................................. 83 Typische Heiligengeschichten – Die Geschichte der Heldin als Kombination narrativer Muster

b. Assoziiertes Feld .............................................................................. 90 I. Handgreifliche Heldinnen ....................................................... 91 Christliche Heldinnen – Säkulare Heldinnen

II. Allgemeine Wahrheiten ........................................................... 96 Christliche Glaubenssätze – Prophetische Weisheiten

III. Narrative Absicherungen ......................................................... 101 Die Reichweite der Erzählungen – Techniken der Plausibilisierung

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Inhalt

c.

Subjektposition ............................................................................... 107 I. Anpassung ................................................................................ 108 Die Einfache – Die Schöne – Die Reine

II. Überschreitung ........................................................................ 116 Die männliche Kleidung – Die unkonventionelle Kommunikation – Das heroische Handeln

III. Instabilität ................................................................................ 123 Periphere Gefahren – Der kleine Schritt zur Hexe

d. Strategie ........................................................................................... 128 I. Heldin der Schwachen ............................................................. 130 An der Seite der einfachen Leute – An der Seite der Frauen

II. Heldin Frankreichs .................................................................. 135 Direkte Bindungen ans Vaterland – Patriotische Mittlerfiguren

III. Heldin ihrer selbst.................................................................... 140 Die Loslösung aus den Kollektiven – Die Rückbindung an Konventionen

C. Jeanne d’Arc als Filmheldin................................................................... a. Referential ....................................................................................... I. Verehrung spiritueller HeldInnen ........................................... i. Kontinuitäten ....................................................................

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Generelle Verbindungen zur Heiligenverehrung – Die besondere Spiritualität bei Dreyer und Bresson

ii. Umbrüche ......................................................................... 156 Wandlungen in der Verehrung spiritueller HeldInnen – Zweifel an der Filmheiligen Jeanne – Nachfolger des Heiligenkults

II. Verehrung nationaler HeldInnen ............................................ 164 i. Der Ort der Sagbarkeit .................................................... 164 Nationale Heldenverehrung im späten 19. und im 20. Jahrhundert – Die Filmheldin im Kontext patriotischer Praktiken – Der Abschied der Filmheldin von der Nation

ii. Mögliche Objekte und Narrationen ................................ 176 Die Filmheldin als Zusammenführung patriotischer Frauenfiguren – Das Verhältnis der Filmheldin zu patriotischen Handlungsmustern

III. Starkult ..................................................................................... 183 i. Der Ort der Sagbarkeit ..................................................... 183 Der Starkult des 20. Jahrhunderts – Die Verbindungen der Filmheldin zum Starkult – Die wachsende Bedeutung des Starkults für die Filmheldin

ii. Mögliche Objekte und Narrationen ................................ 193 Die Filmheldin als Variation des performenden Stars – Aktive Frauenfiguren im Laufe der Filmgeschichte – Die Nähe der Filmheldin zu den Rollen der Stars

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Inhalt

b. Assoziiertes Feld .............................................................................. 203 I. Selbstbezüge ............................................................................. 204 i. Die wahren Jeannes .......................................................... 204 Die Verankerung in der Historie – Der Wechsel von Historizität zu Authentizität

ii. Die fiktiven Jeannes .......................................................... 213 Anfängliche Bindungen an die bildende Kunst – Vorübergehende Verbindungen zur Bühne – Querverbindungen zwischen Filmen über Jeanne d’Arc

II. Andere Heldinnen ................................................................... 221 i. Ausdrückliche Verweise .................................................... 221 Die Kinotradition der Herrscherinnen und Westernheldinnen – Die Kinokämpferinnen des späten 20. Jahrhunderts – Sonstige Rebellinnen

ii. Diskrete Verwandtschaften ............................................... 228 Frauen der Tat und des Wortes im frühen 20. Jahrhundert – Frauen in der Arbeitswelt der ersten Jahrhunderthälfte – Aktive Frauenfiguren des späten 20. Jahrhunderts

III. Narrative Assoziierungen ........................................................ 238 i. Sparsame Narrationen ...................................................... 238 Auf Abstand zur kämpferischen Heldin – Öffnungen in Richtung Nachwelt

ii. Ausführliche Narrationen ................................................ 243 Die Annäherung der kämpfenden Heldin an die Wirklichkeit – Techniken der Plausibilisierung – Die Verteilung der narrativen Grundtypen

c.

Subjektposition ............................................................................... 249 I. Anpassung ................................................................................ 250 i. Anforderungen an die Heldin der Nation ....................... 250 Die Anständige – Die Schöne – Die potentielle Braut – Die Unersetzbare

ii. Anforderungen an den Star .............................................. 259 Die Menschliche – Die Begehrenswerte – Die Authentische – Grenzen der Authentizität

II. Überschreitung ........................................................................ 273 i. Innerhalb der Welt der Heldin ......................................... 273 Die Wortgewandte – Die Tatkräftige

ii. Mit den Mitteln des Films ................................................ 279 Die Außenperspektive auf die dominante Heldin – Blicke aus der Perspektive der Heldin – Die Binnenperspektive auf die Subjektivität der Heldin

III. Instabilität ................................................................................ 286 i. Schwindende Risiken ........................................................ 286 Die Entschärfung überkommener Vorwürfe – Verständnis für die freche Göre – Die Risiken von Stolz und Grausamkeit

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Inhalt

ii. Beharrliche Gefahren........................................................ 292 Das Gebot der Geschlossenheit – Die Regeln des Begehrens – Verhängnisvolle Interessen

d. Strategie ........................................................................................... 298 I. Heldin der Nationen ................................................................ 300 i. Militante Momente ........................................................... 300 Die Konkurrenz französischer Patriotismen – Der Kampf der Nationen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts – Die Wendung gegen den Nationalismus

ii. Kulturelle Konflikte .......................................................... 307 Die Konkurrenz der Kinoindustrien bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts – Die Wiederkehr von Rivalitäten gegen Ende des Jahrhunderts

II. Heldin der Benachteiligten ...................................................... 314 i. Heldin der einfachen Leute .............................................. 314 Die soziale Kennzeichnung der Filmheldin – Konfliktlinien zwischen dem Volk und den Mächtigen – Das Gegenüber des Kapitals und der Massen – Die Verteilungskämpfe des ausgehenden Jahrhunderts

ii. Heldin der Frauen............................................................. 325 Die erste Frauenbewegung – Die Domestizierung der Filmheldin zum «Mädchen» – Die zweite Frauenbewegung – Der Postfeminismus

III. Heldin des Individualismus .................................................... 335 i. Heldin des souveränen Individuums ............................... 335 An der Seite des bruchlosen Individuums – An der Seite des komplexen Individuums

ii. Heldin des zweifelnden Individuums .............................. 343 Aporien der fortgeschrittenen Individualisierung – Bessons tragische Heldin der fortgeschrittenen Individualisierung

Resümee......................................................................................................... 351 Die historischen Differenzen – Die Einbettung in die diskursiven Möglichkeitsfelder – Konjunkturen der Sagbarkeit

Filmographie ................................................................................................. 358 Verzeichnis der schriftlichen Quellen .......................................................... 360 Quelleneditionen – Journalistische Quellen

Verzeichnis der Fachliteratur ........................................................................ 375

Vorwort

Auch wem Plagiieren fern liegt, der kann eine Doktorarbeit wie diese nicht fertigstellen, ohne dass andere daran ihren Anteil hätten. Prof. Dr. Claus Eurich hat mich überhaupt erst auf den Gedanken gebracht, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen. Anschließend hat er, ebenso wie Prof. Dr. Hedwig Röckelein, es während seiner langsamen Verfertigung geduldig begleitet. Finanziell hat das Evangelische Studienwerk die Promotion ermöglicht. Christian Heinke, Dimitrios Markakidis, Henry Nicollela und Wulf Kansteiner waren mir neben anderen behilflich, an Kopien jener Filme zu gelangen, um die sich ein Großteil der Arbeit dreht. MitarbeiterInnen des Centre Jeanne d’Arc in Orléans, der Bibliothèque du film, der Bibliothèque nationale und des Institut national de l’audiovisuel in Paris, des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt a.M., der Deutschen Kinemathek in Berlin und des Instituts für Zeitungsforschung in Dortmund haben mich zuvorkommend bei meinen Recherchen unterstützt. Maja Ellmenreich hat viel Verständnis und Korrekturen beigesteuert. Kritisch gesichtet haben den Text außerdem Holger Bösmann und Renate Kansteiner. Allen Genannten danke ich herzlich, insbesondere aber letzterer und meinem Vater, der den Abschluss des Projekts leider nicht mehr erleben kann. Denn wer hätte mehr dafür getan, mich zu dieser Arbeit zu befähigen, als meine Eltern? Köln, Juni 2011

Morten Kansteiner

Einleitung

Die Frage Im Sommer 2003 berichtet Arne Perras auf Seite drei der Süddeutschen Zeitung von einer Reise in die liberianische Hauptstadt Monrovia, die damals unter der Kontrolle des Präsidenten Charles Taylor, aber von Rebellen umlagert ist. Perras erreicht die Stadt auf einer Fähre, die im Auftrag der Organisation Kap Anamur eine Ladung Hilfsgüter im Hafen Monrovias löscht. „Auf einmal rollt ein weißer Jeep heran, mit Satellitenschüssel auf dem Dach. Eskortiert wird das Auto von einem Wagen des liberianischen Generalstabs, auf dem sechs bewaffnete Soldaten sitzen. Aus dem weißen Auto steigt eine weißhaarige Frau, in vollem Kampfanzug, Colonel Sue Ann Sandusky, Militär-Attaché der US-Botschaft. Sie hätte ja schon gehört von diesem Schiff, sagt sie, eine gute Sache, und wenn die Kap-Anamur-Leute Hilfe bräuchten, sollten sie einfach anrufen. Sagt sie und fährt wieder davon.“1

Damit ist die Begegnung abgehakt – auch für Perras. Er verliert kein weiteres Wort über die Offizierin. Und gerade das ist bemerkenswert. Denn kaum ein Zusammenhang ist enger mit Männlichkeit verknüpft als der, in dem Colonel Sandusky hier auftritt. Besonders aus der deutschen Perspektive betrachtet, die vom radikalen Ausschluss der Frauen aus dem Militär, wie er im 19. Jahrhundert zur Regel wird, lange geprägt bleibt. Und ganz unabhängig von dieser konkreten Tradition gelten Schauplätze kriegerischer Auseinandersetzungen als rein männliches Betätigungsfeld, von dem Frauen ferngehalten werden müssen. Solche Abgrenzungen haben in der Vergangenheit entscheidend dazu beigetragen, den Geschlechtern überhaupt eine klare Gestalt zu geben: Konventionell wird das männliche Geschlecht nicht zuletzt als das bewaffnete konstruiert, als dasjenige, das Gewalt ausübt; es wird eine «natürliche» Entsprechung zwischen Männern und Krieg, zwischen Frauen und Frieden vorausgesetzt.2 1

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Arne Perras: Das lange Warten auf Charlyman. Nach zwanzig Jahren Krieg und Angst beten die Menschen nicht nur im Freimaurertempel um Hilfe von Gott – oder von den Amerikanern. In: Süddeutsche Zeitung, 21.07.2003, 3. Cf. Ute Frevert: Citoyenneté, identités de genre et service militaire en Allemagne (XIXeXXe siècle). In: Clio 20 (2004), ohne Paginierung (http://clio.revues.org/document1420.html, Stand 21.05.2008); Angela K. Smith: Introduction. In: Idem (ed.): Gender and Warfare in the Twentieth Century. Textual Representations. Manchester, New York 2004, 1-11, hier: 2,

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Einleitung

Wenn man den Blick ein wenig weitet, von kriegerischen Kontexten vorübergehend absieht, stößt man auf weitere Bedingungen, die die mediale Darstellung einer Figur wie Colonel Sandusky bemerkenswert machen. Das Erbe der bürgerlichen Öffentlichkeit, deren Konventionen die Frauen auf die weniger geachtete häusliche Sphäre festlegten, hat sich lange erhalten. Es ist international sowohl in die Institutionen und Funktionsweisen des Mediensystems eingeschrieben, als auch an den Geschlechterbildern abzulesen, die es hervorbringt. Über Jahrzehnte hinweg, zum Teil noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen Studien fest, dass Frauen in vergleichsweise wenigen Funktionen gezeigt werden – vielfach als Opfer – und ihr Aktionsradius oft auf das Private beschränkt ist. Als Handelnde in der öffentlichen Sphäre hingegen, insbesondere als Politikerinnen, sind sie unterrepräsentiert.3 Im Film ist die Asymmetrie so ausgeprägt, dass sich auf sie eine ganze wissenschaftliche Subdisziplin gründet: Feministische Filmstudien nehmen mit dem unangenehmen Eindruck ihren Anfang, dass aktive Frauenfiguren im Kino nur eine prekäre Randexistenz führen und in den 1970er Jahren völlig zu verschwinden drohen.4 Auch in der Literatur wirkt die jahrhundertealte Zweiteilung der Sphären im 20. Jahrhundert nach, die einen idealtypischen Ausdruck im Gegenüber von Haus und Garten als weiblicher Domäne einerseits und dem männlichen Kriegsschauplatz andererseits finden kann.5

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4; Nira Yuval-Davies: Gender and Nation. London, Thousand Oaks, New Delhi 1997, 94; Hilary Neroni: The Violent Woman. Femininity, Narrative, and Violence in Contemporary American Cinema. Albany 2005, 20, 45; Fabian Virchow / Tanja Thomas / Martina Thiele: Medien, Krieg, Geschlecht. Dimensionen eines Zusammenhangs. In: Idem (eds.): Medien – Krieg – Geschlecht. Affirmationen und Irritationen sozialer Ordnungen. Wiesbaden 2010, 19-44, hier: 20f. Cf. Susanne Keil: Medientheorie und „Geschlecht“. In: Claus Eurich (ed.): Gesellschaftstheorie und Mediensystem. Interdisziplinäre Zugänge zur Beziehung von Medien, Journalismus und Gesellschaft. Münster, Hamburg, London 2002, 85-98, hier: 92; Elisabeth Klaus: Ein Zimmer mit Ausblick? Perspektiven kommunikationswissenschaftlicher Geschlechterforschung. In: Idem / Jutta Röser / Ulla Wischermann (eds.): Kommunikationswissenschaft und Gender Studies. Wiesbaden 2001, 20-40, hier: 30-32; Cynthia Carter / Linda Steiner: Mapping the Contested Terrain of Media and Gender Research. In: Idem (eds.): Critical Readings. Media and Gender. Maidenhead 2004, 11-35, hier: 13f.; Karen Ross: Gendered Media. Women, Men, and Identity Politics. Lanham et al. 2010, 43f., 93f., 110-116. Cf. Annette Kuhn: Women’s Pictures. Feminism and Cinema. London, New York 21994, IX, 34; Molly Haskell: From Reverence to Rape. The Treatment of Women in the Movies. Chicago, London 21987, VII, 3f., 30; E. Ann Kaplan: Women and Film. Both Sides of the Camera. New York, London 1983, 28. Cf. Dominique Grisard et al.: Gender in Motion. Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung. In: Idem (eds.): Gender in Motion. Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung. Frankfurt a.M., New York 2007, 11-31, hier: 21; Natascha Würzbach:

Einleitung

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Dennoch sieht der Reporter Perras keinen Bedarf, das Auftauchen einer Frau zu kommentieren, die nicht nur mit einem Kampfanzug, sondern auch so viel Macht ausgestattet ist, dass sie anderen – wohlgemerkt Männern – inmitten der gewaltsamen Wirren des liberianischen Bürgerkriegs Schutz zusagen kann. Der Autor lässt keinerlei Irritation erkennen, er macht das Unkonventionelle der Begegnung nicht explizit, er versucht nicht, die Präsenz der Soldatin durch Hinweise auf ihre besonderen Qualifikationen, auf die Personalstrategie der US-Administration oder die verrückten Zufälle des Alltags in Liberia zu plausibilisieren. Die Frau im Kampfanzug taucht wie selbstverständlich an der medialen Oberfläche des frühen 21. Jahrhunderts auf. Und da ist sie nicht allein. Wenige Jahre zuvor berichtet die deutsche Presse etwa, wie die Elektronikerin Tanja Kreil ihr Recht auf Gleichbehandlung durch den Arbeitgeber Bundeswehr beim Europäischen Gerichtshof einklagt und damit Frauen den Weg in kämpfende Einheiten ebnet. 1997 überwindet die Soldatin Jordan O’Neil in dem Film Die Akte Jane massive Widerstände, um als erste Frau in eine Eliteeinheit der US-Navy aufgenommen zu werden. Von beiden führt die Spur zu einer weiteren Kriegerin. Zweimal spielt der Marineminister in Die Akte Jane auf die Geschichte Jeanne d’Arcs an.6 Und ein Stern-Reporter löst dieselbe Assoziation aus, wenn er eine Schülerin zum Fall Kreil befragt: Frauen sollten auch an der Waffe Dienst tun dürfen, meint die Gymnasiastin, schließlich „war die Jeanne d’Arc doch auch eine Frau – und sie hat die Engländer besiegt“.7 Insofern ist es nur stimmig, dass sich zwischen den auffallend zahlreichen Kinokämpferinnen der 1990er Jahre, zwischen der Pump-Gun-Mutter aus Terminator 2 etwa und der jungen Boxerin aus Girlfight, gleich zwei Inkarnationen der berühmten Französin einreihen: Einmal schlüpft Sandrine Bonnaire unter der Regie von Jacques Rivette in die Haut der historischen Heldin, einmal Milla Jovovich in einem Film von Luc Besson.8 Wir sehen sie der Armee voranreiten, gepanzert und bewaffnet in die

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Raumdarstellung. In: Vera Nünning / Ansgar Nünning (eds.): Erzähltextanalyse und Gender Studies. Stuttgart, Weimar 2004, 49-71, hier: 52. Cf. Ridley Scott: G.I. Jane (Die Akte Jane). USA 1997. Der deutsche Verleihtitel wird in den Fußnoten und in der Filmographie nur dann vermerkt, wenn sich der Verweis auf einen Film tatsächlich auf die Synchron- und nicht auf die Originalfassung bezieht. Michael Stoessinger: »Wir wollen das volle Programm«. In: Stern, 04.11.1999, 62. Cf. James Cameron: Terminator 2 – Judgment Day (Terminator 2 – Der Tag der Vergeltung). USA 1990; Karyn Kusama: Girlfight (Girlfight – Auf eigene Faust). USA 2000; Jacques Rivette: Jeanne la Pucelle. I: Les Batailles, II: Les Prisons. Frankreich 1994; Luc Besson: Jeanne d’Arc. Frankreich 1999. Diese und alle weiteren Jeanne d’Arc-Verfilmungen werden in den Fußnoten nach der ersten Nennung jeweils mit dem Nachnamen des Regisseurs bezeichnet. Cf. allgemein zu den neuen Kinoheldinnen etwa Neroni: The Violent Woman, 19; Yvonne Tasker: Spectacular Bodies. Gender, Genre and the Action Cinema. London, New York 1993,

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Einleitung

Schlacht ziehen, dem Misstrauen am Hof, den Anschuldigungen vor Gericht trotzen. Der heroische Schwung der Figur hat den Anstoß für diese Arbeit gegeben. Die Faszination, die von der Protagonistin der Filme ausgeht, beruht nicht allein auf ihrer attraktiven Inszenierung. Vielmehr führt die Heldin vor Augen, dass die Überwindung selbst langlebigster Konventionen möglich ist, dass sich im Geflecht kultureller Muster Spalten öffnen können, die neue Handlungsmöglichkeiten zugänglich machen. Seit ihrer Genese im 15. Jahrhundert erzählt die Geschichte der Jeanne d’Arc immer von einer Überschreitung, aber die Filmfassungen aus den 1990er Jahren stehen darüber hinaus für einen besonderen historischen Umbruch: Sie sind Teil einer medialen Konstellation, in der erstaunlich viele tat- und schlagkräftige Frauenfiguren jenseits der Tradition agieren. Ganz allgemein konstatiert Sue Thornham, dass es ab 1990 insbesondere in der audiovisuellen Kultur eine Wende gibt, in deren Folge sich die Trennung der Geschlechtersphären relativiert.9 Und dazu gehört offensichtlich, dass um die Jahrtausendwende in Fiktionen und Faktenberichten mit neuer Selbstverständlichkeit von Kämpferinnen die Rede sein kann. Wie kann es dazu kommen? Aus der Faszination, die die Filmheldin auszulösen vermag, folgt im zweiten Schritt die Frage nach den Bedingungen ihrer Existenz. Diese Arbeit will darauf eine Antwort liefern. Wie ist zu erklären, dass sich eine Figur über Jahrhunderte gegen mächtige Konventionen durchsetzen kann? Und dass sie dann plötzlich im Einklang mit medialen Konjunkturen zu sein scheint? Solche Fragen, die auf die Brüche und Umbrüche innerhalb der dominanten Geschlechterordnung zielen, haben feministische Medien- und Kommunikationswissenschaftlerinnen als vordringlich hervorgehoben.10 Und die Figur der Jeanne d’Arc löst derartige Fragen nicht nur aus, sondern sie bietet auch besonders günstige Voraussetzungen dafür, zu ihrer Beantwortung beizutragen.

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3, 132, 137-139; Rebecca Bell-Metereau: Hollywood Androgyny. New York 21993, 247-256; Anneke Smelik: Lara Croft, Kill Bill and the Battle for Theory in Feminist Film Studies. In: Rosemarie Buikema / Iris van der Tuin: Doing Gender in Media, Art and Culture. New York et al. 2009, 178-192, hier: 179, 181f.; Katy Gilpatric: Violent Female Action Characters in Contemporary American Cinema. In: Sex Roles 62 (2010), 734-746, hier: 734. Cf. Sue Thornham: Women, Feminism, and Media. Edinburgh 2007, 15f. Cf. Johanna Dorer: Diskurs, Medien und Identität. Neue Perspektiven in der feministischen Kommunikationswissenschaft. In: Idem / Brigitte Geiger (eds.): Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Wiesbaden 2002, 53-78, hier: 59; Waltraud Ernst: Zur Vielfältigkeit von Geschlecht. Überlegungen zum Geschlechterbegriff in der Medienforschung. In: Ibid., 33-52, hier: 39.

Einleitung

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Die Quellen Die Heldin Jeanne d’Arc hat enorme Erfahrung im Überwinden von Gendergrenzen. Das zeigt schon ihre Kinokarriere. Zwar ist es kaum möglich, eine letztgültige Auflistung aller Filme zu geben, die sich mit ihr beschäftigen. Einerseits ist die Dokumentation zu den teils verschollenen Versionen aus den frühen Kinojahren dürftig. Andererseits lässt sich darüber streiten, welche Paraphrasen oder Umdeutungen der Heldin in eine Jeanne d’Arc-Filmographie aufzunehmen sind.11 Aber so viel ist sicher: Seit es das Medium gibt, gibt es Filme über Jeanne, verteilt auf praktisch alle Epochen seiner Geschichte. Kaum eine Figur sei häufiger verfilmt worden, meint Robin Blaetz.12 Im Folgenden soll es um einen Kernbereich der filmischen Rezeption gehen. Er lässt sich erstens anhand formaler Kriterien definieren: Da die Filmheldin Jeanne über viele Jahrzehnte hinweg ohnehin nur in Spielfilmen auftaucht, die über das Kino Verbreitung finden, kann man sich ohne große Einbußen auf solche Produktionen konzentrieren.13 Zweitens sind besonders jene Arbeiten interessant, die inhaltlich die historische Heldin eindeutig in den Mittelpunkt stellen: die in erster Linie einen Abschnitt aus deren Leben erzählen und die Figur nicht einem anderen narrativen Zusammenhang unterordnen.14 Drittens sind Frankreich und die USA für die Kinokarriere der Heldin die wichtigsten Länder, deshalb soll der Fokus auf Produktionen dieser Herkunft liegen, ergänzt um das einzige Beispiel deutscher Provenienz.15 Auf diese Weise ergibt sich eine klar abgegrenzte Gruppe von zwölf Filmen. Einerseits ein überschaubares, gut handhabbares Corpus, andererseits ist damit eine große Bandbreite an Stilistiken und historischen Konstellationen erfasst.

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Cf. etwa Robin Blaetz: Joan of Arc and the Cinema. In: Dominique Goy-Blanquet (ed.): Joan of Arc, a Saint for All Reasons. Studies in Myth and Politics. Aldershot, Burlington 2003, 143-174, hier: 145, 165-174; idem: Visions of the Maid. Joan of Arc in American Film and Culture. Charlottesville, London 2001, 249-261; Anon.: Jeanne d’Arc. Filmographie complète. In: Anon.: L’Industrie du rêve. Rencontre art & technique, 17-26 avril 2000. Jeanne d’Arc. Catalogue. Ohne Ort und Jahr, 15-39; Vincent Pinel: Filmographie. Jeanne à l’écran. In: La Revue des Lettres Modernes 9.71-72 (1962), 131-134. Blaetz: Joan of Arc and the Cinema, 143. Fernsehproduktionen wie Pierre Badel: Le Pouvoir et l’innocence. Frankreich 1990 oder Christian Dugay: Joan of Arc. Canada 1999 werden damit nicht berücksichtigt. Ausgeschlossen werden dadurch etwa Robert Stevenson: Joan of Paris. USA 1942; Irving Pichel: The Miracle of the Bells. USA 1948; Jean Delannoy: Destinées. Frankreich, Italien 1954; Gleb Panfilov: Nachalo. UdSSR 1970. Nicht in den Blick kommen daher etwa Filme aus Italien wie Nino Oxilia: Giovanna d’Arco. Italien 1913 und Roberto Rossellini: Giovanna d’Arco al Rogo. Italien 1950.

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Einleitung

Die Reihe beginnt mit Georges Hatot: Noch bevor das 19. Jahrhundert zu Ende ist, hat er schon eine Jeanne d’Arc-Szene gedreht. Die ganz frühen Kinojahre sind außerdem durch Albert Capellani und Georges Méliès vertreten. Cecil B. DeMille bringt Jeanne nach Hollywood, als die Filmbranche an der Westküste gerade erst Wurzeln schlägt. Victor Fleming und Otto Preminger greifen den Stoff in der klassischen Phase des US-Films wieder auf. In Europa haben Carl-Theodor Dreyer und Marco de Gastyne die Geschichte inzwischen mit allen – jeweils sehr verschiedenen – Mitteln des späten Stummfilms erzählt und Gustav Ucicky unter den Bedingungen des NS-Kinos. Robert Bresson integriert die Filmheldin in die Tradition des französischen Kunstkinos, bevor schließlich Rivette und Besson folgen. Schon die rasche Übersicht zeigt: Die Figur Jeanne d’Arc ist fest in der Filmgeschichte verankert.16 Wobei die gut 100 Jahre des Mediums für diese Heldin sogar einen eher knappen Zeitraum darstellen. Schließlich zirkuliert ihre Geschichte schon im 15. Jahrhundert: Sie findet in Chroniken, Traktaten, Gedichten oder auch Geschäftsbriefen Erwähnung. Zudem sind die Protokolle der beiden Prozesse überliefert, deren erster zum Tod und deren zweiter zur Rehabilitierung Jeanne d’Arcs führt. Sie sei wahrscheinlich die bestdokumentierte Frauengestalt der Geschichte, meint die Mediävistin Colette Beaune.17 ZeitgenossInnen der historischen Heldin berichten, dass sie ihr Pferd mit außergewöhnlichem Geschick beherrscht. Tapfer reitet sie mit voller Rüstung ins Feld. Sie spricht von der Kriegskunst und gebietet über das Heer wie ein gestandener Anführer. Jeanne äußert sich so weise, dass selbst Kleriker verblüfft sind.18 Damit ist sie bereits zu Lebzeiten eine höchst unwahrscheinliche Figur. Die gelehrten Schriften des Spätmittelalters schildern das weibliche als das passive, irrationale Geschlecht. Frauen haben sich in der Öffentlichkeit zurückzuhalten, es steht ihnen nicht an, das Wort zu ergreifen. Und erst recht nicht das Schwert: Auch im 15. Jahrhundert ist der Krieg so eindeutig wie

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Neben den bereits zitierten Filmen von Rivette und Besson umfasst das Corpus also Georges Hatot: Jeanne d’Arc. Frankreich 1898; Georges Méliès: Jeanne d’Arc. Frankreich 1900; Albert Capellani: Jeanne d’Arc. Frankreich 1908; Cecil B. DeMille: Joan the Woman. USA 1916; Carl-Theodor Dreyer: La Passion de Jeanne d’Arc. Frankreich 1928; Marco de Gastyne: La Merveilleuse Vie de Jeanne d’Arc. Frankreich 1928; Gustav Ucicky: Das Mädchen Johanna. Deutschland 1935; Victor Fleming: Joan of Arc. USA 1948; Otto Preminger: Saint Joan. USA 1957; Robert Bresson: Le Procès de Jeanne d’Arc. Frankreich 1962. Ausgewertet wird jeweils eine Version in der Sprache, in der der Film produziert wurde. Colette Beaune: Jeanne d’Arc. Paris 2004, 13. Cf. Jules Quicherat (ed.): Procès de condamnation et de réhabilitation de Jeanne d’Arc. Bd. IV. Paris 1847 (im Folgenden zit. als Q IV), 3, 53, 76, 153, 209-211, 322.

Einleitung

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kaum ein anderer Teil des Lebens Männersache.19 Insgesamt reichen die Erfahrungen der Figur Jeanne d’Arc im Überwinden von Geschlechterkonventionen fast 600 Jahre zurück. Das macht die Darstellungen der Heldin zu einem umso geeigneteren Untersuchungsgegenstand. Denn – wie die weiteren Überlegungen zum Stichwort Gender deutlich machen werden – wenn man Verschiebungen in der Repräsentation von Geschlechterrollen aufspüren will, kann es nützlich sein, lange Zeitspannen in den Blick zu nehmen. Die Texte aus dem 15. Jahrhundert liefern eine Folie, vor der sich die Bedingungen für die mediale Existenz einer kämpferischen Heldin im 20. Jahrhundert umso klarer abzeichnen können. Dass die Figur Jeanne d’Arc nicht nur im Film auftaucht, ist insofern ein günstiger Umstand. Aber dass sie im 20. Jahrhundert gerade in diesem Medium eine beachtliche Präsenz erreicht, ist es nicht minder. Denn als Filmheldin ist sie besonders eng in zeitgenössische Kontexte eingebunden. Filme über historische Geschehnisse, insbesondere solche des Mittelalters, dienen oft als Projektionsfläche für drängende gesellschaftliche Anliegen.20 „Trotz der scheinbaren Zeitlosigkeit, in die das Leinwandmittelalter die Zuschauer entführt, ist der Mittelalterfilm selbst keineswegs zeit- und ortsungebunden. Vielmehr zeigt er seismographisch die gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und ideologischen Bedingungen (Ideologeme) an, unter denen er entsteht.“21

Man darf wohl hinzufügen: auch die Bedingungen hinsichtlich der sozialen Konstruktion der Geschlechter. Denn das Kino gehört zu jenen medialen Praktiken, die bestimmte, vor allem hegemoniale Konzeptionen von Weiblichkeit und Männlichkeit verdichten. Konzeptionen, die RezipientInnen als Identitätsbausteine dienen können oder dazu, zwischen der eigenen und fremden Positionen zu vermitteln.22 Und das Kino dürfte sogar eine besonders 19

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Cf. etwa Beaune: Jeanne d’Arc, 162-166, 314; Caroline Walker Bynum: „…And Woman His Humanity“. Female Imagery in the Religious Writing of the Later Middle Ages. In: Idem / Steven Harrell / Paula Richman (eds.): Gender and Religion. On the Complexity of Symbols. Boston 1986, 257-288, hier: 257. Cf. Hedwig Röckelein: Mittelalter-Projektionen. In: Mischa Meier / Simona Slanitka (eds.): Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion. Köln, Weimar, Wien 2007, 41-62, hier: 54; Robert A. Rosenstone: The Reel Joan of Arc. Reflections on the Theory and Practice of the Historical Film. In: The Public Historian 25.3 (2003), 61-78, hier: 70. Röckelein: Mittelalter-Projektionen, 55. Cf. Dorer: Diskurs, Medien und Identität, 53-78, hier: 54f.; Dagmar Beinzger: Filmerleben im Rückblick. Der Zusammenhang zwischen Filmrezeption und Geschlechtsidentität aus biographischer Sicht. In: Renate Luca (ed.): Medien, Sozialisation, Geschlecht. Fallstudien aus der sozialwissenschaftlichen Forschungspraxis. München 2003, 111-126, hier: 111-113.

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gewichtige Rolle bei solchen Prozessen spielen: Da geschlechtlich bestimmte Identitäten eng an Vorstellungen von Körpern geknüpft sind, kann ein Medium, das die Inszenierung des menschlichen Körpers seit je her in den Mittelpunkt stellt, in diesem Zusammenhang um so größere Bedeutung entfalten. Erst recht wenn es sich um die Körper von Stars handelt, die stets eine Vielfalt gesellschaftlicher Anliegen bündeln.23 Empirische Studien haben gezeigt, wie sowohl der Rückgriff auf traditionsgemäße Geschlechterbilder als auch deren Subversion durch die Rezeption filmischer Vorbilder vermittelt sein kann. So verfolgt etwa Dagmar Beinzger das Selbstbild einer von ihr interviewten Frau, die sich dem «passiven Geschlecht» zurechnet, bis zu den Piratenfilmen zurück, die die Befragte als Kind im Fernsehen gesehen hat.24 Jackey Stacey hingegen stößt in ihrer einflussreichen Studie, die das Verhältnis britischer Frauen zu den Filmstars ihrer Jugend, der 1940er und 1950er Jahre, beleuchtet, auf andere Mechanismen. Zum Beispiel kann ein Kleidungsstil, den die Zuschauerinnen den US-Stars abschauen, im britischen Alltagskontext zum Zeichen von Unabhängigkeit werden. Die Individualität, die die Stars symbolisieren, bildet einen Gegenpol zu den Erfahrungen vieler Frauen, die sich während des Zweiten Weltkriegs in anonymisierende Arbeitszusammenhänge einordnen müssen.25 Auch wenn Rüstungen und Helme nicht so bald in Mode kommen werden: Die Beschaffenheit einer Figur wie Jeanne d’Arc dürfte solche Transfers zwischen Film und Alltag besonders begünstigen. Denn: „Historische Figuren besitzen eine «transworld identity»“.26 Sie können in gleichem Maße plausible Akteure in der fiktionalen Welt eines Spielfilms sein und nach den Regeln der realen Welt als wahr gelten. Es lässt sich belegen, dass sich reale Frauen die Geschichte der Jeanne d’Arc zunutze machen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchen etwa die frühen Feministinnen in den USA ihre Position durch den Rückgriff auf die historische Heldin zu stärken. Bilder von Jeanne d’Arc werben für Zeitschriften der Bewegung und zieren Anstecknadeln. Als die Aktivistin Christabel Pankhurst – auch als „Maiden Warrior“ bekannt – nach einem Gefängnisaufenthalt entlassen und das mit einem Aufmarsch gefeiert wird, 23

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Cf. Teresa de Lauretis: Alice Doesn’t. Feminism, Semiotics, Cinema. Bloomington 1984, 82; Susanne Weingarten: Bodies of Evidence. Geschlechtsrepräsentationen von HollywoodStars. Marburg 2004, 7f.; Dagmar Hoffmann: Sinnliche und leibhaftige Begegnungen. Körperästhetiken in Gesellschaft und Film. In: Idem (ed.): Körperästhetiken. Filmische Inszenierungen von Körperlichkeit. Bielefeld 2010, 11-33, hier: 19f. Cf. Beinzger: Filmerleben im Rückblick, 119. Cf. Jackie Stacey: Star Gazing. Hollywood Cinema and Female Spectatorship. London, New York 1994, vor allem 114f., 135-172, 203-205. Margrit Tröhler: Von Weltenkonstellationen und Textgebäuden. Fiktion – Nichtfiktion – Narration in Spiel- und Dokumentarfilm. In: montage/av 11.2 (2002), 9-41, hier: 22.

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führt den eine Frau an, die als Jeanne verkleidet ist.27 Am Ende des Jahrhunderts stehen jene Amerikanerinnen, deren Berichte über ihr persönliches Verhältnis zur Figur Jeanne d’Arc Ann Llewellyn Barstow zusammengetragen hat. Die Frauen erzählen, wie die historische Heldin ihnen hilft, Widerstände zu überwinden, in der Öffentlichkeit entschieden aufzutreten und ein autonomes Leben zu führen.28 Die Beispiele machen deutlich: Die Bedeutung einer Filmheldin wie Jeanne d’Arc beschränkt sich nicht auf die mediale Oberfläche. Zwar geht es im Folgenden nicht in erster Linie darum, konkrete Aneignungen und Rezeptionsweisen nachzuzeichnen. Aber jenseits der konkreten Texte müssen die Kontexte in den Blick kommen, mit denen die Figur Jeanne d’Arc zu verschiedenen Zeiten interagiert. Das wird die weitere Klärung einiger theoretischer Grundannahmen noch zeigen: Die mediale Karriere der Heldin hängt nicht zuletzt von ihrer Verwendbarkeit für zeitgenössische Zwecke, ihrer Anschlussfähigkeit an aktuelle Debatten ab. Die Untersuchung muss solche Zusammenhänge sichtbar machen – und die besonderen medialen Merkmale einer Filmfigur erleichtern das. Denn sie wird immer von Paratexten begleitet, die dabei helfen, die relevanten gesellschaftlichen Kontexte zu identifizieren.29 Neben den Texten des 15. Jahrhunderts und den Filmen selbst öffnet sich hier ein drittes Untersuchungsfeld: Die journalistische Berichterstattung, die ab den 1910er Jahren jeden neuen Film über Jeanne d’Arc zum Gegenstand macht, bietet einen reichen Fundus. Spätestens in den 1920er Jahren ist der Filmjournalismus so weit ausdifferenziert, dass sich die Heldin auf diesem Weg mit unterschiedlichen weltanschaulichen Strömungen und gesellschaftlichen Interessen in Verbindung setzen lässt. Und zwar über Ländergrenzen hinweg: Ob ein Jeanne d’Arc-Film aus Frankreich, den USA oder Deutschland stammt – er wird in aller Regel auch von JournalistInnen in den jeweils anderen Ländern kommentiert. Die Karriere der Filmheldin mag in den drei Kinokulturen im Detail unterschiedlichen Bedingungen unterliegen, aber gerade mit Hilfe des Presseechos lässt sie sich als Phänomen beschreiben, das von supranationalen Entwicklungen geprägt ist.

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Cf. Marina Warner: Joan of Arc. The Image of Female Heroism. Berkeley, Los Angeles 1981, hier: 263; Ellen Ecker Dolgin: Modernizing Joan of Arc. Conceptions, Costumes, and Canonization. Jefferson, London 2008, 101f. Cf. Ann Llewellyn Barstow: She Gets Inside Your Head. Joan of Arc and Contemporary Women’s Spirituality. In: Ann W. Astell / Bonnie Wheeler (eds.): Joan of Arc and Spirituality. Basingstoke, New York 2003, 283-293, hier: 287-292. Cf. Weingarten: Bodies of Evidence, 14f.

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Die Fachliteratur Neben den Quellen steht zu Jeanne d’Arc eine fast unübersehbare Menge an wissenschaftlicher Literatur zur Verfügung. Auch das erleichtert es, die je relevanten Kontexte zu beleuchten, in die die mediale Repräsentation der Heldin eingebettet ist. Forscherinnen wie Marina Warner, Sabine Tanz, Deborah Fraioli und Colette Beaune haben transparent gemacht, mit welchen kulturellen Motiven und gesellschaftlichen Entwicklungen die Jeanne d’Arc des 15. Jahrhunderts in Verbindung steht.30 Zahlreiche Untersuchungen mit ganz unterschiedlichen Ansätzen thematisieren die Rezeption, Adaption, Interpretation der Heldin im 19. und 20. Jahrhundert. Schon früh gibt es Studien über die Darstellung Jeanne d’Arcs in der Literatur, und jüngst hat Stephanie Himmel speziell solche Texte ausgewertet, die sich an Kinder und Jugendliche richten.31 Einzelne Veröffentlichungen konzentrieren sich auf bildliche Darstellungen.32 Ein breites Spektrum an Quellen nutzen Gerd Krumeich, Nadia Margolis, Michel Winock oder Dietmar Rieger, wenn sie Rezeptionen der Heldin in Frankreich analysieren, Robin Blaetz verfährt für den US-amerikanischen Kontext ähnlich.33 30

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Cf. Warner: Joan of Arc; Beaune: Jeanne d’Arc; Sabine Tanz: Jeanne d’Arc. Spätmittelalterliche Mentalität im Spiegel eines Weltbildes. Weimar 1991; Deborah A. Fraioli: Joan of Arc. The Early Debate. Woodbridge 2000. Cf. etwa Eduard von Jan: Das literarische Bild der Jeanne d’Arc (1429-1926). Halle 1928; Jan Joseph Soons: Jeanne d’Arc au théâtre. Etude sur la plus ancienne tragédie, suivie d’une liste chronologique des œuvres dramatiques dont Jeanne d’Arc a fourni le sujet en France de 1890-1926. Purmerend 1929; Maria Rapp: Jeanne d’Arc in der englischen und amerikanischen Literatur. Tübingen 1934; Stephanie Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«. Die mediale Inszenierung des Jeanne d’Arc-Mythos in populären Erinnerungskulturen. Göttingen 2007. Cf. Claude Ribéra-Pervillé: Jeanne d’Arc au Pays des Images. In: L’Histoire 15 (September 1979), 58-67; Béatrice Foulon (ed.): Jeanne d’Arc. Les tableaux de l’Histoire, 1820-1920. Paris 2003. Cf. etwa Blaetz: Visions of the Maid; Gerd Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte. Historiographie – Politik – Kultur. Sigmaringen 1989; Nadia Margolis: Trial by Passion. Philology, Film, and Ideology in the Portrayal of Joan of Arc (1900-1930). In: Journal of Medieval and Early Modern Studies 27 (1997), 445-493; idem: The «Joan Phenomenon» and the French Right. In: Bonnie Wheeler / Charles T. Wood (eds.): Fresh Verdicts on Joan of Arc. New York, London 1996, 265-287; idem: Rewriting the Right. High Priests, Heroes and Hooligans in the Portrayal of Joan of Arc (1824-1945). In: Dominique Goy-Blanquet (ed.): Joan of Arc, a Saint for All Reasons. Studies in Myth and Politics. Aldershot, Burlington 2003, 59-104; Michel Winock: Jeanne d’Arc. In: Pierre Nora (ed.): Les Lieux de mémoire. III: Les France. 3: De l’archive à l’emblème. Paris 1992, 675-733; Dietmar Rieger: Jeanne d’Arc und der Patriotismus. Zur Geschichte einer «belle image de livre de prix» von der Revolution bis zur Résistance. In: Romanistisches Jahrbuch 36 (1985), 122-139; idem: „Begreifen, daß die Marseillaise die Gebete Johannas fortsetzt, heißt Frankreich begreifen“. Zum Wandel des

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Schon dabei spielen Filme über Jeanne d’Arc mitunter eine Rolle, insbesondere bei Blaetz. Sie bilden einen wichtigen Bezugspunkt, wenn Stephanie Wodianka untersucht, wie die Geschichte der Heldin als Mythos während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Frankreich, Italien und den USA rezipiert wurde.34 Sie sind aber auch für sich genommen zum Gegenstand verschiedener Studien geworden. Meist handelt es sich um Analysen, die sich auf einen einzelnen Film oder eine kleine Zahl von Beispielen beschränken. Manche Aufsätze fokussieren dabei die Besonderheit bestimmter Regiearbeiten.35 Andere Texte beleuchten praktische oder ökonomische Aspekte der Produktionen.36 Am häufigsten aber steht der Umgang mit der Geschichte und Rezeptionsgeschichte im Vordergrund, mehr oder weniger ausführlich auch die Anpassung an zeitgenössische Erwartungen und Konventionen.37 Einige AutorInnen werten für solche Fragestellungen Beispiele aus Jeannes gesamter Filmkarriere aus.38 Robin Blaetz gibt in ihrer Doktor-

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Jeanne d’Arc-Bilds vom 18. zum 19. Jahrhundert. In: Hedwig Röckelein / Charlotte SchoellGlass / Maria E. Müller (eds.): Jeanne d’Arc oder Wie Geschichte eine Figur konstruiert. Freiburg, Basel, Wien 1996, 137-169. Cf. Stephanie Wodianka: Zwischen Mythos und Geschichte. Ästhetik, Medialität und Kulturspezifik der Mittelalterkonjunktur. Berlin, New York 2009. Cf. etwa Aurélie Borgnet: Jeanne d’Arc au cinéma. Jeanne la Pucelle de Jacques Rivette. In: Etudes médiévales 2 (2000), 249-257; Dagmar von Hoff: Von der Akribie zur Passion. Jeanne d’Arc in Carl-Theodor Dreyers Passion der Jeanne d’Arc. In: Hedwig Röckelein / Charlotte Schoell-Glass / Maria E. Müller (eds.): Jeanne d’Arc oder Wie Geschichte eine Figur konstruiert. Freiburg, Basel, Wien 1996, 220-243 oder die Aufsätze des Jeanne d’ArcSchwerpunkts in Cahiers de la Cinémathèque 42-43 (Sommer 1985). Cf. Matthew Bernstein: Hollywood Martyrdoms. Joan of Arc and Independent Production in the Late 1940s. In: Bruce A. Austin (ed.): Current Research in Film. Audiences, Economics, Law. Bd. 4. Norwood 1988, 89-113 oder die Aufsätze des Jeanne d’Arc-Schwerpunkts in L’Avant-Scène Cinéma 367/368 (Januar-Februar 1988). Cf. etwa Robin Blaetz: Cecil B. DeMille’s Joan the Woman. In: Studies in Medievalism 6 (1994), 109-122; Susan Hayward: Jeanne d’Arc. High Epic Style and Politicising Camp. In: Idem / Phil Powrie (eds.): The Films of Luc Besson. Master of Spectacle. Manchester, New York 2006, 161-174; Judith Klinger: Die modernisierte Ikone. Mittelalter-Mythen und Inszenierungen von ‚Weiblichkeit‘ in Jeanne d’Arc-Filmen. In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 13 (2003), 263-285; idem: Jeanne d’Arc. In: Christian Kiening / Heinrich Adolf (eds.): Mittelalter im Film. Berlin, New York 2006, 135-170; Klaudia Knabel: Geschichte auf der Leinwand. Der Fall Jeanne d’Arc. In: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 26 (2002), 377-393; Charles O’Brien: Rethinking National Cinema. Dreyer’s La Passion de Jeane d’Arc and the Academic Aesthetic. In: Cinema Journal 35.4 (Sommer 1996), 3-30. Cf. Blaetz: Joan of Arc and the Cinema; idem: ‚La Femme Vacante‘ or The Rendering of Joan of Arc in the Cinema. In: Postscript 12.2 (Winter 1993), 63-78; Kevin J. Harty: Jeanne au cinéma. In: Bonnie Wheeler / Charles T. Wood (eds.): Fresh Verdicts on Joan of Arc. New York, London 1996, 237-264; Hedwig Röckelein: Jeanne d’Arc. Über historische Authentizität im Film. In: Annette Kreutziger-Herr / Dorothea Redepennig (eds.): Mittelal-

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arbeit die umfassendste Übersicht, auch wenn sie an dieser Stelle die Verfilmungen der 1990er Jahre noch nicht berücksichtigen konnte.39 Alle diese Arbeiten können im Folgenden eine Hilfe sein. Gleichzeitig nehmen sie die Untersuchung, die hier angestellt werden soll, nicht vorweg. Zum einen weil diese sich um eine besonders breite Basis bemüht. Nicht nur repräsentieren die ausgewählten Filme praktisch die gesamte Filmgeschichte vom ausgehenden 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, sondern sie werden auch vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Repräsentation der Heldin betrachtet. Zudem beschränkt sich die Analyse der Kinoheldin Jeanne nicht auf die Filmtexte, sondern sucht insbesondere mit Hilfe journalistischer Quellen nach den entscheidenden historischen Kontexten – und das länderübergreifend in Frankreich, den USA und Deutschland. Zum anderen – und das wiegt schwerer – verfolgt die Auswertung des Materials nur einen Zweck. Sie zielt nicht darauf, den Besonderheiten der künstlerischen Umsetzung oder nationalen Traditionen gerecht zu werden. Sondern es geht eben darum, am Beispiel Jeanne d’Arc die historische Entwicklung jener Bedingungen nachzuzeichnen, die den konventionellen Widerständen zum Trotz die Darstellung einer kämpferischen Heldin ermöglichen – bis hin zu dem Punkt, an dem ganz selbstverständlich von der Frau im Kampfanzug die Rede sein kann. Das Vorgehen Wie aber lassen sich diese Bedingungen sichtbar machen? Aus welcher Perspektive muss man das Material betrachten, mit welchen Instrumenten untersuchen, um die entscheidenden Hinweise zu bekommen? Die geeignete Methode zu bestimmen und an den Gegenstand anzupassen ist das Ziel im ersten Teil dieser Arbeit. Deren Aufbau folgt – zumindest in groben Zügen – einem chronologischen Prinzip. Nicht nur, weil die Beschäftigung mit der mittelalterlichen Heldin den zweiten Teil bildet, bevor die Filmheldin dann im dritten im Mittelpunkt steht. Sondern auch, weil der Text dem tatsächlichen Verlauf der Recherchen folgt: von der theoretischen Reflexion über die Arbeit mit den Quellen aus dem 15. Jahrhundert zur Analyse der Filme und journalistischen Texte. Den ersten Ansatzpunkt im Teil A bildet jene Forschungstradition, die speziell an Geschlechterrollen im Film ihre Begriffe geschärft hat: Von fe-

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ter-Sehnsucht? Texte des interdisziplinären Symposiums zur musikalischen Mittelalterrezeption an der Universität Heidelberg, April 1998. Kiel 2000, 71-86. Cf. Robin Blaetz: Strategies of Containment. Joan of Arc in Film. Diss. New York University 1989.

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ministischen Filmstudien darf man annehmen, dass sie bei der theoretischen Annäherung an die unwahrscheinliche Aktivität einer Filmheldin behilflich sein können. Und sei es, indem man sich von ihnen absetzt: Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit psychoanalytischen Positionen wendet sich Kapitel a des Methodenteils Genderkonzepten zu, die für die Erkundung historischer Umbrüche besser geeignet sind. Dabei rücken Theoretikerinnen in den Mittelpunkt, die auf Michel Foucault und seinen Diskursbegriff zurückgreifen. Kapitel b setzt die Bewegung fort: hin zu Foucaults diskurstheoretischen Überlegungen. Denn die Repräsentationen der aktiven Heldin als diskursives Phänomen zu verstehen, gibt den Blick auf ihre Voraussetzungen frei. Mit Hilfe Foucaults werden Aussagen über die Heldin als Diskursereignisse greifbar, die aufgrund vielfältiger Verknüpfungen einen konkreten Platz an der medialen Oberfläche einnehmen. Die Analyse muss diesen Verknüpfungen nachgehen, um die Bedingungen für das Auftauchen der Heldin zu beleuchten. Oder, um einen Begriff von Foucaults Exegeten aufzugreifen: für die Sagbarkeit der Heldin.40 Eine Form der Verknüpfung findet bei Foucault allerdings nur en passant Erwähnung, obwohl sie im vorliegenden Fall besonders auffällig ist: Aussagen über die Heldin Jeanne sind in aller Regel Bestandteil einer Erzählung. Kapitel c erkundet, inwiefern auch Konzepte der Narratologie bei der Suche nach den Existenzbedingungen der aktiven Heldin hilfreich sein können. Und stößt auf zweierlei: auf Gérard Genettes Kategorie temps und den Genrebegriff, wie ihn vor allem die Filmwissenschaft ausgearbeitet hat. Beide bieten Ansätze, um das Auftauchen einer konkreten Figur zu untersuchen, und beide erweisen sich als anschlussfähig gegenüber Foucaults Diskursmodell. Dessen vier Dimensionen geben die Schritte vor, die anschließend bei der Analyse der Quellen zu absolvieren sind. Ausgehend von den konkreten Aussagen über die Heldin Jeanne wird jeweils im Kapitel a das Referential bestimmt: jener Kontext, der den entscheidenden Rahmen für das Auftauchen der aktiven Heldin als Diskursobjekt liefert. Kapitel b erkundet das assoziierte Feld: die vielfältige Menge von peripheren Aussagen, die den zentralen eine Stütze sein kann. Kapitel c wendet sich der heroischen Subjektposition selbst zu, um zu präzisieren, welche Möglichkeiten der Heldin offen stehen, welchen Einschränkungen sie aber zugleich unterworfen und welchen Risiken sie ausgesetzt ist. Kapitel d sucht nach den Strategien, in die Aussagen über die Hel40

Cf. etwa Achim Landwehr: Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse. Tübingen 22004; 7; Siegfried Jäger: Diskurs und Wissen. Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse. In: Reiner Keller et al. (eds.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden 22006, 83-114, hier: 85.

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din eingebunden sind, nach den Kämpfen und Interessen, in die sie verstrickt ist. Zweimal durchläuft die Untersuchung diese Abfolge: im Teil B anhand der mittelalterlichen Texte, im Teil C von den Filmen ausgehend. Dazwischen liegen – gemessen am Alter der Quellen – 500 Jahre. Oder wenn man die Entstehungsgeschichte der Arbeit betrachtet: immerhin umfangreiche Recherchen. Denn anders als die Überlegungen zur Methode im Teil A und die Analyse der Quellen des 15. Jahrhunderts in Teil B kommt die Untersuchung der Filmheldin in Teil C nicht mit den Mitteln aus, die das System der Universitätsbibliotheken bereitstellt. Aus dem Corpus der Filme sind einige in den vergangenen Jahren in den Handel gekommen oder ausgestrahlt worden, aber insbesondere bei der Auswertung der frühen Beispiele lässt sich auf die Sammlung des Centre Jeanne d’Arc in Orléans kaum verzichten. Außerdem stützt sich diese Arbeit auf einzelne Kopien aus dem Bestand des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt a.M., des Institut national de l’audiovisuel in Paris und der Privatsammlung von Henry Nicolella in Syracuse. Auch die Presseveröffentlichungen über die Filme stammen aus verschiedenen Archiven: von der Deutschen Kinemathek in Berlin über das Institut für Zeitungsforschung in Dortmund bis zu der Bibliothèque du film und der Bibliothèque nationale in Paris sowie wiederum dem Centre Jeanne d’Arc. Von all diesen Orten zusammengetragen, bilden die filmischen und journalistischen Aussagen das Material, anhand dessen Teil C die zentrale Frage nach den Existenzbedingungen der aktiven Filmheldin Jeanne beantwortet. Mit den Erkenntnisse über die mittelalterliche Heldin, die aus der Analyse in Teil B resultieren, als Vergleichspunkt. Und mit Hilfe der Begriffe und Blickweisen, die jetzt in Teil A entwickelt werden.

A. Theorie

a. Gender Psychoanalytische Ansätze Auf der Suche nach einem theoretischen Rahmen für die Betrachtung einer Filmheldin, der den Zusammenhang zwischen der filmischen Repräsentation und der Geschlechterordnung sichtbar machen soll, kommt man an Laura Mulveys Aufsatz Visual Pleasure and Narrative Cinema kaum vorbei. Auch wenn – oder: gerade weil – Mulveys Intervention durchaus als Polemik zu verstehen ist, die eng mit einem bestimmten Moment der Frauenbewegung verbunden ist, hat sie einen grundlegenden Anstoß für die Theoriebildung in der feministischen Filmwissenschaft gegeben. Sie hat entscheidende Entwicklungen vorstrukturiert: Ob durch Anschlüsse oder Absetzungen – immer wieder haben sich Theoretikerinnen auf Mulvey bezogen.11 Ihr Ansatz, die feministische Kritik am Mainstream-Film mit Konzepten von Freud und Lacan zu verknüpfen, will zunächst einmal eines herausstellen: „the importance of the representation of the female form in the symbolic order in which, in the last resort, it speaks castration and nothing else.“12 In dieser Formulierung kommt schon die problematische Festlegung zum Ausdruck, dass das Auftauchen einer Frau auf der Leinwand letztlich nur eine Funktion haben kann. Aber gleichzeitig formuliert Mulvey eben das Versprechen, die Relevanz dieses Auftauchens verständlich zu machen. Und zwar in11

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Cf. Shohini Chaudhuri: Feminist Film Theorists. Laura Mulvey, Kaja Silverman, Teresa de Lauretis, Barbara Creed. London, New York 2006, 2, 121; E. Ann Kaplan: Global Feminisms and the State of Feminist Film Theory. In: Signs 30 (2004), 1236-1248, hier: 1238; Patrice Petro: Reflections on Feminist Film Studies, Early and Late. In: Ibid., 1272-1278, hier: 1272f.; Laura Mulvey: Looking at the Past form the Present. Rethinking Feminist Film Theory of the 1970s. In: Ibid., 1286-1291, hier: 1286; Brigitte Rollet: Le Tournement des années 70. Féminism et cinéma. In: Françoise Puaux (ed.): Le Machisme à l’écran. Condesur-Noireau 2001, 216-221, hier: 218; Andrea B. Braidt / Gabriele Jutz: Theoretische Ansätze und Entwicklungen in der feministischen Filmtheorie. In: Johanna Dorer / Brigitte Geiger (eds.): Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Wiesbaden 2002, 292-306, hier: 294. Laura Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema. In: Screen 16.3 (Herbst 1975), 6-18, hier: 6.

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dem sie dem Vergnügen auf den Grund geht, das Mainstream-Filme bereiten können. Mulvey führt es auf zwei psychische Mechanismen zurück: zum einen den aktiven Blick auf eine andere Person, die als erotisches Objekt fungiert, zum anderen die Identifikation mit einem menschlichen Abbild. Gleichzeitig geht Mulvey davon aus, dass die Darstellung der Geschlechter im HollywoodKino von patriarchalischen Konventionen bestimmt ist: Frauen erscheinen auf der Leinwand vor allem als zur Betrachtung angebotene Objekte, als spectacle, Männer hingegen als zentrale, die Handlung kontrollierende Figuren. In der Rezeption treffen Konventionen und Mechanismen zusammen und lassen nur einen – und zwar einen männlichen – Weg, das Vergnügen des Kinos auszuschöpfen: kontrollierender Blick auf die weibliche Figur, Identifikation mit der männlichen. Einen Ausweg aus dieser Konstellation sieht Mulvey lediglich im Abschied vom leichten Vergnügen, in einem Avantgarde-Film, der die Konventionen des narrativen Kinos bricht.13 Man muss gar nicht tiefer in die psychoanalytischen Fundamente von Mulveys Ansatz hinabsteigen, um festzustellen, dass er für die Erkundung einer überraschend aktiven Filmheldin nicht gemacht ist: Die Möglichkeit einer solchen Figur ist innerhalb des Prozesses, den Mulvey beschreibt, nicht vorgesehen. Zwar räumt sie in einer Fußnote ein, dass weibliche Hauptrollen mitunter anzutreffen sind, aber sie geht auf diesen Fall nicht weiter ein. Sie deutet nur an, wie er sich womöglich in ihr Modell integrieren ließe: Wenigstens in einem Fall sei belegt, dass die Stärke einer solchen Heldin nur eine scheinbare sei.14 Tatsächliche weibliche Aktivität ist im Rahmen dieses Textes keine Option. Jeanne d’Arc-Filme kann man mit diesem Ansatz nur auf einen Aspekt hin untersuchen: Inwiefern verwandeln die Verfilmungen die Heldin in ein Objekt lustvoller Blicke, in spectacle? Keineswegs eine irrelevante Frage: Wenn Jeanne zum Beispiel in Bressons Le Procès de Jeanne d’Arc von ihren Feinden durch ein Loch in der Wand ihres Kerkers beobachtet wird, ist es schwer möglich, nicht über kontrollierende, voyeuristische Blicke nachzudenken. Doch Jeannes Aktivität verschwindet dabei im toten Winkel. Laura Mulvey hat die engen Bahnen ihres Modells später selbst erweitert, indem sie die Möglichkeit einer lustvollen, aber instabilen Identifikation der Zuschauerinnen mit aktiven Männerfiguren beschrieben hat.15 Und auch andere Theoretikerinnen haben sich in ihrer Nachfolge um Konzepte bemüht, die insbesondere dem weiblichen Publikum, das ja vermutlich nicht ohne 13 14 15

Cf. ibid., vor allem 7-13. Ibid., 12, Fn. 1. Cf. Laura Mulvey. Afterthoughts on «Visual Pleasure and Narrative Cinema» Inspired by King Vidor’s Duel in the Sun (1946). In: Sue Thornham (ed.): Feminist Film Theory. A Reader. New York 1999, 122-130, hier: 123-125, 129.

Gender

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Grund die Kinosäle aufsucht, mehr Spielraum lassen als Mulveys ursprünglicher Ansatz.16 Mary Ann Doane hat den Begriff der Maskerade ins Spiel gebracht: Demnach müsse das Zurschaustellen von Weiblichkeit nicht immer eine Bestätigung der patriarchalischen Ordnung bedeuten. Wenn das Repräsentieren gesteigert werde, hin zu einem Repräsentieren des Repräsentierens des Weiblichen, hin zu einer Maskerade, könne das patriarchalische Bild des Weiblichen ins Wanken geraten.17 Dass auch Männlichkeit als spectacle zur Schau gestellt – und dabei feminisiert – werden kann, hat Miriam Hansen am Beispiel von Valentino gezeigt, der seinem weiblichen Publikum sadomasochistisches Vergnügen in verschiedenen Schattierungen bereite.18 Eine besonders radikale Wendung vollzieht Gaylyn Studlar, indem sie die üblichen Bezüge auf Freud und Lacan gegen Deleuze’ Konzept von Masochismus ersetzt. In ihrer Deutung ist der lustvolle, männliche Blick Ausdruck eines Begehrens, das auf die mächtige präödipale Mutter gerichtet ist. Damit kehrt sich das Machtgefälle zwischen Blickendem und Erblickter schlagartig um.19 So haben die lustvollen Blicke und Identifikationsprozesse, die zur Erklärung der Filmrezeption herangezogen werden, eine erstaunliche Ausdifferenzierung erfahren. Und weibliche Aktivität erhält durch diese Erweiterungen von Mulveys Ansatz auch ihren Platz – allerdings vor allem auf der Seite der Zuschauerin. Die Frage, ob auch Mulveys Grundannahme in Bezug auf die Passivität weiblicher Filmfiguren differenziert werden müsste, steht bei diesem Strang der feministischen Filmtheorie nicht im Mittelpunkt des Interesses. Das gilt ganz generell für die konkreten Merkmale des Filmtextes: Er gerät tendenziell in den Hintergrund.20 Und so bleibt die Filmheldin in diesem Zusammenhang in erster Linie das passive Objekt von Blicken. Dass sie selbst Aktivität entfaltet, ist weiterhin nicht vorgesehen. Darüber hinaus riskiert die Filmtheorie, die sich im Anschluss an Mulvey auf psychoanalytische Kategorien verlässt, eine andere Dimension der Repräsentationen des Weiblichen auszublenden: ihre historische Entwicklung. Die psychoanalytischen Perspektiven erlauben zwar, Machtverhältnisse offenzulegen – aber indem sie die analysierte Konstellation in psychischen Pro16 17

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Cf. Chaudhuri: Feminist Film Theorists, 39-43. Cf. Mary Ann Doane: Film and the Masquerade: Theorizing the Female Spectator. In: Idem: Femmes Fatales. Feminism, Film Theory, Psychoanalysis. New York, London 1991, 17-32, hier: 25f. Cf. Miriam Hansen: Pleasure, Ambivalence, Identification. Valentino and Female Spectatorship. In: Cinema Journal 25.4 (Sommer 1986), 6-32. Cf. Gaylyn Studlar: Masochism, Masquerade, and the Erotic Metamorphoses of Marlene Dietrich. In: Jane Gaines / Charlotte Herzog (eds.): Fabrications. Costume and the Female Body. New York, London 1990, 229-277, hier vor allem 229-235. Cf. Kuhn: Women’s Pictures, 58.

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zessen verankern, sichern sie sie gleichzeitig ab. Zugespitzt formuliert: Wenn man das Weibliche einmal als Zeichen der Kastration akzeptiert hat, wird es schwierig, die Kontingenz und damit die Veränderbarkeit von Attributen des Weiblichen herauszustellen.21 Oder mit den Worten von Inge Stephan: „Als «neue Mythologie» […] hat die Psychoanalyse eine entscheidende Bedeutung für die Festschreibung der Geschlechterpositionen im 20. Jahrhundert“.22 Historisierende Perspektiven Auch Mary Ann Doane und Teresa de Lauretis weisen auf die Gefahr hin, durch den Gebrauch psychoanalytischer Begriffe Ungleichheiten festzuschreiben.23 Für sie ist es von großer Bedeutung, die historische Dimension des Zusammenspiels von Film und Geschlecht in den Blick zu bekommen. Und dennoch wollen sie auf die Werkzeuge des psychoanalytischen Ansatzes nicht verzichten. Oder gerade deswegen: Denn Kino und Psychoanalyse, so lässt sich argumentieren, sind historisch so eng verknüpft, dass sich das eine nur im Zusammenhang mit der anderen adäquat erfassen lässt – ohne dass man die Psychoanalyse deswegen als überhistorische Wahrheit begreifen muss. Doane beschreibt die Konstellation so: Das Kino und bestimmte, von Freud ausformulierte Betrachtungsweisen, die das Weibliche zum mysteriösen, begehrenswerten, aber unerreichbaren Anderen machen, seien Teil ein und derselben episteme.24 Ein Begriff, mit dem Michel Foucault übergreifende diskursive Zusammenhänge bezeichnet, in denen Wissensbereiche, Wissenschaften, Erkenntnisprozeduren zu einer bestimmten Zeit stehen oder entstehen.25 Teresa de Lauretis bezieht sich explizit auf Foucault, wenn sie das Kino als eine der Technologien beschreibt, die Individuen mit Sexualität ausstat-

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Cf. etwa Braidt / Jutz: Theoretische Ansätze und Entwicklungen, 295; Steven Shaviro: The Cinematic Body. Minneapolis, London 1993, 12; Christine Gledhill: Pleasurable Negotiations. In: E. Deidre Pribram (ed.): Female Spectators. Looking at Film and Television. London, New York 1988, 64-89, hier: 64-66; Suzanna Danuta Walters: Material Girls. Making Sense of Feminist Cultural Theory. Berkeley, Los Angels, London 1995, 148-150. Inge Stephan: Gender, Geschlecht und Theorie. In: Christina von Braun / Inge Stephan (eds.): Gender-Studien. Eine Einführung. Stuttgart, Weimar 2000, 58-96, hier: 83. Cf. Mary Ann Doane: Remembering Women. Psychical and Historical Construction in Film Theory. In: Idem: Femmes Fatales, 76-95, hier: 79; de Lauretis: Alice Doesn’t, 25f. oder auch Kaplan: Women and Film, 24. Doane: Film and the Masquerade, 17-20. Cf. Michel Foucault: L’archéologie du savoir. Paris 1969, 249f.; idem: Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines. Paris 1966, 13.

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ten.26 Sie fügt das Kino damit den Elementen des Sexualitätsdispositivs hinzu, zu denen Foucault medizinische, pädagogische, juristische Diskurse und – als jüngstes Glied in dieser Reihe – die Psychoanalyse zählt.27 In diesen verschiedenen Bereichen hat sich nach seiner Darstellung seit dem 17. Jahrhundert ein Netz von Aufforderungen gespannt, den Sex zu gestehen, in der Sexualität die Wahrheit der Individuen zu sehen. Besonders der weibliche Körper wird in dieser Logik als gänzlich von Sexualität durchdrungen verstanden. Und hier ordnet de Lauretis auch die Inszenierung der Frau als Objekt lustvoller Blicke ein, als spectacle, die im Film ihren deutlichsten Ausdruck finde.28 Diese Hinweise auf die historische Verbindung zwischen Kino und Psychoanalyse ändern zwar nichts daran: Ein psychoanalytischer Ansatz bringt das Risiko mit sich, einen unerfreulichen Zustand festzuschreiben. Wenn man die begrifflichen Instrumente einer Analyse allein aus dem historischen Zusammenhang bezieht, den es zu untersuchen gilt, dann muss dieser zum unüberschreitbaren Horizont werden. Aber dennoch macht die Argumentation von Doane und de Lauretis eins deutlich: Die Psychoanalyse bleibt ein Kontext, der für eine Filmfigur von Bedeutung sein könnte. Die Filmheldin Jeanne d’Arc darf einerseits nicht auf ein Dasein als Zeichen der Kastration reduziert werden. Andererseits ist zu bedenken: Wenn die Heldin um 1900 auf der Leinwand erscheint, gerät sie in die Nähe der Rede über die Kastration. In eine konkrete, historische Nähe wohlgemerkt, es handelt sich nicht um einen unabänderlichen Zusammenhang, sondern um einen kontingenten. Und als Untersuchungsgegenstand ist die Figur Jeanne d’Arc gerade dadurch besonders geeignet, dass sie nicht in ihm aufgeht. Erstens erstreckt sich ihre Leinwandkarriere über diverse Phasen der Filmgeschichte. Sie taucht nicht nur im klassischen Hollywoodkino auf, dessen Konventionen Mulvey ohne große Mühe mit dem Modell des voyeuristischen Blicks zur Deckung bringen kann, sondern bleibt auch im postklassischen Kino präsent, das diese Konventionen abwandelt und andere Bedingungen für weibliche Figuren bietet.29 Zweitens erlaubt Jeanne d’Arc noch einen weiteren, längeren Schritt, der Distanz zur Ära der Psychoanalyse schaffen kann: insofern Jeanne der seltene Fall einer Heldin ist, die nicht nur auf über 100 Jahre Filmgeschichte 26

27 28 29

Cf. de Lauretis: Alice Doesn’t, 82-86; idem: The Technology of Gender. In: Idem: Technologies of Gender. Essays on Theory, Film, and Fiction. Bloomington, Indianapolis 1987, 1-30, hier: 2f. Cf. Michel Foucault: Histoire de la sexualité. Bd. 1: La volonté de savoir. Paris 1976. De Lauretis: Alice Doesn’t, 4. Cf. Mulvey: Visual Pleasure, 9; Kuhn: Women’s Pictures, 133f., 221; Yvonne Tasker: Working Girls. Gender and Sexuality in Popular Cinema. London, New York 1998, 9-16.

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zurückschauen kann, sondern noch auf weitere fünf Jahrhunderte kultureller Existenz. Man kann betrachten, wie sie Einzug in die Kultur ihrer ZeitgenossInnen gehalten hat, unter welchen Bedingungen also eine Heldin im frühen 15. Jahrhundert vorstellbar war – in sicherer Distanz zu Freud und Lacan, sogar weit jenseits des Sexualitätsdispositivs. Damit wäre eine Folie gewonnen, vor der die Konturen der Filmheldin umso schärfer hervortreten können. Sollten manche Bedingungen ihrer Repräsentation im Laufe der Filmgeschichte tatsächlich stabil geblieben sein, dürften sie aus dieser Perspektive ihre Historizität offenbaren. So lässt sich einer Anforderung in besonderem Maße entsprechen, die etwa Christina von Braun an Gender-Forschung stellt: Relativierung ist für sie der gemeinsame methodische Nenner in diesem Arbeitsfeld. Nur der Umweg über andere Kulturkreise oder Zeiten mache die ungeschriebenen Gesetze der eigenen Gemeinschaft kenntlich.30 Generell haben viele feministische Film- bzw. Medientheoretikerinnen historisierende Ansätze gefordert, um den Problemen einer psychoanalytischen Herangehensweise zu begegnen. Dabei geht es allerdings nicht nur darum, Distanz zu gewinnen, nicht nur um diachronische Vergleiche, sondern auch um eine Ausweitung der Analyse in der Synchronie. Konkrete Kontexte der Filmpraxis sollen einbezogen werden, das Kino soll nicht als abstrakter Apparatus sondern als Element in sozialen Zusammenhängen begriffen werden.31 Und ob nun das Kino im Mittelpunkt steht oder andere mediale Konstruktionen von Geschlecht: Bei dem Versuch, diese Weitung des Blicks, die Bedeutung vielfältiger, in einer spezifischen historischen Situation miteinander verknüpfter Kontexte theoretisch zu fassen, wird immer wieder der Begriff des Diskurses herangezogen.32 Der Rückgriff auf den Diskurs Die Verwendung des Begriffes in unterschiedlichen Disziplinen mag mitunter inflationär und dann auch vage ausfallen.33 Das ändert allerdings nichts 30 31

32

33

Christina von Braun: Gender, Geschlecht und Geschichte. In: Idem / Inge Stephan (eds.): Gender-Studien. Eine Einführung. Stuttgart, Weimar 2000, 16-57, hier: 53. Cf. Doane: Remembering Women, 78f.; Kuhn: Women’s Pictures, 106; Walters: Material Girls, 14f.,143-149; Sabine Gottgetreu: Der bewegliche Blick. Zum Paradigmenwechsel in der feministischen Filmtheorie. Frankfurt a.M. et al. 1992, 25f. Cf. etwa Thornham: Women, Feminism, and Media, 146f.; Dorer: Diskurs, Medien und Identität, 56; Irmela Schneider: Genre und Gender. In: Elisabeth Klaus / Jutta Röser / Ulla Wischermann (eds.): Kommunikationswissenschaft und Gender Studies. Wiesbaden 2001, 92-102, hier: 99. Cf. die kritischen Anmerkungen zur Begriffsrezeption bei Landwehr: Geschichte des Sagbaren, 7, 65-67; Michael Maset: Diskurs, Macht und Geschichte. Foucaults Analysetechniken und die historische Forschung. Frankfurt a.M. 2002, 26f.

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daran, dass es gerade mit seiner Hilfe möglich wird, den analytischen Fokus über einzelne Texte hinaus zu erweitern, Verbindungen herzustellen, ohne gleich Abhängigkeiten festzulegen – etwa die einseitige Determinierung der Haltung der RezipientInnen durch den Text oder umgekehrt der Lesart der RezipientInnen durch ihre soziale Position. So argumentiert zum Beispiel Jackie Stacey in ihrer bereits zitierten Studie zum Verhältnis zwischen Stars und Zuschauerinnen, einer Arbeit, die die Forderung nach historischer Kontextualisierung beispielhaft umsetzt.34 Der Begriff des Diskurses erleichtert es, ein Konzept von Geschlecht zu entwickeln, das der psychoanalytischen Fixierung entkommt, das historischen Wandel zulässt, ohne aber die bestimmende Kraft von Geschlechterbildern aus dem Blick zu verlieren. Darauf zielt etwa Teresa de Lauretis mit ihren Grundannahmen: Diskurse und Technologien – letztere mit Foucault als Verbindung verschiedener Prozeduren der Realitätskontrolle zu verstehen – bringen zusammen Gender hervor. Diese Konstruktion stützt bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse. Gleichzeitig ist sie aber kein perfekter, abgeschlossener Mechanismus. Einerseits lässt die Verbindung verschiedener Diskurse und Technologien Lücken, von denen aus dominante Kategorien in Frage gestellt werden können. Andererseits findet die Repräsentation von Gender, in der Gender erst hervorgebracht und nicht etwa ausgedrückt wird, in einem Wechselverhältnis statt: Die soziale Repräsentation von Gender bestimmt die subjektive, reagiert aber auch auf diese. Es bleibt ein gewisser Spielraum der Selbstbestimmung.35 Besonders kompakt kommt eine solche Sicht in der Definition zum Ausdruck, bei der Liesbet van Zonen den Begriff des Diskurses ganz in den Mittelpunkt rückt. Sie beschreibt Gender als „a particular discourse, that is, a set of overlapping and often contradictory cultural descriptions and prescriptions referring to sexual difference which arises from and regulates particular economic, social, political, technological and other non-discursive contexts“.36

Von diesen Konzepten ist es nicht weit zu den einflussreichen Überlegungen Judith Butlers. Auch sie stützt sich auf Foucault’sche Begrifflichkeiten.37 Und auch sie zielt darauf, geschlechtlich bestimmte Identitäten als wandelbare Konstrukte sichtbar zu machen, deren Kontinuität, deren anscheinende Natürlichkeit erst durch bestimmte gesellschaftliche Praktiken hergestellt wird. 34 35 36 37

Cf. Stacey: Star Gazing, 42f. Cf. de Lauretis: Technology of Gender; idem: Alice Doesn’t, 84; Chaudhuri: Feminist Film Theorists, 64. Liesbet van Zonen: Feminist Media Studies. London, Thousand Oaks, New Delhi 1994, 4. Cf. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M. 1991, 9, 16f.

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Sowohl das biologische Geschlecht als auch die soziale Geschlechtsidentität versteht Butler als Effekte der Gruppierung von Attributen, „die an kulturell etablierten Kohärenzlinien entlang angeordnet werden.“38 Aus dieser Perspektive lässt sich das Phänomen Jeanne d’Arc umso prägnanter beschreiben: Die Figur durchkreuzt Kohärenzlinien, sie verbindet Attribute, die sonst säuberlich getrennt bleiben. Und dass solche medialen Verwerfungen durchaus Relevanz besitzen, lässt Butlers Konzept ebenfalls erkennen. Die mediale Produktion einer fiktionalen Figur und die Konstruktion von Identitäten in der realen Welt sind sich insofern ähnlich, als auch im zweiten Fall Bezeichnungspraktiken die entscheidende Rolle spielen: „Hinter den Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity). Vielmehr wird diese Identität gerade performativ durch diese «Äußerungen» konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind.“39

Durch Äußerungen konstituiert – solche Formulierungen liefern die Ansatzpunkte für die nachdrückliche Kritik, der Butler ausgesetzt gewesen ist.40 Denn sie bestärken die weit verbreitete Annahme, dass Butler ausschließlich sprachlichen Phänomenen Bedeutung zugesteht. Tatsächlich zögert Butler aber, Gender – oder auch die „geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity)“ im Ganzen, d.h. das „Verhältnis zwischen biologischem Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender), sexueller Praxis und Begehren“ – als rein diskursive Phänomene zu bestimmen.41 Bei den Äußerungen etwa, die Gender hervorbringen, oder bei den Attributen, aus deren Reihung geschlechtlich bestimmte Identität entsteht, scheint es sich nicht unbedingt um diskursive Phänomene handeln zu müssen. Vielleicht mischt sich hier der Körper in seiner unbezeichneten Form ein: Butler hält die Frage, ob „ein «physikalischer» Körper vor dem perzeptuell wahrgenommenen Körper“ existiert, ausdrücklich in der Schwebe.42 Später, in ihrem Essayband Körper von Gewicht betont Butler, sie wolle Körper keinesfalls als reines Produkt von Sprache verstehen: Sprache und Materialitäten seien eng verbunden, ließen sich aber nicht aufeinander reduzieren.43

38 39 40 41 42 43

Ibid., 48; cf. vor allem 37f., 48f., 170. Butler: Unbehagen der Geschlechter, 49. Cf. etwa Stephan: Gender, Geschlecht und Theorie, 64-69. Butler: Unbehagen der Geschlechter, 39. Ibid., 170. Judith Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin 1995, 9-11, 99f.

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Es zeichnet sich hier ein Wechselverhältnis zwischen Diskurs und Nichtdiskursivem ab, das fixen Determinierungen ausweicht, ein Verhältnis, das nicht zuletzt Raum lässt für die Anpassung an verschiedene historische Verhältnisse. Damit befindet sich Butler – wie noch zu zeigen sein wird – durchaus im Einklang mit ihrem Gewährsmann Foucault und bietet überdies eine geeignete Perspektive für die Betrachtung der Langzeitheldin Jeanne d’Arc, die verschiedene historische Konstellationen durchläuft. Denn Jeanne ist beispielsweise sowohl dies- als auch jenseits des 18. Jahrhunderts anzutreffen, jenes Jahrhunderts, in dem der geschlechtliche Körper einen grundlegenden Wandel zu durchlaufen scheint. Michel Foucault sieht erst zu diesem Zeitpunkt die Überzeugung entstehen, die Körper hätten immer ein eindeutiges Geschlecht und könnten nicht etwa die Merkmale von Mann und Frau vermischen.44 Die Körper rücken auseinander – das diagnostiziert auch Thomas Laqueur: Habe der weibliche zuvor als eine mindere Variante des männliche gegolten, so werde er nun zu etwas dezidiert Anderem. Überdies entstehe erst zu dieser Zeit überhaupt die Vorstellung eines biologischen Geschlechts, das vom Sozialen unabhängig sei.45 Mit dieser Vorstellung an Jeanne d’Arc heranzutreten, riskiert, wichtige Entwicklungen auszublenden. Zumal die Biologie der Heldin auch in jüngerer Zeit ganz offensichtlich zur kulturellen Verhandlungsmasse zählt. So gibt es den ernsthaften Versuch, sie zur Hermaphroditin zu erklären: Die historische Jeanne sei genetisch ein Mann gewesen; weibliche Merkmale habe ihr Körper wegen einer hormonellen Störung ausgebildet.46 Auf den „vielfältig angefochtene[n] Schauplätze[n] der Bedeutung“, als die Butler das biologische Geschlecht und die Geschlechtsidentität bezeichnet, ist eine kämpferische Heldin ganz in ihrem Element.47 Aus Butlers Perspektive betrachtet, kommen Jeannes Abweichungen von durchschnittlichen Identitäten zur Geltung. Sie verschwinden nicht im toten Winkel der Theorie, sondern werden im Gegenteil als Ansatzpunkt für die Konstruktion neuer Identitäten beschreibbar. Geschichten über die Heldin – ob in Filmen oder mittelalterlichen Quellen – lassen sich damit als ein Bündel solcher Äußerungen begreifen, die geschlechtlich bestimmte Identitäten erst hervorbringen. Gleichzeitig muss keineswegs in Vergessenheit geraten, dass Jeanne sich nur 44 45 46 47

Cf. Michel Foucault: Le vrai sexe. In: Idem: Dits et écrits, 1954-1988. Bd. IV: 1980-1988. Paris 1994, 115-123, hier vor allem 116f. Thomas Laqueur: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt a.M., New York 1992, 10-21, 177. Walter Rost: Die männliche Jungfrau. Das Geheimnis der Jungfrau von Orléans. Reinbek bei Hamburg 1983. Butler: Unbehagen der Geschlechter, 59.

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mühsam gegen Konventionen durchsetzt. Denn zur Vorstellung der Schauplätze der Bedeutung gehören auch die Hindernisse: die etablierten Kohärenzlinien, die sich nur unter guten Bedingungen kreuzen lassen. Die Heldin auf diesem Schauplatz zu verorten, ihren konkreten und widersprüchlichen Weg zwischen diesen Linien zu untersuchen, kann dazu beitragen, das scheinbar selbstverständliche Auftauchen von Kämpferinnen an der medialen Oberfläche der jüngsten Vergangenheit zu verstehen. Wenn man sich der Filmheldin auf diese Weise nähert, findet man sich mitten im Diskurs wieder. Foucaults Konzept des Diskurses, auf das sich Theoretikerinnen wie de Lauretis und Butler stützen, öffnet überhaupt erst die Ebene, die diese Art der Betrachtung ermöglicht. Umso notwendiger ist es, den Begriff sorgfältiger zu bestimmen.

b. Diskurs I. Entfaltung Der Aufbau des Diskurses nach L’archéologie du savoir Dass feministische Filmtheoretikerinnen auf Foucault zurückgreifen, um ahistorischen Essenzen auszuweichen, macht ihn bereits zu einem viel versprechenden Bezugspunkt. Aber welcher Nutzen insbesondere aus seinem Verständnis vom Diskurs für die Untersuchung einer Heldin wie Jeanne d’Arc zu ziehen ist, lässt sich auch aus erster Hand erfahren. Denn bei der Entwicklung des Begriffs geht Foucault Fragen nach, wie sie ganz ähnlich die Heldin Jeanne provoziert. Wie kann diese Figur immer wieder, in ganz verschiedenen historischen Kontexten auf ungewöhnlichen Positionen in männlichen Welten auftauchen, wundert man sich einerseits. Und ganz abstrakt fragt Foucault andererseits, angesichts zahlloser verstreuter Ereignisse im Feld des Diskurses: „comment se fait-il que tel énoncé soit apparu et nul autre à sa place?“48 Diese Frage ist für Foucault einer von verschiedenen Ansätzen, das Anliegen seiner Archäologie zu charakterisieren, seiner Form von Diskursanalyse. Er beschreibt die Methode in L’archéologie du savoir und hier findet sich auch seine einzige systematische Ausarbeitung des Diskursbegriffs. Im Prinzip will er in diesem Buch die Grundlagen früherer Studien auf- und überarbeiten, die methodologische Basis, die er zuvor weder explizit gemacht noch

48

Foucault: L’archéologie du savoir, 39.

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konsequent durchdacht hat.49 Die rhetorische Geste, mit der Foucault seine Archäologie angeht, ist dann aber doch mehr eine Ab- als eine Fortsetzung: Die Archäologie definiert sich zuerst darüber, was sie nicht ist. Sie ist zum Beispiel keine linguistische Analyse. Denn während die Linguistik nach den Regeln sucht, nach denen sich eine unbegrenzte Menge theoretischer Aussagen bilden lässt, beschäftigt die Archäologie sich mit der begrenzten Menge tatsächlich gemachter Aussagen. Die Archäologie ist auch keine konventionelle Ideengeschichte. Sie will mit einem ganzen Bündel von Vorstellungen brechen, denen die Geschichtsschreibung nach Foucaults Auffassung noch nachhängt, als er Ende der 1960er Jahre die Archéologie schreibt: Tradition, Einfluss, Buch, Werk, Geist, Mentalität, Evolution, Entwicklung. All diese Begriffe, die für Homogenität, Kontinuität, Ordnung sorgen, soll die Archäologie hinterfragen. Äußerungen sollen nicht als Spur einer Autorintention betrachtet, nicht auf einen versteckten Sinn hin abgeklopft werden. Was der Archäologie bleibt, ist eine Oberfläche, ein weites Feld tatsächlich gemachter Aussagen, verstreuter sprachlicher Ereignisse, deren Erscheinen jetzt ohne Rückgriff auf vertraute Einheiten zu erklären ist.50 Eine unübersichtliche Materialbasis. Aber Foucault bringt neue Ordnung in das von ihm geöffnete Feld der Streuung. Er spannt in ihm ein dichtes Netz von Verbindungen, Verbindungen verschiedener Natur, die die Sprache durchziehen, aber auch über sie hinausragen. Sie fügen die verstreuten Punkte zu verschiedenen, flexiblen Einheiten zusammen. Aufgabe der Archäologie ist es, genau solche Verbindungen zu beschreiben, „des jeux de relations“.51 Schon die Aussagen, die kleinsten Einheiten, mit denen sich die Archäologie befasst, definieren sich über die Verbindungen, die sie eingehen. Zwar basiert eine Aussage zunächst auf einer Folge von Zeichen, wobei neben sprachlichen Zeichen durchaus auch andere, etwa die Linien, Flächen und Farben eines Gemäldes, in Frage kommen. Aber allein die Existenz einer Zeichenfolge konstituiert noch keine Aussage. Vielmehr ist es ein bestimmter Existenzmodus, der die Zeichen zur Aussage macht, ein Modus, der eben durch eine Vielzahl von Verbindungen gekennzeichnet ist. Sie spannen sich in vier Dimensionen auf.52 In knapper Form – es wird später ausführlicher von ihnen die Rede sein – lassen sich die vier Bereiche wie folgt charakterisieren:

49 50 51 52

Cf. ibid., 25-27. Cf. ibid., 31-40. Ibid., 41f. Cf. ibid., 116-138, 253.

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a) Zunächst bezieht sich die Aussage auf ein Referential. Damit ist nicht der Verweis auf einen Sinn oder einen Referenten gemeint, sondern eine Verbindung, die diesen vorausgeht. Die Aussage bezieht sich auf ein Feld von Möglichkeiten, in dem Objekte benannt, beschrieben und in Verbindung gesetzt werden können. Erst auf der Basis des Bezugs zwischen Aussage und Referential kann entschieden werden, ob sie als Satz einen Sinn, als Proposition einen Referenten hat. b) Die Aussage bezieht sich auf eine Subjektposition. Damit ist weder ein grammatikalisches Subjekt gemeint, noch ein leibhaftiger Autor, sondern der Platz, den verschiedene Individuen einnehmen können und müssen, um eine bestimmte Aussage zu machen. c) Die Aussage ist darüber hinaus in ein assoziiertes Feld eingebettet. Dabei geht es nicht um einen Kontext im Sinne des Wissens, das ein Subjekt bei der Formulierung eines Satzes zur Verfügung hat, oder im Sinne der Kommunikationssituation, aus der eine Bemerkung hervorgeht. Das assoziierte Feld erstreckt sich weiter. Es umfasst neben dem konkreten Umfeld einer Aussage all jene Aussagen, die sie wiederholt, abwandelt oder ablehnt; ebenso jene, die sie nach sich zieht; schließlich jene, deren Status sie teilt, mit denen sie verschwinden oder aber an Wert gewinnen wird. d) Zuletzt hat die Aussage eine materielle Dimension – nicht eine sinnliche Beschaffenheit oder eine raumzeitliche Lokalisierung, sondern eher einen institutionellen Status, der sie auszeichnet, und ein Anwendungsfeld, in dem sie sich einsetzen lässt. Sie regulieren, unter welchen Bedingungen eine Aussage wiederholt werden kann, ohne ihre Identität zu verändern. Jede Aussage wird also von Verbindungen an ihrem Platz gehalten, die den Raum der Zeichen in verschiedene Abschnitte teilen und Regeln erkennen lassen. Die Streuung nimmt Form an, die Form eines Diskurses: „le discours est constitué par un ensemble de séquences de signes, en tant qu’elles sont des énoncés.“53 Allerdings ist Foucault allein mit dieser Definition nicht zufrieden, er zielt auf Einheiten höherer Ordnung. In jeder der vier Dimensionen lassen sich bestimmte Formationen entdecken, meint er.54 Betrachtet man die Ebene des Referentials, dann wird man bestimmte Verbindungen zwischen Institutionen, Verfahren und Verhaltensweisen, zwischen Normen, Typen der Klassifizierung und Kennzeichnung finden, Verbindungen, die die Beschreibung und Benennung von Objekten für eine ganze Gruppe von Aussagen regeln. Im Bereich der Subjektposition handelt es sich um ein Set von Verbindungen 53 54

Ibid., 141. Cf. ibid., 55-94, 149-154.

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zwischen dem – etwa professionellen – Status des Subjekts, seiner Platzierung innerhalb einer Institution und seiner – etwa beobachtenden, fragenden, distanzierten – Haltung. Genauso stößt man im assoziierten Feld auf Verbindungen zweiten Grades: Verbindungen zwischen verschiedenen Methoden, Aussagen abzuwandeln, aufeinander folgen zu lassen oder aufeinander zu beziehen. Diese Formation regelt die Produktion von Konzepten. Schließlich vermutet Foucault, dass im Bereich der Materialität ein Netz von Abstoßungen und Affinitäten zu entdecken wäre: ein Komplex von Widersprüchen zwischen Konzepten, Objekten, Positionen, von Konkurrenzen zwischen – etwa wissenschaftlichen – Formationen und von Ergänzungen zwischen Diskursen und nichtdiskursiven Praktiken. Dieser Komplex bestimmt die Regeln, nach denen diskursive Strategien einander abwechseln. Zusammengenommen ergeben diese vier Formationen eine diskursive Formation. Und das heißt nichts anderes als: einen Diskurs. Zumindest nach Foucaults strengster Definition: „On appelera discours un ensemble d’énoncés ent tant qu’ils relèvent de la même formation discursive“.55 Einen Diskurs zu isolieren erfordert demnach, solange die Verbindungen der Verbindungen von Aussagen zu verfolgen, bis sich nicht nur eine kohärente Gruppe von Objekten, Konzepten, Sprecherpositionen und Strategien abzeichnet, sondern sogar das Regelsystem, nach dem diese hervorgebracht werden. Dieser schwindelerregenden Konstruktion fügt Foucault sogar noch eine Ebene hinzu. Die diskursive Formation ist nicht die größtmögliche Einheit: Über ihr schwebt noch das Archiv, das die Diskurse trennt, spezifiziert. In ihm sind die Regelmäßigkeiten, die sich im Feld der Aussagen finden, zusammengefasst. Das Archiv lässt keine Fragen offen, noch die letzte versprengte Aussage im Feld der Streuung findet hier ihre Erklärung. „L’archive, c’est d’abord la loi de ce qui peut être dit“, oder: „C’est le système général de la formation et de la transformation des énoncés.“56 Das Archiv zu beschreiben, darauf zielt letztlich die Archäologie. Gänzlich erfüllen kann sie diese Aufgabe aber nie. Foucault geht davon aus, dass das Archiv einer Kultur, einer Gesellschaft, einer Epoche in seiner Gesamtheit nicht zu erfassen ist. Nur in Teilen gibt es sich zu erkennen und auch erst im Nachhinein, wenn sich seine Regeln schon wieder verschoben haben.57 Nachdem Foucault im Feld der verstreuten Zeichen eine komplexe, lückenlose Ordnung eingezeichnet hat, lässt er also die ganz großen Linien, den Masterplan, wieder verschwimmen.

55 56 57

Ibid., 153. Ibid., 170, 171; cf. 169-171. Cf. ibid., 171-173.

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Entwicklungen des Begriffes Diese Bewegung lässt sich als eine Reaktion auf ein Problem der Archéologie du savoir lesen: Sie treibt das Ordnen zu weit. Ein Unternehmen, das mit dem Vorsatz beginnt, alle Einheiten zu hinterfragen, das sich anschickt, sie in verstreute Aussagen und ein Gewimmel von Verbindungslinien aufzulösen, gelangt schließlich an den Punkt, wo alles wieder zu einer größeren, unabhängigen Einheit zusammenzulaufen scheint. Der Begriff des Diskurses droht dadurch die Flexibilität zu verlieren, die ihn attraktiv macht. Rückblickend ist auch Foucault selbst mit dem Ordnungsstreben seiner Archäologie offensichtlich nicht zufrieden. Wenn er in seinen späteren Arbeiten von Diskursen spricht, machen sie nicht mehr diesen durchstrukturierten Eindruck. In seiner nächsten Monographie, in L’ordre du discours, beschreibt er den Diskurs in seinem ursprünglichen Zustand sogar als wildes Raunen. Die Ordnung wird hier erst von außen aufgezwungen, sie fungiert geradezu als eine Waffe „contre le surgissement de tous ces énoncés, contre tout ce qu’il peut y avoir là de violent, de discontinu, de batailleur, de désordre aussi et de périlleux, contre ce grand bourdonnement incessant et désordonné du discours.“58

Das Pendel schwingt später wieder ein wenig zurück. Aber auch wenn Foucault in La volonté de savoir das Verhältnis des Diskurses zur Macht skizziert, steht die Unordnung im Vordergrund. Foucault betont, dass der Diskurs Macht gleichzeitig stützen und unterminieren kann, weil er aus diskontinuierlichen, widersprüchlichen Elementen besteht. Diverse Strategien, Positionen und institutionelle Kontexte stehen einander gegenüber und können sich mit denselben Zeichen verbinden.59 Das gilt natürlich auch schon für den Diskurs der Archéologie. Aber in dem späteren Kontext ist von übergreifenden Regeln, die die Widersprüche aufhöben, keine Rede mehr – darin liegt die entscheidende Entwicklung. Nicht nur Foucaults eigene Verschiebungen des Diskursbegriffs, sondern auch die Reaktionen mehr oder weniger wohlmeinender Kritiker weisen darauf hin, dass die regulierenden Relationen der Archéologie Probleme aufwerfen. Die Analyse einer Diskursformation, eines Archivs, einer Episteme – die in der Archéologie de savoir als eine Art Sonderarchiv für stark formalisierte Diskursbereiche auftaucht – lasse keinen Raum für historische Entwicklun-

58 59

Idem: L’ordre du discours. Leçon inaugurale au Collège de France prononcée le 2 décembre 1970. Paris 1971, 52f. Cf. idem: La volonté de savoir, 128f., 132-135.

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gen, heißt es bei den einen. Zu starr, zu lückenlos seien diese Gebilde.60 Zumindest wirke der Diskurs, wie ihn die Archéologie beschreibt, allzu autonom, geben andere zu bedenken. Nicht zuletzt Hubert L. Dreyfus und Paul Rabinow stoßen sich bei ihrer sorgfältigen Erkundung des Foucault’schen Werks daran: Die diskursiven Regelmäßigkeiten, die der Archäologe entdeckt, drohen sich zu verselbstständigen, als unhintergehbare bis transzendente Determinanten der Diskursereignisse zu erscheinen.61 Eine entscheidende Ursache für die konzeptionellen Schwierigkeiten scheint darin zu bestehen, dass der Diskurs der Archéologie unter seinem ungeklärten Verhältnis zum Nichtdiskursiven leidet.62 In der Archéologie findet Nichtdiskursives zwar immer wieder Erwähnung, wird aber in einer seltsamen Distanz gehalten. So sind etwa – wie gesagt – in die Formation der Objekte Institutionen, Verfahren und Verhaltensweisen eingebunden. Die Relationen im Feld des Referentials spannen sich nicht einfach im Innern des Diskurses. Aber gleichzeitig sträubt sich Foucault, sie die Grenze des Diskursiven eindeutig überschreiten zu lassen: „Elles sont en quelque sorte à la limite du discours: elles lui offrent les objets dont il peut parler, ou plutôt […], elles déterminent le faisceau de rapports que le discours doit effectuer pour pouvoir parler de tels et tels objets“.63

Diesen prekären Balanceakt und die Schwierigkeiten mit den unerklärlichen Regelmäßigkeiten beendet Foucault mit seiner theoretischen Neuorientierung in den 70er Jahren.64 Die Fokussierung auf Diskurse wird von einer breiteren Perspektive abgelöst. Andere Praktiken kommen in den Blick, 60

61

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Manfred Frank: Zum Diskursbegriff bei Foucault. In: Jürgen Fohrmann / Harro Müller (eds.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt a.M. 1988, 25-44, hier: 40f.; Ian Maclean: The Process of Intellectual Change. A post-Foucauldian Hypothesis. In: Arcadia, 33.1 (1998), 168-181, hier: 170f.; zum Begriff der Episteme cf. Foucault: L’archéologie du savoir, 249f. Cf. Landwehr: Geschichte des Sagbaren, 83; Hubert L. Dreyfus / Paul Rabinow: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Weinheim 21994, 109-111, 119; Reiner Keller: Diskurse und Dispositive analysieren. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse als Beitrag zu einer wissensanalytischen Profilierung der Diskursforschung. In: Forum Qualitative Sozialforschung 8.2 (2007), ohne Paginierung (http://www.qualitative-research.net/ index.php/fqs/article/view/243/537, Stand 13.07.2008); Philipp Sarasin: Diskurstheorie und Geschichtswissenschaft. In: Reiner Keller et al. (eds.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden 22006, 55-81, hier: 72; Christian Pundt: Medien und Diskurs. Zur Skandalisierung von Privatheit in der Geschichte des Fernsehens. Bielefeld 2008, 41f. Cf. Dreyfus / Rabinow: Michel Foucault, 87-89. Foucault: L’archéologie du savoir, 63. Cf. idem: Nietzsche, la généalogie, l’histoire. In: Idem: Dits et écrits, 1954-1988. Bd. II: 19701975. Paris 1994, 136-156; Dreyfus / Rabinow: Michel Foucault, 21f., 132-137; Ulrich Brie-

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die von Fall zu Fall in unterschiedlichen Verhältnissen zum Diskursiven stehen können. Die Archäologie wird zu einer Art Hilfswissenschaft innerhalb eines umfassenderen Projektes, innerhalb der Genealogie. Auch der Genealoge bemüht sich, gewohnte Einheiten zu hinterfragen, Wahrheiten und Essenzen aufzulösen, die verstreuten Ereignisse der Geschichte zu erfassen. Aber dabei genießen Aussagen kein Privileg mehr. Und die Vorstellung rein formaler Regeln, die die Diskursproduktion regulieren, lässt Foucault fallen. Stattdessen treten einerseits Zufälligkeiten in den Vordergrund, andererseits Strategien, die Foucault nicht mehr nur als Teilphänomene der Diskurse interessieren, sondern als subjektlose Praktiken, die Diskurse genauso durchziehen wie Architekturen oder Handlungen. Das Archiv bzw. die Epesteme bekommt einen weniger souveränen Nachfolger. Will Foucault später von größeren Zusammenhängen sprechen, gebraucht er den Begriff des Dispositivs.65 Anders als die archäologischen Einheiten umfasst es nicht nur Aussagen, sondern auch nichtdiskursive Elemente. Die Verbindungen zwischen den heterogenen Bestandteilen eines Dispositivs, zwischen Diskursen und Institutionen, Architekturen, Maßnahmen etc., können verschiedene Formen annehmen. Ihr Zusammenhalt besteht in einer strategischen Funktion, die sie tendenziell unterstützen, zum Beispiel in der Produktion von Sexualität. Ein Dispositiv kann aber nicht erzwingen, dass ein bestimmtes Set von Regeln immer Berücksichtigung findet. Wie die bereits referierte Passage aus Volonté de savoir zeigt: Schon allein im Bereich des Diskursiven können sich Widersprüche und Widerstände entwickeln. Ganz verschiedene Autoren, die Foucaults Diskursbegriff für die konkrete Untersuchung von Zeichensystemen nutzbar machen wollen, beziehen dabei seine genealogische Weiterentwicklung ein. Um dem Zusammenspiel von Wissen und Macht, Diskursivem und Nichtdiskursivem mehr Raum zu geben, aber gerade auch um die Konflikte innerhalb dieses Feldes in den Blick zu bekommen.66 Die Widersprüche, mit denen der Genealoge immer zu

65 66

ler: Die Unerbittlichkeit der Historizität. Foucault als Historiker. Köln, Weimar, Wien 1998, 345-348. Cf. Dreyfus / Rabinow: Michel Foucault, 149f.; Michel Foucault: Le jeu de Michel Foucault. In: Idem: Dits et écrits, 1954-1988. Bd. III: 1976-1979. Paris 1994, 298-329, hier: 299-301. Cf. etwa Landwehr: Geschichte des Sagbaren, 83-89; Keller: Diskurse und Dispositive analysieren; Pundt: Medien und Diskurs, 23; Hannelore Bublitz: Differenz und Integration. Zur diskursanalytischen Rekonstruktion der Regelstrukturen sozialer Wirklichkeit. In: Reiner Keller et al. (eds.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden 22006, 227-262, hier: 232, 240, 243f.; Jürgen Link: Diskursanalyse unter besonderer Berücksichtigung von Interdiskurs und Kollektivsymbolik. In: Ibid., 407430, hier: 419; Rainer Diaz-Bone: Probleme der Operationalisierung des Diskursmodells im Anschluss an Michel Foucault. In: Hannelore Bublitz et al. (eds.): Das Wuchern der Dis-

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rechnen hat, bieten Ansatzpunkte für Veränderungen, wenn nicht sogar für handelnde Subjekte. Aus seiner Perspektive werden Wandel und Geschichte denkbar. Wenn es darum geht, die Bedingungen zu erkunden, die einer aktiven Heldin in ganz unterschiedlichen historischen Konstellationen Nischen innerhalb des Sagbaren öffnen, ist das ohne Zweifel ein entscheidender Vorteil. Mit der Berücksichtigung der Genealogie verschiebt sich die Vorstellung davon, womit bei der Erkundung diskursiver Phänomene zu rechnen ist. Der Fluchtpunkt einer Diskursanalyse kann nicht mehr die Enthüllung eines allgemeinen Gesetzes, eines Archives sein. Sie kann höchstens zur Erkundung eines Dispositivs beitragen, das immer widerspruchvoll bleibt und nicht im Diskurs aufgeht. Wenn die Analyse den Verbindungslinien folgt, die von Aussagen ausgehen, stößt sie auch auf Institutionen, Verhaltensweisen, Architekturen. Und diese können genauso gut für das Auftauchen einer Aussage verantwortlich, als auch vom Diskurs abhängig sein. Wenn sich Regelmäßigkeiten abzeichnen, mit denen sich Aussagenmengen beschreiben lassen, handelt es sich nicht um autonome Diskursphänomene. Vielmehr stehen sie in Zusammenhang mit sozialen Praktiken, formen womöglich einen Teil einer übergreifenden Strategie. Um der genealogischen Perspektive Rechnung zu tragen, empfiehlt es sich auch, auf die strengere Diskurs-Definition aus der Archéologie, auf die Rückbindung an die höheren Strukturebenen zu verzichten. Der Diskurs sei also nicht als diskursive Formation begriffen, sondern als eine Menge von Aussagen. Er ist als ein Feld der Streuung vorzustellen, eine Dispersion von Zeichenfolgen, die durch verschiedene Formen der Verknüpfung an ihrem Platz gehalten werden. Damit wäre eine Vorstellung gewonnen, was für ein Phänomen man vor Augen hat, wenn man Aussagen über die Heldin Jeanne d’Arc als Teil diskursiver Zusammenhänge betrachtet. Wie man bei der Untersuchung eines solchen Gegenstands konkret vorzugehen hat, ist damit allerdings noch nicht automatisch festgelegt. Zwar hat sich eine mittlerweile recht lebhafte Diskussion entfaltet, wie eine Diskursanalyse im Anschluss an Foucault aussehen könnte. Aber klare methodologische Richtlinien haben sich daraus nicht ergeben, die Frage, welche Schritte bei der Umsetzung zu absolvieren sind, ist

kurse. Perspektiven der Diskursanalyse Foucaults. Frankfurt a.M., New York 1999, 119-135, hier:124; Juliette Wedl: L’analyse de discours «à la Foucault» en Allemagne. Trois approches et leurs apports pour la sociologie. In: Langage et société 120 (Juni 2007), 35-53, hier: 45f.; Iris Bachmann: Diskursanalyse à la Foucault. In: Regina Schleicher / Almut Wilske (eds.): Konzepte der Nation. Eingrenzung, Ausgrenzung, Entgrenzung. Bonn 2002, 17-24, hier: 19f.

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nicht abschließend beantwortet.67 Man kann sogar behaupten: Sie lässt sich gar nicht beantworten, weil Foucault die Archéologie nicht als Methode in diesem Sinne angelegt hat. So gesehen gibt es etwas wie die „Foucault’sche Diskursanalyse“ gar nicht.68 Was die Archéologie dennoch liefert, ist eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Formen von Verknüpfungen, die den Diskurs in seinen vier Dimensionen aufspannen. Sie geben eine Vorstellung davon, wie man sich ausgehend von einzelnen Aussagen in das Geflecht des Diskurses hineinbegeben kann. Daher lohnt es sich, die vier Dimensionen der Archéologie abermals abzuschreiten. Wobei dieses Mal zwei Rahmenbedingungen zu beachten sind. Zum einen muss der Ansatz der Archéologie jetzt unter den Voraussetzungen der Genealogie gelesen werden. Zum anderen muss er auf den besonderen Fall der Heldin Jeanne d’Arc bezogen, gegebenenfalls angepasst werden. Foucault hat selbst darauf hingewiesen, dass die diskursanalytischen Konzepte – die er ursprünglich mit Blick auf ganz andere Kontexte entworfen hat, nämlich die der Humanwissenschaften – nicht vom Untersuchungsgegenstand unabhängig sind: Wenigstens variiert je nach Diskurs die relative Bedeutung der verschiedenen Dimensionen.69

II. Aneignung Referential Die erste Form von Verknüpfungen innerhalb des diskursiven Feldes führt von der Aussage zum

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68

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Cf. Reiner Keller et al.: Zur Aktualität sozialwissenschaftlicher Diskursanalyse. Eine Einführung. In: Idem (eds.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden 22006, 7-30, hier: 15f.; Rainer Diaz-Bone et al.: The Field of Foucaultian Discourse Analysis. Structures, Developments and Perspectives. In: Forum Qualitative Sozialforschung 8.2 (2007), ohne Paginierung (http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/234/517, Stand 13.07.2008); Hannelore Bublitz et al.: Diskursanalyse – (k)eine Methode? Eine Einleitung. In: Idem (eds.): Das Wuchern der Diskurse. Perspektiven der Diskursanalyse Foucaults. Frankfurt a.M., New York 1999, 10-21, hier: 14. Cf. Keller: Diskurse und Dispositive analysieren; Clemens Kammler: Foucaults Werk. Konzeptualisierungen und Rekonstruktionen. In: Idem / Rolf Parr (ed.): Foucault in den Kulturwissenschaften. Eine Bestandsaufnahme. Heidelberg 2007, 11-25, hier: 18f. Cf. Foucault: L’archéologie du savoir, 42f., 86.

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„«référentiel» qui n’est point constiuté de «choses», de «faits», de «réalités», ou d’«êtres», mais de lois de possibilité, de règles d’existence pour les objets qui s’y trouvent nommés, désignés ou décrits, pour les rélations qui s’y trouvent affirmées ou niées.“70

Als ein Beispiel nennt Foucault den Satz „La montagne d’or est en Californie.“ Eine seltsame Behauptung – und doch könnte sie in gewissen Zusammenhängen zutreffen. Um darüber urteilen zu können, muss zuvor das Referential der Aussage bekannt sein. Steht der Satz etwa in einem Roman, dann ist er mit bestimmten Möglichkeitsregeln verbunden, die einen Goldberg durchaus zulassen können. Im nächsten Schritt ließe sich überprüfen, ob in der fiktiven Welt des konkreten Romans tatsächlich ein Goldberg vorgesehen ist. Aber dieser Schritt gehört nicht mehr zu den spezifischen Aufgaben der Diskursanalyse. Sie fragt nur: Welche Objekte wären vorstellbar in dem Referential, mit dem die Aussage in Verbindung steht? Und nicht: Gibt es das Objekt tatsächlich? Oder sie kann fragen, wenn man von einem gegebenen Objekt ausgeht: Welches Referential hat sein Erscheinen ermöglicht?71 Die Möglichkeitsregeln sind in einem Bündel von Verknüpfungen verortet, die sich zwischen ganz konkreten Phänomenen aufspannen: „Ces relations sont établies entre des institutions, des processus économiques et sociaux, des formes de comportements, des systèmes de normes, des techniques, des types de classification, des modes de caractérisation“.72

Hier nimmt der Diskurs ganz offensichtlich Kontakt zu sozialen Praktiken auf, zu Institutionen, Verhaltens- und Verfahrensweisen. Zwar versucht Foucault – wie bereits zitiert –, die beiden anschließend mit einem angestrengten Kunstgriff wieder zu trennen. Aber diesen Versuch darf man getrost missachten: Im Kontext der Genealogie sind Verbindungen zwischen Diskurs und sozialer Praxis nur zu erwarten. In diesem Kontext ist auch nichts dagegen einzuwenden, nichtdiskursiven Phänomenen im Bezug auf den Diskurs begrenzende Kraft zuzugestehen. Sie gehören zu dem Feld, das das Erscheinen bestimmter Diskursobjekte möglich macht. Durch die genaueren Bestimmungen lässt sich erst recht feststellen: Das Referential ist durchaus geeignet, den Zielen zu dienen, die bei der Erkundung der Heldin Jeanne d’Arc verfolgt werden sollen. Die Frage nach dem Referential eines Diskursobjekts führt nicht nur ganz offensichtlich zu einer Kontextualisierung, sondern darüber hinaus zeichnet sich die Konstruktionsweise des Referentials auch durch eine gewisse Offenheit aus. Es geht 70 71 72

Ibid., 120. Cf. ibid., 118-121. Ibid., 61.

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hier keineswegs darum, die Existenz und Beschaffenheit eines Diskursobjekts auf eine unhintergehbare Ursache zurückzuführen. Das Referential schreibt nicht einfach vor, sondern schafft Möglichkeiten; es hat nur für einen begrenzten Bereich diskursiver Tatsachen Gültigkeit; es umfasst eine Vielzahl von Komponenten, deren Verhältnis untereinander offenbar von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen können. Auch in Bezug auf die Dichte und Flexibilität der Verknüpfungen sind ganz unterschiedliche Ergebnisse denkbar – und das im Übrigen nicht nur in dieser Diskursdimension. Neben diskursiven Zusammenhängen, die streng reguliert und eng an Institutionen angebunden sind, existieren auch solche, in denen die vorzufindenden Regelmäßigkeiten weniger stabil und die Grenzen des Sagbaren weniger scharf gezogen sind.73 Jürgen Link unterscheidet wissenschaftliche „Spezialdiskurse“, wie Foucault sie bei der Ausarbeitung der Archäologie zunächst im Blick gehabt hat, von „Interdiskursen“, die durch allgemeinere Wissensbestände konstituiert werden. Hier finden sich Aussagen, die vergleichsweise frei zirkulieren, sowohl im Rahmen von Spezialdiskursen auftauchen können, als auch in alltäglicher Kommunikation.74 Die Geschichte der Heldin Jeanne d’Arc gehört ohne Zweifel zu diesen weniger streng regulierten Aussagen. Schließlich findet schon die mittelalterliche Heldin in diversen Textsorten und ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen Erwähnung, in Geschäftskorrespondenz, Poesie, theologischen Abhandlungen. Und auch wenn ihre Nachfolgerin aus dem 20. Jahrhundert hier nur in Form von filmischen Aussagen zum Gegenstand der Untersuchung wird, handelt es sich dabei ebenso wenig um einen umhegten Spezialdiskurs. Geschichten über Jeanne können genau so gut in Dramen, in Lehrbüchern oder in Comics erzählt werden.75 Institutionen wie das Kino, staatliche Förderinstanzen oder private Produktionsfirmen stehen mit der Filmheldin in Verbindung, aber sie ist auch in einem Amateurvideo vorstellbar. So sehr sich die Unterhaltungsindustrie auch um die Kontrolle von Inhalten bemüht: Jeanne ist – noch – nicht an Lizenzen gebunden.

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Cf. Landwehr: Geschichte des Sagbaren, 132f. Cf. etwa Link: Diskursanalyse, 410-412; idem: Dispositiv und Interdiskurs. Mit Überlegungen zum ‚Dreieck‘ Foucault – Bourdieu – Luhmann. In: Clemens Kammler / Rolf Parr (ed.): Foucault in den Kulturwissenschaften. Eine Bestandsaufnahme. Heidelberg 2007, 219-238, hier: 228f. Cf. etwa Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«; Dietmar Rieger: Nationalmythos und Globalisierung. Der Sonderfall Jeanne d’Arc. In: Günter Oesterle (ed.): Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. Göttingen 2005, 635-662.

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Subjektposition Die zweite Verbindungslinie, die von der Aussage ausgeht, führt zum Subjekt: „Il est une place déterminée et vide qui peut être effectivement remplie par des individus différents.“76 Es handelt sich dabei also um eine Lokalisierung, eine Position, nicht etwa um einen Menschen. Genauso wie dieser Platz von verschiedenen Individuen eingenommen werden kann, kann ein Individuum nach und nach verschiedene Plätze einnehmen. Man darf den Diskurs nicht als Produkt eines souveränen Subjekts auffassen: „c’est au contraire un ensemble où peuvent se déterminer la dispersion du sujet et sa discontinuité avec lui-même.“77 Zum Diskurs baut sich eine Wechselbeziehung auf, nach der man fragen muss, um die Subjektposition zu ermitteln: „Qui reçoit de lui sa singularité, ses prestiges, et de qui, en retour, reçoit-il sinon sa garantie du moins sa présomption de vérité?“78 Die Subjektposition kann mehr oder weniger genau bestimmt sein. Manche Aussagen sind mit sehr weiten, vagen Positionen verbunden, deren Grenzen kaum auszumachen sind. Etwa der Satz: „Zwei Mengen, die einer dritten identisch sind, sind untereinander identisch.“ Um diese Aussage machen zu können, gibt es keine großen Bedingungen zu erfüllen.79 Andere Positionen hingegen sind enger zugeschnitten, zum Beispiel die, von der aus eine medizinische Diagnose ausgesprochen werden kann. Hier kommt wieder das Umfeld des Diskurses in den Blick. Denn die Möglichkeit, medizinische Aussagen zu machen, setzt etwa die Einbindung in Institutionen wie die Klinik oder die Praxis voraus. Auch der Status, der zur ärztlichen Position gehört, wird abgesehen von Normen und Kompetenzkriterien unter anderem durch Institutionen geregelt. Zuletzt lässt sich die Subjektposition noch anhand von Formen der Wahrnehmung und des Informationsaustauschs charakterisieren: Der Arzt befragt, beobachtet, dokumentiert, leitet an, etc.80 Bei der Beschreibung des Diskurses der klinischen Medizin ist die Dimension der Subjektposition ganz offensichtlich von enormer Bedeutung. Sie liefert zahlreiche und entscheidende Informationen: Foucault erweckt den Eindruck, die Konstituierung des gesamten Diskurses auf die Konstituierung der Subjektposition des Klinikarztes zurückführen zu wollen.81 Eine derart zentrale Rolle kann diese Diskursdimension bei der Erkundung von Aussagen über die Heldin Jeanne d’Arc, zumal sie einem wenig spezialisierten diskur76 77 78 79 80 81

Foucault: L’archéologie du savoir, 125. Ibid., 74. Ibid., 68. Cf. ibid., 123-126. Cf. ibid., 68-72. Cf. ibid., 72f.

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siven Feld zuzuordnen sind, wohl kaum spielen. Insbesondere mit Blick auf die filmischen Aussagen lässt sich feststellen: Sie scheinen tendentiell mit Subjektpositionen von der weiten, unbestimmten Art verknüpft zu sein, deren Untersuchung nicht viel ergeben kann. Zum Beispiel jene filmische Aussage aus Luc Bessons Jeanne d’Arc, die sich mit dem Satz übersetzen ließe: „Die Heldin reitet allein auf das englische Heer zu.“ Ganz abgesehen davon, dass diese Aussage nicht im strengen Sinne der ärztlichen Diagnose „wahr“ sein muss, um Akzeptanz zu finden: Wo wäre die Position, die sie absicherte und umgekehrt von ihr abgesichert würde? Zwar muss eine Vielzahl von Menschen eine Vielzahl von Funktionen einnehmen, damit der Film allein materiell zustande kommen kann. Aber hängt von diesen Akteuren im Kontext der Filmwirtschaft, die Sagbarkeit der Heldin ab? Ist der vertragliche Status des Regisseurs, das Diplom des Kameramanns oder die Mitgliedschaft der Schauspielerin in der Actors’ Guild ein entscheidendes Kriterium? Und selbst wenn eine gewisse Wechselwirkung anzunehmen wäre: Wie sollte im Zusammenspiel der diversen Akteure eine konkrete Subjektposition Gestalt annehmen? Die Dinge liegen hier eben anders als in einem Spezialdiskurs wie der Geschichtswissenschaft. Im Rahmen einer historischen Studie wäre die Aussage „Jeanne d’Arc reitet allein auf das englische Heer zu“ mit einer viel klareren Subjektposition verknüpft. Die Einbindung in wissenschaftliche Institutionen und eine von formalen Kriterien bestimmte Haltung gegenüber dem Gegenstand wären in diesem Kontext in der Tat von Bedeutung. Dass die Dimension der Subjektposition im Falle der filmischen Aussage vergleichsweise unbestimmt bleiben muss, erweist sich auch dann, wenn man sich ihr von einer anderen Seite zu nähern versucht: Narratologische Studien, die die Quelle filmischer Aussagen ausfindig machen wollen, stoßen oft auf Schwierigkeiten. Der filmische Erzähler lässt sich kaum dingfest machen.82 Selbst AutorInnen, die mit großer Hartnäckigkeit vorgehen, bekommen ihn nur in Ausnahmefällen oder als unscharfe Gestalt in den Blick.83 Manche Filmwissenschaftler versuchen lieber, ganz auf eine Instanz zu verzichten, von der die filmische Aussage ausgeht, David Bordwell etwa; und auch Christian

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Das konstatieren etwa Jon-Arild Olsen: Film, fiction et narration. In: Poétique 141 (Februar 2005), 71-91, hier: 72; Avrom Fleishman: Narrated Films. Storytelling Situations in Cinema History. Baltimore, London 1992, 1-8. Cf. Olsen: Film, fiction et narration, vor allem 86-88; François Jost: Narration(s). En deça et au-delà. In: Communications 38 (1983), 192-212; Manuela Bach: Dead Men – Dead Narrators. Überlegungen zu Erzählern und Subjektivität im Film. In: Walter Grünzweig / Andreas Solbach (eds.): Grenzüberschreitungen. Narratologie im Kontext. Tübingen 1999, 231-246.

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Metz verabschiedet sich im Laufe komplexer Überlegungen von der Vorstellung einer definierbaren Quelle.84 Zwar kann man auch argumentieren, die filmische Aussage könne schlicht nicht umhin, Spuren eines Subjekts aufzuweisen: Seine Position sei im Filmbild abzulesen, weil dieses notwendigerweise aus einem bestimmten Blickwinkel aufgenommen sei.85 Aber diese Position bleibt eben seltsam formlos. Die Konventionen der Filmpraxis sorgen dafür, dass eine unauffällige, in gewisser Weise neutrale Perspektive die Mehrzahl aller Einstellungen kennzeichnet. Nur phasenweise nimmt die Position, von der die Bilder ausgehen, Gestalt an, nur vorübergehend werden sie subjektiviert.86 Wenn filmische Aussagen in solchen Momenten doch mit einer konkreten Subjektposition in Verbindung stehen, dann kommt dafür vor allem die einer bestimmten Filmfigur in Frage. Grundsätzlich lassen sich zwei Mechanismen unterscheiden, die diese Verknüpfung produzieren können. Zum einen Subjektivität durch Montage: Der klassische point-of-view shot wird eingeleitet durch das Bild einer Filmfigur, deren Aufmerksamkeit von einem Objekt außerhalb des Bildfeldes angezogen wird; darauf folgen ein Schnitt und ein Bild dessen, was die Figur sieht.87 Zum anderen kann eine Einstellung auch durch ihre eigenen Merkmale subjektiven Charakter erhalten. Etwa indem im Vordergrund der ausgestreckte Arm jener Figur ins Bild ragt, deren Perspektive wir gerade einnehmen. Oft lugt die Kamera über die Schulter einer Figur und schmiegt sich dadurch an ihre Position an. Verschwommene Bilder können darauf verweisen, dass wir mit den Augen einer kurzsichtigen oder alkoholisierten Figur blicken, rhythmisch wackelnde Einstellungen die Perspektive eines Läufers andeuten. In all diesen Fällen ist den Einstellungen selbst zu entnehmen, dass sie subjektiv sind. Um allerdings zu erfahren, wer hier das Subjekt ist, braucht man wiederum den Kontext.88 Im Übrigen kann neben visuellen Merkmalen auch der Ton filmische Aussagen an eine Subjektposition binden. Meist ist zwar der akustische Standpunkt der Filmerzählung nicht besonders genau bestimmt. Aber Töne, die nur für eine Figur wahrnehmbar sein können – etwa 84 85 86 87 88

Cf. David Bordwell: Narration in the Fiction Film. London 1985, 61f.; Christian Metz: L’énonciation impersonelle, ou le site du film. Paris 1991, 11-13, 189-196. Francesco Casetti: Les yeux dans les yeux. In: Communications 38 (1983), 78-97, hier: 81. Cf. Bordwell: Narration in the Fiction Film, 61f.; Reinhard Kargl: Wie Film erzählt. Wege zu einer Theorie des mulimedialen Erzählens im Film. Frankfurt a.M. 2006, 246-248. Cf. Edward Branigan: Point of View in the Cinema. A Theory of Narration and Subjectivity in Classical Film. Berlin, Amsterdam, New York 1984, 104, 111. Cf. ibid., 80-82, 95, 110; Metz: L’énonciation impersonelle, 118-121; Jost: Narration(s), 196; Stephen Heath: Narrative Space. In: Idem: Questions of Cinema. London, Basingstoke 1981, 19-75, hier: 46-48.

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über einen Kopfhörer, oder Dialogfetzen, die als eine Art mentales Echo aus dem Off erklingen, können Einstellungen subjektivieren. Noch stärker ist der Effekt, wenn ein voice over einer Figur zugeordnet werden kann.89 Beispielsweise in Luc Bessons Jeanne d’Arc gibt es zahlreiche Einstellungen, die auf eine solche Art aus dem filmischen Erzählfluss herausgehoben sind. Sogar ganze Sequenzen zeigen die Visionen der Heldin: Wir sehen mit ihren Augen. In diesen Momenten wird eine Subjektposition greifbar – allerdings handelt es sich hier ganz offensichtlich nicht um die Subjektposition, die filmischen Aussagen über Jeanne d’Arc als Absicherung dient. Vielmehr öffnet sich innerhalb der filmischen Rede über die Heldin ein Platz, von dem aus sie ihrerseits Aussagen machen kann – Aussagen zweiter Ordnung sozusagen. Und davon gibt es nicht wenige zu entdecken: Nicht nur im Rahmen anderer subjektiver Einstellungen, sondern auch in den Dialogen. Immer wieder ergreift Jeanne das Wort, genau wie bereits die Quellen aus dem 15. Jahrhundert sie immer wieder zitieren, mal direkt, mal indirekt, besonders ausführlich die Prozessakten, aber durchaus auch die Chroniken. In all diesen Fällen bietet sich eine besondere Gelegenheit, die Heldin in ihren verschiedenen historischen Ausformungen zu beschreiben: Zu welchen Aussagen ist sie ermächtigt, wie wird ihre Position durch die Aussagen näher bestimmt, die von ihr ausgehen? Um die Wandlungen der aktiven Heldin in den Blick zu bekommen, könnte es sich also lohnen, die Suchrichtung auf der Ebene der Subjektposition umzukehren: Nicht nach den Positionen zu suchen, von denen Aussagen über die Heldin ausgehen, sondern nach ihrer Position, wie sie durch Aussagen konstituiert wird. Allerdings reicht es dann nicht, jene Aussagen in den Blick zu nehmen, deren Ursprung mit der Figur Jeanne d’Arc zusammenfallen. Vielmehr muss gleichzeitig jener Vorgang berücksichtigt werden, in dem der Diskurs Subjekte als seine Gegenstände produziert. Für solche Mechanismen interessiert sich Foucault im Rahmen der Archéologie zwar nicht näher, aber in den genealogischen Arbeiten werden sie greifbar. In Surveiller et punir untersucht Foucault ein ganzes système d’assujetissement, in dem die Individuen zum Gegenstand sowohl diskursiver als auch nichtdiskursiver Praktiken werden. Es setzt zunächst an den Körpern an, produziert Subjekte darüber hinaus aber als Objekte etwa kriminologischen oder psychiatrischen Wissens.90 Im Rahmen des Sexualitätsdispositivs kommen schließlich beide Formen der diskursiven Subjektivie89

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Cf. Metz: L’énonciation impersonelle, 135-143; Kargl: Wie Film erzählt, 242, 255f.; Branigan: Point of View, 96f.; André Gaudreault / François Jost: Le Récit cinématographique. Cinéma et récit II. Paris 1990, 135f. Cf. Michel Foucault: Surveiller et punir. Naissance de la prison. Paris 1975, 23-38.

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rung zusammen, das Aussagen-Treffen und das Ausgesagt-Werden: Medizin, Pädagogik, Psychoanalyse bieten Subjektpositionen an, insofern sie zum Geständnis auffordern; und gleichzeitig erzeugen sie Phänomene wie die hysterische Frau, das masturbierende Kind, den perversen Erwachsenen, bilden als ihre Gegenstände Subjekte heraus, deren Wahrheit im Sex liegt.91 Auch die Heldin Jeanne d’Arc ist Gegenstand von Diskursen. Auch ihre Subjektivität entsteht nicht nur, wenn sie spricht, sondern genauso, wenn über sie gesprochen wird, nicht nur in den Zitaten oder den subjektiven Bildern, sondern genauso gut in jeder beschreibenden oder berichtenden Passage der einschlägigen Texte. Der methodische Rahmen der Archäologie sollte deshalb wieder mit Hilfe der Genealogie erweitert werden. Während von der Suche nach der Subjektposition, von der die Aussagen über die Heldin ausgehen, nicht viel zu erwarten ist, kann der Blick auf die Heldin als Subjekt mehr zu Tage fördern: Hier kann man sich der Beschreibung einer geschlechtlich bestimmten Identität im Sinne Butlers nähern. Wenn man untersucht, welche Eigenschaften der Heldin zugeschrieben werden, welche Aussagemöglichkeiten sich ihr öffnen, kommt die Anordnung geschlechtlich konnotierter Attribute in den Blick – jener Prozess, aus dem nach Butler Sex und Gender überhaupt erst hervorgehen. Auf diesem Wege lässt sich die Frage ansteuern, welchen Kohärenzlinien die Konstruktion der Heldin folgt und an welchen Punkten es der Figur gelingt, solche Linien zu durchstoßen. Assoziiertes Feld Die Sentenz, die der zweiten Dimension des Diskurses zugrunde liegt, lautet: Eine Aussage kommt niemals allein. Ihr Auftauchen ist an die Existenz anderer Aussagen gebunden: „il n’y a pas d’énoncé en générale, d’énoncé libre, neutre et indépendant; mais toujours un énoncé faisant partie d’une série ou d’un ensemble, jouant un rôle au milieu des autres, s’appuyant sur eux et se distinguant d’eux“.92

Zwischen einer Aussage und den vielen anderen, die sie umgeben, lassen sich vier verschiedene Formen von Verbindungen feststellen.93 a) Aussagen können durch einen gemeinsamen Status verknüpft sein, indem sie etwa zum Feld der Literatur oder zu dem der Prophetie gehören. Dadurch teilen sie ein gemeinsames Schicksal, werden gemeinsam an Ach-

91 92 93

Cf. idem: La volonté de savoir, 77-94, 137-139. Idem: L’archéologie du savoir, 130. Cf. ibid., 129f.

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tung gewinnen oder verlieren, womöglich gemeinsam außer Gebrauch geraten. b) Eine Aussage kann insofern mit anderen in Verbindung stehen, als sie ihnen den Weg bereitet. Sie eröffnet die Möglichkeit für Erwiderungen, Schlussfolgerungen, Fortsetzungen, die natürlich nicht alle realisiert, aber eben doch nahegelegt werden. c) Eine Aussage ist darüber hinaus in eine tatsächliche Folge von Aussagen eingeschrieben. Man darf darunter nicht einfach die Menge aller Zeichen verstehen, die sich in der Nähe finden, sondern vielmehr die konkrete Realisierung eines Schemas, zu dessen Funktionieren die Aussage beiträgt. Dabei kann es sich etwa um einen Gesprächsverlauf handeln, um eine Argumentationsstruktur oder eine Erzählung. Gerade dieser letzte Fall ist hier von Interesse: Von Jeanne wird meist erzählt, ob im Film oder in der Chronik. Deshalb wird auch noch näher davon die Rede sein müssen, was es heißen könnte, Aussagen über die Heldin als Teil einer Narration zu betrachten. d) Das assoziierte Feld umfasst schließlich noch einen fast unübersehbaren Bereich: „Il est constitué aussi par l’ensemble des formulations auxquelles l’énoncé se réfère (implicitement ou non) soit pour les répéter, soit pour les modifier ou les adapter, soit pour s’y opposer, soit pour en parler à son tour“.94

Spätestens dieses Zitat macht deutlich, welch enorme Menge von anderen Aussagen das assoziierte Feld einer einzelnen Aussage umfasst. Es wird sich nicht in seiner ganzen Ausdehnung, sondern nur selektiv erkunden lassen. Im Fall von Jeanne d’Arc immer mit Blick auf die Frage: Wie kann eine derart unwahrscheinliche Gestalt in die Sphäre des Sagbaren vordringen? Welche Aussagen können der Rede von der aktiven Heldin eine Stütze sein? Außerdem lassen die Formulierungen, mit denen Foucault die Dimension des assoziierten Feldes im Detail beschreibt, noch einen ganz grundlegenden Zug der Erkundungsarbeit im Raum des Diskurses hervortreten: Insofern es hier ganz offensichtlich notwendig ist, die Aussagen zu verstehen. Eigentlich zielt Foucaults Vorgehen zwar darauf, sich von hermeneutischen Methoden entschieden abzuwenden.95 Er weist es in der Archéologie weit von sich, nach einer Aussageintention zu forschen, sich an der Enthüllung verborgener Bedeutungen abzuarbeiten; er behauptet, Zeichen müssten erst in 94 95

Ibid. Cf. etwa Dreyfus / Rabinow: Michel Foucault, 20, 152-154; Klaus-Michael Bogdal: Historische Diskursanalyse der Literatur. Theorie, Arbeitsfelder, Analysen, Vermittlung. Opladen, Wiesbaden 1999, 21-23.

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ihrer Existenzweise als Aussage etabliert sein, bevor die Frage nach ihrem Sinn überhaupt gestellt werden könne.96 Aber wenn er davon spricht, dass Aussagen andere wiederholen, abwandeln oder thematisieren können, muss er sich doch für ihre Bedeutung interessieren. Es geht hier offensichtlich nicht darum, dass eine Aussage eine andere insofern wiederholt, als sie denselben Platz im diskursiven Gefüge einnimmt. Vielmehr soll dieses Gefüge, wie es sich zwischen verstreuten Aussagen aufspannt, überhaupt erst sichtbar gemacht werden: über inhaltliche Bezüge, die der Diskursanalytiker nur entdecken kann, wenn er Aussagen zu verstehen versucht. Autoren unterschiedlicher Disziplinen kommen zu diesem Ergebnis, was die methodischen Voraussetzungen für die Erkundung eines Foucault’schen Diskurses angeht: Man kann dabei auf das Erschließen von Bedeutungen nicht verzichten. Unter anderem müsste sonst schon das Abgrenzen eines Korpus scheitern.97 Und der Rückgriff auf das Verstehen muss auch keinen methodischen Widerspruch darstellen: Für Daniel Martin Feige stehen sich der Hermeneutiker Gadamer und der Diskursanalytiker Foucault deutlich näher, als dessen Abwehrgesten glauben machen.98 Auch Gadamer sei nicht auf der Jagd nach verborgenen Bedeutungen und Intentionen. Um seine Konzepte mit der Diskursanalyse zu versöhnen, müsse man nur seine Fixierung auf Kontinuitäten mildern und sein Vertrauen in den Wahrheits- und Sachbezug des Verstehens herunterschrauben. Für den Diskursanalytiker wiederum folge aus seiner unüberwindbaren Verwurzelung in der Hermeneutik vor allem eins: Bei aller Aufmerksamkeit für historische Brüche wird auch er das ganz Fremde nicht entdecken – es muss auch ihm schlicht unverständlich bleiben. Man kann noch hinzufügen: Der Diskursanalytiker muss zugestehen, dass seine Untersuchung an seinen Standpunkt gebunden ist. Davon geht Foucault im Kontext der genealogischen Arbeiten allerdings ohnehin aus. Während er in der Archéologie noch den Eindruck erweckt, von einer neutralen Warte aus zu analysieren, schreibt er später ausdrücklich „l’histoire du présent“, eine Geschichte, die sich auf keinerlei Konstanten stützt, sondern aus einem be-

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98

Cf. Foucault: L’archéologie du savoir, 39f., 65f., 115, 119. Cf. Dreyfus / Rabinow: Michel Foucault, 113f.; Landwehr: Geschichte des Sagbaren, 103f., 107; Sarasin: Diskurstheorie und Geschichtswissenschaft, 67f.; Keller: Diskurse und Dispositive analysieren; Diaz-Bone: Probleme und Strategien der Operationalisierung, 126; Daniel Martin Feige: Verstehen und Diskurs. Ein Geistergespräch zwischen Gadamer und Foucault. In: Sprache und Literatur 36.2 (2005), 2-19, hier: 11f.; Jo Reichertz: Foucault als Hermeneut? Lassen sich Diskursanalyse und Hermeneutik gewinnbringend miteinander verbinden? In: Idem / Manfred Schneider (eds.): Sozialgeschichte des Geständnisses. Zum Wandel der Geständniskultur. Wiesbaden 2007, 251-274, hier: 273. Cf. Feige: Verstehen und Diskurs, vor allem 11-17.

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stimmten historischen Moment heraus und für diesen Moment entsteht: „un savoir perspectif“.99 Strategie Die vierte Dimension des Diskurses gleiche im Augenblick noch einer Baustelle, sagt Foucault in der Archéologie. Seine vorherigen Studien hätten ihm keine Gelegenheit gegeben, diesen Bereich ausreichend zu erkunden.100 Man muss sich durch diese Ebene des Konzepts also mit Vorsicht bewegen, mit einer gewissen Unordnung rechnen. Die Details bestätigen das. In einer Passage, in der Foucault die vierte Dimension als die der existence matérielle beschreibt, rechnet er ihr Verbindungen zwischen der Aussage und ihrem Status zu. Dieser regele „possibilités de réinscription et de transcription“. Dabei hat Foucault zuvor die „techniques de réécriture“ und die „méthodes de transcription des énoncés“ als Kriterium für die Abgrenzung eines assoziierten Feldes identifiziert.101 Der im Bau begriffenen Dimension Profil zu geben, fällt ihm offensichtlich schwer, und der Status der Aussage scheint nicht das beste Kriterium für ihre Charakterisierung zu sein. Klarer wird das Bild mit den nächsten Merkmalen. Zur vierten Dimension zählt auch das Verhältnis der Aussage zu einem bestimmten Einsatzbereich: „le domaine dans lequel on peut l’utiliser ou l’appliquer“.102 So kann zum Beispiel die Behauptung, die Träume erfüllten die Wünsche, in verschiedenen Bereichen – etwa von Platon und später von Freud – eingesetzt werden. Dabei spaltet sie sich in verschiedene Aussagen auf. Diese werden in den verschiedenen Bereichen durch verschiedene Gebrauchsregeln und -schemata stabilisiert, sie finden verschiedene Anwendungen. Dass es sich dabei nicht einfach um die argumentativen oder narrativen Reihungen handelt, die schon im Rahmen des assoziierten Feldes eine Rolle spielten, machen vor allem die letzten Sätze von Foucaults Beschreibung deutlich: „Ainsi l’énoncé circule, sert, se dérobe, permet ou empêche de réaliser un désir, est docile ou rebelle à des intérêts, entre dans l’ordre des contestations et des luttes, devient thème d’appropriation et de rivalité.“103

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100 101 102 103

Foucault: Surveiller et punir, 40; idem: Nietzsche, la généalogie, l’histoire, 150; cf. ibid.,146150; Dreyfus / Rabinow: Michel Foucault, 132, 147-149; Brieler: Die Unerbittlichkeit der Historizität, 201f., 354f. Foucault: L’archéologie du savoir, 86f. Ibid., 78f., 136. Ibid., 136. Ibid., 138.

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Die Verbindungen, die von der Aussage ausgehen, erstrecken sich in dieser Dimension also bis hin zu Wünschen und Interessen, die Aussage wird in Kämpfe hineingezogen. Besser noch als der Begriff der Materialität drückt diesen Aspekt ein anderer aus, den Foucault zuvor schon verwendet hat: der Begriff der Strategie. Damit will Foucault im Rahmen der Archéologie wiederum ein rein diskursives Phänomen entwerfen. Zwar nimmt er an, dass neben intra- und interdiskursiven Beziehungen auch die Funktion eines Diskurses in einem nichtdiskursiven Feld für die Strategie entscheidend ist. Aber gleichzeitig möchte er das Verhältnis zwischen Diskurs und Anwendungsgebiet doch allein dem Gesetz des Diskurses unterwerfen.104 Dieser problematischen Annahme kann man entgehen, indem man erneut die Genealogie zu Rate zieht. In deren Kontext arbeitet Foucault mit Elan an der Baustelle, die er im Rahmen der Archéologie nicht abschließen konnte. So listet er in einem späten Aufsatz drei mögliche Definitionen der Strategie auf. Nummer zwei und drei nehmen Bezug auf das Verhalten von Personen in Machtbeziehungen bzw. Konfrontationen; sie weisen auf das verstärkte Interesse an individuellen Handlungsmöglichkeiten voraus, das in Foucaults letzten Arbeiten festzustellen ist. Für die Betrachtung des Diskurses im Sinne der Genealogie ist vor allem Definition Nummer eins hilfreich. Sie fixiert die Strategie zunächst allgemein als „la rationalité mise en œuvre pour atteindre un objectif“, um sie dann genauer auf Foucaults eigenen Gebrauch zu beziehen: „on peut appeler «stratégie de pouvoir» l’ensemble des moyens mis en œuvre pour faire fonctionner ou maintenir un dispositif de pouvoir.“105 Wie bereits angedeutet, eint das strategische Ziel also sowohl diskursive als auch nichtdiskursive Elemente des Dispositivs. Dabei kann sich die Strategie den Diskurs aber nicht restlos zu Diensten machen. Beide stehen in einem Verhältnis der Inderdependenz: „C’est ça, le dispositif: des stratégies de rapports de forces supportant des types de savoir, et supportés par eux.“106 Die Bindungen zwischen Diskursen und Strategien sind flexibel. Die Dispersion der Aussagen wird von ihnen keineswegs in starre Blöcke mit eindeutigen Funktionen geteilt. „Plus précisément, il ne faut pas imaginer un monde du discours partagé entre le discours reçu et le discours exclu ou entre le discours dominant et celui qui est

104 Cf. ibid., 87-91. 105 Idem: Le pouvoir, comment s’exerce-t-il? In: Hubert Dreyfus / Paul Rabinow: Michel Foucault. Un parcours philosophique au-delà de l’objectivité et de la subjectivité. Paris 1984, 308-321, hier: 318f. 106 Idem: Le jeu de Michel Foucault, 300.

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dominé; mais comme une multiplicité d’éléments discursifs qui peuvent jouer dans des stratégies diverses.“107

Dabei scheinen sich verschiedene Strategien nicht nur in ihrem Ziel, sondern auch in ihrer Reichweite zu unterscheiden. Übergreifende Strategien („une stratégie globale“/„des grandes stratégies“) können ihren Ursprung in begrenzten („des stratégies bien définies“) nehmen, zwischen denen sich Schritt für Schritt – ganz diskret und ohne von irgendeiner Instanz gelenkt zu werden – ein Netz aus Kräfteverhältnissen aufbaut.108 Mit dieser Beschreibung der Strategie hat sich ihr Verhältnis zum Diskurs praktisch umgedreht: War die Strategie in der Archéologie noch eine Dimension im Inneren des Diskurses, so ist der Diskurs jetzt ein Bestandteil der Strategie – wenn auch ein widerspenstiger, der an den Seiten hervorsteht und nur darauf wartet, in einen anderen Zusammenhang integriert zu werden. Abermals eine Perspektive, die eingenommen werden will, wenn es darum geht, die Sagbarkeit der aktiven Heldin zu erkunden: Indem Aussagen über Jeanne d’Arc bestimmte Kräfte stützen können, erfahren sie ihrerseits Rückhalt. Allerdings wird es schwerfallen, ausgehend von ein paar filmischen oder schriftlich überlieferten Aussagen einen umfassenden strategischen Zusammenhang zu identifizieren, eine jener globalen Strategien, die sich über weite Felder der Streuung erstrecken. Eine Untersuchung, die ausgehend von einigen Zeichenketten die diskursive Einbettung einer konkreten Heldin erkunden will, kann auch nicht den Anspruch erheben, ein ganzes Dispositiv sichtbar zu machen. Aber am Ende eines Rundgangs durch die Regionen des Diskurses lohnt sich ohne Zweifel ein Abstecher, um die kleinen oder großen Ziele in den Blick zu nehmen, deren Durchsetzung Aussagen über Jeanne d’Arc befördern. Nachdem die Erkundungen zu Beginn in Richtung des Referentials geführt haben, um die Möglichkeitsregeln zu bestimmen, denen die aktive Heldin entspricht. Nachdem die Analyse anschließend in den Weiten des assoziierten Feldes nach Aussagen Ausschau gehalten hat, an die jene über Jeanne auf unterschiedlichste Weise anschließen. Und nachdem die Subjektposition der Heldin auf der Grundlage dieser Schritte umso genauer Gestalt angenommen hat. So lässt sich für die Untersuchung eine Route abstecken, die immer wieder die konkreten Aussagen über die Heldin ansteuert, um von dort aus unterschiedliche Perspektiven zu öffnen. Die Dimensionen des Diskurses organisieren den Blick: nicht als klar abgegrenzte Kategorien, die sich in Gänze erfassen ließen, sondern als weitläufige Felder von Verknüpfungen, die sich 107 Idem: La volonté de savoir, 133. 108 Idem: Le jeu de Michel Foucault, 306f.; cf. idem: La volonté de savoir, 124f.

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bei den zu untersuchenden Aussagen überschneiden. In dieses Gelände muss sich die Analyse hineinbegeben. Allerdings soll vorher ein weiterer Versuch gemacht werden, seine Topographie genauer zu charakterisieren: Auf welche Art wird es von narrativen Verbindungen durchzogen?

c. Erzählung Die Struktur der Erzählung Selbst wenn man aus der Rede über die Taten der Jeanne d’Arc nur eine Aussage herausgreift – etwa: „Die Heldin reitet allein auf das englische Heer zu“ –, lässt sich schon behaupten: Hier wird erzählt. Insofern die Aussage von einem Ereignis berichtet, erfüllt sie ein Kriterium, das sowohl Film- als auch LiteraturtheoretikerInnen heranziehen, um erzählende von anderen Textformen abzugrenzen. Die meisten AutorInnen fügen weitere Bedingungen hinzu oder sie bestehen darauf, dass erst eine Folge von mehreren Ereignissen eine Erzählung konstituiert. Aber als gemeinsamer Nenner schält sich eben die Wiedergabe von Ereignissen heraus.109 Umso überzeugender wirkt die Position von Gérard Genette, der sich ganz auf diesen Punkt konzentriert: Récit definiert er als „l’énoncé narratif, le discours oral ou écrit qui assume la relation d’un événement ou d’une série d’événements“.110 Es kann sich also um eine ganze Reihe von Ereignissen handeln, notwendig ist das aber nicht. Schon ein einziges Ereignis, betont Genette, impliziere eine Transformation, den Übergang von einem Zustand zu einem anderen, und biete damit ausreichend Stoff für eine Erzählung.111 Es lässt sich festhalten: Nicht nur die Filme, auch die Quellen des 15. Jahrhunderts erzählen von Jeanne d’Arc. Und es dürfte sich lohnen, diesem Umstand Rechnung zu tragen. Für Jeannes andauernde Karriere ist die Einbettung in narrative Zusammenhänge zweifellos von Bedeutung. Erzählungen sind 109 Cf. etwa Mieke Bal: Narratologie. Essais sur la signification narrative dans quatre romans modernes. Utrecht 1984, 5; Gerald Prince: Narratology. The Form and Functioning of Narrative. Berlin, New York, Amsterdam 1982, 4; Christian Metz: Remarques pour une phénoménologie du Narratif. In: Idem: Essais sur la signification au cinéma. Paris 1968, 25-35, hier: 32; André Gaudreault: Mimèsis, diègèsis et cinéma. In: Recherches Sémiotiques / Semiotic Inquiry 5 (1985), 32-45, hier: 35; Susanna Onega / José Angel García Landa: Introduction. In: Idem (eds.): Narratology. An Introduction. London, New York 1996, 1-41, hier: 3; Jakob Lothe: Narrative in Fiction and Film. Oxford et al. 2000, 3; Matias Martinez / Michael Scheffler: Einführung in die Erzähltheorie. München 1999, 9. 110 Gérard Genette: Discours du récit. In: Idem: Figures III. Paris 1972, 65-282, hier: 71. 111 Idem: Nouveau discours du récit. Paris 1983, 14.

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privilegierte Orte der Bedeutungsproduktion. Sie bieten ein Mittel, Informationen zu organisieren, Erfahrungen lesbar zu machen, das ganz verschiedene Formen annimmt und in den unterschiedlichsten Kontexten zur Anwendung kommt – auch jenseits fiktionaler Welten.112 Und bei der Annäherung an eine außergewöhnlich durchsetzungsfähige Heldin ist die Berücksichtigung ihrer narrativen Eigenschaften umso wichtiger, als Erzählungen maßgeblich an der Konstruktion von Identitäten teilhaben – gerade auch in deren GenderDimension. Ob im Rahmen von Alltagsgesprächen, Geschichtsschreibung oder Literatur: Konventionelle Erzählmuster, die sich an Normbiographien orientieren, tragen dazu bei, vorherrschende Vorstellungen von Sex und Gender zu stabilisieren und zu naturalisieren. Gleichzeitig können Erzählungen auch Subjektivitäten Kohärenz verleihen, die solche Normen unterlaufen.113 Verschiedene TheoretikerInnen bringen Konzepte des Narrativen explizit mit dem Ansatz von Judith Butler zusammen: Zu den Äußerungen, die geschlechtlich bestimmte Identitäten überhaupt erst hervorbringen, gehören eben nicht zuletzt Erzählungen.114 Die narrative Seite der Heldin in den Blick zu nehmen, ist im Prinzip mit einem diskursanalytischen Vorgehen auch ohne weiteres zu vereinbaren. Schließlich rechnet Foucault, wie gesehen, durchaus mit dem Auftauchen von Erzählungen im Feld der verstreuten Aussagen. Als eine Variante jener Serien, die das assoziierte Feld aufspannen, erwähnt er „la suite des affirmations qui constituent un récit.“115 Und auch Diskursanalytiker, die mehr oder weniger direkt an ihn anschließen, weisen darauf hin: Erzählformen bilden eine wich-

112 Cf. etwa Tröhler: Von Weltenkonstellationen und Textgebäuden, 27f.; Roland Barthes: Introduction à l’analyse structurale des récits. In: Communications 8 (1966), 1-27, hier: 1; Hayden White: The Value of Narrativity in the Representation of Reality. In: Critical Inquiry 7 (1980), 5-27, hier: 5f.; Edward Branigan: Narrative Comprehension and Film. London, New York 1992, 1; Torben Grodal: Moving Pictures. A New Theory of Film Genres, Feelings, and Cognition. Oxford et al. 1997, 10. 113 Cf. Chaudhuri: Feminist Film Theorists, 69; Thornham: Women, Feminism, and Media, 19; Grisard et al.: Gender in Motion, 12f.; Sigrid Nieberle / Elisabeth Strowick: Narrating Gender. Einleitung. In: Idem (eds.): Narration und Geschlecht. Texte – Medien – Episteme. Köln, Weimar, Wien 2006, 7-19, hier: 7; Vera Nünning / Ansgar Nünning: Von der feministischen Narratologie zur gender-orientierten Erzähltextanalyse. In: Idem (eds.): Erzähltextanalyse und Gender Studies. Stuttgart, Weimar 2004, 1-32, hier: 1, 22; Eveline Kilian: Zeitdarstellung. In: Ibid., 72-97, hier: 79. 114 Cf. Nieberle / Strowick: Narrating Gender, 8; Nünning / Nünning: Von der feministischen Narratologie zur gender-orientierten Erzähltextanalyse, 22. 115 Foucault: L’archéologie du savoir, 129.

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tige Gruppe jener Regelmäßigkeiten, auf die man bei der Erkundung diskursiver Zusammenhänge stoßen kann.116 Allerdings ist damit noch nicht geklärt, wie man Erzählungen in diesem Kontext angemessen beschreiben kann. Auf der Suche nach begrifflichen Instrumenten könnte man sich zunächst zurückwenden: Wenn hier Genettes Definition der Erzählung gelten soll, kann womöglich auch sein ebenso ausführlicher wie einflussreicher Kategorienkatalog von Nutzen sein. Um beschreiben zu können, wie die Präsentation der Ereignisse von konkreten Erzählungen organisiert wird, unterscheidet Genette in einem ersten Schritt drei übergeordnete Aspekte: temps, mode, voix.117 Die meisten Variationsmöglichkeiten entdeckt er im ersten Bereich, im Verhältnis zwischen der Zeit der Erzählung, des récit, und der Zeit der erzählten Ereignisse, der histoire. Ereignisse müssen nicht in der Reihenfolge berichtet werden, die sie innerhalb der histoire haben. Die Erzählung kann vorgreifen oder Informationen nachliefern. Oder sie kann Ereignisse schlicht verschweigen.118 Eine Möglichkeit, die mit Blick auf die Rede über Jeanne d’Arc von besonderer Bedeutung ist: Denn hier lassen sich verschiedene Erzählungen über dieselbe histoire vergleichen, die je spezifische Auswahl der erzählten Ereignisse kann viel schärfer hervortreten als bei den Texten, die Genette als Beispiele heranzieht und deren histoire nur durch einen einzelnen récit zugänglich ist. Die übrigen Analysekriterien, die Genette hinsichtlich des temps entdeckt, sind für die Untersuchung einer medienübergreifenden Heldin weniger geeignet. Seine Herleitung einer Geschwindigkeit des literarischen Erzählens ergibt sich gerade in Absetzung zu filmischen Narrationen mit ihrer fixierten Dauer.119 Und die für Genettes Analyse von Prousts Recherche äußerst wichtige Möglichkeit, dass ein einmaliges Ereignis mehrfach erzählt werden kann – und vor allem umgekehrt –, ist zwar auch dem Film gegeben, widerspricht aber seinen Konventionen.120 Auf Schwierigkeiten stößt man erst recht bei mode und voix, denn hinter diesen Begriffen stehen in erster Linie die Fragen: Wer nimmt das Erzählte wahr? Und wer erzählt es?121 Und davon war bereits die Rede: Abgesehen von klar subjektivierten Momenten, fällt es schwer, diese Fragen für filmische Erzählungen zu beantworten. Spätestens hier – mal 116 Cf. Link: Diskursanalyse, 413; Keller: Diskurse und Dispositive analysieren; Willy Viehöfer: Diskurse als Narrationen. In: Reiner Keller et al. (eds.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden 22006, 179-208, hier: 180. 117 Cf. Genette: Discours du récit, 74-76. 118 Cf. ibid., 78-121, 139-141. 119 Cf. ibid., vor allem 122-124. 120 Cf. ibid., 145-178; David Bordwell / Kristin Thompson: Film Art. An Introduction. New York et al. 41993, 275. 121 Cf. Genette: Discours du récit, 203-206; idem: Nouveau discours du récit, 43.

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bei mode, mal bei voix – stehen Narratologen, die Genettes Begrifflichkeiten für den Film nutzbar machen wollen, vor Problemen.122 Es bleibt also vor allem die Frage, welche Ereignisse in welcher Reihenfolge erzählt werden. An diesem Punkt kann die Untersuchung der Heldin Jeanne von Genettes Perspektive profitieren. „Die Heldin reitet allein auf das englische Heer zu“ – ob eine solche Aussage gemacht werden kann, hängt gewiss zu einem Teil von ihrer Einbettung ab. Die Narration kann die erstaunlichen Taten der Heldin in weniger verblüffende Ereignisse einreihen, für ihre entscheidenden Auftritte gleichsam eine Rampe bauen. Wobei allerdings aus Genettes Perspektive ein überraschendes Ereignis oder eine unwahrscheinliche Heldin von erwartbaren Bausteinen einer Erzählung nicht zu unterscheiden ist. Es hilft auch nicht, andere Narratologen zu konsultieren, die in der strukturalistischen Tradition stehen. Algirdas Julien Greimas zum Beispiel interessiert sich zwar in viel stärkerem Maße als Genette für die Akteure, von denen ein Text erzählt. Er gruppiert sie zu Kategorien, zu actants, die für ihn zusammen mit ihrer jeweiligen fonction eine Grundstruktur konstituieren, auf der konkrete Erzählungen aufsetzen.123 Aber eben diese konkrete Ebene gerät dabei wiederum aus dem Blick. Greimas stellt selbst fest: Sein Ansatz allein ist nicht dazu in der Lage, die besonderen Merkmale eines einzelnen Akteurs zu erklären.124 BefürworterInnen einer gendersensiblen Erzählanalyse konstatieren dementsprechend: Die actants von Greimas im Besonderen oder die traditionellen Analyseinstrumente strukturalistischer Herkunft im Allgemeinen sind bei dem Versuch, Narration und Geschlecht in Beziehung zu setzen, nur von begrenztem Wert. Sie sind zu eindeutig auf die Form der Erzählung ausgerichtet, als dass sie ein präzises Bild von deren Objekten hervorbringen könnten; insbesondere der Kategorie Geschlecht bringen sie wenig Aufmerksamkeit entgegen.125 Zudem lösen sie die zu analysierenden Erzählungen aus ihrem historischen Kontext. Und gerade der muss Berücksichtigung finden, wenn man bei der Verkopplung von Narration und Geschlecht der Gefahr 122 Cf. supra, 46-48; Jost: Narration(s), 195; Brian Henderson: Tense, Mood, and Voice in Film. Notes after Genette. In: Film Quarterly 36.4 (Sommer 1983), 4-17, hier: 15-17. 123 Cf. Algirdas Julien Greimas: Sémantique structurale. Recherche de méthode. Paris 1966, 175-178; idem: Eléments d’une grammaire narrative. In: Idem: Du sens. Essais sémiotiques. Paris 1970, 157-183, hier: 166-168, 174. 124 Cf. Greimas: Sémantique structurale, 185. 125 Cf. Nünning / Nünning: Von der feministischen Narratologie zur gender-orientierten Erzähltextanalyse, 7; Andrea Gutenberg: Handlung, Plot und Plotmuster. In: Vera Nünning / Ansgar Nünning (eds.): Erzähltextanalyse und Gender Studies. Stuttgart, Weimar 2004, 98-121, hier 98f.; Marion Gymnich: Konzepte literarischer Figuren und Figurencharakterisierung. In: Ibid., 122-142, hier: 127f.

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entgehen will, kontingente Asymmetrien festzuschreiben. Für narratologische Konzepte gilt dasselbe wie für filmwissenschaftliche, wenn es um Erkundungen in Sachen Gender geht: Sie müssen für die Historisierung und Kontextualisierung ihrer Gegenstände sorgen.126 Der Kontext der Erzählung Es herrscht noch keine Einigkeit darüber, was diese Erkenntis im Detail für das Vorgehen im Rahmen einer Erzählanalyse zu bedeuten hat. Aber es zeichnet sich ab, dass ein wichtiger Weg über den Begriff des Genres führt.127 Mit Gender verbindet ihn nicht nur ein ferner etymologischer Ursprung, sondern auch seine jüngere Vergangenheit: Sowohl Gender als auch Genre sind noch vor nicht allzu langer Zeit als quasi naturgegebene Einheiten verstanden und dann einer anti-essentialistischen Kritik unterzogen worden.128 In ihrer neuen Gestalt lassen sich beide als ganz ähnliche Gebilde beschreiben: Irmela Schneider charakterisiert sie gleichermaßen als diskursive Prozesse.129 Überhaupt sprechen erstaunlich viele Genre-Definitionen, wie sie in jüngerer Zeit vor allem in den Filmwissenschaften ausgearbeitet worden sind, von Diskursen. Wie der Begriff zu verstehen ist, wird in der Regel nicht präzisiert, doch gelegentlich lässt er eine gewisse Verwandtschaft mit dem Foucault’schen erahnen.130 Und wenn man den Ausführungen mancher Genre-Theoretiker ins Detail folgt, bestätigt sich: Hier ist von einem Zusammenhang die Rede, der an das oben beschriebene Diskursverständnis durchaus anschlussfähig ist. So werden Genres als Organisation von Wissen beschrieben, in der eine Vielzahl von Elementen interagieren: Neben einer größeren Menge von Texten – Filmen zum Beispiel, aber auch peripherem Material wie Rezensionen und Pressetexten – ist von Argumenten, Regeln, Stereotypen, Mustern die Rede. An den Rändern der Genres kommen aber 126 Cf. supra, 28-30; Nünning / Nünning: Von der feministischen Narratologie zur gender-orientierten Erzähltextanalyse, 10. 127 Cf. ibid., 22f., 25. 128 Cf. Irmela Schneider: Genre, Gender, Medien. Eine historische Skizze und ein beobachtungstheoretischer Vorschlag. In: Claudia Liebrand / Ines Steiner (eds.): Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film. Marburg 2004, 16-28, hier: 1620; Andrea B. Braidt: Film-Genus. Zu einer theoretischen und methodischen Konzeption von Gender und Genre im narrativen Film. In: Ibid., 45-66, hier 45-47. 129 Cf. Schneider: Genre und Gender, 99. 130 Cf. Steve Neale: Genre and Hollywood. London, New York 2000, 31; Barry Langford: Film Genre. Hollywood and Beyond. Edinburgh 2005, 5; Tom Ryall: Genre and Hollywood. In: John Hill / Pamela Church Gibson: American Cinema and Hollywood. Critical Approaches. Oxford 2000, 101-112, hier: 109; Knut Hickethier: Genretheorie und Genreanalyse. In: Jürgen Felix (ed.): Moderne Film Theorie. Mainz 22003, 62-96, hier: 63.

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auch nichtdiskursive Kontexte in den Blick: Kulturwirtschaftliche Vertriebswege oder staatliche Förderinstitutionen können zur Konstituierung von Genres beitragen. Schließlich werden diese auch als Schauplätze von Konflikten begriffen, auf denen diverse AkteurInnen ihre Interessen durchsetzen wollen.131 Von Genres, so eine Formulierung von Knut Hickethier, solle man genau dann sprechen, wenn man die Verhältnisse zwischen Filmen und den kulturellen Kontexten ihrer Produktion und Rezeption in den Blick nehmen wolle.132 Aber nicht nur wegen dieser Kontextorientierung versprechen jüngere Genre-Konzepte, für die Erkundung von Aussagen über Jeanne d’Arc von Nutzen zu sein, sondern auch wegen ihrer Offenheit in Bezug auf die denkbaren Corpora. Der Genre-Begriff kann überkommene Grenzen überwinden, etwa zwischen literaturwissenschaftlichen und medienwissenschaftlichen Territorien. Unabhängig davon, über welches Medium sie Verbreitung finden, lassen sich Texte als Bestandteile von Genres betrachten, Texte über reale Welten ebenso wie solche über fiktionale.133 Steve Neale verwendet im Anschluss an Theoretiker wie Genette und Tzvetan Todorov einen Begriff, der etwa Kino- und Alltagswahrnehmung besonders nah zusammenrücken lässt: Verschiedenen Genres entsprechen verschiedene regimes of verisimilitude, sie öffnen verschiedene Welten von Wahrscheinlichkeiten.134 Die Wahrscheinlichkeiten im Action-Film, der möglichst viele gewaltsame Ereignisse auf eine kurze Zeitspanne komprimieren muss, sind zwar andere als im Alltag, in dem es derlei generell zu vermeiden gilt. Trotzdem haben beide, Realität und Fiktion, eben gemein: Sie unterstehen Wahrscheinlichkeiten. Und ihre regimes of verisimilitude sind auch nicht voneinander losgelöst, sondern beziehen sich aufeinander – sei es durch Angleichung oder durch Absetzung.135 Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen den Genreregeln für verschiedene Welten, sondern höchstens graduelle Variationen: Ein Hollywood-Biopic aus der Zeit der studio era steht gewiss unter einem strengeren Regime als ein europäischer Arthouse-Film, 131 Cf. Langford: Film Genre, 5f.; Neale: Genre and Hollywood, 32, 39; Hickethier: Genretheorie und Genreanalyse, 63, 78; Ryall: Genre and Hollywood, 102, 109; Rick Altman: Film/ Genre. London 1999, 84, 90-96, 211. 132 Hickethier: Genretheorie und Genreanalyse, 91. 133 Cf. ibid., 63; Nünning / Nünning: Von der feministischen Narratologie zur gender-orientierten Erzähltextanalyse, 22f. 134 Cf. Steve Neale: Questions of Genre. In: Screen 31.1 (Frühjahr 1990), 45-66, hier: 46, 51, 56; idem: Genre and Hollywood, 32; Tzvetan Todorov: Introduction au vraisemblable. In: Idem: Poétique de la prose. Paris 1971, 92-99; Gérard Genette: Vraisemblance et motivation. In: Idem: Figures II. Paris 1969, 71-99. 135 Cf. Todorov: Introduction au vraisemblable, 97f.; Neale: Questions of Genre, 47.

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und ihr jeweiliger Abstand zu den Wahrscheinlichkeiten einer historischen Realität dürfte unterschiedlich ausfallen. Aber letztlich gilt: Kein Text kann sich seiner Rahmung durch Wahrscheinlichkeiten entziehen.136 Diese Perspektive macht es umso plausibler, die Aussagen aus einer Chronik des 15. Jahrhunderts mit denen eines Spielfilm aus dem 20. in eine Reihe zu stellen: Sie sind alle Genre-Wahrscheinlichkeiten unterworfen. Unterschiedlichen zwar, aber es geht ja gerade darum, die unterschiedlichen Bedingungen in den Blick zu bekommen, die das Auftauchen einer aktiven Heldin ermöglichen. Und der Bezugsrahmen des Genres verspricht, Fragen zu beantworten, die bei der Suche nach Sagbarkeitsbedingungen entscheidend sind: „why particular events and actions are taking place, why the characters are dressed in the way they are, why they look, speak, and behave the way they do, and so on.“137

Bei Steve Neale ist es das durchschnittliche Publikum, das diese Fragen stellt und durch sein Genre-Wissen beantwortet bekommt. Und man darf wohl hoffen, dass einem – im engeren Sinne – forschenden Blick solche Antworten nicht verborgen bleiben. Allerdings stellt sich dabei ein Problem: Genres sind nicht leicht zu greifen, kaum zu formalisieren. Jenen Definitionen, die einzelne Filmgenres möglichst klar abgrenzen wollen, gelingt es eigentlich nie, alle Filme zu erfassen, die landläufig einem bestimmten Genre zugeordnet werden. Und das kann auch gar nicht gelingen, wenn man Knut Hickethier folgt: Genre-Begriffe brauchen eine gewisse Unschärfe, sagt er, um etwa im Rezeptionsprozess zwischen einem konkreten Text und der Vorstellung von einer übergeordneten Textgruppe zu vermitteln.138 Zudem fällt an gängigen Genrebeschreibungen auf, dass sie sich auf ganz unterschiedliche Typen von Merkmalen stützen. Mal stehen textuelle Merkmale im Vordergrund, mal wird die Verortung einer Produktion in den Strukturen der Filmwirtschaft als Kriterium herangezogen oder sogar die erwartete Wirkung eines Films auf die ZuschauerInnen.139 Auch Gender spielt eine Rolle: Die Figur der femme fatale etwa wird immer wieder – implizit oder explizit – herangezogen, um den film noir von anderen Genres abzugrenzen.140 Das 136 Cf. Neale: Genre and Hollywood, 34; Langford: Film Genre, 7; Ryall: Genre and Hollywood, 111; Todorov: Introduction au vraisemblable, 99. 137 Neale: Questions of Genre, 46; cf. idem: Genre and Hollywood, 31. 138 Hickethier: Genretheorie und Genreanalyse, 65, cf. 79; Langford: Film Genre, vii. 139 Das konstatiert etwa Altman: Film/Genre, 86. 140 Cf. Gereon Blaseio: Genre und Gender. Zur Interdependenz zweier Leitkonzepte der Filmwissenschaft. In: Claudia Liebrand / Ines Steiner (eds.): Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film. Marburg 2004, 29-44, hier: 38-44.

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bestärkt wiederum die Zuversicht, über das Genre der Sagbarkeit der Heldin auf die Spur zu kommen. Aber ein festes Analyseraster ist aus konkreten Genrestudien nicht abzuleiten. Hinzu kommt, dass Genres ständig in Bewegung sind. Genrebegriffe wechseln ihre Bedeutung je nachdem, in welchen historischen oder kommunikativen Kontexten sie zur Anwendung kommen. Und insofern sie nicht zuletzt von Texten konstituiert werden, können sie sich mit jedem neuen Text verändern, der zu ihnen in Beziehung tritt.141 So changiert die Gestalt der Genres ständig – ebenso wie ihre Beziehung untereinander. Denn sowohl in der Literatur als auch im Kino lässt sich feststellen, dass sich viele Texte auf mehrere Genres beziehen. So können Mischformen entstehen, alte Genres können zusammenwachsen und neue können Gestalt annehmen. Hybridisierungen sind insofern – anders als manchmal vermutet – kein besonderes Merkmal postmoderner Zeichenproduktion.142 In Genre- wie in Gender-Fragen ist die Gefahr groß, historisch kontingente Situationen festzuschreiben. Um ihr auszuweichen, müssen Erkundungen in diesem Bereich wohl oder übel tastend vor sich gehen. Eine gewisse Orientierung können höchstens die Achsen geben, die sich etwa in Steve Neales Genre-Erkundungen implizit abzeichnen und die Rick Altman auf den Begriff gebracht hat. Zunächst auf den des semantic/syntactic approach: Danach verteilen sich die Merkmale, die vom Zusammenspiel eines Genrekontextes organisiert werden und im konkreten (Film-)Text wiederzufinden sind, auf zwei Gruppen. Einerseits gibt es innerhalb eines Genres ein Set von Bausteinen – bestimmten Figuren, Orten, Wert- oder Kamera-Einstellungen etc. –, andererseits bestimmte Möglichkeiten, sie zu einer Narration zu verknüpfen. Eine verbindliche Liste will aber auch Altman nicht aufstellen, auch er ist um einen historisch offenen Begriff bemüht.143 Stattdessen hat er den beiden ursprünglichen Achsen später eine dritte hinzugefügt, seinen Ansatz zum semantic/syntactic/pragmatic approach aufgestockt. Er unterstreicht damit die Beteiligung verschiedener sozialer Gruppen am Zustandekommen ei-

141 Cf. ibid., 35f.; Hickethier: Genretheorie und Genreanalyse, 64, 80; Neale: Genre and Hollywood, 219; Schneider: Genre und Gender, 94. 142 Cf. Neale: Genre and Hollywood, 233-238, 245-251; Altman: Film/Genre, 139-143; Langford: Film Genre, 17; Ryall: Genre and Hollywood, 109; Blaseio: Genre und Gender, 36; Tzvetan Todorov: Typologie du roman policier. In: Idem: Poétique de la prose. Paris 1971, 55-65, hier: 61; idem: L’origine des genres. In: Idem: Les genres du discours. Paris 1978, 44-60, hier: 45-47. 143 Cf. Altman: Film/Genre, 89f.; idem: A Semantic/Syntactic Approach to Film Genre. In: Robert Stam / Toby Miller (eds.): Film and Theory. An Anthology. Malden, Oxford 2000, 179-190, vor allem 183f.; Steve Neale: Genre. London 1987, 20f.

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nes Genres, das sich deshalb auch gegenüber deren Interessen und Konflikten nicht neutral verhält.144 So entfernt sich Altman wiederum von den konkreten Textmerkmalen, die bei einer genreorientierten Analyse in den Blick kommen können, er verschiebt die Aufmerksamkeit von konkreten Erzählungen zu ihren Kontexten. Dieser Bewegung kann man offenbar nicht ausweichen, wenn man erzählende Aussagen über eine außergewöhnliche Heldin in adäquater Weise untersuchen will. Zwar kann man einzelne Narrationen fokussieren, sie darauf hin untersuchen, welche Ereignisse aus dem Leben Jeanne d’Arcs sie in welcher Folge anordnen – also Genettes temps in den Blick nehmen. Man kann prüfen, wie sich die einzelnen Elemente und Segmente dieser Narrationen zu den üblichen Bausteinen und -prinzipien anderer Erzählungen verhalten. Aber genau genommen beginnt schon hier die Bewegung über die konkreten Texte hinaus in die Domäne der Regeln, Muster und Wahrscheinlichkeiten. Zweifellos ein ergiebiges Gebiet, wenn es darum geht, die Bedingungen für die Sagbarkeit der Heldin zu ergründen: Es wird darum gehen müssen, solche Zusammenhänge zu finden, die bestimmte Aussagen über Jeannes Taten oder Eigenschaften stützen, ihr einen Teil ihrer Unwahrscheinlichkeit nehmen. Zusammenhänge, die durchaus in Institutionen verankert und von Kämpfen durchzogen sein können. So allgemein diese Suchanweisungen sind: Was es heißt, Aussagen über Jeanne d’Arc als narrative zu untersuchen, hat sich damit weiter konkretisiert. In einer Art allerdings, die den récit weit über den Platz hinauswachsen lässt, den Foucault ihm in der Archéologie zuweist. Dort erscheint er als ein einfacher Strang von Aussagen in der Dimension des assoziierten Feldes. Doch wenn man sich die Vorzüge des Genre-Begriffs zu Nutze machen will, muss man die einzelne narrative Aussage in einen Kontext setzen, der sich praktisch über alle Felder des Diskurses erstreckt. Die Genre-Regeln, die eine konkrete Erzählung aktualisiert oder variiert, sind der Dimension der Möglichkeitsbedingungen, der lois de possibilité und règles d’existence zuzuordnen, also der des Referentials. Wenn es um die Interessen und Konflikte geht, die mit bestimmten Genres in Verbindung stehen, dann begibt man sich in den Einzugsbereich der diskursiven Strategien. Und falls Institutionen in den Blick geraten, die diese oder jene Wahrscheinlichkeiten absichern, stößt man bis in den Übergangsbereich zum Nichtdiskursiven vor. Den Bereich des Narrativen kann man sich insofern als jene Teilmenge der diskursiven Streuung vorstellen, die Aussagen über Ereignisse enthält. Sie hat weniger Elemente als der Diskurs im Allgemeinen, aber eine ähnliche Ausdehnung. 144 Cf. Altman: Film/Genre, 207f., 211.

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Indem sich die Analyse an einem Foucault’schen Diskursverständnis orientiert, kann sie nicht nur einer ahistorischen Fixierung von Geschlechtsidentitäten entgehen, sondern auch dem Umstand Rechnung tragen, dass von Jeanne d’Arc in aller Regel erzählt wird. Und gerade indem die konkreten Aussagen als narrative sichtbar werden, lassen sich wiederum Hinweise auf die Existenzbedingungen der aktiven Heldin sammeln, während die Untersuchung den diskursiven Verknüpfungen in ihre verschiedenen Dimensionen hinein folgt: ansetzend zunächst bei den Texten des 15. Jahrhunderts, hinein in deren Referential, ihr assoziiertes Feld, über die Subjektposition der Heldin bis zu ihren strategischen Verstrickungen; und dann, von den Filmen ausgehend, noch einmal über denselben Parcours.

B. Jeanne d’Arc als Heldin ihrer ZeitgenossInnen

Jean Chartier ist nicht nur Kantor der Abtei von Saint-Denis, sondern zeitweise auch der offizielle Chronist der französischen Krone. Es handelt sich zweifellos um äußerst ernsthafte Aussagen, wenn dieser Mann – irgendwann in der Mitte des 15. Jahrhunderts – in seiner Darstellung der Herrschaft von Charles VII über das Jahr 1429 schreibt: „En celluy temps, vint nouvelles qu’il y avoit une pucelles d’emprez Vaucoulour ès marches de Barrois, laquelle estoit eagée de vingt ans ou environ. Et dist par plusieurs foiz à ung nommé messire Robert de Baudricourt, capitaine dudit Vaucoulour, et à pluiseurs, qu’il estoit nécessité qu’ils l’amenassent devers le roy de France, et qu’elle lui feroit grant service en ses guerres; et par plusieurs foiz les en requist.“145

Chartier zögert nicht, die Behauptung der jungen Frau in sein Werk aufzunehmen: dass sie dem König einen großen Dienst erweisen wird – und zwar im Krieg. Chartier ist offensichtlich bereit, die Aussage für zulässig zu halten. Selbstverständlich ist das keineswegs. Der Chronist lässt gleich im Anschluss erkennen, dass man an der Sagbarkeit dieser Sätze Zweifel haben kann. Denn, so berichtet er, Baudricourt und seine Leute, die mit der Aussage des Mädchens als erste konfrontiert waren, maßen ihr keinerlei Bedeutung bei: „Et de ce ne se faisoient que rire et mocquer et repputaient ycelle Jehanne pour simple personne, et ne tenoient aucun compte de ses parolles.“146 Die Soldaten werfen der jungen Frau nicht etwa vor, sie erzähle Lügen. Nein: Ihre Aussage wird gar nicht erst zu der Prüfung, ob sie denn wahr sei, zugelassen. Auch in anderen Quellen des 15. Jahrhunderts zeigt sich diese Skepsis. Jeannes Anspruch, ihrem König zum Sieg zu verhelfen, wird von ihren Gesprächspartnern wahlweise als Spaß, Traum, Phantasie, Wahnsinn oder schlicht als lachhaft wahrgenommen.147 Und der Brief des Perceval de Boulainvilliers, eines Beraters von Charles VII, an den Herzog von Mailand 145 Q IV, 52. 146 Ibid. 147 Cf. ibid., 118, 205, 225, 326, 362; Jean-Baptiste-Joseph Ayroles (ed.): La vraie Jeanne d’Arc. Bd. III: La libératrice d’après les chroniques et les documents français et anglo-bourguignons, et la chronique inédite de Morosini. Paris 1897 (im Folgenden zit. als A III), 584, 629; idem: La vraie Jeanne d’Arc. Bd. IV: La vierge-guerrière d’après ses aveux, les témoins oculaires, la chrétienté, les poètes du temps, les registres publics et la libre pensée. Paris 1898 (im Folgenden zit. als A IV), 249f., 291.

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schreibt sogar Jeanne selbst Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit zu: Was gebe es Unsinnigeres, habe Jeanne gesagt, als ein Mädchen, das Frankreich retten wolle?148 Dass eine junge Frau entscheidend in den Krieg eingreifen könnte, ist im Frankreich des Spätmittelalters zweifellos eine fragwürdige Aussage. Wie kein anderes ist das Geschäft des Krieges ein männliches. Die zeitgenössischen Gelehrten sind sich einig, dass Frauen generell in öffentlichen Angelegenheiten nicht mitzureden haben – geschweige denn zu befehlen.149 Dennoch lässt Chartier die Aussage letztlich zu. Der König handele auf ihr Geheiß, schreibt er immer wieder: „par l’admonestement de Jehanne la Pucelle“.150 Chartier schildert, wie Jeanne die Kämpfer bei einer Belagerung anleitet.151 Andere Zeitgenossen finden noch deutlichere Worte. Jeanne habe Städte belagert oder befreit, Bollwerke gestürmt, Feinde unterworfen, heißt es ausdrücklich in diversen Chroniken, Briefen, Gedichten oder auch in den Akten des Prozesses, der Jeannes Verurteilung als Ketzerin aufhebt.152 Kurz, in den Worten des Dichters Martin Le Franc: „Ce fust elle qui recouvra / L’onneur des Franchois tellement / Que par raison elle en aura / Renom perpetuelement.“153 Wie können die Aussagen über die außergewöhnliche Aktivität einer Frau auftauchen? Das ist die Frage, auf die im Folgenden eine Antwort gesucht werden soll. Und zwar anhand der Quellen des 15. Jahrhunderts, wie sie die bewährten Editionen zur Verfügung stellen. Für die Akten des Prozesses, der zu Jeannes Tod führte, wird hier auf die Bände von Pierre Tisset und Yvonne Lanhers zurückgegriffen, für jene des Rehabilitationsprozesses auf die Edition von Pierre Duparc.154 Dokumente, die von den Prozessen unabhängig sind, werden nach der klassischen Edition von Quicherat zitiert, ergänzt um

148 Jean-Baptiste-Joseph Ayroles (ed.): La vraie Jeanne d’Arc. Bd. II: La paysanne et l’inspirée d’après ses aveux, les témoins oculaires et la libre pensée. Paris 1894 (im Folgenden zitiert als A II), 243. 149 Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 162-166; Shulamith Shahar: The Fourth Estate. A History of Women in the Middle Ages. London, New York 2003, 3, 11f. 150 Q IV, 74; cf. ibid., 64, 69, 75. 151 Cf. ibid., 75f. 152 Ibid., 9, 21, 322, 327, 364f., 492; A II, 244; A III, 586f.; Jules Quicherat: Procès de condamnation et de réhabilitation de Jeanne d’Arc. Bd. V. Paris 1849 (im Folgenden zit. als Q V), 7, 9, 347, 351; Pierre Duparc (ed.): Procès en nullité de la condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. III. Paris 1983 (im Folgenden zit. als D III), 53. 153 Q V, 44f. 154 Cf. Pierre Tisset / Yvonne Lanhers (eds.): Procès de condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. I-II. Paris 1960-1970; Pierre Duparc (ed.): Procès en nullité de la condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. I-IV. Paris 1977-1986.

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Materialien aus den Bänden von Ayroles und einschlägige Passagen aus dem Journal d’un bourgeois de Paris.155 Ausgehend von diesen Texten muss die diskursive Einbettung der Heldin in verschiedenen Richtungen erkundet werden: Nach dem assoziierten Feld mit verwandten Aussagen muss Ausschau gehalten werden und nach den Interessen und Konflikten, über die die Heldin mit übergreifenden Strategien in Verbindung steht. Ein genauer Blick auf die Position, auf der die Heldin erscheint, gibt eine Vorstellung von deren Möglichkeiten und Grenzen. Zunächst aber gilt die Aufmerksamkeit dem Referential der fraglichen Aussagen. Sätze von der Art „elle lui feroit grant service en ses guerres“ müssen betrachtet werden wie Foucaults beispielhafte Aussage über den Goldberg: „La montagne d’or est en Californie.“156 Beide Sätze haben ein Bezugsfeld, in dem sie als ernsthafte, potentiell zutreffende Aussagen gelten können. Man muss das passende Feld finden, um das Erscheinen der Aussagen begreiflich zu machen.

a. Referential Dem königlichen Statthalter Robert de Baudricourt ist, wie Chartier es schildert, die richtige Einordnung der Rede von der kämpfenden Jungfrau beim ersten Anlauf offenbar nicht gelungen. Chartier selbst hingegen hat die Beziehung zum richtigen Referential hergestellt, und er lässt auch durchblicken, um welchen Bereich diskursiver Möglichkeit es sich handelt. Denn in seiner Darstellung reagiert Jeanne auf kritische Fragen mit dem Verweis auf himmlische Mächte: „Et elle respondy qu’elle venoit pour mettre le roy en sa seignourie, et que Dieu ainsy le vouloit“.157 So ordnet die Jeanne des Jean Chartier ihre ungewöhnliche Aktivität in den Bereich religiöser Rede ein. Kaum ein zeitgenössischer Text, der von der Heldin berichtet, kommt ohne diese Verknüpfung aus. Jeanne sei von Gott geschickt oder inspiriert, liest man in

155 Cf. Jules Quicherat (ed.): Procès de condamnation et de réhabilitation de Jeanne d’Arc. Bd. III-V. Paris 1845-1849; Jean-Baptiste-Joseph Ayroles (ed.): La vraie Jeanne d’Arc. Bd. I-IV. Paris 1890-1898; Colette Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois de Paris de 1405-1449. Paris 1990. 156 Cf. supra, 42f. 157 Q IV, 53.

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geschäftlichen, juristischen, historischen Schriften.158 Mancher Zeitgenosse – ob Gelehrter, Kaufmann oder Fürst – wird noch expliziter: Wie eine Heilige bzw. als sainte pucelle werde Jeanne verehrt, ihre Taten würden als Wunder interpretiert.159 Nicht immer machen sich die Autoren diese Sicht zu Eigen; sie referieren sie unter Umständen als bloße Hypothese, als Meinung von Jeannes Anhängern oder machen sie ihr – so im Falle ihres Anklägers Jean d’Estivet – sogar zum Vorwurf. Aber in jedem Fall ist der Bezug zu einem bestimmten Feld diskursiver Möglichkeiten hergestellt, zu einem Bereich, in dem das Wirken Gottes offen zutage tritt, in dem es um göttlich inspirierte Menschen und ihre Taten geht. Auf einen Begriff gebracht: zum diskursiven Feld der Heiligenverehrung. Die Heiligenverehrung des Spätmittelalters lässt sich ohne große Mühe als eine konkrete Ausformung dessen lesen, was Foucault als Referential beschreibt. In der Heiligenverehrung interagieren Phänomene, wie sie in dieser Diskursdimension zu erwarten sind: Verhaltensweisen wie die Prozessionen oder Gebete der Gläubigen, Institutionen wie Bruderschaften oder die Kirche, Normen wie die christlichen Tugenden, Kategorien wie die Unterscheidung von Erscheinungen einerseits göttlichen, andererseits dämonischen Ursprungs, ökonomische Prozesse wie die Verarmung großer Bevölkerungsteile in Krisenzeiten. Das Zusammenspiel solcher Phänomene bestimmt die Möglichkeit neuer Heiliger. Auch Jeanne d’Arc findet hier ihre Möglichkeit. Das soll im Folgenden genauer gezeigt werden. Zunächst sollen einige konstituierende Elemente des Referentials beschrieben werden, wie die historische Forschung sie freigelegt hat. In einem zweiten Schritt soll es darum gehen, das Spektrum der möglichen Objekte, besonders der weiblichen Figuren, im Heiligenkult des Spätmittelalters zu umreißen. Damit beginnt gleichzeitig eine narrative Analyse: Die verschiedenen Typen der Heiligen bilden den Pool der wahrscheinlichen Objekte im Genre der hagiographischen Erzählung. Es bleibt dann der Aspekt der Ereignisse und ihrer Abfolge zu beleuchten, die Frage, mit welchen narrativen Verknüpfungen in diesem diskursiven Feld zu rechnen ist. Bei jedem Schritt sollen die Parallelen zwischen den allgemeinen Möglichkeitsregeln 158 Ibid., 236, 248, 251, 282, 304, 340, 432; A III, 578, 583; Pierre Duparc (ed.): Procès en nullité de la condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. IV. Paris 1986 (im Folgenden zit als D IV), 2. 159 A II, 245; A III, 209f., 583f., 630; D IV, 66, 78; Q IV, 34, 41, 189, 486; Q V, 6, 10, 90; Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 292; Jean-Baptiste-Joseph Ayroles (ed.): La vraie Jeanne d’Arc. Bd. I: La Pucelle devant l’Eglise de son temps. Documents nouveaux. Paris 1890 (im Folgenden zit. als A I), 64; Pierre Duparc (ed.): Procès en nullité de la condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. I. Paris 1977 (im Folgenden zit. als D I), 485; Pierre Tisset / Yvonne Lanhers (eds.): Procès de condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. I. Paris 1960 (im Folgenden zit. als T/L I), 427.

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und der konkreten Figur Jeanne d’Arc aufgezeigt werden. Es soll keineswegs behauptet werden, dass sie sich ausschließlich als Heilige interpretieren lässt. Aber es ist in erster Linie diese Interpretation, die Aussagen über die Heldin in den Augen ihrer ZeitgenossInnen zu einer potentiellen Wahrheit machen.

I.

Der Ort der Sagbarkeit

Spätmittelalterliche Heiligenverehrung Der christliche Glauben hat die Existenz der ZeitgenossInnen von Jeanne d’Arc gründlich durchdrungen – auch abseits der kulturellen Zentren. Die Dorfkirche und der Schall der Kirchenglocken geben der Heimat ein Zentrum und eine Ausdehnung. Die sonntägliche Messe und die Feiertage strukturieren die Zeit. Das Land ist von einem dichten institutionellen Netz aus Gemeinden und religiösen Gemeinschaften überzogen. Bettelmönche predigen auch in abgelegenen Gegenden. So kommt praktisch jedermann in Kontakt zur christlichen Lehre, jeder ist angehalten, seinen Glauben zu praktizieren. Einige christliche Grundsätze, Anekdoten, Allegorien erreichen umfassende Verbreitung.160 Die Verehrung für die Heiligen, die im Spätmittelalter ihren Höhepunkt erreicht, nimmt in diesem Netz aus kirchlich kontrollierten Praktiken und Institutionen einen zentralen Platz ein. Für die einfachen Priester sind die Heiligenlegenden, die sie in den praktischen, knappen Darstellungen der dominikanischen Hagiographen des 13. Jahrhunderts nachlesen können, wichtiges Material für die Sonntagspredigt. In der Liturgie der Messe sind die Heiligen fest verankert. Altäre sind ihnen geweiht, Bruderschaften oder Kirchen ihrem Schutz anempfohlen. In Kathedralen, Kirchen und Kapellen werden die Reliquien aufbewahrt, die zum Ziel von Wallfahrten und Prozessionen werden können.161 160 Cf. Francis Rapp: L’Eglise et la vie religieuse en Occident à la fin du Moyen Age. Paris 21980, 122-132; idem: Jeanne d’Arc. Témoin de la vie religieuse en France au XVe siècle. In: Régine Pernoud (ed.): Jeanne d’Arc. Une époque, un rayonnement. Colloque d’histoire médiévale Orléans – Octobre 1979. Paris 1982, 169-179, hier: 171, 174f.; Ninna Jørgensen: Learning the Basic Words. Religious Instruction in the Late Middle Ages. In: Jan Helldén / Minna Skafte Jensen / Thomas Pettitt (eds.): Inclinate Aurem. Oral Perspectives on Early European Verbal Culture. A Symposium. Odense 2001, 129-143, hier: 133f. 161 Cf. Tanz: Jeanne d’Arc, 102-104; idem / Ernst Werner: Spätmittelalterliche Laienmentalitäten im Spiegel von Visionen, Offenbarungen und Prophezeiungen. Frankfurt a.M. et al. 1993, 163-167; André Vauchez: La sainteté en Occident aux derniers siècles du Moyen Age d’après les procès de canonisation et les documents hagiographiques. Rom 1981, 1; Thomas J. Heffernan: Sacred Biography. Saints and their Biographers in the Middles Ages. New York,

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Aber die Heiligenverehrung folgt nicht nur den Regeln der Evangelisation und der Institutionen. Sie wurzelt auch in Glaubenspraktiken, die sich zu einem guten Teil unabhängig von kirchlicher Kontrolle entwickeln. Die Vorlieben der Gläubigen für bestimmte Heilige, die Präferenz für bestimmte Wallfahrtsorte oder bestimmte Namenspatrone bei der Taufe der Neugeborenen werden nicht von Predigten oder Kalendarien festgelegt. Auch der Austausch von Informationen über Heilige geschieht oft außerhalb kirchlicher Kontexte. So werden die Kinder zunächst von ihren Eltern mit Grundlagen des christlichen Glaubens und auch mit Geschichten von Heiligen bekannt gemacht. Besonders jene Minderheit der Gläubigen, die lesen kann, kann sich unabhängig von den Riten der Kirche informieren: Ihnen stehen die zahlreichen Schriften mit Heiligenlegenden zur Verfügung, die im 15. Jahrhundert vielfach in der Landessprache verfasst sind. Diese Werke erfreuen sich enormer Popularität, gehören zu den meistkopierten überhaupt. Ebenfalls in hohen Auflagen zirkulieren die Niederschriften der Visionen und Eingebungen prominenter Prophetenfiguren.162 Unter den privilegierten Gläubigen gibt es auch jene, die selbst über Reliquien verfügen und somit über ein greifbares Pfand für überirdischen Beistand. Andere besitzen Münzen, Holzschnitte oder andere bildliche Darstellungen einer verehrten Figur, die im Spätmittelalter in zunehmendem Maße eine ähnliche Rolle wie Reliquien spielen können.163 Aber auch der Gläubige ohne überdurchschnittliches Wissen oder Vermögen kann eine aktive Rolle im Heiligenkult spielen. Denn die Legenden entwickeln sich nicht zuletzt durch mündliche Überlieferung. Nachrichten über wundersame Taten und Geschehnisse werden von wandernden Handwerkern, von Pilgern und Händlern weitergetragen. In der oralen Kultur lokaler Gemeinschaften Oxford 1988, 258f.; Joachim Köhler: Die mittelalterliche Legende als Medium christlicher Verkündigung. In: Peter Dinzelbacher / Dieter R. Bauer (eds.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart. Ostfildern 1990, 175-200, hier: 179. 162 Cf. Rapp: Jeanne d’Arc, 171f.; Etienne Delaruelle / E.-R. Labande / Paul Ourliac: L’Eglise au temps du Grand Schisme et de la crise conciliaire, 1378-1449. Paris 1964, 703f.; Aaron J. Gurjewitsch: Das Weltbild des mittlelaterlichen Menschen. München 41989, 9; André Vauchez: Les pouvoirs informels dans l’Eglise aux derniers siècles du Moyen Age. Premier Bilan. In: Mélanges de l’Ecole Française de Rome 98 (1986), 7-11, hier: 7f.; Peter Dinzelbacher: La littérature des révélations au Moyen Age. Un document historique. In: Revue historique 275 (1. Halbjahr 1986), 289-305, hier: 289f. 163 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 522-527; idem: Saints, prophètes et visionnaires. Le pouvoir surnaturel au Moyen Age. Paris 1999, 79-82; Rapp: L’Eglise et la vie religieuse, 140f.; Jacques Cordier: Jeanne d’Arc. Ihre Persönlichkeit – Ihre historische Bedeutung. Wiesbaden 1966, 27-29; Heidelinde Dimt: Heiligenverehrung auf Münzen und Medaillen. In: Peter Dinzelbacher / Dieter R. Bauer (eds.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart. Ostfildern 1990, 201-244, hier: 201-216.

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entstehen eigene Versionen von Heiligenlegenden. Schließlich wenden die Gläubigen sich auch ganz direkt an heilige Personen: Jene, die den Ruf der Heiligkeit schon zu Lebzeiten erwerben, werden mitunter von AnhängerInnen bedrängt, die eine Berührung oder einen Segen erhaschen wollen.164 Was im Diskurs der Heiligenverehrung möglich ist, entscheidet sich in großem Maße im Zusammenspiel zwischen solchen Glaubenspraktiken und den kirchlichen Institutionen oder Riten. Wobei die verschiedenen Ebenen innerhalb der kirchlichen Hierarchien keineswegs nach denselben Regeln funktionieren. Die päpstliche Kurie bemüht sich, die Vervielfältigung heiliger Gestalten und die Begeisterung der Hagiographen für spektakuläre Wundergeschichten zu bremsen. Eine offizielle Kanonisierung wird zwischen 1269 und 1431 – Jeanne d’Arcs Todesjahr – lediglich zwölf Heiligen zuteil. Die besten Chancen auf päpstliche Anerkennung haben Angehörige dienstfertiger Dynastien und Orden oder auch Heilige, die den Gläubigen ein Modell devoter Frömmigkeit sein können.165 Bischöfe hingegen unterstützen oft die Verehrung von Heiligen aus ihrem Wirkungsbereich. Der einfache Klerus schließlich teilt in vielen Fällen die Vorliebe der Gläubigen für lokale Gestalten, die weniger als fromme Vorbilder denn als effiziente Wundertäter verehrt werden.166 So entstehen verschiedene Formen der Verehrung. Manche wundertätige Person wird schon zu Lebzeiten von ihrer Umgebung als heilig betrachtet. Und zahlreiche Gestalten werden dann nach ihrem frommen Ableben als Beati verehrt – mit Duldung oder Unterstützung der Priester oder Bischöfe, die es mit der Unterscheidung zwischen Kanonisierten und anderen oft nicht so genau nehmen. Es gibt also einen breiten Bereich von Glaubenspraktiken, die man als Heiligenverehrung beschreiben kann, obwohl sie über den offiziellen Kult für die vergleichsweise geringe Zahl der Sancti deutlich hinausgehen. In jedem Fall aber ist ein Heiliger auf Unterstützung sowohl durch den Klerus als auch durch die Gläubigen angewiesen, um sich auf Dauer durchzusetzen. Ohne die Institutionen der Orden und der Kirche kann sich ein Kult kaum

164 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 519-521; Elizabeth Nightlinger: The Female Imitatio Christi and Medieval Popular Religion. The Case of St. Wilgefortis. In: Bonnie Wheeler (ed.): Representations of the Feminine in the Middle Ages. Dallas 1993, 291-328, hier: 317-321. 165 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 40f., 71-98. 166 Cf. ibid., 105-107; Rapp: L’Eglise et la vie religieuse, 151; Peter Dinzelbacher: Heiligkeit als historische Variable. Zur Einleitung. In: Idem / Dieter R. Bauer (eds.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart. Ostfildern 1990, 10-17, hier: 14.

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verfestigen, und ohne die Devotion lokaler AnhängerInnen kann kein Kandidat für die Kanonisierung Erfolg haben.167 Mit den bislang genannten Elementen, zwischen denen sich das Referential aufspannt, interagieren zudem noch historische Prozesse. Zum einen etwa die Krise der kirchlichen Institutionen, die ihren deutlichsten Ausdruck im Schisma zwischen 1378 und 1417 findet. Die Desorientierung der Gläubigen und das Machtvakuum innerhalb der Kirche ermöglichen das vermehrte Auftreten von ProphetInnen und MystikerInnen. In ihren Konkurrenzkämpfen stützen sich die Päpste und auch die Bettelorden gerne auf jene Erleuchteten, deren Prophezeiungen den jeweils eigenen Anspruch auf Legitimität und Orthodoxie bestätigen. Zum anderen lassen die Auswirkungen des Hundertjährigen Krieges im Frankreich des frühen 15. Jahrhunderts die Hoffnung sprießen, eine göttliche Intervention möge der Situation ein Ende bereiten. Angesichts der Plünderungen, der Zerstörungen, der Lebensmittelknappheit ist die Bereitschaft, an göttliche Zeichen und wundertätige Menschen zu glauben, besonders groß.168 Verbindungen der Heldin zur Heiligenverehrung Gerade in dem Moment, als die Nachrichten über Jeanne die Runde machen, warten manche ZeitgenossInnen besonders ungeduldig auf ein Wunder. In Orléans ist die Lage verzweifelt, nachdem die Armee von Charles VII die Heringsschlacht verloren hat.169 Man habe sich in solcher Gefahr befunden, sagt ein Bürger von Orléans während Jeannes Rehabilitationsprozess, dass Hilfe nur von Gott habe kommen können.170 Als dann Gerüchte aufkommen, ein Mädchen wolle die Stadt befreien, sendet Jean, der Bastard von Orléans, gleich Kundschafter aus. Mit Begierde lauscht man den Berichten von Jeanne, mit denen die Boten nach Orléans zurückkehren.171 Und als die junge Frau leibhaftig eintrifft, entwickelt sich geradezu Euphorie unter den BewohnerInnen:

167 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 43f., 98, 110-117, 166; Delaruelle / Labande / Ourliac: L’Eglise au temps du Grand Schisme, 789f.; Peter Dinzelbacher: Heilige oder Hexen? Schicksale auffälliger Frauen in Mittelalter und Frühneuzeit. Zürich 1995, 119-121. 168 Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 92; Dinzelbacher: Heilige oder Hexen?, 114f.; Tanz / Werner: Spätmittelalterliche Laienmentalitäten, 131; André Vauchez: Les pouvoirs informels dans l’Eglise aux derniers siècles du Moyen Age. Visionnaires, prophètes et mystiques. In: Mélanges de l’Ecole Française de Rome 96 (1984), 281-293, hier: 283; André Latreille / Etienne Delaruelle / J.-R. Palanque: Histoire du Catholicisme en France sous les rois très chrétiens. Paris 1963, 124-126. 169 Cf. Régine Pernoud / Marie-Véronique Clin: Jeanne d’Arc. Paris 1986, 19-25. 170 D IV, 16. 171 Cf. ibid., 2f.

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„faisans autel joye comme se ilz veissent Dieu descendre entre eulx, et non sans cause, car ilz avoient plusieurs ennuys, travaux et peines, et qui pis est grant doubte de non estre secouruz, et perdre tous corps et biens.“172

Aber nicht nur in Orléans kann sich die Rede von der gottgesandten Heldin auf die besondere Not stützen. Generell leiten Chroniken oder auch Gedichte Aussagen über Jeanne gerne mit einem Verweis auf die grant pitié im Königreich ein.173 Und einmal wird Jeannes Auftauchen auch mit der Krise des Papsttums in Verbindung gebracht: Der Graf von Armagnac bittet Jeanne in einem Brief, sie solle ihm bedeuten, welchem Papst er zu folgen habe. Ganz selbstverständlich erwartet er von ihr, dass sie sich – wie zuvor viele ProphetInnen – dieses Problems annimmt.174 Die allgemeine Krise macht die Figur der Heldin selbst in den Augen jener Geistlichen akzeptabel, die Jeanne im Auftrag von Charles einer Prüfung unterziehen. Das lässt sich einerseits Zeugenaussagen im Rehabilitationsprozess entnehmen, anderseits aber auch den Worten, mit denen die Prüfungskommission ihr abschließendes Urteil einleitet: „Le roy, attendue nécessité de luy et de son royaulme, et considéré les continues prières de son povre peuple envers Dieu et tous autres amans paix et justice, ne doit point deboutter ne déjetter la Pucelle“.175

Die Theologen, Kanoniker und Mönche, die Jeanne prüfen, können in ihrer Rede und in ihrem Verhalten nichts Böses entdecken. Sie wollen ihr die Chance geben, ihr privilegiertes Verhältnis zu den himmlischen Mächten unter Beweis zu stellen. Damit machen sich die Vertreter der Kirche die Aussage, Jeanne komme von Gott, keineswegs zu eigen, aber sie dulden sie. Somit kann sich die Geschichte der Heldin ungehindert in dem breiten Bereich der populären Verehrung entfalten. Ohnehin entwickelt sich schon zu diesem Zeitpunkt der Kult um Jeanne. Ein Zeuge des Rehabilitationsprozesses berichtet, die Menschen hätten sich an die junge Frau herangedrängt und ihre Hände und Füße geküsst, als sie in eine kleine Stadt in der Touraine eingeritten sei – kaum anders als es schon die AnhängerInnen des als heilig verehrten Erzbischofs Philippe Berruyer im 13.

172 Q IV, 153. 173 Cf. ibid., 38, 322; Q V, 4-9; A I, 55; A IV, 280; Warner: Joan of Arc, 33-42. 174 Cf. T/L I, 81 sowie zu verschiedenen Papstprophezeiungen Tanz / Werner: Spätmittelalterliche Laienmentalitäten, 187f.; Vauchez: Pouvoirs informels. Visionnaires, prophètes et mystiques, 285f.; Anne Llewellyn Barstow: Joan of Arc. Heretic, Mystic, Shaman. Lewiston, Queenston, Lampeter 1986, 62-64. 175 A I, 685; cf. D IV, 58, 71.

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Jahrhundert taten.176 In Orléans drückt die Menge beinahe die Tür des Hauses ein, in dem Jeanne untergebracht ist. Immer wieder will man ihre Hände, ihre Ringe berühren, ihre Kleidung küssen. Die Leute bringen Rosenkränze, damit Jeanne sie durch ihre Hand gehen lasse. In verschiedenen Städten wird sie Taufpatin. Mindestens zwei Bilder werden von ihr angefertigt.177 Und man mag es als die Entstehung einer Reliquie interpretieren, wenn Jeanne nach ihren Heldentaten ihrem eigenen Paten Jean Morel das Kleid überlässt, in dem sie ihr Elternhaus verlassen hat.178 Dasselbe ließe sich über Jeannes Rüstung sagen, die eine Zeit lang dicht bei den Überresten von Saint Denis aufbewahrt wird.179 Nur eines ist in diesem Fall anders: Die Verehrung findet hier Eingang in eine kirchliche Institution. Wie auch in anderen Fällen: An verschiedenen Orten betet man im Rahmen der Messe oder einer Prozession für den Erfolg von Jeannes Mission bzw. – nach der Gefangennahme der Heldin – für ihre Befreiung. Der Erzbischof von Embrun will überall solche Gebete anordnen lassen, als er erfährt, dass Jeanne in die Hände der Feinde geraten ist.180 So entwickelt sich die Rede über Jeanne im Zusammenspiel von Laiendevotion sowie kirchlichen Riten und Institutionen. Und auch in die erwähnten medialen Praktiken der Heiligenverehrung ist die Figur der Heldin eingebunden. Zunächst in die Zirkulation von Gerüchten: Zwei wandernde Kesselhändler tragen die Nachricht von Jeannes Auftauchen bei Baudricourt und Charles nach Rouen. Dann ist Jeanne Gegenstand zumindest einer Predigt des populären Wanderpredigers Richard, eines Franziskaners. Und die Briefe, die Jeanne an ihre Feinde schickt, lassen sich als prophetische Schriften interpretieren. Denn sie verkündet den Engländern und ihren Verbündeten mit deutlichen bis apokalyptischen Worten, was geschehen wird, wenn sie sich ihr, Jeanne, und dem Willen Gottes widersetzen.181 Allerdings wächst die Rede von der aktiven Heldin über die typischen Bereiche der Heiligenverehrung hinaus. Die eingangs zitierten Quellen zeigten das bereits: Von Jeanne berichten auch dynastische Chroniken oder die Korrespondenz von Händlern. Und selbst aus Schnee werden Abbilder der Hel176 177 178 179

D IV, 59; cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 521. Cf. Q IV, 155; Q V, 270; T/L I, 98-101; D IV, 61. Cf. Edward Lucie-Smith: Joan of Arc. London 1976, 158. Cf. T/L I, 170f.; Philippe Contamine: Naissance d’une historiographie. Le souvenir de Jeanne d’Arc, en France et hors de France, depuis le «Procès de son innocence» (1455-1456) jusqu’au début du XVIe siècle. In: Francia 15 (1987), 233-256, hier: 251. 180 Cf. Q V, 104f., 164f., 253f.; Pierre Tisset / Yvonne Lanhers (eds.): Procès de condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. II. Paris 1970 (im Folgenden zit. als T/L II), 95f., Fn. 3. 181 Cf. D IV, 141, 146f.; A III, 210; Q V, 127; T/L I, 221f.; Frances Gies: Joan of Arc. The Legend and the Reality. New York et al. 1981, 44.

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din geformt.182 Durch die öffentliche, politische, militärische Rolle der Heldin lösen sich Aussagen über ihre Taten von dem skizzierten Referential. Aber hier liegt doch der primäre Ort, an dem die Heldin ins Sagbare eintreten kann: im Zusammenspiel von kirchlichen Institutionen und Riten, populären Praktiken der Heiligenverehrung und krisenhaften Entwicklungen im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert.

II. Mögliche Diskursobjekte Modelle der Heiligkeit Der mittelalterliche Mensch ist vielerlei Gefahren ausgesetzt. Deswegen können sich die Gläubigen glücklich schätzen, dass sie auf überirdischen Beistand hoffen können. Ihnen steht sogar ein ganz besonders effizienter Beschützer bei: ein allmächtiger Gott. Den man aber natürlich mit Ehrfurcht behandeln und nicht leichtfertig anrufen sollte. Im Zweifel wendet man sich besser an seine treuesten Gefolgsleute: an die Heiligen. Sie bieten sich als VermittlerInnen an, denn sie stehen mit beiden Welten in Verbindung: mit der der Gläubigen und der ihres Gottes. André Vauchez schreibt: „la caractéristique essentielle du saint – ou de la sainte – est en effet d’être à la fois totallement différent et extrêmement proche de l’homme.“183 Einerseits kann man sich die Heiligen als konkrete Menschen aus Fleisch und Blut vorstellen, die mit Problemen und Versuchungen zu kämpfen haben, wie sie ähnlich auch den durchschnittlichen Gläubigen vertraut sind. Andererseits vollbringen sie das Unglaubliche und lassen das sündige Leben hinter sich.184 Diese Andersartigkeit der Heiligen kann auf unterschiedliche Weise zu Tage treten. In den ersten Jahrhunderten des Christentums zeichnen sich seine HeldInnen oft dadurch aus, dass sie sich mutig den Feinden der verfolgten Religion entgegenstellen und dabei ihr Leben lassen. Zwar gibt es auch in dieser Epoche heilige Apostel, Missionare oder Propheten, aber der Märtyrer lässt sich als der wichtigste Typ des frühen christlichen Helden herausstellen. Oder auch die Märtyrerin: Neben der Mehrheit der männlichen Heiligen gibt 182 Cf. Jan van Herwaarden: The Appearance of Joan of Arc. In: Idem (ed.): Joan of Arc. Reality and Myth. Hilversum 1994, 19-74, hier: 23. 183 Vauchez: Saints, prophètes et visionnaires, 19. 184 Cf. Aaron J. Gurjewitsch: Mittelalterliche Volkskultur. München 1987, 73; Donald Weinstein / Rudolph M. Bell: Saints and Society. The Two Worlds of Western Christendom, 1000-1700. Chicago, London 1982, 5; Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. Hg. v. Kurt Köster. Stuttgart 1987, 194.

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es durchaus Frauen, die sich furchtlos den Zumutungen heidnischer Väter, Verehrer oder Machthaber aussetzen. Sie zeichnen sich mitunter durch unerschrockene Widerworte, durch Kampfkraft und Durchsetzungsfähigkeit aus.185 So zum Beispiel die heilige Margaretha von Antiochia: Der bekanntesten Version ihrer Legende zufolge können weder grausame Schläge noch Gefangenschaft sie zur Heirat mit dem römischen Präfekten bewegen; sie überwindet einen Teufel und einen Drachen; sie durchleidet grausame Foltern, bevor sie den Tod der Märtyrerin stirbt.186 Noch eine andere bemerkenswerte Verhaltensweise wird der heiligen Margaretha manchmal zugeschrieben: dass sie Männerkleider getragen habe. Einige Darstellungen identifizieren Margaretha mit der heiligen Pelagia, die in Männerkleidern Antiochia verlässt und ein Leben als Einsiedler aufnimmt. In anderen Versionen heißt es, Margaretha habe als Mönch in einem Männerkloster gelebt.187 Dieses cross-dressing ist bei frühchristlichen bzw. frühmittelalterlichen Heiligen keine Seltenheit. Immer wieder ist die Rede von Frauen, die männliche Kleider anlegen und ihre Haare abschneiden, um ein tugendhaftes Leben als Mönche oder Eremiten zu führen. Andere greifen vorübergehend auf solche Verkleidungen zurück, um Verfolgern zu entkommen.188 In der Regel gelingt das. Der Märtyrertod, als letztes Mittel zur Bewahrung der eigenen Reinheit, bleibt den heiligen Transvestitinnen erspart. Insofern können sie dem umfassenderen Typus der heiligen Jungfrau zugeordnet werden, die ab dem frühen Mittelalter die Märtyrerin als wichtigstes Modell weib185 Cf. Weinstein / Bell: Saints and Society, 160; Wolfgang Speyer: Die Verehrung des Heroen, des göttlichen Menschen und des christlichen Heiligen. In: Peter Dinzelbacher / Dieter R. Bauer (eds.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart. Ostfildern 1990, 48-66, hier: 54; Claudia Opitz: Evatöchter und Bräute Christi. Weiblicher Lebenszusammenhang und Frauenkultur im Mittelalter. Weinheim 1990, 87f.; Robert Mills: Can the Virgin Martyr Speak? In: Anke Bernau / Ruth Evans / Sarah Salih (eds.): Medieval Virginities. Toronto, Buffalo 2003, 187-213, hier: 192f.; Monika Rener: Jungfrau, Ehefrau, Witwe. Möglichkeiten und Grenzen weiblicher Heiligkeit im Mittelalter. In: Christa Bertelsmeier-Kierst (ed.): Zwischen Vernunft und Gefühl. Weibliche Religiosität von der Antike bis heute. Frankfurt a.M. et al. 2010, 91-118, hier: 103. 186 Cf. Jacques de Voragine: La Légende Dorée. Edition critique, dans la révision de 1476 par Jean Batailler, d’après la traduction de Jean de Vignay (1333-1348) de la Legenda aurea (c.1261-1266) publiée par Brenda Dunn-Lardeau. Paris 1997, 606-608. 187 Cf. ibid., 963-965, 967f.; van Herwaarden: Appearance of Joan of Arc, 37. 188 Cf. Léon Clugnet (ed.): Vie de Sainte Marine. In: Revue de l’Orient Chrétien 8 (1903), 288311, hier: 290; Raymond T. Hill: La Vie de Sainte Euphrosine. In: The Romanic Review 10 (1919), 159-169 und 191-232, hier: 203; Marie Delcourt: Le complexe de Diane dans l’hagiographie chrétienne. In: Revue de l’histoire des religions 77 (1958), 1-33, hier: 2-7; Vern L. Bullough: Transvestites in the Middle Ages. In: American Journal of Sociology 79 (1974), 1381-1394, hier: 1384-1387.

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licher Heiligkeit ablöst. Beide kämpfen vor allem um ihre Keuschheit, aber anders als ihre Vorgängerin muss die Jungfrau dabei nicht mehr ihr Leben einsetzen.189 Zwischen der Entstehung dieser Heldinnentypen und dem Auftauchen von Jeanne d’Arc liegt rund ein Jahrtausend. Für die diskursiven Möglichkeiten im 15. Jahrhundert sind die frühen christlichen Heldinnen dennoch von Belang. Denn Hagiographie, mündliche Überlieferung und auch Heilige selbst legitimieren sich oft durch den Bezug auf etablierte Modelle.190 Zwar ist die Rede über die Heiligen in Bewegung: Verschiedene Figuren werden zu einer verschmolzen, eine Geschichte in diverse Versionen aufgespaltet; Anleihen bei anderen Genres – etwa dem Ritterepos – erweitern die verfügbaren Motive; vertraute Muster werden an historische Bedingungen angepasst. Aber letztlich werden sie doch fortgeschrieben.191 So sind einige der frühen weiblichen Heiligen noch im 14. und 15. Jahrhundert oft Gegenstand von Predigten, bildlichen Darstellungen, hagiographischer, aber auch weltlicher Literatur. Eine Märtyrerin, nämlich die heilige Katharina von Alexandrien, ist die wichtigste weibliche Mittlerfigur nach der Jungfrau Maria. Martyrien und cross-dressing entsprechen dem weitverbreiteten Gefallen an spektakulären Geschichten, das auch päpstliche Anstrengungen nicht beseitigen können. Die dominikanischen Hagiographen geben dem populären Verlangen nach, indem sie die entsprechenden Legenden in ihre Sammlungen aufnehmen.192 Allerdings kennt die Heiligenverehrung im späten Mittelalter neben den gestandenen HeldInnen auch neuere Figuren. Schließlich muss die Schar der Heiligen nicht nur ein Bedürfnis nach abenteuerlichen Geschichten erfüllen, 189 Cf. Heffernan: Sacred Biography, 249-253; Opitz: Evatöchter und Bräute Christi, 88. 190 Cf. Dinzelbacher: Heilige oder Hexen, 104-107; Heffernan: Sacred Biography, 20; Brigitte Cazelles: The Lady as Saint. A Collection of French Hagiographic Romances of the Thirteenth Century. Philadelphia 1991, 31; Clarissa W. Atkinson: «Precious Balsam in a Fragile Glass». The Ideology of Virginity in the Later Middle Ages. In: Journal of Family History 8 (1983), 131-143, hier: 140. 191 Cf. Cazelles: The Lady as Saint, 8, 17f., 31f.; Gurjewitsch: Mittelalterliche Volkskultur, 84; František Graus: Mittelalterliche Heiligenverehrung als sozialgeschichtliches Phänomen. In: Peter Dinzelbacher / Dieter R. Bauer (eds.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart. Ostfildern 1990, 86-102, hier: 91-93. 192 Cf. Vauchez: Saints, prophètes et visionnaires, 63-65; Atkinson: «Precious Balsam», 137; van Herwaarden: Appearance of Joan of Arc, 37; Valerie R. Hotchkiss: Clothes Make the Man. Female Crossdressing in Medieval Europe. New York, London 1996, 13, 15; Kerstin Losert: Kleider machen Männer. Mittelalterliche Geschlechterkonstruktion und die Legende der Hildegund von Schönau. In: Invertito 3 (2001), 69-93, hier: 76f. Cf. auch abgesehen von den bereits zitierten Beispielen die Legenden der heiligen Theodora, der heiligen Marina und einer Jungfrau aus Antiochia in Voragine: Légende Dorée, 543f., 601-605, 442-448.

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sondern auch den Kontakt zur Welt der Gläubigen halten. Die Praxis der Heiligenverehrung bringt neue Objekte hervor, die eindeutig in der vertrauten Welt des späten Mittelalters verortet sind. Sie lassen sich zum Großteil zwei Typen zuordnen: dem nordeuropäischen Typus des geistlichen oder weltlichen Würdenträgers, der die Leiden eines harten Schicksals getragen hat, oder dem mediterranen Typus des weltabgewandten Wundertäters eher bescheidener Herkunft. In Frankreich sind beide nebeneinander anzutreffen.193 Gleichzeitig allerdings bildet sich erstmals eine spezifisch weibliche Heiligenfigur heraus: Ab dem 13. Jahrhundert erobert sich die prophetisch begabte Mystikerin einen Platz in der Heiligenverehrung. Die neuen heiligen Frauen zeichnen sich oft durch sehr deutliche Merkmale aus: Sie fallen in Trance, schweben dabei in der Luft, sie vergießen Ströme von Tränen oder tragen Stigmata. Wie schon Heilige früherer Zeiten bewirken sie wundersame Heilungen. Wobei jedoch von manchen Mystikerinnen berichtet wird, ihnen selbst seien solche übernatürlichen Kräfte unangenehm. Wichtiger als spektakuläre Wunder sind für den Typus der Mystikerin die prophetischen Gaben.194 Die neuen heiligen Frauen empfangen Offenbarungen, sie haben Erscheinungen, hören Stimmen und begegnen himmlischen Boten. Sie erfahren Gottes Willen und sagen zukünftige Geschehnisse voraus. Sie wissen, was in weiter Ferne oder auch in den Herzen ihrer Mitmenschen vorgeht. Oft geben sie ihr Wissen in Briefen oder anderen prophetischen Schriften weiter. Ihre prophetische Rede mischt religiöse und politische Themen. Das gilt bereits für die Pionierinnen des spätmittelalterlichen Prophetismus: Katharina von Siena und Birgitta von Schweden sorgen sich um die Lage des Papsttums, geben aber auch Stellungnahmen zur Befriedung Italiens bzw. zur Legitimität der schwedischen Herrscher ab; Birgitta entwickelt einen Plan zur Beendung des Hundertjährigen Krieges.195 Das Modell der Mystikerin ist äußerst erfolgreich. So erfolgreich, dass Frauen in der Heiligenverehrung eine größere Rolle spielen als je zuvor: Im frühen 15. Jahrhundert nähert sich der Anteil der Frauen unter den neuen Heiligen der 30-Prozent-Marke, er liegt damit fast dreimal so hoch wie im

193 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 122, 152-156, 185-203, 215-230; Delaruelle / Labande / Ourliac: L’Eglise au temps du Grand Schisme, 788; Weinstein / Bell: Saints and Society, 182. 194 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 555f.; idem: Saints, prophètes et visionnaires, 13-15; Dinzelbacher: Heilige oder Hexen, 103f., 108; idem: Mittelalterliche Frauenmystik. Paderborn et al. 1993, 21f.; Ernst Benz: Die Vision. Erfahrungsformen und Bilderwelt. Stuttgart 1969, 217-222. 195 Cf. Dinzelbacher: Heilige oder Hexen, 104; idem: Mittelalterliche Frauenmystik, 18, 269271; Benz: Die Vision, 131f., 186-209; Vauchez: Jeanne d’Arc, 160f.

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11. Jahrhundert.196 Nie zuvor in der Geschichte des Christentums war es so plausibel, von frommen Frauen mit übermenschlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zu sprechen. Das zeigt sich auch darin, dass Prophetinnen von den Mächtigen des späten Mittelalters gehört werden. Am französischen Hof ist man für Visionen aufgeschlossen; in einigen Fällen fragen die Könige heilige Frauen ausdrücklich um Rat. Im Jahr 1413 ruft die Universität von Paris von sich aus all jene mit einer prophetischen Gabe dazu auf, an der Rettung des französischen Reiches mitzuwirken.197 Die Heldin als Mischform der Modelle 16 Jahre später taucht jene Gestalt auf, die die Engländer besiegen und Charles VII zu seiner Krönung nach Reims führen will. Jeanne ist zweifellos eine außergewöhnliche Figur, aber als Heldin ihrer ZeitgenossInnen lässt sie sich doch in das Spektrum der Objekte der spätmittelalterlichen Heiligenverehrung einordnen. Der sogenannte bourgeois de Paris etwa stellt sie in eine Reihe mit anderen heiligen Frauen des Spätmittelalters, indem er sie in seinem Journal unmissverständlich als – vorgebliche – Prophetin identifiziert: „Item en celui temps avait une Pucelle, comme on disait, sur la rivière de Loire, qui se disait prophète, et disait: «Telle chose adviendra pour vrai.»“198 Dieser Einordnung scheint keineswegs entgegenzustehen, dass Jeannes zentrale Botschaft – durch sie werde Orléans befreit, der König gekrönt, der Feind verjagt, kurz: das Reich aufgerichtet – eine äußerst weltliche ist.199 Die Chronisten zögern nicht, auch konkrete militärische Voraussagen als „prophécie“ zu bezeichnen: dass etwa ein gegnerischer Kommandant einen unblutigen Tod sterben oder eine Befestigung zu einem bestimmten Zeitpunkt fallen werde.200 Gleichzeitig haben manche Darstellungen die Tendenz, Jeanne doch jene charakteristische Mischung aus religiösen und weltlichen Anliegen zuzuschreiben. Bei dem dominikanischen Chronisten Hermann Cornerius enthält Jeannes Botschaft an Charles eine eindeutig religiöse Mahnung: Er müsse sein 196 Cf. Weinstein / Bell: Saints and Society, 220f.; Vauchez: Sainteté en Occident, 316f.; Tanz / Werner: Spätmittelalterliche Laienmentalitäten, 246; Caroline Walker Bynum: Jesus as Mother. Studies in the Spirituality of the High Middle Ages. Berkeley, Los Angeles, London 1982, 137; Sandy Bardsley: Women’s Roles in the Middle Ages. Westport, London 2007, 39f. 197 Cf. Warner: Joan of Arc, 83-85; Beaune: Jeanne d’Arc, 86f., 91f.; Barstow: Joan of Arc, 61-64; Huizinga: Herbst des Mittelalters, 219f. 198 Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 257. Cf. auch die Kennzeichnung von Jeanne als Prophetin in Niders Formicarium: A IV, 284. 199 Cf. Q IV, 38, 127, 201f., 205, 207, 304, 430, 478; Q V, 52; A I, 61; A III, 583f., 620, 629; A IV, 284. 200 Cf. Q IV, 161; Q V, 290, 294.

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Leben ändern, sich an Gottes Wort halten und Buße tun – nur dann werde ihm zum Sieg verholfen.201 Andere Quellen erwecken den Eindruck, dass Jeanne den Gelehrten der königlichen Prüfungskommission prophetische Antworten auf theologische Fragen gibt.202 Neben den entscheidenden Mitteilungen über die Zukunft des Reiches wird Jeanne eine Fülle bescheidenerer Voraussagen zugesprochen. Sie weiß im Voraus, dass und wann die Kämpfer des Königs bestimmte Etappensiege erringen oder dass ihre Genossen bei diversen Unternehmungen unversehrt bleiben. Sie kündigt ihre Verwundung bei Orléans ebenso an wie ihren Tod.203 Aber ihre prophetischen Gaben verleihen ihr nicht nur Einblick in die Zukunft. Sie ist auch informiert über Geschehnisse an fernen Orten: etwa die Heringsschlacht oder einen Kriegsrat, den die Hauptleute ohne sie abhalten. Jeanne weiß um Verborgenes: ein verrostetes Schwert in der Kapelle von Sainte-Catherine de Fierbois und persönliche Geheimnisse des Königs. Und sie kann Personen identifizieren, ohne sie je gesehen zu haben.204 Die Heldin verfügt über praktisch alle Formen des privilegierten Wissens, die die prophetisch begabte Mystikerin des Spätmittelalters auszeichnen. Und auch die Wege, auf denen die göttliche Erkenntnis zu ihr gelangt, entsprechen ganz der Darstellung anderer heiliger Frauen. Ganz allgemein stellen dazu die Quellen fest, dass Jeanne ihr Wissen durch Offenbarungen erhält. Und sie selbst sagt aus: „Je n’ay riens faict fors par revelacion.“205 Dann ist die Rede von Stimmen, die zu ihr sprechen, genauer: von der Stimme eines oder mehrerer Engel. Zu den auditiven Erfahrungen kommen visuelle. Jeanne hat klar und deutlich göttliche Boten vor Augen: Ihr seien der Erzengel Michael und die Heiligen Margaretha und Katharina begegnet, erklärt Jeanne vor Gericht. Die Chroniken und Briefe ihrer Zeitgenossen fügen andere Figuren hinzu: die heilige Agnes, König David, eine ganze Schar von Engeln und Heiligen, die Jungfrau Maria und sogar Gott selbst.206 Allerdings ist kaum einmal die Rede davon, dass Jeanne diese Erfahrungen in einem besonderen Bewusstseinszustand erlebt. Die Ekstasen, die Trance, die das Bild der Mystikerin wesentlich prägen, spielen bei ihr keine große Rolle.207 Perceval de Boulainvilliers schildert in seinem überschwänglichen 201 202 203 204 205 206 207

A IV, 280. Cf. Q IV, 41, 53, 213, 326; Q V, 52; A II, 253; A III, 203, 574f.; T/L III, 204. Cf. Q IV, 125f., 410, 491f., 494; A IV, 281; D I, 484; D IV, 7-9, 18, 55, 69; T/L I, 79. Cf. Q IV, 53, 55, 125, 127, 209, 212; A III, 202f., 234, 288, 456; D IV, 55; T/L I, 49, 51, 76. T/L I, 46; cf. etwa D III, 52f., Q IV, 55, 213, 443, A II, 242; A III, 232. Cf. T/L I, 47, 71-74; Q IV, 118, 430; Q V, 27; A II, 242f., 252; A III, 232. Cf. Etienne Delaruelle: La spiritualité de Jeanne d’Arc. In: Idem: La piété populaire au Moyen Age. Turin 1980, 355-388, hier 377.

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Brief lediglich, wie Jeanne als Kind bei einem Wettrennen über den Boden zu schweben scheint, wie sie, ihrer Sinne beraubt, niedersinkt und eine Vision hat.208 Andere Quellen vermitteln eine Ahnung mystischer Entrückung: Graf Dunois sagt aus, große Freude habe Jeanne erfüllt, wenn sie ihre Stimmen hörte, und sie habe immer in diesem Zustand bleiben mögen; von einer „grande exultation“ spricht eine Chronik.209 Verschiedene Zeitgenossen berichten außerdem, dass Jeanne leicht Tränen vergieße.210 Dennoch: Im Ganzen enthalten die Darstellungen der Heldin nur Andeutungen der körperlichen Symptome mystischer Erleuchtung. Und noch in einer anderen Hinsicht lässt sich die Heldin mit diesem Modell schwer in Einklang bringen: Sie greift aktiv in das Zeitgeschehen ein, sie versucht nicht, allein durch prophetische Botschaften zu wirken – von ihren Warnungen an die Adresse der Engländer und Burgunder einmal abgesehen.211 Diese Abweichungen vom vertrauten Muster ließen sich mit dem Hinweis abtun, dass einzelne Gestalten nie alle Merkmale eines Typus vereinigen. Keineswegs alle Mystikerinnen erleben Ekstasen. Und die heilige Mystikerin Colette de Corbie etwa beschränkt sich ebenso wenig wie ihre Zeitgenossin Jeanne auf prophetische Mitteilungen: Sie wird selbst aktiv, indem sie eine ganze Reihe von Konventen gründet.212 Doch lassen sich die untypischen Seiten der Prophetin Jeanne auch damit erklären, dass sie im Spektrum möglicher Heiligenfiguren einen Platz zwischen verschiedenen Typen einnimmt: Sie vereint Merkmale der spätmittelalterlichen Mystikerin mit Anleihen bei älteren Traditionen. Ihre Aktivität, ihre Durchsetzungsfähigkeit erinnern beispielsweise an jene heiligen Frauen, die Jeanne nach ihrer eigenen Aussage erscheinen. Auch die heilige Margaretha von Antiochia tritt ihren Feinden mit Entschiedenheit entgegen. Etwa dem Teufel, als er ihr in menschlicher Gestalt erscheint: „Et lors le print elle par les cheveulx, et le gecta a terre“, so ist es in einer zeitgenössischen Übersetzung der Legenda aurea zu lesen, „et lui mist le pié dextre sur le cervel et lui dist: «Estens toy, ennemy, soubz les piez d’une femme.» Et le batoit“.213 Die heilige Katharina von Alexandrien schlägt zwar nicht selbst zu, aber doch sterben durch sie Tausende von Feinden: Auf ihr Gebet hin 208 209 210 211 212

Cf. A II, 242. D I, 323; Q IV, 236. Cf. Q V, 29; A II, 244f.; A III, 586; D IV, 23, 70, 73. Cf. Q V, 126f.; T/L I, 221f. Cf. Barstow: Joan of Arc, 24, 31-34; Peter Dinzelbacher: Christliche Mystik im Abendland. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Paderborn et al. 1994, 413-415. 213 Voragine: Légende dorée, 607.

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zerspringt das Foltergerät, mit dem sie zu Tode gequält werden soll, und die umherfliegenden Bruchstücke töten 4000 Heiden.214 Da ist die Heldin Jeanne nicht weit, die sich während eines aussichtslosen Kampfes zu einem Gebet zurückzieht und anschließend sämtlichen Widersachern den Tod bringt.215 Doch bei aller Bravur erliegen sie letztlich alle den Feinden – Margaretha und Katharina genau wie Jeanne. Darin gleicht die spätmittelalterliche Heldin abermals ihren frühchristlichen Vorgängerinnen: Ihr Ende auf dem Scheiterhaufen lässt sich als Martyrium auffassen. Zwei Quellen des 15. Jahrhunderts stellen Jeannes Tod ausdrücklich so dar: die Aufzeichnungen des Venezianers Antonio Morosini und der Champion des Dames, der Jeannes Tod mit den Leiden Christi und der heiligen Blutzeugen vergleicht. Der sogenannte bourgeois de Paris gesteht immerhin zu, viele Menschen sähen in der Hinrichtung ein Martyrium.216 Der von Jeanne so geschätzten Margaretha wird, wie bereits ausgeführt, mitunter ein weiteres Merkmal zugeschrieben, das die Verbindung zu der französischen Heldin umso enger erscheinen lässt: die männliche Kleidung. Es mag zunächst überraschen, dass die meisten zeitgenössischen Quellen, wenn sie von Jeannes männlichem Gewand und Haarschnitt berichten, erstaunlich lakonisch bleiben. Während des Inquisitionsprozesses, in dem Jeannes Männerkleider schließlich zu einem entscheidenden Anklagepunkt werden, bestätigen selbst ihr gewogene Zeugen das cross-dressing ohne viel Aufhebens.217 Das lässt sich eben umso leichter verstehen, wenn man bedenkt, dass Transvestitinnen durchaus zu den möglichen Objekten der spätmittelalterlichen Heiligenverehrung gehören. In der Légende dorée wird ebenso beiläufig vom Kleidungswechsel verschiedener heiliger Frauen berichtet.218 Jeanne ist ein Beispiel dafür, nach welchen Regeln in der Heiligenverehrung trotz ihrer konservativen Züge, trotz des ständigen Rückbezugs auf etablierte Formen neue Objekte entstehen können: Eigenschaften verschiedener Gestalten werden verknüpft, überkommene Muster an neue historische Bedingungen angepasst. Die alte, aber beliebte Tradition der schlagkräftigen Märtyrerinnen und heiligen Transvestitinnen wird mit reichlich Prophetentum und ein wenig Mystizismus angereichert und so auf die Höhe der Zeit gebracht. Oder anders herum: Die mystische Prophetin wird mit dem männlich anmutenden Aktionismus frühchristlicher Heldinnen ausgestattet und 214 215 216 217 218

Cf. ibid., 1111f. Cf. D IV, 6. Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 297; cf. A III, 608; Q V, 49. Cf. Q IV, 3, 125, 304, 361, 533; Q V, 289; A III, 202, 585, 631; D III, 277, 283, 287, 293. Cf. Voragine: Légende dorée, 543, 602, 965, 967 oder auch Clugnet (ed.): Vie de Sainte Marine, 290.

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ist so den Anforderungen der nicht zuletzt militärisch bedrohlichen Situation im Frankreich des frühen 15. Jahrhundert gewachsen. Außerdem ließen sich manche Züge der hybriden Heldin als Beleg dafür interpretieren, dass die Heiligenverehrung sich selbst so spät im Mittelalter mit Konventionen des Ritterepos verbinden kann: Jeanne, heißt es etwa in einer Chronik, „soustint grant fès, et mist beaucop peine à sauver sa compagnie de perte, demorant darrier comme chief et comme la plus vaillant du troppeau“.219

III. Mögliche Narrationen Typische Heiligengeschichten Eins vereint alle möglichen Objekte des Heiligenkults: Von ihnen werden Wunder erwartet. Besonders für die einfachen Gläubigen war die Macht, Wunder zu wirken, die entscheidende Fähigkeit der Heiligen.220 Und auch für Kleriker ist das Wunder eine conditio sine qua non der Heiligenverehrung. Zwar entwickelt sich im Laufe des Mittelalters bei den kirchlichen Autoritäten eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem allgemeinen Wunderglauben. Ein Kanonisierungsverfahren hat besonders ab dem 13. Jahrhundert nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn der Kandidat oder die Kandidatin sich nicht nur durch Wunder, sondern auch durch ein tugendhaftes Leben auszeichnet. Aber letztlich spielt das Wunder auch in den offiziellen Darstellungen der Heiligen des späten Mittelalters eine zentrale Rolle.221 „A fructibus eorum cognoscetis eos“, heißt es schließlich bei Matthäus.222 Aus dieser Anforderung ergibt sich sozusagen eine Minimalnarration, die man über alle Objekte der Heiligenverehrung erzählen kann: Er oder sie wirkte ein Wunder. Den Platz des Wunders können dabei ganz verschiedene 219 Q IV, 446; cf. auch ibid., 14f., 235, 322, 327; A I, 57, 61; A III, 207, 389; A IV, 276, 288; D IV, 70, 82, 85; Alessandro Picchi: Histoire de Jeanne d’Arc d’après les chroniqueurs et les auteurs humanistes italiens des XVe et XVIe siècles. In: Régine Pernoud (ed.): Jeanne d’Arc. Une époque, un rayonnement. Colloque d’histoire médiévale Orléans – Octobre 1979. Paris 1982, 245-254, hier: 246; Bonnie Wheeler: Joan of Arc’s Sword in the Stone. In: Idem / Charles T. Wood (eds.): Fresh Verdicts on Joan of Arc. New York, London 1996, xi-xvi, hier: xiif. 220 Cf. etwa Delaruelle / Labande / Ourliac: L’Eglise au temps du Grand Schisme, 826; Gurjewitsch: Mittelalterliche Volkskultur, 69-78; Markus Schürer: Die Findung des Heiligen. Dominikus von Guzmán und Petrus Martyr als Figuren zwischen Topik und Singularität. In: Gert Melville / Markus Schürer (eds.): Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum. Münster 2002, 339-377, hier: 356-359. 221 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 42-44, 56f., 581, 615-617. 222 Mt 7, 16.

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Ereignisse einnehmen. Oft bestehen sie in der Erfüllung ganz konkreter Bedürfnisse: Heilige heilen Krankheiten, schützen im Krieg, wenden widriges Wetter ab, stillen Hunger. Andere Wunder zielen direkt darauf, dem Heiligen Respekt zu verschaffen – etwa wenn er über Wasser geht oder jene, die ihn verspotten, dafür bestraft werden.223 Von dieser Form des Wunders ist es nicht weit zu einer anderen Kategorie übernatürlicher Ereignisse: zu göttlichen Zeichen. Dazu kann man die Tränen zählen, die Heilige so reichlich vergießen, oder das Auftreten von Stigmata. Besonders häufig sind Lichterscheinungen: Unnatürliche Helligkeit begleitet das Auftreten der Heiligen oder signalisiert MystikerInnen die Authentizität einer Erscheinung. Das Zeichen kann außerdem in Klängen bestehen – Glockengeläut und Hahnengeschrei zu unerwarteter Stunde – oder in Tieren, bevorzugt weißen Tauben, die zutraulich die Nähe der Heiligen suchen. Schließlich geschehen merkwürdige Dinge mit den Überresten der Heiligen: Auch sie senden Licht aus oder einen angenehmen Geruch; sie beginnen plötzlich zu bluten; Flammen können ihnen – und insbesondere den Herzen der Heiligen – nichts anhaben.224 Im späten Mittelalter spielen solche Signale, die die spirituellen Qualitäten eines oder einer Heiligen anzeigen, eine besonders große Rolle in den offiziellen Darstellungen. Die klassischen Heilungswunder hingegen verlieren im Vergleich an Bedeutung. Auch die Gläubigen bitten jetzt seltener um die Erlösung von einer Krankheit und öfter um Beistand in religiösen Notlagen. So vermehren sich die Geschichten von totgeborenen Kindern, die von einer oder einem Heiligen gerade so lange zum Leben erweckt werden, dass sie getauft und schließlich in geweihter Erde bestattet werden können. Bei den kirchlichen Autoritäten stößt diese Form des Wunders auf große Akzeptanz. Denn sie kann kaum mit einer natürlichen Heilung verwechselt werden und erinnert überdies an biblische Vorbilder. Nicht zu vernachlässigen sind schließlich die diversen Formen von Offenbarungen, die im späten Mittelalter eine wichtige Gruppe übernatürlicher Ereignisse bilden.225 Wunder, Zeichen, Weissagungen bilden den Kern der Erzählung über Heilige. Aber sie existieren nicht isoliert. Sie sind in aller Regel in eine Kette ande223

Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 519-521, 541-548; idem: Saints, prophètes et visionnaires, 45; Weinstein / Bell: Saints and Society, 143f. 224 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 499-501, 509-518, 588-590; Weinstein / Bell: Saints and Society, 149f.; Tanz / Werner: Spätmittelalterliche Laienmentalitäten, 80-82; Birte Carlé: Structural Patterns in the Legends of the Holy Women of Christianity. In: Idem et al. (eds.): Aspects of Female Existence. Proceedings from The St. Gertrud Symposium „Women in the Middle Ages“, Copenhagen September 1978. Kopenhagen 1980, 79-86, hier: 83f.; Colette Beaune: Le cœur de Jeanne. In: Francia 34.1 (2007), 201-206, hier : 203f. 225 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 514-518, 544-556, 568, 581; idem: Saints, prophètes et visionnaires, 13-15; Rapp: L’Eglise et la vie religieuse, 141.

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rer Handlungen und Verhaltensweisen eingebunden, die das Übernatürliche vorbereiten, bestätigen und umso plausibler machen. Den großen Heldentaten geht zumeist die Distanzierung von der Normalität der durchschnittlichen Lebensgeschichten voraus. Die Heiligen lösen sich aus bestehenden familiären Bindungen oder schließen zukünftige Bindungen aus, indem sie Keuschheit geloben. Ganz im Einklang mit der Ermahnung des Herrn, niemanden mehr zu lieben als ihn: „Qui amat patrem, aut matrem plus quam me, non est me dignus; et qui amat filium, aut filiam super me, non est me dignus.“226 Mit dem Bekenntnis zur Keuschheit weisen die Heiligen gleichzeitig die Verlockungen eines irdischen Lebens zurück. Bei weiblichen Heiligen kann das Anlegen männlicher Kleidung diese Entsagung und den Bruch mit dem vorherigen Leben bekräftigen. Im späten Mittelalter können diese Funktion außerdem Praktiken der Askese und der Buße erfüllen: Die Heiligen fasten oft und üben immer Mäßigung; besonders Mystikerinnen fügen ihrem Körper gezielt Leiden zu, geißeln sich, schlafen auf dem Boden, setzen sich der Kälte aus.227 Solche Verhaltensweisen ergeben zusammen mit einigen übernatürlichen Ereignissen ein tragfähiges Gerüst für eine Heiligengeschichte. Dabei sind im regime of verisimilitude der Heiligenverehrung manche Kombinationen natürlich eher zu erwarten als andere. So findet man bei frühchristlichen Märtyrerinnen oft folgendes Schema: Die Entscheidung gegen eine Ehe führt zum Konflikt mit den Eltern oder einem Bräutigam; die Heilige setzt sich durch und sieht sich der weltlichen, heidnischen Autorität gegenüber; sie übersteht auf wundersame Weise diverse Folterungen, bevor sie stirbt.228 Beim Typus der heiligen Jungfrau entsteht ein ähnlicher Konflikt mit den Eltern oder einem Freier. Die Heldin löst sich aus den familiären Bindungen, entkommt womöglich durch cross-dressing und übersteht mit übernatürlicher Standfestigkeit verschiedene Angriffe auf ihre Jungfräulichkeit bzw. ihren guten Ruf. Oft stirbt sie im Kloster.229 Und auch die Geschichten der Mystikerinnen des späten Mittelalters – besonders jener Mystikerinnen, die bei den Autoritäten 226 Mt 10, 37. 227 Cf. Heffernan: Sacred Biography, 185-187, 213; Delcourt: Complexe de Diane, 12, 23; Dinzelbacher: Heilige oder Hexen, 106; Benz: Vision, 37-51; Vauchez: Saints, prophètes et visionnaires, 22f.; Weinstein / Bell: Saints and Society, 143, 153-157, 237f. 228 Cf. Carlé: Structural Patterns, 81f.; Heffernan: Sacred Biography, 265-269, 273 oder auch die Legenden der Heiligen Juliana und Margareta bei Cazelles: Lady as Saint, 205-215, 218-228 sowie die Legenden der Agnes, Juliana, Margareta, Christina, Justina, Cecilia bei Voragine: Légende Dorée, 235-238, 317f., 606-609, 630-633, 908-913, 1083-1090. 229 Cf. Opitz: Evatöchter und Bräute Christi, 18; Delcourt: Complexe de Diane, 2-6; Hotchkiss: Clothes Make the Man, 25 oder auch die Legende der Margareta in Voragine: Légende Dorée, 967f. sowie Hill: Vie de Sainte Euphrosine.

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auf Akzeptanz stoßen – können ähnlich beginnen: Auf den Konflikt um die Heirat folgt der Eintritt in eine religiöse Gemeinschaft. Die Entsagung setzt sich in Geschichten dieses Modells in diversen Praktiken der Askese fort. Belohnt wird die Heilige durch Offenbarungen und Entrückungen und letztlich, wenn sie ihr höchstes Ziel erreicht, durch die mystische Vermählung mit Christus. Ihr Tod ist von wundersamen Geschehnissen begleitet.230 Obwohl also für die Geschichte der Mystikerin wiederum eine Krise beim Eintritt ins Erwachsenenalter charakteristisch ist, tendieren die Heiligengeschichten des späten Mittelalters im Allgemeinen zu größerer Kontinuität. Plötzliche Bekehrungen und der Kampf mit grausamen Eltern kommen nur noch selten vor. Stattdessen ist schon die Geburt eines oder einer Heiligen mitunter mit Zeichen und Wundern verbunden. Die offiziellen Darstellungen betonen, dass die Eltern sehr gläubig sind und die Mutter ihr Kind die Grundsätze des Christentums lehrt. Der heilige Nachwuchs betet ausgiebig, besucht gern die Kirche und hält sich von seinen AltersgenossInnen fern. Bereits mit rund sieben Jahren nehmen manche Heilige Bußpraktiken auf. Die Umgebung steht dem heiligen Kind skeptisch gegenüber, bis erste Wunder seine Auserwähltheit belegen.231 Die Geschichte der Heldin als Kombination narrativer Muster Diverse Elemente dieses jüngeren Musters greift der Brief auf, in dem Perceval de Boulainvilliers seine Heldin Jeanne feiert. Sie sei in der Epiphanias-Nacht geboren, heißt es hier. Eine ihnen unerklärliche Freude habe die Bewohner von Domremy ergriffen, und die Hähne des Dorfes hätten zwei Stunden lang mit nie gehörten Gesängen von dem denkwürdigen Ereignis gekündet. Schon als kleines Mädchen habe Jeanne den Ihren übernatürlichen Schutz geboten: Nie sei eines der Tiere, die sie gehütet habe, zu Schaden gekommen; ihre Familie sei von jedem Leid verschont geblieben.232 Spektakuläreres hat nur ein anonymer Dichter über den Anfang von Jeannes Karriere zu berichten: Bei ihrer Geburt hätten Erde und Meer gebebt, Donner sei erschallt und der Himmel entflammt.233 Zurückhaltender, aber nach demselben Muster schildern die Kläger und Zeugen des Rehabilitationsprozesses Jeannes frühe Jugend. Die Eltern der Heldin, gute und treue Christen, hätten sie in der Furcht Gottes und in recht230 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 242-249, 402-406; Heffernan: Sacred Biography, 185; Delaruelle / Labande / Ourliac. L’Eglise au temps du Grand Schisme, 795. 231 Cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 593-595, 600-602; Weinstein / Bell: Saints and Society, 18-31, 37, 45. 232 A II, 242. 233 Q V, 27.

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gläubiger Tradition erzogen. Das Mädchen habe oft gebetet, gefastet, die Kirche besucht und die Eucharistie empfangen. Dafür habe sie den Vergnügungen der anderen Kinder den Rücken gekehrt, was ihr einigen Spott eingetragen habe.234 In Jeannes eigenen Aussagen vor den Richtern in Rouen finden sich immerhin Anklänge an solche Erzählungen. Sie nennt ihre Mutter als Quelle ihres Wissens über den Glauben und bekundet, nach ihren ersten Offenbarungen nur selten mit den anderen Kindern gespielt zu haben.235 Doch genau wie Jeanne als Objekt der Heiligenverehrung eine Position zwischen frühchristlichen und mystischen Figuren einnimmt, so zeigen ihre (Selbst-)Darstellungen Parallelen zu verschiedenen narrativen Modellen. Neben Erzählungen von einer heiligen Kindheit finden sich Spuren der Krisenerlebnisse, wie sie aus älteren Legenden vertraut sind. Auch Jeanne muss ihre Entscheidung, keusch zu bleiben, gegen ihre Umgebung durchsetzen. Schon vor Beginn ihrer Heldinnenkarriere landet sie ein erstes Mal vor Gericht: Ein junger Mann beschuldigt sie, ein Eheversprechen gegeben und nicht gehalten zu haben. Doch es gelingt Jeanne offenbar, die Anschuldigung zu widerlegen.236 Später setzt sie sich gegen ihre Eltern durch, indem sie klammheimlich aus ihrem Heimatdorf verschwindet. Obwohl ihr Vater, durch einen Traum gewarnt, ihren Brüdern aufgetragen hat, sie umzubringen, falls sie mit Soldaten fortziehen wolle. Der Aufbruch sei ihr einziger Ungehorsam gegenüber ihren Eltern gewesen, sagt Jeanne einmal. Aber sie habe dem Befehl Gottes folgen müssen – selbst wenn sie 100 Mütter und 100 Väter gehabt hätte.237 Nur eine Chronik greift diesen Aspekt ihrer Geschichte ausdrücklich auf.238 Allerdings lassen verschiedene Quellen den Beginn von Jeannes Karriere auf andere Weise als deutlichen Schnitt erkennen: Sie betonen den Kontrast zwischen Jeannes Leben in Domremy und ihrem Erscheinen bei Hofe; sie erwähnen die Gefahren der Reise; vor allem sprechen sie von Jeannes Männerkleidung, in der die Ablösung vom bisherigen Leben in komprimierter Form zum Ausdruck kommt.239 Den Abschied von der irdischen Durchschnittsexistenz signalisieren auch die Hinweise auf Jeannes asketische Essgewohnheiten. Von den Fastenrekorden der Mystikerinnen ist Jeanne zwar weit entfernt, aber selbst nach einem Tag im Kampfgetümmel kann sie sich mit

234 235 236 237 238 239

D III, 7f., 241, 247-250, 252, 263, 265, 270, 275; cf. auch Q V, 27. T/L I, 41, 66. Cf. ibid., 123. Ibid., 124; cf. 126f. Cf. Q IV, 205. Cf. Q IV, 38, 41, 126f., 206-208; A II, 253; A III, 629; Delcourt: Complexe de Diane, 12.

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etwas verdünntem Wein begnügen – vielleicht mit einigen Stückchen Brot als Beilage.240 Wichtiger als die Übereinstimmung mit Details der etablierten Narrationsmuster ist für die Geschichten von der Heldin zweifellos, dass sie überhaupt von übernatürlichen Ereignissen erzählen. Das Fazit der königlichen Prüfungskommission oder auch die Chronik der Stadt Tournay lässt keinen Zweifel: Die Pucelle ist erst dann wirklich glaubhaft, wenn sich in ihrem Zusammenhang von göttlichen Zeichen berichten lässt. Die Gelehrten der Kommission stimmen der Entsendung Jeannes nach Orléans nur unter Vorbehalt zu: Dass sie wirklich von Gott komme, könne letztlich erst ihr Erfolg vor Ort erweisen.241 Nach dem Motto: Erst wenn ein Wunder geschieht, darf man an ein Wunder glauben. In vielen späteren Quellen sind Aussagen über Jeannes Taten nach einem ähnlichen Prinzip abgesichert: Indem die Geschichten ein paar nahe liegende Wunder anführen, können sie von den ganz unerhörten umso glaubhafter erzählen. Das verblüffende Eingreifen der Heldin wird mit Ereignissen kombiniert, die zum Pool der erwartbaren Geschehnisse im Genre der Heiligengeschichten gehören. Da finden sich einerseits Geschehnisse, wie sie besonders in der Verehrung von Heiligenfiguren des späten Mittelalters eine wichtige Rolle spielen. Von den vielfältigen Belegen für Jeannes prophetisches Wissen und von ihrer Tränengabe war bereits die Rede.242 Manche ZeitgenossInnen berichten außerdem, man habe Schmetterlinge oder Vögel – vorzugsweise weiße Tauben – in ihrer Nähe gesehen. Die Herren von Laval erwähnen in einem Brief ein feuriges Pferd, das sie auf wundersame Weise beruhigt. Wie viele Mystikerinnen berichtet Jeanne selbst im Zusammenhang mit ihren Erscheinungen von einer besonderen Helligkeit.243 Dieser Reihe von Zeichen ließe sich Jeannes Herz hinzufügen, das man – nach Aussage eines Priesters – unversehrt auf dem abgebrannten Scheiterhaufen findet. Insbesondere auch das totgeborene Kind, dem Jeanne vorübergehend zum Leben und vor allem zu einer Taufe verhilft. Und schließlich mehrere göttliche Strafaktionen: Einige Männer, die Jeanne verspotten, beleidigen oder täuschen, müssen dafür teuer bezahlen – die Mehrheit mit ihrem Leben.244

240 241 242 243

Cf. Q IV, 219, 231; A III, 584; D IV, 6, 12, 49. Cf. A I, 686; A III, 620; cf. auch Fraioli: Joan of Arc, 52f. Cf. supra, 79-81. Cf. Q IV, 251, 495; Q V, 107, 294; A III, 623; D III, 212; T/L I, 47, 62, 76; Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 257. 244 Cf. Q V, 290, 294; D III, 212f.; D IV, 6, 72, 77, 115-118; T/L I, 103; Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 258.

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Außerdem vollbringt Jeanne als Heldin ihrer ZeitgenossInnen Wunder der klassischen Art. Sie hat Einfluss auf das Wetter: Der Wind, der den Transport von Lebensmitteln über die Loire verhindert, wechselt plötzlich die Richtung; heftiger Hagel zwingt den Bischof von Clermont, die Krone des heiligen Ludwig herauszugeben; dem sogenannten bourgeois de Paris zufolge behauptet Jeanne, sie könne Donner bewirken.245 Und offensichtlich sprechen ihre AnhängerInnen der Heldin auch die traditionell wichtigste der heiligen Kräfte zu: die Kraft zu heilen. Zwar ist in den Quellen – von dem toten Säugling abgesehen – nicht ausdrücklich von einem Heilungswunder die Rede. Aber es geschieht gewiss nicht ohne Grund, wenn der Herzog von Lothringen Jeanne zu sich kommen lässt und über seinen Gesundheitszustand klagt. Genauso zählen jene Frauen, die Jeanne ihre Rosenkränze und Medaillen reichen, wohl auf die thaumaturgischen Fähigkeiten der Heldin.246 Überdies nähern manche Quellen Jeannes Eingreifen in die Kriegshandlungen an klassische Wundergeschichten an. Insofern, als sie in der Rolle der Beschützerin gezeigt wird. Durch ihren Beistand, so heißt es, gibt es auf Seiten der Franzosen nur wenige Opfer. Selbst Soldaten, die mit Steinen abgeschossen werden, tragen keine oder zumindest keine schweren Wunden davon.247 Zuletzt bleibt jenes Wunder zu nennen, das den Kern der Erzählung von Jeanne ausmacht: dass sie den Krieg für den König entscheidet. Oder im Detail: dass sie Orléans befreit, Bollwerke erstürmt, englische Soldaten zu Hunderten in den Tod schickt, dass – wenigstens – durch sie, in ihrem Beisein Siege errungen werden.248 Solche Ereignisse bilden den überraschenden Kern der Narration über die aktive Heldin, den man, wie zwei deutsche Abgesandte, in nüchterne Worte kleiden kann – „Da wart gestritten vor der stat, und die Jungfrow gewand den stritt mit hilfe Gottes“ – oder auch in die pompösen des Martin Le Franc: „Ce fust elle qui recouvra / L’onneur des Franchois“.249 Dieses Wunder gehört nicht zu der Sorte von Ereignissen, von denen man in jeder zweiten Heiligenlegende lesen kann. Aber die Kunde von Jeannes Siegen wird eben dadurch umso plausibler, dass die Aussagen über die Heldin auf andere Art fest im Feld der Heiligenverehrung des frühen 15. Jahrhunderts verankert ist: Sie erschienen im Wechselspiel der konstituierenden Elemente dieses Referentials; sie lehnen sich an narrative Muster und Motive von 245 246 247 248

Cf. Q IV, 218; Q V, 290; A III, 593; D IV, 4, 12; Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 295. Cf. D IV, 61; T/L II, 51f.; Tanz / Werner: Spätmittelalterliche Laienmentalitäten, 242. Cf. Q IV, 26f.; A II, 245; A III, 213; Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 257. Cf. für explizite Beispiele Q IV, 16, 38, 161, 230, 282, 309, 486, 495; Q V, 13, 58; A II, 254; A III, 206, 235, 274, 389f., 456, 580, 592, 594, 603, 622; A IV, 241, 252f., 256f., 284, 291; D I, 485; D IV, 53, 66 oder auch supra, 66. 249 Q IV, 351; Q V, 44.

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Heiligenschichten an; ihr Gegenstand lässt sich in eine Reihe vertrauter Objekte einreihen. Dass es zudem – zum Teil außerhalb der Heiligenverehrung – konkrete Aussagen mit hohem Wahrheitsanspruch gibt, auf die sich die Rede von Jeanne berufen kann, soll im Folgenden gezeigt werden.

b. Assoziiertes Feld Was man über eine Aussage im Allgemeinen sagen kann – dass man jenes Feld der anderen Aussagen, von denen sie sich abhebt und abgestützt wird, das assoziierte Feld also, nie ganz wird erforschen können – gilt auch für konkrete Aussagen über Jeanne, die Heldin aus dem 15. Jahrhundert. Nie wird man allen Verbindungen nachgehen können, die von jenem schlichtem Satz Chartiers ausgehen: „elle lui feroit grant service en ses guerres“. Es muss eine Auswahl getroffen werden. Dabei könnte man verschiedenen Prinzipien folgen. Man könnte sich etwa bemühen, für jede der vier von Foucault genannten Formen von Verbindungen Beispiele zu finden. Oder aber – und so soll es hier geschehen – sich stärker am Gegenstand orientieren. So rückt etwa der narrative Charakter der Rede über Jeanne einen bestimmten Typ von Verbindungen in den Mittelpunkt: Nachdem schon von der Beziehung der Heldin zu den narrativen Konventionen der Heiligenverehrung die Rede war, muss jetzt noch ein genauerer Blick auf die konkreten Erzählungen gerichtet werden, darauf, wie die zentralen Aussagen über die aktive Heldin in Ereignisketten eingebunden sind. Zunächst aber soll es um andere Verknüpfungen gehen, um solche, die – wie der Umstand nahelegt, dass die ZeitgenossInnen sie zum Teil explizit machen – für die Sagbarkeit der Heldin von besonderer Bedeutung zu sein scheinen. Es handelt sich dabei zumeist um Aussagen aus dem vierten und weitesten Bereich des assoziierten Felds, auf die sich die Ausgangsaussage bezieht, „soit pour les répéter, soit pour les modifier ou les adapter, soit pour s’y opposer, soit pour en parler à son tour.“250 Zum einen finden sich hier Verbindungen zu anderen aktiven Heldinnen – sehr deutlich sogar, wenn etwa Christine de Pizan Jeanne in eine Reihe stellt mit „Hester, Judith, Delbora / Qui furent dames de grant pris“.251 Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Verweis auf Vorgängerinnen ernsthafte Aussagen 250 Foucault: L’archéologie du savoir, 129f.; cf. supra, 50. 251 Q V, 11.

Assoziiertes Feld

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über die sonderbare Heldin stützen kann.252 Das darf man zum anderen aber auch für Bezüge zu Aussagen annehmen, die nicht von konkreten Heldinnen erzählen, sondern abstrakter von der Möglichkeit einer Heldin sprechen. Es gibt durchaus Aussagen dieser Art, die einen hohen Geltungsanspruch besitzen: Bibelworte oder auch Prophezeiungen. „Car Merlin, et Sebile et Bede, / Plus de cinq cens a la veïrent / En esprit, et pour remède / A France en leurs escripz la mirent“, sagt wiederum Christine über die Pucelle.253

I.

Handgreifliche Heldinnen

Christliche Heldinnen Jeanne mit etablierten Heldinnen in Bezug zu setzen, gehört zu jenen Techniken, mit denen das Auftreten der Pucelle im Rahmen des Rehabilitationsprozesses legitimiert wird. Die gelehrten Herren, die sich mit Stellungnahmen an dem Prozess beteiligen, denken dabei an diverse Heilige lang vergangener Jahrhunderte, unter anderem Pelagia, Marina, Euphrosyne, Thekla und Theodora.254 Allerdings belegen sie mit diesen Figuren lediglich, dass für Jeannes cross-dressing unverfängliche Präzedenzfälle existieren. Jeannes Aktivität lässt sich so nicht absichern, da diese Heiligen sich nicht unbedingt durch besondere Durchsetzungsfähigkeit auszeichnen. Wenn man hingegen die Verbindung zu diesen traditionellen Gestalten ein wenig verlängert, gelangt man zu den frühchristlichen Märtyrerinnen, deren mitunter martialische Taten bereits zur Sprache kamen. Die Rede von Jeanne, die Bollwerke stürmt und Feinde vernichtet, lässt sich durchaus als Variation der Berichte über Margarethas Kampf gegen den Teufel oder das Blutbad unter Katharinas Peinigern lesen.255 Auch die Heiligen Agnes, Christina und Euphemia legen in der Légende dorée beachtliche Kampfkraft an den Tag oder nehmen zumindest ein paar Hundert Heiden mit in den Tod.256 Eine besonders verwandte Figur kann man in der heiligen Juliana entdecken. Als der Teufel sie in ihrem Gefängnis aufsucht, weiß sie sich durchaus zu helfen: „Julienne luy lia les mains dernier le doz, et le gecta aterre et le batit durement 252 Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 10f. 253 Q V, 12. 254 Cf. Pierre Duparc (ed.): Procès en nullité de la condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. II. Paris 1979 (im Folgenden zit. als D II), 208, 249, 263, 328; cf. außerdem Jules Quicherat (ed.): Procès de condamnation et de réhabilitation de Jeanne d’Arc. Bd. III. Paris 1845 (im Folgenden zit. als Q III), 440f. 255 Cf. supra, 76, 81f. 256 Cf. Voragine: Légende dorée, 235-237, 631, 891f.

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de la cheine de quoy elle estoit liee.“257 Als die Heilige schließlich getötet wird, stirbt zugleich auf wundersame Weise der Präfekt, ihr ärgster Feind. Genauer gesagt: Er ertrinkt zusammen mit 34 seiner Gefolgsleute. Es fällt nicht schwer, in dieser Geschichte Jeannes Triumph über den englischen Kommandanten Glasdale gespiegelt zu sehen: Dieser ertrinkt mit etlichen – eine Quelle sagt: 30 – der Seinen in der Loire, nur kurz nachdem Jeanne von ihm beleidigt und von einem seiner Männer verletzt worden ist.258 Die Verwandtschaft zwischen Jeanne und einer Vorgängerin wie Juliana ist eng – trotzdem bleibt sie in der Regel implizit. Und wenn die zeitgenössischen Autoren doch einmal auf eine wehrhafte Märtyrerin aus den alten Zeiten verweisen, dann beinahe zufällig – insofern zumindest, als die militante Seite der Heiligen gar nicht den Ausschlag gibt. Die Chronik des Antonio Morosini und das Traktat eines Theologen stellen Jeanne zwar in eine Reihe mit der heiligen Katharina, aber dabei zielen sie ausschließlich auf die sprachliche Durchsetzungsfähigkeit der beiden Frauen ab: Jeanne kann mit Gelehrten ebenso souverän diskutieren wie die Heilige, die mit ihren Argumenten 50 weise Männer besiegt.259 Häufiger und ausdrücklicher ziehen Jeannes Zeitgenossen eine Verbindung, die aus dem Referential der Heiligenverehrung hinausführt: Als Vorbilder für Jeannes Handeln führen sie statt Heiligen verschiedene Frauen aus biblischen Erzählungen an. Am häufigsten werden Judith und Deborah genannt, seltener Esther und Jahel. Diese Verbindungen werden in Chroniken, Gedichten, vor allem aber in theologischen Stellungnahmen zum Fall der Jeanne d’Arc gezogen.260 Sie können der Rede von Jeanne eine besonders stabile Absicherung bieten, denn auch kritische Kommentatoren müssen biblische Heldinnen als untadelige Vorbilder akzeptieren. Die Frauen aus dem Alten Testament haben überdies den Vorzug, dass sie allesamt für ihr Volk entscheidend in eine kriegerische Auseinandersetzung eingreifen. Sie können nicht nur als Anknüpfungspunkt für Aussagen über weibliche Aktivität im Allgemeinen dienen, sondern ganz spezifisch für die Behauptung: „elle lui feroit grant service en ses guerres“.

257 Ibid., 318. Cf. auch die ältere Version der Legende in Versform bei Cazelles: Lady as Saint, 205-215. 258 Cf. Voragine: Légende dorée, 318; Q IV, 8f., 228-230, 494f.; Q V, 290, 294; A III, 206, 623. 259 Cf. Voragine: Légende dorée, 1108f.; A III, 574f.; A I, 27; traditionell wird das hier angeführte Traktat Jean Gerson zugeschrieben, wogegen jedoch manche Forscher Einwände erheben – etwa Fraioli: Joan of Arc, 131-142. 260 Cf. Q III, 427f.; Q IV, 357; Q V, 11, 315, A I, 27, 45, 56, 63, A III, 620; D II, 110f., 198, 249, 290, 377; Fraioli: Joan of Arc, 17, 188.

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Im Detail allerdings verhalten sich die Heldinnen ziemlich unterschiedlich. Der Darstellung Jeannes durch ihre Zeitgenossen kommt die Geschichte von Deborah wohl am nächsten. Noch bevor es zum Kampf kommt, sagt sie den Sieg über das Heer des Königs von Kanaan voraus. Sie treibt den Heerführer Barak zum Handeln an. Sie begleitet ihn ins Feld, wo sich dann ihre Prophezeiungen erfüllen. Bei Perceval de Cagny etwa hört sich die Geschichte von Jeannes Loirefeldzug ganz ähnlich an: Sie drängt darauf, Richtung Reims zu ziehen, verspricht den Erfolg der Aktion und macht sich selbst mit den Soldaten auf den Weg. Das englische Heer muss eine Stadt nach der anderen aufgeben und unterliegt schließlich.261 Jeanne führt den Erfolg herbei, indem sie am Kriegszug teilnimmt und ihn anleitet. Insofern unterscheidet sich ihr Handeln deutlich von den entscheidenden Taten von Judith und Jahel, die nicht direkt im Krieg der Männer mitmischen. Wenn sie Holofernes bzw. Sisera, die Feldherren der Feinde, im rechten Moment töten, handelt es sich um unabhängige Anschläge.262 Äußerst blutige Anschläge übrigens, die zu ihrer Nachfolgerin aus dem 15. Jahrhundert gar nicht recht passen. Schließlich besteht diese während ihres Prozesses darauf, sie habe immer ihre Standarte mehr geschätzt als ihr Schwert und niemals eigenhändig getötet.263 Natürlich ist immer wieder davon die Rede, dass die Feinde des Königs durch Jeanne der Vernichtung anheim fallen, dass die Heldin Heere besiegt und Städte befreit. Aber nur ganz wenige Quellen – und nur solche, die dem feindlichen Lager zuzurechnen sind – berichten, Jeanne habe mit eigener Hand getötet.264 Insofern ähnelt sie Esther, der sanftesten unter den biblischen Figuren. Deren Eingreifen allerdings noch ein ganzes Stück vorsichtiger ausfällt: Sie leitet niemanden an, sie geht nicht hinaus aufs Schlachtfeld, sondern legt lediglich beim König Artaxerxes für die Israeliten, ihre VolksgenossInnen, ein gutes Wort ein.265 Säkulare Heldinnen Womöglich führen gerade solche Differenzen zwischen Jeanne und den biblischen Heldinnen dazu, dass die Rede über die Pucelle zusätzlich durch Verweise auf antike Vorläuferinnen abgesichert wird. Denn besonders Jeannes soldatisches Auftreten lässt sich leichter in den Heldentaten von Amazonen und ähnlichen Gestalten wiederentdecken als in den Erzählungen des Alten 261 262 263 264 265

Cf. Ri 4, 6-16; Q IV, 11-16. Cf. Ri 4, 17-22; Jdt 8-15. Cf. T/L I, 78. Cf. Q IV, 427, 445. Cf. Est 4-8.

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Testaments. Wenn etwa Pius II. in seinen historischen Anmerkungen von Jeannes Geschick im Umgang mit Waffen und Pferden berichtet, liegt für ihn der Vergleich mit Vergils wehrhafter Heldin Camilla nahe. Dem Chronisten Jean Dupuy und dem gelehrten Gutachter Jean de Montigny kommt die Amazone Penthesilea in den Sinn. In einem anonymen Gedicht über Jeanne findet an der Seite dieser beiden Heldinnen zusätzlich die Assyrerkönigin Semiramis Erwähnung.266 Und auch das Traktat, das in der Regel Gerson zugeschrieben wird, stellt die Verbindung zu heidnischen Heldinnen her – hier wird als Parallele allerdings mehr die männliche Kleidung hervorgehoben, weniger das kriegerische Handeln. Genau wie in einem Volkslied, dem zufolge Jeanne am Hof in der Kleidung einer Amazone aufgetreten sei.267 Der Beistand, den Jeanne von den heidnischen Heldinnen bekommt, hat einiges Gewicht. Denn obwohl Aussagen über Amazonen oder Camilla der heiligen Schrift schwerlich den Rang ablaufen können, so genießen sie doch einen hohen Status. Der Kirchenvater Hieronymus nennt Camilla als Beispiel nachahmenswerter Keuschheit.268 Die Amazonen haben die Ehre, neben den biblischen Heldinnen in die Reihe der neun Guten Frauen aufgenommen zu werden. Diese Figurengruppe fungiert ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts als weibliches Gegenstück zum Topos der neun Helden, dem personalisierten Ausdruck des Ritterideals. Sie findet sich häufig in der Literatur, schwer bewaffnet als Skulptur oder auf Wandbehängen verewigt, und begleitet beispielsweise Henry VI. bei seinem feierlichen Einzug nach Paris.269 In ihrem Gedicht über Jeanne bezieht sich Christine de Pizan ausdrücklich auf die kanonisierten Heldenfiguren, die preux: Jeanne habe noch mehr vollbracht als diese.270 An anderer Stelle in Christines Werk findet sich ein weiterer Beleg für das hohe Ansehen der heidnischen Heldinnen. In La cité des dames sind Berichte über Camilla, Penthesilea und Semiramis enthalten, von denen auch Chris-

266 Cf. Q V, 39; A IV, 250; D II, 284. 267 Cf. A I, 29, 56; von Jan: Das literarische Bild, 32f. 268 Cf. Hieronymus: Gegen Iovinianus. In: Ausgewählte Schriften des heiligen Hieronymus. Bd. II. Kempten 1874, 249-471, hier: 361f. 269 Cf. Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 304; idem: Jeanne d’Arc, 190-192; Huizinga: Herbst des Mittelalters, 74f.; Warner: Joan of Arc, 202; Fraioli: Joan of Arc, 136; idem: Why Joan of Arc Never Became an Amazon. In: Bonnie Wheeler / Charles T. Wood (eds.): Fresh Verdicts on Joan of Arc. New York, London 1996, 189-204, hier: 189-191; Sophie CassagnesBrouquet: Penthésilée, reine des Amazones et Preuse, une image de la femme guerrière à la fin du Moyen Age. In: Clio 20 (2004), ohne Paginierung (http://clio.revues.org/document1400.html, Stand: 20.05.2008). 270 Q V, 11, 16.

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tines Vorlage erzählt: Boccaccios De claris mulieribus.271 Dort, bei Boccaccio, erfährt man wiederum, wie Penthesilea sich für den Kampf rüstet: Ihr Haar verbirgt sie unter einem Helm, sie schnallt sich einen Köcher um und steigt schließlich wie ein Soldat auf den Wagen oder das Pferd: „militari, non muliebri, ritu“.272 Von solch einer Aussage führt eine direkte Linie etwa zu Chartiers Worten über Jeanne: „Et chevaulchoit tousjours armée en habillemens de guerre, ainsy qu’estoient les aultres gens de guerre de la compaignie“.273 Gerade diese Facette der Geschichten über die Heldin sichert der Bezug auf die heidnischen Legenden besonders gut ab: die Darstellung der äußeren Form ihres Handelns. Die Amazonen und die anderen legendären Frauen greifen nicht nur in das Kriegsgeschehen ein – das vollbringen auch die biblischen Frauen –, sondern sie treten in der Manier männlicher Krieger auf. Dasselbe gilt für eine andere Gruppe von Frauen, die in den Quellen über Jeanne nicht ausdrücklich erwähnt werden: In verschiedenen Erzählungen aus dem 13. und 14. Jahrhundert tauchen Frauen auf, die in die Rolle des Ritters schlüpfen. In Li Tournoiement as dames etwa beweisen einige Pariserinnen nach den Regeln des Ritterideals Mut und Stärke. Andere Texte erzählen von adeligen Heldinnen, die sich einen männlichen Namen und männliche Kleidung zulegen – meist um Verfolgern zu entkommen – und zum Teil hohe Auszeichnungen erwerben: beim Turnier, im Kampf oder sogar als Anführer einer Armee. Die wohl verblüffendste Geschichte erzählt eine französische Legende des 13. Jahrhunderts: Die Jungfrau Maria persönlich nimmt an der Stelle eines Ritters an einem Turnier teil. Abgesehen von solchen Erzählungen erscheinen weibliche Ritter in Illustrationen am Rande von Manuskripten, in einem französischen Stück des 14. Jahrhunderts oder auch in Berichten über Kreuzzüge, an denen im Prinzip beide Geschlechter teilnehmen können. Sogar die Welt der Ritterorden wird um neue Zusammenschlüsse erweitert, die für Frauen zugänglich sind.274 Um die weibliche Heerschar zu vervollständigen, ließe sich zuletzt auf die Tradition allegorischer Darstellungen verweisen, in denen die Tugenden von bewaffneten, gerüsteten Frauen verkörpert werden.275 271 272 273 274

Cf. Fraioli: Why Joan of Arc Never Became an Amazon, 189. Giovanni Boccaccio: De claris mulieribus. Die großen Frauen. Stuttgart 1995, 93. Q IV, 70. Cf. Hotchkiss: Clothes Make the Man, 30f., 105-119; Warner: Joan of Arc, 155f.; Beaune: Jeanne d’Arc, 166-168, 171f.; Cassagnes-Brouquet: Penthésilée; Helen Solterer: Figures of Female Militancy in Medieval France. In: Signs 16.3 (Frühjahr 1991), 522-549, hier: 523f., 540, 543; Michel Lamy: Jeanne d’Arc. Histoire vraie et genèse d’un mythe. Paris 1987, 173. 275 Cf. Warner: Joan of Arc, 229-231; Christina Lutter: Mulieres fortes, Sünderinnen und Bräute Christi. Geschlecht als Markierung in religiösen Symbolen und kulturellen Mustern des 12. Jahrhunderts. In: Monika Mommertz / Claudia Opitz-Belakhal (eds.): Das Geschlecht des

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Geschichten über wehrhafte Märtyrerinnen, Retterinnen des Volkes Israel, Amazonen und weibliche Ritter – alle enthalten sie Aussagen über die Durchsetzungsfähigkeit weiblicher Heldinnen gegen einen mächtigen Gegner. Und gerade in ihrem Zusammenwirken sind sie geeignet, die Geschichte von Jeannes Heldentaten zu stützen. Die traditionellen Heiligen sichern die standhafte Heldin ab, die mit übernatürlichen Mitteln siegt, die biblischen Frauen stehen hinter der Einzelkämpferin, die mal gewaltsam, mal sanft im Krieg für ihr Volk interveniert, und die Heidinnen und weiblichen Ritter finden sich hinter der Soldatin versammelt, die wie ein Mann gerüstet zur Tat schreitet. Die Aussagen über solche Figuren bilden einen Teil des assoziierten Feldes für einen Satz wie: „[D]ie Jungfrow gewand den stritt“. Und zwar jenen Teil, mit dem er durch Operationen der mehr oder weniger präzisen Wiederholung verbunden ist. Aber für die Heldin lassen sich darüber hinaus Absicherungen anführen, die auf indirekteren Bezügen beruhen, deswegen aber nicht weniger wichtig sein müssen.

II. Allgemeine Wahrheiten Christliche Glaubenssätze Die zeitgenössischen Geschichten über Jeanne stehen nicht nur mit Aussagen über einzelne tatkräftige Frauen in Verbindung, sondern auch mit allgemeineren Aussagen über weibliches Verhalten. Der Satz „[D]ie Jungfrow gewand den stritt“ kann als konkretisierende Variation einer Reihe von Aussagen gelesen werden, die davon sprechen, wie Frauen unter bestimmten Umständen handeln können und auch werden. Allerdings ist natürlich – soviel muss zunächst festgehalten werden – nicht zu übersehen, dass die Heldin mit den dominierenden Gender-Normen ihrer Zeit in Konflikt steht. Die Regeln der mittelalterlichen Christenheit sind es ja gerade, die das Auftauchen der Pucelle so unwahrscheinlich machen. Den Philosophen, Theologen, Wissenschaftlern gilt das weibliche als das passive, irrationale Geschlecht. Manche theologische Texte sprechen der Frau unbarmherzig die Gottesebenbildlichkeit ab.276 Die Geschlechterhierarchie ist durch etliche paulinische Aussagen abgesichert. So lehrt die Vulgata: „Mulieres viris suis subditae sint, sicut Domino: quoniam vir caput est mulieris: Glaubens. Religiöse Kulturen Europas zwischen Mittelalter und Moderne. Frankfurt a.M., New York 2008, 49-70, hier: 56. 276 Cf. etwa Opitz: Evatöchter und Bräute Christi, 102; Bynum: «…And Woman His Humanity», 257.

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sicut Christus caput est Ecclesiae: Ipse, salvator corporis ejus.“277 Dass Frauen in Aktion treten, vor allem dass sie das Wort ergreifen, ist dementsprechend nicht vorgesehen: „Docere autem mulieri non permitto, neque dominari in virum sed esse in silentio.“278 Erzählungen von einer Heldin, die sich bei Hofe Gehör verschafft und in das männliche Kriegshandwerk einmischt, müssen sich gegen solche Vorschriften behaupten. Dabei können sie sich allerdings auf Sätze stützen, die mit derselben Autorität ausgestattet sind. Im Neuen Testament gibt es auch jene Passagen, die eine Position der Schwäche – also etwa die des weiblichen Geschlechts – zur Voraussetzung für den Empfang höchster Auszeichnungen machen: „quae stulta sunt mundi elegit Deus, ut confundat fortia: et ignobilia mundi, et contemptibilia elegit Deus, et ea, quae non sunt, et ea quae sunt destrueret: ut non glorietur omnis caro in conspectu ejus.“279 Gott erwählt jene, die nichts sind, die in den Augen der Welt unwürdig sind, und ihnen teilt er seine Weisheit mit.280 Dieser Topos bringt Bewegung in Hierarchien. Aus einer Schwäche kann eine Stärke werden. Gerade in den Glaubenspraktiken zeigen sich die Spuren dieses Mechanismus deutlich: Als geeignete KandidatInnen für ein gottgefälliges, kontemplatives Leben gelten nicht die Gelehrten, sondern gerade jene, die von einfachem Wesen sind. Nicht zuletzt mit dieser Umwertung lässt sich erklären, dass Geistliche in religiösen Schriften sich selbst oder andere männliche Akteure mitunter feminisieren. Während heilige Frauen sich in ihrer Rolle eben dadurch bestätigt fühlen, dass Gott durch die Schwachen wirkt.281 Auch die Behauptung, durch Jeanne werde Frankreich gerettet, stützt sich auf diese Aussage. Die Heldin nimmt die Verknüpfung während ihres Prozesses selbst vor: „Interroguee pourquoy elle, plustost que ung autre: Respond: Il pleust a Dieu ainsi faire par une simple pucelle pour rebouter les adversaires du roy.“282 Unverzichtbar ist der Bezug auf die Erwählung der Schwachen auch für die Theologen, die Jeannes Auftauchen kommentieren. Er findet sich in Traktaten, die Jeannes Aktivitäten noch während ihrer Kar277 278 279 280 281

Eph 5, 22f.; cf. 1 Kor 11, 7-10. 1 Tim 2, 12; cf. 1 Kor 14, 34; Beaune: Jeanne d’Arc, 314. 1 Kor 1, 27-29; cf. Lk 1, 52. Cf. Mt 11, 25. Cf. Delaruelle / Labande / Ourliac: L’Eglise au temps du Grand Schisme, 840f.; Bynum: Jesus as Mother, 136f.; idem: Holy Feast and Holy Fast. The Religious Significance of Food to Medieval Women. Berkeley, Los Angels, London 1987, 279; Rosemary Radford Ruether: Misogynism and Virginal Feminism in the Fathers of the Church. In: Idem (ed.): Religion and Sexism. New York 1974, 150-183, hier: 156f. 282 T/L I, 139.

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riere gutheißen oder nach ihrem Tod ihren Ruf retten sollen. Gott habe sich einer Frau bedient, heißt es etwa, weil auf diese Weise der Stolz der Feinde Frankreichs umso gründlicher zunichte gemacht werde.283 In anderen Quellen ist die Verbindung weniger explizit. Aber die einschlägigen Bibelworte klingen auch außerhalb der theologischen Abhandlungen an. Besonders deutlich in der Chronique de Tournay: Gott habe seine Allmacht zeigen wollen, indem er eine zarte Frau mit Mut erfüllt habe.284 Die Frau ist schwach; gerade deshalb wird sie erwählt; dadurch kann sie es den Starken zeigen – so lässt sich eine aktive Heldin also absichern. Denkbar ist aber auch eine andere Verknüpfung: Die Frau ist schwach; doch sie kann ihre weibliche Natur überwinden; dadurch wird sie stark. Besonders die Kirchenväter entwickeln die Sichtweise, dass eine Frau männliche Eigenschaften entwickelt, ja: geradezu männlich wird, wenn sie ein keusches Leben führt. Durch ihre Tugend überwindet sie die Schwäche, die ihrem Geschlecht anhaftet. Auch in einem französischen Gebetbuch des 16. Jahrhunderts findet sich der Gedanke, eine Jungfrau könne sich Jesus soweit anverwandeln, dass man sie männlich nennen könne.285 Ihre größte Wirkung entfalten solche Aussagen aber in den ersten Jahrhunderten des Christentums und im frühen Mittelalter. Die Visionen, in denen sich heilige Frauen selbst als Männer und darin ein Zeichen ihrer Errettung sehen, treten in späteren Zeiten nicht mehr auf. Auch die (Selbst-) Beschreibung christlicher Heldinnen mithilfe von männlich konnotierten Vokabeln geht zurück.286 Im frühen 15. Jahrhundert, bei Jeannes Auftauchen, hat die Rede von der Männlichkeit einer heiligen Jungfrau keine Konjunktur. So erklärt sich auch, dass die zeitgenössischen Quellen die Heldin nicht ausdrücklich mit dem patristischen Topos in Zusammenhang bringen. Aber dennoch dürfte es für die Rede von einer aktiven Heldin nicht ohne Bedeutung sein, dass hier, im Kern des christlichen Diskurses, ein weiteres Mal zum Ausdruck kommt: Weibliche Schwäche kann sich in Stärke verkehren. 283 A I, 45; cf. etwa ibid., 29, 42, 63; D II, 198, 236, 273. 284 A III, 620; cf. auch Fraioli: Joan of Arc, 37; Heather M. Arden: Christine de Pizan’s Ditié de Jehanne d’Arc. History, Feminism, and God’s Grace. In: Ann W. Astell / Bonnie Wheeler: Joan of Arc and Spirituality. New York, Basingstoke 2003, 195-208, hier: 200-202. 285 Cf. Ruether: Misogynism and Virginal Feminism, 159f.; Nightlinger: Female Imitatio Christi, 293, 302f.; Elizabeth Castelli: Virginity and its Meaning for Women’s Sexuality in Early Christianity. In: Journal of Feminist Studies in Religion 2 (1986), 61-88, hier: 75. 286 Cf. Opitz: Evatöchter und Bräute Christi, 96; Bynum: Jesus as Mother, 138f.; idem: «…And Woman His Humanity», 272; Diane L. Mockridge: Marital Imagery in Six Late Twelthand Early Thirteenth-Century Vitae of Female Saints. In: Linda L. Coon / Katherine J. Haldane / Elisabeth W. Sommer (eds.): That Gentle Strength. Historical Perspectives on Women in Christianity. Charlottesville, London 1990, 60-78, hier: 60-63.

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Diese Transformation findet sich überdies im Gegenüber der beiden zentralen Frauenfiguren des Christentums wieder: Eva steht für die schwache weibliche Natur, Maria hingegen für deren glorreiche Überwindung; durch Eva geschieht Unheil, Maria bringt Rettung. Bereits in den frühesten theologischen Schriften wird diese Antithese herausgearbeitet. Bernard de Clairvaux gehört zu denen, die den Gedanken weiterentwickeln. Er betont Marias Rolle als reparatrix humani generis. Der Mann, der durch eine Frau gefallen sei, werde auch durch eine Frau wieder aufgerichtet. Dieser Gedanke taucht beispielsweise bei den Prophetinnen Birgitta von Schweden und Constance de Rabastens wieder auf, die sich selbst in der Rolle der rettenden Frau sehen.287 Genauso gut lässt sich das Muster mit Jeanne verbinden. In zwei Chroniken ist zu lesen, so wie Gott durch Maria die Menschheit errettet habe, so rette er durch die Pucelle den schönsten Teil der Christenheit, will sagen: Frankreich.288 Noch deutlicher wird die Entsprechung durch den Zusatz, Frankreich sei zuvor, genau wie die Menschheit, durch eine Frau ins Unheil gestürzt worden. Er findet sich in Chroniken, aber auch in den Akten des Rehabilitationsprozesses: Zwei Zeugenaussagen zufolge fragt Jeanne zunächst ihren Verwandten Durant Laxart und später Robert de Baudricourt, ob es denn nicht so sei, dass Frankreich von einer Frau gestürzt und von einer Jungfrau aufgerichtet werden solle. Mit der unheilbringenden Frau ist dabei wohl Isabeau de Bavière gemeint, da die Königin, die Mutter von Jeannes Dauphin, Zweifel an dessen Legitimität hat aufkommen lassen.289 Prophetische Weisheiten Jeannes Frage lässt sich direkt auf den grundlegenden Topos vom gegensätzlichen Paar Eva und Maria beziehen, sie steht aber auch in Verbindung mit einer Gruppe prophetischer Aussagen, die diesen ihrerseits adaptieren. Jeannes eigener Prozessaussage ist zu entnehmen, man habe ihr am Hof in Chinon von einer Prophezeiung erzählt: Eine Jungfrau werde von einem „Boys Chanu“ oder auch „Chesnu“ her kommen und Wunder wirken.290 Damit ist ausdrücklich die Verbindung hergestellt zwischen der Rede von der Pucelle und einer Voraussage des legendären Merlin. Dieser soll von dem Auftauchen 287 Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 102f.; Vauchez: Saints, prophètes et visionnaires, 128; idem: Pouvoirs informels. Visionnaires, prophètes et mystiques, 282; Monika Leisch-Kiesl: «Ich bin nicht gut, ich bin nicht böse…». Zur Eva-Maria-Antithese in Mittelalter und früher Neuzeit. In: Claudia Opitz et al. (eds.): Maria in der Welt. Marienverehrung im Kontext der Sozialgeschichte, 10.-18. Jahrhundert. Zürich 1993, 123-138, hier. 123f. 288 Q IV, 310; A III, 580; cf. Tanz / Werner: Spätmittelalterliche Laienmentalitäten, 233. 289 Cf. Q III, 431f.; Q IV, 326; D III, 283, 285; Beaune: Jeanne d’Arc, 105. 290 T/L I, 67.

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einer Jungfrau aus einem Schneewald, einem „boscum canutum“, gesprochen haben, der sich leicht in einen „Bois Chesnu“ verwandeln und so den Eichenwald in der Nähe von Jeannes Geburtsstätte bezeichnen kann. Merlin wird außerdem ein Satz über eine Jungfrau zugesprochen, die auf Bogenschützen herabkommen werde. Auch diese Aussage konnten die ZeitgenossInnen, wie sich mindestens einer Chronik entnehmen lässt, mit Jeanne und ihren englischen Feinden in Verbindung bringen.291 Als ein weiterer vertrauenswürdiger Gewährsmann aus lang vergangenen Zeiten wird der frühmittelalterliche Beda Venerabilis ins Spiel gebracht. Er soll in einem Chronogramm das Auftauchen einer Jungfrau vorhergesagt haben. Wie bereits zitiert, stellt Christine de Pizan den beiden Herren schließlich, um das in der zeitgenössischen Literatur übliche Trio zu komplettieren, eine antike Sibylle an die Seite.292 Allerdings müssen Weissagungen für Jeannes ZeitgenossInnen, die sich ihre Hoffnung auf bessere Zeiten gerne von ProphetInnen untermauern lassen, gar nicht unbedingt mit einem großen historischen Namen verbunden sein. Manche Texte zitieren die genannten Prophezeiungen, ohne dabei eine Quelle zu nennen. Andere AutorInnen sprechen schlicht von dem Umstand, die Pucelle sei vorhergesagt worden, ohne irgendwie ins Detail zu gehen. Die Hauptsache ist, das Erscheinen der Heldin erscheint nicht als Zufall, als Extravaganz, sondern als vorherbestimmt: „et dixoit on que ces choses avient esté pronostiquées“.293 Diesen Zweck kann auch die Verbindung zu relativ jungen Aussagen erfüllen. Bei Jeannes Prüfung durch die Kommission des Königs soll einer der Gelehrten sich an eine Prophezeiung Marie Robines erinnert haben, einer Visionärin also, die gut 30 Jahre zuvor von sich reden machte. Der Chronist Hermann Cornerius nimmt in sein Werk sogar jenes weitverbreitete, prophetisch anmutende Gedicht auf, das nach Jeannes Eintreffen am Hof entstanden sein muss. Cornerius weiß ganz offenbar um den Zeitpunkt der Abfassung, er weiß, dass es sich genau genommen um die Fortschreibung eines bereits angelaufenen Geschehens handelt. Den Wert der «Prophezeiung» scheint das in seinen Augen aber nicht herabzusetzen.294 Nicht eigentlich der prophetischen Literatur zugehörig, aber solchen Ankündigungen doch sehr ähnlich ist eine weitere Gruppe von Aussagen, auf die sich die Geschichten von der Pucelle gleichfalls konkretisierend beziehen. 291 Cf. Q IV, 305, 480; D IV 96; Beaune: Jeanne d’Arc, 105-107; Tanz: Jeanne d’Arc, 121; Deborah A. Fraioli: The Literary Image of Joan of Arc. Prior Influences. In: Speculum 56 (1981), 811-830, hier: 818f. 292 Cf. supra, 91; A III, 587f.; A IV, 280f.; Fraioli: Joan of Arc, 61; Beaune: Jeanne d’Arc, 108. 293 Q IV, 323; cf. ibid., 305, 430; D II, 473; D IV, 53. 294 Cf. A IV, 281; D IV, 59.

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Wieder geht es um eine rettende Jungfrau, deren Erwähnung in diesem Fall jedoch in politisch-patriotische Ausführungen über das Königreich Frankreich eingebettet ist. Autoren wie Robert Blondel, Eustache Deschamps und Charles d’Orléans schildern die Franzosen als Gottes auserwähltes Volk, malen den bedauernswerten Zustand des Reiches in dunklen Farben und halten Ausschau nach einem Weg zur Rettung. Frauengestalten können dabei eine wichtige Rolle spielen: als allegorische Repräsentation Frankreichs oder eben als Retterin. Robert Blondel identifiziert Maria als die heilsbringende Jungfrau, aber das hindert beispielsweise Christine de Pizan nicht daran, Jeanne in diese Rolle einzusetzen.295 Insgesamt kommt eine gehörige Menge an autoritätsheischenden Sätzen zusammen, auf die sich die Behauptung, Jeanne greife entscheidend in den Krieg ein, stützen kann. Sie konkretisiert die Überzeugungen der patriotischen Franzosen, ihr Reich werde gerettet. Sie erfüllt Prophezeiungen verschiedener Provenienz, Aussagen eines Genres, das hoch im Kurs steht. Sie aktualisiert biblische und patristische Grundsätze. Es wird erkennbar: Die Rede über die aktive Heldin hat ein assoziiertes Feld, das den dominierenden Aussagen über Frauen etwas entgegenzusetzen hat. Und dabei hat eine Form der Verknüpfung, die in dieser Diskursdimension eine wichtige Rolle zu spielen hat, noch gar keine Erwähnung gefunden: die unmittelbare Einbettung in einen narrativen Kontext.

III. Narrative Absicherungen Die Reichweite der Erzählungen Wendet man sich dem narrativen Charakter der Rede über Jeanne zu, dann – soviel ließ schon die theoretische Beschäftigung mit dem Begriff der Erzählung erkennen – kann man zwei verschiedene Formen von Verknüpfungen betrachten. Einerseits zwischen den Aussagen und dem Bereich der Möglichkeitsgesetze: Es zeichnen sich die Querverbindungen zu narrativen Konventionen ab, denen der letzte Abschnitt im Kapitel über das Möglichkeitsfeld der mittelalterlichen Heldin galt. Andererseits spannen sich Verbindungen innerhalb des assoziierten Feldes auf: Die einzelnen Aussagen der Rede über die Heldin sind natürlich untereinander zu einer Narration verbunden. Man

295 Cf. Q V, 6-10; Fraioli: Literary Image, 820-824; André Bossuat: Jeanne d’Arc. Paris 1968, 124f.

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kann sie – und darum muss es jetzt gehen – betrachten als die „suite des affirmations qui constituent un récit“.296 Die Quellen erzählen so gut wie immer von mehreren Ereignissen. Zwar kann man Kernaussagen isolieren, die Minimalnarration freilegen, die in der schlichten Affirmation bestünde, dass die Jungfrau den Sieg bringt: „Ce fust elle qui recouvra / L’onneur des Franchois“.297 Aber das ist eben nicht die ganze Geschichte. Höchstens Briefe, die über den aktuellen Stand der Kriegsdinge berichten und insofern einen Ausschnitt aus einer textübergreifenden Erzählung darstellen, beschränken sich auf isolierte Ereignisse.298 Ansonsten kommen in den Quellen neben den zentralen Wundertaten in aller Regel andere Erlebnisse oder Handlungen der Heldin zur Sprache. Selbst ein Text wie Johannes Niders Formicarium, der Jeanne als einen Beispielfall im Rahmen von Ausführungen über die Ketzerei benutzt, berichtet von einer Kette verschiedener Ereignisse: Jeanne greift nicht nur zum Wohle des Königreiches in das Geschehen ein, sie kündigt ihre Mission zuvor auch ausdrücklich an; sie schreibt drohende Briefe an die Hussiten; schließlich wird sie gefangengenommen, verurteilt, verbrannt.299 Wenn man zunächst die besonders knappen Versionen der Geschichte in Augenschein nimmt, kann man feststellen: Jeannes Karriere als Heldin muss keineswegs vom Beginn bis zum Ende erzählt werden. Wenn Robert Blondel vom Auftreten der Pucelle als einer Episode auf dem Weg zur Wiedereroberung der Normandie berichtet, kommt der Tod der Heldin nicht zur Sprache. Blondel erwähnt, dass sie einen göttlichen Auftrag erhalten hat. Er nennt die verschiedenen Stationen ihres Siegeszugs bis hin zur Krönung Charles VII. Aber damit schließt die Passage über Jeanne, obwohl Blondel, der diesen Text 1454 als Gefolgsmann des Herzogs von Berry, eines Sohns von Charles VII, schreibt, zweifellos um das weitere Schicksal der Heldin weiß.300 Eine ähnliche, allerdings noch knappere Darstellung wird dem Rechtsgelehrten Guy Pape zugeschrieben. Auch er beschränkt sich auf diese drei Etappen: göttliche Eingebung, Siegeszug, Triumph des Königs.301 Im Liber Pluscardensis, einer Chronik Schottlands, wird zwar eine ausführlichere Darstellung angekündigt, die aber in dem überlieferten Dokument nicht zu finden ist. Die erhaltene, zusammenfassende Passage verzichtet ebenfalls auf eine Er-

296 297 298 299 300 301

Cf. supra, 56. Cf. supra, 66, 89. Cf. Q V, 347-351; A III, 325-327. Cf. A IV, 284f. Cf. A III, 388-390. Cf. A III, 384.

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wähnung von Jeannes Niederlage und Tod, spricht stattdessen nur von einem göttlichen Auftrag und vollbrachten Wundern.302 Einige der längeren Texte bestätigen den Eindruck, dass die zentralen Aussagen über die Taten der Heldin nicht unbedingt mit der Rede von ihrem Ende verknüpft werden. Sowohl die Chronique de l’établissement de la fête als auch die Chronique de la Pucelle enden abrupt mit der Schilderung einiger – eher unbedeutender – militärischer Aktionen. Dabei sind beide lange nach Jeannes Tod, sogar nach der Rehabilitation geschrieben. Überdies dienten dem unbekannten Autor der Chronique de la Pucelle Arbeiten wie die des Jean Chartier und Aussagen des Rehabilitationsprozesses als Vorlagen, Quellen also, die über die späteren Ereignisse in Jeannes Leben Auskunft geben.303 Auch Eberhard von Windecken verzichtet darauf, die letzten Stationen im Leben der Heldin in seine Erzählung zu integrieren. Dass und wie die Heldin umgekommen ist, muss der Leser einem Brief entnehmen, dessen Text der Chronist seinen eigenen Ausführungen beifügt.304 Offenbar herrscht bei manchen Zeitgenossen ein gewisser Widerwillen, der Rede von der glorreichen Heldin durch den Bericht von Gefangennahme und Tod einen Teil von ihrem Glanz zu nehmen. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass die Nachrichten von Jeannes Unglück schlicht als unglaubwürdig erscheinen. Als ein burgundischer Edelmann in Konstantinopel von der Gefangenschaft der Heldin berichtet, halten seine Gastgeber die Neuigkeit für ein Ding der Unmöglichkeit. Andernorts kommt das Gerücht auf, sie sei entkommen – woran man dieselbe Überzeugung ablesen mag, Jeanne sei unbesiegbar.305 Doch es lassen sich genauso gut Beispiele für die narrative Einbindung der Heldinnentaten finden, die in die entgegengesetzte Richtung weisen: Weder in der englischen Chronik des William Caxton noch in den historischen Notizen der Pariser Gelehrten Clément de Fauquemberque und Jean de Vaulx finden sich Hinweise auf den Beginn von Jeannes Karriere, auf den Empfang eines göttlichen Auftrags etwa oder auf den Abschied von ihrer Heimat. In diesen Texten setzt die Erzählung erst mit Jeannes militärischen Erfolgen ein. Dafür aber berichten die Autoren – mehr oder weniger detailliert – über den Niedergang der Heldin, über ihre Gefangenschaft und ihren Tod.306 Einer ähnlichen Abfolge von Ereignissen folgen verschiedene Chronisten, die über die Geschichte der Normandie schreiben. Die Passagen über Jeanne lassen die 302 Cf. A IV, 300-303. 303 Cf. Q IV, 203, 252f.; Q V, 285, 295. 304 Cf. Q IV, 485-501; Markus Twellenkamp: Jeanne d’Arc und ihr Echo im zeitgenössischen Deutschland. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 14 (1988), 43-62, hier: 53. 305 Cf. Q IV, 532; Pernoud / Clin: Jeanne d’Arc, 158f.; Beaune: Jeanne d’Arc, 368f. 306 Cf. Q IV, 450-460, 476f., 532f.

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Heldin ebenfalls auf dem Schlachtfeld wie aus dem Nichts erscheinen und anschließend zugrunde gehen. Allerdings mit zwei Abwandlungen im Vergleich zu den vorgenannten Darstellungen: Zum einen wird hier darauf hingewiesen, dass ihre Anhänger Jeanne als von Gott gesandt ansahen, es wird also ein möglicher Ursprung der Mission angedeutet; zum anderen erzählt einer der Chronisten nur von Jeannes Gefangenschaft, nicht aber von ihrem Tod.307 Alle diese Texte, die nur die zweite Hälfte von Jeannes Karriere beleuchten, zählen zu den kurzen Fassungen ihrer Geschichte. Sobald die Darstellungen ausführlicher berichten, findet sich immer eine Angabe dazu, wo Jeanne herkommt, was ihre Handlungen auslöst, ein deutlicher Hinweis auf ihr Leben vor dem militärischen Erfolg. Dennoch lässt sich festhalten: Aussagen über Jeannes aktives Eingreifen müssen keineswegs in eine komplette Biographie eingebunden sein, die das Woher und Wohin klärt. Gleichzeitig allerdings haben Jeannes Heldentaten in jedem Fall ein klares Ende oder einen klaren Anfang – wenn nicht das eine, so das andere. Sie sind nicht einfach Ereignisse, die jederzeit auftreten können, die sich routinemäßig wiederholen. Entweder wird die Kette der Ereignisse deutlich sichtbar abgeschnitten: Jeannes Gefangenschaft bzw. Tod signalisiert, dass die Reihe ihrer Erfolge sich nicht fortsetzen kann. Oder aber ihre Heldentaten werden explizit aus dem alltäglichen Geschehen herausgelöst, indem Jeannes Abschied von der Normalität zur Sprache kommt. Techniken der Plausibilisierung Ein großer Teil der erzählenden Quellen lässt Jeannes Geschichte mit einem Ereignis beginnen, das diesen Abschied zum Ausdruck bringt. In den eben zitierten und einigen weiteren Beispielen ist es die göttliche Eingebung, der Moment, in dem Jeanne zum Instrument des Himmels erwählt wird. Eine andere, weniger spektakuläre Möglichkeit besteht darin, zunächst, bevor Jeannes Großtaten erwähnt werden, ihren Aufbruch von zu Hause oder auch nur ihre Ankunft bei Hofe zu schildern.308 Schon eine solche, unauffällige Einleitung deutet an, dass das Folgende Resultat einer Verschiebung ist. Es wird nicht erzählt, was sich im Allgemeinen am Hofe von Charles VII zuträgt, sondern das Eintreten einer Besonderheit. Selbst eine nüchterne Einleitung wie die des Perceval de Cagny verdeutlicht, dass es sich um einen einmaligen Vorgang handelt:

307 Cf. Q IV, 340-346; A III, 470f. 308 Cf. Q IV, 38, 41, 304, 322, 478; Q V, 51, 289; A III, 202, 384, 389, 456, 620, 629; A IV, 243, 245, 246.

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„En iceluy an [MCCCCXXVIII], le [VIe] jour dudit mois de mars, une pucelle de l’eage de XVIII ans ou environ, des marches de Lorraine et de Barroiz vint devers le roy à Chinon.“309

Im Vergleich zu Jeannes Abschied vom Alltag kommt ihrem vorherigen Leben in den narrativen Darstellungen geringere Bedeutung zu. Einige Texte machen dazu zwar Angaben, aber doch nur mit Verzögerung – mit Genettes gesprochen: in Form einer knappen analepse.310 So auch der Bericht des Perceval de Cagny. Erst nach der zitierten Einleitung folgt ein Satz über Jeannes Herkunft: „Laquelle estoit de gens de simple estat et de labour“.311 Solche Nachträge, die durchaus ausführlicher ausfallen können, besonders auch von Jeannes Jugend als Hirtin berichten, finden sich immer wieder.312 Die Abweichungen von der Chronologie betonen die Bedeutung von Aufbruch und Erwählung als Ereignisse, von denen die narrative suite des affirmations ihren Ausgang nehmen kann. Zumal solche Zeitsprünge in den Chroniken generell selten sind. Die wichtige narrative Rolle jener Ereignisse, die Jeannes Durchschnittsbiographie beenden, lässt an die Krisenerfahrungen denken, die zu den konventionellen Elementen besonders älterer Heiligengeschichten zählen.313 Und wenn der Bericht über Jeannes Aktivität mit der Erwählung der Heldin beginnt – etwa: „il [Dieu] anima et enhardi ung fueble et tendre corps féminin“ –, ist zugleich der Topos der Privilegierung der Schwachen aufgerufen.314 Man muss sich dann nicht gar so wundern, wenn eine junge Frau Städte erstürmt. Einen ähnlichen Effekt kann womöglich die Kunde von Jeannes grausamem Ende haben. Die Art ihres Todes bestätigt im Nachhinein, dass es sich um eine außergewöhnliche Figur handelt, um eine prekäre Existenz, um ein Leben also, in dem mit seltsamen Ereignissen eher zu rechnen ist als in dem ihrer ZeitgenossInnen. Sowohl die narrative Anbindung an das Woher, als auch die an das Wohin der Heldin kann dazu beitragen, ihre Geschichte als unwahrscheinliche auszuzeichnen und gerade dadurch ihre erstaunlichen Taten wahrscheinlicher zu machen. Wenn man den Blick von den Enden der narrativen Ketten abwendet und die Elemente weiter innen, näher bei den Kernaussagen betrachtet, lassen sich weitere Techniken der Plausibilisierung entdecken. Die Erzählungen handeln nicht zuletzt von der Skepsis, die man Jeannes Wundertaten entgegenbringen kann. Sobald die Darstellungen ein wenig ausführlicher ausfallen, sind die 309 310 311 312 313 314

Q IV, 3. Cf. Genette: Discours du récit, 82. Q IV, 3. Cf. Q IV, 38, 304; Q V, 51; A III, 202f., 620, 629; AIV, 243f. Cf. supra, 85-88. A III, 620, cf. supra, 97f.

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Aussagen über die Siege der Pucelle in Berichte über Zweifel, Proben und Bestätigungen eingebettet. Wie bereits erwähnt, berichten diverse zeitgenössische Quellen, dass Jeanne mit ihrer Mission bei den Soldaten in Vaucouleurs, am Hof oder auch bei den Engländern auf Unglauben stößt. Und manchen Darstellungen zufolge reagiert sogar die Heldin selbst mit Unglauben, wenn sie ihre Bestimmung offenbart bekommt.315 Schon für sich genommen ebnen diese Zweifel den Weg für die Erzählung von den Heldentaten. Denn sie entfalten die rhetorische Wirkung einer Prolepsis: Sie signalisieren, dass man der Heldin natürlich skeptisch gegenübertreten kann, und entkräften gerade dadurch die Skepsis; indem dem Zweifel wenige narrative Schritte später die Affirmation des Bezweifelten folgt, wird der Zweifel gleichsam überschrieben. Darüber hinaus enthalten die Erzählungen über Jeanne Abschnitte, die ausdrücklich Überzeugungsarbeiten zum Inhalt haben. Denn Jeannes spätere Gefolgsleute stellen die Pucelle ja auf die Probe, bevor sie sich ihr anschließen. Wenigstens zwei Darstellungen zufolge prüft schon Robert de Baudricourt Jeannes Verhalten und schickt sie erst nach Chinon, nachdem er von ihrem einwandfreien Lebenswandel überzeugt ist.316 In einem großen Teil der Versionen von Jeannes Geschichte bilden die Tests, Tricks und Befragungen, denen sie am Hof ausgesetzt ist, eine wichtige Etappe. Man erfährt, wie sich der König zwischen seinen Höflingen vor ihr versteckt, wie sich einer seiner Gefolgsleute für den Monarchen ausgibt und Jeanne trotzdem nicht getäuscht wird. Es heißt, dass sie den Fragen von Edelleuten und Gelehrten genauso standhält wie der Überprüfung ihrer Unberührtheit.317 Die Probandin stellt sich als hellsichtig, tugendhaft und verblüffend weise heraus. Damit ist ein Punkt in der Geschichte erreicht, an den sich mit größerer Selbstverständlichkeit Berichte von einer triumphierenden Jungfrau anschließen lassen. Wer dann immer noch nicht überzeugt ist, der wird in vielen Erzählungen durch die Schilderung kleiner Wunder auf die größeren vorbereitet. Wie bereits ausgeführt, haben die Quellen von vielerlei übernatürlichen Begebenheiten zu berichten. Lästerer werden bestraft, Prophezeiungen bewahrheiten sich, Tiere scharen sich zutraulich um die Heilige und dergleichen mehr.318 Einerseits stellen diese Details Bezüge zu hagiographischen Konventionen her. Andererseits stehen sie eben in direkter Verbindung zu den Kernaussagen der Rede über die aktive Heldin. Die Berichte über den Abschied von der Normalität, über Zweifel und Proben, über die Beweise besonderer Fä315 Cf. supra, 65f.; Q IV, 304f., 326; Q V, 28f.; A II, 253; A III, 232, 584; A IV, 249, 280, 290. 316 Cf. Q IV, 125; A IV, 249. 317 Cf. Q IV, 39, 41, 127f., 207-210, 305, 326, 362f., 431, 488f.; Q V, 52, 289; A II, 244, 253; A III, 202-204, 233f., 287, 584, 620f.; A IV, 249, 290. 318 Cf. supra, 79f., 86, 88f.

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higkeiten und Kenntnisse konstruieren gleichsam eine narrative Rampe, die den Übergang zu den Aussagen über Jeannes zentrale Taten erleichtern. Wenn bereits signalisiert ist, dass von erstaunlichen Dingen die Rede sein wird, lässt sich umso leichter behaupten: „[D]ie Jungfrow gewand den stritt“. So tragen narrative Verbindungen neben den Bezügen zu ehrwürdigen Vorgängerinnen und anerkannten Weisheiten das Ihre dazu bei, Aussagen über das Handeln der Heldin abzusichern. Entscheidende Abschnitte des assoziierten Feldes, in das sich die mittelalterlichen Aussagen eingebettet finden, sind damit – wie zuvor deren Referential – kartiert, und der Blick kann sich auf dieser Grundlage gleichsam nach innen wenden: in Richtung der heroischen Subjektposition.

c. Subjektposition Die Institutionen, Praktiken und Konventionen der spätmittelalterlichen Heiligenverehrung eröffnen ein Feld diskursiver Möglichkeiten, in dem die Heldin Jeanne d’Arc sagbar wird. Ein dichtes Netz von Aussagen – aus der Welt der klassischen Mythen, aus der Bibel oder direkt aus den einschlägigen Quellen des 15. Jahrhunderts – bietet Anknüpfungspunkte für die Behauptung, die Jungfrau gewinne den Krieg. Durch diese Einbettung öffnet sich für die Heldin gleichsam eine Nische in der Streuung von Diskurstatsachen, ein Raum, in dem die Heldin Form annehmen kann. Die heroische Subjektposition ist insofern ein Objekt des Diskurses, wird von ihm hervorgebracht. Aber sie kann gleichzeitig zum Ausgangspunkt von Aussagen werden: Ihre Position erlaubt der Heldin, gewichtige Mitteilungen über gewichtige Angelegenheiten zu machen. Jetzt gilt es, beides direkt in den Blick zunehmen: Wie ist die heroische Subjektposition beschaffen – als Quelle wie auch als Gegenstand von Aussagen? Vieles, was sich über die Position sagen lässt, resultiert unmittelbar aus den bereits dargestellten Verbindungen zwischen Aussagen über die Heldin einerseits und Referential sowie assoziiertem Feld andererseits. Aber in Bezug auf die Konstituierung des heroischen Subjekts muss auch von Komponenten die Rede sein, die in den anderen Ebenen des Diskurses eine untergeordnete Rolle spielen. So ist etwa auch der Körper der Heldin von großer Bedeutung für ihre Positionierung als Subjekt. Oder anders gesagt: für ihre Identität. Denn die diskursive Konstruktion des Subjekts Jeanne wird hier als ein Vorgang begriffen, wie ihn auch Judith Butler beschreibt, wenn sie nach

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den Ursprüngen von Identitäten sucht. Es geht um die Verknüpfung von Attributen, die sich nicht zuletzt durch ihr Verhältnis zu den Kohärenzlinien der gesellschaftlichen Konventionen charakterisieren lässt.319 Dieses Verhältnis soll auch das weitere Vorgehen bestimmen. Zunächst werden die Merkmale der Heldin versammelt, die etablierten Kohärenzlinien folgen, also die Übereinstimmungen der Position mit herkömmlichen Anforderungen, wie sie sich an eine junge Frau des 15. Jahrhunderts richten. Damit beginnt einerseits ihre Subjektposition, Gestalt anzunehmen, und andererseits dürften auch die Bedingungen ihrer heroischen Aktivität noch klarer zu Tage treten. Denn vermutlich erleichtert die Übereinstimmung mit manchen Konventionen die Überschreitung anderer. Um letztere muss es im zweiten Schritt gehen: um die Punkte, an denen Jeannes Identität die etablierten Kohärenzlinien durchbricht. Dass sie dazu in der Lage ist, macht sie als Untersuchungsgegenstand interessant, und jetzt ist genauer zu klären, in welcher Form ihr die Überschreitung gelingt. Allerdings stellt sich auch die Frage, welche Konsequenzen aus dem Durchbrechen der Kohärenzlinien resultieren. Eine Identität, die auf überraschenden Kombinationen basiert, funktioniert nicht unbedingt so selbstverständlich wie eine konventionelle. Die außergewöhnliche Subjektposition ist angreifbar. Deshalb muss es drittens um die ihr inhärenten Risiken der heroischen Position gehen, so wie sie sich in den zeitgenössischen Quellen darstellt.

I.

Anpassung

Die Einfache Während des Rehabilitationsprozesses – davon war bereits die Rede – schildern verschiedene Zeugen, welch eine gute Christin Jeanne in ihrer frühen Jugend war: In Domremy habe das kleine Mädchen oft gebetet, gefastet, die Kirche besucht und die Eucharistie empfangen.320 Jeannes Gefährten, die die Heldin erst zu einem späteren Zeitpunkt ihres kurzen Lebens kennenlernen, bestätigen das Bild. Selbst auf dem Feldzug, so heißt es, hat sie jeden Tag eine Kirche aufgesucht und die Sakramente in Ehren gehalten. Kurz: Sie ist eine bonne chrétienne bzw. bonne catholique. Andere Quellen, zumal die Chroniken, bekräftigen mit ganz ähnlichen Worten, dass die Heldin ihren Glauben vorbildlich praktiziert: „Elle estoit très dévote, se confessoit souvent, et re-

319 Cf. supra, 31f., 48f. 320 Cf. supra, 87.

Subjektposition

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cepvoit le précieux corps de Jésus-Christ.“321 Aber die gute Christin ehrt nicht nur die Bräuche und Riten ihrer Religion, sie bekennt ihren Glauben auch durch ihre Rede. Sie spricht oft von Gott und den Heiligen. Sie bekundet die richtigen Ansichten über die Sakramente und andere Glaubensfragen. Niemals habe Jeanne etwas gegen die Kirche gesagt, behauptet der Vertreter ihrer Familie im Rehabilitationsprozess.322 Die Aussagen über die Heldin platzieren sie also zunächst auf einer Position, die durch die Anforderungen an ein vorbildliches Mitglied der christlichen Gemeinschaft bestimmt ist. Doch die Ausrichtung allein an diesen Vorgaben reicht nicht aus. Denn überdies ist die Ausgangsposition der Heldin geschlechtlich bestimmt: durch die besonderen Regeln für weibliches Verhalten, für jenes passive, irrationale Geschlecht, das dem Manne untertan und vor allem still zu sein hat.323 Die vorbildliche Christin übt nicht nur im richtigen Rhythmus ihren Glauben aus, sondern sie tritt auch schön bescheiden auf. Sie ist ein schlichtes Wesen und versucht nicht, mehr zu sein. Auf die glorreiche Jeanne, sollte man meinen, trifft das ganz und gar nicht zu – und doch wird sie in manchen Passagen nach diesem Muster präsentiert. Sie spreche wenig, heißt es, und immer wieder beschreiben die Quellen sie als simple oder simplex. Geradezu willenlos weich erscheint sie bei Martial d’Auvergne: „Elle estoit très douce amyable, / Moutonne, sans orgueil n’envie“.324 Ihre Zugehörigkeit zu den simples gens bringt Jeanne in eine ambivalente Lage.325 Wenigstens in einer Darstellung wird ihre Schlichtheit der Heldin zum Hindernis: Der Statthalter des Königs habe wegen ihrer einfachen Art zunächst nicht an sie geglaubt, schreibt Thomas Basin.326 Aber generell gilt: Gerade durch ihre Einfachheit qualifiziert sich Jeanne für die Erleuchtung: „quae stulta sunt mundi elegit Deus“.327 Insofern kann sie eigentlich nicht simplex genug sein. Je eindeutiger sie eine Position der Schwäche einnimmt, desto besser erfüllt sie im selben Zuge die Anforderungen an ein auserwähltes Werkzeug Gottes. Und in der Tat kommt in vielfacher Form – nicht allein in dem Attribut simple – zum Ausdruck, dass Jeanne auf einer Position weit unten in der zeitgenössischen Hierarchie in Erscheinung tritt.

321 Q IV, 249; cf. D I, 485f.; D III, 7f., 78, 105, 126, 177f., 188, 191, 288; D IV, 9f., 12, 85f.; T/L I, 76; Q IV, 93, 231, 250, 322, 352; Q V, 75; A I, 57; A II, 244; A III, 203, 289, 584; A IV, 244, 288. 322 D III, 52f.; cf. Q IV, 3; A II, 244. 323 Cf. supra, 96f. 324 Q V, 75; cf. Q IV, 70, 214, 249, 304, 306; Q V, 28, 67; A I, 57, 61; A III, 584, 621; D III, 10, 78, 125f.; D IV, 11, 22, 61, 70. 325 Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 79-81. 326 A III, 232. 327 Cf. supra, 97.

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Schon die Bezeichnung, unter der sie bekannt wird, trägt zu dieser Platzierung bei: Jeanne ist die Pucelle. So wird sie in den Quellen immer wieder genannt, und das Wort verbindet sich so eng mit der Figur der Heldin, dass es ihr zum Eigennamen wird: Selbst in seiner englischen Chronik spricht William Caxton von der „mayde whiche they named la Pucelle de Dieu.“328 Nun verweist die Benennung als pucelle zum einen auf Jeannes Jungfräulichkeit, von der noch zu sprechen sein wird. Zum anderen aber ist damit eine unvorteilhafte soziale Stellung beschrieben: die eines unverheirateten Mädchens, das gewiss niemandem etwas zu sagen hat.329 In der Légende dorée beispielsweise werden sowohl keusche Heilige als pucelles angesprochen als auch leichte Mädchen, die einen Christen in Versuchung führen. Ihre Gemeinsamkeit besteht nur darin, dass sie schwache – weibliche – Wesen ohne gesellschaftlichen Rang sind. Dafür steht hier die Bezeichnung pucelle, und deswegen heißt es etwa in der Legende der Heiligen Euphemie: „le juge eust honcte que il estoit vaincu d’une pucelle“.330 Mit der Bezeichnung pucelle ist bereits gesagt, dass die Heldin jung ist. Aber zusätzlich weisen viele Autoren explizit auf Jeannes zartes Alter hin. Die Angaben fallen unterschiedlich aus: Sie ist schlicht „jeune“, „une fillette de seize ans“ oder auch „eagie de vingt ans ou environ“.331 Unabhängig von konkreten Zahlen unterstreicht das wiederum: Die Heldin startet praktisch auf einer Position der Ohnmacht. Sie wird zunächst einmal wahrgenommen als schwächste aller Kreaturen: „unam ancillam, virginem puellam, omnium creaturarum ante hoc pusillanissimam et spiritu pauperrimam“.332 Dazu trägt auch ihre Beschreibung als Hirtin bei. Jeanne selbst bestreitet zwar, Schafe oder andere Tiere gehütet zu haben.333 Aber ihre Zeitgenossen sind sich weitgehend einig: Die Heldin ist eine bergerelle, Schaf- und für manche auch Schweinehirtin, oder sie tritt zumindest auf „comme une pastourelle“.334 Sie habe sich, wird sogar behauptet, nach ihren großen Erfolgen zu der Existenz als Hirtin zurückgesehnt – ein besonderes Zeichen ihrer Bescheidenheit.335 Die Position der Hirtin hat allerdings einen doppelten Charakter: weit unten im sozialen Gefüge, aber zugleich nach moralischen Maßstäben durchaus 328 329 330 331 332 333 334 335

Q IV, 477; cf. auch Q V, 136. Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 28f., 136f. Voragine: Légende dorée, 892, cf. ibid., 131, 308, 318, 606f., 908, 999, 1108f., 1070, 1079f. Q IV, 118; Q V, 14; Q IV, 361; cf. etwa Q IV, 3, 38, 52, 205; Q V, 52; A I, 42, 55; A III, 202, 583, 629; A IV, 248, 280; Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 292. Q V, 340. Cf. T/L I, 46. Q IV, 214; cf. 38, 41, 188, 205, 304, 430; Q V, 11, 51, 67; A I, 42, 56, 61; A II, 242, 252, A III, 203, 232, 287, 583, 629; A IV, 240, 244, 246, 248, 280, 303; D IV, 11, 14. Cf. Q IV, 188.

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vorteilhaft. Das Hirtenleben zeichne sich durch besondere Unschuld aus, bemerkt ein italienischer Zeitgenosse in einem Brief über Jeannes Heldentaten, deshalb habe Gott wohl David auserwählt und deshalb sei Jesus im pastoralen Ambiente zur Welt gekommen.336 Im 12., 13. Jahrhundert etabliert sich sowohl das Bild von den armen Hirten als Gläubigen der ersten Stunde, als auch die Rede vom Pfarrer als Hirten seiner Gemeinde. Und die weltliche Literatur des Mittelalters übernimmt aus der Antike das Idealbild vom Schäferleben, das sich durch seine Stabilität, Mäßigkeit, Unabhängigkeit positiv von einem luxuriösen Leben im Zentrum der Macht abhebt.337 Insofern kann man also in der Rede von der Hirtin Jeanne Bewunderung mitschwingen hören. Die Schöne Gleichzeitig drückt sich in dieser Charakterisierung der Heldin womöglich ein gewisses Begehren aus. In der zeitgenössischen Literatur tauchen Bauernmädchen oft als Lustobjekte adeliger Herren auf.338 Wenn Jeanne in Vaucouleurs vorspricht, denkt Robert de Baudricourt einer Chronik zufolge zunächst an Sex – er möchte die Pucelle als Hure für seine Männer dabehalten. Daraus wird zwar nichts, „car si tost qu’ilz la regardoient fort, ilz estoient tous refroidiz de luxure.“339 Aber grundsätzlich, soviel lässt sich festhalten, zählt körperliche Attraktivität zu den Attributen der Heldin. Ihr Gefährte Jean d’Aulon beschreibt sie als „belle et bien formée“; sie habe schöne Brüste gehabt, fügt der Herzog von Alençon hinzu.340 Perceval de Boulainvilliers hat womöglich ebenfalls ihr angenehmes Erscheinungsbild im Sinn, wenn er an den Herzog von Mailand schreibt: „Haec Puella competentis est elegantiae“.341 Doch warum ist von der Schönheit der Heldin überhaupt die Rede – und überdies in anerkennendem Ton? Schönheit kann verführen, sie gemahnt an die fleischliche, schwache Seite des Menschen – zumal der Frau. Für ein Leben im Dienste des Herren, so sollte man meinen, ist ein gefälliges Äußeres nicht unbedingt von Vorteil. Das bestätigen die Beispiele diverser Heiliger, die ihre Schönheit auf dem Weg zu einem gottgefälligen Leben ablegen. Indem sie strenge Askese praktizieren, ihre weiße Haut von der Sonne verbrennen 336 A IV, 242. 337 Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 117-121; Huizinga: Herbst des Mittelalter, 145-152. 338 Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 120f.; Maria E. Müller: Bauernmädchen. Imaginäre Grenzüberschreitungen in mittelalterlicher Literatur und Geschichte. In: Hedwig Röckelein / Charlotte Schoell-Glass / Maria E. Müller (eds.): Jeanne d’Arc oder Wie Geschichte eine Figur konstruiert. Freiburg, Basel, Wien 1996, 85-110, hier: 85-95. 339 Q IV, 118. 340 D I, 486; D IV, 70. 341 Q V, 120.

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lassen, sich die Haare oder gar die Nase abschneiden, zerstören sie ihre weiblichen Reize. Ihre Schönheit sei nichts wert gewesen bis zu dem Moment, in dem sie sie aufgab, heißt es in einer Version der Legende der heiligen Thais.342 Doch solchen Geschichten stehen mindestens ebenso viele Darstellungen gegenüber, die den entgegengesetzten Eindruck vermitteln: Schönheit stellt auf dem Weg zur Perfektion keineswegs ein Hindernis dar. Das signalisiert schon die spätmittelalterliche Tradition der Schönen Madonna.343 In Erzählungen über heilige Jungfrauen wird routinemäßig deren Attraktivität betont, ohne dass diese später verloren ginge. Und es kann sogar vorkommen, so in einer Version der Legende der heiligen Katharina, dass die Heldin nach 15 Tagen ohne irdische Nahrung nur noch schöner wirkt.344 Die körperliche Attraktivität der Heiligen unterstreichen die einschlägigen Texte auch mit Hilfe von Szenen, in denen die Frauen entblößt werden. Besonders in den Geschichten von Märtyrerinnen mangelt es nicht an Anlässen: Die Torturen beginnen oft damit, dass die Heiligen entkleidet und den Blicken der Umstehenden ausgesetzt werden.345 Zu einer ganz ähnlichen Konstellation – bei der allerdings neben den körperlichen Reizen der Heldin, wie noch zur Sprache kommen wird, etwas anderes auf dem Spiel steht – kommt es während Jeannes Hinrichtung. Nachdem Jeannes Kleidung verbrannt gewesen sei, schreibt zumindest der sogenannte bourgeois de Paris, sei das Feuer zurückgezogen, die Pucelle den Blicken der Umstehenden offenbart worden: „et fut vue de tout le peuple toute nue“.346 In anderen Quellen ist von dieser Szene nicht die Rede, aber immerhin von der Schaulust: Vor allem in Orléans drängen die Menschen herbei, um einen Blick auf ihre – hier allerdings sittsam bekleidete – Retterin zu erhaschen.347 Ihre Schönheit kann heilige Heldinnen in Gefahr bringen. Das gilt besonders in den frühen christlichen Jahrhunderten.348 Aber die Bedrohung ist gerade eine Voraussetzung ihres Heldentums. Wenn sie nicht von den heidnischen Machthabern begehrt und deshalb verfolgt würden, könnten die Heiligen nicht ihre Standfestigkeit unter Beweis stellen. Und auch in späteren 342 Cazelles: Lady as Saint, 291; cf. 260-264, 295f.; Hotchkiss: Clothes Make the Man, 23; Jane Tibbets Schulenburg: The Heroics of Virginity. Brides of Christ and Sacrificial Mutilation. In: Mary Beth Rose (ed.): Women in the Middle Ages and the Renaissance. Literary and Historical Perspectives. Syracuse 1986, 29-72, hier: 48f., 54. 343 Cf. Leisch-Kiesl: «Ich bin nicht gut…», 133. 344 Cf. Cazelles: Lady as Saint, 19, 28, 50; Hill: Vie de Sainte Euphrosine, 193; Clugnet: Vie de Sainte Marine, 298; Voragine: Légende dorée, 307, 606, 1107; Carlé: Structural Patterns, 81. 345 Cf. Cazelles: Lady as Saint, 52f.; Heffernan: Sacred Biography, 276-280. 346 Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 297. 347 Cf. Q IV, 153, 155f., 188; A IV, 252. 348 Cf. Cazelles: Lady as Saint, 34, 50.

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Zeiten kann eine ähnliche Logik zur Anwendung kommen: Wären die heiligen Jungfrauen nicht attraktiv, dann wäre ihre Entscheidung für ein keusches Leben weniger eindrucksvoll. Wäre ihre Attraktivität nicht sichtbar, gäbe es weniger Anlass, ihrer heroischen Haltung Tribut zu zollen. Von der Schönheit einer christlichen Heldin zu reden – sie auch damit in gewisser Weise sichtbar zu machen –, bedeutet deshalb, auf die Größe ihres Opfers, auf die Ausmaße ihres Heldentums hinzuweisen.349 Ein weiterer Grund, warum körperliche Attraktivität der gottgesandten Heldin angemessen ist, liegt in der Beziehung zwischen innerer und äußerer Schönheit. In Jean de Vignays Übersetzung der Legenda aurea zum Beispiel wird beides schon sprachlich eng miteinander verklammert, wenn es über die heilige Agatha heißt: Sie sei „tresbelle de corps et de pensee“.350 Einen noch deutlicheren Eindruck vermitteln die Kanonisierungsakten des späten Mittelalters, indem sie vom Äußeren auf höhere Werte schließen. Die Heiligen würden in der Regel als Schönheiten beschrieben, fasst André Vauchez zusammen, „comme des créatures d’une beauté resplendissante, qui était interprétée comme le signe d’une haute perfection.“351 Innere Qualitäten und eine angenehme Oberfläche sind aneinander gekoppelt – eine Erwartung, die Jeannes ZeitgenossInnen in einem Bibelwort bestätigt finden: „Ex visu cognoscitur vir, et ab occursu faciei cognoscitur sensatus.“352 Die Reine Neben seiner Schönheit hat der Körper der Heldin einer weiteren Anforderung zu entsprechen: Er muss unberührt sein. In der christlichen Gesellschaft steht Keuschheit an der Spitze weiblicher Ideale. Als erste und wichtigste Bedingung auf dem Weg zur Perfektion muss die – und auch der – Heilige den fleischlichen Lüsten entsagen. Zwar gewinnt das Modell der Ehefrau im späten Mittelalter zunehmend Anerkennung, aber gerade in der Darstellung heiliger Heldinnen bleibt unbedingte Keuschheit das Tugendmerkmal schlechthin.353 Nicht umsonst führt der schriftliche Antrag auf Jeannes Rehabilitierung zuallererst dieses Argument ins Feld: dass Jeanne Jungfrau war. Im Laufe des Prozesses wird der Punkt mehrfach bekräftigt. Genau wie manche Chronisten beteuern Zeugen ausdrücklich die Unberührtheit des Heldinnenkörpers. Die 349 350 351 352 353

Cf. Heffernan: Sacred Biography, 267-269, 278-280; Warner: Joan of Arc, 18. Voragine: Légende dorée, 307. Vauchez: Sainteté en Occident, 509. Sir 19, 26. Cf. Heffernan: Sacred Biography, 245f.; Vauchez: Sainteté en Occident, 605; idem: Saints, prophètes et visionnaires, 442-445; Weinstein / Bell: Saints and Society, 73; Schulenburg: Heroics of Virginity, 31.

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Quellen schildern, wie Jeanne nach ihrer Ankunft bei Hofe von sachkundigen Frauen untersucht wird. Jeanne selbst sagt aus, mit 13 Jahren habe sie Gott Keuschheit gelobt.354 Ohnehin wird Jeannes Jungfräulichkeit immer wieder durch den Namen signalisiert, unter dem la Pucelle üblicherweise in den Quellen figuriert. Denn der Begriff pucelle bezeichnet eben nicht nur eine Position mit niedrigem sozialen Status, sondern signalisiert auch die Jungfernschaft einer Frau. Und auch wenn die Vokabel pucelle den Akzent stärker auf Jungfernschaft im Sinne eines Lebensabschnitts legt und weniger auf die religiöse Dimension: Die Keuschheit ist damit in der Regel doch attestiert.355 Wie im Übrigen eine Formulierung von Jeannes Gefährten Jean d’Aulon anzeigt: Die Frauen, die Jeanne körperlich untersuchten, so berichtet er, „trouvoient certainement que c’estoit une vraye et entière pucelle“.356 Jeanne ist von so großer Reinheit, dass sie unsaubere Regungen selbst aus den Gedanken und Gefühlen anderer Personen vertreibt. Ungeachtet ihrer Schönheit kann kein Mann die Jungfrau begehren, wenn er ihr direkt gegenübersteht. Das sexuelle Verlangen der Soldaten des Robert de Baudricourt erlischt. Und Jeannes treuesten Begleitern geht es nicht anders: Generell begehren sie keine Frauen, während sie mit Jeanne durch die Lande ziehen, und schon gar nicht die Heldin selbst. Sie sehen sehr wohl, dass sie schön ist, sehen ihre Brüste und Beine unbedeckt. Und doch wollen sie diesen Körper nicht liebkosen: „toutesfoiz oncques“, heißt es in der Aussage von Jean d’Aulon, „pour quelque veue ou atouchement qu’il eust vers ladicte Pucelle, ne s’esmeut son corps à nul charnel désir vers elle“.357 Als Jungfrau, die Keuschheit geradezu ausstrahlt, genießt Jeanne Anerkennung. Die Aussage, sie sei eine wahre pucelle, stützt die Berichte von ihrem heldinnenhaften Hervortreten. Und zwar nicht nur, weil Jungfrauen besser, reiner sind als andere Menschen: Sie sind auch stärker, mächtiger, können mitunter unverletzlich sein. Jungfrauen wird in der christlichen Tradition – aber auch in anderen Kontexten – gerne eine gleichsam magische Kraft zugesprochen, die ihre Körper gerade als unversehrte zu beherbergen vermögen. Sie erscheinen als Relaisstationen göttlicher Macht. Frei von weltlichen, familiären Bindungen stehen sie ganz und gar dem göttlichen Wirken zur Verfü-

354 T/L I, 123; cf. D I, 476; D III, 77f., 107, 125f.; D IV, 10, 12, 24, 71; Q IV, 352f.; A III, 620; A IV, 303. 355 Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 136; Susan Crane: Clothing and Gender Definition. Joan of Arc. In: Journal of Medieval and Early Modern Studies 26 (1996), 297-320, hier: 305. 356 D I, 476. 357 Ibid., 486; cf. D III, 278, 293; D IV, 10, 54, 70; Q IV, 205.

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gung. Der keuschen Frau stünden die Engel bei, schreibt Martin Le Franc mit Blick auf Jeanne.358 Gerade die Ermächtigung, die mit dem jungfräulichen Leben einhergeht, verschiebt grundlegende Koordinaten weiblicher Subjektpositionen: weg von den als natürlich vorausgesetzten Konventionen, hin zu männlichen Positionen. Es war bereits die Rede davon, dass christliche Literatur, besonders die patristische, Jungfrauen, die ganz Gott leben, mitunter als männlich beschreibt.359 Auch wenn dieser Topos zu Zeiten der Pucelle nicht mehr ganz aktuell ist – er verdeutlicht die Konstruktionsweise der heroischen Subjektposition: Die Keuschheit markiert die Abwendung von der erwartbaren Position der Passivität; hier, am Punkt der Unberührbarkeit, wird die konventionelle Kohärenzlinie weiblicher Attribute durchkreuzt; hier geschieht das – in biblischen Glaubenssätzen angelegte – Umschlagen von Schwäche in Stärke. Jeannes Überschreiten der Konvention zeigen einige ZeitgenossInnen explizit als ein Überschreiten der Natur an. „N’est-ce pas chose fors nature?“, fragt Christine de Pizan in Bezug auf Jeannes Standfestigkeit auf dem Schlachtfeld; die Pucelle habe im Kampf die weibliche Natur hinter sich gelassen, schreibt Georges Chastellain: „passant nature de femme“.360 Und in dieselbe Richtung geht die Aussage Jean d’Aulons, Jeanne habe keine Monatsblutungen gehabt. Jeanne hat die Zwänge der Natur so weit hinter sich gelassen, dass sie nicht unter „la secrecte maladie des femmes“ leidet. Das verbindet sie mit anderen heiligen, über weibliche Schwäche erhabenen Jungfrauen.361 Über eine lange Strecke sind die Attribute der Heldin entlang üblicher Kohärenzlinien angeordnet: Sie praktiziert ordnungsgemäß den christlichen Glauben, ist einfach, bescheiden, schön und keusch. Diese konventionelle Ausstattung verleiht der Position der Heldin eine weithin akzeptable Basis. Und ohne die wäre die überbordende Aktivität der Heldin nicht denkbar. Wie eng beides zusammengehört, lässt sich auch am Beispiel einer Gruppe von spätmittelalterlichen Pilgerinnen ablesen. Indem sie sich während der Überfahrt ins Heilige Land zurückhaltend und dienstfertig verhalten, räumen sie Vorbehalte der mitreisenden Männer aus dem Weg und können später umso 358 Q V, 48; cf. Bynum: Holy Feast and Holy Fast, 20; Atkinson: «Precious Balsam», 138; Opitz: Evatöchter und Bräute Christi, 87f.; Pernoud / Clin: Jeanne d’Arc, 52f.; Beaune: Jeanne d’Arc, 150f.; Maud Burnett McInerney: Eloquent Virgins from Thecla to Joan of Arc. New York, Basingstoke 2003, 199, 205. 359 Cf. supra, 98. 360 Q V, 14; Q IV, 446. 361 D I, 486; cf. Bynum: Holy Feast and Holy Fast, 211, 274; Castelli: Virginity and Women’s Sexuality, 76; Warner: Joan of Arc, 22.

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höher in deren Ansehen steigen: Am Ziel der Reise, notiert ein Begleiter, seien sie den Strapazen in der Wüste stärker als Männer und tapferer als Ritter begegnet.362 In Bezug auf die Pucelle verklammert ihr Zeitgenosse Mathieu Thomassin die beiden Seiten der heroischen Subjektposition mit zwei kompakten Sätzen: „Et quant elle estoit sur faict d’armes, elle estoit hardye et courageuse, et parloit haultement du faict des guerres. Et quant elle estoit sans harnoys, elle estoit moult simple et peu parlant.“363

II. Überschreitung Die männliche Kleidung Die Keuschheit der Heldin bildet den Durchgangspunkt zur machtvollen Seite ihrer Subjektposition. Einer Jungfrau komme sowohl männliche als auch weibliche Kleidung zu, habe die Pucelle – so berichtet es Pius II. – zur Verteidigung ihres männlichen Aufzugs vorgebracht.364 Und noch in einer anderen Weise lässt sich das Attribut cross-dressing an das Attribut Keuschheit anschließen: Indem Jeanne ihren weiblichen Körper unter männlich-militärischer Ausrüstung verbirgt, stellt sie klar, dass er als Objekt der Begierde nicht zur Verfügung steht. Sie schützt ihre Jungfräulichkeit, die durch das Leben zwischen kriegerischen Kerlen bedroht ist. Wenn in den Quellen ein Grund für das cross-dressing der Heldin angegeben wird, ist es zumeist dieser – „c’estoit pour garder sa chasteté plus aiséement“.365 Die Argumentation ist durch die Tradition der heiligen Transvestitinnen bereits eingeführt. Meist steht ihre Keuschheit auf dem Spiel, wenn Heilige der frühen christlichen Jahrhunderte zu Männerkleidung greifen. Sie entgehen auf diese Weise aufdringlichen Verehrern, beenden ein sündiges Leben oder entkommen aus einem Freudenhaus. Im späten Mittelalter versuchen gelegentlich Frauen auf Pilgerfahrt, sich durch männliche Kleidung vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Selbst im

362 Cf. Leigh Ann Craig: ‚Stronger Than Men and Braver Than Knights‘. Women and the Pilgrimages to Jerusalem and Rome in the Later Middle Ages. In: Journal of Medieval History 29 (2003), 153-175, hier: 164-175. 363 Q IV, 306. 364 A IV, 249; cf. Katharina Simon-Muscheid: «Gekleidet, beritten und bewaffnet wie ein Mann». Annäherungsversuche an die historische Jeanne d’Arc. In: Hedwig Röckelein / Charlotte Schoell-Glass / Maria E. Müller (eds.): Jeanne d’Arc oder Wie Geschichte eine Figur konstruiert. Freiburg, Basel, Wien 1996, 28-54, hier: 35f. 365 Q IV, 250; cf. ibid., 211; A III, 289, 291; D III, 80, 130, 176f, 222; D IV, 106f.

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Rahmen von Jeannes Prozess in Rouen gesteht ein Geistlicher zu, dass dieses Mittel im Kampf um die Jungfräulichkeit gerechtfertigt ist.366 Allerdings trennt ein entscheidender Punkt Jeannes cross-dressing von dem etablierter Heiliger: Es zielt keineswegs darauf, die Zugehörigkeit der Pucelle zum weiblichen Geschlecht unsichtbar zu machen. Die Transvestitinnen der christlichen Tradition müssen in den Augen der anderen als Männer durchgehen, um unerkannt zu fliehen oder in eine Mönchsgemeinschaft aufgenommen zu werden. Jeanne hingegen will nicht als männlicher Soldat für Charles kämpfen, sondern als Jungfrau. Niemals behaupten die Quellen, sie werde deshalb am Hof akzeptiert, weil man sie für einen Knaben halte. Das cross-dressing erscheint in der Rede über die Heldin nicht als Täuschung, es ist Jeannes Umgebung bewusst: Jeanne „eut licence d’estre habillée comme ung homme“, kann es beispielsweise heißen.367 Da von Verkleidung also keine Rede sein kann, tritt umso mehr ein anderer Aspekt von Jeannes Aufzug in den Vordergrund: In ihren Kleidern findet die ungewöhnlich machtvolle Position der Heldin einen äußerst kompakten Ausdruck. Der Umstand an sich, dass sie im Männerrock auftritt, beweist ihre Durchsetzungsfähigkeit gegenüber Konventionen. Darüber hinaus steht das cross-dressing in enger Verbindung mit ihrer kämpferischen Aktivität. Es kann einerseits als direkte Folge aus ihrem Leben im Heer gelesen werden: Die Männerkleider seien dem einfach angemessen, soll Jeanne gesagt haben. Ganz in Übereinstimmung mit einem Argument aus dem Traktat des Jacques Gélu über die Heldin: Sie seien notwendig und nützlich gewesen, meint auch der Vertreter der Familie d’Arc im Rehabilitationsprozess.368 Andererseits sind die Männerkleider geeignet, der Heldin Autorität und damit auch Handlungsmöglichkeiten überhaupt erst zu verschaffen. Gerade in einer Zeit, in der die Analogie von Wesen und Anschein nicht in Zweifel steht, macht das cross-dressing der Heldin deutlich, dass diese Frau jede weibliche Schwäche hinter sich gelassen hat.369 Und im Übrigen auch die Be366 Cf. T/L I, 325f.; Voragine: Légende dorée, 442-446, 602, 965, 967; Hill: Vie de Sainte Euphrosine, 203; Bullough: Transvestites in the Middle Ages, 1384-1387; Cazelles: Lady as Saint, 63; Delcourt: Complexe de Diane, 2-7; Hotchkiss: Clothes Make the Man, 22; Losert: Kleider machen Männer, 74f. 367 Q V, 289; cf. etwa Q IV, 3, 70, 125, 361, 533; A III, 389, 631; D III, 277, 283, 287, 293; Bullough: Transvestites in the Middle Ages, 1390; Warner: Joan of Arc, 151; Françoise MichaudFréjaville: Un habit »déshonnête«. Réflexions sur Jeanne d’Arc et l’habit d’homme à la lumiére de l’histoire de genre. In: Francia 34.1 (2007), 175-185, hier: 179-182. 368 D III, 22; D IV, 143; cf. A I, 46; Crane: Clothing and Gender Definition, 301f.; Michaud-Fréjaville: Un habit »déshonnête«, 177f. 369 Cf. Hotchkiss: Clothes Make the Man, 68; Opitz: Evatöchter und Bräute Christi, 185; Warner: Joan of Arc, 145-147.

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schränkungen ihrer bäuerlichen Herkunft, wie Françoise Michaud-Fréjaville anmerkt: Jeanne tritt aus der Hierarchie heraus, die in den Kleidern von Bäuerin, Bürgerin und Adliger zum Ausdruck kommt.370 Beide Mechanismen können dazu beitragen, dass die Heldin durch ihr männliches Äußeres im Ansehen ihrer Umgebung steigt: „Car elle en estoit redoubtée / Trop plus“, schreibt Martin Le Franc.371 Die Kleidung ist gleichzeitig Baustein und Zeichen von Jeannes heroischer Position. Die unkonventionelle Kommunikation Die Position der Heldin ist – ganz im Sinne der Archéologie – nicht zuletzt dadurch gekennzeichnet, dass sie bestimmten Aussagen einen Geltungsanspruch verleiht und umgekehrt durch sie ihre Eigenheit und ihren Status erhält. Die ungewöhnliche Aktivität der Pucelle besteht unter anderem darin, dass sie spricht – und zwar in kommunikativen Konstellationen, in denen ein einfaches Mädchen eigentlich nichts zu suchen und auf jeden Fall zu schweigen hat. Sie übertritt die Grenzen einer konventionellen weiblichen Position bereits, wenn sie unaufgefordert Robert de Baudricourt anspricht, um zum König geleitet zu werden. Und dann spricht sie sogar bei Hofe, adressiert den König aus eigener Initiative.372 Später gibt sie Charles und seinen engsten Vertrauten Ratschläge. In der Runde der Heerführer teilt sie Rügen und Anweisungen aus. Soldaten ermutigt sie mit anfeuernden Worten.373 An die Engländer richtet sie herausfordernde, drohende Briefe und Botschaften. An die Bürger königstreuer Städte schreibt sie Mitteilungen in fürstlicher Manier: „Jehanne la Pucelle vous faict à savoir […]“374 Sie appelliert an die Franzosen, ihrem König beizustehen. Jeanne „faisoit preschement“, schreibt ein Chronist in diesem Kontext.375 Und auch gegenüber kirchlichen Gesprächspartnern verschafft sie sich Gehör. Die Diskussionen mit dem königlichen Prüfungskomitee gehen zwar nicht auf Jeannes Initiative zurück, aber die Pucelle erscheint nicht als bloßes Objekt eines Verhörs, sondern versteht, mit ihren Aussagen zu verblüffen.376 Selbst vor Gericht beugt sich ihre Rede nicht der klerikalen Autorität. So droht die Angeklagte ihrem Richter Pierre Cau-

370 371 372 373 374 375 376

Cf. Michaud-Fréjaville: Un habit »déshonnête«, 180. Q V, 48. Cf. etwa Q IV, 52, 118, 127, 205-207; A III, 232f., 574; A IV, 249; T/L I, 52. Cf. etwa Q IV, 11, 69, 74f., 160, 172, 218f., 232, 235, 243, 371, 392; A III, 636; D IV, 4, 22, 76f. Q V, 139f.; cf. ibid., 125, 147f.; Q IV, 18f., 42, 221, 225; T/L I, 221f. A III, 630. Cf. Q IV, 41, 209-211; A II, 253; A III, 203, 574f.; D IV, 33, 97.

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chon: „Vous dictes que vous estes mon juge; advisez bien que vous ferez; car de verité je suis envoyee de par Dieu et vous mectez en grand danger.“377 Die Verletzung der Konvention besteht nicht nur darin, in welchen Situationen Jeanne das Wort ergreift, sie liegt auch in den Themen, derer die Heldin sich annimmt. Ein einfaches Mädchen hat sich einerseits in Gesellschaft von Höflingen, Soldaten und Geistlichen zurückzuhalten, andererseits stehen ihr bestimmte Sorten von Aussagen nicht zu: gelehrte Weisheiten etwa oder Anmerkungen zur Kriegsführung. Doch Jeanne redet über gewichtige Dinge – „de plusieurs grans choses“ –, über militärische wie auch theologische Probleme: „tant de la chose divine que de la guerre“.378 Gerade bei der öffentlichen Rede über Gott kann es keinen Zweifel geben, dass sie Frauen verwehrt ist. Aber Jeanne spricht. Zum Teil im Modus der Prophezeiung: Sie warnt vor den Folgen mangelnder Buße oder sagt voraus, wann eine Stadt eingenommen wird.379 Das heißt: Ihre Rede stellt in diesen Fällen einen Bruch der Konvention dar, der seinerseits schon wieder Tradition hat. Das prophetische Vermögen ist ein Attribut der Heldin, das sie mit ihren Vorläuferinnen im Kontext der Frauenmystik teilt. Aber ihre Position überschneidet sich nur mit der einer mystischen Prophetin, sie ist nicht mit ihr identisch. Was sich an dieser Stelle daran ablesen lässt, dass die Pucelle auch redet wie ein militärischer Befehlshaber: „comme eussent peu et sceu faire les chevaliers et ecuiers estans continuellement ou fait de la guerre.“380 Sie erörtert am Hof die besten Strategien, die Engländer aus dem Land zu vertreiben; sie bittet die Bürger einer Stadt um Ausrüstung für das Heer; sie leitet Soldaten bei der Vorbereitung einer Belagerung an.381 In den unwahrscheinlichsten Kontexten verschafft sich die Heldin Gehör. Ihre Aussagen verlangen soviel Respekt, dass die Zeitgenossen sich nicht damit begnügen, sie einfach zu referieren. Nein: Die Autoren bestehen auf dem direkten Zitat. Immer wieder wird die Rede über die Heldin für die Dauer einiger Sätze zur heroischen Rede; die weit geöffneten Subjektpositionen, von der aus Fürsten, Chronisten oder Dichter Aussagen über die Heldin produzieren, verengen sich vorübergehend zu der der Heldin. Auch hohe weltliche oder geistliche Würdenträger genießen in den einschlägigen Texten das Privileg, für Augenblicke zum Ausgangspunkt der Aussagen zu werden. Aber weitaus seltener als die Pucelle. Die Quellen zitieren ihre Anweisungen, Ermahnungen und Prophezeiungen, ihre Worte bei der ersten Begegnung mit 377 378 379 380 381

T/L I, 59; cf. etwa ibid., 84, 147f.; Q IV, 344. Q V, 52; Q IV, 53; cf. etwa ibid., 3, 6, 213, 224f.; A II, 253. Cf. supra, 79f. Q IV, 3. Cf. Q IV, 75f., 214; Q V, 147f.

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Charles oder auch ihre Erwiderungen auf göttliche Botschaften; zahlreiche Texte geben den Wortlaut ihres Briefes an die Belagerer von Orléans wieder.382 Und natürlich liegt eine entscheidende Funktion der Akten des Prozesses in Rouen darin, die Aussagen der Angeklagten zu protokollieren. „En nom Dieu“ – etliche Zitate beginnen mit solch einer Formel oder weisen das Gesagte in anderer Weise explizit als Willen Gottes aus.383 Die Heldin spricht von der Position derer, die für Gott spricht. Das verschafft ihr Redemöglichkeiten – ebenso wie die Attribute weiblicher Tugend, die ihre Subjektposition kennzeichnen. Aber umgekehrt nimmt diese gerade dadurch Form an, dass die Pucelle das Wort ergreift. Jeanne kann als Heilige, als Heldin gelten, gerade weil ihre Aussagen ihr diese Position anmaßen. Explizit wird die Rückwirkung der Aussagen auf ihren Ausgangspunkt, wenn Jeanne mit ihrer verständigen Rede die kritischen Beobachter am Hof beeindruckt: So gut und weise habe sie auf die Fragen der Gelehrten geantwortet, schreibt ein Chronist, „que tous les docteurs estoient d’oppinion que son faict, son dit et ses parolles estoient faictent et dictes par miracle de Dieu.“384 Das heroische Handeln Die Pucelle ist eine unübersehbar außergewöhnliche Figur. Daran lassen ihre Aussagen, aber auch ihre Taten keinen Zweifel. Den gewöhnlichen Handlungsspielraum eines einfachen Mädchens überschreitet sie schon allein dadurch, dass sie ihr Heimatdorf verlässt und ihren Eltern nicht einmal Bescheid sagt.385 Doch das ist natürlich nur der Anfang. Später zeigt sie – in der Manier schlagkräftiger Märtyrerinnen und Amazonen – die Aktivität einer wahren Kämpferin. Sie reitet in voller Ausrüstung und mit der Geschicklichkeit eines gestandenen Ritters durch die Lande. Mit großem Können handhabt sie Lanze und Artillerie. Ohne Furcht oder Schwäche tritt sie dem Feind entgegen: Sie sei „hardye et courageuse“ bezeugen die Quellen und sprechen ihr „prouesse“, „prudence et diligence“ zu.386 Sie feuert die Soldaten an, leitet einen Angriff

382 Cf. etwa Q IV, 11, 24, 34f., 206, 208, 211, 215-219, 227f., 232, 235, 243, 306-308; Q V, 29-42, 52, 62; A II, 243; A III, 204, 621; A IV, 251; T/L I, 221f.; D IV, 4, 76f.; Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 266. 383 Q IV, 227; cf. etwa ibid., 206, 208, 218, 228, 235, 243; Q V, 52, 62; A IV, 251; Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 266. 384 Q IV, 41; cf. ibid., 53, 208-213; Q V, 52; A II, 253; A III, 203, 456, 574f.; D III, 204. 385 Cf. Q IV, 205; T/L I, 124. 386 Q IV, 235, 306, 322; cf. ibid., 60, 153, 327; Q V, 70, 350; A I, 57; A III, 384, 389, 458, 585, 630; A IV, 254, 276, 288; D IV, 62, 70, 82, 85.

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ein oder lässt Leitern an einen Wall anlegen. Selbst verletzt bleibt sie unbeirrbar.387 Die Soldaten gehorchen ihr. Zwar sind vor allem solche Darstellungen, die ihren Ursprung besonders dicht am Geschehen haben, in Bezug auf Jeannes militärische Rolle eher zurückhaltend: In den Briefen des Königs heißt es lediglich, Jeanne sei beim Kampf um Orléans stets anwesend gewesen; die Heldin habe einige Soldaten als Begleiter – also nicht als Untergebene – zugeteilt bekommen, sagt Jean d’Aulon aus.388 Aber in aller Regel bekommt Jeanne einen prominenten Platz innerhalb der militärischen Hierarchie zugewiesen. Die Quellen nennen Jeanne in einem Atemzug mit den renommiertesten Hauptleuten. Sie bezeichnen sie als „cappitaine“ oder loben zumindest, dass sie wie ein Anführer handele: „comme eust peu faire ung capitaine“.389 Manche Autoren ordnen andere Feldherren der Heldin unter. Jeanne, schreibt ein Chronist, habe volle Befehlsgewalt von Charles erhalten, „qui commanda expressément aux seigneurs et gens de guerre, qu’ilz obéissent à elle comme à luy“; andernorts heißt es schlicht: „elle regnoit“.390 Mitunter, heißt es, handelt die Heldin gegen den ausdrücklichen Willen der anderen Befehlshaber. Einmal verlässt sie den Hof, zieht in den Kampf, ohne das Einverständnis ihres Königs eingeholt zu haben.391 Meist ist die Pucelle bei all dem erfolgreich: Sie erobert Städte, krönt den König, rettet Frankreich – „die Jungfrow gewand den stritt“. Die Aussagen über das entscheidende Eingreifen der Heldin, die zentralen Aussagen, deren Erscheinen hier erklärt werden soll, runden ihre Subjektposition ab.392 Und auch in dieser Hinsicht zeichnet sich ein Wechselverhältnis ab: Die heroische Position ermöglicht Handlungen, und das erfolgreiche Handeln formt die Position. Dass das Mädchen Truppen zu führen verstehe, erklärt ein Zeuge des Rehabilitationsprozesses, sei ein Grund, an ihren göttlichen Auftrag zu glauben.393

387 Cf. Q IV, 160, 229; A III, 592; D IV, 6. 388 A III, 328; D I, 476; cf. Kelly DeVries: A Woman as Leader of Men. Joan of Arc’s Military Career. In: Bonnie Wheeler / Charles T. Wood (eds.): Fresh Verdicts on Joan of Arc. New York, London 1996, 3-18, hier: 9-11; Philippe Contamine: Jeanne d’Arc de Chinon à Paris. L’action militaire, le jeu politique. In: Idem: De Jeanne d’Arc aux guerres d’Italie. Figures, images, et problèmes du XVe siècle. Orléans, Caen 1994, 77-83, hier: 79. 389 A III, 630; Q IV, 76; cf. ibid., 14f., 83, 90f., 193, 236, 248, 366, 416f., 437, 445f., 457, 477, 481; A I, 61; A III, 234, 236, 369, 584, 636. 390 Q IV, 135, 323; cf. ibid., 169, 345, 368, 427, 451; A III, 383f.; A IV, 245. 391 Cf. Q IV, 32, 59, 227; D IV, 49. 392 Cf. supra, 66, 89. 393 D IV, 91.

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„This mayde rode lyke a man“, schreibt William Caxton in seiner Chronik.394 Und fast möchte man den Vergleich generalisieren: Die Pucelle handelt wie ein Mann. Mit cross-dressing, freier Rede und Kampfgeist entfernt die Pucelle sich weit von konventioneller Weiblichkeit, so weit, dass in einigen wenigen Darstellungen eine gewisse Unsicherheit bei der Kategorisierung der Heldin deutlich wird. Zum einen erinnert sich Jeannes Beichtvater, die Untersuchung des Heldinnenkörpers durch Damen des königlichen Hofes habe unter anderem der Verifizierung ihres Geschlechts gedient.395 Zum anderen spricht der sogenannte bourgeois de Paris vorsichtig von einer „créature qui était en forme de femme“; Jeannes Henker, schreibt er, habe den Umstehenden deshalb den Körper der Pucelle gezeigt, die nackte Leiche mit ihren weiblichen Merkmalen – „les secrets qui peuvent être ou doivent [être] en femme“ –, weil er etwaige Zweifel habe ausräumen wollen: „pour ôter les doutes du peuple“.396 Aber dennoch: Im Großen und Ganzen herrschen keine Zweifel an der Weiblichkeit der Heldin. Jeanne ist als eine einfache Jungfrau bekannt, als la Pucelle. Ihr cross-dressing ist für alle offensichtlich. Sie hat Eigenschaften, die einem braven Mädchen zu Gesicht stehen: Sie ist schön, keusch, von einfachem Gemüt und, die Quellen wollen es so, schweigsam. Im Spinnen und Nähen mache ihr so schnell keine Frau etwas vor, verkündet Jeanne selbst, und Christine de Pizan beschreibt die Heldin sogar als eine Mutterfigur: „Qui donne à France la mamelle / De paix et doulce nourriture“.397 Die aktive Heldin nimmt nicht einfach eine männliche Position ein. Sie wird nicht einfach zum Mann wie jene Jungfrauen, deren Tugend die Kirchenväter preisen. Vielmehr verbindet sie Attribute verschiedener konventioneller Positionen. Sie schließt Kohärenzlinien kurz. Valerie Hotchkiss resümiert: „The masculine paradigm for heroism […] was incomplete because of Jeanne’s clear presentation of herself in female terms as a virgin and innocent vessel for a divine plan. From these incongruent elements emerged a hero clearly defined by her female sex yet unconfined by gender constructs for women.“398

394 395 396 397 398

Q IV, 477. D IV, 71; cf. Crane: Clothing and Gender Definition, 310. Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 265, 297. Q IV, 10; T/L I, 46. Hotchkiss: Clothes Make the Man, 68.

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III. Instabilität Periphere Gefahren Die Subjektposition der Heldin überschreitet Konventionen, sie stellt unerwartete Verknüpfungen zwischen ganz unterschiedlichen Attributen her, ja, sie führt sogar Gegensätze zusammen: Die Pucelle ist schweigsam und hält doch gefällige und weise Reden vor Respekt heischenden Publika; sie ist ein einfaches Mädchen und steht doch den Kämpfern des Königs in ihrem Mut und ihrem militärischen Wissen in nichts nach. Eine Position, die aus so widersprüchlichen Elementen aufgebaut ist, durch derart gewagte Verbindungen zustande kommt, ist zweifellos schwer zu behaupten. Sie verleiht Jeanne beachtliches Prestige, aber der Status der Heldin ist prekär. Das deuten schon jene Passagen in der Rede über die Heldin an, die von dem Spott berichten, dem Jeanne immer wieder ausgesetzt ist, von dem Zweifel an ihrer Behauptung, dem König bedeutende Dienste zu erweisen.399 In der Regel kann der Zweifel überwunden werden. Die Heldin triumphiert über den Unglauben der Soldaten in Vaucouleurs oder der Belagerer vor Orléans, und ihre Position wird durch die Prüfung nur gestärkt. Doch nur wenig trennt Jeanne vom Scheitern. Zumal der Vorwurf des Wahnsinns, den diverse Zweifler vorbringen, bedeutet für die Position der Heldin eine echte Bedrohung. Bei der Entscheidung über Jeannes Schicksal seien die Berater des Königs sich keineswegs einig gewesen, berichtet Pius II. Ein Teil von ihnen habe Jeanne für dement gehalten.400 In der Tat ließe sich damit einiges erklären: Jeannes Stimmen, ihr beharrliches Insistieren auf der göttlichen Mission, ihre ganze Missachtung von Konventionen. Das seltsame Verhalten von Mystikerinnen wird im späten Mittelalter nicht selten auf Geisteskrankheit zurückgeführt. Sogar Jeanne macht sich diese Erklärung zu Eigen: nämlich als sie sich über ihre Konkurrentin Catherine de La Rochelle äußert. Nachdem sie die andere Frau auf die Probe gestellt hat, deutet sie deren Geschichten als bloßen Wahn.401 „[…] et le tenoit on pour fol“, heißt es im Übrigen über den Hirten Guillaume, der nach Jeannes Gefangennahme vorübergehend die Position eines neuen gottgesandten Helden einzunehmen scheint. Seine Karriere ist nur kurz. Schnell wird er bei einer Schlacht von den Engländern gefangengenommen, als Beute bei einer Parade vorgezeigt und in der Seine ertränkt.402 399 400 401 402

Cf. supra, 65. A IV, 250; cf. Q IV, 118, 326, 362; A III, 584, 629; A IV, 249. Cf. T/L I, 104-106; Dinzelbacher: Heilige oder Hexen, 64-66. Q V, 173; cf. ibid., 168-172.

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Jeanne für verrückt zu erklären, greift nicht nur den Glanz ihrer Position an, sondern stellt grundsätzlich ihre Handlungsmöglichkeiten in Abrede. Wenn die Heldin verrückt ist, kann sie unmöglich etwas vom Kriegshandwerk verstehen, sie kommt auch nicht von Gott und kann schwerlich für den Sieg des Königs sorgen. Deshalb greift der Vorwurf des Wahnsinns nur zu Beginn ihrer Geschichte. Ist Jeanne erst einmal als Befreierin von Orléans etabliert, müssen Attacken auf ihre Position die Durchsetzungsfähigkeit der Heldin berücksichtigen. Zum Beispiel, indem Jeannes Erfolg als Ergebnis einer geschickten Inszenierung dargestellt wird. Ein Chronist aus dem burgundischen Lager berichtet, Robert de Baudricourt habe Jeanne nicht nur an den Hof geschickt, sondern ihr auch genaue Anweisungen für ihr Auftreten als heroische Jungfrau gegeben: „Et si l’introduisi et aprinst de ce qu’elle avoit à tenir, soy disant pucelle inspirée de la Providence divine.“403 Eine außergewöhnliche Interpretation der Ereignisse, die allerdings einerseits auch Pius II. bekannt ist und andererseits in ähnlicher Art in der Rede über gewisse Mystikerinnen zu entdecken ist: Ab dem 13. Jahrhundert mehren sich die Berichte von Frauen, die nur als Heilige posieren.404 Der Vorwurf der Manipulation lässt die Position der Heldin äußerlich intakt. Jeannes Einfluss auf das Kriegsgeschehen bleibt im Bereich des Möglichen: Wenn sie die Rolle der gottgesandten Pucelle geschickt spielt, kann sie die Soldaten durchaus zu Hochleistungen motivieren. Doch der transzendente Kern wird der heroischen Position genommen: Gottes Wille hat Jeanne in dieser Darstellung nicht auf ihrer Seite. Andere Attacken setzen eher am Detail an. Sie lassen bestimmte Attribute der Heldin in einem anderen Licht erscheinen. Ihren Kampfgeist beispielsweise: In einigen Darstellungen tritt sie als grausame Figur auf. Ein Informant des Chronisten Morosini – der Jeanne generell positiv darstellt – gibt einen haarsträubenden Bericht von der Eroberung der Stadt Auxerre: Die Pucelle habe ein Massaker angerichtet, alle Einwohner im Alter über sieben Jahren töten lassen und anschließend einen Ritter mit seinen Leuten losgeschickt, eine englische Truppe von 2000 Mann auszulöschen.405 Georges Chastellain spricht im Zusammenhang mit der Hinrichtung eines Gefangenen der Pucelle von der „crudelité de ceste femme qui desiroit sa mort“.406 Sie habe ihre eigenen Soldaten, wenn sie sich schlecht benahmen, mit einem Stab geschlagen, schreibt außerdem der sogenannte bourgeois de Paris: „en manière de femme 403 Q IV, 406f. 404 Cf. A IV, 256f.; Dinzelbacher: Heilige oder Hexen, 76-78; Dyan Elliott: Proving Women. Female Spirituality and Inquisitional Culture in the Later Middle Ages. Princeton, Oxford 2004, 193-200. 405 A III, 592. 406 Q IV, 443.

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très cruelle“.407 Man darf bezweifeln, dass der Autor dasselbe Verhalten bei einem Mann ebenfalls gerügt hätte. Es ist gerade die Verbindung von eindeutig weiblichen Attributen und kämpferischer Härte, die Jeannes Position angreifbar macht. Wenn die sanfte Hirtin zu kämpfen beginnt, kann das Lob der Tapferkeit besonders schnell in die Rede von Grausamkeit verkehrt werden. Neben dem Mut der Heldin kann auch ihre Kleidung eine Umdeutung erfahren, vom Ausdruck ihrer Stärke zum Zeichen ihrer Verderbtheit werden. Gerade für Jeannes Richter ist ihr cross-dressing ein entscheidender Angriffspunkt: weil es für jedermann sichtbar und unbestreitbar ist, weil es zur Zeit des Prozesses andauert und vor allem weil sich hier eine klare biblische Vorschrift in Anschlag bringen lässt. Das Tragen der Kleider des anderen Geschlechts wird im Buch Deuteronomium ausdrücklich verurteilt: „Non induetur mulier veste virili, nec vir utetur veste feminea: abominabilis enim apud Deum est qui facit haec.“408 In einer Liste von Anschuldigungen, die zu Beginn des Prozesses aufgestellt wird, stehen Jeannes Kleider an vorderster Stelle. Der Punkt nimmt in den Verhören einen bedeutenden Platz ein, und der Moment, in dem Jeanne, nachdem sie schon abgeschworen hat, wieder ihre Männerkleidung anlegt, markiert schließlich das fatale Ende des Verfahrens. Ein Chronist gewinnt den Eindruck: Die Richter haben ansonsten nichts gegen die Angeklagte in der Hand.409 Wenn das cross-dressing als Anschuldigung vorgebracht wird, kann mehr oder weniger ausdrücklich der Vorwurf unzüchtigen Verhaltens mitschwingen. Aus dem Anlegen der Männerkleider schließen die Richter, dass Jeanne jede weibliche Scham vergessen hat. Viel früher, zu Beginn von Jeannes Karriere, sieht ein Geistlicher im cross-dressing der Pucelle einen Deckmantel für sexuelle Abenteuer. Und die Verbindung zwischen Kleidertausch und Unzucht wird womöglich auch von jenen Engländern bestätigt, die ihre heroische Gegnerin als Hure beschimpfen: Jeannes Aufzug könnte sie an die Prostituierten erinnern, die in Pagenkleidung den Kämpfern des Hundertjährigen Krieges nachziehen.410 Der kleine Schritt zur Hexe Jedenfalls zielen Angriffe auf Jeannes Kleidung gleichzeitig auf ein Schlüsselattribut ihrer Position: ihre Keuschheit. Das heißt: Sie setzen an einem Punkt 407 Beaune (ed.): Journal d’un bourgeois, 294. 408 Dtn 22, 5. 409 Cf. T/L I, 49f., 67, 75, 93f., 127f., 153f., 156-158, 167-169, 227, 343-345; 395-397; T/L II, 1; A III, 625. 410 Cf. T/L II, 1; A III, 585f; Fraioli: Joan of Arc, 165; Gies: Joan of Arc, 73.

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an, der für die Stabilität der heroischen Position von größter Bedeutung ist. Nicht umsonst versuchen später englische Chroniken, Jeanne posthum ihrer Jungfräulichkeit zu berauben.411 Diese bildet nicht nur das Bindeglied zwischen weiblicher Tugend und männlicher Stärke, sondern kann die Heldin bis zu einem gewissen Grad vor einer besonders gefährlichen Anschuldigung schützen: vor der Behauptung, sie sei eine Hexe. Über eine Jungfrau, so heißt es in der Regel, hat der Teufel keine Macht.412 Ansonsten trennt die heroische Jungfrau nur wenig von der Hexe. Die beiden Positionen liegen gefährlich nahe beieinander. Jeannes besondere Fähigkeiten könnten auch von einem Pakt mit dem Bösen herrühren. Eingebungen müssen nicht von Gott kommen, auch gefallene Engel können Visionen bewirken. Andere Menschen zu heilen, das Wetter zu beeinflussen oder die eigenen Gegner zu bestrafen, steht ebenso in der Macht einer Hexe wie in der einer Heiligen. Beide wissen sie um geheime Gedanken ihrer Mitmenschen und zukünftige Geschehnisse. Dass Jeanne, als sie sich durch einen Sprung von einem Turm der Gefangenschaft entziehen will, manchen Berichten zufolge kaum verletzt wird, erinnert an das Flugvermögen der Hexen. Überdies sind sich die Heilige und die Hexe zeitlich nahe, die historischen Karrieren der beiden Figuren weisen Schnittpunkte auf. Denn die Verfolgung von und die theologische Rede über Hexen kommen etwa am Ende des 14. Jahrhunderts auf, zu einem Zeitpunkt, da die Bewegung der Frauenmystik ihren Höhepunkt erreicht hat. Die Unterscheidung zwischen den beiden Figuren fällt den ZeitgenossInnen schwer.413 So überrascht es nicht, dass selbst Jeannes Keuschheit sie letztlich nicht vor dem Verdacht der Hexerei bewahren kann. Die Pucelle mag die Jungfräulichkeit im Namen tragen, zur Position der Hexe bzw. der Besessenen bleibt es dennoch nur ein kleiner Schritt. Das zeigt sich schon daran, wie Robert de Baudricourt ihr entgegentritt: Einer Darstellung zufolge kommt er, bevor er ihrem Drängen doch nachgibt, mit einem Priester zu Jeanne; dieser fordert sie auf zu weichen, wenn sie dem Bösen angehöre, sich jedoch zu nähern, wenn sie gut sei. Mit einem ähnlichen Ritual sichert sich der Mönch Richard ab: Bei seiner ersten Begegnung mit Jeanne, erzählt diese, habe er sie mit Weihwasser besprengt und ein Kreuz geschlagen. Auch der Dauphin und ein Teil sei411 Cf. Anke Bernau: ‚Saint, Witch, Man, Maid or Whore?‘ Joan of Arc and the Writing of History. In: Idem / Ruth Evans / Sarah Salih (eds.): Medieval Virginities. Toronto, Buffalo 2003, 214-233, hier: 214. 412 Cf. etwa Simon-Muscheid: «Gekleidet, beritten und bewaffnet wie ein Mann», 32-34. 413 Cf. Dinzelbacher: Heilige oder Hexen, 11-14, 108-110, 128-136, 207-241; idem: Mittelalterliche Frauenmystik, 35; Delaruelle / Labande / Ourliac: L’Eglise au temps du Grand Schisme, 831, 833; T/L I, 143f.; Beaune: Jeanne d’Arc, 36.

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ner Berater hätten sie zunächst für besessen gehalten, heißt es andernorts.414 Bei ihren militärischen Gegnern hat Jeanne ohnehin den Ruf einer Hexe. Sie drohen ihr mit dem entsprechenden Tod: Sie hätten ihr angekündigt, sie zu verbrennen, schreibt ein Chronist. Als „disciple and lyme of the Feende“ bezeichnet sie ein Brief des Herzogs von Bedford an den englischen König, als „sorcière“ ein Vermerk zu der Sondersteuer, die unter anderem den Kauf der gefangenen Pucelle finanziert.415 Verschiedene Zeitgenossen gewinnen den Eindruck, dass es auch bei dem Prozess in Rouen in erster Linie um den Vorwurf der Hexerei geht, dass Jeanne als Magierin oder Verbündete des Teufels angeklagt ist. In der Tat spricht Pierre Cauchon, der das Verfahren leitet, im Vorfeld und zu Beginn des Prozesses von „sortileges, ydolatries, invocacions d’ennemis“.416 Jeannes Richter versuchen, sie mit typischen Orten und Werkzeugen der Hexerei in Verbindung zu bringen. Sie fragen eindringlich nach dem geheimnisvollen Baum in der Nähe von Domremy, dem „Arbre des Fees“, an den die Kinder des Dorfes an manchen Tagen Kränze hängen. Sie wollen alles über die Quelle bei dem Baum wissen, deren Wasser angeblich Wunder wirkt. Einmal wird Jeanne aus heiterem Himmel gefragt, was sie eigentlich mit ihrer Alraune gemacht habe. Diese Punkte und der ausdrückliche Vorwurf der Hexerei nehmen einen bedeutenden Platz ein, wenn nach dem ersten Teil der Befragungen die Vorwürfe gegen Jeanne in insgesamt 70 Punkten ausgebreitet werden.417 Doch wenn Jeannes Verfehlungen gegen Ende des Prozesses in einer kürzeren Liste zusammengefasst werden, sind die malerischen Details verschwunden: Von Wunderbaum, Feenquelle und Alraune ist keine Rede mehr. Jeanne wird nicht mehr als sortilegia bezeichnet. Zwar heißt es noch, Jeannes Erscheinungen rührten von bösen Geistern her und sie habe den Dämon angerufen. Aber im Vordergrund stehen eindeutig andere Fragen: die Glaubwürdigkeit ihrer Erscheinungen, ihre Kleidung und vor allem ihre Anmaßung, untrügliches Wissen zu besitzen – über die Herkunft ihrer Stimmen, über Gottes Willen, über die Zukunft, über die Errettung ihrer eigenen Seele. An letzter, also prominenter Stelle in der Liste der Vorwürfe steht schließlich ein weiterer gewichtiger Punkt: Jeanne hat der Kirche nicht den nötigen Respekt entgegengebracht. Sie erscheint mehr als Ketzerin und Schismatikerin denn als Hexe.418

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T/L I, 98, A III, 584, A IV, 250. Q IV, 221; Q V, 136, 179; cf. Q IV, 353; A III, 585f. T/L I, 9; cf. ibid., 25. Cf. T/L I, 65f., 86, 178, 192f., 196-199; Q IV, 444; A III, 291; A IV, 256, 284f. Cf. T/L I, 375-380.

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Das gewaltsame und frühe Ende der Heldin auf dem Scheiterhaufen führt die Instabilität ihrer Position in aller Deutlichkeit vor Augen. Doch für die offizielle Argumentation der Geistlichen ist die prekäre Kombination widersprüchlicher Attribute gar nicht so bedeutend. Die Richter arbeiten nicht in erster Linie daran, einen Keil zwischen Weiblichkeit und Stärke zu treiben. Nein, sie präparieren eine andere Frontlinie heraus: die zwischen Jeannes Position und der Domäne der Kirche. Sie werfen Jeanne vor, im Kompetenzbereich des Klerus zu wildern. Denn genau das tut sie, wenn sie über die Authentizität ihrer Stimmen oder ihr Seelenheil urteilt und in Gottes Namen spricht. So tritt an dieser Stelle ein Aspekt der Heldin besonders deutlich hervor, um den es im Folgenden gehen muss: Sie ist in Kämpfe verwickelt – und zwar nicht nur auf den Schlachtfeldern des Hundertjährigen Krieges, sondern auch im Feld des Diskursiven. Die Rede von der Heldin kann in den Sog von Strategien geraten.

d. Strategie Die Geschichten über die Heldin sind nicht neutral. Zu behaupten, „die Jungfrow gewand den stritt“, bedeutet in aller Regel, Partei zu ergreifen. Die Aussagen über die Aktivität der Pucelle verbinden sich mit Interessen, sie geraten in Konflikte, sie bilden die Bausteine umfassender Strategien. Sie können sich ebensowenig vom Schlachtfeld fernhalten wie jene Figur, von der sie berichten. Und mitunter stehen sie sogar auf demselben Schlachtfeld: dort, wo der Krieg zwischen der englischen und der französischen Krone ausgetragen wird. Wenn man nach den Kämpfen Ausschau hält, in denen die Heldin eine Rolle spielt, fällt der Blick zuerst auf die Auseinandersetzungen des Hundertjährigen Krieges. Dort sieht man Aussagen über die aktive Frau in beiden Lagern auftauchen. Zum einen natürlich auf der Seite des bedrängten Königs von Bourges. Zwar gehen die Briefe der königlichen Kanzlei, die von den militärischen Erfolgen an der Loire berichten, mit Informationen über die Pucelle sparsam um. Aber die Anhänger von Charles VII sorgen dafür, dass die Kunde von der gottgesandten Jungfrau mithilfe anderer Dokumente die Runde macht und insbesondere in gefährdete Gebiete nahe den feindlichen Linien gelangt.419 419 Cf. A III, 325-329; Fraioli: Joan of Arc, 85, 124; Philippe Contamine: Mythe et Histoire. Jeanne d’Arc, 1429. In: Idem: De Jeanne d’Arc aux guerres d’Italie. Figures, images et problèmes du XVe siècle. Orléans, Caen 1994, 63-76, hier: 73.

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Die Aussagen über die Heldin sind ganz offenbar geeignet, eine Koalition mit den königlichen Interessen einzugehen. Von der Behauptung, dass ein einfaches Mädchen dem ungekrönten König zu Hilfe kommt, ist es nur ein kleiner logischer Schritt bis zur Bekräftigung seiner Legitimität: Wenn ein keusches, unerfahrenes Mädchen in den Krieg eingreift, dann lenkt ohne Zweifel Gott ihr Handeln, und wenn Gott Hilfe sendet, ist die Sache des französischen Monarchen gerecht. Diese Argumentation zeichnet sich etwa im Ditié der Christine de Pizan ab: „Chose est bien digne de mémoire Que Dieu, par une vierge tendre, Ait adès voulu (chose est voire) Sur France si grant grace estendre.“420

Zum anderen jedoch ist die Rede von der Heldin gegen feindliche Übernahmen nicht gefeit. Dass da ein Mädchen für Charles VII kämpft, lässt sich durchaus – und zweifellos findet die Pucelle in den offiziellen Briefen des Hofes genau deswegen nur so flüchtig Erwähnung – zuungunsten des Königs auslegen. Wenn man die Affirmation von Jeannes Aktivität mit dem Verdacht verbindet, sie komme vom Teufel, wenn man sie wie der Herzog von Bedford als „a disciple and lyme of the Feende“ bezeichnet, dann wird damit nicht nur die Position der Heldin attackiert, sondern auch der Herrschaftsanspruch des französischen Monarchen.421 Die Rede von der Heldin kann bestimmten Interessen dienen. Aber umgekehrt stützt diese Verwendbarkeit in den zeitgenössischen Kämpfen auch die Sagbarkeit der Heldin.422 Aussagen über das aktive Eingreifen der Pucelle können nicht zuletzt deshalb zirkulieren, weil sie Verbindungen mit der Macht eingehen. Und das Erscheinen der Heldin wird umso mehr begünstigt, als sie – wie schon der erste Blick auf die Fronten des Hundertjährigen Krieges zeigt – für ganz unterschiedliche Missionen, ja sogar auf beiden Seiten ein und desselben Konfliktes eingesetzt werden kann. Allerdings ist die Verwendung der Rede von der Heldin durch die Parteien des Hundertjährigen Krieg nur das offensichtlichste, aber wohl nicht das treffendste Beispiel für ihre Einbindung in strategische Zusammenhänge. Denn wenn etwa der französische Hof Dokumente über Jeanne in Umlauf bringt, fällt es allzu leicht, diesen Einsatz der Rede von der Heldin als herkömmliche Propaganda zu beschreiben, als Kunstgriff eines königlichen Beraters. Eine jener diskreten Strategien, die sich ohne den gezielten Eingriff irgendeiner 420 Q V, 7; cf. etwa Q IV, 309; A II, 255; A III, 579, 606. 421 Q V, 136; cf. etwa ibid., 179. 422 Cf. Wodianka: Zwischen Mythos und Geschichte, 107.

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handelnden Instanz aus diskursiven Elementen und Kraftlinien formt, wird man so nicht in den Blick bekommen. Deshalb soll es im Folgenden um andere Kämpfe gehen, um mehr oder weniger anonyme Interessen. Erstens sollen einige Konstellationen angesprochen werden, die sich womöglich als begrenzte Strategien beschreiben lassen, Konfliktlinien, an denen Jeanne als Agentin benachteiligter Gruppen erscheint: als Heldin der einfachen Gläubigen und BürgerInnen sowie der Frauen. Zweitens wäre auf ein Geschehen hinzuweisen, das zwar mit den Kämpfen des Hundertjährigen Krieges eng verbunden, aber doch nicht deckungsgleich ist: das Entstehen einer Form von Patriotismus im Frankreich des Spätmittelalters, mit der Jeanne oft in Verbindung gebracht wird. Drittens soll der Versuch gemacht werden, Jeanne in einen weit ausgreifenden strategischen Zusammenhang einzuordnen, dessen Konfliktlinien bis hinein in die Seelen ihrer ZeitgenossInnen verlaufen: Sie soll als Heldin eines Selbst angesprochen werden, das in ihrer Zeit in besonderem Maße zum Gegenstand von Sorge und Aufmerksamkeit wird.

I.

Heldin der Schwachen

An der Seite der einfachen Leute Jeanne ist eine vorbildliche Katholikin, sie ehrt die Sakramente und spricht oft von den Heiligen. In nichts weiche sie vom rechten Glauben ab, schreibt der Dominikaner Antonin von Florenz.423 Geht man von diesem Bild der Heldin aus – dem ihre Richter in Rouen freilich nicht zustimmen –, so sollte man sie eigentlich auf der Seite der Kirche vermuten. Doch das hieße, die Provokation zu verkennen, die in dem Auftreten der gottgesandten Heldin liegt. Aussagen über die heroische Pucelle fordern die kirchliche Autorität heraus. Die junge Frau, die sich auf Geheiß Gottes auf den Weg zum König macht, hat ganz offensichtlich den Klerus nicht nötig. Sie ist selbst in der Lage, den Willen Gottes zu erkennen, und auf die professionellen Vermittler nicht angewiesen. Ohne selbst studiert zu haben, kann sie es mit der Gelehrsamkeit der Kleriker am Hofe des Königs aufnehmen: Sie weiß verblüffend verständige Antworten auf ihre prüfenden Fragen. Vielleicht kann sie sogar besser antworten als die Geistlichen selbst – schließlich wird sie mit der Heiligen Katharina verglichen, die aus ihrer Diskussion mit 50 Gelehrten als Siegerin hervorging.424 Besonders deutlich äußert sich Jeannes Opposition zum Klerus natürlich während 423 A IV, 244; cf. supra, 108f. 424 Cf. A III, 574f.

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ihres Prozesses: Immer wieder lehnt sie es ausdrücklich ab, sich der Kirche zu unterwerfen; sie besteht darauf, allein ihrem göttlichen Auftrag zu folgen. Ein Beteiligter sagt später aus, in manchen Angelegenheiten habe sie weder ihrem Bischof noch dem Papst glauben wollen.425 Die aktive Heldin kann also, insofern sie gleichzeitig eine Gesandte Gottes ist, die Autorität der Kirche in Frage stellen. Und damit tritt sie in einen Kampf ein, der über ihre Geschichte hinausreicht. Die gesamte Tradition der Prophetinnen und Mystikerinnen des späten Mittelalters ist auch eine Tradition der mehr oder weniger impliziten Herausforderungen der klerikalen Macht. Besonders die heiligen Frauen des 15. Jahrhunderts gebrauchen gegenüber den Würdenträgern unverhohlen drohende Worte. Die Prophetinnen des vorhergehenden Jahrhunderts sind in ihren Botschaften zwar zurückhaltender, aber auch sie machen durch ihre inspirierte Rede den Predigern Konkurrenz. Dass hier ein Kampf stattfindet, unterstreichen die Interventionen der Gegenseite: Die Kirche verfolgt einzelne heilige Frauen, wenn sie ihre Botschaften nicht assimilieren kann; die Theologen verschärfen ihre Anstrengungen, Wahrheit zu produzieren, zwischen den Guten und den Schlechten zu unterscheiden.426 Die Auseinandersetzungen lassen sich als Anzeichen lesen, dass sich grundlegende Kräfteverhältnisse verschieben. Während die Kirche nicht zuletzt durch die Krise des Papsttums geschwächt ist, gewinnt die Position der einfachen Gläubigen zumindest vorübergehend an Stärke. Das kommt in Glaubenspraktiken zum Ausdruck, die in größerem Maße als zuvor vom Klerus und den Sakramenten unabhängig sind, aber eben auch im Erfolg der inspirierten Frauen.427 Etienne Delaruelle ordnet Jeanne d’Arc ausdrücklich in diese Entwicklung ein, in eine, wie er sagt, „véritable promotion du laïcat“; umgekehrt sieht André Vauchez in der Hinrichtung der Heldin den Auftakt zur Gegenwehr der geistlichen Elite gegen den populären Glauben.428 Die Pucelle stellt sich keineswegs an die Spitze irgendeiner Laienbewegung, aber die 425 D IV, 135; cf. T/L I, 155, 158, 166f., 189f., 193, 278, 287, 342f. 426 Cf. Vauchez: Saints, prophètes et visionnaires, 199-207; idem: Pouvoirs informels. Visionnaires, prophètes et mystiques, 285-291; Dinzelbacher: Mittelalterliche Frauenmystik, 3133; François Marie Lethel: La soumission à l’Eglise militante. Un aspect théologique de la condamnation de Jeanne d’Arc. In: Régine Pernoud (ed.): Jeanne d’Arc. Une époque, un rayonnement. Colloque d’histoire médiévale Orléans – Octobre 1979. Paris 1982, 182-189, hier: 185-187. 427 Cf. Vauchez: Pouvoirs informels. Visionnaires, prophètes et mystiques, 283f.; Tanz/Werner: Spätmittelalterliche Laienmentalitäten, 181, 209f.; Weinstein / Bell: Saints and Society, 4; Etienne Delaruelle: La pietà popolare alla fine del medioevo. In: Idem: La piété populaire au Moyen Age. Turin 1980, 413-435, hier: 434; idem: La spiritualité aux XIVe et XVe siècles. In: Ibid., 401-412, hier: 406f. 428 Delaruelle: La pietà popolare, 434; cf. Vauchez: Sainteté en Occident, 629.

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Rede von der Heldin spielt durchaus eine Rolle im Geflecht von Kraftlinien an der Front zwischen Klerus und Laienwelt. In diesem Sinne ist sie eine Heldin der einfachen Gläubigen. Im Übrigen sprechen die Quellen ja von ihrer Anhängerschaft aus dem Volk: von den Armen, die, wie Jeanne selbst aussagt, gerne zu ihr kommen, oder auch von den jubelnden EinwohnerInnen Orléans’.429 Diese sind als Gruppe allerdings nicht nur durch ihren Laienstatus gekennzeichnet. Sie stehen nicht bloß den Vertretern der Kirche gegenüber, sondern gleichzeitig auch den Kriegern der königlichen Armee. Die BewohnerInnen der Stadt erleben den Krieg in erster Linie als Opfer und sind nicht immer mit den Kämpfern einverstanden, für die das Soldatenleben eine mehr oder minder professionelle, einträgliche Beschäftigung ist. Generell herrscht in dieser Zeit Misstrauen gegenüber dem militärischen Vorgehen der Adeligen: Zahlreiche moralische Schriften werfen ihnen Gier, Furchtsamkeit, Unvermögen und mangelnde Disziplin vor.430 In diesem Konflikt kann die gottgesandte Retterin den ZivilistInnen näher stehen als den erfahrenen Kriegern – in gewisser Weise ist sie ja auch Amateurin. Sie ist darauf bedacht, dass die Truppen den Gegenden, durch die sie ziehen, nicht über die Maßen zur Last fallen.431 Gleichzeitig hat sie für vorsichtiges Taktieren gegenüber dem Feind kein Verständnis. Genau wie die bedrängten EinwohnerInnen will sie handeln: „par l’accord et consentement des bourgeois d’Orléans, mais contre l’opinion et volonté de tous les chefs et capitaines qui estoient là de par le roy, la Pucelle se partit à tout son effort, et passa Loire.“432

Auch bei anderen Gelegenheiten agiert sie gegen den Willen der Hauptleute, und zu allem Überfluss erhält sie den ganzen Ruhm für die gemeinsam erstrittenen Erfolge. Das Volk bewundert nur sie; verschiedene Quellen sprechen ihr mehr Mut, mehr Geschick zu als den Männern in der königlichen Truppe.433 Das muss bei den Kriegern für Ärger sorgen – der auch in mehreren Darstellungen spürbar wird: Manche Chroniken deuten ein Missverhältnis an zwischen Jeannes Ruhm einerseits und der Rolle der anderen Befehlshaber andererseits; zwei Autoren sprechen ganz ausdrücklich von der Unzufriedenheit der Krieger; und ein anderer stellt Jeannes Gefangennahme sogar als das Werk 429 Cf. Q IV, 13, 152, 155, 166, 365; T/L I, 100; D IV, 21f. 430 Cf. Jacques Krynen: L’empire du roi. Idées et croyances politiques en France, XIIIe-XVe siècle. Paris 1993, 319-328. 431 Cf. Beaune: Jeanne d’Arc, 265f. 432 Q IV, 227, cf. Lucie-Smith: Joan of Arc, 116f. 433 Cf. Q IV, 446; Q V, 11; A I, 57; A III, 204.

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neidischer Kommandeure dar.434 Hier zeigt sich: Die Rede vom kämpfenden Mädchen stellt sich auch gegen die professionellen Truppen, denen es nicht gelingt, dem an- und abschwellenden Leiden des Hundertjährigen Krieges ein definitives Ende zu setzen. An der Seite der Frauen Ob Kleriker oder Kämpfer: In beiden Fällen steht die Heldin Männern gegenüber. Die Konfliktlinien zwischen Laienwelt und Klerus einerseits, zwischen EinwohnerInnen und Kriegern andererseits fließen in diesem Punkt wiederum zusammen und gehen über in die Frontlinie zwischen dem beschränkten Handlungsbereich der Frauen und der offiziellen Machtsphäre der Männer. Nach den vielen Kriegsjahren ist selbst dieses Terrain umkämpft: In Abwesenheit ihrer Gatten sind viele Frauen gezwungen, selbständig zu handeln, während gleichzeitig die Regeln der Ritterlichkeit und damit das gesamte Wertesystem des männlichen Adels von neuen militärischen Strategien ins Wanken gebracht werden.435 Auch an dieser Front tritt die Pucelle nicht als explizite Vorkämpferin einer Interessengruppe auf. Was für heilige Heldinnen des Spätmittelalters generell gilt, trifft auch auf Jeanne zu: Während sie selbst sich männlicher Kontrolle in außergewöhnlichem Maße entziehen kann, ist sie weit davon entfernt, für ihre Gender-Genossinnen Ähnliches zu fordern. Als Catherine de La Rochelle sich ihr gegenüber ebenfalls auf einen göttlichen Auftrag beruft, legt sie einiges daran, sich dieser Konkurrentin zu entledigen.436 Dennoch unterminiert die Geschichte der kämpfenden Jungfrau die klare Gegenüberstellung von weiblicher Passivität und männlicher Aktivität. Das bloße Auftauchen der Heldin attackiert die Privilegien der Männer in Klerus und Adel. In einigen seltenen Fällen wird sie sogar von ihren ZeitgenossInnen ausdrücklich als Vorkämpferin ihres Geschlechts ins Feld geführt, so von Mathieu Thomassin und vor allem von Christine de Pizan. „Hée! quel honneur au féminin / Sexe!“, ruft die Autorin in ihrem Ditié aus. Ganz offenbar liebe Gott die Frauen, wenn er durch eine der ihren geschehen lasse, was den Männern nicht habe gelingen wollen.437 Die Heldin passt sich aufs Vorteilhafteste in das Werk der Christine de Pizan ein. Schließlich hat die Autorin schon zuvor im Anschluss an Boccaccios De claris mulieribus die Tugenden und Fähigkeiten berühmter Frauen geprie434 435 436 437

Cf. Q IV, 60, 346, 366, 370; Q V, 291; A III, 630. Cf. Cassagnes-Brouquet: Penthésilée. Cf. T/L I, 104-106; Dinzelbacher: Mittelalterliche Frauenmystik, 59-64. Q V, 13; cf. Q IV, 310.

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sen. Das Auftauchen der Heldin bestätigt Christines Bemühungen, Frauen einen besseren Platz in der Literatur, wenn nicht sogar im Leben zuzuweisen. Über sie ist Jeanne in den Kontext der querelle des femmes eingebunden, jene gelehrte Debatte über die Qualitäten des weiblichen Geschlechts, die sich in der Renaissance ausbreitet und Anfang des 16. Jahrhunderts ganz Mittel- und Westeuropa erfasst.438 Dass Jeanne als Heldin des weiblichen Geschlechts zum Einsatz kommt, legen auch einige Formulierungen in den Prozessakten nahe. Ausdrücklich ist von Frauen die Rede, die zu ihr kommen, ihre Hände und ihre Ringe berühren oder einen Gegenstand, der mit der Heldin in Kontakt war, mit nach Hause tragen wollen. Wie auch bei anderen heiligen Frauen scheint ihre Anhängerschaft zu einem großen Teil weiblich zu sein.439 Nun ließe sich die Frage stellen, ob eine Jungfrau, die in die Rolle eines Kriegers schlüpft, nicht einfach die bestehende Ordnung bestätigt. Schließlich eignet sie sich männliche Attribute an, bekräftigt also ein weiteres Mal, wie attraktiv sie offenbar sind. Muss man die Pucelle in diesem Sinne eine Heldin der Männer nennen? Wohl kaum, denn der gender trouble, den die Pucelle mit ihrem Rollentausch anrichten kann, ist nicht zu unterschätzen. Zwar scheinen Frauen, die sich zu ihrem eigenen Schutz als Männer verkleiden, im Mittelalter als harmlose Figuren hingenommen zu werden. Doch eine Frau, die – wie Jeanne – mit den Männern in deren eigenem Wirkungsbereich konkurriert, sorgt für größere Aufregung. Umso mehr, wenn ihre Anmaßung, ihr cross-dressing, offensichtlich ist, wenn sie sich nicht als Mann ausgibt, sondern als Frau männliche Attribute beansprucht. Die Heldin, die als Frau männlich handelt, führt die Möglichkeit vor Augen, dass die Geschlechterordnung ohne Grundlage sein könnte.440

438 Cf. Claudia Opitz: Eine Heldin des weiblichen Geschlechts. Zum Bild der Jeanne d’Arc in der frühneuzeitlichen «querelle des femmes». In: Hedwig Röckelein / Charlotte SchoellGlass / Maria E. Müller (eds.): Jeanne d’Arc oder Wie Geschichte eine Figur konstruiert. Freiburg, Basel, Wien 1996, 111-136, hier: 113f., 117-119; Christine McWebb: Joan of Arc and Christine de Pizan. The Symbiosis of Two Warriors in the Ditié de Jehanne d’Arc. In: Bonnie Wheeler / Charles T. Wood (eds.): Fresh Verdicts on Joan of Arc. New York, London 1996, 133-144, hier: 136; Therese Ballet Lynn: The Ditié de Jeanne d’Arc. Its Political, Feminist and Aesthetic Significance. In: Fifteenth Century Studies 1 (1978), 149-157, hier: 152; Alan P. Barr: Christine de Pisan’s Ditié de Jeanne d’Arc. A Feminist Exemplum for the Querelle des Femmes. In: Fifteenth Century Studies 14 (1988), 1-12, hier: 2. 439 Cf. T/L I, 101; D IV, 57, 62; Christina von Braun: Kloster im Kopf. Weibliches Fasten von mittelalterlicher Askese zu moderner Anorexie. In: Karin Flaake / Vera King (eds.): Weibliche Adoleszenz. Zur Sozialisation junger Frauen. Frankfurt a.M. 41998, 213-239, hier: 216f. 440 Cf. Hotchkiss: Clothes Make the Man, 127; Bullough: Transvestites in the Middle Ages, 1389f.; Natalie Zemon Davis: Society and Culture in Early Modern France. Cambridge 1987, 129f., 134-140.

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Die durchsetzungsfähige Frau untergräbt zugleich die Virilität der Männer, wie Susan Schibanoff anhand von Boccaccios Porträt der Semiramis zeigt: Das männliche Agieren der legendären Heldin verwandelt ihren Sohn letztlich in einen effeminierten Müßiggänger.441 In ganz ähnlicher Weise scheint das Auftreten der Pucelle die Männlichkeit ihrer Zeitgenossen zu destabilisieren – jedenfalls nach einer Passage aus der Chronique de Tournay zu urteilen: Auf dem Weg nach Paris stießen der König und die Pucelle auf keinen Widerstand, so heißt es dort, „car les Englès et autres ses adversaires estoient si esbahis et efféminez, que à paines se osoient amonstrer ne deffendre la pluspart de eulx“.442 Dass Jeanne im Gegensatz zu anderen Heldinnen des cross-dressing von Vertretern männlicher Macht zum Tode verurteilt wird, lässt ebenfalls vermuten, ihr Auftauchen könne Machtkonstellationen an der Gender-Front durcheinander gebracht haben. Wie auch an anderen Konfliktlinien, an denen sich privilegierte und benachteiligte Gruppen gegenüberstehen. Zumindest zeitweise positionieren die Quellen Jeanne an der Seite der einfachen Gläubigen, der Opfer des Krieges, der Frauen. Dass sich die Aussagen über die kämpfende Frau mit den Interessen dieser großen Bevölkerungsgruppen verbinden können, lässt sie gewiss leichter zirkulieren. Allerdings bleibt Jeanne in diesen Zusammenhängen immer eine partikulare Heldin. Sie steht für einen Moment auf der Seite einer bestimmten Fraktion – und so macht sie sich angreifbar. Sie hat einen bedeutenden Teil ihrer ZeitgenossInnen gegen sich. In anderen Kontexten ist das nicht in diesem Maße der Fall. Die Kraftlinien, mit denen sich die Rede von der Heldin verbindet, müssen nicht unbedingt zwischen klar definierten antagonistischen Gruppen verlaufen. Sie können sich auch zwischen verschiedenen historischen Konstellationen aufspannen.

II. Heldin Frankreichs Direkte Bindungen ans Vaterland Wenn Christine de Pizan schreibt, Gott habe Frankreich durch die Pucelle große Gnade zuteil werden lassen, dann verknüpft sich hier die Rede von der Heldin mit den Kämpfen des Hundertjährigen Krieges.443 Im gleichen Zuge 441 Cf. Susan Schibanoff: True Lies. Transvestism and Idolatry in the Trial of Joan of Arc. In: Bonnie Wheeler / Charles T. Wood (eds.): Fresh Verdicts on Joan of Arc. New York, London 1996, 31-60, hier: 47-52. 442 A III, 624f.; cf. Fraioli: Why Joan of Arc, 191. 443 Cf. supra, 128f.

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aber wird Jeanne zur Heldin einer bestimmten Vorstellung von Frankreich.444 Aussagen über ihre Aktivität werden zu einem Element in der Konstruktion eines geeinten Königreiches, das ein bestimmtes Territorium und bestimmte Loyalitäten beansprucht. Das Auftreten der Pucelle wird von Historikern oft als ein markanter Punkt in der Entstehung der Nation Frankreich beschrieben, auch in Standardwerken des Lehrbetriebs: Jeanne d’Arc sei der Kulminationspunkt der langen, diffusen Entwicklung des mittelalterlichen Nationalismus, heißt es etwa bei Claude Gauvard.445 Allerdings ist bei der Verwendung von Begriffen wie «Nation» oder «Patriotismus» in diesem Zusammenhang Vorsicht angebracht. Vor Ende des 15. Jahrhunderts ist selten von der französischen Nation die Rede. Das lateinische patria ist zwar in Gebrauch, sein französisches Äquivalent patrie wird aber erst im 16. und der patriotisme erst im 18. Jahrhundert auftauchen. Das Gebiet, das man gemeinhin als Frankreich bezeichnet, bildet weder sprachlich noch politisch eine Einheit: Man spricht langue d’oil und langue d’oc, baskisch, bretonisch, flämisch; der Norden ist von den Engländern besetzt, und die dortige Bevölkerung ist damit zum Teil recht zufrieden.446 Als eher inkohärentes Gebilde erscheint Frankreich auch in Jeannes eigenen Aussagen. Zum einen setzt sie Frankreich immer wieder in Gegensatz zu ihrer Heimat: Es sei notwendig, nach Frankreich zu kommen, habe die göttliche Stimme gesagt.447 Dabei hängt Domremy – teils direkt, teils über verschiedene Lehnsherren – durchaus von der französischen Krone ab. Frankreich, so kann man aus dieser Verwendung des Begriffes schließen, ist für Jeanne zunächst einmal die Region, in der sich der König aufhält.448 Zum anderen aber droht die Heldin den Engländern, sie aus ganz Frankreich zu vertreiben. Frankreich kann in ihrer Rede also auch ein fest definiertes Territorium bezeichnen, das vom Aufenthaltsort und aktuellen Einfluss des Königs unabhängig ist.449 Im allgemeinen Sprachgebrauch lässt sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zumindest eine gewisse Tendenz ausmachen, von Frankreich als einer klar benennbaren und affektiv besetzten Einheit zu sprechen. Wie444 Cf. Wodianka: Zwischen Mythos und Geschichte, 95. 445 Claude Gauvard: La France au Moyen Age du Ve au XVe siècle. Paris 42002, 471. 446 Cf. Colette Beaune: Naissance de la nation France. Paris 1985, 8, 291; John Holland Smith: Joan of Arc. London 1973, 21. 447 T/L I, 48; cf. ibid., 40, 49, 73. 448 Cf. Jacques Paul: Emergence du sentiment national autour de Jeanne d’Arc. In: Conciliarismo, stati nazionali, inizi dell’unamesimo. Atti del XXV Convegno storico internazionale Todi, 9-12 ottobre 1988. Spoleto 1990, 119-146, hier: 126f.; Heinz Thomas: Jeanne d’Arc. Jungfrau und Tochter Gottes. Berlin 2000, 72-74. 449 Cf. T/L I, 221f.; Paul: Emergence du sentiment national, 127f.

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der spielt hier die grant pitié eine wichtige Rolle: Wegen der Erschütterungen durch das Schisma, durch den Krieg, durch Hunger und Pest ist der Bedarf an Zusammenhalt, an neuen Solidaritäten groß. Die nationale Gemeinschaft findet hier eine Basis. In ihrem Zentrum steht das Königtum. Chlodwig wird im 14. und 15. Jahrhundert zu einer immer wichtigeren Figur: als Gründer des christlichen Frankreich. Die Attribute der französischen Könige werden jetzt auf ihn zurückgeführt: etwa das Banner – die oriflamme –, das Lilienwappen und das heilige Öl, mit dem seit seiner Zeit alle Könige gesalbt worden seien. Alle diese Attribute gelten als göttliche Gaben und stehen damit für die Idee, dass die Franzosen nach den Juden das neue erwählte Volk Gottes sind. Die Charakterisierung als christianissimus wird zu einem Privileg der französischen Könige, deren besondere Beziehung zur göttlichen Vorsehung durch die Salbungszeremonie immer aufs Neue bestätigt wird. Ab 1350 taucht la France in der Literatur als eine Stimme auf, die die Übel der Zeit beklagt, oder auch als eine Mutter in Not. Es etabliert sich der Gedanke, dass man dem Heimatland verpflichtet ist, dass es sich für Frankreich gar zu sterben lohnt. Und dass es vor allem zu verhindern gilt, unter die Macht eines Herrschers zu geraten, der kein roi naturel ist, also nicht selbst aus Frankreich stammt.450 Die Aussagen über die Pucelle sind vielfach mit diesen Motiven verflochten. Schon allein die Behauptung, eine gottgesandte Jungfrau stehe Charles VII bei, stützt unmittelbar die Vorstellung von der höchst christlichen Qualität der französischen Monarchie. Diese Verbindung, die in der zitierten Passage von Christines Ditié zum Ausdruck kommt, wird im Registre delphinal des Mathieu Thomassin besonders deutlich: „laditte Pucelle feit une très grant poursuite encontre les Anglois, en recouvrant villes et chasteaux; et si feit plusieurs faiz merveilleux […]. Par ainsi le restaurement de France et recouvrement a esté moult merveilleux. Et sache ung chacun que Dieu a monstré et monstre ung chacun jour qu’il a aimé et aime le royaulme de France“.451

Neben diesem zentralen Denkmuster finden sich in den Geschichten über Jeanne diverse Details, die zur religiösen Überhöhung des Königtums beitragen. Etwa jenes Ritual, von dem ein geistlicher Chronist berichtet: Jeanne habe sich von Charles zur Herrin des Königreichs erklären lassen, um ihn dann, nach wenigen Augenblicken, im Namen Gottes wieder als König von 450 Cf. Beaune: Naissance de la nation, 55-65, 212-215, 314-317, 330-334; Krynen: L’empire du roi, 310-319, 329-335, 345-351; Bossuat: Jeanne d’Arc, 122-124; Heribert Müller: Königtum und Nationalgefühl in Frankreich um 1400. In: Historisches Jahrbuch 103 (1983), 131-145, hier: 135. 451 Q IV, 309; cf. A III, 387.

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Frankreich einzusetzen.452 In einem Brief an den Herzog von Burgund schreibt Jeanne selbst, dass gegen den Herrn Jesus kämpfe, wer gegen das heilige Königreich der Franzosen Krieg führe.453 Im Übrigen lassen die Quellen immer wieder erkennen, dass das Ziel der Heldin nicht einfach nur ein militärisches ist. Sie will nicht nur gegen die Engländer gewinnen, sondern letzten Endes die Salbungszeremonie in Reims ermöglichen, den Akt, mit dem der Bund zwischen dem Herrn des Himmels und jenem Frankreichs abermals besiegelt wird: „Par mon martin, je meneray le gentil roy Charles et sa compaignie seurement, et sera sacré audit lieu de Rains.“454 Patriotische Mittlerfiguren Der Pucelle leisten bei ihrer Mission einige Figuren Beistand, die bestens ins patriotische Bild passen. Gottes Hilfe werde den Franzosen deshalb zuteil – so soll Jeanne es zwei Quellen zufolge dargestellt haben –, weil Ludwig der Heilige und Karl der Große den Herrn des Himmels darum gebeten hätten.455 Damit erscheinen an der Seite der Pucelle zwei Schlüsselgestalten der französischen Monarchie. Charlemagne ist der Inbegriff des ritterlichen Königs: schön, stolz, edel, tapfer, redegewandt. Ludwig der Heilige ist zeitweise der Schutzheilige Frankreichs. Beide sind eng mit der Symbolik des Königreichs verknüpft – auch wenn sie, wie man einschränkend hinzufügen muss, im 15. Jahrhundert nicht mehr in der ersten Reihe der französischen Identifikationsfiguren stehen.456 Ein anderer überirdischer Helfer der Pucelle entspricht umso besser dem Geist der Stunde: Der Erzengel Michael, den die Prozessakten und eine Chronik als ersten unter Jeannes gottgesandten Beratern nennen, ist vor kurzem von Charles VII zum Beschützer Frankreichs und der Krone erhoben worden.457 Desweiteren erscheint der Heldin natürlich die heilige Katharina, die den Geschicken Frankreichs immerhin auf indirekte Weise verbunden ist. An einem der bedeutendsten Orte ihres Kultes, in Sainte-Catherine de Fierbois, beginnt die bedrängte Lage des Landes im frühen 15. Jahrhundert eine wichtige Rolle zu spielen: Die Pilger scheinen immer häufiger Soldaten zu sein; in den örtlichen Wundergeschichten, die zunehmend vom Krieg handeln, sind 452 A I, 57f. 453 Q V, 127; cf. Q IV, 19. 454 Q IV, 18; cf. etwa ibid., 11, 17, 38, 69, 210, 235, 247f., 328, 430; Q V, 52, 289; A II, 253; A III, 456, 620; D IV, 2f., 9; Tanz: Jeanne d’Arc, 138-141. 455 Cf. Q IV, 208; D IV, 4. 456 Cf. Beaune: Naisssance de la nation, 61, 81, 113, 126-128, 140, 156-159, 165. 457 Cf. T/L I, 73f., 161-165; Q IV, 326f.; Beaune: Naisssance de la nation, 194-196; idem: Jeanne d’Arc, 310-312.

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jetzt die Engländer die Bösen. Und hier, in der Kapelle von Sainte-Catherine de Fierbois, liegt das Schwert versteckt, das Jeanne sich bringen lässt.458 Zumindest einer Chronik zufolge hat die Pucelle überdies eine Vision von der Heiligen Jungfrau Maria.459 Das erscheint zunächst nicht besonders bemerkenswert, insofern Maria gerade in dieser Zeit die wichtigste christliche Mittlerfigur ist. Doch die Mutter Gottes spielt eben auch eine entscheidende Rolle in der patriotischen Literatur der Jahrzehnte um den Wechsel vom 14. zum 15. Jahrhundert: Maria soll Frankreich von den Übeln der Zeit befreien. Es unterstreicht den patriotischen Charakter von Jeannes Mission, wenn ihr eine Begegnung mit der himmlischen Hoffnungsträgerin zugeschrieben wird – und umso mehr, wenn sie selbst in diese Rolle eingesetzt wird. In einigen Darstellungen geschieht genau das: Jeanne wird zu einer mariengleichen Figur, die – wie die Jungfrau aus den Schriften über die Leiden des Landes – die französische Lilie aufrichtet.460 Hier verbindet sich die Figur der Pucelle mit einem Strang der Rede von Frankreich, der für die Entstehung einer kohärenten Vorstellung von der Nation von großer Bedeutung ist. Sie wird in besonders deutlicher Form zur Heldin Frankreichs, zu der Heldin, über die man dann schreibt, sie habe das Banner Frankreichs getragen, sie habe das Königreich gerettet und die Ehre der Franzosen: „Ce fut elle qui recouvra / L’honneur des Franchois.“461 Solche Aussagen über die Pucelle unterstützen jene Verschiebung der Kraftlinien, die die Formen einer geeinten, geliebten Nation Frankreich erkennbar werden lässt. Doch das Verhältnis lässt sich wiederum umkehren: Genau wie Jeannes Auftauchen die privilegierte Beziehung zwischen Frankreich und Gott belegt, kann ihr Einsatz für das Wohl des Königs den göttlichen Ursprung ihrer Mission plausibel machen. Wer für den roi très chrétien kämpft, kann nicht vom Teufel kommen – so argumentieren, vereinfacht gesprochen, mehrere Gelehrte nach Ankunft der Heldin am königlichen Hof und später anlässlich des Rehabilitationsprozesses.462 In aller Klarheit tritt hier das reziproke Verhältnis zwischen Aussage und Strategie hervor: Durch die Einbindung in einen strategischen Zusammenhang trägt eine Aussage zu dessen Funktionieren bei und gewinnt in gleichem Zuge an Sagbarkeit. Dabei muss diese Einbindung in den Aussagen über die Heldin gar nicht explizit 458 Cf. T/L I, 71, 112, 114, 116, 144, 159f., 162-164, 171, 331; Q IV, 54f., 212, 326f., 444; Beaune: Naisssance de la nation, 166-170. 459 Cf. Q IV, 430. 460 Cf. Q IV, 310; Q V, 6-9; A III, 580; D II, 473; Fraioli: Literary Image, 820-826; Beaune: Jeanne d’Arc, 103. 461 Q V, 44; A IV, 246, 256. 462 Cf. A I, 26, 42; D II, 109f., 227f., 232, 236, 261f., 317f.; Krynen. L’empire du roi, 368-371.

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werden, wie ein dritter, nicht einfach zu greifender Kontext womöglich zeigen kann.

III. Heldin ihrer selbst Die Loslösung aus den Kollektiven Die Aussage „[D]ie Jungfrow gewand den stritt“ wird erst dadurch bemerkenswert, dass sie einen Widerspruch enthält. Ihr Auftauchen fällt nur deshalb auf, weil eine Jungfrau eigentlich nicht zu streiten hat. Zumal in militärischen Auseinandersetzungen zwischen zwei Monarchen hat eine junge Frau nichts zu suchen. Wenn Jeanne mit der Behauptung antritt, dem König in seinem Krieg große Dienste zu leisten, handelt sie gegen ihre Rolle, sie tritt aus der Gruppe von Menschen heraus, der sie durch ihre Geburt und ihren bisherigen Lebensweg zugehörig ist. Und die Quellen weisen ja auch darauf hin: Ihr Verhalten ist gerade deshalb erstaunlich, weil Jeanne einerseits als Bauerntochter bekannt ist, andererseits aber den Anforderungen an das Verhalten von Bauerntöchtern widerspricht. Das beginnt schon bei Details: Sie verstehe zu reiten und andere Dinge zu tun, die einem jungen Mädchen nicht angemessen seien, gibt Monstrelet zu bedenken.463 Jeanne löst sich aus ihrer angestammten Gemeinschaft – ihr cross-dressing signalisiert den Schnitt – und begibt sich an den Hof, einen Ort, an den ihr vorgezeichneter Lebensweg niemals geführt hätte. Es gelingt ihr, dort aufgenommen zu werden. Aber sie wird nicht einfach Teil einer neuen Gruppe. Sicher: Sie zieht mit der Armee, und man nennt sie cappitaine.464 Trotzdem bleibt sie ein Sonderfall, wie schon die Konflikte mit ihrer direkten Umgebung verraten. Wiederholt steht sie allein gegen die Hauptleute der Armee, und sie widersetzt sich sogar dem Willen des Königs.465 Natürlich soll hier nicht behauptet werden, Jeanne sei eine vollkommen isolierte Figur. Im Gegenteil: Sie steht in einer langen Tradition heiliger Frauen, sie trägt Merkmale anderer wehrhafter Heldinnen. Doch – das darf gleichzeitig nicht aus dem Blick geraten – sie löst sich aus der Gruppe, zu der sie biographisch gehört, und bleibt anschließend als Einzelne sichtbar. Und das in einer Zeit, in der die einzelne Person grundsätzlich durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft definiert ist, in der oft das Überleben von eben dieser Zugehörigkeit abhängt. Als entscheidende Tugenden und na463 Q IV, 361f.; cf. etwa ibid., 208, 210, 249. 464 Cf. supra, 121. 465 Cf. Q IV, 32, 59, 224f., 227.

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türliche Eigenschaften eines Menschen gelten gerade die, die seinem Stande entsprechen. Anpassung wird belohnt, nicht Originalität. Man erwartet, dass alle die Funktionen erfüllen, die ihnen von der Vorsehung zugeteilt wurden. „Unusquisque in qua vocatione vocatus est, in ea permaneat“, lehrt Paulus.466 Im Vergleich zu diesen Normen handeln die Geschichten über die kämpfende Jungfrau von einer spektakulär individualisierten Figur – individualisiert insofern, als sie einsam den Kollektiven ihrer direkten Umgebung gegenübersteht. Als autonomes Individuum tritt die Pucelle deswegen noch nicht auf. Ihr Abschied von der Gruppe gründet sich nicht auf ein «ureigenes Wesen» oder eine «unverwechselbare Persönlichkeit», sondern einzig und allein auf einen Auftrag, der von außen an sie ergeht. Jeanne erscheint auf der Bildfläche, so heißt es immer wieder, als die Gesandte Gottes.467 Und die Wahl der Vorsehung ist nicht wegen ihrer Einzigartigkeit auf die kleine Jeannette aus Domremy gefallen. Auf die Frage, warum Gott gerade sie ausgewählt habe, kann sie nur eins antworten: Es war sein Wille, seine Feinde mit Hilfe eines einfachen Mädchens zurückzuschlagen.468 Zugespitzt ließe sich behaupten: Die Heldin qualifiziert sich für den Empfang des göttlichen Auftrags im Grunde durch die Abwesenheit beeindruckender Eigenschaften; je schlichter sie ist, desto besser kann sie als Instrument Gottes dessen Allmacht verherrlichen. Was die Heldin besonders macht – ihre Mission, ihre wundersame Kraft –, erhält sie von außen. Aber sie erhält es nicht von anderen Menschen. Insofern steht sie eben doch ganz allein für sich, unabhängig von allen Kollektiven: Was Gott mit ihr vorhat, teilt er nur ihr mit. Sie braucht keinerlei irdische Vermittler für ihren Austausch mit der Sphäre des Göttlichen. Im Gegenteil: Dritte scheinen in ihrer Beziehung zu Gott nur zu stören. Bevor sie von zu Hause aufbricht, erzählt sie niemandem von ihrem Auftrag. Vor Gericht hält sie mit Details über ihre himmlischen BeraterInnen und deren Botschaften lange zurück. Ihrem treuen Begleiter Jean d’Aulon gibt sie zu verstehen, er sei nicht würdig und tugendhaft genug, um ihre Visionen zu teilen.469 Im direkten Bund mit Gott lockert die Heldin die Verbindungen zu ihrer irdischen Umgebung. Damit ist sie eingebunden in eine weitere Verschiebung im historischen Geflecht von Kräftelinien: in die stumme Strategie, die die 466 1 Kor 7, 20; cf. Gurjewitsch: Weltbild des mittlelaterlichen Menschen, 336-339; Michael Sonntag: «Das Verborgene des Herzens». Zur Geschichte der Individualität. Reinbek bei Hamburg 1999, 34-66, 71; Walter Ullmann: Individuum und Gesellschaft im Mittelalter. Göttingen 1974, 33f. 467 Cf. supra, 67f. 468 Cf. supra, 97f. 469 D I, 487; cf. T/L I, 38, 44f., 55-57, 69, 72, 74, 80f., 85f., 88, 91, 124, 163-165, 169.

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Einzelnen vorsichtig aus den Kollektiven löst. Schließlich ist Jeanne nicht die einzige, die eine direkte Verbindung zum Göttlichen pflegt. Im Spätmittelalter schlagen etliche Gläubige einen mystischen Weg ein. Sie bauen ein persönliches, wenn nicht sogar intimes Verhältnis zu einem Gott auf, der nicht als ferner Herrscher, sondern leidend und menschlich erscheint. Manche vertrauen sich einem Schutzengel an. Gelehrte Laien können sich mit Hilfe von Gebetbüchern oder Beichtmanualen privat ihrem Glauben widmen. Kollektive Glaubenspraktiken verlieren an Bedeutung.470 Es liegt nahe, diese spätmittelalterlichen Verschiebungen im Gegenüber von Gemeinschaft und Gläubigen in einen größeren Zusammenhang zu stellen: in den Kontext jener «Entdeckung des Individuums», die Colin Morris postuliert. Schon im 12. Jahrhundert lässt sich in verschiedenen Bereichen eine verstärkte Aufmerksamkeit für die einzelne Person feststellen. In der Literatur nehmen die HeldInnen individuellere Züge an, die Schilderung ihrer Befindlichkeiten nimmt größeren Raum ein, und die volkssprachigen Autoren bleiben nicht länger anonym. Auch bildende Künstler versehen ihre Werke ab dem Ende des Jahrhunderts häufiger mit ihrem Namen. Porträtdarstellungen werden differenzierter, realistischer. In Briefen, Predigten und Lebensdarstellungen kommen zunehmend persönliche Regungen zum Ausdruck. In der Hagiographie verlagern sich die Konflikte in die Psyche der Heiligen. Vor allem die Angehörigen der Elite haben in größerem Maße als zuvor die Freiheit auszuwählen: zwischen Karrieren als Verwalter, Ritter, Mönch, Gelehrter und zwischen den entsprechenden Wertvorstellungen, zwischen den Normen des Krieges und der höfischen Liebe, zwischen verschiedenen Kleidermoden, zwischen den widersprüchlichen Lehren der wiederentdeckten Kirchenväter. In den Städten differenziert sich ein breites Spektrum von Berufen aus – und damit auch von Identitäten. Menschen werden häufiger mit Beinamen belegt, die auf persönliche Eigenschaften verweisen.471 470 Cf. Bynum: Holy Feast and Holy Fast, 65-68; Tanz: Jeanne d’Arc, 99; Vauchez: Pouvoirs informels. Visionnaires, prophètes et mystiques, 290; Delaruelle: La pietà popolare, 434f.; idem: L’archange saint Michel dans la spiritualité de Jeanne d’Arc. In: Idem: La piété populaire au Moyen Age. Turin 1980, 389-400, hier: 396f.; Colin Morris: The Discovery of the Individual, 1050-1200. Toronto, Buffalo, London 1987, 139-144; Charles Taylor: Die Formen des Religiösen in der Gegenwart. Frankfurt a.M. 2002, 14f.; Karl-Heinz Ohlig: Christentum – Individuum – Kirche. In: Richard van Dülmen (ed.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Köln, Weimar, Wien 2001, 11-40, hier: 33-38. 471 Cf. Morris: The Discovery of the Individual, 45-47, 60-62, 67-70, 76-80, 87-95, 121f.; Bynum: Jesus as Mother, 16f.; Ullmann: Individuum und Gesellschaft, 76-81; Weinstein / Bell: Saints and Society, 36f.; Dieter Kartschoke: Ich-Darstellung in der volkssprachigen Literatur. In: Richard van Dülmen (ed.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung

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Selbst dort, wo man ein klares Primat der Institutionen erwarten würde, gibt es Mechanismen zu entdecken, die die Wertschätzung des Einzelnen befördern. Etwa nehmen die Regularien der großen Orden durchaus Rücksicht auf die je unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Mönche. Die Kirchenrechtler des 12. und 13. Jahrhunderts betonen die Bedeutung des einzelnen Gläubigen für die Kirche und die Autorität seines Gewissens, seiner spirituellen Erfahrung gegenüber der Hierarchie und ihren Normen.472 Eine entscheidende Transformation vollzieht sich in den Vorstellungen von Schuld und Sühne, denen sich theologische Reflexionen immer häufiger zuwenden, und den damit verbundenen Praktiken. An die Stelle öffentlicher und kollektiver Bußrituale tritt die individuelle Beichte, die ab 1215 jeder Christ zumindest einmal im Jahr ablegen soll. Die Gedanken und Gefühle des Gläubigen werden zum eigentlichen Schauplatz des Kampfes um sein Seelenheil. Der beichtende Sünder muss Zerknirschung und Reue erkennen lassen. Er muss nicht nur über seine Taten Rechenschaft ablegen, sondern auch über seine geheimen Gedanken, seine Gelüste und Absichten. Diese sind bei der Beurteilung der Schwere seiner Sünden fürderhin von höchster Bedeutung. Dementsprechend muss der Beichtende sich selbst und alle seine Regungen erforschen. Damit wird dem durchschnittlichen Gläubigen abgefordert, was in der Literatur – etwa bei Bernard von Clairvaux – zuvor schon als Ideal formuliert worden ist: die Selbsterkenntnis als zentrale Aufgabe des christlichen Lebens, als Weg zu Gott.473 vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Köln, Weimar, Wien 2001, 61-78; John F. Benton: Consciousness of Self and Perceptions of Individuality. In: Robert L. Benson / Giles Constable (eds.): Renaissance and Renewal in the Twelfth Century. Oxford 1982, 263-295, hier: 269, 274-281, 290f.; Daniel Russo: Le nom de l’artiste entre appartenance au groupe et écriture personelle. In: Brigitte Miriam Bedos-Rezak / Dominique Iogna-Prat (eds.): L’Individu au Moyen Age. Paris 2005, 235-246, hier: 238. 472 Cf. Gert Melville: Einleitende Aspekte zur Aporie von Eigenem und Ganzem im mittelalterlichen Religiosentum. In: Idem / Markus Schürer (eds.): Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum. Münster 2002, XI-XLI, hier: XXVIIf.; Peter von Moos: L’individu ou les limites de l’institution ecclésiale. In: Brigitte Miriam Bedos-Rezak / Dominique Iogna-Prat (eds.): L’Individu au Moyen Age. Paris 2005, 271-288, hier: 271-284; Jane Marie Pinzino: Joan of Arc and Lex Privata. A Spirit of Freedom in the Law. In: Ann W. Astell / Bonnie Wheeler: Joan of Arc and Spirituality. New York, Basingstoke 2003, 85-109, hier: 89-92. 473 Cf. Ohlig: Christentum – Individuum – Kirche, 14-16; Morris: Discovery of the Individual, 54, 64-66, 70-75; von Moos: L’individu, 284; Peter Dinzelbacher: Das erzwungene Individuum. Sündenbewusstsein und Pflichtbeichte. In: Richard van Dülmen (ed.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Köln, Weimar, Wien 2001, 41-60; Susan R. Kramer / Carolin W. Bynum: Revisiting the TwelfthCentury Individual. The Inner Self and the Christian Community. In: Gert Melville / Markus Schürer (eds.): Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Reli-

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Auch wenn Michel Foucault der Herkunft des heutigen Subjekts nachgeht, erscheint die Beichte als entscheidende Praxis: Ihre Verallgemeinerung beschreibt Foucault als einen Ausgangspunkt jener Verschiebung, die das Geständnis zur dominierenden Technik der Produktion von Wahrheiten und Subjekten macht. Im Beichtstuhl ergeht zum ersten Mal die Aufforderung, die sich in späteren Jahrhunderten immer drängender, in immer vielfältigeren Zusammenhängen – von der gerichtlichen Vernehmung über die ärztliche Anamnese bis zum Gespräch der Liebenden – an das Individuum richtet, die Aufforderung nämlich, seine eigene Wahrheit zu ergründen und auszusprechen. So funktioniert das assujettissement, so nimmt das Subjekt Form an und wird gleichzeitig Objekt der verschiedenen lauschenden, interpretierenden Instanzen der individualisierenden Pastoralmacht, des pastorat. Als bevorzugtes Thema der Geständnisse bildet sich die Sexualität heraus, sie wird zum konstitutiven Geheimnis des Subjekts. Schon die Beichte thematisiert die Sünden des Fleisches, in ihr kündigt sich das Sexualitätsdispositiv an, das mit der Vervielfachung der einschlägigen Diskurse im 17. Jahrhundert Gestalt annimmt und im 19. Jahrhundert generalisiert wird.474 Die Rückbindung an Konventionen Foucaults Schilderung führt vor Augen: Elemente der mittelalterlichen «Entdeckung des Individuums» können für heutige Individualitäten durchaus von Bedeutung sein. Allerdings darf man jenen Einzelnen, der sich zögerlich aus der mittelalterlichen Gemeinschaft herauslöst, nicht mit dem Individuum des 20. oder 21. Jahrhunderts gleichsetzen. Schon deshalb, weil er nicht dieselbe Einzigartigkeit beansprucht. Er erhält zwar mehr Aufmerksamkeit als zuvor, sein Gefühlsleben wird erörtert, er nimmt immer stärker ausdifferenzierte Rollen ein – aber er geht doch in diesen Rollen auf. Er verkörpert einen bestimmten Typus, er strebt nach der perfekten Imitation christlicher Vorbilder und nicht nach dem Ausleben seines unverwechselbaren Wesens. Wenn er von sich oder einem anderen zu sprechen hat, greift er ohne Weiteres auf geläufige Modelle zurück. Die Selbstthematisierung kann gerade darauf zielen, Konformität mit solchen Mustern herzustellen und die christliche Gemeinschaft zu stärken. Wenn der Einzelne Bernards oder auch Augustins Aufforderung zur Selbsterkenntnis nachgeht, dann findet er in letzter Instanz nicht seine giosentum. Münster 2002, 57-85, hier: 61, 65-70; Alois Hahn / Cornelia Bohn: Partizipative Identität, Selbstexklusion und Mönchtum. In: Ibid., 3-25, hier: 11f. 474 Cf. Foucault: Histoire de la Sexualité I, 25-30, 78-94, 169; idem: Omnes et singulatim. Vers une critique de la raison politique. In: Idem: Dits et écrits, 1954-1988. Bd. IV: 1980-1988. Paris 1994, 134-161, hier: 136.

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ureigene Persönlichkeit, sondern das Allgemeine, das Göttliche.475 So verhält es sich ja auch mit Jeanne: Sie bricht mit der Norm, steht aber in Verbindung mit verschiedenen Modellen heiliger Heldinnen; als auserwählte Retterin hat sie alle Aufmerksamkeit, aber legitimiert ist sie letztlich durch ihre Nähe zu Gott und nicht ihr eigenes Wesen. Genauso wenig wie man das neugeborene Individuum des Mittelalters und seine Nachfahren gleichsetzen darf, kann man wohl von einem linearen Prozess fortschreitender Individualisierung ausgehen. Zumal schon für die Zeit zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert Diskontinuitäten festzustellen sind. So scheint in manchen Bereichen, etwa in der volkssprachigen Literatur, die Tendenz zur Hervorhebung des Einzelnen zunächst wieder zurückzugehen.476 Auch die Foucault’sche Geschichte von der Genese des modernen Subjekts handelt keineswegs von einer vollkommen geradlinigen Entwicklung. Die Tradition der christlichen Geständnispraxen etwa ist durch eine wichtige Wende geprägt: Ab dem 15./16., spätestens dem 17. Jahrhundert zielen sie nicht länger auf die Abtötung des Selbst. In früheren Jahrhunderten hingegen ist dieser Aspekt von zentraler Bedeutung: Die Erforschung des Selbst verfolgt gerade seine Zurückweisung, der Beichtende soll zu Scham und Bescheidenheit geführt werden, sich ganz der Autorität des Beichtvaters unterordnen.477 Was für die Pucelle allerdings nicht zutrifft. Zwar ist immer wieder davon die Rede, dass sie beichten geht: wöchentlich, behaupten manche Quellen, täglich, heißt es sogar in anderen.478 Grundsätzlich ist sie also in diese Stra475 Bynum: Jesus as Mother, 87-90; Kramer / Bynum: Revisiting the the Twelfth-Century Individual, 81-85; Benton: Consciousness of Self, 285; Sonntag; «Das Verborgene des Herzens», 67f., 81f.; Colin Morris: Individualism in Twelfth-Century Religion. Some Further Reflections. In: Journal of Ecclesiastical History 31 (1980), 195-206, hier: 198f.; Charles Taylor: Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität. Frankfurt a.M. 31999, 249f.; Achim Wesjohann: Individualitätsbewusstsein in frühen franziskanischen Quellen? Eine Suche nach Indizien. In: Gert Melville / Markus Schürer (eds.): Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum. Münster 2002, 225-267, hier: 231; Dominique Iogna-Prat: Introduction générale. La question de l’individu à l’épreuve du Moyen Age. In: Brigitte Miriam Bedos-Rezak / Dominique Iogna-Prat (eds.): L’Individu au Moyen Age. Paris 2005, 7-29, hier: 21f. 476 Cf. Kartschoke: Ich-Darstellung in der volkssprachigen Literatur, 77; Morris: Discovery of the Individual, 165f. 477 Cf. Foucault: Omnes et singulatim, 145-147; idem: Les techniques de soi. In: Idem: Dits et écrits, 1954-1988. Bd. IV: 1980-1988. Paris 1994, 783-813, hier: 788f., 806-809, 812f.; idem: Du gouvernement des vivants. In: Ibid., 125-129, hier: 129; Dinzelbacher: Das erzwungene Individuum, 58. 478 Cf. Q IV, 93, 231, 249, 322; Q V, 75; A I, 57; A III, 203, 289, 584; A IV, 244, 288; D III, 246, 248, 250-252, 254, 257, 259, 261, 263, 268, 270, 272, 280, 295, 297; T/L I, 46f.

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tegie individualisierender Pastoralmacht eingebunden. Aber was sie eigentlich beichtet, ist nicht von Interesse. Ihre Zeitgenossen berichten von ihrem Respekt vor dem Bußsakrament, nicht aber von ihren Sünden oder ihrer Scham. Überdies nimmt es die Heldin nicht so genau mit der Autorität der Beichtväter. Vor ihrem Aufbruch aus Domremy scheint sie keinen Priester in ihre göttliche Mission einzuweihen. Und während ihres Prozesses versucht sie, ihren Richter, den Bischof von Beauvais, als potentiellen Beichtvater dazu zu zwingen, ihr das Bußsakrament zu ermöglichen: „Et, combien qu’elle fust plusieurs foys requise de dire Pater noster et Ave Maria, elle respondit qu’elle ne le diroit point, se ledit evesque ne l’ouoyt de confession.“479 Jenem anderen Geständniszwang, unter dem sie steht, jenem, dem die Richter ihre Angeklagte unterwerfen wollen, versucht sie sich ohnehin zu entziehen. Hartnäckig sträubt sie sich gegen den Schwur, in allen Dingen die Wahrheit zu sagen. Sie hat kein Interesse an der Erkundung ihrer Schuld.480 Die Pucelle steht vor allem für die positive Seite der Herauslösung des Einzelnen: für Möglichkeiten, unabhängig von Gruppenzugehörigkeiten zu handeln. Weil Jeannes Geschichte die Erwartungen an das Leben eines schlichten Bauernmädchens durchbricht, stützt sie die vielförmigen, kleinteiligen Machtverschiebungen zugunsten des Einzelnen – und umgekehrt begünstigt dieser Kontext das Auftauchen von Aussagen über die kämpfende Jungfrau. Jane Marie Pinzino hebt das in ihrer Analyse des Rehabilitationsprozesses hervor: wie die Kleriker Jeannes Verhalten mit dem Verweis auf jene Rechtstradition legitimieren, die letztlich die religiöse Erfahrung des Einzelnen über die kirchlichen Normen stellt, und damit der Weiterentwicklung dieser Tradition einen wichtigen Impuls geben.481 So zeigen sich ähnliche Wechselwirkungen wie im Verhältnis der Rede von der Heldin zur Herausbildung des französischen Vaterlands und – in geringerem Maße – auch im Verhältnis der Heldin zu den Kämpfen der einfachen Gläubigen, der BürgerInnen, der Frauen. Aber in einem Punkt ist die Einbindung der Pucelle in den Kontext der mittelalterlichen Vereinzelung besonders: insofern die Geschichte von der Heldin eine wichtige Komponente dieses strategischen Zusammenhangs ausklammert, eben die Auslöschung des Selbst in Schuld und Scham. Jenem Aspekt der Genealogie des modernen Subjekts, der in der Neuzeit verblasst, entzieht sich die Heldin von vorneherein. Umso besser kann sie sich womöglich mit strategischen Zusammenhängen der Individualisierung im 20. Jahrhundert verbinden. Bei der Untersuchung der Filmheldin Jeanne wird davon die Rede sein müssen: sobald auf der Grund479 T/L I, 41; cf. ibid., 124; Tanz / Werner: Spätmittelalterliche Laienmentalitäten, 263. 480 Cf. T/L I, 38, 44f., 55-57, 69, 80f. 481 Cf. Pinzino: Joan of Arc and Lex Privata.

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lage der Erkenntnisse über die mittelalterliche Heldin das Referential auch ihrer Nachfolgerin aus dem 20. Jahrhundert bestimmt, das assoziierte Feld umrissen, ihre Subjektposition beschrieben ist und wiederum als letzte Station der diskursiven Erkundung die strategischen Zusammenhänge in den Blick kommen.

C. Jeanne d’Arc als Filmheldin

Eine stämmige Person mit vollen Hüften und Brüsten unter einem weiten Kleid und den Haaren in einem Knoten hüpft durch eine Küche. Sie stößt einen Quirl wie ein Schwert in die Luft. Einer Frau, die hereintritt und Zeugin der Fechtübungen wird, angelt sie die Perücke vom Kopf, einen Mann, der zu Hilfe kommt, attackiert sie mit einem Besen. In der nächsten Szene schreibt sie an einen Professor Hasenfuß, der eine Stelle für eine „tüchtige Köchin zum Schutze des Hauses“ annonciert hat. „Ich bin die Person, die sie suchen“, verspricht sie: „Johanna, die moderne Jungfrau von Orléans.“ So stellt sich Max Skladanowsky 1913 eine aktuelle Version von Jeanne d’Arc vor: als Witzfigur.482 In seinem Film über Eine moderne Jungfrau von Orléans gewinnt die Heldin keine Kriege, sie führt keine Soldaten in die Schlacht und kann sich gewiss nicht zugute halten, ein Land befreit oder einen König gekrönt zu haben. Immerhin: Sie verprügelt drei Einbrecher, die das Haus des Professors heimsuchen, sperrt sie in eine Truhe und übergibt sie der Polizei. Aber dabei bleibt sie lachhaft: Erst sitzt sie mit Pickelhaube, Bier und Pfeife bei Professors am Küchentisch; und die Diebe, die sie anschließend überrascht, verwandeln sich per Stopptrick in Stoffpuppen, sodass sie sich mühelos durch die Luft schleudern lassen. Überdies wird immer deutlicher, je näher die Kamera dieser Köchin kommt: Die Jungfrau ist ein Mann. Sie wird gespielt von Eugen Skladanowsky.483 Bei diesem Transfer ins frühe 20. Jahrhundert gerät die Rede von der siegreichen Heldin in ein neues Register, sie verfehlt das Feld der ernsthaften Aussagen. Am Ende des Jahrhunderts ist das Resultat in einem anderen Fall ganz ähnlich. Alain Ade und Claude Duty erzählen in ihrem Kurzfilm La Pucelle des Zincs von einer Kellnerin, die einem traditionsbewussten Gastronomen zum Sieg im Kampf gegen Burger und Cola verhilft.484 Auch hier trägt Jeanne eine Schürze anstelle der Rüstung, und auch hier zielen ihre Anstrengungen letztlich auf eine Pointe. Die ernst zu nehmende Heldin, die sich männliche Machtpositionen aneignet, ist bei beiden Filmen nur noch als ein fernes Vor482 Max Skladanowsky: Eine moderne Jungfrau von Orléans. Deutschland 1913. (Die Zitate beziehen sich auf die Version, die das Deutsche Institut für Filmkunde unter der Kopie-Nr. 12512 archiviert hat.) Cf. zur Datierung Joachim Castan: Max Skladanowsky oder Der Beginn einer deutschen Filmgeschichte. Stuttgart 1995, 118. 483 Cf. ibid. 484 Alain Ade / Claude Duty: La Pucelle des Zincs. Frankreich 1995.

149 bild zu erahnen, irgendwo weit hinten auf der Grenze zwischen dem potentiell Wahren und dem Unsagbaren. Die Filme, um die es im Folgenden geht, berichten zwar ohne Ironie von der jungen Frau aus Domremy, bestätigen aber dennoch in manchen Momenten, dass die Figur der Heldin sich nicht von selbst versteht. Bei DeMille etwa verspotten sie ihre Feinde als „petticoat general“. Und wie schon in den mittelalterlichen Quellen trifft die Ankündigung, dass eine Frau in den Krieg eingreifen werde, auch in den Reihen der Franzosen auf Unglauben: In Vaucouleurs, am Hof oder im Feldlager lacht man über Jeanne oder erklärt sie für verrückt.485 Wieder und wieder wird die Möglichkeit abgewiesen, dass es so eine wehrhafte Heldin wie Jeanne wahrhaftig geben könnte. Und gleichzeitig erscheint sie doch auf der Leinwand, wieder und wieder. Deshalb stellt sich eben die Frage: Welche Bedingungen ermöglichen das Auftauchen der Aussagen über die Heldin – in einem Medium überdies, in dem handlungsbestimmende Frauenfiguren oftmals ein Nischendasein geführt haben? Die Antwort wird im Folgenden nicht nur in den ausgewählten Jeanne d’Arc-Filmen aus französischer, deutscher und US-amerikanischer Produktion gesucht, sondern auch in Artikeln, die in deutschen, französischen und US-Printmedien anlässlich der Veröffentlichung dieser Filme erscheinen. Da durch die Studien von Robin Blaetz oder auch Sumiko Higashi bereits wichtige Aspekte des Presseechos in den USA aufgearbeitet sind, kann es in dieser Hinsicht bei einer kleinen Stichprobe bleiben.486 Von den US-Printmedien werden deshalb nur die New York Times und das Fachblatt Variety herangezogen. Diesseits des Atlantiks soll hingegen ein breites Spektrum publizistischer Stimmen Berücksichtigung finden: unterschiedlich stark spezialisierte Publikationen, von der Tageszeitung bis zur Filmzeitschrift; unterschiedliche weltanschauliche Ausrichtungen, politisch wie religiös; und Blätter mit unterschiedlichem Anspruch, von Qualitätszeitungen bis zu boulevardnahen Publikationen. Wegen des großen Zeitraums, den es abzudecken gilt, ist diese Vielfalt leider nicht immer im gleichen Maße herstellbar. Als die frühesten Filme über Jeanne d’Arc entstehen, gibt es noch keinen Filmjournalismus.487 Schon von der ersten abendfüllenden Fassung allerdings, von DeMilles Joan the Woman, nehmen diverse Zeitungen Notiz. Und von da an erweitert sich die Berichterstattung stetig, sodass sich das skizzierte Spektrum bei allen späteren Filmen 485 Cf. Méliès; Gastyne; Ucicky; Fleming; Preminger; Rivette; Besson. 486 Cf. etwa Blaetz: Visions of the Maid; idem: ‚La Femme Vacante‘; idem: Cecil B. DeMille’s Joan the Woman; Sumiko Higashi: Cecil B. DeMille and American Culture. Berkeley, Los Angeles, London 1994. 487 Cf. etwa Helmut H. Diederichs: Anfänge deutscher Filmkritik. Stuttgart 1986, 63f.

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abbilden lässt. Nur nicht immer auf beiden Seiten des Rheins: Der deutsche Film Das Mädchen Johanna, der unter nationalsozialistischer Aufsicht entsteht, kommt in Frankreich nicht in die Kinos.488 Entsprechend wenig haben die dortigen JournalistInnen dazu zu sagen. Umgekehrt bekommen die deutschen KritikerInnen – ebenso wie die US-KollegInnen – La Merveilleuse Vie de Jeanne d’Arc offensichtlich nicht zu sehen, sondern kennen das „französischste aller französischen“ Projekte höchstens vom Hörensagen.489

a. Referential Die Filme und die begleitenden Texte müssen nun nach demselben Verfahren ausgewertet werden wie die Quellen des 15. Jahrhunderts. Die Dimensionen des Foucault’schen Diskurses geben die Richtung vor, den ersten Ansatzpunkt bietet wiederum das Referential: Wie ist das Feld diskursiver Möglichkeiten beschaffen, in dem die filmischen Aussagen über die aktive Heldin als potentiell zutreffende in Erscheinung treten können? Zunächst soll einmal die Hypothese geprüft werden, dass es hinsichtlich dieser Einbettung der Figur Jeanne d’Arc Kontinuitäten geben könnte. Zwar ist die Untersuchung letztlich darauf aus, Verschiebungen sichtbar zu machen. Sie will zeigen, wie sich die Bedingungen wandeln, denen die mediale Konstruktion geschlechtlich bestimmter Identitäten unterworfen ist. Aber gerade wenn es darum geht, die Endlichkeit von Kontinuitäten zu zeigen, kann es helfen, sich zunächst an ihre Spur zu heften. Wie weit kommt man mit dem Versuch, auch die Filmheldin in einem religiösen Kontext zu verorten? An welcher Stelle muss man umschwenken?

488 Cf. Christian-Marc Bosséno: Jeanne d’Arc, la brûlure de l’histoire. In: Vertigo 16 (1. Halbjahr 1997), 109-114, hier: 110. 489 Film-Kurier, 09.02.1927. Um die Fußnoten nicht zu überfrachten, werden zeitgenössische Artikel zu den Filmen nur in Kurzform zitiert. Die übrigen Angaben im Literaturverzeichnis.

Referential

I.

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Verehrung spiritueller HeldInnen

i. Kontinuitäten Generelle Verbindungen zur Heiligenverehrung Auch in den Filmen besteht die Heldin darauf, von Gott oder zumindest einem Erzengel geschickt zu sein.490 Merkwürdige Zeichen – ein heller Schein etwa oder das Läuten von Glocken – lassen erkennen, dass es mit diesem Mädchen eine besondere Bewandtnis hat.491 Sie weiß um zukünftige und entfernte Geschehnisse: Eine Schlacht in einem anderen Teil des Landes bleibt ihr nicht verborgen; sie ahnt die Absichten eines Attentäters genau wie den baldigen Tod eines Rohlings, der sie bedrängt.492 Auf unerklärliche Weise beeinflusst sie den Lauf der Dinge: Ihretwegen schlägt der Wind um, und Hühner, die seit Tagen den Dienst verweigert haben, nehmen das Eierlegen wieder auf. Sie vollbringt Wunder – oder zumindest Taten, die von anderen Figuren oder in den Kommentaren eines Erzählers als solche bezeichnet werden.493 In manchen Filmen kann das Publikum am Übernatürlichen, an Jeannes Visionen nämlich, direkt teilhaben. Dann sind Engel zu sehen, Heilige, weiß gewandete Gestalten, die aus dem Nichts erscheinen, oder Bilder ferner Ereignisse als Doppelbelichtung.494 Reichlich Hinweise, dass die Filmheldin besondere Beziehungen zur Transzendenz hat. Oft bringt es auch jemand auf den Punkt: Ein anonymer Erzähler, ein Soldat, der Dauphin oder ein Beobachter ihrer Leiden in Rouen spricht aus, dass es sich hier um eine Heilige handeln muss.495 George Méliès zeigt in seinem Stummfilm sogar den Aufstieg Jeannes in den Himmel, Victor Fleming in seiner Hollywood-Variante die Feierlichkeiten zur Kanonisierung, und bei Cecil B. DeMille erscheint Jeanne samt Heiligenschein einem englischen Soldaten an einer Front des Ersten Weltkriegs. Dass eine gewisse Verbindung besteht zwischen der Filmheldin und den Glaubenssätzen, Ritualen und Institutionen, deren Zusammenspiel das diskursive Feld der Heiligenverehrung konstituiert, lässt sich insofern kaum bestreiten. Zumal die Heldin gerade in jener Zeit, in der sie ihre ersten Auftritte im Kino hat, also in den letzten Jahren des 19. und den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, auch vom Vatikan Schritt für Schritt offizielle Anerkennung 490 491 492 493 494 495

Cf. DeMille; Gastyne; Dreyer; Ucicky; Fleming; Preminger; Bresson; Besson. Cf. DeMille; Gastyne; Besson. Cf. DeMille; Fleming; Preminger; Besson. Cf. Gastyne; Ucicky; Preminger; Besson. Cf. Méliès; Capellani; DeMille; Gastyne; Besson. Cf. Dreyer; Gastyne; Ucicky; Fleming; Preminger.

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erfährt. 1894 wird sie für ehrwürdig erklärt, 1909 folgt die Seligsprechung, die von mindestens zwei Filmen begleitet wird: Capellanis Jeanne d’Arc und Mario Caserinis Version mit dem französischen Titel La béatification de Jeanne d’Arc. 1920 ist es schließlich so weit: Benedikt XV. nimmt Jeanne offiziell in den Kreis der Heiligen auf.496 Die Beschlüsse der Kirche in der Causa Jeanne stehen nicht allein: Die Karmeliterin Thérèse aus Lisieux, die sich in ihren Schriften vielfach auf Jeanne bezieht, sie sogar beim klösterlichen Laienspiel verkörpert, und Bernadette Soubirous aus Lourdes werden weit über Frankreich hinaus zum Gegenstand der Verehrung und in der Zeit zwischen den Kriegen kanonisiert.497 Die Konjunktur ist spirituellen Heldinnen günstig. Denn ein Mechanismus funktioniert noch wie im 15. Jahrhundert: Krisenerfahrungen fördern die Rede über wundersame Ereignisse. Das Leiden an der Moderne – die Desorientierung, den Sinnverlust – versuchen im 19. Jahrhundert viele Menschen dadurch zu kompensieren, dass sie ihren Glauben in Visionärsgestalten investieren. Das kann eher orthodoxe Formen annehmen – wie in Frankreich, wo die Jungfrau Maria unbedarften Mädchen erscheint –, sich aber auch in der Popularität spiritistischer Medien in den USA ausdrücken. Zugespitzt wird die Situation in Frankreich durch die Niederlage von 1870/71, in deren Folge sich die Erscheinungen vervielfältigen. Im Kampf gegen Glaubenszweifel und die Zerknirschung ob der nationalen Schmach setzt auch die Kirche selbst in den folgenden Jahrzehnten auf das Beispiel alter Heiliger und neuer Mystikerinnen. Wallfahrten mobilisieren in dieser Zeit zum Teil enorme Menschenmengen; allerhand prophetische und mystische Schriften sind in Umlauf. Später

496 Zur unklaren Datierung des verschollenen Films von Caserini und möglichen anderen Jeanne-Verfilmungen desselben Regisseurs cf. Blaetz: Visions of the Maid, 249f.; Anon.: Jeanne d’Arc, 17f.; Harty: Jeanne au cinéma, 238f. Zu den Etappen der Kanonisierung cf. etwa Warner: Joan of Arc, 263f.; Henry Ansgar Kelly: Joan of Arc’s Last Trial. The Attack of the Devil’s Advocates. In: Bonnie Wheeler / Charles T. Wood (eds.): Fresh Verdicts on Joan of Arc. New York, London 1996, 205-235, hier: 214f. 497 Cf. Denise L. Despres: Le Triomphe de l’humilité. Thérèse of Lisieux and „la nouvelle Jeanne“. In: Ann W. Astell / Bonnie Wheeler (eds.): Joan of Arc and Spirituality. New York, Basingstoke 2003, 249-265; Etienne Foilloux: Protagonisten, Institutionen, Entwicklungen. Zweites Kapitel: Entwicklungen theologischen Denkens, Frömmigkeit, Apostolat. II.: Der Katholizismus. In: Jean-Marie Mayeur (ed.): Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur. Bd. 12: Erster und Zweiter Weltkrieg – Demokratien und totalitäre Systeme (19141958). Freiburg, Basel, Wien 1992, 134-302, hier: 138f., 251; André Latreille / R. Rémond: Histoire du Catholicisme en France. Bd. 3: La Période contemporaine. Paris 21964, 445.

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sind es dann die Weltkriege, die abermals eine Welle von Offenbarungen und Wundern provozieren.498 Im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts gehen solche Manifestationen des Übernatürlichen zurück, vor allem in Frankreich. Allerdings verschwinden sie nicht komplett aus dem Leben der Gläubigen. Nach wie vor wird von Marienerscheinungen berichtet, nicht zuletzt in Nordamerika. In einem Umfeld wie dem der Pfingstbewegungen, die auf beiden Seiten des Atlantiks ihre Anhänger finden, gehören wundersame Heilungen und Prophezeiungen durchaus zum Gemeindeleben.499 Und schließlich hat gerade die jüngste Zeit eine beachtliche Zahl kanonisierter Heiliger hervorgebracht. Vermutlich hängt es mit der „Identitätskrise der Großinstitution“ Kirche zusammen, dass besonders Johannes Paul II. unermüdlich an der Produktion christlicher Vorbilder gearbeitet hat.500 Der Papst und sein Wirken sind im Übrigen – wie nicht zuletzt der Tod von Johannes Paul II. und die Wahl von Benedikt XVI. gezeigt haben – zentrale Gegenstände der Massenmedien. Mit diesen hat sich für die Rede von übernatürlichen Geschehnissen und ihren Urhebern eine neue Plattform entwickelt. Besonders Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich Feuilletons und Kulturzeitschriften in Frankreich intensiv mit religiösen Themen. Kirchennahe Presseorgane flo-

498 Cf. Foilloux: Protagonisten, Institutionen, Entwicklungen, 238-241; Jacques Gadille: Die Zeit der Demokratie und der europäischen Expansion. Erstes Kapitel: Theologie und Spiritualität in der katholischen Welt. In: Idem / Jean-Marie Mayeur (eds.): Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur. Bd. 11: Liberalismus, Industrialisierung, Expansion Europas (1830-1914). Freiburg, Basel, Wien 1997, 335-352, hier: 335f., 347f.; Régis Ladous: Die Neue Welt. Erstes Kapitel: Nordamerika. A: Die Vereinigten Staaten von Amerika. In: Ibid., 829-908, hier: 854-856; Thomas A. Kselman: Miracles and Prophecies in Nineteenth Century France. New Brunswick 1983, 105-114, 117, 123f., 136; Vanessa D. Dickerson: A Spirit of Her Own. Nineteenth-Century Feminine Explorations of Spirituality. In: Lynda L. Coon / Katherine J. Haldane / Elisabeth W. Sommer (eds.): That Gentle Strength. Historical Perspectives on Women in Christianity. Charlottesville, London 1990, 243-258, hier: 256; Paul Gerbod: L’éthique héroïque en France (1870-1914). In: Revue historique 268 (2. Halbjahr 1982), 409-429, hier: 414. 499 Cf. Foilloux: Protagonisten, Institutionen, Entwicklungen, 245; Jean-Marie Mayeur / Jean-Paul Willaime: Katholische und evangelische Kirche: Krisen – Veränderungen – Neuaufbruch. Fünftes Kapitel: Religiöse Einstellungen und Formen von Religiösität. In: Jean-Marie Mayeur (ed.): Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur. Bd. 13: Krisen und Erneuerung (1958-2000). Freiburg, Basel, Wien 2002, 233-279, hier: 264f., 271. 500 Stefan Samerski: Ihr Freunde Gottes allzugleich, vervielfacht hoch im Himmelreich. Die wundersame Heiligenvermehrung: Wie Papst Johannes Paul II. ein frommes Rechtsinstitut in ein persönliches Zeichen verwandelt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.01.2001, 48.

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rieren.501 Und kaum hat die Kinogeschichte ihren Anfang genommen, schon wird der Film zur Verlängerung von Predigt und Katechismus. Die Passion Christi und andere biblische Geschichten gehören zu den ersten Inhalten des Mediums. Frühe Dokumentarfilme zeigen Pilgerreisen ins Heilige Land und nach Lourdes, dessen Aufstieg zu einem Stützpunkt der Transzendenz später auch zum Inhalt von Spielfilmen wird. Die Geschichte der Bernadette Soubirous, der dort die heilige Jungfrau erschienen ist, erzählt sowohl eine aufwändige US-Produktion aus dem Jahr 1944 als auch eine nüchterne französische Fassung von 1987. In den 1950er Jahren, als der Kirchenbesuch in den USA einen Höhepunkt erreicht, haben religiöse Themen auch in Hollywood Konjunktur.502 Die besondere Spiritualität bei Dreyer und Bresson Amédée Ayfre, ein Wissenschaftler und Ordensmann, der seine Studien mit dem Placet der kirchlichen Hierarchen veröffentlicht, ist davon überzeugt: Der Film kann das Heilige zum Ausdruck bringen. Und vor allem zwei Regisseuren traut er das Kunststück zu: Carl-Theodor Dreyer und Robert Bresson. So gereinigt von allem Überflüssigen seien die Filme Bressons und so konsequent seinem eigenen Stil unterworfen die Filme Dreyers, dass sie dadurch der Transzendenz einen Weg ins Kino bahnten.503 Nicht zuletzt denkt Ayfre dabei an die Jeanne-Verfilmungen der beiden Künstler: In der Leere, der 501 Cf. Latreille / Rémond: Histoire du Catholicisme en France. Bd. 3, 594f.; André Encrevé / Jacques Gadille / Jean-Marie Mayeur: Das Christentum in Europa von 1860 bis zum ersten Weltkrieg. Erstes Kapitel: Frankreich. In: Jacques Gadille / Jean-Marie Mayeur (eds.): Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur. Bd. 11: Liberalismus, Industrialisierung, Expansion Europas (1830-1914). Freiburg, Basel, Wien 1997, 487-532, hier: 498f.; Friedrich Wilhelm Graf: Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur. München 22004, 143. 502 Cf. Henry King: The Song of Bernadette (Das Lied der Bernadette). USA 1943; Jean Delannoy: Bernadette (Bernadette). Frankreich 1987; Jean Mitry: Histoire du cinéma. Art et Industrie. Bd. I: 1895-1914. Paris 1967, 220, 258; Massimo Locatelli: Der Schatten Gottes. Über den Zusammenhang von Film und Theologie. In: Lothar Warneke / Massimo Locatelli (eds.): Transzendenz im populären Film. Berlin 2001, 17-35, hier: 21f.; Wilhelm Damberg: Wer ist die Ausnahme? Katholiken in der Bundesrepublik Deutschland und in den Vereinigten Staaten. Komparative Religionsgeschichte im 20. Jahrhundert. In: Friedrich Wilhelm Graf / Klaus Große Kracht (eds.): Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2007, 105-123, hier: 116. 503 Amédée Ayfre: Le Cinéma et la Foi chrétienne. Paris 1960, 86f.; cf. idem: L’univers de Dreyer. In: Idem: Le cinéma et sa vérité. Paris 1969, 173-180, hier: 174-178; idem: L’univers de Robert Bresson. In: Idem: Conversion aux images? Les images et Dieu. Les images et l’homme. Paris 1964, 255-275, hier: 270; Henri Agel / Amédée Ayfre: Le cinéma et le sacré. Paris 1961, 20-24, 107.

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Schlichtheit, der Abstraktion der Passion de Jeanne d’Arc klängen die Stimmen des Glaubens an; das seltsame Verhalten, die seltsamen Gesten der Figuren im Procès de Jeanne d’Arc entzögen sich einer psychologischen Deutung, und so übersteige der Film die Normalität.504 Auch andere Autoren – von Susan Sontag bis Paul Schrader – führen den dänischen und den französischen Regisseur aufgrund ihrer ästhetischen Strategien als Vertreter der Transzendenz in der Filmbranche an. Bresson, schreibt ein Religionshistoriker, könne als „christlicher Filmschaffender par excellence“ gelten.505 Die Durchsicht der zeitgenössischen Berichterstattung über Le Procès fördert ähnliche Stellungnahmen zu Tage. „Bresson“, urteilt ein Kritiker der Cahiers du Cinéma, „réintroduit, et de la façon la plus décisive, le sacré, glorifie ce corps qu’il semblait dédaigner l’instant d’avant, atteint finalement le plus noble et le plus secret des âmes par l’attention aux gestes les plus simples, aux objets les plus quotidiens.“506

Verschiedene Journalisten sowohl in Frankreich als auch in Deutschland können dem zustimmen. Sie loben die Spiritualität des Films oder die Überzeugungskraft, mit der Florence Delay eine von Gott inspirierte Frau verkörpert.507 Bewertungen, wie sie ein Vierteljahrhundert zuvor über Dreyers La Passion zu lesen waren. Zumal im Vergleich mit dem Konkurrenzprodukt von Marco de Gastyne erscheint manchen Journalisten Dreyers Version als ein Zeugnis authentischen Glaubens und seine Jeanne als wahre Heilige.508 Damit allerdings ordnen die akademischen und journalistischen Kommentare genau jene beiden Jeanne-Verfilmungen in den Kontext christlicher 504 Amédée Ayfre: Le corps miroir de l’âme. In: Idem: Le cinéma et sa vérité. Paris 1969, 59-73, hier: 70; idem: Cinéma et transcendance. In: Henri Agel / Amédée Ayfre: Le cinéma et le sacré. Paris 1961, 149-176, hier: 170. 505 Foilloux: Protagonisten, Insitutionen, Entwicklungen, 143; cf. Susan Sontag: Spiritual Style in the Films of Robert Bresson. In: Idem: Against Interpretation and Other Essays. New York 1966, 177-195, hier: 184f., 188; Paul Schrader: Transcendental Style in Film. Ozu, Bresson, Dreyer. Berkeley 1972, 60-82, 119-121; David Bordwell: The Films of Carl-Theodor Dreyer. Berkeley, Los Angeles, London 1981, 194; Raymond Carney: Speaking the Language of Desire. The Films of Carl Dreyer. Cambridge et al. 1989, 71f.; Kevin J. Harty: The Reel Middle Ages. American, Western and Eastern European, Middle Eastern and Asian Films About Medieval Europe. Jefferson, London 1999, 6; Bill Scalia: Contrasting Visions of a Saint. Carl Dreyer’s The Passion of Joan of Arc and Luc Besson’s The Messenger. In: Literature/Film Quarterly 32 (2004), 181-185, hier: 181-183. 506 Cahiers du cinéma, 05/1963b. 507 Cf. SZ, 11.02.1969; Film-Dienst, 27.10.1965a; Le Monde, 20.05.1962, 17./18.03.1963; Le Figaro, 19./20.05.1962; 19.03.1963; France-Soir, 20./21.05.1962; Télérama, 01.12.1963; Cahiers du cinéma, 05/1963c. 508 Cf. Vossische Zeitung, 25.11.1928; Cinémonde, 18.04.1929a und b; Pour Vous, 16.05.1929; New York Times, 31.03.1929.

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bzw. spiritueller Rede ein, die sich als einzige unter den Langfilmen ganz auf den Prozess in Rouen konzentrieren. Mit anderen Worten: jene Filme, in denen die Heldin nur in geringem Maße Aktivität entfalten kann. Gewiss: Ihr gelingen verbale Attacken auf die Mitglieder des Gerichts, und sie wehrt Fangfragen ab. Aber Angriffe zu Pferde, glorreiche Schlachten und die Befreiung des Landes können nur retrospektiv Erwähnung finden. Gezeigt werden sie gar nicht, auch nicht als Flashback. Deshalb ist Skepsis angebracht. Die Filmheldin mag zwar viele jener Merkmale tragen, anhand derer die mittelalterliche Jeanne als ein Objekt im diskursiven Feld der Heiligenverehrung identifiziert werden konnte. Das Kino ist zwar in jene religiösen Praktiken eingebunden, die die Grundlage für Aussagen über Heilige, Wunder und Offenbarungen bilden. Und das filmische Werk von Robert Bresson und Carl-Theodor Dreyer gilt zwar als ein Durchgangspunkt zwischen Kino und Transzendenz. Aber womöglich stellt die Verehrung spiritueller Heldinnen doch nicht das entscheidende Möglichkeitsfeld dar, das im späten 19. und im 20. Jahrhundert das Auftauchen filmischer Aussagen über eine tatkräftige Frau begünstigt. ii. Umbrüche Wandlungen in der Verehrung spiritueller HeldInnen Betrachtet man jene Frauen, die in der Zeit der spirituellen Renaissance um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert mit Rückendeckung aus dem Jenseits auftreten, fällt auf, dass ihre Aktivität generell einen eng umgrenzten Bereich nicht überschreitet. Die Ende des 19. Jahrhunderts besonders im anglo-amerikanischen Raum zahlreichen spiritistischen Medien zum Beispiel können durchaus in einen gelehrten Meinungsaustausch über übersinnliche Phänomene eintreten, sie dürfen sich also in einem Modus äußern, der ihnen üblicherweise verwehrt bleibt. Aber durch weitergehende Aktivitäten würde ihr Status sogar gefährdet. Denn gerade die Passivität, die ihnen als Frauen von ihrer Mitwelt zugeschrieben wird, macht sie glaubwürdig: Sie passt eben zur Rolle als Medium, das Nachrichten nur weiterleiten und nicht etwa selbst hervorbringen soll.509 Analog dazu empfangen göttlich inspirierte Christinnen zwar Offenbarungen, aber jene prominenten Gestalten des 19. Jahrhunderts, die durch Heilungen direkt in das Leben ihrer Mitmenschen eingreifen, sind eher Männer. 509 Cf. Dickerson: Spirit of Her Own, 255f.; Mary Walker: Between Fiction and Madness. The Relationship of Women to the Supernatural in Late Victorian Britain. In: Lynda L. Coon / Katherine J. Haldane / Elisabeth W. Sommer (eds.): That Gentle Strength. Historical Perspectives on Women in Christianity. Charlottesville, London 1990, 230-241, hier: 230f.

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Bernadette Soubirous, die Lourdes innerhalb kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Wallfahrtsorte macht, wird vor allem für ihre Visionen der Jungfrau berühmt und nicht für die Wunder, die sie wirkt. Mehr noch: Zum auffälligsten Kennzeichen der heiligen Frauen avanciert ihr Leiden. Sie erdulden fürchterliche Krankheiten und wären schon deshalb gar nicht in der Lage, draußen in der Welt in den Kampf zu ziehen. Vielmehr ziehen sich die Visionärinnen oft in Konvente zurück und unterwerfen sich bedingungslos der Anleitung ihrer Beichtväter. Das Leben der modellhaften Heiligen Thérèse Martin ist von Selbstaufopferung, Schmerzen und einem frühen Tod geprägt. An ihrem Vorbild Jeanne d’Arc bewundert sie vor allem deren Martyrium.510 Das Verhältnis der beiden jungen Heldinnen illustriert eine – allerdings wesentlich später entstandene – Filmszene: Thérèse wird von einer ihrer Schwestern mit einer Rüstung aus Folie, dem Lilienemblem und einer weißen Fahne ausstaffiert, aber bevor Thérèse in diesem Aufzug – also als Jeanne – fotografiert werden kann, bekommt sie einen Hustenanfall, Blut rinnt aus ihrem Mund, sie muss weggetragen werden.511 So eng die beiden Frauenfiguren auch miteinander in Verbindung stehen: Sie sind ungleiche Schwestern. Gerade die Seite der Filmheldin, die hier im Vordergrund steht – ihre Fähigkeit zu handeln und selbst in einer so männlichen Domäne wie dem Schlachtfeld die Führung zu übernehmen – unterscheidet Jeanne von der paradigmatischen Heiligen des frühen 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus darf man nicht vernachlässigen, dass die Praktiken, Normen und Institutionen des Christentums, die Jeanne im 15. Jahrhundert einen Ort der Sagbarkeit boten, bis zu diesem Zeitpunkt eben doch erhebliche Wandlungen erlebt haben. Die Popularität von Wallfahrten und die zahlreichen Marienerscheinungen im Zusammenhang mit den Kriegen und Krisen von 1870/71 bis 1945 sind nur die eine Seite der Geschichte. Auf der anderen Seite sind Glaube und Kirche weit von jener beherrschenden Position entfernt, die sie im Leben von Jeannes ZeitgenossInnen im 15. Jahrhundert einnahmen. Seit geraumer Zeit sind die christlichen Werte der Konkurrenz durch Rationalismus und Fortschrittsglauben ausgesetzt. Die Maschen im institutionellen Netz der katholischen Kirche beginnen sich zu vergrößern. Selbst in Frankreich, der Glaubenstradition des Landes zum Trotz, bleiben Gemeinden ohne Oberhaupt. Die Kirche und der französische Staat entfernen sich voneinander, bis es 1905 zur offiziellen Trennung kommt. Die Integration in die katholische Gemeinschaft, der Kontakt mit ihren Geschich510 Cf. Despres: Le Triomphe de l’humilité, 262f.; Kselman: Miracles and Prophecies, 24f., 102105, 110; Foilloux: Protagonisten, Institutionen, Entwicklungen, 251f.; Gadille: Zeit der Demokratie, 342-345. 511 Cf. Alain Cavalier: Thérèse. Frankreich 1986.

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ten und Gesetzen ist für die Menschen nicht länger selbstverständlich.512 In den anderen Ländern, die hier von Interesse sind, in Deutschland und den USA, ist der Katholizismus auf dem Markt der Sinnstiftung ohnehin nur ein Mitbewerber unter mehreren. In Deutschland hat er, obwohl das Reich auch katholisch geprägte Regionen umfasst, tendenziell das Nachsehen gegenüber dem Protestantismus, der für die Rede von Heiligen kein günstiges Umfeld bietet. Und die religiöse Landschaft in den USA ist von der Pluralität ganz unterschiedlicher Bewegungen geprägt.513 Im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts verschärft sich die Entwicklung. Auf der europäischen Seite geht die Zahl der Gläubigen bzw. Kirchenmitglieder und der BesucherInnen in den Gottesdiensten deutlich zurück, vor allem ab den 60er Jahren. Das katholische Milieu in Deutschland – bis zu diesem Zeitpunkt relativ geschlossen – beginnt sich aufzulösen.514 In den USA bekennen sich zwar mehr Menschen zu einem Gott, und langfristig betrachtet steigt der Anteil jener, die einer christlichen Gemeinde angehören. Aber die katholische Kirche ist dabei trotz eines beachtlichen Zuwachses an Mitgliedern nur eine Option unter vielen und hat mit einem Mangel an Nachwuchs in den geistlichen Berufen zu kämpfen.515 Etliche Forscher kommen 512 Cf. Latreille / Rémond: Histoire du Catholicisme, 427, 504-508; Encrevé / Gadille / Mayeur: Christentum in Europa, 496f., 502f., 515-520; Jacques Gadille / Jean-Marie Mayeur: Einleitung. In: Idem (eds.): Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur. Bd. 11: Liberalismus, Industrialisierung, Expansion Europas (1830-1914). Freiburg, Basel, Wien 1997, 1-3. 513 Cf. Damberg: Wer ist die Ausnahme?, 106f.; Ladous: Die Neue Welt, 830, 880; Victor Conzemius: Das Christentum in Europa von 1860 bis zum ersten Weltkrieg. Achtes Kapitel: Deutschland. In: Jacques Gadille / Jean-Marie Mayeur (eds.): Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur. Bd. 11: Liberalismus, Industrialisierung, Expansion Europas (1830-1914). Freiburg, Basel, Wien 1997, 642-681, hier: 656, 662f. 514 Cf. Latreille / Rémond: Histoire du Catholicisme. Bd. 3, 622f., 657-64; Foilloux: Protagonisten, Institutionen, Entwicklungen, 261f.; Mayeur / Willaime: Katholische und evangelische Kirche, 233-237, 241f.; Damberg: Wer ist die Ausnahme?, 110, 114; Detlef Pollack: Säkularisierung – ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland. Tübingen 2003, 78-81, 161-164; idem: Religion und Moderne. Zur Gegenwart der Säkularisierung in Europa. In: Friedrich Wilhelm Graf / Klaus Große Kracht (eds.): Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2007, 73-103, hier: 91-96; idem: Individualisierung statt Säkularisierung? Zur Diskussion eines neueren Paradigmas in der Religionssoziologie. In: Karl Gabriel (ed.): Religiöse Individualisierung oder Säkularisierung. Biographie und Gruppe als Bezugspunkt moderner Religiösität. Gütersloh 1996, 57-85, hier: 64, 75; Colin Crouch: Social Change in Western Europe. Oxford et al. 1999, 271276; Hartmut Kaelble: Sozialgeschichte Europas. 1945 bis zur Gegenwart. München 2007, 130f. 515 Cf. Mayeur / Willaime: Katholische und evangelische Kirche, 257f.; Damberg: Wer ist die Ausnahme?, 111, 117; Régis Ladous: Amerika. Erstes Kapitel: Nordamerika. I.: Das Chris-

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insgesamt zu der Einschätzung, dass sich die Einbindung der Individuen in kollektive Glaubenspraktiken lockert, die normativen Vorgaben der kirchlichen Institutionen an Wirksamkeit verlieren.516 Manche Autoren konstatieren zwar auch, der Bereich des Religiösen gewinne am Ende des 20. Jahrhunderts wieder an Bedeutung. Allerdings können die großen Kirchen davon nicht profitieren. Die Pluralisierung der Glaubensrichtungen schreitet sowohl in Europa als auch in Nordamerika weiter fort.517 Die Zeit, in der die Menschen in einer Gesellschaft wie der französischen beinahe ohne Ausnahme mit einem relativ homogenen Set von religiösen Praktiken und Überzeugungen in Berührung kamen, ist auf jeden Fall vorüber. Mit dieser Entwicklung geht einher, dass die Verehrung für HeldInnen des Glaubens in ihrem Umfang abnimmt. Etliche Heilige, die nur für ganz bestimmte Notfälle zuständig oder nur regional bekannt sind, geraten zu Beginn des 20. Jahrhundert in Vergessenheit. Die Kirche beschleunigt den Prozess, indem sie gegen dubiose Figuren vorgeht; Heiligenlegenden werden von Spezialisten geprüft und gegebenenfalls verworfen. Jungfräuliche Märtyrerinnen sind von solchen Säuberungsaktionen in besonderem Maße betroffen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Überzeugungen der Gläubigen sowieso von einer größeren Nüchternheit geprägt, die für wundertätige Gestalten wenig Platz lässt. So fällt an den zahlreichen Kanonisierungsverfahren der jüngsten Zeit auch auf, dass sie keineswegs mehr in populärer Verehrung für den jeweiligen Heiligen wurzeln.518 Diese Tendenzen bilden den Hintertentum im englischsprachigen Nordamerika. In: Jean-Marie Mayeur (ed.): Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur. Bd. 12: Erster und Zweiter Weltkrieg – Demokratien und totalitäre Systeme (1914-1958). Freiburg, Basel, Wien 1992, 1031-1136, hier: 1052, 1056, 1059; Hans G. Kippenberg: Europäische Religionsgeschichte. Schauplatz von Pluralisierung und Modernisierung der Religionen. In: Friedrich Wilhelm Graf / Klaus Große Kracht (eds.): Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2007, 45-71, hier: 46f. 516 Cf. Latreille / Rémond: Histoire du Catholicisme. Bd. 3, 682f.; Mayeur / Willaime: Katholische und evangelische Kirche, 278; Ladous: Amerika, 1040, 1059; Pollack: Säkularisierung, 84, 144f.; idem: Religion und Moderne, 103; Friedrich Wilhelm Graf / Klaus Große Kracht: Einleitung. Religion und Gesellschaft im Europa des 20. Jahrhunderts. In: Idem (eds.): Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2007, 1-41, hier: 14. 517 Cf. Kaelble: Sozialgeschichte Europas, 133f.; Pollack: Säkularisierung, 1, 82, 84; idem: Religion und Moderne, 102; Graf: Wiederkehr der Götter, 16-18; idem / Große Kracht: Einleitung, 6-12, 23, 30; Gianni Vattimo: Jenseits des Christentums. Gibt es eine Welt ohne Gott? München 2004, 116-118, 128-130. 518 Cf. Foilloux: Protagonisten, Institutionen, Entwicklungen, 240, 248, 261f.; Samerski: Ihr Freunde Gottes; McInerney: Eloquent Virgins, 4; Jean-Claude Schmitt: Présentation. In: Idem (ed.): Les Saints et les Stars. Le texte hagiographique dans la culture populaire. Paris 1983, 5-19, hier: 12f.

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grund für Dinzelbachers einfache Feststellung: „Je näher wir der Gegenwart kommen, desto seltener wird die Interpretation einer «außernormalen» Frau als Heiliger.“519 Zweifel an der Filmheiligen Jeanne Betrachtet man die Interpretation der Filmheldin Jeanne in der zeitgenössischen Berichterstattung, dann sind sogar von Beginn an Zweifel zu erkennen, ob die Heldin, so wie sie auf der Leinwand erscheint, zur Schar der Heiligen gerechnet werden darf. Zwar sprechen viele Journalisten en passant von Jeanne als einer Heiligen, sie bezeichnen ihre Taten als Wunder und erwähnen ihre privilegierte Beziehung zu Gott.520 Aber zu einem Großteil beziehen sich solche Äußerungen mehr auf die historische Vorlage als die Filmheldin.521 Oder aber die Kategorisierung als Heilige wird umgehend durch andere Interpretationsangebote relativiert.522 Und vor allem finden sich immer – egal welcher Regisseur sich gerade an der Figur versucht hat – auch solche Kritiker, die der jeweiligen Film-Jeanne jedes spirituelle Flair absprechen oder die Abwesenheit des Übernatürlichen auf der Leinwand konstatieren. Die christlichen Vorzeigefilme von Dreyer und Bresson werden da keineswegs ausgenommen.523 „Es wird dem Zuschauer freigestellt zu glauben“, heißt es etwa über Le Procès, 519 Dinzelbacher: Heilige oder Hexen?, 59. 520 Ohne Einschränkungen trifft das auf folgende Fälle zu: Pour Vous, 07.11.1929, 5; Der Film, 24.11.1928, 27.04.1935; Film-Kurier, 27.04.1935; Libération, 25.10.1949; Ev. Film-Beobachter, 10.10.1957; L’Humanité, 25.05.1957; La Croix, 20./21.05.1962, 09.02.1994b; Télérama, 06.05.1962, 31.03.1963, 09.02.1994a; taz, 01.09.1994a, 01.09.1994b; SZ, 15.02.1994; FAZ, 14.02.1994, 14.01.2000; Le Monde, 18.12.1999a und b; Cahiers du cinéma, 02/1994b; Le Figaro, 26.10.1999c; Le Nouvel Observateur, 21.10.1999. 521 Cf. Variety, 29.12.1916, 30.05.1962; Pour Vous, 15.12.1928; Cinémonde, 20.12.1928; SZ, 16.10.1950; Die Zeit, 19.10.1950, 02.09.1994, 13.01.2000; Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950; Film-Dienst, 29.09.50, 29.03.1994; Le Figaro, 13.11.1948, 25.10.1949; New York Times, 12.11.1948, 27.06.1957; FAZ, 30.09.1957, 13.11.1999; Les Nouvelles littéraires, 21.03.1963; Berliner Morgenpost, 15.02.1994, 15.11.1999; France-Soir, 09.02.1994; La Croix, 09.02.1994d und e, 30./31.10/01.11.1999b, d und e; Cahiers du cinéma, 02/1994c; taz, 13.01.2000; epd Film, 01/2000; L’Humanité, 27.10.1999; Le Monde, 27.02.1994, 27.10.1999a. 522 Cf. Le Petit Parisien, 26.04.1929; Les Nouvelles littéraires, 17.11.1928; FR, 02.09.1994; Die Woche, 01.09.1994; L’Humanité, 09.02.1994a; Libération, 09.02.1994a und c; Le Figaro, 26.10.1999d; Variety, 01.11.1999. 523 Cf. Lichtbildbühne, 03.11.1922, 27.04.1935; New York Times, 25.02.1917, 12.11.1948; La Croix, 10./11.11.1929, 27.10.1949, 30./31.10./01.11.1999a und c; Frankfurter Zeitung, 12.12.1928, 28.04.1935; Film-Kurier, 23.11.1928; Les Nouvelles littéraires, 17.11.1928, 24.10.1949; Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950; L’Humanité, 05.11.1949, 09.02.1994a; Le Monde, 30.01.1957, 27.05.1957, 29.04.1993a, 10.02.1994b, 07.12.1999; FR, 15.02.1994;

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„daß Jeanne in der Gnade Gottes steht und nicht durch ihre eigene Stärke gehalten wird. Bresson bietet das nur an; denn die besondere Form des Films läßt dem Betrachter nicht die Möglichkeit, das mitzuerleben.“524

Über Dreyers Jeanne urteilt ein Kritiker schlicht: „sa ferveur mystique est factice.“525 Alles in allem fallen jene Artikel, in denen Jeannes Filmauftritte als gelungene Repräsentationen außergewöhnlicher christlicher Spiritualität gewürdigt werden, kaum ins Gewicht. Es handelt sich, abgesehen von den bereits angeführten Veröffentlichungen zu Le Procès und La Passion, um Einzelfälle.526 All das bedeutet natürlich nicht, dass die Filmheldin mit der Welt der Heiligen nicht mehr in Kontakt steht. Allein der Umstand, dass die Filme überhaupt auf ihre spirituellen Qualitäten geprüft werden, belegt die Verbindungen, die nach wie vor zwischen Jeanne und der Tradition der Heiligenverehrung bestehen. Allerdings ordnet sich die Filmfigur nicht einfach harmonisch in diese Tradition ein. Eine Tradition im Übrigen, die, wie gesehen, im Laufe des 20. Jahrhunderts an Kraft verliert und, wenn sie überhaupt neue Heldinnen hervorbringt, von betont schwachen, leidenden Figuren bestimmt ist. Aus diesen Gründen ist es angezeigt, die Suche nach dem Referential auszuweiten, das eine außergewöhnlich aktive Filmheldin ermöglichen kann. Nachfolger des Heiligenkults Einige Ausläufer des Heiligenkults geben selbst zu erkennen, wo es sich zu suchen lohnt. Man muss ihnen nur bis zu jenen Punkten folgen, an denen sie sich mit anderen populären Praktiken verbinden. Dann stößt man etwa auf St. Vidian, den Dorfheiligen eines Ortes südlich von Toulouse. Ende des 19. Jahrhunderts, wenige Jahre vor der ersten Filmvorführung, nimmt der örtliche Lehrer die Geschichte des frühmittelalterlichen Helden in eine lokalhistorische Abhandlung auf. Und dabei wird aus dem heiligen Wundertäter ein patriotischer Krieger, aus dem religiösen Vorbild ein republikanisches.527 Ähnliche Verschiebungen weg vom christlichen Glauben und hin zu

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Berliner Morgenpost, 03.11.1994; Die Zeit, 25.02.1994; Film-Dienst, 29.03.1994; Le Figaro, 09.02.1994, 14.02.1994, 27.10.1999a, 09.11.1999; Télérama, 09.02.1994b-d, 03.11.1999; Cahiers du cinéma, 02/1993, 02/1994a, 12/1999b; Libération, 27.10.1999a, 03.11.1999. Ev. Film-Beobachter, 12.03.1966. Le Petit Parisien, 06.07.1928. Cf. Cinémonde, 24.10.1949b; Film-Dienst, 25.10.1957; La Croix, 09.02.1994a; FAZ, 13.11.1999. Cf. Daniel Fabre: Saint Vidian entre l’église et la république. In: Jean-Claude Schmitt (ed.): Les Saints et les Stars. Le texte hagiographique dans la culture populaire. Paris 1983, 175192, hier: 178.

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patriotischen Praktiken lassen sich auch anderswo feststellen. Wo es zuvor Brauch war, die kleinen Kinder ihre ersten Schritte vor einer Marienstatue vollführen zu lassen, suchen die Mütter mit ihrem Nachwuchs nun die Büste der Marianne auf. Mitunter, beim Vollzug «republikanischer Taufen», kann sie den Altar ersetzen. In Deutschland wird Germania schon Jahrzehnte vor der Reichsgründung so dargestellt, wie es bislang der Jungfrau vorbehalten war, und danach findet sich Bismarcks Konterfei auf kleinen Hausaltären wieder. Generell bilden Topoi der christlichen Tradition – das «auserwählte Volk» etwa, das «gelobte Land» – wichtige Bausteine des aufstrebenden Nationalismus.528 Überraschender ist allerdings, dass in den 1970ern in einem ganz anderen Bereich hagiographische Muster aufscheinen. In der Rede über den französischen Schlagersänger Claude François findet sich eine Vielzahl von Motiven, die aus dem mittelalterlichen Heiligenkult bekannt sind. Anhänger umdrängen ihn, wollen ihn berühren und schreiben ihm sogar thaumaturgische Kräfte zu. Der Held kann mit Tieren kommunizieren und erhält übernatürliche Hinweise auf seinen bevorstehenden Tod. Einmal verschieden, erscheint er seinen Anhängern, sein Körper verströmt wunderbaren Geruch, und Reliquien stehen hoch im Kurs. Alles, was er gesagt habe, sei heilig, beteuert ein Fan.529 Ähnliche Formen nimmt etwa auch die Verehrung von Elvis Presley bei manchen Anhängern an. Und Patti Smith oder Kurt Cobain sind nur zwei Beispiele für zahlreiche Popstars, deren Inszenierung auf christliche Ikonographie zurückgreift.530 Wenn sich Hanif Kureishi an die Beatles-Begeisterung

528 Cf. Ladous: Amerika, 1031-1035; Graf: Wiederkehr der Götter, 93f., 113f.; Charles Rearick: Festivals in Modern France. The Experience of the Third Republic. In: Journal of Contemporary History 12 (1977), 435-460, hier: 440; Maurice Agulhon: Marianne au pouvoir. L’imagerie et la symbolique républicaines de 1880 à 1914. Paris 1989, 57f.; Gerhard Brunn: Germania und die Entstehung des deutschen Nationalismus. Zum Zusammenhang von Symbolen und Wir-Gefühl. In: Rüdiger Voigt (ed.): Symbole der Politik, Politik der Symbole. Opladen 1989, 101-122, hier: 107f.; Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte – Formen – Folgen. München 2001, 27-35, 76; Anthony D. Smith: Nationalism. Theory, Ideology, History. Cambridge, Oxford, Malden 2001, 35, 144f. 529 Cf. Marie Christine Pouchelle: Sentiment religieux et show business. Claude François objet de dévotion populaire. In: Jean-Claude Schmitt (ed.): Les Saints et les Stars. Le texte hagiographique dans la culture populaire. Paris 1983, 279-299. 530 Cf. Jacques Berlioz: «Texte hagiographique», Rock n’ Roll et politique. Notes sur la tournée de Patti Smith en Italie (septembre 1979). In: Jean-Claude Schmitt (ed.): Les Saints et les Stars. Le texte hagiographique dans la culture populaire. Paris 1983, 251-275, hier: 260, 269; Michael Rappe: Zum Phänomen des Stars. Ohne Ort und Jahr (http://www.michael-rappe. de/plaintext/01a4c093a40f96304/index.html, Stand 15.08.2004), 1, 3.

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seiner Jugend erinnert, kommt er nicht umhin, eine Biographie der Band als „a contemporary «Lives of the Saints»“ einzuordnen.531 Ja, auch die Stars treten in die Bresche, die vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den langsamen Rückzug der Heiligen entsteht. Sie besitzen eben Charisma, jene Eigenschaft, die nach der Definition von Max Weber ursprünglich im Vollzug von Wundern ihren äußeren Beweis fand.532 Das gilt nicht nur für erfolgreiche Sänger. Amédée Ayfre hält es durchaus für berechtigt, Filmfans als Gläubige zu beschreiben, die ihren Stars Opfergaben darbringen, Filmstills wie Heiligenbilder verehren und öffentlichen Auftritten ihrer Helden wie einer Prozession beiwohnen.533 Und auch auf allgemeinerer Ebene lässt sich argumentieren, das Kino habe Funktionen übernommen, die zu einer anderen Zeit vom populären christlichen Glauben erfüllt wurden. Es kann Deutungsmodelle anbieten, die dem säkularisierten Leben Sinn verleihen, seine Wunscherfüllungsszenarien können womöglich über das verlorene Vertrauen ins Gebet hinwegtrösten, und verschiedentlich ist auf Analogien zwischen Kinosälen und Sakralbauten hingewiesen worden.534 Man muss sich solche Parallelisierungen nicht in jedem Punkt zu eigen machen, um zu dem Schluss zu gelangen: Eine Figur, die in früheren Zeiten ihre Sagbarkeit im Kontext der Heiligenverehrung fand, könnte im 20. Jahrhundert durchaus in den Starkult eingebettet sein. Doch zunächst muss von dem anderen Zusammenhang die Rede sein, jenem, der seinen Höhepunkt früher erreicht: von der Verehrung nationaler HeldInnen.

531 Hanif Kureishi: Eight Arms to Hold You. In: Idem: Dreaming and Scheming. Reflections on Writing and Politics. London 2002, 105-120, hier: 108. 532 Cf. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Halbbd. 1. Tübingen 51976, 140. 533 Cf. Ayfre: Cinéma et la Foi, 16f. 534 Cf. Jörg Herrmann: Sinnmaschine Kino. Sinndeutung und Religion im populären Film. Gütersloh 2001, 212-240; Lothar Warneke: Religiöse Dimensionen im Medium Film. In: Idem / Massimo Locatelli (eds.): Transzendenz im populären Film. Berlin 2001, 39-168, hier: 48f., 72-74; Anne Paech / Joachim Paech: Menschen im Kino. Film und Literatur erzählen. Stuttgart, Weimar 2000, 229.

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II. Verehrung nationaler HeldInnen i. Der Ort der Sagbarkeit Nationale Heldenverehrung im späten 19. und im 20. Jahrhundert Für manche Gläubige im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts sind Religion und Vaterlandsliebe unmittelbar miteinander verknüpft. Bestimmte Pilgerreisen dienen in dieser Zeit der Verherrlichung nicht nur christlicher, sondern auch nationaler Lichtgestalten. Später, im Ersten Weltkrieg, bemüht sich der deutsche Klerus, seine christlichen Aufgaben mit dem Dienst am Vaterland in Einklang zu bringen, und manche Heiligsprechung der folgenden Jahre bekommt den Charakter einer nationalen Weihe. Der Rückgriff auf christliche Traditionen, der generell mit dem Aufstieg des Nationalgedankens einhergeht, kulminiert etwa in den USA in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts in einer patriotischen Zivilreligion.535 Auf unterschiedliche Weise werden Elemente der christlichen Wertordnung und Glaubenspraktiken von einem anderen Komplex assimiliert, der anders eben als das Christentum noch vergleichsweise jung und in einer dynamischen Entwicklung begriffen ist – ein Zusammenhang, der, auch wenn er mit christlichen Institutionen, Praktiken, Überzeugungen in Verbindung steht, doch seinen eigenen Regeln folgt. Nachdem die französische Revolution einem König und seinen beiden Körpern – dem biologischen und dem mythischen – ein spektakuläres Ende bereitet hatte, ist ein langes Jahrhundert angebrochen, in dem das Gemeinwesen in Ländern der Alten und der Neuen Welt in immer emphatischerem Sinne als Nation verstanden und in der Öffentlichkeit mit immer größerem Erfolg von einem Ensemble sowohl historischer als auch fiktiver Figuren verkörpert wird. Ließen sich im 15. Jahrhundert gewisse Anzeichen für eine wachsende Bindung ans französische Königreich ausmachen, so ist die neue Entwicklung schlicht nicht zu übersehen. Man kann den Gestalten, die sie repräsentieren, buchstäblich nicht aus dem Weg gehen: Vor allem in den Jahrzehnten zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg tauchen auf den Plätzen 535 Cf. Encrevé / Gadille / Mayeur: Das Christentum in Europa, 500; Foilloux: Protagonisten, Insitutionen, Entwicklungen, 251; Gadille: Die Zeit der Demokratie, 346; Ladous: Amerika, 1031-1035; Kselman: Miracles and Prophecies, 196f.; Gerbod: L’éthique héroïque en France, 414f., 423; Wehler: Nationalismus, 27-35, 55-57; Kurt Meier: Das Christentum in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Viertes Kapitel: Deutschland und Österreich. In: Jean-Marie Mayeur (ed.): Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur. Bd. 12: Erster und Zweiter Weltkrieg – Demokratien und totalitäre Systeme (19141958). Freiburg, Basel, Wien 1992, 681-755, hier: 682.

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und Straßen zu beiden Seiten des Atlantiks zahllose Statuen illustrer Menschen und geflügelter Allegorien auf und an den Wänden staatlicher Gebäude die entsprechenden Gemälde.536 Einen wichtigen Platz im Stammbaum der patriotischen Figuren nimmt die französische Marianne ein, sekundiert von der deutschen Germania. Von ihnen zweigt auf der einen Seite die Linie der abstrakten Figuren ab: Für die Nation können sowohl gänzlich namenlose Allegorien stehen als auch ihre individualisierten Schwestern, etwa die Freiheitsstatue. Auf der anderen Seite erstreckt sich die Ahnenreihe der historischen Figuren: vom Averner Vercingetorix und von Hermann dem Cherusker bis zu frisch verstorbenen Heroen wie Gambetta und Bismarck.537 Die populäre Verehrung für die HeldInnen der Nation entfaltet sich im 19. und den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts in einem Zusammenhang, den man angesichts seiner heterogenen Elemente wohl ein Referential nennen darf. Dazu zählen Werte: etwa die unbedingte Anerkennung von Eigenschaften wie Mut und Opferbereitschaft. Als Institutionen sind zentrale Einrichtungen der Nationen beteiligt. Zum Beispiel nimmt die französische Regierung die Vorbereitung des Nationalfeiertags – der oft als Anlass für die Enthüllung eines neuen Monuments dient – in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts immer stärker selbst in die Hand. In der Schule bekommt die Jugend mit Hilfe von Diktaten, Lehrbüchern oder Wandbildern die Taten von Bayard, Karl dem Großen oder Ludwig dem Heiligen vermittelt, und beim Militär können zumindest die jungen Männer den Stoff gleich noch einmal auffrischen.538 Aber auch auf eher unkonventionellem Wege kann der Staat 536 Cf. Blaetz: Visions of the Maid, 24; Brunn: Germania und die Entstehung des deutschen Nationalstaats, 116f.; Maurice Agulhon: La «statuomanie» et l’histoire. In: Ethnologie française n.s. 8 (1978), 145-172, hier: 148f.; Joseph Früchtl: Das unverschämte Ich. Eine Heldengeschichte der Moderne. Frankfurt a.M. 2004, 102f.; Martha Banta: American Women. Idea and Ideals in Cultural History. New York 1987, 465; Christian Amalvi: Die bildhafte Inszenierung der nationalen Vergangenheit von 1814 bis 1914. In: Yves Bizeul (ed.): Politische Mythen und Rituale in Deutschland, Frankreich und Polen. Berlin 2000, 97-116, hier: 99-111. 537 Cf. Banta: American Women, 508f.; Amalvi: Die bildhafte Inszenierung, 99-108; Brunn: Germania und die Entstehung des deutschen Nationalstaats, 103, 117; Gerbod: L’éthique héroïque, 411; Maurice Agulhon: Esquisse pour une archéologie de la République. L’ allégorie civique féminine. In: Annales ESC 28 (1973), 5-34, hier: 13-17; idem: La représentation de la France. Quelques réflexions sur l’image féminine en politique. In: MarieClaire Hoock-Demarle (ed.): Femmes, Nations, Europe. Paris 1995, 12-17, hier: 14f.; Lothar Gall: Germania. Eine deutsche Marianne? Bonn 1993, 8f. 538 Cf. Gerbod: L’éthique héroïque, 409-413, 424; Wehler: Nationalismus, 75f.; Rearick: Festivals in Modern France, 446; Christian Amalvi: Les héros de l’Histoire de France. Recherche iconographique sur le panthéon scolaire de la troisième République. Paris 1979, 21f., 46f.,

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den Heldenkult fördern: Als mit Miracle des Loups die Geschichte von der Rettung der Herrschaft Ludwig XI. durch Jeanne Hachette verfilmt wird, stellt die französische Armee Soldaten als Statisten, und zur Premiere im November 1924 erscheint der Präsident der Republik.539 Parallel zu solchen Initiativen der Autoritäten formieren sich an der bürgerlichen Basis Vereinigungen, die mitunter ganz oder zu einem wichtigen Teil dem Dienst nationaler Vorbilder gewidmet sind: Veteranenvereine etwa, die reaktionäre Action française oder auch eine nationalkonservative Organisation wie der Allgemeine Deutsche Frauenverein.540 Eine große Bandbreite an Praktiken mehrt den Ruhm nationaler Vorbilder. Die Gebräuche bürgerlicher Gelehrsamkeit fördern die Erforschung historischer Heldengestalten. Die Funktionsweisen des Kulturbetriebs können NationalheldInnen einen Platz im Kanon der bildenden oder auch darstellenden Kunst verschaffen; selbst eine nahezu abstrakte Figur wie Marianne kann Titelheldin eines Theaterstücks werden. Eine beginnende Gedenkkultur schafft Anlässe für die Feier nationaler Figuren – etwa wenn sich die amerikanische Unabhängigkeit, der Sturm auf die Bastille oder die Geburt von Jules Michelet zum hundertsten Mal jährt. Die zahlreichen Statuen werden zum Ziel von Aufmärschen, zum Gegenstand symbolischer Gesten.541 Das Zusammenspiel solcher Elemente der Heldenverehrung ist von verschiedenen Prozessen geprägt. Von technischen und ökonomischen Entwicklungen etwa: Medien der Präsenz – Statuen, Gemälde oder auch die Verkörperung nationaler HeldInnen im tableau vivant oder bei Festumzügen – werden im Laufe des 19. und in den ersten Dekaden des 20. Jahr122; Margaret H. Darrow: In the Land of Joan of Arc. The Civic Education of Girls and the Prospect of War in France, 1871-1914. In: French Historical Studies 31 (2008), 263-291, hier: 276-288; Kathrin Hoffmann-Curtius: Opfermodelle am Altar des Vaterlandes seit der Französischen Revolution. In: Gudrun Kohn-Waechter (ed.): Schrift der Flammen. Opfermythen und Weiblichkeitsentwürfe im 20. Jahrhundert. Berlin 1991, 57-92, hier: 57-60. 539 Cf. Lenny Borger: Spectacular Stories. In: Sight and Sound n.s. 2.2 (Juni 1992), 20-25, hier: 21. 540 Cf. Gerbod: L’éthique héroïque, 415f.; Wehler: Nationalismus, 49; Martha Hanna: Iconology and Ideology. Images of Joan of Arc in the Idiom of the Action française, 1908-1931. In: French Historical Studies 14 (1985/86), 215-239; Ute Planert: Die Nation als «Reich der Freiheit» für Staatsbürgerinnen. Louise Otto zwischen Vormärz und Reichsgründung. In: Idem (ed.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne. Frankfurt a.M., New York 2000, 113-130, hier: 122. 541 Cf. Gerbod: L’éthique héroïque, 416-418; Banta: American Women, 414f., 465; Amalvi: Die bildhafte Inszenierung, 112; Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 86-91; Agulhon: Esquisse pour une archéologie, 8f., 19; idem: Marianne au pouvoir, 181f.; Neil McWilliam: Conflicting Manifestations. Parisian Commemoration of Joan of Arc and Etienne Dolet in the Early Third Republic. In: French Historical Studies 27.2 (2004), 381-419, hier: 385f.

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hunderts schrittweise durch Errungenschaften der Industrialisierung ersetzt. Zeitungen, Zeitschriften, Wörterbücher, Enzyklopädien und auch die Buchhandlungen vervielfältigen sich, bis sie noch den letzten Weiler mit Geschichten über nationale Größen versorgen können. Preisgünstige Verfahren zur Reproduktion von Bildern lassen Darstellungen nationaler HeldInnen in wachsenden Stückzahlen zirkulieren. Schon bald nach der Entstehung des Kinematographen werden historische Identifikationsfiguren zum Gegenstand von Filmen. Insbesondere anhand von Mittelalter-Sujets erzählt das Kino von den Ursprüngen der Nation. Und parallel werden die HeldInnen in die Vermarktung von Gütern der Massenproduktion eingebunden: Sie erscheinen auf Verpackungen und in Werbeanzeigen.542 Ein anderer Mechanismus, der auch hier wieder seine Wirksamkeit zeigt, ist die Stimulation der Heldenverehrung durch Krisenerfahrungen. Zwar verläuft die Konjunktur nationaler Begeisterung in den verschiedenen Ländern und im Falle verschiedener HeldInnen durchaus unterschiedlich. Aber generell lässt sich behaupten, dass das Ideensystem des Nationalismus „als Antwort auf strukturelle Krisen der frühmodernen westlichen Gesellschaften“ entstanden ist.543 Und so ist es nur folgerichtig, dass die Kriege und Krisen im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Ansehen nationaler Lichtgestalten fördern. Eine Welle politischer Skandale, ökonomischer und sozialer Verwerfungen in den USA der 1870er Jahre fördert die Popularität allegorischer Verkörperungen der Nation. In Europa ist es der Krieg von 1870/71, der französische Schulbücher – wie später auch in der Zeit der Weltkriege – mit besonderem Nachdruck das Vorbild kämpferischer Helden preisen lässt. In Deutschland vervielfältigen sich derweil die Abbildungen einer kriegerischen Germania mit besonders hoher Geschwindigkeit.544 Während des Ersten Weltkriegs ruft auf amerikanischen Postern ein Heer schwertschwingender Jungfrauen zum Kampf oder zum Kauf von Kriegsanleihen auf. In Frankreich wie in Deutschland zeigt das populäre Theater Heldinnen, die mit List und Mut – und mitunter sogar in Uniform – den Kampf der Soldaten unterstützen. Die französische Presse feiert die junge Emilienne Moreau, die eigenhändig deutsche Soldaten zur Strecke gebracht hat. Allerdings sind die Vorbehalte gegenüber kämpfenden Frauen in Frank542 Cf. Banta: American Women, xxxiii; Gall: Germania, 20-22; Amalvi: Die bildhafte Inszenierung, 112f.; Wehler: Nationalismus, 46, 49; Röckelein: Mittelalter-Projektionen, 55f.; Higashi: Cecil B. DeMille and American Culture, 120-122; Marina Warner: In weiblicher Gestalt. Die Verkörperung des Wahren, Guten, Schönen. Reinbek bei Hamburg 1989, 67. 543 Wehler: Nationalismus, 17. 544 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 46, 268-271; Darrow: In the Land of Joan of Arc, 284288; Banta: American Women, 465-468; Gall: Germania, 22f.

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reich doch so groß, das solche Heldinnen erst ab dem Ende der 1920er gänzlich in den Kreis der nationalen Größen integriert werden und ihre eigenen Denkmale erhalten. Eine ähnliche Verzögerung zeigt sich bei der Produktion patriotischer Filme: Alle am Krieg beteiligten Regierungen fördern solche Projekte, sie werden von der Industrie aber vor allem anschließend, in der Zwischenkriegszeit realisiert.545 Noch im Zweiten Weltkrieg lässt sich ein Wiederaufleben des Kults und seiner HeldInnen feststellen. In Deutschland wird das Führerprinzip unter anderem durch Filme über historische Figuren verherrlicht. Die Vichy-Regierung verfolgt ein pädagogisches Programm, das auf den Vorbildcharakter von Ludwig dem Heiligen oder Pétain selbst vertraut, während die franc-tireuse zu einer Symbolfigur für den Widerstand gegen die deutschen Okkupanten wird. In den USA verkörpert Rosie the Riveter die Nation, die auch an der Heimatfront mit ganzem Einsatz für die Freiheit kämpft.546 Doch der Zweite Weltkrieg markiert gleichzeitig den Endpunkt der intensiven Verehrung nationaler HeldInnen. Man wird die Ursachen dafür nicht abschließend aufzählen können, aber zweifellos gehört dazu an vorderer Stelle der Eindruck der zuvor unvorstellbaren Leiden. In Deutschland wird die Idee der Nation nicht nur durch die deutsche Schuld, sondern auch durch die Teilung geschwächt. Gleichzeitig spielen mediale Faktoren eine Rolle: Heldenstatuen passen nicht in eine Zeit, in der sich die bildende Kunst von der Ikonizität abwendet, und nationale Geschichten sind kein guter Stoff für 545 Cf. Banta: American Women, 549-552; Langford: Film Genre, 108f.; Neale: Genre and Hollywood, 127; Christine Bard: Les femmes dans la société française au 20e siècle. Paris 2001, 16-18; Luc Capdevila et al.: Hommes et femmes dans la France en guerre (1914-1945). Paris 2003, 70-75; Werner Faulstich / Helmut Korte: Der Film zwischen 1895 und 1924. Ein Überblick. In: Idem (eds.): Fischer Filmgeschichte. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum etablierten Medium, 1895-1924. Frankfurt a.M. 1994, 13-47, hier: 35f.; Helmut Korte: Geschichte und Realität. Madame Dubarry (1919). In: Ibid., 326-343, hier: 337-339; Susan Hayward: French National Cinema. London, New York 1993, 96-98; Richard Abel: French Cinema. The First Wave, 1915-1929. Princeton 1984, 10, 25, 161-163; Eva Krivaneč: Unterhaltungstheater als Medium der Verhandlung von Geschlechterrollen im Ersten Weltkrieg. In: Martina Thiele / Tanja Thomas / Fabian Virchow (eds.): Medien – Krieg – Geschlecht. Affirmationen und Irritationen sozialer Ordnungen. Wiesbaden 2010, 135-152, hier: 139f. 546 Cf. Capdevila et al.: Hommes et femmes dans la France en guerre, 91; Klaus Kanzog: «Staatspolitisch besonders wertvoll». Ein Handbuch zu 30 deutschen Spielfilmen der Jahre 1934 bis 1945. München 1994, 30f.; Antje Ascheid: Hitler’s Heroines. Stardom and Womanhood in Nazi Germany. Philadelphia 2003, 37; Nick Atkin: The Cult of Joan of Arc in French Schools, 1940-1944. In: Roderick Kedward / Roger Austin (eds.): Vichy France and the Resistance. Culture and Ideology. London, Sydney 1985, 265-268, hier: 265; Ute Bechdolf: Rosige Zeiten? Rekonstruktion und Re-Vision von Geschichte in The Life and Times of Rosie the Riveter (1980), Connie Field. In: Frauen und Film 52 (Juni 1992), 16-29, hier: 16.

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eine Filmindustrie, die sich immer stärker internationalisiert.547 Die Epoche der Statuen, der allegorischen Zeichnungen und der patriotischen Quelleneditionen ist jedenfalls vorüber. Der Mittelalterfilm geht tendenziell auf Distanz zu nationalen Mythen, Kriegsfilme werden seltener und kritischer.548 Die Filmheldin im Kontext patriotischer Praktiken Mitte des 20. Jahrhunderts zerfällt somit das Feld diskursiver Möglichkeiten, in dem Jeanne d’Arc rund 150 Jahre lang eine prominente Position einnehmen konnte. Eine entscheidende Zäsur in der Karriere der Heldin, denn zuvor ist sie besonders intensiv in die patriotischen Praktiken, Prozesse und Werteschemata eingebunden. In Frankreich bahnen Jules Michelet und Henri Martin mit ihren Werken den Weg für die Geschichte der nationalen Heldin. Die Edition der einschlägigen Quellen wird zu einer nationalen Aufgabe. Französische LiteratInnen feiern Jeanne in patriotisch inspirierten Texten.549 Wenn sich in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts die Abbilder nationaler HeldInnen auf den Plätzen, in Schulbücher und öffentlichen Gebäuden vervielfachen, wenn die französischen BürgerInnen mit Umzügen und Reden der großen Momente ihrer Geschichte gedenken und wenn in der Zeit der Weltkriege offizielle Appelle auf die Einigkeit des Volkes abheben, ist Jeanne immer an vorderster Stelle dabei.550 Und obwohl es im Kontext patriotischer Praktiken nicht zuletzt um die Abgrenzung von anderen Nationen geht, überschreitet die Nationalheldin Jeanne scheinbar mühelos die Landesgrenzen. Schon bei Schiller taucht sie als Verkörperung tatkräftiger Vaterlandsliebe auf, und es ist durchaus anerkennend gemeint, wenn eine preußische Kämpferin der napoleonischen Krie547 Cf. Gall: Germania, 36; Hayward: French National Cinema, 11, 37; Agulhon: La représentation de la France, 17. 548 Cf. Röckelein: Mittelalter-Projektionen, 56; Langford: Film Genre, 120f. 549 Cf. Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 86-91; Jan: Das literarische Bild, 124f., 188; Soons: Jeanne d’Arc au théâtre, 212f., 220-222, 228f.; Margolis: Trial by Passion, 447-449; idem: The «Joan Phenomenon», 270f.; Anon.: Jeanne au théâtre. Exposition du 20 novembre 1975 au 29 février 1976. Orléans o.J., 26-28. 550 Cf. Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 225-231; Agulhon: La «statuomanie» et l’histoire, 156; Amalvi: Les héros de l’Histoire, 98, 122; idem: Die bildhafte Inszenierung, 101103; Darrow: In the Land of Joan of Arc, 279-282; Atkin: The Cult of Joan, 265; McWilliam: Conflicting Manifestations, 386-390; Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«, 143-154, 165-167; Rieger: Jeanne d’Arc und der Patriotismus, 128-131; Rosemonde Sanson: La «Fête de Jeanne d’Arc» en 1894. Controverse et célébration. In: Revue d’histoire moderne et contemporaine 20 (1973), 444-463; Christine Germain-Donnat: Jeanne d’Arc en épisodes. In: Béatrice Foulon (ed.): Jeanne d’Arc. Les tableaux de l’Histoire, 1820-1920. Paris 2003, 81-113, hier: 81, 94.

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ge als deutsche Jeanne d’Arc bezeichnet wird. Selbst 1870/71 machen deutsche Soldaten Jeanne ihre Aufwartung, wenn sie Domremy passieren.551 In den USA ist die Heldin um die Jahrhundertwende – als Statue, Zeichnung oder literarische Figur – derart präsent, dass es bis zu ihrem Einsatz als Galionsfigur der nationalen Anstrengungen im Ersten Weltkrieg nur noch ein kleiner Schritt ist. 552 Noch 1932 preist ein deutscher Roman Jeanne als vorbildliche Kämpferin gegen fremde Unterdrücker.553 Und selbst drei Jahre später schlägt ein deutscher Film in dieselbe Kerbe: Das Mädchen Johanna feiert Jeanne als Heldin nationaler Selbstbehauptung – auch wenn bei Ucicky eher gut deutsch vom „Vaterland“ oder gleich vom „Volk“ die Rede ist als von der „Nation“.554 Als „Befreierin des Landes von Fremdherrschaft“ wird Jeanne am Ende des Films den fiktiven Französinnen und Franzosen sowie den echten ZuschauerInnen zur Verehrung anempfohlen, als treueste „Dienerin des Staates, welche durch ihren Opfertod unseliger Zwietracht ein Ende machte, dem Reiche Glanz und Größe schenkte und dem Volke den Frieden.“

Vom NS-Regime erhält der Film jede Unterstützung: Er wird mit dem Prädikat „staatspolitisch besonders wertvoll“ ausgezeichnet, und Goebbels persönlich gibt einen Empfang für das gesamte Filmteam. Auch deshalb lässt sich Das Mädchen Johanna in die Reihe jener Filme einordnen, mit denen das Regime nationale Größe, gerechten Krieg und Führerprinzip im deutschen Wertesystem verankern will.555 Die zeitgenössischen Filmkritiker sind sich nicht alle sicher, ob Ucickys Film dazu wirklich geeignet ist, aber sehen dennoch „die schöne Tendenz von der Vaterlandsliebe und vom Opfer“, das 551 Cf. Winock: Jeanne d’Arc, 691; Rieger: Nationalmythos und Globalisierung, 645-647; Karen Hagemann: «Deutsche Heldinnen». Patriotisch-nationales Frauenhandeln in der Zeit der antinapoleonischen Kriege. In: Ute Planert (ed.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne. Frankfurt a.M., New York 2000, 86-112, hier: 89. 552 Cf. Rieger: Nationalmythos und Globalisierung, 650-652; Blaetz: Visions of the Maid, 14f., 24-29, 36f.; Rapp: Jeanne d’Arc, 46, 49; Ann Bleigh Powers: The Joan of Arc Vogue in America, 1894-1929. In: American Society Legion of Honor Magazine 49 (1978), 177-192. 553 Cf. von Jan: Das Bild der Jeanne d’Arc, hier: 109. 554 Cf. Klinger: Die modernisierte Ikone, 272; Christian Kiening: Mittelalter im Film. In: Idem / Heinrich Adolf (eds.): Mittelalter im Film. Berlin, New York 2006, 3-101, hier: 52. 555 Cf. Film-Kurier, 19.02.1935; Kanzog: «Staatspolitisch besonders wertvoll», 30f.; Blaetz: Strategies of Containment, 48f., 113; Francis Courtade / Pierre Cadars: Histoire du cinéma nazi. Toulouse 1972, 106, 112; Klaudia Knabel: Der Import einer nationalen Ikone. Jeanne d’Arc in Deutschland. In: Idem / Dietmar Rieger / Stephanie Wodianka (eds.): Nationale Mythen – kollektive Symbole. Funktionen, Konstruktionen und Medien der Erinnerung. Göttingen 2005, 101-110, hier: 103.

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„Erwachen des Volkstums“ oder heben hervor, Jeanne habe das französische Volk zu einen vermocht.556 Der Film-Kurier feiert den Film für sich genommen als nationale Großtat, die „das gesamte deutsche Filmschaffen adelt.“557 Wenn es sogar in Deutschland wenige Jahre vor dem Überfall auf Frankreich gelingt, die Filmfigur Jeanne in nationalistische Praktiken und das entsprechende Wertesystem zu integrieren, ist kaum überraschend, dass auch andere Filme dem nationalen Heldenkult zuzurechnen sind. Vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Das beginnt mit Méliès’ Jeanne d’Arc, die vom nachkolorierten Bild einer Trikolore und dem Schriftzug „Honneur et Patrie“ eröffnet wird, und erreicht 1928 seinen Höhepunkt mit La Merveilleuse Vie de Jeanne d’Arc. De Gastynes Film wird ausdrücklich als „grand film national“ vermarktet.558 Sowohl die französische Armee unterstützt die Produktion als auch die staatliche Denkmalverwaltung, weshalb de Gastyne an zentralen Gedächtnisorten der französischen Nation drehen kann, etwa in Reims, Carcassone und am Mont-Saint-Michel.559 Der Filmhandlung schickt de Gastyne außerdem die patriotischen Worte Michelets voraus: „Souvenonsnous toujours que la patrie, chez nous, est née du cœur d’une femme“. Hier und in anderen Produktionen kennzeichnen Zwischentitel und Dialoge die Filmheldin Jeanne immer wieder als Retterin Frankreichs oder „Girl Patriot“.560 Bei Fleming bringt der duc d’Alençon besonders deutlich Jeannes Rolle als nationale Identifikationsfigur zum Ausdruck: „To me you are France, and France is yours.“ Und mitunter gibt es den expliziten Verweis auf die historische Wirklichkeit der Nationen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Am eindeutigsten, wenn in der Rahmenhandlung von DeMilles Film Joan the Woman – dessen Premiere der Vizepräsident und der Außenminister der USA beiwohnen – Jeanne einem Soldaten an der Front des Ersten Weltkriegs erscheint und ihn zu einem Himmelfahrtskommando motiviert.561 Auch La Merveilleuse Vie soll ursprünglich einen direkten Verweis auf die Opfer des Ersten Weltkriegs enthalten haben, von dem in der erhaltenen Fassung keine

556 Frankfurter Zeitung, 28.04.1935; Kölnische Volkszeitung, 28.04.1935, 12.05.1935; cf. Germania, 28.04.1935; Kreuz-Zeitung, 28.04.1935. 557 Film-Kurier, 27.04.1935; cf. ibid., 26.04.1935. 558 Cf. den Vorspann des Films oder Le Petit Parisien, 12.04.1929. 559 Cf. Ciné-Miroir, 01.01.1928a; Harty: Jeanne au cinéma, 246; O’Brien: Rethinking National Cinema, 7-12. 560 DeMille; cf. de Gastyne; Dreyer; Fleming; Besson. 561 Cf. Higashi: Cecil B. DeMille and American Culture, 139f. und zu weiteren Beispielen Hayward: French National Cinema, 97f.; Françoise Michaud-Fréjaville: Cinéma, histoire. Autour du thème «johannique». In: Pierre Riom et al. (eds.): Le Moyen Age vu par le cinéma européen. Conques 2001, 161-183, hier: 176-179.

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Spur mehr existiert.562 Die originellste Verbindung stellt aber auf jeden Fall ein Text der Kölnischen Volkszeitung über Ucickys Mädchen her: „Die Ähnlichkeit der Lage des damaligen Frankreich mit derjenigen unseres deutschen Vaterlandes nach dem Schmachvertrag von Versaille ist […] unverkennbar“.563

Die einschlägigen Artikel aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekräftigen generell, dass die Filmheldin im Namen der Nation agiert. Sie heben Jeannes historische oder aktuelle Rolle als „Nationalheilige“ hervor, als Protagonistin in einem „gallische[n] Heldenlied“.564 Oder sie kommentieren die Bedeutung einer bestimmten Verfilmung für den Ruhm des Herkunftslandes und seiner Filmindustrie.565 Wenn einige Filme mit ausdrücklichen Hinweisen auf Jeannes nationales Prestige oder mit geschichtsträchtigen Drehorten eher sparsam sind, kann diese Dimension der Heldin in der Öffentlichkeit dennoch eine wichtige Rolle spielen. Sehr früh entwickelt sich eine Debatte um die nationalen Loyalitäten von Dreyers Passion: Insbesondere als das Gerücht aufkommt, Lilian Gish solle die Hauptrolle übernehmen, regt sich in Frankreich Protest gegen eine Jeanne unter ausländischem Einfluss. Die direkt Beteiligten halten dagegen und unterstreichen den durch und durch französischen Charakter des Films – der ursprünglich in der Tat als Konkurrenzprodukt zum patriotischen Napoléon von Abel Gance konzipiert war.566 Dreyers Kameramann etwa bemüht sich in einem Interview, etwaiges Misstrauen zu zerstreuen: „M. Maté […] nous dit la joie de Carl-Th. Dreyer, et la sienne propre, pour avoir tourné La Passion de Jeanne d’Arc entièrement en France avec des artistes presque tous Français.“567

562 Cf. Blaetz: Strategies of Containment, 48. 563 Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935. 564 Film-Kurier, 09.02.1927; Der Film, 24.11.1928; cf. Le Petit Parisien, 26.04.1929; Ciné-Miroir, 16.12.1927; FR, 19.10.1950; Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950; Film-Dienst, 29.09.1950; Le Figaro, 13.11.1948; La Croix, 27.10.1949; New York Times, 12.11.1948. 565 Cf. Vossische Zeitung, 29.10.1922, 25.11.1928; Lichtbildbühne, 03.11.1922; Der Film, 29.10.1922; Le Petit Parisien, 25.05.1928; Ciné-Miroir, 01.01.1928a; Cinémonde, 03.11.1929b; New York Times, 31.03.1929; L’Humanité, 05.11.1949; Le Monde, 25.10.1949. 566 Cf. Margolis: Trial by Passion, 473f.; O’Brien: Rethinking National Cinema, 3-6; Abel: French Cinema, 198f.; Maurice Drouzy: Une œuvre de foi «en l’art et la vérité». In: L’AvantScène Cinéma 367/368 (Januar-Februar 1988), 9-13, hier: 10. 567 Cinémonde, 06.12.1928.

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Gewiss hätte er Freude an dem Artikel des deutschen Journalisten, der Dreyer für einen Franzosen hält und sein Lob der Wahrhaftigkeit von La Passion auch auf diesen Irrtum gründet.568 Der Abschied der Filmheldin von der Nation Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lockert sich die Verbindung zwischen den Filmen und den Praktiken nationaler Heldenverehrung. Emphatische Aussagen über Jeannes Verhältnis zu Nation, Vaterland oder la France sucht man bei Preminger, Bresson und Rivette vergeblich. In Jeanne la Pucelle zum Beispiel ist stattdessen konsequent davon die Rede, Jeanne müsse den Dauphin oder das Königreich retten – eine Sprachregelung, die die Heldin von der Gegenwart der französischen Republik abkoppelt: „Rivette, avec prudence, se garde de fournir au spectateur des éléments d’identification avec une cause nationale“.569 In den Artikeln über die Filme der zweiten Jahrhunderthälfte ist zwar durchaus von Patriotismus die Rede oder von Jeannes Rolle als Retterin Frankreichs. Doch die Vaterlandsliebe erscheint oft nur als individuelle Regung und nicht als kollektive Überzeugung; und Jeannes Identität als Nationalheldin wird mal als eine unter verschiedenen präsentiert, mal durch die Einordnung in historische Entwicklungen relativiert.570 Einzelne AutorInnen sehen Jeannes Prozessaussagen als Glanzstunde der französischen Sprache.571 Aber die Figur im Ganzen und für die Gegenwart als Ikone der französischen Nation einzuordnen oder ihre Verfilmung als „act of patriotism“ zu bezeichnen, fällt nur noch wenigen ein.572 Und das übrigens ausschließlich in Artikeln der 1990er Jahre: Gegen Ende des Jahrhunderts zeichnet sich ein gewisses Aufleben nationaler Kategorien ab. Gelegentlich benutzt Bessons Jeanne wieder entsprechende Formulierungen: „He said that I must save France from her enemies“, fasst sie ihren Auftrag zusammen. Und vor allem weist die begleitende Berichterstattung den aktuellen Produktionen insofern nationale Bedeutung zu, als Rivettes, vor allem aber 568 Cf. Der Film, 24.11.1928. 569 Borgnet: Jeanne d’Arc au cinéma, 253. 570 Cf. Ev. Filmbeobachter, 10.10.1957; L’Humanité, 25.05.1957, 09.02.1994a, b und e; Le Monde, 27.05.1957, 29.04.1993a, 27.02.1994; New York Times, 27.06.1957; taz, 01.09.1994a; FR, 02.09.1994; Berliner Morgenpost, 15.02.1994; Die Woche, 01.09.1994; Film-Dienst, 30.08.1994a und b; Libération, 09.02.1994a und c; France-Soir, 09.02.1994; La Croix, 09.02.1994a, c, d und e; Positif, 02/1994, 12/1999; FAZ, 13.11.1999; Variety, 01.11.1999. 571 Cf. Libération, 23./24.03.1963; Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962. 572 New York Times, 29.11.1996; cf. Film-Dienst, 29.03.1994; FR, 15.11.1999; Berliner Morgenpost, 15.11.1999; Le Figaro, 26.10.1999b; La Croix, 30./31.10.1999d.

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Bessons Film im Hinblick auf den Konkurrenzkampf zwischen der französischen und der amerikanischen Filmindustrie bewertet wird: Gelingt es, den Einfluss Hollywoods zurückzudrängen? Gelingt es, die Ausdeutung französischer Geschichte unter französischer Kontrolle zu halten?573 „Moi, je vois dans ce film-là un espèce d’étendard“, sagt ein junger Mann bei einer Umfrage des Fernsehsenders Canal+, „justement l’étendard de Jeanne d’Arc, l’étendard de Besson pour dire aux Américains: «C’est bon, quoi, on est là.»“574 Bannerträger Besson spricht selbst von den „grands sujets européens“, die man nicht den Amerikanern überlassen dürfe, und verdeutlicht im nächsten Satz, dass diese europäische Dimension die nationale keineswegs verschwinden lässt: „J’ai voulu que ce soit un film français“.575 Die Filmheldin Jeanne steht auf diese Weise mit den Anstrengungen der französischen Regierung in Verbindung, über die Förderung des einheimischen Kinos im Allgemeinen und des heritage films im Besonderen die nationale Kulturproduktion gegen Globalisierungstendenzen zu schützen. Nicht umsonst stattet Kulturministerin Catherine Trautman einem Pariser Kino einen öffentlichkeitswirksamen Besuch ab, um Bessons Film anzuschauen.576 Insofern also steht Jeanne wieder im Dienst der Nation – einer Größe, die seit einigen Jahren eine partielle Wiederbelebung erfährt. In französischen Schulen werden Nationalbewusstsein und Vaterlandsliebe 1985 wieder zu offiziellen Lehrzielen.577 Seit dem Fall der Berliner Mauer spielen nationale bis nationalistische Bewegungen etwa in Osteuropa eine entscheidende und zum Teil verheerende Rolle. In den Demokratien West- und Mitteleuropas verschaffen soziale Spannungen und gewisse Ermüdungserscheinungen des politischen Systems nationalpopulistischen Bewegungen Zulauf. Auch die Härten der Globalisierung tragen dazu bei, dass sich manche auf überkommene Bausteine nationaler Identität zurückbesinnen.578 573 Cf. Télérama, 09.02.1994d; FR, 15.11.1999, 14.01.2000; SZ, 12.01.2000; Le Monde, 13.10.1999; Le Figaro, 26.10.1999b; Cahiers du cinéma, 12/1999a. 574 Allons au cinéma ce weekend. Canal+, 05.11.1999. 575 Le Monde, 27.10.1999c; cf. Rieger: Nationalmythos und Globalisierung, 658; Knabel: Geschichte auf der Leinwand, 377; Hayward: Jeanne d’Arc, 162. 576 Cf. Le Monde, 21.11.1999; Phil Powrie: Heritage, History, and «New Realism». French Cinema in the 1990s. In: Idem (ed.): French Cinema in the 1990s. Oxford et al. 1999, 1-21, hier: 4-6; Russell Cousins: The Heritage Film and Cultural Politics. Germinal (Berri, 1993). In: Ibid., 25-36, hier: 26-29; Lucy Mazdon: Introduction. In: Idem (ed.): France on Film. Reflections on Popular French Cinema. London 2001, 1-10, hier: 6-8. 577 Cf. Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«, 171f. 578 Cf. Rieger: Nationalmythos und Globalisierung, 637; Smith: Nationalism, 92; Crouch: Social Change in Western Europe, 286; Brigitte Krulic: La Nation. Une idée moderne. Paris 1999, 3f., 161-163.

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Aber Globalisierungstendenzen relativieren gleichzeitig die Rolle der Nationalstaaten und sorgen für eine grenzüberschreitende Angleichung von kulturellen Symbolen und Praktiken. Nationale Erinnerungskulturen, insbesondere Geschichten von nationalen HeldInnen, verlieren an Bedeutung. Wenn der rechtsextreme Front national Jeanne in der althergebrachten Weise als Ikone Frankreichs hochhält, handelt es sich letztlich um eine relativ isolierte Anstrengung, die zur generellen Flexibilisierung nationaler Identität nicht recht passen will.579 Und wenn Jeanne zur Zeit des Vietnamkriegs oder des Desert Storm gegen Saddam Hussein in der amerikanischen Öffentlichkeit auftaucht, dann eher als Kaufanreiz denn als patriotisches Emblem.580 Gewiss: Jeanne wurde auch in der Hochzeit patriotischer Begeisterung immer wieder für partikulare und gelegentlich auch kommerzielle Interessen eingesetzt. Aber gleichzeitig bot ihr der nationale HeldInnenkult ein Feld diskursiver Möglichkeiten, dem sich in Frankreich, Deutschland oder den USA niemand so ganz entziehen konnte. Davon kann ab dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr die Rede sein. Stephanie Himmel kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn sie Jeanne-Darstellungen in Schul-, Kinder- und Jugendbüchern aus einer mythentheoretischen Perspektive analysiert: „Die Rhetorik des kulturell verbindlichen Nationalmythos wird in den ’ent- und transnationalisierenden’ Renarrationen nach 1945 weitgehend aufgelöst.“581 Und mit Blick auf die Verfilmungen resümiert Robin Blaetz: „Joan’s fifty year absence as a symbol of patriotism indicates that her significance in this regard has at least temporarily subsided.“582 Ein anderer Kontext, der schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kontinuierlich an Bedeutung gewonnen hat, wird für die Sagbarkeit der Heldin entscheidend. Doch bevor es um diesen Wechsel gehen kann, ist noch genauer zu zeigen, wie sich denn Jeanne, solange die Verehrung

579 Cf. Winock: Jeanne d’Arc, 723f.; Rieger: Nationalmythos und Globalisierung, 635f., 658; idem: Jeanne d’Arc. Zurück zur Geschichte – hin zum Mythos. Zu einigen Etappen von Jeanne d’Arcs literarischem Schicksal. In: Ulrich Müller / Werner Wunderlich (eds.): Herrscher, Helden, Heilige. St. Gallen 1996, 467-481, hier: 467; Philippe Contamine: Jeanne d’Arc dans la mémoire des droites. In: Jean-François Sirinelli (ed.): Histoire des droites en France. Bd. 2: Cultures. Paris 1992, 399-435, hier: 400, 430f.; Yves Bizeul: Politische Mythen im Zeitalter der Globalisierung. In: Klaudia Knabel / Dietmar Rieger / Stephanie Wodianka (eds.): Nationale Mythen – kollektive Symbole. Funktionen, Konstruktionen und Medien der Erinnerung. Göttingen 2005, 17-36, hier: 21f.; Nathalie Hillenweck: Von der «exception culturelle» zur «diversité culturelle». Über Ursprünge, Inhalt und Wandel eines Begriffs. In: Cornelia Frenkel / Heinz-Helmut Lüger / Stefan Woltersdorff (eds.): Deutsche und französische Medien im Wandel. Landau 2004, 193-216, hier: 211f. 580 Cf. Blaetz: Visions of the Maid, 169-182. 581 Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«, 351. 582 Blaetz: Strategies of Containment, 170.

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nationaler Figuren noch ungebrochen ist, zwischen den Objekten dieses Referentials einreiht. ii. Mögliche Objekte und Narrationen Die Filmheldin als Zusammenführung patriotischer Frauenfiguren „Helden sind in der Regel männlich“, konstatieren Waltraud Heindl und Claudia Ulbrich, und für die Helden der Nation treffe das sogar in besonderem Maße zu.583 In der Tat künden die Schulbücher der Troisième République vor allem von den Taten männlicher Heroen: von Vercingetorix, Bayard oder Napoléon. Die Schülerinnen bekommen beigebracht, dass ihre patriotische Pflicht vor allem darin besteht, Söhne in die Welt zu setzen und bei Bedarf zum Kriegsdienst zu ermutigen. Auch die patriotischen Historienfilme der Zwischenkriegszeit überlassen das Handeln meist männlichen Figuren. Und die Denkmale in Paris oder Berlin tragen in aller Regel männliche Züge: die von Monarchen, Revolutionären, Erfindern.584 Allerdings nur, wenn man sich auf jene Statuen konzentriert, die dem Gedenken an historisch verbürgte Gestalten gewidmet sind. Andernfalls relativiert sich hier der Eindruck von der Übermacht der Männer: Denn zusammengenommen können die Viktorias und Nikes etwa der Berliner Monumente den Herren auf den Denkmalsockeln durchaus Konkurrenz machen; und was die Verkörperung der Vereinigten Staaten betrifft, stellt Martha Banta fest: „more often than not, the types that stood for national values were female in form.“585 Ganz abgesehen davon, dass auch der einen oder anderen Frau der Sprung aus dem wahren Leben – oder zumindest der plausiblen Legende – ins nationale Pantheon gelingt. Königin Luise wird ebenso Objekt populärer Verehrung wie Jeanne Hachette oder Pocahontas.586 583 Waltraud Heindl / Claudia Ulbrich: Editorial. In: L’Homme 12 (2001), 235-238, hier: 235. 584 Cf. Agulhon: Esquisse pour une archéologie, 19; Brunn: Germania und die Entstehung des deutschen Nationalstaates, 117; Darrow: In the Land of Joan of Arc, 266, 271f.; Borger: Spectacular Stories, 21; Richard Abel: Survivre à un «nouvel ordre mondial». In: Jacques Kermabon (ed.): Pathé, premier empire du cinéma. Paris 1994, 158-189, hier: 172-174. 585 Banta: Imaging American Women, 9; cf. Silke Wenk: Die steinernen Frauen. Weibliche Allegorien in der öffentlichen Skulptur Berlins im 19. Jahrhundert. In: Sigrun Anselm / Barbara Beck (eds.): Triumph und Scheitern in der Metropole. Zur Rolle der Weiblichkeit in der Geschichte Berlins. Berlin 1987, 91-114, hier: 92f; Helen Watanabe-O’Kelly: Beauty or Beast? The Woman Warrior in the German Imagination from the Renaissance to the Present. Oxford et al. 2010, 7f. 586 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 172; Banta: Imaging American Women, 414f, 542, 641f.; Karin Bruns: Das moderne Kriegsweib. Mythos und nationales Stereotyp heroischer Weiblichkeit, 1890-1914. In: Annegret Petz et al. (eds.): Frauen, Literatur, Politik. Hamburg 1988, 132-144, hier: 133.

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Mit Hilfe solcher nationalen Heldinnen – sowohl der minoritären aus den Gefilden der Geschichte als auch der majoritären aus der Welt der Abstraktion – lässt sich eine Skala auffächern, die verschiedenste Stufen patriotischer Militanz umfasst. Die Reihe der Heldinnen könnte, aus dieser Perspektive betrachtet, mit den von Howard Chandler Christy gezeichneten Frauen der Zeit um 1900 beginnen: Banta zählt sie insofern zu den nationalen Identifikationsfiguren, als sie verkörpern, wofür der amerikanische Soldat in Kuba oder der Goldsucher in Alaska sich abmüht.587 Einige Parallelen zu diesen zarten, dezent erotisierten Gestalten zeigen allegorische Figuren, deren antikisierende Gewänder manche Brust nur unzureichend verbergen. Züchtig hingegen – aber ebenfalls sanft – treten die engelsgleichen Helferinnen auf, die den Kämpfern des Ersten Weltkriegs den Rücken stärken. Amerikanische Poster künden von ihnen ebenso wie Erbauungsreden und -schriften deutscher Provenienz. In die Reihe nationaler Heldinnen kann auch eine sorgende Mutter und Gattin aufsteigen: etwa Blanche de Castille.588 Allerdings können die Flügel, die weiblichen Allegorien oftmals aus dem Rücken wachsen, auch zu scharfen, waffengleichen Formen ausgezogen sein. Wobei Viktoria und Minerva ohnehin in vielen Fällen eine Klinge bei sich tragen. Ebenso Marianne und Germania, die neben eher friedlichen Attributen – wie dem Eichenlaub und der phrygischen Kappe – mit Brustpanzer und Schwert ausgestattet sein können. Manchmal kommt eine derart gerüstete Germania beritten daher. Und erst recht muss natürlich eine Verkörperung der «Stärke», wie sie die Assemblée Nationale schmückt, einen eindrucksvollen Auftritt haben – weshalb sie von ihrem Schöpfer neben einem mächtigen Körper noch eine schwere Keule mitbekommen hat.589 Die Stärke, die in diesen Fällen symbolisch bleibt, kann sich in anderen Fällen in Taten ausdrücken. Noch relativ unspektakulär wirkt der Fall des «Heldenmädchens von Lüneburg», dem 1907 in Berlin ein Denkmal errichtet wird: dafür, dass sie den Widerstand gegen die napoleonischen Besatzer durch die Lieferung von Munition unterstützte. Über andere Frauen berichten Ver587 Cf. Banta: Imaging American Women, 208-210. 588 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 258f.; Banta: Imaging American Women, 484; Wenk: Die steinernen Frauen, 106; Hagemann: «Deutsche Heldinnen», 104f; idem: «Mannlicher Muth und Teutsche Ehre». Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens. Paderborn et al. 2002, 374-383; Heide-Marie Lauterer: Republikanerinnen des Herzens. Sozialdemokratinnen und Nation 1914-1933. In: Ute Planert (ed.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne. Frankfurt a.M. 2000, 275-291, hier: 279. 589 Cf. Banta: Imaging American Women, 484; Agulhon: Esquisse pour une archéologie, 6, 25; idem: Marianne au pouvoir, 70-74; Gall: Germania, 22-28; Brunn: Germania und die Entstehung des deutschen Nationalstaates, 116; Warner: In weiblicher Gestalt, 48f.

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öffentlichungen derselben Epoche, wie sie sich in Männerkleidern den Freiwilligenverbänden angeschlossen haben. Manche starben einen heroischen Tod im Kampf gegen Frankreich.590 Auf der anderen Seite des Rheins gibt es vergleichbare Schriften – eine der ersten erscheint schon ab 1866 in diversen Auflagen: Les femmes militaires de la France depuis les temps les plus reculés jusqu’à nos jours. Und die Schulbücher berichten, wie Jeanne Hachette den Ansturm feindlicher Truppen auf Beauvais abgewehrt hat. Dazu als Illustration: eine Frauenfigur mit langen Haaren und schlichtem Kleid, die anstürmende Soldaten von einer Stadtmauer herab mit einer Streitaxt zurückdrängt.591 Ganz so wie die Heldin in Raymond Bernards Le Miracle des loups von 1924: Mit fliegenden Haaren und erhobenem Beil führt Jeanne Hachette – alias Fouquet – die EinwohnerInnen von Beauvais in die entscheidende Schlacht; eigenhändig stößt sie Angreifer von den Zinnen; und schließlich steht sie wild dreinschlagend im Kampfgetümmel. In anderen Szenen allerdings ist Bernards Heldin auch das zarte Objekt begehrlicher Blicke. Vor einem Fest am burgundischen Hof wird sie von drei Frauen herausgeputzt, und eine lange Nahaufnahme präsentiert das Resultat: das reizende Antlitz, dem mehrere Adlige verfallen und das letztlich die symbolische Befriedung der Nation bewirkt. Denn am Schluss des Films steht der Kuss zwischen Jeanne, deren Familie dem Dauphin – dem zukünftigen Louis XI – treu verbunden ist, und Robert, dem Bannerträger der opponierenden Burgunder. Insofern vereint diese Filmheldin die Tatkraft der femme militaire mit den Verlockungen des Christy girl. Was auch für manche Verkörperungen der anderen Jeanne gilt – am deutlichsten bei DeMille. Seine Jeanne d’Arc wird einerseits als würdiges Objekt für das Verlangen eines ritterlichen Kämpfers vorgeführt: Der von seiner Truppe getrennte Engländer Eric Trent, dem sie im heimischen Domremy begegnet, entbrennt gleich in Liebe zu dem Bauernmädchen. Andererseits reitet sie beim Angriff auf die Festung Les Tourelles vor Orléans in vollem Harnisch ihren Soldaten voran. Und DeMille bringt Jeanne sogar noch mit weiteren Typen des nationalen Heldinnenkults zur Deckung: Sie hat Auftritte als rettende Engelsgestalt, wenn sie Trent erst vor der Dorfgemeinschaft versteckt und später aus französischer Gefangenschaft befreit, und als fast schon allegorische Verkörperung der Nation, wenn sie zu Beginn des Films, ins Abstrakte entrückt, vor einem mannshohen Lilienemblem zu sehen ist. Generell gilt: Die Filmheldin Jeanne durchläuft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts reihum praktisch alle Stationen, die das nationale Panthe590 Cf. Hagemann: «Deutsche Heldinnen», 86-89; idem: «Mannlicher Muth und Teutsche Ehre», 383-390; Wenk: Die steinernen Frauen, 92. 591 Cf. Gerbod: L’éthique héroïque, 421; Amalvi: Les héros de l’Histoire, 172, 198.

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on für weibliche Heroen bereithält. Es mag zynisch klingen, Jeannes Position auf dem Scheiterhaufen mit der Platzierung weiblicher Allegorien auf den Sockeln der öffentlichen Monumente zu vergleichen. Aber zumindest in einem Punkt darf man wohl von einer gewissen Ähnlichkeit reden: Die langen, hellen Kleider, in denen Jeanne bei Hatot, Méliès und Capellani zum Richtplatz geführt wird, erinnern in ihrer schlichten, überzeitlichen Eleganz an die Gewänder von Viktoria und Nike. Bei späteren Verfilmungen verliert sich das, weil die Kostüme für Jeannes letzten Gang gröber oder historisierender ausfallen, etwa mit «mittelalterlich» weiten Ärmeln versehen sind.592 Aber die Parallele zu den abstrakten Heldinnen geht damit nicht ganz verloren: Die zahlreichen Bilder von Jeanne mit Rüstung und Schwert lassen sich durchaus als Reminiszenz an die wehrhaften Germanias und Mariannes lesen. Besonders wenn Jeanne sich würdevoll dem Volk präsentiert: bei einer Parade durch die Straßen von Orléans oder von einer Burgtreppe herab.593 Ihr männliches Wams, die gekappten Haare und ihr entschiedenes Auftreten im Kampfgetümmel hingegen erinnern an Geschichten der femmes militaires und der Schwertjungfern aus den napoleonischen Kriegen.594 Und in einzelnen Fällen kommt eben noch eine sanft sinnliche Seite hinzu. Nicht nur bei DeMille, sondern auch in La Merveilleuse Vie, wo Jeanne die erste Liebe ihres Jugendfreundes Remy ist, den sie dann aber wegen ihrer patriotischen Mission doch nicht heiraten will. Hier steht die Heldin für die Umwandlung des Begehrens in Vaterlandsliebe. Nur Dreyers Jeanne entzieht sich dieser Bestandsaufnahme: Sie hält Abstand zu den Verkörperungen der Nation. Für ihre Kolleginnen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich jedoch festhalten: Sie sind nicht nur in den Zusammenhang der Institutionen, Praktiken und Werte des nationalen Heldenkults eingebunden, sondern reihen sich auch problemlos zwischen den Objekten dieses Möglichkeitsfeldes ein. Die Filmheldin Jeanne nimmt dort sogar eine privilegierte Position ein, insofern sich die entscheidenden Facetten der patriotischen Allegorien, Engelsgestalten und Kämpferinnen aus der Zeit zwischen den 1870ern und der Mitte des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger vollständig bei ihr wiederentdecken lassen. Anders gesagt: Die semantischen Möglichkeiten der nationalen Heldengeschichte schöpft Jeanne hervorragend aus. Das bestätigt sich, wenn man den Blick einmal von den zentralen Frauengestalten dieses Genres abwendet: Auch andere Bausteine, die solche Narrationen prägen, kann Jeannes Geschichte bieten. Beispielsweise harmoniert 592 Cf. DeMille; Dreyer; de Gastyne; Ucicky; Fleming. 593 Cf. Méliès; DeMille; de Gastyne; Ucicky; Fleming. 594 Cf. de Gastyne; Fleming.

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sie bestens mit dem Vokabular, mit dem die patriotisch inspirierten Historienfilme im Frankreich der 1920er arbeiten.595 Aristokratische Akteure, spektakuläre Totalen und Massenszenen, aufwändige Kostüme, geschichtsträchtige Schauplätze – all das ist zwar, wie Dreyer zeigt, nicht unbedingt notwendig für einen Film über Jeanne, aber de Gastyne bringt sämtliche Elemente in seiner Erzählung über die Heldin unter. Das Verhältnis der Filmheldin zu patriotischen Handlungsmustern Auf der syntaktischen Ebene werden Geschichten über nationales Heldentum vor allem von einer Aktion gekennzeichnet: dem Kampf. Die Figuren, denen im Schulunterricht, bei der Armee oder in patriotischen Vereinen die Reverenz erwiesen wird, sind in erster Linie militärische. Die HeldInnen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in Zeiten der Bedrohung aus ihrem gewohnten Umfeld heraustreten und für ihre Nation in die Bresche springen. Jeanne Hachette nimmt sich ein Herz und steigt auf die Mauern von Beauvais. Preußische Mädchen verbergen ihr Geschlecht und schließen sich dem Widerstand gegen französische Truppen an. Wofür sie von manchen deutschen Patriotinnen, die um 1900 generell ein äußerst kriegerisches Vokabular pflegen, durchaus geschätzt werden.596 Selbst scheinbar passive oder friedfertige Figuren sind in kriegerische Narrationen eingebunden. Eine Statue der Germania kann durch eine Geste ihrer schwertbewehrten Hand oder durch ihre provokative Platzierung eine rudimentäre Geschichte erzählen: vom Kampf gegen den welschen Feind. Manche Allegorie in den Städten Amerikas erlangt ihre Bedeutung erst durch die Verknüpfung mit dem Kriegsgeschehen auf den Philippinen oder in Frankreich.597 Und weder die sanfte Helferin noch die Verlockung des Christy girl hätte patriotische Relevanz, wenn nicht im Hintergrund eine Schlacht tobte. Sie greifen nicht selbst zur Waffe. Aber wenn sie nicht mit gewalttätigen Konflikten in Verbindung stünden, ginge ihrem Auftritt das Heroische ab. Aussagen über die nationale Heldin sind also in Geschichten vom Kampf zu Hause. Und der ist oft tödlich. Die Regeln des nationalen Heldenkults

595 Cf. Abel: French Cinema, 168; Borger: Spectacular Stories, 21f.; Marcel Oms: Histoire et géographie d’une France imaginaire. In: Cahiers de la Cinémathèque 33-34 (Herbst 1981), 77-88, hier: 85. 596 Cf. Bruns: Das moderne Kriegsweib, 134-139; Gerbod: L’éthique heroïque, 412f., 422f.; Amalvi: Les héros de l’Histoire, 247-250; Hagemann: «Deutsche Heldinnen», 88f.; Planert: Die Nation als «Reich der Freiheit», 120f. 597 Cf. Brunn: Germania und die Entstehung des deutschen Nationalstaates, 113-116; Gall: Germania, 22-28; Banta: Imaging American Women, 529f.

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fordern Opferbereitschaft.598 Und dementsprechend gehören in diesen Zusammenhang auch Geschichten mit fatalem Ausgang; zum Kampf kommt oft der Untergang als weiterer narrativer Grundbaustein. Von den preußischen Freiheitskriegerinnen wird gerade denen besonderer Nachruhm zuteil, die ein gewaltsames Ende genommen haben. In den französischen Schulbüchern der Troisième République, die ebenfalls den MärtyrerInnen der Nation Vorrang geben, erscheint der Tod des Helden oder der Heldin oft als Schwelle einer neuen Epoche.599 Überhaupt eignen sich die Schulbücher, wie Christian Amalvi unter anderem auch an den Lektionen über Jeanne zeigt, um weitere Standardelemente nationaler Heldengeschichten zu isolieren.600 Zunächst werden die oft bescheidenen Verhältnisse geschildert, denen die Heldenfigur entstammt und die sie durch konsequente Anstrengungen hinter sich lässt. Schon früh gibt es in ihrem Leben Anzeichen für die großen Taten, für die sie auserkoren ist. Später hat sie Prüfungen zu bestehen, die ihr den Weg zu ihren eigentlichen Heldentaten öffnen. Dann der Triumph: Das Volk vereint sich hinter dem siegreichen Helden, der siegreichen Heldin. Nur die Feinde der Nation sinnen weiter auf das Verderben der Leitfigur – manchmal mit Erfolg, was im glorreichen Opfertod enden kann. Diese idealtypische Erzählung findet sich schon bei Méliès ansatzweise verwirklicht und später dann umso deutlicher bei DeMille, de Gastyne und Fleming. Immer wird auf Jeannes bäuerliche Herkunft hingewiesen – und sei es nur durch zwei grasende Ziegen im Hintergrund. Die Heiligen, die Jeanne erscheinen oder zumindest Botschaften zukommen lassen, künden von ihrer großen Bestimmung. Beharrlich setzt sie ihren Aufbruch gegen den Widerstand ihrer Eltern bzw. des Herrn Baudricourt durch. Schon darin kann man eine erste Prüfung sehen, die sich dann am Hof in Chinon wiederholt. Sie muss den Dauphin und die Höflinge von ihrer Mission überzeugen – nicht zuletzt in der Regel, indem sie den Monarchen in der Menge aufspürt. Nachdem die Belagerung Orléans’ aufgehoben ist, wird Jeanne von der Bevölkerung im Triumph durch die Stadt geleitet. Später der Fall: die Gefangennahme vor Compiègne. Und zuletzt der Tod, der bei Méliès sogar in eine regelrechte Himmelfahrt mündet. 598 Cf. etwa Gerbod: L’éthique heroïque, 425; Hagemann: «Deutsche Heldinnen», 86-88; idem: «Mannlicher Muth und Teutsche Ehre», 376, 380; Karin Liebhart / Béla Rásky: Helden und Heldinnen in nationalen Mythen und historischen Erzählungen Österreichs und Ungarns. In: L’Homme 12 (2001), 239-263, hier: 251. 599 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 246f.; Hagemann: «Mannlicher Muth und Teutsche Ehre», 385f. 600 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 234-247, 260-265.

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In dieser frühen Filmfassung bleibt der Kampf überraschend marginal, nur ein kurzes Handgemenge vor Compiègne ist zu sehen. Bei DeMille, de Gastyne und Fleming nehmen die Schlachtszenen hingegen breiten Raum ein. Auch JournalistInnen unterstreichen, dass der Kampf in diesen Filmen eine wichtige Rolle spielt.601 Andere entdecken in Jeannes Augen den Blick eines „ardent guerrier“, sprechen von der „patriotischen Kämpferin“ oder fühlen sich als Reporter am Set wie ein „correspondant de guerre“.602 Und manche Kurzzusammenfassung von Jeannes Geschichte räumt der kriegerischen Seite den zentralen Platz ein.603 Sogar über Dreyers Passion schreibt ein Kritiker: „dieser Film zeigt nur den Kampf allein“. Womit er „den geistigen Kampf eines Mädchens gegen eine gewaltige Ueberzahl mächtiger Männer“ meint.604 Diese Interpretation, die den Film anderen Geschichten von kämpferischen HeldInnen annähert, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen: Bei Dreyer steht ein anderes Element im Vordergrund. Seine Jeanne kämpft nicht in erster Linie, sondern sie leidet.605 Ihre Geschichte ist mehr die des heldenhaften Opfers als die der kriegerischen Heldin. Das verbindet sie mit Hatots Protagonistin, die einfach nur auf den Scheiterhaufen zu steigen hat, und mit der von Capellani, die in der erhaltenen Fassung sehr schnell im Kerker landet. Die Jeanne von Gustav Ucicky bietet in diesem Punkt ein ambivalentes Bild. Zwar zeigt Das Mädchen Johanna mehr als nur Prozess und Hinrichtung. Jeanne schreitet hier durchaus vor ihren Soldaten in die Schlacht. Aber von den übrigen Elementen der typischen Heldengeschichte bleibt nicht viel: Jeannes Heimat und Herkunft spielen kaum eine Rolle; sie muss keine großen Prüfungen bestehen, weil der Dauphin ihre Sache gleich zu der seinen macht; und bevor sie ihren Triumph genießen kann, bricht sie geschwächt zusammen. Vor allem aber geben die JournalistInnen eine klare Lesart für diese Heldin vor: Sie interessieren sich auffällig für den Aspekt des „Opfertodes“, des „politischen Martyriums“.606

601 Cf. Lichtbildbühne, 03.11.1922; New York Times, 25.12.1916; Le Petit Parisien, 26.04.1929; La Croix, 27.10.1949. 602 Pour Vous, 07.11.1929; Cinémonde, 16.05.1929; Film-Dienst, 29.09.1950; cf. La Croix, 10./11.11.1929. 603 Cf. Film-Kurier, 27.10.1922; New York Times, 25.02.1917; Variety, 29.12.1916. 604 Frankfurter Zeitung, 12.12.1928. 605 Cf. auch Elisabeth Katharina Paefgen: Jeanne, Joan, Johanna. Jeanne d’Arc in filmischer, dramatischer und epischer Bearbeitung. In: Idem: Wahlverwandte. Filmische und literarische Erzählungen im Dialog. Berlin 2009, 148-164, hier: 149. 606 Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935; Kreuz-Zeitung, 28.04.1935; cf. Germania, 28.04.1935, Film-Kurier, 27.04.1935; Der Film, 27.04.1935.

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Nicht immer also ist die Filmfigur – obwohl sie unter den Objekten des nationalen HeldInnenkults sichtlich zu Hause ist – in eine Narration eingebunden, die alle Stationen des patriotischen Genres abschreitet. Was von einem 33-Sekunden-Film wie dem Hatots allerdings auch kaum zu erwarten ist. Was beim Mädchen Johanna zweifellos ein Hinweis darauf ist, dass im Deutschland des Jahres 1934 dem heroischen Kampf einer Frau besondere Widerstände entgegenstehen. Und was schließlich, wenn es um Dreyers Passion geht, die besondere Stellung dieses Films unterstreicht: In dem gleichen Maße, in dem er sich von den Möglichkeitsregeln des nationalen HeldInnenkults entfernt – nicht zuletzt in Richtung Transzendenz –, schränkt er auch die Handlungsfreiheit seiner Heldin ein. Je deutlicher hingegen die filmischen Aussagen der ersten Jahrhunderthälfte von Jeanne d’Arcs Aktivität erzählen, desto enger stehen sie mit dem Referential patriotischer Heldenverehrung in Verbindung. Hier erhält die Heldin Rückhalt – der allerdings seine eigene historische Halbwertzeit besitzt.

III. Starkult i. Der Ort der Sagbarkeit Der Starkult des 20. Jahrhunderts Abbildungen nationaler HeldInnen kommen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend aus der Mode. Siegreiche Generäle oder verstorbene Präsidenten werden nicht mehr in Stein gehauen, am Reichstag versinnbildlicht Konzeptkunst die deutsche Nation, nicht etwa Germania. Zwar sind vor allem in den USA Gestalten wie Präsident Reagan oder Gouverneur Schwarzenegger zu finden, die sich womöglich als Galionsfiguren für nationale Werte eignen, gar als „Nationalkörper“.607 Aber ihr Aufstieg wurzelt in einem Zusammenhang populärer Praktiken, Überzeugungen und Institutionen, der mittlerweile weit bedeutender ist als der traditionelle Nationalkult. Als Stars der Populärkultur sind sie zu Hoffnungsträgern der Nation geworden – und nicht etwa umgekehrt. Eine ähnliche Rangordnung der Werte lässt sich heute sogar bei Marianne feststellen. Offenbar hat sich ihr Prestige als nationale Ikone soweit abgenutzt, dass sie Unterstützung von einer LeinwandDiva braucht: Die Marianne-Büste, die bei der Gipsgießerei des Louvre am häufigsten geordert wird, trägt die Züge von Brigitte Bardot.608 607 Nancy Shui-Yen Cheng: Getriebene Melancholiker. Helden – Körper – Action in Hollywood. Frankfurt a.M. 2009, 10. 608 Cf. Gerd Kröncke: Die Frau mit vielen Gesichtern. In: Süddeutsche Zeitung, 23.10.2003, 12.

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Ursprünglich entwickelt sich beides parallel: Wie der nationale Heldenkult gewinnt auch die Verehrung für Stars im Laufe des 19. Jahrhunderts an Bedeutung. Schon in den 1820ern ist im angloamerikanischen Raum von stars die Rede und einige Zeit später dann in Frankreich von étoiles. Das institutionelle Zentrum ihrer Verehrung ist das Theater: Sei es, dass in einer Stadt wie Wien die Mitglieder der Ensembles von ihren MitbürgerInnen gefeiert werden, sei es, dass englische TheatervirtuosInnen die Gastspielbühnen sowohl in ihrer Heimat als auch in den USA abklappern – wo aber bald auch einheimische SchauspielerInnen berühmt werden. Flächendeckend auf beiden Seiten des Atlantiks touren um die Jahrhundertwende die Stars der Stars wie Sarah Bernhardt, Eleonora Duse oder Tommaso Salvatini.609 Schon 1900 taucht Sarah Bernhardt auch auf der Leinwand auf. Andere französische Stars der hohen Bühnenkunst folgen ab 1908. Und ein paar Jahre später, sobald sich Filme über mehrere Rollen erstrecken und damit mehr Profit abwerfen, werden auch in den USA Bühnenstars bei der Jagd nach neuen Publikumssegmenten eingespannt.610 In Frankreich werden Mitglieder der Comédie Française zum prägenden Bestandteil eines Genres: der Literaturadaptionen des grand film. Überhaupt greift das französische Kino selbst noch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gerne einmal auf Bühnenstars zurück. Im amerikanischen Filmgeschäft ist zumindest die Einführung des Tonfilms erneut ein Anlass, bewährte Schauspielgrößen anzuheuern.611 Aber zu diesem Zeitpunkt gibt es längst auch den originären Filmstar. Seine Geburtsstunde hat Richard de Cordova genau datiert: auf das Jahr 1914 als jenen Moment der Filmgeschichte, da in den USA zum ersten Mal Informati609 Cf. Paul McDonald: The Star System. Hollywood’s Production of Popular Identities. London 2000, 17-19; Joseph Garncarz: Die Schauspielerin wird Star. Ingrid Bergman – eine öffentliche Kunstfigur. In: Renate Möhrmann (ed.): Die Schauspielerin. Zur Kulturgeschichte der weiblichen Bühnenkunst. Frankfurt a.M., Leipzig 2000, 368-393, hier: 370; Georg M. Blochmann: Der Tod der Messalina. Burgschauspielerin und Gründergeist. In: Ibid., 235254, hier: 235-239; Matthias Müller: Sarah Bernhardt – Eleonora Duse. Die Virtuosinnen der Jahrhundertwende. In: Ibid., 255-291, hier: 257f.; Knut Hickethier: Schauspieler zwischen Theater und Kino in der Stummfilmzeit. In: Idem (ed.): Grenzgänger zwischen Theater und Kino. Schauspielerporträts aus dem Berlin der zwanziger Jahre. Berlin 1986, 11-42, hier: 28. 610 Cf. Hayward: French National Cinema, 86f.; Mitry: Histoire du cinéma. Bd. I, 256f.; David Bordwell / Janet Staiger / Kristin Thompson: The Classical Hollywood Cinema. Film Style and Mode of Production to 1960. New York 1985, 101; Sabine Lenk: Théâtre contre Cinéma. Die Diskussion um Kino und Theater vor dem ersten Weltkrieg in Frankreich. Münster 1989, 123-125. 611 Cf. Abel: French Cinema, 85f.; Hayward: French National Cinema, 304; Alexander Walker: Stardom. The Hollywood Phenomenon. London 1970, 204f.; Kelley Conway: Diva in the Spotlight. Music Hall to Cinema. In: Alex Hughes / James S. Williams (eds.): Gender and the French Cinema. Oxford, New York 2001, 35-61, hier: 36-38.

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onen über das Privatleben von FilmdarstellerInnen kursieren. Und genau das trennt den Star sowohl von einfachen DarstellerInnen, über die das Publikum gar nichts weiß, als auch von der picture personality, die namentlich bekannt ist, über deren professionelle Fähigkeiten sehr wohl, über deren persönliche Eigenschaften hingegen nicht in der Öffentlichkeit debattiert wird.612 Diese Differenzierung macht auf entscheidende Elemente des Starkults aufmerksam. Neben Theater- und Kinobesuch gehören auch andere mediale Praktiken notwendigerweise dazu: der Austausch von Gerüchten, die zum Beispiel das Privatleben prominenter Theaterheroen der Jahrhundertwende zum Gegenstand haben; die Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften, die ab der Mitte der 1910er Jahre über Stars berichten; die Publicity, die in jener Zeit die Bekanntheit von Asta Nielsen oder in den 1980ern die von Brigitte Nielsen fördert. Kaum jemand kann sich diesem Geflecht aus Starkommunikationen entziehen, die meisten Menschen in Europa und den USA können ihm einen gewissen Genuss abgewinnen, und einige wollen noch mehr: ihrem Star möglichst nahe kommen. Zum Starkult gehören die Fans, die Fotos von Theaterdiven sammeln, den Kleidungsstil ihres Lieblings kopieren oder bereits 1910 Florence Lawrence bei einem öffentlichen Auftritt in St. Louis umdrängen und angeblich sogar an ihrer Kleidung reißen.613 Sobald das Interesse des Publikums das private Leben der DarstellerInnen mit einbezieht, differenzieren sich zwei Kategorien aus: dem öffentlich zugänglichen Bild des Stars tritt der wahre Mensch gegenüber. Und auch wenn das authentische Wesen des Stars immer Spekulation bleiben muss, auch wenn der Star nie mehr sein kann als ein Konglomerat öffentlich zugänglicher Bedeutungen, ist das Gegenüber von privat und öffentlich für ihn doch konstitutiv. Denn gerade im Konflikt dieser beiden Komponenten können die zentralen Werte des Starkults zum Ausdruck kommen – egal, ob es sich um Filmstars handelt oder andere Zelebritäten. Nur der gespaltene Star kann den Triumph des Individuums, des «Unteilbaren», verkörpern. Nur weil das Image dem Ich Konkurrenz macht, kann der Star unter Beweis stellen, 612 Cf. Richard de Cordova: The Emergence of the Star System in America. In: Wide Angle 6.4 (1985), 4-13 oder auch Bordwell / Staiger / Thompson: The Classical Hollywood Cinema, 101; McDonald: The Star System, 29-32; idem: Reconceptualising Stardom. In: Richard Dyer: Stars. London 21998, 175-211, hier: 177f. 613 Cf. Garncarz: Die Schauspielerin wird Star, 372; Blochmann: Der Tod der Messalina, 235239; Müller: Sarah Bernhardt, 258f.; Mitry: Histoire du cinéma. Bd. I, 367, 428f.; McDonald: The Star System, 6f.; Walker: Stardom, 15-17; Diederichs: Anfänge deutscher Filmkritik, 63f.; Richard Dyer: Stars. London 1979, 68-72; Knut Hickethier: Die frühen Filmstars. Die Faust des Riesen (1917). In: Werner Faulstich / Helmut Korte (eds.): Fischer Filmgeschichte. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum etablierten Medium, 1895-1924. Frankfurt a.M. 1994, 288-305, hier: 291.

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wie treu er sich selbst ist. Nur weil Rolle und Privatleben unterschiedliche Anforderungen stellen, kann er zeigen, wie er die Zumutungen einer stark ausdifferenzierten Gesellschaft pariert. Und wäre das Image nicht, hätte die lustvolle Suche des Fans nach dem wahren Wesen seines Stars keinen Sinn.614 Schon die Genese des Filmstars, wie de Cordova sie beschreibt, ist in ökonomische Prozesse eingebunden: insbesondere den Aufstieg des Kinos als Unterhaltungsmedium für die breite Masse. Es ist die Industrialisierung der Filmproduktion, die dann im Laufe der folgenden Jahrzehnte zur Perfektionierung des Starsystems unter der Ägide der großen US-Studios führt: Stars werden gezielt aufgebaut, durch langfristige Verträge gebunden und bis in die letzten Details ihres Lebens maximaler Kontrolle unterworfen. Das Modell wird auch nach Europa exportiert und von den dortigen Produzenten mit mehr oder weniger Erfolg kopiert. Von den 1930ern bis in die 1950er hinein erlebt das Starsystem des klassischen Hollywood seine Blütezeit.615 Dann wird das Oligopol der Majors nicht nur von Antitrust-Urteilen amerikanischer Gerichte empfindlich getroffen, sondern auch vom Aufstieg des Fernsehens. Vorübergehend scheint die Stellung der Stars gefährdet. Doch letztlich kommen die Mechanismen der Popularisierung ihnen wieder zu Hilfe: Einerseits bringt das Fernsehen seine eigenen celebrities hervor, andererseits braucht die Filmindustrie den Star mehr denn je, um das Risiko bei kostspieligen Blockbustern zu minimieren.616 Auch politische Umwälzungen prägen die Existenzregeln des Stars. Besonders deutlich etwa, wenn manche Nationalsozialisten den Berühmtheiten 614 Cf. McDonald: The Star System, 1; Weingarten: Bodies of Evidence, 29f.; Garncarz: Die Schauspielerin wird Star, 370f.; Dyer: Stars, 22f.; idem: Heavenly Bodies. Film Stars and Society. Basingstoke, London 1987, 2f., 6-11, 18; idem: A Star Is Born and the Construction of Authenticity. In: Christine Gledhill (ed.): Stardom. Industry of Desire. London, New York 1991, 132-140, hier: 132-136; Pam Cook: Star Signs. In: Screen 20.3-4 (Winter 1979/1980), 80-88, hier: 83; Stephen Lowry / Helmut Korte: Der Filmstar. Brigitte Bardot, James Dean, Götz George, Heinz Rühmann, Romy Schneider, Hanna Schygulla und neuere Stars. Stuttgart, Weimar 2000, 9f.; Ruth Dawson: «Europens Kaiserin». Katharina II. und die Zelebrität. In: L’Homme 12 (2001), 265-290, hier: 265-267, 273-277. 615 Cf. Lowry / Korte: Der Filmstar, 259; McDonald: Reconceptualising Stardom, 197; Werner Faulstich et al.: Kontinuität – zur Imagefundierung des Film- und Fernsehstars. In: Werner Faulstich / Helmut Korte (eds.): Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung. München 1997, 11-28, hier: 11-13; Friedemann Beyer: Die UFA-Stars im Dritten Reich. Frauen für Deutschland. München 1991, 29; Enno Patalas: Sozialgeschichte der Stars. Hamburg 1963, 13f. 616 Cf. McDonald: The Star System, 72-76; Faulstich et al.: Kontinuität, 15f.; Lowry / Korte: Der Filmstar, 5, 248f.; Thomas Schatz: The New Hollywood. In: Jim Collins / Hilary Radnar / Ava Preacher Collins (eds.): Film Theory Goes to the Movies. New York, London 1993, 8-36, hier: 11, 28-31, 35.

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der Ufa zunächst mit Misstrauen begegnen, das Regime sie letztlich jedoch hofiert und für die eigenen Zwecke einsetzt.617 Ansonsten scheint auch der Starkult von dem allgemeinen Grundsatz profitieren zu können, dass gesellschaftliche Krisen für HeldInnen aller Arten einen günstigen Nährboden abgeben. Denn was Stars auszeichnet, ist nicht zuletzt ihre Fähigkeit, widerstreitende Kräfte in kompakter Form zum Ausdruck und womöglich in ein provisorisches Gleichgewicht zu bringen. Jedenfalls können Stars immer wieder zur Chiffre von Konflikten werden, egal, ob es sich in den 1960ern um jugendliche Rebellion handelt oder in den 1990ern um Tendenzen zu einem antifeministischen Backlash.618 Auch in Rivalitäten unter Patrioten ist der Star verstrickt. Die Möglichkeitsfelder des Starkults und der nationalen Heldenverehrung überschneiden sich – nicht nur wenn aus Schauspielern Amtsträger werden. So werden etwa die deutschen Filmstars der Zwischenkriegszeit als Bannerträger der Nation in Anspruch genommen: In ihnen entdeckt das Publikum typisch nationale Eigenschaften, und als Henny Porten in einem französischen Film spielt, rufen deutsche Kinobetreiber nach einem Boykott.619 Umgekehrt darf nicht jeder Star eine Nationalheldin wie Jeanne verkörpern. Das Gerücht, für die Hauptrolle in Carl-Theodor Dreyers Jeanne-Film sei an die US-Größe Lilian Gish gedacht, löst Empörung aus.620 Die Verbindungen der Filmheldin zum Starkult In vielerlei Hinsicht bildet Jeanne ein Bindeglied zwischen dem patriotischen Pantheon und dem Firmament der Stars. Schon zu der Zeit, als sie für den nationalen Heldenkult zentrale Bedeutung hat, hat sie gleichzeitig Umgang mit den größten Diven. Sie wird von Rachel Felix verkörpert, die Mitte des 19. Jahrhunderts gleichzeitig als nationale Symbolfigur der Franzosen fungiert und internationalen Ruhm einheimst, von Sarah Bernhardt und vom Broadway-Star Maude Adams. Mario Caserini und Nino Oxilia besetzen die 617 Cf. Beyer: Die UFA-Stars im Dritten Reich, 29; Ascheid: Hitler’s Heroines, 32f.; Annette Meyhöfer: Schauspielerinnen im Dritten Reich. In: Renate Möhrmann (ed.): Die Schauspielerin. Zur Kulturgeschichte der weiblichen Bühnenkunst. Frankfurt a.M., Leipzig 2000, 342-367, hier: 344; Andrea Winkler-Mayerhöfer: Starkult als Propagandamittel. Studien zum Unterhaltungsfilm im Dritten Reich. München 1992, 11, 110. 618 Cf. Dyer: Stars, 29f., 37; Faulstich et al.: Kontinuität, 18; Lowry / Korte: Der Filmstar, 247f., 280; Walker: Stardom, 356f.; Kuhn: Women’s Pictures, 222; Christiane Peitz: Marylins starke Schwestern. Frauenbilder im Gegenwartskino. Hamburg 1995, 35-45. 619 Cf. Hickethier: Schauspieler zwischen Theater und Kino, 33; Patalas: Sozialgeschichte der Stars, 26. 620 Cf. Drouzy: Une œuvre de foi, 10.

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Hauptrolle in ihren italienischen Jeanne-Filmen 1909 bzw. 1913 jeweils mit einer Operndiva. Und auch wenn Méliès seine Hauptdarstellerin als eine prominente Pariser Tänzerin annonciert, hängt das wohl kaum mit dem choreographischen Anspruch seiner Produktion zusammen.621 Bei den abendfüllenden Filmen setzen die Verbindungen zu den Elementen des Starkults gleich auf zwei Ebenen an. Auch hier liefert neben den journalistischen Kommentaren die Besetzung entscheidende Hinweise. Aber zunächst lassen sich erste Verweise schon im Filmtext selbst entdecken. Ganz banal etwa in den Credits: Der prominente Platz, den die Namen der Jeanne-Darstellerinnen dort in der Regel einnehmen dürfen, verrät bereits eine gewisse Nähe zum Starsystem.622 Genauso wie die Verehrung, die Jeanne im Rahmen der filmischen Fiktion zu Teil wird: Könnten die Fans eines Stars sich nicht ebenso an ihren Liebling herandrängen, wie jene EinwohnerInnen von Orléans oder Reims, die eine flüchtige Berührung mit Jeannes Kleidung oder Pferd erhaschen möchten oder wenigstens einen Blick auf die Heldin?623 Auf dieses Sinnbild wollen die meisten Filme nicht verzichten – auch wenn es bei Bresson und Rivette nicht inszeniert, sondern nur nacherzählt wird. Vor allem aber treten in den Filmen, die ab den 30er Jahren entstehen, nach und nach zwei Seiten der Hauptfigur auseinander: Die private und die öffentliche könnte man sie nennen, obwohl diese Begriffe nie explizit auftauchen. Bei Ucicky empfindet die öffentliche Heldin, die sich nach den Anstrengungen im Dienste der Nation auf ihren Auftritt bei der Krönung in Reims vorbereitet, voller Schmerz ihre Entfremdung von ihrer privaten Identität: Sie stellt fest, wie sehr ihre vom Soldatenleben gehärteten Hände einer angestammten Tätigkeit wie dem Kränzeflechten entwöhnt sind, und schluchzt bitterlich. Bei Fleming betont die Heldin gegenüber Jean de Metz, dass ihr die Position der Heerführerin eigentlich nicht entspricht, sie trennt ihre öffentliche Mission von ihrem eigentlichen Leben: „I’d rather go home and spin with my mother. For this is not my proper place.“ Bei Rivette heißt es an derselben Stelle: „Je sais bien que c’est pas mon état.“ Und später differenziert seine Jeanne fein säuberlich die verschiedenen Rollen, die sie zu spielen hat. Nein, sie könne ihre Männerkleidung noch nicht ablegen, erklärt sie Jeanne de Luxembourg, als sie sich in der Gewalt von deren Neffen befindet. Denn sie sei als Soldat in Gefangenschaft geraten und müsse Soldat bleiben, solange ihr Auftrag noch

621 Cf. Powers: The Joan of Arc Vogue, 182; Harty: Jeanne au cinéma, 237, 240; Winock: Jeanne d’Arc, 679; Dolgin: Modernizing Joan of Arc, 86-89, 98-103; Blaetz: Joan of Arc and the Cinema, 146. 622 Cf. DeMille; de Gastyne; Ucicky; Fleming; Rivette; Besson. 623 Cf. Méliès; DeMille; de Gastyne; Ucicky; Fleming; Besson.

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nicht erfüllt sei. Sie kann sich nicht ohne weiteres in die Privatheit femininer Kleidung flüchten. Bei Besson wird Jeannes Konflikt mit sich selbst zu einem zentralen Punkt ihrer Geschichte. Gegen Ende des Films steht ihr mit einem Mal ihr Gewissen in Form eines schwarz verhüllten Dustin Hoffman gegenüber und zwingt sie, die eigenen Motive zu erforschen. Sie muss feststellen, dass ihr wahres Wesen, ihre privatesten Affekte – Rachsucht, Eigenliebe, Stolz – mit ihrer öffentlichen Rolle als Botin Gottes kollidieren. Ein Widerspruch, der sich in diesem Fall erst durch das Feuer auflösen lässt. Das Verhältnis von öffentlichem Auftreten und privatem Selbst wird in Bessons Jeanne d’Arc so ausdrücklich zum Thema, dass man umso deutlicher konstatieren kann: Hier wird die Figur selbst zum Star. Auch verschiedene Artikel bringen das zum Ausdruck: Sie charakterisieren Bessons Jeanne als Popstar oder sprechen – im Zusammenhang mit der neuen Verfilmung, aber mit Blick auf die gesamte Filmgeschichte – von Jeanne ganz allgemein als einem Star des Kinos.624 In diesem Sinne ist auch zuvor schon hie und da von Jeanne d’Arc als vedette die Rede gewesen.625 Aber in der Presse kann sich diese Interpretation in dem Moment richtig durchsetzen, da die KritikerInnen mit Milla Jovovich in der Rolle der Heldin konfrontiert sind. Eine Darstellerin, die natürlich auch für sich, unabhängig von der Rolle, Star-Status genießt. Damit öffnet sich die zweite Ebene im Zusammenspiel zwischen den Jeanne-Verfilmungen und dem Star-Referential: Nicht nur auf direktem Wege ist die Filmheldin mit dem Starkult verbunden, sondern eben auch über die Schauspielerinnen, die sie verkörpern. Statt der Filme selbst liefert hier die Berichterstattung die entscheidenden Hinweise. Sie zeigt etwa, dass auch jene Filme, die für sich genommen mit Starkult wenig zu tun zu haben scheinen – die strengen Werke von Dreyer und Bresson –, dennoch mit den einschlägigen Praktiken und Kategorien in Verbindung stehen. Wenn JournalistInnen über Passion und Procès schreiben, interessieren sie sich durchaus für die Person der jeweiligen Hauptdarstellerin. Manche Filmwissenschaftler mögen Renée Falconetti später für eine unbekannte Laienschauspielerin halten.626 Doch die zeitgenössischen Filmzeitschriften verweisen durchaus auf Falconettis Erfolge als Schauspielerin an Pariser Bühnen oder stufen sie explizit als „Star“

624 Cf. SZ, 12.01.2000; Berliner Morgenpost, 13.01.2000; epd Film, 01/2000; Libération, 27.10.1999a; Le Monde, 27.10.1999b; Le Nouvel Observateur, 21.10.1999; Positif, 12/1999. 625 Cf. Cinémonde, 18.07.1935; Le Monde, 10.02.1994a. 626 Cf. Michel Estève: Une Tragédie au présent de narration. In: La Revue des Lettres Modernes 9.71-73 (1962), 108-119, hier: 117; Vincent Pinel: Joan of Arc de Victor Fleming, ou l’hagiographie spectaculaire. In: Ibid., 58-64, hier: 62.

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ein.627 Und ähnlich verhält es sich bei Bressons Hauptdarstellerin. Zwar betont Bresson, wie wichtig es ihm sei, mit unbekannten Schauspielern zu arbeiten, und er verscheucht Journalisten mit erhobener Faust vom Set.628 Aber das nährt auch die Neugier: Ein Reporter nimmt Florence Delay bei den Dreharbeiten besonders genau unter die Lupe. Und einige biographische Daten geraten nicht nur in die französische, sondern auch in die deutsche Presse.629 Beide Filme, Passion wie Procès, werden überdies von Publicity begleitet: Galavorstellungen finden ihren Niederschlag in boulevardnahen Blättern; Zeitungen und Zeitschriften drucken großformatige Fotos der Hauptdarstellerinnen. Hier können die Leser die Beschreibungen überprüfen, die in der Berichterstattung zu finden sind und die nicht nur auf die professionelle Performance von Falconetti und Delay zielen, sondern auch auf ihre außerfilmische Erscheinung.630 Ein Autor der Frankfurter Zeitung kontrastiert ausdrücklich das private und das öffentliche Gesicht der Falconetti: „Das Programmheft zeigt ein Privatbild der Darstellerin der Johanna, Fräulein Falconetti, ein hübsches Gesicht, in dem jedoch nur zwei tiefe Augen auffallen. Gleichgültig ist ein üblich geschminkter Mund. Im Film dagegen ist dieser Mund ungeschminkt […]. Er liegt breit im Gesicht, sinnlich, aber erschreckend.“631

Was sich im Fall von Falconetti und Delay andeutet, wird bei Simone Genevois und Jean Seberg noch deutlicher: Auch wenn eine Jeanne-Darstellerin nicht von vorneherein ein veritabler Filmstar ist, kann sie dennoch beachtliche Medienpräsenz erlangen. Oder sogar: gerade deswegen. Sowohl die Macher von La Merveilleuse Vie als auch Otto Preminger veranstalten Wettbewerbe, um ihre Jeanne aus einer Menge von 300 bzw. 18 000 Kandidatinnen herauszufischen.632 Und damit ist sichergestellt, dass die JournalistInnen über die Gewinnerinnen immer eine kleine Geschichte zu erzählen haben: die Geschichte von einem wundersamen Aufstieg, die notfalls auch in einem Halbsatz unterzubringen ist.633 627 Cf. Ciné-Miroir, 25.11.1927, 01.01.1928c; Film-Kurier, 23.11.1928; Cinémonde, 20.12.1928, 03.11.1929. 628 Cf. Télérama, 06.05.1962; Schrader: Transcendental Style in Film, 93. 629 Cf. Télérama, 06.05.1962; FR, 29.05.1962. 630 Cf. Ciné-Miroir, 25.11.1927, 01.01.1928c; Film-Kurier, 23.11.1928; L’Intransigeant, 27.10.1928; Le Monde, 20.05.1962; Libération, 23./24.03.1963; FR, 29.05.1962; Le Figaro, 19.03.1963; La Croix, 28.03.1963. 631 Frankfurter Zeitung, 12.12.1928. 632 Cf. Ciné-Miroir, 01.01.1928b; Willi Frischaur: Behind the Scenes of Otto Preminger. An Unauthorised Biography. London 1973, 145f. 633 Cf. Ciné-Miroir, 01.01.1928b; FAZ, 30.09.1957; Berliner Morgenpost, 11.10.1957; Libération, 24.05.1957; Le Monde, 30.01.1957; New York Times, 17.02.1957, 07.04.1957, 27.06.1957.

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Ansonsten finden sich in Bezug auf Genevois, Seberg und auch die übrigen Jeanne-Darstellerinnen dieselben Indizien für eine Existenz außerhalb der Rolle, die schon bei Falconetti und Delay zu registrieren waren. Die JournalistInnen notieren wenigsten en passant die eine oder andere biographische Information, und die Texte kommentieren das Aussehen aller Schauspielerinnen nicht allein in einer Art, die der Bewertung der Rollengestaltung dient – nein, es geht jeweils auch um die Person selbst.634 In der Regel bieten prominent platzierte Fotos – mal als Anzeige, mal als Illustration zu einem Artikel – die Schauspielerinnen der bewundernden Betrachtung dar.635 Und immer wird die Produktion und Distribution von Ereignissen begleitet, die den Schauspielerinnen Auftritte außerhalb ihrer Rolle verschaffen.636 Wenn Geraldine Farrar, ohnehin eine gefeierte Operndiva, zu Beginn der Dreharbeiten an Joan the Woman von halb Hollywood am Bahnhof empfangen wird oder Jean Seberg zusammen mit ihrem Regisseur eine Reise zu wichtigen Stätten aus Jeannes Leben unternimmt, stößt das zweifellos auch jene Mundpropaganda an, die einem Objekt im Möglichkeitsfeld des Starkults den letzten Schliff verleiht.637 Die wachsende Bedeutung des Starkults für die Filmheldin Von Beginn an, mindestens seit der ersten abendfüllenden Filmversion, steht die Filmheldin mit zentralen Praktiken und Kategorien des Starkults in Kontakt. Trotzdem hat dieser Kontakt im Laufe des 20. Jahrhunderts nicht zu allen 634 Cf. Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 29.10.1922; Lichtbildbühne, 03.11.1922; L’Intransigeant, 12.05.1928; Cinémonde, 18.04.1929b; Frankfurter Zeitung, 28.04.1935; New York Times, 12.11.1948; FAZ, 30.09.1957; Filmdienst, 25.10.1957; Berliner Morgenpost, 11.10.1957; Libération, 24.05.1957; Le Monde, 30.01.1957, 27.05.1957; France-Soir, 25.05.1957, 09.02.1994; New York Times, 07.04.1957; Variety, 08.05.1957, 21.02.1994, 01.11.1999; L’Humanité, 09.02.1994b.; Télérama, 09.02.1994a; SZ, 12.01.2000; FAZ, 13.11.1999, 14.01.2000; epd Film, 01/2000; Le Nouvel Observateur, 21.10.1999. 635 Cf. etwa Lichtbildbühne, 20.05.1922; Le Petit Parisien, 19.04.1929; Ciné-Miroir, 01.01.1928b, 01.01.1928c; Cinémonde, 24.10.1949b, 30.05.1957; FR, 23.09.1950, 02.09.1994; France-Soir, 12.05.1957, 14.05.1957; New York Times, 07.04.1957; Le Monde, 10.02.1994a, 27.10.1999a; taz, 01.09.1994b, 13.01.2000; FAZ, 14.02.1994; Film-Dienst, 30.08.1994a; Cahiers du cinéma, 07/1957; 02/1993, 02/1994b, 02/1994c; Positif, 02/1994; SZ, 12.01.2000; Berliner Morgenpost, 15.11.1999, 13.01.2000; Variety, 01.11.1999. 636 Cf. Le Petit Parisien, 20.04.1929; Frankfurter Zeitung, 28.04.1935; Kölnische Volkszeitung, 28.04.1935; Film-Kurier, 27.04.1935; France-Soir, 15.10.1949a, 12.05.1957, 14.05.1957; New York Times, 21.12.1947; Le Figaro, 11./12.05.1957 oder auch die Fernsehauftritte von Sandrine Bonnaire und Milla Jovovich bei Bouillon de culture, F2, 28.01.1994 bzw. Exclusif ce soir, TF1,19.10.1999. 637 Cf. Frischaur: Behind the Scenes, 148; Charles Higham: Cecil B. DeMille. New York 1973, 53; Samuel Goldwyn: Behind the Screen. New York 1923, 86.

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Zeiten dieselbe Intensität. Zum einen gibt es da jene Jeanne-Darstellerinnen, die schon vorneherein Star-Status auf der internationalen Bühne genießen: vor allem Geraldine Farrar und Ingrid Bergman. Die öffentlich verfügbaren Bedeutungen, aus denen sich eine Star-Existenz generiert, kursieren in ihrem Fall in solcher Menge, dass die anderen Schauspielerinnen den Vorsprung nicht so schnell aufholen können.638 Zum anderen zeichnet sich neben diesen punktuellen Ausschlägen eine allgemeine Tendenz ab: Je älter das 20. Jahrhundert wird, desto mehr intensiviert sich die Einbindung der Jeanne-Darstellerinnen in den Starkult. Das lässt sich etwa daran ablesen, wie explizit die Berichterstattung das Thema anspricht. Falconetti taucht noch recht diskret in einer Übersicht über étoiles des Jahres 1928 auf.639 In den Kritiken zu Flemings Joan of Arc hingegen wird die „Starfrage“ zu einem wiederkehrenden Thema.640 Später gehen auch die schauspielernden Studentinnen Seberg und Delay als vedette durch, genau wie die Art-Film-Darstellerin Sandrine Bonnaire. Und bei Milla Jovovich besteht kein Zweifel: Sie ist ein Star, „ein Idol der Popkultur“.641 Und sie spielt einen Star: Zum Start von Bessons Jeanne d’Arc wird schließlich, wie erwähnt, auch die Filmheldin selbst systematisch als Star eingeordnet. Noch in einem anderen Punkt wird das Bild immer eindeutiger: Ab der Mitte des Jahrhunderts interessieren sich die JournalistInnen immer nachdrücklicher für die Befindlichkeiten und Überzeugungen der Schauspielerinnen. Reporter erkundigen sich bei Jean Seberg, wie sie sich mit ihrer Rolle fühlt: Wie zum Beispiel hält Jean es mit der Religion, die Jeanne so wichtig war?642 Ein Autor des Nouvel Observateur will Milla Jovovich private Geständnisse entlocken.643 Und insbesondere Sandrine Bonnaire wird ausführlich befragt und zitiert.644 Dabei verhandelt sie ganz explizit das Verhältnis zwischen 638 Cf. Higham: Cecil B. DeMille, 51f.; Higashi: Cecil B. DeMille, 21f., 135-137; Garncarz: Die Schauspielerin wird Star, 375-383; Goldwyn: Behind the Screen, 81-96; Blaetz: Cecil B. DeMille’s Joan the Woman, 111; Bernstein: Hollywood Martyrdoms, 90-93; James Damico: Ingrid from Lorraine to Stromboli. Analyzing the Public’s Perception of a Film Star. In: Jeremy G. Butler (ed.): Star Texts. Image and Performance in Film and Television. Detroit 1991, 240-253. 639 Cf. Cinémonde, 03.11.1929a. 640 Cf. FAZ, 19.10.1950, Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950; L’Humanité, 05.11.1949; Cinémonde, 24.10.1949a; Variety, 20.10.1948. 641 FAZ, 13.11.1999; cf. Le Figaro, 11./12.05.1957; France-Soir, 12.05.1957; New York Times, 07.04.1957; Télérama, 06.05.1962; Die Zeit, 02.09.1994; Le Monde, 27.10.1999a; Le Nouvel Observateur, 21.10.1999. 642 Cf. Le Monde, 30.01.1957; New York Times, 07.04.1957. 643 Cf. Le Nouvel Observateur, 21.10.1999. 644 Cf. taz, 01.09.1994a; Libération, 09.02.1994b; Le Monde, 10.02.1994b; La Croix, 09.02.1994c; Le Nouvel Observateur, 10.02.1994b; Télérama, 09.02.1994a; Cahiers du cinéma, 02/1994c.

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öffentlich und privat, zwischen Fiktion und Leben. Während der Dreharbeiten könne sie nicht ständig in ihrer Rolle verharren, betont sie: „A la fin d’une journée de travail, j’ai besoin de rire, de dormir beaucoup, de retrouver ma vie.“645 Und kurz zuvor schildert sie, wie sie mit der Maske auch ihre fiktionalen Identitäten ablegt. Ganz wie Jeanne, die ihre Funktion als Soldat mit ihren Männerkleidern verknüpft. Darin liegt ja gerade die Stärke von Stars wie ihnen: dass es ihnen gelingt, die Anforderungen, die eine ausdifferenzierte Gesellschaft an das Individuum stellt, einerseits sichtbar zu machen und andererseits doch intakt zu bleiben. Vor allem ab der Mitte des 20. Jahrhunderts intensivieren sich die Verbindungen zwischen der Filmheldin Jeanne und dem Möglichkeitsfeld des Starkults also. Was sich, nebenbei bemerkt, auch daran ablesen lässt, dass ab den 1940er Jahren über erstaunlich viele Stars das Gerücht kursiert, auch sie könnten die Heldin einmal auf der Leinwand verkörpern. Die Liste der verhinderten Jeannes reicht von Greta Garbo und Jennifer Jones über Madonna und Sinéad O’Connor bis zu Clare Danes und Winona Ryder.646 Aus einiger Distanz betrachtet, stehen der Starkult einerseits und die Verehrung für NationalheldInnen andererseits in einem komplementären Verhältnis: Während jenes Referential sich abschwächt, gewinnt dieses an Bedeutung. Sie schließen einander keineswegs aus, sondern wirken so zusammen, dass die Geschichte einer Heldin wie Jeanne trotz aller Umwälzungen der Neueren Geschichte sagbar bleibt. ii. Mögliche Objekte und Narrationen Die Filmheldin als Variation des performenden Stars Der Starkult zeichnet sich im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nicht zuletzt dadurch aus, dass er wie kaum ein anderer sozialer Zusammenhang Frauen den Aufstieg in eine herausragende Position ermöglicht. Generell haben Frauen in dieser Zeit kaum die Chance, sich durch eigene Leistungen auszuzeichnen. Doch als Bühnenstars werden sie gefeiert, und gerade in seinen frühen Jahren bietet das filmische Starsystem Frauen außergewöhnlich gute Chancen, gemessen an ihrer Präsenz und ihrem Einkommen

645 Télérama, 09.02.1994a. 646 Cf. Variety, 12.02.1947; Télérama, 14.10.1992; Harty: Jeanne au cinéma, 263, Fn. 31; Ethan Mordden: Movie Star. A Look at the Women Who Made Hollywood. New York 1983, 83; Thierry Gandillot / Sophie Grassin: «Une fille ordinaire plongée dans l’extraordinaire». C’est ainsi que Luc Besson voulait voir son héroïne. Entretien avec un réalisateur en quête de divin. In: L’Express, 28.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris).

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mit männlichen Kollegen gleichzuziehen. Nicht umsonst drängen zahllose junge Frauen nach Hollywood, um dort ihr Glück zu versuchen.647 Mit dem Ruhm können die Stars Macht erlangen. Sarah Bernhardt ist Direktorin und Produzentin in ihrem eigenen Pariser Theater, und im Filmgeschäft haben einige Schauspielerinnen schon bald ihre eigenen Unternehmen. Ein Star wie Mary Pickford kann – schon bevor sie zu einer der Gründerinnen von United Artists wird – nicht nur beachtliche Gagen aushandeln, sondern auch bei der Auswahl der Stoffe, beim Schnitt, bei der Besetzung und beim Marketing ein gewichtiges Wort mitreden. In späteren Zeiten macht Mae West unter anderem dadurch von sich reden, dass sie ihre Dialoge im Zweifel selbst schreibt.648 In der Ära des klassischen Hollywoodfilms sind Stars zwar weitreichender Kontrolle unterworfen, aber gleichzeitig okkupieren sie eine Schlüsselposition im ökonomischen Machtgefüge: Ohne sie ist das große Geld unmöglich zu erwirtschaften. Mit dem Ende des Studiosystems wächst der Einfluss zumindest jener Stars, die den Umbruch überstehen, noch einmal an: Gegenüber den geschwächten Produzenten können sie ihren Status umso besser zum Tragen bringen.649 Allerdings können weibliche Filmstars von dieser neuen Situation in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weniger profitieren als ihre männlichen Kollegen. Schon zuvor hat sich ihre relative Bedeutung im Filmgeschäft verringert: Spätestens ab dem Ende der 1930er nimmt ihre Präsenz ab. Und besonders von den späten 1960ern bis hinein in die 1970er oder sogar 1980er Jahre machen einige Filmwissenschaftlerinnen einen auffälligen Mangel an Rollen für weibliche Stars aus. Haskell deutet ihn als eine Gegenreaktion angesichts der Fortschritte der Frauenbewegung.650 In den 1980ern, einem Jahrzehnt, das im Zeichen des maskulin geprägten Actionfilms steht, könne sich überhaupt 647 Cf. Blochmann: Der Tod der Messalina, 247-250; Müller: Sarah Bernhardt, 283; Anne E. Lincoln / Michael Patrick Allen: Double Jeopardy in Hollywood. Age and Gender in the Career of Film Actors, 1926-1999. In: Sociological Forum 19 (2004), 611-631, hier: 612; Marjorie Rosen: Popcorn Venus. Women, Movies and the American Dream. New York 1973, 96f. 648 Cf. Müller: Sarah Bernhardt, 282; McDonald: The Star System, 34-38; Haskell: From Reverence to Rape, 74; Mordden: Movie Star, 12f., 50-52, 117, 121; Gertrud Koch: Das Starprinzip am Beispiel des Vamp. Die Schöne der Neunziger Jahre (Belle of the Nineties, 1934). In: Werner Faulstich / Helmut Korte (eds.): Fischer Filmgeschichte. Bd. 2: Der Film als gesellschaftliche Kraft, 1925-1944. Frankfurt a.M.1991, 191-204, hier: 191f.; Jean Mitry: Histoire du cinéma. Art et Industrie. Bd. II: 1915-1925. Paris 1969, 95. 649 Cf. McDonald: The Star System, 10-12, 72-76; Schatz: The New Hollywood, 31. 650 Cf. Haskell: From Reverence to Rape, VII, 11f., 323-326; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 69f.; Lincoln / Allen: Double Jeopardy in Hollywood, 615; Ruth Rustemeyer: Geschlechtsspezifische Rollen bei Medienstars. In: Werner Faulstich / Helmut Korte (eds.) : Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung. München 1997, 99-113, hier: 106; Ann Britton: A Role of One’s Own. In: Filmnews 16.7 (Dezember 1986), 14.

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nur eine Frau – nämlich Meryl Streep – dauerhaft als Star behaupten, resümiert Susanne Weingarten.651 Und trotz der Erweiterungen des Figurenspektrums, von denen noch zu reden sein wird, trotz eines gewissen Machtgewinns prominenter Schauspielerinnen bleibt am Ende des Jahrhunderts die Asymmetrie bestehen: Männliche Stars sind bei der Verteilung von Rollen und Gagen weiterhin privilegiert.652 Im Vergleich zu den männlichen Stars ist die Position der weiblichen also prekär. Aber es gibt sie, im Kontext des Starkults ist immer auch von Heldinnen die Rede. Und von ihren Geschichten. Das heißt: Geschichten von einem ruhmreichen Aufstieg, der allein auf dem beeindruckenden Auftreten des Stars beruht. Der Filmstar muss spielen – und nicht etwa politische, militärische oder wissenschaftliche Großtaten vollbringen –, um zur Heldin aufzusteigen. Gerade darin besteht, wie Josef Früchtl konstatiert, seit der Moderne das Kerngeschäft des Helden: „Er ist ein Darsteller, einer, der Heldentum zur Schau stellt.“653 Der Star muss andere Menschen faszinieren. Er tritt auf, und die anderen sind begeistert – das ist der narrative Kern seiner Geschichte. Erweitert wird dieser Grundbaustein oft durch Berichte über die Herkunft des Stars. Gerne erzählen die Medien des Starkults von schwierigen Verhältnissen, aus denen sich der Star befreit hat. Sie verfolgen die Karriere, die vom Streben nach immer mehr Aufmerksamkeit bestimmt ist, sie registrieren die Erfolge, aber gerne auch die Missgeschicke. Das eindrucksvollste Ende für die Geschichte eines Stars ist ohnehin die Katastrophe: Nichts kann seinen Ruhm derart mehren wie ein überraschender Tod, der den Aufstieg jäh beendet.654 Eben so wie bei der Filmheldin Jeanne. Sie verlässt die enge dörfliche Welt ihrer Heimat und vollzieht einen ruhmreichen Aufstieg, der in einen frühen Tod mündet. Nicht alle Filme führen den Aufstieg explizit vor – bei Hatot, 651 Weingarten: Bodies of Evidence, 144; cf. Lowry / Korte: Der Filmstar, 251. 652 Cf. McDonald: The Star System, 105f.; idem: Reconceptualising Stardom, 199; Kuhn: Women’s Pictures, 222; Lowry / Korte: Der Filmstar, 249f., 253; Peitz: Marylins starke Schwestern, 16-24, 88-96; Rustemeyer: Geschlechtsspezifische Rollen bei Medienstars, 110; Lincoln / Allen: Double Jeopardy in Hollywood, 612, 615; Hoffmann: Sinnliche und leibhaftige Begegnungen, 21; Karen Hollinger: From Female Friends to Literary Ladies. The Contemporary Woman’s Film. In: Steve Neale (ed.): Genre and Contemporary Hollywood. London 2002, 77-90, hier: 83f. 653 Früchtl: Das unverschämte Ich, 302. 654 Cf. Johannes von Moltke: «…your legend never will». Posthume Starimages. In: montage/av 6.2 (1997), 3-9, hier: 4; Hans Ulrich Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit. Frankfurt a.M. 2001, 224-227; Mary P. Ryan: The Projection of a New Womanhood. The Movie Moderns in the 1920’s. In: Jean E. Friedman / William G. Shade (eds.): Our American Sisters. Women in American Life and Thought. Boston et al. 21976, 366-384, hier: 375.

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Dreyer und Bresson bildet er die implizite Vorgeschichte –, aber den Tod zeigen sie alle. Einen Tod, der sich immer vor Publikum ereignet. Schon bei Hatot wohnen dem grausamen Schauspiel neben einigen Soldaten, zwei Klerikern und dem Henker auch zwei wohlhabende Paare bei. In den späteren Filmen werden die ZuschauerInnen immer zahlreicher. Massen drängen heran oder stehen still Spalier. In jedem Fall enthält schon diese eine Etappe aus Jeannes Leben das Kernelement der Starnarration: den öffentlichkeitswirksamen Auftritt. Auch andere Ereignisse nehmen im Film diese Form an. Jeanne ist den kritischen Blicken sowohl der Gelehrten ausgesetzt, die der Dauphin als Gutachter in Poitiers versammelt, als auch der Richter in Rouen. DeMille und Dreyer heben Jeannes Rolle als Objekt eingehender Beobachtung noch hervor, indem sie die Kamera die lange Reihe der prüfenden Gesichter entlangfahren lassen. Ähnlich kann die erste Begegnung mit Baudricourt und seinen Männern, mit dem Dauphin und seinen Höflingen, mit den Hauptleuten oder den Soldaten der französischen Armee inszeniert sein: Mal plötzlich, mal nach und nach richten sich zahllose Augenpaare auf Jeanne. In allen Filmen – mit Ausnahme von Hatots kurzer Szene und Capellanis fragmentarischer Version – kommt jener Moment, in dem Jeanne ein mehr oder weniger großes Publikum unbedingt überzeugen muss, sei es mit ihrer Eloquenz, ihrer Geschicklichkeit oder ihrer bloßen Gestalt. Mit energischen Gesten bekehrt sie die Höflinge in der Fassung von Méliès. Wenn sie sich in Fahrt redet, dann versammeln sich die Soldaten ehrfürchtig in ihrer Nähe – so bei Fleming – oder brechen – bei Preminger – in spontane Beifallsbekundungen aus. „You may be talking a lot“, meint Premingers Baudricourt, „but when the troops swallow it, even the dauphin might swallow it.“ Niemand könne sich Jeannes Eloquenz entziehen, findet Cathérine Royer, ihre Gastgeberin in Vaucouleurs, wie Rivettes Film sie zeigt. „Personne ne parle comme elle“, erklärt sie. „C’est de l’or qui coule de sa bouche. Tout le monde voudra l’écouter.“ Am Hof ist es ein entscheidendes Argument, dass Jeanne das einfache Volk für sich einnimmt.655 Der König und seine Berater lassen sich nicht zuletzt wegen der öffentlichen Wirkung der Heldin auf sie ein – aber zum Teil sind sie auch selbst affiziert. Manchmal schmilzt ihr Widerstand schon dahin, wenn sie Jeanne bloß anschauen: „I’m trying not to trust her“, bekennt Flemings Dauphin. „But every time I look into her eyes, I believe what she says is true.“ Gestandene Haudegen sind durchaus beeindruckt, wenn Jeanne bei Rivette und Besson ihre Reitkünste demonstriert. Und wenn sie im Ernstfall den 655 Cf. de Gastyne; Ucicky; Preminger; Besson.

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Truppen voraneilt, folgen sie ihr willig in den Kampf.656 Nachdem ihr Auftritt schon die Anführer überzeugt hat, kann sie die einfachen Soldaten erst recht begeistern. „Comme elle a séduit les chefs, Jeanne va séduire l’armée“, heißt es in einem Zwischentitel bei de Gastyne. Aktive Frauenfiguren im Laufe der Filmgeschichte Jeannes innerfilmische Geschichte weist durchaus Parallelen zu typischen Grundelementen einer außerfilmischen Stargeschichte auf. Doch wenn es darum geht, sie im Spektrum der Objekte des Starkults zu verorten, darf natürlich auch ein anderes Kriterium nicht vernachlässigt werden: Wie verhält sich die Heldin zur innerfilmischen Existenz der Stars, also zu typischen Rollen und narrativen Mustern des Kinos? Eine naheliegende, aber angesichts der unübersehbaren Vielfalt filmischer Erzählungen nicht ganz einfach zu beantwortende Frage. Denn einerseits droht eine gewisse Belanglosigkeit, wenn man diese Vielfalt auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner der Kinonarration reduziert. Andererseits ist eine Differenzierung nach filmhistorischen Momenten und einzelnen Genres an dieser Stelle kaum zu leisten. Deswegen sei der Blick jetzt nur darauf gerichtet, wie die Mechanismen und Regeln des Mainstream-Kinos in der Geschichte des Mediums einige typische Figuren hervorgebracht haben, zwischen denen die Heldin Jeanne sich einreihen kann. Grundsätzlich ist zu konstatieren: Die Präsenz weiblicher und oft einflussreicher Stars muss nicht implizieren, dass die fiktiven Welten des Films mit ebenso durchsetzungsfähigen Frauenfiguren bevölkert sind. Im Gegenteil: Schon früh in der Geschichte des Kinos lässt sich eine grundsätzliche Arbeitsteilung ausmachen. Genres wie Western, Kriminal- oder Gangsterfilm werden von Männern bestimmt, sie kreisen nicht zuletzt um die Konstruktion tatkräftiger Männlichkeit.657 Zentrale Frauenfiguren hingegen sind vor allem im Melodram anzutreffen. Jene Geschichten also, in denen der Held hinaus muss in die Welt und aus eigener Kraft seine Feinde bezwingt, handeln vor allem von Männern. Weibliche Protagonisten hingegen kann man beim Leiden beobachten – in einer Handlung, die sich vor allem auf den Bereich des Privaten beschränkt und die eher von schicksalhaften Kräften und intimen Gelüsten vorangetrieben wird als vom Willen der Hauptfigur.658 656 Cf. DeMille; de Gastyne; Ucicky; Fleming; Rivette; Besson. 657 Cf. Neroni: The Violent Woman, 42; Barry Keith Grant: Strange Days. Gender and Ideology in New Genre Films. In: Murray Pomerance (ed.): Ladies and Gentlemen, Boys and Girls. Gender in Film at the End of the Century. Albany 2001, 185-199, hier: 188. 658 Cf. Thomas Elsaesser: Tales of Sound and Fury. Observations on the Family Melodrama. In: Christine Gledhill (ed.): Home Is Where the Heart Is. Studies in Melodrama and the Women’s Film. London 1987, 43-69, hier: 44, 55, 62; Christine Gledhill: The Melodramatic

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Gleichzeitig allerdings wird dieses Grundschema immer wieder in Frage gestellt. Die großen Krisenmomente des 20. Jahrhunderts etwa können das dominante Raster durcheinander bringen. Als in den USA während der Great Depression die Frauen mitverdienen müssen, tauchen im Film vermehrt berufstätige Frauen auf – Figuren also, die die häusliche Sphäre verlassen. Und während des Zweiten Weltkriegs, als Frauen die eingezogenen Männer ersetzen müssen, übernehmen sie auch männlich konnotierte Aufgaben. Das gilt selbst für das deutsche Kino, obwohl der Imperativ von Kinder, Küche, Kirche zunächst, in den frühen Jahren der NS-Herrschaft, auch im Film Spuren hinterlässt.659 Nach dem Krieg wirken die Erschütterungen der Geschlechterordnung fort. Anhand verschiedener Frauenfiguren, die von der mütterlichen Beschützerin über die Kameradin bis hin zur überlegenen femme fatale reichen, verhandelt der film noir die schwierige Wiedereingliederung der Männer in den Alltag.660 Auch wenn in glücklicheren Zeiten Gender-Rollen in Bewegung geraten, kann man Entsprechendes auf der Leinwand beobachten. Die Aufbruchsstimmung der 1920er Jahre ist im Kino anhand des Flappers nachzuvollziehen. Er ist zwar auf nichts anderes aus als einen Gatten. Aber immerhin jagen die Flapper-Frauen ihre Beute an allen nur denkbaren Orten und beweisen dabei Selbstvertrauen und Einfallsreichtum. Die Emanzipationsschritte der 1960er und 1970er Jahre manifestieren sich im Kino auf widersprüchliche Weise. Einerseits scheint der Film, wie erwähnt, zeitweise mit der Verbannung Field. An Investigation. In: Ibid., 5-38, hier: 10, 31; Geoffrey Nowell-Smith: Minelli and Melodrama. In: Ibid., 70-74, hier: 72; Steve Neale: Melodrama and Tears. In: Screen 27.6 (November-Dezember 1986), 6-22, hier: 6f, 12; Nadya Aisenberg: Ordinary Heroines. Transforming the Male Myth. New York 1994, 51, 55. 659 Cf. Bechdolf: Rosige Zeiten?, 16; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 70f.; Beyer: Die UFA-Stars im Dritten Reich, 54-57; Haskell: From Reverence to Rape, 91f., 137-139; Rosen: Popcorn Venus, 134-140, 189-196; Mordden: Movie Star, 165-168; Karen Ellwanger: Frau nach Maß. Der Frauentyp der vierziger Jahre im Zeichensystem des Filmkostüms. In: Klaus Behnken (ed.): Inszenierung der Macht. Ästhetische Faszination im Faschismus. Berlin 1987, 119-128, hier: 121-123; Boguslaw Drewniak: Der Deutsche Film 1938-1945. Ein Gesamtüberblick. Düsseldorf 1987, 261-266; Irina Scheidgen: Frauenbilder im Spielfilm, Kulturfilm und in der Wochenschau des »Dritten Reiches«. In: Elke Frietsch / Christina Herkommer (eds.): Nationalsozialismus und Geschlecht. Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, »Rasse« und Sexualität im »Dritten Reich« und nach 1945. Bielefeld 2009, 259-281, hier: 266-268. 660 Cf. Tasker: Working Girls,120; Neroni: The Violent Woman, 21-26; Elisabeth Bronfen: «You’ve got a great big dollar sign where most women have a heart». Refigurationen der Femme fatale im Film Noir der 80er und 90er-Jahre. In: Claudia Liebrand / Ines Steiner (eds.): Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film. Marburg 2004, 90-135, hier: 92-94.

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zentraler Frauenfiguren aus dem Mainstream-Film reagiert zu haben. Andererseits sind die Actionheldinnen und anderen starken Frauenfiguren der späten 1980er und der 1990er ohne die Frauenbewegung schwer vorstellbar.661 Hilary Neroni geht davon aus, dass diese sich zuerst auf marginale Filmgenres ausgewirkt hat, auf die Horror- und Blaxploitation-Streifen der 1970er Jahre. Dort gibt es ebenso wie in zeitgenössischen Martial-Arts-Filmen, Science-Fiction-B-Movies oder auch Comics sehr resolute Kämpferinnen, die zum Teil selbst vor extremer Gewalt nicht zurückschrecken. Sie bereiten die Bahn für jene Figuren, die in den folgenden Jahrzehnten, während sich in der realen Welt die stärkere Präsenz von Frauen in der Arbeitswelt deutlich bemerkbar macht, die ebenso massenkompatiblen wie öffentlichkeitswirksamen Großproduktionen erobern: vielzitierte Heldinnen wie Thelma und Louise, Sergeant Ripley aus den Alien-Filmen oder die militante Mutter Sarah Connor aus Terminator 2.662 Ihr androgynes Aussehen und Auftreten lässt sich unter anderem damit in Verbindung setzen, dass in den Medien generell das Interesse an grenzüberschreitenden Konstellationen von Gender-Attributen wächst. Die Konfrontation mit AIDS hat dazu beigetragen, Homosexualität auf die Agenda einer breiteren Öffentlichkeit zu bringen und auf diese Weise herkömmliche Geschlechterrollen in Frage zu stellen.663 Gleichzeitig schließen die neuen Heldinnen in ihrer Militanz eben an Traditionen in eher randständigen Unterhaltungsgenres an. Dass man sich dort, abseits von Hollywoods prestigereichem Kerngeschäft dem bürgerlich geprägten Gender-Kanon des Kinos leichter einmal entziehen kann, zeigen schon die frühen Jahre des Mediums: Die Serials der 1910er oder frühen 1920er Jahre erzählen routinemäßig von abenteuerlustigen Frauen, die mit Waffengewalt und Verfolgungsjagden ihre

661 Cf. Ryan: The Projection of a New Womanhood, 369, 374, 376; Rosen: Popcorn Venus, 7578; Bronfen: «You’ve got a great big dollar sign…», 95; Tasker: Spectacular Bodies, 15; Stéphanie Genz: Postfemininities in Popular Culture. Basingstoke, New York 2009, 152. 662 Cf. Neroni: The Violent Woman, 19, 27-35; Tasker: Spectacular Bodies, 3, 15, 21-23; Haskell: From Reverence to Rape, 329; Claude Aziza: Ça ne mange pas de pain… In: Vertigo 14 (1. Halbjahr 1996), 75-77; Marc O’Day: Beauty in Motion. Gender, Spectacle and Action Babe Cinema. In: Yvonne Tasker (ed.): Action and Adventure Cinema. London, New York 2004, 201-218, hier: 201f.; Susanne Rieser: Geschlecht als Special Effect. In: Johanna Dorer / Brigitte Geiger (eds.): Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Wiesbaden 2002, 320-334, hier: 321f. 663 Cf. Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, ix.

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Widersacher zur Strecke bringen. Dabei tragen sie oft männliche Kleidung – in Hosen springt es sich leichter auf einen fahrenden Zug.664 Die ureigenen Regeln der Mainstream-Unterhaltung können dazu beitragen, eine aktive Heldin in das Zentrum der Handlung zu katapultieren. Denn populäre Fiktionen müssen ihre grundlegenden Schemata immer wieder variieren, um für das Publikum interessant zu bleiben. Ein abgenutztes Genre kann nicht zuletzt dadurch neuen Reiz gewinnen, dass eine zentrale Figur das Geschlecht wechselt. So kann es kommen, dass selbst in eindeutig von Männern dominierten Genres Frauen die entscheidenden Rollen einnehmen. Die Geschichte des Western kennt durchaus die Revolverheldin, die in einer Bande das Sagen hat, oder auch die reine Frauengang. Und im Falle von Lara Croft ist überliefert, dass sie ihr Geschlecht deshalb bekommt, weil sie nicht allzu sehr als bloße Kopie von Indiana Jones wirken soll. Die Konvention allein würde nicht funktionieren, und auf diese Weise betritt eine der unüberwindlichsten Heldinnen des ausgehenden 20. Jahrhunderts die Monitore, Titelseiten und Leinwände.665 Verschiedene Tendenzen tragen somit dazu bei, dass ab dem Ende der 1980er die Konjunktur für aktive Filmfiguren besonders günstig ist. Sie sind Polizistinnen oder Soldatinnen, sie kämpfen im Auftrag der Allgemeinheit oder auch für die eigene Sache. Sie tragen zum Teil auch die Uniformen, Muskeln, Waffen und die kurzrasierten Haare, die sonst den männlichen Figuren vorbehalten waren.666 Manchmal entkommen sie sogar der Alternative von Partnerschaft oder Tod. Typischerweise läuft die Geschichte einer Mainstream-Heldin in der gesamten Filmgeschichte auf eines dieser Ereignisse zu: Mehr oder weniger unabhängig vom Genre endet sie als Geliebte, Ehefrau

664 Cf. Abel: French Cinema, 73; idem: Survivre à un «nouvel ordre mondial», 161; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 69; Mitry: Histoire du cinéma. Bd. II, 16f.; Neroni: The Violent Woman, 16-18. 665 Cf. Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 80f.; Tasker: Working Girls, 58; Laurent Aknin: Fille de... In: Vertigo 14 (1. Halbjahr 1996), 119-121; Astrid Deuber-Mankowski: Lara Croft – Modell, Medium, Cyberheldin. Das virtuelle Geschlecht und seine metaphysischen Tücken. Frankfurt a.M. 2001, 34. 666 Cf. Tasker: Working Girls, 67-70; idem: Spectacular Bodies, 132, 139; Susanne Weingarten: „Body of Evidence“. Der Körper von Demi Moore. In: montage/av 6.2 (1997), 113-131, hier: 123-125; Sabine Gottgetreu: American Beauties. Weibliche Stars und Newcomer im Hollywood Kino der achtziger und neunziger Jahre. In: Renate Möhrmann (ed.): Die Schauspielerin. Zur Kulturgeschichte der weiblichen Bühnenkunst. Frankfurt a.M., Leipzig 2000, 394-406, hier: 403f.; Mary Beltrán: Más Macha. The New Latina Action Hero. In: Yvonne Tasker (ed.): Action and Adventure Cinema. London, New York 2004, 186-200, hier: 186189.

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oder Opfer.667 Doch für die neuen femmes fatales, Action- oder Westernheldinnen öffnen sich andere Wege: Sie können der Heirat, Bestrafung oder Domestizierung unter Umständen entkommen, sie verschwinden in Richtung eines fernen, unabhängigen Lebens und lassen das eine oder andere männliche Opfer hinter sich zurück.668 Die Nähe der Filmheldin zu den Rollen der Stars Solche Triumphe bleiben der Filmheldin Jeanne verwehrt. Doch ansonsten fügt sie sich ohne Schwierigkeiten in die Kinolandschaft der jüngst vergangenen Jahrzehnte ein. Genau wie viele Kolleginnen aus dem Action-, Fantasy- oder Thriller-Genre stutzen die Protagonistinnen in Rivettes Pucelle und Bessons Jeanne d’Arc ihr Haar und legen die Kampfausrüstung der Männer an. Gerade Bessons Heldin gibt ihre Nähe zu Konventionen populärer Narration besonders deutlich zu erkennen. JournalistInnen fühlen sich an Heldinnen aus Action- oder Fantasyfilmen erinnert, assoziieren aber gleichzeitig Bessons Bildsprache mit der von Musikvideos und seine Zuspitzungen mit denen eines Comiczeichners.669 Hier wird explizit, dass diese Jeanne mit scheinbar abgelegenen Genretraditionen in Verbindung steht. „Luc Besson ist der erste Jeanne-d’Arc-Regisseur“, merkt ein Kritiker an, „der in der Popkultur groß geworden ist, wo es bekanntlich Eigensinn in rauen Mengen gibt.“670 Und das, je weiter man sich in Richtung subkultureller Genres bewegt, eben häufig auch bei weiblichen Figuren. Anklänge älterer Konventionen sind bei Rivettes Pucelle zu entdecken. Hier und da fällt in der aktuellen Berichterstattung das Stichwort „Western“ oder auch „pré-western“ – einerseits wegen Rivettes Kadrierungen, andererseits just wegen Jeannes Kampfeswillen.671 Und 35 Jahre zuvor, bei Flemings 667 Cf. Haskell: From Reverence to Rape, 163; Kuhn: Women’s Pictures, 34; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 71, 73; Aziza: Ça ne mange pas de pain…, 76; Ryan: The Projection of a New Womanhood, 376f.; Emmanuel Levy: Social Attributes of American Movie Stars. In: Media, Culture and Society 12 (1990), 247-267, hier: 262f.; Carla Despineux / Verena Mund: Augenfällig, Augenblick! In: Idem (eds.): Girls, Gangs, Guns. Zwischen Exploitation-Kino und Underground. Marburg 2000, 13-19, hier: 15. 668 Cf. Tasker: Working Girls, 59, 125; Haskell: From Reverence to Rape, 397; Bronfen: «You’ve got a great big dollar sign…», 97, 106f.; Neroni: The Violent Woman, 85; Julianne Pidduck: La femme fatale hollywoodienne des années 90. Basic Instinct, un cas de figure. In: Vertigo 14 (1. Halbjahr 1996), 127-129. 669 Cf. taz, 13.01.2000; FAZ, 13.11.1999, Berliner Morgenpost, 13.01.2000; epd Film, 01/2000; Film-Dienst, 04.01.2000; Libération, 27.10.1999a; Le Monde, 27.10.1999a; Télérama, 03.11.1999; Cahiers du cinéma, 12/1999a und b; New York Times, 12.11.1999. 670 Die Zeit, 13.01.2000. 671 Cf. Libération, 09.02.1994a; Télérama, 09.02.1994b; Le Nouvel Observateur, 10.02.1994a.

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Joan of Arc, scheint sich der Vergleich mit dem Vokabular des Westerns für die französische Kritik geradezu aufzudrängen: Blätter unterschiedlichster Couleur erörtern die mehr oder weniger große Übereinstimmung etwa des Personals, der Landschaftsaufnahmen oder der Musik mit den Vorgaben des Westerns.672 So bestätigt die Rezeption dieser konkreten Filme die Beobachtung, dass Mittelalterfilme und Western vielfach Berührungspunkte haben.673 Und so findet sich Jeanne in ein Genre eingebettet, das nicht nur zum narrativen Kernbestand des Starkinos zählt, sondern auch neben seinen Cowboys bereits recht früh die eine oder andere Revolverheldin hervorgebracht hat. Angesichts der Leichtigkeit, mit der die JournalistInnen die Distanz zwischen der Front des Hundertjährigen Krieges und der amerikanischen frontier überwinden, darf man wohl noch andere Bezüge behaupten. Zeigt Simone Genevois – in einem Close up nach einer Schlachtsequenz – mit ihrem strubbeligen Bubikopf und dem grain de beauté nicht deutliche Ähnlichkeit zu einem zeitgenössischen Flapper? Und würde der Elan, mit dem Geraldine Farrar Befestigungsanlagen erklimmt, einer Seriendetektivin dieser Stummfilmjahre nicht ebenso gut anstehen? Zumal umgekehrt der Serienstar Pearl White als „A Modern Joan of Arc“ beworben wird?674 Allerdings kommt die Filmheldin Jeanne nicht nur mit solchen Mustern fiktiver Starnarration in Berührung, die aktive Heldinnen zumindest als genreimmanente Ausnahme vorsehen. DeMilles Jeanne stürmt nicht nur die Stadtmauer von Orléans, sondern sie wird auch, wenn sie erst einmal oben angekommen ist, von ihrem Verehrer vor dem Tod bewahrt. „Joan of Arc […] Retained the Heart of a Woman“ heißt es zu Beginn dieses Films, und damit ist zweifellos ihre Schwäche für den englischen Edelmann Eric Trent gemeint. Zu Beginn der Handlung gibt sie seinem Werben beinahe nach, bevor sie sich doch auf ihre Mission besinnt, und seiner Gnade hat sie ihren entscheidenden Sieg zu verdanken. Für einige Momente gleicht sie jenen unzähligen Frauenfiguren, deren Funktion über die des love interest kaum hinausgeht und deren Aktionen von Gefühlen und von Männern bestimmt werden. Auch Premingers Jeanne kennt einen Augenblick anschmiegsamer Filmweiblichkeit: Einmal stellt sie sich vor, Dunois wäre eines der Babys aus ihrem Dorf, sodass

672 Cf. L’Humanité, 05.11.1949; Libération, 25.10.1949; Le Monde, 25.10.1949; Le Figaro, 13.11.1948, Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949. 673 Cf. Röckelein: Mittelalter-Projektionen, 41, 45, 49; Kiening: Mittelalter im Film, 14; Thomas Scharff: Wann wird es richtig mittelalterlich? Zur Rekonstruktion des Mittelalters im Film. In: Mischa Meier / Simona Slanička (eds.): Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion. Köln, Weimar, Wien 2007, 62-83, hier: 70. 674 Cf. Blaetz: Visions of the Maid, 48.

Assoziiertes Feld

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sie sich um ihn kümmern könnte. „Ah, so you are a bit of a woman after all“, frohlockt er sogleich, aber da wehrt sie seine zärtliche Geste schon wieder ab. Die Momente der Verführbarkeit gehen vorbei, doch einer narrativen Station kann die Filmheldin nie entgehen: Ihr finales Leiden wird immer ausführlich gezeigt, und mitunter dominiert es die Narration sogar. Bei Ucicky tritt Jeannes Opferstatus schnell in den Vordergrund. Bei Dreyer und Bresson wird sie von vorneherein durch die Bedingungen ihrer Haft gepeinigt. Und Hatot erzählt ohnehin nur von ihrer Hinrichtung. Obwohl gerade die drei zuletzt genannten Filme deutlich abseits des Mainstream-Kinos stehen, kann man insofern behaupten: Weil sie früher oder später zu leiden hat, befindet sich die Filmheldin wenigstens vorübergehend in Übereinstimmung mit dem melodramatischen Regime, das weiblichen Stars grundsätzlich die Opferrolle zuweist. Vom hilflos ausgelieferten Opfer über die Geliebte bis zur uniformierten Kämpferin: Die Filmheldin zeigt wechselnde Gesichter, die aber immer wieder Ähnlichkeiten mit typischen Objekten und Geschichten aus dem Kontext des Starkults aufweisen. Je mehr die nationale Heldenverehrung an Bedeutung verliert, desto enger ist die Heldin an dieses andere Feld diskursiver Möglichkeit angebunden. Doch das Terrain hat seine Tücken. Eine durchsetzungsfähige Heldin kann hier den Ort ihrer Sagbarkeit finden, gewiss, aber ganz offensichtlich kann sie auch schnell in Richtung Opfer abrutschen. Die Blütezeit des Starkults bringt ihre eigenen Gefahren mit sich – genau wie die großen Zeiten des nationalen Heldenkults, in denen eine kämpferische Heldin sich unversehens als Objekt des Spotts, als Küchenkraft mit Pickelhaube wiederfinden kann. Um in diesen Zusammenhängen zu bestehen, muss das Filmbild der Kämpferin, die in voller Rüstung, aber ohne Helm, mit der Fahne in der Hand eine Sturmleiter emporsteigt, durch ein Netz konkreter Aussagen abgesichert sein. Auf sie muss sich jetzt der Blick richten: Die Untersuchung muss sich in das assoziierte Feld hineinbegeben, in das die filmischen Erzählungen über die Taten der Jeanne d’Arc eingebettet sind.

b. Assoziiertes Feld Das Feld der Aussagen, auf die sich etwa die Filmbilder einer gepanzerten Geraldine Farrar im Schlachtgetümmel beziehen – indem diese sich auf jene stützen oder auch von ihnen absetzen –, lässt sich genau wie sein mit-

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telalterliches Pendant nicht abschließend erkunden. Wieder muss ausgewählt werden: Welche der vielfältigen Bezüge, die von den zu untersuchenden Aussagen in das assoziierte Feld hineinführen, lohnen eine nähere Betrachtung? Man könnte etwa – um Foucaults erste Kategorie von Verknüpfungen als Beispiel herauszugreifen – Aussagen suchen, deren Status das Bild der Kämpferin teilt; man könnte an all jene Aussagen denken, die ebenfalls unterhaltenden Texten über historische Inhalte angehören. Aber die absolute Mehrzahl dürfte nur von Ferne mit der Heldin in Verbindung stehen und deswegen auch nur wenig zu ihrer Sagbarkeit beitragen. Vielversprechender ist es da, wie schon bei der Untersuchung der mittelalterlichen Quellen dichter beim Gegenstand zu bleiben. Von besonderer Bedeutung dürften wiederum die konkreten Bezüge sein, die sich durch große Nähe oder Ähnlichkeit ergeben: Vermutlich finden Aussagen über Jeannes Taten nicht zuletzt in der Aktivität anderer Frauenfiguren Rückhalt oder in unmittelbaren narrativen Verknüpfungen. Mit einer Sorte von Aussagen ist im assoziierten Feld der Filmheldin hingegen nicht mehr zu rechnen: Im 20. Jahrhundert, in Zeiten fortgeschrittener Pluralisierung, werden sich Analogien zu so allgemeinen Wahrheiten, wie sie im 15. Jahrhundert in Prophezeiungen oder Bibelworten zum Ausdruck kamen, wohl nicht finden lassen. Doch was die aktive Heldin auf diese Weise an Bezugspunkten verliert, kann sie an anderer Stelle womöglich ausgleichen: Wenn sie zum Gegenstand filmischer Aussagen wird, kann sie anders als beim ersten Auftauchen ihrer Geschichte im späten Mittelalter auf eine große Zahl von Selbstbezügen bauen. In Bereichen mit äußerst hohem Prestige, in der historischen Überlieferung ebenso wie in der Literatur und der bildenden Kunst, hat die Geschichte der Jeanne d’Arc einen festen Platz erobert. Unweigerlich stehen filmische Aussagen damit in Verbindung, was dort mit höchster Autorität über die Heldin gesagt wird.

I.

Selbstbezüge

i. Die wahren Jeannes Die Verankerung in der Historie „Wer die 1412 in Domremy in Lothringen geborene, 1431 in Rouen verbrannte Jeanne d’Arc war, ist bekannt“, hält eine Kritik des Evangelischen Filmbeobachters ähnlich wie andere Texte gleich in den ersten Zeilen fest, „Einzelheiten über ihr Leben und ihr Schicksal sind in jedem einschlägigen

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Geschichtswerk nachzulesen.“675 Aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts ist Jeanne d’Arc immer schon da. Wenn die Filmheldin auf der Leinwand erscheint, hat sie vom ersten Moment an ein Gegenüber von Rang: die historische Jeanne, deren Zugehörigkeit zum Bereich des Wahren durch Institutionen, Werte, Mechanismen der Wissenschaft abgesichert ist. Das 19. Jahrhundert hat die Heldin fest in der historischen Realität verankert. Mit seiner Geschichte Frankreichs bereitet Michelet Jeanne d’Arc 1841 einen privilegierten Platz innerhalb der seriösen Geschichtsschreibung, und praktisch zur gleichen Zeit entsteht mit der Edition der Quellen ein unerschütterliches Fundament für die historische Heldin. Nachdem es vorübergehend den Anschein hatte, als werde Guido Görres seinen französischen Kollegen zuvorkommen, sind es dann doch die Société de l’Histoire de France und Jules Quicherat, die in fünf Bänden die Grundlage für zahlreiche gelehrte Konstruktionen liefern. Autoren wie Henri Wallon, Thomas de Quincey oder Anatole France präsentieren in den folgenden Jahrzehnten ebenso disparate wie einflussreiche Versionen der historischen Jeanne.676 Gleichzeitig geht die Überlieferung in die Breite: Die Heldin wird Bestandteil der Enzyklopädien, der Standardwerke, der Schulbücher, und sie erreicht die Massenmedien. In den USA des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts verbreiten Hunderte Essays und Artikel die 500 Jahre alte Geschichte.677 Die Faktizität der Heldin steht außer Frage, und die Kenntnis ihrer Geschichte beinahe ebenso. Wenn besonders deutsche Kritiker ausdrücklich betonen, die Tatsachen dürften als bekannt vorausgesetzt werden, könnte daraus ein unterschwelliger Zweifel an der tatsächlichen Bildung der Leser sprechen, aber gleichzeitig wird Jeannes historischer Status damit bestätigt.678 Die Filmheldin kommt an dieser Vorgängerin nicht vorbei. Oder, positiv gewendet: Sie hat in ihr einen zuverlässigen Rückhalt. „Die unbestreitbare Faktizität ihrer 675 Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950; cf. Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935; Film-Dienst, 30.08.1994b. 676 Cf. Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 60, 101, 130; Rapp: Jeanne d’Arc, 39f.; Winock: Jeanne d’Arc, 684f.; Margolis: Trial by Passion, 445-462; idem: Rewriting the Right, 59-80; Pierre Marot: De la réhabilitation à la glorification de Jeanne d’Arc. Essaie sur l’historiographie et le culte de l’heroïne en France pendant cinq siècles. In: Comité National de Jeanne d’Arc: Mémorial du Ve Centenaire de la Réhabilitation de Jeanne d’Arc, 1456-1956. Paris 1958, 85-164, hier: 147-149. 677 Cf. Winock: Jeanne d’Arc, 676; Amalvi: Les héros de l’Histoire, 21f.; Powers: The Joan of Arc Vogue, 177, 181; Claude Grimal: The American Maid. In: Dominique Goy-Blanquet (ed.): Joan of Arc, a Saint for All Reasons. Studies in Myth and Politics. Aldershot, Burlington 2003, 123-141, hier: 129. 678 Zusätzlich zu den bereits zitierten Beispielen cf. Film-Kurier, 27.10.1922, 23.11.1928; Frankfurter Zeitung, 12.12.1928; Vossische Zeitung, 25.11.1928; Variety, 08.05.1957.

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unwahrscheinlichen Geschichte hat eine auratische Qualität, derer sich die Filme immer wieder bedienen“, schreibt Judith Klinger.679 In der Tat betonen alle Filme auf die eine oder andere Art den Bezug ihrer Protagonistin zur historischen Realität. Dabei greifen sie auf typische Mittel des Historienfilms zurück, der insbesondere für die Verortung einer Handlung im Mittelalter ein ebenso knappes wie effizientes Vokabular entwickelt hat.680 So rücken die Jeanne-Filme in mehr oder weniger großer Vielfalt Kostüme ins Bild, die gerade in ihrer Kombination unverkennbar für das Mittelalter stehen: die Mitren und Mönchskutten der Geistlichen, die Rüstungen und Helme der Soldaten, das derbe Tuch der Bauern und Bäuerinnen, die Kapuzen der Scharfrichter, die bestrumpften Beine der Adeligen und die hohen, spitzen Kopfbedeckungen ihrer Frauen. Als effizientes Zeichen der Historizität dürfen auch die gezielten Verstöße gegen heutige Vorstellungen von Schönheit gelten: die teils zusammengezogenen, teils aufgequollenen, mitunter mit Warzen versehenen Physiognomien der Richter in La Passion und etlicher Fürsten im Mädchen Johanna oder die hohen Stirnen der Damen und radikalen Topfschnitte der Herren bei Besson. Für die Gestaltung des Hintergrundes reichen Hatot noch einige verwinkelte Häuser. Bei Capellani kommen unter anderem die soliden Mauern eines Verlieses hinzu. Aber schon zuvor hat Méliès den Aufwand deutlich gesteigert. Seine Kulissen zeigen nicht nur gotische Gewölbe, schmale Häusergiebel und zinnenbewehrte Mauern, sondern auch eine merkwürdige Fassade mit asymmetrischer Dachschräge, ungleichen Fenstern und spitz ausgezogenem Ziergiebel über der Tür – ganz wie auf einer historischen Postkarte von Jeannes Elternhaus in Domremy. Offenbar hat sich Méliès sowohl auf Fotographien der Schauplätze gestützt als auch vor Ort gedreht.681 Für Dreyer entwerfen Jean-Victor Hugo und Hermann Warm ein Rouen der niedrigen Decken und gewundenen Treppen.682 DeMille, Ucicky, Fleming, Preminger und Besson lassen sich wuchtige Stadtmauern und weitläufige Festsäle bauen. Bresson und Rivette drehen an abgelegenen historischen Stätten, und de Gastyne kann sogar auf die ganz berühmten zurückgreifen: den Mont Saint-Michel, die Mauern von Carcassone und Aigues-Mortes.683 679 Klinger: Die modernisierte Ikone, 267. 680 Cf. ibid., 265f.; idem: Jeanne d’Arc, 139f.; Röckelein: Mittelalter-Projektionen, 57f.; Oms: Histoire et géographie, 82; Bosséno: Jeanne d’Arc, 114; Vivian Sobchack: „Surge and Splendour“. A Phenomenology of the Hollywood Historical Epic. In: Representations 29 (Winter 1990), 24-49, hier: 25. 681 Cf. Warner: Joan of Arc, Abb. 37; Blaetz: Strategies of Containment, 38. 682 Cf. von Hoff: Von der Akribie zur Passion, 221-224. 683 Cf. Les Nouvelles littéraires, 21.03.1963; Le Monde, 29.04.1993a; Télérama, 06.05.1962, 21.04.1993; Ciné-Miroir, 01.01.1928a.

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Der Augenschein soll beglaubigen: Hier wird Geschichte gezeigt. Aber zur Sicherheit werden die ZuschauerInnen in den ersten Filmminuten fast immer explizit darüber aufgeklärt, worum es geht. In La Merveilleuse Vie bildet ein Schlüsseltext der historischen Überlieferung den Einstieg: „Souvenons-nous toujours“, fordert der erste Zwischentitel im Rückgriff auf Michelet, „que la patrie, chez nous, est née du cœur d’une femme, de sa tendresse, et de ses larmes, du sang qu’elle a versé pour nous.“ Es folgen einige Stichworte zur allgemeinen Not im Frankreich des frühen 15. Jahrhunderts, wie sie die meisten Langfilme den ZuschauerInnen an die Hand geben.684 Ergänzend oder ersatzweise sorgen Informationen über die Bedingungen von Jeannes Gefangenschaft, den Zeitpunkt ihres Todes oder ihre späte Kanonisierung eingangs für die Verankerung in der Historie.685 Beglaubigt wird das Ganze in der Regel durch die Nennung genauer Jahreszahlen.686 Wenigstens ein Teil dieser Einordnung geschieht selbst in den Tonfilmen mit Hilfe von Texten: Geschriebenes wirkt unmittelbar verlässlich. Umso mehr wenn es durch archaisierende Schriftzeichen auf Manuskript getrimmt wird.687 Die Minimalversion der historischen Kontextualisierung führt Rivette vor. Nach den ersten Bildern seiner Heldin steht auf schwarzem Grund zu lesen: „Vaucouleurs en Barrois, mi-janvier 1429“. Unter den Langfilmen verzichtet nur der von Preminger auf die schnelle sprachliche Verankerung in der Geschichte. Dreyer ist seinerseits mit Kontextdaten recht sparsam, beruft sich aber umso nachdrücklicher auf die Autorität der Quellen. „Dans la bibliothèque de la Chambre des Députés à Paris“, heißt es zu Beginn der Passion, „se trouve l’un des documents les plus extraordinaires de l’histoire du monde: le procès-verbal rédigé durant le procès de Jeanne d’Arc“. Anhand der Akten könne man die wahre Jeanne entdecken: „telle qu’elle était“. Die gleiche Hoffnung nährt Bresson, wenn er per Texttafel verkündet: „ C’est de textes authentiques et de la minute même du Procès de Condamnation que je me suis servi.“ Diese Nähe zu den schriftlichen Quellen unterstreichen beide Filme überdies visuell. Wenn in Zwischentiteln der Passion von den Akten die Rede ist, folgen gleich darauf Einstellungen, in denen anonyme Hände ein Manuskript auf einem Tisch ablegen und durchblättern. Im Procès drängt sich an entscheidenden Stellen der Verhöre die Schreibfeder des Protokollanten in Großaufnahme ins Bild: Der Film zeigt die Verfertigung des Textes, aus dem er 684 685 686 687

Cf. DeMille; Ucicky; Fleming; Besson. Cf. Dreyer; Fleming; Bresson. Cf. DeMille; de Gastyne; Ucicky; Fleming; Bresson; Besson. Cf. de Gastyne; Besson; Klinger: Die modernisierte Ikone, 268f.; Kiening: Mittelalter im Film, 95f.

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sich speist. Überhaupt sind Dokumente, die die Filmheldin in der Welt der schriftlichen Überlieferung verankern, keine ganz seltenen Motive.688 Zu Beginn von Flemings Joan of Arc etwa öffnet sich ein großformatiges Exemplar von Jeannes Heiligenvita. De Gastyne rückt unter anderem das Papier ins Bild, auf dem Jeannes Widerruf festgehalten wird. Bei DeMille, Rivette und Besson wird man Zeuge, wie Jeanne Briefe verfasst bzw. diktiert. Neben den Dokumenten findet ihr Inhalt den Weg in die Filme. Nicht nur Dreyer und Bresson, die sich ausdrücklich auf die Quellen berufen, sondern auch die anderen Filme zeigen Handlungen, die sich belegen lassen. Und sie verarbeiten überlieferte Aussagen mehr oder weniger direkt, in mehr oder weniger großem Umfang zu Zwischentiteln, Dialogen, Monologen. Rivette unterbricht die Handlung sogar durch Sequenzen, in denen die Schauspieler überlieferte Zeugenaussagen ihrer Figuren direkt in die Kamera sprechen. Eine äußerst ehrenwerte Methode, die Heldin historisch abzusichern – nur leider äußerst unzuverlässig. Denn der durchschnittliche Zuschauer hat von Jeannes Geschichte zwar vermutlich eine Vorstellung, aber bestimmt nicht alle Details der Quellen im Gedächtnis oder den Wortlaut im Ohr. Für die historische Absicherung der Filmheldin ist insofern weniger entscheidend, in welchem Maße die Darstellung tatsächlich der Überlieferung entspricht. Viel schwerer wiegt etwa, wenn die historische Treue durch begleitende Texte – ob wahrheitsgemäß oder nicht – bescheinigt oder zumindest nahegelegt wird. Grundsätzlich wird diese Aufgabe von der Presse zuverlässig erfüllt. In der Regel findet sich immer ein Artikel, der einen neuen Jeanne d’Arc-Film in der einen oder anderen Weise als historisch korrekt einstuft. Mal im Allgemeinen, mal im Besonderen wegen der originalgetreuen Dialoge, der Ausstattung oder des historisch belegten Plots.689 Viele JournalistInnen, die selbst kein Urteil vornehmen wollen, berichten zumindest über ausführliche Recherchen, notieren den Rückgriff auf historische Dokumente und Stätten oder das Engagement wissenschaftlicher Berater.690 Oder sie lassen die Beteiligten selbst zu 688 Cf. O’Brien: Rethinking National Cinema, 13f. 689 Cf. New York Times, 25.12.1916; Ciné-Miroir, 16.12.1927; Cinémonde, 20.12.1928, 24.10.1949b; Lichtbildbühne, 27.04.1935; FR, 19.10.1950; Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950, 12.03.1966; L’Humanité, 05.11.1949, 09.02.1994a, 27.10.1999; Le Monde, 25.10.1949, 10.02.1994a; Le Figaro, 13.11.1948, 25.10.1949, 19./20.05.1962, 19.03.1963; France-Soir, 15.10.1949b, 16.03.1963; La Croix, 27.10.1949, 20./21.05.1962, 28.03.1963, 09.02.1994a; Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949, 20.06.1957, 06.12.1962, 21.03.1963; Variety, 20.10.1948, 30.05.1962; SZ, 04.11.1965, 11.02.1969; Berliner Morgenpost, 24.01.1969, 15.02.1994; FilmDienst, 27.10.1965a, 29.03.1994; Télérama, 06.05.1962, 31.03.1963, 01.12.1963; New York Times, 12.02.1965; epd Film, 04/1994, 11/1994. 690 Cf. Ciné-Miroir, 01.01.1928a; Frankfurter Zeitung, 12.12.1928; Vossische Zeitung, 25.11.1928; Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 23.11.1928; Der Film, 24.11.1928; Cinémonde,

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Wort kommen, die ihrerseits gerne bestätigen, dass sie sich an die Überlieferung gehalten haben.691 Der Wechsel von Historizität zu Authentizität Allerdings führt die Berichterstattung auch vor Augen, dass die historische Wahrheit ein nicht ganz unproblematischer Maßstab ist. Und desto problematischer offenbar, je weiter das 20. Jahrhundert fortschreitet. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg differenzieren sich in der Presse verschiedene Arten heraus, mit dem Thema umzugehen. Die einen nörgeln: Mit zunehmender Häufigkeit bemängeln AutorInnen, dass ein Film den Gleichklang mit der Geschichte im Ganzen nicht herstellen kann.692 Andere verlieren das Interesse: Besonders über die historische Treue von Saint Joan fällt nur ein Artikel ein explizites Urteil.693 Und eine dritte Gruppe von AutorInnen schwört der Wahrheit einer umfassenden historischen Rekonstruktion ab, um stattdessen andere Formen der Rückbindung an das Original hochzuhalten. Verschiedene Beispiele dafür liefern Artikel zu Rivettes Pucelle – inklusive einschlägiger Statements des Drehbuchautors – oder auch zu Bessons Jeanne d’Arc: Lebendigkeit, Wahrhaftigkeit, Eindringlichkeit oder Symbolkraft gelten hier mehr als Überprüfbarkeit.694 Aber besonders aussagekräftig zeichnet sich eine Konkurrenz der Wahrheiten in Artikeln zu Flemings Joan of Arc und Bressons Procès ab. Wenn es über Flemings Hollywoodfilm heißt, er entstamme der „Schulfibel“, dem „manuel“, ist das keineswegs als Lob gemeint.695 Diverse Kritiken konstatieren, dass das Filmteam mit enormem Aufwand Ausstattung, Handlung, Dialoge ans überlieferte Wissen angepasst hat. Aber erklären im selben Atemzug, der

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26.10.1928; Kreuz-Zeitung, 28.04.1935; Film-Kurier, 11.01.1935; Die Zeit, 19.10.1950; Film-Dienst, 29.09.1950, 25.10.1957, 30.08.1994b; Libération, 25.10.1949; Les Nouvelles littéraires, 21.03.1963; FR, 02.09.1994; FAZ, 14.02.1994; Télérama, 09.02.1994b; Cahiers du cinéma, 02/1994b; taz, 13.01.2000. Cf. Cinémonde, 03.11.1929a; Film-Kurier, 26.04.1935; Film-Dienst, 27.10.1965b; Le Monde, 16.03.1963; Cahiers du cinéma, 02/1963, 02/1993; Libération, 09.02.1994d; Télérama, 09.02.1994c. Cf. New York Times, 09.10.1935, 29.11.1996; Die Zeit, 01.06.1962, 13.01.2000; FAZ, 14.02.1994, 14.01.2000; Le Figaro, 02.03.1994, 09.11.1999; Berliner Morgenpost, 13.01.2000; La Croix, 30./31.10./01.11.1999c; Cahiers du cinéma, 12/1999a. Cf. Les Nouvelles littéraires, 20.06.1957. Cf. Berliner Morgenpost, 03.11.1994; Die Zeit, 02.09.1994; Die Woche, 01.09.1994, 14.01.2000; L’Humanité, 09.02.1994b; Télérama, 09.02.1994b; Cahiers du cinéma, 02/1993; FAZ, 13.11.1999; Film-Dienst, 04.01.2000; France-Soir, 27.10.1999. FR, 19.10.1950; Le Monde, 25.10.1949; cf. France-Soir, 15.10.1949b.

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Film verfehle trotzdem die entscheidende Wahrheit: die der Heldin.696 Umgekehrt gelingt es Bresson, gerade dadurch zu überzeugen, dass er auf eine aufwändige Rekonstruktion verzichtet. Sein asketischer Stil erscheint in Besprechungen immer wieder als Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit seiner Jeanne-Version.697 Statt an einer möglichst detailgetreuen Illusion zu arbeiten, konstruiert Bresson einen anderen Bezug zur wahren Jeanne. Indem er sich mit einfachsten visuellen Mitteln bescheidet, lenkt er alle Aufmerksamkeit auf den Dialog, das heißt: die überlieferten Protokolle. Und die lässt er, wie die Presse immer wieder betont, von LaienschauspielerInnen sprechen.698 Von Profis glaube er, berichtet ein Kritiker, sie verbärgen die Wahrheit.699 Bei Florence Carrez hingegen kann man in der Tat den Eindruck gewinnen, sie lasse Jeannes Worte einfach fließen. Sie spricht zügig, in einer mittleren Tonlage und mit unbewegter Miene jene Sätze, deren Historizität zu Beginn des Films beteuert wurde. Der Körper der jungen Frau tritt an die Stelle des historischen – das suggeriert zumindest diese Ästhetik –, indem er ganz in der Artikulation der überlieferten Laute aufgeht. Bresson will den historischen Bezug von der Oberfläche der Dinge ins Innere der Körper verlegen; an die Stelle eines bloßen Verweises soll die Identität der Zustände treten. Und für viele KritikerInnen stellt der Film in der Tat einen besonders engen Kontakt zur Heldin her: Sie feiern die „Sichtbarkeit des Geistes“, erkennen „die leidende Seele“, „le cœur et les pensées de «Jeanne»“.700 Keiner der Regisseure zielt so konsequent auf eine performative Absicherung seiner Heldin wie Bresson. In Ansätzen lassen andere Filme allerdings ähnliche Mechanismen erkennen.701 Etwa in Form einer Behauptung, die zu den Standardaussagen über große Historienfilme zählt: Dass die Beteiligten 696 Cf. FR, 19.10.1950; Die Zeit, 19.10.1950; Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950; L’Humanité, 05.11.1949; Libération, 25.10.1949; Le Monde, 25.10.1949; La Croix, 27.10.1949; Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949. 697 Cf. Ev. Film-Beobachter, 12.02.1966; Film-Dienst, 27.10.1965a; Le Monde, 20.05.1962, 17./18.03.1963; La Croix, 20./21.05.1962; Les Nouvelles littéraires, 21.03.1963; Cahiers du cinéma, 05/1963b; Télérama, 31.03.1963; New York Times, 12.02.1965. 698 Cf. SZ, 04.11.1965, 11.02.1969; Berliner Morgenpost, 24.01.1969; Film-Dienst, 27.10.1965a; Le Monde, 16.03.1963, 17./18.03.1963; France-Soir, 16.03.1963; Cahiers du cinéma, 02/1963; Télérama, 06.05.1962; Variety, 30.05.1962. 699 Le Monde, 17./18.03.1963. 700 SZ, 11.02.1969; Ev. Film-Beobachter, 12.03.1966; L’Humanité, 19.05.1962; cf. Le Monde, 20.05.1962,17./18.03.1963; Cahiers du cinéma, 05/1963b. 701 Cf. Morten Kansteiner: Die drei Körper der Jungfrau. Zur Konkurrenz zwischen der historischen Figur, der Schauspielerin und ihrem Image in Filmen über Jeanne d’Arc. In: Mischa Meier / Simona Slanička (eds.): Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion. Köln, Weimar, Wien 2007, 233-249, hier: 234, 238f., 241f.

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Mühen auf sich nehmen und einen Aufwand treiben, wie sie auch mit den historischen Ereignissen verbunden waren.702 Schon am Set von La Merveilleuse Vie fühlt sich ein Reporter wie auf dem Schlachtfeld, und die Dreharbeiten für die beiden Teile der Pucelle stuft eine Journalistin ein als: „Presque aussi éprouvant qu’une campagne.“703 Beim bloßen Betrachten des Films spüren KritikerInnen aufgrund seiner Länge bzw. Langsamkeit das Gewicht historischer Dauer auf ihren Schultern.704 Aber in erster Linie müssen natürlich die Hauptdarstellerinnen der wahren Jeanne mit Haut und Haar entsprechen. Schon die öffentlichkeitswirksamen Wettbewerbe, die die Produzenten von La Merveilleuse Vie und Saint Joan veranstalten, geben der Presse nicht nur etwas zu schreiben.705 Sie suggerieren auch eine tiefgehende Übereinstimmung: Die junge Frau, die aus Hunderten bzw. Zehntausenden mehr oder weniger ungeschulter Bewerberinnen ausgesucht wird, muss offensichtlich eine unmittelbare, natürliche Nähe zu Jeanne d’Arc besitzen.706 Ansonsten müssen die Darstellerinnen – ganz in Übereinstimmung mit der narrativen Konvention des Mainstream-Kinos – leiden.707 Etwa an der Rüstung: Bonnaire berichtet, wie sie sich – wie die wahre Heldin zweifellos auch – mit den schweren Panzerungen abgeplagt hat.708 Weniger eine physische als eine psychische Belastung ist der Verlust der Haare, der oft in einer eigenen Filmszene herausgestellt wird.709 Begleitende Texte bestätigen, dass Falconetti, Salloker, Seberg oder Jovovich tatsächlich Jeannes Erfahrung nachvollzogen und das Opfer ihrer eigenen Haare gebracht haben.710 Dreyers Mitarbeiter Jean-Victor Hugo versichert darüber hinaus: „Les larmes de Falconetti étaient presque toujours des larmes de souffrance véritable“; und über Seberg ist zu lesen, dass sie sich beim Drehen der Hinrichtung tatsächlich Verbrennungen zugezogen hat.711 Jacques Rivette, damals Autor der Cahiers du cinéma, ist begeistert: 702 703 704 705 706 707 708 709 710

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Cf. Sobchack: „Surge and Splendour“, 29-32. Télérama, 21.04.1993; cf. Cinémonde, 16.05.1929. Cf. epd Film, 11/1994; Film-Dienst, 30.08.1994b; Le Figaro, 14.02.1994. Cf. FR, 27.09.1957; FAZ, 30.09.1957; Libération, 24.05.1957; Le Monde, 30.01.1957; Le Figaro, 22.05.1957; New York Times, 17.02.1957, 07.04.1957, 27.06.1957. Cf. Blaetz: Joan of Arc and the Cinema, 151; idem: ‚La Femme Vacante‘, 69. Cf. idem: Strategies of Containment, 189f. Cf. taz, 01.09.1994a; Libération, 09.02.1994b. Cf. Dreyer; de Gastyne; Fleming; Rivette; Besson. Cf. Vossische Zeitung, 25.11.1928; Cinémonde, 03.11.1929b; New York Times, 29.03.1929; Film-Kurier, 03.11.1934; Libération, 24.05.1957; FR, 14.01.2000; SZ, 12.01.2000; FAZ, 13.11.1999. Cinémonde, 03.11.1929b; cf. Berliner Morgenpost, 11.10.1957; New York Times, 07.04.1957.

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Jeanne d’Arc als Filmheldin

„ce seul plan où, devant la flamme jaillisante, Jean Seberg se couvre le visage de ses mains, suffirait à authentifier tout le reste; car voilà bien le geste même que l’autre Jeanne dut avoir à Rouen en 1431.“712

Wenn er über eine Analogie der Körper hergestellt wird, wird der Bezug der Filmheldin zur Wahrheit nicht so bald in Frage gestellt. Etwa an den zitierten Stellungnahmen zu Bressons Filmheldin lässt sich ablesen: In einer Zeit, in der oberflächliche Verweise auf Quellen oder Historie mit wachsender Skepsis wahrgenommen werden, ist die performative Verknüpfung umso wirksamer. Allerdings ist letztlich auch sie keine Garantie gegen die Problematisierung der filmischen Wahrheit. Einerseits nutzt sie sich schlicht ab, wie die sehr reservierte Bemerkung einer Kritikerin über die Transformationen der Milla Jovovich verrät: „als Modell ist sie gewohnt, Kopf und Körper für die Projektion der Fotografen hinzuhalten.“713 Andererseits sieht eine Schauspielerin wie Sandrine Bonnaire in der kompromisslosen Verschmelzung gar nicht das Ideal. Wenn sie von der Heldin sagt, „je voulais quand même la «jouer»“, dann zielt sie nicht nur auf die erste Bedeutung des Verbs, auf das Spiel, sondern auch auf die Täuschung.714 Und ganz explizit besteht sie auf ihrer Nichtidentität mit der Heldin, auf dem schauspielerischen Handwerk, das den Kontakt herstellt, aber auch wieder beendet. „Se démaquiller, le soir, et se retrouver“, das sei ihr wichtig.715 Gerade hier, zu einem Zeitpunkt, da die Filmheldin definitiv im Kontext des Starkults angekommen ist, ist ihre Beziehung zur historischen Heldin als ein Wechselspiel von Distanz und Übereinstimmung angelegt. Für den Star Jeanne ist immer auch die grundsätzliche Differenz von Schein und Sein konstitutiv, während die nationale Heldin viel eindeutiger auf dem Fundament der historischen Wahrheit steht. Insgesamt lockert sich von der Mitte des Jahrhunderts an der Bezug der Filmheldin zu ihrer wahren Vorläuferin. Was aber nicht bedeuten muss, dass ihre Sagbarkeit in geringerem Maße gesichert wäre. Denn es gibt zahlreiche andere Figuren, die der Filmheldin zur Seite stehen können: eine vielgestaltige Schar von Kämpferinnen und diverse Versionen fiktiver Jeannes.

712 713 714 715

Cahiers du cinéma, 07/1957. FR, 14.01.2000. Télérama, 09.02.1994a. Ibid.

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ii. Die fiktiven Jeannes Anfängliche Bindungen an die bildende Kunst Die wahre Heldin hat kein Gesicht. Da von Jeanne d’Arc keine Bilder überliefert sind, ist der Filmheldin, was ihr Äußeres betrifft, der direkte Bezug auf ihre historische Vorgängerin verstellt. Aber es gibt einen Ersatz für diese Form der Absicherung. Abgesehen davon, dass die Filmheldin schon durch Kostüme aus grobem Tuch oder blankem Metall zumindest provisorisch in der Historie verankert wird, können die AusstatterInnen einen Schritt weiter gehen: Sie können die Darstellerinnen an Vorbilder anpassen, die zwar keinerlei historische Verbindlichkeit, aber trotzdem eine beachtliche Tradition besitzen.716 Schließlich entstehen gerade seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zahllose Darstellungen der Heldin. Ihre Statuen stehen nicht nur auf französischen, sondern auch auf amerikanischen Plätzen. Symbolisch herausragende Orte wie die Kathedrale in Orléans, die Basilika in Domremy und das Pariser Pantheon werden mit Bilderzyklen zu Jeannes Leben ausgestattet. Auf ihren Salons präsentieren die französischen Maler besonders in den 1860er Jahren eine stete Flut neuer Jeanne-Gemälde. Am Ende des 19., zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichen berühmte Werke wie die von Ingres und Lenepveu als Drucke eine zuvor unvorstellbare Verbreitung. Nicht zuletzt in Form von Buchillustrationen kann das Bild der Heldin uneingeschränkt zirkulieren.717 Als besonders einflussreich stellt sich etwa das Kinderbuch von Maurice Boutet de Monvel heraus, das 1896 erscheint. Und selbst als tableau vivant wird Jeannes Leben präsentiert.718 Die Urheber all dieser Darstellungen haben sehr unterschiedliche Vorstellungen von Jeannes Physiognomie. Aber was das allgemeine Erscheinungsbild der Heldin betrifft, bilden sich recht klare Konventionen heraus. 716 Cf. Kansteiner: Die drei Körper der Jungfrau, 239-242. 717 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 27-30; Marot: De la réhabilitation à la glorification, 141144; Blaetz: Visions of the Maid, 26, 29; Powers: The Joan of Arc Vogue, 185-190; Warner: Joan of Arc, 250, 259; Ribéra-Pervillé: Jeanne d’Arc au Pays des Images, 64f.; Germain-Donnat: Jeanne d’Arc en épisodes, 93; Diederik Bakhuÿs: Entre drame romantique et histoire de France. De Delaroche à Thirion. In: Béatrice Foulon (ed.): Jeanne d’Arc. Les tableaux de l’Histoire, 1820-1920. Paris 2003, 35-63, hier: 56-62. 718 Cf. Margolis: The „Joan Phenomenon“, 274f.; Warner: Joan of Arc, Abb. 43; idem: Joan of Arc. A Gender Myth. In: Jan van Heerwaarden (ed.): Joan of Arc. Reality and Myth. Hilversum 1994, 97-118, hier: 114f.; idem: Personification and the Idealization of the Feminine. In: Bernard Rosenthal / Paul E. Szarmach (eds.): Medievalism in American Culture. Papers of the Eighteenth Annual Conference of the Center for Medieval and Early Renaissance Studies. Binghamton 1989, 85-111, hier: 106f.

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Wenn man einige Abbildungen nebeneinander hält, zeichnen sich vor allem drei Typen ab, die ein Triptychon des deutschen Malers Hermann Stilke schon 1843 nebeneinander stellt.719 Da wäre zunächst das Bauernmädchen in Domremy: Über einer hellen Bluse trägt es meist eine einfache Jacke oder Weste in einer gedeckten Farbe und einen knöchellangen Rock in einem ähnlichen Ton, unter Umständen auch ein Kopftuch. Es hat mitunter eine kleine Tasche oder eine Spindel bei sich.720 Vom braven Mädchen hebt sich die Kriegerin ab, die nicht zuletzt von zahlreichen Standbildern her bekannt ist: Ihr Körper ist mehr oder weniger komplett gepanzert, der Oberkörper manchmal von einem Kettenhemd geschützt. Oft ist die Rüstung zu einem Teil von einem Überwurf oder einer Art Rock bedeckt, die mit bourbonischen Lilien oder Jeannes eigenem Wappen geschmückt sein können. In den Händen hält die Heldin zumeist ihr weißes Banner, ihr Schwert oder beides.721 Schließlich die Märtyrerin Jeanne, ein schon ab den 1820ern recht stabiler Typus: Über viele Jahrzehnte hinweg wird sie immer wieder im schlichten langen Kleid aus weißem oder zumindest sehr hellem Stoff gezeigt.722 Dass die Filmheldin den Abbildungstraditionen, wie sie im späten 19. Jahrhundert vielfach anzutreffen sind, von Beginn an verbunden ist, verdeutlicht Méliès’ Film in besonderem Maße.723 Schon deshalb, weil sieben der elf Stationen, in die er die Geschichte unterteilt, ihre Entsprechung in sieben der zehn Fenster finden, die seit 1895 in der Kathedrale Sainte-Croix von der Befreierin Orléans’ erzählen. Von den drei schwebenden Figuren, die Jeanne ihren Auftrag überbringen, über den feierlichen Einzug nach Orléans und die 719 Cf. Bakhuÿs: Entre drame romantique et histoire de France, 48. 720 Cf. ibid., 53, 61; Amalvi: Les héros de l’Histoire, Abb. 111; Warner: Joan of Arc, Abb. 43; Maurice Boutet de Monvel: Jeanne d’Arc. Paris 1973, 5f.; Marie-Claude Coudert: Fin de siècle. In: Béatrice Foulon (ed.): Jeanne d’Arc. Les tableaux de l’Histoire, 1820-1920. Paris 2003, 129-161, hier: 131, 134, 136 oder auch der Gemäldezyklus zum Leben von Jeanne d’Arc im Panthéon (Jules-Eugène Lenepveu, 1890) und die Skulptur “Jeanne d’Arc écoutant ses voix” im Louvre (François Rude, 1845). 721 Cf. Boutet de Monvel: Jeanne d’Arc, 13, 19, 22f., 33; Powers: The Joan of Arc Vogue, 186, 191; Warner: Joan of Arc, Abb. 33; Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«, 158; Bakhuÿs: Entre drame romantique et histoire de France, 43, 50f., 60; Marek Zgórniak: Autour du salon de 1887. Matejko et les Français. In: Béatrice Foulon (ed.): Jeanne d’Arc. Les tableaux de l’Histoire, 1820-1920. Paris 2003, 65-79, hier: 65f., 68, 74 oder auch die Fenster der Kathedrale Sainte-Croix in Orléans (Galland / Gibelin, 1895) sowie der Gemäldezyklus von Lenepveu. 722 Cf. Boutet de Monvel: Jeanne d’Arc, 47; Bakhuÿs: Entre drame romantique et histoire de France, 39-41, 46, 58; Amalvi: Les héros de l’Histoire, Abb. 114 oder auch die Fenster von Galland und Gibelin und der Gemäldezyklus von Lenepveu. 723 Cf. auch Christian-Marc Bosséno: Des Frères Lumières à Rivette. Une héroïne de cinéma. In: L’Histoire 210 (Mai 1997), 70f.

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herandrängenden Feinde vor Compiègne bis hin zum Erscheinen der Heiligen und des Erzengels im Kerker zeigen die beiden Versionen verblüffende Parallelen. Ein Reservoir von Bildern, aus dem auch Capellanis überlieferte Sequenzen schöpfen. Aber abgesehen von diesen Parallelen im Detail lassen sich auch die drei typischen Darstellungen der Heldin bei Méliès wiederfinden. Jeannes Rock hat in der ersten Szene einen außergewöhnlich hellen Ton, doch ansonsten passen sich Bauernmädchen, Kriegerin und Opfer vollkommen in die Tradition ein. In reinster Ausprägung finden sich die drei außerdem bei DeMille, de Gastyne und Fleming. In der fragmentarischen Version von Capellanis Verfilmung fehlt der kriegerische Teil der Geschichte und deshalb auch das Bild der gepanzerten Heldin. Das Bauernmädchen zu Beginn trägt statt Rock und Jacke ein dunkles Kleid, das aber so gegürtet und mit einer hellen Bluse kombiniert ist, dass es der Konvention sehr nahe bleibt. Zuletzt ist die Filmheldin auch hier in ein langes helles Gewand gehüllt. Genauso wie in all jenen Filme, die sich auf Jeannes Ende konzentrieren.724 Anders gesagt: Jene der vertrauten Facetten, die jeweils in Reichweite der Narration liegen, werden von allen genannten Verfilmungen aufgegriffen. Bis hin zu Bressons Procès bleibt die Filmheldin der Ikonographie der Denkmäler und Historienbilder verbunden. Um die Mitte des Jahrhunderts beginnt allerdings ein Ablösungsprozess. Das erste Anzeichen liefert Premingers Saint Joan, wenn Jean Seberg mit einer zerlumpten Jacke und dunklen Hosen auf dem Scheiterhaufen steht. Später wird die Abkehr von der Tradition noch deutlicher: Sandrine Bonnaire trägt zu Beginn von Jeannes Abenteuern ein schlichtes, gerades Kleid, das sich zum ersten Mal vom mehrteiligen Kostüm des Bauernmädchens deutlich abhebt. Und bei Besson ist die Heldin als kleines Mädchen in auffallend leuchtender Kleidung zu sehen: in einem hellblauen Kleid, kurzer hellgrauer Jacke, mit weißer Haube und Schürze. Im Vergleich dazu wirkt das Gewand, in dem sie später auf den Scheiterhaufen steigt, schmutzig – mehr beige als weiß. Die übliche Abfolge von den gedeckten Farben der Bäuerin zum Weiß der Märtyrerin wird hier – wie schon bei Preminger – aufgebrochen. Auch wenn keiner dieser drei Filme auf das typische Bild der gerüsteten Kriegerin verzichten will: Insgesamt lockert sich die Bindung an die Konventionen. Und das nicht umsonst, denn die aus dem 19. Jahrhundert übernommenen Formen, Geschichte zu visualisieren, verlieren in der Mitte des 20. Jahrhunderts rapide an Bedeutung. Auch die journalistischen Anmerkungen zu den Jeanne-Filmen zeigen den Wandel an. Jener Kritiker, der La Passion 724 Cf. Hatot; Dreyer; Bresson.

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mit den Fresken eines Puvis de Chavanne vergleicht, will damit über Dreyers Stil nur Gutes sagen.725 Rund 20 Jahre später hingegen ist ein gewisser Abscheu nicht zu überlesen, wenn der eine oder die andere KritikerIn Flemings Jeanne auf eine Stufe mit den „historischen Schinken des 19. Jahrhunderts“ stellt bzw. den Film – mit mehr Reserve – als ein unglaubwürdiges „historisches Gemälde“ einstuft.726 Später halten JournalistInnen Bresson bzw. Rivette zu Gute, er befreie Jeanne von der üblichen „Bilderbogenmanier“, von jedem „image préétablie“ und aus den „vignettes scolaires“.727 Auch das kündet deutlich vom schwindenden Wert des ikonographischen Erbes. Vorübergehende Verbindungen zur Bühne Abermals lassen Artikel zu Joan of Arc besonders deutlich erkennen, dass das Geflecht von Aussagen rund um die Heldin in Bewegung gerät, dass die Filmheldin nicht mehr im selben Maße auf ihre direkten Vorgängerinnen bauen kann wie in vergangenen Jahrzehnten. Gleichzeitig aber wird ein Bezug dieser Art, von dem die Produktion besonders offensichtlich zu profitieren versucht, von Flemings KritikerInnen nicht problematisiert: In aller Regel weisen sie darauf hin, dass der Film von Maxwell Andersons Stück Joan of Arc abstammt, ohne diesen Umstand zu werten.728 Zwar finden einzelne, vom Stück bleibe nicht viel übrig.729 Aber gegen die Idee, es als Vorlage zu benutzen, hat grundsätzlich niemand etwas einzuwenden. Ist womöglich die Bühnenheldin eher in der Lage, die Filmheldin zuverlässig zu stützen, als andere Vorgängerinnen? Die Produzenten in Hollywood sind in den 1940ern offenbar genau dieser Meinung. Vor der Realisierung von Flemings Film denken verschiedene Studios über ein Jeanne d’Arc-Projekt nach, und letztlich sind sich mehr oder weniger alle einig: So eine Produktion ist eigentlich nur mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle sinnvoll. Sie bringt das richtige Image mit, aber vor allem verkörpert sie die Heldin 1946/47 in der Broadway-Inszenierung von Andersons Text – ganz zur Zufriedenheit von Publikum und Kritik.730 Als Fleming das Projekt dann mit ihr umsetzt, wird die Bühnennähe der Heldin entspre725 Cf. Ciné-Miroir, 25.11.1927. 726 FAZ, 19.10.1950; Ev. Filmbeobachter, 02.11.1950. 727 Ev. Filmbeobachter, 12.02.1966; Le Monde, 29.04.1993a; Cahiers du cinéma, 02/1994a; cf. La Croix, 09.02.1994a. 728 Cf. SZ, 16.10.1950; FAZ, 19.10.1950; Die Zeit, 19.10.1950; Le Monde, 25.10.1949; Le Figaro, 13.11.1948; Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949; New York Times, 12.11.1948. 729 Cf. Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949; New York Times, 12.11.1948. 730 Cf. Variety, 18.12.1946; Bernstein: Hollywood Martyrdoms, 90-93; Ingvald Raknem: Joan of Arc in History, Legend and Literature. Oslo, Bergen, Tromsö 1971, 221.

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chend deutlich signalisiert. Andersons Name erscheint nicht nur in der Presse, sondern auch groß im Vorspann. Für ausgewählte Vorführungen werden Theaterhäuser angemietet.731 Der Versuch, von Popularität und Prestige der Bühne zu profitieren, ist zu diesem Zeitpunkt keine ganz neue Strategie mehr. Bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts arbeiten viele AkteurInnen der Filmbranche darauf hin, offensichtliche Bezüge zum Theater herzustellen – besonders intensiv in Frankreich, aber auch auf dem US-Markt. Ein bürgerliches Publikum soll für das noch junge Medium gewonnen werden, und deshalb gilt es, seinen zweifelhaften Ruf durch die Anbindung an die etablierte Kulturszene aufzubessern. Manche Produktionsfirmen spezialisieren sich ganz darauf, gehobene Ansprüche zu bedienen. Mit der Zeit gelingt es, SchauspielerInnen der besten Theater bis hin zur Comédie Française für das Kino zu gewinnen. Und an Stoffen importiert das Kino sowohl Klassiker, die der Leinwand mit ihrem hochkulturellen Nimbus einen gewissen Glanz verleihen sollen, als auch Melodramen, die einen sicheren Erfolg beim Publikum versprechen.732 In der Zeit als DeMilles Heldin die Bildfläche betritt, sind zwischen Kino und Theater vielfältige Verbindungen etabliert. Und gerade im Theater hat wiederum Jeanne d’Arc einen privilegierten Platz. Besonders das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert bringen eine Fülle von Jeanne d’Arc-Stücken hervor, beiderseits des Atlantiks. Soons zählt 126 neue Stücke zwischen 1890 und 1926. Das Drama bildet in diesen Jahrzehnten neben der Historiographie das wichtigste Forum für die Reformulierung der Heldin.733 Die meisten Werke geraten zwar schnell wieder in Vergessenheit, aber als der Strom der Bearbeitungen schon versiegt, entstehen auch langlebigere Varianten: Shaws Saint Joan, Brechts Heilige Johanna der Schlachthöfe oder das Oratorium Jeanne d’Arc au bûcher mit dem Text von Paul Claudel. Außerdem gibt es natürlich noch Schillers Jungfrau von Orléans: Obwohl er in der Heimat der Heldin wohl einige Widerstände zu überwinden hatte, zweifellos ein kanonischer Text.734 731 Cf. Bernstein: Hollywood Martyrdoms, 94, 105. 732 Cf. supra, 184; Abel: French Cinema, 8f., 69f., 85f., 89; Lenk: Théâtre contre Cinéma, 123125; Mitry: Histoire du cinéma, 199-202, 256f., 280f., 286, 335, 347, 350f.; Rick Altman: Dickens, Griffith, and Film Theory Today. In: Jane Gaines (ed.): Classical Hollywood Narrative. The Paradigm Wars. Durham, London 1992, 9-47, hier: 11-13. 733 Cf. Soons, Jeanne d’Arc au théâtre, 249f.; Marot: De la réhabilitation à la glorification, 144f.; Rapp: Jeanne d’Arc, 43-45, 49, 52; von Jan: Das literarische Bild, 139f.; Winock: Jeanne d’Arc, 676, 679. 734 Cf. Powers: The Joan of Arc Vogue, 181f.; Blaetz: Visions of the Maid, 89f.; von Jan: Das literarische Bild, 104-108; idem: Das Bild der Jeanne d’Arc in den letzten zehn Jahren. In: Romanistisches Jahrbuch 12 (1961), 136-150, hier: 136-139; Frantisˇek Graus: Lebendige

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Sein Prestige wirkt schon für die Macher eines der ganz frühen, heute verschollenen Jeanne-Filme aus Italien verlockend.735 Aber auch für die von Joan the Woman. Um ihre Produktion mit hochkulturellen Weihen auszustatten, engagieren sie einerseits die Operndiva Farrar.736 Andererseits greifen sie auf Schillers Text zurück. Das ließe sich an tatsächlichen Übereinstimmungen zwischen Drehbuch und Drama festmachen, etwa am Auftauchen eines mysteriösen schwarzen Ritters in DeMilles Film.737 Aber schwerer wiegen wiederum die expliziten Verweise: Anzeigen werben mit der prestigiösen Vorlage, und selbst kürzeste Artikel stellen den Bezug zum Klassiker her.738 Gerade in Deutschland hat Schillers Patenschaft Gewicht – was man auch am scharfen Ton jener beiden Kritiken ablesen kann, die dem Film seine Abweichungen von den Vorgaben des Klassikers vorhalten.739 Eine ähnlich ausdrückliche Verbindung zu einer fiktiven Jeanne von der Bühne gibt es außer bei Fleming und DeMille noch ein weiteres Mal: Preminger will, wie die Credits klarmachen, „Bernard Shaw’s Saint Joan“ auf die Leinwand bringen. Die JournalistInnen nennen die Textgrundlage immer – mit nur einer nennenswerten Ausnahme.740 Manche fügen hinzu, wie treffend sie die Umsetzung finden.741 Hier sei „verfilmter Shaw“ zu sehen, sagt einer und verweist – zum Beweis, dass so eine Theateradaption etwas Feines sein kann – auf den verfilmten Shakespeare Laurence Oliviers.742 Gleichzeitig aber spricht aus einem anderen Text Enttäuschung, weil Saint Joan „doch nichts anderes als verfilmtes Theater“ sei.743 Und auch ein französischer Kollege lässt durchblicken, dass die Orientierung an der Bühne noch lange keinen guten Film ergibt.744 Schließlich hat das Kino sich inzwischen zu einem anerkannten Medium entwickelt, das nach seinen eigenen Regeln funktioniert. Die Zeiten, in der es sich Prestige borgen musste, sind vorbei.745 Der Rückgriff auf Shaw

735 736 737 738 739 740 741 742 743 744 745

Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter. Köln 1975, 299. Cf. Harty: Jeanne au cinéma, 238-241. Cf. Goldwyn: Behind the Screen, 82f. Cf. die neunte Szene im dritten Aufzug bei Friedrich von Schiller: Die Jungfrau von Orléans. Paderborn 1912. Cf. Vossische Zeitung, 29.10.1922; Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 29.10.1922; Film-Kurier, 23.05.1922; Der Film, 29.10.1922; Lichtbildbühne, 12.05.1922, 20.05.1922. Cf. Vossische Zeitung, 29.10.1922; Der Film, 29.10.1922. Cf. Le Figaro, 11./12.05.1957. Cf. FAZ, 30.09.1957; Ev. Filmbeobachter, 10.10.1957; La Croix, 06.06.1957; Cahiers du cinéma, 07/1957. FR, 27.09.1957. Berliner Morgenpost, 11.10.1957. Cf. L’Humanité, 25.05.1957. Cf. Abel: French Cinema, 94.

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kann in den 1950ern für eine Filmheldin nicht mehr dieselbe Absicherung bieten wie der Rückgriff auf Schiller zu Beginn des Jahrhunderts. Abgesehen davon, dass der Regisseur nach Meinung verschiedener JournalistInnen den Kern des Dramas ohnehin verfehlt bzw. Theaterschauspielerinnen die Rolle besser interpretiert haben als Seberg.746 Dass sich auch die Verbindungen zwischen Filmheldin und Bühne mit der Zeit lockern, bestätigt die Berichterstattung über jene Filme, die nicht ausdrücklich auf einem Drama basieren. Bis hin zu Ucickys Mädchen Johanna nehmen die Kritiken das Verhältnis zwischen Film und Dramen gezielt unter die Lupe. Sie beleuchten konkrete Unterschiede und Verwandtschaften.747 Ucickys Absicht, sich von der Bühnentradition freizumachen, stellen sie als Besonderheit heraus.748 Nur ganz wenige Artikel begnügen sich damit, das eine oder andere Jeanne-Drama einfach nur in Erinnerung zu rufen.749 In späteren Jahrzehnten hingegen ist das, wenn von der Bühnentradition überhaupt die Rede ist, der Regelfall.750 Die JournalistInnen wollen durch die Erwähnung der Stücke offenbar die allgemeine Dimension des Sujets belegen. Aber sie gehen nicht mehr davon aus, dass ein Jeanne d’Arc-Film der Existenz von Jeanne d’Arc-Dramen Rechnung tragen muss. Konkrete Vergleiche zwischen Leinwand und Bühne gehören zur Kür und geschehen nur in Ausnahmefällen.751 Das gilt selbst für Artikel über die Pucelle – obwohl Rivette und Bonnaire zu erkennen geben, dass sie sich mit der dramatischen Poesie Charles Péguys beschäftigt haben.752 Querverbindungen zwischen Filmen über Jeanne d’Arc Ausführlich hingegen wird Bonnaire zu den älteren Filmversionen befragt.753 Und Le Monde setzt sie einer Kinovorgängerin leibhaftig gegenüber: In ei746 Cf. SZ, 12.11.1957; Film-Dienst, 25.10.1957; Le Monde, 27.05.1957; Le Figaro, 22.05.1957; France-Soir, 25.05.1957; Variety, 08.05.1957. 747 Cf. Vossische Zeitung, 25.11.1928; Frankfurter Zeitung, 12.12.1928, 28.04.1935; FilmKurier, 23.11.1928; Der Film, 24.11.1928; L’Intransigeant, 27.10.1928; Lichtbildbühne, 27.04.1935. 748 Cf. Film-Kurier, 26.04.1935; Der Film, 27.04.1935. 749 Cf. Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 23.11.1928; Film-Kurier, 03.11.1934. 750 Cf. Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962; taz, 01.09.1994a; FR, 02.09.1994; FAZ, 14.02.1994; Die Zeit, 02.09.1994; Film-Dienst, 30.08.1994a; La Croix, 09.02.1994e, 30./31.10/01.11.1999d; Le Figaro, 26.10.1999a und c. 751 Cf. Libération, 23./24.03.1963, 03.11.1999; FR, 15.02.1994; Le Monde, 29.04.1993a. 752 Cf. Le Monde, 29.04.1993a; La Croix, 09.02.1994b; Télérama, 09.02.1994a und d; Cahiers du cinéma, 02/1994c. 753 Cf. taz, 01.09.1994a; La Croix, 09.02.1994c; Télérama, 09.02.1994a; Cahiers du cinéma, 02/1994c.

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nem Gespräch tauschen Florence Delay und Sandrine Bonnaire Erfahrungen aus.754 Im Gegensatz zum Bezug zu den Jeannes anderer Medien wird jener zu den früheren Filmheldinnen immer wichtiger, je weiter die Filmgeschichte fortschreitet. Was etwa daran besonders deutlich abzulesen ist, dass sich von Bressons Procès an die Filmographie als eigenes Genre der Berichterstattung etabliert: Als Ergänzung zur Kritik informiert eine mehr oder weniger ausformulierte Liste über Jeannes Kinotradition.755 Ersatzweise liefern einige Sätze innerhalb eines anderen Textes eine verkürzte Übersicht, die mitunter von einer Angabe zur Gesamtzahl der Verfilmungen gekrönt wird – die Artikel nennen Werte zwischen 17 und 50.756 Muss da nicht jeder weitere Film überflüssig sein? In der Tat präsentieren die JournalistInnen das filmische Erbe immer öfter als eine Last. Schon in frühen Jahrzehnten verdeutlichen einzelne Artikel, dass die Qualitäten bereits existenter Filme nicht immer leicht zu übertreffen sind.757 Und später mehren sich die Bedenken. Ein Kritiker glaubt nicht an den Erfolg von Saint Joan, weil er schon die vorausgegangenen Verfilmungsversuche für misslungen hält.758 Und diverse Artikel beschreiben die Fülle und Vielfalt der alten Jeanne-Filme als eine Hypothek für die Produktionen von Bresson, Rivette und Besson.759 Die Macher selbst betonen gerne, dass sie sich gar nicht mit ihren Vorgängern messen, sondern einfach etwas anderes machen wollen.760 Aber letztlich müssen sie doch gegen die Tradition antreten. Der Einsatz ist hoch. Jene Filmheldin, die neben ihren Vorgängerinnen besteht, wird dadurch in besonderem Maße gestärkt. Manche KritikerInnen sind äußerst beeindruckt, weil sich eine neue Darstellung in ihren Augen gegenüber der Filmgeschichte behaupten kann.761 Aber etwa ebenso viele sind enttäuscht: Weil ihrer Mei754 Cf. Le Monde, 10.02.1994b. 755 Cf. Télérama, 01.12.1963; L’Humanité, 09.02.1994c; Le Monde, 10.02.1994c, 27.10.1999b; Libération, 27.10.1999c; Le Figaro, 26.10.1999a. 756 Cf. taz, 01.09.1994b, 13.01.2000; FR, 02.09.1994; FAZ, 14.02.1994, 14.01.2000; Berliner Morgenpost, 03.11.1994, 13.01.2000; epd Film, 11/1994, 01/2000; Film-Dienst, 30.08.1994a, 04.01.2000; L’Humanité, 09.02.1994a, 27.10.1999; SZ, 12.01.2000; Die Zeit, 13.01.2000; Die Woche, 14.01.2000; Le Monde, 07.12.1999; La Croix, 30./31.10/01.11.1999a; Télérama, 03.11.1999; Positif, 12/1999. 757 Cf. Pour Vous, 25.04.1929, Frankfurter Zeitung, 28.04.1935. 758 Cf. FR, 27.09.1957. 759 Cf. SZ, 04.11.1965, 12.01.2000; Film-Dienst, 27.10.1965a; FR, 02.09.1994; epd Film, 04/1994; Film-Dienst, 29.03.1994; Le Monde, 29.04.1993a; 27.10.1999b; 12.04.2000; FR, 14.01.2000; Libération, 27.10.1999a. 760 Cf. Le Monde, 30.01.1957, 10.02.1994d; Film-Dienst, 27.10.1965b; L’Humanité, 09.02.1994b; Berliner Morgenpost, 13.01.2000. 761 Cf. FAZ, 30.09.1957; L’Humanité, 25.05.1957; Berliner Morgenpost, 24.01.1969; Libération, 23./24.03.1963; Cahiers du cinéma, 05/1963a und b; Télérama, 06.05.1962, 01.12.1963,

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nung nach die jeweils aktuelle Verfilmung gegenüber dem bereits Erreichten – oft wird La Passion hervorgehoben – letztlich abfällt.762 Dass ein Film nichts wirklich Neues zu bieten hat, kann für ein harsches Gesamturteil reichen. Der Procès ähnele so sehr der Passion, schreibt die New York Times, „that it can’t help being sternly compared to it, if not charged with being an outright steal“.763 Und der Kritiker von Télérama resümiert Bessons Jeanne d’Arc mit den Worten: „Une Jeanne de plus. Une Jeanne pour rien.“764 Eine Filmheldin, die nichts Neues zu bieten hat, muss um ihr Existenzrecht fürchten. Ganz eindeutig ist das Verhältnis zu den Vorgängerinnen aus dem eigenen Medium – stärker als der Bezug zu anderen fiktiven oder zu wahren Jeannes – eines der Konkurrenz.765 Insgesamt nehmen die Bezüge der Filmheldin zu ihren fiktiven Vorgängerinnen an Komplexität zu. Der bloße Rückgriff auf die Tradition kann etwa ab Mitte des Jahrhunderts zur Absicherung der Heldin nicht mehr viel beitragen: Die überkommene Ikonographie ist in Misskredit geraten; die enge Anbindung an die Bühne steht dem immer souveräneren Medium Film nicht mehr recht an; und die wachsende Menge von Jeanne d’Arc-Verfilmungen kann nur dann eine Stütze sein, wenn sich neue Aussagen über die Heldin geschickt von alten absetzen. Aber natürlich kann Jeanne sich nicht nur auf Jeanne beziehen. Sie ist nicht die einzige Heldin auf weiter Flur.

II. Andere Heldinnen i. Ausdrückliche Verweise Die Kinotradition der Herrscherinnen und Westernheldinnen In jenen Zeiten, in denen der Bezug der Filmheldin zu prestigiösen Aussagen über ihre direkten Vorgängerinnen noch eng ist, sehen zumindest ihre journalistischen BeobachterInnen offenbar keinen Bedarf an weiteren Vorbildern. Bis hinein in die 1930er Jahre hat sie in den Jeannes der Historie und der

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21.04.1993, 09.02.1994c; FR, 02.09.1994; SZ, 27.05.1995; Film-Dienst, 29.03.1994, 04.01.2000; Le Monde, 10.02.1994a; Die Zeit, 13.01.2000. Cf. SZ, 16.10.1950; Le Monde, 25.10.1949, 27.05.1957, 07.12.1999; Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949; Berliner Morgenpost, 11.10.1957; Libération, 24.05.1957; France-Soir, 25.05.1957; La Croix, 06.06.1957, 20./21.05.1962; FR, 15.02.1994; taz, 13.01.2000; FAZ, 13.11.1999; Die Woche, 14.01.2000; Télérama, 03.11.1999. New York Times, 12.02.1965. Télérama, 03.11.1999. Cf. Röckelein: Mittelalter-Projektionen, 58; idem: Jeanne d’Arc. Über historische Authentizität im Film, 71f.

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Bühne so mächtige Verbündete, dass die Berichterstattung nur ganz selten eine ausdrückliche Verbindung zu sonstigen Heldinnen herstellt. Eine der wenigen Ausnahmen bildet der Text einer französischen Journalistin, die von Ucickys Film hat berichten hören und seine Protagonistin zwischen anderen verfilmten Frauen der Weltgeschichte einordnet. Die lange Liste reicht von der Jungfrau Maria über Madame Dubarry bis zu George Sand.766 Sie weist auf eine Gruppe von Heldinnen hin, die – auch wenn sie in den frühen Artikeln sonst keine Beachtung findet – für die Filmheldin Jeanne trotzdem von einiger Bedeutung sein dürfte. Zwar sind Filme über historische Persönlichkeiten in der Regel auf Männer ausgerichtet. Ob in den frühen 1920ern oder gegen Ende des Jahrhunderts: Stets bilden Frauen unter den zentralen Figuren des Biopics eindeutig eine Minderheit.767 Aber an einigen Heldinnen kommt das Genre doch nicht vorbei, an gewissen historischen Herrscherinnen etwa. Besonders in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg beschäftigt sich Hollywood mit verschiedenen weiblichen Mitgliedern königlicher Familien – Frauen, die schon durch ihre machtvolle Position eine gewisse Nähe zu Jeanne zeigen können. Die Filmheldinnen Kleopatra, Elisabeth I. oder Christina von Schweden haben an ihren Höfen das Sagen – daran besteht gerade in Verfilmungen aus Hollywoods besten Jahren kein Zweifel. Die berühmten Frauen geben ihren Gefolgsleuten klare, mitunter brutale Befehle, und auf Widerstand reagieren sie mit deutlichen Zurechtweisungen. Sie vertreten ihren Standpunkt gegenüber männlichen Autoritäten: Sie diskutieren mit Geistlichen und Parlamentariern, verhandeln mit Befehlshabern fremder Mächte. Und sie reden nicht nur, sondern treten mitunter selbst in Aktion: Kurz entschlossen entfernt sich Christina vom Hof, um den Forderungen ihrer Berater zu entgehen, Kleopatra ersticht einen Verschwörer, Elisabeth ohrfeigt einen Lord.768 Damit stärken die Herrscherinnen gleichzeitig ihrer Filmkollegin Jeanne den Rücken – besonders in jenen Filmen, die in zeitlicher Nähe entstehen. Ob sie nun den Soldaten einen Befehl zuruft, ihren Richtern widerspricht, gegen Engländer ficht oder in voller Rüstung durch die Lande reitet – in dem einen oder anderen Moment kann sich Jeanne, so wie Ucicky, Fleming, Preminger 766 Cf. Cinémonde, 18.07.1935. 767 Cf. Neale: Genre and Hollywood, 60, 65, 144, Fn. 10; Carolyn Anderson / Jon Lupo: Hollywood Lives. The State of the Biopic at the Turn of the Century. In: Steve Neale (ed.): Genre and Contemporary Hollywood. London 2002, 90-104, hier: 92, 103, Fn. 8. 768 Cf. Rouben Mamoulian: Queen Christina (Königin Christine). USA 1933; Cecil B. DeMille: Cleopatra (Cleopatra). USA 1934; Michael Curtiz: Elizabeth the Queen (Günstling einer Königin). USA 1939; Joseph L. Mankiewicz: Cleopatra (Cleopatra). USA 1962; Henry Koster: The Virgin Queen (Die jungfräuliche Königin). USA 1955 und allgemeiner BellMetereau: Hollywood Androgyny, 12; Neale: Genre and Hollywood, 60f.

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oder auch Bresson sie zeigen, auf jeden Fall auf die Königinnen stützen. Diese Allianz deutet sich in der Berichterstattung zu Joan of Arc ein weiteres Mal an. Denn wenn der Kritiker von France-Soir nach Beispielen für die gelungene Verkörperung historischer Größen sucht, fallen ihm nicht zuletzt zwei Monarchinnen ein: „Comme on est allé voir Charles Laughton dans «Henry VIII», Garbo dans «La Reine Christine», Katherine Hepburn dans «Marie Stuart», Laurence Olivier dans «Hamlet», on ira voir Ingrid Bergman dans «Jeanne d’Arc».“769

Häufiger allerdings bringen die Kritiken zu Flemings Film eine andere Sorte von Heldinnen ins Spiel. Zumindest indirekt, indem sie – davon war bereits die Rede – Ähnlichkeiten zum Western entdecken.770 Man muss diesen eher allgemeinen Verweis nur ein wenig verlängern, dann landet man bei äußerst durchsetzungsfähigen Frauenfiguren. Natürlich bilden sie eine Minderheit, aber in dem traditionsreichen Genre haben sie eben wiederum ihre eigene Tradition. Die Blütezeit des Starkinos hat auch hier einige eindrucksvolle Beispiele hervorgebracht.771 Saloonbesitzerinnen wie Cherry alias Die Freibeuterin und Vienna aus Johnny Guitar haben ihr Personal eindeutig im Griff. Wenn es darauf ankommt, können sie auch einen Revolver bedienen und ein Pferd beherrschen. Jane, die Protagonistin aus Sein Engel mit den zwei Pistolen, ist in diesen Disziplinen sogar so gut, dass sie in geheimem Auftrag ein paar kriminelle Waffenhändler zur Strecke bringen soll.772 Die Befehle, die Kämpfe dieser Frauen bieten weitere Anknüpfungspunkte für die Jeannes von Fleming und Preminger, die zur Waffe greifen, die ihren Soldaten voranreiten und sie anspornen. Ein paar Jahrzehnte später kommt einigen JournalistInnen beim Betrachten von Rivettes Pucelle abermals die Welt des Western in den Sinn.773 Und mittlerweile wird die von immer radikaleren Frauen bevölkert. In Filmen wie Bad Girls und Schneller als der Tod nehmen sie den angestammten Platz des – mehr oder weniger einsamen – Revolverhelden ein.774 Sie galoppieren durch die Prärie, legen sich mit dem grausamen Bandenchef an, erlegen ihn dank ihrer Schießkünste und reiten weiter – ins Ungewisse. So weit geht 769 770 771 772

France-Soir, 15.10.1949b. Cf. supra, 201f. Cf. Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 12, 80f, 86f; Tasker: Working Girls, 58. Cf. Ray Enright: The Spoilers (Die Freibeuterin).USA 1942; Nicholas Ray: Johnny Guitar (Wenn Frauen hassen). USA 1954; Norman Z. McLeod: The Paleface (Sein Engel mit den zwei Pistolen). USA 1947. 773 Cf. supra, 201. 774 Cf. Jonathan Kaplan: Bad Girls (Bad Girls). USA 1994; Sam Raimi: The Quick and the Dead (Schneller als der Tod). USA 1995 sowie Grant: Strange Days, 190-192.

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Rivettes Heldin zwar nicht. Weder tötet sie Gegner wie den englischen Befehlshaber Glasdale selbst, noch kennt sie den einsamen Triumph. Trotzdem drängt sich die Verwandtschaft auf: zwischen der Pucelle einerseits, die mit ihren Begleitern Chinon entgegenreitet, und der Ex-Hure Cody andererseits, die mit ihren Freundinnen eine Staubpiste entlangprescht; zwischen Rivettes Jeanne, die den duc d’Alençon durch die geschickte Handhabung einer Lanze beeindruckt und der Revolverheldin Helen, die diverse Männer mit ihren Schießkünsten verblüfft. Die Kinokämpferinnen des späten 20. Jahrhunderts Genau genommen kommen diese Westerngirls ein wenig spät, um Jeanne beizustehen: Die Filme von Jonathan Kaplan und Sam Raimi entstehen mehr oder weniger parallel zur Pucelle. Doch wenn man den Blickwinkel abermals ein wenig weitet, stößt man auf eine Reihe ähnlicher Figuren, die ab den späten 1980er Jahren vermehrt auf der Leinwand auftauchen und sich dort seither behaupten. Ohne Stetson und Leder-Leggings zwar, denn sie sind über viele Genres verteilt, aber durchaus durchsetzungsfähig.775 Da sind jene Frauen – eine Lehrerin etwa, eine betrogene Ehefrau, eine Serviererin, eine Hausfrau –, die ihren Alltag abrupt zurücklassen, quer durchs Land fahren und dabei gewisse Widerstände nur mit Gewalt aus dem Weg räumen können.776 Für andere ist der Kampf ein Normalzustand. Sie haben ihn quasi zum Beruf gemacht: Von der Piratin und der Meisterdiebin wird man das wohl sagen dürfen und umso mehr von den vereinzelten Soldatinnen und von den zahlreichen Polizistinnen, die Serienmörder oder sonstige Gewalttäter jagen.777 775 Cf. zum Folgenden supra, 199-201; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 247-256; Tasker: Working Girls, 67f.; Neroni: The Violent Woman, 19; Cathy Griggers: Thelma and Louise and the Cultural Generation of the New Butch-Femme. In: James Collins / Hilary Radner / Ava Preacher Collins (eds.): Film Theory Goes to the Movies. New York 1993, 129-141, hier: 129; B. Ruby Rich: Lethal Lesbians. In: Carla Despineux / Verena Mund (eds.): Girls, Gangs, Guns. Zwischen Exploitation-Kino und Underground. Marburg 2000, 127-148, hier: 131. 776 Cf. Ridley Scott: Thelma and Louise. USA 1991; Renny Harlin: The Long Kiss Goodnight (Tödliche Weihnachten). USA 1996; Michael Apted: Enough (Genug). USA 2002. 777 Cf. Scott: G.I. Jane; Renny Harlin: Cutthroat Island (Die Piratenbraut). USA 1995; Russell Mulcahy: The Real McCoy (Karen McCoy – Die Katze). USA 1992; Barbet Schroeder: Murder by Numbers (Mord nach Plan). USA 2002; Luis Mandoki: Angel Eyes (Angel Eyes). USA 2000; Jon Amiel: Copycat (Copykill). USA 1995; Kathryn Bigelow: Blue Steel (Blue Steel). USA 1989; Kevin Hooks: Irresistible Force (Power Cop). USA 1993; Jonathan Demme: The Silence of the Lambs (Das Schweigen der Lämmer). USA 1990 sowie allgemeiner Aisenberg: Ordinary Heroines, 144-158; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 208; Tasker: Working Girls, 91; Jeffrey Walsh: Elite Woman Warriors and Dog Soldiers. Gender Adaptations in Modern War Films. In: Angela K. Smith (ed.): Gender and Warfare in the

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Nicht zuletzt sind starke Heldinnen in fantastischen, bzw. zukünftigen Kinowelten anzutreffen. Mit ihrem Wissen und oftmals übermenschlichen Kräften gehen sie gegen Außerirdische vor oder gegen Dunkelmänner, die nach umfassender Macht streben.778 Alles in allem eine beachtliche Truppe kämpfender Frauen, die sich nicht nur aus Kinofilmen, sondern auch aus Fernsehproduktionen rekrutiert.779 Ihre Wurzeln reichen tief hinein in die Geschichte der Sub- und Popkultur. Sie haben einerseits Vorläuferinnen unter den Stars aus Fleisch und Blut: Maggie Cheung und Pam Grier etwa, die sich immer wieder mit Waffengewalt und Kampfsporttechniken durch Hongkong- oder Blaxploitation-Filme schlagen.780 Andererseits können sie auf gezeichneten oder animierten Geschichten über Heldinnen aufbauen: Neben dem prominentesten Fall, neben Lara Croft, gibt es auch andere Filmkriegerinnen die ihre Wespentaille bzw. ihre fabulösen Kräfte von der Heldin eines Comics oder Videospiels geerbt haben.781 Die Polizistin im Zentrum des US-Fernsehfilms Witchblade stammt sogar von einer Comic-Heldin ab, die innerhalb der Narration ihrerseits in eine lange Traditionslinie gestellt wird: Sie findet heraus, dass es ihre Bestimmung ist, mit dem Schwert der Jeanne d’Arc zu kämpfen. Und in Ridley Scotts Film über die Aufnahme einer Soldatin in eine Elite-Kampftruppe bemerkt

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Twentieth Century. Textual Representations. Manchester, New York 2004, 195-215, hier: 197. Cf. Cameron: Terminator 2; Ridley Scott: Alien (Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt). Großbritannien 1979; Robert Kurtzmann: The Demolitionist (The Demolitionist). USA 1996; Andrew Wachowski / Larry Wachowski: The Matrix (Matrix). USA 1999; Paul W.S. Anderson: Resident Evil (Resident Evil – Genesis). Deutschland, Großbritannien 2002; Simon West: Lara Croft: Tomb Raider (Lara Croft: Tomb Raider). USA 2001; Jan de Bont: Lara Croft: Tomb Raider – The Cradle of Life (Lara Croft: Tomb Raider – Die Wiege des Lebens). USA et al. 2003. Cf. Ralph Hemecker: Witchblade (Witchblade – Die Waffe der Götter). USA 2000; David Nutter: Dark Angel (Dark Angel). USA 2000; Sigi Rothemund: Wilde Engel. Deutschland 2001 sowie Tasker: Spectacular Bodies, 19; idem: Working Girls, 91; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 205; Thornham: Women, Feminism, and Media, 68f. Cf. Jack Hill: Coffy (Coffy – Die Raubkatze). USA 1973; Jack Starrett: Cleopatra Jones (Ein Fall für Cleopatra Jones). USA 1973 sowie Tasker: Spectacular Bodies, 21-23; Neroni: The Violent Woman, 27-31; Despineux / Mund: Augenfällig, Augenblick!, 15-18; Beltrán: Más Macha, 188; Annette Weber: Die elegante Version des Erlegens. In: Carla Despineux / Verena Mund (eds.): Girls, Gangs, Guns. Zwischen Exploitation-Kino und Underground. Marburg 2000, 76-87, hier: 80; Wolfgang Zimmermann: Grenzüberschreitungen. Olivier Assayas’ Irma Vep (1996). In: Augen-Blick 32 (November 2001), 6-32, hier: 22. Cf. Hemecker: Witchblade; Anderson: Resident Evil; Rachel Talalay: Tank Girl (Tank Girl). USA 1994 sowie Warner: In weiblicher Gestalt, 245f.

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der Marineminister, als er von den Trainingsfortschritten der jungen Frau hört: „Die Jungfrau von Orléans trifft Supergirl.“782 Wie sehr Jeannes Sagbarkeit von solchen Genealogien profitieren kann, lässt sich nicht bloß daran ablesen, dass die Heldin inzwischen selbst eine Existenz als Figur in Comics – sowohl in der Superhelden- als auch in der Manga-Tradition – und in Computerspielen führt.783 Auch die Berichterstattung zu Bessons Film lässt solche Verbindungen hervortreten – zunächst einmal durch ganz allgemeine Verweise. Schon indem die Kritiken diese Jeanne d’Arc dem Actionfilm zuschlagen oder Parallelen zu Comics erwähnen, geben sie eine Vorstellung davon, wo man die Verbündeten der Heldin suchen muss.784 Darüber hinaus wird Bessons Jeanne ganz konkret in die Reihe seiner früheren Protagonistinnen eingeordnet – nicht zuletzt stamme sie „bien sûr“ von Nikita ab.785 Und die ist eben eine typische Vertreterin der kämpferischen Filmheldinnen des späten 20. Jahrhunderts. Schon in der ersten Sequenz des Films, der ihren Namen trägt, überfällt Nikita zusammen mit einigen Kumpanen eine Apotheke und tötet, als es zu einer wilden Schießerei mit anrückenden Polizisten kommt, einen ihrer Gegner.786 Da die Sicherheitskräfte ihr Potential zu schätzen wissen und sie zur Agentin ausbilden, hat sie bald weitere Auseinandersetzungen durchzustehen. Auch bei ihr kann man sagen: Der Kampf wird ihr Beruf. Und so entschlossen wie Nikita in ein Restaurant schreitet, um eines ihrer Opfer inmitten seiner bewaffneten Handlager zu attackieren, so springt Jeanne mit ihrem Pferd über eine Verteidigungslinie mitten zwischen die englischen Soldaten. Auf noch augenfälligere Weise ist diese Jeanne mit einer weiteren BessonHeldin verwandt: Leelou aus Le Cinquième élément wird ebenfalls von Milla Jovovich verkörpert.787 Sie gehört zu den fantastischen Kämpferinnen: Als „ein höheres Wesen, der absolute Krieger, geschaffen, um das Leben zu schützen“ wird sie zu Beginn eingeführt. Sie kann Panzerglas durchstoßen, durch Wände springen, und mit ihren Kampfsportkünsten wehrt sie einen ganzen Trupp furchteinflößender Außerirdischer ab. Jovovich spielt hier ein Mädchen, das dem härtesten Kerl weit und breit – dem Taxifahrer Corben alias Bruce Willis – leutselig erklärt, es werde ihn beschützen. Zwei Jahre später 782 Scott: G.I. Jane. 783 Cf. Rieger: Nationalmythos und Globalisierung, 646f.; Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«, 311f., 325, 330-335. 784 Cf. Film-Dienst, 04.01.2000; Variety, 01.11.1999; taz, 13.01.2000; epd Film, 01/2000; Télérama, 03.11.1999. 785 Cahiers du cinéma, 12/1999b; cf. 12/1999a; taz, 13.01.2000; FAZ, 13.11.1999; Berliner Morgenpost, 13.01.2000; Die Woche, 14.01.2000; epd Film, 01/2000; Libération, 27.10.1999a. 786 Cf. Luc Besson: Nikita (Nikita). Frankreich / Italien 1989. 787 Cf. Luc Besson: Le Cinquième élément (Das fünfte Element). Frankreich 1997.

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sind es dann ein paar Dutzend breitschultrige Statisten, die in ihrer Funktion als königliche Söldner von derselben Schauspielerin zugerufen bekommen: „Follow me! I will bring you victory.“ Sonstige Rebellinnen Die popkulturellen Kämpferinnen des ausgehenden 20. Jahrhunderts sind der Filmheldin Jeanne ohne Zweifel ein besonders effizienter Beistand. Denn sie kennen praktisch keine Barrieren, wenn es darum geht, die Kontrolle zu übernehmen und kompromisslos gegen ihre Feinde vorzugehen. Allerdings nennen die KritikerInnen als Referenzfiguren zu den Jeannes von Rivette und Besson auch ein paar zurückhaltendere Heldinnen. So verweisen sie, wenn es um die Pucelle geht, naheliegenderweise auf Rivettes frühere Protagonistinnen. Da gebe es bereits andere Abenteurerinnen, schreibt eine Kritikerin, und Frauen, die gegen Verschwörungen, gegen unkontrollierbare Situationen ankämpften.788 Drei Artikel deuten vor allem Parallelen zu jenem Film an, den der Regisseur direkt zuvor in die Kinos gebracht hat: La Belle Noiseuse.789 Der Titel, aus dem in der deutschen Fassung Die schöne Querulantin wird, gibt zu erkennen: Die zentrale Frauenfigur kann ungemütlich werden. Für Augenblicke gelingt es Marianne, beim Modellsitzen für den berühmten Maler Frenhofer die Machtverhältnisse umzukehren. Nicht sie, nein, er, der Maler selbst, habe sich bewegt, entgegnet sie auf eine seiner Zurechtweisungen. Bei einer anderen Sitzung nimmt sie ihm mit Entschiedenheit die Kontrolle über ihre Position aus der Hand, bestimmt selbst, wie er sie malen soll. Noch gründlicher entzieht sich Mona der Autorität anderer. Sie hat ihre Existenz als Sekretärin an den Nagel gehängt und zieht stattdessen durchs Land, nistet sich mal hier, mal dort ein, aber verschwindet alsbald, wenn jemand Ansprüche an sie stellt.790 Mona steht im Zentrum von Agnès Vardas Film Sans toît ni loi, und auf diesen Titel spielen verschiedene Kritiken zu Rivettes Pucelle an.791 Schon insofern ein naheliegender Verweis, als Mona von Sandrine Bonnaire gespielt wird. Aber darüber hinaus kann eben auch diese Figur durch ihre Unabhängigkeit von konventionellen Autoritäten einen Beitrag zur filmischen Sagbarkeit der Heldin aus Domremy leisten, die sich ebenfalls auf eigene Faust in die weite Welt begibt.

788 Télérama, 09.02.1994b. 789 Cf. Jacques Rivette: La Belle Noiseuse. Frankreich 1991; taz, 01.09.1994b; FR, 02.09.1994; France-Soir, 09.02.1994. 790 Cf. Agnès Varda: Sans toît ni loi (Vogelfrei). Frankreich 1985. 791 Cf. taz, 01.09.1994b; SZ, 15.02.1994; Libération, 09.02.1994a.

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Weitere Verbündete lassen sich womöglich in einem anderen Feld der populären Kultur im späten 20. Jahrhundert finden. Ein Artikel zu Bessons Film befindet, Jeanne sei hier „eine Art Annie Lennox zu Pferde“.792 Andernorts ist von ihr als einem „Prototyp des Riot Girls“ die Rede, und weitere Texte ziehen allgemeiner die Verbindung zu „music video“ oder „Clubkultur“.793 In der Tat lässt sich Jeanne auch zwischen Heldinnen der Popmusik einordnen, wenn man sich einmal das Spektrum von Images gegen Ende des Jahrhunderts vor Augen hält. Da sind auf der einen Seite eben die Riot Grrrls, deren demonstrative Unabhängigkeit und Aggressivität offensichtliche Anknüpfungspunkte für die Heerführerin bieten. Ebenso wie Madonna, wenn sie ihren gestählten Körper gelegentlich in Männerkleider hüllt, der gepanzerten Kämpferin verbunden ist. Auf der anderen Seite erreichen Teeniestars machtvolle Positionen im Popbusiness, indem sie sich als jungfräuliche Lichtgestalten inszenieren.794 Insofern Jeanne die Merkmale ihrer heiligen Herkunft keineswegs alle abgelegt hat, gibt es auch in diese Richtung Anschlussmöglichkeiten. Die Kritikerin der taz entdeckt bei Rivettes Jeanne sogar Affinitäten zum Terrorismus – „eine Sekunde lang muß man an Ulrike Meinhof denken“.795 In dem Moment nämlich, da die Pucelle die Unterstützung des Hofes verliert und auf eigene Rechnung weiterkämpft. Ganz offensichtlich können die disparatesten Heldinnen für Jeanne von Bedeutung sein. Insgesamt öffnen solche expliziten Verweise, wie sie vor allem in den Texten zur Pucelle und zu Bessons Jeanne d’Arc zu finden sind, ein assoziiertes Feld beachtlicher Ausmaße. Es wird sich nicht abschließend kartieren lassen. Aber es lässt sich zweifellos weiter erhellen, wenn man neben den ausdrücklichen Bezügen auch impliziten Verwandtschaften nachspürt. ii. Diskrete Verwandtschaften Frauen der Tat und des Wortes im frühen 20. Jahrhundert Wenn die Filmheldin Jeanne in ihren frühen Jahren mit anderen Heldinnen nicht ausdrücklich in Beziehung gesetzt wird, darf das nicht als Indiz dafür 792 FAZ, 13.11.1999. 793 Die Zeit, 13.01.2000; New York Times, 12.11.1999; taz, 13.01.2000, cf. Berliner Morgenpost, 13.01.2000; Libération, 27.10.1999a; Positif 12/1999. 794 Cf. Cheng: Getriebene Melancholiker, 217; Genz: Postfemininities in Popular Culture, 89f.; Claudia Lenssen: Blaue Augen, blauer Fleck. Kino im Wandel von der Diva zum Girlie. Berlin 1997, 142; Anette Baldauf: Iconography of the Blonde. Weiblichkeit als Spezialeffekt. In: L’Homme 12.2 (2001), 291-304, hier: 298-301; idem: GIRL-o-mania. Revolution Girl Style. In: Carla Despineux / Verena Mund (eds.): Girls, Gangs, Guns. Zwischen Exploitation-Kino und Underground. Marburg 2000, 88-105, hier: 89. 795 taz, 01.09.1994b.

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gewertet werden, dass es keine geeigneten Kandidatinnen gäbe. Denn es gibt sie, die anderen Kämpferinnen, und man darf davon ausgehen, dass sie Jeanne diskret zur Seite stehen. Man kann sie gleich in ihrer Nachbarschaft finden, innerhalb der Möglichkeitsfelder, in denen die Filmheldin zu Hause ist. Im frühen deutschen Kriminalfilm bringen mitunter Detektivinnen – die ihrerseits Vorgängerinnen in der populären Literatur haben – die Verbrecher zur Strecke. Im US-Kinos erzählt schon die erste Serie zu Beginn der 1910er Jahre The Adventures of a Girl Spy, und die populärste Heldin des Genres, Pearl White, überwindet souverän die vertracktesten Situationen. Eine weitere bewahrt die USA durch ihren tatkräftigen Einsatz sogar vor einer gemeinsamen Attacke Mexikos und Japans.796 Eine Geschichte, an die die Retterin Frankreichs unmittelbar anschließen kann. Weniger spektakulär fallen die Abenteuer der populären französischen Heldin Irma Vep aus. Doch immerhin durchquert sie Paris ganz sportlich im Auto, und im Auftrag der wechselnden Chefs der „Vampires“-Bande bricht sie auch mal in ein Hotelzimmer ein oder räumt einen Widersacher aus dem Weg.797 Besonders standfeste Unterstützung darf die gerüstete Heldin der JeanneFilme von DeMille oder auch Méliès aus dem Kontext des nationalen Heldenkults erwarten. Die Allegorien der deutschen Nation nehmen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend aggressive Posen ein. „Germania schreitet in die Schlacht“, verkünden die Standbilder und Gemälde gleichsam, die diverse Zeitgenossen von einer deutschen Jeanne d’Arc sprechen lassen; und ab 1900 ist in der Rhetorik patriotischer Frauenvereine immer öfter von „zum Kampf begeisterten Frauen“ die Rede.798 In den USA steigt derweil die anonyme Warrior Queen zum führenden Sinnbild kämpferischer Stärke auf. In einem weißen Gewand, mit einer Flagge in der einen und einem Schwert in der anderen Hand führt sie die Soldaten schließlich in den Ersten Weltkrieg.799 In Form

796 Cf. Abel: French Cinema, 73; Mitry: Histoire du cinéma. Bd. II, 212; Jerzy Toeplitz: Geschichte des Films. Bd. I: 1895-1928. München 1975, 128; Heide Schlüpmann: Ein feministischer Blick. Dunkler Kontinent der frühen Jahre. In: Wolfgang Jacobsen / Anton Kaes / Hans Helmut Prinzler: Geschichte des deutschen Films. Stuttgart, Weimar 1993, 465-478, hier: 476; Cornelia Behrens: Verwischte Spuren. Die Detektivin als literarische Wunschfigur in Kriminalromanen von Frauen. In: Renate Berger / Inge Stephan (eds.): Weiblichkeit und Tod in der Literatur. Köln, Wien 1987, 177-197, hier: 182f. 797 Cf. Louis Feuillade: Les Vampires (Die Vampire). Folge 6: Les yeux qui fascinent (Die behexenden Augen). Frankreich 1916. 798 Cf. Gall: Germania, 22f, 26-28; Brunn: Germania und die Entstehung des deutschen Nationalstaats, 113-116; Bruns: Das moderne Kriegsweib, 134, 138f.; Watanabe-O’Kelly: Beauty or Beast?, 10. 799 Cf. Banta: Imaging American Women, 1-3, 549-552.

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solcher Darstellungen kursieren kondensierte Aussagen, die der Filmheldin Anknüpfungspunkte bieten. Elaborierter fällt die Rede von den historischen Schwertjungfern aus. Obwohl das Militär in der Zwischenzeit zu einer exklusiv männlichen Angelegenheit geworden ist, erinnert man sich in Deutschland ausführlich an jene Frauen, die sich in den antinapoleonischen Kriegen des frühen 19. Jahrhunderts kämpfenden Einheiten angeschlossen haben. Es wird von Heldinnen wie Eleonore Prochaska berichtet, der „deutschen Jeanne d’Arc“, die sich als Mann getarnt einem Freikorps anschließt und 1813 fällt.800 Französische Schülerinnen werden derweil nicht nur mit der Geschichte der Jeanne d’Arc, sondern auch mit der anderen Jeanne vertraut gemacht: Von der Rettung Orléans ist es nicht weit bis zur Verteidigung von Beauvais, die Jeanne Hachette anleitet. Und dem Modell der Jeannes sind wiederum die Geschichten über Frauen aus dem Krieg von 1870/71 nachgebildet, die bei der Unterstützung der Truppen den Tod riskieren und dafür ebenfalls ihren Platz im Unterricht erhalten.801 Noch in den 1920er und 30er Jahren sorgt das Kino dafür, dass sich die Rede über solche nationalen Heldinnen fortsetzt. Zehn Jahre nach dem bereits erwähnten Film Raymond Bernards, der Jeanne Hachette ihr Beil schwingen lässt, reitet der Schwarze Jäger Johanna über die Leinwand.802 Noch eine Jeanne also, nur eben eine deutsche. Eine entschiedene Kämpferin ist auch sie: Im Laufe der Handlung schneidet sie sich die Haare kurz, stößt hoch zu Ross und in Männerkleidung zu einem Freikorps, das gegen die Franzosen kämpft, und rettet einem Kommandeur das Leben. Aber nicht nur die Aussagen über „zum Kampf begeisterte Frauen“ bieten der Filmheldin Jeanne Anknüpfungspunkte, sondern auch zeitgenössische Frauen, die solche Aussagen kursieren lassen. Die kriegerische Metaphorik entwickeln nicht zuletzt die patriotischen Frauenverbände, und was über sie gesagt oder geschrieben wird, was sie selbst sagen oder schreiben, kann man ebenso zum assoziierten Feld der Geschichten über Jeanne rechnen. Denn die organisierten Frauen ergreifen schließlich das Wort auf dem Feld politischmilitärischen Wissens. Sie beschäftigen sich mit der nationalen Geschichte, mit der Lage des Staates, und als sie – bereits im Jahr 1894 – Bismarck ihre Huldigung darbringen, ziehen etliche Zeitgenossen die Augenbrauen hoch. 800 Cf. Hagemann: «Deutsche Heldinnen», 86-89; idem: «Mannlicher Muth und Teutsche Ehre», 384-386, 390; Wenk: Die steinernen Frauen, 92; Frevert: Citoyenneté, identités de genre et service militaire; Watanabe-O’Kelly: Beauty or Beast?, 169-174. 801 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 172; Darrow: In the Land of Joan of Arc, 279-288. 802 Cf. Raymond Bernard: Le Miracle des Loups. Frankreich 1924; Johannes Meyer: Schwarzer Jäger Johanna. Deutschland 1934.

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Die Patriotinnen, die jenseits des Atlantiks in einer Vielzahl von Frauenvereinigungen ihre Entsprechung finden, besetzen einen Sektor der Öffentlichkeit, in dem Frauen bislang nichts zu suchen hatten.803 Ähnliches spielt sich in der Welt des Glaubens ab: In den vielfältigen religiösen Gemeinschaften der USA erreicht der Anteil der Frauen unter den Geistlichen schon im Jahr 1900 mit fast zehn Prozent einen ersten Höhepunkt. Ab 1909 immatrikulieren sich in Deutschland die ersten Theologiestudentinnen. Und ab den späten 20er Jahren können in Frankreich die ersten Frauen als Pfarrerinnen mit voller Autorität zu Fragen des Glaubens Stellung nehmen.804 In der Zeit zwischen den Weltkriegen nehmen einige Frauen außerdem wichtige politische Ämter ein: Die Sozialdemokratin Marie Juchacz richtet als erste Frau das Wort an ihre KollegInnen im Parlament der Weimarer Republik – darunter 40 weitere Frauen –, in den USA werden zwei Gouverneurinnen gewählt, in Frankreich bekommen 1936 drei Politikerinnen zumindest untergeordnete Posten im Kabinett Blum.805 Eine Filmheldin, die sich Zugang zum Königshof verschafft, gegenüber dem König das Wort ergreift und geistliche Würdenträger belehrt, variiert unversehens die Geschichten all dieser Frauen. Und schon die wortlose Jeanne von Georges Méliès hat, wenn sie durch Orléans’ Straßen paradiert, eine gewisse Nähe zu jenen Suffragetten in den USA, die ihre Forderungen mit öffentlichkeitswirksamen Aufmärschen untermauern. Nicht umsonst legen manche Aktivistinnen ein Jeanne-Kostüm an.806 Frauen in der Arbeitswelt der ersten Jahrhunderthälfte Die Aktivität der Filmheldin findet ihren Höhepunkt im Kampf, aber sie ist nicht darauf beschränkt. Die Heldin fällt auch durch ihre rhetorischen Interventionen auf – und schon durch ihren Aufbruch: Jeanne hebt sich nicht zuletzt dadurch von konventionellen Frauenfiguren ab, dass sie Häuslichkeit 803 Cf. Bruns: Das moderne Kriegsweib, 132-134; Anne M. Boylan: Claiming Visibility. Women in Public / Public Women in the United States, 1865-1910. In: Janet Floyd et al. (eds.): Becoming Visible. Women’s Presence in Late Nineteenth-Century America. Amsterdam, New York 2010, 17-40, hier: 23f., 27-34. 804 Cf. Mayeur / Willaime: Katholische und evangelische Kirche, 228; Bard: Les femmes dans la société française, 255; Gerhard Falk: Sex, Gender, and Social Change. The Great Revolution. Lanham, New York, Oxford 1998, 121. 805 Cf. Lauterer: Republikanerinnen des Herzens, 281; Falk: Sex, Gender, and Social Change, 177f.; Karen Offen: European Feminisms, 1700-1950. A Political History. Stanford 2000, 264, 341f. 806 Cf. supra, 18f.; Blaetz: Visions of the Maid, 34; Dolgin: Modernizing Joan of Arc, 5, 101; Barbara Ryan: Feminism and the Women’s Movement. Dynamics of Change in Social Mouvement Ideology and Activism. New York, London 1992, 28.

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und Innerlichkeit – die traditionellen Domänen der Weiblichkeit – radikal hinter sich lässt. Deshalb kann sie auch von der Assoziation mit jenen Frauen profitieren, die ein Ähnliches tun, indem sie sich außerhalb des Heims durchs Berufsleben schlagen. Das 20. Jahrhundert hat da einige emblematische Figuren zu bieten, die im Wechselspiel zwischen Realität und Fiktion entstehen. In Frankreich und Deutschland haben Hunderttausende bzw. Millionen Frauen schon vor der Jahrhundertwende in der Industrie angeheuert, und auch in den USA ist die Arbeitsbevölkerung mit einem Frauenanteil von einem Fünftel zu Beginn des Jahrhunderts unübersehbar weiblicher als in früheren Zeiten. Im Zuge der französischen Kriegsanstrengungen dringen die munitionnettes ab 1915 in die bislang sehr maskuline Welt der Metallindustrie ein – manche sogar mit Kurzhaarfrisur und Hose. Die ungewöhnlich aktive New Woman beschäftigt zuvor schon die Printmedien auf beiden Seiten des Atlantiks und erobert mit der Zeit das US-Kino, wo sie ihr Erwerbsleben über die Verheißungen einer konventionellen Ehe stellen darf.807 Obwohl die Rüstungsindustrie und verwandte Branchen viele Arbeiterinnen mit Ende des Krieges umgehend nach Hause schicken, bleibt die Figur der arbeitenden Frau in der Öffentlichkeit präsent. In der wachsenden Dienstleistungsbranche gibt es die reale Angestellte, im Kino Frauen wie Betty aus Clarence Badgers It.808 Als prototypischer Flapper hat sie zwar vor allem das Ziel, Mister Right an Land zu ziehen. Aber er ist eben nicht von vornherein an ihrer Seite. Sie muss selbst arbeiten: sowohl für ihren Unterhalt als auch an ihrem Glück. Forsch und mit kurzer Frisur verbindet sie mit Jeanne eine gewisse Typenähnlichkeit. Ähnlich wie die garçonne, die mit androgynem Outfit und wenig Respekt vor Autoritäten zur gleichen Zeit Film, Literatur und Mode in Frankreich unsicher macht.809

807 Cf. Hayward: French National Cinema, 94; Higashi: Cecil B. DeMille, 87; Mitry: Histoire du cinéma. Bd. II, 218; Ryan: Feminism and the Women’s Movement, 25; Offen: European Feminisms, 188-192, 229f.; Bard: Les femmes dans la société française, 20, 119; Capdevila et al.: Hommes et femmes dans la France en guerre, 65-67; Gisela Bock: Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München 2000, 240f., 245f.; Diana Holmes / Carrie Tarr: New Republic, New Women? Feminism and Modernity at the Belle Epoque. In: Idem (eds.): A ’Belle Epoque’? Women in French Society and Culture 1890-1914. New York, Oxford 2006, 11-22, hier: 15, 18-21. 808 Cf. Clarence Badger: It. USA 1927; Ryan: The Projection of a New Womanhood, 367-370, 374f.; Mitry: Histoire du cinéma. Bd. II, 401, 467f.; Patalas: Sozialgeschichte der Stars, 73f., 108f.; Rosen: Popcorn Venus, 78; Bard: Les femmes dans la société française, 32, 63f.; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 150, 241f., 245-247. 809 Cf. supra, 198; Blaetz: Visions of the Maid, 29; Bard: Les femmes dans la société française, 118-122.

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Zu den großen wirtschaftlichen Krisen der späten 1920er und frühen 1930er wollen fröhliche Flapper nicht mehr recht passen. Rhetorische und ökonomische Abwehrgesten gegen weibliche Erwerbstätigkeit nehmen wieder zu. Dennoch ist die dauerhafte und massive Präsenz von Frauen in der Berufswelt nicht mehr zu leugnen. Und so verschwindet auch der Typus der arbeitenden Frau nicht einfach, sondern er wandelt sich.810 Das Kino weicht schlicht aus: Einige Filmheldinnen bleiben aktiv, aber sie bewegen sich abseits des Alltags. Mata Hari zum Beispiel verkauft bekanntlich nicht im Kaufhaus, sondert spioniert.811 Dementsprechend bedient sie sich als Kinofigur drastischer Mittel, um ihre Ziele zu erreichen – bis hin zum Mord an einem Offizier. Darin ähnelt sie anderen weiblichen Profis, die im Film der 1930er ihren Einfallsreichtum und Mut unter Beweis stellen.812 Im Zweiten Weltkrieg greifen nicht nur die beteiligten Armeen auf die Dienste von Hunderttausenden Frauen zurück – in der Regel für Hilfsaufgaben außerhalb der kämpfenden Einheiten –, sondern generell müssen sich männliche Bastionen der Berufswelt erneut für Frauen öffnen. US-Soldatinnen etwa mögen von allen Seiten mit Skepsis betrachtet werden, aber eine Schiffsingenieurin der britischen Handelsmarine wird von der Presse auf beiden Seiten des Atlantiks gefeiert, nachdem sie unter Beschuss besondere Tapferkeit an den Tag gelegt hat. Auch der Einsatz von Kinoheldinnen an der Heimatfront findet Akzeptanz: In Tender Comrade etwa führen einige Freundinnen wegen der Nöte des Krieges nicht nur einen gemeinsamen Haushalt, sondern arbeiten eben auch in der Fabrik.813 810 Cf. Ryan: The Projection of a New Womanhood, 381; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 70; Offen: European Feminisms, 253, 278; Bard: Les femmes dans la société française, 59-61, 68f.; Ryan: Feminism and the women’s movement, 36; Elisabeth BeckGernsheim: Vom „Dasein für andere“ zum Anspruch auf ein Stück „eigenes Leben“. Individualisierungsprozesse im weiblichen Lebenszusammenhang. In: Soziale Welt 34 (1983), 307-340, hier: 316. 811 Cf. George Fitzmaurice: Mata Hari (Mata Hari). USA 1931. 812 Cf. Rosen: Popcorn Venus, 134-140; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 70; Conway: Diva in the Spotlight, 36. 813 Cf. Edward Dmytryk: Tender Comrade. USA 1943; Rosen: Popcorn Venus, 189-191; BellMetereau: Hollywood Androgyny, 71; Falk: Sex, Gender, and Social Change, 35, 78-83; Bard: Les femmes dans la société française, 69, 136f., 142; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 296f.; Capdevila et al.: Hommes et femmes dans la France en guerre, 56f., 89, 96, 102f.; Dolgin: Modernizing Joan of Arc, 154f.; Annemarie Tröger: Die Frau im wesensgemäßen Einsatz. In: Maruta Schmidt / Gabi Dietz (eds.): Frauen unterm Hakenkreuz. München 1985, 161-186, hier: 162; G.H. Bennett: Women and the Battle of the Atlantic 1939-45. Contemporary Texts, Propaganda and Life Writing. In: Angela K. Smith (ed.): Gender and Warfare in the Twentieth Century. Textual Representations. Manchester, New York 2004, 111-131, hier: 113-115, 121f.; Sybille Steinbacher: Einleitung. In: Idem (ed.):

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Deutsche Spielfilme mit politischem Akzent weisen den weiblichen Figuren – in Übereinstimmung mit der NS-Ideologie – passive Rollen zu, doch andere Genres räumen Frauen einen größeren Spielraum ein. Die eine oder andere wackere Kameradin kann sich als Ärztin, Rechtsanwältin, Fotografin in einer Männerdomäne durchsetzen. Kulturfilme und Wochenschauen propagieren sogar ohne Umschweife den Einsatz von Frauen in kriegswichtigen Aufgaben an der Heimatfront. Weder in der realen Arbeitswelt noch im öffentlichen Leben, in dem etwa die Funktionärinnen von NS-Frauenorganisationen eine durchaus sichtbare Rolle spielen, noch eben im Film entspricht die Praxis dem offiziell propagierten Ideal von den streng getrennten Sphären der Geschlechter.814 Schon in den Vorkriegsjahren begegnen einem Gestalten wie der Page Frieder.815 Der heißt eigentlich Friedel, aber weil Friedel bei der Jobsuche immer nur Absagen bekommt, verwandelt sie sich von einem Mädchen in einen Jungen. „Ich will Arbeit – um jeden Preis“, verkündet diese Heldin mit Entschlossenheit, und anschließend verbirgt sie ihr Geschlecht unter der Pagenuniform. Da wird es wieder anschaulich: Jeanne in ihrer Rüstung hat durchaus Berührungspunkte mit den berufstätigen Filmheldinnen. Aktive Frauenfiguren des späten 20. Jahrhunderts In dieser Zeit existieren auch schon viele jener Kino-Heldinnen, die mit der verfilmten Jeanne in der Berichterstattung ausdrücklich in Beziehung gebracht werden. Solange die großen Hollywood-Studios ihre klassischen Narrationen wie am Band produzieren, in den 1930ern, 40ern, 50ern, bringen sie gelegentlich auch Herrscherinnen und Saloonbesitzerinnen hervor, auf die Jeanne sich stützen kann. Und nach den mageren Jahren, nach den späten 1960ern und den 1970ern, in denen aktive Filmheldinnen rar sind, in denen aber auch Jeanne nur in Gestalt von Bressons beherrschter Angeklagten in Erscheinung tritt, folgt eine Phase der Vielfalt. Neben der Flut von Aussagen Volksgenossinen. Frauen in der NS-Volksgemeinschaft. Göttingen 2007, 9-26, hier: 24; Franka Maubach: Expansion weiblicher Hilfe. Zur Erfahrungsgeschichte von Frauen im Kriegsdienst. In: Ibid., 93-111, hier: 93-97, 107f. 814 Cf. Gustav Gründgens: Capriolen. Deutschland 1937; Wolfgang Liebeneiner: Großstadtmelodie. Deutschland 1943; Drewniak: Der Deutsche Film 1938-1945, 251, 261-266; Beyer: Die UFA-Stars im Dritten Reich, 54-57; Ellwanger: Frau nach Maß, 121f.; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 285f.; Offen: European Feminisms, 305-310; Steinbacher: Einleitung, 9f., 14f., 20; Ascheid: Hitler’s Heroines, 4-7, 143-151; Scheidgen: Frauenbilder im Spielfilm, 266-268, 273-278; Anette Michel: Führerinnen im Dritten Reich. Die Gaufrauenschaftsleiterinnen der NSDAP. In: Sybille Steinbacher (ed.): Volksgenossinen. Frauen in der NS-Volksgemeinschaft. Göttingen 2007, 115-137, hier: 120-123. 815 Cf. Victor Janson: Der Page vom Dalmasse-Hotel. Deutschland 1933; Ellwanger: Frau nach Maß, 120f.

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über Kämpferinnen kann Jeanne auch in dieser Zeit auf diskretere Heldinnen zählen. Nicht zuletzt kann man das Geflecht der Assoziationen wiederum bis hin zu ganz alltäglichen Aussagen über arbeitende Frauen verlängern. Denn von denen kann man in diesen Zeiten nicht mehr schweigen: 1980 bilden sie die Mehrheit unter den erwachsenen US-Amerikanerinnen, und deutlich öfter als noch wenige Jahre zuvor üben sie Berufe aus, die bislang mehr oder weniger ausschließlich für Männer reserviert waren – bis hinein in die Streitkräfte oder zum Beispiel ins Rabbinat. In Frankreich, wo die Armee durch den Militärdienst bis Ende des Jahrtausends männlich geprägt ist, nehmen in den 1970ern die ersten Polizeikommissarinnen und Botschafterinnen ihren Dienst auf. Annie Girardot füllt auf der Leinwand diverse Berufsrollen aus, von der Taxifahrerin bis zur Ärztin. Hollywood legt nach und zeigt in den folgenden Jahren Heldinnen mit ungekannter Durchsetzungskraft: Mit Cleverness und Härte öffnen sie sich Business-Karrieren, die ihnen bislang verschlossen waren.816 Daneben tauchen schon ab den späten 1970ern – erst in den Nischen des Filmgeschäfts, dann auch im Mainstream – Protagonistinnen auf, die sich ganz ausdrücklich den Asymmetrien der Geschlechterverhältnisse entgegenstellen.817 Eine der prominentesten Figuren dieses Schlags, die Bree aus Klute, verkörpert Jane Fonda, die in dieser Phase ihrer Karriere auch abseits der Leinwand als Aktivistin zu beobachten ist. Sie lässt sich die Haare abschneiden und zeigt sich in der Unisex-Kleidung der Jugendkultur – eine Mischung von androgyner Uniformierung und Aktivität, die wiederum Jeanne d’Arc nicht so unähnlich ist.818 Von diesem Punkt, vom engagierten Star Fonda aus, lassen sich verschiedene Spuren weiterverfolgen, die in das Gebiet der differenzierteren 816 Cf. Aisenberg: Ordinary Heroines, 142-144; Peitz: Marylins starke Schwestern, 92-94; Falk: Sex, Gender, and Social Change, 28f., 83f., 117f.; Bard: Les femmes dans la société française, 220f., 223; Genz: Postfemininities in Popular Culture, 124f.; Christine Eifler: Militär und Geschlechterverhältnis zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In: Martina Thiele / Tanja Thomas / Fabian Virchow (eds.): Medien – Krieg – Geschlecht. Affirmationen und Irritationen sozialer Ordnungen. Wiesbaden 2010, 45-58, hier: 46f. 817 Cf. Tasker: Spectacular Bodies, 18f.; idem: Working Girls, 121; Kuhn: Women’s Pictures, 132; Hollinger: From Female Friends to Literary Ladies, 79-81; Ute Bechdolf: Andere Frauenbilder – Feministische Filme: Die Stille um Christine M. (1981). In: Werner Faulstich / Helmut Korte (eds.): Fischer Filmgeschichte. Bd. 5: Massenware und Kunst, 1977-1995. Frankfurt a.M. 1995, 87-106, hier: 100; Jill Forbes: The Cinema in France after the New Wave. Basingstoke, London 1992, 81. 818 Cf. Weingarten: Bodies of Evidence, 60, 70-72; Adolphe Binder / Susanne Benedek: Von sprechenden Leibern und tanzenden Kleidern. Gedanken zum Crossdressing-Phänomen. In: Metis 6.12 (1997), 6-12, hier: 8.

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Geschlechterrollen der 1980er und 1990er Jahre hineinführen. Erstens fällt der Blick auf die politische Arena. Nach und nach besetzen einzelne Frauen Spitzenämter in den westlichen Industriestaaten – von Margaret Thatcher, die sogar schon 1979 als Premierministerin antritt, über die kurze Amtszeit von Edith Cresson in Frankreich bis zu Clintons Außenministerin Madeleine Albright.819 In solchen Fällen ist die Verbindung zu Jeanne d’Arc schnell hergestellt. Besonders JournalistInnen werden nicht müde, den Vergleich anzustellen – sowohl bei Thatchers Aufstieg als auch später, wenn Julia Tymoschenko als „slawische Jeanne d’Arc“ die ukrainische Opposition Richtung Macht führt oder Angela Merkel als „Jeanne d’Union“ zur CDU-Vorsitzenden gewählt wird.820 So wie die Kommentare im politischen Tagesgeschehen eine Parallele zu Jeannes Geschichte entdecken, so steckt in den filmischen Aussagen über die Heldin implizit auch eine Variation solcher Erfolgsgeschichten über Parteichefinnen. Die zweite Sorte von Heldinnen, auf die die knabenhafte Silhouette von Jane Fonda hinweist, sind die androgynen. Ab den letzten Jahren der 1970er mehren sich auf den Leinwänden und Bildschirmen die Fälle von ambivalenten Geschlechterrollen. Nicht zuletzt finden sich Protagonistinnen, die sich als Mann ausgeben, um ihre Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Die eine kann auf diese Weise in einer männlichen Basketballmannschaft mitspielen, eine andere verschafft sich dank ihrer Verkleidung Zugang zu Bildung. Und eine dritte startet eine Variété-Karriere, indem sie als Mann posiert, der eine Frau darstellt – eine Geschichte, die schon der deutsche Film der 1930er Jahre kannte.821 Große Aufmerksamkeit zieht gleichzeitig ein realer Fall auf sich. Besonders die amerikanischen Medien verbreiten sich über die Entdeckung, dass der verstorbene Musiker Billy Tipton eine Frau war, die sich mit einer männlichen Identität mehr Chancen in der Jazzszene ausgemalt habe.822 Auf 819 Cf. Falk: Sex, Gender, and Social Change, 178, 199; Bard: Les femmes dans la société française, 179f. 820 Gunter Hofmann: Die Jeanne d’Union. Angela Merkel wird CDU-Vorsitzende. Erlöst sie die Partei auch von der Spendenaffäre? In: Die Zeit, 23.03.2000, 4; Thomas Urban: „Jeanne d’Arc der Ukraine“. Kämpferisch – Julia Tymoschenko. In: Süddeutsche Zeitung, 25.11.2004, 2; cf. Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«, 326-328; Dick de Boer: Joan of Arc. The Historical Actuality of a Fascination. In: Jan van Heerwaarden (ed.): Joan of Arc. Reality and Myth. Hilversum 1994, 7-18, hier: 16; Sabine Wienker-Piepho: Frauen als Volksheldinnen. Geschichtlichkeit, Legendenbildung und Typologie. Frankfurt a.M. et al. 1988, 65f. 821 Cf. Reinhold Schünzel: Viktor und Viktoria. Deutschland 1933; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 205f.; 224-226; 229-232; Marjorie Garber: Vested Interests. Cross-Dressing and Cultural Anxiety. New York, London 1992, 5. 822 Cf. ibid., 67-69.

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solch eine umfassende Täuschung legt es die Filmheldin Jeanne zwar nicht an. Aber auch sie staffiert sich aus wie ein Mann, wenn sie den Aktionsradius verlässt, der ihr als Bauerntochter angemessen wäre. Drittens spannt sich das Geflecht der Assoziationen zwischen den verschiedenen Identitäten auf, die Jane Fonda im Laufe der Zeit verkörpert: Von der Aktivistin gelangt man so zur Fitness-Frontfrau. Fondas Image-Wandel, der sie vom Versammlungssaal in den Gymnastikraum führt, steht für eine allgemeine Verschiebung innerhalb der Vorstellungen von idealer Weiblichkeit.823 Das Leitbild wird immer sportlicher. Auch Frauen sollen muskulös sein, und dieser neuen Körperlichkeit ist zumindest die Möglichkeit der Aktivität eingeschrieben. Die getrimmte Frau kann flüchten, kämpfen und sich zäh durchs Leben schlagen. Oder bei Bedarf auch reiten. Dass in Jeanne eine Sportlerin steckt, offenbart sich spätestens, wenn Rivettes Pucelle mit einer Lanze Trainingsangriffe auf eine Übungsapparatur reitet oder Bessons Heldin beim Galopp Richtung Orléans die Hauptleute ihrer Truppe abhängt. Das Mainstream-Kino im ausgehenden 20. Jahrhundert inszeniert immer wieder die körperliche Leistungskraft, die musculinity, einer bestimmten Kategorie von Heldinnen. Wir sehen Jodie Foster joggen, Linda Hamilton bei Klimmzügen, Demi Moore bei einhändigen Liegestützen. Und, nicht zuletzt, Anne Parillaud alias Nikita, wie sie Kampftechniken trainiert.824 Damit ist sie wieder erreicht: die Gruppe der Kämpferinnen, die mit Jeanne über ausdrückliche Bezüge verbunden sind. Und die im Übrigen in dokumentarischen Texten ihre Entsprechung haben. In Fernsehberichten über die US-Attacken auf den Irak sind auch weibliche G.I.s zu sehen. Zum ersten Mal sind die USSoldatinnen, die es schon seit Jahrzehnten gibt, auch an der Heimatfront der Bildschirme unübersehbar.825 In den deutschen Medien wird über den Einsatz von Soldatinnen in kämpfenden Einheiten verhandelt, als Tanja Kreil ihr Recht darauf vor dem Europäischen Gerichtshof einfordert. Journalisten holen die Meinung von Schülerinnen ein, sie begleiten die ersten Rekrutinnen, 823 Cf. Weingarten: Bodies of Evidence, 60f.; Bard: Les femmes dans la société française, 264; Smelik: Lara Croft, Kill Bill and the Battle for Theory, 182f.; Lotte Rose: Körperästhetik im Wandel. Versportung und Entmütterlichung des Körpers in den Weiblichkeitsidealen der Risikogesellschaft. In: Irene Dölling / Beate Krais (eds.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Frankfurt a.M. 1997, 125-149, hier: 127-129. 824 Cf. Demme: The Silence of the Lambs; Cameron: Terminator 2; Scott: G.I. Jane; Besson: Nikita sowie Tasker: Spectacular Bodies, 3, 139; idem: Working Girls, 70; Weingarten: „Body of Evidence“, 125; Lowry / Korte: Der Filmstar, 252; Sharon Willis: Hardware and Hardbodies, What Do Women Want? A Reading of Thelma and Louise. In: James Collins / Hilary Radner / Ava Preacher Collins (eds.): Film Theory Goes to the Movies. New York 1993, 120-128, hier: 127. 825 Cf. Falk: Sex, Gender, and Social Change, 86f.; Yuval-Davies: Gender and Nation, 94.

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die dann aufgrund des Urteils den Status der Kombattantin erhalten – und sprechen en passant von Jeanne d’Arc.826 In die kursierenden Aussagen über reale und fantastische Soldatinnen, über Kommissarinnen oder Spioninnen ist Jeanne ohne Zweifel eingebunden, wenn sie auf der Leinwand eine Sturmleiter emporeilt. Aber genauso kann die Jeanne, die in männlicher Kleidung Heimat und Alltag zurücklässt, auf die diskursive Rückbindung an cross-dressing-Pagen oder kurzhaarige Angestellte zählen. Und jene Jeanne, die ihr Wort gegen das von Heerführern und Bischöfen setzt, schließt an das öffentlich zirkulierende Wissen über Parlamentarierinnen, Aktivistinnen, Pfarrerinnen an. Die Liste kann nicht erschöpfend sein, aber ein Schlaglicht auf einen Ausschnitt aus dem assoziierten Feld werfen: Aussagen über solche verschiedenen Frauenfiguren variieren die Filme über Jeanne d’Arc.

III. Narrative Assoziierungen i. Sparsame Narrationen Auf Abstand zur kämpferischen Heldin Filme, die von einer real existenten Figur erzählen, konzentrieren sich in der Regel auf bestimmte Abschnitte aus deren Leben.827 Und manchmal sogar auf ein einzelnes Ereignis: George Hatot zeigt im Kern nur die Hinrichtung einer Frau auf dem Scheiterhaufen. Allerdings steht das Ereignis nicht für sich allein. Denn Hatots Film will nicht irgendeine Exekution zeigen, sondern, wie der Eintrag im Katalog der Gebrüder Lumières signalisiert, die der Jeanne d’Arc. Besonders ein weiteres Ereignis ist durch das Zeigen der Hinrichtung vorausgesetzt: Jeannes triumphaler Sieg über die Engländer. In ihm gründet nicht nur die Gegnerschaft, die in der abgebildeten Szene grausame Konsequenzen hat, sondern er erklärt auch, warum gerade diese Hinrichtung verewigt wird, während eine ungezählte Menge vergleichbarer Tode unrepräsentiert bleibt. Auf der Leinwand stirbt eine Frau, die zuvor siegte. Von Jeannes heldenhafter Aktivität wird nicht ausdrücklich berichtet, aber sie ist als narrativer Baustein implizit präsent. Damit liefert Hatot das Modell für eine Reihe von Filmen, die sich bis zu Bressons Passion zieht. In mehreren Versionen der Geschichte 826 Cf. Stoessinger: «Wir wollen das volle Programm»; Karl Feldmeyer: „Soldatinnen“ kennt die Bundeswehr auch zukünftig nicht. 244 Frauen mit Kombattantenstatus sind zur Grundausbildung in deutsche Kasernen eingerückt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.01.2001, 4. 827 Cf. Neale: Genre and Hollywood, 61.

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ist Jeannes kämpferische Aktivität ein gleichsam unsichtbares Glied der narrativen Kette. Teil der histoire, aber nicht des récit. Wenn Capellanis Jeanne nach der Übermittlung ihres Auftrags durch die Boten des Himmels gleich im nächsten Bild im Kerker zu sehen ist, ist das offenbar den Zufällen der materiellen Überlieferung geschuldet. Es gibt Beschreibungen, die von Capellanis Inszenierung des Kampfes um Orléans sprechen.828 Gleichzeitig aber entspricht die erhaltene Fassung dem narrativen Prinzip der ganz frühen Filme. Denn bei Méliès findet sich ein ähnliches Schema: Der Einzug ins befreite Orléans folgt direkt auf die Szene, in der Jeanne den königlichen Hof von ihrer Mission überzeugt. Dazwischen muss offensichtlich die Schlacht um Orléans geschlagen und gewonnen worden sein, ohne diesen narrativen Zwischenschritt ist alles Weitere unverständlich. Aber er bleibt wiederum implizit. Obgleich Méliès die Durchsetzungsfähigkeit seiner Heldin in anderen Szenen durchaus bebildert: wenn sie ihre Eltern gegen deren Widerstand verlässt, wenn sie sich Zutritt zum Hof verschafft und wenn sie Dauphin und Gefolge auf ihre Seite zieht. Dreyer und Bresson sind da noch zurückhaltender. Sie beschränken die filmische Narration auf einen Ausschnitt aus Jeannes Geschichte, der gerade auch im Vergleich mit den mittelalterlichen Berichten verblüffend knapp ausfällt, nämlich erst nach ihrer Gefangennahme einsetzt. Die militärischen Kämpfe der Heldin werden gleichsam ex negativo zum Gegenstand: Auf diesen Teil der Geschichte verweisen Passion und Procès durch die ostentative Geste, mit der sie sich von ihm abwenden. Dreyers Vorspann betont, anhand der Prozessakten – und damit auch in den folgenden Filmbildern – entdecke man jene Jeanne ohne „casque et cuirasse“. Womit gleichzeitig die Kenntnis der geharnischten Heldin vorausgesetzt wird.829 Bei Bresson sagt Jeanne aus, sie habe 10 000 bis 12 000 Mann befehligt. Aber zu sehen ist sie nicht als Heerführerin, sondern als Gefangene in der Gewalt feindlicher Soldaten. Die weithin bekannte Vorgeschichte des Prozesses wird nicht ausgelöscht, sie bleibt vielmehr als kontrastierender Hintergrund präsent, vor dem die narrativen Entscheidungen von Dreyer und Bresson ihre ganze Bedeutung entfalten: Gerade als Gegenstück zu den Geschichten der kämpfenden Jeanne bekommt die Geschichte des Leidens ihr Gewicht. Denn vom Leiden erzählen die beiden Filme in erster Linie: Jeanne wird gefesselt durch enge Gänge geführt, den Blicken und Fragen einer erdrückenden Zahl von Richtern ausgesetzt, mit Folterinstrumenten eingeschüchtert; sie muss verzweifelt, verspottet, geschwächt in ihrer Zelle ausharren, wird öffent828 Cf. Harty: Jeanne au cinéma, 239. 829 Cf. Bordwell: The Films of Carl-Theodor Dreyer, 84.

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lich ermahnt und unter Druck gesetzt, auf dass sie abschwöre; sie bekommt die Haare geschoren oder wird von Wachsoldaten bedrängt, bevor sie schließlich zum Scheiterhaufen gekarrt wird. Eine dichte Kette von schmerzlichen Erlebnissen, die der Heldin wenig Handlungsspielraum lässt. Eigentlich bleibt Jeanne nur die Rede, um ihre Durchsetzungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Oder das Schweigen: Mal weigert sie sich, die Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen bedingungslos zu beeiden, mal das Vaterunser zu sprechen, mal das Versprechen zu leisten, auf Fluchtversuche zu verzichten. Bei anderer Gelegenheit droht sie ihren Richtern, sie nähmen ein großes Risiko auf sich, oder bezichtigt sie öffentlich, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Umgekehrt besteht sie trotz aller Anschuldigungen darauf, Gott auf ihrer Seite zu haben. Und schließlich nutzt sie die einzige Möglichkeit, das eigene Schicksal souverän zu beeinflussen: Sie macht ihr Abschwören ungeschehen und geht so in den Tod. Zwei Techniken werden erkennbar, den narrativen Strang expliziter Aussagen so zu knüpfen, dass er die Abbildung spektakulärer Kämpfe ausspart, aber dennoch auf die Tatkraft der Heldin verweist. Zum einen konzentrieren Dreyer und Bresson die Erzählung so streng auf die Zwangssituation der Gefangenschaft, dass hier aktives Heldentum bereits in einem widerständigen Wort zum Ausdruck kommen kann. Zum anderen verweisen alle sparsamen Narrationen – neben Procès und Passion auch die von Hatot, Capellani und Méliès – mehr oder weniger diskret auf Jeannes berühmte glorreiche Momente, indem sie deren Vorbereitung, deren Konsequenzen oder deren Kehrseite zeigen. Die kämpferische Heldin ist zu erahnen, aber im Abseits, gleichsam durch die Begrenzungen des Bildraums kaschiert. Die Filme, die diesem Modell folgen, ähneln sich auch darin, welchem Ereignis sie die Narration entspringen lassen. Hatots einzelne Szene ist in dieser Hinsicht zwar wenig aussagekräftig, aber bei Méliès und Capellani fällt auf, dass sie fast identisch in die Geschichte einsteigen: Am Rande eines Wäldchens begegnet Jeanne zwei leuchtenden Gestalten, die ihr mit Worten bzw. Gesten eine Weisung erteilen. Und auch Dreyer und Bresson weisen diesem Moment der Verkündigung einen prominenten Platz zu, obwohl die Filmhandlung eigentlich viel später einsetzt. Sowohl bei der Passion als auch beim Procès kreisen die Verhöre, denen sich die Narration nach einer visuellen Einführung in die Bedingungen von Jeannes Gefangenschaft bald zuwendet, nicht zuletzt um die Frage nach dem himmlischen Auftrag der Heldin. Jeanne bekräftigt, sie komme von Gott, und soll im Detail über dessen Boten Auskunft geben: Wer ist ihr erschienen? Wie haben die Erscheinungen ausgesehen? So bekommt auch hier der überirdische Auftrag als Ausgangspunkt der Geschichte entscheidende Bedeutung zugewiesen. Jeannes Existenz vor die-

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sem Erlebnis, ihre Kindheit als Bauerntochter in Domremy, spielt in Dreyers Wiedergabe der Befragungen gar keine und bei Bresson nur eine periphere Rolle. Die Geschichte nimmt so gesehen nicht bei der Heldin selbst ihren Ausgang, sondern im Jenseits. Wie schon in den mittelalterlichen Quellen werden die Aussagen über die Heldin aus der Alltäglichkeit herausgelöst.830 Sogar noch gründlicher, da der Glaube an göttliche Aufträge für das Filmpublikum nicht mehr zum Repertoire selbstverständlicher Überzeugungen gehört. Außerdem verfügen die Filme über ein weiteres, äußerst effektives Mittel der Distanzierung: Alle jene Signale, die auf das historische Setting der Handlung hinweisen, die Gemäuer und Kostüme, die eingeblendeten Jahreszahlen und erklärenden Texte, die dem Kinopublikum die Orientierung erleichtern, trennen dessen Realität von der des erzählten Geschehens ab.831 Insgesamt deutet vieles darauf hin, dass die Geschichte von der kämpferischen Heldin narrativ auf Abstand gehalten werden muss, um sagbar zu sein. Öffnungen in Richtung Nachwelt Ein Merkmal der sparsamen Narrationen, wie die Regisseure von Hatot bis Bresson sie erzählen, weist allerdings in eine andere Richtung: die Art, wie die Geschichte abgeschlossen wird. Anders als die Chroniken des 15. Jahrhunderts setzen diese Filme Jeannes Taten zwar durch die Schilderung ihres Todes auf jeden Fall ein klares Ende. Ganz in Übereinstimmung übrigens mit der Mehrzahl der Fiktionalisierungen im 19. und 20. Jahrhundert.832 Aber es zeichnet sich gleichzeitig die Tendenz ab, den Tod als narrativen Endpunkt zu relativieren – und zwar umso deutlicher, je weiter das 20. Jahrhundert fortschreitet. Hatots Exekutionsszene endet naheliegenderweise mit Jeannes Tod, und Capellanis fragmentarische Fassung läuft ebenfalls auf die Flammen des Scheiterhaufens zu. Doch Méliès erlaubt sich bereits ein knappes filmisches Postscript, indem er Jeanne zwischen Wolken und Engeln in den Himmel aufsteigen lässt. Dreyer und Bresson gehen weiter. Zwar ordnen sie ihre Szenen so an, dass wiederum Bilder von der Richtstätte den jeweiligen Film beschließen. Aber beide weisen gleich eingangs auf Jeannes Fortleben in der Überlieferung hin: Indem sie betonen, dass Jeannes authentische Worte in 830 Cf. supra, 104. 831 Cf. supra, 206-208. 832 Cf. Dietmar Rieger: „Faut-il brûler Jeanne?“ Die Jungfrau von Orléans mit und ohne Scheiterhaufen. In: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 30 (2006), 67-83, hier: 70-77.

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den Protokollen ihres Prozesses erhalten sind. Mehr noch: Nach den letzten Bildern der Passion verkündet ein abschließender Text, dass Jeanne fortan vom französischen Volk in Ehren gehalten worden sei, und die erste Spielszene des Procès greift voraus auf die Beantragung des Rehabilitationsprozesses durch Jeannes Mutter. Immer expliziter wird die Narration über den Tod der Heldin hinaus fortgeschrieben. Anders als in den historischen Quellen fungiert er nicht unbedingt als eine weitere Barriere, die die Aussagen über die Heldin einhegt, um sie in einem separaten regime of verisimilitude plausibel zu machen. Im narrativen Abschluss zeigen jene Filme, die sich grundsätzlich in ihrer sparsamen Erzählweise ähneln, also deutliche Differenzen. Im eng gesteckten Rahmen erscheint eine Öffnung, die in der Konstruktion anderer Filme noch deutlicher zu Tage tritt. Etwa bei Ucicky und Preminger. Das Mädchen Johanna und Saint Joan folgen dem beschriebenen Erzählmuster insofern, als sie den göttlichen Auftrag deutlich als Ausgangspunkt markieren. Sie bilden Jeannes Erscheinungen zwar nicht ab, aber in beiden Fällen berichtet die Heldin in ihrer ersten Szene eindrücklich von ihrer überirdischen Mission. Auch hier wird die Rede von der aktiven Heldin zunächst einmal in eine gewisse Distanz zum Diesseits gebracht. Gleichzeitig allerdings wird die Narration zur Gegenwart hin offen gehalten. Ucickys Mädchen endet nicht mit der Hinrichtung, sondern zeigt Charles VII beim Prozess zu Jeannes Rehabilitierung und darauf einen Herold, der die Heldin dem französischen Volk zur Verehrung anempfiehlt. Ihr Nachleben ist gesichert. Und bei Preminger kann man sogar einen Eindruck davon gewinnen: Die Handlung wird durch ein Gespräch gerahmt, das Jeanne mit Weggefährten und Widersachern führt, das aber dennoch im 20. Jahrhundert angesiedelt ist. Als Traumgestalten treffen sie aufeinander und räsonnieren über Jeannes Geschichte, ihren Nachruhm und den weiteren Gang der Weltgeschichte. Jeanne bringt auch die Frage auf, ob sie auf die Erde zurückkehren solle. Ihre Gesprächspartner sind von dieser Option nicht wirklich begeistert, aber von vorneherein ausgeschlossen ist sie keineswegs. Jeanne ist tot, aber ihre Geschichte nicht beendet. So kann die Geschichte der Heldin in die Gegenwart hineinspielen. Und beide Filme künden auch deutlicher von Jeannes Taten als die bislang betrachteten Versionen. Zwar bekommt Ucickys Jeanne die Rolle der Anführerin und die Fahne, mit der sie in die Schlacht zieht, in Orléans mehr aufgedrängt, als dass sie sie selbst ergriffe. Aber dann ist Angela Salloker eben doch an der Spitze eines Statistenheers zu sehen und beim Erklimmen einer Befestigungsanlage. Jean Seberg wiederum ist an Energie schwer zu überbieten, wenn sie ins Heerlager geritten kommt. Auch wenn die Erzählung die

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folgenden Kämpfe ausspart: Von dem Moment, in dem der Wind plötzlich dreht und damit den nahenden Befreiern die Überquerung der Loire nach Orléans ermöglicht, springt der récit sogleich zur Krönung des Dauphin in Reims. Die Erzählung lässt Blicke auf die kriegerische Heerführerin Jeanne zu, bleibt darin aber immer noch zurückhaltender als die Filme etwa von DeMille oder Besson. Ucickys Mädchen und Premingers Saint bilden einen Übergang, eine Zwischenstufe zwischen dem sparsamen Narrationsmodell von Dreyer et al. und jenen Filmen, die Jeannes Geschichte grundlegend anders angehen. ii. Ausführliche Narrationen Die Annäherung der kämpfenden Heldin an die Wirklichkeit Was Méliès oder Preminger bei ihrer Wiedergabe von Jeannes Geschichte ganz überspringen, gestalten andere als eigene Episode mit eigener Dramaturgie. Alle bislang nicht erwähnten Filme von DeMilles Woman über Gastynes Merveilleuse Vie und Flemings Joan of Arc bis hin zu Rivettes Pucelle und Bessons Joan of Arc unterteilen Jeannes militärische Erlebnisse vor Orléans in einzelne Etappen, erzählen von einem ersten erfolglosen Ansturm, von Jeannes Verletzung, von erneuten Anstrengungen und schließlich von der Einnahme der entscheidenden Befestigungsanlage. Jeanne ist zu sehen, wie sie den Soldaten voranstürmt, eine Sturmleiter ersteigt, von einem Pfeil getroffen wird, aber verblüffend schnell wieder auf den Beinen ist und ihre Männer zu neuen Taten anfeuert. Abgesehen von DeMilles Version machen die Filme auch deutlich, dass Orléans nicht der einzige Schauplatz von Jeannes Kämpfen ist. Schließlich folgt auf die Befreiung der Stadt der Loire-Feldzug, der dem Dauphin den Weg in die Krönungsstadt Reims bahnt. Dann versucht sich Jeanne an der Eroberung von Paris und muss ihre erste große Niederlage einstecken. Der Gefangennahme vor Compiègne gehen noch einige Scharmützel voraus. Mehr oder weniger vollständig wird von diesen Stationen der Heldinnengeschichte berichtet. Die Erzählung kann beiläufig ausfallen: Einschlägige Informationen finden sich bei de Gastyne in Zwischentiteln, bei Fleming in Dialogen, bei Rivette in den Zeugenaussagen aus den Prozessakten, die er in die Kamera sprechen lässt. Aber gleichzeitig widmen Rivette und Besson den Kampfhandlungen bei Paris und Compiègne eigene Szenen. Von der kämpfenden Heldin wird in all diesen Fällen ausführlich erzählt. Und die Narration ist nicht nur expliziter, sondern auch anders verankert als beim sparsamen Erzählmodell. Zwar deuten zwei der Filme gleich zu Beginn in Richtung Transzendenz: Bei Fleming ist zunächst von Jeannes Ka-

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nonisierung die Rede und, wenn die eigentliche Geschichte beginnt, schnell auch von ihren überirdischen Stimmen; bei Besson erzählt Jeanne ihrem Beichtvater in der ersten Szene von einer mysteriösen Person, mit der sie in der Kirche rede. Aber in beiden Fällen wird der göttliche Auftrag als Ausgangspunkt relativiert. Besson inszeniert ihn als eine subjektive Wirklichkeit Jeannes: Wenn man ihren mysteriösen Gesprächspartner später zu sehen bekommt, dann aus ihrem Blickwinkel. Und kurz vor ihrem Tod gesteht sie sich selbst ein: Alles entsprang ihrer Einbildung. Bei Fleming geht der Erwähnung der Stimmen der eindringliche Hinweis auf die Folgen des Krieges voraus. Die erste Einstellung mit Ingrid Bergman zeigt sie zwar betend, doch nicht umsonst in einer halb abgebrannten Kirche: Denn es ist der Einbruch der Gewalt in den beschaulichen Alltag, wie er in diesem Bild komprimiert zum Ausdruck kommt, der für den Start der ausführlichen Narrationen prägend ist. Fleming unterstreicht diesen grundlegenden Konflikt gleich in der nächsten Szene: Während Jeannes Familie in trauter Runde vor dem heimischen Feuer sitzt, berichtet Onkel Laxart von einem Raubzug der Burgunder. In Merveilleuse Vie erholen sich einige Soldaten in der Küche der Familie d’Arc von durchlittenen Kämpfen, und de Gastyne visualisiert ihren Bericht sogar – ein Flashback, der einen scharfen Gegensatz bildet zu den vorhergehenden Einstellungen mit Jeanne als Schäferin. Auch bei DeMille treibt die Heldin eine Herde durch eine sonnige Landschaft, bevor der Krieg in Form plündernder Soldaten über Domremy kommt. Bessons Jeanne tollt erst übermütig durch Wiesen, Wälder, Bäche und muss dann ihr Dorf in Flammen sehen, sogar miterleben, wie ihre Schwester vergewaltigt und ermordet wird. Indem Besson Bilder von dieser Gewalttat später wieder aufgreift, macht er unmissverständlich klar, wie entscheidend die Erfahrung für Jeannes Handeln ist. Ein besonders eindeutiger Fall einer sogenannten backstorywound. Aber insofern sie Jeanne eingangs als direkte oder indirekte Zeugin des Kriegsgeschehens zeigen, verankern auch die anderen ausführlichen Filmnarrationen die Handlung in der Psyche ihrer Heldin – entsprechend den klassischen Kinokonventionen, die sich schon in den 1910ern etablieren.833 Unter den Filmen, die eher ausgreifend erzählen, verzichtet nur La Pucelle auf den spektakulären Einbruch der Gewalt in die Idylle. Rivettes Jeanne hat Domremy zu Beginn des Films schon verlassen, sie hat schon ihre Bemühungen begonnen, zu Hauptmann Baudricourt vorzudringen und ihn von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Dabei spielt die göttliche Legitimation ihres Plans 833 Cf. Michaela Krützen: Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt. Frankfurt a.M. 2004, 32f., 41-47.

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zunächst keine Rolle. Rivette führt die Heldin schlicht als eine entschlossene junge Frau ein, die gegenüber ihrer direkten Umgebung und der Obrigkeit ihre Überzeugung durchzusetzen versucht, sie müsse dem König zu Hilfe kommen. Ihre Geschichte wird nicht von vorneherein abseits einer alltäglichen Wirklichkeit verankert, sie braucht weder eine transzendente Intervention noch einen Abschied von der Heimat, um in Gang zu kommen. Und das gilt im Übrigen auch für jene Filme, die von der Trübung der heimischen Harmonie durch die Ausläufer des Krieges erzählen. Sie signalisieren zwar, dass alles Folgende sich unter dem Vorzeichen einer besonderen Krisensituation ereignet. Aber so wie diese Krise über das friedliche Domremy kommt, so könnte sie durchaus auch andere harmlose Realitäten überwältigen. Überdies bauen die ausführlichen Narrationen eine Brücke von den lang vergangenen Zeiten der histoire hin zu späteren Zeiten. Die Welt der Heldinnengeschichte ist zwar einerseits durch Kostüme, Kulissen, Erläuterungen von der Zuschauernormalität deutlich abgetrennt. Aber andererseits sind der eigentlichen Geschichte – außer bei Besson – Bemerkungen oder Bilder vorgeschaltet, die sich Jeanne von einem Punkt weit jenseits ihres Todes aus nähern. Rivette begnügt sich dabei mit dem kürzesten Zeitsprung: Er lässt – wie Bresson – Isabelle Romée auftreten, die die Aufhebung des Unrechtsurteils gegen ihre Tochter Jeanne fordert. De Gastyne überbrückt bereits mehrere Jahrhunderte: Indem sein erster Zwischentitel Michelet zitiert, bettet er Jeannes Geschichte von vorneherein in den Patriotismus des 19. Jahrhunderts ein. DeMille verlängert sie durch seine elaborierte Rahmenhandlung bis in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, wo Jeanne einem britischen Soldaten erscheint – „Joan of Arc is not dead“, heißt es unmissverständlich in einem Zwischentitel. Fleming schließlich schlägt den Bogen bis ins Jahr 1920, indem er anfangs auf Jeannes späte Kanonisierung hinweist. Techniken der Plausibilisierung Anders als bei den Quellen des 15. Jahrhunderts gibt es unter den Filmen also Versionen der Heldinnengeschichte, die sie weder zu Beginn noch zum Abschluss durch einen klaren Schnitt von den Wahrscheinlichkeiten einer greifbaren Realität trennen, sondern sie eher daraus auftauchen und schließlich wieder darin aufgehen lassen. Wenn man sich nun von den Rändern der Narration abwendet, um die Einbettung von Jeannes heroischem Handeln innerhalb der filmischen Erzählung zu betrachten, kommen jedoch Konstruktionen in den Blick, die von den Quellen her durchaus vertraut sind. Schon deshalb, weil früher oder später der Aufbruch aus der Heimat eben doch geschehen muss – auch weil die Konventionen filmischer Narration es

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so wollen.834 Selbst Rivettes Jeanne, die Domremy schon verlassen hat, muss den Abschied vom vergleichsweise vertrauten Vaucouleurs erst noch vollziehen, um ihr Vorhaben umzusetzen. Sie braucht sogar zwei Anläufe, weil sie beim ersten Mal, nachdem sie mit Laxart und einem weiteren Vertrauten auf eigene Faust losgeritten ist, an der Richtigkeit dieses Vorgehens zweifelt und wieder umkehrt. Bei DeMille, de Gastyne und Fleming ist der Aufbruch aus Domremy, bei dem sich Jeanne über den Willen der Eltern hinwegsetzt, jeweils Teil des récit. Bei Besson ist diese Loslösung zwar nicht direkt mitzuverfolgen, aber er inszeniert den Wechsel der Welten mit einer ausgedehnten Parallelmontage: Einerseits debattiert man am königlichen Hof über Jeannes bevorstehende Ankunft, während andererseits Jeanne und ihre Begleiter zu sehen sind, wie sie unbeirrt die letzte Etappe ihrer Reise zurücklegen. Dann die Prüfungen, die aus den mittelalterlichen Narrationen ebenso vertraut sind wie aus konventionellen Hollywood-Filmen.835 Jene Jeanne-Filme, die ausführlich von den Taten der Heldin erzählen, sind auch in diesem Punkt nicht sparsam. Das Vorhaben der Heldin stößt auf Zweifel und Ablehnung – bei Fleming hält sogar Jeanne selbst sich für denkbar ungeeignet, ihrem König beizuspringen –, und deshalb ist Überzeugungsarbeit zu leisten. Die erste große Hürde hat die Filmheldin oft bei Hauptmann Baudricourt zu überwinden: Zunächst einmal hält er es für vollkommen abwegig, die Bauerntochter aus Domremy zu seinem König zu schicken. In Joan the Woman willigt er dann doch ein, weil Jeanne sein Schwert mit einem kleinen Dolch kurzerhand entzwei schlägt. Bei Fleming und Rivette braucht sie mehr Ausdauer: Zunächst wird sie abgewiesen, dann aber erweist sich als wahr, was sie über Entwicklungen des Kriegsgeschehens behauptet hat, von denen sie nach menschlichem Ermessen nichts hätte wissen können. Daraufhin lässt Baudricourt einen Priester prüfen, ob sie wohl vom Teufel komme, und schickt sie schließlich mit einigen Leuten zu Charles nach Chinon. De Gastyne und Besson vernachlässigen die Station Vaucouleurs, um gleich auf die Prüfungen zu kommen, die Jeanne am königlichen Hof absolvieren muss. Genau wie Fleming und Rivette zeigen sie, dass Jeanne den Dauphin in einer Menge von Höflingen identifizieren muss, während ein anderer seinen Platz auf dem Thron eingenommen hat. Hinzu kommt jeweils die strenge Befragung durch einen Kreis von Geistlichen, die teils nur beiläufig erwähnt, teils zum Gegenstand einer eigenen Sequenz wird. Auch DeMille zeigt, wie eine Gruppe misstrauischer Kleriker die Heldin im Auftrag des Königs unter die Lupe nimmt. Aber in diesem Fall bereitet das Verhör die ent834 Cf. supra, 104f.; Krützen: Dramaturgie des Films, 71f. 835 Cf. supra, 105f.; Krützen: Dramaturgie des Films, 99.

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scheidende Szene nur vor, in der Jeanne zum König stürzt, ihn am Abschluss eines übereilten Friedens hindert und die Vision eines Angriffs auf Orléans hat, die gleich darauf durch einen Boten bestätigt wird. Jeanne wird systematisch befragt, durch das Versteckspiel im Thronsaal auf die Probe gestellt und bewährt sich durch schwer erklärliches Wissen – das sind die Standardsituationen, die mitunter noch ergänzt werden. So erzählen de Gastyne, Rivette und Besson, wie Jeanne den Dauphin überzeugt, indem sie sich mit einer Botschaft, die seine Abstammung oder ihre Mission betreffen kann, ganz direkt an ihn richtet. Bei Fleming gibt Charles nicht zuletzt deshalb nach, weil er beim Blick in ihre Augen schlicht nicht zu zweifeln vermag. Bei Besson wird sicherheitshalber auch ihre Jungfernschaft überprüft. Auf weitere Zweifel kann die Heldin stoßen, wenn sie auf die Armee trifft, die sie zu leiten hat. Das Misstrauen der Hauptleute überwindet sie bei Fleming auf einem Umweg: Indem sie mit einer flammenden Rede das Fußvolk auf ihre Seite zieht. In Rivettes Pucelle wird die Heldin nicht zuletzt dadurch mit den Truppen vor Ort warm, dass sich mit ihrem Eintreffen der Wind an der Loire zugunsten der französischen Truppen dreht. Am hartnäckigsten zweifeln womöglich Bessons Krieger an der Heldin. So ganz überzeugt sind sie erst, wenn sich greifbare Erfolge einstellen. Endgültig glaubwürdig wird die Heldin durch ihre Heldentaten. Aber gleichzeitig will die Kunde davon, wie Jeanne den Krieg für ihre Partei entscheidet, eben gut vorbereitet sein: Wenn es um Tests und Beweise geht, operieren die Filme mit ganz ähnlichen Mitteln wie die mittelalterlichen Quellen. Insgesamt kann man den Eindruck gewinnen: Explizite Aussagen über den Erfolg der Heldin gehören auch im 20. Jahrhundert nicht zu den Selbstverständlichkeiten. Es scheint ein gewisses Risiko zu geben, dass sie sich aus dem Sagbaren verabschieden. Zumindest müssen sie durch narrative Verbindungen gründlich vertäut werden. Aber gleichzeitig führen diese Verbindungen weiter, als das in den mittelalterlichen Narrationen der Fall war. Die ausdrücklichen Geschichten werden nicht verkapselt, nicht säuberlich durch das Jenseits gerahmt, in dem sie durch einen göttlichen Auftrag entspringen oder durch einen grausamen Tod enden. Sie reichen einerseits bis in einen idyllischen Alltag, andererseits in die jederzeit zugängliche Welt der Überlieferung. So kommt die heroische Aktivität den RezipientInnen erstaunlich nah – jedenfalls in den Fällen, in denen ausführlich von ihr die Rede ist. Die Verteilung der narrativen Grundtypen Wie gesehen, muss es zu so ausdrücklichen Aussagen nicht kommen. Während die einen Filme Jeannes Kämpfe nah heranholen, schieben die anderen

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sie tendenziell ins Abseits. Im Hintergrund der Narration bleiben sie präsent, zum Teil sogar über Umwege an die Gegenwart angebunden, aber der Platz im Zentrum der Geschichte bleibt ihnen verwehrt. Beide Grundtypen der narrativen Adaption lassen sich im 20. Jahrhundert finden, beide recht breit über verschiedene Phasen der Filmgeschichte verstreut. Ausführliche Varianten stammen sowohl aus den 1910er wie den 40er und 90er Jahren. Die Reihe der sparsamen Versionen beginnt schon im ausgehenden 19. Jahrhundert und zieht sich immerhin bis in die 1960er Jahre. Es bieten sich zwei Wege an, diesem zunächst eher unübersichtlichen Befund Sinn abzugewinnen. Einerseits lässt sich der Bogen zurück zu den Möglichkeitsfeldern schlagen, in denen die Filmheldin Jeanne zu Hause ist. Denn wenn man einmal absieht von den Filmen aus den frühesten Kinojahren, deren Technik zu besonders rigiden narrativen Selektionen zwingt, dann bleiben von der Gruppe der sparsamen Erzählungen vor allem zwei Beispiele: Passion und Procès. Und gerade diese Verfilmungen weisen die engsten Verbindungen zum Referential der Heiligenverehrung auf, das zwar der angestammte Diskurszusammenhang der mittelalterlichen Heldin war, für eine aktive Filmheldin aber keine guten Bedingungen bietet.836 Umgekehrt sind die Heldinnen, die im Mittelpunkt der ausführlichen filmischen Erzählungen stehen, besonders eng in die Verehrung von Stars oder nationalen HeldInnen eingebunden. Die Filme von DeMille, de Gastyne, Fleming kommen deutlich auf Fragen der Nation zu sprechen und folgen in ihrer Narration und Ikonographie einschlägigen Konventionen.837 Gleichzeitig reihen sich die Jeannes von DeMille und Fleming wie dann später jene von Rivette und Besson sehr harmonisch zwischen einschlägigen Figuren des Starkinos ein. Wobei diese vier Filme über ihre Hauptdarstellerinnen bzw. die Paratexte ohnehin gründlich im übergreifenden Zusammenhang des Starkults verankert sind.838 In allen diesen Fällen bewegt sich die Filmheldin in der Mitte der ihr gemäßen Möglichkeitsfelder, und dort kann sie offensichtlich am entschiedensten handeln. Andererseits lässt sich die Art, wie die Narrationen der beiden unterschiedlichen Modelle über die Filmgeschichte verteilt sind, auch nach einem chronologischen Prinzip beschreiben. Wenn man einen Schritt zurücktritt, zeigt sich eine Ordnung in der historischen Streuung: Abermals lässt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs als Trennungslinie interpretieren. Denn die Mehrheit der eindeutig sparsamen Narrationen entsteht vor diesem Zeitpunkt, die Mehrheit der ausführlichen danach. Und die Filme von Ucicky und 836 Cf. supra, vor allem 154-157. 837 Cf. supra, 171f., 179-182. 838 Cf. supra, 188-193, 195-197, 201-203.

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Preminger, jene beiden, die sich weder dem einen noch dem anderen Modell eindeutig zuordnen lassen, gruppieren sich um diesen Wendepunkt herum, jeweils im Abstand von rund einem Jahrzehnt. Je älter das 20. Jahrhundert wird, desto enger wird die Heldin narrativ an diese Gegenwart angebunden, desto expliziter wird von ihren Kämpfen erzählt. Somit zeigt sich hier eine Verschiebung, die sich parallel zu Entwicklungen in anderen Abschnitten des assoziierten Feldes abspielt. Nach der ersten Hälfte des Jahrhunderts lockert sich der Kontakt der Filmheldin zu ihrer historischen Vorgängerin, ihr Verhältnis zu fiktiven Jeannes wird zunehmend problematisch. Dafür erhält sie in diversen Heldinnen der Popkultur mit der Zeit neue Weggefährtinnen, die sich als äußerst durchsetzungsfähig erweisen. Und mit deren Unterstützung auch die Filmheldin offenbar besonders gründlich durchgreift. Was die Details betrifft, ist allerdings jetzt, wenn sich die Untersuchung der heroischen Subjektposition zuwendet, erst noch zu klären, wie die Spielräume der Heldin genau beschaffen sind.

c. Subjektposition Im Geflecht von Verbindungen, durch das die Aussagen über die Filmheldin untereinander in Beziehung stehen, aber auch mit verschiedenen diskursiven Kontexten des 20. Jahrhunderts, findet die Heldin ihren Halt. Es definiert die Grenzen, die ihrer Position eine verbindliche Form geben, und eröffnet den Freiraum für ihre Heldentaten. Und für ihre Aussagen: Die heroische Subjektposition ist nicht nur Gegenstand des Diskurses, sondern von ihr gehen auch solche Zeichenketten aus, wie sie ihn konstituieren. Wie schon bei der Untersuchung der mittelalterlichen Heldin muss jetzt beides Berücksichtigung finden. Dabei soll auch das Vorgehen wieder das gleiche sein: Es gilt, zunächst die Erwartungen zu skizzieren, denen die Heldin folgen muss; und danach kommen jene in den Blick, die sie gerade aufgrund dieser Anpassung durchbrechen kann. Der Mechanismus – dass die Erfüllung bestimmter Gender-Konventionen die Aushebelung anderer ermöglicht – funktioniert nach wie vor: Was sich schon bei Pilgerinnen auf der Fahrt ins Heilige Land beobachten lässt, bestätigen zum Beispiel jene Undercover-Agentinnen des Zweiten Welt-

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kriegs, die unter der Tarnung einer elaborierten Femininität gegen die deutschen Besatzer in Frankreich kämpfen.839 Was natürlich nicht heißt, dass sich die Attribute, aus denen sich die Position der Filmheldin aufbaut, seit dem 15. Jahrhundert nicht verändert hätten. Selbst solche, die auf den ersten Blick vertraut wirken, können ihre Bedeutung gewandelt haben. Wenn DeMilles Jeanne als „simple peasant girl“ eingeführt wird und Isabelle Romée bei Bresson eingangs beteuert, ihre Tochter im christlichen Glauben erzogen zu haben, kann das nicht dieselben Implikationen haben wie bei der Heldin des 15. Jahrhunderts. Gottes Präferenz für die Schwachen ist inzwischen zu einem eher marginalen Glaubenssatz geworden und die Karriere, die mit der christlichen Kinderstube ihren Ausgang nimmt und letztlich zur Kanonisierung führt, zu einem kaum gangbaren Weg. Überlieferte Attribute werden Bestandteil neuer Kohärenzlinien, ihre Bedeutung lässt sich nur mit Blick auf den jeweils relevanten Kontext bestimmen. Und daher ist auch zwischen den verschiedenen Möglichkeitsfeldern zu differenzieren, wenn es bei der Erkundung der heroischen Subjektposition eingangs um jene Punkte geht, in denen sich die Heldin an etablierte Konventionen anzupassen hat. Denn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestehen innerhalb des nationalen Heldenkults Erwartungen, die nach seiner Auflösung gegenstandlos werden. Während die Position des Stars, deren Profil seit den 1910ern Form annimmt, wiederum andere Anforderungen mit sich bringt.

I.

Anpassung

i. Anforderungen an die Heldin der Nation Die Anständige In jedem Fall stellen die Filme aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Heldin als eine Gläubige dar – wie es bei Dreyer heißt: „une jeune femme croyante“. Selbst Hatots knappe Szene erfüllt diesen Zweck: Während sie zum Scheiterhaufen geführt wird, hält Jeanne betend die Hände gefaltet und den Kopf an die Schulter eines Mönches gelehnt. In den folgenden frühen Verfilmungen von Capellani und Méliès kniet Jeanne umgehend nieder, wenn ihr die Heiligen oder der Erzengel Michael erscheinen. Auch dem Klang der Kir839 Cf. supra, 115f.; Juliette Pattinson: ‚The Best Disguise‘. Performing Femininities for Clandestine Purposes During the Second World War. In: Angela K. Smith (ed.): Gender and Warfare in the Twentieth Century. Textual Representations. Manchester, New York 2004, 132-153.

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chenglocke von Domremy gehorcht sie: Bei DeMille und Gastyne bekreuzigt sie sich oder sammelt sich sogar für ein rasches Gebet, wenn sie das Läuten hört. In allen Langfilmen der ersten Jahrhunderthälfte bekennt sie ihren Gott und seine Heiligen, indem sie ihren Auftrag ausdrücklich auf sie zurückführt. Und sie bekehrt andere zu christlichem Verhalten: Bei de Gastyne und Fleming hält sie sogar die Soldaten vom Sündigen ab und führt sie zum Glauben. Gewiss: Dieser ostentative Glaube ließe sich als Erfüllung der Mindestanforderungen an das Leben einer Heiligen interpretieren. Aber da diese Position der Filmheldin keine Freiräume verschaffen kann, ist ihr Glaube in einen anderen Zusammenhang zu stellen. Der sich auch bei DeMille bereits andeutet, wenn Jeanne beim Erklingen der Kirchenglocke innehält: Denn genau wie Jeanne unterbrechen auch andere Dorfbewohner ihr Tagwerk, um rasch zu beten. Jeannes Glaube bindet sie in die Gemeinschaft ein, er gehört zu den Konventionen eines anständigen dörflichen Lebens – genau wie die Arbeit, von der die Heldin gerade zurückkehrt. Insgesamt entsteht das Bild eines „humble and religious environment“, wie es in einer Kritik heißt.840 Ganz ähnlich bei de Gastyne: Jeanne war eben noch bei den weidenden Kühen, überquert gerade eine Wiese, als die Kirchenglocke ihr Tun unterbricht. Überhaupt gehört die bäuerliche Betriebsamkeit bis zur Mitte des Jahrhunderts beinahe ebenso zur Grundausstattung der Filmheldin wie ihre Religiösität. Bei DeMille wird Jeanne mit den Worten vorgestellt: „Her name was Joan, and her life that of the sturdy country maiden as she worked at the hearth or in the pasture.“ Und in aller Regel wird diese ihre Rolle auch zur Anschauung gebracht. Mit einigen Schafen im Hintergrund deuten Méliès und Capellani Jeannes Arbeit als Hirtin immerhin an. DeMille und de Gastyne fügen dem noch das Spinnen oder Nähen hinzu. Flemings Jeanne – „a poor girl of the farms“, wie sie sich selbst bezeichnet – muss eine Mahlzeit bereiten und wird mit Eimern losgeschickt, offenbar zum Wasserholen. Ucickys Heldin erinnert sich noch an das Kränzeflechten, das sie so gut beherrscht hat, bevor das Soldatenleben ihre Hände ungeschickt hat werden lassen. Nur in Hatots Hinrichtungsszene ist von solchen Beschäftigungen natürlich nichts zu erahnen, und bei Dreyer behält das „simple peasant girl“ nur das Attribut „simple“. Aber die Heldinnen dieser Filme sind ja von entschiedenem Handeln relativ weit entfernt; sie brauchen jene Basis nicht, die sich die anderen erarbeiten, indem sie am dörflichen Leben teilhaben. Diese anderen Jeannes positionieren sich durch ihre Mühen im Haushalt oder bei den Tieren im Zentrum patriotischer Werteschemata. Sie stehen in Kontakt mit den Grundlagen der Gemeinschaft, sie beweisen, dass sie zu840 New York Times, 25.12.1916.

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packen können, dass sie sich für einfache Aufgaben nicht zu schade sind. Wie entscheidend das in einem nationalen oder nationalistischen Kontext ist, zeigt die offizielle Geschichtsschreibung des Vichy-Regimes: Hier rückt Jeannes Einsatz für die „soins du ménage“ so weit in den Vordergrund, dass er Jeannes militärische Bemühungen fast verdeckt.841 Aber nicht nur unter Pétain können Jeannes bäuerliche Beschäftigungen zu ihrem Status beitragen. Ganz generell belegen sie den Fleiß der Heldin und ihren gehorsamen Einsatz für die familiäre Gemeinschaft. Ihr Kontakt mit dem Land ist für Jeanne eine Quelle der Tugend und der Stärke.842 Zusammen mit ihrer ostentativen Glaubenspraxis ergibt sich ein Bild besonderer Anständigkeit: Jeanne ist ein gutes Mädchen. Oder wie es bei de Gastyne heißt: „n’ayant trouvé en elle qu’honneteté, humilité et dévotion, Charles se décide à la laisser partir à la tête de l’armée au secours d’Orléans.“ Mit dieser Werteausstattung ist die Heldin einerseits gewappnet für den Weg ins Pantheon der französischen Heroen, deren Tugenden wie Mut, Disziplin, Ehrgefühl oft im Glauben wurzeln, nähert sich andererseits aber auch dem Ideal deutscher Weiblichkeit mit seinen Forderungen nach Mäßigung und Ernsthaftigkeit.843 Die Schöne Nationale Identifikationsfiguren sind allerdings nicht nur tugendhaft, sondern auch schön, wie verschiedene Autoren beim Betrachten von Illustrationen französischer Schulbücher, von Abbildungen des idealtypischen American girl oder weiblicher Allegorien feststellen.844 Die moralische Qualität der verehrten Figuren lässt sich zuverlässig an ihrem Äußeren ablesen. Ohne sich dem Problem auszusetzen, Schönheit operationalisieren zu müssen, lässt sich auch von der Filmheldin auf jeden Fall behaupten: Sie hebt sich – vor allem sobald die Abbildungsqualität mit DeMilles Woman ein neues Niveau erreicht 841 Cf. Gabriel Jacobs: The Role of Joan of Arc on the Stage of Occupied Paris. In: Roderick Kedward / Roger Austin (eds.): Vichy France and the Resistance. Culture and Ideology. London, Sydney 1985, 106-122, hier: 107; Stephanie Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«.Wandlungen Jeanne d’Arcs in populären Medien. In: Klaudia Knabel / Dietmar Rieger / Stephanie Wodianka (eds.): Nationale Mythen – kollektive Symbole. Funktionen, Konstruktionen und Medien der Erinnerung. Göttingen 2005, 265-286, hier: 272. 842 Cf. Warner: Joan of Arc, 257; Blaetz: Strategies of Containment, 170. 843 Cf. Gerbod: L’éthique héroïque, 424; Ute Planert: Vater Staat und Mutter Germania. Zur Politisierung des weiblichen Geschlechts im 19. und 20. Jahrhundert. In: Idem (ed.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne. Frankfurt a.M., New York 2000, 15-65, hier: 27. 844 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 251f.; Banta: Imaging American Women, 109; Agulhon: La représentation de la France, 13; idem: Esquisse pour une archéologie, 6.

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– von ihrem Umfeld in vielen Szenen deutlich ab. Im Vergleich zu den faltigen, sonnengegerbten, vernarbten oder aufgequollenen Gesichtern der Kämpfer und Richter erscheint Jeannes Antlitz als ganz besonders ebenmäßig, glatt und hell. Gerade in Bezug auf diese Helligkeit kann es keinen Zweifel geben: Sie gehört offenbar zu den notwendigen Attributen der Heldin, denn sie wird nachdrücklich inszeniert. Besonders in solchen Momenten, in denen sich die Heldin ihrer Sache ganz sicher ist, geht in den Langfilmen der ersten Jahrhunderthälfte ein Leuchten von ihr aus. Sei es, dass sie gerade in Kontakt zu ihren überirdischen Auftraggebern steht, sei es, dass sie zur Umsetzung ihres Auftrags schreitet oder ihn gegenüber Dritten bekräftigt: immer wieder Bilder, in denen sich Jeannes Gesicht hell von der Umgebung abhebt. So intensiv kann der Glanz werden, dass er einzelne Gesichtszüge auslöscht, und etwa der Nasenrücken von Simone Genevois sich in einer leuchtenden Fläche auflöst, wenn sie zum ersten Mal im Harnisch vor die Befehlshaber der Armee tritt. Großflächige Lichtreflexe können sich in ihrer Iris sammeln, so dass die Formulierung eines Zwischentitels ganz neues Gewicht gewinnt, der Jeanne in Merveilleuse Vie als „fille aux yeux clairs“ vorstellt. Die Tränen, die bei Dreyer oder Fleming in den Augen der Gefangenen stehen, verstärken die Widerspiegelung des Lichts noch. Von dunklen Kerkerwänden kann sich ein helles Gesicht besonders effektvoll abheben. Ucicky nutzt diese Möglichkeit, und Fleming lässt sogar alles rings um Bergmans Gesicht in absolutem Schwarz versinken, als die eingekerkerte Jeanne das Vertrauen in ihren Auftrag wiedergewinnt. Losgelöst schwebt die Helligkeit im Nichts. Wie bei DeMille, wenn er nach Jeannes Triumph über die Skeptiker in Vaucouleurs und Chinon jeweils durch eine Kreisblende alle Aufmerksamkeit auf ihr Gesicht lenkt. Immer wieder weißer Glanz. Innerhalb der Ikonographie des Kinos ein besonders effizientes Mittel, innere und äußere Qualitäten zu verklammern, Schönheit und Tugend schlagartig zur Anschauung zu bringen.845 Wie wichtig diese Einheit für die Filmheldin der ersten Jahrhunderthälfte ist, macht eine Kritik deutlich, in der Jeanne in einem Atemzug als „physically and spiritually enticing young French peasant girl“ beschrieben wird.846 Überhaupt lässt sich die Bedeutung ihres äußeren Erscheinungsbilds nicht nur am Glanz ablesen, sondern auch an seinem Widerschein in der Presse. Den JournalistInnen ist es durchaus wichtig zu erwähnen, Geraldine Farrar sei „always lovely to look 845 Cf. Richard Dyer: The Colour of Virtue. Lilian Gish, Whiteness and Femininity. In: Pam Cook / Philip Dodd (eds.): Women and Film. A Sight and Sound Reader. London ohne Jahr (ca. 1997), 1-9, hier: 2-4. 846 Variety, 29.12.1916.

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upon“, Renée Falconettis Mund „sinnlich“, ihr Gesicht „far more beautiful than one is accustomed to behold on the screen“, Simone Genevois’ Jeanne „jolie“, „emouvante et belle“ und Ingrid Bergman „la belle artiste suedoise“ bzw. „handsome to look on“.847 Gleichzeitig kennen sie keine Nachsicht, wenn sie die optischen Anforderungen für nicht erfüllt halten. Ein Artikel attackiert die „in Berlin beliebte und damals jugendlich schlanke, jetzt etwas stark gewordene Geraldine Farrar“, andere nehmen die „gar nicht schöne“ Renée Falconetti und ihre Gesichtszüge kritisch unter die Lupe, und bei der Erwähnung von Angela Sallokers „visage brun“ und Ingrid Bergmans „teint un peu sombre“ kann man eine gewisse Missbilligung ahnen.848 Die Heldin muss eben leuchten. Gerade bei Simone Genevois ist gerne von ihrer „fraîcheur“ die Rede, davon wie „pur“ ihr Gesicht oder ihr Blick sei.849 Auch in Bezug auf die historische Heldin und ihr Leben fallen wiederholt die Begriffe „pure“ und „pureté“, die generell für die Verehrung patriotischer Lichtgestalten einige Bedeutung besitzen.850 Sie können sprachlich auf den Punkt bringen, was der Glanz optisch ausdrückt: die Verklammerung innerer und äußerer Qualitäten. Die potentielle Braut Allerdings ist ein angenehmes Äußeres nicht nur dadurch von Belang, dass es mit einer moralischen Haltung korrespondiert. Die Heldin der Nation muss auch deshalb gut aussehen, weil sie sich zum Objekt der Verehrung ihrer Landsmänner eignen soll. Dass die französische Nation als Frau visualisiert wird, lässt sich dahingehend deuten, dass die Liebe zum Vaterland in Analogie zur ehelichen Liebe vorgestellt wird. Und die Personifizierung der amerikanischen Nation durch das American Girl ermöglicht dem patriotisch kämpfenden Soldaten, für sie Gefühle zu entwickeln wie für eine Gefährtin, zu der er nach geschlagener Schlacht zurückkehren möchte. Nicht umsonst zeichnet die Darstellung jener weiblichen Gestalten, die auf verschiedene Weise für die Werte der Nation stehen, oftmals eine gewisse Erotik aus. Und nicht umsonst

847 New York Times, 25.12.1916, 29.03.1929, 12.11.1948; Frankfurter Zeitung, 12.12.1928; Le Petit Parisien, 26.04.1929; Pour Vous, 25.04.1929; France-Soir, 15.10.1949b. 848 Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 29.10.1922; Lichtbildbühne, 23.11.1928; Cinémonde, 18.07.1935; Le Figaro, 13.11.1948; cf. Vossische Zeitung, 25.11.1928; Film-Kurier, 23.11.1928; New York Times, 31.03.1929 sowie Blaetz: ‚La Femme Vacante‘, 66. 849 La Croix, 10./11.11.1929; Cinémonde, 18.04.1929b; L’Intransigeant, 12.05.1928. 850 Variety, 29.12.1916; La Croix, 10./11.11.1929; L’Intransigeant, 12.05.1928; Cinémonde, 18.04.1929b; cf. Banta: Imaging American Women, 510; Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«.Wandlungen Jeanne d’Arcs, 267.

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ist die durchschnittliche Nationalheldin des frühen 20. Jahrhunderts in der Regel deutlich jünger als ihre männlichen Kollegen.851 Wie schon bei der mittelalterlichen Heiligen signalisiert die Schönheit nicht nur wie tugendhaft die Heldin ist, sondern auch wie begehrenswert. Anders jedoch als im 15. Jahrhundert ist die Erfüllung des Begehrens nicht kategorisch ausgeschlossen. Zur Reinheit der Heldin gehört einerseits, dass sie unberührt die Bühne betritt.852 Andererseits entspricht es ihrer Funktion, eine denkbare Gefährtin zu sein. Etwa für so ein gestandenes Mannsbild wie den duc d’Alençon: Bei Fleming kniet er sich unter einem einsamen nächtlichen Himmel unvermittelt vor Jeanne hin, ergreift ihre Hand und spricht von seiner Bewunderung für sie. Sie wehrt die Geste ab, aber dennoch gehört das Verlangen, das Jeanne bei dem Recken geweckt hat, zu den Grundlagen ihrer Stärke. Nicht ohne Grund nennt sie der Dauphin einmal „a very pretty girl in armour and exciting to look at“. In Merveilleuse Vie stellt de Gastyne seine Heldin gleich zu Beginn als Heiratskandidatin vor: Wir sehen sie in Gesellschaft ihres Jugendfreundes Remy Loiseau, der bald darauf um ihre Hand anhält. Ganz offensichtlich ist Jeanne darüber durchaus erfreut, obwohl sie den Antrag wegen ihres Auftrags ablehnt. Auch DeMilles Jeanne weist natürlich das Werben des englischen Ritters Eric Trent zurück, der ursprünglich als Plünderer nach Domremy gekommen ist. Aber die Anziehung zwischen den beiden bleibt bestehen: Er rettet ihr beim Kampf um Orléans das Leben, sie sorgt für seine Freilassung aus französischer Gefangenschaft, und er erfüllt nur mit größten Skrupeln den ausdrücklichen Befehl, sie festzusetzen. Jeanne d’Arc habe sich, betont schon der erste Zwischentitel, trotz ihres Lebens unter Männern das Herz einer Frau bewahrt. Eine Anzeige für Joan the Woman wirbt mit einem Bild, das Farrar im Tête à tête mit Wallace Reid zeigt, dem Darsteller des Eric Trent.853 Fast sieht es aus, als küssten sie sich gleich. Die Position der Heldin bestimmt sich im patriotischen Kontext nicht zuletzt dadurch, dass sie ein legitimes Objekt heterosexueller Verehrung bleibt. Das zeigt sich auch darin, wie die Filme die Frage ihrer Kleidung lösen. In den 851 Cf. Banta: Imaging American Women, 109, 208-210; Agulhon: La représentation de la France, 16; idem: Marianne au pouvoir, 348; Gerbod: L’éthique héroïque, 421; Wenk: Die steinernen Frauen, 106f.; Gilbert Gadoffre: French National Images and the Problem of National Stereotypes. In: International Social Science Bulletin 3 (1951), 579-587, hier: 583. 852 Cf. Banta: Imaging American Women, 109, 510; Rosen: Pocorn Venus, 49; Theodore R. Hovet: The Interior or Hidden Life. Medieval Mysticism in Nineteenth-Century American Evangelism. In: Bernard Rosenthal / Paul E. Szarmach (eds.): Medievalism in American Culture. Papers of the Eighteenth Annual Conference of the Center for Medieval and Early Renaissance Studies. Binghamton 1989, 53-66, hier: 57-61. 853 Cf. Lichtbildbühne, 20.05.1922.

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Quellen des 15. Jahrhunderts hieß es in der Regel, Jeanne nehme mit ihrem Auftrag auch das Äußere eines Manns an, um ihre Keuschheit zu bewahren.854 Für die Filmheldin hingegen scheint ihre Mission in dieser Hinsicht keine Verwandlung notwendig zu machen. Bei Méliès und DeMille hebt sich die Garderobe, in der Jeanne bei Baudricourt oder am königlichen Hof auftritt, nicht wesentlich von dem Ensemble aus Bluse, Rock bzw. Kleid und Schürze ab, das sie als Bauerntochter in Domremy trägt. Ihre Haare sind gleichbleibend lang. Erst wenn sie ihren Platz an der Spitze des Heeres einnimmt, ist ein merklicher Wandel zu beobachten: Ihr Körper ist ganz oder partiell gepanzert. Sie legt sozusagen Berufskleidung an, um sich zu schützen. Es geht weniger darum, symbolisch ihr Geschlecht abzustreifen. Das zeigt sich auch in Flemings Verfilmung – der ältesten, die die Frage nach dem Kleidertausch explizit macht, zu einer Zeit, da der nationale Heldenkult noch eine gewisse Aktualität besitzt. Hier kommt Jeanne nämlich in dem Moment auf den Gedanken, sich wie ein Knabe zu kleiden, wenn ihre Begleiter von den Gefahren der Reise nach Chinon sprechen. Wieder geht es also um Schutz vor Gewalt. Später kommen noch weitere Nuancen zur Sprache: dass die Kleider einerseits zu Jeannes Umfeld passen und andererseits mit der Zeit zu einer Art Wahrzeichen ihrer Mission werden. Doch von Keuschheit ist hier nie die Rede. Und die Kleider, die diese Jeanne für ihre Unternehmungen aussucht, sind auch als symbolische Verneinung ihrer Weiblichkeit nicht sonderlich geeignet. Die Jacke, die sie für den Ritt zum König anlegt, ist so körpernah geschnitten, dass Bergmans Brüste durchaus zur Geltung kommen. Gleichzeitig ist das Wams so lang, dass die Hosen, die die Heldin dazu trägt, nicht besonders ins Auge fallen. Jeannes Haare werden zwar gestutzt – aber auf eine Länge, mit der sich eine zeitgenössische Amerikanerin selbst in einem Diner im Mittleren Westen blicken lassen könnte. Der Eindruck dominiert: Die mittelalterlichen Kostüme ermöglichen der Filmheldin, sich dem Erscheinungsbild der männlichen Figuren vorsichtig anzunähern, ohne sich dabei – mit den Maßstäben des 20. Jahrhunderts gemessen – von ihrem eigenen Geschlecht eindeutig abzuwenden. Die oberschenkellangen, gern gegürteten oder mit extraweiten Ärmeln ausgestatten Oberteile, die die Filmheldin gelegentlich zu Hosen oder Strumpfhosen trägt – Capellanis Jeanne in der Kerkerszene, Simone Genevois bei der Ankunft am königlichen Hof, Angela Salloker kurz vor der Krönung – wirken nicht sonderlich maskulin. Und selbst die Rüstung der Filmheldin wird zum Teil feminisiert: Bei Méliès, DeMille und de Gastyne ist sie mit tunika- oder kleidähnlichen Gewändern kombiniert, die dem Panzer die Strenge nehmen. Damit 854 Cf. supra, 116f.

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entspricht die Filmheldin nicht nur vielen anderen Jeanne-Visualisierungen der Neuzeit, sondern auch der Ikonographie namentlich des US-amerikanischen Patriotismus: Gender-Ambivalenzen werden in diesem Kontext nicht sonderlich geschätzt.855 Radikal hebt sich nur Dreyers Ausnahmeheldin von allen Vorstellungen dekorativer Weiblichkeit ab. Ihr zerlumptes Hemd hat nichts Kleidsames. Ihre Haare sind von vorneherein schon viel kürzer als bei den Protagonistinnen aller anderen Filme. Und dann werden sie noch einmal gestutzt, abgeschoren sogar, nachdem Jeanne abgeschworen hat. In den späten 1920er Jahren hat das durchaus das Potential, für Aufsehen zu sorgen, wie manche Reaktionen der Presse verraten.856 Allerdings hat der Verlust der Haare hier nichts mit dem cross-dressing einer aktiven Heldin zu tun. Man sieht, heißt es in der Vossischen Zeitung, „keine Heroine, sondern ein kurz geschorenes, tumbes, aber durch den Glauben überirdisch sanft verklärtes Bauerngesicht“.857 Eine angebliche Sünderin, die sich der Autorität der Kirche unterordnen muss. Einen Teil der Passion eben. Die Unersetzbare In der Regel erhält sich die Filmheldin jene weibliche Attraktivität, die für die verlockende Verkörperung nationaler Werte gegenüber einer männlich gedachten Gemeinschaft von einiger Bedeutung ist. Dazu noch der bodenständige Fleiß und die moralische Reinheit – die so positionierte Heldin gibt ein glänzendes Bild ab. Damit sie vom geeigneten Objekt der Bewunderung zur Kämpferin für das Vaterland werden kann, muss allerdings zweierlei hinzukommen. Zum einen darf die Heldin dem mehr oder weniger ausdrücklichen Werben ihrer Verehrer dann doch nicht nachgeben. Um ihre Begehrbarkeit zu unterstreichen, kommt das Ansinnen eines Remy Loiseau oder Eric Trent durchaus gelegen, aber im Sinne der anstehenden Heldentaten muss Jeanne ihr eigenes Verlangen letztlich zurückstellen. Insofern ist auch die Filmheldin einer traditionsreichen Anforderung an Volkshelden und Kriegerinnen unterschiedlicher Herkunft unterworfen.858

855 Cf. supra, 214; Ribéra-Pervillé: Jeanne d’Arc au Pays des Images, 64; Banta: Imaging American Women, 255-259; Robin Blaetz: Retelling the Joan of Arc Story. Women, War, and Hollywood’s Joan of Paris. In: Literature/Film Quarterly 22 (1994), 212-220, hier: 218. 856 Cf. Vossische Zeitung, 25.11.1928; Film-Kurier, 23.11.1928; Ciné-Miroir, 25.11.1927. 857 Vossische Zeitung, 25.11.1928. 858 Cf. Blaetz: Retelling the Joan of Arc Story, 219; Wienker-Piepho: Frauen als Volksheldinnen, 257-260; Nancy Huston: The Matrix of War. Mothers and Heroes. In: Politics Today 6 (1985), 153-170, hier: 162f.

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Zum anderen muss das Handeln der Heldin schlicht auch notwendig sein. Es rechtfertigt sich dadurch, dass die üblichen Ressourcen erschöpft sind, dass die Kampfkraft allein der Männer sich als unzureichend erweist. Wenn die nationale Freiheit nur durch die Erhebung des ganzen Volkes gerettet werden könne, wenn es auf jeden Freiwilligen ankomme, so heißt es im Kontext patriotischer Debatten des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts, dann müssten eben auch Frauen zur Waffe greifen. Was nebenbei wiederum den Kampfgeist der Männer anstacheln soll.859 DeMilles Jeanne hält sich sehr genau an diese Logik, wenn Plünderer Domremy überfallen.860 Zunächst schickt sie einen Mann vor: Sie instruiert einen französischen Soldaten, der sich in das Dorf geflüchtet hat, mit den Angreifern zu verhandeln. Erst als sie mitbekommt, wie der Verteidiger stattdessen in ein Versteck verschwindet, stellt sie sich selbst den Feinden entgegen. Auch in den übrigen Langfilmen der ersten Jahrhunderthälfte, von der Passion abgesehen, wird zu Beginn die Notlage geschildert, die die Heldin zur letzten Hoffnung werden lässt. Bei de Gastyne und Fleming berichten einige Soldaten bzw. Jeannes Onkel Laxart über die Gräuel des Krieges. Verbittert wirken die Männer oder erschöpft, der Glaube an die Möglichkeit einer Besserung hat sie offensichtlich verlassen. Von ihrer Seite ist keine entscheidende Initiative zu erwarten. Sie muss von Jeanne kommen. Es stehe ihr eigentlich nicht an, sagt sie bei Fleming, aber „there is not one person in the world, not among kings or nobles or princesses who can bring help to the France we love. Not one save this maid you see before you.“ Bei Ucicky kommt die Ausweglosigkeit in einem Gespräch zwischen dem König und seinem getreuen Gefolgsmann Maillezais zum Ausdruck. Ihm fehle die geeignete Gelegenheit, zum Angriff überzugehen, erklärt Charles. Statt um Orléans zu kämpfen, schickt er sich an, die Stadt zu verlassen. Gerade da tritt Jeanne in Erscheinung und lässt die Lage, für die der gerissene Charles bisher keine Lösung wusste, mit einem Mal umschlagen. „Als die Not am größten war, geschah das Wunder“, heißt es bereits in einem einleitenden Text. Die Heldin ist als einzige in der Lage, dem allgemeinen Elend ein Ende zu setzen. Das ist das Merkmal ihrer Position, das ihre zunächst passive Glorie in Aktivität verwandeln kann. Statt anständig und attraktiv in der Gegend zu stehen, muss sie durch eigenes Handeln die Motivation ihrer Landsmän859 Cf. Planert: Die Nation als »Reich der Freiheit«, 120; Hagemann: »Deutsche Heldinnen«, 88f., 103; Gabriella Hauch: »Bewaffnete Weiber«. Kämpfende Frauen in den Kriegen der Revolution von 1848/49. In: Karen Hagemann / Ralf Pröve (eds.): Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel. Frankfurt a.M., New York 1998, 223-241, hier: 230f., 238. 860 Cf. Higashi: Cecil B. DeMille and American Culture, 127f.

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ner aufbessern bzw. die Interessen der Gemeinschaft gleich selbst verteidigen. Doch bevor es darum gehen kann, in welcher Art die Heldin ihre angepasste Passivität überschreitet, muss zunächst die Frage beantworten werden: Wie lässt sich ihre Ausgangsposition beschreiben, wenn man sie von den Vorgaben des nationalen Heldenkults zu lösen versucht? Welche Bedeutung haben ihre Attribute außerhalb dieses Kontexts, wie wandeln sie sich nach seinem Verblassen? ii. Anforderungen an den Star Die Menschliche Anders als die Heldin der Nation ist der Filmstar weniger einer Moral verpflichtet als einem Publikum. Wenn man die soeben untersuchten Verkörperungen der Filmheldin, statt sie in den nationalen Kontext einzuordnen, als Teil des nach und nach aufblühenden Starkults betrachtet, erscheint die Rede von Jeannes bäuerlicher Herkunft in neuem Licht. Das „simple peasant girl“, das die Schafe hütet und den Glauben der Nachbarn teilt, gibt sich dann als girl next door zu erkennen. Jeannes Arbeit bei den Tieren oder im Haushalt signalisiert in diesem Zusammenhang, dass sie zupacken kann und muss wie – fast – jede und jeder andere auch. Sie wird dadurch in greifbare Nähe gerückt, und das ist für den Status des Stars eine entscheidende Bedingung. Denn er muss – ähnlich wie die kanonisierten HeldInnen vergangener Jahrhunderte – beides miteinander verbinden: Seine spektakulären Merkmale müssen ein Gegengewicht in einer gewissen Durchschnittlichkeit finden, der Star ist einerseits ganz besonders und andererseits doch genau so ein Mensch wie sein Fan.861 Nach dieser Logik des Starkults muss Jeanne neben ihrem spektakulären Auftreten als Retterin Frankreichs auch banale Momente haben. Eben jene bereits geschilderten zum Beispiel, in denen die Filmheldin der ersten Jahrhunderthälfte an den alltäglichen Abläufen des Dorflebens teilhat. Aber auch die späteren Verfilmungen inszenieren die Nähe der Heldin zum gewöhnlichen Leben. Sie habe ihre Kraft durch harte Arbeit erworben, erklärt Premingers Jeanne dem Dauphin. Bei Bresson stellt die Heldin richtig, dass sie vor ihrem Aufbruch aus Domremy nicht auf dem Feld gearbeitet, aber sehr wohl von der Mutter das Nähen und Spinnen gelernt habe. Eigentlich hätte sie damit auch gerne weitergemacht, statt ihr Zuhause zu verlassen, bekräftigt Rivettes Pucelle gegenüber Jean de Metz – zumal sie ziemlich gut nähe. Bei 861 Cf. supra, 75; Lowry / Korte: Der Filmstar, 14; Cook: Star Signs, 83; Linda Ruth Williams: Ready for Action. G.I. Jane, Demi Moore’s Body and the Female Combat Movie. In: Yvonne Tasker (ed.): Action and Adventure Cinema. London, New York 2004, 169-185, hier: 183.

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Besson dagegen sehen wir Jeanne in den ersten Szenen übermütig durch die Gegend tollen und erfahren, dass sie gern mit Gleichaltrigen spielt – wiederum das nette Mädchen von nebenan, nur in der von Arbeit unbeschwerten Version. In der Berichterstattung über diese Filme wird die Filmheldin oder auch ihre historische Vorgängerin immer öfter als „humaine“, „menschlich“, „lebensnah“ qualifiziert.862 Letztlich scheinen damit ganz unterschiedliche Eigenschaften gemeint zu sein – Schmerzempfindlichkeit etwa oder Unkompliziertheit –, aber auf jeden Fall lautet die Botschaft: eine Heldin wie du und ich. Allerdings mit ein paar seltsamen Angewohnheiten. Die erste Szene von Bessons Joan of Arc gibt etwa zu erkennen: Sie beichtet wirklich sehr oft. Jeanne wird religiös erzogen und wächst als brave Christin auf – bei Bresson und Rivette unterstreichen das Formulierungen im Antrag auf Rehabilitierung, den Jeannes Mutter in beiden Filmen zu Beginn des récit stellt. Überdies beruft sich auch die Heldin aller späten Filme von Premingers Saint bis zu Bessons Joan of Arc auf die göttliche Herkunft ihres Auftrags. All das klingt zunächst, als blieben die moralischen Anforderungen an die Heldin einfach bestehen. Aber gleichzeitig gibt es Hinweise, dass sie mit der zunehmenden Entfaltung des Starkults in den Hintergrund treten. Wenn in der Presse von Reinheit die Rede ist, kann zwar nach wie vor eine Eigenschaft der Heldin gemeint sein.863 Doch dieser Sprachgebrauch bekommt Konkurrenz. Neben die Sorge um die Moral tritt die Kritik der Ästhetik: Auch Dialoge, Bilder oder die Interpretationsweise von Florence Carrez werden als rein bezeichnet.864 Selbst „Keuschheit“ und „virginité“ müssen nicht mehr Merkmale eines Menschen sein. Mehrere Journalisten verwenden die Begriffe, um filmische Strategien zu charakterisieren oder den Versuch, die Heldin von ideologischen Deutungen zu befreien.865 So verflüchtigt sich die Sexualmoral in die Metapher. Sexuelle Enthaltsamkeit mag in der US-Öffentlichkeit in jüngster Zeit neue Wertschätzung erfahren.866 Aber die Berichterstattung über die jüngsten Jeannes lässt derlei nicht erkennen. Im Gegenteil. 862 L’Humanité, 25.05.1957; France-Soir, 20./21.05.1962, 09.02.1994; Télérama, 01.12.1963, 09.02.1994a; taz, 01.09.1994a; FAZ, 14.02.1994; Libération, 09.02.1994b; cf. FR, 15.02.1994; Film-Dienst, 29.03.1994, 30.08.1994b, 04.01.2000; La Croix, 09.02.1994a und b, 30./31.10./01.11.1999d; Cahiers du cinéma, 02/1994b und c. 863 Cf. Berliner Morgenpost, 11.10.1957; France-Soir, 16.03.1963; Cahiers du cinéma, 02/1963, 02/1993, 02/1994b; Le Figaro, 14.02.1994; Télérama, 09.02.1994d. 864 Cf. Le Monde, 27.05.1957, 20.05.1962, 17./18.03.1963; Libération, 23./24.03.1963; Le Figaro, 19./20.05.1962, 19.03.1963; La Croix, 20./21.05.1962, 30./31.10./01.11.1999c. 865 SZ, 15.02.1994; Libération, 09.02.1994a; Le Monde, 10.02.1994a; cf. La Croix, 28.03.1963. 866 Cf. Anke Bernau: Girls on Film. Medieval Virginity in the Cinema. In: Martha W. Driver / Sid Ray (eds.): The Medieval Hero on Screen. Representations from Beowulf to Buffy. Jefferson, London 2004, 94-114, hier: 96f.

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Um die Jahrtausendwende ist es so weit, dass Tugend schlichtweg als hinderlich erscheint: Böse Mädchen kommen bekanntlich überall hin. „Die guten Mädchen dagegen, muss man annehmen, vergeuden ihr Leben an falsch verstandene Reinheitsgebote.“867 Dazu passt, dass der weiße Glanz, der Jeannes äußere Attraktivität so bündig mit ihren inneren Werten in einer Chiffre vereint, mit der Zeit aus der Mode kommt. Bei Preminger leuchtet er noch einmal auf. Jeannes Gesicht verschwimmt etwa dann zu einer hellen Fläche, wenn sie sich ganz zum Schluss der Rahmenhandlung nach oben auf die Kamera zu bewegt – sozusagen aus dem Traum des schlafenden Dauphin hinaus und zurück zu ihrem Schöpfer. Aber in den späteren Filmen verliert die Helligkeit ihre überhöhende Funktion. Florence Carrez liegt einmal sehr blass zwischen sehr weißen Laken – aber da ist sie schlicht krank. Das Profil von Milla Jovovich erglüht einmal im Gegenlicht – aber da hat sie ihre Momente der Stärke längst hinter sich und befindet sich im peinigenden Zwiegespräch mit ihrem Gewissen. Die Begehrenswerte Bessons Lichtführung markiert weniger die Makellosigkeit von Jeannes Moral als die ihrer Gesichtszüge, weniger den Glanz der überlegenen Seele als jenen verlockenden Glamour des Stars, den schon das Blond der Monroe verströmt.868 Denn dieser Aspekt der äußeren Erscheinung bleibt durchaus erhalten: Attraktiv, begehrenswert muss die Heldin weiterhin sein.869 Manche KritikerInnen sind bereit, einem Film die eine oder andere Schwäche nachzusehen, wenn wenigsten die Hauptdarstellerin etwas hermacht. Bei allen Mängeln von Saint Joan, heißt es etwa, sei das Aussehen von Seberg immerhin ein Trost, wenn nicht gar „ravissante“, und beeindrucke ohnehin mehr als Shaws Sprachspiele.870 Auch die Jeanne der Milla Jovovich besticht in besonderem Maße durch äußere Reize. Sie wird nicht nur als „charmante“, „sehr hübsche junge Frau“ und „plutôt sexy“ beschreiben, ihr Gesicht als „kostbarstes Kleinod“; ein Journalist nimmt diese jüngste Jeanne vor Kritik sogar mit den Worten in Schutz: „Im Kino ist es unvermeidlich, dass die heilige Johanna den erotischen Leitbildern der jeweiligen Epoche ähnlich wird.“871

867 Die Zeit, 13.01.2000. 868 Cf. Dyer: Heavenly Bodies, 42-48. 869 Cf. Klinger: Die modernisierte Ikone, 276f.; idem: Jeanne d’Arc, 137,156; Kiening: Mittelalter im Film, 83. 870 SZ, 12.11.1957; L’Humanité, 25.05.1957; France-Soir, 12.05.1957; cf. Libération, 24.05.1957; Le Monde, 30.01.1957, 27.05.1957; Le Figaro, 22.05.1957; Variety, 08.05.1957. 871 Le Monde, 18.12.1999b; SZ, 12.01.2000; Télérama, 03.11.1999; FAZ, 13.11.1999, 14.01.2000.

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In der Tat: Im Kontext des Starkults betrachtet, ist ein attraktives Äußeres für die Filmheldin von umso größerer Bedeutung. Denn seit seiner Geburt als gesellschaftliches Phänomen ist der Filmstar nicht zuletzt Gegenstand erotisch aufgeladener Blicke. Und wenn gegen Mitte des Jahrhunderts die übergreifende Entwicklung, die der Sexualität nach und nach den Status eines wahren, entscheidenden Kerns der menschlichen Existenz zuwachsen lässt, einen Höhepunkt erreicht, wird das Kino zu einem privilegierten Ort ihrer Artikulation. Das Attraktivitätsgebot, das sich mit der Zeit an praktisch alle Teile der Bevölkerung richtet, gilt für den Star – zumal den weiblichen – umso strenger. Das zeigt sich auch darin, dass populäre Filmschauspielerinnen ihre Karriere nicht nur früher starten, sondern auch früher beenden müssen als ihre männlichen Pendants.872 Und die kämpferischen Filmheldinnen der jüngeren Zeit sind diesem Mechanismus offenbar in besonderem Maße ausgeliefert: Die Darbietung ihrer sexuellen Reize wirkt als eine Art Kompensation für ihre Aktivität.873 Umso entscheidender also für die Position der Filmheldin Jeanne, wenn sie als „plutôt sexy“ wahrgenommen wird. Als potentielle Gattin allerdings muss sie, sobald sie das Wertesystem nationalen Heldentums hinter sich gelassen hat, offensichtlich nicht mehr posieren. Nur in einer Szene der späteren Filme kann vorübergehend der Gedanke aufkommen, sie könne die Frau eines ihrer Gefährten werden: in Premingers Saint, gleich nach der Krönung. Dunois tröstet sie, als sie von den Mächtigen des Hofes mit den Worten nach Hause geschickt wird: „A woman’s place is with her parents – or with a husband.“ Und sie malt sich aus, wie sie ihn liebkosen könnte, wenn er eines der kleinen Kinder zu Hause in Domremy wäre. Aber kaum zieht er sie zu sich heran, macht sie sich unwillig los, und der Flirt ist beendet. Im Kontext des Starkults ist das Begehren nicht an die Anbahnung einer Partnerschaft gebunden. Die Filmheldin ist ihm auf grundsätzlichere Art ausgesetzt: als spectacle. In einigen Momenten wird sie so offensiv als ein Objekt inszeniert, das fremden kontrollierenden Blicken ausgeliefert ist, dass sich der Rückgriff auf Laura Mulveys Konzept visueller Lust kaum umgehen lässt.874 Etwa wenn Bresson die schlafende Jeanne aus einer leichten Aufsicht zeigt, die 872 Cf. Dyer: Heavenly Bodies, 24-27; Rosen: Popcorn Venus, 26, 62, 209-217, 267-271; Mordden: Movie Star, 8f., 211, 228, 267f.; Patalas: Sozialgeschichte der Stars, 20-23, 27; Levy: Social attributes, 250-253, 256; Falk: Sex, Gender, and Social Change, 239-241; Lincoln / Allen: Double Jeopardy in Hollywood, 616, 624-627; Hoffmann: Sinnliche und leibhaftige Begegnungen, 13-16, 21. 873 Cf. Tasker. Spectacular Bodies, 19f.; Beltrán: Más Macha, 198; O’Day: Beauty in Motion, 203, 206. 874 Cf. supra, 26.

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sich im Gegenschuss als Perspektive zweier gaffender Soldaten herausstellt. Später folgt ein Blick durch ein Loch in der grobgefügten Steinwand ihres Kerkers. Ihr Richter, Bischof Cauchon, und der Befehlshaber ihrer Wächter beobachten die Gefangene, und das Kinopublikum tritt wohl oder übel an die Stelle der Missetäter. Zwar bleibt Jeanne nicht vollkommen passiv, sie erwidert den Blick der verborgenen Beobachter. Aber entziehen kann sie sich der Kontrolle des Geistlichen und des Lords weder visuell noch physisch. In einer weiteren Szene kommt ein eindeutig sexuell aufgeladener Blick hinzu: Zu den Autoritätspersonen hinter dem Guckloch tritt ein junger Mann, den die beiden für eine Attacke gegen die Jungfräulichkeit der Gefangenen ausgewählt haben. Eine ähnliche Konstellation findet sich bei Preminger, auch hier betrachtet der englische Befehlshaber die gefangene Jeanne durch eine verborgene Öffnung. Diesmal bekommt er einerseits Gesellschaft von einem neugierigen Pagen und andererseits wiederum von der Kamera. Die Perspektive, die sie alle einnehmen, fällt umso dominanter aus, als sich ihr Guckloch im Gewölbe von Jeannes Zelle befindet. Und schon DeMilles Heldin, die ja durchaus Kontakt zum sich entwickelnden Starkult hat, wird auf diese Weise observiert: Cauchon und weitere Geistliche verfolgen, wie Jeanne auf sein Geheiß von einem lüsternen Trunkenbold bedrängt wird. Bei Ucicky wird Jeanne im Verlies in Rouen zum spectacle: Schaulustige drängen an eine vergitterte Öffnung heran, und eine Neugierige lobt spöttisch Jeannes hübsche Beine. All diese Beispiele besagen nicht – anders als man aus Mulveys Überlegungen schließen könnte –, dass die Heldin zur Passivität verdammt wäre. Sie erinnern lediglich daran, dass zu ihrer Position im Kontext des Starkults gehört, zum Gegenstand begehrender Blicke zu werden. Auch an diesen Umstand muss sie sich anpassen, um letztlich eine Position der Stärke einnehmen zu können. Die Heldin kann sogar im selben Moment spectacle und machtvoll Handelnde sein. Besson führt das vor, indem er eine Darstellungsstrategie variiert, die bei kämpferischen Filmheldinnen des ausgehenden 20. Jahrhunderts oft zur Anwendung kommt. Ob Trinity in Matrix, Helen in Schneller als der Tod oder Bessons eigene Heldin Nikita – sie werden alle mit Sequenzen vorgestellt, in denen sie sich gegen gewalttätige Angreifer durchsetzen, während die Weiblichkeit ihrer Körper vorübergehend verschleiert und dann umso effektvoller präsentiert wird.875 Siehe: Der coole Kämpfer ist eine Frau. Die Light-Version in Jeanne d’Arc entfaltet eine ganz ähnliche Wirkung. Man sieht Reiter in Richtung der königlichen Burg galoppieren, ohne zunächst auch nur einen Blick auf Gesichter oder Körperformen zu erhaschen. Lange 875 Cf. Besson: Nikita; Raimi: The Quick and the Dead; Wachowski / Wachowski: The Matrix.

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Umhänge mit Kapuzen verhüllen jedes Detail. So bleibt es auch, während die Gestalten am Hof ankommen und rasch diverse Räume durchqueren. Erst wenn Jeanne in den Thronsaal tritt, wirft die Kamera einen vorsichtigen Blick auf die ebenmäßigen Züge unter der derben Kapuze. Und dann streift Milla Jovovich die Kopfbedeckung endlich ab, sodass die Heldin den Blicken der zahlreichen Höflinge ausgesetzt ist. Die ZuschauerInnen ahnen in diesem Fall zwar, dass unter einem der Umhänge eine Frau steckt. Aber Jovovichs Antlitz, der Kontrast zwischen seiner Glätte und dem derben Reiter-Outfit kommt dennoch einer Offenbarung gleich – schon weil Jeanne in den vorigen Szenen noch den Körper eines jungen Mädchens, den von Jane Valentine hatte. Gemeinsam mit den Höflingen starren die ZuschauerInnen die Erscheinung an. Woran sich eben ablesen lässt: Aktivität und spectacle müssen sich nicht ausschließen.876 Geschickt inszeniert können sich beide Merkmale der heroischen Position sogar gegenseitig verstärken. Auch ihre androgyne Kleidung, ohne die eine solche Szene nicht funktionieren würde, kann dazu beitragen, Jeanne zu einem geeigneten Objekt visueller Lust zu machen. Eine Filmfigur kann umso mehr als sexuelles Wesen bewusst werden, wenn diese Dimension durch den Kontrast zwischen maskulinen und femininen Attributen unübersehbar ins Spiel gebracht wird. Unter der Regie von Josef von Sternberg macht Marlene Dietrich vor, wie das funktioniert: Indem sie Smoking und Zylinder anlegt, lenkt sie nicht von ihrer Attraktivität ab, sondern streicht sie heraus. Mehr noch: Wenn sie in Marokko in diesem Outfit von Männern begafft wird, aber lieber eine Frau küsst, deutet sich an, was auch für andere Figuren mit ambivalenten Gender-Attributen gilt: Sie können ein besonders breites Feld von Begierden bedienen.877 Anders als bei der mittelalterlichen Heldin kann androgynes Auftreten im Kontext des sexualisierten Starkults eine Form der Anpassung an die Position des begehrten Objekts bedeuten. „Jeanne, eine Drag Queen“, heißt es in der taz-Kritik zur Pucelle.878 Oder vorsichtiger formuliert: In den Filmen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts scheint die überkommene Funktion des cross-dressings, die Heldin von der Begierde der Männer abzuschirmen, in der Tat an Bedeutung zu verlieren. Auch nachdem sie ihr Kleid gegen Hose und Wams ausgetauscht hat, regt Rivettes Jeanne die Phantasie ihrer Mitreisenden an. Letztlich bleibt von deren Lüsternheit zwar nichts außer einem schlechten Gewissen, aber zunächst einmal nimmt sich besonders Jean de Metz für die Nächte während der gemeinsamen Reise einiges vor. Bei Preminger legt 876 Cf. O’Day: Beauty in Motion, 203, 205. 877 Cf. Josef von Sternberg: Morocco (Marokko). USA 1930; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 73, 103f.; Dyer: Heavenly Bodies, 95-98; Rosen: Popcorn Venus, 320f. 878 taz, 01.09.1994b.

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Jeanne Kleider an, von denen nicht zuletzt die engen Hosen ins Auge fallen. Und kaum ist sie am Hof eingetroffen, findet sich ein Wachsoldat, der recht rüpelhaft sein Gefallen an ihren schönen Beinen zum Ausdruck bringt. Der Pixie-Schnitt hingegen, den Jean Seberg zur Schau trägt, kommt vor allem abseits der Fiktion gut an. Er wird zu einem Markenzeichen der Schauspielerin, das sich in Filmen wie Außer Atem und Bonjour Tristesse aufs Harmonischste mit dem sexuellen Selbstbewusstsein ihrer Figuren verbindet.879 Dass Jeannes cross-dressing ihr auch Schutz bieten könnte, beginnt in den jüngeren Filmen erst sehr spät, gegen Ende des Prozesses eine Rolle zu spielen. Bei Bresson erklärt der junge Mann, der Jeannes Jungfräulichkeit zu Leibe rücken soll, ganz explizit, ihre Männerkleider stünden dem entgegen. Bei Preminger und Rivette kommt dasselbe in Andeutungen zum Ausdruck und in den Attacken, die einsetzen, sobald Jeanne wieder ein Kleid anzieht. Die alte Schutzfunktion erhält das cross-dressing erst unter den besonderen Bedingungen der Gefangenschaft zurück, dann, wenn sich die handelnde Heldin in eine leidende verwandelt. Die kämpfende scheint dieses Schutzes nicht zu bedürfen. Die Authentische Bei Besson spielt eine solche Wirkung der Männerkleider gleich gar keine Rolle mehr. Überhaupt wird Jeannes cross-dressing hier mehr oder weniger als Selbstverständlichkeit behandelt. Der Reiz des Androgynen, den Besson eingangs so eindrucksvoll inszeniert, darf unkommentiert wirken. Nur einmal wird Bessons Jeanne explizit. Nachdem sie in Orléans von den französischen Befehlshabern Gehorsam eingefordert und Dunois verlegen zu bedenken gegeben hat, sie sei ja nur ein „girl“, wird ihr klar: „I must look like a man“. Wütend beginnt sie, die langen Haare abzusäbeln, die sie bisher in einem lockeren Zopf getragen hat. Und damit wird der Mechanismus greifbar, der es der Heldin erlaubt, ihre angepasste Position in Stärke umzumünzen. Denn in diesem Moment will sie die Linien durchstoßen, die ihre Position als Mädchen begrenzen, sie will männlich wirken, um ihren Handlungsspielraum zu vergrößern. Dafür gibt es allerhand Vorbilder: Besonders bis zu den 60er Jahren sind die Filmheldinnen zahlreich, die sich als Männer verkleiden, um einen Posten einnehmen, eine Laufbahn einschlagen zu können, die ihnen als Frau üblicherweise verwehrt bliebe. In jüngerer Zeit folgen die Heldinnen, die nur 879 Cf. Otto Preminger: Bonjour Tristesse (Bonjour Tristesse). USA 1957; Jean-Luc Godard: A bout de souffle (Außer Atem). Frankreich 1959; David Richards: Played Out. The Jean Seberg Story. New York 1981, 46, 95f.

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einzelne männliche Attribute übernehmen, die sich insbesondere die Haare abschneiden, in dem Moment, in dem sie sich der Autorität der Männer entziehen, in dem sie sich als Soldatin, Agentin, Herrscherin behaupten. Besonders Action-Heldinnen müssen ihrem körperlichen Erscheinungsbild männliche Züge verleihen.880 Bei all diesen Transformationen geht es letztlich um einen Punkt: darum nämlich, die Lücke zu schließen, die zwischen Identität und Aufgabe klafft. Um zu handeln wie ein Herrscher, Soldat, Befehlshaber müssen die Heldinnen diese Rolle überzeugend verkörpern, sie müssen sich ihr anverwandeln. In der Zeit, in der Kleiderordnungen noch eine gewisse Verbindlichkeit haben, hilft da schon der Wechsel der Garderobe weiter. Aber letztlich funktioniert das Verkörpern eben am effizientesten über den Körper.881 Schon Jeannes Attacke auf die eigenen Haare macht das deutlich. Mit diesem Schritt belegt sie, wie ernst es ihr mit ihrer Mission ist. Sie legt gleichsam den Kämpfer frei, der sich in ihrem Körper verbirgt, Anschein und Auftrag kommen zur Deckung. Obwohl es um einen willentlichen Eingriff in das eigene Erscheinungsbild geht, vollführt die Filmheldin, wenn sie bei Besson das Messer an ihren Zopf setzt, letztlich eine Geste der Authentifizierung. Denn was der Körper beglaubigt, wird nicht so bald in Abrede gestellt. Wie wichtig dieser Mechanismus ist, zeigt auch eine andere Sequenz aus Bessons Jeanne d’Arc. Als der König und seine Berater diskutieren, ob Jeanne zu trauen sei, kommt La Tremouille folgender Gedanke: „She claims to be a virgin. Well, that’s something we can examine and be absolutely certain about.“ Letzte Sicherheit bietet eben nur der Körper. Und nicht etwa, weil die Höflinge davon ausgingen, Jeannes Jungfernschaft stehe für irgendwelche moralischen oder übernatürlichen Kräfte. Davon ist nicht die Rede.882 Vielmehr geht es nur um das eine: Stimmt die Verfassung ihres Körpers mit ihren Aussagen überein? Besson inszeniert ein ausführliches Ritual, dass das entscheidende Ergebnis liefert: Der Körper steht hinter der Figur. Nicht nur Jeannes eigener Körper im Übrigen, sondern in gewisser Weise auch der ihrer Schwester. Denn in Bessons Fassung gründet der Kampf der Heldin nicht zuletzt in jener grausamen Szene, die Jeanne als Kind beobachtet: Während sie sich vor Plünderern in einem Verschlag versteckt, vergewaltigt 880 Cf. Schünzel: Viktor und Viktoria; Janson: Der Page vom Dalmasse-Hotel; Harlin: The Long Kiss Goodnight; Scott: G.I. Jane; Sven Gade: Hamlet. Deutschland 1920; Bill Eagles: Beautiful Creatures (Beautiful Creatures). Großbritannien 1999; Shekhar Kapur: Elizabeth (Elizabeth). Großbritannien 1998; Bell-Metereau: Hollywood Androgyny, 2f., 205f., 224-226, 229-232; Tasker: Spectacular Bodies, 139, 149. 881 Cf. supra, 210-212; Weingarten: Bodies of Evidence, 52. 882 Cf. Klinger: Jeanne d’Arc, 157f.

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und ermordet ein Soldat ihre Schwester. Damit variiert Besson ein Motiv, das in Verbindung mit den kämpferischen Mainstream-Heldinnen der jüngsten Zeit wiederholt anzutreffen und letztlich zu den rape-revenge-Filmen der 1970er zurückzuverfolgen ist: Den Hintergrund für die zentrale Handlung bildet oft sexuelle Gewalt. Entweder die Heldin selbst oder eine Frau, der sie sich nahe fühlt, wird zum Opfer oder entrinnt der Gefahr um Haaresbreite.883 Nicht zuletzt dadurch ist legitimiert, dass die Protagonistin aktiv wird – zum Schutz oder auch aus Rache. Der misshandelte oder bedrohte Körper bildet eine unwiderlegbare Begründung, er beglaubigt, dass die ursprüngliche, mehr oder weniger angepasste Existenz der Heldin und ihre außergewöhnliche Aktivität durchaus zusammengehen. Keiner der anderen Jeanne-Regisseure inszeniert die Rolle des Körpers so drastisch wie Besson. Dennoch lassen sich verschiedene Szenen finden – desto mehr, je weiter das Jahrhundert fortschreitet –, die auf ähnliche Weise herausstreichen: Die Heldin steht mit ihrem Körper dafür ein, was sie sagt und tut. Rivettes Verfilmung erzählt ebenfalls von der Überprüfung der Jungfernschaft, und Bressons Dialoge beharren nachdrücklich auf diesem körperlichen Detail. Wie die Heldin selbst ihren Körper zur Beglaubigung ihrer Mission einsetzt, kann man bei Fleming und Rivette mitverfolgen, wenn Jeanne ihre Haare abschneidet oder abschneiden lässt. Preminger zeigt den Vorgang nicht explizit, rückt aber Bilder von Jeannes ursprünglichem Erscheinungsbild und von ihrem Kurzhaarschnitt so nah aneinander, dass der Vorgang der Verkörperung ebenfalls anschaulich wird. Unterstützt wird er durch den Wechsel der Kleider. Ein Mittel, das weniger auf den angenommenen körperlichen Kern der Figur zielt, aber doch zu ihrer Kohärenz beiträgt. Die einschlägigen Erläuterungen der Heldin führen das vor Augen. Sie sei eben Soldat, erklärt Premingers Jeanne einer Hofdame, die sich über das Erscheinungsbild der Heldin wundert. Weil sie als Soldat in Gefangenschaft geraten sei, müsse sie auch die entsprechenden Kleider beibehalten, ergänzt Rivettes Jeanne. Ihre Aufgabe sei ja auch noch nicht erfüllt. Beide Argumente finden sich schon bei Fleming: Unter Soldaten habe sie auch wie einer aussehen müssen, sagt seine Jeanne vor Gericht. Und zuvor: „While 883 Cf. Kaplan: Bad Girls; Bigelow: Blue Steel; Scott: Thelma and Louise; Hemecker: Witchblade; Eagles: Beautiful Creatures; Amiel: Copycat; Apted: Enough; Mandoki: Angel Eyes; Schroeder: Murder by Numbers; Yves Boisset: La femme flic (Die Polizistin). Frankreich 1979; Virginie Despentes / Coralie Trinh Thi: Baise-moi. Frankreich 2000; Tasker: Spectacular Bodies, 152; idem: Working Girls, 109f.; Krützen: Dramaturgie des Films, 47; Neroni: The Violent Woman, 155; Judith Franco: Gender, Genre and Female Pleasure in the Contemporary Revenge Narrative. Baise moi and What It Feels Like for a Girl. In: Quarterly Review of Film and Video 21 (2004), 1-10, hier: 5.

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I’m dressed as I am, everyone can see that I still stand for what I have done.“ Die Heldin ist ganz offensichtlich darauf bedacht, für Übereinstimmung zwischen ihrem Handeln und ihrem Äußern zu sorgen. Mit Haut und Haar und Hose muss sie für ihre Sache einstehen. Ein Merkmal ihrer Position ist nicht zuletzt dieser entschiedene Versuch, zumindest für den Moment des Handelns Geschlossenheit herzustellen. Und die ist natürlich nicht nur innerhalb der Fiktion herzustellen, nicht nur das Mädchen von nebenan und die Kämpferin müssen zur Deckung kommen, sondern auch Jeanne einerseits und die Schauspielerinnen andererseits müssen so weit wie möglich miteinander verschmelzen. Es war bereits davon die Rede: Mit Hilfe diverser Mechanismen von der äußeren Angleichung an die Tradition bis hin zur performativen Annäherung an das Erleben der historischen Heldin soll die Kluft zwischen Darstellerin und der Dargestellten überbrückt werden.884 Auf zwei Ebenen – sowohl der der Fiktion, als auch der der Produktion – geht es immer wieder um einen Prozess: Er zielt darauf, Kohärenz in der Differenz zu schaffen, die auseinanderstrebenden Facetten der heroischen Identität doch zusammenzuhalten. Anders gesagt: um ein zentrales Merkmal der Position des Stars. Die bereits im 18. Jahrhundert wirksame Forderung, Schauspielerinnen sollten dem Charakter ihrer Rollen – und zwar besonders der moralisch einwandfreien – auch in ihrem Leben, in ihrem Wesen entsprechen, gehört später zu den grundlegenden Regeln des Schauspiel-Starkults um die Wende zum 20. Jahrhundert. Und im Filmgeschäft geht es ganz ähnlich weiter. Das strenge Regime der Studios in der klassischen Ära des Hollywood-Kinos zielt gerade darauf, die Kohärenz der Rollen und übrigen Image-Bausteine der Stars zu gewährleisten. Das hyperexpressive Agieren der frühen Jahrzehnte wird bald durch einen Schauspielstil verdrängt, der ganz auf das Verschmelzen mit der Rolle abzielt: Der Darsteller soll erleben oder gar sein, was er spielt.885 Am besten verkörpert er es in einem ganz greifbaren Sinn: Physiologische Transformationen wie die des Models Charlize Theron, die sich für die Hauptrolle in 884 Cf. supra, 210-215. 885 Cf. Mordden: Movie Star, 37; Faulstich et al.: Kontinuität, 11-13; Garncarz: Die Schauspielerin wird Star, 372; Meyerhöfer: Schauspielerinnen im Dritten Reich, 356; Günther Heeg: Das Phantasma der natürlichen Gestalt. Körper, Sprache und Bild im Theater des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a.M., Basel 2000, 37f., 83-88; Patrice Pavis: Vers une théorie de la pratique théâtrale. Voix et image de la scène 3. Villeneuve-d’Ascq 2000, 148f.; Jean Mitry: Histoire du cinéma. Art et Industrie. Bd. III: 1923-1930. Paris 1973, 215f.; James Naremore: Acting in the Cinema. Berkeley, Los Angeles, London 1988, 2f.; Christine Gledhill: Between Melodrama and Realism. Anthony Asquith’s Underground and King Vidor’s The Crowd. In: Jane Gaines (ed.): Classical Hollywood Narrative. The Paradigm Wars. Durham, London 1992, 129-167, hier: 165.

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Monster eine beeindruckende Plumpheit anfrisst, werden noch immer gerne mit einem Oscar belohnt.886 Zwar ist auch das Wissen um die Nichtidentität von Star und Rolle für den Starkult und seine Reize konstitutiv. Aber die Arbeit der Filmbranche besteht nicht zuletzt in dem unterhaltsamen Versuch, die ZuschauerInnen etwas vergessen zu lassen, worüber es eigentlich keinen Zweifel gibt. Der Star entfaltet dann seine ganze Wirkung, seine Autorität, wenn das Publikum wider besseres Wissen seinen Wunsch nach Einheit, nach Authentizität eingelöst sieht.887 Daran muss umso intensiver gearbeitet werden, wenn es wie bei Jeanne um eine historische Figur geht.888 Denn dann gibt es, wie Jean Comolli formuliert, „un corps en trop“: Der Körper der Darstellerin kann nicht ohne Weiteres zum Körper der Figur werden, weil es auch noch den realen der historischen Person gibt. Das Resultat: „interférence, rivalité même entre le corps de l’acteur et l’autre, le «vrai»“.889 Und neben der Kollision der Körper kann es zu einer weiteren kommen, wenn die Darstellerin eine gewisse Bekanntheit genießt: zwischen ihrem Image und der Rolle. Vincent Pinel sieht das Problem bei Ingrid Bergman auftreten: „Il est amusant – mais aussi gênant – de voir confier le rôle d’un saint (ou d’une sainte) à une vedette célèbre qui porte en elle le poids de sa propre mythologie et garde la trace de ses autre créations inscrite en filigrane sur son visage.“890

Daher all die PR-Anstrengungen im Vorfeld des Filmstarts, Jeanne d’Arc als angestammte Traumrolle Ingrid Bergmans auszugeben, der sie in ihrer ehrlichen, unverstellten Art gleichsam von Natur aus entspricht.891 Daher auch jene Versuche anderer Filmemacher, den Clash der Identitäten durch die Auswahl einer unbekannten Darstellerin zu vermeiden, die – wie es in einem Artikel über Seberg heißt – die Rolle „avec naturel“ ausfüllt.892 Deshalb wohl auch die Legenden, die sich im Nachhinein um Dreyers Hauptdarstellerin ranken: dass Falconetti nur diese eine Rolle gespielt habe und dass Dreyer ihr im Namen der Authentizität beim Drehen der Hinrichtungsszene gezielt

886 887 888 889 890

Cf. Patty Jenkins: Monster (Monster). USA, Deutschland 2003. Cf. supra, 185f.; Dyer: A Star Is Born, 132f. Cf. Kansteiner: Die drei Körper der Jungfrau, 234-237. Jean-Louis Comolli: Un corps en trop. In: Cahiers du cinéma 278 (Juli 1977), 5-16, hier: 8. Pinel: Joan of Arc de Victor Fleming, 62; cf. Estève: Une Tragédie au présent de narration, 117. 891 Cf. Garncarz: Die Schauspielerin wird Star, 375-383; Bernstein: Hollywood Martyrdoms, 92; Blaetz: Strategies of Containment, 52; Harty: Jeanne au cinéma, 262f., Fn. 26; Damico: Ingrid from Lorraine to Stromboli, 248f. 892 Le Monde, 30.01.1957; cf. supra, 211; Blaetz: ‚La Femme Vacante‘, 64-70.

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Schmerzen zugefügt habe.893 Obwohl Falconetti eine recht renommierte Bühnenschauspielerin war und bei den Dreharbeiten für die Passion wohl nur einmal umgeknickt ist.894 Grenzen der Authentizität Um Kohärenz zu erzeugen, wird einiges aufgefahren. Denn es geht um viel: eben um jene Autorität, die der Anschein von Authentizität, die die überzeugende Darstellung dem Star im Allgemeinen und der Filmheldin im Besonderen verleiht. Die Bilanz der Anstrengungen ist zwiespältig. Die KritikerInnen benennen oft Dimensionen der Heldin, die der jeweilige Film vernachlässige oder stellen generell das Scheitern der Verkörperung fest.895 Und das kann die Rede von der Heldin durchaus schwächen. Wenn die Differenzen allzu sehr in den Vordergrund treten, drohen die filmischen Aussagen über Jeannes Handeln ins Schattenreich des Unplausiblen abzurutschen. „Man sieht Geraldine Farrar als Jungfrau, glaubt ihr aber nur in ganz wenigen Momenten ihre Mission“, heißt es schon, wenn die Heldin das erste Mal in Spielfilmlänge auf der Leinwand erscheint.896 Und auch gegen Ende des Jahrhunderts ist die Gefahr nicht gebannt. Bessons Jeanne hat für manche JournalistInnen „jede Glaubwürdigkeit verloren“, wenn sie den Eindruck haben, dass sie – etwa wegen allzu großer Nähe zu Bessons früheren Heldinnen – den Kontakt zur konkreten Rolle verloren hat.897 Gleichzeitig aber erscheinen zu jedem Film auch Texte, die das Gelingen der Verkörperung konstatieren. Manche JournalistInnen sind so beeindruckt, dass sie bei der einen oder anderen Darstellerin Übereinstimmungen zur – gänzlich spekulativen – Physiognomie der historischen Jeanne entdecken. Oder sie attestieren generell: Vorbild und Abbild kommen zur Deckung, die

893 Cf. supra, 189; Mitry: Histoire du cinéma. Bd. III, 391. 894 Cf. supra, 189f.; Drouzy: Une œuvre de foi, 13; idem / Charles Tesson: Entretien avec Ralph Holm. In: L’Avant-Scène Cinéma 367/368 (Januar-Februar 1988), 19-22, hier: 20. 895 Cf. Lichtbildbühne, 03.11.1922, 27.04.1935; New York Times, 25.12.1916, 25.02.1917, 29.03.1929, 31.03.1929, 12.11.1948; La Croix, 10./11.11.1929, 27.10.1949, 06.06.1957, 28.03.1963; Film-Kurier, 23.11.1928; Le Petit Parisien, 08.06.1928, 06.07.1928; Les Nouvelles littéraires, 17.11.1928, 24.10.1949, 06.12.1962, 21.03.1963; Frankfurter Zeitung, 28.04.1935; Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935; Germania, 28.04.1935; FR, 19.10.1950; Die Zeit, 19.10.1950, 25.02.1994; Ev. Filmbeobachter, 02.11.1950, 12.03.1966; Le Monde, 25.10.1949, 27.05.1957, 07.12.1999; Le Figaro, 22.05.1957, 14.02.1994, 02.03.1994, 27.10.1999a, 09.11.1999; Film-Dienst, 27.10.1965a; FAZ, 14.02.1994, 14.01.2000; Variety, 21.02.1994, 01.11.1999. 896 Der Film, 29.10.1922. 897 epd Film, 01/2000; cf. New York Times, 12.11.1999; Variety, 01.11.1999.

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Vergegenwärtigung funktioniert.898 Das Agieren der Darstellerinnen wird als schlicht, ernst, echt gelobt, als natürlich, naiv, spontan, als ungeschminkt auch im metaphorischen Sinne. Sogar der Star Bergman, heißt es, interpretiere zurückhaltend und respektvoll.899 In diesem Kontext erhält, wie erwähnt, auch die Rede von der Reinheit ihre neue Bedeutung: Sie kann sich jetzt auf die ästhetischen Mittel beziehen.900 All diese Charakterisierungen der filmischen Darstellung geben zu verstehen: Keinerlei Raffinesse oder Künstlichkeit stört hier das Bild, die Darstellerinnen stellen sich ganz in den Dienst der Rolle. Doch egal, ob die AutorInnen vom Scheitern der Darstellung sprechen oder von ihrem Erfolg: Indem sie immer wieder die Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Komponenten der Filmheldin überprüfen, führen sie vor Augen, welch hohes Gut die Einheit der heroischen Position in ihren Augen ist. Und egal, ob es auf der Ebene der Produktion gelingt, die Einheit herzustellen und damit den JournalistInnen die Heldin glaubhaft zu machen: Auf der Ebene der Fiktion kann Jeanne immer wieder von der Autorität profitieren, die aus der Kohärenz ihrer Position entspringt. Gegenüber ihren MitbürgerInnen, gegenüber den Soldaten, den Höflingen, den Geistlichen gelingt ihr die überzeugende Darstellung der heroischen Retterin. Wie in Merveilleuse Vie, wo es über sie heißt: „Comme elle a séduit les chefs, Jeanne va séduire l’armée.“ Wie in Flemings Joan of Arc, wo die Heldin durch ihren bloßen Anblick überzeugt und Charles sich geschlagen geben muss: „I’m trying not to trust her, but every time I look into her eyes, I believe what she says is true.“ Dass bei Preminger die Hühner ihren Legestreik beenden, nachdem Baudricourt Jeanne akzeptiert hat, ist schön und gut, aber auf ihre Seite bringt Jeanne den Statthalter des Königs allein durch ihr engagiertes Auftreten. Genau so am Hof: Dass sie den Dauphin unter seinem Gefolge entdeckt, verschafft Jeanne Aufmerksamkeit, aber sein entscheidendes Placet erwirkt die junge Frau durch den ergreifenden Vortrag ihres Anliegens – sowohl bei Preminger als

898 Cf. New York Times, 25.12.1916; Le Petit Parisien, 25.05.1928, 26.04.1929; L’Intransigeant, 12.05.1928; Ciné-Miroir, 01.01.1928b; Cinémonde, 26.10.1928, 20.12.1928, 18.04.1929a, 24.10.1949b; Vossische Zeitung, 25.11.1928; Film-Kurier, 26.04.1935; Film-Dienst, 29.09.1950; France-Soir, 15.10.1949b, 16.03.1963; Variety, 20.10.1948; L’Humanité, 25.05.1957, 09.02.1994a; Libération, 23./24.03.1963; Le Figaro, 19.03.1963; Berliner Morgenpost, 03.11.1994; Die Woche, 01.09.1994; La Croix, 09.02.1994a; Télérama, 09.02.1994b. 899 Le Figaro, 25.10.1949; cf. Pour Vous, 07.11.1929; La Croix, 10./11.11.1929; 09.02.1994a; Cinémonde, 06.12.1928, 18.04.1929a; Frankfurter Zeitung, 12.12.1928; Ciné-Miroir, 25.11.1927; Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949; FAZ, 30.09.1957, 14.01.2000; New York Times, 27.06.1957; Variety, 08.05.1957; Le Monde 20.05.1962; FR, 02.09.1994; Film-Dienst, 29.03.1994; Cahiers du cinéma, 02/1993, 02/1994c. 900 Cf. supra, 260.

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auch bei Besson und Rivette. Letzterer zeigt Jeanne zuvor schon in einer ähnlichen Szene mit Jean de Metz. Hier ist jeweils der Punkt erreicht, an dem sich Anpassung – an Vorstellungen von Menschlichkeit, Schönheit, aber eben auch Authentizität – in Stärke ummünzen lässt: Das überzeugende Auftreten verschafft der Heldin Anhänger und damit Autorität. Wenn das begehrenswerte girl next door ihren kriegerischen Auftrag glaubhaft macht, dann kann sie auch entsprechend handeln. Und nach den klassischen Regeln des Starkults heißt das eben: Die Bauerntochter muss mit der Kämpferin verschmelzen, am besten muss ihr Körper beglaubigen, dass sie die Heldin ist. Allerdings gibt es einzelne Anzeichen, dass diese Konvention im Laufe der zweiten Jahrhunderthälfte langsam an Eindeutigkeit verliert.901 In der Berichterstattung heißt es hie und da ausdrücklich, Jeannes tatsächliche Physiognomie werde sich nie ermitteln, die Vielfalt ihrer Gestalt nie auf ein verbindliches Bild reduzieren lassen.902 Mit anderen Worten: Zumindest in Bezug auf das Verhältnis zwischen filmischer Darstellung und historischer Heldin konstatieren die Beobachter, dass der Versuch einer bruchlosen Verkörperung nicht nur scheitern kann, sondern auch scheitern muss. Ohnehin lässt sich feststellen: Im Unterhaltungskino und anderen Bereichen der Popkultur verliert die Norm der authentischen Verkörperung vor allem gegen Ende des Jahrhunderts an Verbindlichkeit.903 Bei immer mehr Zeitgenossen dürfte Rivette mit jenem Standpunkt auf Verständnis stoßen, mit dem er 1957 als Kritiker von Saint Joan noch recht allein dastand: „une bonne «représentation» de Sainte-Jeanne voulait que l’on n’oubliât justement pas un instant qu’il n’y avait pas là autre chose qu’un «jeu dramatique»“.904 Nicht umsonst kann sich seine Darstellerin Sandrine Bonnaire eine recht ostentative Distanz zu ihrer Rolle erlauben.905 Ohne dass ihre Jeanne deswegen ihrer Möglichkeit zu handeln beraubt wäre.

901 Cf. Kansteiner: Die drei Körper der Jungfrau, 244f. 902 Cf. Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962; Télérama, 31.03.1963; France-Soir, 09.02.1994; FR, 15.11.1999; Libération, 03.11.1999; Le Figaro, 26.10.1999d. 903 Cf. Lowry / Korte: Der Filmstar, 253; Baldauf: GIRL-o-mania, 93-95; idem: Iconography of the Blonde, 291-294; Benedek / Binder: Von sprechenden Leibern, 7; Knut Hickethier: Der Schauspieler als Produzent. Überlegungen zur Theorie des medialen Schauspielens. In: Heinz B. Heller / Karl Prümm / Birgit Peulings (eds.): Der Körper im Bild. Schauspielen – Darstellen – Erscheinen. Marburg 1999, 9-29, hier: 26. 904 Cahiers du cinéma, 07/1957; cf. Le Monde, 10.02.1994a. 905 Cf. supra, 212; Borgnet: Jeanne d’Arc au cinéma, 251.

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II. Überschreitung i. Innerhalb der Welt der Heldin Die Wortgewandte Je knapper die Narration, zu der sich die Aussagen über die Filmheldin fügen, desto schlichter muss tendenziell deren Position ausfallen. Der Heldin bleibt wenig Gelegenheit, zunächst konventionelle Attribute an den Tag zu legen und darauf die Überschreitung des Erwartbaren zu gründen, wenn sich ihre Geschichte auf einzelne Schlaglichter beschränkt. Jeannes heldenhafte Aktivität bildet zwar den Hintergrund für Hatots Darstellung ihres grausamen Endes, aber dennoch kann man hier keinen Eindruck davon gewinnen, wie sie ihren offensichtlich braven Glauben in Aktivität ummünzt. Das Gleiche gilt für die fragmentarische Erzählung Capellanis, die die schlichte Schäferin gleich im nächsten Bild in den Kerker katapultiert. Schon die – immer noch sparsamen – Erzählungen über Jeannes Gefangenschaft, die Dreyer und Bresson entfalten, lassen jedoch mehr Spielraum. Nicht nur weil Jeannes bewegte Vergangenheit in einleitenden Worten oder einer Prozessaussage aufblitzt, sondern auch weil sich die Heldin verbal zur Wehr setzt. Zur Empörung ihrer Richter beharrt sie auf ihrer göttlichen Mission, auf ihren Stimmen. Mal weigert sie sich, einen Eid abzulegen, mal ein Vaterunser zu beten, mal ihre Männerkleider gegen femininere einzutauschen. Ob er denn glaube, Gott könne seinen Heiligen nicht kleiden, entgegnet Dreyers Heldin auf die Andeutung eines Richters, der Heilige Michael könne ihr nackt erschienen sein. Später beschuldigt sie ihre Widersacher, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Bressons Angeklagte warnt ihre Richter gleich mehrfach, sie brächten sich durch den Prozess in Gefahr. Wie die Filmheldin hier mit ihren Aussagen kirchliche und theologische Autoritäten in Frage stellt, erinnert durchaus an die Position ihrer mittelalterlichen Vorgängerin. Da die Filme von Dreyer und Bresson mit religiösen Kontexten immerhin noch in Kontakt zu stehen scheinen, könnte man die verbale Widerstandsfähigkeit dieser Heldinnen als Aktualisierung des prophetischen Sprechens lesen: Durch die göttliche Intervention schlägt die Schwäche der einfachen Gläubigen in Stärke um. Doch im Detail zeigt sich, dass auf diesen Mechanismus nicht mehr so recht Verlass ist. Denn nur wenige unter den KritikerInnen gerade des älteren Films, dessen Verbindungen zur Tradition der Heiligenverehrung eigentlich die engeren sein müssten, nehmen die machtvollen Aussagen der Heldin überhaupt als solche wahr. Einzelne Artikel geben zu erkennen, dass sich in La Passion ein Kampf abspielt; einer

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nennt Dreyers Jeanne „standhaft und heldisch“.906 Doch in der Regel wird sie einfach nur als einfältig beschrieben, als Opfer, das seinem Leiden bloß hilflos oder friedfertig zu begegnen weiß.907 Dass ihre Aussagen Stärke beweisen und ihre Schlichtheit dafür die Grundlage bieten könnte, ist für viele ZeitgenossInnen dieser Heldin offenbar kein plausibler Gedanke. Umso überraschender wirkt auf den ersten Blick, dass die Kommentare zum Procès Jeannes sprachliche Agilität durchaus anerkennen. Sie heben hervor, die Sprache dieser Heldin sei präzise, gar „sublime“, den rhetorischen Strategien der Richter letztlich überlegen.908 Eine derart wortgewandte Heldin wirkt eher frech als leidend.909 Auch nach Einschätzung ihrer ZeitgenossInnen kann diese Filmheldin also die Position des einfachen Mädchens durch ihre Eloquenz überschreiten. Eine Wortgewalt, die die begleitenden Texte allerdings nicht in erster Linie als Anzeichen einer göttlichen Wahrheit interpretieren. Stattdessen wird mehrfach Bressons Sicht transportiert, Jeanne habe gleichsam ein Buch geschrieben, ihre Prozessaussagen hätten „literarische Schönheit“.910 Sie werden wie ein ästhetisches Vermächtnis behandelt, das sich in einer Kategorie mit dem antiker Autoren bewegt und nicht etwa mit dem der Kirchenväter.911 Und ein Kritiker, der explizit die Verbindung zur Hagiographie zieht, will die Verfilmung damit abwerten.912 Ganz offensichtlich geht es hier mehr um eine künstlerisch überzeugende Leistung als um eine religiöse Verkündigung. Die verbale Durchsetzungsfähigkeit selbst dieser Heldin steht dem dichter werdenden Geflecht des Starkults näher als überkommenen Glaubenspraktiken. Man muss nicht auf die vollen Möglichkeiten der Starposition vorgreifen, um die Filmheldin die Ausgangsposition des einfachen Mädchens noch gründlicher überschreiten zu sehen. Selbst die Jeanne von Méliès erreicht mit ihren Worten, obwohl sie den ZuschauerInnen verborgen bleiben, mehr als die Heldinnen von Passion und Procès. Während letztere den Verlauf der Verhandlungen nicht aufhalten können, greift ihre Vorgängerin folgenreich ins 906 Frankfurter Zeitung, 12.12.1928; cf. Lichtbildbühne, 23.11.1928; Cinémonde, 20.12.1928. 907 Cf. Vossische Zeitung, 25.11.1928; Germania, 23.11.1928; Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 23.11.1928; Le Petit Parisien, 06.07.1928; Les Nouvelles littéraires, 17.11.1928; New York Times, 29.03.1929. 908 Le Figaro, 19./20.05.1962; cf. SZ, 11.02.1969; Film-Dienst, 27.10.1965b; France-Soir, 20./21.05.1962; Les Nouvelles littéraires, 21.03.1963; Cahiers du cinéma, 02/1963. 909 Cf. France-Soir, 16.03.1963; Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962; Télérama, 06.05.1962, 31.03.1963. 910 SZ, 04.11.1965; cf. France-Soir, 16.03.1963; Cahiers du cinéma, 02/1963. 911 Cf. Libération, 23./24.03.1963; Le Monde, 17./18.03.1963; Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962. 912 Cf. Le Figaro, 19.03.1963.

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Geschehen ein: Indem sie mit großen Gesten auf den König und sein Gefolge einredet, reißt sie den Hof aus seiner weinseligen Feierlaune und bewegt ihn zu militärischer Aktion. Die überzeugende Rede ist auch im Rahmen von Premingers eher sparsamer Narration Jeannes entscheidende Art zu intervenieren. Einem Kritiker kommt sie wie eine Intellektuelle vor.913 Wortreich zieht sie Baudricourt, den Dauphin und die Hauptleute der königlichen Armee auf ihre Seite, sodass sie schließlich als Befehlshaberin Akzeptanz findet. Wie Premingers Heldin diese Rolle allerdings ausfüllt, verschweigt der Film. Ihr bleibt es verwehrt, in der militärischen Aktion zu beweisen, dass auch Tapferkeit und Wagemut zu ihren Eigenschaften zählen. Die Tatkräftige Solches Handeln ist der Heldin nur in jenen Filmen möglich, die ihre Geschichte gründlicher ausbreiten und in den entscheidenden Kontexten verankern. In Ansätzen etwa bei Ucicky: Indem hier zunächst die Ausweglosigkeit der Lage eingehend beschworen wird, ist die bodenständige Heldin umso besser legitimiert, sich an die Spitze des Heeres zu setzen. Und so sehen wir sie dann tatsächlich den Soldaten mit ihrer Fahne vorangehen, bis hinauf auf die Sturmleiter. Die Presse allerdings ist nicht ganz überzeugt: Obwohl Ucicky seine Jeanne mitten in der Schlacht zeigt, schildern manche Artikel – in eher enttäuschtem Ton –, diese Protagonisten nehme eine „passive Rolle“ ein.914 Um die Position der nationalen Heldin ganz zu entfalten, um das Versagen aller anderen Akteure effektiv in eigene Aktivität zu verwandeln, ist diese Jeanne den heroischen Mustern aus dem 19. Jahrhundert vielleicht schon nicht mehr nah genug. Umso besser funktioniert der Mechanismus bei DeMille und de Gastyne. Nachdem hier der Nachweis erbracht ist, dass die Männer resigniert sind oder verängstigt, kann die Bauerntochter und potentielle Braut zur kämpferischen Heldin werden. In Joan the Woman ist das Vorgehen der Heldin schon beim Treffen mit Baudricourt durchaus handfest: Sie überzeugt ihn nicht allein durch Worte, sondern lässt sein Schwert zerspringen. Früher oder später stehen beide Filmheldinnen mitten im Getümmel, feuern die französischen Soldaten an, stürmen dem Feind entgegen und lassen sich auch von einer Pfeilwunde nur vorübergehend stoppen. Das Bauernmädchen erweitert seine angestammten Eigenschaften: Sie zeigt sich unerschrocken, tatendurstig. Und nicht zuletzt als Anführerin: Die Soldaten folgen ihren Rufen. Viele Artikel lassen das als ihre zentrale Funktion erscheinen. Sie sprechen von ihr als 913 Cf. France-Soir, 25.05.1957. 914 Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935; cf. Germania, 28.04.1935; Kreuz-Zeitung, 28.04.1935.

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„chef“, als „leader“, auf dessen Geheiß sich die rauen Krieger versammeln und die schlimmsten Strapazen auf sich nehmen, der sie schließlich auch zum Sieg führt.915 Aber damit schließen sie Jeanne gleichzeitig aus dem Kreis eben dieser Krieger aus. Wenn der klerikale Kommentator von La Croix in de Gastynes Heldin doch eine „bacchante guerrière“ erkennt, dann lehnt er sie gerade deswegen entschieden ab.916 Etwas zugespitzt formuliert: Die Filmheldin des frühen 20. Jahrhunderts überlässt die grobe Arbeit besser anderen, ihr Kampf besteht in erster Linie in der Motivation der professionellen Kämpfer. Der Eindruck entsteht nicht zuletzt im Vergleich mit späteren Verkörperungen. Weniger mit Flemings Jeanne, die in der Mitte des Jahrhunderts zwischen verschiedenen Positionen balanciert. Einerseits wird ihr Handeln noch wie in Zeiten nationalen Heldenkults durch die verzweifelte Lage legitimiert, andererseits lassen sich vor allem die europäischen KritikerInnen davon nicht recht überzeugen. Mehrere können die Kämpfe in Flemings Joan of Arc, die ihnen etwa als „routiniertes, effektsicheres Hollywood-Handwerk“ erscheinen, nicht recht ernst nehmen.917 Ungeteilte Anerkennung erhält diese Jeanne eigentlich nur für ihre „étonnantes répliques“ vor Gericht, sozusagen ihre Starperformance.918 Nein, es sind die Kämpferinnen am Ende des Jahrhunderts, die, fest im Kontext des entfalteten Starkults verankert, den Spielraum der Stummfilmheldinnen als vergleichsweise begrenzt erscheinen lassen. Denn nachdem sie die Riten der Verkörperung vollzogen haben, nachdem sie ihren Körper gepanzert haben und ihre Haare gestutzt, scheinen sie den Männern sogar auf deren Terrain überlegen zu sein. Die Heldinnen von Rivette und Besson sind nicht nur in der Lage, die Soldaten mitzureißen, auf dass diese dann ihr blutiges Handwerk verrichten, sondern verstehen auch von diesem Handwerk allerhand. Schon als Jean de Metz während der Reise nach Chinon Rivettes Heldin das Fechten beibringen möchte, bringt sie den erfahrenen Kämpfer zu Fall. Genau so ergeht es einem feindlichen Soldaten vor den Toren von Paris. Und Bessons Jeanne findet mehrfach einen Weg, Verteidigungslinien der Gegner zu überwinden, wo die Befehlshaber an ihrer Seite keinen Rat wissen. Diese beiden Heldinnen sind auch die einzigen, die wir nach der Krönung, nachdem sie nicht mehr auf die Unterstützung des Königs bauen können, weiterkämpfen sehen. Ohne die Ressourcen des Hofes im Rücken sind sie

915 New York Times, 25.12.1916; Le Petit Parisien, 26.04.1929; cf. Variety, 29.12.1916; Pour vous, 25.04.1929; Cinémonde, 18.04.1929a. 916 La Croix, 10./11.11.1929. 917 SZ, 16.10.1950; cf. FAZ, 19.10.1950; La Croix, 27.10.1949. 918 Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949.

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zwar nicht mehr so erfolgreich wie zuvor, aber ihr Handeln ist doch autonomer als das ihrer Vorgängerinnen. Diese Verschiebung der heroischen Position kommt in den begleitenden Texten durchaus zum Ausdruck. Im Unterschied zu älteren Verfilmungen habe Rivette die kriegerische, die aktive Seite der Heldin herausstreichen wollen, berichtet Sandrine Bonnaire in einem Interview.919 Auch ihre Jeanne wird als Anführerin präsentiert, gewiss, ebenso wie die der Milla Jovovich.920 Aber viele Beschreibungen lassen keinen Zweifel aufkommen, dass die beiden jüngsten Filmheldinnen darüber hinaus in der Lage sind, aus eigener Kraft zu kämpfen: als „combattante têtue“, als „waghalsig reitende und streitende Jungfrau“, dank ihres „jugendlich intuitiven Draufgängertums“ und ihrer „Tollkühnheit“.921 Sie gelten als „selbstsichere Frau“ oder gar „rebelle“, als „Inkarnation der Anarchie“ oder der „insoumission au pouvoir“, jedenfalls als unabhängig von konventionellen Autoritäten.922 Ein Kritiker geht so weit zu behaupten, eigentlich sei Bessons Joan of Arc der „erste Spielfilm über die Kriegerin Jeanne“.923 Eine Zuspitzung, die auf einen graduellen Unterschied aufmerksam macht: Die jüngste Jeanne scheint noch ein Extra-Quentchen Energie zu verströmen. Einzelne Artikel behaupten, man werde als ZuschauerIn von der Heldin geradezu mitgerissen, „man möchte herausspringen aus dem Kinosaal und hinein in die Schlacht.“924 Solch eine Wirkung wurde den Vorgängerinnen dieser jüngsten Jeanne nicht zugeschrieben. So erreicht die Filmheldin also nach rund 100 Jahren Filmgeschichte durch ihr überzeugendes Auftreten eine ungekannte Autonomie und Ausstrahlung. Das menschliche Mädchen von nebenan erweitert ihre Position zu der einer weitgehend unabhängigen Kämpferin. Sie macht sich männliche Attribute zu Eigen, ohne dass sie dafür – darin ist sie ihrer Vorgängerin aus dem späten Mittelalter durchaus ähnlich – ganz auf eine männliche Position 919 Cahiers du cinéma, 02/1994c. 920 Cf. SZ, 27.05.1995; Die Zeit, 25.02.1994, 02.09.1994, 13.01.2000; epd Film, 04/1994, 11/1994; L’Humanité, 09.02.1994e; Le Figaro, 02.03.1994; Cahiers du cinéma, 02/1993; Film-Dienst, 04.01.2000; Le Monde, 27.10.1999a, 18.12.1999b; La Croix, 30./31.10./01.11.1999c; Positif, 12/1999. 921 La Croix, 09.02.1994a; FR, 15.02.1994; FAZ, 14.02.1994; epd Film, 01/2000; cf. SZ, 27.05.1995, 12.01.2000; L’Humanité, 09.02.1994b; Le Monde, 27.02.1994; FAZ, 14.01.2000; Film-Dienst, 04.01.2000; Le Figaro, 27.10.1999a; Variety, 01.11.1999. 922 FR, 15.02.1994; SZ, 15.02.1994; FAZ, 14.02.1994; L’Humanité, 09.02.1994b und d; Libération, 09.02.1994b; cf. Die Zeit, 02.09.1994; Le Monde, 10.02.1994a, 18.12.1999b; Le Figaro, 14.02.1994, 26.10.1999a; Cahiers du cinéma, 02/1994c, 12/1999a. 923 FAZ, 14.01.2000. 924 SZ, 12.01.2000; cf. France-Soir, 27.10.1999.

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hinüber wechseln müsste. Zwar wird Milla Jovovich in den Zeitungen gelegentlich als androgyn beschrieben, von ihrer „allure masculine“ ist einmal die Rede.925 Über die Heldin Rivettes heißt es en passant, sie reite „wie ein Mann gen Orléans“, in „knabenhafter Ausstattung“.926 Aber andere Kommentatoren insistieren, die Jeanne von Sandrine Bonnaire mutiere gerade nicht „zu einem asexuellen Wesen“ – „si elle refuse la sexualité, ce n’est pas pour nier son sexe“ –, Milla Jovovich sei in der Rolle eben „plutôt sexy“ oder „désirable“.927 Und außerdem kann angesichts der Filmbilder kein ernsthafter Zweifel aufkommen: Natürlich ist Jeanne eine Frau. Wenn Bessons Jeanne ihr Schlachtross aus vollem Galopp über Palisaden setzen lässt, sind die Möglichkeiten, die die Position der Filmheldin eröffnet, also zweifellos besonders reichhaltig. Allerdings kann es einen Moment der Irritation geben, sobald diese Heldin ihre Mitstreiter adressiert. „Her lines. Come out. Like this.“, scherzt eine US-Kritikerin.928 In der Tat wirkt die jüngste Jeanne oft, als könne sie ihre Worte vor lauter Tatendrang nur mit Mühe formen. Noch im Falle von Rivettes Verfilmung werden die rhetorischen Fähigkeiten der Heldin sowohl im Rahmen der Fiktion, als auch in der Presse explizit gewürdigt.929 In den Veröffentlichungen zu Bessons Film hingegen kommen die wortgewaltigen Prozessaussagen nur als ein Phänomen zur Sprache, von dem man sich auf anderem Wege einen Eindruck verschaffen muss.930 Bei der jüngsten Filmheldin fallen die verbalen Freiheitsgerade offenbar hinter den handgreiflichen zurück. Was zwei Fragen provoziert. Zum einen deutet sich eine Bresche an: Zeigt sich hier ein Punkt, an dem die Stärke der Heldin wiederum in Verletzlichkeit umschlagen kann? Wie schon bei der Heldin aus dem 15. Jahrhundert muss auch die Fragilität der Subjektposition in den Blick genommen werden. Zum anderen aber löst die eingeschränkte Wortgewalt von Bessons Heldin die Frage aus, ob verbale Aussagen für sie womöglich gar nicht die wichtigsten sind. Die Subjektposition der Filmheldin kann – im Gegensatz zu der ihrer mittelalterlichen Vorgängerin – auch auf andere Art zum Ausgangspunkt von Aussagen werden. Die Mittel des Mediums können auf unterschiedliche Weise dazu beitragen, dass die Filmheldin konventionelle Positionen überschreitet. 925 La Croix, 30./31.10./01.11.1999c; cf. Film-Dienst, 04.01.2000; France-Soir, 27.10.1999; Le Nouvel Observateur, 21.10.1999. 926 Berliner Morgenpost, 03.11.1994; Film-Dienst, 29.03.1994. 927 Film-Dienst, 30.08.1994b; Positif, 02/1994; Télérama, 03.11.1999; Le Nouvel Observateur, 21.10.1999; cf. Le Monde, 18.12.1999b. 928 New York Times, 12.11.1999. 929 Cf. Libération, 09.02.1994b und d; Cahiers du cinéma, 02/1994c. 930 Cf. Le Figaro, 26.10.1999d, 27.10.1999.

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Noch vor etwaigen Fragilitäten muss es im nächsten Schritt um diese Mechanismen gehen. ii. Mit den Mitteln des Films Die Außenperspektive auf die dominante Heldin Die Auswahl der Filme, um die es hier geht, bringt es fast zwangsläufig mit sich, dass die Position der Heldin immer auch durch deren starke visuelle Präsenz geprägt ist. Von Filmen, die ausdrücklich darauf ausgerichtet sind, mehr oder weniger große Ausschnitte aus dem Leben der Jeanne d’Arc wiederzugeben, kann man wohl erwarten, dass sie dem Abbild der zentralen Heldin großen Platz einräumen. Auch wenn Dreyer sich um Abbildungskonventionen wenig kümmert, auch wenn Ucicky erstaunlich lange Zeit vergehen lässt, bis er seine Heldin erstmals zeigt – keiner der Filme ist so avantgardistisch, die für die Narration wichtigste Figur zu einer Art visuellen Leerstelle zu machen. Eher im Gegenteil: Verschiedene Artikel heben hervor, wie sehr die Rolle der Heldin, wie sehr ihr Porträt den Film dominiere, wie sehr alles andere neben ihr verschwinde: „Jeanne est devenue le film.“931 Ohne Zweifel: Sie ist nicht zu übersehen. Aber hören kann man sie erstmal nicht. Die Filmheldin kann sich in ihren ganz frühen Jahren nur mit Hilfe von Gesten ausdrücken. Hatots Heldin legt zum Zeichen ihrer Frömmigkeit ihren Kopf auf die Schulter eines Mönches. Mit einer waagerechten Bewegung ihres rechten Arms schiebt Jeanne bei Méliès die Einwände ihres Vaters weg. Bei Capellani faltet die gefangene Heldin die Hände vor der Brust, um einen Geistlichen zu erweichen. Möglicherweise hat ein Kommentator bei zeitgenössischen Vorführungen auch Jeannes Worte kolportiert, aber zum integralen Bestandteil der Filme werden sie erst in dem Moment, in dem Zwischentitel zum Einsatz kommen. Sobald es die gibt, sind sie auch Sprachrohr der Heldin: So erfahren die BetrachterInnen von Merveilleuse Vie und Joan the Woman etwa, mit welchen Worten Jeanne den Dauphin anspricht und die Anführer der Armee auf ihre Seite zieht. Und alle abendfüllenden Stummfilme geben Sätze wieder, mit denen Jeanne ihren Richtern antwortet. Mit Ucickys Mädchen ist schließlich der Punkt erreicht, an dem die Filmheldin auch zu hören ist. Wenn wir gemeinsam mit dem Dauphin dieser Jeanne das erste Mal gewahr werden, schickt sich ihr Begleiter Jean de Metz zwar an, das Wort zu führen, aber dann erhebt sie doch selbst die Stimme. Alle Anfeindun-

931 Le Monde, 10.02.1994a; cf. Frankfurter Zeitung, 12.12.1928; Vossische Zeitung, 25.11.1928; Les Nouvelles littéraires, 21.03.1963; Cahiers du cinéma, 02/1993; FAZ, 14.01.2000; FilmDienst, 04.01.2000; Le Nouvel Observateur, 21.10.1999.

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gen ändern nichts daran, dass sich die Heldin von diesem Moment an über die verschiedenen Filme hinweg immer wieder Gehör verschafft. Sobald Technik und Konventionen es zulassen, gehören verbale Aussagen also zu den medialen Möglichkeiten ihrer Subjektposition – erst als Titel, dann als Ton. Und wenn sich das Kino formal weiterentwickelt, hat das auch Auswirkungen auf den visuellen Spielraum der Heldin. Die bescheidenen Inszenierungen der kurzen Stummfilme setzen noch einen recht engen Rahmen. Er beschränkt sich auf das Blickfeld der fest montierten Kamera, in dem sich Jeanne als eine von höchstens einer Handvoll Figuren durch eine überschaubare Kulisse bewegt. Gewiss: Selbst hier kann die Bedeutung der Heldin visuell unterstrichen werden. Wenn Jeanne bei Hatot und Capellani auf den Scheiterhaufen steigt, hebt das ihre Position bereits über die der anderen Figuren hinaus. Mit einem frühen special effect gelingt Méliès das Gleiche, wenn er seine Heldin durch Kartonwolken emporsteigen lässt. Aber die Langfilme mit ihren zum Teil enormen Budgets und beweglichen Kameras eröffnen natürlich ganz andere Möglichkeiten. Das beginnt schon damit, dass sie Jeanne immer wieder zum zentralen Punkt heroischer Tableaus machen. Zum Beispiel beim Blick in den großen Saal im Schloss von Chinon, wenn die Menge der reich gekleideten Höflinge zur prunkvollen Kulisse für Jeannes Auftritt wird.932 Oder bei den Totalen einer weiten Landschaft, die die Filmheldin an der Spitze eines Trupps von Reitern durchquert.933 Später, während der Ruhe vor dem Sturm, überragt sie oft die versammelten Truppen, weil sie auf erhöhtem Grund steht, weil sie zwischen Fußsoldaten hindurchreitet oder die Männer gerade knien, ruhen, schlafen.934 Dann die zahlreichen Einstellungen vom eigentlichen Ansturm gegen den Feind, mit Jeanne im Zentrum, nicht selten durch eine leichte Untersicht zusätzlich hervorgehoben.935 Schließlich der Einzug nach Orléans oder Reims: Jeanne in der Mitte oder oberhalb einer herandrängenden Menge.936 Selbst abseits der aktiven Momente, wenn sie eigentlich stärkeren Mächten ausgeliefert ist, kann die Heldin visuelle Dominanz entfalten. Wenn Geistliche Jeanne im Auftrag des Königs in Poitiers auf die Probe stellen, beim Prozess in Rouen verhören oder anklagen, kann sie dennoch einen beherrschenden Platz im Bildfeld einnehmen: Im Vordergrund platziert und womöglich durch eine leichte Untersicht oder seitliches Licht zusätzlich hervor932 933 934 935 936

Cf. DeMille; de Gastyne. Cf. DeMille; de Gastyne; Preminger. Cf. DeMille; de Gastyne; Ucicky; Preminger; Rivette; Besson. Cf. DeMille; de Gastyne; Ucicky; Fleming; Besson. Cf. DeMille; Fleming; Besson.

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gehoben, setzt sie sich von den Soldaten, Schaulustigen oder Geistlichen im Hintergrund ab.937 Und gerade wenn ihr Leid am größten ist, drängt sich eine visuelle Überhöhung der Filmheldin geradezu auf: Sowohl auf dem Karren, der sie zum Richtplatz bringt als auch auf dem Scheiterhaufen selbst erhebt sie sich über die Masse. Oft öffnet eine Totale, eine Halbtotale oder auch ein Kameraschwenk den Blick auf den Platz, auf dem – unterhalb der Verurteilten – dicht gedrängt Soldaten, Geistliche, Zuschauer stehen.938 Hier gibt es selbst bei Dreyer, der Jeannes Leiden konsequent in enge Einstellungen zwängt, Momente des visuellen Triumphs: Während seine Heldin sich dem Scheiterhaufen nähert, ihn erklimmt und wenn langsam schon der Rauch aufzusteigen beginnt, zeigt er sie immer wieder aus einer heroisierenden Untersicht. Dass sie in der Lage ist, visuell zu dominieren, gehört in jedem Fall zur Position der Filmheldin. Blicke aus der Perspektive der Heldin Allerdings begibt sich die Kamera, wenn es mit der Heldin der Passion wirklich zu Ende geht, noch einmal auf ihre Augenhöhe. Als Großaufnahme sehen wir, wie sich ihre Augen ein letztes Mal öffnen. Und dann, nach einem Schnitt, das Kreuz, das ein Mönch auf Jeannes Bitte an einer langen Stange in ihr Blickfeld hält. Die Kamera in La Passion mag besonders autonom sein und immer wieder auf Distanz zur Protagonistin gehen.939 Doch der Blick auf das Kreuz kann nur Jeannes Perspektive entsprechen. Und denselben Moment gibt es in mehreren Filmen: Auf Bilder der Heldin inmitten der Flammen des Scheiterhaufens folgt ein kurzer Blick auf dieses Kreuz, wie er nur von ihrer unangenehmen Position aus möglich ist.940 Damit ist der Punkt erreicht, an dem das Filmbild subjektiv wird und die Position der Heldin auf ganz direkte Art zum Ausgangspunkt der filmischen Aussage.941 Als ZuschauerInnen sind wir in diesem Moment der Filmheldin unterworfen, es ist ihre Welt, die wir wahrnehmen. In den Filmen stellen sich immer wieder Konstellationen ein, die die heroische Subjektposition in diese Richtung erweitern. Allerdings geschieht das in den verschiedenen Abschnitten von Jeannes filmischer Laufbahn unterschiedlich oft und unterschiedlich intensiv. Wenn man diese Momente drei verschiedenen Gruppen zuordnet, drei Methoden der Subjektivierung, wird 937 938 939 940 941

Cf. De Gastyne; Bresson; Rivette; Besson. Cf. DeMille; de Gastyne; Ucicky; Preminger. Cf. Bordwell: The Films of Carl-Theodor Dreyer, 81-84. Cf. Fleming; Bresson; Rivette; Besson. Cf. supra, 47.

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eine Entwicklung sichtbar. Am häufigsten werden die Filmbilder der Position der Heldin im Rahmen des klassischen Schuss-Gegenschuss-Verfahrens zugeordnet.942 Von Joan the Woman an setzen alle Filme dieses Mittel ein, mit tendenziell zunehmender Häufigkeit. Ob die Heldin gerade ihren Onkel zu überzeugen versucht, skeptische Angehörige des Hofes oder ihre Richter – früher oder später tauchen in solchen Momenten die typischen Schnittfolgen auf: Einer großen bis halbnahen Einstellung mit dem einen Gesprächspartner folgt eine ebensolche mit dem anderen. Dabei ist die Kameraperspektive gegenüber der Blickrichtung des gerade Unsichtbaren allerdings ein wenig verschoben. Jeannes Hinterkopf kann – wie bei Preminger – durchaus noch in den Kader ragen, während im Zentrum des Bildes der Dauphin gerade ihrer Botschaft lauscht. Wir sehen ihn in diesem Augenblick nicht genau, sondern beinahe wie die Heldin. Die visuelle Aussage geht gleichsam von ihrer Position aus, aber doch nicht ganz. Darüber hinaus ist dieses Verfahren wenig exklusiv. Bei Fleming etwa gibt es zwar eine Dialogszene, in der sich die Kamera Jeannes Blick auf den englischen Truppenführer Glasdale annähert, ohne dass die Heldin beim Gegenschuss aus seiner Perspektive zu sehen wäre. Aber in aller Regel schmiegt sich die Kamera in diesen Situationen ebenso eng an den Gesprächspartner wie an die Heldin selbst. Aussagekräftiger sind deswegen die Einstellungen nach dem Modell des Blicks zum Kreuz. Jene also, bei denen man annehmen darf, mit den Augen der Heldin wahrzunehmen. Das kann sich ganz beiläufig ergeben: Wir sehen Jeanne durch ein Fenster, eine Schießscharte hinaus- oder in einen Raum hineinspähen, und gleich darauf nimmt die Kamera nach einem Schnitt oder einer Fahrt ihre Position ein.943 Wir bekommen genau das zu sehen, was die Aufmerksamkeit der Heldin auf sich zog. Oder in anderen Fällen das, womit sie hantiert: In einzelnen Einstellungen ragen vom Rand her Jeannes Hände ins Bild, und so sehen wir bei Besson einen Kelch, bei Dreyer die Abschwörungsurkunde, als hätten wir sie selbst zwischen den Fingern. Umgekehrt reicht ein Priester in La Passion die Oblate bei Jeannes letztem Abendmahl direkt in die Kamera. Bei den Befragungen schließlich – bei denen in Rouen, aber einmal auch bei denen in Poitiers – nimmt die Kamera vor allem dann eine subjektive Perspektive ein, wenn sie an Härte zunehmen. Dann spricht schon mal ein Richter direkt in die Kamera oder streckt ihr sogar einen drohenden Zeigefinger entgegen.944 Wir müssen uns angesprochen fühlen. Oder vielmehr: Die filmische Aussage geht direkt von der Position der Heldin aus. 942 Cf. Bordwell / Thompson: Film Art, 265; Knut Hickethier: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart, Weimar 1993, 146. 943 Cf. DeMille; Rivette; Besson. 944 Cf. Dreyer; de Gastyne; Fleming; Rivette; Besson.

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Bezeichnend, dass diesen Einstellungen nicht unbedingt ein entsprechendes Bild der Angeklagten folgt. Wenn sich die Kamera anschließend auf Jeanne richtet, nimmt sie in der Regel nicht die Position einer anderen Figur ein, sondern hält wieder den üblichen Abstand. Dem Platz des Richters nähert sie sich nicht so bedingungslos an wie dem der Heldin. Sogar wenn die eingekerkerte Jeanne zum Objekt heimlicher Blicke wird, steht ihr die subjektive Kamera gelegentlich bei. Bei Bresson wohnen wir den Szenen, in denen die Filmheldin durch ein Loch in der Zellenwand ausspioniert wird, in Teilen aus ihrer Perspektive bei. Wir sehen, wie sie sich zur Seite wendet, in die Richtung der verborgenen Beobachter, und dann Bilder der verräterischen Lücke im Mauerwerk – vom Inneren der Zelle aus. Die Filme, die subjektive Bilder dieser Art einsetzen, bilden zwei Gruppen: Es sind einerseits die frühen Langfilme von Joan the Woman über La Passion bis La Merveilleuse Vie und andererseits die jüngsten drei – Le Procès, La Pucelle, Jeanne d’Arc. Jene also, die in sicherem Abstand zur Umbruchzeit um die Mitte des Jahrhunderts entstehen. Über die größte visuelle Ausdrucksfähigkeit scheint die Heldin dann zu verfügen, wenn sie entweder in überkommenen Konventionen einen zuverlässigen Rückhalt findet oder nach den Erschütterungen des Zweiten Weltkriegs so viel Zeit verstrichen ist, dass sich die neuen Verknüpfungen haben stabilisieren können. Die Binnenperspektive auf die Subjektivität der Heldin Ein ähnlicher Eindruck ergibt sich, wenn man die dritte Kategorie subjektivierter Einstellungen berücksichtigt: Bilder, die nicht wegen ihrer Perspektive der Heldin zuzuordnen sind, sondern deren Inhalt insgesamt oder zum Teil aus Jeannes ganz persönlicher Wahrnehmungswelt stammen muss. Eine Kategorie, die ganz vom Beginn des Jahrhunderts an in den Filmen zu begutachten ist. Schon Capellani nutzt die Möglichkeiten des Mediums dazu, Jeannes göttliche Visionen sichtbar zu machen: als hell leuchtende Doppelbelichtungen. Sowohl im ersten Bild, wenn Jeanne noch Schafe hütet, als auch später, wenn sie bereits eingekerkert ist, erscheinen ihre Heiligen auf der Leinwand. Und bei ihrem zweiten Auftauchen zeigt sich, dass sie für andere Figuren innerhalb der Fiktion offenbar nicht wahrnehmbar sind: Obwohl Jeanne sogar nach der Hand einer der Gestalten greift, nehmen die Soldaten, die die Gefangene bewachen, keinerlei Notiz von ihnen. Auch wenn wir die Visionen nicht aus Jeannes Blickwinkel sehen, bestimmt hier wiederum ihre Wahrnehmung die visuelle Aussage. Neben Méliès, der Jeannes Heilige und den Erzengel Michael mit zusätzlichen Details bis hin zum rotierenden Strahlenkranz ausstattet, greift besonders DeMille ausgiebig auf das Mittel der subjektiven Doppelbelich-

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tung zurück. Auch hier schickt der Erzengel Jeanne in die weite Welt hinaus; die Vision eines Heeres gibt ihr den Hinweis auf die Gefahr für Orléans; ein leuchtendes Schwert enthüllt ihr einen Giftanschlag auf den König; ein geflügelter Reiter warnt sie vor ihrem baldigen Ende; ein Kreuz verleiht ihr Mut im Angesicht der Folter; und in ihren letzten Augenblicken stehen der Engel und eine Heilige ihr bei. Auf all das reagiert die Filmheldin oft heftig, während die übrigen Akteure sich verwirrt und ratlos zeigen. Für sie sind die Erscheinungen wiederum nicht wahrnehmbar. In Joan the Woman erreichen die visionären Doppelbelichtungen ihren Höhepunkt. Dreyer enthält sich solcher Mittel, und de Gastyne setzt sie etwas zurückhaltender ein: Auch hier legt sich das helle Bild zweier Heiligen in einer Szene über einen dunklen Hintergrund, aber ansonsten nehmen die Visionen dieser Filmheldin die etwas diskretere Gestalt schwebender Schemen an. Gleichzeitig greift de Gastyne auf eine andere Technik voraus, subjektive Inhalte zu präsentieren. Nach der entscheidenden Schlacht um Orléans sehen wir Jeannes ernstes Gesicht in einer Großaufnahme, die von Bildern des gerade beendeten Kampfes überlagert und dann abgelöst wird, um schließlich wieder an deren Stelle zu treten. So visualisiert de Gastyne Jeannes noch frische Erinnerungen an die Schrecken des Krieges, eine kurze Sequenz wird in Gänze zum Ausdruck ihrer subjektiven Wahrnehmung. Ein ähnliches Verfahren taucht später wieder auf – allerdings erst am Ende des Jahrhunderts. Der direkte Zugriff der Heldin auf die visuellen Inhalte lockert sich in der Mitte des Jahrhunderts, und es dauert noch länger als im Falle der subjektiven Kameraperspektive, bis er ihr wieder zur Verfügung steht. Wenn bei Fleming eine Spur von Jeannes Visionen zu erahnen ist, handelt es sich lediglich um eine Tonspur: chorische Klänge, die genau dann zu hören sind, wenn Ingrid Bergman selig gen Himmel blickt. Ein Echo der himmlischen Stimmen, das für die ZuschauerInnen allerdings unverständlich bleibt. Einen privilegierten Zugang zu den Visionen der Filmheldin räumt ihnen erst Luc Besson wieder ein. Gleich in der ersten Szene, wenn Jeanne als kleines Mädchen bei der Beichte berichtet, ein mysteriöser he spreche zu ihr, gibt es dazu passende Bilder: von einem etwa gleichaltrigen Jungen auf einem Steinthron im Wald. Und wenig später, wenn wir Jeanne rücklings in einer Sommerwiese liegen sehen, folgt ein Schnitt, der eine Sequenz subjektiver Bilder einleitet: abgesehen vom Gesicht des Jungen, ziehende Wolken im Zeitraffer und eine läutende Glocke in Zeitlupe. Wobei die Manipulation der Bildgeschwindigkeit die Einstellungen zusätzlich von der realistischen Handlung abhebt und damit ihren Sonderstatus unterstreicht. Ähnliche Motive tauchen später wieder auf – einerseits wenn Jeanne dem Dauphin von ihren Visionen berichtet, andererseits wenn sie vor Compièg-

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ne vom Pferd gerissen wird und genau wie auf der sommerlichen Wiese in Domremy mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken landet. Die subjektiven Sequenzen, die von diesen Anlässen angestoßen werden, enthalten aber auch neue Bilder. Unter anderem ist Jeanne jetzt selbst als Akteurin zu sehen: Wir folgen ihr in eine Kirche, ein Fenster zerspringt, und die umherfliegenden Scherben formieren sich zur Erscheinung eines Engels, die wir aus Jeannes Perspektive sehen. Eine gleich doppelt subjektivierte Einstellung: In einer Sequenz, die ohnehin dem Erleben der Heldin entstammt, nimmt die Kamera zusätzlich noch deren Blickwinkel ein. Dieselbe Konstellation stellt sich ein, wenn Jeanne nach ihrer Verletzung im Kampf um Orléans einen Albtraum hat. Er versetzt sie in das Versteck zurück, in dem sie die Vergewaltigung ihrer Schwester miterlebt hat. Auf die Aufnahme von Jeannes Augen, die erschreckt zwischen den Latten einer Tür durchspähen, folgt der Blick auf das verzerrte Gesicht des Täters hinter dieser Tür. Vervollständigt wird die Reihe der visuellen Inhalte, die unmittelbar von Bessons Heldin ihren Ausgang nehmen, durch eine Art zeitgenössische Adaption der doppelbelichteten Heiligen. Sobald Bessons Jeanne in Gefangenschaft ist, taucht aus dem Nichts eine Gestalt in einem wallenden, diesmal allerdings dunklen Gewand auf und bringt sie dazu, ihre Motive zu erforschen. Dass sie allein Jeannes Wahrnehmung entspringt, wird offenbar, wenn die Kamera sich während dieser Dialoge aus der Schuss-Gegenschuss-Abfolge löst und die Zelle in der Halbtotalen zeigt: Aus der Distanz betrachtet, spricht Jeanne nämlich ins Leere. Die Subjektposition dieser Filmheldin, die in einer Zeit glamouröser Kämpferinnen, im vergleichsweise gesicherten Kontext des Starkults, auf die Leinwand kommt, bringt die größte filmische Aussagekraft mit sich: Sie ist nicht nur Gegenstand heroischer Inszenierung, sondern auch in unterschiedlicher und eindringlicher Weise der Ausgangspunkt visueller Aussagen. Doch in gleichem Maße lässt diese Heldin offensichtlich werden, wie brüchig eine solche Position sein kann. Denn ihre Subjektivitäten geraten zueinander in Widerspruch. Die drängenden Fragen des schwarz gewandeten Besuchers diskreditieren jene Visionen, mit denen die Heldin ihr Handeln legitimierte. Bessons Jeanne glaubt der Rede von der rettenden Heldin schließlich selbst nicht mehr, bereut und geht bewusst ins Feuer. Hier kulminieren die Risiken der heroischen Position, die jetzt im Einzelnen benannt werden müssen.

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III. Instabilität i. Schwindende Risiken Die Entschärfung überkommener Vorwürfe Wichtige Anklagen und Beschimpfungen, die die Jeanne des 15. Jahrhunderts fürchten musste, richten sich auch gegen ihre Nachfolgerin. In praktisch allen abendfüllenden Filmen spielt der Vorwurf eine wichtige Rolle, sie missachte Glaubensgrundsätze – etwa indem sie ihren Erscheinungen gegenüber den Vertretern der Kirche Vorrang gebe. Nicht zuletzt darauf gründet auch in den Filmen der Prozess in Rouen. Wenngleich in Joan the Woman und Merveilleuse Vie die Anklage, sie sei eine Hexe, stärker im Mittelpunkt steht. Dieser zweite überkommene Vorwurf dient außerdem in Mädchen Johanna als Grundlage für eine höfische Intrige gegen die Heldin und kommt ansonsten en passant zur Sprache: als hingeworfene Beleidigung oder spontane Attacke aus dem Mund von Schaulustigen, von gegnerischen Kriegern oder von Zweiflern im eigenen Lager.945 Bei einigen JournalistInnen setzt er sich fest: Zumindest außerhalb Frankreichs heißt es in der begleitenden Berichterstattung gelegentlich, die Filmheldin sei in Rouen als Hexe angeklagt.946 Aber beide Anschuldigungen können die Filmheldin nicht in dem Maße treffen wie ihre mittelalterliche Vorgängerin. Denn ihre Subjektposition stützt sich nicht in erster Linie auf Glaubenspraktiken und religiöse Überzeugungen, selbst für die brave Heldin der Nation ist die Kirche bei weitem nicht so wichtig, wie sie es im Kontext der Heiligenverehrung war. Und der Vorwurf der Hexerei hat außerhalb der Fiktion keine große Bedeutung mehr. Als ernst zu nehmende Anklage hat er seit den frühen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weitgehend ausgedient.947 Die Geschichte des Wahnsinns hingegen nimmt einen grundsätzlich anderen Verlauf als die der Hexerei. Im Laufe der Jahrhunderte – besonders des 19. – hat die Annahme eher an Plausibilität gewonnen, das Verhalten einer so außergewöhnlichen Frau wie Jeanne könne auf eine psychische Störung zurückzuführen sein.948 Und man sollte annehmen, dass darin eine Gefahr für 945 Cf. Fleming; Preminger; Bresson; Rivette; Besson. 946 Cf. Film-Kurier, 23.05.1922, 27.10.1922; Der Film, 27.04.1935; Variety, 20.10.1948, 01.11.1999; SZ, 15.02.1994; Film-Dienst, 04.01.2000. 947 Cf. Dinzelbacher: Heilige oder Hexen?, 140-143. 948 Cf. ibid., 59f.; Blaetz: Visions of the Maid, 77; Lucie-Smith: Joan of Arc, 36; Winock: Jeanne d’Arc, 697f.; Walker: Between Fiction and Madness, 239; Hedwig Röckelein: Jeanne d’Arc als Konstruktion der Geschichte. In: Idem / Charlotte Schoell-Glass / Maria E. Müller (eds.): Jeanne d’Arc oder Wie Geschichte eine Figur konstruiert. Freiburg, Basel, Wien 1996, 9-27, hier: 21.

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die Position der Filmheldin bestehen könnte. An Darstellungen des American Girl etwa kann man ablesen, dass der Verdacht auf eine gewisse „nervousness“ im Kontext der nationalen HeldInnenverehrung Unruhe stiften kann.949 De facto allerdings scheint ein solches Risiko für die Filmheldin keine allzu große Rolle zu spielen. In den Filmen kommt es vor, dass eine Figur eine erstaunliche Nachricht über oder eine Aussage von Jeanne spontan damit erklären will, sie sei verrückt.950 Aber es bleibt bei hingeworfenen Bemerkungen, die für den Fortgang der Narration keine Konsequenzen haben. Oder ohnehin gar nicht abwertend gemeint sind: In Bessons Jeanne d’Arc schwingt eindeutig eine gewisse Bewunderung mit, wenn Gilles de Rais Jeannes schwer zu bändigenden Kampfeswillen mit den Worten kommentiert: „She’s nuts.“ Auch in der Presse gilt es zumeist nicht als Problem, wenn die Filmheldin ein wenig durchgeknallt sein sollte. Das zeigt sich zumindest während der späteren Jahrzehnte ihrer Karriere. Einzelne Artikel gehen zwar zu dem Gedanken auf Distanz, Jeannes Verhalten in der einen oder andere Art als psychisch auffällig zu deuten.951 Aber häufiger spricht aus den begleitenden Texten eine Haltung, wie sie schon Anatole France an den Tag legt: Er interpretiert Jeannes Visionen als Halluzinationen, ohne die Heldin deshalb geringzuschätzen.952 So gestehen etwa Bresson und Bonnaire Jeanne in Interviews „un brin de folie“ zu – oder zumindest, dass die Nachricht ihres bevorstehenden Todes sie in den Wahnsinn treibe.953 Wenn Besson von den Qualitäten schwärmt, die Jeanne d’Arc und Milla Jovovich teilten, steht das Adjektiv „folles“ gleichberechtigt neben „géniales“.954 Und wenn JournalistInnen bei den jüngsten beiden Filmheldinnen eine gewisse „Besessenheit“, „folie“ oder wenigstens die Anfälligkeit dafür diagnostizieren, kann man zwar im Ausnahmefall einen abschätzigen Ton mitschwingen hören, aber umso deutlicher die Botschaft: Wer es mit so vielen Gegnern aufnimmt wie Jeanne, dem ist eine Art Wahn recht nützlich – wenn er nicht gar in der Natur der Sache liegt.955 Die Heldin ist „eine liebenswerte Psychopathin, was ja heutzutage durchaus gut geht“.956 Ihre in doppeltem Sinne wahnsinnige Energie ist geradezu ein Faktor ihres Erfolgs. Nicht zuletzt, weil sie dafür sorgt, dass Höflinge und 949 Cf. Banta: Imaging American Women, 130-135. 950 Cf. De Gastyne; Ucicky; Fleming; Preminger; Rivette; Besson. 951 Cf. Le Monde, 07.12.1999; La Croix, 30./31.10./01.11.1999c; Télérama, 03.11.1999; Variety, 01.11.1999. 952 Cf. Marot: De la réhabilitation à la glorification, 156. 953 Cahiers du cinéma, 02/1963; Télérama, 09.02.1994a. 954 Le Monde, 27.10.1999c. 955 Cf. L’Humanité, 09.02.1994a; Libération, 09.02.1994a, 27.10.1999a; Le Monde, 29.04.1993a; FAZ, 14.01.2000; France-Soir, 27.10.1999; Positif, 12/1999. 956 Die Zeit, 13.01.2000.

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Soldaten nicht umhin können, beeindruckt zu sein. Kein besonnener Kämpfer würde wie Bessons Jeanne den zahlenmäßig überlegenen Feinden entgegenstürmen und mit dem Pferd mitten unter sie springen. Aber mit solchen unvernünftigen Aktionen begeistert sie die Ihren und motiviert sie zur Tat. Ihre manische Art trägt zum überzeugenden Auftreten der Heldin bei – und im Kontext des Starkults kommt es gerade darauf in besonderem Maße an. Verständnis für die freche Göre Man könnte nun annehmen, dass der Filmheldin statt dieser überkommenen Vorwürfe – Wahnsinn, Hexerei – solche Schwachstellen gefährlich werden können, die sich direkt aus der Konstruktionsweise ihrer Subjektposition ergeben. Wenn etwa die nationale Heldin nicht nur das Versagen der Männer kompensieren, sondern gleichzeitig auch bodenständig und jung sein soll, kann sie das auch angreifbar machen. An der Spitze der Armee hat das Mädchen vom Lande eine umso prekärere Position, als ihre Schwäche anders als die der Heiligen nicht auf quasi magische Art in Stärke umgewandelt wird. Die Heilige macht Gott zu seinem Werkzeug, gerade weil sie so ein einfaches Geschöpf ist; die Nationalheldin kämpft, obwohl sie dafür eigentlich nicht qualifiziert ist. Und so ist es wohl kein Zufall, dass die Filmheldin an diesem Punkt mehrfach attackiert wird. Bei DeMille etwa scheint es für einen Moment, als werde Jeannes Ruf zu den Waffen verhallen, nachdem ein feindseliger Berater des Königs ihr entgegengehalten hat: „Are the Nobles of France to follow a peasant wench?“ Innerhalb der filmischen Fiktion tauchen wiederholt Beleidigungen auf, die beide Aspekte kombinieren: die einfache Bodenständigkeit der Heldin einerseits und ihre Jugend andererseits. Ihre Gegner und auch die Zweifler auf der französischen Seite können nicht verstehen, wie sie sich als „Bauerndirne“ oder „green country girl“ den Posten an der Spitze des Heeres anmaßen kann.957 In den begleitenden Artikeln konzentriert sich die Skepsis vor allem auf die Frage nach dem Alter der Heldin. Obwohl die historische Jeanne nur knapp 18 Jahre alt gewesen sein dürfte, als sie ihr Heimatdorf verließ, erscheinen manchen KritikerInnen Simone Genevois und Jean Seberg als zu jung. Mehr oder weniger deutlich kann man ihren Artikeln entnehmen, dass sie in der Rolle der Jeanne eine etwas robustere Frau erwarten, dass dieses „Kind“, diese „gamine“, ihre „fragilité“ sie nicht ganz überzeugt.958 Je weiter 957 Ucicky; Fleming; cf. DeMille; Besson. 958 L’Intransigeant, 02.11.1929; Pour Vous, 25.04.1929; Cinémonde, 18.04.1929b; Berliner Morgenpost, 11.10.1957; cf. FR, 27.09.1957; Le Figaro, 22.05.1957.

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das 20. Jahrhundert jedoch fortschreitet, je mehr der Kontext der nationalen Heldenverehrung verblasst, desto weniger stellt die Jugendlichkeit der Heldin ein Risiko dar. Sandrine Bonnaire schildert in Gesprächen ihre Jeanne völlig unbefangen als „enfantine“, als „gamine“, als „gosse“.959 Ganz offensichtlich fürchtet sie nicht, dadurch ihre eigene Darstellung zu diskreditieren. Eine Journalistin rümpft noch leicht die Nase, wenn sie sich bei einer Szene in La Pucelle an ein „Kleinkind“ erinnert fühlt.960 Aber andere schreiben durchaus liebevoll über diese „gamine“ oder „Göre“, die „noch kindliche Züge“ habe.961 Generell scheinen die Kriterien im Laufe der Zeit großzügiger zu werden, welche persönlichen Eigenschaften und Charakterzüge bei der Filmheldin noch zu tolerieren sind und welche eine Gefahr für ihre Position darstellen könnten. Durchaus in Übereinstimmung mit den unterschiedlichen Anforderungen in den beiden relevanten Möglichkeitsfeldern. Auch die Nähe zu den ZuschauerInnen, die die Filmheldin zumindest vorübergehend an den Tag legen muss, führt in den beiden Kontexten zu unterschiedlich strengen Anforderungen an die Heldin. Als nationale, die die Werte ihrer Gemeinschaft verkörpert, muss sie sich durch eine gewisse Tugendhaftigkeit auszeichnen, durch Anstand. Der Star hingegen, der sich zum Identifikationsobjekt gerade durch seine Menschlichkeit qualifiziert, kann das unter Umständen auch durch gewisse – durch und durch menschliche – Makel erreichen. So ist zu erklären, dass es Jeanne wenig anhaben kann, wenn in Filmen aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts der Vorwurf auftaucht, sie sei frech, ungezogen, ungehorsam. Natürlich können die geistlichen Autoritäten ihre Widerworte letztlich nicht hinnehmen und verlangen immer ihre Unterwerfung. Aber in der Rahmenhandlung von Saint Joan zum Beispiel ist der König nur ganz kurz wegen Jeannes „impertinence“ verärgert und kann gleich darauf darüber lachen. In der Berichterstattung spielt dergleichen entweder gar keine Rolle oder wird eher positiv vermerkt. Die „insolence“, die Bressons Jeanne den Geistlichen entgegenbringt, wird nicht zuletzt als Zeichen dafür gelesen, wie fest ihre Überzeugungen sind.962 Spätestens an diesem Punkt ihrer Karriere verdient die Filmheldin offenbar Bewunderung dafür, dass sie Autoritätspersonen mit pointierten Provokationen begegnet. Bei Besson zeigt sich das sogar innerhalb der Fiktion. Etwa wenn Dunois sie als Kommandant der französischen Truppen in Orléans bei einer Lagebesprechung zur Ordnung ruft. Sie solle sich mal in seine Lage versetzen, fordert er, was würde sie denn 959 Libération, 09.02.1994b; Le Monde, 10.02.1994b; Cahiers du cinéma, 02/1994c. 960 Die Zeit, 25.02.1994. 961 epd Film, 11/1994; Film-Dienst, 30.08.1994b; Libération, 09.02.1994a; Le Monde, 29.04.1993a; cf. Télérama, 09.02.1994b. 962 France-Soir, 16.03.1963; cf. La Croix, 20./21.05.1962; Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962.

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empfinden, wenn ihr plötzlich ein Mädchen Befehle erteile? „Knowing what I know“, erwidert Jeanne: „enormous gratitude.“ Und mit dieser Antwort macht sie sich nicht etwa unbeliebt, sondern ruft anerkennendes Gelächter hervor. „What a hell of a girl“, entfährt es La Hire, und dann lässt er sich von Jeanne für diesen Fluch sogar klaglos eine Ohrfeige verpassen. Ohne Zweifel darf die Filmheldin im Kontext des Starkults stärker über die Stränge schlagen, als es einer anständigen Heldin von nationalen Ehren zugestanden hätte. Abgesehen davon hat sich im Laufe der Jahrzehnte natürlich ohnehin gewandelt, was mit einem Begriff wie «Anstand» überhaupt gemeint sein könnte. Der Star darf sich nicht nur deswegen eine gewisse Ungezogenheit gestatten, weil er eben menschlich scheinen muss, sondern auch, weil «Tugend» gegen Ende des Jahrhunderts zu einem recht vagen, wenn nicht exotischen Begriff geworden ist. Nicht umsonst zitiert ein Zeit-Artikel über Bessons Jeanne d’Arc den lockeren Spruch von den bösen Mädchen, die überall hinkämen.963 Und nicht umsonst lassen die JournalistInnen den späten Jeannes von Rivette und Besson gleich eine ganze Reihe von schlechten Angewohnheiten durchgehen. Sie finden diese Filmheldinnen zum Beispiel „heftig, zickig, fundamentalistisch“ oder „chieuse et harassante“.964 Aber das führt nicht dazu, dass die Position der Heldin grundsätzlich in Frage stünde. Es ist schlicht so, dass eine Heldin mit diesen ärgerlichen Eigenschaften durchaus sagbar bleibt. Die Risiken von Stolz und Grausamkeit Ein wenig kritischer wird es bei einer Schwäche, die man als déformation professionelle einer Heldin bezeichnen könnte. Fast automatisch wird sie versucht sein, die eigene Person ins Zentrum zu stellen. Selbstsucht, Eitelkeit, Stolz liegen für die gefeierte Heldin nahe, und doch darf sie sich ihnen nicht einfach hingeben. Sie darf nicht abheben, das girl next door, das der Star einmal war, muss erkennbar bleiben. Oder eben das bodenständige Mädchen, denn der Vorwurf des Stolzes ist schon in der Phase anzutreffen, als der nationale HeldInnenkult für Jeanne noch von Belang ist. In Filmen aus verschiedenen Phasen des 20. Jahrhunderts formulieren die Geistlichen, die Jeanne befragen oder über sie richten, mal den Verdacht, mal die empörte Überzeugung, ihr Verhalten sei hochmütig oder stolz.965 Die Heldinnen von DeMille und Fleming geraten am Hof durch die Behauptung in Misskredit, sie wollten selbst 963 Cf. Die Zeit, 13.01.2000. 964 taz, 01.09.1994b; Libération, 09.02.1994a; cf. FAZ, 14.02.1994; Berliner Morgenpost, 15.02.1994; Die Zeit, 02.09.1994; Le Monde, 18.12.1999b. 965 Cf. Dreyer; Ucicky; Fleming; Rivette.

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herrschen. Und bei Ucicky macht sich Charles offenbar Sorgen, wenn er bei der Krönungsfeier beobachtet, wie die herausgeputzte Jeanne ihr Spiegelbild betrachtet. „Du bist ja eitel“, sagt Gustav Gründgens in einem halb überraschten, halb betroffenen Ton. Viele Soldaten sind sich an diesem Punkt von Ucickys Film ohnehin längst einig, dass man zu viel Aufheben um die hochmütige Jeanne mache. Später, in Saint Joan, ermahnt Erzbischof Regnault die Heldin, sie möge nicht der „sin of pride“ verfallen, die ihr letztendlich auch in der Abschwörungsurkunde zur Last gelegt wird. In der Berichterstattung zum Procès ist zu spüren, wie sich die allgemeine Großzügigkeit gegenüber den schlechten Eigenschaften der Heldin selbst in diesem Punkt bemerkbar macht: Ein Artikel in Télérama stellt ihren Stolz, durch den sie sich selbst verletze, zwar durchaus als Risiko dar, ein anderer hingegen lässt „la fierté, l’orgueil même“ als probates Mittel gegen die überlegenen Richter erscheinen.966 Der Kritiker der Frankfurter Rundschau hat Verständnis für den Stolz der Pucelle, und auch Sandrine Bonnaire bereut, sagt sie, nur manchmal, ihn sichtbar gemacht zu haben.967 Doch die Gefahr ist nicht aus der Welt: Stolz ist der Filmheldin nicht so leicht zu verzeihen wie eine gewisse Unverschämtheit. Bessons Jeanne ist innerhalb der Fiktion in dieser Hinsicht eindeutigen Anfechtungen ausgesetzt. Nicht zuletzt darauf, dass sie sich selbst zu sehr in den Mittelpunkt gestellt hat, zielen die Vorhaltungen ihres Gewissens, wenn es ihr im Kerker wie ein Beichtvater entgegentritt. Sie war „selfish“, muss Bessons Heldin letztlich zugeben, und „proud“. Die Geständnisse dieser Jeanne reichen noch weiter: Nicht nur hat sie sich selbst in den Mittelpunkt gestellt, sondern sie hat ihren Empfindungen auch das Leben anderer geopfert. Mimisch, mit der Erinnerung an einige Kampfszenen vor Augen bejaht sie, dass die Schlacht ihr „pleasure“ bereitet habe. Letztlich klagt sie sich selbst an, „cruel“ gewesen zu sein. Schon der Heldin in Merveilleuse Vie bereitet die grausame Seite des Krieges Gewissensbisse. Nach dem Sieg vor Orléans sehen wir sie gedankenverloren ins Leere starren und gleich darauf die Bilder, die ihr durch den Kopf gehen: unter anderem das eines Mannes, der sich schreiend in seinem Blut wälzt. Vom grausamen Geschehen ähnlich mitgenommen rettet Jeanne in La Pucelle einem Gefangenen das Leben. Aber es bleibt in beiden Filmen bei isolierten Momenten, die auf das weitere Geschehen keinen Einfluss haben. Nur Bessons Heldin wird von der Einsicht in die Brutalität des Krieges derart getroffen, dass sie sich selbst verurteilt, dass sie das Feuer als gerechte Sühne auffasst. „Eine Lust an der

966 Télérama, 06.05.1962, cf. 31.03.1963. 967 Cf. FR, 02.09.1994; Cahiers du cinéma, 02/1994c.

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Gewalt, wie sie die männlichen Protagonisten immer wieder demonstrieren“, kommentiert Judith Klinger, „bleibt für die Heldin ausgeschlossen.“968 Stolz und Grausamkeit können der Filmheldin also auch gegen Ende ihrer Karriere noch zu schaffen machen. Doch nicht sie allein bringen Bessons Heldin zu Fall. Nicht zuletzt der Umstand kann Jeanne destabilisieren, dass sie sich diese Fehler selbst zur Last legt. Ihre Selbstzerfleischung kann der heroischen Position erheblichen Schaden zufügen. Denn er rührt an eine zentrale Fähigkeit der Filmheldin: an ihre Fähigkeit, die auseinanderstrebenden Facetten einer widerspruchsvollen Identität letztlich doch überzeugend zusammenzuführen. Von dieser Seite her ist sie nicht nur phasenweise angreifbar, sondern auch gleich zu Beginn schon, wenn sie in den ersten Langfilmen in Erscheinung tritt. ii. Beharrliche Gefahren Das Gebot der Geschlossenheit Nicht erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, wenn der Starkult endgültig den entscheidenden Kontext für die Filmheldin Jeanne d’Arc bildet, sondern auch in früheren Jahrzehnten ist die überzeugende Verkörperung für die Position der Heldin von großer Bedeutung. Schon DeMilles Jeanne ist wiederholt Gegenstand abschätziger Kommentare, die auf die unzureichende Einheit von Figur und Darstellung abheben. Mal geht es um Details – etwa in dem Artikel, der einen Abgleich mit der Beschreibung der Jeanne d’Arc in der Encyclopaedia Britannica vornimmt – mal ist die Ablehnung kategorisch: Geraldine Farrar „ist keine Jeanne d’Arc“.969 Nicht alle Verkörperungen sind in gleichem Maße solcher Kritik ausgesetzt, aber die Filmheldin muss doch zu jeder Zeit fürchten, auf dieser Ebene attackiert zu werden. Renée Falconetti und Simone Genevois mögen jeweils nur für einzelne Kritiker eine eindeutig ungenügende Darstellung abliefern.970 Doch beim Mädchen Johanna sind die Zweifel weiter verbreitet – nicht nur an Angela Salloker, sondern mehr noch an der Ausgestaltung ihrer Rolle durch das Drehbuch.971 Und weder die PR für Flemings Joan of Arc noch Premingers öffentlichkeitswirksame Talentsuche kann verhindern, dass viele Beobachter 968 Klinger: Die modernisierte Ikone, 281. 969 Lichtbildbühne, 03.11.1922; cf. New York Times, 25.12.1916; Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 29.10.1922; Der Film, 29.10.1922; New York Times, 25.02.1917; Blaetz: Strategies of Containment, 186. 970 Cf. Cinémonde, 18.04.1929b; Le Petit Parisien, 06.07.1928. 971 Cf. Frankfurter Zeitung, 28.04.1935; Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935; Germania, 28.04.1935; Kreuz-Zeitung, 28.04.1935; Lichtbildbühne, 27.04.1935.

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bei den Heldinnen in Gestalt von Ingrid Bergman und Jean Seberg Entscheidendes vermissen.972 Wenn Le Procès und La Pucelle Premiere haben, begnügen sich die Zeitungen mit vereinzelten Kritteleien: Die eine Jeanne ist vielleicht ein bisschen einseitig, die andere zu gewöhnlich.973 Aber die Filmheldin mit dem Antlitz von Milla Jovovich ruft wiederum grundsätzliche Einwände hervor: Ein Model mit fragwürdigem Schauspieltalent lehnen mehrere KritikerInnen in dieser Rolle ab.974 Auch wenn die Einwände im Detail unterschiedlich begründet sind, kreisen sie letztlich immer wieder um das Problem, dass die verschiedenen Dimensionen der heroischen Subjektposition auseinander zu driften drohen. Je weiter das Jahrhundert voranschreitet, desto zahlreicher werden zwar die Anzeichen für eine gewisse Toleranz gegenüber Brüchen und Differenzen.975 Aber trotzdem bleibt die Heldin an dieser Stelle angreifbar. Wenn die historische Person – bzw. eine vage Vorstellung von ihr – die Rolle und die Schauspielerin in den Augen der BeobachterInnen kein Ganzes ergeben, stellt das für manche von ihnen ein Problem dar. Egal ob sie nun die Frau, die sie auf der Leinwand sehen, etwa als zu kindlich, zu passiv oder zu diesseitig empfinden. Die Regeln des Begehrens Wobei eine Form der Abweichung womöglich doch besonders problematisch ist. In einigen Kritiken deutet sich an, dass gerade solche Erwartungen nicht enttäuscht werden sollten, die mit dem Begehren einerseits des Publikums und anderseits der Heldin selbst zusammenhängen. Einerseits sollte die von Mulvey angesprochene Schaulust besser nicht frustriert werden, wie sich etwa in der Rüge für die „jetzt etwas stark gewordene Geraldine Farrar“ andeutet.976 Die Filmheldin hat immer schön zu sein, begehrenswert, davon war bereits die Rede.977 Andererseits sollte die Heldin aber auch nicht den Eindruck erwecken, dass sie imstande ist, ihre Reize zum eigenen Vorteil einzusetzen. Eine 972 Cf. Die Zeit, 19.10.1950; Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950; L’Humanité, 05.11.1949; Libération, 25.10.1949, 24.05.1957; Le Monde, 25.10.1949, 27.05.1957; La Croix, 27.10.1949; New York Times, 12.11.1948, 27.06.1957; Berliner Morgenpost, 11.10.1957; Le Figaro, 22.05.1957; France-Soir, 25.05.1957; Variety, 08.05.1957. 973 Cf. Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962; Die Zeit, 25.02.1994; Le Figaro, 14.02.1994; Variety, 21.02.1994. 974 Cf. FR, 14.01.2000; Berliner Morgenpost, 13.01.2000; Die Woche, 14.01.2000; New York Times, 12.11.1999; Variety, 01.11.1999. 975 Cf. supra, 212, 272. 976 Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 29.10.1922. 977 Cf. supra, 252-254, 261f.

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Jeanne, die noch Farrars Auftritte als Carmen erahnen lasse, eine „somewhat amatory Lady with an extraordinarily knowing eye“ ist für die New York Times nicht akzeptabel.978 Auf ähnliche Weise disqualifiziert sich später Ingrid Bergman in den Augen eines Autoren von Le Monde: „Jeanne d’Arc ne joue pas de lèvres ourlées pour le baiser.“979 Zugespitzt formuliert: Jeanne muss sinnlich sein, aber sie darf es nicht wissen; sie muss auf jeden Fall begehrenswert sein, aber dass sie selbst begehren könnte, muss ausgeschlossen bleiben. Die Heldin muss nicht nur im Kontext patriotischer Wertvorstellungen eine umfassende Reinheit ausstrahlen, traditionell ist ihr auch als weiblicher Star eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Zumindest im Mainstream-Film sehen die Konventionen vor, dass die leading lady entweder in die Welt hinausgeht und handelt oder ein Liebesleben hat. Wenn eine Rolle beide Aspekte vereint, dann zumeist in der zeitlichen Abfolge säuberlich voneinander getrennt: Gegen Ende der Handlung oder auch in einem Intermezzo wird eine aktive Heldin oft gezähmt, nimmt die Rolle der braven Partnerin an, und in diesem Rahmen hat dann auch ihr Begehren einen Platz.980 Von diesem groben Muster gibt es in einzelnen Genres und besonders in jüngerer Zeit zwar durchaus Abweichungen.981 Aber an der Art, in der einige Filme Jeanne zu männlichen Figuren in Beziehung setzen, lässt sich sein Einfluss durchaus ablesen. Wie bereits geschildert, unterstreichen diverse Szenen, dass die Heldin grundsätzlich als Partnerin in einer heterosexuellen Beziehung in Frage kommt.982 Aber letztlich muss sie eben doch entsagen. DeMilles Heldin darf nicht mit dem englischen Offizier Eric Trent Reißaus nehmen. De Gastynes Jeanne muss dem Antrag ihres Jugendfreunds widerstehen. Flemings Heldin ergreift verstört die Flucht, als sie sich in einer Art Tête à tête wiederfindet. Und in Saint Joan scheint die Heldin recht genau zu wissen, 978 New York Times, 25.02.1917. 979 Le Monde, 25.10.1949. 980 Cf. etwa Schünzel: Viktor und Viktoria; Janson: Der Page vom Dalmasse Hotel; Kaplan: Bad Girls; Alfred Hitchcock: Notorious (Berüchtigt). USA 1946; Haskell: From Reverence to Rape, 94, 144; Rosen: Popcorn Venus, 75-78, 237-240; Walker: Stardom, 270-282; Ryan: The Projection of a New Womanhood, 376f.; Peitz: Marylins starke Schwestern, 35-45; Patalas: Sozialgeschichte der Stars, 109, 114f.; Bard: Les femmes dans la société française, 222; Neroni: The Violent Woman, 18; Genz: Postfemininities in Popular Culture, 67; Uta Scheer: ‚Geschlechterproduktionen‘ in populären Fernsehtexten. Oder: Was kann ein weiblicher Captain? In: Elisabeth Klaus / Jutta Röser / Ulla Wischermann (eds.): Kommunikationswissenschaft und Gender Studies. Wiesbaden 2001, 103-122, hier: 114-116. 981 Cf. etwa Mamoulian: Queen Christina; Mankiewicz: Cleopatra; Hill: Coffy; Starrett: Cleopatra Jones; Besson: Nikita; Harlin: Cutthroat Island; Raimi: The Quick and the Dead; Kusama: Girlfight; Neroni: The Violent Woman, 113-128; Patalas: Sozialgeschichte der Stars, 131f.; Rosen: Popcorn Venus, 194-196; Tasker: Working Girls, 84. 982 Cf. supra, 255.

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dass es das Ende ihrer Kämpfe bedeuten würde, wenn sie dem Verlangen nach einem Mann nachgäbe. Wenn sie mit Dunois darüber spricht, was sie als „soldier“ von anderen Frauen unterscheide, führt sie an, sie träume nicht von „lovers“. Wenn sich das Jahrhundert langsam dem Ende nähert und immer vielfältigere Geschichten von Kämpferinnen kursieren, ist es dann so weit, dass Sandrine Bonnaire ihrer Jeanne in einem Interview zugesteht: „elle a certainement eu des désirs.“983 Und ein Artikel beschreibt Bessons Heldin sogar als „folle de son corps, épuisée de désir pour dieu, fétichisant un brin sa jolie épée phallique.“984 Woran man diese Begierden allerdings in den Filmen erkennen soll, bleibt unklar. Und weiterhin scheint unvorstellbar, dass die Heldin einem etwaigen Begehren nach einem Mann nachgeben könnte. Bonnaire ist nicht die einzige, die ihr da aufs Wort glaubt: „Elle dit qu’elle n’a jamais donné son corps“.985 Welche Konsequenzen es haben könnte, wenn Jeanne es doch täte, bleibt unausgesprochen. Da die Filmheldin sich bisher noch nie so weit vorgewagt hat, bleibt die Gefahr abstrakt – und doch wird deutlich, dass Jeannes Begehren für ihre Subjektposition zum Problem werden könnte. Das eindeutige Keuschheitsgebot, dem sie im Kontext des Heiligenkults unterlag, wird nicht mehr formuliert. Für eine aktive Filmheldin kann der Begriff „virgin“ unter Umständen sogar eine Beleidigung sein.986 Dennoch besteht eine implizite Verpflichtung, zum Begehren eine gewisse Distanz zu halten. Wie verletzlich die Heldin an dieser Stelle ist, zeigt sich auch daran, wie viele Attacken auf ihre Sexualität zielen. Zum einen wird sie bei verschiedenen Gelegenheiten als „slut“, „putain“ oder „harlot“ beschimpft oder zum Gegenstand von groben Scherzen: über ihre hübschen Beine, ihre Zukunft als „camp follower“ und die sexuellen Möglichkeiten, die eine lange Reise in männlicher Gesellschaft mit sich bringt.987 Zum anderen macht der Großteil der Filme deutlich, dass sie als Gefangene Opfer sexualisierter Gewalt wird. Mal bedrängt sie ein einzelner Wärter auf anzügliche Weise.988 Mal werfen sich gleich mehrere auf sie und zerreißen ihre Kleider.989 Bei Rivette zahlt ein Adeliger dafür, Jeanne als erster in dem femininen Aufzug zu sehen, den die Richter ihr verordnet haben, und beginnt gleich, daran zu zerren. Und bei 983 Cahiers du cinéma, 02/1994c. 984 France-Soir, 27.10.1999. 985 Cahiers du cinéma, 02/1994c; cf. taz, 01.09.1994a; Positif, 02/1994; Klinger: Jeanne d’Arc, 157f. 986 Cf. Rosen: Popcorn Venus, 351. 987 Fleming; Preminger; cf. Rivette; Besson. 988 Cf. DeMille; Dreyer; Fleming. 989 Cf. De Gastyne; Besson.

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Jeanne d’Arc als Filmheldin

Bresson sehen wir einen ganzen Trupp Soldaten aus ihrer Zelle kommen, gemeinsam mit einem jungen Mann, der den Auftrag bekommen hat, etwas gegen ihre Jungfräulichkeit zu tun. „Un milord anglais par trois fois me voulait faire outrage“, erklärt Jeanne später gegenüber Cauchon. Der potentielle Vergewaltiger hat Jeanne zuvor durch den Spalt in der Kerkerwand betrachten könnten, durch den auch Cauchon und der englische Kommandant die Gefangene beobachten. Insofern bilden die versteckten Blicke schon den Anfang der Attacken. DeMille zeigt sogar die entscheidende Szene, in der ein dazu bestellter Rohling der Gefangenen auf den Leib rückt, unter anderem von Cauchons Standpunkt aus: durch ein Loch in der Zellendecke. Etwas dezenter, aber ebenfalls deutlich werden die visuelle Kontrolle und die körperlichen Angriffe in Saint Joan verklammert: Wenn Jeanne durch die Demonstration von Foltermethoden eingeschüchtert werden soll, verfolgen wir das Geschehen vorübergehend aus der Voyeursperspektive des Knappen, der durch ein Loch im Gewölbe hinabschaut. So verbinden sich dessen heimliche Blicke mit den Gelüsten der Henkersknechte, die Jeannes Beine gerne noch ein wenig länger machten und sie dazu am liebsten auszögen. Die Blicke und Belästigungen greifen ineinander und sind für die Filmheldin im Kontext des Starkults umso gefährlicher, weil sie auf entscheidende Punkte ihrer Position zielen: auf ihre visuelle Verfügbarkeit als spectacle und auf ihren Leib als letzte Absicherung ihrer überzeugenden Darstellung. Über jene Mechanismen, die die machtvolle Position der Heldin ermöglichen, kann sie zugleich destabilisiert werden. In der narrativen Logik mehrerer Filme bahnt gerade die sexualisierte Gewalt den Weg zu Jeannes Untergang. Denn um sich im Gefängnis gegen diese Bedrohung zu schützen, trägt die Filmheldin ihr maskulines Soldatenwams. Sie fürchtet oder hat eben schon erlebt, dass sie in den Frauenkleidern, die das Gericht ihr auferlegt, schnell zum Opfer wird, dass sie ihr zerrissen oder weggenommen werden.990 Und indem sie sich männlich kleidet, liefert sie gleichzeitig ein entscheidendes Argument für ihre endgültige Verurteilung. Ihre Gegner haben den Punkt gefunden, an dem ihre Position verletzbar ist. Verhängnisvolle Interessen Hinter den sexuellen Attacken stehen dabei unterschiedliche Interessen. Bei Fleming scheint den Wärter seine eigene Lüsternheit zu treiben. Bei Bresson und Besson gibt der englische Befehlshaber in Rouen einen entsprechenden Auftrag, um Jeanne zur Strecke zu bringen. Bei DeMille ist es Cauchon selbst, der die Übergriffe anordnet, und bei Rivette kalkuliert er zumindest damit. 990 Cf. DeMille; de Gastyne; Preminger; Bresson; Rivette; Besson.

Subjektposition

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Generell legen die Filme großen Wert darauf, die Interessen und Strategien darzulegen, die nicht nur zu den Belästigungen führen, sondern zu Jeannes Entmachtung im allgemeinen, zu der Verwandlung der Kämpferin in die Gefangene und schließlich das Hinrichtungsopfer. So wird etwa auf die beträchtliche Summe hingewiesen, die Jean de Luxembourg von den Engländern für seine Gefangene erhält. Oder umgekehrt: auf die hohen Ausgaben, die die Engländer gehabt haben und die sich zuverlässig in Jeannes Tod niederschlagen müssen.991 Dass den Engländern daran gelegen ist, jene Kämpferin zu beseitigen, die ihnen schmähliche Niederlagen bereitet hat, leuchtet unmittelbar ein. Der Halbsatz „England Seeking Her Destruction“ in den Zwischentiteln von Joan the Woman braucht keine weitere Erläuterung. Und die Engländer kontrollieren das Gericht in Rouen: Die Filme heben in aller Regel hervor, dass die Abgesandten des englischen Königs mit Manipulationen, mit Anweisungen oder mit roher Gewalt auf Jeannes Hinrichtung hinwirken. In zwei Fällen allerdings tritt der vorsitzende Richter Pierre Cauchon als souveräner Akteur in den Vordergrund. Zum einen bei Rivette: Hier scheint ihn die Sorge um die Kirche umzutreiben, ähnlich wie die gutmütigen, aber machtlosen Richter in Saint Joan. Zum anderen bei Fleming, der für Cauchon ein ganz persönliches Motiv konstruiert: Jeannes militärische Erfolge, wird hier angedeutet, hätten ihn von seinem Bischofssitz vertrieben. Auch der französische König hat in den Filmen oft klare Gründe, warum er seine Heldin fallen lässt: entweder strategische – ihre kriegerische Art stört seine Diplomatie – oder ökonomische – er kann oder will das Geld nicht aufbringen, mit dem er weitere Kämpfe finanzieren bzw. Jeanne freikaufen könnte – oder eine Kombination aus beidem.992 Der raffinierte König des Gustav Gründgens will Jeanne sogar gezielt zu einer Märtyrergestalt aufbauen. Außerdem kann Charles unter dem Einfluss von Beratern stehen, die sich von Jeannes Tod Vorteile erwarten: für die französische Sache oder die eigene Person.993 DeMille geht so weit, die Figur eines Spions zu konstruieren, der von den Engländern an den französischen Hof entsandt worden ist. Es wird große Mühe aufgewendet, um darzulegen, welche Akteure, welche Interessen, welche Machtkonstellationen auf den Tod der Heldin hinwirken. Es ist nicht zu übersehen: Die Filmheldin ist nicht allein durch die intrinsischen Tücken ihrer Subjektposition gefährdet, sondern schlicht auch dadurch, dass sie anderen, Mächtigeren, im Weg ist. Die Geschichte der Filmheldin ist in Kämpfe und Konflikte eingebunden. Zunächst in Kämpfe und Konflikte 991 Cf. DeMille; de Gastyne; Ucicky; Preminger; Bresson; Rivette. 992 Cf. DeMille; de Gastyne; Fleming; Preminger; Besson. 993 Cf. De Gastyne; Fleming; Besson.

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Jeanne d’Arc als Filmheldin

anderer Filmfiguren, aber diese wiederum können mit widerstreitenden Anliegen und Interessen verknüpft sein, die über die Filme hinausreichen. Hier öffnet sich das weite Feld der strategischen Zusammenhänge, und im Folgenden muss es darum gehen, es zumindest in Umrissen sichtbar zu machen.

d. Strategie Wie schon die mittelalterlichen Aussagen über Jeanne d’Arc spielen auch die filmischen eine Rolle in verschiedenen Konflikten, sie befördern oder behindern die Durchsetzung von Interessen. Dass Aussagen über die aktive Heldin 500 und mehr Jahre nach ihrem ersten Auftauchen vielfach im Umlauf sind, liegt sicherlich nicht zuletzt an solchen Verstrickungen.994 Wenn man diese näher in den Blick nimmt, wenn sich die Untersuchung jetzt in die Diskursdimension der strategischen Zusammenhänge hineinbegibt, ist wiederum mit Verkettungen unterschiedlicher Komplexität zu rechnen: von konkreten Kämpfen bis hin zu Verwerfungen in umfassenden Machtkonstellationen. Letztere lassen sich nur schwer überschauen, und überhaupt kann das Geflecht der Konfrontationen nicht in Gänze erkundet werden. Um zu einigen grundlegenden Zusammenhängen vorzudringen, müssen andere Stränge vernachlässigt werden. Die Verbindung der Heldin zu den Interessen der Kirche zum Beispiel. Grundsätzlich darf man zwar davon ausgehen, dass die Päpste, die Jeanne zwischen 1894 und 1920 nach und nach die höchsten katholischen Ehren angedeihen lassen, dabei auch das Wohl ihrer Institution im Auge haben.995 Ein Autor der kommunistischen Humanité warnt eindringlich vor der „propagande catholique“, als Merveilleuse Vie zusammen mit einem Film über Thérèse Martin bei einer katholischen Filmwoche gezeigt werden soll.996 Aber gleichzeitig trägt die Gegenseite Bedenken, ob eine militante Filmheldin wie de Gastynes Jeanne dem katholischen Glauben nicht sogar schädlich ist: In La Croix verurteilt abbé Louis Bethléem den Film als Profanierung einer Heiligen.997 In der Tat hat ja schon die Suche nach den Möglichkeitsfeldern, 994 Cf. Dietmar Rieger: Die Jungfrau von Orléans ins Museum? Überlegungen zur weiteren Verwendungsfähigkeit eines Nationalmythos. In: Gert Melville / Karl-Siegbert Rehberg (eds.): Gründungsmythen – Genealogien – Memorialzeichen. Beiträge zur institutionellen Konstruktion von Kontinuität. Köln, Weimar, Wien 2004, 60-73, hier: 66. 995 Cf. Warner: Joan of Arc, 264; Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 221-223. 996 L’Humanité, 10.11.1929. 997 La Croix, 10./11.11.1929.

Strategie

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die den filmischen Aussagen über Jeanne eine Heimat bieten, im katholischen Kontext des 20. Jahrhunderts eher ungünstige Bedingungen zu Tage gefördert. Und im Detail bestätigt sich, dass der Einfluss der Kirche der Sagbarkeit der heroischen Geschichte sogar entgegenwirken kann. Weil die Sorge besteht, die Geistlichkeit in Gestalt der Richter von Rouen könnte nicht hinreichend sympathisch wirken, möchten Kinobetreiber Passagen von Joan the Woman zensieren, und La Passion wird vor der Premiere in Paris einer Kontrolle durch Kirchenvertreter ausgesetzt. Noch bei der Produktion von Flemings Joan of Arc hält man es für nötig, sich gegen die Gefahr eines katholischen Vetos sorgfältig abzusichern.998 Solche strategischen Verstrickungen weiter zu erkunden, trüge wohl eher dazu bei, die diskursive Unwahrscheinlichkeit der Filmheldin zu belegen, statt den Bedingungen ihrer Sagbarkeit weiter auf den Grund zu gehen. Und auch eine andere, alltägliche Interessenkonstellation, in die die Figur unmittelbar integriert ist, hilft vermutlich nicht viel weiter: Das Profitinteresse der Filmemacher und der Unterhaltungswunsch der ZuschauerInnen sind dafür wohl nicht wählerisch genug. Ihnen könnten so viele andere filmische Erzählungen Genüge tun, dass der Wert dieser Interessen für die diskursive Durchsetzungsfähigkeit der Heldin höchstens auf Umwegen zum Tragen kommt. Wenn das Fachblatt Ciné-Miroir Bernard Natan als Produzenten von Merveilleuse Vie porträtiert, spielt das kommerzielle Potential des Stoffs keine Rolle. Dafür umso mehr eine andere Seite der Produktion, die zu diesem Potential beiträgt, aber eben auch eine ganze eigene Wirkung entfalten kann: die nationale Bedeutung des Stoffs.999 Darin liegt eine spezifische Stärke der Filmheldin Jeanne: In einer Zeit internationaler Spannungen lässt sie sich hervorragend dafür einsetzen, Engagement fürs Vaterland an den Tag zu legen. Was in den konkreten Filmgeschichten auch durchaus Spuren hinterlässt: Natans Orientierung am Wohle Frankreichs findet unter anderem darin ihre Entsprechung, wie eindeutig in Merveilleuse Vie die englischen Feinde auf Jeannes Tod hinwirken. In der Tat lassen sich die gegen Ende des letzten Kapitels skizzierten Intrigen und Interessen, die in den Verfilmungen über den Ausgang von Jeannes Geschichte entscheiden, als eine Art Indikator verwenden. Wenn man sie über die Grenzen der filmischen Erzählung hinaus verlängert, stößt man auf einige der Konflikte, die Jeannes strategische Verwendbarkeit bestimmten.

998 Cf. Higashi: Cecil B. DeMille and American Culture, 137-139; Bosséno: Jeanne d’Arc, 111; Maurice Drouzy: Un film qui vient trop tôt. In: L’ Avant-Scène Cinéma 367/368 (JanuarFebruar 1988), 155-159, hier: 157f. 999 Cf. Cine-Miroir, 01.01.1928a.

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Etwa wenn man in den Blick nimmt, dass einerseits das Gold der Engländer und andererseits herrschaftliche Strategien über Jeannes Schicksal entscheiden. Beides positioniert sie im Kontext des 20. Jahrhunderts auf der Seite der breiten Masse, die sich ökonomischen und politischen Mechanismen ausgeliefert fühlt. Die sexuellen Attacken auf die Heldin wiederum kann man als Ausdruck patriachalischer Macht lesen, und im selben Moment wird Jeanne zur Mitstreiterin des Feminismus. Wenn schließlich das Vorgehen des Bischofs Cauchon bei Fleming den Charakter eines persönlichen Zwistes erhält, dann steht Jeanne als Individuum da, das sich in einer unübersichtlichen Welt mit ungeahnten Widrigkeiten herumschlagen muss. Die Filmheldin Jeanne kommt in Auseinandersetzungen zum Einsatz, deren große Fronten schon im 15. Jahrhundert auszumachen waren. Dass die feineren Konfliktlinien sich seither allerdings verschoben haben – und auch im Laufe des 20. Jahrhunderts nicht statisch bleiben –, wird schnell deutlich, sobald man weiter ins Detail geht.

I.

Heldin der Nationen

i. Militante Momente Die Konkurrenz französischer Patriotismen Die Suche nach den Möglichkeitsfeldern, die die Filmheldin stützen, hat offensichtlich gemacht, wie eng die filmische Rede über Jeanne in Praktiken und Überzeugungen nationaler HeldInnenverehrung eingebunden ist. Und diese wiederum stehen immer mit Interessen, Konflikten oder gar Kriegen in Zusammenhang. Im 20. Jahrhundert allerdings – im Gegensatz zur Lage im späten Mittelalter – verhelfen die Aussagen über die kämpfende Heldin, insofern sie mit der Rede von der Nation in Verbindung stehen, nicht einer neuen, bis vor kurzem noch unbekannten diskursiven Strategie zum Durchbruch. Vielmehr verbinden sie sich mit einer machtvollen Konfiguration, die den ZeitgenossInnen der Filmheldin wohlvertraut ist und in unterschiedlichen Kämpfen eine Rolle spielen kann. Nicht das Entstehen einer stummen Strategie ist zu beobachten, sondern die Entwicklung von Konflikten zwischen mehr oder weniger großen Gemeinschaften: Als nationale Heldin kann Jeanne gegen fremde Länder zum Einsatz kommen, aber durchaus auch zwischen rivalisierende Gruppen gleicher Herkunft geraten. Wenn nach der Niederlage von 1870/71 die Verehrung heroischer Figuren in Frankreich wieder Aufwind bekommt, entstehen über die korrekte

Strategie

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Deutung und Darstellung gerade Jeanne d’Arcs heftige Auseinandersetzungen.1000 Je nach Zählweise kann man im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zwei bis drei grundlegende Positionen unterscheiden, für die die Nationalheldin einstehen muss. Erstens gibt es da die erzkatholische Patriotin, die den Wunsch nach einem Wiederaufleben der Monarchie legitimieren soll. Zweitens die republikanische Patriotin, die auf der Seite des Volkes kämpft. Und von diesen beiden könnte man drittens noch die schlicht patriotische Patriotin unterscheiden, die das Land zu einen sucht.1001 Sobald der Erste Weltkrieg heraufzieht, ist sie gewiss die nützlichste der drei Jeannes. Auch wenn sie womöglich von fortdauernden Rivalitäten nur ablenken soll: Diese einende Heldin lässt sich jetzt, da die entscheidende Gefahr definitiv von außen kommt, in der Öffentlichkeit am besten vertreten.1002 Ansatzweise spielen die frühesten Verfilmungen alle drei Positionen durch. Hatots Hinrichtungsszene lässt sich insofern der republikanischen Rede über die Heldin zuschlagen, als hier ganz eindeutig ein Geistlicher mit Mitra Jeanne kraft seiner Autorität ins Feuer schickt. Denn genau darin besteht der Hauptvorwurf des christlich-konservativen Lagers gegenüber der republikanischen Darstellung der Heldin etwa in Schulbüchern: dass die Verantwortung des Bischofs Cauchon für Jeannes Tod zu deutlich herausgestellt werde.1003 Entsprechend hält sich Capellani, dessen Film im Kontext von Jeannes Seligsprechung entsteht, in diesem Punkt merklich zurück: Die reichen Gewänder des Mannes, der bei Jeannes Befragung und Hinrichtung den Vorsitz hat, senden eher vage Signale aus: Offensichtlich besitzt er einen hohen Status. Die Mitra, die gleich auf den Bischof schließen ließe, trägt er nicht. Nur eine Kordel unter seinem Umhang lässt erahnen, dass er zu einem Orden gehören könnte. Umso weiter rückt Capellani die schwebenden Lichtgestalten in den Vordergrund, die Jeanne wiederholt erscheinen – genau wie es die konservative Ikonographie vorgibt, die auf diese Weise den transzendenten Ursprung von Jeannes Mission hervorhebt.1004 Bei Méliès kommen schließlich 1000 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 21f., 119-121; Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 162, 164; Winock: Jeanne d’Arc, 685f.; Caratini: Jeanne d’Arc, 359-361. 1001 Cf. Hanna: Iconology and Ideology, 217-224; Sanson: La «Fête de Jeanne d’Arc», 445-454; Amalvi: Les héros de l’Histoire, 146f., 160-163, 166f., 220; idem: Die bildhafte Inszenierung, 102f., 111; Contamine: Jeanne d’Arc dans la mémoire des droites, 425f.; Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 193; Caratini: Jeanne d’Arc, 359-361. 1002 Cf. Hanna: Iconology and Ideology, 224-226; Rieger: Jeanne d’Arc und der Patriotismus, 126-128; Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 218f.; Winock: Jeanne d’Arc, 715; McWilliam: Conflicting Manifestations, 385, 416f. 1003 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 146f., 160. 1004 Cf. ibid., 146; Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«.Wandlungen Jeanne d’Arcs, 270.

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beide Merkmale zusammen: Einerseits setzt er Heilige und Erzengel ausgiebig in Szene, andererseits präsidiert bei Jeannes Hinrichtung eindeutig ein Bischof, von diversen Geistlichen umgeben. Insofern ist seine Heldin eine des Ausgleichs. Der Kampf der Nationen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Wenn dann der Erste Weltkrieg alle anderen Konflikte überlagert, bleibt ohnehin kein Platz mehr für partikulare Kämpfe. Zudem müssen die Feinheiten der Interpretation, über die sich Jeannes französische Anhänger ereifern, aus der transatlantischen Distanz recht arkan wirken. Auf jeden Fall ist DeMilles Heldin in beide Richtungen anschlussfähig. In den ersten Filmminuten posiert sie vor dem Liliensymbol, das in Frankreich katholisch konnotiert ist.1005 Und ihre Erscheinungen bebildert DeMille ohne Skrupel. Aber er schreckt auch nicht davor zurück, Cauchon als böswilligen Intriganten in eigener Sache zu zeigen. Jeanne ist hier nicht die Heldin einer Fraktion, sondern ein „Girl Patriot“. Und als solche lässt sie sich in gewissem Maße vom französischen Kontext lösen. Durch die Rahmenhandlung, in der sich ein englischer Soldat an der Front des Ersten Weltkriegs ein Beispiel an Jeannes Heroismus nimmt, wird die Filmheldin zur Kämpferin gegen die Mittelmächte. Sie steht damit nicht nur für Frankreich, sondern für die legitime Verteidigung gegen fremde Aggressoren.1006 Geraldine Farrar geht noch ein wenig weiter, indem sie im Rahmen der Publicity für den Film die amerikanische Nationalhymne singt, eingehüllt in das star-spangled banner. Der Auftritt unterstreicht: DeMilles Heldin hat das Zeug, in den USA Zweifeln entgegenzutreten, ob ein Kriegseintritt denn sinnvoll wäre. Generell ist Jeanne in dieser Zeit eine wichtige Figur und das Kino ein wichtiges Medium, wenn es darum geht, die Notwendigkeit amerikanischer Kriegsanstrengungen zu vermitteln.1007 Zumindest L.W., der Kritiker oder die Kritikerin der Vossischen Zeitung, der oder die Joan the Woman während des Krieges im Ausland gesehen hat, ordnet den Film auch entsprechend ein: Er wird hier als Bestandteil „einer geschickten profranzösischen Propaganda“ identifiziert.1008 Die Kollegen von New York Times und Variety allerdings, die man eher zur Zielgruppe solcher Propaganda rechnen darf, 1005 Cf. Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 217. 1006 Cf. Kiening: Mittelalter im Film, 83. 1007 Cf. Blaetz: Visions of the Maid, 33, 36f., 42-45, 55f.; Higashi: Cecil B. DeMille and American Culture, 119f., 139f.; Rieger: Nationalmythos und Globalisierung, 650-652; Warner: Personification and the Idealization of the Feminine, 103; Dolgin: Modernizing Joan of Arc, 109-112. 1008 Vossische Zeitung, 29.10.1922.

Strategie

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zeigen sich unbeeindruckt: Die Verknüpfung mit dem aktuellen Kriegsgeschehen in Europa ist für sie entweder nicht der Rede wert oder eine bloße Verzierung: ein „typical movie touch“.1009 Ende der 1920er ist ein Teil der französischen Presse deutlich eifriger bei der Sache. Die Debatte über die Frage, wie der „französischste aller französischen Stoffe“ umzusetzen sei, ist so lebhaft, dass sie auch jenseits des Rheins wahrgenommen wird.1010 Verschiedene Artikel betonen, wie angemessen die Heldin und die gesamte Herangehensweise bei Merveilleuse Vie insgesamt sind; der Film, heißt es, habe „un intérêt immense au point de vue français“.1011 Der grand film national spart ja auch nicht mit patriotischen Formulierungen, an die sich anknüpfen lässt – etwa wenn er die Konstituierung von Jeannes Armee episch als „naissance de la France“ feiert. Selbst Dreyers asketische Passion hat in dieser Hinsicht einige Sätze zu bieten.1012 Am Schluss kann man auch hier Michelets Diktum vom Frauenherzen anklingen hören, das die französischen Nation geboren habe: „Jeanne dont le cœur est devenu le cœur de la France... Jeanne dont la mémoire sera honorée en tous temps par le peuple français.“ Ursprünglich, in den dänischen Zwischentiteln, scheinen solche Huldigungen der Nation keine große Rolle gespielt zu haben, aber wenn nach der Premiere in Kopenhagen die Marseillaise erklingt, ist für die patriotische Grundierung trotzdem gesorgt.1013 All diese Bemühungen, Jeanne Ende der 1920er Jahre für die nationale Sache einzuspannen, kann man zum einen als Ausdruck eines kulturellen Konflikts mit kommerziellen Untertönen lesen, den Frankreich vor allem mit den USA ausficht und der sich bis ans Ende des Jahrhunderts weiterverfolgen lässt. Eine Konfrontation, die im nächsten Abschnitt in den Vordergrund treten soll. Aber zum anderen hat Jeanne d’Arc auch in dieser Zeit ihre militanten Seiten. Als offizielle Heldin der Republik, die mittlerweile ihren eigenen Feiertag hat, ist ihr Schicksal eng an das der französischen Nation gebunden. Mitunter wird ihr Name angerufen, wenn es darum geht, eine unerbittliche Haltung gegenüber den europäischen Nachbarn einzufordern.1014 Und die wissen das offensichtlich: Selbst so eine sanfte Heldin wie die von Dreyer darf nicht in die englischen Kinos.1015 Ganz allgemein wird die Produktion histo1009 1010 1011 1012

New York Times, 25.12.1916; cf. 25.02.1917; Variety, 29.12.1916. Film-Kurier, 09.02.1927; cf. supra, 172. Le Petit Parisien, 25.05.1928, cf. 20.04.1929, 26.04.1929; Cine-Miroir, 01.01.1928a. Cf. Hans Schmid: Carl Theodor Dreyer. Kino der fünften Dimension. In: Michael Farin et al.: Carl Theodor Dreyers Jeanne d’Arc. München 1996, 7-22, hier: 10. 1013 Cf. von Hoff: Von der Akribie zur Passion, 229f.; Drouzy: Un film qui vient trop tôt, 155. 1014 Cf. Hanna: Iconology and Ideology, 229; Sanson: La «Fête de Jeanne d’Arc», 458; Winock: Jeanne d’Arc, 718. 1015 Cf. Vossische Zeitung, 25.11.1928; Germania, 23.11.1928; Kiening: Mittelalter im Film, 82.

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rischer Filme in Frankreich in dieser Zeit als ein Beitrag zur Rekonstituierung der Nation und zur Stärkung ihrer Einheit begriffen und vom Staat entsprechend unterstützt.1016 Insofern stehen die Filmheldinnen von Dreyer und de Gastyne an einer Konfliktlinie, die mit den Fronten der Weltkriege nicht identisch ist, aber doch mit ihnen in Verbindung steht. Als nationale Heldin kann Jeanne schnell für die militärische Wehrhaftigkeit Frankreichs stehen, sobald sich eine gewaltsame Entladung der Spannungen ankündigt.1017 Just in diesem Moment tritt auf der Gegenseite eine weitere Jeanne an: die Ucickys. Offenbar lässt sich die Filmheldin, gerade wenn sich die nationalen Konflikte zuspitzen, auch abseits ihrer französischen Heimat ins Feld schicken. Wie bei DeMille ist Jeanne im Mädchen Johanna nicht in erster Linie für ein bestimmtes Land im Einsatz. Sie formuliert recht neutral, sodass sie vor allem als die Befreierin von fremder Herrschaft dasteht: „Ich glaube, dass ich sterben muss, damit mein Vaterland frei wird“, sagt sie kurz vor ihrem Tod. Solche Glaubenssätze lassen sich ohne weiteres auf Deutschland ummünzen. Allzu leicht sogar, scheint die französische Zensurbehörde zu meinen. Denn diesmal ist sie es, die die Filmheldin nicht passieren lässt.1018 Wie eng die Rede von Jeanne in diesem Fall mit Machtinteressen verbunden ist, lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass der Film von vorneherein unter staatlicher Aufsicht entsteht. Joseph Goebbels unterstreicht in einer Ansprache vor Ucickys Mitarbeitern die Bedeutung des Projekts als eines Beispiels für das „gesamte deutsche Filmschaffen“. Zur Premiere, über die Feldjäger als „Ehrenposten“ wachen, erscheinen neben dem Propagandaminister unter anderem der Reichsfilmdramaturg und der Präsident der Reichsfilmkammer.1019 Trotzdem gelingt die Indienstnahme der Heldin nicht so ganz. Dieselbe Besprechung, die die Parallele zwischen Deutschland und dem spätmittelalterlichen Frankreich hervorhebt, die Filmheldin gleichsam gegen den „Schmachvertrag von Versailles“ ins Feld schickt, kritisiert Ucickys Jeanne gleichzeitig als zu wenig heroisch. Andere Blätter urteilen ähnlich, rügen das Mädchen Johanna zum Teil ausdrücklich als nicht nationalsozialistisch.1020 Allerdings wird allein dadurch, dass sie den Film auf seine Linientreue hin abklopfen, deutlich, wie wenig Jeanne sich im Jahr 1934 1016 Cf. Borger: Spectacular Stories, 21; Oms: Histoire et géographie, 78, 80, 82; Hayward: French National Cinema, 96-98; Alan Williams: A History of French Filmmaking. Cambridge, London 1992, 129f. 1017 Cf. von Jan: das Bild der Jeanne d’Arc, 112. 1018 Cf. Bosséno: Jeanne d’Arc, 110. 1019 Film-Kurier, 19.02.1935, 27.04.1935; Kölnische Volkszeitung, 28.04.1935; cf. Kanzog: «Staatspolitisch besonders wertvoll», 20. 1020 Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935; cf. Germania, 28.04.1935; Lichtbildbühne, 27.04.1935; Kreuz-Zeitung, 28.04.1935.

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dem Machtkalkül des aggressiven deutschen Nationalismus entziehen kann. Auch wenn dem Film das Prädikat „staatspolitisch besonders wertvoll“ später wieder aberkannt wird.1021 Die Wendung gegen den Nationalismus Im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg hallt das feindliche Gegenüber der Nationen nach. Der Niedergang des Nationalismus, der Praktiken und Überzeugungen des Heldenkults vollzieht sich nicht im Handumdrehen; die Filmheldin löst sich nicht sofort aus allen alten Verstrickungen. Selbst der Bischof von Lille, der von Flemings historischem Berater um eine Einschätzung gebeten wird, legt den Akzent auf die patriotische Seite der Heldin.1022 Und im Film erscheint Jeanne tatsächlich nach dem vertrauten Muster als Quelle französischen Nationalgefühls. „France will praise the maid for its birth as one nation“, prophezeit der Bischof von Avranches, der sich indigniert abwendet, nachdem er das Prozessgeschehen in Rouen in Augenschein genommen hat. Erstaunlicherweise wird die enge Verbindung zwischen Jeanne und dem Schicksal der französischen Nation in den begleitenden Artikeln vor allem von Journalisten anderer Herkunft explizit gemacht.1023 Sie informieren ihre Leser über diese traditionelle Sicht der Nationalheldin, die in den Augen der französischen Autoren offenbar gar nicht mehr so große Aufmerksamkeit verdient. Dass die Filmheldin nicht mehr in der gleichen Weise vom Kampf für die Nation profitieren kann wie in früheren Zeiten, ist dann umso deutlicher an bestimmten Passagen von Saint Joan abzulesen.1024 Nationalismus erscheint hier als ein ziemlich lächerliches Konzept. Der Earl of Warwick, der die englischen Truppen in Rouen befehligt, mokiert sich, so unterschiedliche Gruppen wie Bretonen oder Burgunder wollten mit einem Mal alle Franzosen sein. Und gerade seinen Kaplan Stockumber, der die schlimmsten nationalen Ressentiments hegt, die Franzosen beständig des Verrats bezichtigt, zeigt Saint Joan als reine Witzfigur, als unfähig, die Folgen seiner Hetzerei auch nur annähernd abzuschätzen. Der Kritiker der Humanité freut sich, dass der englische Chauvinismus eins ausgewischt bekommt. Und andere machen sich die distanzierte Sicht des Films zu Eigen, die den Nationalismus als einen wichtigen gesellschaftlichen Faktor längst vergangener Zeiten erscheinen lässt.1025 1021 1022 1023 1024 1025

Cf. Kanzog: «Staatspolitisch besonders wertvoll», 20. Cf. Bosséno: Jeanne d’Arc, 113. Cf. Ev. Filmbeobachter, 02.11.1950; Film-Dienst, 29.09.1950; New York Times, 12.11.1948. Cf. Wodianka: Zwischen Mythos und Geschichte, 195-197. Cf. L’Humanité, 25.05.1957; Ev. Filmbeobachter, 10.10.1957; Le Monde, 27.05.1957.

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Der weitere Verlauf ist konsequent: Bresson wird dafür gelobt, den Ballast überkommener Interpretationen abzustreifen.1026 Und im Falle der Pucelle setzt sich das fort. Mehr noch: Zur nationalen Instrumentalisierung der Heldin auf Distanz zu gehen, ist geradezu eine Notwendigkeit geworden. Denn der 1984 gegründete Front national hat sich ihrer angenommen und ist nicht so leicht zu ignorieren wie zuvor andere Extremisten.1027 Artikel und Interviews weisen, wenn sie die Grundbedingungen für die neue Jeanne-Verfilmung umreißen, mit erkennbarer Sorge auf diese Umtriebe hin.1028 Um im gesellschaftlichen Mainstream sagbar zu sein, muss die Filmheldin von der Heldin der Extremisten abgesetzt werden. Die Dialoge des Films sind entsprechend zurückhaltend, was Fragen der Nation oder des französischen Schicksals angeht. Und sicherheitshalber bekräftigen sowohl Sandrine Bonnaire als auch Drehbuchautor Pascal Bonitzer in Interviews: Der Film soll seine Heldin von ideologischer Inanspruchnahme befreien, „sa vision n’a rien à voir avec celle de Le Pen.“1029 Die KritikerInnen erkennen die Absicht, und meist bescheinigen sie anerkennend den Erfolg der Mission: Die Last der Legenden und Ideologien sei von Jeanne genommen, es sei eine wahre Freude „de voir Rivette arracher l’image de Jeanne des griffes du Front national“.1030 Insofern gewinnt sie in diesem Moment ihrer Geschichte gerade dadurch, dass sie gegen die emphatische Rede von der Nation in Stellung gebracht wird. So muss man es wohl auch verstehen, wenn einzelne Autoren den Bogen von La Pucelle zur neo-nationalistischen Gewalt im ehemaligen Jugoslawien spannen.1031 Ganz am Ende des Jahrhunderts hat sich an dieser Situation wenig geändert. Zumindest einzelne Kritiken zu Bessons Jeanne d’Arc weisen wiederum auf die Instrumentalisierung der Figur durch den Front national hin. Besson mag darauf nicht so geschickt reagieren wie Rivette, bekommt aber immerhin bescheinigt, „sich naiv und banal über diese Vereinnahmungen hinweggesetzt zu haben“.1032 Was allerdings nicht heißt, dass die Filmheldin in ihren späten 1026 Cf. Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962. 1027 Cf. Margolis: The „Joan Phenomenon“, 280; Contamine: Jeanne d’Arc dans la mémoire des droites, 430f.; Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«, 306-308. 1028 Cf. taz, 01.09.1994a; FAZ 14.02.1994; L’Humanité, 09.02.1994a, d und e; Libération, 09.02.1994c; La Croix, 09.02.1994b. 1029 Télérama, 09.02.1994a; cf. L’Humanité, 09.02.1994b. 1030 Libération, 09.02.1994a; cf. FAZ, 14.02.1994; Berliner Morgenpost, 03.11.1994; Die Woche, 01.09.1994; Film-Dienst, 30.08.1994a und b; L’Humanité, 09.02.1994a; Le Monde, 29.04.1993a, 10.02.1994a; Le Figaro, 09.02.1994; Cahiers du cinéma, 02/1994a und b; Positif, 02/1994. 1031 Cf. Libération, 09.02.1994a; Cahiers du cinéma, 02/1994a. 1032 FR, 14.01.2000; cf. FAZ, 13.11.1999; La Croix, 30./31.10./01.11.1999a.

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Jahren überhaupt nicht mehr an der Durchsetzung nationaler Interessen beteiligt wäre. Nicht mehr auf die militante Art früherer Zeiten zwar, aber es gibt auch diskretere Formen des Konflikts. Die Berichterstattung der taz anlässlich des Filmstarts von La Pucelle lässt die unterschiedlichen Konfliktlinien zu Tage treten. Einerseits wird der Film auch hier im Rahmen eines Interviews als Antithese zu Jeannes Vereinnahmung durch den französischen Extremismus beschrieben. „Ach Gatt!“, entfährt es der taz-Autorin dann andererseits in ihrer Kritik: „Ein Historienfilm über eine Nationalheldin soll nun gegen die Cyborgs aus Hollywood fechten“.1033 Es handelt sich also um zwei Fronten. Eine verläuft zwischen der marginalen Position des Front national und dem Mainstream – hier hat die Filmheldin nur etwas zu gewinnen, wenn sie von der Mitte her kommt. Die zweite Front tut sich zwischen der französischen Kultur und der übermächtigen US-Konkurrenz auf – und hier ficht Jeanne für den europäischen underdog. Beide Konflikte lassen sich als Fortsetzung unterschiedlicher Auseinandersetzungen beschreiben, die in der Vergangenheit unterschiedlich eng miteinander verwoben sind. Während der aggressive Nationalismus des Front national mit den schlimmsten Verwerfungen des 20. Jahrhunderts in Verbindung steht, lässt sich die Spur des kulturellen Konflikts etwa in den 1920er Jahren aufnehmen und bis zu Bessons Jeanne d’Arc verfolgen. ii. Kulturelle Konflikte Die Konkurrenz der Kinoindustrien bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts In den frühen Jahren der Filmgeschichte nimmt das französische Kino eine führende Position ein. Aber schon bald macht ihm die amerikanische Konkurrenz zu schaffen, und der Erste Weltkrieg verschlechtert die Situation zusätzlich. Er unterbindet die Produktion großer Kostümfilme, die zuvor einen wichtigen Teil des französischen Outputs ausmachen. Erst nach 1918 kann das Genre wiederbelebt werden, das als Schaufenster nationaler Größe kulturelle ebenso wie kommerzielle Bedeutung hat. Die Société des Films Historiques gründet sich mit dem Ziel, die Deutungshoheit über die Stoffe aus der französischen Geschichte nicht der ausländischen Filmindustrie zu überlassen. Auch Pathé greift auf Geschichten tatkräftiger Helden zurück – sowohl legendärer als auch historischer –, um dem französischen Film wieder auf die Beine zu helfen. Bis zum Ende der 1920er Jahre produziert und vermarktet das Unternehmen eine ganze Reihe von Filmen, die einen ausgesprochen französischen Charakter gemein haben. Sie müssen als Mittel gegen den amerikanischen 1033 taz, 01.09.1994a.

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Tonfilm herhalten, der in Frankreich die Warnungen vor einer erdrückenden Dominanz der US-Produktion erneut anschwellen lässt. Der Filmhistoriker Richard Abel erkennt bei Pathé eine „vocation aux prétentions ouvertement nationalistes“, und ein eindrückliches Beispiel für diese Unternehmenspolitik ist Bernard Natans Projekt Merveilleuse Vie.1034 Dass der Film mit nationalen Interessen in Verbindung steht, ist nicht zu übersehen, auch an der Berichterstattung ist das abzulesen.1035 Einerseits ist de Gastynes Filmheldin damit in das gespannte Gegenüber europäischer Nationen verwickelt, das in den verheerenden Kriegen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gipfelt. Andererseits steht sie an der Front zwischen der französischen Kulturproduktion und der immer stärkeren transatlantischen Konkurrenz. Merveilleuse Vie leistet nicht zuletzt einen Beitrag „pour le développement de notre art muet national“.1036 Schon indem die Filmcrew von einer geschichtsträchtigen Stätte zur nächsten zieht, bringt die Produktion das kulturelle Erbe Frankreichs gegen fremde Konsumkultur in Stellung. Wie auch diverse andere Produktionen dieser Zeit breitet der Film vor den Zuschauern vertraute Postkartenmotive aus, die die US-Konkurrenz höchstens nachbauen könnte.1037 La Passion kann mit historischen Drehorten nicht dienen, aber insbesondere die Berichterstattung in der Illustrierten Cinémonde arbeitet engagiert daran, das zu kompensieren. Immerhin sei der Film ausschließlich in Frankreich entstanden, wie Dreyers Kameramann hier stolz zu Protokoll gibt; die Kulissen, behauptet ein anderer Artikel, seien historischen Bauten getreu nachgebildet; und entworfen hat sie, wie ein dritter Text zu verstehen gibt, ein direkter Nachkomme von Victor Hugo – ein illustrer Name, der das Projekt zusätzlich im kulturellen Kanon Frankreichs verankert.1038 Diverse Anstrengungen zielen darauf, den eigenwilligen Film in die Reihe der nationalbewussten Historienfilme zu stellen. Auch die Passion soll ein Bollwerk gegen den „goût américain“ bilden, wie ein Interview, das zur Premiere in Kopenhagen erscheint, ausdrücklich zu erkennen gibt.1039 In dieser Hinsicht ist das Urteil der Variety wohl als Erfolg zu verbuchen, der Film habe für das

1034 Abel: Survivre à un «nouvel ordre mondial», 189, cf. ibid. 166f., 170, 188; Borger: Spectacular Stories, 21f.; Hillenweck: Von der «exception culturelle» zur «diversité culturelle», 203. 1035 Cf. supra, 171f., 303. 1036 Le Petit Parisien, 19.04.1929, cf. L’Intransigeant, 20.04.1929; Cine-Miroir, 01.01.1928a. 1037 Cf. Oms: Histoire et géographie, 85. 1038 Cinémonde, 06.12.1928; 20.12.1928; cf. 03.11.1929b; Ciné-Miroir, 25.11.1927. 1039 Zit. nach Drouzy: Un film qui vient trop tôt, 155; cf. Borger: Spectacular Stories, 22.

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US-Publikum – von französischen Minderheiten einmal abgesehen – keinerlei Wert.1040 Allerdings sieht der Kritiker der New York Times die Dinge vollkommen anders: Er erkennt in der Passion einen derartigen Gewinn für die Filmkunst, dass Amerika schon allein vom Import dieses Werks profitiere.1041 Womit er deutlich macht: Die Filmheldin Jeanne mag sich im französischen patrimoine am wohlsten fühlen und eine geborene Streiterin gegen die Macht der USFilmindustrie sein – sie lässt sich trotzdem schnell abwerben. Auf deutscher Seite begrüßen zwei Artikel La Passion ganz allgemein als wertvollen Beitrag im Kampf der Kunst gegen die Geschmacklosigkeit.1042 Und in Gestalt des Mädchens Johanna wird die Filmheldin nicht nur für die Verbreitung explizit politischer Botschaften eingesetzt, sondern muss außerdem das deutsche Kunstschaffen fördern – denn auch das hat sich die interventionistische Filmpolitik des NS-Regimes zum Ziel gesetzt.1043 Letztlich ist Ucickys Heldin, die ihre Premiere nicht umsonst während des Internationalen Filmkongresses hat, für diesen Teil ihrer Mission vielleicht sogar besser geeignet. Während der Film in politischer Hinsicht bei einem Teil der Presse durchfällt, bescheinigen einzelne Artikel dem Mädchen Johanna durchaus, dass sie „das gesamte deutsche Filmschaffen adelt“ und als Aushängeschild der Branche dienen kann.1044 Da der Film in Frankreich nicht zu sehen ist, lässt sich die französische Berichterstattung leider nicht dagegen halten. Aber selbst noch die Veröffentlichungen zu Flemings Joan of Arc machen deutlich, was es für die Filmheldin bedeutet, im Konflikt der Kulturen hinter die feindlichen Linien zu geraten. Angesichts des Eindringlings aus Hollywood üben deutsche und französische Kinofans den Schulterschluss. Wenn die Libération anregt, den Stoff noch konsequenter als Western umzusetzen, steht sie recht allein auf weiter Flur.1045 Im Allgemeinen spotten französische Texte gerade über die Nähe zum Western-Genre und rügen den „mépris d’une culture national“, sekundiert von der deutschen Kritik, die in einem Film über Jeanne d’Arc weder „moderne Amerikaner“ noch „Hollywood-Handwerk“ sehen will.1046 Alte und Neue Welt werden einander pointiert gegenübergestellt, selbstver1040 1041 1042 1043 1044 1045 1046

Variety, 10.04.1929. New York Times, 31.03.1929. Cf. Vossische Zeitung, 25.11.1928; Lichtbildbühne, 23.11.1928. Cf. Kanzog: «Staatspolitisch besonders wertvoll», 20. Film-Kurier, 27.04.1935; cf. Der Film, 27.04.1935 sowie supra, 304. Cf. Libération, 25.10.1949. L’Humanité, 05.11.1949; SZ, 16.10.1950; Ev. Filmbeobachter, 02.11.1950; cf. Die Zeit, 19.10.1950; Film-Dienst, 29.09.1950; La Croix, 27.10.1949; Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949.

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ständlich mit Jeanne d’Arc auf der Seite der ersteren: „un Océan la sépare de l’Amérique.“1047 Und die französischen Fürsprecher dieser Joan of Arc scheinen sie unter anderem deswegen zu schätzen, weil sie in dem Projekt einen Akt der Selbstverleugnung der amerikanischen Macher sehen, ein Einfallstor für französisches Kulturgut.1048 Es sind wohl solche Reaktionen auf Flemings Joan of Arc, die Rémy Pithon und Robin Blaetz in diesem Zusammenhang von Nationalismus sprechen lassen.1049 Verschärft wird der Konflikt noch dadurch, dass das Vorhaben einer neuen französischen Verfilmung kurz zuvor gescheitert ist. In einem Interview mit Cinémonde muss sich Ingrid Bergman fragen lassen, warum sie die Rolle der Jeanne d’Arc angenommen habe, obwohl auch eine französische Schauspielerin sie gerade habe verkörpern wollen.1050 Und der Autor der Humanité macht es Flemings Film ausdrücklich zum Vorwurf, dass er sich gegen eine französische Jeanne d’Arc hat durchsetzen können. Das einheimische Alternativprojekt ist für den Journalisten ohne Zweifel ein Opfer der USA, der „pression de la concurrence américaine à laquelle les accords Blum-Byrnes laissaient le champ libre.“1051 Insofern steht die Filmheldin auch den Auseinandersetzungen um das Freihandelsabkommen von 1946, das US-Filmen den Zugang zum französischen Markt erleichtert, nicht neutral gegenüber.1052 Und es wird abermals deutlich: Der Kampf der Kulturen ist auch ein Kampf der Kulturindustrien. Er kann der Filmheldin gefährlich werden, aber potentiell kann sie von ihm auch profitieren. Wie in diesem Fall die Besprechung der Variety erkennen lässt. Ganz in Einklang mit dem Kritiker der New York Times preist sie dasselbe Technicolor, das europäische Zeitungen von Le Monde bis FAZ aufdringlich finden, und begrüßt Joan of Arc als Aushängeschild der USFilmbranche: „It’s a much needed addition to the contemporaneous film scene, certain of reintensifying general interest in the American motion picture industry – still the world’s leader“.1053

1047 Le Monde, 25.10.1949; cf. Die Zeit, 19.10.1950. 1048 Cf. Le Figaro, 25.10.1949; Cinémonde, 24.10.1949b. 1049 Cf. Blaetz: Strategies of Containment, 50f.; Rémy Pithon: Joan of Arc de Victor Fleming. De la résistance à la nuée. In: Cahiers de la Cinémathèque 42-43 (Sommer 1985), 50-56, hier: 50. 1050 Cinémonde, 24.10.1949b. 1051 L’Humanité, 05.11.1949. 1052 Cf. Hillenweck: Von der «exception culturelle» zur «diversité culturelle», 203. 1053 Variety, 20.10.1948; cf. New York Times, 12.11.1948; FAZ, 19.10.1950; Film-Dienst, 29.09.1950; Le Monde, 25.10.1949; Le Figaro, 13.11.1948; Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949.

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Die Wiederkehr von Rivalitäten gegen Ende des Jahrhunderts Mit dem Abklingen der Nationalismen in den Jahrzehnten nach dem Krieg mildert sich auch der Ton an den Fronten der kulturellen Konkurrenz. Ein französischer Kritiker scheint ein wenig irritiert, dass Jeanne d’Arc in Saint Joan ausgerechnet ein „joli visage d’étudiante américaine“ haben muss; ein anderer hält Richard Widmark als Charles für eine eindeutige Fehlbesetzung – aber er betont im gleichen Atemzug, dass er das keineswegs aus Chauvinismus sage.1054 Die auftrumpfende Geste gegenüber der konkurrierenden Kultur hat keine Konjunktur. Stattdessen pflegen die JournalistInnen eine andere Art, das nationale Erbe hochzuhalten: Sie preisen Jeannes überlieferte Worte. Schon einzelne Kritiken zu Flemings Joan of Arc schwärmen von den „mots extraordinaires“, ein Artikel über Saint Joan nimmt das Motiv auf, und vor allem die Berichterstattung über Le Procès feiert die Aussagen der Angeklagten als ein „monument de la langue française“.1055 Die Filmheldin wird zur Bannerträgerin französischer Sprachkultur erhoben. Auf diese Art kann sie die Interessen der Nation vertreten, ohne eine direkte Konfrontation zu suchen. Ein Artikel der Jeanne d’Arc-Expertin Regine Pernoud, die zu Bressons Procès Stellung nimmt, ist in dieser Hinsicht aufschlussreich: Als Beispiel, welche Texte im Schulunterricht zu unrecht einen prominenteren Platz einnähmen als die Worte Jeannes, wählt sie die Prosa von Seneca und Xenophon.1056 Ganz offensichtlich möchte sie Jeannes Vermächtnis weder gegen ein Werk aus dem französischen Kanon antreten lassen noch aus dem einer anderen lebenden Sprache. Für den Augenblick zeigt sich am kulturellen Horizont offenbar kein Gegner, gegen den man Jeannes Hilfe dringend bräuchte. In den Zeiten der Pucelle allerdings wird die Lage schon wieder anders wahrgenommen. Die selbstgenügsame Begeisterung für Jeannes literarisches Talent klingt in der Presse zwar noch nach.1057 Aber seit den 1980ern sind am kulturellen Horizont Konflikte emporgezogen; es herrscht eine gewisse Verunsicherung. Ein Faktor mag die Destabilisierung nationaler Identität durch Migrationsbewegungen sein. Vor allem aber geraten die Konsequenzen der ökonomischen und kulturellen Globalisierung stärker ins öffentliche Bewusstsein. Eine Globalisierung, die oft auch mit einer Amerikanisierung 1054 Le Monde, 27.05.1957; Les Nouvelles littéraires, 20.06.1957. 1055 Le Figaro, 25.10.1949; Libération, 23./24.03.1963; cf. Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949; 20.06.1957, 06.12.1962; SZ, 04.11.1965; Film-Denst, 27.10.1965b; Le Monde, 17./18.03.1963; Le Figaro, 19./20.05.1962; France-Soir, 16.03.1963; La Croix, 28.03.1963; Cahiers du cinéma, 02/1963. 1056 Cf. Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962. 1057 Cf. Libération, 09.02.1994d; Cahiers du cinéma, 02/1994c.

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gleichgesetzt wird. Ganz allgemein erfährt die Rede von der Nation in diesem Kontext neue Wertschätzung. Und als eine konkrete Antwort entwickelt sich in Frankreich mit dem film du patrimoine ein eigenes und durchaus erfolgreiches Genre. Wieder schöpfen Kostümfilme aus dem kulturellen Erbe der Nation und können sowohl auf die Lage der Filmindustrie als auch auf die gekränkte nationale Seele eine wohltuende Wirkung haben.1058 Diese Entwicklung ist eng mit der zupackenden Politik von Kulturminister Jack Lang verknüpft. Er erhöht nicht nur die Subventionen und setzt einen neuen Leiter an die Spitze der zuständigen Behörde, sondern gibt auch eine programmatische Linie vor: eben zugunsten von Filmprojekten, die eindeutig in der nationalen Kultur verankert sind und zugleich populär genug, um Hollywood etwas entgegenzusetzen. Wie Germinal zum Beispiel: Stars des französischen Films setzen einen bekannten Roman mitten aus dem französischen Kanon um.1059 Dass diese Form der Filmförderung und -produktion nicht bloß ein unschuldiger Akt der Kulturpflege ist, sondern Teil eines harten Konkurrenzkampfes, zeigt sich spätestens auf dem internationalen Parkett. Im Rahmen der handelspolitischen Konferenzen, die zunächst noch unter der Überschrift General Agreement on Tariffs and Trade bekannt sind und dann in die Entstehung der World Trade Organisation münden, sorgt die französische Förderpolitik für Unmut. Unter anderem sind manche europäischen Nationen vorübergehend irritiert, vor allem aber regt sich Widerstand bei den USA. Und trotzdem kann sich das Konzept der exception culturelle 1993 fürs Erste durchsetzen: Man einigt sich, die kulturelle Produktion zunächst nicht denselben Regeln zu unterwerfen wie andere Branchen. Die französische Regierung hat mit einigen europäischen Verbündeten einen Schutzraum durchgesetzt, in dem die spezifische Kultur der einzelnen Nationen vor dem Einfluss des globalen Austauschs bewahrt bleiben soll.1060 Die Filmheldin Jeanne kann gegenüber solchen Auseinandersetzungen nicht neutral bleiben. Als Protagonistin von französischen Comics oder Kinder- und Jugendbüchern des späten 20. Jahrhunderts vermag Jeanne d’Arc sich zwar den üblichen Strategien nationaler Vereinnahmung in der Regel zu entziehen.1061 Aber als Kinofigur steht sie dafür zu dicht am Geschehen. Die 1058 Cf. Krulic: La Nation, 4, 169; Hillenweck: Von der «exception culturelle» zur «diversité culturelle», 195, 197; Maria Esposito: Jean de Florette. Patrimoine, the Rural Idyll and the 1980s. In: Lucy Mazdon (ed.): France on Film. Reflections on Popular French Cinema. London 2001, 11-26, hier: 11, 13. 1059 Cf. Mazdon: Introduction, 6-8; Cousins: The Heritage Film, 26-29; Esposito: Jean de Florette, 24. 1060 Cf. Hillenweck: Von der «exception culturelle» zur «diversité culturelle», 193f., 196f.; Cousins: The Heritage Film, 26. 1061 Cf. Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«, 240-265, 313-320.

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taz bringt La Pucelle, wie erwähnt, gleich mit dem Gatt-Streit in Verbindung, als der Film in die deutschen Kinos kommt. Und auch die Kritiker, die La Pucelle grundlegend besser finden als Germinal und andere zeitgenössische Historienfilme, stellen sie durch den Vergleich trotzdem in den Kontext des film du patrimoine.1062 So sehr sich Rivettes Heldin auch durch ihre Abneigung gegen Instrumentalisierungen auszeichnet, dem Dienst an der französischen Filmkultur ist sie dennoch unterworfen: „«Jeanne la Pucelle» est le film qui porte au plus haut en ce moment l’oriflamme du cinéma français.“1063 Und der Regisseur hat dagegen gar nichts einzuwenden. Er geht sogar noch weiter, charakterisiert seinen monumentalen Zweiteiler als „acte de résistance artistique face aux géants américains. Germinal et Jeanne: même combat!“1064 Bessons Heldin kommt nicht umhin, in dieser Hinsicht in die Fußstapfen ihrer Vorgängerin zu treten. Die transatlantische Rivalität der Filmindustrien wird von der Berichterstattung zu dieser Jeanne d’Arc immer wieder thematisiert – bis hin zur Frage: „Sauvera-t-elle le cinéma français?“1065 Zwar kann man mit Recht zweifeln, ob ausgerechnet Bessons Filmheldin als Kämpferin für das französische Kino geeignet ist. Die KommentatorInnen merken an, dass Besson mit internationalen Crews und vielen special effects auf Englisch dreht. Womöglich interessiere er sich gar nicht für den frankoamerikanischen Antagonismus, spekuliert ein Text.1066 Schon bei früheren Produktionen hat sich Besson solche Einwände anhören müssen.1067 Doch wenn Kulturministerin Catherine Trautmann seiner Jeanne staatliche Weihen verleiht, indem sie mit ihm eine Vorführung besucht, kann sie in der Englischsprachigkeit der Heldin kein Problem entdecken. Wenn ein Vertreter von Gaumont die französische Synchronisierung in einem Interview mit Le Monde zur zweiten Originalversion erklärt, stößt er keineswegs auf kritische Nachfragen. Und wenn ein Editorial der Cahiers du cinéma reiflich prüft, ob Besson den Schutz der exception culturelle verdient, lautet das Ergebnis letztlich: ja.1068 Mehrere Artikel messen die Durchsetzungsfähigkeit von Jeanne 1062 1063 1064 1065

Cf. taz, 01.09.1994a; epd Film, 11/1994; Film-Dienst, 30.08.1994b. L’Humanité, 09.02.1994a; cf. La Croix, 09.02.1994a. Télérama, 09.02.1994d. Le Figaro, 26.10.1999b; cf. FR, 15.11.1999; SZ, 12.01.2000; Berliner Morgenpost, 15.11.1999; epd Film, 01/2000; Le Monde, 11.01.2000; Cahiers du cinéma, 12/1999a; Positif, 12/1999. 1066 Berliner Morgenpost, 15.11.1999; cf. FR, 15.11.1999; SZ, 12.01.2000; Die Zeit, 13.01.2000; epd Film, 01/2000; Libération, 27.10.1999b; Le Monde, 18.12.1999a; Cahiers du cinéma, 12/1999a; Positif, 12/1999. 1067 Cf. Mazdon: Introduction, 2; Susan Hayward: Besson’s «Mission Elastoplast». Le Cinquième élément (1997). In: Phil Powrie (ed.): French Cinema in the 1990s. Oxford et al. 1999, 246-257, hier: 246. 1068 Cf. Cahiers du cinéma, 12/1999a; Le Monde, 13.10.1999, 21.11.1999.

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d’Arc unmittelbar an Star Wars. Oder lassen sie gegen Spielbergs Private Ryan antreten: „Il faut sauver le soldat Jeanne d’Arc“.1069 Deutlicher kann man kaum ausdrücken: Die Filmheldin ist auch zur Jahrhundertwende wieder für die nationale Kultur und gegen einen mächtigen Gegner im Einsatz. Während sich ihre Indienstnahme für einen potentiell kriegerischen Nationalismus nach dem Zweiten Weltkrieg erübrigt, kann Jeanne jetzt umso mehr davon profitieren, dass sie als traditionsgesättigte Figur im Wettstreit der Kulturen von Nutzen ist. Es gehört zu den Mitteln, mit denen dieser Konflikt schon seit den 1920er Jahren ausgefochten wird, dass seine kommerzielle Seite nach Möglichkeit verschleiert wird. Die Filmpresse präsentiert Bernard Natan eben nicht als gewieften Geschäftsmann, sondern als erfahrenen Förderer der nationalen Sache. Und der Ausdruck der exception culturelle versucht, eine saubere Trennung zwischen schützenswerter Filmkultur und liberalisierter Warenwelt herzustellen. Deshalb tritt die Filmheldin, in soweit sie in den Wettstreit der Filmkulturen eingebunden ist, zugleich in ein spannungsvolles Verhältnis zum Geld. Sie hat in gewissem Maße als antikommerzielle Heldin zu fungieren – eine Rolle, für die sie durchaus Talent besitzt. Das bestätigt sich, wenn man sich Jeanne entlang anderer Konfliktlinien nähert, wenn man sie als Heldin der einfachen Leute betrachtet, als Heldin derer, die in industrialisierten Gesellschaften nicht zuletzt durch ihren niedrigen ökonomischen Status definiert werden.

II. Heldin der Benachteiligten i. Heldin der einfachen Leute Die soziale Kennzeichnung der Filmheldin Dass sie sich mit Emanzipationstendenzen des einfachen Gläubigen verbinden ließ, war für die Rede über eine kämpferische Heldin aus dem Volk im 15. Jahrhundert ein wichtiger Faktor. 500 Jahre später ist die Macht des Klerus allerdings deutlich geschrumpft, und entsprechend geringer ist der strategische Wert solcher Aussagen, die ihr gefährlich werden können. Zudem hat Jeanne gegenüber kirchlichen Positionen umso weniger subversives Potential, als sie vom Vatikan mit den höchsten Ehren bedacht wird. Zweifellos ist es nicht vollkommen verschwunden: Die Rede von einer Heldin, die ihre göttli1069 Cahiers du cinéma, 12/1999a; cf. FR, 15.11.1999; Le Monde, 13.10.1999, 18.12.1999a; Le Figaro, 26.10.1999b; epd Film, 01/2000.

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che Mission über den Willen geistlicher Würdenträger stellt, ist nicht so leicht mit dem Geltungsanspruch kirchlicher Hierarchien in Übereinstimmung zu bringen. Nicht ganz ohne Grund machen sich VertreterInnen der Filmbranche Sorgen, ob der eine oder andere Jeanne-Film aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts als antiklerikal ausgelegt werden könnte.1070 Aber es gibt andere Konflikte, die für Aussagen über eine Heldin von der Basis größere Bedeutung haben können. Anders als in kirchliche sind die ZeitgenossInnen der Filmheldin in soziale und ökonomische Hierarchien mehr oder weniger ausnahmslos eingebunden. Insofern hat sie viel zu gewinnen, wenn sie für die Interessen der breiten Masse gegenüber weltlichen Autoritäten einsteht. Dafür ist sie bestens geeignet: Fast immer stellen die Filme heraus, dass Jeanne ursprünglich weder durch Wohlstand noch durch ererbte Macht privilegiert ist. Sie zeigen die Heldin in ihrer dörflichen Heimat, oft beim Hüten der Tiere oder bei Handarbeiten. Und wenn diesem Leben vor dem Aufbruch keine eigene Szene gewidmet ist, dann berichtet Jeanne wenigstens davon.1071 Lediglich zwei Ausnahmen gibt es von diesem Muster: die Versionen von Hatot und Dreyer. Und sie verdeutlichen auf andere Weise, auf welcher Seite die Filmheldin steht: im einen Fall durch die Feindschaft der Feinen, im anderen durch die offensichtliche Solidarität des Volkes. Hatot lässt vier Zuschauer mit aufwendiger Kleidung – Adelige, darf man annehmen – gemeinsam mit dem Bischof vor dem Scheiterhaufen Aufstellung nehmen. Ohne Zeichen des Protests verfolgen sie das Geschehen. Insofern konstruiert schon diese schlichte Szene ein feindliches Gegenüber der Heldin einerseits und einer wohlhabenden Elite andererseits. Einen ähnlichen Effekt hat jener Moment bei Capellani, in dem die eingekerkerte Jeanne vor dem Würdenträger kniet, der bald darauf über ihre Hinrichtung wachen wird, und ihm flehend die Hand auf den luxuriösen Pelzkragen legt. Oder Jeannes Ankunft am Hof, wie Méliès sie schildert: Dort wird verschwenderisch gefeiert, der reich gekleidete Dauphin bietet ihr einen Kelch an, sie aber wirft den Wein mit entschiedener Geste zu Boden. Auch in späteren Filmen macht Jeannes Eintreffen in Chinon ihre Distanz zur Welt der Mächtigen deutlich: Weil sie sich sichtlich unsicher zwischen den Höflingen bewegt, deren dekorative Kleidung sich von ihrer kargen Ausstattung radikal abhebt.1072 Aber in den abendfüllenden Filmen gibt es eben auch reichlich Gelegenheit, die Filmheldin auf dem umgekehrten Weg in der sozialen Hierarchie zu verorten: über ihre Nähe zum Volk. Dazu braucht es nicht unbedingt Bilder 1070 Cf. supra, 299. 1071 Cf. supra, 251, 259. 1072 Cf. Fleming; Preminger; Besson.

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der dörflichen Idylle in Domremy. In La Passion haben die Szenen, in denen Jeanne öffentlich ermahnt und später hingerichtet wird, eine ähnliche Wirkung. Denn die Menschen, die zu diesen Anlässen zusammenströmen, sympathisieren unübersehbar mit der Heldin. Als sie abschwört und damit zunächst ihr Leben rettet, freuen sich die Umstehenden. „Vive Jeanne“, ruft einer, der umgehend von Soldaten abgeführt wird. Wenn nach der Hinrichtung ein Zuschauer den Engländern vorwirft, sie hätten eine Heilige verbrannt, gehen die brutal gegen die ganze Menge vor. Jeanne und die einfachen Leute sind mit derselben rücksichtslosen Macht konfrontiert. Bei Ucicky und Preminger ist der Frontverlauf in Jeannes letzten Augenblicken zwar nicht so eindeutig: Hier drängt sich die Menge feindselig oder zumindest in unbestimmter Erregung um den Scheiterhaufen. Aber insgesamt zeigen die Langfilme Jeanne doch recht deutlich als Verbündete der einfachen Leute. Sobald sie in Joan of Arc und Saint Joan vom Hof enttäuscht wird, richten sich ihre Hoffnungen auf das Volk: „the people of France“, „the common people“. Und die einfachen Leute kommen umgekehrt zu ihr. Eben die Zaungäste, die mit der Gefangenen sympathisieren und offensichtlich hoffen, sie möge dem Feuer entgehen.1073 Die Männer, die in Merveilleuse Vie und Joan of Arc zu Fuß oder auf Karren heranströmen, um sich der Armee der Jungfrau anzuschließen; die Bürger von Vaucouleurs, von Orléans oder von Reims, die sie bestaunen, ermutigen oder nach vollbrachter Tat feiern.1074 Und genau das kann Jeanne wiederum mit den Mächtigen in Konflikt bringen. Flemings Charles möchte es zwar nicht gleich eingestehen, wird aber doch misstrauisch, wenn vor der Krönungskathedrale lauter nach Jeanne gerufen wird als nach ihm. Nur am Procès fällt auf, dass die Mittel sozialer Verortung im Vergleich zu den anderen abendfüllenden Filmen zurückhaltend zum Einsatz kommen. Hier berichtet die Filmheldin lediglich von den Arbeiten, die sie in ihrer Heimat erledigen musste. Ansonsten lässt Bressons karger Stil nicht viel Raum dafür, soziale Distinktion etwa über die Kostüme greifbar zu machen. Und wenn seine Heldin zum Scheiterhaufen schreitet, bleibt die umstehende Menge fast unsichtbar. Bis auf einige Füße zum Beispiel, und einer davon stellt Jeanne auch noch ein Bein – gewiss kein Zeichen von Solidarität. Insofern bildet Le Procès die Ausnahme von der Regel, dass die Filmheldin auf der Seite derer gezeigt wird, die ihren Platz in den unteren Bereichen der gesellschaftlichen Hierarchie haben. Obwohl Jeanne einen König krönen hilft, tut sich zwischen ihr und den Oberen generell eine Kluft auf. Aber inwiefern hängt 1073 Cf. DeMille; de Gastyne; Fleming. 1074 Cf. DeMille; Ucicky; Fleming; Preminger; Rivette; Besson.

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die mit weiterreichenden Verwerfungen zusammen? Worauf stößt man, wenn man ihrem Verlauf über die Grenzen der Fiktion hinweg folgt? Konfliktlinien zwischen dem Volk und den Mächtigen Zunächst trifft man auf die Rede von Jeanne d’Arc als einer Heldin der Republik, einer Art Revolutionärin oder Demokratin, die vom Adel ans Messer geliefert wird. Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich dieses Bild als eine Facette der Heldin etabliert, etwa durch die Darstellung Michelets. Die französischen Verfechter der Republik greifen gegen Ende des 19. und zum Teil noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts darauf zurück, um das Prinzip Volksherrschaft gegen seine Gegner zu stärken.1075 Und in der US-Rezeption macht sich dieselbe Tradition bemerkbar: Unter anderem wird die transatlantische Heldin als eine Vorkämpferin für die Souveränität des Volkes importiert.1076 Für die frühen Filmheldinnen kann all das von Vorteil sein. Capellanis Jeanne mag zu katholisch-konservativ sein, um in der republikanischen Position Rückhalt zu finden. Aber eine tendenziell antiklerikale Jeanne wie die Hatots ist eine geeignete Mitstreiterin für die Verfechter der Demokratie. Und DeMilles Heldin, die zum Beispiel beim Bad in der Menge der jubelnden Bürger von Orléans Volksnähe beweist, könnte jenen höchst willkommen sein, die an der Front des Ersten Weltkriegs mit Frankreich auch ein Stammland der Demokratie verteidigen wollen. In der Presse ist davon allerdings wenig zu spüren. Abgesehen vielleicht von jener Kritik – ausgerechnet einer deutschen –, die an Joan the Woman die Szenen „aus dem haltlosen Hofleben“ lobt.1077 Immerhin ein Indiz, dass die Geschichte der Filmheldin sich in der Tat mit der Kritik an undemokratischen Eliten verbinden kann. Ansonsten zeigen Sumiko Higashis Studien zur kulturellen Einbettung von Joan the Woman, dass der Film zu den besseren Kreisen der US-Gesellschaft ein eher freundliches Verhältnis hat: Durch den Rückgriff auf Traditionen einer kulturellen Elite soll er die konservative Mittelschicht ins Kino holen.1078 Und ohnehin hat die Filmheldin Jeanne, wenn der Erste Weltkrieg beendet ist, weniger Gelegenheit als zuvor, aus ihrer Verwendbarkeit als Vorkämpferin der Volksmacht Nutzen zu ziehen. Insbesondere in 1075 Cf. supra, 301; Rieger: Jeanne d’Arc und der Patriotismus, 126f.; Ribéra-Pervillé: Jeanne d’Arc au Pays des Images, 66; Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 67, 74-76, 132f., 186-188; Winock: Jeanne d’Arc, 701-708; Egide Jeanné: L’Image de la Pucelle d’Orléans dans la Littérature historique française depuis Voltaire. Paris 1935, 68-70, 203. 1076 Cf. Blaetz: Visions of the Maid, 37; Warner: Joan of Arc, 251; Rieger: Nationalmythos und Globalisierung, 650f. 1077 Film-Kurier, 27.10.1922. 1078 Cf. Higashi: Cecil B. DeMille and American Culture, 117-141.

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Frankreich wird sie in dieser Rolle nicht mehr gebraucht, da die Streitigkeiten um die Staatsform weitgehend ausgestanden sind. Zumal die patriotische Filmproduktion setzt die Republik als gegeben voraus. Als offizielle Nationalheldin ist Jeanne d’Arc etwa im Konflikt mit fremden Staaten nützlicher als im Kampf für die Rechte der populären Schichten.1079 Der Kritiker der kommunistischen Humanité kommt gar nicht auf die Idee, de Gastynes Filmheldin für die Sache des Volkes einzuspannen, sondern sieht sie nur als Bedrohung.1080 Jeannes bäuerliche Herkunft findet in Artikeln über Merveilleuse Vie erstaunlich selten Erwähnung.1081 Die Artikel zu La Passion schenken dieser Seite der Heldin immerhin etwas mehr Beachtung; einer beschreibt, wie „das empörte Volk“ von Jeannes Feinden „niedergeknüppelt“ wird, ein anderer zählt ideologische Interpretationsmöglichkeiten der Heldin auf und erklärt dabei, Jeanne sei „pour le democrate la cristallisation de la vertu populaire.“1082 Aber erst wenn das Mädchen Johanna in die Kinos kommt, ist das Volk in der Presse – in diesem Fall heißt das: in der deutschen – plötzlich ein zentraler Begriff: Jeanne „steigt auf aus dem Schoße des Volkes“, zur „Rettung eines in Knechtschaft und Elend verzweifelnden Volkes“, um also das „französische Volk zur Selbstbefreiung aufzurufen und zu begeistern“.1083 Der Film selbst konstruiert einen scharfen Antagonismus zwischen den Adeligen und den einfachen Menschen. Die Befehlshaber in Orléans wollen einen Vorort, in dem Arme und Flüchtlinge leben, ohne Gegenwehr den marodierenden Engländern überlassen. Um die Bürger einzuschüchtern, lässt der Herzog von Alençon wahllos einige von ihnen ermorden. Der Dauphin hingegen macht sich die Verzweiflung des Volkes und die populäre Heldin Jeanne zu nutze, um sich aus der Abhängigkeit von selbigen Adeligen zu befreien. Er glaube, erklärt er, „dass die Völker nicht um der Könige willen da sind, sondern die Könige um der Völker willen. Und was die Fürsten angeht, da meine ich, offen gesagt: Die Saat ist überreif.“ Eine Konstellation nicht nur wie, sondern tatsächlich für NS-Deutschland gemacht: Eine Führerfigur verbündet sich mit den Untertanen gegen die alten Eliten. Und Jeanne darf assistieren. Auf diese Weise findet sich die Heldin des Volkes mit einem Mal 1079 Cf. Oms: Histoire et géographie, 81; Rieger: Jeanne d’Arc und der Patriotismus, 130; Krumeich: Jeanne d’Arc in der Geschichte, 235. 1080 Cf. L’Humanité, 10.11.1929. 1081 Cf. Le Petit Parisien, 26.04.1929; La Croix, 10./11.11.1929; Pour Vous, 25.04.1929. 1082 Les Nouvelles littéraires, 17.11.1928; Germania, 23.11.1928; cf. Vossische Zeitung, 25.11.1928; Pour Vous, 15.12.1928; Cinémonde, 20.12.1928; New York Times, 26.03.1929, 31.03.1929. 1083 Germania, 28.04.1935; Der Film, 27.04.1935; Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935; cf. Frankfurter Zeitung, 28.04.1935; Kölnische Volkszeitung, 28.04.1935; Kreuz-Zeitung, 28.04.1935; Film-Kurier, 27.04.1935.

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auf der Seite eines diktatorischen Regimes wieder – wie auch in anderen Darstellungen dieser Jahre.1084 Zwar kommen im Laufe des Films die Fronten ein wenig durcheinander. Einfache Männer, die gerade noch unter Jeannes Führung gegen den Feind gezogen sind, missgönnen ihr den sozialen Aufstieg. Der König lässt sie fallen. Die Waffenbrüderschaft zwischen der Filmheldin und der nationalsozialistischen Vorstellung vom geführten Volk bekommt Risse. Das Mädchen Johanna verbindet Helden- und Volkstum nicht so, wie es sich in dieser Zeit eigentlich gehört – zu diesem Ergebnis kommen mehrere Besprechungen.1085 Aber eine so begeisterte Reaktion wie die des Film-Kuriers zeigt, dass man die Widersprüche auch glätten kann.1086 So ganz einwandfrei völkisch ist das Mädchen Johanna nicht, aber die Heldin der einfachen Leute ist trotzdem gegen eine entsprechende Indienstnahme nicht gefeit. Bis die nächste Verfilmung entsteht, haben sich die Rahmenbedingungen natürlich grundlegend geändert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist mit einer nationalsozialistischen Volksheldin nicht mehr zu rechnen. Und auf den ersten Blick sieht es so aus, als bestünde nach einer Kämpferin für andere Vorstellungen vom Volk in den folgenden Jahrzehnten keine große Nachfrage. Die Rechte der demokratischen Mehrheit sind in Frankreich, Deutschland und den USA weitgehend gesichert, die politischen Verhältnisse so eindeutig, dass sich kein Gegner aufdrängt, gegen den die nächsten Jeannes als Vertreterinnen der breiten Masse auf die Barrikaden gehen könnten. Die La Croix-Kritik über Saint Joan unterstellt zwar den „commentateurs de la presse d’extrême-gauche“, Jeanne ohne Skrupel zu annektieren; und in der Tat nennt Humanité Premingers Protagonistin eine „fille du peuple“, eines Volkes zudem, das Adel und Kirche gefährlich werden könne.1087 Aber deren Macht ist zu diesem Zeitpunkt nur noch ein blasser Schatten dessen, was sie einmal war. Und Flemings Joan of Arc stößt bei Humanité sowieso auf keine Sympathie. Der Kritiker kann sich lediglich über kleine Details freuen: So ent-

1084 Cf. Knabel: Der Import einer nationalen Ikone, 104-106; Kanzog: «Staatspolitisch besonders wertvoll», 30f.; von Jan: das Bild der Jeanne d’Arc, 114; Rieger: Jeanne d’Arc und der Patriotismus, 130f.; Ribéra-Pervillé: Jeanne d’Arc au Pays des Images, 66f.; Gerd Krumeich: Das Vichy-Regime und die Nationalheldin. In: Gerhard Hirschfeld / Patrick Marsh (eds.): Kollaboration in Frankreich. Politik, Wirtschaft und Kultur während der nationalsozialistischen Besatzung. 1940-1944. Frankfurt a.M. 1991, 130-138, hier: 131f.; Patrick Marsh: Jeanne d’Arc During the German Occupation. In: Theatre Research International 2 (1977), 139-145, hier: 140f. 1085 Cf. Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935; Germania, 28.04.1935; Kreuz-Zeitung, 28.04.1935. 1086 Cf. Film-Kurier, 27.04.1935. 1087 La Croix, 06.06.1957; L’Humanité, 25.05.1957.

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deckt er in einem Satz des französischen Dialogs eine kapitalismuskritische Botschaft, die dort wohl unbewusst oder aus Zynismus hineingeraten sei.1088 Das Gegenüber des Kapitals und der Massen Damit allerdings schneidet er ein erstaunlich ergiebiges Thema an: Von Kapital ist in Artikeln über Joan of Arc immer wieder die Rede. Schon weil die Höhe der Produktionskosten die Journalisten offensichtlich beeindruckt hat. Einige erwähnen mehr oder weniger anerkennend, welchen finanziellen Aufwand die Produzenten getrieben haben.1089 Andere lassen hingegen eine gewisse Skepsis durchblicken, ob man dem Stoff auf diese Weise beikommt. Mehrere Artikel konfrontieren die Quantität der eingesetzten Mittel, die objektiv beachtlich ist, mit der Qualität des Ergebnisses, und lassen die Bilanz als eher dürftig erscheinen.1090 Sie vermitteln den Eindruck: Jeanne kaufen zu wollen, ist nicht der richtige Weg. In der Tat hat die Heldin ja auch innerhalb der Fiktion ein problematisches Verhältnis zum Geld. Fast alle abendfüllenden Filme erwähnen, dass englisches Gold den Weg zu ihrem tragischen Ende bereitet. Erst das Lösegeld, das die Engländer bezahlen, ermöglicht den Prozess in Rouen.1091 Jeannes engste Getreue mögen, wie DeMille und Besson erzählen, eilig zusammenlegen, um die Feinde zu überbieten. Aber es langt hinten und vorne nicht: Die Macht des Geldes arbeitet gegen die Heldin der einfachen Leute.1092 Das zeigt sich auch in ihren Auseinandersetzungen mit dem königlichen Hof. Ihr Drängen, unverzüglich mit militärischen Mitteln gegen die Feinde vorzugehen, kann unter anderen aus finanziellen Gründen auf taube Ohren stoßen: Dafür fehle das Geld, heißt es dann, und mitunter will sich Charles oder einer seiner Berater sogar persönlich bereichern, indem er den Feinden entgegenkommt.1093 Eine Motivation, die der Filmheldin natürlich fremd ist. Wenn bei DeMille nach der Schlacht um Orléans die Beute vor ihr ausgebreitet wird, lässt sie alles wegtragen. Frauen träumten von Geld, sagt Premingers Jeanne, sie nur von der Schlacht. Jeder Prunk verheißt der Heldin eher Gefahren als Genüsse. Das unterstreichen auch jene Sequenzen, die der tatendurstigen oder bereits gefangenen Jeanne den süßen Müßiggang am 1088 L’Humanité, 05.11.1949. 1089 Cf. Le Figaro, 13.11.1948; France-Soir, 15.10.1949a; Cinémonde, 24.10.1949b; New York Times, 12.11.1948; Variety, 20.10.1948. 1090 Cf. Die Zeit, 19.10.1950; Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950; Film-Dienst, 29.09.1950; Libération, 25.10.1949; Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949. 1091 Cf. DeMille, de Gastyne, Ucicky; Fleming; Preminger; Bresson; Rivette; Besson. 1092 Cf. Klinger: Die modernisierte Ikone, 273f. 1093 Cf. Fleming; Preminger; Besson.

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Hof gegenüberstellen. Während sie leidet oder zumindest mitleidet – mit den bedrängten französischen Städten –, lässt es sich der Hofstaat in prächtigen Gärten und Gemächern gut gehen, bei Spielen, Speisen oder Musik.1094 Und wenn sich Jeanne bei Ucicky für die silberne Rüstung begeistert, die Charles ihr für die Krönung schenkt, lässt sich das als erstes Anzeichen ihres Untergangs lesen. Der Befund, dass Jeanne auf der Seite der einfachen Leute steht, konkretisiert sich damit: Sie teilt die Interessen derer, die in der Welt ökonomischer Prozesse eher Objekte sind als souveräne AkteurInnen. Damit variiert sie einerseits Genrekonventionen: Ein Reiz des Mittelalterfilms kann gerade darin bestehen, dass er eine Art Bollwerk gegen die Kräfte des Kapitalismus bildet; ein zentraler Konflikt von Kostümfilmen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besteht im Gegenüber von Pflicht und Luxus.1095 Andererseits ist die Geschichte der Filmheldin über ihre ökonomische Seite mit einer Entwicklung verknüpft, die im 20. Jahrhundert für die industrialisierten Gesellschaften in Westeuropa und den USA von fundamentaler Bedeutung ist. Die Zahl der Menschen, deren soziale Position durch Besitz abgesichert ist, nimmt in diesem Zeitabschnitt immer weiter ab. Während zunächst vor allem Arbeiter von Einkommenszahlungen abhängig sind, müssen sich im Laufe der Jahrzehnte immer weitere Teile der Bevölkerung den Mechanismen des Arbeitsmarktes unterwerfen. Etwa in den 1960er Jahren ist der Punkt erreicht, dass sich die soziale Stellung des Einzelnen praktisch auf seine Position in einem System abhängiger Erwerbsarbeit reduziert.1096 Die eigene Existenz der Kapitalkraft anderer unterworfen zu wissen, ist eine Erfahrung, die die allermeisten Zeitgenossen der Filmheldin mit ihr teilen. Die Geschichte der gefangenen Jeanne, die vom Meistbietenden gekauft wird, verbindet sich mit der Erfahrung jener, deren Wohl von den Interessen finanzstarker Akteure abhängt. Der vorübergehende Triumph einer Heldin, die sich gegen die Imperative des Geldes stemmt, kann sich mit der Sehnsucht verbinden, der umfassenden monetären Hierarchie der industrialisierten Gesellschaften zu entkommen. Eine Heldin, die das Geld gegen sich hat, ist umso mehrheitsfähiger, als sich trotz aller Umwälzungen im Laufe des 20. Jahrhunderts an einem Tat1094 Cf. DeMille; de Gastyne; Fleming; Preminger; Besson. 1095 Cf. Neale: Genre and Hollywood, 91; Esposito: Jean de Florette, 12; Hedwig Röckelein: Das Mittelalter im Film. In: Rolf Ballof (ed.): Geschichte des Mittelalters für unsere Zeit. Erträge des Kongresses des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands „Geschichte des Mittelalters im Geschichtsunterricht“, Quedlinburg 20.-23. Oktober 1999. Wiesbaden 2003, 308-314, hier: 312. 1096 Cf. Robert Castel: Les métamorphoses de la question sociale. Une chronique du salariat. Paris 1995, 11f., 314, 324f.

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bestand wenig ändert: Die materielle Macht konzentriert sich auch in den Industrieländern bei einer Minderheit. Die reichsten US-Amerikaner zum Beispiel verfügen im Laufe des Jahrhunderts über einen erstaunlich stabilen Anteil des privaten Vermögens.1097 Und bei der Einkommensverteilung können Konjunktur, Umverteilung oder soziale Kämpfe nur graduelle und vorübergehende Verschiebungen bewirken. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg scheint das Wirtschaftswachstum in Staaten wie Deutschland oder Frankreich den sozialen Ausgleich zwar möglich zu machen. Die traditionellen Anzeichen gesellschaftlicher Stratifizierung verwischen, und spätestens in den 1970ern scheint die Ungleichverteilung der Einkommen in Europa auch tatsächlich zurückzugehen.1098 Womöglich hängt es damit zusammen, dass Bressons Heldin nur sehr vage auf der Seite der einfachen Leute verortet wird: Diese Filmheldin kann durch eine Positionierung in Bezug auf soziale Konflikte vergleichsweise wenig gewinnen. Aber bald kehrt sich die Bewegung wieder um: In Frankreich etwa wächst die Kluft zwischen den großen und den kleinen Einkommen – die in den USA auch zuvor nicht schrumpfen wollte – schon in den 1980er Jahren wieder.1099 Die Verteilungskämpfe des ausgehenden Jahrhunderts Gerade in dieser Zeit, gegen Ende des Jahrhunderts, erfährt Jeannes Charakter als Heldin der einfachen Leute eine neue Akzentuierung. Nicht bloß in der Propaganda des Le Pen, in der sich die Figur der Jeanne d’Arc mit der Adressierung ökonomisch verunsicherter Arbeiter verbindet.1100 Auch die Berichterstattung zu Rivettes Pucelle liefert entsprechende Hinweise: Etwa wenn man zusammenbringt, dass einerseits Sandrine Bonnaire wiederholt und ohne nähere Erläuterungen behauptet, Jeannes Geschichte handele von Gerechtigkeit, und die Artikel andererseits oft auf die einfache Herkunft der Heldin hinweisen.1101 Die Kritiker von Le Monde und Süddeutscher Zeitung sehen Jeanne ganz klar in Opposition zu einer Ordnung, die nicht ausschließlich, aber nicht 1097 Cf. Harold R. Kerbo: Social Stratification and Inequality. Class Conflict in Historical, Comparative and Global Perspective. Boston et al. 62005, 35. 1098 Cf. Kaelble: Sozialgeschichte Europas, 90f., 211; Crouch: Social Change in Western Europe, 163; Kerbo: Social Stratification and Inequality, 522f.; Castel: Les métamorphoses de la question sociale, 372-384; idem: La montée des incertitudes. Travail, protections, statut de l’individu. Paris 2009, 16-20; Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M. 1986, 121-125. 1099 Cf. Crouch: Social Change in Western Europe, 163, 165; Kaelble: Sozialgeschichte Europas, 212, 217f. 1100 Cf. Margolis: The „Joan Phenomenon“, 280. 1101 Cf. taz, 01.09.1994a; FAZ, 14.02.1994; Berliner Morgenpost, 15.02.1994, 03.11.1994; Die Zeit, 02.09.1994; Die Woche, 01.09.1994; Film-Dienst, 29.03.1994, 30.08.1994a;

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zuletzt ökonomisch definiert ist: zu ihrer „condition sociale et sexuelle“, „zu den Repräsentanten der politischen und ökonomischen Geschäfte, die den Waren- und Gedankenaustausch reglementieren.“1102 Im Film gibt Jeannes Mutter gleich zu Beginn zu Protokoll, ihre Tochter habe immer Mitgefühl gezeigt: „pour les nécessités alors si grandes où le peuple se trouvait“. Und Rivettes Heldin muss sogar zweifach die Erfahrung machen, gekauft zu werden: erst von den englischen Befehlshabern, dann von dem englischen Lord, der sie als erster in Frauenkleidern sehen will. Doch gleichzeitig geht diese Jeanne nicht einfach zum Materiellen auf Distanz. Sie legt zwar bei Gelegenheit eine gewisse Verachtung für Geld an den Tag: Als ein Adeliger ihr erzählt, welche fantastische Summe er für eine Reliquie gezahlt habe, erwidert sie barsch, das sei noch viel zu wenig. Aber trotzdem will sie mit Geld umgehen können. Sie setzt sich zu Jean d’Aulon, wenn er die Liste dessen durchgeht, was die Bürger von Orléans ihr in Rechnung stellen. Sie möchte ganz offensichtlich auch die finanzielle Seite ihrer Mission verstehen. Und sie macht sich das Gelernte zunutze: Später gelingt es ihr, einen Streit zwischen ihren Gefolgsleuten zu schlichten, indem sie einen Rat zur Verwendung des knappen Budgets gibt. Die Filmheldin entwickelt ein pragmatisches Verhältnis zum Geld – und darin folgen ihr die JournalistInnen. In zurückliegenden Jahrzehnten blieb es dem US-Branchenblatt Variety überlassen, bei der Beurteilung eines Films auch sein kommerzielles Potential als ein Kriterium zu berücksichtigen.1103 Und noch in der Note sur l’insuccès commercial, die Rivette anlässlich von Bressons Procès verfasst, scheinen sich ästhetische Qualität und Kassenerfolg geradezu auszuschließen.1104 Doch jetzt, am Ende des Jahrhunderts, thematisieren auch europäische AutorInnen das Geschäftliche, ohne die Nase zu rümpfen. Einzelne Artikel rügen zwar, Besson gehe es nur um die Zahl der verkauften Karten, seine Geschäftspraktiken seien mitunter skrupellos und die Kulissen seiner Jeanne d’Arc angesichts der Kosten doch ein wenig fadenscheinig.1105 Aber andere Texte sprechen ganz ohne Wertung vom materiellen Aufwand oder lassen Respekt vor Bessons Willen zum Gewinn erkennen.1106 Am Budget für La Pucelle stört die Journalisten nicht, dass es für Rivettes

1102 1103 1104 1105 1106

L’Humanité, 09.02.1994a, b und d; France-Soir, 09.02.1994; Télérama, 21.04.1993, 09.02.1994a; Cahiers du cinéma, 02/1994c. Le Monde, 10.02.1994a; SZ, 15.02.1994. Cf. Variety, 10.04.1929, 20.10.1948, 30.05.1962. Cf. Cahiers du cinéma, 05/1963d. Le Monde, 07.12.1999; Libération, 27.10.1999b; FAZ, 14.01.2000. Cf. FR, 15.11.1999; SZ, 12.01.2000; Berliner Morgenpost, 15.11.1999, 13.01.2000; Le Monde, 13.10.1999, 27.10.1999c; Le Figaro, 26.10.1999b.

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Verhältnisse relativ groß ist, sondern höchstens, dass die üblichen Finanziers so zögerlich dazu beitragen.1107 Und wenn die beiden Filme in der Lage sein sollten, der Dominanz des US-Kinos am box office etwas entgegenzusetzen, haben die JournalistInnen dagegen offensichtlich nichts einzuwenden. Aus dem einen Artikel mag eher Skepsis sprechen, was den Ausgang dieser Mission betrifft, aus dem anderen eher Indifferenz, aber niemand stellt ihr Ziel grundsätzlich in Frage.1108 Die Filmheldin hat noch immer die Macht des großen Geldes gegen sich, aber jetzt reagiert sie, indem sie sich ein wenig davon anzueignen versucht. Und damit passt sie in eine Zeit, in der das dominierende System der sozialen Stratifizierung ins Rutschen gerät. Etwa ab den späten 1970ern läuft die Phase aus, in der beinahe jeder seinen Platz in der hierarchischen Welt der Arbeitsverträge fand. Eine unübersehbare Menge von Menschen ist vom Wettstreit um eine Position in dieser monetären Hierarchie mittlerweile ausgeschlossen – zumindest vorübergehend.1109 Eine Heldin der radikalen Absage verliert dadurch deutlich an Attraktivität. Eine Jeanne hingegen, der es gelingt mitzuspielen, die der kommerziellen Übermacht mit deren eigenen Mitteln einen gewissen Widerstand entgegensetzen kann, kann sich umso besser mit den Wünschen einer getriebenen Mehrheit verbinden. Gegenüber der Heldin des Ausstiegs tritt die Heldin des Aufstiegs weiter in den Vordergrund. Die ihre eigene Tradition hat: Schon ein Jahrhundert früher hat das Leistungsideal französischer Schulbücher oder der amerikanische Traum die Heldin mehr oder weniger ausdrücklich mit dem Streben nach sozialer Mobilität in Kontakt gebracht.1110 Die ökonomischen Verteilungskämpfe des ausgehenden 20. Jahrhunderts bilden einen strategischen Zusammenhang, in dem die Heldin der einfachen Leute besonders eindeutig zum Einsatz kommen kann. Im Prinzip ist sie über die gesamte Dauer der Filmgeschichte hinweg einsatzbereit, aber nur punktuell haben sich die konkreten Frontlinien zu erkennen gegeben, an denen sie intervenieren kann: um die Wende zum 20. Jahrhundert beim Kampf um die Republik, in der nationalsozialistischen Propaganda oder eben im Rahmen der jüngsten Zuspitzung ökonomischer Ungleichheiten. Damit sind gleichzeitig drei historische Momente benannt, in denen auch eine Heldin der Frauen 1107 Cf. taz, 01.09.1994b; Die Zeit, 02.09.1994; Le Monde, 07.05.1992, 29.04.1993a und b, 10.02.1994d; Télérama, 21.04.1993; Cahiers du cinéma, 02/1993. 1108 Cf. taz, 01.09.1994b; FR, 15.11.1999; epd Film, 01/2000; Le Monde, 11.01.2000; Le Figaro, 26.10.1999b; Cahiers du cinéma, 12/1999a. 1109 Cf. Castel: Les métamorphoses de la question sociale, 11-13, 399-403, 409f.; Beck: Risikogesellschaft, 149f.; Kaelble: Sozialgeschichte Europas, 218. 1110 Cf. Amalvi: Les héros de l’Histoire, 260-265; Warner: Joan of Arc, 251.

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von Nutzen sein kann: Vom Kampf um das Frauenwahlrecht über die Parole «Kinder, Küche, Kirche» bis zu den hartnäckig fortbestehenden Einkommensunterschieden zwischen den Geschlechtern gibt es für eine kämpferische Heldin reichlich Ansatzpunkte. Die innergesellschaftlichen Konfliktlinien, an denen die Filmheldin zum Einsatz kommen kann, verlaufen nicht nur entlang politischer und ökonomischer Bruchkanten, sondern trennen auch die Geschlechter voneinander. ii. Heldin der Frauen Die erste Frauenbewegung Ob bei Robert de Baudricourt, am Hof des Dauphin, im Kreis der Befehlshaber der königlichen Armee oder beim Prozess in Rouen: In allen Filmen ist Jeanne mit männlichen Autoritäten konfrontiert. Immer ist die Filmheldin in mindestens einen Konflikt verstrickt, der Anschlussmöglichkeiten an Geschlechterkämpfe jenseits der filmischen Narration bietet. Und sie kann umso mehr als Heldin der Frauen in Erscheinung treten, als sie – von den frühen Filmen Hatots und Capellanis abgesehen – der männlichen Autorität stets Widerstand entgegensetzt. Sie überwindet die Zweifel von Kämpfern und Höflingen, behauptet ihre Wahrheit gegen die Anwürfe der gelehrten Richter. Bei fast allen abendfüllenden Filmen kommt außerdem hinzu, dass sie nicht nur vom Kampf gegen die männlichen Autoritäten, sondern auch vom Zusammenhalt unter Frauen erzählen. Wenn Gruppen zusammenkommen, die Jeanne ermutigen, die siegreiche Heldin berühren wollen, die verurteilte Heldin bemitleiden oder die verstorbene ehren, dann haben daran in allen Langfilmen der ersten Jahrhunderthälfte auffällig viele Frauen und Mädchen teil.1111 Bei Bresson, der dergleichen nicht direkt zeigt, bestätigt Jeanne zumindest in einer Aussage, Frauen seien gekommen, um ihre Hände und Ringe zu berühren. Ansonsten treten in Filmen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg einzelne Frauenfiguren, die Jeanne an entscheidenden Punkten unterstützen, an die Stelle der anonymen Gruppen von Anhängerinnen. Mal stellt sich die Schwiegermutter des Königs im Konflikt mit den skeptischen Höflingen auf Jeannes Seite, mal nehmen die weiblichen Mitglieder einer Bürgerfamilie in Orléans sie geradezu freundschaftlich in ihren Kreis auf, mal erleichtern ihr Frauen aus dem Hause Luxembourg die erste Etappe ihrer Gefangenschaft.1112 Besonders Rivette zeigt viele solcher Szenen. Und in einer 1111 Cf. DeMille; Dreyer; de Gastyne; Ucicky; Fleming. 1112 Cf. Fleming; Rivette; Besson.

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wird das gespannte Gegenüber der Geschlechter ausdrücklich zum Thema. Der Schmied von Vaucouleurs schimpft über „les femmes“ im Allgemeinen, weil seine Frau Catherine mit Jeanne vereinbart hat, diese gegen den Willen ihrer Familie eine Zeit lang zu beherbergen. Darauf weist Catherine ihren Mann heftig zurecht: Er solle nichts Schlechtes über die Frauen sagen, ohne sie wäre er aus dem Stadium eines Spermiums schließlich nie herausgekommen. Insgesamt eignet sich die Filmheldin zweifellos, als Verbündete im Kampf gegen die Männer zu fungieren – spätestens von dem Moment an, in dem Méliès’ Jeanne auf der Leinwand erscheint. Und zu diesem frühen Zeitpunkt ihrer Kinokarriere gibt es auch zahlreiche Anzeichen, dass Aussagen über Jeanne d’Arc de facto mit Geschlechterkonflikten abseits der Fiktion in enger Verbindung stehen. Einerseits gibt es einzelne Versuche, eine gezähmte Variante der Heldin gegen die Frauenbewegung des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts ins Feld zu führen: als Symbol idealer Weiblichkeit, die sich nach Auffassung mancher ZeitgenossInnen unter anderem in braver Zurückhaltung auszudrücken hat.1113 Andererseits aber lässt sich die Gestalt einer Heldin, die die heimische Sphäre verlässt und sich in die vordringlichsten Fragen der aktuellen Politik einmischt, für feministische Zwecke noch weit besser einsetzen. Etwa im Rahmen der sowohl national als auch international gut organisierten Kampagnen für das Frauenwahlrecht, die in den USA und in Europa besonders von den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg eine breite Öffentlichkeit erreichen. Wichtige Akteurinnen des US-Suffragismus setzen sich mit Jeanne d’Arc auseinander, identifizieren sich mit ihr und halten sie als Leitfigur hoch. Gleichzeitig wird sie von katholischen Frauen beansprucht, die gegen die traditionelle Verteilung von Rechten und Rollen angehen.1114 Dazu kommt noch eine Zahl indirekterer Verbindungen. Manche Feministinnen sind der Identifikationsfigur Jeanne insofern nahe, als sie ein Leben als jungfräuliche Aktivistin der üblichen Biographie als Ehefrau vorziehen. Andere haben sich gezielt mit der Geschichte des Mittelalters beschäftigt, auf der Suche nach Alternativen zum aktuellen Verhältnis der Geschlechter. Und in der Zeit, in der Jeanne ihre Filmkarriere startet, macht sich auch die ameri-

1113 Cf. Blaetz: Visions of the Maid, 201; Barstow: Joan of Arc, 129. 1114 Cf. Ryan: Feminism and the women’s movement, 22f., 28-31; Bard: Les femmes dans la société française, 15; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 169f., 177, 188-190; Offen: European Feminisms, 197-199, 203-205, 226f.; Blaetz: Visions of the Maid, 34; Warner: Joan of Arc, 263; Dolgin: Modernizing Joan of Arc, 65, 101f.; Holmes / Tarr: New Republic, New Women?, 12f.

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kanische Frauenbewegung die Mittel dieses Mediums zu nutze.1115 Insgesamt allerhand Indizien, dass der Schritt von den Aufmärschen der Suffragetten in New York – oder anderen Manifestationen des Geschlechterkonflikts – zu den Filmheldinnen von Méliès oder DeMille nicht weit ist. Und im Falle der letzteren gibt es dafür ganz konkrete Anzeichen: Robin Blaetz führt Belege an, dass Joan the Woman von zeitgenössischen Autorinnen entschieden feministisch interpretiert wird.1116 Es stellt dabei keineswegs einen Widerspruch dar, wenn DeMilles Heldin gleichzeitig als patriotische Kämpferin an den ideellen Fronten des Ersten Weltkriegs Stellung bezieht. Im Gegenteil: Nationale Konflikte und das Streben nach dem Wahlrecht für Frauen können erstaunlich harmonische Verbindungen eingehen. Frauenorganisationen auf unterschiedlichen Seiten der internationalen Fronten beziehen, während das Geschehen eskaliert, zunehmend patriotischere Positionen. Zum Teil auch in der Hoffnung, durch die Unterstützung der nationalen Sache dem Wahlrecht näher zu kommen. Explizite Forderungen nach politischer Partizipation werden zwar während des Krieges weitgehend zurückgestellt. Aber später greifen viele männliche Entscheidungsträger das Argument auf: Für die Opfer, die die Frauen für die nationale Sache erbracht haben, soll es eine Kompensation geben.1117 Die Domestizierung der Filmheldin zum «Mädchen» In den USA und in Deutschland kommt es nach dem Krieg tatsächlich dazu: Die Frauen dürfen wählen. Damit fällt ein Konflikt weg, in dem Jeanne bislang eine willkommene Verbündete war. Manche Frauenorganisationen, die vor allem für das Wahlrecht gekämpft haben, lösen sich auf. Und in Frankreich, wo Aktivistinnen weiterhin auf dieses Ziel hinarbeiten, ist die Bewegung in der Zeit zwischen den Kriegen zerstritten. Nur kleine Gruppen sorgen mit ihren Aktionen vereinzelt für Aufmerksamkeit. Der radikalere Feminismus, der an noch grundlegenderen Missverhältnissen ansetzt, wird als gesellschaftlicher Faktor immer unbedeutender, bis er in den 1930ern praktisch verschwunden 1115 Cf. Barstow: Joan of Arc, 130f.; Rosen: Popcorn Venus, 32-34; Alain Corbin: Coulisses. In: Philippe Ariès / Georges Duby (eds.): Histoire de la vie privée. Bd. 4: De la Révolution à la Grande Guerre. Paris 1987, 413-611, hier: 465; Susan Mosher Stuard: A New Dimension? North American Scholars Contribute Their Perspective. In: Bernard Rosenthal / Paul E. Szarmach (eds.): Medievalism in American Culture. Papers of the Eighteenth Annual Conference of the Center for Medieval and Early Renaissance Studies. Binghamton 1989, 67-84, hier: 67f., 70f. 1116 Cf. Blaetz: Visions of the Maid, 55. 1117 Cf. Bard: Les femmes dans la société française, 13f.; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 198-200; Offen: European Feminisms, 222, 257-261.

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ist. Überkommene Vorstellungen von getrennten Geschlechtersphären, die im Krieg schon ein wenig ins Wanken gekommen sind, erfreuen sich neuer Stabilität. So macht sich jetzt auch die Arbeiterschaft das Ideal einer klaren Arbeitstrennung zwischen der Hausfrau und dem erwerbstätigen Familienvater zu Eigen. Und ab dem Ende der 1920er Jahre sorgt die Weltwirtschaftskrise auf beiden Seiten des Atlantiks dafür, dass es für Forderungen nach Frauenrechten praktisch keine Öffentlichkeit mehr gibt.1118 Gewiss kann sich die Filmheldin in dieser Zeit mit den Bedürfnissen der einen oder anderen Frau verbinden, die ihren Aktionsradius durch den Geist der Zeit beschnitten sieht. Und zu den Organisationen, die sich in den 1920er Jahren auf internationalem Parkett hartnäckig um Frauenrechte bemühen, gehört auch ein Verein, der „St. Joan“ im Namen trägt.1119 Aber eine massive Frauenbewegung, von deren Elan die Aussagen über eine aktive Heldin profitieren könnten, existiert in dieser Zeit nicht. Zumindest in Spuren lässt sich das auch an den Filmen und der begleitenden Berichterstattung ablesen. Etwa an der Frage, in welchen Lebensabschnitt der weiblichen Biographie die Heldin eingeordnet wird. Bei DeMille sind noch zwei Optionen denkbar: Im Film wird Jeanne sowohl „woman“ als auch „girl“ genannt, und in den US-Kritiken tauchen beide Begriffe ebenfalls nebeneinander auf.1120 Insgesamt darf man aber wohl behaupten: Die Frau behält gegenüber dem Mädchen die Oberhand, taucht sie doch schon im Titel auf: Joan the Woman. Nach dem Ersten Weltkrieg ändert sich die Lage. In den Zwischentiteln der Passion, kommt die Vokabel „femme“ zwar vor, aber die Artikel über den Film bezeichnen Jeanne als „Mädchen“, „girl“, „fille“ und ziehen höchstens im zweiten Schritt die Vokabel „Frau“ in Betracht.1121 Im Fall von Merveilleuse Vie ist das Bild noch eindeutiger: In den Zwischentiteln ist Jeanne die „fille“, in der Presse kann noch ein „petite“ dazukommen, und ein Kritiker betont gar, diese Filmheldin erscheine ihm als „point femme“.1122 Man mag einwenden, dass Simone Genevois der Heldin in der Tat ein sehr jugendliches Gesicht verleiht. Aber auch bei der Besetzung spielt womöglich der gesellschaftliche Kontext eine Rolle, in dem eine femme, die den hommes 1118 Cf. Ryan: Feminism and the women’s movement, 35f.; Bard: Les femmes dans la société française, 67f., 90-92; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 211f.; Offen: European Feminisms, 251-253, 296-301. 1119 Offen: European Feminisms, 347. 1120 Cf. New York Times, 25.12.1916; Variety, 29.12.1916. 1121 Frankfurter Zeitung, 12.12.1928; Film-Kurier, 23.11.1928; Le Petit Parisien, 06.07.1928; Pour Vous, 15.12.1928, 27.12.1928; Ciné-Miroir, 25.11.1927; New York Times, 29.03.1929, 31.03.1929. 1122 Cinémonde, 18.04.1929b; Pour Vous, 25.04.1929, 07.11.1929; cf. L’Intransigeant, 20.04.1929; Le Petit Parisien, 26.04.1929.

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von vorneherein auf Augenhöhe begegnen könnte, nicht viele Verbündete hat. Die Filmheldin darf zwar im Laufe ihrer Geschichte nach wie vor GenderGrenzen überschreiten, aber als Mädchen hält sie eine gewisse Distanz zur Frauenbewegung, die tendenziell in Auflösung begriffen ist. Ucickys Heldin bekommt sogar schon durch den Filmtitel das Etikett Mädchen. Und die Journalisten folgen dieser Vorgabe.1123 Beides passt insofern in die Zeit, als die NS-Ideologie im Kern antifeministisch ist. Die Praxis sieht in vielen Fällen anders aus, insbesondere sobald der Krieg neue Bedingungen schafft, aber zunächst lassen nationalsozialistische Rhetorik und Politik keinen Zweifel: Frauen haben sich auf die heimische Sphäre zu konzentrieren und insbesondere mit politischen und militärischen Angelegenheiten nichts zu schaffen.1124 Gerade von einer staatlich geförderten Filmheldin kann man erwarten, dass sie dem Rechnung trägt. Wie wenig Ucickys Heldin für irgendwelche emanzipativen Tendenzen steht, lässt sich auch an ihrer Beziehung zu ihren Geschlechtsgenossinnen ablesen: Eine gewisse Solidarität anderer Frauen mit der aktiven Heldin lässt sich erst ganz am Ende von Mädchen Johanna bei Jeannes posthumer Ehrung erkennen. Nach dem Krieg besteht wiederum aus anderen Gründen kein großer Bedarf an einer Vorkämpferin für Frauenrechte. Zum einen, weil zentrale Rechte ohne große gesellschaftliche Kämpfe kodifiziert werden. Das befreite Frankreich holt seinen Rückstand in Sachen Wahlrecht auf. Die Gleichberechtigung der Geschlechter wird in der französischen Verfassung, im deutschen Grundgesetz und in der Charta der Vereinten Nationen festgeschrieben. Zum anderen gibt es nach den Umwälzungen des Krieges kein großes Interesse an gesellschaftlichen Innovationen – umso mehr an Stabilität. Statt um die Machtverteilung zwischen den Geschlechtern zu ringen, greift man auf erprobte Konventionen zurück. Die Aufmerksamkeit gilt den rückkehrenden Soldaten und nicht der aktiven Rolle, die Frauen an der Heimatfront oder in der résistance eingenommen haben.1125 Simone de Beauvoir mag Jeanne d’Arc schon 1949 als ein Beispiel anführen, wie eine junge Frau, die als solche eine äußerst unvorteilhafte gesellschaftliche Position einnimmt, aus ihrer Situation ausbrechen kann, als ein Beispiel für die „femmes d’actions“, die genau wissen, welche Mittel sie zur Erreichung ihrer selbstgesteckten Ziele einsetzen

1123 Cf. Frankfurter Zeitung, 28.04.1935; Germania, 28.04.1935; Film-Kurier, 27.04.1935. 1124 Cf. supra, 234; Offen: European Feminisms, 305-310. 1125 Cf. Ryan: Feminism and the women’s movement, 36, 41f.; Bard: Les femmes dans la société française, 143f., 152-154, 162-165; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 315f.; Kaelble: Sozialgeschichte Europas, 32f.; Offen: European Feminisms, 375, 380, 382, 389-392.

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können.1126 Aber zum Teil einer gesellschaftlichen Bewegung kann ein solcher Text erst später werden. Dementsprechend wird die Filmheldin auch in den Jahrzehnten nach dem Krieg sprachlich meist auf der eher neutralen Position des Mädchens platziert. In den Dialogen der Filme von Fleming, Preminger und Bresson sowie in den entsprechenden Artikeln wird Jeanne in der Regel in das Spektrum zwischen enfant und fille eingeordnet.1127 Die Bezeichnung „femme“ kommt in der Berichterstattung kaum zum Einsatz – und bei jenem Reporter, der Jean Seberg als „petit bout de femme“ beschreibt, eindeutig mit ironischem Unterton.1128 Von ihrer Jeanne wird in der filmischen Fiktion zwar gelegentlich als „woman“ gesprochen – aber vor allem in solchen Momenten, in denen ihr Status als Kämpferin in Frage steht: wenn Erzbischof Regnault sie nach Hause schicken will oder wenn sie mit dem Bastard von Orléans streitet, ob sie Soldat oder Frau sei. Die zweite Frauenbewegung Erst mit Rivettes Pucelle ändert sich die Bezeichnungspraxis. Verschiedene Würdenträger nennen die Filmheldin in den Dialogen zwar „enfant“ oder „jeune fille“. Manche Journalisten finden, dass sie bei ihrer Verletzung wie ein Kind zu weinen beginnt, und in etlichen Texten ist von ihr als einem Mädchen oder einer kindlichen Figur die Rede.1129 Aber auffällig ist eben, dass sie im Film und in der Berichterstattung gleichzeitig als „Frau“, „woman“, „femme“ auftaucht – oder mehr noch: als „starke junge“, als „selbstsichere Frau“.1130 Eine Frau, wie manche Autoren hervorheben, die sich gegen lauter Männer, 1126 Cf. Simone de Beauvoir: Le deuxième sexe. Bd. 2: L’ expérience vecue. Paris 1949, 115-118, 123, 516f. 1127 Cf. Die Zeit, 19.10.1950; Film-Dienst, 29.09.1950; L’Humanité, 05.11.1949, 25.05.1957; Libération, 25.10.1949, 24.05.1957, 23./24.03.1963; FR, 27.09.1957; SZ, 12.11.1957; FAZ, 30.09.1957; Ev. Filmbeobachter, 10.10.1957, 12.03.1966; Berliner Morgenpost, 11.10.1957, 24.01.1969; Le Monde, 30.01.1957, 27.05.1957, 20.05.1962, 17./18.03.1963; New York Times, 27.06.1957; Film-Dienst, 27.10.1965a und b; La Croix, 20./21.05.1962; Télérama, 31.03.1963; Variety, 30.05.1962. 1128 Le Monde, 30.01.1957; cf. Cinémonde, 30.05.1957. 1129 Cf. FR, 02.09.1994; SZ, 15.02.1994; FAZ, 14.02.1994; Berliner Morgenpost, 15.02.1994, 03.11.1994; Die Zeit, 25.02.1994, 02.09.1994; Die Woche, 01.09.1994; epd Film, 11/1994; L’Humanité, 09.02.1994d; Le Monde, 29.04.1993a, 10.02.1994a und b; Le Figaro, 02.03.1994; La Croix, 09.02.1994a, b und d; Télérama, 21.04.1993, 09.02.1994a und b; Cahiers du cinéma, 02/1994c. 1130 taz, 01.09.1994a; FR, 15.02.1994, 02.09.1994; Die Zeit, 25.02.1994; Film-Dienst, 29.03.1994, 30.08.1994a; L’Humanité, 09.02.1994a und b; Libération, 09.02.1994a; Le Figaro, 14.02.1994; La Croix, 09.02.1994a; Télérama, 09.02.1994b; Cahiers du cinéma, 02/1993, 02/1994a, b und c; New York Times, 29.11.1996.

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gegen die Geschlechterordnung behauptet. Ein Autor des Film-Diensts sieht diese Jeanne als „Exempel für den Handlungsspielraum von Frauen in einer Männergesellschaft“ und lenkt die Aufmerksamkeit sogar auf die „Beispiele der praktischen Solidarität unter den Frauen jenseits der von Männern definierten Machtstrukturen“.1131 Deutlicher kann man die Konfliktlinie kaum benennen, die Jeanne und die männlichen Autoritäten auch bislang voneinander trennte, die jetzt aber ganz andere Anschlussmöglichkeiten bietet als zuvor. Einzelne Texte nennen das entscheidende Schlagwort: Jeanne habe ein „côté feministe“ bzw. den Feminismus praktisch vorweggenommen.1132 Der konservative Politiker Philippe Seguin, der anlässlich von Bessons Film als Gastautor in La Croix schreibt, mag die Vorstellung von Jeanne d’Arc als einer Heldin des Feminismus zwar dubios finden.1133 Aber für die strategische Dimension der Filmheldin ist dieser Kontext in den 1990er Jahren von einiger Bedeutung. Er hat in den Jahrzehnten, seit Bressons Procès in die Kinos gekommen ist, eine beeindruckende Entwicklung genommen. Die Frauenbewegung erreicht Ende der 1960er Jahre und in den 1970ern auf beiden Seiten des Atlantiks einen neuen Höhepunkt. Vielfältige und vielzählige Aktivitäten stellen eine breite Öffentlichkeit für feministische Forderungen her, führen zu politischen Entscheidungen und kulturellen Veränderungen.1134 Und auf der Suche nach ergiebigen Stoffen und Figuren stoßen feministische Künstlerinnen und Autorinnen in dieser Zeit unter anderem auch auf Jeanne d’Arc. Die Betonung liegt dann etwa auf ihrem „unerhörten Entschluss, der sie aus ihrer «condition feminine» ausbrechen lässt.“1135 In den 1980er Jahren verschärft sich zwar das Klima. Unter anderem, weil sich die Wirtschaftslage zuvor über einige Jahre hinweg eingetrübt hat, sind Forderungen nach mehr Geschlechtergerechtigkeit einem merklichen Gegenwind ausgesetzt. In der Konsequenz ist die Frauenbewegung in diesem Jahrzehnt zumindest weniger sichtbar als zuvor. Trotzdem wirkt sie fort. Feministisches Gedankengut prägt in weiten Teilen der Gesellschaft die Refle1131 Film-Dienst, 30.08.1994b; cf. 30.08.1994a; Le Monde, 10.02.1994a, 27.02.1994; Positif, 02/1994. 1132 L’Humanité, 09.02.1994b; Le Monde, 27.02.1994; cf. France-Soir, 09.02.1994; Positif, 02/1994; New York Times, 29.11.1996. 1133 Cf. La Croix, 30./31.10./01.11.1999d. 1134 Cf. Ryan: Feminism and the women’s movement, 67-69; Bard: Les femmes dans la société française, 172-174; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 317-319. 1135 Ruth Henry: Jeanne und die anderen. Stationen einer französischen Emanzipation. Freiburg, Basel, Wien 1978, 18; cf. Blaetz: Visions of the Maid, 176, Grimal: The American Maid, 139f.; Evelyn Le Garrec: Nachwort. In: François d’Eaubonne: Feminismus und «Terror». München 1978, 139-149, hier: 139.

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xion über die Geschlechter. Mitte der 1980er Jahre bezeichnet sich mehr als jede zweite US-amerikanische Frau als Feministin. Auch wenn jüngere Frauen zu den Formen und Organisationen der Bewegung auf Distanz gehen, teilen sie doch viele ihrer zentralen Anliegen. In Frankreich etwa lässt sich in den 1990ern ein Aufschwung praxisorientierter feministischer Aktivitäten feststellen.1136 Im Zuge dieser Entwicklungen werden auch konkrete Konfliktthemen zum Gegenstand einer breiten Debatte, die sich leicht mit der Geschichte der Filmheldin Jeanne in Verbindung bringen lassen. Dazu gehört das Problem der ungleichen Entlohnung von Männern und Frauen. Bei allen Verbesserungen, die im Laufe der Zeit erzielt werden, verdienen erwerbstätige Frauen am Ende des Jahrhunderts immer noch deutlich weniger als Männer. Wenn Frauen in den USA es zum Beispiel überhaupt schaffen, in die Spitzengruppe der bestbezahlten Jobs vorzudringen, ist ihr Gehalt noch im Jahr 2000 fast um ein Drittel niedriger als das ihrer Kollegen. In Deutschland kommen alle erwerbstätigen Frauen, obwohl die Qualifikationsunterschiede zwischen den Geschlechtern geringer sind als in anderen Ländern, noch in jüngster Zeit insgesamt nur auf 52 Prozent des Einkommens, das von Männern verdient wird.1137 Ein Kontext, in den sich die Heldin der jüngsten Verfilmungen hervorragend einpasst. Anders als ihre Vorgängerinnen geht sie nicht zur Welt des Geldes auf Distanz, sondern versucht mitzumischen. Damit qualifiziert sie sich als Verbündete für Frauen, die nach gleichen ökonomischen Chancen streben – statt etwa, wie viele Frauen zu Beginn des Jahrhunderts, die Beschränkung auf die Hausarbeit angesichts der Härten industrieller Erwerbsarbeit von sich aus zu begrüßen.1138 Neben der positiven Rolle der Aufsteigerin lässt sich auch eine schmerzliche Seite der Heldin mit zeitgenössischen Debatten in Verbindung setzen: dass sich die Filmheldin, beginnend mit Joan the Woman, fast immer sexueller Attacken erwehren muss, sobald sie in Gefangenschaft gerät.1139 Im Prinzip könnte dieser Teil ihrer Geschichte bereits Jeannes Allianz mit Aktivistinnen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts stärken. Schon damals thematisieren Feministinnen den Zusammenhang zwischen patriarchalischer Macht und sexualisierter Gewalt oder engagieren sich für Frauen, die von Soldaten 1136 Cf. Ryan: Feminism and the women’s movement, 109-111; Bard: Les femmes dans la société française, 174-176; Genz: Postfemininities in Popular Culture, 68-71. 1137 Cf. Ryan: Feminism and the women’s movement, 102; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 329f.; Crouch: Social Change in Western Europe, 164f.; Falk: Sex, Gender, and Social Change, 35, 44, 48; Kerbo: Social Stratification and Inequality, 22, 294, 529. 1138 Cf. Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 151. 1139 Cf. supra, 295f.

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vergewaltigt worden sind.1140 Und die Protagonistin de Gastynes etwa eignet sich in besonderem Maße als Heldin im Kampf gegen sexuelle Übergriffe: Sie versucht, eine junge Adelige vor den Nachstellungen von „Blaubart“ Gilles de Rais zu beschützen. Dennoch hat es weiterreichende Implikationen, wenn Rivettes Heldin die Zudringlichkeiten des englischen Lords, der sich den Weg in ihre Zelle erkauft hat, mit aller Macht abwehrt. Denn ab den 1970er Jahren gelangt das Thema auch in den Mainstream gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. In den USA entstehen rape crisis centers, in Frankreich brechen feministische Kampagnen das Tabu, das Vergewaltigungsopfer bisher zum Schweigen brachte. Ab den 1980er Jahren werden Vergewaltigungen konsequenter verfolgt, seit 1992 kennt das französische Strafrecht das harcèlement sexuel.1141 In den 1990ern greifen Aussagen über eine aktive Heldin, die von sexueller Gewalt bedroht ist, einen Konflikt auf, der anders als zuvor in weiten Teilen der zeitgenössischen Gesellschaft offen ausgetragen wird. Nicht umsonst erwähnt die Kritik des Film-Diensts über La Pucelle ausdrücklich „die sexuellen Demütigungen, denen Jeanne von Anfang an ausgesetzt ist“.1142 Und bei Besson ist der Kampf gegen sexuelle Gewalt ein zentrales Motiv der Handlung: Seine Jeanne ist ja nicht nur selbst Übergriffen ausgesetzt, sondern ihre gesamte Mission lässt sich als eine Reaktion auf die Vergewaltigung und Ermordung ihrer Schwester verstehen. Der Postfeminismus Allerdings kann man gerade bei Bessons Jeanne d’Arc für einen Moment ins Zweifeln kommen, ob sich diese Heldin tatsächlich als Vorkämpferin für die Interessen von Frauen eignet: In den Dialogen und in der Presse ist wieder relativ oft von Jeanne als Kind und vor allem als Mädchen die Rede.1143 Im Vergleich zur Berichterstattung über die Pucelle fallen vergleichsweise selten Formulierungen, die die Heldin im Lager der Erwachsenen verorten.1144 Doch

1140 Cf. Bard: Les femmes dans la société française, 28, 92; Offen: European Feminisms, 243245. 1141 Cf. Ryan: Feminism and the women’s movement, 56, 89, 137; Bard: Les femmes dans la société française, 203f.; Falk: Sex, Gender, and Social Change, 324f. 1142 Film-Dienst, 30.08.1994b. 1143 taz, 13.01.2000; FR, 15.11.1999, 14.01.2000; Berliner Morgenpost, 13.01.2000; Die Zeit, 13.01.2000; Libération, 27.10.1999a; Le Figaro, 26.10.1999a, c und d; La Croix, 30./31.10./01.11.1999d; New York Times, 12.11.1999; Variety, 01.11.1999. 1144 Cf. FAZ, 13.11.1999; epd Film, 01/2000; Film-Dienst, 04.01.2000, Libération, 03.11.1999; Le Figaro, 26.10.1999a; La Croix, 30./31.10./01.11.1999d.

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die ersten Zeilen der Zeit-Kritik geben einen Hinweis, wie die neue Sprachregelung zu verstehen ist: „Seit zu Beginn der neunziger Jahre das Girlietum populär wurde, in der feministisch verstärkten Form auch girlism genannt, besagt ein beliebter Spruch: Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überallhin.“1145

Die Berliner Morgenpost deutet in dieselbe Richtung: Jeanne als Girlie.1146 Wenn die Filmheldin als Mädchen eingeordnet wird, muss das mittlerweile nicht mehr heißen, dass sie in eine Position rangiert wird, die in Bezug auf Geschlechterkämpfe eher neutral ist. Vielmehr ist Girl Power ein zentrales Schlagwort bei der Neudefinition des Feminismus in den 1990er Jahren.1147 Bessons mädchenhafte Heldin muss ihm nicht fern stehen; auch Artikel über diese Jeanne streichen heraus, dass sie ein Eindringling in einer Männerwelt ist.1148 Insofern kann die Filmheldin der Jahrtausendwende an der Seite jener Jeannes verortet werden, die in Kinder- und Jugendbüchern dieser Zeit als feministisches role model präsentiert werden.1149 Die Heldin der Frauen hat einige Ähnlichkeit zur Heldin der einfachen Leute: Sie ist im Prinzip über das ganze Jahrhundert hinweg einsatzbereit, aber steht vor allem in einzelnen Momenten in engem Kontakt zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. In ihrem Verhältnis zur Entwicklung der Frauenbewegung lässt sich eine gewisse Verzögerung beobachten: Jeanne erscheint in den Filmen besonders dann als Kämpferin, die sich von der Solidarität der Frauen gestützt in einer Männerwelt durchsetzt, wenn die erste Frauenbewegung, die vor allem das Wahlrecht als zentrales Anliegen formuliert, schon ihrem Ende zugeht bzw. wenn die zweite Frauenbewegung bereits in postfeministische Zeiten übergegangen ist. Die Kämpfe sind zwar noch nicht ausgefochten, aber weit fortgeschritten. Vermutlich sind dies die Momente, in denen die Heldin eines Mainstream-Mediums von ihrem Einsatz für eine weiterhin strittige Sache am besten profitieren kann. In dem Maße, in dem die Filmheldin zu emanzipativen Kämpfen in Verbindung steht, hat sie im Übrigen auch Anteil an der Geschichte des Individuums. Die Frauenbewegung lässt sich durchaus als ein Faktor der Individualisierung beschreiben.1150 Allerdings ist die Filmheldin – wie ihre Vorgängerin aus dem 15. Jahrhundert – nicht allein auf diesem Wege in das 1145 1146 1147 1148 1149 1150

Die Zeit, 13.01.2000. Cf. Berliner Morgenpost, 13.01.2000. Cf. Genz: Postfemininities in Popular Culture, 82-96. Cf. epd Film, 01/2000; Le Figaro, 26.10.1999a. Cf. Himmel: Von der »bonne Lorraine« zum globalen »magical girl«, 186f. Cf. Bard: Les femmes dans la société française, 27; Bock: Frauen in der europäischen Geschichte, 163, 323; Offen: European Feminisms, 244f.

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Gegenüber von Individuum und Masse eingespannt. Indem man genauer in den Blick nimmt, wie filmische Aussagen über die aktive Heldin den Interessen, Bedürfnissen, Kämpfen des Einzelnen dienen oder ihnen auch entgegenstehen können, kann wiederum ein gewisser Eindruck von Jeannes Verhältnis zu einer der übergreifenden, stummen Strategien entstehen. Ein strategischer Zusammenhang wie der Feminismus hat zwar im 20. Jahrhundert ein weites Feld von Kraftlinien verschaltet. Aber er ist noch immer recht eng an identifizierbare Akteure gebunden. Mit der Frage nach der Heldin des Individuums hingegen wendet man sich einem Geflecht von Aussagen zu, das Strategien dieser Ordnung wiederum miteinander verknüpft.

III. Heldin des Individualismus i. Heldin des souveränen Individuums An der Seite des bruchlosen Individuums Die Rede von der aktiven Heldin ist bereits im 15. Jahrhundert in den Wandel des Verhältnisses zwischen den Einzelnen und der Gemeinschaft eingebunden. Sie wird zum Teil eines Individualisierungsprozesses, ohne dass man die mittelalterliche Heldin deswegen zu einer Vorkämpferin des Individuums im modernen Sinne erklären könnte. Das unverwechselbare Individuum in diesem emphatischen Sinne, das seinen Wert aus sich selbst heraus bezieht, nimmt erst später diskursive Gestalt an. Im 18. Jahrhundert beginnt der Begriff, das Besondere des Einzelnen zu beschreiben. Im 19. Jahrhundert gewinnt die Reflexion der Einmaligkeit des Individuums, etwa auch seines Lebensstils, die Oberhand über das Interesse an den verbindenden, allgemein menschlichen Merkmalen der Existenz.1151 Nicht zuletzt ökonomische Faktoren tragen zu der Entwicklung bei. Die Industrialisierung löst zahllose Menschen aus ihren traditionellen Kontexten – und zwar auch Angehörige populärer Schichten, während Individualisierungsphänomene in früheren Epochen auf Eliten beschränkt waren. Die fortschreitende Differenzierung von Räumen und Funktionen weist den Einzelnen immer speziellere Plätze zu. Die materielle Existenz eines wachsenden 1151 Cf. Caroline Walker Bynum: Did the Twelfth Century Discover the Individual? In: Journal of Ecclesiastical History 31 (1980), 1-17, hier: 4; Nicola Ebers: „Individualisierung“. Georg Simmel – Norbert Elias – Ulrich Beck. Würzburg 1995, 36; Flavia Kippele: Was heißt Individualisierung? Die Antworten soziologischer Klassiker. Opladen, Wiesbaden 1998, 179; Michael R. Müller: Stil und Individualität. Die Ästhetik gesellschaftlicher Selbstbehauptung. München 2009, 53f.

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Teils der Bevölkerung hängt von individuellen Arbeitsverhältnissen ab anstatt von Besitzverhältnissen, die an gewachsene Strukturen geknüpft sind.1152 Die öffentliche Gewalt richtet ihrerseits gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Aufmerksamkeit auf die einzelnen BürgerInnen, sucht sie zu erfassen, ihre Identität sicherzustellen. Dabei ist es hilfreich, dass mittlerweile schon bei der Auswahl eines Namens für den Nachwuchs der Wille zur Individualität zum Ausdruck kommt: Die Beschränkung auf wenige traditionelle Vornamen lockert sich. Der oder die Einzelne ist mehr denn je als solcheR erkennbar und hat auch mehr Chancen, sich durch eigene Leistungen von der Menge abzuheben. Öffentliche Auszeichnungen vervielfältigen sich; immer mehr Institutionen stellen Zeugnisse aus, die stolz eingerahmt werden; jedeR kann hoffen, bei dem einen oder anderen Anlass seinen oder ihren Namen in der Zeitung erwähnt zu finden: „N’importe qui peut désormais être tenté de prendre la pose du héros“.1153 Das muss natürlich auch in der äußeren Erscheinung der Menschen seinen Niederschlag finden – die sich gegen Ende des Jahrhunderts zum Glück jederzeit bequem kontrollieren lässt: In immer mehr Räumen ist ein Spiegel zu finden, und Fotografien sind selbst für Menschen aus einfachen Verhältnissen bald erschwinglich.1154 Auch Vorbilder, bei denen man sich eine heroische Pose abschauen kann, sind stets präsent. Jene Gestalten etwa, die seit geraumer Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen: die großen Männer – und gelegentlich eben auch Frauen –, deren Erscheinung bereits durch so traditionelle Medien wie das Denkmal vertraut ist. Spätestens an diesem Punkt wird unmittelbar anschaulich, wie eng die aktive Heldin in die Entwicklung verstrickt ist, die die Position der Einzelnen gegenüber der Menge stärkt: wenn einige junge Frauen im Jahr 1900 Jeannes Begegnung mit ihren Heiligen als tableau vivant nachstellen und dieser Moment dann als Fotografie verewigt wird.1155 Ohnehin hat Jeanne d’Arc zu diesem Zeitpunkt schon eine gewisse Tradition als Heldin der Individualität. Bereits die Art, wie Louis-Sébastien Mercier Jeanne an der Wende zum 19. Jahrhundert darstellt, lässt sich als ein Beleg interpretieren.1156 Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts finden sich sowohl in den USA als auch in Europa – etwa in freidenkerischen Kreisen – Autoren, denen Jeanne als Modellfall eines tatkräftigen Individuums 1152 Cf. Castel: Les métamorphoses de la question sociale, 11f., 313f.; Ebers: „Individualisierung“, 36f., 368. 1153 Corbin: Coulisses, 429, cf. ibid., 419-421, 427-435. 1154 Cf. ibid., 421-426. 1155 Cf. Warner: Joan of Arc, Abb. 43. 1156 Cf. Rieger: „Begreifen, daß die Marseillaise...“, 158.

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gilt. Wenn sie zum Beispiel 1894 im Aufruf einer französischen Loge gegen die Kirche in Stellung gebracht wird, erscheint sie dabei als tapfere Einzelkämpferin, die allein ihrer conscience individuelle verpflichtet ist. Und wenn sie in den folgenden Jahren in die Auseinandersetzungen um Offizier Alfred Dreyfus gerät, gilt sie seinem Lager als Beispiel eines freien Individuums, das von Unterdrückung bedroht ist.1157 So kommt die Rede von der aktiven Heldin in lokalen Konflikten zum Einsatz, die gleichzeitig einen Schauplatz im stummen Kampf zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv darstellen. Jeanne d’Arc ist also längst in diesen Kampf verstrickt, wenn sie auf der Leinwand erscheint. Und als Filmheldin ist sie es umso mehr. Nicht nur, weil die hier betrachteten Filme ohnehin danach ausgewählt sind, dass sie sich ganz auf die Geschichte der Heldin konzentrieren, Jeanne also zwangsläufig einen prominenten Platz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit reservieren. Nicht nur, weil ihre Geschichte immer vom Konflikt zwischen einer historischen Einzelfigur und mächtigen Kollektiven handelt. Sondern schon deswegen, weil das Kino im Ganzen rasch zu einem Vektor des Individualismus wird. In gewisser Weise durchlaufen die Figuren des neuen Mediums in den frühen Jahren seiner Entwicklung im Zeitraffer ihren eigenen Individualisierungsprozess. Sie erhalten Namen und immer individuellere Charakterzüge. Die Schauspieler, die sie verkörpern, treten ebenfalls aus der Anonymität heraus, manche erlangen im Handumdrehen Berühmtheit. Und als Stars, die dem Publikum nicht mehr nur über ihre Rollen, sondern auch durch eine Vielfalt extrafilmischer Informationen bekannt sind, eignen sie sich umso besser, die schwierige Existenz des Individuums in einer ausdifferenzierten Gesellschaft zu thematisieren.1158 Die narrativen Konventionen des Hollywood-Kinos tragen das Ihre dazu bei: Indem in der Regel ein einzelner Protagonist im Mittelpunkt steht, dessen Wollen und Handeln eine von Anfang bis Ende geschlossene Kausalkette bestimmt, erzählen die Filme unter anderem immer vom Individuum und seinen Möglichkeiten.1159 DeMilles Joan the Woman ist als erster Film vollkommen in diesen Kontext integriert. So sehr er die nationale Gemeinschaft beschwört, so sehr erscheint 1157 Cf. Winock: Jeanne d’Arc, 697, Warner: Joan of Arc, 259f.; Blaetz: Visions of the Maid, 20; von Jan: Das literarische Bild der Jeanne d’Arc, 119f. 1158 Cf. supra, 184-186; Bordwell / Staiger / Thompson: The Classical Hollywood Cinema, 181; Dyer: Heavenly Bodies, 8-10; idem: Stars, 30; Garncarz: Die Schauspielerin wird Star, 370f.; Carlo Michael Sommer: Stars als Mittel der Identitätskonstruktion. In: Werner Faulstich / Helmut Korte (eds.): Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung. München 1997, 114124, hier: 122. 1159 Cf. Bordwell / Staiger / Thompson: The Classical Hollywood Cinema, 16; Krützen: Dramaturgie des Films, 95f.; Kristin Thompson: Storytelling in the New Hollywood. Understanding Classical Narrative Technique. Cambridge, London 1999, 14.

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hier gleichzeitig das Individuum als Träger der Geschichte.1160 Und auch wenn die Hollywood-Konventionen sich im Laufe der Zeit wieder lockern und einige der späteren Jeanne-Filme weit abseits des Mainstream-Kinos entstehen: Sie haben alle eine gewisse – und im Verlauf des Jahrhunderts sogar zunehmend enge – Verbindung zum Starkult, und schon ihre Titel machen deutlich, dass es jeweils um eine bestimmte Einzelfigur geht: Das Individuum Jeanne wird immer beim Namen genannt. In den ersten Momenten jedes Films wird – ob mit einem eingeblendeten oder einem gesprochen Text, mit stummen oder tönenden Einstellungen – die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt. Sie wird aus der Menge der Figuren herausgehoben. Und erst ganz am Schluss, auf dem Scheiterhaufen oder sogar lange nach ihrem Tod, lässt die Narration wieder von ihr ab. Schon mit Blick auf einige ganz grundlegende Merkmale lässt sich also für alle Filme behaupten, dass sie von Jeanne als einer herausgehobenen Einzelnen erzählen, dass die Geschichte der aktiven Heldin hier in jedem Fall geeignet ist, mit den Kämpfen des Individuums im 20. Jahrhundert eine Verbindung einzugehen. Eine Verbindung allerdings, die im Laufe der Zeit ihren Charakter ändert. Das lässt sich etwa daran ablesen, wie in der Berichterstattung die Darstellung der Heldin bewertet wird. Das wichtigste Qualitätskriterium, das die Rezensionen immer wieder erkennen lassen, ist die Geschlossenheit der Verkörperung.1161 Die KritikerInnen prüfen, ob die filmische Darstellung dem realen Menschen Jeanne oder zumindest der richtigen, wahren Vorstellung von diesem Menschen entspricht. Das heißt natürlich: dem entspricht, was die AutorInnen jeweils für die historische Realität oder die richtige Vorstellung halten. Die Aufmerksamkeit richtet sich sowohl auf die äußere Gestalt der jeweiligen Schauspielerin als auch auf die Darstellung der Motive, der Gefühle, der Geisteshaltung der Heldin: Treffen sie die Physiognomie und Psychologie des historischen Originals?1162

1160 Cf. Marcel Oms: De Lavisse à Michelet ou Jeanne d’Arc entre deux guerres... In: Cahiers de la Cinémathèque 42-43 (Sommer 1985), 43f., hier: 43. 1161 Cf. supra, 270f., 292f. 1162 Cf. Lichtbildbühne, 03.11.1922, 27.04.1935; Der Film, 29.10.1922; New York Times, 25.12.1916, 25.02.1917, 12.11.1999; Le Petit Parisien, 25.05.1928, 06.07.1928, 26.04.1929; L’Intransigeant, 12.05.1928; Pour Vous, 07.11.1929; Ciné-Miroir, 01.01.1928b; Cinémonde, 26.10.1928, 20.12.1928, 18.04.1929a und b, 24.10.1949b; Vossische Zeitung, 25.11.1928; New York Times, 31.03.1929, 12.11.1948; Frankfurter Zeitung, 28.04.1935; Kölnische Zeitung, 12.05.1935; Germania, 28.04.1935; Die Zeit, 19.10.1950; Ev. Film-Beobachter, 02.11.1950, 12.03.1966; Film-Dienst, 29.09.1950; Le Monde, 25.10.1949, 27.05.1957, 07.12.1999; France-Soir, 15.10.1949b, 25.05.1957, 16.03.1963; La Croix, 27.10.1949, 06.06.1957, 28.03.1963; Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949; Berliner Morgenpost,

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Beharrlich gehen viele JournalistInnen also einer Frage nach, die zu beantworten letztlich unmöglich ist. Schon für sich genommen ein weiteres Indiz dafür, welch enorme Bedeutung der Geschlossenheit der Figur beigemessen wird. Neben jenen aufwändigen Methoden der Authentifizierung, die von den MacherInnen in Anschlag gebracht werden: von der Suche nach der «geborenen» Jeanne-Darstellerin über die Strapazen der Dreharbeiten und das tatsächlich geschorene Haar bis zur Aneignung der überlieferten Worte.1163 Die Filmheldin soll nicht mehrere, sondern eins sein: ein Individuum. In der Perspektive derer, die an der bruchlosen Abbildung der historischen Realität arbeiten oder sie zumindest implizit einfordern, heißt das offenbar: eine möglichst widerspruchsfreie, umso souveränere Instanz. Zunächst einmal besteht die Aufgabe der aktiven Heldin an der Front der Individualisierung offenbar darin, den Zumutungen der Massengesellschaft eine möglichst geschlossene, möglichst unüberwindliche Fassade entgegenzuhalten. An der Seite des komplexen Individuums Gegen Ende des Jahrhunderts allerdings werden die Kritiken merklich seltener, die die jeweilige Darstellung am Ideal einer exakten Entsprechung von Vor- und Abbild messen.1164 Und im Laufe der Zeit kommen in der Berichterstattung auch grundsätzlich andere Vorstellungen zur Sprache. Ein frühes Beispiel ist eine Rezension der New York Times über Dreyers Passion. Einerseits schreibt der Kritiker: „she resembles in no way the conception of the Maid of Orleans“.1165 Andererseits ist er trotzdem begeistert von dieser überraschenden Darstellung. Und er begründet sein positives Urteil nicht damit, dass er jetzt Einblick in das wahre Wesen der historischen Heldin gewonnen hätte. Vielmehr lässt sein Text zu, dass ganz verschiedene Bilder der Heldin gleichzeitig Gültigkeit besitzen. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts ist das eine Ausnahme. Aber später finden sich andere Kommentare, die in eine ähnliche Richtung gehen, die ebenfalls das Ideal der bruchlosen Verkörperung relativieren. Rivette tut genau das mit einer Passage seiner Kritik zu Premingers Saint Joan: Eine gute Umsetzung von Shaws Stück dürfe nie vergessen machen, dass es um Schauspiel gehe.1166 Der Kritiker von Le Monde sieht ein ähnliches Kunststück in

1163 1164 1165 1166

11.10.1957; L’Humanité, 25.05.1957; Le Figaro, 22.05.1957, 19.03.1963; Variety, 08.05.1957, 21.02.1994, 01.11.1999; Télérama, 09.02.1994b. Cf. supra, 210-212. Obwohl die Quellenlage im Laufe der Zeit immer besser wird, beziehen sich nur fünf der 45 in Fn. 1162 genannten Artikel auf die Filme der 1990er Jahre. New York Times, 29.03.1929. Cahiers du cinéma, 07/1957.

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Rivettes eigenem Film realisiert: Das seltsame Mädchen von vor 560 Jahren und die Schauspielerin von heute seien gleichzeitig präsent, die Geschichte Jeanne d’Arcs letztlich die einer Schauspielerin. Und Sandrine Bonnaire beharrt im Interview ja selbst darauf, nicht einfach in ihrer Figur aufzugehen.1167 Bei Besson schließlich sehen einzelne Autoren, wenn sie auf die Künstlichkeit der Filmheldin zu sprechen kommen, auf ihre Distanz zur Historie, darin nicht automatisch ein Problem. Es gibt keine klare Rangordnung der Blickweisen mehr: „Historisch ist das nicht, aber wahr“, schreibt der FAZ-Kritiker über Bessons Darstellung von Jeannes Visionen.1168 Auch wenn die Forderung, dass die verschiedenen Dimensionen der Filmheldin eine in sich geschlossene Einheit bilden müssen, immer noch aus manchen Kommentaren spricht: Sie wird nicht mehr von allen ZeitgenossInnen geteilt.1169 Was allerdings nicht bedeutet, dass die Filmheldin aus den Kämpfen um das Individuum entlassen wäre. Keineswegs: Ihre unabhängige Individualität wird in der Berichterstattung der zweiten Jahrhunderthälfte sogar expliziter zum Thema als in früheren Jahrzehnten. Eine Kritik zu Premingers Saint Joan spricht von der subversiven Kraft „des sich auf sein eigenes Gewissen berufenden Individuums“, die taz sieht die Pucelle zur „Errettung des ungesteuerten Individuums“ beitragen, und in anderen Artikeln vom Ende des Jahrhunderts ist zumindest en passant vom „Individuum“ Jeanne die Rede oder von der „individualistischen“ Heldin.1170 Mehrere Texte thematisieren, wie selbstsicher und freiheitsliebend sie ist, wie sehr sich selbst treu – vor allem bei Rivette, der sich von Konventionen freigemacht habe, „pour rendre Jeanne à elle-même“.1171 In La Pucelle erklärt Jeannes Kaplan der Heldin, bevor sie den erfolglosen Angriff auf Paris startet, es sei zwar eine schwere Sünde, an einem Feiertag in die Schlacht zu ziehen, aber eine noch schwerere, gegen die eigenen Überzeugungen zu handeln. Und Sandrine Bonnaire räumt dem Individuum Jeanne eine ähnliche Bedeutung ein, wenn sie in den Cahiers du cinéma zu Protokoll gibt: „Pour moi, les voix que Jeanne entend sont ses propres échos intérieurs.“1172 Eine Sicht, die Premingers Heldin bereits vorweggenommen hat. Der Erzbischof von Reims meint in Saint Joan zwar einen Vorwurf zu formulieren, wenn er Jeannes Stimmen als „echoes of your own wilfulness“ bezeichnet. 1167 1168 1169 1170 1171

Le Monde, 10.02.1994a; cf. Télérama, 09.02.1994a. FAZ, 14.01.2000; cf. Berliner Morgenpost, 13.01.2000; Die Zeit, 13.01.2000. Cf. auch supra, 212, 272. Ev. Film-Beobachter, 10.10.1957; taz, 01.09.1994b; FR, 02.09.1994; Die Zeit, 13.01.2000. L’Humanité, 09.02.1994a; cf. FR, 15.02.1994; Film-Dienst, 30.08.1994a und b; Télérama, 09.02.1994b; France-Soir, 27.10.1999. 1172 Cahiers du cinéma, 02/1994c.

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Aber sie selbst sieht da kein großes Problem: Auch wenn die Stimmen bloß ihrem „common sense“ entsprängen – sie hätten immer recht. Selbst in der größten Bedrängnis während der Befragungen in Rouen fällt Premingers Jeanne keine Alternative ein: „What other judgement can I judge by but my own?“ Ganz am Ende des Jahrhunderts schließlich, bei Besson, will Jean d’Aulon von Jeanne wissen: „How do you know that these voices aren’t just really you?“ Und auch hier wird die transzendente Autorität durch Jeannes Antwort ins Innere des Individuums verlagert: „They are me. That’s how God speaks to me.“ Die Filmheldin hört also in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts keineswegs auf, als modellhaftes Individuum zu fungieren. Das wäre auch überraschend, da Jeanne d’Arc abseits des Kinos – zum Beispiel in Veröffentlichungen der 1960er und 1970er Jahre – nach wie vor in dieser Art interpretiert wird.1173 Doch die Funktion, die Aussagen über die Heldin Jeanne jetzt im Rahmen von Individualisierungsprozessen einnehmen können, ist komplexer geworden. Von der Filmheldin wird nicht mehr nur erwartet, dass sie das Ideal eines bruchlosen Einsseins mit sich selbst bestätigt, eines gänzlich unbeirrten Individuums, das der Macht der Kollektive die Stirn bietet. Vielmehr können jetzt auch die sichtbaren Differenzen innerhalb der heroischen Identität mit den Interessen der realen Individuen eine zunehmend engere Verbindung eingehen. Denn deren Position hat, seit Jeanne die ersten Male auf der Leinwand erschienen ist, weitere Entwicklungen durchgemacht. Etwa weil der Massenkonsum vom Beginn des 20. Jahrhunderts an immer breitere Schichten erfasst, erst in den USA, dann in Europa. Er stellt die Erfüllung persönlichster Wünsche in Aussicht und gibt den Einzelnen eine Möglichkeit, ihre Position in der Gesellschaft zu markieren – immer unabhängiger von den Konsumstilen der Klassen oder Milieus. In der Zeit zwischen den Weltkriegen sorgt die Einführung bezahlten Urlaubs dafür, dass auch ArbeiterInnen das Gefühl haben können, zumindest für eine begrenzte Zeit ganz nach dem eigenen Willen zu leben. Die Idee der Selbstentfaltung gewinnt an Popularität.1174 Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgt das stete Wirtschaftswachstum für ungekannte Möglichkeiten. Nicht zuletzt werden die Wohnungen größer, und mehr Menschen denn je haben die Möglichkeit, sich wirklich ungestörter Introspektion hinzugeben. Der Ausbau des Wohlfahrtsstaats, aber auch die 1173 Cf. Ribéra-Pervillé: Jeanne d’Arc au Pays des Images, 67; Graus: Lebendige Vergangenheit, 304; Smith: Joan of Arc, 193f.; Gerhard Storz: Jeanne d’Arc in der europäischen Dichtung. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 6 (1962), 107-148, hier: 108. 1174 Cf. Castel: Les métamorphoses de la question sociale, 334-336, 341f., 370; Kaelble: Sozialgeschichte Europas, 89-91; Falk: Sex, Gender, and Social Change, 23-25; Bard: Les femmes dans la société française, 27.

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wachsende soziale wie geographische Mobilität lassen die traditionellen Solidargemeinschaften noch weiter in den Hintergrund treten und wirken damit ähnlich vereinzelnd wie die Generalisierung der abhängigen Lohnarbeit, die auf ihren Höhepunkt zusteuert. Im Zuge solcher Veränderungen, aber auch als Konsequenz besserer Bildungschancen für breitere Schichten verlieren traditionelle Wertorientierungen, Verhaltensmuster und Geschlechterrollen an Verbindlichkeit, der Glaube beispielsweise wird eine immer individuellere Angelegenheit. Besonders ab den 1960er Jahren ist ein deutlicher Schritt in diese Richtung festzustellen.1175 Insgesamt haben die Individuen in immer größerem Maße die Möglichkeit, unabhängig von Gruppenzugehörigkeiten zu agieren. Gleichzeitig allerdings handeln sie nicht im luftleeren Raum. Vielmehr sind sie in eine Vielzahl von institutionellen Zusammenhängen eingebunden: als Erwerbstätige, als BürgerInnen, als KonsumentInnen oder als EmpfängerInnen von staatlichen Leistungen. Und je weiter sich die Individuen von erprobten Lebensweisen lösen, desto mehr fällt ihnen die Aufgabe zu, selbst zwischen den unterschiedlichen Bedingungen zu vermitteln, denen sie in diesen Kontexten ausgesetzt sind, aus den diversen Funktionen, die sie erfüllen, ein Leben zu bilden. Je seltener klassische Erwerbsbiographien werden, desto mehr muss das Individuum selbst daran arbeiten, seiner Identität einen Halt zu geben. Die Frontlinie zwischen den Einzelnen und den Vielen ist nicht die einzige, an der das Individuum Kämpfe zu bestehen hat. Manche Widersprüche haben sich nach innen verlagert, manche Konflikte, die zuvor die Gesellschaft spalteten, müssen die Einzelnen mit sich selbst austragen.1176 Und dabei kann ihnen eine Filmheldin besonders hilfreich sein, wenn sie eine gewisse Widersprüchlichkeit erkennen lässt. Wenn sich etwa Bessons Jeanne ungestraft vom historischen Original unterscheiden darf, kann sich eine solche Darstellung umso besser mit der Erfahrung von ZuschauerInnen verbinden, die selbst in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedliche Gesichter tragen. Und wenn Sandrine Bonnaire schildert, wie sie die abendliche Rückverwandlung in ihr privates Selbst genießt – „Se démaquiller, le soir, et se retrouver“ –, macht sie ihre Jeanne zu einer Heldin der Selbstbehauptung 1175 Cf. Beck: Risikogesellschaft, 121-129, 182f.; Castel: Les métamorphoses de la question sociale, 352, 360-363, 366f., 372-384, 394f.; Kaelble: Sozialgeschichte Europas, 122-125; Graf / Große Kracht: Einleitung, 14, 21, 23; Antoine Prost: Frontières et espaces du privé. In: Philippe Ariès / Georges Duby (eds.): Histoire de la vie privée. Bd. 5: De la Première Guerre mondiale à nos jours. Paris 1987, 13-153, hier: 65-73. 1176 Cf. Beck: Risikogesellschaft, 21, 149, 210, 214-219; Castel: Les métamorphoses de la question sociale, 466-468; Kippele: Was heißt Individualisierung?, 237-240; Sonntag: Das Verborgene des Herzens, 248f.; Müller: Stil und Individualität, 16f., 39-41.

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gegenüber den inneren Zerreißproben, denen die Einzelnen angesichts ihrer fortgeschrittenen Individualisierung umso mehr ausgesetzt sind.1177 In Zeiten, in denen die Fragmentierung des Individuums eine mindestens ebenso große Gefahr darstellt wie die Anpassungsforderungen der Mehrheiten, ist eine Heldin umso nützlicher, die schon aufgrund ihrer Konstruktionsweise erkennen lässt: Widersprüche sind ihr nicht fremd.1178 Eine solche Heldin des Individuums geht allerdings auch ein Risiko ein. Denn die Anforderung, dass sie zwischen den verschiedenen Facetten ihrer Identität letztlich eine irgendwie überzeugende Form der Kontinuität herstellen muss, ist nicht einfach außer Kraft gesetzt. Wenn Widersprüche deutlicher als bisher zu Tage treten dürfen, gerät damit auch die Gefahr in den Blick, dass die Heldin an ihnen scheitern könnte. Was ist, wenn sich die widersprüchlichen Facetten der Heldin letztlich doch nicht zusammenhalten lassen? Wenn das Versprechen, das mit dem jahrhundertealten Prozess der Individualisierung verknüpft war, sich nicht realisieren lässt? Es gibt Anzeichen, dass sich die Rede von der aktiven Heldin auch mit solchen Zweifeln verknüpfen kann, dass Jeanne an der Front des Individualismus’ auch hinter die feindlichen Linien geraten kann. ii. Heldin des zweifelnden Individuums Aporien der fortgeschrittenen Individualisierung Die Filmheldin kann auf mehr als nur eine Weise in die Kräfteverschiebungen zwischen Individuum und Gemeinschaft involviert sein. Sie ist nicht bloß ein Modell des souveränen Einzelnen. Das zeigt sich schon darin, dass sie letztlich den überkommenen Kollektiven unterliegt. Sie durchbricht zwar die Beschränkungen, die ihre soziale Herkunft ihr auferlegt. Sie überwindet die Zweifel des Adels oder trotzt zumindest den Anschuldigungen des Klerus. Aber letztlich gibt es für sie keine Rettung. Da von ihrem Tod in der Regel als einer grausamen Ungerechtigkeit erzählt wird, ist er geeignet, die Unterwerfung des Individuums unter die Regeln der Gemeinschaft zu diskreditieren. Doch gleichzeitig lässt er sich als ein Beleg lesen, dass unbedingte Unabhängigkeit durchaus bewunderns-, aber vielleicht nicht in jedem Fall nachahmenswert ist. Individuelles Handeln kann im Verderben enden, wenn es ohne Kompromisse betrieben wird. Und das ist nicht die einzige mögliche Komplikation. Scheinbar wirkt auch die konsequente Ergründung des Individuums darauf hin, sein Han1177 Télérama, 09.02.1994a. 1178 Cf. Kansteiner: Die drei Körper der Jungfrau, 247f.

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deln zu beenden. Diesen Schluss legen jedenfalls manche Anmerkungen zu Passion und Procès nahe. Verschiedene Texte heben hervor, wie intensiv sich diese Filme inneren Vorgängen widmen. „On dirait“, sagt Dreyers Kostümbildner Jean-Victor Hugo im Gespräch mit Cinémonde, „que l’appareil n’enregistre pas la surface des choses, qu’il est braqué droit vers l’intérieur.“ Und Bresson erklärt dem Film-Dienst, er verfolge die Linie eines „Films der Innerlichkeit“.1179 Verschiedene Journalisten nehmen die Bemühungen wahr und sind oft von dem Ergebnis überzeugt. Dreyer zeige Jeannes „geistigen Kampf“, heißt es etwa, Bresson „atteint finalement le plus noble et le plus secret des âmes“.1180 Genau dort wird ja oft der Kern des Individuums vermutet, die Quelle seiner Unverwechselbarkeit. Indem sie diese Seite der Heldin erforschen, werden Passion und Procès dem Individuum Jeanne – nach dieser Logik – also in besonderem Maße gerecht. Doch genau die Heldinnen von Dreyer und Bresson sind es ja, die die geringsten Handlungsmöglichkeiten haben. Wenn Aussagen über die Heldin allzu ausschließlich um deren individuellen Kern kreisen, ist es mit Jeannes unabhängiger Aktivität offensichtlich nicht mehr weit her. Der Kritiker des Film-Diensts sieht im Falle des Procès die „individuelle Tragödie der Jeanne“ durch die Konzentration auf den „Ausdruck inneren Geschehens“ sogar in den Hintergrund gedrängt.1181 Wer allzu weit ins Innere des Individuums vordringt, stärkt dadurch nicht unbedingt dessen Position. Obwohl sie anderen Zeiten entstammen – im einen Fall bei weitem, im anderen nur knapp – ähneln die Heldinnen von Dreyer und Bresson bereits ein wenig den Individuen der Spätmoderne. Deren Handeln kann auch von Phasen verschärfter Introspektion gebremst werden. Das Verblassen verbindlicher Werte, die immer kürzere Halbwertzeit gesellschaftlicher Konventionen und Anforderungen führen dazu, dass die Ziele und Motive der Einzelnen in ihrer Individualität umso angreifbarer sind. Und entsprechend umso häufiger von den Individuen in Frage gestellt werden. Während einst die Hoffnung bestand, mit Hilfe der Introspektion einer höheren Wahrheit näher zu kommen, gibt es mittlerweile nur noch das ebenso banale wie komplexe und letztlich irrationale Spiel der Bewusstseinszustände zu entdecken. Das Individuum muss sich und sein Handeln aus sich selbst heraus begrün-

1179 Cinémonde, 03.11.1929b; Film-Dienst, 27.10.1965b; cf. Cahiers du cinéma, 02/1963. 1180 Frankfurter Zeitung, 12.12.1928; Cahiers du cinéma, 05/1963b; cf. Neue Preußische KreuzZeitung, 23.11.1928; SZ, 11.02.1969; Film-Dienst, 27.10.1965a; L’Humanité, 19.05.1962; Libération, 23./24.03.1963; Le Monde, 20.05.1962, 17./18.03.1963; France-Soir, 16.03.1963; La Croix, 20./21.05.1962; Les Nouvelles littéraires, 21.03.1963; Télérama, 31.03.1963. 1181 Film-Dienst, 27.10.1965a.

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den – keine besonders stabile Konstruktion. Nicht umsonst durchläuft es Zyklen des Selbstzweifels, der Selbstbefragung und der Selbstvergewisserung.1182 Das ist nicht der einzige Mechanismus, der der fortgeschrittenen Individualisierung eine inhärente Instabilität verleiht. Auch die ökonomischen Entwicklungen, die die Freisetzung der Individuen aus den traditionellen Gemeinschaften befördern, haben ihre Kehrseite. Gerade wenn die Generalisierung der abhängigen Erwerbstätigkeit ihren Höhepunkt erreicht, wenn mehr Menschen denn je ihren individuellen Status aus der Platzierung innerhalb der Arbeitswelt beziehen, relativ unabhängig von traditionellen Gemeinschaften, wird diese Art der Existenzsicherung in Frage gestellt. Die erste Ölkrise, das Ende des langanhaltenden Wirtschaftswachstums destabilisiert den Arbeitsmarkt. Die Sicherheit, innerhalb des sozialen Systems, das mehr oder weniger alternativlos geworden ist, einen Platz zu finden, schwindet zusehends. Gleichzeitig gehen die öffentlichen Einnahmen zurück, was wiederum die Sozialsysteme untergräbt. Jene Formen der Absicherung, die es den Einzelnen ermöglichte, traditionellen Gemeinschaften den Rücken zukehren, beginnen in jenem Moment brüchig zu werden, in dem die Abkehr weitgehend vollzogen ist. Die Aufgabe des Individuums, zwischen verschiedenen institutionellen Kontexten zu vermitteln, ist umso schwerer zu erfüllen, wenn diese nicht mehr voll funktionsfähig sind. Ein Arbeitsmarkt, der viele BewerberInnen dauerhaft ausschließt, und soziale Netze am Rande der Überlastung machen es vielen Individuen unmöglich, sich als souverän handelnde zu behaupten.1183 Umso mehr als sie überdies mit Schwierigkeiten konfrontiert sind, die sich durch Verschiebungen im Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit ergeben. Im Prinzip entspricht dem souveränen Individuum eine Welt, in der beide Sphären klar voneinander getrennt sind: der Rückzugsraum des Privaten, wo es ganz bei sich sein kann, von der öffentlichen Bühne, auf der es kunstfertig auf seine selbstgesetzten Ziele hinarbeitet. Idealtypisch ist der Bürger, dessen Existenz über Privatbesitz abgesichert ist, den er in der Öffentlichkeit des Marktes durch geschicktes Agieren zu mehren sucht. Ein Modell, das in einer von abhängiger Arbeit geprägten Gesellschaft aber ganz offensichtlich nicht annähernd mehrheitsfähig ist. Darüber hinaus zeigen die Individuen seit langem eine Tendenz, sich immer weiter in die private 1182 Cf. Beck: Risikogesellschaft, 156; Bynum: Did the Twelfth Century, 4; Benton: Consciousness of Self, 285; Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München, Zürich 71992, 312f.; Zygmunt Bauman: Liquid Times. Living in an Age of Uncertainty. Cambridge, Malden 2007, 1-4. 1183 Cf. Castel: Les métamorphoses de la question sociale, 385, 396, 399-403; idem: La montée des incertitudes, 25-30; Bauman: Liquid Times, 67f.

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Intimität zurückzuziehen, die unverstellte Vertrautheit als ihren eigentlichen Existenzmodus zu begreifen. Und selbst jene Handlungen, die sich nach wie vor in der Öffentlichkeit abspielen, werden oftmals nach Kriterien beurteilt, die ursprünglich dem privaten Umgang entstammen: Sie sollen dem wahren Selbst Ausdruck geben. Was die Handlungsspielräume des Individuums empfindlich begrenzt.1184 Stünden ihm allerdings weiterhin alle Möglichkeiten souveränen Handelns zur Verfügung, wüsste es überhaupt, worauf es zusteuern sollte? Die Voraussetzungen sind auch in diesem Punkt nicht die besten. Denn der einzelne Mensch hat zwar zu so vielen Informationen Zugang wie nie zuvor. Doch ihnen fehlt jeder Bezug zu seinem eigenen Aktionsradius. Informationen über die fernsten und die nahsten Geschehnisse kommen ihm mit gleicher Geschwindigkeit zur Kenntnis. Er kann weitläufige Zusammenhänge zumindest erahnen, die sich jeder direkten Einflussnahme entziehen. Eine Entscheidung, welche Handlungen rational wünschenswert sein könnten, ist schwer zu treffen.1185 Unter diesen Bedingungen ist die Lage des Individuums nicht die komfortabelste. Es steht alleine da, losgelöst von traditionellen Gemeinschaften, aber seine Möglichkeiten, eine klare Position zu beziehen und souverän zu handeln, sind begrenzt. Schnell ist es bloß noch „individu par défaut“, wie Robert Castel formuliert: aller Zugehörigkeiten beraubt und außerstande, die eigene Freiheit zu gestalten.1186 Für die Rede von der aktiven Heldin, die von Beginn an in die Kämpfe der Einzelnen verstrickt war, kann so eine Entwicklung nicht ohne Belang sein. Und in der Tat lässt sich immerhin von Bessons Jeanne behaupten, dass sie sich als die Heldin eines negativen Individualismus eignet. Bessons tragische Heldin der fortgeschrittenen Individualisierung Wie ihre Vorgängerinnen löst sich Bessons Jeanne aus der Menge: Sie verlässt ihre Familie, erobert sich einen Platz an der Spitze des Heeres, widersetzt sich der Autorität der Kirche. Anders allerdings als bei den meisten ihrer Vorgängerinnen wird ihre heroische Rolle als Kämpferin für die Macht des Individuums nicht allein durch den Umstand angekratzt, dass sie letztlich mit 1184 Cf. Sonntag: Das Verborgene des Herzens, 217-225; Kippele: Was heißt Individualisierung?, 233f.; Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt a.M. 112000, 16f., 36f., 48, 339f. 1185 Cf. Rüdiger Safranski: Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? München, Wien 2003, 77-80, 83. 1186 Castel: La montée des incertitudes, 434-436; cf. idem: Les métamorphoses de la question sociale, 468f.

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dem Leben bezahlt. Dass die Dinge dieses Mal etwas anders liegen, deutet sich schon in einer Formulierung aus der Kritik der Zeit an. Erstmals ist nämlich von Individualismus in einem eher abschätzigen Ton die Rede: vom „individualistischen Starrsinn“, den Jeanne an den Tag lege.1187 Einen weiteren Hinweis auf die Komplexität der Lage liefern einzelne Bemerkungen über die Körperlichkeit dieser Filmheldin. Bislang fand die filmische Darstellung im Körper der Schauspielerin in der Regel ihre zuverlässigste Absicherung. Noch Rivettes Jeanne loben mehrere Texte dafür, dass sie „ein Mensch aus Fleisch und Blut“ sei, im Vergleich zu mancher Vorgängerin „plus charnelle“.1188 Ganz in Übereinstimmung mit der hohen Bedeutung, den der Körper im Rahmen der fortgeschrittenen Individualisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat: Er wird umsorgt, macht den gestiegenen Wert des Einzelnen im Wortsinne greifbar, wird zum Sitz der Identität erhoben.1189 Im Falle von Bessons Heldin deutet sich hingegen an, dass selbst der Körper an Glaubwürdigkeit verliert. Eine Kritikerin nimmt die Verwandlungen der Milla Jovovich derart als Routine wahr, dass sie keinen symbolischen Mehrwert mehr abwerfen können: „als Modell ist sie gewohnt, Kopf und Körper für die Projektionen der Fotografen hinzuhalten“.1190 Andere finden Jeannes wechselnde Haarfarbe, die vom Blond der triumphierenden Kriegerin bis zum dumpfen Hellbraun der Gefangenen changiert, gewagt, wenn nicht belustigend.1191 Ganz offensichtlich hat der Versuch, die Darstellung einer Identität körperlich abzusichern, zumindest für einige ZeitgenossInnen an Überzeugungskraft verloren. Was in einer Zeit, in der die alltägliche Zurichtung der Körper an deren Oberfläche längst nicht mehr haltmacht, im Grunde auch zu erwarten ist. Aber wenn man auf den Körper als letzte Klammer für die auseinanderstrebenden Facetten des Individuums nicht mehr vertrauen kann, ist es einem umso größeren Risiko ausgesetzt. Wie prekär die Lage ist, kommt in den Gefängnisszenen aus Bessons Jeanne d’Arc zum Ausdruck. Vor allem in diesen Momenten verändert sich das Verhältnis der Heldin zu den Kämpfen des Individuums. Indem Besson seiner Protagonistin ihr Gewissen in Gestalt von Dustin Hofman gegenübertreten lässt, indem es in mehreren Dialogen ihre Motive hinterfragt, entsteht ein ganz neues Bild von den individuellen Handlungsmöglichkeiten der Heldin. Bis zu diesem Moment der Narration kann man ihr Vorgehen als recht souve1187 Die Zeit, 13.01.2000. 1188 Film-Dienst, 29.03.1994; Télérama, 21.04.1993; cf. Film-Dienst, 30.08.1994b; L’Humanité, 09.02.1994a; Le Monde, 10.02.1994a; Cahiers du cinéma, 02/1993. 1189 Cf. Prost: Frontières et espaces du privé, 94-106. 1190 FR, 14.01.2000. 1191 Cf. epd Film, 01/2000; Le Figaro, 26.10.1999d; Cahiers du cinéma, 12/1999b.

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rän wahrnehmen. Der Zuschauer weiß um den grausamen Mord an Jeannes Schwester, der ihr einen dringenden Grund gibt, den Aggressoren Einhalt zu gebieten. Einen Grund, der sich psychologisch ohne weiteres nachvollziehen lässt und dessen Gewicht kaum bestritten werden kann. Wir haben außerdem an ihren Erscheinungen teil. Sie sprechen keine besonders klare Sprache, aber es liegt immerhin nahe, dass Jeanne mit dem Schwert, das sie wie durch ein Wunder in einer Wiese findet, auch etwas anstellen soll. Und wir hören Priester ihr im Beichtstuhl sagen, dass ihre Stimmen offenbar vertrauenswürdig seien und sie von Gott womöglich für eine bestimmte Aufgabe vorgesehen sei. Insgesamt eine recht eindeutige Ausgangslage. Für ein tatkräftiges Individuum kann es da nur eine Richtung geben, und Jeanne scheint sich als solches zu bewähren, indem sie aufbricht, um den Krieg für ihre Seite zu entscheiden. Zwar können an ihrem Handeln schon vor ihrer Gefangenschaft in Rouen erste Zweifel aufkommen. Gerade wenn die entscheidende Schlacht um Orléans gewonnen ist, erscheint Jeanne wieder der Mann, der ihr aus früheren Visionen vertraut ist. Und dieses Mal klagt er sie an: „Jeanne, what did you do to me?“ Aber auch in anderen Filmen ist die Heldin bereits vor dem grausamen Anblick des blutüberströmten Schlachtfelds zurückgeschreckt.1192 Es könnte sich auch dieses Mal bloß um vorübergehende Skrupel angesichts der Begleiterscheinungen einer deswegen nicht minder notwendigen Mission handeln. Dass bei dieser Jeanne etwas ganz Grundlegendes schief läuft, offenbart sich nicht in diesem Augenblick, sondern eben erst in der Begegnung mit ihrem Gewissen. Es stellt einerseits den überirdischen Teil ihrer Mission in Frage: Lässt sich die scheinbar göttliche Botschaft nicht vielmehr auf eine Mischung aus lebhafter Fantasie, normalen Naturphänomenen und überinterpretierten Zufällen zurückführen? Andererseits lässt Jeannes strengster Richter auch ihre psychologische Motivation nicht durchgehen. Wohlwollend könnte man schlicht zu ihren Gunsten annehmen, dass sie – göttlicher Auftrag hin oder her – durch einen entscheidenden Sieg dem Krieg ein Ende setzen wollte und damit auch solchen Grausamkeiten, wie ihre Schwester sie zu erdulden hatte. Aber die Fragen ihres Gewissens dringen bis in den letzten Winkel ihrer Gefühlswelt vor und enthüllen niederste Triebe: Jeanne muss sich eingestehen, rachsüchtig, selbstsüchtig und grausam gewesen zu sein. Sie hat es nicht nur genossen, an der Spitze der Truppen zu stehen, sondern auch in der Hitze des Gefechts dreinzuschlagen. Und nachdem sie sich derart selbst erkannt hat, bleibt ihr nur noch die Buße. Schon im nächsten Bild ist Jeanne den Flam-

1192 Cf. supra, 291.

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men ausgeliefert, der Tod auf dem Scheiterhaufen unversehens ein Akt der Selbstreinigung. Genau der Konsequenz, der sich die Jeanne der mittelalterlichen Quellen entziehen kann, ist diese späte Nachfolgerin ausgeliefert: Während sich bei der Heldin des 15. Jahrhunderts keinerlei Hinweise finden, dass die Aufmerksamkeit für das Individuum, wie es sich damals eigentlich gehört, letztlich auf die Auslöschung des Selbst abzielt, greift bei Bessons Protagonistin genau dieser Mechanismus.1193 Sobald sie sich dem Zwang unterwirft, die eigenen Motive zu erforschen, verliert ihr Handeln als souveränes Individuum die Grundlage. Sie muss feststellen, dass sie sich selbst und die Welt falsch interpretiert hat, dass ihr Handeln nicht etwa notwendig, sondern verwerflich war, und so willigt sie in ihren eigenen Untergang ein. Die finale Erkenntnis kommt obendrein von außen und nicht aus dem Inneren des Individuums. Schließlich ist Jeannes Gewissen bei Besson eine eigene Figur. Auch in diesem Punkt ist das Individuum offensichtlich überfordert: Es ist nicht in der Lage, diese Instanz zu integrieren. „Selbst die Zweifel und inneren Zwiegespräche der Alleingelassenen stülpt Besson nach außen“, bemerkt die Kritikerin der taz.1194 Und ein Kollege von der FAZ bringt auf den Punkt, was daraus folgt, wenn innere Abläufe an der filmischen Oberfläche derart deutliche Formen annehmen: letztlich ist „die Persönlichkeit leergeräumt“.1195 Bessons Jeanne eignet sich als tragische Heldin für all jene, die sich zweifelnd mit den widersprüchlichen Anforderungen der fortgeschrittenen Individualisierung konfrontiert sehen. Sie ist die passende Heldin für eine Zeit, in der die Machtposition des Individuums so weit ausgedehnt ist, dass sie immer deutlichere Anzeichen der Instabilität zeigt. In der etwa auch der postfeministische Appell zur flexiblen Selbstvervollkommnung, zur Ausschöpfung individueller Wahlfreiheit in seinem Zwangscharakter erkennbar wird.1196 Einerseits bekräftigt die Rede von der aktiven Heldin auch in diesem Fall die Macht des Individuums – denn Jeanne ist hier ja durchaus wirkungsvoll in dem, was sie unternimmt. Andererseits zeigt Bessons Jeanne, dass die Fähigkeit zeitgenössischer Individualisierungsprozesse, die Geschichte einer aktiven Heldin abzusichern, durchaus seine Grenzen hat. Jetzt, am Ende des 20. Jahrhunderts, scheint ein Wendepunkt in der Entwicklung der Filmheldin erreicht zu sein. Ihre heroische Aktivität hat im Laufe der Zeit eine Barriere nach der anderen überwunden, hat fast eine ge1193 1194 1195 1196

Cf. supra, 145f. taz, 13.01.2000; cf. Cahiers du cinéma, 12/1999b. FAZ, 13.11.1999. Cf. Thornham: Women, Feminism, and Media, 81.

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wisse Selbstverständlichkeit erreicht. Noch nie waren mediale Aussagen über kämpfende Frauen so solide in diskursive Zusammenhänge eingebettet. Aber gleichzeitig zeichnen sich für eine aktive Heldin Gefahren ab, die aus ihren Existenzbedingungen als Individuum resultieren. Ob für die handelnde Heldin, nachdem sie die Vorbehalte der Männer überwunden hat, im 21. Jahrhundert die eigenen Widersprüche der eigentliche Gegner sein werden?

Resümee

Die historischen Differenzen Wer konkrete historische Zusammenhänge diskursanalytisch erkundet und sich bewusst ist, dabei auf die hermeneutische Erschließung von Bedeutungen angewiesen zu sein, kann nicht erwarten, etwas gänzlich Fremdes zu entdecken. Selbst wenn das Untersuchungsmaterial Sprünge über Jahrhunderte erlaubt: Es werden sich keine Phänomene zu erkennen geben, die vollkommen unbekannten Horizonten angehören. Zudem ist weder das Raster der Diskursdimensionen, das der Untersuchung der Aussagen über die Heldin Jeanne d’Arc zur Orientierung diente, noch der Begriff geschlechtlich bestimmter Identitäten, wie er hier herangezogen wurde, vollkommen neutral. Beide bieten Spielraum für ganz unterschiedliche historische Konstellationen, aber sie strukturieren den Blick. Zu einem Teil mag es daher auf das theoretische Fundament zurückzuführen sein, zu einem anderen liegt es aber zweifellos an der enormen Langlebigkeit mancher Phänomene, wenn die Auswertung von schriftlichen Quellen des 15. Jahrhunderts und Filmen aus verschiedenen Teilen des 20. Jahrhunderts in einzelnen Punkten erstaunlich ähnliche Eindrücke vermittelt. So scheinen einige narrative Mechanismen über die gesamte Zeit hinweg wirksam zu sein. Wenn man die unmittelbare Einbettung jener Kernaussagen betrachtet, die von den spektakulären Taten und Triumphen der Heldin Jeanne d’Arc erzählen, finden sich ganz ähnliche Methoden, diese unwahrscheinlichen Ereignisse vorzubereiten. Der Abschied der Heldin von ihrer angestammten Umgebung signalisiert die Überschreitung des Gewöhnlichen, mögliche Zweifel an ihrer Mission werden erst explizit gemacht und dann durch Prüfungen und Zeichen aus dem Weg geräumt. Anschließend ist einfacher sagbar, dass eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen im Zentrum der Macht auftaucht, in einen Krieg eingreift und entscheidende Siege herbeiführt. Eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen – auch bestimmte Attribute der Heldin gehören zu den bemerkenswerten Konstanten. Ihre Attraktivität wäre da noch zu nennen sowie ihre sexuelle Enthaltsamkeit. Allerdings lässt sich an diesen Eigenschaften gleichzeitig beobachten, dass Kontinuitäten im Detail und fundamentale Umbrüche sich in der Geschichte der Figur Jeanne d’Arc keineswegs ausschließen. Wenn bei der Darstellung der Heldin einige

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Resümee

Attribute immer wieder eine Rolle spielen, muss diese Rolle deshalb nicht immer dieselbe sein. Solange ihre Geschichte mit dem diskursiven Feld spätmittelalterlicher Heiligenverehrung in Verbindung steht, qualifiziert sich die Heldin durch ihre Jugend und Einfachheit als Gottes Werkzeug: Er erwählt die Schwachen. Ihre Schönheit zeigt sowohl ihre moralische Perfektion an als auch das Opfer, das sie bringt, indem sie irdischen Freuden entsagt. Und gerade ihre Enthaltsamkeit verleiht ihr auf beinahe magische Art die Kraft, die üblichen Beschränkungen ihrer Position zu überwinden. Im Kontext des nationalen HeldInnenkults des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts hingegen steht Jeanne d’Arcs bäuerliche Herkunft vor allem für ihre Rückbindung an die Fundamente der Gemeinschaft. Ihr attraktives Äußeres kann zwar wiederum innere Werte anzeigen, aber darüber hinaus ermöglicht es ein ganz bestimmtes Verhältnis zu ihren Landsmännern: Die Nationalheldin muss für sie eine ideale Braut sein – und daher auch jung –, das Objekt einer Vaterlandsliebe, die eng am Modell der ehelichen orientiert ist. Die Keuschheit der Heldin ist insofern eine provisorische. Auf das diskursive Feld des Starkults bezogen, wie es sich im Laufe des 20. Jahrhunderts ausbreitet, sichert Jeannes Herkunft ihre Nähe zu einem Massenpublikum. Der Star muss beides sein: das Mädchen von nebenan und spektakulär anders. Letzteres gelingt nicht zuletzt durch die jugendliche Schönheit, die umso unverzichtbarer ist, als der Star Schaulüste befriedigen muss. Jeannes sexuelle Enthaltsamkeit hingegen verwandelt sich von einer Bedingung der Stärke in ein Zeichen ihrer Verletzlichkeit. Das Begehren ist immer weniger reguliert, und desto mehr wird es zum Risiko. Die Einbettung in die diskursiven Möglichkeitsfelder Diese drei Kontexte sind keine austauschbaren Beispiele dafür, wie unterschiedliche Zusammenhänge den Attributen der Heldin unterschiedliche Funktionen zuweisen können, sondern sie bilden die Referentiale, in denen die untersuchten Aussagen über Jeanne d’Arc ihre diskursive Möglichkeit finden. Das heißt nicht, dass die Geschichten über Jeanne im 15. und 20. Jahrhundert nicht auch Teil anderer Kontexte sein können. Aber für die Sagbarkeit der aktiven Heldin, wie die mittelalterlichen Quellen und die Filme sie darstellen, spielen die genannten Möglichkeitsfelder eine entscheidende Rolle. Denn sie bilden jeweils ein Ensemble von Praktiken, Prozessen, Kategorien, Institutionen, von diskursiven Regeln und nichtdiskursiven Bedingungen, dem sich kaum jemand entziehen kann. Sie ermöglichen ein Spektrum von Objekten und Narrationen, in das sich Jeanne d’Arc mit ihrer Geschichte einreihen kann. Diese kämpferische Heldin ist auch hier besonders und doch

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vielfach eingebunden. Mit bestimmten Eigenschaften und Aktionen schließt sie an die Geschichten von Märtyrerinnen und Mystikerinnen an, an allegorische Darstellungen der Nation und handfeste Schwertjungfern, an weibliche Stars und manche ihrer Rollen. Wie wichtig das Verhältnis zwischen den Referentialen und der Heldin für deren Aktivität ist, kann man etwa an jenen Momenten ihrer Filmkarriere ablesen, in denen es sich lockert. Zum einen an den Filmen von Carl-Theodor Dreyer und Robert Bresson: Sie nähern ihre Jeannes sozusagen dem «falschen» Modell an, dem christlichen HeldInnentum, das im 20. Jahrhundert bei weitem nicht dieselben Möglichkeiten bietet wie 500 Jahre zuvor. Zusätzlich zeigen auch diese Filmheldinnen Ähnlichkeiten zu Stars und nationalen Größen, nur eben nicht in demselben Maße wie die Protagonistinnen anderer Filme. Und das spiegelt sich in ihrem stark reduzierten Handlungsspielraum: Wir erleben sie in erster Linie als Gefangene; sie setzen sich zwar verbal zur Wehr, aber von ihren militärischen Triumphen gibt es nur einen schwachen Widerschein zu entdecken. Zum anderen kann man einen ähnlichen Effekt beobachten, wenn in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Verehrung nationaler HeldInnen innerhalb recht kurzer Zeit marginal wird. Für die aktive Heldin geht ein wichtiges Feld diskursiver Möglichkeiten verloren. Zwar gibt es Ersatz: Der Starkult ist schon voll entwickelt. Aber er kann die Umbrüche nur ausgleichen, wenn die Heldin eindeutig auf ihn Bezug nimmt. Wenn in Otto Premingers Saint Joan die zuvor unbekannte Jean Seberg die Hauptrolle übernimmt, ist das nur eingeschränkt der Fall, und entsprechend gebremst wirkt die Heldin: Die kriegerischen Höhepunkte spart der Film aus. In Victor Flemings Produktion Joan of Arc hingegen, die ganz auf den Star Ingrid Bergman ausgerichtet ist, sehen wir die Heldin mit Verve in die Schlacht ziehen. Auch die anderen Filme, die ausführlich von den erstaunlichen Aktivitäten der Heldin berichten, rücken sie dicht an die entscheidenden Referentiale heran. Wie der Film mit Bergman ist auch DeMilles Joan the Woman schon allein durch die Hauptdarstellerin, die Operndiva Geraldine Farrar, eng in den Starkult eingebunden. Gleichzeitig wird die Heldin hier wie auch in Marco de Gastynes La Merveilleuse Vie de Jeanne d’Arc besonders eindeutig als Retterin ihrer Nation gefeiert. Und am Ende des Jahrhunderts, bei Jacques Rivettes La Pucelle und Luc Bessons Jeanne d’Arc, zeigt schon die journalistischen Berichterstattung, dass die Heldin mittlerweile nicht nur aufgrund der Besetzung, sondern aus eigenem Recht zum Kreis der Stars gezählt werden kann. In all diesen Fällen nehmen die Kämpfe der Heldin breiten Raum ein. Jeanne erstürmt Befestigungsanlagen, lässt sich von Verletzungen kaum irritieren und erringt den Sieg. Besonders explizite Aussagen über die aktive Heldin, die

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überdies besonders dicht an die Welt der RezipientInnen herangeholt werden. Denn einerseits schildern die genannten Filme – im Unterschied auch zu den mittelalterlichen Quellen – zunächst die beschauliche Normalität, in der die Geschichte ihren Ausgang nimmt; sie zeigen, wie das Unwahrscheinliche im Vertrauten wurzelt. Andererseits verlängern sie die Geschichte oft über Jeannes Tod hinaus: bis zu ihrem Rehabilitationsprozess etwa oder sogar bis in die Gräben des Ersten Weltkriegs, wo die Heldin von DeMilles Joan the Woman einen britischen Soldaten zu einem Selbstmordkommando motiviert. So ist auf jeden Fall signalisiert, dass Aussagen über Jeanne d’Arc auch jenseits eines einzelnen Moments im 15. Jahrhundert von Belang sind. Damit sowohl ausdrücklich als auch nachhaltig von ihrer Aktivität die Rede sein kann, muss die Heldin also in engem Kontakt zu einem der geeigneten Referentiale stehen. Um welches es sich dabei handelt, hat allerdings auch Konsequenzen. Der rasche Blick auf die Funktionen, die zentralen Attributen der Heldin innerhalb der verschiedenen Möglichkeitsfelder zukommen, hat schon erkennen lassen: Die Mechanismen, die Jeannes zunächst einmal schwache Position in eine der Stärke umschlagen lassen, sind jeweils andere. Im Rahmen der Heiligenverehrung ist ein besonders radikaler Schritt vonnöten. Die Normen, die einer einfachen jungen Frau das Agieren im öffentlichen Raum untersagen, sind besonders eindeutig, sie sind fest in den Vorstellungen von der weiblichen Natur verankert. Deshalb muss die Heldin diese hinter sich lassen. Ihre männliche Kleidung, die sie während ihrer Kämpfe unablässig trägt, zeigt die Verschiebung an und sichert zugleich die Jungfernschaft, die für den Schritt unabdingbar ist. Einer derart gründlichen Transformation ist die Heldin der Nation nicht unterworfen, sie muss sich von ihrer Weiblichkeit nicht distanzieren. Damit sie aktiv werden kann, muss vor allem eine konkrete historische Situation eintreten: eine gravierende Bedrohung, derer die Männer nicht Herr werden. Dann kann die Heldin handeln und hat dabei nicht zuletzt die Funktion, die Männer zu weiteren Anstrengungen zu motivieren. In den entsprechenden Filmen bringt vor allem Jeannes Rolle als Anführerin den Sieg, weniger ihre eigenen Taten. Sobald sich die Heldin dem Star annähert, öffnet sie sich den Weg zu entschiedenem Handeln durch den überzeugenden Auftritt: Sie muss den Entscheidungsträgern vorführen, dass sie die widerstreitenden Facetten ihrer Rolle – konventionelle Weiblichkeit und außergewöhnliche Aktivität – zu einem Ganzen vereint. Wenn es ihr gelingt, die Kämpferin mit Haut und Haar zu verkörpern, kann sie entsprechend agieren. Sie kann dann sogar Männer auf deren Terrain übertreffen, wie Jeanne als Star der Filme von Rivette und

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Besson zeigt. Weder muss die Heldin ihre «Natur» verneinen, noch ist ihre Aktivität auf einen seltenen Notfall beschränkt – die Möglichkeitsregeln des Starkults sind weniger streng als die seiner Vorgänger. Mit seiner Entfaltung können Aussagen über die kämpferische Heldin leichter zirkulieren und noch ein bisschen expliziter ausfallen als bisher. Konjunkturen der Sagbarkeit Allerdings wird die Sagbarkeit der Heldin auch durch weitere diskursive Faktoren gestützt, die über die Referentiale hinausweisen. Nicht zuletzt durch die strategische Nützlichkeit der Heldin: So wie die Jeanne der mittelalterlichen Quellen davon profitiert, dass sich ihre Geschichte mit den Interessen der einfachen Gläubigen, der Opfer des Hundertjährigen Krieges und der Frauen verbinden kann, dass sie bei der schrittweisen Ablösung der Nation und des Individuums aus überkommenen Zusammenhängen assistieren kann, sind auch für die Filmheldin verschiedene Konfliktlinien von Bedeutung. Zwei Abschnitte des 20. Jahrhunderts sind für sie in dieser Hinsicht besonders ergiebig. Zunächst die frühen Jahrzehnte: Als Tochter des Volkes kann Jeanne der Republik den Rücken stärken; als nationale Identifikationsfigur wird sie gegen ausländische Machtpolitik oder kulturindustrielle Konkurrenten ins Feld geführt; als Einzelkämpferin in einer Männerwelt dient sie der ersten Frauenbewegung als Leitfigur und mischt sich in Individualisierungsprozesse ein. Und gleichzeitig entstehen Filme wie Joan the Woman und La Merveilleuse Vie de Jeanne d’Arc, die sehr ausführlich von Jeannes Heldentaten erzählen. Am anderen Ende des Jahrhunderts stellt sich eine ähnliche Situation ein: Mittellos und alleingelassen steht die Heldin auf der Seite der Individuen, die das gleichzeitige Erschlaffen des Wachstums und der sozialen Sicherungssysteme zu spüren bekommen; als Star Frankreichs soll Jeanne Hollywood in die Schranken weisen; die unabhängige Frau kann sich mit den Anliegen des Postfeminismus verbinden, die inzwischen den gesellschaftlichen Mainstream erreicht haben. Und innerhalb weniger Jahre lassen erst Rivettes La Pucelle und dann Bessons Jeanne d’Arc die Heldin eigensinnig wie nie in den Krieg ziehen. Zudem hat sie in dieser Zeit, in den 1990ern, so viele Mitstreiterinnen wie nie zuvor. Zwar bringt etwa das Kino schon in früheren Jahrzehnten Figuren hervor, auf die sich Aussagen über die Kämpferin Jeanne d’Arc stützen können: Detektivinnen, Herrscherinnen, Saloonbesitzerinnen. Aber ab dem Ende der 1980er Jahre vervielfältigen sich die souveränen Heldinnen: Frauen von nebenan, die unerwartete Widrigkeiten überwinden; Profis, die geschickt

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Verbrechen begehen oder bekämpfen; auch Soldatinnen, die als erstes das Misstrauen der Männer besiegen müssen. Zugleich überwinden, je weiter sich das vergangene Jahrhundert dem Ende zuneigt, immer mehr Frauen im realen Leben die alten Barrieren der Geschlechtersphären. Die Zahl der Politikerinnen in hohen Ämtern wächst. Und durch die Bilder vom ersten Krieg der USA gegen den Irak ist nicht mehr zu übersehen: Auch an regulären Kampfeinsätzen haben Frauen ihren Anteil. Von da ist der Weg nicht weit bis zu der jungen Deutschen Tanja Kreil, die für Soldatinnen der Bundeswehr dieselbe Rolle einklagt, oder bis zu Colonel Sue Ann Sandusky, die als Militär-Attaché der US-Botschaft in Liberia Dienst tut. Neben den fiktiven geben auch solche realen Frauen den Aussagen über die Heldin Jeanne d’Arc am Ende des Jahrhunderts diskursive Rückendeckung. Und umgekehrt ist die mediale Darstellbarkeit der Offizierin Sandusky unter anderem durch die zahlreichen Frauenfiguren aus Spielfilmen und anderen Fiktionen bedingt. Was nicht heißen soll, dass für den Bericht eines Pressereporters über eine zufällige Begegnung in Afrika dieselben diskursiven Regeln gelten wie für die verfilmte Geschichte einer Heldin aus dem 15. Jahrhundert. Aber ebenso wenig lässt sich behaupten, dass die skizzierten Bedingungen, die Aussagen über Jeanne d’Arc in den 1990er Jahren leichter und expliziter als zuvor zirkulieren lassen, nur für einen kleinen Bereich audiovisueller Unterhaltung von Belang wären. Die Konfliktlinien und strategischen Verwerfungen, mit denen die Heldin in Verbindung steht, ziehen sich quer durch die Streuung der Diskursereignisse. Und selbst die Möglichkeitsregeln, die sich am Starkult ablesen lassen, gelten ohne Zweifel für mehr als nur ein paar besonders prominente Figuren. Selbst ohne die zahllosen Shows, die in den jüngsten Jahren vollkommen unbekannte KandidatInnen mit Hilfe eines Wettbewerbs in den Starhimmel heben wollten, kann man zu der Überzeugung kommen: In einer hoch ausdifferenzierten Gesellschaft kann die überzeugende Verkörperung mehr oder weniger komplexer Identitäten über einiges entscheiden – nicht zuletzt über die Ausweitung von Gender-Grenzen. Allerdings folgt daraus, dass die Sollbruchstellen in dem diskursiven Netz, das die Aussagen über die aktive Heldin Jeanne im Bereich des Sagbaren hält, gleichermaßen Beachtung verdienen. Denn während das Netz im Ganzen mit der Zeit solider und flexibler wird, zerfasern auch bestimmte Verknüpfungen. Sowohl die Heldin aus den Quellen des 15. als auch die Filmheldin aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann sich noch auf bestimmte Wahrheiten verlassen: etwa den biblischen Topos von der Erwählung der Schwachen oder die Historizität der Hauptfigur. Doch in einer religiös pluralisierten Welt haben christliche Lehren bei weitem nicht mehr dieselbe Verbindlichkeit wie im

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Spätmittelalter. Und auch die historische Wahrheit verliert an Prestige: Kritiken aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lassen erkennen, dass die Berufung auf die Historie eine fragwürdige Filmheldin nicht mehr retten kann. Ebenso wenig wie die Jeanne-Traditionen der bildenden oder der darstellenden Kunst, bei denen sich die früheren Verfilmungen gerne anlehnen. Mittlerweile muss es der Filmheldin ohne solche Absicherungen gelingen, die verschiedenen Elemente ihrer Identität zusammenzuhalten. Und diese Aufgabe wird noch dadurch kompliziert, dass auch bestimmte Darstellungskonventionen ins Wanken geraten. Das alte Ideal einer bruchlosen Verkörperung verliert gegen Ende des Jahrhunderts an Überzeugungskraft. In Zeiten, in denen die Individuen beim Ausgleichen widerstreitender Anforderungen zunehmend an ihre Grenzen stoßen, kann eine Heldin, die Widersprüche erkennen lässt, umso attraktiver sein. Damit allerdings kommt auch die Möglichkeit des Scheiterns in den Blick: Worauf soll sich ihr souveränes Handeln noch gründen, wenn es der Heldin nicht gelingen sollte, die Bausteine ihrer Subjektivität letztlich doch zu einem Ganzen zu verbinden? Die Film-Jeanne der Jahrtausendwende spielt die Problematik durch: In Luc Bessons Jeanne d’Arc setzt sich die Heldin kämpferisch wie nie über Konventionen hinweg – aber dann fragmentiert sie sich. Ihr Gewissen tritt ihr als separate Figur gegenüber und zwingt sie zur Selbstergründung. Sie hat gehandelt, kommt aber zu der Überzeugung: Es war falsch. Und so geht sie ins Feuer.

Filmographie

ADE, ALAIN / CLAUDE DUTY: La Pucelle des Zincs. Frankreich 1995 AMIEL, JON: Copycat (Copykill). USA 1995 ANDERSON, PAUL W.S.: Resident Evil (Resident Evil – Genesis). Deutschland, Großbritannien 2002 APTED, MICHAEL: Enough (Genug). USA 2002 BESSON, LUC: Le Cinquième élément (Das fünfte Element). Frankreich 1997 Idem: Jeanne d’Arc. Frankreich 1999 Idem: Nikita (Nikita). Frankreich / Italien 1989 BIGELOW, KATHRYN: Blue Steel (Blue Steel). USA 1989 BOISSET, YVES: La femme flic (Die Polizistin). Frankreich 1979 BRESSON, ROBERT: Le Procès de Jeanne d’Arc. Frankreich 1962 CAMERON, JAMES: Terminator 2 – Judgment Day (Terminator 2 – Der Tag der Vergeltung). USA 1990 CAPELLANI, ALBERT: Jeanne d’Arc. Frankreich 1908 CAVALIER, ALAIN: Thérèse. Frankreich 1986 CURTIZ, MICHAEL: Elizabeth the Queen (Günstling einer Königin). USA 1939 DE BONT, JAN: Lara Croft: Tomb Raider – The Cradle of Life (Lara Croft: Tomb Raider – Die Wiege des Lebens). USA et al. 2003 DELANNOY, JEAN: Bernadette (Bernadette). Frankreich 1987 DEMILLE, CECIL B.: Cleopatra (Cleopatra). USA 1934 Idem: Joan the Woman. USA 1916 DEMME, JONATHAN: The Silence of the Lambs (Das Schweigen der Lämmer). USA 1990 DESPENTES, VIRGINIE / CORALIE TRINH THI: Baise-moi. Frankreich 2000 DMYTRYK, EDWARD: Tender Comrade. USA 1943 DREYER, CARL-THEODOR: La Passion de Jeanne d’Arc. Frankreich 1928 EAGLES, BILL: Beautiful Creatures (Beautiful Creatures). Großbritannien 1999 ENRIGHT, RAY: The Spoilers (Die Freibeuterin).USA 1942 FEUILLADE, LOUIS: Les Vampires (Die Vampire). Folge 6: Les yeux qui fascinent (Die behexenden Augen). Frankreich 1916 FITZMAURICE, GEORGE: Mata Hari (Mata Hari). USA 1931 FLEMING, VICTOR: Joan of Arc. USA 1948 GADE, SVEN: Hamlet. Deutschland 1920 GASTYNE, MARCO DE: La Merveilleuse Vie de Jeanne d’Arc. Frankreich 1928 GODARD, JEAN-LUC: A bout de souffle (Außer Atem). Frankreich 1959 GRÜNDGENS, GUSTAV: Capriolen. Deutschland 1937 HARLIN, RENNY: Cutthroat Island (Die Piratenbraut). USA 1995 Idem: The Long Kiss Goodnight (Tödliche Weihnachten). USA 1996 HATOT, GEORGES: Jeanne d’Arc. Frankreich 1898 HEMECKER, RALPH: Witchblade (Witchblade – Die Waffe der Götter). USA 2000

Filmographie

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HILL, JACK: Coffy (Coffy – Die Raubkatze). USA 1973 HITCHCOCK, ALFRED: Notorious (Berüchtigt). USA 1946 HOOKS, KEVIN: Irresistible Force (Power Cop). USA 1993 JANSON, VICTOR: Der Page vom Dalmasse-Hotel. Deutschland 1933 JENKINS, PATTY: Monster (Monster). USA, Deutschland 2003 KAPLAN, JONATHAN: Bad Girls (Bad Girls). USA 1994 KAPUR, SHEKHAR: Elizabeth (Elizabeth). Großbritannien 1998 KING, HENRY: The Song of Bernadette (Das Lied der Bernadette). USA 1944 KOSTER, HENRY: The Virgin Queen (Die jungfräuliche Königin). USA 1955 KURTZMANN, ROBERT: The Demolitionist (The Demolitionist). USA 1996 KUSAMA, KARYN: Girlfight (Girlfight – Auf eigene Faust). USA 2000 LIEBENEINER, WOLFGANG: Großstadtmelodie. Deutschland 1943 MAMOULIAN, ROUBEN: Queen Christina (Königin Christine). USA 1933 MANDOKI, LUIS: Angel Eyes (Angel Eyes). USA 2000 MANKIEWICZ, JOSEPH L.: Cleopatra (Cleopatra). USA 1962 MCLEOD, NORMAN Z.: The Paleface (Sein Engel mit den zwei Pistolen). USA 1947 MÉLIÈS, GEORGES: Jeanne d’Arc. Frankreich 1900 MEYER, JOHANNES: Schwarzer Jäger Johanna. Deutschland 1934 MULCAHY, RUSSELL: The Real McCoy (Karen McCoy – Die Katze). USA 1992 NUTTER, DAVID: Dark Angel (Dark Angel). USA 2000 PREMINGER, OTTO: Bonjour Tristesse (Bonjour Tristesse). USA 1957 Idem: Saint Joan. USA 1957 RAIMI, SAM: The Quick and the Dead (Schneller als der Tod). USA 1995 RAY, NICHOLAS: Johnny Guitar (Wenn Frauen hassen). USA 1954 RIVETTE, JACQUES: La Belle Noiseuse. Frankreich 1991 Idem: Jeanne la Pucelle. I: Les Batailles, II: Les Prisons. Frankreich 1994 ROTHEMUND, SIGI: Wilde Engel. Deutschland 2001 SCHROEDER, BARBET: Murder by Numbers (Mord nach Plan). USA 2002 SCHÜNZEL, REINHOLD: Viktor und Viktoria. Deutschland 1933 SCOTT, RIDLEY: Alien (Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt). Großbritannien 1979 Idem: G.I. Jane (Die Akte Jane). USA 1997 Idem: Thelma and Louise. USA 1991 SKLADANOWSKY, MAX: Eine moderne Jungfrau von Orléans. Deutschland 1913 STARRETT, JACK: Cleopatra Jones (Ein Fall für Cleopatra Jones). USA 1973 STERNBERG, JOSEF VON: Morocco (Marokko). USA 1930 TALALAY, RACHEL: Tank Girl (Tank Girl). USA 1994 UCICKY, GUSTAV: Das Mädchen Johanna. Deutschland 1935 VARDA, AGNÈS: Sans toît ni loi (Vogelfrei). Frankreich 1985 WACHOWSKI, ANDREW / LARRY WACHOWSKI: The Matrix (Matrix). USA 1999 WEST, SIMON: Lara Croft: Tomb Raider (Lara Croft: Tomb Raider). USA 2001

Verzeichnis der schriftlichen Quellen

Quelleneditionen AYROLES, JEAN-BAPTISTE-JOSEPH (ed.): La vraie Jeanne d’Arc. Bd. I: La Pucelle devant l’Eglise de son temps. Documents nouveaux. Paris 1890; Bd. II: La paysanne et l’inspirée d’après ses aveux, les témoins oculaires et la libre pensée. Paris 1894; Bd. III: La libératrice d’après les chroniques et les documents français et anglo-bourguignons, et la chronique inédite de Morosini. Paris 1897; Bd. IV: La vierge-guerrière d’après ses aveux, les témoins oculaires, la chrétienté, les poètes du temps, les registres publics et la libre pensée. Paris 1898 BEAUNE, COLETTE (ed.): Journal d’un bourgeois de Paris de 1405-1449. Paris 1990 Biblia Sacra Vulgatae Editionis Sixti V. Pontificis Maximi Jussu Recognita et Clementis VIII. Auctoritate Edita Nunc Novissime ad Exemplar Vaticanum Expressa Cura Dr. Josephi Francisci Allioli. 3 Bde. Regensburg, New York, Cincinnati 1891 BOCCACCIO, GIOVANNI: De claris mulieribus. Die großen Frauen. Stuttgart 1995 CAZELLES, BRIGITTE: The Lady as Saint. A Collection of French Hagiographic Romances of the Thirteenth Century. Philadelphia 1991 CLUGNET, LÉON (ed.): Vie de Sainte Marine. In: Revue de l’Orient Chrétien 8 (1903), 288-311 DUPARC, PIERRE (ed.): Procès en nullité de la condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. I-IV. Paris 1977-1986 HIERONYMUS: Gegen Iovinianus. In: Ausgewählte Schriften des heiligen Hieronymus. Bd. II. Kempten 1874, 249-471 HILL, RAYMOND T.: La Vie de Sainte Euphrosine. In: The Romanic Review 10 (1919), 159-169 u. 191-232 JACQUES DE VORAGINE: La Légende Dorée. Edition critique, dans la révision de 1476 par Jean Batailler, d’après la traduction de Jean de Vignay (1333-1348) de la Legenda aurea (c.1261-1266) publiée par Brenda Dunn-Lardeau. Paris 1997 QUICHERAT, JULES (ed.): Procès de condamnation et de réhabilitation de Jeanne d’Arc. Bd. III-V. Paris 1845-1849 TISSET, PIERRE / YVONNE LANHERS (eds.): Procès de condamnation de Jeanne d’Arc. Bd. I-II. Paris 1960-1970

Journalistische Quellen Berliner Morgenpost 11.10.1957 = W.S.: Johanna, das Kind. In: Berliner Morgenpost, 11.10.1957, 11 24.01.1969 = MARTHA CHRISTINE KÖRLING: Die Stärke dieses Films ist seine Stille. In der Lupe: „Der Prozeß Jeanne d’Arc“ [sic]. In: Berliner Morgenpost, 24.01.1969, 15

Verzeichnis der schriftlichen Quellen

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15.02.1994 = PETE E. MÜLLER: Jacques Rivette blättert sechs Stunden lang im Buch der Geschichte. In: Berliner Morgenpost, 15.02.1994, 6 03.11.1994 = EBERHARD VON ELTERLEIN: Jacques Rivette erweckt Johanna zu neuem Leben. In: Berliner Morgenpost, 03.11.1994, 51 15.11.1999 = JAN HÖHN: Eine Lanze für Frankreich. Die Grande Nation schreit auf: Kultregisseur Luc Besson hat ausgerechnet die Nationallegende „Jeanne d’Arc“ mit internationalen Stars verfilmt – und das auch noch auf Englisch. In: Berliner Morgenpost, 15.11.1999, 19 13.01.2000 = PETER ZANDER: Girlie-Power im Mittelalter. Endgültiger Abschied von der Historie: Luc Bessons postmoderne „Johanna von Orléans“. In: Berlin live. Die Programmbeilage der Berliner Morgenpost, 13.01.2000, 3 Cahiers du cinéma 07/1957 = JACQUES RIVETTE: En attendant les Godons. In: Cahiers du cinéma, Juli 1957, 38-40 02/1963 = YVES KOVACS: Entretien avec Robert Bresson. In: Cahiers du cinéma, Februar 1963, 4-10 05/1963a = PAUL VECCHIALI: Les fausses apparences. In: Cahiers du cinéma, Mai 1963, 35-39 05/1963b = CLAUDE BEYLIE: Corps mémorable. In: Cahiers du cinéma, Mai 1963, 40-42 05/1963c = JEAN-LOUIS COMOLLI: L’autre ailleurs. In: Cahiers du cinéma, Mai 1963, 42-49 05/1963d = JACQUES RIVETTE: Note sur l’insuccès commercial. In: Cahiers du cinéma, Mai 1963, 49 02/1993 = FRÉDÉRIC STRAUSS: Jeanne la Pucelle. In: Cahiers du cinéma, Februar 1993, 18-25 02/1994a = THIERRY JOUSSE: De Jeanne d’Arc à Sarajevo. In: Cahiers du cinéma, Februar 1994, 4f. 02/1994b = CAMILLE NEVERS: L’avenir d’une illusion. In: Cahiers du cinéma, Februar 1994, 24-26 02/1994c = FRÉDÉRIC STRAUSS / VINCENT VATRICAN: Entretien avec Sandrine Bonnaire. In: Cahiers du cinéma, Februar 1994, 27-32 12/1999a = THIERRY JOUSSE: Il faut sauver le soldat Jeanne d’Arc. In: Cahiers du cinéma, Dezember 1999, 24f. 12/1999b = FRÉDÉRIC STRAUSS: Une pensée pour Jeanne. In: Cahiers du cinéma, Dezember 1999, 74-76 Ciné-Miroir 25.11.1927 = HENRY MÉGUIN: L’autre Jeanne d’Arc. In: Ciné-Miroir, 25.11.1927, 420 16.12.1927 = ANON.: „La Merveilleuse Vie de Jeanne d’Arc“. Des milliers de figurants furent engagés pour ce film. In: Ciné-Miroir, 16.12.1927, 462 01.01.1928a = ANON.: M. Natan. In: Ciné-Miroir, 01.01.1928, 32 01.01.1928b = ANON.: Simone Genevois. In: Ciné-Miroir, 01.01.1928, VI 01.01.1928c = ANON.: Falconetti. In: Ciné-Miroir, 01.01.1928, VII

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Verzeichnis der schriftlichen Quellen

Cinémonde 26.10.1928 = GASTON THIERRY: La Passion de Jeanne d’Arc. L’œuvre magistrale de Carl Dreyer qui sera portée aux nues et âprement disputée. In: Cinémonde, 26.10.1928, 8 06.12.1928 = O. MYRIAM: Maquillage. In: Cinémonde, 06.12.1928, 129. 20.12.1928 = ANON.: La Passion de Jeanne d’Arc. In: Cinémonde, 20.12.1928, 182 18.04.1929a = PALUEL-MARMONT: Les 3 Jeanne d’Arc. In: Cinémonde, 18.04.1929, 456f. 18.04.1929b = RENÉ OLIVET: On verra cette semaine à Paris. In: Cinémonde, 18.04.1929, 458 16.05.1929 = ED. PASQUIÉ: En guerroyant avec Simone Genevois. In: Cinémonde, 16.05.1929, 521 03.11.1929a = S.B.D.: Firmament 1928. In: Cinémonde, 03.11.1929, 213 03.11.1929b = MYRIAM AGHION: Comment nous avons tourné La Passion de Jeanne d’Arc. In: Cinémonde, 03.11.1929, 215 18.07.1935 = LUCIE DERAIN: La femme et l’histoire. In: Cinémonde, 18.07.1935, 574 24.10.1949a = ANON.: Grande Soirée Parisienne: Jeanne d’Arc brulée à l’opéra. In: Cinémonde, 24.10.1949, 4f. 24.10.1949b = ROBERT CHAZAL: Sur les écrans de Paris: De la grande histoire aux faits divers. In: Cinémonde, 24.10.1949, 15 30.05.1957 = ANON.: Sainte Jeanne. In: Cinémonde, 30.05.1957, 32 La Croix 10./11.11.1929 = L’ABBÉE LOUIS BETHLÉEM: Un film malheureux. „La Merveilleuse Vie de Jeanne d’Arc“. In: La Croix, 10./11.11.1929, 4 27.10.1949 = J. MERVIL: Jeanne d’Arc (Joan of Arc). In: La Croix, 27.10.1949, 4 06.06.1957 = JEAN ROCHEREAU: Sainte Jeanne. In: La Croix, 06.06.1957, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 20./21.05.1962 = JEAN ROCHEREAU: Jeanne d’Arc et Bresson devant les juges de Cannes. In: La Croix, 20./21.05.1962, 6 28.03.1963 = HENRY RABINE: Le Procès de Jeanne d’Arc. In: La Croix, 28.03.1963, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994a = JEAN-LUC MACIA: Rivette: L’hommage à la Pucelle. In: La Croix, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994b = PHILIPPE ROYER / JEAN-LUC MACIA / MICHEL CRÉPU: «Montrer une Jeanne en marche». In: La Croix, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994c = JEAN-LUC MACIA: L’expérience de Sandrine. In: La Croix, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994d = BRUNO CHENU: La prophétesse au service de dieu. In: La Croix, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994e = MICHEL CRÉPU: Jeanne, du symbole au fétiche. In: La Croix, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 30./31.10./01.11.1999a = PHILIPPE ROYER: Jeanne d’Arc résiste à toutes ses légendes. In: La Croix, 30./31.10./01.11.1999, 4f.

Verzeichnis der schriftlichen Quellen

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30./31.10./01.11.1999b = AUDE CARASCO: A Domrémy, un nouveau centre «johannique». Financé par les Vosges et l’Europe, ce centre rassemble tout ce qui a pu être dit sur Jeanne, à deux pas de sa maison natale. In: La Croix, 30./31.10./01.11.1999, 5 30./31.10./01.11.1999c = PH[ILIPPE] R[OYER]: La Pucelle sans mystère de Luc Besson. Dans son film, le cinéaste ne privilégie que le spectaculaire et l’explicite. Même s’il a le mérite de montrer Jeanne au grand public. In: La Croix, 30./31.10./ 01.11.1999, 6 30./31.10./01.11.1999d = PHILIPPE SÉGUIN: Il existe une vraie modernité de Jeanne d’Arc. In: La Croix, 30./31.10./01.11.1999, 7 30./31.10./01.11.1999e = DIDIER DASTARAC: Elle veut conduire son roi vers une liberté intérieure. In: La Croix, 30./31.10./01.11.1999, 7 epd Film 04/1994 = KARLHEINZ OPLUSTIL: Resnais/Rivette. Doppelfilme aus Frankreich. In: epd Film, April 1994, 4f. 11/1994 = CLAUS PHILIPP: Johanna, die Jungfrau. In: epd Film, November 1994, 37f. 01/2000 = MARLI FELDVOSS: Die Heilige als Popstar. Johanna von Orléans von Luc Besson. In: epd Film, Januar 2000, 48f. Ev. Film-Beobachter 02.11.1950 = -CK.: „Johanna von Orléans“ („Joan of Arc“). In: Evangelischer FilmBeobachter, 02.11.1950, 159f. 10.10.1957 = WK.: „Die heilige Johanna“. In: Evangelischer Film-Beobachter, 10.10.1957, 489f. 12.02.1966 = ANON.: Bester Film des Monats Dezember 1965. In: Evangelischer FilmBeobachter, 12.02.1966, 98 12.03.1966 = TH.: Der Prozeß der Jeanne d’Arc (Le procès de Jeanne d’Arc). In: Evangelischer Film-Beobachter, 12.03.1966, 178f. FAZ 19.10.1950 = ROBERT HELD: Kitsch mit Funktion. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.10.1950, ohne Paginierung 30.09.1957 = K.K.: Shaw-Premingers „Heilige Johanna“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.09.1957, 10 14.02.1994 = JOSEPH HANIMANN: Vom ewigen Aufbruch der Jugend. Jacques Rivette verfilmte die Geschichte der Jungfrau von Orléans: Das Mysterium wird alltäglich, der Alltag mysteriös. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.02.1994, 27 13.11.1999 = WILFRIED WIEGAND: Die allererste Protestantin. Das Ewigweibliche, hier wird’s Ereignis: Nicht Frankreichs Selbstzweifel treiben Luc Besson bei seiner Jeanne d’Arc-Verfilmung an, sondern das Schicksal einer Frau. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.1999, 41

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Verzeichnis der schriftlichen Quellen

14.01.2000 = ANDREAS KILB: Mädchenjahre einer Kriegerin. Schlachtpracht: Milla Jovovich reitet für Frankreich in Luc Bessons Film „Johanna von Orléans“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.01.2000, 51 Le Figaro 13.11.1948 = BERNARD GASTON-CHÉRAU: Dans une apothéose de lumières est née la „Jeanne d’Arc“ américaine. Mais Hollywood a fait de notre héroïne nationale une héroïne du far-west. In: Le Figaro, 13.11.1948, ohne Paginierung (Archiv Centre Jeanne d’Arc, Orléans) 25.10.1949 = LOUIS CHAUVET: «Jeanne d’Arc» avec Ingrid Bergman. Un riche et fidèle album d’images. In: Le Figaro, 25.10.1949, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 11./12.05.1957 = RANDAL LEMOINE: Emouvante soirée à Garches. 120 «Polios» ont été les premiers à applaudir le film «Sainte Jeanne». In: Le Figaro, 11./12.05.1957, 17 22.05.1957 = LOUIS CHAUVET: «Sainte Jeanne». In: Le Figaro, 22.05.1957, 14 19./20.05.1962 = LOUIS CHAUVET: La Jeanne d’Arc de Bresson. In: Le Figaro, 19./20.05.1962, 22 19.03.1963 = LOUIS CHAUVET: Le Procès de Jeanne d’Arc. In: Le Figaro, 19.03.1963, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994 = FRANÇOISE MAUPIN: L’ordinaire du soldat. In: Figaroscope, 09.02.1994, 53 14.02.1994 = MARIE-NOËLLE TRANCHANT: Le long et le court. In: Le Figaro, 14.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 02.03.1994 = BRIGITTE FRIANG: Jeanne d’Arc: l’Histoire mutilée. Ses compagnons d’armes s’interrogeaient: Jeanne est-elle de Dieu ou du diable? Pour nous, est-elle de Dieu ou du monde? In: Le Figaro, 02.03.1994, ohne Paginierung (Archiv Centre Jeanne d’Arc, Orléans) 26.10.1999a = DANIEL BENSAÏD: La Revenante. La Pucelle appartient au cercle rare des privilégiés d’une éternelle jeunesse. Sa résistance, la fidélité à ses voix, contre l’imposante autorité de dizaines de prêtres et de docteurs, est le modèle de toutes les résistances. In: Le Figaro, 26.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 26.10.1999b = JEAN-LUC WACHTHAUSEN: Sauvera-t-elle le cinéma français? En marge de la sortie de la superproduction de Besson se joue la cote des films français face à la domination américaine. In: Le Figaro, 26.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 26.10.1999c = GÉRARD LECLERC: Jeanne la grande. Malheureux juges dont les bévues confirment la génie de cette humble lorraine, le meilleur des capitaines, la plus évangélique des bienheureuses. In: Le Figaro, 26.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 26.10.1999d = ARMELLE HÉLIOT: Les visages d’une légende. On ne connaît pas de portrait de Jeanne. Mais les arts, la littérature comme le cinéma, ont cherché l’image idéale. In: Le Figaro, 26.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris)

Verzeichnis der schriftlichen Quellen

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27.10.1999 = ANON.: L’art de la fresque. In. Le Figaro, 27.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.11.1999 = MARIE-VÉRONIQUE CLIN: Quand Besson malmène Jeanne d’Arc. Pourquoi prendre tant de liberté avec l’Histoire, quand celle-ci fait la part si belle à notre imaginaire? In: Figaro, 09.11.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) Der Film 29.10.1922 = T.: Die Jungfrau von Orleans [sic]. In: Der Film, 29.10.1922, 33 24.11.1928 = BETZ.: Johanna von Orléans. In: Der Film, 24.11.1928, ohne Paginierung 27.04.1935 = BETZ.: Das Mädchen Johanna. Festvorstellung im Ufa-Palast am Zoo. In: Der Film, 27.04.1935, ohne Paginierung Film-Dienst 29.09.1950 = FD: Johanna von Orléans (Joan of Arc). In: Film-Dienst, 29.09.1950, ohne Paginierung 25.10.1957 = SA.: Die heilige Johanna (Saint Joan). In: Film-Dienst, 25.10.1957, 449 27.10.1965a = EJW: Der Prozeß der Jeanne d’Arc. Procès de Jeanne d’Arc. In: FilmDienst, 27.10.1965, ohne Paginierung 27.10.1965b = ANON.: Robert Bresson zu seinem Film „Der Prozess der Jeanne d’Arc“. In: Film-Dienst, 27.10.1965, ohne Paginierung 29.03.1994 = ROSWITHA NADDAF: Jeanne la Pucelle. Die Jungfrau von Orléans. In: FilmDienst, 29.03.1994, 19f. 30.08.1994a = FRANZ ULRICH: Eine Jungfrau für jede Jahreszeit. Jeanne d’Arc und ihre Darstellung im Kino. In: Film-Dienst, 30.08.1994, 4-8 30.08.1994b = REINHOLD ZWICK: Johanna, die Jungfrau. 1. Film: Der Kampf. 2. Film: Der Verrat. Jeanne la Pucelle. In: Film-Dienst, 30.08.1994, 22-24 04.01.2000 = ANDREA DITTGEN: Johanna von Orleans [sic]. The Messenger: The Story of Joan of Arc. In: Film-Dienst, 04.01.2000, 26f. Film-Kurier 23.05.1922 = ANON.: „Die Jungfrau von Orleans“ [sic]. In: Film-Kurier, 23.05.1922, 3 27.10.1922 = -E-: „Die Jungfrau von Orleans“ [sic]. Marmorhaus. In: Film-Kurier, 27.10.1922, 2 09.02.1927 = ANON.: Der französische „Jeanne d’Arc“-Film. In: Film-Kurier, 09.02.1927, 5 23.11.1928 = GEORG HERZBERG: Johanna von Orléans. (Gloria-Palast.) In: Film-Kurier, 23.11.1928, 2 03.11.1934 = -R.: Gustav Ucicky. In: Film-Kurier, 03.11.1934, ohne Paginierung 11.01.1935 = ANON.: Studien um „Johanna“. In: Film-Kurier, 11.01.1935, ohne Paginierung 19.02.1935 = ANON.: Dr. Goebbels und der Johanna-Film. In: Film-Kurier, 19.02.1935, ohne Paginierung

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Verzeichnis der schriftlichen Quellen

26.04.1935 = BEWE.: Wir schufen, – wir hoffen –! Ein Gespräch mit Gustav Ucicky. In: Film-Kurier, 26.04.1935, ohne Paginierung 27.04.1935 = G.H.: Das Mädchen Johanna. Festliche Vorstellung im Ufapalast am Zoo. In: Film-Kurier, 27.04.1935, ohne Paginierung FR 23.09.1950 = ANON.: [Fotografie von Ingrid Bergman ohne begleitenden Artikel] In: Frankfurter Rundschau, 23.09.1950, ohne Paginierung 19.10.1950 = DIETER FRITKO: Johanna auf der Leinwand. In: Frankfurter Rundschau, 19.10.1950, 5 27.09.1957 = WOLFGANG BARTSCH: Shaws und Premingers „Johanna“. Ein Wiener drehte nach irischem Stück den Film über Frankreichs Jungfrau. In: Frankfurter Rundschau, 27.09.1957, 8 29.05.1962 = ANON.: [Notiz ohne Titel neben einer Fotografie von Simone Genevois]. In: Frankfurter Rundschau, 29.05.1962, 7 15.02.1994 = HEIKE KÜHN: Keine weltfremde Märtyrerin. Jacques Rivettes Geschichte der Jungfrau von Orléans. In: Frankfurter Rundschau, 15.02.1994, 7 02.09.1994 = KARSTEN VISARIUS: Die geharnischte Querulantin. Jacques Rivettes zweiteiliger Film über „Jeanne la Pucelle“, die Jungfrau von Orleans [sic]. In: Frankfurter Rundschau, 02.09.1994, 8 15.11.1999 = RUDOLF WALTHER: Die Heilige Jeanne der Kinokrieger. Im nationalen Wechselbad: Luc Bessons „Jeanne d’Arc“-Film erhitzt die Franzosen. In: Frankfurter Rundschau, 15.11.1999, 12 14.01.2000 = VERONIKA RALL: Zwischen L’Oreal [sic] und Orléans. Luc Besson schickt Milla Jovovich als Heilige Johanna in die Kino-Schlacht. In: Frankfurter Rundschau, 14.01.2000, 12 France-Soir 15.10.1949a = ANON.: Ingrid Bergman et le R.P. Doncœur ont été les deux vedettes du gala Jeanne d’Arc, hier à l’Opéra. In: France-Soir, 15.10.1949, 4 15.10.1949b = A[NDRÉ] L[ANG]: Jeanne d’Arc. In: France-Soir, 15.10.1949, 6 12.05.1957 = ANON.: Ce soir à l’Opéra première de «Sainte Jeanne» (de Preminger). In: France-Soir, 12.05.1957, 7 14.05.1957 = J.-L. Q.: Pour applaudir Jean Seberg (la sainte Jeanne de Preminger) le Tout-Paris et des vedettes de Cannes ont abrégé leur week-end. In: France-Soir, 14.05.1957, 7 25.05.1957 = ANDRÉ LANG: Sainte Jeanne vue par Otto Preminger d’après la pièce de G.-B. Shaw. In: France-Soir, 25.05.1957, 10 20./21.05.1962 = JACQUELINE CARTIER: Au festival, il y a ceux qui s’ennuient et ceux qui font parler d’eux. In: France-Soir, 20./21.05.1962, 11 16.03.1963 = ROBERT CHAZAL: «Procès de Jeanne d’Arc» (celui de la justice). In: FranceSoir, 16.03.1963, 10 09.02.1994 = ANON.: Sainte Sandrine d’Arc. In: France-Soir, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris)

Verzeichnis der schriftlichen Quellen

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27.10.1999 = ANON.: Oui à celle qui a dit non. In: France-Soir, 27.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) Frankfurter Zeitung 12.12.1928 = BERNARD VON BREATAUS: Johanna von Orléans. In: Frankfurter Zeitung, 12.12.1928, 1f. 28.04.1935 = M.S.: „Das Mädchen Johanna“. In: Frankfurter Zeitung, 28.04.1935, 1 Germania 23.11.1928 = J.: Johanna von Orléans. Zur Uraufführung im Gloria-Palast. In: Germania, 23.11.1928, ohne Paginierung 28.04.1935 = H. BOHM: „Das Mädchen Johanna“. Im Ufa-Palast am Zoo. In: Germania, 28.04.1935, ohne Paginierung L’Humanité 10.11.1929 = LÉON MOUSSINAC: Cinéma... Cette semaine... In: L’Humanité, 10.11.1929, 4 05.11.1949 = GUY LECLERC: Jeanne d’Arc deux foix assassinée. In: L’Humanité, 05.11.1949, 4 25.05.1957 = ARMAND MONJO: Sainte Jeanne. In: L’Humanité, 25.05.1957, 2 19.05.1962 = SAMUEL LACHIZE: L’affaire «Boccace 70» rebondit tandis que «Jeanne d’Arc» de Robert Bresson apparaît sur l’écran. In: L’Humanité, 19.05.1962, 2 09.02.1994a = JEAN ROY: «Jeanne la Pucelle». In: L’Humanité, 09.02.1994, ohne Paginierung (http://www.humanite.fr/1994-02-09_Articles_-Jeanne-la-Pucelle-AINSIapres-Dreyer-Rossellini-Preminger, Stand: 26.10.2008) 09.02.1994b = CHARLES SILVESTRE: Pascal Bonitzer: il fallait laver la figure de Jeanne. In: L’Humanité, 09.02.1994, ohne Paginierung (http://www.humanite.fr/1994-02-09_ Articles_-Pascal-Bonitzer-il-fallait-laver-la-figure-de-Jeanne, Stand: 26.10.2008) 09.02.1994c = J.R.: Jeanne, coqueluche du cinématographe. In: L’Humanité, 09.02.1994, ohne Paginierung (http://www.humanite.fr/1994-02-09_Articles_Jeanne-coqueluche-du-cinematographe, Stand: 26.10.2008) 09.02.1994d = ARNAUD SPIRE: Georges Duby: cette fille était rebelle. In: L’Humanité, 09.02.1994, ohne Paginierung (http://www.humanite.fr/1994-02-09_Articles_Georges-Duby-cette-fille-etait-rebelle, Stand: 26.10.2008) 09.02.1994e = A.S.: Jean Favier: elle appartient à la France. In: L’Humanité, 09.02.1994, ohne Paginierung (http://www.humanite.fr/1994-02-09_Articles_-Jean-Favier-elleappartient-a-la-France, Stand: 26.10.2008) 27.10.1999 = JEAN ROY: Jeanne la «Jedi». In: L’Humanité, 27.10.1999, ohne Paginierung (http://www.humanite.fr/1999-10-27_Cultures_-Jeanne-la-Jedi, Stand: 26.10.2008) L’Intransigeant 12.05.1928 = MARCEL ROBERT: Jeanne d’Arc à Pierrefonds. In: L’Intransigeant, 12.05.1928, 6 27.10.1928 = B.: Jeanne d’Arc est menée au supplice. In: L’Intransigeant, 27.10.1928, 6

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Verzeichnis der schriftlichen Quellen

20.04.1929 = ROGER RÉGENT: Jeanne d’Arc à l’Opéra. In: L’Intransigeant, 20.04.1929, 6 02.11.1929 = ANON.: Les Films de la Semaine. In: L’Intransigeant, 02.11.1929, 6 Kölnische Volkszeitung 28.04.1935 = DNB: „Das Mädchen Johanna“. Gewaltiger Erfolg im Ufa-Palast am Zoo. In: Kölnische Volkszeitung, 28.04.1935, 2 12.05.1935 = -SS-: „Das Mädchen Johanna“. Erstaufführung des Ufa-Films in Köln. Kölnische Volkszeitung, 12.05.1935, 5 Kreuz-Zeitung 28.04.1935 = -TZ.: Die Legende vom Mädchen Johanna. Ein repräsentativer Film zum Film-Kongreß. In: Kreuz-Zeitung, 28.04.1935, 15 Libération 25.10.1949 = JEANDER: Jeanne d’Arc. Film américain. Gaumont-Palace, Rex (v.d.). In: Libération, 25.10.1949, 2 24.05.1957 = SIMONE DUBREUILH: Sainte Jeanne sans foi, sans amour... In: Libération, 24.05.1957, 2 23./24.03.1963 = HENRY MAGNAN: Procès de Jeanne d’Arc. In: Libération, 23./24.03.1963, 6 09.02.1994a = GÉRARD LEFORT / DIDIER PERON / OLIVIER SEGURET: La Jeanne de Jacques. In Libération, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994b = GÉRARD LEFORT / OLIVIER SEGURET: Bonnaire: «Je sais où je mets les pieds». In: Libération, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994c = JEAN-CLAUDE SCHMITT: Un mythe composite. In: Libération, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994d = O.ST.: Christine Laurent, la Pucelle mot à mot. In: Libération, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 27.10.1999a = DIDIER PÉRON: Jeanne dépucelée. Besson dépoussière l’héroïne hantée et signe son meilleur film. In: Libération, 27.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 27.10.1999b = MICHEL HOLTZ: Les grands bleus. La coterie de Besson et ses méthodes sont vertement dénoncées. In: Libération, 27.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 27.10.1999c = J.-M. L.: La guerre de cent ans. In: Libération, 27.10.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 03.11.1999 = DANIEL BENSAÏD: Jeanne l’irreprésentable. Si la Pucelle de Besson deçoit, c’est qu’elle est trop réelle pour autoriser la fiction, et trop mythique pour se plier aux normes du réalisme historique. In: Libération, 03.11.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris)

Verzeichnis der schriftlichen Quellen

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Lichtbildbühne 12.05.1922 = ANON.: Die Jungfrau von Orleans [sic, Werbeanzeige]. In: Lichtbildbühne, 12.05.1922, 56f. 20.05.1922 = ANON.: Die Jungfrau von Orleans [sic, Werbeanzeige]. In: Lichtbildbühne, 20.05.1922, 16f. 03.11.1922 = -SKI: Bemerkenswerte Filmneuheiten. Die Jungfrau von Orléans. In: Lichtbildbühne, 03.11.1922, 29 23.11.1928 = HANS WOLLENBERG: Johanna von Orleans [sic]. Film der Société Générale de Films im Ufaleih – Gloria-Palast. In: Lichtbildbühne, 23.11.1928, 2 27.04.1935 = S-K.: Das Mädchen Johanna. Ein Ufa-Film – Ufa-Palast am Zoo. In: Lichtbildbühne, 27.04.1935, ohne Paginierung Le Monde 25.10.1949 = HENRY MAGNAN: „Jeanne d’Arc“. In: Le Monde, 25.10.1949, 8 30.01.1957 = HENRY MAGNAN: Brève rencontre avec Jeanne d’Arc. In: Le Monde, 30.01.1957, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 27.05.1957 = JEAN DE BARONCELLI: «Sainte Jeanne» d’Otto Preminger d’après la pièce de Bernard Shaw. In: Le Monde, 27.05.1957, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 20.05.1962 = JEAN DE BARONCELLI: Présentation du «Procès de Jeanne d’Arc» de Robert Bresson. In: Le Monde, 20.05.1962, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 16.03.1963 = YVONNE BABY: Entretien avec Robert Bresson. «Procès de Jeanne d’Arc est né de paroles, a été échafaudé sur des paroles». In: Le Monde, 16.03.1963, 14 17./18.03.1963 = JEAN DE BARONCELLI: «Procès de Jeanne d’Arc». In: Le Monde, 16.03.1963, 15 07.05.1992 = J[EAN]-M[ICHEL] F[RODON]: «Jeanne» au bûcher? In: Le Monde, 07.05.1992, 38 29.04.1993a = JEAN-MICHEL FRODON: Un mythe saisi en mouvement. In: Le Monde, 29.04.1993, 27 29.04.1993b = J[EAN]-M[ICHEL] F[RODON]: La bataille de la production. In: Le Monde, 29.04.1993, 27 10.02.1994a = JEAN-MICHEL FRODON: Un miracle en marche. In: Le Monde, 10.02.1994, I, VIf. 10.02.1994b = J[EAN]-M[ICHEL] F[RODON]: Le dialogue des Jeanne. In: Le Monde, 10.02.1994, VIf. 10.02.1994c = P[ASCAL] M[ERIGEAU]: Filmographie. In: Le Monde, 10.02.1994, VII 10.02.1994d = JEAN-MICHEL FRODON: Chronique des regards. In: Le Monde, 10.02.1994, VII 27.02.1994 = BRUNO FRAPPAT: Chère Jeanne. In: Le Monde Radio-Télévision, 27.02.1994, 39 13.10.1999 = JEAN-MICHEL FRODON: Pierre-Ange Le Pogam ouvre le chemin à Jeanne d’Arc. In: Le Monde, 13.10.1999, 32

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Verzeichnis der schriftlichen Quellen

27.10.1999a = J[EAN]-M[ICHEL] F[RODON]: Sainte Jeanne, comédienne et martyre. Jeanne d’Arc. De Chinon à Rouen, Luc Besson choisit le parti de son héroïne au cours d’un récit à la dynamique complexe. In: Le Monde, 27.10.1999, 32 27.10.1999b = JEAN-FRANÇOIS RAUGER: Une star éternelle du grand écran. In: Le Monde, 27.10.1999, 32 27.10.1999c = JEAN-MICHEL FRODON: «Le succès me donne la possibilité de faire des propositions ambitieuses». In: Le Monde, 27.10.1999, 32 21.11.1999 = ANON.: Cinéma: Catherine Trautmann a vu Jeanne d’Arc. In: Le Monde, 21.11.1999, 27 07.12.1999 = MICHEL ROCA: Il est mal d’offenser Jeanne. In: Le Monde, 07.12.1999, 14 18.12.1999a = JEAN PERROT: Echange Jedi contre Jeanne d’Arc. In: Le Monde, 18.12.1999, 18 18.12.1999b = EMMANUEL ROY: Cinécrophilie. In: Le Monde, 18.12.1999, 18 11.01.2000 = JEAN-MICHEL FRODON: Vers la fin de l’exception française? In: Le Monde, 11.01.2000, 32 12.04.2000 = SYLVIE LINDEPERG: Jeanne à l’écran, à travers les âges de l’image. Une rétrospective à Epinay de la figure historique la plus souvent traitée par le cinéma. In: Le Monde, 12.04.2000, 28 Neue Preußische Kreuz-Zeitung 29.10.1922 = ANON.: Filmschau. In: Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 29.10.1922, ohne Paginierung 23.11.1928 = V.D.D.: Johanna von Orléans. Zu der Film-Aufführung im „GloriaPalast“. In: Neue Preußische Kreuz-Zeitung, 23.11.1928, ohne Paginierung New York Times 25.12.1916 = ANON.: Spectacular Films for Holiday Week. In „Joan, the Woman,“ Miss Farrar Is Centre of Admirable Cinema Pageantry. In: New York Times, 25.12.1916, 7 25.02.1917 = ANON.: „Joan the Prima Donna“. In: New York Times, 25.02.1917, III, 2 29.03.1929 = MORDAUNT HALL: Jeanne d’Arc’s Trial. In: New York Times, 29.03.1929, 21 31.03.1929 = MORDAUNT HALL: Poignant French Film. Maria Falconetti Gives Unequaled Performance as Jeanne d’Arc. In: New York Times, 31.03.1929, VIII, 7 09.10.1935 = H[ARRY] T. S[MITH]: At the 79th Street Theatre. In: New York Times, 09.10.1935, 27 21.12.1947 = ELIZABETH PALLETTE: A Date at the Stake. Burning of Joan of Arc Staged for Film. In: Gene Brown (ed.): The New York Times Encyclopedia of Film, 19471951. New York 1984, ohne Paginierung (zuerst: New York Times, 21.12.1947) 12.11.1948 = BOSLEY CROWTHER: Ingrid Bergman Plays Title Role in „Joan of Arc“ at Victoria. In: New York Times, 12.11.1948, 30 17.02.1957 = STEPHEN WATTS: Screening Shaw’s ‚Saint Joan‘ on Schedule. American Unit Meets Deadline During Filming of Play in English Studio. In: Gene Brown (ed.): The New York Times Encyclopedia of Film, 1952-1957. New York 1984, ohne Paginierung (zuerst: New York Times, 17.02.1957)

Verzeichnis der schriftlichen Quellen

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07.04.1957 = GILBERT MILLSTEIN: Evolution of a New Saint Joan. Jean Seberg, 18, unknown and barely tried, illustrates how a star is made, if not born. In: Gene Brown (ed.): The New York Times Encyclopedia of Film, 1952-1957. New York 1984, ohne Paginierung (zuerst: New York Times, 07.04.1957) 27.06.1957 = A.H. WEILER: The Screen: ‚Saint Joan‘. Preminger’s Version of Shaw Play Bows. In: New York Times, 27.06.1957, 21 12.02.1965 = BOSLEY CROWTHER: Screen: The ‚Trial of Joan of Arc‘ at the New Yorker. Entry in ’63 Fete Here Back for Short Run. Bresson Film Stresses Dialogue Austerely. In: New York Times, 12.02.1965, 19 29.11.1996 = LAWRENCE VAN GELDER: New Look at the Maid Destined to Save France. In: New York Times, 29.11.1996, C, 14 12.11.1999 = JANET MASLIN: Joan, Medieval Warrior Princess. The Messenger. The Story of Joan of Arc. In: New York Times, 12.11.1999, E, 14 Le Nouvel Observateur 10.02.1994a = ALAIN RIOU: La longue chevauchée de Jacques Rivette. In: Le Nouvel Observateur, 10.02.1994, ohne Paginierung (http://hebdo.nouvelobs.com/hebdo/parution/p1527/ articles/a26184-.html?xtmc=rivettejeanne&xtcr=9, Stand: 01.11.2008) 10.02.1994b = JACQUELINE ARTUS: Les carnets de Sandrine Bonnaire. In: Le Nouvel Observateur, 10.02.1994, ohne Paginierung (http://hebdo.nouvelobs.com/hebdo/parution/p1527/ articles/a26183-.html?xtmc=rivettejeanne&xtcr=42, Stand: 01.11.2008) 21.10.1999 = FRANÇOIS FORESTIER: Jeanne d’Arc est une rockeuse. In: Le Nouvel Observateur, 21.10.1999, ohne Paginierung (http://hebdo.nouvelobs.com/hebdo/parution/p1824/ articles/a26956-.html?xtmc=rockeusejeanne&xtcr=1, Stand: 01.11.2008) Les Nouvelles littéraires 17.11.1928 = ALEXANDRE ARNOUX: La Passion de Jeanne d’Arc. Verdun, visions d’Histoire. In: Les Nouvelles littéraires, 17.11.1928, 11 24.10.1949 = G. CHARENSOL: Jeanne d’Arc. In: Les Nouvelles littéraires, 24.10.1949, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 20.06.1957 = G. CHARENSOL: Sainte Jeanne. In: Les Nouvelles littéraires, 20.06.1957, 10 06.12.1962 = RÉGINE PERNOUD: «Jeanne d’Arc» par elle-même. In: Les Nouvelles littéraires, 06.12.1962, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 21.03.1963 = G. CHARENSOL: Un art de l’âme. Procès de Jeanne d’Arc. In: Les Nouvelles littéraires, 21.03.1963, 12 Le Petit Parisien 25.05.1928 = ANON.: La «Vie merveilleuse [sic] de Jeanne d’Arc». In: Le Petit Parisien, 25.05.1928, 5 08.06.1928 = JACQUES VIVIEN: Critique cinématographique. In: Le Petit Parisien, 08.06.1928, 5 06.07.1928 = JACQUES VIVIEN: Critique cinématographique. In: Le Petit Parisien, 06.07.1928, 5

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Verzeichnis der schriftlichen Quellen

12.04.1929 = ANON.: La «Merveilleuse Vie de Jeanne d’Arc». In: Le Petit Parisien, 12.04.1929, 5 19.04.1929 = ANON.: [Fotografie von Simone Genevois ohne begleitenden Artikel]. In: Le Petit Parisien, 19.04.1929, 5 20.04.1929 = J.V.: Jeanne d’Arc à l’Opéra. In: Le Petit Parisien, 20.04.1929, 5 26.04.1929 = JACQUES VIVIEN: Critique cinématographique. In: Le Petit Parisien, 26.04.1929, 5 Positif 02/1994 = FRANÇOISE AUDÉ: Jeanne la Pucelle. Martyre en 1431, canonisée en 1920, citoyenne en 1994. In: Positif, Februar 1994, 26f. 12/1999 = M.C.: Jeanne d’Arc. In: Positif, Dezember 1999, 58f. Pour Vous 15.12.1928 = CHARENSOL: Quand Dreyer tournait «Jeanne d’Arc»... In: Pour Vous, 15.12.1928, 11 27.12.1928 = R.: Jeanne d’Arc. In: Pour Vous, 27.12.1928, 5 25.04.1929 = ROGER RÉGENT: La merveilleuse vie de Jeanne d’Arc. In: Pour Vous, 25.04.1929, 7 16.05.1929 = ALEXANDRE ARNOUX: Enfin nous avons vu la version intégrale de „Jeanne d’Arc“ de Carl Dreyer. In: Pour Vous, 16.05.1929, 2 07.11.1929 = M.P.: La merveilleuse vie de Jeanne d’Arc. In: Pour Vous, 07.11.1929, 5 SZ 16.10.1950 = GUNTER GROLL: Glanz und Glorie um Johanna. In: Süddeutsche Zeitung, 16.10.1950, 3 12.11.1957 = FRANZISKA VIOLET: Von der Leinwand notiert. In: Süddeutsche Zeitung, 12.11.1957, 7 04.11.1965 = HDR: Bressons Jeanne d’Arc. In: Süddeutsche Zeitung, 04.11.1965, 17 11.02.1969 = HELMUT FÄRBER: Die weggenommene Sprache. Erstaufführung von Bressons „Jeanne d’Arc“-Film in München. In: Süddeutsche Zeitung, 11.02.1969, 12 15.02.1994 = FRITZ GÖTTLER: Den Blick in Stein gefaßt. Ein erster Wendepunkt der Berlinale: Jacques Rivette und „Jeanne la Pucelle“. In: Süddeutsche Zeitung, 15.02.1994, 13 27.05.1995 = GÖT: Im Magnetfeld beharrlichen Handelns. In: Süddeutsche Zeitung, 27.05.1995, 14 12.01.2000 = CLAUDIUS SEIDL: Jungfrau von New Orleans. Zwischen Historie und Hysterie: Luc Besson hat Leben und Wirkungen der Jeanne d’Arc verfilmt. In: Süddeutsche Zeitung, 12.01.2000, 18 taz 01.09.1994a = ANNETTE WAGNER: Die Stimmen der Heiligen. In: die tageszeitung, 01.09.1994, 16f. 01.09.1994b = MARIAM NIROUMAND: Vogelfrei! In: die tageszeitung, 01.09.1994, 15

Verzeichnis der schriftlichen Quellen

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13.01.2000 = ANKE LEWEKE: Jungfrauenmaschine. In: die tageszeitung, 13.01.2000, 15 Télérama 06.05.1962 = JEAN COLLET: Le Procès de Jeanne d’Arc. In: Télérama, 06.05.1962, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 31.03.1963 = JEAN COLLET: Procès de Jeanne d’Arc de Robert Bresson. In: Télérama, 31.03.1963, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 01.12.1963 = JEAN D’YVOIRE: Procès de Jeanne d’Arc. In: Télérama, 01.12.1963, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 21.04.1993 = MARIE-ELISABETH ROUCHY: La bataille de Rivette. In: Télérama, 21.04.1993, 36f. 09.02.1994a = MARIE-ELISABETH ROUCHY: „Jeanne d’Arc est un peu tête à claques“. In: Télérama, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994b = FABIENNE PASCAUD: Jeanne la Pucelle. In: Télérama, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994c = MARIE-ELISABETH ROUCHY: La bande des quatre mains. In: Télérama, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 09.02.1994d = FABIENNE PASCAUD: „Germinal et Jeanne, même combat!“. In: Télérama, 09.02.1994, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) 03.11.1999 = PIERRE MURAT: Jeanne d’Arc. In: Télérama, 03.11.1999, ohne Paginierung (Datenbank Bibliothèque du film, Paris) Variety 29.12.1916 = JOLO.: Joan the Woman. In: Variety, 29.12.1916, 22 10.04.1929 = SIME.: Passion of Joan of Arc (French Made). In: Variety Film Reviews, 1907-1980. Bd. 3: 1926-1929. New York , London 1983, ohne Paginierung (zuerst: Variety, 10.04.1929) 18.12.1946 = ANON.: ‚Chris Blake‘ and ‚Joan‘ (With Ingrid a Must) Hot H’wood Interest. In: Variety, 18.12.1946, 3, 29 12.02.1947 = ANON.: Bergman, Jones, Leigh In Joan Film Derby. In: Variety, 12.02.1947, 1, 46 20.10.1948 = ABEL.: Joan of Arc. In: Variety Film Reviews 1907-1980. Bd. 7: 1943-1948. New York , London 1983, ohne Paginierung (zuerst: Variety, 20.10.1948) 08.05.1957 = HIFT.: Saint Joan. In: Variety, 08.05.1957, 6 30.05.1962 = MOSK.: Proces De Jeanne D’Arc [sic]. (Trial of Joan of Arc). In: Variety Film Reviews, 1907-1980. Bd. 10: 1959-1963. New York, London 1983, ohne Paginierung (zuerst: Variety, 30.05.1962) 21.02.1994 = DAVID STRATTON: Jeanne la Pucelle. 1: Les Batailles. 2: Les Prisons. (Joan the Maid. 1: The Battles. 2: The Prisons). In: Variety, 21.02.1994, 46 01.11.1999 = TODD MCCARTHY: Vivid action can’t save miscast ‚Joan‘. In: Variety, 01.11.1999, 87f.

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Verzeichnis der schriftlichen Quellen

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