Die Rote Armee in Österreich: Sowjetische Besatzung 1945-1955. Beiträge
 9783205160724, 9783205780335

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Inhaltsverzeichnis

Stefan Karner - Barbara Einleitung

Stelzl-Marx 9

Sowjetische Österreich-Planungen während des Zweiten Weltkrieges Aleksandr Cubar 'jan Die UdSSR und Österreich im Europa der Nachkriegszeit

21

Aleksej Filitov Sowjetische Planungen zur Wiedererrichtung Österreichs 1941-1945

27

Natal'ja Lebedeva Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil

39

Die Komintern, die Abteilung für internationale Information des ZK der VKP(b) und Österreich 1943-1945

Peter Ruggenthaler Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte

61

Kriegsende 1945 Natal'ja Eliseeva Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee

91

Der Einsatz der NKVD-Truppen in Österreich von April bis Juli 1945

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler Unter sowjetischer Kontrolle

105

Zur Regierungsbildung in Österreich 1945

Vasilij Christoforov Sowjetische Geheimdienste in Österreich

149

Zu den Beständen des Zentralarchivs des FSB

Struktur und Organisation des sowjetischen Besatzungsapparates Valerij Vartanov Die Aufgaben der Militärkommandanturen in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs 1945-1955

163

6

Inhaltsverzeichnis Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich Struktur und Organisation Nikita Petrov Die Inneren Truppen des N K V D / M V D im System der sowjetischen Repressionsorgane in Österreich 1 9 4 5 - 1 9 4 6

179

219

Befreit und doch nicht frei Stefan Karner - Peter Ruggenthaler (Zwangs-)Repatriierungen sowjetischer Staatsbürger aus Österreich in die UdSSR

243

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Sowjetische Strafjustiz in Österreich Verhaftungen und Verurteilungen 1945-1955

275

Ol'ga Lavinskaja Zum Tode verurteilt Gnadengesuche österreichischer Zivilverurteilter an den Obersten Sowjet der UdSSR

323

Wolfgang Mueller „Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" Die Propaganda der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich im Kalten Krieg

339

Patricia Kennedy Grimsted Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhäzy Kulturelle Restitution an die UdSSR durch die westlichen Besatzungsmächte in Österreich und sowjetisches Beutegut österreichischer Herkunft

363

Alltag in der sowjetischen Besatzungszone Aleksandr Bezborodov - Ol'ga Pavlenko Erinnerungen an Österreich Oral-History-Interviews mit ehemaligen sowjetischen Besatzungssoldaten

391

Wolfram Dornik Erinnerung am Rande Die Rote Armee im Steinernen Gedächtnis Österreichs

407

Barbara Stelzl-Marx Freier und Befreier Zum Beziehungsgeflecht zwischen sowjetischen Besatzungssoldaten und österreichischen Frauen Wolfram Dornik Besatzungsalltag in Wien Die Differenziertheit von Erlebniswelten: Vergewaltigungen - Plünderungen - Erbsen Straußwalzer

421

449

Inhaltsverzeichnis Klaus-Dieter Mulley Die Rote Armee in Niederösterreich 1945-1947

469

Ein ambivalentes Geschichtsbild

Sonja Wagner „Der Sowjetstern auf dem Schlossberg"

487

Besatzungserfahrungen im Burgenland

Gerald Hafner Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung

503

Edith Petschnigg Die „sowjetische" Steiermark 1945

523

Aspekte einer Wendezeit

Österreich in der sowjetischen Politik nach dem Zweiten Weltkrieg Ol'ga Pavlenko Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie 1945

565

Ludmilla Lobova Österreich und die UdSSR

603

Die bilateralen Beziehungen vor dem Hintergrund der Anfangsphase des Kalten Krieges

Walter Blasi Die Haltung der Sowjetunion zur Remilitarisierung Österreichs 1945-1955

633

Peter Ruggenthaler Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde

649

Sowjetische Österreich-Politik 1945-1953/55

Abschluss des Staatsvertrages und Ende der Besatzung 1955 Michail Prozumenscikov Nach Stalins Tod

729

Sowjetische Österreich-Politik 1953-1955

Irina Kazarina Die Sowjetische Armee in Österreich 1953-1955 im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU

755

Aleksandr Curilin Wie die „österreichische Frage" gelöst wurde

773

Herbert Grubmayr 60 Jahre mit den „Russen"

785

Erinnerungen an die Zeit als Legationssekretär an der Österreichischen Botschaft Moskau

Ludwig Steiner Das Miterleben einer historischen Zeit Als Sekretär von Bundeskanzler Raab in Moskau 1955

815

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8

Inhaltsverzeichnis Anhang Abkürzungsverzeichnis Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis Autorenverzeichnis Ortsregister Personenregister

831 837 845 875 877 881

Einleitung

Am Gründonnerstag, dem 29. März 1945, überschritten Einheiten der 3. Ukrainischen Front unter Marschall Fedor Tolbuchin die Grenze des Deutschen Reiches bei Klostermarienberg im Burgenland. Damit begann die alliierte militärische Besetzung Österreichs. Parallel dazu brach im Zuge des Vormarsches der Roten Armee und später der westalliierten Truppen das NS-System zusammen, wurde Österreich von der NSHerrschaft befreit. Wien wurde in zähen und verlustreichen Kämpfen von der Roten Armee vom 6. bis zum 13. April 1945 eingenommen. Dann stoppten die Sowjets ihren Vormarsch in diesem Raum etwa auf der Linie St. Pölten - Semmering, um Einheiten an die 2. Ukrainische Front unter Marschall Rodion Malinovskij abzugeben, die nördlich der Donau operierte und schließlich bis ins Mühlviertel vorstoßen sollte. Bis Kriegsende besetzten sowjetische Truppen der 2. und 3. Ukrainischen Front - trotz teilweise starker militärischer Gegenwehr - das Burgenland, Wien und Niederösterreich, im Süden, teilweise gemeinsam mit der unter ihrem Oberkommando stehenden 1. Bulgarischen Armee, den größten Teil der Steiermark (einschließlich Graz). Im Westen überschritten französische Truppen am 29. April 1945 die Vorarlberger Grenze und stießen bis nach St. Anton am Arlberg vor. US-Einheiten marschierten von Bayern kommend in Tirol und Anfang Mai in Salzburg ein und brachten Teile Oberösterreichs unter ihre Kontrolle. Die Briten gelangten erst am 8. Mai - zeitgleich mit Einheiten der Tito-Partisanen - nach Kärnten und besetzten Osttirol, Teile des Lungaus und der Steiermark. Damit war Österreich sechsfach militärisch besetzt, wobei die sowjetischen Truppen den weitaus größten Gebietsanteil eingenommen hatten. Insgesamt kamen zu Kriegsende rund 400.000 Rotarmisten nach Österreich, allein 270.000 von ihnen wurden mit dem Orden „Za vzjatie Veny" („Für die Einnahme Wiens") ausgezeichnet. Im Zuge der Kämpfe hatten 26.000 sowjetische Soldaten auf österreichischem Territorium ihr Leben verloren. Für Herbst 1945 wird die Stärke der alliierten Besatzungstruppen auf österreichischem Boden auf 180.000 bis 200.000 sowjetische, 75.000 britische, 70.000 amerikanische und 40.000 französische Soldaten geschätzt. Zehn Jahre später waren noch - abgesehen von den westlichen Besatzungstruppen - rund 40.000 sowjetische Armeeangehörige, 7600 Mitglieder von Offiziersfamilien sowie etwa 2400 Arbeiter und Bedienstete in der sowjetischen Besatzungszone

Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx Österreichs (Niederösterreich, Burgenland, Mühlviertel und im viergeteilten Wien) stationiert. Die Rote Armee, 1946 offiziell in „Sowjetische Armee" umbenannt, wurde gleichsam zu einem Synonym für die sowjetische Besatzung des Landes. Trotz der teilweisen Öffnung sowjetischer Archive Anfang der 1990er Jahre bestand bisher ein markantes Ungleichgewicht zwischen den zahlreichen Forschungen über die westalliierten Zonen Österreichs, die sich auf eine Fülle von Primärquellen stützen konnten, und dem Forschungsfeld der sowjetischen Besatzung Österreichs 1945-1955. Auf Grund des Mankos an sowjetischen Primärquellen mussten selbst zentrale Fragestellungen der sowjetischen Besatzungsorganisation und Politik gegenüber Österreich weitestgehend unbeantwortet bleiben und konnten lediglich rudimentär auf der Basis vor allem britischer und amerikanischer Quellen beleuchtet werden. Auf die relevante bislang publizierte Literatur wird in den einzelnen Beiträgen verwiesen. Ziel des von Frau Bildungsministerin Elisabeth Gehrer unterstützten und vom Österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (BMBWK) geförderten bilateralen Forschungsprojektes war es daher, diese Forschungslücke durch die Erschließung relevanter Primärquellen zu verringern, die Diskussion über diese Epoche in der österreichischen Geschichte zu versachlichen und die österreichisch-russischen Beziehungen in Kenntnis der gemeinsamen Geschichte zu vertiefen. Die hier vorgelegten Ergebnisse sollen zugleich den Anstoß für weitere Forschungen zu dem breiten Themenfeld der sowjetischen Besatzung geben. Bezüglich der Genese des Projektes ist zunächst auf ein vom BMBWK gefördertes Pilotprojekt zur „Roten Armee in Österreich 1945-1955" zu verweisen, das das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung (BIK), Graz - Wien - Klagenfurt, in den Jahren 2000 und 2001 durchführte. Dank der großen Unterstützung durch Prof. Dr. Valerij Vartanov, dem wissenschaftlichen Leiter des Instituts für Militärgeschichte des Verteidigungsministeriums der Russischen Förderation in Moskau, gelang es damals, erste Schlüsseldokumente im Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums (CAMO) unter der Leitung von Oberst Sergej Cuvasin in Podol'sk zur sowjetischen Besatzung Österreichs zu eruieren und mit anderen zentralen russischen Archiven und Forschungseinrichtungen eine Kooperation zur gemeinsamen Erforschung der sowjetischen Besatzung Österreichs ins Auge zu fassen. Anfang 2002 setzte sich Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel im Rahmen seines Arbeitsbesuches bei Premierminister Michail Kas'janov und bei Präsident Vladimir Putin für die Realisierung des Projektes und die Freigabe entsprechender Dokumente ein. Die Österreichische Botschaft Moskau unter dem damaligen Botschafter Dr. Franz Cede und den nunmehrigen Botschafter Dr. Martin Vukovich hielt mit Erfolge einen engen Kontakt mit den russischen Stellen. Im Juli 2002 begann das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung schließlich gemeinsam mit dem Institut für Allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN) unter der Leitung von Akademiemitglied Prof. Dr. Aleksandr Cubar'jan, der Föderalen Archivagentur (vormals ROS-Archiv) unter Gen.-Dir. Prof. Dr. Vladimir Kozlov sowie den zugehörigen Staatsarchiven der Russischen Föderation, dem Historisch-Dokumentarischen Departement des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation (IDD MID Rossii) unter Botschafter Dir. Dr. Aleksandr Curilin und - insbesondere dank der Unterstützung von

Einleitung Prof. Dr. Valerij Vartanov sowie Oberst Sergej Il'enkov, dem Leiter des Archivdienstes des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation - auch mit dem Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation dieses gemeinsame Forschungsprojekt durchzuführen. Die Projektleitung bzw. Projektkoordination lag bei den Herausgebern dieses Bandes. Anfang 2004 wurde das Forschungsprojekt in das österreichisch-russische Kulturabkommen aufgenommen. Im Zuge des Projektes gelang es außerdem, eine Kooperation mit dem Zentralarchiv des FSB (CA FSB RF) unter Direktor Dr. Vasilij Christoforov zu schließen, wodurch erstmals auch Dokumente aus dem Archiv des ehemaligen KGB zur Besatzungszeit in Österreich herangezogen werden konnten. Um eine möglichst breite Quellenbasis zu erreichen, führten Mitarbeiter des BIK zudem Recherchen in österreichischen Archiven, allen voran im Österreichischen Staatsarchiv (ÖStA), im Niederösterreichischen Landesarchiv (NÖLA), dem Burgenländischen Landesarchiv (BLA), im Oberösterreichischen Landesarchiv (OÖLA), im Steiermärkischen Landesarchiv (StLA), im Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA) und der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (WStLB) durch. Neben den schriftlichen Archivquellen war es von Anfang an ein Anliegen, die sowjetische Besatzung Österreichs auch aus einer eher persönlichen Perspektive, gleichsam einer „Perspektive von unten" aufzuarbeiten. Prof. Dr. Aleksandr Bezborodov, Leiter des Historisch-Archivarischen Instituts der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität (IAI RGGU), und Frau Doz. Dr. Ol'ga Pavlenko, Dozentin an der RGGU in Moskau, führten mit ihrem Team mehr als fünfzig Oral-History-Interviews mit ehemaligen sowjetischen Besatzungssoldaten und ihren gleichfalls zwischen 1945 und 1955 in Österreich stationierten Familienmitgliedern durch. Im Zuge dieses OralHistory-Projektes gelang es u. a., zahlreiche persönliche Erinnerungsstücke ehemaliger Besatzungssoldaten zu eruieren und zu reproduzieren. Ergänzende Unterlagen konnten zudem im Zentralen Museum der Streitkräfte (CMVS) und im Museum der 4. Gardearmee in Moskau ausfindig gemacht werden. Auf der anderen Seite interviewten die Mitarbeiter des BIK mehr als sechzig österreichische „Zeitzeugen" aus der einstigen sowjetischen Besatzungszone. Der vorliegende Beitragsband gliedert sich in sieben große Kapitel, die mit der Struktur des gleichzeitig herausgegebenen Dokumentenbandes zur „Roten Armee in Österreich" korrespondieren. 1 Wenngleich beide Bände Einzelpublikationen darstellen, sollen sie dennoch einander ergänzen und jeweils weiterführende Informationen liefern. So finden sich im Beitragsband Querverweise auf die im Dokumentenband publizierten Dokumente, wodurch dem Leser die Möglichkeit gegeben wird, auf die Originalquellen, auf die sich die Ausführungen stützen, zurückzugreifen. Auf der anderen Seite sollen die wissenschaftlichen Beiträge die ausgewählten und publizierten Dokumente in einen grö-

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Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005.

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Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx ßeren Kontext einbetten und nötige Hintergrundinformationen liefern. Die im Anhang angeführten Register und Verzeichnisse mögen dabei behilflich sein. Die Beiträge von Aleksandr Cubar'jan, Aleksej Filitov, Natal'ja Lebedeva und Peter Ruggenthaler im ersten Kapitel des vorliegenden Bandes geben einen Überblick über sowjetische Österreich-Planungen während des Zweiten Weltkrieges und u. a. die Rolle österreichischer Kommunisten im Moskauer Exil. Als wichtigstes Ziel stand dabei die Wiederherstellung Österreichs als unabhängiger, aber „kleiner und schwacher" Staat in seinen Vorkriegsgrenzen im Vordergrund, vor allem auch, um eine Schwächung Deutschlands herbeizuführen. Das zweite Kapitel widmet sich der Phase vom Kriegsende - der „Stunde Null" - bis zu den Nationalratswahlen am 25. November 1945. Natal'ja Eliseeva erläutert dabei den Einsatz der NKVD-Truppen „zum Schutze des Hinterlandes der Roten Armee" von April bis Juli 1945. Dazu zählten u. a. die Bewachung von Regierungsgebäuden in Wien, die Verfolgung von Deserteuren der Roten Armee oder die Verhaftung „feindlicher Spione". Stefan Karner und Peter Ruggenthaler gehen in ihrem Beitrag „Unter sowjetischer Kontrolle" den einzelnen Etappen der Regierungsbildung bzw. dem illusorischen Versuch der Etablierung einer „Nationalen-Front-Regierung" mit dem von Stalin auserkorenen Karl Renner an der Spitze auf den Grund. Wie sich allerdings herausstellen sollte, ließ Renner keine „Marionette Stalins" aus sich machen. Vasilij Christoforov gibt erstmals einen Einblick in die Österreich-Bestände des Zentralarchivs des FSB und den Einsatz der verschiedenen sowjetischen Geheimdienstabteilungen auf österreichischem Territorium. Im dritten Kapitel werden neue Arbeiten über den sowjetischen Besatzungsapparat in Österreich, seine Struktur und Organisation präsentiert: Dabei gibt Valerij Vartanov auf der Basis bisher geschlossener Bestände aus dem Archiv des Verteidigungsministeriums Russlands einen Überblick über die sowjetischen Militärkommandanturen in Österreich und das Kommando der Zentralen Gruppe der Streitkräfte der UdSSR in Baden bei Wien. Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx rekonstruieren Struktur und Aufgaben des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission (SCSK), dem 1952 die Militärkommandanturen „zur Stärkung des sowjetischen Einflusses in Österreich" unterstellt wurden. Und Nikita Petrov erläutert die Dislozierung, Dienstreglementierung und Tätigkeit der Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich 1945-1946, wozu insbesondere auch die Ahndung von Vergehen sowjetischer Armeeangehöriger zählte. Die unter dem Schlagwort „Befreit und doch nicht frei" zusammengefassten Beiträge beziehen sich auf unterschiedliche Funktionen der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich, die direkte Auswirkungen auf die Bevölkerung hatten und zum Teil bis heute tief im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Dazu zählen zunächst die Repatriierungen sowjetischer Staatsbürger aus Österreich in die UdSSR, die - wie das Beispiel der Kosaken in Judenburg zeigt - durchaus nicht immer freiwillig erfolgten. Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx gehen in ihrem Beitrag auf das Schicksal der rund 2200 österreichischen Zivilisten ein, die von sowjetischen Organen verhaftet wurden. Über tausend der 236 Frauen und 1965 Männer wurden anschließend von Militärtribunalen zu meist hohen Haftstrafen verurteilt und in die UdSSR verschleppt, mehr als 150

Einleitung hingerichtet. Den zum Tod verurteilten Österreichern in der Sowjetunion widmet sich auch Ol'ga Lavinskaja, wofür sie einen bisher unbekannten Aktenbestand von Gnadengesuchen an den Obersten Sowjet der UdSSR heranziehen konnte. Wolfgang Mueller erläutert die Ziele und inhaltliche Entwicklung der sowjetischen Propaganda in Österreich im Kalten Krieg, wobei er insbesondere auch den Kampf zwischen Ost und West um Einfluss und Durchsetzung der jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Ziele in Österreich herausstreicht. Der durchaus aktuellen Frage der kulturellen Restitution von Kulturgütern, die während des Krieges aus der UdSSR verschleppt wurden, bzw. der Beschlagnahmung österreichischer Kulturgüter durch die sowjetische Besatzungsmacht geht Patricia Kennedy Grimsted in ihrem Beitrag „Vom ,Fliegenden Merkur' zu den Büchern der Sammlung Esterhäzy" nach. Das fünfte Kapitel bezieht sich auf den „Alltag in der sowjetischen Besatzungszone" 1945-1955, wobei Aleksandr Bezborodov und Ol'ga Pavlenko einleitend Ergebnisse des Oral-History-Projektes mit ehemaligen sowjetischen Besatzungssoldaten und Familienmitgliedern präsentieren. Wolfram Dornik untersucht dabei sowjetische Denkmäler und Gräber, die meist eine „Erinnerung am Rande" darstellen. Im Beitrag „Freier und Befreier" geht Barbara Stelzl-Marx auf die große Bandbreite von „Beziehungen" zwischen sowjetischen Besatzungssoldaten und österreichischen Frauen und die daraus resultierenden „Russenkinder" ein. Die Beiträge von Wolfram Dornik, Klaus-Dieter Mulley, Sonja Wagner, Gerald Hafner sowie Edith Petschnigg beleuchten den Alltag in den sowjetisch besetzten Bundesländern bzw. in Wien und spannen dabei einen Bogen von der Gewalt gegen Frauen, den tausenden amtlich festgestellten Vergewaltigungen, den Plünderungen und Verschleppungen, über Hilfen im Alltag, die Entnazifizierung bis zur Einstellung der Bevölkerung gegenüber sowjetischen Armeeangehörigen und den daraus resultierenden Topoi. Im sechsten Kapitel wird das breite Themenfeld der sowjetischen Österreich-Politik 1945-1955 dargestellt. Ludmilla Lobova beleuchtet dabei unterschiedliche Aspekte der bilateralen Beziehungen vor dem Hintergrund des frühen Kalten Krieges. Walter Blasi zeigt, dass die zum Teil überzogenen sowjetischen Reaktionen auf militärische Maßnahmen Österreichs nur mit einem extremen Misstrauen Stalins und einer fast krankhaften Angst vor einem Überraschungsangriff zu erklären sind. Während sich Ol'ga Pavlenko der sowjetischen Diplomatie gegenüber Österreich 1945 widmet, geht Peter Ruggenthaler der Frage nach, warum Österreich nicht sowjetisiert wurde. Dabei lassen sich folgende Phasen feststellen: 1946-1949: der Versuch der maximalen wirtschaftlichen Ausbeutung Österreichs in Erwartung des baldigen Abschlusses des österreichischen Staatsvertrages; 1950-1951: der Übergang zur längerfristigen Besatzung infolge der eingetretenen weltpolitischen Veränderungen; 1951-1953: die Festigung des sowjetischen Einflusses in der sowjetischen Besatzungszone als Folge des zunehmenden westlichen Einflusses in ganz Österreich; 1953-1955: zwischen Stagnation und „Tauwetter" und 1955 schließlich das „annus mirabilis" mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages. Dieser zuletzt genannten Phase der sowjetischen Österreich-Politik widmet sich auch das abschließende Kapitel des vorliegenden Bandes, wobei zunächst Michail Prozumenscikov und Irina Kazarina die Besatzungsjahre nach Stalins Tod auf der Basis

Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx von bisher geschlossenen Archivmaterialien des ZK der KPdSU im Staatsarchiv für Zeitgeschichte in Moskau (RGANI) analysieren. Aleksandr Curilin gibt anschließend einen Überblick über die „österreichische Frage" 1945-1955. Den Abschluss bilden die persönlichen Erinnerungen von Herbert Grubmayr und Ludwig Steiner, die beide als „Zeitzeugen" den Abschluss des Staatsvertrages 1955 in Moskau bzw. Wien miterlebten. Nachdem bereits am 19. September 1955 der letzte sowjetische Soldat Österreich verlassen hatte, zogen am 25. Oktober 1955 die letzten - britischen - Besatzungssoldaten aus Österreich ab. Am nächsten Tag erfolgte die Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes. Die zehnjährige Besatzung Österreichs war zu Ende gegangen. * *

*

Für das Zustandekommen dieses Bandes gilt es mehrfach Dank zu sagen: An erster Stelle dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kunst in Wien, das die Durchführung des dreijährigen Forschungsprojektes „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955" sowie der vorbereitenden gleichnamigen Pilotstudie am Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung förderte und damit die umfangreichen Recherchen zu diesem Thema ermöglichte. Frau Bundesministerin Elisabeth Gehrer stand von Anfang an der Erforschung dieses Themas positiv gegenüber. Frau Ministerialrätin Dr. Anneliese Stoklaska, Leiterin der zuständigen Abteilung VI/6 im BMBWK, und ihrer Mitarbeiterin Frau Mag. Irene Eder gebührt für ihre große Unterstützung bei der Durchführung des Projektes besonderer Dank. Herrn Prof. Dr. Valerij Vartanov, Herrn Oberst Sergej Il'enkov, Leiter des Archivdienstes des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation, Herrn Akademiemitglied Generalmajor Prof. Dr. Vladimir Zolotarev, Vorsitzender der „Kommission für Kriegsgefangene, Internierte und Vermisste beim Präsidenten der Russischen Föderation", Herrn Prof. Dr. Aleksandr Orlov, Mitglied der genannten Kommission, und Herrn General Evgenij Malasenko für die Unterstützung bei der Ermöglichung des Zugangs zu Dokumenten des Zentralarchivs des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation in Podol'sk. Gedankt sei den Autoren der hier publizierten wissenschaftlichen Beiträge, die zum Großteil aus dem Forschungsprojekt hervorgegangen sind, in einigen wenigen Fällen auch von den Referenten der von 13. bis 14. Mai 2004 an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau veranstalteten internationalen Konferenz „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955" zur Verfügung gestellt wurden. Die mehrjährigen, intensiven Forschungen zu diesem Thema wären nicht ohne die Kooperation zahlreicher österreichischer und russischer Wissenschafter, Institutionen und Archive denkbar gewesen, wofür allen herzlich gedankt sei: Zunächst Herrn Akademiemitglied Prof. Dr. Aleksandr Cubar'jan, Leiter des Instituts für Allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau und Mitherausgeber des Dokumentenbandes „Die Rote Armee in Österreich", für die Unterstützung bei den Recherchen in den relevanten Moskauer Archiven. Herrn Prof. Dr. Viktor Iscenko und Herrn Prof. Dr. Aleksej Filitov, Russische Akademie der Wissenschaften in Moskau,

Einleitung für ihre zahlreichen Hinweise, fachlichen Diskussionen sowie organisatorischen Hilfestellungen. Herrn Prof. Dr. Valerij Vartanov für die enge Kooperation im Rahmen des Pilotprojektes und seinen unermüdlichen Einsatz bei der Erschließung der bisher nicht zugänglichen Dokumente aus dem Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums Russlands in Podol'sk. Herrn Dr. Nikita Petrov, Memorial Moskau, für Hilfestellungen bei Literatur- und Quellenrecherchen in Moskau sowie zahlreiche Ratschläge. Weiters sei der Österreichischen Botschaft in Moskau und der Botschaft der Russischen Föderation in Wien für ihre mannigfaltige Unterstützung bei der Durchführung des Forschungsprojektes gedankt, allen voran Herrn Botschafter Dr. Franz Cede bzw. Herrn Botschafter Dr. Martin Vukovich, Herrn Gesandten Dr. Georg Heindl, Frau Attache Mag. Sieglinde Presslinger, Herrn Verteidigungsattache Dr. Simon Palmisano von der Österreichischen Botschaft in Moskau und Herrn Fritz Scheermann, dem Verbindungsbeamten des österreichischen Innenministeriums in Moskau, sowie Herrn Botschafter Dr. Alexander Golowin bzw. Herrn Botschafter Dr. Stanislav Ossadtschij und Herrn Dr. Valerij Sidorov, Erster Botschaftssekretär, von der Botschaft der Russischen Föderation in Wien. Das Kernstück des Forschungsprojektes stellten die unzähligen Quellen aus russischen und österreichischen Archiven dar, die größtenteils zum ersten Mal in diesem Umfang ausgewertet und - im Falle der ehemals sowjetischen Materialien - beinahe gänzlich erstmals überhaupt der Forschung zur Verfügung gestellt und somit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten. Zunächst sei allen Mitgliedern des Redaktionskollegiums für den Dokumentenband „Die Rote Armee in Österreich" gedankt, die bei der Auswahl und zum Teil auch bei der Bereitstellung der Dokumente mitwirkten. Besonderer Dank gebührt Herrn Dir. Dr. Vladimir Kozlov, Förderale Archivagentur, der die Kooperationen mit den relevanten Staatsarchiven der Russischen Föderation von Anfang an unterstützte. Herrn Botschafter Dir. Dr. Alesandr Curilin und Frau Dr. Elena Belevic, Historisch-Dokumentarisches Departement des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation, sowie den Mitarbeitern des Archivs für Außenpolitik der Russischen Föderation (AVP RF), für die Ermöglichung von weiterführenden Recherchen. Herrn Dir. Dr. Vasilij Christoforov, Dr. Vladimir Vinogradov und Dr. Natal'ja Vojakina für die erstmalige Öffnung von Dokumenten zur sowjetischen Besatzung Österreichs im Zentralarchiv des FSB in Moskau. Für die gute Zusammenarbeit und die Gewährung des Zutrittes zu hochinteressanten Archivmaterialien in den Russischen Staatlichen Archiven sei weiters Frau Dir. Dr. Natal'ja Tomilina, dem stellvertretenden Direktor Herrn Dr. Michail Prozumenscikov sowie Frau Dr. Irina Kazarina, Russisches Staatliches Archiv für Neuere Geschichte in Moskau, Herrn Dir. Dr. Kirill Anderson, Frau Mag. Elena Kirillova und Frau Mag. Marina Astachova, Russisches Staatliches Archiv für sozial-politische Geschichte in Moskau, und Herrn Dir. Dr. Vladimir Kuzelenkov, dem stellvertretenden Direktor, Herrn Dr. Vladimir Korotaev, sowie Frau Dr. Natal'ja Eliseeva, Russisches Staatliches Militärarchiv in Moskau, vielmals gedankt. Außerdem Herrn Dir. Dr. Sergej Mironenko, Russisches Staatsarchiv Moskau, und Frau Dir. Dr. Ljudmila Zaprjagaeva, Russisches Staatliches Archiv für Film- und Fotodokumente in Krasnogorsk.

Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx Gleiches gilt auch für die zuständigen österreichischen Archive, allen voran Herrn Generaldirektor HR Dr. Lorenz Mikoletzky, Österreichisches Staatsarchiv Wien, Herrn Dir. Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Opll und Herrn Dr. Karl Fischer, Wiener Stadt- und Landesarchiv, Herrn HR Dir. Dr. Anton Eggendorfer, Niederösterreichisches Landesarchiv, Herrn Dir. Dr. Gerhart Marckhgott, Oberösterreichisches Landesarchiv, Herrn HR Dir. Dr. Josef Riegler, Steiermärkisches Landesarchiv, Herrn HR Dir. Dr. Roland Widder, Burgenländisches Landesarchiv, und Herrn Mag. Markus Feigl, Leiter der Plakatsammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Neben den Archivdokumenten stellten Unterlagen aus Privatsammlungen und eigens geführte Oral-History-Interviews mit mehr als hundert Zeitzeugen aus Österreich und der ehemaligen Sowjetunion eine wichtige Grundlage für die Bearbeitung des Themas dar. In diesem Zusammenhang sei nicht nur den Interviewpartnern und unzähligen Zeitzeugen, die ihre Erinnerungen an die Besatzungszeit wie auch Fotografien oder andere Materialien zur Verfügung stellten, gedankt, sondern vor allem auch Herrn Dir. Prof. Dr. Aleksandr Bezborodov und Frau Doz. Dr. Ol'ga Pavlenko, Russische Staatliche Geisteswissenschaftliche Universität in Moskau, die mit ihrem Team in erster Linie die Interviews in Russland führten. Vor allem aber gebührt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ludwig BoltzmannInstituts für Kriegsfolgen-Forschung Dank, die maßgeblich an der Durchführung und dem Abschluss des wissenschaftlichen Forschungsprojektes und der vorliegenden Publikation beteiligt waren, allen voran Herrn Dr. Peter Ruggenthaler und Herrn Mag. Harald Knoll für ihren unermüdlichen Einsatz und die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas. Frau Mag. Edith Petschnigg für Recherchen im Steiermärkischen und Niederösterreichischen Landesarchiv, die Redaktion der Beiträge sowie die Erstellung des Anhanges; Herrn Mag. Arno Wonisch für die ungeheure Leistung bei der Übersetzung der russischen Quellen; Frau Dr. Ludmilla Lobova für Recherchen im Österreichischen Staatsarchiv, dem Wiener Stadt- und Landesarchiv sowie im Staatsarchiv der Russischen Föderation in Moskau; Herrn Mag. Gerald Hafner für Recherchen im Oberösterreichischen Landesarchiv; Frau Mag. Sonja Wagner für Recherchen im Burgenländischen Landesarchiv; Herrn Dr. Wolfram Dornik für Arbeiten in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Ihnen allen sei auch für die Durchführung von Oral-History-Interviews mit österreichischen Zeitzeugen gedankt. Die fachgerechte Übersetzung aus dem Russischen bzw. dem Englischen führten neben Mag. Arno Wonisch noch Mag. Andrea Hofer, Andreas Konrad, Sandra Polainko, Mag. Susanne Rothleitner, Florian Thelen und Mag. Clemens Tonsern durch, das äußerst sorgfaltige Lektorat Herr Ernst Schmölzer. Frau Sigrid Lazar sei für die genaue Buchhaltung und - wie auch Frau Mag. Edith Petschnigg und Herrn Mag. Peter Pirnath - für Hilfeleistung bei der Erstellung der Register gedankt. Ohne den großen Einsatz von Herrn Helmut Lenhart, Frau Mag. Maureen Lenhart und Herrn Mag. Markus Lenhart bei der fachgerechten Erstellung des Satzes und der Betreuung der Drucklegung wäre die zeitgerechte Fertigstellung der Publikation nicht möglich gewesen. Ihnen sei besonders herzlich gedankt. Für die Gesamtherstellung gebührt der Medienfabrik Graz, für die Umschlaggestaltung Frau Mag. Gabi Mark (tmcom.at) Dank. Der Oldenbourg Verlag, Wien - München, nahm die vorliegende

Einleitung Publikation in sein Verlagsprogramm auf, wofür wir Herrn Dr. Thomas Cornides und Frau Dr. Ursula Huber herzlich danken. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Wien und die Raiffeisenlandesbank Niederösterreich - Wien ermöglichten durch eine großzügige finanzielle Förderung die Drucklegung des Bandes. Dem Kulturamt der Stadt Graz und der Abteilung Wissenschaft und Forschung der Steiermärkischen Landesregierung sei für die Förderung der Forschungstätigkeit des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung vielmals gedankt. Während der Arbeit am Projekt konnten in Russland zahlreiche Freunde gewonnen werden, wurden von russischen Stellen lange verschlossene Türen geöffnet. Dafür sei ebenso herzlich gedankt. Möge die Publikation der Vertiefung der guten Beziehungen zwischen Österreich und Russland auf Basis der Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung dienen. Graz, im April 2005

Stefan Karner Barbara Stelzl-Marx

Vorwort zur 2. Auflage Der Erfolg der ersten zusammenfassenden Geschichte der „Roten Armee in Österreich", die Aufnahme in der Fachwelt und in einem breiten Publikum haben gezeigt, dass der beschrittene Weg richtig war. Durch die Zusammenfassung inhaltlicher Analysen und die Auswahl sowjetischer und österreichischer Dokumente konnte die zehnjährige sowjetische Besatzung Österreichs umfassend dargestellt und unter neuen Blickwinkeln betrachtet werden. Nunmehr liegt die zweite, durchgesehene Auflage vor. Gedankt sei in diesem Zusammenhang zusätzlich zur ersten Auflage vor allem den Herren Prof. Aleksej Filitov und Dr. Nikita Petrov, beide Moskau, für das Lektorieren des russischen Teils des Dokumenten-Bandes sowie Herrn Botschafter Dr. Herbert Grubmayr, Wien, für das Lektorieren der Biographischen Skizzen. Großen Dank schulden wir auch Herrn Helmut Lenhart, Kaisdorf, und Herrn Mag. Arno Wonisch, Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, für die Durchführung der Korrekturarbeiten, dem BMBWK (Herrn Ministerialrat Dir. Alois Söhn) und der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich - Wien (Herrn Generaldirektor Dkfm. Peter Püspök) für die großzügige Gewährung von Drucksubventionen sowie dem Verlag Oldenbourg unter Herrn Dr. Thomas Cornides für die Aufnahme der Publikation in sein Verlagsprogramm. Möge die 2. Auflage des Werkes im „Gedankenjahr 2005" dazu beitragen, die Kenntnis der österreichischen Zeitgeschichte und der österreichisch-sowjetischen Beziehungen im ersten Nachkriegsjahrzehnt zu vertiefen. Graz, im September 2005

Stefan Karner Barbara Stelzl-Marx

Aleksandr Cubar'jan

Die UdSSR und Österreich im Europa der Nachkriegszeit

Auf den ersten Blick mag der Titel des vorliegenden Beitrages so manchem etwas unnatürlich und vielleicht sogar befremdend erscheinen. Denn in Bezug auf ihre Größe, den Charakter der beiden Gesellschaftsordnungen und die Probleme, mit deren Lösung sich die beiden genannten Staaten in der Zeit nach 1945 konfrontiert sahen, gab es zwischen der UdSSR und Österreich eine Reihe von erheblichen Unterschieden, in Anbetracht derer sich die Frage stellt, ob der für diesen wissenschaftlichen Beitrag gewählte Titel mit gemeinsamer Nennung der beiden Länder als zulässig erscheint. Im politischen Diskurs ist eine solcherart gewählte Vorgehensweise - etwa bei einem Treffen von Außenministern zweier Staaten - prinzipiell möglich, doch trifft dies auch für eine seriöse und eingehende historische Analyse zu? Im Grunde genommen müsste diese Frage dennoch bejahend beantwortet werden. Warum? In erster Linie vor allem deshalb, weil die Erfahrungen von Wechselwirkungen auch zwischen zwei sich in vielerlei Hinsicht unterscheidenden und ungleichen Partnern bisweilen dennoch so manches zum Verstehen internationaler Ereignisse beitragen können, diese umfassender darzustellen vermögen und mögliche von „klassischen" Mustern und vom „Mainstream" eines historischen Prozesses abweichende Alternativszenarien aufzuzeigen in der Lage sind, wodurch ein Beitrag zur Lösung derart komplexer historischer Probleme wie das Verhältnis zwischen Gesetzmäßigkeit und Zufall, Ein- und Mehrdimensionalität, Objektivem und Subjektivem sowie zwischen historischer Perzeption und Missperzeption geleistet werden kann. Die Nachkriegspolitik der Sowjetunion wird gelegentlich anhand eines einfachen Schemas dargestellt: das Ziel - die Errichtung eines Gürtels von Satellitenstaaten; die Mittel - größtmögliche Unterstützung für die kommunistischen Parteien mit - gegebenenfalls auch gewaltsamer - Beseitigung ihrer politischen Konkurrenten, also eine „Sowjetisierung". Allerdings lassen sich zumindest die Entwicklungen in zwei Staaten nicht in dieses Schema pressen. Der eine Staat ist Finnland, der andere Österreich. In beiden Fällen handelte es sich dabei um Staaten, die entweder direkt einen Teil des Aggressors darstellten (Österreich) oder zu einem von diesem angeführten Block zu zählen waren (Finnland). In beiden Fällen kam es dabei zu einem gewissen Maß an Zusammenarbeit der UdSSR mit Vertretern der Westmächte - eine Tatsache, die einseitigen

Aleksandr Cubar 'jan Handlungen auf beiden Seiten bestimmte Grenzen setzte. In beiden Fällen waren die wichtigsten Partner der sowjetischen Vertreter sowohl auf lokaler als auch auf höherer Ebene nicht die Kommunisten (mit denen man wohlgemerkt dennoch enge und überaus vertrauliche Kontakte unterhielt), sondern Politiker mit einer gemäßigten Weltanschauung, wie etwa Juho Paasikivi oder Urho Kekkonen auf finnischer bzw. Karl Renner, Leopold Figl, Julius Raab oder Bruno Kreisky auf österreichischer Seite. Worin liegen nun die Gründe für die „Sonderbehandlung" dieser beiden Staaten? Eine Rolle spielten natürlich geopolitische Erwägungen, Bewertungen historischer Erfahrungen und Beweggründe wirtschaftlicher Natur. Bezüglich wirtschaftlicher Erwägungen sollte darauf hingewiesen werden, dass Stalin die Möglichkeiten der „sozialistischen" Wirtschaft, im Unterschied zu dem, was von der Propaganda verbreitet wurde, überaus skeptisch bewertete. Im Zusammenhang damit genügt es, sich Stalins Reaktion auf die Aussagen Marschall Semen Budennyjs in Erinnerung zu rufen, der im Jahr 1945 sein Missfallen darüber zum Ausdruck brachte, dass die sowjetische Armee ihren Vormarsch in Richtung Westen eingestellt und nicht ganz Europa unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Stalins Reaktion darauf beschränkte sich auf die nüchterne Bemerkung: „Und womit hätten wir sie ernähren sollen?"1 Doch dieser nüchterne und rationelle Ansatz erklärt nicht die politische Linie im Falle der Staaten Ost- und Südosteuropas, in denen eine bedingungslose Unterstützung wirtschaftlich ineffizienter und politisch instabiler Systeme betrieben wurde, die ihren Teil zur Überspannung des sowjetischen Potenzials und schließlich auch zum endgültigen Zerfall der UdSSR beitrug. Offen bleibt die Frage, warum nüchternes Abwägen und Rationalität (zumindest in gewissem Maße) gerade im Falle Finnlands und Österreichs an den Tag gelegt wurden. Im Zusammenhang mit Finnland gilt es übrigens zu erwähnen, dass der sowjetischen Seite nicht nur von den Kommunisten, sondern auch von linken Sozialdemokraten vom Schlage des finnischen Botschafters in Moskau, Sundström, mehrmals der Rat erteilt wurde, Härte zu zeigen und „Druck" auf die Reaktionäre in der Regierung auszuüben. Konkret wurde der sowjetischen Diplomatie vorgeschlagen, den Abschluss eines Friedensvertrages mit Finnland hinauszuzögern, sodann dessen Ratifizierung zu verschleppen und auf Grund der Entlassung „progressiver Kräfte", d. h. prosowjetisch eingestellter Akteure, aus staatlichen Funktionen Protest zu bekunden. Doch die Antworten der zuständigen sowjetischen Entscheidungsträger - angefangen von Außenminister Vjaceslav Molotov bis hinunter auf niedrigere Entscheidungsebenen - fielen diesbezüglich jedes Mal ablehnend und mitunter sogar gereizt aus.2

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I. I. Orlik, Vostocnaja Evropa ν sovetsko-amerikanskich otnosenijach posle vtoroj mirovoj vojny, in: Aleksandr O. Cubar'jan (Hg.), Sovetskaja vnesnjaja politika ν retrospektive 1917-1991. Moskau 1993, S. 107. Alexei M. Filitov, The Peace Treaty of 1947 in Soviet-Finnish Relations, in: Jukka Nevakivi (Hg.), Finnish-Soviet Relations 1944—1948. Papers of the Seminar organized in Helsinki, March 2 1 - 2 5 , by the Department of Political History, University of Helsinki, in cooperation with the Institue of Universal History, Russian Academy of Sciences, Moscow. Helsinki 1994, S. 129-150, hier: S. 148.

Die UdSSR und Österreich im Europa der Nachkriegszeit Dem Verfasser dieses Beitrages ist nicht bekannt, ob seitens der österreichischen Kommunisten ähnliche „Ratschläge" erteilt wurden (von Seiten der äußerst antikommunistisch eingestellten Sozialisten konnten sie wohl kaum kommen), jedoch wird bereits durch eine erste, rein oberflächlich durchgeführte Analyse der Archivbestände zum Sowjetischen Teil des Alliierten Rates für Österreich klar, dass man in diesen auf keinerlei Anzeichen für das Vorhandensein von Strömungen stoßen wird, deren Ziel in der Schaffung eines „volksdemokratischen" Systems lag. Dies trifft sowohl auf Österreich in seiner Gesamtheit als auch auf das Gebiet der sowjetischen Besatzungszone zu. In den Beständen des RGASPI, des früheren Parteiarchivs, wird eine überaus interessante Quelle verwahrt, nämlich ein Stenogramm der im Mai 1948 anlässlich der Tätigkeit des sowjetischen Propagandaapparates in Österreich abgehaltenen Beratung der obersten Führung des Sowjetischen Teils des Alliierten Rates für Österreich. Worum geht es in diesem Stenogramm? Es versteht sich, dass die Reden von Mitarbeitern und der Leiter der Abteilung für Propaganda des sowjetischen Besatzungsapparates - Generaloberst Vladimir Kurasov, Generalleutnant Aleksej Zeltov und des Vertreters des sowjetischen Außenministeriums Michail Koptelov - nicht gerade frei waren von an die österreichischen Behörden und führende Persönlichkeiten der Sozialistischen Partei und der Völkspartei gerichteten Vorwürfen. Es gibt auch einzelne Aussagen bezüglich einer „Stärkung der demokratischen Kräfte" u. Ä., doch wenn es um konkret praktische Schlussfolgerungen ging, wurde ein anderer Ton angeschlagen. Man sprach dabei nicht von einer Installierung volksdemokratischer Strukturen in Österreich, sondern, ganz im Gegenteil, vielmehr von der „Gefahr", die Österreich für seine volksdemokratischen Nachbarstaaten (und nicht nur Nachbarstaaten) darstellen würde. Eine solche Aussage ist etwa auch im Bericht des Leiters der Abteilung für Propaganda, Oberst Lev Dubrovickij, beinhaltet: „Warum ist es zu einer Verschärfung der Propaganda der Alliierten in Österreich gekommen? Die Sache liegt meiner Meinung nach darin begründet, dass Österreich von volksdemokratischen Staaten umgeben ist und unsere ,Alliierten' das Land als Fenster nutzen wollen, durch das sie ideologisch auf die volksdemokratischen Staaten Einfluss ausüben können. An dieser Stelle können zwei Faktoren hervorgehoben werden: Die volksdemokratischen Staaten sind ehemalige Provinzen der österreichischungarischen Monarchie und ein großer Teil ihrer Bevölkerung spricht deutsch. Auf diese Weise sickert die Propaganda der .Alliierten' auch nach Rumänien, Polen, Ungarn, in die Tschechoslowakei und nach Jugoslawien ein. Zweitens verfügt die Propaganda der ,Alliierten' unter der österreichischen Bevölkerung und unter DPs über eine Unmenge an Mitarbeitern, die Einfluss auf gewisse Bevölkerungsschichten ausüben." 3 Es bietet sich ein klares Bild des defensiven, sich verteidigenden Charakters der sowjetischen Propaganda in Österreich. Dabei ging es nicht um Stärkung des eigenen Einflusses in einem besetzten Land, sondern in erster Linie darum, wie man sich vom „bösartigen" Einfluss, der von einem besetzten Land ausging, schützen konnte. Dazu stellt sich die Frage, inwieweit die alarmierende Einschätzung tatsächlich zutreffend 3

RGASPI, F. 17, op. 132, d. 5, S. 159.

Aleksandr Cubar 'jan war. Als Kuriosum kann die Tatsache angeführt werden, dass man zu den ehemals zu Österreich-Ungarn gehörenden Länder auch Rumänien zählte, obwohl dieses als Staat niemals Teil der Doppelmonarchie war. Angesichts der defensiven Einstellung des Leiters des sowjetischen Propagandaapparates in Österreich erscheint dessen Vorschlag zum Abschluss eines Kulturabkommens mit der österreichischen Regierung als vollkommen logisch, wobei als Vorbild die bereits zuvor unterzeichneten analogen Abkommen der USA und Frankreichs dienten. Doch es soll an dieser Stelle keine vereinfachte Darstellung des realen Sachverhaltes erfolgen. In der Rede des stellvertretenden politischen Beraters Koptelov wurden die Thesen Dubrovickijs einer scharfen Kritik unterzogen. Michail Koptelov gefiel weder die Idee des Abschlusses eines sowjetisch-österreichischen Kulturabkommens noch die These, dass in Österreich der „Kapitalismus Fuß gefasst" hätte, noch die allgemeine Einstellung in Bezug auf die reale Lage in Österreich. Es ist jedoch bezeichnend, dass sich der führende Exponent der sowjetischen Militäradministration, Generaloberst Vladimir Kurasov, bei seinen die Konferenz beschließenden Worten im Wesentlichen nicht mit Koptelov, sondern mit Dubrovickij solidarisierte, indem er anmerkte, dass „das Kräfteverhältnis, wie hier gesagt wurde, nicht günstig für uns erscheint. Das Lager der reaktionären Kräfte verfügt über größere Kräfte und Mittel als das Lager der Demokratie." 4 Es ist bemerkenswert, dass ans Ende dieser Aussage im Stenogramm ein Fragezeichen gesetzt wurde, mit dem ein für ideologische Belange zuständiger Zensor wohl offensichtlich seine persönliche Meinung zum Ausdruck bringen wollte. Als ob er die Möglichkeit eines solchen Eingriffes vorausgesehen hätte, beendete Kurasov seine Rede und somit die Konferenz mit einem „kämpferischen" Aufruf: „Man hat dafür Sorge zu tragen, dass unsere Propaganda offensiv - ja nicht nur offensiv, sondern sogar letztendlich entscheidend werden möge." 5 Doch steht dieser letzte Aufruf in augenscheinlichem Widerspruch zur Grundaussage seiner Rede. Auch andere Interpretationen des vorgenommenen Meinungsaustausches sind selbstverständlich möglich. Was an dieser Stelle hervorgehoben werden sollte, ist der Umstand, dass allein durch die Analyse eines einzigen Schriftstückes eine Reihe von Fragen aufgeworfen wird: Wie sind die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission zu erklären, inwieweit entsprachen sie analogen Strömungen in Moskau, welche der vertretenen Positionen und Einstellungen waren bestimmend? Es wäre interessant, von österreichischer Seite zu erfahren, ob es Archivdokumente dazu gibt, wie der Charakter und die Perspektiven der sowjetischen Politik in österreichischen Kreisen bewertet wurden und was über die verschiedenen Strömungen innerhalb des sowjetischen Besatzungsapparates bekannt war. Ein weiteres Thema, das besondere Beachtung verdient, stellt ohne Zweifel die Genese der österreichischen Neutralität dar. Im Zuge einer von 9. bis 12. September 1992 in Helsinki abgehaltenen Konferenz mit dem Titel „Neutralität in der Geschichte" 4

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Ebd., S. 189. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 105. Ebd., S. 195.

Die UdSSR und Österreich im Europa der Nachkriegszeit war es dem Verfasser des vorliegenden Aufsatzes beschieden, mit einem Referat zum Thema „Neutralität der besonderen Art" aufzutreten - eine politische Konzeption, an die sich in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges auch die Sowjetunion hielt. Doch im Unterschied zu Staaten wie Schweden, der Schweiz und Österreich stellte die Politik der Neutralität für die UdSSR bloß eine kurze historische Episode dar. In seinem auf genannter Konferenz gehaltenen Vortrag mit dem Titel „Neutrality: the case of Austria 1945-1990" wurde vom Wiener Historiker Lothar Höbelt auf die Tatsache hingewiesen, dass der österreichischen Diplomatie im Kampf um die Erlangung des Staatsvertrages entgegen der anders lautenden traditionellen Meinung die meisten Schwierigkeiten von den Vereinigten Staaten bereitet wurden. 6 Gemeinsam mit Max Engman, der die Ausführungen des Wiener Historikers mit seinen Kommentaren versah, wurde von Höbelt festgehalten, dass die Politik der Neutralität ungeachtet aller anderen Nebeneffekte zu einer wesentlichen Besserung der finanziellen Situation Österreichs geführt hätte. In den 1980er Jahren, so Engman, wären die österreichischen Pro-Kopf-Rüstungsausgaben unter denen Irlands und Finnlands gelegen. 7 Dieser Feststellung kommt in Anbetracht der Argumentation mancher Staaten, die ihren Eintritt in militärische Bündnisse mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, dass eine ohne fremde Hilfe wahrgenommene Landesverteidigung zu teuer wäre, große Bedeutung zu. Vom Gesichtspunkt des heutigen Russland aus betrachtet, ist die Dynamik der Entwicklung der nationalen Identität, des nationalen Selbstverständnisses Österreichs von großem Interesse. War im Jahr 1956 nur rund die Hälfte der Österreicher der Meinung, dass es eine eigene österreichische Nation gibt, so wurde diese Meinung im Jahr 1989 von 80 Prozent der Bevölkerung geteilt. 8 Dieses Problem ist, nebenbei bemerkt, auch in Russland präsent, wobei in diesem Falle der Wert anfangs ein noch niedrigerer war und mittlerweile auch erst bei etwa 50 Prozent liegt. Die von Österreich in diesem Zusammenhang gemachten Erfahrungen sind für Russland wichtig und wegweisend. Jedoch kann den beiden Wissenschaftlern nicht in allen Punkten zugestimmt werden. Etwas überzogen scheinen die Thesen von einem Österreich „aufgezwungenen" Status, von einer Parallele zwischen dem Staatsvertrag und Versailles sowie die Ansicht, dass der neutrale Status Österreichs dem Warschauer Pakt zum Vorteil, den Interessen der NATO jedoch zum Schaden gereicht hätte. Im Übrigen haben viele dieser Fragen in der Zwischenzeit ihre Brisanz verloren. Wer könnte heute noch von einem der NATO schadenden Status sprechen? Andererseits gilt es, die Feststellung zu treffen, dass von der Sowjetunion die Offenheit, mit der die österreichischen Partner ihre Ansichten darlegten, die Zuverlässigkeit und die Berechen-

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Lothar Höbelt, Neutrality: the case of Austria 1945-1990, in: Jukka Nevakivi (Hg.), Neutrality in History. Proceedings of the Conference on the History of Neutrality organized in Helsinki 9 - 1 2 September 1992 under the auspices of the Commission of History of International Relations. Helsinki 1993, S. 2 9 7 - 2 9 9 , hier: S. 297. Max Engman, Comments, in: Jukka Nevakivi (Hg.), Neutrality in History. Proceedings of the Conference on the History of Neutrality organized in Helsinki 9 - 1 2 September 1992 under the auspices of the Commission of History of International Relations. Helsinki 1993, S. 30If., hier: S. 302. Engman, Comments, S. 302.

Aleksandr Cubar 'jan barkeit des Verhaltens Österreichs nicht immer gebührend geschätzt wurden. Die Erfahrung der Geschichte hat gezeigt, dass die Sorgen der führenden Kräfte der Sowjetunion angesichts des Beitritts Österreichs zur vormaligen Europäischen Gemeinschaft und späteren Europäischen Union vollkommen unbegründet waren. Sowjetführer ließen sich dazu hinreißen, unangebrachte diplomatische Schritte zu setzen, so wie dies etwa Nikita Chruscev im Jahr 1960 tat, als es verkündete, dass eine Verletzung der Neutralität Österreichs von der „Sowjetunion nicht tatenlos hingenommen" werden könnte. In Österreich interpretierte man dies als sowjetischen Wunsch, als einziger Garant der österreichischen Neutralität auftreten zu wollen, was dem österreichischen Rechtsverständnis widersprach. 9 Der Gerechtigkeit halber sei angemerkt, dass eine ähnlich unglückliche Initiative wie die Chruscevs aus dem Jahr 1960 im Jahr 1984 vom US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan unternommen wurde. Sie wurde von der österreichischen Regierung ebenso wie diejenige Chruscevs mit offiziellem Protest quittiert.10 Österreich demonstrierte auf diese Weise erneut, dass es keine unterschiedlichen Standards anzulegen bereit war - eine Vorgangsweise, die leider bei weitem nicht bei allen Mitgliedern der Staatengemeinschaft anzutreffen ist. Umso mehr verdienen die österreichischen Erfahrungen und das österreichische Beispiel eine positive Bewertung. Im Interesse des Friedens und der Sicherheit in Europa sowie auf dem gesamten Erdball sehen sich Historiker mit der Aufgabe konfrontiert, in diesem Zusammenhang noch eine Reihe von Fragen zu untersuchen und zu analysieren. Übersetzung aus dem Russischen: Arno Wonisch

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I. G. Zirjakov, Sovetskij Sojuz - Avstrija. Na puti k sozdaniju obsceevropejskogo doma. Moskau 1991, S. 38. Ebd.

Aleksej Filitov

Sowjetische Planungen zur Wiedererrichtung Österreichs 1941-1945 Die Haltung der sowjetischen Führung zum Nachkriegsstatus Österreichs wurde bereits im frühesten Stadium des Zweiten Weltkrieges, auf dem Höhepunkt der Schlacht um Moskau, definiert und auch ausformuliert. Konkret kann dabei als Datum der 21. November 1941 genannt werden. Dazu muss korrekterweise festgehalten werden, dass es sich dabei nicht um eine offizielle Deklaration, sondern um ein streng geheimes Telegramm, das an diesem Tag vom Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Vjaceslav Molotov, an den bevollmächtigten sowjetischen Vertreter in London, Ivan Majskij, gesandt wurde, handelte. Allem Anschein nach zeigte sich Majskij wegen der Wortwahl Iosif Stalins in einer von diesem am 6. November 1941 gehaltenen Rede etwas verwirrt, brachte Stalin doch folgenden Gedanken zum Ausdruck: „Solange sich die Hitlerleute mit dem Sammeln der deutschen Länder und mit der Wiedervereinigung des Rheinlands, Österreichs u. Ä. beschäftigten, konnte man sie mit gewisser Begründung als Nationalisten bezeichnen." 1 Unter Bezugnahme auf eine Bitte der britischen Kommunisten sandte der politische Vertreter der UdSSR in London am 14. November ein Telegramm mit der Bitte um Erläuterung dieser Aussage Stalins, die in der Tat eine Reihe von Fragen, sowohl historischer als auch politischer Natur, aufgeworfen hatte, an Volkskommissar Molotov. Die gemäß dem Versailler Vertrag durch die Truppen der Entente erfolgte Besetzung des linken Rheinufers war noch zu Zeiten der Weimarer Republik zu Ende gegangen, und die von Hitler im Jahr 1936 durchgeführte Operation stellte nicht den Akt einer „Wiedervereinigung", sondern einer Remilitarisierung des Rheinlandes dar - zwei Termini, die keineswegs gleichzusetzen sind. Ebenso wenig konkret zu deuten war auch der von Stalin angestellte Versuch einer Gleichsetzung des Rheinlandes mit Österreich, das vor dem Anschluss zu keinem Zeitpunkt der Geschichte einen Teil Deutschlands gebildet hatte. Aus der von Stalin gewählten Formulierung konnte man also eine Abkehr

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Vnesnjaja politika Sovetskogo Sojuza ν period Otecestvennoj vojny. Dokumenty i materialy. Bd. 1. Moskau 1946, S. 43. Vgl. dazu auch den Beitrag von Natal'ja Lebedeva, Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil, in diesem Band.

Aleksej Filitov von der früheren Bewertung des Anschlusses als eine Manifestation der aggressiven und räuberischen Politik des nationalsozialistischen Deutschlands herauslesen. Das bereits erwähnte Antworttelegramm Molotovs vom 21. November fiel wie folgt aus: „Im Zusammenhang mit Ihrer Anfrage teile ich mit, dass die fragliche Passage in der Rede Stalins über Österreich von Genossen Stalin auf folgende Weise kommentiert wird: Der Anschluss des mehrheitlich von Deutschen bewohnten Österreichs an Deutschland kann im Rahmen eines deutschen Nationalismus gesehen werden, doch das bedeutet keinesfalls, dass Genösse Stalin diesen Anschluss begrüßt, weil Genösse Stalin den deutschen Nationalismus nicht als gerechtfertigte und akzeptable Konzeption betrachtet. Stalin wollte an dieser Stelle sagen, dass auch vom Gesichtspunkt des deutschen Nationalismus aus betrachtet die gegenwärtige Expansionspolitik der Hitlerleute als verhängnisvoll für Deutschland anzusehen ist und dass die Partei der Nationalsozialisten eine grobschlächtig imperialistische und keine nationalistische ist. Stalin wollte damit Verwirrung in den Reihen der Nationalsozialisten stiften und einen Keil zwischen die Regierung Hitler und die nationalistisch eingestellten Kräfte des deutschen Volkes treiben. Was die Haltung Genossen Stalins gegenüber Österreich, dem Rheinland u. Ä. betrifft, so ist Stalin der Meinung, dass Österreich in Form eines unabhängigen Staates von Deutschland abzutrennen ist und Deutschland selbst, darunter auch Preußen, in eine Reihe mehr oder weniger selbstständiger Staaten zerschlagen werden muss, um auf diese Weise eine friedliche Existenz der europäischen Staaten in Zukunft gewährleisten zu können." 2 Wie ist dieser Dialog zwischen dem Volkskommissar und dem Botschafter, an dem in Form einer Drittperson oder einer übergeordneten Autorität indirekt auch der „sowjetische Führer" beteiligt war, nun zu kommentieren? Allein die Tatsache, dass man sich zu sagen traute, dass eine Aussage Stalins nicht völlig klar wäre und einer Erläuterung bedürfte, erforderte unter den Bedingungen der damaligen Zeit ein gehöriges Maß an Eigen- und Zivilcourage seitens dessen, der eine solche Bitte um Erläuterung - noch dazu in offizieller Form - vorbrachte. Alles, was der „sowjetische Führer" von sich gab, war als Wahrheit in höchster Instanz anzusehen, und ein wie auch immer vorgebrachtes Zweifeln an der Weisheit und Vollkommenheit des Gesagten hätte die schlimmsten Konsequenzen nach sich ziehen können. Es ist schon richtig, dass Majskij seine Anfrage nicht von sich aus, sondern auf Bitte der britischen Kommunistischen Partei vorgebracht hatte, doch auch in dieser Form ließ sich sein Telegramm als Manifestation eigenständigen Denkens auslegen, das zur damaligen Zeit in keiner Form gutgeheißen wurde. Nicht weniger ungewöhnlich fielen auch die Reaktionen Molotovs und Stalins selbst aus, an den sich, so wie aus dem Text des Telegramms vom 24. November hervorgeht, der Völkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten mit der Bitte um Erklärung gewandt hatte. Es folgte keine schroffe Zurechtweisung, sondern der Versuch einer eingehenden und sachlichen Beantwortung einer keineswegs leichten Frage. Die Antwort Molotovs 2

G. P. Kynin-J. Laufer, SSSR i germanskij vopros. 22ijunja 1941g.-8 maja 1945g. SSSR i germanskij vopros 1941-1949. Bd. 1. Moskau 1996, S. 118f. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 1.

Sowjetische Planungen zur Wiedererrichtung

Österreichs

(oder besser gesagt: Molotovs und Stalins) zeugt von einer gewissen Diskrepanz zwischen realpolitischen und propagandistischen Komponenten in der sowjetischen Politik. Dogmatische Lehre und die tatsächlich von der Politik verfolgten Ziele stellten in den Augen der sowjetischen Führung vollkommen unterschiedliche Kategorien dar, die keiner Übereinstimmung oder Adaptierung bedurften. Offensichtlich wurde gedacht, dass eine derart gelagerte Wechselbeziehung zwischen diesen beiden Komponenten eine Beweglichkeit und Effizienz der Politik gewährleisten könnte. Die Richtigkeit eines solchen Denkansatzes ist mehr als fragwürdig. Im vorliegenden konkreten Fall kann konstatiert werden, dass die Berufung auf den deutschen Nationalismus in der Zeit des Zweiten Weltkrieges keinerlei merkbare Ergebnisse zeigte. Lag das Ziel in einer „Verwirrung", so wurde eine solche höchstens unter den Gegnern des Nationalsozialismus gestiftet. Doch nun zum entscheidendsten Faktor im Zusammenhang mit dem behandelten Thema: Das erwähnte Telegramm Molotovs an Majskij zeugt unbestreitbar davon, dass die getrennte Behandlung der „deutschen" und der „österreichischen" Frage und die besondere Betonung einer eigenen österreichischen Identität (so wie diese zu Beginn der Tätigkeit des Radiosenders „Freies Österreich" am 19. November 1941 definiert wurde) 3 nicht nur hohle propagandistische Phrasen zur Schwächung des Feindes darstellten, sondern dass die Wiederherstellung des österreichischen Staates, sein unabhängiges Bestehen in der Nachkriegswelt trotz propagandistischer Winkelzüge bereits ab dem frühesten Stadium des Zweiten Weltkrieges ein erklärtes Ziel der obersten sowjetischen Führung darstellten. Dieser Faktor verdient umso mehr Beachtung, wenn man in Betracht zieht, dass in den führenden Kreisen der anderen Staaten der Anti-Hitler-Koalition wie auch unter der österreichischen Emigration lange Zeit kein derartig klares Konzept zur Zukunft Österreichs bestanden hatte. Der britische Premier Winston Churchill soll laut Angaben Majskijs in einem mit ihm am 27. November 1941 geführten Gespräch bei der Festlegung der zukünftigen Friedensordnung keinerlei Unterscheidung zwischen dem Status Bayerns, Österreichs und Württembergs vorgenommen haben. 4 Im Zusammenhang mit den angloamerikanischen Gesprächen im März 1943 wurde vom sowjetischen Botschafter in den USA, Maksim Litvinov, über die bei diesen Verhandlungen erörterten unterschiedlichsten Ideen betreffend die Zukunft Österreichs nach Moskau Bericht erstattet. Die Ideen reichten von der Wiederherstellung der Staatlichkeit Österreichs durch eine „Vereinigung mit der Tschechoslowakei" 5 bis hin zu einer Restaurierung der Habsburgermonarchie. Ein besonders ambivalentes Bild zeichnete Litvinov in seinen Berichten von der Position der USA. Hätten den Worten des britischen Außenministers Anthony Eden zufolge „der Präsident ([Franklin D.] Roosevelt) und [Cordell] Hull (Staatssekretär der USA) [...] kein Interesse an einer Wiedererrichtung der Habsburgermonarchie 3

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Karl Stuhlpfarrer, Österreich - Mittäterschaft und Opferstatus, in: Ulrich Herbert - Axel Schildt (Hg.), Kriegsende in Europa. Vom Beginn des deutschen Machtzerfalls bis zur Stabilisierung der Nachkriegsordnung 1 9 4 4 - 1 9 4 8 . Essen 1998, S. 3 0 1 - 3 1 7 , hier: S. 307. Kynin - Laufer, S S S R i germanskij vopros, S. 646. AVP RF, F. 4 8 z , op. 24a, p. 46, d. 1, S. 46.

Aleksej Filitov gezeigt", so hatte der sowjetische Botschafter von seinem italienischen Gesprächspartner Carlo Graf Sforza eine völlig gegenteilige Information erhalten: „Das Kokettieren der USA mit Otto Habsburg hat seinen Ursprung im Weißen Haus, und [...] der Präsident unterliegt dem Einfluss verschiedener, sich in den USA und in Italien aufhaltender monarchischer Kreise." 6 Eine ähnlich gelagerte Analyse der Pläne bezüglich Österreich mit ausgewogenen Argumenten für die Wiedererrichtung eines unabhängigen Österreichs beinhaltet auch ein Schreiben, das am Vorabend der Moskauer Außenministerkonferenz der drei Mächte vom aus den USA zurückgekehrten Litvinov verfasst wurde. Dieser hielt fest, dass sich im Westen Pläne zur Bildung verschiedener Föderationen - einer österreichisch-ungarischen (eine Variante, die laut Litvinov von Eden ins Spiel gebracht worden wäre), einer süddeutschen, zentraleuropäischen und einer osteuropäischen - im Umlauf befinden würden. Unter den österreichischen Emigranten gäbe es „Personen, die bereit sind, Österreich in einem demokratisierten Deutschland zu belassen", daneben aber auch Befürworter einer „föderativen Lösung" (in diesem Zusammenhang wurde der ehemalige österreichische Gesandte in London Kunz genannt). Wie von Litvinov angemerkt, würden sich „die Gegner eines unabhängigen österreichischen Staates vor allem auf die Überlebensunfähigkeit eines solchen Staates berufen. Doch immerhin hat Österreich 20 Jahre lang als unabhängiger Staat bestanden und seine Bevölkerung wohl kaum unter schlechteren Bedingungen gelebt und größere Not erfahren als etwa die Bevölkerung der Österreich benachbarten Balkanstaaten." Litvinov bringt auch ein weiteres Argument gegen die „Austroskeptiker" ins Spiel: In den Jahren des Krieges wäre das wirtschaftliche Potenzial Österreichs stark gewachsen: Die Ölfördermenge hätte 0,5 Millionen Tonnen erreicht und die Produktionsmenge von Stahl nach Inbetriebnahme der „Hermann-Göring-Werke" eine Verdoppelung erfahren. Im Resümee des Österreich gewidmeten Teils seines Schreibens schlägt Litvinov sogar vor, auch die Möglichkeit einer Ausweitung des Gebietes eines zukünftigen österreichischen Staates in Betracht zu ziehen: „Österreich kann begründet Anspruch auf eine Eingliederung eines kleinen Teils deutschen Gebietes, die Bezirke Passau und Berchtesgaden, erheben. Man könnte Österreich aber auch das ihm von Italien genommene Südtirol zurückerstatten, doch das ist mit der Frage der Behandlung Italiens verbunden." 7 Die zuletzt genannte Idee erfuhr zwar keine Umsetzung, aber im Übrigen spiegelten die Anmerkungen Litvinovs die grundlegende Haltung der drei Mächte wider, wurde doch bei der auf der Moskauer Konferenz am 1. November 1943 vereinbarten „Erklärung über Österreich" die Wiederrichtung eines unabhängigen Österreich als eines der Ziele der Anti-Hitler-Koalition definiert. Dieses Ziel wurde schlussendlich umgesetzt. Besondere Beachtung verdient das Problem der Festlegung der Besatzungszonen in Österreich. Dieses wurde in der „European Advisory Commission" (EAC) erörtert, wobei die von der Sowjetunion in diesem Dreimächteorgan vertretene Position auf Grund6 7

Ebd., S. 49. Kynin - Laufer; SSSR i germanskij vopros, S. 301-303.

Sowjetische Planungen zur Wiedererrichtung

Österreichs

läge der Empfehlung der gemäß dem Beschluss des Politbüros des Zentralkomitees der Allunionspartei, VKP(b), vom 4. September 1943 gebildeten „Kommission zu Fragen eines Waffenstillstandes" beim Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR ausgearbeitet worden war. Zum Leiter genannter sowjetischer Kommission war Marschall Kliment Vorosilov ernannt worden, weshalb sie auch meist mit der Bezeichnung „Vorosilov-Kommission" tituliert wird. In einer ersten Variante des Entwurfes von kurz gefassten „Kapitulationsbedingungen für Deutschland" vom 4. Februar 1944 wurde die Demarkationslinie „zwischen den Streitkräften der UdSSR einerseits und den Streitkräften des Vereinigten Königreiches und der USA andererseits" wie folgt festgelegt (Artikel 16): „Von Heiligenhafen (nicht sowjetisch) entlang dem Westufer der Mecklenburger Bucht nach Lübeck (nicht sowjetisch), weiter entlang der Westgrenze Mecklenburgs bis hin zum Fluss Elbe und weiter flussaufwärts bis zur Verwaltungsgrenze der preußischen Provinz Altmark, dann weiter an die Westgrenze von Anhalt, weiter entlang der westlichen Verwaltungsgrenze der preußischen Provinz Sachsen und Thüringen bis zum Schnittpunkt deren Grenze mit der bayrischen und weiter in Richtung Osten entlang der Nordgrenze Bayerns bis hin zur tschechoslowakischen Grenze in der Ortschaft Hof, weiter entlang der westlichen, südwestlichen und südlichen Grenze der Tschechoslowakei bis hin nach Bratislava und dann von dieser Stadt den Lauf der Donau stromabwärts bis nach Silistra und weiter in Richtung Osten entlang der rumänisch-bulgarischen Grenze bis ans Ufer des Schwarzen Meeres." Auf den östlich dieser Linie gelegenen Gebieten sollte die „Entwaffnung der deutschen Truppen, der Truppen der anderen Achsenmächte und von so genannten f r e i w i l l i g e n ' " den Streitkräften der UdSSR obliegen, auf den Gebieten westlich dieser Linie den Truppen der Westmächte. 8 Ein Blick auf die Karte reicht aus, um zum Schluss zu gelangen, dass diese geplante Linie eine militärische Präsenz der UdSSR nicht nur in Österreich, sondern auch im Westteil Ungarns ausschloss. In einer zweiten Variante dieses Entwurfes (vom 8. Februar 1944) erfolgte erstmals eine Nennung des Begriffes „Besatzungszonen" (Artikel 15), deren Grenzen allerdings nur bis zum Schnittpunkt der bayrischen und der tschechoslowakischen Grenze festgelegt wurden. Der weitere Verlauf jenseits der Grenzen Deutschlands blieb offen. 9 Erst in einer dritten Entwurfsvariante, die von Molotov zwecks Unterzeichnung am 12. Februar 1944 an Stalin gesandt wurde, kam die Sprache erstmals auf Österreich, für das der gleiche Status wie für Berlin vorgesehen war - der Status einer „gemeinsamen Zone". 10 Im Zusammenhang damit wurde Artikel 15 mit dem Punkt „d" ergänzt, entsprechend dem das „Gebiet Österreichs von den Truppen der UdSSR, des Vereinigten Königreiches und der USA gemeinsam besetzt wird". Stalin erklärte sich mit dieser Variante in seiner Resolution „An Molotov. Stalin" einverstanden. Im Telegramm Molotovs an den sowjetischen Vertreter in der EAC, Fedor Gusev, vom 12. Februar 1944 wurde darauf hingewiesen, dass der für Berlin und Österreich

8 Ebd., S. 402. 9 Ebd., S. 407. 10 Ebd., S. 413.

Aleksej Filitov vorgeschlagene Status als „Ausnahme" von der Regel anzusehen wäre, weil „jede Zone nur von Truppen derjenigen der drei Mächte besetzt wird [...], der die jeweilige Zone zugeteilt wird". 1 ' Es ist verständlich, weshalb dieser Regel von der sowjetischen Seite so hohe Bedeutung beigemessen wurde und warum der britische Entwurf, wonach in jeder Zone auch die Präsenz von Truppen der anderen alliierten Länder erlaubt war, als unannehmbar angesehen wurde: Die Variante einer „gemischten Besatzung" barg die Gefahr einer unkontrollierten Entwicklung von Kontakten zwischen Angehörigen der Streitkräfte von „Ost" und „West" und hätte dementsprechend möglicherweise den Weg zu dem geebnet, was im sowjetischen Jargon als „ideologische Diversion" bezeichnet wurde. Schwerer ist schon zu verstehen, warum eine Ausnahme von dieser Regel im Falle von Berlin und Österreich als zulässig erachtet wurde. Im Übrigen wurde sowohl in Berlin als auch in Österreich schon bald das Prinzip der territorialen Abgrenzung zwischen den Besatzungskontingenten kolportiert. Im Falle Berlins handelte es sich dabei um Sektoren, in Bezug auf Österreich um Zonen. In Folge sei der entsprechende Artikel (Artikel 2) des Entwurfes der „Vorosilov-Kommission" vom 17. April 1944 in vollem Wortlaut angeführt: „Für die Besatzung Österreichs werden folgende Zonen festgelegt: a) Das Gebiet Österreichs östlich der Linie, ausgehend von der Grenzstadt Retz in Richtung Südwesten bis Horn und weiter südlich in Richtung Krems, von wo ab sie in Richtung Osten entlang dem rechten Ufer der Donau bis Tulln und weiter in südlicher Richtung über die Städte Hainfeld, Mürzsteg, Turnau, Bruck, Leoben und weiter entlang den Flüssen Mur und Lavant bis hin zur Südgrenze Österreichs verläuft, wird von Truppen der UdSSR besetzt, ausgenommen die unter Punkt ,d' verzeichnete besondere Besatzungsordnung; b) das Gebiet westlich der in Punkt ,a' genannten Linie mit westlicher Begrenzung durch die Linie, ausgehend von der österreichisch-bayrischen Grenze entlang dem rechten Ufer der Donau bis zur Einmündung der Enns und weiter entlang dem genannten Fluss in Richtung Süden bis Eisenerz und von dort nach Südosten entlang der vereinbarten Linie bis Leoben, wird von Truppen des Vereinigten Königreiches besetzt; c) das gesamte übrige Gebiet Westösterreichs wird von Truppen der USA besetzt; d) Wien wird von Truppen der UdSSR, des Vereinigten Königreiches und der USA mit folgender Zoneneinteilung besetzt: Die Truppen der UdSSR besetzen den östlichen, zwischen Donau und Donaukanal gelegenen Teil der Stadt; die Truppen des Vereinigten Königreiches und die Truppen der USA das übrige Stadtgebiet, wobei die Demarkationslinie zwischen den Truppen des Vereinigten Königreiches und den Truppen der USA mittels Vereinbarung zwischen dem Kommando des Vereinigten Königreiches und dem der USA festgelegt wird." 12

11 12

Ebd., S. 416. Ebd., S. 461.

Sowjetische Planungen zur Wiedererrichtung

Österreichs

Im Zuge der am darauf folgenden Tag, dem 18. April 1944, abgehaltenen Sitzung der „Vorosilov-Kommission" zur Frage der Besatzungszonen in Österreich taten Admiral Ivan Isakov und Majskij ihre Meinung kund. Isakov wies darauf hin, dass die Grenzen der sowjetischen Zone eine direkte Bahn- und Schifffahrtsverbindung auf der Donau gewährleisten müssten, und Majskij hob hervor, „dass die sowjetische Zone nach Möglichkeit sowohl an Jugoslawien als auch an die Tschechoslowakei grenzen soll". Außerdem merkte Majskij an, dass man „die Lage der Industriebetriebe in diesem Land und die Bevölkerungszahlen der einzelnen Bundesländer Österreichs in Betracht ziehen muss. Alle drei Zonen müssen über eine ungefähr gleiche Bevölkerungszahl verfügen." In einer weiteren seiner Anmerkungen unterstrich Majskij seine Vorstellung, derzufolge „die Grenzen zwischen den Zonen im Großen und Ganzen entsprechend den Verwaltungsgrenzen zwischen den Bundesländern oder zwischen einzelnen Bezirken (Gemeinden) gezogen werden müssen". Im Sitzungsprotokoll der Kommission ist dazu vermerkt, dass man „Genossen Bazarov den Auftrag erteilte, eine Karte Österreichs mit eingezeichneten Bundesländergrenzen zu beschaffen, um auf der nächsten Sitzung der Kommission die Frage der Einteilung der Besatzungszonen unter den drei Alliierten Mächten auf Grundlage der administrativen Gliederung Österreichs erörtern zu können".' 3 In ihrer Sitzung am 30. April kehrte die Kommission neuerlich zur Frage der Grenzziehung zwischen den Besatzungszonen zurück. Die zur Durchsicht vorgelegten Vorschläge wurden „im Großen und Ganzen" für gut befunden. Wie im Protokoll vermerkt, wurden der „sowjetischen Besatzungszone folgende Bundesländer zugeteilt: Burgenland, die Hälfte Niederösterreichs und der Steiermark; der Zone des Vereinigten Königreiches - die Hälfte Niederösterreichs und der Steiermark sowie die Hälfte Kärntens; der Zone der USA - Oberösterreich, Salzburg, Tirol und die Hälfte Kärntens. Die Bevölkerungszahl in jeder der Zonen liegt bei etwa 1,5 Millionen." In Bezug auf Wien wurde der bereits früher gefällte Beschluss zu den Zonen bestätigt. 14 Das endgültige Ergebnis der Planungsarbeit der „Vorosilov-Kommission" zu Österreich wurde in einem an Stalin, Molotov, Vysinskij und Dekanozov ergangenen Resümee ihres Vorsitzenden, datiert mit 12. Juni, zusammengefasst. Darin heißt es: „In Österreich liegt die Fläche der sowjetischen Besatzungszone bei 21.066 Quadratkilometern mit einer Gesamtbevölkerungszahl von 1,407.000 Personen. Der übrige Teil nimmt eine Fläche von 62.587 Quadratkilometern mit 2,738.000 Bewohnern ein. Wien mit seiner Bevölkerungszahl von 1,929.000 Personen wird als eigene Einheit mit einer gemeinsamen Besatzung durch Truppen der drei Mächte gesondert behandelt. Die Kommission ist der Meinung, dass die Demarkationslinie zwischen der britischen und der amerikanischen Zone in Österreich und in Wien von den Engländern und Amerikanern selbst festgelegt werden muss.

13 Ebd., S. 464. 14 Ebd., S. 469.

Aleksej Filitov Der Zoneneinteilung in Österreich liegt nicht die territoriale Komponente zu Grunde, sondern die Bevölkerungszahl und die Verteilung der Industrie. In der sowjetischen Zone (deren Bevölkerungszahl ein Drittel der Bevölkerung Österreichs ausmacht) befindet sich ein großer Teil der Industriebetriebe, und dazu ist die sowjetische Zone auch durch Eisenbahnstrecken mit Jugoslawien, der Tschechoslowakei und mit Ungarn direkt verbunden." 15 Die Geschichte der Erörterung der österreichischen Frage in der EAC stellt eines der in der Literatur bislang am wenigsten behandelten Themen dar. Dies zeigt sich bereits durch eine unterschiedliche Lesart von Datumsangaben: So wurde zum Beispiel einem Autor zufolge der sowjetische Vorschlag über die Zonen am 29. Juni 194416 eingebracht, einem anderen zufolge geschah dies erst am 1. Juli.17 Wesentlich wichtiger ist indes die Frage darüber, wie die Vertreter der Westmächte in der EAC auf diesen Vorschlag reagierten und wie und wann eine für alle Seiten annehmbare Regelung erzielt wurde. Glaubt man den knappen Anmerkungen im Buch Aleksej Roscins (selbst Angehöriger der Europäischen Beratenden Kommission, Verfasser des in der sowjetischen und russischen Historiografie einzigen Werkes zu dieser Institution), sah der am 22. August 1944 von der britischen Seite eingebrachte Vorschlag für die sowjetische Zone sogar ein größeres Gebiet vor, als es sich die sowjetische Seite vorgestellt hatte. Dies hing mit dem Umstand zusammen, dass sich die amerikanische Seite anfangs nicht an der Besatzung Österreichs beteiligen wollte und sich nur dazu bereit erklärte, bloß „symbolische Kontingente" (ähnlich war auch die Position Frankreichs gelagert) zu entsenden. Deshalb ging der britische Plan auch lediglich von einer sowjetisch-britischen Besatzung Österreichs aus. Der sowjetischen Seite zugedacht waren dabei das Gebiet Ober- und Niederösterreichs (Wien ausgenommen) - der übrige Teil des Landes sollte durch britische Truppen besetzt werden. Wien war als Zone einer gemeinsamen Besatzung auserkoren, in der das erwähnte „symbolische" Kontingent der USA stationiert werden hätte sollen. Später kam es zu einer Änderung in der Haltung der USA und Frankreichs, woraufhin die britische Seite am 30. Jänner 1945 in der EAC einen neuen Vorschlag einbrachte, demzufolge die UdSSR für ihre Besatzungszone nur das Gebiet Niederösterreichs (ohne Wien) erhalten sollte. Für Großbritannien vorgesehen waren die Steiermark und Kärnten; den USA sollten Salzburg und Oberösterreich und Frankreich Tirol sowie Vorarlberg zugeteilt werden. Als Reaktion darauf schlug die sowjetische Seite eine territorial vergrößerte sowjetische Zone vor: Dieser sollten auch das am linken (nördlichen) Donauufer gelegene Gebiet Oberösterreichs und das Burgenland angehören. Letztendlich fand dieser Vorschlag die Zustimmung und bildete auch die Grundlage für das am 9. Juli 1945 unterzeichnete Alliierte Abkommen betreffend die Besatzungszonen für Österreich

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Ebd., S. 488. V. N. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija. Bor'ba Sovetskogo Sojuza za vozrozdenie nezavisimoj demokraticeskoj Avstrii i ustanovlenie s nej druzestvennych otnosenij (1938-1960gg.). Moskau 1962, S. 104. A. A. Roscin, Poslevoennoe uregulirovanie ν Evrope. Moskau 1984, S. 86.

Sowjetische Planungen zur Wiedererrichtung

Österreichs

(fünf Tage zuvor, am 4. Juli 1945, war es zur Unterzeichnung des Abkommens über den Kontrollmechanismus gekommen). 18 Es gilt zu beachten, dass bezüglich der Zonengrenzen ein erheblicher Unterschied zwischen der Situation in Österreich und der in Deutschland bestand. War das Zonenabkommen für Deutschland bereits am 12. September 1944 unterzeichnet worden, so hatte es für Österreich zu diesem Zeitpunkt - wie aus der Korrespondenz von Churchill und Stalin vom 17. und 18. Mai 1945 hervorgeht - noch keinen akkordierten Beschluss über die Errichtung von Zonen in diesem Land gegeben. 19 In diesem Zusammenhang macht es Sinn, eine Darstellung Valentin Falins von der diplomatischen Geschichte der Endphase des Krieges in Europa zu korrigieren: „Im April 1945 drangen sowjetische Truppen in Österreich in Verfolgung des Feindes über die von den drei Mächten vereinbarte Demarkationslinie nach Westen vor. Im Rahmen einer Beratung bei Stalin brachte der Leiter der 3. Europäischen (deutschen) Abteilung des Volkskommissariates für Auswärtige Angelegenheiten, Andrej Smirnov, seine Meinung zum Ausdruck, wonach sich die Sowjetunion an der erreichten Linie festsetzen und gegebenenfalls eine neuerliche Durchsicht der alliierten Abkommen erreichen sollte. Die Reaktion Stalins darauf fiel wie folgt aus: ,Falsch und schadend.' Auf seine Anordnung hin war bereits ein Telegramm an Eisenhower mit folgendem Inhalt vorbereitet worden: ,Die militärische Lage hat es notwendig gemacht, dass die Truppen der Roten Armee die zwischen den Alliierten vereinbarte Linie überschritten haben. Es versteht sich von selbst, dass diese Truppen mit Beendigung der Kampfhandlungen wieder in das für die UdSSR vorgesehene Gebiet zurückgezogen werden'" (Mitteilung an den Verfasser von Vladimir Semenov, der bei genannter Beratung zugegen war).20 Es ist offensichtlich, dass Semenov sein Gedächtnis im Stich gelassen hatte und Falin die Erinnerungen seiner Oral-History-Quelle zu unkritisch übernahm. Es sei wiederholt: Bis zum 9. Juli 1945 gab es keinerlei „vereinbarte Demarkationslinien". Nichtsdestoweniger gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die angeführte Textstelle nicht dennoch über eine gewisse Authentizität verfügt. In bestimmten sowjetischen Kreisen wurde offensichtlich eine Zeit lang die Variante angedacht, die am weitesten vorgeschobenen sowjetischen Truppenteile auf österreichischem Gebiet als diplomatisches Ass dazu zu nutzen, um den sowjetischen Vorschlag zu den Zonengrenzen, den die Westmächte anfangs nicht zu akzeptieren bereit waren, durchsetzen zu können. Es ist absolut wahrscheinlich, dass zu den Befürwortern dieser taktischen Variante auch der erwähnte Smirnov zählte, dessen Vorschlag von Stalin zurückgewiesen wurde, was jedoch - auch diese Möglichkeit ist nicht auszuschließen - nicht zwangsläufig sofort geschehen sein muss. Auf indirekte Weise findet die Tatsache des Vorhandenseins verschiedener in der sowjetischen Politik angedachter Vorgangsweisen gegenüber den Alliierten und die

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Roscin, Poslevoennoe uregulirovanie, S. 86-88. Perepiska predsedatelja Soveta ministrov SSSR s prezidentami SSA i prem'er-ministrami Velikobritanii vo vremja Velikoj Otecestvennoj vojny 1941-1945gg. Bd. 1. Moskau 1957, S. 361f. V. M. Falin, Vtoroj front. Antigitlerovskaja koalicija. Konflikt interesov. Moskau 2000, S. 565.

Aleksej Filitov letztendlich gewählte Variante der Nichtkonfrontation auch in der westlichen Historiografie ihren Niederschlag. So etwa in der Monografie der amerikanischen Forscherin Audrey Kurth Cronin. Gemeinsam mit dem Hinweis, dass „den Leitern der westlichen Missionen ein Eintreffen in Wien erst mit 3. Juni erlaubt war - beinahe zwei Monate nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in der Stadt - und die westlichen Garnisonen sogar erst Ende August eintrafen", wird von Cronin eine Mitteilung der „Times" vom 22. Juni 1945 angeführt, entsprechend der „die russischen Wünsche nach einer möglichst schnellen Ankunft der Alliierten in Wien erfüllt wurden". Cronin zufolge war es zu einer „Änderung" der sowjetischen Position gekommen, die sie damit erklärt, dass „die sowjetischen Kommandierenden vor Ort erkannt hatten, dass sie nicht in der Lage waren, die Zivilbevölkerung zu ernähren", weshalb sie in weiterer Folge daran interessiert waren, die Verantwortung dafür mit den Westmächten teilen zu können. Eine derartige „Änderung" der Haltung war bei Stalin übrigens nicht zu erkennen, was durch die Tatsache bewiesen wird, dass den Leitern der westlichen Missionen in Wien nach einwöchigem Aufenthalt vorgeschlagen wurde, die Hauptstadt wieder zu verlassen.21 Vieles in dieser Darstellung der Ereignisse und deren Interpretation ruft begründete Zweifel hervor. Äußerst unwahrscheinlich erscheinen in diesem Zusammenhang vor allem die unterschiedlichen Haltungen Stalins und der sowjetischen Vertreter „vor Ort". Hätte einer von diesen sich auch nur das geringste Maß an eigenem Denken erlaubt und dies noch dazu in der derart wichtigen politischen Frage der Beziehungen zu den Alliierten, so wäre er um sein Schicksal keineswegs zu beneiden gewesen. Nicht sehr überzeugend ist auch der von Cronin angeführte Grund für die Änderung der sowjetischen Haltung. Sie geht von der vorgefassten und keineswegs beweisbaren These einer „Ausplünderung" des sowjetisch besetzten Gebietes Österreichs durch die sowjetischen Truppen aus. Dazu sei gesagt, dass selbst bei einem Anknüpfen an diesen Ausgangspunkt, der besagt, dass von der sowjetischen Seite Beschlagnahmungen in großem Stil durchgeführt wurden, unbedingt zu berücksichtigen ist, dass es sich bei den konfiszierten Gegenständen erstens um industrielle Anlagen und zweitens um Dinge handelte, deren Bedeutung für die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung als minimal bezeichnet werden kann. Andererseits gibt es statistische Angaben zu im Jahr 1945 durchgeführten Nahrungsmittellieferungen nach Österreich, die besagen, dass der Anteil der Sowjetunion an diesen Lieferungen der größte war.22 Handelt es sich dabei etwa um verzerrte Statistiken, die ein falsches Bild wiedergeben? Wenn nicht, dann ist der von der US-Wissenschaftlerin hergestellte ursächlich-kausale Zusammenhang im Wesentlichen als unrichtig zu bezeichnen. Es ist anzunehmen, dass die sowjetische Seite eine bestimmte Taktik verfolgte, mit dem Ziel der Durchsetzung einer für sie möglichst günstigen Regelung der Zoneneinteilung. Wie effizient diese Taktik nun tatsächlich war, darf unter Berücksichtigung der von Cronin angeführten Tatsache, dass die Westalliierten (zumindest die Amerikaner) 21 22

Audrey Kurth Cronin, Great Power Politics and the Struggle over Austria 1945-1955. Ithaca - New York 1986, S. 26f. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija, S. 111.

Sowjetische Planungen zur Wiedererrichtung

Österreichs

anfangs kein Interesse an einer möglichst schnellen Stationierung ihrer Truppen auf österreichischem Gebiet hatten und ihnen die starre Haltung der sowjetischen Seite bloß ein Alibi lieferte, um ihre Politik des „Abwartens" zu verschleiern, bezweifelt werden. Letztendlich gingen beide Seiten von ihrer Politik irrationaler taktischer Manöver ab, was schließlich zur Unterzeichnung der erwähnten gemeinsam erarbeiteten Dokumente führte, die sowohl die Zonengrenzen als auch die grundlegenden Prinzipien des Besatzungsregimes festlegten. Das Gebiet der sowjetischen Besatzungszone nahm eine größere Fläche ein als im erwähnten Schriftstück der „Vorosilov-Kommission" vom 12. Juni 1944 vorgesehen war (sie umfasste ein Gebiet von 26.273 Quadratkilometern mit einer Bevölkerungszahl von 1,843.000 Personen, wogegen im Schreiben der „Vorosilov-Kommission" bloß von 21.066 Quadratkilometern mit 1,407.000 Bewohnern die Rede war), sie war jedoch wesentlich kleiner als das Gebiet, das von den sowjetischen Streitkräften befreit und zum Zeitpunkt des Kriegsendes kontrolliert wurde (36.551 Quadratkilometer mit einer Bevölkerungszahl von 4,532.000 Personen). 23 Übersetzung aus dem Russischen: Arno Wonisch

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Ebd., S. 65.

Natal'ja Lebedeva

Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil Die Komintern, die Abteilung für internationale Information des ZK der VKP(b) und Österreich 1943-1945

Das Exekutivkomitee der Komintern (IKKI) und sein Nachfolger - die Abteilung für internationale Information (OMI) des Zentralkomitees der Allunionspartei (der Bolschewiken), ZK der VKP(b), - wurden vom Kreml als Motor zur Umsetzung seiner Ziele auf der internationalen politischen Bühne, darunter auch in Bezug auf Österreich, umfassend eingesetzt. Nichtsdestotrotz brachten die Haltungen und Initiativen der in die UdSSR emigrierten Führer von kommunistischen Parteien einige Nuancen und Schattierungen in die von Moskau betriebene Politik. Bis Mitte des Jahres 1944 blieb auch die Haltung der sowjetischen Führung gegenüber den Österreichern, die man als Volk beinahe mit den Deutschen gleichsetzte, unverändert. In den Dokumenten der Komintern figurierte Österreich weder als besetztes Land noch als Bestandteil des Deutschen Reiches. Österreich fand, von einigen Ausnahmen abgesehen, in den die politische Linie der kommunistischen Parteien und die Aufgaben der Propaganda betreffenden Beschlüssen des Exekutivkomitees der Komintern einfach keine Erwähnung. 1 Kriegsgefangene Österreicher und Deutsche befanden sich in den gleichen Lagern und erfuhren auch eine völlig gleiche Behandlung. In der „antifaschistischen" („Antifa"-) Schule und in Kursen wurden sie in gemeinsamen Gruppen mit analogen Lehrinhalten unterrichtet, was den Protest des ZK der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) hervorrief. 2 Als besonders hartnäckig in dieser Frage erwies sich Johann Koplenig, der 1

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Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Teil 2. Posle 22 ijunja 1941g. Moskau 1998, S. 114f., 167f., 177-181, 208-212, 224-230, 234f„ 240f„ 244f„ 249-251, 254-258, 261f„ 265f„ 323-327. Einzig in einem ausführlicheren Dokument des Exekutivkomitees der Komintern mit dem Titel „Der Faschismus - der schlimmste Feind der Völker" wurde über den von Nationalsozialisten durchgeführten Putsch in Österreich und über die Ermordung von Engelbert Dollfuß berichtet. Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 127. Vgl. dazu Stefan Karner, Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion. Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 1. Wien - München 1995; Jörg Morre, Hinter den Kulissen des Nationalkomitees. Das Institut 99 in Moskau und die Deutschlandpolitik der UdSSR 1943-1946. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. Bd. 82. München 2001.

Natal'ja Lebedeva in den Jahren 1934 und 1935 als Generalsekretär des ZK der KPÖ und später als Parteivorsitzender fungierte. Zwischen 1935 und 1943 war Koplenig Mitglied des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern und in weiterer Folge Vertreter der KPÖ in diesem Organ. Ab dem ersten Kriegstag war er im Allunions-Radiokomitee der UdSSR dafür zuständig, bei der Radioberichterstattung über Österreich unterstützend mitzuwirken, und später oblag ihm die Organisation des Betriebes des Radiosenders „Freies Österreich". Zahlreiche österreichische Kommunisten nahmen im Exekutivkomitee der Komintern bedeutende Funktionen ein, die meist mit Propaganda in Verbindung standen. So fungierte Friedl Fürnberg, Mitglied des ZK der KPÖ, als stellvertretender Leiter der Abteilung für Propaganda des Exekutivkomitees der Komintern und leitete die Radiopropaganda. Er unterhielt Kontakte mit dem Informbüro der UdSSR und mit der Abteilung für Propaganda und Agitation des ZK der VKP(b). Fritz Glaubauf stand der Telegrafenagentur der Komintern („Telag"), der nachmaligen „Supress" vor. Fritz Lang (eigentlich Jakob Rosner) fungierte als verantwortlicher Redakteur der in Schweden herausgegebenen Zeitschrift der Komintern „Die Welt". Ernst Fischer (Pseudonym: Peter Wieden) war verantwortlicher Redakteur des Hauptorgans des Exekutivkomitees der Komintern, der „Kommunistischen Internationale"; Fritz Zucker-Schilling leitete als Redakteur die deutsche Ausgabe genannter Zeitschrift und auch die österreichische Sektion der Abteilung für Presse und Radio des Exekutivkomitees der Komintern. Österreichische Kommunisten wurden sowohl im Auftrag der Komintern als auch der Hauptverwaltung für Aufklärung (GRU) ins Hinterland des Feindes entsandt. So etwa erhielt die Erste (operative) Abteilung des Exekutivkomitees der Komintern im März 1942 den Auftrag, mit einigen Gruppen - darunter sechs Sudetendeutsche und fünf Österreicher - ins Hinterland des Feindes vorzudringen.3 Allerdings war die gesamte Führung der Komintern nicht in der Lage, eine direkte Verbindung mit den sich in ihrem Heimatland aufhaltenden österreichischen Kommunisten herzustellen.4 Am 31. August 1942 wandte sich der Generalsekretär des Exekutivkomitees der Komintern, Georgi Dimitrov, an den Leiter der Operativen Abteilung der Hauptverwaltung für Aufklärung, I. Bol'sakov, und ersuchte diesen um Anforderung eines Mannes in Wien, wobei er folgende Fragen aufwarf: „1. Wer steht der Parteizentrale personell vor; 2. Mit welchen Parteiorganisationen unterhält das Zentrum Kontakt; 3. Über welchen Einfluss verfügt die Partei; 4. Welche Aktivitäten werden von der Partei betrieben; 5. Wird das auf den Wellenlängen 31,9 MHz um 8.40 Uhr und um 23.35 Uhr sowie auf 3 4

Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 186. Die Mitglieder des österreichischen Zentralkomitees der KPÖ mit Leo Gabler (Heini) an der Spitze wurden im November 1941 von der Gestapo verhaftet, woraufhin die Partei über ein Jahr lang über keine illegal in Österreich operierende Zentrale verfügte. Erst im Februar 1943 wurde vom Mitglied des ZK der KPÖ Hermann Köhler (Konrad) ein neues Zentralorgan geschaffen, dessen Mitglieder jedoch einen Monat später ebenso verhaftet wurden. Im März gelang es aus Belgien und Frankreich in Österreich eingetroffenen österreichischen Kommunisten, eine illegale Parteizentrale ins Leben zu rufen, die ihre Tätigkeit bis November 1943 auszuüben vermochte. Ab diesem Zeitpunkt verfügte die Partei im eigenen Land über keine zentrale Führung mehr. Vgl. Franz Marek, V bor'be protiv germanskogo fasizma, in: Kommunisty ν bor'be za nezavisimost' Avstrii. Moskau 1956, S. 107-111.

Osterreichische Kommunisten im Moskauer Exil 25 MHz um 10.40 Uhr Moskauer Zeit sendende Radio ,Freies Österreich' gehört und welche Reichweite hat es." 5 Am 25. August 1942 fasste das Sekretariat des Exekutivkomitees der Komintern den Beschluss, ein zweites Kontingent von Kriegsgefangenen, das sich aus 85 Deutschen, 50 Rumänen und 15 Österreichern zusammensetzte, für den „Antifa"-Unterricht zusammenzustellen, wobei für die im Rahmen des Unterrichtes erfolgende Behandlung zusätzlicher Themen über Österreich ein Lehrer bereitzustellen war.6 Georgi Dimitrov ging am 13. August 1942 an die Ausarbeitung eines Programms zur Gründung einer „Vaterländischen Front", die einen Zusammenschluss von Arbeitern, Bauern, der Intelligenzia und „patriotisch eingestellter Schichten der Bourgeoisie" für den Kampf gegen den Nationalsozialismus gewährleisten sollte. 7 Gewisse Schritte in diese Richtung waren zuvor bereits vom Auslandsbüro des ZK der KPÖ unternommen worden. Die Kommunistische Partei Österreichs hatte schon im Herbst des Jahres 1942 damit begonnen, ihre einst im Verband internationaler Brigaden in Spanien kämpfenden Mitglieder aus Frankreich und Belgien als ausländische Arbeitskräfte nach Österreich heimzuholen. Im Oktober 1942 brachten diese einige Exemplare der in Frankreich gedruckten illegalen Zeitung „Rote Fahne" und daneben auch einige Flugblätter mit dem Aufruf, vom passiven zum aktiven Kampf gegen Hitlers Tyrannei überzugehen, mit. Ab Jänner 1943 erschien in Frankreich unter der Redaktion von Oskar Grossmann regelmäßig die Zeitung „Freies Österreich", die unter österreichischen Soldaten zu verteilen war.8 Im Oktober 1942 nahm auf Initiative Johann Koplenigs hin eine groß angelegte Aktion mit dem Ziel der Schaffung einer „Freiheitsfront" ihren Anfang. Dem Radiosender „Freies Österreich" wurde der Auftrag erteilt, über eine angeblich stattfindende Konferenz von vierzig Vertretern verschiedener Bevölkerungsschichten aus allen Teilen Österreich zu berichten, bei der angeblich der Beschluss zur Gründung einer österreichischen „Freiheitsfront" gefasst worden wäre. Der Radiostation „Freies Österreich" oblag die Sendung eines an die Bevölkerung gerichteten Aufrufes der „Konferenzteilnehmer", in dem alle „rechtschaffenen Österreicher" aufgefordert wurden, sich zu einer Front zusammenzuschließen und von passiven Formen des Widerstandes zu einem Kampf des gesamten Volkes gegen Hitler und dessen Krieg sowie für ein freies und unabhängiges Österreich überzugehen. 9 5 6 7 8 9

Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 254. Ebd., S. 252f. Ebd., S. 2 4 9 - 2 5 1 . Marek, V bor'be protiv germanskogo fasizma, S. 107f. Im Aufruf hieß es: „Österreicher! Landsleute! Schon zu lange haben wir schweigend beobachtet, wie die Not immer schlimmer wird, wie sich der Krieg in die Länge zieht. Doch nun ist das Maß voll. S o kann und darf es nicht weitergehen. Gegenteiligenfalls ist das österreichische Volk bald blutleer und verschwinden wird nicht nur die Bezeichnung .Österreich', sondern auch das österreichische Volk. 4 0 0 . 0 0 0 Söhne unseres Volkes liegen in fremder Erde begraben. Die österreichischen Dörfer sind verwaist, in den Städten sieht man beinahe keinen gesunden jungen Mann mehr, umso eher trifft man dort Verwundete und Krüppel [...]. Unser Volk will leben, doch Hitler steht für diesen Krieg, dessen Ende nicht absehbar ist. Unser Volk will frei sein, doch Hitler hat uns Sklaverei und Unterdrückung gebracht. Wenn unser Volk frei sein möchte, müssen Hitler und seine Bande w e g g e f e g t werden [...].

Natal'ja Lebedeva In den Unterlagen Georgi Dimitrovs hat sich ein am 21. Oktober 1942 verfasster Brief Johann Koplenigs mit einem äußerst genau ausgearbeiteten Plan zur Propagierung dieser „Konferenz" und des auf ihr verfassten Aufrufes durch den Radiosender „Freies Österreich" erhalten.10 Im Wesentlichen wurden die Vorschläge des Auslandsbüros des ZK der KPÖ durch den Generalsekretär des Exekutivkomitees der Komintern genehmigt, denn bereits am 22. und 23. Oktober 1942 wurde der Aufruf der „Freiheitsfront" von der Radiostation gesendet." Er wurde auch mittels Flugblättern verbreitet und im „Daily Worker" sowie in anderen im Ausland erscheinenden Zeitungen abgedruckt.12

Die Zeit ist gekommen, vom passiven Widerstand gegen die Nazipreußen zum aktiven Widerstand überzugehen [...]. Die Österreichische ,Freiheitsfront' wird von allen Österreichern gebildet, die sich in Gruppen zu Kampfausschüssen zusammenschließen, um den aktiven Widerstand zu organisieren. Die Österreichische ,Freiheitsfront' stellt den einzigen Weg zur Rettung unseres Volkes, zu seiner Freiheit und Unabhängigkeit dar. [...] Österreich den Österreichern! Auf zum Volkskampf gegen Hitler und seinen Krieg und für ein freies und unabhängiges Österreich!" Kommunisty ν bor'be za nezavisimost' Avstrii. Moskau 1956, S. 114-118. 10 RGASPI, F. 495, op. 73, d. 135, S. 15f. Der Plan des Auslandsbüros des ZK der KPÖ sah eine vielgestaltige propagandistische Kampagne vor, die die Österreicher von der Existenz der „Freiheitsfront" überzeugen und zur Erleichterung der Aufnahme ihrer Tätigkeit beitragen sollte. Anfangs sollte der Radiosender „Freies Österreich" über den Erhalt des Aufrufes und die angeblich abgehaltene Konferenz mit nachhaltigen mehrmaligen Ankündigungen über die bevorstehende Übertragung berichten. Danach sollte die Übertragung selbst mit mehrmaligen Wiederholungen im Stile eines diktatartigen Vortrages erfolgen. In weiterer Folge war die Verlesung eines Berichts eines der Teilnehmer der „Konferenz" geplant. „Dies soll eine lebendige, ausdrucksstarke Erzählung mit Wiedergabe der wichtigsten Reden sein [...]. Der erste ausführliche Kommentar des Radiosenders ,Österreich' ist dem Aufruf gewidmet (etwa eine Woche nach der ersten Mitteilung). Indem man vorgibt, Kraft aus den ersten ermunternden Reaktionen verschiedener Gruppen und Personen zu schöpfen, soll der Aufruf als geeignete Grundlage für einen Zusammenschluss des gesamten Volkes in der , Freiheitsfront' und die Konferenz selbst als Manifestation des bereits begonnenen Prozesses des Zusammenschlusses dargestellt werden. Der Radiosender ,Österreich' wird mit der Organisation der ,Freiheitsfront' betraut. Ständig zu senden gilt es ermunternde Reaktionen und Mitteilungen über einen auf den Aufruf hin erfolgten Zusammenschluss von Personen und Gruppen aller Bevölkerungsschichten in allen Gebieten Österreichs. Dabei sollen auch Frontsoldaten und ins Ausland verschleppte österreichische Arbeiter zu Wort kommen sowie aus dem Ausland eingelangte Reaktionen und Mitteilungen, darunter auch eine aus Deutschland eingetroffene Billigung des Aufrufs, gesendet werden." Weiters zu emittieren vorgesehen waren: „Streitgespräche mit nationalsozialistischen Bonzen, die auf Versammlungen über die .Freiheitsfront' sprachen; abwechselnde ständige Mitteilungen über militärische Aktionen unter dem Banner der , Freiheitsfront'; die Abhaltung einer Woche der Agitation und Propaganda im Dienste der ,Freiheitsfront'; die Verlesung von Flugblättern [...], die von der ,Freiheitsfront' verteilt werden; Berichte über Stadt-, Bezirks- und Fabrikskonferenzen [...]; an die ,Freiheitsfront' erteilte Weisungen zur Ausübung von Sabotageakten, zur Anfertigung illegaler Flugblätter, Zeitungen u. Ä. Vor allem zu Beginn der Kampagne (in den ersten acht bis zehn Tagen) gilt es jedoch besonders darauf zu achten, dass der Radiosender über stetig steigenden Zulauf zur Bewegung berichtet und die ,Freiheitsfront' nicht als vom Radiosender selbst ins Leben gerufene Initiative erscheinen lässt." Neben der Propagierung der „Freiheitsfront" durch den Radiosender war auch die Emittierung von Unterstützungserklärungen für die Front durch „Genossen" aus London und New York vorgesehen. Geplant war, auch Mitteilungen von Kriegsgefangenen zu verfassen und diese zwei bis drei Wochen nach Beginn der Kampagne in Form von neuesten Nachrichten und über das Auslandsradio zu senden. 11 12

Zum gesamten Text des Aufrufes in deutscher Sprache siehe: RGASPI, F. 495, op. 80, d. 611, S. 8-11. In einem der vom Auslandsbüro des ZK der KPÖ an Georgi Dimitrov gesandten Schriftstücke wurde darauf hingewiesen, dass die „New York Times" am 27. Mai eine Mitteilung des „Bundes österreichischer Demokraten" veröffentlicht hatte, derzufolge irgendwo in den Bergen Österreichs eine

Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil Zahlreiche andere Flugblätter und Zeitungen wurden ab diesem Zeitpunkt im Namen der österreichischen „Freiheitsfront" herausgegeben. 13 Sowohl der Brief von Koplenig an Dimitrov als auch die in Moskau im Verlag der Komintern für ausländische Literatur herausgegebene Sonderbroschüre mit dem Titel „Für ein freies unabhängiges Österreich" 14 legen die Vermutung nahe, dass die gesamtösterreichische Konferenz, auf der angeblich die Gründung der „Freiheitsfront" beschlossen worden wäre, niemals stattfand. Doch die Mitteilung darüber, dass eine solche Konferenz angeblich abgehalten und auf ihr die Sendung eines Aufrufes an das Volk beschlossen worden wäre, sollte zur Gründung einer österreichischen „Freiheitsfront" analog zur „Vaterländischen Front" anregen. Unzufrieden zeigte sich Dimitrov bloß über die forcierte Propaganda des Radiosenders „Freies Österreich" im Zusammenhang mit der Gründung der „Freiheitsfront". Er erhob die Forderung nach einer grundlegenden Neuausrichtung der Tätigkeiten des ZK der KPÖ, deren Hauptaugenmerk seinen Vorstellungen nach auf der realen Entwicklung der „antifaschistischen" Bewegung in Österreich liegen sollte. Am 9. Dezember 1942 empfing das Auslandsbüro des ZK der KPÖ eine Information Friedl Fürnbergs, wonach Georgi Dimitrov eine Weisung zur Neuausrichtung der Parteiarbeit erteilt hätte. Man entschloss sich, sämtliche Informationen zu den Ereignissen in Österreich, zur Einstellung der Bevölkerung, zu den Aktivitäten der gegen Hitler gerichteten Kräfte und zu Ausmaß und Formen des Widerstandes gegen den Krieg und gegen das NS-Regime sorgfältig zu studieren und zu analysieren. Johann Koplenig wurde die Aufgabe erteilt, strengste Kontrolle auszuüben, Kontakte mit allen Vertretern des ZK der KPÖ zu unterhalten und auch die Arbeit mit kriegsgefangenen Österreichern durchzuführen. Fritz Zucker-Schilling wurde als Kurator des Sendebetriebs der Radiostation „Freies Österreich" und der österreichischen Sendungen des Auslandsradios eingesetzt. Ernst Fischer oblag die Leitung im Bereich von Agitation und Propaganda, Friedl Fürnberg die Kaderausbildung; Willi Frank (Pseudonym: Willi Fink) die Jugendarbeit, und

Konferenz abgehalten worden wäre, an der 4 0 Vertreter, darunter 14 Arbeiter, ein Intellektueller, eine Hausfrau, ein Arzt, ein Professor der Wiener Universität, acht Bauern, zwei Lehrer, ein Priester, zwei Eisenbahner, ein Vorsitzender einer landwirtschaftlichen Genossenschaft, ein Unternehmer, ein Staatsbediensteter und drei Soldaten teilgenommen hätten. In der Mitteilung erfolgte auch eine kurze Darlegung des Inhalts des Aufrufs. RGASPI, F. 4 9 5 , op. 80, d. 561, S. 17. 13 14

Zu Flugblättern und Zeitungen, die zwischen 1943 und 1945 illegal in Österreich erschienen, siehe: RGASPI, F. 4 9 5 , op. 80, d. 5 7 5 , 5 7 9 , 611. RGASPI, F. 4 9 5 , op. 80, d. 611, S. 2 - 1 7 . In dieser Broschüre wurden nicht nur der Aufruf der „Konferenz", an der angeblich 4 0 Vertreter aus ganz Österreich teilgenommen hatten, sondern auch Auszüge aus Reden und mitgeteilten Eindrücken der Delegierten abgedruckt. Die Zusammensetzung der Teilnehmer der „Konferenz" wurde deshalb s o gewählt, um den Eindruck entstehen zu lassen, sie wäre unter legalen Bedingungen mit Beteiligung von Vertretern aller Gesellschaftsschichten und Regionen des Landes abgehalten worden. Angeblich wären anwesend gewesen: aus Wien: fünf Arbeiter, ein Bediensteter, ein Arzt, ein Universitätsprofessor, ein Handwerker, eine Hausfrau; aus Niederösterreich: zwei Arbeiter, drei Bauern, ein Lehrer, ein Priester; aus der Steiermark und aus Kärnten: drei Arbeiter, drei Bauern; aus Oberösterreich und Salzburg: ein Arbeiter, ein Bauer, ein Handelsbediensteter, ein Lehrer, zwei Priester und ein Bediensteter. Außerdem wären auf der „Konferenz" drei Soldaten zugegen g e w e s e n .

Natal'ja Lebedeva Friedrich Hexmann wurde mit der Vorbereitung der Sitzungen des Büros des ZK der KPÖ betraut.15 Im Februar 1943 wurde unter der Leitung Hermann Köhlers, der sich zuvor in der UdSSR befunden hatte und mit dem Fallschirm über Österreich abgesprungen war, das Zentralorgan der KPÖ in Österreich geschaffen. Doch bereits einen Monat später wurde Köhler verhaftet und nach Mauthausen verbracht, wo er im März 1945 umkam. Seine Tätigkeit wurde von Josef Angermann fortgeführt, der jedoch auch einige Zeit später inhaftiert und schließlich „bei einem Fluchtversuch" erschossen wurde. Nichtsdestotrotz setzten die kommunistischen Organisationen in Wien, St. Pölten, Amstetten, St. Valentin, in Kärnten, in der Obersteiermark und anderenorts ihre Tätigkeit fort. Sie strebten nach einem Zusammenschluss von Personen verschiedener Weltanschauungen und unterschiedlicher sozialer Schichten, die sich zu einem Kampf für die Befreiung vom Nationalsozialismus rüsten sollten. Besondere Bedeutung kam in Anbetracht des Fehlens einer zentralen Führungsstruktur den Programmen des Radiosenders „Freies Österreichs" zu, in denen Koplenig, Fürnberg, Fischer und andere führende Exponenten der KPÖ zu Wort kamen und konkrete Empfehlungen zu einer Stärkung der „Freiheitsfront", zu den Methoden des Untergrundkampfes oder zum Aufbau einer Partisanenbewegung abgaben.16 Nach der Schlacht um Stalingrad und als Ergebnis der folgenden Offensive der Roten Armee fanden sich Tausende Angehörige anderer Armeen in sowjetischer Gefangenschaft wieder, in der sich ihrer die Komintern und die Politische Hauptverwaltung der Roten Armee (GlavPURKKA) in erhöhtem Maße annahmen. Am 16. Jänner 1943 erörterte das Sekretariat des Exekutivkomitees der Komintern die Ergebnisse der in der „Antifa"-Schule für Kriegsgefangene verrichteten Tätigkeit und bewertete diese als positiv. Man beschloss, in die Schule 250 bis 300 Hörer aufzunehmen sowie vier deutsche, drei rumänische, zwei ungarische, zwei italienische und je eine österreichische, polnische und tschechoslowakische Gruppe einzurichten. Der Kommission des Exekutivkomitees der Komintern für die Arbeit mit Kriegsgefangenen und Vertretern der kommunistischen Parteien oblag die Aufgabe, konkrete Vorschläge zur weiteren Tätigkeit der Schule, zur Zusammensetzung und Auswahl ihrer Hörer auszuarbeiten und dem Sekretariat des Exekutivkomitees der Komintern vorzulegen. Die Schule sollte nach ihrer Umwandlung in eine Lagerschule ins Lager nach Krasnogorsk17 verlegt werden18 - ein entsprechender Beschluss dazu wurde bereits drei Tage darauf, am

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RGASPI, F. 495, op. 74, d. 19, S. 2. V. N. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija. Bor'ba Sovetskogo Sojuza za vozrozdenie nezavisimoj demokraticeskoj Avstrii i ustanovlenie s nej druzestvennych otnosenij (1938-1960gg.). Moskau 1962, S. 73-75. Dabei handelt es sich um das GUPVI-Lager Nr. 27. Vgl. Karner, Im Archipel GUPVI, S. 63. Zum Lager Nr. 27 vgl. etwa V. A. Vsevolodov, Srok chranenija postojanno. Kratkaja istorija lagerja voennoplennych i internirovannych UPVI N K V D - M V D SSSR Nr. 27 (1942-1950gg.). Zur ständigen Aufbewahrung. Kurze Geschichte des NKWD-Lagers „Nr. 27" in Krasnogorsk bei Moskau (1942-1950). Moskau 2003. RGASPI, F. 495, op. 18, d. 1340, S. 21; Stefan Karner, Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion. Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 1. Wien - München 1995.

Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil 19. Jänner 1943, gefasst. Bis spätestens 5. Februar hatte die Personalabteilung des Exekutivkomitees der Komintern eine Wahl der Unterrichtenden für die nationalen Gruppen vorzunehmen und die Namen der ausgewählten Personen zur Bestätigung vorzulegen. Bei der Erstellung des Unterrichtsplanes und vor allem des Seminarprogramms galt es, „besonderes Augenmerk auf die Notwendigkeit einer konkreten und ausführlichen Darstellung der anstehenden Aufgaben eines antifaschistischen' Kampfes zu legen". 19 Am 5. Februar 1943 wurde vom Sekretariat des Exekutivkomitees der Komintern der entsprechende Beschluss zu dieser Frage gefasst. In Ergänzung zu einem dreimonatigen Schulbesuch für 300 Hörer wurden Schnellkurse (vier bis sechs Wochen) für 1000 bis 1500 Kriegsgefangene zur Ausbildung der „antifaschistischen" Aktivisten in Kriegsgefangenenlagern abgehalten. Veranstaltet wurden auch Seminare für den Offiziersstand. Schließlich trat auch Johann Koplenig in die von Walter Ulbricht geleitete Kommission des Exekutivkomitees der Komintern für die Arbeit mit Kriegsgefangenen ein, die Ende März 1943 ein Programm für eine Delegiertenkonferenz deutscher, italienischer, ungarischer und rumänischer Kriegsgefangener ausarbeitete. 20 Österreicher wurden dabei nicht genannt. 21 Dies galt auch für die Beschlüsse des Sekretariates des Exekutivkomitees der Komintern betreffend die Aufgaben der Propaganda im Zusammenhang mit der grundlegenden Wendung des Krieges, in denen Österreich ebenfalls keine Erwähnung fand. 22 Im Verlaufe der zahlreichen Konferenzen der Führung der KPÖ mit Georgi Dimitrov und Dmitrij Manuil'skij konnten zwar Vereinbarungen über eine besondere politische Linie in Bezug auf österreichische Kriegsgefangene erzielt werden, die jedoch in der Praxis bis Oktober 1943 beinahe keinen Niederschlag fanden. Ein österreichischer Sektor in der Schule für Kriegsgefangene war nach wie vor nicht vorhanden. Es gab zwar innerhalb des deutschen Sektors zwei österreichische Gruppen, in denen jedoch der Unterricht entsprechend dem Programm für deutsche Gruppen abgehalten wurde. Einer der beiden österreichischen Lektoren, ein gewisser Schneider, wurde zum Unterricht in deutschen Gruppen herangezogen, was zum Verfassen neuer Demarchen seitens des Auslandsbüros des ZK der KPÖ führte. 23 Am 6. Mai 1943 präsentierte Friedl Fürnberg auf einer erweiterten Sitzung des Sekretariates des Exekutivkomitees der Komintern einen Bericht über die Ergebnisse der 1.-Mai-Kampagne und die grundlegenden Aufgaben der nationalen Radioberichterstattung in nächster Zukunft, woraufhin eine „genaue Ausarbeitung von Fragen zur Erläuterung und Anwendung des 1.-Mai-Befehls Stalins in der Radioberichterstattung jedes einzelnen Landes" beschlossen wurde. Es kam dabei auch zur Gründung einer aus 25 Personen bestehenden Sonderkommission, der Georgi Dimitrov, sämtliche Sekretäre des Exekutivkomitees der Komintern, Vertreter von kommunistischen Parteien u. a. angehörten. Dieser Kommission trat als für ihre Tätigkeit verantwortliche Person 19 20 21 22 23

Ebd., S. 31. Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 313-315. RGASPI, F. 495, op. 18, d. 1340, S. 58. Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 316, 323-327. Ebd., S. 386f.

Natal'ja Lebedeva auch Friedl Fürnberg bei; Johann Koplenig fungierte in ihr als Vertreter der KPÖ. Die Kommission hatte ihre Empfehlungen bis spätestens 15. Mai zu präsentieren. Indes ging die Komintern ihrer gewohnten alltäglichen Betätigung nach, und nichts, so schien es, zeugte von den bevorstehenden radikalen Veränderungen im Schicksal der Kommunistischen Internationalen. Am späten Abend des 8. Mai 1943 wurden Georgi Dimitrov und Dmitrij Manuil'skij in den Kreml gerufen. Dort teilte ihnen Vjaceslav Molotov mit, dass die Komintern in ihrer Funktion als Zentralorgan der internationalen kommunistischen Bewegung angesichts der eingetretenen Umstände ein Hindernis für eine selbstständige Entwicklung der kommunistischen Parteien und bei der Erfüllung von deren grundlegenden Aufgaben darstellen würde. Es wurde beschlossen, „ein Dokument über die Auflösung dieses Zentralorgans auszuarbeiten".24 Am 11. Mai hatte Dimitrov gemeinsam mit Manuil'skij die Vorbereitungen für den Entwurf eines Beschlusses des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern zur Auflösung der Kommunistischen Internationalen abgeschlossen. Unverzüglich wurde dieses Schriftstück an Stalin und Molotov gesandt, die noch am selben Abend die Verfasser des Beschlussentwurfes wissen ließen, dass sie mit dessen Wortlaut einverstanden waren. Es wurde auch erörtert, auf welche Weise die Beschlussfassung durch das Exekutivkomitee der Komintern vonstatten gehen könnte.25 Vor Beginn einer für 13. Mai 1943 angesetzten geschlossenen Sitzung des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern erhielt Dimitrov von Stalin folgende Weisungen: „1. Lassen Sie sich in dieser Angelegenheit Zeit. Legen sie den Entwurf zwecks Erörterung vor und geben Sie den Mitgliedern des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern zwei bis drei Tage Zeit, um Ausbesserungen einbringen zu können. Auch er - Stalin - nahm einige Ausbesserungen vor. 2. Der Entwurf darf vorerst noch nicht ins Ausland gesandt werden. Darüber werden wir später entscheiden. 3. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir die ausländischen Genossen einfach so davonjagen. Die Leute werden in Zeitungen arbeiten. Man muss vier Zeitungen gründen (in deutscher, rumänischer, italienischer und ungarischer Sprache), und es können auch einzelne antifaschistische Komitees u. a. gebildet werden."26 Auf dieser geschlossenen Sitzung des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern wurde von Dimitrov darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser Angelegenheit nicht bloß um einen formalen Schritt handelte, sondern um eine tatsächliche Auflösung der Komintern. Er bat, dass man ihm mitteilen möge, ob dieser Schritt zur rechten Zeit erfolge und politisch zielführend wäre und ob er im Falle einer Umsetzung dieses Planes seine Anmerkungen und Wünsche in den Beschlussentwurf einbringen könnte. Die Mehrzahl der Redner hielt die Maßnahme für überaus angebracht, weil die kommunistischen Parteien an Stärke zugelegt hätten und der Handlungsspielraum ihrer jeweiligen Führungen durch das Zentralorgan eingeschränkt wäre. Koplenig betonte, dass er den 24 25 26

Georgi Dimitrov, Dnevnik mart 1933 - fevruari 1949. Sofia 1997, S. 372. Ebd., S. 373. Ebd., S. 374.

Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil „Beschluss über die Auflösung der Komintern für politisch richtig und zeitgerecht erachte. Doch dieser Beschluss wird nur dann Sinn machen, wenn es keine halben Entschlüsse gibt, wenn klar wird, dass es sich nicht um eine formale, sondern um eine tatsächliche Auflösung handelt." 27 Die Befürchtungen des Generalsekretärs des ZK der KPÖ erwiesen sich als vollkommen berechtigt. Wie sich herausstellte, wurde bereits am 19. Mai auf einer Sitzung des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern beschlossen, die Kommunistische Internationale sämtliche elementaren Aufgaben - Aufrechterhaltung der Verbindung mit den kommunistischen Parteien anderer Staaten, Gestaltung der jeweiligen nationalen Radioberichterstattung, das Betreiben der Agentur „Supress", Erfassung und Führung des sich in der UdSSR aufhaltenden Mitarbeiterstabes der kommunistischen Parteien, Betreiben der Parteischule für die Ausbildung der Kader und für die Arbeit mit Kriegsgefangenen - in verschiedener Form weiterhin wahrnehmen zu lassen. 28 Dimitrov setzte die Mitglieder des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern davon in Kenntnis, dass es in der UdSSR Auslandsbüros der kommunistischen Parteien Deutschlands, Spaniens, Frankreichs, Österreichs, der Tschechoslowakei, Italiens, Bulgariens, Ungarns, Finnlands und Rumäniens gäbe. Dem Auslandsbüro der KPÖ gehörten zu dieser Zeit Johann Koplenig, Friedl Fürnberg, Ernst Fischer und Fritz Zucker-Schilling an. Die Verbindung der Zentralkomitees mit ihren jeweiligen Parteien sollte unbedingt aufrechterhalten, ja sogar erleichtert werden. Zu diesem Zweck traf das Politbüro des ZK der VKP(b) am 13. Juni 1943 folgenden Beschluss: „1. Innerhalb des Systems des ZK der VKP(b) ist eine Abteilung für internationale Information zu bilden. 2. Zum Leiter der Abteilung für internationale Information des ZK der VKP(b) ist Genösse Scerbakov zu ernennen, und zu dessen Stellvertretern sind die Genossen Dimitrov und Manuil'skij zu bestellen." 29 Ende Dezember 1943 wurde Dimitrov schließlich zum offiziellen Leiter der Abteilung ernannt. 27 28

Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 357. Ebd., S. 366-369. Mit der Auflösung der Komintern zusammenhängende organisatorische Fragen wurden von Dimitrov, Sucharev, Morozov, Fürnberg und Friedrich mit Georgij Malenkov am 31. Mai 1943 genauestens analysiert. „Wir haben uns verstanden. 1) Beizubehalten ist die nationale Radioberichterstattung, die dem Auslandsbüro der jeweiligen kommunistischen Partei übertragen wird; 2) weiterhin bestehen bleiben muss die Telegrafenagentur ,Supress', die einer Kontrolle durch das ZK zu unterstellen ist; 3) aufrechtzuerhalten ist der Verbindungsdienst (Funk, Datenblatt-Technik u. Ä.), wobei die Frage, wie dieser wahrzunehmen ist, offen bleibt; 4) die Bibliothek hat in die Bibliothek IMEL eingegliedert zu werden; 5) das Archiv ist dem ZK zu übergeben; 6) der Verlag hat als selbstständiger Verlag beim ZK der VKP(b) weiter zu bestehen; 7) die Erfassung der Kader der kommunistischen Parteien hat beim ZK der VKP(b) zu erfolgen; 8) die wirtschaftlichen Objekte sind der Objektverwaltung des ZK der VKP(b) zu übergeben." Dimitrov, Dnevnik mart 1933 - fevruari 1949, S. 378.

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Politbjuro CK RKP(b)-VKP(b) i Komintern. 1919-1943. Dokumenty. Moskau 2004, S. 817. A. Scerbakov war bloß nomineller Leiter der Abteilung für internationale Information, de facto wurde diese Funktion von Dimitrov wahrgenommen. Am 27. Dezember 1943 wurde diese Konstellation offiziell bestätigt. Das Politbüro des ZK der VKP(b) fasste folgenden Beschluss: „ 1. Zu bilden ist eine Auslandsabteilung des ZK der VKP(b). 2. Zum Leiter der Auslandsabteilung des ZK der VKP(b) ist Genösse Dimitrov zu ernennen; zu seinem Stellvertreter Genösse Manuil'skij. 3. In der Auslandsabteilung des ZK der VKP(b) haben alle Verbindungen, über die die Komintern verfügt, zusammenzulaufen. 4. Genösse Molotov ist mit der Leitung des Auslandsabteilung des ZK zu beauftragen." Politbjuro CK RKP(b)-VKP(b), S. 817.

Natal'ja Lebedeva Die operative Tätigkeit der Komintern und ihrer Nachfolgerin, der Abteilung für internationale Information, ruhte an keinem einzigen Tag: Funkverkehr mit kommunistischen Parteien (mit der KPÖ über eine in Slowenien gelegene Funkleitstelle), Besuche von Gruppen kommunistischer Delegierter in einzelnen Ländern usw. So etwa setzte der Leiter der Ersten Abteilung des Exekutivkomitees der Komintern, Stepan Morozov, am 22. Mai 1944, an dem Tag, an dem in der „Pravda" der Beschlussentwurf zur Auflösung der Komintern veröffentlicht wurde, Georgi Dimitrov davon in Kenntnis, dass sechs Gruppen, darunter auch eine österreichische, zur Abreise bereit wären.30 Am 11. Dezember 1944 erging an Dimitrov die Information Morozovs, dass ein Sonderflugzeug mit fünf Österreichern, an deren Spitze Willi Frank stand, zu einer dienstlichen Mission nach Slowenien aufgebrochen war.31 Die 31 Sektionen der Komintern strebten nach einer möglichst schnellen Annahme des Beschlusses zur Auflösung der Komintern.32 In einer Resolution des ZK der KPÖ vom 2. Juni 1943 erging unter anderem folgende Weisung: „Das ZK der KPÖ stimmt dem Vorschlag des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern zu, ,die Komintern als führendes Zentrum der internationalen Arbeiterbewegung aufzulösen und die Sektionen der Komintern von den Verpflichtungen zu entheben, die aus dem Statut und den Beschlüssen der Kongresse der Komintern entspringen'. Das Auslandsbüro ist überzeugt, mit dieser Zustimmung auch die Meinung der Partei im Lande zum Ausdruck zu bringen, die unter den schwersten Bedingungen den Kampf gegen die Hitlertyrannei und den Raubkrieg des deutschen Imperialismus führt. [...] Die Auflösung der Komintern als leitendes Zentrum der internationalen Arbeiterbewegung schlägt gleichzeitig den Feinden der Einheit der österreichischen Arbeiterbewegung ein demagogisches Argument aus der Hand und erleichtert damit die Schaffung der Einheit der österreichischen Arbeiterschaft, die berufen ist, eine wichtige Rolle in der nationalen Einheit des österreichischen Volkes zu spielen. Sie erleichtert den Zusammenschluss aller österreichischer Antifaschisten' und Patrioten, ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit und der Weltanschauung zum Kampf gegen die faschistische deutsche Fremdherrschaft und gegen die österreichischen Verräter zur Erringung der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs. Die Kommunistische Partei Österreichs wird alles tun, um in der fortschrittlichen Arbeiterschaft und den Massen des österreichischen Volkes einen kämpferischen österreichischen Patriotismus zu entfalten, der nur im Kampfe gegen den deutschen Imperialismus, den Todfeind der österreichischen Freiheit und Unabhängigkeit, entstehen kann."33 Am 8. Juni erklärte das Präsidium des Exekutivkomitees der Komintern das Exekutivkomitee, dessen Sekretariat, das Präsidium und die Internationale Kontrollkommission für aufgelöst. Zur Abwicklung der im Zuge dieser Auflösung anfallenden Tätigkeiten wurde eine von Dimitrov geleitete Kommission zur Durchführung der praktischen „Liquidierung der Agenden, Organe, des Apparates und Eigentums der Kommunisti30 31 32 33

RGASPI, F. 495, op. 73, d. 195, S. 113. RGASPI, F. 495, op. 74, d. 22, S. 76-78. RGASPI, F. 495, op. 18, d. 1340, 119f. Ebd., S. 119f.

Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil sehen Internationalen" geschaffen. 34 Trotz der erklärten Auflösung der Komintern waren die Auslandsbüros der kommunistischen Parteien nach wie vor in vollem Umfang von der von der Führung der VKP(b) vorgegebenen und nunmehr über die Abteilung für internationale Information weiter vermittelten politischen Linie abhängig. Am 13. Juli 1943 wandte sich Koplenig mit einem in überaus scharfem Ton verfassten Brief an Dimitrov und Manuil'skij, in dem er Manuil'skij beschuldigte, bei der Behandlung der österreichischen Kriegsgefangenen eine großdeutsche Tendenz an den Tag zu legen und in der österreichischen Frage eine prinzipiell andere politischen Linie als die KPÖ zu verfolgen. 35 Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und den Generalsekretär der KPÖ zum Verfassen eines derartig geharnischten Schreibens veranlasste, war die Entsendung zweier österreichischer Kriegsgefangener, die als Delegierte auf die Konferenz zur Schaffung des Nationalkomitees „Freies Deutschland" (NKFD) 36 geschickt wurden. Dies geschah auf direkte Weisung Moskaus. Mehr noch: das Nationalkomitee „Freies Deutschland" beschloss tatsächlich, zwei Österreicher in seine Reihen aufzunehmen, obwohl dies dem Kurs zur Wiederherstellung eines unabhängigen Österreich widersprach. Koplenig unterstrich, dass alles hinter seinem Rücken geschehen wäre und sich niemand für die Meinung des Auslandsbüros des ZK der KPÖ interessiert hätte. „Die Praxis [hat] bereits zur Genüge bewiesen, dass nur ein politisches Programm, das auf ein freies und unabhängiges Österreich hinzielt, den Zusammenschluss der Österreicher im Kampfe gegen Hitler ermöglicht. Umgekehrt ist es heute schon klar, dass eine politische Linie, die darauf hinausläuft, den Österreichern eine großdeutsche Perspektive zu geben - sei es auch unter dem Vorwand der Möglichkeit eines neues demokratischen Deutschland - nur der Agitation von nazistischen Elementen unter den Österreichern Vorschub leistet. [...] Eine solche Linie führt zur Isolierung von den antihitlerischen Kräften in Österreich, da es unzweifelhaft ist, dass das österreichische Volk [...] seinen Freiheitskampf keinesfalls unter der großdeutschen 34

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Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 378f; Grant Μ. Adibekov, Das Kominform und Stalins neuordnung Europas. Zeitgeschichte - Kommunismus - Stalinismus. Materalien und Forschungen. Bd. 1. Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 37. Johann Koplenig hob vor allem hervor, dass „ungeachtet der Erörterung, der Zusicherung und der Vereinbarung bezüglich der politischen Linie bei der Arbeit mit österreichischen Kriegsgefangenen in der Praxis nach wie vor ein großdeutscher Kurs verfolgt wird [...]. Der Grund für die einander widersprechenden Direktiven und für die wachsende Verwirrung in der österreichischen Frage ist unserer Meinung nach darin zu suchen, dass Genösse Manuil'skij in der österreichischen Frage eine prinzipiell andere Linie als die österreichische Partei vertritt. Dieser prinzipiell andere Blickwinkel stellt von seinem Inhalt her einen großdeutschen dar, er wird vom Apparat der Politischen Verwaltung und von den Instruktoren übernommen und äußert sich laufend in konkreten Weisungen." Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 386f. Zum N K F D vgl. insbesondere: Morre, Hinter den Kulissen des Nationalkomitees; Gerd R. Ueberschär (Hg.), Das Nationalkomitee „Freies Deutschland" und der Bund Deutscher Offiziere. Frankfurt a. M. 1995; Karl-Heinz Frieser, Krieg hinter Stacheldraht. Die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion und das Nationalkomitee „Freies Deutschland". Mainz 1981; Bodo Scheurig, Verräter oder Patrioten. Das Nationalkomitee „Freies Deutschland" und der Bund Deutscher Offiziere in der Sowjetunion 1943-1945. Berlin - Frankfurt a. M. 1993; Erich Weinert, Das Nationalkomitee „Freies Deutschland" 1943-1945. Bericht über seine Tätigkeit und seine Auswirkung. Ost-Berlin 1957; Willy Wolff, An der Seite der Roten Armee. Zum Wirken des Nationalkomitees „Freies Deutschland" an der sowjetisch-deutschen Front 1943 bis 1945. Ost-Berlin 1973; Heike Bungert, Das Nationalkomitee und der Westen. Die Reaktion der Westalliierten auf das NKFD und die freien Bewegungen 1943-1948. Stuttgart 1997.

Natal'ja Lebedeva Losung führen will. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus wird in Österreich das ganze Volk erfassen, wenn er gegen den deutschen Imperialismus gerade als Todfeind der österreichischen Unabhängigkeit gerichtet ist", so Koplenig.37 Er ging davon aus, dass, sollten sich die österreichischen Soldaten und Offiziere in ihrer großen Masse vom „Dritten Reich" abwenden, den Angehörigen der Deutschen Wehrmacht vor Augen geführt würde, wie hoffnungslos die Lage Hitlers wäre. Dadurch erfolge eine nachhaltige Betonung der Unabhängigkeit Österreichs, und die Arbeit unter den deutschen Soldaten und Offizieren würde letztendlich erleichtert werden. Koplenig erachtete es als unbedingt notwendig, 1) der Politischen Hauptverwaltung klare Direktiven für die Arbeit mit Österreichern zu erteilen, indem man vom Kampf für die Unabhängigkeit Österreichs ausgeht und die Bildung eines „Österreichischen Komitees" in Angriff nimmt; 2) alle österreichischen Kriegsgefangenen in einem Lager zusammenzufassen; 3) im Schulungslager in Krasnogorsk einen eigenen Sektor mit einem österreichischen Unterrichtsplan einzurichten und zwei österreichische Lektoren (Schneider und Hütter) ausschließlich zur Arbeit mit Österreichern heranzuziehen; 4) die österreichischen Instruktoren in erster Linie für die Arbeit mit Österreichern einzusetzen; 5) bis 25. Juli einen vorbereitenden Ausschuss für die Konferenz zur Gründung des Komitees „Freies und unabhängiges Österreich" zu bilden und konkrete Personalvorschläge bis 20. Juli zu präsentieren; 6) bis 20. Juli einen Entwurf eines Aufrufes des vorbereitenden Ausschusses auszuarbeiten und diesen Ernst Fischer vorzulegen; 7) ein bis zwei Bulletins über die Vorbereitung und Durchführung der Konferenz herauszugeben; 8) Johann Koplenig, Franz Honner, Ruth Wieden, Ernst Fischer, M. Kozlov, J. Pfeifer (Puskin) und Jankov in diejenigen Lager zu entsenden, in denen sich die Mehrzahl der Österreicher aufhielt; 9) Ende August auf der Konferenz die Wahlen für das Komitee „Freies und unabhängiges Österreich" vorzunehmen, ab 1. September eine österreichische Zeitung herauszugeben und die Radioberichterstattung aufzunehmen.38 Eine Reaktion der Führung der Abteilung für internationale Information auf dieses Schreiben blieb praktisch aus. Neuerliche Bewegung in die Angelegenheit kam erst wieder nach der als Ergebnis der Moskauer Konferenz der Außenminister der UdSSR, der USA und Großbritanniens am 2. November 1943 veröffentlichten „Moskauer Deklaration".39 37 38 39

RGASPI, F. 495, op. 10a, d. 433, S. 3f.; Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 388. RGASPI, F. 495, op. 10a, d. 433a, S. 5f.; Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 386-390. Sovetskij Sojuz na mezdanarodnych konferencijach perioda Velikoj Otecestvennoj vojny 1941-1945. Bd. 1. Moskovskaja konferencija ministrov inostrannych del SSSR, SSA i Velikobritanii (19-30 oktjabrja 1943g.). Sbornik dokumentov. Moskau 1978, S. 354. In einem mit „Umgang mit Deutschland

Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil Bereits kurze Zeit später unterbreitete Koplenig Dimitrov den Vorschlag, eine Reihe von Fragen auf schnellstem Wege zu lösen. Es ging dabei um die Herausgabe einer österreichischen Zeitung in Moskau, um die Möglichkeit der Bildung einer ausländischen Zentralstelle der österreichischen Freiheitsbewegung, eine „besondere Arbeit" unter den österreichischen Kriegsgefangenen, die Haltung in Bezug auf das Bestreben eines angeblich bedeutenden Teils der Kriegsgefangenen, mit der Waffe in der Hand am Krieg gegen Hitler teilzunehmen, die Anbahnung von Kontakten mit österreichischen Genossen in England und um eine beschleunigte Rückführung der österreichischen Kommunisten in ihre Heimat. 40 Koplenig bat Dimitrov um ein Treffen zwecks Erörterung dieser Fragen, sofern Dimitrovs Gesundheit dies zuließe. Doch Dimitrov nahm seine Arbeit erst nach einigen Monaten Krankheit am 5. Jänner 1944 wieder auf. In seinem Auftritt im Moskauer Radio vom 9. November 1943 hob der Generalsekretär des ZK der KPÖ die Bedeutung der „Moskauer Deklaration" hervor und betonte dabei, dass „für das österreichische Volk die Zeit gekommen ist, seine Kräfte für den Kampf gegen Hitler zu vereinen und zu entscheidenden Taten zu schreiten". 41 Am 15. November veröffentlichte die Zeitschrift „Krieg und Arbeiterklasse", die de facto der Zeitschrift „Kommunistische Internationale" nachgefolgt war, einen Artikel Koplenigs, in dem er die wichtigsten Aufgaben des Kampfes gegen den Nationalsozialismus definierte. Der Radiosender „Freies Österreich" übertrug einen der „Moskauer Deklaration" gewidmeten Aufruf der „Freiheitsfront", in dem hervorgehoben wurde, dass diese einen Wendepunkt im Kampf für eine Befreiung des Landes darstellen würde. 42 In Österreich gingen die Kommunisten daran, erste Partisanenformationen aufzustellen, denen sich auch ausländische, in erster Linie russische Zwangsarbeiter anschlossen. Ab Ende 1943 war eine im Untergrund operierende Gruppe im Salzkammergut tätig, und zu Beginn des Jahres 1944 erfolgte die Aufstellung bewaffneter Einheiten in Leoben, Judenburg, Kapfenberg, Bruck an der Mur sowie in anderen Städten. Im Mai wurden 500 Mann der SS und die Feldgendarmerie zum Kampf gegen die Leobener

und anderen Feindesstaaten in Europa" betitelten Entwurf der Vorschläge des Außenministeriums der U d S S R zur Moskauer Konferenz wurde insbesondere auf Folgendes hingewiesen: „Die sowjetische Regierung ging und geht noch immer davon aus, dass es nicht im Interesse der Alliierten liegt, offizielle Erklärungen zu sämtlichen Maßnahmen, die auf eine Schwächung Deutschlands in militärischer, wirtschaftlicher und territorialer Hinsicht abzielen, zu tätigen, weil dies zu einem Zusammenschluss der Deutschen und zu einer Verstärkung ihres Widerstandes führen und auf diese Weise Hitler zum Vorteil gereichen könnte. In der Frage einer Nichtigkeitserklärung von Hitlers Eroberungen fremder Gebiete, die sowohl vor dem Krieg als auch während des Krieges stattfanden, besteht die Absicht, Elsass-Lothringen, das Sudetenland und Österreich von Deutschland abzutrennen. Wir haben nichts gegen die geplante Erklärung über Österreich, wenn in diese folgende Korrekturen Eingang finden: Anstelle des Wortes .Union' ist das Wort .Vereinigung' zu verwenden, anstelle der Worte .gemeinsam mit den Nachbarstaaten' die Worte ,wie auch andere Nachbarstaaten'." G. P. Kynin - J. Laufer, S S S R i germanskij vopros. 2 2 ijunja 1 9 4 1 g . - 8 maja 1945g. S S S R i germanskij vopros 1 9 4 1 - 1 9 4 9 . Bd. 1. Moskau 1996, S. 3 2 0 - 3 2 2 . 40

41 42

RGASPI, F. 495, op. 74, d. 22, S. 15; Dokument teilweise abgedruckt in: Österreicher im Exil. Sowjetunion 1934—1945. Eine Dokumentation Wien 1999, S. 719. Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 402. Johann Koplenig, Reden und Aufsätze 1 9 2 4 - 1 9 5 0 . Wien 1951. S. 97f. RGASPI, F. 4 9 5 , op. 80, d. 561, S. 2 4 - 2 8 .

Natal'ja Lebedeva Partisanen eingesetzt. Im Salzkammergut gelang es den Partisanen, starke SS- und Polizeieinheiten zu binden. Im Sommer 1944 kam es an einer Reihe von Orten zu Angriffen auf Munitionstransporte, und in Kärnten konnte Verbindung mit slowenischen Partisanen aufgenommen werden.43 Im Bemühen, die Widerstandsbewegung in Österreich zu stärken, wurde dem Auslandsbüro des ZK der KPÖ von der Abteilung für internationale Information der Auftrag erteilt, für die Parteiarbeit in Österreich ausgewiesene Kommunisten auszuwählen. Diese wurden von der Personalabteilung der Abteilung für internationale Information des ZK der VKP(b) eingehend überprüft, am 12. Juli 1944 Georgi Dimitrov vorgestellt und in der Folge nach Österreich verbracht. Im Mai 1944 wurde von Johann Koplenig ein ausführliches Schriftstück mit dem Titel „Die Wiedergeburt Österreichs. Die Haltung der Kommunisten im Kampf um die nationale Befreiung des österreichischen Volkes" ausgearbeitet. In einem an Dimitrov adressierten Begleitbrief zu diesem Dokument schrieb Koplenig, dass „sie [die Kommunisten] sich bemühten, bei der Ausarbeitung des Dokuments Ihre Meinung einfließen zu lassen. Wir glauben, dass es zielführend wäre, dieses Dokument zu veröffentlichen."44 Der Wortlaut wurde von Dimitrov eingehend redigiert und Anfang Mai unter Beteiligung von Koplenig, Fürnberg und Fischer erörtert.45 Von 10. bis 14. Juni 1944 fand in Moskau eine Konferenz der führenden Exponenten der KPÖ statt, auf der die Annahme des Manifests „Wiedergeburt Österreichs" beschlossen wurde. Darin wurde festgehalten, dass die österreichischen Kommunisten vorbehaltlos hinter der „Moskauer Deklaration" stünden und zwecks schnellstmöglicher Befreiung des Landes zu einem „aktiven Partisanenkampf' aufriefen. Im Manifest wurde weiters betont, dass die Wiedergeburt Österreichs, die Schaffung einer „freien, unabhängigen, demokratischen österreichischen Völksrepublik im Interesse des österreichischen Volkes und aller freiheitsliebenden Völker eine historische Notwendigkeit" darstellen würde. Man hob hervor, dass die Kommunistische Partei Österreichs voller Entschlossenheit und in enger Zusammenarbeit mit den österreichischen Katholiken, Demokraten und Sozialisten für die „Befreiung ihres Landes von Hitlers Joch und für die Bildung einer Provisorischen Regierung einer demokratischen Volksrepublik" eintrete. Vorgesehen war, die auf „breiter demokratischer Basis" gebildete und von den Organen der Befreiungsbewegung unterstützte Regierung mit der Lösung folgender

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Vgl. dazu u. a.: Max Muchitsch, Die Partisanengruppe Leoben-Donawitz. Wien 1966; Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945. 3. Aufl., Graz 1994, bes. S. 156ff„ 386f., 475; Stefan Kamer, Die Steiermark im 20. Jahrhundert. 2. Aufl., Graz - Wien 2005, S. 243-250; die entsprechenden Passagen bei Radomir Luza, Der Widerstand in Österreich 1938-1945. Wien 1985; Max Muchitsch, Die Rote Stafette. Vom Triglav zum Hochschwab. Wien 1985. Zu den Querverbindungen zwischen dem ZK VKP(b) in Moskau und dem Widerstand in der Steiermark vgl.: Harald Knoll, Die Gruppe „Neuhold - Drews - Weiß - Eichholzer", die „Rote Gewerkschaft" von Lorenz Poketz und die ersten Hinrichtungen von Widerstandskämpfern am Grazer Landesgericht, in: Stefan Karner (Hg.), Graz in der NS-Zeit 1938-1945. Wissenschaftliche Veröffentlichung des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, SdBd. 1, 2. Aufl. Graz 1998, S. 211-230.

44 45

RGASP1, F. 495, op. 74, d. 23, S. 1. Ebd., S. 2 - 1 8 (deutsch); ebd., S. 19-34 (russisch).

Osterreichische Kommunisten im Moskauer Exil Aufgaben zu betrauen: Null- und Nichtigerklärung des „Anschlusses" sowie sämtlicher Gesetze und Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes; Herstellung freundschaftlicher Beziehungen und Entwicklung einer „Zusammenarbeit mit freiheitsliebenden Völkern"; Auflösung des Apparates der deutsch-nationalsozialistischen Macht und Einführung demokratischer Freiheiten; Sicherstellung der Möglichkeit einer freien Religionsausübung; Schaffung von Bedingungen für eine demokratische Selbstverwaltung der Gemeinden; Entlassung von Gegnern des NS-Regimes aus Gefängnissen und Konzentrationslagern; Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung von deutschen und österreichischen Kriegsverbrechern; Rückgabe des von Nationalsozialisten entwendeten Besitzes an die jeweiligen rechtmäßigen Eigentümer; das Treffen von Vorbereitungen für die Abhaltung von Nationalratswahlen u. a.46 In genanntem Manifest wurde auch unterstrichen, dass die KPÖ „innerhalb der österreichischen Befreiungsbewegung keinen Anspruch auf eine besondere Rolle erhebt, sie jedoch die feste Absicht besitzt, in irgendeiner Form gemeinsam mit anderen die volle Verantwortung für das Schicksal des Volkes und des Staates zu tragen". De facto beinhaltete das Manifest ein Programm für die Errichtung eines volksdemokratischen Systems entsprechend dem Verständnis Georgi Dimitrovs und der österreichischen Kommunisten und entsprechend den Vorstellungen des Kremls, wie er ein solches Systems der ganzen Welt präsentieren wollte. Später, im Jahr 1946, sagte Friedl Fürnberg in seinem Rechenschaftsbericht auf dem 13. Parteitag der KPÖ aus: „In der Zeit, als die endgültige Niederlage Hitlers bereits feststand, hat sich unser Zentralkomitee mit einem besonderen Manifest über die Wiedergeburt Österreichs an das österreichische Volk gewandt [...]. Unsere Partei hat damals schon, im Sommer 1944, die Schaffung einer Provisorischen Regierung der neuen österreichischen Demokratie vorausgesagt und ihre Aufgaben umrissen. Sie hat schon damals erklärt, dass jede ernsthafte Störung oder gar Sprengung der Einheit des Volkes die Gefahr heraufbeschwören wird, dass reaktionäre, landfremde Faktoren sich in die Kämpfe der Parteien einschalten, um die Unabhängigkeit und den Frieden in Österreich zu untergraben. Sie hat damals schon darauf hingewiesen, dass das befreite Österreich vor der unaufschiebbaren Aufgabe stehen wird, die monopolistischen deutschen Kriegsschmarotzer und ihre österreichischen Spießgesellen restlos zu enteignen und diese enteigneten Großbetriebe und Großbanken in staatliche Verwaltung zu übernehmen." 47 Es ist charakteristisch, dass etwa zur gleichen Zeit Maßnahmen zur Bildung einer ungarischen Unabhängigkeitsfront und zur Installierung eines in der UdSSR beheimateten Organs, im Namen dessen man sich an die Ungarn wenden konnte, unternommen wurden. Im Mai wurde der Beschluss zur Bildung einer illegalen „antifaschistischen" Ungarischen Front, in der die Anhänger der Widerstandsbewegung vereint waren, verabschiedet. Diese Front bestand aus den Kommunisten, der Kleinlandwirtepartei, den 46 47

Kommunisty ν bor'be za nezavisimost' Avstrii, S. 119-128. Zum vollen Wortlaut dieses Dokuments in deutscher Sprache siehe: RGASPI, F. 495, op. 80, d. 561, S. 54-67. Zentral-Komitee der KPÖ (Hg.), Referat des Genossen Friedl Fürnberg (Sekretär der KPÖ) auf dem 13. Parteitag der KPÖ als Bericht über die Arbeit seit dem 12. Parteitag (1934). Wien 1946, S. 15f.; Kommunisty ν bor'be za nezavisimost'Avstrii. Moskau 1956, S. 95.

Natal'ja Lebedeva Sozialdemokraten und der Union des Doppelkreuzes (Legitimisten). Am 15. Mai wurde von Mätyäs Räkosi die Resolution zur Ungarischen Front, deren Programm die Schaffung eines unabhängigen, freien und demokratischen Ungarn, die Durchführung einer Landreform sowie anderer demokratischer Umgestaltungen vorsah, an Georgi Dimitrov übermittelt. Im September kam es zur Einsetzung des Exekutivkomitees, und man nahm die Bildung von Ortskomitees in Angriff.48 Die Idee der Bildung eines dem ungarischen Exekutivkomitee oder dem Nationalkomitee „Freies Deutschland" ähnlichen Organs wurde im Falle der „Freiheitsfront" Österreichs nicht realisiert. Zum damaligen Zeitpunkt entwickelten sich angesichts des Vorrückens sowjetischer Truppen auf Österreich die Intensivierung der antinationalsozialistischen Propaganda unter den Österreichern und die Bildung eines „Antifaschistischen Büros österreichischer Kriegsgefangener" zu immer vordringlicheren und entscheidenderen Aufgaben. Am 2. August übermittelte Koplenig Dimitrov einen Brief, in dem er über die Arbeit unter den österreichischen Kriegsgefangenen und die Bildung einer aus diesen rekrutierten, „antifaschistische" Kräfte vereinigenden Sonderorganisation berichtete. Einige Tage später wandte sich Koplenig mit dem Vorschlag zur Bildung eines „Antifaschistischen Komitees österreichischer Kriegsgefangener" an die Abteilung für internationale Information, woraufhin es unter Beteiligung von Dimitrov zur Abhaltung einer Sonderkonferenz zu dieser Frage kam.49 Entsprechend einem auf dieser Konferenz gefassten Beschluss präsentierte Koplenig am 20. September ein Verzeichnis von Kriegsgefangenen, die man als mögliche Mitglieder eines solchen Komitees empfehlen konnte.50 48 49 50

RGASPI, F. 495, op. 74, d. 114, S. lOf. Vtoraja mirovaja vojna. Kratkaja istorija. Moskau 1984, S. 450f. RGASPI, F. 495, op. 74, d. 22, S. 58, 63; Kamer, Im Archipel GUPVI. RGASPI, F. 495, op. 74, d. 22, S. 64f. Dokumente teilweise abgedruckt in: Sowjetunion 1934-1945, S. 725f. In diesem Verzeichnis schienen auf: Karl Frick, Gefreiter, von Beruf Bediensteter mit Wohnort Innsbruck, in Gefangenschaft seit Juli 1941, Absolvent der „Antifa"-Schule für Kriegsgefangene, Stellvertreter des Ältesten der Lagerschule Krasnogorsk; Leopold Friebl, Ingenieur des militärischen Dienstes aus Wien, in Gefangenschaft seit Mai 1944, Mitglied der Sozialistischen Partei Österreichs von 1926 bis 1934, aktiver Teilnehmer der österreichischen Lagergruppe im Lager Krasnogorsk; Georg Gutschi, Leutnant aus Linz, Ingenieur, vor dem Anschluss aktives Mitglied der Katholischen Jugend, in Gefangenschaft geraten bei Stalingrad, überzeugter „Antifaschist"; Franz Finstermann, Arzt aus Wien, vor dem Anschluss einer der Anführer der katholischen Studentenbewegung, von der Gestapo verhaftet, verbrachte drei Jahre im Gefängnis, leitete die „antifaschistische" Arbeit im Offizierslager Elabuga; Karl Hirt, Arbeiter aus Graz, ab 1930 Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes Österreichs, dessen Sekretär für organisatorische Fragen, später ein Instraktor der KPÖ, im Jahr 1942 auf die Seite der Roten Armee übergelaufen, Absolvent der „Antifa"-Schule, von der Politischen Hauptverwaltung der Roten Arbeiter- und Bauernarmee zur Arbeit an der Front herangezogen; Erwin Heinicke, Wachtmeister, zuvor Setzer mit Wohnort Linz, von 1930 bis 1936 Mitglied der SPÖ, in Gefangenschaft geraten bei Stalingrad, Absolvent der „Antifa"-Schule, Lektorskandidat in der Schule für Kriegsgefangene im Lager Juzskij; Karl Ilthalter, Gefreiter aus Wien, zuvor Lehrer, Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend, Absolvent der „Antifa"-Schule, herangezogen zur Arbeit an der Front; Erich Jiras, Major aus Wien, Teilnehmer des Ersten Weltkrieges, in Gefangenschaft geraten bei Stalingrad, leitete die „antifaschistische" Propaganda in der österreichischen Gruppe des Lagers Krasnogorsk; Josef Jaksch, Gefreiter aus Oberösterreich, Sohn eines Bauern mit spezieller landwirtschaftlicher Ausbildung, Hörer der Krasnogorsker „Antifa"-Schule, konsequenter „Antifaschist"; Andreas Kirschhofer, Oberleutnant aus der Steiermark, zuvor Bauer, hatte vor dem Anschluss führende

Osterreichische Kommunisten im Moskauer Exil Prinzipiell war Dimitrov mit der Idee der Bildung eines eigenen „antifaschistischen" Organs österreichischer Kriegsgefangener, die sich in Lagern auf dem Gebiet der UdSSR befanden, einverstanden. Doch im Unterschied zum Nationalkomitee „Freies Deutschland" sollte dieses Organ höchst konspirativen Charakter tragen und nicht die Bevollmächtigung besitzen, sich an die Außenwelt zu wenden, worüber Dimitrov in einem am 10. Oktober 1944 verfassten Brief an Lavrentij Berija berichtete. Er teilte Berija, dem Völkskommissar für Innere Angelegenheiten, mit, dass die Führung der KPÖ die Forderung nach einer Trennung der österreichischen und deutschen Kriegsgefangenen und nach Aufnahme einer systematischen „antifaschistischen" Propagandatätigkeit unter diesen erhoben hätte. „Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine solche Trennung nicht erfolgt", schrieb Dimitrov. „Dies führt in der Praxis zu einer Reihe von unerwünschten Entwicklungen. So wird die antifaschistische Propaganda in den Lagern mit Ausrichtung auf die große deutsche Masse, ohne Berücksichtigung der spezifisch österreichischen Probleme betrieben. Dazu zählen: der Kampf für ein unabhängiges und demokratisches Österreich auf Grundlage der auf der Moskauer Konferenz beschlossenen ,Moskauer Deklaration', die Aufgaben der antifaschistischen österreichischen Nationalen Front usw. Wie im Folgenden genannte Fälle kommen laufend vor: Antifaschistisch eingestellten österreichischen Kriegsgefangenen, die sich weigern, in das Nationalkomitee ,Freies Deutschland' einzutreten, wird auf Grund dessen, dass sie keine Deutschen sind, von den deutschen Kriegsgefangenen vorgeworfen, die antifaschistische Bewegung nicht unterstützen zu wollen."51 Dimitrov definierte die Ziele des „Büros antifaschistischer Kriegsgefangener" wie folgt: „1. Betreiben einer antifaschistischen Propaganda unter österreichischen Kriegsgefangenen in der UdSSR unter der Leitung der jeweiligen Lagerverwaltung. 2. Auswahl antifaschistischer Kader und Aktivisten unter den österreichischen Kriegsgefangenen. 3. Herausgabe eines speziellen antifaschistischen Bulletins für kriegsgefangene Österreicher." Es war geplant, mittels Auswahl der den jeweiligen Lagerverwaltungen und den österreichischen Kommunisten am besten bekannten österreichischen Kriegsgefangenen ein Büro mit einer personellen Stärke von zehn bis 15 Mann einzurichten. Zivil-

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Funktionen in landwirtschaftlichen Organisationen inne, Mitglied des „Bundes deutscher Offiziere", aktiver „Antifaschist"; Gottfried Popelka, Gefreiter aus Wien, früherer Funktionär der SPÖ, Leiter eines Arbeiter-Sportbundes, von der Gestapo verhaftet, Insasse eines Konzentrationslagers, freiwillig auf die Seite der Roten Armee übergelaufen, Hörer der „Antifa"-Schule Krasnogorsk; Josef Cihla, Schütze aus Salzburg, Autoschlosser, war Mitglied der KPÖ und Leiter einer ihrer Landesorganisationen, im Jahr 1940 verhaftet, verbrachte zehn Monate in einem Konzentrationslager und zwei Monate in einem Gefängnis, im Oktober 1942 auf die Seite der Roten Armee übergelaufen, Absolvent der „Antifa"-Schule, an der Front eingesetzt; Hugo Sedlak, Major des Sanitätsdienstes aus Wien, Absolvent der „Antifa"-Schule, war als Arzt im Lager Krasnogorsk tätig, wo er sich mit Tätigkeiten der „Antifa" befasste; Rudolf Kührer, Obergefreiter, Arbeiter aus Linz, Mitglied des Schutzbundes, beteiligte sich an den Februar-Ereignissen des Jahres 1934, war daraufhin Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes Österreichs, Hörer der „Antifa"-Schule Krasnogorsk; Hans Unterberger, Leutnant, Lehrer an einer Volksschule in Salzburg, Mitglied der SPÖ, freiwillig auf die Seite der Roten Armee übergelaufen, Hörer der Krasnogorsker „Antifa"-Schule. Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 472f.

Natal'ja Lebedeva personen durften dabei nicht berücksichtigt werden. Die laufende Kontrolle über die Tätigkeit des Büros war vom wissenschaftlichen Forschungsinstitut Nr. 99, das bei der Abteilung für internationale Information für die Arbeit mit Kriegsgefangenen gegründet worden war, wahrzunehmen.52 Als Basis für die Arbeit des Büros sollte das Lager Krasnogorsk dienen.53 Am 27. Oktober übermittelte der Direktor des wissenschaftlichen Forschungsinstitutes Nr. 99 M. Kozlov an Georgi Dimitrov eine Liste der für die Arbeit im Büro in Frage kommenden österreichischen Kriegsgefangenen, die ihm von Johann Koplenig empfohlen und deren Ernennung von der Operativen Abteilung der Hauptverwaltung für die Angelegenheiten von Kriegsgefangenen und Internierten (GUPVI NKVD) gutgeheißen worden war.54 Ein noch vordringlicheres Problem, mit dessen Lösung nicht nur die Führung der KPÖ und die Abteilung für internationale Information, sondern auch sowjetische Aufklärungsdienste befasst waren, stellte die Aktivierung der Widerstandsbewegung in Österreich selbst dar. Am 20. September 1944 wurde an Dimitrov berichtet, dass ein Geheimdienstmann in Wien Verbindung mit einer Gruppe von Diversanten, die unter der Führung ehemaliger Schutzbund-Angehöriger operierten, hergestellt hätte, wobei darauf hingewiesen wurde, dass es in Wien mehrere solcher Gruppen gäbe. Genanntem Geheimdienstmann wäre es darüber hinaus gelungen, mit einer Gruppe steirischer 52

Das wissenschaftliche Forschungsinstitut Nr. 99 bestand aus 50 Personen, die vom Exekutivkomitee der Komintern abgestellt wurden. Zum Leiter dieses Instituts wurde M. Kozlov, der ehemalige Leiter des Wirtschaftssektors der Wirtschaftlich-operativen Verwaltung des Exekutivkomitees der Komintern, ernannt. In wirtschaftlicher Hinsicht wurde das Büro vom Sonderapparat der Geschäftsführung des ZK der VKP(b) betreut, in administrativer Hinsicht vom NKVD, und in politisch-ideologischen Belangen stand es in enger Verbindung mit der Abteilung für internationale Information. Im Zusammenwirken mit der „Antifa"-Schule in Krasnogorsk und den im Lager Juzskij abgehaltenen „antifaschistischen" Kursen oblag dem Institut die Ausbildung der „antifaschistischen" Kader, die aus den Reihen der Kriegsgefangenen rekrutiert wurden. Gerade auf die Kriegsgefangenen zielte auch die Tätigkeit des Nationalkomitees „Freies Deutschland" ab. Man bildete Kriegsgefangene für die Arbeit in der 7. Abteilung der Politischen Verwaltung für die Zersetzung der feindlichen Truppen aus und gab Zeitungen in deutscher, ungarischer, rumänischer und italienischer Sprache heraus. Aktiv an diesen Tätigkeiten beteiligt waren führende Persönlichkeiten der Kommunistischen Partei Deutschlands, der KPÖ, der Kommunistischen Partei Ungarns, der Italienischen und der Rumänischen Kommunistischen Partei. Für die Arbeit mit österreichischen Kriegsgefangenen war im Institut Nr. 99 insbesondere V. Chvostov zuständig, der später zum Direktor des Institutes für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der UdSSR ernannt wurde. Im Jahr 1946 wurde das Institut Nr. 99 aufgelöst. RGASPI, F. 495, op. 74, d. 24, S. 3.

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Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 472f. Es ist bezeichnend, dass der Erstentwurf des Briefes von Dimitrov an Berija mit folgenden Worten endete: „Ich ersuche um Ihre Entscheidung in vorliegender Frage." Die Endfassung des Briefes wies indes doch einen etwas anderen Wortlaut auf: „Ich ersuche Sie, in vorliegender Frage eine Entscheidung zu treffen und mich über die von Ihnen getroffene Entscheidung in Kenntnis zu setzen." RGASPI, F. 495, op. 74, d. 21, S. 95. RGASPI, F. 495, op. 74, d. 22, S. 76-78. Auf dieser Liste schienen folgende Namen auf: A. Kirschhofer, G. Uterborger [sic!], K. Frick, G. Gutschi, R. Kührer, G. Popelka, E. Jiras, J. Jaksch, H. Sedlak. Beinahe alle diese Personen wurden von Koplenig auch in seinem an Dimitrov adressierten Brief vom 20.9.1944 genannt. Ein Begleitschreiben Kozlovs an Dimitrov wurde mit dem Vermerk versehen: „Das Verzeichnis wurde G[eorgi] M[ichajlovic] vorgelegt. Genossen Koplenig wurde der Auftrag erteilt, auf Grundlage dieser Liste die personelle Besetzung des Büros vorzunehmen. M. Kozlov. 1.11.1944."

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Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil Eisenbahner in Kontakt zu treten, die über Kontakte zu slowenischen Partisanen in Maribor verfügten. 55 Im Dezember wandte sich eine Abteilung der österreichischen „Freiheitsfront" in der Steiermark und in Kärnten mit einem gemeinsamen Aufruf an ihre Mitbürger und rief diese zu einem bewaffneten Kampf gegen Hitlers Joch und für die Unabhängigkeit Österreichs auf.56 Im Gebiet von Sau- und Koralpe operierten Partisaneneinheiten, die am 1. Jänner 1945 nahe Lavamünd einen großen Munitionstransport in die Luft sprengten. Im Februar trugen diese Einheiten Kämpfe gegen starke Armeeverbände aus, weshalb von den Nationalsozialisten bis zu 10.000 Mann zur Durchkämmung dieses Gebietes in Marsch gesetzt wurden. Es gelang die Zerschlagung eines großen Partisanenverbandes, in dessen Reihen auch Willi Frank, ein Mitglied des ZK der KPÖ, gekämpft hatte.57 Das Kriegsende sollten nur knapp 600 kommunistische Partisanen erleben. In den Jahren des Krieges traten mehr als 13.000 Personen in die KPÖ ein, wobei sich jedoch auch die Verluste an Mitgliedern und unter der Zivilbevölkerung als überaus groß gestalteten. In genanntem Zeitraum wurden mehr als 1400 Kommunisten hingerichtet, darunter auch 13 Mitglieder des Zentralkomitees der KPÖ; Tausende ihrer Anhänger befanden sich in Gefängnissen und Konzentrationslagern. 58 Im November 1944 wurde beim Stab der Jugoslawischen Volksarmee das aus Partisanen und österreichischen Gefangenen rekrutierte „1. österreichische Bataillon von Kämpfern für die Freiheit Österreichs" aufgestellt, an dessen Spitze Franz Honner und Friedl Fürnberg standen. 59 Bereits im Dezember wurde dieses Bataillon in Richtung Front verlegt und nahm bis Kriegsende an Kampfhandlungen teil. Im März 1945 kam es zur Aufstellung eines „2. österreichischen Freiheitsbataillons". 60 Ungeachtet des aufopfernden Kampfes der Mitglieder der österreichischen Widerstandsbewegungen und ihrer großen Verluste blieb ihnen eine breite Unterstützung durch bedeutende Kräfte der österreichischen Gesellschaft verwehrt. Das nationalsozialistische Regime erwies sich bis in die letzten Tage des Krieges als Herr auf österreichischem Boden und bediente sich für den Kampf gegen die Länder der Anti-Hitler-Koalition der menschlichen und materiellen Ressourcen Österreichs. Diese Tatsache wurde von Fürnberg im Rechenschaftsbericht des ZK auf dem 13. Parteitag der KPÖ im Jahr 1946 anerkannt. 61 55 56 57 58 59

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RGASPI, F. 495, op. 74, d. 21, S. 31. RGASPI, F. 495, op. 80, d. 611, S. 26-31. Marek, V bor'be protiv germanskogo fasizma, S. 113. M. A. Poltavskij, Diplomatija imperializma i raalye strany Evropy (1938-1945gg.). Moskau 1973, S. 74-84, 150, 216. Die Angehörigen dieses Bataillons riefen das österreichische Volk dazu auf, sich aktiv am Kampf gegen die deutschen Besetzer zu beteiligen. Man veröffentlichte eine Broschüre mit dem Titel „Krieg des Volkes gegen die deutschen Besetzer. Aufstellung des österreichischen Bataillons Nr. 1", in der auch der Aufruf, in den Kampf zu ziehen, abgedruckt wurde. Marek, V bor'be protiv germanskogo fasizma, S. 113. - Vgl. zum österreichischen Bataillon: Willibald I. Holzer, Die österreichischen Bataillone im Verbände der NOV I POJ. Phil. Diss. Wien 1971; Alfred Palisek, Landesverräter oder Patrioten. Das österreichische Bataillon 1943 bis 1945. Graz - W i e n 2001. Friedl Fürnberg führte dabei aus: „Es gibt Leute, die uns heute mehr oder weniger höhnisch sagen: ,Ihr

Natal'ja Lebedeva Am 17. Februar 1945 nahmen die Truppen der 2. und der 3. Ukrainischen Front die Vorbereitungen für die Einnahme Wiens in Angriff. Es stellte sich ihnen die Aufgabe der Zerschlagung der Heeresgruppe Süd und eines nach erfolgter Einnahme Ungarns vorzunehmenden Vorrückens auf österreichisches Gebiet samt der Schaffung günstiger Bedingungen für einen Vormarsch in Richtung der Südgrenze Deutschlands. Nach Abwehr der Gegenangriffe der Heeresgruppe Süd begannen die Truppen der 2. und der 3. Ukrainischen Front am 16. März 1945 mit ihrer Offensive auf Wien. In der Nacht vom 28. auf den 29. März überschritten Einheiten der Roten Armee die ungarisch-österreichische Grenze. Zu diesem Zeitpunkt wurde in Moskau in gebotener Eile über die Form der Beteiligung der österreichischen Kommunisten am österreichischen Staatsapparat beraten. Georgi Dimitrov hatte zu klären, welcher österreichische Kommunist an die 3. Ukrainische Front zu entsenden war, um sodann gemeinsam mit den Truppen in Wien einzumarschieren und sich mit diesen an der Bildung der österreichischen Verwaltung - von der Staatsebene bis hinab auf die Bezirksebene - zu beteiligen. Am 3. April teilte Dimitrov Stalin auf dessen Anordnung hin mit, dass er gemeinsam mit dem Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Österreichs, Johann Koplenig, die sich in der UdSSR aufhaltenden österreichischen Kommunisten und kriegsgefangenen „Antifaschisten" überprüft hätte. Man wäre dabei zum Schluss gekommen, dass man Johann Koplenig selbst, Ernst Fischer, G. Günther, Robert Rosak, Andreas Kirschhofer, Georg Gutschi, Franz Finstermann und Karl Frick an die 3. Ukrainische Front schicken könnte. „Außer diesen Österreichern", schrieb Dimitrov, „befinden sich in Jugoslawien (auf slowenischem Gebiet) noch die österreichischen Genossen Honner Franz und Fürnberg Friedl (Mitglieder des ZK der Kommunistischen Partei Österreichs) sowie Dr. David Franz (Militärarzt und Chirurg), die man ebenfalls an die 3. Ukrainische Front entsenden könnte. In Belgrad (Jugoslawien) hält sich ebenso eine aus Frankreich eingetroffene Gruppe österreichischer Aktivisten (25 Personen) auf. Sechs dieser Personen, nämlich 1. Maller Theodor, 2. Glaser Otto, 3. Strobl Othmar, 4. Schwager Zabel, 5. Goldberg Max, 6. Steiner Paul, sind ausgezeichnete Parteifunktionäre. Ich erbitte Ihre weiteren Weisungen in dieser Frage." 62 Gleichzeitig mit diesem Schreiben an den sowjetischen Führer ergingen auch Berichte mit Weisungen an alle maßgeblichen Akteure, wie und in welcher Funktion man die genannten Personen einsetzen könnte. Im vom Personalsektor der Abteilung für internationale Information am 3. April verfassten Bericht an Koplenig wird betont, dass er es „als Mitglied des Politbüros und als seit 1934 amtierender Generalsekretär des ZK der

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habt riesige Opfer gebracht, aber ihr ward nicht imstande, die großen Massen des Volkes zu einigen und in den Kampf zu führen.' Es ist wahr, wir haben das nicht erreicht, aber nicht deswegen, weil es nicht möglich war - es war in Österreich so möglich wie in anderen Ländern! sondern deswegen, weil die meisten führenden Männer aus den anderen Parteien an diesem Kampf nicht teilnehmen wollten." Zentral-Komitee der KPÖ (Hg.), Referat des Genossen Friedl Fürnberg (Sekretär der KPÖ) auf dem 13. Parteitag der KPÖ als Bericht über die Arbeit seit dem 12. Parteitag (1934). Wien 1946, S. 5; Kommunisty ν bor'be za nezavisimost'Avstrii, S. 95. Komintern i vtoraja mirovaja vojna, S. 486f.

Osterreichische Kommunisten im Moskauer Exil KPÖ verstanden hat, gesunde Elemente der Partei um sich zu scharen, indem er einen konsequenten Kampf gegen rechte Opportunisten und linke trotzkistische Elemente führte, von denen die Partei gesäubert werden konnte. Im Verlaufe seiner führenden Tätigkeit in der Kommunistischen Partei Österreichs setzte er die Weisungen und die Linie der Kommintern um." In einem Empfehlungsschreiben für Ernst Fischer hieß es: „Fischer Ernst (Wieden), Mitglied des ZK der KP Österreichs seit 1934, guter Journalist, nicht nur in Österreich, sondern auch im Ausland bekannt. Er empfiehlt sich für eine Führungsfunktion in beliebigen Bereichen. Koplenig." Bezüglich Franz Davids schrieb er: „Sehr guter Chirurg. War in einem Moskauer Krankenhaus beschäftigt. Erhielt die Medaille ,Für die Verteidigung Moskaus'. In Österreich war er mit Studenten und in der Ärztegewerkschaft tätig. Empfiehlt sich für Arbeiten mit der Intelligenz und für eine führende Funktion auf dem Gesundheitssektor." Im Bericht zu Herbert Hütter merkte Koplenig an, dass Hütter Lektor der „antifaschistischen" Schule im Lager Juzskij, Mitglied der KPÖ seit 1934 und Mitglied des all-österreichischen Komitees der illegalen freien Gewerkschaft wäre. Hervorgehoben wurde, dass er „über große Erfahrung auf dem Gewerkschaftssektor verfügt und sich für eine führende Tätigkeit auf diesem Gebiet empfiehlt". Die beiden Mitglieder des ZK der KPÖ, Franz Honner und Friedl Fürnberg, würden sich für „führende politische Funktionen" eignen, Robert Rosak für „eine führende Position auf dem Gebiet der kommunalen Verwaltung", Theodor Maller und Othmar Strobl für „führende Funktionen auf Bundesländerebene" und Max Stem für die „Bezirksebene". 63 Am 5. April übersandte Dimitrov Stalin ein Schreiben Koplenigs und Fischers über den kriegsgefangenen General Fritz Franek 64 , den ehemaligen Leiter der Militärakademie in Wiener Neustadt. „Es kann sein, dass sich dieser österreichische General ebenso für die Umsetzung möglicher Maßnahmen im Zusammenhang mit Österreich eignet", so Dimitrov. 65 In einem diesem Brief beigelegten Bericht über Fritz Franek wurde darauf hingewiesen, dass dieser zwar nicht dem „Antifaschistischen Komitee österreichischer Kriegsgefangener" beigetreten war, mit diesem jedoch zusammengearbeitet hatte. Weiters wurde hervorgehoben, dass er gegenüber der Roten Armee Achtung und Sympathie bekunden würde. „Es entsteht der Eindruck, dass er dies alles aus ehrlicher Überzeugung tut", schrieb Dimitrov an Stalin.66 Sogleich nach der am 13. April 1945 erfolgten Einnahme Wiens wurden 21 Wiener Bezirksverwaltungen eingesetzt, denen in 13 Fällen ein Kommunist, in sieben ein Sozialist und in einem Fall ein Vertreter der Völkspartei vorstand. Am 23. April 1945 konnte nach Beratungen, an denen sich auf Seiten der KPÖ Johann Koplenig, Ernst Fischer und Franz Honner, auf Seiten der SPÖ Karl Renner, Paul Speiser und Adolf Schärf sowie seitens der ÖVP Leopold Kunschak beteiligten,

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RGASPI, F. 495, op. 74, d. 24, S. 5-31. Zu General Franek vgl. Elisabeth Kruml, General Dr. Fritz Franek. Eine Biographie. Phil. DA. Wien 1983. RGASPI, F. 495, op. 74, d. 25, S. 3. Ebd., S. 5f.

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Natal'ja Lebedeva eine Einigung über die Bildung einer Provisorischen Regierung erzielt werden. Einen Tag später, am 24. April, kam es zur Einsetzung einer provisorischen Wiener Stadtverwaltung, und am 27. April wurden die Mitglieder der Provisorischen Regierung dem Kommandierenden der 3. Ukrainischen Front, Marschall Fedor Tolbuchin, vorgestellt. Noch am selben Tag wurde von der Provisorischen Regierung die Unabhängigkeitserklärung beschlossen, die die Wiederherstellung einer demokratischen Republik und die Einsetzung der Provisorischen Regierung erklärte sowie deren Ziele und Aufgaben definierte.67 Das Kabinett der Provisorischen Regierung, dem zu gleichen Teilen Vertreter von ÖVP, SPÖ und KPÖ angehörten, bestand bis zu den Nationalratswahlen im November 1945, bei denen 44,6 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme der ÖVP gaben und nur 5,4 Prozent auf die KPÖ entfielen. Das Amt des Kanzlers und die Mehrzahl der Ressorts wurden mit Vertretern der ÖVP besetzt, acht Regierungsmitglieder stellte die SPÖ, eines die KPÖ, wobei der kommunistische Minister im November 1947 sein Amt zurücklegen musste.68 In seiner auf dem ersten legalen Parteitag der KPÖ, der Wiener Parteikonferenz, am 13. Mai 1945 gehaltenen Rede wies Johann Koplenig darauf hin, dass Österreich das erste Land war, das vom faschistischen Deutschland besetzt worden war. Nichtsdestotrotz wäre es in den Eroberungskrieg des „Dritten Reichs" mit hineingezogen worden, weshalb es auch auf jeden Fall seinen Teil der Verantwortung für die im Krieg verübten Gräueltaten zu tragen hätte. Eine der Hauptaufgaben läge in der Ausrottung des Nationalsozialismus. Indem man die einfachen Mitglieder der NSDAP nicht zur Verantwortung ziehen sollte, gelte es die nationalsozialistischen Bonzen und die anderen Kriegsverbrecher einer harten Bestrafung zuzuführen. Ein Kapitel im Referat des Generalsekretärs des ZK der KPÖ trug den Titel „Die Errichtung einer wahren Volksdemokratie". Gerade eine solche stellte nach Meinung Koplenigs eine wichtige Voraussetzung dar, um eine Wiederholung der Ereignisse der vergangenen Jahre ausschließen zu können. „Volksdemokratie, das bedeutet, dass der Wille des Volkes voll und ganz zur Geltung kommen muss", so Koplenig.69 Die Basis dafür liege einzig in einer Zusammenarbeit aller drei die Provisorische Regierung bildenden großen Parteien, was auch dem Willen des Volkes entspräche.70 Doch die Umsetzung beider dieser Ziele — Errichtung einer „Volksdemokratie" und Bewahrung des Dreiparteienblocks - sollte der sowjetischen Politik unter der Führung Stalins verwehrt bleiben. Übersetzung aus dem Russischen: Arno Wonisch

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Vgl. dazu den Beitrag von Stefan Karner und Peter Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle: Zur Regierungsbildung in Österreich 1945, in diesem Band. Vladimir Ja. Svejcer, Social-demokratija Avstrii. Kritika politiceskich koncepcij i programm. Moskau 1987, S. 165. RGASPI, F. 495, op. 80, d. 561, S. 86. Ebd., S. 84-90.

Peter Ruggenthaler

Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte „Nun, ja. Was Österreich betrifft, haben wir früher entschieden. Und bezüglich Griechenland. Und auch Finnland. Ich denke, dass das vom Standpunkt der Geschichte und der Politik sehr intelligent entschieden wurde. Sehen Sie, hier war das Wichtigste, dass sie vom Imperialismus wegkamen. Und das wurde schon vorzeitig vor Kriegsende entschieden."' Vjaceslav Molotov zu Feliks Cuev, 14. August 1973 „Bei Finnland ist es uns nicht gelungen, es demokratisch [= sozialistisch] zu machen, und bei Österreich auch nicht!" 2

Vjaceslav Molotov zu Feliks Cuev, 28. November 1974

Diese zwei in sich widersprüchlichen Zitate des sowjetischen Außenministers Vjaceslav Molotov charakterisieren in deutlicher Weise die komplexe Fragestellung, die im Folgenden thematisiert wird: Warum sollte Österreich nicht sowjetisiert werden? Warum setzte der Kreml in Österreich nicht jene politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen wie in Osteuropa, um in kurzer Zeit bürgerliche Gesellschaften unter Kontrolle zu bringen? In Österreich blieb eine Sowjetisierung, sprich Terror und schlussendlich die soziale und wirtschaftliche Umstrukturierung der Gesellschaft nach sowjetischem Muster, aus. Gab es zu irgendeinem Zeitpunkt konkrete Pläne oder Versuche, in Österreich eine Volksdemokratie zu etablieren? Selbst die Aussagen eines der Hauptakteure, Iosif Stalins langjährigen Weggefährten und Vertrauten, Vjaceslav Molotov, geben auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Stalins Außenpolitik wird von der heutigen Forscher-

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Vjaceslav Molotov auf die Frage: „Das heißt, über den sozialistischen Weg habt ihr früher entschieden, Österreich aber nicht anzurühren?" Feliks Cuev, Molotov. Poluderzavnyj Vlastelin. Moskau 1999, S. 106. Molotov zu Cuev, 14.8.1973. Ebd., S. 21. Molotov zu Cuev, 28.11.1974. Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit: Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955. Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62. 4., völlig Überarb. u. erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1998, S. 461. Albert Resis (Hg.), Molotov remembers. Inside Kremlin Politics. Conservations with Felix Chuev. Chicago 1993, S. 10. Cuev, Molotov, S. 21.

Peter Ruggenthaler generation generell als widersprüchlich und komplex klassifiziert. War es traditionelles Sicherheitsdenken, das ihn inspirierte? Bestand die Aufgabe der Roten Armee darin, die Verbreitung der Weltrevolution voranzutreiben,3 wie es Stalin einmal ausdrückte? War die gewaltsame Sowjetisierung Osteuropas durch die UdSSR eine defensive Antwort auf die Politik der Westmächte (Marshall-Plan, Truman-Doktrin) oder hatte Stalin eine Sowjetisierung bestimmter ost- und mitteleuropäischer Länder gezielt geplant und war er der Hauptschuldige am Kalten Krieg?4 Diesen Fragen soll in der Folge vor allem auf der Basis der in den letzten Jahren erschienenen einschlägigen Forschungsliteratur in Bezug auf Österreich nachgegangen werden. Neben einem Überblick über die Außenpolitik Stalins mit ihren Grundzielen während des Zweiten Weltkrieges werden ferner die theoretischen Planungen des Kremls zur Schaffung von nationalen Volksfronten für Nachkriegseuropa dargelegt. Stalin verfolgte bereits seit 1941 das Ziel, Österreich als unabhängigen Staat wiederherzustellen. Einerseits verhinderte er damit die Schaffung eines größeren Machtfaktors in Mitteleuropa, wie es etwa die Briten wünschten, andererseits war die Abtrennung Österreichs vom Deutschen Reich ein Mittel der verfolgten Schwächungspolitik gegenüber Deutschland. Neben Österreich konnte sich nur Finnland einer drohenden Sowjetisierung entziehen. Doch mussten sich beide Länder einer Sowjetisierung entziehen oder war eine Sowjetisierung ohnehin nie geplant? Ein Vergleich zwischen den zwei „Sonderfällen" zeigt abschließend Parallelen und Unterschiede zwischen beiden Ländern auf.

Zu Stalins Außenpolitik Dass die Außenpolitik Stalins nach 1945 rein defensiven oder vice versa rein offensiven Charakter hatte, wurde in der Historiographie mittlerweile längst verworfen. Stalin handelte zwar ohne langfristige, abgestimmte Pläne, ließ sich aber von Analyse, taktischer Berechnung und außenpolitischem Kalkül leiten, auch Zufälle trugen das Ihre bei.5

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„Wer immer ein Gebiet besetzt, erlegt ihm auch sein eigenes gesellschaftliches System auf." Stalin zu Milovan Djilas im April 1945. Milovan Djilas, Gespräche mit Stalin. Frankfurt a. M. 1962, S. 146. Vgl. hierzu die grundlegenden revisionistischen Arbeiten von Vojtech Mastny, der als Erster die berechtigte Frage stellte, ob es überhaupt einen Generalplan Stalins zur Sowjetisierung Mittelost- und Osteuropas gab, und ausschließlich sowjetische Sicherheitsinteressen als Leitmotiv der Politik Stalins sieht. Vojtech Mastny, Russia's Road to the Cold War. Diplomacy, Warfare, and the Politics of Communism, 1941-45. New York 1979; Vojtech Mastny, The Cold War and Soviet Insecurity: The Stalin Years. New York - Oxford 1998. Einen hervorragenden Forschungsiiberblick zur Thematik des Kalten Krieges von Traditionalismus (stark vereinfacht: Exklusivschuld am Kalten Krieg liegt bei der UdSSR) über Revisionismus (Schuldverteilung gleichermaßen zwischen sowjetischem Expansionismus und amerikanischem Kapitalismus), Antirevisionismus hin zum Postrevisionismus (der auf Grund der Heranziehung authentischer Quellen aus v. a. sowjetischen Archiven den Revisionismus weitgehend bestätigt) gibt Günter Bischof, Eine historiographische Einführung: Die Ära des Kalten Krieges und Österreich, in: Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien - Köln - Weimar 2000, S. 19-53. Donal O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire". Die sowjetische Osteuropapolitik und die Reaktion des Westens 1939-1949. Paderborn - München - Wien - Zürich 2003, S. 392.

Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte Seine Absichten waren nicht nur defensiv 6 und rein auf die Sicherheit der UdSSR bedacht, aber auch nicht rein offensiv auf die Verbreitung der Weltrevolution ausgerichtet. Stalin hatte außenpolitische Mindestziele, was die Ausweitung der Macht des Kremls und seiner Einflusssphären betraf, auch wenn es keinen zentralen Plan zu einer Sowjetisierung bestimmter Staaten Ost- und Mitteleuropas gab. Stalin war aber auch nicht der „Totengräber" der Weltrevolution: Der „Aufbau des Sozialismus in einem Land" stand nicht im Gegensatz zur Vermehrung volksdemokratischer und sowjetischer Republiken. 7 Der sowjetische Kurs entwickelte sich folglich nicht schrittweise. Stalin verfolgte zwar Maßnahmen, die zum sozialistischen Ziel führen sollten, es gab aber keinen Zeitplan, er entschied im gegebenen Augenblick nach den jeweiligen Situationserfordernissen. 8 Die jüngsten Forschungen preschen in der Einschätzung der stalinistischen Außenpolitik sogar vor und zeichnen zu einem großen Teil verständlich nach, dass die Expansionspolitik Stalins von der Haltung Großbritanniens und der USA erheblich begünstigt wurde. 9 Tatsächlich hatten sich die Westmächte nur wenig gegen die Annexion Ostpolens, der baltischen Staaten und Bessarabiens gewehrt. Es wäre jedoch einseitig vorwurfsvoll, Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill seien von Stalin getäuscht und benützt worden. 10 Es ist bekannt, dass sich die sowjetische Führung damit rühmte, in Roosevelt einen leichteren Gegner gehabt zu haben als in Truman." In diesem Zusammenhang kann man die berechtigte Frage stellen, ob sich der Kreml im Falle Österreichs damit eine bessere Erfolgsaussicht auf eine Einbeziehung Österreichs in den sowjetischen Machtbereich erhoffte und sich, solange Roosevelt noch am Leben war, einer Illusion hingab. Starb Roosevelt im April 1945 zu einem für Österreich „günstigen" Zeitpunkt, als gerade die Rote Armee in Begriff war, Österreich zu besetzen? Die sowjetische Strategie der Errichtung nationaler „Volksfronten" und ihr Ziel der Sowjetisierung war keine Antwort auf antisowjetische Gefühle der „Ostblock"-Staaten. 6 7

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Eduard Mark, Revolution by Degrees. Stalin's National-Front Strategy for Europe, 1 9 4 1 - 1 9 4 7 . Cold War International History Project. Working Paper Nr. 31. Washington, D. C. 2001, S. 40f. Mastny, The Cold War and Soviet Insecurity; Vladislav Zubok - Constantine Pleshakov, Inside the Kremlin's Cold War. From Stalin to Khrushchev. Cambridge - London 1996. Zubok und Plesakov wiesen nach, dass zwischen der Förderung des Revolutionsexports und dem Aufbau eines mächtigen sowjetischen Imperiums auf Grund geopolitischer Sicherheitsinteressen kein Widerspruch bestand („revolutionär-imperiale Paradigma", Weltrevolution auf der Basis imperialistischer Paradigma durch Stärkung der Sowjetmacht). O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 2 5 - 3 6 . Aleksandr Cubar'jan, Stalin i cholodnaja vojna. Moskau 1997; Vojtech Mastny - Gustav Schmidt, Konfrontationsmuster des Kalten Krieges 1946 bis 1956. München 2003; Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1 9 4 4 - 1 9 4 9 . Paderborn - Wien - München - Zürich 2002. Gerhard Wettig, Stalins Deutschland-Politik 1 9 4 5 - 1 9 4 9 vor dem Hintergrund seines Vorgehens im Osten Europas, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1 9 4 4 - 1 9 4 9 . Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 1 5 - 4 4 , hier: S. 15f. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 392f. Ebd. Alan Bullock, Emest Bevin. Foreign Secretary. N e w York 1985, S. 132. Vladimir O. Pechatnov. The Allies are Pressing on you to Break your Will ... Foreign Policy Correspondence Between Stalin and Molotov And Other Politburo Members, September 1 9 4 5 - D e c e m b e r 1946. CWIHP. Working Paper No. 26. Washington 1999, S. 2.

Peter

Ruggenthaler

Die Politik der forcierten Sowjetisierung Ostmitteleuropas nach 1945 kann nicht als „Reaktion" auf eine - wie auch immer geartete und interpretierte - Politik der Weltmächte oder „antisowjetische Stimmungen" in bestimmten Ländern interpretiert werden. 12 Sie ist vielmehr im Rahmen der Strategie der Schaffung einer globalen Sicherheitszone rund um die UdSSR zu betrachten. In Europa glückte es der Sowjetunion, den „Ostblock" als Schutzwall (quasi als umgekehrten „cordon sanitaire" zur Zwischenkriegszeit) zu verwirklichen, in Asien musste sie im Falle Japans eine schwere diplomatische Niederlage einstecken. Die USA verweigerten der Sowjetunion eine Teilnahme in der Alliierten Kontrollkommission zu Japan, unterbanden auf diesem Wege eine sowjetische Einflussnahme und sahen die Ausdehnung ihrer eigenen Einflusszone als Beitrag zur nationalen Sicherheit.13 In der Mongolei und auch in China hingegen konnte der sowjetische Einfluss unter Stalin gesichert werden. Die Außenpolitik Stalins ist im Lichte der Fortsetzung der traditionellen russischen Außenpolitik zu sehen. Geopolitische Strategien und die Verfolgung legitimer globaler Sicherheitsinteressen sind keineswegs eine Erfindung des sowjetischen Diktators. Das wesentlichste Kriegsziel Stalins bestand in der dauerhaften Schwächung Deutschlands und seines Machtpotenzials. Die Kreml-Politik zielte darauf ab, alles zu unternehmen, um eine rasche Wiedererstarkung Deutschlands nach 1945 zu verhindern14, Deutschland sollte nachhaltig geschwächt und unschädlich gemacht werden.15 Stalin war sich bewusst, dass Deutschland nicht zerstört werden kann („Die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat werden bleiben").16 Die Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg, als Deutschland politisch und militärisch am Boden lag, und doch innerhalb weniger Jahre derart wiedererstarkte, waren Stalins wichtigster Beweggrund zur Zerstückelung des Deutschen Reichs 17 , wovon schließlich Österreich profitierte, in-

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Mark, Revolution by degrees, S. 41. Gustav Schmidt, Strukturen des „Kalten Krieges" im Wandel, in: Vojtech Mastny - Gustav Schmidt, Konfrontationsmuster des Kalten Krieges 1946 bis 1956. München 2003, S. 3-380, hier: S. 226. Jochen Laufer, Die UdSSR und die Zoneneinteilung Deutschlands (1943/44), in: ZfG. 1995/43, S. 309-331, hier: S. 311. Das Ziel der Schwächung Deutschlands war auch der Hauptgrund für Stalins Entschluss zur Zusammenarbeit mit den Westmächten bei der Errichtung einer Weitfriedensorganisation. Alexej M. Filitov, Österreich, die Deutsche Frage und die sowjetische Diplomatie (40-50er Jahre des 20. Jhs.), in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA. 2003/50, S. 123-132, 261-270, hier: S. 123f. Vgl. auch Lothar Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg. Kriegführung und Politik. München 1975, S. 356. Zur sowjetischen Deutschlandplanung siehe v. a. die Arbeiten von Aleksej Filitov. Stalins Deutschlandplanung und -politik während und nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Boris Meissner - Alfred Eisfeld (Hg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis. Berlin 1999, S. 43-54, und die in der Folge zitierten Werke. Femer: Jochen Laufer, Der Friedensvertrag mit Deutschland als Problem der sowjetischen Außenpolitik. Die StalinNote vom 10. März 1952 im Lichte neuer Quellen, in: VJHZG. 2004/1, S. 99-118, hier: S. 103. Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik, S. 45. Aleksej M ; Filitov, SSSR i germanskij vopros: Povorotnye punkty (1941-1961gg.), in: Ν. I. Egorova - A. O. Cubar'jan (Hg.), Cholodnaja Vojna 1945-1963gg. Istoriceskaja retrospektiva. Sbornik statej. Moskau 2003, S. 223-256, hier: S. 225. Im Sinne der Abtrennung Ostpreußens, Österreichs, nicht aber der Gründung eines zweiten deutschen Staates, der später als DDR entstand. Die Deutschlandplanungen des Kremls während [!] des Zweiten Weltkrieges basierten auf der Berücksichtigung einer weiteren Zusammenarbeit mit den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg und zielten nicht auf eine lange Besatzung Deutschlands oder gar einer

Warum Osterreich nicht sowjetisiert werden sollte dem es unabhängig werden sollte. Es sollte auf keinen Fall in irgendeine Konföderation oder sonstige Staatenzusammenschlüsse integriert werden.18 Von Skandinavien bis Italien sollte keine bedeutende Macht entstehen können.19 Stalins „cordon sanitaire" - Konzeptionen der sowjetischen nationalen Sicherheit Stalins strategisches Sicherheitskonzept für die UdSSR bestand in Europa darin, den als Resultat des Ersten Weltkrieges entstandenen, gegen die Expansionsbestrebungen der Sowjetunion gerichteten „cordon sanitaire" umzukehren 20 und zu seiner uneingeschränkten Einflusssphäre zu verwandeln. Dieser schließlich auch realisierte „cordon sanitaire" bestand in Europa aus drei Sicherheitsgürteln:21 - Polen, Rumänien und Bulgarien (die unmittelbar angrenzende Region) - Ungarn, die Tschechoslowakei, Finnland, Jugoslawien und Albanien (die schon auf Grund der räumlichen Distanz schwieriger unter Kontrolle zu bringen waren) - die DDR. Entsprach der entstandene „cordon sanitaire" aber auch den Wünschen Stalins? Stellte er eine Verwirklichung seiner Minimal- oder sogar Maximalziele dar? Generell war das Ausmaß des Interesses Stalins je nach Größe, Bedeutung und geopolitischem Stellenwert in Europa verschieden. Sein Hauptinteresse galt zweifelsohne Polen, Deutschland und dem Balkan.22 Das Minimalziel war gleichsam die Reconquista verlorener Gebiete des russischen Zarenreiches. 23 Generell erinnert der Aufbau des „cordon sanitaire" an ein im atomaren Zeitalter überholtes, konservatives Konzept geographischen Sicherheits-Denkens eines Militärs, der sein Land gegen einen konventionellen, vor allem mit Panzern geführten Krieg verteidigt.24 In solchen Denkmustern war Öster-

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intensiven Einmischung mit dem Ziel eines Revolutionsexports ab. Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik, S. 49. Filitov, SSSR i germanskij vopros, S. 228f. G. P. Kynin - J. Laufer, SSSR i germanskij vopros. 22 ijunja 1941g.-8 maja 1945. SSSR i germanskij vopros 1941-1949. Bd. 1. Moskau 1996, S. 33, 3 8 , 4 0 . Vgl. u. a. Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 2. Vgl. dazu den Beitrag von Aleksej Filitov in diesem Band. Aleksej Filitov, Raskol poslevoennogo mira: formirovanie bipoljamosti, in: Rossijskaja akademija nauk - Institut vseobscej istorii (Hg.), Cholodnaja vojna 1945-1963gg. Istoriceskaja Retrospektiva. Sbornik statej Moskau 2003, S. 223-256. Mastny, Russia's Road to the Cold War, S. 49-60. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 15. Wettig, Stalins Deutschland-Politik 1945-1949, S. 17, 19, 23. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 391. Im Juni 1946 gab der ehemalige sowjetische Außenminister Stalins, Maksim Litvinov, ein ungeschminktes Interview, in dem er die Strategien des Kremls offen legte und kritisierte. Der NKVD hatte das Gespräch abgehört. Jonathan Haslam, Litvonov, Stalin and the Road Not Taken, in: Gabriel Gorodetsky (Hg.), Soviet Foreign Policy 1917-1991. A Retrospective. London 1994, S. 55-62, hier: S. 60. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 310-313. Litvinov blieb nur durch Zufall am Leben,

Peter Ruggenthaler reich zu irrelevant und lag zudem zu abseits des sowjetischen Interesses25, im Gegensatz etwa zum zweiten „Sonderfall" Finnland, das die gesamte Nordwest-Flanke der UdSSR abdeckt und als einziges Land des „cordons", der sowjetischen Einfluss- und Sicherheitssphäre, nicht sowjetisiert wurde. Österreich war für Stalin, wie auch Deutschland und eventuell Ungarn - wo Stalin von größerem Interesse seitens der USA ausgegangen war - 1945/46 eine „Karte" im Spiel um die Anerkennung des sowjetischen Sicherheitsgürtels, ein Objekt von Handel und Kompromiss, wie es der ehemalige Außenminister Maksim Litvinov26 1946 formulierte.27 Für Deutschland hatte Stalin mehrere Optionen. Spätestens nach der Verkündung des Marshall-Plans und dem Putsch in Prag 1948 hatte er zur Sowjetisierung der sowjetischen Besatzungszone keine Alternative mehr.28 Der realisierte „cordon sanitaire" der Sowjetunion war im Endeffekt mehr als es den Wünschen der Kreml-Führung vor dem Zweiten Weltkrieg entsprach. Nach Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes, der der UdSSR bereits die Kontrolle über die baltischen Staaten, Bessarabien und Ostpolen und damit die deutsche Anerkennung der Grenzen des alten Zarenreiches gebracht hatte, sandte Stalin seinen Außenminister Vjaceslav Molotov im November 1940 nach Berlin, um zu erkunden, welche Einflusssphäre die UdSSR erreichen könnte. Ohne Krieg hatte Stalin nun bereits territorial mehr erreicht als sein Vorgänger Vladimir Lenin. Molotov sollte in Berlin Hitler auf die sowjetischen Interessen an Finnland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Griechenland, Jugoslawien, die Türkei und den Iran hinweisen. Bezüglich Finnland hatte Hitler bereits 1939 seinen Verzicht auf deutschen Einfluss kundgetan. Die Verhandlungen in Berlin waren für Hitler nur mehr taktisches Kalkül, er hatte seine Entscheidung, die Sowjetunion zu überfallen, bereits gefällt.29 Um einen breiten Sicherheitsgürtel ging es Stalin auch 1941, als der britische Außenminister Anthony Eden im Dezember in Moskau weilte, um über eine Kriegsallianz gegen Hitler-Deutschland übereinzukommen. Stalins Forderungen an Eden kamen einer Forderung nach Anerkennung der im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts gewonnenen territorialen Ausweitung der Ostgrenze der UdSSR gleich. Stalin ging es jedoch nicht nur um einen „cordon sanitaire" für die Sowjetunion in Osteuropa, sondern auch um ein Pendant für Großbritannien in Westeuropa (von Norwegen bis Gibraltar). Eine gesellschaftspolitische Umgestaltung der Staaten, die der sowjetischen Sicherheitszone zugeordnet wurden, wurde nicht diskutiert. Oberste Priorität maß Stalin einer stabilen Herrschaft im

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sagte Molotov später. Auf Grund familiärer Tragödien, die Litvinov widerfuhren, dürfte Stalin von einer Liquidierung abgesehen haben, weil der Tod einer Erlösung gleichgekommen wäre. Stalin sah es als größere Strafe an, Litvinov leben zu lassen. Ol'ga Pavlenko, Moskau, danke ich an dieser Stelle für diesen Hinweis. Zu Molotovs feindlicher Einstellung zu Litvinov siehe Cuev, Molotov, S. 131-135. Wettig, Stalins Deutschland-Politik 1945-1949. Zu Litvinovs ambivalentem Verhältnis zu Stalin und seiner Rivalität zu Molotov siehe Haslam, Litvonov, Stalin and the Road Not Taken. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 317. Schmidt, Strukturen des „Kalten Krieges" im Wandel, S. 236. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 77, 86f. Zu den Verhandlungen in Berlin siehe Jens Hacker, Der Ostblock. Entstehung, Entwicklung und Struktur 1939-1980. Baden-Baden 1983, S. 27-30.

Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte eigenen Machtbereich bei. Eine Umwälzung der Regime war keine unbedingte Voraussetzung, solange die Loyalität der abhängigen Gebiete und ihrer Bevölkerung gesichert werden konnte. Stalin forderte bei den Briten die sowjetische Westgrenze von 1941 ein (also kein dezidierter Anspruch auf Finnland). Die Bildung eines umgekehrten „cordon sanitaire" sollte der UdSSR zum Schutz vor imperialistischer Expansion und Infiltration im Mittelpunkt des sowjetischen Interesses in Osteuropa dienen. Betrachtet man die Genese des „cordons" genauer, ist erkennbar, dass der erste „Gürtel" mit Zustimmung der Alliierten in Jalta entstand - nicht gemeint ist das oktroyierte Gesellschaftssystem - und den alten Wünschen Stalins entsprach. Churchill war wegen Polen in den Krieg gezogen und musste es in Jalta endgültig den Sowjets überlassen (Roosevelt wünschte keine Verärgerung Stalins, er benötigte ihn gegen Japan). 30 Rumänien und Bulgarien waren bereits früher auf „diplomatischem" Weg von zunächst sowjetischen „Operationszonen" zu sowjetischen Einflusszonen geworden. Im Mai und Juni 1944 kam der britische Außenminister Eden in Verhandlungen mit dem sowjetischen Botschafter in London, Fedor Gusev, überein (vorbehaltlich der amerikanischen Zustimmung), dass Rumänien und Bulgarien in die sowjetische, Griechenland und Jugoslawien in die britische „Operationszone" fallen sollten.31 Mitte Juli 1944 erkannten schließlich die Amerikaner die Übereinkunft für vorläufig drei Monate an. Briten und Sowjets hielten sich in der Folge an die Absprache. Der Vorschlag der Waffenstillstandsemissäre aus Rumänien und Bulgarien, angloamerikanische Truppen als Gegengewicht gegen die Rote Armee in ihre Länder zu verlegen, wurde von den Briten sogar abgelehnt! Nach Ablauf der Dreimonatefrist hatte die Rote Armee jedoch Rumänien und Bulgarien bereits militärisch besetzt und war im Begriff, nach Ungarn vorzustoßen. Das abseits gelegene Österreich kam im strategischen Sicherheitsdenken der Planungen des Kremls während des Zweiten Weltkrieges nicht vor: seinen Platz sah man in einem neutralisierten Europa zwischen dem sowjetischen und britischen Block (mit einem längerfristigen Engagement der Amerikaner rechnete die sowjetische Führung bei Kriegsende nicht, dies war auch nicht absehbar). Das Vorgehen Stalins in Mittelost- und Osteuropa in der Nachkriegszeit war jedoch komplex und folgte im beginnenden Kalten

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Mastny, Russia's Road to the Cold War, S. 252. Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg, S. 359; O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 189, 226. Stalin wagte es nicht, das militärische Vakuum nach Rückzug der Deutschen Wehrmacht aus Griechenland auszunutzen, auch wenn es vor allem von den griechischen Kommunisten erwartet und erwünscht worden war. Stalin: „Sie haben sich darauf verlassen, dass die Rote Armee bis zur Ägäis vordringen wird. Das werden wir nicht tun. Die Griechen haben eine Dummheit gemacht." O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 219. Für Stalin war das „Prozentabkommen" das oberste Credo der Vereinbarungen mit den Briten. Griechenland brauchte er schlicht nicht in seinen strategischen Planungen: „Die Engländer haben sich gewundert, als sie gesehen haben, dass die Rote Armee nicht in Griechenland einmarschiert ist. Sie können eine Strategie nicht begreifen, die Armeebewegungen nach auseinanderlaufenden Linien nicht zulässt. Die Strategie der Roten Armee basiert auf der Bewegung nach aufeinander zulaufenden Linien." Stalin hatte für sein Verhalten gegenüber Griechenland auf reziproke Nichteinmischung der Briten und Amerikaner in Rumänien und Bulgarien gehofft. Ebd., S. 278 u. 298. Auch Molotov äußerte sich in dieser Frage gleich. Die Übereinkunft mit den Briten bestimmte die sowjetische Griechenland-Politik. Cuev, Molotov, S. 126. Molotov zu Cuev, 18.8. u. 7.12.1976.

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Krieg keiner Leitlinie. Sein Vorgehen war zwar von den Prämissen der kommunistischen Ideologie gekennzeichnet, kam jedoch in zunehmenden Maße einem Ausloten der „Schmerzgrenze" der Westmächte gleich. Die selten vorhersehbare Entwicklung in den jeweiligen Ländern führte zu einer opportunistischen Ad-hoc-Politik zwischen Plan und Zufall, der schließlich die Einbeziehung der oben angeführten Länder des „zweiten Gürtels", v. a. Ungarns und der Tschechoslowakei, zugrunde lag.32 Im berühmten „Prozentabkommen" zwischen Churchill und Stalin wurde der hegemoniale Einfluss der UdSSR auf Rumänien und Bulgarien abgesegnet. Vom 9. bis 20. Oktober 1944 weilten Churchill und sein Außenminister Eden in Moskau. Nun wurden die Operationszonen zu Einflusssphären: Sowjets in Rumänien 90 Prozent, in Bulgarien 75 Prozent, Briten in Griechenland 90 Prozent, in Jugoslawien und Ungarn je 50 Prozent.33 In der polnischen Frage kam man nicht weiter. Churchill bezeichnete diese Verhandlungen später in seinen Memoiren als „zeitweiligen Leitfaden für die nächste Nachkriegszeit" 34 und gestand nach der immer brutaler werdenden Sowjetisierung in Rumänien ein, dass das „Prozentabkommen" stärkeren Wert als alles hatte, was später in Jalta abgesprochen wurde.35 Der amerikanische Präsident Roosevelt war bereit, anglosowjetische Absprachen zu akzeptieren. Roosevelt hatte sich bereits 1943 ausdrücklich dafür ausgesprochen, Österreich (wie auch Ungarn und Kroatien) in Zukunft dem sowjetischen Machtbereich zuzuzählen und keine Opposition gegen eine kommunistisch beherrschte österreichische Regierung einnehmen zu wollen. 36 Erst kurz vor seinem Tod im April 1945 gestand er - nach der Vorgehensweise Stalins in Polen und Rumänien - ein, dass man mit Stalin „keine Geschäfte" machen könne, er habe alle Vereinbarungen von Jalta gebrochen. 37 32 33 34

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Dietmar Wulff, Rez. „Donal O'Sullivan: Stalins ,Cordon Sanitaire' Die sowjetische Osteuropapolitik und die Reaktionen des Westens 1939-1949", in: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen. Hacker, Der Ostblock, S. 147f. Winston S. Churchill, Der Zweite Weltkrieg. Mit einem Epilog über die Nachkriegsjahre. 3. Aufl. Bern - München - Wien 1985, S. 989f. Vgl. Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg, S. 367; O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 214-217. Stalin sah die mit Churchill vereinbarten Einflusssphären im „Prozentabkommen" auch für die USA als bindend an. Vgl. seine diesbezügliche Äußerung in Potsdam, O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 297. „Wir waren in unseren Protesten eingeschränkt, weil Eden und ich während unseres Besuches in Moskau im Oktober anerkannt hatten, dass Russland eine vorherrschende Stimme in Rumänien und Bulgarien haben sollte, während wir in Griechenland führend sein sollten. Stalin hatte sich bei den sechswöchigen Kämpfen gegen die Kommunisten und ELAS in Athen strikt an diese Übereinkunft gehalten, obwohl das alles sehr unangenehm für ihn und seine Umgebung war. [...] Er hatte die Prinzipien von Jalta unterschrieben, und jetzt wurden sie in Rumänien mit Füßen getreten. Aber wenn ich ihn unter Druck gesetzt hätte, hätte er sagen können: ,Ich habe mich nicht in Ihre Aktion in Griechenland eingemischt, warum geben Sie mir nicht den gleichen Spielraum in Rumänien?'" O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 258f. Nachträgliche Rechtfertigungen Churchills, bei der „Prozent-Absprache" habe es sich nur um eine vorläufige Abmachung gehalten, widerlegt O'Sullivan. Ebd., S. 254f. London war sich sehr bald nach Jalta bewusst, dass die dort gefassten Beschlüsse nicht umzusetzen waren und sie für vorerst gute Beziehungen zum Kreml zu opfern waren. Jalta war zu einem Lippenbekenntnis ohne großen Wert geworden. Ebd., S. 287, 298. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 16. Zu den amerikanischen Österreich-Planungen während des Zweiten Weltkrieges siehe v. a. Günter Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation: Austria in International Politics 1940-1950. Phil. Diss. Cambridge/Mass. 1989, S. 14-25. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 241.

Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte Bis dahin hatte sich im Kreml die Meinung gefestigt, man könne durch immer mehr Forderungen immer mehr bei den Westmächten erreichen. 38 Zudem war Stalin davon ausgegangen, dass die USA ihre Truppen nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus Europa abziehen - wie von Roosevelt gegenüber Stalin in Jalta verlautbart - und sich nicht am Kontinent engagieren werden. 39 Roosevelt starb zu dem Zeitpunkt, als die Rote Armee kurz vor der Einnahme Wiens stand und Stalin bereits seinen anscheinend idealen Kandidaten zur Bildung einer „nationalen Volksfront" für Österreich, Karl Renner, parat hatte. Nun aber war die neue amerikanische Administration nicht mehr bereit, das bereits offensichtlich gewordene Schema der Implementierung und des langsamen Aufbaus einer kommunistischen Regierung hinzunehmen. Starb Roosevelt zu einem für das Schicksal Nachkriegsösterreichs günstigen Zeitpunkt oder wäre er selbst in dieser Frage auf Konfrontationskurs mit Stalin gegangen? Der amerikanische Botschafter in Moskau, George Kennan, warnte schließlich eindeutig seine Regierung in Washington und unterstrich die Parallelen des sowjetischen Vorgehens in Rumänien und Bulgarien mit jenem in Wien mit Renner. 40 Die siegreich vorstoßende Rote Armee schuf vollendete Tatsachen. Die prozentuelle Einteilung des Einflusses in Bulgarien und Rumänien hatte bereits in Jalta keine Bedeutung mehr. Die Balkanländer waren zur Gänze in Stalins Hände gefallen. Der neue amerikanische Präsident Harry Truman schlug nun eine Politik der Stärke und Entschlossenheit gegenüber dem Kreml ein, zu einem für Österreich nahezu idealen Zeitpunkt. Auch die Briten mussten nun die von der Roten Armee gesetzten Tatsachen in Mitteleuropa anerkennen und realisierten, dass in Europa ein „Eiserner Vorhang" von der Ostsee bis zur Adria gezogen wurde, hinter dem sowjetische Marionettenregierungen eingesetzt wurden. Molotov hatte vorausgesetzt, dass sich die Westmächte in den von der Roten Armee okkupierten Ländern nicht einmischen würden, so wie sich auch die Sowjetunion nicht zu den Regierungsbildungen in Belgien, Frankreich, Griechenland usw. alterierte.41 Im Falle Österreichs stieß der Kreml Ende April 1945 erstmals nach dem Tod Roosevelts auf vehementen Widerstand, eine Gegenwehr, mit der sich der Sowjetdiktator jedoch abfinden konnte. 42 Österreich war 1945 für Stalin ein „Objekt von Handel und Kompromiss". 43 Nach Kriegsende soll sich Stalin mit den Westgrenzen der UdSSR zufrie38 39 40

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Ebd., S. 302, 398. Schmidt, Strukturen des „Kalten Krieges" im Wandel, S. 221, 230. Pechatnov, The Allies are Pressing on you to Break your Will . . . , S. 5. Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Graz - Wien - Köln 1995, S. 73f. George Kennan hatte bereits im September 1944 in seinem berühmten „long telegram" Stalins Vorgehensweise (ideologische Prägung, geduldiges Abwarten, Ausnutzen günstiger Gelegenheiten) durchschaut. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 233f. Stalin soll sich nach Kriegsende zum Verlauf der sowjetischen Westgrenze zufrieden geäußert haben. Albert Resis (Hg.), Molotov remembers, S. 8. Siehe dazu weiter unten. Bereits in seinem Memorandum v o m Jänner 1945 hatte Litvinov Österreich in einer „neutralisierten Zone" in Europa gesehen, die von Dänemark bis Italien reichen sollte. Österreich befand sich damit außerhalb der maximalen Interessenzone der Sowjetunion, die sogar Schweden und Norwegen, wenn auch als Gegenstand des „Handels und Kompromisses" mit den Briten, umfassen sollte. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 235. Zur Bewertung des LitvinovMemorandums siehe Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik, S. 4 9 f .

Peter Ruggenthaler den gezeigt haben, auch wenn laut Molotov die sowjetische Nachkriegspolitik einer Sicherung dessen, was die Rote Armee im Krieg erkämpft hatte, gleichkam.44 Österreich wurde beim „Prozentabkommen" zwischen Stalin und Churchill bekanntermaßen nicht erwähnt45, dennoch kann es für die Folgezeit nicht als endgültiger Beweis dafür herangezogen werden, dass Österreich möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt nicht doch in den sowjetischen Machtbereich integriert hätte werden sollen. Stalin neigte zu einseitigem Ad-hoc-Vorgehen, allerdings nur solange, als er nicht auf energischen Widerstand der Westmächte stieß.46 Seine Politik war widersprüchlich. Auf die Frage, warum der Kreml Israel [!] nicht sozialistisch gemacht habe, setzte Molotov Österreich auf eine Ebene mit Israel und Finnland: „Warum denn? Nu-u-u-n! Dann hätten wir mit England kämpfen müssen. Und mit Amerika ... Sie sagen, und warum haben wir es in Finnland nicht gemacht, das ist eine einfachere Sache. Ich denke, wir sind richtig aufgetreten. Man kann eine gewisse Grenze überschreiten und wir hätten uns in ein vollkommen neues Abenteuer begeben. In ein Abenteuer. Wir haben Österreich selbst abgetreten."47 Die Errichtung von nationalen „Volksfronten" als Instrument der sowjetischen Politik - ein theoretischer Generalplan für Europa Die Politik des Kremls zielte bereits Anfang der 1940er Jahre darauf ab, dass die kommunistischen Parteien in den sowjetisch besetzten Gebieten zunächst auf demokratischer Basis tätig sein sollten. Mit kräftiger Unterstützung der Roten Armee sollte die „nationale Volksfrontstrategie" von den örtlichen kommunistischen Parteien folgendermaßen umgesetzt werden: Schaffung von „Volksfronten" (unter Ausschluss aller rechtsextremen Kräfte); Betonung des Nationalismus; moderate, „nicht-revolutionäre" sozioökonomische Reformen; (zumindest vorerst) Respekt vor der „bürgerlichen Demokratie"; Garantieren effektiven Regierens unter Führung der Kommunisten; Festhalten am Bündnis mit den USA und Großbritannien. Durch pseudodemokratische Rahmenbedingungen sollten breite Schichten der Bevölkerung angesprochen und mit der Zeit gewonnen werden. Durch taktisches Manövrieren (offizielles Bekenntnis zu einer Demokratie) versprach man sich vor allem, aufkommenden Widerstand der Westmächte möglichst lange abzufedern und hinauszuzögern.48 Stalin war sich darüber im Klaren, dass er bei der „Volksfrontstrategie" in Europa von einer „Wertekollision" ausgehen musste. Der Kreml-Chef sah seine Politik und den 44 45

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Cuev, Molotov remembers, S. 86. Günter Bischof, Die Planung und Politik der Alliierten 1940-1954, in: Rolf Steininger - Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Vom Weltkrieg bis zur Gegenwart. Bd. 2. Wien - Köln - Weimar 1997, S. 107-146, hier: S. 112. Schmidt, Strukturen des „Kalten Krieges" im Wandel, S. 228. Cuev, Molotov. Molotov zu Cuev, 4.10.1972. Mark, Revolution by Degrees, S. 17-20; Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker, Das Problem der Gleichschaltung osteuropäischer Parteien im Vergleich. Eine Synthese, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949. Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 419^134, hier: S. 422. Wettig, Stalins Deutschland-Politik 1945-1949, S. 29.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert werden sollte Vormarsch der Roten Armee von Anfang an im Einklang mit der „Weltrevolution"; 49 er wusste aber, dass der Kommunismusexport nach Europa auf rein militärischer Basis nicht zu bewerkstelligen war. Stalin ging es zeitweise um die Ausweitung des Kommunismus auf einen möglichst großen Teil Europas (zumindest all jene Länder, die am Ende der Krieges ganz oder teilweise von der Roten Armee besetzt werden würden). Vor allem bei und nach Kriegsende (die Sowjetunion war im wahrsten Sinne des Wortes ausgeblutet) mussten bei Stalin jedoch realpolitische Vorstellungen in den Vordergrund treten und internationale Verpflichtungen gegenüber den Alliierten bedingt berücksichtigt werden. Revolutionäre Vorgehensweisen bremste Stalin ein, vor allem in Italien und Frankreich, aber auch in Österreich im Oktober 1950. Die französischen und italienischen Genossen sollten in erster Linie die sowjetische Außenpolitik unterstützen und nicht um jeden Preis den Kommunismus in ihrer Heimat einführen. 50 Nicht außer Acht zu lassen sind bei den theoretischen Konzeptionen der „Volksfront"-Strategie die von Stalin eingesetzten Planungskommissionen (v. a. Majskij-Kommission) 51 , die alles in beträchtlichem Maße durch die ideologische Brille und den Weg zum Kommunismus quasi als evolutionäre Entwicklung der Menschheit sahen. Die Erwartungshaltung war insbesondere in den von Hitler-Deutschland besetzten Gebieten groß, der Kommunismus würde sich nach dem erlittenen Kriegsleid auf demokratische Weise durchsetzen, sozusagen infolge eines natürlichen Gesetzes. Die theoretischen Überlegungen zur Verbreitung des Kommunismus in Europa nach 1945 galten jedoch nicht nur den von der Roten Armee zu besetzenden Ländern. Gegenüber Westeuropa musste die Vorgehensweise der sowjetischen Politik freilich modifiziert werden. Westeuropa lag außerhalb der Reichweite der Roten Armee, die, wie in Osteuropa, die kommunistischen Parteien und den sowjetischen Einfluss förderte und unterstützte. 52 Es muss an dieser Stelle jedoch auch darauf verwiesen werden, dass die Rote Armee nicht der entscheidende Faktor in der Phase der Einführung kommunistischer Diktaturen war (siehe Machtübernahme in der Tschechoslowakei 1948). In Jugoslawien und Albanien spielte der Faktor Rote Armee auf dem Weg zur Selbst-„Sowjetisierung" überhaupt keine Rolle, die einheimischen Kommunisten hatten die Macht selbst übernommen. In vielen Ländern schien die Strategie der Bildung nationaler „Volksfronten" aufzugehen. So in Frankreich, wo die Kommunisten bei den Wahlen am 21. Oktober 1945 26,2 Prozent der Stimmen erhielten (Sozialisten: 23,8 Prozent; im Jänner 1946 verließ de Gaulle die Regierung). Die KPF konnte 1946 eine Million Parteimitglieder melden, die Schwesterpartei in Italien 1,7 Millionen (Ende 1945).53 Im Sinne der „Nationalen 49 50

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Mark, Revolution by Degrees, S. 41. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 309. Im Mai 1947 musste die KPF die französische Regierung auf Geheiß Moskaus verlassen. Sie wurde zu diesem Schritt gezwungen, um die „Verbindung zu den Massen zu erhalten." Grant Μ. Adibekov, Das Kominform und Stalins Neuordnung Europas. Zeitgeschichte - Kommunismus - Stalinismus. Materialien und Forschungen. Bd. 1. Frankfurt a. M. u.a. 2002, S. 19. Siehe dazu genauer weiter unten. Mark, Revolution by Degrees, S. 33. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 305, 308.

Peter Ruggenthaler Volksfront" sollte eine breite Front der linken Kräfte entstehen, die sich nach dem Krieg von selbst bilden würde (darauf liefen die theoretischen Überlegungen der MajskijKommission hinaus). Zunächst aber sollte unbedingt an Drittelparitäten der antifaschistischen Parteien (Konservative, Sozialisten, Kommunisten) festgehalten werden. 1945 war ein Export des Kommunismus nicht auf brutale Weise geplant54, wie er dann später umgesetzt wurde. Es gibt lediglich einen Hinweis darauf, dass Österreich friedlich zum Sozialismus bekehrt werden sollte. Andrej Zdanov (im ZK für Agenden der Außenpolitik zuständig, später Vorsitzender der Alliierten, de facto sowjetischen, Kontrollkommission in Finnland) nannte Österreich 1944 in einer Reihe mit der Tschechoslowakei und Ungarn. 55 In keinem von der Roten Armee besetzten Land konnten die künstlich kreierten nationalen „Volksfronten" breite Unterstützung in der Bevölkerung erlangen, die es schlussendlich den Kommunisten ermöglicht hätte, die Regierungsmacht auf demokratischem Wege an sich zu reißen. Die Anwendung diktatorischer Methoden war aus der Sicht des Kremls ab 1947 unausweichlich. Die Zielsetzung des theoretischen Generalplans des Revolutionsexports nach Europa auf friedliche Weise stellte für Stalin in erster Linie die Schaffung eines Sicherheitskonzeptes für die UdSSR dar. Ivan Majskij sah 1944 in den theoretischen Konzeptionen zur Schaffung nationaler „Volksfronten" ein Mittel, auf diese Weise in Europa für 30 bis 50 Jahre den Frieden zu sichern. Stalin selbst sah die Einführung des Kommunismus in Deutschland als zweitrangig an.56 Stalins Deutschland-Politik war die Suche nach einem sicherheitspolitischen Konzept, das der UdSSR garantierte, für längere Zeit von Deutschland nicht mehr angegriffen werden zu können. Die Einführung des Kommunismus in Deutschland sah Majskij als „Zukunftsmusik" an.57 Die schlussendlich vollzogene Teilung Deutschlands und die Etablierung eines deutschen kommunistischen Staates stand für Stalin nicht von Anfang an fest. Teilungspläne für Deutschland gab es, sie waren jedoch eher Taktik als Strategie.58 54 55

Mastny, The Cold War and Soviet Insecurity, S. 21. RGASPI, F. 77, op. 3, d. 174, S. 3. Zit nach: Τ. V. Volokitina, Stalin i smena straticeskogo kursa Kremlja ν konce 40-ch godov: ot kompromissov k konfrontacii, in: Aleksandr Cubar'jan (Hg.), Stalinskoe desjatiletie cholodnoj vojny. Fakty i gipotezy. Moskau 1999, S. 10-22, hier: S. 13. Meines Erachtens handelt es sich jedoch nicht um eine „wichtige Klarstellung der während des Krieges entwickelten und wohl auch bei Kriegsende gültigen sowjetischen Zukunftsvorstellungen von Österreich" (vgl. Wolfgang Mueller, Sowjetbesatzung, Nationale Front und der „friedliche Übergang" zum Sozialismus: Fragmente sowjetischer Österreich-Planung 1945-1955, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA. 2003/50, S. 139f.), sondern eher um den Ausdruck einer Wunschvorstellung. Im Falle Ungarns hatte Stalin mit erheblichem Interesse seitens der Westmächte für das Land gerechnet. Sein Handeln basierte lange Zeit auf den Vereinbarungen des „Prozentabkommens" (in Ungarn 50-50%Einfluss zugunsten der UdSSR und Großbritanniens). Das zudem nicht slawische Ungarn war für Stalin zunächst nicht um jeden Preis erstrebenswert. Die Einführung des Kommunismus in der Tschechoslowakei war der „Prototyp" des friedlichen Vormarsches des Kommunismus in Europa. Zudem stand 1944 bereits fest, dass Österreich im Gegensatz zur CSR und Ungarn vierfach besetzt werden würde.

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Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik, S. 45. Laufer, Die UdSSR und die Zoneneinteilung Deutschlands, S. 318. Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik, S. 49f. Filitov widerlegt damit eindrucksvoll die von Kynin und Laufer aufgestellte These, „eine staatliche Teilung Deutschlands" ließe sich seit 1941 nachwei-

Warum Osterreich nicht sowjetisiert

werden sollte

Generell muss man die Entwicklungen im Rahmen eines für die Sowjetunion langfristigen Konzeptes sehen, auf der Basis der Idee, dass sich der Kommunismus durchsetzen wird und die Kommunisten nur gefördert werden müssen, militärische Druckmittel sollten nicht nötig sein. Im Falle Österreichs zog sich dieses Konzept wie ein roter Faden durch die Politik der sowjetischen Besatzungsmacht, zumindest bis zu den Wahlen im November 1945, die die Theoretiker im Kreml nach dem Wahldesaster der KPÖ eines Besseren belehrte. Moskau hielt sich in Bezug auf Österreich stets an die internationalen Vereinbarungen, die es für Deutschland in so vielen Fragen nicht gab.

Die Wiederherstellung Österreichs als sowjetisches Kriegsziel Die Verfolgung einer Politik der Schwächung Deutschlands war im Endeffekt ein Garant für die Wiedererrichtung Österreichs. Die UdSSR hatte bekanntlich 1938 als einer der wenigen Staaten der Welt vor dem Völkerbund in Genf gegen den „Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich protestiert. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 wurde über Österreich freilich geschwiegen. Die Einverleibung Österreichs wurde von Stalin als ein weiterer Schritt im „Sammeln deutscher Länder" gesehen. 59 Aber dennoch: Im Oktober 1940, noch vor dem Besuch Molotovs in Berlin, der die unnatürlichen deutsch-sowjetischen Beziehungen versteifen ließ, bezeichnete die Komintern-Zentrale in Moskau in einer Anweisung an die KPÖ die deutsche Politik als imperialistisch und kolonialistisch. Der Nationalsozialismus habe halb Europa besetzt und beute es für seine kolonialen Ziele rücksichtslos aus. 60

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sen und sei eine „Grundkonstante der Nachkriegsplanung" des sowjetischen Außenministeriums bis 1945 gewesen. Siehe dazu Kynin - Laufer, SSSR i germanskij vopros 1941-1949. Bd. 1, S. 33, 38 u. 40. So Stalin in einer Rede am 6.11.1941. Laufer, Der Friedens vertrag mit Deutschland, S. 103f. Vgl. dazu den Beitrag von Aleksej Filitov, Sowjetische Planungen zur Wiedererrichtung Österreichs 1941-1945, in diesem Band. Μ. M. Narinskij, Sovetskaja vnesnjaja politika i Komintern. 1939-1941, in: A. O. Cubarjan (Hg.), Vojna i Politika 1939-1941. Moskau 1999, S. 38-49, hier: S. 43. Narinsky, Soviet Foreign Policy and the Origins of the Cold War, in: Gabriel Gorodetsky (Hg.), Soviet Foreign Policy 1917-1991. A Retrospective. London - Portland 1994, S. 43. Ende 1943 war die Komintern lediglich aus Rücksicht auf die Alliierten offiziell aufgelöst worden. Nach einem Beschluss der VKP(b) im Jänner 1944 wurden ihre Agenden der Abteilung für Auslandsinformation des ZK der VKP(b), Ende Dezember 1945 umbenannt in Abteilung für Außenpolitik, übertragen. Sie hatte fortan die Funktion eines „Parteikontrolleurs". Im April 1946 wurden ihre Aufgaben folgendermaßen definiert: Einmischung in 1. Sovinformbüro, 2. TASS, 3. Auslandsabteilung des Rundfunks, 4. Gesellschaft für kulturelle Verbindungen, 5. Gewerkschaften, 6. Allslawisches Komitee, 7. antifaschistische Komitees, 8. Vereinigung „Das internationale Buch", 9. Verwaltung für Propaganda bei der SMAD, 10. Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich. Die Leiter dieser Einrichtungen hatten auf den Sitzungen der Abteilung in Moskau regelmäßig Rechenschaft zu legen. Fast ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatte die sowjetische Führung die ideologische Ausrichtung des außenpolitischen Kurses der Sowjetunion korrigiert. Neu hinzu kam die „operative Arbeit": Beobachtung der aus der UdSSR verbreiteten Propaganda, Verallgemeinerung und Übermittlung von Erfahrungen ausländischer kommunistischer Parteien, Untersuchung der im Ausland arbeitenden sowjetischen Kader, Information über die Kommentierung der politischen Situation und Übergabe von Devisen an Führungspersonen kommunistischer Parteien. Als Hauptaufgabe der Abteilung für Außenpolitik bezeichnet der russische Historiker Grant Adibekov die Sicherung des „reibungslosen Aufbaus eines Sozialismus nach sowjetischem Muster in den osteuropäischen Ländern". Ideologisch sollten die

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Ende 1941, die Deutsche Wehrmacht und ihre Verbündeten waren vor den Toren Moskaus angelangt, stand für Stalin fest, dass Österreich als Staat wieder entstehen sollte. Die Abtrennung Österreichs vom Deutschen Reich stand spätestens seit Dezember 1941 fest. Das erste Zeugnis zu den Österreich-Planungen findet sich in einem Schreiben Molotovs an Majskij vom 21. November 1941, demzufolge Stalin daran „denke, Österreich als selbstständigen Staat von Deutschland abzutrennen".61 In allen drei sowjetischen Planungskommissionen (Majskij-, Vorosilov- und Litvinov-Kommission) des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten (NKID) wurden schließlich auch derartige Ausarbeitungen vorgelegt. 62 Was Österreich betrifft, waren spätestens seit Dezember 1941 zwei Grundziele der Sowjetunion manifest: Österreich sollte ein unabhängiger Staat werden, was ein umfassendes Beuterecht beinhaltete (basierend auf dem „Anschluss"), und Österreich wurde als Peripherie in der sich ankündigenden geostrategischen Auseinandersetzung gesehen. 63 Einen Monat später kam der britische Außenminister Eden über ein militärisches Bündnis nach Moskau zu Verhandlungen. Dabei bekräftigte Stalin gegenüber Eden eindeutig: „Österreich soll als unabhängiger Staat wiederhergestellt werden." Eden bekräftigte, dass die britische Regierung „unter allen Umständen für die Unabhängigkeit Österreichs" eintrete.

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Satelliten „so gut wie möglich an den sowjetischen Karren" gekettet werden. Adibekov, Das Kominform und Stalins Neuordnung Europas, S. 44-46, 328. Vladimir V. Sokolov, Sowjetische Österreichpolitik 1943/45, in: Manfried Rauchensteiner-Wolfgang Etschmann (Hg.), Österreich 1945. Ein Ende und viele Anfänge. Graz - Wien - Köln 1997, S. 73-88, hier: S. 74. AVP RF, F. 059, op. 1, p. 354, d. 2412, S. 21-24. Laufer, Die UdSSR und die Zoneneinteilung Deutschlands, S. 312. Abgedruckt in: Kynin - Laufer, SSSR i germanskij vopros 1941-1949, S. 118f., und in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 1. Laufer, Der Friedensvertrag mit Deutschland, S. 104. Das Schreiben Molotovs war eine „Richtigstellung" der „falsch" verstandenen Rede Stalins vom 6.11.1941, in der er den „Anschluss" Österreichs als Ausdruck der nationalistischen Politik Deutschlands bezeichnete und ihm Legitimität implizierte. Mastny, Russia's Road to the Cold War, S. 52. Ihr politisches Gewicht und ihr Einfluss auf die sowjetische Außenpolitik sind bis heute nur schwer abzuschätzen. Die intensiven Forschungen des russischen Historikers Aleksej Filitov zeigen auf, dass die strategischen Planungen nur selten im Einklang mit Stalins oder Molotovs Linie standen. Vgl. Filitov, SSSR i germanskij vopros, S. 225f., u. Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik. Während die Litvinov-Kommission für Stalin eher „taktische Sandkastenspiele" (ebd., S. 52) vorbereitete, hatte die Vorosilov-Kommission den stärksten Einfluss auf die interalliierte Diplomatie. Viele Arbeitspapiere dienten als Vorlage der sowjetischen Vertreter der EAC (ebd., S. 49). Auch die Gedankengänge der Litvinov-Kommission waren nicht ausschlaggebend für die sowjetische Politik (ebd., S. 50). Der sowjetische Chefdiplomat und Deutschland-Berater, Vladimir Semenev, berichtet in seinen Erinnerungen, dass die Ergebnisse der strategischen Planungen dem sowjetischen Stab in Deutschland, der sich mit den operativen Fragen beschäftigte, überhaupt nicht bekannt waren. Der „Chefdiplomat" bei der SMAD war nicht einmal über die Beschlüsse der Europäischen Beratenden Kommission in London informiert. Lediglich bei den sowjetischen Reparationsforderungen wurden Vorarbeiten der Majskij-Kommission verwendet, die schließlich auf der Konferenz in Jalta vorgelegt wurden. Jan Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949. Struktur und Funktion. Quellen und Darstellungen zurZeitgeschichte. Bd. 44. Berlin 1999, S. 43f. Überblick über die Kommissionen bei Kynin - Laufer, SSSR i germanskij vopros 1941-1949. Bd. 1, S. 44. Mit zahlreichen Dokumenten aus den Kommissionsarbeiten. Oliver Rathkolb, Sonderfall Österreich? Ein peripherer Kleinstaat in der sowjetischen Nachkriegsstrategie 1945-1947, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944—1949. Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 353-373, hier: S. 356f.

Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte Ab 1943 waren mehr oder weniger auch die Grenzen festgelegt: Österreich sollte territorial in der Form wieder entstehen, wie es 1937 bestanden hatte. Auch wenn in der Zeit danach über mögliche Grenzziehungen spekuliert wurde, standen sie nie ernsthaft zur Debatte und waren eher Verhandlungspoker. Die von sowjetischen Diplomaten der Litvinov-Kommission 54 mehrmals angedachte Rückgabe Südtirols an Österreich 65 muss wohl im selben Licht gesehen werden, wie die Diskussion um die Kärntner Südgrenze. Die italienische KP hatte wegen Südtirol rechtzeitig von ihrer Warte aus bei Stalin erfolgreich interveniert. Der Bruch zwischen Stalin und Tito machte letzte Spekulationen um eine Grenzänderung im Süden zunichte. Die Sowjetunion hatte jedoch intern ohnehin niemals mit Vehemenz die jugoslawischen Forderungen vertreten. 66 Molotov lehnte erstmals im Juni 1943 die britischen Konföderationsvorschläge, die sich noch in Planung befanden, ab. Nach dem britischen Vorschlag sollte Österreich zwar unabhängig werden, aber in der Folge in eine große Donau-Konföderation eingebunden werden, da es allein nicht lebensfähig sei. Im Oktober 1943 wurden die britischen Vorschläge von der UdSSR zur Kenntnis genommen, eine offizielle Reaktion blieb jedoch aus. Auf Inhalte wurde nicht eingegangen, alles Weitere sollte auf der Konferenz besprochen werden, verlautbarte Molotov. Intern aber beschäftigte sich die Litvinov-Kommission mit den britischen Vorschlägen. Am 8. Oktober 1943 legte sie ein Memorandum an Molotov vor. Darin war davon die Rede, dass Österreich „berechtigte Ansprüche" auf Passau und Berchtesgaden hätte. Auch könnte Südtirol zurückgegeben werden, „doch ist dies mit der Frage der Behandlung Italiens verbunden". 67 Die britischen Pläne einer Konföderation wurden abgelehnt: „Eine solche Zusammensetzung der Föderation muss uns zwingen, auf der Hut zu sein, weil es ganz bestimmt ist, dass die Föderation mit einem solchen Kern leicht gegen unsere Interessen benutzt werden könnte. Eine solche Föderation wird ständig die Tschechoslowakei bedrohen, da die Mehrheit der Mitglieder dieser Föderation (Ungarn, Österreich) territoriale Ansprüche auf sie erhebt. [...] Unseren Vorzug müssen wirdeshalb dem Entwurf der Wiederherstellung eines selbstständigen und unabhängigen Österreich geben." 68 Dazu wird die wirtschaftliche Lebensfähigkeit Österreichs (Erfahrung der Zwischenkriegszeit) bestätigt. 69 In der als „Moskauer Deklaration" 70 in die österreichische Geschichte eingegangenen Bekanntma64 65 66

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Zum Stellenwert der Litvinov-Kommission siehe Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik, S. 4 3 - 5 4 , hier insbes. S. 52. Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 18. Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 360. Siehe Stefan Karner - Peter Ruggenthaler, „Eine weitere Unterstützung der jugoslawischen Gebietsforderungen bringt uns in eine unvorteilhafte Lage". Der Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags als diplomatischer Kompromiss mit Österreich und den Westmächten, in: Stefan Karner - Andreas Moritsch ( t ) (Hg.), Aussiedlung - Verschleppung - nationaler Kampf. Kärnten und die nationale Frage. Bd. 1. Klagenfurt 2 0 0 5 , S. 9 9 - 1 1 8 . Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 18. Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 360. AVP RF, F. 0 5 1 2 , op. 4, p. 12, d. 2, S. 5 - 7 . Zit. nach: Vladimir V. Sokolov, Sowjetische Österreichpolitik 1943/45, in: Manfried Rauchensteiner - Wolfgang Etschmann (Hg.), Österreich 1945. Ein Ende und viele Anfänge. Graz - Wien - Köln 1997, S. 76. Sokolov, Sowjetische Österreichpolitik 1943/45, S. 7 3 - 8 8 . Zu den sowjetischen Vorbereitungen zur Außenministerkonferenz im Herbst 1943 siehe Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 2 0 - 2 3 . Vgl. dazu Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokumente Nr. 2 und 3.

Peter Ruggenthaler chung erklärten die Alliierten unter anderem die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs zu einem ihrer Kriegsziele. Von diesem Standpunkt rückte die Sowjetunion nicht mehr ab. Intern diskutierte man bis Kriegsende lediglich über mögliche kleinere Grenzveränderungen (Passau, Berchtesgaden), die Rückgabe Südtirols wurde im sowjetischen Außenministerium zwar ernsthaft erwogen, 71 ob Stalin selbst jedoch generell bereit war, Südtirol zurückzugeben, bleibt bis heute unklar. Von einer alliierte Besatzung Österreichs war in Moskau 1943 noch keine Rede, man einigte sich lediglich, eine alliierte Kontrollkommission - also eine Militärregierung - einzusetzen. Nach dem 4. Februar 1944 erörterten die Sowjets intern erstmals eine gemeinsame Besetzung Österreichs. Bis zu diesem Zeitpunkt war in der Europäischen Beratenden Kommission mit Sitz in London, deren Einsetzung die Alliierten im Oktober 1943 in Moskau beschlossen hatten, nur über Deutschland gesprochen worden. Intern hatte die zuständige Planungskommission im sowjetischen Volkskommissariat für Äußere Angelegenheiten Anfang Februar eine militärische Präsenz der Sowjets in Österreich nicht einmal vorgesehen! 72 Am 12. Februar 1944 brachten die Sowjets schließlich erstmals ihre Ideen für Österreich ein. Die Umsetzung einer gemeinsamen Besatzung soll von Stalin persönlich als „Kompensation" gegenüber den angloamerikanischen Alliierten angeregt worden sein, nachdem er die gemischte Besatzung Schleswig-Holsteins und Hamburgs abgelehnt hatte.73 Möglicherweise blieb eine sowjetische Besetzung Österreichs für Stalin auch weiterhin ein Verhandlungspoker, berücksichtigt man die Zuerkennung Westungarns in die britische Einflusssphäre im Prozentabkommen im Oktober 1944. Die Einigung über eine Demarkationslinie quer durch Europa können nicht bedingungslos als die maßgebliche Prämisse der Teilung Europas in Einflusssphären gesehen werden. Österreich soll „demokratisiert" werden Die offizielle sowjetische „Geschichtsschreibung" heftete sich immer wieder auf ihre Fahnen, dass das Ziel der sowjetischen Politik in Österreich die Demokratisierung des Landes war. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf das „Demokratie"-Verständnis der Stalinschen Sowjetdiktatur näher einzugehen, verwiesen sei hier lediglich auf ein bezeichnendes Stalin-Zitat. Nach einem Zeugnis Georgi Dimitrovs teilte Stalin die „Kapitalisten" in zwei Gruppen: in eine faschistische und in eine demokratische. „Jetzt kämpfen wir mit der einen [bürgerlichen] gegen die andere, und in Zukunft werden wir gegen die eine kämpfen." 74 Auch in Österreich wares aus sowjetischer Sicht zunächst die 71 72

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Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 360. Auch eine Militärpräsenz in Westungarn war demnach Anfang Februar nicht in Erwägung gezogen worden. Aleksej Filitov, Die sowjetischen Planungen zu Österreich 1941 bis 1945, in: Stefan Karner - Gottfried Stangler, Österreich ist frei. Der österreichische Staatsvertrag. Begleitband zur Ausstellung auf Schloss Schallaburg. Horn 2005. Laufer, Die UdSSR und die Zoneneinteilung Deutschlands, S. 329f. Zur sowjetischen Position bei den Verhandlungen um die Besatzungszonen in Österreich siehe AVP RF, F. 07, op. 10, p. 13, d. 159, S. 77-84, Vgl. dazu Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 4. Nach den britischen Vorstellungen sollte ganz Österreich von den Amerikanern übernommen werden. Siehe Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 15—45, hier: S. 21 f. Narinsky, Soviet Foreign Policy; O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 391.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert werden sollte wichtigste Aufgabe, das Land von den Nationalsozialisten zu säubern, auch wenn dies vorerst in hohem Maß den Österreichern selbst überlassen wurde. Die Entnazifizierung stellte zweifelsohne eines der Grundziele der sowjetischen Politik in Österreich nach 1945 dar, im Gegensatz zu den mittelost- und osteuropäischen Nachbarn Österreichs wurden die Maßnahmen zur Entnazifizierung jedoch maximal nur ansatzweise unter der Maske brutaler Repression gegenüber allen Oppositionellen betrieben. 75 In Österreich war sie kein Instrument der zur völligen Gleichschaltung führenden Politik. Vor Kriegsende 1945 schien sich jedoch mit Karl Renner der geradezu ideale Weichensteller für eine volksdemokratische Zukunft Österreichs anzubieten. Renner erschien als die fähigste Marionettenfigur zur Umsetzung der Pläne des Kremls. Eine „Nationale Front" benötigte einen starken Führer, der das nötige Ansehen hatte, um alle Kräfte vereinen zu können. Stalin aber täuschte sich in Renner, das „Schlitzohr" ließ keine sowjetische „Marionette" aus sich machen und stellte die Weichen für eine stabile Zweite Republik Österreich. 76 Renner erwies sich nicht als „Jolly Joker" 77 , der in Österreich den friedlichen Weg zum Kommunismus einleiten würde. In Österreich bzw. in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs wurde die nächste Phase der Sowjetisierung nicht eingeleitet. Die Rote Armee bekam nie Befehle, zugunsten der Kommunisten einzugreifen. Terror und Verfolgungen wie in den späteren Ostblock-Staaten blieben in Österreich aus. Finnland war nach 1944 aus Moskaus Sicht nicht mehr der Mühe wert, um es unter möglicherweise hohen militärischen Verlusten wie im Winterkrieg 1939/40 gewaltsam zur Volksdemokratie zu „bekehren". Österreich war für den Kreml noch unwichtiger. Wegen Österreich, das nunmehr unter den Prämissen der „Containment"-Politik auf keinen Fall den Sowjets in die Hände fallen sollte, konnte Stalin keinen Dritten Weltkrieg riskieren. Zudem war nach Festigung des sowjetischen Einflusses in Ungarn die geostrategische Bedeutung Österreichs für die Politstrategen des Kremls geringer geworden. 78 Zwei Wochen nach der Einnahme Wiens erließen Marschall Fedor Tolbuchin und Generaloberst Aleksej Zeltov am 29. April 1945 eine „provisorische Verordnung über die Militärkommandanturen auf dem durch die sowjetischen Truppen besetzten Territorium". 79 Der Verordnung zufolge wurden „in den durch die sowjetischen Truppen besetzten Regionen Österreichs [...] in den Hauptstädten und Städten mit Selbstverwaltung

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Zur Entnazifizierung in Österreich siehe Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich. Wien - München - Zürich 1981; Wolfgang Schuster - Wolfgang Weber (Hg.), Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Linz 2004. Vgl. dazu den Beitrag von Stefan Kamer und Peter Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, in diesem Band. So die treffende Bezeichnung bei Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 365. Wettig, Stalins Deutschland-Politik 1945-1949, S. 17; Creuzberger - Görtemaker, Das Problem der Gleichschaltung osteuropäischer Parteien im Vergleich, S. 423. Zu den verschiedensten Interpretationen im Zusammenhang mit der ersten Verlautbarung der Verordnung siehe Wolfgang Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. Die Errichtung der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich von 1945 bis 1946 im Spiegel ihrer Lageberichte. Phil. DA. Wien 1998, S. 49, Fußnote 154.

Peter Ruggenthaler sowie in den größeren Wohnorten Militärkommandanturen" eingerichtet.80 An deren Spitze standen jeweils Kommandanten, die einen provisorischen Bürgermeister einsetzten. Die Militärkommandanturen unterstanden direkt dem Militärrat der 3. Ukrainischen Front. In der Verordnung kommt, wie auch in den früheren Aufrufen Tolbuchins an die österreichische Bevölkerung, deutlich zum Ausdruck, dass die UdSSR bei Kriegsende auf der Grundlage der Moskauer Deklaration zu handeln und mit Österreich anders umzugehen gedachte als mit anderen „befreiten" Ländern: „Die Militärkommandanten führen auf dem Territorium Österreichs keine sowjetische Ordnung ein. Alle notwendigen Maßnahmen werden mit Rücksicht auf die Interessen der Roten Armee durch die Bürgermeister (Gemeindevertreter) und durch die von den Letzteren eingerichtete Zivilbehörde ausgeführt."81 Wie bereits dargelegt, war jedoch während des Zweiten Weltkrieges und unmittelbar danach in keinem osteuropäischen Land (mit Ausnahme der baltischen Staaten, die 1944 von der UdSSR annektiert wurden) eine brutale Sowjetisierung geplant. Wie im Falle Österreichs hatte Stalin auch beim Vormarsch nach Ungarn von einer unmittelbaren Einführung einer sowjetischen Ordnung Abstand genommen.82 Es ist längst bekannt, dass den Abschluss des Staatsvertrages nicht nur die UdSSR mit ihrer vor allem nach 1949 praktizierten Verzögerungstaktik zunächst verhinderte, sondern dass auch die USA bereits 1947 nicht bereit waren, Österreich militärisch zu räumen.83 Österreich sollte zu diesem Zeitpunkt von sowjetischem Einfluss möglichst unabhängig gemacht werden. Solange sich die Gefahr ergab, ein militärisches Vakuum in Mitteleuropa zu schaffen, lag es ab 1947 nicht im Interesse der Amerikaner, Österreich aufzugeben. Bei den Verhandlungen zum Zweiten Kontrollabkommen ab den Novemberwahlen 1945 bis 1946 hatten die Amerikaner noch einen Staats vertrag im Hinterkopf. Die Briten forcierten in dieser Zeit die Bemühungen für ein neues Kontrollabkommen, das die Kompetenzen der österreichischen Bundesregierung erweiterte, ohne aber die endgültige Souveränität herzustellen. Die Amerikaner hatten damals den anderen Westalliierten zu diesem Zeitpunkt zwar noch den Abschluss eines Staatsvertrages vorgeschlagen, doch vor allem aus taktischem Kalkül: Durch den Abschluss des Staatsvertrages mit Österreich erhofften sie sich, den Sowjets die Legitimität für ihre Truppenpräsenz auch in Ungarn zu nehmen. Außerdem waren die Amerikaner zu diesem Zeitpunkt aus wirtschaftlicher Sicht an einer Wiedererrichtung Österreichs interessiert. Nachdem die amerikanische Haltung aber von den anderen Alliierten durchwegs abgelehnt wurde, gingen die Amerikaner bis 1947 selbst von ihrer Position ab, und nun waren sie es, die gegen den Abschluss des Staatsvertrages waren und sogar Teilungspläne entwickelten. Sie versuchten freilich, die Schuld am Scheitern eines Vertragsabschlusses den Sowjets zuzuschieben. 80

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Vgl. dazu die Beiträge von Valerij Vartanov, Die Aufgaben der Militärkommandaturen in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs 1945-1955 sowie von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommision für Österreich, in diesem Band. CAMO, F. 243, op. 2922, d. 49, S. 168. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 347. Oliver Rathkolb, Der Wiederbeginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion 1945-1947 zwischen Kaltem Krieg und österreichischer Innenpolitik, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA. 2003/50, S. 157-166, hier: S. 165.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert werden sollte

Sowjetisierung rund um Österreich Die Sowjetisierung der späteren „Ostblock"-Staaten vollzog sich in mehreren Phasen. Zunächst sollten die kommunistischen Minderheiten nationale Widerstandsgruppen in „patriotische Fronten" zusammenfassen, die nach dem militärischen Vormarsch der Roten Armee von dieser gestützt wurden. Anschließend wurden in den besetzten Ländern provisorische Regierungen eingesetzt, in Moskau geschulte Exilkommunisten erhielten Schlüsselstellungen in Staat und KP („nationale Volksfronten"). Nach relativ freien Wahlen bildeten sich Koalitionsregierungen unter bürgerlicher Führung, und die kommunistische Partei sicherte sich unbedingt das Innenministerium (Sicherung der Polizeigewalt). Generell versprach man sich, mit bürgerlichen Parteien ein leichteres Spiel zu haben als mit dem Hauptfeind, den sozialdemokratischen Parteien. Das primäre Ziel der Kommunisten war die Infiltration und die innere Zersetzung der Sozialdemokratie. Spätestens nachdem sich die kommunistischen Parteien quasi nicht auf demokratischem Wege durch populäre Maßnahmen wie Bodenreform oder Verstaatlichung der Industrie innerhalb der Regierung profilieren und die Bevölkerungsmasse auf ihre Seite ziehen konnten, wurden bürgerliche Parlamentsmehrheiten durch Verhaftungen und Terror ausgeschaltet. Unter kommunistischer Führung wurden nun sozialistische Einheitsparteien gebildet, Oppositionspolitik im Keim erstickt. Nach Verfolgungen und Säuberungen innerhalb der Partei folgte schlussendlich durch Zwangskollektivierung der Landwirtschaft die gänzliche Angleichung an das sowjetische Muster. Binnen kürzester Zeit wurden auf diesem Wege bürgerliche Gesellschaften unter Kontrolle gebracht. 84 In keinem der von der Roten Armee besetzten Gebiete folgte die Einführung des Kommunismus einem sorgfältig geplanten Konzept. Lediglich in Ungarn lief der gesellschaftliche Umsturz in seinen Zügen nahezu nach den Wunschvorstellungen des Kremls ab. In seinen Absichten, die kommunistischen Parteien als nationale Führungskräfte aufzubauen und zu etablieren, stießen Moskau und seine Genossen vor Ort auf national divergierende Probleme. In den meisten besetzten Ländern (mit der Ausnahme Tito-Jugoslawiens) war die Stimmung der Bevölkerungen stark antisowjetisch und antikommunistisch ausgerichtet. Jugoslawien - ebenso Albanien - beschritt seinen Weg zum Kommunismus zunächst noch im Gleichklang mit dem Kreml, nach dem Bruch zwischen Stalin und Tito schließlich erfolgte die Selbst-„Sowjetisierung". Tito und seine Partisanen hatten Jugoslawien nahezu eigenständig von der Deutschen Wehrmacht befreit. Sie genossen breite Unterstützung durch die Bevölkerung. Tito konnte selbstbewusst gegenüber Stalin auftreten. 85

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Donal O'Sullivan, „Wer immer ein Gebiet besetzt ..." Sowjetische Osteuropapolitik 1943-1947/48, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944—1949. Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 45-83; O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 92. Zu Jugoslawien siehe Jerca Vodusek Staric, Stalinismus und Selbst-Sowjetisierung in Jugoslawien. Von der kommunistischen Partisanenbewegung zu Titos Einparteiensystem, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949. Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 219-237.

Peter Ruggenthaler Österreich und Finnland werden in der internationalen Forschung zur stalinistischen Außenpolitik stets als Sonderfälle bezeichnet. Bei Vorliegen bestimmter Umstände - keine Besatzung, eklatante Schwäche der KP, besonderes Engagement der Westmächte bzw. eigenes Desinteresse - war die Sowjetunion durchaus imstande, bei der Durchsetzung ihrer Kerninteressen auf die Gleichschaltung des Parteiensystems zu verzichten (in Finnland v. a. der Friedensvertrag 1948, mit dem die UdSSR ihre Ziele erreicht hatte, Österreich: v. a. Desinteresse und Chancenlosigkeit, ohne gewaltigen, vermutlich militärischen Einsatz, zu einem positiven Erfolg aus sowjetischer Sicht zu gelangen, verbunden mit dem Risiko eines Krieges mit dem Westen im fortschreitenden Kalten Krieg). Ungarn befand sich, im Gegensatz zu Österreich, mit seinem gesamten Staatsgebiet unter sowjetischer Kontrolle. Im „Prozentabkommen" sollte Ungarn je zur Hälfte der britischen und der sowjetischen Einflusssphäre zugeteilt werden. Später wurde der sowjetische Einfluss auf 75 Prozent erhöht. Schließlich besetzte aber die Rote Armee ganz Ungarn. Vor allem für die ungarische Bevölkerung hieß dies Terror, Vergewaltigungen, Verschleppungen, Raub und Mord, Lebensmittelrekrutierungen und Demontage der Industrie. Im Oktober 1944 hatte jedoch Stalin - ähnlich wie in den Direktiven an Tolbuchin nach dem Einmarsch in Österreich - der kämpfenden Truppe keine Einführung sowjetischer Machtstrukturen in Ungarn befohlen. Dies war 1945 noch zu riskant. Stalin beabsichtigte keine Veränderung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Gegenüber den ungarischen Kommunisten hatte der Kreml-Führer klargestellt, dass er mit einer kommunistischen Machtübernahme in Ungarn erst in zehn bis 15 Jahren rechne. Dies hieß freilich nicht, dass Stalin konkrete Maßnahmen für 1955 bis 1960 geplant hatte, zeigt jedoch, dass eine Umwälzung des Gesellschaftssystems in Ungarn nicht unmittelbar auf der Tagesordnung stand. Trotz der Niederlage der Kommunisten am 4. November 1945 bei den freien Parlamentswahlen - die Kleinlandwirtepartei erlangte 57 Prozent der Stimmen, die KP lediglich 16,9 - bestand Moskau auf der Fortführung der ungarischen Koalition, auch wenn auf die Regierungsbildung massiver Einfluss ausgeübt wurde und das Innenministerium auf jeden Fall in kommunistischer Hand sein musste. Stalin legte Priorität auf das außenpolitische Interesse der UdSSR, der Revolutionsexport war zweitrangig. Wie in der Tschechoslowakei ließ Stalin auch der ungarischen Regierung zunächst freien Handlungsspielraum. 86 Erst Mitte 1947 erhielten die kommunistischen Parteien den Auftrag, den „Klassenkampf' zu intensivieren und zum Angriff auf die demokratischen Parteien überzugehen. 87

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O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 259-274, 336, 347. Ebd., S. 325.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert werden sollte

„Hier war das Wichtigste, dass sie vom Imperialismus wegkamen":88 Finnland - der andere Sonderfall? Der sowjetische Außenminister Molotov hatte nach dem Tod Stalins lange Zeit den Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen mit Österreich verzögert, musste jedoch schließlich gegenüber dem neuen starken Mann im Kreml, Nikita Chruscev, nachgeben. In späteren Jahren äußerte er sich einmal unzufrieden mit den Ergebnissen zu Österreich: „Bei Finnland ist es uns nicht gelungen, es demokratisch zu machen, und bei Österreich auch nicht!" 89 Ein Vergleich mit Finnland, dem einzigen europäischen Land, das sich einer Sowjetisierung entzog (auch wenn Finnland Karelien an die Sowjetunion abtreten musste), scheint an dieser Stelle angebracht. Im Gegensatz zu Österreich stellt das Territorium Finnlands die logische geographische Verlängerung des sowjetischen Satellitengürtels nach Norden hin dar. Aber dennoch etablierte sich in Finnland, ebenso wie in Österreich, keine kommunistische Volksdemokratie. Österreich wurde von den Alliierten als „befreites Land" angesehen. Finnlands Frontenwechsel 1944 konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es 1939/40 und 1941 bis 1944 mit hoher Kraftanstrengung gegen die Rote Armee gekämpft hatte.90 Im Herbst 1944 befand sich Finnland in einer komplexen Lage: Finnland stand auf Seite der Verlierer des Zweiten Weltkrieges, hatte mit harten Waffenstillstandsforderungen zu kämpfen, musste ein gravierendes Umsiedlungsproblem infolge der Gebietsabtretungen an die UdSSR auf sich nehmen, 300 Millionen Dollar Reparationen (eine kaum verkraftbare wirtschaftliche Belastung) bezahlen und eine „alliierte", de facto aber eine sowjetische Kontrollkommission 91 mit Stalin-Intimus Andrej Zdanov als Vorsitzendem dulden. 92 Finnland war damit, noch viel mehr als Österreich, in allen Lebensbereichen von der Sowjetunion abhängig. Sein Handlungsspielraum war äußerst begrenzt. Seine Souveränität war bis zum Pariser Friedensvertrag 1947 erheblich eingeschränkt, auch wenn die sowjetischen Truppen nur kurzfristig in Nordfinnland einmarschiert waren, dort aber nicht verblieben, obwohl die Einbeziehung Finnlands in die sowjetische Einflusssphäre, nicht jedoch wie 1939 in die UdSSR selbst, auch nach dem sowjetischfinnischen Winterkrieg noch ein Ziel blieb. Dennoch blieben konkrete Unternehmungen einer Besetzung in der Folge aus.93 Bereits 1941 hatte Stalin gegenüber Eden keinen dezidierten Anspruch mehr auf ganz Finnland erhoben. Die Forderung nach einer territorialen Ausdehnung der UdSSR auf die alten Grenzen des Zarenreiches war fallen gelassen worden. Stalin war in dieser Frage bereit, Konzessionen zu machen. Die Amerikaner 88 89

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Molotov über die sowjetischen Ziele in Österreich, Finnland und Griechenland. Cuev, Molotov, S. 106. Molotov zu Cuev, 17.8.1973. Die 140 Gespräche Molotovs mit Cuev stellen eine der wichtigsten Quellen in der Erforschung der sowjetischen Strategien dar. Sie sind freilich in ihrem Wert nicht mit Primärquellen gleichzusetzen. Resis, Molotov remembers, S. 10; Cuev, Molotov, S. 21. Molotov zu Cuev, 28.11.1974. Stefan Troebst, Warum wurde Finnland nicht sowjetisiert?, in: Osteuropa, 48/2. 1998, S. 178-191, hier: S. 183. Wettig, Stalins Deutschlandpolitik 1945-1949, S. 18f, 23. In Österreich lediglich „Alliierte Kommission". Troebst, Warum wurde Finnland nicht sowjetisiert?, S. 187. Ruth Büttner, Sowjetisierung oder Selbständigkeit? Die sowjetische Finnlandpolitik 1943-1948. Hamburg 2001, S. 227, 348.

Peter Ruggenthaler hatten gegenüber dem sowjetischen Botschafter in Washington, Majskij, deutlich darauf hingewiesen, dass der Widerstand finnischstämmiger Amerikaner vehement sein werde und eine Einbeziehung Finnlands in die sowjetische Einflusssphäre schwerwiegendere Folgen haben würden als im Falle des Baltikums. 1944 allerdings hatte der NKGB in Erfahrung gebracht, dass Finnland in den USA die öffentliche Sympathie verloren hatte.94 Der amerikanische Einsatz für Finnland war 1944 auf ein Minimum herabgesunken. 95 Den Finnen ging es nach dem Vorrücken der Roten Armee 1944 um das nationale Überleben. Die finnischen Politiker verstanden in dieser Phase sehr klug die Lehren der Geschichte und dass alle Versuche, Probleme der Sicherheit Finnlands ohne Berücksichtigung der sicherheitspolitischen Interessen der Sowjetunion lösen zu wollen, zum Scheitern verurteilt sein mussten. Die Finnen mussten die politischen Realitäten anerkennen und möglichst reibungslose Beziehungen zur UdSSR gestalten. Die in der Folge überaus geschickte Politik ermöglichte es Finnland, seine gesellschaftlichen Strukturen aufrechtzuerhalten und seine staatliche Unabhängigkeit zu bewahren 96 , obwohl die Alliierte Kontrollkommission unter Zdanov bis 1947 ähnlich wie in Osteuropa agierte und es sowjetische Pläne zur Eroberung von Schlüsselpositionen in der Regierung gab. Den finnischen Kommunisten wurde jedoch klar gemacht, dass sie in Zukunft ohne die Hilfe sowjetischer Truppen auskommen müssten.97 Wie in Österreich erhob sich auch in Finnland - hier erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion - die heftig erörterte und ebenso heftig umstrittene Frage: Warum wurde Finnland nicht sowjetisiert? 98 Die internationalen Forschungen des letzten Jahrzehnts auf Grund finnischer und mittlerweile zugänglicher sowjetischer Akten verdeutlichen, dass es nicht nur ein Verdienst der finnischen Politik war, Finnlands Selbstständigkeit gerettet zu haben. Die UdSSR hatte nur begrenztes Interesse an Finnland, sie konnte sich sicher sein, dass die finnischen Regierungen keine antisowjetische Politik betreiben würden.99 Die UdSSR würde nicht Gefahr laufen, im Fall eines bewaffneten Konflikts von einer dritten Macht über finnisches Territorium angegriffen zu werden. Diese Garantien hatte die UdSSR im Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand und durch die Paasikivi-Kekkonen-Linie 100 in der finnischen Politik erhalten. Sie konnte ausreichend Druck auf die Finnen ausüben und eine Teilnahme am Marshall-Plan verbieten.101 Wichtig war Stalin vor allem, dass Finnland durch den 94 95 96

O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 154, 230. Büttner, Die sowjetische Finnlandpolitik, S. 97. Vgl. in der Folge Jukka Nevakivi (Hg.), Finnish-Soviet Relations 1944—1948. Papers of the Seminar Organized in Helsinki, March 2 1 - 2 5 , by the Department of Political History, University of Helsinki, in Cooperation with the Institute of Universal History, Russian Academy of Sciences, Moscow. Helsinki 1994; Jukka Nevakivi, Zdanov Suomessa. Miksi meitä ei neuvostoliittolaistettu? Helsinki 1995; Dörte Putensen, Rezensionen, in: Norost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte. Osteuropaforschung in der nordeuropäischen Historiographie. 2000/1, S. 291-295. 97 O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 275. 98 Troebst, Warum wurde Finnland nicht sowjetisiert?, S. 178-180. 99 Zubok - Pleshakov, Inside the Kremlin's Cold War, S. 116-119. 100 Siehe dazu Troebst, Warum wurde Finnland nicht sowjetisiert?, S. 181; Putensen, Rezensionen. 101 Mikhail Μ. Narinsky, The Soviet Union and the Marshall-Plan. CWIHP. Working Paper No. 9. Washington, D. C. 1994, S. 41 - 5 1 , hier: S. 49f. Kimmo Rentola, Vesna 1948 goda: kakoj put' vyberet Fin-

Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte Pakt kein Bündnis mehr mit Gegnern der UdSSR abschließen konnte. 102 Daher gab es keinen Anlass einer weiteren Sowjetisierung Finnlands nach dem Beispiel der Ostblockstaaten. Darüber hinaus hätte eine Sowjetisierung besonders in Finnland zwangsläufig eine blutige Auseinandersetzung zur Folge gehabt. Die Erfahrungen des finnisch-sowjetischen Winterkrieges waren der sowjetischen Führung noch in lebhafter Erinnerung. Die UdSSR hatte ihre bereits 1942 formulierten Minimalziele mit Militärstützpunkten in Finnland erreicht. 103 Mit einer solchen Forderung sah sich Österreich auf der Berliner Außenministerkonferenz ebenso konfrontiert. 104 Molotov bereute es, dass Chruscev den Finnen den Militärstützpunkt Porkkala zurückgegeben hatte.105 Weiter konnte der Kreml aber nicht gehen. Molotov war sich der Gefahren eines gewaltsamen Umsturzes in Finnland bewusst: „Wie schonend wir Finnland behandelt haben! Wir waren geschickt, es nicht annektiert zu haben. Wir hätten eine ständige Wunde gehabt. Nicht wegen Finnland selbst, sondern weil diese Wunde einen Vorwand geliefert hätte, etwas gegen die Sowjetmacht zu haben. Wo doch die Menschen dort sehr hartnäckig, sehr hartnäckig sind. Sogar eine Minderheit ist dort sehr gefährlich." 106 Wie oben erwähnt, konnte sich die Sowjetführung jedoch mit den Übereinkünften mit Finnland zufrieden geben. Bereits 1944 hatte die UdSSR Finnland harte Friedensbedingungen auferlegt und eine Besetzung Finnlands nicht als vorrangig betrachtet. Zudem hätte dies zu Schwierigkeiten mit den Westmächten geführt.' 07 Zwar erhielt die finnische KP ebenso erhebliche finanzielle Zuwendungen aus Moskau wie die KPÖ. Darin eine versuchte Implementierung eines Machtwechsels zu sehen, wäre jedoch fehl am Platz. Molotov äußerte sich schroff gegen die Denunziationsvorwürfe der linken finnischen Kreise gegenüber ihren „bürgerlichen" Blockpartnern, um Attacken Moskaus auf die rechten finnischen Kräfte zu erwirken. Stalin und Molotov waren nicht gewillt, die finnischen Kommunisten um jeden Preis zu stärken und womöglich Gefahr zu laufen, die bereits von den rechten finnischen Politikern abgesegneten und anerkannten territorialen Verluste und Reparationsverpflichtungen aufs Spiel zu setzen.108 Ein Makel der finnischen Kommunisten aus sowjetischer Sicht war vor allem ihr Unvermögen, den „Feind Sozialdemokratie" zu spalten. Der Versuch einer Spaltung durch die Aufdeckung einer „Verschwörung" im März 1948 scheiterte jedoch. 109 Die innenpolitischen Folgen

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ljandija?, in: Ο. V. Cernyseva, Severnaja Evropa. Problemy istorii. Vypusk 4. Moskau 2003. S. 6 1 - 8 9 , hier: S. 62. Wettig, Stalins Deutschland-Politik 1 9 4 5 - 1 9 4 9 , S. 21. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 164f. Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 3 0 1 - 3 1 9 . „Diese einseitige Aktion verkaufte Moskau als Beispiel, dem die NATO folgen sollte." Die KremlFührung versprach sich davon die Wiederwahl des finnischen Präsidenten Kekkonen und die Fortsetzung der prosowjetischen Politik. Siehe dazu Vojtech Mastny, Die NATO im sowjetischen Denken und Handeln 1949 bis 1956, in: Vojtech Mastny - Gustav Schmidt, Konfrontationsmuster des Kalten Krieges 1946 bis 1956. Entstehen und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956. Bd. 3. München 2003, S. 3 8 3 - 4 7 1 , hier: S. 454. Cuev, Molotov, S. 21. Molotov zu Cuev, 28.11.1974. Wettig, Stalins Deutschland-Politik 1 9 4 5 - 1 9 4 9 , S. 21. Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik, S. 53. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 276.

Peter Ruggenthaler ergaben in Helsinki eine „Finnlandisierung" (Unterwürfigkeit gegenüber den Interessen der UdSSR einerseits und undemokratische Erscheinungsformen in der finnischen Innenpolitik andererseits).110 Vor allem Urho Kekkonen,111 der Exponent der finnischen Führungsriege, zog für sich unter dem Druck des sowjetischen Nachbarn Nutzen für die Festigung der eigenen Macht und für ein innenpolitisches Kräftespiel zugunsten seiner Person und seiner Partei. Die Bereitschaft zum Entgegenkommen gegenüber Moskau hatte aber auch, im Gegensatz zu Österreich, einen anderen Grund: das Desinteresse des Westens an Finnland.112 Finanziell wurde die finnische KP in der Folge enorm unterstützt, ebenso die KPÖ.113

Conclusio und Ausblick Wie in Ungarn, Polen, Rumänien und Bulgarien wurde 1945 auch in Österreich eine Provisorische Regierung eingesetzt, gegen die Abmachungen mit den Briten, die sich einen demokratischen Aufbau „von unten" wünschten. Die KPÖ sicherte sich das Innenministerium, alle antifaschistischen Kräfte waren in der Provisorischen Regierung, der in ihrer Tätigkeit grundsätzliche freie Hand gegeben wurde, vertreten. Der nächste Schritt der - ab 1947 andernorts brutalen - Sowjetisierung wurde in Österreich allerdings nicht gesetzt. Es setzten zwar auch in Österreich verstärkt Verhaftungswellen ein. Diese können jedoch - dies zeigt der neueste Forschungsstand - nicht mehr als durchwegs willkürlich bezeichnet werden114 und kamen weniger politischem Terror gleich, obgleich äußerst tragische Schicksale das Gefühl einer omnipräsenten Willkür erzeugten, die zusätzlich von der Propaganda der Westmächte politisch hochgespielt wurden. In Rumänien setzten sich 1948 nach „sowjetischer Technik" die Kommunisten durch und riefen die Volksrepublik aus." 5 In Ungarn siegte im Juni desselben Jahres die „Salami"-Taktik, die Sozialdemokratie wurde planmäßig zersetzt und die demokratischen Parteien im Auf-

110 Putensen, Rezensionen, S. 293f. [Jukka Nevakivi, Miten Kekkonen pääsi valtaan ja Suomi suomettui. Helsinki 1996], 111 Ein Treffen Julius Raabs mit Urho Kekkonen in Österreich hatte für die österreichischen Politiker weitreichende Folgen. Ihr Misstrauen gegenüber der Sowjetunion wurde weitgehend gemindert, nachdem Kekkonen die „absolute Korrektheit und Vertragstreue der Russen erwähnt hatte". Vgl. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 287-289; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 318, 399; Hugo Portisch, Der lange Weg zur Freiheit. Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 4. München 1993, S. 308-312; Vortrag von Botschafter Dr. Ludwig Steiner, St. Pölten, 3.4.2004. 112 Putensen, Rezensionen, S. 291-295 [Jukka Nevakivi, Miten Kekkonen pääsi valtaan ja Suomi suomettui. Helsinki 1996], 113 Siehe dazu meinen Beitrag, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band. 114 Siehe hierzu den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band. 115 Siehe dazu: Ulrich Burger, Von der Zusammenarbeit über die Konfrontation zur Auflösung. Die Strategie der Kommunisten in Rumänien zur Gleichschaltung des Parteiensystems zwischen 1944 und 1948, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949. Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 123-165; O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 327-334.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert werden sollte trag Moskaus gespalten." 6 In der Tschechoslowakei hatten die Kommunisten im Mai 1946 das höchste je bei freien Wahlen in Europa erzielte Wahlergebnis (38,7 Prozent) zu verzeichnen. Präsident Edvard Benes, der eine Politik des guten Willens gegenüber Stalin verfolgt hatte, wurde im Prager Februarputsch 1948 gestürzt.117 Im Oktober 1950 entwickelten sich vereinzelte Arbeiterstreiks in Österreich zu einem Generalstreik.118 Viele befürchteten ein Eingreifen der Roten Armee zugunsten der Streikenden. Stellenweise unterstützten die Sowjets die Streikbewegung, wogegen Kanzler Leopold Figl wiederholt im Alliierten Rat und direkt beim sowjetischen Hochkommissar namens der österreichischen Regierung protestierte.119 Die Gefahr eines gewaltsamen kommunistischen Umsturzes 1950 bestand jedoch nicht. Ob die sowjetischen politischen Vertreter in Wien in den Ereignissen im Herbst 1950 doch eine Chance sahen, der KPÖ zur Macht zu verhelfen, kann nach wie vor nicht eindeutig beantwortet werden, weil die zahlreichen Berichte des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich (SCSK) aus Wien nach Moskau bislang nur zu einem Bruchteil zugänglich sind. Die unlängst geöffneten Beschlüsse des Politbüros des ZK der KPdSU zeigen jedoch, dass der Generalstreik in Österreich lediglich einmal auf der Tagesordnung der Politbüro-Sitzungen stand. Am 25. Oktober 1950 bestätigte das Politbüro die von Hochkommissar Vladimir Sviridov und seinem Politberater Michail Koptelov vorgeschlagenen Anweisungen, die von der österreichischen Regierung eingeleiteten Maßnahmen gegen die Streikteilnehmer in der sowjetischen Besatzungszone zu unterbinden.120 Wegen Österreich konnte Stalin 1950 keinen Dritten Weltkrieg riskieren. In Korea war es bereits im Juni 1950 zur offenen Konfrontation gekommen. Der Kalte Krieg steuerte in eine erste heiße Phase. Nach der diplomatischen Niederlage in der Frage der Besetzung der Alliierten Kommission für Japan unter Ausschluss der UdSSR hätte Stalin seine prioritären Sicherheitsinteressen in Europa aufs Spiel gesetzt. Ein Aufreißen des bereits realisierten „cordon sanitaire" konnte er wegen des abseits gelegenen Österreich keinesfalls riskieren.

116 Siehe dazu: Jänos M. Rainer, Der Weg der ungarischen Volksdemokratie. Das Mehrparteiensystem und seine Beseitigung 1944—1949, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949. Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 319-352; O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 334-348. 117 Siehe dazu: Jin Kocian, Vom Kaschauer Programm zum Prager Putsch. Die Entwicklung der politischen Parteien in der Tschechoslowakei in den Jahren 1944-1948, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949. Paderborn u. a. 2002, S. 301-317; O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 348-353. 118 Hugo Portisch, Der lange Weg zur Freiheit. Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 2. München 1993, S. 244-268; Michael Ludwig - Klaus-Dieter Mulley- Robert Streibel (Hg.), Der Oktoberstreik 1950. Ein Wendepunkt der Zweiten Republik. Dokumentation eines Symposions der Volkshochschulen Brigittenau und Floridsdorf und des Instituts für Wissenschaft und Kunst. Wien 1991. 119 Sieben Protestnoten Figls finden sich im Archiv des russischen Außenministeriums. AVP RF, F. 66, op. 29, p. 49, d. 9, S. 1 - 6 , 7 - 9 , 12-17, 1 8 - 2 0 , 2 1 - 2 3 , 2 4 - 2 9 , 30-36. Keine einzige dürfte vom damaligen Leiter der 3. Europäischen Abteilung, M. Gribanov, an Außenminister Vysinskij oder gar an Stalin weitergeleitet worden sein. 120 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1085, S. 66 u. 188. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 163.

Peter Ruggenthaler Wie Finnland sollte auch Österreich der Sowjetunion friedlich und freundlich gesinnt sein. Dies war das primäre Ziel der Außenpolitik Stalins gegenüber dem nördlichen Nachbarn und der Alpenrepublik in Mitteleuropa. Österreich sollte unabhängig werden, als kleiner und schwacher Staat. Das stand seit 1941 für Stalin fest. Eine gewaltsame Sowjetisierung war während des Krieges und unmittelbar danach für kein von der Roten Armee besetztes Land geplant, auch nicht für Österreich. Renner erschien Stalin als idealer Weichensteller für die Durchsetzung eines sozialistischen Weges auch in Österreich. Nach den Novemberwahlen 1945 zerplatzten die illusorischen Hoffnungen des Kremls wie eine Seifenblase. Moskau ließ der neuen österreichischen Regierung bei der Regierungsbildung freie Hand, im Gegensatz zu Ungarn, wo eine härtere Gangart eingeschlagen wurde und Stalin immer weniger Rücksicht auf die Alliierten nehmen musste, war der östliche Nachbar doch zur Gänze von der Roten Armee besetzt. Die enormen finanziellen Zuwendungen an die KPÖ waren nicht die einzigen tatkräftigen Hilfestellungen für die KPÖ. Man versuchte es auch mit anderen Mitteln, auch mit entsprechender Vehemenz, nur niemals mit militärischem oder polizeilichem Nachdruck. Indem die Sowjets gegenüber neu gegründeten Parteien, auch wenn sie in ihren Augen neonazistischen und „faschistischen" Charakter hatten, kein Veto im Alliierten Rat einlegten und sie zur Wahl antreten ließen, erhofften sie sich eine Schwächung der ÖVP und SPÖ.121 Doch die Rechnung ging zumindest in Richtung Stärkung der KPÖ nicht auf; beide Großparteien verloren gleichermaßen. Es ergab sich ebenso wenig eine Stärkung der Position der KPÖ wie bei den Wahlen 1953. Durch Spaltungsversuche der anderen Parteien sollte der KPÖ geholfen werden, auf legalem Wege stärker zu werden. Weder im Falle der SPÖ (Ausschluss Erwin Scharfs 1948, der in der Folge mit anderen Linkssozialisten auf einer gemeinsamen Liste mit den Kommunisten kandidierte)122 noch im Falle der ÖVP (Abspaltung Josef Dobretsbergers und im Weiteren die - auch finanzielle - Unterstützung seiner Demokratischen Union auf dem Wege über die KPÖ)123 war die sowjetische Strategie der Unterstützung von Abspaltungstendenzen von Erfolg gekrönt. Niemand weiß, wie Stalin im entscheidenden Moment reagiert hätte, hätte sich je einmal die Situation ergeben, dass die KPÖ auf legalem Wege die stärkste Kraft im Land geworden wäre. Es ist müßig, einer „Was-wäre-wenn?-Frage" nachzugehen, doch sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass Stalin die italienischen und französischen Kommunisten in prekären Phasen „zurückgepfiffen" hatte. Ihre Politik sollte in erster Linie den sowjetischen außenpolitischen Interessen dienen. Im Falle Österreichs war man, wie oben erwähnt, nicht bereit, sich auf ein „Abenteuer" einzulassen. 121 So zumindest die Hoffnung in der Propagandaabteilung der SCSK: „Im Entstehen ist eine vierte Partei, die Stimmern zu Lasten von ÖVP und SPÖ gewinnen wird." Oberst Dubrovickij, Chef der Propagandaabteilung der SCSK, auf einer Konferenz zu Fragen der Propaganda in Österreich, Mai 1948. AVP RF, F. 66, op. 26, p. 32, d. 26, S. 53-58. Bericht V. Semenovs über den Vortrag Oberst Dubrovickijs. RGASPI, F. 17, op. 132, d. 5, S. 59-114. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 105. Materialien zum Vortrag Dubrovickijs. 122 Portisch, Österreich II, Bd. 4, S. 185-194. 123 RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, S. 52-56. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 80. Zu Dobretsberger siehe Dieter A. Binder, Karl Maria Stepan. Josef Dobretsberger. Verlorene Positionen des christlichen Lagers. Wien 1992, S. 46, der allerdings keine sowjetischen Akten verwenden konnte.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert werden sollte Als die Chancen eines Machtumschwungs zugunsten der Kommunisten im Oktober 1950 in Österreich am realistischsten schienen, bremste bekanntlich auch die Sowjetmacht die KPÖ ein.124 Finnland schlug jedoch in den spätstalinistischen Jahren einen für die Sowjetunion annehmbaren Kurs ein, die österreichische Politik wurde in diesen Jahren als feindlich angesehen. Das erste sowjetische „Angebot" einer „Finnland"-Lösung für Österreich kam erst nach dem Tod Stalins, als sich der sowjetische Botschaftsrat A. Timoscenko in einem Gespräch mit dem Gesandten Josef Schöner im September 1954 diesbezüglich äußerte. 125 Österreich wurde 1945 von der Roten Armee besetzt. Auch wenn die sowjetische Führung durchwegs betonte, die Rote Armee sei nach Österreich gekommen, um es von den „Faschisten" zu befreien und die Umsetzung der Beschlüsse der „Moskauer Deklaration" zu Österreich zu verfolgen, wurde immer wieder, berücksichtigt man die Adhoc-Politik Stalins in seinem Vorgehen in Mittelost- und Osteuropa, zu Recht die Frage gestellt, warum Österreich nach 1945 nicht zu einer Volksdemokratie, nicht sowjetisiert und schlussendlich in den „Ostblock" einbezogen wurde. 1973 befragte Feliks Cuev Molotov zum Aufbau des Sozialismus in Osteuropa. Demnach hatte der Kreml keine Sowjetisierungspläne in Österreich: Man sagt, dass es nach dem Krieg in Bezug auf den Aufbau des Sozialismus in den Ländern, die wir befreit haben, im Politbüro keine Einigkeit gab. Nein, das gab es nicht. Das heißt, ihr hattet sofort eine harte Linie zum Aufbau des Sozialismus in diesen Ländern, ja? Eine vorsichtige halt ... Dazu gab es die Völksdemokratie und keine Diktatur des Proletariats, all das waren solche Übergangsformen, die notwendig waren. Aber das Wesen - ja. Das Wesen, diese Politik durchzuführen? Nun, in unterschiedlichen Bedingungen auf verschiedene Weise. Eine Sache ist das mit der DDR, eine andere Sache in Bulgarien, aber die Grundlage ist ein und dieselbe. Und Österreich habt ihr speziell so aufgegeben? Ja, natürlich. Weil es dazu nicht vorbereitet war. Offiziell eine nicht vorbereitete Angelegenheit auf sich nehmen, die Sache nur verkomplizieren und nur ruinieren sozusagen ... Das heißt, über den sozialistischen Weg habt ihr früher entschieden, Österreich aber nicht anzurühren? Nun, ja. Was Österreich betrifft, haben wir früher entschieden. Und bezüglich Griechenland. Und auch Finnland. Ich denke, dass das sehr intelligent entschieden wurde vom Standpunkt der Geschichte und der Politik. Sehen Sie, hier war das Wichtigste, dass sie vom Imperialismus wegkamen. Und das wurde schon vorzeitig vor Kriegsende entschieden. 126

124 Siehe dazu den Beitrag des Autors, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band. 125 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 324. 126 Cuev, Molotov, S. 106. Molotov zu Cuev, 14.8.1973.

Natal'ja Eliseeva

Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee Der Einsatz der NKVD-Truppen in Österreich von April bis Juli 1945

Vor Kriegsbeginn oblag der Schutz der Grenzen der Sowjetunion den Grenztruppen, die den Verwaltungen der entsprechenden Grenzbezirke des NKVD unterstellt waren. Mit Kriegsbeginn wurden die die Westgrenzen bewachenden Grenztruppen dem Armeekommando unterstellt und gehörten ab diesem Zeitpunkt in operativer Hinsicht den Militärräten der Fronttruppen der Roten Armee mit der Aufgabe des Schutzes deren Hinterlandes an. 1 Das zu dieser Zeit evidente Missverhältnis in der Organisationsstruktur zwischen den Grenztruppen und den Verwaltungen der Grenzbezirke betreffend die zu erfüllenden Aufgaben machte eine Reorganisation unumgänglich. Mit dem Befehl Nr. 001379 des NKVD vom 29. September 1941 wurden die Verwaltungen der Grenzbezirke in die Verwaltungen der Truppen des NKVD der UdSSR zum Schutz des Hinterlandes und die Grenztruppen in Grenzregimenter umgewandelt. 2 Zum Zwecke eines verbesserten Schutzes des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee wurde mit dem Befehl Nr. 00852 des NKVD der UdSSR vom 28. April 1942 die Verantwortung für die Organisation und den Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee der Hauptverwaltung der Inneren Truppen des NKVD der UdSSR übertragen, wozu die Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes gebildet wurde. 3 Zu dieser Verwaltung gehörten Operativ- und Aufklärungsabteilungen. Andere Aufgaben wurden von den entsprechenden Abteilungen der Hauptverwaltung der Inneren Truppen des NKVD der UdSSR wahrgenommen. Zum Verband der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee zählten:

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RGVA, F. 32880, op. 1, d. 1, S. 287. Ebd., vgl. dazu auch den Beitrag von Nikita Petrov, Die Inneren Truppen des NKVD/MVD im System der sowjetischen Repressionsorgane in Österreich 1945-1946, in diesem Band. RGVA, F. 40600, op. 1, d. 80, S. 193.

Natal'ja Eliseeva -

11 Verwaltungen der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Fronten; 1 Sonder-Grenzbrigade; 37 Grenzregimenter; 6 Grenztruppen; 5 Sonder-Grenzkommandanturen; 3 Sonder-Grenzbataillone; 23 verschiedene Unterabteilungen zur Gewährleistung der Kampfkraft.

Die Gesamtstärke der Truppen lag bei 65.978 Mann, wobei laut Dienstlisten eine Stärke von bloß 50.758 Mann vorgesehen war. Mit der am 28. April 1942 vom stellvertretenden Volkskommissar für Verteidigung und vom stellvertretenden Volkskommissar für Innere Angelegenheiten unterzeichneten „Verordnung zu den Truppen des NKVD der UdSSR zum Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee" wurden deren Aufgaben wie folgt festgelegt: „1. Kampf gegen Diversanten, Spione und Banditenelemente im Hinterland der Front; 2. Kampf gegen Deserteure und Marodeure; 3. Zerschlagung kleiner, ins Hinterland eingedrungener und dort operierender feindlicher Einheiten und Gruppen (MP-Schützen, Fallschirmjäger, Signalgeber u. Ä.); 4. in besonderen Fällen (auf Beschluss des Militärrates der Front hin) Überwachung der Kommunikation in bestimmten Abschnitten." 4 Im Mai 1943 wurden alle zum Schutz des Hinterlandes der Truppen der Roten Armee Dienst versehenden Truppen des NKVD der neuerlich gebildeten Hauptverwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee unterstellt, was auf den Zustand der Streitkräfte positive Auswirkungen zeigte.5 Mit dem Befehl Nr. 001206 des NKVD der UdSSR vom 13. Oktober 1945 wurden die Hauptverwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee aufgelöst und die Truppen der Hauptverwaltung der Inneren Truppen des NKVD der UdSSR unterstellt.6 Die Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der SüdWest-Front, deren Einheiten in der Folge Dienst auf dem Gebiet Österreichs versehen sollten, wurde mit dem Befehl Nr. 002414 des NKVD der UdSSR vom 3. November 1942 aufgelöst. 7 Im Zusammenhang mit der am 21. Oktober 1943 erfolgten Umbenennung der Front wurde genannte Verwaltung ab diesem Zeitpunkt als Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front bezeichnet. Nach dem Ende des Krieges und der Auflösung der Fronten im Westen wurde per Befehl Nr. 00805 des NKVD der UdSSR vom 9. Juli 1945 genannte Verwaltung in Verwaltung

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RGVA, RGVA, RGVA, RGVA,

F. 32880, F. 40600, F. 40600, F. 32900,

op. op. op. op.

1, d. 1, d. 1, d. 1, d.

161, S. 8. 95, S. 153f. 124, S. 401. 326, S. 1.

Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Südlichen Gruppe der sowjetischen Streitkräfte umbenannt. 8 Entsprechend dem Beschluss Nr. 2417-643 des Rates der Volkskommissare der UdSSR vom 21. September 1945 über die Verringerung der Stärke der Truppen des NKVD und gemäß dem Befehl Nr. 001187 des NKVD der UdSSR vom 10. Oktober 1945 wurde die Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Südlichen Gruppe der sowjetischen Streitkräfte schließlich aufgelöst. 9 Die Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Südlichen Gruppe der sowjetischen Streitkräfte hatte im Zeitraum ihres Bestehens die Aufgabe, im Frontbereich der Süd-West-Front und später der 3. Ukrainischen Front für Bedingungen zu sorgen, die ein normales und ungestörtes Operieren der jeweiligen Einheiten der Roten Armee gewährleisten konnten. Auf dem zurückeroberten Staatsgebiet der UdSSR setzten die Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front Maßnahmen zur Wiedereinsetzung von Organen sowjetischer Behörden. Im Gebiet der Westukraine beteiligten sie sich am Kampf gegen regionale nationalistische Formationen wie die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) oder die Ukrainische Aufständischen-Armee (UPA). Die Operationen der Truppen auf dem Gebiet mehrerer europäischer Staaten (Bulgarien, Rumänien, Jugoslawien und Österreich) waren durch zahlreiche zu bewältigende Schwierigkeiten und durch ein hohes Maß an übertragener Verantwortung gekennzeichnet.

Zum Kriegsende in Österreich Im Frühjahr des Jahres 1945 weiteten sich die Kampfhandlungen auf österreichisches Gebiet aus. Mit 31. März 1945 waren Einheiten der Roten Armee auf die Linie Kishaza - Neckenmarkt - Sieggraben - Kirchschlag - Drau vorgerückt, und mit 30. April hatten sich sowjetische Einheiten nach der Abwehr von Gegenangriffen an der Linie Hollabrunn - Wölbling - Gerersdorf - Eschenau - Breitenbrunn - Neudau und an den Flüssen Mur und Drau festgesetzt. Auf Grund des zügig vorgetragenen Vormarsches der Truppen der 3. Ukrainischen Front war es einer großen Zahl von Soldaten und Offizieren der Wehrmacht nicht möglich gewesen, sich rechtzeitig zurückzuziehen, weshalb sie sich in den im Frontbereich liegenden Wäldern zu verstecken versuchten. Derjenige Teil der Soldaten und Offiziere, der die Hoffnung auf eine Vereinigung mit seinen Einheiten verloren hatte, war darangegangen, seine Waffen zu vergraben; andere leisteten bei ihrer Gefangennahme bewaffneten Widerstand, und ein weiterer Teil hatte sich Zivilkleidung verschafft und den Versuch unternommen, ins Hinterland der Roten Armee vorzudringen. Die Truppen zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front sahen sich in den Monaten April und Mai 1945 mit ständigen Zusammenstößen mit sich zurückziehenden deutschen Einheiten konfrontiert. So etwa traf am 7. April 1945 die Aufklärungs- und 8 9

RGVA, F. 32900, op. 1, d. 363, S. 31. RGVA, F. 40900, op. 1, d. 1224, S. 378.

Natal'ja Eliseeva Suchgruppe des I. Bataillons des 336. Grenzregiments unweit der Ortschaften Gutenhof und Ebergassing auf eine Gruppe von 30 bewaffneten Soldaten der Wehrmacht, die sich im Zuge der Kampfhandlungen unter Abgabe von MG-Feuer in einem Waldstück zu verschanzen versuchte, dabei jedoch vollständig eliminiert wurde.10 Die 109. SonderManövergruppe nahm in Ausführung des Befehls zur Säuberung von Waldgebieten, Ortschaften und Verstecken im Umland Wiens im Zeitraum zwischen 1. und 8. April insgesamt 1627 Soldaten und Offiziere des Gegners gefangen, unter denen sich auch der „Cheftester der ungarischen Artilleriefabriken, Oberst Kelecsenyi", befand." In den letzten Apriltagen wurde auf Anordnung des 336. Grenzregiments im 17. Wiener Gemeindebezirk ein von den Deutschen zurückgelassenes Hospital entdeckt, in dem sich 200 verwundete deutsche Soldaten und Offiziere befanden. Das Hospital wurde unter die Bewachung einer Einheit des 336. Grenzregimentes gestellt. Laut den vom Regimentskommandanten getätigten Angaben wurde im Verlauf der in Wien vorgenommenen operativen Such- und Aufspüraktionen ein Netz an Katakomben und Tunnels mit einer Gesamtlänge von 330 Kilometern entdeckt, in dem sich Soldaten und Offiziere der Deutschen Wehrmacht und auch eine große Zahl an kriminellen Elementen versteckt hielten. Untereinheiten des genannten Regiments hatten die Aufgabe, die Standorte der Zu- und Ausgänge dieser Tunnels zu eruieren. 12

Zum Einsatz des 91. Grenzregiments im Raum Fischbach Das 91. Grenzregiment erfüllte im Zeitraum zwischen 12. und 24. April 1945 einen vom Kommando der Truppen der 3. Ukrainischen Front erteilten Sonder-Kampfauftrag, im Zuge dessen die starken Verteidigungskräfte im Raum Mönichwald zerschlagen und die Ortschaften Waldbach und Fischbach eingenommen werden konnten. 13 Es gilt anzumerken, dass es sich dabei um äußerst erbittert geführte Kämpfe handelte. Die Deutsche Wehrmacht hatte ihre Verteidigung am rechten Ufer des Flusses Lafnitz konzentriert und verfügte zudem auch über Verteidigungspunkte in Mönichwald und Waldbach. Durch die topografischen Gegebenheiten dieses Gebiets waren Transporte in vielen Fällen oft nur mit Fuhrwerken möglich, und das nahezu vollständige Fehlen von Straßen und Verbindungswegen von Norden nach Süden trug zu einem erschwerten Manövrieren von Mannschaft und Gerät bei. Für die deutschen Truppen boten die bewaldeten Hügel und Bergrücken indes hervorragende Möglichkeiten zur Einrichtung von Verteidigungspunkten und Maschinengewehrnestern, die ihm Kontrolle über die Forststraßen und Waldwege verschaffen konnten. Dazu konnten sich die verteidigenden Kräfte auch

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RGVA, F. 32900, op. 1, d. 213, S. 189f. Ebd., S. 212. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 220, S. 166. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 213, S. 215. - Zu den Kämpfen im Raum Fischbach vgl. vor allem: Heinz Karpf, Die Kampfhandlungen in der Steiermark, in: Steiermark. Land - Leute - Leistung. Graz 1971; Leopold Hohenecker, Das Kriegsende 1945 im Raum Fischbach; in: ÖGL 4/1975, S. 193-225; Othmar Tuider, Die Kämpfe im Vorgelände der Fischbacher Alpen. Militärhistorische Schriftenreihe, Bd. 17, Wien 1971; Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945, S. 404-413.

Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee verschiedener topografischer Hindernisse (Geröllhalden, Baumsperren, zerstörte Wege, Brücken u. a.) bedienen. Zu Beginn der Operation, in der Nacht vom 11. auf den 12. April, wurde das 91. Regiment mit Fahrzeugen über 95 Kilometer weit aus dem Bezirk Körmend in den Raum Friedberg verlegt. Abteilungen dieses Regiments wurde in weiterer Folge der Auftrag erteilt, die Ortschaften Mönichwald und Waldbach nach Ausschaltung der dort errichteten Verteidigungspunkte einzunehmen und den Einheiten der 11. GardeKavallerie-Division eine Ausgangsstellung für deren weiteres Vorgehen freizukämpfen. Am 13. April setzte sich das II. Bataillon des 91. Grenzregiments, das eine Vorhut des 39. Kavallerie-Regiments der 11. Kavallerie-Division bildete, in Richtung Bruck, Mönichwald und Waldbach in Bewegung. Der Raum Mönichwald wurde von einer Garnison in einer Stärke von bis zu 40 Mann und von einer aus der örtlichen Bevölkerung rekrutierten Volkssturm-Einheit verteidigt. Nördlich und östlich von Waldbach verfügten die deutschen Truppen über einzelne Maschinengewehrnester und hatten dazu in einem Teil der Häuser Verteidigungsstellungen eingerichtet. Nach Eröffnung des Feuers traten die deutschen Truppen ihren Rückzug an, im Zuge dessen sie eine Brücke über den westlich der Ortschaft verlaufenden Kanal in die Luft sprengten und somit ein weiteres Vorrücken der sowjetischen Vorhut unterbinden konnten. Nach Wiederinstandsetzung dieser Brücke setzte das II. Bataillon seinen Vormarsch in Richtung Waldbach fort, das man schließlich am Morgen des 14. April erreichte und das von den verteidigenden Kräften wesentlich stärker befestigt worden war als das nahe gelegene Mönichwald. Die Waldbach verteidigende Garnison bestand aus einer Infanteriekompanie und einigen Volkssturm-Einheiten, die neben Infanteriegerät auch über Minenwerfer, zwei gepanzerte Fahrzeuge und diverse kleinkalibrige Waffen verfügten. Der Versuch des II. Bataillons, die Ortschaft von Westen her anzugreifen, hatte keinen Erfolg, und das Bataillon war gezwungen, sich nach erlittenen Verlusten zurückzuziehen. Die Kämpfe um Waldbach wurden überaus erbittert geführt. Einzelne Gebäude wechselten mehrmals ihren Besitzer. Der Ausgang der Kämpfe wurde schließlich durch einen Sturmangriff des II. Bataillons und eine aus der Etappe vorgetragene Offensive des I. Bataillons entschieden und Waldbach am 13. April um sieben Uhr morgens eingenommen. Dabei wurde die verteidigende Garnison vollständig aufgerieben, und nur einzelnen Soldaten gelang es, sich in die umliegenden Wälder zu retten. Im Verlauf des 13. April setzte das II. Bataillon seinen Vormarsch in Richtung St. Jakob und Falkenstein fort, wobei es einzelne in den Bergen und in Gebäuden errichtete Widerstandsnester auszuschalten vermochte. Im Zuge dieser Operation wurde auf dem Gut Schachenbauer ein Munitionslager gesprengt, das den Einheiten des Volkssturmes als Nachschubbasis gedient hatte. Gleichzeitig trug das I. Bataillon Kämpfe um die Einnahme der Bahnstation Fischbach aus, wo es eine Gruppe von 50 Soldaten und Offizieren der Wehrmacht zerschlug. Insgesamt wurden im Verlauf der Kampfhandlungen durch das 91. Grenzregiment 230 Soldaten und Offiziere getötet, 13 Maschinengewehrnester zerstört, fünf schwere und vier leichte Maschinengewehrstellungen ausgeschaltet sowie ein Munitionslager gesprengt.

Natal'ja Eliseeva Zwischen 14. und 19. April trugen Einheiten des 91. Regiments Verteidigungskämpfe gegen neu formierte deutsche Infanterie- und Artilleriekräfte im Raum Fischbach aus. Am 18. April gingen die deutschen Truppen mit starken Kräften aus dem Verband der SS-Division „Totenkopf' nach vorangegangener Vorbereitung durch dichtes Artilleriefeuer zur Offensive über, wobei die am 18. April und auch am Folgetag vorgetragenen Angriffe unter Unterstützung von Artillerie und Minenwerfern des 181. Garde-Artillerie-Regiments der Roten Armee zurückgeschlagen wurden. Als Ergebnis der über einen Zeitraum von fünf Tagen ausgetragenen erbitterten Kämpfe hatte die Deutsche Wehrmacht bis zu 500 tote und verwundete Soldaten und Offiziere zu beklagen, zu denen noch der Verlust von vier schweren Maschinengewehren, sechs Maschinengewehrnestern, zwei Fahrzeugen und zwei Motorrädern kamen. Die ob der schweren Verluste stark geschwächten deutschen Truppen zogen sich in westlicher und nordwestlicher Richtung in den Raum Teufelstein zurück. In weiterer Folge entwickelten sich im Gebiet der Ortschaften Waldbach und Fischbach hinhaltende Gefechte, die mitunter auch im Nahkampf ausgetragen wurden. Beide Seiten hatten starke Infanteriekräfte zusammengezogen, die von Panzern, Geschützen, Minen- und Granatwerfern Feuerunterstützung erhielten. Am 22. April gingen starke deutsche Infanteriekräfte mit einer Stärke von bis zu zwei Divisionen aus dem Verband der 117. und der 22. Jäger-Schützendivision, unterstützt von drei Panzern, acht Selbstfahrgeschützen und zwei Schützenpanzerwagen zum Angriff über. Das schutzlose II. Bataillon musste diesem Druck weichen und zog sich zuerst an den Westrand von Waldbach und später nach Friedberg zurück, wo es Verteidigungsstellungen bezog. In den elf Tagen der Angriffs- und Verteidigungskämpfe wurden - so die Berichte des 91. Grenzregiments - den deutschen Truppen von Einheiten des Regiments folgende Verluste zugefügt: 1430 getötete Soldaten und Offiziere; zerstört wurden zwei Schützenpanzerwagen, zwei Fahrzeuge, drei Motorräder, 19 schwere Maschinengewehre, zwei Munitionslager und 25 Maschinengewehrnester; ausgeschaltet wurden eine Artilleriebatterie und eine Minenwerferbatterie; erbeutet wurden fünf Maschinengewehre, 59 Gewehre, acht Maschinenpistolen, sechs Pistolen und 3000 Patronen sowie eine 76-mm-Batterie und eine 120-mm-Minenwerferbatterie. Im gleichen Zeitraum verlor das 91. Grenzregiment 41 Soldaten und Offiziere, 163 wurden verwundet, fünf Angehörige des Regiments wurden als vermisst gemeldet.14 Zum Einsatz des 17. Grenzregiments in Graz Zur gleichen Zeit endete der Angriff der Roten Armee und von Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes auf Graz mit einer kampflosen Übergabe der Stadt. Am 8. Mai rückten Einheiten der Roten Armee und eine Abteilung des I. Bataillons des 17. Grenz-

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RGVA, F. 32900, op. 1, d. 214, S. 2-17. - Zu den Verhaftungsaktionen des 91. Belgoroder Grenzregiments vgl. ausführlich: Stefan Karner, „Ich bekam zehn Jahre Zwangsarbeit." Zu den Verschleppungen aus der Steiermark durch sowjetische Organe im Jahr 1945, in: Siegfried Beer (Hg.), Die „britische" Steiermark 1945-1955, S. 249-259.

Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee regiments nach Durchbrechen der Verteidigung auf Graz vor. Zwecks Vermeidung unnötiger Verluste hatte das Kommando der Roten Armee den Entschluss gefasst, eine Delegation von Parlamentären in die Stadt zu entsenden, denen folgende Aufgabe erteilt worden war: „Vordringen in den Stab des Feindes, wo die Mitteilung zu erstatten ist, dass die Truppen Marschall Tolbuchins die Stadt von allen Seiten umstellt haben, und zwecks Vermeidung unnötigen Blutvergießens ist vorzuschlagen, die Stadt unverzüglich zu übergeben und die sowjetischen Truppen ungehindert in Richtung Westen vorrücken zu lassen, anderenfalls werde die Stadt der Zerstörung durch die Luftwaffe, die Artillerie und durch Minenwerfer preisgegeben." 15 De facto waren zu diesem Zeitpunkt am Ostrand der Stadt bloß vier Selbstfahrgeschütze, vier Fahrzeuge mit Angehörigen des 1. Bataillons des 17. Grenzregiments und 20 Fahrzeuge der 3. Garde-Schützendivision postiert. Als Ergebnis der Verhandlungen wurde die Verteidigung der Stadt aufgelöst und der Rückzugsweg für die deutschen Einheiten versperrt. Am 9. Mai wurden von Einheiten des I. Bataillons 7500 Wehrmachtssoldaten gefangen genommen, entwaffnet und eine Einheit des Volkssturms mit einer Stärke von 260 Mann aufgelöst. 16 Die Truppen der 3. Ukrainischen Front setzten im Verlauf des Monats April bis zum 11. Mai 1945 ihre im März begonnene Offensive fort, im Zuge derer sie die Städte Wien, Wiener Neustadt, St. Pölten und Graz eroberten. Ab 7. Mai stießen die vorrückenden Truppen auf der Linie Mauthausen - Fluss Enns - Mitterhuber - Pusterwald - Mur - Lobming - Kainach - Oberdorf - Wildbach - Drau auf deutsche Truppen. 17 Einzelne in den Bergen versteckte Gruppen und Maschinengewehrnester leisteten, um einer Gefangennahme zu entgehen, weiterhin hartnäckigen Widerstand, und es kam zu einzelnen Fällen von Diversion gegen Angehörige der Roten Armee. Auf Grund der sich bietenden militärischen Lage hatten die Truppen zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front folgende Aufgaben zu erfüllen: „ 1. Auffinden und Festnahme von in die Etappe der Front eingedrungenen feindlichen Aufklärungselementen, Aufgreifen von Verrätern und deutschen Günstlingen in den befreiten Gebieten. 2. Zerschlagung feindlicher Gruppen und Einheiten, die ins Hinterland der Armee eingesickert waren. 3. Unterbindung von antisowjetischen Manifestationen jeglicher Art und von Banditenunwesen im Hinterland der Armee, Aufgreifen von Initiatoren und Teilnehmern an diesen Manifestationen. 4. Kampf gegen Desertion und Marodieren. 5. Umsetzung von gemeinsam mit den örtlichen Organen des NKVD durchzuführenden Maßnahmen zur Herstellung einer Frontordnung. 6. Überwachung der Kommunikation in einzelnen Abschnitten des Hinterlandes der Front." 18 15 16 17 18

RGVA, F. 32902, op. 1, d. 28, S. 246. Vgl. dazu auch den Beitrag von Edith Petschnigg, Die „sowjetische" Steiermark 1945, in diesem Band. Ebd. RGVA, F. 32900, op. l , d . 214, S. 80. RGVA, F. 32880, op. 1, d. 161, S. 23.

Natal'ja Eliseeva Die unmittelbare Umsetzung dieser Maßnahmen wurde den Grenzregimentern 17, 25, 91, 134 und 136 sowie der 109. Sonder-Manövergruppe übertragen. Einheiten des 17. Grenzregiments stießen dabei am 8. Mai auf österreichisches Gebiet vor und erreichten am 12. Mai die Linie Stallhofen - St. Johann - Stainz - Deutschlandsberg, wo ihnen der Schutz des Hinterlandes der 27. und 57. Armee oblag.19 Das 25. Grenzregiment versah seinen Dienst im Gebiet der Ortschaften Ehrenhausen, Gleinstätten, St. Martin, Wolfsberg und Wachsenberg, wo es das Hinterland der 57. Armee und der 1. Bulgarischen Armee schützte.20 Im Juni 1945 bewachte und eskortierte das 17. Grenzregiment ein Sonderkontingent (Angehörige der Vlasov-Armee) und versah zudem auch Wachdienst in Graz. Das 91. Grenzregiment führte von 7. bis 13. Mai eine Säuberung des Hinterlandes im Donauraum bis hin zu den Kampfräumen der 26. und 27. Armee durch, wobei Einheiten und Verbände der Roten Armee an die Demarkationslinie vordrangen und Einheiten des Regiments Dienst auf den Linien Krieglach - Graz und Aspang - Bierbaum versahen.21 Im Juni 1945 übernahmen ein Bataillon und eine Manövergruppe des 91. Grenzregiments die Bewachung und Eskortierung eines aus Angehörigen der Vlasov-Armee bestehenden Sonderkontingents und versahen dazu auch Wachdienst auf den Linien Köszeg - Bruck sowie Körmend - Graz. Das 134. Grenzregiment folgte ab 9. Mai den Einheiten der Roten Armee und nahm im Operationsgebiet der 26. Armee auf der Linie Baden - Kroisbach - Stollberg - Kirchberg und auch im Raum Edlitz, Krieglach, Aflenz, Hieflau und Admont eine Säuberung der befreiten Gebiete von Soldaten und Offizieren der Wehrmacht vor.22 In der zweiten Maihälfte versah es seinen Dienst im Bezirk Judenburg. Im Juni eskortierten zwei Bataillone des 134. Grenzregiments Angehörige der Vlasov-Armee vom Übergabepunkt in Judenburg in Sonderlager in Graz und Feldbach; 23 ein weiteres Bataillon dieses Regiments versah Dienst in der Stadt Bruck an der Mur. Das 336. Grenzregiment führte von 7. bis 15. Mai eine Säuberung des Hinterlandes der 4. Garde-Armee im Gebiet zwischen Donau und den Ortschaften Hedervär, Neusiedl, Mannersdorf, Kroisbach und Stollberg durch und versah in weiterer Folge Dienst in den Bezirken Scheibbs, Waidhofen an der Ybbs und Steyr.24 Im Juni 1945 wurden Einheiten des 336. Grenzregiments zur Sicherstellung der Ordnung in Wien abgezogen und übernahmen dabei die Bewachung von Regierungseinrichtungen und einer Reihe von Mitgliedern der Provisorischen Staatsregierung. Der 109. Sonder-Manövergruppe oblag in den Monaten Mai und Juni die Abwicklung der Kontrolle auf den aus Wiener Neustadt, Laxenburg und Himberg nach 19 20 21 22 23

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RGVA, F. 32900, op. 1, d. 217, S. 19. Ebd., S. 33. Ebd., S. 48f. - Vgl. Karner, Verschleppungen, S. 249-259. Ebd., S. 60. Zur Übergabe von Vlasov- und Kosakentruppen in Judenburg vgl. Stefan Karner, Zur Auslieferung der Kosaken an die Sowjets 1945 in Judenburg, in: Johann Andritsch, Judenburg 1945 in Augenzeugenberichten. Judenburg 1994, S. 243-259; Nikolai Tolstoy, Die Verratenen von Jalta. Die Schuld der Alliierten vor der Geschichte. München 1978. Ebd., S. 75f.

Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee Wien führenden Hauptverkehrsstraßen und dazu die Bewachung einer Donaubrücke in Wien. 25 Das in operativer Hinsicht den Truppen zum Schutz des Hinterlandes unterstellte 40. Schützen-Regiment versah Dienst in Wien und bewachte Einrichtungen der österreichischen Regierung. 26 Diese Bewachung betraf Gebäude, in denen folgende Regierungseinrichtungen untergebracht waren: Staatskanzlei, Innenministerium, Ministerium für Volksbildung, Ministerium für Volksernährung, Justizministerium, Sozialministerium, Finanzministerium u. a. Außerdem wurde eine Sonderbewachung für zwölf österreichische politische Akteure abgestellt, wie etwa für den Staatssekretär für Handel, Eduard Heini, für Staatsekretär Ernst Fischer, für den Staatssekretär für Finanzen, Georg Zimmermann, u. a.27 Auch nach der Kapitulation der deutschen Truppen und dem Friedensschluss blieb die Situation der Truppen zum Schutz des Hinterlandes weiterhin schwierig. Die operative Lage, die im Dienstplan der Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front für den Monat Juni 1945 dargelegt wurde, charakterisierte sich wie folgt: „Das von der Roten Armee befreite Gebiet Ungarns und Österreichs, hierbei vor allem Wien, ist in hohem Maße von zurückgebliebener deutscher Aufklärung, von Mitgliedern faschistischer Parteien und Organisationen, Mitarbeitern der Gestapo, ehemaligen hochrangigen nationalsozialistischen Akteuren und jeglicher Art von verbrecherischen Elementen durchsetzt. Ein Teil der Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei und der Mitarbeiter der Gestapo sind in den Untergrund abgetaucht, andere legalisieren ihre Identität mit gefälschten Dokumenten. Die zersetzende Tätigkeit aller pro-nationalsozialistischen Elemente zielt in erster Linie auf das Betreiben einer verleumderischen Propaganda gegen die Rote Armee und zu deren Diskreditierung, das Ausüben von Diversion und von terroristischen Akten gegen Angehörige der Roten Armee ab. Der Terror nimmt weitreichende Ausmaße an, wobei zu einer seiner am weitesten verbreiteten Formen Mord aus dem Hinterhalt zählt.28 So wurden etwa zwischen 11. und 16. April nächtens in Wien 29 Gebäude und eine Fabrik in Brand gesteckt, die daraufhin vollständig ausbrannten. Am 23. Mai wurden auf der Bahnstation des 21. Wiener Bezirkes für einen Transport in die UdSSR vorgesehene Waggons mit dem Schriftzug ,Sand' versehen. Am 26. Mai wurde in Wien das Lager der Firma ,Mannesmann' in Brand gesteckt. Am 31. Mai wurde die sich bei der Wiener Hauptbrücke befindende Anlagestelle der Donauflottille in Brand gesteckt. Während des Brandes kam es zu drei Explosionen, bei denen ein Matrose ums Leben kam und zwei weitere verletzt wurden. Am 6. Juli wurden Weichenanlagen auf der Eisenbahnstrecke Traismauer - Herzogenburg in die Luft gesprengt. Am 14. Juli wurde in Wien ein Säge-

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RGVA, F. 32900, op. 1, d. 217, S. 91 f. Ebd., S. lOlf. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 212, S. 18-21: Seiten 18 u. 19 abgedruckt in: Stefan Kamer - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 29. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 211, S. 94.

Natal'ja Eliseeva werk in Brand gesteckt, das daraufhin vollständig ausbrannte. 29 Besondere Erwähnung verdient folgender Zwischenfall: Am 16. Juni 1945 kam es in Mollmannsdorf zu einem Angriff von Ortsbewohnern auf Angehörige der 100. Garde-Schützendivision und auf Mitarbeiter der Militärkommandantur des 21. Wiener Bezirkes. Zehn Militärpersonen, die sich zwecks Bereitstellung von Futtermitteln in der Ortschaft aufhielten, wurden dabei entwaffnet und mit Schaufeln und Hacken traktiert. Um sich zu schützen, eröffnete eine Gruppe von Soldaten das Feuer, infolgedessen zwei Ortsbewohner verwundet und 20 festgenommen wurden. Beim Verhör gaben die Verhafteten an, dass der Bürgermeister des Dorfes bei einer Bürgerversammlung den Befehl erteilt hätte, sämtliche Rotarmisten aus dem Dorf zu jagen und die Polizisten dieses Dorfes zu einem Kampf gegen die Rote Armee aufgerufen hätte."30 In einer Reihe von normativen Dokumenten wurde festgehalten, dass im Zusammenhang mit der von Einheiten der Roten Armee und der alliierten Armeen vorgenommenen ungenügenden Bewachung der zwischen diesen auf dem Gebiet Österreichs vorübergehend gezogenen Demarkationslinie die Möglichkeit bestünde, diese zu überschreiten, wodurch es zum Entstehen idealer Bedingungen für ein Abwandern krimineller Elemente auf die Seite der alliierten Armeen und für ein Eindringen unerwünschter Elemente in das Hinterland der sowjetischen Truppen kommen würde. Das Kommando hielt weiters fest, dass die Deutsche Wehrmacht bei ihrem überstürzten Abzug in einigen Ortschaften und vor allem auch in Wien Waffen- und Munitionslager zurückgelassen hätte. Ein Teil dieser Lager wäre noch nicht unter Bewachung genommen worden, was sich das pronationalsozialistische Element zur Entwendung von Waffen zunutze gemacht hätte. Die deutsche Aufklärung hätte in Österreich über ein dichtes Netz an Schulen zur Ausbildung von Agenten und Diversanten sowie von Terroristen zur Ausübung zersetzender Tätigkeiten auf dem von der Roten Armee besetzten Gebiet Österreichs verfügt. Diese Schulen hätten ihren Betrieb kurz vor dem Abzug der deutschen Truppen eingestellt, wobei sie ihre Absolventen zwecks Durchführung praktischer Arbeit in Österreich belassen hätten. Auch offizielle Mitarbeiter der Gestapo und führende Köpfe der österreichischen faschistischen Partei wären nach Österreich zurückgekehrt, um für die deutsche Aufklärung aus Mitgliedern der Nationalsozialistischen Partei rekrutierte Diversions- und Terrorgruppen zu leiten. Aus dem aktiven Parteikader wäre zur VerÜbung von terroristischen Aktionen gegen Angehörige der Roten Armee die bewaffnete Einheit „Werwolf' aufgestellt worden. Zur Verrichtung zersetzender Tätigkeiten in Ungarn wäre eine große Zahl an Agenten und Diversanten sowie Terroristen aus dem Mannschaftsstand der ungarischen SS-Divisionen „Hunyadi", „Nembös" und „Örensz" ausgebildet worden. Ein Teil der Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei und Mitarbeiter der Gestapo wären in den Untergrund gegangen und hätten sich gefälschte Dokumente verschafft. So etwa waren am 30. Mai 1945 in den Wäldern des Bezirks Leoben von einer Abteilung des 17. Grenzregiments 16 Personen in Zivilkleidung festgenommen worden. Bei den darauf folgenden Ermitt29 30

RGVA, F. 32900, op. 1, d. 220, S. 195. RGVA, F. 32900, op. 2, d. 330, S. 191.

Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee lungen stellte es sich heraus, dass diese Personen allesamt Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei gewesen waren und von 16. April bis 5. Mai 1945 auf Spezialkursen in Admont zu Operationen im Hinterland der Roten Armee ausgebildet worden waren, konkrete Aufgaben zur Verrichtung von Diversion erteilt bekommen und im Besitz von diversen Waffen, darunter auch Schusswaffen, gestanden hatten.31 Diversions- und Terrorgruppen verfügten in Österreich über geheime Waffen- und Munitionslager. Von April bis Juni 1945 wurden drei solcher Waffenlager entdeckt, in denen man 1602 Gewehre, 984 Maschinenpistolen, 79 Pistolen, 34 Maschinengewehre, vier Minenwerfer, 200 Granaten, 25 Tonnen explosives Gerät und auch Zündschnüre in der Länge von 96,7 Kilometern beschlagnahmte. 32 Nach der Kapitulation der deutschen Truppen suchten sowjetische Soldaten, die in Wehrmachtseinheiten gedient hatten, aus Angst vor den Konsequenzen für die von ihnen verübten Verbrechen vor allem in Wäldern und in den Bergen Zuflucht. Ein Teil von ihnen behielt seine Waffen und beraubte die örtliche Bevölkerung, andere gaben sich als ehemalige gefangene Rotarmisten aus und versuchten in Sammel-Filtrationslager einzusickern, um in diesen die „Filtration" zu durchlaufen und sodann auf legalem Weg in die UdSSR zurückkehren zu können. Noch nicht gefangen genommene Soldaten und Offiziere versteckten sich an unzugänglichen Plätzen oder versuchten sich in Zivilbekleidung gemeinsam mit von den Deutschen evakuierten Zivilisten an ihren Wohnort durchzuschlagen. Einige ehemalige Angehörige der Deutschen Wehrmacht gaben sich sogar als zu repatriierende Bürger alliierter Staaten aus. Es kam weiterhin zu verbrecherischen Übergriffen gegen Angehörige der Roten Armee, wobei sich vor allem Mord aus dem Hinterhalt und der Verkauf vergifteter Spirituosen zu gängigen Formen des Terrors entwickelten. Vermerkt wurden auch häufige, von Österreichern begangene Verstöße an der Demarkationslinie, die sich vor allem an der Grenze zwischen der sowjetischen und der britischen Zone ereigneten. In einer Reihe von Dokumenten wurde festgehalten, dass sich Angehörige der Truppen zum Schutz des Hinterlandes und von Einheiten der Roten Armee oftmals ungebührend gegenüber der örtlichen Bevölkerung verhielten und es zu Fällen von Übergriffen, Raub und Vergewaltigung kam 33 , wobei es anzumerken gilt, dass das Kommando derartige Fälle sehr wohl ahndete. Angehörige der Inneren Truppen, die sich des Raubes und der Verübung von Gewalttaten schuldig gemacht hatten, wurden gemäß dem Strafkodex zur Verantwortung gezogen und zu Haftstrafen unterschiedlicher Dauer (von drei bis zu zehn Jahren) verurteilt, die in Arbeitskolonien und in Lagern auf dem Gebiet der UdSSR zu verbüßen waren. Im Zuge der Umsetzung der ihnen erteilten Aufgaben wurden von den Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front zwischen 10. und

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RGVA, F. 32902, op. 1, d. 28, S. 247. Vgl. dazu den Beitrag von Harald Knoll und Barbara StelzlMarx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band. RGVA, F. 32902, op. 1, d. 220, S. 197. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 211, S. 169f.

Natal'ja Eliseeva 31. Mai 1945 142.072 Personen festgenommen, von denen 68.798 als Soldaten und Offiziere in der Deutschen Wehrmacht gedient hatten. Außerdem wurden den Inneren Truppen gemäß Befehl des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten, Lavrentij P. Berija, 9765 ehemalige Angehörige des 15. Kosaken-Korps übergeben, unter denen sich auch Generalleutnant Helmuth von Pannwitz und die ehemaligen Generäle der weißgardistischen Truppen Krasnov und Skuro befanden. Im Rahmen der durchgeführten Filtration der Festgenommenen wurden insgesamt 525 Personen als Diversanten, Angehörige der Aufklärung, Polizisten, Angehörige von Strafkommandos, Deserteure usw. eingestuft. 34 Im Juni 1945 verhafteten die Grenztruppen in Österreich 15.374 Personen, darunter 1.925 Soldaten und Offiziere 35 , von denen 358 den oben genannten Kategorien angehörten. Im Verlaufe des Monats Juni wurden 15 Transporte mit insgesamt 25.722 Personen in die UdSSR verbracht, unter denen sich 17 Generäle, 1516 Offiziere und 19.040 Soldaten der Deutschen Wehrmacht befanden. 36 In Anbetracht der gebotenen Lage, der Einstellung der Kampfhandlungen und des für die Fronttruppen einsetzenden Garnisonsdienstes in Friedenszeiten wurden den Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front nun folgende konkrete Aufgaben übertragen: „1. Bewachung der zwischen den Fronttruppen der Roten Armee und den Truppen der Alliierten gezogenen provisorischen Demarkationslinie; 2. Erhöhung der Gefechtsbereitschaft der Einheiten und Steigerung der Qualität des verrichteten Dienstes unter den spezifischen Bedingungen der berg- und waldreichen Topografie Österreichs; 3. Auffindung und Verhaftung, beim Leisten von Widerstand Vernichtung von kleinen Gruppen und einzeln auftretenden Soldaten des Feindes, die sich einer Gefangennahme durch Einheiten der Roten Armee entziehen konnten, und auch von Spionen, Diversanten, Terroristen und anderen verbrecherischen Elementen; 4. Unterbindung jedweder Art von gegen die Truppen zum Schutz des Hinterlandes und gegen die Truppen der Roten Armee gerichteten verbrecherischen Handlungen und des Auftretens von Banditentum auf dem von der Roten Armee besetzten Gebiet; 5. Verhindern eines Einsickerns in die Etappe von Bürgern, die von den Deutschen aus besetzten Staaten verschleppt worden waren, von kleinen Gruppen und einzeln auftretenden Angehörigen der Roten Armee, die sich in feindlicher Gefangenschaft befunden hatten, von Personen, die freiwillig in der Deutschen Wehrmacht gedient hatten, und auch von Angehörigen der Roten Armee, die ohne gültige Dokumente angetroffen wurden; 6. Herstellung einer umfassenden Gefechtsbereitschaft der Einheiten zum Zwecke einer Niederschlagung jedweder Art von bewaffneten Angriffen seitens feindselig

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RGVA, F. 32900, op. 1, d. 217, S. 34. Ebd., S. 102. Ebd., S. 103.

Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee eingestellter verbrecherischer Elemente auf militärische Verbindungseinrichtungen, Organe der Verwaltungsbehörden und auf die Truppenstäbe." 37 Entsprechend den erteilten Aufgaben war der Dienst der Truppen zum Schutz des Hinterlandes der Südlichen Gruppe der Streitkräfte im Juni 1945 wie folgt festgelegt worden: Das III. Bataillon des 17. Grenzregiments übernahm die Bewachung des für kriegsgefangene Angehörige der Vlasov-Armee vorgesehenen Lagers Nr. 304 in Märmaros Sziget,38 Einheiten des I. und II. Bataillons eskortierten dieses Sonderkontingent mit Vlasov-Leuten in die UdSSR, woraufhin sie ihre Gefechtsbereitschaft herstellten und nach Bulgarien verlegt wurden. Das 22. Grenzregiment beteiligte sich bis zum 18. Juli an der Bewachung und Eskortierung genannten Sonderkontingents, woraufhin es den Weg nach Rumänien antrat. Das 91. Grenzregiment nahm mit einem Bataillon und einer Manövergruppe ebenso an der Bewachung und Eskortierung des Sonderkontingents teil; ein Bataillon dieses Regiments versah Dienst im Räume von Köszeg und Bruck an der Leitha. Das 134. Grenzregiment war mit einem Bataillon an der Eskortierung beteiligt, zwei andere wurden im Räume Bruck an der Mur und Judenburg stationiert. Mit 26. Juli wurde letztgenanntes Regiment gemäß einer Verordnung des Chefs der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee für den Chef der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der ehemaligen 4. Ukrainischen Front abgestellt. Das 336. Grenzregiment versah mit einem Bataillon Dienst im Räume Wien, St. Pölten, Enns und auf der Linie Traismauer - St. Pölten - Wilhelmsburg. Dazu wurde ein Bataillon dieses Regiments für die Aufrechterhaltung der Ordnung in Wien und für die Festnahme verbrecherischer Elemente eingesetzt. Am 12. Juli 1945 wurde letztgenanntes Regiment gemäß einer Verordnung der Hauptverwaltung des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee für den Chef der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Zentralen Gruppe der sowjetischen Streitkräfte abgestellt. Das 40. Schützen-Regiment der Inneren Truppen versah Dienst in Wien und bewachte Einrichtungen der österreichischen Regierung. Die 109. Sonder-Manövergruppe war bis 25. Juli mit Gefechtsausbildung beschäftigt und brach an genanntem Tag in Richtung Constanta auf.39 Im Juli 1945 wurden von den Inneren Truppen in der letzten Phase ihres Aufenthaltes in Österreich 2148 Personen festgenommen und überprüft. In diesem Monat wurden insgesamt auch 22.852 ehemalige Angehörige der Vlasov-Armee mit elf Transporten in die UdSSR verbracht. Unter den Festgenommenen wurden 35 Personen als Terroristen, drei als Angehörige der Aufklärung, acht als Heimatverräter, vier als Angehörige der Polizei und von Strafkommandos und 28 als Deserteure eingestuft. 40 Im August 1945 wurden im Zusammenhang mit der Verlegung der Einheiten der Südlichen Gruppe der Streitkräfte aus Österreich nach Rumänien auch die Truppen zum 37 38 39 40

RGVA, F. 32900, op. 1, d. 211, S. 96, 119, 120; RGVA, F. 32900, op. 1, d. 212, S. 32f. Vgl. dazu Harald Knoll, Die Repatriierungslager für Österreicher aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft, in: ÖGL 6/1997, S. 4 0 3 ^ 2 2 . RGVA, F. 32900, op. 1, d. 217, S. 182. Ebd., S. 183.

Natal'ja Eliseeva Schutz deren Hinterlandes in Richtung Rumänien und Bulgarien in Marsch gesetzt.41 Somit erstreckte sich der Zeitraum des Aufenthaltes der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front (bzw. der Südlichen Gruppe der sowjetischen Streitkräfte) auf österreichischem Gebiet auf die Monate von April bis Juli 1945. An Orten, an denen Kampfhandlungen ausgetragen wurden, erinnern Gräber an die gefallenen Soldaten und Offiziere. Äußerst exakte Aufzeichnungen bestehen zu den von Einheiten des 91. Grenzregiments geführten Kämpfen um die Ortschaften Waldbach und Fischbach. Die Grabstätten der gefallenen Soldaten liegen verstreut an all jenen Orten, an denen es zu Kämpfen gekommen war, wobei in jedem Grab zwei bis drei Personen beigesetzt wurden. Es ist davon auszugehen, dass es in weiterer Folge zu Umbettungen kam und in jeder Stadt bzw. in jedem Bezirk ein Massengrab angelegt wurde. Das Russische Staatliche Militärarchiv verfügt über Dokumente und ein Verzeichnis, die eine genaue Bestimmung der Namen der in Österreich gefallenen Angehörigen der Inneren Truppen des NKVD und von deren Grablage ermöglichen würde. Im Archiv liegen Namenslisten der Gefallenen mit Angabe des konkreten Ortes und eines grafischen Schemas oder sogar einer Fotografie der Grabstätte auf. Außerdem ist das Archiv im Besitz einer Kartothek, die die Verluste innerhalb des Mannschaftsstandes der Inneren Truppen und der Grenztruppen des NKVD dokumentiert. Auf Grundlage dieser Informationen zu den ursprünglichen Beisetzungsstätten wäre eine Bestandsaufnahme zu deren derzeitigem Zustand und eine Eintragung der Namen der Gefallenen möglich, wobei außer Zweifel steht, dass diese Arbeit von Interesse bekundenden Organisationen Russlands und Österreichs gemeinsam durchzuführen wäre. Übersetzung aus dem Russischen: Arno Wonisch

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RGVA, F. 32900, op. 1, d. 211, S. 159.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler

Unter sowjetischer Kontrolle Zur Regierungsbildung in Österreich 1945

Die Bilder der Amtsübernahme der Provisorischen Österreichischen Staatsregierung vom 29. April 1945, die Staatskanzler Karl Renner gemeinsam mit sowjetischen Militärs vor dem Parlament stehend zeigten, erregten auf Seite der Westmächte tiefstes Misstrauen und Unbehagen.' Sie erweckten den Eindruck, die Sowjets hätten nun auch in Österreich eine Marionettenregierung installiert, wie bereits zuvor in Bulgarien, Polen, Rumänien und Ungarn. In Jalta war es Iosif Stalin gelungen, die Diskussion über die Zukunft Mittelost- und Südosteuropas im Rahmen der Schaffung souveräner Staaten zu führen und damit die Konföderationspläne der Briten (mit Wien als eventueller Hauptstadt)2 ins Leere laufen zu lassen. Dies gab Stalin ab diesem Zeitpunkt zudem die Möglichkeit, in Mittelostund Osteuropa punktuell in Etappen vorzugehen. 3 In einem Land nach dem anderen übernahmen schließlich auch die Kommunisten die Macht. Amerikaner und Briten akzeptierten zunächst aber auch nicht die in den osteuropäischen Ländern installierten sowjetfreundlichen Regierungen, im Falle Österreichs waren sie ebenso nicht bereit, eine „Marionettenregierung" Stalins zu billigen, und verweigerten dem Provisorischen Kabinett Renner ihre Anerkennung.

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Siegfried Beer, Wien in der frühen Besatzungszeit. Erkundungen des US-Geheimdienstes OSS/SSU im Jahre 1945. Eine exemplarische Dokumentation, in: Ferdinand Opll - Karl Fischer (Hg.), Studien zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Bd. 51. Wien 1995, S. 35-92, hier: S. 46. Vojtech Mastny, Russia's Road to the Cold War. Diplomacy, Warfare, and the Politics of Communism, 1941-1945. New York 1979, S. 234. Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Neuaufl. Graz - Wien - Köln 1995, S. 15ff. Donal O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire". Die sowjetische Osteuropapolitik und die Reaktionen des Westens 1939-1949. Paderborn u. a. 2003, S. 2 3 7 - 2 4 2 u. 306; Jost Dülffer, Jalta, 4. Februar 1945. Der Zweite Weltkrieg und die Entstehung der bipolaren Welt. München 1998. Jalta ermöglichte Stalin nunmehr zu punktuellem Vorgehen in den einzelnen osteuropäischen Ländern. Es kann durchaus gemutmaßt werden, dass sich Stalin in Bezug auf Österreich ein leichteres Vorgehen versprach, um es nach dem Krieg möglicherweise unter sowjetischen Einfluss zu bringen. Vgl. Günter Bischof, Die Planung und Politik der Alliierten 1940-1954, in: Rolf Steininger - Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Vom Weltkrieg bis zur Gegenwart. Bd. 2. Wien - K ö l n - W e i m a r 1997, S. 107-146, hier: S. 111.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler

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In London hatten sich die Alliierten in der European Advisory Commission (EAC) ihren Absichten zu Österreich prinzipiell bloß auf folgende Schritte geeinigt: Schaffung eines Kontrollmechanismus (= Einsetzung einer Militärregierung); Schaffung einer Verwaltungsstruktur; Langsamer Übergang von einer militärischen zu einer zivilen Verwaltung.

Einzig die Briten hatten für die Zeit nach dem Krieg weiterführende Vorschläge ausgearbeitet und in der EAC präsentiert, von den Sowjets gab es in London jedoch nicht einmal eine offizielle Reaktion. 4 Der sowjetische Vertreter Fedor Gusev erhielt für die Verhandlungen in London lediglich Anweisungen zu Fragen der Aufteilung Österreichs in alliierte Besatzungszonen; die sowjetische Seite ließ offen, ob Österreich Reparationen zu leisten habe.5 Diese konzeptive Absenz der Sowjets entsprach auch der Situation der sowjetischen Nachkriegsplanung für Europa. Tatsächlich hatte die sowjetische Regierung während des Krieges noch keine konkreten Ideen zur personellen Zusammensetzung einer österreichischen Regierung angestellt. Generell galt: Wie in ganz Europa sollte auch in Österreich versucht werden, das Land über das generelle Konzept der Bildung einer Nationalen Front Schritt für Schritt kommunistisch zu machen. Österreich sollte in der sowjetischen Strategie also eine sozialistische Gesellschaftsordnung nicht durch einen revolutionären Umbruch erhalten und von der KP geführt werden, sondern nach einer langsamen Entwicklung, evolutionär, nach einem Zeitraum von mindestens 30 und maximal 50 Jahren. 6 Das sowjetische Vorgehen auch in Österreich ist im Lichte der sowjetischen globalen Sicherheitspolitik zu sehen, die darauf abzielte, langfristig „Frieden" in Europa im Sinne eines Niederhaltens potentieller Großmachtgegner (in erster Linie Deutschlands) zu bewahren, um der Sowjetunion Sicherheit zu garantieren. 7 Zwar waren die österreichischen Kommunisten im Moskauer Exil konzeptionell nicht untätig geblieben, 8 die Umsetzung ihrer Pläne wurde von Stalin jedoch nur sehr bedingt berücksichtigt. Die Planungen der österreichischen Exilanten im Westen waren von den Sowjets gar nicht in Betracht gezogen worden, sie gaben Stalin höchstens den 4

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Zum britisch-sowjetischen Schlagabtausch um das von den Briten eingebrachte Memorandum zur Nachkriegsordnung Europas siehe Jochen Laufer, Die UdSSR und die Zoneneinteilung Deutschlands (1943/44), in: ZfG. 1995/43, S. 309-331. Zur EAC siehe v. a. Hans-Günter Kowalski, Die European Advisory Commission als Instrument alliierter Deutschland-Planungen 1943-1945, in: VfZG. 1971/19, S. 261-293. Weiters: I. C. B. Dear (Hg.), The Oxford Companion to World War II. Oxford 1995, S. 342. AVP RF, F. 07, op. 10, p. 13, d. 159, S. 9 - 1 1 , 18-21, 82-84. Bericht über die Diskussionen in der European Advisory Commission über die Besetzung Österreichs, 8.5.-6.9.1945. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - Münchent 2005, Dokument Nr. 4. Vgl. dazu die entsprechenden Planungen der Majskij-Kommission zum Übergang zum Kommunismus in ganz Europa. Siehe Eduard Mark, Revolution by Degrees. Stalin's National-Front Strategy for Europe, 1941-1947. CWIHP. Working Paper Nr. 31. Washington, D. C. 2001. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 194. Siehe dazu den Beitrag von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band. Siehe dazu den Beitrag von Natal'ja Lebedeva, Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil, in diesem Band.

Unter sowjetischer Kontrolle Anstoß, sich nun Gedanken über Österreich zu machen: Es galt eine Person zu finden, die geeignet wäre, in Österreich die sowjetischen Pläne hinsichtlich der „Nationalen Volksfront"-Strategie, d. h. der nationalen Vereinigung der linken Kräfte, umzusetzen. „Westliche Optionen" Zwischen 10. und 25. März 1945 traten Ernst Lemberger 9 und Fritz Molden von der Widerstandsbewegung „ 0 5 " in Paris an den sowjetischen Verbindungsoffizier der Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) 10 heran", mit dem Ersuchen, in Moskau eine Vertretung des Provisorischen Österreichischen Nationalkomitees (POEN) einzurichten.' 2 Eine bürgerliche, von den Westmächten gestützte Regierung, wie sie von Lemberger und Molden angestrebt wurde, widersprach natürlich den Interessen der sowjetischen Führung. Es wurde allerdings vereinbart, dass die „Ö5" einen bevollmächtigten Vertreter, Ferdinand Käs, über die Frontlinie hinweg zu Marschall Fedor Tolbuchin schicken würde. Dafür wurde ein eigener Code abgesprochen. 13 Viel früher bereits hatte die „Österreichische Vereinigung" unter Bruno Kreisky im schwedischen Exil mehrmals Kontakt mit der sowjetischen Botschaft in Stockholm aufgenommen und „die Bereitschaft signalisiert, am Aufbau Österreichs teilzuhaben" 14 und der sowjetischen Regierung ihre Dienste angeboten. Die Sowjets sahen in den Exil-Österreichern allerdings nur Handlanger der Briten: „Die hiesigen Österreicher, außer den Kommunisten, sind eng mit der amerikanischen und britischen Mission verbunden. Uns ist bekannt, dass die Briten ihnen diktieren, dass sie Verbindungen mit den österreichischen Politemigranten, die in der UdSSR arbeiten, aufnehmen [...]. Deshalb müssen wir die Kontaktnahme der Österreicher mit uns als eine in der Linie der britischen Politik zur Österreich-Frage stehende betrachten. Die Briten möchten sich, wie ersichtlich ist, über die hiesigen Österreicher (in erster Linie über die Sozialdemokraten) in die österreichische Freiheitsfront' einbringen, die unter dem Einfluss der in der UdSSR arbeitenden österreichischen Politemigranten steht." 15

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Ernst Lemberger, alias Jean Lambert, emigrierte 1938 nach Frankreich und war während des Zweiten Weltkrieges führendes Mitglied in der Französischen Widerstandsbewegung. Nach 1945 war er Botschafter Österreichs, u. a. in Brüssel, Washington und Paris. Die S H A E F hatte ihre erste Sitzung am 15.12.1943. Zur Struktur der S H A E F siehe The Oxford Companion to World War II, S. 998-1000. Siehe dazu Fritz Molden, Fepolinski & Waschlapski. Auf dem berstenden Stem. Wien - München - Zürich 1976, S. 352-354. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 68. Vgl. Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1943-1945. Materialien zur Zeitgeschichte. Bd. 1. Wien 1977, S. 160f. Molden, Fepolinski & Waschlapski, S. 354f. Die Berichterstattung über den von Major Szokoll geplanten Aufstand kann nunmehr auch mit sowjetischen Quellen belegt werden. C A M O , F. 243, op. 2912, d. 146, S. 118-120. Bericht des Kommandierenden der 9. Garde-Armee an den Chef des Generalstabes der Roten Armee über den in Wien vorbereiteten Aufstand. Abgedruckt in: Karner - StelzlMarx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 14. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 120, d. 27, S. 7. Bericht des ersten Missionssekretärs der UdSSR in Schweden, V. Razin, an die 3. Europäische Abteilung des sowjetischen Außenministeriums, 19.12.1944. Ebd.

Stefan Karner - Peter

Ruggenthaler

Nicht im Interesse der Sowjetunion standen zudem die ominösen Pläne von Prof. Josef Dobretsberger, der sich während des Zweiten Weltkrieges im Exil in der Türkei und Ägypten befunden hatte16, an der Spitze einer österreichischen Regierung zu etablieren, ebenso angebliche britische Pläne, Ex-Kanzler Schuschnigg zu reaktivieren, wie dies ein SMERS-Bericht festhielt. 17 Der Besuch Otto Habsburgs in Tirol im Jänner 1946 18 , der während des Krieges im amerikanischen Exil mittels des Austrian National Committe versucht hatte, eine repräsentative österreichische Vertretung zu bilden 19 , lief den sowjetischen Vorhaben freilich ebenso zuwider.

D i e Exil-KPÖ Ende März 1945 rückte im Kreml die österreichische Frage auch in das Blickfeld Stalins. Die Zeit drängte, um die Personalfrage in Österreich zu klären. Konnte ein „österreichischer Miklos" 20 gefunden werden? Das Anforderungsprofil war klar: Es musste sich um eine anerkannte Persönlichkeit handeln und diese musste in der Lage sein, die linken Kräfte zu vereinen. Auf der Suche nach einem Provisorischen Regierungschef für Österreich rief Stalin am 2. April 1945 den Leiter der Abteilung für internationale Information des ZK der KPdSU, Georgi Dimitrov, zu sich und wies ihn an, „ein paar nützliche Österreicher auszuwählen, um sie zur 3. Ukrainischen Front zu schicken".21 Österreich soll, so Stalin an Dimitrov, in seinem Status quo von 1938 wiederhergestellt werden.22 Dimitrov teilte Stalin am nächsten Tag mit, dass er gemeinsam mit dem Zentralsekretär der KPÖ, Johann Koplenig, die sich in der UdSSR befindlichen Österreicher, Kommunisten und

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Dieter A. Binder, Karl Maria Stepan. Josef Dobretsberger. Verlorene Positionen des christlichen Lagers. Wien 1992, S. 39^13. Im Außenamt kursierten noch im Mai 1945 Gerüchte um eine mögliche, von den Briten unterstützte Regierung Dobretsberger. ÖStA/AdR-AA, II-pol. 1945, Κ. 1 (1-100), 13, 5.5.1945; Siehe dazu auch Eva-Marie Csäky - Franz Matscher - Gerald Stourzh (Hg.), Josef Schöner. Wiener Tagebuch 1944/1945. Wien - Köln - Weimar 1992, S. 165 (Aufzeichnungen v. 18.4.1945). Ein sowjetischer Geheimdienstbericht hielt 1947 fälschlicherweise fest, dass sich Dobretsberger lange Zeit im US-Exil befunden hätte und von den Amerikanern für den Posten des künftigen Kanzlers vorbereitet worden wäre. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 29, S. 201-207. AVPRF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 5, S. 10-16. SMERS-Bericht v. 26.10.1945. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 117, S. 97f. Politbericht des Chefs der Propagandaabteilung der SCSK, Pasecnik, an das ZK der VKP(b), August 1946. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 96. Siehe dazu auch den ausführlichen Geheimdienstbericht vom 18.5.1947 zu angeblichen westlichen Planungen mit Habsburg, CAFSB, F. 135, op. 1, d. 29, S. 117-147. Siehe dazu v. a. DÖW (Hg.), Österreicher im Exil. USA 1938-1945. Eine Dokumentation. 2 Bde. Wien 1995. Jänos M. Rainer, Der Weg der ungarischen Volksdemokratie. Das Mehrparteiensystem und seine Beseitigung 1944—1949, in: Stefan Creuzberger- Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949. Paderborn 2002, S. 319-352. Ivo Banac (Hg.), The Diary of Georgi Dimitrov 1933-1949. New Haven - London 2003, S. 365. Ebd. Dass Stalin den Status quo von 1938 ansprach, lässt darauf schließen, dass er die Grenzen und die Größe Österreichs ins Auge gefasst hatte, eine Restauration des Ständestaates lag freilich nie in Stalins Interesse. Vgl. Manfried Rauchensteiner, Nachkriegsösterreich 1945, in: Österreichische Militärische Zeitschrift. 1972/6, S. 4 0 7 ^ 2 1 , hier: S. 413.

Unter sowjetischer

Kontrolle

kriegsgefangene „Antifaschisten", geprüft habe. 23 Demzufolge empfahl Dimitrov Stalin „zur Abreise von hier zur 3. Ukrainischen Front" folgende Österreicher:24 Koplenig selbst, Ernst Fischer 25 , G. Günter, Robert Rosak, Andreas Kirschhofer, Georg Gutschi, Franz Finstermann und Karl Frick.26 „Neben diesen Österreichern befinden sich noch die österreichischen Genossen Franz Honner und Friedl Fürnberg in Jugoslawien", teilte Dimitrov darüber hinaus Stalin mit. Er empfahl noch eine weitere Gruppe von österreichischen Parteimitarbeitern, die aus Frankreich nach Jugoslawien gegangen waren, und bat um weitere Anweisungen in dieser Frage. Zwei Tage später, am 5. April, ließ Dimitrov, wohl aus eigenem Antrieb heraus - weitere Anweisungen Stalins an Dimitrov sind nicht nachweisbar - Stalin eine Empfehlung Koplenigs und Fischers zukommen. Diese brachten zudem den ehemaligen Kommandanten der Militärakademie in Wiener Neustadt, Fritz Franek27, ins Spiel. Dimitrov dazu: „Es könnte sein, dass auch dieser österreichische General in der Durchführung möglicher Maßnahmen im Zusammenhang mit Österreich brauchbar ist." Darüber hinaus empfahl Dimitrov Fischer für „Führungsarbeit in beliebigen Bereichen" und Fürnberg für „politische Führungsarbeit".28 Stalin hatte die erste Berichterstattung Dimitrovs vermutlich noch am 3. April zur Kenntnis genommen, jedoch zunächst nichts weiter unternommen. 29 Am 4. April erhielt Stalin von Tolbuchin Nachricht über Karl Renner; und nun handelte er umgehend. Dimitrov jedoch bekam in der österreichischen Frage in den ersten Apriltagen bis zur Abreise der österreichischen Kommunisten am 8. April aus Moskau nach Wien keine weiteren Anweisungen mehr von Stalin. 30 Mit dem Auftauchen Renners wurde die Position der Exil-Kommunisten in Moskau entscheidend geschwächt. Stalin hatte sich am 4. April für Renner entschieden. Die

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Siehe dazu den Beitrag von Natal'ja Lebedeva, Österreichische Kommunisten im Moskauer Exil, in diesem Band. Nachdem Dimitrov zu Stalin beordert worden war, beriet sich Dimitrov am 2. April mit Koplenig und Chvoscev sowie am 3. April erneut mit Koplenig. Am 4. April zog er auch Fischer zu den Beratungen zu. Vgl. Banac, The Diary of Georgi Dimitrov, S. 365. RGASPI, F. 495, op. 74, d. 25, S. lf. Ernst Fischer, Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945-1955. Wien 1973. Fischers Schilderungen, wie der Sozialismus in Österreich aufgebaut werden soll („kein Führungsanspruch der Kommunistischen Partei, doch maximale Bemühungen, durch Intelligenz, Uneigennützigkeit, Hilfsbereitschaft und politische Voraussicht Ansehen und Vertrauen zu gewinnen", finden durch die Forschungen der letzten Jahre auf dem Gebiet des Kommunismus-Exports nach Westeuropa Bestätigung. Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 20. Vgl. Banac, The Diary of Georgi Dimitrov, S. 366. Zu seinem Wirken in der „Antifa" siehe Karl Frick, Umdenken hinter Stacheldraht. Österreicher in der UdSSR. Wien - Frankfurt a. M. - Zürich 1969. Fritz Franek, Theresienritter des Ersten Weltkrieges, Ritterkreuzträger der Deutschen Wehrmacht war „alles andere als ein Kommunist" (Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 38), aber ein vehementer Fürsprecher f ü r die Wiedererrichtung eines unabhängigen österreichischen Staates. 1945 wollte er ein eigenes österreichisches Bataillon aufstellen, das in den Reihen der Roten Armee beim Einmarsch in Österreich mitwirken sollte. Siehe dazu Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 366. Am 28. März wandte sich Franek diesbezüglich schriftlich an die Regierung der UdSSR. Lavrentij Berija leitete das Schreiben aber erst am 12. April 1945 an Stalin weiter. GARF, F. 9401, op. 2, d. 95, S. 9 - 1 4 . Einen Tag später war jedoch Wien erobert und ein Regierungschef bereits gefunden. RGASPI, F. 495, op. 74, d. 24, S. 5 - 3 0 . Es sind zumindest keine weiteren Anweisungen an Dimitrov bekannt Vgl. RGASPI, F. 495, op. 74, d. 24,25. Banac, The Diary of Georgi Dimitrov, S. 365-367.

Stefan Karner - Peter

Ruggenthaler

österreichischen Exil-Kommunisten waren somit für die Regierungsbildung aus dem Rennen. Nichtsdestotrotz wurden Koplenig und Fischer von Dimitrov und Vladimir Dekanozov 31 , dem Stellvertreter Vjaceslav Molotovs 32 , in den folgenden Tagen in Moskau vor ihrer Abreise nach Österreich weiterhin instruiert.33 Daher verwundert es nicht, dass die österreichischen Kommunisten überrascht waren, als nach ihrer Ankunft in Österreich Karl Renner bereits mit der Regierungsbildung beauftragt worden war.34 Ob sich Stalin eine Option offen lassen wollte, indem er die österreichischen Exil-Kommunisten im Unklaren ließ, ist unwahrscheinlich, bedenkt man, dass er in Ungarn, das schlussendlich kommunistisch wurde, die Kommunisten lange Zeit nicht die Regierungsgeschäfte übernehmen ließ.35

Stalin und Renner Nach den Erinnerungen des sowjetischen Armeegenerals Sergej Stemenko soll sich Stalin bereits in den Sitzungen des staatlichen Verteidigungskomitees GOKO Ende März 1945 an Renner erinnert und vor seinem Generalstab gefragt haben: „Wo ist eigentlich

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Am 7. April 1945 vom Politbüro des ZK der VKP(b) als politischer Berater in Österreich-Angelegenheiten beim Kommandanten der 3. Ukrainischen Front bestätigt. Sein Stellvertreter war Andrej Smirnov. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1052, Sitzungsprotokoll Nr. 45 des Politbüros des ZK der VKP(b) v. 7.4.1945. Wolfgang Mueller, Sowjetbesatzung, Nationale Front und der „friedliche Übergang" zum Sozialismus: Fragmente sowjetischer Österreich-Planung 1945-1955, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA. 2003/50, S. 133-156, S. 271-297, hier: S. 144. Molotov wurde von Stalin über Renner in Kenntnis gesetzt. Er erhielt eine Kopie des Telegramms an Tolbuchin. Es ist anzunehmen, dass Dekanozov von Molotov davon in Kenntnis gesetzt wurde. Der Diplomat instruierte Koplenig und Fischer dennoch. Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang die Beschreibungen der Sowjetdiplomaten Dekanozov und Semenov durch Fischer, die im selben Flugzeug mit Fischer nach Österreich flogen und sich überaus schweigsam gaben. Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 19-23. Ursprünglich hatte Dekanozov Molotov sogar um die Entsendung einer 13-köpfigen Delegation nach Wien gebeten. AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 325, S. 10. Banac, The Diary of Georgi Dimitrov, S. 366f. Fischer hatte bereits im Moskauer Exil 1944 gegenüber britischen Vertretern der Botschaft in Moskau eine Zusammenarbeit mit Renner, Körner und anderen politischen Größen der Zwischenkriegszeit befürwortet. Ihn und Koplenig überraschte wohl kaum die Tatsache, dass die Sowjets auf Renner zugegangen waren, sondern wohl lediglich die Begleitumstände. Nichtsahnend aus Moskau kommend, wurden sie in Wien plötzlich vor vollendete Tatsachen gestellt und Renner wurde ihnen als neuer Regierungschef vorgestellt. Den KP-Führern dürfte kaum entgangen sein, dass Renner bereits einige Tage das Vertrauen der Sowjets genoss. Siehe dazu: Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 23, und Csäky - Matscher - Stourzh, Josef Schöner, S. 165; Karl Stuhlpfarrer, Österreich - Mittäterschaft und Opferstatus, in: Ulrich Herbert - Axel Schildt (Hg.), Kriegsende in Europa. Vom Beginn des deutschen Machtzerfalls bis zur Stabilisierung der Nachkriegsordnung 1944-1948. Essen 1998, S. 301-317, S. 308. Die angebliche „Stern-Mission" in diesem Zusammenhang fand nie statt. Leo Stern, Exil-Kommunist, von der kämpfenden Truppe Anfang 1945 nach Wien entsandt, selbst stellte in Abrede, dass er nach Moskau gefahren sein soll, um dort vor Renner zu warnen. Siegfried Nasko, April 1945: Renners Ambitionen trafen sich mit Stalins Absichten, in: Österreich in Geschichte und Literatur. 1983/6, S. 336-346, hier: S. 345. Weder im Archiv des russischen Außenministeriums noch im Parteiarchiv finden sich irgendwelche Hinweise auf eine Rückkehr Sterns nach Moskau. Zu Leo Stern siehe u. a. Wilhelm Eildermann, Die Antifaschule. Erinnerungen an eine Frontschule der Roten Armee. Berlin 1985, S. 158. Rainer, Der Weg der ungarischen Volksdemokratie.

Unter sowjetischer

Kontrolle

jener Sozialdemokrat Karl Renner, der ein Schüler von Karl Kautsky 36 war? Er gehörte viele Jahre zur Führung der österreichischen Sozialdemokratie. Und war, wenn ich nicht irre, Präsident des letzten österreichischen Parlaments."37 Sowohl der Generalstabschef der Roten Armee, Aleksej Antonov 38 , als auch Armeegeneral Sergej Stemenko 39 sollen betreten geschwiegen haben, ehe Stalin weiter ausführte: „Man darf die einflussreichen Kräfte, die auf antifaschistischen Positionen stehen, nicht außer Acht lassen. Die Hitlerdiktatur hat sicherlich auch den Sozialdemokraten etwas beigebracht." 40 Stalin hatte Renner zwar nie persönlich kennen gelernt, jedoch seine Veröffentlichungen zur Nationalitätenfrage in der österreichisch-ungarischen Monarchie auf Grund seines „Forschungsaufenthaltes" in Wien 1912/13 gelesen. 41 Stalin soll daraufhin der 3. Ukrainische Front fernmündlich befohlen haben, „in Erfahrung zu bringen, was aus Renner geworden sei, ob er noch lebe und wo er sich aufhalte". 42

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Karl Kautsky, 1854—1938, Verfasser von politiktheoretischen und historischen Studien, Leiter der Zeitschrift der Zweiten Internationale, die „Neue Zeit", Verfasser des Entwurfs des „Erfurter Programms" der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Geprägt von der Theorie des Marxismus strebte er eine sozialistische Gesellschaft an, lehnte aber den russischen Weg nach 1917 ab. 1924 zog Kautsky nach Wien, von wo er 1938 in die Niederlande emigrierte und dort im selben Jahr 84-jährig starb. Sergej Matwejewitsch Schtemenko, Im Generalstab. Bd. 1. 6. Aufl. Berlin-Ost 1985, S. 403-405; S. M. Stemenko, General'nyj stab ν gody vojny. Moskau 1974, S. 356. Aleksej I. Antonov, geb. 1896, war ab Dezember 1942 erster stellvertretender Generalstabschef und einer der wichtigsten militärischen Berater Stalins. Während des Zweiten Weltkrieges war er Stabschef mehrerer Fronten, ab Februar 1945 Generalstabschef. V. A. Torcinov - Α. M. Leontjuk, Vokrug Stahna. Istoriko-biograficeskij spravocnik. St. Petersburg 2000, S. 60f. Stemenko und seine Genossen beeindruckte der Auftritt Stalins mit seiner plötzlichen Erinnerung an Renner. Schtemenko, Im Generalstab, S. 403 4-05; S. M. Stemenko, General'nyj stab ν gody vojny, S. 356. Während des Prager Frühlings war Stemenko Stabschef der Warschauer-Pakt-Truppen. Stalin hatte sich 1912/13 zunächst einige Wochen bei Lenin in Krakau aufgehalten. Anschließend schickte ihn Lenin nach Wien, um die Haltung der österreichischen Sozialdemokratie zur nationalen Selbstbestimmung der Völker zu studieren. In Wien entstand seine Abhandlung „Nationalitätenfrage und Sozialdemokratie". Lenin veranlassten Stalins wissenschaftliche Arbeiten nach der Oktoberrevolution Stalin als Volkskommissar für Nationalitätenfragen in die Regierung zu nehmen. Isaac Deutscher, Stalin: Eine politische Biographie. Berlin 1990, S. 163. Renners Veröffentlichung „Staat und Nation" wurde auch ins Russische übersetzt. Anton Pelinka, Karl Renner zur Einführung. Hamburg 1989, S. 126f. Eine persönliche Begegnung zwischen Stalin und Renner in dieser Zeit ist nicht belegbar. Renner „bedauert" zwar in seinem ersten Brief an Stalin vom 15. April, dass er ihn leider nie persönlich kennen gelernt hat (im Gegensatz zu Lenin und Trockij), soll aber zu Oberleutnant Starcevskij, der ihn am 19. April (möglicherweise bereits am 18. April) zu Tolbuchin nach Wien brachte, auf der Fahrt von Gloggnitz gesagt haben, dass er „mit Stalin zu wenige persönliche Kontakte gehabt habe". Hugo Portisch, A m Anfang war das Ende. Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 1. München 1993, S. 229. Was er unter „persönlichen Kontakten" verstand, bleibt jedoch unklar. Sergej M. Stemenko, General'nyj stab ν gody vojny. Moskau 1968; in deutscher Übersetzung erschienen Sergej M. Schtemenko, Im Generalstab. Berlin-Ost 1969. Siehe dazu auch Robert Kriechbaumer, „... dass der Einfluss der Kommunisten beseitigt wird". Sowjetische Meinungen über die politische Lage sowie über österreichische Politiker 1945/46, in: Siegfried Beer - Edith Marko-Stöckl - Marlies Raffler - Felix Schneider (Hg.), Focus Austria. Vom Vielvölkerstaat zum EU-Staat. Festschrift für Alfred Ableitinger zum 65. Geburtstag. Graz 2003, S. 417^133, hier: S. 424.

Stefan Karner - Peter

Ruggenthaler

Karl Renners erste Kontakte mit den Sowjets Der aus Südmähren gebürtige Karl Renner, der noch 1938 für den „Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich geworben, diese Position jedoch während des Krieges widerrufen hatte, war in den Kriegsjahren in seine Villa nach Gloggnitz gezogen. 43 Im Zuge des Vormarsches der sowjetischen Truppen der 3. Ukrainischen Front in Österreich wurde Gloggnitz am Ostersonntag, dem 1. April 1945, von den ersten sowjetischen Militäreinheiten erreicht.44 An diesem Tag soll Renner in einem örtlichen Bunker von einem sowjetischen Offizier erkannt worden sein („Sozialist Dr. Renner"), was ihn jedoch nicht kümmerte. Er entledigte Renner sogar seiner goldenen Uhr.45 Dem Offizier dürfte der (mündliche) Befehl nach der Suche Renners, der am Vortag ergangen sein muss, noch nicht bekannt gewesen sein. Der mittlerweile 75-jährige Renner wurde daraufhin von einem einheimischen Widerständler gebeten, bei der sowjetischen Ortskommandantur vorzusprechen und um Schonung der Bevölkerung zu bitten. Am 3. April sprach Renner schließlich beim Politoffizier der 103. GardeSchützen-Division der 9. Garde-Armee, die am Vortag Gloggnitz besetzt hatte46, vor. Dieser muss sich auf Grund des Suchbefehls sofort bewusst gewesen sein, mit wem er es zu tun hatte. Er erklärte Renner, dass er allein nicht verfügen könne, und forderte

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Zum Leben und Wirken Renners bis 1938 und ansatzweise zur Zeit nach 1945 siehe Siegfried Nasko (Hg.), Karl Renner - vom Bauernsohn zum Bundespräsidenten. Wien - Gloggnitz 1979. Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 123; NÖLA, L. A. III/3-a-29/8-1961; Nasko, April 1945, S. 337. Fedor Tolbuchin hatte am 1. April 1945 der 9. Garde-Armee befohlen, bis zur Linie Haschendorf - Sollenau - Unter-Pischting - Pernitz vorzustoßen und mit einer Schützen-Division, unterstützt durch Artillerie, Gloggnitz noch vor dem Vormarsch der 26. Armee zum Semmering vom Süden her einzunehmen. CAMO, F. 243, op. 2900, d. 2058a, S. 84, Bericht der „IV. Etappe der Einnahme Wiens" an den Generalstab der Roten Armee. Dem Befehl lag die Direktive Nr. 11.052 der Stavka zugrunde, derzufolge die 4. u. 9. Garde-Armee sowie die 6. Panzer-Armee Wien einzunehmen hatten und bis spätestens 12. bis 15. April 1945 zur Linie Tulln - St. Pölten - Lilienfeld vorzustoßen hatten. Der linke Flügel der 3. Ukrainischen Front (26., 27. u. 57. bulgarische Armee) bis spätestens 10. bis 12. April 1945 Gloggnitz, Bruck, Graz und Maribor einzunehmen und bis zur Mürz, Mur und Drau vordringen sollte. CAMO, F. 148a, op. 3763, d. 213, S. 70, abgedruckt in: Institut Voennoj Istorii Ministerstva Oborony Rossijskoj Federacii u. a. (Hg.), Velikaja Otecestvennaja Vojna. Bd. 5/4: Stavka VGK. Moskau 1999, S. 220. Gloggnitz sollte spätestens zwischen dem 10. und 12. April eingenommen werden. Ebd., S. 89. Am 1. April hielt der Bericht („boevoe donesenie" Nr. 0050, 21.00 Uhr) fest, dass der Bahnhof Gloggnitz eingenommen wurde und der Kampf um die Besetzung des Ortes anhält. Stab der 9. Garde-Armee an den Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen Front, 1.4.1945. CAMO, F. 243, op. 2900, d. 1915, S. 34. Aichinger, Österreichische Sowjetpolitik, S. 123. Angeblich Hauptmann Garin. Vgl. Harry Piotrowski, The Soviet Union and the Renner Government of Austria, April-November 1945, in: Central European History. 1987/20, S. 246-279, hier: S. 252; Nasko, April 1945, S. 338. Die 103. Garde-Schützendivision wurde auf Befehl der Stavka am 18. Dezember 1944 in Bychov in Weißrussland formiert. Für ihre Kampfeinsätze in Ungarn, der Tschechoslowakei und Österreich wurden insgesamt 5421 Soldaten und Divisionskommandeure mit Medaillen ausgezeichnet. „Generalissimus" Stalin drückte in seiner Funktion als Oberster Hauptkommandeur sechsmal seinen Dank der 103. Garde-Schützen-Division aus, u. a. in seinem Befehl Nr. 328 vom 3. April 1945 „Für die Befreiung von Gloggnitz". Für die Einnahme von Gloggnitz wurden in Moskau zwölf Artilleriesalute aus 124 Geschützen abgefeuert. Die Autoren danken an dieser Stelle herzlichst Anatolij Sipcenko, Moskau, für diese Hinweise.

Unter sowjetischer

Kontrolle

ihn auf, ins Truppenkommando (des Stabes der 103. Garde-Schützen-Division) nach Köttlach mitzukommen. 4 7 Vieles spricht dafür, dass sich Renner nicht nur mit der ihm aufgetragenen Bitte um Schonung der einheimischen Bevölkerung an die Sowjets wandte, sondern auch mit politischen Ambitionen. A m Vorabend soll sich Renner mit einem ehemaligen tschechischen „Fremdarbeiter", der ihm als Dolmetscher dienen sollte, zusammengesetzt haben. Dabei habe Renner dem Tschechen erklärt, er wolle „unsere Heimat wiederherstellen" und dafür bräuchte er eben die „Russen". 48 Von Köttlach wurde Renner schließlich ins Hauptquartier der sowjetischen 9. Garde-Armee nach Hochwolkersdorf gebracht, w o er erstmals mit Generaloberst Aleksej Zeltov 49 , der von den Politoffizieren Glagolev

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C A M O , F. 350, op. 6076, d. 32, S. 244-246. Vgl. Rauchensteiner, Nachkriegsösterreich 1945, S. 408; Siegfried Nasko, Zur Rolle Dr. Renners im April 1945, in: Nasko Siegfried (Hg.), Gedenkraum 1945. Hier entsteht Österreich wieder. Katalog zu „Gedenkraum 1945". Wien - Wiener Neustadt - Hochwolkersdorf 1981. So auch die Erinnerung der Tochter Karl Renners: „In Gloggnitz, bedeutete man ihm, [...] er müsse sich an die Kommandantur in Köttlach wenden. Dort erinnerte sich ein sowjetischer Offizier an den Namen Renner und hielt ihn sofort fest, bis er Befehl für weitere Verwendung aus Moskau hätte." Salzburger Nachrichten, 10.5.1975, S. 25. Siegfried Nasko - Johannes Reichl, Karl Renner: zwischen Anschluß und Europa. Wien 2000, S. 78f. Nasko und Reichl stellen in ihrem neuesten Buch über Karl Renner die Suche Stalins in Frage, geben als Gegenargument jedoch nur Stalins Reaktion („Was, der Alte lebt noch und ist noch Sozialist?") an. Auch Wolfgang Mueller stellt die gezielte Suche nach Renner in Frage. Mueller, Sowjetbesatzung, S. 148, wie bereits Mastny 1979. Mastny, Russia's Road to the Cold War, S. 387f., in deutscher Übersetzung: Moskaus Weg zum Kalten Krieg. Von der Kriegsallianz zur sowjetischen Vormachtstellung in Osteuropa. Wien - München 1980, S. 320f. Dass Stalin überrascht auf die Nachricht über das Auftauchen Renners reagierte, überlieferte Schärf (vgl. seine Unterhaltungen mit der sowjetischen Führung im April 1955). Stalin hatte nicht erwartet, dass Renner noch lebte, vielleicht auch, weil er den acht Jahre älteren Renner älter in Erinnerung hatte. Eher wahrscheinlich ist jedoch, dass Stalin den Terminus „alt" nicht physiologisch meinte, sondern im selben Verständnis, wie es im Russischen und auch im Deutschen üblich ist („der alte Renner"!). Die Aussagen Zeltovs im Rahmen von „Österreich II" wurden auf Grund seiner verschwommenen und vom Veteranenkomitee vorgegebenen „Erinnerungen" zu Recht in Frage gestellt. Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 224. Seine zu Papier gebrachten Erinnerungen sind in sowjetischer Diktion abgefasst und für wissenschaftliche Analysen unbrauchbar. Österreich widmet er darin nur einige Absätze, die sich auf den militärischen Vormarsch konzentrieren. Aleksej Zeltov, 3-j Ukrainskij - na Balkanach. Ot Volgi do Dunaja, in: Institut Voennoj Istorii Ministerstva Oborony SSSR. Moskau 1970, S. 115-150. Nach den Aussagen Mikojans oder Molotovs gegenüber Schärf soll Stalin den Ausspruch „Der Alte lebt noch?" nach dem Vorlegen des Briefes Renners v. 15.4.1945 getätigt haben. E-Mail des damaligen Legationssekretärs, Dr. Herbert Grubmayr an die Autoren, 8.3.2004. Vgl. den Beitrag von Herbert Grubmayr in diesem Band. Dallin legt diese Worte Mikojan, Nasko Chruscev in den Mund. David J. Dallin, Stalin, Renner und Tito. Österreich zwischen drohender Sowjetisierung und den jugoslawischen Gebietsansprüchen im Frühjahr 1945, in: Europa-Archiv. 1958/13-17, S. 11030-11034, hier: S. 11031. Nasko, April 1945, S. 339. Stalin soll zudem gesagt haben: „Er [Renner] ist genau der Mann, den wir brauchen!" Aleksej Zeltov (1904—1991) war bis Juli 1950 stellvertretender sowjetischer Hochkommissar in Österreich. Sein erster Berater war Botschaftsrat Kiselev. ÖStA, AdR-AA, II-pol. 1945, Kt. 1, 11pol 45, AV, Wien, 19.7.1945; AVP RF, F. 66, op. 23, d. 8, S. 24; F. 06, op. 8, p. 22, d. 305, S. 14; O. A. Rzesevskij - Ν. B. Borisov - Ε. K. Zigunov (Hg.), Kto byl kto, ν Velikoj Otecestvennoj Vojne. 1941-1945. Ljudi. Sobytija. Fakty. Spravocnik. Moskau 2000, S. 96f.; Peter Gosztony, Die Rote Armee. Geschichte und Aufbau der sowjetischen Streitkräfte seit 1917. Wien u. a. 1980. S. 325f., 341 f.; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 351; Manfried Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich '45. Wien 1995, S. 504; A. P. Gorkin u. a. (Hg.), Voennyj enciklopediceskij slovar'. Moskau 2002, S. 559.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler und Gromov aus Köttlach unverzüglich schriftlich informiert worden war50, zusammentraf.51 Ob die Erinnerungen Stemenkos, die im Allgemeinen in der neueren Forschung als äußerst seriöse Quelle angesehen werden52, in Bezug auf eine gezielte Suche nach Renner stimmen, kann nicht mit endgültiger Sicherheit bestätigt werden. Eine Diskussion über Optionen einer Regierungsbildung für Österreich muss jedoch stattgefunden haben. Es kann kein Zufall sein, dass Stalin ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt Informationen über die österreichischen Kommunisten bei Dimitrov einholte. Folgendes Dokument belegt zwar nicht, dass es einen Suchbefehl gegeben hat, schließt einen solchen jedoch auch nicht aus. Stalin hatte dieses Telegramm (Chiffretelegramm Nr. 167376/s) am 4. April abends erhalten.53 Und er handelte unverzüglich, aber wohl kaum unüberlegt. Stalin ging nie überstürzt vor, sondern handelte, so die anerkannten Stalin-Forscher im Einklang, mit raffiniertem, durchdachtem und hinterlistigem Kalkül. An Genossen STALIN, im Folgenden die Wiedergabe des Berichts des Kommandos der 9. Garde-Armee: „Am 3. April dieses Jahres erschien im Stab der 103. Garde-Schützen-Division Doktor KARL RENNER. Im Zuge einer Befragung im Armeestab erklärte KARL RENNER, dass er der letzte Präsident des im Jahre 1934 [sie! 1933] durch die Regierung DOLLFUSS aufgelösten österreichischen Parlaments gewesen sei. Diese Funktion hatte er zwischen den Jahren 1925 und 1934 inne. In der Zeit von 1918 bis 1920 war er Premierminister [Staatskanzler] Österreichs, ab 1938 lebte er in seiner Heimat in GLOGGNITZ, nachdem er sich aus dem politischen Leben zurückgezogen hatte. Seit 1894 ist er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Seit 1907 Abgeordneter des österreichischen Parlaments. Dr. Renner erklärte: ,Ich bin alt, aber ich bin bereit, mit Rat und Tat bei der Herstellung der demokratischen Ordnung mitzuwirken. Kommunisten und Sozialdemokraten haben nun die gleiche Aufgabe - die Vernichtung des Nationalsozialismus.54 Als letzter Parla50

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„Bericht des Kommandos der 9. Garde-Armee an den Militärrat der 3. Ukrainischen Front über Gespräch mit dem Ex-Vorsitzenden des Österreichischen Parlaments, 3. April 1945." CAMO, F. 350, op. 6076, d. 32, S. 244-246. Renner war in Köttlach zunächst von den Sowjets nicht erkannt worden. „Zuerst schenkte ihm niemand besondere Beachtung. Dann aber kam einer von den Politarbeitern darauf, mit wem er es zu tun hatte." Siehe Nasko, Zur Rolle Dr. Renners im April 1945, S. 17. Vgl. etwa den Vortrag von Herbert Romerstein auf der Tagung „The Eastern Dimension. Major Intelligence Issues in Central and Southeastern Europe since 1900" am 5.6.2004 in Graz. Das Telegramm wurde um 16.08 Uhr von der 3. Ukrainischen Front an die 8. Verwaltung des Generalstabes der Roten Armee abgeschickt. Um 18.05 Uhr langte es in Moskau ein, bis 18.40 Uhr wurde es dechiffriert. Die sieben abgedruckten Exemplare des Telegramms ergingen um 18.50 Uhr an Stalin, Molotov, Bulganin, Berija, Antonov, Stemenko und an die 4. Abteilung. CAMO, F. 48, op. 341 Iss, d. 196, S. 309-311. Eine Kopie dieses Telegramms befindet sich auch in der Sondersammlung sowjetischer Dokumente des Bruno-Kreisky-Archivs in Wien (erstmals ausgewertet bei Oliver Rathkolb, Sonderfall Österreich? Ein peripherer Kleinstaat in der sowjetischen Nachkriegszeit 1945-1947, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949. Paderborn u. a. 2002, S. 353-373, hier: S. 365). Alle weiteren Telegramme zwischen Stalin und Tolbuchin werden hier bzw. im Dokumentenband erstmals vorgestellt. Im russischen Original wörtlich: „Faschismus", was der sowjetischen Terminologie entspricht.

Unter sowjetischer Kontrolle mentspräsident könnte ich das Parlament dazu aufrufen, für die Zeit des Krieges eine Provisorische Regierung einzusetzen. Nazis werde ich aus dem Parlament ausschließen. Damit könnte ich meine Funktionen zurücklegen und mich zur Ruhe setzen.' Im Laufe des Gesprächs erklärte RENNER, dass 90 Prozent der Bevölkerung WIENS gegen die Nationalsozialisten eingestellt seien, doch das NS-Regime und die Bombardements hätten die Wiener entmutigt, und sie fühlten sich nun niedergeschlagen und zu keinen aktiven Handlungen bereit. Seitens der Sozialdemokraten wurden keinerlei Maßnahmen zu einer Mobilisierung der Bevölkerung für einen Kampf gegen die Nationalsozialisten 55 unternommen. Bis zum Ergehen Ihrer Weisungen wird Doktor RENNER zu unserer Verfügung stehen." Ich erbitte Ihre Weisungen. Tolbuchin, Zeltov 56 Die Nachricht von Renners Erscheinen wurde am 4. April um 18.50 Uhr dem obersten militärischen Führungsstab, der Stavka, in Moskau vorgelegt. Stalin soll überrascht gewesen sein, dass der „alte Renner" noch lebt.57 Binnen Minuten wies Stalin im Chiffretelegramm Nr. 29904/s den Militärrat der 3. Ukrainischen Front unter Marschall Tolbuchin an, Renner Vertrauen zu erweisen. 58 Die Wortwahl ist dieselbe wie im ersten Aufruf der Roten Armee an die Bevölkerung Österreichs, den die Sowjets Anfang April verlautbarten. Die Texte der ersten Proklamationen zu Österreich und Aufrufe an die österreichische Bevölkerung gehen auf Stalin selbst zurück. In einer Direktive an Tolbuchin am 2. April 1945 hatte er ihn angewiesen, die österreichische Bevölkerung über die Ziele der Roten Armee in Österreich aufzuklären. 59 „In Bezug auf Ihren Bericht vom 4.4. mit der Nr. 024/z erteilt die Stavka des Obersten Hauptkommandos folgende WEISUNGEN: KARL RENNER ist Vertrauen zu erweisen. Ihm ist mitzuteilen, dass ihm die Kommandantur der Sowjetischen Streitkräfte bei der Wiederherstellung der demokratischen Ordnung in ÖSTERREICH Unterstützung gewähren wird. Ihm ist mitzuteilen, dass die Sowjetischen Streitkräfte die Grenzen ÖSTERREICHS nicht zwecks Besetzung des Staatsgebiets ÖSTERREICHS überschritten haben, sondern um die NS-Besatzer 60 aus ÖSTERREICH zu vertreiben. STAVKA DES OBERSTEN HAUPTKOMMANDOS I. STALIN, ANTONOV" 61 55 56 57 58

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Im russischen Original wörtlich: „Hitler"-Faschisten, was der sowjetischen Terminologie entspricht. C A M O , F. 48, op. 341 Iss, d. 196, S. 3 0 9 - 3 1 1 . Chiffretelegramm Nr. 167376/s v o m 4.4.1945. Tolbuchin an Stalin. Ebd. Molotov oder Mikojan gegenüber Schärf im April 1955 in Moskau. Nasko, Zur Rolle Dr. Renners im April 1945, S. 22. Vgl. den Beitrag von Herbert Grubmayr in diesem Band. C A M O , F. 243, op. 2912, d. 146, S. 113f. Chiffretelegramm Nr. 2 9 9 0 4 / s v o m 4.4.1945. Stalin an Tolbuchin. Das Telegramm verließ um 19.30 die Stavka. Siehe dazu auch Schtemenko, Im Generalstab. S. 405. C A M O , F. 148a, op. 3763, d. 212, S. lOf. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 8. Direktive der Stavka v. 2.4.1945. Abgedruckt in: Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 491. Im russischen Original: „faschistischen Besatzer", was der sowjetischen Terminologie entspricht. Eine Abschrift erging an Molotov. Das Telegramm wurde um 20.30 Uhr abgeschickt. C A M O , F. 243. op. 2912, d. 146, S. 269.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler In seiner Direktive Nr. 11055 vom 2. April 1945 hatte Stalin Fedor Tolbuchin und Rodion Malinovskij angewiesen, „dem Bürgermeister der Stadt Wien verstehen zu geben, dass das sowjetische Kommando nicht der Schaffung einer Provisorischen Regierung unter Einschluss der demokratischen Kräfte Österreichs entgegenwirken wird, doch in den Flugblättern ist über diese Frage nichts zu schreiben".62 Am selben Tag hatte Stalin, wie oben erwähnt, Dimitrov zu sich gerufen, um „ein paar Österreicher auszuwählen", bis Stalin schließlich zwei Tage später vom Auftauchen Renners erfuhr und sich die Suche nach einem passenden Regierungschef erledigt hatte. Hinweise auf eine gezielte Suche Stalins nach Renner gab Letzterer auch selbst.63 Im Kreis seiner Parteifreunde soll er sich diesbezüglich geäußert haben. War dies tatsächlich der Fall, so kann nur folgende Schlussfolgerung gezogen werden: Generaloberst Zeltov bat Renner, in der Öffentlichkeit sein eigenmächtiges Erscheinen bei den Sowjets zu betonen, um - auch ganz im Interesse Renners - gegenüber den Westmächten nicht als von den Sowjets „eingesetzter" Regierungschef zu gelten. Renner betonte ja selbst immer wieder, dass er der letzte frei gewählte Präsident des österreichischen Parlaments bis 1933 gewesen war, um so seine Position als Provisorischer Regierungschef zu legitimieren und die Kontinuität des neuen, wiederzuerrichtenden Österreich zur demokratischen Phase der Ersten Republik zu betonen. Entgegen der früher aufgestellten Behauptung, auch in Österreich sollte bereits 1945 ab dem Zeitpunkt des Einmarsches der Roten Armee eine kommunistische Regierung als eine Marionette Moskaus installiert werden, sei an dieser Stelle auf die neuesten Forschungen zum „Revolutionsexport" nach dem Zweiten Weltkrieg verwiesen. Demnach wurde eine Alleinregierung der Kommunisten vom Kreml 1945 nicht einmal für die Länder des späteren Ostblocks in Erwägung gezogen.64 Der Weg zur Volksdemokratie sollte über die Errichtung von nationalen Volksfront-Regierungen, wie sie beim Vormarsch der Sowjets am Balkan und auch in Ungarn eingesetzt worden waren, führen. Und zwar nicht nur in Osteuropa,65 sondern in ganz Europa.66 Die Konzepte zu einer konkreten Umsetzung dieser Planungen, die auf mehrere Jahrzehnte angesetzt worden

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CAMO, F. 148a, op. 3763, d. 212, S. lOf. Direktive der Stavka v. 2.4.1945. Abgedruckt in: Velikaja Otecestvennaja Vojna, S. 221-222, und Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 8. Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 122. 64 Mark, Revolution by Degrees; Vojtech Mastny, The Cold War and Soviet Insecurity: The Stalin Years. New York - Oxford 1998, S. 21. Vgl. dazu den Beitrag von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band. Siehe hierzu v. a. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 301-389. V. a. in Frankreich und Italien. Mark, Revolution by Degrees, S. 33-35. In Österreich sollte als erster Schritt der KPÖ ein zeitlicher Vorsprung gegeben werden, meint Wolfgang Mueller. Die Einsetzung Renners als Staatsoberhaupt soll für einen späteren Zeitpunkt geplant gewesen sein (um den Vorstellungen einer Nationalen Front zu entsprechen), eben erst „nach Festigung des Einflusses der KPÖ". Die Schlussfolgerangen Muellers basieren dabei auf die Mutmaßung, dass Stemenkos Erinnerungen kein Indiz für eine sofortige Einsetzung Renners als Regierungschef sein können. Zum Zeitpunkt der Publikation war allerdings die Aufforderung Tolbuchins und Zeltovs vom 15. April 1945 an Stalin, endlich den Auftrag der Regierangsbildung Renner zu erteilen, noch nicht bekannt (vgl. CAMO, F. 48, op. 3411, d. 196, S. 315-319). Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 20. Die Militärs forderten vehement die rasche Regierungsbildung. Der

Unter sowjetischer Tabelle 1: Zeittafel der wichtigsten

Kontrolle

Ereignisse

Ende März 1945

Stalin macht sich erstmals Gedanken über einen österreichischen Regierungschef, spricht in einer Stavka-Besprechung über Renner und gibt den fernmündlichen Befehl, diesen suchen zu lassen

1.4.1945

Renners erster Kontakt mit Sowjets: In einem Bunker in Gloggnitz wird er von einem Offizier „erkannt"

2.4.1945

Stalin beauftragt Dimitrov (ehem. Chef der Komintern), ihm eine Liste mit möglichen Kandidaten als österreichischen Regierungschef zukommen zu lassen

3.4.1945

Stalin erhält die Liste von Dimitrov mit Charakteristika über österreichische Exilkommunisten

3.4.1945

Renner wendet sich in Gloggnitz an die sowjetischen Besatzer, die ihn an die nächstgelegene sowjetische Kommandantur in Köttlach verweisen. Dort wird Renner erkannt und zum Stab nach Hochwolkersdorf gebracht

4.4.1945

Erstes Zusammentreffen Renners mit Marschall Tolbuchin und Politoffizier Zeltov

4.4.1945

Stalin erreicht die Meldung Marschall Tolbuchins über Renners Kontaktaufnahme. Umgehend weist er Tolbuchin an, „Renner Vertrauen zu erweisen"

5.4.1945

Renner wird über die Anweisung Stalins informiert

5.4.1945

Dimitrov empfiehlt Stalin weitere Exilkommunisten

8.4.1945

Österreichische Exilkommunisten verlassen Moskau (ohne über Renner informiert worden zu sein)

10.4.1945

Exilkommunisten treffen in Österreich ein und sind über Moskaus Vorgehensweise verblüfft

15.4.1945

Renner schreibt seinen ersten, berühmt gewordenen Brief an Stalin und dankt ihm für die „ruhmreichen Taten der Roten Armee"

15.4.1945

Tolbuchin fragt bei Stalin zwecks Bildung einer Provisorischen Österreichischen Regierung nach

17.4.1945

Stalin gibt Tolbuchin „grünes Licht", Renner mit der Regierungsbildung zu beauftragen

verm. 18.4.1945

Renner wird in Gloggnitz „gesucht" und nach Wien gebracht

19.4.1945

Renner erklärt sich bereit, eine Provisorische Regierung zu bilden; erste Parteiengespräche

27.4.1945

Angelobung der Provisorischen Österreichischen Staatsregierung Renner, Geburtsstunde der Zweiten Republik Österreich

29.4.1945

Feierliche Einsetzung der Provisorischen Regierung

Stefan Karner - Peter

Ruggenthaler

waren, wurden unter Ivan Majskij67 im sowjetischen Volkskommissariat für auswärtige Angelegenheiten (NKID) ausgearbeitet.68 Das wesentlichste Ziel der sowjetischen Führung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Schaffung einer Sicherheitszone („cordon sanitaire") und die Stärkung der kommunistischen Bewegung in den von der Roten Armee besetzten Ländern Europas. 1945 war die Ausgangsposition eine völlig andere geworden als etwa in den Zwanziger- und Dreißigerjahren. Die Rote Armee hatte immerhin im gewissen Sinn vorexerziert, dass der Kommunismus siegen konnte. Daher war die Ausgangslage für eine weitere Ausbreitung des Kommunismus über Europa niemals besser als nach dem unmittelbaren Ende des Zweiten Weltkriegs. Für Österreich sah Stalin zur Umsetzung seiner Pläne den idealen Mann in Renner. Denn Renner war wohl mangels an Alternativen der einzige, der alle Parteien einigen und sich auch mit den Exilkommunisten verständigen konnte. Die KPÖ sollte nicht von Anfang an das Ruder allein in der Hand haben.69 Die Nationale Volksfront für Österreich schien Stalin in der Person Karl Renners verkörpert zu sein. Sie sollte die ideale Voraussetzung sein, um später alle Parteien des Landes einzuschließen. 70

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KPÖ irgendeinen zeitlichen Vorsprung zu ermöglichen, war den Militärs, aber auch den Diplomaten zweitrangig. 2eltov, Tolbuchin und auch Smirnov drängten Stalin, unverzüglich zu handeln! Bereits am 17. April kam Stalin der Bitte auch nach. Siehe dazu weiter unten. Ivan Majskij war von 1932 bis 1943 sowjetischer Botschafter in London, anschließend wurde er stellvertretender Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten. Er war maßgeblich bei den Vorbereitungen der Konferenzen in Jalta und Potsdam beteiligt. Kurz vor dem Tod Stalins wurde Majskij unerwartet verhaftet und von Berija selbst in der Lubjanka gefoltert. Ihm wurde Spionage für die Briten vorgeworfen. Nach den Einschätzungen Majskijs war dies ein Schritt zum Sturz Molotovs. Majskij starb 1975. Torcinov - Leontjuk, Vokrug Stalina, S. 307-309. Im Herbst 1943 wurden im sowjetischen Außenministerium drei Kommissionen gebildet, die sich mit strategischen Nachkriegsplanungen befassten. Der ehemalige Außenminister der Sowjetunion (bis 1939), Maksim Litvinov, leitete die Vorbereitung der Friedensverträge, Kliment Vorosilov, Mitglied des Staatlichen Verteidigungskomitees GOKO, die militärischen Planungen und Ivan Majskij, ehemaliger Sowjetbotschafter in Großbritannien, 1943 bis 1946 stellvertretender Außenminister, die Planungen zu Deutschland und Österreich. Torcinov - Leontjuk, Vokrug Stalina, S. 134-137, 298-301, 307-309. Die Vörosilov-Kommission wurde durch den Beschluss des Rats der Volkskommissare am 4. September 1943 gegründet, ebenso die „Litvinov-Kommission", etwas später die Majskij-Kommission. Aleksej Filitov, Raskol poslevoennogo mira: formirovanie bipoljarnosti, in: Rossijskaja akademija nauk - Institut vseobscej istorii (Hg.), Cholodnaja vojna 1945-1963gg. Istoriceskaja Retrospektiva. Sbornik statej. Moskau 2003, S. 223-256, hier: S. 225f. So äußerte sich auch Emst Fischer in seinen Memoiren. Siehe Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 20. Versuche, die „antifaschistischen" Parteien zu einen, gab es nicht nur auf der höchsten Ebene. Für die Steiermark ist nachweisbar, dass sowjetische Politoffiziere unmittelbar nach dem Einmarsch in Graz den Auftrag hatten, auf die steirischen Parteiführer der KPÖ, SPÖ und ÖVP zuzugehen und sie in prinzipiellen Fragen zu einem gemeinsamen Einverständnis zu bringen. Für die Steiermark war Friedl Fürnberg hierfür von den Sowjets instruiert worden. „Gemeinsam mit Fümberg haben wir die Arbeit zur Gründung eines Einheitsblocks der demokratischen Parteien (Kommunisten, Sozialdemokraten, Christlichsoziale) durchgeführt." Auch in der Steiermark wurde das „Prinzip der Regierungsparität aller drei Parteien" erreicht. CAMO, F. 243, op. 2914, d. 268, S. 53f. Bericht v. Major Vasil'ev. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 35, S. 45-51, hier: S. 47. Bericht des Chefs der Politabteilung der 57. Armee, Generalmajor Cinev, 5.6.1945. Zur Regierungsbildung in der Steiermark siehe Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945. 3., Überarb. Aufl. Graz 1994, S. 428f„ und den Beitrag von Edith Petschnigg, Die „sowjetische" Steiermark 1945, in diesem Band.

Unter sowjetischer

Kontrolle

Stalins Handlanger? Offensichtlich sah Stalin in Renner sogar einen derart idealen Kandidaten, dass er der KPÖ nicht einmal einen zeitlichen Vorsprung geben musste 71 , wie er dies in Deutschland der K P D zubilligte. 72 Für Stalin schien Renner die beste Möglichkeit zur späteren Verwirklichung des Nationalen Volksfront-Konzeptes für Österreich. Hier wird auch bei Stalin das strategische Denken seines Vorgängers Vladimir Lenin sichtbar, speziell unter den bürgerlichen Sozialisten „nützliche Idioten" zu finden, die ein entscheidendes Stück des Weges mitzugehen bereit waren. Dabei ist klar, dass Stalin im bereits 75-jährigen Renner nicht mehr den endgültigen Vollstrecker des Übergangs Österreichs zum Sozialismus sah, sondern nur noch den perfekten Weichensteller. Nicht einzuschätzen ist, inwieweit die schmeichlerischen Briefe Renners an Stalin Letzteren in seiner Meinungsbildung beeinflussten. Vielleicht sah sich Stalin beim Lesen der Zeilen durchaus in seinen Überlegungen, wonach auch die Sozialisten vom Faschismus gelernt haben würden 73 , bekräftigt und Renner als einen bereits zum Kommunisten Mutierten und den „richtigen Weg" Beschreitenden? Realpolitische Überlegungen Stalins, Österreich unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee den Sozialismus ohnehin nicht aufzwingen zu können, ohne eine offene Eskalation mit den Westmächten zu riskieren 74 , könnten ebenfalls Motive Stalins für die Wahl Renners gewesen sein. 75 Zumindest konnte sich Stalin ziemlich sicher sein, in Renner einen Gesprächspartner haben zu können und nicht einen Politiker, der zu keinerlei Kompromissen bereit sein würde. 76

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„In diesem Zeitraum [bis zur Regierungsbildung] muss man der österreichischen kommunistischen Partei die Möglichkeit gewähren, die Arbeit zur Sammlung ihrer Kräfte, zur Festigung ihres Einflusses in den Massen und zur Entfaltung des Kampfes mit den Überresten des Faschismus in Österreich zu beginnen." Entwurf einer Direktive der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums v. 3.4.1945. Mueller, Sowjetbesatzung, S. 146. A m folgenden Tag erhielt Stalin erstmals Nachricht über den Verbleib Renners. Dann nahmen die Dinge, wie von Stalin gewünscht, ihren Lauf. Die angesprochene Direktive dürfte nie in Kraft getreten sein, wie auch Mueller vermutet. Mueller, Sowjetbesatzung, S. 147. Erst am 10. Juni 1945 erlaubte die sowjetische Militäradministration in Deutschland die Tätigkeit „antifaschistischer" Parteien. Die K P D war bis zu diesem Zeitpunkt von der Besatzungsmacht massiv unterstützt worden. Siehe Wolfgang Benz (Hg.), Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/ 55. Berlin 1999, S. 85; Mueller, Sowjetbesatzung, S. 146. Stemenko, General'nyj stab, S. 356. Vgl. hier die Parallelen zu Finnland, dem wie Österreich nicht primäres Interesse einer raschen Sowjetisierung zukam. Im Falle Finnlands wäre noch weniger Vorsicht gegenüber den Westmächten geboten gewesen wie im Falle Österreichs, die Gründe eines vorsichtigen Umgangs mit Finnland liegen vielmehr im zu erwarteten heftigen Widerstand der Finnen vor dem Hintergrund der sowjetischen Erfahrungen im finnisch-sowjetischen Winterkrieg 1939/40 und dem zunehmenden Widerstand in den seit Ende 1944 besetzten baltischen Gebieten. Genocide and Resitance Research Centre of Lithuania, The Anti-Soviet Resistance in the Baltic States. Vilnius 2002. Zudem hatte sich die UdSSR bereits im Friedensvertrag 1944 in Finnland Militärbasen gesichert. Zu den Beweggründen Stalins zu Renner, mit dem er gewisse Vorstellungen verband, siehe u. a. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 67. „The last thing Stalin wanted in Austria was a politican who would take a similar uncompromising position." Piotrowski, The Soviet Union and the Renner Government, S. 260.

Stefan Karner - Peter

Ruggenthaler

Renner war aus der Sicht der Sowjetmacht zweifelsohne der geeignetste Kanzler einer „antifaschistischen" Regierung. Renner hatte den Sowjets sogar eine „Entfaschisierung" (Entfernung von ÖVPlern aus der Regierung) angeboten, preschte damit vor und versuchte, zwei Fliegen auf einen Schlag zu treffen: Rücksichtnahme auf die vermeintlichen Wünsche der Sowjets und die personelle Demontage der ÖVR Unter Berücksichtigung der Konzeptionen der Nationalen-Volksfront-Strategien überrascht es jedoch nicht, dass sich die Sowjets besonders gegen diese für die Kommunisten vermeintlich vorteilhaften Pläne stellten! Denn noch wollten die Sowjets alle „antifaschistischen" Parteien in der Regierung vertreten sehen. Die seltsam anmutende sowjetische Vorgehensweise reflektierte jedoch die KP-Strategie.77 Renner hatte auch andere strategische Vorteile: sein großer Bekanntheitsgrad78, die zahllosen „dunklen Punkte" und „Schönheitsfehler" in seiner Biografie (vor allem seine 1938 explizite Befürwortung des „Anschlusses" an Hitler-Deutschland), die noch als Druckmittel zu verwenden waren.79 Weiters die Möglichkeit, ihn den Westalliierten als Antikommunisten zu verkaufen, seine gewisse Akzeptanz beim politischen Gegner, der ÖVP. Darüber hinaus stand Renner bereits im 76. Lebensjahr und schien kompromissbereiter, um seine Absichten noch zu Lebzeiten verwirklicht zu sehen. 80 Am 5. April 1945 machte Zeltov Renner um 14 Uhr im Hauptquartier der 9. Garde-Armee mit dem in Stalins Telegramm enthaltenen Richtlinien bekannt. Zeltov soll dabei Renner aufgefordert haben, ein Memorandum an die Rote Armee zu richten, was Renner jedoch ablehnte, um nicht als Beauftragter der Roten Armee auftreten zu müssen.81 Er soll aber versprochen haben, seine Proklamationen der sowjetischen Seite zur Einsichtnahme vorzulegen. Renner wurde daraufhin von Politoberst Georgij Piterskij wieder zurück nach Gloggnitz gebracht, wo Renner schließlich seine Proklamationen an das österreichische Volk und die Grundzüge seiner Politik vor den Sowjets skizzierte. 82 77 78

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Auch die Kommunisten in Osteuropa waren unbedingt zu zügeln und jede sowjetische Einflussnahme sorgfältig zu steuern und zu „maskieren". O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 183. Mueller, Sowjetbesatzung, S. 148f. Die Deutung Muellers ist u. E. nicht schlüssig und falsch. Er vermutet, dass die Sowjets „nur nach irgendeinem potentiellen Staatsoberhaupt Ausschau gehalten" hätten. Im nun zugänglichen Schriftverkehr zwischen Stalin und Tolbuchin bzw. Zeltov finden sich keine Hinweise über Alternativen seitens Stalins. Sehr wohl aber wurden die Ministerkandidaten diskutiert. Mueller beachtet dabei nicht die u. E. wichtige Bemerkung Stalins, dass man „einflussreiche Kräfte, die auf antifaschistischen Positionen stehen", nicht „außer Acht" lassen darf. Renner war sicherlich die einflussreichste österreichische Persönlichkeit, die diese Eigenschaften besaß. Vgl. dazu etwa die Rolle des Gheorge Tatarescu in Rumänien. „Noch mehr als in anderen Ländern setzte die Sowjetunion in Rumänien auf als Antisemiten oder Kollaborateure diskreditierte Politiker als Instrumente der eigenen Politik. [...] Jederzeit konnte ein solcher opportunistischer Politiker auf Grund seiner Vergangenheit aus dem Kabinett entfernt, inhaftiert und sogar exekutiert werden. Es war für die sowjetische Politik vorteilhafter, diese belasteten Persönlichkeiten als willfährige Instrumente zu nutzen, anstatt mit überzeugten Kommunisten [...] zusammenzuarbeiten." Kandidaten „ohne Rückgrat" ließen sich hervorragend benutzen. Dies konnten auch Politiker aus dem bürgerlichen Lager sein, „die um persönlicher Vorteile Willen als Sprengsätze des Parteiensystems wirkten." O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 250, 302, 308. Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 127f. In der Berichterstattung Tolbuchins und Zeltovs an Stalin finden sich jedoch, was keineswegs verwundert, keine Hinweise darauf. CAMO, F. 243, op. 2912, d. 146, S. 123-125. Nasko, Zur Rolle Dr. Renners im April 1945, S. 23; Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 125; Nasko, April 1945, S. 340.

Unter sowjetischer

Kontrolle

Ab dem 9. April wurde Renner hierzu Schloss Eichbüchl, das in der Zwischenzeit von den Sowjets instand gesetzt worden war, zur Verfügung gestellt. 83 Die Zeit danach lässt sich noch nicht lückenlos rekonstruieren.84 Ab dem 15. April stand Renner unter sowjetischer Bewachung - zu seinem Schutz hatte der Stab des 336. Grenz-Regiments der Inneren Truppen des NKVD Renner „zur Bewachung" „eine Schützen-Abteilung der 4. Linien-Sicherungseinheit in der Zusammensetzung von 10 Personen"85 abgestellt. Stalin kam damit der Bitte Tolbuchins und Zeltovs nach Bereitstellen einer Division NKVDTruppen zur „Bewachung der Regierung und Säuberung Wiens von faschistischen Elementen" nach.86 Am 15. April richtete Renner seinen bekannt gewordenen Brief an Stalin, worin er ihm überschwänglich für seine Dienste um Österreich und für die ruhmreichen Heldentaten der Roten Armee dankte.87 Stemenko schildert das Eintreffen des Briefes im Ge83 84

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Nasko, April 1945, S. 340f. Ernst Fischer, der mit Koplenig am 9. oder 10. April 1945 nach Österreich zurückgekehrt war, soll am Tag seiner Ankunft vom Regierungsauftrag Stalins an Renner erfahren haben. Der offizielle Auftrag aber wurde erst am 17. April erteilt. Möglich ist allerdings ein eigenmächtiges Auftreten der Politoffiziere, die bereits nach Erhalt des Telegramms von Stalin am 4. April den Inhalt als eindeutig auslegten und von einem Auftrag an Renner ausgingen und dementsprechende Vorarbeiten leisteten. „Er schreibt gerade einen Brief an Stalin", sollen die Politoffiziere Fischer gesagt haben. Es ist darüber hinaus anzunehmen, dass Renner mehrere Tage an seinem mit 15. April datierten Brief an Stalin arbeitete. Koplenig und Fischer waren am 8. April aus Moskau aufgebrochen. Vgl. Banac, The Diary of Georgi Dimitrov, S. 367. RGVA, F. 38756, op. 1, d. 6, S. 201. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 33. Den Staatssekretären und ihren Stellvertretern Eduard Heini, Georg Zimmermann, Rudolf Buchinger, Johann Böhm und Andreas Korp wurden je zwei Mann zur persönlichen Bewachung abgestellt. Für Staatssekretär Franz Honner wurden zusätzlich drei „Außenwachen" abgestellt, die anscheinend seine Privatwohnung bewachten. Die Bewachung geschah offenbar auf deren eigenen Wunsch. „Die übrigen Regierungsmitglieder haben nicht den Wunsch einer persönlichen Bewachung geäußert." Oberst Martynov, Kommandeur des 336. Grenz-Regiments an Oberstleutnant Semenenko, Stabschef der Inneren Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front, o. O., 5.5.1945. CAMO, F. 243, op. 2912, d. 146, S. 192-194. Tolbuchin u. Zeltov an Stalin, 28.4.1945 über den Empfang der Provisorischen Österreichischen Regierung am 27.4.1945. CAMO, F. 243, op. 37385, d. 4, S. 84f. Anordnung Tolbuchins und Zeltovs über die Hilfeleistung an die Provisorische Österreichische Regierung, 5.5.1945. Abgedruckt in Institut Voennoj Istorii (Hg.), Krasnaja Armija ν stranach Central'noj Evropy i na Balkanach. Dokumenty i materialy 1944—1945. Russkij Archiv. Velikaja Otecestvennaja Vojna. Bd. 3(2). Moskau 2000, S. 654f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 19. Der österreichischen Regierung wurde der Brief anscheinend im April 1955 beim Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen in Moskau zum ersten Mal bekannt, als Schärf mit Anastas Mikojan oder Vjaceslav Molotov über Renner sprach. Schärf bat dann später Norbert Bischoff, eine Kopie des Briefes zu besorgen, „was dieser dann auch getan haben dürfte". Darüber scheint es keine offiziellen Akten zu geben, „solche Dinge wurden damals eher diskret erledigt". Mitteilung von Botschafter i. R. Dr. Herbert Grubmayr, damals Legationssekretärs, vom 8.3.2004. Vgl. den Beitrag von Herbert Grubmayr, 60 Jahre mit den „Russen", in diesem Band. Am 12.5. antwortete Stalin Renner und sicherte ihm zu, dass es auch seine Sorge sei, „Österreich in seiner Gänze zu bewahren". Der telegrafierte Brief wurde Renner von Marschall Tolbuchin ausgehändigt. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 10, S. 1; AdBIK, CAMO, Diverses, Stalin an Tolbuchin. Siehe dazu auch: Stefan Kamer - Peter Ruggenthaler, „Eine weitere Unterstützung der jugoslawischen Gebietsforderungen bringt uns in eine unvorteilhafte Lage". Der Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags als diplomatischer Kompromiss mit Österreich und den Westmächten, in: Stefan Karner - Andreas Moritsch (t) (Hg.), Aussiedlung - Verschleppung - nationaler Kampf. Kärnten und die nationale Frage. Bd. 1. Klagenfurt 2005, S. 99-118.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler neralstab in Moskau: „Schon nach den ersten Zeilen konnten wir uns ein Lächeln nicht verkneifen. [...] Es war nicht leicht, in den begeisterten Auslassungen Renners über die Befreiungsmission der Roten Armee Aufrichtigkeit von eigennütziger Schmeichelei zu trennen." 88 Ebenfalls am 15. April wandten sich Tolbuchin, Zeltov und Andrej Smirnov 89 an Stalin mit der Bitte um Beschleunigung [!] der Entscheidung zur Bildung einer österreichischen Administration und Provisorischen Regierung. Aus dem bisher völlig unbekannten Dokument aus dem Moskauer Militärarchiv geht eindeutig hervor, dass die sowjetische Führung bestrebt war, den Aufbau einer österreichischen Regierung, und zwar keiner kommunistischen Alleinregierung, zügig voranzutreiben. Im Gegensatz zur Lage der KPD in Deutschland wurde ein Vorsprung der Kommunistischen Partei in Österreich durch die frühzeitige Erteilung des Regierungsauftrags an Renner untergraben. Tolbuchin, Zeltov und Smirnov unterbreiteten Stalin sogar das Angebot Renners, alle noch lebenden Abgeordneten des letzten frei gewählten National- und Bundesrates (mit Ausnahme der Nationalsozialisten) einzuberufen. Demnach sollten in der neuen Regierung vier Parteien in folgender Stärke vertreten sein: Sozialdemokraten 35 Prozent, Kommunisten 35 Prozent, Christdemokraten 20 Prozent, Revolutionäre Sozialisten zehn Prozent.90 Und: „Der Vorschlag Renners über die Bildung einer Provisorischen Regierung auf solchem Weg hält in gewisser Weise die Verfassungsgrundlage aufrecht und man könnte ihn aufnehmen, wenn dies nicht die Position der Katholiken, Sozialdemokraten und der ihnen angrenzenden Gruppen stärkt."91 Tolbuchin und Zeltov warnten jedoch, dass so eine Regierung einen starken Block bilden würde, der stark „das Wachsen neuer demokratischer Kräfte behindern" könnte. Bisher unbekannt blieb die zweite Variante einer Regierungsbildung, wie sie Tolbuchin und Zeltov vorgeschlagen hatten: Demnach sollte Renner eine Gruppe bilden, in die Vertreter der verschiedenen Parteien und Parteilose einzubinden wären. Konkret schlugen Tolbuchin und Zeltov dazu Karl Renner, Josef Kollmann (Bürgermeister von Baden), Leopold Kunschak, Rudolf Wehrl (von den Sowjets eingesetzter Bürgermeister von Wiener Neustadt) 92 und 88 89

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Schtemenko, Im Generalstab, S. 414. Sowjetischer Spitzendiplomat in Deutschland-Fragen. Gemeinsam mit Vladimir Semenov arbeitete er den Entwurf der Satzung und Struktur für die zu bildenden Besatzungsbehörden in der sowjetischen Zone für Deutschland aus. Siehe dazu Alexej Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik während und nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Boris Meissner - Alfred Eisfeld (Hg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis. Berlin 1999, S. 43-54, hier: S. 50. Die Revolutionären Sozialisten waren erst in der tschechoslowakischen Emigration 1934 in Brünn gegründet worden. Am 14. April 1945 verschmolzen sie wieder mit den Sozialdemokraten zur Sozialistischen Partei Österreichs. Vgl. Joseph Buttinger, Am Beispiel Österreich. Ein geschichtlicher Beitrag zur Krise der sozialistischen Bewegung. Köln 1953; Otto Leichter, Zwischen zwei Diktaturen. Österreichs Revolutionäre Sozialisten 1934—38. Wien 1968; Walter Wisshaupt, Wir kommen wieder. Eine Geschichte der Revolutionären Sozialisten in Österreich. Wien 1967; Peter Pelinka, Erbe und Neubeginn. Die Revolutionären Sozialisten in Österreich 1934—38. Wien 1981; Franz West, Die Linke im Ständestaat Österreich. Revolutionäre Sozialisten und Kommunisten 1934—38. Wien 1978. CAMO, F. 48, op. 3411, d. 196, S. 315f. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 20. Hugo Portisch, Die Wiedergeburt unseres Staates. Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 2. München 1993, S. 152f.; NÖLA, Nachlass Hoth. Die

Unter sowjetischer Kontrolle Alt-Bundespräsident Wilhelm Miklas vor. Diese Persönlichkeiten sollten eine Provisorische Österreichische Regierung bilden, einen Aufruf an die Alliierten verfassen und um jede mögliche Unterstützung, auch zur Gründung eines unabhängigen, demokratischen Österreich bitten. Die Provisorische Regierung sollte nach den Vorschlägen Tolbuchins und Zeltovs bis zur Durchführung freier Parlamentswahlen die legislative und exekutive Macht ausüben und unter Kontrolle der Alliierten arbeiten. Auch der nächste Schritt war konzipiert worden: „Nach der Befreiung des ganzen Territoriums Österreichs von den Deutschen ruft die Provisorische Regierung, sobald dies die militärische Lage erlaubt, Nationalratswahlen aus [...]. Die Nationalversammlung wählt dann die neue Regierung." 93 Das diesbezügliche Chiffretelegramm Nr. 169654/s im Wortlaut:94 „An Genossen STALIN, Im Zusammenhang mit der Befreiung WIENS muss unbedingt die Behandlung der Fragen der Bildung einer Verwaltungsinstitution für Österreich, der Einsetzung eines Bürgermeisters der Stadt Wien und der möglichen Bildung einer Provisorischen Regierung beschleunigt werden. Nach vorliegenden Informationen befindet sich der ehemalige Bürgermeister von Wien, Seitz, in einem Konzentrationslager in Deutschland. Als mögliche Kandidaten für den Posten eines Bürgermeisters kommen Kunschak, einer der Führer des linken Flügels der Christlich-Sozialen Partei (Katholiken), der sich in WIEN einer großen Popularität erfreut, oder der ehemalige Bürgermeister von Wien, Emmerling, in Frage. Der Posten eines Bürgermeisters von Wien kann auch Karl Renner oder dem ehemaligen Präsidenten Österreichs, Miklas, angeboten werden. In der Frage einer möglichen Bildung einer Provisorischen Regierung Österreichs erachte ich es als notwendig, Folgendes mitzuteilen: 1. Renner - als ehemaliger Präsident des Österreichischen Nationalrates schlägt er eine Zusammenkunft aller sich auf dem Gebiet Österreichs befindenden Abgeordneten zum Nationalrat unter Ausschluss der Mitglieder der faschistischen Partei [NSDAP, Anm. d. Verf.] vor, um bei dieser Zusammenkunft die Frage der Regierung zu klären. In der neuen Regierung sollen folgende Parteien vertreten sein: Sozialdemokraten: 35 % der Mandate, Kommunisten: 35 % der Mandate, Christlich-Soziale (Katholiken): 20 % der Mandate, Revolutionäre Sozialisten (Pro-Faschisten) [so im Text!, Anm. d. Verf.]: 10 % der Mandate. Renner erachtet zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Durchführung von Neuwahlen zu einem Provisorischen Nationalrat nicht als zielführend, weil erst ein kleiner Teil Österreichs befreit sei, der zudem noch immer in Frontnähe liege. Beinahe

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Beziehungen Wehrls zu den Sowjets liegen v. a. für die frühe Zeit im Dunkeln. Er bot den Sowjets vermutlich aus Eigeninitiative seine Hilfe an, sodass er von Tolbuchin in den Plänen zur Regierungsbildung berücksichtigt wurde. Wehrl war einer der ersten Parteifreunde, zu dem Renner Kontakt hatte. Wehrl stellte Renner u. a. die Schreibmaschine, auf der er seine Österreich-Proklamationen verfasste, zur Verfügung. Bei seinem ersten Zusammentreffen mit Tolbuchin regte Renner einen Austausch österreichischer Kriegsgefangener gegen Kriegsverbrecher an. Wehrl lieferte den Sowjets am 20. Juli 1945 54 politische Häftlinge aus. CAMO, F. 48, op. 3411, d. 196, S. 316-319. Ebd., S. 315-319.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler die gesamte männliche Bevölkerung und ein großer Teil der Frauen jüngerer Jahrgänge wären von den Deutschen vertrieben worden. Dies ist tatsächlich der Fall. Eine Durchführung von Wahlen ist unter diesen Umständen erschwert. Der Vorschlag von Renner zur Bildung einer österreichischen Regierung auf diesem Wege ist auf gewisse Weise durch die Verfassung gedeckt und könnte angenommen werden, wenn das nicht die Positionen der Katholiken, Sozialdemokraten und der zu diesen zählenden Gruppen stärke. Durch einen Eintritt in die Regierung würden diese Gruppen einen starken Block bilden, und sie könnten ernsthaft dem Erstarken neuer demokratischer Kräfte hinderlich sein. 2. Zielführender erschiene uns folgender Weg zur Bildung einer Provisorischen Österreichischen Regierung: Die Erteilung eines Auftrages an Renner, eine Initiativgruppe zu bilden, der Vertreter der verschiedenen Parteien und Parteilose angehören. 3. So einer Gruppe könnten angehören: Renner, Sozialdemokrat; Kollmann, Bürgermeister der Stadt Baden, einer der führenden Köpfe der Christlich-Sozialen Partei; Kunschak, der bereits oben genannt wurde; Wehrl, Bürgermeister der Stadt Wiener Neustadt, Sozialdemokrat, Metallarbeiter, von unserem Kommando eingesetzt; Miklas, als letzter [Bundes-]Präsident; Vertreter der Kommunistischen Partei und Parteilose aus den Reihen der österreichischen Intelligenz. Diese aus ehemaligen angesehenen politischen Akteuren bestehende Initiativgruppe bildet die Provisorische Regierung und gibt eine Erklärung heraus, in der sie die Weisung erteilt, dass im Interesse der Befreiung Österreichs unverzüglich eine Provisorische Bundesregierung gebildet werden müsse, die den Alliierten bei der Befreiung und Bildung eines unabhängigen und demokratischen Österreich jedwede Unterstützung zukommen zu lassen habe. Bis zur vollständigen Befreiung Österreichs und bis zur Durchführung freier Wahlen zum Nationalrat wird die Provisorische Österreichische Regierung die legislative und exekutive Macht ausüben und ihrer Arbeit unter der Kontrolle der Alliierten nachgehen. Nach der Befreiung des gesamten Staatsgebiets Österreichs von den Deutschen und sobald es die militärische Lage erlaubt, gibt die Provisorische Regierung die Abhaltung von Wahlen zum Nationalrat bekannt, und nach dessen Einsetzung überträgt sie diesem ihre Vollmachten. Ich erbitte Weisungen. [...] Tolbuchin [,..]"95 Am 17. April erhielt Tolbuchin die Anweisung, Renner nun das konkrete Angebot zu machen, eine Provisorische Regierung zu bilden, und ließ Renner erneut „suchen". Dieser hatte nach dem Verfassen des Briefes an Stalin Schloss Eichbüchl verlassen, anscheinend ohne sowjetische Begleitung. Die 4. Garde-Armee wurde daraufhin beauftragt, Renner zu Tolbuchin zu bringen.96 Der junge Oberstleutnant Jakov Starcevskij

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Dechiffriert am 15.4.1945 um 12.50 Uhr. Die neun Exemplare gingen an Stalin, Bulganin, Molotov, Antonov, Berija, Vysinskij, Malenkov, Dekanozov und an die 4. Abteilung der 8. Verwaltung. Ebd., S. 319. Es ist anzunehmen, dass Renner nach Verlassen von Schloss Eichbüchl von den NKVD-Truppen nicht aus den Augen gelassen wurde. Eine Anfrage Tolbuchins an den NKVD, wo sich denn Renner befände, wäre für den Marschall wohl eine Blamage gewesen. Dies erklärt vermutlich auch die neuerliche „Suche", wie sie von Starcevskij überliefert ist und von den Veteranen der 4. Garde-Armee, die in

Unter sowjetischer

Kontrolle

übernahm diese Aufgabe. Da anscheinend niemand wusste, wo sich Renner mittlerweile befand 97 , machte sich Starcevskij auf die Suche und hörte von Arbeitern in Wiener Neustadt, dass er zu Hause in Gloggnitz wäre, wo er diesen schließlich auch fand. 98 Bildung der Provisorischen Regierung Zwei Tage später, am 17. April 1945, gab der Kreml schließlich Tolbuchin „grünes Licht", Renner mit der Bildung einer Provisorischen Regierung zu beauftragen. Am 19. April, einem Donnerstag, wurde Renner zu Tolbuchin gebracht. 99 Renner wurde nicht als Erster empfangen. Unmittelbar vor ihm hatten die Sowjets mit Koplenig gesprochen, ein wohl unmissverständliches Zeichen dafür, dass an der KPÖ kein Weg vorbeiführen sollte. An den Gesprächen hatten darüber hinaus Generaloberst Aleksej Zeltov, Generalleutnant Aleksej Blagodatov, der Stadtkommandant von Wien, und Oberst Piterskij teilgenommen. Am folgenden Samstag erging ein Chiffretelegramm über die Zusammenkunft mit Renner um 4.55 Uhr früh durch Zeltov und Tolbuchin an Stalin. Die Telegramme Nr. 11070 und 170864/III belegen nun erstmals Stalins persönliche Anweisung vom

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Moskau ein eigenes Museum eingerichtet haben, weiter getragen wird. Vgl. AdBIK, Oral-HistoryInterview, VD-0282b/0283a, Vasilij Tjuchtjaev. Moskau 21.11.2003. Das Interview führte Dr. Ol'ga Pavlenko, der wir an dieser Stelle hierfür herzlichst danken. Am 17. April war Renner „ganz in der Nähe von Wiener Neustadt". Schreiben Renners an Schärf. Adolf Schärf, Österreichs Wiederaufrichtung im Jahre 1945, Wien 1960, S. 69. Am selben Tag schrieb Renner auch Kollmann einen Brief, in dem er ihm mitteilte, dass er „sich bereit halte". Adolf Schärf, Österreichs Erneuerung 1945-1955. Das erste Jahrzehnt der Zweiten Republik. Wien 1955, S. 30-32. Diese Suche nach Renner wurde bisher immer mit dem (angeblichen) Suchbefehl Stalins von Anfang April vermengt. Vgl. Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 228f. Die Erzählungen von Starcevskij in „Österreich II" lassen sich aber gut ins Gesamtbild einfügen. Die Erinnerungen Leo Hölzls, der Starcevskij bei der Suche half, aus dem Jahr 1981 sind mit subjektiven Erklärungsversuchen und übertriebener Selbsteinschätzung des eigenen „Beitrages" verwischt. Dass Renner sich mittlerweile wieder in Gloggnitz aufgehalten hatte, deutete Hölzl im Nachhinein eindeutig falsch. Hölzl stellte sich als derjenige dar, der den ersten fruchtenden Kontakt der Sowjets zu Renner herstellte, weil seiner Meinung nach alle Versuche Renners im Vorfeld „nicht ernst genommen" worden waren. Dass die Bevölkerung Renner vor den Sowjets versteckt haben soll bzw. er sich selbst versteckt hat, ist eine nicht nachvollziehbare Mär und sollte wohl unterstreichen, dass es Hölzl war, der Renner das Angebot Stalins zur Bildung einer Provisorischen Österreichischen Regierung überbrachte. Vgl. die Erinnerungen von Leo Hölzl, „Ich half den Sowjets 1945 bei der Suche nach Karl Renner". Abgedruckt in: Siegfried Nasko (Hg.), Karl Renner in Dokumenten und Erinnerungen. Wien 1982, S. 221 f. Dass es sich beim ersten Eintreffen Renners in Wien nicht um den 21. April - wie dies Renner selbst darlegte - gehandelt haben kann, belegte bereits Rauchensteiner. Er datiert die ersten politischen Gespräche Renners auf den 20. April. Siehe Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 67 u. 366; Karl Renner, Denkschrift. Über die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung Österreichs und die Einsetzung der Provisorischen Regierung der Republik. Wien 1945, S. 13. Tatsächlich traf Renner bereits am 19. April bei Tolbuchin ein. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 1-5; abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 21. Siehe dazu auch Nikolaj M. Lun'kov, Russkij diplomat ν Evrope. Tridcat' let ν desjati evropejskich stolicach. Moskau 1999, S. 24; Wolfgang Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. Die Errichtung der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich von 1945 bis 1946 im Spiegel ihrer Lageberichte. Phil. DA. Wien 1998, S. 58. Tolbuchin legte die sowjetischen Vorstellungen nicht schriftlich vor. Etwas missverständlich bei Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 366. C A M O , F. 148a, op. 3763, d. 213, S. 84. Chiffretelegramm Nr. 11070 v. 17.4.1945. Stemenko an Tolbuchin. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, S. 24.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler 17. April, Renner den Vorschlag zu unterbreiten, eine Provisorische Regierung zu bilden. Darin heißt es unter anderem: „An Genossen Stalin, 1. Am 19. April dieses Jahres wurde von mir gemeinsam mit dem Mitglied des Militärrates der Front und dem Vertreter der Gruppe von Genossen DEKANOZOV, Genossen KOPTELOV, in Wien KARL RENNER empfangen. Entsprechend Ihrem Chiffretelegramm Nr. 11070 vom 17. April dieses Jahres wurde RENNER der Vorschlag unterbreitet, eine Provisorische Österreichische Regierung zu bilden. Der Vorschlag über die Art der Regierungsbildung unter Beteiligung der wichtigsten demokratischen Parteien, darunter auch die Klerikalen, wurde von RENNER angenommen. Er versprach, uns mit 24. April100 dieses Jahres eine Liste zur Zusammensetzung der Regierung zu übergeben."101 Ein ausführlicher Bericht durch den stellvertretenden politischen Berater des Oberbefehlshabers der 3. Ukrainischen Front, Michail Koptelov, erfolgte wenig später an den stellvertretenden Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, Vladimir Dekanozov.102 Johann Koplenig musste sich bei Tolbuchin wohl oder übel damit einverstanden erklären103, dass Renner an der Spitze der Regierung stehen würde und die KPÖ die Ressorts des Innen- und des Bildungsministers erhalten sollte. Koplenigs Ausführungen gegenüber Tolbuchin interpretierte der politische Berater Koptelov in seinem Bericht dahingehend, dass Renner „gerne eine Vereinbarung mit den Kommunisten eingehen und nur ungern Katholiken in die Regierung berufen würde, obwohl das Verhalten der Katholiken weitaus besser als jenes der Sozialdemokraten" sei.104 Nach Koplenig wurde Renner empfangen. Renner bedankte sich zu Beginn der Unterredung zunächst bei Marschall Tolbuchin für die Befreiung Österreichs, „die dem Land Unabhängigkeit und Freiheit gebracht" habe. Tolbuchin sagte zu Renner, dass es „angesichts der gegenwärtigen Lage in Österreich und der durch den Krieg verursachten 100 Hier dürfte es sich um einen Fehler handeln. Laut dem Gesprächsprotokoll soll Renner versprochen haben, bis zum 23. April eine Liste vorzulegen. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 1-5, hier S. 3. Siehe dazu Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 21. Mitteilung des stv. politischen Beraters beim Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen Front, Μ. E. Koptelov, an den stv. Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, V. G. Dekanozov, über das Gespräch mit Karl Renner über die Bildung der Provisorischen Österreichischen Regierung, Wien 19.4.1945. 101 Dechiffriert am 21.4.1945 um 10.10 Uhr. Die neun Exemplare ergingen an Stalin, Molotov, Berija, Malenkov, Bulganin, Antonov, Vysinskij, Dekanozov und die 4. Abteilung. C A M O , F. 48, op. 3411, d. 196, S. 337. 102 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 1 - 5 , hier S. lf. Michail Koptelov wurde mit Beschluss des Rates der Volkskommissare vom 4. Juni 1945 als Stellvertreter des mit demselben Beschluss eingesetzten „Politischen Beraters für Österreich", Evgenij Kiselev, eingesetzt. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 51-55. Beschluss Nr. 1553-355g. des Rates der Volkskommissare vom 4.7.1945. 103 Für die österreichischen Kommunisten kam die Bestellung Renners überraschend. Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 23; Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 367. 104 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 1-5. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 21.

Unter sowjetischer

Kontrolle

Schwierigkeiten gelte, so schnell wie möglich eine Provisorische Österreichische Regierung zu bilden, in der Vertreter aller demokratischen Parteien vertreten sein sollten". Im Bericht von Koptelov wird Tolbuchin folgendermaßen zitiert: „Ihnen, dem ehemaligem Oberhaupt der österreichischen Regierung, beabsichtigen wir, die Bildung einer Provisorischen Österreichischen Regierung zu übertragen. Sie müssen sich mit den führenden Persönlichkeiten der demokratischen Parteien beraten und mit diesen über die Zusammenstellung und die Verteilung der Regierungssitze übereinkommen. Der Aufruf an das Volk muss im Namen der Regierung erfolgen. Die Rote Armee wird Ihnen bei all Ihren demokratischen Vorhaben größtmögliche und volle Unterstützung zukommen lassen. Im Rahmen ihrer weiteren Tätigkeit muss die Provisorische Österreichische Regierung an die Vorbereitung und Durchführung von Wahlen zum Nationalrat gehen, der die konstitutionelle Regierung bilden wird. Alle Fragen und Schwierigkeiten im Land betreffend die Wiederherstellung der Ordnung und den Aufbau demokratischer Organisationen hat die Regierung selbst zu lösen." 105 Renner soll nach den Ausführungen Tolbuchins kurz nachgedacht und schließlich gefragt haben, ob es der Roten Armee nicht möglich sei, einen Befehl zu erlassen, der ihn beauftragen würde, eine Provisorische Regierung zu bilden! Tolbuchin lehnte dies ab, indem er Renner erklärte, dass dies „nun Sache der Österreicher selbst und in erster Linie der führenden Vertreter der demokratischen Parteien" sei.106 Renner erklärte sich mit der Bildung einer Provisorischen Regierung unter Einbeziehung aller demokratischen Parteien einverstanden und versprach, bis zum 23. April eine Kabinettsliste vorzulegen.' 07 Nach dem Gespräch Renners mit Tolbuchin luden die Sowjets zum Mittagessen, an dem auch Koplenig, Kunschak und Körner teilnahmen. Während des Mittagessens wurde über die Provisorische Regierungsbildung diskutiert. In Gegenwart der Sowjets mahnten die Österreicher einhellig ein, parteipolitische Differenzen beizulegen und dem österreichischen Volk aufrichtig zu dienen. 108 Kunschak sprach während des Mittagessens vor der sowjetischen Generalität Renners Haltung im März 1938 an, Renner entgegnete lapidar, dass dies ein Fehler gewesen sei und er diesen ausbessern würde. Die sowjetische Führung sah in Renner einen „sehr aktiven und zufriedenen" Mann, der „mit allen unseren Vorschlägen und Maßnahmen" einverstanden ist. Er sei „sehr optimistisch und verbreitet eine optimistische ,Alles-wird-gut'-Stimmung, Österreich wird von neuem Leben erfüllt sein und ein für alle Mal mit dem Nationalsozialismus" brechen. 109 Am folgenden Tag begann Renner die ersten Gespräche

105 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 2f. 106 Renner erhob keinen Einspruch gegen einen möglichen Befehl durch die Rote Armee. Diese Missinterpretation bei Wagner basiert auf einem Übersetzungsfehler der diesbezüglichen Textstelle im Dokument. Siehe Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 60. Renner muss sich u. E. jedoch bereits sehr sicher gewesen sein, dass Tolbuchin keinen derartigen Befehl erlassen hätte. Renner unternahm bekanntlich vieles, um nicht den Anschein einer Einsetzung durch die Sowjets zu erwecken. Diese Frage dürfte Renner Tolbuchin eher als „listiger W o l f gestellt haben bzw. um seine Wertschätzung gegenüber Tolbuchin zum Ausdruck zu bringen. 107 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 1-5. 108 Ebd., S. 4. 109 Ebd.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler mit den Führern der anderen Parteien"0, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll. Vielmehr sollen auf Basis bisher nicht bekannter sowjetischer Quellen weitere Aspekte der Bildung der Provisorischen Regierung behandelt werden. Reaktionen im sowjetischen Außenamt Im sowjetischen Volkskommissariat für Äußere Angelegenheiten (NKID) begannen sich die Diplomaten nun darüber Gedanken zu machen, wie man sich nach der „Auswahl" Renners durch Stalin gegenüber den Alliierten verhalten sollte: „Wir halten es nicht für zielführend, die Frage der Bildung einer österreichischen Regierung ohne vorausgehende Benachrichtigung der Verbündeten und ohne Konsultationen mit ihnen zu lösen, da dies unnötige Verdächtigungen im Zusammenhang mit unserer Politik in Österreich hervorrufen könnte. In unserer Benachrichtigung ist den Alliierten mitzuteilen, dass die sowjetische Regierung keine Gründe sieht, den Vorschlag Karl Renners, eine Provisorische Österreichische Regierung zu bilden, abzulehnen. Bevor allerdings eine solche gebildet wird, würde die Sowjetunion gerne die Meinung der Regierungen Großbritanniens und der USA einholen."111 Diese Zeilen Smirnovs, des Leiters der für Österreich zuständigen 3. europäischen Abteilung im NKID112, machen deutlich, dass man den Westalliierten gegenüber die Suche nach Renner verheimlichen wollte. Nun aber hatte man sich Gedanken zu machen, wie Renner gegenüber den Westalliierten ins Spiel zu bringen war, ohne ihn als eigenen Wunschkandidaten zu präsentieren. Die Ausgangslage hierfür war nahezu ideal: Man konnte zu Recht darauf verweisen, Renner habe von sich aus die Initiative ergriffen und die Sowjets aufgesucht. Am 22. April erstattete der stellvertretende Politberater Koptelov Bericht über den Fortgang der „Aktion Renner". Er stellte dabei fest, dass Renner bisher „keine konkreten Verhandlungen" mit den Kommunisten geführt habe113 und dass beide Seiten unterschiedliche Auffassungen über die Vergabe des Innenministeriums hatten, Renner schließlich aber doch sein Einverständnis für die Besetzung des Innenministeriums durch die KPÖ gegeben habe.114 Eine Einflussnahme durch die Sowjets zugunsten der Kommunisten bezüglich des Innenministers ist aus den Berichten der sowjetischen Diplomaten aus Wien nach Moskau schriftlich nicht belegt bzw. nicht belegbar. Koptelov unterrichtete erst am 22. April spätabends über den Stand der Dinge, zu einem Zeitpunkt, als Renner in dieser Frage bereits nachgegeben hatte. Es war ein Kompromiss, denn in der Frage 110 111 112 113

Vgl. hierzu, Rauchensteiner, S. 68-73; Portisch, Österreich II, Bd. 1, ab S. 230. AVPRF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 6. A. Smirnov und I. Lavrov an V. Dekanozov, 20.4.1945. Andrej Smirnov war von 1943-1949 Leiter der 3. europäischen Abteilung. Ernst Fischer traf erstmals am 22. April mit Renner zusammen. Vgl. dazu seine Erinnerungen: Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 65-68. Das erste Gespräch nahm ein unrühmliches Ende. Für sein Verhalten wurde Ernst Fischer vom sowjetischen Politoffizier Piterskij scharf getadelt. Piterskij machte Fischer klar, dass Renner Stalins Vertrauen genieße und eine Regierung schnellstens gebildet werden müsse, um dem Westen zuvorzukommen. 114 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118, d. 7, S. 9 u. F. 06, op. 7, p. 26, d. 321.

Unter sowjetischer Kontrolle der Bestellung von Staatskanzler-Stellvertretern hatte er nicht nachgegeben: „Renner verweigerte Stellvertreter für den Staatskanzler und möchte über sich keine Kontrolle von der Seite der Letzteren haben."" 5 Eine Intervention zugunsten der Kommunisten dürfte von Politoberst Piterskij erfolgt sein" 6 , hierzu musste er in Moskau wohl kaum nachfragen. Die Strategie war in allen von der Roten Armee besetzten Ländern klar. Das Innenministerium - und damit die Polizei - sollte in kommunistischer Hand sein." 7 Der Streit um das Innenressort beruhte indirekt auch auf den Aussagen der Sowjets bei der Unterredung am 19.4.1945. Renner hatte aus eigenem Antrieb heraus folgende Machtverteilung in der Regierung vorgeschlagen: drei Sozialdemokraten, zwei Kommunisten, zwei Christlichsoziale, ein Vertreter des Landbundes, ein Vertreter der Revolutionären Sozialisten, zwei Parteilose. Die Sowjets entgegneten Renner, „dass er hinsichtlich der Frage der Zusammensetzung und Sitzverteilung mit den führenden Persönlichkeiten der demokratischen Parteien sprechen müsse und auf Grund der Verhandlungsergebnisse die künftige Zusammensetzung festzulegen habe"." 8 Die Sowjets gaben dabei Renner freie Hand in der Erstellung eines Vorschlages; in der Frage des Innenressorts stieß er freilich an eine Grenze. Am 24. April informierte Tolbuchin Moskau, Renner habe die Regierungsbildung abgeschlossen und würde die Regierungsliste am folgenden Tag bekannt geben." 9 Der Assistent des Leiters der 3. Europäischen Abteilung, Ivan Lavrov, brachte am folgenden Tag seinem Völkskommissar Vysinskij in einem Arbeitspapier „zur Kenntnis, dass die Provisorische Österreichische Regierung bereits gebildet ist und dass, wie Genösse Tolbuchin am 24.4. mitgeteilt hat, Karl Renner vorhat, dies heute, also am 25. April, kundzutun". Er hielt es für notwendig „1. die Entscheidung über das Versenden der Information an die Alliierten bezüglich der Absicht Karl Renners, eine Provisorische Österreichische Regierung zu bilden, zu beschleunigen. 2. Wenn diese Information von uns heute an die Verbündeten abgeschickt wird, dann sollte Genösse Tolbuchin angewiesen werden, die Bekanntmachung der Bildung einer Österreichischen Regierung um zwei bis drei Tage zu verschieben." 120 Dieses Dokument ist bemerkenswert. Es macht deutlich, dass zumindest die sowjetischen Diplomaten bemüht waren, in der Causa Renner und der Regierungsbildung im Einvernehmen mit den USA und Großbritannien vorzugehen. Das Kabinett Renner 115 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118, d. 7, S. 8. 116 Seine Berichte sind - wie generell die Berichte der Militärs - nach wie vor nicht zugänglich im Gegensatz zur Berichterstattung der SMERS, die am 25.4.1945 einen Bericht zur Bildung der Provisorischen Regierung vorlegte. Darin wurde abschließend festgehalten, dass die ÖVP die Kommunisten unterstützt. CA FSB RF, F. 135, op. l , d . 1,S. 16f. Bericht des Assistenten des Chefs der Hauptverwaltung für Gegenspionage „SMERS", Generalmajor Bolotin, an seinen Chef Abakumov, 25.4.1945. 117 So auch später beispielsweise in Ungarn. Am 10. November empfahl Molotov, auf das Innenministerium in Budapest zu bestehen. AVP RF, F. 06, op. 7, p. 29, d. 77, S. 4. Rainer, Der Weg der ungarischen Volksdemokratie, S. 332f. O'Sullivan, „Cordon sanitaire", S. 272. Τ. V. Volokitina (Hg.), Sovetskij faktor ν Vostocnoj Evrope 1944-1953. Bd. 1. 1944-1948. Dokumenty. Moskau 1999, S. 243-245. 118 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 15. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 23. 119 Am 25. April 1945 Molotov vorgelegt. AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 321, S. 1,9. 120 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 19.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler war längst gebildet, das NKID hatte jedoch den diplomatischen Vertretungen der Westmächte noch nicht einmal die Absicht Renners zur Regierungsbildung mitgeteilt. Bereits am 19. April war Renner der „Auftrag" zur Regierungsbildung erteilt worden. Erst am darauf folgenden Samstag, dem 21. April, war das NKID offiziell schriftlich darüber informiert worden, dass Renner überhaupt bereit war, eine Regierung zu bilden. Schließlich dürften sich die Ereignisse schlichtweg überschlagen zu haben. Am 24. April, einem Dienstag, hatte Renner seine Provisorische Regierung bereits gebildet. Dies kam für die sowjetischen Diplomaten auf Grund der wenig positiven Meldungen des Vortages doch etwas überraschend. Der bürokratische Apparat des NKID hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Note an die Westmächte verfasst.121 Dem stellvertretenden Volkskommissar Vysinskij wurde der Entwurf des Schreibens an die Westmächte nachweislich erst am 25. April vorgelegt, an jenem Tag, an dem Renner bereits seine Regierungsbildung verkünden wollte. Vysinskij datierte das Schreiben handschriftlich auf den Vortag, den 24. April, zurück und ließ es den Westmächten überbringen.122 Die Wortwahl entsprach den Forderungen der Politstrategen der 3. Europäischen Abteilung:

121 Dass sich die sowjetische Diplomatie „offensichtlich nicht besonders beeilt" hat, die Westmächte in Kenntnis zu setzen, ist u. E. zurückzuweisen. Siehe dazu Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 64. 122 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 6 u. 17-19. Molotov wurde über all diese Fragen anscheinend kein Arbeitspapier vorgelegt, zumindest finden sich zur Frage der Regierungsbildung bzw. zur Inkenntnissetzung der Westmächte keine an Molotov gerichteten bzw. von ihm angefertigten Notizen oder Papiere im vollständig scheinenden Aktenkonvolut. Die Frage dürfte, wie auch Rauchensteiner konstatiert, nur von Männern der zweiten Reihe behandelt worden sein. Vgl. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 72f., sowie die Österreich betreffenden Dokumente im Bestand Molotovs, AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 321, S. 1-46. Schlussendlich war die Einsetzung Renners als österreichischer Regierungschef ja der Wunsch Stalins, warum sollte diese Frage von Molotov diskutiert werden? Es finden sich auch keine Anweisungen Stalins oder Molotovs, das „Angebot" Renners, eine Regierung bilden zu können, den Westmächten nicht bzw. erst später mitzuteilen. Dass die Westmächte schließlich von Vysinskij und nicht, wie vom Chef der 3. Europäischen Abteilung, Smirnov, gewünscht, von Molotov persönlich, informiert wurden, entsprach dem sowjetischen Protokoll. Für diesen Hinweis bedanken sich die Autoren herzlich bei Dr. Ol'ga Pavlenko, Moskau. Molotov wurden zur Regierungsbildung insgesamt zumindest vier Dokumente vorgelegt: der Bericht Tolbuchins über die Regierungsbildung vom 23. April, die Meldung Koptelovs an Dekanozov vom 22. April, die Meldung Koptelovs vom 28. April über das Treffen Tolbuchins mit Renner am 27. April und die Liste der beabsichtigten Regierungsmitglieder. Molotov nahm diese zur Kenntnis. Es findet sich nicht eine einzige handschriftliche Bemerkung auf diesen Papieren. AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 321, S. 1-9. Der Versuch vieler, in dieser Angelegenheit eine gewollte Konfrontation mit den Westmächten heraufzubeschwören, kann auf Grund der zugänglichen sowjetischen Akten nicht bekräftigt werden. In dieser Frage kann mit Sicherheit widerlegt werden, dass es sich nicht um gewollte Verzögerungstaktik handelte. Die Regierungserklärung fand bekanntlich nicht am 25. April statt, sondern wurde auf den 27. April 1945 verschoben, auf Empfehlung des sowjetischen Außenministeriums. Zumindest Smirnov und Vysinskij waren folglich sehr wohl bemüht, die Westmächte zumindest pro forma über das Angebot Renners, eine Regierung bilden zu wollen, zu informieren. Vysinskij datierte hierzu, wie oben erwähnt, sein diesbezügliches Schreiben an die Briten auf den 24. April zurück. Wenn es beabsichtigt gewesen wäre, die Westmächte in dieser Frage vor vollendete Tatsachen zu stellen, wäre dies nicht notwendig gewesen. Der Wunsch nach Renner kam von höchster Ebene, doch war man durchaus bemüht, in der Angelegenheit Österreichs gegenüber den Westmächten kein Misstrauen aufkommen zu lassen. Ein handschriftlicher Vermerk des stellvertretenden Leiters der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums, Gribanov, zeigt, dass das Schriftstück noch am selben Tag, als es Vysinskij vorgelegt wurde - am 25. April - an die britische Botschaft abgeschickt wurde.

Unter sowjetischer

Kontrolle

„Beim Einmarsch der Roten Armee auf das Territorium Österreichs wandte sich der ehemalige Kanzler der Österreichischen Republik und letzte Präsident des Nationalrates, Karl Renner, an das sowjetische Kommando und erklärte, dass er bereit ist, den Alliierten jegliche Hilfe bei der Befreiung und beim Wiederaufbau eines unabhängigen österreichischen Staates zu leisten." Vysinskij zog den Schluss, dass „die Gründung einer Provisorischen Österreichischen Regierung eine wesentliche Hilfe für den Kampf der Alliierten um eine vollständige Befreiung Österreichs von der deutschen Abhängigkeit leisten kann" und „die sowjetische Regierung es für möglich [!] hält, Karl Renner und andere politisch Tätigen Österreichs in ihrer Arbeit zur Bildung einer Provisorischen Regierung Österreichs nicht zu behindern". 123 Die Reaktion der Briten ist bekannt. Sie lehnten den Vorschlag der Sowjets ab. Solange nicht ganz Österreich befreit und eine viergliedrige alliierte Kommission in Wien installiert wäre, sollte keine Regierung eingesetzt werden. 124 Der britische Botschafter in Moskau, Frank Roberts, teilte Vysinskij mit, „dass meine Regierung Zeit braucht, um den Vorschlag zu begutachten, dass Dr. Renner erlaubt werden soll, eine Provisorische Regierung zu bilden. Solch ein Schritt steht im Interesse meiner Regierung, der Regierung der Vereinigten Staaten und der Provisorischen französischen Regierung im gleichen Maße wie auch der sowjetischen Regierung." 125 Roberts bat im Namen seiner Regierung, den sowjetischen Machthabern in Wien die Anweisung zu geben, eine Anerkennung irgendeiner Provisorischen Regierung in Österreich aufzuschieben. 126 Die Briten wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Renner längst eine Provisorische Regierung gebildet hatte. Er stellte sie jedoch nicht, wie geplant, bereits am 25. April der Öffentlichkeit vor, sondern musste dies aus den geschilderten Gründen auf den 27. April verschieben. Am 28. April 1945 verfasste Renner einen Aufruf an die Westmächte, seine Regierung anzuerkennen. Diese Notifikation, wie Renner das Schriftstück betitelte, traf in Washington erst am 11. Mai ein. Molotov persönlich hatte sie redigiert.127 Die Bilder des Jubels, den die österreichische Bevölkerung der Provisorischen Regierung am 29. April 1945 beim Marsch vom Rathaus zum Parlament mit dem Hissen der 123 124 125 126

AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 17f. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 72f. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 39. Die mit 27. April datierte und am 28. April 1945 im sowjetischen Außenministerium eingelangte Note der britischen Botschaft in Moskau trägt keinesfalls den Ton eines schärfsten Protests. Vgl. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 73. Die Erregung der Briten mag erzürnend gewesen sein, doch beschränkten sich Konsultationen zwischen Amerikanern und Briten in dieser Frage im internen Raum. 127 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 95. Renner beabsichtigte ursprünglich, von „voller Unabhängigkeit" (Molotov: Selbstständigkeit), von „verschiedenen politischen Parteien" (Molotov: allen politischen Parteien) zu sprechen. Zudem strich Molotov die direkte Anrede an die Alliierten (Renner: „die Regierung teilt Ihnen mit", Molotov: „die Regierung verkündet"; Renner: „wendet sich an Sie mit der Bitte", Molotov: „bittet um"). Molotov nahm die Ausbesserungen am 30. April vor. Portisch stellt die berechtigte Frage, warum die Notifikation erst am 11. Mai in Washington eintraf. Portisch, Österreich II, Bd. 2, S. 20. Dekanozov hatte ursprünglich sogar vor, die Notifikation über Moskau den Botschaften der USA und Großbritanniens zukommen zu lassen. Er bereitete ein entsprechendes Schreiben vor. Vysinskij vermerkte darauf handschriftlich: „Wir können nicht die Rolle des Verräters der Instanz [= Stalin, Anm. d. Verf.] übernehmen, wo doch Renner [...] ein analoges Schreiben an die Engländer und Amerikaner richtet." AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 1, S. 55f.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler rot-weiß-roten Fahne, dem symbolischen Akt der Wiedererrichtung der Republik Österreich, entgegenbrachte und die Renner gemeinsam mit sowjetischen Militärs vor dem Parlament stehend zeigten, hatten schließlich das Misstrauen der Westmächte, die der Provisorischen Österreichischen Regierung auch ihre Anerkennung verweigerten, verstärkt.128 Inzwischen hatte Stalin einen Befehl erlassen, der Hunger leidenden Bevölkerung Wiens 7000 t Brot, 1000 t Erbsen und andere Lebensmittel durch die Rote Armee zur Verfügung zu stellen.129 Marschall Tolbuchin wies wenige Tage später die sowjetischen Kommandanturen an, „der Regierung selbst und ihren örtlichen Behörden größtmögliche Hilfe zu leisten".130 Staatskanzler Renner als erster Gesprächspartner der Sowjets Der Machtbereich der Provisorischen Österreichischen Regierung beschränkte sich zunächst nicht nur auf die von der Roten Armee eingenommenen Gebiete Österreichs - der Einmarsch in Graz erfolgte erst in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 - , sondern auf jenes der 3. Ukrainischen Front. Nördlich der Donau hatte Marschall Malinovskij das Kommando (2. Ukrainische Front). Renner war von Anfang an bemüht, die Regierungsgewalt auf alle sowjetisch besetzten Gebiete auszudehnen.131 Am 17. Mai 1945 empfingen Marschall Tolbuchin und Generaloberst Zeltov den Staatskanzler Renner und Vertreter der Regierung. Renner brachte einige Punkte zur Sprache: das Verschicken einer Note an alle Nachbarstaaten Österreichs bezüglich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die Hilfe durch das Schweizer Rote Kreuz und die Demontage von Industriebetrieben.132 In der Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen „empfahl" Tolbuchin noch zu warten, ebenso der Gewährung von Hilfe durch das Schweizer Rote Kreuz, versprach aber Renner, „mit unseren Mitteln Hilfe zu erweisen". In der Frage der Demontagen von Industriebetrieben bat Renner in erstaunlich offener Art und Weise den sowjetischen Marschall, davon Abstand zu nehmen und „Österreich zu erlauben, den der Sowjetunion zugefügten Schaden mittels Industriegütern zu vergüten" oder „zumindest [...] zu erklären, dass die Einrichtungen Russland [sie!] gehören, aber einstweilen in Österreich zu belassen." Tolbuchin erklärte daraufhin den Vertretern der Provisorischen Regierung die Absichten bezüglich der Demontagen einer Reihe von Fabriken, fügte je128 Der Text der Unabhängigkeitserklärung Österreichs vom 27.4.1945 erneut abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 24. 129 CAMO, F. 243, op. 2912, d. 146, S. 192-194. Tolbuchin u. Zeltov an Stalin, 28.4.1945 über den Empfang der Provisorischen Österreichischen Regierung am 27.4.1945. Siehe dazu auch: Barbara Stelzl-Marx, Erbsen für Wien. Zur sowjetischen Lebensmittelhilfe 1945, in: Stefan Karner - Gottfried Stangler (Hg.), Österreich ist frei! Der Österreichische Staatsvertrag. Begleitband zur Austeilung auf Schloss Schallaburg. Horn 2005. 130 CAMO, F. 243, op. 2945, d. 18, S. 44f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 34. Befehl des Kommandos der 3. Ukrainischen Front v. 6.5.1945. 131 So am 11. Mai 1945. AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 322, S. 14f. Gesprächsnotitz M. Koptelovs, 11.5.1945. Siehe dazu Rauchensteiner, Sonderfall, S. 65 und 106. 132 CAMO, F. 48, op. 341 Iss, d. 196, S. 370-372. Chiffretelegramm Tolbuchins und Zeltovs an Stalin, 16./17.5.1945. Weitere Bitten brachten die Staatssekretäre Buchinger und Honner vor. Siehe dazu Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 40.

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doch hinzu, Nahrungsmittel-, leichte und kommunale Industrie werde „bis auf einzelne Objekte von uns nicht angerührt werden". Tolbuchin weiters: „Die Rüstungsindustrie, die gemischt deutsche und die österreichische, wird als Beute, besonders die Geheim [waffen]produktion, weggebracht, aber wir sind bereit, jeden einzelnen konkreten Einwand zu prüfen und eine Beratschlagung mit österreichischen Spezialisten in Betracht zu ziehen." Mit dieser Antwort, so Tolbuchin, „waren sie [die Regierungsmitglieder] grundsätzlich einverstanden". 133 Nach dem ersten Arbeitsmonat empfingen Tolbuchin und Zeltov am 6. Juni erneut Karl Renner.134 Renner bedankte sich zunächst für die 200 Millionen Reichsmark 135 , das Geld, das die Sowjetunion der Provisorischen Regierung so rasch als Kredit zur Verfügung gestellt hatte136, und beklagte sich, dass die Kompetenz der Provisorischen Regierung auf das unter der Kontrolle der 3. Ukrainischen Front stehende Gebiet Österreichs beschränkt war. Tolbuchin erklärte daraufhin Renner, dass „schon bald das gesamte Gebiet Österreichs 137 unter einheitlichem Kommando stehen werde und sich diese Frage von selbst lösen werde", Schließlich eröffnete Tolbuchin dem österreichischen Regierungschef auch, „dass der Kommandant der Truppen in Österreich Marschall Konev sein werde". Tolbuchin weiter: „Alle Fragen werden dann mit Marschall Konev entschieden. Zur Zeit gibt es bereits Anweisungen, den Aufbau der zivilen Verwaltung auf dem Gebiet Österreichs, das von den Truppen Malinovskijs besetzt ist, nicht zu behindern."138 Bei dieser Unterredung mit Tolbuchin sprach Renner die Militärverwaltung Österreichs an. Dabei machte er den bisher noch nicht bekannten Vorschlag, auch auf der Ebene der Bezirke sowjetische Militärkommandanturen einzurichten! 139 Renner wollte damit offensichtlich die Beziehungen der lokalen österreichischen Behörden zur sowjetischen Besatzungsmacht erleichtem, um schneller, effizienter und unbürokratischer zusammenarbeiten zu können. 133 C A M O , F. 48, op. 341 Iss, d. 196, S. 370-372. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 40. 134 Renner teilte im Kabinettrat lediglich mit, dass „gegenwärtig große Veränderungen im Gange" waren und Tolbuchin von Konev abgelöst würde. Gertrude Enderle-Burcel - Rudolf Jeräbek - Leopold Kammerhofer (Hg.), Protokolle des Kabinettsrates 29. April 1945 bis 10. Juli 1945. Protokolle des Kabinettsrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945. Bd. 1. Horn - Wien 1995, S. 235. 135 AVPRF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 18, S. 3. Garde-Generalleutnant Morozov an Staatskanzler Renner, 16.5.1945. A m 5. Juni 1945 genehmigte der sowjetische Ministerrat eine Anleihe in der Höhe von 400 Millionen Reichsmark. Die RückZahlungsfrist wurde zweimal verlängert. Ebd., S. 5 - 8 . C A M O , F. 243, op. 2973, d. 59, S. 84f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich. Dokument Nr. 32. C A M O , F. 243, op. 2912, d. 146, S. 192-194. Tolbuchin u. Zeltov an Stalin, 28.4.1945, über den Empfang der Provisorischen Österreichischen Regierung am 27.4.1945. C A M O , F. 243, op. 37385, d. 4, S. 84f. Anordnung Tolbuchins und Zeltovs über die Hilfeleistung an die Provisorische Österreichische Regierung, 5.5.1945. Abgedruckt in: Institut Voennoj Istorii (Hg.), Krasnaja Armija ν stranach Central'noj Evropy i na Balkanach. Dokumenty i materialy 1944—1945. Russkij Archiv. Velikaja Otecestvennaja Vojna. Bd. 3(2). Moskau 2000, S. 655. 136 C A M O , F. 254, op. 19951, d. 2, S. 34. AVPRF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 18, S. 3 - 8 . RGASPI, F. 644, op. 1, d. 415, S. 35. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 36. Beschluss d e r G O K O (Vorsitz: Stalin) v. 11.5.1945. 137 Tolbuchin kann hier nur das von Sowjettruppen besetzte Gebiet Österreichs gemeint haben. 138 BK-Archiv, Sondersammlung sowjetisches Außenministerium, AVP RF, F. 012, op. 6, p. 92, d. 391, S. 7f. Gesprächsnotiz des Politberaters M. Koptelov, 8.6.1945. 139 Zur Umsetzung der von Renner geäußerten Empfehlung siehe den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich, in diesem Band.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler Am 29. April 1945 hatten Tolbuchin und Zeltov eine „einstweilige Verordnung über die Militärkommandanturen auf dem durch die sowjetischen Truppen besetzten Territorium" erlassen.140 Der Verordnung zufolge wurden „in den durch die sowjetischen Truppen besetzten Regionen Österreichs [...] in den Hauptstädten und Städten mit Selbstverwaltung sowie in den größeren Wohnorten Militärkommandanturen" eingerichtet. An deren Spitze standen jeweils Kommandanten, die wiederum Provisorische Bürgermeister einsetzten. Die Militärkommandanturen unterstanden direkt dem Militärrat der 3. Ukrainischen Front. Weiters hieß es in der Verordnung: „Die Militärkommandanten führen auf dem Territorium Österreichs keine141 sowjetische Ordnung ein. Alle notwendigen Maßnahmen werden mit Rücksicht auf die Interessen der Roten Armee durch die Bürgermeister (Gemeindevertreter) und durch die von den Letzteren eingerichtete Zivilbehörde ausgeführt".142 Renner kritisierte nun etwa fünf Wochen später in der oben bereits erwähnten Unterredung mit Tolbuchin und Zeltov die seitdem praktizierte Militärverwaltung: „Die Militärorgane sehen nur zwei Elemente als ganzes staatliches System, die zentrale Verwaltung und die Bürgermeister. Die mittlere Ebene, die Kreis- und Bezirksverwaltung, wird dabei jedoch außer Acht gelassen." Der politische Berater Tolbuchins, Michail Koptelov, hielt in seinem Bericht den Vorschlag Renners fest: „Nach Meinung Renners sollten auf der Ebene der Kreise und Bezirke Militärkommandanturen geschaffen werden, mit denen die Kreis- und Bezirksverwaltungen Kontakte unterhalten könnten. Falls es zu Missverständnissen bei der Realisierung verschiedener Maßnahmen kommt, könnte sich die Militärkommandantur schnell mit den entsprechenden Behörden ins Einvernehmen setzen und auf Grund von Übereinkünften die notwendigen Maßnahmen umsetzen. Wenn zum Beispiel in einem Kreis oder Bezirk eine Bande auftaucht, so müssen gegen diese sowohl die österreichische Polizei als auch die sowjetischen Militärs auftreten, das heißt, wenn die österreichische Polizei mit dem Problem nicht fertig wird, so muss die Militärkommandantur im Interesse der Erhaltung der Sicherheit eingreifen." 143 Koptelov weiter: „Renner ist der Meinung, dass neben der Kreisverwaltung eine Kreiskommandantur eingerichtet werden soll, der die Bezirkskommandanturen unterstellt sind, das heißt parallel zur Verwaltungseinheit der Regierung Militärkommandanturen geschaffen werden sollen. Das bringt Klarheit in die Beziehungen zwischen den lokalen Behörden und der Militärkommandantur. Wenn es erforderlich ist, gemeinsame Verordnungen zu erlassen, so könnten diese Fragen gemeinsam an Ort und Stelle entschieden werden." 144 In seiner typischen Art fuhr Renner fort und sprach deutlich aus, was er sich von seinem Vorschlag versprach: „Es mag wohl Fanatiker geben, die der Meinung sind, Renner gibt die Macht an Militärkommandanturen ab. Doch ich bin nicht dieser Meinung, weil 140 Rauchensteiner, Sonderfall, S. 75. Zu den verschiedensten Auslegungen im Zusammenhang mit der ersten Verlautbarung der Verordnung siehe Wolfgang Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. Die Errichtung der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich von 1945 bis 1946 im Spiegel ihrer Lageberichte. Phil. DA. Wien 1998, S. 49, Fußnote 154. 141 Im Original nicht unterstrichen. 142 CAMO, F. 243, op. 2922, d. 49, S. 168. Vgl. dazu Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 59. 143 AVP RF, F. 012, op. 6, p. 92, d. 391, S. 7f. Gesprächsnotiz Koptelovs über sein Treffen mit Renner. 144 Ebd.

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wir uns an die Militärorgane nur in Fällen äußerster Notwendigkeit um Hilfe wenden. Ich möchte in der Zone, die von sowjetischen Truppen besetzt ist, ein stabiles System schaffen, ein Musterexemplar und Beispiel, das sich die Zonen der anderen Alliierten zum Vorbild nehmen." Tolbuchin schlug Renner schließlich vor, seine Vorschläge in schriftlicher Form darzulegen und eine Karte über die Verwaltungseinteilung der sowjetischen Zone beizulegen. 145 Und auf Renner wurde gehört. Nach der Einrichtung der Zentralen Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Österreich kam schließlich der Vorschlag Renners zum Tragen, in jeder Bezirkshauptstadt eine Militärkommandantur einzurichten. 146 Anfang Juli 1945 übernahm schließlich Marschall Ivan Konev das Kommando über die sowjetische Besatzungszone in Österreich, Generaloberst Zeltov wurde zu seinem Stellvertreter ernannt. 147 Schon wenige Tage nach seiner Ankunft in Wien kam er der Bitte Renners nach148 und empfing ihn mit Figl und Koplenig. Renner dankte zunächst Stalin für die große Hilfe, die der sowjetische Führer der Provisorischen Regierung bisher erwiesen hatte, und Tolbuchin für die Lösung schwieriger Alltagsprobleme. 149 Konev äußerte sich gegenüber Renner, dass es zu den Aufgaben des sowjetischen Kommandos gehöre, der Provisorischen Regierung und dem österreichischen Volk bei der Errichtung eines unabhängigen demokratischen Staates zu helfen. Deshalb, so Konev, sei es unabdingbar, alle Fragen in enger Zusammenarbeit mit der Provisorischen Regierung zu lösen.150 Konev verwies dabei auf die wichtigsten Aufgaben der Provisorischen Regierung: Wiederaufbau der Industrie, gute Organisation der Ernte151, entschlossenes Vorgehen gegen Saboteure. Ferner forderte der sowjetische Marschall die Schaffung entsprechender Gesetze, die auf die „Vernichtung des Faschismus" ausgerichtet sein müssen. 152 Er forderte ein energisches Vorgehen gegen Kriegsverbrecher und ehemalige führende Nationalsozialisten, nicht nur in Niederösterreich, sondern im ganzen Land. Abschließend verlieh Konev seiner Hoffnung Ausdruck, dass Renner und die Regierung „eine harte Linie" führen würden, um alle Lebensbereiche im Land zu regeln, und fügte hinzu, dass das sowjetische Oberkommando „in jedem einzelnen Fall der Verletzung der Ordnung und gesetzwidriger Handlungen entschlossen Maßnahmen zu ihrer Unter145 Ebd. Im Kabinettsrat erwähnte Renner dies mit keinem Wort. Vgl. Protokolle des Kabinettsrates Renner 1945, Bd. 1. 146 Siehe dazu den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich, in diesem Band. 147 Siehe dazu den Beitrag von Valerij Vartanov, Die Aufgaben der Militärkommandanturen in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs 1945-1955, in diesem Band. 148 ÖStA, AdR/AA, II-pol. 1945, Kt. 1, 23-pol. 1945. o. D. 149 CAMO, F. 275, op. 353761, d. 1, S. 856-866. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 44. Gesprächsprotokoll des Militärrates der zentralen Gruppe der Truppen, 9.7.1945. 150 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 3, S. 2 -4. Kommunique über den Empfang Renners und seiner Stellvertreter, Figl und Koplenig, durch Marschall Konev. Wien 11.7.1945. 151 Figl wies bei der Unterredung darauf hin, dass die „Ernte durch die Unsicherheit der Feldarbeit infolge des Einbruches an den Grenzen, der umherstreifenden Marodeure etc. gefährdet sei." Konev erwog „die Beistellung von Handfeuerwaffen an die ländlichen Sicherheitsorgane". ÖStA/AdR, AA, II-pol. 1945, Kt. 1, 23-pol. 1945, o. D. 152 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 3, S. 3; ÖStA, AdR-AA, II-pol. 1945, Kt. 1, 23-pol. 1945, o. D.

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bindung unternehmen werde".153 Renner sprach gegenüber Konev auch die Ängste der Österreicher vor der sowjetischen Besatzungsmacht an. Höflich fragte er zunächst, ob er offen sprechen könne. Konev bejahte. Nachdem Renner auf die Ängste der Bevölkerung verwiesen hatte, versicherte der Marschall dem österreichischen Staatskanzler, dass die Sowjets „weit von einer Rachepolitik entfernt" seien und „zu allen einzelnen Vorfällen (Gewalt, Konfiszierungen) entschiedene Maßnahmen zu deren Einstellung verfügt hätten".154 Im Kabinettsrat erstattete Renner davon nur einen abgeschwächten Bericht.155 Die Westmächte versagten der Regierung Renner weiterhin ihre Anerkennung. Die Einschätzungen des amerikanischen Geschäftsträgers in Moskau, George Kennan, ließen die Amerikaner auf ihren Standpunkt beharren. Kennan drückte vor allem seine Bedenken bei der Besetzung des Innenministeriums durch den Kommunisten Franz Honner aus und verwies auf die diesbezüglichen Erfahrungen in Polen, in der Tschechoslowakei und Rumänien. 156 Die USA und Großbritannien sahen Österreich Gefahr laufen, kommunistisch zu werden, wobei die Bedenken der USA eher auf den zu offensichtlichen Alleingang der Sowjets bei der Regierungsbildung hinausliefen. 157 Doch die intensiven Bemühungen aller Parteien in den folgenden vier bis fünf Monaten führten schließlich zur Anerkennung der Renner-Regierung durch die Westmächte am 20. Oktober 1945.158 Als Vorbedingung wurde auf der Länderkonferenz vom 24. September 1945 in Wien eine wichtige Änderung in der Zusammensetzung der Regierung erreicht. „Westler", allen voran Karl Gruber für das neu geschaffene Außenamt, kamen in die Regierung. Josef Sommer übernahm das neue Unterstaatssekretariat für Inneres, er hatte somit die ersten Wahlen vorzubereiten. Die Briten konnten auf diese Weise ihr Gesicht wahren. Sie bezeichneten die geringfügige Regierungsumbildung als Regierungsneubildung (Regierung Renner II).159

153 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 3, S. 3. 154 CAMO, F. 275, op. 353761, d. 1, S. 866. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 44. Renner bat Konev, ein Stenogramm des Gesprächs veröffentlichen zu dürfen. Da er aber selbst ein schlechter Stenograf war und deshalb nicht „alle diesen schönen Phrasen, die der Herr Marschall aussprach", niederschreiben konnte, bat er Konev um das Gesprächsprotokoll seiner Stenografistin. 155 Protokolle des Kabinettsrates Renner 1945, Bd.l, S. 357. 156 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 73f.; United States Department of State (Hg.), Foreign Relations of the United States. Diplomatie Papers. 1945 Vol. III European Advisory Commission - Austria - Germany. Washington, D. C. 1968, S. 105f., Kennan an Secretary of State, 30.4.1945. Josef Leidenfrost, Preventing a Rupture? U.S.Occupational Authorities and Austria's long and winding road to the first postwar nation-wide elections on 25 November 1945, in: Zeitgeschichte. 2003/1, S. 19-36, hier: S. 20f. 157 Den Briten war der Anteil der Kommunisten an der Regierung zu hoch. Audrey Kurth Cronin, Great Power Politics and the Struggle over Austria 1945-1955. Ithaca - New York 1986, S. 31. 158 De jure erkannte auch die UdSSR die Provisorische Regierung Renner erst am 20. Oktober 1945 nach der Empfehlung des Alliierten Rates vom 1. Oktober an. AVP RF, F. 66, op. 26, p. 32, d. 24, S. 3; Gertrude Enderle-Burcel - Rudolf Jeräbek (Hg.), Kabinettsratsprotokoll Nr. 30 bis Kabinettsratsprotokoll Nr. 43. 12. September 1945 bis 17. Dezember 1945. Protokolle des Kabinettsrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945. Bd. 3. Wien 2003, Kabinettratsprotokoll Nr. 36, 24.10.1945, S. 180. Zur Meinungsänderung zu Renner siehe die OSS-Berichte, abgedruckt bei Beer, Wien in der frühen Besatzungszeit, S. 61. 159 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 124f. Siehe dazu auch die OSS-Berichte über die Erweiterung der Provisorischen Regierung mit „a few men from western Austria". Beer, Wien in der frühen Besät-

Unter sowjetischer Kontrolle Zu diesem Zeitpunkt war das Misstrauen der Sowjets gegenüber Renner gewachsen und die Hoffnungen auf ihn bereits gesunken. Der sowjetische politische Bevollmächtigte soll während der Länderkonferenz gegenüber seinem britischen Kollegen erklärt haben, dass sie sich „durchaus einen stärkeren Mann für Österreich vorstellen" könnten, „doch Renner sei offenbar der Einzige mit dem nötigen Prestige".160 Diese Aussage war durchaus ernst gemeint - und weniger diplomatisches Kalkül, um den Briten entgegenzukommen. Aktenkundig wurde die Aussage des Diplomaten auf sowjetischer Seite offensichtlich allerdings nicht. Stalin selbst wurde von Vjaceslav Molotov, Lavrentij Berija, Georgij Malenkov und Anastas Mikojan lediglich ein sehr „trocken" verfasster Bericht über den Beschluss der Alliierten Kommission für Österreich am 1. Oktober 1945 über die Ausweitung der Kompetenz der Provisorischen Österreichischen Regierung Renner vorgelegt.161

Renner aus der Sicht der Sowjets Die Sowjets bemerkten sehr rasch, dass Renner nicht der war, für den ihn Stalin gehalten haben dürfte. Erste negative Einschätzungen zur Person Renner finden sich bereits im Mai 1945. Renner ließ aus sich keine Marionette Stalins machen. Er nutzte die Gelegenheit, die sich ihm bot, sehr gut aus. Als Folge änderte die sowjetische Besatzungsmacht kontinuierlich ihre Meinung über Renner. Im Herbst 1947 endete dies schließlich in offenen Hasstiraden gegen Renner in der sowjetischen Presse. Die Kominform stellte ihn in den Beschlüssen ihrer ersten Sitzung als Gefahr für den Sozialismus hin. Die nun zugänglichen internen Berichte der sowjetischen Besatzungsmacht und der politischen Abteilungen der Inneren Truppen des NKVD lassen die Meinungsänderung der Sowjets nachvollziehen. Erste kritische Töne zu Renner finden sich in sowjetischen Akten sehr bald. Nachdem Renner bei der 4. Plenarsitzung der Provisorischen Regierung am 10. Mai 1945 erklärt hatte, zu den künftigen Zusammenkünften nur noch die Minister einladen zu wollen, war den Sowjets klar, was dieser Schritt bedeutete: „Damit strebt Renner danach, die 9 stellvertretenden kommunistischen Staatssekretäre und genau so viele Vertreter der Volkspartei loszuwerden, womit er beabsichtigt, das Stimmenverhältnis in eine für die Sozialdemokraten günstige Lage zu ändern. [...] Die Auftritte Renners haben eine klare Tendenz zur Teilnahmebegrenzung aller Regierungsmitglieder bei der Lösung der grundsätzlichen Fragen und zur Ausschaltung aus diesen Fragen, in erster Linie der Kommunisten", berichtete Oberstleutnant Merkulov am 11. Mai 1945 nach Moskau.162

zungszeit, S. 54. Zur den Länderkonferenzen 1945 im Überblick siehe Klaus-Dieter Mulley. Staatsgründung 1945. Bemerkungen zur personellen und föderalen Rekonstruktion der Republik Österreich im Jahre 1945, in: Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde. Die Länderkonferenzen 1945. Dokumente und Materialien. Sonderband 1995. Wien 1995, S. 11-32. 160 Ebd., S. 125. 161 RGASPI, F. 558, op. 11, d. 97, S. 8 0 - 8 5 . 162 C A M O , F. 243, op. 2914, d. 268, S. 1 2 - 1 4 .

Stefan Karner — Peter Ruggenthaler „Ihn können wir nicht bessern" Am 16. Mai trafen die KP-Führer und Staatssekretäre der Provisorischen Österreichischen Regierung, Koplenig, Fischer und Honner, mit Vertretern des Militärrats der 3. Ukrainischen Front zu einer Aussprache zusammen. Die sowjetische Seite forderte die österreichischen Kommunisten auf, „offen über alle Schwierigkeiten zu erzählen".163 Koplenig beschwerte sich gegenüber Politoberst Zeltov, dass in der Regierung „eine Tendenz zur Schaffung einer Koalition von einem Teil der Sozialdemokraten und einem Teil der Katholiken bemerkbar" und „offen gegen die Kommunisten" gerichtet sei.164 Koplenig weiter: „Die Grundlage der Koalition ist das Bestreben der Koalition, bestimmte Positionen in den Führungsregierungsposten zu festigen." Die SPÖ und ÖVP strebten danach, „so viel Führungsposten wie möglich in allen Organen in ihre Hände zu bekommen [...], um den Einfluss der Kommunisten zu beseitigen". Koplenig kritisierte ferner das Streben der ÖVP und SPÖ, die Verfassung von 1929 wieder einzuführen, die es erlaubte, „Bürgermeister, Regierungsbevollmächtigte usw. von oben" einzusetzen. Mit Renner fuhr Koplenig hart ins Gericht: „In Entsprechung mit der von Renner eingeführten Ordnung kann die Regierung nur einstimmige Beschlüsse annehmen. Wenn es nun keine Einigkeit gibt, dann trägt der Kanzler die Entscheidung selbst. Wir Kommunisten haben uns dagegen ausgesprochen. Renner verkündete, dass, wenn Ihnen das nicht gefällt, dann zieht daraus entsprechende Rückschlüsse. Renner hat keine Lust, mit uns zu arbeiten. [...] In der letzten Zeit entwickelte sich zwischen Renner und Kommunisten ein angespanntes Verhältnis. Renner berücksichtigt uns überhaupt nicht."165 Honner pflichtete Koplenig bei und unterstrich, dass ein Heranziehen der Verfassung von 1929 zu einem Austauschen der von der Roten Armee mehrheitlich kommunistisch eingesetzten Bürgermeister zugunsten der ÖVP und SPÖ führen würde. Honner wies die Sowjets darauf hin, dass Renner beabsichtigte, die Staatspolizei aus den Agenden des Innenministeriums zu nehmen, um selbst über diese walten zu können. Honner hob hervor, dass diese Funktion in den Händen des Innenministeriums bleiben müsse, ebenso die Aufsicht über die Durchführung der Nationalratswahlen. Fischer hob abschließend hervor, dass es auf der unteren Ebene bereits gelang, mit den Sozialdemokraten gemeinsame Tätigkeiten in den Massen zu setzen. Er stellte fest, dass man einen „Drang zur Einheit" [tjaga k edinstvu] beobachten könne, verwies aber auf den eklatanten Kadermangel in den Reihen der Kommu-

163 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 64-69. Sitzungsprotokoll des Zusammentreffens von Vertretern des Militärrates der 3. Ukrainischen Front mit kommunistischen Regierungsmitgliedern, 16.5.1945, verfasst v. Koptelov. 164 Ebd. Einen Monat später stellte Koptelov fest, die österreichischen Kommunisten hätten „eine Zeit lang behauptet, dass die Sozialisten gemeinsam mit den Katholiken einen Block gegen die Kommunisten gebildet hätten". CAMO, F. 275, op. 353763, d. 1, S. 113-117. Bericht Koptelovs und Dzjubenkos an Konev, 10.6.1945. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 141. Koptelov war so ziemlich der einzige Sowjetvertreter, der auch noch im Herbst 1945 eine Annäherung zwischen Sozialisten und Kommunisten ausmachte. Siehe dazu den Beitrag von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band. 165 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 64-69.

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nistischen Partei, die er durch neue Leute aus Moskau, gebildet aus antifaschistischen Kriegsgefangenen, zu lösen erhoffte. 166 Die anschließende Stellungnahme des Politobersten Zeltov zeigt deutlich die Strategie Moskaus auf: Etablierung der Kommunistischen Partei in der Öffentlichkeit und Eroberung möglichst breiter Bevölkerungsschichten unter Ausnutzung des „Feigenblattes" einer demokratisch gebildeten Regierung auf der Basis der Drittelparität aller zugelassenen demokratischen antifaschistischen Parteien. Renner, seine Regierungsmitglieder und die ÖVP sollten bloß gestellt werden, die Kommunisten schließlich aus der Unfähigkeit der Regierung, Probleme zu lösen, politisches Kapital gewinnen und ihren Nutzen daraus ziehen. Zeltov machte deutlich, „dass die Hauptaufgabe der Kommunistischen Partei die Eroberung der Masse sein muss. [...] Die Massen müssen erobert werden und nicht die Regierung. Wenn die Masse des Volkes auf die Seite der Kommunistischen Partei gezogen wird, dann können sie auch in der Regierung so eine Lage schaffen, die sie benötigt. Man darf nicht mit Renner in eine Schlägerei treten, solange nicht die Massen gewonnen sind, sonst wird das keine Schlägerei, sondern nur eine Kratzerei. Man muss schneller, breiter und tiefer in den Massen arbeiten, unter der Bauernschaft, den Katholiken und den Sozialdemokraten. Wenn die Regierung wenig Aktivität zu Tage legt, so ist dies zum Nutzen der Kommunistischen Partei. [...] Renner sagte, dass er in diesem Jahr keinen Nachwuchs hat, keinen Menschen, dem er, im Fall der Notwendigkeit, den Posten des Premiers übergeben könnte. Wenn das eintreten würde,,müssen wir Leute züchten und unsere Leute zeigen. Welche Position müssen die Kommunisten im Verhältnis zu Renner einnehmen? Ihn können wir nicht bessern [Ego nam ne ispravit]. Was brauchen wir? Wir brauchen eine praktische Arbeitsumgebung auf der Grundlage der Einheit aller demokratischen Parteien. Renner unterstützen wir. Möge er selbst die schwierigen Fragen in diesem schwierigen Augenblick lösen, wie die Frage der Reparationen, die Wiedererrichtung der Industrie und andere. Die Kommunisten müssen es mit den Massen zu tun haben, und ihr müsst authentische Verfechter der demokratischen Front bleiben. Wenn die Sozialdemokraten, Katholiken und andere viel schwätzen, so müsst ihr praktisch tätig sein und müsst die Urheber aller praktischen Maßnahmen sein. Das Wichtigste ist, [...] in der gegenwärtigen Zeit die Einheit aller demokratischen Parteien zu erhalten und keine Sprengung von innen zuzulassen. Man muss daran denken, dass die Regierung provisorischen Charakter trägt und die sich ergebende Situation zur Eroberung weiterer Positionen in der künftigen Regierung nutzen." 167 Abschließend erklärte Zeltov, dass die KPÖ-Funktionäre engen Kontakt mit der Besatzungsmacht halten müssten und nicht darauf warten sollten, bis sie „eingeladen oder gerufen" werden, sondern im Falle von Schwierigkeiten selbst den Kontakt suchen sollen. Hierfür sicherte Zeltov den österreichischen Kommunisten volle Unterstützung zu.168

166 Ebd. 167 Ebd. 168 Ebd.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler „Er ist bisweilen ein Schlitzohr" Oberst Zeltov, der Exponent der politischen Führungsriege der Sowjets und ausführende Hand der sowjetischen Politik in Österreich, sah in Renner ein nützliches Werkzeug einer Regierung, in der sich die Kommunisten auf friedlichem Wege durchsetzen würden. Nicht nur Politoberst Zeltov blieb verborgen, dass hinter Renners prosowjetischem Auftreten Lug und Trug standen. Als Oberst Piterskij Ende Mai 1945 zur Berichterstattung nach Moskau beordert wurde, beschrieb er Renner bei einem Gespräch mit einem Mitarbeiter der 3. Europäischen Abteilung des NKID in einer gewissen Weise durchschauend: „Renner interessiert sich für Fragen des materiellen Wohlstandes, nicht nur des ganzen österreichischen Volkes, sondern auch für seinen eigenen. Renner fragt, wie werden die Österreicher wohl leben, und sagt gleichzeitig, dass er persönlich keine gute Uhr habe und ob es möglich wäre, ihm aus Moskau Kaviar zu schicken. Man darf Renner nicht in allem glauben, er ist bisweilen ein Schlitzohr."169 Am 17. Juli 1945 trat Ernst Lemberger von London aus im Radio auf und sprach über die katastrophale Lebensmittelsituation in Wien. Er beanstandete, dass eine aus der Schweiz nach Österreich gegangene Hilfslieferung von den Sowjets beschlagnahmt worden wäre. Lemberger erklärte, dass es „zur gegebenen Zeit nicht möglich ist, zu helfen, und dass dies sinnlos ist, solange da die Russen sind".170 Renner entgegnete darauf einige Tage später in der Zeitung „Neues Österreich"171, dass Lemberger ohne Auftrag der Regierung gesprochen und keine staatlichen Aufträge der österreichischen Regierung bekommen habe, und richtete diesbezügliche Richtigstellungen an Marschall Konev und Politvertreter Kiselev.172 Der Kommandeur des 40. Schützen-Regiments der Inneren Truppen des NKVD und sein Stabschef hielten in einem Bericht an die Zentrale Gruppe der Streitkräfte fest, dass Renner zwar erklärt habe, „dass das Auftreten Lembergers in sich eine Reihe von Ungenauigkeiten und Übertreibungen enthalte", er aber kein „kategorisches Dementi über den klar provozierenden Charakter des Auftretens Lembergers" abgegeben habe.173 Die Schwierigkeiten, die sich für die Regierung Renner auf Grund der Nichtanerkennung durch die Westalliierten ergaben und ihren Aktionsradius stark einschränkten, 169 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 8, S. lOf. Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Lavrov, Mitarbeiter der 3. Europäischen Abteilung, und Oberst Piterskij. Moskau 24.5.1945. Siehe auch Kriechbaumer, „dass der Einfluss der Kommunisten beseitigt wird", mit etwas anderer Übersetzung, S. 426. 170 RGVA, F. 38756, op. 1, d. 8, S. 74. Lemberger warb bereits auf dem Rückweg aus Wien nach London in Linz bei den amerikanischen Dienststellen für die demokratische Legitimation der Provisorischen Regierung. Lemberger hatte zumindest Kontakt zu Vizekanzler Schärf. Siehe dazu Reinhard Bollmus, Staatliche Einigung trotz Zonentrennung. Zur Politik des Staatskanzlers Karl Renner gegenüber den Besatzungsmächten in Österreich im Jahre 1945, in: Ulrich Engelhardt - Volker Sellin - Horst Stuke (Hg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt. Stuttgart 1976, S. 677-712, hier: S. 707f. 171 Neues Österreich, Öffentliche Richtigstellung Renners, 20.7.1945. 172 ÖStA, AdR/AA, II-pol. 1945, Kt. 3, 514-pol. 1945. 173 RGVA, F. 38756, op. 1, d. 8, S. 74, Bericht des Kommandeurs des 40. Schützen-Regiments der Inneren Truppen des NKVD, Chorosev, und seines Stabschefs Pasin an Generalmajor Kuznecov, Chef der Truppen des NKVD zur Verteidigung des Hinterlandes der Zentralen Gruppe der Streitkräfte. Wien, 7.8.1945.

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wurden von den Sowjets mit der Zeit als Tatenlosigkeit der Regierung gewertet. Aus der Sicht der Sowjets hatten sie der Regierung Renner die größtmögliche Hilfe erwiesen. Nach der Potsdamer Konferenz und der Aussicht der Anerkennung der Regierung Renner durch die westlichen Besatzungsmächte taten sich aus ihrem Blickwinkel Chancen für eine effizientere Arbeit der Provisorischen Regierung auf, die jedoch nicht genutzt wurden. Während die Österreicher bis in den Sommer 1945 darum bemüht waren, mit den Sowjets ein reibungsloses Verhältnis zu finden, und „alle [...] peinliche Zurückhaltung und Diskretion, die wir seit Monaten aufwendeten, um nur ja nirgends anzustoßen" 174 , wurde die Haltung der Regierung als „Inaktivität" ausgelegt. Am 1. September 1945 kam es diesbezüglich zu einem offenen Gespräch von Vertretern der Staatskanzleiabteilung für auswärtige Angelegenheiten und Koptelov. In der Unterredung fragte Koptelov, warum die österreichische Regierung mittlerweile noch immer kein Außenministerium habe. Es sei ihm klar gewesen, dass es bei der Bildung der Provisorischen Regierung der Wunsch Renners gewesen war, selbst die Geschäfte eines Außenministers zu führen. Koptelov: „Bei der Regierungsbildung sagte uns der Kanzler, dass er selbst die auswärtigen Angelegenheiten führen will. Gut. Das ist seine Sache. Aber das ist doch kein Grund, dass es kein Ministerium gibt. Am Anfang haben wir noch verstanden, dass Sie organisatorische Schwierigkeiten haben. Aber jetzt ist doch schon genug Zeit vergangen, und Sie haben noch immer kein Ministerium." 175 Koptelov verlieh zudem seiner Verwunderung Ausdruck, dass Österreich erst lediglich mit Prag diplomatische Beziehungen unterhielt. Die Frage der Anerkennung der Regierung Renner durch die Westmächte war ein grundlegendes Ziel der österreichischen, aber auch der sowjetischen Politik in Österreich 1945 und ist als Bestandteil der sowjetischen Pläne zu Österreich (Bildung einer Volksfront, Vereinigung der linken Kräfte durch den unumstrittenen Renner) zu sehen. Politberater Koptelov ließ in der Frage der Anerkennung die österreichische Seite unverhohlen wissen, dass sie zu wenig zur Lösung dieses Problems unternehme. Er gab gleichermaßen den Anstoß, auf die Westalliierten zuzugehen. Den Umstand, dass noch keine ranghohen politischen Vertreter zu diesem Zeitpunkt in Wien waren, ließ Koptelov nicht gelten: „Wir geben genug Leuten Visa in die amerikanische Zone. Also könnten Sie auch fahren, wenn Sie wollten. Und übrigens gibt es schon eine Menge sehr qualifizierte und verhandlungsbevollmächtigte Fachleute der Amerikaner und Engländer in Wien. Aber Sie rühren sich nicht. Sie müssen arbeiten! Von allein kommt gar nichts. Wir verstehen sehr gut Ihre Schwierigkeiten, und wenn die Amerikaner und Engländer sie weniger gut verstehen sollten, so müssen Sie eben zu ihnen gehen und mit ihnen reden und ihnen die Dinge erklären. Denn die haben genau so wie wir Russen gar kein Interesse, als dass wirkliche Grundlagen für das neue Österreich geschaffen werden. Aber was Sie wollen, das müssen Sie wissen." 176

174 ÖStA, AdR-AA, II-pol. 1945, Kt. 5, 959-pol. 45. 175 Ebd. 176 Ebd.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler Nach dieser Schelte durch den Politvertreter der Sowjets zog man im außenpolitischen Amt den Schluss, dass das „Fehlen eines Außenministeriums geradezu als charakteristisches Indiz eines mangelnden staatlichen Selbstbehauptungs- und Selbstvertretungswillens oder wenigstens -eifers erschien [... und die] peinliche Zurückhaltung und Diskretion [...] als Inaktivität, um nicht zu sagen Indolenz ausgelegt wurde".177 Wenige Tage später gab Koptelov Vertretern des auswärtigen Amtes erneut erstaunliche Ratschläge. Am Rande eines Abendessens gab er seiner Verwunderung Ausdruck, „in welch geringem Maße bisher von österreichischer Seite die Vergewaltigung durch das HitlerRegime und der Widerstand, den Österreich dagegen geleistet habe, herausgestellt worden sei. Russischerseits habe man [...] dazu alle Freiheiten und Möglichkeiten gelassen, doch seien diese bis jetzt fast gar nicht genutzt worden. [...] In Russland seien durch die nazistischen Truppen zahlreiche Bewohner um Leben und Eigentum gebracht worden, in Österreich sei es nicht viel anders gewesen. Daher würde das Herausstellen solcher Tatsachen, besonders auch in der Sowjetunion, vollstes Verständnis finden. [...Sonst] bleibe ζ. B. in der Sowjetunion nur der Eindruck zurück, dass Österreicher in den Reihen der deutschen Verbände ebenso hart gekämpft haben wie die Deutschen." 178 Ein Vergleich der Ausbeutung der Sowjetunion durch die Nationalsozialisten mit der Ausbeutung Österreichs durch das NS-System ist wohl kühn und in seinen Ausmaßen nicht anzustellen. Da jedoch von sowjetischer Seite keine Aufzeichnungen über dieses informelle Gespräch erhalten sind, ist auch fraglich, welchen Wortlaut Koptelov tatsächlich verwendete, es wurde jedoch sicherlich von österreichischer Seite gerne gehört und positiv aufgenommen. Inwiefern der Impuls von sowjetischer Seite, der Österreich zur Gänze in die Opferrolle drängte, ausschlaggebend für den bekannten Umgang mit der NS-Vergangenheit war, bedürfte weiterer Untersuchungen. Koptelov war wie Kiselev in Wien das Sprachrohr des NKID.179 Es ist auszuschließen, dass es sich um die private Meinung eines Politberaters handelte.180 Das Auftreten Renners bei der Länderkonferenz selbst wurde noch, wie dies nun aus den neu erschlossenen sowjetischen Akten hervorgeht, als „vorzüglich" bezeichnet. Das Einlenken der Briten wurde als diplomatischer Sieg verkauft, nicht ohne die eigennützige Hilfe Renners. In einem eher persönlich gehaltenen Bericht an Andrej Smirnov schrieb der sowjetische Politberater Koptelov über die Länderkonferenz aus Wien nach Moskau: „Die Konferenz entwickelte sich in die von uns gewünschte Richtung. Die Regierung Renner wurde auf der Konferenz bestätigt. Als man auf der Konferenz Einigung über eine Vergrößerung der Regierung erzielte [...], griff Renner zu einem kleinen Trick: Vor allen Konferenzteilnehmern verlas er die Zusammensetzung der gesamten Regierung mit den neuen Mitgliedern. Die Engländer haben das aufgegriffen und schrieben

177 Ebd. 178 ÖStA, AdR-AA, II-pol. 1945, Kt. 5, 1077-pol. 45. 179 Am 20. Jänner 1946 wurde Evgenij Kiselev vom Politbüro des ZK der KPdSU zum politischen Vertreter der UdSSR in Österreich bestellt. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1056, S. 3. Politbüro-Beschluss Nr. 2 4 6 ( 2 ) v. 20.1.1946. 180 Koptelov dürfte über diese Unterredung keinen Bericht geschrieben haben.

Unter sowjetischer Kontrolle von einer völligen Reorganisierung und Neubildung der Regierung. Es ist offensichtlich, dass sie sich zumindest damit etwas trösten und sich das Leben versüßen wollen."181 Die Entnazifizierung hatte für die sowjetische Besatzungsmacht von Anfang an höchste Priorität. Die ersten diesbezüglichen Diskrepanzen mit Karl Renner bei der Ausforschung und Festnahme von Nationalsozialisten taten sich schon bei der Regierungssitzung Ende April 1945 auf. Renner befand, die illegalen Nationalsozialisten bei guter Führung durchaus bereits nach zwei bis drei Jahren wieder aus der Haft entlassen zu können, während die Kommunisten und Vertreter der ÖVP die Todesstrafe verlangten. In einem Gespräch Fürnbergs mit Oberstleutnant Senin (Verantwortlicher für die Organisation der Parteiarbeit des 336. Grenzregiments der Inneren Truppen des NKVD) bezeichnete Fürnberg deshalb Karl Renner als „den schlechtesten Sozialdemokraten und einen schlauen Fuchs".182 Parallel zum steigenden Misstrauen seitens der Sowjets gegenüber Renner dürften auch parallel dazu die Hoffnungen auf ein gutes Abschneiden der KPÖ bei den ersten freien Wahlen im November 1945 gesunken sein. Die sowjetische Führung hatte gehofft, in allen von der Roten Armee besetzten Ländern durch Basisarbeit, Intelligenz und großes Engagement gleichsam auf demokratischem Wege den Kommunisten zum Siegen verhelfen zu können. Im Falle Österreich hatte Stalin in Renner große Hoffnungen gesetzt, dass es ihm gelingen würde, die Linken zu vereinen. Die Sowjets bemerkten bald, dass Renner einen von ihnen nicht gewünschten Weg einschlug, unternahmen aber weiter nichts dagegen. Unmittelbar vor den Wahlen waren sich die sowjetischen Diplomaten in Österreich bereits bewusst, dass die Kommunisten nicht erfolgreich abschneiden werden. Renner prognostizierte bei einem Gespräch mit Politberater Evgenij Kiselev den Kommunisten einen hohen Stimmenanteil. Dazu der interne Bericht von Nikolaj Lun'kov: 183 „Genösse Kiselev teilte mir mit, dass im Gespräch mit Staatskanzler Renner, welches heute morgen stattfand, Renner seine Meinung zum Ausdruck gebracht habe, dass die Kommunisten voraussichtlich rund 20 Prozent der Stimmen erhalten würden. Kiselev merkte seinerseits an, dass diese Zahl zweifellos übertrieben hoch sei."184 Die Sowjets in Wien dürften demnach von ca. zehn Prozent der Stimmen ausgegangen sein, doch dürfte das nicht die Meinung des 181 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 49f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 50. Handschriftlicher Brief Koptelovs an Smimov. Wien, 27.9.1945. 182 Wörtlich: „listiger Wolf'. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 458, S. 141. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 39. Bericht über die politische Lage in Österreich durch die Politabteilung der Inneren Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front, 14.5.1945. 183 Nikolaj Lun'kov, einer aus „dem Kindergarten" Andrej Smimovs, wie er sich selbst bezeichnet, als er unerwartet 1944 unmittelbar aus der Höheren Parteischule in den diplomatischen Dienst der 3. Europäischen Abteilung des NKID berufen wurde. Im Februar 1945 wurde er zum Stab Tolbuchins nach Ungarn geschickt und erlebte den Einmarsch in Österreich und die Schlacht um Wien von dort aus mit. Lun'kov agierte bis 1946 als stellvertretender Politberater Tolbuchins und Konevs. Nach seinem Dienst als erster Sekretär an der sowjetischen Botschaft in der Schweiz kehrte er in den diplomatischen Dienst in der 3. Europäischen Abteilung des NKID zurück. Lun'kov, Russkij diplomat ν Evrope, S. 10f., 58. 184 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 61-62. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 57. Bericht Lun'kovs an Vize-Volkskommissar Dekanozov. Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 368.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler Kremls reflektiert haben.185 Doch nicht einmal dieses Minimalziel wurde trotz intensiver Wahlunterstützung der KPÖ, der viel beworbenen Hilfe für Österreich wie die Millionenspende für den Wiederaufbau der Wiener Staatsoper186 oder der Aufnahme diplomatischer Beziehungen der UdSSR mit Österreich187 - noch vor der offiziellen Anerkennung der Provisorischen Regierung durch die Westmächte188 - erreicht. Die Wahl wurde für die österreichischen Kommunisten mit lediglich 5,42 Prozent bekanntlich ein Desaster. Bereits vor den Wahlen hatten die Sowjets vernommen, dass Renner am Parteitag der SPÖ Ende Oktober 1945 Angriffe gegen die Sowjetunion getätigt und die Kommunisten als „Feinde der Demokratie" bezeichnet hatte.189 Am 27. Dezember suchte Michail Koptelov Karl Renner, nunmehr in seiner Funktion als Bundespräsident, auf. Renner brachte seine Unzufriedenheit über die gegenwärtige Lage Österreichs zum Ausdruck. Es sei nicht klar, ob Österreich ein befreites oder ein besiegtes Land sei, mit allen Ländern würden Friedensverträge vorbereitet, mit Österreich geschah nichts, so Renner. Renner sprach nun erstmals offen Kritik an der Behandlung der SPÖ durch die Sowjets aus, nicht ohne dabei Verantwortung für den Wahlausgang den Sowjets aufzubürden: „Ihr Russen macht das nicht richtig, indem ihr euch nur an die eine kommunistische Partei anlehnt. Die Kommunistische Partei hatte und hat in Österreich keine Wurzeln und nicht solchen Einfluss, wie die sozialistische Partei. Sie [die KPÖ] wird von den Österreichern als fremde Partei angesehen. Die Hauptbasis der sozialistischen Partei Österreichs ist die Arbeiterklasse, die mit ungeheurer Sympathie auf die Sowjetunion blickt und sich nur an ihr orientiert. Die österreichischen Arbeiter schauen nicht nach Westen. Der Kampf, der sich in letzter Zeit zwischen der kommunistischen und sozialistischen Partei entfaltet hatte, brachte nur der Völkspartei Nutzen und führt zur Spaltung der österreichischen Arbeiterklasse. Die Sowjetunion würde richtiger auftreten, wenn sie sich mehr an die Politik der sozialistischen Partei anlehnen würde, die zur Zusammenarbeit mit ihr bereit ist. Das würde mehr Ergebnisse bringen." Renner weiter: „Ich muss nach Moskau fahren und Genossen Stalin persönlich über den fehlerhaften Umgang mit der Sozialistischen Partei Österreichs, die die stärkste Arbeiterpartei 185 Siehe dazu im Detail Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde. Sowjetische Österreich-Politik 1945-1953/55, in diesem Band. 186 Molotov gab hierfür eine Million Rubel (= zwei Millionen Schilling) frei. CAMO, F. 275, op. 28382, d. 32, S. 266. Darüber hinaus wurden Hunderte Tonnen Beutebaumaterialien zur Verfügung gestellt. CAMO, F. 275, op. 426039, d. 4, S. 13f. Befehl des Oberkommandierenden der CGV, Konev, über materielle Hilfe für die Österreichische Provisorische Regierung zum Wiederaufbau der Wiener Staatsoper. 187 Zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen siehe Aichinger, Die Sowjetunion und Österreich 1945-1949, S. 281 sowie Oliver Rathkolb, Der Wiederbeginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion 1945-1947 zwischen Kaltem Krieg und österreichischer Innenpolitik, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA. 2003/50, S. 157-166. 188 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 37, S. 154 u. 163. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 142. Politbüro-Beschluss Nr. 47 (56) op. v. 19.10.1945, verkündet am 23. Oktober in einem Schreiben Konevs an Renner. Der Brief wurde in der Österreichischen Zeitung abgedruckt. Österreichische Zeitung, 23.10.1945, S. 1. 189 CA FSB, F. 135, op. 1, d. 21, S. 100-113. Bericht des Chefs der Propagandaabteilung der SCSK, Pasecnik, an den stellvertretenden Hochkommissar, Zeltov, nicht nach dem 23. November 1945. Der Informant könnte Erwin Scharf, dessen Kritik über „Renner wie auch die anderen Greise, die eine rechte Politik betreiben", im Bericht des Öfteren wiedergegeben wird, gewesen sein.

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ist, aufklären." 190 Renner mag zwar der Sieg der ÖVP geschmerzt haben, sein Auftreten gegenüber den Sowjets nach den Wahlen war vielmehr taktisches Manöver. Zunächst hatte er den Sowjets ein verheißungsvolles Ergebnis für die KPÖ prophezeit, danach erklärte er, dass die KPÖ in Österreich nie Wurzeln hatte. Renner schob offen die Schuld an der Niederlage der KPÖ den Sowjets selbst in die Schuhe. Spätestens seit den Wahlen hatten die Sowjets sein Manövrieren durchschaut. Hatte Koptelov noch wenige Tage vor seinem Besuch bei Renner die SPÖ als Partei heftigst kritisiert191 - ohne jedoch den Namen Renner zu nennen - , so wurde nun auch Renner „durchschaut": Anfang 1946 bezeichnete Kiselev die Politik der SPÖ, „die Renner anführt", als „doppelzüngig". 192 Die SPÖ sah er als eine der rechtesten und reaktionärsten sozialdemokratischen Parteien Europas. Nunmehr hielt er Renner, wie auch Schärf, Helmer, Seitz und anderen Führern der SPÖ vor, mit den „Nazis früher zusammengearbeitet" zu haben. 193 In einem im August 1946 von der Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission erstellten Politik-Bericht über Österreich bezeichnete die sowjetische Stelle die Regierungspolitik Renners als „prinzipienlos", seine Innen- und Außenpolitik führe er „ohne Rückgrat, den Interessen der österreichischen und ausländischen Bourgeoisie dienend". 194 Noch hüteten sich die Sowjets, Renner offen zu kritisieren. Bei einer Unterredung des österreichischen Gesandten in Moskau, Norbert Bischoff, mit Andrej Smirnov im sowjetischen Außenministerium im Juli 1947 bezeichnete Letzterer die Sozialdemokratie als „reaktionär" und „ihre Führung als mit dem »amerikanischen Monopol-Kapitalismus' verbündet". 195 Kurz daraufkam es zur offenen Eskalation. In der Abschlusserklärung der Kominform im September 1947 wurde Karl Renner schließlich in eine Reihe mit anderen „Rechtssozialisten" Europas wie Clement Attlee, Ernest Bevin, Paul Ramadier, Leon Blum und Kurt Schumacher gereiht. Sie wurden als Handlanger der „Imperialisten" eingestuft und beschuldigt, eine verräterische Politik unter der „Maske der Demokratie und sozialistischer Phraseologie" zu betreiben. 196 Im Folgemonat erschien ein großer Artikel über den „Verräter Karl Renner, Feuerlöscher der Funken". 197 1948 bezeichnete der Chef der Abteilung für Propaganda der SCSK, 190 C A M O , F. 275, op. 174769s, d. 1, S. 2 6 2 - 2 6 4 . Gesprächsniederschrift Koptelovs, Wien, 28.12.1945. 191 AVP RF, F. 0 6 6 , op. 25, p. 118a, d. 2, S. 7 1 - 7 3 . Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 71. Koptelov an Smirnov, 24.12.1945. 192 AVP RF, F. 0 6 6 , op. 26, p. 121, d. 10, S. 20. Kiselev an Molotov, 26.1.1946. 193 AVP RF, F. 0 1 2 , op. 7, p. 101, d. 80, S. 41. Memorandum E. Kiselevs „Die politische Lage in Österreich und die Aufgaben unserer Politik", 4.6.1946. RGASPI, F. 17, op. 125, d. 392, S. 6 2 u. 73. Bericht des Leiters der Propagandaabteilung der SCSK, M. Pasecnik, Mai 1946. 194 RGASPI, F. 17, op. 128, d. 117, S. 30. Politischer Bericht des Chefs der Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission zu Österreich, Oberstleutnant Pasecnik, an das ZK der VKP(b), Μ. A. Suslov. Wien, August 1946. 195 ÖStA, A d R / A A , II-pol. 1947, Kt. 38 (Po-R), 107.686. 196 Deklaration der ersten Sitzung der Kominform, Protokoll der ersten Sitzung, in: FASR - R C C h l D N I u. a. (Hg.), Sovescanija Kominforma 1947, 1948, 1949. Dokumenty i Materialy. Moskau 1998, S. 243, 664. Zur Kominform siehe vor allem Grant Μ. Adibekov, Das Kominform und Stalins Neuordnung Europas. Zeitgeschichte - Kommunismus - Stalinismus. Materialien und Forschungen. Bd. 1. Frankfurt a. M. u. a. 2002. 197 Literatumaja Gazeta, 2 9 . 1 0 . 1 9 4 7 . Herrn Botschafter Dr. Herbert Grubmayr, Wien, sei an dieser Stelle herzlich für die Überlassung einer Kopie dieses Artikels gedankt. Rauchensteiner, Sonderfall, S. 214.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler Oberst Dubrovickij, Renner und Schärf offen als „treue Günstlinge der Imperialisten, die zur Zersetzung der arbeitenden Klasse beitragen und diese vergiften". 198 Doch die Wogen glätteten sich wieder, zumindest pro forma. Bereits nach Antritt der Regierung Figl hatte Renner für die Sowjets keine zentrale Rolle mehr gespielt.199 Am 15. Dezember 1950 wurden in der Österreichischen Zeitung Geburtstagsglückwünsche vom sowjetischen stellvertretenden Hochkommissar Georgij Cinev und vom politischen Vertreter Koptelov zum 80. Geburtstag Renners abgedruckt.200 Am Treffendsten wurde Renner zu Lebzeiten vom britischen Observer charakterisiert. Im Oktober 1950 widmete ihm der Observer einen Essay: „Er schien gerade der Mann zu sein, den die Russen benötigten: alt, sehr alt, sehr beliebt, lange nicht mehr in Berührung mit der praktischen Politik, eine Verbindung mit der Vergangenheit, eine respektable Fassade für eine ,Volksfront'-Regierung, die rasch von einigen jungen energischen Kommunisten erobert werden würde. Aber diesmal hatten die Russen den falschen Mann ausgewählt. Renner war mild, freundlich und verbindlich, auch bereit, einige Ministerposten den Kommunisten zu überlassen, aber auch befähigt, die Zügel in den eigenen Händen zu behalten. [...] Er fand sich sanftmütig ab, von einigen seiner ausländischen Freunde als russische Marionette bezeichnet zu werden; er erregte keinen Anstoß bei der Besatzungsmacht, er war beweglich, höflich und charmant. Aber der Punkt, auf welchem er mit entschlossener Ruhe bestand, war die Notwendigkeit allgemeiner Wahlen [...], und in diese Wahlkampagne warf Renner die ganze Energie und Kampfkraft, die sich in den langen Jahren erzwungener Zurückgezogenheit angesammelt hatte. [...] Seine Partei, die sozialistische, wurde von der katholischen Volkspartei knapp überflügelt, aber die Kommunisten wurden vollkommen aufgerieben. [...] Es ist wenigen Männern gegeben, in ihrer eigenen Lebenszeit zwei Republiken zu gründen, und es war bisher keinem gegeben, den Niedergang der ersten zu überleben und mit Sicherheit zu wissen, dass die zweite von Dauer sein werde. Wenn aber diese zweite österreichische Republik erfolgreich bleibt, dann wird sie Dr. Renners Monument darstellen."201 1949, in seinem vorletzten Lebensjahr, wurde Karl Renner als einer von 23 Kandidaten zum Friedensnobelpreisträger vorgeschlagen.202 Am 31. Dezember 1950 starb Karl Renner als amtierender Bundespräsident im 81. Lebensjahr. Er hatte die Weichen für eine stabile Zweite Republik gestellt.

198 RGASPI, F. 17, op. 132, d. 5, S. 62. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 105. 199 Siehe dazu den Beitrag von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band. 200 Die Diplomaten im sowjetischen Außenministerium hatten zunächst sogar ein schlichtes, aber persönliches Schreiben Stalins vorbereitet. AVP RF, F. 66, op. 29, p. 49, d. 14, S. 21. Dieses dürfte nie abgeschickt worden sein. 201 Observer, Oktober 1949, zit. n.: Jacques Hannak, Karl Renner und seine Zeit. Versuch einer Biographie. Wien 1965, S. 671. 202 Arbeiter-Zeitung, 24.2.1949, S. 1.

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Resümee Stalins Vorgehen in Österreich entsprach jenem in den von der Roten Armee besetzten Ländern Osteuropas. Zur Umsetzung der „Nationalen-Front"-Strategie benötigte er eine schillernde Figur mit „schwarzen Flecken" in der Vergangenheit, einen Mann mit einem „schwachen Rückgrat", der als willige Marionette des Kremls über die nötige Autorität in seinem Land verfügte, um zunächst alle antifaschistischen Kräfte einen zu können, und der eine demokratische Regierung bilden konnte, in der sich zusehends die Kommunisten etablieren würden. Stalins Vorgehen in Osteuropa war von taktischem Kalkül geprägt, stieß er auf zu großen Widerstand der Westmächte, setzte er den nächsten Schritt zurück und wartete auf den günstigen Augenblick. Im Hinblick auf Österreich stellt sich die entscheidende Frage, was Stalin dazu bewog, auch in Wien nach dem gleichen Muster wie in Osteuropa vorzugehen, hatten doch allen voran vor allem die USA nach Bekanntwerden der Pläne eines provisorischen Regierungsaufbaus Bedenken angemeldet. Stalin hatte in Bezug auf die Nachkriegsplanungen zu Österreich seine Position durchgesetzt. Österreich entstand als kleiner Staat wieder, der vierfach besetzt wurde. Stalin hielt sich an alle Vereinbarungen und unterstützte auch nicht die Forderungen Titos nach einer eigenen jugoslawischen Besatzungszone in Südösterreich. Die einzige Ausnahme bildete sein einseitiges Vorgehen bei der Regierungsbildung. Die Frage des Regierungsaufbaus war von den Alliierten in der EAC in London nicht ernsthaft diskutiert worden. Die Westmächte wünschten sich einen demokratischen Regierungsaufbau von unten. Was bewegte nun Stalin zu seinem einseitigen Vorgehen? War es das Auftauchen von Fritz Molden und Ernst Lemberger, die im März 1945 bei der sowjetischen Militärmission beim Alliierten Hauptquartier in Paris vorsprachen und die Regierungspläne des Provisorischen Österreichischen Nationalkomitees (POEN), dem politischen Arm der Widerstandsbewegung „05", die angeblich von den Amerikanern unterstützt wurden, darlegten? Erfuhr Stalin von diesen Plänen, die wohl sein Misstrauen vor allem gegenüber den Westalliierten verstärkt haben müssten? Dies ist anzunehmen. Ein endgültiger Beweis steht jedoch noch aus. Das Verhältnis zu den Westmächten war wohl schon zu diesem Zeitpunkt vom Misstrauen Stalins und seiner Furcht, sie könnten sich auf einen Separatfrieden mit NS-Deutschland einlassen, geprägt. Verleiteten Stalin angebliche, nicht wahre westliche Pläne einer Bildung einer österreichischen Regierung zu seinem einseitigen Vorgehen? Was gab für Stalin den Ausschlag, die Initiative in der Frage der Regierungsbildung noch vor Einnahme der Hauptstadt Wiens zu übernehmen? Wollte er den Westalliierten zuvorkommen und eine prowestliche Regierung verhindern? War dies der Impuls, dass sich Stalin nun erstmals Gedanken zu Österreich machte, seine Wahl auf Karl Renner fiel und er ihn suchen ließ? Spätere Aussagen Molotovs, die sowjetische Führung hätte sich schon vorzeitig entschieden, „Österreich nicht zu berühren" [„Avstriju ne trogat'"], deuten auf eine Ad-hoc-Entscheidung Stalins hin, in der Österreich-Frage einseitig vorzugehen, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Plötzlich ergriff nun Renner selbst die Initiative und sprach auf einer sowjetischen Kommandantur vor. Stalin wurde umgehend von Renners Auftauchen informiert, der

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler wiederum ad hoc den Befehl ausgab, Renner Vertrauen zu erweisen und ihn zu unterstützen. Für Stalin schien dies eine ideale Ausgangssituation zu sein! Er konnte nun den Alliierten melden, dass Renner erschienen war und sich bereit erklärt hatte, eine Provisorische Regierung zu bilden. Die Westmächte, allen voran der Exponent der amerikanischen Diplomatie, George Kennan, Botschafter in Moskau, erkannte das allzu schemenhafte Vorgehen des Kremls auch in Österreich. Der Westen war fortan nicht mehr bereit, einseitiges Vorgehen des Kremls auch in Österreich zu dulden. Dennoch unterstützte Stalin weiterhin unbeirrt Renner und ließ ihn fast nach Belieben walten. Gegen die Notwendigkeit eines „Impulses" für das einseitige Vorgehen Stalins spricht jedoch die Tatsache, dass Stalin geschickt kalkulierte und auslotete, wie weit er gehen konnte. Just zu dieser Zeit starb der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt, mit dem es der Kreml, wie Molotov später einmal sagte, „leichter hatte". Trotz allem, Stalin setzte weiter auf Renner und ließ ihm alle Freiheiten eines Regierungschefs, auch wenn schon frühzeitig erkannt wurde, dass Renner „ein Schlitzohr" war und sich die Kommunisten in der Provisorischen Regierung nicht etablieren konnten und gegen den Zusammenhalt der ÖVP und SPÖ nicht ankamen. Es stellt sich dennoch die Frage, ob Stalin nur deshalb in Österreich einseitig vorging, um dem Westen zuvorzukommen und eine prowestliche österreichische Regierung zu verhindern. Vermutlich nicht. Beide Varianten schließen einander jedoch nicht aus. Stalin wäre höchstwahrscheinlich ohnedies einseitig vorgegangen. Das Auftreten Moldens und Lembergers dürften seine Pläne für Österreich bekräftigt haben, ein schlüssiger Beweis steht aber noch aus. Das illusorische „Experiment Renner" ging aus Moskauer Sicht schlussendlich schief. Karl Renner verhinderte die Etablierung der Kommunisten in seiner Regierung und leitete, gemeinsam mit Leopold Figl und anderen, den Weg einer stabilen Zweiten Republik Österreich ein. Für den Kreml war dies nicht weiter tragisch. Österreich spielte in seinem sicherheitspolitischen Denken ohnedies nur die Rolle eines zur Schwächung Deutschlands abgetrennten, wiedererrichteten Staates mit dem Auftrag, in der Folge keine sowjetfeindliche Politik zu betreiben. Wie schnell sich Österreich auch gegenüber der Sowjetunion emanzipieren würde, konnten die Sowjets noch nicht ahnen.

Vasilij Christoforov

Sowjetische Geheimdienste in Österreich Zu den Beständen des Zentralarchivs des FSB

Nachdem die Rote Armee mit Truppen der 2. und 3. Ukrainischen Front nach erbitterten Kämpfen ab Ende März 1945 nach Österreich vorgestoßen war, erfüllte sie mit der Zerschlagung der Deutschen Wehrmacht eine historisch bedeutsame Mission. Die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft ging rasch vonstatten. So wurde es üblich, dass das militärische Oberkommando in den zentralen Presseorganen des Landes beinahe täglich Dankesbezeugungen an die an den Kämpfen beteiligten Truppen abdruckte und über Auszeichnungen berichtete, die sowjetischen Soldaten für ihre Leistungen verliehen wurden. Außerdem wurde in Moskau immer wieder zu Ehren denkwürdiger Erfolge an der Front geschossen. In den operativen Berichten des Sowjetischen Informationsbüros und in den Mitteilungen der im Frontabschnitt Wien eingesetzten Kriegsberichterstatter scheinen zunehmend häufiger die Namen österreichischer Bundesländer und Städte, Flüsse und Verkehrswege auf. Als am 6. April 1945 zwei Kilometer südlich von Wien die Kampfhandlungen um die österreichische Hauptstadt begannen, wurde in der „Pravda" ein Artikel des politischen Beobachters Evgenij Kiselev mit dem Titel „Auf dem Weg zur Befreiung Österreichs" abgedruckt. Kiselev schrieb, dass für das österreichische Volk nach der Ende Oktober 19431 beschlossenen Moskauer Deklaration der Alliierten Mächte über Österreich hinsichtlich der Verantwortung des Landes für die Teilnahme am Krieg an der Seite Hitler-Deutschlands nun der Moment der Wahrheit gekommen wäre: „Das Verhältnis der freiheitsliebenden Völker zum österreichischen Volk wird gegenwärtig wie auch in Zukunft durch dessen eigene Teilnahme am Kampf zur Befreiung Österreichs bestimmt werden." 2 Als in dieser Hinsicht positiv wurden die Aktivitäten von Partisanen in der Steiermark und in Kärnten, die in Slowenien erfolgte Aufstellung einer österreichischen Einheit in der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee, die zunehmende Geschlossenheit und die Formierung von Kräften der patriotisch-demokratischen

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Pravda, 2.11.1943. Pravda, 7.4.1945.

Vasilij Christoforov „Inneren Front" gewertet, die in Österreich weitaus aktiver vonstatten ging als in anderen europäischen Ländern. In dem Artikel wurden auch reaktionäre Kräfte angeführt: katholische Kreise, die sich an der Politik des Vatikans ausrichteten, reaktionäre monarchistische Kräfte des alten Österreich, die sich nach einer Restauration der Monarchie sehnten, sozialdemokratische Emigranten, die den „Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich als „historischen Fortschritt" bezeichnet, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus verunglimpft und ihre Dienste für den Kampf zur „Unterdrückung des russischen Einflusses" sowie zur Verwandlung Österreichs in ein „Bollwerk gegen den Osten" angeboten hatten. Die in der „Pravda" vorgenommene Beurteilung der Lage stimmte vollkommen mit den offiziellen Ansichten der sowjetischen Regierung in der Österreich-Frage überein. Am 13. April 1945 wurde in Moskau Salut zu Ehren der Soldaten der 3. Ukrainischen Front geschossen, die sich bei der Einnahme Wiens besondere Verdienste erworben hatte. Im redaktionellen Artikel der „Pravda" unter dem Titel „Glanzvoller Sieg der Roten Armee" wurde die Einnahme Wiens als Vorbote der endgültigen Niederlage Hitler-Deutschlands bezeichnet. 3 Wie jedoch begegnete Österreich der Roten Armee? In offiziellen sowjetischen Mitteilungen vom Wiener Kriegsschauplatz wurden Fälle von Unterstützung der vorrückenden Truppen der Roten Armee durch die österreichische Bevölkerung angeführt. In den befreiten Städten hissten Bewohner die Staatsflaggen der UdSSR und Österreichs, in der Ortschaft Weikersdorf etwa kamen den Soldaten der Roten Armee mehr als 2000 mit Fahnen und Spruchbändern mit Grußbotschaften ausgestattete Schüler und Studenten entgegen, und die Bevölkerung von Eisenstadt widersetzte sich der vom NS-Regime angeordneten Evakuierung ihrer Stadt. Im Zuge der Kämpfe um Wien begab sich die Bevölkerung auf die Suche nach deutschen Soldaten und Offizieren, die sich versteckt hielten oder ihre Uniform abgelegt hatten, und räumte Straßensperren beiseite, um dadurch den Truppen der Roten Armee den Vormarsch zu erleichtern. 4 Im Zuge des militärischen Sturms auf Wien wurde von österreichischen Gegnern ein Anschlag auf den für die Verteidigung der Stadt verantwortlichen SS-Generaloberst Sepp Dietrich geplant, der die Bewohner Wiens noch über Radio aufgerufen hatte, „Widerstand bis zuletzt zu leisten". Ein wesentlicher Anteil am Erfolg der Angriffsoperationen der Roten Armee und an der Installierung demokratischer Einrichtungen in den von der NS-Herrschaft befreiten Ländern kam den Aktivitäten der sowjetischen militärischen Gegenspionage zu. Zur Bewachung der Stäbe und anderer Dienststellen der vorrückenden Truppen der Roten Armee sowie zur Säuberung des Hinterlandes der Armee von ihr gegenüber feindlich gesinnten Elementen wurden operative Spezialgruppen eingesetzt, die, verstärkt durch NKVD-Truppen zum Schutz des Hinterlandes der operierenden Armee, Maßnahmen zur Sicherstellung der Kommunikation und zur Bewachung industrieller Objekte ergriffen, Angehörige verschiedener den sowjetischen Truppen gegenüber feindlich einge3 4

Pravda, 14.4.1945. Pravda, 9. u. 13.4.1945.

Sowjetische Geheimdienste in Österreich stellten Organisationen sowie illegal operierende bewaffnete Banden festnahmen und Waffendepots beschlagnahmten, die für Diversionsakte vorgesehen waren. Front- und Armeegruppen verhafteten Personen, die dem Kommando- und Mannschaftsstand von Wehrmacht und Polizei sowie verschiedenen NS-Organisationen angehörten, Bedienstete von Gefängnissen und Konzentrationslagern waren, Staatsanwälte, Untersuchungsrichter, Mitarbeiter von Militärgerichten und Militärtribunalen, Redakteure von Zeitungen und Zeitschriften sowie Angehörige antisowjetischer Gruppierungen und nationaler Formationen innerhalb der Deutschen Wehrmacht. Im Verlauf des Vormarsches der sowjetischen Truppen in Österreich oblag die Durchführung dieser Einsätze in der Regel der operativen Gruppe der Verwaltung für Gegenspionage (UKR) SMERS 5 der 3. Ukrainischen Front unter Generalleutnant P. Ivasutin. Diese Gruppe bestand aus operativen Mitarbeitern, Untersuchungsrichtern, Übersetzern, von den Truppen des NKVD unterstellten Soldaten sowie aus österreichischen Zivilisten, die sich für die Fahndung nach Kriegsverbrechern und anderen Exponenten des NS-Regimes aus den Reihen der lokalen Bevölkerung rekrutierten. Einem Bericht der „Pravda" zufolge wurde einem sowjetischen Offizier von einer Frau „Stephanie" eine Nachricht über eine NS-Widerstandsgruppe übergeben, andere Österreicher waren der Roten Armee bei der Aushebung von NS-Widerstandsnestern behilflich. 6 Noch vor Kriegsende, Ende April 1945, war es zur Bildung der Provisorischen Österreichischen Regierung unter Beteiligung aller demokratischen Parteien gekommen. 7 Nach Kriegsende wurden die Fahndungstätigkeit und die Herstellung einer demokratischen Ordnung in Österreich dem Apparat des Bevollmächtigten des NKVD der UdSSR bei der Zentralen Gruppe der Streitkräfte (CGV) in Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei unter dem stellvertretenden Leiter der SMERS, Pavel Mesik, übertragen. Mit der Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit (MGB) der UdSSR wurden diese Aufgaben schließlich von der UKR der CGV und der Geheimdienstabteilung des MGB beim sowjetischen Teil der Alliierten Kommission für Österreich wahrgenommen. Bekanntlich wurde Österreich durch das Zonenabkommen der Europäischen Beratenden Kommission (EAC) vom 4. Juli 1945 und das etwas später beschlossene Kontrollabkommen in vier Zonen geteilt und von den vier Militärbefehlshabern der Alliierten regiert. Sämtliche Institutionen und Strukturen, einschließlich der sowjetischen militärischen Gegenaufklärung, nahmen ihre Aufgaben in Übereinstimmung mit der durch die Provisorische Staatsregierung Österreichs festgelegten Rechtbasis wahr. Gleichzeitig handelte jeder Kommissar auch entsprechend den ihm von seiner Regierung erteilten Weisungen. Zu den wichtigsten Aufgaben der alliierten Behörden zählten die Durchführung der Demokratisierung, die Demilitarisierung und Entnazifizierung Österreichs sowie die Sicherstellung des Kurses in Richtung der Schaffung eines unabhängigen österreichischen Staates. Die alliierte Zusammenarbeit verlief allerdings nicht immer reibungslos. 5 6 7

Akronym für „Smert' spionam!" - „Tod den Spionen". Hauptverwaltung für Gegenspionage [sowjetische Terminologie: Gegenaufklärung] des Volkskommissariats für Verteidigung (NKO) der UdSSR. Pravda, 13. u. 14.4.1945. AVPRF, F. 0451, op. l , p . l , d . 6, S. 94.

Vasilij Christoforov In einer Mitteilung der britischen Nachrichtenagentur „Reuters" wurde im Juni 1945 bitter konstatiert, dass die britische, amerikanische und französische Militärmission Wien verlassen und sich in ihre Hauptquartiere zurückgezogen hatten, wodurch die „ehedem vorhandene Hoffnung, in Wien eine alliierte Kontrolle unter Beteiligung aller vier Mächte einzurichten, nicht in Erfüllung ging". 8 Schlussendlich wurde am 9. Mai 1945 im Zusammenhang damit, dass die Hauptstadt Österreichs gemäß den Abkommen in vier Sektoren aufzuteilen war, beschlossen, in Wien eine Interalliierte Kommandantur als wesentliches Organ zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zur Lösung administrativer sowie sozialer Fragen der Bevölkerung einzurichten. Am 23. August 1945 fand die erste Konferenz der vier Oberbefehlshaber der alliierten Truppen in Österreich statt. Vier Tage später wurden konkrete Beschlüsse zur Entnazifizierung getroffen, wobei mit Beteiligung der österreichischen Behörden die Frist für die Erstellung einer Namensliste der Nationalsozialisten festgelegt wurde. 9 Neben der Lösung der elementaren Aufgabe Festigung einer österreichischen Staatsmacht sahen sich die Alliierten vor allem mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert, wobei in der ersten Zeit vor allem der Frage der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln eine besondere Priorität zukam. Sie stand Ende des Jahres 1945 immer wieder im Mittelpunkt der Sitzungen des Alliierten Rates. In den Zuständigkeitsbereich der Geheimdienste fielen in erster Linie Aufgaben, die die politischen Aspekte der Wiedererstehung Österreichs betrafen. So etwa regelte der Alliierte Rat im September 1945 das Wirken der demokratischen politischen Parteien. Die Arbeit der politischen Parteien hatte sich gemäß den Vorbedingungen einer Unterstützung der österreichischen Unabhängigkeit, des Kampfes gegen die NS-Ideologie in allen ihren Formen und Ausprägungen, einer strengen Einhaltung der öffentlichen Ordnung und einer Unterbindung jeglicher Aktionen gegen die Besatzer zu entwickeln. Mit Ausnahme der Sozialistischen, der Kommunistischen Partei und der Völkspartei hatten alle anderen Parteien ihre Programme dem Alliierten Rat zur Durchsicht vorzulegen.10 Am 20. September 1945 wurde auf der dritten ordentlichen Sitzung des Alliierten Rates u. a. auch die Frage der Reisefreiheit innerhalb des gesamten österreichischen Staatsgebiets erörtert, wobei Vertretern von Institutionen und Privatpersonen das Recht auf Reisefreiheit in dringlichen Angelegenheiten durch Ausstellung eines Sonderpassierscheins zuerkannt wurde. Reisen nach Wien und in Städte, in denen Stäbe der alliierten Truppen stationiert waren, unterlagen Einschränkungen. Darüber hinaus wurde von den Alliierten die Frage des Post-, Telefon- und Telegrafenwesens behandelt und generell einer Aufnahme ihres Betriebes zugestimmt, wenn auch unter der Bedingung einer obligatorischen Zensur in den jeweiligen Besatzungszonen und, wie angemerkt wurde, „entsprechend den bestehenden Weisungen der jeweiligen Regierungen betreffend die militärische Zensur".11 8 9 10 11

Pravda, 22.6.1945. AVPRF, F. 0451, op. 1, p. 1, d. 6, S. 94. Ebd., S. 136f. CAFSBRF,F. 135, op. l,d. 23, S. 27.

Sowjetische Geheimdienste in Osterreich Im Oktober 1945 schlug der Vertreter des US-Kommandos, General Alfred Gruenther, in einem an den Stabschef des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Generalmajor Stepan Morozov, adressierten Brief vor, auf den bevorstehenden Sitzungen des Exekutivkomitees Fragen der Fernmelde- und Nachrichtenzensur sowie der Herstellung einer Kontrolle über die österreichische Polizei zu erörtern. Gruenther befürwortete die Einführung einer alliierten Kontrolle über den Eisenbahnverkehr und über andere Verkehrs- und Kommunikationsmittel. 12 Für die Durchführung einer Kontrolle und Zensur aller abgehenden Sendungen wurde schließlich die Wiener Zensurbehörde geschaffen, deren Tätigkeit, die u. a. auch von österreichischen Fachkräften ausgeübt wurde, durch die bestehenden Weisungen zu allen Formen von Post-, Fernmelde- und Radioverbindungen genau reglementiert waren. 13 Im Dezember 1945 wurden über Beschluss des Exekutivkomitees der Alliierten Kommission alle paramilitärischen Organisationen aufgelöst sowie ein Verbot jeglicher militärischer Aktivität in Österreich in Kraft gesetzt. Gleichzeitig wurde entschieden, sämtliche im Land vorhandene NS-Literatur zu vernichten und einer Resolution zur Entnazifizierung der staatlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen Österreichs zuzustimmen. 14 Auf Basis dieser wesentlichen Beschlüsse konnten die Besatzungsbehörden, alliierten Truppen und Geheimdienste mit der Umsetzung der grundlegenden, mit der provisorischen Verwaltung Österreichs im Zusammenhang stehenden Aufgaben beginnen. Eine eingehende Erörterung der Frage, wie diese Aufgaben von jedem einzelnen alliierten Staat in der Praxis wahrgenommen wurden, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, weshalb hier der Schwerpunkt auf die Auswertung eines Teils der in den Beständen des Zentralarchivs (CA) des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) der Russischen Föderation (RF) verwahrten Archivmaterialien gelegt wird. Weil die Sichtung und Auswertung von einschlägigen Dokumenten derzeit noch nicht abgeschlossen ist, soll an dieser Stelle auf die Dokumente der GUKR SMERS, des NKVD der UdSSR und des MGB der UdSSR sowie auf Materialien von Mitarbeitern der Geheimdienstabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission zurückgegriffen werden. Bis dato wurden erstmals 60 Dokumente des CA FSB freigegeben. Darunter sind Berichte der SMERS, des NKVD und des MGB, weiters Aktennotizen, Sondermitteilungen sowie nach Moskau gesandte Berichte von Organen der Gegenspionage der 3. Ukrainischen Front und der CGV. Ein Hauptaugenmerk wird dabei auf jene Dokumente gelegt, die Angaben zur innenpolitischen Lage in Österreich enthalten, wie etwa auf den am 21. April 1945 über abhörsichere Anlage an Viktor Abakumov gesandten Bericht des Leiters der UKR SMERS der 3. Ukrainischen Front, P. Ivasutin, über die Lage in Wien. Neben detaillierten Angaben über die Zerstörungen in der österreichischen Hauptstadt und die Lebenssituation der Bevölkerung werden in diesem Bericht die Aktionen der neu eingesetzten österreichi-

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AVP RF, F. 0451, op. l,p. l,d. 6, S. 122. Ebd., S. 202. AVP RF, F. 0451, op. 1, p. 1, d. 6, S. 157f.

Vasilij Christoforov sehen Bürgermeister zur Wiederbelebung des Handels und zur Versorgung der Wiener Bevölkerung dargestellt. „Nach und nach kommt der Handel in Schwung [...]. In den meisten Bezirken [Wiens] versuchen die provisorischen Behörden, die Brotauslieferung in Gang zu bringen [...]. Die Kaufleute nehmen in den meisten Fällen gerne österreichische Schilling und ungarische Pengö an, wogegen sie die Reichsmark ablehnen [...]. Durch die ergriffenen Maßnahmen wurde eine Reihe von Wohnhäusern in der Hälfte der Wiener Bezirke mit elektrischem Licht versorgt."15 Betont wird das gute Verhältnis der Mehrzahl der Wiener zu sowjetischen Soldaten und Offizieren, gleichzeitig jedoch wird von Protestkundgebungen berichtet, die durch Plünderungen ausgelöst wurden. Ein mit 3. Mai 1945 datierter Bericht der SMERS der 3. Ukrainischen Front rapportierte der Leitung der sowjetischen militärischen Gegenaufklärung von 1.-Mai-Kundgebungen in allen Bezirken der Stadt. Die SMERS berichtete, dass „Bewohner in großen Gruppen auf den Gehsteigen stehen und die Teilnehmer an den Kundgebungen herzlich willkommen hießen". 16 In einem Bericht des Leiters der Geheimdienstabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission, Oberstleutnant Bogdanov, vom 18. Mai 1947 erfolgte eine eingehende Darstellung österreichischer reaktionärer Kräfte, die sich dem Demokratisierungsprozess im Staat entgegenstellten.17 Informationen dieser Art beinhaltet auch eine Sondermitteilung vom 9. September 1947, die über antisowjetische und antikommunistische Artikel österreichischer Zeitungen und über Reden einzelner führender österreichischer Politiker berichtet, die von einer „kommunistischen Bedrohung" reden.18 In einer Sondermitteilung des Assistenten des Leiters der SMERS, Rozanov, vom 22. März 1946 über die Stimmungslage in Wien im Zusammenhang mit der Rede Churchills und einem Interview Stalins wurde die Haltung verschiedener Bevölkerungsschichten beschrieben, die Aufrufe zum Kalten Krieg entweder ablehnten oder die Konfrontation der Alliierten begrüßten.19 Allgemeine Angaben zum Verlauf der Entnazifizierung in Österreich werden in einer Mitteilung des Leiters der Geheimdienstabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission vom 3. Juli 1946 angeführt. Mit 1. April 1945 wurden unter Berücksichtigung der an der Front gefallenen, sich in Kriegsgefangenschaft befindenden und in andere Staaten geflohenen Personen 850.000 Nationalsozialisten gezählt. Nach dem Eintreffen der Roten Armee in Österreich betrug die Zahl der Nationalsozialisten in der sowjetischen Zone 240.000 Personen. Nach Inkrafttreten des Verbotsgesetzes vom 8. Mai 1945 wurden in Wien und in der sowjetischen Zone mit 1. Juni 1946 nur noch 210.000 Nationalsozialisten registriert. Diesen Angaben zufolge waren 30.000 Personen untergetaucht.

15 CA FSB RF, F. 4, op. 4, d. 1435, S. 7. 16 Ebd., S. 47. 17 CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 29, S. 117-147. 18 CA FSB RF, F. 4, op. 5, d. 870, S. 172-181. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx -Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupaeija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 104. 19 CA FSB RF, F. 4, op. 5, d. 869, S. 123-132.

Sowjetische Geheimdienste in Osterreich In den westlichen Zonen Österreichs lag die Zahl der Nationalsozialisten bei 304.360 Personen, d. h., dass sich von den insgesamt 850.000 Nationalsozialisten nur 514.360 registrieren ließen. Weiters wird im Dokument die Zahl der von österreichischen Volksgerichten in der sowjetischen Zone verurteilten Personen mit 507 angegeben. In den Westzonen oblag die Rechtsprechung - abgesehen von den Volksgerichten - alliierten Militärgerichten, die ihre Urteile gemäß ihren eigenen Gesetzen fällten. So wurden von den Briten rund 2500 Personen, von den Amerikanern etwa 1600 Personen und von den Franzosen rund 400 Personen verurteilt. 20 Für die sowjetische Gegenspionage blieb dieses Thema auch in weiterer Folge von Interesse. Am 12. März 1948 übermittelte M. Belkin, Leiter der UKR der CGV, der Geheimdienstabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission, Informationen über das Bestehen einer illegalen, weit verzweigten NS-Organisation in Österreich, wobei von ihm konkrete Fakten und Namen angeführt wurden. 21 Ähnlich gelagert wie die Dokumente über die innenpolitische Lage ist ein Konvolut von Materialien, das Angaben zu den politischen Parteien und Organisationen beinhaltet und ein breites Spektrum an Ansichten über die Demokratisierung des öffentlichen Lebens bietet. Überaus eingehende Charakterisierungen liegen zu den drei maßgeblichen Parteien ÖVP, SPÖ und KPÖ vor, die von den alliierten Mächten bereits in der ersten Phase als demokratisch anerkannt wurden. In einer Sondermitteilung des Assistenten des Leiters der GUKR SMERS, Generalmajor Bolotin, vom 25. April 1945 wurde angemerkt, dass sich das sowjetische Kommando nur der Fragen der Bildung der Provisorischen Österreichischen Regierung annimmt. 22 Mit der Regierungsbildung wurde der Sozialist Karl Renner beauftragt, der am 24. April 1945 seinen Vorschlag zur Bildung der Regierung aus Mitgliedern der genannten drei Parteien präsentierte. Eine Charakterisierung der Position der ÖVP findet sich in Dokumenten, die vom Leiter der Geheimdienstabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Generalmajor Rozanov, erstellt wurden und mit 12. September bzw. 21. Oktober 1945 datiert sind.23 Gegen die gebildete Regierung und gegen eine Zusammenarbeit mit der KPÖ traten Mitglieder der von Rechtsanwalt Dr. Paul Antosch geleiteten politischen Organisation „Ordnungsbewegung" (Ο. B.) auf, die in erster Linie aus ÖVP-nahen ehemaligen Widerstandskämpfern und Insassen von Konzentrationslagern bestand und einen proangloamerikanischen Kurs verfolgte. Diese und ähnliche Organisationen thematisiert ein umfangreicher, an den stellvertretenden Minister für Staatssicherheit der UdSSR, N. Selivanovskij, gesandter Bericht des Leiters der Geheimdienstabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Oberstleutnant Bogdanov, vom 14. November 1946.24 Darüber hinaus

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CA FSB CA FSB CA FSB CA FSB CA FSB

RF, F. 135, op. RF, F. 135, op. RF, F. 135, op. RF, F. 135, op. RF, F. 4, op. 4,

1, d. 23, S. 125-126. l,d. 37, S. 100-106. 1, d. 1, S. 16f. 1, d. 23, S. 19, 36f. d. 1441a, S. 94-104.

Vasilij Christoforov gibt es noch weitere Dokumente, die vor allem Informationen zur ÖVP und zu ihrer Politik nach ihrem Sieg bei den Nationalratswahlen im November 1945 bieten. Den Wahlen wurde in den Dokumenten generell viel und häufig Platz eingeräumt. Dabei ist ein Bericht der Abteilung für Propaganda und antifaschistische demokratische Parteien des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich an den stellvertretenden Hochkommissar in Österreich, Generaloberst Aleksej Zeltov, vom 23. November 1945 von großem Interesse. Er analysiert die Positionen von SPÖ, ÖVP und KPÖ am Vorabend der österreichischen Nationalratswahlen. 25 Es versteht sich, dass der Tätigkeit der SPÖ in den informellen Dokumenten viel Platz beigemessen wurde. Zu diesem Thema liegen folgende Materialien vor: ein Dokument über eine der ersten Parteiversammlungen unmittelbar vor den Wahlen am 24. November 1945 im Wiener Klub „Sokol"; ein weiteres Dokument über das Programm der Bauvorhaben der Partei zur Wiederbelebung der österreichischen Wirtschaft vom 4. Juli 1946; eines über die innen- und außenpolitischen Ansichten der Partei vom 19. November 1946 und eines über eine geheime Sitzung des Sekretariates des SPÖZentralkomitees unter Teilnahme des österreichischen Bundespräsidenten Karl Renner vom 15. Mai 1947.26 Von Interesse sind auch Berichte über österreichische monarchistische Kreise, die Pläne zu einer Restauration der Monarchie in Umlauf brachten. Insbesondere geht es darum um die Mitglieder der Organisation „Ring der österreichischen Tapferkeitsmedaille in Gold". Die russische Übersetzung eines Aufrufes und der programmatischen Forderungen dieser Organisation ist einer Sondermitteilung des Leiters der UKR SMERS der CGV, Generalleutnant N. Korolev, vom 24. Jänner 1946 beigelegt.27 Von den zunehmenden Aktivitäten dieser Organisation zum Zusammenschluss der monarchistischen Organisationen, den Verbindungen zur katholischen Kirche und der Anlehnung an die USA handelt eine Sondermitteilung Bogdanovs vom 15. Jänner 1947.28 Unter den monarchistischen Organisationen, die sich nach einer Restauration der Monarchie sehnten, wurde in einer mit 23. April 1946 datierten Sondermitteilung des stellvertretenden Leiters der UKR SMERS der CGV, Generalleutnant Budarev, auch der „Österreichische Staatsbund" genannt. 29 Im Zentralarchiv des FSB der RF wird ein Bericht der 4. Abteilung der 3. Hauptverwaltung des MGB der UdSSR vom 27. Mai 1947 verwahrt, der die Versuche klerikaler Kreise, einen so genannten „katholischen Block" zu bilden und in Österreich erneut eine christdemokratische Partei mit proamerikanischer Ausrichtung zu gründen, zum Thema hat.30

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CA FSB RF, F. 135, op. l,d. 21, S. 100-113. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 23, S. 28f.; CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 21, S. 57-63; CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 23, S. 223-225. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 153. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 29, S. 88-90. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 156. CA FSB RF, F. 4, op. 4, d. 1442a, S. 1-19. Ebd., S. 59-66. Ebd., S. 48f. Ebd., S. 81f.

Sowjetische Geheimdienste in Österreich Innerhalb des breiten Spektrums politischer Parteien und Bewegungen waren auch solche anarchistischer Ausrichtung vertreten, von denen insbesondere die im April 1946 gegründete „Gesellschaft soziologischen Studiums und Propaganda" genannt wird. Sie trat für eine Vereinigung mit Organisationen Gleichgesinnter im Ausland ein. Über diese Organisation berichtet der stellvertretende Leiter der Geheimdienstabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Major Valuchov, am 15. Dezember 1947.31 Erwähnung findet in den Archivdokumenten außdem die „Österreichische Liga demokratischer Freiheitskämpfer", die unter den so genannten „wahrhaftigen Österreichern" aus den Reihen der ehemaligen Freiheitskämpfer in der NS-Zeit, die keiner bestimmten Partei angehörten, tätig war. Eine russische Übersetzung der Satzung dieser Liga, ein Aufruf und andere in Deutsch verfasste Materialien sind einer Sondermitteilung des Leiters der UKR SMERS der CGV an das Volkskommissariat für Verteidigung der UdSSR vom 12. Februar 1946 beigelegt.32 In einem mit 26. Juni 1947 datierten Sonderbericht der Abteilung für militärische Zensur des MGB in Österreich wird die Tätigkeit des Bundes „Jugend des heiligen Christopherus" erwähnt, die sich aus katholischen Burschen und Mädchen im Alter zwischen zehn und 18 Jahren ungeachtet ihrer Standes-, Klassen- und Parteizugehörigkeit zusammensetzte. Weiters gibt es Dokumente zu anderen Jugendorganisationen: einen Bericht vom 12. Mai 1945 über den Versuch, im 4. Wiener Bezirk seine pronationalsozialistische Organisation, die während der NS-Herrschaft in Österreich als NS-Studentenvereinigung fungiert hatte, wieder entstehen zu lassen; einen Bericht der 4. Abteilung der 3. Hauptverwaltung des MGB der UdSSR vom 10. Oktober 1946 über die Pfadfinderbewegung. 33 Aufmerksamkeit beizumessen gilt es einem Bericht des Leiters der Geheimdienstabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission, Oberstleutnant Bogdanov, vom 11. Dezember 1946 über die studentische Jugend, die Lage an den Hochschulen, deren Durchsetzung mit progermanischen Elementen und über die Forderungen österreichischer Arbeiter nach Säuberung der höheren Schulen von ehemaligen Nationalsozialisten.34 In diesem Dokument wird auch angemerkt, dass nach einem Zwischenfall während der Nationalratswahlen an der Wiener Universität die Polizei bemüht war, Unruhen zu vermeiden. Dabei war eine Gruppe demonstrierender Arbeiter mit Forderungen nach Entfernung pronationalsozialistischer Professoren und Studenten in Richtung Universitätsgebäude marschiert. Einige Kreise, so heißt es im Bericht, hätten mit Unruhen spekuliert, um die damals zu einem hohen Prozentsatz aus Kommunisten bestehende Polizei beschuldigen zu können, der Situation nicht gewachsen gewesen zu sein. Der Polizeibericht des Innenministeriums führte zur Entstehung verschiedener Gerüchte über

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CA FSB RF, F. 4, op. 5, d. 873, S. 17-24. CA FSB RF, F. 4, op. 4, d. 1441a, S. 45-59. CA FSB RF, F. 135, op. l , d . 40, S. 118-122; CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 2, S. 56-58; CA FSB RF, F. 4, op. 5, d. 869, S. 567f. CA FSB RF, F. 135, op. l , d . 18, S. 412-422.

Vasilij Christoforov die Ursachen des Zwischenfalls, zur Einbringung eines Antrages nach Reorganisation des Polizeiapparates und letztendlich auch zur Aufnahme einer Untersuchung gegen den Leiter der Staatspolizei, den Kommunisten Dr. Heinrich Dürmayer. Der zweite Teil dieses umfangreichen Dokumentes vom 11. Dezember 1946 ist der Polizeiarbeit insgesamt gewidmet und von besonderem Interesse. Eine überaus große Zahl an Archivdokumenten bezieht sich auf die Frage der Aufstellung einer österreichischen Armee und den damit verbundenen gesetzeswidrigen Handlungen der Provisorischen Österreichischen Regierung. In diesem Zusammenhang sind erwähnenswert: die Mitteilungen des Assistenten des Leiters der GUKR SMERS, Generalmajor Rozanov, vom 13. Dezember 1945 und vom 13. Februar 1946; ein Bericht des Leiters der UKR der CGV, N. Korolev, vom 15. Juni 1946; eine Anfrage der 3. Hauptverwaltung des MGB der UdSSR vom 6. Juli 1946 an den Leiter der Geheimdienstabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Bogdanov, und die darauf erteilte Antwort der Abteilung vom 25. Juli 1946; ein Bericht der 4. Abteilung der 3. Hauptverwaltung des MGB der UdSSR vom 6. August 1946 und schließlich ein Bericht des Ministers für Staatssicherheit der UdSSR, Semen Ignat'ev, an Iosif Stalin vom 13. August 1952.35 Zweifellos hatte der Kalte Krieg auf das Verhältnis der ehemaligen Verbündeten wesentliche Auswirkungen, die auch in deren (Nicht-)Zusammenwirken in den einzelnen Besatzungszonen Österreichs ihren Niederschlag fanden. Es versteht sich, dass die sowjetische militärische Gegenspionage nach Möglichkeit Informationen über die Positionen und Aktionen der Westmächte einholte. In den am 14. März und am 30. Mai 1947 an den sowjetischen Hochkommissar in Österreich, Generaloberst Vladimir Kurasov, gesandten Aufzeichnungen Bogdanovs ist eine Einschätzung der Meinung eines der führenden Exponenten der ÖVP, Vinzenz Schumy, betreffend die Haltung der britischen Politiker Clement Attlee und Ernest Bevin zur Frage des Abschlusses eines Staatsvertrages mit Österreich angeführt. Die britische Seite ging - nach dem Bericht - davon aus, dass „das Schicksal Österreichs in Moskau entschieden werde", und teilte dem SPÖ-Parteivorsitzenden Adolf Schärf bei einem Treffen in London mit, dass Moskau angeblich Pläne einer „zukünftigen europäischen Revolution" durchspiele. 36 Die weitere Entwicklung der Ereignisse zeigte, dass die Position der UdSSR in der österreichischen Frage durch eine folgerichtige Nachhaltigkeit gekennzeichnet war und

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CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 13, S. 335-340; CA FSB RF, F. 4, op. 4. d. 1441a, S. 35-39, 79-84; CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 22, S. 80. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 150. CA FSB RF, F. 4, op. 4, d. 1441a, S. 83-90. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 151. CA FSB RF, F. 4os, op. 10, d. 41, S. 66-68. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 29, S. 12-15. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 154. CA FSB RF RF, F. 135, op. 1, d. 29, S. 201-207.

Sowjetische Geheimdienste in Österreich schlussendlich auch die Bildung eines unabhängigen und neutralen Österreich mit sich brachte, denn die Frage der Zukunft des österreichischen Volkes wurde durch die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages bezeichnenderweise in der Sowjetunion, in Moskau, gelöst. Die positive Rolle der UdSSR in den Verhandlungen der Großmächte wurde auch vom namhaften österreichischen Staatsmann Kurt Waldheim anerkannt. „Zu der Zeit, als man im Westen die Einladung nach Moskau als taktisches Manöver betrachtete", so Waldheim, „war die österreichische Regierung der Meinung, dass die Sowjetunion seriöse Absichten verfolgte." Seiner Meinung nach bestätigte der Vertragsabschluss zu diesem Zeitpunkt die „Aufrichtigkeit der globalen sowjetischen Friedenspolitik". 37 In den vom Zentralarchiv des FSB erstmals zur Verfügung gestellten Dokumenten gibt es noch weitere Angaben zu Differenzen zwischen den alliierten Mächten. So etwa geht aus einem Bericht von Generalmajor Rozanov vom 8. Jänner 1946 hervor, dass die Amerikaner in der Gemeinde Ebensee Angehörige der 4. SS-Panzerdivision gefangen hielten und sich in der französischen Zone Angehörige der polnischen Armee und einer estnischen Legion befanden, die französische Uniformen trugen. 38 Am besten lassen sich derartige Differenzen und gegenseitige Verdächtigungen verständlicherweise durch die Materialien des Alliierten Rates und die von ihm geschaffenen Strukturen nachvollziehen, doch werden diese Materialien mehrheitlich in verschiedenen russischen Archiven verwahrt, was den Zugang und ihre Auswertung erschwert. Resümierend kann Folgendes konstatiert werden: 1. Die Dokumente der militärischen Gegenspionage im Zentralarchiv des FSB stellen eine wichtige Quelle für die mit der Errichtung eines unabhängigen österreichischen Staates zusammenhängenden Ereignisse dar. 2. Bei der Beurteilung der Vollständigkeit und Authentizität der Dokumente von Geheimdiensten gilt es, die Besonderheit dieser Art von dokumentierten Informationen, die in der Regel auf operativem Weg eingeholt wurden, zu berücksichtigen. 3. Die informellen Dokumente der GUKR SMERS des Volkskommissariates für Verteidigung und des MGB der UdSSR sind ein Spiegel der sowjetischen Politik und erlauben eine Rekonstruktion der Haltungen der alliierten Mächte zur österreichischen Frage wie auch der Taktik der praktischen Schritte bei der Behandlung dieses Problems in den ersten Nachkriegsjahren. 4. Die in den Dokumenten zahlreich vorhandenen Fakten und Personalangaben bringen für Historiker und Archivare die Notwendigkeit einer entsprechenden Kommentierung mit sich.

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Kurt Waldheim, Der österreichische Weg. Aus der Isolation zur Neutralität. Moskau 1976, S. 89, 209. C A F S B R F , F. 135, op. l , d . 23, S. 61.

Vasilij Christoforov 5. Ein ausgewogenes Studium der Dokumente zum jeweiligen Forschungsthema macht die Verwendung von Materialien nicht nur aus russischen, sondern auch aus Archiven anderer Länder erforderlich. Abschließend soll der Hoffnung Ausdruck verliehen werden, dass durch gemeinsame Anstrengungen eine Ideologisierung wie auch Schieflage bei der Interpretation der Ereignisse in die eine wie in die andere Richtung vermieden werden können. Übersetzung aus dem Russischen: Susanne Rothleitner, Arno Wonisch

Valerij Vartanov

Die Aufgaben der Militärkommandanturen in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs

1945-1955 Das System der Militärkommandanturen wurde auf Basis jener Abteilungen und Einheiten der Roten Armee geschaffen, die zum Verband der Zentralen Gruppe der Streitkräfte (CGV) gehörten. Gemäß der vom Stabschef der CGV, Generaloberst German Malandin, unterzeichneten und vom Oberbefehlshaber der CGV, Marschall Ivan Konev, am 15. September 1945 bestätigten „Weisung an die Militärkommandanten auf dem besetzten Gebiet Österreichs" 1 wurden zur Unterstützung des Besatzungsregimes sowie zur Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung und Disziplin in jeder Bezirks- und Landeshauptstadt der sowjetischen Besatzungszone Verwaltungen der Militärkommandanten eingesetzt. Die Ernennung der Landes-, Bezirks- und Stadtmilitärkommandanten erfolgte durch einen Beschluss des Militärrates der CGV. Die genannte Weisung legte innerhalb des Systems der Militärkommandanturen eine klare und straffe vertikale Hierarchie fest. Die Bezirksmilitärkommandanturen unterstanden den Leitern der Landeskommandanturen, und Letztgenannte waren über die Abteilung für die Leitung der Militärkommandanturen direkt dem Militärrat der CGV unterstellt. Die Militärkommandanten der Städte waren in operativer Hinsicht den jeweiligen Bezirkskommandanturen angeschlossen. Das Tätigkeitsfeld der Militärkommandanturen hatte vier grundlegende Bereiche zu umfassen: 1. In Bezug auf sowjetische militärische Einheiten und Armeeangehörige: strikte Erfassung aller militärischer Einheiten, Kommandos und einzelner, auf dem jeweiligem Gebiet eintreffender Armeeangehöriger, Festnahme von Deserteuren und Ergreifung von Maßnahmen zum Kampf gegen die eingeführte Ordnung verletzende Personen, regelmäßige Dokumentenüberprüfung der auf dem Zuständigkeitsgebiet der Kommandantur lebenden Personen, 1

CAMO, F. 275, op. 45235ss, d. 2, S. 184-189. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien München 2005, Dokument Nr. 69.

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Verbot des Besuches von Volksfesten, Märkten, Gaststätten, Restaurants und Lokalen mit Alkoholausschank, Festnahme von Personen, die des Verkaufs von staatlichem, erbeutetem und zivilem Eigentum sowie des Betreibens von Spekulationsgeschäften überführt wurden, und Übergabe der Festgenommenen an Untersuchungsorgane der CGV, unverzügliche Unterbindung eigenmächtiger Handlungen jeder Art, des Marodierens, illegalen Anhäufens und illegaler Beschlagnahme von Eigentum der lokalen Bevölkerung und von zivilen Organisationen, wobei die Schuldigen festzunehmen und den nächstgelegenen Untersuchungsorganen der Roten Armee zu übergeben waren, strenge Kontrolle darüber, dass Armeeangehörige keine Kirchen und Gebetshäuser in Beschlag nahmen und die Ausübung religiöser Bräuche nicht behinderten. Zu untersagen waren eine Einquartierung von Truppen und ein Einstellen von Fahrzeugen auf Friedhöfen und Kirchengründen.

2. In Bezug auf lokale Behörden: - keine Einmischung in die Verwaltungsangelegenheiten der örtlichen Behörden und in die Angelegenheiten der Zivilverwaltung; mit diesen ist ein enger Kontakt zu unterhalten und ihnen dabei zu helfen, Ordnung zu schaffen, Industriebetriebe in Gang zu setzen, den Handel aufzubauen und normale landwirtschaftliche Arbeiten zu ermöglichen, - alle militärisch erforderlichen Maßnahmen, die die Interessen der Zivilbevölkerung berühren, nur von den örtlichen Behörden durchzuführen, - für ein störungsfreies Funktionieren des Fernmeldewesens, der Telefonverbindungen und anderer Kommunikationsmittel sind die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen sowie eine Beobachtung, Kontrolle und Bewachung dieser Einrichtungen durchzuführen, - Erfassung aller Industrie-, Handels- und administrativen Betriebe, Unternehmen, Firmen, Geschäfte, Restaurants usw., Sicherstellung der Fortführung des normalen Betriebes von Handels- und Industriebetrieben durch deren Eigentümer, im Wege der lokalen Behörden, - Unterstützung der lokalen Behörden bei der Sicherstellung eines normalen Betriebes von Schulen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen sowie bei der Bewahrung des erforderlichen sanitären Zustandes in Städten und Ortschaften. Die lokalen Behörden und die Bevölkerung sind für eine Instandhaltung und Ausbesserung der Verkehrswege und Brücken innerhalb der Grenzen ihres Bundeslandes, Bezirkes und ihrer Stadt heranzuziehen, - Ausübung einer Beobachtung und Kontrolle der örtlichen Polizei und Unterstützung derselben zur Aufrechterhaltung der Ordnung und im Kampf gegen das Banditenwesen. Durchzuführen ist eine Registrierung aller Blankwaffen und Feuerwaffen, Beschlagnahme von Feuerwaffen der lokalen Bevölkerung (Jagdwaffen sind ausgenommen).

Die Aufgaben der Militärkommandanturen

in der sowjetischen

Besatzungszone

3. Zur Lösung wirtschaftlicher Fragen: Kennenlernen der politisch-wirtschaftlichen Lage des Zuständigkeitsgebietes in gründlichem Maße, Einsammeln und Verwahrung von vom Gegner zurückgelassenen Waffen, von Munition und Heeresgut, Güter, die von deutschen Truppen vom Staatsgebiet der UdSSR weggebracht wurden, sind genau zu registrieren und für den Rücktransport in die Sowjetunion vorzubereiten, die Beschlagnahme von Eigentum, Gerät, Transport- und Lebensmitteln von privaten Eigentümern, Wirtschaftsgenossenschaften, Industriebetrieben und städtischen Behörden auf dem Staatsgebiet Österreichs zu untersagen, bei Nichteinhaltung sind die Schuldigen vor Gericht zu stellen, eine Beschaffung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen durch militärische Einheiten nicht zuzulassen; militärische Einheiten dürfen landwirtschaftliche Erzeugnisse einzig von einem Bürgermeister auf Anweisungen der CGV hin entgegennehmen. 4. In Bezug auf repatriierte Personen: sowjetische und ausländische Staatsbürger, die einer Repatriierung unterliegen, sind ausführlich darüber in Kenntnis zu setzen, zusammenzufassen und organisiert an die für die Repatriierung zuständige Kommandantur und an Sammelpunkte zu verbringen, herzustellen ist eine Kontrolle über den Zustand der Lager und Sammelpunkte. Außer diesen vier grundlegenden Bereichen wurden den Militärkommandanten und den diesen unterstellten Kommandanturen folgende Sonderaufgaben übertragen: Im Falle von Unruhen, die die öffentliche Ruhe verletzen, das Wohlergehen und eine normale Arbeit der lokalen Behörden gefährden, ist der Militärkommandant verpflichtet, mit entschlossenen Maßnahmen, wobei er sich auf die militärische Macht stützt, Ordnung und Ruhe wiederherzustellen; im Falle des Widerstands feindseliger Personen und nach Ausschöpfung aller anderen Mittel gegen diese Personen ist der Kommandant verpflichtet, als äußerste Maßnahme Waffengewalt anzuwenden. Alle Rädelsführer von Unruhen und Anstifter dazu sind unverzüglich festzunehmen und an Organe der Staatssicherheit zu übergeben, sämtliche führenden Mitglieder der NSDAP, ihrer Verbände und betreuten Organisationen, sämtliche Mitarbeiter der Gestapo, Polizei und SS sind zu registrieren. Ein Nichterscheinen dieser Leute zur Registrierung ist als feindliche Handlung gegen die Rote Armee anzusehen, wobei die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen sind, NS-Organisationen sind unverzüglich aufzulösen. Einfache Mitglieder der NSDAP sind auf Grund ihrer Parteimitgliedschaft nicht zu belangen, sofern sie sich gegenüber der Roten Armee loyal verhalten, im Falle eines Auftretens feindlicher bewaffneter Gruppen im Bezirk ist der Kom-

Valerij Vartanov

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mandant verpflichtet, unverzüglich Maßnahmen zu deren Entwaffnung zu ergreifen, wobei er sich dazu der örtlichen Polizei und Einheiten der Roten Armee bedient, der Militärkommandant hat einen rücksichtslosen Kampf gegen Unruhestifter und Verbreiter verleumderischer Gerüchte, die gegen die Rote Armee gerichtet sind, zu führen, auf Grundlage der Weisungen der Politverwaltung der CGV hat der Kommandant mittels seines Stellvertreters ständig politische Arbeit unter der örtlichen Bevölkerung zu betreiben, alle Angehörigen alliierter Armeen, die in seinem Zuständigkeitsbereich angetroffen werden, sind festzunehmen und den Alliierten zu überantworten, alle Befehle und Verordnungen eines Militärkommandanten betreffend die innere Ordnung und die Beziehungen mit zivilen Organen, mit lokalen Betrieben, Einrichtungen und mit der Bevölkerung sind für militärische Einheiten und einzelne Armeeangehörige verpflichtend, unter außergewöhnlichen Umständen ist Militärkommandanten das Recht vorbehalten, sich zwecks Verbindungsaufnahme mit Militärräten von Armeen und mit der CGV aller Arten der Verbindung mit einer beliebigen Einheit der Roten Armee zu bedienen.2

Bei einer Untersuchung historischer Begebenheiten ist es von großer Wichtigkeit, die Dynamik der Entwicklung und die Wege der Veränderungen dieser Begebenheiten nachvollziehen zu können. Die Möglichkeit dazu ist bei einer Behandlung des vorliegenden Themas gegeben, weil außer der mit September 1945 datierten Dienstanweisung an die sowjetischen Militärkommandanten in Österreich auch eine andere überaus wichtige Quelle, nämlich die mit Juni 1954 datierte „Weisung betreffend die wesentlichen Pflichten der Militärkommandanten der sowjetischen Zone Österreichs" herangezogen werden kann. Eine vergleichende Analyse dieser Dokumente bietet die seltene Möglichkeit, die zehn Jahre lang währende Tätigkeit der Militärkommandanturen in Österreich nicht nur nachzuverfolgen, sondern auch Tendenzen in deren Entwicklung und Funktionsweise aufzuzeigen: Welche Tätigkeitsfelder blieben über den gesamten Zeitraum hinweg erhalten, welche fielen auf Grund des Verlustes an Aktualität weg, welche neuen Aufgaben wurden nach Ablauf einer Zeitspanne von beinahe einem Jahrzehnt der Präsenz sowjetischer Truppen in Österreich in den Vordergrund gerückt? Dazu kann vorab festgehalten werden, dass das Dokument aus dem Jahr 1954, das vom Oberbefehlshaber der CGV, Generaloberst Aleksej Zadov, und vom Hochkommissar der UdSSR in Österreich, Ivan Il'icev, unterzeichnet wurde, die Tätigkeitsbereiche der Militärkommandanturen in hohem Maße neu definierte. Von den ehemals vier grundlegenden Funktionen blieben praktisch nur zwei übrig, wobei auch diese wesentliche Änderungen erfuhren. Hauptaugenmerk wurde nunmehr auf die Aufrechterhaltung der Disziplin und Ordnung an den Orten der Stationierung sowjetischer Truppen gelegt. Hatten diese zuvor über ein hohes Maß an Selbstständig2

Ebd.

Die Aufgaben der Militärkommandanturen

in der sowjetischen

Besatzungszone

keit verfügt, so waren sie ab Inkrafttreten der Weisung aus dem Jahr 1954 den Garnisonskommandanten unterstellt und übernahmen hauptsächlich Wach- und Streifendienste. Dazu oblag ihnen die Kontrolle über eine rechtzeitige, von den militärischen Einheiten und Dienststellen vorzunehmende Bezahlung der kommunalen, von österreichischen Unternehmen, Firmen und Privatpersonen erbrachten Dienstleistungen, die Kontrolle über die Richtigkeit von Vertragsabschlüssen zwischen Einheitskommandanten und der österreichischen Seite bei der Miete von Räumlichkeiten, bei dienstlichen Anstellungen u. a. Des Weiteren waren die lokalen Behörden über die bevorstehenden Einsatzübungen und Manöver zu unterrichten, der Zustand von Straßen, Brücken und Übergängen zu kontrollieren, das Kommando über notwendige Reparaturen zu informieren u. a. Wesentliche Änderungen erfuhren auch die Beziehungen zur lokalen Bevölkerung. In damit im Zusammenhang stehenden Fragen wurden die Militärkommandanten über die Abteilung für administrative Fragen dem Hochkommissar der UdSSR in Österreich unterstellt, wobei die Priorität nunmehr der Kontrolle über die Arbeit der lokalen Behörden und dabei in der ersten Linie der Kontrolle von Polizei und Gendarmerie, der Gerichte sowie der Staatsanwaltschaft zukam. 3 Die Militärkommandanten hatten die führenden Mitarbeiter dieser Organe zu studieren und über Charakteristiken zu diesen zu verfügen. Sie mussten personelle Versetzungen der lokalen Sicherheitsorgane im Auge behalten, hatten von diesen die notwendigen Informationen über die politische Lage im jeweiligen Bezirksamt bzw. in der jeweiligen Bezirkshauptmannschaft zu erhalten und mussten gemäß Artikel 2 und Artikel 5 des Zweiten Kontrollabkommens vom 28. Juni 1946 die Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Gerichte ausüben. Weiters waren sie verpflichtet, offizielle Besucher und Privatpersonen in Empfang zu nehmen und deren Bitten und Beschwerden anzuhören, Schusswaffen und Munition der Bevölkerung zu beschlagnahmen, über das Bestehen lokaler Organisationen von politischen Parteien, Verbänden und Vereinen und über die von diesen Organisationen durchgeführten Veranstaltungen im Bilde zu sein und Versuche der Verbreitung verbotener Literatur sowie der Vorführung nationalsozialistischer und militaristischer Kinofilme zu unterbinden. Im Falle eines massenhaften Abtransportes industrieller Anlagen, von Maschinen oder Lebensmitteln war dem Vertreter des Hochkommissars unverzüglich Bericht zu erstatten. All diese Tätigkeitsbereiche der Militärkommandanturen wurden durch eine neue Aufgabe - die Kontrolle des Zustandes der Gräber und Denkmäler sowjetischer Soldaten sowie deren Erhaltung durch die lokalen Behörden und demokratische Organisationen - erweitert. 4 Auf diese Weise zeugt selbst eine kurze vergleichende Analyse der beiden Dokumente davon, dass der überaus umfangreiche Tätigkeitsbereich der Militärkommandanturen im Laufe der Zeit zwar eine formale Wandlung erfuhr, seine wesentlichen Aufgaben jedoch ebenso vielfältig und umfassend wie zuvor geblieben waren. 3

4

Bezüglich der Unterstellung der Militärkommandanturen unter den Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission 1952 vgl. den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich, in diesem Band. CAMO, F. 275, op. 140935ss, d. 1, S. 182-190. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 81.

Valerij Vartanov Die Militärkommandanturen der CGV wirkten aktiv am Wiederaufbau des öffentlichen Lebens in Österreich mit. Unter ihrer direkten Beteiligung wurden Hunderte von Fabriken, Betrieben, Elektrizitätswerken, Wasserversorgungs- und Kanalisationssystemen wieder errichtet und in Betrieb genommen, Schulen, Spitäler, Ambulanzen und Parkanlagen sowie öffentliche Bäder wieder eröffnet. So wurden allein auf dem Zuständigkeitsgebiet der Kommandantur der Stadt Wilhelmsburg mehr als 50 verschiedene Betriebe, darunter u. a. auch ein Werk für die Herstellung von Gusseisen, in Betrieb genommen.5 Unabhängig davon, welchen Schwierigkeitsgrad die Aufgaben der Militärkommandanturen hatten, hing deren Lösung von den Menschen ab, die sie zu lösen hatten. Die Auswahl der Mitarbeiter der Kommandanturen hatte besonders sorgfältig und gewissenhaft zu erfolgen. Im Folgenden wird erstmals ein Verzeichnis der Militärkommandanten der sowjetischen Zone von 1947/48 angeführt. Tab. 1: Militärkommandanten der Stadt Wien (April 1945 bis September 1955f 05.04.1945 bis 13.04.1945

Generalmajor Nikolaj Travnikov

13.04.1945 bis 15.10.1945

Generalleutnant Aleksej Blagodatov

15.10.1945 bis 18.05.1948

Generalleutnant Nikita Lebedenko

18.05.1948 bis 21.05.1949

Generalmajor Dmitrij Abakumov

21.05.1949 bis 22.06.1953

Generalleutnant Arkadij Borejko

22.06.1953 bis Sept. 1955

Generalmajor Nikolaj Molotkov

Tab. 2: Garnisonskommandanten der Stadt Wien (April 1945 bis September 1955f 14.04.1945 bis 23.04.1945

Generalleutnant Nikanor Zachvataev

23.04.1945 bis 15.10.1945

Generalleutnant Aleksej Blagodatov

15.10.1945 bis 07.04.1948

Generalleutnant Nikita Lebedenko

07.04.1948 bis 17.06.1949

Generalmajor S. Bobruk

17.06.1949 bis 16.07.1953

Generalleutnant Arkadij Borejko

16.07.1953 bis Sept. 1955

Generalmajor Nikolaj Molotkov

Gemäß Befehl des Oberbefehlshabers der CGV Nr. 014 vom 20. August 1945 wurden in Niederösterreich und im Burgenland Landesmilitärkommandanturen gegründet, zu deren Tätigkeiten die Leitung der Militärkommandanturen der Bezirke gehörte. Außerdem wurden nachträglich noch zwei Militärkommandanturen in Freistadt und Rohrbach (Oberösterreich) gebildet. Dem Beauftragten der Provisorischen Österreichischen Regierung im Mühlviertel wurde der Abteilung der Militärkommandanturen ein Inspek5 6

7

CAMO, F. 275, op. 356369s, d. 2, S. 220. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 46. CAMO, F. 243, op. 2906, d. 230, S. 577; CAMO, F. 243, op. 50393s, d. 1; CAMO, F. 243, op. 576571, d. 1; CAMO, F. 243, op. 311568, d. 11; CAMO, F. 243, op. 260916s, d. 6, S. 215; CAMO, F. 243, op. 2906, d. 231, S. 167. CAMO, F. 240, op. 2906, d. 229, S. 182; CAMO, F. 275, op. 316s, d. 1, S. 249; CAMO, F. 275, op. 576571, d. 1; CAMO, F. 275, op. 503936, d. 1; CAMO, F. 275, op. 296584s, d. 1, S. 2.

Die Aufgaben der Militärkommandanturen

in der sowjetischen

Besatzungszone

tor zugeordnet. Zu seinen Aufgaben gehörte die Leitung der Militärkommandanturen im sowjetisch besetzten Teil Oberösterreichs.8 Tab. 3: Die sowjetischen (1947 bis 1948)9

Militärkommandanturen

Kommandanten

Militärkommandanturen (MK)

Ort

Dienstgrad und Name des Militärkommandanten

Landeskommandantur

Wien

Oberst Stepovoj

MK Amstetten

Amstetten

Oberst Emel'janov

MK Bad Vöslau

Mödling

Oberstleutnant Kirisenko

MK Baden

Baden

Oberst Moiseev

MK Berndorf

Waidhofen a. d. Thaya

Major Lazarev

MK Gloggnitz (Neunkirchen)

Neunkirchen

Major Galanin

MK Hainburg (Bruck a. d. Leitha)

Bruck a. d. Leitha

Oberstleutnant Torgasin

MK Hatvan

Waidhofen a. d. Ybbs

Major Sacharov

MK Kecskemet

Hollabrunn

Major Ponomarev

MK Korneuburg

Korneuburg

Major Tupisev

MK Klosterneuburg (Tulln)

Tulln

Major Pestov

MK Krems

Krems

Oberstleutnant Volkov

MK Melk (Zistersdorf)

Zistersdorf

Major Drozdov

MK Mistelbach

Mistelbach

Major Kuznecov

MK Neulengbach (Lilienfeld)

Lilienfeld

Major Tarasov

MK Purkersdorf

Horn

Major Plechanov

MK Sätoralja-Ujhely

Melk (Zwettl)

Major Seglevatov

MK Schwechat

Zwettl

Major Chomajko

MK St. Pölten

St. Pölten

Oberst Eremin

MK St. Valentin

St. Valentin

Major Popov

MK Waidhofen a. d. Thaya

Gmünd

Major Hljapov

MK Wiener Neustadt

Wiener Neustadt

Major Kapel'kin

MK Ybbs a. d. Donau (Scheibbs)

Scheibbs

Major Muskarev

Tab. 4: Militärkommandanturen

8 9

der CGV und ihre

im Burgenland

Militärkommandanturen (MK)

Ort

Dienstgrad und Name des Militärkommandanten

Landesmilitärkommandantur

Eisenstadt

Oberstleutnant Varlamov

MK Eisenstadt

Eisenstadt

Oberstleutnant Puzanov

MK Miskolc

Oberpullendorf

Oberstleutnant Michajlenko

MK Oberwart (Güssing)

Güssing

Major Cirkov

MK Szeged

Oberwart

Oberstleutnant Krupnov

CAMO, F. 275, op. 292697s, d. 1, S. 181. CAMO, F. 275, op. 312710s, d. 1, S. 3. Die ungarischen Bezeichnungen einiger Kommandanturen ergaben sich höchstwarscheinlich durch die Dislozierung der CGVM in Österreich und Ungarn.

Valerij Vartanov Tab. 5: Militärkommandanturen

in Oberösterreich

Militärkommandanturen (MK)

Ort

MK Bekescsaba MK Rohrbach MK Urfahr

Freistadt Rohrbach Urfahr

Dienstgrad und Name des Militärkommandanten Major Repin Oberstleutnant Prichod'ko Oberstleutnant Ovsjannikov

Tab. 6: Militärkommandanturen und Militärkommandanten Besatzungszone (ohne Steiermark) (Stand: 20.5.1945)'° Amstetten Aspang Bad Vöslau Baden Berndorf Bruck a. d. Leitha Ebenburg Ebreichsdorf Eggenburg Eisenstadt Gänserndorf Gloggnitz Haag Hainburg Herzogenburg Horn Kirchschlag Korneuburg Laa a. d. Thaya Langenlois Lilienfeld Melk Mistelbach Neunkirchen Oberpullendorf Oberwart St. Peter St. Pölten St. Valentin Pinkafeld Scheibbs Stockerau

der späteren

sowjetischen

Oberstleutnant Petr Rumjanzev Major Aleksandr Korin Major Fedor Sevlak Major Matjuchov Major Vladimir Zajcev Major Leonid Petrenko Oberleutnant Konstantin Gvozdev Hauptmann Georgij Cernov Major Petr Esmond Hauptmann Vladimir Voroncov Major Vasilij Sacharov Hauptmann Vladimir Zozulja Oberleutnant Aleksandr Furcikov Major Ivan Gaponkin Major Fedor Akimov Oberleutnant Aleksej Zidov Major Jakov Doronov Hauptmann Arcil Camporidze Gardehauptmann Sergej Izjumov Major Ivan Kazamatov Major Matus Spektor Major Nikolaj Maridimasov Hauptmann Vladimir Lotvinov Major Vasilij Basan'ko Major Dmitrij Delov Major Iosif Kacuev Major Sergej Pestov Major Aleksandr Mukoedov Major Stepan Stremousov Hauptmann Aleksej Kockin Major Fedor Chljapov Oberstleutnant Vali Saltyganov

10 CAMO, F. 240, op. 2775, d. 403, S. 290- 293; CAMO, F. 240, op. 2906, d. 232, S. 338; CAMO, F. 275, op. 212406, d. 2; CAMO, F. 320, op. 4541, d. 62, S. 368; CAMO, F. 275, op. 66309ss, d. 1, S. 4.

Die Aufgaben der Militärkommandanturen

in der sowjetischen

Ternitz

Hauptmann Ivan Grecov

Traiskirchen

Major Michail Gavrilenko

Tulln

Oberleutnant Andrej Beljaev

Waidhofen a. d. Thaya

Major Petr Scukin

Wiener Neustadt

Major Valerian Kocarov

Wilhelmsburg

Major Viktor Belov

Zwettl

Hauptmann Nikolaj Prosolov

Besatzungszone

Wie stellten sich nun die Tätigkeitsbereiche der Militärkommandanten und die der diesen unterstellten Personen in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs im Konkreten dar? Dazu können generell einige Schwerpunkte des vielschichtigen Aufgabengebietes, das sich in erster Linie durch Wechselbeziehungen mit lokalen Behörden und der Bevölkerung manifestierte, dargestellt werden. Vor allem in der Anfangsphase der Präsenz sowjetischer Truppen in Österreich lag eine der Hauptaufgaben des sowjetischen Kommandos in der Lösung einer überaus heiklen Frage, nämlich des Aufbaus eines neuen politischen Systems und der Gewährung jedweder Unterstützung bei der Bildung der Österreichischen Provisorischen Staatsregierung unter Karl Renner. Während einer am 9. Juli 1945 abgehaltenen Unterredung zwischen dem Oberbefehlshaber der CGV, Marschall Ivan Konev, und Karl Renner brachte die österreichische Seite eine ganze Reihe von für Österreich wesentlichen Fragen vor, deren Lösung ohne sowjetische Beteiligung nicht möglich gewesen wäre. Im Besonderen baten der Kanzler und seine Stellvertreter bei der Lösung des Transportproblems, beim Einbringen der Ernte, bei der Einrichtung eines Kurierdienstes über die Demarkationslinie, der Überwachung der Grenze zur Tschechoslowakei, der Aufstellung örtlicher Gendarmerieposten, der Herausgabe einer landwirtschaftlichen Zeitung, der Rückgabe beschlagnahmter Radiogeräte an die Bevölkerung u. a. um Unterstützung der Regierung durch das sowjetische Kommando." Auf praktisch all diese Fragen wurden positive Antworten erteilt, die der Schaffung von Bedingungen für ein friedliches Leben der österreichischen Bevölkerung förderlich waren. Im Folgenden seien einige der Antworten Marschall Konevs auf die Fragen der österreichischen Regierung angeführt: „Die Aufgabe der Roten Armee und des sowjetischen Oberkommandos besteht in bestmöglicher Unterstützung der österreichischen Regierung und des österreichischen Volkes zur Schaffung eines unabhängigen demokratischen Staates, weshalb wir die Zusammenarbeit mit der österreichischen Regierung zum Wohle des österreichischen Volkes als unsere Pflicht erachten"; „zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir für die dringendsten Erfordernisse der Regierung eine gewisse Zahl an Personen- und Lastkraftwagen der CGV zu Verfügung stellen"; „wir haben keine Einwände dagegen, Kuriere die Demarkationslinie passieren zu lassen. Bitte legen Sie die Liste mit den Kurieren vor"; „wir werden unseren Garnisonen den Befehl erteilen, und sie werden beim Einbringen der Ernten helfen"; „wir sind einverstanden, die 11

CAMO, F. 275, op. 353761, d. 1, S. 856-866. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 44.

Valerij Vartanov Gendarmerie in ländlichen Gebieten zu bewaffnen, und gewährleisten einen Patrouillendienst sowjetischer Armeeangehöriger in den von Ihnen genannten Bezirken"; „niemand hat die Herausgabe von Zeitungen verboten"; „den Kommandanten wurde der Befehl erteilt, die Radiogeräte, die sich hier befinden, zurückzugeben".12 Den Worten folgten Taten. Im kurze Zeit später unterzeichneten Beschluss des Militärrates der 3. Ukrainischen Front mit dem Titel „Über die der Provisorischen Regierung Österreichs zu erweisende Unterstützung" wurde u. a. angeordnet, entsprechend den Bitten der Provisorischen Regierung Österreichs nach Unterstützung beim Ausbringen der Frühjahrssaat, bei der Herstellung der öffentlichen Ordnung und der Entwicklung der lokalen Industrie für die Aussaat einen Saatgutfonds einzurichten, zu erlauben, nach Deckung der Erfordernisse der Front bis zu 500 Tonnen Diesel und bis zu 500 Tonnen Kerosin aus den Frontbeständen gegen Bezahlung abzugeben, drei hoch qualifizierte Fachkräfte auf dem Gebiet der Landwirtschaft zwecks Unterstützung beim Ausbringen der Saat abzustellen, der Regierung 200 Millionen Reichsmark aus Beutebeständen sowie 100 Fahrzeuge (20 Pkw, 40 Lkw und 40 Gütertaxis) zur Verfügung zu stellen, dem Landwirtschafts- und Forstministerium vier Personenkraftwagen zur Verfügung zu stellen, dem gesamten Fahrzeugpark der österreichischen Regierung und dem der lokalen österreichischen Behörden auf dem befreiten Gebiet Österreichs freie Fahrt zu gewähren, der Regierung 1000 aussortierte Pferde zu übergeben, zur Sicherstellung der internationalen Kommunikation zwei Drittel der in Wien vorhandenen Funk-, Telegrafen- und Telefoneinrichtungen in der Stadt zu belassen und die Bewachung der gesamten Provisorischen Staatsregierung (Kanzler, Staatssekretäre, Unterstaatssekretäre) zu gewährleisten.13 Einer der Schwerpunkte der Tätigkeit der Militärkommandanturen lag in einer aktiven Mithilfe zur Lösung des akuten Problems der Versorgung mit Lebensmitteln, mit dem sich die Bevölkerung Österreichs in den ersten Nachkriegsjahren konfrontiert sah. Im Beschluss des Militärrates der 3. Ukrainischen Front „Über die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung Wiens" heißt es: „Angesichts des erheblichen Mangels an Lebensmitteln und der großen Unregelmäßigkeiten bei der Versorgung der Bevölkerung von Wien mit Lebensmitteln sowie auch auf Grund der Unmöglichkeit einer Zulieferung aus den Bezirken des Umlandes wird vom Militärrat der Front beschlossen, den Organen der Selbstverwaltung der Stadt Wien folgende Mengen an Lebensmitteln zur Verfügung zu stellen: 1.) Brotgetreide: 7000 Tonnen, 2.) Mais: 500 Tonnen, 3.) Schrot: 2000 Tonnen, 4.) Bohnen: 1000 Tonnen, 5.) Erbsen: 1000 Tonnen, 6.) Fleisch: 300 Tonnen, 7.) Zucker: 200 Tonnen, 8.) Salz: 200 Tonnen, 10.) Ölfrüchte: 1000 Tonnen."14

12 13

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CAMO, F. 275, op. 353761, d. 1, S. 856-866. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 44. CAMO, F. 243, op. 2973, d. 59, S. 84f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 32, und in: Ministerstvo inostrannych del SSSR (Hg.), SSSR - Avstrija 1938-1979. Dokumenty i materialy. Moskau 1980, S. 24. CAMO, F. 243, op. 2973, d. 59, S. 75. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 22.

Die Aufgaben der Militärkommandanturen in der sowjetischen

Besatzungszone

Am 3. Juni 1945 berichteten Marschall Tolbuchin und General Zeltov an Iosif Stalin, dass der Österreichischen Provisorischen Regierung 12.047 Tonnen Getreide und Mehl, 4100 Tonnen Grütze, 530 Tonnen Fleisch, 140 Tonnen Fett, 950 Tonnen Zucker und 23 Tonnen Kaffee zur Verfügung gestellt worden wären. Außerdem wurden aus den Beständen der 2. Ukrainischen Front 600 Tonnen Salz, 80 Tonnen Fleisch und 300 Tonnen Mehl übergeben. 15 Angaben zu Lebensmittellieferungen der 2. und 3. Ukrainischen Front an die österreichische Bevölkerung wurden in einem vom Stab des Hinterlandes der Roten Armee ausgearbeiteten Sonderbericht von Ende Juni 1945 angeführt. So wurden der österreichischen Seite 46.548 Tonnen Getreide und Mehl, 4000 Tonnen Fleischwaren, 1133 Tonnen Fett, 2700 Tonnen Zucker, 2529 Tonnen Salz und 230 Tonnen Kaffee übergeben. 16 Im ersten Quartal des Jahres 1946 wurden folgende Lebensmittelbestände pro Quartal und Monat zur Versorgung der 517.000 Bewohner des sowjetischen Sektors Wiens angelegt:17 - Mehl pro Monat - 4200 Tonnen, pro Quartal - 12.600 Tonnen, - Grütze pro Monat - 828 Tonnen, pro Quartal - 2484 Tonnen, - Fleisch pro Monat - 900 Tonnen, pro Quartal - 2700 Tonnen, - Fette pro Monat - 369 Tonnen, pro Quartal - 1107 Tonnen, - Zucker pro Monat - 264 Tonnen, pro Quartal - 792 Tonnen, Salz pro Monat - 202 Tonnen, pro Quartal - 606 Tonnen, - Kaffee pro Monat - 51 Tonnen, pro Quartal - 153 Tonnen. Außerdem wurde das Problem der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung durch Vergütungen in Form von Verpflegungssätzen, die für Tätigkeiten beim Bau von Donaubrücken ausgegeben wurden, gelöst. Der Militärrat der CGV hatte u. a. für die Beschleunigung der Bauarbeiten an den Brücken über die Donau in Krems und Wien hoch qualifizierte Arbeiter und Techniker angeworben, die aus den Beständen der CGV verpflegt wurden, wofür man den Chefs der Truppen des Hinterlandes von August bis November monatlich 1125 Verpflegungssätze zuteilte.18 Auch die Lösung des Transportproblems lag im Zuständigkeitsbereich des über die Militärkommandanturen agierenden sowjetischen Kommandos. Das Eisenbahnnetz Österreichs befand sich nach Kriegsende in einem desolaten Zustand, was auch in einem eigens dieser Frage gewidmeten Beschluss des Militärrates der CGV konstatiert wurde. Es mangelte an Kohle, und die vorhandenen Kommunikationsmittel konnten eine Überwachung und Steuerung des betriebenen Streckennetzes nicht in vollem Umfang gewährleisten. Im Zusammenhang damit verpflichtete sich der Militärrat, die Entschei15

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CAMO, F. 67, op. 12001, d. 702, S. 40. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 45. Vgl. dazu auch Barbara Stelzl-Marx, Erbsen für Wien. Zur sowjetischen Lebensmittelhilfe 1945, in: Stefan Karner - Gottfried Stangler (Hg.), Österreich ist frei. Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Beitragband zur Ausstellung auf der Schallaburg. Horn 2005 (in Druck). Ebd. CAMO, F. 275, op. 888478s, d. 1, S. 367. CAMO, F. 275, op. 888478s, d. 1, S. 317. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 47.

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Valerij Vartanov dungsfindung betreffend den Beschluss zur Bestellung von Bevollmächtigten beim österreichischen Verkehrsministerium voranzutreiben, für die Bewachung der Eisenbahnstrecken eine Division NKVD-Truppen abzustellen, die Regeln für die Ablieferung unbeladener Waggons streng zu befolgen, um die Entsendung eines täglichen Kohletransportes für die österreichischen Eisenbahnen anzusuchen, die Telefonverbindung mit Wien und Wiener Neustadt zu verbessern, eine provisorische Stelle von Bevollmächtigten beim Verkehrsministerium und den Betriebsleitungen der Österreichischen Bundesbahnen (sieben bzw. drei Personen) einzurichten, zwei neue Kommandanturen zweiten Ranges zu schaffen und eine personelle Aufstockung mit Offizieren aus Reserveregimentern durchzuführen.19 Außerdem wurden die von der Deutschen Wehrmacht beim Rückzug zerstörten Eisenbahnbrücken über die Donau wieder errichtet. Die Vorarbeiten dazu wurden von der Wiener Eisenbahndirektion durchgeführt, die einen Vertrag mit der Brückenbaufirma Waagner-Birö abgeschlossen hatte. Zur Beschleunigung der Reparatur der Nord-WestEisenbahnbrücke wurde die 121. Eisenbahn-Brigade der CGV, darunter eine Brückenbau-Kompanie des 89. Eisenbahn-Bataillons und das 46. Eisenbahn-Mech.-Bataillon, herangezogen.20 Ferner wurde die Kohleversorgung der österreichischen Eisenbahnen in Angriff genommen. So wurden 9903 Tonnen Steinkohle aus Beutebeständen den österreichischen Eisenbahnen unentgeltlich übergeben, ebenso der österreichischen Seite 535 Tonnen Kohle, aus den Beständen des sowjetischen Militärkommandos, zu damaligen Großhandelspreisen überlassen.21 Schließlich wurde den Österreichischen Bundesbahnen auf Ansuchen ihres zweiten Vizepräsidenten und Abteilungsvorstandes der Verwaltungsabteilung, Dr. Richard Ott, hin der Postwaggon Nr. 409142 unentgeltlich zur Verfügung gestellt.22 Von all den anderen Tätigkeitsbereichen der Militärkommandanturen gilt es an dieser Stelle die Entminung von Betrieben und anderen Gebäudeobjekten zu erwähnen. So war etwa eine Fabrik in Moosbierbaum mehrmals alliierten Luftangriffen ausgesetzt, wobei Angaben von Arbeitern zufolge von der US-amerikanischen Luftwaffe bis zu 30.000 Fliegerbomben auf dieses Gebiet abgeworfen wurden. Auf Grund der Tatsache, dass die Bombardierung aus geringer Höhe erfolgte, detonierten viele Bomben nicht, lagen einige Jahre in der Erde und stellten auf diese Weise eine ständige Gefahr dar. Im April 1948 wurde die Fabrik vom Entminungskommando des 109. selbstständigen Garde-Pionier-Bataillons entmint, wobei 69 nicht detonierte Fliegerbomben mit einem Gewicht von je 250 Kilogramm unschädlich gemacht werden konnten.23 Ein weiterer Aufgabenbereich der Militärkommandanturen lag in der Repatriierung, wobei diese sowohl die Rückführung sowjetischer Staatsbürger in ihre Heimat als auch

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CAMO, Ebd., S. CAMO, Ebd. CAMO,

F. 275, op. 353761s, d. 1, S. 292-295. 174. F. 25, op. 657741s, d. 2, S. 211. F. 275, op. 51712ss, d. 2, S. 82-84.

Die Aufgaben der Militärkommandanturen in der sowjetischen

Besatzungszone

die Heimkehr von österreichischen Kriegsgefangenen aus der UdSSR betraf.24 Dazu kamen die Wiedererrichtung der Wiener Opernhauses, für die zwei Millionen Besatzungsschilling, eine große Menge an Baumaterialien, einige Fahrzeuge u. a. bereitgestellt wurden25, wie auch die Wiederinstandsetzung und Errichtung von Denkmälern für Angehörige der Sowjetischen Armee. 26 Die besondere Sorge und Aufmerksamkeit der sowjetischen Militäradministration galt neben der Lösung einer großen Menge unterschiedlichster Aufgaben auch der Tätigkeit der Gesellschaft der Österreichisch-Sowjetischen Freundschaft, der Abhaltung von Veranstaltungen, die als „Monate der österreichisch-sowjetischen Freundschaft" bezeichnet wurden, der Propagierung der sowjetischen Lebensweise und der Durchführung von für breite Massen bestimmten kulturellen Veranstaltungen verschiedener Art. Für die Mitglieder der Gesellschaft wurden Kurse und Zirkel der russischen Sprache organisiert, Vorträge, Vorlesungen und Vorführungen sowjetischer Kinofilme in deutscher Sprache abgehalten sowie andere Formen der Propaganda mittels Periodika, Radio, Wand- und Betriebszeitungen und Schaukästen betrieben. Viele Veranstaltungen wurden gemeinsam mit der Leitung des „Hauses der Offiziere der Sowjetischen Armee" in Wien, dem Sowjetischen Informationszentrum und mit Mitarbeitern der Informationsabteilung der Zentralen Militärkommandantur durchgeführt. 27 Im Herbst des Jahres 1953 fand in Österreich der „Monat der österreichisch-sowjetischen Freundschaft" statt, an dem eine aus bekannten sowjetischen Wissenschaftern, Schriftstellern, Schauspielern u. a. bestehende Delegation teilnahm. Es kam zu zahlreichen Auftritten der Mitglieder dieser Delegation vor österreichischem Publikum, Konzerten und Abendveranstaltungen. Die Konzerte in Wien, Niederösterreich und in den westlichen Bundesländern fanden in übervollen Sälen statt, und vom Publikum wurden Zugaben eingefordert. Über die Konzerte des staatlichen Osipov-Volksinstrumentenorchesters äußerte sich der österreichische Musiker und Dirigent Charly Oberleitner wie folgt: „Man will sie noch und noch hören. Das sind Aufführungen, wie es sie bei uns noch nicht zu hören gab. Ich möchte, dass die Wiener sie zu hören bekommen. Es ist ein großes Vergnügen!"28 Während des „Monats der österreichisch-sowjetischen Freundschaft" gab das Volkstanzensemble der CGV für die österreichische Bevölkerung elf Konzerte in verschiedenen Städten Westösterreichs. Allein in Wien wurden insgesamt rund 300 verschiedene Veranstaltungen durchgeführt. 29 In noch festlicherem Rahmen verliefen die Veranstaltungen anlässlich des zehnten Jahrestages des Kriegsendes 1955. Innerhalb eines Monats wurden 930 verschiedene Veranstaltungen durchgeführt, an denen 130.000 Österreicher teilnahmen. 30 24 25 26 27 28 29 30

CAMO, F. 275, op. 353764s, d. 1, S. 216, 296-298. CAMO, F. 275, op. 426039, d. 4, S. 14. CAMO, F. 320, op. 4532, d. 82, S. 233; CAMO, F. 275, op. 353761s, d. 1, S. 841f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 48. CAMO, F. 275, op. 507756, d. 44, S. 204-210. CAMO, F. 275, op. 503967, d. 77, S. 652. Ebd., S. 353. CAMO, F. 275, op. 507774s, d. 6, S. 45-52. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 115.

Valerij Vartanov Die Mehrheit der Bevölkerung Ostösterreichs verhielt sich ruhig gegenüber der Roten Armee. In Mistelbach oder Ebenfurth wurden Denkmäler für die in den Kämpfen gefallenen sowjetischen Soldaten errichtet. In Kindberg nahmen Bewohner im Sommer 1945 an der Verabschiedung von 17 demobilisierten Soldaten der sowjetischen Kommandantur teil, denen auch je ein Zivilanzug und je zwei Garnituren Leibwäsche übergeben wurden.31 Dennoch wurde die Präsenz sowjetischer Truppen in Österreich insgesamt und die Tätigkeit der sowjetischen Kommandanturen im Besonderen von den Österreichern nicht nur positiv gesehen. Es gab eine Reihe von Problemen im Verhältnis zwischen der Besatzungsmacht und der österreichischen Bevölkerung. Dies waren Probleme jeglicher Art, solche objektiven Charakters bis hin zu zahlreichen rein subjektiven, menschlichen. Diese zu ignorieren hieße, nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Im Land herrschte eine starke antisowjetische, antikommunistische Stimmung. Ein Teil der Bevölkerung verhielt sich feindselig gegenüber den sowjetischen Truppen und brachte seinen Protest mit passiven und aktiven Mitteln zum Ausdruck. Zu nennen wären in erster Linie die Verbreitung falscher Gerüchte, die Verteilung von Flugblättern und Parolen mit NSInhalten, Sabotage in sowjetischen USIA-Betrieben oder Übergriffe gegen sowjetische Armeeangehörige. Oftmals kam es zu Fällen, in denen es der UdSSR feindselig gesinnten Personen gelang, die örtliche Bevölkerung zu aktiven antisowjetischen Handlungen zu provozieren. So etwa in Platt im Bezirk Hollabrunn, wo Ortsbewohner einen sowjetischen Offizier und vier Soldaten, die sich dienstlich im Ort aufhielten, überfielen und verprügelten. 32 In den Gemeinden Sonnberg und St. Leonhard wurden Fälle spurlos verschwundener sowjetischer Armeeangehöriger registriert.33 Im September 1945 wurde eine Patrouille der Militärkommandantur der Stadt Gmünd mit Maschinenpistolen beschossen, und im Bezirk Rohrbach wurde ein sowjetischer Offizier getötet.34 Im Bezirk Amstetten griff ein mit einer Heugabel bewaffneter Bauer einen Unteroffizier der Roten Armee an.35 Andererseits wurde von der Militärkommandantur Baden unter Oberstleutnant Taubin im Juli 1945 eine Bande festgenommen, deren Mitglieder unter Erweckung des Anscheins, Angehörige der Roten Armee zu sein, Plünderungen in Dörfern vornahmen und auf diese Weise mit ihren Handlungen die Rote Armee in Verruf brachten und unter der lokalen Bevölkerung Unmut über diese hervorriefen. 36 Im Dezember 1945 kam die Kriminalpolizei des 10., in der Sowjetzone gelegenen Wiener Gemeindebezirkes gemeinsam mit dem sowjetischen Bezirks-Militärkomman-

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CAMO, F. 275, op. 356369, d. 2, S. 222. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 46. CAMO, F. 275, op. 356369s, d. 2, S. 226. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 46. Ebd., S. 263. CAMO, F. 275, op. 174769s, d. 2, S. 365-367. CAMO, F. 275, op. 174769s, d. 1, S. 192f. CAMO, F. 275, op. 356369, d. 2, S. 255.

Die Aufgaben der Militärkommandanturen

in der sowjetischen

Besatzungszone

danten, Major Siskin, einer aus 34 Österreichern (darunter auch Polizisten) bestehenden Räuberbande auf die Spur, die in der Folge festgenommen wurde. Im Zuge der Erhebungen wurde festgestellt, dass die Bande unter dem Kriminellen Johann N., geboren 1921, wohnhaft im 10. Bezirk, über 150 Einbrüche in Privatwohnungen, Geschäfte, Lebensmittellager und Werkstätten verübt hatte. Die Kriminalpolizei konnte dieser Bande zumindest 16 Fälle von Raubüberfällen und Einbrüchen nachweisen, für die zuvor sowjetische Soldaten beschuldigt worden waren. 37 Auf der anderen Seite legten aber auch nicht alle sowjetischen Armeeangehörigen ein vorbildliches Verhalten an den Tag. Zur Anzeige kamen Fälle von Marodieren, Gewalttaten und Disziplinarverstößen. Marschall Konev merkte in einem Gespräch mit Karl Renner dazu benachrichtigend und beinahe entschuldigend an: „Wenn es einzelne Vorfälle von Disziplinarverstößen gegeben hat, dann werden der Herr Kanzler und die Herren Minister [Staatssekretäre] als Menschen verstehen, dass solche in einem Krieg nicht zu verhindern sind und es schwierig ist, alles im gesetzlichen Rahmen zu halten. [...] Ich versichere Ihnen nochmals, dass wir einen entschlossenen Kampf gegen Marodieren und die einzelnen Disziplinarverstöße führen." 38 Über dieses aus Sicht der Roten Armee überaus schmerzhafte Thema äußerte sich die KPÖ-Spitzenfunktionärin im ZK, Helene Postranecky, bei einer Versammlung von Frauen in St. Pölten am 13. Oktober 1945 beinahe zynisch: „In diesem verrückten Krieg, den Hitler angefangen hat, haben viele Völker gelitten und mehr als alle anderen die Völker der Sowjetunion. Wir haben den Krieg am eigenen Leib erfahren, und deswegen müssen wir verstehen, dass einige Willkürakte seitens russischer Soldaten, die vier Jahre lang tapfer für die Freiheit und die Unabhängigkeit ihrer Heimat gekämpft haben, die auf ihrem Vormarsch zerstörte Städte, verbrannte Dörfer, von SS-Angehörigen ermordete und misshandelte russische Frauen, Kinder und Greise gesehen haben - diesen Soldaten muss man einige ihrer Willkürakte nachsehen. Die Schuldigen an allem Elend und Leiden, an allen Zerstörungen und Opfern, die Russland zu tragen hatte, sind in erster Linie Hitler und Deutschland. Aber Österreich wird seine Schuld nicht erlassen, weil Österreich gegen Russland gekämpft hat. Das darf man nicht vergessen, wir sind schuldig und haben dafür Verantwortung zu tragen." 39 Vom sowjetischen Oberkommando wurden entschlossene Maßnahmen zur Unterbindung von Übergriffen und ungebührendem Verhalten sowjetischer Soldaten gegenüber der österreichischen Zivilbevölkerung ergriffen. Derartiger Vergehen überführte Armeeangehörige wurden vor Gericht gestellt und außer Landes gebracht. Wurden in den Monaten Februar bis April 1955 von Militärtribunalen der CGV 43 Armeeangehörige verurteilt, so lag ihre Zahl in den Monaten Mai bis Juli bereits bei 70. In den

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CAMO, F. 275, op. 174769, d. 1,S. 181-183. Abgedruckt in: Kamer-Stelzl-Marx-Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 90. CAMO, F. 275, op. 353761, d. 1, S. 864f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 44. CAMO, F. 275, op. 174769s, d. 2, S. 250-252.

Valerij Vartanov genannten Zeiträumen wurden in den militärischen Einheiten 13 bzw. 19 öffentliche Gerichtsprozesse abgehalten. 650 Soldaten und Unteroffiziere sowie 49 Offiziere wurden auf Grund schwerster Disziplinarverstöße in Militärbezirke der UdSSR abgeschoben.40 Der österreichischen Bevölkerung blieb die Ahndung dieser Vergehen weitgehend unbekannt. Ein Gefühl der Ohnmacht und der Wehrlosigkeit hatte sich entwickelt. Übersetzung aus dem Russischen: Arno Wonisch

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CAMO, F. 275, op. 140920s, d. 7, S. 3. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 187.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich Struktur und Organisation

Ein weithin sichtbares Symbol für die Teilung und Fremdverwaltung Österreichs seit der Befreiung und Besetzung des Landes durch die Alliierten stellten einerseits die in den jeweiligen Zonen vorhandenen ausländischen Truppen und anderen Organe der Besatzungsmächte, andererseits die von allen vier Besatzungsmächten gemeinsam durchgeführte alliierte Kontrolle und Verwaltung in Form des Alliierten Rates dar. Bemerkenswert erscheint, dass alle vier Großmächte in Wien - im Unterschied zu Berlin - von Beginn an ihren Willen zur Zusammenarbeit bekundeten und dass diese Kommission selbst in den heißesten Phasen des frühen Kalten Krieges immer funktionstüchtig blieb. Im Mittelpunkt dieses Beitrages steht der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich (SCSK) bzw. dessen Nachfolger, wobei hier erstmals ein Überblick über seine Gründung, die innere Struktur und deren Wandel im Laufe der zehnjährigen Besatzung Österreichs, sowjetische Einschätzungen und vor allem auch Kritik an seiner Tätigkeit, einige Schwierigkeiten, mit denen sich die Mitarbeiter der SCSK vor Ort konfrontiert sahen, und die Auflösung 1955 als Folge des österreichischen Staatsvertrages gegeben wird. Auch auf Fragen der Kompetenzüberschneidungen mit der sowjetischen militärischen Verwaltung in Österreich wird eingegangen. Bezüglich weiterer Teile des sowjetischen Besatzungsapparates, insbesondere der Truppen des NKVD und der Aufgaben der Militärkommandanturen, sei an dieser Stelle auf die Beiträge von Nikita Petrov, Natal'ja Eliseeva und Valerij Vartanov in diesem Band verwiesen. Das alliierte Kontrollsystem in Österreich Ab dem 14. Jänner 1944 trat die Europäische Beratungskommission in London zusammen, deren Ziel in einer gemeinsamen Ausarbeitung einer Nachkriegsordnung für Österreich und Deutschland bestand und die das ausschlaggebende Instrument für die alliierten Planungen für diese beiden Länder war. In Bezug auf Österreich standen die politische, administrative und wirtschaftliche Kontrolle der Alliierten sowie die Auftei-

Harald Knoll - Barbara

Stelzl-Marx

lung des Landes auf die verschiedenen Armeen, also die Einteilung in Besatzungszonen, im Vordergrund. Allerdings stand im Frühjahr 1945 - im Gegensatz zu Deutschland 1 - ein Abkommen über die Besatzungszonen und den Kontrollmechanismus in Österreich noch aus. Erst am 9. Juli 1945, rund drei Monate nach dem Einmarsch der alliierten Truppen in Österreich und etwa zwei Monate nach der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, erfolgte die Unterzeichnung des „Zonenabkommens" 2 , das die endgültige Aufteilung Österreichs in vier Besatzungszonen sowie die Verwaltung Wiens festlegte.3 Funktion und Organisation der alliierten Kontrolle in Österreich wurden am 4. Juli 1945 von den Vertretern der vier Alliierten im Abkommen über die Alliierte Kontrolle in Österreich (später als so genanntes „Erstes Kontrollabkommen" bekannt) fixiert. 4 Es sah die Errichtung eines alliierten Kontrollsystems in Form der Alliierten Kommission vor, „das in Österreich bis zur Errichtung einer frei gewählten, von den vier Mächten anerkannten österreichischen Regierung funktionieren" werde. Demgemäß bestanden die Hauptaufgaben darin, die Trennung Österreichs von Deutschland zu verwirklichen, so rasch wie möglich eine österreichische Zentralverwaltung zu errichten, freie Wahlen vorzubereiten und bis dahin die Verwaltung Österreichs sicherzustellen.

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Bezüglich der Festlegung der Zonengrenzen bestand ein erheblicher Unterschied zwischen der Situation in Österreich und Deutschland, denn bereits am 12. September 1944 erfolgte die Unterzeichnung des Zonenabkommens für Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen akkordierten Beschluss über die Errichtung von Besatzungszonen in Österreich. Und am 14. November 1944 wurde die „Vereinbarung über den Kontrollapparat in Deutschland" von den drei EAC-Delegationen unterzeichnet und zusammen mit dem Zonenprotokoll von den Regierungen bis zur Konferenz von Jalta gebilligt. Vgl. dazu insbesondere: Gunther Mai, Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland 1945-1948. Alliierte Einheit - deutsche Teilung? München 1995, S. 27; Gunther Mai, Alliierter Kontrollrat, in: Wolfgang Benz (Hg.), Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/55. Ein Handbuch, Berlin 1999, S. 230-234; Jan Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 19451949. Struktur und Funktion. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Bd. 44. Berlin 1999, S. 435-439; Ernst Deuerlein, Die Einheit Deutschlands. Frankfurt a. M. - Berlin 1957, S. 51 ff.; Manfried Rauchensteiner, Die Wiener Interalliierte Kommandantur 1945-1955, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Bd. 34. 1978, S. 398^100, hier: S. 392.

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Abkommen, betreffend die Besatzungszonen und die Verwaltung der Stadt Wien, vom 9. Juli 1945. Abgedruckt u. a. in: Stephan Verosta (Hg.), Die internationale Stellung Österreichs 1938 bis 1947. Eine Sammlung von Erklärungen und Verträgen aus den Jahren 1938 bis 1947. Wien 1947, und in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 66; Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Neuaufl. Graz - Wien - Köln 1995, S. 342f. Katharina Stourzh, Die Wiedererrichtung Österreichs, in: Gerhard Jagschitz - Stefan Karner (Hg.), Menschen nach dem Krieg - Schicksale 1945-1955. Innsbruck 1995, S. 4-7, hier: S. 5. Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit: Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955. Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62. 4., völlig Überarb. u. erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1998, S. 32; Manfried Rauchensteiner, Die Alliierte Kommission für Österreich 1945-1955, in: Stephan Verosta (Hg.), 25 Jahre Staatsvertrag. Symposium, veranstaltet von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in der Zeit vom 12.-19. April 1980 in Moskau. Wien 1981, S. 51-63.

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Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich An der Spitze der Alliierten Kommission stand der Alliierte Rat5, bestehend aus den vier je von einer Besatzungsmacht ernannten Militär- bzw. Hochkommissaren, 6 die zugleich die Oberbefehlshaber der jeweiligen Besatzungstruppen waren. Marschall Ivan Konev wurde als Militärkommissar für die sowjetische Zone, General Mark W. Clark für die amerikanische, Generalleutnant Richard L. McCreery für die britische und General Marie-Emile Bethouart für die französische Zone ernannt.7 Der Alliierte Rat, der mindestens alle zehn Tage zusammentrat8, nur einstimmige Beschlüsse fassen konnte und dessen Vorsitz monatlich wechselte, übte „für die Fragen, die Österreich in seiner Gesamtheit betreffen", die oberste politische Gewalt in Österreich aus.9 Dem Alliierten Rat direkt unterstellt war das ebenfalls viergeteilte Exekutivkomitee, an dessen Spitze die stellvertretenden Militär- und - ab 1946 - Hochkommissare standen. Abgesehen von Sondersitzungen nach Vereinbarung tagte dieses Komitee alle ersten und dritten Freitage des Monats. Eigene, aus Offizieren und Fachbeamten bestehende Abteilungen kümmerten sich um einzelne Sachgebiete wie Inneres, Wirtschaft, Finanzen, Militär, politische Angelegenheiten, Kriegsgefangene und DPs oder etwa Rechtsfragen. 10 Von Interesse ist, dass es darunter auch eine Abteilung für Reparationen gab, die auf sowjetischen Wunsch errichtet worden war. Die Westmächte hatten ihrer Errichtung zugestimmt, obgleich sie mit dieser Zustimmung kein Präjudiz für die tatsächliche Einhebung von Reparationen schaffen wollten." Die Innenstadt Wiens verwaltete die Interalliierte Kommandantur als Teil des für ganz Österreich vorgesehenen alliierten Kontrollsystems. Bestehend aus vier von den jeweiligen Bevollmächtigten ernannten Kommandanten bestand ihre Aufgabe darin,

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Im Gegensatz zu Deutschland, Finnland, Ungarn, Rumänien und Bulgarien, wo Alliierte Kontrollkommissionen eingerichtet wurden, wurde ausschließlich in Österreich eine Alliierte Kommission eingerichtet. Vgl. zu Ersterem etwa: Mai, Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland. Zunächst Militärkommissare, ab 28. Juni 1946 Hochkommissare. Vgl. dazu: Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 117. Klaus Eisterer, Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955, in: Rolf Steininger - Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Vom Weltkrieg bis zur Gegenwart. Bd. 2. Wien - Köln - Weimar 1997, S. 147-216, S. 156. Ein Überblick über die alliierten Militär- und Hochkommissare in Österreich, ihre Stellvertreter und die Stadtkommandanten von Wien 1945 bis 1955 findet sich in: Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 351 f. Nach der ersten offiziellen Sitzung am 11. September 1945 tagte der Alliierte Rat in der Folge zumindest an jedem 10., 20. und 30. des Monats. Ab dem 25. April 1946 tagte der Alliierte Rat alle 2. und 4. Freitage eines Monats. Vgl. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 117. Stourzh, Die Wiedererrichtung Österreichs, S. 6. Der Alliierte Rat existierte bis 1955: Erst nachdem der Staatsvertrag am 7. Juni 1955 vom Nationalrat genehmigt und von den Alliierten ratifiziert worden war, konnte er am 27. Juli 1955 in Kraft treten. An diesem Tag hielt auch der Alliierte Rat seine letzte Sitzung ab und die Alliierte Kommission für Österreich löste sich auf. Mit dem 27. Juli begann auch die 90-tägige Räumungsfrist für den Abzug der Besatzungstruppen aus Österreich, die am 25. Oktober endete. Vgl. Katharina Stourzh, Österreichs Außenpolitik und Neutralität, in: Gerhard Jagschitz - Stefan Kamer (Hg.), Menschen nach dem Krieg. Schicksale 1945-1955, S. 45^49, hier: S. 49. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 117. Die ersten Sitzungen fanden in den jeweiligen Hauptquartieren statt. Mit Ausnahme der Wiener Interalliierten Kommission übersiedelten die Gremien der Alliierten Kommission daraufhin in das Haus der Industrie, Schwarzenbergplatz 43, ab April 1946 in Stalinplatz 1 umbenannt. Vgl. ebd. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 32.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx die Verwaltung der Stadt Wien gemeinsam zu leiten. Auch hier übernahm jeder der Kommandanten in seiner Eigenschaft als Hauptkommandant turnusmäßig den Vorsitz. Der allgemeinen Leitung des Alliierten Rates unterstellt, erhielt sie ihre Weisungen auf dem Weg über das Exekutivkomitee. Die Wiener Interalliierte Kommandantur war im Justizpalast untergebracht und übersiedelte erst 1953 in das Hauptgebäude der Alliierten Kommission am Stalinplatz 1, vormals Schwarzenbergplatz. 12 Weltweit einmalig war auch die Interalliierte Militärpatrouille, die, aus je einem Vertreter der Alliierten bestehend, den ersten Wiener Gemeindebezirk und die vier Besatzungszonen Wiens kontrollierte. Insgesamt versahen zehn Streifenfahrzeuge täglich den Dienst, wobei jeder der vier Zonen ein Wagen zugewiesen war, ein weiterer den ersten Bezirk kontrollierte und fünf in Bereitschaft standen. Neben der Unterstützung der Wiener Polizei bestand ihre Hauptaufgabe darin, bei Bedarf gegen Angehörige der Besatzungsmächte einzuschreiten, wozu die Wiener Polizei nämlich nicht berechtigt war. Da die amerikanische Besatzungsmacht die Fahrzeuge bereitstellte, wurden sie auch in deren Quartier in der Stiftskaserne untergebracht. Obwohl lediglich in den ersten Monaten der Besatzung ein Jeep und bereits seit 1946 ein Dodge-Militärgeländewagen und ab März 1953 eine Chevrolet-Limousine zum Einsatz kamen, entstand der bis heute tradierte Topos der „Vier im Jeep". Gänzlich unbekannt sind hingegen die sowjetischen GAZ Pobeda, die ab 1951 als Fahrzeuge der Internationalen Militärpatrouille eingesetzt wurden.' 3 Zusätzlich zu dieser Interalliierten Militärpatrouille verfügte jede der vier Mächte in ihrem Bereich über eine eigene Militärpolizei, die jedoch nur in der jeweiligen Zone tätig werden durfte. 14 Als Vorbild für die Bildung der Alliierten Kommission diente die bereits im November 1944 angenommene „Vereinbarung über den Kontrollapparat in Deutschland". Doch sollte das Abkommen vom 4. Juli 1945 nur bis zur Errichtung einer frei gewählten, von den vier Mächten anerkannten österreichischen Regierung wirksam sein. Die vier Mächte behielten sich allerdings vor, zu einem späteren Zeitpunkt ein neues Abkommen abzuschließen, das „die Art und den Umfang der Weisungen und Ratschläge" festsetzen würde, „welche die Alliierten Österreich nach der Errichtung einer frei gewählten und von den vier Mächten anerkannten österreichischen Regierung geben müssen". Nun hatten die Westalliierten die Schnelligkeit unterschätzt, mit der im April 1945 unter aktiver Mithilfe der sowjetischen Besatzungsmacht die Provisorische Osterreichische Staatsregierung unter Karl Renner zustande gekommen war. Während noch in London verhandelt wurde, gelang es der Provisorischen Staatsregierung, erstaunlich rasch sowohl die österreichische Staatsverwaltung wieder in Gang zu bringen als auch ein großes Programm an Gesetzgebungen zu realisieren. Die westlichen Alliierten hingegen, die zunächst die Einsetzung einer viergliedrigen alliierten Kommission in Wien sowie 12 13 14

Rauchensteiner, Die Wiener Interalliierte Kommandantur, S. 396. Vgl. dazu den Beitrag von Wolfram Domik, Besatzungsalltag in Wien. Die Differenziertheit von Erlebniswelten, in diesem Band. Rauchensteiner, Die Wiener Interalliierte Kommandantur, S. 417f.; Karl Fischer, Die Vier im Jeep. Katalog zur Kleinausstellung des Wiener Stadt- und Landesarchivs „Die vier im Jeep". Wiener Geschichtsblätter. Beiheft 1985/1. Wien 1985, S. 3.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich die Befreiung ganz Österreichs abwarten wollten, lehnten die Provisorische Österreichische Regierung schlichtweg ab. Schließlich befürchteten sie, dass die Sowjets - wie bereits zuvor in Bulgarien, Polen, Rumänien und Ungarn - durch ihren Alleingang bei der Regierungsbildung nun auch in Österreich eine Marionettenregierung Stalins installiert hätten. Als Indiz dafür wurde auch gesehen, dass die Kontrolle der Staatspolizei in den Händen der Kommunisten lag. Allein die Fotos der Angelobung vom 29. April 1945, die Staatskanzler Renner Seite an Seite mit sowjetischen Militärs vor dem Wiener Parlament zeigen, trugen nicht unbedingt dazu bei, dass Misstrauen unter den Westmächten gegenüber der Provisorischen Regierung zu zerstreuen. Die Autorität dieses für die Sowjets „gesamtösterreichischen" Ansprechpartners erstreckte sich somit vorerst nur auf den sowjetisch besetzten Teil Österreichs. Selbst drei Monate nach ihrer Einsetzung wusste die Zentralregierung in Wien beinahe nichts von den Verhältnissen in den westlich besetzten Ländern und hatte dort keinen Einfluss. Der „schlaue Staatskanzler" 15 , der energisch seine Anliegen vorbrachte und aus sich keine Marionette machen ließ, fühlte sich vom Westen aber geradezu als Aussätziger behandelt. Als der Alliierte Rat erstmals am 11. September 1945 in Wien zusammentrat und die Verwaltung („die höchste Gewalt") des österreichischen Staatsgebietes übernahm, erwähnte er in seiner Proklamation an das österreichische Volk die Provisorische Staatsregierung mit keinem Wort.16 Erst die von Renner einberufene gesamtösterreichische Länderkonferenz vom 24. bis 26. September 1945 ebnete den Weg zur Verständigung: Einerseits erfolgte eine Erweiterung der Regierung durch Mitglieder aus den westlichen Bundesländern, andererseits wurden gesamtösterreichische Wahlen für den 25. November 1945 anberaumt. Nicht nur die Österreicher, auch die Alliierten hatten an die Länderkonferenz gewisse Hoffnungen geknüpft. Den Briten dürfte es schon vorher klar geworden sein, dass kein Sturz der Regierung zu erwarten wäre, und betonten daraufhin, dass es sich bei dieser Regierungsumbildung um eine Regierungsneubildung, eine Regierung Renner II, handelte, wodurch sie gewissermaßen ihr Gesicht wahren konnten.17 Auf Grund der Ergebnisse der Länderkonferenz billigte der Alliierte Rat die Vorschläge und empfahl am 1. Oktober 1945 eine Ausdehnung der Befugnisse der Staatsregierung auf ganz Österreich.18 Diese Anerkennung erfolgte am 20. Oktober 1945. An diesem Tag wurde Renner erstmals vom 15 16 17

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Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien 1994, S. 403. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 33. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 124f.; vgl. dazu den Beitrag von Stefan Karner - Peter Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle. Zur Regierungsbildung in Österreich 1945, in diesem Band. Vgl. dazu auch die weiter unten zitierte Einschätzung des sowjetischen Politberaters Michail Koptelov in: AVPRF, F. 066, op. 25, p.l 18a, d. 2, S. 49f. Handschriftlicher Brief Koptelovs an Smimov. Wien 27.9.1945. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 50. Reinhard Bollmus, Staatliche Einheit trotz Zonentrennung. Zur Politik des Staatskanzlers Karl Renner gegenüber den Besatzungsmächten in Österreich im Jahre 1945, in: Ulrich Engelhardt - Volker Sellin - Horst Stuke (Hg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt. Stuttgart 1976, S. 677-712, hier: S. 711.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Alliierten Rat empfangen, wo ihm General Richard L. McCreery, der turnusmäßig den Vorsitz führte, ein Memorandum des Alliierten Rates übergab, das die formelle Zustimmung zur Ausdehnung der Kompetenz seiner Regierung auf das gesamte Bundesgebiet enthielt. Allerdings handelte es sich hierbei um eine De-facto- und nicht um eine Dejure-Anerkennung, da die höchsten Entscheidungsbefugnisse vorerst bei den vier Oberkommandieren im Alliierten Rat blieben.19 Mit der Anerkennung der Regierung begann eine acht Monate dauernde „Periode der totalen Kontrolle": Nach der Phase einer relativen Autonomie der Provisorischen Regierung und vor der Begrenzung der Eingriffskompetenz des Alliierten Rates im Zweiten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 lag eine Phase der schrankenlosen Kompetenz der Alliierten unter dem Ersten Kontrollabkommen vom 4. Juli 1945, bürokratischer Schwerfälligkeit der eben erst voll angelaufenen alliierten Kontrollmaschinerie und der Ausweitung der Regierungszuständigkeit auf ganz Österreich. 20 Auf Initiative der Briten wurden die Vorarbeiten für ein neues Kontrollabkommen aufgenommen, das die Kompetenzen der österreichischen Regierung zwar beträchtlich erweiterte, aber keineswegs die Souveränität Österreichs wiederherstellte. Als Resultat des Zweiten Kontrollabkommens vom 28. Juni 1946 wurden den Besatzungsbehörden zahlreiche Kompetenzen entzogen und neue Arbeitsmethoden vorgeschrieben. Dies hatte nicht nur eine Verkleinerung der Militärregierung zur Folge, sondern auch das Zugeständnis an die Österreicher, Gesetze - mit Ausnahme von Verfassungsgesetzen - zu verabschieden bzw. einfache legislative Maßnahmen zu setzen. Fortan traten diese automatisch in Kraft, sofern der Alliierte Rat nicht binnen 31 Tagen nach Einlangen bei der Alliierten Kommission einstimmig Einspruch erhob.21 Der österreichischen Regierung wurde zudem gestattet, „diplomatische und konsularische Beziehungen mit den Regierungen der Vereinten Nationen aufzunehmen". 22 Besonders ausschlaggebend für die erweiterte Souveränität Österreichs war aber auch die Aufhebung der Beschränkungen im Zonenverkehr, wenngleich die alliierte Kontrolle - vorerst - bestehen blieb. Der Text des neuen Kontrollabkommens enthielt zwei Punkte, die vor allem auch sowjetischen Interessen sehr entgegenkamen: Erstens handelte es sich um die Freiheit für jeden der vier Alliierten, bilaterale Abkommen mit Österreich ohne Genehmigungsverfahren im Alliierten Rat abschließen zu können. Zweitens erlaubte das Kontrollabkommen jeder der vier Mächte, die Frage des Deutschen Eigentums selbständig handzuhaben. 23 Wie hinlänglich bekannt ist, führte der auf den 27. Juni 1946, d. h. einen Tag vor der Unterzeichnung des Zweiten Kontrollabkommens, rückdadierte „Befehl Nr. 19

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Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 126; Heribert Friedlmeier - Gerda Mraz, Österreich 1945-1955. Fotos aus dem Archiv des „Wiener Kurier". Wien 1994, S. 15; RGASPI, F. 558, op. 11, d. 97, S. 80-85. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 33f.; Gerald Stourzh, Die Regierung Renner, die Anfänge der Regierung Figl und die Alliierte Kommission für Österreich, September 1945 bis April 1946, in: Archiv für österreichische Geschichte. Bd. 125. 1996, S. 321-342, hier: S. 322. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 50. Zweites Kontrollabkommen, Art. 7. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 72. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 5 0 , 9 5 f .

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission fiir Österreich 17" zu einer großen Bestürzung über seine Folgewirkung - der Einsetzung sowjetischer Verwalter und die Übernahme der Finanzkontrolle durch Institutionen der sowjetischen Besatzungsmacht - und zu einer der schwersten Krisen der Besatzungszeit in Österreich. Mit dem „Befehl Nr. 17" wurden alle in der sowjetischen Zone gelegenen Einrichtungen, die nach sowjetischer Definition als „Deutsches Eigentum" zu betrachten waren, direkt unter sowjetische Verwaltung gestellt. Das Zweite Kontrollabkommen sollte als Grundlage des alliierten Besatzungsregimes in Österreich bis zum 27. Juli 1955, dem Tag des Inkrafttretens des Staatsvertrages und der Auflösung der Alliierten Kommission, dienen. Im Juni 1946 ahnte niemand, dass dieses Abkommen mehr als neun Jahre in Kraft bleiben würde. Es war sogar vorgesehen, innerhalb von sechs Monaten gemeinsame Beratungen zu seiner Abänderung aufzunehmen, was allerdings niemals geschah. 24

Vorbereitungen zur Bildung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission 1945 Als am 29. März 1945 Einheiten der 3. Ukrainischen Front unter Marschall Fedor Tolbuchin die Grenze des Deutschen Reiches bei Klosternmarienberg im Burgenland überschritten, waren die sowjetischen Vorbereitungen für eine militärische Verwaltung Österreichs noch nicht allzu weit gediehen. Das Hauptziel bestand nach wie vor in der Zerschlagung des „Dritten Reiches", der militärischen Niederringung der Deutschen Wehrmacht und der Wiedererrichtung Österreichs in seinen Vorkriegsgrenzen. Im Februar 1945 war der stellvertretende Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten der Sowjetunion, Vladimir Dekanozov, zum Koordinator der Österreich-Politik im Volkskommissariat für auswärtige Angelegenheiten (NKID) ernannt worden. Das Politbüro bestätigte die Ernennung Dekanozovs zum „Politischen Berater für Österreich beim Kommandanten der 3. Ukrainischen Front" am 7. April 1945 und ernannte zugleich Andrej Smirnov zu seinem Stellvertreter. 25 Im März 1945 arbeitete die von Andrej Smirnov geleitete 3. Europäische Abteilung des NKID die ersten Richtlinien für den Aufbau einer Verwaltung in Österreich und die Aufgaben der Kommandos der 2. und 3. Ukrainischen Front aus. Im ihrem Bericht „Über Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Vormarsch der Roten Armee auf das Gebiet Österreichs" wurde als erster Punkt die Herausgabe einer speziellen Verordnung des Staatlichen Verteidigungskomitees, GOKO, zu Österreich als „unbedingt notwendig" erachtet, worin die Richtlinien betreffend das Verhalten der sowjetischen Truppen in Österreich und die Aufgaben der Kommandos der 2. und 3. Ukrainischen Front, „die aus dem Faktum der Besetzung österreichischen Staatsgebietes resultieren", festzulegen

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Ebd., S. 48. RGASPI, F. 1 7 . o p . 3 , d . 1052, S. 24. Politbürobeschluss P45(108) v. 7.4.1945. Wolfgang Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. Die Errichtung der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich von 1945 bis 1946 im Spiegel ihrer Lageberichte. Phil. DA. Wien 1998, S. 71 f.; Wolfgang Mueller, Sowjetbesatzung, Nationale Front und der „friedliche Übergang zum Sozialismus": Fragmente sowjetischer Österreich-Planung 1945-1955, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA. 2003/50, S. 133-156, S. 271-297, hier: 143f.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx waren. Dies schloss auch die Aufgaben der Frontkommandos hinsichtlich der Organisation einer österreichischen Zivilverwaltung und die Ernennung von Bürgermeistern ein. Als Folge ordnete die Stavka des Oberkommandos den Oberbefehlshabern der Truppen der 2. und 3. Ukrainischen Front am 2. April 1945 an, entsprechende Aufrufe an die Bevölkerung Österreichs zu richten26, woraufhin Anfang April die Befehle Nr. 1 und Nr. 2 der Ortskommandanten und der Aufruf des Oberbefehlshabers der 3. Ukrainischen Front, Fedor Tolbuchins, „An die Bevölkerung Österreichs" herausgegeben wurden.27 Aus Punkt 2 geht hervor, dass die gesamte Macht in Österreich bis zum Zeitpunkt der Kapitulation Deutschlands in den Händen der Kommandierenden jener Front liegen müsse, deren Truppen das Gebiet eingenommen hätten. Die Organisation und Kontrolle bei der Errichtung einer österreichischen Zivilverwaltung war einem speziell ausgewählten Mitglied des Kriegsrates der Front zu übertragen.28 Mit dieser Funktion wurde Generaloberst Aleksej Zeltov als höchster Politoffizier des Sowjetkommandos und Mitglied des Kriegsrates der 3. Ukrainischen Front betraut, der zu einer der Schlüsselfiguren in der sowjetischen Österreichpolitik werden sollte und bis Juli 1950 stellvertretender Hochkommissar war.29 Abschließend hieß es: „Nach der Kapitulation Deutschlands ist auf österreichischem Staatsgebiet eine gemeinsame Alliierte Kontrolle herzustellen. Was die gemischte Alliierte Kontrolle in Wien betrifft, so kann eine solche auch nach der Kapitulation Deutschlands, keinesfalls jedoch vor der vollständigen Befreiung Österreichs eingesetzt werden."30 Bemerkenswert erscheint, dass in diesem Maßnahmepapier neben dem Aufbau einer österreichischen Zivilverwaltung und der Installierung einer gemeinsamen Alliierten Kontrolle die Reparationen im Vordergrund standen. Die ökonomische Ausbeutung Österreichs stand als sowjetisches Nachkriegsziel spätestens seit 1944 fest und wurde in der Folge auch konsequent umgesetzt. Dabei standen ausschließlich nationale sowjetische Reparationsinteressen31 und die Wiedererrichtung der vom Zweiten Weltkrieg besonders stark in Mitleidenschaft gezogenen sowjetischen Wirtschaft im Vordergrund32

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CAMO, F. 148a, op. 3763, d. 212, S. lOf. Zit. nach: Russkij archiv. Velikaja Otecestvennaja. Stavka VKG. Dokumenty i materialy 1944-1945. Bd. 16 (5-4). Moskau 1999, S. 221 f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 8; Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 45f; Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich '45. Wien 1995, S. 491. Abgedruckt u. a. in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokumente Nr. 10, 11 und 16. Vgl. dazu auch: Mueller, Sowjetbesatzung, S. 149f. CAMO, F. 148a, op. 3763, d. 212, S. lOf. Rauchensteiner, Sonderfall, S. 71; Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. S. 44; Mueller, Sowjetbesatzung, S. 150. AVP RF, F. 66, op. 23, p. 24, d. 8, S. 20f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 6. Alexej M. Filitov, Österreich, die Deutsche Frage und die sowjetische Diplomatie (40-50er Jahre des 20. Jhs.), in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA 2003/50, S. 123-132. Bekanntlicherweise ging es der sowjetischen Wirtschaft nicht besser als jener der Verlierer des Krieges. Das Land war als Folge des Zweiten Weltkrieges verwüstet, die Industrie und Infrastruktur weitgehend zerstört. 1946 und 1947 gingen als Hungerjahre in die sowjetische Geschichte ein. Während die US-Wirtschaft durch den Krieg boomte und in ihrem eigenen Land kaum vom Kriegsgeschehen betroffen war, hatte die UdSSR die größten Opfer an Menschenleben aller Alliierten zu verzeichnen.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich und nicht etwa die Destabilisierung des Landes oder die schleichende Einführung eines kommunistischen Systems. Für Österreich sollte diese Exploitationspolitik allerdings die Demontage unzähliger Betriebe in der sowjetischen Zone und ein zunehmendes Auseinandertriften der westlichen und östlichen Zone in wirtschaftlicher Hinsicht bedeuten. Beinahe zeitgleich mit dem Zusammentreten der Provisorischen Österreichischen Staatsregierung unter Karl Renner und der Proklamation der „Wiederherstellung der Republik Österreich" sandten der Politberater der 3. Ukrainischen Front Evgenij Kiselev und Ivan Lavrov, Adjutant der 3. Europäischen Abteilung im NKID und späterer Leiter der militärischen Abteilung der SCSK, einen Entwurf einer Verordnung des Rates der Volkskommissare (SNK) über die Bildung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich an Vysinskij und Dekanozov. Dieser war im Großen und Ganzen auf der Grundlage des Entwurfes von Marschall Tolbuchin und unter der Berücksichtigung der Vorschläge von Dekanozov und Smirnov erstellt worden. (Tolbuchin, Zeltov und Koptelov hatten Dekanozov u. a. am 21. April 1945 den Entwurf für eine Verordnung des SNK über die Bildung der SCSK und den vorläufigen Personalstand des Sowjetischen Teils vom „Kontrollmechanismus" in Österreich vorgelegt, der gegenüber vorherigen Vorschlägen zwei zusätzliche, „äußerst notwendige" Abteilungen - Verbindungs- und eine Sanitätsabteilung - enthielt. 33 ) Zugleich präsentierten Kiselev und Lavrov auch den Entwurf einer SNK-Verordnung über die Führungsriege der SCSK. Die Entwürfe fanden aber keine volle Zustimmung. Am 11. Mai legten Lavrov und G. Poljakov, Erster Referent der 3. Europäischen Abteilung des NKID, einen neuerlichen, überarbeiteten Entwurf vor. Vor allem der geplante Personalstand war auf Anweisung Vysinskijs und Dekanozovs von 579 auf 325 Mitarbeiter verkleinert worden. Dekanozov bemerkte darauf handschriftlich: „Genösse Lavrov! Holen Sie bei Genossen Vysinskij so schnell wie möglich eine Erkundigung bezüglich des Themas ein, andernfalls verlieren wir Zeit!" 34 Die Zeit drängte tatsächlich, denn schließlich hatte Deutschland längst offiziell kapituliert und Österreich war sechsfach besetzt. Das NKID beschäftigte sich nun beinahe täglich mit der personellen Zusammensetzung, Struktur und der Aufgabenverteilung der SCSK. 35 Der stellvertretende politische Berater beim Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen Front, Michail Koptelov, verwies darauf, dass keine „sperrige und umständliche Kontrollkommission oder ein Kontrollmechanismus" zu bilden wären, sondern ein „Alliierter Rat für Österreich, bestehend aus gleichberechtigten Vertretern der vier Mächte mit Sitz in Wien", der die Kontrollfunktion über die Durchführung der gemeinsamen

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1945 war die Sowjetunion ein armes Land, dessen Lebenshaltung sicher noch geringer war als jene in dem von ihr besetzten Ostösterreich. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 1, 7 - 1 7 ; Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 72. AVPRF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 19f. Abgedruckt in: Karner-Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 60. AVPRF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 20-30.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Beschlüsse obliegen würde.36 Die Aufgabe des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission liege - so der Entwurf einer Verordnung über die SCSK vom 28. Mai 1945 - in der Sicherstellung der Verwaltung Österreichs und in der Wahrnehmung der Kontrolle der Tätigkeiten der österreichischen Behörden in der sowjetischen Besatzungszone während der gesamten Zeit der Besetzung Österreichs durch alliierte Truppen. Weiters wurde festgelegt: - Dem Militärkommissar bzw. seinem Stellvertreter obliege die Teilnahme an den Sitzungen und Beratungen des Alliierten Rates und - alternierend mit den amerikanischen, britischen und französischen Militärkommissaren - die Ausübung des Vorsitzes sowie die Fassung von Beschlüssen gemäß den Weisungen der Sowjetischen Regierung. - Der Stellvertreter des Sowjetischen Militärkommissars ist Mitglied des Exekutivkomitees der Alliierten Kommission, an deren Wirken er sich mit gleichen Rechten wie die übrigen Mitglieder beteiligt, wobei er die Direktiven des Sowjetischen Militärkommissars umsetzt. - Die Abteilungen des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission unterstehen dem Sowjetischen Militärkommissar und seinem Stellvertreter. - Der Sowjetische Militärkommissar verfügt zur Durchführung der Kontrollkommission vor Ort über eigene Bevollmächtigte in den Bundesländern, Bezirken, Häfen und den wichtigsten Betrieben in der sowjetischen Zone. - Und schließlich: Die Kommunikation mit den österreichischen Regierungsorganen ist Sache des Militärkommissars, seines Stellvertreters, des Politischen Beraters und anderer Vertreter des Militärkommissars entsprechend ihrer Bevollmächtigung. In den Bundesländern und Bezirken gibt es zu diesem Zweck spezielle Bevollmächtigte.37 Im Juni lag ein bereits weit gediehener Entwurf des SNK-Beschlusses „Über die Bildung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich" vor, der Tolbuchin als Militärkommissar, Generalmajor Dmitrij Sepilov als dessen Stellvertreter und als Mitglieder des Exekutivkomitees der Alliierten Kommission Generalleutnant Stepan Morozov als Stabschef, Evgenij Kiselev als politischen Berater und Koptelov als dessen Stellvertreter vorsah.38 Der Personalstand sollte - wie bereits im Mai vorgesehen - 325 Personen umfassen, davon 272 Armeeangehörige und 53 Zivilbedienstete.39 Tolbuchin hatte Morozov in der Funktion des Stellvertretenden Militärkommissars am 22. Mai ins Rennen gebracht.40 Noch am selben Tag hatte Dekanozov den Stellvertretenden Volkskommissar für Verteidigung, Nikolaj Bulganin, und Generaloberst Filipp Golikov, Leiter der Hauptverwaltung für Kader des Völkskommissariats für Verteidigung (NKO) 36 37 38 39 40

AVPRF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 3f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 62. AVPRF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 69-71. Ebd., S. 33-37. Ebd. Ebd., S. 25.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission fiir Österreich um ihren Rat bezüglich der Besetzung des Postens mit Morozov bzw. Zeltov gebeten.41 Zwei Tage später, am 24. Mai, beurteilte Generaloberst Filipp Golikov diesen Vorschlag gegenüber Dekanzov positiv und stärkte dadurch Morozov.42 Allerdings sprach sich Kiselev am 23. Juni 1945 gegen Tolbuchins Kandidaten Morozov aus und schlug stattdessen Zeltov vor, der „mit der politischen Situation Österreichs gut vertraut wäre". 43 Er bat den stellvertretenden Volkskommissar Vysinskij, die Kandidatur Zeltovs als Stellvertretenden Militärkommissar für Österreich zu unterstützen. Wie er gehört hätte, läge die Entscheidung darüber nach wie vor in den Händen Bulganins, wobei es eine Übereinkunft über Morozov gäbe, der sich bereits in Wien befände. Auf der anderen Seite hätten Bulganin und Konev die Kandidatur Zeltovs besprochen, ohne dabei zu einer Entscheidung gekommen zu sein. Aber eine Unterstützung durch Vysinskij würde „die Frage nicht nur verkürzen, sondern auch entscheiden". 44 Kiselevs Intervention hatte offensichtlich Erfolg, denn Zeltov sollte bis Juli 1950 stellvertretender Hochkommissar in Österreich bleiben. Sie ist auch ein Ausdruck für das Vertrauen, das Kiselev bei Vysinskij genoss, und seine einflussreiche Stellung. (Kiselev war von 1945 bis 1948 politischer Berater des sowjetischen Hochkommissars in Österreich und wurde 1946 außerdem zum politischen Vertreter der UdSSR bei der österreichischen Regierung ernannt. Die Doppelfunktion zeugt davon, dass er in Moskau als der am besten geeignete Politiker und Diplomat erachtet wurde.45) Generalleutnant Morozov, auf dem das Völkskommissariat für Verteidigung anscheinend beharrt hatte, bekam stattdessen den Posten des Stabschefs der SCSK, den er bis 1948 innehaben sollte.46

Gründung und Organisation der SCSK Nach dieser mehrmonatigen Planungsphase und Differenzen bezüglich der genannten Personalentscheidungen fiel schließlich in Moskau am 4. Juli 1945, zeitgleich mit der Verabschiedung des Ersten Kontrollabkommens, die offizielle Entscheidung zur Bildung der SCSK: Per Beschluss des Rates der Völkskommissare der UdSSR Nr. 1553-355s war mit 15. Juli 1945 ein „sowjetischer Kontrollapparat" bei der Alliierten Kommission für Österreich einzurichten, der die Verwaltung Österreichs und die Kontrolle über die Tä-

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Ebd., S. 26. Ebd., S. 25. Ebd., d. 15, S. 41. Vgl. dazu auch Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. S. 72. Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 72f. Vgl. dazu den Beitrag von Ol'ga Pavlenko, Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie 1945, in diesem Band. Ein genaues Verzeichnis der führenden Mitarbeiter des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission aus 1948 befindet sich in: RGASPI, F. 17, op. 127, d. 1720, S. 80f. Abgedruckt in: Karner - StelzlMarx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 74. Angaben der Personalabteilung der S C S K über die Zahl der Familienmitglieder der militärischen und zivilen Bediensteten des S o w jetischen Teils der Alliierten Kommission für 1948 finden sich in: RGASPI, F. 17, op. 127, d. 1720, S. 84. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 10.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx tigkeit der österreichischen Behörden sicherstellen sollte. Als Militärkommissar wurde Marschall Ivan Konev (statt Tolbuchin), als dessen Stellvertreter Generalmajor Aleksej Zeltov (statt Sepilov), zum Stabschef - wie bereits im Juni vorgesehen - Generalleutnant Morozov, zum politischen Berater Evgenij Kiselev sowie zu dessen Stellvertreter Michail Koptelov eingesetzt. Der Personalstand wurde mit 343 Personen fixiert, davon 284 Armeeangehörige und 59 Zivilbedienstete.47 Koptelov übte die Funktion des ersten Stellvertreters des Politischen Beraters von 1945 bis 1948 aus und war von 1948 bis 1951, nach Kiselevs Abberufung nach Moskau, politischer Vertreter der UdSSR bei der österreichischen Regierung. Wie Ol'ga Pavlenko in ihrem Beitrag zu Recht betont, stellte das Amt des politischen Beraters ein wesentliches Element der sowjetischen Besatzungspolitik in Europa dar. Es handelte sich dabei um eine „zwischenbehördliche Instanz, der die Rolle eines ,Puffers' zwischen Armeenagehörigen, Diplomante, Aufklärungsabteilungen und Organen des NKVD zukam."48 Tab. 1. Sowjetische Militär- und Hochkommissare in Österreich und ihre Stellvertreter 1945-195549 Sowjetische Militär- und Hochkommissare Stellvertretende sowjetische Militär- und Hochkom1945-1955 missare 1 9 4 5 - 1 9 5 5 Marschall Ivan Konev 9/1945—4/1946

Generaloberst Aleksej Zeltov 9/1945-7/1950

General Vladimir Kurasov 5/1946-4/1949

Generalmajor Georgij Cinev 7/1950-8/1951

Generalleutnant Vladimir Sviridov 5/1949-6/1953

Generalmajor Viktor Kraskevic 9/1951-6/1953

Gesandter Ivan Il'icev 7/1953-7/1955

Gesandter Sergej Kudrjavcev 7/1953-7/1955

Konev, der erste sowjetische Militärkommissar in Österreich, war zugleich Oberbefehlshaber der Zentralen Gruppe der Streitkräfte, die mit Befehl der Stavka des Oberkommandos Nr. 11096 vom 29. Mai 1945 aus der 1. Ukrainischen Front hervorgegangen war und ihren Stab in Baden bei Wien hatte.50 Zur CGV gehörten damals neben Österreich noch Ungarn und die Tschechoslowakei, wobei die westliche Grenze - die Armeen der Alliierten, die nördliche - die Grenze zwischen der Tschechoslowakei und der SBZ und die südliche - die Grenze Österreichs mit Ungarn und Jugoslawien bildete.51 Mit der 47 48 49 50

51

AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 51-55. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 63. Vgl. den Beitrag von Ol'ga Pavlenko, Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie 1945, in diesem Band. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 351; RGASPI, F. 17, op. 127, d. 1720, S. 80f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 74. CAMO, F. 148a, op. 3763, d. 213, S. 129-132. Zit. nach: V. A. Zolotarev u. a. (Hg.), Bitva za Berlin (Krasnaja Armija ν poverzdennoj Germanii). Russkij Archiv. Velikaja Otecestvennaja. Bd. 15 (4—5). Moskau 1995, S. 421^122. CAMO, F. 3, op. 1156, d. 18, S. 156-159. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 61.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Osterreich Übernahme des Kommandos ging auch ein Wechsel der Truppen einher: Die Truppen der 2. und 3. Ukrainischen Front wurden teilweise abgezogen; im südlichen Burgenland verblieb die ursprünglich zur 3. Ukrainischen Front gehörende 4. Garde-Armee, die gemeinsam mit der 5. Garde-Armee die 40. Armee der 2. Ukrainischen Front und die 26. und 57. Armee der 3. Ukrainischen Front an ihren Standorten ablöste. 52 Von der 2. Ukrainischen Front wurden u. a. die 7. und 9. Garde-Armee, die 40. Armee und die 1. Rumänische Armee „an Ort und Stelle" in die CGV aufgenommen, deren zentraler Stab sich in Baden bei Wien befand. 53 Nach der Ernennung Konevs zum Oberkommandierenden der sowjetischen Landstreitkräfte 1946 übernahm Generaloberst Vladimir Kurasov im Mai 1946 dessen Funktion als Oberbefehlshaber der CGV in Baden und als sowjetischer Militärkommissar in Österreich. Kurasov galt als hochqualifizierter und erfahrener Heerführer, der unmittelbar nach Kriegsende zunächst als Stabschef der Sowjetischen Militär-Administration in Deutschland, SVAG, eingesetzt gewesen war. In diesem Zusammenhang sei auch darauf verwiesen, dass im März 1946 die „Rote Arbeiter- und Bauernarmee" (RKKA), die de facto seit 1936 nur noch als „Rote Armee" bezeichnet worden war, in „Sowjetische Armee" umbenannt wurde. 54 Kurasov folgte von 1950 bis 1953 Generalleutnant Vladimir Sviridov als Hochkommissar, ebenfalls ein erfahrener Kommandeur an verschiedenen Fronten. Im Juli 1953 löste der Gesandte Ivan Il'icev Generalleutnant Sviridov als Hochkommissar ab. Erstmals wurde somit die Funktion des Oberbefehlshabers der CGV von jener des Hochkommissars in Österreich abgekoppelt. Die Funktion des Oberbefehlshabers der CGV übernahm der Armee-Stabschef Generaloberst Sergej Birjuzov, dem schließlich von 1954 bis 1955 Generaloberst Aleksej Zadov folgte. Gemäß dem genannten Beschluss vom 4. Juli 1945 bestand die SCSK anfänglich neben dem Kommando und dem Stab, zu dem die Stabskanzlei, Personalabteilung, Verbindungsabteilung, Administrativ-wirtschaftliche Abteilung, Wirtschaftsabteilung und u. a. die Vertreter in den Zonen der Alliierten gehörten, die in der folgenden Tabelle angeführten 15 Abteilungen. 55 Das Kommando selbst umfasste den Militärkommissar, dessen Stellvertreter, den Politischen Berater für Österreich, den Assistenten des Militärkommissars, drei Adjutanten und einen Übersetzer. Auch der Stab bestand aus acht Staabstellen, wobei die ihm zugeordneten neun Abteilungen, die Stabskanzlei, Kommandantur und Vertreter in den Zonen der Alliierten 110 Armeeangehörige und 39 Zivilbedienstete beschäftigten. Dazu gehörten u. a. ein Meteorologe und Fachmann für Großraumwetterlagen ebenso wie Funker, Fahrer, Buchhalter, Köche, Schuster, Schneider, Frisöre, ein Arzt und zwei Krankenschwestern. Der Stab hatte somit den bei weitem größten Personalstand. 56 52 53 54 55 56

Ebd.; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 372f. C A M O , F. 3, op. 1156, d. 18, S. 156-159. Peter Gosztony, Die Rote Armee. Geschichte und Aufbau der sowjetischen Streitkräfte seit 1917. Wien - München - Zürich - New York 1980, S. 310. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 56f. Ebd., S. 58-66.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Tab. 2. Struktur des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission. Juli 194557 I.

Kommando

II.

Stab des Vertreters des Militärkommissars im Exekutivkomitee der Alliierten Kommission für Österreich (Mitglied des Exekutivkomitees)

III.

Politische Abteilung

IV.

Militärische Abteilung

V.

Militärische Abteilung für den Luftraum

VI.

Militärische Abteilung für die Seestreitkräfte

VII.

Wirtschaftsabteilung

VIII.

Abteilung für Innere Angelegenheiten

IX.

Finanzabteilung

X.

Rechtsabteilung

XI.

Abteilung für Reparationen und Ablieferungen

XII.

Abteilung für Arbeitskräfte

XIII.

Abteilung für Kriegsgefangene und DPs

XIV.

Transportabteilung

XV.

Verbindungsabteilung

XVI.

Sanitätsabteilung

XVII. Bevollmächtigte des Vertreters des Militärkommissars in der sowjetischen Besatzungszone (an der Peripherie)

Zum Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission gehörte zudem eine eigene - in diesem Beschluss (noch) nicht angeführte - Geheimdienstabteilung, der im Herbst 1945 Generalmajor Rozanov und ein Jahr später Oberstleutnant Bogdanov als Leiter („nacal'nik Inspekcii SCSK") vorstanden.58 Dieses dürfte direkt dem NKVD/NKGB beziehungsweise ab 1946 dem MVD/MGB-KGB unterstellt gewesen sein. Der Beschluss des SNK regelte zudem genau die Gehälter, Taggelder und sonstigen Bezüge des Personalstandes. Gehälter waren - ungeachtet der Zahlung an die Familien - in „österreichischen Valuta" auszubezahlen, wobei die Zahlung des früheren Gehalts fortgesetzt wurde, sollte eine neue Funktion niedriger eingestuft sein. Dies entsprach im Grunde der Gehaltsregelung für die auf österreichischem Gebiet stationierten sowjetischen Besatzungssoldaten: Bereits am 2. April 1945 hatte das Staatliche Verteidigungskomitee angeordnet, „alliierte militärische Banknoten, die als Schilling-Noten gedruckt werden, in Umlauf zu bringen". Die Gehälter der hier stationierten Soldaten waren in Schilling (im Verhältnis 1 Schilling = 50 Kopeken = 1 Reichsmark) auszubezahlen, wobei ihnen während ihres Einsatzes in Österreich doppelte Gehälter und ein genau festgelegter Sold zustanden. Vorhandene Rubel mussten entsprechend dem Wechselkurs auf Bankeinlagen eingezahlt oder in die Sowjetunion überwiesen werden, da die

57 58

Ebd., S. 51-55. CA FSB RF, F. 135, op, 1, d. 23, S. 19, 36f.; CA FSB RF, F. 4, op. 4, d. 1441a, S. 94-104. Vgl. dazu den Beitrag von Vasilij Christoforov, Sowjetische Geheimdienste in Österreich. Zu den Beständen des Zentralarchivs des FSB, in diesem Band.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich sowjetische Währung auf dem Gebiet Österreichs nicht in Umlauf gebracht werden sollte.59 Den Zivilbediensteten des Personalstandes der Alliierten Kommission mussten außerdem die gleichen Rechte und Begünstigungen wie Angehörigen der Roten Armee gewährt werden. Der Personalstand der SCSK erhielt für seinen Einsatz in Österreich einen „doppelten Satz an Uniformen besserer Qualität" und die Führungsriege darüber hinaus Zivilbekleidung (30 Sätze). Außerdem wurden 25 Pkws, zehn Lkws und 15 „Willies" samt Fahrer sowie fünf Flugzeuge samt Besatzung zur Verfügung gestellt. Abschließend hieß es noch, dass der NKVD unter Lavrentij Berija dazu zu verpflichten war, eine Division Innerer Truppen des NKVD zur Bewachung der Objekte, des Personalstandes des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission und der von der Kommission durchgeführten Maßnahmen und Aktionen abzustellen. 60 Soweit bekannt ist, kam zwar keine Division Innerer Truppen zum Einsatz, sehr wohl aber einzelne Regimenter. 1946 bewachte das 24. Grenzregiment mit Stab in Mauer die Alliierte Kommission und den 4. Wiener Gemeindebezirk, den sowjetischen Hochkommissar und dessen Apparat sowie den Bereich des Stabes der CGV in Gumpoldskirchen. 61 Bereits Mitte April 1945 hatten die Truppen des NKVD (336. Grenzregiment) die Bewachung der „wichtigsten Objekte in Wien" übernommen. 62 Noch im Herbst 1945 kam es zu einer Erweiterung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich: Per Verordnung des Rates der Volkskommissare vom 13. Oktober 1945 wurde eine eigene Abteilung für Propaganda geschaffen, der alle mit Propaganda und politischer Arbeit befassten Politoffiziere fachlich unterstellt wurden. 63 Als Vorbild diente die nur eine Woche zuvor, am 5. Oktober 1945, gegründete Verwaltung für Propaganda und Zensur der Sowjetischen Militäradministration

59

60 61

62 63

RGASPI, F. 644, op. 1, d. 387, S. 62-64. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 58; Barbara Stelzl-Marx, Die sowjetische Besatzung Österreichs 1945-1955. Zur militärischen Struktur und Verwaltung, in: Stefan Karner - Gottfried Stangler (Hg.), Österreich ist frei! Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Beitragband zur Ausstellung auf der Schallaburg. Horn 2005 (in Druck). Zum Militärschilling vgl. u. a. Hugo Portisch, Am Anfang war das Ende. Österreich II. Die Geschichte vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 1. München 1993, S. 412. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 55. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 63. Zwei Bataillone dieses Regiments waren unter der Adresse: Wien, Favoritenstraße 15, disloziert. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 301, S. 26, 27. Vgl. dazu den Beitrag von Nikita Petrov, Die Inneren Truppen des NKVD/MVD, in diesem Band. RGVA, f. 32914, op. 1, d. 10, S. 228. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 17. AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 22f.; RGASPI, F. 17, op. 118, d. 455, S. 236. Entwurf in: AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 321, S. 41 f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 70. Die wesentlichsten Auszüge in: RGASPI, F. 17, op. 128, d. 299, S. lf. Vgl. dazu auch Wagner, Die Besatzungszeit, S. 81-83. Vgl. zur sowjetischen Propaganda in Österreich den Beitrag von Wolfgang Mueller, „Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter". Die Propaganda der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich im Kalten Krieg, in diesem Band; Wolfgang Mueller, Österreichische Zeitung und Russische Stunde. Die Informationspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich 1945-1955. Phil. DA. Wien 1998.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx in Deutschland (SMAD).64 Zum Leiter wurde Oberstleutnant M. Pasecnik, zu seinem Stellvertreter Oberstleutnant Andrej Merkulov ernannt. Die durchaus nicht leicht zu erfüllenden Aufgaben der neu gegründeten Propagandaabteilung der SCSK bestanden einerseits in der „Organisation und Durchführung der Propaganda unter der österreichischen Bevölkerung durch Presse, Radio und andere Mittel mit Hilfe von Österreichern aus den antifaschistischen demokratischen Parteien und Organisationen", andererseits in der „Durchführung der Kontrolle und Zensur über die österreichische Presse, den österreichischen Rundfunk und die Verlage".65 Wie dem Sekretär des ZK VKP(b) Andrej Zdanov Ende Juni 1946 berichtet wurde, wäre die Gründung der Propagandaabteilung „unter den schwierigen politischen Bedingungen in Österreich" goldrichtig gewesen, allerdings gäbe es „grobe Mängel" bei der Durchführung ihrer Arbeit.66 Die Funktionen der SCSK Ein ganzer Katalog an Aufgaben und Pflichten wurde für die SCSK ausgearbeitet, der ihre Tätigkeit in Österreich genau definieren sollte. Ausgehend von ihrer Aufgabe, „Österreich für die Zeit seiner Besetzung zu verwalten und die Tätigkeit der österreichischen Regierungsorgane im sowjetischen Sektor zu kontrollieren", war der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich dazu zu verpflichten:67 1. die Wiederherstellung eines selbständigen, unabhängigen und demokratischen Österreichs entsprechend der Erklärung der Sowjetischen Regierung über Österreich vom 9. April 1945 zu gewährleisten; 2. zu garantieren, dass die österreichischen Regierungsorgane Maßnahmen zur vollständigen Ausmerzung aller Überbleibsel des Faschismus, zur Abschaffung der NSGesetze und aller Folgen des so genannten „Anschlusses" von 1938 ergreifen; 3. alle auf österreichischem Gebiet befindlichen Lager für sowjetische Kriegsgefangene und Internierte sowie diejenigen Sowjetbürger, die zwangsweise nach Österreich gebracht wurden, zu registrieren und einen Plan samt Fristen für deren Repatriierung zu erstellen; die österreichische Regierung aufzufordern, die Kriegsgefangenen, die Internierten sowie die zwangsweise nach Österreich gebrachten Sowjetbürger an den Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission auszuliefern und diese bis zu ihrer Repatriierung mit Lebensmitteln, Kleidung, Medikamenten und den erforderlichen sanitären Bedingungen zu versorgen sowie Transportmittel für ihren Heimtransport zur Verfügung zu stellen; 64

65 66 67

Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland, S. 101 f.; Bernd Bonwetsch - Gennadij Bordjugov - Norman Naimark (Hg.), Upravlenie propagandy (informacii) SVAG i S. I. Tjul'panov 1945-1949. Moskau 1994, S. 10. Zur Tätigkeit der Propagandaverwaltung in der SBZ vgl. Bernd Bonwetsch - Gennadij Bordjugov - Norman Naimark (Hg.), Sowjetische Politik in der SBZ 1945-1949. Dokumente zur Tätigkeit der Propagandaverwaltung (Informationsverwaltung) der SMAD unter Sergej Tjul'panov. Bonn 1998. AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 321, S. 41f. RGASPI, F. 17, op. 117, d. 617, S. 222-224. AVP RF, F 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 72-75.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich 4.

5.

6.

7.

8. 9.

10.

11. 12. 13.

14.

Maßnahmen zur Identifizierung und Rückführung aller von den Deutschen aus der UdSSR nach Österreich gebrachten Wertgegenstände, Materialien, Fabriks-, Werks- und Hafenanlagen, Lokomotiven, Eisenbahnwaggons, Schiffe, Automobile, Traktoren, Vieh, Museumswerte, historischen Denkmäler und anderen Vermögens zu ergreifen; die österreichischen Archive und öffentlichen Bibliotheken in der sowjetischen Zone zu überprüfen und unverzüglich alle Dokumente und Materialien, die aus der UdSSR ausgeführt wurden, in die Sowjetunion zurückzuschicken; unter Beiziehung der interessierten Völkskommissariate und Behörden Fristen und eine Verordnung für die Rückführung o. g. Vermögens festzusetzen; die Herausgabe von Unterlagen über Kriegsverbrecher, die sich in Österreich verstecken, durchzusetzen und Maßnahmen zu ergreifen, diese zur Verantwortung zu ziehen; das gesamte in der sowjetischen Zone befindliche militärische Vermögen Deutschlands, das als Beute an die Sowjetunion zu übergeben ist, zu registrieren, die Unversehrtheit dieses Vermögens sicherzustellen und dessen Verwendung zu koordinieren; die Industrie- und Verkehrsbetriebe, die Nachrichteneinrichtungen, Kraftwerke, Unternehmen und öffentlichen Kontrolleinrichtungen in der sowjetischen Zone zu registrieren und zu kontrollieren; genaue Informationen über die Anlagen der Flusshäfen, Schiffsreparatureinrichtungen, Werften und Werkstätten in der sowjetischen Zone zu sammeln; von der österreichischen Regierung die Auslösung und Übergabe an den Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission der vom Oberkommando der Alliierten ausgegebenen Besatzungsschillinge zu verlangen; die Herausgabe der Schifffahrtshandbücher aus der Kriegszeit mit Angaben über Fahrrinnen, Navigationsausrüstung und Schifffahrtsregeln für die Donau sowie Angaben über Schiffe, die in diesen Gewässern gesunken sind, zu verlangen; die Kontrolle über die Räumung der verminten Fahrrinnen herzustellen, um eine sichere Schifffahrt zu gewährleisten; die Kontrolle über den Schiffs- und sonstigen Verkehr auf der Donau zu übernehmen; die Kontrolle über alle Flughäfen in der sowjetischen Zone zu übernehmen und Zustand und Nutzung der Luftverkehrslinien zu überprüfen; Gesetze, Verordnungen und andere Vorschriften der österreichischen Regierungsorgane sowie deren Umsetzung in der Praxis zu beobachten; von der österreichischen Regierung die Herausgabe einer Liste jener Personen zu fordern, die sich in Gefängnissen und anderen Orten der sowjetischen Zone in Haft befinden, wobei der jeweilige Haftgrund, Zeitpunkt und Frist der Verurteilung anzugeben ist; die Presse, Kinofilme, Radiosendungen und Theateraufführungen der Militärzensur zu unterstellen; zu diesem Zweck eine Liste der zugelassenen Periodika zu erstellen und ein System für die Genehmigung von Theateraufführungen, Radiosendungen und den Verleih von Kinofilmen einzurichten;

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx die Beschlagnahmung der gesamten profaschistischen und antisowjetischen Literatur auf dem österreichischen Buchmarkt sicherzustellen; 15. die Exekutierung der Gesetze über die Auflösung aller faschistischen und „hitlerfreundlichen" Organisationen zu kontrollieren. Über die Verabschiedung entsprechender österreichischer Gesetze oder Verordnungen zu wachen, damit die o.g. Organisationen aufgelöst werden und nicht unter anderem Namen wiederentstehen. Der Militärkommissar des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission ist verpflichtet, darüber zu wachen, dass derartige Maßnahmen auch in der amerikanischen, britischen und französischen Zone ergriffen werden; 16. eine Ordnung für den amerikanischen, britischen und französischen Luftfracht- und Kurierpostverkehr durch den Luftraum der sowjetischen Zone festzusetzen und streng über deren Einhaltung zu wachen. Wie die „Weisung an die Militärkommandanten auf dem besetzten Gebiet Österreichs" vom 15. September 1945 zeigt, überschnitten bzw. ergänzten sich somit die von der SCSK und den sowjetischen Militärkommandanturen zu erfüllenden Aufgaben in Bezug auf drei wesentliche Bereiche: erstens in Bezug auf die österreichischen Behörden, zweitens hinsichtlich der Lösung wirtschaftlicher Fragen und drittens in Bezug auf sowjetische DPs. Das vierte so genannte „grundlegende" Tätigkeitsfeld der Militärkommandanturen betraf die Disziplin und Verhaltensregeln der sowjetischen Militärangehörigen in Österreich.68 Dieser Parallelismus sollte erst, wie weiter unten dargestellt, 1952 beendet werden. Theorie und Praxis Die Praxis zeigte, wo es Schwierigkeiten in der Umsetzung und Durchführung der festgelegten Aufgaben gab. Anfang Oktober 1945, rund drei Wochen nach der ersten Vollsitzung des Alliierten Rates am 11. September, beklagte sich der Leiter der Abteilung für Arbeitskräfte, Aleksandr Pigin, beim Sekretär des ZK der VKP(b), Georgij Malenkov, über eine Reihe von Schwierigkeiten, mit denen sich er und seine Mitarbeiter nun konfrontiert sahen: „Als wir aus Moskau wegfuhren, wussten wir, die wir zur Arbeit im Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission für Österreich entsandt wurden, nur sehr wenig darüber, was wir in unserer praktischen Arbeit machen würden. Es war lediglich bekannt, dass wir unsere Arbeit den Interessen unserer Heimat unterzuordnen und den Willen unserer Sowjetischen Regierung und unseres Volkes auszuführen hätten. [...] Nachdem wir nun 1,5 Monate gearbeitet haben, ist uns unsere praktische Arbeit bis zu einem gewissen Grad klar geworden, aber wir sind auch mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert."69 68

69

CAMO, F. 275, op. 45235ss, d. 2, S. 184-189. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 69. Vgl. dazu auch den Beitrag von Valerij Vartanov, Die Aufgaben der Militärkommandanturen in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs 1945-1955, in diesem Band. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 77.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich Als größtes Problem führte Pigin den Umstand an, dass die gesamte, aus dem Stab und 16 Abteilungen bestehende SCSK lediglich einen Englisch-Dolmetscher hätte, obwohl kaum einer der Mitarbeiter über Deutsch-, Englisch- oder Französischkenntnisse verfüge. Dieser Dolmetscher könnte selbstverständlich nicht sämtliche Materialien, die von den Briten oder Amerikanern einträfen, übersetzen und zudem alle Sitzungen und Gespräche der einzelnen Abteilungen dolmetschen. „So kommt es, dass man bei der Lösung der einen oder anderen Frage während der Sitzungen nicht zur Gänze weiß, was vor sich geht und dass man über Materialien verfügt, ohne zu wissen, was sie aussagen. Man muss daher auf die Dienste der Übersetzer der Alliierten ausweichen, die aber nicht alles übersetzen und denen zu vertrauen gefährlich ist. Und oft gerät man so in eine unangenehme Situation." 70 Die gleichen Schwierigkeiten lägen bei den Französisch-Dolmetschern vor, und auch bei den Deutsch-Dolmetschern sähe es nicht viel besser aus. Ein weiteres Problem der meisten Abteilungen bestände darin, dass der Mitarbeiterstab viel zu klein bemessen wäre. Während zum Beispiel die Abteilung für Arbeitskräfte der SCSK aus drei operativen Mitarbeitern bestünde, hätten die Briten 38 Mitarbeiter und die Amerikaner noch mehr. „Sie wissen natürlich auch besser, was in ihrer Zone vor sich geht, aber auch in unserer, arbeiten eine Masse an Fragen aus, berufen alle möglichen Sitzungen ein, gründen eine Reihe von Unterkomitees, und alles müssen wir rechtzeitig erledigen und auf alle ihre gestellten Fragen Antworten und Entschlüsse geben und bei der Ausarbeitung zahlreicher Dokumente mitarbeiten." Pigin klagte weiter, dass die Briten und Amerikaner bei jeder Sitzung Stenografisten dabei hätten, während seine Maschinschreibkraft nicht einmal Stenografiekenntnisse hätte. Abschließend bat er darum, zumindest die Hälfte des Personals zugesprochen zu bekommen, das bei den Amerikanern und Briten tätig wäre, nicht weil er „ein leichtes Leben haben oder weniger arbeiten" wolle, sondern weil die Sowjets „sonst viel verlieren" könnten. 71 Während die bei der SCSK eingesetzten Mitarbeiter in ihrer Arbeitspraxis mit den unterschiedlichsten praktischen Schwierigkeiten konfrontiert waren, sah Moskau darin ein eher prinzipielles, ideologisches Problem: nämlich den Umstand, dass die Mitarbeiter der SCSK durch ihre Arbeit Umgang mit Österreichern, aber vor allem auch den Westalliierten pflegten. So stufte die Politische Abteilung der NKVD-Truppen Verhältnisse sowjetischer Offiziere mit österreichischen Frauen als „politisch folgenschwer" und die betroffenen Männer als „moralisch instabil" ein. Die Österreicherinnen wurden als reale Gefahr gesehen, den „verzauberten" Soldaten militärische Geheimnisse oder Staatsgeheimnisse zu entlocken. 72 Und die Leitung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission erteilte an alle ihre Mitarbeiter strenge Weisungen, „im Verhältnis zu den Alliierten äußerste Wachsamkeit und Vorsicht walten zu lassen und nicht den Versuchen der Alliierten, mit unseren Leuten besonders .freundschaftliche', über rein dienstliche Notwendigkeiten hinausgehende Beziehungen, einzugehen, zu erliegen". Kiselev teilte

70 71 72

Ebd., S. 77f. Ebd. RGVA, F. 32902, op. 1, d. 11, S. 158f. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 64.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx in diesem Zusammenhang Ende Dezember 1945 dem Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, Vjaceslav Molotov, mit: „Diese Weisungen wurden nach Erhalt eines per Telegramm übermittelten Befehls des Chefs des Generalstabes der Roten Armee, Genossen Antonov, neuerlich bekräftigt, wobei Antonov zu Wachsamkeit im Zusammenhang mit der verstärkten Aktivität der ausländischen Aufklärung aufrief, die nach der Herstellung möglichst enger Kontakte mit sich im Ausland befindlichen Sowjetbürgern strebe." 73 Mit zunehmendem Fortschreiten des Kalten Kriegs kristallisierten sich in der Tätigkeit der SCSK vermehrt Schwierigkeiten mit den Westalliierten - insbesondere den Amerikanern - heraus. So verweist die Zusammenfassung des 1100 Seiten langen Endberichts der SCSK über ihre Tätigkeit im Jahr 1947 auf die „Sabotage" der Alliierten Kommission durch die Amerikaner: „Indem sie das Kontrollabkommen für ihre Interessen nutzen und dieses, wenn es ihren Interessen im Wege steht, auch umgehen, wurde die Arbeit der Alliierten Kommission von den Amerikanern mithilfe anderer Partner im Grunde genommen sabotiert und ihr sowjetischer Teil ignoriert. Im Berichtsjahr wurde zu keiner einzigen prinzipiellen Frage Einstimmigkeit erzielt. Gemeinsam mit Briten und Franzosen haben die US-Amerikaner sämtliche Vorschläge der sowjetischen Seite abgelehnt und der österreichischen Regierung volle Unterstützung zukommen lassen." 74 Weiters hieß es dazu: „Nicht nur, dass die , Alliierten' die Abkommen zu Österreich nicht eingehalten haben, so haben sie den Mahner nach Einhaltung dieser Abkommen, den Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission, zudem auch noch vor den Österreichern in schlechtem Lichte erscheinen lassen. So etwa wurde die Frage der Entnazifizierung dazu benutzt, feindselige Gefühle gegen die Sowjetunion zu erzeugen, genau so, wie für diesen Zweck nunmehr die Frage der Besatzungskosten benutzt wird." 75 Die hier geäußerte Kritik richtete sich aber auch gegen eine Reihe von Schwachpunkten der Arbeit des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission selbst, die nicht alles „zur Einhaltung des Viermächteabkommens zu Österreich bezüglich Demilitarisierung, Entnazifizierung, Demokratisierung und Wiedererrichtung Österreichs als tatsächlich freier und unabhängiger Staat" getan habe. Zwei wesentliche Mängel der Arbeit der SCSK wurden dabei besonders herausgestrichen: Erstens gab es keine „wirksame Kontrolle in der sowjetischen Zone", die „angesichts des Fehlens einer Militäradministration von Bevollmächtigten und den Militärkommandanten hätte wahrgenommen werden müssen" und weswegen sich die Arbeit in der sowjetischen Zone „als unnütz" erwiesen hatte. Die SCSK habe auf Grund ihrer für den Alliierten Rat zu verrichtenden Arbeit ihrer Zone nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet. Zweitens wurde die sowjetische Propaganda als nicht zufrieden stellend eingestuft: „Angesichts der aktiven propagandistischen Tätigkeit seitens der US-Amerikaner und der österreichischen Regierung ist unsere Abteilung für Propaganda mit ihren Aufgaben

73 74 75

AVPRF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 83f. AVPRF, F. 66, op. 26, p. 32, d. 29, S. 25-30. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Osterreich, Dokument Nr. 73. Ebd. Vgl. dazu auch Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 207.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission fiir Österreich nicht zurechtgekommen. Die Abteilung für Propaganda hat es nicht verstanden, sich umzustrukturieren und eine offensivere und gehaltvollere Propaganda zu betreiben." Besonders negativ fielen außerdem die Einmischung der Propagandaabteilung in die Arbeit der KPÖ und deren Behinderung „durch eine kleinliche Bevormundung" auf.76 Die Umstrukturierung des Besatzungsapparates 1951/52 Mit Herbst 1951 begann eine neue Phase in der Tätigkeit der SCSK, die als Reaktion auf die nicht zufriedenstellende Arbeit der sowjetischen Stellen in Österreich zu werten ist: Am 15. September 1951 beschloss das Politbüro des ZK der VKP(b), eine eigene Kommission für zwei Wochen zur Überprüfung der Arbeit der SCSK nach Wien zu entsenden, die die Arbeit vor Ort überprüfen und anschließend Verbesserungsvorschläge zur „Stärkung des sowjetischen Einflusses in Österreich" im ZK einzubringen hatte. Mit dieser Mission wurden der stellvertretende Vorsitzende der Außenpolitischen Kommission des ZK, Andrej Smirnov, und der stellvertretende Leiter der Politverwaltung der Sowjetischen Armee, S. Satilov, beauftragt. 77 Diese legten ihren Bericht „Über die Arbeit des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich und über Maßnahmen zur Stärkung des sowjetischen Einflusses in Österreich" am 17. Oktober dem Politbüro vor, das diesen noch am selben Tag an Stalin und seinen engsten Kreis weiterleitete.78 Zu Beginn des Berichts „Über die Arbeit des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich und Maßnahmen zur Stärkung des sowjetischen Einflusses in Österreich" wurde die SCSK zunächst gelobt. In den vergangenen sechs Jahren hatte sie die ihr 1945 von der sowjetischen Regierung übertragenen Aufgaben zu einem großen Teil erfüllt. Dazu zählten die Gewährleistung der Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone, die Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Behörden, die Mitwirkung bei der Errichtung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, die Durchführung der Demilitarisierung und die Auslöschung von Folgen des NS-Regimes. Dann folgte jedoch eine detaillierte Kritik an der Arbeit der SCSK, wobei Smirnov und Satilov folgende vier wesentlichste Mängel konstatierten: Erstens hätte die SCSK zu sehr ihre Aufmerksamkeit auf die Arbeit im Alliierten Rat gelegt und sich zu wenig der sowjetischen Besatzungszone sowie der Kontrolle der Tätigkeit der österreichischen Regierung gewidmet. Als Folge würden sich nun „sämtliche administrativen Organe der Zone in den Händen feindlicher Elemente befinden" und wäre die „Demokratisierung der sowjetischen Zone" nicht durchgeführt worden. Österreich würde sich außerdem stärker als zuvor auf einen Krieg vorbereiten und „strategische Straßen" ebenso wie militärische Objekte errichten. Auch hätte die SCSK Schuld an der Schwäche der kommunistischen Organisationen in Österreich: Nicht nur gäbe es zu wenige „demokratische Organisationen" in Österreich, die vorhandenen seien 76 77 78

Ebd. Vgl. dazu auch den Beitrag von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde. Sowjetische Österreich-Politik 1945-1953/55, in diesem Band. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1090, S. 96. Politbürobeschluss Nr. 83 (509) des ZK d. VKP(b) v. 15.9.1951. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 43-55.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx auch noch schlecht organisiert. Außerdem läge die Leitung einiger Organisationen in den Händen „zweifelhafter Elemente", insbesondere „politischer Emigranten" aus den USA, England, Frankreich oder Israel. Die „Unterschätzung der Bedeutung der Demokratisierung Österreichs" durch die SCSK hätte dazu geführt, dass die Kommunisten aus dem Staatsapparat entfernt wurden. Jede noch so geringe Unterstützung, die die SCSK „demokratischen" Vertretern gewähren würde, würde, so der Bericht weiter, eine „heftige Reaktion" bei der österreichischen Regierung und eine starke antisowjetische Kampagne in den Zeitungen provozieren. Und die SCSK hätte sich oftmals „taktlos und rücksichtslos in die Arbeit der kommunistischen Organisationen" eingemischt und wäre für die Nichterfüllung der Aufgabe der „Demokratisierung" in Österreich mitverantwortlich. Dies ließe sich nicht nur auf die „schwierige innenpolitische Lage Österreichs" zurückführen, sondern auch darauf, dass die SCSK versuchte, diese Aufgaben ohne die Hilfe des „österreichischen Volkes, allen voran der Arbeiterklasse" zu erfüllen. Zweitens bemängelte der Bericht die niedrige Qualifikation der Bevollmächtigten des sowjetischen Hochkommissars in den Bundesländern und der ihnen untergeordneten Militärkommandanten. In diesem Zusammenhang hieß es erläuternd, dass die sowjetische Besatzungszone Österreichs zur „Durchführung der Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Behörden" in drei Gebiete (Burgenland, Niederösterreich und Mühlviertel) eingeteilt wäre, wo es jeweils einen Bevollmächtigten des Hochkommissars mit einem Übersetzer und einem Inspektor gäbe. 28 Kommandanturen in den größeren Städten und Bezirken wären abgesehen von den Gebietskommandanturen im Burgenland und in Niederösterreich vorhanden. Die Überprüfung vor Ort hätte allerdings ergeben, dass weder die Bevollmächtigten des Hochkommissars noch die Kommandanten ihre eigentlichen Aufgaben im Detail kannten und dass sie auf Grund ihrer mangelnden Qualifikation nicht in der Lage wären, eine seriöse politische Arbeit unter der österreichischen Bevölkerung durchzuführen. Unter den gegebenen Umständen arbeitet „der gesamte Apparat der Kommandanturen und der Bevollmächtigten in den Bundesländern [...] unnütz oder erfüllt einzelne Aufgaben, die mit irgendeinem außergewöhnlichen Ereignis in der Zone zusammenhängen, und erstellt nutzlose Berichte", strich die wenig schmeichelhafte Einschätzung hervor. Außerdem wären die Gebäude und die Ausstattung zahlreicher Kommandanturen wie auch jene der Wachposten entlang der Demarkationslinie in einem „unzufriedenstellenden Zustand". Die Kommandanten legten „keinen Wert auf ihr Äußeres", was zu einem Verlust von Ansehen und Einfluss in Österreich geführt hätte. Drittens würde sich die SCSK, so Satilov und Smirnov weiter, nicht ausreichend mit den „Fragen der Propaganda unter der österreichischen Bevölkerung befassen" und keine „zentralisierte Leitung sämtlicher Formen von Agitation und Propaganda" ausüben. Mehr als 300 Österreicher arbeiteten in der Abteilung für Propaganda der SCSK, über welche die politische Arbeit unter der österreichischen Bevölkerung durchgeführt wurde. Diese Tätigkeit hätte jedoch zu einem beträchtlichen Teil von der KPÖ durchgeführt werden sollen. Auch die „Österreichische Zeitung", die Redaktion der „Russischen Stunde" und „Mezkniga" wurden wegen ihres laschen Einsatzes kritisiert.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Osterreich Viertens hieß es, dass die SCSK die „vorhandenen wirtschaftlichen Möglichkeiten" für die „Stärkung des sowjetischen Einflusses" nicht zufriedenstellend ausnützen würde. So wären beispielsweise die Löhne in den sowjetischen Betrieben gesunken und die materielle Lage der Arbeiter hätte sich verschlechtert. Außerdem wäre zu wenig investiert worden, da man von einer raschen Übergabe der sowjetischen Betriebe an die österreichische Regierung ausging. Diese Missstände hätten die Sozialisten sofort als Grundlage für weitere „Agitation gegen die demokratischen Organisationen und die Sowjetunion" herangezogen. Abschließend hätte sich im Zuge der Überprüfung der Tätigkeit der SCSK herausgestellt, dass es um das Verhältnis zwischen der Leitung der Kommission und jener des ZK der KPÖ nicht allzu gut bestellt wäre, wofür der amtierende Hochkommissar, Vladimir Sviridov, und dessen Politberater, Michail Koptelov, die Schuld gegeben wurde. Diese würden nicht einmal die wichtigsten Mitarbeiter der Kommunistischen Partei Österreichs kennen. Auf der anderen Seite würden aber auch die österreichischen „Freunde" keine allzu guten Kontakte mit der SCSK herstellen wollen und Ratschläge von Sviridov und Koptelov häufig nicht befolgen. 79 Nach dieser vehementen und vernichtenden Kritik wurde ein 14-teiliger Maßnahmenkatalog „zur Verbesserung der Arbeit des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich und der richtigen Einsetzung der vorhandenen politischen und wirtschaftlichen Hebel zur Stärkung des sowjetischen Einflusses in Österreich" vorgelegt. Dieser sah u. a. eine - seit 1945 erstmalige - drastische Umstrukturierung der SCSK vor, womit das Außenministerium und Kriegsministerium der UdSSR gemeinsam mit dem sowjetischen Hochkommissar in Österreich betraut wurden. Diese sollten einen neuen, durch den Ministerrat der UdSSR zu bestätigenden Beschluss ausarbeiten. Wenig schmeichelhaft für Sviridov und Koptelov wurde konstatiert: „Für die Stärkung der Führung des Sowjetischen Teils des Alliierten Rates für Österreich wäre es sinnvoll, einen qualifizierteren Hochkommissar und Politischen Berater zu ernennen." Aber auch die Kommandanturen kamen, wie erwähnt, nicht ungeschoren davon: Das Kriegsministerium der UdSSR sollte verpflichtet werden, die sowjetischen Kommandanturen in Österreich mit „qualifizierten Kadern" zu stärken und die „Fähigen mit der Kontrolle über die örtlichen Behörden" zu betrauen. 80 Rund einen Monat später 81 , am 20. Oktober 1951, wies das Politbüro des ZK der VKP(b) Vysinskij, Vasilevskij, Grigor'jan, Sergeev, Satilov und Smirnov an, innerhalb von fünf Tagen den ZK-Bericht zu analysieren und dem Politbüro entsprechend zu berichten. 82 Die Vorschläge wurden daraufhin am 1. November 1951 per Politbürobeschluss als „Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit des Sowjetischen Teils der Alli-

79 80 81

82

Ebd., S. 43^17. Ebd., S. 54f. Als Folge der im Bericht geäußerten Kritik an der KPÖ-Führung wandte sich Johann Koplenig am 17. September 1951 direkt an Stalin und übermittelte ihm v o m ZK der K P Ö aufgestellte Leitsätze. Vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde. Sowjetische Österreich-Politik 1 9 4 5 - 1 9 5 3 / 5 5 , in diesem Band. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1091, S. 23. Politbürobeschluss Nr. 8 4 (99) d. ZK d. VKP(b) v. 20.10.1951.

202

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx ierten Kommission für Österreich" abgesegnet. 83 Diese Anweisungen, die dem vorab erwähnten ZK-Bericht in allen Punkten beinahe zur Gänze Wort für Wort entnommen waren, führten zu einer tiefgreifenden Umgestaltung in der sowjetischen Verwaltung in Österreich mit Personalrochaden und Umstrukturierungen der sowjetischen Institutionen in Österreich. Dem Politbürobeschluss zufolge wurde die SCSK verpflichtet: ,,a) das Hauptaugenmerk auf die Arbeit in der sowjetischen Zone zu legen und die Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Regierung und der lokalen Behörden zu verstärken, insbesondere bei der Umsetzung der Viermächtebeschlüsse bezüglich der Fragen der Entmilitarisierung und Entnazifizierung durch diese [Regierung und lokale Behörden], indem man gleichzeitig keine Verletzungen der verfassungsmäßigen Rechte dieser Organe zulässt und deren Tätigkeiten im Rahmen der in den Abkommen der vier Mächte beinhalteten Fragen, die der Demokratisierung und Entmilitarisierung Österreichs nicht widersprechen, nicht abändert. b) Strikt darauf zu achten, dass in der sowjetischen Zone keine paramilitärischen und antidemokratischen Organisationen, in welcher Form auch immer, neu entstehen, dass die Wirtschaft der sowjetischen Zone von der österreichischen Regierung nicht zu militärischen Zwecken der Westmächte genutzt wird und dass die antidemokratischen Gesetze der österreichischen Regierung in der sowjetischen Zone keine Anwendung finden. c) Im Alliierten Rat und in den anderen Organen der Alliierten Kommission aktiver und rechtzeitiger gegen Maßnahmen der Westmächte und der österreichischen Behörden aufzutreten, die auf die Remilitarisierung Österreichs und auf ein Wiederaufleben von NS-Organisationen abzielen, indem man seine Auftritte auf der Grundlage konkreter und überprüfter Materialien vorbereitet und dem MID der UdSSR rechtzeitig Entwürfe dieser Auftritte und der Vorschläge zur Durchsicht vorlegt. d) Zur Stärkung ihres Einflusses in sowjetischen Betrieben und in der Zone den demokratischen Organisationen über das ZK der KPÖ Hilfe zu erweisen, indem man deren Arbeit auf die Gewinnung der Mehrheit in den Betriebsräten der Arbeiter und Angestellten und auf die Schaffung von Komitees der Friedensfreunde und von Zellen der Gesellschaft der Freundschaft mit der Sowjetunion in jeder Fabrik ausrichtet. e) Erforderliche Maßnahmen zur Verstärkung des Kampfes gegen Spionage- und Diversionseinrichtungen der österreichischen und ausländischen Geheimdienste und gegen andere feindliche Elemente bei den sowjetischen Erdölförderanlagen und in den Industriebetrieben der sowjetischen Besatzungszone Österreichs zu ergreifen. f) Die österreichische Zeitung', die Radioredaktion der Russischen Stunde', die Personalbestände der Kulturreferenten mit besser qualifizierten und politisch überprüften Kadern zu stärken und die Qualität ihrer Arbeit wie auch die Qualität der Arbeit der Vertretungen von ,Mezkniga', ,Eksportfil'm' und der VOKS zu verbessern." 84 83

84

RGASPI, F. 17, op. 162, d. 47, S. 11-13. Politbürobeschluss Nr. 84 (215)-op d. ZK d. VKP(b) v. 1.11.1951. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 77. Ebd.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich Besonders einschneidend war auch die Anordnung, „zur Stärkung der politischen Führung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich" den bisherigen Politberater Michail Koptelov seiner Funktion zu entheben und als Nachfolger Sergej Kudrjacev zu ernennen, was wenig später in die Tat umgesetzt wurde. Koptelov kehrte „zur weiteren Verfügung des MID" nach Moskau zurück. Weiters waren das Kriegsministerium unter Vasilevskij und das MID unter Vysinskij zu verpflichten, „innerhalb einer zweimonatigen Frist die sowjetischen Militärkommandanturen in Österreich durch besser qualifizierte Kader zu stärken, die nicht nur fähig sind, die nötige Ordnung in den sowjetischen Militärgarnisonen zu gewährleisten, sondern auch die notwendige Kontrolle über die Tätigkeit der lokalen Behörden und die notwendige politische Arbeit unter der Bevölkerung auszuüben". Vysinskij und Vasilevskij war schließlich auch der Auftrag zu erteilen, „innerhalb einer zweimonatigen Frist Vorschläge über die Funktionen und die Struktur des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission zur Durchsicht vorzulegen, in dem sie dabei die geänderten Arbeitsbedingungen in Österreich in Betracht ziehen". 85 Am 17. Jänner 1952 wies das Präsidium des Ministerrates des UdSSR Vysinskij und Vasilevskij an, raschest einen Entwurf für einen Ministerratsbeschluss „über die Struktur und die Funktionen der SCSK" auszuarbeiten. Am 3. Februar 1952 unterbreiteten diese schließlich Molotov einen Entwurf, der sämtliche im Oktober 1951 dem ZK vorgelegten Vorschläge umfasste. 86 Daraufhin verfügte der Ministerrat der UdSSR am 20. Februar 195287 die Umstrukturierung der SCSK, wodurch der vorab erwähnte Beschluss des Ministerrates vom 4. Juni 1945 über die Tätigkeit der SCSK außer Kraft gesetzt wurde. Die radikalste Neuerung betraf das Wesen der Militärkommandanturen, die von nun an direkt der SCSK unterstellt wurden. Dazu wurde das Kriegsministerium verpflichtet, „dem Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission in Österreich innerhalb eines Monats aus der Zentralen Gruppe der Streitkräfte die 519. Planstelleneinheit, die den Personalstand der Militärkommandanturen umfasst, wie auch den Personalstand der Verwaltung und der Politabteilung der Militärkommandanturen und die 15 Planstelleneinheiten der für die Propaganda der Militärkommandanturen zuständigen Instruktoren zu übergeben". Der Personalstand der SCSK einschließlich des Personalstandes der Militärkommandanturen wurde auf 858 Planstellen, davon 477 für Offiziere, 246 für den Unteroffiziers- und Mannschaftsstand und 135 für zivile Mitarbeiter, verkleinert. Die Beilage Nr. 1 zum Beschluss des Ministerrates enthielt die maßgebende „Verordnung über den Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission in Österreich". 88 Einleitend wurde auf die rechtliche Basis der SCSK verwiesen: „Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission in Österreich übt seine Tätigkeit auf Basis des am 28. Juni 1946

85 86 87

88

Ebd. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 62. Vysinskij und Vasilevskij an Molotov, Moskau, 3.2.1952. AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 82-90; RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 112. Beschluss Nr. 986-317ss. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 79. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 68-75. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 78.

203

204

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx zwischen den Regierungen der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs geschlossenen Kontrollabkommen in Österreich und gemäß vorliegender Verordnung aus. An der Spitze des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission in Österreich steht der Hochkommissar der UdSSR in Österreich, der seine Tätigkeit leitet und die Verantwortung für die Umsetzung der politischen Linie der Regierung der UdSSR in Österreich durch den Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission und durch andere sowjetische Organisationen in Österreich trägt."89 Anschließend folgt eine Aufzählung der Aufgaben des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission, ausgehend von der „Ausübung der Kontrolle der Tätigkeit der österreichischen Regierung, der Landesregierungen und der örtlichen Behörden betreffend die Umsetzung der Viermächtebeschlüsse zu Demokratisierung, Entnazifizierung und Entmilitarisierung Österreichs, ohne dabei Verletzungen der verfassungsmäßigen Rechte der österreichischen Behörden zuzulassen" über die „Organisation der politischen Arbeit und Propaganda über die Sowjetunion und die Länder der Volksdemokratie unter der österreichischen Bevölkerung durch Presse, Radio, Kino und andere Mittel" und der „Unterstützung der demokratischen Organisationen Österreichs bei der Festigung ihres Einflusses in der sowjetischen Zone, in sowjetischen Betrieben und zur Aufwertung ihrer Rolle im gesellschaftlich-politischen Leben des Landes". Die folgenden Artikel verpflichteten die SCSK dazu, eine Anwendung von antidemokratischen Gesetzen der österreichischen Regierung in der sowjetischen Zone ebenso wenig zuzulassen wie den Bau militärischer Objekte oder ein Wiederaufleben von neonazistischen Organisationen. Weiters, die sowjetischen Wirtschaftsorganisationen in Österreich zu unterstützen, sowjetische Bürger „auf dem gesamten Staatsgebiet Österreichs ausfindig zu machen und zu repatriieren sowie eine kulturell-politische Arbeit und den Sowjetbürgern in den Lagern für DPs zu organisieren" und „dem Zentrum [gemeint ist Moskau] Informationen zu Fragen der Politik der österreichischen Regierung, der Wirtschaft Österreichs und auch zu Fragen der Politik und Tätigkeit der westlichen Besatzungsmächte in Österreich vorzulegen". Die gesamte politische Tätigkeit war dem MID unterstellt, während hinsichtlich der militärischen und politischen Ausbildung der Armeeangehörigen oder etwa der Ausübung des Garnisonsdienstes die Weisungen des Kriegsministeriums ausschlaggebend waren.90 Anhand der nun veränderten Struktur kommt deutlich die Erweiterung der SCSK zum Ausdruck, der nun die 28 Bezirkskommandanturen in der sowjetischen Besatzungszone sowie die Zentralkommandantur Wien inklusive der Wiener Militärkommandanturen unterstellt wurden. Fortan bestand der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission aus folgenden 23 Abteilungen:

89 90

Ebd. Ebd.

Der Sowjetische

Tab. 3. Abteilungen Februar

des Sowjetischen

Teil der Alliierten

Teils der Alliierten

Kommission

für

Osterreich

Kommission.

91

1952,

1)

Abteilung für Innere Angelegenheiten

2)

Rechtsabteilung

3)

Militärische Abteilung

4)

Wirtschaftsabteilung

5)

Propagandaabteilung

6)

Abteilung für DPs

7)

Büro f ü r Wissenschaft und Technik

8)

Abteilung f ü r den Nachrichtendienst

9)

Abteilung f ü r Gefechts- und politische Ausbildung des Personalstandes

10)

Politabteilung für Spezialeinheiten

11) 12)

Personalabteilung

13)

[Abteilung der] Bevollmächtigten des Hochkommissars und von deren Apparaten in den Bundesländern Niederösterreich, Burgenland und Oberösterreich [Mühlviertel]

14)

Verwaltung des K o m m a n d a n t e n der Stadt Wien und der diesem unterstellten Militärkommandanturen der Bezirke des sowjetischen Sektors der Stadt Wien

15)

28 sowjetische Bezirkskommandanturen in den Bundesländern der sowjetischen Besatzungszone

16)

6. Abteilung

Inspektorengruppe beim Assistenten des Hochkommissars f ü r die Arbeit in der Z o n e

17)

Kanzlei

18)

G e h e i m e Abteilung

19)

Finanzabteilung

20)

Sowjetischer Teil des Sekretariates des Alliierten Rates

21)

Apparat des Politberaters, bestehend aus den folgenden Abteilungen, die diesem direkt unterstellt sind: Politische; Presse-; [Abteilung] für das Studium der Parteien und der öffentlichen Organisationen, Konsularische; Sach-; Kanzleien

22)

Apparat des Beauftragten der Hauptverwaltung des sowjetischen Eigentums im Ausland ( G U S I M Z ) und beim Hochkommissar (für den Personalstand der G U S I M Z ) .

23)

Dienststellen für Versorgung und für die Wacheinheiten: K o m m a n d a n t u r des Sowjetischen Teils der A[lliierten] K[ommission], Wachkompanie, Nachrichtenzentrale, administrativwirtschaftlicher Teil, Autokompanie, Wohnungs-Nutzungs-Teil, medizinisch-hygienischer Bereich, Feldpost D i e übrigen sechs B e i l a g e n legten genau den Personalstand der einzelnen Abteilun-

g e n und Unterabteilungen der S C S K inklusive d e s B e s o l d u n g s s c h e m a s der j e w e i l i g e n Mitarbeiter fest, w o z u nun auch die K o m m a n d a n t u r e n zählten. Für W i e n waren sieben K o m m a n d a n t u r e n mit j e sieben Mitarbeitern vorgesehen92, für die übrige s o w j e t i s c h e B e s a t z u n g s z o n e 2 8 K o m m a n d a n t u r e n m i t j e z w ö l f b i s 1 6 M i t a r b e i t e r n . 9 3 In d e r W i e n e r Interalliierten K o m m a n d a n t u r u n d d e r i m P a l a i s E p s t e i n u n t e r g e b r a c h t e n „ V e r w a l t u n g

91 92 93

RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 73f. Ebd., S. 100. Ebd., S. 101-104.

Harald Knoll - Barbara

Stelzl-Marx

Tab. 4. Planstellenverzeichnis der Verwaltung eines Bezirksmilitärkommandanten, der von einem Zug örtlicher Schützentruppen bewacht wird (insgesamt 22 Kommandanturen). 1952.94 Nr.

Benennung der Abteilungen und Funktionen

Anzahl der Einheiten

Kategorie der Planstellen

Gehaltsschema der Planstellen

Bei Besetzung der Funktion mit einem Militärangehörigen

Bei Besetzung der Funktion mit einem Zivilbediensteten In Valuten

1

2

3

4

5

1

Militärkommandant

1

Major, Oberstleutnant

1400

2

Stellvertreter des Kommandanten, für Propaganda zuständig

1

Major

1200

3

Stellvertreter des Militärkommandanten

1

Hauptmann, Major

1200

4

Assistent des Militärkommandanten für Garnisonsund Wachdienst

1

Hauptmann

800

5

Propagandainstruktor

1

Hauptmann, Major

1000

6

Übersetzer

1

7

Schriftführer

1

Unteroffizier mit verlängerter Dienstzeit Soldat

8

Fahrer

1

9

Schreibmaschinenkraft

1

Wirtschaftsabteilung

Chefkoch

1

Höherer Unteroffizier

Wirtschaftsabteilung

Koch

1

Soldat

Wirtschaftsabteilung

Schreiber

1

Soldat

Summe

6

In Rubel 7

1200

160

900

120

12

des sowjetischen Kommandanten von Wien", sprich der sowjetischen Zentralkommandantur, waren 78 Mitarbeiter, beinahe ausschließlich Armeeangehörige, eingesetzt. 95 Dies bedeutete, dass seit 1945 eine sukzessive Verringerung der Zahl der Kommandanturen in der sowjetischen Besatzungszone stattgefunden hatte: Ab April 1945 (gemäß dem „Befehl des sowjetischen Oberkommandos an die 2. und 3. Ukrainische Front" 94 95 96

RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. lOlf. Ebd., S. 95-99. Zit. nach: Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 491.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich vom 2. April 1945)96 hatten die beiden Fronten in allen größeren sowjetisch besetzten Orten Kommandanturen errichtet. 97 Im Zuge des Truppenabbaus und der Umstrukturierung der Roten Armee im Sommer 1945 war ein Teil dieser Kommandanturen wieder aufgelöst worden, so dass es zu Jahresende 1945 insgesamt 51 Stadt- und drei Landeskommandanturen (in Niederösterreich, im Burgenland und im Mühlviertel) sowie elf sowjetische Kommandanturen in Wien gegeben hatte. 98 Im Zusammenhang mit der Auflösung sämtlicher Militärkommandanturen in Ungarn und der drastischen Reduktion der Kommandanturen in Österreich war 1948 eine neuerliche Reorganisation der Militärkommandanturen notwendig geworden. Zu diesem Zeitpunkt gab es im Burgenland drei Bezirks- und eine Landesmilitärkommandantur, im Mühlviertel drei Militärkommandanturen, wobei jene in Urfahr als Landeskommandantur fungierte, sowie in Niederösterreich 22 Bezirks- und eine Landeskommandantur (insgesamt 27 Bezirks- und drei Landeskommandanturen). Vorgeschlagen wurde eine Vereinigung aller drei Landesmilitärkommandanturen zu einer Militärkommandantur in der Sowjetischen Zone, die der Abteilung für die Leitung der Militärkommandanturen der CGV (ORVK) unterstellt war.99

Die Umsetzung des Beschlusses „Über die Verbesserung der Tätigkeit der SCSK" 1952/53 Am 28. März 1952 übermittelte der Vorsitzende der 1949 neu geschaffenen Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP(b), Vagan Grigor'jan, seinen Bericht auf die „Überprüfung des Zustandes der Kader der sowjetischen Kommandanturen" an Stalin: Im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der Militärkommandanturen in Österreich verwies Grigor'jan darauf, dass am 1. März 1952 „von 16 Kommandanten 12 und dazu drei stellvertretende Kommandanten ausgetauscht" worden waren, und zwar durch „starke und verlässliche Arbeiter". Das Kriegsministerium der UdSSR hatte der SCSK „85 Arbeiter zur Verstärkung abgestellt, davon 48, die für eine verantwortungsvolle Arbeit in ihren Abteilungen der SCSK und der Kommandanturen vorgesehen" waren. Die Abteilungen der SCSK, die Redaktion der „Österreichischen Zeitung" und die Kommandanturen waren zum gegebenen Zeitpunkt beinahe vollständig mit Kadern versorgt worden. 100 Neben Lob für die GUSIMZ hielt Grigor'jan fest, die Führung der SCSK für Österreich hätte den Beschluss des ZK der VKP(b) umgesetzt, „indem sie die Arbeit des Apparates umgestaltete und die Verteilung der Kader auf Grundlage der neuen Verordnung über die Funktionen und die Struktur der SCSK überprüfte. Das Hauptaugenmerk lag

97 98 99

RGASPI, F. 17, op. 128, d. 117, S. 92. Ebd., S. 92f. RGASPI, F. 17, op. 127, d. 1720, S. 82f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 75. Hierin wird darauf verwiesen, dass es „früher", d. h. vor 1948, 64 Bezirks- und drei Landesmilitärkommandanturen gab. 100 Ebd., S. 111-115. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 79.

207

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx dabei auf der Arbeit in der Zone und auf einer Verstärkung der Kontrolle der Tätigkeit der österreichischen Regierung und örtlichen Behörden. In jeder Abteilung des SCSK sind spezielle Arbeitsgruppen nach ihrer Arbeit in der Zone eingeteilt. Regelmäßig werden Besprechungen der Mitarbeiter der SCSK und der Kommandanturen durchgeführt, um Fragen, die mit der Verbesserung der Arbeit in der Zone im Zusammenhang stehen, zu erörtern. Im Zusammenhang mit einer vorhergehenden Überprüfung der Lage vor Ort wurde eine Anhörung der Kommandanten über ihre Arbeit in den Beratungen der SCSK eingeführt." Wenngleich immer noch Mängel in der Arbeit vorlagen, hätte sich etwa der Kontakt zur KPÖ verbessert. Generell würde die Führung der SCSK nun „Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern bei der Umsetzung des Beschlusses" treffen. Alle Abteilungen wären beauftragt worden, „konkrete Arbeitspläne unter Berücksichtigung der sich ändernden politischen Lage in Österreich auszuarbeiten". 101 Die sowjetischen Vertreter in Österreich meldeten weiterhin „munter" nach Moskau, dass die von ihnen geleistete politische Arbeit „eine ernsthafte Hilfe für die KPÖ und andere demokratische Organisationen Österreichs in all ihren Tätigkeitsfeldern darstellte", wenngleich sich de facto nach der Überprüfung wenig geändert hatte.102 Ein Jahr später, am 21. März 1953, legten der sowjetische Hochkommissar, Generalleutnant Vladimir Sviridov, und der politische Vertreter, Sergej Kudrjacev, dem ZK der KPdSU einen 55 Seiten umfassenden Bericht über „die Umsetzung des Beschlusses des Ministerrates vom 1. November 1951 über die Verbesserung der Arbeit der SCSK in Österreich" vor. Gemeint waren wohl der vorab erwähnte Politbürobeschluss Nr. 84 (215)-op des ZK der VKP(b) vom 1. November 1951 bzw. dessen Realisierung im Ministerratsbeschluss der UdSSR vom 20. Februar 1952. Bezüglich der weiteren Tätigkeit der SCSK konstatierte dieser rund zwei Wochen nach Stalins Tod verfasste Bericht, dass in erster Linie der Apparat der Bevollmächtigten des Hochkommissars in den sowjetisch besetzten Bundesländern sowie der Apparat der Bezirkskommandanturen vergrößert wurden, und zwar auf Kosten der gemäß dem Ministerratsbeschluss aufgelösten Landeskommandanturen: in Niederösterreich von drei auf zehn Mitarbeiter, im Burgenland von zwei auf sieben sowie im Mühlviertel von zwei auf fünf Mitarbeiter. Dies ermöglichte, so Sviridov und Kudrjacev weiter, eine intensivere Kontrolle der Tätigkeit der Militärkommandaturen und eine Unterstützung „bei der Durchführung der politischen Arbeit unter der österreichischen Bevölkerung, der Stärkung der demokratischen Organisationen und der Verteidigung der demokratischen Elemente vor einer Verfolgung durch österreichische Behörden". 103 Bezüglich der angeordneten Überprüfung der Kader der Militärkommandanturen wird betont, dass eine Sonderkommission des Kriegsministeriums die fachliche und politische Vorbereitung sämtlicher Militärkommandanten überprüfte, woraufhin im Dezember 1952 18 von insgesamt 37 sowjetischen Militärkommandanten gegen „besser

101 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 115. 102 RGANI, F. 5, op. 28, d. 221, S. 314; vgl. den Beitrag von Irina Kazarina, Die Sowjetische Armee in Österreich 1953-1955 im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU, in diesem Band. 103 RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, S. 7.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission fiir Österreich vorbereitete und fähigere" Personen ausgetauscht wurden. Die Militärkommandanturen wurden per Anordnung Sviridovs in operativer Hinsicht der SCSK unterstellt, während die militärische und politische Vorbereitung des Militärpersonals weiterhin dem Stab der Zentralen Gruppe der Streitkräfte, CGV, unterstellt blieb. Zur besseren Koordinierung der Tätigkeit der SCSK und jener der CGV wurde die Abteilung des Stabes der CGV vom sowjetischen Hauptquartier in Baden in das Gebäude der SCSK nach Wien verlegt. Bemerkenswert erscheint der Hinweis, dass die SCSK die Unterstützung (und auch Kontrolle) der Kommandanturen „bei der Umstrukturierung ihrer Arbeit und der Neuorientierung auf die Arbeit unter der örtlichen Bevölkerung" ab dem 1. November 1951 offiziell als ihre „wichtigste Aufgabe" ansah.104 Sie organisierte einmal pro Monat eine ein- bis zweitägige Versammlung der Mitarbeiter der Kommandanturen und des Apparats des Bevollmächtigten des Hochkommissars, woran auch die Führungsetage der SCSK, die politischen Vertreter und die Mitarbeiter der einzelnen Abteilungen teilnahmen. Dabei wurde insbesondere die laufende Arbeit der Kommandanten und ihrer Politarbeiter vor Ort, die politische Situation in Österreich und die Unterstützung „demokratischer Organisationen" diskutiert, was eine „der effektivsten Formen der Kontrolle über die Kommandanturen" darstellte. Zu diesem Zweck suchten außerdem „qualifizierte Mitarbeiter der SCSK" systematisch die einzelnen Kommandanturen und sowjetischen Betriebe in Österreich auf, wobei die dabei gewonnenen Informationen u. a. für die Gespräche mit dem ZK der KPÖ herangezogen wurden. Außerdem gab es wöchentliche Besprechungen beim Stellvertretenden Hochkommissar, Generalmajor Viktor Kraskevic, woran gleichfalls die Kommandanten, Vertreter der SCSK wie auch die Leiter der sowjetischen Betriebe in Österreich teilnahmen. 105 Der „Demokratisierung der sowjetischen Zone" hätten allerdings die SCSK und die 38 Militärkommandanturen „nicht die nötige Aufmerksamkeit" geschenkt, so der Bericht weiter. Das Hauptaugenmerk hätte nämlich der Aufrechterhaltung der „äußeren Ordnung in den Garnisonen und der Erziehung des Personalstandes der Kommandanturen" und nicht der „Tätigkeit der örtlichen Behörden und der rechten Parteien" gegolten. Dieser fehlenden Hilfe und Unterstützung wurde die Schuld für die Schwäche der KPÖ und anderen „demokratischen Kräften der Zone" gegeben. 106 Bemerkenswert erscheint, dass der zum Schluss angeführte Maßnahmenkatalog in erster Linie Vorschläge zur Stärkung der „zur ,Völksoppostion"' gehörenden demokratischen Organisationen enthielt. Hinsichtlich des Apparates der SCSK wie auch der wichtigsten Kommandanturen in der Zone wurde lediglich vorgeschlagen, „auch in politischer Hinsicht besser ausgebildete Mitarbeiter" heranzuziehen sowie sechs zusätzliche diplomatische Mitarbeiter in den Personalstand der SCSK zu entsenden, „nachdem man diese zu Stellvertretern der

104 Ebd., S. 8. 105 Ebd., S. 8f. 106 Ebd., S. 9. Vgl. dazu auch den Beitrag von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Bevollmächtigten des Hochkommissars in den Bundesländern und zu Stellvertretern der Kommandanten für Angelegenheiten der Partei in Wien, Sankt Pölten und Wiener Neustadt ernannt hat".107 Nach Stalins Tod: Erleichterung des Besatzungsregimes und Neudefinierung der Aufgaben der Militärkommandanturen Bald nach Stalins Tod leitete Ministerpräsident Georgij Malenkov eine Reihe lang ersehnter Erleichterungen des Besatzungsregimes ein, die u. a. per 9. Juni 1953 eine Aufhebung der Kontrolle entlang der sowjetischen Demarkationslinie (die Westalliierten hatten ihre gegenseitige Interzonenkontrolle bereits im Sommer 1948 aufgegeben) sowie ab 1. August die Übernahme der eigenen Besatzungskosten durch die Sowjetunion und die Abschaffung der Post-, Telegrafen- und Rundfunkzensur umfassten.108 Hinzu kam der Vorschlag, die diplomatischen Vertretungen in Wien und Moskau zu Botschaften aufzuwerten. Mit Juli 1953 erfolgte die Einsetzung des Gesandten Ivan Il'icev anstelle von Generalleutnant Vladimir Sviridov als - ersten zivilen - Hochkommissar und Botschafter der UdSSR in Österreich (die Westmächte hatten schon 1950 zivile Hochkommissare eingesetzt).109 Erstmals wurde, wie bereits erwähnt, die Funktion des Oberbefehlshabers der Zentralen Gruppe der Streitkräfte von jener des sowjetischen Hochkommissars in Österreichs abgekoppelt. Erstere übernahm nun der Armeestabschef Generaloberst Sergej Birjuzov, dem 1954 Generaloberst Aleksej Zadov folgte.110 Die SCSK wurde durch die Auflösung und Zusammenlegung von Abteilungen erneut rekonstruiert und in „Apparat des Hochkommissars der UdSSR in Österreich" (AVK) umbenannt. Struktur und Personalstand sowie die Aufteilung der Funktionen zwischen dem Hochkommissar und dem Oberkommandierenden der sowjetischen Besatzungstruppen wurden im Juni 1953 in zwei Ministerratsbeschlüssen definiert.111 Wenig später beschloss das Präsidium des ZK der KPdSU die Vergrößerung des Apparates des Hochkommissars, insbesondere der Organe der sowjetischen Aufklärung.112 Die Umstrukturierung und Unterstellung der Militärkommandanturen unter den Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission bzw. den Apparat des Hochkommissars der UdSSR in Österreich machten schlussendlich auch eine neue Festlegung der „wesent107 RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, S. 55f. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 80. 108 Vgl. dazu auch: RGANI, F. 3, op. 8, d. 43, S. 4 - 6 . 109 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 315-317. 110 Valerij Vartanov, Struktur und Dislozierung der Zentralen Gruppe der Streitkräfte. Unveröffentlichtes Manuskript. Moskau 2004. 111 AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 103-105. Ministerratsbeschluss Nr. 1420-571ss v. 6.6.1953, Über die Aufteilung der Funktionen des Oberkommandierenden der sowjetischen Besatzungstruppen in Österreich und der Funktionen des Hochkommissars in Österreich; AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 106-113. Ministerratsbeschluss Nr. 1606-634ss v. 27.6.1953, Über die Struktur und den Personalstand des Apparates des Hochkommissars der UdSSR in Österreich. 112 AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 114. Beschluss des Präsidiums des ZK der KPdSU Nr. 20/66 v. 26.8.1953, Über die Vergrößerung des Personalstandes des Apparates des Hochkommissars, vor allem der Organe der sowjetischen Aufklärung.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Osterreich liehen Pflichten der Militärkommandanten der sowjetischen Zone Österreichs" notwendig. Diese waren ursprünglich am 20. April 1945 in einer „Provisorischen Verordnung über die Militärkommandanturen" festgesetzt worden, welche die Rechte und Pflichten der Militärkommandanten bei der Errichtung des Besatzungsregimes, die Maßnahmen „zur Erfassung der politisch-wirtschaftlichen Lage auf dem besetzten Gebiet" und zur Repatriierung von DPs sowie die „Rechte und Pflichten des Militärkommandanten in Bezug auf Einheiten und Angehörige der Roten Armee" noch vor Kriegsende definierte." 3 Am 9. September 1945 war schließlich eine von Marschall Ivan Konev sowie Generaloberst Zeltov bestätigte „Weisung an die Militärkommandanten auf dem besetzten Gebiet Österreichs" erlassen worden, die in strafferer Form die Organisation der Kommandanturen sowie Rechte und Pflichten des Kommandanten (1. hinsichtlich der militärischen Einheiten und Armeeangehörigen, 2. in Bezug auf die lokalen Behörden, 3. in Bezug auf die Wirtschaft und 4. in Bezug auf DPs) festlegte.114 Mit 16. Juni 1954 bestätigten der Oberbefehlshabers der CGV, Generaloberst Aleksej Zadov, und der sowjetische Hochkommissar, Ivan Il'icev, gemeinsam die neue Weisung, die einleitend auch die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen AVK und CGV regelte. Dabei wurden die Militärkommandanturen und die Abteilung für die Leitung von Militärkommandanturen „in allen Bereichen ihrer Tätigkeit" dem Oberkommandierenden der CGV unterstellt, in Fragen der „Ausübung von Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Sicherheitsorgane und Gerichte sowie betreffend das Verhältnis zur lokalen Bevölkerung" hingegen - über die Abteilung für administrative Fragen unter Generalmajor S. Cernicenko - dem sowjetischen Hochkommissar. Bezüglich der Ausübung der Kontrolle hatten die Militärkommandanten „ständige Verbindung mit den für die Bundesländer zuständigen Vertretern des Hochkommissars der UdSSR in Österreich" zu unterhalten." 5 Bemerkenswert erscheint, dass von den vier 1945 festgelegten Hauptfunktionen praktisch nur mehr zwei übrig blieben: einerseits die „Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung an den Orten der Stationierung sowjetischer Truppen", andererseits die „Kontrolle über die Tätigkeit der örtlichen Behörden (Polizei, Gendarmerie, Gerichte und Staatsanwaltschaft)". Bezüglich Ersterer mussten die jeweiligen Militärkommandanten u. a. eine genaue Evidenz über die auf „ihrem" Gebiet stationierten Einheiten führen, willkürliche Handlungen von Armeeangehörigen (Beschlagnahmungen oder Verkauf von staatlichem und zivilem Eigentum) unterbinden oder etwa eine Einquartierung von Einheiten in „evangelischen wie katholischen Kirchen und Gebetshäusern" bzw. ein Einstellen von Fahrzeugen auf „Friedhöfen, Kirchengründen und in öffent113 CAMO, F. 243, op. 2914, d. 259, S. 22-30, und CAMO, F. 243, op. 2922, d. 49, S. 168-177. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 59; Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 49-52. 114 CAMO, F. 275, op. 45235ss, d. 2, S. 184-189. Vgl. dazu auch den Beitrag von Valerij Vartanov, Die Aufgaben der Militärkommandanturen in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs 1945-1955, in diesem Band. 115 CAMO, F. 275, op. 140935ss, d. 1, S. 182-190. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 81; Vartanov, Die Aufgaben der Militärkommandanturen.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx liehen Gebäuden" verhindern. Besonders hervorgehoben wurde dabei die Pflicht aller Kommandierenden von Einheiten und Dienststellen, „Fälle ungebührenden Verhaltens von Armeeangehörigen gegenüber der örtlichen Bevölkerung, Zwischenfälle mit Fahrzeugen und andere Fälle, die mit einem Zufügen von Schaden gegenüber der örtlichen Bevölkerung zu tun haben", innerhalb einer dreitägigen Frist zu untersuchen und gegen die Schuldigen Maßnahmen zu ergreifen.116 Bezüglich der Kontrolle über die Tätigkeit der örtlichen Behörden wurde darauf verwiesen, dass diese entsprechend dem Zweiten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 und einer Reihe von im Alliierten Rat gefassten Beschlüssen auszuüben sei. Dies umfasste: - eine genaue Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Gerichte, - das Anlegen von „Charakteristiken des gesamten Führungskaders von Polizei und Gendarmerie", - die Beschlagnahmung von illegal verwahrten Waffen und Munition, - die Entgegennahme von Bitten und Beschwerden der österreichischen Bevölkerung, - die Berichterstattung über „Fälle massenhaften Abtransportes von industriellen Anlagen, Maschinen, Lebensmitteln", - die Sicherstellung der Pflege und Instandhaltung von Grabstätten und Denkmälern sowjetischer Soldaten, - die Beschlagnahmung der von den sowjetischen Behörden verbotenen Literatur, - die Berichterstattung an den Vertreter des Hochkommissars für das entsprechende Bundesland über „militaristische und revanchistische Aktivitäten", - die Beobachtung der politischen Parteien, Verbände, Vereine und deren Veranstaltungen im jeweiligen Bezirk und - die Kontrolle darüber, dass „auf den Verkehrswegen der Sowjetischen Zone, mit Ausnahme der Straßenstrecken: Wien - Tulln, Wien - Schwechat, Wien - Enns, Wien - Semmering [...] keine Bürger der USA, Englands und Frankreich ohne vom Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission für Österreich ausgestellte Passierscheine unterwegs sind".117 Außerdem waren die Militärkommandanten verpflichtet, monatlich Berichte über ihre Tätigkeit dem Leiter der Abteilung für die Leitung der Militärkommandanturen der CGV und dem Leiter der Abteilung für administrative Fragen der AVK zu unterbreiten. Geplante „antisowjetische Kundgebungen", Fälle von gegen die Rote Armee gerichteter „Diversion", terroristische Akte gegen sowjetische Bürger sowie Fälle nationalsozialistischer und militärischer Aktivitäten in der Sowjetischen Zone waren unverzüglich zu melden.118 Wie sich zeigen sollte, blieb diese neue Weisung an die sowjetischen Militärkommandanturen in Österreich nur etwas mehr als ein Jahr in Kraft.

116 CAMO, F. 275, op. 140935ss, d. 1, S. 186. 117 Ebd., S. 186-189. 118 Ebd., S. 190.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich 1955: Auflösung des Alliierten Rates und Abzug der Truppen Gemäß Teil III, Artikel 20 des am 15. Mai 1955 unterzeichneten österreichischen Staatsvertrages verlor das „Übereinkommen über den Kontrollapparat in Österreich vom 28. Juni 1946" mit dem Inkrafttreten des Vertrages seine Wirksamkeit. Die Streitkräfte der Alliierten sowie die Mitglieder der Alliierten Kommission für Österreich mussten „innerhalb von neunzig Tagen, angefangen vom Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages, soweit irgend möglich, spätestens bis zum 31. Dezember 1955, aus Österreich zurückgezogen" werden.119 Mit der Hinterlegung der französischen Ratifizierungsurkunde in Moskau am 27. Juli 1955 trat der Staatsvertrag schließlich in Kraft, wodurch alle Befugnisse des Alliierten Rates in Österreich erloschen und die für den Abzug der Truppen vorgesehene 90-Tages-Frist zu laufen begann.120 40.000 Armeeangehörige, 7600 Familienmitglieder und 2400 Arbeiter und Bedienstete des sowjetischen Besatzungsapparates mussten binnen verhältnismäßig kurzer Zeit mitsamt dem Militärgerät außer Landes gebracht werden.121 Bald nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages begannen auch die meisten sowjetischen Kommandanturen, ihre Tätigkeit einzustellen. So erteilte die Abteilung zur Führung der Militärkommandanturen der CGV am 11. Mai den Befehl „Über die Einsetzung von Kommissionen zur Auflösung der städtischen Militärkommandanturen" und führte darin sechs Kommandanturen an.122 Die vorerst noch weiter bestehenden Kommandanturen übten allerdings keine Kontrollfunktion mehr aus, wie der Bericht der Sicherheitsdirektion Niederösterreich für Mai 1955 konstatiert: „Die noch aufrecht erhaltenen sowjetischen Kommandanturen haben auf alle Kontrollfunktionen verzichtet und wünschen nur mehr, mit Angelegenheiten befasst zu werden, die Besatzungsangehörige direkt betreffen. Der noch notwendige Verkehr mit Dienststellen der Besatzungsmacht wird - dem Vernehmen nach - in nahezu freundschaftlicher Form geführt." 123 Im Zusammenhang mit der AVK fasste das Präsidium des ZK der KPdSU am 18. Juli 1955 den Beschluss „Über die Einstellung der Tätigkeit der Alliierten Kommission für Österreich" 124 und am 21. Juli den Beschluss „Über die Einstellung der Tätigkeit des

119 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 707f. 120 Ebd., S. 546; Hugo Portisch, Der lange Weg zur Freiheit. Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 4. München 1993, S. 401 f. 121 CAMO, F. 275, op. 140920s, d. 7, S. 152f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 188. Vgl. dazu auch den Beitrag von Irina Kazarina, Die Sowjetische Armee in Österreich 1953-1955 im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU, in diesem Band. 122 CAMO, F. 275, op. 512507s, d. 1, S. 34f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 82. 123 ÖStA/AdR, GÖS, Sich. - Direktion Niederösterreich, Monatsbericht Mai 1955. 124 Beschluss Nr. 133/XVI des Präsidiums des ZK der KPdSU v. 18.7.1955, in: AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 120-123. Zur Chronologie der Beschlüsse des Präsidiums des ZK der KPdSU bezüglich des Abzugs der sowjetischen Truppen aus Österreich und der Einstellung der Tätigkeit der Alliierten Kommission vgl. den Anhang des Beitrages von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Alliierten Rates".125 Einen Tag vor der letzten Sitzung der Alliierten Kommission für Österreich „segnete" das Präsidium des ZK der KPdSU noch die von Botschafter Il'icev auf der Abschlusssitzung zu verlesende Erklärung ab.126 Schließlich hielt der Alliierte Rat in Wien am 27. Juli, dem Tag der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde des Staatsvertrages in Moskau, unter Vorsitz des französischen Hochkommissars und Botschafters Francois Seydoux seine letzte Sitzung ab und beschloss die Auflösung der Alliierten Kommission für Österreich. Die Fahnen der Alliierten wurden vom Gebäude des Alliierten Rates auf dem Wiener Schwarzenbergplatz (offiziell noch Stalinplatz) eingeholt. Österreich war souverän.127 Zwei Monate später, genau neun Tage nach dem Abzug des letzten sowjetischen Soldaten aus Österreich, fasste das Präsidium des ZK der KPdSU schließlich den Beschluss über „Die Auflösung des Amtes des Hochkommissars der UdSSR in Österreich und die Bestätigung des Personalstandes der Botschaft der UdSSR in Wien"128, der am 1. Oktober 1955 in der Pravda veröffentlicht wurde.129 Parallel zur Einstellung der Tätigkeit des Hochkommissars hatte Moskau Vorbereitungen für den Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich getroffen: So hatte das Präsidium des ZK der KPdSU in seiner Sitzung am 8. Juni 1955 den Beschluss gefasst, das Verteidigungsministerium unter Marschall Georgij Zukov zu beauftragen, „entsprechend dem auf der Sitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU erfolgten Meinungsaustausch neue Vorschläge betreffend den Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich auszuarbeiten und diese dem ZK der KPdSU vorzulegen".130 Am 30. Juli 1955, drei Tage nach Inkrafttreten des Staatsvertrages, nahm das Präsidium des ZK der KPdSU den von Zukov präsentierten Befehlentwurf zum Abzug der Truppen an131, der am 31. Juli in der Izvestija und Pravda abgedruckt und u. a. zur Dementierung von Anschuldigungen der westdeutschen Nachrichtenagentur herangezogen wurde, die Sowjetunion würde ihre Truppen von Österreich nach Ungarn verlegen.132 Zukov befahl darin, „sämtliche in Österreich stationierten Truppen bis 1. Oktober 1955 auf das Gebiet der Sowjetunion zu verlegen" und „aus den Reihen der Armee eine entsprechende Zahl an Militärdienstleistenden zu entlassen". Das von der Sowjetunion angepeilte Datum des Abschlusses des Truppenabzuges lag somit weit vor der im Staatsvertrag fixierten 90-Tages-Frist,

125 Beschluss Nr. 134/X des Präsidiums des ZK der KPdSU v. 21.7.1955, in: AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 129-131. 126 Beschluss Nr. 136/14 des Präsidiums des ZK der KPdSU v. 26.7.1955, in: AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 132-134. 127 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 544f. 128 Beschluss Nr. 155/22 des Präsidiums des ZK der KPdSU v. 28.9.1955. 129 Beschluss Nr. 156/X des Präsidiums des ZK der KPdSU v. 30.9.1955 über die „Veröffentlichung des letzten Beschlusses in der Presse". 130 Protokoll Nr. 126 der Sitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU v. 8.6.1955, in: RGANI, F. 3, op. 10, d. 149, S. 2. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 183. 131 Beschluss Nr. 137. P. XXXXVI des Präsidiums des ZK der KPdSU v. 30.7.1955, in: RGANI, F. 3, op. 10, d. 162, S. 16. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 185. 132 Vgl. dazu den Beitrag von Irina Kazarina, Die Sowjetische Armee in Österreich 1953-1955 im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU, in diesem Band.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission fiir Österreich die am 25. Oktober 1955 endete. 133 Abschließend wurde dem Mannschaftsstand „für die vorbildliche Erfüllung seiner militärischen Pflicht" Dank ausgesprochen. 134 Am 8. August 1955 nahm das ZK auch den Beschlussentwurf des Ministerrates der UdSSR unter Nikolaj Bulganin an, worin die zuständigen Ministerien für Kommunikationswege und Seestreitkräfte verpflichtet wurden, die Verlegung der Truppen bis 1. Oktober zu gewährleisten. 135 Parallel dazu wurden - offensichtlich aus gegebenem Anlass - von den Armeekommandierenden, Politorganen und Partei- und Komsomolzenorganisationen der CGV Maßnahmen zur „Intensivierung der politisch-erzieherischen Arbeit und zur Festigung der militärischen Disziplin des Mannschaftstandes" durchgeführt. Bereits am 28. April 1955 hatte das Verteidigungsministerium Maßnahmen zur Unterbindung von Übergriffen sowie zur Instruierung der Soldaten „über die Notwendigkeit eines korrekten Verhältnisses zur österreichischen Bevölkerung" erlassen. Nicht nur die Soldaten selbst, sondern auch die in Österreich stationierten Familienmitglieder hatten politische Schulungen zu ihrer „Erziehung im Sinne einer strengen Einhaltung der Verhaltensnormen gegenüber der österreichischen Bevölkerung" zu durchlaufen, um die „Ehre und Würde sowjetischer Staatsbürger" nicht in Verruf zu bringen. 136 Im Gegensatz zum Kriegsende und zur ersten Besatzungszeit 137 waren die Übergriffe durch Armeeangehörige drastisch zurückgegangen. Nun wurde zu Recht durch den bevorstehenden Abzug aus Österreich ein neuerliches Ansteigen des „amoralischen Verhaltens" befürchtet. Nichtsdestotrotz ließ die Disziplin der sowjetischen Truppen ab der Unterzeichnung des Staatsvertrages erneut nach, wobei die 177. Garde-Artilleriedivision der Luftwaffe, die 95. Garde-Schützendivision und die 10. Garde-Jagdfliegerdivision besonders negativ auffielen. Ab Juni 1955 wurden die „undiszipliniertesten Armeeangehörigen" jeder einzelnen Einheit, die erfasst werden konnten, vorzeitig in die Sowjetunion transportiert, „da deren weiterer Aufenthalt in Österreich unter den veränderten Bedingungen unzulässig" gewesen wäre. Diese Maßnahme betraf bis Anfang September 650 Soldaten und Unteroffiziere sowie 49 Offiziere. Außerdem wurden in der Zeit von Mai bis Juli 1955 70 Armeeangehörige wegen Diebstahls, Ausschreitungen, Schlägereien oder Ungehorsams verurteilt. 138

133 Zur Frage nach den Fristen des Abzuges der sowjetischen Besatzungstruppen aus Österreich und zu den propagandistischen Aspekten der letztendlich sehr kurzen Abzugsfrist vgl. auch den Beitrag von Michail Prozumenscikov, Nach Stalins Tod, Sowjetische Österreich-Politik 1953-1955, in diesem Band. 134 RGANI, F. 3, op. 10, d. 162, S. 154. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 185. RGANI, F. 3, op. 8, d. 275, S. 68-70. 135 Beschluss Nr. 139. Punkt XVI des Präsidiums des ZK der KPdSU v. 8.8.1955, in: RGANI, F. 3, op. 10, d. 165, S. 5, S. 102. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 186. 136 CAMO, F. 275, op. 140920s, d. 7, S. 2f. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 187. 137 Vgl. dazu etwa: Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1943-1945. Materialien zur Zeitgeschichte. Bd. 1. Wien 1977, S. 234-239. 138 CAMO, F. 275, op. 140920s, d. 7, S. 2f.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Der Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich begann am 4. August 1955. In allen Garnisonen wurden noch gemeinsam mit der österreichischen Bevölkerung Kränze auf die Grabstätten sowjetischer Soldaten gelegt, Treffen von Soldaten mit der örtlichen Bevölkerung organisiert und mehr als 30 große Konzerte allein des Volkstanzensembles der CGV mit bis zu 200.000 Besuchern veranstaltet.139 Auch auf den Bahnhöfen wurden Abschiedsfeiern organisiert, Ansprachen gehalten, letzte Fotos von Besatzungssoldaten mit einheimischen Kindern geschossen und den abziehenden Offizieren und Soldaten Blumen überreicht.140 Ab dem 2. August war ein Großteil der Kader des Stabes und der Politischen Verwaltung direkt in den Einheiten zur Vorbereitung und Durchführung des Abzuges tätig. Schließlich handelte es sich dabei um ein gewaltiges logistisches Unterfangen, das in kürzester Zeit durchgeführt werden musste.141 49 Verladerampen wurden eingerichtet, die wichtigsten in Baden bei Wien und Bruck an der Leitha, aber auch in St. Pölten, Krems und Wiener Neustadt. Auch Möbel und Hausrat wurden verpackt und zum nächsten Bahnhof gebracht, dazu viele Kisten mit der Aufschrift „Ne kantovat'!" - „Nicht stürzen!"142 Bis zum 1. September wurden von den insgesamt 308 Zügen 218 abgefertigt und beinahe alle Familienmitglieder (rund 7500 Personen) außer Landes gebracht.143 (Der Nachzug von Offiziersfamilien auf österreichisches Staatsgebiet war im Juni eingestellt worden. Ende Juli waren insgesamt 1300 Familien von Offizieren in die Sowjetunion gebracht worden).144 Die Österreichischen Bundesbahnen stellten auf sowjetische Forderung mit Beginn der Transporte 3600 Güter- und 350 Personenwaggons bereit, was die Umsetzung des Transportplanes ermöglichte.145 Insgesamt wurden 39.512 Armeeangehörige, 7590 Mitglieder von Offiziersfamilien sowie 2383 Arbeiter und Bedienstete aus Österreich abgezogen, wobei ein Teil der Einheiten nach Ungarn verlegt wurde. Sämtliche nicht mehr benötigten Vorräte an Öl- und Treibstoff, Hausrat und anderen Gütern kamen zur Versorgung der sowjetischen Truppen nach Ungarn.146 Im Laufe des September 1955 erfolgte die Auflösung der Zentralen Gruppe der Streitkräfte gemäß Befehl Nr. 010 vom 9. September. Der Offiziersstand der Feldverwaltung der CGV wurde vorwiegend in Militärbezirke der UdSSR verlegt, der Unteroffiziers- und Mannschaftsstand nach „Transkarpatien" abkommandiert und die Arbeiter und Bediensteten der Sowjetischen Armee an ihre Wohnorte verbracht. Sämtliche im Archiv des Stabes der CGV verwahrten geheimen Dokumente wurden an das Zentralarchiv

139 Ebd. Portisch, Österreich II, Bd. 4, S. 405f. 140 Vgl. dazu die Fotodokumentation der Politverwaltung der CGV in: CMVS, Vyvod Sovetskich vojsk iz Avstrii. Avgust-Sentjabr' 1955 goda. Fotodokumenty. 141 Wegen des so rasch durchgeführten Abzuges aus Österreich kam es teilweise zu Schwierigkeiten bei der Bereitstellung von Kasernen, Unterkünften für Offiziere und ihre Familien oder Maschinenparks. Vgl. Evgenij Malasenko, V sovetskich vojskach ν Avstrii. Manuskript. Moskau 2003, S. 11 F.; AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0270, Evegnij Malasenko. Moskau, 20.10.2003. 142 Portisch, Österreich II, Bd. 4, S. 405f. 143 CAMO, F. 275, op. 140920s, d. 7, S. 6. 144 Ebd., S. 149-156, hier: S. 150. 145 Ebd., S. 150. 146 Ebd., S. 152f.

Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission fir Österreich des Verteidigungsministeriums übergeben, wo sie sich bis zum heutigen Tag befinden. Siegel und Stempel der Verwaltungen bzw. Abteilungen oder Dokumente, die keiner Verwahrung in einem Archiv unterlagen, mussten vernichtet werden. Außerdem waren die von den Versorgungsabteilungen und Abteilungen der CGV erstellten Abrechnungen an die Zentralverwaltung des Verteidigungsministeriums zu senden. 147 Bereits am 19. September, eineinhalb Wochen vor der im erwähnten Befehl Nr. 125 des Verteidigungsministeriums vom 31. Juli gesetzten Frist, hatte der letzte sowjetische Soldat Österreich verlassen. 148 Noch am 19. September teilte der Botschafter Ivan II' icev Bundeskanzler Julius Raab mit, dass mit gleichem Tag die Räumung Österreichs durch sowjetische Truppen abgeschlossen sei. 149 Die Verwaltung der Zentralen Gruppe der Streitkräfte galt per 25. September 1955 als aufgelöst. 150 Am 25. Oktober 1955, dem Ende der im Staatsvertrag vorgesehenen Räumungsfrist von 90 Tagen ab Inkrafttreten des Staatsvertrages, verließen die letzten - britischen - Besatzungssoldaten Österreich. Der bis heute gepflegte Mythos vom „Abzug des letzten Soldaten aus Österreich" und der damit einhergehenden „endgültigen Befreiung" von den „Befreiern" wurde auch durch den „ersten wirklichen Feiertag der Zweiten Republik" bekräftigt, nämlich durch die am 26. Oktober 1955 vom Nationalrat angenommene immerwährende Neutralität.151 Ein halbes Jahr später gab die Bezirkshauptmannschaft Zwettl in einem Rundschreiben bekannt, dass Befreiungsfeiern als „überholt" nicht mehr stattfinden werden. Denn Österreich wäre nun „von den Befreiern befreit und frei".152

147 C A M O , F. 25, op. 657741s, d. 2, S. lf. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 189. 148 C A M O , F. 275, op. 140920s, d. 7, S. 6. 149 Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 549. 150 C A M O , F. 25, op. 657741s, d. 2, S. lf. 151 A m 25. Oktober 1955, dem Ende der im Staatsvertrag vorgesehenen Räumungsfrist von 90 Tagen ab Inkrafttreten des Staatsvertrages, verließen die letzten (britischen) Besatzungssoldaten Österreich. Die Räumung Österreichs durch sowjetische Truppen war bereits am 19. September 1955 abgeschlossen worden. A m Tag nach dem Ablauf der Räumungsfrist, nicht am Tag des Abzuges des letzten Besatzungssoldaten, wie vielfach angenommen wird, beschloss der Nationalrat das Bundesgesetz über die Neutralität Österreichs. Vgl. dazu: Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945-1955. Österreichs Weg zur Neutralität. 3. Aufl. Graz - Wien - Köln 1985, S. 170; Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 549; Gerald Stourzh, Österreichs Weg zum Staatsvertrag und zur Neutralität, in: Elisabeth Morawek (Hg.), 26. Oktober. Zur Geschichte des österreichischen Nationalfeiertages. Wien o. J., S. 5 - 1 5 ; Wolfram Dornik, Erinnerungskulturen im Cyberspace. Eine Bestandaufnahme österreichischer Websites zu Nationalsozialismus und Holocaust. Berlin 2004, S. 49; Thomas Macho, Die letzten Fremden. Feiertag der Zweiten Republik, in: Lutz Muster - Gotthart Wunberg - Eva Cescutti (Hg.), Gestörte Identität? Eine Zwischenbilanz der Zweiten Republik. Ein Symposion zum 65. Geburtstag von Moritz Csaky. Innsbruck - Wien - München - Bozen 2001, S. 4 4 - 5 9 ; Alfred Verdross, Die immerwährende Neutralität Österreichs, in: Elisabeth Morawek (Hg.), 26. Oktober. Zur Geschichte des österreichischen Nationalfeiertages. Wien o. J., S. 5 1 - 6 2 ; Rolf Steininger, 15. Mai 1955: Der Staatsvertrag, in: Rolf Steininger - Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Vom Weltkrieg bis zur Gegenwart. Bd. 2. Wien - Köln - Weimar 1997, S. 217-257, S. 239f. 152 NÖLA, BH Zwettl, Abt. 1, 396, 1955, pd. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 140.

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Nikita Petrov

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD im System der sowjetischen Repressionsorgane in Österreich 1945-1946 Zum Hauptinstrument für die Durchführung der sowjetischen Repressionspolitik in dem von der Roten Armee besetzten Teil Österreichs entwickelten sich die Organe der militärischen Gegenaufklärung, die der Hauptverwaltung für Gegenaufklärung (GUKR) SMERS des Volkskommissariates für Verteidigung unterstanden. Sie waren direkt (außerhalb der Strukturen des NKVD und NKGB) Stalin (in dessen Funktion als Volkskommissar für Verteidigung) unterstellt und verfügten über eigene Truppen in sämtlichen militärischen Einheiten: die Verwaltungen für Gegenaufklärung (UKR) SMERS bei den Fronten und Gruppen der Streitkräfte und die Abteilungen für Gegenaufklärung (OKR) bei den Armeen, Korps und Divisionen. Die Organe der SMERS nahmen Verhaftungen in der Operationszone der Truppen vor. Das Einsatzgebiet der „operativen Gruppen" des NKVD befand sich im Hinterland der vorrückenden Truppen der Roten Armee. Zu ihren Aufgaben zählte die so genannte Säuberung (auch groß angelegte Razzien und Verhaftungen) zwecks „Gewährleistung der Stabilität im Hinterland der Armee". Im Jänner 19451 wurde das Amt des Bevollmächtigten des NKVD der UdSSR bei den Fronten der Richtung Westen vorrückenden Roten Armee installiert. 2 Jedoch handelte es sich dabei nicht um die später in Österreich operierende 2. und 3. Ukrainische Front, in deren Verband kein Bevollmächtigter des NKVD ernannt wurde. Dies bedeutet natürlich nicht, dass es in der Operationszone dieser Fronten keine „operativen Gruppen" gegeben hätte. Es gab sie sehr wohl, wenn auch nicht ununterbrochen, dafür jedoch zahlenmäßig stark. Sie wurden im Bedarfsfall aus Angehörigen der Mannschaft der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes rekrutiert und direkt den Leitern der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 2. und 3. Ukrainischen Front und in operativer Hinsicht den Leitern der UKR SMERS 1

2

Auf Grundlage des Befehls Nr. 0016 des NKVD der UdSSR vom 11.1.1945. Wortlaut des Befehls siehe: Sergej Mironenko u. a., Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950. Bd. 1. Berlin 1998; RGANI, Serija „Publikacii". Bd. 2. Special'nye lagerja NKVD/MVD SSSR ν Germanii. 1945-1950gg. Sbomik dokumentov i statej. Moskau 2001. Diesem waren die Leiter der UKR SMERS und die Leiter der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der entsprechenden Fronten als Stellvertreter unterstellt.

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Nikita Petrov dieser Fronten unterstellt. Darin lag auch der Hauptunterschied in der Organisation der sowjetischen Repressionsorgane auf dem Gebiet Österreichs zu jenen in Deutschland. Auf dem Gebiet Deutschlands wurden die operativen Gruppen des NKVD sogleich zum wichtigsten Repressionsorgan, das den Bevollmächtigten des NKVD bei den entsprechenden Fronten unterstellt war. Auf dem Gebiet Österreichs operierten im Zuge der „Wiener Operation" in den Monaten März und April des Jahres 1945 die 3. Ukrainische Front3 unter dem Kommando Marschall Fedor Tolbuchins und Verbände des linken Flügels der 2. Ukrainischen Front4 unter dem Kommando von Marschall Rodion Malinovskij. Wien wurde am 13. April 1945 eingenommen. Anfang Juni 1945 bildeten die zuvor zum Verband der 1. Ukrainischen Front gehörenden militärischen Verbände die Grundlage für die Zentrale Gruppe der Streitkräfte (CGV), wobei die Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 1. Ukrainischen Front in Deutschland verblieben waren und in Österreich über keine eigenen Regimenter verfügten. Nichtsdestotrotz waren die operativen Berichte des Stabes der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 1. Ukrainischen Front von 11. Juni 1945 bis 14. Juli 1945 als Berichte des Stabes der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV ausgewiesen.5 Im Juni 1945 unternahm die Führung des NKVD den Versuch, den Zuständigkeitsbereich des Apparates des Bevollmächtigten des NKVD für die 1. Ukrainische Front auch auf von Verbänden der CGV besetztes Gebiet auszuweiten. Am 22. Juni 1945 unterbreitete Lavrentij Berija Stalin den Vorschlag, eine Reorganisierung des Apparates der Bevollmächtigten des NKVD bei den Fronten vorzunehmen, und schlug im Zuge dessen vor allem die Ernennung von Generalleutnant Pavel Mesik, dem damaligen Bevollmächtigten des NKVD der UdSSR bei der 1. Ukrainischen Front, zum Bevollmächtigten des NKVD der UdSSR „bei der Gruppe der Streitkräfte Konevs" (auf dem Gebiet Österreichs, Ungarns und der Tschechoslowakei) vor.6 Doch die von Lavrentij Berija vorgeschlagene Variante wurde von Stalin nicht gebilligt und der Apparat des Bevollmächtigten des NKVD in Deutschland belassen, woraufhin die Truppen zum Schutz des Hinterlandes der CGV in erster Linie aus Truppen, die zuvor zum Schutz des Hinterlandes der 2. Ukrainischen Front eingesetzt waren, rekrutiert wurden. Nach gemäß Befehl Nr. 00805 des NKVD vom 9. Juli 19457 erfolgter offizieller Auflösung der Fronten der Roten Armee wurde die Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des

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5 6 7

In folgender Zusammensetzung: 4. und 9. Garde-Armee, 26., 27. und 57. Armee, 1. bulgarische Armee, 17. Luftarmee, 18. und 23. Panzerkorps, 1. Garde-Mech.-Korps und 5. Garde-Kavalleriekorps. Velikaja Otecestvennaja vojna 1941-1945: Enciklopedija. Moskau 1985, S. 124. Von den Verbänden der Front beteiligten sich an der Operation: 46. Armee, 6. Garde-Panzerarmee (am 16.3.1945 wurde diese der 3. Ukrainischen Front unterstellt), 2. Garde-Mech.-Korps, 5. Luftarmee und die Donauflottille. Velikaja Otecestvennaja vojna, S. 124. RGVA, F. 32891, op. 1, d. 128, S. 476, 536f. Archiv novejsej istorii Rossii. Serija „Publikacii". Bd. 2. Special'nye lagerja NKVD/MVD SSSR ν German». 1945-1950gg. Sbornik dokumentov i statej. Moskau 2001, S. 27f. Mit diesem Befehl wurden die Apparate der Bevollmächtigten des NKVD bei der 2. und 3. Weißrussischen Front und bei der 1. und 4. Ukrainischen Front aufgelöst und der Apparat des Bevollmächtigten

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD

in

Osterreich

Hinterlandes der 2. Ukrainischen Front in die „Verwaltung der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der Zentralen Gruppe der Streitkräfte (CGV)" (Österreich, Ungarn und Tschechoslowakei) 8 und die Verwaltung der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front in die „Verwaltung der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der Südlichen Gruppe der Streitkräfte (JUGV)" (Rumänien und Bulgarien) 9 umformiert. Mit dem Befehl Nr. 001187 des N K V D vom 10. Oktober 1945 wurde die Verwaltung der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der Südlichen Gruppe der Streitkräfte aufgelöst. In operativer Hinsicht wurden die in Österreich stationierten Truppen des N K V D den Vertretern der SMERS und des N K V D unterstellt. Zum Leiter der operativen Gruppe der GUKR SMERS in Österreich wurde mit Dezember 1945 Generalmajor N. Rozanov ernannt.10 Er befehligte die Bevollmächtigten der Gegenaufklärung SMERS, die direkt an alle Kommandanturen entsandt wurden. Die Tätigkeit des N K V D / M V D in Österreich wurde von Generalmajor Lev Novobratskij koordiniert, der in Wien offiziell als Leiter für Innere Angelegenheiten des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission fungierte. Mit Juni 1945 wurden in den Verband der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front die Grenzregimenter Nr. 17, 25, 91, 134, 336, das 40. Schützen-Regiment und die 109. Manövergruppe eingegliedert; 11 zum Verband der

des N K V D bei der 1. Weißrussischen Front in den Apparat des Bevollmächtigten des N K V D bei der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (GSOVG) umgewandelt. Im Wortlaut des Befehls ist keine Rede von einer Umbenennung der Verwaltungen der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der 2. und der 3. Ukrainischen Front, was jedoch dann verständlich wird, wenn man berücksichtigt, dass gerade diese Truppen in Österreich und in anderen Staaten verblieben waren. Punkt 9 des Befehls behandelt die Aufgaben der Truppen: „Leitung der Tätigkeit der Überprüfungs- und Filtrationskommissionen des N K V D in Lagern für zu repatriierende Sowjetbürger und der Abteilungen des N K V D für Angelegenheiten von Kriegsgefangenen, wie auch Übertragung der Unterhaltung von Gefängnissen und Lagern für Gefangene auf dem Gebiet der Nördlichen Gruppe der Streitkräfte der Roten Armee in Polen, der Zentralen Gruppe der Streitkräfte in Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei sowie der Südlichen Gruppe der Streitkräfte in Rumänien und Bulgarien an die Leiter der Verwaltungen der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der genannten Gruppen der Streitkräfte. Den Leitern der Verwaltungen der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der Nördlichen, der Zentralen und der Südlichen Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen sind zur Erfüllung oben genannter Aufgaben Gruppen von je 15 operativen Mitarbeitern zu unterstellen." RGAN1, Serija „Publikacii", Bd. 2, S. 28-30. 8

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RGASPI, F. 17, op. 127, d. 788, S. 103. Zum Verband der Truppen zum Schutz des Hinterlandes der CGV zählten: die Grenzregimenter Nr. 10, 24, 37, 128, 335 und 336. Leiter der Verwaltung der Truppen des N K V D - M V D zum Schutz des Hinterlandes der CGV waren: Generalmajor I. Kuznecov von 20.6.1943 bis 14.5.1946 und Oberst Michail Zimin-Kovalev von 14.5.1946 bis 28.10.1946. RGASPI, F. 17, op. 127, d. 788, S. 103. Zum Verband der Truppen zum Schutz des Hinterlandes der CGV zählten: die Grenzregimenter Nr. 17, 25 und 91. Als Leiter der Verwaltung der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front, später Südliche Gruppe der Streitkräfte, fungierte von 18.11.1942 bis 29.10.1945 Generalmajor Ivan Pavlov. Zu dieser Zeit fungierte als Leiter der UKR SMERS der CGV im Juni und Juli 1945 Generalleutnant N. Osetrov, der frühere Leiter der UKR SMERS der 1. Ukrainischen Front; auf ihn folgte Generalleutnant N. Korolev, zuvor Leiter der UKR SMERS der 2. Ukrainischen Front. Die Dislozierung der Kommandopunkte der Regimenter gestaltete sich mit Ende Juni 1945 wie folgt: 25.: Judenburg, Feldbach, 91.: Fischbach, 17.: Graz, 134.: Bruck, 336.: Wien, 40.: ab 11.6.1945 Wien, 109. Manövergruppe: Wien. RGVA, F. 32900. op. 1, d. 247. Als Kommandant des 17. Regiments fungierte Vasilij Pavlov, das 40. unterstand Oberstleutnant Chorosev.

222

Nikita Petrov Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 2. Ukrainischen Front kamen die Grenzregimenter Nr. 10, 24, 37,128 und 335.12 Außerdem zählte zum Verband der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 2. Ukrainischen Front die 61. Schützen-Division des NKVD, die aus den Schützen-Regimentern 381, 382 und 383 sowie aus dem 235. Sonder-Schützen-Bataillon bestand.13 Die Gesamtstärke der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 2. Ukrainischen Front lag bei 12.404 Mann und übertraf damit die Stärke der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front, die bei 7461 Mann lag, beinahe um das Doppelte.14 Dislozierung der Einheiten der Inneren Truppen in Österreich Im Herbst 1945 legte man das Hauptaugenmerk auf Wien. Es ist wahrscheinlich, dass der Kommandierende der 3. Ukrainischen Front das NKVD um die Entsendung zusätzlicher Kräfte bat. Am 4. Mai 1945 teilte Berija Tolbuchin mittels Chiffretelegramm Folgendes mit: „Wir teilen Ihnen aus dem Verband der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes ein Regiment zu, das Sie für Wien einsetzen können."15 Dieses Regiment traf allerdings erst einen Monat später in Wien ein.16 Im Sommer 1945 wurden die in Österreich stationierten Regimenter der Inneren Truppen, die früher im Verband der 3. Ukrainischen Front gestanden waren, sukzessive durch Regimenter aus dem Verband der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV ersetzt.17 So verließ das 17. Grenzregiment am 18. Juli Graz in Richtung Belgrad und befand sich ab 17. August 1945 in Burgas, Bulgarien. Aus Rumänien traf das 40. Schützen-Regiment ein, das ab 11. Juni 1945 in Wien stationiert war.18 Am 17. Juli 1945 wurde das 37. Grenzregiment aus Humpolec nach Wien verlegt.19 Mit dem Befehl Nr. 0015 des Stabes der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV vom 23. Juli 1945 wurde dem Regiment die Aufgabe erteilt, die „Säube-

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13 14 15 16 17 18 19

Die Dislozierung der Kommandopunkte der Regimenter gestaltete sich mit Ende Juni wie folgt: Als Regimentskommandant des 10. Regiments fungierte Fedor Volkov, das 24. Regiment befehligte Oberst Stepan Kapustin, das 37. Oberst Vasilij Jaroslavskij, das 383. Oberstleutnant Grigorij Savickij, dem später der Rang eines Obersten verliehen wurde. Am 3. Juni 1946 erlitt Savickij bei einem Autounfall schwere Verletzungen, denen er am 4. Juli in der Stadt Täbor erlag. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 289, S. 22. Mit 16.5.1945. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 185, S. 47-51. Mit 20.7.1945 befand sich der Stab der 61. Schützen-Division in Budapest. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 191, S. 90. Mit 16.5.1945. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 185, S. 47-51. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 212, S. 22. Das Chiffretelegramm beinhaltet einen mit 24.5.1945 datierten Vermerk über die Verlegung des 40. Grenzregiments nach Wien. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 216, S. 22. Es handelt sich um Regimenter, die zuvor dem Verband der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 2. Ukrainischen Front angehörten. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 185, S. 46. Nach Auflösung der Fronten wurde dieses Regiment aus der 3. Ukrainischen Front in die CGV eingegliedert. RGVA, F. 32906, op. 1, d. 32, S. 32.

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich rung" des 2., 20. und des 21. Wiener Bezirkes „fortzusetzen". 20 Am 9. September 1945 wurde ein Teil der Einheiten des Regiments nach Bratislava verlegt.21 Am 1. Oktober 1945 bestanden die Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV aus sechs Regimentern: 10., 24., 37., 128., 335., 336. und der Manövergruppe bei der Truppenverwaltung. Anfang Oktober 1946 erging vom Leiter der Hauptverwaltung der Inneren Truppen (GUVV) des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee der Befehl zur Verlegung der Regimenter 128, 335 und 336 in die UdSSR. 22 Mit 30. Dezember 1945 sah die Dislozierung der in Österreich Dienst versehenden Einheiten der Inneren Truppen des NKVD wie folgt aus: Die Truppenverwaltung befand sich in Mauer, das 10. Regiment in Waidhofen, das 24. Regiment in Mauer, das 37. Regiment in Floridsdorf, das 40. Regiment in Wien und das 383. Regiment in Budapest. 23 Mit 31. Jänner 1946 zählte der Verband der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV insgesamt vier Regimenter: Das 10. Grenzregiment mit dem Stab in Waidhofen überwachte die österreichischtschechoslowakische Grenze, Objekte der CGV in den Städten Zwettl, Großsiegharts und die Verwaltung der Inneren Truppen in Mauer. Das 24. Grenzregiment mit dem Stab in Mauer bewachte die Alliierte Kommission und den 4. Wiener Bezirk, den Bevollmächtigten Vertreter der UdSSR in Österreich und dessen Apparat 24 , den Bereich des Stabes der CGV in Gumpoldskirchen. Mit den Kräften von zwei Sicherungseinheiten wurde auch das Vorfeld der Stadt Baden und die in die Stadt führenden Einfallstraßen kontrolliert. Das 37. Grenzregiment mit dem Stab in Wien25 kontrollierte einen Abschnitt der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze, Objekte der CGV in Oberpullendorf, Sopron und im 22. Bezirk Wiens. Zu den Aufgaben des Regiments zählte auch die „Wahrung einer gebührenden Ordnung in Wien" 26 und Kontrollen an der Zonengrenze Langenzersdorf. Das 383. Schützen-Regiment 27 mit dem Stab in Budapest bewachte die Sowjetische Kontrollkommission und Objekte der CGV in Ungarn. Das Kommando und der Stab der Inneren Truppen befanden sich in Mauer, die Gesamtstärke dieser drei Regimenter 28 lag bei 5342 Mann. 29 20 21 22 23 24 25 26 27 28

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RGVA, F. 32906, op. 1, d. 27, S. 28f. RGVA, F. 32906, op. l , d . 32, S. 131. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 18. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 191, S. 132. Zwei Bataillone dieses Regiments waren unter der Adresse: Wien, Favoritenstraße 15, disloziert. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 301, S. 26, 27. Der Stab des Regiments war unter der Adresse: Wien, Gerstigasse 12, disloziert. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 301, S. 27. Ein Bataillon des Regiments war unter der Adresse: Wien, Leopoldstraße 18, und eine Sicherungseinheit im 20. Bezirk disloziert. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 301, S. 27. Gemäß Befehl an die Truppen Nr. 00210 vom 29.12.1945 in den Verband der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der CGV eingegliedert. RGVA, F. 32905, op. 1, d. 247, S. 146. Ohne Berücksichtigung des Apparates der Truppenverwaltung, zu dem zählten: die Truppenverwaltung mit 222 Mann, die Schule des Unteroffiziersstandes, die 109. Verbindungskompanie und die 111. Sonder-Manövergruppe. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 301, S. 30. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 301, S. 26-28.

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Nikita Petrov Mit 1. März 1946 betrug die Gesamtstärke der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV 5942 Mann, wobei die personelle Stärke, die Dislozierung der Regimenter und die zu bewachenden Objekte mit Ausnahme der Verlegung des Stabs des 37. Grenzregiments von Wien nach Floridsdorf, bei dem die Sicherungseinheiten des Regiments in Wien verblieben, beinahe keine Änderungen erfuhren.30 Am 27. Mai 1946 wurde das 37. Grenzregiment aus Österreich abgezogen und seine Einheiten von Wien nach L'vov/Lemberg verlegt.31 Mit 1. September 1946 bestand der Verband der Truppen des MVD zum Schutz des Hinterlandes aus nur mehr zwei Regimentern: dem 24. Grenzregiment (mit Stab in Mauer), das seinen Dienst weiterhin in Wien versah und dem zudem auch die Überwachung der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze oblag. Außerdem stellte das Regiment 25 Mann zur Bewachung des „Oberkommandos der Roten Armee" in Karlovy Vary/ Karlsbad ab. Das zweite zum Verband der Truppen des MVD zählende Regiment, das 383. Schützenregiment, bewachte die Sowjetische Kontrollkommission in Ungarn. Die Gesamtstärke der Truppen wurde bis September 1946 auf 2759 Mann verringert.32 Auf Grundlage des Telegramms Nr. 30918 der Hauptverwaltung der Inneren Truppen des MVD der UdSSR vom 27. September 1946 wurden die Verwaltung der Truppen des MVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV und das diesem unterstellte 383. Regiment, die 111. Sonder-Manövergruppe, die 109. Sonder-Verbindungskompanie und die Schule des Unteroffiziersstandes nach Mukacevo, West-Ukraine, verlegt und dort aufgelöst.33 Am 2. Oktober 1946 wurde vom Chef der Truppen der MVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV, Michail Zimin-Kovalev, an den Oberkommandierenden der CGV, Generaloberst Vladimir Kurasov, die Meldung mit der Nr. 5/1 -001577 übermittelt, in der es hieß, dass auf Grundlage des Befehls Nr. 0187 betreffend die CGV vom 26. September 1946 und des Befehls Nr. 00866 vom 26. September 1946 die von Einheiten der Truppen des MVD bewachten Objekte des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich und der Alliierten Kontrollkommission in Ungarn mit 2. Oktober zwecks Bewachung Einheiten des Ministeriums der Streitkräfte der UdSSR übergeben worden wären und die Kontrolle der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze in Richtung Bratislava/Preßburg sowie die Bewachung der Datschas Marschall Kliment Vörosilovs in Budapest ab dem 3. Oktober erfolgen würde. Teile der Truppen des MVD wären in Bataillonsstärke zusammengezogen und träfen Vorbereitungen für ihre Verlegung.34 Im Zusammenhang mit der Auflösung der Truppen des MVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV wurde die bei der Truppenverwaltung installierte Abteilung ,,F' (Filtration zu repatriierender Sowjetbürger) mit einer Stärke von 19 Mann der Ver-

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Ebd., S. 30-33. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 156, S. 44. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 301, S. 84f. Der Befehl Nr. 0090 zur Auflösung erging an die Truppen des M V D in der CGV am 28.9.1946 und wurde im Befehl Nr. 001206 des NKVD der UdSSR vom 13.10.1945 erneut abgedruckt. RGVA, F. 32905, op. 1, d. 255, S. 192. RGVA, F. 32905, op. 1, d. 163, S. 28.

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich waltung für Gegenaufklärung des M G B bei der C G V unterstellt. Davon zeugt der mit 31. Oktober 1946 datierte Brief von Innenminister Sergej Kruglov an den Minister für Staatssicherheit Viktor Abakumov. 3 5

Reglementierung des Dienstes der Inneren Truppen Die Verordnung zu den Truppen des N K V D , die das Hinterland der Fronttruppen der Roten Armee bewachten, wurde vom Stellvertreter des Volkskommissars für Verteidigung der UdSSR, Marschall Boris Saposnikov, und dem Stellvertreter des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten der UdSSR, Arkadij Appolonov, am 28. April 1942 36 beschlossen. Darin wurde festgehalten, dass „der Schutz des Hinterlandes der Fronten den Militärräten der Fronten obliegt und durch für das Hinterland einzusetzende Truppenteile des Volkskommissariats für Verteidigung und speziell für diesen Zweck bereitgestellte Einheiten der Truppen des N K V D der UdSSR erfolgt". Gemäß der Verordnung wurden den Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes folgende Aufgaben erteilt: „1. Kampf gegen Diversanten, Spione und Banditenelemente im Hinterland der Front; 2. 3. 4.

Kampf gegen Deserteure und Marodeure; Zerschlagung kleiner, ins Hinterland eingedrungener und dort operierender feindlicher Einheiten und Gruppen (MP-Schützen, Fallschirmjäger, Signalgeber u. Ä.); in besonderen Fällen (auf Beschluss des Militärrates der Front hin) Überwachung der Kommunikation in bestimmten Abschnitten." 3 7

Der Chef der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes der Fronten wurde dem Leiter der Hauptverwaltung der Inneren Truppen des N K V D unterstellt, in operativer Hinsicht unterstand er jedoch dem Militärrat der Front. Sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Aufstellung der Truppen zum Schutz des Hinterlandes, mit deren organisatorischer Struktur, deren Kader und der Auffüllung des Mannschaftsstandes oblagen dem N K V D der UdSSR. Die Befugnisse der Truppen des N K V D zum Schutz des Hinterlandes stellten sich wie folgt dar: „Sie haben das Recht, innerhalb des von Truppen des N K V D kontrollierten Gebietes Verhaftungen all jener Personen vorzunehmen, die gegen die vom militärischen Kommando im Frontbereich erlassene Ordnung verstoßen,

35 36

RGVA, F. 38650, op. 1, d. 301, S. 97f.; GARF, F. 9401, op. 1, d. 2606, S. 23. Gleichzeitig, ebenfalls am 28.4.1942, wurde mit dem Befehl Nr. 00852 des NKVD im Verband der Hauptverwaltung der Inneren Truppen des NKVD der UdSSR die Verwaltung der Truppen zum Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee eingesetzt. Gemäß Befehl vom 4.5. wurde dieser Verwaltung im Jahr 1943 der Status einer selbstständigen Hauptverwaltung im Verband des NKVD der UdSSR verliehen. Die Auflösung der Hauptverwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Fronttruppen der Roten Armee erfolgte mit dem Befehl Nr. 001206 des NKVD vom 13.10.1945. Ab diesem Zeitpunkt waren die Truppen des NKVD, denen der Schutz des Hinterlandes der CGV und der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland oblag, direkt der Hauptverwaltung der Inneren Truppen des N K V D der UdSSR unterstellt. Siehe dazu: Α. N. Jakovlev (Hg.), Lubjanka: VCK-OGPU-NKVD-NKGB-MGB-MVD-KGB. 1917-1991. Moskau 2003, S. 78f., 85.

37

RGVA, F. 32905, op. 1, d. 163, S. 169. Vgl. dazu auch den Beitrag von Natal'ja Eliseeva, Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee, in diesem Band.

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Nikita Petrov Überprüfungen der Dokumente sämtlicher sich auf diesem Gebiet bewegender Personen (Militär- wie Zivilpersonen) durchzuführen und auch Personen in Haft zu nehmen, bei denen der Tatbestand antisowjetischer Betätigung erwiesen ist oder die einer solchen verdächtigt werden (Spione, Günstlinge des Feindes u. Ä.)·"38 In der Verordnung wird hervorgehoben: „Truppen haben entschlossen und konsequent vorzugehen, was sogar bis hin zum Einsatz der Waffe gehen kann."39 Anfangs wurde, entsprechend der Verordnung, die Tiefe des Hinterlandes der Front vom Generalstab der Roten Armee festgelegt, doch bereits am 27. Juli 1942 nahmen der Chef des Generalstabes, Aleksandr Vasilevskij, und der Stellvertreter des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten, Appolonov, eine Änderung vor, wonach „die Tiefe des von Truppen des NKVD geschützten Hinterlandes der Front durch die Militärräte der Fronten (Sonderarmeen) gemeinsam mit den Leitern der Verwaltungen der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Front festzulegen ist".40 Beginnend mit 1945 kam es zu einer Ausweitung der von den Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Front zu erfüllenden Aufgaben. Außer Verhaftungen „feindlicher Elemente" wurden ab diesem Zeitpunkt auch Zwangsmobilisierungen zur Verrichtung von Arbeit in der UdSSR, Absiedelungen der Bevölkerung aus den Frontgebieten und schließlich auch die Bewachung von der SMERS unterstellten Gefängnissen und Einrichtungen zur Verbüßung einer Untersuchungshaft (KPZ) durchgeführt. Außerdem wurde den Truppen des NKVD der 2. Ukrainischen Front die Leitung der örtlichen Militärkommandanturen übertragen. In der am 25. Jänner 1945 vom Kommandierenden der 2. Ukrainischen Front, Rodion Malinovskij, und vom Mitglied des Militärrates der Front, Generalleutnant Michail Stachurskij, erlassenen Verordnung über Militärkommandanturen in Ungarn wurde festgehalten, dass „Militärkommandanturen dem Chef der Truppen des NKVD zum Schutz der Front unterstellt werden, wobei dieser die Leitung ihrer Tätigkeit über die Abteilung für Militärkommandanturen wahrnimmt und seine Berichte an den Militärrat der Front zu erstatten hat".41 In einem am 14. Dezember 1945 an die operative Abteilung der Hauptverwaltung der Inneren Truppen des NKVD der UdSSR ergangenen Bericht wird ausgeführt, dass die in Österreich stationierten Einheiten der Inneren Truppen folgende Aufgaben wahrnehmen: ,,a) Auffindung und Verhaftung von Angehörigen der Diversions- und Terrororganisation ,Werwolf' und anderer feindlicher Elemente; b) Begleitung von Zügen in den am stärksten vom Banditentum betroffenen Gebieten und Kontrolle der Fahrgäste; c) Herstellung und Aufrechterhaltung der Ordnung in Wien mittels Patrouillengängen und Aufstellung von Kontrollpunkten;

38 39 40 41

Ebd., S. 170. Ebd. RGVA, F. 32905, op. 1, d. 163, S. 171. RGVA, F. 32248, op. 1, d. 21, S. 56.

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich d) Durchführung von Operationen zur Durchkämmung von Waldgebieten samt Überprüfung von Ansiedlungen." 42 Für den Winter 1945/46 wurden mit einem Befehl des Stabes der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV vom 4. Dezember 1945 folgende Zielsetzung vorgegeben: „Die Durchführung des Dienstes unter winterlichen Bedingungen in den Jahren 1945 und 1946 durch die Truppen des NKVD erfolgt in der Gewissheit, dass sich auf den Territorien Österreichs und Ungarns eine große Zahl an feindlichen Elementen, Spionen, Diversanten und illegal in diesen Ländern agierenden nationalsozialistischen und pro-nationalsozialistischen Organisationen befindet. Der Umfang an Aktivitäten dieser Elemente wird zunehmen und auf die Ausübung von Diversion und Terror sowie auf eine Untergrabung des Ansehens und der Stärke der Roten Armee und der Sowjetunion abzielen." 43 Indes wurde dem Ansehen der Roten Armee gerade durch die unkontrollierten Repressionen und durch das erbarmungslose Vorgehen gegenüber der Zivilbevölkerung Österreichs der größte Schaden zugefügt. Die Vorgehensweise der Inneren Truppen bedurfte einer radikalen Änderung. In der Direktive der Hauptverwaltung der Inneren Truppen des NKVD der UdSSR vom 28. September 1945 wurde konstatiert, dass sich bei der Durchführung der Operationen der Inneren Truppen „weiterhin Fälle eigenmächtiger Erschießungen und Misshandlungen der Inhaftierten und Aneignungen von deren Eigentum zutragen würden", weshalb vorgeschlagen wurde: „ 1. Von Angehörigen der Inneren Truppen vorgenommene Verhöre von Inhaftierten zu verbieten, außer es handelt sich dabei um Offiziere der Aufklärung oder um speziell geschulte Offiziere für die Arbeit an Filtrationspunkten. Bei Fehlen genannter Offiziere oder operativer Mitarbeiter, und wenn die Lage ein unverzüglich durchzuführendes Verhör eines Verhafteten erforderlich macht, darf ein solches nur von Offizieren vorgenommen werden. Kategorisch untersagt ist die Anwendung jedweder Art von Gewalt gegenüber Verhörten. 2. Bei der Abnahme verschiedener Dinge und Gegenstände im Zuge von Visitationen sind Protokolle in zwei Ausfertigungen zu erstellen, wobei ein Exemplar gegen Unterschrift unbedingt an die Person, der die Dinge oder Gegenstände abgenommen wurden, auszuhändigen ist und das zweite gemeinsam mit den abgenommenen Gegenständen an Organe des NKVD zu ergehen hat. Wird diese Vorgehensweise nicht eingehalten, sind die Zuwiderhandelnden zur Verantwortung zu ziehen." 44 42

43 44

RGVA, F. 38650, op. 1, d. 192, S . U . Auf der folgenden Seite dieses Aktes erfolgt eine Präzisierung: „13.12.1945: Generalmajor Kuznecov teilte über den Truppenteil mit, dass die Truppen des NKVD die Aufgabe einer Säuberung von Gebieten von Spionen, Diversanten, Deserteuren und anderen verbrecherischen Elementen durchführen. Sie führen einen Kampf gegen das Auftreten von Banditentum und Marodieren. Entsprechend dem Befehl des Militärrates Nr. 0060 vom 1.11.1945 stellen sie die Ordnung im Eisenbahnverkehr her, und gemäß Befehl des Militärrates Nr. 60580/op vom 29.11.1945 überwachen sie auf bestimmten Abschnitten die österreichisch-tschechoslowakische Grenze. Sie kontrollieren die Ein- und Ausfahrten nach und von Wien. Sie bewachen die Alliierte Kontrollkommission in Osterreich und stellen Ordnung im Hinterland der Zentralen Gruppe der Streitkräfte her." RGVA, F. 38650, op. 1, d. 192, S. 12. RGVA, F. 32906, op. 1, d. 29, S. 35. RGVA, F. 38686, op. 1, d. 20, S. 307f.

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Nikita Petrov Die strengen Befehle konnten indes kein Ende der Willkür gewährleisten. Im Jänner 1946 nahm der vorübergehend die Funktion eines Sicherungspostens im 10. Grenzregiment innehabende Unterleutnant Feofan Toporkov in betrunkenem Zustand Verhöre von Inhaftierten vor, wobei er diese schlug, und am 12. Jänner 1946 „verprügelte er den Bürgermeister des Dorfes Welling (Österreich) und simulierte an diesem eine Erschießung, wobei dieser verletzt wurde". 45

Tätigkeit der Truppen des NKVD/MVD in Österreich Bei der Schaffung einer Verwaltung für Österreich setzte die sowjetische Führung auf die Person Karl Renners. Bereits am 15. April 1945 stand dieser unter der Bewachung von Einheiten des 336. Grenzregiments. 46 Nach der Regierungsbildung wurde sechs Mitgliedern47 des Kabinetts eine Leibwache aus dem Verband des 336. Grenzregiments zugeteilt, wobei einem Minister, Franz Honner, die besondere Ehre zuteil wurde, außer über eine Leibwache auch über eine aus drei Mann bestehende Außenwache zu verfügen. 48 Am 12. Mai 1945 erging vom Stab der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front an alle seine Einheiten der Befehl Nr. 5/001319 über die Erteilung von Unterstützung an die Provisorische Bundesregierung Österreichs.49 Mit einem Verweis auf den Befehl des Kommandierenden der Streitkräfte der 3. Ukrainischen Front, Fedor Tolbuchin, wird darin auf die Notwendigkeit, „der Provisorischen Österreichischen Regierung und ihren lokalen Organen größtmögliche Unterstützung angedeihen zu lassen", hingewiesen. Im Befehl wird die Beschlagnahme von Lebensmittelressourcen und landwirtschaftlichem Inventar und auch die Mobilisierung der Bevölkerung für Bedürfnisse der Roten Armee untersagt. Der Hauptgrund für die Beschließung dieser Maßnahmen lag in der Sicherstellung der landwirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erntezeit im Herbst. Im Befehl wird im Besonderen auf die Erteilung von Unterstützung bei der „Organisierung der Bevölkerung beim Ausbringen der Saat" hingewiesen. 50 Eine traditionelle Methode der Erfüllung von Aufträgen der Inneren Truppen lag in der Durchführung militärischer Operationen oder einfach in groß angelegten Razzien und Durchkämmungen von bestimmten Gebieten. Der Kommandierende der Truppen der 3. Ukrainischen Front, Fedor Tolbuchin, und das Mitglied des Militärrates der Front, Aleksej Zeltov, beschlossen am 3. Mai 1945 den „Plan zur Durchführung einer Operation zur Säuberung des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front". Zur Lage im Hinterland der Front wurde dabei festgehalten: „Das infolge des erfolgreichen Vorrückens der 45 46 47

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RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 59. RGVA, F. 32914, op. 1, d. 10, S. 335. Dies wird im Bericht des 336. Regiments vom 5.5.1945 erwähnt. Eine Leibwache (zwei Personen) wurde für folgende Staatssekretäre [Minister] abgestellt: Eduard Heini (Staatssekretär für Handel), Georg Zimmermann (Staatssekretär für Finanzen), Rudolf Buchinger (Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft), Johann Böhm (Staatssekretär für soziale Verwaltung), Andreas Korp (Staatssekretär für Volksernährung), Franz Honner (Staatssekretär für Inneres). RGVA, F. 32914, op. 1, d. 10, S. 335. RGVA, F. 32914, op. 1, d. 10, S. 335. RGVA, F. 32914, op. 1, d. 8, S. 257. Ebd.

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich Fronttruppen vom Feind befreite Gebiet ist noch unzureichend vom verbrecherischen Element (feindliche Agenten, Diversanten, Terroristen, Deserteure der Roten Armee und andere verbrecherische Kräfte) gesäubert", und außerdem „ist ein illegales Verweilen von Angehörigen der Roten Armee im Hinterland festzustellen, wobei sich diese dem Alkohol hingeben und Erpressung sowie Bettelei betreiben". 51 Den Truppen des NKVD wurde die Aufgabe erteilt, diese Personen ausfindig zu machen und zu verhaften (sowie im Falle des Leistens von Widerstand „zu vernichten"). Diese Operation hatte mit den Kräften der Grenzregimenter 336, 134, 91, 17 und 25 sowie mit der 109. Sonder-Manövergruppe zur Ausführung zu gelangen. Der Beginn der Operation wurde für den 5. Mai anberaumt, der Abschluss für den 15. Mai 1945.52 Dementsprechend hatte man die Pläne der Operation auf Regimentsebene ausgearbeitet. Am 5. Mai 1945 wurde der Plan zur Durchführung der Operation „zur Säuberung des Hinterlandes" der 4. und 9. GardeArmee im Zeitraum zwischen 7. und 18. Mai vom Kommandanten des 336. Grenzregiments bestätigt. Das Ziel der Operation wurde wie folgt definiert: „Auffindung und Verhaftung, beim Leisten von Widerstand Vernichtung des verbrecherischen Elementes (feindliche Agenten, Diversanten, Heimatverräter, Soldaten des Feindes, die vom Feind absichtlich im Hinterland der Fronttruppen der Roten Armee zum Zwecke der Ausübung von Diversion, Agitation und Propaganda gegen die Rote Armee belassen wurden, wie auch Soldaten des Feindes, denen es nicht rechtzeitig gelungen ist, sich mit den feindlichen Hauptkräften abzusetzen und die sich nun im Hinterland verborgen halten und sich dabei als Angehörige der lokalen Bevölkerung ausgeben)" und ebenso Auffindung und Verhaftung von „Deserteuren der Roten Armee" sowie von „Militärangehörigen, die sich illegal im Hinterland aufhalten, sich dem Alkohol hingeben und anderen, die Rote Armee in Verruf bringenden Aktionen nachgehen". 53 Die Ergebnisse der Operation wurden in einem am 23. Mai 1945 an den Militärrat der Front ergangenen Bericht dokumentiert. Sie waren äußerst bescheiden ausgefallen. Insgesamt hatte man 268 Angehörige der Roten Armee festgenommen, darunter 46 Deserteure, vier Plünderer und Banditen, 58 hinter ihren Einheiten Zurückgebliebene, fünf „Heimatverräter" und 145 ehemalige Kriegsgefangene. 54 Die Zahl der festgenommenen Zivilisten lag bei 1655 Personen, davon 15 „Anführer nationalsozialistischer Parteien und Organisationen", fünf „feindliche Agenten", 699 „verdächtige Elemente" und 514 ehemalige sowjetische „Ostarbeiter". Ebenso hatte man 1208 ehemalige Soldaten der Wehrmacht verhaftet. 47 der festgenommenen Personen wurden der Gegenaufklärung SMERS übergeben, 15 der ungarischen Polizei - die übrigen wurden an Sammelpunkte für die Repatriierung oder an Militärkommandanturen überstellt, 669 Verhaftete kamen frei. 55 Im Bericht wurden die „typischsten" Fälle von Verhaftungen angeführt. Dabei 51

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RGVA, F. 32900, op. 1, d. 216, S. 44. Abgedruckt in: Stefan Kamer - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 31. Ebd., S. 45-49. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 8, S. 224f. RGVA, F. 32900, op. l , d . 216, S. 61. Ebd.

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Nikita Petrov kam es zu keiner Erwähnung von Festnahmen von Österreichern, doch wurden unzählige Fälle von Verhaftungen von ehemaligen Angehörigen der Roten Armee, die Willkür gegenüber der Bevölkerung walten hatten lassen, angeführt. Auf Grund der Ergebnisse der Operation wurde vom Leiter der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front die Schlussfolgerung gezogen, dass es unbedingt notwendig sei, eine weitere „Säuberung" der besetzten Gebiete Österreichs und Ungarns sowie „systematische operativ-militärische und tschekistische Maßnahmen, sowohl im unmittelbaren Operationsgebiet der Truppen der Roten Armee als auch im tiefen Hinterland", durchzuführen.56 Personenbezogene und zielgerichtete Verhaftungen wie auch ein groß angelegtes repressives Vorgehen der Truppen des NKVD auf dem durch die Rote Armee besetzten Gebiet wären ohne von örtlichen Bewohnern erteilte Informationen unmöglich gewesen. Offiziere der Aufklärungsabteilungen der Truppen des NKVD entwickelten somit rege Aktivitäten zur Anwerbung von Agenten. Im März 1945 wurde vom Leiter der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front, Ivan Pavlov, auf einer Versammlung mit Regiments- und Einheitskommandanten genau dargelegt, auf welche Bevölkerungsgruppen besonderes Augenmerk gelegt werden sollte: „Zur Anwerbung als Agenten empfehlen sich Personen aus der örtlichen Bevölkerung, die über die Möglichkeit verfügen, uns interessierende Personen auszuforschen und ausfindig zu machen. Dazu zählen: - Weniger aktive Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen und von Banditengruppen, wenn Umstände darauf hinweisen und die Überzeugung besteht, dass sie zu einer freiwilligen Zusammenarbeit mit uns bereit sind. - Mitarbeiter von Organen der feindlichen Gegenaufklärung, die über Verbindungen zu örtlichen Nationalisten verfügen und die ihre Schuld für ihre Zusammenarbeit mit den deutschen Nationalsozialisten zu tilgen bestrebt sind. - Angehörige der Intelligenz, der mittleren Bourgeoisie und Kaufleute, die Ansehen bei den örtlichen Nationalisten genießen und die gleichzeitig in der Lage sind, deren feindliche Absichten im Hinterland der Roten Armee aufzudecken. - Demokratisch eingestellte Personen, die über die Möglichkeit verfügen, nationalsozialistische Elemente ausfindig zu machen und deren feindliche Aktivitäten im Hinterland der Roten Armee aufzudecken. - Verwandte und Nahestehende von Objekten, die Gegenstand unserer Aufklärung sind, wobei diese jedoch nicht die pro-nationalsozialistischen Überzeugungen dieser Objekte teilen dürfen. - Personen aus den Reihen der neuen unteren Verwaltung, die in der Lage sind, ihre Funktion zur Ausforschung und Ausfindigmachung von uns interessierenden Personen zu nutzen."57

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Ebd., S. 63. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 216, S. 69f.

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich Es ist absolut bezeichnend, dass Pavlov in seinen Weisungen kein Wort über Kommunisten verliert. Das Kommando der Truppen des NKVD konnte auf diese ohnehin voll zählen, wobei die Ausübung von Zwang gar nicht vonnöten war, sondern diese dem „Ruf ihres Herzens" Folge leisteten. Die örtlichen Organisationen der Kommunistischen Partei Österreichs erwiesen den Truppen des NKVD Unterstützung, indem sie aktiv über den Stand der Dinge in den einzelnen Regionen berichteten und die operativen Gruppen des NKVD zur Ausübung von Repressionen gegen ungeliebte Personen ansetzten. 58 Doch die auf Geheiß der Kommunisten vorgenommenen Verhaftungen verliefen nicht immer reibungslos. So war zum Beispiel der Kommandant des 2. Schützenbataillons des 336. Grenzregiments am 27. Juni 1945 von der St. Pöltener KPÖ davon in Kenntnis gesetzt worden, dass die örtlichen Behörden und die Bevölkerung der Gemeinde Mariazell mit dem von der Roten Armee installierten System unzufrieden waren und die alte Ordnung wiederherzustellen trachteten, woraufhin dieser die Gemeinde persönlich aufsuchte und neun Verhaftungen von führenden Kommunalpolitikern vornahm. Die Entwicklung der Ereignisse wurde im Bericht des Kommandanten des 336. Grenzregiments geschildert: „Die vom Bataillonskommandanten, Major Gersanik, durchgeführte Aktion zur Beurteilung der Lage im Dorf Mariazell war undurchdacht. Anstelle einer Lagebeurteilung auf operativem Wege griff Major Gersanik zu Gewalt, entfernte seiner operativen Gruppe zu ,Tarnungszwecken' die Schulterklappen und Mützen samt den mit Stern versehenen Abzeichen und stattete sie mit Mützen ohne Stem aus. Der Beginn der Operation erfolgte bei Tageslicht. Das Vorgehen der Gruppen war grob, was den dort stationierten Angehörigen des vom Unteroffizier Vasil'ev befehligten Verbindungspostens der 4. Garde-Armee verdächtig erschien. Auf Grund der Tatsache, dass diesem Posten vom Bataillonskommandanten, Major Gersanik, ein Wachorgan zugeteilt wurde, das die Aufgabe hatte, niemanden aus der vom Verbindungsposten bezogenen Unterkunft hinauszulassen, berichtete Vasil'ev an den Stab der Armee, dass ,sich im Dorf Mariazell eine Bande aufhält und Verhaftungen vornimmt'." Zur Zerschlagung dieser „Bande" wurde vom Stab der 4. Garde-Armee eine mit MGs verstärkte Kompanie von MP-Schützen des 21. Schützenkorps in Marsch gesetzt. „Einzig dank meines Eintreffens im Stab der 4. Armee", so der Kommandant des 336. Regiments, „kam es zu keinem bewaffneten Zusammenstoß, weil ich mich unverzüglich auf den Weg ins Dorf Mariazell gemacht hatte." 59 In einem Bericht der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV vom 10. März 1946 war die Rede von einem sich in der amerikanischen Zone befindenden „russischen" Lager mit der Bezeichnung „Parsch", in dem 2500 Personen (Männer und Frauen) festgehalten würden, die sich mehrheitlich ihrer „Repatriierung zu entziehen versuchten und Vlasov-Leute" wären. Laut Bericht verhielten sich die amerikanischen Militärbehörden gegenüber den Lagerinsassen gut, diese bekämen Lebensmittelpakete

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Diese Vorgehensweise hatte System. Der Sekretär der KPÖ des 22. Wiener Bezirkes informierte die Offiziere des 37. Grenzregiments regelmäßig über die Lage und über Ereignisse im Bezirk. RGVA, F. 32906, op. 1, d. 32, S. 80. RGVA, F. 32914, op. 1, d. 9. S. 244f.

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Nikita Petrov von der UNRRA, und im Lager würde „antisowjetische Propaganda betrieben". 60 Im Zusammenhang damit läge die Aufgabe der Truppen des N K V D darin, „die Personen, die einer Repatriierung in die UdSSR unterliegen, indes jedoch nicht in die Heimat zurückkehren wollen, einzusammeln". 61 Eine Aufstellung der Dislozierung der elf in Österreich gelegenen Kriegsgefangenenlager und der Überprüfungs- und Filtrationslager mit Stand 13. August 1945 erfolgte in einem vom Leiter der Abteilung des N K V D für Angelegenheiten von Kriegsgefangenen der CGV, Oberst der Staatssicherheit N. Chmarin, erstellten Verzeichnis. 62 Auf dem Gebiet Südösterreichs, wo anfangs die 57. Armee operierte (ab Oktober zählte diese zum Verband der Südlichen Gruppe der Streitkräfte), wurden für die Befreiung der deutschen Lager, in denen sich Bürger der Sowjetunion befanden, Weisungen erteilt, diese Lager nicht aufzulösen, sondern jeweils einen sowjetischen Kommandanten zu ernennen und „Ordnung" und „Disziplin" herzustellen. 63 Diese Maßnahmen sollten entsprechend den Vorstellungen des Kommandanten der 57. Armee einer Flucht der der Repatriierung unterliegenden Personen vorbeugen. Im Folgedokument der 57. Armee vom 23. Mai 1945 erging die Anordnung, ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und Repatrianten unbedingt ins Lager Nr. 304 in Liebenau in Graz zu überstellen. 64 Im Zeitraum zwischen 29. Mai und 5. Juni 1945 bereitete sich die 57. Armee darauf vor, von den Briten das bis zu 40.000 Mann starke 15. Vlasov-Kosakenkorps zu übernehmen. 65 Mit dieser Aufgabe befasst war das in den Monaten Mai und Juni 1945 in Graz stationierte 17. Grenzregiment des NKVD. 6 6 Zwischen 9. Juni und 8. Juli 1945 wurden über das Lager Nr. 304 insgesamt 16.804 Personen in die UdSSR verbracht. 67 Zu den Aufgaben der Truppen zum Schutz des Hinterlandes zählte zudem auch die Absiedlung der Zivilbevölkerung aus dem Frontbereich. Der Beschluss dazu wurde vom Militärrat der Front getroffen, die Ausführung übertrug man den jeweiligen Grenzregimentern. 68 Die nächste groß angelegte, von Truppen der N K V D vorgenommene Operation zur „Säuberung" des Hinterlandes der CGV gelangte auf Befehl Konevs hin zwischen 9. und 11. Jänner 1946 zur Ausführung. Entsprechend einem Bericht wurden im Zuge dieser Operation 2487 Angehörige der Roten Armee, darunter zwei Deserteure, sechs

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RGVA, F. 32905, op. 1, d. 166, S. 157. Ebd., S. 158. RGVA, F. 32905, op. 1, d. 161, S. 23. Allerdings bestanden laut Bericht desselben Chmarins mit 6.8.1945 insgesamt bloß neun dieser Lager. RGVA, F. 32905, op. 1, d. 161, S. 25. RGVA, F. 32902, op. 1, d. 103, S. 315-317. Ebd., S. 376. Zum Lager Liebenau vgl. auch: Barbara Stelzl-Marx, Der „Liebenauer-Prozeß": NSGewaltverbrechen im Spiegel der steirischen Nachkriegspresse, in: Justiz und Erinnerung, Jg. 5, Nr. 7. Wien 2003, S. 2-12. RGVA, F. 32902, op. 1, d. 103, S. 384. Ausgearbeitet wurde dazu auch ein Übernahmeschema. RGVA, F. 32902, op. 1, d. 103, S. 185. Tägliche operative Berichte des Regiments siehe: RGVA, F. 32902, op. 1, d. 104. Vgl. dazu auch den Beitrag von Natal'ja Eliseeva, Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee, in diesem Band. RGVA, F. 32902, op. 1, d. 104, S. 271. Siehe dazu ζ. B.: Befehl des Stabs der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front vom 27. April 1945 über die Absiedlung der örtlichen Bevölkerung aus dem Frontbereich. RGVA, F. 32914, op. 1, d. 8, S. 192-194.

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich Banditen und Räuber sowie 213 Personen, die gegen die allgemeine Ordnung verstoßen hatten, in Haft genommen. Die übrigen Verhafteten wurden bloß auf Grund unrichtig ausgefüllter oder fehlender Dokumente festgenommen. 69 Verhaftet wurden weiters auch 401 Zivilpersonen, von denen 203 als „verdächtig" galten und 102 gegen das Besatzungsregime verstoßen hatten.70 Von den festgenommenen Personen wurden 84 an Organe der SMERS übergeben. Als „charakteristisch" angeführt wurde die Verhaftung von sieben Rumänen, die sich als „Anführer faschistischer Parteiorganisationen Rumäniens" erwiesen hätten, und die Festnahme einer Gruppe von acht polnischen Geldfälschern. 7 ' Verhaftungen österreichischer Bürger gab es laut diesem Bericht nicht.

Verhalten der sowjetischen Truppen In der Endphase des Krieges, nach dem Einmarsch der Roten Armee auf das Gebiet von gegen die UdSSR Krieg führenden Staaten, entwickelte sich das Verhalten der Truppen gegenüber der örtlichen Bevölkerung zu einem ernsthaften Problem. Die Lage in diesen Ländern präsentierte sich im Vergleich mit jener auf dem durch den Krieg verwüsteten Gebiet der UdSSR als weitaus besser und bot zugleich eine Vielzahl an Versuchungen. Das Sinnen auf Rache, das Verlangen nach Beutegut und vor allem das Aufkommen verschiedenster niedriger Instinkte führten zu Übergriffen gegenüber der Bevölkerung. Hatten sich die Rotarmisten schon bis dahin nicht durch ein besonders hohes Maß an militärischer Disziplin ausgezeichnet, so entglitten sie im Bewusstsein des nahen Kriegsendes zusehends jeder Kontrolle. Im Bericht des 128. Grenzregiments vom 31. Jänner 1945 zur Lage in Budapest wurde festgehalten: „Im befreiten Teil Budapests haben die Fälle von Verhaftungen von Armeeangehörigen, die einen Weg von 50 bis 80 Kilometern zwecks Auffindung von Wertgegenständen und Waren zurückgelegt haben, zugenommen." 72 Auf die Aufrechterhaltung der Ordnung in den von der Roten Armee eingenommenen Gebieten zielte eine Reihe von Verordnungen und Befehlen ab. So etwa erteilte der Kommandant des 335. Grenzregiments auf Grundlage der Weisung des Leiters der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 2. Ukrainischen Front am 8. März 1945 folgenden Befehl: „1. In sämtlichen Fällen von ungesetzlichen Taten von Angehörigen der Roten Armee gegenüber der örtlichen Bevölkerung (Raub, Vergewaltigung von Frauen usw.) sind die Schuldigen festzunehmen, ein Akt anzulegen und ein Verhörprotokoll aufzusetzen, die gemeinsam mit den Materialien der Vorerhebung entweder an die eigene Einheit oder an die SMERS zu senden sind, wobei je ein Exemplar im Stab der jeweiligen Einheit zu bleiben hat. 2. An den Regimentsstab hat unverzüglich ein operativer Bericht zu ergehen, der nur exakt überprüfte und nachgewiesene Fakten beinhalten darf." 73 69 70 71 72 73

RGVA, Ebd. RGVA, RGVA, RGVA,

F. 32905, op. 1, d. 166, S. 2. F. 32905, op. 1, d. 166, S. 3. F. 32948, op. 1, d. 25, S. 102. F. 32917, op. 1, d. 7, S. 96.

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Nikita Petrov Nach der Einnahme Wiens im April 1945 wiederholte sich vieles, was sich drei Monate zuvor in Budapest ereignet hatte. Ein Strom von Soldaten, zu dem auch Angehörige der bulgarischen Armee zählten, ergoss sich über die Stadt. Vom Militärrat der Front wurde ein Befehl erteilt, der „Reisen nach Wien ohne bestimmten Grund" untersagte. Außerdem erging die Weisung, sämtliche Armeeangehörigen, die in Wien ohne gültige, von den jeweiligen Kommandos ausgestellte Dokumente aufgegriffen wurden, festzunehmen, wobei Offiziere zurück zu ihren Einheiten zu schicken, Soldaten zwecks Versetzung in Reserve-Regimenter an Sammelpunkte zu überstellen und die Fahrzeuge, in denen diese angetroffen wurden, zu beschlagnahmen waren.74 Ungeachtet dessen riss der Strom an „Reisenden" nicht ab, weshalb der Stab der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front am 27. April 1945 an die Kommandanten des 336. und des 134. Grenzregiments eine Mitteilung versandte, in der festgehalten wurde, dass dem „Militärrat der Front nach wie vor die große Zahl der Dienstreisen nach Wien auffällt, bei denen sich Armeeangehörige auf die Suche nach Beutegut begeben, An- und Verkäufe tätigen und sinnlos Zeit vergeuden. Eine große Zahl stellen dabei Angehörige der 1. bulgarischen Armee." Weiters wurde eine verstärkte Überprüfung der Dokumente aller sich in Wien befindlichen Armeeangehörigen angeordnet.75 Den Übergriffen der Rotarmisten am ungeschütztesten ausgesetzt waren Landbewohner, die in einigen Dörfern darangegangen waren, sich vor Raubzügen zu schützen und diesen zu entgehen. In einigen Fällen zogen derartige Vörgehensweisen ernsthafte Folgen nach sich, wovon eine Mitteilung aus der CGV nach Moskau Zeugnis ablegt: „Am 5. Mai um 18.00 Uhr unternahm eine Gruppe von Bewohnern des Dorfes Schornikcho [sie!] mit dem Bürgermeister Sibinger an der Spitze einen Angriff auf zwei Angehörige des 24. Grenzregiments. Der Unteroffizier Pesockij, der mit einem Fahrrad in das Wirtschaftsgebäude des Regiments unterwegs war, wurde solange verprügelt, bis er das Bewusstsein verlor. 19 Personen wurden verhaftet. Durch das nationalsozialistische Element hatten sich Verleumdungen gegen das sowjetische Kommando verbreitet, das angeblich der Roten Armee erlaubt haben soll, am 1. Mai Raubzüge und Vergewaltigungen durchzuführen. Beim Militärrat der Front der CGV wurde ein Gesuch nach strafrechtlicher Verfolgung der an der Provokation aktiv Beteiligten durch das Militärtribunal eingebracht."76 Im Zuge der ersten, zwischen 5. und 15. Mai 1945 von Truppen des NKVD durchgeführten großangelegten Razzia wurde eine Gruppe von acht Angehörigen des 322. Schützenregiments der 103. Garde-Schützendivision unter dem Kommando von Oberwachtmeister K. Taracovskij aufgegriffen. Wie sich herausstellte, hatten diese am „22. April 1945 vom Kommandanten des 322. Schützenregiments den Auftrag erhalten, für diesen in Wien einen Personenkraftwagen zu finden". Nachdem sie einen solchen gefunden hatten, beschlossen sie, nicht zu ihrer Einheit zurückzukehren, sondern eigenmächtig eine Militärkommandantur zu errichten. Sie agierten usurpatorisch und mit Erfindungsgeist: 74 75 76

RGVA, F. 32914, op. 1, d. 8, S. 189. Ebd., S. 187. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 289, S. 2.

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich „Die Deserteure trafen in Kaltenleutgeben ein, wo sich Oberwachtmeister Taracovskij den Rang eines Unterleutnants verlieh und sich zum Kommandanten des Dorfes ausrief. Vom 22. April bis zum 7. Mai erweckte man den Anschein, die Militärkommandantur von Kaltenleutgeben zu sein, und gab sich dabei dem Alkohol hin, beraubte die örtliche Bevölkerung und vergewaltigte 30 Frauen, die man zuvor in die , Kommandantur' gerufen hatte. Außerdem gestatteten die Deserteure den im Dorf eintreffenden Vertretern von Einheiten der Roten Armee die Mitnahme von Nahrungsmitteln und Vieh aus den Beständen der Ortsbewohner. Für ihre geplante weitere ,Tätigkeit' hatten die Deserteure ein Amtssiegel des Truppenteils mit der Feldpostnummer 45075 angefertigt." 77 Nicht gerade als gering zu bezeichnende Schwierigkeiten erwuchsen dem sowjetischen Kommando auch aus dem empörenden Verhalten der sowjetischen Repatrianten. Wie im operativen Bericht Nr. 128 eines Grenzregiments im Juli 1945 mitgeteilt wurde, würden die sich beim Repatriierungspunkt Nr. 99 in der Stadt Celldömölk befindlichen Repartrianten damit fortfahren, „in nahegelegene Dörfer auszuschwärmen, wo sie mit Raubzügen und anderen illegalen Aktionen die örtliche Bevölkerung terrorisieren". In diesen Dörfern wären von Repatrianten „alle Gärten leergeräumt" worden. 78 Im vom stellvertretenden Kommandierenden der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front, Oberst Semenenko, am 3. Juli 1945 genehmigten Arbeitsplan für den Monat Juli wurde mit Bedauern festgestellt: „Nach wie vor gibt es Fälle von ungebührendem Verhalten von Angehörigen der Roten Armee gegenüber der örtlichen Bevölkerung: Radau, Raubzüge und Vergewaltigungen von Frauen." 79 Doch es war alles andere als einfach, diese Dinge abzustellen und eine Disziplinierung der Truppen vorzunehmen. Laut Bericht der Abteilung für die Leitung der Militärkommandanturen der CGV waren allein im Zeitraum zwischen 1. und 30. Juli 1945 auf dem Gebiet der 4. Garde-Armee in Österreich zehn österreichische Frauen Opfer von Übergriffen durch Angehörige der Roten Armee geworden: Vier waren vergewaltigt worden, zwei vergewaltigt und getötet, und dazu war es zu vier Vergewaltigungsversuchen gekommen, an deren Folgen zwei Frauen verstorben waren. Außerdem hatte man acht Österreicher, davon drei Polizisten, getötet. 80 Der Oberkommandierende der CGV erteilte am 3. August 1945 den Befehl, den Zutritt nach Wien und Baden für „alle, die über keine Dokumente für die Einfahrt in diese Städte verfügen", zu sperren. Auf Grundlage dieses Befehls verfasste der Chef des Stabes der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV am 9. August eine für die Kommandierenden der Grenzregimenter 24 und 37 bestimmte Direktive über die Errichtung von Kontrollpunkten an den Einfahrtsstraßen nach Wien.81 Den Ausschreitungen von Angehörigen der Roten Armee gegenüber der Bevölkerung der besetzten Länder ein Ende bereiten und zu einer Verringerung der großen

77 78 79 80 81

RGVA, RGVA, RGVA, RGVA, RGVA,

F. 32900, F. 32948, F. 32900, F. 32905, F. 32905,

op. op. op. op. op.

1, d. 1, d. 1, d. 1, d. l,d.

216, S. 62. 27, S. 204. 211, S. 170. 136, S. 322-324. 161, S. 74.

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Nikita Petrov Zahl an Verletzungen der militärischen Disziplin beitragen sollte der vom Plenum des Obersten Gerichtes der UdSSR am 27. November 1945 gefasste Beschluss Nr. 13/14 V „Über die Verantwortung von Angehörigen der Besatzungstruppen für von diesen verübte Verbrechen in Zeiten des Kriegsrechtes".82 Dieser Beschluss wurden dem gesamten Mannschaftsstand erläutert. Im Bericht „Über den politisch-moralischen Zustand und die militärische Disziplin" in den Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV im 4. Quartal (Oktober bis Dezember) des Jahres 1945 wurde über die Zuspitzung des politischen Kampfes in Österreich und über den Verlust des Einflusses der Kommunisten bei der Bevölkerung informiert. Dabei wurde daraufhingewiesen, dass das Benehmen der sowjetischen Truppen ein immer ernster werdendes Problem darstellen würde: „Unser Kampf um Einfluss auf die Masse der Bevölkerung wird durch negative Aktionen (Raubzüge, Vergewaltigungen von Frauen u. a.) seitens moralisch zersetzter Angehöriger der Roten Armee, die in einigen Fällen auch zu bewaffneten Zusammenstößen mit örtlichen Bewohnern führen, zusehends erschwert."83 Im Bericht wird auch die im 4. Quartal 1945 gestiegene Zahl an „amoralischen Erscheinungen" in den Inneren Truppen erwähnt, wobei damit vor allem Alkoholexzesse gemeint waren: „Von den zunehmenden Fällen von Alkoholexzessen zeugt auch die Tatsache, dass der Handel mit hochprozentigen Getränken in den Städten und Dörfern Österreichs einen Aufschwung erfährt, was vor allem auf das Eintreffen von Wein aus den in diesem Jahr gelesenen Trauben zurückzuführen ist."84 Und die „bei den Truppen und hierbei vor allem beim 24. Grenzregiment auftretenden Fälle von Diebstahl, Raub und Gewalt gegen die örtliche Bevölkerung" wurden im Bericht in erster Linie damit begründet, dass eine Reihe von Offizieren des Regiments „unser Verhältnis mit den örtlichen Bewohnern nicht versteht" und diese ein schlechtes Beispiel für ihre Untergebenen darstellten. Als zweiter Grund wurde angeführt, dass die „nicht erfolgende Kontrolle der in die Heimat geschickten Postsendungen bei besonders undisziplinierten Einheiten im Offiziers-, Unteroffiziers- sowie im Mannschaftsstand das Verlangen nach der Anhäufung von Wertgegenständen fördert".85 Dem allgemeinen Streben nach „Erwerb" lag eine ganz spezifische, völlig verständliche Erklärung zu Grunde. Die sowjetischen Truppen rekrutierten sich mehrheitlich aus Bauern, wobei die Inneren Truppen hier keine Ausnahme darstellten. Die Jahre der Kollektivierung und des Hungers sowie die wirtschaftliche Rückständigkeit der Landgebiete mussten im Unterbewusststein einfach Spuren hinterlassen haben. Angesichts des Eintreffens in der völlig anderen, wesentlich wohlhabenderen und geordneteren „kapitalistischen Welt" war es zwangsläufig dazu gekommen, dass die Angehörigen der Roten Armee einen Kulturschock erlitten. Das, was man in Österreich zu sehen bekam, unterschied sich gänzlich von der den Soldaten bekannten sowjetischen Realität, aber auch von dem, was ihnen von der Propagandamaschinerie Stalins eingehämmert worden

82 RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 119. 83 Ebd., S. 29. 84 Ebd., S. 34. 85 Ebd.

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich war. Und so mancher scheute auch nicht davor zurück, seine Meinung öffentlich kundzutun. Im Jänner 1946 äußerte sich Leutnant M. Zil'cov aus dem 24. Grenzregiment in Anwesenheit anderer Offiziere während des Mittagessens wie folgt: „Bei uns auf dem Land gab es und wird es keinen elektrischen Strom geben, doch hier gibt es diesen in jedem Haus. Wir werden Europa niemals ein-, geschweige denn überholen. Wir schaffen es nicht, das elektrische Licht aufs Land zu bringen, dabei haben wir so viele Republiken. [...] Hier könnt ihr Luster, luxuriöse Häuser und elegante Kleidung sehen, und meine Familie zuhause leidet Hunger und hat nichts anzuziehen." 86 Es versteht sich, dass viele Offiziere des Regiments nichts Schlechtes dabei fanden, ihren besitzlosen Angehörigen zuhause diverse Gegenstände und Nahrungsmittel zuzuschicken. Doch nicht alle besaßen den Mut, ihre Meinung offen darzulegen. Zil'cov musste für seine Äußerungen teuer bezahlen. Er wurde aus der Partei ausgeschlossen, seiner Funktion enthoben und unverzüglich von der SMERS aufgesucht. 87 Andere Offiziere des Regiments zogen es vor, in ihrem eigenen Interesse zu schweigen, wobei sie die Jagd nach Beutegütern, die sie regelmäßig in die UdSSR schickten, fortsetzten. Tab. 1: Zahl der militärischen Vergehen88 und „amoralischen Erscheinungen"89 in Einheiten der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV in absoluten Zahlen und in Prozent laut Dienstlisten der Truppen des NKVD nach Quartalen (jeweils drei Monate 3. Quartal 1945

4. Quartal 1945

1. Quartal 1946

2. Quartal 1946

3. Quartal 1946

Anzahl der Vergehen

266

350

607

243

293

In Prozent der Stärke der Truppen

5,6%

5,7 %

9,07 %

8,2%

10,0 %

Amoralische Erscheinungen

28

87

94

67

65

37

49

20

16

Von Militärtribunalen verurteilte Personen

Wie aus der Tabelle hervorgeht, wies das 3. Quartal 1946 die meisten Vorfälle auf, als in Erwartung ihres Abzuges zehn Prozent der Angehörigen von Truppen des MVD gegen die Disziplin verstießen. Bisweilen griffen Kommandanten zu den schärfsten Formen der Kontrolle in ihren Regimentern, um die Zahl der Vergehen möglichst zu reduzieren. Beispielsweise baute 86 87

88 89 90

RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 63. Ebd., S. 64. Dennoch ist es Zil'cov noch verhältnismäßig „gut ergangen". Er wurde nicht verhaftet. Im Quartalsbericht der Politabteilung der Truppen des M V D zum Schutz des Hinterlandes der CGV vom 9.4.1946 wurde angemerkt, dass er aus der Allunionspartei ausgeschlossen und „aus den Truppen entlassen und in die Reserve versetzt wurde". RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 114. Streit, Fahrlässigkeit im Dienst, unerlaubtes Fernbleiben. Diebstahl, Raub, Ausschreitungen und Gewalt gegen die örtliche Bevölkerung, Beziehungen zu Frauen, Geschlechtskrankheiten, Trunkenheit. Erstellt auf Grundlage der Berichte der Politabteilungen der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV siehe: RGVA, F. 38650, op. l , d . 1222, S. 30, 35, 36, 37, 113, 119, 125, 194.

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Nikita Petrov Savickij, der Kommandant des 383. Regiments, in dem es um die Disziplin besonders schlecht bestellt war, ein eigenes Netz an Informanten auf. Als dies bekannt wurde, ereilte Savickij ein Ordnungsruf aus Moskau. Der stellvertretende Leiter der Inneren Truppen des NKVD, Generalmajor Skorodumov, verfasste am 26. Februar 1946 ein Schreiben an den Leiter der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV, Generalmajor I. Kuznecov, in dem es hieß: „Die GUVV verfügt über Angaben darüber, dass der Kommandant des 383. Regiments, Oberst Savickij, zum Zwecke der Aufklärung von kriminellen Aktionen einzelner Angehöriger seines Regiments sich einer eigenen Aufklärungsabteilung innerhalb des Mannschaftsstandes seines Regiments bedient. Im Dezember 1945 gab er auf einer Versammlung der Bataillonskommandanten die Zielsetzung aus, dass jeder fünf bis sechs Mann aus den Reihen der eigenen Leute zu überführen habe'. Weisen Sie Oberst Savickij auf den von ihm begangenen Fehler hin und erklären Sie ihm, dass die korrekte Durchführung des gesamten Systems an Parteiund Politarbeit sowie die strenge militärische Ordnung im Regiment die Möglichkeit von Verbrechen ausschließt."9' Im Zusammenhang damit wurde die Verschlechterung der allgemeinen Indikatoren der disziplinären Lage im Bericht „Über den politisch-moralischen Zustand" der Truppen im 1. Quartal 1946 besonders mit der Undiszipliniertheit des 383. Regiments begründet. Im Bericht ist davon die Rede, dass in den Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV keine Kontrolle der Wochenendaktivitäten der Mannschaft erfolgen würde. „Der Mannschaftsstand gab sich in seiner dienstfreien Zeit mangels Aufgaben dem Alkohol hin, verließ nach Belieben und ohne Genehmigung seinen Dienstort und beschäftigte sich - sofern er in Besitz eines Ausgangsscheines in die Stadt war - mit An- und Verkäufen, Tauschhandel, dem Verkauf verschiedener Gegenstände, streunte durch Parks und über Märkte usw."92 Die im Jahr 1946 weiterhin erfolgten Übergriffe gegen die österreichische und ungarische Bevölkerung seitens sowjetischer Armeeangehöriger und Repatrianten zwangen das Kommando dazu, zu einem bewährten Mittel zu greifen, nämlich zu laufenden Kontrollen der Mannschaft. Der Stab der Truppen des MVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV setzte seine Einheiten am 19. Juli 1946 von dem vom Chef der Truppen erteilten Befehl über die auf dem Gebiet Österreichs und Ungarns mit Einheiten der Roten Armee unter der Leitung der Militärkommandanten der Ortschaften durchzuführende „Operation zur Säuberung des Hinterlandes der CGV vom verbrecherischen Element innerhalb der Angehörigen der Roten Armee und sowjetischer Bürger generell" in Kenntnis.93 In diesem Befehl wurde mit aller Strenge angeordnet, „besondere Beachtung auf die Notwendigkeit eines höflichen und tadellosen Benehmens gegenüber der örtlichen Bevölkerung zu legen. Hinzuweisen ist auf die äußerst harten Konsequenzen im Falle eines ungebührlichen Benehmens."94

91 92 93 94

RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 23. Ebd., S. 121. RGVA, F. 32905, op. 1, d. 163, S. 15. Ebd.

Die Inneren Truppen des NKVD/MVD in Österreich In einem Sonderbericht der Verwaltung der Truppen des MVD zur Bewachung des Hinterlandes der CGV zur von 24. bis 27. Juli durchgeführten Operation wurden die allgemeinen Zahlen bekannt gegeben: 3721 von den Truppen festgenommene Angehörige der Roten Armee im Monat Juli. Davon: 24 Deserteure, 31 Plünderer und Gewalttäter. Die überwiegende Mehrheit wurde wegen unrichtig ausgefüllter oder fehlender Dokumente festgenommen. 95 Dazu erfolgte die Festnahme von 415 Zivilisten, darunter 147 „Verdächtige", 111 Personen, die Verletzungen der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze begangen hatten, 22 Schmuggler, vier Plünderer und ein Bandit. Unter den Verhafteten ziehen Bürger der UdSSR besonderes Augenmerk auf sich: 34 „Heimatverräter", 51 aus der Armee demobilisierte und nicht in die UdSSR zurückgekehrte Personen, 35 Sowjetbürger, die sich einer Repatriierung entzogen hatten. 96 Ungeachtet dessen setzten sich Ende des Sommers und im Herbst 1946 die Plünderungen und das Banditenunwesen auf dem Gebiet Österreichs fort. So wurde etwa am 12. September 1946 der stellvertretende Bürgermeister von Baden auf der Straße Baden - Bad Vöslau Opfer eines Raubüberfalls, bei dem ihm von Angehörigen der Sowjetischen Armee ein Fahrrad, Geld, eine Uhr und sogar die Oberbekleidung entwendet wurden. 97 Im Bericht der Politabteilung der Truppen des MVD zum Schutz des Hinterlandes der CGV über den „politisch-moralischen Zustand und die militärische Disziplin" in den Truppen im 3. Quartal 1946 (Juli-September) wurde eine Besserung der Situation und die Abnahme der Zahl von außergewöhnlichen Vorfällen sowie von Geschlechtskrankheiten gemeldet. Doch im Gegenzug war in diesem Bericht von einem Anstieg der Zahl der Fälle von Trunkenheit in den Truppen (vor allem im 24. Regiment) zu lesen.98 Ein besonders starker Anstieg der Zahl militärischer Vergehen war im 383. Regiment zu beobachten: von 129 Fällen im 2. Quartal auf 150 Fälle im 3. Quartal 1946. Einen der Gründe dafür sah die Politabteilung der Truppen in der „hohen Durchsetzung des Regiments mit verbrecherischen und politisch-moralisch unzuverlässigen Elementen. Zum Zeitpunkt der Aufstellung des Regiments traten sehr viele vorbestrafte Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere in den Dienst, die nicht überprüft worden waren und die auf Grund ihrer fachlichen und moralischen Qualitäten nicht vertrauenswürdig gewesen wären." 99 Unter diesen Bedingungen war die größte Besorgnis der Politabteilung mit der bevorstehenden Verlegung der Inneren Truppen in die UdSSR verbunden. Zum Zwecke einer Hebung der Disziplin wurde ein Paket an Maßnahmen, angefangen von der Installierung eines Parteiaktivs, von geschlossenen Parteiversammlungen und Beratungen des gesamten Offiziersstandes bis hin zu Gesprächen mit Soldaten und Unteroffizieren, beschlossen. Den Truppen des MVD in Österreich wurde folgende Hauptaufgabe erteilt: „mit maximaler Organisiertheit den Transport in die jeweiligen Heimatgebiete abzu95 96 97 98 99

RGVA, F. 32905, op. 1, d. 166, S. 244. Ebd., S. 245. Ebd., S. 261. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 194. Ebd., S. 197.

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Nikita Petrov wickeln, ohne dabei einen einzigen Fall von amoralischem Verhalten und von anderen kriminellen Taten des Mannschaftsstandes zuzulassen".100 Die Truppenführung ging davon aus, dass die Truppen gerne in die UdSSR zurückkehren würden, und sparte nicht mit propagandistischen Anstrengungen zur Stärkung dieses Gefühls: „Das Faktum der Rückkehr in die Heimat wird in hohem Maße für die gesamte Polit- und Parteiarbeit zur Anerziehung einer grenzenlosen Liebe und Ergebenheit gegenüber der Sozialistischen Heimat, dem eigenen Volk und der bolschewistischen Partei genutzt."101 Übersetzung aus dem Russischen: Arno Wonisch

100 Ebd., S. 199. 101 Ebd.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler

(Zwangs-)Repatriierungen sowjetischer Staatsbürger aus Österreich in die UdSSR Es war der 15. Juni 1950. Ein normaler Schultag im noch jungen Leben der beiden Freundinnen Elfi und Maria. Ein Tag wie jeder andere. Die beiden Erstklasslerinnen sitzen nebeneinander in einer Bank in der Volkschule in Großweikersdorf in Niederösterreich. Es ist kurz vor Mittag. Die Lehrerin will den Unterricht gerade beenden, die Kinder packen ihre Schulsachen zusammen. Plötzlich betreten zwei sowjetische Soldaten die Klasse und fragen nach Maria. Sie erblicken sie, gehen auf sie zu und entführen sie gewaltsam aus dem Klassenraum. 1 Die Soldaten zerren die kleine Maria ins Auto, das vor der Schule bereitsteht und fahren davon. Die ganze Klasse ist geschockt, besonders Marias Freundin Elfi. Elfriede Gruber heute über jenen Tag vor 54 Jahren: „Ich stand so unter Schock, dass ich mich ein halbes Jahr nicht mehr in die Schule traute, ich ging nicht mehr hin, vor lauter Furcht, dass auch mich die Russen holen würden." 2 Elfriede Gruber wusste damals nicht, dass Maria keine Österreicherin war. Sie war zwar in Österreich geboren worden, aber die Tochter einer ukrainischen „Ostarbeiterin", die während des Zweiten Weltkriegs nach Niederösterreich zur Zwangsarbeit verschleppt worden war. Die Mutter, Elena Volosenko, hatte Maria am 25. Dezember 1943 in Waidhofen an der Thaya im Alter von 17 Jahren geboren. 3 Der Vater blieb unbekannt. Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen 1945 wurde die Mutter zusammen mit den anderen „Ostarbeitern" von den Sowjets erfasst und sollte nach Hause zurückgebracht werden. Beim Rücktransport ließ sie jedoch - vermutlich aus Angst - in Großweikersdorf in einem Heustall die anderthalbjährige Maria zurück. „Sie hatte wahrscheinlich Angst, in Russland dafür bestraft zu werden, dass sie ein Kind in Österreich

1

2 3

Die Lehrerin vermerkte auf der Schülerstammkarte Folgendes: „Kind einer russischen [sie! ukrainischen, Anm. d. Verf.] Mutter, die beim Durchzug im Jahre 1945 (anderthalb Jahre, Anm. d. Verf.] nach der Geburt das Kind hier zuriickliesz. Das kinderlose Ehepaar Schneider Franz u. Christine, nahm sich des Kindes an und zog es auf. [...] Am 15. Juni 1950 nach Ruszland (abgeholt von der russ. Kommdtur)." Volksschule Großweikersdorf, Schülerstammkarte Maria Theresia Woloschenko. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0299, Elfriede Gruber. Großweikersdorf, 4.4.2004. Pfarrarchiv Waidhofen an der Thaya, Taufbuch 20, S. 99, Nr. 121,Geb.-Nr. 158/1943, Taufschein Rita Maria Woloschenko.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler bekommen hatte. Noch dazu war der Vater unbekannt", mutmaßt Elfriede Gruber heute. „Schließlich war das Schicksal der zurückgeholten Zwangsarbeiter ja ungewiss!" Die kleine Maria kam in der Folge zu Zieheltern im Ort und wuchs dort auf, bis zu jenem tragischen Tag, als sie in ihre „Heimat", die sie nie zuvor gesehen hatte, zwangsweise „repatriiert" wurde.4 Der Fall der Maria Volosenko ist kein Einzelfall. Die sowjetischen Behörden hatten die Weisung, Kinder sowjetischer Eltern aufzusuchen und mitzunehmen. Sie alle sollten in die Sowjetunion gebracht werden, um den eklatanten Menschenverlust während des Zweiten Weltkrieges etwas auszugleichen, so zumindest argumentierten die beauftragten sowjetischen Offiziere. Unter sowjetischen Kindern verstand man auch jene, die weder Russisch noch Ukrainisch sprachen oder jemals zuvor in ihrer „Heimat" gewesen waren. „Repatriierung bis zum Letzten" lautete die Losung der sowjetischen Repatriierungsbehörden. Zwangsrepatriierungen dieser Art wie im Fall der Maria Volosenko sind zweifelsohne aus menschlicher Sicht gesehen sehr tragisch. Kinder wurden aus ihren Familien gerissen und in eine für sie fremde Umgebung verbracht. Diese Art von Zwangsrepatriierungen in die Sowjetunion machten jedoch nur einen kleinen Teil der Rückführungen aus und können in ihrem Ausmaß nicht mit dem tragischen Schicksal der Kosaken, auf welche auf dem Weg in die „Heimat" oder danach im Lager meist der Tod wartete, verglichen werden. Displaced Persons - internationale Vereinbarungen und sowjetische Politik Mit der bedingungslosen Kapitulation des „Dritten Reiches" und der Besetzung Deutschlands und Österreichs stellte sich den Alliierten das große Problem, Millionen von Menschen - Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Deportierte und Flüchtlinge die im Zuge des Krieges ihre Heimat verlassen mussten, zu repatriieren. Millionen sahen ihre Heimat nie wieder, Millionen jedoch bot sich mit Kriegsende die Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren. Die Zahl der sowjetischen Zivilisten bzw. Kriegsgefangenen, die sich mit Stichtag 9. Mai 1945 auf ehemaligem Reichsgebiet aufhielten, werden mit 5,7 Millionen angegeben.5 Allein in Österreich befand sich zu Kriegsende rund eine Million ehemaliger ziviler Zwangsarbeiter, Kriegsgefangener und ehemaliger KZ-Häftlinge.6 Hinzu kamen Hunderttausende Flüchtlinge, vor allem „Volksdeutsche" vom Balkan und aus Osteuropa sowie viele Flüchtlinge anderer Nationalitäten, die vor der Roten Armee Richtung Westen geflüchtet waren und sich nunmehr auf österreichischem Gebiet wiederfanden. 4 5 6

Nach 54 Jahren die ukrainische Freundin wieder gefunden, in: Kurier, 22.5.2004; Auf den Spuren verschleppter Zwangsarbeiter, in: Der Standard, 23.5.2004. Herbert Ulrich, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Bonn 1999, S. 11. Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945. Stuttgart - München 2001; Florian Freund - Bertrand Perz - Mark Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939-1945. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Bd. 26/1. Wien - München 2004.

(Zwangs-Repatriierungen

sowjetischer Staatsbürger

In den Vereinbarungen von Jalta im Februar 19457 hatten sich die Westalliierten verpflichtet, Sowjetbürger, die in ihren Gewahrsam fallen würden, den sowjetischen Behörden zur Repatriierung in die UdSSR zu übergeben. In der ersten Nachkriegszeit kamen die Amerikaner, Franzosen und Briten dieser Verpflichtung auch nach; den traurigen Höhepunkt stellte dabei die Auslieferung der Kosaken in Judenburg dar. Später nahmen die Westalliierten von einer Zwangsauslieferung, insbesondere baltischer Bürger, Abstand. 8 Einem sowjetischen Repatriierungsbericht vom 1. März 1946 zufolge soll die Gesamtzahl aller dislozierten Sowjetbürger (Displaced Persons) 6,810.567 Menschen, davon 4,794.087 Zivilisten, betragen haben.9 Die Repatriierungen erfolgten nach Beschlüssen der sowjetischen Regierung im Zuge der Aufstellung der Repatriierungsorgane 1945 sowie nach zwei Beschlüssen des Rates der Volkskommissare (SNK) der UdSSR vom 6. Jänner 1945.'° Neben den Vereinbarungen von Jalta berief sich die Sowjetunion zudem auf einen bilateralen Vertrag mit der provisorischen französischen Regierung vom 29. Juni 1945, welcher sich im Wesentlichen auf die gemeinsame Repatriierung der Kriegsgefangenen und Zivilisten bezog." Festzuhalten ist, dass sich die Vereinbarung mit den Briten ausschließlich auf „sowjetische Staatsangehörige" 12 bezog.

Zur Organisation der Massenrepatriierungen Um die Rückführung dieser Menschenmassen zu bewältigen, ernannte Stalin Filipp Golikov zum Generalbeauftragten für die Repatriierungen. Seine Aufgabe war es, die gesamte Lagerinfrastruktur der Roten Armee und des NKVD sowie die gesamte Logistik für Transport und Organisation bereit zu stellen. Der mächtige Apparat, auf den sich Golikov stützen konnte, bestand aus elf Abteilungen, neben politischer Aufklärung, Postwesen, medizinischer Versorgung und Transport vor allem die Abteilung für Registrie7

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9

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11 12

Hier geht es unter den verschiedenen Verträgen besonders um das „Abkommen betreffend die von Truppen unter sowjetischem Kommando und Truppen unter britischem Kommando befreiten Kriegsgefangenen und Zivilpersonen" v. 11.2.1945, zit. in: Die Krim(Jalta)konferenz. Dokumentensammlung. Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. Deutsche Fassung. Moskau - Berlin 1986, S. 236ff. Stefan Kamer, Zur Auslieferung der Kosaken an die Sowjets 1945 in Judenburg, in: Johann Andritsch (Hg.), Judenburg 1945 in Augenzeugenberichten. Judenburg 1994, S. 243-259; Georgij Grigor'evic Verbickij, Vydaca ν Lience, in: Novyj Casovoj. Bd. 4. St. Petersburg 1996; Armin Wilding, Die Kosaken im oberen Drautal und ihre Auslieferung an die Sowjetunion 1945. Klagenfurt/Celovec - Ljubljana - Wien 1999; Ulrike Goeken, Von der Kooperation zur Konfrontation. Die sowjetischen Repatriierungsoffiziere in den westlichen Besatzungszonen, in: Klaus-Dieter Müller - Konstantin Nikischkin - Günther Wagenlehner (Hg.), Die Tragödie der Gefangenschaft in Deutschland und in der Sowjetunion 1941-1956. Köln - Weimar 1998, S. 315-334. Davon Ukrainer: 1,190.135, Russen: 891.747, Weißrussen: 385.896. Pavel Polian, Deportiert nach Hause. Sowjetische Kriegsgefangene im „Dritten Reich" und ihre Repatriierung. Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 2. München - Wien 2001, S. 45f. und 165. Beschlüsse v. 6.1.1945, Nr. 30-12s („Über die Organisation der Aufnahme und Eingliederung der repatriierten Staatsbürger der UdSSR") und Nr. 31 -13s („Über das Reglement der Repatriierung der alliierten Kriegsgefangenen und internierten Staatsbürger") des SNK. GARF, F. 5226s, op. 4a, p. 32. Repatriierungs-Sammelbericht. GARF, F. 5226s, op. 4a, p. 32. Repatriierungs-Sammelbericht. Vgl. auch: Nikolai Tolstoy, Klagenfurter Verschwörung. London - Klagenfurt 1983, bes. S. 52ff. Krim(Jalta)konferenz, S. 237.

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Stefan Karner - Peter

Ruggenthaler

rung und Erfassung, war für etwa ein Jahr anberaumt worden, existierte schlussendlich jedoch bis März 1953. 13 Die Abteilung für Displaced Persons (DPs) des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich mit Sitz im Hotel „Imperial" in Wien bestand 1945 aus acht Mitarbeitern (sieben Armeeangehörige, ein Zivilist). Dem Abteilungsleiter waren drei Abteilungsvertreter in den anderen Besatzungszonen Österreichs, zwei Verantwortliche für die Durchführung der Rückführung von Kriegsgefangenen und DPs, ein Abteilungssekretär, ein Übersetzer und eine Schreibkraft zugeteilt. 14 Später war die Abteilung für die Repatriierung bereits ausgewanderter Sowjetbürger zuständig. So wurden beispielsweise Anfang 1953 zehn Rückwanderer aus Argentinien, Australien und Italien über Wien in die Sowjetunion zurückgebracht.15 Am 29. April 1945 hatten Marschall FedorTolbuchin und Generaloberst Aleksej Zeltov eine „einstweilige Verordnung über die Militärkommandanturen auf dem durch die sowjetischen Truppen besetzten Territorium" erlassen. Der letzte Punkt der Verordnung betraf die „Maßnahmen zur Zusammenführung und Rückführung der repatriierten Bürger der UdSSR und der Bürger der alliierten Staaten". Jeder sowjetische Militärkommandant in Österreich 13

Auf dem Gebiet der Repatriierung ist vor allem in den letzten Jahren eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten publiziert worden. Siehe vor allem Pavel Poljan, Zertvy dvuch diktatur. Ostarbejtery i voennoplennye ν Tret'em Rejche i ich repatriacija. Moskau 1996; Polian, Deportiert nach Hause; Ulrike Goeken-Haidl, Repatriierung in den Terror? Die Rückkehr der sowjetischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in ihre Heimat 1944-1956, in: Dachauer Heft. 2000/6, S. 190-209; Goeken, Von der Kooperation zur Konfrontation; Wolfgang Jacobmeyer, Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945-1951. Göttingen 1985; Karner, Zur Auslieferung der Kosaken; Nikolaj Tolstoy, Die Verratenen von Jalta. Die Schuld der Alliierten vor der Geschichte. München 1981; Barbara Stelzl, Amerikanische und sowjetische Kriegsgefangene in deutscher Hand. Fakten und Fiktionen einer Extremsituation dargestellt unter besonderer Berücksichtigung des Stalag XVII Β Krems-Gneixendorf. Phil. Diss. Graz 1998; Barbara Stelzl-Marx, Zwischen Fiktion und Zeitzeugenschaft. Amerikanische und sowjetische Kriegsgefangene im Stalag XVII Β Krems-Gneixendorf. Tübingen 2000; Barbara Stelzl-Marx, ,And without sentimentalities?' Interviewing Former Soviet Civil Workers in Graz, in: Crossroads of History: Experience, Memory, Orality. Xlth International Oral History Conference. Bd. 2. Istanbul 2000, S. 214-219; Barbara Stelzl-Marx, „Die Heimat wartet auf Euch ..." Zur politisch-agitatorischen Arbeit unter ehemaligen weißrussischen Zwangsarbeitern, in: Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung - Nationalarchiv der Republik Weißrussland - Weißrussischer Republikanischer Fond „Verständigung und Versöhnung" (Hg.), „Ostarbeiter" - „Ostarbajtery". Weißrussische Zwangsarbeiter in Österreich. Dokumente und Materialien. Prinuditel'nyj trud belorusskogo naselenija ν Avstrii. Dokumenty i materialy. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Sonderbd. 2. Graz - Minsk 2003, S. 44—61; Barbara Stelzl-Marx, Die Sprache des Verrats. Sowjetische Propaganda für Heimkehrer nach dem 2. Weltkrieg, in: Ulrich Theißen (Hg.), Junge Slawistik in Österreich. Beiträge zum 2. Arbeitstreffen des Interdisziplinären Forums Österreichischer Slawistlnnen. Frankfurt a. M. 2001, S. 63-74; Barbara Stelzl-Marx, Krieg der Bilder. Plakate der sowjetischen Repatriierungsverwaltung 1944-45, in: Harald Knoll - Peter Ruggenthaler - Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Konflikte und Kriege im 20. Jahrhundert. Aspekte ihrer Folgen. Graz - Wien - Klagenfurt 2002, S. 317-334; Vladimir Naumov - Leonid Resin, Repressionen gegen sowjetische Kriegsgefangene und zivile Repatrianten in der UdSSR 1941 bis 1956, in: Klaus-Dieter Müller - Konstantin Nikischkin - Günther Wagenlehner (Hg.), Die Tragödie der Gefangenschaft in Deutschland und in der Sowjetunion 1941-1956. Köln - W e i m a r 1998, S. 335-364.

14

AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15, S. 51-66, hier: S. 52 und 64. Personalstand des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Beilage zum Beschluss Nr. 1553-355g des Rates der Volkskommissare der UdSSR v. 4.7.1945. RGANI, F. 5, op. 28, d. 71, S. 4. Bericht des Chef des Stabes des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, S. Maslov, an das ZK der KPdSU. Wien, 29.4.1953.

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(Zwangs-)Repatriierungen

sowjetischer Staatsbürger

wurde durch diese Verordnung verpflichtet: ,,a) die Sowjetbürger und ausländische[n] Bürger, die der Repatriierung unterliegen, ausführlich zu informieren und sie ordnungsgemäß an die Sammel- und Durchgangsstellen zu übergeben, b) die notwendige Anzahl an Räumen für Kommandanturen und Sammelpunkte bereitzustellen, c) jeglichen Arbeitseinsatz von sowjetischen und ausländischen Bürgern, die von der Roten Armee aus der deutschen Gefangenschaft befreit wurden, zu verbieten, d) den Militärtruppen, die sich auf dem besetzten Gebiet befinden, die Dislokation der Frontsammeldurchgangsstellen und Kommandanturen als Sammelstellen für Bürger anderer Staaten mitzuteilen."16 Unter allen Umständen sollte vermieden werden, dass sich Sowjetbürger in unorganisierten Bahnen auf den Weg in die Heimat machten und „Verräter der Heimat" so ungeschoren davonkommen konnten. Hierzu wurden zunächst die zu repatriierenden „Ostarbeiter" in Sammellagern festgehalten. 17 Die Sammellager stellten gleichzeitig KGB-Filtrationslager dar, in welchen jeder heimkehrende Sowjetbürger ein „vereinfachtes Überprüfungsverfahren" zu durchlaufen hatte. Die politische Überprüfung wurde von speziellen Gruppen des NKVD und der SMERS 18 durchgeführt. In zwei Direktiven vom 18. Jänner 1945 wurden die Repatrianten in a) ehemalige Kriegsgefangene, b) ehemalige kriegsgefangene Offiziere, c) Kriegsgefangene und Zivilisten, die in deutschen „FrontSpezialeinheiten" gedient hatten und d) internierte Zivilisten („Ostarbeiter") unterteilt.19 Die Betroffenen aus der ersten Gruppe waren in die Sammeldurchgangspunkte der Armeen und nach Überprüfung durch die SMERS zu den Reserveeinheiten der Fronten und Armeen zu überstellen, ehemalige kriegsgefangene Offiziere und Kriegsgefangene sowie Zivilisten der dritten Kategorie in Sonderlager des NKVD. „Ostarbeiter" waren zunächst in Filtrationspunkten zu sammeln, wo sie von Kommissionen, die aus Vertretern des NKVD, des NKGB und der SMERS bestanden, in einem Verhör medizinisch untersucht und politisch überprüft wurden. 20 Männer im wehrfähigen Alter wurden ent16

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CAMO, F. 243, op. 2914, d. 259, S. 29f. Provisorische Verordnung der 3. Ukrainischen Front über die Militärkommandanturen auf dem von der Roten Armee eingenommenen Gebiet Österreichs. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 59. Große Filtrationslager befanden sich in Graz, Wien, Kapfenberg, Melk, Leoben und Anzendorf (= Lager Nr. 300, 1946 nach St. Valentin verlegt, 1949 bis 1950 in Wiener Neustadt, CAMO, F. 275, op. 458453, d. 5, S. 36). Ferner durchlief ein Großteil der in der „Ostmark" eingesetzten „Ostarbeiter" die Filtration durch den NKVD in Jänoshäza, Celldömölk und Budapest in Ungarn. Zur u. a. in den Lagern durchgeführten Propaganda zur Heimkehr in die Sowjetunion siehe Stelzl-Marx, Die Sprache des Verrats. Zur Repatriierung der „Ostarbeiter" siehe Nikita Petrov - Peter Ruggenthaler - Barbara Stelzl-Marx, Repatriierung oder Verbleib in Österreich? Entscheidung nach Kriegsende, in: Stefan Karner - Peter Ruggenthaler, Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939-1945. Veröffentlichung der Historikerkommission der Republik Österreich. Bd. 26/2. Wien - München 2004, S. 455-478. Informell für „Smert' spionam" (Tod den Spionen). Abteilung für Bekämpfung der Gegenspionage im sowjetischen Innenministerium. Poljan, Zertvy dvuch diktatur, S. 58f„ S. 73. Zu den Erfahrungen von ehemaligen „Ostarbeitern" auf und nach der Heimkehr siehe Peter Ruggenthaler, „Ein Geschenk für den Führer". Sowjetische Zwangsarbeiter in Kärnten und der Steiermark 1942-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 5. Graz 2002, S. 129-138; Stefan Kamer - Peter Ruggenthaler, Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet der Republik Österreich. Veröffentlichung der Historikerkommission der Republik Österreich. Bd. 26/2. Wien - München 2004.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler weder sofort in Reserveeinheiten der westeuropäischen Fronten, in die Garnisonen der Militärbezirke in der Sowjetunion einberufen oder an die fernöstliche Front gegen Japan verbracht.21 Den jungen Frauen wurde vielfach angeboten, sich freiwillig ein Jahr für die Rote Armee zu verpflichten und in einem Spital oder in Feldküchen zu arbeiten. Trotz der jahrelangen Abwesenheit von zu Hause ließen sich viele Frauen dazu bewegen und blieben ein weiteres Jahr in der Fremde. Die Übergabe der Kosaken durch die britische Armee Ein tragisches Beispiel an Zwangsrepatriierungen stellt zweifelsohne die Übergabe zehntausender Kosaken (Zivilisten und Militärangehörige) durch die britische Besatzungsmacht an die sowjetischen Organe 1945 in Judenburg dar. Ihre „Repatriierung" brachte sie in sowjetische Lager oder unmittelbar in den Tod. Ihre Rückführung verstieß klar gegen den Geist des Haager und Genfer Rechts zur Behandlung von Kriegsgefangenen.22 Auch dann, wenn jene Kosaken, die als Militärangehörige galten, durch die Kategorisierung als „Surrendered enemy personnel" (SEP) nicht nach der Genfer Konvention als Kriegsgefangene zu behandeln waren.23 In der Konzeption und im Ablauf eines Teils der Repatriierungen von „Ostarbeitern", sowjetischen Kriegsgefangenen und Regimegegnern ist auch die Frage nach der moralischen und politischen Verantwortung der westlichen alliierten Kommandostellen zu stellen. Im Fall der Übergabe der Kosaken ist die Verantwortung der britischen militärischen und politischen Besatzungsführung, also in erster Linie des damaligen britischen Ministers im alliierten Hauptquartier und späteren Premiers Harold Macmillan24, des Feldmarschalls Harold Lord Alexander, des damaligen Befehlshabers des 5. britischen Corps, General Charles Keightley sowie seines Generalstab-Brigadegenerals Toby Low25 zu hinterfragen. James Sanders stellte in diesem Zusammenhang neuerdings die 21 22

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Vgl. Polian, Deportiert nach Hause, S. 73. Vgl. Tolstoy, Die Verratenen von Jalta, S. 575ff. Hier kann auf die einzelnen, völkerrechtlich und kriegsgefangenenrechtlich höchst interessanten Aspekte der Konventionen und historisch nachweisbaren Praktiken aus anderen Kriegen, wie dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg oder aus dem Zweiten Weltkrieg selbst sowie auf die uneinheitlichen Auffassungen der Briten und Amerikaner selbst, nicht näher eingegangen werden. Vgl. James D. Sanders - Mark A. Sauter - R. Cort Kirkwood, Soldiers of Misfortune. The Cold War Betrayal and Sacrifice of American POWs. New York 1994, S. 87f. In seinen publizierten Erinnerungen streifte Macmillan das Thema nur kurz, obwohl er persönlich am 13. Mai 1945 in Klagenfurt an Besprechungen über das weitere Vorgehen in der Frage einer Überstellung der Kosaken an die Sowjets (und auch der nach Kärnten gelangten jugoslawischen Anti-Tito-Truppen und Zivilisten) teilgenommen hatte. Offensichtlich tröstend und beschwichtigend für die britische Öffentlichkeit gibt Macmillan fälschlicherweise an, dass es ihm mit dieser Aktion gelungen wäre, „wenigstens etwa 2000 britische Kriegsgefangene und Verwundete [...] einzutauschen". Allerdings hatte die Repatriierung der Briten über die sowjetischen Demarkationslinien - wie auch die sowjetischen Akten ausweisen - ohne Probleme stattgefunden. GARF, F. 5226s, op. 4a, p. 32. Vgl. Harold Macmillan, Erinnerungen. Frankfurt a. M. 1972, und die englische Originalausgabe: Harold Macmillan, Tides of Fortune: 1945-1955. London 1969, S. 17. Zum Organigramm des 5. britischen Corps in Klagenfurt zum 26. Mai 1945 vgl. Siegfried Beer, Judenburg 1945 - im Spiegel britischer Besatzungsakten. Judenburger Museumsschriften. Bd. 10. Judenburg 1990, S. 15. Vgl. zur Schuldfrage besonders Tolstoy, Die Verratenen von Jalta, S. 319ff.,

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These auf, dass die Auslieferung der Kosaken zu Pfingsten 1945 in Judenburg im Austausch für die Waffen-SS-Division „Galizien" (rund 10.000 Mann) durchgeführt wurde, von deren antisowjetischem Einsatz sich vor allem Churchill im Zuge des zu erwartenden Kalten Krieges Vorteile erwartet hatte. 26 Denn mit ihrer Billigung und Rückendeckung konnten etwa Offiziere der britischen und sowjetischen Besatzungseinheiten in Österreich schon jene operative Abkommen aushandeln, nach denen zu Pfingsten 1945 in Judenburg „alle Russen, egal ob Kollaborateure, ehemalige Zwangsarbeiter oder frühere Kriegsgefangene", an die Sowjets übergeben wurden. 27 Unter den ca. 40.000 in Judenburg übergebenen Kosaken befanden sich auch jene zwölf militärischen Führer der Kosaken, die man über Graz, Baden und Wien nach Moskau gebracht hatte, um ihnen einen Hochverratsprozess zu machen. Die führenden unter ihnen wurden 1947 nachweislich in Moskau gehängt. Dies wurde in der Literatur mehrfach beschrieben, die Hinrichtung der führenden Kosaken-Offiziere und von KONR 2 8 Chef Andrej Vlasov von der Sowjetunion wurde amtlich verlautbart. Ein Teil der Kosaken hatte sich während der deutschen Besetzung der Ukraine und Südrusslands der Deutschen Wehrmacht angeschlossen und war bereit, gegen die Rote Armee zu kämpfen. Unter den Betreibern zur NS-ideologisch umstrittenen Aufstellung verbündeter Kosaken-Einheiten (Hitler 1941: „Mich interessieren die wilden kaukasischen Völker nicht, mich interessiert nur ihr Öl") soll vor allem Oberst Claus Graf von Stauffenberg gewesen sein. 29 Mit dem Rückzug der Wehrmacht aus dem Osten und Südosten waren auch die verschiedenen Kosakenverbände 30 , das 15. Kosaken-KavallerieKorps (unter Helmuth von Pannwitz, mit zwei Divisionen, in der Mehrzahl flüchtige Sowjetbürger), und die Kosakeneinheiten (unter Timofej Domanov 3 1 , mit den Regimentern

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346ff., aber auch - in Zusammenhang mit der Auslieferung der jugoslawischen Tito-Gegner: Tolstoy, Klagenfurter Verschwörung, S. 42ff. sowie die entsprechenden Passagen in Nikolai Tolstoy, The Minister and the Massacres. London 1986. Sanders - Sauter - Kirkwood, Soldiers of Misfortune, vor allem S. 86f. und 92f. Beer, Judenburg 1945, S. 39. Das KONR = Komite k osvobozdeniju narodov Rossii (= Komitee zur Befreiung der Völker Russlands) war am 14. November 1944 auf der Prager Burg mit Hilfe führender NS-Repräsentanten gegründet worden. Nach Josef Mackiewicz, Die Tragödie an der Drau. Die verratene Freiheit. München 1988, S. 84, 106. Zur gesamten Thematik vgl. die gut recherchierte Darstellung von Tolstoy, Die Verratenen von Jalta, hier bes. S. 207ff. und 312; zur Geschichte der Kosaken, auch der den kämpfenden Kosaken-Einheiten zuletzt übergeordneten Vlasov-Armee, vgl. u. a.: Heinrich Detleff v. Kalben - Constantin Wagner, Die Geschichte des XV. Kosaken-Kavallerie-Korps. Faßberg 1990; Joachim Hoffmann, Die Geschichte der Wlassow-Armee. Freiburg 1986; Sergej Fröhlich, General Wlassow - Deutsche und Russen zwischen Hitler und Stalin. Köln 1987; über einzelne Etappen der Geschichte, besonders seit dem Zweiten Weltkrieg und zu Einzelschicksalen informieren auch die Nachrichten der Kameradschaft des XV. Kosaken-Kavallerie-Korps, Nr. 1-75. Timofej Domanov, ein früherer Major der Roten Armee, wurde 1944 - nach dem Tod des KosakenAtamans Pavlov - zum Feld-Ataman (Pochodnyj Ataman) der zu dieser Zeit in Weißrussland (bei Novogrudok) angesiedelten, aus Südrussland gekommenen Kosaken gewählt. Das neue Aufenthaltsgebiet in Weißrussland war den Kosaken von der deutschen NS-Verwaltung zugewiesen worden. Domanov führte seine Kosaken schließlich ab September 1944 nach Oberitalien, um Tolmein/Tolmezzo, wo sie ein neues Asyl gefunden hatten. 1945 wurde er zugleich mit Krasnov u. a. an die Sowjets übergeben. Tolstoy, Die Verratenen von Jalta, S. 209ff.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler Don, Kuban und Terek), der Kosaken-Siedlung mit Frauen und Kindern, teilweise schon in Italien geboren, und vielen erbitterten kommunistischen Gegnern der ersten Stunde, wie dem Don-Kosaken-Ataman General Petr Krasnov, dem Kuban-Kosaken-Ataman General Vjaceslav Naumenko oder dem legendären Kosaken-Typus Andrej Skuro, in die Steiermark, in den salzburgischen Lungau, nach Italien und Kärnten/Osttirol gelangt und so vor allem unter britische Besatzungshoheit (wobei sich die Kosaken auch der britischen Armee ergeben hatten) gekommen. Dazu kamen noch militärische Einheiten, Frauen und Kinder von mehreren Tausend Kaukasiern unter Sultan Girei. Domanovs Kosaken und die Kaukasier waren von den deutschen Verwaltungsstellen zuletzt in Oberitalien, bei Tolmezzo, Gemona und Carnia, angesiedelt worden. Formell unterstanden sie vor Kriegsende bereits dem „Komitee zur Befreiung der russischen Völker" unter General Vlasov.32 Am 30. Mai 1945 erstattete der Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen Front, Fedor Tolbuchin, Bericht an die Stavka über die Übergabe des 15. Kosaken-Kavallerie-Korps: „Im Bezirk Judenburg wurden aus dem Bestand des 15. Kosaken-Kavallerie-Korps (Vlasov-Leute) 2535 Gefangene, darunter 1900 Offiziere, von ihnen 1858 Russen, und 16 Generäle entgegengenommen: General Ataman Krasnov, General-Leutnant Skuro, General-Major Krasnov (Sohn des Atamans Krasnov), General-Major Domanov (Ataman des Kosaken-Korps) und die Generäle: Beljakov, Sikin, Sultan, Voronin, Tichockij, Balobramovin, Golovko, Salamachin, Tarasenko, Vasil'ev, Esaulov. Die entgegengenommenen Gefangenen aus dem Bezirk Judenburg wurden mit zwei Eisenbahntransporten in ein Speziallager nach Graz gebracht."33 Die Auslieferung der Kosaken an die Rote Armee durch die Briten war gegenüber den internationalen Konventionen zumindest eine bedenkliche Aktion und führte zur Ermordung der militärischen Führungsschicht und geistigen Elite der Kosaken. Die zwangsweise Übergabe der rund 40.000 Kosaken an die Sowjetunion zu Pfingsten 1945 in Judenburg zählt auch zu den düstersten34 Kapiteln britischer Besatzungsgeschichte in Mitteleuropa. Ihre näheren Umstände sind noch immer unklar, ihre politischen Motive im Dunkeln und das weitere Schicksal der Opfer in sowjetischer Hand nur erahnbar. „Ich kann mich natürlich recht gut an das Entsetzen der österreichischen Stadtbevölkerung erinnern und an den offenen Unglauben, dass die Briten so etwas wirklich tun würden, da sie uns offenbar für gerecht und menschlich hielten [...]. Ich erinnere mich auch an Gräber an den Straßen um Judenburg, die vom Misslingen verzweifelter Fluchtversuche zeugten. Das ganze Unternehmen schockierte die österreichischen Ein-

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Siehe dazu auch Tolstoy, Die Verratenen von Jalta, S. 391f. CAMO, F. 243, op. 2900, d. 1905, S. 21 lf. Kriegsberichterstattung (boevoe donesenie) des Stabs der 3. Ukrainischen Front an die Stavka des Oberkommandierenden Stalin, 30.5.1945. Siehe dazu auch den Gerichtsprozess in England, der 1990 mit einem Schuldspruch für den britischen Historiker Nikolai Tolstoy geendet hatte, weil dieser auf Grund wissenschaftlicher Forschungen den früheren britischen Brigadegeneral Toby Low beschuldigt hatte, die Deportation von rund 70.000 in Kärnten befindlichen „russischen" und „jugoslawischen" Gefangenen in ihre Herkunftsländer befohlen und organisiert zu haben. Tolstoy, Die Verratenen von Jalta. Der Prozess fand ein starkes mediales Echo. Vgl. etwa: Pia Maria Plechl, Die Toten schweigen nicht für immer, in: Die Presse, 13.4.1990; Der Standard, 5.6.1990, Kleine Zeitung, 26.8.1988.

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wohner." 35 Major Claude Hanbury-Tracy-Domville, einer der Ende Mai/Anfang Juni 1945 in Judenburg stationierten Soldaten und Offiziere 36 , konnte nur ahnen, welches Schicksal den Kosaken und den anderen, rund 15.000 von den Briten und zum geringeren Teil auch von den Amerikanern als Sowjetbürger angesehenen Kaukasiern und russischen politischen Emigranten 37 bevorstand. Man hatte sie eben, großteils entgegen allen internationalen Konventionen und Vereinbarungen 38 , in die Hände ihrer schärfsten Gegner 39 übergeben. Die Kosaken - sowohl die mittlerweile entwaffneten Verbände des 15. Kavallerie-Korps, als auch Frauen, Kinder, Babys, Alte, Soldaten und Offiziere Domanovs und Krasnovs - waren von den Briten großteils zwangsweise vor allem aus Kärnten (15. Kavallerie-Korps: aus den Bereichen St. Veit - Althofen, wo auch Generalleutnant Pannwitz sein Quartier hatte, Klein St. Paul, Feldkirchen, wo Oberst Constantin Wagner vor allem die 1. Division befehligte, von denen später einige Tausend mit stillschweigender Duldung britischer Offiziere fliehen konnten), 40 Osttirol, dem oberen Drautal und dem Lienzer Talkessel, wohin sie aus Oberitalien gekommen waren (unter Ataman Domanov und General Krasnov) und Steiermark, aus dem Bereich Köflach - Voitsberg, mit Lastkraftwagen und in Viehwaggons nach Judenburg gebracht worden. Tausende dürften noch vor der teilweise mit brutaler Gewalt durchgeführten Verladung, auf dem Transport oder noch vor oder auf der Murbrücke Selbstmord begangen haben. Männer erschossen ihre Frauen, schnitten sich ihre Kehlen durch, Frauen stürzten sich mit ihren Kindern im Arm in die kalte Mur, weil sie dieses Schicksal der Auslieferung an die Sowjets vorzogen. Tausende Kärntner und Steirer können bis heute von den tagelangen Transporten nach Judenburg erzählen. 41 Bezeichnend sind auch die Erinnerungen von Varvara Ignatova, die von den Autoren in Moskau ausfindig gemacht werden konnte. Ihr Ehemann saß in der Kommission, die die Übergabe der Kosaken zu überwachen und dafür Sorge zu tragen hatte, dass die übergebenen „Vaterlandsverräter" sich ihrer Strafe

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Tolstoy, Die Verratenen von Jalta, S. 256. Es handelte sich überwiegend um Angehörige der I. Army Group Royal Artillery (I. AGRA), der fünf Regimenter und eine Batterie angehörten. Siehe dazu im Detail: Beer, Judenburg 1945, bes. S. 17. Etwa gleichzeitig, teilweise zusammen mit ihnen, wurden in Judenburg von den Briten und zum kleineren Teil von den Amerikanern noch rund 15.000 andere als Sowjetbürger eingestufte Menschen (Soldaten, Zivilisten, Frauen, Kinder) an die Sowjets ausgeliefert. Vgl. im Detail: Beer, Judenburg 1945, S. 44f. Jalta, Genfer Konvention, Haager Landkriegsordnung. DEF, SEP (Surrendered Enemy Personnel). Siehe auch: Sanders - Sauter - Kirkwood, Soldiers of Misfortune, S. 87ff. Siehe in diesem Zusammenhang auch: Mark R. Elliot, Pawn of Yalta. Soviet refugees and America's role in their repatriation. Urbana 1982. Ihre Gegnerschaft rührte - neben anderen historischen und ethnischen Gründen - vor allem aus der Zeit des Bürgerkrieges in der Sowjetunion, zu Beginn der 1920er Jahre, her. Damals hatten die Kosaken, zusammen mit den verschiedenen Gruppierungen der „Weißen" gegen die Bolschewik! bzw. die „Roten" gekämpft. Siehe dazu etwa: S. P. Mel'gunov, Krasnyj terror ν Rossii. Moskau 1990; Pjotr Grigorenko, Erinnerungen. München 1981, bes. S. 32-54, 17Iff.; Roland Hill, Ein Gentleman gerät ins Zwielicht, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2.6.1986. Tolstoy, Die Verratenen von Jalta, S. 316f. Beispielsweise wurden in Weißkirchen Kosakentransporte in geschlossenen Vieh waggons und in LKWs mit militärischer Bewachung beobachtet.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler nicht durch Selbstmord entzogen oder sich gar zur Wehr setzten. „Er sagte, dass es ihm, menschlich gesehen, leid tat und [ihm] ihre Familien [leid taten], [...] Sie nahmen sie in Empfang, natürlich nicht freundlich, für unsere Leute waren sie ja Verräter. [...] Bei uns [in der Sowjetunion] wurde Jagd auf sie gemacht." Die Aufgabe der Kommission schildert Varvara Ignatova folgendermaßen: „Mein Mann war Spion, um zu organisieren, dass es dort zu keinen Fluchten kam, damit sie [die Kosaken] nicht auf sie [die Sowjets] losgingen, sozusagen, um sie zu bewachen. Damit sie nirgends hinflüchteten, nun das war die Aufgabe." 42 Am 24. Mai 1945 hatte das NKVD im Vorfeld der Übergabe den Befehl erteilt, im südsteirischen Mureck zwei Bataillone zusammenzuziehen. Den Kommandeuren wurde aufgetragen, den Mannschaftsstand politisch zu schulen. Abgehalten wurden Partei- und Komsomolzen-Konferenzen und interne Bataillonsberatungen, in denen die Soldaten über die „Vlasov-Armee" „aufgeklärt" wurden. Dem Mannschaftsstand wurde unbedingter Befehlsgehorsam eingetrichtert. Ein Schulungsvortrag lautete: „Mit Ehre werden wir den vom Kommando erteilten Auftrag erfüllen." 43 Am 26. Mai 1945 wurden ein Schützenbataillon und die operative Gruppe des Stabes des 25. Regiments der Grenztruppen des NKVD in Richtung Judenburg in Marsch gesetzt. Einen Tag später folgte ein weiteres Bataillon. Um unter allen Umständen Fluchten von übergebenen Kosaken zu verhindern, wurde vor allem den Vorbereitungen zur Verteidigung und Bewachung des Lagers, in das die Kosaken zu bringen waren, getroffen. Das NKVD rechnete auch mit Überfällen von „Banden" auf das Lager nach der Übergabe und bereitete sich dementsprechend vor. Das Lager wurde mit Stacheldraht umzäunt und elektrisch beleuchtet. Am 28. Mai 1945 begann schließlich die Übergabe der Kosaken und Vlasov-Kämpfer durch die britische Besatzungsmacht. Laut der NKVD-Statistik wurden bis zum 7. Juni insgesamt 42.913 Personen übernommen. Tatsächlich war die Zahl der Ausgelieferten wesentlich höher, weil die vielen Fluchtversuche und Selbstmorde vor der Übergabe durch die Sowjets nicht registriert wurden. 42.258 der Übernommenen waren nach dem NKVD-Bericht „russischer Nationalität", 655 waren Russlanddeutsche. 59 Personen wurden als „verbrecherische Elemente" eingestuft und unmittelbar nach der Übergabe exekutiert. Anschließend wurden die Ausgelieferten nach Feldbach eskortiert. Das weitere Schicksal der Kosaken nach der Übergabe lag nun in den Händen des NKVD und gelangte nur noch blitzlichtartig ans Licht der Öffentlichkeit: Alexander

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AdBIK, Oral-Histroy-Interview, VD-0264, Varvara Ignatova. Moskau, 19.7.2003. Varvara Ignatova, geb. 1919, war Buchhalterin in einer Militäreinheit und bis Juli 1945 in Österreich stationiert. Das Interview führte Peter Ruggenthaler. RGVA, F. 32910, op. 1, d. 42, S. 263-266, hier: S. 263. Bericht des stv. Kommandeurs, Oberstleutnant Cernysev, und des Stabschefs des 25. NKVD-Grenzregiments der Truppen des NKVD, Major Logvinov, an den Chef der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front, Generalmajor Pavlov, 15.6.1945. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 43.

(Zwangs-)Repatriierungen

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Solzenicyn beschrieb 44 nur kurz die Übergabe in Judenburg und bezeichnete die Kosaken als „echte Gegner der Macht [der Sowjets]", die 1945/46 vom GULag „verarbeitet", also ermordet oder in Strafarbeitslager verbracht wurden. Edgar Wenzel mutmaßt in seiner essayhaften Abhandlung, 45 dass jener Teil der Kosaken, der die Übergabe überlebt hatte, in die Sowjetunion transportiert, dort interniert und zu hohen Strafen verurteilt wurde. Der emigrierte polnische Schriftsteller Josef Mackiewicz nannte Namen von sowjetischen GULag-Lagern, in denen man die noch am Leben befindlichen Kosaken interniert hatte. Doch: „überlebt hat am Ende keiner". 46 Tolstoy hatte recherchiert, dass „von den in Österreich ausgelieferten Kosaken eine große Anzahl (darunter fast alle Offiziere)" entweder noch in Judenburg, in Graz oder auf dem Weg nach Wien, also binnen kurzer Zeit, erschossen wurden. 47 Unter Berufung auf einen von General Vjaceslav Naumenko 48 publizierten Bericht gibt Tolstoy an, die restlichen Kosaken wären vorwiegend „in einen Lagerkomplex um Kemerovo", in Mittelsibirien (südlich Tomsk), gekommen. Dort sollen die meisten „unter der unsagbar grausamen Behandlung gestorben" sein.49 Aus einer bekannt gewordenen Anordnung des Staatlichen Verteidigungskomitees (GOKO), 50 dem höchsten Organ der sowjetischen Kriegswirtschaft, vom 18. August 194551 geht hervor, dass „alle bei der Registrierung und Auslese von NKVD, NKGB und SMERS ausgesonderten [...] in speziellen deutschen Formationen dienenden Militärangehörigen nicht in Bataillone zusammenzufassen, sondern dem Volkskommissariat für Inneres zur Arbeitsleistung im Kohlebergbau und in der Holzwirtschaft [verschiedener NKVD-Betriebe] zu übergeben sind". Dies geschah auch mit 808 Kosaken, die in Judenburg an die Sowjets übergeben wurden: Ihr Schicksal ist auf einer NKVD-Liste des Speziallagers 525/9 des Archipel GUPVI im sibirischen Kemerovo nachweisbar. Das GUPVI-Lager 525 in Kemerovo bei Tomsk in Sibirien bestand seit 7. Juli 1945. Es war gemäß des Befehls 00277 des NKVD vom 6. April 1945 „für die Unterbringung einer Sondergruppe des Spezialkontingents der Gruppe B" [= NS-Funktionäre] auf dem Gelände des früheren Lagers 142 („Prokop'evsk") neu gegründet worden. 52 Offensichtlich hatte man innerhalb des Teilla44

Alexander Solzenicyn, Der Archipel G U L A G I. Bd. 1. Bern 1974, S. 251 f., 91. Ähnlich auch Rolf D. Müller - Gerd Ueberschär, Kriegsende 1945. Frankfurt a. M. 1994, S. 98. Solzenicyn erwähnt im Zusammenhang mit seiner exemplarischen Erläuterung des Strafgesetzbuches der RSFSR ihre Verurteilung, großteils nach Artikel 58. Zur Verurteilungspraxis in der U d S S R vgl. exemplarisch auch: Stefan Karner (Hg.), Geheime Akten des KGB. „Margarita Ottilinger". Graz 1992.

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Edgar M. Wenzel, So gingen die Kosaken durch die Hölle. Wien 1976, S. 109. Mackiewicz, Die Tragödie an der Drau, S. 3 1 7 und Klappentext. Tolstoy, Die Verratenen, S. 564. Vjaceslav Naumenko, Velikoe predatel'stvo: Vydaca kazakov ν Lienze i drugich mestach ( 1 9 4 5 1947). N e w York 1962, zit. n. Tolstoy, Die Verratenen von Jalta, S. 659. Tolstoy, Die Verratenen von Jalta, S. 571. G O K O = Gosudarstvennyj Komitet oborony (Staatliches Verteidigungskomitee). GOKO-Anordnung Nr. 9 8 7 1 s v. 18.8.1945 „Über den Arbeitseinsatz in der Industrie der Soldaten der Roten Armee, die aus deutscher Kriegsgefangenschaft befreit wurden [...]", auszugsweise zit. in: Ε. A. Zajcer (Hg.), Sbomik zakonodatel'nych in normativnych aktov ο repressijach i reabilitacii zertv politiceskich repressij. Moskau 1993, S. 136f. RGVA, Internes NKVD-Lagerbuch, S. 203a. Insgesamt internierte die Sowjetunion - nach N K V D Statistiken - 6 1 . 5 7 3 Personen der Sondergruppe „B"· RGVA, F. lp, div. Statistiken.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler gers 525/9 noch eine zeitlich begrenzte Spezialabteilung für Angehörige der Kosaken und Vlasov-Arraee eingerichtet. Denn zum 1. Oktober 1945 wies das Lagerbuch von den insgesamt 17.330 Gefangenen des gesamten Lagers 525 genau 3540 „Vlasov-Leute und weiße Emigranten" aus. Diese Zahl verringerte sich, wohl infolge der zahlreichen Todesfälle, bis zum 1. Jänner 1946 auf 3256. Die Spezialabteilung im Teillager 525/9 selbst, in die man 807 Frauen und Kinder der Kosaken und einen Mann deportiert hatte, lag in der Stadt Stalinsk und hatte ein Belegungslimit von 1600 Personen, die an den Kohlenbergbau „Kujbysevugol" verliehen wurden.53 Im Frühjahr 1946, wofür exaktere Unterlagen erhalten sind, umfasste das Lager 525 insgesamt 15 Teillager mit insgesamt 8253 Insassen. Die Gefangenen arbeiteten meist im Kohlenbergbau des Kuzbas. Nach 1946 dürfte das Lager 525 wesentlich erweitert worden sein, denn bis zu seiner Auflösung am 6. August 1949 hatte es 27 Teillager zu betreuen.54 Von den insgesamt 808 dort verzeichneten Kosaken waren mehr als die Hälfte unter 21 Jahren, etwa jeder Siebente noch keine fünf Jahre alt, rund fünf Prozent waren Babys, geboren 1945 irgendwo in Österreich oder Italien. Von den 269 Frauen zwischen 15 und 35 Jahren waren in Kemerovo Ende Oktober 1945 insgesamt 26 schwanger55, einige stillten noch ihre Babys. Ein Säugling starb praktisch während der Erstellung der Listen.56 Der überwiegende Teil der 808 Kosaken stammte aus Südrussland, der Westukraine, dem Nordkaukasus und dem Kuban'-Gebiet. 456 von ihnen gaben russisch, 261 ukrainisch, 32 weißrussisch als ihre Nationalität an. Dazu kamen noch sieben mit deutscher, sechs mit polnischer, drei mit tschechischer und jeweils ein(e) mit bulgarischer, estnischer, kroatischer und tatarischer Volkszugehörigkeit. Unter den Berufen wurden Hausfrau, Kolchosarbeiterin, Schneiderin und Arbeiterin am häufigsten verzeichnet. Jeweils zehn waren Krankenschwestern und Lehrerinnen, zwölf Rechnungsführerinnen, 13 Erzieherinnen. 24 waren noch in beruflicher Ausbildung. Die Angaben zur Parteizugehörigkeit können naturgemäß nur unter Berücksichtigung der besonders schwierigen Umstände, unter denen sie erhoben bzw. eingetragen wurden, verwendet werden. Vom überwiegenden Teil der inhaftierten Frauen und Kinder sind dazu überhaupt keine Angaben erhalten. 167 bekannten sich als parteilos, acht als Mitglieder der kommunistischen Einheits-Jugendbewegung „Komsomol" und eine als Kandidatin der KPdSU. Die Sterblichkeit im gesamten Lagerbereich war erschreckend hoch und betrug über die gesamte Bestandsdauer der Lagerverwaltung, bis 1949, rund zehn Prozent. Die Lagergeschichte des NKVD spricht in diesem Zusammenhang von schrecklichen Le-

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RGVA, F. lp, op. 15a, d. 352. Lagerformular, S. 1, Lagergeschichte 525, S. 39, und: internes NKVDLagerbuch. Das Lager wurde auf dem bereits aufgelassenen Kriegsgefangenenlager 142 eingerichtet. RGVA, eigene EDV-Auswertung der geheimen Lagerkartei des Archivs. Die Lagerverwaltung nannte sich später auch „Novokuzneckij". Die Altersverteilung der schwangeren Frauen war: 19- bis 24-jährig 14, 25- bis 35-jährig sieben und 36- bis 40-jährig fünf Frauen. RGVA, F. lp, op. 15a, d. 352. Die folgende summarische Darstellung basiert auf einer eigenen Auswertung der NKVD-Liste des Speziallagers 525/9.

(Zwangs-Repatriierungen

sowjetischer Staatsbürger

bensbedingungen der ersten in das Lager gebrachten Kontingente, zu denen zweifelsfrei auch die Frauen und Kinder der Kosaken gehörten: enge Baracken, Erdhütten als Behausungen, zwei- bis drei Bettkojen übereinander, äußerst niedrige Raumtemperaturen in den Wohnstätten, keine Krankenabteilungen, keine Sanitäranlagen, keine Genesungsmöglichkeiten im gesamten Bereich der Lagerverwaltung! Dazu: kaum Lebensmittel, täglich die gleiche Nahrung, zuwenig warme Bekleidung, zuwenig Bettwäsche und wegen der schwierigen Transportwege keine Möglichkeit einer Beschaffung der fehlenden Ausrüstungen. Das NKVD weist in seinem Bericht in diesem Zusammenhang auf die Unterwanderung des Lagerpersonals durch „kriminelle Elemente" hin.57

„Verräter der Heimat" - Zum Schicksal der ehemaligen „Ostarbeiter" in der Sowjetunion nach 1945 Im Gegensatz zu den Kosaken und Angehörigen der Vlasov-Verbände, die „nach der Überprüfung durch die Organe des NKGB der UdSSR und der SMERS und der Feststellung des Faktums des Heimatverrats und des Handlangertums für den Feind" 58 unverzüglich aus den Sammellagern aus dem Hinterland der Roten Armee in Speziallager des NKVD in entlegenste Gebiete der Sowjetunion abtransportiert wurden, mussten die ehemaligen „Ostarbeiter", sofern sie die grobe Selektion im ersten Sammellager überstanden hatten, nach Hause zurückkehren, wo sie dem örtlichen KGB zur Verfügung stehen mussten und vor Ort einer genaueren politischen Überprüfung unterzogen wurden. Alle sowjetischen Bürger, die aus ihrem nunmehrigen Staatsgebiet der UdSSR, also inklusive der Bewohner der baltischen Länder, die infolge des Zweiten Weltkriegs in den Westen gelangt waren, waren bis auf die letzte Person zu „repatriieren" und in vielen Fällen zu bestrafen. Bereits 1943 hatte Stalin in einem Geheim-Ukaz auch alle „Ostarbeiter" und Kriegsgefangene zu Verrätern der Heimat erklärt. Jeder Einzelne sollte zur Verantwortung gezogen werden und musste büßen. Neben wirtschaftlichen Gründen - die Sowjetunion brauchte, wie bereits erwähnt, nach den enormen Menschenverlusten im Zweiten Weltkrieg arbeitendes Volk - war Rache wohl der Hauptgrund der rigorosen „Repatriierungs"-Politik, die „jeden Sowjetbürger bis zum Letzten" umfassen sollte.59 Angesichts der Massen an zu repatriierenden Sowjetbürgern verkürzte das GOKO die Frist für die Registrierung in den Filtrationslagern. Eine genauere Überprüfung der Heimkehrer war ab dem 22. Mai 1945 an Ort und Stelle durch die Organe des NKVD vorgesehen. Vielen Heimkehrern bot sich nach der Rückkehr oftmals ein Bild des Schreckens. Häuser und ganze Dörfer waren von den sich zurückziehenden Deutschen niedergebrannt oder während der Kampfhandlungen völlig zerstört worden. Die Überlebenden 57 58

59

RGVA, F. lp, op. 15a, d. 352. Lagergeschichte, S. 34f. CAMO, F. 67, op. 12011, d. 43, S. 6. Bericht des Stellvertretenden Chefs der 8. Abteilung des Stabs des Hinterlandes der Streitkräfte der UdSSR über die Tätigkeit der 1. und 8. Abteilung des Stabchefs des Hinterlandes der Roten Armee für die Evakuierung von Kriegsgefangenen, Internierten, Spezialkontingenten, repatriierten sowjetischen, Alliierten und ausländischen Bürgern sowie von ehemaligen Militärdienem der Roten Armee und alliierter Armeen. Stelzl-Marx, „Die Heimat wartet auf Euch", S. 44.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler waren lediglich im Stande, notdürftige Behausungen aus Lehm und Erde zu bauen. Zu all dem kam für viele Heimkehrer noch der Schmerz, einen oder mehrere Familienangehörige verloren zu haben. Die Solidarität der Mitbürger mit den Heimkehrern war meist gering. Viele ehemalige Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter wurden für ihre Arbeit in der Kolchose nicht entlohnt, es wurde vielfach lediglich vermerkt, dass der Tag abgearbeitet wurde.60 Auch für Männer, die nach ihrer Befreiung oft bis zu sechs Jahre in der Roten Armee dienen mussten, war es äußerst schwierig, auf Grund ihrer Deportation ins „Dritte Reich" Arbeit zu finden. Die meisten Heimkehrer mussten lange Jahre Schmähungen der Arbeitskollegen und Nachbarn erdulden. Allein das Wort „Deutscher" entwickelte sich zum Schimpfwort.6' Mit 1. März 1946 waren von den ursprünglich knapp fünf Millionen dislozierten Zivilisten 3,438.506 Personen in der Sowjetunion erfasst. Von ihnen wurden 12,08 Prozent in die Armee einberufen, 86,32 Prozent in die Heimat entlassen und 1,6 Prozent (55.015 Personen) dem NKVD übergeben und mussten in der Folge Zwangsarbeit in stalinistischen Lagern leisten.62 Die Zahl der im „Westen" verbliebenen Sowjetbürger geht in die Hunderttausende. An die 500.000 Personen sollen sich der Repatriierung in die Sowjetunion durch Emigration in westliche Länder bzw. Einbürgerung in Österreich bzw. Deutschland entzogen haben.63 DP-Lager in den westlichen Zonen Ein vorübergehender Zufluchtsort für sowjetische Bürger, die nicht in ihre Heimat zurückkehren wollten, sowie für geflohene Balten, Ukrainer und Weißrussen, deren Heimatländer nach dem Einmarsch der Roten Armee 1939/40 nun 1944 erneut von der UdSSR annektiert worden waren, waren die DP-Lager in den westlichen Besatzungszonen Österreichs und Deutschlands. Diese Lager waren den sowjetischen Behörden klarerweise ein besonderer Dorn im Auge. Wie bereits erwähnt, hielten die westlichen Alliierten sehr bald nach Kriegsende von einer zwanghaften Übergabe der sich in ihren Besatzungszonen befindlichen sowjetischen und baltischen Displaced Persons an die sowjetischen Behörden Abstand. Die Sowjetunion sah in der Anwerbung der sowjetischen Displaced Persons in den westlichen Besatzungszonen die Gefahr, dass Sowjetbürger in der Folge als Spione gegen die Sowjetunion Verwendung finden würden.64

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64

Ruggenthaler, „Ein Geschenk für den Führer", S. 134. Alfred M. de Zayas, Die Wehrmachtsuntersuchungsstelle. Dokumentation alliierter Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg. Unter Mitarbeit von Walter Rabus. 6., erw. Aufl. München 1998, S. 286. Polian, Deportiert nach Hause, S. 166. Polian spricht von einer halben Million Menschen. Siehe Polian, Deportiert nach Hause, S. 201. Spoerer hält diese Zahl für realistisch. Freund - Perz - Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939-1945. „Als eine Quelle der Auswahl von Spionage-diversionistischen Kadern zur Verwendung gegen die UdSSR". RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 135. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.8.1948. Die Lage in den DP-Lagern und die von den Westmächten im fortschreitenden Kalten Krieg forcierte antisowjetische Propaganda

(Zwangs-)Repatriierungen

sowjetischer Staatsbürger

Auf der Konferenz des Rates der Außenminister in Paris sprach der sowjetische Vertreter, Vjaceslav Molotov, am 12. Juli 1946 das Problem der Displaced Persons an. Seinen Angaben zufolge befanden sich in den westlichen Besatzungszonen Österreichs noch 437.000 DPs 65 , die seiner Ansicht nach zur Gänze aus Nazi-Kollaborateuren, Cetniks, russischen und ukrainischen Weißgardisten, Vlasov-Leuten usw. bestanden. Dies stellte aus der Sicht des sowjetischen Außenministers „eine ernste Bedrohung nicht nur für die innere Sicherheit des demokratischen Österreichs, sondern auch eine Gefahr für die demokratischen Nachbarstaaten dar". Molotov forderte vom Westen eine unverzügliche Evakuierung der DPs aus Österreich. 66 Sie sollten in die entsprechenden Besatzungszonen Deutschlands verbracht werden, was so viel hieß, wie alle sowjetischen „Vaterlandsverräter" an die UdSSR auszuliefern. Die amerikanische Seite lehnte mit der Begründung ab, dass sich allein in ihrer Zone in Deutschland eine halbe Million DPs befanden. Den Vorschlag Molotovs, die DPs als Schachtarbeiter in Verwendung zu nehmen, lehnten die Amerikaner vehement ab. Sie könnten die DPs nicht als Zwangsarbeiter einsetzen, geschweige denn Menschen gewaltsam in ihre Heimat zurückschicken, wenn sie andere politische Ansichten hätten. Molotov erhob den Einwand, dass man für NS-Kollaborateure, die gegen die Alliierten gekämpft hätten, nicht die Prinzipien der politischen Freiheit zugestehen könnte. Die westlichen Außenminister lehnten ab, die Frage der DPs blieb vorerst ungelöst. 67 In den DP-Lagern der westlichen Besatzungszonen befanden sich neben Zwangsarbeitern vor allem auch Vlasov-Leute und antisowjetische Widerstandskämpfer aus der Westukraine. Im Sommer 1947 wurden Letztere in der amerikanischen Zone Österreichs konzentriert. Sie führten vor allem in selbst herausgegebenen Zeitungen und Flugblättern Propaganda gegen die Sowjetunion. 68 Das Zentrum der antisowjetischen Presse befand sich - so konstatierte es der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich in einem internen Bericht an das ZK der VKP(b) - in Salzburg: „Salzburg ist das Hauptzentrum der ganzen Boulevard-Presse. Antisowjetische Zeitungen aus Salzburg werden nicht nur in den westlichen Zonen Österreichs verbreitet, sondern auch in die sowjetische Zone Österreichs geschickt. Salzburg bezieht die Zeitungen aus Deutschland, England und Frankreich. Im Lager L. [...] gibt es beispielsweise eine große Zahl französischer antisowjetischer Journale und Zeitungen in ukrainischer Sprache." 69

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wurde von der sowjetischen Seite sehr genau beobachtet. In den monatlichen, Dutzende Seiten starken Berichten des Stabs des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Osterreich über die Lage in den westlichen Besatzungszonen an das ZK der VKP(b) nahm die Berichterstattung über die DPLager breiten Raum ein. Ende 1945 befanden sich allein in der US-Zone Österreichs 183.043 DPs. ÖStA/AdR, AA, II-pol., 1945, Kt. 9, 1868-pol. 45. Zusammenstellung der DPs in der US-Zone Österreichs nach Nationalitäten durch das Headquaters United States Forces in Austria. Wien, 10.11.1945. AVPRF, F. 0431/2, op. 4, p. 8, d. 35, S. 19. „Die österreichische Frage", von Molotov am 12. Juli 1946 ausgehändigt an Beams, Bevin und Bidot. Siehe dazu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 51 f. AVP RF, F. 0431/2, op. 4, p. 8, d. 48, S. 266; AVP RF, F. 0431/2, op. 4, p. 5, d. 22, S. 112. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 9f. Bericht des Chef des Stabes des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, General-Major G. Cinev an das ZK der VKP(b). Wien, Hotel Imperial, 20.7.1948. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 46. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.5.1948.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler Mitte 1948 befanden sich nach österreichischen Angaben noch rund 600.000 Displaced Persons in Österreich, 100.000 von ihnen lebten in Lagern. Nach amerikanischen Angaben war ihre Zahl geringer und lag bei 447.780 Personen.70 In der britischen Besatzungszone befanden sich noch immer rund 10.000 sowjetische Bürger, darunter 6500 Russen und Ukrainer, wobei mehr als die Hälfte in Kärnten lebte. Diese mehr als 5000 Personen waren zur einen Hälfte in den 18 DP-Lagern und zur anderen Hälfte in Privatquartieren einquartiert. In drei Lagern waren ausschließlich „sowjetische" Bürger, d. h. Personen aus den mittlerweile in die Sowjetunion inkorporierten Gebieten der Westukraine, West-Weißrusslands und des Baltikums, untergebracht: in St. Martin bei Villach71, Kapfenberg72 und Trofaiach.73 Nur eine geringe Anzahl der Lagerinsassen war russischer, ukrainischer oder weißrussischer Nationalität, in erster Linie stammten die DPs aus den baltischen Staaten. Eine große Konzentration baltischer DPs gab es im Lager Spittal an der Drau.74 Mitte 1948 befanden sich in der französischen Besatzungszone noch 6000 sowjetische Bürger, zwei Drittel lebten in DP-Lagern, ein Drittel in Wohnungen. Von den 4000 Westukrainern lebte der Großteil in Lagern, 800 Personen waren privat untergebracht.75 Seit 1946 wurde von dieser Gruppe keine einzige Person in ihre Heimat repatriiert. Neben 300 Litauern, 400 Letten und 300 Esten befanden sich zur Jahresmitte 1948 noch 1000 Russen, Weißrussen u. a. mit dem Status „staatenlos" in Tirol, wobei nicht geklärt werden kann, ob diese Gruppe in der Zahl der 6000 Sowjetbürger inkludiert ist oder von den sowjetischen Behörden nicht als „ihre" Bürger gewertet wurden ebenso wie die Gruppe der Westukrainer.76 Dies wiederum spricht dafür, dass zunehmend die alte sowjetische Grenze von 1939 als Kriterium der Repatriierungsbehörden herangezogen wurde, wohl aus dem Grund, eine prozentmäßig möglichst hohe Repatriierung von Sowjetbürgern erreichen zu können. Der Einschluss der Bewohner West-Weißrusslands 70 71

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Ebd., S. 135. Monatsbericht vom 15.8.1948. Das Lager St. Martin bei Villach war auch in den ersten Nachkriegsjahren neben polnischen hauptsächlich mit ukrainischen und russischen DPs belegt. Gabriela Stieber, Nachkriegsflüchtlinge in Kärnten und der Steiermark. Graz 1997, S. 235. Es dürfte sich dabei um das ehemalige „Reichsautobahnlager (RAB) Kapfenberg" handeln. Es war für die Unterbringung von sowjetischen Staatsbürgern bestimmt, die von einer sowjetischen Repatriierungskommission überprüft worden waren. Seit 1946 stand das Lager unter Aufsicht der UNRRA. Im September 1948 wurde das Lager an Österreich übergeben. Die noch verbliebenen DPs wurden ins Lager Treffling gebracht. Siehe dazu Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, S. 267-270. Zu den Lagern in Kapfenberg zur Zeit des Zweiten Weltkrieges siehe Stefan Karner - Peter Fritz, Die Stollenanlage Höhkogel. Zu den Luftschutzmaßnahmen von Böhler Kapfenberg 1943-1945. Unveröffentlichtes Manuskript. Graz 2003; Stefan Karner - Peter Fritz, Zum Bau des Luftschutzstollens im Kapfenberger Schlossberg 1944—1945. Eine historische Studie. Unveröffentlichtes Manuskript. Graz 2003. Bis April 1948 waren im Lager Trofaiach Volksdeutsche untergebracht. Im April 1948 wurden diese ins Lager Judenburg umgesiedelt, im Gegenzug kamen DPs aus Judenburg nach Trofaiach. Siehe dazu Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, S. 278-280. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 46, 52. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.6.1948. Im Juli 1947 waren im Lager Spittal an der Drau 200 baltische DPs untergebracht. Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, S. 238. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 57. Monatsbericht vom 15.6.1948. Bemerkenswert ist der Ausschluss der Westukrainer aus der Gruppe der Sowjetbürger im vorab zitierten Bericht. Polian stellt dies bereits für die Gespräche bei der Potsdamer Konferenz 1945 fest, bei denen Molotov das britische Verständnis der sowjetischen Staatsbürgerschaft nicht in Frage stellte. Siehe Polian, Deportiert nach Hause, S. 111. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 57. Monatsbericht vom 15.6.1948.

(Zwangs-)Repatriierungeη

sowjetischer Staatsbürger

und der Westukraine hätte die „Erfolgsstatistik" der sowjetischen Repatriierungen jedenfalls wesentlich schlechter aussehen lassen. In der ersten Jahreshälfte 1946 wurden aus den westlichen Besatzungszonen 1769 Sowjetbürger in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands übergeben, weitere 395 Sowjets und 470 Einwohner Polens sollten folgen. 77 Bis Juni 1948 wurden 3740 Personen übergeben, 220 noch Zurückgebliebene folgten bald. 1464 DPs wurden im April 1948 aus der britischen Besatzungszone Österreichs vor allem nach Nord- und Südamerika verbracht.78 Insbesondere die amerikanische Regierung forcierte 1948 die Emigration der Displaced Persons, eine Vielzahl von „Werbern" kam aus den USA nach Österreich.79 Aus der amerikanischen Besatzungszone Österreichs wurden im April 1948 473 und im Mai 1035 Displaced Persons außer Landes gebracht. Diese waren vor allem von Kommissionen zur Emigration nach Kanada, Chile, Brasilien und Frankreich angeworben worden.80 Am 6. September 1948 emigrierten 600 Displaced Persons nach Brasilien, einen Tag später 535 Personen nach Kanada und Ende des Monats schließlich 315 Juden nach Palästina.81 Die Zahl der aus der französischen Besatzungszone außer Landes gebrachten Displaced Persons war im selben Zeitraum vergleichsweise niedrig. 339 Displaced Persons folgten dem Aufruf, nach Nord- und Südamerika zu emigrieren. 82 Die zuständige Werbekommission im Auftrag der französischen Regierung beschränkte ihre Tätigkeit jedoch nicht nur auf die eigene Besatzungszone, sondern war auch in der britischen und der amerikanischen Zone tätig. Im selben Zeitraum war sie mit der Selektierung von 2000 „Volksdeutschen" 83 in Kärnten, der Steiermark und in Oberösterreich beschäftigt. 84 Politisch waren die sowjetischen DPs in Kärnten in der „Vereinigung der russischen Emigranten" unter der Führung des weißgardistischen Oberst Rogozin mit Sitz im Lager Kellerberg 85 organisiert. 86 In Tirol war das Netz politischer Organisationen und Agitatio77 78 79 80 81 82 83 84 85

86

Ebd., S. 73. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.7.1948. Ebd., S. 86. Ebd., S. 135. Monatsbericht vom 15.8.1948. Ebd., S. 80. Monatsbericht vom 15.7.1948. Ebd., S. 110. Monatsbericht vom 15.10.1948. Ebd., S. 90. Monatsbericht vom 15.7.1948. Zur Problematik der „Volksdeutschen" in Österreich siehe vor allem Stieber, Nachkriegsflüchtlinge. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 90; AVP RF, F. 0430, op. 2, p. 5, d. 11, S. 13f. Das Lager Kellerberg wurde von der UNRRA betreut. Die UNRRA unterschied bei der Belegschaft zwischen alliierten DPs und „russischen Emigranten". Anfang 1946 waren ca. 1200 DPs und 1500 „russische Emigranten" im Lager untergebracht, im September 1947 waren es noch 647 „Russen". Bis 1948 emigrierte der Großteil der ungarischen und slowenischen DPs, etliche DPs wurden von Kellerberg nach Spittal an der Drau umgesiedelt, wo sie von nun an von der IRO betreut wurden. Da die IRO jedoch die Betreuung der „russischen Emigranten" ablehnte, verblieben diese weiterhin im Lager Kellerberg. Im Lager gab es einen russischen Klub, eine Kantine der russischen Feuerwehr und eine eigene Kirche für die Weißrussen (sprich Anti-Kommunisten). „Die Bewohner des Lagers waren auf Emigration eingestellt." Siehe Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, S. 232-234. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 18. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.5.1948. Die 1. Ukrainische SS-Division, die 10.000 Ukrainer umfasste, hatte sich ebenso wie das Rogozin-Schutzkorps in Kärnten den Briten ergeben und wurde, obwohl sich unter ihnen auch Kriegsverbrecher befanden, nicht an die Sowjetunion ausgeliefert. Ihnen wurde von den Briten das Privileg zuerkannt, im Westen bleiben zu können. Den

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler nen größer. Dazu gehörten zwei ukrainische Vereinigungen („Vereinigung der Ukrainer in Tirol" unter der Leitung des ehemaligen Polizeikommandanten von Lemberg, Z. Matla-Dorozevic, und „Organisation der ukrainischen Nationalisten")87 sowie eine baltische unter der Führung des ehemaligen Majors der litauischen Armee, Levickas, mit Sitz in den Lagerbaracken von Innsbruck. Alle Organisationen hatten Vertreter in den DPLagern, in denen sie über die drohenden Gefahren einer Heimkehr in die Sowjetunion aufklärten, unterstützt von den Westmächten antisowjetische und antikommunistische Propaganda betrieben und zu einer Auswanderung nach Übersee rieten.88 Am 25. April 1947 brachte der Sowjetische Teil des Alliierten Rates das Problem auf die Tagesordnung. Der Vorsitzende Aleksej Zeltov prangerte erneut an, dass vor allem Salzburg in der US-Zone zum Zentrum der Antirepatriierungspolitik und Propaganda gegen sowjetische DPs wurde. Der von den Sowjets eingebrachte Resolutionsentwurf wurde von den Amerikanern jedoch abgewiesen. Sie erklärten den Alliierten Rat für nicht zuständig und argumentierten, dass dies eine Angelegenheit der jeweiligen Hochkommissare sei.89 Sowjetische Repatriierungsmission in den westlichen Zonen Die am 14. Jänner 1947 eröffnete sowjetische Repatriierungsmission in der US-Besatzungszone konnte bis Ende April 1947 insgesamt 107 Staatsbürger in die UdSSR repatriieren (davon im Jänner zwei, im März 25, im April 40). Der stellvertretende Außenminister, Andrej Vysinskij, beklagte sich bei Walter Smith, dem bevollmächtigten Gesandten der USA in Österreich, über den Fortlauf der Repatriierung der sowjetischen Staatsbürger und bezeichnete sie auf Grund der „unzureichenden Bedingungen" als nicht befriedigend. Vysinskij prangerte an, dass die sowjetische Mission keine vollständigen Listen ihrer Staatsbürger bekam, die sich in der US-Zone befanden. Ferner erhielten die Sowjets keine Listen von Lagern und Orten, in welchen sich ihre Landsleute aufhielten. „Die sowjetischen Staatsbürger müssen sich, wenn sie mit einem sowjetischen Offizier der sowjetischen Mission sprechen wollen, zuerst an die Amerikaner wenden. Diese entscheiden dann, ob es zu einem Gespräch kommt. Es wurde festgestellt, dass einigen sowjetischen Staatsbürgern, die sich in der US-Zone befinden, fiktive Dokumente aus-

87 88

89

Vorwürfen Molotovs auf der Potsdamer Konferenz, mit diesen nunmehr internierten Ukrainern eine Division formiert zu haben, entgegneten die Briten damit, dass es sich ja nicht um Sowjets, sondern um Ukrainer handelte, die nicht dem Abkommen von Jalta unterlagen. Dem Vorwurf der Sowjets, selbst Heimkehrwillige nicht gehen zu lassen, entgegneten die Briten, gerade einen Transport von 625 Heimkehrern zusammenzustellen. Siehe dazu ausführlich Polian, Deportiert nach Hause, S. l l l f . RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 28. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.6.1948. Ebd.; RGASPI, F. 17, op. 125, d. 391, S. 143-147. Der Leiter des Sowjetischen Informationsbüro, S. Lozovskij, an ZK-Sekretär, A. Zdanov, 4.11.1946. Ende 1946 diskutierte man im ZK der VKP(b), die Gegenpropaganda unter den baltischen Displaced Persons zu intensivieren, ebd., S. 151-167 und RGASPI, F. 17, op. 125, d. 510, S. 1-15; Aufruf der Regierung der Estnischen Sowjetrepublik an Esten im Ausland, Juni 1947 und Materialien der Abteilung für Propaganda und Agitation des ZK der VKP(b). RGASPI, F. 17, op. 125, d. 594, S. 70-75. Beschluss des ZK der KP Lettlands, die politische und agitatorische Arbeit unter Exil-Letten zu verstärken. ÖNB, MF 183, ALCO/P(47)51,48. Sitzung des Allierten Rates v. 25.4.1947.

(Zwangs-)Repatriierungen

sowjetischer

Staatsbürger

gestellt werden. In der US-Zone gibt es viele Komitees und Organisationen, die Agitation gegen die Rückführung der sowjetischen Staatsbürger in ihre Heimat führen. Diese Organisationen und Komitees werden gewöhnlich von Kriegsverbrechern geleitet. Derartige Fakten von Anwerbungen sowjetischer Staatsbürger für ihre Verbringung nach Amerika gibt es. So wurden in der letzten Zeit elf sowjetische Jugendliche und Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren angeworben." 90 Die Amerikaner reagierten offensiv und forderten ihrerseits die Sowjets am 9. April 1947 sogar auf, die sowjetische Repatriierungsmission in ihrer Zone zu schließen. Vysinskij reagierte darauf empört: „Anstelle der Beseitigung der Hindernisse zur Repatriierung sowjetischer Bürger und der Annahme von Regeln zur Einrichtung elementarer Bedingungen für die Arbeit der sowjetischen Mission zu gewährleisten, ließ das Militärkommando wissen, dass es am 10. Mai die sowjetische Mission schließen wolle und damit die Repatriierung der sowjetischen Bürger in die Heimat verhindern will. Ich bringe in Erinnerung, dass nach Informationen der sowjetischen Repatriierungsbehörden in der US-Zone noch über 20.000 sowjetische DPs sind, die in die Heimat zurückkehren wollen und dieser Schritt des amerikanischen Oberkommandos nichts anderes als eine ernsthafte Störung der herrschenden Beziehungen zwischen unseren Regierungen bezüglich der Repatriierung beabsichtigt." Vysinskij forderte die US-Administration auf, die sowjetische Repatriierungsmission solange arbeiten zu lassen, bis alle sowjetischen Bürger repatriiert sind.91 Die sowjetische Mission blieb zunächst mit weiterhin nur mäßigem Erfolg bestehen. 1948 konnten „59 Personen zur freiwilligen Repatriierung in die Sowjetunion" 92 bewegt werden, Anfang 1953 nur mehr eine. 93 Allen sowjetischen Protesten zum Trotz hinderte die US-Besatzungsmacht die sowjetischen Repatriierungsoffiziere auch weiterhin, die Lager in ihrer Zone inspizieren zu lassen.94 Der sich verschärfende Kalte Krieg trug das Seine bei, und die Repatriierungen in die UdSSR gingen fast vollständig zurück. Kaum ein Betroffener schenkte der sowjetischen Propaganda, die alles daransetzte, „die Wahrheit über die Sowjetunion" zu verbreiten, Glauben. Der GULag war bekannt und die westliche Propaganda überzeugte den Großteil der DPs, nicht in die UdSSR heimzukehren. „Die westlichen Besatzungsmächte setzen ihre Antirepatriierungspolitik, die für die Verwendung der Displaced Persons zu ihren imperialistischen Zielen ausgerichtet ist, unter den Displaced Persons fort. Ein Teil der jungen, körperlich gesunden Displaced Persons wird nach wie vor angeworben und über den Ozean weggeschafft." 95 Die Sowjetunion konnte gegen die zunehmenden Emigrationen nichts ausrichten. Die Repatriierungen in die UdSSR gingen stetig

90 91 92 93 94 95

AVP RF, F. 66, op. 25, p. 27, d. 1, S. 5f. A. Vysinskij an US-Gesandtschaft, April 1947. Ebd. Arbeiter-Zeitung, 2.3.1949, S. 2. „Ein Jahr Repatriierung - 59 Repatrianten". Dass die sowjetische Mission erst am 10.3.1948 eröffnet wurde, ist eine Falschmeldung der Zeitung. Aus der US-Zone Österreichs. RGANI, F. 5, op. 28, d. 71, S. 8. Bericht des Chefs des Stabes der SCSK, 5. Maslov, an das ZK der KPdSU, 29.4.1953. Ebd., S. 10-18. Ebd., S. 4. Bericht des Chef des Stabes der SCSK, S. Maslov, an das ZK der VKP(b), 29.4.1953.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler zurück. Anfang 1949 befasste sich nochmals das Politbüro mit der Angelegenheit. 96 Einem Bericht des sowjetischen Außenministeriums zufolge befand sich nach wie vor eine große Zahl an sowjetischen Kindern, die im Zweiten Weltkrieg ihre Eltern verloren oder ins Deutsche Reich verschleppt wurden, in den amerikanischen und britischen Besatzungszonen Österreichs und Deutschlands.97 Am 23. Februar 1949 beschloss das Politbüro, nochmals gegen die Behinderungen der sowjetischen Repatriierungsorgane in den westlichen Besatzungszonen zu protestieren.98 Im August 1951 blieb der UdSSR schließlich nichts anderes übrig, als ihre Repatriierungsmission in der britischen Besatzungszone auf Druck des britischen Hochkommissars schließen zu müssen, nicht jedoch ohne dass der sowjetische Hochkommissar darauf hinwies, den Briten einen Bruch der sowjetisch-britischen Übereinkunft vom 11. Februar 1945 in der Repatriierungsfrage vorzuwerfen.99 Im Mai 1952 wurde auch die sowjetische Repatriierungsmission aus der französischen Besatzungszone abgezogen.100 Tab. 1: Sowjetische Spätheimkehrer aus Österreich 1950 bis 1954 aus den einzelnen Besatzungszonen]m Repatriierungsjahr

Anzahl

US-Zone

FR-Zone

GB-Zone

SU-Zone

Keine Angabe

1950

27

9

1

1951

25 7

9

1952

1

1953

11

11

1954

8

8

96

12

5

-

3

9

2

2

1

-

3

2

Die Unterlagen hierzu wurden in der „Sondermappe" abgelegt, was die Dringlichkeit der Angelegenheit unterstreicht. RGASPI, F. 17, op. 162, d. 40, S. 7. Politbüro-Beschluss des ZK der VLP(b) 202-op. vom 23.2.1949. 97 Schreiben des sowjetischen Außenministeriums an die Botschaften der USA und Großbritanniens, v. Politbüro am 23. Februar 1949 bestätigt. RGASPI, F. 17, op. 162, d. 40, S. 99-104. Beilage des Beschlusses des Politbüros des ZK der VKP(b) Nr. 67 (202) v. 23.2.1949. 98 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 40. Beschluss des Politbüros des ZK der VKP(b) Nr. 67 (202) v. 23.2.1949. 99 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1090, S. 26. Beschluss des Politbüros des ZK der VKP(b) Nr. 83 (129) v. 15.8.1951. Anweisungen an den sowjetischen Hochkommissar Sviridov in RGASPI, F. 17, op. 163, d. 1594, S. 81. 100 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1094. Beschluss des Politbüros des ZK der VKP(b) Nr. P87 (343) v. 20.5.1952. 101 AVP RF, F. 06, op. 14, p. 10, d. 118, S. 16-18. Anweisungen des sowjetischen Außenministeriums für die letzten Verhandlungen der Botschafter in Wien. Moskau, 4.5.1955; RGANI, F. 5, op. 28, d. 71, S. 8, 44-47. Bericht des Chef des Stabes des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, S. Maslov, an das ZK der VKP(b). Wien, 29.4.1953. In der Liste der Repatrianten ist die Zwangs-„Heimführung" der eingangs erwähnten Maria Volosenko nicht dokumentiert. Es ist durchaus möglich, dass es sich bei der Liste der Repatrianten um freiwillige Heimkehrer handelt, eher wahrscheinlich ist jedoch, dass die Liste nicht vollständig ist, weil sich auf ihr auch ein 7- und ein 13-jähriges Mädchen ohne weitere Verwandten befinden.

(Zwangs-)Repatriierungen

sowjetischer Staatsbürger

Der Zwangsrepatriierung entronnen - Die IRO in Österreich Die „International Refugee Organisation" (IRO) unterhielt insgesamt zwölf Resettlement Centres in Österreich102, Deutschland und Italien. In diesen Zentren wurden Displaced Persons aus den über 400 Flüchtlingslagern aufgenommen, um sie von ResettlementKommissionen aus den verschiedensten Staaten, die Displaced Persons aufnahmen, interviewen zu lassen. Dabei wurden Displaced Persons genauestens daraufhin überprüft, „that he was a Displaced Person and had no relation with Nazi-Germany, Nazi-Austria or Fascist Italy".103 Die australische Regierung beispielsweise behielt sich jedoch zudem noch vor, Displaced Persons, die unter dem Gewahrsam der IRO standen und durch diese bereits überprüft worden waren, durch eigene „selection teams" auszumustern. Jedes „selection team" bestand aus zwei „selection officers" und einem „medical officer". Erst wenn diese - in den Anfangsjahren zudem rassistische104 - Ausleseverfahren von den auswanderungswilligen Displaced Persons überwunden waren, stand einem Neubeginn am fünften Kontinent nichts mehr im Wege.105 Neben australischen gab es in den westlichen Zonen auch kanadische und brasilianische Missionen, die unter den DPs Ausschau nach Arbeitskräften hielten, berichteten die sowjetischen Repatriierungsorgane in Österreich nicht zu Unrecht.106 Denn übrig blieben meist Alte und Kranke. Einen Finger verloren zu haben, erwirkte fast immer ein „No" des „selection officers". Sogar Frauen Anfang 40 oder kinderlose ältere Paare hatten kaum eine Chance, von den „immigration officers" ausgewählt zu werden. Unter arbeitsfähigen jungen Leuten jedoch wurde Werbung gemacht, sich für einen Neubeginn in Übersee zu entscheiden. Die „immigration officers" nahmen sich diesbezüglich auch der Kinder an, wie folgender Gesprächsauszug einer Radioübertragung zeigt: „Warum versucht ihr es nicht mit Australien?" fragte ein „officer" den Sohn einer estnischen Familie in einem Displaced-Persons-Lager. „Was denkst du, Juhan?" Seine Gegenfrage: „Spielt man dort Fußball?" - „Natürlich. Und in den Bäumen hängen

102 U. a. unterhielt die IRO im Lager St. Martin bei Villach eine Dokumentationsabteilung. Zu den Aktivitäten der IRO in den DP-Lagern siehe Stieber, Nachkriegsflüchtlinge. D a s Lager Trofaiach diente der IRO als Sammel- und Transitlager. Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, S. 278. Auch die Lager in Bruck an der Mur und Villach sollen als Transitlager verwendet worden sein. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 52. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.6.1948. 103 Übersetzung aus dem Englischen: „dass sie tatsächlich Displaced Persons waren und keine Verbindung zum nationalsozialistischen Deutschland, nationalsozialistischen Österreich oder dem faschistischen Italien hatten". N A A , Μ 2607, 29, S. 5, 17. Personal Papers of Primer Minister Holt. Speech as Minister for Immigration. Citizenship Convention 1950. Zur IRO in Österreich siehe vor allem Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, S. 1 5 8 - 1 6 7 . 104 Siehe dazu Peter Ruggenthaler, Zwangsarbeit auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich. Rekrutierung, Verschleppung, Arbeitseinsatz in der Land- und Forstwirtschaft, Repatriierung und Emigration baltischer und sowjetischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Phil. Diss. Graz 2003, S. 2 6 2 - 2 7 9 . 105 N A A , Μ 2 6 0 7 , 29, S. 5. Personal Papers of Primer Minister Holt. Speech as Minister for Immigration. Citizenship Convention in Canberra, Jänner 1950. 106 R G A N I , F. 5, op. 28, d. 71, S. 4. Bericht des Chef des Stabes des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, S. Maslov, an das ZK der VKP(b), Wien, 29.4.1953.

Stefan Karner - Peter Ruggenthaler Teddybären." Der Junge wandte sich an seinen Vater und meinte spontan: „Lass uns dort hingehen, Daddy." Daraufhin entschloss sich die estnische Familie, um Auswanderung in der im Lager eingerichteten australischen Behörde anzusuchen. Die Familie bekam sofort ein Zugeständnis, die Großmutter allerdings müssten sie zurücklassen.107 Bis 1947 hatten erst 184.471 Displaced Persons Österreich verlassen.108 Ab 1948 nahm die Zahl vor allem durch die von der IRO forcierte Auswanderung nach Übersee, vor allem nach Nord- und Südamerika bzw. Australien, in Österreich stetig ab. Allein im April 1948 verließen 2407 DPs Österreich.109 Einbürgerungen Durch die Auswanderung vieler DPs mit Hilfe der IRO erfuhr Österreich eine wesentliche Erleichterung. Den zurückgebliebenen sowjetischen Displaced Persons hatte die österreichische Regierung bereits ab 1946 zunehmend die Möglichkeit gegeben, in Österreich zu bleiben, und stellte ihnen die österreichische Staatsbürgerschaft in Aussicht. Den sowjetischen Behörden lief diese Politik naturgemäß wider ihre eigenen Interessen, sie konnten aber schlussendlich nichts dagegen ausrichten. Die österreichische Regierung berief sich auf die Freiheit jedes einzelnen Menschen, zu wählen, wo er sich niederzulassen gedenke. In einem Bericht an das ZK der VKP(b) stellte der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich fest, dass „die österreichische Regierung in Zusammenhang mit den Displaced Persons eine Politik führt, die für die westlichen Besatzungsmächte vorteilhaft ist und darauf ausgerichtet ist, die Displaced Persons auf dem Gebiet Österreichs zu belassen und sie der österreichischen Wirtschaft anzuschließen". Das Landwirtschaftsministerium hatte diesbezüglich 1953 konkrete Projekte zur systematischen Einbeziehung der DPs in die Landwirtschaft des Landes auf der Basis von Mitteln aus dem „Marshall-Plan" ausgearbeitet." 0 107 NAA, A439 (A439/1), 1951/11/225, S. 4. Australian Broadcasting Commission Broadcasts by W. Thomas of DP Camps in Germany. In einem Abkommen mit der IRO verpflichtete sich die australische Regierung, für jeden Migranten der IRO zehn Pfund zu zahlen. Auf diese Weise wurden bis 1954 170.700 Displaced Persons (darunter 70.678 Frauen), vornehmlich aus nunmehr unter sowjetischem Einfluss stehenden oder einverleibten Gebieten und Ländern nach Australien gebracht (1950 allein 12.000 Balten). Weitere 11.512 Einwanderer kamen unabhängig von diesem Programm nach Australien. Dies waren in erster Linie Juden, die von jüdischen Organisationen unterstützt worden waren. Bis März 1946 wurden nur 8000 nicht-britische Einwanderer gezählt. Das Abkommen mit der IRO besiegelte schlussendlich das Ende der anfangs von der Regierung gewünschten Einwanderungsquote von einem (nicht britischen) auf elf (britische) Migranten. Ann-Mari Jordens, Alien to Citizen. Setting Migrants in Australia, 1945-75. Sydney 1997, S. 11,61; Stuart Macintyre, A Concise History of Australia. Cambridge u. a. 1999, S. 198. 108 AVP RF, F. 66, op. 26, p. 30, d. 7, S. 3f. Bericht des Britischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich. 109 RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 72. 110 RGANI, F. 5, op. 28, d. 71, S. 6, S. 18. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.7.1948. Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, S. 297. Mit 1. März 1953 wurden die sowjetischen Repatriierungsorgane offiziell aufgelöst. Polian, Deportiert nach Hause, S. 153. Der in diesem Zusammenhang in Auftrag gegebene zitierte Bericht ist eine Bestandsaufnahme der Arbeit der sowjetischen Repatriierungsorgane in Österreich. ArbeiterZeitung, 15.2.1953.

(Zwangs-)Repatriierungen

sowjetischer

Staatsbürger

Bis in die Mitte der 1950er Jahre erreichten immer wieder Anfragen zu in Österreich lebenden Verwandten die österreichische Botschaft in Moskau 111 , bei denen mitunter dem österreichischen Staat von Privatpersonen vorgeworfen wurde, ihre Angehörigen unter Zwang zurückzuhalten. Der folgende Brief ist ein interessantes Beispiel dafür, in welch verzwickter Lage sich in Österreich verbliebene sowjetische Bürger befanden. Sofern es ihnen überhaupt gelang, mit der Familie in der Sowjetunion in Kontakt zu treten, war es auf Grund der Zensur schwierig, den Eltern und Verwandten zu erklären, warum sie nicht nach Hause zurückkehren konnten oder wollten. Lazar Kimiskez aus Krasnodar versprach in einem Schreiben an seine Mutter im Juni 1956, alles zu tun, um bald wieder nach Hause zurückzukehren. Ob er dies tatsächlich ernstlich in Erwägung gezogen hatte, kann nicht beurteilt werden. Seine familiäre Lage in Österreich spricht eher dagegen: „Meine liebe Mama! Wien, am 9.6.56. In den ersten Zeilen meines Briefes wünsche ich Dir alles Gute, Glück und Gesundheit in Deinem einsamen Leben. Deine Briefe habe ich bekommen, wofür ich Dir sehr danke. Sie haben mich sehr gefreut und einige Worte haben mir sehr viel Kummer bis zu den Tränen bereitet, aber ich glaube, dass diese Worte nicht aus Deinem Mund stammen, sondern aus der Hand desjenigen, der diese Briefe schreibt. Deshalb bitte ich Dich, schreib mir wohl überlegte Briefe. Du schreibst zum Beispiel, ich brauche nicht Dein Stück Brot und viele andere Worte, ich möchte diese Worte nicht genau beschreiben. Mama, Du weißt nicht, wie schwierig es für mich ist und welche Last auf meinem Herzen liegt und Du schüttest mir mit dem Schreiber der Briefe Öl ins Feuer, ich verstehe Dich sehr gut und Du hast mich als Deinen letzten Sohn. Und ich werde alles mögliche unternehmen und alles, was in meinen Händen liegt und in meinen Kräften ist, um zu Dir zurückzukehren, Mama, verstehe mich, dass das nicht so leicht ist, wie Du Dir vorstellst. Liebe Mama, am 2. Juli bekomme ich zwei Wochen Urlaub, dann werde ich viel Zeit haben. Ich werde alles in Erfahrung bringen und Dir dann genau schreiben, bis zum jetzigen Zeitpunkt habe ich noch nichts erreicht, ich habe keine entsprechenden Dokumente: und von Dir habe ich noch nichts bekommen. Mama, denk nach und versteh mich und meine Lage. Nun ein bisschen über mich, bin gesund, arbeite noch immer in der Fabrik. Sie ist mein Zuhause. Die Tochter geht in die Schule, aber nur mehr drei Wochen, dann gibt es drei Monate Ferien. Liebe Mama, ich habe einen Brief von Kilja und Verocka und auch von Kostja bekommen, Letzterem habe ich auch geschrieben und das Wichtigste, ein Foto von ihrer Hochzeit. Stell Dir vor, wie sie mich damit erfreut haben. Liebe Mama, schöne Grüße an Vera, Kilja, Pasa, ihren Schwestern und ihrer Mama sowie Sura, Kostja und allen Verwandten und Bekannten. Es grüßen Dich Christa und Maria. Mit schönen Grüßen und Küssen, Dein Sohn Lazar."112 Im September 1956 wandte sich die Mutter, Pelageja Kimiskez, an die österreichische Botschaft in Moskau: „Zum wiederholten Male wende ich mich an Sie mit der Bitte um Abtransport meines Sohnes [...] in die Heimat, die Sowjetunion. [...] Ich [...] verlange seine Rückkehr. [...] Sie haben keinen Grund, ihn in Österreich zurückzu111 ÖBM, Bestand Personalakte (in alphabetischer Reihenfolge). 112 ÖBM, Bestand Personalakten, ZI. 66144-Trans/56, September 1956.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler halten."113 Das österreichische Außenministerium antwortete prompt und eindeutig: „In Österreich gibt es keine Sowjetbürger, denen es verwehrt wäre, Österreich jederzeit zu verlassen und freiwillig in die Sowjetunion zurückzukehren. Andererseits könne allerdings seitens der österreichischen Behörden auf niemanden ein Zwang ausgeübt werden, in ein bestimmtes Land einzureisen.""4 Bis Ende August 1948 hatte Österreich 107.310 Displaced Persons eingebürgert, 72.240 Personen hatten eine ständige Aufenthaltsbewilligung erhalten115, bis 1955 wurden insgesamt 200.000 DPs österreichische Staatsbürger. Die finanziellen Aufwendungen für die DPs waren enorm. In der Besatzungszeit hatte Österreich die Flüchtlingsbetreuung ca. drei Milliarden Schilling gekostet, „ein Betrag, der im Verhältnis zur finanziellen Kapazität Österreichs wohl [von] keinem Land der Welt für diese Zwecke ausgegeben wurde", stellte das Innenministerium in einem Bericht 1955 fest." 6 Allein im ersten Quartal 1953 machten Einbürgerungen fast einen 50%-Anteil des Rückgangs der DPs in Österreich aus. Von den 10.571 DPs, um die sich die Gesamtzahl der DPs in diesem Zeitraum verringerte, wurden 4762 von der österreichischen Regierung eingebürgert. 1804 Südtiroler hatten sich für eine Rückkehr in die Heimat entschieden. Repatriierungen in Heimatländer sanken auf 169, 1071 DPs entschieden sich zur Emigration, vor allem in die USA, nach Kanada und Südamerika. 2765 DPs hatten Österreich verlassen, ohne dass das österreichische Innenministerium davon Kenntnis hatte: „Das heißt, sie werden ohne Kontrolle von den westlichen Besatzungsmächten in andere Länder weggebracht", berichtete die Abteilung für DPs des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich an das ZK der VKP(b)." 7 Die DPs als politischer Zankapfel Doch nicht nur auf der Ebene von persönlich Betroffenen, auch auf höherer offizieller Ebene erregte die Politik Österreichs, DPs ab 1948 verstärkt einzubürgern, das Missfallen des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich. In den monatlichen Berichten nach Moskau wurde dies laufend zum Ausdruck gebracht: „Der auf einer Versammlung aufgetretene Staatssekretär Graf erklärte: , Österreich teilt zutiefst die Leiden der Displaced Persons und zeigt dies mit seiner energischen Hilfe für sie [...]."' Weiters: „Die österreichische Regierung beauftragte die Leiter von Institutionen der einzelnen Bundesländer, nach Möglichkeit in kürzester Zeit, Hunderttausenden Displaced Persons die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen und ihnen Arbeit in österreichischen Institutionen und Unternehmen zu verschaffen. Die örtlichen Arbeitsämter sollen Listen über Arbeitskräfte erstellen, die angeblich für die österreichische Wirtschaft unabdingbar sind. In den Landesregierungen der Bundesländer wird, auf der Grundlage dieser 113 114 115 116 117

Ebd. ÖBM, Bestand Personalakten, ZI. 615.693. Wien 26.9.1956. ÖNB, MF 183,ALCO/M(49)9C>, 90. Sitzung des Alliierten Rates v. 14.1.1949. Bruno-Kreisky-Archiv, VII 2 BMAA, Staatsvertrag 1 (Neutralität). RGANI, F. 5, op. 28, d. 71, S. 3. Bericht des Chefs des Stabes der SCSK, S. Maslov, an das ZK der KPdSU, 29.4.1953.

(Zwangs-Repatriierungen

sowjetischer Staatsbürger

Listen, in beschleunigtem Maß begonnen, den Displaced Persons die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen."" 8 Im Juni 1948 verschickte die Kärntner Landesregierung an alle in Kärnten lebenden Ausländer sogar Briefe mit beiliegenden Anträgen um Ansuchen um die österreichische Staatsbürgerschaft. Die Kärntner Landesregierung forderte die Displaced Persons damit ultimativ auf, sich für einen Verbleib in Österreich oder für eine Emigration zu entscheiden, und setzte alle Ausländer davon in Kenntnis, dass sehr bald alle Displaced Persons aus Kärnten weggebracht werden." 9 Die sowjetische Regierung versuchte nun, die Frage der sowjetischen DPs mit jener der in der UdSSR zurückgehaltenen österreichischen Kriegsgefangenen zu junktimieren. Im Juli 1948 entgegnete der für Österreich zuständige Leiter der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums, Andrej Smirnov, dem politischen Vertreter Österreichs in Moskau, Norbert Bischoff, auf dessen Intervention zur rascheren Rückkehr der österreichischen Kriegsgefangenen, dass sich noch 200.000 sowjetische Bürger120 in Österreich befänden, wogegen jedoch bereits 60.000 Österreicher in ihre Heimat entlassen wurden. Norbert Bischoff berichtete dazu nach Wien: „Obzwar Herr Smirnow kein formales Junktim zwischen der Rückkehr der noch ausständigen Kategorien von Kriegsgefangenen, der Flüchtlinge und der Arbeitsverpflichteten einerseits und einer Mithilfe der österreichischen Behörden an der Repatriierung der nach Österreich verschleppten Sowjetbürger andererseits stipulierte, habe ich doch das sichere Gefühl, dass wir kaum auf wesentliche weitere Erfolge in unserer Rückführungsaktion [...] zu rechnen haben, solange die russische Repatriierungsaktion in Österreich keine Fortschritte macht." 121 Die österreichische Regierung ließ sich jedoch nicht unter Druck setzen. Rechtlich gesehen unterlag die Frage der DPs laut Kontrollabkommen der Kompetenz der Alliierten. Außenminister Karl Gruber stellte dies in einem Schreiben an den politischen Vertreter der UdSSR in Österreich, Evgenij Kiselev, klar.122 Dennoch verurteilten die Sowjets Anfang Jänner 1949 die Haltung Österreichs in der Frage der DPs (vor allem die Masseneinbürgerungen) im Alliierten Rat und sahen darin eine Verletzung der entsprechenden Vereinbarungen und Resolutionen des Alliierten Rates. Die US-Seite unterstützte allerdings die österreichische Regierung, sie stellte lediglich lapidar fest, dass es keinen Grund gäbe, warum nicht auch Österreich von einer Absorption qualifizierter und nützlicher Ausländer profitieren solle.123 Mitte 1949 befanden sich in Österreich noch immer Hunderttausende Displaced Persons. Das IRO sah ohnedies keine Möglichkeit einer Repatriierung in die Her118 RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 73. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.7.1948. 119 Ebd., S. 86. 120 Die Zahl war bei weitem übertrieben. Nach Angaben des BMI befanden sich ca. 24.000 Bürger aus nunmehr sowjetischen Teilrepubliken in Österreich (hauptsächlich in den westlichen Besatzungszonen). ÖStA/AdR, II-pol. 1948, Kt. 81, 114.551-pol. 48. 121 ÖStA/AdR, II-pol. 1948, Kt. 81, 114.551-pol. 48. Bericht N. Bischoffs nach Wien v. 30.5.48 122 Ebd. Gruber an Kiselev. Wien 14.6.1948. 123 „There was no reason why Austria also should not benefit from the absorption of qualified and useful foreigners." [Übersetzung aus dem Englischen: „Es gibt keinen Grund, warum Österreich nicht von der Aufnahme qualifizierter Ausländer profitieren sollte."] ÖNB, M F 183, ALCO/M(49)90. 90. Sitzung des Alliierten Rates v. 4.1.1949.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler kunftsländer mehr, das DP-Problem konnte nur mehr mit Hilfe von Auswanderung in Drittstaaten gelöst werden. Die sowjetische Besatzungsmacht stellte 1949 fest, dass eine Rückführung in die Heimat auf Grund der antisowjetischen Propaganda in den DPLagern unmöglich geworden war: „Die Repatriierung von Displaced Persons aus den IRO-Lagern ist praktisch unmöglich, weil in diesen Lagern eine heftige Propaganda gegen die Staaten, aus welchen die Displaced Persons stammen, geführt wird. Diejenigen Displaced Persons, die dennoch nach Hause zurückkehren möchten, sind dem Terror der faschistischen Verbrecher ausgesetzt, die in der Regel die Administration der Lager leiten."124 Die Repatriierung von sowjetischen Bürgern beschränkte sich in den Folgejahren auf Einzelheimkehrer. 1953 kehrten elf Personen aus Österreich in die Sowjetunion zurück, 1954 acht. Kurz vor Abschluss des Staatsvertrages meldete die sowjetische Besatzungsmacht aus Wien ans Außenministerium nach Moskau, dass „die Repatriierung sowjetischer Bürger fast aufgehört hat". Die Einstellung der Displaced Persons aus der Sowjetunion und deren osteuropäischen Satellitenstaaten der „Volksdemokratie" wurde als feindlich bezeichnet.125 Das Problem der Displaced Persons war auch stets ein Streitpunkt zwischen den Alliierten. Im Alliierten Rat konnte man in dieser Frage schon sehr bald keinen Konsens mehr finden. Am 9. August 1946 wurde das Problem unter sowjetischem Vorsitz auf die Tagesordnung gebracht, doch man konnte sich zu keiner gemeinsamen Note an die Regierungen der vier Besatzungsmächte einigen. Die US-Seite war nicht bereit, die politischen Emigranten in die Gruppe der zu repatriierenden Bürger einzuschließen, und erkannte die genannte Zahl von 422.000 Displaced Persons in Österreich nicht an.126 Die Frage der Displaced Persons wirkte sich für Österreich zusehends auch als Problem in den Staatsvertragsverhandlungen aus. In einem eigenen Artikel (Artikel 16) sollte Österreich verpflichtet werden, bei der Repatriierung mitzuwirken. Vor allem die sowjetische Seite übte hier Druck in den Verhandlungen aus. Die Westmächte nahmen diesbezüglich eine für die österreichische Seite wohlwollende Haltung ein, waren sie sich doch der Gefahr bewusst, dass die österreichische Regierung künftig von der UdSSR unter Druck gesetzt und zu einer zwangsweisen Rückführung der Displaced Persons in ihre Heimatländer verpflichtet werden würde.127 Der sowjetische Vorschlag des Artikels 16 im Wortlaut: „Abtransport der Displaced Persons aus Österreich: Österreich soll innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages den Abtransport der Displaced Persons beenden und übernimmt es zu diesem Behufe, a) den mit der Heimbeförderung ihrer Staatsangehörigen befassten offiziellen Vertretern der Alliierten und Assoziierten Mächte 124 RGASPI, F. 17, op. 128, d. 507, S. 101. Monatsbericht des Stabes der SCSK an das ZK der VKP(b) „Über die Lage in den westlichen Zonen Österreichs", 15.10.1948. 125 AVP RF, F. 06, op. 14, p. 10, d. 118, S. 16-18. Anweisungen des sowjetischen Außenministeriums an die Sowjetischen Verhandler in Wien, 4.5.1955. 126 AVP RF, F. 012, op. 7, p. 101, d. 80, S. 78. Bericht Kurasovs, Zeltovs und Kiselevs an das sowjetische Außenministerium, Wien, 10.8.1946; ÖNB, MF 183, ALCO/P(46)106, 29. Sitzung des Alliierten Rates v. 9.8.1946. 127 Hugo Portisch, Der lange Weg zur Freiheit. Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 4. München 1993, S. 352.

(Zwangs-)Repatriierungen

sowjetischer Staatsbürger

volle Mitarbeit zu leisten; freien Zutritt zu den Lagern und sonstigen Plätzen zu gewähren, in denen Displaced Persons untergebracht sind und die notwendigen Transportmittel für die Überführung der Heimzubefördernden in ihr Heimatland bereitzustellen; in den Lagern der Displaced Persons jede den Interessen der Alliierten und Assoziierten Mächte oder einer von ihnen feindliche Propaganda sowie jede Tätigkeit zu verbieten, die darauf abzielt, die Displaced Persons zu bewegen, nicht in ihr Heimatland zurückzukehren; die Wiedererrichtung aufgelöster und die Bildung neuer Komitees, Zentren oder anderer Organisationen, die eine den Interessen irgendeiner der alliierten Mächte feindliche Tätigkeit entwickeln, nicht zu gestatten; die Anwerbung von Displaced Persons zu militärischen oder paramilitärischen Organisationen, wie Sicherheits- oder Wacheabteilungen, zu verbieten; b) mit den Regierungen der beteiligten Nachbarländer in direkte zweiseitige Verhandlungen einzutreten, um alle Fragen zu regeln, die den Abtransport aus Österreich von Displaced Persons betreffen, deren Anwesenheit eine Bedrohung der gutnachbarlichen Beziehungen zwischen Österreich und seinen Nachbarstaaten bilden."128 Dieser Artikel wurde schlussendlich nicht in den Staatsvertrag aufgenommen. Er wurde am 4. Mai 1955 auf der Wiener Botschafterkonferenz gestrichen.' 29 Anfang 1955 befanden sich nur noch rund 36.000 Displaced Persons in Österreich.

Baltische DPs In den drei westlichen Besatzungszonen des besiegten Deutschen Reiches hielten sich im Mai 1946 insgesamt noch 188.239 estnische, lettische und litauische DPs auf. Sie bildeten nach den Sowjetbürgern und Polen die drittgrößte Gruppe an osteuropäischen DPs. Die litauischen DPs setzten sich aus mehreren Gruppen zusammen: einerseits aus der nach der sowjetischen Besetzung im Juni 1940 aus Litauen geflohenen Intelligenz, aus Flüchtlingen infolge des deutsch-sowjetischen Optionsabkommens, aus Flüchtlingen der sowjetischen Besatzungsjahre 1940 bis 1941, aus Flüchtlingen infolge des sowjetischen Einmarsches in Litauen 1944 und aus Zwangsarbeitern der deutschen Besatzungsjahre 1941 bis 1944. Die Zusammensetzung der estnischen und lettischen DPs war ähnlich, nur der Anteil an Zwangsarbeitern war geringer.130

128 Gerald Stourzh, U m Einheit und Freiheit: Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1 9 4 5 - 1 9 5 5 . Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62. 4., völlig Überarb. u. erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1998, S. 693f. 129 Ebd., S. 500f. Die letzten Anweisungen des sowjetischen Außenministeriums an die Verhandlungsdelegation in Wien zum Artikel sind mit 4. Mai 1955 datiert. Darin wird lediglich die feindliche Einstellung der sowjetischen D P s festgestellt. AVP RF, F. 0 6 , op. 14, p. 10, d. 118, S. 1 6 - 1 8 . 130 Nikita Petrov - Peter Ruggenthaler - Barbara Stelzl-Marx, Repatriierung oder Verbleib in Österreich? Entscheidung nach Kriegsende, in: Stefan Karner - Peter Ruggenthaler, Zwangsarbeit in der Landund Forstwirtschaft auf dem Gebiet der Republik Österreich. Veröffentlichung der Historikerkommission der Republik Österreich. Bd. 26/2. Wien - München 2004, S. 4 5 5 ^ 1 7 8 , hier: S. 471; Jacobmeyer, Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer, S. 7 9 - 8 2 . Der Anteil der lettischen Zwangsarbeiter in Deutschland machte ca. zehn Prozent der lettischen DPs aus. Latvijas Okupacijas Muzejs, Latvija zem Padomju Savienibas un nacionalsocialistiskas Vacijas varas 1 9 4 0 - 1 9 9 1 . Latvia under the Rule of the Soviet Union and National Socialist Germany. M u s e u m of the Occupation of Latvia. Riga 2002, S. 78, 89. Die baltischen Zwangsarbeiter werden in den jüngsten heimischen Publikationen zur Gänze

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler Die Regierungen der USA131 und Großbritanniens erkannten den Territorialgewinn der Sowjetunion im Baltikum de jure nie an. Frankreich hingegen betrachtete die baltischen DPs als sowjetische Staatsangehörige und wollte die Repatriierung der Balten nach dem sowjetisch-französischen Abkommen vom 27. Juni 1945 „nötigenfalls unter Zwang" durchführen.132 Großbritannien und die USA setzten sich jedoch gegenüber Frankreich durch, sodass in allen drei Westzonen Repatriierungen nur dann durchgeführt wurden, wenn „baltische DPs ausdrücklich die sowjetische Staatsbürgerschaft für sich reklamierten".'33 Das lettische Rote Kreuz war unentwegt bemüht, auf die widervölkerrechtliche Annexion der baltischen Staaten in den DP-Lagern der westlichen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs sowie auf die fatalen Folgen einer Zwangsrepatriierung hinzuweisen, und konnte sich auf die Erklärungen der Alliierten berufen.134 Bis Ende September 1945 wurde daher keiner der rund 130.000 baltischen DPs aus den Westzonen repatriiert.135 Die meisten Balten befanden sich in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands. In der britischen Besatzungszone Österreichs hielten sich beispielsweise im Oktober 1946 noch 753 Balten auf.136 Es gab Pläne des Inter-

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zum Bevölkerungsverlust gezählt (20.000 Letten, ebd., S. 89). Kiaupa zählt alle litauischen Zwangsarbeiter (nach seinen Angaben 70.000) zum Bevölkerungsverlust Litauerns in der Höhe von insgesamt 600.000 Menschen während des Zweiten Weltkrieges. Zigmas Kiaupa, The History of Lithuania. Vilnius 2002, S. 398. Die US Α mussten die Unabhängigkeit der baltischen Staaten 1991 de jure nicht anerkennen. Aus dem Schreiben des damaligen US-Präsidenten George Bush sen.: „The United States never recognized the forcible incorporation of Latvia into the Soviet Union, and we are proud that we stood with the Latvian people during the many difficult times of the last fifty-one years." [Übersetzung aus dem Englischen: „Die Vereinigten Staaten erkannten niemals die gewaltsame Eingliederung Lettlands in die Sowjetunion an, und wir sind stolz darauf, dass wir in der schwierigen Zeit der vergangenen 51 Jahre auf Seiten des lettischen Volkes standen."] George Bush an den lettischen Präsidenten, Washington, 31.8.1991, abgedruckt in: Latvijas Okupacijas Muzejs, Latvija, S. 208. „Sowjetbürger" aus den Gebieten West-Weißrusslands und der Westukraine, jener Gebiete also, die vor dem Hitler-Stalin Pakt Polen angehörten, wurden wie die Balten in den westlichen Besatzungszonen ebenfalls als „nonrepatriables" angesehen und wurden nicht in die nunmehr sowjetische Heimat zwangsrepatriiert. Siehe dazu auch Petrov - Ruggenthaler - Stelzl-Marx, Repatriierung oder Verbleib in Österreich? Im Herbst 1945 befanden sich noch rund 200.000 DPs der obgenannten Nationen und Volksgruppen in den Westzonen. Goeken-Haidl, Repatriierung in den Terror?, S. 199; Goeken, Von der Kooperation zur Konfrontation, S. 316. Jacobmeyer, Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer, S. 82. Als Commonwealth-Mitglied trug auch Australien die Nicht-Anerkennung der Einverleibung der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen mit: „Estonia, Latvia and Lithuania have been incorporated into the Soviet Union as Soviet Socialist Republics, but their incorporation has not been recognised by the Australian or the United Kingdom governments." [Übersetzung aus dem Englischen: „Estland, Lettland und Litauen wurden als sozialistische Sowjetrepubliken in die Sowjetunion eingegliedert, ihre Eingliederung wurde aber weder von der australischen noch von der britischen Regierung anerkannt."] Obwohl Australien niemals diplomatische Beziehungen mit den unabhängigen baltischen Staaten der Zwischenkriegszeit hatte, erkannte es baltische Reisedokumente an. NAA, Al838 (A 1838/1), 1551/1. Office of the High Commissioner for the Commonwealth of Australia, Ottawa, an das Department of External affairs. März 1950. Siehe ζ. Β. ÖStA/AdR, ΑΑ, II-pol. 1945, Kt. 4, 737-pol. Bescheinigungen des Hauptquartiers der Alliierten Militärregierung in München. Jacobmeyer, Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer, S. 83. Über die Bemühungen des Kremls, Esten, Letten und Litauer 1946 zu repatriieren, siehe Petrov - Ruggenthaler - Stelzl-Marx, Repatriierung oder Verbleib in Österreich? Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, S. 36.

(Zwangs-Repatriierungen

sowjetischer

Staatsbürger

nationalen Roten Kreuzes und der UNRRA, die baltischen DPs in Deutschland und Österreich zu belassen. Selbst 1947 wurde noch ein in diese Richtung gehender Wunsch geäußert: „Assimilation in die deutsche und österreichische Wirtschaft ist eine Lösung für einige DPs - allen voran für baltische DPs." 137 Danach jedoch nahmen die westlichen Alliierten eine „sowjetfreundlichere" Position ein. Fortan verfolgten sie das Ziel, Balten in verschiedensten Staaten anzusiedeln, um ihre Einheit zu zerstören und keine politische oder kulturelle Organisierung zu ermöglichen. 138 Die meisten Balten entschieden sich für die Emigration in die Vereinigten Staaten, nach Brasilien und Australien. Allein Australien nahm bis 1950 12.000 Balten auf.139 Im Gegensatz zu den westlichen Besatzungszonen hatte die Rückführung baltischer DPs aus den sowjetischen Zonen Deutschlands und Österreichs durch sowjetische Organe unmittelbar nach Kriegsende begonnen. Bis März 1946 wurden von den Sowjets insgesamt 101.062 baltische Zivilisten und 9224 Kriegsgefangene in die UdSSR repatriiert.140

Späte Zusammenführung Das Leben schreibt oft die unglaublichsten Geschichten. Mehr als 53 Jahre nach der Entführung der kleinen Maria aus der Volkschule in Großweikersdorf fällt über Umwegen der 61-jährigen Elfriede Gruber ein Brief aus Usbekistan in die Hände. Die Absenderin des Briefes: ihre damalige beste Freundin Maria, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion intensiv auf der Suche nach ihren richtigen Eltern und ihren österreichischen Zieheltern ist. Mit Hilfe des Russischen Roten Kreuzes war es ihr gelungen, ihren Aufenthaltsort in Österreich herauszufinden. Diesen hatte sie inzwischen vergessen, ebenso ihren wirklichen Geburtstag. Nun erfuhr Elfriede den weiteren Lebensweg ihrer einstigen Klassenkameradin, die sie längst für tot hielt. Nachdem Maria im Juni 1950 mit Gewalt aus Großweikersdorf entführt worden war, wurde sie zunächst ins Sammel-Durchgangslager Nr. 300 für sowjetische „Heimkehrer" in Wiener Neustadt gebracht. 141 Von dort wurde sie mit einem Passagierzug in einer Gruppe von 22 sowjetischen „Repatrianten" von Wien nach Cop verbracht. 142 Dann ging es weiter nach Boryslav bei Lemberg, wo Maria in der Folge in einem Kinderheim für Waisen aufwuchs. 143 Sie erhielt neue, sowjetische Dokumente. Ihren Geburtstag wusste Maria nicht genau, sie durfte sich einen „aussuchen". Nach der Beendigung der Mittelschule übersiedelte Maria Volosenko nach Moskau, wo sie an der Universität Pädagogik inskribierte, ein Studium in russischer Sprache und Literatur abschloss und schließlich

137 Jacobmeyer, Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer, S. 272. 138 Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, S. 36. 139 NAA, Μ 2607/29, S. 5. Personal Papers of Prime Minister Holt. Speech as Minister for Immigration. Citizenship Convention 1950. 140 Poljan, Zertvy dvuch diktatur, S. 298. 141 CAMO, F. 275, op. 458453, d. 5, S. 36. 142 GARF, F. 9526, op. 1, d. 744, S. 243; GARF, F. 9526, op. 6, d. 717, S. 212, 230. 143 Rotes Kreuz Moskau, Schreiben Nr. 151778/14 v. 15.11.2002 an Maria Volosenko.

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Stefan Karner - Peter Ruggenthaler nach Usbekistan heiratete.144 An Österreich hat Maria Volosenko noch viele Erinnerungen, besonders an ihre Zieheltern und an Elfriede, an die sie im Dezember 2003 folgenden Brief schrieb: „Guten Tag, meine liebe Elfi! Ist es wirklich wahr, was mit uns geschehen ist? Ist es wirklich wahr, dass wir uns einander gefunden haben? Ich kann es kaum glauben. [...] Wie schade, dass wir uns erst so spät gefunden haben! Ich konnte Mutter Christine und Vater Franz leider nicht mehr meinen großen herzlichen Dank Ausdruck verleihen und auch Deinen Eltern, für ihre Unterstützung. [...] Weißt Du, ich habe Deine Fotos und die von Christine angesehen, in aller Stille und ich wähnte mich in Österreich. Verschwommen beginne ich mich zu erinnern an unsere Spiele im Hof und auch an Franz, ich sehe vor meinen Augen, dass auch ein Junge mit uns spielte."145 Im Juli 2004 - nach 54 Jahren - kam es schließlich zu einem tränenreichen Wiedersehen der beiden Freundinnen.146 Zwischen 1947 und 1951 brachten die sowjetischen Repatriierungsorgane 428 Kinder in die „Heimat", den Großteil dieser aus den sowjetischen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs. Während sich die Amerikaner in den meisten Fällen weigerten, die von den Sowjets geforderten Kinder herauszugeben, und darauf verwiesen, dass diese längst an Adoptiveltern vermittelt worden seien, verlief die Zusammenarbeit der sowjetischen Organe mit der britischen Besatzungsmacht „besser": von 67 Kinder„Heimführungen" aus den westlichen Besatzungszonen entfielen 54 auf die britischen Besatzungszonen in Deutschland und Österreich.147 Der österreichische Staat war in dieser Frage wenig kooperativ. Nachdem die sowjetischen Repatriierungsorgane der Alliierten Kommission für Österreich Ende 1953 dem österreichischen Roten Kreuz eine Namensliste von Kindern sowjetischer Mütter übergeben hatte, mit der Bitte, diese auszuforschen, übergab das österreichische Innenministerium den Sowjets lediglich das Erhebungsergebnis, nicht aber die Namen und Adressen der Kinder. Das österreichische Außenministerium ließ in der Folge, um sich abzusichern, in Erfahrung bringen, „ob nicht das Sowjetelement auf Grund der Bestimmungen des Kontrollabkommens und des sowjetischen Staatsbürgerschaftsrechtes berechtigt sein könnte, die noch in Österreich wohnhaften Kinder für sich zu reklamieren".148 Die Rechtsabteilung stellte in ihrem Bericht fest, dass auf Grund des sowjetischen Rechts die Kinder die sowjetische Staatsbürgerschaft nicht verlieren, das Kontrollabkommen149 aber nicht Bestandteil der

144 AdBIK, E-Mail von Maria Volosenko. Taskent, 31.1.2003. 145 Brief von Maria Volosenko, verh. Ovasapova, an Elfriede Gruber. Taskent, 12.12.2003. 146 Der ORF berichtete über das Wiedersehen in „Willkommen Österreich" und „Niederösterreich heute". Siehe auch Niederösterreichische Nachrichten, 37/2004. 147 Polian, Deportiert nach Hause, S. 159. In den westlichen Besatzungszonen war u. a. auch das polnische Rote Kreuz von den Sowjets herangezogen worden, um Kinder sowjetischer Eltern aufzuspüren und den sowjetischen Behörden zu übergeben. Siehe auch Karner - Ruggenthaler, Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft, S. 366f. u. 515. 148 ÖStA/AdR, BMaA, II-pol. 1953, Kt. 248, 325.067-pol. 1953. 149 Im Kontrollabkommen war Österreich zur „Betreuung und [zum] Abtransport von Kriegsgefangenen und versetzten Personen [DPs] sowie Ausübung der rechtlichen Gewalt über dieselben" verpflichtet worden.

(Zwangs-)Repatriierungen

sowjetischer Staatsbürger

österreichischen Rechtsordnung und daher lediglich als Tatsache zur Kenntnis zu nehmen sei.150 Nach österreichischem Recht kam ein Einschreiten österreichischer Gerichte auf Grund sowjetischer Aufforderungen nach Herausgabe „sowjetischer" Kinder für den Fall, dass sie von österreichischen Staatsbürgern adoptiert worden waren, nicht in Betracht, unabhängig davon, ob auch das Kind im Besitz einer österreichischen Staatsbürgerschaft war. Waren die „sowjetischen" Kinder nicht adoptiert, oblag die Entscheidung über den weiteren Verbleib des Kindes „ausschließlich den österreichischen Gerichten". Hatte das Kind „infolge Abstammung von sowjetischen Staatsangehörigen" die sowjetische Staatsbürgerschaft, kam eine „Vollstreckung einer Entscheidung einer sowjetischen Behörde durch ein österreichisches Gericht [...] mangels Gegenseitigkeit nicht in Betracht". Die Juristen stellten weiters fest, dass „die in Frage stehenden Kinder auf Grund der österreichischen Rechtsordnung von sowjetischen Stellen nicht reklamiert werden könnten". Ihre Schlussfolgerung des Ganzen zeigt allerdings deutlich auf, wie wertlos in solchen Fällen österreichische Gesetze waren: „Auf Grund des Kontrollabkommens wäre allerdings damit zu rechnen, dass die Kinder - sofern sie in der russischen Besatzungszone wohnhaft sind - repatriiert werden könnten." Der kleinen Maria, die ihre „Heimat" nie zuvor gesehen hatte, konnten die österreichischen Gesetze nicht helfen. Die Macht des Besatzers war größer.

150 ÖStA/AdR, II-pol. 1953, Kt. 292, 144.204 pol. 53.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Verhaftungen und Verurteilungen 1945-1955

Im Zuge der Besetzung Österreichs exportierte die Sowjetunion für insgesamt zehn Jahre ihr Justizsystem nach Ostösterreich. Als Folge wurden zwischen 1945 und 1955 etwa 2200 österreichische Zivilisten von sowjetischen Organen festgenommen; mehr als eintausend von Militärtribunalen wegen Kriegs-, Staats- und Alltagsverbrechen zu meist hohen Haftstrafen verurteilt, über 150 hingerichtet. 1 Für die österreichische Bevölkerung und Öffentlichkeit blieben die Gründe für eine Verhaftung und das weitere Schicksal der „Verschleppten" weitestgehend im Dunkeln. Die scheinbar willkürlich durchgeführte „Menschenräuberei", gekoppelt mit der Ohnmacht der österreichischen Behörden, haben sich tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Die Gründe für die Verhaftungen, die am helllichten Tag, beim Spaziergang, unter dem Vorwand einer dienstlichen Erledigung auf der sowjetischen Kommandantur oder in der eigenen Wohnung vorgenommen wurden, waren vielfältig und müssen häufig in einem engen Zusammenhang mit den Ereignissen des Kalten Krieges gesehen werden. So reagierte die sowjetische Besatzungsmacht rigoros auf alles, was sie als Bedrohung empfand: Spionage, unerlaubter Waffenbesitz, Zugehörigkeit zu „Werwolf'-Gruppen, Auseinandersetzungen mit Soldaten der Roten Armee und kriminelle Handlungen. Aber auch die Ahndung von NS-Kriegsverbrechen gegenüber sowjetischen Bürgern stellte ein wichtiges Argument der sowjetischen Strafjustiz in Österreich dar. Unter den Verhafteten befanden sich namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft - wie etwa die Leiterin der Planungssektion im Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung unter Minister Peter Krauland, Margarethe Ottiiiinger 2 , oder die inoffiziellen „Geheimdienstchefs" Polizeiinspektor Anton 1

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AdBIK, Datenbank österreichischer Zivilverurteilter in der UdSSR. Der vorliegende Beitrag beruht auf: Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx, Österreichische Zivilverurteilte in der Sowjetunion. Ein Überblick, in: Andreas H i l g e r - Mike Schmeitzner - Ute Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale. Bd. 2: Köln - Weimar - Wien 2003, S. 571-605. Dank neuer, im Rahmen des vom B M B W K , Wien, geförderten Projektes „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955" erhaltener Quellen konnten die Angaben in der Datenbank weiter konkretisiert werden, weswegen sich die statistischen Angaben der beiden Aufsätze voneinander unterscheiden. Stefan Karner (Hg.), Geheime Akten des KGB. „Margarita Ottilinger". Graz 1992; Stefan Karner, Verschleppt in die Sowjetunion: Margarethe Ottiiiinger, in: Gerhard Jagschitz - Stefan Kamer (Hg.),

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Marek3 sowie der Gendarmeriebeamte Franz Kiridus4 - ebenso wie „der kleine Mann von der Straße". Im folgenden Beitrag werden die Prozesse und Urteile auf breiter Quellengrundlage untersucht, wobei die Verurteilungspraxis und die anhand von Fallbeispielen dargelegten wichtigsten Verurteilungsgründe im Zentrum stehen. Ein eigenes Kapitel widmet sich der Repatriierung und den so genannten „Heimkehrerzügen", die bis Dezember 1956 die befreiten Zivilverurteilten und Kriegsgefangenen nach Österreich transportierten. Abschließend wird noch auf die seit 1996 durchgeführten Rehabilitierungsverfahren der österreichischen „Stalinopfer" eingegangen, die für viele eine moralische Wiedergutmachung nach mehreren Jahrzehnten bedeuteten. Forschungsstand und Quellenlage Ähnlich wie in Deutschland5 stellte die Thematik der Zivilverurteilten auch in Österreich ein jahrzehntelanges Forschungsdesideratum dar, was insbesondere auf die schwierige Quellensituation zurückzuführen ist.6 Erst seit der - teilweisen - Öffnung der sowjetischen Archive Anfang der 1990er Jahre konnte Einsicht in Personalakte verurteilter österreichischer Zivilisten und Kriegsgefangener sowie anderes Aktenmaterial genommen werden, wobei der Zutritt zu den Akten der Sicherheits-, Geheimdienst- und Justizbehörden sowohl in Österreich als auch in Russland nicht uneingeschränkt ist. Auf der Basis der im Folgenden angeführten Quellen versucht das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung seit Anfang der 1990er Jahre, diese Forschungslücke zu schließen und einen möglichst vollständigen Überblick über die verhafteten österreichischen Zivilisten zu erlangen. Der von Stefan Karner herausgegebenen Quellenedition zum bereits erwähnten Fall Margarethe Ottiiiinger, womit weltweit erstmals überhaupt ein vollständiger Personalakt aus den geheim gehaltenen Archiven des sowjetischen Innenministeriums und des KGB veröffentlicht werden konnte7, folg-

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Menschen nach dem Krieg. Schicksale 1945-1955. Ausstellung Schloss Schallaburg 1995. Innsbruck 1995, S. 35-49. RGVA, F. 461, Personalakt Nr. 190448, Anton Marek. Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit: Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955. Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62. 4., völlig Überarb. u. erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1998, S. 140-142. Manfred Fuchs, Der österreichische Geheimdienst. Das zweitbeste Gewerbe der Welt. Wien 1994, S. 133-135; Wilhelm Svoboda, Die Partei, die Republik und der Mann mit den vielen Gesichtern. Oskar Helmer und Österreich II. Eine Korrektur. Wien - Köln - Weimar 1993, S. 84-87. Vgl. dazu u. a.: Andreas Hilger - Mike Schmeitzner, Einleitung: Deutschlandpolitik und Strafjustiz: Zur Tätigkeit sowjetischer Militärtribunale in Deutschland 1945-1955, in: Andreas Hilger - Mike Schmeitzner, Ute Schmidt (Hg.), Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955. Sowjetische Militärtribunale. Bd. 2. Köln - Weimar - Wien 2003, S. 7 - 3 4 . Erste Hinweise auf die Problematik der Verschleppungen durch sowjetische Organe finden sich etwa bei: Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Neuaufl. Graz - Wien - Köln 1995; William L. Stearman, Die Sowjetunion und Österreich 1945-1955. Ein Beispiel für die Sowjetpolitik gegenüber dem Westen. Bonn - Wien - Zürich 1962. Karner, Geheime Akten; Karner, Verschleppt in die Sowjetunion.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich ten Recherchen zu verurteilten Niederösterreichern 8 , steirischen „Werwolf'-Aktivisten und Polizisten 9 und zum Strafrechtssystem der Sowjetunion. 10 Neben der Verfolgung nationalsozialistischer Kriegs- und Gewaltverbrechen als Form der Entnazifizierung" konnten auch mehrere Einzelschicksale exemplarisch beleuchtet werden. 12 Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Wien, geförderten Forschungsprojektes „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955" konnten neue Quellen zur sowjetischen Strafjustiz in Österreich erschlossen und analysiert werden. 13 Ergänzt werden diese u. a. durch die Erkenntnisse des Forschungsprojektes „Militärgerichtsprozesse gegen deutsche, österreichische und Volksdeutsche' (vor allem sudetendeutsche) Kriegsgefangene und Zivilisten in Weißrussland 1944—1953", das das BIK seit 2003 in Kooperation mit dem Nationalarchiv der Republik Weißrussland und der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten seit 2003 durchführt. Hierbei können

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Verurteilte niederösterreichische Zivilisten in der Sowjetunion 1945-1955. Forschungsprojekt, gefördert von der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Wissenschaft und Kultur, durchgeführt am Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, Graz - Wien - Klagenfurt. Hinweise auf zivilverurteilte Niederösterreicher bzw. Kärntner finden sich auch in: Edda Engelke, Zum Thema Spionage gegen die Sowjetunion, in: Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien - Köln - Weimar 2000, S. 119-136; Edda Engelke, Niederösterreicher in sowjetischer Kriegsgefangenschaft während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 3a. Graz 1998, S. 137ff.; Sabine Elisabeth Gollmann, Kärntner in sowjetischer Kriegsgefangenschaft während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 3b. Graz 1999, S. 128ff.

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Stefan Karner, „Ich bekam zehn Jahre Zwangsarbeit." Zu den Verschleppungen aus der Steiermark durch sowjetische Organe im Jahr 1945, in: Siegfried Beer (Hg.), Die „britische Steiermark". Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark. Bd. 38. Graz 1995, S. 249-259; Harald Knoll, Verhaftungen durch die Rote Armee in der Steiermark 1945. Unveröffentlichtes Manuskript. Graz 2002. Stefan Karner - Barbara Stelzl, Strafrechtssystem und Gerichtspraxis in der Sowjetunion 1941-1956. Teilstudie des Projektes „Die Nachkriegsgerichtsbarkeit als nicht-bürokratische Form der Entnazifizierung: Österreichische Justizakten im europäischen Vergleich". Unveröffentlichtes Manuskript. Graz 1998; Stefan Kamer, Die sowjetische Gewahrsamsmacht und ihre Justiz nach 1945 gegenüber Österreichern, in: Claudia Kuretsidis-Haider - Winfried R. Garscha (Hg.), Keine „Abrechnung". NSVerbrechen, Justiz und Gesellschaft in Europa nach 1945. Leipzig - Wien 1998, S. 102-129. Barbara Stelzl-Marx, Entnazifizierung in Österreich: Die Rolle der sowjetischen Besatzungsmacht, in: Wolfgang Schuster - Wolfgang Weber (Hg.), Entnazifizierung im regionalen Vergleich, Linz 2004, S. 4 3 1 ^ 5 4 . Im Rahmen der Studie „Strafrechtssystem und Gerichtspraxis" wurde der Fall des in der Ukraine eingesetzten österreichischen Polizisten Josef Gabriel bearbeitet. Vgl. Karner - Stelzl, Strafrechtssystem und Gerichtspraxis. Stefan Karner, Schuld und Sühne? Der Prozess gegen den Chef der Gendarmerie von Cemigov von 1941-1943: Karl Ortner, in: Stefan Karner (Hg.), Graz in der NS-Zeit 1938-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Sonderbd. 1. Graz 1999, S. 159-178; Stefan Karner, Die sowjetische Justiz gegenüber Österreichern nach 1945 am Beispiel von Karl Ortner, in: Norbert Weigl (Hg.), Faszinationen der Forstgeschichte. Festschrift für Herbert Killian. Schriftenreihe des Instituts für Sozioökonomik der Forst- und Holzwirtschaft. Bd. 42. Wien 2001, S. 79-100; Barbara Stelzl-Marx, Kolyma - Jahre in Stalins Besserungsarbeitslagern, in: Norbert Weigl (Hg.), Faszinationen der Forstgeschichte. Festschrift für Herbert Killian. Schriftenreihe des Instituts für Sozioökonomik der Forst- und Holzwirtschaft. Bd. 42. Wien 2001, S. 147-160. Vgl. dazu auch den Beitrag: Knoll - Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, sowie die Beiträge von Nikita Petrov, Die Inneren Truppen des N K V C D / M V D im System der sowjetischen Repressionsorgane in Österreich 1945-1946 und Ol'ga Lavinskaja, Zum Tode verurteilt, in diesem Band.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx erstmals die Strafprozessakten von auf dem Gebiet Weißrusslands wegen Kriegsverbrechen verurteilten Kriegsgefangenen und Zivilisten herangezogen werden.14 Einen der wichtigsten Quellenbestände für dieses Themenfeld stellen die im Russischen Staatlichen Militärarchiv, RGVA, archivierten Personalakten und -karten österreichischer Kriegsgefangener und verurteilter Zivilisten dar.15 Im Rahmen eines Forschungsprojektes über österreichische Kriegsgefangene in der Sowjetunion im und nach dem Zweiten Weltkrieg16 gelang Stefan Karner die Erschließung von 130.000 „österreichischen" Personalakten, worunter sich auch die von 1230 Zivilverurteilten und Internierten befinden.17 Diese jahrzehntelang geheim gehaltenen Unterlagen erlauben im Fall der Verurteilten vielfach einen wichtigen Einblick in die Anklage, die Begründung für die Verhängung der Untersuchungshaft, das Urteil und die Urteilsbegründung durch die sowjetischen Behörden, in seltenen Fällen auch in die Praxis der Verhöre und Vorerhebungen. Personal- und Strafprozessakten österreichischer Verurteilter befinden sich zudem in den Archiven des ehemaligen sowjetischen Innenministeriums, Verteidigungsministeriums und des ehemaligen MGB/KGB, wobei die Zugangs- und Benutzungsbedingungen hier erheblich eingeschränkter sind. Den zweiten zentralen Zugang zur Thematik stellen die Rehabilitierungsbescheide der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation dar, die in erster Linie von 1997 bis 2001 über das österreichische Außenministerium und das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung an die Betroffenen oder deren Angehörige weitergeleitet wurden. Von Interesse für die Forschung sind diese meist sehr knapp gehaltenen Bescheide vor allem deswegen, weil sie die Begründung für eine Rehabilitierung bzw. deren Ablehnung enthalten. Bei einem ablehnenden Rehabilitierungsbescheid ist zudem der ursprüngliche Grund für die Verurteilung angeführt, der gerade im Falle der Zivilverurteilten nicht immer bekannt ist. Insgesamt prüfte die russische Hauptmilitärstaatsanwaltschaft bis Ende 2001 mehr als eintausend Fälle verurteilter

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Vgl. dazu auch: Galina D. Knatko, Vedemstvo policii bezopasnosti i SD ν Minske. Novye Fakty ο strukture i dejatel'nosti. Minsk 2003. Im Rahmen dieses Beitrages wird das Schicksal von vier österreichischen Polizeibeamten erläutert, die wegen ihrer Verbrechen im Ghetto von Minsk kurz nach Kriegsende zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. RGVA, F. 460 (= Kriegsgefangene), F. 461 (= Zivilisten), F. 463 (= kriegsgefangene Generäle), F. 465 (= verstorbene Kriegsgefangene) und F. 466 (= verstorbene Zivilisten), wobei das Nummernsystem im Archiv nicht immer durchgehend ist. Als Resultat dieses Forschungsprojektes erschienen u. a. Stefan Kamer, Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion 1941-1956. Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 1. Wien - München 1995; Stefan Karner (Hg.), „Gefangen in Russland". Die Beiträge des Symposions auf der Schallaburg 1995. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für KriegsfolgenForschung. Bd. 1. Graz - Wien 1995; Gollmann, Kärntner in sowjetischer Kriegsgefangenschaft; Felix Schneider, Aspekte sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1941-1956. Dokumentiert am Beispiel oberösterreichischer Gefangener, in: Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs. Bd. 19. 2000, S. 231-257; Harald Knoll, Verurteilte und repressierte österreichische Kriegsgefangene in der Sowjetunion 1944 bis 1953, in: Günter Bischof - Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg. Wien - München 2005 (in Druck). AdBIK, Datenbank österreichischer Kriegsgefangener, Zivil verurteilter und Internierter in der UdSSR.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich österreichischer Zivilisten und Kriegsgefangener, wovon insgesamt 660 Betroffene rehabilitiert wurden. 18 Im Rahmen des vom österreichischen Wissenschaftsministerium geförderten Forschungsprojektes „Die Rote Armee in Österreich" gelang auch die Erschließung eines bisher hinsichtlich der österreichischen Zivilverurteilten gänzlich unbekannten Quellenbestandes im Staatsarchiv der Russischen Föderation, GARF. Hierbei handelt es sich um die Gnadengesuche zum Tode verurteilter österreichischer Zivilisten an das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR und die diesbezüglichen Vorschläge des Obersten Gerichts der UdSSR zur Behandlung der Gnadengesuche.19 Für die Zeit von Juni 1945 bis Mai 1947 sind 32 solcher Fälle bekannt, wobei einem Gnadengesuch stattgegeben und die Todesstrafe in 15 Jahre Strafarbeit umgewandelt wurde; die übrigen 31 Verurteilten wurden hingerichtet. Zwischen Jänner 1950 - dem Zeitpunkt der neuerlichen Einführung der Todesstrafe für „Heimatverräter, Spione sowie für subversive Elemente und Diversanten" 20 - und Stalins Tod im März 1953 liegen insgesamt 95 Gnadengesuche samt Beilagen der vom Militärtribunal der Zentralen Gruppen der Streitkräfte in Baden bei Wien Verurteilten vor, darunter die von 80 Österreichern. Lediglich zwei dieser 80 Gnadengesuche wurde stattgegeben, wobei eine Umwandlung der Todesstrafe in 20 bzw. 25 Jahre Lagerhaft erfolgte.21 Die zentralen Angaben des Obersten Gerichts, die u. a. den Sachverhalt des jeweiligen Falles schildern, wurden in die „Datenbank Zivilverurteilte" am BIK eingespeist.22 Darüber hinaus liefern die Akten der von 1945 bis 1946 in Österreich stationierten Inneren Truppen des NKVD/MVD einen Einblick in die Verhaftungspraxis in der sowjetischen Besatzungszone. Gerade hinsichtlich der Aufdeckung tatsächlicher oder vermeintlicher Werwolf- und Spionageaktivitäten und der Ahndung solcher Vergehen sind diese Dokumente aus dem RGVA, Moskau, von großer Bedeutung. 23 Neu erschlossen wurden auch die Beschlüsse des Politbüros des Zentralkomitees der Allunionspartei, ZK VKP(b), die etwa den Briefverkehr der österreichischen Verurteilten mit Familienmitgliedern und Verhaftungen von ranghohen Österreichern betreffen. 24

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Zur Rehabilitierung österreichischer Stalinopfer vgl. das diesbezügliche Kapitel in diesem Beitrag. Vgl. dazu den Beitrag von Ol'ga Lavinskaja, Zum Tode verurteilt, in diesem Band. Ol'ga Lavinskaja und Nikita Petrov, Moskau, sei für ihre Unterstützung bei der Erschließung dieses Bestandes herzlich gedankt. Die Todesstrafe wurde zwischen 19. April 1947 und 12. Jänner 1950 ausgesetzt und in 25 Jahre Haft in einem Besserungsarbeitslager oder in einem Gefängnis umgewandelt. Vgl. Kamer, Im Archipel GUPVI, S. 170. GARF, F. 7523, op. 66, beinhaltet die Gnadengesuche bis inklusive 1950; F. 7523, op. 76, jene von 1951 bis 1954. AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Diese Datenbank entwickelte sich ursprünglich aus der auf der Basis der Personalakten österreichischer Kriegsgefangener, Zivilverurteilter und Internierter erstellten Datenbank heraus (vgl. AdBIK, Datenbank Kriegsgefangene) und wurde seither laufend ergänzt und überarbeitet. Vgl. dazu die Beiträge von Natal'ja Eliseeva, Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee, und Nikita Petrov, Die Inneren Truppen des NKVD/MVD im System der sowjetischen Repressionsorgane in Österreich 1945-1946, in diesem Band. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1089, S. 103. Politbürobeschluss Nr. Ρ 82 (495) des ZK d. VKP(b) v. 14.7.1951 (Erlaubnis des Briefverkehrs zwischen verurteilten Österreichern und ihren Verwandten in Österreich); RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1079, S. 23 u. 139. Politbürobeschluss Nr. Ρ 72 (87) des ZK d.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Eine wichtige Ergänzung zu diesen Quellen sowjetischer Provenienz bieten die so genannten „Vorfallensberichte" im österreichischen Staatsarchiv und in den jeweiligen Beständen der Landes- bzw. Bezirkshauptmannschaften in den österreichischen Landesarchiven, die in einigen Fällen kurze Charakterisierungen der Vorkommnisse rund um die Verhaftung österreichischer Staatsbürger durch sowjetische Organe beinhalten. Auch die Tagesberichte der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit und der Sicherheitsdirektionen für die sowjetisch besetzten Bundesländer geben mitunter Hinweise auf die Umstände der Verhaftungen.25 In der Abteilung IV des Archivs des Bundesministeriums für Inneres lagern zudem die in der Nachkriegszeit angelegten Heimkehrerlisten26, Vermisstenlisten27 und eine Vermisstenkartei28, die sich sowohl auf Kriegsgefangene als auch auf Zivilisten beziehen. Diese Informationen konnten durch Materialien zu österreichischen Zivilverurteilten in der Österreichischen Botschaft Moskau29 und dem Archiv für Außenpolitik in Moskau, AVP RF, ergänzt werden. Die genannten Unterlagen bilden gemeinsam mit Oral History-Interviews30, den Anfragen nach vermissten Angehörigen31, Zeitungsartikeln über „Verschleppungen"32 und biographischen Aufzeichnungen von „Zeitzeugen"33 die Grundlage für die „Zivil-

25 26

27

28

29

30 31 32 33

VKP(b) v. 27.12.1949 (Anweisungen an den sowjetischen Hochkommissar bezüglich der geplanten Verhaftung des Sicherheitsdirektors für Niederösterreich, Andreas Liberda); RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1091. Politbürobeschluss Nr. Ρ 84 (425) des ZK d. VKP(b) v. 19.11.1951 (Über eine Antwortnote an die österreichische Regierung bezüglich Anton Marek). Frau Elena Kirillova und Frau Marina Astachova sei für ihre Unterstützung bei den Recherchen im RGASPI vielmals gedankt. ÖStA/AdR, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit 1945-1955. BMI, Heimkehrerlisten 1947-1956. Listen der insgesamt 79 offiziellen Heimkehrertransporte aus der Sowjetunion im Zeitraum von 1947 bis 1956, die rund 65.000 nach Österreich repatriierte ehemalige Kriegsgefangene, Zivilverurteilte und Internierte umfassen. BMI, Listen Nr. 1-7. Kopien des Bestandes befinden sich am BIK Graz. Es handelt sich hierbei um ein 1955 vom Bundesministerium für Inneres, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, erstelltes Verzeichnis jener Personen, die von Organen der sowjetischen Besatzungsmacht bzw. über Auftrag der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet wurden und bis 1955 nicht zurückgekehrt sind. BMI, Abteilung IV, Vermisstenkartei. Die Vermisstenkartei wurde in den Jahren 1991 bis 1992 von Frau Ernelinde Karner, Herrn Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner und Herrn Mag. Harald Knoll hinsichtlich der ab 1941 in der Sowjetunion festgehaltenen Österreicher durchgesehen. Auf der Basis der relevanten Karteikarten wurde eine Datenbank mit rund 130.000 Eintragungen angelegt, wobei die Trennung zwischen Zivilisten und Kriegsgefangenen nicht immer eindeutig möglich war. Die Datenbank, die sowohl Vermisste als auch Repatriierte enthält, befindet sich am BIK Graz. Vgl. AdBIK, Datenbank Vermisstenkartei des Bundesministeriums für Inneres der Republik Österreich, Wien, Abteilung IV. Der Bestand an der Österreichischen Botschaft Moskau umfasst u. a. den Briefverkehr zwischen der Botschaft und dem Österreichischen Außenministerium bezüglich österreichischer Kriegsgefangener, Zivilverurteilter und Internierter in der Sowjetunion von etwa 1948 bis Ende der 1950er Jahre, weiters „Listen von Personen, die sich in sowjetischer Haft befinden, von denen nichts Näheres bekannt ist", oder etwa Interventionen des österreichischen Botschafters in Moskau bei der 3. Europäischen Abteilung im Außenministerium der UdSSR bezüglich verurteilter Österreicher. Herrn Botschafter Dr. Franz Cede sei für die Unterstützung dieser Recherchen an der Österreichischen Botschaft Moskau herzlich gedankt. AdBIK, Oral-History-Archiv. Hierbei handelt es sich um Anfragen nach vermissten Angehörigen, die seit 1993 an das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, Graz - Wien - Klagenfurt, gerichtet wurden. Besonders intensiv widmete sich die „Arbeiter-Zeitung" diesem Thema. Vgl. dazu etwa: Helmuth Leutelt, Menschen in Menschenhand. Bericht aus Sibirien. München 1958; Josef Ott, Acht Jahre Sibirien für ein Dorf... Wien 1988; Margarethe Ottiiiinger, Die Familie entschei-

Sowjetische

Strafjustiz in

Österreich

verurteilten-Datenbank" am Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, die bis dato Angaben zu über 2201 verhafteten Österreichern enthält. Etwa die Hälfte dieser Fälle ist genau dokumentiert und dient als Grundlage für die im Rahmen dieses Beitrages angeführten Statistiken. Bei den übrigen Fällen kennt man zwar einige persönliche Angaben, tappt aber bezüglich des weiteren Schicksals nach einer Verhaftung noch im Dunkeln. 34

Verurteilungspraxis Entgegen dem bis heute im kollektiven Gedächtnis der österreichischen Bevölkerung verankerten Glauben, dass „die Russen" Tausende Menschen aus der sowjetisch besetzten Zone „verschleppt" hätten, ergaben die bisherigen Recherchen die vergleichsweise geringe Zahl von 2201 3 5 verhafteten Zivilisten, wovon bei etwa der Hälfte Informationen zu den Umständen der Verhaftung bekannt sind. Dies entspricht etwa 0,1 Prozent der nach Kriegsende in Ostösterreich lebenden Bevölkerung. 3 6 Nicht eingeschlossen ist hierbei eine Dunkelziffer von insbesondere im Jahr 1945 von der Roten Armee Verschleppten, über deren weiteres Schicksal bis heute nichts bekannt ist. det. Erfahrungen und Erkenntnisse in sieben Jahren Sowjethaft. Wien 1957; Ferdinand Riefler, Verschleppt - Verbannt - Unvergessen. Frankfurt - Wien 1970; Hans Scherleitner, Warum? Vom jüngsten Strafgefangenen Stalins zum General der Gendarmerie. Mattighofen 1997; Kurt Seipel, Meine Jugend blieb im Eis Sibiriens. Mit 19 in den G U L A G verschleppt. Krems 1997; Kurt Tannert, Ich war ein Katorgan. Erlebnisse eines österreichischen GULAG-Häftlings. Perg 2002; Margaretha Witschel, Und dennoch überlebt. 8 Jahre in russischer Gefangenschaft. Graz 1985. Zudem befinden sich am Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung in Graz mehrere unveröffentlichte Erlebnisberichte ehemaliger österreichischer Zivilverurteilter. Vgl.: Eduard Czubik, Unveröffentlichtes Manuskript ohne Titel, o. O. o. J.; Hermine Skole, Tote Seelen an der Hölle Treppen. Unveröffentlichtes Manuskript. Wien 1978; Kurt Waldherr, Tundra. Ein Bericht über meine Zivilgefangenschaft in der Sowjetunion 1945-1955. Unveröffentlichtes Manuskript, o. O. 1959; Renata Stelzer, Russland-Aufzeichnungen. Bd. I. Vom Staatsstreich bis zur Verschleppung (23.8.^1.9.1944). Unveröffentlichtes Manuskript, o. O. o. J.; Renata Stelzer, Russland-Aufzeichnungen. Bd. II. Nach dem Urteil. Unveröffentlichtes Manuskript, o. O. o. J. In diesem Kontext sei auch auf Herrn Univ.-Prof. Dr. Herbert Killian, Wien, verwiesen, dessen Memoiren über seine Zeit als Zivilverurteilter auf der Kolyma publiziert wurden. Vgl. Herbert Killian, Geraubte Jahre. Ein Österreicher verschleppt in den G U L A G . Wien 2005. 34

35 36

Die laufend überarbeitete Datenbank weist, so weit bekannt, neben Angaben zur Person u. a. Eintragungen zu Ort, Zeit und Grund der Festnahme sowie der Verurteilung, des Strafausmaßes, der rechtlichen Grundlage für die Verurteilung, Bezeichnungen der Lager bzw. Gefängnisse in der Sowjetunion sowie des Entlassungs- und Repatriierungs- bzw. Todesdatums auf. Zudem sind - wenn vorhanden - Aktennummern und zusätzliche Informationen, wie Interviews, Zeitungsartikel oder Erinnerungen, verzeichnet. Dieser Aufbau erlaubt im Einzelfall nicht nur eine rasche Suche nach bestimmten Personen, sondern ermöglicht auch unterschiedliche statistische Auswertungen. Diese Zahl liegt über der in Knoll - Stelzl-Marx, Österreichische Zivilverurteilte in der Sowjetunion, angegebenen Zahl von rund 2160, da durch die laufenden Recherchen neue Fälle bekannt wurden. Errechnet anhand der im Jahr 1946 in der sowjetischen Zone Österreichs lebenden Bevölkerung von 2,091.215 Personen, wobei sich der Prozentsatz der Verhafteten auf den gesamten Zeitraum von 1945 bis 1955 und nicht nur auf das Jahr 1946 bezieht. Die Gesamtzahl ergibt sich aus 2,039.500 Personen, die 1946 in der sowjetischen Zone Österreichs lebten, und 51.715 Personen, die im selben Jahr in der sowjetischen Zone Wiens wohnten. Die Bevölkerungszahl in ganz Österreich betrug in diesem Jahr 6,999.500 Personen. Vgl.: Die wirtschaftliche Lage Österreichs am Ende des ersten Nachkriegsjahrzehntes, in: Monatsberichte des österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung. XIX. Jahrgang. Nr. 1-6. Ausgegeben am 31. Juli 1946, S. 5, 50.

282

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx In den zeitgenössischen österreichischen Berichten über Verhaftungen durch die sowjetische Besatzungsmacht bleibt meist auch der Umstand unerwähnt, dass sowjetische Kommandanturen mitunter Festgenommene an österreichische Behörden übergaben. Dies trat vor allem dann ein, wenn die Verhafteten nicht gegenüber der Sowjetunion straffällig geworden waren, d. h. weder wegen Spionage, „Werwolf'-Aktivitäten, Kriegsverbrechen auf sowjetischem Territorium oder an Bürgern der UdSSR noch wegen Vergehen gegen die Besatzungsmacht angeklagt wurden. Ein Beispiel dafür ist die Anfang Dezember 1945 im 10. Wiener Gemeindebezirk im Auftrag des sowjetischen Bezirkskommandanten, Major Siskin, verhaftete „Diebesbande", zu der 34 Österreicher zählten. Der diesbezügliche Bericht des Wiener Stadtkommandanten General-Leutnant Nikita Lebedenko an den sowjetischen Militärkommissar in Österreich, Marschall Ivan Konev, und dessen Stellvertreter, Generalleutnant Aleksej Zeltov, führt nicht nur die Namen und persönlichen Angaben der Rädelsführer dieser Bande an, sondern beziffert auch die durchgeführten Einbrüche. Demzufolge verübten die größtenteils jugendlichen Bandenmitglieder mehr als 150 Einbrüche in Geschäften, Lagerhallen oder Fahrzeugen, die jedoch die Bevölkerung - fälschlicherweise - Rotarmisten anlastete. Die Festgenommenen wurden gemeinsam mit den angelegten Akten dem zuständigen österreichischen Gericht zur weiteren Strafverfolgung übergeben.37 Wie im zeitlichen Längsschnitt klar zu erkennen ist, war die Anzahl der Verhafteten in den ersten vier Jahren der Besatzung am höchsten und nahm danach sukzessive ab.38 Hier spielten mehrere Faktoren eine Rolle. Zunächst erscheint bemerkenswert, dass Festnahmen auf Grund von Hinweisen aus der Bevölkerung bzw. Denunziationen vor allem in den ersten Wochen nach Kriegsende erfolgten39, während die späteren Verhaftungen primär auf Grund von Vor-Ort-Recherchen der NKVD-MVD/MGB-Einheiten bzw. anhand von Fahndungslisten durchgeführt wurden, die etwas mehr Zeit in Anspruch nahmen.40 Abgesehen von Personen, die gezielt gesucht und verhaftet wurden, ging die Bevölkerung anfangs offensichtlich noch zu unvorsichtig und ungeschickt mit den Befehlen der sowjetischen Kommandanturen um, insbesondere hinsichtlich unerlaubten Waffenbesitzes.

37

38 39

40

CAMO, F. 275, op. 174769, d. 1, S. 181f. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 90. Bemerkenswert erscheint, dass sich Lebedenko im genannten Bericht an Konev und Zeltov auch auf die Festnahme von westalliierten Besatzungssoldaten bezieht, die wegen Verkehrsvergehen, unerlaubter Entnahme von Brennholz in der sowjetischen Zone oder Überschreitens der Demarkationslinie auf sowjetischen Kommandanturen festgehalten wurden. Vgl. CAMO, F. 275, op. 174769, d. 1, S. 182f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 90. Vgl. dazu Tab. 1 in diesem Beitrag. Beispielsweise bezieht sich ein Bericht an den Leiter der NKVD-Truppen zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front vom 9. Juli 1945 darauf, dass dank eines Hinweises der KPÖ in St. Pölten neun Personen in Mariazell wegen anti-sowjetischer Propaganda und „faschistischer" Einstellung vom N K V D festgenommen wurden. Vgl. RGVA, F. 32914, op. 1, d. 9, S. 245. Karner, Schuld und Sühne, S. 164f.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Tab. 1: Verhaftungsort österreichischer (Basis: Angaben in 2201 Fällen) Jahr

Niederösterreich

Wien abso- Anteil in % lut

absolut

Anteil in %

Zivilisten nach Bundesländern

Burgenland

Oberösterreich

Steiermark

und Jahren

Unbekannt

Insges.

abso- Anteil abso- Anteil abso- Anteil abso- Anteil in % lut in % lut in % lut in % lut

1945

138

19,6

165

23,4

27

3,8

49

7,0

186

26,4

140

19,9

705

1946

63

20,7

186

61,0

18

5,9

15

4,9

0

0,0

23

7,5

305

1947

86

45,3

65

34,2

13

6,8

12

6,3

0

0.5

13

6,8

190

1948

96

38,2

101

40,2

9

3,6

20

8,0

138

0,0

25

10,0

251

1949

38

27,7

46

33,6

13

9,5

18

13,1

0

0,0

22

16,1

137

1950

34

28,6

44

37,0

1

0,8

18

15,1

0

0,0

22

18,5

119

1951

24

32,9

20

27,4

2

2,7

5

6,8

0

0,0

22

30,1

73

1952

15

57,7

7

26,9

0

0,0

0

0,0

0

0,0

4

15,4

26

1953

11

45,8

6

25,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

7

29,2

24

1954

3

23,1

4

30,8

0

0,0

5

38,5

0

0,0

1

7,7

13

1955

2

66,7

0

0,0

1

33,3

0

0,0

0

0,0

0

0,0

3

Unbekannt

1

0,3

6

1.7

0

0,0

0

0,0

0

0,0

348

98,0

511

23,2

650

29,5

84

3,8

142

6,5

187

8,5

627

28,5

Insgesamt

2201

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Hierbei wird von 1846 Fällen ausgegangen, deren Ort oder zumindest Zeit der Verhaftung bekannt ist. In dieser Zahl sind zwei österreichische Zivilisten aus Klagenfurt inkludiert, die der sowjetischen Besatzungsmacht ausgeliefert und in Wien bzw. im Mühlviertel festgenommen wurden.

Die Steiermark fällt aus der Reihe: Während der kurzen sowjetischen Besatzung bis 23. Juli 1945 wurde hier mit insgesamt 186 Festnahmen die österreichweit höchste Zahl an Verhaftungen innerhalb eines Jahres vorgenommen. Nach der Übernahme der Steiermark durch die Briten im Zuge des Zonentausches nahmen die Sowjets freilich keine österreichischen Zivilisten in der nun „britischen Steiermark" mehr fest. Sehr wohl aber erfolgten Verhaftungen am Grenzübergang zur sowjetischen Zone, insbesondere am Semmering und am steirisch-burgenländischen Zonenübergang in Fürstenfeld-Rudersdorf.41 Einen Unterschied gibt es zwischen den in Tabelle 1 dargestellten Verhaftungsorten und den jeweiligen Heimatbundesländem der Festgenommenen. So wurden nach bisherigem Wissensstand rund 704 Wiener, 614 Niederösterreicher und 223 Steirer verhaftet. Bei den Oberösterreichern liegt die Zahl der Festnahmen bei 163, bei den Burgenländem bei knapp über 80 Personen. Außerdem wurden mehr als 20 Personen mit steirischem Heimatwohnort im sowjetisch besetzten Ostösterreich bzw. an der Demarkationslinie zur sowjetischen Besat41

AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Zur britischen Besatzung der Steiermark vgl. Siegfried Beer (Hg.), Die „britische" Steiermark 1945-1955. Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark. Bd. 38. Graz 1995.

283

284

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx zungszone verhaftet. Nach jetzigem Wissensstand können Verhaftungen durch sowjetische Organe in den westlichen Besatzungszonen Österreichs ausgeschlossen werden. Allerdings lieferten britische Behörden zumindest einen Steirer, den als „Schlächter von Wilna" bekannten Franz Murer, im März 1948 an die Zentrale Gruppe der Streitkräfte der UdSSR aus. Das zuständige sowjetische Militärtribunal verurteilte Murer daraufhin wegen der Tötung von Juden in Vilnius am 25. September 1948 nach „Ukaz 43" zu 25 Jahren Arbeitserziehungslager (ITL), wobei die Dauer der Strafverbüßung ab dem 3. März 1948 zu berechnen war. Murer kehrte am 6. August 1955 mit dem 73. Transport („Nichtamnestierte") nach Österreich zurück, wo Anfang der 1960er Jahre ein NS-Kriegsverbrecherprozess mit skandalösem Freispruch gegen ihn geführt wurde.42 Tab. 2: Urteilende Gerichte 1945 bis 1955 (Basis: Angaben in 957 Fällen) Gericht 2., 3. Ukrainische Front Zentrale Gruppe der Streitkräfte (v.c. 28990)

Verurteilte Personen 13 403

Wien (Garnison)

58

4. Garde-Armee

135

5. Garde-Armee

24

2. Luft-Armee Südliche Gruppe der Streitkräfte (26., 27., 57. Armee) Andere Armeedienststellen

7 55 91

Sowjetunion MGB (NKVD-MVD), meist Moskau (OSO)

171

Insgesamt

957

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Bei 957 Personen liegen Angaben zum Gericht, das sie verurteilte, vor.

Bei den Verhaftungen selbst kooperierte die sowjetische Besatzungsmacht mit österreichischen Behörden. Immer wieder nahmen österreichische Gendarmen und Polizisten im Auftrag der sowjetischen Kommandanturen gezielt österreichische Zivilisten fest und übergaben sie dann der jeweiligen sowjetischen Dienststelle. Die Urteile selbst wurden entweder von der MGB-Sonderkommission (OSO) in Moskau oder von 42

RGVA, F. 460p, Personalakt Nr. 1871053, S. 6f.; GVP, Rehabilitierungsbescheid 5uv-169/98. Franz Murer. Moskau 10.9.1997. Franz Murer konnte nach seiner Rückkehr aus sowjetischer Haft zunächst unerkannt in Österreich leben. Im Zusammenhang mit dem in Israel gegen Adolf Eichmann geführten Verfahren langten jedoch neuerliche Zeugenaussagen beim Justizministerium ein, und Murer wurde im Mai 1961 erneut verhaftet. Beim vom 10. bis 19. Juni 1963 dauernden Prozess wurde Murer von der Anklage freigesprochen, in Vilnius als leitender Angehöriger des Gebietskommissariats Vilnius Juden vorsätzlich ermordet und misshandelt zu haben. Gegen diesen Freispruch, der nach einer Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft in einem Punkt aufgehoben wurde, regte sich in Österreich und Israel massiver Protest. Mehrere Versuche für eine Wiederaufnahme des Verfahrens scheiterten. Im Juli 1974 stellte das Landesgericht Graz das Verfahren schließlich ein. Vgl. LG Graz, 4 Vr 1811/62; Sabine Loitfellner, Die Rezeption von Geschworenenprozessen wegen NS-Verbrechen in ausgewählten Zeitungen 1956-1975. Bestandsaufnahme, Dokumentation und Analyse von veröffentlichten Geschichtsbildern zu einem vergessenen Kapitel österreichischer Zeitgeschichte. Wien 2004, S. 73-80. Karl Marschall, Volksgerichtsbarkeit und Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Österreich. Eine Dokumentation. 2. Aufl. Wien 1987, S. 181.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich einem der auf österreichischem Territorium stationierten Truppenteile gefällt. Dabei war das Sowjetische Militärtribunal, SMT, der in Baden bei Wien stationierten Zentralen Gruppe der Streitkräfte43 für beinahe die Hälfte der bekannten Fälle verantwortlich. Wenn eine Armee einen neuen Einsatzraum zugewiesen erhielt oder mit einer anderen zusammengelegt wurde, nahm sie üblicherweise die in ihrer Zuständigkeit befindlichen Verhafteten mit. Die im Juli 1945 erfolgte Verlegung vieler Einheiten aus Österreich nach Rumänien und in die Ukraine erklärt auch, warum bei einigen österreichischen Zivilisten etwa Cernigov in der Ukraine 44 oder Craiova in Rumänien als Ort der Verurteilung aufscheinen. 45 Tab. 3: Schicksal österreichischer Organe 1945 bis 1955

Zivilisten nach ihrer Verhaftung durch

Anzahl

Schicksal nach Verhaftung

sowjetische

Anteil in %

Z u r V e r f ü g u n g der S U verhaftet, aber nicht übergeben

16

0,7

Vor Verbringung in U d S S R freigelassen

84

3,8

56

2,5

Wahrscheinlich freigelassen

46

Von sowjetischen Stellen nachweislich 28

1,3

N a c h H a f t repatriiert

an österreichische B e h ö r d e n übergeben

818

37,2

In H a f t verstorben

199

9,1

Hingerichtet

152

6,9

N a c h H a f t in U d S S R verblieben Bis heute abgängig 4 7 Keine Angaben Insgesamt

26

1,2

751

34,1

71 2201

3,2 48

100,0

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Die Gesamtzahl von 2201 umschließt die bisher in der Datenbank verzeichneten von 1945 bis 1955 durch sowjetische Organe verhafteten österreichischen Zivilisten. 43

44

45 46 47 48

Direktive des Oberkommandos der Stavka an den Kommandanten der Truppen der 1. Ukrainischen Front über die Umbenennung der Front in Zentrale Gruppe der Streitkräfte, abgedruckt in: Institut Voennoj Istorii (Hg.), Bitva za Berlin. Krasnaja Armija ν poverzennoj Germanii. Russkij archiv. Velikaja Otecestvennaja. Bd. 4(5). Moskau 1995, S. 421 f. Seit Sommer 1948 wurde die Einheit nur mehr als v.c. 28990 bezeichnet. Vgl. etwa die von der 57. Armee in Cernigov, Ukraine, oder in Craiova, Rumänien, gefällten Todesurteile gegen mehrere in der Steiermark verhaftete Exekutivbeamte: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte; Karner, Die sowjetische Justiz. AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Die Personen wurden von sowjetischen Stellen verhaftet, dürften aber noch vor einer Verurteilung und somit auch vor einer Verbringung in die Sowjetunion freigelassen worden sein. So der Ausdruck in den amtlichen österreichischen Unterlagen. Bei diesem Personenkreis ist das weitere Schicksal in sowjetischer Hand unbekannt. Bei dieser Gesamtzahl von 2201 durch sowjetische Gerichte verurteilte österreichische Zivilisten sind die rund 80 vor 1945 verurteilten Österreicher sowie die 105 nicht auf österreichischem Territorium verhafteten Zivilisten (darunter vor allem in der SBZ/DDR festgenommene „Spezialisten" und Botschaftsangehörige in Rumänien) nicht berücksichtigt.

285

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Wie Tabelle 3 verdeutlicht, gestaltete sich das weitere Schicksal nach einer Festnahme äußerst unterschiedlich. Während von den insgesamt 2201 verzeichneten österreichischen Zivilisten etwa acht Prozent relativ bald wieder freikamen bzw. an österreichische Behörden übergeben wurden, kehrten 37 Prozent nach ihrer Strafverbüßung in die Heimat zurück, bei etwa 34 Prozent ist das Schicksal ungeklärt, neun Prozent verloren ihr Leben in Haft, beinahe sieben Prozent wurden hingerichtet, und rund ein Prozent verblieb nach der Entlassung - meist jedoch nur vorübergehend - in der Sowjetunion. Geht man ausschließlich von jenen 1379 Fällen aus, deren Schicksal nach der Verhaftung bekannt ist, steigert sich der Anteil der Repatriierten auf 60 Prozent, jener der in Haft Verstorbenen auf beinahe 15 Prozent, der Hingerichteten auf mehr als elf Prozent [!] und der in der UdSSR Verbliebenen auf beinahe zwei Prozent. Rund zwölf Prozent wurden noch vor einer Verschleppung in die Sowjetunion freigelassen bzw. österreichischen Behörden übergeben. Von besonderem Interesse sind dabei jene Österreicher, welche die sowjetische Besatzungsmacht nach einer Verhaftung ohne eine Verurteilung an die österreichische Justiz übergab. Dies betraf jene Personen, die zwar straffällig geworden waren, deren Vergehen sich allerdings nicht gegen die Sowjetunion oder die sowjetische Besatzungsmacht gerichtet hatte. Neben der vorab erwähnten „Diebesbande" aus Wien zählten hierzu etwa einige Oberösterreicher, die 1950 bei einer Hochzeit in die Luft geschossen hatten. Nach Tab. 4: Strafausmaß verurteilter österreichischer Zivilisten (Basis: Angaben in 1082 Fällen) Strafmaß

Anzahl

Anteil in %

Bedingte Haft ( 1 - 3 Jahre)

3

0,3

2 Jahre

3

0,3

3 Jahre

19

1,7

4 Jahre

6

0,5

5 Jahre

46

4,2

6 Jahre

15

1,4

27

2,5

7 Jahre 8 Jahre

54

5,0

10 Jahre

247

22,8

12 Jahre

17

1,6

14 Jahre

1

0,1

15 Jahre

116

10,7

17 Jahre

2

0,2

18 Jahre

2

0,2

20 Jahre

55

5,1

25 Jahre

281

26,0

0

0,0

Lebenslänglich Tod Gesamtsumme

188

17,4

1082

100,0

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Die Zahl von 1082 umschließt die bisher in der Datenbank verzeichneten von 1945 bis 1955 österreichischen Zivilverurteilten, deren Strafausmaß bekannt ist.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich der Festnahme durch sowjetische Organe wurden sie von diesen den österreichischen Behörden zur weiteren Ahndung der Vergehen übergeben. Ein österreichisches Gericht verurteilte die Oberösterreicher anschließend zu fünf Monaten Verwahrungshaft wegen unerlaubten Waffenbesitzes. 49 Dabei kann davon ausgegangen werden, dass es zu keiner Überstellung an die österreichischen Behörden, sondern zu einer Verurteilung wegen unerlaubten Waffenbesitzes durch ein sowjetisches Militärtribunal gekommen wäre, hätte dieser Vorfall unmittelbar nach Kriegsende stattgefunden. Vorfälle dieser Art wurden aber mit zunehmender Besatzungszeit nicht mehr so streng geahndet. Wie Tabelle 4 zeigt, waren zehn, 15 und vor allem 25 Jahre Haft das am häufigsten verhängte Strafmaß, wobei Letzteres zwischen 19. April 1947 und 12. Jänner 1950, als die Todesstrafe ausgesetzt war, als Höchststrafe (VMN) 50 ausgesprochen wurde. Bemerkenswert erscheint, dass bei mehr als 17 Prozent all jener Fälle, deren Strafausmaß bekannt ist, die Todesstrafe verhängt wurde. Von den 188 zum Tode verurteilten österreichischen Zivilisten wurden 152 Personen - oder mehr als 80 Prozent - hingerichtet, sechs verstarben in Haft, bei 26 wurde die Todesstrafe in Lagerhaft umgewandelt und vier sind bis heute abgängig. 51 Der weitaus häufigste Urteilsgrund in diesen Fällen war Spionage (Artikel 58-6), gefolgt von Kriegsverbrechen („Ukaz 43") und unterschiedlichen, nach anderen Paragraphen des Artikels 58 des StGB der UdSSR geahndeten Vergehen. 52 Nach Vollstreckung des Urteils waren die Angehörigen darüber nicht zu inforTab. 5: Todesurteile nach Verurteilungsgründen

(Basis: Angaben in 169 Fällen)

Rechtsgrundlage

Jahr Ukaz 43 1945

9

1946

18

1947

4

Art. 5 9 1

A 58-6

Unbekannt

Insgesamt

4

14

A 58

3

30

2

10

3

34 4

1948

0 0

1949 1950

1

19

1

21

1951

4

47

3

54

1952

22

1

23

1953

3

3

1954

0

1955 Insgesamt

0 36

1

97

29

6

169

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Die Zahl von 169 Fällen umschließt jene zum Tode verurteilten österreichischen Zivilisten, deren Verurteilungsparagraph oder zumindest Verurteilungsjahr bekannt ist. Bei 19 der insgesamt 188 zum Tode verurteilten Österreichern fehlen diese Angaben zur Gänze. 49 50 51 52

ÖBM, Personalakte Karl P. V M N = vyssaja mera nakazanija (Höchststrafe). AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Ebd. Die Zahl der zum Tode verurteilten österreichischen Zivilisten wurde insbesondere auf Grund der hiermit erstmals erschlossenen Bestände aus dem G A R F (Gnadengesuche zum Tode verurteilter österreichischer Zivilisten an den Obersten Rat der UdSSR) nach oben revidiert.

287

288

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx mieren, sondern es durfte ihnen „mündlich nur mitgeteilt werden, dass der Häftling an einen anderen Haftort verlegt wurde". Die Personalkarte 1 war nach der Hinrichtung mit dem Vermerk „laut Urteil ausgeschieden" und dem passenden Datum zu versehen.53 Primär dienten das als „Ukaz 43" bekannte Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 und der Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR bzw. der entsprechenden Artikel des Strafgesetzbuches der Ukraine als Rechtsgrundlage bei der Verurteilung österreichischer Zivilisten.54 Eine äußerst wichtige Rolle spielte dabei der Artikel 58-6 (Spionage), der bei 41 Prozent der verurteilten Männer und bei sogar 67 Prozent der verurteilten österreichischen Frauen herangezogen wurde.55 Auffallend ist zudem die konstante Zunahme von Verhaftungen und Verurteilungen auf Grund dieses Artikels, sodass ab 1950 mehr als 75 Prozent der österreichischen Zivilisten wegen Spionage verurteilt wurden, während Fälle wie „terroristische Handlung" (58-8), „Diversion" (58-9) oder „Teilnahme an konterrevolutionären Organisationen" (58-11) bereits ab 1947 stark zurückgingen.56 Auch der Artikel 58-2 („Bewaffneter Aufstand" bzw. „Bandentum") kam bei den österreichischen Zivilverurteilten kaum zum Tragen.57 Der vor allem nach Artikel 58-8, 9 und 11 geahndete Vorwurf der „Werwolfbetätigung" war ausschließlich 1945 ein Verhaftungsgrund, danach wurden wegen dieses Tatbestandes nur mehr zwei Österreicher verhaftet; ihre Festnahmen stehen jedoch in direktem Zusammenhang mit Gruppen, die schon 1945 als „Werwölfe" verurteilt worden waren. Insgesamt bildeten diese so genannten „anderen" Paragraphen des Artikels 58, d. h. mit Ausnahme von Spionage, in den ersten fünf Jahren der Besatzungszeit rund 36 Prozent der insgesamt 932 dokumentierten Fälle, hingegen nur mehr fünf Prozent in der Zeit von 1950 bis 1955.58 Der „Ukaz 43" hingegen wurde bei den österreichischen Zivilverurteilten insbesondere in den Jahren von 1946 bis 1949 herangezogen; danach jedoch fand er kaum noch Anwendung. Mehr als die Hälfte der etwa 90 nach diesem Erlass verurteilten österreichischen Zivilisten waren ehemalige Polizisten, die vorwiegend im Bereich des Distriktes Galizien eingesetzt waren.59 Bei den übrigen Fällen kam dieser „Kriegsverbrechererlass" etwa bei systematischer Verhöhnung und Misshandlung von ausländischen Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeitern in Lagern auf dem Gebiet Österreichs 53 54

55 56 57

58 59

GARF.F. 9413, op. l , d . 114, S. 211. Urteile ζ. B. in der Ukraine stützen sich auf das ukrainische StGB, das - bei identischem Inhalt - die Staatsschutzbestimmungen unter Art. 54 auflistete. Diese Fälle sind hier unter Art. 58 subsumiert. Vgl. dazu: Andreas Hilger - Mike Schmeitzner, Einleitung. Hierbei wird von einer Gesamtzahl von 932 österreichischen Zivilverurteilten ausgegangen, bei denen der Verurteilungsparagraph bekannt ist. Vgl. AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Ebd. Von den bisher dokumentierten 932 Fällen wurden fünf zivile Österreicher ausschließlich nach Artikel 58-2 und 34 in Kombination mit anderen Paragraphen verurteilt. Vgl. AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Ebd. AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Für die Jahre 1950 bis 1952 sind bisher insgesamt 16 österreichische Fälle bekannt, die als Zivilisten nach „Ukaz 43" verurteilt wurden. Hierbei handelt es sich ausschließlich um ehemalige, während der NS-Zeit in Galizien eingesetzte Polizisten.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Tab. 6: Rechtsgrundlagen für die Verurteilungen österreichischer Zivilisten durch die Sowjetunion 1945 bis 1955 nach Jahren und Verurteilungsparagraphen (Basis: Angaben in 932 Fällen) Verurteilungsparagraphen Ukaz 43 Jahr absolut

Anteil in %

K G 10 absolut

60

Anteil in %

A 58-6 absolut

A 58

Anteil in %

absolut

Andere

Anteil in %

Insgesamt

absolut

Anteil in %

absolut

Anteil in %

1945

16

6,8

0

0,0

58

24,8

157

67,1

3

1,3

234

25,1

1946

23

16,1

0

0,0

15

10,5

91

63,6

14

9,8

143

15,3

1947

5

5,6

0

0,0

29

32,2

38

42,2

18

20,0

90

9,7

1948

22

15,4

1

0,7

90

62,9

20

14,0

10

7,0

143

15,3

1949

25

24,5

1

1,0

53

52,0

17

16,7

6

5,9

102

10,9

1950

6

7,1

4

4,7

53

62,4

19

22,4

3

3,5

85

9,1

1951

9

11,5

0

0,0

64

82,1

5

6,4

0

0,0

78

8,4

1952

1

2,5

0

0,0

33

82,5

6

15,0

0

0,0

40

4,3

1953

0

0,0

0

0,0

13

100,0

0

0,0

0

0,0

13

1,4

1954

0

0,0

0

0,0

2

66,7

1

33,3

0

0,0

3

0,3

1955

0

0,0

0

0,0

1

100,0

0

0,0

0

0,0

1

0,1

Insgesamt

107

11,5

6

0,6

411

44,1

354

38,0

54

5,8

932

100,0

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte.

zum Tragen, wobei bisher nur zwei Verurteilungen von österreichischen Frauen nach dem „Ukaz 43" bekannt sind. Dagegen wurde die überwiegende Mehrheit der verurteilten österreichischen und deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion im Gegensatz zu den Zivilisten nach eben diesem Erlass gerichtlich belangt und nicht - wie lange angenommen - größtenteils nach dem Artikel 58. 61 In einigen wenigen österreichischen Fällen, nämlich bei Verwandtschaft mit Adolf Hitler und bei vor allem in Rumänien und Bulgarien internierten österreichischen

60 61

KG 10 = Artikel 2 des vom Kontrollrat in Deutschland am 20. Dezember 1945 verabschiedeten Gesetzes Nr. 10. Im Gegensatz zu den Zivilisten wurden mindestens 72 Prozent der verurteilten österreichischen Kriegsgefangenen, deren Verurteilungsparagraph bisher dokumentiert ist, nach „Ukaz 43" und nur rund zwölf Prozent nach Artikel 58 verurteilt. Vgl. AdBIK, Datenbank Kriegsgefangene; Karner, Im Archipel GUPVI, S. 176. Eine ähnliche Tendenz ist auch bei den Urteilsgrundlagen für deutsche Kriegsgefangene festzustellen, wonach von insgesamt 31.284 verurteilten deutschen Kriegsgefangenen 20.035 nach „Ukaz 43" und lediglich 3979 nach Artikel 5 8 - 5 9 des Strafgesetzbuches der RSFSR verurteilt wurden. Vgl. dazu: Andreas Hilger - Ute Schmidt - Günther Wagenlehner, Einleitung, in: Andreas Hilger - Ute Schmidt - Günther Wagenlehner, Sowjetische Militärtribunale. Bd. 1. Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941-1953. Köln - Weimar - Wien 2001, S. 7 - 2 2 , hier: S. 14f.

289

290

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Botschaftsangehörigen, kam Artikel 2 des vom Kontrollrat in Deutschland am 20. Dezember 1945 verabschiedeten Gesetzes Nr. 10 zur Anwendung. Hier ist anzunehmen, dass die Anwendung dieses „Besatzungsrechtes" für Österreich formal nicht zulässig war. Schließlich bezog sich sein Geltungsbereich auf das deutsche Reichsgebiet in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 - also vor dem „Anschluss" Österreichs, wodurch es das Territorium Österreichs eigentlich ausschloss.62 Da es sich bei den verurteilten Botschaftsangehörigen um Internierte handelte, die zudem nicht in Österreich festgenommen oder verurteilt wurden, sind sie zahlenmäßig nicht in der ZivilverurteiltenDatenbank berücksichtigt.63 Auf die „Hitlerverwandtschaft" dagegen wird noch näher einzugehen sein. Alter und Geschlecht der Verurteilten Im Folgenden sei auf die Altersstruktur der insgesamt 236 in der Datenbank verzeichneten weiblichen und 1965 männlichen österreichischen Zivil verurteilten verwiesen, wobei insbesondere zwei Tendenzen bemerkenswert erscheinen.64 Zunächst fällt das verhältnismäßig geringere Durchschnittsalter der Frauen im Vergleich zu den Männern auf. Verurteilte Frauen waren größtenteils im Zeitraum von 1921 bis 1930 zur Welt gekommen und somit 1945 erst zwischen 15 und 24 Jahren alt. Bei den männlichen Zivilverurteilten hingegen verteilten sich die häufigsten Geburtsjahre auf die Periode von 1887 bis - gleichfalls - 1930, mit einem Höhepunkt im Jahr 1929. Die Ältesten von ihnen waren 1887 geboren worden und hatten 1945 ein Alter von bereits 58 Jahren. Manche der Zivilverurteilten waren bei ihrer Festnahme erst 20 Jahre alt, wie etwa der 1926 geborene Herbert Killian, der im Juni 1947 wegen drei Ohrfeigen, die er dem Sohn eines sowjetischen Besatzungsoffiziers in Korneuburg verabreicht hatte, festgenommen und nach Paragraph 146 wegen „Hooliganismus" zu drei Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt wurde. Er konnte erst sechs Jahre später von der Kolyma in die Heimat zurückkehren.65 Als zweite Tendenz ist bemerkenswert, dass bedeutend mehr Männer als Frauen in Österreich von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet und verurteilt wurden. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass nur ganz wenige Frauen - im Gegensatz zu den Männern - wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurden und sich auch die Zahl der wegen Schlägereien oder Vergehen gegen die Besatzungsmacht geahndeten Fälle bei den Frauen beinahe auf Null beläuft. Hingegen wurden mehr als 70 Prozent jener 97 Frauen, deren Verurteilungsparagraphen bekannt sind, wegen Spionage verurteilt und

62 63 64 65

Kamer - Stelzl, Strafrechtssystem und Gerichtspraxis, S. 2 6 , 4 I f f . Nach derzeitigem Wissensstand wurden 17 österreichische Botschaftsangehörige interniert, davon acht in Rumänien und sechs in Bulgarien. Nur in einem dieser Fälle kam es zu keiner Verurteilung. AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Die Altersstruktur ist bei 184 weiblichen und bei 1554 männlichen österreichischen Zivilverurteilten bekannt. Stelzl-Marx, Kolyma, S. 148f. Jahrzehnte später gelang es Herbert Killian, den Sohn des sowjetischen Besatzungssoldaten dank der Hilfe von Oberst Viktor Muchin, Moskau, und dem BIK ausfindig zu machen und persönlich kennen zu lernen.

Sowjetische Strafjustiz in Osterreich Diagramm 1: Altersstruktur 1945 bis 1955

der weiblichen österreichischen

Zivilverurteilten

rOCOOOOOOOOOOOCOOOOOOOOOOOOOC ^r^i^i^ooooocooooOvO'ONON Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Von 187 der 236 registrierten weiblichen österreichischen Zivilverurteilten ist das genaue Geburtsjahr bekannt.

Diagramm 2: Altersstruktur 1945 bis 1955

der männlichen österreichischen

Zivilverurteilten

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Von 1541 der 1965 registrierten männlichen österreichischen Zivilverurteilten ist das genaue Geburtsjahr bekannt.

292

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx nur 40 Prozent der 837 Männer, bei denen die Urteile vorliegen. Gerade Frauen, die ein Verhältnis mit sowjetischen Besatzungssoldaten hatten, waren in dieser Hinsicht besonders gefährdet. Bekannte Verurteilungsgründe Verbrechen gegen die Besatzungsmacht, Spionage und Kriegsverbrechen zählen zu den wichtigsten Vergehen, die zu einer Verhaftung in der sowjetischen Zone Österreichs führten. Letztere umfassten primär Misshandlungen von sowjetischen Kriegsgefangenen und „Ostarbeitern", Erschießungen von Juden, Ghettoräumungen und andere Gräueltaten auf dem Gebiet der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs. Die Ahndung dieser Vergehen ist in einem engen Zusammenhang mit der sowjetischen Entnazifizierungspolitik zu sehen, die sich von der aus sowjetischer Sicht allzu laxen Haltung der österreichischen Regierung und westlichen Besatzungsmächte bei dieser Frage abhob.66 Im Folgenden sollen einige Fallbeispiele einen Einblick in die wichtigsten Verhaftungsgründe geben. Tab. 7: Verurteilungen österreichischer Zivilisten nach ausgewählten Gründen (Basis: Angaben in 893 Fällen) Verurteilungsgrund Jahr Spionage

„Wer- Waffenwolf besitz

„SUBürger"67

MissAndere handlung Kriegsver„Ostarb."/ brechen Kriegsgef.

Kriminelle Handlung

RaufAlkoPolizist handel hol

Summe

1945

13

120

29

1

51

22

2

17

12

8

275

1946

13

0

66

1

22

26

26

32

1

1

188

1947

23

1

21

1

5

23

20

23

4

1

122

1948

50

1

13

14

4

19

23

5

2

0

131

1949

24

0

2

3

6

11

10

2

0

0

58

1950

25

0

13

3

2

7

4

0

0

0

54

1951

35

0

0

1

0

4

0

0

0

40

1952

11

0

0

0

0

0

0

0

0

11

1953

8

0

0

0

0

1

0

0

0

9

1954

1

0

0

0

0

2

0

0

0

3

1955

1

0

0

0

1

0

0

0

0

2

204

122

23

91

109

92

79

19

10

893

Summe

144

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Hierbei handelt es sich primär um jene Verhaftungsgründe, welche die sowjetische Seite den österreichischen Behörden ab 1945 mitgeteilt hatte. Auch diesbezügliche Informationen in den Rehabilitierungsbescheiden, Personalakten oder in der Erinnerungsliteratur fanden Eingang in die Datenbank. 66 67

Stelzl-Marx, Entnazifizierung in Österreich. Als „SU-Bürger" werden hier Personen bezeichnet, die in Österreich festgenommen wurden, allerdings auf dem Gebiet der (nachmaligen) Sowjetunion geboren worden waren. Hierzu zählte zum

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Spionage Gerade der Tatbestand der Spionage stellt wegen der Komplexität des Themas und einer gewissen „Sprachlosigkeit" der Betroffenen ein besonders heikles Thema dar. Immer mehr kristallisiert sich Wien als Drehscheibe mannigfaltiger Spionageaktivitäten heraus; hier prallten die unterschiedlichsten Spionageabteilungen aufeinander. 68 Neueste Dokumente aus dem Archiv des FSB zeigen, wie genau der sowjetische Geheimdienst in Österreich über die Aktivitäten der amerikanischen Spionageabwehr CIC (Counter-Intelligence Corps) unterrichtet war und die angeworbenen österreichischen CIC-Agenten - zum Teil über Jahre hinweg - beobachtete. 69 Zu den Aufgaben der wissentlich oder unwissentlich in diesem Bereich eingesetzten Österreicher zählten u. a. das Notieren von Flugbewegungen sowjetischer Flugzeuge und von Kennzeichnen sowjetischer Militärfahrzeuge oder das Fotografieren von Militäranlagen und Truppenübungsplätzen. Selbst 1955 wurde noch ein Österreicher verhaftet, der den Truppenübungsplatz in Kaisersteinbruch fotografiert hatte.70 Neben Margarethe Ottiiiinger stellten die Festnahmen des Kriminalinspektors Anton Marek und des Gendarmeriebeamten Franz Kiridus nicht nur den Höhepunkt der sowjetischen Verhaftungswelle 1948 dar, sondern erregten als prominente Fälle besonderes Aufsehen: Sowohl in der nationalen wie internationalen Presse riefen diese beiden Verhaftungen starkes Echo hervor und kamen auch am häufigsten von allen Verschleppungen durch die sowjetische Besatzungsmacht im Alliierten Rat zur Sprache. Der Hintergrund von Staatspolizei und Innenministerium sowie deren gegen die KPÖ gerichteten Aktionen sind dabei von besonderem Interesse. Marek war Anfang Mai 1945 einer der Hauptbeteiligten bei der Auffindung der so genannten „Gauakten" im teilweise durch Bomben zerstörten Wiener Parlamentsgebäude, die brisante personelle Akten aus der NS-Zeit enthielten. Der daraufhin von dem Aktenmaterial in Kenntnis gesetzte Leiter der österreichischen Staatspolizei, Maximi-

68

69

70

Beispiel Sergej Serbacev, geboren im Gebiet von Rjazan', der seit Ende des Ersten Weltkriegs in Österreich lebte und am 17. Juni 1948 gemeinsam mit vier weiteren russischstämmigen M ä n n e m in Amstetten auf der Ortskommandantur verhaftet wurde. Er wurde nach Artikel 58-2, 5 8 - 1 0 und 58-11 zu 2 5 Jahren ITL verurteilt. Serbacev kehrte 1954 nach Österreich zurück und wurde rehabilitiert. Vgl. AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte; Svoboda, Die Partei, S. 78. Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1 9 4 5 - 1 9 5 8 . Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien - Köln - Weimar 2000; Harald Irnberger, Nelkenstrauß ruft Praterstem. A m Beispiel Österreich: Funktion und Arbeitsweise geheimer Nachrichtendienste in einem neutralen Staat. Wien 1983; Fuchs, Der österreichische Geheimdienst. Vgl. dazu auch den Beitrag von Vasilij Christoforov, Sowjetische Geheimdienste in Österreich, in diesem Band. S o wurde etwa Herbert B. bereits in einem Geheimdienstbericht v o m März 1948 im Zusammenhang mit dem CIC-430 erwähnt. Fünf Jahre später, im Februar 1953, erfolgte seine Verhaftung und Verurteilung durch das Militärtribunal der Zentralen Gruppe der Streitkräfte in Baden. Vgl. dazu: C A FSB RF, F. 135, op. 1, d. 37, S. 1 0 0 - 1 0 6 . GVP, Rehabilitierungsbescheid 7ud-407 14-55. Othmar E. Moskau, 24.5.2001. Im Vorfallenheitsbericht der Sicherheitsdirektion für das Burgenland heißt es dazu: „Mittels zwei Photoapparaten tätigte er Aufnahmen v o m russ. Lager, sowie von Geschützen und Panzern und wurde dabei von russ. Soldaten [...] festgenommen." Zit. n.: BLA, A/VIII/14,1/5, Vorfallenheitsbericht 7.5.1955.

293

294

Harald Knoll - Barbara

Stelzl-Marx

lian Pammer, unterrichtete Staatskanzler Renner von diesem Fund. Das Material wäre, so Pammers Einschätzung, gefährlich, „wenn es in die unrichtigen Hände - Russen oder Polizeidirektion Wien - gelangen würde". 71 Renner gab den Auftrag, alles Erforderliche zur Auswertung der Akten im Zusammenhang mit der Entnazifizierung zu veranlassen, vor allem aber auch, für strikteste Geheimhaltung des Fundes Sorge zu tragen. Dies bedeutete in erster Linie, die Gauakten nicht nur vor der sowjetischen Besatzungsmacht, sondern vor allem auch dem kommunistischen Chef der Wiener Staatspolizei, Heinrich Dürmayer, geheim zu halten. Marek wurde - bis zu seiner Verhaftung - eine Schlüsselfigur für den Zugang und die Auswertung der „Gauakten". Allerdings dürfte er wohl mehr ein Hüter denn ein Benutzer der Akten gewesen sein. Marek hatte nicht nur Zugriff auf dieses brisante Aktenmaterial, er war auch Leiter der so genannten „Gruppe 5" im Innenministerium, einem eigenen Polizeikader von Innenminister Oskar Helmer. Ihre Aufgabe bestand darin, den kommunistischen Wiener Staatspolizeichef Heinrich Dürmayer zu überwachen und Erhebungen im Auftrag Pammers durchzuführen, die Dürmayer aus bestimmten Gründen verborgen bleiben sollten.72 Franz Kiridus war der zweite führende Beamte in dieser Abteilung, die einen Personalstand zwischen 30 und 40 Personen hatte, wobei noch weitere Beamte für Sonderaufgaben zugeteilt werden konnten. 73 Er diente als Pendant Mareks beim „schwarzen" Stellvertreter Ferdinand Graf des „roten" Innenministers Helmer. Die hinter dem Rücken Dürmayers stattfindenden Aktivitäten dieser Abteilung waren in erster Linie gegen die KPÖ und subversive kommunistische Tätigkeiten gerichtet. Wie ein erst kürzlich freigegebenes Dokument aus dem Zentralarchiv des FSB in Moskau vom September 1947 belegt, wusste der sowjetische Geheimdienst darüber Bescheid: „So erteilten die führenden Beamten des Innenministeriums, Pammer und Peterlunger, Marek eine bestimmte Aufgabe in Bezug auf die Kommunistische Partei Österreichs: ,Marek zitierte neben den ihm zur Verfügung stehenden 36 Personen noch zusätzlich einige Kriminalinspektoren zu sich, denen er den Auftrag erteilte, in der Kommunistischen Partei und in ihren einzelnen Organisationen eine Agentur zu errichten und sich nach Möglichkeit in ihren Aufbau einzubringen.'" 74

71 72 73

74

Maximilian Pammer, Die „Gauakten". Unveröffentlichtes Manuskript. Wien 1980, S. 1, zit. n.: Wilhelm Svoboda, Die Partei, S. 62f. Fuchs, Der österreichische Geheimdienst, S. 136; Svoboda, Die Partei, S. 64. CA FSB RF, F. 4, op. 5, d. 870, S. 172-181. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 104. William B. Bader, Österreich im Spannungsfeld zwischen Ost und West 1945 bis 1955. Wien 2002, S. 82. Sondermitteilung der Inspektion des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich an das MGB der UdSSR über die antisowjetische Hysterie in Veröffentlichungen österreichischer Zeitungen, über eine Säuberung des Polizeiapparates unter dem Druck amerikanischer Vertreter und über ein von den Alliierten und eigenen österreichischen politischen Parteien vorgenommenes Bremsen des Prozesses der Entnazifizierung im Land. Vom Leiter der Inspektion des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich Oberstleutnant Bogdanov an den stellvertretenden Minister für Staatssicherheit der UdSSR Generalleutnant Selivanovski v. 9.9.1947. CA FSB RF, F. 4, op. 5, d. 870, S. 172-181. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 104.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Auch die Aufgabe Mareks und seiner Mitarbeiter, Verschleppungsfälle durch die sowjetische Besatzungsmacht aufzuklären oder Informationen über die sowjetischen Erdölbetriebe in Ostösterreich einzuholen, blieben dem sowjetischen Geheimdienst nicht verborgen. Schließlich saß einer ihrer angeblichen Agenten, Josef Pospisil 75 , der Leibwächter Helmers, direkt im Bundeskanzleramt. 76 Vor diesem Hintergrund überraschen die Verhaftungen von Marek und Kiridus eigentlich kaum. Marek wurde am 17. Juni 1948 auf der sowjetischen Stadtkommandantur festgenommen und sofort ins Gefängnis der Zentralen Gruppe der Streitkräfte nach Baden verbracht. Franz Kiridus wurde nur einen Monat später, am 16. Juli 1948, aus Graz kommend an der Demarkationslinie am Semmering von sowjetischen Organen verhaftet. Noch im Herbst 1948 nahmen sowjetische Organe Igor Mermelstein, der bei der Handelsabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission arbeitete, und Viktor Ruew (Großfeld) fest. Ersterer soll von einem Mitarbeiter Mareks als Agent gegen die sowjetischen Truppen angeworben worden sein. Ruew, der als Dolmetscher bei der sowjetischen Erdölverwaltung im Büro für Tiefbohrungen arbeitete, soll ab Mai 1948 drei Berichte über die sowjetische Ölindustrie an Mareks Mitarbeiter übergeben haben. Die Verurteilung aller vier erfolgte erst am 7. Februar 1951 durch ein Militärtribunal des Truppenteils 28990 nach den Artikeln 58-6-1 (Spionage) und 58-11 (Teilnahme an verbrecherischen Organisationen); bei Mermelstein zusätzlich noch nach 58-14 (Gegenrevolutionäre Sabotage). Marek und Kiridus wurden zum Tod durch Erschießen verurteilt, wobei am 19. März 1951 ein Militärkollegium des Obersten Gerichtes die Strafe in 25 Jahre Haft umwandelte. Mermelstein und Ruew waren sofort zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Kiridus kehrte mit dem 69. Heimkehrertransport am 20. Juni 1955 nach Österreich zurück, Marek mit dem 70. am 25. Juni 1955. Mermelstein wurde erst im Dezember 1956 repatriiert, und Ruew starb am 13. Dezember 1953 in sowjetischer Haft. 77 Nach den Festnahmen 1948 legten die US-amerikanischen Behörden diese Verhaftungen als Versuch der sowjetischen Besatzungsmacht aus, das antikommunistische Innenministerium einzuschüchtern. 78 Auch die britische Seite reagierte heftig und versuch-

75

76

77 78

Marek und Pospisil sollen im Mai und Juni 1945 die Sowjets bei der Fahndung nach Kriegsverbrechern unterstützt, und auch umgekehrt die österreichischen Militärbehörden über die Vorgänge auf der Kommandantur informiert haben. Auch die guten Kontakte zur sowjetischen Zentralkommandantur dürften hier ihre Wurzeln haben. Diese Tätigkeit für die sowjetische Besatzungsmacht kam während eines Prozesses 1958 gegen Josef Pospisil zum Vorschein, in dem er w e g e n Diebstahls und persönlicher Bereicherung angeklagt war. Siegfried Beer, Monitoring Helmer. Zur Tätigkeit des amerikanischen Armeegeheimdienstes CIC in Österreich 1 9 4 5 - 1 9 5 0 . Eine exemplarische Dokumentation, in: Emil Brix - Thomas Fröschl - Josef Leidenfrost (Hg.), Geschichte zwischen Freiheit und Ordnung. Gerald Stourzh zum 60. Geburtstag. Graz - Wien - Köln 1992, S. 2 2 9 - 2 5 9 , hier: S. 242. RGVA, Personalakt Anton Marek. Stearman meint dazu außerdem: „Westliche Befürchtungen, dass die Verhaftung Mareks Teil der Vorbereitungen eines kommunistischen Staatsstreiches g e w e s e n sei, wurden durch die Verhaftungen des Gendarmeriebeamten Franz Kiridus am 16. Juli 1948 und des Beamten der oberösterreichischen Provinzialregierung Friedrich Müller-Willborn am 22. Juli 1948 bestärkt." Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 77.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx te immer wieder, den Fall Marek neu aufzurollen. Schließlich war Marek im „neutralen" 1. Bezirk verhaftet und in die sowjetische Zone Wiens gebracht worden, als die Briten den Vorsitz in der Bezirkskommandantur für die Innere Stadt innehatten.79 Die starken westlichen Proteste in der Presse waren der sowjetischen Besatzungsmacht durchaus unangenehm. Andrej Smirnov, der Leiter der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums, bezog sich etwa in einem Brief an Evgenij Koptelov, den politischen Vertreter des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission, Ende Dezember 1948 auf die negative Wirkung der Zunahme der Verhaftungen durch sowjetische Organe, „die unserer Politik in Österreich Schaden zufügt".80 Insbesondere die Fälle Marek und Kiridus kommen darin mehrfach zur Sprache. Selbst das Politbüro setzte sich mit diesen prominenten Verhafteten und den diesbezüglichen Anfragen der österreichischen Regierung an die sowjetischen Behörden auseinander.81 Die Mehrheit der wegen Spionage verurteilten österreichischen Zivilisten waren allerdings keine Prominenten, sondern der „kleine Mann" bzw. die „kleine Frau von der Straße". Besonders gefährdet in dieser Hinsicht waren anscheinend Österreicherinnen, die — zum Teil „professionelle" - Verhältnisse mit sowjetischen Besatzungssoldaten unterhielten.82 So wurden mehrere Prostituierte wegen Spionage nach Paragraph 58-6 des StGB der RSFSR zu 15 bzw. 25 Jahren Arbeitsbesserungslager verurteilt. Herausragend ist der Fall von Frieda P., verehelichte K., deren Verurteilung 1951 nach Paragraph 58-6 (Spionage) und 58-14 (Gegenrevolutionäre Sabotage) erfolgte. 83 Sie selbst bestritt allerdings vehement den Vorwurf der Spionage, wie aus ihrem Brief an das BIK im Zusammenhang mit der erfolgten Rehabilitierung hervorgeht: „Am 19.12.1950 holte man mich von meinem Arbeitsplatz weg, zur damaligen sowjetischen Stadtkommandantur in St. Pölten. Man konfrontierte mich mit der absurden Anschuldigung, Spionin zu sein, was ich in berechtigter Entrüstung energisch verneinte! Am darauf folgenden Tag brachte mich eine dunkle Limousine mit Vorhängen an den Fenstern in ein Untersuchungsgefängnis in Wien 10., Hardmuthgasse. Dort verblieb ich bis zu meinem 26. Geburtstag am 14. Jänner 1951. Die nächste Station war dann Baden bei Wien. Dort verurteilte mich ein sowjetisches Militärtribunal am Ostermontag 1951 nach § 58-6 zu zweimal84 25 Jahren Sibirien."85 Das Bundeskanzleramt für auswärtige Angelegenheiten nahm im November 1952 allerdings als mutmaßlichen Grund für die erfolgte Festnahme „die Infizierung zweier Angehöriger der sowjeti-

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83 84 85

Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 391. AVP RF, F. 066, op. 29, p. 137, d. 15, S. 102-112. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 108. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1091. Politbürobeschluss Nr. Ρ 84 (425) des ZK d. VKP(b) v. 19.11.1951. Über eine Antwortnote an die österreichische Regierung bezüglich Anton Marek. Vgl. dazu ausführlicher: Knoll - Stelzl-Marx, Österreichische Zivilverurteilte in der Sowjetunion, S. 587-589; Barbara Stelzl-Marx, Österreichische „Wiedervereinigung". Kontinuität und Wandel, in: Manfried Rauchensteiner (Hg.), 50 Jahre Staatsvertrag. Wien 2005 (in Druck). GVP, Rehabilitierungsbescheid 5uv-1133-97. Frieda P. Moskau, 3.10.1997. Laut Rehabilitierungsbescheid erfolgte die Verurteilung nach Artikel 58-6-1 und 58-14 zu insgesamt 25 Jahren ITL. Vgl. GVP, Rehabilitierungsbescheid Frieda P. AdBIK, Schriftliche Mitteilung, Frieda K. St. Pölten 1997.

Sowjetische Strafjustiz in Osterreich sehen Besatzungsmacht mit Geschlechtskrankheiten" 8 6 an, wodurch sich anscheinend auch die Verurteilung wegen „Sabotage" erklären lässt. Ausführlicher sind gezielte Spionagetätigkeiten im Fall von Josef H. aus Wien dokumentiert, den ein Militärtribunal im November 1950 wegen seiner Verbindung zur amerikanischen Spionageabwehr CIC zum Tod durch Erschießen verurteilte. H. hatte zunächst von April 1946 bis zu seiner Entlassung im Jänner 1949 als Zensor für die 6. sowjetische Zensurstelle gearbeitet. Noch im gleichen Monat soll H., nachdem er kompromittierende Aussagen über die sowjetische Zensur in Österreich gemacht hatte, von der amerikanischen Spionageabwehr als Agent zur Spionage gegen die Sowjetunion angeworben worden sein. Im Urteil heißt es dazu: „Im Auftrag des CIC sammelte H. von Februar bis April 1949 Informationen über die Arbeit der 6. Zensurstelle und gab diese dann der amerikanischen Spionageabwehr weiter. Im Oktober 1949 bekam H. vom CIC den Auftrag, einen Überfall auf die 6. sowjetische Zensurstelle vorzubereiten und von dort für die amerikanische Spionageabwehr interessante Unterlagen zu entwenden. Bei der Durchführung dieses Auftrages erstellte H. einen ausführlichen Plan der Diensträumlichkeiten der 6. Zensurstelle. In November 1949 vermittelte H. dem amerikanischen Geheimdienst die 2 ehemaligen Angestellten der 6. sowjetischen Zensurstelle, Josef A. und Eduard W., die von diesem zur Spionage gegen die UdSSR angeworben wurden. Außerdem nahm H. mehrmals an Versammlungen teil, bei denen die Gründung einer militärischen konterrevolutionären Organisation zum bewaffneten Kampf gegen die sowjetischen Besatzungstruppen in Österreich zur Sprache kam." 87 Das Urteil wurde am 14. Mai 1951 vollstreckt. Auch bei H. entschied sich die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Jahrzehnte später - posthum - für eine Rehabilitierung. 88 Gleichfalls wegen Spionage für die amerikanische Besatzungsmacht verurteilte das Militärtribunal des Truppenteils 28990 am 31. Dezember 1951 in Baden den 1926 in Wien geborenen Karl Stockhammer nach Artikel 58-6 und 58-14 des StGB der RSFSR zum Tod durch Erschießen ohne Konfiskation des Vermögens. Gemäß dem Bericht des Vorsitzenden des Obersten Gerichts der UdSSR vom 22. Februar 1952 hatte sich Stockhammer Ende 1949 bereit erklärt, für den „CIC 430" in Wien Spionagetätigkeiten gegen die österreichische Kommunistische Partei und den Verband der freien österreichischen Jugend durchzuführen. In der ersten Jahreshälfte 1950 fotografierte er demgemäß u. a. Gebäude der KPÖ in der Umgebung von Wien und fertigte Namenslisten von KPÖ-Mitgliedern des 12. Wiener Gemeindebezirks an, die er seinem Verbindungsmann übergab. Eigens hervorgehoben wird auch seine Spionagetätigkeit im Zusammenhang mit dem Generalstreikversuch im Oktober 1950, wobei es heißt: „Im Oktober 1950, als in Wien ein allgemeiner Proteststreik der werkstätigen Massen gegen die Preiserhöhung [gemeint ist das 4. Lohn-Preis-Abkommen 8 9 ] durchgeführt wurde, sammelte STOCK86 87 88 89

ÖBM, Personalakte Frieda P. RGVA, F. 461, Personalakt Nr. 172234, Josef H. GVP, Rehabilitierungsbescheid 5uv-45845-50. Josef H. Moskau, 14.5.1997. Zum 4. Lohn-Preis-Abkommen und dem versuchten Generalstreik im Oktober 1950 vgl. u. a.: Michael Ludwig - Klaus Dieter Mulley - Robert Streibel (Hg.), Der Oktoberstreik 1950. Ein Wendepunkt der Zweiten Republik. Dokumentation eines Symposions der Volkshochschulen Brigittenau und Floridsdorf und des Instituts für Wissenschaft und Kunst. Wien 1991.

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx HAMMER Angaben über die Zahl der Demonstranten, die sich aus Liesing vor dem Parlamentsgebäude eingefunden hatten." 90 Weiters soll er im September 1951 Informationen über die Demonstranten im 20. Wiener Gemeindebezirk eingeholt haben, die gegen die Erhöhung der Mieten protestierten. Als Provokation der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich plante Stockhammer laut Oberstem Gericht der UdSSR, einen „Erbsenkranz mit einer antisowjetischen Aufschrift anzufertigen und diesen am 9. Mai 1951 beim Denkmal der im Kampf gegen die Deutschen gefallenen sowjetischen Soldaten in Wien niederzulegen. Aus einer Reihe von Gründen kam es dazu nicht mehr." 91 Dass es sich hierbei um eine Anspielung auf die insbesondere aus Erbsen bestehenden Lebensmittellieferungen 92 der Roten Armee 1945 an die hungernde Wiener Bevölkerung, die so genannten „Erbsenschulden", und einen Protest gegen das nicht unumstrittene „Russendenkmal" auf dem Schwarzenbergplatz handelte, muss nicht eigens erläutert werden. Auch für den 7. November 1951, dem Jubiläum der Oktoberrevolution, war eine ähnliche Provokation geplant, die durch seine Verhaftung am 18. Oktober 1951 nicht mehr in die Tat umgesetzt wurde: „Bei der Verhaftung wurde ihm eine dieser antisowjetischen Aufschriften in russischer Sprache, ein von ihm notiertes Kennzeichen eines sowjetischen Fahrzeuges und eine Pistole mit Gefechtspatronen abgenommen. Das oben Dargelegte bestätigte Stockhammer bei Gericht und erklärte, dass er all das als Mitglied der Sozialistischen Partei Österreichs getan habe und dass er gegenüber den Kommunisten und Mitgliedern des Verbandes der freien österreichischen Jugend feindlich erzogen worden wäre. Im Gnadengesuch gibt Stockhammer an, dass er die Informationen für seine Partei gesammelt habe, ohne zu wissen, dass John ein Agent des CIC war und ihn für Provokationen verwendete (was er aber bei der Voruntersuchung und Beweisaufnahme zugegeben hatte). Er ersucht, die Todesstrafe in eine im Arbeitslager zu verbüßende Haftstrafe umzuwandeln." 93 Der Vorsitzende des Obersten Gerichts der UdSSR, Anatolij Volin, kommentierte das Gnadengesuch mit den Worten: „Das Urteil des Militärtribunals erachte ich als richtig." 94 Nur wenige Tage nach der Ablehnung des Gnadengesuches am 18. März 1952 erfolgte die Erschießung Stockhammers. Das im Folgenden zitierte Gnadengesuch Stockhammers an den Obersten Rat der Sowjetunion soll als Beispiel für die nun erstmals zugänglich gemachten Gnadengesuche zum Tode verurteilter Österreicher dienen, die, wie bereits erwähnt, beinahe ausnahmslos abgelehnt wurden. Trotz gewisser wiederkehrender Standardformeln ge90 91 92

93 94

GARF, F. P-7523, op. 76, d. 80, S. 144. Ebd. Sowohl die „Maispende" oder „Stalin-Spende" vom 1. Mai 1945 als auch die Lebensmittellieferungen, die über Befehl Stalins am 23. Mai 1945 in Auftrag gegeben wurden und die Versorgung Wiens vom 1. Juni bis 30. September 1945 sichern sollten, wiesen einen großen Anteil von Erbsen und Bohnen an den gelieferten Lebensmitteln auf. So wurde die zum 1. Mai propagandistisch groß herausgestrichene Lebensmittelspende als „Erbsenspende" sprichwörtlich. Was in der Öffentlichkeit später als „Erbsenschulden" bekannt wurde, bezog sich nicht auf die „Maispende", sondern die Lebensmittellieferungen von Juni bis September 1945. Vgl. dazu: Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 175; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 78f. und 275. GARF, F. P-7523, op. 76, d. 80, S. 145. Ebd.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich währen diese mit Bleistift auf Deutsch verfassten Schreiben einen sehr intimen Einblick in das Schicksal des Verfassers. „An den obersten Rat der Sowjetunion im Präsidium. Sehr geehrter oberster Rat: Ich, Karl Stockhammer, Sohn einer Arbeiterfamilie am 17. IV. 1926 in Wien geboren, Österreicher, 8 Klassen Schulbildung, wurde am 31. XII. 1951 zum Tode durch Erschießen verurteilt. Dieses Urteil wurde vom Militärgericht in Baden nach dem Artikel 58-6 und 58-14 ausgesprochen. Ich wurde seit 1950 von einem Funktionär der Sozialistischen Partei für Informationsbeschaffung herangezogen. Da ich seit 1947 Mitglied der S.P.Ö. bin und mir dauernd gesagt wurde, diese Auskünfte braucht die S.P.Ö., habe ich mich damit einverstanden erklärt. Dieser Funktionär, John Erich, ist aber Mitarbeiter des amerikanischen CIC und hat mich schändlich missbraucht, indem er mich als Agent der CIC verwendete, und Geld bezogen hatte, ohne aber mein Einverständnis zu haben. John wusste ganz genau, dass ich nur für die S.P.Ö. handle und niemals für meinen Klassengegner gearbeitet hätte. Das ich aber für die S.P.Ö. Aktionen durchführte, wird jeder politisch denkende Mensch verstehen und nicht als Verbrechen werten. Dass ich von John zu einer Provokation des russischen Volkes verleitet werden konnte, ist unsere Parteipresse und die schwache russische Gegenpropaganda schuld. Würde das österreichische Volk das russische so kennen wie ich es jetzt kennen lernte, so würde viel weniger Hass gegen Ihre Nation sein. Ich bitte nun den obersten Rat, meinen Fall zu prüfen und wenn möglich das Urteil in eine Arbeitsstrafe abzuändern. Mit dem besten Dank im Voraus Ihr ergebenster [Unterschrift]" 95 Zum Zeitpunkt dieses Gnadengesuches befand sich Stockhammers Mittelsmann zum CIC, Erich John, gleichfalls bereits in sowjetischer Haft - eventuell sogar auf Grund seines Hinweises. Schließlich existierte gerade in Wien ein ganzes Netz an „amerikanischen Agenten und Russenspitzel" 96 , für die sich die sowjetische Besatzungsmacht besonders interessierte. 97 John war Mitte Jänner 1952 gemeinsam mit weiteren „offiziellen Mitarbeitern des CIC" auf Grund seiner Tätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst in Österreich verhaftet worden. Das Militärtribunal des Truppenteils 28990 in Baden verurteilte ihn am 10. April 1952 nach Artikel 58-6 zur Höchststrafe (Tod durch

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Ebd., S. 149f. Amerikanischer Agent und Russenspitzel, in: Arbeiter-Zeitung, 18.4.1952, S. 6. Zu den US-Geheimdienstaktivitäten in Österreich vgl. u. a.: Siegfried Beer, Rund um den „Dritten Mann": Amerikanische Geheimdienste in Österreich 1945-1955, in: Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien - Köln - Weimar 2000, S. 73-100; Arnold Kopeczek, Die amerikanischen Waffenlager, die „Einsatzgruppe Olah" und die Staatspolizei im Kalten Krieg der fünfziger Jahre, in: Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien - Köln - Weimar 2000, S. 101-119; Ralph W. Brown III, A Cold War Army of Occupation? The Role of USFAin Quadripartite Occupied Vienna. 1945-1948, in: Alfred Ableitinger - Siegfried Beer - Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955. Wien - Köln - Graz, S. 349-361, hier: 359f.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Erschießen) mit Konfiszierung der bei der Festnahme abgenommenen Wertgegenstände. Wie auch bei Stockhammer wurde sein zwei Tage später vorgelegtes Gnadengesuch abgelehnt. Die Vollstreckung des Urteils erfolgte am 11. Juli 1952. Gemäß dem Gesetz der Russischen Föderation „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen" vom 18. Oktober 1991 rehabilitierte die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Russlands John am 5. Februar 2001.98 „Werwolf Sensibel reagierte die sowjetische Besatzungsmacht auch auf tatsächliche oder vermeintliche Zugehörigkeit zu „Werwolf'-Organisationen. Deren offizielles Programm beinhaltete neben antisowjetischer Propaganda u. a. die Teilnahme an Kampfhandlungen gegen die Rote Armee nach der Entlassung aus der Wehrmacht, Mithilfe an der Verzögerung des Kriegsendes, Waffenbesitz nach Kriegsende oder Sabotage hinter der sowjetischen Front. Insbesondere in der Steiermark spielte der Vorwurf von „Werwolf'-Tätigkeit unter der Bezeichnung „Diversion" und „Terrorismus" eine herausragende Rolle: Hier wurden beinahe 70 Prozent aller bisher österreichweit bekannten diesbezüglichen Verhaftungen vorgenommen. Zudem erfolgten mehr als zwei Drittel aller Verhaftungen in der - nur bis Juli 1945 sowjetisch besetzten - Steiermark auf der Grundlage von „Werwolf'-Zugehörigkeit. Insgesamt verurteilte die sowjetische Besatzungsmacht 122 Österreicher auf Grund dieses Deliktes, wovon drei hingerichtet, 75 repatriiert oder entlassen wurden und 33 verstarben. Bei elf Fällen ist das weitere Schicksal ungeklärt. Tab. 8: Verhaftungen wegen „ Werwolf"-Aktivitäten nach Bundesländern Bundesland

Anzahl

Prozent

Steiermark

85

69,7

Niederösterreich

34

27,9

Wien

2

1,6

Burgenland

1

0,8

122

100,0

Gesamt

Als steirisches Zentrum kristallisierte sich Admont bei Liezen heraus, wo vom 16. April bis 5. Mai 1945 ein eigener Kurs für „Werwölfe" abgehalten wurde. Hierbei handelte es sich um eine Ausbildung für das so genannte „Freikorps Adolf Hitler", das mit einem Befehl Hitlers am 28. März 1945 ins Leben gerufen worden war." Die Teilnehmer erhielten Gewehre und MGs, um im Rücken der Roten Armee „Diversions- und Terrorarbeit" durchzuführen, allerdings kam es nachweislich niemals zu einer der ge-

98 99

GARF, F. P-7523, op. 76, d. 95, S. 42-65; GVP, Rehabilitierungsbescheid 7uv-9886-52. Erich John. Moskau, 5.2.2001. „Ich verfüge die Aufstellung eines Freikorps .Adolf Hitler', das sich aus den Aktivisten der Bewegung, Freiwilligen des Volkssturms und Freiwilligen der Werkschar zusammensetzt. Jeder, der über

Sowjetische Strafjustiz in Österreich planten Aktionen. Nichtsdestotrotz erfolgte im Juni 1945 eine große Verhaftungswelle in den obersteirischen Orten Kapfenberg, Judenburg, Knittelfeld, Eisenerz, Fohnsdorf, Leoben, Niklasdorf, Thörl, Turnau und Aflenz, die ausschließlich Teilnehmer am genannten „Werwolf'-Kurs betraf. Das 91. Belgoroder Grenzregiment des NKVD verhaftete im Mur- und Mürztal vom 11. Mai bis 13. Juli 1945 39 dieser als „Diversanten oder Terroristen" bezeichneten Personen, davon 23 nach gezielten Hinweisen aus der Bevölkerung und Nachbarschaft. 100 Allein am 30. Mai 1945 nahm eine Abteilung des 17. Grenz-Regiments der NKVD-Truppen 16 Personen in Zivilkleidern fest, die - wie sich bei den Verhören herausstellen sollte - gleichfalls an den Spezialkursen in Admont zu Operationen im Hinterland der Roten Armee ausgebildet worden waren.101 Dies legt den Schluss nahe, dass die sowjetischen Organe - abgesehen von den Hinweisen aus der Bevölkerung - eine Teilnehmerliste gefunden haben, auf deren Basis sie die gezielten Festnahmen durchführten. Die Politabteilung des 17. Grenz-Regiments der NKVD-Truppen zum Schutz des Hinterlandes der 3. Ukrainischen Front führt außerdem in ihrem Tätigkeitsbericht vom 31. Juni 1945 die Festnahme von 32 „Volkssturm"-Angehörigen in Wildon an, die vom 1. April bis Anfang Mai 1945 an einem Kurs für „Diversionstätigkeit" im Hinterland der Roten Armee teilgenommen hatten. Bei ihrer Verhaftung wurden 29 Gewehre, Munition und zahlreiche Granaten vorgefunden. Gemäß dem Bericht bestand die Aufgabe der Verhafteten darin, „Brücken, Bahnkörper und wichtige Objekte zu sprengen; fahrende Autokolonnen und einzelne Soldaten der Roten Armee zu überfallen; Personen zu terrorisieren, die in der neuen österreichischen Regierung leitende Positionen einnehmen". 102 Unter den insgesamt 122 nachweislich wegen „Werwolf'-Zugehörigkeit verurteilten Österreichern befand sich der Arbeiter Egon R., der gemeinsam mit fünf weiteren Kapfenbergern im Juni 1945 festgenommen wurde. Am 13. August 1945 verurteilte ein Militärtribunal der 4. Garde-Armee alle sechs in einer geschlossenen Gerichtsverhandlung zu zehn Jahren Besserungsarbeitslager nach „Artikel 19-58-8 und 19-58-9 des Strafgesetzbuches der RSFSR und unter Berücksichtigung der Artikel 319 und 320 der Strafprozessordnung der RSFSR". 103 Als Begründung für die Strafe führt das Urteil folgenden Tatbestand an: „Die Verdächtigen H., R., Ν., Α., Ν., Μ. wurden im April des Jahres 1945 von Funktionären der nazistischen Partei zur Durchführung von Tätigkeiten Diversions- und terroristischen Charakters angeworben. Die Ausbildung erfolgte in der

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18 Jahre alt ist und sich freiwillig meldet, muss von der Partei, dem Volkssturm und den Betrieben freigegeben werden. Mit der Aufstellung dieses Freiwilligenkorps und seiner Führung beauftrage ich den Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Parteigenossen Ley." Zit. n.: Martin Moll, „Führer-Erlasse" 1939-1945. Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung. Stuttgart 1997, S. 488f. Vgl. dazu RGVA, F. 32903, op. 1, d. 25. RGVA, F. 32902, op. 1, d. 28, S. 246f. Vgl. dazu auch den Beitrag von Natal'ja Eliseeva, Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee, in diesem Band. RGVA, F. 32902, op. 1, d. 28, S. 247; Stefan Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert. PolitikWirtschaft - Gesellschaft - Kultur. Graz - Wien - Köln 2000, S. 320. RGVA, F. 461, Personalakt Nr. 172458, Egon R.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Diversions- und Terrorschule in Admont, Bezirk Liezen, Österreich, welche die Genannten vom 18. April bis 5. Mai 1945 besuchten. Nach Absolvierung der Diversions- und Terrorschule wurden sie mit Feuerwaffen (Schnellfeuergewehren, Maschinenpistolen) ausgestattet und in der Etappe der Roten Armee zur Durchführung von Diversions- und terroristischen Aufgaben eingesetzt. Beim Einmarsch der Roten Armee in der Stadt Kapfenberg im Mai 1945 wurden H., R., Ν., Α., Ν., Μ. in Gewahrsam genommen und als Angehörige einer Diversions- und terroristischen Formation entlarvt."104 R. kam zuletzt in das Gefängnis Verchne-Ural'sk, wo er schließlich 1953 amnestiert wurde. Wegen einer Krankheit konnte er nicht - wie geplant - mit dem 60. Heimkehrertransport am 14. Oktober 1953 in Wiener Neustadt eintreffen, sondern verblieb noch weitere acht Monate im Repatriierungslager Pot'ma II. Schließlich kam er mit dem 61. Heimkehrertransport nach Österreich zurück, wo er am 11. Juni 1954 „auf dem Bahnhof von einer großen Menschenmenge und von Kindern mit Blumen erwartet wurde, die ihm, als der Zug endlich einfuhr, einen außerordentlich herzlichen Empfang bereiteten. Vizebürgermeister Herbertz brachte den Heimkehrer, der 1945 wegen angeblicher Werwolftätigkeit denunziert und von der damaligen sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet worden war, in seine Wohnung. R. ist verheiratet und hat einen bereits 25-jährigen Sohn."105 Seine Rehabilitierung erfolgte am 23. September j 997 io6

Illegaler Waffenbesitz Besonders in den ersten drei Jahren der Besatzung kam es zu einer Reihe von Verhaftungen auf Grund von unerlaubtem Waffenbesitz, wobei persönliches Sicherheitsbedürfnis, antisowjetische politische Überzeugung oder die unklare Regelung bei Jagdwaffen die wichtigsten Gründe für die nicht erfolgte Waffenabgabe waren. Gerade im Zusammenhang mit diesem Delikt erfolgten immer wieder anonyme Anzeigen bei den sowjetischen Kommandanturen, die daraufhin Hausdurchsuchungen veranlassten. Ab 1948 nahm die Zahl der wegen Waffenbesitzes Festgenommenen stark ab, was einerseits darauf zurückzuführen ist, dass die Bevölkerung bereits vorsichtiger mit diesem Verbot umging, andererseits, dass von diesem Zeitpunkt an häufiger österreichischen Behörden die Ahndung von unerlaubtem Waffenbesitz übertragen wurde. Die Mehrheit der Verurteilungen wegen dieses Deliktes wurde ursprünglich auf der Basis der Artikel 58-2 (Aufstand, Aggression von Banden) und 58-14 (Gegenrevolutionäre Sabotage) des Strafgesetzbuches der RSFSR durchgeführt. Dies ist insofern bemerkenswert, als heute die Moskauer Hauptmilitärstaatsanwaltschaft in diesen Fällen häufig keine Rehabilitierung, sondern vielmehr eine Umwandlung der Strafe - nämlich nach Artikel 182-1 (Herstellung, Verwahrung, Kauf und Verkauf von explosiven Gegenständen oder Geschossen sowie von Feuerwaffen - außer für Jagdzwecke) - vornimmt. 104 Ebd. 105 Zwei Steirer aus der Gefangenschaft heimgekehrt, in: Süd-Ost-Tagespost, 12.6.1954. 106 GVP, Rehabilitierungsbescheid 5uv-11992-51. Egon R. Moskau, 23.9.1997.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Beispielsweise setzte das Oberste Gericht der Russischen Föderation die ursprüngliche nach Artikel 58-2 zu zehn Jahren ITL erfolgte Verurteilung von Karl R. in eine Strafe von fünf Jahren ITL auf der Basis des Artikels 182-1 herab. 107 Auch bei dem nach Artikel 58-14 zu zehn Jahren ITL verurteilten Leopold T., der verbotenerweise eine Pistole besessen hatte, wandelte das Oberste Gericht im Jänner 2000 sein Urteil in fünf Jahre Besserungsarbeitslager nach Artikel 182-1 um.108 Besonders großes Aufsehen rief die Festnahme des niederösterreichischen Landtagsabgeordneten Franz Gruber hervor, der wegen unerlaubten Waffenbesitzes nach Artikel 58-14 im September 1946 verurteilt und in die Sowjetunion verbracht wurde, wo er Anfang Jänner 1949 in Haft verstarb. Insbesondere die Arbeiter-Zeitung widmete sich dieser Verhaftung, die auch unter der Bevölkerung viel Unruhe hervorrief. Demgemäß sollen bei Gruber „ein oder zwei Revolver" gefunden worden sein, was „zwar verboten, aber angesichts der Sicherheitsverhältnisse in Niederösterreich sicherlich kein schwerwiegendes Delikt sei".109 Die Arbeiter-Zeitung warf zudem die Frage der Immunität des Abgeordneten auf110, worüber auch die Politische Verwaltung der Zentralen Gruppe der Streitkräfte im August 1946 intern berichtete. 1 " Laut diesem Bericht und gemäß den Untersuchungen des Militärtribunals soll bei Gruber allerdings ein richtiggehendes Waffenarsenal gefunden worden sein.112

Kriegsverbrechen und NS-Gewaltverbrechen Wenngleich Tatbestände wie Misshandlungen von sowjetischen Zwangsarbeitern während der NS-Zeit oder Verbrechen gegen die sowjetische Zivilbevölkerung weniger stark im kollektiven Gedächtnis als Verhaftungsgrund verankert sind als etwa Festnahmen wegen illegalen Waffenbesitzes oder Spionage, machten sie doch beinahe ein Viertel der Verurteilungsgründe aus: Von den 893 Zivilverurteilten, deren Verurteilungsgrund bis dato bekannt ist" 3 , wurden allein 91 wegen Vergehen an „Ostarbeitern" oder sowjetischen Kriegsgefangenen und 109 wegen primär auf dem Gebiet der Sowjetunion begangenen anderen Kriegsverbrechen festgenommen. 114 Dazu zählen auch die 50 ehemaligen Schutzpolizisten, die im Gebiet von Galizien Tötungen und Misshandlungen an Juden

107 VSRF, Bescheid ln-01812/p-52. Karl R. Moskau, 13.1.2000. 108 VSRF, Bescheid 1 n-02279/p-52. LeopoldT. Moskau, 13.1.2000. 109 Zit. n.: Herbert Killian, Im GULAG von Kolyma. Betroffene erzählen, in: Harald Knoll - Peter Ruggenthaler - Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Konflikte und Kriege im 20. Jahrhundert. Aspekte ihrer Folgen. Graz 2003, S. 7 3 - 9 0 , hier: 85. Zum Schicksal von Grubers Tochter, Helene Gruber, verehelichte Elena Bondarewa, die 1946 wegen Mitwisserschaft verhaftet wurde und erst 1960 mit ihren drei Kindern aus der Sowjetunion nach Österreich zurückkehrte, vgl. ebd., S. 85-89. 110 Vgl. etwa: Die Verhaftung des Abgeordneten Gruber, in: Arbeiter-Zeitung. 17.7.1946, S. 2. 111 RGASPI, F. 17, op. 128, d. 118, S. 216. Abgedruckt in: K a m e r - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 99. 112 RGASPI, F. 17, op. 128, d. 118, S. 216-218. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx-Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 99. 113 Vgl. dazu Tab. 7. 114 Marschall fasst vor Kriegsende gesetzte Delikte gegen Kriegsgefangene und „Fremdarbeiter" als „Verletzungen des Kriegsvölkerrechts" zusammen. Marschall, Volksgerichtsbarkeit, S. 76f.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx vorgenommen hatten." 5 Hier liegt ein bemerkenswerter Unterschied zu den verurteilten österreichischen Kriegsgefangenen in sowjetischer Hand vor, da diese in erster Linie wegen auf dem Gebiet der Sowjetunion begangener Kriegsverbrechen verurteilt wurden. Die überwiegende Mehrheit dieser Verbrechen wurde nach dem „Ukaz 43" vom 19. April 1943 geahndet, der bezeichnenderweise den Titel „Über Maßnahmen zur Bestrafung deutsch-faschistischer Übeltäter, die der Ermordung und Misshandlung der sowjetischen Zivilbevölkerung und der gefangenen Rotarmisten schuldig sind, sowie der Spione und Vaterlandsverräter unter den Sowjetbürgern und Helfershelfern" trägt." 6 Bemerkenswert ist, dass der „Ukaz 43" nur wenige Wochen nach dem sowjetischen Sieg in der Schlacht um Stalingrad entstand, als die Sowjetunion mit einer baldigen Rückeroberung der verloren gegangenen Gebiete und der Gefangennahme größerer Kontingente an Wehrmachtssoldaten sowie „abtrünnigen" Rotarmisten rechnen konnte.117 Dementsprechend bedroht das Dekret in Artikel 1 einerseits „deutsch-faschistische Übeltäter", die „Mordtaten und Misshandlungen an der sowjetischen Zivilbevölkerung und gefangenen Rotarmisten" begangen hatten, sowie andererseits „Spione und Vaterlandsverräter unter den Sowjetbürgern" mit dem Tod durch Erhängen. Da zwischen 1947 und 1950 in Übereinstimmung mit den Dekreten zur Abschaffung bzw. Wiedereinführung der Todesstrafe keine Hinrichtungen vollstreckt werden, wurde die Todesstrafe in dieser Zeit durch den Strang in 25 Jahre Freiheitsstrafe umgewandelt." 8 Als Beispiel für Festnahmen österreichischer Zivilisten wegen Kriegsverbrechen soll hier zunächst der Fall von Julius M., geboren 1896 im Bezirk Horn, dienen, den ein sowjetisches Militärtribunal am 10. Juli 1945 zum Tod durch Erschießen verurteilte.119 Die Begründung des Urteils lautete folgendermaßen: „Aus den Materialien der Voruntersuchung und der Gerichtsversammlung geht hervor, dass Julius M. 1935 freiwillig Mitglied der faschistischen Partei wurde und als eifriger Nazi - er übte seit 1938 die Funktion eines Parteiortsgruppenleiters und Kreisleiters aus - Propaganda für die nationalsozialistischen programmatischen Bestimmungen unter der örtlichen Bevölkerung betrieb und neue Mitglieder anwarb." 120 Nach diesem Verweis auf die nationalsozialistische Vergangenheit des Angeklagten erfolgt die Beschreibung des eigentlichen Tatbestandes: „M. hatte seine eigene Landwirtschaft, in welcher er sechs ausländische Arbeiter ausbeutete, darunter auch ein russisches Mädchen, die er bestia115 AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Hierbei wird von einer Zahl von 685 Zivil verurteilten ausgegangen, deren Verhaftungsgrund bekannt ist. 116 Günther Wagenlehner, Stalins Willkürjustiz gegen die deutschen Kriegsgefangenen. Dokumentation und Analyse. Bonn 1993, S. 44f. 117 Martin Lang, Stalins Strafjustiz gegen deutsche Soldaten. Die Massenprozesse gegen deutsche Kriegsgefangene in den Jahren 1949 und 1950. Herford 1981, S. 92; Andreas Hilger - Nikita Petrov - Günther Wagenlehner, Der „Ukas 43": Entstehung und Problematik des Dekrets des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 19. April 1943, in: Andreas Hilger - Ute Schmidt - Günther Wagenlehner (Hg.), Sowjetische Militärtribunale. Band 1: Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941— 1953. Köln 2001, S. 177-209. 118 Karner, Im Archipel GUPVI, S. 176. 119 Vgl. dazu auch Stelzl-Marx, Entnazifizierung in Österreich. 120 RGVA, F. 461, Personalakt Nr. 190236, Julius M„ S. 5.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich lisch misshandelte, dem Hunger aussetzte und wegen eines geringen Vergehens in ein Konzentrationslager schickte. Für den Kampf gegen die Rote Armee bildete M. eine Volkssturmeinheit, der 500 Mann angehörten, welche er selbst kommandierte. Die Einheit, die M. befehligte, war mit Gewehren, Panzerfäusten und Granaten bewaffnet. Durch seine Handlungen verübte der Angeklagte M. ein Verbrechen, das gemäß Artikel 1 des Ukaz des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR vom 9.4.1943, Artikel 1, geahndet wird." 121 Nur zwei Wochen nach seiner Verurteilung zum Tod beurteilte das sowjetische Militärtribunal der Zentralen Gruppe der Streitkräfte wegen M.s Berufung seine Schuld neu und wandelte die Strafe in 20 Jahre Zwangsarbeit gemäß des Artikels 2 des „Ukaz 43" um.122 M. kehrte im Juni 1955 nach Österreich zurück. 123 Seinen Antrag auf Rehabilitierung im Jahr 1998 lehnte die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation mit der Begründung ab, dass „Julius M. wegen der systematischen Misshandlung der bei ihm in der Landwirtschaft arbeitenden Fremdarbeiter rechtmäßig und gerechtfertigt verurteilt worden war". 124 Ein ähnlicher Tatbestand liegt auch bei Johann E. vor, den die 95. Schützen-Division wegen Vergehen an sowjetischen Kriegsgefangenen im Stalag XVII Β KremsGneixendorf 125 , dem größten Kriegsgefangenenlager der „Ostmark", am 27. Februar 1948 zu 25 Jahren ITL verurteilte: „Der Genannte ist laut Angabe der russischen Behörden verdächtigt, anlässlich seiner Tätigkeit als Kompanieführer im ehemaligen Kriegsgefangenenlager Gneixendorf (Stalag XVII B), während der NS-Herrschaft, unter Ausnutzung seiner dienstlichen Gewalt, russische Kriegsgefangene misshandelt und in ihrer Menschenwürde gekränkt zu haben. Der Genannte, der nach seinen eigenen Angaben seit 1938 der NSDAP als Mitglied angehörte, bestritt die ihm zur Last gelegten Verbrechen und behauptet, dass die Versetzung in das erwähnte Kriegsgefangenenlager strafweise erfolgt ist, sowie dass er die Kriegsgefangenen stets human behandelt hätte, ja bemüht war, ihre Lage zu verbessern. Am 25. Oktober 1947 wurde E. von sowjetischen Organen aus Krems abtransportiert." 126 E. kehrte im Juni 1955 mit dem 70. Heimkehrertransport nach Österreich zurück. 127 Dem Ansuchen auf Rehabilitierung wurde wegen nachgewiesen „grausamer Behandlung von Kriegsgefangenen" nicht stattgegeben. 128 121 122 123 124 125

Ebd. Ebd. AdBIK, Datenbank Zivil verurteilte. GVP, Rehabilitierungsbescheid 7 u v - 1 4 1 - 5 4 Julius M „ 2 9 . 1 0 . 1 9 9 8 . Zur Geschichte des Stalag XVII Β Krems-Gneixendorf vgl. Barbara Stelzl-Marx, Zwischen Fiktion und Zeitzeugenschaft. Amerikanische und sowjetische Kriegsgefangene im Stalag XVII Β KremsGneixendorf. Tübingen 2000; Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Unter den Verschollenen. Erinnerungen von Dmitrij Cirov an das Kriegsgefangenenlager Krems-Gneixendorf 1941 bis 1945. Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes. Bd. 43. Horn - Waidhofen/Thaya 2003; Hubert Speckner, In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark" 1939 bis 1945. Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 3. Wien - München 2003, S. 228ff.

126 Ö B M , Personalakte Johann E. 127 AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. 128 GVP, Rehabilitierungsbescheid 5uv-6188-48. Johann E. Moskau, 8.7.1998.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Gezielt gesucht wurden ehemalige Kommandeure des Kriegsgefangenenwesens, wie u. a. die Verhaftungen von Generalmajor Hugo Schäfer,129 dem ehemaligen Kommandeur für das Kriegsgefangenenwesen in den Wehrkreisen XXI und XVII, sowie Gustav Grachegg, dem ehemaligen Kommandeur für das Kriegsgefangenenwesen im Wehrkreis VII, zeigen. Ersteren verurteilte ein Militärtribunal im September 1945 zum Tod und vollstreckte das Urteil durch Erschießen zwei Monate später.130 Als offizielle Todesursache gab das sowjetische Außenministerium Anfang 1956 „Gehirnblutung" an.131 Auch bei Gustav Grachegg erscheint eine Verurteilung zum Tod als wahrscheinlich. Er gilt bis heute als abgängig.132 Schäfers Gattin, die selbst fünf Jahre nach seiner Hinrichtung nichts von seinem Schicksal wusste, schildert in einem Brief an den österreichischen Botschafter in Moskau seine Tätigkeit folgendermaßen: „Nach Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde er 1939 zur Kriegsdienstleistung einberufen und anfangs als Kommandeur des Kriegsgefangenenlagers Gneixendorf, später als Kommandeur der Kriegsgefangenen des Wehrkreises Posen und 1942 in gleicher Eigenschaft beim Wehrkreis XVII Wien verwendet. Nach seiner Erkrankung im April 1944 wurde er im Juni dieses Jahres aus dem Wehrmachtsdienst entlassen. [...] Hätte mein Mann sich auch nur das Geringste bezüglich der Behandlung von Kriegsgefangenen vorzuwerfen gehabt, so wäre er rechtzeitig nach dem Westen vor den russischen Truppen ausgewichen. [...] Ich selbst bin infolge der schweren Schicksalsschläge, die ich durch den Kriegertod meiner beiden Söhne und meines Schwiegersohnes, die Trennung von meinem Mann, des Verlustes der Wohnung und der gesamten Habe erlitten habe, geistig und körperlich schwer in Mitleidenschaft gezogen und dem Zusammenbruch nahe. Die qualvolle Ungewissheit, in der ich seit 5 Jahren mit meinen Töchtern lebe, ist kaum noch zu ertragen."133 Zum Zeitpunkt dieses Schreibens war Schäfer bereits fünf Jahre tot. Eindeutig wegen Kriegsverbrechen wurden mehr als 50 österreichische Polizisten festgenommen134, die wegen der Ermordung von sowjetischen Bürgern größtenteils jüdischer Nationalität in Galizien nach „Ukaz 43", Artikel 1, zu 25 Jahren Freiheitsentzug 129 Zu den Hintergründen s. folgendes Zitat: „Oberst Schäfer wurde in der Wehrmacht General. Er nahm ein tragisches Ende. Nach Kriegsende kehrte er nach Wien zurück, in Unkenntnis, dass er von den Russen auf Grund seiner Dienststellung als stellvertretender Kommandant eines Kriegsgefangenenlagers gesucht wurde. Er meldete sich vorschriftsmäßig bei den österreichischen Behörden und auch bei der russischen Kommandantura, was zunächst ohne Folgen blieb. Jedoch hatte sich ein österreichischer KPÖ-Funktionär in seiner Wohnung eingenistet, und als Schäfer diese zurückverlangte, denunzierte ihn der Funktionär bei den russischen Behörden. General Schäfer wurde nach dieser Meldung in die UdSSR verschleppt und dort erschossen." Zit. n.: Marcel Stein, Österreichs Generäle 1938-1945 im Deutschen Heer. Schwarz/Gelb - Rot/Weiß/Rot - Hakenkreuz. Bissendorf 2002, S. 94. Gesucht wurde offensichtlich auch Generalmajor Paul Ritter von Wittas, der gleichfalls Kommandeur des Stalag XVII Β Krems-Gneixendorf gewesen war. Im Gegensatz zu Schäfer erfuhr Wittas allerdings rechtzeitig, dass er von den Russen gesucht wurde, und konnte sich in die westlichen Besatzungszonen absetzen. Vgl. Stein, Österreichs Generäle, S. 101. 130 AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. 131 ÖBM, Personalakte Hugo Schäfer. 132 AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. 133 ÖBM, Personalakte Hugo Schäfer. 134 AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Tab. 9: Prozesse gegen österreichische Polizisten wegen Ermordung von Juden und sowjetischen Bürgern im Distrikt Galizien (Urteilsgrundlage: „ Ukaz 43") Anzahl Datum der Überstellung an sowjetische Behörden Verurteilt Tatort Strafmaß Freigelassen Repatriiert

18

3

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1

2

6

7

1

Aug. 47

47/48

Okt. 47

März 49

Mai 49

Juni 49

Nov. 50

Feb. 48

7

2.3.1949

10.6.1949 23.9.1949

27.9.1949

4.4.1951

3.10.1951

Tamopol

Boryslau

Stanislau, Drohobycz, Stryj Nadwoma

Stryj

25 J.

25 J.

25 J.

25 J.

25 J. (1)/ Tod(3)

Tod

0

0

0

0

0

3

0

12

9

1

2

6

2

29.4.1948 Drohobycz 25 J.

Drohobycz, Kolomea Boryslav 25 J.

50

3 32

Gestorben

5

2

1

0

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0

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Hingerichtet

0

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0

0

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In UdSSR verblieben

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Abgängig

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1

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0

0

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0

0

3

8 3

in GULAG-Besserungsarbeitslagern verbunden mit der Konfiskation des Vermögens verurteilt wurden. 135 Das Wiener Landesgericht hatte sie in der Zeit von 1947 bis 1950 wegen dieser im Bereich von Galizien, insbesondere in Drohobyc, Kolomea, Tarnopol, Boryslau und Stanislau begangenen Verbrechen den sowjetischen Behörden übergeben. Zwei von ihnen wurden hingerichtet, 33 meist Mitte der 1950er Jahre repatriiert, fünf verstarben in Haft. Als Begründung der Urteile heißt es beispielsweise im Falle des Polizisten Josef Gabriel: „Gabriel Josef, ein aktiver Nazi, verübte seit 1940 den Dienst im von Truppen okkupierten Polen in der Funktion eines Vertreters der Gestapo bei der Sicherheitspolizei. Im Juli 1941 kam Gabriel nach Drohobyc in die Abteilung der Sicherheitspolizei und des SD. Als Referent der jüdischen Abteilung übernahm Gabriel die Leitung von Massenrazzien von sowjetischen Bürgern jüdischer Nationalität. In der Periode von 1941 bis 1944 wurden unter der unmittelbaren Teilnahme von Gabriel und unter seiner Leitung in Drohobyc und in den Rayonen des Gebiets Zehntausende sowjetische Bürger erschossen, erhängt und in Lager transportiert. Gabriel nahm mehrmals persönlich an den Erschießungen der Zivilbevölkerung in Boryslau teil. Das gesamte gestohlene Vermögen und die Wertsachen wurden aus den Wohnungen der Verhafteten weggeführt und das von den Todgeweihten Beschlagnahmte wurde auf Anweisung Gabriels versandt." 136 Einige dieser ehemaligen Polizisten wurden in zwei Prozessen 135 Zu den Judenmorden in Galizien vgl. u. a.: W. Thomas Sandkühler, „Endlösung" in Galizien. Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1 9 4 1 - 1 9 4 4 . Bonn 1996. 136 RGVA, F. 4 6 1 , Personalakt Nr. 190400, Josef Gabriel. Der Fall Josef Gabriel wurde im Rahmen der am BIK verfassten Teilstudie „Strafrechtssystem und Gerichtspraxis in der Sowjetunion 1 9 4 1 - 1 9 5 6 " sowie des vom D Ö W durchgeführten FWF-Projektes „Die Nachkriegsgerichtsbarkeit als nicht-büro-

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx vor österreichischen Geschworenengerichten nach ihrer Rückkehr aus der Sowjetunion nochmals zu Haftstrafen verurteilt.137 In diesem Kontext sind auch die im Zusammenhang mit der „Mühlviertier Hasenjagd"138 vorgenommenen Verhaftungen zu sehen, wovon bisher zwölf Fälle genauer bekannt sind. Hierbei handelt es sich um Personen, die - wie etwa Felix S., Johann K. und Stefan H - aus Mauthausen flüchtige sowjetische KZ-Häftlinge erschossen hatten und anscheinend denunziert wurden. S. und H. „verstarben" bald nach ihrer Festnahme am 13. August 1945, was auf eine Hinrichtung durch sowjetische Organe schließen lässt.139 K. wurde zu 20 Jahren ITL verurteilt und verstarb am 28. Mai 1955 kurz vor seiner Entlassung an einem „Bluterguss in seiner rechten Gehirnhälfte".140 Keiner der zwölf Verurteilten kehrte in die Heimat zurück. Zu Prozessen gegen an der „Hätz" beteiligte Völkssturmangehörige und Zivilisten kam es in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch vor österreichischen Gerichten.141 Von besonderem Interesse ist der Fall mehrerer noch im Juni 1945 wegen ihrer „Werwolfzugehörigkeit" verhafteter Steirer, die zugleich an der Erschießung abgesprungener amerikanischer Flieger oder an Gräueltaten gegenüber ungarischen Juden beteiligt waren. Beispielsweise wurde der 1902 in Graz geborene August Fuchs wegen seiner „Werwolfaktivität" nach Artikel 58-8 des Strafgesetzbuches der RSFSR („Begehung terroristischer Handlungen gegen Vertreter der Sowjetmacht") zu 18 Jahren ITL verurteilt. Die Ermordung des amerikanischen Fliegers wurde durch das sowjetische Tribunal nicht eigens geahndet, obwohl dieser Tatbestand bekannt war.142 Dieser Tatbestand führte jedoch dazu, dass der nach seiner Repatriierung zunächst untergetauchte Fuchs von einem österreichischen Geschworenengericht im Jahr 1960 zu neun Jahren schweren Kerkers verurteilt wurde, wobei seine Strafe durch die Vorhaftzeit in der Sowjetunion von 1945 bis 1953 sowie die Untersuchungshaft in Österreich von 1959 bis 1960 bereits verbüßt war.143 Bemerkenswert erscheint auch, dass Fuchs im Jahr

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139 140 141

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kratische Form der Entnazifizierung: Österreichische Justizakten im europäischen Vergleich. Strafprozessualer Entstehungszusammenhang und Verwertungsmöglichkeiten für die historische Forschung" genauer behandelt. Am 26. Juli 1956 wurden Leopold Mitas zu lebenslanger Haft und Josef Poll zu 20 Jahren Haft verurteilt. Vier weitere Angeklagte wurden bei diesem Prozess freigesprochen. Vgl. LG Wien, 20a Vr 3333/56; Marschall, Volksgerichtsbarkeit, S. 158ff. Am 18. März 1959 wurde der oben erwähnte Josef Gabriel zu lebenslanger Haft verurteilt. LG Wien, 20 Vr 1077/57; Marschall, Volksgerichtsbarkeit, S. 163f. Zur Geschichte der „Mühlviertler Hasenjagd", bei der etwa 500 aus dem Konzentrationslager Mauthausen im Jänner 1945 geflüchtete sowjetische Häftlinge (ehemalige Kriegsgefangene) von SS, Gendarmerie und u. a. der Zivilbevölkerung gesucht und bis auf 17 oder 19 alle Geflüchteten wieder ergriffen und ermordet wurden, vgl. u. a.: Hans Marsälek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Wien 1995, S. 263ff. Fritz Fellner, Das Mühlviertel 1945. Eine Chronik Tag für Tag. Grünbach 1995, S. 260. AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Winfried R. Garscha, Mauthausen und die Justiz (II). Zur Ahndung von Morden und Misshandlungen außerhalb des KZ Mauthausen sowie von Verbrechen in KZ-Nebenlagern durch österreichische Gerichte, in: Justiz und Erinnerung. 2002/6, S. 12-18. RGVA, F. 461, Personalakt Nr. 172372, August Fuchs, S. 25. LG Graz, 7 Vr 2257/59; Marschall, Volksgerichtsbarkeit, S. 186f.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich 1997 von der Russischen Hauptmilitärstaatsanwaltschaft rehabilitiert wurde. Die Verurteilung auf Grund seiner „Werwolf'-Zugehörigkeit galt nun nicht mehr als rechtmäßig, wobei die Beteiligung am „Fliegermord" wiederum außer Acht gelassen wurde.' 44

„Verbrechen gegen die Besatzungsmacht" Unter „Verbrechen gegen die Besatzungsmacht" fasste das österreichische Innenministerium unterschiedliche Vergehen zusammen, die sich - im weitesten Sinne - gegen sowjetische Organe im Nachkriegsösterreich richteten und eine Festnahme nach sich zogen. Ausschank von gesundheitsschädlichem Alkohol zählt hier ebenso dazu wie Raufhandel mit Angehörigen der Roten Armee oder Unfälle, die zum Tod von sowjetischen Soldaten führten. All diese Delikte nahmen mit fortschreitender Dauer der Besatzung immer mehr ab und kamen ab 1950 kaum mehr vor. Als Beispiel soll hier zunächst ein von Robert R. und Johann B. am 4. Dezember 1947 in Wiener Neudorf verursachter Autounfall dienen, in den ein sowjetischer Pkw verwickelt war. Während die beiden Österreicher unverletzt blieben, wurden die sowjetischen Insassen - darunter angeblich der Stadtkommandant von Wien - verletzt. Der Lenker des Wagens, Johann B., meldete den Vorfall der österreichischen Polizei und wurde daraufhin den sowjetischen Behörden übergeben. Am 7. Jänner 1948 verurteilte ihn das Militärtribunal der Zentralen Gruppe der Streitkräfte nach Artikel 59-3 des Strafgesetzbuches der RSFSR für die „Verletzung der Arbeitsdisziplin (Verletzung der Verkehrsregeln)" zu drei Jahren ITL.145 B. kehrte jedoch erst im Dezember 1956 zurück, fünf Jahre nach der Verbüßung seiner ursprünglichen Strafe. 146 Seinen Beifahrer, der zunächst am Unfallort verblieben war, nahmen sowjetische Organe gleich an Ort und Stelle fest und brachten ihn auf die Kommandantur. Als R. am 11. Dezember 1947 aus der Kommandantur zu flüchten versuchte, warf er sich auf den sowjetischen Wachposten und schlug diesem mit einer Flasche auf den Kopf. Das Militärtribunal der Zentralen Gruppe der Streitkräfte verurteilte ihn daraufhin am 31. Dezember 1947 nach Artikel 58-8 zu 15 Jahren ITL. R.s Rehabilitierungsantrag wurde 1997 mit der Begründung abgelehnt, dass seine Verurteilung rechtmäßig erfolgt sei.147 Als Folge mehrerer Zugsunglücke, die bei sowjetischen Besatzungssoldaten zu Verletzungen oder sogar zum Tod führten, wurde eine Reihe österreichischer Eisenbahner verhaftet und verurteilt. Eines der schwerwiegendsten Unglücke ereignete sich am 22. November 1945 auf der Mühlkreisbahn beim Gasthaus Saurüssel, wo infolge zu großer Geschwindigkeit ein Güterzug mit 16 schwer beladenen Güterwaggons entgleiste und über eine mehr als vier Meter hohe Böschung in den Saurüsselgraben stürzte. Von den auf dem verunglückten Zug mitfahrenden 40 sowjetischen Besatzungssoldaten wurden acht getötet, zwei schwer und acht leicht verletzt. Der 57-jährige Zugsführer Josef Mistelbacher aus Urfahr und der 62-jährige Lokomotivführer Josef Klein aus Linz 144 145 146 147

GVP, Rehabilitierungsbescheid 5uv-30542-53 August Fuchs. GVP, Rehabilitierungsbescheid 5uv-835-97. Johann B. Moskau, 9.9.1997. ÖBM, Personalakte Johann B. GVP, Rehabilitierungsbescheid 41-N. Robert R. Kaliningrad, 19.8.1997.

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Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx wurden daraufhin verhaftet und nach Artikel 59-3-c des StGB der RSFSR zu sieben bzw. zehn Jahren Lagerhaft verurteilt. Mistelbacher kehrte 1953 aus der Sowjetunion zurück; Klein verstarb in Haft. Während das sowjetische Militärtribunal dem österreichischen Zugspersonal die alleinige Schuld anlastete, pochten österreichische Einrichtungen auf die Unschuld der Festgenommenen und forderten die Begnadigung der „beiden unglücklichen Eisenbahner". Gemäß zeitgenössischen Artikeln in der „Arbeiter-Zeitung" hatten Mistelbacher und Klein wegen der Überbelastung des Zuges und des großen Gefälles von Gerling bis Rottenegg noch einige Waggons abkuppeln wollen. Dies hatte aber das sowjetische Begleitpersonal nicht zugelassen, sondern statt dessen das Zugspersonal gezwungen, den gesamten Transport ohne Zurücklassung von Waggons nach Rottenegg zu fahren. Nachdem das Unglück geschehen war, deklarierte man den Fall als Sabotageakt, weswegen Mistelbacher und Klein auch nach Artikel 59-3-c148 verurteilt wurden.149 Ebenfalls auf Grund eines Zugunglücks wurde der 1895 geborene Josef Krumm am 31. Dezember 1947 nach Artikel 58-9150 zu 20 Jahren ITL verurteilt. Das sowjetische Militärtribunal in Wien warf ihm vor, am 29. April 1947 als Diensthabender an der Eisenbahnstation „Wien-Nord" einen mit Kohle beladenen Güterzug abfahren gelassen zu haben, ohne sich vergewissert zu haben, ob die Strecke frei sei. Daraufhin kam es am Bahnhof „Hauptzollamt" zu einem Zusammenstoß mit einem Militärzug, wobei sechs Rotarmisten schwere Körperverletzungen davontrugen und sieben Pionierautos vernichtet wurden. Der materielle Schaden belief sich auf 180.252 Rubel. Im Rahmen des 1998 durchgeführten Rehabilitierungsverfahrens erfolgte eine Umwandlung des Urteils von Artikel 58-9 des StGB der RSFSR in Artikel 59-3c, wodurch das Strafausmaß nachträglich von 20 auf zehn Jahre ITL reduziert wurde.'51 Mit einer Verurteilung endete auch der Verkauf von Alkohol und Spiritus an sowjetische Besatzungssoldaten im Herbst 1945, die infolge des Konsums verstarben. Als

148 Artikel 59-3-c des StGB der RSFSR: „Verletzung der Arbeitsdisziplin von Bediensteten im Verkehrswesen (Verletzung von Verkehrsregeln, mangelhafte Reparatur von Verkehrsmitteln usw.) wenn diese Verletzung eine Beschädigung oder eine Zerstörung des Verkehrsmittels, des Verkehrsweges und von Einrichtungen oder Unfälle mit Personenschaden, eine nicht rechtzeitige Abfahrt von Zügen und Schiffen, eine Häufung am Entladeort von Leerfuhren, leeren Waggons und Schiffen und andere Handlungen, die eine Nichterfüllung der von der Regierung festgelegten Transportpläne oder eine Bedrohung für einen gesetzmäßigen und gefahrlosen Verkehr nach sich gezogen hat oder hätte ziehen können, zieht nach sich: Freiheitsentzug mit einer Frist bis zu zehn Jahren." 149 AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte; Johann Blöchl, Der Vater des Mühlviertels. Linz o. J., S. 155f.; Die Begnadigung der beiden Eisenbahner abgelehnt?, in: Arbeiter-Zeitung, 14.5.1945, S. 2; Warum? Die Begnadigung der beiden Eisenbahner vom russischen Hochkommissar abgelehnt, in: ArbeiterZeitung, 15.5.1948, S. 2; Für die Aufhebung der alliierten Militärgerichte, in: Arbeiter-Zeitung, 23.5.1948, S. 1. 150 Artikel 58-9 des StGB der RSFSR: „58-9: Zerstörung oder Beschädigung mit konterrevolutionärem Ziel durch Explosion, Brandlegung oder andere Arten von Eisenbahn- oder anderen Verbindungsmittel, Mitteln der Volkskommunikation, von Wasserleitungen, öffentlichen Lagern und anderem Einrichtungen oder von staatlichem oder öffentlichem Eigentum zieht nach sich: Die in Artikel 58-2 dieses Gesetzbuches bezeichneten Maßnahmen des sozialen Schutzes." 151 AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte; GVP, Rehabilitierungsbescheid 778. Josef Krumm. Kaliningrad, 7.5.1998; Killian, Im GULAG von Kolyma, hier: S. 74.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Tatbestand gab das Bundeskanzleramt für auswärtige Angelegenheiten der Österreichischen Botschaft in Moskau bekannt, „dass K. an mehrere Angehörige der sowjetischen Besatzungsmacht auf deren ausdrückliches Verlangen Schnaps und Spiritus verkauft hat. Im September 1945 sind infolge des Genusses von Spiritus zwei russische Soldaten an Alkoholvergiftung verstorben und ein 3. vorübergehend erblindet. Da nun K. kurz vorher mehrere Liter Spiritus, der mit Methylalkohol vermischt gewesen sein soll, an die betreffenden Soldaten verkauft hatte, wurde er von der Besatzungsmacht für den Tod der beiden Soldaten verantwortlich gemacht." 152 Die Österreichische Botschaft in Moskau konnte daraufhin in Erfahrung bringen, dass K. „wegen Verbrechens gegen die sowjetischen Besatzungstruppen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt [wurde], die er in der UdSSR verbüßt".153 Wie sich später zeigen sollte, war K. bereits im April 1946 an Blinddarmdurchbruch verstorben.154

„Hitlerverwandtschaft" Abschließend sei noch auf jene Personen hingewiesen, die nur deshalb verhaftet wurden, weil sie mit Hitler verwandt waren. Wie bereits erwähnt, gehören diese Personen zu den insgesamt zehn Österreichern, deren Verurteilung bisher nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 nachgewiesen werden konnte. Unter ihnen befand sich Otto H., geboren 1889 im Mühlviertel, der am 24. Mai 1945 in Wien „von sowjetischen Organen in Zivilkleidung aus seiner Wohnung angeblich zu einer Auskunftserteilung bei der sowjetischen Kommandantur abgeholt" 155 wurde. Als Begründung für die Verhaftung und Verschleppung bezieht sich das Bundeskanzleramt für auswärtige Angelegenheiten in einem Brief an die Österreichische Botschaft in Moskau auf Otto H.s Beziehung zu Hitlers Verwandtschaft: „Otto H. wurde vorgehalten, er sei der Geliebte der Schwester Adolf Hitlers, Paula Hitler, gewesen. Tatsächlich kannte H. Paula Hitler seit ca. 40 Jahren persönlich, da diese ebenfalls aus P. stammte und die Jugendfreundin seiner Schwester war."156 Otto H. wurde im Dezember 1945 nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er kehrte im Juni 1955 mit dem 70. Transport nach Österreich zurück.157 Ein ähnliches Schicksal erlitten die Familien Schmidt aus Spital bei Weitra sowie Maria und Ignaz Koppensteiner aus Langfeld, Cousins von Adolf Hitler.158 Maria Kop152 153 154 155 156 157 158

ÖBM, Personalakt Josef K. Ebd. Ebd. ÖBM, Personalakt Otto H. Ebd. AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte, Otto H. Das Schicksal dieser „Hitler-Verwandten" wurde ausführlich beschrieben von: Wilhelm Romeder, Das Jahr 1945 in Weitra und Umgebung. Ereignisse. Erlebnisse. Schicksale. Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes. Bd. 39. Horn - Waidhofen/Thaya 1996, S. 61-70; Wilhelm Romeder, Das Jahr 1945 in Weitra und Umgebung. Ereignisse. Erlebnisse. Schicksale. Mit einem ausführlichen Beitrag über die Hitler-Verwandten. 2., erweiterte Aufl. Horn 2003, S. 99-128; Karin Pöpperl, Das Russlandbild in Weitra heute. Unter Berücksichtigung der Besatzungszeit 1945-1955 und der Propaganda der Kriegs- und Nachkriegszeit. Phil. DA. Wien 2003, S. 22-24. Herrn Dir. Wilhelm Romeder sei für die Bereitstellung von Unterlagen zu diesem Thema sehr herzlich gedankt.

312

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx pensteiner wurde als „deutschfaschistische Verbrecherin" wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu 25 Jahren Haft verurteilt. Im Beschluss hieß es dazu: „Gerichtliche Untersuchungen haben festgestellt, dass Maria Koppensteiner, Verwandte des Reichskanzlers A. Hitler, dessen gegen die Sowjetunion gerichteten Pläne guthieß." 159 Einige Zeit später wurde die Anklage in „Ausbeutung russischer Gefangener" abgeändert, obwohl keinerlei Hinweise auf den Einsatz sowjetischer Kriegsgefangener oder Zivilarbeiter am Bauernhof der Koppensteiners vorlagen. Maria Koppensteiner verstarb am 6. August 1953 an „dekompensiertem Herzschlag". Ihr Mann Ignaz hatte bereits am 5. Juli 1949 sein Leben wegen TBC und Versagens der Herzgefäße verloren. Ihre einzige „Schuld" bestand, wie Wilhelm Romeder betont, darin, dass sie mit Hitler verwandt waren.160

Entlassung und Repatriierung österreichischer Zivilverurteilter Wie bereits erwähnt, gestaltete sich das Schicksal nach einer Verhaftung durch sowjetische Behörden äußerst unterschiedlich. Nicht alle hatten das Glück, überhaupt wieder nach Hause zurückkehren zu können, bei anderen dauerte es bis zur Repatriierung mehr als zehn Jahre. Selbst eine Entlassung bedeutete mitunter noch keine Heimkehr. Ein Beispiel dafür ist der bereits erwähnte Fall von Herbert Killian, der nach Abbüße der Strafe noch drei Jahre als „Freier" auf der Kolyma bleiben musste und erst nach Stalins Tod 1953 nach Österreich zurückkehren konnte.161 Wie ein erst kürzlich zugänglich gemachtes Dokument aus dem ehemaligen Parteiarchiv in Moskau zeigt, beschäftigte man sich auf höchster Ebene mit diesen Fällen: Am 20. Dezember 1951 sandte der stellvertretende sowjetische Außenminister, Andrej Gromyko, einen geheimen Bericht an Außenminister Vjaceslav Molotov: Leopold Figl hatte im Oktober 1951 die Bitte geäußert, die Repatriierung von jenen 13 Österreichern zu beschleunigen, die ihre Haftstrafe bereits verbüßt hatten, sich jedoch nach wie vor in der Sowjetunion befanden, darunter Herbert Killian. Hochkommissar General-Leutnant Vladimir Sviridov und Koptelov schlugen die Repatriierung dieser Personen nach Österreich vor, um eine „gegenüber der Sowjetunion feindliche Propaganda" zu vermeiden. Bemerkenswert ist dabei, dass „die Instanz [gemeint ist Stalin] dem MID und MGB der UdSSR den Auftrag erteilte, diese Frage zusätzlich zu analysieren und insbesondere entsprechende Tätigkeiten mit den genannten Personen zu deren möglicher Verwendung durchzuführen. Im Falle ihrer offen feindlichen Einstellung gegenüber der Sowjetunion wäre die Frage zu klären, ob eine Ausreise dieser Personen nach Österreich zielführend wäre und den Interessen der UdSSR keinen Schaden zuführen würde." Zum Zeitpunkt des Schreibens Gromykos war das Ministerium für Staatssicherheit „mit dieser Sache noch beschäftigt und hatte seine Vorschläge noch nicht unterbreitet". 162 Herbert Killian

159 160 161 162

Zit. n.: Romeder, Das Jahr 1945 in Weitra, S. 71. Ebd. Vgl. Stelzl-Marx, Kolyma, S. 156f. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1118, S. 8f.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Tab. 10: Entlassung bzw. Repatriierung der verurteilten österreichischen Zivilisten in sowjetischer Haft 1945 bis 1956 (Basis: Angaben in 898 Fällen) Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte.

Jahr

Anzahl

1945

55

1946

24

1947

1

1948

17

1949

37

1950

12

1951

1

1952

15

1953

237

1954

24

1955

422

1956 Gesamt

53 898

wurde zum MVD in Magadan zitiert, wo ihm angeboten wurde, dass er sofort „auf Urlaub" nach Wien fahren könne, wenn er die sowjetische Staatsbürgerschaft annehmen würde, oder dass er umgehend repatriiert werden würde, wenn er bereit wäre, in Österreich als Spion zu arbeiten. Da Killian beides ablehnte, wurde seine Rückkehr somit offensichtlich als „nicht zielführend" angesehen. Er blieb bis Oktober 1953 „in Freiheit gefangen".' 63 Mindestens neun Personen wurden nach ihrer Entlassung aus sowjetischer Haft zwischen 1953 und 1955 nochmals in Österreich vor Gericht gestellt. In acht dieser Fälle war der Grund der Anklage die Ermordung von Juden während der NS-Zeit, insbesondere im Rahmen des vorab geschilderten „Poleneinsatzes" der Wiener Polizei. Mit Ausnahme von Fuchs, den das sowjetische Gericht wegen „Werwolf'-Zugehörigkeit und nicht wegen der Ermordung des US-amerikanischen Fliegers verurteilt hatte, waren gegen alle bereits vor 1955 Verfahren der österreichischen Justiz eingeleitet worden, die jedoch auf Grund der Auslieferung an die sowjetische Besatzungsmacht vorerst nicht weiterverfolgt worden waren. Erst nach ihrer Rückkehr aus der Sowjetunion wurden diese Verfahren wiederaufgenommen, die zum Teil auch zu einer neuerlichen Verurteilung - diesmal durch die österreichische Justiz - führten. Die in der UdSSR verbüßte Strafe wurde dabei jedoch angerechnet. Die Sowjetunion amnestierte aber auch einige der österreichischen Zivilverurteilten und repatriierte sie noch vor verbüßter Haft in die Heimat: Im April 1948 schlug der sowjetische Hochkommissar in Österreich, General Vladimir Kurasov, eine Amnestie einer Gruppe von zivilverurteilten Österreichern vor, da „der Tatbestand der in dieser Zeit verübten Verbrechen mittlerweile keine in politischer Hinsicht relevante Bedeutung mehr besitzt, sondern, ganz im Gegenteil, österreichischen wie auch amerikanischen

163 Herbert Killian, Als „Krimineller" in Sibirien, in: Offizielles Jahrbuch des Unterstützungsinstitutes der Bundessicherheitswache 1999. Wien 1999, S. 2 7 9 - 2 9 2 ; Stelzl-Marx, Kolyma, S. 156f.

313

314

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx und englischen reaktionären Kreisen die Möglichkeit einer Negativpropaganda gegen den Sowjetischen Teil" der Alliierten Kommission böte.164 Am 29. Juni 1948 beschloss das Politbüro des ZK der VKP(b), einer Amnestie von 49 österreichischen Staatsbürgern zuzustimmen, die wegen „allgemeiner Verbrechen" - Diebstahl, Rowdytum, Verursachen von Autounfällen oder unerlaubter Waffenbesitz - von sowjetischen Militärtribunalen in Österreich verurteilt worden waren. Das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR prüfte nochmals alle Fälle und stimmte daraufhin am 15. Dezember 1948 der Amnestie von insgesamt 33 dieser Zivilverurteilten zu. Auch dem sowjetischen Außenministerium war die negative Wirkung von Verhaftungen auf die Einstellung der österreichischen Bevölkerung gegenüber der Besatzungsmacht und vor allem die diesbezügliche Berichterstattung in der österreichischen Presse nicht verborgen geblieben: „Es steht außer Zweifel, dass die Verhaftungen österreichischer Bürger auf Grund unbedeutender und wenig stichhaltiger Verbrechen unserer Politik in Österreich Schaden zufügen" 165 , meinte dazu der Leiter der 3. Europäischen Abteilung des MID, Andrej Smirnov, im Dezember 1948. Stalin wurde in diesem Zusammenhang darüber informiert, dass insgesamt 500 österreichische Bürger seit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Österreich von Militärtribunalen verurteilt worden waren, 200 davon wegen der genannten allgemeinen Vergehen, die nicht gegen die Sowjetunion oder die sowjetischen Truppen gerichtet waren.166 Viktor Abakumov 167 schlug am 18. April 1949 Molotov vor, den Beschluss des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 15. Dezember 1948 nicht auszuführen. Abakumov befürchtete, dass „reaktionäre Kreise Österreichs versuchen würden, die befreiten Österreicher für verleumderische antisowjetische Propaganda über sowjetische Lager zu verwenden". 168 Trotz dieser Einwände verfügte der neue sowjetische Außenminister, Andrej Vysinskij, im Mai 1949 die Amnestie der genannten 33, in einem Lemberger Gefängnis festgehaltenen Österreicher. Schließlich repatriiere die Sowjetunion, so Vysinskij, „massenweise" Kriegsgefangene und Internierte nach Deutschland und Österreich.169 Die Rückkehr der Amnestierten würde dem Ansehen der UdSSR keinen Schaden zufügen, ganz im Gegenteil. Am 28. Juni 1949 traf als Folge dieser nun doch durchgeführten Am-

164 AVPRF, F. 066, op. 29, p. 137, d. 15, S. 103. Abgedruckt in: Karner-Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 108. 165 AVP RF, F. 066, op. 29, p. 137, d. 15, S. 102. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 108. Vgl. dazu weiters: AVP RF, F. 066, op. 29, p. 137, d. 15, S. 103-112. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 108. 166 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1071, Politbürobeschluss Nr. Ρ 64 (95) des ZK d. VKP(b) v. 29.6.1948. Beschluss der Amnestie von 49 verurteilten Österreichern. RGASPI, F. 17, op. 163, d. 1513, S. 34f. Vorschlag Molotovs an Stalin, die 49 Österreicher zu amnestieren Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 107. 167 Viktor Abakumov: 18.5.1946-4.7.1951 Mitglied der Kommission des Politbüros des ZK VKP(b) für Gerichtsfälle. Vgl. dazu: Ν. V. Petrov - Κ. V. Skorkin, Kto rukovodil N K V D 1934-1941. Spravocnik. Moskau 1999, S. 80. 168 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1118, S. 1. 169 Ebd.

Sowjetische

Tab. 11: Die offiziellen 1953 bis

österreichischen

Heimkehrertransporte

Strafjustiz

aus der

in

Osterreich

Sowjetunion

1956 Die offiziellen österreichischen Heimkehrertransporte der Jahre 1953-1956

Repatriierungsdatum 14.10.1953 Jahr 1954

Transportnummer 60 61-64

Charakteristik des Transports Größter Transport seit Jänner 1950

Zivilisten

Kriegsgefangene

210

420

Kleintransporte mit Zivilisten und verurteilten Kriegsgefangenen

11

12

55

0

4

0

28.12.1954

65

„Volksdeutsche"

03.02.1955

66

Kleintransport mit kranken Zivilisten

29.04.1955

67

Erster Transport nach dem Staatsvertrag; Zivilisten

04.06.1955

68

Großtransport mit verurteilten Kriegsgefangenen

15

0

0

250

20.06.1955

69

25.06.1955

70

Zivilisten, verurteilte Kriegsgefangene

142

42

Masse der Zivilisten, „Prominenz", einige verurteilte Kriegsgefangene

180

6

08.07.1955

71

Zivilisten, die nach Haftende in der UdSSR zwangsangesiedelt worden waren

16

0

21.07.1955

72

„Völksdeutsche" Kriegsgefangene und Zivilisten

25

1

06.08.1955

73

Nichtamnestierte

70

3

01.09.1955

74

Kleintransport mit Zivilisten und verurteilten Kriegsgefangenen

7

2

16.11.1955

75

Ohne offizielle Begrüßung den österreichischen Behörden übergeben. Hauptsächlich wegen Kriegsverbrechen Verurteilte, u. a. Polizisten in Galizien

48

2

18.12.1955

76

Kleintransport mit Zivilisten und verurteilten Kriegsgefangenen

3

14

25.04.1956

77

Kleintransport mit Zivilisten und verurteilten Kriegsgefangenen

4

3

23.12.1956

78

Kleintransport mit Zivilisten; viele NichtÖsterreicher

19

0

809

755

Gesamt Quelle: BMI, Heimkehrerlisten.

nestie e i n Transport mit 3 0 ö s t e r r e i c h i s c h e n Zivilverurteilten in W i e n ein. Z w e i w e i t e r e Österreicher w u r d e n a m 4. A u g u s t 1 9 4 9 mit d e m 4 7 . Heimkehrertransport repatriiert. I n s g e s a m t w u r d e n 7 8 o f f i z i e l l e „Heimkehrertransporte" mit rund 6 5 . 0 0 0 befreiten ö s t e r r e i c h i s c h e n K r i e g s g e f a n g e n e n und Z i v i l verurteilten in der Zeit v o n 1 9 4 7 bis 1 9 5 6 z u s a m m e n g e s t e l l t . 1 7 0 D e r 6 0 . Transport - der erste g r o ß e H e i m k e h r e r z u g mit verurteilten Z i v i l i s t e n - traf erst a m 14. O k t o b e r 1 9 5 3 , m e h r als e i n h a l b e s Jahr nach Stalins Tod, in W i e n e r N e u s t a d t ein. A u f f a l l e n d für d i e ab 1 9 5 3 durchgeführten Transporte (Nr. 6 0 bis 170 BMI, Heimkehrerlisten. Zur Repatriierung der österreichischen Kriegsgefangenen aus der UdSSR vgl. Karner, Im Archipel GUPVI, S. 187-201.

316

Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx Tab. 12: Ankunftsbahnhöfe der offiziellen österreichischen Heimkehrertransporte aus der Sowjetunion 1953 bis 1956 Quelle: BMI, Heimkehrerlisten.

Transportnummer

Bahnhof

60-70

Wiener Neustadt

nur 64

Wien, Ostbahnhof

71-75

Bad Vöslau

76

Salzburg

77

Rattersdorf im Burgenland

78

Wien, Ostbahnhof

78) ist, dass die einzelnen Züge jeweils bestimmte Gefangenenkategorien - etwa „kranke Zivilisten" oder wegen Kriegsverbrechen Verurteilte - umfassten. Besonders große Aufmerksamkeit zog der 70. Transport auf sich, mit dem Prominente wie Margarethe Ottiiiinger, Anton Marek oder der ehemalige stellvertretende Gauleiter von Wien, Karl Scharitzer, nach Österreich zurückkehrten. Alle offiziellen Transporte - mit Ausnahme des 73. (Nichtamnestierte) und 75. (wegen Kriegsverbrechen Verurteilte)171 - wurden mit Musik und Blumen auf den österreichischen Bahnhöfen empfangen, worüber die Zeitungen meist auch schon im Vorfeld ausführlich berichteten. Die Heimkehrertransporte kamen bis zum 25. Juni 1955 in der österreichischen „Heimkehrerstadt" Wiener Neustadt an, wo heute noch ein Denkmal an das oft rührende Wiedersehen mit Verwandten und Freunden erinnert. Danach wurden nur mehr kleine Transporte nach Österreich geführt. Die Übergabe an die österreichischen Behörden wurde nunmehr über den Bahnhof Bad Vöslau abgewickelt. Der letzte reguläre Heimkehrerzug traf unmittelbar vor Weihnachten 1956 in Österreich ein. Rehabilitierung österreichischer Verurteilter Im November 1996 vereinbarten der damalige Außenminister der Russischen Föderation, Evgenij Primakov, und der Außenminister der Republik Österreich, Wolfgang Schüssel, die Rehabilitierung von in der Sowjetunion zu Unrecht verurteilten österreichischen Zivilisten und Kriegsgefangenen. Zum ersten Mal erkannte Russland damit offiziell Unrechtsurteile gegenüber Österreichern (Emigranten, Schutzbündlern, Kommunisten, Kriegsgefangenen und Verschleppten) aus der Zeit zwischen 1930 und 1955 an. Über 800 Österreicher und Österreicherinnen, darunter 585 Zivilverurteilte, suchten im Rahmen des bilateralen Projektes über das BIK um die Aufhebung ihrer seinerzeitigen Urteile an, wovon die Mehrheit auch positiv erledigt werden konnte. Von österreichischer Seite führte dieses bilaterale Projekt das österreichische Außenministerium, Sektion IV, und die Österreichische Botschaft in Moskau in 171 Unter dem Titel „73 kehrten aus Schweigelagern heim" berichtete die Kleine Zeitung am 7. August 1955 über den Transport Nr. 73: „Ohne Musik, ohne Blumen, ohne das übliche Bild freudig erregter Menschen auf dem Bahnsteig, lief heute früh ein sowjetischer Urlauberzug mit 73 Russland-Heimkehrern in Vöslau ein. Die 73 kommen aus Schweigelagern, ihre angeblichen Verbrechen galten den Russen für so schwer, dass sie nicht wie die anderen in der Sowjetunion amnestiert wurden, sondern unter Bewachung die Reise antreten mussten, um auf österreichischem Boden unserer Gendarmerie übergeben zu werden." 73 kehrten aus Schweigelagern heim, in: Kleine Zeitung, 7.8.1955.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Tab. 13: Ergebnisse der bisherigen Rehabilitierungsverfahren verurteilter (Basis: Angaben in 585 Verfahren) Ergebnis der Rehabilitierungsverfahren Rehabilitiert

österreichischer

Anzahl 440

Zivil-

Prozent 75,2

Umwandlung des ursprünglichen Urteils

24

4,1

Nicht rehabilitiert

84

14,4

Keine Entscheidung wegen fehlender Unterlagen Insgesamt

37

6,3

585

100,0

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte.

Kooperation mit dem Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung durch. Die mit der konkreten Rehabilitierungsaktion in Moskau befasste Rehabilitierungsbehörde der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation mit rund 30 Mitarbeitern wurde in dieser Zeit von den Herren Generalleutnant der Justiz Vladimir Kupec und Generalleutnant der Justiz Valerij Kondratov geleitet und von Abteilungsleiter Oberst der Justiz Leonid Kopalin unterstützt. Insgesamt bearbeiteten die russischen Behörden mehr als 900 Anträge, darunter einige von Amts wegen untersuchte Fälle, die frisch aufgerollt und entschieden wurden, sowie die 800 vom BIK weitergeleiteten. Von den bisher in die Datenbank am BIK eingearbeiteten Verfahren österreichischer Zivilverurteilter wurden 440 positiv und 84 negativ entschieden sowie 24 in eine neu beurteilte Strafe umgewandelt. Bei 37 Fällen waren keine Strafprozessakten vorhanden, die jedoch eine unabdingbare Voraussetzung für einen Rehabilitierungsbescheid darstellen.' 72 Wie die folgende Tabelle veranschaulicht, erfolgte eine Rehabilitierung insbesondere bei einer nach Artikel 58-6 wegen Spionage erfolgten Verurteilung. Auch wegen terroristischer Handlung (58-8) und Diversion (58-9) Verurteilte wurden häufig rehabilitiert. Auffallend gering ist jedoch die Rehabilitierung bei nach „Ukaz 43" geahndeten Vergehen, die diametral der Zahl wegen Kriegsverbrechen verurteilter Zivilisten gegenübersteht. Dies hängt damit zusammen, dass ab 1998 keine Rehabilitierungen bei diesen ursprünglich auf Grund von Kriegsverbrechen und nicht wegen politisch motivierter Verbrechen gefällter Urteile erfolgte. 173 Im Gegensatz dazu wurden jedoch alle der nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 verurteilten Österreicher rehabilitiert, darunter auch die oben erwähnten „Hitlerverwandten". Weitestgehend analog zur Gesamtzahl der pro Jahr erfolgten Verurteilungen gestaltet sich auch die nach Urteilsjahr verteilte Rehabilitierung. Etwas aus der Reihe fallen hier die Rehabilitierungen von den im Jahr 1945 verurteilten Zivilisten, die beinahe 40 Prozent aller während der Besatzungszeit verurteilten und bisher rehabilitierten Österreicher ausmachen.

172 Vgl. dazu Tab. 13. 173 VSRF, Bescheid 2-001/48, Walter H. Moskau, 17.2.1998.

317

318

Harald

Knoll - Barbara

Tab. 14: Rehabilitierungen graph

Stelzl-Marx

österreichischer

(Mehrfachnennungen

Zivilverurteilter

nach

Verurteilungspara-

möglich)

Verurteilungsparagraphen (Mehrfachnennungen möglich)

Zahl der Rehabilitierungen

Art. 58-2

Prozentsatz

14

2,2

Art. 58-3

1

0,1

Art. 58-4

16

2,4

Art. 58-5

2

0,3

Art. 58-6

236

35,1

Art. 58-8

125

18,6

Art. 58-9

140

20,8

Art. 58-10

12

1,8

Art. 58-11

87

12,9

Art. 58-12

1

0,1

Art. 58-14

14

2,1

Art. 139

3

0,4

„Ukaz 43"

3

0,4

KG 10

3

0,4

16

2,4

673

100,0

Rehabilitiert ohne Urteil Gesamt

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Da eine Person nach mehreren Paragraphen verurteilt werden konnte, sind bei den Rehabilitierungen Mehrfachnennungen möglich. Somit liegt die Zahl der Rehabilitierungen nach Verurteilungsparagraphen über jener der insgesamt rehabilitierten österreichischen Zivilisten.

Tab. 15: Rehabilitierungen Angaben

in 424 Fällen.

litierung

ohne ein Urteil

Verurteilungsjahr

österreichischer

Zivilverurteilter

Nicht berücksichtigt ausgesprochen

bei denen

eine

(Basis: Rehabi-

wurde)

Anzahl Rehabilitierungen

Prozentanteil

1945

165

38,9

1946

36

8,5

1947

23

5,4

1948

54

12,7

1949

37

8,7

1950

48

11,3

1951

27

6,4

1952

21

5,0

1953

9

1954

3

2,1 0,7

1955

nach Urteilsjahr

sind die 16 Fälle,

1

0,2

424

10,0

Quelle: AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. Da eine Person nach mehreren Paragraphen verurteilt werden konnte, sind bei den Rehabilitierungen Mehrfachnennungen möglich. Somit liegt die Zahl der Rehabilitierungen nach Verurteilungsparagraphen über jener der insgesamt rehabilitierten österreichischen Zivilisten.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Gerade die Ablehnung von Rehabilitierungsanträgen zeigt, dass unter den angeführten Gruppen zweifelsohne Menschen waren, die schwerste Verbrechen begangen hatten. Bei weitem nicht alle von sowjetischen Behörden gefällte Urteile waren pauschaliter Fehlurteile, politisch motiviert. Als Beispiel sei hierfür der negative Rehabilitierungsbescheid des bereits erwähnten ehemaligen Polizisten Gabriel angeführt, dem eine persönliche Teilnahme an der Erschießung von Juden in Borislav nachgewiesen werden konnte. Allerdings kann nicht immer von einer Rehabilitierung auf eine zu Unrecht erfolgte Verurteilung oder Schuldlosigkeit geschlossen werden und umgekehrt. Zu vielschichtig sind hier unter anderem formaljuristische Kriterien. Nichtsdestotrotz stellt die Rehabilitierung nach mehreren Jahrzehnten für viele Betroffene und ihre Familienangehörigen eine - zumindest teilweise - moralische Wiedergutmachung dar, deren Wert nicht zu unterschätzen ist.

Resümee -

-

-

-

-

Im Gegensatz zu den westlichen Besatzungsmächten in Österreich verurteilten die Sowjets österreichische Zivilisten in geheimen Militärtribunalen und verbrachten die Verurteilten zur Strafverbüßung in die UdSSR. Entnazifizierungslager wie die von den Briten bzw. Amerikanern eingerichteten Lager in Wolfsberg und Glasenbach gab es in der sowjetischen Besatzungszone nicht. Trotz penibel genauer Aufzeichnungen wurden den österreichischen Behörden und Familienmitgliedern kaum Informationen über das Schicksal der Verhafteten und Verurteilen mitgeteilt. Gerade dieses Informationsdefizit führte dazu, dass sich die scheinbar willkürlich durchgeführte „Menschenräuberei" besonders tief im kollektiven Gedächtnis der österreichischen Bevölkerung verankert hat. Die Zahl der insgesamt rund 2200 Verhaftungen liegt bedeutend unter jener, von der üblicherweise - ohne Zugang zu den sowjetischen Quellen - ausgegangen wird. Außerdem wurden im Vergleich zur SBZ/DDR in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs verhältnismäßig wenig Verurteilungen durchgeführt. Die Urteile selbst fällten sowjetische Militärtribunale der auf österreichischem Territorium stationierten Truppenteile (vor allem der Zentralen Gruppe der Streitkräfte in Baden) oder die Sonderkommission des Ministeriums für Staatssicherheit in Moskau (OSO). Als rechtliche Grundlage wurden dabei das Strafgesetzbuch der RSFSR (insbesondere Artikel 58) und - bei Kriegsverbrechen - der so genannte „Ukaz 43" herangezogen. Bei Verwandtschaft mit Hitler kam Artikel 2 des vom Kontrollrat in Deutschland verabschiedeten Gesetzes Nr. 10 zur Anwendung, was allerdings formal nicht zulässig war. Im zeitlichen Längsschnitt wird deutlich, dass die Zahl der Verhaftungen in den ersten vier Jahren der Besatzung am höchsten war und ab 1949/1950 sukzessive abnahm. Zu Beginn erfolgten die Festnahmen vor allem auf Grund von Hinweisen aus der Bevölkerung, während mit zunehmender Besatzungszeit vermehrt gezielt nach tatsächlichen oder vermeintlichen Straffälligen gesucht wurde. Selbst 1955 erfolgten noch drei Verhaftungen, wobei nur ein Fall zur Verurteilung führte.

319

320

Harald Knoll - Barbara -

-

-

-

-

-

-

Stelzl-Marx

Auch die Verhaftungsgründe änderten sich während der Besatzungszeit: Waren zunächst „Werwolf'-Aktivitäten (vor allem 1945), Kriegsverbrechen, unerlaubter Waffenbesitz und Vergehen an sowjetischen Besatzungssoldaten (etwa Ausschank von gesundheitsschädlichem Alkohol oder Verkehrsdelikte, bei denen Rotarmisten getötet oder verletzt wurden) die wichtigsten Gründe für eine Festnahme, erfolgten die meisten Verhaftungen ab 1951 wegen Spionage gegen die Sowjetunion. Dies ist in engem Zusammenhang mit dem Kalten Krieg zu sehen. 70 Prozent der weiblichen Zivilverurteilten wurden wegen Spionage festgenommen, im Gegensatz zu nur 40 Prozent der männlichen. Gerade Frauen, die ein Verhältnis mit Besatzungssoldaten hatten, waren in dieser Hinsicht besonders gefährdet, wohingegen bei Männern der Vorwurf von Kriegsverbrechen naturgemäß stärker zum Tragen kam. Auch Schlägereien mit Besatzungssoldaten oder „Werwolf"Aktivitäten wurden primär bei Männern geahndet. Insgesamt waren nur rund 240 der insgesamt 2201 Verhafteten Frauen. Sowjetische Behörden suchten gezielt nach Zivilisten, die Kriegsverbrechen auf sowjetischem Territorium oder Verbrechen an Bürgern der UdSSR - etwa Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen - verübt hatten. Dazu zählten u. a. 50 ehemalige Schutzpolizisten, die sowjetische Bürger vorwiegend jüdischer Nationalität im Gebiet von Galizien getötet oder misshandelt hatten. Kriegsverbrechen an nichtsowjetischen Bürgern (etwa US-amerikanischen Fliegern) waren kein Verurteilungsgrund vor einem sowjetischen Militärtribunal. Im Gegensatz zu den österreichischen Kriegsgefangenen stellten Kriegsverbrechen bei den Zivilverurteilten allerdings nicht den wichtigsten Verurteilungsgrund dar. Die Mehrheit der Verhaftungen wurde in Wien und Niederösterreich durchgeführt, während im Mühlviertel und Burgenland verhältnismäßig weniger Zivilisten von der sowjetischen Besatzungsmacht festgenommen wurden. Hingegen kam es in der Steiermark von April bis Juli 1945 zu Massen Verhaftungen. Hier wurde mit insgesamt 186 Festnahmen während der sowjetischen Besatzung der Steiermark die österreichweit höchste Zahl an Verhaftungen innerhalb eines Jahres (bzw. sogar innerhalb eines Vierteljahres) vorgenommen. Das am häufigsten verhängte Strafmaß waren zehn, 15 und vor allem 25 Jahre in Lagern oder Gefängnissen des GULAG zu verbüßende Haft. Beinahe 190 Österreicher wurden zum Tod durch Erschießen verurteilt, wobei Spionage gegen die Sowjetunion und Kriegsverbrechen die häufigsten Urteilsgründe bei einer Todesstrafe waren. Gnadengesuche an den Obersten Sowjet wurden in beinahe allen Fällen abgelehnt. Als die Todesstrafe zwischen Mai 1947 und Jänner 1950 ausgesetzt war, wurden 25 Jahre Haft als Höchststrafe verhängt. Dies bewahrte vor allem die in diesem Zeitraum verurteilten Schutzpolizisten vor dem Todesurteil. Auch bei der Repatriierung aus sowjetischer Haft kristallisieren sich mehrere Etappen heraus: Der erste große Heimkehrertransport mit Zivilisten traf nach Stalins Tod im Oktober 1953 in Österreich ein. Und als Folge des Staatsvertrages wurden 1955 mehrere Transporte mit Zivilisten und Kriegsgefangenen zusammengestellt. Kurz vor Weihnachten 1956 traf der letzte offizielle Heimkehrertransport in Wien ein.

Sowjetische Strafjustiz in Österreich Seit 1996 ist die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation mit der Rehabilitierung von zu Unrecht verurteilten „Stalinopfern" betraut, wobei insbesondere wegen Spionage, „Werwolf'-Aktivitäten und „Hitler-Verwandtschaft" verurteilte Zivilisten rehabilitiert werden. Bei Kriegsverbrechen hingegen erfolgte in den wenigsten Fällen eine Rehabilitierung. Allerdings ist nicht in allen Fällen bei einer Rehabilitierung oder Teilrehabilitierung auf eine zu Unrecht erfolgte Verurteilung zu schließen und umgekehrt. Zu vielschichtig sind hier allein die formaljuristischen Kriterien. Mit Hilfe von nun zugänglich gemachten Dokumenten aus ehemals sowjetischen Archiven wurde es nunmehr möglich, ein differenziertes Bild der sowjetischen Strafjustiz in Österreich von 1945 bis 1955 zu zeichnen. Abgesehen von der Darstellung der Verurteilungspraxis konnten und können dank dieser Quellen die Schicksale von teilweise bis heute vermissten Österreichern geklärt werden.

Ol'ga Lavinskaja

Zum Tode verurteilt Gnadengesuche österreichischer Zivilverurteilter an den Obersten Sowjet der UdSSR

Ab dem Beginn der 1920er Jahre war die Kontrolle über die Anwendung der Todesstrafe in der UdSSR streng zentralisiert. Todesurteile in politischen Prozessen durften nicht ohne vorangegangene Genehmigung durch das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik gesprochen werden. Im Jahr 1924 wurde zur Behandlung der eintreffenden Anklageschriften die „Kommission des Politbüros für politische Angelegenheiten" gegründet. 1 Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre zeichnete sich eine Abkehr von der Praxis einer Verhängung bereits im Vorhinein gefällter Urteile ab, was mit der technischen Unmöglichkeit einer vorab vorgenommenen Durchsicht sämtlicher aus der Provinz eintreffenden Fälle durch das Zentrum verbunden war. Ab Dezember 1931 bestand die Arbeit der Kommission des Politbüros nur noch darin, bereits von diversen Instanzen gesprochene Urteile, die eine Verhängung der Todesstrafe vorsahen, zu bestätigen. 2 Mit dem Beschluss des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR vom 10. Juli 1934 kam es zur Bildung des Volkskommissariates für Innere Angelegenheiten der UdSSR (NKVD). Zur gerichtlichen Verhandlung gelangten all jene Fälle, über die zuvor von den Organen der OGPU entschieden worden war. Ab diesem Zeitpunkt oblagen die von Organen des NKVD untersuchten Fälle von Heimatverrat, Spionage, Terror, des Legens von Bomben und Bränden sowie von anderen Formen der „Diversion" einer Verhandlung durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR und der für Gerichtsfragen zuständigen Militärtribunale der einzelnen Bezirke. 3 Sämtliche von Militärtribunalen verhandelten Fälle, die mit der Verhängung der Todesstrafe endeten, 1 2

3

Ab 1934: „Kommission des Politbüros für Gerichtsangelegenheiten". Siehe dazu: Stalinskoe Politbüro ν 30-e gody. Moskau 1995, S. 58, 64f. Der Prozess der endgültigen Bestätigung von Todesurteilen betraf indes keine außergerichtlichen Beschlüsse, die in den Jahren zwischen 1930 und 1934 von den Troikas der politischen Vertreter der Abteilung der Vereinigten Staatlichen Politischen Verwaltung beim Rat der Volkskommissare der UdSSR (OGPU) gefällt worden waren. Ebenfalls keiner Bestätigung durch die Kommission bedurften Todesurteile, die gemäß dem Beschluss des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR (CIK) und des Rates der Volkskommissare der UdSSR (SNK) vom 7. August 1932 verhängt wurden. Ε. A. Zajcer (Hg.), Sbomik zakonodatel'nych i normativnych aktov ο repressijach i reabilitacii zertv politiceskich repressij. Moskau 1993, S. 64f.

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Ol'ga Lavinskaja wurden im Zuge von Berufungs- oder Aufsichtsverfahren vom Obersten Gericht der UdSSR überprüft, wobei das Einbringen einer Berufungsklage in Fällen von „konterrevolutionärer Sabotage oder Diversion" nicht zulässig war (Befehl des CIK der UdSSR vom 14. September 1937). 4 Alle zum Tod Verurteilten hatten das Recht auf Verfassen eines an das CIK und später, ab Dezember 1937, an den Obersten Sowjet der UdSSR adressierten Gnadengesuchs. Von diesem Recht ausgenommen waren Fälle, die gemäß dem Gesetz vom 1. Dezember 1934 (Beschluss des CIK und des SNK der UdSSR) verhandelt wurden, weil entsprechend diesem Gesetz weder das Einbringen einer Berufungsklage noch eines Gnadengesuches gestattet war. 5 Die endgültige Bestätigung von Todesurteilen erfolgte durch die Kommission des Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Allunionspartei, ZK der VKP(b), für Gerichtsangelegenheiten. Nach Durchsicht des vom Obersten Gericht der UdSSR eingebrachten Vorschlages übermittelte die Kommission ihre Vorschläge zwecks Bestätigung an das Politbüro. 6 Die Beschlüsse des ZK erlangten schließlich als Beschlüsse des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR Rechtsgültigkeit. Diese Vorgangsweise wurde mit dem Beginn des sowjetisch-deutschen Krieges im Juni 1941, als es zur Einführung von „in Kriegszeiten gültigen Gesetzen" kam, abgeändert. Entsprechend der „Verordnung zu Militärtribunalen an zu Kriegsgebiet erklärten Örtlichkeiten und in Gebieten von Kampfhandlungen" 7 wurden die Fälle in den Militärtribunalen 8 nach Ablauf einer 24-stündigen Frist nach Aushändigung der Anklageschrift an den Beschuldigten ohne Hinzuziehung von Schöffen verhandelt. Gegen die von den Militärtribunalen gefällten Urteile konnte keine Berufung eingebracht werden, und eine Aufhebung oder Abänderung eines Urteils war einzig im Zuge eines Aufsichtsverfahrens möglich. War in Friedenszeiten die einzige Kontrollinstanz der Militärtribunale das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR, so wurde schon bald nach Kriegsbeginn das Kontrollrecht den Militärtribunalen der Fronten und Bezirke eingeräumt. 9 4

5

6

7 8

9

Artikel 58-7 (Sabotage) und 58-9 (Diversion) des Strafkodexes der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) mit den entsprechenden Artikeln des Strafkodexes der anderen Unionsrepubliken. Zajcer, Sbornik zakonodatel'nych i normativnych aktov, S. 34. Dieser Beschluss des CIK und des SNK der UdSSR betraf Durchsicht und Untersuchung in Fällen terroristischer Organisationen und von terroristischen Aktionen gegen Angehörige der sowjetischen Macht. Vgl. Zajcer, Sbornik zakonodatel'nych i normativnych aktov, S. 34. Für die zweite Hälfte der 1930er Jahre sind keine Fälle bekannt, in denen des Gesetz vom 1. Dezember 1934 von Militärtribunalen angewendet worden wäre. Die Kommission setzte sich im Jahr 1947 wie folgt zusammen: Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets, Nikolaj M. Svernik; Vorsitzender der Kommission, Stellvertreter des Vorsitzenden des Komitees für Parteikontrolle beim ZK der VKP(b), M. Skirjatov; Generalstaatsanwalt der UdSSR, Konstantin Gorsenin, und Minister für Staatssicherheit, Viktor Abakumov. Bestätigt vom Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR am 22. Juni 1941. Siehe: Vedomosti Verchovnogo Soveta SSSR. Nr. 29. O. O. 1941. Entsprechend dem Befehl des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 22. Juni 1941 „Über den Kriegszustand" kam es zu Änderungen bei der Zuständigkeit der Gerichtsorgane. Akten zu Fällen von Heimatverrat, Spionage, terroristischen Aktionen und Diversion wurden den Militärtribunalen der Roten Armee und der Flotte zur Durchsicht übergeben. Dieses Recht wurde den Militärstaatsanwälten und den Vertretern der Militärtribunale der Fronten und Flotten gemäß dem Befehl des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 11. August 1941 zugestanden. Siehe: SSSR. Zakony i ukazy. Moskau 1944, S. 502.

Zum Tode verurteilt Entsprechend einer Verordnung hatte das Militärtribunal die Verhängung jedes Todesurteils unverzüglich telegrafisch an den Vorsitzenden des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR und an den Obermilitärstaatsanwalt der Roten Armee oder an den Oberstaatsanwalt der Flotte der UdSSR (je nach Zuständigkeit) zu melden. Traf innerhalb einer Frist von 72 Stunden kein Befehl zu einer Aussetzung des Urteils ein, wurde dieses zur Ausführung gebracht. Neben den genannten Moskauer Zentralstellen hatten auch die Militärräte der Bezirke, Fronten und Armeen (der Flotten und Flottillen) sowie die Kommandierenden der Fronten, Armeen und Bezirke (der Flotten und Flottillen) das Recht, ein Urteil auszusetzen. Die Verordnung zu Militärtribunalen sah bei der Aussetzung eines Todesurteils folgendes Prozedere vor:10 Die Militärräte und die Kommandierenden hatten ihren Beschluss über eine Aussetzung und ihre Meinung zu einem gefällten Urteil auf telegrafischem Weg unbedingt an den Vorsitzenden des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR und an den Obermilitärstaatsanwalt der Roten Armee oder an den Oberstaatsanwalt der Flotte der UdSSR (je nach Zuständigkeit) zu übermitteln. Im Falle, dass innerhalb einer Frist von 72 Stunden keine Antwort von oben eintraf, wurde das Urteil exekutiert. Nach Kriegsende verlor eine Reihe von in Kriegszeiten gültigen juridischen Bestimmungen ihre Rechtskraft, und die Militärtribunale gingen bei der Verhandlung der anhängigen Fälle zur Anwendung der gewöhnlichen Prozessordnung über. Dies traf jedoch nicht bei Prozessen gegen im Ausland stationierte Angehörige der sowjetischen Streitkräfte und auf Bürger anderer Staaten zu, die in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und Österreichs verhaftet wurden und sodann vor Militärtribunale der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (GSOVG) und der Zentralen Gruppe der Streitkräfte (CGV) gestellt wurden." Gegen Urteile in Bezug auf Angehörige dieser Personenkategorien konnte nicht berufen werden. 12 Leider liegen keine Angaben zum Funktionieren des Mechanismus des Bestätigens von Todesurteilen in der Kriegs- und in der Nachkriegszeit (nach Aufhebung der Todesstrafe) auf, die besagen könnten, in welchen Fällen wem das Recht auf Einreichung eines Gnadengesuchs erteilt wurde. Anhand der unbedeutenden Zahl an Akten zu verurteilten Bürgern ausländischer Staaten, welche in den Jahren 1945 bis 1947 die 10 11

12

Artikel 15 der Verordnung zu Militärtribunalen. Diese gerichtlichen Instanzen wurden in der Dienstkorrespondenz mit festgelegten Bezeichnungen benannt. Das Militärtribunal der G S O V G trug dabei den Namen „Militärtribunal des Truppenteils 48240", und das Militärtribunal der C G V wurde als „Militärtribunal des Truppenteils 28990" bezeichnet. A m 29. Oktober 1951 erteilte das Plenum des Obersten Gerichts der U d S S R (mit Zustimmung des Ministerrates der U d S S R ) an die Militärtribunale die Weisung, bei der Durchsicht von Strafsachen zu von im Ausland stationierten Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte verübten Verbrechen auf in Friedenszeiten Rechtskraft besitzende Gesetze zurückzugreifen. Diese Vorgehensweise wurde in B e z u g auf Bürger anderer Staaten erst einen Monat vor Stalins Tod abgeändert. Mit seinem Beschluss vom 5. Februar 1953 beauftragte das Büro des Präsidiums des ZK der KPdSU das Oberste Gericht der U d S S R mit der Erteilung einer an die Militärtribunale adressierten Anweisung, derzufolge Fälle von ausländischen Bürgern verübten Verbrechen unter Anwendung der zu Friedenszeiten gültigen sowjetischen Gesetze durchzusehen sind. A P RF, F. 3, op. 57, d. 42, S. 1-3.

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Ol'ga Lavinskaja Kommission des Politbüros passierten, lässt sich allerdings die Feststellung treffen, dass derartige Fälle eine absolute Ausnahme darstellten.13 Es ist anzunehmen, dass das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR an einzelnen Fällen Interesse zeigte, das Todesurteil aussetzen ließ und daraufhin den Akt zur Überprüfung zurückforderte. Dabei erscheint es am wahrscheinlichsten, dass die Urteile in diesen Fällen in weiterer Folge bei der Kommission des Politbüros für Gerichtsangelegenheiten und im Präsidium des Obersten Sowjets zwecks Bestätigung einlangten. Wurde das Urteil beibehalten und das Strafausmaß nicht geändert, lautete die Formulierung wie folgt: „Das Urteil zur Vollstreckung des höchsten Strafausmaßes ist in Kraft zu belassen." Erlaubten die Militärtribunale bei verhandelten Fällen die Einreichung eines Gnadengesuchs, wurden die jeweiligen Akten so wie bei der bereits vor dem Krieg praktizierten Vorgangsweise der Kommission des Politbüros und daraufhin dem Präsidium des Obersten Sowjets vorgelegt. Beanspruchte die Behandlung eines Gnadengesuchs - vom Zeitpunkt der Urteilsverkündung durch das Militärtribunal bis hin zur Fassung eines Beschlusses durch das Präsidium des Obersten Sowjets - im Jahr 1945 noch fünf Wochen, so verkürzte sich diese Zeitspanne im Jahr 1947 auf zwei bis zweieinhalb Wochen. Wurde ein Gnadengesuch abgelehnt, bediente sich das Präsidium des Obersten Sowjets folgender Formulierung: „Das Gnadengesuch ist abzulehnen." Insgesamt sind anhand der aus der Kommission des Politbüros eingelangten Materialien zumindest 32 Fälle von zwischen Juni 1945 und Mai 1947 vom Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR gefällten Beschlüssen zu verurteilten Österreichern bekannt, aus denen hervorgeht, dass bloß ein einziger Österreicher begnadigt wurde. Mit dem am 26. Mai 1947 vom Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR erlassenen Befehl „Über die Abschaffung der Todesstrafe" wurde im Strafkodex der RSFSR und in denen der Unionsrepubliken für alle Artikel, die früher die Todesstrafe vorgesehen hatten, ein Höchststrafausmaß von 25 Jahren in Lagern zu verbüßender Haft festgelegt. Auf Grund der Abschaffung der Todesstrafe stellte die Kommission des Politbüros für Gerichtsangelegenheiten ihre Tätigkeit ein. Mit dem Befehl des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 12. Jänner 1950 kam es jedoch zu einer neuerlichen Einführung des Todesstrafe für „Heimatverräter, Spione sowie für subversive Elemente und Diversanten".14 Am 12. April 1950 13

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Am 24. November 1942 sandte ein beunruhigter Michail Kalinin (von 1938 bis 1946 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets) an Stalin folgende Notiz: „In letzter Zeit erreichen die Kommission des ZK für Gerichtsangelegenheiten, die ja nun die Möglichkeit besitzt, alle Todesurteile unverzüglich durchzusehen, immer weniger Akten zu Fällen, in denen das höchste Strafausmaß verhängt wurde." AP RF, F. 3, op. 57, d. 39, S. 153. Nach der im Jahr 1947 erfolgten Abschaffung der Todesstrafe konnte in den „Arbeits-Besserungslagern" eine gesteigerte Aktivität des verbrecherischen Elementes verzeichnet werden. In einem Berichtsentwurf über die Tätigkeit der GULAG für das Jahr 1951 wurde festgehalten, dass sich zu dieser Kategorie zählende Personen nach der Abschaffung der Todesstrafe als straffrei gewähnt, sich aggressiv benommen und die Lagerverwaltung terrorisiert hätten. „Wie sehr sich das verbrecherische Element nun als straffrei erachtet", so das Dokument, „sieht man am Beispiel von auf Grund von Lagervergehen mehrmals verurteilten Häftlingen, die ungeachtet aller getroffenen Maßnahmen ihre verbrecherische Tätigkeit fortsetzen. So zum Beispiel der in den Lagern des Dal'stroj inhaftierte E. Red'ko, ein 17-mal verurteilter, langjähriger Bandit, der eine Freiheitsstrafe von insgesamt 225 Jah-

Zum Tode verurteilt wurde mittels Beschluss des Politbüros des ZK der VKP(b) festgelegt, dass „ein Todesurteil nur nach seiner Bestätigung durch das Oberste Gericht der UdSSR und nach Ablehnung eines vom Verurteilten eingereichten Gnadengesuchs durch das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR vollstreckt werden darf'. Auf diese Weise wurden ab dem Jahr 1950 sämtliche von Militärtribunalen verhängte Todesurteile dem Obersten Gericht der UdSSR vorgelegt, von diesem im Zuge eines Aufsichtsverfahrens überprüft, und man gestand allen zum Tod Verurteilten das Recht zu, ein Gnadengesuch beim Obersten Sowjet der UdSSR einzubringen.' 5 Bereits ab Jänner 1950 gingen die Militärtribunale wiederum zur Verhängung von Todesurteilen über, woraufhin auch die Gnadengesuche der Verurteilten im Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR wieder einzutreffen begannen, deren Zahl mit Mai 1950 bei 28 lag.16 A m 20. April 1950 wandte sich der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, Nikolaj Svernik, mit Vorschlägen zum Vorgehen bei der Behandlung der Gnadengesuche der zum Tod Verurteilten an Georgij Malenkov' 7 und einige Tage später, am 24. April 1950, schließlich an Stalin persönlich. Svernik schlug eine „Wiedereinführung der früher praktizierten Vorgangsweise" vor, wodurch eine Wiedereinsetzung der Kommission des Politbüros des ZK der VKP(b) impliziert wurde.18 Die Vorschläge Sverniks blieben unbeantwortet, woraufhin dieser am 30. Mai 1950 einen neuerlichen Versuch unternahm, Malenkov seine Vorschläge zur Behandlung von Gnadengesuchen zu unterbreiten. Doch inzwischen war sich Svernik nicht mehr sicher, ob man wirklich zur im Jahr 1947 praktizierten Vorgangsweise zurückkehren sollte, und schlug zusätzlich eine Alternativvariante vor: „Sollte die Bildung einer Kommission

ren zu verbüßen hat. [...] Der in einem Lager inhaftierte sechsfache Mörder Razvorotnyj verhält sich bei seinen Verhören frech und herausfordernd und verkündet: ,Ich habe getötet und werde dies auch weiterhin tun, ihr könnt mir nichts anhaben, die Todesstrafe ist abgeschafft, mehr als ich habe, werde ich nicht bekommen, und bei 25 Jahren spielt der eine oder andere Monat mehr auch keine Rolle.'" GARF, F. R-9414, op. 1, d. 326, S. 89f. Die rechtliche Grundlage für eine Verhängung der Todesstrafe gegen Inhaftierte, die Gewalttaten gegen die Lagerleitung oder gegen Mithäftlinge verübt hatten, wurde erst mit dem Befehl des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR mit dem Titel „Über Maßnahmen zur Verstärkung des Kampfes gegen besonders schlimme Formen des Banditentums unter Häftlingen von Arbeits-Besserungslagern" vom 13. Jänner 1953 geschaffen. 15

Von den 2592 Personen, über die in den Jahren 1950 und 1951 ein Todesurteil verhängt wurde, wurden 1305 (44,2 Prozent) ohne Berechtigung auf Einreichung einer Berufungsklage verurteilt. Als Ergebnis einer erforderlich gewordenen Revision von Urteilen auf Grund von Berufungsklagen oder Aufsichtsverfahren wurden die Todesurteile von 105 Personen (3,6 Prozent) aufgehoben und deren Akten einer weiteren Durchsicht oder einer neuerlichen gerichtlichen Untersuchung unterzogen; die Todesurteile von 160 Personen (5,4 Prozent) wurden in Haftstrafen umgewandelt. Das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR wandelte die Todesurteile von 202 Personen in Haftstrafen um. (Aus dem Bericht des Obersten Gerichts der UdSSR vom 3.4.1952 über die Umsetzung des Befehls des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 12. Jänner 1950 „Über die Verhängung der Todesstrafe für Heimatverräter, Spione sowie für subversive Elemente und Diversanten". GARF, F. R-7523, op. 76, d. 135, S. 1-5.

16 17

GARF, F. R-7523, op. 66, d. 127, S. 4. Georgij Malenkov (1902-1988). Von 1946 bis 1957 Mitglied des Politbüros (Präsidiums) des ZK der VKP(b)-KPdSU. Von 1939 bis 1946 und von 1948 bis 1952 Sekretär des ZK. Die Zusammensetzung der Kommission sollte bis auf Gorsenin, an dessen Stelle der neue Generalstaatsanwalt der UdSSR, Grigorij Safonov, treten sollte, unverändert bleiben.

18

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Ol'ga Lavinskaja als zielführend erachtet werden, so bitte ich um die Erteilung der Erlaubnis, die im Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR eintreffenden Gnadengesuche der zum Tod Verurteilten auf den Sitzungen des Präsidiums des Obersten Gerichts der UdSSR mit den sich in Moskau befindlichen Mitgliedern zu behandeln und unter Beteiligung des Generalstaatsanwaltes der UdSSR und darauffolgender Bestätigung durch das ZK der VKP(b) über sie zu entscheiden." 19 Doch tatsächlich sollte sich die Vorgangsweise bei der Behandlung der Gnadengesuche doch um einiges von derjenigen unterscheiden, die Svernik vorgeschlagen hatte. Bis Juni 1953 erfolgte die Erstdurchsicht der Gnadengesuche nicht auf den Sitzungen des Präsidiums des Obersten Sowjets, sondern von einer eigens zu diesem Zweck eingesetzten Gruppe, der Svernik selbst, der Sekretär des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, Aleksandr Gorkin, der Vorsitzende des Obersten Gerichts der UdSSR, Anatolij Volin, der Generalstaatsanwalt Grigorij Safonov und der Vorsitzende des Militärkollegiums des Obersten Gerichts, Aleksandr Cepcov, angehörten. Doch bevor diese Gruppe ihre Vorschläge einbringen konnte, mussten diese noch mit dem Vorsitzenden des Komitees für Parteikontrolle beim ZK der VKP(b), Matvej Skirjatov, und dem Sekretär des ZK der VKP(b), Michail Suslov, akkordiert werden. Zu Skirjatov sei angemerkt, dass dieser ab September 1924 als Mitglied der „Kommission des Politbüros für politische Angelegenheiten" fungierte und mit dem Instanzenweg von Todesurteilen gut vertraut war. Skirjatov wie auch Suslov gehörten dem Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR an und stellten auf diese Weise eine Art Bindeglied zwischen Präsidium des Obersten Sowjets und Politbüro dar. Entwürfe von Beschlüssen des Präsidiums des Obersten Sowjets wurden unter Berücksichtigung von deren Anmerkungen verfasst und zur Bestätigung sodann dem Politbüro des ZK der VKP(b) (ab Oktober 1952 Präsidium des ZK der KPdSU) vorgelegt, das diese formell - mittels Befragung der Mitglieder des Politbüros (des Präsidiums) des ZK - behandelte, wodurch es zu keinen Änderungen des Wortlautes von Beschlüssen kam. Auf die gleiche Weise erfolgte die Beschlussfassung auch im Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR - durch Befragung seiner in Moskau weilenden Mitglieder. Lagen keine Gnadengesuche von zum Tod Verurteilten vor, wurden deren Akten vom Präsidium des Obersten Sowjets nicht behandelt. Der Weg eines Gnadengesuchs eines zum Tod Verurteilten lässt sich anhand der Materialien des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR aus der Gefängniszelle bis hinauf an die Spitze der politischen Macht, ins Politbüro des ZK der VKP(b), nachvollziehen. Die diesen Weg nachzeichnenden Dokumente werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Staatlichen Archiv der Russischen Föderation (GARF) in Moskau aufbewahrt20, wobei zwischen drei Arten von Dokumenten unterschieden werden kann: - vom Obersten Gericht der UdSSR an das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR adressierte Vorschläge;

19 20

GARF, F. R-7523, op. 66, d. 127, S. 4. GARF, F. R-7523, op. 66 und op. 76. Das Verzeichnis 66 beinhaltet Akten für die Zeit von 1938 bis 1950; das Verzeichnis 76 umfasst die Akten für die Jahre 1951 bis 1954.

Zum Tode verurteilt -

Kopien von Briefen des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR an das Politbüro des ZK der VKP(b) und an Stalin persönlich mit beigelegten Entwürfen zu den jeweiligen Beschlüssen des ZK der VKP(b) und des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR; Beschlüsse des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR betreffend Gesuche von Personen, die zum Tod verurteilt wurden (Originaltexte).

-

Zur Verteilung der Archivmaterialien nach den jeweiligen Jahren siehe unten stehende Tabelle. Tab. 1: Überblick über Archivmaterialien Russischen Föderation, Moskau

der zum Tod Verurteilten im Staatsarchiv der Nummer des Verzeichnisses

Nummer des Schriftverkehrs

Inhalt

Jahr

Anzahl der Akten

Vorschläge des Obersten Gerichts der UdSSR an das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR

1950 1951 1952 1953

op. op. op. op.

66 76 76 76

SD-45-l/ss AK-166/ss BK-166/ss VK-166/ss

20 51 50 29

Briefe des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR an das Politbüro des ZK der VKP(b) und an Stalin persönlich mit beigelegten Entwürfen zu den jeweiligen Beschlüssen des ZK der VKP(b) und des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR

1950 1951 1952 1953

op. op. op. op.

66 76 76 76

SD-45/2ss AK-165/ss BK-165/ss VK-165/ss

3 11 12 5

Beschlüsse des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR betreffend Gesuche von Personen, die zum Tod verurteilt wurden (Originaltexte)

1950 1951 1952 1953

op. op. op. op.

66 76 76 76

SD-la/ss AK-164/ss BK-164/ss VK-164/ss

1 3 3 3

Im Vergleich zu den Jahren 1951 und 1952 erklärt sich die kleine Zahl an Akten aus dem Jahr 1950 damit, dass die Gerichtsinstanzen nach der Einführung der Todesstrafe ein gewisses Maß an Zeit benötigten, um sich auf die neue Situation einzustellen. Zudem war, wie bereits oben ausgeführt, die Vorgangsweise beim Erlassen von Beschlüssen zu Begnadigungen nicht exakt definiert. Der erste Beschluss des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR zu Begnadigungen von zum Tod Verurteilten wurde erst am 21. August 1952 gefasst. Mit dem Tod Stalins im März 1953 kam es schließlich zu einer Abkehr von der früher praktizierten Repressionspolitik. Wurden im Jahr 1952 vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR noch 1920 Akten von zum Tod Verurteilten behandelt, so sank deren Zahl im Folgejahr auf „insgesamt nur" 624 Akten.21 Vorschläge des Obersten Gerichts der UdSSR wurden auf Grundlage des Untersuchungsaktes zu einem zum Tod Verurteilten, des Protokolls der Gerichtssitzung, des Urteils und auch des Gnadengesuches erstellt. 21

GARF, F. R-7523, op. 76, d. 177, S. lf.

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Ol'ga Lavinskaja Ein Gnadengesuch eines zum Tod Verurteilten lag der gesamten Interaktion der ineinandergreifenden Kette der Instanzen Oberstes Gericht der UdSSR - Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR - Politbüro des ZK der VKP(b) - Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR zugrunde. Gewöhnlich wurde ein Gnadengesuch eines Verurteilten unmittelbar nach der Urteilsverkündigung oder am Tag darauf verfasst, wobei dies mit Bleistift zu geschehen hatte (die Verwendung von Tinte war nur sowjetischen Bürgern erlaubt). In weiterer Folge landete das Gesuch in den Händen des Übersetzers der Abteilung für Gegenaufklärung des MGB des Truppenteils 32750 - der Verwaltung für Gegenaufklärung des MGB der Zentralen Gruppe der Streitkräfte (CGV). Daraufhin sandte der Leiter des betreffenden Gefängnisses das Gnadengesuch samt Übersetzung an denjenigen Vorsitzenden des Militärtribunals der CGV, der das Urteil gesprochen hatte.22 Dieser erteilte schließlich die Order, das Gesuch an das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR nach Moskau zu übermitteln.23 Die Akten aus den Monaten September und Oktober 1950 beinhalten einzelne Begleitbriefe, von denen exemplarisch Folgender angeführt sei:24 „An den Vorsitzenden des Militärtribunals des Truppenteils 32750, Kravcenko. Hiermit wird Ihnen zwecks Behandlung das Gnadengesuch des am 12. September dieses Jahres verurteilten Richard Rupitsch übermittelt. Der Leiter der Abteilung für Gegenaufklärung des Truppenteils 32750, Oberstleutnant Gnezdin. Der Leiter des inneren Gefängnisses des Truppenteils 32750, Oberfeldwebel Belousov. 14. September 1950." Dieser Brief ist dazu mit folgender Anordnung versehen: „Ergeht gemeinsam mit dem Akt an das Militärkollegium des Obersten Sowjets der UdSSR. I. Kravcenko. 14.09."25 Es ist wahrscheinlich, dass es sich bei genanntem Brief um eine Beilage zu einem zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Archiv des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) der Russischen Föderation aufbewahrten Untersuchungsakt zu einem Inhaftierten handelt. Das Urteil in diesem Fall war bereits zuvor an das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR in dessen Funktion als für Berufungsklagen gegen von den Militärtribunalen gefällte Urteile zuständige Instanz ergangen. Vom Zeitpunkt des Verfassens

22 23

24 25

Das Militärtribunal der CGV trug die offizielle Benennung Militärtribunal des Truppenteils 28990. Zur Gründung des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR kam es im Jahr 1926 auf Grundlage der „Verordnung über Militärtribunale und die Militärstaatsanwaltschaft", die am 20. August 1926 vom CIK und vom SNK der UdSSR beschlossen worden war. Die allgemeine Leitung der Tätigkeit der Militärtribunale oblag dem Obersten Gericht der UdSSR; die direkte Kontrolle und Steuerung kam hingegen dem Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR zu. SZ SSSR. 1926, Nr. 57, S. 413. In anderen Dokumenten wurde Kravcenko als Vorsitzender des Militärtribunals des Truppenteils 28990 tituliert. GARF, F. R-7523, op. 66, d. 114.

Zum Tode verurteilt derartiger Schriftstücke bis hin zu ihrem Eintreffen im Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR verstrich in der Regel ein Zeitraum zwischen einer Woche und 17 bis 18 Tagen. Im Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR kam es zuallererst zur Registrierung der eingelangten Dokumente. Ab Ende 1951 wurde die Eingangsnummer auch auf den vom Obersten Gericht der UdSSR verfassten Vorschlägen abgedruckt. Am zweiten Tag wurden die Dokumente - geht man von den Registrierungsnummern der Gnadengesuche aus - an das Oberste Gericht der UdSSR weitergeleitet. Auf Grundlage des Untersuchungsaktes eines Verurteilten und des Urteils des Militärtribunals wurde in weiterer Folge ein Vorschlag zur Behandlung des Gnadengesuches verfasst, der vom Vorsitzenden des Obersten Gerichts der UdSSR, Volin, oder von dessen Stellvertreter, Cepcov, unterzeichnet wurde. Ein Vorschlag des Obersten Gerichts der UdSSR wurde nach folgendem Schema erstellt: Nennung des Militärtribunals, des Datums und des Artikels, nach denen die Verurteilung erfolgte; Anführung von persönlichen Angaben zum Verurteilten (Familien-, Vor- und Vatersname, Geburtsjahr, Geburtsort, Wohnort, Volkszugehörigkeit, Staatszugehörigkeit, soziale Herkunft, soziale Stellung, Ausbildung, Fachgebiet oder Beruf, Parteizugehörigkeit, Familienstand, eventuelle Vorstrafen, Militärdienst, Angaben zu den nächsten Angehörigen - wenn diese Angaben eine Charakterisierung des Verurteilten ermöglichten oder auf andere Weise für den Akt von Bedeutung waren); Sachverhalt des jeweiligen Falls (Angaben zum Verurteilten und zu seiner verbrecherischen Tätigkeit, wobei zuerst die grundlegenden Fakten und daraufhin weiter ins Detail gehende genannt wurden); Aussagen des Verurteilten; - Aussagen von Zeugen; zusätzliche Angaben; Anerkennung der Schuld durch den Verurteilten; Inhalt des Gnadengesuchs des Verurteilten; Angaben über eine von höheren gerichtlichen Instanzen vorgenommene Änderung des Urteils. Jeder „Vorschlag" wurde mit folgender Standardphrase beschlossen: „Das Urteil des Militärtribunals in Bezug auf [Angabe des Familiennamens] erachte ich als gerechtfertigt." Es sei festgehalten, dass das Oberste Gericht der UdSSR in dieser Phrase stets sein Einverständnis mit den von den Militärtribunalen gesprochenen Urteilen zum Ausdruck brachte. Eine Ausnahme stellt der Fall des Schriftstellers Wolfram von Hanstein dar, für den der Minister für Staatssicherheit, Semen Ignat'ev, persönlich Fürsprache einlegte. 26 Doch in diesem Fall wurde vom Obersten Gericht der UdSSR nicht das Urteil des Tribunals, sondern der Beschluss des Präsidiums des Obersten

26

GARF, F. R-7523, op. 76, d. 100, S. 213.

332

Ol'ga Lavinskaja Sowjets der UdSSR herangezogen, das zuvor bereits das Gnadengesuch von Hansteins abgelehnt hatte. Die vom Obersten Gericht erarbeiteten Vorschläge wurden gemeinsam mit den Gnadengesuchen an das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR gesandt, wo sie vorab von der Gruppe zur Vorbereitung der Behandlung der Gnadengesuche von zum Tod Verurteilten behandelt und in einem eigens zu diesem Zweck geführten Eingangsbuch registriert wurden.27 In Abhängigkeit von der Zahl der vom Obersten Gericht der UdSSR eingetroffenen Vorschläge wurden Bündel mit 30 bis 40 (manchmal auch mit bis zu 50) Akten zu einer Vorausdurchsicht angelegt. Einige Tage vor Beginn der zu dieser Frage einberufenen Sitzungen (diese fanden bei Svernik statt) setzte der Kanzleichef des Präsidiums des Obersten Gerichts der UdSSR, N. Kozlov, den Vorsitzenden des Obersten Gerichts der UdSSR, Anatolij Volin, den Vorsitzenden des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR, Aleksandr Cepcov, und den Generalstaatsanwalt der UdSSR, Grigorij Safonov, über den Zeitpunkt der Abhaltung einer Sitzung in Kenntnis. Ein diesbezüglicher Brief beinhaltete eine Liste all jener Verurteilten, deren Gnadengesuche zu behandeln waren. Das Nummerierungssystem bezeichnete dabei die Anzahl der Akten, wobei es vorkam, dass die Fälle mehrerer Verurteilter in einem Akt zusammengefasst waren. Der erste in den Beständen des GARF archivierte Brief ist mit 3. Juli 1950 datiert. Er trägt die Unterschrift des Sekretärs des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, Aleksandr Gorkin, und erging an Safonov, Cepcov und Evlampij Zejdin. Als Ergebnis der vorab erfolgten Durchsicht wurde ein „Bescheid zu den Gnadengesuchen von zum Tod Verurteilten" verfasst, dessen Wortlaut auf den vom Obersten Gericht der UdSSR eingebrachten Vorschlägen basierte und diese in verkürzter Form wiedergab. Die Familiennamen der Verurteilten wurden dabei nicht in alphabetischer Reihenfolge, sondern in Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Eintreffens der Akten aus dem Obersten Gericht der UdSSR und der bei diesem erstellten Registrierung angeführt. Diese Registrierung erfolgte mittels einer Bruchzahl, deren Zähler die Nummer des Aktes (oder des Aktenbündels) bezeichnete und deren Nenner auf die Ausgangsnummer und das Datum der Erstellung des zu einem Gnadengesuch erstellten Vorschlages hinwies. Links eines Familiennamens wurden mit Bleistift die Bemerkungen „abzulehnen" und „ebenso" angebracht. Nur in einigen wenigen Fällen trifft man auf einen Vermerk, der eine Umwandlung des Todesurteils in eine (bis zu 25-jährige) Haftstrafe nach sich zog. Auf Grundlage eines solchen „Bescheids" wurde ein Entwurf eines Beschlusses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR erstellt. Auf der linken Seite (unter der Bezeichnung „Angehört: Gnadengesuche") erfolgte die Auflistung der Namen der Personen samt Angabe der biografischen Daten, des Datums der Verurteilung, der Verurteilungsbehörde, des Artikels des Strafkodexes und des Urteils. Stets verzeichnet wurde die einem Akt im Obersten Gericht verliehene Nummer. Die Reihenfolge konnte bloß dann durcheinander geraten, wenn in einer vorab erfolgten Behandlung von Gnadenge27

Ebd.

Zum Tode verurteilt Tab. 2: Zeitraum der Bestätigung des Beschlussentwurfes des Politbüros und des Fassens der Beschlüsse des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR Datum der Bestätigung des Beschlussentwurfes des Politbüros des ZK der VKP(b) durch das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR

Datum des Beschlusses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR

15. August 1950

21. August 1950

12. Februar 1952

15. Februar 1952

23. Februar 1952

28. Februar 1952

13. März 1952

18. März 1952

22. April 1952

26. April 1952

8. Mai 1952

12. Mai 1952

17. Juni 1952

20. Juni 1952

9. September 1952

11. September 1952

25. November 1952

27. November 1952

15. Dezember 1952

18. Dezember 1952

30. Dezember 1952

2. Jänner 1953

suchen der Beschluss gefasst wurde, einen Fall bis zur Erlangung zusätzlicher Angaben ruhen zu lassen. Auf der rechten Seite (unter der Bezeichnung „Beschlossen") befand sich der die jeweilige Entscheidung betreffende Text. Es versteht sich von selbst, dass es auch zu den Beschlüssen des ZK der VKP(b) einen Standardtext gab, der aus einem einzigen Satz bestand: „Der Beschlussentwurf des Präsidiums des Obersten Sowjets zu den Gnadengesuchen von [an dieser Stelle erfolgte die Nennung der Familiennamen] und anderer zum Tode Verurteilter ist zu bestätigen." All diese Schriftstücke ergingen an das Politbüro des ZK der VKP(b). In einem an „Genossen I. V. Stalin" adressierten und mit der Unterschrift Sverniks versehenen Begleitbrief wurden Datum und Ergebnis der vorab erfolgten Behandlung der im Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR eingetroffenen Gnadengesuche genannt. In diesem Brief wurden die Familiennamen all jener Personen angeführt, deren Bitte um Begnadigung man stattzugeben beabsichtigte. Dabei wurde dargelegt, aus welchen Beweggründen dies geschehen sollte. Auch genannt wurden die Namen derjenigen Personen, deren Gnadengesuche man abzulehnen vorhatte. Fälle, in denen das Politbüro anderer Meinung gewesen wäre als Svernik und dessen Beschlussentwürfe abgelehnt hätte, sind nicht bekannt. Im Bestand zum Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR werden Kopien dieser Briefe verwahrt. Die Beschlussentwürfe des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR sind mit Kennzeichnungen betreffend ihre Bestätigung im Politbüro des ZK der VKP(b) mit Angabe des Datums und der Nummer des Beschlusses versehen (im Zähler die Nummer des Protokolls des Entwurfes, im Nenner die Nummer des jeweiligen Punktes). Nach im Politbüro des ZK der VKP(b) (ab Oktober 1952 im Präsidium des ZK der KPdSU) innerhalb eines Zeitraumes von zwei bis sechs Tagen erfolgter Bestätigung

334

Ol'ga Lavinskaja wurden die Protokolle als Beschlüsse des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR verfasst. Diese Vorgangsweise zeigte, dass es sich dabei um einen formalen Akt handelte, der einzig von der Geschwindigkeit des Passierens der Schriftstücke abhängig war. Es versteht sich, dass „gemäß sowjetischem Prozedere" nur ein vom Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR erstelltes Protokoll Gesetzeskraft besaß und erst nach Vorliegen desselben ein Urteil zur Ausführung gelangen konnte.

Beschlüsse des Obersten Sowjets der UdSSR Beschlüsse des Obersten Sowjets der UdSSR zu Gnadengesuchen wurden - so wie die Mehrzahl anderer Befehle und Beschlüsse auch - mittels Befragung der sich in Moskau aufhaltenden Mitglieder des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR getroffen. Die Nummerierung der Sitzungsprotokolle des Obersten Sowjets der UdSSR erfolgte innerhalb einer Sitzungsperiode in ansteigender Reihenfolge. 28 Ein Sitzungsprotokoll beinhaltete in der Regel rund 300 Fragen und wurde über einen längeren Zeitraum hinweg geführt (etwa zweieinhalb Monate). Die Nummerierung der Fragen war ebenfalls eine ansteigende (im Rahmen eines Protokolls), wobei einzig der Tag des Treffens eines Beschlusses vermerkt wurde. Ein Beschluss oder ein Befehl des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR betreffend die Behandlung von Gnadengesuchen wurde mit einer Bruchzahl versehen, deren Zähler, ergänzt mit der vorangestellten Zahl 1, die Nummer des Protokolls darstellte, wogegen aus dem Nenner die Nummer der Frage auf der Tagesordnung ersichtlich wurde. So etwa geht aus dem Beschluss des Obersten Sowjets der UdSSR mit der Nummer 118/191 vom 12. Mai 1952 hervor, dass er im Rahmen des Sitzungsprotokolls Nr. 18, geführt von 11. März bis 31. Mai 1952, gefasst wurde, eine Behandlung der Frage am 12. Mai erfolgte und das Protokoll die Nummer 191 trägt. Der Wortlaut nicht geheimer Befehle und Beschlüsse (darunter auch Befehle „ohne Veröffentlichung") wurde im dazugehörigen Protokoll in vollem Umfang und mit Angabe der Nummer des Aktes festgehalten. Fragen, die mit den Bemerkungen „geheim" und „streng geheim" versehen waren, fanden in Protokolle keinen Eingang - angegeben wurden nur die Nummer der Frage und der Grad der Geheimhaltung. Zu derartigen Beschlüssen des Obersten Sowjets der UdSSR wurde ein eigener Schriftverkehr geführt, dessen Schriftstücke als „Auszüge" aus Sitzungsprotokollen des Obersten Sowjets der UdSSR bezeichnet wurden, bei denen es sich in der Mehrzahl der Fälle um Beschlüsse zu Gnadengesuchen von zum Tod Verurteilten handelte. Auf der ersten Seite stößt man dabei auf die Unterschrift von Mitgliedern des Obersten Sowjets der UdSSR. Nach Herausgabe eines Beschlusses des Präsidiums des Obersten Sowjets zu einem Gnadengesuch wurde dieser mit dem Stempel „Durchgesehen" versehen und die Nummer des Beschlusses sowie die des Punktes, unter dem die jeweilige Person im Beschluss genannt wurde, eingetragen.

28

Der hier behandelte Zeitraum war Teil der dritten Sitzungsperiode des Obersten Sowjets der UdSSR, wobei die Wahlen zu diesem am 12. März 1950 stattgefunden hatten. Die Mitglieder der vierten Sitzungsperiode wurden am 14. März 1954 gewählt.

Zum Tode verurteilt Über einen vom Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR gefassten Beschluss wurde in weiterer Folge das Ministerium für Staatsicherheit der UdSSR (MGB) in Kenntnis gesetzt, das seinerseits dem Gefängnis, in dem sich der jeweilige Verurteilte aufhielt, den Befehl zur „unverzüglichen Vollstreckung" des Urteils erteilte. Eine vergleichende Analyse des Zeitraumes zwischen dem Datum der Ablehnung von Gnadengesuchen (Beschlüsse des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR) und dem Datum der darauf zu erfolgenden Vollstreckung der Todesurteile fördert bemerkenswerte Erkenntnisse zu Tage. Die im Folgenden angeführten Angaben zu den Erschießungen österreichischer Bürger entstammen dem von der Gesellschaft „Memorial" erstellten elektronischen Nachschlagewerk mit dem Titel „Opfer des politischen Terrors in der UdSSR". 29 Alle in der Folge genannten Opfer wurden in Moskau erschossen, verbrannt und ihre sterblichen Überreste auf dem Donskoe-Friedhof beigesetzt. Wie Tabelle Nr. 3 zeigt, verstrich im Durchschnitt zwischen dem Beschluss des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR über eine Ablehnung eines Gnadengesuches und dem Datum der Erschießung ein Zeitraum von zwei Wochen bis hin zu eineinhalb Monaten. Nur in einzelnen Fällen sind kleinere oder auch weitaus größere Zeitspannen evident, die sich wohl durch die Besonderheiten einzelner Fälle und durch die Dauer des Überstellens von Verurteilten nach Moskau erklären lassen. Gewöhnlich wurden Personen, deren Gnadengesuche gemeinsam an einem Tag abgelehnt wurden (d. h. die sie betreffenden Beschlüsse fanden allesamt Eingang in ein einziges Protokoll) auch gemeinsam erschossen. Daneben wird allerdings auch offensichtlich, dass es zu Gruppenexekutionen von Personen kam, deren Gnadengesuche zwar an einem unterschiedlichen Tag, jedoch innerhalb eines Kalendermonats abgelehnt wurden. Es ist anzunehmen, dass die Verurteilten erst nach endgültiger Ablehnung ihres Gnadengesuchs durch das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR zu ihrer Exekution nach Moskau gebracht wurden, wobei zu diesem Zweck Gruppen von Verurteilten, deren Gnadengesuche innerhalb eines Monats abgelehnt wurden, gebildet worden sein dürften. Die Angehörigen der zum Tode verurteilten Deutschen und Österreicher blieben über das Schicksal ihrer Verwandten gänzlich uninformiert; dies galt im Übrigen auch für die Angehörigen der zum Tod verurteilten sowjetischen Bürger. All ihre an die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland und an den Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission in Österreich gerichteten Anfragen blieben unbeantwortet. Am 23. Mai 1953 wandten sich Justizminister Konstantin Gorsenin, Generalstaatsanwalt Grigorij Safonov und der Vorsitzende des Obersten Gerichts der UdSSR, Anatolij Völin, diesbezüglich an den Vorsitzenden des Ministerrates, Georgij Malenkov, dem sie den Vorschlag unterbreiteten, auf die eintreffenden Anfragen mündliche Antworten zu erteilen. 30 Eine Reaktion Malenkovs auf diesen Vorschlag blieb aus. Eine neuerliche, in diesem Zusammenhang an Malenkov gerichtete Anfrage folgte im September 1953 und wurde wie folgt beant29 30

Zertvy politicekogo terrora ν SSSR. CD-Rom Nr. 1. Moskau 2004. GARF, F. R-8131, op. 32, d. 2232, S. 19f.

Ol'ga Lavinskaja Tab. 3: Zeitraum zwischen der Ablehnung des Gnadengesuches und der Vollstreckung des Urteils (Auswahl) Name des von der CGV zum Tod durch Erschießen Verurteilten

Datum der Ablehnung des Gnadengesuches durch das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR 21.8.1950 21.8.1950

Franz Egon Zwinger Ludmilla und Heinrich August Teklics Istvän und Szabo Jänos 26.8.1950 Eder Anna 4.9.1950 Pronin K. S. 8.9.1950 Skrzypek Friedrich 20.9.1950 Lieb Alois 9.1.1951 Furthmoser Anton 9.1.1951 Hassler Josef 9.1.1951 Dederichs Rosalia 30.3.1951 Beck Josef 13.4.1951 Rogojskij K. G. 17.5.1951 Subac Maria Vlad. 23.5.1951 Henfling Margarethe 1.6.1951 Koschitz Johann 14.6.1951 Lixl Rudolf 22.6.1951 Lobner Rudolf 30.6.1951 Berenyi Georg 19.7.1951 Fechner Hartmut 19.7.1951 Weiß Theodor und Schreiber 1.8.1951 Alfred Ramljak Anton 22.8.1951 17.9.1951 Sellner Franz Berger Karl 17.9.1951 Rotter Hermine (gemeinsam 17.9.1951 mit Karl Berger verurteilt) Thor Johann 24.9.1951 17.10.1951 Vychodil Rudolf Ryzewsky Roman 17.10.1951 Iharos Zeljko 30.10.1951 Warga Stefan 30.11.1951 Losinowski Franz 30.11.1951 Pelzmann Alfred 3.1.1952 17.1.1952 Hail Wilfried 15.2.1952 Thalhammer Leo (gemeinsam mit drei anderen) 28.2.1952 Böhm Kurt 18.3.1952 Aichele Wilhelm 20.6.1952 Schwab Otto und John Erich 20.6.1952 Krewato Erwin Lederer Isabella und Ravenegg 11.9.1952 Rudolf Grimm Gustav 27.11.1952 Mascher Josef 18.12.1952

Datum der Hinrichtung 28.8.1950 28.8.1950

Zwischen Datum des Beschlusses und Datum der Erschießung verstrichene Zeit 7 Tage 7 Tage

6.10.1950 6.10.1950 12.9.1950 4.12.1950 26.1.1951 26.1.1951 14.5.1951 5.5.1951 5.5.1951 14.6.1951 14.6.1951 16.7.1951 24.7.1951 16.7.1951 16.7.1951 2.8.1951 2.8.1951 31.8.1951

1 Monat, 11 Tage 1 Monat, 2 Tage 4 Tage 2 Monate, 15 Tage 17 Tage 17 Tage 3 Monate, 5 Tage 1 Monat, 6 Tage 1 Monat, 6 Tage 28 Tage 22 Tage 1 Monat, 15 Tage 1 Monat, 10 Tage 24 Tage 16 Tage 14 Tage 14 Tage 30 Tage

1.10.1951 9.10.1951 15.10.1951 9.10.1951

1 Monat, 10 Tage 22 Tage 28 Tage 22 Tage

25.10.1951 10.11.1951 10.11.1951 24.12.1951 24.12.1951 24.12.1951 10.1.1952 31.1.1952 1.3.1952

1 Monat 21 Tage 21 Tage 1 Monat, 25 Tage 24 Tage 24 Tage 7 Tage 14 Tage 14 Tage

28.3.1952 28.3.1952 11.7.1952 11.7.1952 9.10.1952

28 Tage 10 Tage 21 Tage 21 Tage 1 Monat

3.1.1953 12.1.1953

1 Monat, 6 Tage 25 Tage

Zum Tode verurteilt wortet: „Die Genossen Tarasov, Pegov, Gorsenin, Rudenko, Kruglov und Volin haben diese Frage zu behandeln und innerhalb einer zweiwöchigen Frist Genossen Malenkov ihre Vorschläge darzulegen. 9. September 1953." Zu einer Lösung dieser Frage kam es erst im Jahr 1955, wenn auch nur für Bürger der Sowjetunion. Angehörigen von Bürgern anderer Staaten übermittelte man bis zum Jahr 1990 bloß die mit einer willkürlich gewählten Datumsangabe versehene Information, dass ihre Verwandten „am Ort seiner Haftverbüßung verstorben" sind. Von einer Hinrichtung und wann diese erfolgt war - davon war keine Rede. Übersetzung aus dem Russischen: Arno Wonisch

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Wolfgang Mueller

„Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter"1 Die Propaganda der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich im Kalten Krieg

Österreich bildete im Nachkriegsjahrzehnt eines der ersten Konfrontationsfelder des Kalten Krieges. Die Besetzung des Landes durch die einander zunehmend misstrauisch bis feindlich gegenüberstehenden Alliierten, die gegensätzlichen Interessen der Besatzungsmächte und nicht zuletzt die den Konflikt kommunizierende und anheizende Propaganda trugen zu dieser Entwicklung bei. 2 Propaganda war Sprache und Munition des Kalten Krieges, über sie zu schreiben, heißt daher, die Frage nach einer der Ursachen und Erscheinungsformen dieser Auseinandersetzung, welche die Besatzungszeit in Österreich überschattete, zu stellen. 1

2

Zitat des sowjetischen Stadtkommandanten von Wien, Generalleutnant Nikita Lebedenko nach: Grigorij M. Savenok, Venskie vstreci (Voennye memuary). Jaroslavl' 1968, S. 86. Der vorliegende Beitrag entstand als Teilprojekt eines Forschungsprogramms der Österreichischen und Russischen Akademien der Wissenschaften sowie im Kontext eines vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderten Projektes. Der Verfasser dankt dem FWF, der Russischen und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, insbesondere Prof. Aleksandr Cubar'jan, Dr. Viktor Iscenko und Prof. Arnold Suppan für ihre Unterstützung. Eine Monographie des Verfassers zu den politischen Zielen und Aspekten der sowjetischen Besatzungspolitik in Österreich 1945 bis 1955 und eine begleitende Dokumentenedition sind derzeit im Erscheinen. Zur Propaganda der Besatzungsmächte in Österreich siehe Alfred Hiller, Amerikanische Medienund Schulpolitik in Österreich (1945-1950). Phil. Diss. Wien 1974; Michael Schönberg, Die amerikanische Medien- und Informationspolitik in Österreich 1945-1950. Phil. Diss. Wien 1976; Oliver Rathkolb, Politische Propaganda der amerikanischen Besatzungsmacht in Österreich 1945-1950. Ein Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges in Presse-, Kultur- und Rundfunkpolitik. Phil. Diss. Wien 1981; Reinhold Wagnleiter, Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik. Bd. 52. Wien 1991; Marion Mittelmaier, Die Medienpolitik der Besatzungsmächte in Österreich von 1945 bis 1955. Phil. DA. Wien 1992; Elisabeth Starlinger, Aspekte französischer Kulturpolitik in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1948). Phil. DA. Wien 1993; Gerda Treiber, Großbritanniens Informationspolitik gegenüber Österreich 1945 bis 1955. Publicity und Propaganda sowie deren Instrumente in Printmedien und Rundfunk, dargestellt anhand britischer Dokumente. Phil. Diss. Wien 1997; Wolfgang Mueller, Österreichische Zeitung und Russische Stunde. Die Informationspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich 1945-1955. Phil. DA. Wien 1998; Karin Moser, Propaganda und Gegenpropaganda - das „kalte" Wechselspiel während der alliierten Besatzung in Österreich, in: medien & zeit. 2002/1, S. 2 7 ^ 2 .

Wolfgang Mueller Propaganda war keine Erfindung des Kalten Krieges. Schon der Zweite Weltkrieg hatte die Bedeutung der Auslandspropaganda in bisher ungekanntem Maß ansteigen lassen. Während des Krieges unterhielten sowohl das Deutsche Reich 3 als auch die UdSSR 4 und die Westmächte5 umfangreiche Propagandaapparate und -aktivitäten. Nach dem Krieg blieben die Propagandainstitutionen der Sieger erhalten, und die Rolle der Besatzungsmächte und der beginnende Kalte Krieg stellten bald neue Aufgaben. Insbesondere für die Sowjetunion, die oft als der erste moderne „Propagandastaat" bezeichnet wurde, besaß Propaganda sowohl in der politischen Theorie als auch in der innen- und außenpolitischen Praxis vom Anbeginn an zentrale Bedeutung. 6 Laut Vla-

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„Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" dimir Lenin war Propaganda ein „organischer Bestandteil politischer Arbeit" 7 , dessen Aufgabe in der offensiven Verbreitung der Ideologie unter den Massen, egal, ob im In- oder Ausland, bestand. Die Mittel der Propaganda waren Informationsmedien wie Presse, Bild, Radio und Vortragsarbeit, aber auch bildende Kunst, Theater und Film, die in der Leninschen Tradition stets als Instrumente zur Herrschaftsausübung und Durchsetzung politischer Ziele betrachtet und diesen Zielen unterworfen wurden. Die wichtigsten Grundprinzipien lauteten: Parteilichkeit, Klassenbewusstsein und Offensivität; das oberste Prinzip war die Parteilichkeit, etwaige Widersprüche zwischen ihr und der Wahrheit wurden stets zugunsten der Parteilichkeit entschieden. Die Sowjetunion verfügte über einen umfassenden zentralen Propagandalenkungsapparat, der einerseits der sowjetischen Regierung (dem Rat der Volkskommissare, ab 1946: Ministerrat), andererseits den Führungsinstanzen der KPdSU (dem Politbüro und Zentralkomitee) unterstand. Zu den wichtigsten Propagandainstitutionen der UdSSR zählten die Verwaltung (ab 1948: Abteilung) für Agitation und Propaganda des ZK der KPdSU, das Sowjetische Informationsbüro (Sovinformbüro), die für politische Arbeit nach außen zuständige Verwaltung VII der Politischen Hauptverwaltung der Sowjetischen Armee (GlavPU), die Telegraphenagentur TASS und das Radiokomitee beim Ministerrat der UdSSR.

Der sowjetische Propagandaapparat in Österreich Im Rahmen der sowjetischen Besatzung in Österreich oblag die gesamte „politische Arbeit" und somit auch die Propaganda unter der einheimischen Bevölkerung anfangs den Politorganen der Sowjetischen Armee, in erster Linie der von Oberst Georgij Piterskij geleiteten Abteilung 7 der Politverwaltung der in Österreich stationierten 3. Ukrainischen Front. Im Sommer 1945 wurde die 3. durch die 1. Ukrainische Front (später Zentrale Heeresgruppe) abgelöst, deren Abteilung 7 der Politverwaltung von Oberstleutnant Lev Dubrovickij geleitet wurde. Oberster verantwortlicher Funktionär im Rahmen des sowjetischen Besatzungs- und Kontrollapparates in Österreich war der stellvertretende Militär- bzw. Hochkommissar, d. h. 1945 bis 1950 Generaloberst Aleksej Zeltov, danach Generalmajor Georgij Cinev (1950-1951) und Generalmajor Viktor Kraskevic (1951-1953). 8 Im Herbst 1945 wurde per Verordnung des Rates der Volkskommissare 2616-710s vom 13. Oktober 1945 eine eigene Propagandaabteilung (Otdel propagandy) des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich (SCSK) geschaffen 9 , der alle mit

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Zit. nach: Pozdnjakov - Dmitriev, Lenin, S. 3. Vgl. Wolfgang Mueller, Die Struktur des sowjetischen Besatzungsapparates in Österreich 1945-1955, in: Mike Schmeitzner - Clemens Vollnhals (Hg.), Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945-1955 (in Druck). AVPRF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 321, S. 41 f. Verordnung des Rates der Volkskommissare der UdSSR „Über die Organisation einer Propagandaabteilung im Rahmen des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich". Entwurf, undat. ohne Zahl. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich. Dokument Nr. 70. Datum und Zahl der Verordnung sind ersichtlich aus:

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Wolfgang Mueller Propaganda und politischer Arbeit befassten Politoffiziere fachlich unterstellt wurden. Als Vorbild für die Propagandaabteilung der SCSK diente die eine Woche zuvor, am 5. Oktober 1945, gegründete Verwaltung für Propaganda und Zensur der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD).10 Zum Leiter der neuen Propagandaabteilung der SCSK wurde Oberstleutnant M. Pasecnik, als sein Stellvertreter Oberstleutnant Merkulov ernannt. Als Aufgaben der Abteilung wurden festgelegt: 1. die „Organisation und Durchführung der Propaganda unter der österreichischen Bevölkerung durch Presse, Radio und andere Mittel mit Hilfe von Österreichern aus den antifaschistischen demokratischen Parteien und Organisationen" und 2. die „Durchführung der Kontrolle und Zensur über die österreichische Presse, den österreichischen Rundfunk und die Verlage".11 In der ersten Augusthälfte 1946 wurde der bisherige Leiter der Abteilung Pasecnik durch den Chef der 7. Abteilung der Politverwaltung Dubrovickij abgelöst, dem 1949 Oberstleutnant Kuranov (Stv. Gurkin) nachfolgte. Die Struktur der Abteilung wurde in diesem Zeitraum nur geringfügig verändert: die „Gruppe für Völksbildung" wurde in die Abteilung eingegliedert und die Redaktion des sowjetischen Besatzungsorgans „Österreichische Zeitung" wurde aus der Kompetenz der Politverwaltung in jene der Propagandaabteilung transferiert. Neu geschaffen wurde die Unterabteilung für die [politische] Arbeit in den sowjetischen Betrieben in Österreich. Die Propagandaabteilung umfasste damit die Unterabteilungen: - für Propaganda (zuständig für Presse-, Vortrags-, Bild-, Radiopropaganda, Theater, Kino); - für die Arbeit mit demokratischen Organisationen (zuständig für Parteien, in erster Linie die KPÖ und deren Vorfeldorganisationen); - für Information (verantwortlich für die Erstellung von Berichten über die politische Lage in Österreich und ihre Weiterleitung nach Moskau); - für Zensur österreichischer Zeitungen, Bücher, Theaterstücke, Filme, Radiosendungen; - für die Arbeit in den sowjetischen Betrieben (zuständig für die Leitung der Zentralen Kulturreferate der Verwaltung des Sowjetischen Vermögens in Österreich [USIA] und der Sowjetischen Mineralölverwaltung [SMV] sowie für die Kulturreferenten in den Fabriken);

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RGASPI, F. 17, op. 128, d. 299, S. 1-64. Bericht des Leiters der Propagandaabteilung SÖSK Dubrovickij über die Arbeit der Propagandaabteilung in Österreich 1946 und im 1. Quartal 1947. Norman M. Naimark, The Russians in Germany. A History of the Soviet Zone of Occupation, 1945-1949. Cambridge 1995, zit. nach der deutschen Taschenbuchausgabe: Norman Μ. Naimark, Die Russen in Deutschland: Die Sowjetische Besatzungszone 1945-1949. Berlin 1999, S. 32; Peter Strunk, Zensur und Zensoren. Medienkontrolle und Propagandapolitik unter sowjetischer Besatzungsherrschaft in Deutschland. Bildung und Wissenschaft. Bd. 2. Berlin 1996, S. 23-27; Jan Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD), Struktur und Funktion. Berlin 1999, S. lOlf. AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 321, S. 41f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 70. Verordnung „Über die Organisation einer Propagandaabteilung [...]".

„Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" -

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sowie die Gruppe für Volksbildung des Sowjetteils der Alliierten Kommission (zuständig für Schul-, Hochschul- und Bildungsfragen). Fachlich unterstellt waren der Propagandaabteilung ferner: zwei Gebiets-(= Landes-)Propagandareferate (später Unterabteilungen) für Niederösterreich und das Mühlviertel und für das Burgenland, die den entsprechenden Gebiets-(= Landes-)Kommandanturen angeschlossen waren; die den Gebietspropagandareferaten zugeordneten zehn bis zwanzig Propagandainstruktoren bei den Kreis-(= Bezirks-)Kommandanturen; 12 die „stellvertretenden Militärkommandanten für den politischen Bereich" der Kreiskommandanturen in allen Propagandafragen (disziplinär der Politverwaltung der Heeresgruppe unterstellt); die Redaktion des sowjetischen Besatzungsorgans „Österreichische Zeitung" 13 (in Doppelunterstellung unter Propagandaabteilung und Politverwaltung der Heeresgruppe); das Österreich-Büro der TASS; der Österreich-Bevollmächtigte der Filmverleihgesellschaft „Sowexportfilm"; der Österreich-Bevollmächtigte der Handelsgesellschaft „Internationales Buch"; der beim Politberater der SCSK angesiedelte Österreich-Bevollmächtigte der sowjetischen „Allunionsgesellschaft für Kulturelle Beziehungen mit dem Ausland" (VOKS); die Leitung der 1946 als deutsches Eigentum beschlagnahmten Studios „WienFilm" auf dem Rosenhügel; 14 die im Zeitraum von 1950 bis 1953 gegründeten sechs Sowjetischen Informationszentren.15

Das Aufgabengebiet der Propagandaabteilung beinhaltete u. a. die Zensur von Presse, Film, Theater und Literatur, die politische Propaganda unter der österreichischen 12

Propagandainstruktoren bestanden 1948 bei den sowjetischen Militärkommandanturen in: Amstetten, Baden, Bruck/Leitha, Eisenstadt, Gmünd, Horn, Korneuburg, Neunkirchen, St. Pölten, Tulln und Wiener Neustadt. Bis 1949 wurden weitere Propagandainstruktoren für Baden, Güssing, Krems, Mistelbach, Oberwart und Urfahr ernannt. Die Aufgaben der Propagandainstruktoren umfassten u. a. die lokale Beobachtung der politischen Lage und der Stimmung der Bevölkerung, die Unterstützung der KPÖ und ihrer Vorfeldorganisationen, die Abhaltung von Vorträgen und Propagandamaßnahmen für die Bevölkerung, die Betreuung der sowjetischen Zeitungsvitrinen und die Verteilung der „Österreichischen Zeitung". 13 Wolfgang Mueller, Die „Österreichische Zeitung", in: Gabriele Melischek - Josef Seethaler (Hg.), Die Wiener Tageszeitungen. Bd. 5. 1945-1955. Frankfurt 1999, S. 11-56. 14 Vgl. dazu Oliver Rathkolb, Die „Wien-Film"-Produktion am Rosenhügel. Österreichische Filmproduktion und Kalter Krieg, in: Hans-Heinz Fabris - Kurt Luger (Hg.), Medienkultur in Österreich. Film, Fotografie, Fernsehen und Video in der 2. Republik. Wien 1988, S. 117-132; Martin Prucha, Agfacolor und Kalter Krieg. Die Geschichte der Wien-Film am Rosenhügel 1946-1955, in: Ruth Beckermann - Christa Blümlinger (Hg.), Ohne Untertitel. Fragmente einer Geschichte des österreichischen Kinos. Wien 1996, S. 53-79. 15 Sowjetische Informationszentren bestanden in Wien, Eisenstadt, St. Pölten, Stadlau, Wiener Neustadt und Urfahr und organisierten Vorträge, Kurse, Ausstellungen, Film- und Theatervorführungen etc. für die österreichische Bevölkerung. Siehe: Wolfgang Mueller, „Leuchtturm des Sozialismus" oder „Zentrum der Freundschaft". Das Sowjetische Informationszentrum im Wiener „Porr-Haus" 1950-1955, in: Wiener Geschichtsblätter. 2000/4, S. 261-285.

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Wolfgang Mueller Bevölkerung durch Herausgabe der „Österreichischen Zeitung", von Plakaten und Zeitschriften und durch das Radioprogramm „Russische Stunde", das unter sowjetischer Lenkung stand und vom Sender Wien der RAVAG ausgestrahlt werden musste, ferner die Platzierung russischer und sowjetischer Theaterstücke auf österreichischen Bühnen, den Filmverleih in der sowjetischen Zone, die Organisation von Propagandavorträgen und Ausstellungen und ab 1950 die Leitung und Programmierung der Sowjetischen Informationszentren. Im Zuge einer Reform des sowjetischen Besatzungsapparates 1953/ 54 wurde der inzwischen in „Informationsabteilung" umbenannte Propagandaapparat als „Unterabteilung für Propaganda und Information" in die „Abteilung für innenpolitische Fragen" des als Nachfolgeorganisation der SCSK gegründeten „Apparates des Hochkommissars der UdSSR in Österreich" (AVK) eingegliedert. Anfang der 1950er Jahre beschäftigte die Propagandaabteilung (inklusive ÖZ-Redaktion, exklusive nachgeordnete Institutionen und freie Mitarbeiter) 115 sowjetische Funktionäre. Hinzu kamen 4171 österreichische freiwillige Mitarbeiter (1949).16 Die Anzahl der österreichischen Freiwilligen, die überwiegend dem Umfeld der KPÖ angehörten, überstieg somit jene der sowjetischen Offiziere und Angestellten um ein Vielfaches. Es ist anzunehmen, dass ohne die österreichische Mitarbeit die Entfaltung der sowjetischen Propaganda in ihrem Umfang nicht möglich gewesen wäre. Die überwiegende Mehrheit der österreichischen Propagandisten in sowjetischen Diensten wurde von der Unterabteilung für Arbeit in den sowjetischen Betrieben in Anspruch genommen (928 ständige und 2064 temporäre), davon 761 ständige und 1789 temporäre Mitarbeiter in den USIA-Betrieben, der Rest in der Sowjetischen Mineralölverwaltung. Die Redaktion der „Österreichischen Zeitung" beschäftigte 350 Österreicher, die Unterabteilung für Propaganda 206, davon 77 für Presse-, 60 für Rundfunk-, 29 für Theater- und Kino-, 25 für Rede- und 15 für Bildpropaganda. In der Unterabteilung für Arbeit mit den demokratischen Organisationen waren 66 Österreicher beschäftigt, im TASS-Büro 25, in der Zensur-Unterabteilung 9. Das Netz der österreichischen Volontäre reichte bis auf die Ebene der Kreiskommandanturen; so waren ζ. B. zur Unterstützung des sowjetischen Propagandainstruktors bei der Militärkommandantur Güssing 1948/49 ein österreichischer Lektor, drei Informanten und vier Vertriebsmitarbeiter der „Österreichischen Zeitung" freiwillig tätig. Die Ziele der sowjetischen Propaganda in Österreich Die wichtigsten Schwerpunkte der sowjetischen Propaganda in Österreich von 1945 bis 1955 lauteten: „antifaschistisch-demokratische" Umerziehung, Werbung für die Sowjetunion, Werbung für den Sozialismus und Gegenpropaganda. Alle vier Ziele waren eng miteinander verbunden, ihre Gewichtung unterlag jedoch Wandlungen. Das erste Ziel, die Beseitigung der Reste der nationalsozialistischen Ideologie und Umerziehung zu „demokratischen" Idealen, war von den Alliierten durchaus übereinstimmend festgelegt 16

RGASPI, F. 17, op. 128, d. 501, S. 146. Die Verwendung der österreichischen Demokraten in der Propaganda unter der österreichischen Bevölkerung, 25.2.1949.

Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" worden; die später verhängnisvolle Problematik der geplanten „Demokratisierung" bestand in erster Linie darin, dass sich die Alliierten nicht darüber geeinigt hatten, welche Art von Demokratie propagiert werden sollte.17 Nichtsdestotrotz fanden sich auf Seiten aller Besatzungsmächte Maßnahmenpläne zur „re-education" und „re-orientation", so auch auf sowjetischer Seite. Der Propaganda kam eine zentrale Rolle in der geplanten Umerziehung zu. Wie der Leiter der Verwaltung für Propaganda und Zensur der SMAD, Oberst Sergej TjuTpanov, in einem Gespräch rückblickend feststellte, war Propaganda ein „wichtiger Teil [der sowjetischen] Gesamtkonzeption der Defaschisierung und Demokratisierung". 18 Diese bedingte in erster Linie die Unterdrückung undemokratischen, faschistischen und pangermanischen Gedankenguts mithilfe von Zensur, die eine Hauptaufgabe des Propagandaapparates darstellte. In den ersten Nachkriegsmonaten von sowjetischer Seite - im Unterschied zu den Westmächten - eher liberal gehandhabt, wurde die Zensur ab Herbst 1945 schrittweise verschärft. 19 Daneben erforderte die Demokratisierung aber auch die aktive Propagierung von Gegenmodellen zu der vom Hitler-Regime verbreiteten Ideologie. Im Fall Österreichs bedeutete dies die Förderung eines österreichischen Nationalbewusstseins, wodurch die von der Sowjetunion gewünschte Wiederherstellung eines unabhängigen österreichischen Staates und seine ideologische Abtrennung von Deutschland untermauert werden sollten. So charakterisierte die „Pravda" am 7. April 1945 das zukünftige Österreich als „Bollwerk" gegen Deutschland 20 , und die „Österreichische Zeitung" betonte am 6. Mai im Hinblick auf den von der Sowjetbesatzung der österreichischen Provisorischen Regierung übergebenen Sender Radio Wien, die Sowjetunion sei „überzeugt, dass die wiedererstandene österreichische RAVAG auf dem besten Weg ist, den österreichischen Rundfunk zu dem zu machen, was er auf Grund seiner Aufgabe sein soll: eine Erziehungs-, Belehrungs- und Unterhaltungseinrichtung des einem neuen Aufstieg entgegengehenden österreichischen Volkes!"21 Ab Ende 1945 wurde in der sowjetischen Propaganda die Propagierung von Demokratie und Österreich-Bewusstsein in wachsendem Maße von Kritik an der Rolle der Österreicher im Zweiten Weltkrieg und an der mangelhaften österreichischen Entnazifizierung verdrängt. 22 Das zweite Propagandaziel, die Werbung für die Sowjetunion, leitete sich gewissermaßen aus dem ersten, der „Demokratisierung", ab. Die sowjetische Führung war sich der Tatsache bewusst, dass sich die nationalsozialistische Propaganda insbesondere gegen die UdSSR gerichtet hatte. Nach dem Krieg war es daher die Absicht der sowjetischen Propaganda, mithilfe von Werbung für die Sowjetunion aktiv mitzuhelfen, die Folgen der antisowjetischen NS-Propaganda zu beseitigen und die Negativklischees 17 18 19 20 21 22

Günter Bischof, Austria in the First Cold War, 1945-55: The Leverage of the Weak. Cold War History Series. London - New York 1999, S. xi. Sergej Tulpanow, Zeit des Neubeginns, in: Neue deutsche Literatur. 1979/9, S. 41-62, hier: S. 42. Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1943-1945. Phil. Diss. Wien 1977, S. 259-262. Ebd., S. 109f. Österreichische Zeitung, 6.5.1945. Noch immer Nazi an den österreichischen Hochschulen, in: Österreichische Zeitung, 3.1.1946; Milde Urteile für Gestapospitzel und Denunzianten, in: Österreichische Zeitung, 9.1.1946; Übler Geist an österreichischen Hochschulen, in: Österreichische Zeitung, 23.1.1946, etc.

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Wolfgang Mueller über die UdSSR durch positive zu ersetzen. Im Zentrum der propagandistischen Bemühungen der Sowjetbesatzung stand folglich anfangs das Anliegen, die Bevölkerung über die „Befreiungsmission" der Roten Armee in Österreich zu informieren23, die „faschistischen Verleumdungen der UdSSR und der Roten Armee zu entlarven" sowie „richtige Vorstellungen über die Sowjetunion zu schaffen".24 Mittel zu diesem Zweck waren beispielsweise die Propagierung der sowjetischen Leistungen auf dem Gebiet von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die Popularisierung der Meisterwerke russischer und sowjetischer Kunst25, die Platzierung russischer und sowjetischer Theater- und Musikstücke im allgemeinen Kulturbetrieb, die Veranstaltung von Vortrags- und Filmabenden etc. Bald aber beschränkte sich die so genannte „Wahrheitspropaganda über die Sowjetunion" nicht mehr auf die Neutralisierung nationalsozialistischer Sowjetunion-Klischees. „Cuius regio, eius informatio"26 lautete die Devise des Kalten Krieges, und die UdSSR benützte - wie jede der alliierten Mächte - ihre Position als Besatzungsmacht dazu, um ihre militärischen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Errungenschaften, ihre Ziele und ihre Gesellschaftsform anfangs als hoch-, später als höherwertig und schließlich als einzig richtig zu propagieren. Der dritte Schwerpunkt der sowjetischen Propaganda, die Werbung für den Sozialismus sowjetischer Prägung, war wiederum ein Resultat der ersten beiden: Sowohl die „Demokratisierung" als auch die Werbung für die Sowjetunion implizierten gewissermaßen die Propagierung des Sozialismus. Dass dies in den ersten Nachkriegsmonaten nicht in offenerer Form geschah, war auf die taktische Überlegung zurückzuführen, die einheimische Bevölkerung nicht abzuschrecken und die Westmächte nicht zu provozieren. Als durch die Wahlen vom November 1945 offenbar wurde, dass der von sowjetischer Seite erwünschte langfristige Übergang Österreichs zum Sozialismus und zur Volksdemokratie27 nicht ohne weitere Anstrengungen zu erreichen sein werde und auch nicht ausschließlich durch die Kommunistische Partei Österreichs bewerkstelligt werden könne, gab die sowjetische Propaganda ihre Zurückhaltung auf und ging schrittweise zu einer immer offeneren Propagierung des Kommunismus und der Volksdemokratie über. Bezogen sich die sowjetischen Besatzungsmedien für Österreich von 1945 bis 1947 primär auf Errungenschaften der Sowjetunion bzw. Russlands, so ging es später darum, die

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Aleksej S. Zeltov, Politiceskaja rabota ν Venskoj nastupatel'noj operacii, in: Voenno-istoriceskij zumal. 1962/2, S. 17-28, hier: S. 25; Vogelmann, Propaganda, S. 241; Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 263. Institut Voennoj Istorii (Hg.), Bitva za Berlin. Krasnaja Armija ν poverzennoj Germanii (Russkij archiv. Velikaja Otecestvennaja 15/4-5). Moskau 1995, S. 391-398, Dok. 259, Anweisungen des Kriegsrates und der Politverwaltung der 1. Ukrainischen Front an die Militärkommandanten der deutschen Städte, 13.5.1945, hier: S. 397; vgl. Bernd Bonwetsch - Gennadij Bordjugov - Norman Naimark (Hg.), Upravlenie propagandy (informacii) SVAG i S. I. Tjul'panov 1945-1949. Moskau 1994, S. 21-24, Dok. 1, Leiter der Internat. Abt. des ZK der KPdSU Dimitrov und Panjuskin an Außenvolkskommissar Molotov und Sekretär des ZK der KPdSU Malenkov, März 1945, hier: S. 22. Tulpanow, Zeit des Neubeginns, S. 42f. Wagnleiter, Coca-Colonisation, S. 136. Wolfgang Mueller, Sowjetbesatzung, Nationale Front und der „friedliche Übergang zum Sozialismus". Fragmente sowjetischer Österreich-Planung 1945-1955, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MöStABd. 50. Wien 2003, S. 133-156, hier: S. 139-143.

„Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" Leistungen „im Lande des Sozialismus" hervorzuheben und den Beweis für die „Überlegenheit des Sozialismus und seiner Kultur gegenüber dem modernen Kapitalismus und der reaktionären Kultur" 28 zu erbringen. Die vierte Hauptaufgabe der sowjetischen Propaganda war die Gegenpropaganda gegen die Westmächte, in erster Linie Großbritannien und die USA, gegen die nichtkommunistischen Parteien in Österreich und gegen Kapitalismus und westliche Demokratie an sich. Dieser Aufgabenbereich gewann erst sukzessive an Bedeutung, doch aus dem „Full and Fair Picture" 29 , das die Alliierten 1945 voneinander zu geben bemüht waren, wurde bereits 1946 ein „Krieg der Worte". Wer sich in diesem Kampf nicht bedingungslos zur Sowjetunion bekannte, wurde als Gegner identifiziert und als „reaktionär", „imperialistisch", „kriegshetzerisch", „volksfeindlich", „antidemokratisch" und „faschistisch" diffamiert und attackiert.

Die inhaltliche Entwicklung der Propaganda im Kalten Krieg Die innenpolitische Entwicklung in Österreich und der beginnende Kalte Krieg zwischen den Alliierten veränderten die Tendenz und den Charakter der sowjetischen Propaganda grundlegend. Zwar lassen sich die oben skizzierten Ziele der Besatzungspropaganda durchaus weiterverfolgen, doch wurden sie nunmehr von sowjetischer Seite verschärft und die Schwerpunkte verlagert. Die Eskalation der prosowjetischen und antiwestlichen Tendenz in der sowjetischen Propaganda lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen. Zum einen resultierte sie aus dem innersowjetischen Prozess einer Verhärtung der staatlichen Kontrolle und Re-Ideologisierung von Politik und Propaganda, dem die Sowjetunion unmittelbar seit Kriegsende von ihrer Führung unterworfen war. Im Bereich der Propaganda äußerte sich dies in mehreren vom Zentrum ausgehenden Impulsen zur Verschärfung und Eskalation. Der zentrale Propagandaapparat wurde einer strengen Überprüfung unterzogen, schrittweise aufgerüstet und auf eine Propagandaoffensive gegenüber dem Westen eingestellt.30 Im Mai 1945 wurde ζ. B. die Zeitschrift „Bolsevik" für ihren Mangel an „Kampfgeist" streng gerügt, im Frühjahr 1946 kritisierte der für Ideologie und Propaganda zuständige ZK-Sekretär Andrej Zdanov mehrfach die „Passivität" der sowjetischen Presse gegenüber dem Westen, und das Politbüro und Stalin selbst forderten den zentralen Propagandaapparat wiederholt zu scharfen Attacken auf.31 Im Sommer 1946 definierte das Sekretariat des ZK der KPdSU die Hauptaufgabe der „Pravda" als „Kampf gegen die Ränke der Reaktion und Entlarvung der expansionistischen und antisowjetischen Tendenzen der imperialistischen Kreise"32 und ordnete eine Verstärkung der Kritik an den Westalliierten an. Tatsächlich erschienen die ersten antiwestlichen Artikel in der sowjetischen Zentralpresse nach dem Krieg bereits eine Woche nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8./9. Mai 1945, und ab Sommer 28 29 30 31 32

Österreichische Zeitung, 7.11.1954. Wagnleiter, Coca-Colonisation, S. 89. Pecatnov, Strel'ba cholostymi, S. 111-114; Fateev, Obraz vraga, S. 45-49. Brooks, Thank You, Comrade Stalin!, S. 208. Zit. nach: Fateev, Obraz vraga, S. 46.

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Wolfgang Mueller 1945 attackierten sowjetische Medien regelmäßig gewisse „Kreise" im Westen für ihre „reaktionäre, antisowjetische" Politik33 und rückten die USA in immer düstereres Licht. Dieser innersowjetische Prozess konnte seine Wirkung auf die sowjetische Propaganda in Österreich nicht verfehlen. Die sowjetische Besatzungspropaganda in Österreich griff ja in ihrer Arbeit primär auf Material der zentralen sowjetischen Propagandainstitutionen wie ζ. B. des Sowjetischen Informationsbüros, der TASS, der staatlichen Verlage etc. zurück, und indem sie in Österreich „Moskauer" Pressemeldungen, Bücher, Theaterstücke und Filme verbreitete, übertrug sie auch die Verschärfung der sowjetischen Linie auf Österreich. Weiters trugen die strenge Überwachung der sowjetischen Propaganda in Österreich durch das ZK der KPdSU und die regelmäßige Entsendung von Prüfungskommissionen dazu bei, dass der Propagandaapparat der SCSK jeden von Moskau ausgehenden Kurswechsel bzw. jede Verschärfung der Propaganda mitvollzog. Zum Zweiten war die Eskalation des Krieges der Worte auch eine sowjetische Reaktion auf die veränderte geopolitische Lage nach Kriegsende. Die gemeinsame Besetzung Deutschlands und Österreichs durch die Alliierten konfrontierte die Sowjetunion „hautnah" mit westlichen Umgangsformen und westlicher Kritik. Das neu erwachte sowjetische Großmachtbewusstsein ließ jedoch keinerlei Kritik von außen zu, sondern wies diese von vornherein als „antisowjetische Propaganda" zurück. Die sowjetische Reaktion bestand in einer Verschärfung der Gegenpropaganda. Ein markantes Beispiel für diese Vorgangsweise ist die sowjetische Reaktion auf das Erscheinen erster westlicher Zeitungsberichte über von Rotarmisten in Österreich und Deutschland verübte Verbrechen im Jahr 1945. So berichtete im Oktober 1945 der stellvertretende Leiter des Sovinformbüros Solomon Lozovskij in einem Schreiben an das ZK der KPdSU34 von einer angeblichen „Kampagne" der Westmächte zur Diskreditierung der Roten Armee.35 Als Beweis für diese „Kampagne" wurden zahlreiche, in westlichen Medien erschienene Meldungen zitiert. Der „Daily Telegraph" habe am 17. September 1945 über Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen durch sowjetische Soldaten in Berlin berichtet, die „New York Times" und der „Christian Science Monitor" über Übergriffe in Wien. Die sowjetischen Stellen berücksichtigten nicht, dass es sich hier um Tatsachenberichte handelte, sondern gingen davon aus, dass eine von „führenden Kreisen der englischen, amerikanischen und französischen Bourgeoisie" inszenierte Kampagne „gegen das wachsende Prestige der Roten Armee und der Sowjetunion" stattfinde. Lozovskij, der den Bericht an die Politbüromitglieder Vjaceslav Molotov und Georgij Malenkov weiterleitete, vermeinte die Verantwortlichen für die „antisowjetische Kampagne" im britischen „Informationsministerium" und dem „US Office of War Information" orten 33

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Frederic C. Barghoorn, The Soviet Union Between War and Cold War, in: Philip E. Mosely (Hg.), The Soviet Union Since World War II. The Annals of the American Academy of Political and Social Science. Bd. 263. Philadelphia 1949, S. 1-8, hier: S. 3f. RGASPI, F. 17, op. 125, d. 316, S. 81f. Stv. Leiter Sovinformbüro Lozovskij an Außenvolkskommissar Molotov und Sekretär des ZK der KPdSU Malenkov, 5.10.1945. Text in: Gennadij Bordjugov - Wolfgang Mueller - Norman Naimark - Amold Suppan (Hg.), Russische Quellen zur Sowjetbesatzung in Österreich 1945-1955 (in Vorbereitung). Vgl. Pecatnov, Strel'ba cholostymi, S. 110. RGASPI, F. 17, op. 125, d. 316, S. 83-99. Bericht des Sektionsleiters im Propagandakoordinationsbüro Michel'son über die „Kampagne der Alliierten zur Diskreditierung der Roten Armee", 29.9.1945.

„Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" zu können. Als Gegenmaßnahme schlug er unter anderem vor, die sowjetischen Oberkommandierenden in Deutschland und Österreich anzuweisen, kompromittierendes Material über das Benehmen britischer, französischer und amerikanischer Soldaten und Offiziere zu sammeln und nach Moskau „zur Verwendung in der Weltpresse" zu senden. Wir wissen nicht, ob dieser Vorschlag umgesetzt wurde, doch tatsächlich stieg 1946/47 die Anzahl der sowjetischen Presseberichte über angebliche Übergriffe von GIs so rasch an, dass das amerikanische Kommando eine sowjetische Propagandaaktion vermutete. 36 Weiters zielten die sowjetischen Gegenangriffe auf eine Diskreditierung der amerikanischen Besatzungsmedien ab, welchen die sowjetische Propaganda die Verbreitung „sowjetfeindlicher (Hetz-)Märchen" sowie „dunkle Absichten" unterstellte. 17 Insgesamt war die auf Mai bis Juli 1946 konzentrierte erste sowjetische Attacke heftig genug, um auf amerikanischer Seite die Ansicht laut werden zu lassen, ein Zeitungskrieg zwischen den Alliierten sei ausgebrochen. 38 Impulse zur Eskalation gingen somit sowohl vom Zentrum aus als auch von der Peripherie und den sowjetischen Besatzungsapparaten vor Ort, welche die Anwesenheit und Aktivitäten der Westmächte in steigendem Maße als Argument dafür benützten, von ihren vorgesetzten Stellen in Moskau eine Ausweitung und Verschärfung der sowjetischen Propaganda zu fordern. Dies betraf Österreich ebenso wie Deutschland. So klagte das Informationsbüro der SMAD im November 1945, dass sich die politische Lage nach dem Einmarsch der Westmächte in Berlin „verkompliziert" habe und die britische und amerikanische Besatzung in Deutschland in ihrer Propaganda nicht nur ungeniert die Vorzüge der „westlichen Demokratie" propagierten, sondern auch die Sowjetunion und KPD kritisierten. 39 Im Frühjahr 1946 trafen in Moskau Berichte über das steigende Ausmaß und die „antisowjetische" Ausrichtung der britisch-amerikanischen Propaganda in Deutschland ein, zu deren Bekämpfung die Ausstrahlung sowjetischer Propagandasendungen für Deutschland durch einen zu errichtenden Radiosender in Lemberg gefordert wurde. 40 Etwa gleichzeitig berichtete die Propagandaabteilung der SCSK über die auch in Österreich auftretende angebliche antisowjetische Propaganda der Westmächte. 41 Als Beweise nannte der Leiter der Abteilung Oberst Pasecnik westalliierte Aussagen zugunsten einer Truppenreduktion, einer Aufhebung der Demarkationslinien und Reduktion der 36 37

Rathkolb, Politische Propaganda, S. 165. Die summenden „Stars and Stripes", in: Österreichische Zeitung, 12.5.1946; Mitteilung der TASS anlässlich des „Vorfalles" in Tulln, in: Österreichische Zeitung, 16.6.1946; Eine nicht zutreffende Information, in: Österreichische Zeitung, 7.7.1946; Neunfache Übertreibung: der Kern einer „Sensation" des amerikanischen Nachrichtendienstes, in: Österreichische Zeitung, 11.7.1946; Der Amerikanische Nachrichtendienst täuscht neuerlich die österreichische Öffentlichkeit, in: Österreichische Zeitung, 23.7.1946; A N D informierte falsch Uber die Sitzung des Alliierten Rates, in: Österreichische Zeitung, 31.7.1946; A N D nicht fähig zur wahrheitsgemäßen Information, in: Österreichische Zeitung, 9.8.1946.

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Rathkolb, Politische Propaganda, S. 127-129. Bonwetsch - Bordjugov - Naimark, Upravlenie propagandy, S. 2 9 ^ 0 , Dok. 4, a. d. Bericht des Informationsbüros der S M A D über die politische Lage in Deutschland, 3.11.1945, hier: S. 37f. Bonwetsch - Bordjugov - Naimark, Upravlenie propagandy, S. 47f., Dok. 7, Informationsbüro der S M A D an Außen Volkskommissar Molotov, 6.4.1946. RGASPI, F. 17, op. 125, d. 392, S. 16-36. Bericht des Leiters der Propagandaabteilung SCSK Pasecnik über die Arbeit der Abteilung im Februar 1946, 16.3.1946, hier: S. 20f.

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Wolfgang Mueller alliierten Kontrolle. Die von Pasecnik zitierten Beispiele belegen, dass die sowjetische Besatzung überaus empfindlich auf geringfügige interalliierte Meinungsverschiedenheiten reagierte und diese - als Argumente für eine notwendige Verschärfung der Propaganda - umgehend nach Moskau weiterleitete. Auf Kritik von österreichischer Seite reagierte die sowjetische Besatzung nicht minder aggressiv. Sowjetunion-kritische Aussagen kamen in Österreich insbesondere von der SPÖ, die sich nach den Wahlen 1945 bemühte, sich als konsequenteste antisowjetische und antikommunistische Partei in Österreich zu profilieren.42 Die sozialistischen Parteiorgane mit dem Zentralorgan „Arbeiter-Zeitung" (AZ) an der Spitze griffen daher Fälle von sowjetischen Übergriffen und Besatzungsverbrechen auf und hielten auch ihre Kritik am politischen System der Sowjetunion nicht zurück. Aus sowjetischer Perspektive handelte es sich dabei - ebenso wie bei der zitierten Kritik von Seiten der Westmächte oder den Forderungen der AZ nach einem alliierten Truppenabzug aus Österreich - um „antisowjetische Propaganda".43 Die sowjetische Besatzung reagierte mit Zensur, Verhaftungen und Gegenpropaganda. Ab 1946 attackierte die sowjetische Besatzungszeitung die „Arbeiter-Zeitung" und ihren Chefredakteur Oscar Pollak44, und im Sommer 1947 erfolgten die ersten Angriffe gegen den SPÖ-Vorsitzenden Vizekanzler Adolf Schärf, der von der „Österreichischen Zeitung" in die Nähe der „berüchtigten Goebbels-Propagandisten" gerückt wurde.45 Den dritten maßgeblichen Grund für die Eskalation der sowjetischen Besatzungspropaganda in Österreich bildeten die Nationalratswahlen vom 25. November 1945 und die KPÖ-Niederlage, die das vorläufige Scheitern der sowjetischen Volksfront-Strategie bedeutete. Praktisch alle sowjetischen Berichte über die politische Lage in Österreich aus den ersten Monaten des Jahres 1946 wiesen auf die durch den Wahlausgang „verschlechterte", „erschwerte" oder „verkomplizierte" politische Lage in Österreich hin und forderten eine Verstärkung der Propaganda, mit deren Hilfe die sowjetische Besatzung doch noch einen Machtwechsel zugunsten der Kommunisten sicherstellen zu können hoffte. Anfang 1946, wenige Wochen nach dem Wahldebakel der KPÖ und in Reaktion auf die „erschwerte innenpolitische Lage" in Österreich, forderte der Leiter der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee General Iosif Sikin eine Ausweitung der sowjetischen Pressepropaganda daselbst46, was zur Erweiterung des Umfanges der „Österreichischen Zeitung" und zur Schaffung einer sowjetischen Illustrierten für die 42 43 44

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Fritz Weber, Der Kalte Krieg in der SPÖ. Koalitionswächter, Pragmatiker und Revolutionäre Sozialisten 1 9 4 5 - 1 9 5 0 . Wien 1986, S. 37. RGASPI, F. 17, op. 125, d. 392, S. 9 9 - 1 2 2 . Bericht des stv. Leiters der Propagandaabteilung S C S K Merkulov über die Arbeit der Abteilung, 12.7.1946, hier: S. 100. Eine durchsichtige Kampagne, in: Österreichische Zeitung, 2 8 . 4 . 1 9 4 6 ; Alte Hetze - neu aufgetischt, in: Österreichische Zeitung, 10.5.1946; Eine gefährliche Kampagne, in: Österreichische Zeitung, 17.5.1946; Eine falsche Erklärung, in: Österreichische Zeitung, 12.6.1946; Verleumdung aus dritter Hand, in: Österreichische Zeitung, 4.6.1946; Die alte Leier in alten Händen, in: Österreichische Zeitung, 5.7.1946; Wohin geht Dr. Oscar Pollak?, in: Österreichische Zeitung, 12.7.1946; etc. Die Schwindelmethoden eines österreichischen Staatsmannes, in: Österreichische Zeitung, 17.7.1947. RGASPI, F. 17, op. 125, d. 4 2 6 , S. 2-A. Leiter GlavPU Sikin an Leiter Agitprop K P d S U Aleksandrov, 15.1.1946. Text in: Bordjugov u. a., Russische Quellen zur Sowjetbesatzung.

„Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" österreichische Bevölkerung führte. Zwei Monate später klagte der Leiter der Propagandaabteilung Pasecnik in dem Bericht der Propagandaabteilung vom März 1946 über die „reaktionäre" Haltung von SPÖ und ÖVP, ihre mangelnde Bereitschaft zu „wahrhaft demokratischen Reformen", Entnazifizierung, Bodenreform und Verstaatlichung sowie ihre Westorientierung und forderte neuerlich eine Verstärkung der sowjetischen Propaganda. 47 Die Belastung der sowjetisch-österreichischen Beziehungen durch den österreichischen Versuch, das von der UdSSR beanspruchte „deutsche Eigentum" zu verstaatlichen, brachte im Sommer 1946 die ersten Angriffe der sowjetischen Propaganda gegen die österreichische Regierung. Am 1. August druckte die ÖZ einen Artikel der „Izvestija" vom Vortag, worin das Verstaatlichungsgesetz als „unfreundlicher Akt gegenüber den Alliierten" verurteilt und die Frage aufgeworfen wurde, ob die österreichische Regierung das ihr im Zweiten Kontrollabkommen erwiesene „Vertrauen" rechtfertige. 48 In seiner Anfang Oktober 1946 von „Pravda" und ÖZ veröffentlichten Artikelserie „Österreich heute: Reaktion und Demokratie" bezichtigte der Wiener TASS-Korrespondent Nikolaj Kanin die „volksfeindlichen" Parteien ÖVP und SPÖ und die Westmächte, den Wiederaufbau Österreichs zu sabotieren, Kommunisten zu verfolgen, Arbeiter auszuhungern, faschistische Gruppen zu unterstützen und Österreich an Großbritannien und die USA verkaufen zu wollen. Ihnen gegenüber hätten sich die „fortschrittlichen Kräfte" zu formieren begonnen, und es sei noch unklar, wer in dem „heftig entbrannten Kampf siegen wird: die Reaktion [...] oder die neuen, fortschrittlichen Kräfte". 49 Insbesondere seit dem österreichischen Beschluss zur Teilnahme am Marshall-Plan und dem Ausscheiden der KPÖ aus der Regierung polemisierte die sowjetische Propaganda offen gegen diese: Die Regierung verzögere den Wiederaufbau, demokratische Reformen und die Entnazifizierung, verrate die Interessen der Bevölkerung und verwandle Österreich auf Anweisung ihrer britischamerikanischen „Dienstherren" in einen Vorposten für die ebenso aggressiven wie abenteuerlichen Kriegspläne des Westens. 50 Auch die „Russische Stunde" griff mit ihrer 1948 geschaffenen politischen Propagandasendung „Kommentar zur Lage von Josef Wiener" offen in die innenpolitische Auseinandersetzung ein.51 Der harte Konfrontationskurs gegenüber der österreichischen Bundesregierung, dem die „Russische Stunde" seither folgte, manifestierte sich in einer wachsenden Anzahl von Konflikten zwischen beiden Kontrahenten. 52 Im zweiten Halbjahr 1949 verschärfte sich auch die sowjetische Zensur. Der Einsatz der „Österreichischen Zeitung" und der „Russischen 47 48 49

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RGASPI, F. 17, op. 125, d. 392, S. 16-36. Bericht des Leiters der Propagandaabteilung SCSK Pasecnik über die Arbeit der Abteilung im Februar 1946, 16.3.1946. Verstaatlichung des deutschen Eigentums ungesetzlich, in: Österreichische Zeitung, 1.8.1946. Die Ursachen der Stagnation, in: Osterreichische Zeitung, 5.10.1946; Österreich heute - Demokratie und Reaktion, in: Österreichische Zeitung, 9., 11., 12.10.1946; Die tiefere Ursache, in: Österreichische Zeitung, 11.10.1946; Am Gängelband der Reaktion, in: Österreichische Zeitung, 3.1.1947; etc. Siehe ζ. B. Die Politik der österreichischen Regierung, in: Österreichische Zeitung, 25.7.1947. DÖW, Nachlass Toch, Kt. Russische Stunde I, Monatsprogramme 1947-1951. Für eine ausführliche Darstellung: Mueller, Österreichische Zeitung und Russische Stunde, S. 255-257. Moser, Propaganda und Gegenpropaganda, Anm. 99ff.

Wolfgang Mueller Stunde" im Zuge des Wahlkampfes 1949 53 und für die Streikbewegung im Herbst 1950 54 eröffnete eine Phase offener Attacken der sowjetischen Besatzungspropaganda gegen die Regierungsparteien 55 und unverhohlenen Eintretens für die KPÖ und ihre Ziele. Parallel dazu trachteten „Österreichische Zeitung" und „Russische Stunde", durch negative Berichte über die wirtschaftliche und politische Lage in Österreich den Unmut der Bevölkerung gegenüber der Bundesregierung zu schüren. 56 Im Wahlkampf 1953 intensivierte die sowjetische Besatzungspropaganda ihre Angriffe und betätigte sich intensiv als Wahlhelfer der linkssozialistisch-kommunistischen Volksopposition. 57 Die Wahlprogramme der Koalitionsparteien wurden hingegen als „Volksbetrug" bezeichnet 58 , und die „Russische Stunde" beschimpfte die Bundesregierung als „Unfähige, Falloten [!] und korrupte Menschen" und rief dazu auf, „mit den Burschen da oben aufzuräumen". 59 Hinzu kam die immer deutlichere antiamerikanische Ausrichtung der sowjetischen Besatzungspropaganda. Die „Österreichische Zeitung" veröffentlichte bereits im Juli 1946 die überaus Amerika-kritische Reportage Ilja Erenburgs „In Amerika", worin Ausbeutung, Rassenkonflikte und Profitgier in den USA sowie Kriegstreiberei

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Österreich vor den Wahlen, in: Österreichische Zeitung, 8.10.1949; Die „Pravda" zu den Nationalratswahlen in Österreich, in: ebd.; Nationalrat Fischer über die Nazifrage, in: ebd.; Erwin Scharf nach Rom eingeladen, in: ebd.; Erfolge des Linksblocks bei den Betriebsratswahlen, in: ebd.; KPÖ protestiert schärfstens gegen SP-Wahlterror, in: Österreichische Zeitung, 9.10.1949; Die Wahlen in Österreich, in: ebd.; Die Kräfte der Demokratie sind unbesiegbar, in: Österreichische Zeitung, 11.10.1949. 54 Österreichische Zeitung, 14.9. bis 8.10.1950; ÖIZG, Sammlung Rathkolb, Ordner Rundfunk, Summary of World Broadcasts III: Germany and Austria, Nr. 76, 4.10.1950, S. 47 (Bericht 27. und 28.9.1950 - Kopie). 55 SP-Fraktion fällt Arbeitern in den Rücken, in: Österreichische Zeitung, 8.6.1952; Weshalb Helmer die Tatsachen verdreht, in: Österreichische Zeitung, 10.6.1952; Österreichische Regierung hat Kontrollabkommen neuerlich verletzt, in: Österreichische Zeitung, 14.6.1952; Karnitz will die Rentner aushungern, in: Österreichische Zeitung, 17.6.1952; Pinkerton-Methoden in Waldbrunner-Betrieb. Bespitzelung von Verstaatlichten-Arbeitern, in: ÖZ 17.6.1952; Bundesregierung unterstützt amerikanische Kriegspläne in Westösterreich, in: Österreichische Zeitung, 18.6.1952; Figl-Schärf-Regierung bereitet Anschluss vor, in: Österreichische Zeitung, 19.8.1952. 56 Das Elend der geistig Schaffenden, in: Österreichische Zeitung, 9.10.1949; Wachsende Wohnungsnot in Wien, in: ebd.; Dreiviertel Millionen Österreicher ohne Wohnung, in: Österreichische Zeitung, 12.6.1952; Missbrauch, Korruption und Devisenverschiebung großen Stils, in: Österreichische Zeitung, 14.6.1952; Die Schulmisere bleibt bestehen, in: Österreichische Zeitung, 15.6.1952; Terroristische Entlassung demokratischer Bediensteter, in: Österreichische Zeitung, 17.6.1952; Preisanarchie bei Obst und Gemüse, in: Österreichische Zeitung, 22.6.1952. 57 Tägliche Neugründungen von VO-Komitees, in: Österreichische Zeitung, 4.1.1953; Imposante VOKundgebung in Eisenstadt, in: Österreichische Zeitung, 5.1.1953; VO-Erfolge in den Bundesländern, in: Österreichische Zeitung, 8.1.1953; Volksopposition im Vormarsch, in: Österreichische Zeitung, 10.1.1953. 58 SP-Wahlprogramm - ein neuer Volksbetrug, in: Österreichische Zeitung, 8.1.1953; Immer mehr Austritte aus dem VdU, in: Österreichische Zeitung, 11.1.1953; Aus dem Korruptionssumpf der SPVP-Koalition, in: Österreichische Zeitung, 15.1.1953; VP-Bonze prügelte einen Schüler zu Tode, in: Österreichische Zeitung, 4.2.1953; Empörung über schamlose Wahllügen der SP, in: Österreichische Zeitung, 22.2.1953. 59 ÖStA/AdR, BKA 160-PrM/1953. Vgl. Bruno-Kreisky-Archiv Wien, Abhörberichte der Polizeidirektion Wien/Abteilung 1-Journaldienst, Mappe „Hör zu, Kollege!" (Abhörberichte Jänner bis Februar 1953).

Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" überaus scharf angeprangert wurden. 60 Die sowjetische Rundfunkpropaganda für Österreich, die durch die Übernahme der Sendungen von Radio Moskau für Österreich, die Aufrüstung der „Russischen Stunde" durch ideologisch linientreue KPÖ-Mitglieder und eine auf sowjetischen Druck erzielte Ausweitung der Sendezeit auf über 16 Stunden pro Woche (1951) verstärkt wurde, schloss sich im Sommer 1947 mit der Ausstrahlung des Theaterstückes „Die Russische Frage" von Konstantin Simonov der prokommunistischen und antiamerikanischen Offensive der „Österreichischen Zeitung" an.61 Es folgten Ausschnitte aus Maksim Gorkijs Amerika-kritischer Reportage „In Amerika" sowie 1948 eine Sendereihe unter dem Titel „Amerika ohne Maske" mit Texten amerikanischer Autoren wie Sinclair Lewis, J. Seldes und Upton Sinclair 62 , wobei die soziale Situation und Verarmung in den USA in den düstersten Farben geschildert und angebliche arbeitsrechtliche und soziale Missstände anhand der Themen Gewissensfreiheit oder Monopolismus angeprangert wurden. 63 1947 erreichte die sowjetische Kampagne gegen die USA anlässlich der Gründung des Informationsbüros der kommunistischen Parteien (Kominformbüro) unter der Führung der UdSSR ihren ersten Höhepunkt und hielt bis in die 1950er Jahre an. Der allgemeinen sowjetischen Propagandalinie folgend, bezichtigte die „Österreichische Zeitung" die USA des rücksichtslosen Kolonialismus und Imperialismus 64 , attackierte die amerikanische Führung und stellte die US-Besatzung als Inbegriff rücksichtsloser Gewalttäter dar.65 Radio Moskau für Österreich prangerte Amerika und Großbritannien als „Hauptstützpunkte des zeitgenössischen Monopolkapitalismus" an, die durch ihre „imperialistische Expansionspolitik" die internationale Unruhe schüren würden. 66 Auch der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde den USA angelastet 67 , und Berichte über mangelhafte Entnazifizierung in Österreich wurden zum Ausgangspunkt einer sowjetischen Kampag-

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Österreichische Zeitung, 23., 24., 28.7.1946. Vgl. Wolfgang Mueller, „Wildwest in Wien dauert an". Das Bild von Amerika in der sowjetischen Besatzungs- und kommunistischen Parteipresse in Österreich 1945-1953, in: Jan Behrends - Arpad Klimo - Patrice Poutrous (Hg.), Antiamerikanismus in der Epoche des Kalten Krieges (in Druck). Österreichische Zeitung, 8.6.1947 und 15.6.1947. Vgl. Report of the US High Commissioner. 1947/7, S. 22. Zur Bedeutung der „Russischen Frage" in der sowjetischen Propaganda siehe James A. C. Brown, Techniques of Persuasion. From Propaganda to Brainwashing. London 1963, S. 120. Weitere antiamerikanische Sendungen in der „Russischen Stunde" waren „Das Schicksal des Reginald Davis" von Vladimir Kosevnikov und Josef Prut, Leonid Leonovs „Ein gewöhnlicher Mensch" sowie „Oberst Kuzmin" von Lev Sejnin und den Gebrüdem Tur. Siehe Österreichische Zeitung, 13.6.1947; Österreichische Zeitung, 15.2.1948; Österreichische Zeitung, 7.3.1948. Vgl. Rathkolb, Politische Propaganda, S. 543. DÖW, Nachlass Toch, Karton Russische Stunde I, Monatsprogramme 1947-1951. Österreichische Zeitung, 21.11.1948; Report of the US High Commissioner. 1949/5. Die Hüllen sind gefallen, in: Österreichische Zeitung, 17.8.1947. Wildwest in Wien dauert an, in: Österreichische Zeitung, 26.8.1947; Schlägereien amerikanischer Militärangehöriger beschäftigen Alliierte Stadtkommandantur, in: Österreichische Zeitung, 30.8.1947, Schweizer lernt Wiener Wildwest kennen, in: Österreichische Zeitung, 17.9.1947; Andauern der Wildwestzustände in Wien, in: Österreichische Zeitung, 23.9.1947. ÖIZG, Sammlung Rathkolb, Ordner Rundfunk, NA RG 260/Box 388 Radio Moscow, 30.5.1947 (Kopie). ÖIZG, Sammlung Rathkolb, Ordner Rundfunk, Box 58912-1 41/14 Monitoring Report, 28.6.1948 (Kopie).

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Wolfgang Mueller ne über eine angebliche Weltverschwörung der „amerikanischen Faschisten und ihrer Hintermänner". 68 In der „Russischen Stunde" skizzierte Kommentator Jenö Kostmann die Vereinigten Staaten als Gegenbeispiel zu positiven Entwicklungen in der Sowjetunion. Während es die Sowjetregierung vollbracht habe, durch Bewässerungsprojekte Wüsten in Gärten zu verwandeln, würden die amerikanischen Mittel in die Finanzierung der Kriegsabenteuer in Korea fließen. Die innere Lage der Vereinigten Staaten und des Westens sei nicht besser als jene Hitler-Deutschlands, „obwohl es zur Zeit noch keine Verbrennungen und Gaskammern gibt, aber das kann noch geschehen". 69 Auch Kultur und Kunst wurden der politischen Propaganda dienstbar gemacht. Anfangs hatte sich die sowjetische Propagandaabteilung damit begnügt, Gastspiele sowjetischer Künstler und Volkstanzensembles in Österreich zu organisieren und einige russische und sowjetische Klassiker im Spielplan der Wiener Bühnen zu platzieren. Die ersten österreichischen Auftritte des „Rotarmistenensembles" mit russischen Volkstänzen fanden bereits im Mai 1945 statt, danach zählte das Ensemble - zusammen mit anderen ähnlichen Gruppen - zu den beständigsten Attraktionen der sowjetischen Kulturpropaganda.70 Zwischen 14. Juli und 11. August 1945 begeisterte ein erstes großes Gastspiel sowjetischer Spitzenmusiker und Balletttänzer, an dem u. a. der Geiger David Ojstrach und die Tänzerin Galina Ulanova mitwirkten, die Wiener Bevölkerung.71 Auf sowjetische Initiative wurden an Wiener Theatern ab November 1945 russische und sowjetische Theaterstücke so ζ. B. Vassilij Svarkins „Ein einfaches Mädchen", „Ein junger Mann macht Karriere" von Aleksandr Ostrovskij sowie Ivan Turgenevs „Ein Monat auf dem Lande" herausgebracht.72 Dabei wurde aber von sowjetischer Seite weder Druck auf die Theater ausgeübt noch ein eigenes Theater gegründet. Die Bilanz der auf Wiener Bühnen aufgeführten Stücke aus alliierten Staaten war ausgewogen.73 Ab 1947/48 griff die sowjetische Propagandaoffensive auch auf den Theaterbereich über. Einen wichtigen Schritt dabei bildete die Theaterproduktion des bereits erwähnten Stückes „Die Russische Frage" von Konstantin Simonov. Nachdem die Wiener Erstaufführung des deutlich Amerika-kritischen Dramas, das bereits in Berlin, London und Prag für politische Skandale gesorgt hatte, 1947 auf amerikanische Intervention verhindert worden war, wurde es - nach einer Aufführung in Urfahr im Herbst 1947 - schließlich im März 1948 in Wien herausgebracht. Die Sowjetbesatzung war bestrebt, die Produktion, die gewisser-

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Vgl. die Abhörberichte des Bundespressedienstes: ÖStA/AdR, BKA 91049-111/1948 und 16333-111/ 1950. ÖIZG, Sammlung Rathkolb, Ordner Rundfunk, Summary of World Broadcasts III, Germany and Austria 74, 13.9.1950, S. 62 (Kopie). Mueller, Leuchtturm des Sozialismus, S. 277. Österreichische Zeitung, 19.7., 22.7., 2.8., 5.8.1945; Eva-Marie Csäky - Franz Matscher - Gerald Stourzh (Hg.), Josef Schöner. Wiener Tagebuch 1944/1945. Wien - Köln - Weimar 1992, S. 305-310, 18.7.1945; Wolfgang Mueller, Kul'turnaja politika Sovetskich vlastej ν Vene i Sovetsko-Avstrijskie kul'turnye otnosenija ν 1945g., in: Vestnik Moskovskogo Universiteta. Istorija. 2003/2, S. 85-104, hier: S. 101-103. Mueller, Österreichische Zeitung und Russische Stunde, S. 40f. Rathkolb, Politische Propaganda, S. 298f.; Elfriede Sieder, Die alliierten Zensurmaßnahmen zwischen 1945-1955 unter besonderer Berücksichtigung der Medienzensur. Phil. Diss. Wien 1983, S. 134.

„Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" maßen einen „Wendepunkt" in der sowjetischen Kulturpolitik in Österreich bildete 74 , zu einem Schlüsselereignis zu stilisieren. Außerdem bot die wohl markanteste von der Sowjetbesatzung geförderte Theaterproduktion in Österreich den Anlass zur Gründung der ersten kommunistischen, der Sowjetbesatzung nahe stehenden Theatergruppe in Österreich, nämlich des Wiener „Neuen Theaters in der Scala". 75 Erste Vorschläge dazu waren bereits 1946 von Seiten des österreichischen Schauspielers Karl Paryla mehrfach an die Sowjetbesatzung herangetragen worden, dort zu diesem Zeitpunkt aber noch auf taube Ohren gestoßen. 76 Zwei Jahre später passte Parylas Ansuchen besser in das Konzept der sowjetischen Propagandapolitik und wurde daher, nachdem die Schauspielergruppe mit der Aufführung der „Russischen Frage" den Beweis ihrer propagandistischen Verwertbarkeit geliefert hatte, durch die Gründung der „Scala" positiv erledigt. 1950 wurde als zweites nennenswertes Theaterprojekt das „Theater im Sowjetischen Informationszentrum" gestartet. In dessen Spielplan überwogen eindeutig antiamerikanische Politstücke, gemäßigte Werke blieben zwischen 1951 und 1953 auf die Kindervorstellungen beschränkt. Zur Aufführung gelangten Tendenzstücke wie etwa „Geheimarchiv des strategischen Dienstes" von Lev Sejnin und den Gebrüdem Tur und „Begegnung an der Elbe", deren Zielsetzung es war, „die Intrigen der amerikanischen Imperialisten" zu zeigen. 77 Außerdem brachte das Sowjetische Informationszentrum politisches Kabarett, dessen Programme unter der Leitung von Kurt Sobotka gegen die „österreichischen Kulturverweser und ihre transatlantischen Drahtzieher" polemisierten und sich mit einer „Texanisch Vienna-Monsteroperette im American Style" antiamerikanischer Klischees bedienten. 78 Insgesamt stellten sowohl die „Scala" als auch das Informationszentrum den Einsatz des Theaters als propagandistische Waffe durch die Sowjetbesatzung unter Beweis. 79 Auch sowjetische Wochenschauen und Filme wurden als „Waffe" der sowjetischen Propaganda eingesetzt. 80 Die sowjetische Verleihfirma „Sowexportfilm" und ihre ös-

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Oliver Rathkolb, Planspiele im Kalten Krieg. Sondierungen zur Kultur- und Theaterpolitik der Alliierten, in: Hilde Haider-Pregler - Peter Roessler (Hg.), Zeit der Befreiung. Wiener Theater nach 1945. Wien 1997, S. 4 0 - 6 4 , hier: S. 46. Wilhelm Pellert, Roter Vorhang, rotes Tuch. Das Neue Theater in der Scala 1948-1956. Wien 1979; Carmen Renate Köper, Ein unheiliges Experiment. Das Neue Theater in der Scala 1948-1956. Wien 1995. Pellert, Roter Vorhang, S. 22, 34, 36. Österreichische Zeitung, 29.10.1952, zit. nach: Rathkolb, Planspiele im Kalten Krieg, S. 48. Zum Spielplan siehe: Mueller, Leuchtturm des Sozialismus, S. 272-277 und 284f. Ebd. Ausführlicher in: Mueller, Österreichische Zeitung und Russische Stunde, S. 45-51 und 302-304. Zur Wochenschau siehe: Moser, Propaganda und Gegenpropaganda. Zum sowjetischen Film im Kalten Krieg siehe: Peter Kenez, Soviet cinema in the age of Stalin, in: Richard Taylor - Derek Spring (Hg.), Stalinism and Soviet Cinema. London 1993, S. 54-68; Maja Turovskaya, Soviet films of the Cold War, in: ebd., S. 131-141; Graham Roberts, A Cinema of Suspicion or a Suspicion of Cinema. Soviet Film 1945-54, in: Gary D. Rawnsley (Hg.), Cold-War Propaganda in the 1950s. London - New York 1999, S. 105-123; Sergei Kapterev, Representations of the Cold War Enemy in Soviet Films of the 1940s-I950s. Conference paper. New York State University 2002; Dorothee Reinfried, Feinde oder Freunde? Historische Analyse des sowjetischen Spielfilms „Vstreca na El'be". Phil. DA. Wien 2003.

Wolfgang Mueller terreichische Tochtergesellschaft „Universalfilm" brachten einerseits sowjetische und deutsche Kultur- und Kommerzfilme zur Aufführung, andererseits Filmepen des Sozialistischen Realismus wie ζ. B. „Lenin im Oktober" und „Der Schwur" und Propagandastreifen wie etwa die Filmfassungen der bereits erwähnten Politstücke „Die Russische Frage" und „Begegnung an der Elbe".81 Ergänzt wurde das Verleihprogramm durch - zum Teil künstlerisch wertvolle, zum Teil rein kommerzielle, stets aber politisch „linientreue" - Produktionen der Rosenhügel-Studios unter sowjetischer Führung. 82 Ein weiteres Medium, das ebenso wie Theater und Film zwischen „harter" und „weicher" Propaganda changierte, waren Ausstellungen. Die erste Gelegenheit, sich mit sowjetischen Leistungen auf dem Gebiet zeitgenössischer Malerei vertraut zu machen, hatte das österreichische Publikum 1947 in einer am 20. Februar im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) eröffneten Großausstellung von Werken des Sozialistischen Realismus. Die „Österreichische Zeitung" hatte bereits zuvor die „Gesundheit dieser Kunst, ihre unversiegbare Vitalität" gerühmt und konstatiert, dass die sowjetische Kunst nichts von „jener mystischen Entartung und [...] formalistischen Künstelei" an sich habe, welche die bildende Kunst anderer Länder präge.83 Die in Wien gezeigten großformatigen Werke der sowjetischen Staatskünstler Aleksandr und Sergej Gerasimov, Aleksandr Dejneka und Arkadij Plastov umfassten Genrebilder, Historiengemälde und Stalin-Porträts. Die Schau, die als offizielle sowjetische Selbstdarstellung gelten konnte84, wurde laut Angaben der ÖZ während ihrer vierwöchigen Gesamtöffnungsdauer von 30.000 Besuchern gesehen, deren positive, mit der stalinistischen Kunstdoktrin übereinstimmende Reaktionen von der sowjetischen Besatzungszeitung zitiert wurden. 85 Bei der Ausstellung im MAK handelte es sich um die größte von der Sowjetbesatzung in Österreich inszenierte. Die zahlreichen weiteren Präsentationen, die ab 1950 überwiegend im Sowjetischen Informationszentrum stattfanden, waren u. a. rumänischen Briefmarken, sowjetischen Kinderbüchern, den Errungenschaften des Sozialismus in der UdSSR und Osteuropa sowie der „Anwendung der bakteriologischen Waffe in Korea durch die amerikanischen Kriegsbrandstifter" 86 gewidmet. Ab Mitte 1953 ließen die Intensität der sowjetischen Propaganda insgesamt sowie ihrer antiamerikanischen Ausrichtung im Besonderen nach. Ins Zentrum als neues Hauptfeindbild rückte Westdeutschland, dessen Militarismus - vor dem Hintergrund der Wiederbewaffnung und des drohenden NATO-Beitritts der BRD - von sowjetischer Seite polemisch überzeichnet und mit jenem Preußens und Nazi-Deutschlands gleichgesetzt wurde.87

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Mueller, Leuchtturm des Sozialismus, S. 271f. Rathkolb, Die „Wien-Film"-Produktion am Rosenhügel, S. 117-132; Prucha, Agfacolor und Kalter Krieg. Österreichische Zeitung, 20.2.1946. Ebd., 9.1.1947. Ebd., 25.3.1947. Ebd., 20.5.1952. Vgl. Mueller, Leuchtturm des Sozialismus, S. 279f. Mueller, Österreichische Zeitung und Russische Stunde, S. 128.

,Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter"

Zum Stellenwert der Propaganda Die große Bedeutung, die von sowjetischer Seite der Propaganda und der „politischen Arbeit" im Rahmen der Mission der Sowjetbesatzung in Österreich beigemessen wurde, lässt sich durch eine Reihe von Fakten belegen. Erstens ist zu beachten, dass die Rechtsgrundlagen der sowjetischen Besatzung in Österreich politische Arbeit und Propaganda als überaus wichtige Aufgaben definierten. Die Verpflichtung, Propaganda unter der österreichischen Bevölkerung durchzuführen, wurde bereits 1945 dem Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission übertragen. Das Zweite Kontrollabkommen von 1946 verpflichtete die Alliierten weiters, die österreichische Regierung bei der Schaffung eines „gesunden und demokratischen nationalen Lebens" zu unterstützen und ein „fortschrittliches Erziehungsprogramm" mit der Aufgabe, „alle Spuren der Nazi-Ideologie auszumerzen und der österreichischen Jugend demokratische Grundsätze einzuprägen", zu sichern. 88 Die Bestimmung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission schließlich legte fest, dass die sowjetische Besatzung in Österreich als eine ihrer wichtigsten Aufgaben neben (1.) der Kontrolle der Tätigkeit der österreichischen Regierung und der Umsetzung der alliierten Beschlüsse auch (2.) die „politische Arbeit und Propaganda unter der österreichischen Bevölkerung" durchzuführen sowie (3.) „den demokratischen Organisationen Österreichs bei der Festigung ihres Einflusses in der sowjetischen Zone [und] in den sowjetischen Betrieben sowie bei der Erhöhung ihrer Rolle im gesellschaftlich-politischen Leben des Landes" zu helfen habe. 89 Die überaus prominente Nennung der Propaganda an zweitoberster Stelle aller Aufgaben der Sowjetbesatzung lässt keinen Zweifel daran zu, dass ihr von sowjetischer Seite eminente Bedeutung beigemessen wurde. Auch auf institutioneller Ebene spiegelt sich die zentrale Rolle der Propaganda wider. So entwickelte sich die Propagandaabteilung bald zur größten aller 28 Einheiten des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission, zweimal größer als die nächstkleinere Wirtschaftsabteilung. Rechnet man die 34 sowjetischen Mitarbeiter des Besatzungsorgans „Österreichische Zeitung" hinzu, zeigt sich, dass über 30 Prozent des gesamten Mitarbeiterstabes des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission (ohne Kommandanturen, Stand 1951) für Propaganda und „politische Arbeit" eingesetzt waren. Aus Deutschland ist das gleiche Phänomen bekannt. 90

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Text des Zweiten Kontrollabkommens in: Stephan Verosta (Hg.), Die internationale Stellung Österreichs 1938 bis 1947. Eine Sammlung von Erklärungen und Verträgen aus den Jahren 1938 bis 1947. Wien 1947, S. 104-112. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 72. Zit. nach: Mueller, Sowjetbesatzung, S. 152. Text in: Bordjugov u. a., Russische Quellen zur Sowjetbesatzung. Vgl. dazu den Beitrag von Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich, in diesem Band. Gerd Dietrich, „... wie eine kleine Oktoberrevolution ...". Kulturpolitik der SMAD 1945-1949, in: Gabriele Clemens (Hg.), Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945-1949. Stuttgart 1994, S. 2 1 9 236, hier: S. 220; Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 380.

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Wolfgang Mueller Ein weiteres Indiz für die große Bedeutung der Propaganda im Rahmen der sowjetischen Besatzungspolitik in Österreich ist der zunehmend propagandistische Charakter der sowjetischen Tätigkeit im Alliierten Rat. Auf Grund der im Zweiten Kontrollabkommen 1946 vorgenommenen Einschränkungen der alliierten Kompetenzen besaßen die Besatzungsmächte im Rahmen ihres Mandates nur noch wenige direkte Eingriffsmöglichkeiten in die österreichische innenpolitische Lage und Gesetzgebung. Das Einstimmigkeitsprinzip für Beschlüsse des Alliierten Rates reduzierte den Handlungsspielraum der Besatzungsmächte weiter, denn mit Beginn des Kalten Krieges konnten sich die Alliierten immer seltener auf gemeinsame Maßnahmen einigen, womit der Alliierte Rat sich zunehmend von einem Beschlussorgan zu einem Forum für Wortgefechte und propagandistische Erklärungen wandelte. Eine Vielzahl sowjetischer Anträge und Stellungnahmen in den alliierten Gremien war daher weniger darauf ausgerichtet, Zustimmung der anderen Alliierten zu erlangen, als vielmehr darauf, Widerhall in den sowjetisch kontrollierten Medien zu finden und als Munition im Kampf um die öffentliche Meinung zu dienen. Direkt bestätigt wurde dies durch eine Aussage des stellvertretenden Hochkommissars Aleksej Zeltov, der im Mai 1948 in Reaktion auf die Anregung des Leiters der Informations-Unterabteilung Oberstleutnant Poltavskij, den Alliierten Rat verstärkt für die sowjetische Propaganda zu nützen, nüchtern feststellte: „Der Alliierte Rat ist schon seit langem zu einer Tribüne für unsere Propaganda geworden."91 Das hohe Maß an Aufmerksamkeit, das von sowjetischer Seite der Propaganda in Österreich zuteil wurde, lässt sich auch durch die Entsendung einer ganzen Reihe von Sonderkommissionen des ZK der KPdSU nach Österreich illustrieren, deren Auftrag jeweils in der Überprüfung der sowjetischen Propagandaarbeit unter der einheimischen Bevölkerung bestand. Dieses Phänomen ist auch in Deutschland festzustellen. Die Kommissionen setzten sich aus hochrangigen ZK-Funktionären und Offizieren zusammen, die Prüfberichte wurden auf hoher politischer Ebene in Moskau behandelt.92 Die Initiatoren der Prüfungen waren meist im ZK-Apparat zu orten. Als Begründung für die Entsendung diente, dass die amerikanische Besatzung und österreichische „reaktionäre Kräfte" „antidemokratische und sowjetfeindliche Tendenzen" kultivierten, wogegen

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RGASPI, F. 17, op. 132, d. 5, S. 115-163, Stenogramm der Besprechung bei Generaloberst Kurasov zur Arbeit der Propagandaabteilung in Österreich, 15. bis 19.5.1948, hier: S. 136. Text in Bordjugov u. a., Russische Quellen zur Sowjetbesatzung. Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland, S. 267. Die erste Überprüfung der SMADPropagandaVerwaltung fand im Frühjahr 1946 statt. Siehe: Bonwetsch - Bordjugov - Naimark, Upravlenie propagandy, S. 143-147, Dok. 45, Leiter GlavPU Sikin an Leiter Agitprop ZK KPdSU Aleksandrov, 30.3.1946. Bereits im September 1946 entsandte das ZK eine zweite Prüfungskommission, bestehend aus dem Leiter der 7. GlavPU-Abteilung Generalmajor M. Burcev, dem Leiter der Internationalen Abteilung des ZK A. Panjuskin und dem stv. Leiter Agitprop K. Kusakov, nach Deutschland. Vgl. Bonwetsch - Bordjugov - Naimark, Upravlenie propagandy, S. 153, Anm. 1, sowie S. 154f„ Dok. 48, Sekretär des ZK KPdSU Suslov an Sekretär ZK Zdanov, 22.8.1946; Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 384f. Zu den Resultaten der Überprüfung: Bonwetsch - Bordjugov - Naimark, Upravlenie propagandy, S. 184—207, Dok. 51-53. Eine dritte Prüfung wurde im März/April 1948 durchgeführt: ebd., S. 210-216, Dok. 56, a. d. Bericht der Kommission des ZK der KPdSU an Sekretär des ZK Zdanov über die Ergebnisse der Überprüfung der Arbeit der SMAD-Informationsverwaltung, undat. [1948].

„Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" sich die sowjetische Propaganda nicht behaupte. 93 Im Rahmen einer eigens zum Thema Propaganda einberufenen dreitägigen Besprechung beim sowjetischen Hochkommissar in Österreich Generaloberst Vladimir Kurasov im Mai 1948 beklagte sich der Leiter der Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Oberst Lev Dubrovickij, dass seine Abteilung in zweieinhalb Jahren nicht weniger als drei Prüfungen über sich habe ergehen lassen müssen. 94 Dubrovickij monierte ferner, dass er niemals die Ergebnisse der Prüfungen mitgeteilt bekommen habe. Dabei konnte er von Glück reden, denn der Abschlussbericht der Prüfung von 1948 kritisierte ihn für schwere Fehler und konstatierte, dass die Arbeit seiner Abteilung „zaghaft" erfolge und „defensiv" sei. Die sowjetische Propaganda habe wenig Erfolg bei der österreichischen Bevölkerung, dafür aber umso größere Mängel und bedürfe der Verbesserung. Der beigefügte Entwurf eines ZK-Dekrets betonte, dass die Propaganda den wichtigsten Teil der Besatzungspolitik in Österreich darstelle, jedoch unzulässig vernachlässigt werde. In Konsequenz verordnete der Entwurf eine Aufstockung des politischen und Propagandaapparates der Sowjetbesatzung und eine Intensivierung seiner Arbeit. Die politische „Bombe", die in dem Entwurf versteckt war, war der Befehl, Dubrovickij und auch den für die „politische Arbeit" und Propaganda letztverantwortlichen Besatzungsoffizier, Generaloberst Zeltov, der als Hauptschuldiger an dem Desaster betrachtet wurde, abzuberufen, Zeltov auf einen Inlandsposten in der UdSSR zu versetzen, Dubrovickij aber überhaupt zu entlassen.95 Zweifellos sollten die Propagandaverantwortlichen als Sündenböcke für die mangelnden politischen Erfolge der sowjetischen Besatzungspolitik dienen. Es ist unwahrscheinlich, dass der zitierte Entwurf bestätigt wurde, denn weder Zeltov noch Dubrovickij wurden vor dem Ende ihrer Dienstzeit in der SCSK 1950 abberufen, und Zeltov wurde drei Jahre später sogar Leiter der Politischen Hauptverwaltung der Streitkräfte der UdSSR. Dennoch belegt der Vorfall die große Bedeutung, welche der „politischen Arbeit" und Propaganda im Rahmen der sowjetischen Mission in Österreich beigemessen wurde. Dieser hohe Stellenwert der Propaganda war zweifellos ein Resultat des Kalten Krieges. Der Kampf zwischen Ost und West um Einfluss und Durchsetzung der eigenen politischen und wirtschaftlichen Ziele in Österreich sowie zwischen den mit den Westmächten „verbündeten" nichtkommunistischen Parteien und der von der UdSSR unterstützten KPÖ wurde aus sowjetischer Perspektive getreu der dem Marxismus93

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RGASPI, F. 17, op. 125, d. 392, S. 169-171. Leiter Agitprop KPdSU Aleksandrov und Sekretär des ZK der KPdSU Suslov an Sekretär des ZK der KPdSU Zdanov, Februar 1947. Text in: Bordjugov u. a., Russische Quellen zur Sowjetbesatzung. RGASPI, F. 17, op. 132, d. 5, S. 115-163. Stenogramm der Besprechung, 15. bis 19.5.1948, hier: S. 159. RGASPI, F. 17, op. 132, d. 5, S. 2-14. Bericht der Kommission des ZK der KPdSU „Über den Zustand der sowjetischen Propaganda in Österreich" und Verordnung (Postanovlenie) des ZK der KPdSU „Über die Maßnahmen zur Verbesserung der sowjetischen Propaganda in Österreich", Entwurf, undat. Text in: Bordjugov u. a., Russische Quellen zur Sowjetbesatzung. Vgl. zu den Ergebnissen der ZK-Prüfungskommission über die politische Arbeit in Deutschland, die u. a. die Entlassung des Kriegsratsmitglieds General Bokov, des Leiters der SMAD-Propagandaverwaltung Oberst Tjul'panov sowie praktisch aller Abteilungsleiter der Propagandaverwaltung empfahl: Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 394.

Wolfgang Mueller

Leninismus innewohnenden manichäischen Weltsicht als ein Ringen zwischen den „fortschrittlichen" Kräften mit der UdSSR an der Spitze und den „reaktionären", „imperialistischen", „antisowjetischen" Elementen in den USA und Westeuropa sowie ihren österreichischen „Lakaien" (d. h. SPÖ und ÖVP) interpretiert. Die sowjetische Überzeugung war, dass die „fortschrittlichen" Kräfte unter der Führung der Sowjetunion die Oberhand und schließlich den Sieg erringen würden, dass dazu aber die Unterstützung der Volksmassen nötig sei, zu deren Gewinnung und Mobilisierung der massive Einsatz von Propaganda und „politischer Arbeit" dienen sollte. Propaganda spielte somit eine zentrale Rolle in diesem unerbittlichen Ringen, das - gemäß marxistisch-leninistischer Geschichtsauffassung - in dieser Phase der historischen Entwicklung auf der ganzen Welt tobte. Es war ein Kampf zwischen den beiden großen „Lagern", wie sie vom Politbüromitglied der KPdSU Andrej Zdanov anlässlich der Gründung des Kominform 1947 beschrieben wurden: dem Lager der Sowjetunion, der Völksdemokratien und der „fortschrittlichen" Kräfte auf der ganzen Welt einerseits und dem Lager der „reaktionären" und „imperialistischen" Kräfte in den USA und Westeuropa andererseits. Als einer der Schauplätze dieser Auseinandersetzung weltgeschichtlichen Ausmaßes wurde von sowjetischer Seite auch Österreich betrachtet. Der sowjetische Kommandant von Wien, Generalleutnant Nikita Lebedenko, fasste die sowjetische Wahrnehmung des auch in Österreich ablaufenden Konfliktes in die Worte: „Die Kanonen schießen nicht, das ist wahr. Aber der Kampf geht weiter."96 Der Kampf zwischen den beiden globalen „Lagern" hatte somit auch Österreich erfasst. Eine seiner „Waffen" war die Propaganda.

Zur Wirkung der Propaganda Im Unterschied zu den detaillierten Studien, die vom US-Propagandaapparat über den Erfolg der amerikanischen Medien- und Besatzungspolitik durchgeführt wurden97, verfügen wir über keine wissenschaftlich erhobenen Angaben zur Wirkung der sowjetischen Propaganda in Österreich. Dennoch ist es möglich, anhand der in der österreichischen Gesellschaft vorherrschenden psychologischen Voraussetzungen, des politischen Umfelds, des Charakters der Propaganda und der Verbreitung der sowjetischen Medien einige grundsätzliche Thesen zu formulieren. Die psychologischen Voraussetzungen für die Aufnahme der sowjetischen Propaganda in Österreich waren ungünstig. Zwar bestanden in der österreichischen wie in der deutschen Bevölkerung bereits aus Vörkriegs- und NS-Zeit antiamerikanische Ressentiments, doch wurden die Amerikaner trotz ihrer angeblichen Naivität und ihres schlechten kulturellen Einflusses als das Geringere von zwei Übeln betrachtet.98 Hingegen nahm die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung auf Grund antislawischer Vorurteile, des Antibolschewismus der Zwischenkriegs- und NS-Zeit sowie auf Grund negativer 96 97 98

Zit. nach: Savenok, Venskie vstreci, S. 86. Schönberg, Die amerikanische Medien- und Informationspolitik in Österreich, S. 126. Dan Diner, Verkehrte Welten. Antiamerikanismus in Deutschland. Ein historischer Essay. Frankfurt a. M. 1993, S. 123f.; Barbara Wiesmayr, Die Amerikanisierung Österreichs nach 1945. Phil. DA. Linz 1999, S. 20.

„Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter" Erfahrungen mit der Roten Armee eine reservierte bis ablehnende Haltung gegenüber der Sowjetunion ein. Ausgenommen von diesem Phänomen war eine verschwindende Minderheit aus Kommunisten und Russophilen. Die polarisierende sowjetische Besatzungspolitik und -propaganda waren nicht dazu geeignet, die negative Einstellung der Mehrheit abzubauen oder die Voraussetzung für eine Aufnahme der sowjetischen Propaganda zu schaffen. Auch das politische Umfeld, in dem die sowjetische Propaganda agierte, war ungünstig für ihre Aufnahme. Innenpolitisch war die traditionelle politische „Westorientierung" Österreichs durch die beiden Großparteien ÖVP und SPÖ, die bei den Nationalratswahlen 1945 gemeinsam knapp 95 Prozent der Stimmen erreichten, abgesichert. Auch 1949 und 1953 konnte die KPÖ als einzige klar prosowjetische und antiamerikanische innenpolitische Kraft bei bundesweiten Wahlen niemals viel mehr als fünf Prozent der Stimmen erzielen. Außenpolitisch wurde die amerikafreundliche Haltung Österreichs durch den Marshall-Plan, die amerikanische Propaganda, aber auch durch die unpopuläre Politik der UdSSR begünstigt. Der Kalte Krieg zwang die Bevölkerung Österreichs, sich zwischen Ost und West zu entscheiden. Aus den genannten historischen, politischen und ökonomischen Gründen konnte die Wahl nur zugunsten der USA und somit gegen die Sowjetunion ausfallen. Der Charakter der sowjetischen Propaganda, ihre der Zwei-Lager-Welt entstammenden dichotomischen Feindbilder, schrillen amerikafeindlichen Klischees und hysterisch wiederholten absurden Lügen, erleichterte ihre Aufnahme nicht. Diese Form der Propaganda entstammte einem totalitären System, in dem sie keiner Konkurrenz ausgesetzt war und durch das sperrfeuerartige Repetieren unveränderlicher Phrasen einen gewissen Erfolg erzielen konnte. In einer pluralistischen Meinungskonkurrenz war die sowjetische Propaganda aber - wie selbst führende Propagandaverantwortliche der KPdSU feststellten" - nicht geeignet, zu reüssieren. Der Mitarbeiter des US-Propagandaapparates Theodore Kaghan traf den Nagel auf den Kopf, indem er feststellte: „They refuse to accept the fact that the kind of propaganda, that works in their own country won't necessarily work in every other country. They underestimate the intelligence and sophistication of their readers, they ignore the fact that their trumpet is not the only trumpet heard in the country and they overestimate the power of the press. They are beating themselves with their own propaganda." 100 Der Grund dafür war nicht nur die geradezu sprichwörtliche und auch von sowjetischer Seite eingestandene Trockenheit und Langweiligkeit der sowjetischen Zeitungen. Als ein entscheidender Nachteil der sowjetischen Propaganda musste sich auch erweisen, dass jede ihrer Behauptungen anhand von konkurrierenden Medien überprüft und somit häufig falsifiziert werden konnte. Als das sowjetische Besatzungsorgan ζ. B. bei Ausbruch des Korea-Krieges eine kühne Täter-Opfer-Umkehr vollzog, indem sie das kommunistische Nordkorea als Opfer und Südkorea als Angreifer darstellte101, konnte

99 Pecatnov, Strel'ba cholostymi, S. 122. 100 Zit. nach: Schönberg, Die amerikanische Medien- und Informationspolitik in Österreich, S. 202ff. 101 Fateev, Obraz vraga, S. 129.

Wolfgang Mueller sich jeder Österreicher anhand aller nichtsowjetischen bzw. nichtkommunistischen Medien davon überzeugen, dass das Gegenteil zutraf. Ähnlich verhielt es sich bei den gegenseitigen Schuldzuweisungen der Alliierten nach dem periodischen Scheitern der Staatsvertragsverhandlungen. Auch unbeirrtes Beibehalten und monotones Wiederholen der eigenen Thesen steigerte die Glaubwürdigkeit der sowjetischen Propaganda nicht. Sie prallte daher am mehrheitlich antikommunistischen und sowjetunionkritischen Publikum meist wirkungslos ab, wenn sie nicht sogar antisowjetische Ressentiments verstärkte.102 Ein weiteres Indiz für den mangelnden Erfolg der sowjetischen Propaganda ist die geringe Verbreitung ihrer Trägermedien: Die Auflage der „Österreichischen Zeitung" fiel bis 1947 auf 30.000 bis 50.000, wohingegen jene der wichtigsten „gegnerischen" Medien, des amerikanischen „Kuriers" und der konservativen und sozialdemokratischen Parteiorgane mit je etwa 250.000 Exemplaren und der britischen „Weltpresse" mit 90.000 bis 170.000 ein Vielfaches betrugen. Die „Russische Stunde" konnte auf Grund der Schwäche ihres Senders überhaupt nur im Raum Wien und Umgebung empfangen werden, die Sendungen von Radio Moskau für Österreich waren in ihrem Bestimmungsland kaum hörbar. Sowjetische Propagandaliteratur in deutscher Sprache erwies sich in Österreich als wenig gefragt. 1950 belegten Meinungsumfragen der amerikanischen Besatzung in Österreich die „ideologische Westintegration" Österreichs.103 Die Wirkung der sowjetischen „harten" Propaganda auf die österreichische Gesellschaft dürfte als gering einzuschätzen sein. Andererseits ist es denkbar, dass die „weiche" Propaganda, die Gastspiele sowjetischer Musiker und Völkstanzgruppen, die Vorführungen von Kunst- und Zeichentrickfilmen, die Ausstellungen hochqualitativer Kinderbücher dennoch unter der österreichischen Bevölkerung zum Abbau negativer Vorurteile beitrugen und somit einen gewissen Erfolg erzielen konnten. Jedenfalls besaß die sowjetische Propaganda eine nicht zu unterschätzende Bedeutung als Erscheinung des Kalten Krieges, die den zwischen Ost und West tobenden Kampf der Worte und Ideologien begleitete, transportierte und auch verschärfte.

102 Wagnleiter, Coca-Colonisation, S. 91. 103 Schönberg, Die amerikanische Medien- und Informationspolitik in Österreich, S. 583ff.

Patricia Kennedy Grimsted

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhäzy Kulturelle Restitution an die UdSSR durch die westlichen Besatzungsmächte in Österreich und sowjetisches Beutegut österreichischer Herkunft Seit 1990 führten Enthüllungen über geraubte europäische Kunstschätze, die während der sowjetischen Besatzung Deutschlands in die UdSSR transportiert worden waren, weltweit zu Schlagzeilen. Die Antwort russischer Politiker darauf war der Vorwurf, dass russische Kulturschätze, die ihrerseits von den Nationalsozialisten geraubt worden waren, nie zurückgegeben worden waren. Viele Russen sprechen von Beutegut als eine Art von „Kompensation" für während des Zweiten Weltkrieges erlittene Verluste und Schäden. Dabei vergessen sie nur zu oft auf von den Westalliierten in der Nachkriegszeit geleistete Restitution an die UdSSR. Zahlreiche diesbezügliche sowjetische Quellen sind noch immer nicht frei zugänglich. Um den nahenden 50. Jahrestag des österreichischen Staatsvertrages, der 1955 die Besatzungszeit beendete, zu feiern, sind seit geraumer Zeit österreichisch-russische Verhandlungen im Gange, die die gegenseitige Rückgabe von Kunstschätzen zum Inhalt haben. 1 Nicht alle österreichischen Kulturschätze, die sich in Russland befinden, wurden bereits als solche identifiziert, und Angaben über ihren Verbleib sind in vielen Fällen noch geheim. Wenden wir uns aus diesem Grund erstens einigen in Russland vermuteten Büchern, Archiven und Kunstwerken aus Österreich zu. Zweitens werden wir aus historischen Gründen kurz die vergessene Restitution der Nachkriegszeit aus der britischen und der US-amerikanischen Besatzungszone betrachten. Vielleicht könnte die Rückgabe Zehntausender Bücher und anderer Kulturgüter, welche die Westalliierten nach dem 1

Der Beitrag wurde ursprünglich für die vom Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung (BIK) und der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN) am 13. und 14. Mai 2004 in Moskau veranstaltete Internationale Konferenz „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955" ausgearbeitet. Während meines Besuchs in Österreich und meiner Teilnahme am Internationalen Kongress über Archive (August 2004) wurde er erweitert. Besonders dankbar bin ich Evelyn Adunka für ihre in Österreich getroffenen Vorbereitungen sowie für die Durchsicht und Korrektur des deutschen Manuskriptes. Dank für ihre Hilfe und Beratung gebührt auch den vielen österreichischen und russischen Kollegen. Unterstützung für die Reisekosten in Österreich kam vom International Institute of Social History (Amsterdam), Reisekosten nach Russland wurden von einem kurzfristigen Stipendium des International Research & Exchanges Board getragen, die Forschung in Russland wurde teilweise von einem Stipendium des National Endowment for the Humanities bezahlt.

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Patricia Kennedy Grimsted Krieg aus Österreich an die Sowjetunion übergaben, als ein Vorbild für die Rückgabe österreichischer Kulturgüter und Archive durch Russland dienen. Die einzige bisherige sowjetische Restitution an Österreich bisher erfolgte in den 1960er Jahren und umfasste einige symbolische Archivakten. Im scharfen Gegensatz zur Situation im sowjetisch besetzten Deutschland kamen in Österreich nur wenige bedeutsame Fälle sowjetischer Plünderungen ans Tageslicht. Zweifellos kann dieser Umstand der „Moskauer Deklaration" durch die Alliierten (1. November 1943) zugeschrieben werden, die Österreich als erstes Opfer der NS-Aggression anerkannte.2 So führt Gerhard Sailer, der damalige Präsident des Österreichischen Bundesdenkmalamts (BDA), in einem Bericht aus dem Jahr 1996 lediglich die Plünderung durch sowjetische Truppen im Schloss Grafenegg in Niederösterreich an, dessen Eigentümer Nachfahren Clemens Wenzel Fürst von Metternichs waren und von welchem „sowjetische Soldaten Kunstwerke waggonweise abtransportierten, sodass ein leeres Schloss zurückblieb".3 Sailer hatte möglicherweise Zugang zu zusätzlichen Informationen, aber die einzige Auflistung, die unter den Berichten über die Plünderung von Grafenegg in den Akten des Denkmalamts gefunden wurde, beinhaltet lediglich 200 Bücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert - viele mit kalligraphischen Titelseiten drei Gemälde, davon eines aus dem 15. Jahrhundert, vier Skulpturen aus der Schlosskapelle aus dem 16. Jahrhundert und letztendlich „35 Meter Tapeten und Leder".4 Sailer ist der Meinung, dass Österreich die „schmerzhaftesten Verluste an Kulturgütern" als Folge des Zweiten Weltkriegs nicht durch die sowjetische Besatzungsmacht, sondern zuvor durch die Nationalsozialisten erleiden musste, mit besonderer Betonung auf deren so genannten „Entlehnungen" (oder „Leihverträgen") von Kulturobjekten, die als Dekoration für die nationalsozialistischen Büros verwendet und „kaum einmal zurückgegeben wurden".5 Er zählt die Wandteppiche auf, die von den Deutschen aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien entwendet wurden, und vermutet, dass die „drei dem Reichskanzleramt in Berlin geliehenen Stücke nach Russland gebracht wurden". Trotz seiner illustrierten Publikation konnten die Wandteppiche jedoch nicht lokalisiert werden.6 2

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Gerhard Sailer, Country Reports: Austria, in: Spoils of War: International Newsletter. 1996/3, S. 3 5 38, hier: S. 37, und elektronisch: http://www.dhh-3.de/biblio/bremen/sow3/craustri.htm. Zur Moskauer Deklaration vgl. u. a.: A Decade of American Foreign Policy: Basic Documents, 1941—49. Washington, D. C. 1950, und elektronisch unter http://www.yale.edu/lawweb/avalon/wwii/moscow.htm. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - Klagenfurt 2005, Dokument Nr. 3. Sailer, Country Reports: Austria, S. 37. Sailer wusste von die Existenz einer Auflistung der geraubten Stücke aus Schloss Grafenegg, aber die Untersuchung der Denkmalamtakten im August 2004 offenbarte eine viel eingeschränktere Beschlagnahme als von Sailer angedeutet. Ich danke dem Personal des Denkmalamts für die Sichtung ihrer Akten und das Kopieren der relevanten Dokumente. Die einzige Auflistung in der Grafenegg-Akte stammt aus dem Jahr 1947 (Nr. 4370), vgl. ebd., S. 54ff. Ebd., S. 37. Gerhard Sailer, Austria, in: Elizabeth Simpson (Hg.), The Spoils of War, World War II and Its Aftermath. The Loss, Reappearance, and Recovery of Cultural Property. New York 1997, S. 89f., hier: S. 89.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhdzy Sailer versäumt es dabei, die Enteignung von Kulturschätzen aus privaten jüdischen Sammlungen zu erwähnen, die sicherlich zu den wichtigsten und am weitesten verbreiteten kulturellen Verbrechen der Nazis zählten. Obwohl einige jüdische Kunstwerke an österreichische Museen und Bibliotheken gingen, wurden viele andere weit verstreut. Trotz einiger Wiedergutmachungen innerhalb des Landes in der Nachkriegszeit gab Österreich nur ungern öffentlich das zu, was ein Reporter von „ARTnews" im Jahr 1984 „das Vermächtnis der Schande" nannte, nämlich enteignete Kunst, die nicht zurückgegeben wurde. 7 Weltweites Aufsehen und ein zunehmendes öffentliches Interesse erregte die Mauerbach-Auktion 1996, als die österreichische Regierung 8000 Kunstwerke und Gegenstände, die jüdischen Familien geraubt worden waren, der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) übergab. Sie wurden in einer öffentlichen Auktion von Christie's versteigert. Das österreichische Kunstrückgabegesetz aus dem Jahr 1998 regelte die Restitution von während der NS-Zeit enteigneten Kunstwerken. Die Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der NS-Zeit im Jahr 1998 verursachte noch mehr Aufsehen. Die Öffnung von Quellenbeständen Mitte der 1990er Jahre, das Aufsehen rund um das „Nazi-Gold" und Schweizer Bankkonten führten zu einer internationalen Explosion von Literatur auf diesem Gebiet. Das eindruckvollste österreichische Resultat ist ein Handbuch Sophie Lillies aus dem Jahr 2003, in dem die Autorin 148 enteignete jüdische Kunstsammlungen auflistet, die sie jedoch nur als die „Spitze des Eisbergs" bezeichnet. 8 Nur wenig ist zudem über die Schätze aus österreichisch-jüdischen Sammlungen bekannt, die in der Nachkriegszeit in die Sowjetunion verbracht worden sein könnten. Nichtsdestotrotz deckte Sophie Lillie einige, bislang nur auf Vermutungen basierende Fälle auf. Sie dokumentierte beispielsweise den Weg von 41 Rembrandt-Stichen, welche der Familie Rudolf Gutmann aus Wien enteignet worden waren. Ausgesucht für Adolf Hitlers Sammlung in Linz, wurden sie zuerst im „Führerbau" in München und dann in Dresden gelagert. Gemeinsam mit den Besitztümern des Staatlichen Dresdner Kupferstich-Kabinetts brachte man sie 1943 ins Schloss Weesenstein in der Nähe von Pirna, wo sie Hermann Voss, der damalige Direktor der Dresdner Galerie und der Sammlung Linz, an den sowjetischen Kunsthistoriker Sergej Grigorov, Sekretär der Moskauer Kommission zur Erhaltung und Registrierung von Monumenten und Major einer sowjetischen Beutegut-Brigade, am 19. Juli 1945 übergab. Von dort verfrachtete man sie zunächst zum sowjetischen Sammelpunkt in Schloss Pillnitz. Später wurden sie in der Obhut der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland (SVAG) in Karlshorst, Berlin, gesichtet. 9 7 8 9

Andrew Decker, A Legacy of Shame, in: ARTnews 83. 1984/10, S. 54-74, hier: S. 54ff. Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens. Wien 2003. Lillie machte die Bemerkung während eines Treffens in Wien im August 2004. Lillie, Was einmal war, S. 438ff.; Lillie zitiert aus einem Brief von Rudolf Gutmann an seinen Rechtsanwalt (31. Mai 1963) und listet 44 Einzelstücke aus der Sammlung Gutmann auf, die alle - mit Ausnahme von drei „entarteten" - für Linz vorgesehen waren. Bezüglich der Beschlagnahmungen in Dresden und deren Schicksal vgl. Konstantin Akinsa - Grigorij Kozlov, Beautiful Loot. The Soviet Plunder of Europe's Art Treasures. New York 1995, S. 118ff.; Wemer Schmitt, Einleitung, in: Christian Dittrich (Hg.), Vermisste Zeichnungen des Kupferstich-Kabinettes Dresden. Dresden 1987, S. 5-11. Dieser Katalog enthält allerdings nicht die Gutmann-Zeichnungen und andere Werke, die für das Museum in Linz ausgewählt wurden.

Patricia Kennedy Grimsted Ebenso konnte Lillie die Beschlagnahme eines Dürerstichs aus der Sammlung Josephine Winter dokumentieren, welcher zuletzt in Dresden gesehen worden war.10 Bis zum September 2004 ließ sich das weitere Schicksal dieser Stiche nicht vollständig eruieren, aber es ist bekannt, dass die im Schloss Weesenstein und später in Pillnitz gesammelten Kunstschätze, gemeinsam mit Schätzen der Dresdner Galerie Teil einer speziellen Lieferung nach Moskau waren." Lillie listet auch einige kostbare Bücher und Manuskripte aus der Bibliothek von Gutmann auf, darunter einige illuminierte Stundenbücher, die angeblich in die UdSSR gebracht wurden. Aber wie bei den Rembrandt-Radierungen sind weder weitere Details oder ihr gegenwärtiger Verwahrungsort bekannt noch sind sie im gegenwärtigen russischen Inventar der Beutekunstschätze aufgelistet. Hinweise liegen außerdem auf ein weiteres, bereits erwähntes österreichisches Schloss vor, aus dem die sowjetische Besatzungsmacht Kulturgüter entwendet haben dürfte: Schloss Thürntal in der Nähe von Grafenegg, das den Deutschen als Sammelpunkt für enteignete jüdische Sammlungen - darunter die von Oskar Bondy, Rudolf Gutmann, der Brüder Alphonse und Louis Rothschild - sowie einigen österreichischen Kulturschätzen gedient hatte. Einer der höchsten sowjetischen Restitutionsbeamten, Stepan Ledovskich, inspizierte das Schloss im August 1946. Er sprach mit Vertretern des Bundesdenkmalamtes im Herbst 1946 über die hier gelagerten Kunstschätze. 39 Gemälde (angeblich Deutsches Eigentum) wurden daraufhin im Mai 1947 durch die Sowjets entwendet. 12 Details über das Schicksal der Kunstschätze, die in Thürntal gesammelt wurden, und welche davon nach Moskau gingen, müssen noch geklärt werden.13 Mehrere neue Berichte über den Fortschritt der Restitution erschienen in Österreich, inklusive einer umfassenden Reihe der Historikerkommission der Republik Österreich, die von der Bundesregierung mit diesen Recherchen betraut worden war.14 Eine weitere wichtige Publikation zum Thema Restitution beinhaltet u. a. Aufsätze über die Sammlung Mauerbach und die Berichterstattung über vom Bundesdenkmalamt gesammeltes

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Zur Sammlung Winter vgl. Lillie, Was einmal war, S. 1298ff. Als Quelle diente ihr eine für das Bundesdenkmalamt zusammengestellte Liste. 11 Akinsa - Kozlov, Beautiful Loot, S. 125ff. Konstantin Akinsa and Gregory Kozlov danke ich für den Versuch, diese Details zu verifizieren. 12 In einem zusammenfassenden Bericht Stepan Ledovskichs für die sowjetischen Besatzer im Jahr 1946 (AVP RF, F. 451, op. 2, d. 31, S. 52) - er wurde mir freundlicherweise von Wolfgang Mueller zur Verfügung gestellt - gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Sowjets auch nur ein einziges Stück des Inhalts zu diesem Zeitpunkt entwendet hätten. Spätere sowjetische Berichte wurden bisher nicht gefunden. 13 Theodor Brückler, Schloss Thürntal als Kunstgut-Bergungsort während des Zweiten Weltkrieges, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. 1997/98, 63/64, S. 217-222. Vgl. auch Faksimileausgaben bezüglich Schloss Thürntal in: Theodor Brückler (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute. Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege. Bd. 19. Wien 1999, S. 248ff. 14 Clemens Jabloner - Brigitte Bailer-Galanda - Eva Blimlinger u. a., Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Zusammenfassungen und Einschätzungen. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Bd. 1. Wien - München 2003. Die Kommission hat zusätzlich 20 Teilberichte herausgegeben, von denen sich viele mit dem Thema Restitution in Österreich beschäftigen.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhdzy Quellenmaterial. 15 Das Wien-Museum und die Wiener Stadt- und Landesbibliothek gaben jeweils eigene Berichte zum Thema Restitution heraus. 16 Während der NS-Zeit wurden in vielen Fällen Bücher und Archivmaterialien von denselben Sammlungen geraubt wie Kunstgegenstände. Einiges davon wurde zerstört, anderes in Deutschland verteilt und wieder anderes in den Bibliotheken Österreichs gelagert. Nach dem Krieg erfolgte allerdings nur eine teilweise Restitution. In einigen Fällen wurden Bücher jüdischer Besitzer nach Israel geschickt, wie in dem kürzlich erschienenen Buch von Evelyn Adunka beschrieben. Ab 1990 begannen die größeren Bibliotheken der Stadt Wien, ihre Neuanschaffungen während der NS-Zeit zu untersuchen. In der Nationalbibliothek wurden daraufhin mehr als 14.000 Bücher und 11.000 andere Objekte identifiziert, welche allmählich bzw. sofern möglich ihren Eigentümern zurückgegeben werden. 17 Reportagen über solche Rückgaben wurden anlässlich einer Konferenz der Wiener Stadt- und Landesbibliothek im April 2003 präsentiert. 18 Eine erste Fallstudie behandelt 570 Pahlevi-Papyrusrollen und frühe persische Pergamente aus der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, welche sich heute in der Eremitage in St. Petersburg befinden. Weder durch Beschlagnahme durch die deutsche Polizei noch durch „Entlehnung" wurde die Kollektion, die in einem Katalog vor dem Krieg gut beschrieben worden war, im Jahr 1936 in das Atelier des Restaurators Hugo Ibscher nach Berlin gebracht. 19 Im Jahr 1981 retournierte das Staatsmuseum in Ostberlin 31 Papyrusrollen und zwei Pergamente der vermissten Sammlung nach Wien. 20 Der Rest der Sammlung war von einer sowjetischen Brigade nach dem Krieg beschlagnahmt worden. Da sie aber in ihren originalen Papierhüllen geblieben und Spezialisten bekannt waren, wurden sie 1990 in der Eremitage wiedererkannt. 1992 stimmte der Direktor der Eremitage, Boris Petrovskij, und ein Jahr später auch die Staatliche Restitutionskommission Russlands der Rückgabe nach Wien zu. Im Herbst 2004 befanden sie sich aber im-

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Kurt Haslinger, Mauerbach und der lange Weg bis zur Auktion: 1966-1996, in: Theodor Brückler (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute. Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege. Bd. 19. Wien 1999, S. 39-52. Museen der Stadt Wien - Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Hg.), Die Restitution von Kunst- und Kulturgegenständen aus dem Besitz der Stadt Wien 1998-2001. Wien 2002. Zu weiteren Details siehe Evelyn Adunka, Der Raub der Bücher. Plünderung in der NS-Zeit und Restitution nach 1945. Bibliothek des Raubes. Bd. 9. Wien 2002; Evelyn Adunka, Bücherraub in und aus Österreich während der NS-Zeit und die Restitutionen nach 1945, in: Claus-Dieter Krohn - Erwin Rotermund - Lutz Winckler - Wulf Koepke (Hg.), Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Bd. 22. Bücher, Verlage, Medien. Unter Mitarbeit von Ernst Fischer. München 2004, S. 180-200; Evelyn Adunka, Der Raub von Büchern, in: Gabriele Anderl - Alexandra Caruso (Hg.), NS-Kunstraub in Österreich und seine Folgen. Innsbruck - Wien 2005 (in Druck); Murray G. Hall - Christina Köstner - Margot Werner (Hg.), Geraubte Bücher. Die Österreichische Nationalbibliothek stellt sich ihrer Vergangenheit. Wien 2004. Informationen über die internationale Konferenz „Raub und Restitution in Bibliotheken" (23. bis 24. April 2003) befinden sich auf der Webseite der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. http://www. stadtbibliothek.wien.at/biblothek/veranstaltungen/restitution/programm-de.htm. Die Publikation der Inhalte ist in Vorbereitung. Professor Hermann Harrauer, Direktor der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, klärte mich über ihr Schicksal in einem Brief auf. Wien, 8.6.2004. Helene Loebenstein, in: Festschrift 100 Jahre Papyrus Erzherzog Rainer. Wien 1983, S. 31 f.

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Patricia Kennedy Grimsted mer noch in St. Petersburg.21 Bisher entdeckte man keine Aufzeichnungen darüber, wann und wo sowjetische Agenten diese Pahlevi-Papyrusrollen gefunden hatten. Und das, obwohl sowjetische Kunstspezialisten eine riesige Warensendung orientalischer Bücher und Manuskripte, darunter auch einige Papyrusrollen der Bibliothek der Preußischen Akademie der Wissenschaften, im Bergwerk von Winterhall in Sachsen und weitere 14 Kisten mit Papyrusrollen der Leipziger Universitätsbibliothek in einem Warenlager nahe Leipzig gefunden hatten.22 Als Antwort auf eine Gegenklage von russischer Seite gaben österreichische Spezialisten nun zu, dass die Kopie der „Merkur"-Statue von Giambologna (Jean de Bologne) aus dem 16. Jahrhundert, die sich zur Zeit in Schloss Eggenberg in Graz befindet, tatsächlich jene Kopie ist, die von den Deutschen während des Krieges aus Pavlovsk geraubt worden war. Russische Experten untersuchten die Statue ebenfalls und kamen im Mai 2002 zu dem Ergebnis, dass die Bronzestatue tatsächlich diejenige ist, die 1783 in Petersburg durch einen Abdruck vom florentinischen Original aus dem Jahr 1580 - ausgestellt im Museum von Bargello - angefertigt worden war. Obwohl man die Statue zuerst im Park von Puskin (heute: Carskoe Selo) bei St. Petersburg aufstellte, ließ sie Zar Paul I. nach dem Tod von Katharina II. nach Pavlovsk bringen, wo sie in der Inventarliste der Palastschätze aus dem Jahr 1801 aufscheint. Um 1920 befand sich der „Fliegende Merkur" im Zentrum einer Skulpturenallee im Norden des Palastes. Da eine Evakuierung im Juli 1941 nicht mehr möglich war, wurden die Statuen in bewaldeten Gebieten des Areals vergraben. Die NS-Invasoren entdeckten nicht alle dieser Statuen, aber sie fanden den „Fliegenden Merkur". Sein Weg nach Graz kann nicht mehr zurückverfolgt werden, aber ein Hinweis auf seinen österreichischen Aufenthaltsort erfolgte 1979, nachdem er in einer Ausstellung von Giambologna-Skulpturen in Wien gesehen wurde. In einem unlängst erschienenen Artikel von Nikolaj Petrovskij, Spezialist für Restitution im russischen Ministerium für Kultur und Massenmedien, heißt es, der „Fliegende Merkur" könnte eventuell ein Austauschobjekt für die Pergamente und Papyrusrollen sein, die Österreich von der Eremitage fordert. 23 21

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Sailer, Country Reports: Austria, S. 36. Laut Sailer erklärte sich Nikolaj Petrovskij „einverstanden, die immer noch in ihren originalen Papierhüllen verpackte Sammlung zurückzugeben; die Rückgabe scheitere aber seither an der Bürokratie". GARF, F. 5325, op. 10, d. 2030, S. 9ff. Spisok chudozestvennych i kul'turnych cennostej, namecennych k vyvozu ν SSSR iz soljianych sachtach vokrug Magdeburga i iz Leipciga i ego okrestnostej; GARF, F. 5325, op. 10, d. 2030, S. 14ff. Perecen' i Charakteristika kul'turnych cennostej, nachodjazcichsja ν soljanych sachtach vokrug Magdeburga i iz Leipciga i ego okrestnostej. Die 14 Kisten mit Papyrus sind auf Blatt 28 festgehalten, andere orientalische Kollektionen, einschließlich einiger aus der Bibliothek der Preußischen Akademie der Wissenschaften scheinen ebenfalls auf diesen Listen auf. Eine Arbeitskopie dieser Listen befindet sich in: GARF, F. A534, op. 2, d. 4, S. 234ff. Nikolaj Petrovskij, Plenennyj Merkurij, in: Echo planety. 2003, S. 50f. Ich danke Nikolaj Petrovskij für die Zurverfügungstellung einer Kopie seines Artikels und die Beantwortung meiner Fragen; er dokumentierte die Beschlagnahme der Skulptur durch die Nazis mithilfe von ERR-Aufzeichnungen aus Kiew. Vgl. auch frühere Aufsätze des Pavlovsker Kurators Evgenij Korelev, z. B. Evgenij V. Korelev, Polety Merkuriia. Carskoe Pavlovsk - Graz, in: Sud'by muzejnych kollekcij: Materialy VII Carskosel'skoj nauchnoj konferencij. Sankt Petersburg 2001, S. 7 9 - 8 3 . Dieser Aufsatz wurde geschrieben, bevor einer der Direktoren von Pavlovsk die Statue in Graz untersuchte und daraufhin in Graz im Mai 2 0 0 2 ein Protokoll unterschrieb, mit dem sich die österreichische Seite einverstanden erklärte.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung

Esterhdzy

In letzter Zeit gibt es auch immer mehr Aufschlüsse über die Plünderung des Eisenstädter Schlosses der Familie Esterhäzy im Burgenland durch sowjetische Truppen. „Zeitzeugen" erinnern sich, dass die Rote Armee im April 1945 den Palast plünderte und zumindest sechs Lastwagenladungen mit Kunst, Möbeln und Büchern abtransportierte.24 Obwohl die Beschlagnahme und der Transport nach Moskau noch nicht durch schriftliche Hinweise belegt werden konnten, fand man bis jetzt 870 Bände der Esterhäzyschen Bibliothek in der „Abteilung für Seltene Bücher" der Allrussischen Staatsbibliothek für fremdsprachige Literatur, Μ. I. Rudomino (VGBIL) in Moskau. Die Bücher, inklusive Inkunabeln, und Gepräge aus dem 16. und 17. Jahrhundert tragen verschiedene Stempel der Familie Esterhäzy.25 Die VGBIL erwarb die Bücher 1949 und 1952 vom sowjetischen Außenministerium und anderen Institutionen, aber weder zum damaligen noch zum heutigen Zeitpunkt gab bzw. gibt es Aufschlüsse über ihren Verbleib bzw. ihre Herkunft. 26 Mindestens 20 weitere seltene, mit dem Stempel der Familie Esterhäzy versehene Bücher wurden in der Staatlich-Öffentlichen Historischen Bibliothek Russlands (GPIB) in Moskau lokalisiert. Man kann davon ausgehen, dass sich dort und in anderen russischen Bibliotheken noch heute „Beutebücher" befinden. Soweit bekannt ist, sind die Esterhäzyschen Bücher die einzigen aus Österreich, die bisher in der russischen Hauptstadt identifiziert wurden. 1958, als die Sowjetunion Kulturschätze nach Ostdeutschland zurückgab, wurden unter anderem auch 332 geraubte Esterhäzy-Bücher aus Moskau „retourniert". In der Folge gaben sie die ostdeutschen Behörden im Jahr 1961 an Ungarn weiter, und erst im Jahr 2003 kamen sie letztendlich zur Familie Esterhäzy nach Österreich.27

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Teresia Gabriel, eine Spezialistin der Esterhäzyschen Familienstiftung, präsentierte einen Bericht über die Geschichte und die Beschlagnahme der Familienbibliothek auf der Konferenz der Allgemeinen Russischen Bibliothek für Fremdsprachige Literatur (VGBIL). Vgl. Teresia Gabriel, Cultural Valuables, in: Search of New Solutions to Old Problems. 2004 (in Druck). Vgl. das Handbuch der VGBIL-Stiftung Esterhäzy, Peremescennye kniznye fondy. Kollekcija knjazej Estergazi, in: http://www.libfl.ru/restitution/ester/index.html mit einer kurzen Einleitung: Iz istorii odnoj kollekcii. Abbildungen der Exlibris der Familie Esterhäzy sind reproduziert in: Ε. A. Korkmazova - Ε. V. Zuravlena - Ν. N. Zubkov (Hg.), Inostrannye kniznye znaki ν sobranii redkich knig VGBIL/Foreign Book Signs in the Rare Book Collection of the Library of Foreign Literature. Moskau 1999, S. 106 (70, E53^*9) u. 258 (T42-23), auch als Datei auf der Webseite der VGBIL zugänglich. Zusätzlich zum MID haben sich Bücher im Institut für Internationale Beziehungen und der Bibliothek der Zentralmarine erhalten. Ich danke Karina Dmitreva, Direktorin der VGBIL, Abteilung für Seltene Bücher, für weitere Informationen über die Kollektion. Ein Bericht über die Sammlung, vorbereitet von Karina Dmitreva und Nikolaj Zubkov, Knigi iz sobrannija knjazej Esterchazi-Galanta ν fonde VGBIL, wurde in Sudak, Krim, am 8. Juni 2004, präsentiert und ist in Materialy Konferencii „Krym 2000". C D - R O M . Moskau 2004, publiziert worden. Ich bin Karina Dmitreva für weitere Informationen über die Kollektion dankbar; bedauerlicherweise war es ihr nicht möglich, weitere Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation (AVP RF) zu erhalten. Eine Spezialistin der Esterhäzyschen Familienstiftung, Teresia Gabriel, informierte mich freundlicherweise über Details bezüglich der Bücher, die an Ungarn gingen und die sie auch persönlich nach Hause begleitet hatte. Sie berichtete über die Familienbibliothek und ihre Geschichte bei der VGBILKonferenz in Moskau am 6. September 2004.

Patricia Kennedy Grimsted Mehr weiß man über die Reise eines kleinen Dokumentenbestandes aus dem Archiv der Familie Esterhäzy, welcher sich zur Zeit im Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF), geordnet in 51 Akten, befindet. Im April 1945 beschrieb ein Bericht der Roten Armee, dass die Materialien im Schloss Esterhäzy - damals noch in Familienbesitz - nordwestlich von Kapuvar (Ungarn) gefunden worden waren.28 Erwähnt wurden sowohl die Korrespondenz Metternichs mit dem russischen Zaren Alexander I. als auch der diplomatische Schriftverkehr mit London und St. Petersburg.29 In einem Bericht vom Juni 1945 bestätigte das Zentrale Historische Staatsarchiv Moskau (CGIAM) den Erhalt von „beutegutartigem Dokumentationsmaterial, welches im Schloss der Grafen Esterhäzy (Ungarn) gefunden worden war". Die Materialien beinhalten hauptsächlich „die Korrespondenz von Nikolaj Esterhäzy (1765-1833) und Prinz Paul-Antony Esterhäzy (1786-1866)", ebenso wie andere Materialien aus dem Familienbesitz, beispielsweise Metternichs handgeschriebene Manuskripte und Korrespondenz mit dem russischen Außenminister Aleksandr Gorcakov aus dem 19. Jahrhundert. 30 Der aktuelle EsterhazyBestand wird kurz im Archivhandbuch des Staatsarchivs der Russischen Föderation (GARF) beschrieben, aber die Manuskripte Metternichs oder Briefe an Alexander I. scheinen dort nicht auf.31 Keiner der sowjetischen Berichte aus dem Jahr 1945 erwähnt die Beschlagnahme von Büchern. Ganz anders verlief die Route vieler österreichischer Archive, welche zuerst von NS-Agenten nach dem „Anschluss" im Jahr 1938 und dann ein zweites Mal von Sowjet-Agenten in Schlesien beschlagnahmt wurden. Bis zum heutigen Tag befinden sie sich im ehemaligen Zentralen staatlichen Sonderarchiv der UdSSR (CGOA SSSR), das zum gegenwärtigen Zeitpunkt Teil des Russischen Staatlichen Militärarchivs (RGVA) in Moskau ist. Diese österreichischen „Beuteakten" wurden von Stefan Karner and Gerhard Jagschitz in einem kommentierten, 1996 in Graz herausgegebenen Band ausführlich beschrieben. 32 Obwohl die Autoren den Weg dieser Archive nicht zurückverfolgen, 28

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Prinz Paul Esterhäzy wurde nach dem Krieg vor Gericht gestellt und in Ungarn inhaftiert. Nach seiner Freilassung verließ die gesamte Familie 1956 Ungarn und floh nach Österreich. Andere Teile des ungarischen Familienarchivs befinden sich jetzt in den Nationalarchiven in Budapest und in weiteren ehemaligen Familienbesitztümem in Ungarn. Über die Beschlagnahme der Materialien in Ungarn durch den Leiter der Politverwaltung der 2. und 3. Ukrainischen Front berichtet GlavPU-StellVertreter Siskin an Georgij Malenkov am 14. April 1945 in Zentralkomiteeakten, die sich zur Zeit in RGASPI, F. 17, op. 125, d. 320, befinden. Abgedruckt in: Gennadij Bordjugov - Wolfgang Mueller - Norman Naimark - Arnold Suppan (Hg.), Russische Quellen zur Sowjetbesatzung in Österreich 1945-1955 (in Vorbereitung). Ich bin Wolfgang Mueller für einen Vorabdruck des Dokuments dankbar. Der Erwerb durch die Vorgängerinstitution des GARF, CGIAM, von der Politische Hauptverwaltung der Sowjetischen Arbeiter- und Bauernarmee (GlavPURKKA) wurde von den CGIAM-Direktoren, Vladimir Maksakov und Morovskaja, dem Leiter des GAU NKVD, I. Nikitinskij, am 16. Juni 1945 mitgeteilt. GARF, F. 5325, op. 2, d. 1353, S. 47. Erwähnung findet auch ein Brief des russischen Außenministers Aleksandr Gorcakov und ein Brief Metternichs (1859), aber diese befinden sich nicht im Bestand des GARF. Die Esterhäzy-Papiere (Bestand 721, 1818-1893) werden beschrieben in: Putevoditel'. Fondy GARF po istorij Rossij XIX - nacala XX vv. Bd. 1. Moskau 1994, S. 313. Gerhard Jagschitz - Stefan Karner, „Beuteakten aus Österreich". Der Österreichbestand im russischen „Sonderarchiv" Moskau. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 2. Graz - Wien 1996.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung

Esterhdzy

wissen wir, dass die meisten von ihnen sofort nach dem „Anschluss" 1938 vom Sicherheitsdienst (SD) oder anderen NS-Behörden beschlagnahmt und nach Berlin gebracht wurden. Sie wurden daraufhin beim Sicherheitsdienst im späteren Siebenten Büro des RSHA (Reichssicherheitshauptamt), Amt VII (Emserstraße 12), gelagert. 33 Viele geraubte Bücher, darunter auch österreichische, kamen in die Zentrale des RSHA. 34 Die Archivmaterialien und einige Bücher wurden im Sommer 1943 nach Schlesien gebracht, die restlichen Bücher aber kamen ins Sudetenland, wo sie nach dem Krieg in tschechische Hände fielen. Schon Mitte 1943 wurden die meisten Archivbestände des Amts VII im imposanten Schloss Fürstenstein (das heutige polnische Ksi^z), ungefähr acht Kilometer nördlich von Waldenburg (Walbrzych), gelagert. 35 Im Mai 1944 verlegte man die RSHA-Archive ins entlegene Schloss Wölfelsdorf (Wilkanow), etwa 120 Kilometer südlich von Breslau (Wroclaw), welches daraufhin das zentrale Archivlager des RSHAAmts VII wurde. Eine sowjetische Brigade entdeckte es jedoch im Sommer 1945. Die österreichischen Archive kamen in jene 28 Waggons, die von sowjetischen Archiveinheiten des N K V D auf Befehl Lavrentij Berjas nach Moskau gebracht wurden. 36 Mit einer großen Ausnahme verblieben alle Archive österreichischer Herkunft, die im Herbst 1945 von Wölfelsdorf nach Moskau abtransportiert worden waren, im RGVA. Das Archiv der Wiener Familie Rothschild wurde nach zehn Jahren Verhandlung im November 2001 schließlich dem Rothschild-Archiv in London übergeben. 37 Dieser bemerkenswerte „Austausch" brachte den russischen Archiven eine wichtige Sammlung 33

Vgl. Patricia Kennedy Grimsted, Twice Plundered or „Twice Saved"? Russia's „Trophy" Archives and the Loot of the Reichssicherheitshauptamt, in: Holocaust and Genocide Studies. 2001/15(2), S. 191-244, hier: S. 191ff.; Patricia Kennedy Grimsted, Trophies of War and Empire. The Archival Heritage of Ukraine, World War II, and the International Politics of Restitution. Cambridge, MA 2001, S. 288ff.; eine aktualisierte russische Übersetzung erschien in: Ezegodnik socjial'noj istorii. Moskau 2004. Vgl. auch Patricia Kennedy Grimsted, New Clues in the Records of Archival and Library Plunder during World War II. The ERR Ratibor Center and the RSHA VII Amt in Silesia, in: F. J. Hoogewoud - E. P. Kwaardgras u. a. (Hg.), The Return of Looted Collections (1946-1996). An Unfinished Chapter. Proceedings of an International Symposium to Mark the 50th Anniversary of the Return of Dutch Collections from Germany. Amsterdam 1997, S. 52-67, hier: S. 52ff. Ich bereite derzeit eine ausführliche Berichterstattung über diese Operationen vor.

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Vgl. besonders die Arbeit von Werner Schröder, Jüdische Bibliotheken im Reichssicherheitshauptamt 1936-1945, anlässlich der Konferenz der Wiener Stadt- und Landesbibliothek im Jahr 2003, von der ich freundlicherweise eine Vorauskopie erhielt. Vgl. auch frühere Schriften von Dov Schikorsky, Das Schicksal jüdischer Bibliotheken im Dritten Reich. Bibliotheken während des Nationalsozialismus. Bd. 2. Wiesbaden 1992, S. 189ff. Das Schloss Fürstenstein, manchmal auch als Schloss Freiburg (das heutige polnische Swiebodzice) bekannt, war der Stammsitz der Grafen von Fürstenstein und Prinzen von Pless, die lange mit der preußischen Königsfamilie, eine der größten in Schlesien, verbunden waren. Heute ist Schloss Fürstenstein, das sich ungefähr fünf Kilometer südwestlich von Swiebodzice befindet, ein beliebtes staatliches Museum mit einem Hotel und einem Touristenzentrum. Grimsted, Twice Plundered or „Twice Saved"?, S. 191 ff. Vgl. dazu den in Kürze erscheinenden Bericht: Victor Gray, Direktor des Rothschild-Archivs in London. Victor Gray, The Return of the Austrian Rothschild Archives (in: Sammelband zur Konferenz der „European Association for Jewish Studies (EAJS)", Amsterdam 2002 (in Vorbereitung). Vgl. die frühere Beschreibung von Frank Trentmann, New Sources on an Old Family: the Rothschild Papers at the Special Archive, Moscow - and a Letter from Metternich, in: Financial History Review. 1995/2( 1), S. 73-79; RGVA, F. 637k, op. 2, d. 419; 1769-1939. Vgl. auch Jagschitz - Karner, „Beuteakten aus Österreich", S. 128ff.

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Patricia Kennedy Grimsted kaiserlicher Russica ein - über 5000 Briefe des russischen Zaren Alexander II. an seine nicht standesgemäße Frau, Prinzessin Ekaterina Dolgorukaja (Ekaterina Jur'eva), welche die Familie Rothschild 1999 bei Christie's ersteigert hatte (Verkaufspreis: 250.000 $). Die Familienarchive waren, abgesehen von den Stahlwerken und anderem Geschäftseigentum, sicher nur ein kleiner Teil der Kunstschätze, den die Familie für Leben und Überleben während des Holocausts im Exil zu zahlen hatte.38 Gemäß russischem Gesetz über erbeutete Kulturschätze sollen fast alle erbeuteten österreichischen Archive, die sich noch immer in Moskau befinden, wie die der Familie Rothschild, zur Rückgabe bestimmt sein, da sie von „Opfern des Nazi-Regimes" konfisziert wurden. Unter den „zweifach geraubten" oder „zweifach geretteten" Beuteakten aus Österreich, die sich noch immer in Moskau befinden, sind einige wichtige Aufzeichnungen des Bundeskanzleramtes aus der Zeit von 1906 bis 1938 (Bestand 515k) und anderer Regierungsbüros, österreichische Geschäftsberichte sowie Archive von Zeitungen, Sportvereinen, religiösen, kulturellen, pazifistischen Organisationen, studentischen Verbindungen, Frauenvereinen, dem Österreichischen Esperantobund (Bestand 539k), der Theosophischen Gesellschaft (Bestand 1291k), um nur einige zu nennen. Von speziellem politischen Interesse sind die umfangreichen Aufzeichnungen der Vaterländischen Front (Bestand 514k), mit einem separat arrangierten Bestand für Niederösterreich (Bestand 540k). Österreichisch-freimaurerische Archive sind nicht in verschiedene Bestände aufgeteilt, aber das von Jagschitz und Karner herausgegebene Buch listet über 45 österreichische Suchanfragen auf, deren Akten sich in der großen paneuropäischen Sammlung der Freimaurer im RGVA (Bestand 1412k, mit annähernd 14.500 Akten, davon zumindest 4660 Akten österreichischer Herkunft) befinden sollen.39 Mindestens 30 Beuteakten mit persönlichen Unterlagen stammen von führenden Politikern, Rechtsanwälten sowie der intellektuellen und kulturellen Elite, darunter dem konservativen Bankier und Volkswirt Gottfried Kunwald (1869-1938) (Bestand 616k), dem Volkswirt Ludwig von Mises (1881-1973) (Bestand 623k), dem rechtsgerichteten Volkswirt und Philosophen Othmar Spann (1878-1950) (Bestand 658k), dem konservativen Regierungsberater und Pressesprecher Karl Werkmann (Bestand 603k), dem Diplomaten und Monarchisten Friedrich von Wiesner (1871-1951) (Bestand 704k) oder etwa dem Sozialphilosophen und Politiker Ernst Karl Winter (1895-1959) (Bestand 1202k). Erwähnenswert sind auch die Sammlungen des österreichischen Grafen von Bellgarde (Bestand 1474k, vor allem aus dem 18. und 19. Jahrhundert) und der fürstlichen Familie von Reuss-Köstritz (1500-1855) (Bestand 1500k).

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Vgl. dazu Lillie, Was einmal war, S. 1002ff. (Alphonse und Ciarice) u. 112ff. (Louis); Felicitas Heimann-Jelinek, Von Arisierungen und Restituierungen. Zum Schicksal der Rothschild'sehen Kunstund sonstigen Besitztümer in Wien, in: Theodor Brückler (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute. Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege. Bd. 19. Wien 1999, S. 76-90; Thomas Trenkler, Der Fall Rothschild: Chronik einer Enteignung. Wien 1999. Vgl. die hilfreichen Kommentare in: Jagschitz - Karner, „Beuteakten aus Österreich", S. 212ff. Eine weitere Bewertung der Freimaurersammlung im RGVA durch Experten könnte zusätzlich Details ans Tageslicht bringen.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhäzy Aufzeichnungen österreichisch-jüdischer Herkunft beinhalten Beuteakten vieler gesellschaftlicher, politischer und zionistischer Organisationen einschließlich die der Israelitischen Kultusgemeinden in Wien (Bestand 707k) und Graz (Bestand 709k), umfassende Akten der Israelitischen Allianz (Bestand 675k) und der Israelitisch-theologischen Lehranstalt in Wien (Bestand 717k), des politisch konservativen Bundes Jüdischer Frontsoldaten (Bestand 672k) sowie das persönliche Archiv des Oberrabbiners der Steiermark David Herzog (1869-1946) (Bestand 1204k). Erwähnenswert ist, dass sich nicht weniger als 281 Beuteakten der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, deren Mitglieder während der NS-Zeit entweder flohen oder ermordet wurden, dort befinden. 40 Wie so manche Suchhilfe für jüdische Aufzeichnungen und Aufzeichnungen der Freimaurer im RGVA, die für den sowjetischen Sicherheitsdienst nicht die höchste Priorität darstellten, wurden nicht alle Bestände im Archiv professionell beschrieben. Beispielsweise wurden in den Originalverzeichnissen - Kopien davon wurden für die IKG ins Deutsche übersetzt - 75 Manuskripte der IKG in Hebräisch oder anderen Sprachen nicht identifiziert. Sie werden einfach als „Manuskripte (oder Materialien) in früher jüdischer Sprache" aufgelistet, Daten und Autoren sind unbekannt. 41 Kürzlich wurden in Verbindung mit der Herausgabe eines Findbuchs für die jüdischen Bestände im RGVA im Rahmen des von New York unterstützten Projekts „Judaica" komplexere Beschreibungen vorbereitet. Die neuen Verzeichnisse sind annähernd vollständig, aber offensichtlich wurden die hebräischen Bestände noch immer nicht mit den Vörkriegskatalogen aus Wien verglichen. 42 Einige Bestände der IKG in Moskau wurden auch für Archive in Israel verfilmt, wobei israelische Spezialisten berichten, dass eine beträchtliche Vermischung von Materialien in den verschiedenen jüdischen Beständen im RGVA vorliegt. Ein israelischer Archivar wies etwa darauf hin, dass sich im Bestand 707k zumindest zwei Akten aus dem persönlichen Archiv von Rabbiner Joseph Isaac Schneersohn (1880-1950) (Bestand 706k) befinden. Außerdem scheinen rund 50 Akten im Fonds 707k eigentlich zum Bestand des „Jüdisch-theologischen Seminars" (717k) zu gehören. Andere verstreute Akten gehören wahrscheinlich zum persönlichen Nachlass des Talmudgelehrten Meir Friedman, der am Wiener Beth Hamidrasch lehrte. Einige dieser Akten und Akten der

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Ich untersuchte die drei Originalbestandslisten der Aufzeichnungen über die Wiener Kultusgemeinde in Moskau (im Juli 2004) als Vorbereitung für diesen Bericht. RGVA, F. 707k, op. 3, d. 281, S. 17821940. Teile des umfangreichsten ersten Verzeichnisses aus dem Jahr 1951 umfassen Aufzeichnungen über Administration, Emigration, Finanzen, Schulbildung und die Bibliothek, die beiden anderen Verzeichnisse beinhalten ähnliche Materialien, nur wurden sie später hinzugefügt. Vgl. dazu die Kommentare in: Jagschitz - Kamer, „Beuteakten aus Österreich", S. 156ff. RGVA, F 707k, op. 1-3. Diese Bezeichnung schien bei ungefähr 45 Akten des ersten Verzeichnisses auf, bei Nr. 30 bis 39 im zweiten und bei 19 von 22 im dritten. Erst die Fertigstellung der neuen Verzeichnisse wird neue Aufschlüsse bringen. Der Direktor des RGVA, Vladimir Kuzelenkov, arrangierte für mich freundlicherweise, dass ich kurz Teile der vorläufigen Kopie einsehen konnte, aber die Korrelationen mit den Katalogen aus der Vorkriegszeit fehlen noch. Ich bedanke mich auch beim stellvertretenden Direktor, Vladimir Korotaev, für seine Hilfe bei der Verifizierung dieser Details. Auf der Basis der Beschreibungen für das von New York finanzierte Projekt entstehen neue Verzeichnisse, aber bei meinen letzten Besuch im RGVA im Oktober 2004 waren diese noch nicht fertig gestellt.

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Patricia Kennedy Grimsted IKG Wien befinden sich zudem in dem als deutsch-jüdischer Provenienz beschriebenen Bestand 1325k.43 Die österreichischen Akten in diesem Bestand (1325k) wurden bereits 1992 in einer in Deutschland publizierten Beschreibung aufgelistet.44 Zur Erstellung einer genauen Liste der österreichischen Ansprüche wird es daher notwendig sein, dass Spezialisten der IKG die als deutsch-jüdisch bezeichneten Bestände im RGVA genau durchsehen und die russischen Findbücher überprüfen. Die früheren Sonderarchiv-Bestände im RGVA sind heute öffentlich zugänglich, und es wäre für die österreichischen Spezialisten sicherlich zielführend, dies zu nutzen. Bisher ist nicht bekannt, wie viele Manuskripte der Wiener Kultusgemeinde unter den 250 „Manuskripten in früher jüdischer Sprache" waren, die das Sonderarchiv 1949 an die Staatliche V.-I.-Lenin-Bibliothek der UdSSR (GBL) in Moskau übergab, aber laut ihrem Nachfolger, der Russischen Staatsbibliothek (RGB), vom September 2004 wurden zumindest 20 der unbearbeiteten hebräischen Manuskripte als solche identifiziert.45 Der Umstand, dass diese Manuskripte niemals inventarisiert wurden, führte zum - in einigen Fällen auch berechtigten - Verdacht, dass einige der kostbarsten Manuskripte am Antiquariatsmarkt verkauft wurden, vor allem in Israel. Die meisten hebräischen Manuskripte, die vor dem Krieg im Besitz der IKG (oder anderswo in Österreich) waren, wurden von Arthur Zacharias Schwarz 1925, 1931 und 1973 beschrieben. Diejenigen, die sich nun in den zwei Moskauer Archiven befinden, müssten nun mit denen im Katalog von Schwarz verglichen werden.46 Der Spezialist für hebräischen Manuskripte der Jewish National and University Library (JNUL) in Jerusalem, Benjamin Richler, fand während eines Besuches in Moskau 57 Manuskripte unter 247, die sich in der früheren Lenin-Bibliothek (jetzt RGB) befinden. Nicht alle diese Manuskripte wurden von Schwarz beschrieben, und einige der rund 50, die er der IKG zuschreibt, sind Dissertationen, Notizbücher oder andere Fragmente. Richlers aktuelle

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Ich beziehe mich besonders auf Berichte (noch immer ohne spezifische Details) von Hadassah Assouline, Direktor des Zentralarchivs für die Geschichte der Juden in Jerusalem, in einem Brief vom 10.10.2004. Von solchen Problemen berichteten auch einige andere Spezialisten. Götz Aly - Susanne Heim, Das Zentrale Staatsarchiv in Moskau („Sonderarchiv"). Rekonstruktion und Bestandsverzeichnis verschollen geglaubten Schriftguts aus der NS-Zeit. Düsseldorf 1992, S. 40-43. Der Erhalt der Manuskripte durch die Lenin-Bibliothek ist im Transferakt, aufbewahrt im Archiv der Russischen Staatsbibliothek, aufgezeichnet. RGB, op. 25, Nr. 93, S. 43. Obwohl ein älterer Angestellter des RGB 2004 von zumindest 20 IKG-Manuskripten sprach, versuchen Spezialisten im Department of Manuscripts derzeit zu verifizieren, wie viele Manuskripte Wiener Provenienz sich dort befinden. Arthur Zacharias Schwarz, Die hebräischen Handschriften der Nationalbibliothek in Wien. Leipzig 1925; Arthur Zacharias Schwarz, Die hebräischen Handschriften in Österreich (außerhalb der Nationalbibliothek in Wien). Bibel - Kabbala. Bd. 1. Leipzig 1931; Bd. 2. New York 1973. Teil Β des zweiten Bandes wurde von Samuel Loewinger und Ernst Roth vorbereitet. Beachtenswert ist, dass einige andere Kataloge über hebräische Manuskripte in Wien vor dem Zweiten Weltkrieg von Schwarz (1890-1939) zusammengestellt wurden, die möglicherweise im Zuge des Krieges verwechselt wurden. Schwarz war Gemeinderabbiner in Wien und Sohn des Rektors der Israelitisch-theologischen Lehranstalt in Wien, von welcher auch einige Manuskripte nach dem Krieg nach Moskau kamen. Vgl. RGVA, F. 717k.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhdzy Website beschreibt Schwarz' Katalognummern für acht und teilweise für zwei Manuskripte der IKG, die sich jetzt in der Russischen Staatsbibliothek in Moskau befinden. Weiters schreibt er: „Most of the pre-sixteenth-century MSS that may have been in the library are apparently no longer there." 47 Richler, der den Antiquariatsmarkt untersuchte, listet Beschreibungen von Schwarz für 16 Manuskripte auf, von denen die meisten 1995 in Jerusalem bzw. zwei auch in New York verkauft wurden. Er spekuliert im Zusammenhang mit der Beutekunstsammlung der RGB: „The ,good stuff' is or was floating on the market and almost all that is left in Russia is second or third rate." 48 Die Beuteakten der Wiener IKG sind ein gutes Beispiel für die weitreichende Verstreuung von Archiven in Kriegszeiten und den schleppenden Fortschritt der Restitution - nur wenige Bücher und Manuskripte der umfangreichen Vorkriegssammlung kamen nach Wien zurück. Heute ist die Rückgabe schwierig, da nur wenige Erben in Wien leben. In der unmittelbaren Nachkriegszeit rechneten die Mitglieder der IKG, die das Kriegsinferno überlebt hatten und nach Wien zurückgekehrt waren, damit, dass ihre Archive und intakt gebliebenen Bücher nach Israel kamen. Erst in den 1990er Jahren fanden sie heraus, dass andere Materialien zwar ebenfalls erhalten, aber weit verstreut waren. Wichtige hebräische Manuskripte der IKG werden im Jüdisch-historischen Institut (Zydowski Instytut Historzcyny) in Warschau aufbewahrt. Einige der wertvollsten Manuskripte dieser Sammlung verschwanden gleichfalls während der jahrzehntelangen kommunistischen Ära, als die hebräischen Studien keine Priorität darstellten und als die Mitarbeiter des Instituts nur einen minimalen Lohn erhielten. Derzeit werden genauere Beschreibungen vorbereitet. 49 Andere wiederum befinden sich in der Jewish National and University Library in Jerusalem. Im Central Archive of the Jewish People in Jerusalem werden 800 Kartons mit Archivmaterial der IKG aufbewahrt. 50 Mit dem jüngsten Aufleben einer starken jüdischen Gemeinde und ihrer Bibliothek bedauern es viele, dass der Großteil ihrer Schätze nach Israel ging." Gleichzeitig entdeckte die IKG in den 1990er Jahren zahlreiche Archivalien und im Jahr 2001 weitere 800 Kartons mit Akten (1938 bis 1945, aber hauptsächlich aus der Nachkriegszeit) in einem Gebäude in der Herklotzgasse, welches früher von der IKG in Wien benutzt worden war.52 Die Komplexität der Verstreuung von jüdischen Kulturschätzen wurde offenkundig, als im November 2003 gänzlich unerwartet ein fragmentarisches kabbalistisches Ma-

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Vgl. Additions and corrections for RGB in Richler's 1994 directory, in: http://jnul.huji.ac.il/jmjhm/ guidecor.htm. Richler listet die hebräischen Manuskripte im RGB zusammen mit den Nummern von Schwarz (50, 109, 120, 123, 134, 209, 265 und 289 und Fragmente von 132 und 300) auf. Nr. 92 befindet sich gemäß Benjamin Richlers Auflistung jetzt im Jewish Theological Seminary. Richler schickte mir freundlicherweise Details und bestätigte seine Verdachtsmomente in einem Brief. Jerusalem, 17.10.2004. Vgl. die Auflistungen in: Schwarz, Die hebräischen Handschriften in Österreich, Appendix E, S. 11 Iff. Hadassah Assouline, Brief an d. Verf., 10.10.2004. Vgl. Adunka, Der Raub der Bücher und die Kataloge der JNUL. Mehr Details über diese Entdeckung und die vorbereitenden Inventurarbeiten befinden sich in der Zeitschrift der IKG, Die Gemeinde. 2002/543, S. 8ff.

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Patricia Kennedy Grimsted nuskript aus dem 14. Jahrhundert, bekannt als „Sefer Jezira", an die Wiener IKG aus New York zurückgegeben wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte das Manuskript nach Israel, wie es dorthin kam, ist bis heute nicht bekannt. Ein Antiquitätenhändler in Jerusalem kaufte es und schmuggelte es in die Vereinigten Staaten. Bei einer Auktion in New York im März 2002 wurde es für 68.000 $ verkauft. Da aber die Herkunft (IKG) im Auktionskatalog angeführt war, wurde Karen Franklin, die Direktion eines Judaicamuseums in Riverdale in New York darauf aufmerksam, welche die Wiener Gemeinde informierte. Anstatt es also dem Käufer zukommen zu lassen, wurde es von den amerikanischen Zollbehörden beschlagnahmt und im November 2003 nach Wien restituiert.53 Die Assistentin des Präsidiums der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Erika Jakubovits, hielt fest, dass hiermit „das erste Mal seit den 1950er Jahren ein Manuskript von solch kultureller, historischer und religiöser Bedeutung zurückgegeben wurde. [...] Vor dem .Anschluss' Österreichs durch die Nazis im Jahr 1938 hatte die jüdische Gemeinde mehr als 600 Manuskripte, im Moment sind es jedoch nur sechs." Dabei unterstrich Jakubovits ihre Dankbarkeit dafür, dass weder Gerichts- noch Zollgebühren zu entrichten waren.54 David Kestenbaum, der Leiter des New Yorker Auktionshauses, welches das Manuskript beworben und dann verkauft hatte, erklärte, dass andere Manuskripte derselben Herkunft unlängst am freien Markt aufgetaucht wären und dass er und seine Berater sich der Tatsache nicht bewusst gewesen wären, dass die Bibliothek der IKG in Wien wieder neu errichtet worden war.55 Es zeigte sich weiters, dass das von Benjamin Richler geleitete Institute for Microfilmed Hebrew Manuscripts einen Mikrofilm des gesamten Manuskriptes erworben hatte, bevor dieses geteilt wurde. Laut Richler befindet sich der eine Teil entweder noch in privaten Händen oder wurde ebenfalls verkauft. Es gibt Indizien dafür, dass das Manuskript aus der Sammlung der Russischen Staatsbibliothek stammt und auf Umwegen nach Israel kam.56 53

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Das Manuskript scheint als Posten 191 im gedruckten Auktionskatalog auf. Fine Judaica. Books, Manuscripts and Works of Art ... Tuesday, March 12, 2002. New York 2003, S. 156f. Richler identifizierte die Manuskripte gemäß den Listen von Schwarz in dessen Katalog von 1931. Die Notiz über die Provenienz im Verkaufskatalog bezieht sich fälschlicherweise auf Schwarz, Die hebräischen Handschriften der Nationalbibliothek, Nr. 240. Zitat: „Die Bibliothek wurde von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs geplündert und existierte von da an nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form." Ich wurde im Zuge der Herausgabe eines Aufsatzes von Evelyn Adunka, vgl. Evelyn Adunka, Nazi Looted Books in Austria and their Partial Restitution (in: Sammelband zur Konferenz der „European Association for Jewish Studies (EAJS)", Amsterdam, 2002 (in Vorbereitung), auf diese Transaktion aufmerksam. Marilyn Henry, Looted Tome Goes Home, in: ARTnews. 2004, S. 48 (mit Farbfotografie). Meine Berichterstattung enthält Bemerkungen aus einem kürzlich mit David Kestenbaum über das Manuskript geführten Interviews. Vgl. auch den Bericht der amerikanischen Zollbehörden in: http: //exchanges.state.gov/culprop/custpr4.pdf. Dieser hält fest, dass im September 2003 Aaron Stefansky, US-Staatsbürger, der das Manuskript in die USA schmuggelte, „von einem Bezirksgericht in New York für die Einfuhr von Handelswaren nach Amerika mittels falscher Zollerklärungen verurteilt wurde". Kestenbaum wiederholte dies in einem Telefoninterview aus Cambridge, MA im April 2004. Vgl. Adunka, Der Raub der Bücher, S. 154. Ich danke ihr für das Arrangieren meiner Besuche bei der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien im August 2004. Benjamin Richler in einem Brief an die Verf. Oktober 2004. Benjamin Richler gebührt Dank für seine Auskünfte in Bezug auf die Sammlung der IKG. Mikrofilmkopien des gesamten Manuskriptes und die fehlende Hälfte befinden sich in dem von ihm geleiteten Institute of Microfilmed Jewish Manuscripts an der JNUL.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhdzy Während die bisher besprochenen Archive von den Nationalsozialisten aus Österreich geraubt wurden, sollte nun ein Beispiel erwähnt werden, in dem Archive während der sowjetischen Besatzung entwendet wurden. Obwohl es nicht direkt österreichischer Herkunft war, wurde 1945 ein Großteil des Archivs des Großherzogs von Liechtenstein im Familienschloss Hollenegg bei Deutschlandsberg von Sowjetagenten gefunden. Das ursprünglich der Zentralbibliothek der Akademie der Wissenschaften (FBAN) in Moskau gesandte Archiv wurde Ende 1946 zum damaligen Zentralen staatlichen Sonderarchiv der UdSSR (CGOA SSSR, heute RGVA) transferiert. 57 1996 kam das Archiv wieder nach Liechtenstein zurück, bevollmächtigt durch ein Dekret der Duma, welches besagte, dass „das Familienarchiv [...] keinen unmittelbaren Einfluss auf die Geschichte Russlands hatte [...] und eine Rückgabe auch nicht gegen das neue Restitutionsgesetz verstoße". Dennoch blieben böse Presseattacken wegen der Rückgabe nicht aus. 58 Ähnlich also wie bei der Rückgabe an die Familie Rothschild erhielt Russland im Gegenzug eine verlockende Dokumentensammlung über die Ermordung von Zar Nikolaj II., gekauft bei Sotheby's (ursprünglich auf eine halbe Million Dollar geschätzt). Die führende Zeitung in Vaduz beklagte sich mit einer Schlagzeile darüber, dass Prinz Hans-Adam II. gezwungen worden war, sein eigenes Besitztum, nämlich das legitim geerbte Archiv des Großherzogs, „zurückzukaufen". 59 Es gibt keine vernünftige Erklärung dafür, warum das hauptsächlich aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammende Archiv des Großfürsten für den Transport in die Sowjetunion vorgesehen war, wo es in Vergessenheit geriet und in einen mehr als ein halbes Jahrhundert dauernden Dornröschenschlaf verfiel. Möglicherweise brachte man mit dem Archiv auch einige gedruckte Bücher in die UdSSR, diese wurden aber noch nicht öffentlich identifiziert. Hinter anderen Transporten von Archiven aus Österreich in die UdSSR steckte mehr Logik. Über Details ist wenig bekannt, aber seit 1991 tauchen Beweise auf, dass Spezialisten, die mit dem Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission für Österreich (SCSK) zusammenarbeiteten, die Archive in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs nach passenden Materialien für die UdSSR durchforsteten. Laut einem Bericht der Politischen Hauptverwaltung der Sowjetischen Armee an die Abteilung für Agitation und Propaganda (Agitprop) beim Zentralkomitee fand man auf der Suche nach Archivsammlungen, die die Deutschen vom Museum der Revolution in Kiew entwendet hatten,

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Vgl. die Berichte über die Archive vom 15. Mai 1946, in: GARF, F. 5325, op. 2, d. 1704, S. 16. Grimsted, Trophies of War and Empire, S. 414. Vgl. die Mitschrift der Dumasitzung vom 13. Juni 1996 und den offiziellen Beschluss „Postanovlenie Gosudarstvennoj Dumy - ob obmene archivnych dokumentov Knjazeskogo doma Lichtenstejn, peremesennych posle okoncanija Vtoroj Mirovoj Vojny na territoriju Rossii, na archivnye dokumenty ο rassledovanii obstojatel'stv gibeli Nikolaja II i clenov ego sem'i". Archiv N. A. Sokolov, Nr. 465-11 GD, 13.6.1996. Zuvor hatte sich die Duma gegen die Rückkehr des Archivs nach Liechtenstein ausgesprochen. Zu mehr Details, einschließlich Verweise auf virulente Kritik durch die russische Presse vgl. Grimsted, Trophies of War and Empire, S. 413ff. Patrik Schädler, Fürstliches Hausarchiv und Sokolov-Archiv. Gestern begann der Austausch: Fürst Hans-Adam .kauft' sein Eigentum zurück. Liechtensteiner Vaterland, 31.7.1997, S. 1.

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Patricia Kennedy Grimsted auch österreichisch-ungarische Militärakten aus Galizien (1890-1895). 60 Die Ukraine bestätigte den Empfang von 78 Kisten mit Militärdienstakten aus Galizien (1868-1945), welche die sowjetischen Behörden offensichtlich als legitime Beute bzw. als gebietsrelevante Aufzeichnungen betrachtet hatten, da die westlichen Gebiete damals Teil der sowjetischen Ukraine wurden.61 Die Sowjets suchten nach Dokumenten über die von Symon Petljura geführte Ukrainische Nationalrepublik (UNR), und möglicherweise wurden einige relevante Akten von Wien nach Kiew gesandt. Jedoch waren emigrierte Ukrainer offensichtlich in der Lage, die meisten der UNR-Aufzeichnungen aus Wien entweder nach Rom oder in die Vereinigten Staaten umzuleiten, um eine Erbeutung zu vermeiden.62 Im Gegensatz zu Operationen im sowjetisch besetzten Deutschland, wo zahlreiche Originalakten während der Besatzungszeit beschlagnahmt wurden, verwendeten viele sowjetische Spezialisten in Österreich Mikrofilme. Sie machten Kopien von Akten für verschiedene russische Archive, die für die sowjetischen Spezialisten von Interesse waren. Listen von Hunderten Mikrofilmrollen und einigen handgeschriebenen Kopien sind erhalten geblieben. Im Frühling des Jahres 1948 sandten sowjetische Spezialisten reihenweise Kopien von Aufzeichnungen des österreichischen Außenministeriums, der österreichischen Botschaften in Paris (1930-1938) und Moskau (1924-1938) und des österreichischen Konsulats in München (1933-1938) von Wien nach Moskau. Später transferierten sie einige Dokumente aus dem 18. Jahrhundert ins Russische Staatsarchiv für frühe Akten (RGADA). Materialien, die für das Institut für Marxismus-Leninismus gesammelt wurden, umfassten Dokumente über die nationalen europäischen Freiheitsbewegungen des 19. Jahrhunderts, eine sozialistische Parteikonferenz in Stockholm im Jahr 1927, die österreichische Arbeiterbewegung und emigrierte Sozialisten. Einige davon sind Auszüge, die wahrscheinlich aus Originalarchivakten und nicht aus Mikrofilmkopien hergestellt wurden. Leider sind viele Dokumente, die eine genaue Beschreibung dieses Transfers und ihre sowjetischen Bestimmungsorte preisgeben könnten, erneut für geheim erklärt worden, nachdem sie in den frühen 1990er Jahren kurz der Forschung zugänglich waren.63 60

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Bericht der GlavPU, Lt. Gen. S. Satilov. Wien, 31.3.1947. RGASPI, F. 17, op. 125, d. 579, S. 76. Es gibt nur ungenügende Schilderungen, um dies definitiv zu bestätigen, aber offensichtlich sind diese zumindest Teil der galizischen Akten, die im Juli in Kiew eintrafen. Ein Lastwagen brachte im Juli 1947 diese Aufzeichnungen von Wien nach Kiew. Vgl. den Spezialbericht über die „Vereinigte Wehrevidenzstelle" in Wien, Geheimbericht von Bondarevskij an V. Gudzenko, 9.7.1946, in: CDAVO, F. 4703, op. 2, d. 10, S. 9f. Mehrere Sammlungen aus Wien sind unter den von der Geheimabteilung des Zentralen staatlichen historischen Archivs der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetischen Räterepublik (CDIAK) angeführten. Vgl. auch Grimsted, Trophies of War and Empire, S. 359ff. Ein Ukrainer berichtete, dass die SMERS eine Wagenladung mit UNR-Aufzeichnungen fand, die aus Wien gekommen waren, aber es handelte sich vermutlich um dieselben, welche die SMERS in Krakau beschlagnahmt und die die Nazis in Tarnow gefunden hatten. Vgl. Patricia Kennedy Grimsted, The Odyssey of the Petliura Library and the Records of the Ukrainian National Republic during World War II, in: Harvard Ukrainian Studies. 1999/22, S. 181-208, hier: S. 189ff.; Patricia Kennedy Grimsted, The Postwar Fate of the Petliura Library and the Records of the Ukrainian National Republic, in: Harvard Ukrainian Studies. 1997/21, S. 3 9 3 ^ 6 1 , hier: S. 392ff. Zahlreiche Berichte über Materialien, manchmal mit begleitenden Inventarlisten, die von der SVAG

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhdzy Die Tatsache, dass es nur wenige Aufzeichnungen über Beutekunst gibt, die von Österreich in die Sowjetunion verbracht wurde, könnte den Schluss zulassen, dass tatsächlich nur wenige Kunstschätze entwendet wurden. Aber nicht einmal in den wenigen bekannt gewordenen Fällen wurden die sowjetischen Dokumente offen gelegt, die ihren Verbleib beschreiben. Von Briten und Amerikanern geleistete Restitutionen an die UdSSR in Österreich kann man andererseits viel besser nachvollziehen, da deren Restitutionsberichte der Öffentlichkeit zugänglich sind. Solche Arbeitsweisen waren bis zu diesem Zeitpunkt kaum in der UdSSR und nur teilweise im Westen bekannt. In Bezug auf Bibliothekenrestitution war ein britischer Fund im Sommer 1945 im ehemaligen Schloss und Kloster Tanzenberg nahe Klagenfurt von Bedeutung, der über eine halbe Million geraubter Bücher aus ganz Europa umfasste. Die Bücher hatte man für die Zentralbibliothek der Hohen Schule der NSDAP (ZBHS), Alfred Rosenbergs geplante Gegenuniversität für die NS-Elite, gesammelt. Die meisten waren vom berüchtigten Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) auf dem gesamten europäischen Kontinent beschlagnahmt worden. Ein Spezialkommando der ZBHS wurde im Sommer und Herbst 1941 nach Paris und Brüssel gesandt. Einige ausgesuchte Sammlungen hatten die Agenten des ZBHS in Deutschland und der Tschechoslowakei „gekauft". Die meisten Bücher kamen 1944 aus Amsterdam. Andere wurden von einem Spezialkommando der ZBHS aus okkupierten Teilen der Sowjetunion geraubt (Ende 1941 bis Anfang 1943), wieder andere von den Künsberg-Kommandos. 64 Wenige Bücher in Tanzenberg, falls überhaupt, stammten aus Österreich. Zwischen August 1945 und 1948 sortierten Angestellte der „Monuments, Fine Arts, and Archives" (MFA&A) geschätzte 600.000 Bücher und bereiteten sie für die Übergabe an Vertreter ihrer Herkunftsländer vor. Erhaltene britische Restitutionsakten geben ihre Herkunft bekannt und dokumentieren die riesigen Transfers nach Frankreich, Belgien, in die Niederlande und die Sowjetunion, um nur die größten Empfänger zu nennen. Von einer geschätzten Zahl von über 60.000 Büchern aus sowjetischen Gebieten wurden ungefähr 35.000 vom Künsberg-Kommando und dem ERR aus den ehemaligen russischen Zarenpalästen St. Petersburgs geraubt - 397 Kisten aus Gateina, Pavlovsk

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zur Archivverwaltung in Moskau weitergeleitet wurden, befinden sich beispielsweise in: GARF, F. 5325, op. 2, d. 2579. In den meisten Fällen verweisen Vermerke auf die Archive oder andere Aktenlager, in welche die Archiv- und Bibliothekmaterialien geschickt wurden. Diese Akte und die dazugehörende Akte 2580 waren der Forschung für kurze Zeit zugänglich, sie wurden jetzt aber wieder für geheim erklärt. Höchstwahrscheinlich enthalten die folgenden zwei Akten, beschrieben in den Verzeichnissen Nr. 2581 bis 2582, zusätzliche Berichte über Beschlagnahmungen in Deutschland und Österreich. Die beste Beschreibung der Sammlung aus Tanzenberg und der Bibliothekenoperation findet man im vervielfältigten, etwas langatmigen britischen „Preliminary Report on Zentralbibliothek der Hohen Schule (NSDAP)" (1.VIII. 1945) der „Monuments, Fine Arts and Archives"-Abteilung (MFA&A). Mehrere Kopien davon sind unter den Akten des britischen Außenministeriums im Britischen Nationalarchiv zu finden. Vgl. PRO, FO 1020, einschließlich 1020/2793, Dok. 2A. Eine Kopie befindet sich auch in den Aufzeichnungen der „American Commission for the Protection and Salvage of Artistic and Historic Monuments in War Areas" (Roberts-Kommission). US NACP, RG 239/11. Vgl. auch den späteren „Progress Report on Zentralbibliothek der Hohen Schule, Tanzenberg (to 25 Aug 45)". PRO, FO 1020/2793. Hinsichtlich der ZBHS vgl. auch Gabriela Stieber, Die Bibliothek der „Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg, in: Carinthia I. 1995/185, S. 343-362, hier: S. 343ff.

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und Carskoe Selo, viele von ihnen waren noch immer ungeöffnet und mit dem deutschen Vermerk „ZAB" (Zarenbibliothek) versehen. Jene Bücher, die das Künsberg-Kommando im Herbst 1941 beschlagnahmte, wurden vom deutschen Außenministerium in Berlin an den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) weitergeleitet. Sie folgten anderen, die der ERR selbst beschlagnahmt hatte. Obwohl man einige als Beutegut an die NS-Elite in Berlin verteilte, verfrachtete man die meisten von ihnen zwischen 1942 und 1943 nach Tanzenberg. 65 Auf die Bücher aus den Zarenpalästen folgten andere aus Novgorod, Kiew, Voronez und dem Baltikum. Ironischerweise wurden im Sommer 1945 mehrere Bibliothekare, die mit den Nationalsozialisten kollaboriert hatten, als britische Kriegsgefangene unter Hausarrest gestellt und gezwungen, die geraubten Bücher für ihre Rückkehr in die Ursprungsländer vorzubereiten. Der Spezialist der ZBHS für Bücher aus sowjetischen Gebieten in Tanzenberg war Dr. Gottlieb Peeter Ney, der von 1936 bis 1941 das Estnische Staatsarchiv und die Bibliothek geleitet hatte.66 Vorbereitend für die britische Restitution stellte Ney eine Auswahlliste mit 42 Büchern aus Tanzenberg zusammen, die aus ehemaligen Zarenpalästen stammten, einige der Aufgezählten kamen jedoch aus der Kiewer Sammlung. 67 Ursprünglich verwendeten die Briten die Präsenz sowjetischer Bücher in ihrer Besatzungszone und deren mögliche Rückgabe dazu, um die Sowjets ihrerseits zur Rückgabe der Kunstwerke und Möbel aus dem Schloss Schönbrunn in Wien zu bewegen, welche in der Hofburg (sowjetisches Casino) und in Niederösterreich aufbewahrt wurden. Dies involvierte lange und komplizierte Verhandlungen. 68 Im April 1946 besuchte Stepan Ledovskich, Spezialist der Bildungsabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Tanzenberg, um die 65

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Vgl. dazu Patricia Kennedy Grimsted, Vom Bernsteinzimmer zu den Büchern der Russischen Zarenpaläste: Identifikation und Rekonstruktion verbrachter Kulturschätze, in: Kulturgüter - Möglichkeiten und Perspektiven einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit. Materialien der internationalen Konferenz Kulturelle Zusammenarbeit in Europa: Fragen der Erhaltung und des Schutzes von Kulturgütern, St. Petersburg, 12. Mai 2003. Berlin 2004, S. 108-52, hier: S. 108ff; Patricia Kennedy Grimsted, Ot jantarnoi komnaty k knigam iz russkogo imperatorskogo dvorca. Identifikacija i rekonstrukcija peremescennych kul'turnych cennostei, in: Kul'turnye cennosti: Vozmoznosti i perspektivy obsceevropejskogo sotrudnicestva. Sbomik materialov mezdunarodnoi konferencii Kul'turnoe sotrudnicestvo ν Evrope: problemy sochraneniia i ochrany kul'turnych cennostej, Sankt Peterburg, 12 maja 2003 g. Moskau 2004, S. 108-52, hier: S. 108ff. Eine detailliertere englische Version ist in Vorbereitung. Hinsichtlich des Transports nach Tanzenberg vgl. „Preliminary Report on ZBHS" und „Progress Report on ZBHS". PRO, FO 1020/2793. Zur Biographie Neys siehe Preliminary Report on ZBHS, S. 15. Zweifellos basiert sie auf der britischen „Interrogation of Dr. G. Ney", PRO, FO 1020/2795, und dem „Statement by Dr Ney", PRO, FO 1020/2878. Hinsichtlich Neys Arbeit für die ZBHS in okkupierten sowjetischen Gebieten vgl. Patricia Kennedy Grimsted, Rare Books from Voronezh to Tartu and Tanzenberg: From Nazi Plunder and British Restitution to Russian ,Lost Book Treasures', in: Solanus. 2004/18, S. 72-107, hier: S. 74ff. Gottlieb Ney, Appendix to Report of 11 .VIII. 1945, mit „Dr Ney's Report on Russian Books". Tanzenberg, 11.8.1945. PRO, FO 1020/2878. Sowjetische Akten, die mit den Akten des britischen Außenministeriums übereinstimmen, sind noch immer geheim. Im September 2003 gab mir das Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation (AVP RF) Kopien von nur drei damit in Zusammenhang stehenden Dokumenten. Während österreichische Kollegen bestätigen, dass sich Aufzeichnungen anderer Abteilungen des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich im AVP RF befinden, behaupten Archivare, dass sie keinerlei Aufzeichnungen der Restitutions- und Reparationsabteilung aufbewahren.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhäzy Rückgabe zu arrangieren. In einem Bericht an den sowjetischen Generalmajor Michail Klesnin in Wien listete Ledovskich einige derselben Bücher von den Zarenpalästen und Voronez auf, wie es vor ihm schon Ney für die Briten getan hatte. 69 Nachdem Ledovskich nach Wien zurückgekehrt war, gab General Klesnin die Befehle für den Transfer heraus: „1. An den Leiter der sowjetischen Reparationsabteilung Oberst Borisov, den Transport der Bücher von Tanzenberg (Britische Zone) nach Moskau in der Zeit von 10.4. bis 25.4. diesen Jahres zu arrangieren, [...] und die Erlaubnis für das Entfernen der Bücher vom britischen Teil der Alliierten Kommission einzuholen sowie von den oben genannten Britischen Militärbehörden in Klagenfurt die Genehmigung einzuholen, Arbeiter für ihren Transport vom Schloss Tanzenberg zum Klagenfurter Bahnhof bereitzustellen. 2. An den Leiter der Transportabteilung General Kulagin, sechs Eisenbahnwaggons für den Transport der Bücher vom Klagenfurter Bahnhof nach Moskau bereitzustellen. 3. An den Leiter der Militärdivision Oberst Lavrov, zwei oder drei Offiziere zu bestimmen, die die Bücher in Klagenfurt in Empfang nehmen." 70 Obwohl die Vorbereitungen länger dauerten als befohlen, trafen zwei sowjetische Offiziere in Zivil aus Wien, Sidorov und Usakov, am 21. Mai in Klagenfurt ein. Am 21. und 22. Mai 1946 überwachten sie den Transfer von Tanzenberg nach Klagenfurt, wo 557 Kisten mit Büchern auf vier Eisenbahnwaggons verladen wurden. Obwohl bis heute kein offiziell unterzeichneter „Transferakt" gefunden werden konnte, ist Neys Entwurf des offiziellen britischen Transferdokuments (vorbereitet in drei Sprachen) mit einer Zusammenfassung des Inhalts der Kisten erhalten; er gibt auch die Herkunft an: „Südrussische Gruppe (insgesamt: 128 Kisten): VO 1-82 Universitätsbibliothek von Voronez (Kisten 1-15: russische Bücher; Kisten 16-82: Fremdsprachenbücher) KJ 1 ^ 6 Bibliotheken von Kiew und des ehemaligen Höhlenklosters Nordrussische Gruppe (insgesamt: 427 Kisten): OLE 1-30 Hauptsächlich aus Riga und Vilnius ZAB 1-397 Carskoe Selo, Pavlovsk, Gateina und Novgorod Insgesamt: 555 Kisten." 71

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AVP RF, Ledovskich an Klesnin. 6.4.1945. Der Direktor des AVP R F ließ mir freundlicherweise eine Kopie des Berichts von Ledovskich zukommen; die genaue Quellenangabe ist unbekannt. AVP RF, Klesnin, Prikaz ο v y v o z e knig, prinadlezascich S S S R , iz zamka Tancenberg ν g. Vena. Der Direktor des A V P R F ließ mir dankenswerterweise eine Kopie ohne genauere Angaben zukommen. Wolfgang Mueller, der das Dokument schon früher gesehen hatte, identifizierte es freundlicherweise für mich als Dokument aus Bestand 4 5 1 . Vgl. PRO, FO 1020/2879. N e y s handgeschriebener Entwurf „Russland-Transport, Mai 1946. Russian Transport, May 1946. Russkij transport, maj 1946".

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Patricia Kennedy Grimsted Ein im Nachhinein erschienener britischer Bericht vom 24. Mai 1946 beschreibt den abgeschlossenen Transfer, und sowohl dieser als auch spätere geben insgesamt genau 557 Kisten mit geschätzten 60.000 bis 65.000 Bänden an.72 Am 28. August 1947 bestätigte der sowjetische Offizier Oberstleutnant V. Nikolaev den Erhalt weiterer zwölf Kisten mit sowjetischen Büchern. Das ergab insgesamt 569 Kisten, die sowjetische Beamte bis zum Zeitpunkt des Abzugs der britischen Truppen aus Tanzenberg Mitte Oktober 1948 erhielten. Ein Vermerk in den britischen Akten lässt die Annahme zu, dass über die Hälfte der Bücher der letzten Lieferung ursprünglich aus Kiew stammte.73 Da keine sowjetischen Kopien der „Transferakten" oder ähnliche Dokumente gefunden wurden, ist es unmöglich, den weiteren Transport zurückzuverfolgen, jedoch gibt es jetzt Hinweise, dass zumindest einige Bücher an ihre Ursprungsorte in der Sowjetunion zurückkehrten. Da die ehemaligen Zarenpaläste nach dem Krieg in Schutt und Asche lagen, kamen alle wiedergefundenen Bücher gemeinsam mit Möbeln und Kunstgegenständen zuerst in das „Zentraldepot der Museumsbestände der Leningrader Vorstadt-Schlösser" (CCh MF), welches im Jahr 1944 zuerst im Alexanderpalast in Puskin und nach 1956 in Pavlovsk eingerichtet wurde. Eine neuere russische Analyse gibt an, dass sich 1946 im Zentraldepot 32.539 Bücher aus Palastmuseen befanden. Diese Zahl erfordert noch eine Verifizierung, aber wenn sie richtig ist, heißt das, dass fast alle Kisten aus Tanzenberg dort auch ankamen.74 In einem anderen Bericht bedeutet dies, dass laut einem Bericht vom 16. Dezember 1946 über 450 Kisten aus Wien im Zentraldepot ankamen. Da aber eine Kopie des Aktes und dazugehörende Frachtdokumente nicht zugänglich sind, wissen wir nicht, welche Kisten fehlen bzw. nichts über das Schicksal der restlichen der 557 Kisten aus Tanzenberg.75 Dass einige Bücher aus Tanzenberg ins vorstädtische Leningrad kamen, kann durch eine Fotografie (datiert ca. 1948-1950), die mehrere Kisten mit „retournierten Ausstellungsstücken" im Museum von Carskoe Selo zeigt, bestätigt werden. Zwei der Kisten tragen die Bezeichnung „ZAB 39" und „ZAB 328" gemäß der deutschen Kodierung und Dr. Neys Musterliste aus Tanzenberg.76 Über viele aus den Palästen geraubte Bücher konnte noch immer nicht Rechenschaft abgelegt werden, was die unlängst erschienenen Kataloge „Verlorene Bücherschätze"77 72 73 74

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PRO, FO 1020/2879. Anlage 1 zum Wochenbericht Nr. 39 - „Russland-Transport am 21.-22. Mai 1946 (Tzbg. 24.V.46)", unterschrieben von Grothe, zusammen mit anderen Transferunterlagen. Vgl. die britischen Berichte und die original unterschriebenen Transferdokumente (datiert mit 28. August 1947). PRO, FO 1020/2794; PRO, FO 1020/2880. Vgl. dazu die Berichterstattung über das Zentraldepot von Margarita S. Zinich, Pochiscennye sokrovisca: vyvoz Nacistami rossijskich kul'turnych cennostej. Moskau 2003, S. 177ff. Die meisten Aufzeichnungen über das Zentraldepot befinden sich jetzt im Zentralen Staatsarchiv für Literatur und Kunst St. Petersburg (CGALI SPb). CG ALI SPb, F. 387 (1943-1956); andere verblieben in Pavlovsk. Zinich hält die Zahl der Bücher aus Palästen auf S. 185 fest. Der Bezug zum „Akt Nr. 665" vom 16. Dezember 1946 als Empfangsbestätigung für eine Lieferung aus Wien wurde hergestellt (s. u.). Die Bestätigung war für 452 Kisten mit Büchern vorgesehen, aber es war mir nicht möglich, die originalen oder ähnliche Papiere zu prüfen. Das Foto wurde von Natal'ja Semenova reproduziert. Natal'ja Semenova, Tri veka jantarnogo cuda: ot Jantarnogo kabineta do jantarnoj komnaty. Moskau 2003, S. 52. Semenova war es nicht möglich, die Herkunft des Fotos nachzuweisen. Verlorene Bücher aus Carskoe Selo sind über sämtliche unlängst erschienenen Kataloge verstreut. Vgl. Svodnyj katalog kul'turnych cennostej, pochiscennych i utracennych ν period Vtoroj mirovoj

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhdzy offensichtlich zeigen. Die chaotische Situation und der Personalmangel im Zentralarchiv lassen darauf schließen, dass viele Kulturschätze an die falschen Plätze verteilt wurden. In einem Bericht heißt es beispielsweise, dass Bücher aus dem Palast von Pavlovsk an zwölf verschiedene Orte versandt wurden. 78 Im Fall von Gateina wurden zahlreiche Bücher während der Zeit, als der Palast kein Museum beherbergte, einfach an andere Orte verschickt. Es wird eine schwierige Aufgabe sein, ihren Spuren zu folgen bzw. ihre fehlerhafte Verteilung nach der Rückkehr in die UdSSR zu korrigieren. Obwohl dieses Problem dem russischen Kulturministerium bekannt ist, wurde es in der Publikation nicht ordnungsgemäß berücksichtigt; nicht einmal die Restitution durch die Briten wurde anerkannt. Der geschäftsführende Direktor von Gateina, Valerij Semenov, hielt bereits in den frühen 1990er Jahren fest, dass rund 3000 Bücher aus dem Palast von Gateina aus Österreich zurückkehrten. 79 Wie er später erklärte, basierte sein Bericht auf den „Retourstempeln" aus der Nachkriegszeit auf Inventarlisten des Palastes aus der Vorkriegszeit. Hinzugefügt waren noch der Vermerk „aus Österreich" und ein zusätzlicher Stempel, der die eingehende Registrierungsnummer für „Akt Nr. 665" mit dem Datum 16. Dezember 1946 angab. 80 Semenovs Zahl - „3000 aus Österreich" - ist zweifellos deshalb so niedrig, weil viele Inventarlisten aus der Vorkriegszeit nicht in den Palastarchiven zur Verfügung stehen, obwohl bekannt ist, dass sie den Krieg überstanden. Inventarlisten in Carskoe Selo tragen dieselben Stempel und beziehen sich auf denselben „Akt Nr. 665" des Zentralarchivs, aber der Vermerk „aus Österreich" scheint hier nicht auf.81 Viele Inventarlisten der Bibliothek aus der Vorkriegszeit fehlen auch in Carskoe Selo. Nach dem Auftauchen der britischen Dokumente und Neys Auswahlliste überprüften Bibliothekare die Besitztümer der drei Paläste und bestätigten, dass tatsächlich viele der von Dr. Ney in Tanzenberg speziell angeführten Bücher nach dem Krieg in ihre Herkunftsländer kamen. 82 vojny. Moskau - St. Petersburg 1999/2000. Englische Ausgabe: Summary Catalogue of the Cultural Valuables Stolen and Lost during the Second World War. Bd. 1. Gosudarstvennyj muzej-zapovednik „Carskoe Selo". The Tsarskoe Selo State Architectural Palace-Park M u s e u m Zone, Bde. 1 u. 2. Ekaterininskij dvorec. The Catherine Palace. Moskau - St. Petersburg 1999/2000. Bücher aus Pavlovsk werden in Bd. 2 aufgelistet: Gosudarstvennyj muzej-zapovednik „Pavlovsk": Pavlovskij dvorec. The Pavlovsk State Museum Zone. The Pavlovsk Palace. Moskau 2000. Verlorene Bücher aus Gateina scheinen in Bd. 11 auf: Utracennye kniznye cennosti, Buch 2. Leningradskaja oblast'. Gateina. Lost Book Treasures, Buch 2. Leningrad Region oblast'. Gateina. Moskau 2003. 78 79

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Zinich, Pochiscennye sokrovisca, S. 194. Vgl. Valerij A. Semenov, Biblioteki Gatcinskogo dvorca, in: N. S. Tret'jakov u. a (Hg.). Gateina. Imperatorskij dvorec: Tret'e stoletie istorii. St. Petersburg 1994, S. 4 1 5 - 4 2 0 : Valerij A. Semenov, Kniznye sobranija Gatcinskogo dvorca, Vestnik Sankt-Peterburgskogo universiteta, Serie 2: Istorija, jazykoznanie, literaturovedenie. 1992/4, S. 9 0 - 9 4 . Im Juni 2 0 0 4 arrangierte S e m e n o v freundlicherweise einen Termin, an dem ich die Vorkriegsinventarlisten aus Gateina mit den Stempeln untersuchen und fotografieren konnte. Diese Details sind leider in der neu herausgegebenen „Utracennye kniznye cennosti, bd. 2: Gatchina. Lost Book Treasures, Bd. 2: Gateina" nicht genau erklärt, welche 5 6 2 vermisste Bücher aus dem Palast auflistet werde. Ich bin den Kuratoriumsmitgliedem von Carskoe Selo für ihre Hilfe bei meinen Nachforschungen im Juni 2 0 0 4 sehr dankbar. N e y s Musterliste aus Tanzenberg, welche die ZAB-Kisten für die drei Paläste abdeckt, ist mit seinen Berichten für die Briten erhalten geblieben. Vgl. PRO, FO 1020/2878. Mein besonderer Dank gilt

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Patricia Kennedy Grimsted Die meisten der beinahe 7000 Bücher aus Voronez, die in Tanzenberg gefunden wurden (82 Kisten beschriftet mit VO 1-82), erreichten nie ihr Ursprungsland. Im August 1945 stellte Ney eine Musterliste von über 70 Büchern (der insgesamt 6.954) aus Voronez zusammen, die er für die Rückgabe in 82 Kisten packte.83 Im Jahr 2002 gab das russische Kulturministerium den ersten Band einer elegant publizierten Reihe heraus, welche Beispiele Russlands „Verlorener Bücherschätze" auflistet. Darin enthalten sind 155 noch immer vermisste Bücher aus Voronez, ohne dass sich die russischen Herausgeber der britischen Restitution bewusst gewesen wären. Zufällig stimmen 13 der 155 Titel mit denen auf Dr. Neys Musterliste aus Tanzenberg aus dem Jahr 1945 überein, die man in den Aufzeichnung der Restitution durch die Briten fand. Weitere zehn aufgelistete Bücher, die die vorrevolutionären Stempel der Universität von Dorpat tragen, konnten 2004 als von Ney unter der Schirmherrschaft des ERR im Jahr 1943 an Tartu zurückgegeben, identifiziert werden.84 Tatsächlich waren die meisten im Band angeführten 155 Bücher aus der Universität von Voronez solche, die von Ney im Herbst 1942 als Muster aufgelistet wurden, als er sie in Kursk und Kiew für die Verfrachtung zur ZBHS oder nach Tartu unter der Schirmherrschaft des ERR vorbereitete.85 Bibliothekare aus Voronez berichten über die rückgabe von etwa 40 Büchern aus Puskin nach dem Krieg. Durch den Mangel an Aufzeichnungen können wir jedoch nicht mit Bestimmtheit sagen, wie viele der 82 für Voronez bestimmten Kisten zuerst nach Leningrad gingen.86 Weitere Nachforschungen bezüglich des Schicksals der Tanzenberg-Bücher aus Kiew und Novgorod werden geführt. Während des Kalten Krieges erfuhren sowjetische Spezialisten nicht von der britischen Restitution in Österreich, und Details wurden nie publiziert.87 Erst mit dem kürzlich wieder aufgelebten Interesse an der Enteignung von Kulturschätzen während des Krieges fand die Rückgabe aus Tanzenberg durch die Briten bei westlichen Spe-

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den Bibliothekarinnen Irina Zajceva in Carskoe Selo, Irina Alekseeva in Pavlovsk und Ol'ga Petrova sowie dem geschäftsführenden Direktor Valerij Semenov in Gateina. Vgl. dazu einige einführende Bemerkungen in: Grimsted, Vom Bernsteinzimmer zu den Büchern der Russischen Zarenpaläste/Ot jantarnoi komnaty k knigam iz russkogo imperatorskogo dvorca. Eine detailliertere Analyse unserer Erkenntnisse ist in Vorbereitung. PRO, FO 1020/2878 (Kopien in Akt 2793). Neys „Voronez'Miste ist seinen Berichten vom August beigefügt. Vgl. Grimsted, Rare Books from Voronezh, S. 74ff. Svodnyi katalog kul'turnych cennostej. Bd. 11: Utrachennye kniznye cennosti, Buch 1. Englische Ausgabe: Lost Book Treasures, Buch 1. Moskau 2002. Bezüglich der Bücher aus Tartu vgl. Grimsted, Rare Books from Voronezh. Kopien (meist von Ney unterschrieben) und dazugehörige Dokumente sind in ERR-Akten in Kiew erhalten. Vgl. CDAVO, F. 3676, op. 1, d. 11, 16, 20, 45, 136 u. 144. Mehr Details in: Grimsted, Rare Books from Voronezh. Die Zahl von „vierzig Büchern" wurde mir von der jetzigen Bibliotheksdirektorin, Svetlana Jants, bestätigt. Zinich, Pochiscennye sokrovisca, S. 178, hält die Ankunft von Büchern aus Voronez fest. Vgl. den offiziellen britischen Bericht von Leonard Woolley, A Record of the Work Done by the Military Authorities for the Protection of the Treasures of Art & History in War Areas. London 1946, S. 39f. und den Bericht des British Committee on the Preservation and Restitution of Works of Art, Archives, and Other Material in Enemy Hands, Works of Art in Austria (British Zone of Occupation). Losses and Survivals in the War. London 1946, S. 4. In Diesen Berichten scheinen nur allgemeine Zahlen bezüglich der Rückgabe an verschiedene Länder auf.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung

Esterhdzy

zialisten Aufmerksamkeit. 88 Dennoch haben erst wenige den Artikel des für das in der britischen Besatzungszone Kärnten zuständigen Offiziers der britischen MFA&A, John F. Hay ward, zuständig für Kärnten, aus dem jähr 1946 in einer Londoner Kunstzeitschrift gesehen. Darin beschreibt Hayward einige in Klagenfurt im Dezember 1945 vor ihrer Rückkehr in ihre Ursprungsländer ausgestellte Inkunabeln und seltene Bücher. Bücher aus russischen Palästen wurden jedoch nie ausgestellt, erklärte Hayward, da sie bereits für die Rückgabe verpackt waren. 89 Bis heute ziehen es russische Politiker vor zu behaupten, dass sich die meisten von den Nazis geraubten Kulturschätze noch immer im Westen befinden, viele davon in den USA. Der Hauptgrund dafür ist ein Mangel an Information über die Restitution und das Schicksal der restituierten Bücher in der Sowjetunion. Gemäß britischen Berichten waren die 55.000 bis 60.000 sowjetischen Bücher aus Tanzenberg das einzige kulturelle Eigentum sowjetischer Herkunft, das in der britischen Zone Österreichs entdeckt wurde. 90 Eine weitaus größere Zahl von in der NS-Zeit geraubten Kulturschätzen wurde in der US-amerikanischen Besatzungszone Österreichs gefunden. Besonders wichtig dabei waren wertvolle, von den Nationalsozialisten geraubte Kunstsammlungen, inklusive derjenigen, die für Hitlers Museum in Linz gedacht waren. Amerikanische Besatzungssoldaten entdeckten sie in den Salzbergwerken von Bad Aussee, Bad Ischl und Lauffen. 91 Die meisten Kunstschätze brachte man zum amerikanischen Sammelpunkt in München, um sie für die Rückgabe vorzubereiten. Einige aus Smolensk stammende Bücher, die in der Villa Castiglione am Grundlsee gefunden wurden, gingen auch ans Restitutionszentrum in München. 92 Den Großteil des Inhalts anderer NS-Beutelager in Bayern, in denen man die meisten der geraubten sowjetischen Kunstschätze fand, brachte man ebenfalls zum Sammelpunkt nach München. 93 88

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Bezüge zu kurzen britischen Berichten und umfassender britischer Dokumentation werden hergestellt in: Grimsted, Trophies of War and Empire, Kapitel 5 u. 6, besonders S. 230ff. Vgl. Adunka, Der Raub der Bücher und Stieber, Die Bibliothek der „Hohen Schule des Nationalsozialismus". John F. Hayward, The Exhibition of Rare Books from the Library at Tanzenberg, in: Apollo: The Magazine of the Arts for Connoisseurs and Collectors. 1946/43, S. 53-57, 70. John F. Hayward (1916-1983) arbeitete später für Sotheby's in London, war Kurator im Victoria and Albert Museum und schrieb mehrere Bücher über britische Möbel, Silber und europäische Rüstungen. Korrespondenz bezüglich Restitutionsverhandlungen befindet sich in PRO, FO 1020/2794. Siehe dazu Hugo Portisch, Am Anfang war das Ende. Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 1. München 1993, S. 294-306. Einige dazugehörende Dokumente befinden sich unter den amerikanisch-österreichischen Aufzeichnungen über Restitutionsklagen. Hinweise auf die rückgabe der in der Villa Castiglione (Grundlsee) gefundenen und für Hitlers Bibliothek in Linz vorgesehenen Bücher der Smolensker Universität scheinen in einem Brief des Leiters der RD&R Division, OMGUS, James Garrish, an den Leiter der sowjetische RD&R Division, Oberst V. Borisov (10.11.1947), BÄK, B323/497 auf. Weitere Dokumente befinden sich in den sowjetischen Restitutionsklagen: US NACP, RG 260 (OMGUS). Aufzeichnungen des amerikanischen Teils der Besatzungstruppen, USACA, Reparations and Restitutions Branch, Monuments and Fine Arts Branch, Russian claim Nr. 20 (nun auf Mikrofilm, Μ1927, zwei Rollen). Vgl. dazu die Einleitung und reproduzierten Faksimiles der unterschriebenen Transferdokumente in: U.S. Restitution of Nazi-Looted Cultural Treasures to the USSR, 1945-1959. Facsimile Documents from the National Archives of the United States. Compiled with an Introduction by Patricia Kennedy Grimsted. CD-ROM. Washington, D. C. 2001 (vorbereitet in Zusammenarbeit mit den Amerikanischen Nationalarchiven).

Patricia Kennedy Grimsted Öffentlich zugängliche US-amerikanische Aufzeichnungen über sowjetische Restitutionsklagen machten es möglich, mehrere kleine amerikanische Transfers von Kulturschätzen an die Sowjetbehörden in Österreich zu dokumentieren. In Dezember 1945 bestätigte Stepan Ledovskich, der im April 1946 Tanzenberg besucht hatte, in Salzburg den Empfang von 30 Kisten mit Büchern und wissenschaftlicher Ausrüstung der Staatlichen Universität von Smolensk. Die offiziellen amerikanischen Empfangsbestätigungen und Inventarlisten wurden veröffentlicht, aber die dazugehörenden sowjetischen Kopien bleiben bis heute im Verborgenen.94 Sowjetische Restitutionsklagen in amerikanischen Aufzeichnungen beschreiben noch zwei weitere geringfügige Restitutionstransfers von kulturellem Eigentum in Österreich. Dies betrifft auch Beute, die einzelne Soldaten mit nach Hause brachten. Am 21. Mai 1947 bestätigte der oben erwähnte Oberstleutnant Nikolaev, damals der Chef der Sowjetischen Restitutionsabteilung, den Empfang von sieben Ikonen, einem russischen Gemälde aus dem 19. jahrhundert und vier weiteren religiösen Objekten in Linz, die in der UdSSR geraubt worden waren. Am 14. Mai 1948 stellte der sowjetische Restitutionsbeamte Boris Adamov in Wien eine Empfangsbestätigung über drei Ikonen und ein Ölgemälde aus Puskin aus, welche von einem einzelnen Soldaten entwendet und in Gmunden, Oberösterreich, gefunden wurden. 95 Dies scheinen nur kleine Beispiele zu sein, aber sie illustrieren die Tatsache, dass US-amerikanische MFA&A-Offiziere sich bemühten, sowjetisches Kultureigentum zu finden und zurückzugeben. Bisher stehen Forschern leider noch immer keine Unterlagen über aus den sowjetischen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs entwendete Kulturschätze zur Verfügung. Viele der benötigten Aufzeichnungen müssten erst in öffentliche Archive gebracht werden, wie solche, die noch immer unter der Schirmherrschaft des Militärs stehen. Aus diesem Grunde war es bis jetzt nur möglich, einige wenige Beispiele zu rekonstruieren. In Russland hat dieses Thema nach wie vor einen starken politischen Beigeschmack, und sogar die Spezialisten des russischen Kulturministeriums, die mit dem Thema Restitution betraut sind und die Reihe „Verlorene Bücherschätze" herausgaben, werden nur schlecht informiert. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges tappen viele russische Bibliotheken und Archive über das Schicksal ihrer Sammlungen im und nach dem Zweiten Weltkrieg im dunklen. Daran wird erst die Aufhebung der Geheimhaltung etwas ändern. Solange es keinen Zugang zu den benötigten Aufzeichnungen gibt, können weder fremde Kulturschätze in Russland richtig identifiziert, noch „verlorene russische Kulturschätze" gefunden werden. Die Tatsache, dass Millionen von Büchern aus Sowjetbibliotheken, aufgelistet in der Reihe des russischen Kulturministeriums „Verlorene Bücherschätze", während des Zweiten Weltkrieges verloren gingen oder zerstört wurden, macht eine Identifizierung 94 95

Vgl. dazu die Faksimiledokumente für den Transfer Nr. 3 (5.12.1945), in: U.S. Restitution of NaziLooted Cultural Treasures to the USSR. US NACP, RG 260 (OMGUS). Aufzeichnungen der amerikanischen Besatzer, USACA, Reparations and Restitutions Branch, Monuments and Fine Arts Branch, über die russischen Restitutionsklagen Nr. 1 9 , 4 u. 24 (nun auf Mikrofilm, M1927, zwei Rollen). Ich entdeckte diese Akten nach der Veröffentlichung von: U.S. Restitution of Nazi-Looted Cultural Treasures to the USSR.

Vom „Fliegenden Merkur" zu den Büchern der Sammlung Esterhdzy der erhaltenen Bücher und den Nachvollzug ihrer Odyssee notwendig, um, wo möglich, verlorene Sammlungen zu rekonstruieren. Auch muss dem weit verbreiteten russischen Irrglauben, dass sämtliche vermissten Bücher entweder von den Nationalsozialisten zerstört, nach Amerika gebracht oder in privaten Sammlungen in Deutschland oder Westeuropa versteckt wurden, entgegengewirkt werden. Obwohl dies manchmal der Fall sein könnte, gibt es bereits genügend Beweise, dass einige wichtige verloren oder zerstört geglaubte Bibliothekssammlungen den Krieg tatsächlich überlebten, sie jedoch bedauerlicherweise über die ganze Sowjetunion verstreut wurden und so nie in ihre Ursprungsorte zurückkehren konnten. 96 Offensichtlich wich die sowjetische Besatzungspolitik in Österreich - was Kulturschätze betrifft - stark von jener der SVAG im sowjetisch besetzten Deutschland ab. Da die Sowjetunion Österreich als annektiertes Land anerkannte, war die Beschlagnahme von „Kriegsbeute" nicht in dem Maße erlaubt wie in Berlin, Ostdeutschland und dem ehemaligen deutschen Schlesien, welches später Teil Polens wurde. Das erklärt zweifellos, warum es vergleichsweise wenige Beispiele für verschleppte österreichische Kulturschätze in der ehemaligen Sowjetunion gibt. Trotzdem wurden die in Russland identifizierten Beutebestände, inklusive der vielen zuerst von den Deutschen während des Zweiten Weltkrieges geraubten Archive, bisher noch immer nicht an Österreich zurückgegeben. Restitutionsangelegenheiten gehen in Russland seit dem Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 nur langsam vor sich, aber während des vergangenen Jahrzehnts sind viele während des Krieges erbeutete Archive - in weit größerem Umfang als Bücher und Kunstobjekte - an verschiedene Länder zurück gegeben worden. 97 Mit dem Fortschritt der Restitutionsverhandlungen mit Österreich werden vielleicht weitere verloren geglaubte Kunstwerke ans Tageslicht kommen, die gemeinsam mit den Büchern und Archiven in ihr Herkunftsland zurückgebracht werden können. Und wenn die Statue des „Fliegenden Merkur" nach Pavlovsk zurückkehrt, könnte das ein symbolischer Hoffnungsschimmer für eine bessere internationale Zusammenarbeit betreffend die Auffindung, Identifizierung und Rückgabe von verschleppten kulturellen „Geiseln" sein. Übersetzung aus dem Englischen: Andrea Hofer

Anmerkung der Herausgeber: Der „Fliegende Merkur" wurde am 5. Mai 2005 von Österreich nach Russland restituiert.

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Patricia Kennedy Grimsted, The Odyssey of the Turgenev Library from Paris, 1940-2002. Books as Victims and Trophies of War. Amsterdam 2003; Patricia Kennedy Grimsted, Twice Plundered but Still Not Home from the War: The Fate of Three Slavic Libraries Confiscated from Paris, in: Solanus. 2002/16, S. 39-76, hier: S. 39ff. Vgl. Patricia Kennedy Grimsted, Russia's Trophy Archives: Still Prisoners of World War II? Budapest: Open Society Archive, Central European University, in: http://www.osa.ceu.hu/publications/ 2002/RussianTrophyArchives/RussianTrophyArchives.html (zuletzt überarbeitet im April 2002; eine auf den neuesten Stand gebrachte Version für 2005 ist in Vorbereitung).

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Aleksandr Bezborodov - Ol'ga Pavlenko

Erinnerungen an Österreich Oral-History-Interviews mit ehemaligen sowjetischen Besatzungssoldaten

Die Problematik der Befreiung Österreichs durch die Rote Armee und der darauf folgenden alliierten Besetzung seines Territoriums hat sowohl eine wissenschaftliche als auch humanitäre Dimension. Die Präsenz sowjetischer Militärkontingente in Zentral- und Südosteuropa bedingte die Bildung eines besonderen geopolitischen Raumes, einer Art „Pufferzone" zwischen der UdSSR und Westeuropa, in der sich lokale politische Traditionen mit dem sowjetischen militärisch-politischen Diktat verbanden. Die historische Erfahrung Österreichs ist insofern einzigartig, als es dem Land gelang, dem Schicksal seiner osteuropäischen Nachbarn zu entgehen. Doch die Besetzung hinterließ ein ernsthaftes Trauma im historischen Bewusstsein der Österreicher. Gleichzeitig gewinnt unter den Bedingungen der Herausbildung einer Zivilgesellschaft in Russland das Verständnis für die schwierigsten Perioden der sowjetischen Geschichte - vom Standpunkt der Toleranz und der ideologischen Duldung aus gesehen - besondere Bedeutung. In der Historiographie der UdSSR begann sich schon in der ersten Hälfte der 1950er Jahre folgende ideologische Einstellung zu bilden: Die UdSSR hatte nicht nur Österreich vom Nationalsozialismus befreit, sondern auch seine Unabhängigkeit und staatliche Ungeteiltheit gegen „imperialistische Intrigen" der USA und Großbritanniens verteidigt. Im offiziellen sowjetischen Diskurs wurde die Figur des Soldaten als „Befreier" rekonstruiert, eines Verteidigers der friedlichen Bevölkerung und der Sache des Sieges selbstlos Ergebenen, der kulturellen Werte in den befreiten Gebieten bewahrte und das friedliche Leben in Europa wieder errichtete. 1 Das positive Stereotyp des Soldaten als „Held und 1

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Aleksandr Bezborodov - Ol'ga Pavlenko Befreier" steht in scharfem Widerspruch zum Bild des „Sowjetsoldaten", das sich in österreichischen und angloamerikanischen Untersuchungen herausbildete - eines Soldaten, der plünderte, vergewaltigte, raubte und die zivile Bevölkerung terrorisierte.2 Die psychologische Natur der Opposition als Ausdrucksform von Gedanken und Taten entspringt der Natur des Krieges selbst - nur im Krieg existiert das psychologische Konstrukt „wir - sie" in reiner Form gegenseitiger Feindschaft. „Sie" wird nicht einfach als eine andere, sondern als unzweifelhaft feindliche Gemeinschaft aufgefasst, die nichts gemein hat mit dem, was mit dem Begriff „wir" verbunden wird. Geschichte - das ist das Schicksal der Zeit, und ähnlich dem menschlichen Schicksal ist sie stets subjektiv, variantenreich und veränderlich, und ebenso ist sie die Geschichte menschlicher Emotionen, Hoffnungen, Enttäuschungen und Erwartungen. Ohne eine Klärung des psychologischen Faktors der Opposition im Krieg ist eine Systemanalyse des Phänomens der „Besatzung" und damit verbunden des „kolonialen Diskurses" in den Nachkriegsmodellen des Verhaltens der Sieger in Bezug auf die Beziehung zur Bevölkerung in den besetzten Territorien nicht möglich. Die Termini „Besetzung" bzw. „Besatzung" werden im gegebenen Kontext vom Standpunkt einer historischen Retrospektive aus verwendet, als die Besetzung von Ländern in den Jahren des Zweiten Weltkriegs und danach, die auf die eine oder andere Weise das nationalsozialistische Deutschland unterstützt hatten, eine gesetzmäßige Erscheinung war. Auf diese Weise wird der Terminus „Besetzung" von den Autoren historisch behandelt und besitzt keine ideologische Tendenz. Der psychologische Subtext der Entwicklung der Nachkriegsgeschehnisse wird in dem Maße eingerechnet, wie sich Lebensorientierungspunkte gestalteten und laufende Forderungen und Ansprüche verschiedener sozialer Gruppen im militärischen Umfeld der Roten Armee bildeten. Der Zweite Weltkrieg bestimmte dem Grunde nach den Hauptwiderspruch aller folgenden Entwicklungen des sowjetischen Politsystems: Er wurde seiner Art nach die Endetappe der Formierung des Systems des militärisch-kommunistischen Regimes, aber auf der anderen Seite legte er eine Ladung von gewaltiger zerstörerischer Kraft unter die tragenden Konstruktionen dieses Gebäudes, indem er den Geruch von Freiheit brachte. In den Jahren des Krieges bildeten sich in der Armee verschiedene Formen von Brüderlichkeit, die nicht den streng reglementierten Parteien- und

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Erinnerungen an Osterreich Klassennormen der sowjetischen Gesellschaft entsprachen. Das Bewusstsein der Sieger, von dem das Armeeumfeld vom Soldaten bis zum General durchdrungen war, fügte sich nicht in die vertikale Hierarchie des „kommunistischen Zentralismus" ein. Schließlich erlitten die sich zum ersten Mal im Ausland befindenden sowjetischen Soldaten einen heftigen Kultur- und Zivilisationsschock durch den scharfen Kontrast von sowjetischer Alltäglichkeit, der Reduzierung auf minimale Bedürfnisse, mit dem Lebensstil und der Lebensart der Österreicher, Ungarn und Tschechen. Das Thema der sowjetischen Besatzung Ostösterreichs verfügt über ein äußerst breites Spektrum an Forschungszugängen. Das Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, die sozialdemographische Zusammensetzung der Befragten auf Grundlage der entsprechenden Datenbasis des Ludwig Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgen-Forschung (BIK) zu charakterisieren und auch die geistige Wahrnehmung der „eigenen" und der „fremden" Welten zu analysieren, welche sich in der Erinnerung ehemaliger Soldaten und Offiziere der Roten Armee, die sich im Jahr 1945 auf österreichischem Territorium befanden, erhalten hat. In diesem Zusammenhang sind insbesondere jene Sujets wichtig, die Informationen darüber beinhalten, wie sowjetische Menschen das Aufeinanderprallen mit einem anderen kulturellen und historischen Raum erlebten - einem noch fremden, aber nicht mehr feindlichen Raum. Wie fühlten sie sich - als Befreier oder Besetzer Österreichs? Wie ging der Übergang von der Realität des Krieges zu einem, noch nicht friedlichen, Nachkriegsleben vonstatten? Schließlich: Wie nahmen die Sowjets die Österreicher selbst wahr? Grundlage der vorliegenden Untersuchung bildet eine Sammlung von Interviews, die im Rahmen des österreichisch-russischen Großprojektes „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955" zusammengestellt wurden. Mehr als 50 Interviews ehemaliger Militärpersonen in der Roten Armee und Zwangsarbeiter, die sich auf dem Gebiet Österreichs befunden hatten, wurden durchgeführt. Der Rahmen des Aufsatzes erlaubt es jedoch nicht, alle Materialen in Betracht zu ziehen, weshalb dem ersten Jahr der Besatzung - 1945 - besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Basis der Daten der Befragten Im Laufe der Befragung wurden den Interviewpartnern vom Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung ausgearbeitete Fragebögen vorgelegt. 1 70 Prozent der Befragten waren männlich, 30 Prozent weiblich. Die Interviews mit Männern verfügen über eine Reihe von Besonderheiten: In ihnen wird die Welt weitaus häufiger als eine Form von Wirklichkeit wahrgenommen, die auf einer räumlichen politischen

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In den Fragebögen des Ludwig Boltzmann-Insitutes für Kriegsfolgen-Forschung wurden außer der Kontaktinformation (Telefonnummer und Adresse des Befragten) folgende soziale Merkmale festgelegt: Geburtsdatum und Geburtsort, Adresse bis zur Einberufung in die Armee (Verschleppung in das „Dritte Reich"), Staatsbürgerschaft, Nationalität, Glaubensbekenntnis, Namen der Eltern, Brüder, Schwestern, Kinder, Beruf und berufliche Ausbildung der Eltern, Bildungsgrad, Beruf, berufliche Ausbildung und Arbeitsdauer des Befragten. Einen gesonderten Block stellten die Fragen dar, die Dienste in der Roten Armee und die Ankunft auf dem Gebiet Österreichs betrafen.

Aleksandr Bezborodov - Ol'ga Pavlenko Grafik 1: Soziale Gliederung der Befragten im Jahr 1945

,Unterstützer' 3 %

.Gefangene' .Kombattai

Karte modelliert ist. Der Bericht ist in der Regel abstrakt, Sujets werden zum Ausdruck der Grundidee der Erzählung ausgewählt, auf die während der gesamten Spanne des Interviews exakt geachtet wird. In den Interviews mit Frauen stechen andere Eigenschaften hervor. Insbesondere handelt es sich hierbei um sehr ausführliche, detailreiche Interviews. Der Text ist auf assoziativ-gegenständlichen Verbindungen aufgebaut. In diesen Interviews finden sich oftmals Beschreibungen von Details des Alltags, von der Innenausstattung der Häuser u. Ä. Größere Aufmerksamkeit wird darüber hinaus den Beziehungen zwischen den Menschen sowie der genauen Analyse ihrer Emotionen und Gefühle geschenkt. Konventionell kann man alle Befragten in drei grundlegende Gruppen einteilen: „Kombattanten" - Soldaten und Offiziere der Roten Armee, die sich in regulären militärischen Abteilungen befanden, „Unterstützer" - dieser Kategorie wurden Menschen zugerechnet, die sich zwar in militärischen Einheiten befanden, aber nicht an den Kriegshandlungen teilnahmen (Ehegattinnen der Offiziere, Fernmeldearbeiter, Mitarbeiter der Sanitätstruppen), sowie „Gefangene" - Sowjetbürger, die auf das Gebiet des „Dritten Reiches" zur Zwangsarbeit verschleppt wurden. Wie schon vorab angemerkt, erlauben die Fragebögen Einblick in Strukturen, die sich in den Interviews widerspiegelten, so zum Beispiel der Bildungsgrad des Interviewten, die direkt die Spezifik seines Redebewusstseins bestimmt, d. h., die Auswahl an Worten, lexikalischer Wendungen, linguistischer Konstruktionen, die in der sozialen Umgebung des Befragten üblich sind.4 Daten über die Ausbildung, Art der Beschäfti4

Der hohe Ausbildungsgrad des Interviewten bedeutet die Anwendung von komplizierten Systemen der Wirklichkeitsanalyse. Dies führt dazu, dass ein solcher Befragter abstrakte Formen des Nachdenkens mit einem hohen Anteil an assoziativen gegenseitigen Verbindungen verwendet. Sein Bericht findet einen Abschluss, hat eine genaue Logik der Erzählung, die auf Rationalität aufgebaut ist. Umgekehrt wird in Erinnerungen von Leuten mit niedrigem Bildungsgrad (nicht vollständiger mittlerer Berufsausbildung) auf eine gewisse „Gegenständlichkeit" des Denkens geachtet. Das heißt, Erzählungen solcher Befragten sind nicht Ereignissen in ihrer chronologischen Reihenfolge und in der logischen Verbindung gewidmet, sondern konkreten Vorfällen und Vorgängen. In ihren Erzählungen werden Sujets bruchstückhaft wiedergegeben, die Erinnerungen sind nicht strukturiert, die Harmonie der Erzählung verliert sich. In solchen Erzählungen wird auf eine große Zahl an mythologischen Konstruk-

Erinnerungen an Österreich gung und Tätigkeiten, die in den Fragenbögen angeführt werden, beleuchten sowohl den Bildungsgrad als auch Faktoren, die den Bildungsgrad beeinflussen. Die folgende Grafik zeigt deutlich, dass der Bildungsgrad der Veteranen der Roten Armee weitaus höher war als jener der ehemaligen Zwangsarbeiter. Grafik 2: Bildungsgrad und soziale Zusammensetzung

der Befragten

20 18 16 14-

12 108-

16

6 j

4-

Gefangene

2 -

Veteranen 18

höhere

6 mittlere fachliche

3 mittlere

6 „7 Klassen"

Nur zwei ehemalige Zwangsarbeiter konnten in der Folge in der UdSSR höhere Bildung erwerben, während unter den Veteranen fast 73 Prozent der Gesamtzahl der interviewten Personen über eine höhere Bildung verfügen. Unter den Befragten mit nicht vollständiger mittlerer Bildung ist der Anteil von „Gefangenen" des „Dritten Reiches" bedeutend höher. Er macht 83 Prozent der Gesamtzahl der Befragten mit einer „7-Schulklassen"-Bildung aus und vertritt einen Anteil von 45 Prozent der „Gefangenen". Mit Ausnahme der Zwangsarbeiter, die aus dörflicher Umgebung verschleppt wurden, wo nur ein Vertreter von neun in dieser Kategorie höhere Bildung hatte, wird die genaue Gesetzmäßigkeit dieser Abhängigkeit nicht verfolgt. Das ist zu einem bedeutenden Maß damit verbunden, dass die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg die Veteranen der Sowjetarmee von ihren dörflichen Wurzeln losriss und eben dadurch für sie den Erwerb höherer Bildung und die Entwicklung einer sozialen Mobilität innerhalb der sowjetischen Gesellschaft zugänglicher machte. tionen der Äußerungen geachtet, das heißt auf solche grammatische Konstruktionen, bei welchen als Einführungskonstruktion die Ausdrücke „man sagt, dass...", „man erzählte, dass..." verwendet wird. Sätze, die mit diesen Konstruktionen beginnen, bestätigen das Fehlen einer persönlichen Meinung des Befragten in Relation zum Sujet der Erzählung. Außerdem bestimmt dieser Faktor des Bildungsgrades zum Teil, in welcher Gesellschaft der Befragte verkehrt. All dies wirkt auf die innere Welt des Interviewten ein. Bisweilen ändert sich unter der Beeinflussung der Meinung anderer Leute oder unter der Beeinflussung von in den Erinnerungen abgelagerter Information aus Filmen oder Büchern die Einstellung des Befragten zu den in seinem Leben vorgefallenen Ereignissen. Das heißt, die Akzente im Interview verschieben sich.

Aleksandr Bezborodov - Ol'ga Pavlenko Aus Grafik 2 kann man schließen, dass sich die größte Kategorie (15 Personen oder 28 Prozent der Gesamtzahl der Interviewten) aus Wissenschaftern zusammensetzt. Einen gewichtigen Anteil hat die Kategorie der „Militärpersonen" - zwölf Personen oder 22 Prozent, sieben Personen (13 Prozent) vertreten die Kategorie der Facharbeiter, jeweils sechs Personen (elf Prozent) waren im kulturellen und medizinischen Bereich tätig - fünf Personen (neun Prozent) Arbeiter, drei Lehrer. Über die Art der Beschäftigung dreier Interviewpartner fehlen Angaben. %

Grafik 3: Art der Beschäftigung

70 3

Keine Angaben

5

Arbeiter

7

Facharbeiter, Technologen

3

Politarbeiter

7

Arbeiter im Bereich der Kultur und Kunst

12

Militärpersonen

6

Mediziner

3

Lehrer

15

Wissenschafter

Wenn man die Angaben über die Arbeitserfahrung, insbesondere die Arbeitsdauer der Interviewten, untersucht, kann man folgende Grafik zusammenstellen (Grafik 3), deren Achse X die Dauer der Berufstätigkeit in Jahren anzeigt und deren Achse Y die Anzahl der Befragten, die diese Dauer der Berufstätigkeit hatten. Wie aus Grafik 4 ersichtlich ist, schwankt die Dauer der Berufstätigkeit der Befragten zwischen 26 und 62 Jahren. Die Arbeitsdauer der Mehrheit der Interviewten (88 Prozent) betrug eine Spanne von 33 bis 52 Jahren. Dies zeugt davon, dass Personen, die im Rahmen des Projektes interviewt wurden, größtenteils eine aktive Schicht der Gesellschaft vertreten. Die Mehrzahl der Befragten arbeitet lange und geht nicht in Pension. Sie fühlt sich in der Gesellschaft gebraucht und bildet sich - auf Grund ihrer aktiven Position im Leben - eine eigene Meinung. Nur ein kleiner Teil der Interviewten - im Grunde die Kategorie der Zwangsarbeiter, welche zur Arbeit in einem fremden Land gezwungen worden waren und nach dem Krieg die diskriminierende Politik von Seiten der sowjetischen Obrigkeit erfuhren, denken, dass ihr Leben nicht so erfolgreich verlief, wie sie es sich gewünscht hätten. Man muss auch in Betracht ziehen, dass bis zum Krieg nur Befragte des Geburtsjahrganges 1919 und Ältere höhere Bildung erlangen konnten (unter den Teilnehmern des Projektes waren dies nur neun Prozent - fünf von 55 Personen).

Erinnerungen an Österreich Grafik 4: Arbeitserfahrung der Befragten

Der Faktor des Alters ist für das Profil der Erinnerung bestimmend. Die Linie der folgenden Grafik zeigt die Anzahl der Befragten (auf der Y-Achse), die in den Jahren 1915 bis 1937 geboren wurden (auf der X-Achse). Wir können zwei Spitzen in der Grafik feststellen - 13 Befragte, geboren im Jahr 1925, und elf Interviewte, deren Geburtsdaten verloren sind. In dieser Grafik sieht man ebenfalls, dass die Mehrheit der Interviewten (64 Prozent) in den Jahren 1921 bis 1928 geboren wurde, d. h. 1945 waren sie junge Leute im Alter von 17 bis 24 Jahren. Grafik 5: Geburtsjahrgangsanalyse von 55 Befragten

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Aleksandr Bezborodov - Ol'ga Pavlenko Die gesammelten Interviews kann man in mehrere Kategorien einteilen, innerhalb derer die Erfahrung einer bestimmten sozialen Umgebung verkörpert wird, und entsprechend dem verkörpert jede ihre Art und Weise der Wahrnehmung der Realität von Vergangenheit und ihrer späteren Rekonstruktion im Gedächtnis. Grafik 6: Soziale Kategorien der Befragten

Für eine einfachere Klassifikation wurde in jede Endzelle der obigen Grafik eine Zahl einer einzelnen Kategorie eingefügt, die die Gruppe der Interviewten darstellt. Auf diese Weise wurden in der Sammlung des BIK zehn einzelne Kategorien der Befragten bestimmt, wovon jede ihre spezielle Art der Wiedergabe der Vergangenheit und ihrer Interpretation hat. Die Unterteilung der Kategorie der Veteranenfrauen nach dem Kennzeichen der Ehe erklärt sich dadurch, dass im Text der Interviews der Frauen, die in den Jahren des Krieges und in den ersten Monaten danach geheiratet hatten, die gesamte Kriegswirklichkeit, der Alltag im Kontext persönlicher Verbindung zum Partner oder Gatten wahrgenommen wurden. Viele Handlungen in diesen Erinnerungen werden gerade durch diese persönlichen Beziehungen motiviert, ein hoher Prozentanteil von Erinnerungen an den Partner und an Fragmente seiner Kriegsbiographie. In Interviews der 7. Kategorie haben Frauen in der Regel ein stabiles, eigenständiges System an Werten. In erster Linie wird die persönliche Erfahrung hervorgehoben und Erinnerungen besitzen einen

Erinnerungen an Österreich ausdrücklich personifizierten Charakter. In den Interviews der 9. Kategorie findet sich die Wahrnehmung der wehrdienstleistenden Männer im Kontext der Sublimation von Familienbeziehungen besonders stark, wenn ein Mann - sei es als Bruder, sei es als Vater - wahrgenommen wird. Die Erinnerungen der ehemaligen Zwangsarbeiter, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, tragen ebenfalls unterschiedliche Züge. In diesen Interviews wird detailliert die Lebensweise der Österreicher in den letzten Monaten des Krieges beschrieben - man findet häufiger Angaben über die Stimmungen in den österreichischen Familien, ihre Einstellung zum nationalsozialistischen Regime, zu Hitler oder zum Krieg. In den Interviews werden die verschiedenen Einstellungen zur „Befreiung" und dem Krieg auf dem Gebiet Österreichs untersucht. Wenn die Interviewten der 5. Kategorie das Eintreffen der alliierten Streitkräfte im Zusammenhang mit der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen her wahrnehmen (besonders der amerikanischen Konserven nach einer langen Periode der Unterernährung), dann sehen die Interviewten der 6. Gruppe im Eintreffen der Streitkräfte der Alliierten auch das Bild des friedlichen Lebens in Österreich, und in ihren Erinnerungen spiegelte sich dieser Schmerz wider.5 In den Kindheitserinnerungen (Kategorie 10) wird die „österreichische Welt" nicht gleichbedeutend mit „fremd" wahrgenommen, im Gegenteil, die Kinder der Zwangsarbeiter identifizieren sich in dieser Periode als eine eigene Kategorie innerhalb der „österreichischen Welt", was von ihrer Anpassung an die österreichische Wirklichkeit zeugt. Noch ein Faktor zur Strukturierung der historischen Erinnerung der Sowjetbürger an Österreich und die Österreicher muss hervorgehoben werden. Durch die moderne Psychologie wurde eine der Besonderheiten des Langzeitgedächtnisses entschlüsselt - das Vergessen oder der Verlust der Fähigkeit zur Wiedergabe früher empfangener Information. Eines dieser Modelle des Vergessens ist die Interferenz, die von Psychologen im Kontext der Assoziationslehre 6 untersucht wird. Gemäß der assoziativen Konzeption bilden sich zwischen konkreten Stimuli und konkreten Reaktionen assoziative Verbindungen, die so lange im Gedächtnis bewahrt werden, bis eine andere konkurrierende Information mit ihnen interferiert. Deshalb war es so wichtig, unter den Befragten jene 5

In den Erinnerungen von S. Seregina wird nicht nur dieser Schmerz evident, sondern man findet ein weiteres interessantes Detail. Die Verwendung des Pronomens „unsere" sowohl in Beziehung zu den sowjetischen Militärpersonen als auch in Beziehung zu den österreichischen Hausherren (im nächsten Satz des zitierten Fragments) zeigt, dass sich für diese Kategorie der Befragten die österreichische Welt nicht mehr als „fremd" darstellte. „Die Kühe heulen, melken muss man, sie [die österreichische Bevölkerung] sind im Wald, sie fürchteten sich, unmöglich, dass unsere mit ihnen etwas Arges machen. Nun, dieser Pole, der mit mir arbeitete, sagt: ,Sonja, geh, geh zu den Kühen, die Kühe sind nicht schuldig.' Ich geh' los, siehe da, sie schreien, unterernährt, die Euter, also, solche, also (zeigt mit den Armen einen großen Umfang). Nun, ich ging los, molk, fast einen ganzen Eimer Milch hab' ich gemolken, er hat sich damit voll gefüllt, und er trank einen Krug kuhwarme Milch. Sie [die Österreicher] waren im Wald. Und dann, gegen Abend, am Abend kamen sie [die Österreicher], Und von unseren Russen nicht viele. Sie kommen vorbei, trinken ein bisschen Saft, und ziehen weiter vorwärts. Nein, unseren [Österreichern?] haben unsere Russen nichts Arges angetan."

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Dieses Problem wird detailliert von der amerikanischen Psychologin Elizabeth Loftus erforscht. Die gegen Ende der 1970er Jahre durchgeführten Forschungen dieser führenden Spezialistin der University of Washington bewiesen, dass das menschliche Gedächtnis nicht beständig ist und nachfolgende Information das Bild der Erinnerungen verändert.

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Aleksandr Bezborodov - Ol'ga Pavlenko zu entdecken, die sich gegenseitig kannten, d. h. deren Erinnerungen unter dem Einfluss von Veteranentreffen, Unterhaltungen u. Ä. lagen. Es gilt die Wahrscheinlichkeit aufzuzeigen, dass die Information in der Erzählung des Interviewten in Wirklichkeit nicht seine unmittelbare Erfahrung ist. Es sei noch einmal angemerkt, dass die Erinnerungen des Befragten ihrer Art nach nicht die Widerspiegelung seiner Ersterfahrung sind, sondern sich unter Einfluss der folgenden Stapelung von Schichten anderer Information gebildet haben, bedingt durch die Besonderheit der Kettenmechanismen von Ereignis - Erinnerung - Vergessen - Darstellung der im Gedächtnis gespeicherten Information - Wiedergabe von Information. Dies bezieht sich allerdings nicht auf jene Fälle, in welchen der Befragte Information verschweigt oder dem Interviewer falsche Information mitteilt. Konzepte des „Eigenen" und des „Fremden" in Erinnerungen von Veteranen der Roten Armee Die Stützkonstruktionen des menschlichen Gedächtnisses, das durch das Sprachbewusstsein fixiert wird, sind Konzepte. Wortkonzepte erhalten im „eingeschränkten Blickfeld" ganze Schichten assoziativer hierarchischer wechselseitiger Verbindungen über das Objekt. Mit anderen Worten: Konzepte sind eine Art symbolische Fixierung versteckter Schichten des Gedächtnisses und treten als „Vermittler zwischen oberflächlichen und tiefen Formen des Bewusstseins" auf. Das Wortkonzept bezeichnet nicht einen eigenständigen Gegenstand des Berichtens, ist aber ein Wortindikator, der in der Rolle eines originären kulturellen Codes auftritt. Dieses Wort spiegelt die im Bewusstsein des Menschen fixierten Informationsbruchstücke wider. Die Textanalyse der Interviews und die Einkalkulierung der emotionalen Charakteristiken der Sprache des Befragten erlauben dem Forscher „heiße Punkte" der Rekonstruktion von Vergangenheit im Bewusstsein des Interviewten aufzudecken. Die Methode der Häufigkeitsanalyse stellt die Begriffe des Megakonzeptes „Eigenes" in der Interviewsammlung fest (in Klammern wird die Anzahl der Verwendung von Wörtern in den Interviews gezeigt, die für Sowjetbürger in den Begriff „eigene Welt" fallen) - „ich" (5132), „kommunistisch" (29), sowjetisch (182), bolschewistisch (4), rot (174). Das Megakonzept „fremd" wird aus der logischen Wahrnehmungskette gebildet „Feind" (41), „Gegner" (23), „Hitler-" (7), „faschistisch" (43), „Hitler" (98). Die häufige Verwendung von „ich" zeugt sowohl von der Verantwortung des Interviewten für seine Worte, von dem für ihn wichtigen Ausdruck seiner Meinung, als auch von einem Zug der Heroisierung der Erinnerungen, der Weitergabe der Wichtigkeit der eigenen Figur, im Bericht. Diese Verwendung ist charakteristischer für männliche Erinnerungen, deren Autoren - Menschen mit einer bestimmten sozialen Stellung - eine stabile Identität eines „Veteranen" haben. Charakteristischer für Frauen- und Kindererinnerungen wie auch für Interviews von Personen eines niederen sozialen Status ist die Verwendung von „wir" in derselben Bedeutung wie die Verwendung von „ich" für die erste Kategorie der Befragten. Die Wahrnehmung der österreichischen Gesellschaft von Mai bis Juli 1945 fällt nicht zur Gänze in den Kreis „fremde Welt". Dagegen ist die Gegenüberstellung von

Erinnerungen an Österreich Österreich und Deutschland charakteristisch: „Österreich ist Österreich, und Deutschland, das so genannte Deutschland, die Faschisten, die Nazis, die Hitleranhänger, das ist dort. Und hier leben die Österreicher, die im Jahr 38 von Hitler unterjocht wurden." 7 - „Bis zu Hitler lebten sie auf ihre Weise, Hitler kam und zwang sie so zu leben, wie er es für nötig hielt, um so mehr, weil er ja ihr Landsmann ist."8 - „Ihr Mann fiel in Frankreich, an der Front - Hitler hat ihn einberufen. Und er kam um und sie blieb ohne Ehemann." 9 - „Aber in Österreich war das Kriegsende vielleicht bereits spürbar und sie (die österreichische Zivilbevölkerung) nun, sie sagten, dass dieser, wie nennen sie ihn, ,Hitler' oder? Sie sagten irgendein Wort, nicht geistesgestört', sie sagten, wie sie ihn zum Teufel wünschen. Also, im Ganzen, hatte sie dieser dämonenhafte Führer vor die Hunde gehen lassen. Als die Amerikaner kamen, wurden sie schnell wieder lebendig." 10 Für die sowjetischen Bürger ist das NS-Regimes direkt mit einer betonten Loyalität zur sowjetischen Präsenz im Jahr 1945 verbunden: „Sie redeten viel über Hitler, sie verachteten ihn, sie standen auf unserer Seite. Die Loyalität war uneingeschränkt. Ich kann nichts über österreichische Leute sagen, die uns gegenüber schlecht eingestellt waren."" - „Wie sie ihn unter sich verfluchten, wie das Volk unzufrieden war, dass man bombt. Also, sie waren, freilich, sehr unzufrieden, obwohl er ja Österreicher war, aber trotzdem waren sie nicht zufrieden." 12 - „Und dem Hitler sagten sie [die Österreicher] direkt, dass das ein Ungeheuer ist, dass er uns alle in Nichts verwandelt hat." 13 Die psychologische Einstellung „eigen - fremd" verschärft sich in den kritischen Momenten des Krieges in einem militärischen Umfeld bis zum Äußersten, indem sie den Weg von hochmütiger, gering schätzender Einstellung gegenüber dem besetzen Gebiet und seiner Bevölkerung bis zur vollständigen Feindschaft gegenüber der Kultur, deren Träger die depersonifizierte Gestalt des „Feindes" darstellen, durchquert. Aber die Eigenart der Wahrnehmung Österreichs durch ehemals sowjetische „Zeitzeugen" besteht wohl darin, dass sich im historischen Gedächtnis, trotz traditioneller Züge des Bewusstseins des „Eroberers" und „Siegers", auch andere Formen der Wahrnehmung der „österreichischen Welt" manifestierten, die einen Referenzsinn haben. Dazu seien einige Beispiele angeführt. Bis zum Einmarsch der Roten Armee in das Land herrschte unter den Soldaten eine negative Einstellung, wie dem Gebiet des Feindes gegenüber. Nicht ohne Grund verbreitet war die Überzeugung: „Wir betreten die Höhle eines wilden Tieres." Der einfache Soldat der Kavallerie, Nikolaj Kovalenko, erinnert sich: „Zu jener Zeit, als wir die Grenze überschritten, sogar noch nachdem wir die Grenze überschritten hatten, sagte man: Nun, dort werden wir alles tun, was wir wollen! [...] Man hat es [jedoch] sofort unterbunden: In keinem Fall konnte man das. Nun, Beutegut sammelte man dort, irgendwo dort, irgendwas." 14 7 8 9 10 11 12 13 14

AdBIK, AdBIK, AdBIK, AdBIK, AdBIK, AdBIK, AdBIK, AdBIK,

Oral-History-Interview, Oral-History-Interview, Oral-History-Interview, Oral-History-Interview, Oral-History-Interview, Oral-History-Interview, OHI, VD-0251 b/0252a, Oral-History-Interview,

VD-0203, Igor' Reformatskij. Moskau, 11.11.2002. VD-0249b/0250a, Vasilij Kononenko. Moskau, 5.6.2003. VD-0221 b/0222a, Viktoria Perlamutrova. Moskau, 28.1.2003. VD-0252b/0253/0254a, Aleksandr Masjukov. Vyrica, 13.6.2003. VD-0251 b/0252a, Jakov Dubovikov. Moskau, 12.6.2003. VD-0254b/0255a, Nadezda Ivanova. Vyrica, 13.6.2003. Dubovikov. VD-0224b/0225a, Nikolaj Kovalenko. Rostov, 1.3.2003.

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Aleksandr Bezborodov - Ol 'ga Pavlenko Weiter erinnert sich der Interviewte, wie man den Soldaten den Unterschied zwischen Plünderung und Handel erklärte: „Man kam nicht mit Gewalt, dann und wann nahm man einfach und sagte, ,So, und das ist für dich'. Dann gab man ihm ein paar Pfennige und meinte: ,Das habe ich von dir gekauft.' So hat man uns das auch beigebracht, dass man wohl nicht so einfach nimmt. ,Gib ihm', so sagte man, ,sei's einen Rubel, und dann nimm', so sagte man. Das ist doch Plündern, wenn ich von ihm wegnahm und nichts dafür gab. [...] Als wir einrückten, ich sage doch, dass, als wir die österreichische Grenze überschritten: ,Hier werden wir machen, was wir wollen.' Alle unsere Vorgesetzten sagten: ,Ja, hier! Ja, werden wir!' Und dann gab es den Befehl, niemanden zu berühren, und sie haben alles unterbunden. Wenn jemand aus dem Rahmen fiel, den bestraften sie dort, bestraften ihn dafür, dass man nicht Gewalt antut, dass man es so nicht macht. Wohl, kauf bitte dort Eier oder was du willst, gib ihnen eine Kopeke, damit es, von der Art her offiziell gekauft wird, nicht weggenommen."15 Sofort nach dem Krieg begann sich die Situation in den Streitkräften stark zu verändern. Das Konzept Liebe enthüllt ein breites Spektrum an Problemen, das mit der Charakteristik der inneren Welt des Interviewten verbunden ist. Charakteristisch für Erinnerungen an Liebe ist die Darlegung eigener Erlebnisse im Rahmen der romantischen Tradition der sowjetischen Kultur. Dies sind reine, heitere Gefühle, denen, zum Bedauern der Befragten, es nicht beschieden war, sich in vollem Maße zu entfalten. Grund dafür waren jedoch nicht die den Offizieren auferlegten, aus dem militärischen Dienst resultierenden Grenzen, sondern vielmehr die strenge Selbstkontrolle, die für einen Menschen, der in einem System des totalen Staates geformt worden war und die Grundsätze dieses Systems in sich aufgenommen hatte, charakteristisch sind. Fälle von Gewalt gegenüber Frauen, die von den Interviewten zugegeben wurden, liegen außerhalb dieser reinen Einstellungen. Sujets, in denen dieses Thema berührt wird, verbinden ein mythologisierender Charakter sowie das Fehlen von Vor- und Nachnamen konkreter Personen: „Obwohl, natürlich, wie in jeder Armee, in jedem Krieg, kommen solche Fälle vor. Vergewaltigungen kommen vor, natürlich, kommen vor, aber: So ist das, um es zusammenzufassen. Und, bei uns, zum Beispiel, also, wie viele gab es dort? Aber, bei uns gab es das nicht. Obwohl, wahrscheinlich, solche Fälle, freilich, gab es. Falls man also die Staatsanwaltschaft hernimmt und schaut - wahrscheinlich gab's auch Prozesse."16 - „Nun, manchmal gab es Beziehungen, gute. Man kann sagen, dass es bei uns in der Division Vergewaltigungen gab - meiner Meinung nach gab es so jemanden. Ein Mädchen hat er vergewaltigt. Man hat ihn durch ein Ehrengericht verurteilt. Alles einfacher so, wie man sagt."17 Auf die Romantisierung der Beziehungen wird in den Erinnerungen der Offiziere genau geachtet; außerdem werden zärtliche Gefühle auf materielle Objekte des Gedächtnisses übertragen - beginnend bei Haus, Hof, Viertel, den sanften Zügen der Stadt, endend mit dem Bild des Landes als Ganzes. So ist zum Beispiel im Interview mit 15 16 17

Ebd. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0220, Igor' Isaev. Moskau, 20.11.2003. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0216c/0222b/0223a, Boris Markus. Moskau, 14.2.2003.

Erinnerungen an Österreich Vladilen Danilockin das Bild der jungen Frau mit dem Bild der Stadt verbunden, wo sein Truppenteil stationiert war: „Eisenstadt ist für mich insofern denkwürdig, als ich in dieser Stadt die erste echte Liebe meines Lebens traf. Bis dahin war ich an der Front, ich kannte die Frauen überhaupt nicht, und dort traf ich Gretchen, ein hübsches Mädchen, und nachdem ich sie gesehen hatte und mit ihr bekannt geworden war, erinnerte ich mich dann die ganze Zeit an eine Serenade von Schubert - erinnern Sie sich? ,In den stillen Hain hernieder, Liebchen, komm zu mir [...].' Wir trafen uns im Park des Schlosses Esterhäzy - das war eine schöne, romantische Zeit; wir liebten einander, und die Erinnerung daran blieb mir das ganze Leben." 18 In den untersuchten Zeugnissen existiert noch ein typischer Zug der Erinnerung von sowjetischen Personen: Wien und Österreich werden als musikalische Hauptorte Europas behandelt. Nennungen berühmter österreichischer Komponisten sind in allen Interviews häufig. Die Musikerdynastie Strauß wurde 65-mal genannt, d. h., der Koeffizient der Nennung des Musikernamens macht 1,2 aus. Außerdem trifft man eine bedeutende Anzahl an Nennungen von Mozart (15). Darüber hinaus kann man Erwähnungen von der hohen Entwicklung der musikalischen Kultur der Österreicher getrennt hervorheben. Wir führen einige solcher Fragmente aus verschiedenen Interviews an: „Schlussendlich, nach dem Abschluss, der Beendigung des Kriegs hatten sie [die Österreicher] bei sich ihre Empfänger aufgestellt. Es gab Musik und so weiter. Aber das ist in der Tat ein musikalisches Volk. Fast in jedem Zimmer gab es dort Empfänger. Wir waren in Temitz - das ist eine kleine Industriestadt und dort, in jedem Zimmer, an dem du vorbei kommst - wieder sind sie eingeschaltet, besonders mögen es die Kinder. Und Musik, auf dem Klavier, spielen sie auch." 19 - „Es zeigte sich, dass sie nicht so auf Strauß stolz sind, sondern auf Mozart. Ihr nationaler Stolz, das ist Mozart und absolut nicht Strauß. Und das Grab von Mozart beschützen sie, so wie unsere kranken Großmütter es sagen - Ja, ja, ja! Nun, Strauß auch, aber nicht zu vergleichen!" 20 So eine auf die musikalische Kultur akzentuierte Aufmerksamkeit hat noch eine Wurzel - viele der Veteranen sahen vor dem Beginn des Krieges den Kinofilm „Bol'soj val's" [„Der Große Walzer"] und verglichen deshalb 1945 ihre Eindrücke von der Gestalt Österreichs auf der Kinoleinwand und der wirklichen, lebendigen Gestalt des Staates im Frühling 1945. Dafür finden wir Bestätigung in einigen Interviews: „Die Wälder waren natürlich akkurat abgehobelt, die Bäume abgeschnitten, aber es wurde nicht mehr dieser Wald, wo, wie man sagt, Strauß wegfuhr, seine Walzer schuf, wie wir es im Kinofilm ,Bol'soj val's' sahen, in diesem ausgezeichneten, guten Film."21 Bei der Untersuchung der Interviews enthüllen sich einige Arten von neu entstandenen, klischeehaften Bildern, in deren Rahmen die österreichische Bevölkerung von den Sowjetbürgern wahrgenommen wurden. Eine von diesen Gestalten ist der höfliche, ältere „Intelligenzler" (Arzt oder Musiker). Wir können das im Interview mit Viktoria Perla-

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AdBIK, AdBIK, AdBIK, AdBIK,

Oral-History-Interview, Oral-History-Interview, OHI, VD-0221b/0222a, Oral-History-Interview,

VD-0210b/021 la, Vladilen Danilockin. Moskau, 11.11.2002. VD-0216b, Vasilij Gromov. Moskau, 27.11.2002. Perlamutrova. VD-021 lb, Michail Borisov. Moskau, 14.11.2002.

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Aleksandr Bezborodov - Ol'ga Pavlenko mutrova in Bezug auf verschiedene Leute beobachten: „Es kommt zu mir der Hausherr, Herr Schenk, der so ein kleiner, magerer war, ein sehr feinfühliger, und er kam immer zu mir von der Straße. ,Meine Dame, ich habe eine große Bitte an Sie' - und wir lebten (damals) in einer Dreizimmerwohnung, und in einem der letzten Zimmer, dem größten, waren zwei Flügel und ein Schrank, ein riesiger Schrank, voll mit Noten. Nun, ich bin dort nicht herum gekrochen, aber dort waren nur Noten. Und in der Mitte stand ein großer Tisch, den wir aufgrund unserer Jugend für Pingpong verwendeten. Dummköpfe waren wir doch! Alle kamen zu uns zum Pingpongspielen. Und alles und mehr war in diesem Zimmer. Wahrscheinlich war es ungefähr 13 [Quadratmeter groß. ,Erlauben Sie uns, bitte, falls Sie überhaupt...' - und so indirekt, mit diesen scherzhaften Redensarten - ,falls es Sie nicht in Verlegenheit bringt, einmal die Woche, nur einmal in der Woche bei Ihnen zu musizieren, in diesem Zimmer zu musizieren. Es werden nicht zu viele kommen, d. h. ältere österreichische Herren, und damit Sie - Sie werden nicht widersprechen? Das wird Sie nicht ärgern?' Und also saß ich im Nachbarzimmer, war immer bei den Konzerten anwesend, sie spielten, ungefähr eine Stunde, wie sie um eine Stunde gebeten hatten, so musizierten sie eine Stunde und gingen."22 Ein anderer Fall: „Man befahl mich zu Professor Arst - und auf deutsch ist ,Arst' [sie!] ein Arzt, und es zeigte sich, dass es solch einen Nachnamen gab. Da hatte ich am Anfang nicht verstanden. [...] Wir kamen außerhalb der festgelegten Zeit. Aber offensichtlich, auf Grund dessen, dass es ein schriftlicher Befehl war, dazu noch ich, eine Militärperson - wir sind doch die Eroberer - sagte sie auch: ,Seien Sie so nett, setzen Sie sich, bitte!' Also setzen wir uns für ungefähr fünf Minuten oder sogar weniger - es kommt ein bezaubernder älterer Mann heraus. Für mich war er damals ein alter Mann. Er war wahrscheinlich älter als 50, 55 Jahre. Und das war dasselbe. Er sagte auch: ,Ach, welch hübschen Kinder Sie haben' - das sagte er dem Ehemann. ,Welche ruhmreichen, und diese Generäle, diese angenehmen, aber mich quälten sie', sagte er. ,Sie rufen zu allen Empfängen.' - ,Ich', sagte er, ,gehe mit Freude, fröhlich, aber das ausschließlich. Aber warum zwingen sie mich, Alkohol zu trinken - ich bin das nicht gewöhnt!' [lacht] ,Warum ist es verpflichtend Alkohol zu trinken? Ich bin es nicht gewohnt so zu trinken!'23 Die Erinnerungen unserer Interviewpartner beinhalten sogar Sujets über das Wesen österreichischer Häuser, welches sie durch ihre Durchdachtheit, Sauberkeit und Luxus verblüffte. Diese Erinnerungen finden wir in den detaillierten Berichten weiblicher Interviewpartner. Zum Beispiel, in der schon mehrmals zitierten Erzählung von Viktoria Perlamutrova: „Also sah ich dort schon eine Garnitur. Ich hatte so etwas niemals gesehen. Es kann sein, dass es sie auch bei uns gab, bei irgendwem in Moskau, aber ich habe sie nicht gesehen. Dort sah ich also eine echte Garnitur - wir schliefen im Schlafzimmer, wo die Garnitur war. Und sie, offensichtlich, haben sie [sie] in Ordnung gebracht, weil sie fürchteten, dass ich nicht putzen werde. Ich glaube, sie hatten da diesen Stolz."24 Im Interview mit Aleksandr Masjukov findet sich die folgende Erzählung über den Mai 1945: „Damals

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AdBIK, OHI, VD-0221 b/0222a, Perlamutrova. Ebd. Ebd.

Erinnerungen an Österreich erfuhren wir, was ein Kühlschrank ist. Weil, das ist so ein weißes Ding, eine Art Schrank. Du öffnest ihn - manchmal findest du etwas darin. Nun, sie waren abgeschaltet, natürlich, weil man den Strom abgeschaltet hatte. Nun, dort findest du manchmal ein Stückchen Käse. Also, so einer ist das. Findest du etwas, frisst du es einfach auf!"25 Der Rahmen dieses Beitrages erlaubt es nicht, alle Materialen der Interviews genau zu untersuchen. Die ersten Resultate der Analyse des kollektiven Gedächtnisses sowjetischer Personen, die sich im Jahr 1945 auf dem Gebiet Österreichs befunden hatten, summierend, kann man folgende Schlüsse ziehen: Typisch für alle Erinnerungen ist eine kontrastierte Wahrnehmung der Militäroperationen in Ungarn und Österreich. So wird der Kampf um Ungarn faktisch in allen Interviews als blutig, grausam, voll von Dramatik und Opferbereitschaft dargestellt. Die Befreiung Österreichs wird im Gedächtnis der Interviewten in der Regel jedoch in zwei Perioden geteilt. Als erste Periode ist der Weg nach Wien und dessen Befreiung anzusehen, die Züge von Schlachtenmemoiren bewahrt, mit der für das Genre charakteristischen Heroisierung vorgefallener Ereignisse durch den existenziellen Kontext. Nach der Befreiung Wiens ändert sich die Stilistik der Erinnerungen, in denen Sujets über den Alltag, die Natur Österreichs und das Wetter erscheinen. Diese Erinnerungen geben das Gefühl von Frühling, der Jugend und des künftigen Sieges wieder. Sogar kriegerische Auseinandersetzungen mit vereinzelten Teilen der Deutschen Wehrmacht gewinnen Züge von „Militärfabeln", eines leichten „Spaziergangs der Sieger". In den einzelnen Kategorien der Interviews mit Militärpersonen (Soldaten und Offizieren) tauchen verschiedene Randbereiche des Militäralltags auf. Falls in der Kriegszeit die geheime Regel einer Kriegsbruderschaft galt, so begann sich in der Nachkriegswirklichkeit der geheime innere Aufbau der Roten Armee zu ändern: Die Trennung von Soldaten und Offizieren verstärkte sich, in einer Reihe von Interviews fühlt man das Erscheinen einer bestimmten Gegenüberstellung zwischen diesen beiden Kategorien. In den Soldatenerinnerungen wird diese Periode mit dem Auftauchen der Unannehmlichkeit dieser Absonderung der Offiziersmannschaft und mit einiger Kränkung beschrieben. Praktisch in allen Interviews aller sozialen Gruppen werden die Österreicher im Bewusstsein der Sowjets (sowohl der Soldaten als auch der Zivilpersonen) nicht mit den Deutschen, Nazis und Hitleranhängern assoziiert. Österreich wurde in ihrem Gedächtnis als am Rand der eigenen und der feindlichen Welten befindlich bewahrt und stellte sich den Sowjets als Land der positiven sozialen Erfahrung dar. Zu den Grundcharakteristiken der österreichischen Lebensweise, welche Zustimmung hervorrief und den Befragten besonders in Erinnerung blieb, muss man die Sauberkeit der Straßen, die schönen gepflegten Häuser, die Reinlichkeit und Durchdachtheit der Interieurs, die Freundlichkeit, Kontaktfreudigkeit, Zurückhaltung und Wohlerzogenheit der österreichischen Bevölkerung, Stil und Qualität der Kleidung, besonders der der Kinder, zählen. Zu den negativen Zügen, die Ärgernis hervorriefen, kann man die Kleinkrämerei der Österreicher zählen, jedoch gewinnt die verallgemeinerte Figur des Österreichers vor dem Hintergrund des grausamen, diskriminierenden Porträts des Ungarn - eines hinterhältigen, bösen, tücki25

AdBIK, OHI, VD-0252b/0253/0254a, Masjukov.

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Aleksandr Bezborodov - Ol'ga Pavlenko sehen Gutsbesitzers - eines Großbauern, eines leidenschaftlichen Nationalisten. Das gesamte mögliche Negativ bei der Wahrnehmung der österreichischen Wirklichkeit wird in den Erzählungen auf die verallgemeinerte Gestalt des unmenschlichen Faschisten übertragen - eines Untiers und Ungeheuers, der auf dem Territorium Österreichs außerhalb des österreichischen Soziums agiert. Möglicherweise wurde aber auch eine ausdrücklich positive Gestalt des gutmütigen, offenen und zivilisierten Österreichers von den Befragten absichtlich geschaffen, da sie in Kenntnis gesetzt wurden, dass die Materialen ihrer Interviews im Rahmen eines österreichisch-russischen Projekts verwendet werden. Das Sujet der Liebe stellt einen originären Indikator der Erinnerungen an den Frühling 1945 und den Sieg dar. Die Befragten - im gegebenen Fall Offiziere der Roten Armee, die relative Bewegungsfreiheit besaßen - geben zu, dass sie romantische Verbindungen in Österreich hatten. Trotz einer Zeitspanne von mehr als 55 Jahren bewahrten sie Vorname, Nachname, Alter, Äußeres und Charakterzüge dieser jungen Frauen in ihrem Gedächtnis. Die persönliche Liebesgeschichte wird in der Regel in einem romantischen Code dargestellt, welcher charakteristisch für die lyrischen Filme der sowjetischen Epoche ist. Möglicherweise begünstigte die Erinnerung gerade an diesen Lebensabschnitt die Übertragung der schwärmerischen Wahrnehmung auf die Wahrnehmung des Landes als Ganzes. Bei den verschiedenen Kategorien der Interviewten werden Elemente schmerzhafter Wahrnehmung offenbar, die sich insbesondere auf die Sujets Gewalt und Übergriffe gegen die lokale Bevölkerung und gegen eine schutzlose Kategorie sowjetischer Frauen - eben erst befreite Zwangsarbeiterinnen des „Dritten Reiches" - beziehen. Fälle von Vergewaltigungen auf dem Gebiet Österreichs werden von den Befragten zwar bestätigt, doch wird über diese Geschehnisse indirekt und mythologisierend berichtet. Zum Schluss ist zu betonen, dass es die Rekonstruktion der Angaben auf Grundlage von Interviews erlaubt, eine „lebendige" Geschichte des Krieges zu schaffen, die Stimmen von Teilnehmern an den Ereignissen zu hören, einzutauchen in die Atmosphäre dieser verlorenen und verfälschten offiziellen Historiographie der Kriegs- und der Nachkriegswirklichkeit. Die Informationen, die sich in den Interviews widerspiegeln, sind das Zeugnis der vielseitigen Wahrnehmung der Welt durch jeden Interviewten als Teilnehmer an dem Projekt. Diese einzigartige Quelle des menschlichen Gedächtnisses, deren Bearbeitung eine korrekte Einstellung zum Material erfordert, überzeugt den Forscher aufs Neue, dass jeder Mensch seiner Weise nach einzigartig ist, und sein Gedächtnis - eine komplizierte Welt der Bilder, deren Rekonstruktion es erlaubt, die Vergangenheit und Gegenwart unserer Gesellschaft tiefer zu verstehen. Gleichzeitig erlaubt es die Vielseitigkeit dieser Quelle, durch diese Interviews neue Schichten an Informationen zu eröffnen. Die Interpretation solcher Quellen hängt zu einem weitaus höheren Grad als bei traditionellen von den Qualitäten und dem Interessengebiet des Wissenschaftlers ab. Deshalb wird in der Untersuchung dieser Interviews die Stellung einer neuen Problematik möglich, die auf ihren Erforscher wartet. Übersetzung aus dem Russischen: Florian Thelen

Wolfram Dornik

Erinnerung am Rande Die Rote Armee im Steinernen Gedächtnis Österreichs

„Sich mit Denkmälern auseinander zu setzen, bedeutet, die Frage nach der Erinnerung zu stellen und sich bewusst zu werden, welchen Stellenwert vergangene Ereignisse und Personen in der Gegenwart haben — und welchen sie haben sollten. Es bedeutet auch, danach zu fragen, aufweiche Weise und mit welchen Mitteln ein Denkmal an das Vergangene erinnert.'" Welche Stellung hat die Rote Armee im Steinernen Gedächtnis Österreichs? Um sich dieser Frage anzunähern, sollen im Folgenden die Denkmäler und Gräber sowjetischer Bürger in Österreich untersucht werden. Es gibt Erinnerungsorte für verschiedene Gruppen von Menschen aus der Sowjetunion, die in Österreich gestorben, gefallen sind oder ermordet wurden: Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, Rotarmisten, aber auch Angehörige von Truppen, die auf deutscher Seite gegen die Rote Armee gekämpft hatten (Vlasov-Soldaten, Kosaken). Die sowjetischen Besatzungsbehörden haben nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges großen Wert auf eine ordentliche Bestattung ihrer Soldaten gelegt; für sie wurden auch Denkmäler errichtet. Gräberanlagen und Denkmäler wurden jedoch nicht nur für gefallene Rotarmisten geschaffen, sondern auch für zivile Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge oder Kriegsgefangene - sie wurden im Nachhinein in der sowjetischen Terminologie unter dem Begriff „Opfer des Faschismus" zusammengefasst. 2 Im Zentrum der Erinnerungskultur der sowjetischen Behörden standen jedoch immer die im Kampf um die Befreiung Österreichs gefallenen Soldaten. Die noch während der Kriegszeit von Stalin als Vaterlandsverräter diffamierten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter wurden nach dem Tod Stalins vor allem aus propagandistischen Gründen zu Opfern. Sie mussten oft Lager, Schikanen und Misstrauen über sich ergehen lassen.

1 2

Adam Hurbertus, Denkmäler und ihre Funktionsweise. Wien 1993, S. 9. Eine Zusammenfassung von Denkmälern für sowjetische Kriegsgefangene ist zu finden in: Wolfram Domik, Zwangsarbeiterinnen im Kollektiven Gedächtnis der II. Republik. Phil. DA. Graz 2001.

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Wolfram Dornik Die Erinnerung an die gefallenen Soldaten der Roten Armee ist in der österreichischen Gesellschaft ambivalent: Auf der einen Seite stehen Erzählungen über die Kinderliebe, das Kulturbewusstsein, die Lebensmittelspenden, persönliche Freundschaften sowie die Befreiung vom NS-Regime; auf der anderen Seite stehen die bis heute im kommunikativen Gedächtnis sehr stark verankerten Vergewaltigungen, Plünderungen und Übergriffe der Roten Armee in Ostösterreich zu Kriegsende, rassistische Vorurteile („Mongolenhorden") sowie die Angst vor einer kommunistischen Machtübernahme. Dabei spielen viele Faktoren zusammen, u. a. auch die von den Nationalsozialisten in den letzten Kriegsjahren massiv geschürten Ängste vor den „bolschewistischen Untermenschen". Diese Rahmenbedingungen müssen beim folgenden Überblick über Gräber und Denkmäler in Österreich mitbedacht werden. Die Erinnerung an die gefallenen Rotarmisten wurde in Österreich oft an den „Rand" - das öffentliche Gedenken in Form von Denkmälern und Gräberanlagen meist an die Peripherie gerückt. Die Denkmäler und Grabanlagen befinden sich an abgelegenen Plätzen oder Parkanlagen sowie in abgeschiedenen Teilen von Friedhöfen. Aber auch wenn sich einzelne Erinnerungsorte - wie das Denkmal der Roten Armee auf dem Schwarzenbergplatz - im Zentrum befinden, so sind sie aber in der Peripherie der Erinnerung der Menschen lokalisiert. Dabei wird von den Menschen betont, dass diese Orte der Erinnerung von außen oktroyiert wurden. Dies führte bereits kurz nach dem Abzug der Alliierten 1955 zu heftigen Diskussionen über einzelne Denkmäler oder Gräber, die im Auftrag der sowjetischen Besatzungsmacht errichtet wurden. Diese Diskussionen kehren bis heute zu gewissen Anlässen oder Jubiläen periodisch wieder. Die Gräber und Denkmäler sind jedoch völkerrechtlich geschützt: Die heute gültige rechtliche Basis für die Kriegsgräberfürsorge reicht bis in das beginnende 20. Jahrhundert zurück. Österreich und die „alliierten und assoziierten Regierungen" verpflichteten sich im Staatsvertrag von St. Germain (1919), „dass die Grabstätten der auf ihren Gebieten beerdigten Heeres- und Marineangehörigen mit Achtung behandelt und in Stand gehalten werden".3 Im österreichischen Bundesgesetz vom 7. Juli 1948 wurde die Fürsorge für Kriegsgräber aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg nationalstaatlich geregelt. Im Gesetz sind als Verantwortliche für die Pflege die Republik Österreich, das Österreichische Schwarze Kreuz (ÖSK) sowie der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge (VDK) festgeschrieben. Privateigentümer von Grundstücken, auf denen sich Gräber befinden, werden zur Kooperation mit den Verantwortlichen (Republik, ÖSK und VDK) bei der Instandhaltung verpflichtet. Die Gräber dürfen nicht beliebig verlegt werden.4

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Unter Teil VI „Kriegsgefangene und Grabstätten" wird diese Frage geregelt. Vgl. Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919, in: Staatsgesetzblatt der Republik Österreich, 1920, 21.07.1920, 303, S. 995-1245. Vgl. Bundesgesetz vom 7. Juli 1948 über die Fürsorge für Kriegsgräber aus dem ersten und zweiten Weltkrieg, in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 1948, 175, 7.9.1948, S. 669f. Bundesgesetz vom 7. Juli 1948 über die Fürsorge und den Schutz der Kriegsgräber und Kriegsdenkmäler aus dem zweiten Weltkrieg für Angehörige der Alliierten, Vereinten Nationen und für Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und Opfer politischer Verfolgung, in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 1948, 176, 7.9.1948, S. 670.

Erinnerung am Rande Im Artikel 19 des Staatsvertrages verpflichtete sich Österreich 1955 zum Schutz und Erhalt von Gräbern, Gedenksteinen und Denkmälern der alliierten Armeen bzw. von Soldaten, Kriegsgefangenen sowie zwangsweise nach Österreich verbrachten Staatsbürgern der Alliierten und der UNO (die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden). Auch hier verpflichtete sich Österreich zur Kooperation mit ausländischen Organisationen, die die Pflege der Gräber oder Exhumierungen durchführen. 5 Die Instandhaltung der Erinnerungsorte für sowjetische Bürger ist hauptsächlich über diese drei Gesetzesmaterien gesichert. Die Beerdigung des Großteils der gefallenen Soldaten nach dem Krieg erfolgte durch die Rote Armee unter Zuhilfenahme der Zivilbevölkerung (häufig ehemalige Nationalsozialisten) in Massengräbern. Namenslisten der Gefallenen wurden nur in den seltensten Fällen den österreichischen Behörden übergeben. Viele Soldaten werden noch bis heute gesucht. Diese Arbeit wird vom ÖSK und vom VDK mit Unterstützung von Behörden aus den Nachfolgestaaten der UdSSR durchgeführt. Bei der quantitativen Verteilung der Denkmäler, Einzel- und Sammelgräber in Österreich sind drei Faktoren zu beachten: Die Denkmäler und Gräber orientieren sich zum einen an den Gebieten, in denen Soldaten der Roten Armee von März bis Mai 1945 kämpften - also im Osten Österreichs. Zweitens wurden in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone Denkmäler für in KZ-Haft (wie in Mauthausen und seinen Nebenlagern) ermordete sowjetische Soldaten oder Zwangsarbeiter errichtet. Der dritte Faktor, der für die Lokalisierung von Erinnerungsorten maßgeblich ist, sind die Einsatzorte der sowjetischen Kriegsgefangenen: Sie waren über fast ganz Österreich verteilt; eine der bekanntesten Baustellen war jene in Kaprun.

Sowjetische Kriegsgefangene In Österreich wurden zum Höchststand am 1. Dezember 1944 44.716 sowjetische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt. Viele von ihnen wurden in den Zivilarbeiterstatus überführt. 6 Insgesamt waren in Österreich mindestens 208.000 Kriegsgefangene unterschiedlichster Nationen im Arbeitseinsatz. 7 Dazu kommen noch unzählige Kriegsgefangene, die in das KZ Mauthausen und seine Außenlager überführt wurden. Allein 10.000 sowjetische Kriegsgefangene wurden im KZ Mauthausen ermordet. Mindestens 22.121 weitere starben im System der Kriegsgefangenenlager - dies sind 96 Prozent aller auf dem Gebiet der Republik Österreich verstorbenen Kriegsgefangenen. Das heißt, 19 von 20 in Österreich verstorbene Kriegsgefangene waren Sowjets. 8 Dies

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Vgl. Artikel 19: Staatsvertrag, betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs, in: Bundesgesetzblatt der Republik Österreich, 1955, 30.7.1955, 152, S. 730. Vgl. Florian Freund - Bertrand Perz, Die Zahlenentwicklung der ausländischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939-1945. Gutachten im Auftrag der Historikerkommission der Republik Österreich, Bd. 26/3. Wien 2000, S. 123. Vgl. Hubert Speckner, In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark" 1939 bis 1945. Kriegsfolgen-Forschung, Bd. 3. Wien - München 2003, S. 212. Vgl. Freund - Perz, Die Zahlenentwicklung der ausländischen Zwangsarbeiter, S. 136.

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Wolfram Dornik

hängt vor allem mit der unterschiedlichen Behandlung der Gefangenen auf Basis der NS-Rassenhierarchie zusammen.9 Die seit 1941 in Kriegsgefangenschaft verstorbenen Soldaten wurden meist in den Friedhöfen der Stalags begraben. Zu Kriegsende wurden sie in manchen Fällen auch gemeinsam mit gefallenen Rotarmisten in örtlichen Friedhöfen bestattet. In Einzelfällen wurde anstatt eines Grabsteines ein Denkmal errichtet, die sterblichen Überreste in ein Massengrab überführt. Im Stalag XVIIIΑ Wolfsberg wurden 46 sowjetische Kriegsgefangene begraben, der Großteil der dort eingesetzten Gefangenen stammte jedoch aus anderen Staaten (Franzosen, Briten, Belgier, Niederländer usw.). Auf den Friedhöfen des Stalags XVIIΑ Kaisersteinbruch wurden 9584, des Stalags XVIIΒ Krems-Gneixendorf mindestens 1641 und des Stalags 398 Pupping 1032 sowjetische Kriegsgefangene beigesetzt. Auf dem „Russenfriedhofdes Stalags XVIII Β Spittal/Drau wurden mindestens 6000, im Lagerfriedhof des Stalags XVIIIC Markt Pongau 3818 sowjetische Gefangene bestattet." Soweit diese Lagerfriedhöfe heute noch vorhanden sind, befinden sich die verstorbenen Soldaten dort; in manchen Fällen wurden sie exhumiert und in Massengräbern oder auf Soldatenfriedhöfen beigesetzt. Gräber und Denkmäler für Rotarmisten und sowjetische Bürger in Österreich Insgesamt gibt es nach Auskunft des österreichischen Bundesministeriums für Inneres (BMI) 256 Gräber und Grabanlagen für sowjetische Bürger in Österreich. In dieser Zahl enthalten sind auch jene Gräber, die noch aus dem Ersten Weltkrieg stammen. Die Zahlen wurden Anfang der 1990er Jahre erhoben.12 Peter Sixl hat dieses Zahlenmaterial in Kooperation mit dem Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung mit Akten aus dem Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation (CAMO) und seinen persönlichen intensiven Recherchen ergänzt: Er geht von 215 Einzel- und Massengräbern (sowie Kombinationen davon) für sowjetische Bürger in Österreich aus. Im Folgenden stütze ich mich auf seine Zahlenangaben.13 Quantitativ gesehen liegen an erster Stelle die östlichsten Bundesländer: Wien, Niederösterreich und das Burgenland. Das hängt vor allem mit den Kämpfen der Roten Armee und der darauf folgenden Zeit der sowjetischen Besatzung in diesen Gebieten zu-

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Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Bonn 1999, S. 153-220. Barbara Stelzl-Marx, Zwischen Fiktion und Zeitzeugenschaft. Amerikanische und sowjetische Kriegsgefangene im Stalag XVII Β Krems-Gneixendorf. Tübingen 2000. Vgl. Stelzl-Marx, Zwischen Fiktion und Zeitzeugenschaft. Vgl. Speckner, In der Gewalt des Feindes. S. 207-212. Zahlen anhand freundlicher Auskunft durch das Bundesministerium für Inneres, Frau MR Mag. Helga Wagner und Frau ORev. Irene Hulka (HG: 33.807/18-IV/7/04, 11.8.2004). Peter Sixl sei an dieser Stelle großer Dank ausgesprochen. Seine mühsamen Recherchen werden in folgendem Buch veröffentlicht: Peter Sixl, Sowjetische Kriegsgräber in Österreich. Graz - Wien - Klagenfurt 2005.

Erinnerung am Rande Gräber für sowjetische Bürger in Österreich Bundesland

Wien Niederösterreich Burgenland Oberösterreich

Zahlen aus dem BMI

Zahlen von Peter Sixl

12

10

104

101

30

34

4*

25

Steiermark

27

Kärnten

36"

7

Salzburg

11"*

6

Tirol

21**"

7

Vorarlberg

11

4

256

216

Gesamt

"*

22

Davon vier im Mühlviertel. Davon neun ausschließlich 1. Weltkrieg. Davon fünf ausschließlich 1. Weltkrieg. Davon zehn ausschließlich 1. Weltkrieg.

sammen. In den Gräbern der westlichen Bundesländer wurden hauptsächlich verstorbene Russen aus dem Ersten Weltkrieg beigesetzt. Dort sind aber auch sowjetische Bürger begraben, die während oder nach Ende des Zweiten Weltkrieges starben: Kosaken und Vlasov-Soldaten, zivile Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene. In Wien und Niederösterreich befinden sich die meisten Anlagen (111); im Burgenland existieren 34. Dabei muss beachtet werden, dass es heute in Wien zehn Gräber und Denkmäler für sowjetische Soldaten gibt. 1950 waren noch 29 Gräber für sowjetische Soldaten ausgewiesen. 14 Die Zahl wurde vor allem durch Zusammenlegungen von Einzelgräbern bzw. Exhumierungen aus kleineren Grabanlagen erreicht. Ein Großteil der Gräber wurde in der so genannten „Gruppe 44" auf dem Wiener Zentralfriedhof zusammengelegt. Außerdem änderten sich mit 1954 die Grenzen Wiens. Teile der äußeren Bezirke fielen ab diesem Zeitpunkt unter niederösterreichische Verwaltung. Im niederösterreichischen Erlauf, wo sowjetische und US-Truppen aufeinander trafen, wurde ein Denkmal errichtet: Am 8. Mai 1945 feierten dort anlässlich der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands amerikanische (unter General Stanley Reinhardt) und sowjetische (unter General Daniii Drickin) Truppen das Ende des Krieges. 1995 wurde von der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer und vom russischen Künstler 14

Vgl. ÖStA AdR, BKA, Alliiertenverbindungsstelle 270/46. Sowjetische Kriegsgräber im Gebiet von Wien, Stand: 14.1.1950. Die in dieser Karte verzeichneten 54 Gräber beziehen sich auf die Grenzen von „Großwien", die bis 31. August 1954 galten. Wenn nun die dadurch herausfallenden Gräber abgezogen werden, kommen wir auf eine Zahl von rund 29 Gräbern, die auf das Stadtgebiet von Wien auf Grund der Grenzen ab dem 1. September 1954 entfallen. Die restlichen 25 Gräber werden seit dem 1. September 1954 Niederösterreich zugerechnet.

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Wolfram Dornik Oleg Komov in jenem Haus, in dem die Siegesfeier stattgefunden hatte, eine „Friedensgedenkstätte" errichtet.15 In der Steiermark befinden sich 22 Gräber. Eine relativ große Anzahl von Soldaten, die auf den ehemaligen Kriegsschauplätzen in der Ost- und östlichen Obersteiermark gefallen waren, wurde noch nicht exhumiert. Viele Rotarmisten wurden in Soldatenfriedhöfen begraben, auf denen sich auch Gräber für Soldaten von deutschen Einheiten befinden, wie beispielsweise auf dem Grazer Zentralfriedhof oder in Feldbach/Mühldorf. In der Steiermark gibt es nicht nur die Gräber für sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Rotarmisten, sondern auch für Kosaken (wie etwa in Judenburg). In Oberösterreich befinden sich 25 Gräber für sowjetische Soldaten; sie liegen überwiegend im Mühlviertel, der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone. Im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen befinden sich Denkmäler für sowjetische Tote. Obwohl in Salzburg, Tirol und Vorarlberg zu Kriegsende keine Einheiten der Roten Armee kämpften oder stationiert waren, findet man in diesen Bundesländern insgesamt 17 Gräber und Denkmäler. In diesen Grabanlagen sind vor allem in Kriegsgefangenschaft oder als zivile Zwangsarbeiter Verstorbene bestattet worden. Weiters wurden in diesen Gräbern auch Vlasov-Soldaten und Kosaken beigesetzt. Ebenso sind in den sechs Anlagen Kärntens keine Rotarmisten, sondern Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Kosaken begraben. Das „Russendenkmal" auf dem Wiener Schwarzenbergplatz Das Denkmal auf dem Schwarzenbergplatz (der während der Besatzungsjahre teilweise in „Stalinplatz" umbenannt wurde) ist wohl das berühmteste und im öffentlichen Raum sichtbarste Denkmal für die Rote Armee in Österreich.16 Das Denkmal wurde bereits am 19. August 1945 nach dreimonatiger Bauzeit eröffnet.17 Beim Bau des Denkmals waren die Verantwortlichen mit Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Materials konfrontiert, dennoch konnte es rechtzeitig fertig gestellt werden.18 Gestaltet wurde das Mo-

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Gottfried Stangler - Dagmar Leindl, Gedenken & Mahnen. Zeitgeschichlich bedeutende Orte in Niederösterreich 1944/45. O. O. o. J„ S. 9. Zum ersten Jahrestag der Befreiung Wiens wurde jener Teil des Schwarzenbergplatzes, auf dem das Denkmal der Roten Armee steht (noch Teile des 3. und 4. Bezirkes), in Stalinplatz umbenannt. Es wurden auch noch einige Straßen, Plätze und Brücken von der Stadt Wien umbenannt: Die Reichsbrücke wurde in Brücke der Roten Armee umbenannt, die Floridsdorfer Brücke wurde zur Malinowskibrücke. Vgl. Stalinplatz, Tolbuchinstraße und Malinowskibrücke in Wien, in: Österreichische Zeitung, 12.4.1946, S. 1. Zum Tag der Befreiung. Straßenbenennungen zu Ehren der Roten Armee, in: ArbeiterZeitung, 12.4.1946, S. 1. CAMO, F. 275, op. 353761S, d. 1, 841f. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 48. Vgl. Hannes Leidinger - Verena Moritz, Russisches Wien. Begegnungen aus vier Jahrhunderten. Wien - Köln - Weimar 2004, S. 182. Michail Seinfeld berichtet aber in einem Interview, dass die Besorgung des Materials keine großen Probleme bereitete: Erich Klein (Hg.), Die Russen in Wien. Die Befreiung Österreichs. Wien 1995, S. 239 f.

Erinnerung am Rande nument vom Bildhauer M. Intesarjan, dem Architekten S. Jakovlev und dem Bauleiter Michail Seinfeld. Außerdem arbeiteten noch einzelne österreichische Künstler mit.19 An den Bauarbeiten waren zirka 400 Handwerker beteiligt. Obwohl diese zweimal am Tag verköstigt wurden, machte sich unter den Arbeitern auf Grund des großen Zeitdrucks, der starken Einflussnahme der Militärs und der Überwachung Unmut breit.20 Bei der Eröffnung waren neben Vertretern der Roten Armee auch Abordnungen der westalliierten Armeen sowie österreichische Politiker wie Karl Renner, Ernst Fischer, Leopold Figl oder Theodor Körner anwesend. Im Rahmen der Feierlichkeiten wurden Paraden von sowjetischen Truppen, aber auch Einheiten der Westalliierten abgehalten.21 Das sowjetische Presseorgan in Österreich, die Österreichische Zeitung, berichtete umfangreich über die Denkmalenthüllung. Radio Wien übertrug die Feierlichkeiten sogar live.22 In einmütiger Geschlossenheit sprachen die österreichischen Politiker bei der Feier der Roten Armee und ihren gefallenen Soldaten ihren Dank für die Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus aus. Der besonders um ein gutes Verhältnis mit den Sowjets bemühte Karl Renner sprach von einem „gigantischen Denkmal der toten Helden, welche in der europäischen sowie in der Geschichte der ganzen Welt ein einzigartiges Verdienst erworben haben". 23 Renner betonte die Dankbarkeit der Wiener und Österreicher für die Leistungen der Roten Armee zur Befreiung Österreichs. Staatssekretär Leopold Figl hob in seiner Rede neben dem Dank an die Rote Armee auch die Beteiligung des österreichischen Widerstandes an der Befreiung Österreichs hervor. Dies betonte auch Ernst Fischer in seiner Rede. 24 In den folgenden Jahren bis 1955 war das Denkmal Kristallisationspunkt bei Feierlichkeiten der sowjetischen Besatzungsmacht, wie zu Jahrestagen der Einnahme Wiens am 13. April oder der „Oktoberrevolution" (25. Oktober bzw. 7. November). 25 Nach dem Abzug der Alliierten aus Österreich begann eine kontroversielle Debatte, über einen Abbruch des Denkmals. 26 Obwohl dies rechtlich nur sehr schwer möglich

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Vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Gedenken und Mahnen in Wien 1934—1945. Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil, Befreiung. Eine Dokumentation. Wien 1998, S. 121. Vgl. Katharina Wegan, Monument - Macht - Mythos. „Resistance-" und „Opfermythos" als hegemoniale Vergangenheitserzählungen und ihre Denkmäler nach 1945 im austro-französischen Vergleich. Phil. Diss. Graz 2003, S. 187. Vgl. DÖW, Gedenken und Mahnen in Wien 1934-1945, S. 121. Vgl. Den Helden der Roten Armee, die für Wiens Befreiung fielen, in: Österreichische Zeitung, 19.8.1945, S. 2. Machtvolle Großkundgebung. Das Heldendenkmal für die gefallenen Rotarmisten enthüllt, in: Österreichische Zeitung, 21.8.1945, S. If. Unsterbliche Helden, in: Österreichische Zeitung, 21.8.1945, S. 1. Ewiger Ruhm den gefallenen Helden der Befreiung Wiens, in: Österreichische Zeitung, 21.8.1945, S. 3. Ewiger Ruhm den gefallenen Helden der Befreiung Wiens, in: Österreichische Zeitung, 21.8.1945, S. 3. Ebd. Vgl. Zwei Jahre befreites Wien, in: Österreichische Zeitung, 13.4.1947, S. lf. Ehrung der gefallenen Sowjetsoldaten durch die Stadt Wien, in: Österreichische Zeitung, 7.11.1947, S. 4. Generaloberst Kurasow zum Jahrestag der Befreiung: Unabhängigkeit Österreichs - Ziel der Sowjetregierung, in: Österreichische Zeitung, 13.4.1948, S. lf. Vgl. Leidinger - Moritz, Russisches Wien, S. 183.

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Wolfram Dornik ist, weil der Staatsvertrag alle Denkmäler und Gräber der Besatzungstruppen schützt27, wurde dieser Aspekt in der Diskussion außer Acht gelassen. Bereits während der Errichtung des Denkmals hatte sich Unmut in der Öffentlichkeit breit gemacht, da trotz der Zerstörungen der Stadt umfangreiche Anstrengungen in die Errichtung bzw. später in die Pflege des Denkmals investiert werden mussten. Außerdem war das Denkmal eine „mentale Wunde" in der Öffentlichkeit, weil es viele Österreicher an die Übergriffe im Rahmen der Befreiung erinnerte. Die Menschen gewöhnten sich im Laufe der Jahre an das Denkmal: So sprachen sich 1992 in einer Umfrage des Gallup-Institutes 59 Prozent der Wiener für den Erhalt, nur neun Prozent für den Abriss des Denkmals aus. Auch für Touristen ist das Denkmal inzwischen Fixbestand einer Sightseeingtour: Häufig besuchen sowjetische Veteranen das Denkmal, auch zu besonderen Anlässen, wie 1995 zum 50. Jahrestag der Einnahme Wiens.28 Heute betrachten viele Österreicher das Denkmal auf dem Schwarzenbergplatz als ungewöhnliche Selbstverständlichkeit, es ist das „Russendenkmal", nur ganz selten wird es als „Befreiungsdenkmal" tituliert. Auch wenn sich der Schwarzenbergplatz bzw. das Denkmal im Zentrum der österreichischen Bundeshauptstadt befindet, so ist das Denkmal in den Köpfen der Menschen doch am „Rande" verortet. Es wird als fremder Erinnerungsort wahrgenommen.

Bad Radkersburg In Bad Radkersburg im Südosten der Steiermark wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht ein Denkmal errichtet, das hier für viele ähnliche Denkmäler im Osten Österreichs stehen soll. Mit dem Bau des Denkmals wurde rasch nach Kriegsende begonnen, es konnte am 1. Juli 1945 fertig gestellt werden. Am Denkmal arbeitete der steirische Bildhauer Wilhelm Gösser mit. Gössers Biografie weist nahtlose Kontinuitäten während der verschiedensten politischen Systeme in Österreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Seine Pragmatik, die sich auch in seinem künstlerischen Schaffen ausdrückt, brachte ihm auch massive Kritik ein.29 Noch bevor die britischen Truppen die Steiermark am 24. Juli 1945 als Besatzungszone übernahmen, wurde eine Vereinbarung zwischen der Radkersburger Stadtverwaltung und einem Vertreter der Roten Armee zur Instandhaltung des Denkmals und einer feierlichen Eröffnung geschlossen. Am 12. August wurde das Denkmal unter Anwesenheit der örtlichen Bevölkerung und Politik sowie Vertretern der sowjetischen und britischen Armee enthüllt. Bereits nach der Einweihung des Denkmals begannen sich kritische Stimmen zu mehren. Vor allem auch deshalb, weil in die Errichtung des Denkmals große Anstren-

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Vgl. Artikel 19: Staatsvertrag, betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs, aus: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 1955, 30.7.1955, 152, S. 730. Vgl. Wegan, Monument - Macht - Mythos, S. 189-190. Vgl. Werner Fenz, Die Steiermark im 20. Jahrhundert: Kunst zwischen 1938 und 1999, in: http://gewi.kfunigraz.ac.at/~fenz/texte/stmk_kunstvolltext.html, 8.11.2004, 14.49 Uhr, Netscape 7.1.

Erinnerung am Rande gungen und Ressourcen investiert worden waren, während der Rest des Ortes wie auch die wichtige Brücke über die Mur noch zerstört waren. Alfred Merlini, ehemaliger Kriegsgefangener in der Sowjetunion und ab 1954 Bürgermeister von Radkersburg, begann bereits 1955 mit seinen Bemühungen, das Denkmal aus dem Ortszentrum versetzen zu lassen. Nach Interventionen in der Landes- und Bundesregierung und in der sowjetischen Botschaft in Wien gelang ihm 1958 die Zustimmung zur Versetzung des Denkmals an einen weniger zentralen Platz des Ortes, einen Park. Diese Versetzung an den Rand des öffentlichen Raumes von Bad Radkersburg wurde auch sofort durchgeführt. Anfang der 1990er Jahre debattierte man neuerlich über den völligen Abbruch des Denkmals, allerdings ergebnislos.30

Gedenkstätte Mauthausen In das Konzentrationslager Mauthausen wurden rund 200.000 Menschen aus fast allen europäischen, aber auch einigen außereuropäischen Staaten deportiert. Rund die Hälfte von ihnen wurde ermordet. Die Häftlinge wurden vor allem im Steinbruch unter härtesten Bedingungen (Lagerstufe III) als Arbeitskräfte eingesetzt und vielfach zu Tode geschunden. Tausende wurden ermordet (durch Erhängen, Erschlagen, Verhungern, pseudomedizinische Versuche oder Gift). Ab 1943 wurden die Häftlinge zu Arbeiten in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Dafür wurden in ganz Österreich zahlreiche Außenlager errichtet.31 Das KZ Mauthausen wurde am 5./6. Mai 1945 von US-Truppen befreit. Sie fanden allein im Stammlager noch 20.000 Häftlinge in einem katastrophalen Zustand und tausende Leichen vor. Gemeinsam mit den ehemaligen Häftlingen wurde versucht, die Überlebenden zu retten und eine Verwaltung für die Zeit nach der Befreiung aufzubauen. Mit der Zonenaufteilung Österreichs fiel das KZ in die sowjetische Zone. Die Sowjets nutzten vorerst das Lager und die SS-Wohnsiedlungen für ihre Truppen. Mit dem Befehl Nr. 17 galten die Liegenschaften des Konzentrationslagers mit allen darauf stehenden Objekten als sowjetisches Vermögen. Erst langsam konnte eine befriedigende Lösung zwischen den Verbänden der Überlebenden (diese wollten auf dem Gelände eine Gedenkstätte errichten), der öffentlichen Hand (Kommunen, Land, Bund), ehemaligen Eigentümern (die SS hatte Liegenschaften beschlagnahmt) und der sowjetischen Besatzungsmacht über die Zukunft Mauthausens erreicht werden. Im März 1947 wurde vom Ministerrat beschlossen, bei den Sowjets um Übergabe von Mauthausen anzusuchen - diesem Ansuchen wurde stattgegeben. Am 20. Juni übergab Hochkommissar Vladimir Kurasov das ehemalige Stammlager des Konzentrationslagers Mauthausen und die SS-Wohnsiedlungen der österreichischen

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Vgl. Nina Prelec, Das Russendenkmal in Bad Radkersburg. Ende des Krieges in Radkersburg 1945. Aufbau und Abbau des Russendenkmals. Fachbereichsarbeit aus Geschichte. Bad Radkersburg 1996. Vgl.: Mauthausen Memorial. Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, in: http:// www.mauthausen-memorial.at/index_open.php?PHPSESSID=6b706210e6a5ff89128881 c3c96149ae, 3.11.2004, 18.49, Netscape 7.1.

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Wolfram Dornik Bundesregierung.32 Bei der Übergabe des Lagers wurde von den Vertretern der Alliierten und hochrangigen österreichischen Politikern eine Gedenktafel mit den Zahlen und den Herkunftsländern der ermordeten Häftlinge enthüllt.33 In den folgenden Jahren wurden das Gelände der Gedenkstätte (Steinbruch, Todesstiege) und die Denkmäler permanent erweitert. 1948 wurde für den sowjetischen Generalleutnant Dimitri Karbysev, der im Februar 1945 ermordet wurde, eine Gedenktafel errichtet.34 Es folgten noch weitere Denkmäler: 1949 für französische Häftlinge, 1955 für sowjetische Kriegsgefangene35 und für weitere Opfergruppen.36 Damit gehört der Denkmalpark des KZ Mauthausen zu den wichtigsten Orten der Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes in Österreich. Denkmäler für Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene wurden vor allem in der Landwirtschaft37 und in Rüstungsbetrieben, aber auch in den Alpengebieten bei großen Kraftwerksbauten, wie den Iiiwerken (Obervermunt, Silvrettaspeicher, Latschau- und Rodunwerk) oder den Baustellen in Kaprun, eingesetzt. So arbeiteten allein auf den Baustellen der Iiiwerke im Jahr 1943 rund 4000 Menschen, überwiegend zivile Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene.38 Am deutlichsten tritt die eingangs formulierte These von der „Erinnerung am Rande" beim „Russendenkmal" in Kaprun zu Tage: Die Planungsarbeiten für das Kraftwerk Kaprun begannen unter teils heftigen Protesten schon in der Zwischenkriegszeit. Die damaligen Bauern- und Fremdenverkehrsorganisationen liefen Sturm gegen das Projekt. Um solche „Unruhestifter" kümmerten sich die Nationalsozialisten nach dem „Anschluss" nicht mehr: Hermann Göring verkündete in seinem 17-Punkte-Aufbauprogramm für die „Ostmark" auch den Bau des Kraftwerkes in den Tauern. So wurde in den folgenden Jahren mit Hochdruck an der Umsetzung des gewaltigen Bauprojektes gearbeitet. Schon bald nach Kriegsbeginn kamen im Oktober 1939 die ersten polnischen Zwangsarbeiter nach Kaprun. Bis zum September 1940 stieg die Zahl der Arbeitskräfte

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Vgl. Helmut Fiereder. Zur Geschichte der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, in: Fritz Mayrhofer - Walter Schuster (Hg.), Nationalsozialismus in Linz. Bd. 2. Linz 2001, S. 1565-1583. Vgl. Generaloberst Sheltow erklärt in Mauthausen: Blut der KZler fordert Frieden und Demokratie, in: Österreichische Zeitung, 21.6.1947, S. lf. Vgl. Enthüllung des Denkmals für General Karbyschew in Mauthausen, in: Österreichische Zeitung, 2.3.1948, S. 1, 3. Vgl. Fiereder. Zur Geschichte der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, S. 1585. Vgl. Mauthausen Memorial. Geschichte der Gedenkstätte - Zeitleiste, http://www.mauthausenmemorial.at/index_open.php?PHPSESSID=5f6c066df70c984d6c0dc04d2c61 lea8, 3.11.2004, 19.00, Netscape 7.1. Vgl. Stefan Karner - Peter Ruggenthaler, Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet Österreichs 1939 bis 1945. Veröffentlichungen der Historikerkommission der Republik Österreich. Bd. 26/2. Wien - München 2004. Vgl. Hermann Brändle - Kurt Greussing, Fremdarbeiter und Kriegsgefangene, in: Johann-AugustMalin-Gesellschaft (Hg.), Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933-1945. Beiträge zu Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs, Bd. 5. Bregenz 1985, S. 172-175.

Erinnerung am Rande auf 2000, rund drei Viertel von ihnen waren Kriegsgefangene (später überwiegend zivile Zwangsarbeiter). Im Frühjahr 1942 wurden die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen nach Kaprun verbracht; diese und die nach Kaprun deportierten KZ-Häftlinge erhöhten die Zahl auf fast 3000 Arbeitskräfte. Sie wurden 1945 von US-Truppen befreit. 39 Für 87 sowjetische Zwangsarbeiter, die bei den Bauarbeiten starben, wurde nach dem Kriegsende ein Denkmal in der Nähe des Schlosses Kaprun errichtet. Der Schriftsteller Christoph Ransmayr 40 beschreibt in einem Essay den Mythos Kaprun, der in der Nachkriegszeit zur zentralen Metapher des Wiederaufbaus geworden war. Ransmayr spricht den ambivalenten Umgang mit den in Kaprun tätigen Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeitern nach 1945 an: „An die düstere erste Bauphase während des Krieges erinnert man sich der Genauigkeit halber nicht - das war schließlich eine großdeutsche Zeit und keine österreichische, weiß Gott, und zudem die Zeit der Gefangenen- und Zwangsarbeiterlager am Rande des Dorfes und auf den Almen, die Zeit der namenlosen Toten und des Arbeitermassengrabes an der Salzach. Man habe damals die Leichen karrenweise von der Baustelle geschafft, sagt der Landwirt und Pensionsbesitzer Josef Mitteregger vom Oberlehenhof [...]. Bei dieser Hundearbeit damals und nur eine Krautsuppe täglich kein Wunder, dass viel gestorben worden sei. Aber der Krieg habe eben in einem Kapruner Lager nicht anders ausgesehen als in einem russischen oder anderswo." 41 Diese Einschätzung Ransmayrs verdeutlicht die These von der Erinnerung am Rand der sowjetischen Bürger in Österreich.

Schluss Die Denkmäler und Gräber für sowjetische Soldaten in Österreich wurden meist von der sowjetischen Besatzungsmacht errichtet. Pflege und Erhaltung dieser Erinnerungsorte ist für Österreich völkerrechtlich bindend. Damit zeichnet sich eine Erinnerungskultur von oben ab: Die Denkmäler wurden von einer gesellschaftspolitischen Macht errichtet, die von außen zu dieser Erinnerung verpflichtete. Dadurch werden die Erinnerungsorte von der Bevölkerung häufig als fremd, in manchen Fällen aufgezwungen wahrgenommen. Die imposanten sowjetischen Denkmäler mit ihren kyrillischen Inschriften wirken für viele Menschen auch heute noch befremdend. Trotz der Fremdheit dieser Erinnerungsorte werden sie partiell in die eigene Erinnerung integriert. Dabei wird aber von vielen auf den spezifischen historischen Kontext (Befreiung vom Nationalsozialismus) verwiesen, unter dem die Denkmäler errichtet wurden. Für die weitgehende Akzeptanz bzw. Toleranz gegenüber den Denkmälern in der Öffentlichkeit ist auch die zeitliche Entfernung verantwortlich: Die Erinnerungen an die Übergriffe verschwinden zunehmend aus dem kommunikativen Gedächtnis und

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Vgl. Clemens M. Hutter, Kaprun. Geschichte eines Erfolgs. Salzburg - Wien 1994, S. 105-117. Christoph Ransmayr wurde am 20. März 1954 in Wels (Oberösterreich) geboren; Erzähler, Essayist. Vgl. Christoph Ransmayr, Kaprun. Oder die Errichtung einer Mauer, in: Christoph Ransmayr (Hg.), Der Weg nach Surabaya. Reportagen und kleine Prosa. Frankfurt a. M. 1997, S. 79.

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Wolfram Dornik haben nur teilweise Eingang in das kollektive Gedächtnis gefunden. 60 Jahre nach Kriegsende sind die Kämpfe auf dem Gebiet Österreichs und die damit einhergehenden Plünderungen und Vergewaltigungen nicht mehr in dem Maße emotional beladen, wie das noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Außerdem wurde in Österreich seit den 1970er Jahren die Mitverantwortung an den Verbrechen des Nationalsozialismus und am Zweiten Weltkrieg weitgehend öffentlich akzeptiert. Die „Mittäter-These" hat die „Opfer-These" überwiegend verdrängt. Für die Rote Armee war die rasche Errichtung der Denkmäler sehr wichtig: Es war zum damaligen Zeitpunkt praktisch unmöglich, die verstorbenen Soldaten in ihre Heimat zu verbringen, wie dies heute bei kriegerischen Auseinandersetzungen meist der Fall ist. Aus diesem Grund mussten vor allem für die Moral der Truppen von der Armeeführung Zeichen der Anerkennung gesetzt werden. Allgemein wurde der Zweite Weltkrieg in der sowjetischen Propaganda als „Großer Vaterländischer Krieg" stilisiert. Dies war während des Krieges zur Mobilisierung der Bevölkerung notwendig. Im Nachhinein wurden die Opfer dadurch zu Helden idealisiert. Die zentrale Rolle der Sowjetunion im Kampf gegen den „Faschismus"42 war für den schwer angeschlagenen Staat identitätsstiftend.43 Deshalb hatte der rasche Bau von Denkmälern für die Besatzungssoldaten eine wichtige Rolle gespielt. Das von den Soldaten Erlebte - und im kommunikativen Gedächtnis Verortete - erhielt somit im kollektiven Gedächtnis seinen Platz. Die bis heute zentrale Stellung des „Großen Vaterländischen Krieges" in der russischen Identität, teilweise auch in jener der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, findet auch in den jährlichen Feierlichkeiten in Russland am „Tag des Sieges", dem 9. Mai ihren Ausdruck. Sehr deutlich wird diese Stellung im imposanten Denkmal für die Gefallenen des „Großen Vaterländischen Krieges" im „Park des Sieges" in Moskau. Auch heute noch ist es wichtig, dass jedem Menschen nach dem Tod sein Name und somit seine Identität bewahrt bzw. wiedergegeben wird. Aus dieser Perspektive ist auch die Arbeit des ÖSK und des VDK zu sehen. Die sowjetischen Kriegsgräberanlagen sind bis heute oft die Friedhöfe der Namenlosen geblieben. Auf Grund der Nachforschungen, die in Archiven, mit Sterbebüchern, Exhumierungs- und Umbettungsprotokollen sowie anderen Quellen durchgeführt werden können, ist eine relativ genaue Lokalisierung der Gräber vieler Rotarmisten möglich.44 Dafür sind aber umfangreiche Anstrengungen notwendig. Für die Angehörigen ist es aber sehr wichtig, Gewissheit über den Verbleib ihrer Verwandten zu bekommen. Die Funktion von Gräbern und Denkmälern ist also keine ausschließlich allgemein-historische, sondern im Bereich der humanitären Kriegsfolgen höchst aktuell. 42 43

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In der sowjetischen Terminologie wird unter „Faschismus" der „Nationalsozialismus" subsumiert. Dazu gibt es eine sehr weit gefächerte Sekundär- und Primärliteratur. Besonders soll auf folgendes Buch hingewiesen werden: Josef Stalin, Über den großen vaterländischen Krieg der Sowjetunion. O. O. 1945. Im Zuge des Projektes „Die Rote Armee in Österreich" gelang es, Namenslisten der zu Kriegsende in Österreich gefallenen sowjetischen Soldaten aus dem Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation (CAMO) zu erhalten. Die Angaben zu den Verstorbenen werden zurzeit von Peter Sixl in eine zentrale Datenbank eingearbeitet, mit österreichischen Quellen und seinen eigenen Recherchen ergänzt. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden in einer Publikation veröffentlicht.

Erinnerung am Rande Nach „außen" - das heißt gegenüber der österreichischen Bevölkerung - sollte mit der Errichtung von Denkmälern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein deutliches Zeichen der „Befreiung" gesetzt werden. Dies wird auch in unzähligen Kommentaren und Berichten der Österreichischen Zeitung klar: Die Österreicher sollten die Opfer der Sowjetunion zur „Befreiung vom Nationalsozialismus" würdigen. Dass diese Würdigung nicht in entsprechendem Maß erreicht wurde, ist wahrscheinlich auch eine Auswirkung des Verhaltens von Truppen der sowjetischen Besatzer zu Kriegsende in Ostösterreich. So bleiben noch heute die Denkmäler und Gräber für sowjetische Soldaten nicht nur räumlich, sondern auch in den Köpfen der Menschen „am Rande".

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Barbara Stelzl-Marx

Freier und Befreier Zum Beziehungsgeflecht zwischen sowjetischen Besatzungssoldaten und österreichischen Frauen Rund 400.000' Rotarmisten befreiten 2 Österreich, allein 270.000 3 wurden mit dem Orden „Za vzjatie Veny" - „Für die Einnahme Wiens" 4 ausgezeichnet. Für Herbst 1945 wird die Stärke der sowjetischen Besatzungstruppen auf österreichischem Boden auf 180.000 bis 200.000 5 Personen geschätzt. 6 Zehn Jahre später waren noch rund 40.000 Armeeangehörige, 7600 Mitglieder von Offiziersfamilien sowie etwa 2400 sowjetische Arbeiter 1

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Manfried Rauchensteiner, Nachkriegsösterreich 1945, in: Österreichische Militärische Zeitschrift. 1972/6, S. 4 0 7 ^ 2 1 , hier: S. 420. Vgl. zu diesem Beitrag auch: Barbara Stelzl-Marx, „Russenkinder" und „Sowjetbräute". Besatzungserfahrungen in Österreich 1945-1955, in: Clemens Vollnhals - Mike Schmeitzner (Hg.), Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945-1955. Dresden 2005 (in Druck). Die Befreiung Österreichs wurde von einem Großteil der österreichischen Bevölkerung als ambivalent oder negativ betrachtet, nicht zuletzt, weil damit die zehnjährige Besatzung begann. Von sowjetischer Seite hingegen ist die Terminologie eindeutig: Hier steht der - rein heroisch und positiv konnotierte - Befreiungscharakter der militärischen Operation zu Kriegsende im Vordergrund, weswegen es bis heute schwierig ist, in der ehemaligen Sowjetunion negative Aspekte der Handlungen der Roten Armee anzusprechen. Rein technisch gesehen ist der Begriff „Befreiung" berechtigt, da insbesondere der Sieg der Roten Armee auf heute österreichischem Boden das nationalsozialistische Regime in Österreich beseitigte und den „Anschluss" dadurch rückgängig machte. Vgl. zu diesem Diskurs u. a. Wolfgang Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. Die Errichtung der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich von 1945 bis 1946 im Spiegel ihrer Lageberichte. Phil. DA. Wien 1998, S. 85.

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V. N. Sunkov, Krasnaja armija. Harvest 2003, S. 341. Auffallend ist, dass der Orden, der für die Einnahme Wiens ausgegeben wurde, nicht den Terminus „Befreiung", wie das bei Belgrad, Warschau und Prag der Fall war, sondern die Bezeichnung „Einnahme" trug, was für Städte des Deutschen Reiches, allen voran Berlin, vorgesehen war. Erich Klein führt dies auf den militärischen Aspekt der Eroberung Wiens zurück. Vgl. Erich Klein (Hg.), Die Russen in Wien. Die Befreiung Österreichs. Wien 1945/Augenzeugenberichte und über 400 unpublizierte Fotos aus Russland. Wien 1995, S. 16. Wolfgang Wagner spricht hier von einer seltsamen Inkonsequenz, da Österreich seit der Moskauer Deklaration als zu befreiendes Land bezeichnet, Wien allerdings durch die Bezeichnung des Ordens „Für die Einnahme" als Stadt des Deutschen Reiches gewertet wurde. Vgl. Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 30. Allerdings verweist er fälschlicherweise darauf, dass auch bei Budapest der Orden „Für die Befreiung" verliehen wurde, währenddessen diese Auszeichnung - analog zu Wien - den Terminus „Für die Einnahme" trägt. Vgl. Sunkov. Krasnaja armija, S. 339.

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Zum selben Zeitpunkt waren etwa 75.000 britische, 70.000 amerikanische und 40.000 französische Soldaten in Österreich stationiert. Rauchensteiner, Nachkriegsösterreich 1945, S. 420. Franz Severin Berger - Christiane Holler, Trümmerfrauen. Alltag zwischen Hamstern und Hoffen. Wien 1994, S. 174.

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Barbara Stelzl-Marx und Bedienstete in Österreich stationiert.7 Diesem aus der Situation heraus besonders „frauenhungrigen" Männerpotential im besten Alter stand ein eklatanter Männermangel der so genannten leistungsfähigen Jahrgänge gegenüber: 380.000 österreichische Männer waren von den europäischen Schlachtfeldern nicht heimgekehrt. Dazu kommt der Blutzoll der vom NS-Regime in Gefängnissen und Konzentrationslagern ermordeten Österreicher sowie die Hunderttausenden österreichischen Kriegsgefangenen, über deren Schicksal Familienangehörige jahrelang nichts Genaues wussten.8 Noch 1948 waren laut „Wiener Wochenpost" auf 100 österreichische Frauen durchschnittlich 70 Männer zu rechnen. Schon allein aus dieser zahlenmäßigen Diskrepanz heraus lässt sich der soziale und psychische Konfliktstoff der Nachkriegsjahre erahnen.9 Gerade zu Kriegsende und in der ersten Nachkriegszeit waren die Soldaten der Sowjetischen Armee in Ostösterreich beinahe omnipräsent, dominierten das öffentliche Leben, drangen in die Privatsphäre ein, sahen - zumindest zu einem gewissen Teil - die Frau als Beute der Sieger.10 Weniger bekannt ist, dass sich - wie auch in den westlichen Besatzungszonen'1 - eine große Bandbreite erotischer Annäherungen zwischen Österrei7

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CAMO, F. 275, op. 140920g, d. 7, S. 152f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 188. Diese Ungewissheit über das Schicksal von Kriegsgefangenen trifft insbesondere auf die Gefangenschaft in der Sowjetunion zu, da die Sowjetunion als Gewahrsamsmacht keine Angaben an internationale Hilfsorganisationen oder die Heimatländer der Gefangenen weitergab. Bis heute sind - trotz genauer Aufzeichnungen - zahlreiche Schicksale ungeklärt. Vgl. dazu Stefan Karner, Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion 1941-1956. Kriegsfolgen-Forschung Bd. 1. Wien - München 1995. Berger - Holler, Trümmerfrauen, S. 174; Siegfried Mattl, Frauen in Österreich nach 1945, in: Rudolf G. Ardelt - Wolfgang J. A. Huber - Anton Staudinger (Hg.), Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl zum 60. Geburtstag. Wien - Salzburg 1985, S. 101-126, hier: S. 110. Hierbei handelt es sich um ein Begleitphänomen aller Kriege seit Menschengedenken. Auch auf deutscher Seite kam es zu zahlreichen Übergriffen auf Frauen in den besetzten Gebieten. Vgl. dazu: Hannes Heer - Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Hamburg 1995; Marianne Baumgartner, „Jo, des waren halt schlechte Zeiten ..." Das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit in den lebensgeschichtlichen Erzählungen von Frauen aus dem Mostviertel. Frankfurt am Main 1994, S. 127. Betont werden muss zudem, dass Vergewaltigungen auch von britischen, amerikanischen und französischen Soldaten in Österreich verübt wurden. Vgl. Margarethe Hannl, Mit den Russen leben. Ein Beitrag zur Geschichte der Besatzungszeit im Mühlviertel 1945-1955. Phil. DA. Salzburg 1988, S. 63. Außerdem wurden auch Plünderungen und Übergriffe, die von der österreichischen Bevölkerung in der Nachkriegszeit begangen wurden, auf Angehörige der sowjetischen Armee geschoben. So stand nicht immer fest, ob es sich bei den - wie es in der Diktion der Polizeiberichte hieß - „Tätern in Uniform" tatsächlich um Rotarmisten handelte oder ob ihnen einfach die Funktion eines Sündenbockes für von Österreichern begangene Delikte zukam. Vgl. dazu etwa: Ingrid Bauer, „Besatzungsbräute". Diskurse und Praxen einer Ausgrenzung in der österreichischen Nachkriegsgeschichte 1945-1955, in: Irene Bandhauer-Schöffmann - Ciaire Duchen (Hg.), Nach dem Krieg. Frauenleben und Geschlechterkonstruktionen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Herbholzheim 2000, S. 261-276, hier: S. 263; Regina Brunnhofer, Liebesgeschichten und Heiratssachen. Das vielfältige Beziehungsgeflecht zwischen britischen Besatzungssoldaten und Frauen in der Steiermark zwischen 1945-1955. Phil. DA. Graz 2002, S. 23ff.; Karin M. Schmidlechner, Frauenleben in Männerwelten. Kriegsende und Nachkriegszeit in der Steiermark. Wien 1997, S. 80ff.; Renate Huber, „I säg all, ma heat vrgessa höra schaffa ...". Alltagsleben von Frauen in Vorarlberg während der französischen Besatzungszeit 1945-1953 anhand lebensgeschichtlicher Interviews. Phil. DA. Salzburg 1996; Renate Huber, „Als Mann hätte er mich interessiert, als Mann ...". Beziehungen

Freier und Befreier cherinnen und sowjetischen Besatzungssoldaten entwickelte, die von Flirts, Beziehungen für ab und zu oder die Dauer der Stationierung - und in Ausnahmefällen - bis hin zu Eheschließungen 12 reichten. Außerdem gab es jede Form professioneller und halbprofessioneller Prostitution, wobei sich vor dem Hintergrund der katastrophalen wirtschaftlichen Lage zu Kriegsende und der materiellen Asymmetrien zwischen Soldaten und einheimischen Frauen die Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Zwang nicht immer eindeutig ziehen lassen. Das Schlagwort „Überlebensprostitution", das Beschaffen von Lebensmitteln durch sexuelle Kontakte, wurde in diesem Zusammenhang geprägt.13 Im Zentrum dieses Beitrages steht der Schnittpunkt zwischen den beiden Ebenen der Besatzer und der Befreiten bzw. Besetzten, die große Bandbreite an freiwilligen und unfreiwilligen Beziehungen zwischen Rotarmisten und Österreicherinnen sowie die daraus resultierenden Besatzungskinder. Der Topos des „kinderlieben Russen" sowie die Problematik von Liebesbeziehungen vor dem Hintergrund der in der Nachkriegszeit noch sehr wirksamen NS-Feindbilder und der negativen Erfahrungen mit Angehörigen der Roten Armee kommen hier ebenso zur Sprache wie die Suche nach dem „verlorenen Vater".

Unter einem Dach - Zu den Einquartierungen von Besatzungssoldaten Enge Berührungspunkte gab es insbesondere zu Beginn der Besatzungszeit durch die Zwangseinquartierungen von Angehörigen der Roten Armee in Privatquartieren, was meist als massiver Einbruch in die Privatsphäre gesehen wurde.14 So beschreibt ein mit dem stereotypen Satz „Das Verhältnis zu den Besatzungsmächten ist im allgemeinem gut" eingeleiteter Lagebericht der Sicherheitsdirektion für das Burgenland von Anfang September 1946: „Böses Blut erzeugen die gewaltsamen Einquartierungen, wobei weder der Beruf des Wohnungsinhabers noch die Zahl der Familienangehörigen Berücksichtigung finden. Durch die Einquartierungen von Familienmitgliedern der Militärpersonen werden die Bewohner der einzelnen Räume zusammengedrängt und ihre Einrichtungsvon Vorarlberger Frauen zu französischen Besatzungssoldaten auf der Basis lebensgeschichtlicher Interviews, in: Montfort 49. 1997/2, S. 1 7 7 - 1 9 6 ; Renate Huber, Regionale und nationale Identitäten in Vorarlberg ( 1 9 4 5 - 1 9 6 5 ) . Geschlecht, Migration und Besatzung als Interaktionsfelder zwischen Zugehörigkeit und Differenz. Phil. Diss. Florenz 2002; Renate Huber, Identität in Bewegung. Zwischen Zugehörigkeit und Differenz. Vorarlberg 1 9 4 5 - 1 9 6 5 . Innsbruck - Wien - München - Bozen 2004, S. 1 8 4 - 1 9 7 . 12

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Eheschließungen zwischen sowjetischen Soldaten und österreichischen Frauen waren zwar nicht gestattet, allerdings ist u. a. der Fall eines Rotarmisten belegt, der desertierte und mit einer Österreicherin nach Frankreich floh, w o sie heirateten. Vgl. J. C., Freundliche Auskunft. St. Pölten, 3.4.2004. Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Von der Trümmerfrau auf der Erbse. Ernährungssicherung und Überlebensarbeit in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Wien, in: L'Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft. 1991/1, S. 7 7 - 1 0 5 , hier: S. 103. U m Zwangseinquartierungen zu vermeiden, nahmen Hausbesitzer mitunter freiwillig Flüchtlinge oder Verwandte auf, nur um ihr Haus „zu füllen". Vgl. Karin Pöpperl, Das Russlandbild in Weitra heute. Unter Berücksichtigung der Besatzungszeit 1 9 4 5 - 1 9 5 5 und der Propaganda der Kriegs- und Nachkriegszeit. Phil. D A . Wien 2003, S. 10. Die Besatzungstruppen beschlagnahmten Häuser, Wohnungen, Werkstätten und u. a. Schulen. Auch Einrichtungsgegenstände mussten zur Verfügung gestellt werden. Vgl. Hannl, Mit den Russen leben, S. 70f.

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Barbara Stelzl-Marx gegenstände dadurch gefährdet, dass Möbelstücke bei der Räumung der Wohnung durch die einquartiert Gewesenen verschleppt werden."15 Auch der Monatsbericht der Sicherheitsdirektion Wien für Oktober 1946 schlägt in eine ähnliche Kerbe: „Besonders von den Bewohnern der Randbezirke wurde immer wieder über die russischen Einquartierungen Klage geführt. Die Fälle, in denen russische Soldaten in Privatwohnungen eindrangen, um nach Frauen zu suchen, haben wieder erschreckend zugenommen."16 Allerdings war das Verhältnis zwischen Gastgeber und ungebetenem Gast während dessen Aufenthaltes nicht immer so schlecht, wie auf der Basis dieser beiden Berichte angenommen werden könnte. Nicht selten stellten die Einquartierten einen Schutz vor Übergriffen durch andere Soldaten dar, sie trugen mitunter auch zur Aufbesserung des kärglichen Speiseplans ihrer Gastgeberfamilie bei. Wie groß - zumindest anfänglich - das Misstrauen auf beiden Seiten war, zeigt, dass Familienmitglieder das von österreichischen Frauen zubereitete Essen vorkosten mussten, weil die sowjetischen Soldaten befürchteten, vergiftet zu werden.17 „Die Unbekannten" - Zur Angst vor den fremden Soldaten Eine zentrale Zäsur im (Nach-)Kriegsleben der Österreicherinnen stellte der mit Bangen und Hoffen, Angst und Freude verbundene Einzug der Roten Armee in Ostösterreich dar. Angesichts der ersten Begegnungen mit den sowjetischen Soldaten kamen vielfach nun jene stereotypen Feindbilder zum Tragen, welche die NS-Propaganda tief im Unterbewusstsein verankert hatte und die ihrerseits wieder auf einer langen Propaganda vor Kriegsbeginn fußten: die Sowjetunion als „Hort des Bösen", „behaust" vom „slawischen Untermenschen" und infiziert vom jüdischen Bolschewismus.18 Verstärkt wurden diese Stereotype durch die unterschiedlichsten Gerüchte und Warnungen der eingerückten österreichischen Männer an ihre Frauen in der Heimat, die selbst erfahren hatten, dass Frauen, entgegen allen bestehenden internationalen Kriegsrechten, als Trophäe gelten.19 Nun fürchteten sie die Rache der Roten Armee für die von deutschen Soldaten begangenen Vergewaltigungen sowjetischer Frauen.

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ÖStA, AdR, Abt. 2, Generaldirektion f ü r öffentliche Sicherheit, Monatsberichte, Sicherheitsdirektion für das Burgenland, 2.9.1946, S. 3. ÖStA, AdR, Abt. 2, Generaldirektion f ü r öffentliche Sicherheit, Polizeidirektion Wien, Monatsbericht für die Zeit vom 1. bis zum 31. Oktober 1946, Beilage A, 4.11.1946, S. 3. Maria Mayr, Das Jahr 1945 im Bezirk Horn. Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes. Bd. 31. Horn - Waidhofen a. d. Thaya 1994, S. 110. Vgl. dazu etwa auch: AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0263, Elisabeth Bruck. Krems, 30.5.2003. Vgl. dazu u. a. Hans-Erich Volkmann (Hg.), Das Russlandbild im Dritten Reich. Köln - Weimar - Wien 1994; Peter Jahn, „Russenfurcht" und Antibolschewismus: Zur Entstehung und Wirkung von Feindbildern, in: Peter Jahn - Reinhard Rürup (Hg.), Erobern und Vernichten. Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945. Berlin 1991, S. 4 7 - 6 4 ; Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Von Mythen und Trümmern. Oral History-Interviews mit Frauen zum Alltag im Nachkriegs-Wien, in: Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung (Hg.), Wiederaufbau weiblich. Dokumentation der Tagung „Frauen in der österreichischen und deutschen Nachkriegszeit". Wien - Salzburg 1992, S. 24—54. Gabriele Mörth, Schrei nach innen. Vergewaltigung und das Leben danach. Wien 1994.

Freier und Befreier Übergriffe, die vor allem direkt zu Kriegsende und in den ersten beiden Jahren der Besatzung stattfanden, bestätigten vielfach das von Vorurteilen geprägte Bild „der Russen" und verankerten es tief im kollektiven Gedächtnis. Wie hoch die Zahl der Vergewaltigungen tatsächlich war, lässt sich nicht mehr feststellen, da sich viele Frauen aus Schamgefühlen und/oder Unkenntnis bzw. auf Grund der schlechten medizinischen Infrastruktur nicht in ärztliche Behandlung begaben oder Anzeige erstatteten. Erfahrungsgemäß liegen im tabuisierten Bereich der Sexualität die Dunkelziffern besonders hoch. Für das Jahr 1945 verzeichneten allerdings alle Gesundheitsämter in den sowjetisch besetzten Bezirken einen signifikanten Anstieg von Geschlechtskrankheiten, insbesondere Gonorrhö (Tripper). Allein das Land Niederösterreich meldete 1945 rund 47.000 Neuzugänge von insgesamt 70.000 bezifferten Fällen von Gonorrhö im gesamten Bundesgebiet. 20 Noch 1947 verlautbarte eine Bezirkskommandantur: „Personen, die in der letzten Zeit im ... Bezirk durch so genannte ,Unbekannte' belästigt oder überfallen wurden, werden ersucht, sich sofort beim Sicherheitsdienst der Bezirkskommandantur zwecks Konfrontierung zu melden." Süffisant betitelte die Arbeiter-Zeitung daraufhin einen Artikel über die offensichtlich von Besatzungssoldaten verübten Vergewaltigungen mit „Die Unbekannten".21 Neben der psychischen und physischen Traumatisierung des Opfers und eventuell auch dem Eintreten einer ungewünschten Schwangerschaft 22 entwickelte sich der Vorfall in manchen Fällen weit über die unmittelbare Umgebung hinaus zum geradezu lustvollen Tagesgespräch, was die Vergewaltigungsopfer erneut demütigte, brandmarkte und demoralisierte. Diese fehlende Solidarität der Bevölkerung, ihre Sensationsgier und das latente patriarchalische Vorurteil, dass die Mitschuld für einen Übergriff bei der Frau selbst zu suchen ist, ließ viele verstummen oder von ihrem Heimatort, wo jeder genau

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Marianne Baumgartner, Vergewaltigung zwischen Mythos und Realität, in: Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien. Wien 1995, S. 60-72, hier: S. 64f. Da die vorherrschende Geschlechtskrankheit Gonorrhö bei Nichtbehandlung zu einem akuten, schmerzhaften Krankheitsbild führt, kann davon ausgegangen werden, dass sich ein äußerst hoher Prozentsatz der infizierten Frauen in medizinische Behandlung begab. Mit einzurechnen sind hier auch die auf Grund der so genannten „Überlebensprostitution" oder einer Liebesbeziehung erfolgten Ansteckungen. Merl gibt an, dass 80 bis 85 Prozent der gemeldeten Fälle eine venerische Krankheit aufwiesen. Vgl. Edmund Merl, Besatzungszeit im Mühlviertel. Anhand der Entwicklung im politischen Bezirk Freistadt. 2. Aufl. Linz 1980, S. 179. Würde man von dieser Quote ausgehen, wäre die hochgerechnete Zahl der Vergewaltigungen geringer als die von Baumgartner errechneten 5,8 Prozent. Vgl. Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 39. Andere Schätzungen liegen höher, wobei dies insbesondere auf zwei Ursachen zurückgeführt werden kann: einerseits auf das hohe subjektive Ausmaß von Angst und Bedrohung, andererseits auf die große Bedeutung, die den Übergriffen durch sowjetische Soldaten im gesellschaftlichen Diskurs beigemessen wurde. Vgl. Baumgartner, Schlechte Zeiten, S. 93.

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Die Unbekannten, in: Die Arbeiter-Zeitung, 3.4.1947, S. lf. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - Klagenfurt 2005, Dokument Nr. 128. Schwangerschaftsabbrüche mussten bei den öffentlichen Behörden zur Anzeige gebracht werden. Allerdings erlaubte beispielsweise die steirische Landesregierung Abtreibungen unter bestimmten Voraussetzungen. Vgl. dazu den Beitrag von Wolfram Dornik, Besatzungsalltag in Wien, in diesem Band, sowie Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 118.

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Barbara Stelzl-Marx Bescheid wusste, wegziehen.23 Manchmal waren es sogar die Nachbarn selbst gewesen, die einen oder mehrere Rotarmisten zu einer Frau führten oder ein Versteck verrieten, um die eigene Tochter oder Gattin zu schützen.24 Vor diesem Hintergrund ist auch der Erzähltopos der „Davongekommengeschichten" zu sehen, die zugleich als Absage an die Rolle des passiven, hilflosen Opfers zu werten sind. In diesen Erzählungen stellen sich die Frauen stets als die Handelnden der Geschichte dar, die durch Stärke, Mut und List dem übermächtigen, bewaffneten Angreifer entkommen konnten. Dazu gehören Schilderungen, wie sie sich Marmelade ins Gesicht schmierten, um einen ansteckenden Ausschlag vorzutäuschen („Powidlkrankheit"), „krank, krank!" schrien, um auf eine vermeintliche Infektionskrankheit aufmerksam zu machen, sich als alte, hässliche Frauen verkleideten oder so schnell wie möglich davonliefen. Während andere Frauen als zu „ungeschickt", „ängstlich", „dumm" charakterisiert werden oder einfach Pech gehabt hätten, ist die Aussage der meisten Erzählerinnen, dass ihnen selbst nichts passiert wäre. Nur wenige Frauen erzählen über eine eigene Erfahrung mit Vergewaltigung.25 Hier soll allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass die „Davongekommengeschichten" prinzipiell nicht stimmen und die Erzählerinnen im Gegensatz zu ihren Schilderungen de facto eben „nicht davonkamen". Ein typisches Beispiel für die „Davongekommengeschichten" ist die folgende Erzählung einer 1926 geborenen Wienerin, die das Kriegsende im Keller eines Wiener Gemeindebaus erlebte. Einleitend schildert sie - beinahe staccatoartig - das Eintreffen der ersten Soldaten, die als „Eliteeinheiten" im Gegensatz zu den im Neutrum Singular angesprochenen Nachschubtruppen nicht ihren offensichtlich von der NS-Propaganda geprägten Vorstellungen „des Russen" entsprachen. „Es war alles unten im Keller vorbereitet. Nicht mehr hinauf. War immer eine Kontrolle da, ob alles unten geschützt ist. Eines Tages eben, das war so in der Dunkelheit, am 6., glaub ich, war's, 6. April, hören wir die Stiefel, bum, bum, das Haus rauf. Werd ich nie diesen Klang vergessen. Diese Stiefel, den Klang, und schon die Stiege herunter in den Keller. Die Tür war eh schon offen, glaub ich, und das waren Eliteeinheiten, schöne Menschen, ich kann mich erinnern. Wir haben immer geglaubt, die Russen, das ist so ein richtiges G'sindel, aber das waren wirklich Eliteeinheiten. Eine Kontrolle gleich. Alle Keller ausgeleuchtet, alles geschaut. Alles getan. Und die sind wieder abgezogen, haben das ganze Haus inspiziert. Haben das nachgeschaut. Und wieder weg. Und dann kam der so genannte Treck, Sie kennen den Ausdruck, Treck, diese Nachschubtruppen. Und das war dann wirklich das, was wir immer gefürchtet haben, was kommen wird. Das war wirklich ein niederes Volk. Richtig. Und die haben alle im Haus Quartier 23 24

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Berger - Holler, Trümmerfrauen, S. 178f. Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Der Topos vom sowjetischen Soldaten in lebensgeschichtlichen Interviews mit Frauen, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Jahrbuch 1995. Wien 1995, S. 2 8 ^ 4 , hier: S. 33; Berger - Holler, Trümmerfrauen, S. 178. Beispielsweise berichtet auch F. S., deren Mutter und Tante in Niederösterreich vergewaltigt wurden, dass der Bürgermeister des Ortes die Soldaten zu den beiden Frauen gebracht hatte. Vgl. F. S., Freundliche Auskunft. Hausmening, 13.8.2004. Baumgartner, Vergewaltigungen zwischen Mythos und Realität, S. 60f.; Bandhauer-Schöffmann - Homung, Der Topos des sowjetischen Soldaten, S. 33f.

Freier und Befreier bezogen. Die ganzen Wohnungen wurden von diesen Trecksoldaten bewohnt. Auch bis in den zweiten Stock hinauf. Und in dem Haus in der Wohnung meiner Eltern war die Küche, die Ausspeisung." 26 Anschließend kommt sie darauf zu sprechen, wie die jungen Frauen durch die Verbreitung des Gerüchtes, dass sie alle syphiliskrank wären, „nicht geholt wurden". Mehrere ältere Frauen im selben Keller und die benachbarten jungen Mädchen wären im Gegensatz zu ihr „sehr wohl drankommen". In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, dass nicht nur am Land, sondern auch in der Großstadt diese Neuigkeiten rasche Verbreitung fanden: „Und seit diesem Zeitpunkt war immer ein Wachposten im Keller. Tag und Nacht war einer auf der Stiege. [...] Es war einer vom Ersten Weltkrieg, ein Gefangener da. Der hat ein bisserl Russisch können, der hat sich mit diesen gewöhnlichen Soldaten, das waren echt nur diese Trecks, diese Elite war weg, der hat sich mit denen unterhalten können, so recht und schlecht. Und wir Mädchen haben immer Angst gehabt. Die haben am Abend in unserer Wohnung gekocht und getrunken und gesungen. Wir hatten Angst im Lauf der nächsten Tage, dass die eines Tages runterkommen und uns holen würden. Die Mädchen. Einer hat uns gesagt: Wir, die Jungen, brauchen keine Angst haben. Der hat sich mit uns verbündet mit dem einen Mann da: wir Jungen nicht, weil wir sind alle geschlechtskrank. Man hat ihnen erklärt, die Jungen in Wien haben alle Syphilis. Das hat uns aber geholfen. Nur haben sie tatsächlich zwei, drei Frauen vom Haus geholt. Die eine Frau war für mich uralt, die war sechzig. Kann ich mich erinnern, da war der Mann dabei, da haben sie uns auf die Lampe geschossen, auf die Petroleumlampe 27 , da war die Gefahr, dass das alles zum Brennen anfangt, ein Geschrei, eine Aufregung, aber jedenfalls, uns haben sie nichts getan. Weil wir waren ja ,syphiliskrank'. Einer hat das ausgestreut. Das war nur in unserem Haus so. Und wie dann alles vorbei war, haben wir dann gehört, wie ein Gemeindebau halt ist, überall die Stiegen nebenan, dort sind sehr wohl die jungen Mädchen auch drangekommen, nur unser Bau, der hat halt denen erklärt: ,Verschont die Jungen, weil die sind alle krank.' Das war unsere Rettung." 28 Obwohl nicht ausgesprochen, wird im Laufe des Interviews doch deutlich, dass die 60-jährige Nachbarin, die anscheinend beinahe jeden Abend „geholt wurde", maßgeblich zur Versorgung der Menschen im Keller beitrug. Im Zentrum dieser Passage steht daher auch das plötzlich im Überfluss vorhandene Essen. Statt Mitleid ist eher Dankbarkeit zu spüren: „Die Frau Emmenthaler war das - die Dame ist schon lang tot, werde ich nie vergessen, die Frau Emmenthaler, die 60-Jährige. Aber uns ist es dann sehr gut gegangen, weil die haben dort oben gekocht und haben uns herrliches Essen heruntergebracht. Wir haben ja Hunger gehabt. Wir haben ja nichts zu essen gehabt, war ja alles schon aufgebraucht, die kleinen Vorräte. Es war vorher schon alles auf Marken. Und unten keine Kochgelegenheit. Der kleine Petroleumkocher. Ist ja gar nicht vorzu-

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AdBIK, OHI, VD-0277, anonyme Interviewpartnerin. Wien, 6.10.2003. Wie sich im Laufe des Interviews herausstellte, handelte es sich hierbei um den Mann der „60-Jährigen", der eingreifen wollte, um die Vergewaltigung zu verhindern. AdBIK, OHI, VD-0277, anonym.

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Barbara Stelzl-Marx stellen, wie das alles geht, wenn man in Not ist. Und dann haben wir also töpfeweise herrlichste Sachen gekriegt. So Eintöpfe, alles mit Fleisch, nahrhafte Sachen, was wir alle gebraucht haben. [...] Vierzehn Tag waren wir jedenfalls im Keller, dann konnten wir schon langsam hinauf."29 „Weit von einer Rachepolitik entfernt" - Zu den sowjetischen Maßnahmen Ohne Vergehen rechtfertigen zu wollen, sei darauf verwiesen, dass die Rote Armee Exzesse und Übergriffe durch ihre Soldaten keineswegs tolerierte, geschweige denn guthieß. Österreich galt als befreites Land, und unmittelbare Racheakte30 gegen die Bevölkerung waren ausdrücklich verboten. Stalin selbst ordnete am 2. April 1945 in einem Befehl an Marschall Tolbuchin und Marschall Malinovskij an: „Den Streitkräften, die auf dem Gebiet Österreichs fungieren, sind Anweisungen zu geben, die Bevölkerung Österreichs nicht zu beleidigen, sich korrekt zu benehmen und Österreicher nicht mit deutschen Okkupanten zu vermischen."31 Der Aufruf des Militärrates an die Truppen der 3. Ukrainischen Front vom 4. April 1945 betonte, dass die Rote Armee nach der Befreiung Österreichs zwar gegen die „deutschen Okkupanten", nicht aber gegen die Bevölkerung Österreichs zu kämpfen habe. Sowohl die österreichischen Einwohner als auch ihr Hab und Gut waren zu achten.32 Auch Marschall Ivan Konev, der Anfang Juli 1945 das Kommando über die sowjetische Besatzungszone in Österreich übernommen hatte, versicherte Renner bei einem wenige Tage später stattgefundenen Gespräch, dass die Sowjets „weit von einer Rachepolitik entfernt" seien und „zu allen einzelnen Vorfällen (Gewalt, Konfiszierungen) entschiedene Maßnahmen zu deren Einstellung verfügt hätten".33 Die Angst vor Racheakten war sicherlich nicht unbegründet. Schließlich waren die Soldaten der Roten Armee mehrere Jahre lang auf Rache an den deutschen „Faschisten" eingeschworen worden, ohne dass dabei eine Differenzierung zwischen Österreichern und Deutschen vorgenommen wurden wäre. Viele der in Österreich einmarschierenden 29 30

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AdBIK, OHI, VD-0277, anonym. Im Zusammenhang mit der Frage nach gezielten Racheakten für Gräueltaten der deutschen Soldaten am sowjetischen Volk muss darauf hingewiesen werden, dass es auch in mit der UdSSR verbündeten Ländern wie Polen, Jugoslawien und der Tschechoslowakei zu Übergriffen kam. Vgl. Wilfried Loth, Die Teilung der Welt 1941-1955. München 1980, S. 97. Auch die Vergewaltigung befreiter sowjetischer Zwangsarbeiterinnen widerlegt dieses weit verbreitete Argument von befohlenen Racheaktionen. Vgl. etwa: Harald Knoll - Peter Ruggenthaler - Barbara Stelzl-Marx, Zwangsarbeit bei der Lapp-Finze AG, in: Stefan Karner - Peter Ruggenthaler - Barbara Stelzl-Marx (Hg.), NS-Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie. Die Lapp Finze AG in Kaisdorf bei Graz 1939-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 8. Graz 2004, S. 103-178, hier: S. 168. CAMO, F. 148a, op. 3763, d. 212, S. lOf. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 8. I. N. Zemskov u. a. (Hg.), SSSR - Avstrija 1938-1979gg. Dokumenty i materialy. Moskau 1980, S. 16f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 9. CAMO, F. 275, op. 353761, d. 1, S. 866. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 44. Vgl. auch den Beitrag von Stefan Karner und Peter Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle. Zur Regierungsbildung in Österreich 1945, in diesem Band.

Freier und Befreier Rotarmisten hatten außerdem selbst unter nationalsozialistischer Besatzung gelebt und Vergewaltigungen durch Soldaten deutscher Einheiten, Verschleppungen von Verwandten oder Bekannten zur Zwangsarbeit ins „Dritte Reich" oder Kriegsverbrechen an der örtlichen Bevölkerung erfahren. Beinahe jede Familie hatte zumindest einen Angehörigen im Krieg verloren. Durch Befehle und Schulungen wurde nun bei Kriegsende versucht, die Rache- und Vergeltungsgefühle unter den sowjetischen Soldaten im Zaum zu halten. Trotz dieser Vorgaben wussten Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht auch, dass es „Befehle gibt, diese werden aber nicht immer so eingehalten, wie es die Politik gegenüber der österreichischen Bevölkerung erfordern würde", so Evgenij Kiselev in einem Schreiben vom Dezember 1945 an den stellvertretenden Kommissar für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, Vladimir Dekanozov.34 Gerade zu Kriegsende und zu Beginn der Besatzung kam es zu Vergewaltigungen und Plünderungen, bestätigt etwa der Leiter der Polit-Abteilung der 9. Garde-Armee.35 Sämtliche Fälle „von ungesetzlichen Taten von Angehörigen der Roten Armee gegenüber der örtlichen Bevölkerung (Raub, Vergewaltigung von Frauen usw.)" mussten geahndet werden: Die „Schuldigen [sind] festzunehmen, ein Akt anzulegen und ein Verhörprotokoll aufzusetzen, die gemeinsam mit den Materialien der Vorerhebung entweder an die eigene Einheit oder an die SMERS zu senden sind"36, hieß es im Befehl des Kommandanten des 335. Grenz-Regiments der NKVD-Truppen vom 8. März 1945.37 Konnte ein Vergehen nachgewiesen werden, führte dies durchaus zu harten Strafen wie Gefängnishaft, der Einweisung in ein Arbeitsbesserungslager des GULag oder sogar zum Tod.38 Die sowjetische Regierung war sich bewusst, dass „negative Aktionen (Raubzüge, Vergewaltigungen von Frauen u. a.) seitens moralisch zersetzter Angehöriger der Roten Armee" den „Kampf um Einfluss auf die Masse der Bevölkerung"39 erschwerten. In 34 35

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AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 322, S. 19. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 67. CAMO, F. 243, op. 2914, d. 132, S. 34. Abgedruckt in: V. A. Zolotarev et al. (Hg.), Krasnaja Armija ν stranach Central noj, Sevemoj Evropy i na Balkanach. Dokumenty i materialy 1944-1945. Russkij Archiv: Bd. 14. Velikaja Otecestvennaja Bd. 3(2). Moskau 2000, S. 634. RGVA, F. 32917, op. 1, d. 7, S. 96. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 117. Zu den Inneren Truppen des NKVD in Österreich vgl. vor allem den Beitrag von Nikita Petrov, Die Inneren Truppen des NKVD/MVD im System der sowjetischen Repressionsorgane in Österreich 1945-1946, in diesem Band. So wurde sogar im oben genannten Report vom Dezember 1946 kritisiert, dass von fünf verurteilten sowjetischen Soldaten zunächst nur einer hingerichtet wurde: „Ein schlechtes Licht auf unsere Truppen wirft auch die Tatsache, dass von den fünf verurteilten Tatem, die eine Aufsehen erregende Vergewaltigung mit Mord im Prater verübt hatten, erst einer erschossen wurde. Hier liegt eine klare Unterqualifizierung der politischen Tragweite dieser Tat vor." RGASPI, F. 17, op. 128, d. 117, S. 201. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 127. Die erwähnte Vergewaltigung zweier Österreicherinen im Wiener Prater fand am 3. November 1946 statt. Dabei wurde eine Österreicherin getötet, die andere schwer verletzt. Vgl. dazu: Das Verbrechen im Prater. Wir fordern Aufklärung!, in: Arbeiter-Zeitung, 7.11.1946, S. 3; Die Praterverbrecher zum Tod verurteilt. Vom sowjetischen Militärgericht, in: Arbeiter-Zeitung. 30.11.1946, S. 1. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 29.

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Barbara Stelzl-Marx eine ähnliche Kerbe schlägt auch der interne Bericht „Über die Disziplin der sowjetischen Truppen in Österreich" vom Dezember 1946, der resümiert: „All dies untergräbt die Würde und die Ehre von sich im Ausland aufhaltenden Sowjetbürgern, schadet der Autorität des sowjetischen Staates und der sowjetischen Armee und verleiht antisowjetischen Sensationsmeldungen, die von der österreichischen und der alliierten Presse nur allzu gerne aufgegriffen werden, neue Nahrung."40 Als Ursache für die „in letzter Zeit [...] zahlreichen Fälle von Undiszipliniertheit und Rechtsübertretungen seitens sowjetischer Soldaten" werden dabei schlechte Kontrolle der Kommandanturen über ihre Mannschaften, Missstände im Mannschaftsstamm der Kommandanturen selbst und auch häufige Fälle organisatorischer Schwäche des militärisch-juridischen und administrativen Apparates angeführt. Dazu kam „die mangelhaft durchgeführte politisch-erzieherische Arbeit".41 Auffallend ist, dass in den internen sowjetischen Dokumenten viele der Vergehen gegen österreichische Frauen in einem engen Zusammenhang mit übermäßigem Alkoholkonsum gebracht wurden: „Diese und andere analoge Übergriffe der Truppen im genannten Quartal [Jänner bis März 1946] zeigen, dass beinahe alle verbrecherischen Handlungen auf Trunksucht und Beziehungen zur örtlichen Bevölkerung samt allen daraus resultierenden Konsequenzen zurückzuführen sind."42 Trotz der klaren Anordnungen, „unmoralischem" Verhalten der in Österreich stationierten Truppen einen Riegel vorzuschieben bzw. Vergehen sofort zu ahnden43, blieben zahlreiche Übergriffe - im wahrsten Sinne des Wortes - im Dunkeln. Dem Ansehen der Roten Armee, die sich selbst als „Befreierin" und „Friedensbringerin" definierte, fügten die Übergriffe nachhaltigen Schaden zu. „... eine allzu entgegenkommende Haltung" Zur Überlebensprostitution im Nachkriegsösterreich „Nach wie vor wurde die Einstellung der weiblichen Jugend, die um kleiner Geschenke willen den Angehörigen der Besatzungsmächte gegenüber eine allzu entgegenkommende Haltung einnimmt, aufs Schärfste kritisiert und bedauert"44, umreißt ein Bericht der Polizeidirektion Wien von 1946 das Verhalten von Österreicherinnen gegenüber Besatzungssoldaten. Die „mit Bedauern" vorgetragene Kritik richtet sich hier in erster Linie gegen die angedeutete Käuflichkeit der jungen Frauen, denen als Motiv für ihre „allzu entgegenkommende Haltung" die Annahme „kleinerer Geschenke" unterstellt wird. 40 41 42 43

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RGASPI, F. 17, op. 128, d. 117, S. 201. Abgedruckt in: Karner-Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 127. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 117, S. 199. Abgedruckt in: Karner-Stelzl-Marx-Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 127. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 118. So heißt es etwa in einem Bericht des Kommandanten der 7. Abteilung der Politverwaltung der 2. Ukrainischen Front vom April 1945, der die versuchte Vergewaltigung einer Frau durch offensichtlich angeheiterte sowjetische Soldaten zur Sprache bringt: „Durch das Kommando wurden Maßnahmen zur Vermeidung solcher Taten ergriffen." RGASPI, F. 17, op. 128, d. 35, S. 12. ÖStA, AdR, Abt. 2, Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, Polizeidirektion Wien, Monatsbericht 4.11.1946, S. 4.

Freier und Befreier Die Assoziationskette von den - insbesondere von amerikanischen Besatzungssoldaten bereitgestellten - Verführungsmitteln „Schokolade, Zigaretten, Nylonstrümpfe" hin zur Überlebensprostitution entsteht beinahe automatisch. Tatsächlich hatte diese „weibliche Art der Lebensmittelbeschaffung" in der von Hunger und Mangel geprägten Nachkriegszeit einen realen Kern. Die Versorgung mit Lebensmitteln - insbesondere in den Ballungszentren - war nach dem Krieg vollkommen zusammengebrochen, die auf Karten ausgegebenen Rationen reichten in keinster Weise aus. Zur Sicherung der Existenz mussten zusätzliche Ressourcen erschlossen werden, etwa durch Hamstern, Tausch- und Schleichhandel oder eben durch Beziehungen zu Besatzungssoldaten. „Einen Amerikaner zu haben, bedeutete Geborgenheit und keinen Hunger mehr leiden zu müssen" 45 , heißt es pragmatisch in der Ortschronik einer Salzburger Gemeinde. 46 Auch sowjetische Soldaten wurden als Quelle für dringend benötigte Lebensmittel angesehen, wovon häufig die ganze Familie profitierte. Allerdings taten sich die Soldaten der Roten Armee im Gegensatz zu anderen Besatzungssoldaten schwer, mit Luxus- und Mangelgütern aufzuwarten: Cadbury-Schokolade, Kaugummi oder Nylons standen ihnen eher selten zur Verfügung. Ausgenommen davon war die dünne Schicht der Offiziere, die über die Kostbarkeiten der Macht, also Papiere, Passierscheine oder etwa Reisebewilligungen sowie über eine größere Auswahl an Lebensmitteln, Zigaretten, Tabak und Schnaps verfügte. 47 Die Grenze zwischen einer rein erotischsexuellen und zumindest auch materialistisch-dialektischen (Liebes-)Beziehung war daher nicht immer eindeutig zu ziehen. Gerade in der sowjetischen Besatzungszone kommt allerdings noch ein weiterer Aspekt hinzu, nämlich die Funktion des „russischen Beschützers", der die Frau vor Übergriffen durch andere Soldaten bewahren sollte. Mit dieser Strategie versuchten manche Österreicherinnen, sich das patriarchalische Besitzprinzip zunutze zu machen, indem die von einem (ranghöheren) Mann beschützte Frau für andere unantastbar wurde oder werden sollte.48 Häufig wurden aber auch freiwillige Liebesbeziehungen mit Soldaten der Roten Armee, bei denen weder materielle Vorteile noch die Funktion des Beschützers im Vordergrund standen, von der Gesellschaft aus unterschiedlichen Gründen in den Bereich von Leichtfertigkeit und Prostitution gerückt. Tabuisierung des Verhältnisses und Stigmatisierung der Frau und auch der dieser Beziehung entstammenden Kinder waren die Folge.49 45 46

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Ingrid Bauer, „Ami-Bräute" - und die österreichische Nachkriegsseele, in: Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien. Wien 1995, S. 73-84, hier: S. 77ff. Diese Form der Überlebensprostitution gab es in allen Besatzungszonen Österreichs. Vgl. etwa Berger - Holler, Trümmerfrauen, S. 171 ff.; Ingrid Bauer, Welcome Ami Go Home. Die amerikanische Besatzung in Salzburg 1945-1955. Erinnerungslandschaften aus einem Oral-History-Projekt. Salzburg - München 1998, S. 182ff.; Bauer, „Ami-Bräute", S. 77ff.; Brunnhofen Liebesgeschichten und Heiratssachen, S. 23ff. Berger - Holler, Trümmerfrauen, S. 178. Baumgartner, Vergewaltigung zwischen Mythos und Realität, S. 66. Vgl. dazu auch Anonyma, Eine Frau in Berlin. Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945. Frankfurt a. Main 2003. Auffallend ist, dass die Diskriminierung dieser Frauen auch dadurch nicht geringer wurde, dass sie - wie manche „Zeitzeugen" betonen - einen gewissen Schutz vor Übergriffen mit sich brachten. Vgl. dazu: Merl, Besatzungszeit im Mühl viertel, S. 181; Hannl, Mit den Russen leben, S. 68.

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Barbara Stelzl-Marx Abgesehen von einer mehr oder weniger offenen Diskriminierung der häufig mit dem abwertenden Begriff „Russenbräute" bezeichneten Frauen, brachten die professionellen oder halbprofessionellen Beziehungen mit sowjetischen Besatzungssoldaten unabsehbare Gefahren mit sich. Gemeint ist hier nicht die durchaus reale Gefahr der Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit, sondern der Vorwurf seitens der sowjetischen Besatzungsmacht, das „Bettgeflüster" zu Spionagezwecken missbraucht zu haben. Verhaftungen und Verurteilungen einer ganzen Reihe von Österreicherinnen, die „Umgang mit sowjetischen Einheiten pflegten", waren die Folge.50 Bereits im Juli 1945 kritisierte die Politische Abteilung der NKVD-Truppen Verhältnisse sowjetischer Offiziere mit österreichischen Frauen als „politisch folgenschwer" und die betroffenen Männer als „moralisch instabil". Die Österreicherinnen wurde als reale Gefahr gesehen, den „verzauberten" Soldaten militärische Geheimnisse zu entlocken: „Der Feind greift zu jeglicher Tücke, um das Vertrauen der Sowjetbürger zu gewinnen und sie zu ,akklimatisieren', er bietet Frauen an, die sich bemühen, unsere Soldaten zu ,verzaubern' und zu ,verwöhnen', mit ihnen intime Verhältnisse einzugehen, mit dem Ziel, ihr Vertrauen zu erlangen und auf diese Weise militärische Geheimnisse und Staatsgeheimnisse auszukundschaften und auch wenig stabile Elemente für ihre Netze anzuwerben."51 Vor diesem Hintergrund ist auch der Fall der in einem USIA-Betrieb52 beschäftigten Arbeiterin Inge Brenner zu sehen, die zunächst mit sowjetischen Soldaten verkehrt, sich aber kurz vor ihrer Verhaftung einem amerikanischen Besatzungssoldaten zugewandt hatte. Sie wurde im April 1952 wegen Spionage zu zehn Jahren Zwangsarbeit in der UdSSR verurteilt. Unter der Überschrift „Die verhängnisvollen Soldatenbekanntschaften: Vor dem Tor des USIA-Betriebes verschwunden" schrieb dazu die „Arbeiter-Zeitung": „Ingeborg Brenner hatte bis vor einem Jahr viele Bekanntschaften mit russischen Soldaten. Dann lernte sie den Amerikaner kennen und verkehrte von dieser Zeit an nur noch mit ihm. Ob die bloße Bekanntschaft mit dem Amerikaner den Menschenräubern Grund genug zu einer Verschleppung schien, ist ungeklärt."53 Ein ähnlicher Fall liegt bei einer Wiener Bordellbesitzerin vor, deren Etablissement in erster Linie Angehörige der Roten Armee frequentierten. Sie wurde im Mai 1947 nach Artikel 58-6-1 des Strafgesetzbuches der RSFSR wegen Spionage zu 25 Jahren Besserungsarbeitslager in der Sowjetunion verurteilt. Die Tatsache, dass sie sich wiederholt auch mit einem US-Offizier getroffen hatte, war ihr anscheinend zum Verhängnis geworden.54 50

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Zu Verhaftungen österreichischer Zivilisten wegen Spionage vgl.: Harald Knoll - Barbara StelzlMarx, Österreichische Zivilverurteilte in der Sowjetunion. Ein Überblick, in: Andreas Hilger - Mike Schmeitzner - Ute Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale. Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955. Köln - Weimar - Wien 2003, S. 571-605, und den Beitrag von Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band. RGVA, F. 32902, op. 1, d. 11, S. 158f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 64. USIA = Upravlenie sovetskogo imuscestva ν Avstrii (Verwaltung des Sowjetischen Vermögens in Österreich). Die verhängnisvollen Soldatenbekanntschaften, in: Arbeiter-Zeitung, 12.4.1951, S. 2. AdBIK, Datenbank österreichischer Zivilverurteilter in der UdSSR, Ziv-SU-107.

Freier und Befreier Eine in diesem Bordell arbeitende Prostituierte, genannt „der Tiger", wurde rund ein Jahr später von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet und im Juli 1948 wegen Spionage zu 15 Jahren ITL55 verurteilt.56 Auch hier dürfte der - von der Besatzungsmacht nicht gern gesehene - Verkehr mit den sowjetischen Besatzungssoldaten und die tatsächlich oder vermeintlich ausgetauschten Informationen zur Festnahme geführt haben. Ob ihre von mehreren österreichischen zivilverurteilten Frauen in der Sowjetunion geschilderte venerische Erkrankung dabei eine Rollte gespielt hatte, lässt sich nicht feststellen. 57 Diese Infektion war aber sicherlich mit ein Grund, dass die übrigen Zelleninsassen im Gefängnis von Vladimir - allen voran Margarethe Ottiiiinger58 - einen Hungerstreik organisierten, um ihre Verlegung in eine andere Zelle zu erzwingen. 59 Die Ansteckung zweier sowjetischer Besatzungssoldaten mit einer Geschlechtskrankheit dürfte allerdings im Fall der Wienerin Frieda P. für ihre Verhaftung im Dezember 1950 ausschlaggebend gewesen sein. Sie wurde nämlich nicht nur wegen Spionage, sondern auch nach Paragraph 58-14 des StGB der RSFSR („Gegenrevolutionäre Sabotage") zu 25 Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt.60 Auch das Bundeskanzleramt für auswärtige Angelegenheiten nahm im November 1952 „die Infizierung zweier Angehöriger der sowjetischen Besatzungsmacht mit Geschlechtskrankheiten" 61 als mutmaßlichen Grund für die erfolgte Festnahme an, wodurch sich anscheinend die Verurteilung wegen „gegenrevolutionärer Sabotage" erklären lässt. Dies wird noch dadurch untermauert, dass die Österreicherin selbst den Vorwurf der Spionage stets vehement bestritt.62 Die im März 1951 nach Artikel 5 8 - l b (gegenrevolutionäre Handlung) zu 25 Jahren ITL verurteilte Η. H. gab hingegen selbst an, wegen Spionage festgenommen worden zu 55 56 57

ITL = Ispravitel'no trudovoj lager' (Besserungsarbeitslager des GULag). AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte; ÖBM, Personalakte H. W. Die in derselben Zelle inhaftierte Α. V. gab in diesem Zusammenhang 1954 folgende schriftliche Erklärung an den Leiter des Gefängnisses von Vladimir: „Hiermit erkläre ich, dass ich ab dem heutigen Tage keine Nahrung mehr zu mir nehmen werde, da ich in einer Zelle mit W. lebe. W. ist an einer Geschlechtskrankheit erkrankt. Außerdem ist mir aus dem Gefängnis in Verchne-Ural'sk bekannt, dass sie an hysterischen Wutanfällen leidet, in denen sie zu allem fähig ist. Nur durch Schläge kann man sie zur Vernunft bringen. Das möchte ich jedoch nicht tun. Ich bitte deshalb, dass man sofort meine Lebensmittel wegnimmt." RGVA, F. 461, Personalakt Nr. 190150, Α. V. Übersetzung aus dem Russischen.

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Zu Margarethe Ottiiiinger vgl. insbesondere: Stefan Karner (Hg.), Geheime Akten des KGB. „Margarita Ottilinger". Graz 1992; Stefan Kamer, Zur Politik der sowjetischen Besatzungs- und Gewahrsamsmacht. Das Fallbeispiel Margarethe Ottiiiinger, in: Alfred Ableitinger - Siegfried Beer - Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955. Wien - Köln - Graz 1998, S. 401—430. Ingeborg Schödl, Im Fadenkreuz der Macht. Das außergewöhnliche Leben der Margarethe Ottiiiinger. Wien 2004. Renata Stelzer, Russland-Aufzeichnungen. Bd. II. Nach dem Urteil. Unveröffentlichtes Manuskript. O. O. o. J., S. 52. GVP, Rehabilitierungsbescheid 5uv-1133-97, Frieda P. Moskau, 3.10.1997. Unter sowjetischen Soldaten herrschte die Vorstellung, dass deutsche/österreichische Frauen sie gezielt mit einer Krankheit ansteckten, um die Rote Armee zu schwächen. Sicherlich auch von der sowjetischen Propaganda beeinflusst, sahen sie ausländische Frauen mitunter als „epidemologische Waffe" an. Die Schuld für den hohen Prozentsatz an Geschlechtskrankheiten unter den Besatzungssoldaten lag daher ursprünglich - so die weit verbreitete Meinung - bei den Frauen und nicht den Soldaten selbst. Frau Dr. Ol'ga Pavlenko, Moskau, sei für diesen Hinweis herzlich gedankt. ÖBM, Personalakte Frieda P. AdBIK, Schriftliche Mitteilung, Frieda K. St. Pölten 1997.

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Barbara Stelzl-Marx sein. Tatsächlich dürfte sie die sowjetische Besatzungsmacht jedoch wegen Diebstahls verhaftet und anschließend nach Russland deportiert haben. Diese zweifellos glaubwürdige Behauptung wurde anlässlich ihrer Verhaftung von mehreren russischen Offizieren unabhängig voneinander gegenüber Gendarmeriebeamten, die in diesem Fall intervenierten, gemacht. Auch Η. H. hatte „reichlichen Umgang mit russischen Einheiten" gepflegt und war wegen „Abtreibung der Leibesfrucht" 1949 angezeigt worden.63 Nur ein verschwindend kleiner Teil dieser Verurteilten waren gewerbsmäßige Prostituierte. Die - käufliche - Liebe lebte im Besatzungsjahrzehnt in allen Besatzungszonen Österreichs primär von spontanen Flirts und der nicht registrierten und somit nicht aktenkundigen Gelegenheitsprostitution.64 Freier und Befreier - Liebesbeziehungen zwischen Rotarmisten und Österreicherinnen Die sowjetischen Befreier nahmen aber auch die Rolle der Freier und Geliebten ein, die zum Teil bis heute romantisch verklärt und als „die große Liebe" in Erinnerung geblieben sind. Allerdings wurden gerade wegen der weit verbreiteten klischeehaften Dichotomie des fräuleinumringten Gl der US-Streitkräfte65 und des frauenverfolgenden Rotarmisten die Beziehungen zwischen Österreicherinnen und sowjetischen Besatzungssoldaten auffallend kritisch beurteilt.66 Aber nicht nur die Übergriffe durch sowjetische Soldaten, sondern auch die weit verbreitete antikommunistische und antislawische Haltung unter der Bevölkerung trugen zu den gegenüber „russischen Soldatenliebchen" besonders ausgeprägten Ressentiments bei.67 Dies führte mitunter dazu, dass Beziehungen so weit als möglich verheimlicht wurden oder Österreicherinnen aus ihrem Heimatort wegzogen. Gerade die eigene Familie lehnte die Beziehung zu einem sowjetischen Soldaten häufig vehement ab und versuchte sogar, sie zu zerstören, wie der Fall einer 1931 gebo-

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ÖBM, Personalakte Η. H. Vgl. dazu auch: Bauer, Welcome Ami Go Home, S. 189. Vgl. dazu auch Maria Höhn, GIs and Fräuleins. The Geman-American Encounter in 1950s West Germany. North Carolina 2002. Erwähnt werden muss allerdings in diesem Zusammenhang, dass auch Österreicherinnen, die mit französischen, britischen oder amerikanischen Besatzungssoldaten Beziehungen eingingen, diskriminiert wurden. Ein Ausdruck dafür ist die abwertende Bezeichnung „Schoko-Girls". Besonders ungern gesehen wurden Verhältnisse mit schwarzen Soldaten und die daraus resultierenden Kinder. Vgl. dazu Bauer, Welcome Ami Go Home, S. 156ff., 239ff.; Bauer, „Ami-Bräute", S. 74ff.; Berger - Holler, Trümmerfrauen, S. 185; Erika Thurner, Frauen - Nachkriegsleben in Österreich. Im Zentrum und in der Provinz, in: Frauen in der Nachkriegszeit. Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst. 1990/4, S. 2 - 7 , hier: S. 6. Die These, dass sowjetische Besatzungssoldaten vor allem auf Frauen aus dem „linken Milieu" ihre Attraktivität ausüben konnten, kann nicht bestätigt werden. Vgl. Bandhauer-Schöffmann - Hornung, Der Topos des sowjetischen Soldaten, S. 43. Dass Österreicherinnen aus kommunistischem oder sozialdemokratischem Milieu große Probleme hatten, ihr positives „Russenbild" mit negativen Erfahrungen mit den Sowjets in Einklang zu bringen, erscheint aber durchaus als plausibel. Vgl. Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Von Mythen und Trümmern. Frauen im Wien der Nachkriegszeit, in: Frauen in der Nachkriegszeit. Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst. 1990/4, S. 11-18, hier: S. 17.

Freier und Befreier renen Wienerin zeigt: „In dieser Zeit lernte ich Iwan kennen! Meine erste Liebe! Iwan Papkow aus Sotschi! Er schwärmte mir von seiner Heimat, der Krim, vor und schickte ein Foto von uns beiden seiner Mutter, denn er wollte mich heiraten. Sie schrieb zurück, sie hätte nichts dagegen. Da unsere Staatsoper total zerstört war, ging ich mit Iwan in die Volksoper. ,Der Evangelimann' wurde gespielt. Zeigte ihm unsere arme, zerbombte, aber trotzdem schöne Stadt. Er hatte aber trotzdem Angst: Hinter jedem Fenster vermutete er einen Scharfschützen. Nichts dergleichen geschah, aber mein Papa zerstörte unser Glück! Er wollte mich nicht an Russland verlieren, und viel später erfuhr ich, warum ich plötzlich, grundlos von Iwan verlassen wurde: Er hatte ihm gesagt: Ira bolnoi! Geschlechtskrank!! Das war eine Lüge! War entsetzlich unglücklich, Iwan war wie vom Erdboden verschluckt. Musste ihm doch sagen, dass es nicht wahr ist! Was mir Papa angetan hat!" 68 Bis heute leidet Ingeborg Walla-Grom darunter, dass ihr Glück „durch die furchtbare Lüge des Vaters" ein so abruptes Ende fand und sie trotz zahlreicher Versuche nie die Möglichkeit bekam, „diese Unwahrheit aus der Welt schaffen zu können". Seit einiger Zeit versucht Walla-Grom, ihre „erste Liebe", die sie, wie sie meint, durch diesen angeblichen Treuebruch so bitter enttäuscht hatte, ausfindig zu machen. Bisher blieb die Suche allerdings ergebnislos. Auch im Fall von Therese Saurer lehnte die eigene Familie die Beziehung zu dem sowjetischen Besatzungssoldaten vehement ab, versuchte sogar, die damals erst 17Jährige „mit jemanden, der recht hässlich und unsympathisch war, zu verheiraten, nur dass sie möglichst rasch unter die Haube kommt" 69 , erinnert sich ihre 1948 geborene Tochter Vera. Als Reaktion darauf verließ die Frau in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion" ihr Heimatdorf im Burgenland, zog mit ihrem russischen Freund, Nikolaj Sidorov, in eine sowjetische Kaserne nach Niederösterreich und brach für beinahe fünf Jahre jeglichen Kontakt zu ihrem Elternhaus ab. Erst als der Besatzungssoldat 1950 aus Österreich abgezogen wurde, kehrte die Frau gemeinsam mit ihrer Tochter nach Hause zurück, wo sie noch eine Zeit lang (zensurierte) Briefe, Telegramme und so genannte Liebesgabenpakete aus der Sowjetunion erhielt. Obwohl es rasch zu einer Versöhnung mit ihrer Familie kam und Therese Saurer das Andenken an Nikolaj Sidorov immer sehr hoch hielt, sogar „wie eine Reliquie verehrte", spricht sie bis heute nicht gerne über die fünf Jahre an der Seite des sowjetischen Besatzungssoldaten. 70 Auch Eifersucht und Rivalität zwischen den österreichischen Geliebten von sowjetischen Besatzungssoldaten kamen mitunter zum Vorschein. So berichtet F. S., die Tochter eines sowjetischen Besatzungssoldaten, dass eine Nachbarin die Briefe des bereits in die Sowjetunion zurückgekehrten Geliebten der Mutter vernichtete. Kurz vor seinem Abzug aus Österreich und der damit verbundenen Trennung hatte er erfahren, dass die Österreicherin ein Kind von ihm erwartete und ihr das Versprechen abgerungen, keine 68

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Ingeborg Walla-Grom, Brief an die Russische Botschaft Wien. Wien 2004, S. 4f.; Ingeborg VallaGrom, Zdrastvyjte, tovarisc! Vospominanija zitel'nicy Veny ο vojne, in: Novyj Venskij Zurnal. 2004/ 5, S. 18-21. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0326, Vera Ganswohl. Graz, 5.8.2004. AdBIK, OHI, VD-0326, Ganswohl.

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Barbara Stelzl-Marx Abtreibung vornehmen zu lassen. Die Nachbarin, die ebenfalls ein Verhältnis mit einem Besatzungssoldaten gehabt und ein Kind von ihm bekommen hatte, ließ die Briefe „aus Eifersucht verschwinden", da sie selbst keine Nachricht mehr erhalten hatte. Erst zehn Jahre später war ihr schlechtes Gewissen so groß, dass sie F. S.s Mutter von den Briefen aus der Sowjetunion erzählte. Eine Kontaktaufnahme war zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr möglich.71 Nicht nur die mentalen Langzeitfolgen des Krieges, auch internalisierte Grundhaltungen des Nationalsozialisums und ein mehr oder weniger offen ausgetragener Konkurrenzkampf zwischen österreichischen Männern und Besatzungssoldaten wirkten nach 1945 in den Diskursen gegen die „Besatzungsbräute" unterschwellig fort. Manchmal kam es sogar zu Handgreiflichkeiten der offensichtlich in ihrer Ehre gekränkten österreichischen Männer, denen das angestammte Eigentumsrecht an „ihren Frauen" streitig gemacht wurde: „In Döbling gab das Verhalten einiger Mädchen, die mit Amerikanern verkehren, Anlass zu Reibereien zwischen ansässigen Burschen und den Soldaten. Dies führte in der Folge zur Festnahme von 16 Jugendlichen durch die amerikanische Militärpolizei, was unter den Bewohnern des Bezirkes einiges Aufsehen erregte."72 Meist wurden die Diskurse und Praktiken der Ausgrenzung jedoch subtiler ausgetragen, wobei gerade die durch die militärische Niederlage in ihrem Selbstwertgefühl stark angegriffenen Heimkehrer des Zweiten Weltkrieges heftige Debatten - etwa in den Leserbriefspalten verschiedenster Nachkriegsmedien - zu den Beziehungen mit Besatzungssoldaten führten.73 In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, welche Diskurse es unter den Soldaten der Roten Armee gab bzw. wie die Beziehungen zu österreichischen Frauen von sowjetischer Seite wahrgenommen wurden.74 In vielen Oral-History-Interviews mit ehemaligen sowjetischen Besatzungssoldaten, vor allem Offizieren und Unteroffizieren, in Österreich finden sich äußerst romantische Schilderungen dieser Liebesgeschichten, die sich zu einem fixen Bestandteil der Erinnerungen an die Nachkriegszeit verfestigten. Frühling in Wien, Sonne, blühende Bäume, schöne Mädchen, Musik und vor allem das Ende der Kämpfe verdichteten sich gleichsam zu einer Assoziationskette, erfüllt von der Freude, den Krieg überlebt zu haben. Während Eheschließungen mit Österreicherinnen nicht erlaubt waren, wurden sexuelle Beziehungen seitens der Armee zumindest geduldet oder zogen nur in manchen Fällen Strafen mit sich: „Alle Offiziere hatten solche Beziehungen. Eine ging, glaube ich, sogar in die Geschichte ein. Ein Major verliebte sich in eine Österreicherin. Es war eine echte Liebe und sie wollten heiraten! Das ging dann zum obersten Kommandostab.

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F. S., Freundliche Auskunft, 15.1.2004. ÖStA, AdR, GD für öffentliche Sicherheit, Polizeidirektion Wien, Monatlicher Lagebericht für September 1946. Wien, 4.10.1946, S. 4. Ingrid Bauer, „Besatzungsbräute", S. 264f.; Berger - Holler, Trümmerfrauen, S. 190ff. Belegt ist beispielsweise der Selbstmord eines Sergeanten der NKVD-Truppen vom Jänner 1946, den dieser als Resultat „der unerwarteten Trennung von einem befreundeten Mädchen" verübte. Dieser Fall, der allerdings eine große Ausnahme darstellt, wurde daraufhin vom Leiter der politischen Abteilung der Truppen untersucht. Vgl. RGVA, F. 38650, op. 1, d. 1222, S. 117.

Freier und Befreier Es wurde nicht erlaubt. Und dieser Major wurde bestraft. [...] Heiraten, nein. Das durfte man offiziell nicht. [...] Wenn [Vergewaltigungen] aufgedeckt wurden, wurde das hart bestraft. Das war verboten, verboten. Aber wenn das freiwillige Beziehungen waren ... [...] Alle hatten diese Beziehungen. All diese Mädchen, sie haben nicht einfach so ... Sie hatten Offiziere als Freunde. Solche dauerhaften Freunde. Es gab keine Konflikte, keine Strafen" 75 , erinnert sich ein ehemaliger sowjetischer Besatzungssoldat. Auffallend ist hier die Betonung der Beziehungen mit Offizieren, die, wie bereits erwähnt, bessere wirtschaftliche Möglichkeiten hatten als einfache Soldaten. Zum Teil waren sich die Rotarmisten durchaus bewusst, dass sich ihnen österreichische Frauen nicht nur aus reiner Zuneigung und Sympathie näherten. So deutete der ehemalige sowjetische Besatzungssoldat in Österreich, Κ. Α., auf die Frage nach österreichischen Mädchen auf eine Fotografie mit zwei Rotarmisten und drei Österreicherinnen und antwortete: „Das ist das Mädchen, da am Rand. Wir bekamen Decken, solche Armeedecken. Sie fragte mich: ,Ich mache daraus einen Mantel', sagte sie. Aus zwei Decken einen Mantel. Und ich gab ihr diese Decken, damit sie sich daraus einen Mantel nähen konnte. Bei ihnen schaute es schlecht aus mit all diesen Sachen. Aber vielleicht haben sie auch, weil wir sie dort verköstigt haben ,.."76 Anschließend an diese Überlegung schildert der ehemalige Rotarmist, wie er zu Silvester 1945/46 eine Gans kaufen und im Haus einer Österreicherin zubereiten lassen konnte: „Ich bringe die Kartoffeln herein und sie, verdammt noch mal, haben die ganze, ganze Gans aufgegessen. Ja, diese Mädchen, und lachen dazu. Mir haben sie nur ein kleines Stück aufgehoben." 77 Ein anderer ehemaliger Besatzungssoldat, der zum Stab der 4. Garde-Armee gehörte und in den 1980er Jahren Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU war, betont auf die Frage nach Kontakten zwischen sowjetischen Soldaten und einheimischen Frauen, dass diese - außer im offiziellen Rahmen allein schon wegen der militärischen Disziplin nicht toleriert wurden. Allerdings hätten die Österreicherinnen regelrecht Jagd auf die „feschen, gesunden" Rotarmisten, „besonders die Offiziere", gemacht, so seine Einschätzung: „Man muss das Besondere an jeder Armee verstehen - dies gilt vor allem für unsere, für die Sowjetische Armee: Disziplin, Ordnung! Und wie soll da ein Soldat mit der örtlichen Bevölkerung sprechen? Er kann sich auch auf seinem eigenen Territorium, dem sowjetischen, nicht frei unterhalten. Es gibt den militärischen Verband, die Formation! Es gibt Ordnung! Ein Soldat kann entlassen werden! Offiziere haben ihren Plan! Ein Offizier - ja, ein Offizier kann sich unterhalten! Er hat Freizeit! Aber ein Soldat - alles streng nach Dienstplan! Wenn er jemanden trifft, dann nur im Klub! Dann auch die örtliche Bevölkerung. Theatergruppen, Tänze - alles [gab es]! Das aber nur zu bestimmten Stunden! Aber ,sich unterhalten' - das ist in der Armee nicht möglich! Wenn, dann nur organisiert! Anderenfalls wäre das ja keine Armee! Organisiert!" 78

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AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0256b/0257a, anonymer Interviewpaitner. Moskau, 2.7.2003. Ü AdBIK, OHI, VD-0256b/0257a, anonymer Interviewpartner. Ebd. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0282b/0283a, Vasilij Tjuchtjaev. Moskau, 21.11.2003.

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Barbara Stelzl-Marx „Russenkinder" - Die Besatzung und ihre Kinder Aus den vorab dargestellten Liebesbeziehungen, aber natürlich auch als Folge von Vergewaltigungen gingen Tausende79 „Besatzungskinder" hervor, deren sowjetische Väter bald nicht mehr greifbar oder bereits vor der Geburt absent waren. Viele dieser so genannten „Russenkinder" wissen bis heute nicht, wer ihr leiblicher Vater ist oder kennen nicht mehr als einen russischen Vornamen und eine Region in der damaligen Sowjetunion als Herkunft. Die Stigmatisierung der Österreicherinnen, die sich „auf einen Russen einließen", trug und trägt dazu bei, dass selbst bekannte Daten über den sowjetischen Besatzungssoldaten vor den Angehörigen verheimlicht wurden bzw. immer noch werden. Umso schwieriger gestaltet sich daher die Suche nach den eigenen Wurzeln, die sowohl von Kindern als auch von Enkeln vorangetrieben wird. Umgekehrt sind aber auch Fälle von ehemaligen sowjetischen Besatzungssoldaten bekannt, die sich Jahrzehnte nach dem Abzug der Truppen auf die Suche nach ihrem österreichischen „Kind" machen. „Sehr kinderlieb waren s'" - Der Topos vom „kinderlieben Russen" In der Erlebniswelt der Nachkriegsjahre entwickelte sich auch ein sehr menschliches, positives „Russenbild", das dem des „Plünderers" und „Vergewaltigers" konträr gegenüberstand, nämlich das des „kinderlieben Russen". „Sehr kinderlieb waren s'" 80 , erinnert sich etwa eine Niederösterreicherin, in deren Haus acht Monate lang fünf „Russen" einquartiert waren, und greift somit einen der dominanten Topoi des sowjetischen Besatzungssoldaten in Österreich auf. Auffallend ist, wie der Kontrast zwischen ihren von der NS-Propaganda geprägten Erwartungen gegenüber den Rotarmisten und der Realität einerseits und der „viel gemeineren" einheimischen Bevölkerung andererseits betont wird. „Und der Hitler hat immer gesagt, eine jede Frau soll gegen die Russen kämpfen, weil sie die Kinder an die Tore nageln. Und ich hab gerade mein Kind entbunden. Ich hab mir immer gedacht, ich muss den Russen mein Kind herbringen, damit die Russen es an das Tor nageln. Und da hat die Hebamme gesagt: ,Redens S' nicht so einen Blödsinn!' Das war eine furchtbare Zeit. Und wie die Russen gekommen sind, da war eine Kommandantur da, und da waren die Plünderungen aus. Die Bevölkerung untereinander war ja noch viel gemeiner. Und die haben uns beschützt. Die Hannelore hat sich damals - da war sie zwei Jahre alt - blutig geschlagen, da ist das Blut heruntergeronnen. Da war ein Armenier, ein junger, mit 24 Jahren, der hat gleich alle geholt und gesagt: ,Wer hat dem Kind was gemacht?' Und sie hat geweint und geblutet. Dann sind sie zum Bauern gegangen und haben für das Kind eine Milch 79

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Für Österreich liegt keine Gesamtstatistik der „Besatzungskinder" vor, aber nach Angaben der einzelnen Bundesländer wurden allein zwischen 1946 und 1953 in allen vier Zonen rund 8000 „Soldatenkinder" geboren. Vgl. Besatzungskinder - ein Weltproblem, in: Arbeiter-Zeitung. 3.11.1955, S. 5. Die tatsächliche Gesamtzahl liegt aber sicherlich darüber, da bei weitem nicht alle Kinder von Besatzungssoldaten offiziell als solche registriert wurden. Vielfach wurde nach der Geburt der Vater als unbekannt oder als Österreicher eingetragen. AdBIK, OHI, VD-0263, Bruck.

Freier und Befreier geholt. Und ich hab mir's nicht hergeben getraut, weil ich mir gedacht hab - das Volk war sehr gehässig. Dann war mir eh leid." 81 Der letzte Satz verdeutlicht den inneren Konflikt der damals jungen Mutter, die in dieser Zeit des Mangels wegen der „gehässigen" Propaganda des „Volkes" auf die wertvolle Milch verzichtete, aus Angst, ihr Kind damit zu vergiften. Die Dichotomie zwischen „kinderlieben Russen" und „hinterfotzerter Bevölkerung" wird noch durch die Schilderung verstärkt, wie die Tochter „immer beim Tisch hat mitessen müssen und mitten unter den Russen gesessen ist und mit den Russen gegessen hat". 82 Die persönliche eher positive Erfahrung revidierte somit die von NS-Propaganda und bösen Gerüchten geprägten Vorurteile gegenüber den Besatzungssoldaten, die während dieser Zeit der Lebensmittelknappheit bei weitem hilfsbereiter waren als die einheimische Bevölkerung. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den Wurzeln der vielfach belegten und auch von sowjetischer Seite dokumentierten Kinderliebe. Ob es sich hierbei um ein Spezifikum der Mentalität handelte oder ob sich die vom Krieg gezeichneten Soldaten gerne mit den quasi „reinen", unbeschwerten, engelsartigen Gestalten umgaben, um die Brutalität des Krieges hinter sich zu lassen, lässt sich nur schwer beantworten. Tatsache ist aber, dass sich gerade die sowjetischen Soldaten nicht nur auffallend um Kinder kümmerten, sondern sich auch gerne mit diesen fotografieren ließen.83 Manchmal wurden sogar wildfremde Kinder für die Fotografien herangezogen, die als Belohnung etwas Zucker oder andere Geschenke bekamen. Ein Grund für dieses markante und zugleich etwas naive Verhalten lag darin, dass die Soldaten diese Fotos gerne nach Hause schickten, um zu zeigen, wie gut es ihnen in Österreich ginge. Die vielfach bekundete Kinderliebe, die sich etwa durch das Zustecken von Süßigkeiten oder dringend benötigten Lebensmitteln, medizinische Betreuung, gemeinsames Spielen oder Singen äußerte, wurde zudem von der Besatzungsmacht propagandistisch verwertet. 84 Beispielsweise rekurriert das im Stil einer Fotokollage hergestellte Plakat „Sowjetsoldaten - Soldaten des Volkes - Kämpfer für Freiheit und Frieden" 85 , das einen

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Ebd. Ebd. Vgl. hierzu u. a. die zahlreichen am BIK archivierten Fotos von Rotarmisten mit österreichischen Kindern. Ein weiteres Beispiel dafür sind die von der sowjetischen Besatzungsmacht jährlich organisierten Weihnachtsfeiern für österreichische Kinder, worüber vor allem die „Österreichische Zeitung" ausführlich berichtete. Vgl. etwa: 72.000 Kinderherzen danken der Roten Armee, in: Österreichische Zeitung, 25.12.1945, S. 1; Kleine Wiener zu Gast bei „Vaterchen Frost". Der russische Weihnachtsmann in der Hofburg, in: Österreichische Zeitung, 28.12.1946, S. 3; Über 50.000 österreichische Kinder als Gäste bei Weihnachtsfeiern der Sowjetarmee, in: Österreichische Zeitung, 31.12.1948, S. 3; Die Weihnachtsbescherung für Wiener Kinder in der Hofburg. In vier Tagen Tausende kleine Gäste der sowjetischen Besatzungsmacht, in: Österreichische Zeitung, 28.12.1950, S. 3; In den sowjetisch verwalteten Betrieben: Weihnachtsfeiern für Tausende Kinder, in: Österreichische Zeitung, 21.12.1954, S. 4. Wiener Stadt- und Landesbibliothek (= WStLB), Plakatsammlung, Nr. 6850-1953. Vgl. dazu auch: Barbara Stelzl-Marx, Die Macht der Bilder: Sowjetische Plakate in Österreich 1945-1955, in: Ingrid Bauer - Helga Embacher - Ernst Hanisch - Albert Lichtblau - Gerald Sprengnagel (Hg.), Kunst. Kommunikation. Macht. Sechster Österreichischer Zeitgeschichtetag 2003. Unter Mitarbeit von Peter Gutschner und Karoline Bankosegger. Innsbruck - Wien - München - Bozen 2004, S. 63-72.

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Barbara Stelzl-Marx lächelnden Rotarmisten mit einem blonden Mädchen am Arm zeigt, auf den Topos des „kinderlieben Russen", der im Dienste von Freiheit und Frieden steht. So wie das Kind Vertrauen zum Sowjetsoldaten hatte, sollten auch Vertrauen und Sympathie unter der Bevölkerung gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht gestärkt werden. Auch das offizielle Organ der sowjetischen Besatzungsmacht, die „Österreichische Zeitung", zog bewusst diese in der Bevölkerung offensichtlich sehr positiv aufgenommene Eigenschaft der Soldaten heran, um der amerikanischen antisowjetischen Propaganda, dem latenten Antibolschewismus und den antislawischen Ressentiments gegenzusteuern. Beispielsweise widmet sich anlässlich des zweiten Jahrestages der Befreiung Wiens am 13. April 1945 ein eigener Artikel dem Thema „Der Sowjetsoldat und das Kind", gespickt mit Zitaten aus Aufsätzen österreichischer Schulkinder. Die Versorgung mit Lebensmitteln nimmt hier eine wichtige Rolle ein, wie auch der einleitende Kommentar des Verfassers hervorhebt: „Ja, der Zucker und der Speck! Ich habe in der ganzen dicken Mappe kaum eine Handvoll Briefe entdeckt, in denen nicht davon die Rede wäre, was die Sowjetsoldaten den Kindern alles schenkten. Hier nur eine kleine Auswahl: ,Da bekamen die Kinder ein Sackerl mit Zuckerln [...], dann wurden wir alle mit Fleisch bewirtet. Als wir gegessen hatten, sagte ein Russe zu mir, ich soll mit ihm gehen. Da führte er mich in ein Zimmer und gab mir eine schöne Puppe. Dann ging er mit mir noch weiter und gab mir eine Flasche flüssigen Honig und eine Schachtel Zucker. Fleisch und Brot hatten wir genug zu essen. [...] Es war sehr schön von den Russen, dass sie mir so viel geschenkt haben.'" 86 Bewusst hebt der Autor hervor, wie sehr die nationalsozialistische Propaganda selbst auf die Kinder eingewirkt hatte und sie die Rotarmisten gleichsam als „bösen Wolf fürchten ließ. Erst die positiven Erfahrungen mit den sowjetischen Soldaten - so der Artikel - ließ sie die „Schauermärchen" vergessen. Eine ähnliche Reaktion erhoffte man sich anscheinend auch von erwachsenen Lesern: „Alle diese kleinen Erlebnisse werden im Ton kindlicher, vorbehaltloser Anerkennung geschrieben, obwohl die nazistische Propaganda auch vor den Kleinsten nicht haltgemacht und ihren leichtgläubigen Sinn durch Schauermärchen vergiftet hatte. ,Früher, als noch Krieg war, sagte man zu uns, wenn wir schlimm waren: ,Na, wart nur, wenn die Russen kommen!', klagt der kleine Peter Presinger. ,Sie waren für uns Kinder so wie der böse Wolf für das Rotkäppchen. Aber als wir die Soldaten dann kennen lernten, waren sie für uns keine Wölfe, sondern gute Freunde geworden. Wenn sie beisammensaßen und auf ihren Musikinstrumenten spielten, kraxelten wir vier Geschwister gern zu ihnen auf den Schoß, und unsere Soldaten ließen uns auch Trompete blasen.'" 87 Mehrere Zeichnungen, die etwa einen Rotarmisten mit Kinderwagen darstellen, untermauern noch den Grundtenor dieses Artikels.

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„Malinki spat", in: Österreichische Zeitung, 16.3.1947, S. 4. Ebd.

Freier und Befreier „Als Russenkind war ich das Letzte" Zum Umgang in der österreichischen Familie und Gesellschaft Allein die selbst heute noch verwendete Bezeichnung „Russenkind" verweist auf die Diskriminierung und Stigmatisierung, der die aus einer Beziehung zwischen einer Österreicherin und einem sowjetischen Besatzungssoldaten hervorgegangenen Kinder in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft vielfach ausgesetzt waren. Jahrelang waren die Besatzungskinder für offizielle Stellen wie die Fürsorge ein Problem, für die breite Öffentlichkeit ein beliebtes Versatzstück scheinmoralischer allgemeiner Entrüstung.88 Auch wirtschaftliche Probleme spielten eine Rolle, weil die in die Sowjetunion zurückgekehrten Väter - so ihre Adresse überhaupt bekannt war - nicht zur Alimentationspflicht herangezogen werden konnten. 89 Nichtsdestotrotz standen die Mütter in der Mehrzahl der Fälle zu ihren Kindern: Von österreichweit 603 Fällen, in denen die Mütter von der Fürsorge aufgefordert wurden, ihre Kinder zur Adoption freizugeben, erklärten sich nur 92 dazu bereit.90 Der Terminus „Russenkind" war noch in den 1960er Jahren ein weit verbreitetes Schimpfwort unter Jugendlichen und Kindern, die diesen Begriff von ihren Eltern als Synonym für etwas besonders Verachtenswertes übernommen hatten, vielfach ohne genau zu wissen, was dahinter an Beleidigendem steckte.91 So berichtet auch der im Februar 1947 geborene F. R., dass er als Sohn eines in Tulln stationierten Soldaten in den Häusern seiner Freunde unerwünscht war: „Als ,Russenkind' war ich das Letzte. Die Eltern meiner Freunde haben mich aus ihren Häusern hinausgejagt." 92 Zwei Gründe macht F. R. dafür verantwortlich, dass „die Russen" - und somit auch sein Vater - im Ort insgesamt und im Elternhaus seiner Mutter im Speziellen nicht gerne gesehen waren: einerseits die Vergewaltigungen zu Kriegsende, andererseits der hohe Anteil an überzeugten „Nazis". Es überrascht kaum, dass diese beiden Faktoren gleichsam in einem Atemzug genannt werden: Schließlich bestätigten und verstärkten die Übergriffe, die von den Nationalsozialisten propagierten rassistischen Feindbilder, die seit Jahrhunderten tradierten Negativbilder über die „Gefahr aus dem Osten" und die antikommunistische Stimmung zu Kriegsende. In der kleinen Gemeinschaft des Dorfes, 88

So verfolgte die Fürsorge genau, ob sich der sowjetische „Kindsvater" um den Unterhalt seines Kindes sorgte und welches Einvernehmen unter den Eltern herrschte. Im Falle der 1948 geborenen Vera Ganswohl wurde dem Magistrat der Stadt Wien sowohl der Name als auch das Geburtsdatum, die Staatsangehörigkeit und der aktuelle Wohnort - „Flughafen Mödling" - angegeben. Im Situationsbericht wurde vermerkt, dass „Km. [= Kindsmutter] ist mit dem Kv. [= Kindsvater] seit 1945 beisammen. Dzt. bekommt Kv. keine Heiratsbewilligung. Die Ke. [= Kindseltern] leben in gutem Einvernehmen. Der Kv. sorgt für den Unterhalt der Km. u. des Kindes." In der Geburtsurkunde des Standesamtes Wien-Favoriten wurde der Vater allerdings nicht vermerkt, da der Besatzungssoldat trotz der genauen Nennung der Mutter nicht vorgeladen und die Vaterschaft somit juristisch nicht festgestellt wurde. Vgl. AdBIK, Bestand Rote Armee, Sammlung Vera Ganswohl. Frau Vera Ganswohl, Wien, sei für die Bereitstellung der Unterlagen und Informationen sehr herzlich gedankt.

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Auf Grund der hohen Zahl an Besatzungskindern weltweit versuchten die Sozialbehörden in der Nachkriegszeit, ein internationales Alimentationsabkommen durchzusetzen, allerdings ohne Erfolg. Vgl. Besatzungskinder, in: Arbeiter-Zeitung. Besatzungskinder, in: Arbeiter-Zeitung. Berger - Holler, Trümmerfrauen, S. 189. F. R., freundliche Auskunft. Tulln, 17.6.2004.

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Barbara Stelzl-Marx wo jeder jeden kannte und über alles Bescheid wusste, wurde dieses negative, von der NS-Propaganda geprägte „Russenbild" außerdem auf jene österreichischen Frauen übertragen, die eine Beziehung mit einem Besatzungssoldaten hatten, und auf die Kinder, die daraufhin geboren wurden. Die „Rassenschande" ging gleichsam auf sie über und prägte ihr weiteres Leben. Auf Grund dieser Stigmatisierung wurden zwei der insgesamt drei „Russenkinder" im Ort Alkoholiker, so die Einschätzung von F. R. Bezeichnend ist, dass F. R.s Mutter ihrem späteren österreichischen Mann erzählte, dass sie von einem sowjetischen Soldaten vergewaltigt worden wäre, da dies, wie sie anscheinend meinte, weniger mit Schande behaftet war als der Umstand, eine Beziehung mit einem „Russen" eingegangen zu sein und ein gemeinsames Kind auf die Welt gebracht zu haben. Trotz dieser offiziellen Distanzierung von dem Rotarmisten fand F. R. nach dem Tod der Mutter ein Foto seines sowjetischen Vaters in ihrem Ausweisetui, das sie ständig bei sich getragen hatte. Der Verleugnung dieses anscheinend glücklichen Lebensabschnittes mit dem Besatzungssoldaten nach außen hin war offensichtlich keine innere Loslösung gefolgt. Eine gewisse Zäsur stellten der Abzug der Truppen und das Ende der Besatzung beim Umgang mit den „Russenkindern" dar. So erfuhr etwa die 1946 in St. Pölten geborene Eleonore Dupuis erst 1955, dass sie die Tochter eines sowjetischen Besatzungssoldaten war. Bis dahin hatte sie ihre Mutter in dem Glauben belassen, dass der bei einem Unfall ums Leben gekommene Vater der älteren Schwester auch ihr Vater war: „Aber dann hat sie mir doch die Wahrheit gesagt, weil es wahrscheinlich nicht anders gegangen wäre, als mit Lügen. Und das hat sie nicht gemacht. Da war ich natürlich sehr erstaunt, aber irgendwie hat es mir gefallen, so anders zu sein, weil einen russischen Vater hat ja nicht jeder. Das war damals schon gegen Ende der Besatzung. Ich war damals neun Jahre alt. Oder es war sowieso im Zuge, wie die Besatzungsmächte abgezogen sind, das kann sein. Dass meine Mutter dann in dieser Situation gedacht hat, jetzt kann ich es ihr sagen. Das kann auch sein."93 Ob die Mutter Eleonore Dupuis vor einer etwaigen Benachteiligung durch Nachbarn, Verwandte oder Freunde bewahren wollte und deswegen so lange geschwiegen hatte, ist unklar, wäre aber vor dem Hintergrund der oben dargestellten Stigmatisierung durchaus nachvollziehbar. Frau Dupuis selbst erinnert sich allerdings nicht, jemals als Tochter eines sowjetischen Besatzungssoldaten diskriminiert oder benachteiligt worden zu sein. Im Gegenteil, sie empfand es stets als interessant und positiv, „etwas anderes zu sein". In anderen Familien hält das Schweigen bis heute, weigern sich insbesondere die Frauen selbst, die eine Beziehung mit einem Besatzungssoldaten hatten, über diese Zeit zu sprechen. Diese Tabuisierung kommt vor allem zum Tragen, wenn sich Nachkommen auf der Suche nach dem Vater oder Großvater an jede zusätzliche, oft noch so spärliche Information klammern. Ein Beispiel dafür ist eine Freundin der Mutter des vorab erwähnten F. R., die gleichfalls ein Verhältnis mit einem Rotarmisten, zudem mit einem Kameraden des Vaters, hatte und bis heute nicht darüber reden will.94 93 94

AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0200, Eleonore Dupuis. Wien, 27.9.2002. F. R., freundliche Auskunft.

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„... das ist alles, was ich weiß": Auf der Suche nach dem verlorenen Vater Die Suche nach dem Vater war und ist für viele Besatzungskinder - und selbst deren Kinder - zeit ihres Lebens ein Thema; wie viele es tatsächlich geschafft haben, kann ebenso wenig ermittelt werden wie die Gesamtzahl der Kinder, die Beziehungen mit Besatzungssoldaten entstammen. Bezweifelt werden muss allerdings, dass es sich hierbei um eine große Anzahl handelt, da zu viele Hindernisse und Schwierigkeiten im Wege standen. 95 Eines der größten Probleme bei der Suche besteht darin, dass häufig die persönlichen Daten des sowjetischen Soldaten nur ungenau oder bruchstückhaft bekannt sind. Manchmal ist - abgesehen von ungefähren Orts- und Zeitangaben der Stationierung in Österreich - lediglich ein russischer Vorname überliefert. Die wenigen ursprünglich bekannten Angaben sind außerdem in vielen Fällen verloren gegangen, da das Thema des sowjetischen Vaters entweder in der Familie tabuisiert oder eine intensive Suche erst im Zuge der Öffnung Ende der 1980er Jahre aufgenommen wurde, als manche der wichtigsten Auskunftspersonen nicht mehr am Leben waren. Ein Beispiel dafür ist die vorab erwähnte Eleonore Dupuis, die von ihrem Vater Vor-, Nachnamen und die Region der Herkunft weiß. Trotz intensiver Recherchen, angefangen von Schreiben an die Russische und Österreichische Botschaft in Wien bzw. Moskau, über Kontaktaufnahme mit ehemals sowjetischen Archiven und Behörden vor Ort bis hin zu Fernsehaufrufen in der Sendung „Zdi menja!" - „Warte auf mich!", blieb ihre Suche bisher ergebnislos. Ihre Mutter, die eventuell noch zusätzliche Informationen mitteilen hätte können, starb bereits vor einigen Jahren. Hinzu kommt, dass in der Nachkriegszeit keine Unterstützung von sowjetischer Seite bei der Suche nach ehemaligen Besatzungssoldaten zu erwarten war. Beispielsweise teilte die Österreichische Botschaft in Moskau im Oktober 1957 der Jugendfürsorge des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung mit: „Eine Ausforschung über das sowjetische Ministerium des Äußeren ist nicht möglich, da Pokulov einerseits Sowjetbürger ist und überdies das genannte Ministerium Ausforschungen zu Privatzwecken ablehnt. Eine Ausforschung Pokulovs seitens der Kindesmutter käme daher nur auf dem Weg über das österreichische Rote Kreuz an das sowjetische Rote Kreuz in Frage." 96 Auffallend ist, dass im Fall vieler Besatzungskinder die Mütter - im Gegensatz zu ihren Kindern - in keinster Weise an einer Kontaktaufnahme mit dem ehemaligen Besatzungssoldaten interessiert waren bzw. sind und diese sogar behinderten. Mit dieser bereits erwähnten Mauer des Schweigens sieht sich beispielsweise die Enkelin einer 1945 aus Schlesien nach Allentsteig geflüchteten damals 15-jährigen Frau konfrontiert, die spätestens ab 1946 eine dreijährige Beziehung mit einem Kirgisen einging. Obwohl ihr Sohn 1947 geboren wurde, konnte das Verhältnis zum Besatzungssoldaten weitestge95

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Allein am Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung in Graz meldeten sich im Rahmen des Forschungsprojektes „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955" mehr als zehn „Russenkinder" in der Hoffnung, mit Hilfe „neuer" Dokumente aus russischen Archiven zumindest ein paar Spuren zu finden. Dabei handelt es sich natürlich nur um einen Bruchteil jener Besatzungskinder, die nichts von ihrem Vater wissen. ÖBM, Personalakt R. H.

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Barbara Stelzl-Marx hend verheimlicht werden, sodass nur die engste Familie Genaueres wusste. Heute weigert sich die Frau, ihrer Enkelin bei der Spurensuche nach dem ehemaligen Rotarmisten zu helfen oder auch nur andeutungsweise über ihre „große Liebe" zu sprechen: „Nun ist meine Großmutter bis zum heutigen Tage nicht bereit, etwas über meinen Großvater zu erzählen. Von meiner Urgroßmutter, die sich immer noch bester Gesundheit erfreut, habe ich vor einiger Zeit einige Details erfahren können. Sie kann sich allerdings nicht mehr so recht erinnern."97 - „Es gibt auch ein Foto von ihm, welches meine Großmutter besitzt und natürlich nicht herausrückt. Auch haben beide noch Jahre später heimlich (meine Großmutter war bereits mit einem anderen Mann verheiratet) Briefe ausgetauscht."98 Die Enkelin vermutet, dass die jähre- bzw. jahrzehntelange Verheimlichung der Beziehung und mögliche moralische Bedenken für diese Tabuisierung seitens der Großmutter ausschlaggebend sind. Die Ambivalenz der Gefühle kommt durch folgende Schilderung zum Ausdruck, die auch auf die äußeren Merkmale Bezug nimmt: „Nun ist es in unserer Familie so, dass alle blond und blauäugig sind, mit Ausnahme von meinem Vater und mir, die wir doch ,etwas' asiatisch aussehen. Meine Großmutter liebt mich sehr und nennt mich immer eindringlich: ,mein kleines schwarzes Luder'. Ich weiß, dass ich eine Menge von meinem Großvater geerbt habe und dass meine Großeltern eine innige Liebe verband. Es ist mir sehr wichtig, mehr über meinen Großvater zu erfahren und ihn eventuell zu finden."99 Auch der folgende Ausschnitt aus einem Brief an das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung veranschaulicht deutlich den großen Wunsch der Tochter eines sowjetischen Besatzungssoldaten, ihren Vater zu finden und die Tabuisierung dieses Themas innerhalb der Familie und des Freundeskreises zu durchbrechen: „Nun zu meinem Vater: Er war in den ersten Nachkriegsjahren (wie lange, weiß ich aber nicht) als Angehöriger der Roten Armee mit Dienstgrad Oberleutnant oder Hauptmann Korrespondent der Russischen Militärzeitung' (früher Sitz der Arbeiter-Zeitung im 5. Wiener Gemeindebezirk) und dürfte ca. 25 bis 26 Jahre alt gewesen sein. Seine Heimatstadt war Kursk. Die Leute sprachen ihn mit ,Iwan' an. Ich vermute, dass dies sein Vorname war. Nach seiner Ablöse kam er nochmals nach Wien und besuchte meine Mutter, da sie keine seiner Briefe beantwortet hatte. Ich war damals ein bis zwei Jahre alt. Er wusste also von meiner Existenz. Meine Großmutter hatte alle seine Briefe verschwinden lassen, da sie Angst hatte, dass meine Mutter meinem Vater nach Russland folgen würde. Dann ist offensichtlich die Verbindung abgebrochen worden. Es war mir nicht möglich, von meiner Mutter, den Verwandten und auch den Freunden mehr über meinen Vater zu erfahren. Es wurde alles abgeblockt, sodass ich nicht mehr über den Verbleib meines Vaters weiß. In der Hoffnung, dass diese Suche nun endlich erfolgreich wird." 100 In einigen Fällen glückt allerdings diese Suche nach den persönlichen Spuren und Wurzeln, findet ein Wiedersehen - oder sogar erstes Treffen - nach Jahrzehnten statt.

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Μ. K., Schreiben an Barbara Stelzl-Marx. Berlin, 6.5.2004. Μ. K., Schreiben an Barbara Stelzl-Marx. Berlin, 26.5.2004. Μ. K., Schreiben, 6.5.2004. Ε. K., Schreiben an Peter Ruggenthaler. Wien, 24.4.2003.

Freier und Befreier Die Dramatik, Emotionalität, Freude und auch Angst in dieser Situation ist schwer zu übertreffen. Vera Ganswohl sah ihren Vater 1983 - mehr als dreißig Jahre nach ihrer Trennung - in Moskau wieder. Noch heute kommen ihr Tränen, wenn sie an das Treffen vor dem Hotel Kosmos denkt: „Aber das war wirklich für alle Beteiligten so ein, irgend so ein Ereignis, das, glaube ich, nicht nachvollziehbar ist für jemanden anderen. [...] An sich bin ich ein recht stabiler Mensch und sehr ausgeglichen, aber das war ganz einfach so viel Gefühl und so viel Emotionen, die da hochgekommen sind. Und das alles so zu verkraften, das hat mich eigentlich schon sehr hergenommen, muss ich sagen." 101 Auslöser für das Wiedersehen nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich war eine Ansichtskarte, die der Vater 1979 in ihren burgenländischen Heimatort sandte, wo er die Mutter 1945 kennen gelernt hatte. Der Schock und die Aufregung ob dieser unerwarteten Nachricht aus der Sowjetunion waren gewaltig, berichtet Vera Ganswohl. „Natürlich Schock! Aufregung! Und, und meine Mutter wollte alles so auf sich beruhen lassen. Ja, Vergangenheit, und es war schön und aus. Ich hab natürlich ein vitales Interesse gehabt, meine Wurzeln, meinen Vater und so kennen zu lernen. Und sie hat dann lang gezögert, mir überhaupt die Adresse [zu geben ...]. Aber ich hab nicht locker gelassen." 102 Vera Ganswohl entschloss sich, trotz der Ressentiments der Mutter zu antworten und somit den Kontakt wiederherzustellen. Dem ersten Treffen in Moskau folgten weitere in Soci und, nach dem Tod des Vaters 1988, eine Gegeneinladung ihrer russischen Halbschwester nach Österreich. Ein Wiedersehen zwischen den Eltern fand vor allem deswegen nicht statt, weil sich die Mutter nicht das idealisierte Bild ihrer Vergangenheit und Beziehung zerstören wollte: „Im Nachhinein ist, glaube ich, alles euphorisch. Ja, also sie erzählt, dass das der Mann ist, der sie geprägt hat und sie ist am Land aufgewachsen, und man hat sicher noch bestimmte Wertmaßstäbe gehabt. Aber sie hat halt gemeint, er hat ihr Erziehung und Manieren und alles das beigebracht. [...] Also, es ist nie irgendwas Negatives gekommen. Im Gegenteil, extrem euphorisch. Vielleicht auch ein bisschen verklärt in der Vergangenheit. [...] Sie hat also immer gesagt, es war die große Liebe ihres Lebens. Sie hat wohl nachher noch Beziehungen gehabt, sie war auch verheiratet. Hat sich dann scheiden lassen. Aber sie sagt, das war's halt ... das war's ganz einfach." 103 Selbst bei wichtigen Jubiläen, wie dem 18. oder 21. Geburtstag, nahm die Mutter immer Bezug auf den nicht präsenten Vater, indem sie etwa „Deine Eltern" oder „das ist im Sinne deines Vaters" in der Glückwunschkarte vermerkte. Auch Briefe, Kleidungsstücke oder persönliche Gegenstände des Vaters bewahrte sie Reliquien gleich auf.104 Sie wurden gleichsam zum Symbol einer glücklichen Zeit. Auf anderem Weg, nämlich mit Hilfe der russischen Fernsehsendung „Zdi menja", gelang der 1946 in Niederösterreich geborenen F. S. im Dezember 2003 eine Kontaktaufnahme mit ihrer russischen Familie. Zwar war ihr Vater bereits vor 17 Jahren verstorben, doch lebten zwei seiner Söhne, für welche die Tatsache, dass „plötzlich eine 101 102 103 104

AdBIK, OHI, VD-0326, Gansvvohl. Ebd. Ebd. Ebd.

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Barbara Stelzl-Marx österreichische Halbschwester auftauchte", einen Schock bedeutete. Nichtsdestotrotz erlangte sie durch dieses Treffen ihren Seelenfrieden, kam gleichsam zur Ruhe. Ihr Leben lang hatte es sie beschäftigt, wer ihr Vater eigentlich war.105 Erst mit neun Jahren hatte F. S. zufälligerweise und etwas unsanft von ihrem Vater erfahren: „Weißt eh, dein Vater ist ein Russ'", hatte ihr eine Schulkameradin am Heimweg offenbart. Mühsam begann sie, einige Geschichten und Erinnerungen zusammenzutragen. Gerade die Großmutter erzählte daraufhin stets sehr positiv von ihrem Vater, er wäre der ideale Schwiegersohn gewesen und hätte sich, als er noch in Österreich war, immer um die Familie gesorgt.106 In den Erzählungen der Großmutter kam - abgesehen von den wirtschaftlichen Aspekten - zudem die wichtige Funktion eines Beschützers hinzu, der die Frauen der Familie vor Übergriffen bewahrte. Schließlich waren F. S.s Mutter und Tante mehrfach vergewaltigt worden, sodass sie resümiert: „Eh interessant, dass sie sich trotzdem in einen Russen verliebt hat."107 Die Mutter heiratete Anfang der 1950er Jahre, brachte einen Sohn auf die Welt und schloss - wahrscheinlich auch aus Enttäuschung, nichts mehr vom Besatzungssoldaten gehört zu haben - mit „dieser Episode in ihrem Leben" ab. Erst nachdem ihre Mutter und Großmutter gestorben waren und sie auf niemanden mehr Rücksicht nehmen brauchte, nahm F. S. gezielt ihre Suche auf und hatte innerhalb kürzester Zeit Erfolg. Gleichfalls mit Hilfe der obgenannten Fernsehsendung, aber gewissermaßen auf umgekehrten Weg gelang es 2003 dem ehemaligen sowjetischen Besatzungssoldaten, V. G., seine „österreichische Familie" ausfindig zu machen und mit ihr in Kontakt zu treten. Während einer Reise nach Deutschland im Sommer 2004 kam es zu einem ersten Treffen mit seinem 1947 geborenen Sohn und u. a. dessen Tochter, die das Wiedersehen am meisten forciert hatte.108 Der Sohn des ehemaligen Besatzungssoldaten hatte bis dahin nur erfahren, dass er einen anderen Vater als seine Geschwister hatte, da ihm seine Mutter diesbezüglich ein Frage- und Redeverbot auferlegt hatte. Schließlich war seine Mutter 1946 vor die Wahl gestellt worden, hochschwanger einen Österreicher zu heiraten oder ihres Elternhauses verwiesen zu werden, wodurch „das Ganze vertuscht werden konnte".109 V. G., der noch vor der Geburt seines Sohnes demobilisiert worden war, charakterisierte dieses erste Treffen tief bewegt als unvergesslich und unbeschreibbar. 57 Jahre hatte er nichts Genaues über seine einstige österreichische Geliebte und ihr gemeinsames Kind gewusst.110 105 F. S., freundliche Auskunft. 106 Vgl. dazu auch die unter einem Pseudonym herausgegebene Biographie: Marie Bernard, Maria die Unbeugsame. Wien 2003, S. 50ff. 107 F. S., freundliche Auskunft. 108 Die Enkelin hatte bereits vor der Nachricht aus Russland versucht, etwas über ihren Großvater in Erfahrung zu bringen. Allerdings wollte die Großmutter, dass sie mit einer intensiven Suche warten sollte, bis sie verstorben sei. Sie teilte ihrer Enkelin jedoch den Vor- und Vatersnamen des sowjetischen Soldaten, ihrer „großen Liebe", mit, den diese - als Zeichen der Verbundenheit mit dem „unbekannten Großvater" - ihrem bald darauf geborenen Sohn als zweiten Vornamen gab. Durch die Kontaktaufnahme seitens des ehemaligen Rotarmisten wurde der Plan der Großmutter, „das Ganze auf sich beruhen zu lassen", durchkreuzt. 109 A. S., freundliche Auskunft. St. Pölten, 17.8.2004. 110 V.G., freundliche Auskunft. Mönchengladbach, 17.8.2004.

Freier und Befreier Gerade dieses Beispiel und auch das vorab dargestellte Treffen zwischen Vera Ganswohl und ihrem Vater zeigen, dass natürlich auch für ehemalige Besatzungssoldaten bzw. deren Kinder und Enkel eine persönliche Aufarbeitung der Stationierung in Österreich, gleichsam eine Rekonstruktion der eigenen Biographie, wichtig ist. Abschließend sei hier auf die Enkelin eines aus Kasachstan stammenden Besatzungssoldaten hingewiesen, die einerseits herausfinden möchte, ob sie tatsächlich in Österreich Verwandte hat und ob das Kind, das ihr Großvater anscheinend zeugte, einer freiwilligen Beziehung oder eventuell einer Vergewaltigung entstammt: „After the war, he returned to Kazakstan where one day he got an anonymous note congratulating him on the birth of a son in Austria. My grandfather spoke of this only once in his life, so the familiy is really not sure what happended and whether it was a rape case. I only know that the Austrian girl's name was Helen and her father was a university professor. [...] The bottom line is that I want to find out what happened there - whether the child (this would be my uncle born either in 1945 or 1946) survived and what happened to the woman." 1 "

Resümee Die zehnjährige Besatzungszeit in Österreich brachte ein weites Spektrum an Beziehungen zwischen den sowjetischen Soldaten und einheimischen Frauen mit sich, die bis heute - auf beiden Seiten - Spuren in den jeweiligen Biographien hinterlassen haben. Trotz starker gesellschaftlicher Ressentiments stellten die freiwilligen Liebesverhältnisse mit Besatzungssoldaten mitunter eine zentrale Überlebensstrategie dar, die - abgesehen von wirtschaftlichen Vorteilen - gewissermaßen eine Rückkehr zu einem friedlichen Leben bildeten. Auffallend ist, dass ursprüngliche Feindbilder und Ressentiments der Nachkriegszeit auch vor dem Hintergrund der besonders intensiv tradierten Übergriffe durch Rotarmisten teilweise immer noch fest im kollektiven Gedächtnis verankert sind und Bereiche dieses emotional hoch besetzten Themas nach wie vor tabuisiert werden. Auf der anderen Seite setzen sich Besatzungskinder und -enkel über ein jahrzehntelanges Frage- und Redeverbot hinweg, beseelt von dem Wunsch, die eigenen, vielfach von Mythen umwobenen Wurzeln zu finden. Das von der österreichischen Bevölkerung bzw. den sowjetischen Truppen vollkommen konträr rezipierte „Russendenkmal" auf dem Wiener Schwarzenbergplatz, das auch den unbekannten (gefallenen) Soldaten gewidmet ist, erhält somit eine neue Dimension.

111 Übersetzung aus dem Englischen: „Nach dem Krieg kehrte er nach Kasachstan zurück, wo er eines Tages eine anonyme Karte, in welcher ihm zur Geburt eines Sohnes in Österreich gratuliert wurde, erhielt. Mein Großvater sprach darüber nur einmal in seinem Leben; der Familie war daher nicht bekannt, was geschehen war und ob es sich um eine Vergewaltigung handelte. Ich weiß nur, dass das Mädchen Helen hieß und dass sein Vater Universitätsprofessor war. [...] Ich möchte einfach herausfinden, was damals geschah, ob das Kind (also mein Onkel, der 1945 oder 1946 geboren wurde) überlebte und was mit der Frau geschah." Ζ. Z., Schreiben an Barbara Stelzl-Marx. O. O., 1.10.2002.

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Wolfram Dornik

Besatzungsalltag in Wien Die Differenziertheit von Erlebniswelten: Vergewaltigungen Plünderungen - Erbsen - Straußwalzer

Ausgangspunkt für diesen Aufsatz ist, dass der Besatzungsalltag in Wien von Charakteristika geprägt war, die sich von den Lebenswelten in anderen Bundesländern unterschieden. Diese Unterschiede können mit Hilfe von vier Kristallisationspunkten zusammengefasst werden: Erstens waren die Wiener, als Bewohner einer Großstadt, zu Kriegsende und in der Nachkriegszeit besonders stark von Nahrungsmittel-, Brennstoffund Wohnraumverknappung betroffen. Dies hatte „Hamsterfahrten" auf das Land, die Entwicklung eines Schwarzmarktes und die Abhängigkeit von formellen (Lieferungen der Alliierten und anderer europäischer Staaten) sowie informellen Hilfsleistungen (Pakete von Verwandten und Freunden aus dem In- und Ausland) zur Folge. Zweitens bildeten sich zu Kriegsende, für großurbane Regionen im Frieden völlig untypisch, „Notgemeinschaften" heraus. Diese entstanden in einzelnen Wohnhäusern, Gassen bzw. Straßen oder ähnlichen Entitäten; deren Ziel bestand vor allem darin, den Alltag so gut wie möglich zu bewältigen: Schutz vor Plünderungen und Übergriffen; gemeinsame Brennstoff- und Lebensmittelbesorgung bzw. deren Verarbeitung. 1 Drittens war Wien schwer umkämpft; dies wirkte sich selbstverständlich auf die Zivilbevölkerung und das Ausmaß der Zerstörungen aus: Besondere Schäden richteten die Bombenangriffe ab Herbst 1944 und die Schlacht um Wien von 6. bis 13. April 1945 an. Verglichen jedoch mit den Zerstörungen in Ungarn (vor allem Budapest) oder in deutschen Städten waren jene in Wien von geringerem Ausmaß. Umfangreich betroffen war die Wiener Bevölkerung von Plünderungen und Vergewaltigungen. Viertens wurde Wien während der Zeit von 1945 bis 1955 in vier bzw. fünf Besatzungszonen unterteilt, was sich anfangs vor allem in der Lebensmittelsituation widerspiegelte, später jedoch hauptsächlich in der unterschiedlichen Kultur- und Propagandapolitik seinen Ausdruck fand. 2 Symbol für die Aufteilung Wiens wurden die „Vier im Jeep" - dieser Topos hält sich bis heute.

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Marianne Baumgartner, Vergewaltigungen zwischen Mythos und Realität. Wien und Niederösterreich im Jahr 1945, in: Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien. Wien 1995, S. 60. Vgl. dazu Birgit Wiedrich, Auswirkungen der alliierten Besatzung auf das Alltagsleben in Wien 1945-1955. Phil. DA. Wien 1999.

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Wolfram Dornik Eine wichtige Grundlage für diese Arbeit bilden mehr als ein Dutzend Interviews mit „Zeitzeugen" aus Wien, die im Rahmen des Projektes „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955" im Winter 2003/04 durchgeführt wurden. Im Rahmen der Interviews wurden Fragen zu den unterschiedlichsten Aspekten der Zeit vom Kriegsende 1944/45 bis hin zum Abzug der Truppen nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages gestellt.3 Vor allem in den Interviews wird die Differenziertheit der Erlebnisse der „Zeitzeugen" deutlich. Die unterschiedlichen Aspekte des Alltages haben Ela Hornung und Margit Sturm in einem Aufsatz zum Alltag in Wien in den Jahren nach dem Krieg prägnant zusammengefasst: „Die Historizität und damit die unterschiedlichen Phasen von Geschichte im Alltag werden bestimmt vom Hungern und Essen, Heizen und Frieren, von Arbeit und Arbeitslosigkeit, von Wohnen und Wohnungslosigkeit, von Lieben und Verlust, von Konflikten und Solidarität, von Ängsten, Hoffnungen und Träumen. Aspekte des Alltags sind wie Mosaiksteinchen von Geschichte und ergeben doch nie ein vollständiges Bild. ,Den' Alltag gibt es nicht. Es gibt daher auch nicht den Alltag ,des Wieners' bzw. ,der Wienerin'."4 Der Alltag der Menschen ist also von der individuellen Lebenserfahrung geprägt. Aus diesem Grund möchte ich die Differenziertheit der Lebenswelten der „Zeitzeugen" hervorheben. Dies spiegelt sich auch in den ausgewählten Interviews wider. Die Menschen haben positive wie negative Erlebnisse mit den Besatzungsmächten, oft in einer Person oder einer Familie vereint. Davon hängt auch häufig die Beurteilung im Nachhinein ab. Über dieser privaten Ebene steht die Makrogeschichte: Die Ereignisse der politischen und militärischen Geschichtsschreibung. Diese bilden den Rahmen, in dem die persönlichen Erlebnisse stattfinden. Vorerst zur Makroebene der Geschichte: dem militärischen Ende des Zweiten Weltkrieges in Wien. Kriegsende in Wien Die Rote Armee erreichte am 5. April 1945 den Westen Wiens. Ziel war es, die Stadt einzukreisen, um die Flucht der verbliebenen deutschen Einheiten zu blockieren. Die Schlacht um Wien begann am 6. April mit einem Angriff von Westen durch Einheiten der 6. Garde-Panzer-Armee, 9. und 4. Garde-Armee (3. Ukrainische Front unter Marschall Fedor Tolbuchin). Von Osten näherte sich die 46. Armee (2. Ukrainische Front unter Marschall Rodion Malinovskij). Der Vormarsch der Roten Armee durch die Randbezirke Wiens ging verhältnismäßig rasch voran: Bereits am 7. April 1945 erreichten erste Einheiten den Gürtel; die Kämpfe um die inneren Bezirke zogen sich jedoch noch bis 13. April hin. Die verbliebenen SS-Einheiten flüchteten in Richtung Korneuburg - Stetten und errichteten dort erneut eine Front.5 3 4

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Weiters wurden Quellen aus den CAMO, RGVA, AVP RF und RGASPI herangezogen. Ela Hornung - Margit Sturm, Stadtleben. Alltag in Wien 1945 bis 1955, in: Reinhard Sieder - Heinz Steiner - Emmerich Tälos (Hg.), Österreich 1945-1995. Gesellschaft - Politik - Kultur. Wien 1995, S. 54—67, hier: S. 54. Manfried Rauchensteiner, 1945 Entscheidung für Österreich. Eine Bilddokumentation. Graz - Wien - K ö l n 1945, S. 23-30.

Besatzungsalltag

in Wien

Die Schlacht um Wien konnte am 13. April 1945 für die Rote Armee siegreich beendet werden. Die Bilanz: 19.000 tote und 47.000 gefangene Offiziere und Soldaten der NS-deutschen Einheiten (vor allem II. SS-Panzer-Korps, 2. und 3. SS-Panzer-Division); 18.000 tote sowjetische Soldaten; 13 Prozent der Stadt waren zerstört (Berlin: 53 Prozent) 6 , andere Quellen sprechen von 28 Prozent. 7 Nun begann die sowjetische Armee unter Generalmajor Aleksej Blagodatov ihre Besatzungsverwaltung aufzubauen. Bis zum September 1945 übernahmen die Sowjets die Verwaltung der Stadt allein; gleichzeitig wurde Theodor Kömer (SPÖ) von den Sowjets als provisorischer Wiener Bürgermeister eingesetzt. Seine Stellvertreter wurden Leopold Kunschak (ÖVP) und Karl Steinhardt (KPÖ). 8 Für die Menschen begann nun das Wegräumen der Trümmer; 9 die Sorge um die Lebensmittelversorgung, die im Laufe der Kriegsjahre immer größer wurde, blieb bestehen und verschlimmerte sich trotz Lebensmittelspenden der Roten Armee auch in den folgenden Monaten.

Zonenaufteilung Wiens Die Aufteilung Österreichs in Zonen wurde von den Alliierten in der „European Advisory Commission" (EAC) diskutiert. Dieses „Diplomatengremium" tagte in London und verhandelte die detaillierte Aufteilung des zerfallenden „Deutschen Reiches" aus. Ende Jänner 1945 präsentierten die Briten einen Plan, der dann später überwiegend der endgültigen Aufteilung entsprach. Die Verhandlungen konnten mit dem Beschluss des Ersten Kontrollabkommens am 4. Juli 1945 und dem Zonenabkommen am 9. Juli für Österreich beendet werden. 10 In Letzterem wurden die Bundesländer wie folgt aufgeteilt: Franzosen - Tirol und Vorarlberg; Briten - Kärnten, die Steiermark und Osttirol; U S A - Salzburg und Oberösterreich (ohne das Mühlviertel); Rote Armee - Burgenland, Niederösterreich und das Mühlviertel." Wien als ehemalige und neue Bundeshauptstadt, der mit 27. April 1945 wieder errichteten Republik, sowie als Regierungszentrum hatte besondere Bedeutung in den 6 7 8 9

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Nach sowjetischen Angaben. Zit. n.: Rauscher, 1945, S. 82. Erika Thurner, Frauenleben 1945 ..., in: Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien. Wien 1995, S. 10-24. Rauscher, 1945, S. 102. Der Topos der „Trümmerfrauen" ist für Österreich nicht in dem Maße dominant, wie er es für Deutschland ist. Siehe dazu: Otto R. Croy - Josef Haslinger, Leben in der Asche. Trümmerjahre in Wien 1945-1948. Wien 1993. Franz Severin Berger - Christiane Holler, Trümmerfrauen. Alltag zwischen Hamstern und Hoffen. Wien 1994; Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Von der Trümmerfrau auf der Erbse. Ernährungssicherung und Überlebensarbeit in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Wien, in: L'Homme. Zeitschrift f ü r feministische Geschichtswissenschaft. 1991/1, S. 77-105. Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Von Mythen und von Trümmern. Oral-History-Interviews mit Frauen zum Alltag im Nachkriegs-Wien. Wien 1992, S. 15. Titel des Zonenabkommens: „Abkommen, betreffend die Besatzungszone und die Verwaltung der Stadt Wien vom 9. Juli 1945" v. 9.7.1945. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 66. Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955. Wien - Köln - Graz 1998, S. 28-34.

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Wolfram Dornik EAC-Verhandlungen. Die Gespräche über die Aufteilung Wiens erwiesen sich deshalb als äußerst zäh; die Frage der Grenzen von Wien war heikel, da dies auch die Benützung von Flughäfen ein- oder ausschloss. Nach langem Ringen setzte sich die sowjetische Seite durch, und so wurde als Basis die Grenze Wiens vom 31. Dezember 1937 als maßgeblich erklärt. Somit fielen die Flugplätze Tulln und Schwechat zwar in die sowjetisch besetzte Zone, ihre Benützung wurde aber den Westalliierten ermöglicht (Amerikaner: Tulln; Briten und Franzosen: Schwechat).12 Zusätzlich erhielten die Westalliierten wichtige Bahnhöfe: die Amerikaner den Franz-Josephs-Bahnhof, die Franzosen den Westbahnhof und die Briten den Aspangbahnhof. Die Besetzung Wiens nach den vereinbarten Zonen begann offiziell mit dem 1. September, zuvor waren Vorhuten der Westalliierten nach Wien entsandt worden. Die erste Sitzung des Alliierten Rates am 11. September 1945 markierte aber den eigentlichen Funktionsbeginn der Wiener Interalliierten Kommandantur.13 Die Stadt selbst wurde zwischen den vier Mächten aufgeteilt: Der erste Bezirk - als Machtzentrale der Republik mit den meisten Regierungsämtern und dem Sitz des Bundespräsidenten - wurde zum internationalen Sektor erklärt und ab Jänner 1946 im Monatsrhythmus (davor im Turnus) von jeweils einer anderen Besatzungsmacht verwaltet. Den internationalen Bezirk und die vier Besatzungszonen Wiens kontrollierte die Interalliierte Militärpatrouille mit je einem Vertreter der Alliierten. Das Fahrzeug wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht bereitgestellt: So war es nur in den ersten Monaten der Besatzung ein Jeep und bereits seit 1946 ein Dodge und ab März 1953 ein Chevrolet.14 Auf Fotos des Bildarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek sind aber auch sowjetische GAZ Pobeda als Fahrzeuge der Militärstreife zu sehen.15 Der Ministerrat der UdSSR beschließt 1953 mehrere Moskvic sowie GAZ-51 und einen Autobus PAZ-651 an die sowjetischen Einheiten der Alliierten Kommission zu übergeben.16 Trotzdem blieb der Topos der „Vier im Jeep" bestehen und wurde in den Erzählungen der Menschen17, in Filmen oder etwa Ausstellungen tradiert. In Wien patrouillierten zehn Interalliierte Streifenfahrzeuge: In jeder der vier Besatzungszonen ein Wagen, ein weiterer kontrollierte den ersten Bezirk, fünf standen in Bereitschaft. Die Hauptaufgabe, neben der Unterstützung der Wiener Polizei, lag darin, bei Bedarf gegen Angehörige der Besatzungsmächte einzuschreiten, da die Wiener Polizei dazu nicht berechtigt war.18 12 13 14 15

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Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 28-34. Manfried Rauchensteiner, Die Wiener Interalliierte Kommandantur 1945-1955, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Bd. 34. 1978, S. 390-422, hier: S. 398^100. Rauchensteiner, Die Wiener Interalliierte Kommandantur 1945-1955, S. 417f. ÖNBB, OEGZ/H10182/1. ÖNBB, Η 9126/1. ÖNBB, E3/1282. Weitere Quellen dazu konnten bisher noch nicht ausfindig gemacht werden. Besonderen Dank möchte ich meinem Kollegen Herrn Mag. Harald Knoll vom Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung in Graz aussprechen, der bei der Spezifizierung der Fahrzeuge behilflich war. Siehe dazu den Beitrag von Irina Kazarina, Die Sowjetische Armee in Österreich 1953-1955 im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU, in diesem Band. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0291, anonyme Interviewpartnerin. Wien 21.1.2004. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0298, Mag. Margarete Gressenbauer. Wien 10.12.2003. Rauchensteiner, Die Wiener Interalliierte Kommandantur, S. 418.

Besatzungsalltag in Wien Schon vor der endgültigen Befreiung Wiens wurde Generalleutnant Aleksej Blagodatov zum Stadtkommandanten ernannt. Am 17. April wurde der spätere Bundespräsident Theodor Körner als provisorischer Bürgermeister eingesetzt. Die Stadtverwaltung war jedoch noch auf die Unterstützung der Alliierten angewiesen. Sie konnte aber bereits relativ früh eigenständig agieren und wusste über die bestehenden Probleme und mögliche Lösungen Bescheid. 19 Um Ressourcen besser koordinieren zu können (Menge und Organisation der Verteilung) war ein Überblick über die in der Stadt anwesenden Personen wichtig. Dies war sehr schwierig, da viele Wienerinnen und Wiener vor den Bomben und der Front aus Wien geflüchtet waren oder evakuiert worden waren. Sie kehrten erst im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1945 zurück. Ebenso tauchten viele Nationalsozialisten unter, die der Verfolgung durch die Rote Armee entgehen wollten. Zusätzlich waren Tausende Displaced Persons (DPs: ehemalige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, vertriebene „Volksdeutsche" aus Ost- und Mitteleuropa, demilitarisierte Soldaten, zurückkehrende Emigranten und Evakuierte) nicht nur in Wien, sondern in ganz Österreich. Auch sie mussten versorgt werden. 20 Ein Mittel, um Kontrolle über die anwesenden Menschen zu bekommen, war das Einführen von Papieren, die beispielsweise bei Kontrollen an den Zonengrenzen überprüft wurden. Ein solches Dokument war der Identitätsausweis. Dieser ist für viele „Zeitzeugen" bis heute ein zentrales Symbol für die Zonenaufteilung Österreichs. Dies wurde auch in der vom Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung durchgeführten zeitgeschichtlichen Sammelaktion 21 im Jahr 2004 deutlich: Hunderte Identitätsausweise, aber auch andere Bescheinigungen und Dokumente, wurden von „Zeitzeugen" oder ihren Nachkommen zur Verfügung gestellt. Die besondere Stellung dieses Dokuments wird auch im Film „1. April 2000" 22 deutlich, als der Identitätsausweis als Zeichen der „Befreiung" zerrissen wird. „Zeitzeugen" erwähnen in Interviews häufig den Identitätsausweis und betonen seine Bedeutung im Alltag. 23 Ein „Zeitzeuge" aus Wien meint dazu: „Ja, Zonengrenze. Man musste also diese Identitätskarten herzeigen. [...] Sie war in Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch abgefasst. Diese vielen Seiten wurden immer gestempelt, so dass der Stempel immer auf zwei Seiten gleichzeitig war. Im Falz hat man das gestempelt. Und die Russen haben die Stempel

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Ebd., S. 399. Ebd., S. 390-422. Diese zeitgeschichtliche Sammelaktion wurde für die Ausstellung „Österreich ist frei!" 2005 auf der niederösterreichischen Schallaburg durchgeführt. Veranstaltet wird die Ausstellung von der Landesregierung Niederösterreich, die wissenschaftliche Koordination liegt beim Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung Graz - Wien - Klagenfurt, Leitung: Stefan Karner. „1. April 2000", Regie: Wolfgang Liebeneiner. Österreich 1952. Der Film ist ein Kuriosum der österreichischen Filmgeschichte; seine Produktion wurde von der österreichischen Bundesregierung beauftragt, was dem Film auch den Beinamen „Staatsfilm" einbrachte. Siehe: 1. April 2000, http: //de.wikipedia.org/wiki/l._April_2000, 2.1.2005, 10.21 Uhr, Mozilla Firefox 1.0. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0290, Mag. Gertrude Smahel. Wien 21.1.2004. AdBIK, OralHistory-Interview, VD-0291, anonyme Interviewpartnerin. Wien 21.1.2004.

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Wolfram Dornik gezählt. Und wenn irgendeiner gefehlt hat, war das ungültig. [...] Das war damals Tagesgespräch. Hast du genug Stempel drin?"24 Nach Beendigung der Kämpfe wurde unter Mithilfe der alliierten Armeen in Wien mit dem Wiederaufbau begonnen. Dazu wurde auch die Zivilbevölkerung, in Kategorien unterteilt, herangezogen: Ehemalige Nationalsozialisten mussten als Sühne die doppelte Stundenzahl ihrer Kategorie leisten.25 Die Rote Armee war besonders aktiv beim Wiederaufbau von prestigeträchtigen Kulturgütern oder Brücken über die Donau und den Donaukanal: „Malinowskybrücke" (Floridsdorfer Brücke), Schwedenbrücke oder etwa Kagraner Brücke.26 Andere Wiederaufbauprojekte betrafen die Infrastruktur: Elektrizität, Gas, Wohnungen und Straßenbahnen. Die Rote Armee wusste sehr wohl über die besondere Bedeutung der Kultur in Österreich und unterstützte den Wiederaufbau besonders prestigeträchtiger Bauten: Bereits 1945 wurde mittels Hilfslieferungen mit der Wiedererrichtung der Staatsoper begonnen.27 Die Versorgung Wiens Schon in den letzten Kriegsmonaten war die Lebensmittelversorgung in Wien zusammengebrochen. Die wichtigste Aufgabe der Menschen bestand auch nach Kriegsende in der täglichen Besorgung von Nahrungsmitteln, was sich für eine Großstadt wie Wien als besonders schwierig darstellte. Wer nicht Verwandte oder Freunde im Ausland hatte, die ab und zu Pakete schickten, musste andere Mittel und Wege finden, um die eigene Ernährung sicherzustellen. In den Erzählungen der „Zeitzeugen" ist diese Frage deshalb ganz besonders dominant. So ist die Erinnerung der ersten Zeit nach dem Krieg geprägt vom „Hamstern", „Schutträumen", „Plündern"28, „Schwarzmarkt", der Kartenwirtschaft und den Lebensmittelspenden der alliierten Armeen („Russen-Erbsen"). Später starteten zivile Hilfslieferungen. Die Rote Armee stellte bereits zum 1. Mai 1945 Tausende Tonnen beschlagnahmter Lebensmittel zur Verfügung: die „Maispende" oder „Stalinspende". Dies war jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weshalb diese Spenden nicht zu einer dauerhaften Entspannung beitragen konnten. Ab dem 1. Juni wurden die - von den „Zeitzeugen" so bezeichneten - „Russenerbsen" von der Roten Armee verteilt. In den Jahren 1946 und 24 25 26

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AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0289, Mag. Hans Banner. Wien 21.1.2004. Karl Fischer, Die Vier im Jeep. Katalog zur Kleinausstellung des Wiener Stadt- und Landesarchivs „Die Vier im Jeep". Wiener Geschichtsblätter. Beiheft 1985/1. Wien 1985, S. 7. Die Rote Armee baut neue Brücken in Wien, in: Österreichische Zeitung, 16.8.1945, S. 2. Wieder Aspernbrücke. Ein neues Hilfswerk der Roten Armee fertiggestellt - Der MG-Schütze wird Zimmermann, in: Österreichische Zeitung, 3.10.1945, S. 2. Feierliche Eröffnung der Kagraner Brücke, in: Österreichische Zeitung, 23.11.1945, S. 1. Fünf neue Brücken, in: Österreichische Zeitung, 24.11.1945, S. 2. Große Hilfsaktion der Sowjetunion für den Wiederaufbau der Wiener Staatsoper, in: Österreichische Zeitung, 13.10.1945, S. 4. 1,000.000 Schilling übergeben. Die erste Rate der sowjetischen Spende für die Staatsoper, in: Österreichische Zeitung, 17.10.1945, S. 1. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0295, Hildegard Loidolt. Wien 11.12.2003; AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0296, Herbert Kellner. Wien 10.12.2003.

Besatzungsalltag in Wien 1947 lief dann die UNRRA-Hilfe („United Nations Relief and Rehabilitation Administration") an, 1948 das „European Recovery Program" (ERP, Marshall-Plan). 29 Der britische Geheimdienst übermittelte im August 1945 einen alarmierenden Bericht über die Lebensmittelsituation in Wien. Dabei wird aus einem Brief eines Geschäftsmannes an einen Freund in Zürich Folgendes zitiert: „Die Bevölkerung bekommt weniger als die Hälfte des Minimums an täglichen Kalorien. Mehl, Gemüse und Obst sind praktisch nicht erhältlich. All jene, die keine Wertgegenstände zum Tauschen auf dem Schwarzmarkt mehr besitzen, befinden sich in einer schwierigen Situation und müssen hungern. Auf dem Schwarzmarkt kostet zu diesem Zeitpunkt ein Kilogramm Fett die astronomische Summe von 1400 RM, ein Laib Brot 80 RM und eine Zigarette fünf bis acht RM. Auf Grund dieser schlechten Ernährungssituation vieler Menschen breiten sich auch Seuchen und Krankheiten aus."30 Um die Lebensmittelsituation besser in den Griff zu bekommen, wurde ein Lebensmittelkartensystem eingeführt. Bis in das Jahr 1946 hinein wurden in jeder Besatzungszone eigene Karten ausgegeben, die nur in der jeweiligen Zone gültig waren. Dies ergab vor allem dann Probleme, wenn der Ort des Arbeitsplatzes nicht mit dem Wohnort übereinstimmte. 1946 beschlossen die Alliierten, das Ungleichgewicht bei der Versorgung aufzuheben und die gesamte Lebensmittelaufbringung in der städtischen Selbstversorgung zu zentralisieren. Damit wurde zumindest eine gewisse Nivellierung bei der Zuteilung von Lebensmitteln innerhalb Wiens erreicht.31 Eine wirkliche Besserung der Lebensmittelversorgung trat erst mit 1948 ein, 1950 konnte das Landesernährungsamt Wien seine Arbeit einstellen und wurde in das Marktamt integriert. 1952 konnte die Kartenbewirtschaftung der letzten Produkte eingestellt werden.32

Plünderungen und Vergewaltigungen - Dominanz des Negativen Die Übergriffe zu Kriegsende und in der Zeit danach in Wien, aber auch in ganz Ostösterreich sind im öffentlichen Bewusstsein tief verhaftet. Das Thema ist in Österreich und Russland auch 60 Jahre nach Kriegsende sehr sensibel. Die Sowjetische Armee ist auf Grund dieser Vorgänge in Österreich bis heute auffallend negativ konnotiert; positive Aspekte (Liebesbeziehungen zwischen Rotarmisten und Österreicherinnen 33 , Lebensmittelspenden, Wiederaufbauhilfen) werden vielfach dadurch überlagert - es dominiert die Erinnerung des Negativen. Verantwortlich dafür ist auch, dass das Thema im Rahmen des konfrontativen Diskurses im Kalten Krieg von beiden Seiten instrumentalisiert wurde: Die eine Seite warf die Übergriffe einzelner Soldaten übertrieben und pauschal

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Fischer, Die Vier im Jeep, S. 9f. Beer, Wien in der frühen Besatzungszeit, S. 65f. Hornung - Sturm, Stadtleben, S. 61. Fischer, Die Vier im Jeep, S. 9f. Siehe dazu: Barbara Stelzl-Marx, „Russenkinder" und „Sowjetbräute". Besatzungserfahrungen in Ostösterreich 1945-1955, in: Clemens Vollnhals - Mike Schmeitzner (Hg.), Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich. 1945-1955 (in Druck). Sowie den Beitrag von Barbara Stelzl-Marx, Freier und Befreier, in diesem Band.

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Wolfram Dornik der gesamten Roten Armee vor; die andere Seite empfand diesen Vorwurf als Schmälerung ihres Einsatzes im Kampf gegen das NS-Regime. Ein erheblicher Teil der militärischen Anstrengungen zur Befreiung Mitteleuropas vom Nationalsozialismus wurde von der Sowjetunion geleistet. Dieser Erfolg basiert teilweise auf der skrupellosen, „menschenverheizenden" Kriegführung Stalins und dem Wunsch zur Ausweitung des sowjetischen Machtbereiches: Die Verluste der Sowjetunion werden mit rund zehn Millionen militärischer und derselben Anzahl ziviler Personen beziffert; damit trug die Sowjetunion nahezu die Hälfte der gesamten militärischen Verluste des Zweiten Weltkrieges, der mit rund 22 Millionen toten Soldaten und 27 Millionen toten Zivilisten beziffert wird. 34 Schmälerungen dieser Opfer werden deshalb auch im heutigen Russland noch als Affront und Nichtanerkennung des Geleisteten gewertet. Trotzdem muss festgestellt werden, dass es im Rahmen der Kriegshandlungen zu zahlreichen Übergriffen - vor allem gegen Frauen - kam. Über diese Vorgänge berichtet exemplarisch eine „Zeitzeugin" aus Wien: „Die Nachbarin, die hatte ihre Kollegin hier eingeladen, weil man gedacht hat, hier ist es besser als in der Stadt. Aber die kamen von Hütteldorf, über den Lainzer Tiergarten durch und dann kamen sie hierher. Meine Schwester und ich waren unten im Schuppen, [...] in der Nacht sind die [Soldaten der Roten Armee] dann gekommen zu dritt, nebenan und haben dann, haben sich an der Kollegin gütlich getan. Zwei haben gehalten und einer hat sich dann erfreut und das war in Abwechslung und die Tochter wusste natürlich die Schliche im Haus, die ist dann über das Klofenster in den Garten gelaufen. Und wie die dann weg waren, dann kamen sie zu dritt, macht auf. Dann haben wir aufgemacht, da war noch das Schlafzimmer der Eltern hier herunten, und dann haben wir sie beim Fenster hereingenommen und vor dem Bett war so, wie das früher üblich war, eine Ottomane, und darauf haben sie sie dann, [...] ganz defekt und so weiter, das können Sie sich ja vorstellen, Liebe war da ja nicht vorhanden, sondern das war ja nur mehr der Trieb da und sonst nichts, [...] und die war sehr, sehr ,patiar', die konnte kaum schlafen, und blutig war sie und so weiter und so fort." 35 Die Psychologie hat sich mit dem Thema Vergewaltigung in den unterschiedlichsten Zusammenhängen eingehend beschäftigt und definiert diese Gewalttat so: „Eine Vergewaltigung ist eine gewaltsame Grenzverletzung der Persönlichkeit, die über den Körper erfahren wird und bis ins tiefste Innere trifft. Sie ist ein Akt der Unterwerfung, Demütigung und Zerstörung." 36 Weiters wird davon ausgegangen, dass Vergewaltigungen militärischen Sinn haben, gelten sie doch als grausame Waffe nicht nur gegen die direkten Opfer (Frauen), sondern auch gegen die nicht direkt Betroffenen - den gegnerischen Männern wird damit über den Körper der Frau der „Siegesbeweis" verdeutlicht. Die Psychologin Gabriele Mörth stellte in ihren Untersuchungen fest, dass weder Bordelle für Soldaten noch medizinische Eingriffe (Kastration, hormonelle bzw. medikamentöse 34

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Die genaue Zahl der Toten ist bis heute noch nicht gesichert, manche Quellen gehen von bis zu 30 Millionen Toten aus. Diese Zahlen sind aus: I. C. B. Dear (Hg.), The Oxford Companion to World War II. Oxford - New York 1995, S. 290. AdBIK, OHI, VD-0295, Loidolt. Gabriele Mörth, Schrei nach innen. Vergewaltigung und das Leben danach. Wien 1994, S. 25.

Besatzungsalltag in Wien Behandlung usw.) Vergewaltigungen verhindern oder maßgeblich eingrenzen können. Sie konnte auch Übergriffen von weiblichen Militärangehörigen dokumentieren. 37 Vergewaltigungen sind also eine besonders grausame Waffe, die nicht nur im Krieg eingesetzt wird. Sexuelle Übergriffe müssen aber nicht unbedingt explizit strategisch eingesetzt werden. So setzte die Rote Armee auf taktischer Ebene in Österreich Vergewaltigungen nicht als militärisches Mittel ein. Die Armeeführung versuchte mit Hilfe von Befehlen, Weisungen und konkreten Maßnahmen diese Übergriffe zu verhindern. 38 So ist den Truppen der 3. Ukrainischen Front vom Militärrat mitgeteilt worden: „Österreich ist das erste Land, das von den Nazis bereits im Jahre 1938 besetzt worden war und von den Faschisten in ein Bollwerk ihres Raubritterstaates verwandelt wurde. [...] Während ihr erbarmungslos mit den deutschen Unterjochern abrechnet - verschont dabei das friedliche österreichische Volk. Achtet die Lebensweise, die Familie, das Eigentum. Die ganze Welt soll nicht nur die alles besiegende Stärke der Roten Armee sehen, sondern auch den hohen Grad an Disziplin und Kultur ihrer Soldaten." 39 Stalin selbst reagierte in einem Gespräch mit Andrija Hebrang im Jänner 1945 sehr gereizt auf Kritik an Übergriffen sowjetischer Soldaten und bemerkte dazu: „Die Armee vergießt ihr Blut, und dann daran zu denken, was sie stiehlt, ist beleidigend für die Rote Armee. [...] Es gab einzelne Fälle, in denen unsere Soldaten schändlich gehandelt haben. Wir erschießen [sie] dafür." 40 Auch Milovan Djilas berichtet von einem Eklat gegenüber Stalin, weil Djilas die Übergriffe und Vergewaltigungen der Roten Armee in Jugoslawien angesprochen und verurteilt hatte. Stalin reagierte darauf wütend und emotionell. Er versuchte die Übergriffe mit den harten Kämpfen zu rechtfertigen. Auf erschreckend zynische Art und Weise relativiert er die Übergriffe als „Entspannung" für die Soldaten: „Weiß Djilas denn nicht [...], was menschliches Leid und wie das menschliche Herz ist? Kann er nicht verstehen, wenn sich ein Kämpfer, der durch Blut, 37

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Mörth, Schrei nach innen, S. 2 8 - 3 9 . Dies wird auch von Angela Koch betont, die sich in einem Aufsatz mit der Bedeutung und Begriffsgeschichte von Vergewaltigungen auseinander gesetzt hat: Angela Koch, Die Verletzung der Gemeinschaft. Zur Relation der Wort- und Ideengeschichte von „Vergewaltigung", in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften. 2 0 0 4 / 1 . S. 3 7 - 5 6 . Vgl. u. a.: 3. A u s der Mitteilung des Militärrates an die Truppen der III. Ukrainischen Front. 4. April 1945, in: Ministerstvo inostrannych del S S S R , S S S R - Avstrija 1 9 3 8 - 1 9 7 9 . Dokumenty i materialy. Moskau 1980, S. 16f.; RGVA, F. 3 2 9 1 7 , op. 1, d. 7, S. 96. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 117. C A M O , F. 243, op. 2922, d. 49, S. 1 6 8 - 1 7 7 . Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 59. C A M O , F. 148a, op. 3763, d. 212, S. lOf. Weiters hat auch das Sekretariat des ZK auf „Unzulänglichkeiten" in der Roten Armee reagiert und einen entsprechenden Beschluss zur „Besserung der politischen und kulturellen Arbeit unter den Kämpfern der Einheiten der Roten Armee, die sich im Ausland befinden", gefasst. RGASPI, F. 17, op. 116, d. 228, S. 12. Beschluss Nr. Ρ 228 (9) des Sekretariats des ZK v. 25.8.1945. Vgl. dazu auch den Beitrag von Barbara Stelzl-Marx. Freier und Befreier, in diesem Band. Aus dem Aufruf des Militärrates an die Truppen der 3. Ukrainischen Front v. 4.4.1945. Abgedruckt in: Ministerstvo inostrannych del S S S R (Hg.), S S S R - Avstrija 1 9 3 8 - 1 9 7 9 . Dokumenty i materialy. Moskau 1980, S. 16f., und Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 9. Zit. n.: Donal O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire". Die sowjetische Osteuropapolitik und die Reaktionen des Westens 1 9 3 9 - 1 9 4 9 . Paderborn - München - Wien - Zürich 2003, S. 277.

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Wolfram Dornik Feuer und Tod gegangen ist, mit einem Weib einen Spaß erlaubt oder eine Kleinigkeit mitgehen lässt?"41 Ähnlich argumentierte Stalin auch, als er auf Übergriffe in der Westslowakei angesprochen wurde.42 Von der Seite der Armeeführung wurde also versucht, Übergriffe gegen die Bevölkerung auf dem Gebiet von Österreich zu verhindern. Schließlich wussten die Sowjets sehr gut, dass die Übergriffe für die weitere Tätigkeit und das Vertrauen der Bevölkerung extrem negativ waren.43 Es stellt sich jedoch die Frage, ob hier im Vorfeld ein Verhalten provoziert worden war, das nun nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden konnte: Beispielsweise wurden die Soldaten der 1., 2. und 3. Weißrussischen Front von den Frontkriegsräten auf die Jänneroffensive 1945 vorbereitet. Dabei wurde in Tagesbefehlen und individuellen Gesprächen an die Rache- und Vergeltungsgefühle der Soldaten appelliert. So ist in einem Aufruf Georgij Zukovs und seines Kriegsrates an die Truppen der 1. Weißrussischen Front zu lesen: „Die Zeit ist gekommen, mit den deutsch-faschistischen Halunken abzurechnen. Groß und brennend ist unser Hass! Wir haben die Qualen und das Leid nicht vergessen, welche von den Hitlerschen Menschenfressern unserem Volk zugefügt wurden. Wir haben unsere niedergebrannten Dörfer nicht vergessen. Wir gedenken unserer Frauen und Kinder, die von den Deutschen zu Tode gequält wurden."44 In Einzelgesprächen mit den Soldaten wurde versucht, ihre Motivation zum Kämpfen zu steigern.45 Das Ergebnis war in den militärischen Erfolgen der Roten Armee genauso abzulesen, wie in der großen Anzahl von Plünderungen, Vergewaltigungen und Übergriffen gegen Zivilisten in Ostdeutschland.46 Bereits im April 1945 mahnten Iosif Stalin und Aleksej Antonov eine Besserung des Umgangs der Truppen mit der deutschen Bevölkerung und den Kriegsgefangenen ein. Man fürchtete vor allem verstärkte Widerstände aus der Bevölkerung.47 41 42 43

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Zit. n.: Milovan Djilas, Der Krieg der Partisanen. Memoiren 1941-1945. Wien - München - Zürich -Innsbruck 1977, S. 548. AVP RF, F. 0138, op. 26, p. 132, d. 8, S. 77f. AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 322, S. 19-26. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 67. RGASPI,F. 17, op. 128, d. 117, S. 199-201. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 127. Berichtsschreiben der Abteilung für Gegenaufklärung SMERS der 3. Ukrainischen Front an die Hauptverwaltung für Gegenaufklärung des Volkskommissariates für Verteidigung „Smers" über die Lage in Wien. CA FSB RF, F. 4, op 4, d. 1435, S. 9. Zit. n.: Manfred Zeidler, Die Rote Armee und die Besatzung Deutschlands östlich von Oder und Neiße 1944/45. Bonn - München 1996, S. 126. Zeidler, Die Rote Armee und die Besatzung Deutschlands, S. 125-134. Siehe dazu beispielsweise: Jan Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949. Struktur und Funktion. Berlin 1999, S. 60f. Norman N. Naimark, Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949. Berlin 1997, S. 91-180. Antony Beevor, Berlin 1945. Das Ende. München 2002, S. 444-449. Ingrid Schmidth-Harzbach, Das Vergewaltigungssyndrom. Massenvergewaltigungen im April und Mai 1945 in Berlin, in: Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Homung (Hg.), Wiederaufbau Weiblich. Dokumentation der Tagung „Frauen in der österreichischen und deutschen Nachkriegszeit". Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften. Bd. 23. Wien - Salzburg 1992, S. 181-198. Michail Semirjaga, Die Rote Armee in Deutschland im Jahre 1945, in: Peter Jahn - Reinhard Rürup (Hg.), Erobern und Vernichten. Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945. Essays. Berlin 1991, S. 200-210. CAMO, F. 148a, op. 3763, d. 212, S. 13. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 8.

Besatzungsalltag

in Wien

Ob Befehle, die auf die Vergeltungs- und Rachegefühle der Soldaten abzielten, auch für die 2. und 3. Ukrainische Front ausgegeben wurden, konnte nicht verifiziert werden. Auf Grund des Verhaltens der Truppen in Ungarn48 und Rumänien 49 ist aber zu vermuten, dass ähnliche Befehle auch hier galten. Fest steht jedoch, dass von der Armeeführung versucht wurde, noch vor Eintreffen der Truppen in Österreich, den Soldaten zu verdeutlichen, dass sie die österreichische Bevölkerung gut behandeln sollen. 50 Stalin selbst erteilte am 2. April 1945 einen Befehl an Tolbuchin und Malinovskij: „Den Streitkräften, die auf dem Gebiet Österreichs fungieren, sind Anweisungen zu geben, die Bevölkerung Österreichs nicht zu beleidigen, sich korrekt zu benehmen und Österreicher nicht mit deutschen Okkupanten zu vermischen." 5 ' Öffentlich versuchte die Rote Armee sich dem Thema Vergewaltigungen und Plünderungen zu entziehen. 52 Intern wurden jedoch Untersuchungen durchgeführt, die für die Verantwortlichen oft erschreckende Ergebnisse brachten.53 Wie Nikita Petrov in seinem Beitrag in diesem Band beschreibt 54 , waren die Inneren Truppen des N K V D / M V D in Österreich angehalten, gegen „verbrecherische Elemente (feindliche Agenten, Diversanten, Terroristen, Deserteure der Roten Armee und andere verbrecherische Kräfte)" rigoros vorzugehen. 55 Ganz offen wird in den Berichten von den Razzien durch Einheiten des N K V D im Mai 1945 von vergewaltigten Frauen, Alkoholzexzessen, Plünderungen und Schwarzmarkthandel „verbrecherischer Elemente" berichtet. Jedoch waren auch Soldaten der Inneren Truppen selbst an solchen Übergriffen beteiligt. 56 In einem Bericht der SMERS über die Lage im April 1945 in Wien wird beklagt, dass die Armee selbst über zu wenig Personal zum Schutz vor Plünderungen verfügte. 57 48

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Siehe dazu beispielsweise: Andrea Petö, Stimmen des Schweigens. Erinnerungen an Vergewaltigungen in den Hauptstädten des „ersten Opfers" (Wien) und des „letzten Verbündeten" Hitlers (Budapest) 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 47/47. 1999, S. 892-913. Peter Gosztony, Endkampf an der Donau 1944/45. Wien - München - Zürich 1969, S. 192-197. Siehe allgemein zum Thema Kriegsende in Europa: Ulrich Herbert - Axel Schildt (Hg.), Kriegsende in Europa. Vom Beginn des deutschen Machtzerfalls bis zur Stabilisierung der Nachkriegsordnung 1944—1948. Essen 1998. So werden beispielsweise in einem Befehl von Vasilevskij am 11. Juli 1944 eine Reihe von medizinischen Maßnahmen angeordnet, da eine sehr große Anzahl von Soldaten mit Geschlechtskrankheiten infiziert war. Es ist nicht davon auszugehen - wie im Befehl betont - , dass diese ausschließlich auf Grund schlechter hygienischer Zustände unter Prostituierten verursacht wurden. C A M O , F. 2, op. 795437, d. 12, S. 305. Mitteilungen des Militärrates an die Truppen der 3. Ukrainischen Front, S. 16f.; RGVA, F. 32917, op. 1, d. 7, S. 96. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 117. C A M O , F. 243, op. 2922, d. 49, S. 168-177. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 59. C A M O , F. 148a, op. 3763, d. 212, S. lOf. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 8. AVP RF, F. 66, op. 25, p. 119, d. 16, S. 23-25. AVP RF, F. 06, op. 7. p. 26, d. 322, S. 19-26. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 67. Vgl. den Beitrag von Nikita Petrov, Die Inneren Truppen des N K V D / M V D im System der sowjetischen Repressionsorgane in Österreich 1945-1946, in diesem Band. RGVA, F. 32900, op. 1, d. 216, S. 44. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 31. Vgl. den Beitrag von Nikita Petrov, Die Inneren Truppen des N K V D / M V D im System der sowjetischen Repressionsorgane in Österreich 1945-1946, in diesem Band. Vgl.: CA FSB RF, F. 4, op 4, d. 1435, S. 9.

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Wolfram Dornik Von offizieller österreichischer Seite wurde versucht, Vertreter der sowjetischen Truppen nicht konfrontativ auf das Thema anzusprechen, um Konflikte zu vermeiden. Die Deeskalation stand im Vordergrund: Vergewaltigungen und Plünderungen wurden mit dem Begriff der „Sicherheitsprobleme" umschrieben.58 Der provisorische Staatskanzler Karl Renner sprach Marschall Ivan Konev bei einer Besprechung auf dieses Thema vorsichtig an und versuchte, eine Besserung zu erreichen.59 Konev antwortete darauf mit den Worten: „Wir werden uns nicht rächen und haben auch nicht die Absicht dazu. Und obwohl Österreich am Krieg teilgenommen hat, sind wir weit davon entfernt, eine Politik der Rache auszuüben. Wir verstehen, im Bezug auf das österreichische Volk, die Nöte. Wir bitten darum, dass der Herr Premierminister und die Minister [Anm. d. Verf.: die Provisorische Regierung Renner] eine harte staatliche Linie im Sinne der Einführung einer Ordnung im gesamten Leben des Landes durchführen und sich nicht fürchten mögen. Zu jedem einzelnen Fall (Gewalttaten), Beschlagnahmungen werden entschlossene Maßnahmen zu deren Aufklärung gesetzt."60 Wie viele Frauen Opfer von Vergewaltigungen in Wien bzw. Ostösterreich wurden, ist unklar: Zahlen von Geschlechtskrankheiten (vor allem Gonorrhö, Syphilis)61 sind nur bedingt aussagekräftig, da diese auch aus freiwilligen sexuellen Beziehungen und den schlechten sanitären sowie gesundheitlichen Zuständen resultieren können. Ähnlich ist es mit offiziellen Zahlen von Schwangerschaftsabbrüchen in öffentlichen Krankenhäusern: Hier sind mehrere Faktoren zu beachten: Erstens konnten62 und wurden Vergewaltigungen und die daraus resultierenden Schwangerschaften bei den Behörden zur Anzeige gebracht; auch diese Zahlen können nur schwer Aufschluss über die Anzahl der Übergriffe geben, da viele Frauen versuchten, die Vergewaltigung aus Schutz oder Scham ihnen und der eigenen Familie gegenüber zu verschweigen. Es sind auch Fälle von Selbstmorden nach Übergriffen oder von Vätern bekannt, die ihre vergewaltigten Töchter töteten, um die „Schande" von der Familie abzuwenden.63 Der Rückschluss von Schwangerschaftsabbrüchen auf die verübten Vergewaltigungen ist auch aus folgendem 58

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Oliver Rathkolb, Besatzungspolitik und Besatzungsleben in Ostösterreich vom April bis August 1945, in: Manfried Rauchensteiner - Wolfgang Etschmann, (Hg.), Österreich 1945. Ein Ende und viele Anfänge. Graz - Wien - Köln 1997, S. 185-224, hier: S. 196-200. C A M O , F. 275, op. 353761, d. 1, S. 60. Renner berichtet davon auch im Ministerrat: Gertrude Enderle-Burcel - Rudolf Jeräbek - Leopold Kammerhofer (Hg.), Protokolle des Kabinettsrates 29. April 1945 bis 10. Juli 1945. Protokolle des Kabinettsrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945. Bd. 1. Horn - Wien 1995, S. 357-365. C A M O , F. 275, op. 353761, d. 1, S. 60. Petö, Stimmen des Schweigens, S. 892-913. Von der steirischen Landesregierung wurden Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt: StLA, BH Bruck, Gr. 12, K. 435, 1945. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 118. Für Wien konnte ein vergleichbarer Beleg bisher nicht gefunden werden. In folgendem Beitrag wird aber darauf verwiesen, dass in Wiener Krankenhäusern Plakate über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen informierten (ein Beleg dafür konnte im vorliegenden Aufsatz jedoch nicht gefunden werden, auch wurde in den Plakatsammlungen der ÖNB und der WStLD kein dementsprechendes Dokument gefunden): Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Vom „Dritten Reich" zur Zweiten Republik. Frauen im Wien der Nachkriegszeit, in: David F. Good - Margarete Grandner - Mary Jo Maynes (Hg.), Frauen in Österreich. Beiträge zu ihrer Situation im 19. und 20. Jahrhundert. Wien 1993, S. 226-246, hier: S. 231 f. Petö, Stimmen des Schweigens, S. 892-913.

Besatzungsalltag in Wien Grund zu relativieren: Manche Frauen nutzten die kurze Liberalisierung der Abtreibungen 1945 für einen Abbruch einer Schwangerschaft, die nicht aus einer Vergewaltigung resultierte. Dies begründet sich vor allem in massiven Zukunftsängsten und der misslichen Versorgungslage. Ein massiver Anstieg von Geschlechtskrankheiten wird in einem NKVD-Bericht an die Truppen der 3. Ukrainischen Front vom 10. Mai 1945 festgestellt: „Ungeachtet einer ganzen Reihe von Weisungen, Instruktionen und Rundschreiben und der Aufklärungsarbeit unter dem Mannschaftsstand unserer Truppen zur Vorbeugung von Geschlechtskrankheiten weisen diese Erkrankungen nach wie vor überhaus hohe Zahlen auf." Sie bemängelten, dass Befehle nicht eingehalten wurden, dass die prophylaktische Arbeit mangelhaft wäre und dass Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung nur unzulänglich umgesetzt wurden. Sie empfohlen 13 Maßnahmen, um dem Problem zu begegnen: Diese reichten von medizinischen und hygienischen Anweisungen (Untersuchungen, Aufklärung, Verteilung von Kondomen usw.) bis hin zu organisatorischen Schritten (Rügen und Haftstrafen für Nichtbefolgung). Besonders wurde daraufhingewiesen, dass der Mannschaftsstand in seiner Freizeit „sinnvoll und inhaltsreich" zu beschäftigen wäre, „um den Mannschaftsstand von der örtlichen Bevölkerung weg zu bringen, die oftmals Geschlechtskrankheiten überträgt". 64 Ein Anstieg der Zahlen von venösen Krankheiten geht auch aus dem Statistischen Jahrbuch der Stadt Wien hervor: Im Jahr 1945 wurden in Wien 2092 Geschlechtskranke registriert, 1946 sank die Zahl auf 1762, und 1947 waren es noch 1253. Die Zahlen für die Geburten ermöglichen keine klaren Rückschlüsse auf Vergewaltigungen: So wurden im Jänner 1945 1521 Geburten in den öffentlichen Krankenhäusern Wiens registriert; bis zum April 1945 sank diese Zahl auf den Tiefstwert von 616 und erholte sich nur sehr langsam im Laufe des Jahres auf einen Wert um 900 pro Monat; erst im Jahr 1946 stieg der Wert auf rund 1000 in den Monaten März bis Mai und erreichte mit Dezember 1946 seinen Höchstwert mit 1936.65 Offizielle Zahlen zu den Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr 1945 konnten nicht gefunden werden. 66 Während aus den Zahlen der Geschlechtskranken ein deutlicher Anstieg für das Jahr 1945 abzulesen ist, so sind jene der Geburten schwieriger zu deuten. Dabei müssen folgende Faktoren miteinbezogen werden: Erstens waren für das Ansteigen der Geburten nicht nur „vergewaltigende Soldaten" verantwortlich, sondern auch Liebesbeziehungen bzw. die Folgen von Prostitution; weiters kamen im Laufe des Jahres 1945 die ersten Kriegsheimkehrer vor allem aus westlichen Staaten nach Hause, was ebenfalls zur Be-

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RGVA, F. 3 2 9 0 4 , op. 1, d. 191, S. 8 4 - 8 6 . Zum Vergleich: 1954 insgesamt 11.216 Lebendgeburten in Wien; 2 0 0 3 insgesamt 16.486 Lebendgeburten in Wien. Dank an Frau Anita Höfner von der Statistik Austria für die Bereitstellung des Zahlenmaterials. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1 9 4 3 - 1 9 4 5 , Wien 1948, S. 89. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1 9 4 6 - 1 9 4 7 . Wien 1949, S. 35. In einer Enquete von Wiener Klinikvorständen, der Ärztekammer und Politikern im Juli 1945 stellten diese fest, dass Abtreibungen zwar nicht offiziell erlaubt werden können, „die Behörden aber nichts unternehmen würden." Siehe dazu: Baumgartner, Vergewaltigungen zwischen Mythos und Realität, S. 69.

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Wolfram Dornik lebung intimer Beziehungen beitrug; drittens war von Ende 1944 bis 1945 die medizinische Versorgung in Wien nahezu völlig zusammengebrochen, viele Kinder kamen nicht in öffentlichen Einrichtungen, sondern zu Hause zu Welt; viertens ist anzunehmen, dass Krieg, Zukunftsängste, Probleme bei der Essensbeschaffung oder der Organisation der wichtigsten Grundbedürfnisse (medizinische Versorgung, Wohnraum, soziale, individuelle und finanzielle Sicherheit usw.) temporär den Kinderwunsch drückten. Die Heimkehr der österreichischen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion im Laufe der Jahre beflügelte erst später die Geburtenstatistiken. Angaben über die Zahlen von Vergewaltigungen sind also mit besonderer Vorsicht zu behandeln. In einer Schätzung gibt Günter Bischof anhand von zeitgenössischem Zahlenmaterial 70.000 bis 100.000 Vergewaltigungen für Wien an.67 Marianne Baumgartner geht von zirka 240.000 Vergewaltigungen in Wien und Niederösterreich aus.68 Ein britischer Geheimdienstbericht vom August 1945 spricht von 200.000 vergewaltigten Frauen in Wien, von denen 28.000 in medizinischer Behandlung waren.69 Auch wenn die Zahlenangaben schwanken, wird die Dimension deutlich. Zu betonen ist in diesem Kontext, dass auch ehemalige Zwangsarbeiterinnen Opfer von Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten, aber auch Einheimischen, wurden. Die Mädchen wurden auf offener Straße oder in Repatriierungslagern vergewaltigt. Diese sind in den bisherigen Statistiken praktisch nicht erfasst, sondern nur über lebensgeschichtliche Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen bekannt.70 Die Angst vor der Roten Armee im Speziellen bzw. die „Gefahr aus dem Osten" im Allgemeinen wurde gegen Kriegsende von der NS-Propaganda verstärkt geschürt. Die Propaganda stützte sich dabei auf die schon lange tradierte NS-Ideologie gegenüber den Men67 68 69

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Günter Bischof, Austria in the First Cold War, 1945-55: The Leverage of the Weak. Cold War History Series. London - New York 1999, S. 33. Darin sind die Meldungen in den Beratungsstellen für Geschlechtskranke und eine Schätzung der Dunkelziffer integriert. Vgl.: Baumgartner, Vergewaltigungen zwischen Mythos und Realität, S. 64f. Siegfried Beer, Wien in der frühen Besatzungszeit. Erkundungen des US-Geheimdienstes OSS/SSU im Jahre 1945. Eine exemplarische Dokumentation, in: Studien zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Bd. 51. Wien 1995, S. 63. Dies wird in folgenden Arbeiten beschrieben: Peter Ruggenthaler, Ettendorf im Lavanttal. Eine kleine Kärntner Landgemeinde zur Zeit des Nationalsozialismus: Gesellschaftspolitische Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur 1938-1945, in: Harald Knoll - Peter Ruggenthaler - Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Konflikte und Kriege im 20. Jahrhundert. Aspekte ihrer Folgen. Graz - Wien - Klagenfurt 2002, S. 237-262, hier: S. 261f. Stefan Karner - Peter Ruggenthaler - Barbara Stelzl-Marx (Hg.), NS-Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie. Die Lapp-Finze AG in Kaisdorf bei Graz 1939 bis 1945. Graz 2004, S. 206-212. Dass dies kein österreichisches Spezifikum war, zeigen folgende Arbeiten: Pavel Polian, Deportiert nach Hause. Sowjetische Kriegsgefangene im „Dritten Reich" und ihre Repatriierung. Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 2. München - Wien 2001, S. 70f. Naimark, Russen in Deutschland, S. 91-180. Dazu ist ein umfangreicher Band erschienen, auf zwei Beiträge soll speziell verwiesen werden: Wolfram Wette, Das Russlandbild in der NS-Propaganda. Ein Problemaufriß, in: Hans-Erich Volkmann (Hg.), Das Russlandbild im Dritten Reich. Köln - Weimar - Wien 1994, S. 55-78. Hans-Erich Volkmann, Das Russlandbild in der Schule des Dritten Reiches, in: Hans-Erich Volkmann (Hg.), Das Russlandbild im Dritten Reich. Köln - Weimar - Wien 1994, S. 225-256. Außerdem folgender Aufsatz: Peter Jahn, „Russenfurcht" und Antibolschewismus: Zur Entstehung und Wirkung von Feindbildern, in: Peter Jahn - Reinhard Rürup (Hg.), Erobern und Vernichten. Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945. Essays. Berlin 1991, S. 47-64.

Besatzungsalltag in Wien sehen aus der UdSSR.71 Dies sollte die letzten Reserven in der Bevölkerung zur Abwehrder Roten Armee mobilisieren. Auf Grund dessen bestand in weiten Teilen der Bevölkerung eine grundsätzliche ablehnende Haltung gegenüber den Sowjets. Diese Haltung wurde durch die Vorfälle in Ostösterreich zu Kriegsende scheinbar bestätigt. In manchen Fällen wurden die Übergriffe noch von der NS-Propaganda ausgeschlachtet und übertrieben. Viele Plünderungen und Vergewaltigungen wurden pauschal sowjetischen Soldaten zugeschrieben, ohne zu differenzieren: Zum einen beteiligte sich die einheimische Bevölkerung an den Plünderungen und Übergriffen; weiters waren auch DPs und ehemalige Zwangsarbeiter auf Grund ihrer eigenen misslichen Lage an Gewaltakten beteiligt. Auch wurde die chaotische Lage von Einzelnen ausgenutzt, um Sühneakte zu begehen, „offene" Rechnungen zu begleichen. Wenngleich es bei Soldaten der Westalliierten zu Übergriffen kam, verankerte sich dies bedeutend weniger im kollektiven Gedächtnis. Eine „Zeitzeugin" aus Wien bringt die unterschiedliche Konnotation folgendermaßen auf den Punkt: „Aber eines ist schon klar, wenn etwas war, war es bei den Russen, ist es nachher gesprochen worden. Bei den Amerikanern hat man nicht so gesprochen, weil die haben ihnen eine Schokolade oder irgend etwas zu essen gegeben. Das hatten die Russen nicht. Also, da haben sie sich [...] weniger [...] darüber dann geäußert." 72 Auf der Seite der sowjetischen Truppen muss ein weiterer Aspekt mitbedacht werden: Viele Rotarmisten lebten unter nationalsozialistischer Besatzung. Das bedeutete in vielen Fällen: Vergewaltigungen durch Soldaten deutscher Einheiten; Verschleppungen von Verwandten und Freunden zur Zwangsarbeit in das NS-Reich; „Säuberung" ganzer Landstriche in Osteuropa durch NS-Behörden; die jüdische Bevölkerung Osteuropas wurde in Konzentrationslagern und durch Massenerschießungen getötet. 71 Dies führte bei vielen sowjetischen Soldaten zu Rache- und Vergeltungsgefühlen. Günter Bischof beschreibt dies so: „There can be little doubt that this campaign of revenge against Germany, ever since the Red Army entered East Prussia, was also practised in the Ostmark. The Red Army entering Austria was made up of many Ukrainians, one of the territories most brutally oppressed by the German occupation regime in the East. [...] They were outraged when they realized how well the Germans and Austrians lived. To these soldiers, who had seen nothing but blood and tears for years, the wealth of Vienna was striking: ,In no other conquered city did they find as many hoarded supplies and

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AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0293, Leopoldine Berger. Wien 26.11.2003. Jürgen Förster, Das nationalsozialistische Herrschaftssystem und der Krieg gegen die Sowjetunion, in: Peter Jahn - Reinhard Riirup (Hg.), Erobern und Vernichten. Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945. Essays. Berlin 1991, S. 28-46. Omer Bartov, Brutalität und Mentalität: Zum Verhalten deutscher Soldaten an der „Ostfront", in: Peter Jahn - Reinhard Rürup (Hg.), Erobern und Vernichten. Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945. Essays. Berlin 1991, S. 183-199. Semirjaga, Die Rote Armee in Deutschland, S. 200-210. Siehe dazu weiters die Literatur zur „Wehrmachtsausstellung": Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Ausstellungskatalog. Hamburg 1996, bzw. die überarbeitete Version: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.), Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944. Ausstellungskatalog. Hamburg 2002. Birgit Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt. Sexualverbrechen vor deutschen Militärgerichten 1939-1945. Paderborn 2004.

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Wolfram Dornik industrial assets'. In this sense the war of extermination between Germans and Russians was a class war."74 Resümierend kann zum Thema Übergriffe zu Kriegsende und während der Besatzungszeit nicht nur für Wien, sondern für ganz Österreich gesagt werden: Im kommunikativen Gedächtnis werden sowjetische Soldaten überwiegend negativ konnotiert. Dabei wird häufig vergessen, dass es auch zu positiven Erlebnissen, glücklichen Beziehungen bis hin zu tragischen Abschiedsszenen kam, als die sowjetischen Soldaten wieder abzogen.75 Ein differenzierteres Bild über die unterschiedlichen Beziehungen zwischen den sowjetischen Soldaten und der Wiener Bevölkerung soll nachstehende Zusammenfassung von Erzähltopoi geben. Erzähltopoi über sowjetische Soldaten und die Sowjetbesatzung in Wien Nicht nur in den Interviews mit „Zeitzeugen"76, auch in der Literatur77 sticht immer wieder ein Muster heraus: In den letzten Kriegstagen und der ersten Nachkriegszeit wurde - auf Grund der nicht vorhandenen Ordnungsmacht - die unmittelbare Umgebung zur zentralen Organisationseinheit: Die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Brennmaterial sowie Fragen der Sicherheit wurden von den Bewohnern eines Wohnhauses, Wohnhofes oder einer Straße gemeinsam koordiniert. Dadurch konnte zumindest provisorisch ein gewisser Grad von Sicherheit und Ausgleich geschaffen werden. In den Interviews wurden von den „Zeitzeugen" Erzähltopoi verwendet, die nicht nur von ihnen, sondern über die Zeit hinweg weitertradiert wurden. Der Topos der „Plünderungen" und „Vergewaltigungen" durch Soldaten der Roten Armee wurde bereits weiter oben ausführlich erwähnt.78 Nun sollen bisher ausgesparte Topoi aufgelistet werden: • „Wurmige Erbsen" und „Stalinspende": Die oben schon beschriebene extrem schwierige Situation in der Lebensmittelversorgung findet auch in den Erzählungen der „Zeitzeugen" ihren Niederschlag. Mit verschiedenen Spendenaktionen wurde versucht, das Nahrungsmittelproblem zu lösen. Dazu gehörte die Verteilung von Hülsenfrüchten, 74

Übersetzung aus dem Englischen: „Es bestehen kaum Zweifel darüber, dass dieser Rachefeldzug gegen Deutschland seit dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpreußen auch in der .Ostmark' geführt wurde. Den in Österreich einmarschierenden Truppen der Roten Armee gehörten viele Ukrainer an - Angehörige eines jener Länder, die vom deutschen Besatzungsregime im Osten am brutalsten unterdrückt wurden. [...] Sie waren empört, als sie feststellten, wie wohlhabend die Deutschen und Österreicher waren. Für diese Soldaten, die jahrelang nichts als Blut und Tränen gesehen hatten, war die Prosperität Wiens frappierend: In keiner anderen eroberten Stadt fanden sie eine derart große Zahl an gehorteten Vorräten und Industrieanlagen vor. In diesem Sinne war der Vernichtungskrieg zwischen Deutschen und Russen ein Klassenkampf." Bischof, Austria in the First Cold War, S. 32.

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Stelzl-Marx, „Russenkinder" und „Sowjetbräute", Stelz-Marx, Freier und Befreier, in diesem Band. Die Auswahl der Zeitzeugen erfolgte nach geschlechts- und altersspezifischen Gesichtspunkten sowie nach ihrem Wohnbezirk im Zeitraum 1945 bis 1955. Daneben sollte ein möglichst breites Spektrum an gesellschaftlichen Schichten abgedeckt werden: Künstler, Arbeiter, Angestellte, Intellektuelle, Hausfrauen. So können unterschiedliche politische Zugangsweisen widergespiegelt werden: Angepasste, kritische und desinteressierte Menschen. Hornung - Sturm, Stadtleben, S. 59. AdBIK, OHI, VD-0290, Smahel; AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0292, Edeltraud Friedrich. Wien 21.1.200; AdBIK, OHI, VD-0295, Loidolt; AdBIK, OHI, VD-0298, Gressenbauer.

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Besatzungsalltag in Wien die auf Grund der Situation in einem verhältnismäßig schlechten Zustand waren, trotzdem aber gerne angenommen wurden. Deshalb findet sich der Topos der „wurmigen Erbsen" bei vielen „Zeitzeugen" wieder.79 Dabei wird betont, dass die verdorbenen Lebensmittel nicht aus Bosheit der Bevölkerung gegeben wurden, sondern dass diese auch von den Soldaten der Roten Armee selbst gegessen wurden. 80 In dieser Zeit des allgemeinen Mangels und des Hungers waren sie überlebensnotwendig. Zu den Erbsen erzählt Edeltraud Friedrich Folgendes: „Erbsen mit Fleisch. Das war von den Russen. Das war aber gleich nach Kriegsende, wo das noch nicht so genau war mit den Zonen. Die russischen Erbsen. Hat man gleich das Fleisch dabeigehabt. Wenn man die eingewässert hat, dann sind oben die Würmer geschwommen. Da waren wir damals, ich kann mich erinnern, da haben wir aus Erbsen, wo ich gewohnt hab, die Bekannte, hat dann aus Erbsen Kaffee gemacht. Sie hat die Erbsen geröstet. Und das war dann der Kaffee. Hat nicht besonders geschmeckt. Aber es war warm. Und rein optisch ähnlich wie ein Kaffee ausgesehen." 8 ' • „Die kinderliebenden Russen": Ganz im Gegenteil zum negativen Image sowjetischer Soldaten auf Grund von Gewalttaten und Plünderungen 82 wird von „Zeitzeugen" immer wieder die Kinderliebe der Rotarmisten betont. Dieses Image wurde durch das Verhalten der Soldaten bestärkt: Sie ließen sich mit Kindern fotografieren, hielten sich häufig mit brutalem Verhalten vor den Augen von Kindern zurück, vermittelten an kranke Kinder medizinische Versorgung oder zusätzliche Lebensmittel. 83 Margarethe Gressenbauer gibt Einblicke in die Perspektive eines achtjährigen Kindes im Jahr 1945: „Und auf jeden Fall ist es mir hervorragend gegangen, einer dieser Offiziere [bei der „Zeitzeugin" waren mehrere sowjetische Soldaten und Offiziere einquartiert] hat mich auf den Schoss genommen und hat mit mir Gulasch gegessen. Es hat mir hervorragend geschmeckt. Und wir sind so durchgefüttert worden. Sie waren überhaupt zu mir als Kind, ganz, ganz anständig. Sie haben mich wirklich verwöhnt [...]. Mit mir sind sie dann spazieren gegangen, meine Mutter hat natürlich Todesängste ausgestanden. Sie sind mit mir nach Schönbrunn gegangen, wir sind in die Gloriette gegangen, das war mein schönster Spaziergang, weil ich hab gesagt, ich bin müde, und die haben mich getragen, das war mein schönster Spaziergang. Soll das einem Kind passieren, dass es auf die Gloriette getragen wird, das war großartig. [...] Einer dieser Soldaten hat im Krieg durch die Deutschen seine gesamte Familie verloren, und ich war eher ein ruhiges Kind, und er ist oft stundenlang mit mir an dem französischen Fenster gesessen und hat auf diesen Garten hinuntergeschaut, hat eigentlich eh nichts geredet, aber mir hat das irrsin-

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AdBIK, OHI, V D - 0 2 8 9 , Banner; AdBIK, OHI, V D - 0 2 9 0 , Smahel; AdBIK, Oral-History-Interview, V D - 0 2 9 4 , Edith Gebauer. Wien 25.11.2003; AdBIK, Oral-History-Interview, V D - 0 2 9 7 , Dr. Franz Dostal. Wien 9.12.2003. AdBIK, OHI, V D - 0 2 9 4 , Gebauer. AdBIK, OHI, V D - 0 2 9 2 , Friedrich. Es sind aber auch einzelne Übergriffe auf Kinder dokumentiert. Siehe dazu: Bischof, Austria in the First Cold War, S. 32. Baumgartner, Vergewaltigungen zwischen Mythos und Realität, S. 67. AdBIK, OHI, V D - 0 2 9 0 , Smahel; AdBIK, Oral-History-Interview, V D - 0 2 9 6 , Herbert Kellner. Wien 10.12.2003; AdBIK, OHI, V D - 0 2 9 8 , Gressenbauer.

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Wolfram Dornik nig gefallen, mein Vater war eh nicht da [...] also, dass sich einer um mich gekümmert hat und sich mit mir beschäftigt hat."84 • „Die kunstbegeisterten Russen": Viele „Zeitzeugen" berichten in ihren Erzählungen über sowjetische Soldaten, die musizierten oder an Kulturveranstaltungen mit Begeisterung teilnahmen.85 „Es kam natürlich auch der 1. Mai. Meine Mutter spielte sehr gut Klavier, meine Mutter spielte sehr gut Geige, was den Russen sehr viel Freud bereitet hat. Ich kann mich noch erinnern, sie haben auf diesem, dieses Hornyphongerät hatte oben diesen großen Kasten und da waren diese Schellacks von all den Berühmtheiten, und da wurde am Abend oft Musik gemacht. Und auch diese Offiziere konnten Klavierspielen und sie konnten auch Geige spielen. Und das hat ihnen aber auch Freude gemacht. Und meine Mutter hatte ihnen am 1. Mai, da war unten so ein großer Salon mit einer Kuppel und da haben sie gefeiert den 1. Mai, das war sehr wichtig für sie natürlich, und meine Mutter hat ihnen da aufgespielt. Und ich saß also da und ich saß daneben und ich war bestimmt auch das kindliche Schutzschild, aber es hat nie Schwierigkeiten gegeben, es hat nie Probleme gegeben."86 Dieses Bild wird auch von den Soldaten selbst gepflegt. Viele Rotarmisten nutzten ihren Aufenthalt für kulturelle Aktivitäten. Sie besuchten die Denkmäler und Gräber von berühmten Musikern oder Dichtern, gingen zu Kulturveranstaltungen, die auch von der Roten Armee selbst organisiert wurden, oder besuchten Ausstellungen.87 • „Der (Uhren) stehlende Russe": Der Topos der Uhren stehlenden Russen ist sehr weit verbreitet und tief verhaftet. Bereits bei der Eroberung Polens nach dem HitlerStalin-Pakt 1939 fällt einem „Zeitzeugen" auf: „Die ersten Kontakte mit den russischen Soldaten waren merkwürdig und unangenehm. Wir dachten, jeder Soldat sei ein Kommunist und für uns stand damit fest, jeder müsste glücklich sein. Doch ihr Verhalten war seltsam [...]. Sie kümmerten sich nur um materielle Dinge - Uhren, Kleidung."88 1945 bemühten sich die Wiener, diesem vorauseilenden Ruf der sowjetischen Soldaten zu begegnen, indem sie ihre Wertgegenstände (Uhren, Schmuck, Kleidung, Möbel usw.) noch vor Eintreffen der Front versteckten. Diese Versuche waren zwar nicht immer fruchtbar, konnten aber in einigen Fällen von Erfolg gekrönt sein.89 Hans Banner aus Wien berichtet über einen Vorfall zu diesem Thema: „Der erste sowjetische Soldat, der mir näher getreten ist mit gezogener Pistole, wollte meine Uhr haben. Aber vorsorglich haben wir keine Uhren mehr getragen. Das hat mein Vater mir gesagt. Wenn eine Armee kommt, die wollen immer die Uhren. Er war im Ersten Weltkrieg und auch im Zweiten. Er hat die Uhren immer um die Knöchel getragen, und ich hab sie zu Hause gelassen. Ich hab dann dem gezeigt: Nix da. Und dann ist er gegangen."90

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AdBIK, OHI, VD-0298, Gressenbauer. AdBIK, OHI, VD-0289, Banner; AdBIK, OHI, VD-0297, Dostal; AdBIK, OHI, VD-0298, Gressenbauer. AdBIK, OHI, VD-0298, Gressenbauer. Erich Klein (Hg.), Die Russen in Wien. Die Befreiung Österreichs. Wien 1945. Wien 1995. Zit. n.: O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 11. AdBIK, OHI, VD-0295, Loidolt. AdBIK, OHI, VD-0289, Banner.

Besatzungsalltag in Wien In diesem Zusammenhang wurde in den letzten Tagen vor der Nationalratswahl im November 1945 im 3. Wiener Bezirk ein Flugblatt plakatiert, das auf den Uhrendiebstahl durch Rotarmisten hinweist: „Wenn du noch eine Armbanduhr hast und willst, dass sie gestohlen wird, kannst du für die Kommunisten stimmen." 91 Die Verfasser des Flugblattes verweisen damit auf die in der öffentlichen Rezeption wahrgenommene enge Verbindung der KPÖ zur Sowjetunion.

Schlussbemerkungen Das Bild der sowjetischen Soldaten ist in der Wiener bzw. österreichischen Öffentlichkeit äußerst unterschiedlich geprägt. Neben den Bildern vom raubenden und vergewaltigenden Rotarmisten stehen auch jene vom sowjetischen Soldaten, der sich um die Kinder besonders kümmert, Kulturbegeisterung und gutes Benehmen zeigt. Auch die Befreiung vom Nationalsozialismus ist ein positiver Punkt, der aber zugunsten der negativen Erlebnisse vielfach in den Hintergrund gedrängt wird. Es dominiert in weiten Teilen der Öffentlichkeit das Negative über dem Positiven. Die alliierten Soldaten im Allgemeinen treten aus dem Alltag der Menschen ab den späten 1940er Jahren zunehmend zurück. - Mit dem Zweiten Kontrollabkommen wurde den österreichischen Behörden und der Verwaltung ein Großteil der Unabhängigkeit übergeben, auch wenn das letzte Stück (der Staatsvertrag) noch fehlte. Die Auseinandersetzungen zwischen den Alliierten werden in den jeweiligen Institutionen, beispielsweise im Alliierten Rat, und den Propagandaabteilungen ausgetragen. Trotzdem bilden die „Vier im Jeep" bis heute das Symbol für das einmütige Verhältnis zwischen den vier Besatzungsmächten, während in weiten Teilen der Welt der Kalte Krieg erstmals heiß wird (Korea-Krieg, Berlin-Krise ...). Im Alltag wurden die Soldaten immer mehr zur Normalität, ihre Präsenz war nichts Besonderes mehr. Eine „Zeitzeugin" formulierte dies so: „Ich meine, sie waren ein Faktum, sie waren ein Faktum. Ich glaube der Mensch ist ziemlich anpassungsfähig. [...] Das war eben so."92 Beendet wurde dieses „Faktum" durch die Unterzeichnung des Staatsvertrages im Mai 1955. Dieser wurde mit nahezu frenetischer Begeisterung und Tänzen auf der Ringstraße von den Wienern gefeiert - ein Symbol dafür, dass die Menschen über die Beendigung der alliierten Präsenz in Wien und in Österreich erleichtert waren.

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CA FSB RF, F. 135,op. l , d . 1, S. 308. Berichtsschreiben des Assistenten des Leiters der Abteilung für Gegenaufklärung des Volkskommissariates für Verteidigung SMERS an den Leiter der Abteilung für Gegenaufklärung des Volkskommissariates für Verteidigung SMERS über die Wahlen der Regierung Österreichs. AdBIK, OHI, VD-0298, Gressenbauer.

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Klaus-Dieter Mulley

Die Rote Armee in Niederösterreich 1945-1947 Ein ambivalentes Geschichtsbild

Über Jahrzehnte hinweg war die Erinnerung an die sowjetische Befreiung Niederösterreichs und die nachfolgende Besatzungszeit bis 1955 von zumindest zwei Geschichtsbildern beherrscht. 1 Zum einen von jenem, das den Sowjets einen maßgeblichen Anteil am Wiederaufbau der Verwaltung unter österreichischer Leitung zusprach und die Übergriffe von Teilen der Roten Armee marginalisierte, zumindest aber negierte. 2 Zum anderen vom Gedächtnis der die Besatzungszeit Miterlebenden, dem allerdings lange Zeit kein Platz in der veröffentlichten Geschichte gegeben wurde. 3 Dieses zweite Geschichtsbild war beherrscht von Requirierungen, Diebstählen, willkürlichen Haus- und Hofbesetzungen, von Mord und Vergewaltigungen. In den zahlreichen, meist kleinen und kurzen Erzählungen von Betroffenen kamen die schier unvorstellbaren Ängste vor der sowjetischen Besatzungsmacht zum Ausdruck, die zumindest für die ersten zwei bis drei Jahre das Leben der Menschen in Niederösterreich geprägt hatten. Wie sehr die Besatzungszeit die Menschen noch Jahrzehnte später gleichsam traumatisch begleitete, musste der Verfasser 1988 in einem Ort im östlichen Niederösterreich (mit-)erleben, als in einer Runde interessierter Laienhistoriker über den Beitrag der Roten Armee zur Befreiung des Landes diskutiert wurde. Eine Frau bestritt energisch den Terminus „Befreier", brach plötzlich in Tränen aus und verließ den Saal. Ein Mann wiederum erzählte die Geschichte von einem kommunistischen Widerstandskämpfer, der von Soldaten der Roten Armee erschossen wurde, als er diesen voll Stolz ein Stalin-

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Zur Genese der Historiographie über die sowjetische Besatzungsmacht vgl. Wolfgang Mueller, Die sowjetische Besatzungsmacht in Österreich 1945-1955. Forschungsstand, Quellenlage und Fragestellungen, in: Zeitgeschichte. 2001/2, S. 114-129. Vgl. etwa den Katalog zur Ausstellung im Jahr 1975: Nö. Landesregierung (Hg.), Die Stunde Null. Ausstellungskatalog. Wien 1975. Vgl. dazu Josef Prinz, „Befreit sind wir worden, von den Pferden, Kühen und unserem Hab und Gut." Alltagserfahrungen 1945 in der Retrospektive, in: Emst Bezemek - Josef Prinz (Hg.), Der Bezirk Gänserndorf 1945. Begleitband zur Ausstellung im Schloss Jedenspeigen. 13. Mai bis 26. Oktober 1995. Jedenspeigen 1995, S. 137-164, sowie Marianne Baumgartner, „Jo, des waren halt schlechte Zeiten ..." Das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit in den lebensgeschichtlichen Erzählungen von Frauen aus dem Mostviertel. Frankfurt a. M. 1994.

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bild zeigte. Wie immer es gewesen sein mag, die Erinnerung an den Einmarsch und die ersten Monate und vielleicht ein bis zwei Jahre unter sowjetischer Besatzung im Lande korrespondiert nicht mit dem unbestreitbaren Beitrag der Roten Armee zur Wiedererrichtung eines demokratischen Österreich und ihrer maßgeblichen Hilfe und Unterstützung zum Aufbau einer funktionierenden Administration. Im Folgenden wird an Hand von Berichten aus Niederösterreich versucht, jene Ambivalenz zwischen spontanem, unkontrolliertem Handeln, (meist) auf unterster Ebene, und politischer Absicht der Führung der Roten Armee aufzuzeigen. 4 Am Beispiel weniger, aber prägnanter Zitate aus den Berichten der österreichischen Administration und aus den Erinnerungen von Zeitzeugen wird denn auch versucht, ein - sicherlich noch vielfach unvollständiges - Bild des „Alltags" unter und mit der Roten Armee in Niederösterreich zu zeichnen.

Tage und Wochen der Befreiung Als Ende März 1945 Soldaten der Roten Armee die österreichische Grenze überschritten und sich bis Anfang Mai gegen den hinhaltenden Widerstand von Verbänden der Waffen-SS und vereinzelter fanatischer Volkssturmbataillone bis an die Enns vorkämpften, wurden sie mit einer politisch-emotional zutiefst gespaltenen Bevölkerung konfrontiert: Während fanatisierte, sich um den „Endsieg" geprellt fühlende niederösterreichische Nationalsozialisten in vielen Orten Massaker an Tausenden, meist ungarischen Juden verübten 5 , Brücken und Verkehrswege gesprengt und Standgerichtsurteile an Deserteuren ohne Rücksicht auf das längst vollzogene „Ende des tausendjährigen Reiches" exekutiert wurden, Angstparolen über die nun angeblich hereinbrechenden „asiatischen Horden" die Bevölkerung verunsicherten, organisierten sich in manchen Orten gleichsam in letzter Minute Widerstandsgruppierungen und suchten unter Einsatz ihres Lebens willkürliche Zerstörungen durch die abziehenden deutschen Truppenverbände zu verhindern. Die Soldaten der Roten Armee erlebten Niederösterreicher, die sich ihnen schlecht bewaffnet und militärisch kaum ausgebildet entgegenstellten, ebenso wie beflaggte Ortschaften oder einzelne Männer, die ihnen mit weißen Fahnen in der Hand entgegenkamen und sie als Befreier vom „Nazijoch" begrüßten. 6

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Vgl. dazu Klaus-Dieter Mulley, Befreiung und Besatzung. Aspekte sowjetischer Besatzung in Niederösterreich 1945-1948, in: Alfred Ableitinger - Siegfried Beer - Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955. Wien - Köln - Graz 1998, S. 361-400. Szabolcz Szita, Verschleppt, Verhungert, Vernichtet. Die Deportation von ungarischen Juden auf das Gebiet des annektierten Osterreich 1944-45. Wien 1999; Hinweise auch in Klaus-Dieter Mulley, Zum NS-Lagersystem im Reichsgau Niederdonau 1938-1945. Regionalgeschichtliche Annäherungen, in: Ralph Gabriel u. a. (Hg.), Lagersystem und Repräsentation. Interdisziplinäre Studien zur Geschichte der Konzentrationslager. Tübingen 2004, S. 71-86. Eine detailreiche Zusammenfassung vielfach auf Grund von Gemeinde- und Pfarrchroniken bietet Josef Buchinger, Das Ende des 1000-jährigen Reiches. Dokumentation über das Kriegsgeschehen in der Heimat. Wien 1972.

Die Rote Armee in Niederösterreich Während die erste Welle der gegen Westen vorrückenden Sowjets in den einzelnen Gemeinden nur kurz verweilte, nach versprengten deutschen Soldaten und nach Waffen suchte und weiterzog, nahm der nachfolgende „Tross" meist vorübergehend Quartier: „Die ersten [Russen], die waren irgendwie noch human, da hat man halt müssen hinausgehen [...] und die haben halt geschaut, ob man Waffen bei sich hat, [...] na und dann ist es Abend geworden und dann ist der Nachschub gekommen und dann war das Arge." 7 Große Teile der Bevölkerung hatten sich während der Kampfhandlungen bzw. des nachfolgenden Einmarsches der Roten Armee in Häusern, Weinkellern oder in den umliegenden Feldern versteckt gehalten. Vielfach im Glauben, dass nun die Kampfhandlungen vorbei seien und nach Informationen, dass die Soldaten ohnehin von der Zivilbevölkerung kaum Notiz genommen hätten, wagten sich viele nach Abzug der kämpfenden Truppen in ihre Wohnungen, ohne an die ankommenden sowjetischen Versorgungseinheiten zu denken. Kaum hatten diese Quartier bezogen, streiften Gruppen von Soldaten durch die Straßen und Gassen, plünderten wahllos Häuser, brachen in Weinkeller ein und nahmen sich jede Frau, der sie habhaft werden konnten: „Grauenvoll war das. Da haben sich unvorstellbare Szenen abgespielt. Auf Frauen und Mädchen haben die eine richtige Jagd gemacht, wie die wilden Tiere haben sie sich aufgeführt" 8, wurde aus dem östlichen Weinviertel berichtet, was auch durch zahlreiche Berichte aus dem damals zum Reichsgau „Niederdonau" gehörenden Teil des Burgenlandes bestätigt wird. Einem Bericht aus dem Bezirk Bruck an der Leitha ist etwa - um nur ein Beispiel anzuführen - zu entnehmen, dass noch am 4. September 1945 „auf der Bundesstraße Hainburg - Wolfsthal drei Frauen von etwa einem Dutzend russischer Soldaten überfallen, zum Teil ausgeraubt, sodann auf die angrenzenden Felder verschleppt [wurden], wo sämtliche Frauen von mehreren, eine von ihnen allein durch sieben russische Soldaten vergewaltigt wurden". 9 Wenn auch keine exakten Zahlen vorliegen, da die überwiegende Anzahl der sexuellen Übergriffe von Angehörigen der Roten Armee aus Scham nicht gemeldet wurde, kann durchaus davon ausgegangen werden, dass in manchen Gemeinden bis zu 60 Prozent der weiblichen Bevölkerung jeglichen Alters Opfer von Vergewaltigungen wurden. Festzustellen ist jedoch auch, dass zum einen die Anzahl der spontanen Übergriffe auf Leib und Leben - je weiter die Rote Armee nach Westen vorstieß - abnahm und zum anderen, dass sie ab Kriegsende sukzessive zurückgingen. Dies lässt darauf schließen, dass die Armeeführungen vom unkontrollierten Verhalten ihrer Mannschaften überrascht wurden und es ihr erst langsam gelang, die zahlreichen übers Land verteilten Verbände disziplinarisch in den Griff zu bekommen. Es wurde denn auch berichtet, dass immer dann, wenn ein Wechsel der Truppenverbände vorgenommen wurde, die Übergriffe in den ersten Tagen der Quartiernahme enorm anstiegen, um kurz darauf wieder abzunehmen.

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Zit. n. Prinz, Alltagserfahrungen 1945, S. 148. Zit. n. ebd., S. 150. NÖLA, Nachlass, Vanura. Denkschrift über die Verhältnisse im Lande Niederösterreich in den Monaten Juli, August und September 1945, S. 27.

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Klaus-Dieter Mulley Neben sexuellen Übergriffen standen in der ersten Zeit der Besatzung scheinbar wahllose Tötungen von Ortsbewohnern an der Tagesordnung, soweit sich diese - und sei es nur durch eine Geste - den Anweisungen von Angehörigen der Roten Armee widersetzten. Eine abweisende Handbewegung, ein ausgesprochenes „Nein!" konnte zur sofortigen Erschießung führen, wobei diese aber meist von einzelnen Soldaten spontan und ohne Billigung ihrer Vorgesetzten vorgenommen wurde. Die Weigerung, Wertgegenstände oder Hausrat auszufolgen oder eine Durchsuchung zuzulassen, wurde auch mitunter mit dem Gebrauch der Schusswaffe beantwortet. Aus Horn wurde etwa berichtet: „In den ersten Tagen nach dem Einmarsch der Roten Armee war die Stadt der Soldateska schutzlos preisgegeben: den Passanten wurden auf offener Straße Uhren und Ringe abgenommen; in den Wohnungen suchten die Soldaten angeblich nach Waffen, nahmen aber bei der Gelegenheit Schmuck, Fotoapparate, Wäsche und Kleidungsstücke mit; die Geschäfte wurden unter der Führung polnischer Arbeiter und dunkler einheimischer Elemente regelrecht geplündert - jeder nahm ungestraft, was ihm verlockend erschien.'" 0 In allen Berichten jener Zeit wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass es in jenen ersten Wochen und mancherorts auch Monaten völliger Gesetzlosigkeit einheimische Banden, in einem größeren Ausmaß aber befreite Kriegsgefangene, Zwangarbeiter und im Weinviertel auch „slowakische Banden" waren, die immer wieder kleinere Gemeinden raubend und plündernd heimsuchten. Vielfach machten sich diese die Angst der Bevölkerung vor den sowjetischen Soldaten zu eigen und tarnten sich mit Uniformstücken der Roten Armee: „Die haben zwar russische Uniformen angehabt, aber ich hab slowakisch können und hab genau gewusst, dass des Slowaken waren. Die haben jedes Haus hier gekannt und alles gestohlen, [...] das Bienenhaus haben s' sogar ausgeraubt, nachdem sie den Honig heraußen gehabt haben, dieses Gesindel."11 Insofern wäre es falsch, wie vielfach geschehen, alle Übergriffe in der damaligen Zeit der Roten Armee anzulasten. Vielfach nachvollziehbar, da für die Versorgung der Armee notwendig, sind die zahlreichen Requirierungen, der Abtransport von Lebensmittelvorräten und der Viehdiebstahl. Darüber hinaus waren bei den Soldaten der Roten Armee - abgesehen von den für Offiziere und Kommandanturen requirierten Motorrädern und Autos - Fahrräder sehr begehrt, was vielerorts zu grotesken Szenen Anlass gab, da die Soldaten damit erst umzugehen lernen mussten.12 Meist bereits in der ersten Phase des Einmarsches von Angehörigen der Roten Armee, manchmal mit dem Eintreffen der Versorgungsverbände, spätestens jedoch mit der Errichtung von Ortskommandanturen Mitte Mai 1945 wurden von den Sowjets meist jene österreichischen Ortsbewohner, die ihnen zu Verhandlungen entgegentraten, als „Bürgermeister" bestätigt. In anderen Fällen wurden Männer willkürlich und unab-

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Bericht von Friedrich Süßmann. Zit. n. Maria Mayr, Das Jahr 1945 im Bezirk Horn. Schriftenreihe des Waldviertier Heimatbundes. Bd. 31. Horn - Waidhofen a. d. Thaya 1994, S. 90f. Zit. nach: Prinz, Alltagserfahrungen 1945, S. 153. Mayer, Das Jahr 1945 in Horn, S. 92.

Die Rote Armee in Niederösterreich hängig von ihrer politischen Ausrichtung als Gemeindevorsteher eingesetzt. 13 Wiewohl diese anfangs völlig vom Gutdünken der jeweiligen Kommandanten der Roten Armee abhängig waren, unterstützten die Sowjets den Aufbau einer österreichischen Gemeindeverwaltung.

Die Sowjetische Kontrollkommission für Niederösterreich Während noch in großen Teilen Niederösterreichs gekämpft wurde, führten am 17. und 18. April 1945 Leopold Figl und Oskar Helmer im Hotel Imperial Gespräche mit der sowjetischen Zentralkommandantur. 14 Bereits im Rahmen dieser Unterredungen wurde den beiden Altpolitikern bedeutet, dass sich die Sowjets nicht in den Wiederaufbau der Landesverwaltung einmischen würden. Sie stellten jedoch die Bedingung, dass ein Vertreter der KPÖ - es war dies Otto Mödlagl - beizuziehen wäre. Zur Kontrolle beanspruchten die Sowjets Räume im niederösterreichischen Landhaus, wo ein Teil der Sowjetischen Kontrollkommission als Überwachungsorgan residieren sollte. Leiter der Sowjetischen Kontrollkommission war Oberst Petr Kostkin, sein Stellvertreter Oberstleutnant Aleksej Zabaznov. Kommandant der in Niederösterreich stationierten Truppen, dessen Hauptquartier in Baden bei Wien bezogen wurde, war Major Permjakov. Nach Versetzung von Kostkin und Zabaznov nach Baden übernahm Oberst Sel'kovnikov die Leitung der im niederösterreichischen Landhaus situierten Sowjetische Kontrollkommission. Landesamtsdirektor Hans Vanura wurde von Figl und Helmer zum „Beauftragten der niederösterreichischen Landesregierung zur sowjetischen Kontrollkommission" bestimmt. In der Praxis hieß dies, dass er alle Anregungen, Beschwerden und Wünsche mit den Sowjets zu besprechen hatte, was insofern eine schwierige Aufgabe darstellte, als einerseits die sowjetischen Verbände im Lande sowie die sukzessive errichteten Ortskommandanturen eigenmächtig vorgingen und sich nicht immer nach den Vorstellungen ihrer Leitungsorgane verhielten. Andererseits hinterfragte die sowjetische Kontrollkommission immer wieder diverse administrative Maßnahmen der Niederösterreicher, machte ihrerseits auf Defizite im Vollzug aufmerksam und forderte detaillierte Berichte und Statistiken, etwa über den Fortschritt im Bereich der Entnazifizierung, ein. Für die österreichische Administration war es anfangs nicht sehr leicht, das Dickicht der sowjetischen Befehlsstellen zu durchschauen. Denn neben der zivilen sowjetischen Kontrollkommission bezog die militärische Landeskommandantur für Niederösterreich in Räumlichkeiten der Landesregierung in der Wallnerstrasse Quartier. Zwischen dieser Kommandantur und der Kontrollkommission kam es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten, was die Arbeit der österreichischen Verwaltungsbeamten nicht gerade erleichterte. 13

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Vgl. Klaus-Dieter Mulley, Grauen des „Alltags". Eindrücke aus dem Bezirk Gänserndorf 1945, in: Ernst Bezemek - Josef Prinz, Der Bezirk Gänserndorf 1945. Begleitband zur Ausstellung im Schloss Jedenspeigen. 13. Mai bis 26. Oktober 1995. Jedenspeigen 1995, S. 99-118, hier: S. 110. NÖLA, Nachlass Vanura. Hans Vanura, „Bauen Sie die Verwaltung wieder auf." Maschinschr. Manuskript.

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Klaus-Dieter Mulley Wiederholt mussten langwierige Verhandlungen mit beiden Befehlsstellen geführt werden. Dazu kam, dass die Sowjets den Maßnahmen und Interventionen der Österreicher mit durchaus verständlichem Misstrauen begegneten, was in manchen Fällen zu willkürlichen Inhaftierungen und Verschleppungen führte. Als etwa der neu ernannte Sicherheitsdirektor von Niederösterreich, Dr. Franz Baier, auf Befehl des Landeskommandanten eine kommunistische Versammlung verbot, wurde ihm wenig später diese Maßnahme als ungerechtfertigte eigenmächtige Anordnung vorgeworfen. Baier wurde daraufhin am 26. Oktober 1946 von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet und am 14. November 1946 durch die Garnison Wien zu drei Jahren Haft nach Artikel 58-14 (gegenrevolutionäre Sabotage) bedingt verurteilt. Am 23. Dezember 1946 wurde Baier entlassen.15 Landesamtsdirektor Hans Vanura, dem auch die Intervention für einen von den Sowjets inhaftierten Beamten vorgeworfen wurde, entging damals nur knapp seiner Verhaftung.16 Ähnlich erging es Vanura, als er die Absetzung eines Bezirkshauptmannes forderte, der sich - offensichtlich mit Billigung der Sowjets - diesen Posten willkürlich angeeignet hatte. Franz Starka war Kanzleibeamter, Nichtakademiker und hatte sich bei Kriegsende zum Bezirkshauptmann von Lilienfeld gemacht. Nachdem die Leitung der Bezirksverwaltungsbehörden mit Akademikern zu besetzen waren, versuchte Vanura den Mann, der übrigens einige kleinere Vorstrafen hatte, auszutauschen. Die sowjetische Kontrollkommission verbot die Absetzung, da - wie auch aus Berichten der BH Lilienfeld hervorgeht17 - ein sehr gutes „freundschaftliches" Verhältnis zwischen dem Amtsleiter und der sowjetischen Kommandantur herrschte. Die Kontrollkommission verlangte darüber hinaus die Personalakten aller durch die Landesregierung bestellten Bezirkshauptleute. Als ihnen die Herausgabe dieser verwehrt wurde, sprachen sie die Verhaftung Vanuras aus, der nur mit Mühe aus dem Landhaus entkommen konnte und Bundeskanzler Leopold Figl informierte. Zu der kurz darauf stattfindenden Konferenz der Landesamtsdirektoren in Linz fuhr er mit einem falschen Identitätsausweis. Tage später war von Seiten der Kontrollkommission, deren stellvertretender Leiter in der Zwischenzeit nach Moskau gefahren war, keine Rede mehr von der Verhaftung des Beamten. Im Gegenteil, die Absetzung des Lilienfelder Bezirkshauptmannes wurde schließlich genehmigt.18 Ehemalige Zwangsarbeiter und Flüchtlinge In der Tat stellte die große Anzahl von ehemaligen Zwangsarbeitern ein schier unüberwindliches sicherheitspolitisches und ernährungstechnisches Problem dar.19 Noch im August 1945 befanden sich rund 100.000 ausländische Arbeitskräfte in Niederös15

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AdBIK, Datenbank österreichischer Zivilverurteilter in der UdSSR. Zu den Verhaftungen durch die sowjetische Besatzungsmacht vgl. den Beitrag von Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band. NÖLA Nachlass Vanura. Vanura, Verwaltung, S. 8f. NÖLA, L. A. 1/2. Monatssituationsbericht der BH Lilienfeld v. 4.2.1946. NÖLA Nachlass Vanura. Vanura, Verwaltung, S. lOf. NÖLA, Nachlass Vanura. Denkschrift über die Verhältnisse im Lande Niederösterreich in den Monaten Juli, August und September 1945, S. 10.

Die Rote Armee in Niederösterreich terreich. Sie wurden in Sammellagern untergebracht und konnten nur mit dem Notwendigsten versorgt werden. Dies wiederum führte dazu, dass insbesondere in den Verwaltungsbezirken Melk, Gmünd, St. Pölten, Wiener Neustadt, Bruck an der Leitha, Eisenstadt und Mattersburg die Gemeinden von Plünderungen und Gewalttaten der Zwangsarbeiter heimgesucht wurden. Die Repräsentanten der Roten Armee waren bemüht, die schwierigen sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Bedingungen zusammen mit der niederösterreichischen Administration zu verbessern. In der Denkschrift der Landesamtsdirektion vom Herbst 1945 wurde denn auch anerkennend festgestellt: „Den intensiven Bemühungen des Verbindungsoffiziers des Herrn Marschalls Konjev bei der Landeshauptmannschaft Niederösterreich, den Herren Oberst Kostin [Kostkin], Oberstlt. Sabasnow und Lt. Schapiro, gelang es in vielen Fällen, Aufklärung von Straftaten und Erleichterungen der bestehenden Situation herbeizuführen; es ist ihnen vor allem zu verdanken, dass die ersten Ostarbeitertransporte aus Bruck a. d. Leitha abgingen, wobei die Zusicherung gegeben wurde, für einen laufenden Abtransport aus allen Lagern zu sorgen."20 Ergänzend zu diesen in Lagern untergebrachten, aber nächtens die Umgebung verunsichernden ehemaligen Zwangsarbeitern muss der Flüchtlingsstrom erwähnt werden, der in den ersten Monaten nach Kriegsende durch das Land zog: Allein im Bezirk Bruck an der Leitha befanden sich bis zum August 1945 rund 200.000 Flüchtlinge.21 In Anbetracht der miserablen Verkehrsbedingungen und der nicht vorhandenen Möglichkeiten, die Flüchtlinge zu ernähren, standen Felddiebstähle, Raub und Mord an der Tagesordnung. Vielfach wurden auch diese Übergriffe Soldaten der Roten Armee zur Last gelegt.

Die Errichtung von Ortskommandanturen Während unmittelbar nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen die Kommandanten der jeweiligen militärischen Verbände für die Sicherheit im Frontgebiet zuständig waren, so wurden in der Folge in vielen Orten so genannte „Ortskommandanturen" errichtet. Kehrte meist damit ein gewisses Maß an Sicherheit und Ordnung in die kleinen Städte und Ortschaften ein, schien zumindest von sowjetischer Seite nun ein kalkulierbarer Verhandlungs- und Gesprächspartner vorhanden zu sein. Aber es gab in Einzelfällen auch gegenteilige Entwicklungen, wie aus Lassee im Bezirk Gänserndorf berichtet wird: „Vier Tage nach der Besetzung traf ein Ortskommandant ein, doch hörten die Gewalttätigkeiten nicht auf. Er selbst war um nichts besser, nahm den Leuten selbst Uhren, Geld usw. ab. Alles ist Eigentum der Roten Armee, sagt er."22 Allerdings war dies mehr die Ausnahme denn die Regel, zumal den sowjetischen Offizieren im Gegensatz zum gemeinen Soldaten oft großer Respekt entgegengebracht wurde und diese auch um einen korrekten Kontakt zur Bevölkerung bemüht waren.

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Ebd. Ebd., S. 11. Zit. nach: Mulley, Grauen des „Alltags", S. 111.

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Klaus-Dieter Mulley Eine flächendeckende sowjetische Kommandostruktur wurde erst Mitte Mai 1945 erreicht. Die Ortskommandanten erließen in der Folge die „Befehle 1-3", die ihnen von den Armeeführungen vorgedruckt übergeben worden waren. Im Befehl Nr. 1 des Ortskommandanten der Stadt Horn hieß es: „1. Alle Gewalt ist in meiner Person konzentriert als den Repräsentanten des Oberkommandos der Roten Armee. Die Anordnungen des Ortskommandanten der Roten Armee sind für die Bevölkerung bindend und haben Gesetzeskraft."23 Die weiteren Anordnungen betrafen die Aufhebung aller nach dem „Anschluss" erlassenen Gesetze, die Übergabe der zivilen Gewalt an die örtlichen „provisorischen Bürgermeister", die Fortsetzung aller wirtschaftlichen und für die Gesundheitsvorsorge notwendigen Tätigkeiten, die Auflösung der NSDAP, die Registrierung aller „Reichsdeutschen über 16 Jahre" bei der Ortskommandantur, die Ablieferung von Waffen und Kriegsmaterial und den freien Handels- und Personenverkehr in der Zeit von 5 bis 22 Uhr. Abschließend wird festgestellt, dass „die Nichtdurchführung auch nur eines Punktes dieses Befehls als eine gegen die Rote Armee gerichtete Handlung angesehen" und nach dem Kriegsrecht bestraft wird.24 Der Befehl Nr. 2 bestimmte die Übergabe der sich noch versteckt haltenden Soldaten und Offiziere der Deutschen Wehrmacht an die Ortskommandantur, legte die Modalitäten für die Ablieferung von Waffen und militärischem Gerät fest, befahl den Bürgermeistern die Inangriffnahme von bestimmter Sicherungs- und Aufräumungsarbeiten, erließ eine Sperrstunde für öffentliche Lokale und verbot der Bevölkerung, Mitteilungen über sowjetische Truppenbewegungen zu machen, Waffen zu tragen sowie Obdach ohne Erlaubnis der Ortskommandantur zu gewähren.25 Mit dem Befehl Nr. 3 wurde das nächtliche Ausgehverbot aufgehoben, den Landwirten die Bestellung der Felder aufgetragen und der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten freigegeben.26 Die sowjetischen Befehle stellten ein Mindestmaß an militärischem Eingriff in die österreichische Verwaltung dar. Sie waren darauf ausgerichtet, das für jede Besatzungsmacht notwendige Sicherheitsbedürfnis mit einer möglichst raschen Normalisierung des wirtschaftlichen Lebens in Einklang zu bringen. Nachdem die sowjetischen Kommandanten über die ihnen unterstellten Regionen meist kaum informiert waren, sie entsprechende Anfragen ihrer Kommandostellen zu beantworten hatten, forderten die Bezirkskommandanturen von den Bezirkverwaltungsbehörden regelmäßig umfangreiche Berichte an, die meist in kürzester Zeit vorzulegen waren. Für die österreichische Beamtenschaft stellten diese Wünsche eine Behinderung ihrer Tätigkeit dar. Es gibt denn auch kaum einen umfangreicheren Lagebericht einer 23

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Abgedruckt in: Mayer, Das Jahr 1945 in Horn, S. 97. Der Vordruck des Befehls Nr. 1 ist auch abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 10. Abgedruckt in: ebd., S. 97. Abgedruckt in: Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1943-1945. Materialien zur Zeitgeschichte. Bd. 1. Wien 1977, S. 421. Abgedruckt in: ebd., S. 423, und Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 11.

Die Rote Armee in Niederösterreich Bezirksverwaltungsbehörde oder einer Dienststelle des Landes, in welcher nicht das umfangreiche Berichtswesen an die Rote Armee kritisiert und als Arbeitsbehinderung gebrandmarkt wurde. Den Sowjets war es zum Teil unverständlich, dass die entsprechenden Informationen nicht sofort geliefert, sondern durch die Gendarmerie recherchiert und von Beamten zusammengefasst werden mussten. In Melk etwa befahl der sowjetische Bezirkskommandant die Vorlage der Lebensläufe aller 19 Bürgermeister innerhalb von zwei Tagen. Wenig später verlangte er Warenmuster aller im Bezirk situierten industriellen Betriebe.27 Wiewohl sich die Ortskommandanten in der Regel nicht in das politische Geschehen der Gemeinden einmischten, kam es doch fallweise zu von der Roten Armee befohlenen Umbesetzungen in den Gemeindevertretungen. So etwa in Ybbs an der Donau: Als der erste Bürgermeister in das Burgenland zurückkehrte, wurde im Einvernehmen mit dem Stadtkommandanten von Ybbs der der ÖVP angehörige Nationalrat Norbert Maier zum Bürgermeister gewählt. Als in Blindenmarkt der sozialistische Bürgermeister auf Grund des Ergebnisses der Nationalratswahl zurücktrat und die Gemeindevorstehung von einem Mitglied der ÖVP übernommen wurde, war dies nicht im Sinne des sowjetischen Stadtkommandanten von Ybbs. Er befahl dem früheren Bürgermeister, sein Amt weiterzuführen. 28 Der Ortskommandant von Pöggstall, Major Kolodjaznyj, setzte den der ÖVP zugehörigen Bürgermeister im Jänner 1946 ab und bestimmte an seiner Stelle den Bezirksleiter der KPÖ zum Bürgermeister und ein vorbestraftes Mitglied der SPÖ zum Vizebürgermeister.29 Auch in der Gemeinde St. Oswald wechselte er im März 1946 den ÖVP-Bürgermeister gegen ein SPÖ-Mitglied aus und konstituierte den Gemeinderat mit sechs Mitgliedern der SPÖ und fünf der ÖVP, obwohl bei den Nationalratswahlen die ÖVP in der Gemeinde 445 und die SPÖ nur 71 Stimmen erhalten hatte.30 Auch in Weiten wurde der ÖVP-Bürgermeister von einem sowjetischen Leutnant, der die Ortschaft besuchte, seines Postens enthoben und ein SPÖ-Mitglied als Gemeindevorsteher bestimmt.31

Verhaftungen durch die sowjetische Besatzungsmacht Schwierigkeiten im Zusammenspiel zwischen österreichischen Behörden und den Sowjets ergaben sich auch durch scheinbar willkürliche, vor allem aber unbegründete Anordnungen und durch kurzfristige Verhaftungen sowie Verschleppungen. Bestand im Allgemeinen ein gutes Verhältnis zwischen den Repräsentanten der österreichischen Gebietskörperschaften, Dienststellen und politischen Parteien und den sowjetischen Kommandozentralen, so waren doch auch „Landesregierungsmitglieder, Abgeordnete, Bezirkshauptleute und Bürgermeister [...] nur allzu oft ihrer [der Sowjets] Willkür ausgesetzt. Wer nicht botmäßig war, lief Gefahr, nach Sibirien gebracht zu werden. Oft 27 28 29 30 31

NÖLA, Ebd. NÖLA, NÖLA, NÖLA,

L. A. 1/2. Wochensituationsbericht der BH Melk v. 12.1.1946. L. A. 1/2. Monatssituationsbericht der BH Melk v. 29.1.1946. L. A.I/2. Monatssituationsbericht der BH Melk v. 15.3.1946. L. A.I/2. Monatssituationsbericht der BH Melk v. 29.1.1946.

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Klaus-Dieter Mulley genügte die Denunziation eines ,Russenfreundes', auch öffentliche Mandatare blieben trotz Gesetz und Immunität nicht verschont."32 Über die Inhaftierung des niederösterreichischen Sicherheitsdirektors Franz Baier wurde bereits berichtet. Am 13. Juni 1946 wurde der aus dem Bezirk Amstetten stammende Abgeordnete Franz Gruber von sowjetischen Soldaten verhaftet und nach Verhören durch den NKVD wegen Fluchthilfe und Spionage für die Amerikaner in die Sowjetunion verschleppt.33 Öffentliche Kritik an der Besatzungsmacht wurde von den Sowjets nicht geduldet. Als der SPÖ-Lokalpolitiker Herbert Schretter im August 1946 in einer Versammlung im Marchfeld Missstände aufzeigte, wurden er und der anwesende ÖVP-Landtagsabgeordnete Franz Riefler von den Sowjets verhaftet, vor ein Militärtribunal gestellt, zu sieben bzw. vier Jahren Haft nach Artikel 58-7 des Strafgesetzbuches der RSFSR verurteilt und in die Sowjetunion gebracht. Herbert Schretter überlebte die Deportation nicht, Franz Riefler durfte erst 1952 nach Österreich zurückkehren.34 Wie bereits erwähnt, wurden häufig auch Fahrräder und Autos requiriert, durchaus auch spontan. Als etwa im Juni 1945 Mitglieder der niederösterreichischen Landesregierung nach Stockerau zur Eröffnung einer Starkstromleitung fuhren, wurde das Auto des Landesrates Karl Podratzky (KPÖ) von einem sowjetischen Oberleutnant, der von einer Beiwagenmaschine mit zwei Soldaten begleitet wurde, angehalten. Auf Einladung des Landesrates wurde der sowjetische Offizier ein Stück des Weges mitgenommen. Wenig später befahl der Offizier mit den Worten „Zivil weg!" das Auto in unbewohntes Gebiet zu lenken. Dort ließ er die Österreicher aussteigen und fuhr mit dem Wagen davon. Als diese bei der sowjetischen Kommandantur in Floridsdorf Beschwerde einbrachten, wurden zwar alle Daten notiert, doch es bestand offensichtlich keine Absicht, den Wagen ernst zu suchen und zurückzustellen.35 Häuser- und Wohnraumbereitstellungen Sowohl im Rahmen der Situierung der sowjetischen Orts- und Bezirkskommandanturen, der Unterbringung sowjetischer Truppenteile sowie auch der Einrichtung von Lazaretten und Versorgungsdepots kam es in den ersten Jahren der Besatzungszeit in vielen Gemeinden zu zwangsbedingten Um- und Übersiedlungen von Familien. Auch zur Unterbringung von Personen, deren Wohnungen oder Häuser zerstört waren, sowie für Flüchtlingsfamilien aus Ungarn und der Tschechoslowakei musste Wohnraum geschaffen werden. In der Anfangszeit beschlagnahmten Teile der Roten Armee willkür32 33

34 35

NÖLA, Nachlass Popp. Erinnerungen von Lhptm-Stv Franz Popp (maschinschriftl. Manuskript), S. 59. Ernst Bezemek, Der politische Wiederaufbau Niederösterreichs 1945/46 mit besonderer Berücksichtigung des Bezirkes Gänserndorf, in: Ernst Bezemek - Josef Prinz, Der Bezirk Gänserndorf 1945. Begleitband zur Ausstellung im Schloss Jedenspeigen. 13. Mai bis 26. Oktober 1995. Jedenspeigen 1945, S. 7 5 - 9 8 , hier: S. 81. Zu den Verhaftungen und Verurteilungen vgl. auch den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band. Ferdinand Riefler, Verschleppt - Verbannt - Unvergessen. Frankfurt - Wien 1970; AdBIK, Datenbank Zivilverurteilte. NÖLA, Nachlass Vanura. Ergänzungen, S. 16f.

Die Rote Armee in Niederösterreich lieh entsprechende Objekte und befahlen den Haus- und Wohnungsbesitzern, innerhalb von Stunden ihren Wohnraum zu verlassen, was die Betroffenen vor gewaltige Probleme stellte, zumal sie meist nur einen geringen Teil ihres Hausrates abtransportieren konnten. Im Laufe des Herbstes 1945 zogen die Bürgermeister vielfach die Besatzungstruppen zur Hilfe heran, wenn der notwendige Wohnraum von den Besitzern nicht freiwillig freigemacht wurde. Es waren somit nicht immer Angehörige der Roten Armee, die scheinbar willkürlich auf Aus- und Umsiedlung bestanden, sondern es lag in der durch Flüchtlings- und Heimkehrerströme bedingten Notwendigkeit von Wohnraumbeschaffung, dass Familien für eine meist absehbare Zeit gezwungen wurden, ihren Wohnraum zu wechseln. Im Rahmen dieser meist auch oftmaligen Übersiedlungen, die zum Teil mit Hilfe der Besatzungstruppen durchgeführt wurden, gingen Teile des Übersiedlungsgutes verloren oder wurden - wie etwa in Eggenburg im Jänner 1946 - von den mithelfenden sowjetischen Soldaten gestohlen.16

Requirierungen und Ernährungssicherung Neben den Übergriffen auf Leib und Leben stellte die miserable Ernährungslage das größte gesamtgesellschaftliche und -wirtschaftliche Problem der Jahre 1945 bis 1948 dar. Hatte die Bevölkerung bereits in den letzten beiden Kriegsjahren unter nationalsozialistischer Herrschaft unter Kontingentierungen und Rationierungen zu leiden, verschlimmerte sich die Ernährungsversorgung mit Kriegsende. Zum einen wurden die vorhandenen Vorräte zum Teil von den abziehenden deutschen Truppen gesprengt, zum anderen von den Befreiern geplündert. Darüber hinaus waren die Anbauflächen durch die Kriegsereignisse zerstört und durch die katastrophalen Sicherheitsverhältnisse sowie durch das Fehlen von Traktoren und Zugtieren war an einen Anbau im Frühjahr 1945 kaum zu denken. Der Führung der Roten Armee war diese Problematik wohl bewusst, denn bereits im Rahmen der ersten Besprechungen mit Leopold Figl wurde diesem der Wiederaufbau der Landwirtschaftskammer und des Bauernbundes ausdrücklich genehmigt. Allerdings fanden diese Vereinbarungen keine Entsprechung auf der Ebene der im Lande kämpfenden und stationierten sowjetischen Truppen. Die landwirtschaftlichen Güter waren für sowjetische Armeeeinheiten, für einzelne Gruppen von Soldaten der Roten Armee, für ehemalige Zwangsarbeiter und durch das Land ziehende Flüchtlinge gleichsam ein Selbstbedienungsladen. Plünderungen von landwirtschaftlichen Gütern und Requirierungen von Vieh gehörten zum Alltag der Jahre 1945 bis 1946. Aus dem Triestingtal, Bezirk Baden, wurde - um wiederum nur ein Beispiel anzuführen - im Herbst 1945 berichtet: „Es tauchen immer wieder Russen in Kraftwagen ohne oder mit unkenntlich gemachten Nummerntafeln auf und holen sich, was sie wollen. Sie nehmen sich nicht nur Lebensmitteln für den unmittelbaren Bedarf, sondern auch Kühe, Schweine u. a. m. So erschien am 10. September nachts in Thenneberg ein Auto ohne Nummerntafel; die Insassen nahmen auf dem Bauerngute Rehhof, welches von Arbeitern bewirtschaftet wird, vier Schweine zu 40 kg und vier Schweine zu 20 kg; außerdem 36

NÖLA, L. A. 1/2. Wochensituationsbericht der Stadt Eggenburg v. 15.1.1946.

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Klaus-Dieter Mulley raubten sie den Leuten noch die letzten Lebensrnittel und ihr Bargeld. Entlegene Dörfer wie Furth, Kaumberg, Nöstach, Thenneberg, überhaupt das ganze Triestingtal werden ständig von Russen heimgesucht. Die Bauern der angeführten Gemeinden sind schon ganz verzweifelt, da ihnen ein Arbeiten unter diesen Umständen unmöglich gemacht ist. Die Frauen müssen auch jetzt noch in die Wälder schlafen gehen, da Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind. Wenn die Bergbauern die Milch zu den Sammelstellen schaffen, ereignet es sich häufig, dass ihnen Russen die Milch wegnehmen, sie austrinken oder einfach ausleeren. Es kommt auch häufig vor, dass in der Nacht Fuhrwerke auftauchen, von denen die Ernte ganzer Kartoffeläcker abtransportiert wird."37 Darüber hinaus wurde Raubbau an den Wäldern betrieben, und die Wildbestände des Landes wurden dezimiert. Es verwundert kaum, dass der Wein auf die Soldaten der Roten Armee eine besondere Anziehungskraft ausübte, wodurch die Weinregionen des Burgenlandes und Niederösterreichs unter den Übergriffen meist betrunkener Soldaten besonders zu leiden hatten. Noch die Jahreswende 1945/46 war von zahlreichen Kellereinbrüchen in der Region um Krems und im Kamptal gekennzeichnet. Waren die Kellerbesitzer im Herbst 1945 dazu übergegangen, ihre Kellertüren mit starken Holzpfosten zu sichern, so gingen einzelne Gruppen von Besatzungssoldaten nun dazu über, die Türen mit Lastautos anzufahren und aufzusprengen.38 Einzelne Bürgermeister ordneten auch an, alle Weinfässer zu leeren, um Einbrüchen von vornherein jede Grundlage zu entziehen. Im November 1945 wurde die Sowjetische Kontrollkommission ersucht, einen in Ernährungsfragen versierten Offizier der Landeshauptmannschaft als Verbindungsmann zu nominieren, um die Versorgung der Bevölkerung weitgehend gemeinsam sicherzustellen und Behinderungen und Requirierungen einzelner Ortskommandanturen hintanzustellen.39 Darüber hinaus wurde von den Ortskommandanturen nun schärfer gegen willkürliche Requirierungen und Diebstähle sowjetischer Einheiten oder einzelner Soldaten vorgegangen. Somit schien sich in der Tat die wirtschaftliche Lage zu bessern, wenn es auch noch bis in die Jahre 1947/48 monatlich zu einer Reihe von Diebstählen kam. Allerdings waren diese nun zunehmend auf das Verhalten der Landwirte gegenüber Angehörigen der Roten Armee zurückzuführen. Waren es in den ersten Monaten der Besatzung willkürliche Requirierungen und Diebstähle von Vieh und landwirtschaftlichen Gütern, zum Teil im großen Maßstab, welche die Bauern verunsicherten, so entwickelte sich im Laufe des Herbstes 1945 und des Frühjahres 1946 ein regelrechter Tauschhandel zwischen niederösterreichischen Bauern und Angehörigen der Roten Armee. Selbst in den relativ wenigen Fällen, die der Behörde zur Anzeige gebracht wurden, war kaum festzustellen, wer nun wen betrogen hatte. Zum einen beschwerten sich die Bauern, dass Sowjets Vieh aus den Ställen entwendeten und den Landwirten beim Abzug einfach einen Geldbetrag vor die Füße 37 38 39

NÖLA, Nachlass Vanura. Denkschrift über die Verhältnisse im Lande Niederösterreich in den Monaten Juli, August und September 1945. NÖLA, L. A. 1/2. Wochensituationsbericht der BH Krems v. 11.1.1946. NÖLA, Runderlässe 1945-I-Schluss. Schreiben des Präsidiums der Landeshauptmannschaft NÖ G.Z.Pr.900/2-I an das Landesemährungsamt und alle BH v. 5.11.1945.

Die Rote Armee in Niederösterreich warfen, andererseits wurden oft sowjetische Soldaten betrogen, indem ein ungerechtfertigt höherer Preis für Produkte verlangt und auch bezahlt wurde. Teilweise wurden auch Gegenstände, die von den Sowjets andernorts geplündert worden waren, den Landwirten zum Tausch angeboten und von diesen auch in den meisten Fällen angenommen. Gegenüber der Behörde begründeten die Landwirte ihr ungesetzliches Vorgehen damit, dass sie selbst auch bereits von Sowjets geplündert worden waren, einzelne sowjetische Soldaten von sich heraus große Beträge anboten und darüber hinaus immer die Gefahr eines gewaltsamen Übergriffs bestand, zumal die Soldaten „in der einen Hand die Maschinenpistole und in der anderen das Geld haben". 40 Daraus kann wohl auch geschlossen werden, dass nicht wenige der Übergriffe, die Angehörigen der Roten Armee damals zur Last gelegt wurden, aus einem gewaltsam zu Ende geführten Tauschhandel bestanden, die von den Landwirten infolge der Ablieferungs- und Kontingentierungspflicht nicht hätten angebahnt oder durchgeführt werden dürfen. Darüber hinaus war es für viele Landwirte infolge der miserablen Sicherheitsverhältnisse und der Unmöglichkeit, jedes Vergehen der Besatzungsmacht aufzuklären, ein Leichtes, Überfälle und Viehrequirierungen vorzutäuschen, um am „Schwarzen Markt" günstigere Preise zu erzielen.

Entnazifizierung Die Sowjetunion überließ - im Gegensatz zu den anderen drei Alliierten - die Entnazifizierung den österreichischen Behörden. Im Bereich der Entnazifizierung wird der Unterschied zwischen der Besatzungspraxis der Amerikaner, Briten, Franzosen und Sowjets besonders deutlich: „Nimmt man die Zahl der im Zuge der Entnazifizierung Verhafteten als Gradmesser der Aktivität, so hatten die Alliierten bis Februar 1946 etwa 18.000 Personen festgenommen: 9462 die Amerikaner, 6413 die Briten und etwa 7000 die Franzosen. [...] Für die Russen gibt es keine genaue Daten. Ihre Verhaftungstätigkeit war jedoch äußerst gering und dürfte sicher unter 1000 gelegen sein."41 Es trifft zwar durchaus zu, dass viele niederösterreichische Nationalsozialisten mit Kriegsende nach Westen geflohen waren, doch damit hatte sich keineswegs - wie Dieter Stiefel meint - das Entnazifizierungsproblem zum Teil von selbst gelöst. 42 Zum einen kehrten viele ehemalige Nationalsozialisten recht bald wieder in ihre Heimatorte zurück und zum anderen waren die Probleme auf unterer und administrativer Ebene ähnliche wie in den anderen Besatzungszonen. Auch in Niederösterreich bestand - zumindest in der ersten Zeit - die Notwendigkeit, Nationalsozialisten vorläufig im Dienst zu belassen, um die Verwaltung aufrechterhalten zu können. Wie ein Bericht aus Lilienfeld zeigt, hatte die Besatzungsmacht dafür vorderhand Verständnis: So etwa meldete der Leiter der Bezirkshauptmannschaft, dass es ihm gelungen sei, „sämtliche Postenkommandanten des Bezirkes, wenn sie auch Angehörige der NSDAP oder kleinere Mitglieder waren, mit Hilfe der Kommandantur im Dienst vorläufig zu belassen". 43 40 41 42 43

N Ö L A , L. A. 1/2. Wochensituationsbericht der BH Krems v. 11.1.1946. Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich. Wien - München - Zürich 1981, S. 25. Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, S. 33. N Ö L A , L. A. 1/2. Monatssituationsbericht der BH Lilienfeld v. 4.2.1946.

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Klaus-Dieter Mulley Nachdem jedoch die ersten administrativen Vorarbeiten für die Durchführung der Entnazifizierung nach dem Verbots- und Kriegsverbrechergesetz abgeschlossen waren, forderte die sowjetische Kontrollkommission monatlich detaillierte Statistiken über den Fortschritt in der Durchführung der gesetzlichen Maßnahmen. Schienen regional die Entnazifizierungsmaßnahmen nicht oder zu langsam durchgeführt zu werden, machten die sowjetischen Kommandanten darauf aufmerksam. Im Bereich der BH Melk befahl die sowjetische Kommandantur im März 1946 die Einrichtung von NS-Säuberungskommissionen, welche die Aufgabe hatten, Beamte und öffentliche Angestellte ob ihrer Zugehörigkeit zur NSDAP zu überprüfen, um ihre etwaige Entlassung aus dem Dienst zu verfügen. Die Sowjets nahmen auf die Kommissionen keinen Einfluss, ließen sich aber über deren Tätigkeit berichten. Die Anordnung der Bildung von Entnazifizierungskommissionen für jeden Gerichtsbezirk durch die örtliche sowjetische Kommandantur zeigt, dass sie mit dem Fortschritt der Entnazifizierung nicht zufrieden waren. Anders jedoch als etwa Amerikaner oder Briten in ihren Besatzungszonen beschränkten sie sich darauf, fallweise Maßnahmen anzuordnen, die unter alleiniger österreichischer Administration abzuhandeln waren.44 Generell legten die Sowjets jedoch großen Wert darauf, dass die ehemaligen Nationalsozialisten zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen wurden. Als etwa um die Jahreswende 1945/46 die sowjetischen Bezirkskommandanten die Exhumierung der in den einzelnen Ortschaften gefallenen sowjetischen Soldaten anordneten, mussten zur Durchführung der Grabungsarbeiten ehemalige Nationalsozialisten herangezogen werden.45

Der Weg zum „Modus vivendi": Jahreswende 1945/46 Ergaben sich im November 1945 in Niederösterreich noch 945 Requisitionen, 44 Morde (im Juli 1945 noch 112, davon zwei an Sicherheitsorganen), 106 Verletzungen und 55 (im Juli 1945 noch 1051) Vergewaltigungen, so schienen sich die SicherheitsVerhältnisse um die Jahreswende 1945/46 sukzessive zu bessern. Im Dezember 1945 legte die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich der sowjetischen Kontrollkommission eine Aufstellung der vom August bis November 1945 erfolgten „besonderen Vorkommnisse" vor. An Hand von Beispielen wurden auf die noch immer miserablen Sicherheitsverhältnisse in den Bezirken Krems an der Donau, St. Pölten, Horn, Lilienfeld, Gänserndorf, Tulln und Wiener Neustadt hingewiesen. Den Sowjets wurden „gemischte Streifen", die aus Angehörigen der Roten Armee und österreichischen Gendarmeriebeamten bestehen sollten, vorgeschlagen. Diesen sollte die Aufgabe zufallen, alle Personen, die Uniformen oder Uniformstücke trugen, zu perlustrieren.46 An den Hauptverkehrsstraßen sollten Schranken zwecks Kontrolle von 44

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NÖLA, L. A. 1/2. Wochensituationsbericht der BH Melk v. 15.3.1946. Vgl. dazu auch: Barbara StelzlMarx, Entnazifizierung in Österreich: Die Rolle der sowjetischen Besatzungsmacht, in: Wolfgang Schuster - Wolfgang Weber (Hg.), Entnazifizierung im regionalen Bereich. Linz 2004, S. 4 3 1 ^ 5 4 . NÖLA, L. A. 1/2. Wochensituationsbericht der BH Melk v. 12.1.1946. NÖLA, L. A. 1/2. Monatsbericht SiDion NÖ für den Monat Dezember 1945 v. 4.1.1946.

Die Rote Armee in Niederösterreich Fahrzeugen errichtet werden. Streusiedlungen und einzeln stehende Gehöfte sollten regelmäßig kontrolliert werden, und den österreichischen Sicherheitsorganen sollte der Waffengebrauch gegen Requisiteure gestattet werden, da - wie es hieß - „diese, auch wenn sie die Uniform der Besatzungstruppen tragen, keinesfalls reguläre Angehörige der Roten Armee sein können". 47 In der Tat wurden in der Folge von einzelnen Bezirkskommandanten Straßenkontrollen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, wobei auch österreichische Sicherheitsorgane beigezogen wurden. 48 Die Sicherheitsdirektion stellte 1945/46 jedoch auch fest, dass „das Verhältnis der Bevölkerung zu den Besatzungstruppen [...] in jenen Orten, wo sich ständig Einheiten aufhalten, gut [ist], nur in jenen Gegenden, die durch Requisitionen etc. hergenommen wurden, ist die Stimmung gedrückt". 49 Darüber hinaus wurden Umquartierungen innerhalb der Roten Armee von der Bevölkerung mit großer Sorge beobachtet. Denn dies konnte nicht nur den Austausch eines Kommandanten bedeuten, mit dem man bereits einen „Modus vivendi" gefunden hatte, sondern auch die Stationierung neuer Truppenverbände, womit erneut die Gefahr von Diebstählen und Übergriffen bestand. Die Befürchtungen waren nicht unberechtigt, denn als im Herbst 1945 Truppenteile der Roten Armee aus der Tschechoslowakei abgezogen und kurzfristig in Niederösterreich einquartiert wurden, traten diese - wie es in einem Bericht des Bezirkhauptmannes von Melk hieß - „auf besonders brutale Weise gegenüber der Zivilbevölkerung auf'. 5 0 Bereits im Jänner 1946 wurde allenthalben festgestellt, dass sowjetische Bezirksund Ortskommandanten „im Gegensatz zur ersten Besatzungszeit weitestgehendes Interesse für alle Angelegenheiten des öffentlichen Lebens" zeigten.51 Im ersten Jahr der Besatzung wurde nahezu jeder Tag, jede Woche, in der es in einer Stadt zu keinen Übergriffen kam, als „Ausnahme" angesehen. So etwa meldete im Jänner 1946 der Bürgermeister der Stadt Eggenburg dem „lieben Herrn Landeshauptmann": „In der vergangenen Woche sandte ich Dir keinen Vörfallenheitsbericht, weil sich ausnahmsweise die Russen anständig benahmen. Dafür gab es diese Woche wieder allerhand Verdruss." 52 Im Juni 1946 stellte der Sicherheitsdirektor eine weitgehende Entspannung zwischen der Besatzungsmacht, der Bevölkerung und der Bezirksadministration fest: „Das erträgliche Verhältnis zwischen der Bevölkerung und der Besatzungsmacht dauert an. Die Zusammenarbeit der österreichischen Behörden und Ämter zu den Dienststellen der Besatzungsmacht verlaufen ohne besondere Reibungen. Die Kommandanturen bringen den Wünschen und Anliegen der lokalen Behörden Verständnis entgegen und sind sichtlich bemüht, helfend einzugreifen." 53 Gleichzeitig musste er jedoch auch feststellen, dass die Bevölkerung durch Gerüchte über eine Vermehrung der Besatzungstruppen und

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1/2. 1/2. 1/2. 1/2. 1/2. 1/2. 1/2.

Monatsbericht SiDion NÖ für den Monat Dezember 1945 v. 4.1.1946. Wochensituationsbericht der BH Melk v. 12.1.1946. Monatsbericht SiDion NÖ für den Monat Dezember 1945 v. 4.1.1946. Wochensituationsbericht der BH Melk v. 11.12.1945. Wochensituationsbericht der BH Melk v. 12.1.1946. Wochensituationsbericht der Stadt Eggenburg v. 15.1.1946. Monatssituationsbericht der SiDion für Oktober. 1946.

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Klaus-Dieter Mulley der Errichtung neuer Kommandanturen sehr beunruhigt sei. Auch dadurch lässt sich das ambivalente und regional unterschiedlich fassbare Verhältnis der Bevölkerung zur Roten Armee aufzeigen: Während in vielen Orten ab 1946/47, als die Sowjets zunehmend kleine Ortskommandanturen schlossen und sich immer mehr auf die Bezirkshauptstädte zurückzogen, von den Bürgermeistern auf die Wiedererrichtung von Ortskommandanturen gedrängt wurde, um die örtlichen Sicherheitsverhältnisse zu verbessern, hatte andernorts die Bevölkerung Ressentiments gegen eine erneute Quartiernahme von Angehörigen der Roten Armee. Einerseits zeigt dies, dass die Sowjets als Ordnungsmacht zunehmend akzeptiert, zum Teil erwünscht wurden, zum anderen hatten Menschen Angst vor Quartieranforderungen und atmosphärisch-emotionalen Störungen ihres Lebensumfeldes. Zusammenfassung Eine Analyse des Besatzungshandelns der Roten Armee in Niederösterreich zeigt, dass dieses grundsätzlich darauf ausgerichtet war, den Wiederaufbau der Verwaltung und der Wirtschaft des Landes beobachtend zu begleiten und gegen die Besatzung auftretende Aktivitäten zu unterbinden. Allerdings war das Verhältnis zwischen Befreiern und Befreiten von Beginn an von großem gegenseitigen Misstrauen beherrscht, welches sich sukzessive in den Jahren 1946/47 aufzulösen begann. Die Ursachen für die gegenseitigen Ressentiments lagen nicht allein im unterschiedlichen kulturellen und ideologischen Hintergrund sowie in der vorangegangen Kriegspropaganda. Sie waren vielmehr auch bedingt durch die Verbrechen der Deutschen und Österreicher in der Sowjetunion. Die Rote Armee kam als Sieger in ein Land, dessen Männer zu einem nicht geringen Teil am Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion beteiligt gewesen waren. Zu all der Trauer um die im Krieg verlorenen Angehörigen kam wohl auch der Wunsch, Rache zu nehmen an jenen, die als Mitschuldige galten. So gesehen hatten es die Soldaten der Roten Armee emotional betrachtet nicht leicht, jenen Befehlen zu gehorchen, die ihnen Maßhaltung und Vernunft geboten. Dazu kamen Verständigungsschwierigkeiten infolge unterschiedlicher Sprachen, die u. a. dazu führten, dass sich auf unteren Ebenen vielfach ehemalige Zwangsarbeiter aus den Ländern Osteuropas als Dolmetscher anboten und damit eine oft fatale Schlüsselrolle im Verhältnis von Besatzungsmacht und Niederösterreichern einnahmen. Der teilweise niedrige Bildungsgrad der Soldaten und die Entbehrungen, welchen sie durch den raschen Vormarsch der Roten Armee 1945 ausgesetzt gewesen waren, war wohl mit Ursache für jene Überfälle, Morde und Vergewaltigungen im Zuge des Einmarsches und in den nachfolgenden Wochen und Monaten, welche nicht geringe Teile der Bevölkerung wieder die NS-Herrschaft herbeisehnen ließ. Die Befreier wurden wider den Willen ihrer politischen und militärischen obersten Führung vielerorts zu willkürlichen Mördern, Frauenschändern und Dieben. Und doch gilt es auch in diesem Bereich zu unterscheiden: Zum einen geht aus allen Berichten hervor, dass es nicht die im Laufe des Frühjahres 1945 die deutschen Verbände an die Enns drängenden sowjetischen Kampftruppen waren, die Angst und kaum sprachlich wiederzugebenden Schrecken in den Ortschaften des Burgenlandes und Niederösterreichs verbreiteten, sondern die nachfolgenden Versorgungseinheiten, die erste

Die Rote Armee in Nieder Österreich Stützpunkte errichteten und mit kleinen Einheiten in den Gemeinden Quartier nahmen. Der so genannte „Tross", der noch ohne zivile Besatzungsstruktur nur den Frontbefehlshabern unterstand, verübte im Rahmen seines manchmal auch nur kurzen Aufenthalts in den Ortschaften meist in Trunkenheit und Siegestaumel großteils jene Verbrechen, die bis heute mit der sowjetischen Besatzung assoziiert werden, wiewohl sie überwiegend nur in den ersten Wochen und Monaten verübt wurden. Im Laufe des Herbstes 1945 und in den späteren Jahren wurde immer deutlicher, dass eine nicht geringe Anzahl von Diebstählen und Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung von ehemaligen Zwangsarbeitern, Displaced Persons und auch einheimischen Banden in sowjetischen Uniformen verübt wurden. Aus der Sicht der Besatzer war es verständlich, dass österreichischen Sicherheitsorganen vorderhand das Tragen von Waffen und der Waffengebrauch nicht gestattet wurde. Es lag auch in der Besatzungslogik, dass Häuser und Wohnungen nach Waffen und militärischem Material durchsucht werden mussten. Erst nach Herstellung eines gewissen Vertrauens, das Sicherheitsorgane nicht gegen die Rote Armee eingesetzt werden würden, konnten der Gendarmerie und Polizei ihr sicherheitspolizeilicher Aufgabenbereich überlassen werden. Wie gezeigt werden konnte, blieb das Verhältnis zwischen Angehörigen der Roten Armee und Niederösterreichern bis 1947/48 gespannt. Wiewohl die Übergriffe, Morde und Vergewaltigung zahlenmäßig sukzessive zurückgingen, die Beaufsichtigung der im Lande stationierten Truppen immer besser gelang, rigoros gegen Soldaten, die sich Vergehen zu Schulden kommen ließen, vorgegangen wurde, so blieb doch überall im Lande die Angst der Wehrlosen vor den die MP geschulterten sowjetischen Rotarmisten, deren Reaktion nie abgeschätzt werden konnte. Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass sich das im Laufe der ersten Monate der sowjetischen Besatzung auf höchster Ebene sukzessive feststellbare Vertrauen - wenn auch infolge andauernder Übergriffe zeitlich verzögert - auch auf lokaler Ebene fortsetzte. Die Ambivalenz zwischen Befreiern und Besatzern wird somit auch wohl weiterhin mit Recht das Geschichtsbild über die Rote Armee in Niederösterreich zu dominieren haben.

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Sonja Wagner

„Der Sowjetstern auf dem Schlossberg" Besatzungserfahrungen im Burgenland

Nach der Einstellung der Kampfhandlungen im Frühjahr 1945 glich das Bundesland Burgenland, wie so viele andere Gebiete in Österreich und Länder in Europa, einem Trümmerfeld. Der Weg bis zur Wiedererrichtung des Burgenlandes gestaltete sich schwierig: Desolate Nachrichten- und Verkehrsverhältnisse und eine fehlende NordSüd-Verbindung behinderten effiziente Aktivitäten. Lange Zeit konnte mit den südlichen Bezirken keine enge Verbindung hergestellt werden, wodurch die Bevölkerung ihrem Schicksal mehr oder minder selbst überlassen war. Ein Brief des damaligen Landtagsabgeordneten Johann Hajszänyi aus Güssing, der nach der Wiedererrichtung des Landes die Bezirkshauptmannschaft Fürstenfeld wieder nach Güssing verlegen wollte, erreichte seinen Adressaten in Eisenstadt erst einen Monat später.1 Laut Sitzungsprotokoll des Gemeinderates Güssing herrschte noch am 13. August 1945 große Ungewissheit bezüglich der Zugehörigkeit des Bezirkes: „Der Bürgermeister schlägt vor, bei der Bezirkshauptmannschaft in Fürstenfeld anzufragen, wo wir hingehören. Wenn wir nicht zu Fürstenfeld gehören, wird alles Notwendige unternommen werden. Der Bürgermeister und Georg Krobotz fahren morgen selbst nach Fürstenfeld." 2 Die sowjetische Besatzungsmacht hatte zu den Gesprächen über die Wiedererrichtung des Landes kaum Stellung bezogen. Erst mit der Errichtung der Demarkationslinie an der burgenländisch-steirischen Grenze setzten sie ein eindeutiges Zeichen. Der Hauptgrund lag darin, dass auch die Sowjets, ebenso wie die anderen Besatzungsmächte, zwei Bundesländer zu ihrem Machtbereich zählen wollten. Am 29. August wurde das „Verfassungsgesetz über die Wiedererrichtung des selbstständigen Landes Burgenland" beschlossen, das am 1. Oktober 1945 in Kraft trat. Nun übernahm der Provisorische Landesausschuss mit Sitz in Wien die Verwaltung des Burgenlandes. 3 Am 4. Jänner 1946 1

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Johann Erhardt, Dr. Lorenz Karall. Seine Zeit - sein Leben - sein Wirken. Die Wiedererrichtung des Burgenlandes - 1945 - ein zeitgeschichtlicher Beitrag. Festschrift der Vereinigung der ÖVP-Altmandatare anlässlich des 30. Todestages von Dr. Lorenz Karall am 17. März 1995. Eisenstadt 1995, S. 12. Stadtgemeinde Güssing, Gemeinderat-Sitzungsschriften von 1945-1950, S. 18. Gerald Schlag, Burgenländische Politik in den Jahren 1934—1938 und 1945/46, in: Stefan Kamer (Hg.), Das Burgenland im Jahr 1945. Beiträge zur Landes-Sonderausstellung 1985. Eisenstadt 1985, S. 4 9 - 6 6 , hier: S. 64.

Sonja Wagner erhielt das Burgenland eine neue Landesregierung: Landeshauptmann wurde Dr. Lorenz Karall, sein Stellvertreter Ludwig Leser, als Landesräte fungierten Johann Bauer, Alois Wessely sowie die späteren burgenländischen Landeshauptmänner Johann Wagner und Hans Bögl. Mit der Bildung eines frei gewählten Landtages und der Bestellung einer Landesregierung wurde im Burgenland als selbstständiger Verwaltungseinheit der Wiederaufbau begonnen. 4 Auf Ebene der Gemeindeverwaltung wurden von den Sowjets in den Ortschaften Bürgermeister eingesetzt. Den Bürgermeistern wurde die Weisung erteilt, den Militärkommandanten in den jeweiligen Bezirken als höchste Machtinstanz zu akzeptieren. 5 Wer dieses Amt inne hatte, hatte einen schweren Stand. Die neuen Bürgermeister mussten als erste Ansprechpartner auf Wünsche und Bedürfnisse der sowjetischen Besatzungsmacht eingehen. In Güssing wurde zum Beispiel der Kaufmann Leo Glaser als Vertrauensmann und Beauftragter für die Verwaltungsangelegenheiten der Gemeinde eingesetzt. Dieser war auf Grund vierjähriger Gefangenschaft in Russland während des Ersten Weltkrieges der russischen Sprache mächtig. Leo Glaser wurde von der Kommandantur als Dolmetscher eingesetzt und konnte auf diese Weise manchem Nationalsozialisten helfen oder sogar das Leben retten. 6 Trotz aller Widrigkeiten bildeten sich um die Bürgermeister in den meisten Orten „Gemeindeausschüsse". Diese bestanden aus Vertretern der ehemaligen Parteien, sodass sich auf unterer Ebene wieder erste Ansätze von demokratischen Verhältnissen entfalteten. Im August 1945 erging von den Bezirkshauptmannschaften - die wieder vollständig funktionstüchtig waren - die Weisung, in den Gemeinden „Provisorische Gemeindeausschüsse" zu installieren, wobei diese von den drei anerkannten Parteien besetzt wurden. So war der Apparat zur Bewältigung der ungeheuren Probleme geschaffen, denen man nach dem Krieg gegenüberstand. 7 In den folgenden Ausführungen wird der Schwerpunkt auf den Raum Südburgenland gesetzt, wobei die Geschehnisse in der Umgebung von Güssing bzw. in der Stadt Güssing und die Grenzsituation an der Lafnitz besondere Berücksichtigung finden. Die Festlegung der Lafnitz als Demarkationslinie bringt das südliche Burgenland, abgeschnitten von der Steiermark und den bisherigen Bezugsquellen, in eine völlige Isolation. Die Lafnitz bildete in der Besatzungszeit eine bedeutsame Grenze zwischen den damals größten Machtblöcken der Welt.

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Ebd., S. 64-66. AVP RF, F. 66, op. 24, p. 26, d. 20, S. 40. Bericht des Bevollmächtigten des Militärkommissars des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich im Bundesland Burgenland, Nikolaj Usikov, an den stv. Militärkommissar des Sowjetischen Teils, Aleksej Zeltov, und den politischen Berater für Österreich, Evgenij Kiselev, über die Arbeit der Militärkommandanturen mit der örtlichen Bevölkerung v. 2.2.1946. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 119. Sonja Wagner, Schauplatz Lafnitz. Kriegsende und Beginn der Besatzung an der Lafnitzgrenze. Phil. DA. Graz 2003, S. 129. Schlag, Burgenländische Politik, S. 60.

„ Der Sowjetstern auf dem Schlossberg " Die Lafnitz als Demarkationslinie: Der Einfluss auf den Alltag Am 9. Juli 1945 wurde in der Sitzung der EAC (European Advisory Commission) das Abkommen über die Besatzungszonen und die Verwaltung der Stadt Wien unterzeichnet. Gemäß dem alliierten Zonenabkommen wurde den Franzosen Tirol und Vorarlberg, den Briten Kärnten, Osttirol und die Steiermark und den US-Amerikanern Salzburg und Oberösterreich südlich der Donau zugesprochen. Die Sowjetunion bekam das Burgenland, Niederösterreich und das Mühlviertel als Besatzungszone. Mit dem alliierten Kontrollabkommen und der Vereinbarung über die Besatzungszonen waren die Grundlagen für die Schaffung der Alliierten Kommission für Österreich und für den Einzug der Besatzungstruppen in ihre Zonen gegeben. 8 Im Sommer 1945 war die Lafnitz als Demarkationslinie einmal mehr Grenzfluss geworden und trennte den sowjetischen und britischen Besatzungsbereich. Der Alltag der Menschen in diesem Gebiet, bedingt durch die Grenzlage, änderte sich gravierend. Für die südlichen Verwaltungsbezirke Oberwart, Güssing und Jennersdorf, die von den Zentralstellen der Parteien und Behörden in Eisenstadt weit entfernt und schwer zu erreichen waren, wurden von der Provisorischen Staatsregierung nach Festlegung der Demarkationslinie Landesregierungsrat Dr. Sepp Guggenbichler dazu bestellt, als Provisorischer Bezirkshauptmann die Verwaltung des südlichen Burgenlandes neu einzurichten. 9 Das Burgenland, 1938 bis 1945 zwischen Niederösterreich und der Steiermark aufgeteilt, hatte als Bundesland in den sieben Jahren der deutschen Herrschaft ein besonderes Schicksal gehabt. In diesen Jahren war der Zusammenhalt zwischen dem nördlichen und südlichen Landesteil fast vollständig verschwunden. Die Verwaltungszentren waren Graz und Wien gewesen. 10 Das Wesen der Lafnitz als Grenze wurde von den Bewohnern west- und ostwärts der Lafnitz schmerzhaft wahrgenommen. Die Bindungen der Orte an der steirisch-burgenländischen Grenze hatten zuvor auf vielen Ebenen existiert. Enge wirtschaftliche, religiöse, kulturelle und verwaltungstechnische Verflechtungen waren gewachsen, die nach Kriegsende durch das Vorhandensein der Demarkationslinie gelöst werden mussten. Ein Treffen der Bewohner aus burgenländischen und steirischen Dörfern war fast unmöglich, wodurch Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen erschwert bzw. unterbrochen wurden: Gewohnte Lebensräume wurden durchschnitten und abgegrenzt. Heute ist die Vorstellung von der Lafnitz als so genannte „trennende" Grenze kaum denkbar, zu stark sind die wechselseitigen Beziehungen. Ebenso unvorstellbar muss die Tatsache der Lafnitz als unüberwindbare Grenze damals für die Leute „hüben und drüben" gewesen sein. 8 9

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Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1 9 4 3 - 1 9 4 5 . Materialien zur Zeitgeschichte. Bd. 1. Wien 1977, S. 1 5 6 - 1 5 8 . Roland Widder, Politik im Burgenland nach 1945: Stile und Stationen, in: Roland Widder (Hg.), Burgenland. Vom Grenzland im Osten zum Tor im Westen. Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945. Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-WilfriedHaslauer-Bibliothek. Bd. 6/5. Wien - Köln - Weimar 2 0 0 0 , S. 3 5 9 ^ 2 8 , hier: S. 365. Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Neuaufl. Graz - Wien - Köln 1995, S. 82f.

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Sonja Wagner Entgegen der heutigen Nord-Süd-Verbindung des Burgenlandes waren Lebensbeziehungen und Verkehrslinien in west-östlicher Richtung verlaufen. In wirtschaftlicher Hinsicht und auf Grund der Verkehrserschließung war das südliche Burgenland nach Westen hin auf die Steiermark ausgerichtet. Durch die Demarkationslinie wurde der südliche Landesteil von der Steiermark abgeschnitten und geriet in eine wirtschaftliche Isolation. Im Südburgenland blühte das Schmuggel- und Hamsterwesen. Viele Konsumgüter konnten nur über den Schleichhandel in das Südburgenland gelangen. Im Jahr 1947 sollte diese Isolierung durch die Errichtung des „Eisernen Vorhanges" an der ungarischen Grenze noch verstärkt werden. Zu dieser Zeit begann sich dieser Landesteil auch aus den traditionellen Ost-West-Beziehungen zu lösen und sich nach der Landeshauptstadt hin zu orientieren, was für die Entwicklung des einheitlichen Landesbewusstseins von großer Bedeutung war. Entscheidend war der 1949 begonnene Bau der Nord-SüdVerbindung des Landes." Anfangs war es nicht immer möglich, von der einen Besatzungszone in die andere zu gelangen. Nach der Errichtung von Grenzposten an den Lafnitzbrücken konnten Grenzgänger mit einem Identitätsausweis in viersprachiger Ausführung die Zone wechseln. Für die Bevölkerung war es eine große Umstellung, dass es plötzlich nicht mehr möglich war, ohne Ausweis nach Fürstenfeld zu gelangen, da auf der burgenländischen Seite von den sowjetischen Soldaten und auf der steirischen Seite von den britischen Soldaten strenge Kontrollen durchgeführt wurden. Der Weg in die Schule oder zum Arbeitsplatz nach Fürstenfeld bzw. nach Neudau (Fa. Borckenstein) wurde ein beschwerlicher Weg. Den burgenländischen Landwirten wurde die Bewirtschaftung der im steirischen Gebiet liegenden Felder erschwert. Um zu ihren Feldern zu gelangen, mussten die Besitzer den sowjetischen Kontrollposten passieren, was von Seiten der Sowjets nicht immer ohne Schwierigkeiten abging. Das Vorhandensein der Demarkationslinie brachte Veränderungen und Schikanen mit sich, an die sich die Bevölkerung noch gewöhnen musste. Als Exempel für den Einfluss der Lafnitz als Demarkationslinie auf den Alltag sollen die Ortschaften Burgau (Steiermark) und Burgauberg (Burgenland) herangezogen werden, deren Alltag durch die Demarkationslinie entlang der Lafnitz enorm beeinflusst wurde. Am 12. März 1946 wurde für den Gendarmerieposten Burgau ein GendarmerieGrenzkontrollposten an der Demarkationslinie in der Nähe des Gasthauses Bleier errichtet. An dieser Stelle wurden auf der burgenländischen Seite von der sowjetischen Besatzungsmacht und auf der steirischen Seite von der Gendarmerie Personen- und Fahrzeugkontrollen durchgeführt, um ein unbefugtes Überschreiten zu verhindern. Auch Beschlagnahmen von Schmuggelware und Festnahmen von Personen, die die Demarkationslinie unbefugt, d. h. ohne entsprechenden Ausweis, überschreiten wollten, wurden durchgeführt. Im Jahr 1949 wurde der seit der Errichtung der Gendarmerie-Expositur aufgestellte Schranken über Anordnung der britischen Militärregierung entfernt. Der

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Wolfgang Bachkönig, Hart an der Grenze. Kämpfe - Schikanen - Tragödien. Gendarmen im Einsatz für das Burgenland. Eisenstadt 2002, S. 73.

,,Der Sowjetstern auf dem Schlossberg" sowjetische Kontrollposten an der Demarkationslinie in Burgauberg gab die Kontrolle im Jahr 1953 auf. 12 Burgauberg gehörte seit der Errichtung der Diözese Eisenstadt im Jahr 1960 - so wurde es in einem Übereinkommen mit der Diözese Graz-Seckau ausdrücklich niedergeschrieben - zur Diözese Eisenstadt, wurde aber von der steirischen Pfarre Burgau mitbetreut. Trotz mehrmaliger Bestrebungen, aus Burgauberg und Neudauberg eine eigene Pfarre zu gründen, besteht diese Pfarre noch heute über die Landesgrenze hinweg. 13 In der Besatzungszeit machte sich die Grenzsituation in kirchlichen Belangen manchmal auf makabre Weise bemerkbar. Der damalige Pfarrer Anton Fink verfasste im November 1945 einen ausführlichen Bericht über die Lage an der Zonengrenze, worin er unter anderem festhielt. „Die Grenzkontrolle wird von der russischen Grenzwache sehr streng gehandhabt. Die notwendigen Taufen und Beerdigungen aus Burgauberg können nicht in Burgau, sondern müssen in Stegersbach vorgenommen werden." 14 Weiters beklagte der Pfarrer, dass die Bewohner von Burgauberg nicht die Messe besuchen konnten, da die Grenze nur an Werktagen geöffnet war. Am Sonntag war die Grenze so gut wie geschlossen. So plante Pfarrer Fink, die Gottesdienste im Schulhaus von Burgauberg abzuhalten, wofür dem Pfarrer ein Passierschein ausgestellt wurde. Er konnte zu Schulbeginn einige Male damit die Grenze passieren, bald wurde von sowjetischer Seite aber die Echtheit des Passierscheines bezweifelt. Die Pfarre Neudau, zu welcher Neudauberg gehörte, hatte ähnliche Probleme. Die Durchführung von Taufen und Begräbnissen war mit Problemen verbunden. Manchmal war es unmöglich, dass der Leichenzug aus Neudauberg die Grenze nach Neudau, wo sich der Friedhof für beide Orte befindet, passieren konnte. Eine Notlösung musste gefunden werden: Die Verwandten und Bekannten gaben dem Toten bis zur Lafnitz das letzte Geleit und setzten den Sarg an der Grenze ab. Von der steirischen Seite kam ein Begräbniszug entgegen und übernahm den Sarg, um den Toten auf dem Friedhof in Burgau oder Neudau bestatten zu können. Erst mit Aufhebung der Zonengrenze konnte sich die Lage normalisieren. 15 An der Demarkationslinie kam es im Laufe der Nachkriegszeit immer wieder zu Zwischenfällen. Die folgenden Auszüge aus Vorfallensberichten sollen Einblick in den Nachkriegsalltag gewähren. Aus einem Schreiben des Sicherheitsdirektors für das Burgenland geht hervor, dass das Überschreiten der Demarkationslinie immer wieder mit Schwierigkeiten verbunden war. Es kam wiederholt vor, dass Besitzer vorschriftsmäßiger interalliierter Reiseausweise die Demarkationslinie Burgenland - Steiermark nicht überschreiten durften. Die 12

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Die Lafnitz als Demarkationslinie, in: Marktgemeinde Burgau - Gemeinde Burgauberg-Neudauberg (Hg.), Labonca - Lafnitz. Leben an einer der ältesten Grenzen Europas. Burgau, Burgauberg. Neudauberg. Burgau 1995, S. \2(> 129. Gemeinde Burgauberg-Neudauberg (Hg.), Burgauberg-Neudauberg. Eine „Grenzgemeinde" stellt sich vor. O. O. o. J., S. 77-81. Lebende Burgenländer-Tote Steirer, in: Marktgemeinde Burgau, Gemeinde Burgauberg-Neudauberg (Hg.), Labonca - Lafnitz. Leben an einer der ältesten Grenzen Europas. Burgau, Burgauberg, Neudauberg. Burgau 1995, S. 245-251, hier: S. 250. Ebd., S. 250.

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Sonja Wagner russische Bezirkskommandantur gab hierzu die Erklärung ab, dass bei Mitnahme eines zusätzlichen, mit einem Lichtbild versehenen Personalausweises der Passantenverkehr keinerlei Beschränkung unterliegen würde. Im Schreiben wird darauf hingewiesen, dass diese verschärften Kontrollen auf eine einheitliche Weisung zurückzuführen sind, um das Überschreiten der Demarkationslinie einzuschränken.16 Ein besonders schwerer Grenzzwischenfall ereignete sich am 17. November 1947. Sowjetische Grenzsoldaten überschritten die Demarkationslinie bei Deutsch-Kaltenbrunn und plünderten bereits in der britischen Zone eine größere Menge von Bekleidungsstücken und Lebensmitteln von aus Ungarn kommenden „Volksdeutschen".17 Mängel im Identitätsausweis (Fehlen eines Siegels, des Geburtsdatums usw.) waren oft der Grund, dass die Demarkationslinie nicht überschritten werden durfte. Es kam auch vor, dass Passanten vom sowjetischen Kontrollposten verhaftet und anschließend verschleppt wurden. So wurde „Maria K. am 22. Juni 1950 bei der Zonenkontrolle Rudersdorf von sowjetrussischen Kontrollposten wegen fehlerhaftem I-Ausweis festgenommen und in Richtung Stegersbach abgeführt".18 Am 18. Oktober 1949 wurden ein britischer Leutnant und zwei Soldaten an der Zonengrenze in Welten festgenommen. „Allem Anschein nach sind die Engländer in Unkenntnis des Verlaufes der Demarkationslinie an den russischen Schlagbaum gelangt."19 An der Demarkationslinie kam es seitens der sowjetischen Kontrollposten auch zu Beschlagnahmen, wie im Juni 1949 an der Zonengrenze Jennersdorf - Hohenbrugg: „Josef W., Altwarenhändler, aus Graz, wurde vom sowjetrussischen Kontrollposten zwei Stunden festgehalten. Josef W. sollte mit einem Lkw Alteisenmaterial, welches er im Bezirk Jennersdorf einsammelte, über die Demarkationslinie bringen. Dieses Material wurde ihm beschlagnahmt und bei der sowjetrussischen Ortskommandantur deponiert."20 Ende 1949 ereignete sich an der Demarkationslinie Rudersdorf - Fürstenfeld ein Verkehrsunfall. Der Transportunternehmer Sigmund H. überfuhr einen sowjetischen Kontrollposten und tötete dabei einen Soldaten. Im Unfallbericht heißt es: „Der Lenker des Lkws war bei dem Vorfall alkoholisiert und die Bremsen des Wagens waren nicht wirksam, da dieser Lkw vor dem geschlossenen Schlagbaum eine Bremsspur von 28 m aufwies und nach dem durchgebrochenen Schlagbaum noch 14 m weiterfuhr, wobei der russische Kontrollposten, der vor dem Schlagbaum stand, überfahren und 14 m trotz tödlicher Kopfverletzung mitgeschleift wurde. Sigmund H. wurde festgenommen."21 Ein Auszug aus dem Situationsbericht vom Dezember 1945 soll einen Eindruck über die in der Bevölkerung vorherrschende Stimmung vermitteln. Es wird illustriert, dass 16 17 18 19 20 21

BLA, A/VIII/14-V/1, Lage-, Vorfalls- und Informationsbericht, 1945-1948, Schreiben d. Sicherheitsdirektors für das Burgenland an das Bundesministerium für Inneres, 15.1.1946. Die Lafnitz als Demarkationslinie, S. 127. BLA, A/VIII/14-1/2-71/1945, Vorfallenheitsbericht, 26.6.1950. Archiv BH Jennersdorf, Präs. 29/49, Bericht des Gendarmeriepostens Neumarkt an der Raab, Bezirk Jennersdorf. BLA, A/VIII/14-1/2, Berichte der Sicherheitsdirektion für das Burgenland, 1949, Vorfallenheitsbericht, 30.6.1949. Ebd., 23.12.1949.

Der Sowjetstern auf dem Schlossberg " durch das Vorhandensein der Besatzung und der Demarkationslinie es zu Veränderungen kam, an die sich die Menschen schwer bzw. nicht gewöhnen konnten. Für die Südburgenländer gab es zwei Grenzen, eine zu Ungarn und eine zur Steiermark. Die Besatzungsmacht und die Demarkationslinie bedeuteten eine enorme Belastung, sodass es nicht verwunderlich ist, wenn der Ruf nach deren Abzug bzw. Aufhebung immer lauter wurde. Eine äußerst gedrückte Atmosphäre hatte sich breit gemacht: „Die Stimmung grenzt mitunter an Verzweiflung und völlige Gleichgültigkeit. Dies wirkt sich ganz besonders in den Bezirken des Burgenlandes aus, welche an Steiermark angrenzen, da dort schon der volle Wiederaufbau im Gange ist. Die Bevölkerung sieht diese unterschiedliche Behandlung zwischen hüben und drüben täglich und kann dies nicht verstehen. Die gesamte Bevölkerung wartet mit Sehnsucht auf die Wiederkehr normaler Verhältnisse, Aufhebung der Demarkationslinie, Verringerung des Besatzungsstandes, starke Besetzung der östlichen Bundesgrenze und baldest mögliche Erreichung wirtschaftlicher und sozialer Unabhängigkeit." 22 Die Unabhängigkeit kam nach zehn Jahren, der Wiederaufbau in dieser Region blieb ein schwieriges Stück Arbeit. Welche Auswirkungen die Allgegenwart der Besatzungsmacht ab dem 12. April 1945, dem Tag des Einmarsches der Roten Armee in Güssing, auf die Stadt hatte, soll im Folgenden dargestellt werden. „Der Sowjetstern auf d e m Schlossberg als Sinnbild der Befreiung" 2 3 Unmittelbar nach der Besetzung der Großgemeinde Güssing errichteten die Sowjets im Ort eine Kommandantur. Für die Zeit vom 17. April 1945 bis 1. September 1945 war die Kommandantur im Haus von Irene Dienes (Güssing Nr. 137) eingerichtet. 24 Danach wurde sie in das Schloss Draskovich und in das Haus des Friseurmeisters Franz Müller (Güssing Nr. 288) verlegt, wo sie bis zum Juli 1955 blieb. 25 Laut Chronik des Bezirksgendarmeriekommandos umfasste die Kommandantur ständig an die 40 Mann. 26 Im März 1947 kam es zu einer kurzzeitigen Auflösung der Kommandantur. 27 Gleich nach Kriegsende übertraf die Stärke der einquartierten Truppen die Einwohnerzahl einer Gemeinde um ein Vielfaches. Aus dem Situationsbericht des Bezirksgendarmeriekommandos Fürstenfeld für den Juni 1945 ist zu erfahren, dass am 8. Juni 1945 in Güssing und Umgebung von Prag über Wien 600 bis 700 sowjetische Soldaten

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BLA, A/VIII/14-1/1, Situationsbericht der Sicherheitsdirektion für das Burgenland für Dezember 1945,5.1.1946. Klosterchronik Güssing. Die sowjetische Besatzungsmacht befestigte einen großen, mit hölzernem Rahmen und durchsichtigem Glas versehenen Sowjetstern als Sinnbild der Befreiung Österreichs vom NS-Regime auf dem Schlossberg in Güssing, der mittels elektrischer Vorrichtung zum Leuchten gebracht werden konnte. BLA, LAD/I, Besatzungskosten 1948, Schreiben von Irene Dienes an die BH Güssing v. 20.3.1948. BLA, LAD/IV-A-1319, Besatzungskosten/Vergütung, 1949, Schreiben von Franz Müller an die BH Güssing v. 27.12.1949; Oral-History-Interview, Karl Draskovich. Güssing, 9.1.2002. Bezirksgendarmerieposten Güssing, Gendarmeriechronik. Paul Hajszänyi, Bilder-Chronik der Stadt Güssing. 1870 bis 1970. Güssing 1990, S. 377.

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Sonja Wagner eintrafen, die dort Quartier bezogen.28 Insgesamt sollen im Jahr 1945 etwa 3000 Mann in Güssing stationiert gewesen sein.29 Alle größeren und attraktiveren Gebäude wurden beschlagnahmt, so auch das Gebäude der Hauptschule Güssing. Im Oktober 1944 wurde dieses Gebäude nach der Einstellung des Unterrichtes vom Deutschen Roten Kreuz beansprucht. Nach dem Einmarsch der Sowjets diente das Gebäude als Lazarett; der Operationsraum befand sich im Konferenzzimmer. Die Hauptschule war etwa fünf Wochen lang Lazarett, und danach quartierten sich rund zwölf Offiziere und Soldaten ein. Gegen Ende August 1945 wurde das Schulgebäude für den Unterrichtsbetrieb wieder freigegeben, jedoch waren neben schadhaften Einrichtungsgegenständen viele Amtsschriften, Lehrmittel und Sammlungen verloren gegangen, was den Unterricht deutlich behinderte.30 Die Besetzung des Schulgebäudes in Güssing war kein Einzelfall. Im gesamten südlichen Burgenland wurden Schulen als Lager- und Unterbringungsstätten von der sowjetischen Besatzungsmacht in den Sommermonaten 1945 besetzt gehalten. Auch ein Auszug aus der Schulchronik der Hauptschule Rechnitz gewährt einen Einblick in die Schwierigkeiten im Schulalltag 1945: „[...] das Schulgebäude, wie es die Russen nach ihrer letzten Einquartierung verlassen haben: In den verschmutzten Räumen stehen noch die Bettstellen, das Konferenzzimmer mit der Bücherei und das Lehrmittelzimmer gleichen einer Schuttablage, die Abortanlagen sind total zerstört, die Schulbänke liegen in einer Ecke des Schulhofes in einem wüsten Haufen, teils zerbrochen durcheinander. [...] Das größte Hindernis des Unterrichtes stellte zweifellos das Fehlen von Heften dar, sodass die ersten Schularbeiten auf losen Blättern, viele Aufgaben sogar auf altem Packpapier geschrieben werden müssen. Die teilweise noch vorhandenen Lehrbücher dürfen zum Großteil nicht verwendet werden, weil sie der Zensur der russischen Besatzungsmacht zum Opfer fallen."31 Auf dem Gelände östlich von Güssing, in den Gemeinden Urbersdorf und Strem, wurde im Jahr 1945 von der Roten Armee ein Lager für eine Division errichtet. In Urbersdorf und Strem waren zahlreiche sowjetische Soldaten und Offiziere untergebracht.32 Im Strem- und Pinkatal, vereinzelt auch im Lafnitz- und Feistritztal wurden von den sowjetischen Truppen fast sämtliche Brettervorräte requiriert und sogar hölzerne Schuppen, Fußböden und Scheunen abgerissen und das Material zum Erbauen von Baracken im Lager zwischen Urbersdorf und Strem verwendet.33 In der Schulchronik Strem ist darüber Folgendes nachzulesen: „Schon wenige Tage nach dem Einmarsch der Roten Armee begannen ihre Angehörigen mit der Errichtung 28 29 30 31 32 33

StLA, BH Fürstenfeld, Gr. 14, Situationsbericht des Bezirksgendarmeriekommandos Fürstenfeld, 15.6.1945. Bezirksgendarmerieposten Güssing, Gendarmeriechronik. Hauptschule Güssing, Schulchronik, S. 42f. OSR Ferdinand Seper, Chronik der Hauptschule Rechnitz. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1972. StLA, BH Fürstenfeld, Gr. 14, Situationsbericht des Bezirksgendarmeriekommandos Fürstenfeld, 15.6.1945. Ebd., 24.6.1945.

Der Sowjetstern auf dem Schlossberg " eines Barackenlagers. [...] Hunderte von Wohnbaracken entstanden innerhalb kürzester Zeit zum Teil auf der Wiese, zum Teil im Stremer Winkelwald und boten Tausenden russischen Soldaten Unterkunft. Die genaue Anzahl der Lagerinsassen konnte nicht ermittelt werden, doch können es schätzungsweise 4-6000 Mann gewesen sein. Das Lager wurde so vollkommen ausgebaut, dass es über eigenen Tanz- und Kinosaal verfügte und eine eigene Licht- und Telefonleitung besaß. Zahlreiche wohlgepflegte Waldwege und Fußsteige gaben dem Lager ein anmutiges Gepräge. Als Truppenübungs- und Sportplatz fand die links gelegene große Wiese Verwendung. Ins Lagerinnere hatten Zivilisten keinen Zutritt. Erst als im nächsten Jahr das Lager wieder abgebrochen wurde, konnte man sich von der großen Ausdehnung eine Vorstellung machen. Die Baracken wurden zum größten Teil abtransportiert, zum anderen Teil gegen Schnaps und Wein verkauft." 34 Dem Situationsbericht des Bezirksgendarmeriekommandos Fürstenfeld vom 17. Juli 1945 kann entnommen werden, dass das Truppenkontingent zu dieser Zeit ca. 6000 sowjetische Soldaten im Lager umfasste. Weiters ist nachzulesen, dass sich das Bestehen des Lagers für das sowjetische Militär im „Stremerwald" in der Umgebung von Güssing für die Sicherheit der Bevölkerung ungünstig auswirkte: „Aus diesem Lager streifen russische Soldaten und Ostarbeiter in der näheren und auch weiteren Umgebung teils zu Fuss [sie!], teils mit dem Auto herum, belästigen die auf dem Felde arbeitenden Frauen und verüben Diebstähle." 35 Das Amtsgebäude der Bezirkshauptmannschaft und jenes des Bezirksgerichtes blieben trotz mehrmaliger Interventionen von Seiten der Bezirkshauptmannschaft beim russischen Ortskommandanten bis August 1946 besetzt. Dieser Zustand führte zu einem erschwerten Geschäftsgang und verzögerte den Aufbau der öffentlichen Verwaltung. 36 Am 2. Oktober 1945 mussten auf Anordnung der sowjetischen Kommandantur das Bezirksgendarmeriekommando und auch das Beamtenhaus in das Gasthaus Johann Gaal (Güssing Nr. 29) verlegt werden, wo in den Fremdenzimmern die Kanzleien eingerichtet wurden. Im Beamtenhaus selbst wurden Besatzungssoldaten einquartiert. 37 Das gesamte Gebäude der Agrargemeinschaft Güssing, bestehend aus 36 Räumlichkeiten, wurde in der Zeit von 1. April 1945 bis 30. September 1946 von der sowjetischen Besatzungsmacht besetzt gehalten. 38 Neben öffentlichen Institutionen mussten auch laufend Privatquartiere für Angehörige der Besatzungsmacht zur Verfügung gestellt werden, was die allgemeine Wohnungsnot verschärfte und besondere Härten für die betroffenen Familien mit sich brachte, wie folgender Lagebericht vom August 1946 zeigt: „Böses Blut erzeugen die gewaltsamen Einquartierungen, wobei weder der Beruf des Wohnungsinhabers noch die Zahl der Familienangehörigen Berücksichtigung finden. Durch die Einquartierung von Familienmitgliedern der Militärpersonen werden die Bewohner der einzelnen Woh34 35 36 37 38

Volksschule Strem, Schulchronik. Ebd., 24.6.1945. BLA, A/VIII/II/1, Bericht der BH Güssing v. 30.6.1946. Bezirksgendarmerieposten Güssing, Gendarmeriechronik. BLA, LAD/I-A-1937, Besatzungskosten/Vergütung, 1947-1948, Schreiben der Agrargemeinschaft Güssing v. 8.11.1947 an die BH Güssing.

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Sonja Wagner nungen zusammengedrängt und ihre Einrichtungsgegenstände dadurch gefährdet, dass Möbelstücke bei der Räumung der Wohnung durch die einquartiert gewesenen [sie!] verschleppt werden.39 Der teilweise Abzug sowie oftmalige Wechsel und Durchmarsch der Truppen der sowjetischen Besatzungsmacht brachte für die Bevölkerung in den Gemeinden immer wieder neue Belastungen mit sich. Der Abzug vollzog sich meistens reibungslos, jedoch nahmen die Truppen Einrichtungsgegenstände aus staatlichem und privatem Besitz mit.40 Das Abziehen der Sowjets aus Güssing im Frühjahr 1947 wurde von der Bevölkerung begrüßt: „Als große Genugtuung wurde die starke Reduzierung der russischen Besatzungstruppen in Güssing seit Beginn des Jahres 1947 empfunden. Seit Mitte März 1947 wurde auch die hiesige Kommandantur aufgelöst und damit war der letzte russische Soldat aus dem Ort sang- und klanglos verschwunden. Ein Aufatmen ging durch die ganze Bevölkerung. Alles konnte wieder ungestört der Arbeit nachgehen, auch die Wohnungsfrage konnte wieder gelöst werden."41 Als trotz Abzuges des Großteils der Besatzung die dadurch frei gewordenen Wohnräume von der Besatzungsmacht nicht freigegeben wurden, verbreitete sich Missstimmung unter der Bevölkerung von Güssing.42 Erfahrungen dieser Art machte Anna Grandpierre aus Güssing, deren Haus für den Zeitraum vom 12. April 1945 bis Herbst 1946 von Mitgliedern der Besatzungstruppen beansprucht wurde. Der Besitz von Anna Grandpierre war beim Einmarsch der Roten Armee in Güssing beschlagnahmt worden. Nachdem die Truppen ihr Haus verlassen hatten, war es ihr dennoch nicht gestattet, sofort in ihr Eigenheim zurückzukehren.43 Graf Karl Draskovich erzählt über die Einquartierung im Schloss Draskovich, dass „das gesamte Schloss von den Russen besetzt wurde. Wir mussten in ein kleines Parkhaus, das sich nicht weit weg vom Schloss befindet, übersiedeln. Das Schloss zu benutzen, war uns nicht gestattet. Das gesamte Schloss war von russischen Soldaten belegt, sie benutzten jede Räumlichkeit zu ihren Gunsten. In unserer Schlosskapelle haben die Russen für ihre eigenen Soldaten eine Gefangenenzelle eingerichtet. Sie haben nicht nur die Räumlichkeiten unseres Schlosses genutzt, sondern auch all unsere Fahrzeuge, Traktoren, Fahrräder, Pferde [...] in Besitz genommen. Als die Russen unser Schloss nach zehnjähriger Besatzung wieder verließen, war das gesamte Schloss ausgeplündert und in desolatem Zustand."44 Die Freude und Erleichterung unter der Bevölkerung über den Abzug im Frühjahr 1947 währte nicht lange, denn im Herbst 1947 kam es zu einem Wiedereinzug der sowjetischen Besatzungstruppen und zur Wiedererrichtung der Kommandantur. War die

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BLA, A/VIII/14-1/1, Lagebericht der Sicherheitsdirektion für das Burgenland für August 1946 v. 2.9.1946. BLA, A/VIII/14-1/1, Bericht der Sicherheitsdirektion für das Burgenland für April 1946 v. 10.5.1946. Franziskanerkloster Güssing, Klosterchronik IV, 1935-1972, Bd. 148. BLA, A/VIII/II/1 -1-657/13, Bericht der BH Güssing für August 1946 v. 29.9.1946. BLA, LAD/I, Besatzungskosten/Vergütung, 1947-1948, Schreiben von Anna Grandpierre an BH Güssing v. 22.12.1946. OHI, Draskovich.

„ Der Sowjetstern auf dem Schlossberg " Bevölkerung von Güssing über die neuerliche Besetzung des Ortes, wie der folgende Auszug aus der Klosterchronik vermitteln möchte, tatsächlich erfreut? „Zur großen Freude der Bevölkerung zogen in der zweiten Hälfte des August 1947 neuerdings einige siegreiche Vertreter der Roten Armee in Güssing ein. Sie errichteten eine russische Stadt-Kommandantur. Auch der Sowjetstern auf dem Schlossberg, als Sinnbild der Befreiung und der Hoffnung auf bessere Zeiten, musste auf ihren Befehl wieder jede Nacht sein mildes Licht über die glücklichen' Bewohner der Stadt ausgießen."45 Die Einquartierung der sowjetischen Truppen verbreitete in der Bevölkerung Sorge und Unruhe. Die Lage war für jene Ortsbewohner, die ihre Wohnungen den Besatzungstruppen zur Verfügung stellen mussten, ziemlich prekär. Viele Familien waren gezwungen, für längere Zeit auszuziehen und anderweitig Unterkunft zu finden. Es blieb kaum Zeit, mit dem Hausrat zu übersiedeln, Hab und Gut blieben großteils zurück. Verschärft wurde die Lage, weil es auf Grund der Kriegseinwirkungen viele beschädigte Wohnhäuser gab und die Wohnungsnot im südlichen Burgenland ohnedies groß war. Beim Abmarsch der Soldaten fanden die Inhaber meistens nur leere Räume vor.

Das Verhältnis der Bevölkerung zur sowjetischen Besatzungsmacht Wenngleich sich das disziplinare Verhalten der Besatzungssoldaten verbesserte bzw. Morde, Vergewaltigungen, Plünderungen und andere Übergriffe mit der Zeit rückläufig wurden, so blieb das Image der sowjetischen Soldaten von den Ausschreitungen in der Anfangszeit der Besatzung geprägt. Das Verhältnis zu den Besatzungsbehörden in der britischen Zone gestaltete sich von Beginn an problemloser. Mit der in Fürstenfeld stationierten britischen Militärbehörde und der britischen Militärkommandantur in Fürstenfeld und Burgau gab es ein gutes Einvernehmen. 46 Im Gegensatz dazu war das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und den allgegenwärtigen sowjetischen Soldaten im burgenländischen Gebiet vorerst äußerst gespannt. Es war von gegenseitigem Misstrauen bzw. offener Ablehnung gekennzeichnet. Im Sommer 1945 beschrieb die Sicherheitsdirektion die Beziehungen folgendermaßen: „Das Verhältnis der Bevölkerung zu den Russen ist, beeinflusst durch die zahlreichen Morde, Plünderungen, Gewalttaten, Schändungen und Verschleppungen ein denkbar ungünstiges. Solange das noch vorhandene Eigentum kein gesicherter Besitz und das Leben der einzelnen Staatsbürger ohne Schutz ist, ist an eine Verbesserung der Einstellung der Bevölkerung zur Besatzungstruppe nicht zu denken." 47 Am 9. Jänner 1946 sandte der Kommandant des 3. Schützenbataillons des 184. Schützenregiments, Gardemajor Grjaznov, eine Gruppe von Soldaten mit einem Fuhrwerk in die Ortschaft Berg, um Lebensmittel und Wein zur Feier seines Geburtstages zu besorgen. 20 Häuser des Dorfes wurden von dieser mit Maschinenpistolen 45 46 47

Franziskanerkloster Güssing, Klosterchronik IV, 1 9 3 5 - 1 9 7 2 , Bd. 148. StLA, BH Fürstenfeld, Gr. 14, Situationsbericht des Bezirksgendarmeriekommandos Fürstenfeld. 16. bis 30.9.1945. Hermann Krenn, Der „Umbruch". Das mittlere und nördliche Burgenland 1944—1946. Phil. Diss. Wien 1991, S. 240.

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Sonja Wagner bewaffneten Gruppe durchsucht. Den Bewohnern wurde befohlen, innerhalb von zwei Stunden einen Liter Wein, zwei Kilogramm Mehl und zwei Eier pro Haushalt auf das Fuhrwerk zu laden. Nach Beschwerde des Bürgermeisters wurden die „Einsammler" festgenommen und die Lebensmittel der Bevölkerung rückerstattet. 48 Der Umgang mit der sowjetischen Besatzungsmacht war von zeitlichen und örtlichen Unterschieden geprägt. Das eine Mal werden die Interaktionen als reibungslos, sogar gut beschrieben, dann wurde wieder von einer gegenseitigen ablehnenden Haltung gesprochen. Dabei muss auch zwischen dem Verhältnis der österreichischen Behörden und den sowjetischen Kommandostellen und dem Verhalten der Besatzungsmacht der Bevölkerung gegenüber differenziert werden. Als Beispiel kann hier der Lagebericht der Bezirkshauptmannschaft Jennersdorf herangezogen werden, in dem geschildert wird: „Das Verhältnis ist gegenüber den österreichischen Behörden sehr gut, wogegen dies von den Besatzungstruppen in den einzelnen Orten des Bezirkes, besonders jenen von Heiligenkreuz und Neuhaus a. Klausenbach nicht gesagt werden kann. In Heiligenkreuz im Lafnitztal nehmen die Klagen der Bevölkerung über Entwendungen an Futtermitteln, Schäden auf den Feldern und Einbruchsdiebstähle bei Nacht zu, und wenn die Geschädigten bei der dortigen Besatzung Beschwerden vorbringen, so bekommen sie noch Schläge. In Neuhaus a. Kl. haben am 20.10.46 nachts bei einer Tanzunterhaltung drei betrunkene russische Soldaten im Gastzimmer herumgeschossen und hiebei eine Person schwer und eine leicht verletzt." 49 Von Seiten der russischen Bezirkskommandanturen gab es ernst zu nehmende Bestrebungen, die Ruhe in den Bezirken zu fördern. Sie erwiesen in dem Sinne Beistand, dass sie gemeinsam mit österreichischen Behörden Patrouillen zur Kontrolle der wichtigsten Straßenzüge entsandten. Sie gewährten auch bei der Aufklärung der verbrecherische Taten von Angehörigen der Besatzungstruppen Unterstützung. Die Kommandanturen versuchten, Übergriffe von sowjetischen Soldaten zu verhindern.50 Dennoch gingen diese kontinuierlich weiter, und so wurde die sowjetische Besatzungsmacht von einem Großteil der Bevölkerung auch im Sommer 1947 noch immer als Belastung empfunden, und ihrer Anwesenheit wurde mit Unmut und Missstimmung begegnet. „Die Missstimmung gegen die Besatzungstruppen dauert noch an und wurde infolge des Verhaltens der sowj.russ. Soldaten schärfer. Den Leuten fehlt zu diesen Uniformierten das Vertrauen und [sie] trachten auch teils aus Angst, sowenig wie nur möglich mit den Fremden in Berührung zu kommen. Die Ursache des Mißtrauens ist wohl der Umstand, dass sich die russ. Soldaten in letzter Zeit viel zu wenig human gegen die Bevölkerung verhalten. Die Soldaten schiessen [sie!] in der Raab herum, um so die Fische zu fangen, und wildern während der Schonzeit in unseren Wäldern. Es scheint, es sind wieder die schrecklichen Kriegstage hereingebrochen." 51 48 49 50 51

AVP RF, F. 66, op. 24, p. 26, d. 20, S. 41. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 119. BLA, A/VIII/II/1, Bericht der BH Jennersdorf für Oktober 1946 u. für November 1946. BLA, A/VIII/14-1/1, Bericht der Sicherheitsdirektion für das Burgenland für Juli 1946, für November 1946 und für Dezember 1946. BLA, A/VIII/II/1 -I-1054/35, Bericht der BH Jennersdorf für 26.8.1947.

Der Sowjetstern auf dem Schlossberg " Kulturelle Beziehungen mit den Sowjets Um im kulturellen Bereich die gegenseitigen Beziehungen enger zu gestalten, wurde am 28. September 1945 in Eisenstadt die erste Sitzung zur Gründung eines Vereins zur Förderung der kulturellen Beziehungen zu den Völkern der Sowjetunion abgehalten. Die Hauptaufgabe sollte darin bestehen, der Bevölkerung die Kultur der Sowjetunion sowie deren Entwicklung näher zu bringen.52 Am 9. Mai 1947 fand in Güssing eine Besprechung zur Gründung einer österreichisch-russischen Kulturvereinigung statt. Laut Statuten führte der Verein den Namen „Gesellschaft zur Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion" und hatte seinen Sitz in Wien mit Zweigstellen im gesamten österreichischen Bundesgebiet. Der Verein verfolgte das Ziel, Kenntnisse über Kultur, Geschichte, Gesellschaftsstruktur, Staatsrecht, Sprachen und Wirtschaft der Sowjetunion zu vermitteln. Umgekehrt sollten in der Sowjetunion Kenntnisse über Kultur und Wirtschaft Österreichs verbreitet werden und geistige und wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Ländern geknüpft werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden der Bevölkerung Bücher, Zeitschriften und Bilder zur Verfügung gestellt. Es wurden auch Vorträge, öffentliche Diskussionen, Konzerte, Filmvorführungen und Ausstellungen veranstaltet. Auch in Güssing fand eine Reihe von Veranstaltungen statt.5·1 Am 15. November 1948 wurde vom Verein in Güssing russischer Sprachunterricht in Abendkursen von einem Wanderlehrer angeboten. Im Dezember 1948 wurde ein Literaturfonds eingerichtet, um interessierten Kreisen namhafte sowjetische Schriftsteller näher zu bringen und diese mit deren Gedankengut vertraut zu machen. Hierzu wurde in Güssing eine öffentliche Bücherei eingerichtet. Der Bürgermeister wurde angewiesen, die mit Legitimationen der Gesellschaft ausgewiesenen Organe bei der Durchführung ihrer Aktionen tatkräftig zu unterstützen.54 Die sowjetische Besatzungsmacht hielt drei Nationalfeiertage in Ehren. Am 7. November wurde der Tag der Oktoberrevolution gefeiert, am 23. Februar der Tag der Roten Armee; der 13. April galt als der Befreiungstag der Roten Armee.55 An diesen Feiertagen wurden von der „Gesellschaft zur Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion" in Güssing Feiern in besonderem Rahmen veranstaltet, die auch die Hauptschule von Güssing mitgestaltete. Am 27. November 1947 fand anlässlich des 30. Jahrestages eine Gedenkfeier zur Erinnerung an die Oktoberrevolution in Russland statt. Der Zeichensaal wurde der Bedeutung des Tages entsprechend geschmückt. Lieder und Gedichte der Schüler und eine Ansprache des Direktors füllten die Feierstunde aus. Im Februar 1948 wurde die Ausstellung „30 Jahre Sowjetunion" von den Schülern im Hotel Fassmann besucht. Anhand einer großen Zahl 52 53 54 55

B L A , „Freies Burgenland", Verein zur Förderung der kulturellen Beziehungen zur Sowjetunion in Eisenstadt, Nr. 1, 3.11.1945, S. 8. B L A , BH Güssing, 23, Sowjet-österr. Kulturvereinigung, 1 9 4 7 - 1 9 6 3 , Schreiben der BH Güssing, 9.5.1947. Ebd. Edmund Merl, Besatzungszeit im Mühlviertel. Anhand der Entwicklung im politischen Bezirk Freistadt. 2. Aufl. Linz 1980, S. 187.

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Sonja Wagner von Bildern wurde der kulturelle, technische und wirtschaftliche Aufstieg der Sowjetunion seit der Machtergreifung der Bolschewiken gezeigt.56 Die Ausstellung wurde als schöner Erfolg dargestellt. „Im Großen und Ganzen haben die Leute Interesse gezeigt, und zwar alle Schichten der Bevölkerung und haben mit gutem Eindruck den Ausstellungsraum verlassen. Jedenfalls haben wir wieder unsere Kenntnisse über die Sowjetunion, die ja allgemein sehr mangelhaft sind, ergänzt, und deshalb ist diese Ausstellung sehr begrüssenswert [sie!]."57 Am 13. April 1949 nahmen die zwei obersten Klassen der Hauptschule an der von der „Gesellschaft" in Güssing veranstalteten Befreiungsfeier teil. Die Mädchen sangen die österreichische Bundeshymne, eine Schülerin brachte auf dem Klavier die sowjetische Hymne zum Vortrag. Am 17. Dezember 1949 besuchten die obersten Klassen auch die Stalinfeier, veranstaltet im Hotel Fassmann.58 Das von der Zweigstelle Güssing organisierte Konzert vom 27. Februar 1949 war, gemessen an der Besucherzahl von 300, ein großer Erfolg. Den Anlass des Konzertes gab der Gedenktag der Roten Armee. „Die Darbietungen der Chöre und des Orchesters waren, nach unseren ländlichen Verhältnissen gemessen, einzigartig gut. Auch der russische Tanz wurde vom Orchester mit entsprechendem Temperament vorgetragen, was die Anwesenden sehr begeisterte. Jeder der Teilnehmer ging mit dem Eindruck fort, etwas Schönes erlebt zu haben."59 Die Oktoberrevolution wurde am 8. November 1949 in Güssing im großen Saal des Hotels Fassmann mit 130 Anwesenden besonders gefeiert. Der Bezirkshauptmann als Obmannstellvertreter hielt die Festrede. Ebenso hielt der sowjetische Bezirkskommandant von Güssing eine Rede in russischer Sprache, welche im Anschluss vom Bürgermeister ins Deutsche übersetzt wurde. Von der Bezirkskommandantur wurde für einen längeren Vortrag das entsprechende Material zur Verfügung gestellt. Ein an die Anwesenden gerichteter Appell zur Vertiefung des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen dem österreichischen und dem sowjetischen Volk bildete den Ausklang der Feier.60 Eine Reihe von Filmvorführungen wurde regelmäßig im Kino Güssing veranstaltet. Die Filme wurden von der Sovexportfilm-Gesellschaft in Wien IV, Brahmsplatz 8, besorgt, allerdings mussten sie bis zum 13. des Vormonats angefordert werden. Nach Abschluss der Vorführungen musste an die Gesellschaft ein Bericht über die genauen Besucherzahlen übermittelt werden. Da in Güssing die sowjetischen Filme keinen besonderen Zuspruch bei der Bevölkerung fanden, der Kinosaal oft leer war, wurde am 13. Juli 1951 im Rahmen einer Sitzung der Zweigstelle Güssing folgender Beschluss gefasst: „Sowjetische Filme wurden in Güssing bisher nur schwach besucht. Die Ge56 57 58 59

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Hauptschule Güssing, Schulchronik, S. 51. BLA, BH Güssing, 23, Sowjet.-österr. Kulturvereinigung, 1947-1963, Schreiben von der Zweigstelle Güssing an die Landeszweigstelle der Gesellschaft in Eisenstadt, 11.3.1948. Hauptschule Güssing, Schulchronik, S. 57f. BLA, BH Güssing, 23, Sowjet.-österr. Kulturvereinigung, 1947-1963, Schreiben der BH Güssing v. 9.5.1947, Schreiben von der Zweigstelle Güssing an die Landeszweigstelle der Gesellschaft in Eisenstadt v. 21.3.1949. Ebd., Schreiben der BH Güssing v. 18.11.1949, Schreiben von der Zweigstelle Güssing an die Landeszweigstelle der Gesellschaft in Eisenstadt.

„Der Sowjetstern auf dem Schlossberg" sellschaft muss es als eine ihrer wichtigen Aufgaben betrachten, in geeigneter Form Menschen zum regelmässigen [sie!] Besuch von sowjetischen Filmen zu erziehen bzw. zu gewinnen. Die Auswahl von Filmen ist überlegt vorzunehmen, eventuell die Kulturfilme der Schulen für Erwachsenenvorstellungen heranzuziehen. Dadurch ist ein stark ermässigter [sie!] Eintrittspreis zu erzielen. Die Karten sind im Vorverkauf an aufgeschlossene Menschen zu verkaufen. Mit Geduld und einer systematischen Arbeit wird damit ein ganz bestimmter Kreis von Menschen für die sowjetischen Filme gewonnen werden können." 61 Über den geringen Anklang der sowjetischen Filmvorführungen weiß auch der damalige Kinobesitzer Kurt Guggenberger zu erzählen: „Wir in der russischen Zone mussten 50 Prozent des Programms mit Filmen dieser russischen Sovexport-Gesellschaft decken. Die Filme, teils auf Deutsch, teils auf Russisch, waren überhaupt nicht gut besucht. Es waren ganz nette Filme dabei, aber größtenteils haben sie sich mit unserer Mentalität so geschlagen, dass sie einfach nicht gegangen sind. Zusätzlich habe ich extra für die russische Kommandantur und für ihre Truppen Sondervorstellungen zeigen müssen. Es war immer sehr peinlich, dass bei den Filmvorführungen so wenige Leute gekommen sind, und die Russen haben das dann immer auf mich gemünzt, als ob ich schuld wäre, dass die Leute nicht kommen. Man hat da einiges erlebt. An einem Abend sind Russen gekommen, ein russischer Film stand am Programm, aber kein einziger Besucher. Dann haben die Offiziere und Soldaten geschimpft, ,Das sind alle Faschisten!', und sie haben verlangt, dass ich den Film trotzdem spiele. Ich wollte nicht, da keine Leute sonst da waren, und die Russen haben nichts bezahlt. Da drohte man mir mit Erschießung, also musste ich den Film spielen lassen."62 Bei den einzelnen Veranstaltungen von Seiten der „Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft" musste darauf geachtet werden, dass im Programm auch ausreichend sowjetische Werke berücksichtigt wurden. So wurde der Verein in Güssing darauf hingewiesen, im Rahmen eines Liederabends zu wenige sowjetische Lieder geboten zu haben.63 Aus der Erwägung heraus, dass Weihnachten ein Fest der Familie sei und dass das Kind die Weihnachtsfreude im Kreise der Familie erleben sollte, hatte die Schule davon Abstand genommen, Weihnachtsfeiern zu veranstalten. Aber die sowjetische Stadtkommandantur von Güssing bestand darauf, jeweils am Stefanitag eine Weihnachtsfeier mit Musik, Liedern, Gedichten, Ansprachen und Gabenverteilung an bedürftige Kinder zu veranstalten. Die Schüler der Volks- und Hauptschule gestalteten das Programm mit Liedern und Gedichten mit. Die Saalmitte schmückte ein aufgeputzter Tannenbaum, um den nach russischem Brauch von Kindern ein Reigen getanzt wurde.64 Abgesehen davon, dass zu Anlässen wie dem „30. Jahrestag der Oktoberrevolution Russlands" oder der „Stalinfeier" schulfrei gegeben wurde, versuchte die sowjetische 61 62 63 64

BLA, BH Güssing, 23, Sowjet-österr. Kulturvereinigung, 1947-1963, Zusammenfassung der Sitzung v. 13.7.1951 von der Zweigstelle Güssing. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0278, Kurt Guggenberger. Güssing, 18.1.2002. BLA, BH Güssing, 23, Sowjet.-österr. Kulturvereinigung, 1947-1963, Schreiben an die Zweigstelle Güssing v. Hauptsitz der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft v. 9.6.1951. Hauptschule Güssing, Schulchronik, S. 116.

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Sonja Wagner Besatzungsmacht, stärker in das Schulwesen Einfluss zu nehmen. So kam es im Schuljahr 1950/51 zur Einführung des Faches Russisch in den 3. und 4. Klassen mit jeweils vier Wochenstunden, wogegen Englisch nur mehr als unverbindlicher Gegenstand angeboten wurde. 65 Zur Erteilung des vorgeschriebenen Russischunterrichtes wurde der Gemeindeamtmann i. R. von Tobaj (Bezirk Güssing) angestellt. Jedoch stimmte die sowjetische Kommandantur dieser Verfügung nicht zu, sodass nach vorübergehendem Ausfall des Russischunterrichtes ab 8. November 1950 Prof. J. Schneider aus Oberschützen unterrichtete. So wurden die Schüler neben dem regelmäßigen Besuch sowjetischer Kulturfilme, wie „Moskauer Tor" oder „SU heute", auch mit der russischen Sprache vertraut gemacht. 66 Im Jahreshauptbericht 1950/51 wurde darauf hingewiesen, dass sich die zweite Fremdsprache in den beiden oberen Klassen ungünstig auswirkte, da es für die Schüler eine enorme Belastung bedeutete. Dennoch zeigten die Schüler für die Fremdsprachen reges Interesse. Es war wohl festzuhalten, dass mit dem Wachsen der Schwierigkeiten in der Fremdsprache in den oberen Klassen ein Schwinden des Interesses zu beobachten war, doch wirkte sich günstig aus, dass die zweite Fremdsprache in der 3. und 4. Klasse als Freigegenstand unterrichtet wurde, sodass minder begabte Schüler nicht mit zwei Fremdsprachen belastet werden brauchten. Der Russischunterricht an der Schule wurde auch von einem Offizier der sowjetischen Stadtkommandantur von Güssing in Begleitung seiner Dolmetscherin besucht. Die Russischlehrkraft waren verpflichtet, in jedem Schuljahr sechsmal eintägige Fortbildungskurse unter der Leitung eines sowjetischen Fachinspektors in Oberwart zu besuchen. Am 11. Februar 1953 besuchten die Russischlehrkräfte der Bezirke Oberwart, Jennersdorf und Güssing unter der Leitung des sowjetischen Inspektors Dir. Panfilov aus Wien eine Russischunterrichtsstunde an der Hauptschule in Güssing. In der anschließenden Ansprache bezeichnete Inspektor Panfilov den Unterricht als produktiv. Allgemein war er mit den Leistungen der Schüler zufrieden. Außer einem Lehrbuch wurde als Lehrbehelf auch die Zeitschrift „Wir lernen Russisch" 67 von der russischen Kommandantur für den Unterricht unentgeltlich zur Verfügung gestellt.68

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Hauptschule Güssing (Hg.), 70 Jahre Hauptschule Güssing 1924-1994. Festschrift, o. O. o. J., S. 16. Hauptschule Güssing, Schulchronik, S. 2 - 9 7 . Die Hauptschule Güssing verwendete als Begleitheft im Russischunterricht die Zeitschrift „Wir lernen Russisch". Hauptschule Güssing, Schulchronik, S. 2 - 9 7 .

Gerald Hafner

Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung Unter dem Mühlviertel versteht man den nördlich der Donau gelegenen Landesteil Oberösterreichs. Auf Grund der ungünstigen landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen, des geringen Anteils an Gewerbe und Tourismus, seiner ungünstigen Verkehrslage an einer „toten" Grenze und vor allem auf Grund der Tatsache, dass es zwischen 1945 und 1955 eine sowjetisch besetzte Zone war, zählte das Mühl viertel lange Zeit zu den entwicklungsbedürftigen Gebieten Österreichs. 1 Das Mühlviertel war immer sehr eng mit dem südlichen Teil Oberösterreichs und speziell mit der Landeshauptstadt Linz verbunden. So hatte auch lange Zeit die Verwaltungsbehörde für den Mühlkreis, das Mühlkreisamt, ihren Sitz in Linz. 2 Die wirtschaftliche Situation ließ den ländlichen Siedlungsraum Mühlviertel, der durch die Nähe des mächtigen und rasant gewachsenen Industriekernes Linz besonders stark betroffen war, immer schon nach Linz tendieren. Viele Menschen aus dem Mühlviertel fanden in Linz Arbeit und Einkommen. So war das Mühlviertel immer schon ein Abwanderungsgebiet. 3 Zwischen 1934 und 1955 nahm die Zahl der Betriebe in Oberösterreich um 244 Prozent zu, im Mühlviertel stieg sie jedoch nur um 146 Prozent. Im selben Zeitraum nahm die Zahl der Beschäftigten in Oberösterreich durchschnittlich um 352 Prozent zu, im Mühl viertel aber nur um 173 Prozent. Nach der Zahl der Beschäftigten ist somit das Wachstum der Industrie im übrigen Oberösterreich durchschnittlich mehr als doppelt so stark wie im Mühlviertel. Auch die Einwohnerzahl des Mühlviertels hat sich von 1900 bis zur Jahrhundertmitte kaum erhöht. Während die Einwohnerzahl Oberösterreichs um 41 Prozent wuchs, erhöhte sich diese im Mühlviertel lediglich um 2,5 Prozent. Dementsprechend verminderte sich der Anteil des Mühlviertels an der Bevölkerung des Landes Oberösterreich von 27,8 Prozent auf 16,5 Prozent. 4

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Inge Binder, Die Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung der Grenzzone des Mühlviertels. Schriftenreihe der oberösterreichischen Landesbaudirektion. Linz 1967, S. 9. O Ö L A , Bericht: „Die Zivil Verwaltung Mühl viertel 1 9 4 5 - 1 9 5 5 " , S. 1. Hans Bach, Auswirkung der Industrialisierung auf das untere Mühlviertel, in: Schriftenreihe des österreichischen Instituts für Mittelstandspolitik. O. O. 1969, S. 4 - 2 9 , hier: S. 1 0 - 1 3 . Bach, Auswirkung der Industrialisierung auf das untere Mühlviertel, S. 13.

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Gerald Hafner Mit der Zuschlagung des Mühlviertels als einzigem Landesteil Oberösterreichs zur sowjetischen Besatzungszone war seine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung entscheidend blockiert.5 Die Geschehnisse, die 1945 eine Separierung des Mühlviertels vom übrigen Oberösterreich mit sich brachten, warfen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch verwaltungsmäßig Probleme auf. Deshalb zielte auch 1945 sofort jede Politik auf die Aufrechterhaltung der Verbindungen zwischen dem Mühlviertel und dem übrigen Oberösterreich, insbesondere Linz, ab. Die Zoneneinteilung Zur ersten Gebiets- und Verwaltungsveränderung für das Mühlviertel kam es durch das Münchner Abkommen vom 30. September 1938. Die angrenzenden Teile des Sudetenlandes wurden an das Land Oberdonau (später Reichsgau) angegliedert.6 Der Bezirk Urfahr wurde aufgeteilt. Die Gerichtsbezirke Ottensheim und Urfahr wurden der Bezirkshauptmannschaft Linz, die Gemeinden des Gerichtsbezirkes Leonfelden der Bezirkshauptmannschaft Freistadt und die Gemeinde Reitenschlag dem Bezirk Rohrbach zugeteilt.7 Am 23. November 1944 legte die Sowjetunion einen Dreimächtezonenplan vor. Darin betonte sie ihr Interesse an einer Beteiligung amerikanischer Präsenz in Österreich. Die Sowjets sollten nach diesem Plan das Burgenland, das östliche Niederösterreich und den größten Teil der Steiermark, einschließlich der Stadt Graz, besetzen, die Briten den westlichen Teil Niederösterreichs einschließlich des Waldviertels, den nordwestlichen Teil der Steiermark und ganz Kärnten. Die übrigen Bundesländer sollten die Amerikaner besetzen.8 Diesen Vorschlag lehnten die Briten mit der Begründung ab, dass die ihnen zugewiesenen Zonen geographisch, Verkehrs- und verwaltungsmäßig ungünstig lägen. Die Briten legten ihrerseits am 15. Jänner 1945 einen Plan vor, nachdem nun auch die Franzosen ihre Wünsche kundtaten. Tirol und Vorarlberg sollten unter französischen, Salzburg und Oberösterreich unter amerikanischen, Osttirol, Kärnten, Steiermark und das südliche Burgenland unter britischen, Niederösterreich und das nördliche Burgenland unter sowjetischen Einfluss geraten. Wien sollte nach dem Vorschlag der Briten in der Größe des „Reichsgaues Wien" in vier Sektoren geteilt werden.9 Die militärische Entwicklung kam dem alliierten Tauziehen um die Einfluss- und Besatzungszonen in Österreich zuvor, denn bereits am 29. März 1945 betraten erstmals sowjetische Truppen österreichischen Boden. Nachdem am 15. April die Sowjets die 5 6

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Wirtschafts- und Arbeitsbericht 1955 der Kammer der Gewerblichen Wirtschaft für Oberösterreich. Linz 1956, S. 3. Gerd Rühle, Das Dritte Reich. Dokumentarische Darstellung des Aufbaus der Nation. Berlin 1939, S. 276. - Vgl. zu Oberösterreich in der NS-Zeit vor allem: Harry Slapnicka, Oberösterreich als es „Oberdonau" hieß (1938-1945). Linz 1978. Amtskalender für den Gau Oberdonau. Linz 1940. Edward R. Jr. Stettinius, Roosevelt and the Russians. London 1950, S. 127. Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945-1955. Österreichs Weg zur Neutralität. 2., erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1980, S. 7.

Das Mühlviertel unter sowjetischer

Besatzung

Traisenlinie in Niederösterreich erreicht hatten, wurde ein vorläufiges Ende der Offensive angeordnet, und der amerikanische Botschafter erklärte bei der EAC (European Advisory Commission), dass es höchste Zeit sei, zu einer Einigung über die Besatzungszonen zu kommen. 10 Auf Grund ihrer militärischen Erfolge im Osten Österreichs erhoben die Sowjets im April 1945 weitere Forderungen. Sie verlangten den nördlich der Donau gelegenen Teil Oberösterreichs, also das Mühlviertel, sowie den südlichen Teil des Burgenlandes. Der Grund dafür dürfte wohl darin gelegen haben, dass die Sowjets daran interessiert waren, die westlichen Alliierten sowohl von der tschechischen als auch von der ungarischen Grenze fernzuhalten." Weiters kontrollierten die Sowjets dadurch die Donau zwischen Passau und Hainburg sowie im oberösterreichischen Bereich das linke Ufer der Donau. Angesichts der sowjetischen Pläne bezüglich des „Deutschen Eigentums" war dies von besonderer Bedeutung. 12 Außerdem konnten die Sowjets durchsetzen, dass die Landesgrenzen Wiens vor dem „Anschluss" als maßgeblich für die Sektorenaufteilung anerkannt wurden. Alle Militärflugplätze der Westalliierten befanden sich somit innerhalb der sowjetischen Zone. Die Sowjets verzichteten dafür auf ihren ursprünglichen Wunsch nach alleiniger Besetzung des ersten Wiener Gemeindebezirkes. 13 Doch gerade die Verhandlungen um Wien zögerten eine endgültige gemeinsame Erklärung der Alliierten über die Zoneneinteilung und -kontrolle hinaus. Erst am 4. Juli 1945 unterzeichnete die Europäische Beratungskommission in London das „Erste Alliierte Kontrollabkommen". Fünf Tage später folgte die Unterzeichnung des Abkommens über die vier Besatzungszonen in Österreich innerhalb der am 31. Dezember 1937 bestandenen Grenzen und über eine Sonderzone für das Gebiet der Stadt Wien. 14 Die so entstandenen Zonengrenzen konnten zunächst gar nicht, später nur mit einem Passierschein und schließlich mit einem viersprachigen Identitätsausweis überschritten werden. 15 Erst durch das „Zweite Kontrollabkommen" vom 28. Juni 1946 wurde diese Situation etwas erleichtert. 16 Bereits 1947 begannen die Westalliierten mit der Einstellung der Kontrollen an ihren Zonengrenzen. Die Sowjets verzichteten erst mit 8. Juni 1953 auf die strenge Ausweispflicht. 17

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Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Neuaufl. Graz - Wien - Köln 1995, S. 63f. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 103; vgl. dazu u. a. auch William Stearman, Die Sowjetunion und Österreich 1945-1955. Ein Beispiel für die Sowjetpolitik gegenüber dem Westen. Bonn 1962, S. 21; Edgar L. Erickson, The Zoning of Austria, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science. 1950/CCXVII, S. 106-123, hier: S. 112. Harry Slapnicka, Oberösterreich - zweigeteiltes Land. 1945-1955. Beiträge zurZeitgeschichte Oberösterreichs. Bd. 11. Linz 1986, S. 65. Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945-1955, S. 7. Heinrich von Siegler, Österreichs Souveränität, Neutralität, Prosperität. Wien - Bonn - Zürich 1967, S. 5. Slapnicka, Oberösterreich - zweigeteiltes Land, S. 36. Karl Gutkas - Alois Brusatti - Erika Weinzierl, Österreich 1945-1970. 25 Jahre Zweite Republik. Wien 1970, S. 30. Slapnicka, Oberösterreich - zweigeteiltes Land, S. 37.

Gerald Hafner Die militärische Besetzung des Mühlviertels In den letzten Apriltagen des Jahres 1945 näherte sich vom Nordwesten her kommend die 11. Panzer-Division der 3. US-Armee dem Mühlviertel.18 Mittels Erlassen versuchten die Amerikaner, eine erste Ordnung ins öffentliche Leben zu bringen. Diese Erlasse traten aber nur im US-amerikanisch und nicht im sowjetisch besetzten Gebiet in Kraft. Dies hatte die Teilung einiger Gemeinden und der Bezirke Freistadt und Perg zur Folge. Diese Teilung währte aber nur bis 1. August 1945.19 Am 8. Mai wussten die Bewohner von Pregarten bereits, dass an der Feldaist eine Demarkationslinie entstehen würde.20 Einen Tag später soll ein Kraftfahrer in Freistadt das Gerücht verbreitet haben, dass „der Russe komme".21 Franz Röbl, Bäckermeister aus Freistadt, beschreibt das Chaos, welches nach Bekänntwerden dieses Gerüchtes entstand: „Um 15.30 Uhr kam die Botschaft ,der Russ kommt'. Auf der Straße und in der Umgebung lief alles in die Wälder, es war eine Aufregung, die nicht zu beschreiben ist. Bei Frau Hoffmann (Schmiedgasse) gingen zwei Kinder im Trubel verloren. Bei der Karls-Kaserne gab es sogar einige Tote. Alles, was auf der Strasse war, wurde von einer wilden Panik ergriffen. Alle warfen ihre Waffen fort, verließen ihre Autos, spannten die Pferde ab und ritten, flohen quer über alle Felder dem Westen zu."22 Vorerst handelte es sich hierbei jedoch um sich zurückziehende ungarische Soldaten.23 Erst am darauf folgenden Tag besetzten sowjetische Infanterieeinheiten das Gebiet links der Feldaist. Am 12. Mai traf auch sowjetisches Militär ein, womit - laut Freistädter Gemeindechronik - für das Gebiet links der Feldaist „eine Schreckenszeit unerhörten Ausmaßes" begann.24 Am 13. Mai maschierten die Sowjets mit vorläufig 2000 Mann auch in Freistadt ein.25 Es handelte sich dabei um Garde-Divisionen der 2. und 3. Ukrainischen Front.26 Die Kommandantur unter Gardeoberleutnant Rebenko wurde zunächst im Gebäude der Bezirkshauptmannschaft eingerichtet.27 Somit war also Freistadt, wie bereits erwähnt, zunächst von US-Amerikanern und Sowjets gemeinsam besetzt worden. Es bestanden für kurze Zeit sogar zwei Kommandanturen nebeneinander. Am 23. Mai verließen die Amerikaner ganz plötzlich die Stadt und zogen sich hinter die Demarkationslinie28 zurück.29 Der

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Kurt Tweraser, US-Militärregierung Oberösterreich. Bd. 1. Sicherheitspolitische Aspekte der amerikanischen Besetzung in Oberösterreich-Süd 1945-1955. Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreich. Bd. 14. Linz 1995. Stadtgemeinde Hirschbach, Gemeindechronik Hirschbach. Stadtgemeinde Pregarten, Gemeindechronik Pregarten, S. 156. Stadtgemeinde Freistadt, Gemeindechronik Freistadt 1945, S. 28. Franz Röbl, Kriegsgeschehen in Freistadt..., in: Gemeindechronik Freistadt 1945. Beilage; vgl. auch Johann Blöchl, Der Vater des Mühlviertels. Linz o. J., S. 137f. Stadtgemeinde Freistadt, Gemeindechronik Freistadt 1945, S. 28. Ebd., S. 29. Edmund Merl, Besatzungszeit im Mühlviertel. Anhand der Entwicklung im politischen Bezirk Freistadt. 2. Aufl. Linz 1980, S. 49. Slapnicka, Oberösterreich - zweigeteiltes Land, S. 48. Stadtgemeinde Freistadt, Gemeindechronik Freistadt 1945, S. 29. Als Demarkationslinie fungierte zu diesem Zeitpunkt die Bahnlinie Summerau - Freistadt und südlich der Stadt Freistadt die Bundesstraße. Vgl. auch Röbl, Kriegsgeschehen in Freistadt.

Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung Bürgermeister von Freistadt veröffentlichte sogleich folgende Bekanntmachung: „Heute um 12 Uhr mittags sind die amerikanischen Besatzungstruppen abgegangen. Der Schutz der Stadt wird nun durch russische Besatzungstruppen durchgeführt. Stadtkommandant von Freistadt ist Herr Hauptmann Rebenko. Er amtiert im 2. Stock der Bezirkshauptmannschaft." 30 Am 28. Mai begannen die Sowjets mit Vorbereitungen für eine dreitägige Siegesfeier, zu denen 100 Männer vom Arbeitsamt angefordert wurden. 31 Die Teilung des Mühlviertels blieb bis August 1945 aufrecht. Erst durch das „Erste Kontrollabkommen" kam es zu einer einheitlichen Besetzung des Mühlviertels durch die Sowjets. Der endgültige Abzug der Amerikaner südlich der Donau erfolgte zwischen dem 27. Juli und 3. August 1945.32

Die Zivilverwaltung Mühlviertel Im Folgenden kann nur ein kurzer Überblick über die verwaltungsmäßige Ordnung im Mühlviertel während der Besatzungszeit gegeben werden. Während der Zeit der zweifachen Besetzung herrschte im Mühlviertel ein verwaltungsmäßiges Durcheinander, denn die Befugnisse der Linzer Landesregierung erstreckten sich nur auf den von den US-Amerikanern besetzten Teil Oberösterreichs. Die von den Sowjets besetzten Gemeinden Oberösterreichs unterstanden direkt der Provisorischen Österreichischen Staatsregierung Renner. 33 Die Provisorische Landesregierung und die Regierung Renner waren sich jedoch schon bald bewusst, dass die Sowjets eine eigene Zivilverwaltung für das Mühlviertel fordern würden. Daher trafen sie vorbereitende Maßnahmen. An die Spitze des Mühlviertels müsste ein Mann gestellt werden, der zwar von der Provisorischen Staatsregierung in Wien ernannt und ihr auch nominell unterstellt sein würde, der aber gleichzeitig bereit war, das Mühlviertel als integralen Bestandteil Oberösterreichs zu vertreten. 34 Man entschied sich, Johann Blöchl, Bauer in Lasberg bei Freistadt, in die Position eines „Staatsbeauftragten" zu stellen. Nachdem der damalige Landeshauptmann von Niederösterreich, Leopold Figl, ihn dazu überreden konnte, übernahm er schließlich den Vorsitz der Zivilverwaltung Mühlviertel. 35 Am 6. August 1945 wurde der entscheidende Beschluss durch die Provisorische Österreichische Staatsregierung gefasst. Gleichzeitig wurde Blöchl beauftragt, einen von den drei anerkannten Parteien beschickten Ausschuss zu bilden und die Verwaltung im Sinne der Verfassung des neuen Österreich zu führen. 36 Der Ausschuss setzte sich in der Folge aus neun Mitgliedern und zwölf Beiräten zusammen. Es wurden neun Referate 37 geschaffen, an deren Spitze 30 31 32 33 34 35 36 37

Stadtgemeinde Freistadt, Gemeindechronik Freistadt 1945, S. 30. Ebd., S. 31. Slapnicka, Oberösterreich - zweigeteiltes Land, S. 36. Ebd., S. 64. Hugo Portisch, Österreich II. Die Wiedergeburt unseres Staates. Mit einem Vorwort von Gerd Bacher. Bilddokumentation Sepp Riff. Wien 1986, S. 456. ÖStA/AdR, AA, II - pol., Kt. 5, 996 - pol 45. Die Zivilverwaltung Mühlviertel. Unveröffentlichtes Manuskript. Linz 1955, S. 8. Es handelte sich dabei um folgende Referate: 1. Erziehung und Aufklärung, 2. Sicherheit, 3. Wirtschaft, 4. Landwirtschaft, 5. Holz- und Forstwirtschaft, 6. Ernährungswesen, 7. Soziale Fürsorge und Umsiedelung, 8. Finanzen und Vermögensrückgabe, 9. Verkehr und Post.

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Gerald Hafner jeweils ein Mitglied des Landesausschusses stand, welchem wiederum Beiräte zugeteilt wurden. Der gesamte Verwaltungsbereich der Zivilverwaltung Mühlviertel erstreckte sich über die vier politischen Bezirke Freistadt, Rohrbach, Perg und Urfahr. Die verfassungsmäßige Einheit des Landes Oberösterreich durfte nicht beeinträchtigt werden, und der Staatsbeauftragte übte im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich zusammen mit seinen Beisitzern die Befugnisse eines provisorischen Landesausschusses aus. Der Regierungsbeschluss sah dies „bis zu dem Zeitpunkt [vor], in dem das Mühlviertel wieder in die einheitliche Verwaltung des Landes Oberösterreich zurückfällt".38 Nachdem am 27. Juli 1955 die Ratifikationsurkunden des Österreichischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 in Moskau hinterlegt, der Staatsvertrag in Kraft getreten und der Alliierte Rat aufgelöst worden waren, war am 1. August 1955 die Aufgabe des Landesrates Blöchl als „Staatsbeauftragter" für das Mühlviertel zu Ende.39 Blöchl hatte die letzte Sitzung der Zivil Verwaltung Mühlviertel für 16. August 1955 anberaumt.40 Besatzer und Besetzte - Alltagsleben im Mühlviertel Bei der Dislokation der sowjetischen militärischen Einheiten im Mühlviertel kristallisierte sich in Freistadt ein Schwerpunkt heraus. Im Bereich der Gemeinden Freistadt, Lasberg, St. Oswald und Kefermarkt waren zeitweilig bis zu 89.000 Mann, also rund sechs Divisionen, auf engstem Raum stationiert. Für die Dauer von einem Jahr bezogen in Freistadt ca. 15.000 bis 17.000 Soldaten und Offiziere Quartier.41 Gleichzeitig mussten über 8000 Flüchtlinge beherbergt werden.42 Freistadt selbst hatte damals nicht einmal 5000 Einwohner.43 In der Ortschaft Amesreith entstand ein Lager für 25.000 Soldaten, in der Ortschaft Grub ein Lager für 16.000 Soldaten, in Freindorf stationierte Artillerie mit fast 1000 Pferden.44 Am 29. August 1945 trafen 14 sowjetische Generäle in Freistadt ein. Gleichzeitig wurde die sowjetische Kommandantur in den Häusern der Kaufmannsleute Hagleitner, Hauptplatz Nr. 114, und der Familie Raffaseder, Hauptplatz Nr. 105, eingerichtet. Die Familien hatten ihre Häuser zu verlassen.45 Am 13. November desselben Jahres begannen die Sowjets, ihre Quartiere zu räumen, aber bereits am nächsten Tag rückten neuerlich etwa 12.000 Mann, aus Tschechien kommend, in Freistadt ein.46 38

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Gabriele Hindinger, Das Kriegsende und der Wiederaufbau demokratischer Verhältnisse in Oberösterreich im Jahre 1945. Publikation des Instituts für Österreichische Zeitgeschichte. Bd. 6. Linz 1968, S. 143. OÖLA, Oberösterreichische Landeskorrespondenz, Schachtel 17, 11.8.1955; siehe u. a. auch OÖLA, Oberösterreichische Landesregierung, Abt. Präs., Präsidium, Verf. 2-12/5, 1.8.1955; OÖLA, BH Perg, Schachtel 168, 1955, Abt. Präs., Präsidium, ZI. 71-1955. Blöchl, Der Vater des Mühlviertels, S. 225. Ebd., S. 139f. Slapnicka, Oberösterreich - zweigeteiltes Land, S. 49. Stadtgemeinde Friestadt, Gemeindechronik Freistadt 1945, S. 2. Laut Volkszählung vom 17. Mai 1939 zählte Freistadt 4887 Einwohner. OÖLA, Politische Akten, Rotbuch, MF 5080, 12.10.1948; vgl. Blöchl, Der Vater des Mühlviertels, S. 140. Stadtgemeinde Freistadt, Gemeindechronik Freistadt 1945, S. 33. Ebd., S. 34; OÖLA, Politische Akten, Rotbuch, MF 5080, 12.10.1948.

Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung Bis Mai bzw. Juni 1946 verblieb die Besatzung in der Stärke von etwa 15.000 bis 17.000 Mann in Freistadt.47 Danach zog nach und nach ein Großteil der Truppen ab. Am 22. Mai 1947 wurde plötzlich die Kommandantur aufgelassen und erst am 30. Oktober 1947 auf Befehl der obersten Sowjetbehörde in Wien wieder in den Häusern Nr. 114 und Nr. 105 auf dem Hauptplatz von Freistadt eingerichtet. Dort verblieb dann der Sitz der Kommandantur bis zum Abzug im Jahr 1955.48

Sicherheit „Gebraucht" und „genommen" wurde von den sowjetischen Soldaten grundsätzlich alles, was nicht niet- und nagelfest war. Die begehrtesten Güter waren Lebensmittel und Alkohol. Die Versorgung der sowjetischen Soldaten war nicht ausreichend organisiert, mangelnder Nachschub machte sich klar bemerkbar. Als weitere hemmende Momente sind wohl die immens große Truppenzahl, die in Österreich zu versorgen gewesen wäre, und die Länge der Nachschublinien anzusehen. 49 So verlangten die sowjetischen Soldaten neben Lebensmitteln auch Vieh von der Zivilbevölkerung: „Eine Streife von drei Männern in russischer Uniform forderte bei mehreren Bauern, unter Vorweis einer Bescheinigung der Stadtkommandantur der Roten Armee in Urfahr, die Herausgabe einer Kuh." 50 Ein besonders begehrtes Beutegut stellten Fahr- und Motorräder sowie Pferde dar." Dies erfuhr Johann Blöchl, selbst Bauer, am eigenen Leibe. Am 14. Mai 1945 hatte er einen ersten Kontakt zu den Sowjets. „Es war ein Oberleutnant, ein Unteroffizier und der Fahrer des Lastwagens. Auf dem Auto lag ein gestohlenes Motorrad. Der Offizier verlangte Eier, so viele wir hätten. Meine Frau brachte 30 Stück zusammen. Unter Aufsicht des Unteroffiziers musste sie von diesen 30 Eiern eine Eierspeis machen. Die Russen holten aus dem Auto eine Kanne Schnaps und füllten einen Anderthalb-Liter-Krug voll. Die drei verzehrten nun die mächtige Portion Eierspeis und tranken den Schnaps aus. Dann befahl mir der Offizier, dass sich die Hausleute im Hof aufstellen müssten. Er nahm das Motorrad und fuhr im Hof im Kreis umher und schoss mit seiner Pistole sinnlos herum. [...] Der Oberleutnant kam auf mich zu und befahl unter Androhung des Erschießens: ,Ich komme um acht Uhr wieder. Du musst zwei zweispännige Betten und zwei Mädl bereit stellen, sonst du kaputt!', sagte er."52 Dies war nicht die einzige Begegnung für Blöchl und seine Familie, denn die unmittelbare Nähe des Lagers Grub, das große Haus sowie der Umstand, dass sämtliche „Fremdarbeiter", die zunächst auf Grund ihrer russischen Sprachkenntnisse einen gewissen Schutz boten, die Gegend verlassen hatten, wirkten sich äußerst ungünstig auf die

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Merl, Besatzungszeit im Mühlviertel, S. 51. Stadtgemeinde Freistadt, Gemeindechronik Freistadt 1945, S. 28. Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreich-Politik 1 9 4 3 - 1 9 5 5 . Materialien zur Zeitgeschichte. Bd. 1. Wien 1977, S. 254. O Ö L A , Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, M F 5 5 0 , Situationsbericht, 12.10.1946; unzählige solche Fälle finden sich in O Ö L A , Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, M F 550. O Ö L A , Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, M F 550, Vorfallenheitsbericht. Blöchl, Der Vater des Mühlviertels, S. 141.

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Gerald Hafner Familie Blöchl aus.53 Auf Grund der Tatsache, dass die sowjetischen Soldaten erstmals nach Kriegsende Pakete in ihre Heimat schicken durften, wurden auch Kleidungsstücke und Wäsche requiriert. 54 Eine besonders schwere Zeit brach für die Bauern an, deren verstreute Höfe zu jeder Tages- und Nachtzeit Plünderungen ausgesetzt waren. 55 Unter dem Vorwand, nach SS-Leuten, Partisanen, Waffen oder Nationalsozialisten zu suchen, drangen die „Russen" in die Häuser ein und durchsuchten alle nur aufspürbaren Schlupfwinkel: „Die Mühle meines Onkels [...] das ist ein Streuhof, aber keine Nachbarn rundherum, an der Aist und der nächste Nachbar ist ungefähr einen Kilometer flussaufwärts, zwei Kilometer flussaufwärts. Der Hof, an dem ich geboren wurde, der ist auf einem Berg oben, auch einen Kilometer weg [···] Da waren also Schüsse zu hören und gleich auch im Galopp mit Wagen von Pferden gezogen kamen sie über die Brücke herbei. [...] Die sind runtergesprungen, im Hof, und haben sich sofort verteilt, haben überall geschaut, was drinnen ist. Angeblich suchen sie, wahrscheinlich und nicht angeblich, Partisanen oder Militär. [...] Haben natürlich auch Kästen aufgerissen und manches herausgeholt." 56 Neben den Plünderungen kam es auch zu unzähligen Vergewaltigungen, Verletzungen durch Schläge, Schusswunden und Morden. Die Gesamtzahl der getöteten Personen vom Mai bis Dezember 1945 belief sich im Mühlviertel auf 155. Allein im Mai 1945 verzeichnete man 35 Todesfälle durch fremde Gewalteinwirkung von Seiten der Sowjets. 26 Fälle konnten nicht geklärt werden. 57 Besonders schlimm traf es gerade in den ersten Monaten unmittelbar nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches" die Frauen, die sich vor den „Nachstellungen" der „Russen" dauernd bedroht fühlen mussten: „Das war schon eine bittere Zeit [...] Da sind sie über die Weiber ,drüber gekrallt', ärger als Viecher. [...] Vor allem die kämpfende Truppe." 58 In den Vörfallenheits- und Situationsberichten aus dem Jahr 1946 finden sich fast täglich Fälle von Vergewaltigungen: 59 „Am 20. Jänner 1946, ca. 17.45, wurde die verhei53

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OÖLA, Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, MF 550, Vorfallenheitsberichte; vgl. Blöchl, Der Vater des Mühlviertels, S. 142; vgl. dazu Stefan Karner - Peter Pirnath, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in „Oberdonau", in: Stefan Karner - Peter Ruggenthaler, Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet Österreichs 1939-1945. Zwangsarbeit auf dem Gebiet der Republik Österreich. Veröffentlichung der Österreichischen Historikerkommission. Wien - München 2004, S. 255-330, hier: Kriegsende und Repatriierung, S. 329. Slapnicka, Oberösterreich - zweigeteiltes Land, S. 49; siehe dazu auch OÖLA, Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, MF 550, Vorfallenheitsberichte. Siehe Alois Renoldner, Das Mühlviertel in Not und Gefahr. Gesammelte Gendarmerieberichte mit Kommentaren. Unveröffentlichtes Manuskript. Linz 1957, S. 194. Vgl. dazu auch die ausführliche Oral-History-Studie von Margarethe Hannl, Mit den Russen leben. Ein Beitrag zur Besatzungszeit im Mühlviertel 1945-1955. Phil. DA. Salzburg 1988. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0317, Franz Fischerlehner. Wien, 3.12.2003. Renoldner, Das Mühlviertel in Not und Gefahr, S. 82-109. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0320, Johann Schlapschy. Kefermarkt, 11.6.2004. OÖLA, Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, MF 550, Vorfallenheitsberichte; siehe dazu auch OÖLA, Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, MF 550, Situationsberichte; OÖLA, BH Perg, Schachtel 158, 1945, Abt. I, Präsidium, ZI. 16-1945.

Das Mühlviertel unter sowjetischer

Besatzung

ratete Landarbeiterin Maria Schwandtner, geb. 30.4.1914, in Steyregg 68 wohnhaft und im Dienste, auf dem Heimwege von St. Georgen a. d. Gusen im Weidholz bei Pulgarn von zwei Männern in russischer Uniform angehalten. Einer der Männer, mit Gewehr bewaffnet, hat ihren 6-jährigen Sohn weggeführt, worauf der zurückgebliebene sie vergewaltigte. Nach dem Gewaltakte wurde ihr der Sohn wieder zugeführt." 60 Die für Frauen wirksamste Schutzmaßnahme war wohl, unter keinen Umständen aufzufallen. Vor allem versuchten sie, sich besonders unansehnlich zu kleiden sowie Kopftücher tief ins Gesicht zu ziehen: „[Eine Bekannte von mir] hat während der Nazi-Zeit als junges Mädchen Theater gespielt. [...] Sie war eine gute Schauspielerin und eine Schönheit. [...] In der Besatzungszeit ist ihr dann das schauspielerische Talent zu Gute gekommen. Sie hat schlampige Kleider angezogen, ein Kopftuch getragen und ist ganz nach vorne gebückt herumgelaufen. Sie hat auf Idiotin gemacht. Wenn sie einem Russen begegnete, dann hat sie den Rotz abgeschleckt. Ein Russe wollte dennoch etwas von ihr, da hat sie ganz hysterisch zu kreischen begonnen: ,Krank! Krank!' Dabei hat sie nach unten gezeigt. Dann haben die Russen sie in Ruhe gelassen." 61 Die Zahl der Vergewaltigungen lässt sich nicht feststellen, weil viele Frauen aus Scham für immer schwiegen. Falsch wäre jedoch die Annahme, dass nur sowjetische Soldaten Frauen vergewaltigt hätten. Unmittelbar nach dem Einmarsch der US-Amerikaner in Freistadt wurden auch Fälle von Vergewaltigungen durch US-amerikanische Soldaten bekannt. 62 Von 1945 bis 1955 wurden insgesamt 86 Personen über kürzere oder längere Zeit inhaftiert oder verschleppt. Die Hauptgründe waren die Zugehörigkeit zur NSDAP, zur SS oder auch verbotener Waffenbesitz sowie eine feindliche Haltung gegenüber der Besatzungsmacht. 34 der 86 Verschleppten kehrten nicht mehr in ihre Heimat zurück und 19 Personen büßten ihre oft geringfügigen Vergehen mit mehrjähriger Inhaftierung in einem sowjetischen Lager.63 Seit der Etablierung der Zivilverwaltung Mühlviertel im August 1945 wurden bis gegen Ende des Jahres 1946 monatlich so genannte Bürgermeisterkonferenzen abgehalten, bei denen offen Übergriffe seitens der Sowjets zur Sprache gebracht wurden. Alle negativen Vorfälle, die im Zusammenhang mit der Besatzung standen und bei der 60 61

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O Ö L A , Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, M F 550, Situationsbericht, 7.2.1946. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0315, Anna Radhuber. Wels, 4.9.2003. Vgl. zu diesen Strategien u. a. auch Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Der Topos des sowjetischen Soldaten in lebensgeschichtlichen Interviews mit Frauen, in: D Ö W Jahrbuch 1995. Wien 1995, S. 2 8 ^ t 4 ; Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Von Mythen und Trümmern. Oral-History-Interviews von Frauen zum Alltag im Nachkriegs-Wien. Wien 1992; Marianne Baumgartner. Vergewaltigungen zwischen Mythos und Realität. Wien und Niederösterreich im Jahr 1945, in: Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien. Wien 1995, S. 59-73. Stadtgemeinde Freistadt, Gemeindechronik Freistadt 1945, S. 28. Hier ist auch zu lesen, dass die beiden näher geschilderten Fälle nicht die einzigen blieben. Renoldner, Das Mühlviertel in Not und Gefahr, S. 110-126; vgl. dazu auch Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx, Österreichische Zivilverurteilte in der Sowjetunion. Ein Überblick, in: Andreas Hilger - Mike Schmeitzner - Ute Schmidt (Hg.), Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955. Sowjetische Militärtribunale. Bd. 2. Köln - Weimar - Wien 2003, S. 571-605.

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Gerald Hafner Bezirkshauptmannschaft registriert wurden, hat man in Zahlen festgehalten. So ergibt sich für die Zeitspanne Mai 1945 bis März 1946 folgende Bilanz: Plünderungen und Ausschreitungen Vergewaltigungen Verletzungen Verschleppungen Todesopfer bis Mitte Januar 1946

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Schulwesen Bereits in ihren ersten Befehlen forderte die sowjetische Besatzungsmacht die sofortige Wiedereröffnung der Schulen: 64 „Am Anfang der Besatzung dachten wir nicht, dass es jemals wieder einen normalen Schulbetrieb geben wird. Da ist der Schulinspektor mit einem Offizier von Schule zu Schule gefahren, und wenn ein Lehrer gesagt hat, dass er nicht unterrichten könnte, weil die Russen in der Schule einquartiert waren, [...] hat der Offizier dafür gesorgt, dass die Russen am nächsten Tag aus der Schule draußen waren. ,Wenn du morgen nicht weg, dann du kaputt.' Ich hatte von den Russen schon den Eindruck, dass die Schule, Bildung sehr wichtig war. Jedes zweite Wort war Kultur." 65 Die meisten Schulen waren zunächst von Flüchtlingen oder Besatzungstruppen belegt: „In der ersten Zeit der Besetzung waren in vielen Schulhäusern die Truppen der Besatzungsmacht einquartiert. In vielen dieser Schulen wurden die Schulbänke verheizt, unersetzliche Bücher der Lehrer- und Schülerbibliotheken vernichtet oder verbrannt und die Lehrmittel weggeworfen oder unbrauchbar gemacht. Die Neuherstellung von Schulbänken und die Anschaffung der notwendigsten Lehr- und Lernmittel bereitet den Gemeinden große Auslagen." 66 Dazu kam der enorme Lehrermangel, der dadurch hervorgerufen wurde, dass viele Lehrer, die während der NS-Zeit bei der NSDAP tätig waren, vor den sowjetischen Truppen über die Donau geflohen waren. 67 Eine der dringlichsten Maßnahmen war es, alle ehemaligen Parteigenossen aus dem Dienst zu entlassen. 68 Noch im Jahr 1948 herrschte ein starker Lehrermangel, weswegen man sich entschloss, minderbelastete ehemalige NSDAP-Mitglieder wieder in den Schuldienst aufzunehmen. 69 In den österreichischen Schulen des Mühlviertels mussten etwa zum Jahrestag der Revolution eigene Schulfeiern veranstaltet werden. Ein weiteres großes Augenmerk wurde dem Russischunterricht, der 1946 eingeführt wurde, geschenkt. Am 19. Oktober 64 65 66

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OÖLA, Politische Akten, Rotbuch, MF 5080; siehe dazu auch OÖLA, Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, MF 550, 3.8.1945. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0323, Fritz Winkler. Eidenberg, 15.6.2004. OÖLA, Politische Akten, Bericht an das Bundeskanzleramt betr. Auswirkungen der Besetzung Österreichs bzw. Oberösterreichs für ein herauszugebendes Weißbuch 1948/49. Verfasser: Dr. Wopelka. Abteilung Kultur. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 139, Sitzungsprotokoll, 5.12.1945. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 139, Sitzungsprotokoll, 14.9.1945. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 140, Sitzungsprotokoll, 31.8.1948.

Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung 1948 mussten die Bezirksschulräte des Mühl vierteis der Schulabteilung der Zentral Verwaltung Mühlviertel Bericht erstatten, an welchen Schulen Russischunterricht erteilt wurde, wie viele Schüler diesen Unterricht besuchten, wer den Unterricht hielt, auf welche Weise sich die Lehrer die Kenntnis der russischen Sprache angeeignet hatten und ob alle Schüler auch dementsprechende Lehrbücher besaßen. 70 Laut Sitzungsprotokoll der Zentralverwaltung Mühlviertel vom 15. Oktober 1952 gab es im Jahr 1946 im Mühlviertel nur eine österreichische Schule mit zwei Klassen, in denen Russisch unterrichtet wurde. 1952 waren es bereits 21 Schulen, an denen insgesamt 1204 Schüler in 81 Klassen Russischunterricht erhielten.71 Franz Deutsch, Lehrer im Mühlviertel während der Besatzungszeit, erinnert sich: „Wir hatten das Glück, dass die Schule wieder relativ schnell begonnen hat, und so haben wir nicht, wie in den östlichen Bundesländern, ein Jahr verloren. [...] Das war höchst interessant, welche Professoren weiter unterrichten durften und welche nicht. Das waren dann schon die ganz großen Parteigenossen. Aber so im Großen und Ganzen haben sie eh sehr viele vom Stammpersonal weiter behalten. [...] Russischunterricht hatten wir, das wurde eingeführt. [Wer Russisch unterrichtet hat,] kann ich mich nicht mehr so erinnern, aber Russe war es bestimmt keiner, sicher nicht. [...] Ja die [Schulbücher] durften nicht mehr weiter verwendet werden. Auch im Schulheim war es sehr schwer. Es gab ja nicht viel zu essen, meistens gab es Hülsenfrüchte, Kartoffeln und Nudeln, wenig Fett, aber es hat sich sehr gebessert." 72

Kulturelles Leben Einem Bericht der „Österreichischen Nachrichten" vom 22. August 1945 zufolge bestand eine der Forderungen des sowjetischen Kommandanten in Urfahr darin, so rasch wie möglich das kulturelle Leben wieder in Gang zu bringen.73 So wurde in Urfahr das „Kleine Volkstheater" ins Leben gerufen. 74 Die „Österreichischen Nachrichten" waren eine provisorische Zeitung der KPÖ, die meist aus mehreren hektographierten Blättern bestand. Nach dem Einmarsch der Sowjets wurde ihre Redaktion von Linz nach Urfahr verlegt. Fritz Winkler erinnert sich an das kulturelle Leben während der Besatzungszeit: „Jedes zweite Wort war , Kultur'. Ich habe mir auch jeden russischen Film angesehen, wenn es einen gab, denn ich wollte das kennen lernen. Es gab eine Sowjetisch-Österreichische Gesellschaft 75 mit Sitz in Linz-Urfahr. Da gab es eine periodische Zeitschrift, vierzehntäglich oder monatlich, ich weiß es nicht, auch die habe ich mir besorgt, um sie kennen zu lernen. Ich habe mich mit dem Volk ausgiebig beschäftigt. [...] Einmal, da kann ich

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OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schreiben an die Kommandantur Urfahr, ZI. 1714-1948; siehe auch OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Erlässe, ZI. 2550-1950. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 141, Sitzungsprotokoll, 15.10.1952. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0318/0319, Franz Deutsch. Wolfsegg, 14.1.2004. Oberösterreichische Nachrichten, 22.8.1945. Ebd. OÖLA, Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946, MF 550.

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Gerald Hafner mich erinnern, kamen sie mit einer Theatergruppe. Sonst, da gab es Tanzveranstaltungen, [...] Blasmusikveranstaltungen gab es." 76 Für die Kosten dieser Veranstaltungen musste meist die Zivilverwaltung Mühlviertel aufkommen. 77 Von den oben angesprochenen sowjetischen Filmen weiß auch der „Mühlviertier Bote" zu berichten: „In vielen Mühlviertler Kinos laufen seit Monaten Sowjetfilme. [...] Der russische Film hat schon so manche Propagandalüge der Nazis entkräftet. Die Darstellung ist so bildhaft, die Schauspieler agieren so einfach und schlicht, dass man [...] dem Ablauf der Geschehnisse leicht zu folgen vermag. [...] Auch der Sowjetfilm dient der Volksaufklärung, aber er tut das nicht in der brutalen Form der Reichsfilmkammer. [...] Nichts ist so geeignet, Völker einander nahe zu bringen, als der Film. Seine Sprache versteht man ohne Wörterbuch. Er ist ein Schlüssel zum Herzen der Menschheit." 78 In den Orten, in denen es kein Kino gab, musste die Bevölkerung dennoch nicht auf Filmvorführungen verzichten. Für diese Orte gab es das Wanderkino: „Im Juni habe ich meine Wanderkino-Lizenz bekommen und in Steyregg angefangen. [...] Ich war dann schon mit dem Wanderkino im ganzen Mühlviertel unterwegs und bekannt. [...] Ein Kommunist hatte mich vernadert, dass ich hier Filme spiele mit einer Kirche und Hochzeit. Das wollten die Russen nicht. Sie hatten mein Auto demontiert." 79

Für die „Russen" arbeiten Es war nicht nur von Vorteil, sowjetische Besatzungssoldaten im eigenen Haus einquartiert zu haben. Beispielsweise waren Franz Röbl und seine Familie immer wieder Plünderungen, Einbrüchen und Drohungen ausgesetzt. Außerdem kam man selten seinen Forderungen nach Bezahlung der bereitgestellten Mengen an Brot nach.80 Franz Röbl musste seit der Beschlagnahme seiner Bäckerei durch die Sowjets Mitte Mai 1945 bis Ende Juli 1945 ausschließlich für das Militär backen. Immer musste er damit rechnen, plötzlich gebraucht zu werden und über das normale Pensum an Arbeit hinaus Leistungen erbringen zu müssen: „Die Situation ist äußerst traurig und gespannt: man muss warten wie der Hund auf die Schläge. Man kommt gar nicht zur Ruh', es freut einem keine Arbeit und gar nichts."81 Mit der Einsetzung eines neuen Stadtkommandanten, Gardekapitän Baijan, am 31. Juli 1945, trat eine gewisse Erleichterung ein. Durch Verhandlungen konnte Franz Röbl erreichen, dass nun täglich bis zu 200 kg Brot für die Zivilbevölkerung gebacken

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AdBIK, OHI, VD-0323, Winkler. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 2, Präsidium, 1947, ZI. 6124-1947; siehe u. a. auch OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 2, Präsidium, 1947, ZI. 6486-1947; OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 2, Präsidium, 1948, ZI. 4816-1948; OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 8, Präsidium, 1955, ZI. 970-1950; OÖLA, BH Perg, Schachtel 161, 1947, Abt. I, Präsidium, ZI. 73-1947; OÖLA, BH Perg, Schachtel 163, 1948, Abt. I, Präsidium, ZI. 521949. Mühlviertler Bote, 27.4.1946. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0324/0325, Walter Stadler. Freistadt, 16.6.2004. Röbl, Kriegsgeschehen in Freistadt. Ebd.

Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung werden durften. Dies bedeutete für den Bäcker eine gewisse finanzielle Erleichterung, denn seine Arbeit für das Militär wurde nicht honoriert: „Am Anfang redeten alle vom Zahlen, als es aber dazu war, verschoben sie alles und hatten alle möglichen Ausreden." 82 Zur gleichen Zeit zog eine neue Mannschaft ins Haus von Franz Röbl ein, die sogleich Forderungen stellte: „Ein Sergeant meinte, ich sollte das Geschäftslokal und die Kanzlei zur Brotlagerung zur Verfügung stellen. Auch alle Zimmer wollte er haben, und wir sollten, die ganze Familie, in der kleinen, alten Backstube wohnen." 83 Vier Wochen später stellte sich dies nur als verbale Drohung heraus. Im August 1945 begannen die Sowjets, im Hof des Anwesens von Röbl drei Backöfen zu bauen. Zu diesem Zweck musste der für die Familie bislang einzig noch versperrbare Lagerraum weggerissen werden. Zwei Tage nach Beendigung der Bauarbeiten wurden die Öfen angeheizt, und alle zur Verfügung stehenden Leute mussten täglich 15 bis 16 Stunden daran arbeiten. Nur an Feiertagen ruhte die Arbeit. Zwei besondere Tage waren für die Sowjets der Tag der Oktoberrevolution und der Tag der Roten Armee. „Im Mühlviertel ruht aus Anlass des hohen Feiertages die gesamte Arbeit" 84 , lautete ein Befehl an die Zivilverwaltung Mühlviertel. Die Bevölkerung wurde eingeladen, an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Diese Feiern, die immer zusammen mit der ÖsterreichischSowjetischen Gesellschaft durchgeführt wurden, fanden jedes Mal in einem Kino statt, weil nach den Reden ein sowjetischer Film vorgeführt wurde. 85 Danach wurde meistens, auf Kosten der Zivilverwaltung Mühlviertel, ein kleiner Empfang gegeben. 86 Öffentliche Gebäude mussten aus diesem Anlass „vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang" beflaggt werden. 87 Verlautbarungen in der Presse und im Rundfunk informierten die österreichische Zivilbevölkerung über die Feierlichkeiten, zu denen auch der 8. Mai - als Tag der Befreiung - gehörte. „Bei der Befreiungsfeier im Urfahrer Klangfilmtheater am 8. Mai begrüßte eingangs für die Österreichisch-Russische Gesellschaft Hauptschuldirektor Bauer die Vertreter der Roten Armee und alle Gäste. [...] Staatsbeauftragter Blöchl dankte zuvor den Alliierten, besonders der Roten Armee, für die Befreiung Österreichs. [...] Umrahmt war die Feier von Musikvorträgen." 88 82 83 84

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Ebd. Ebd. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 2, Präsidium, 1947, ZI. 6486-1947. Rundschreiben der BH Perg v. 4.11.1947. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 129. Siehe auch ebd., Dokument Nr. 130. Blöchl, Der Vater des Mühl vierteis, S. 187f. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 2, Präsidium, 1948, ZI. 4816-1948; siehe auch OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 2, Präsidium, 1947, ZI. 6486-1947. OÖLA, ZVM, Präs., 1947, Schachtel 2, ZI. 6486-1947; siehe auch OÖLA, BH Perg, Schachtel 160, 1946, Abt. I, Präsidium, ZI. 77-1946. Mühlviertler Bote, 11.5.1946; siehe dazu u. a. auch OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 2, Präsidium, 1947, ZI. 6124-1947; siehe u. a. auch OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 2, Präsidium, 1947, ZI. 6486-1947; OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 2, Präsidium, 1948. ZI. 4816-1948; OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 8, Präsidium, 1955, ZI. 970-1950; OÖLA, BH Perg, Schachtel 161, 1947, Abt. I, Präsidium, ZI. 73-1947; OÖLA,

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Gerald Hafner Dass ein friedvolles und harmonisches Nebeneinander auch möglich war, zeigt die Erzählung von Franz Deutsch: „Zum ersten Weihnachtsfest haben wir einen russischen Offizier sehr ins Herz geschlossen und ihn zur Weihnachtsfeier eingeladen. Er hat uns gesagt, dass er am liebsten die Uniform ausziehen und bei uns bleiben würde."89 Auch Hermine Schaffelhofer weiß Positives über das Zusammenleben mit sowjetischen Soldaten zu berichten: „Die Russen, die Einquartierungsoffiziere haben dann schon immer gewechselt. Ich kann mich an einen Burschen erinnern, der Nikolaj. Der war ganz reizend, ein Bua halt. Der hat uns immer was zu essen gebracht. Das Zimmer der Russen war nie abgesperrt. Wir konnten dort immer rein, aber wir mussten nicht aufräumen."90 Alkohol, Kinder, Uhren In den Erzählungen von oberösterreichischen Zeitzeugen lassen sich insbesondere folgende drei stereotype Erinnerungsschemata feststellen:91 Die „Russen" liebten den Alkohol. Die „Russen" liebten Kinder. Die „Russen" liebten Uhren. Das Zusammenleben mit den sowjetischen Besatzungssoldaten wurde durch diese „Phänomene" in vielerlei Hinsicht wesentlich mitbestimmt. Wie wurden die sowjetischen Soldaten tatsächlich im Zusammenhang mit dem Alkoholproblem erlebt? Vorwegnehmend kann gesagt werden, dass das Alkoholproblem zweifelsohne bestand und teilweise dadurch zusätzliche Gefahren für die Bevölkerung verbunden waren: „Wehe, sie waren betrunken, dann waren sie ganz schlimm, ganz schlimm. [...] Schrecklich. Die haben ja auch Spiritus getrunken. Gesoffen haben die ja wie die Löcher."92 In einigen Fällen kam es infolge übermäßigen Alkoholkonsums und auch, weil Alkohol in jeder Form getrunken wurde, zu Todesfällen. Als Todesursache wurde oftmals Alkoholvergiftung angegeben. Renoldner führt in seinen Gendarmerieberichten Fälle an, bei denen die Verabreichung von Spiritus oder Methylalkohol an sowjetische Besatzungsangehörige für die Einheimischen insofern schlimme Folgen hatte, als der damit verbundene Tod als mutwillige Tötung angesehen wurde. In einigen Fällen kam es zu Verschleppungen Einheimischer.93 Infolge übermäßigen Alkoholkonsums kam es im Mühlviertel zu nächtlichen Überfällen und der vermehrten Suche nach Frauen.94

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BH Perg, Schachtel 163, 1948, Abt. I, Präsidium, ZI. 52-1949. Zu den Feierlichkeiten des 10. Jahrestages der Einnahme Wiens siehe Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 139. AdBIK, OHI, VD-0318/0319, Deutsch. Zu Weihnachtsfeiern der sowjetischen Besatzungsbehörde in Uhrfahr siehe Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 131. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0316, Hermine Schaffelhofer. Haid bei Ansfelden, 25.11.2003. Vgl. auch den Beitrag von Wolfram Dornik, Erinnerung am Rande, in diesem Band. AdBIK, OHI, VD-0315, Radhuber. Renoldner, Das Mühl viertel in Not und Gefahr, S. 114. OÖLA, Politische Akten, Rotbuch, MF 5080; siehe dazu auch OÖLA, BH Perg, Schachtel 137, 1946, Abt. Ia, gesonderte Angelegenheiten, ZI. 66-1946; OÖLA, BH Perg, Schachtel 168, 1955, Abt. Präs., Präsidium, ZI. 12-1955.

Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung In den Lebenserinnerungen Johann Blöchls wird darauf verwiesen, dass die Sowjets in betrunkenem Zustand auch „schießwütiger" waren: „Die Russen holten aus dem Auto eine Kanne Schnaps und füllten einen Anderthalb-Liter-Krug voll. Die drei (...] tranken den Schnaps aus. [...] Er [der Offizier] nahm das Motorrad und fuhr im Hof im Kreis umher und schoss mit seiner Pistole sinnlos herum." 95 Ein tragischer Vorfall im Zusammenhang mit übermäßigem Alkoholgenuss ereignete sich in der Wohnung des Oberleutnants Smirnov in Perg: „Ich [habe] mich mit meiner 15-jährigen Schwester Elfriede in das Haus begeben, in dem Oberleutnant Smirnow und ein anderer Oberleutnant wohnten. Wir waren nämlich in unserem Hause wiederholt geplündert worden und wollten eine schriftliche Bescheinigung bekommen, dass wir verschont bleiben sollten. [...] Als wir in die Wohnung kamen, warteten die Herren in gastlicher Weise Schnaps auf. [...] Ich bin daraufhin mit dem Oberleutnant namens Iwan ins Nebenzimmer gegangen, wo mir dieser die Bestätigung ausstellen wollte, während Herr Oberleutnant Smirnow meiner Schwester sein Fotoalbum aus seiner Heimat zeigte. [...] Nach wenigen Augenblicken hörten wir einen Schuss, und voll Schreck stürzte ich zusammen mit Herrn Oberleutnant Iwan ins Nebenzimmer. Da lag meine Schwester tot am Boden, etwa 40 cm seitlich von ihrem Kopf lag die Koppel des Herrn Oberleutnant Smirnow." 96 Ob Oberleutnant Smirnow Konsequenzen aus diesem Vorfall zu erwarten hatte, geht aus den Unterlagen der Bezirkshauptmannschaft Perg nicht hervor. Von der sprichwörtlichen „Kinderliebe" der sowjetischen Soldaten ist immer wieder die Rede. Das Klischee kann hinsichtlich einer Meinungsbildung oder einer möglichen Einstellungsänderung gegenüber den Russen nicht unterschätzt werden. Hierzu ein Beispiel der „Zeitzeugin" Ida Ortmayr: „In den Bahnstationen öffneten sie [sowjetische Soldaten] die Fenster, sahen heraus, und so wussten wir gleich, wo wir einsteigen wollten. Denn die Russen waren zu uns Kindern immer gut. Rückblickend kann ich sagen, dass sich alle in erster Linie für unsere Schulhefte interessierten. [...] Sie wünschten sich dann, dass wir ihnen was vorsingen. Das haben wir gerne gemacht, denn wir wussten, dass wir dann immer etwas geschenkt bekamen: [...] Schokolade, Zuckerl, Schnitten. [...] Sie legten dann ihr Geld zusammen und kauften uns diese Sachen, die wir ja sonst nicht bekamen." 97 Auf Grund folgender Erzählung sieht man femer, dass die „Russen" durch den Umgang mit Kindern für einen kurzen Augenblick das Soldatenleben vergessen konnten: „Wir Kinder [...] waren [...] zum Schwimmen im Freibad. In dieses Bad kamen auch regelmäßig junge Soldaten, aber niemals allein oder zu zweit, nein, immer im Rudel (ca. acht bis zwölf). [...] Die jungen Soldaten vergnügten sich wie Kinder und lachten richtig gelöst. Es fiel mir besonders auf, wie herzlich sie lachen konnten. [...] Ich dachte mir damals, dass sie sehr arm wären, weil sie sicher viel lieber zu Hause bei ihren Eltern oder Geschwistern sein wollten. [...] Wir sahen keine Gefahr, zu uns waren sie immer freundlich und nett, hatten Zeit für uns, und vor allem waren sie im Gespräch mit uns

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Blöchl, Der Vater des Mühlviertels, S. 141. OÖLA, BH Perg, Schachtel 158, 1945, Abt. I, Präsidium, ZI. 25-1945. AdBIK, Schriftliche Mitteilung, Ida Ortmayr. Wels, 18.12.2003.

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Gerald Hafner Kindern immer fröhlich und freuten sich scheinbar, dass wenigstens jemand mit ihnen Kontakt hatte."98 Kinder waren wohl am ungezwungensten im Umgang mit den Sowjets, weil Misstrauen und Ablehnung gegenüber den sowjetischen Soldaten, auch auf Grund ihrer positiven Erfahrungen, keinen Platz hatten. Ein ganz besonderes Beutegut stellten für die Sowjets Uhren dar: „Da, in Wien, habe ich dann einem Russen meine Firmuhr verkauft, sie war eh ganz billig, aber ich konnte mich eben schon etwas auf Russisch verständigen. Der hat mir dafür Geld gegeben, das hatten sie ja"99, erinnert sich Franz Deutsch. Uhren wurden gesammelt, eingetauscht, abgenommen, mit ihnen wurde gehandelt und wurden Geschäfte abgewickelt: „Auf einem Abfallhaufen habe ich einen Wecker gefunden. [...] Die Russen hatten einen Lastwagen voll Zigaretten. Das konnte man ja damals nicht erwerben, die waren ja unbeschreiblich viel wert. [...] Ich habe mit dem Nachbarbuben die alte Uhr genommen, haben sie dem Russen gezeigt. Er wollte wissen, was wir wollten. Wir zeigten zehn Packungen Zigaretten. Die gab er uns auch."100 Die Demarkationslinie Das Mühlviertel befand sich auf Grund seiner Grenzlage in einer sehr ungünstigen Verkehrsposition. Sowohl die Grenzübergänge in die Tschechoslowakei als auch diejenigen nach Bayern wurden geschlossen.101 Erstes Augenmerk wurde daher darauf gelegt, zumindest die Bahnlinien innerhalb des Mühlviertels wieder befahrbar zu machen. Auch der private Verkehr war beinahe völlig zum Erliegen gekommen. Dies hatte drei Gründe. Erstens kam es zu einem vermehrten Diebstahl von Fahrzeugen, zweitens hatten viele Fahrzeugbesitzer ihre Fahrzeuge ins südliche Oberösterreich gebracht und drittens fehlte es an Treibstoff.102 Die Zentralverwaltung Mühlviertel errichtete noch im Jahr 1945 bei den vier Bezirkshauptmannschaften und in Urfahr Verkehrsstellen, die den gesamten Personen- und Lastenverkehr zu regeln hatten.103 Die Donaubrücke durfte nur mit Passierscheinen, die später durch Identitätskarten ersetzt wurden, überschritten werden. Franz Deutsch gelang es aber einmal, ohne Identitätskarte die Nibelungenbrücke zu überqueren: „Ich wollte mal mit den Schülern in die Berge fahren und vergaß dummerweise meine Identitätskarte. Da war ein Lehrer, der war ein ziemlicher Witzvogel, er war in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen, deswegen konnte er Russisch. Er sagte zu mir, ich solle mich hinter einem Schüler verstecken, und er werde das schon machen. Und tatsächlich, ich kam ohne Probleme rüber. Jedoch beim Zurückkommen gab es dann das Problem. Die Russen haben nämlich die Leute, die vom Westen kamen, desinfiziert. [...] Wenn die alle desinfizieren, dann bemerkt er, 98 99 100 101 102 103

Ebd. AdBIK, OHI, VD-0318/0319, Deutsch. Ebd. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 139, Sitzungsprotokoll, 14.8.1945. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 139, Sitzungsprotokoll, 3.10.1945. OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Präsidium, 1945, Mikrofilm 530.

Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung dass ich ein blinder Passagier war. Doch es war noch der gleiche Wachposten dort. Und der Lehrer kannte den schon und hat ihm weisgemacht, dass eh alle Kinderchen so rein wären wie nach der Geburt." 104 1945 war nur die Nibelungenbrücke bei Linz passierbar. Ein Jahr später war es dann bereits möglich, bei Steyregg und bei Mauthausen die Donau zu überqueren. Im Jahr 1952, also ein Jahr vor Aufhebung der Kontrollen an den Demarkationslinien, gab es zehn Stellen, an denen man die Donau überqueren konnte. 105

Fischerei und Jagd Bereits im Jahr 1945 setzte trotz Verbots ein aus österreichischer Sicht rücksichtsloses Fischen und Jagen durch die Sowjets ein. Schonzeiten und Mindestmaße wurden vielfach nicht berücksichtigt. In vielen Gewässern wurde der Fischbestand buchstäblich zerstört.106 Da die Sowjets vielfach über keine Angeln verfügten, benutzten sie mitunter Sprengmunition: „Die Russen haben nämlich mit ihren Handgranaten die Fische aus den Bächen gesprengt. Handgranaten lagen damals herum wie Kieselsteine." 107 Das Wild wurde vor allem mit Maschinenpistolen erlegt. Dabei wurden die Sowjets oft von der Zivilbevölkerung beobachtet: „Am 19.1.1955, gegen 11.30 Uhr, ich war gerade vor meinem Haus beschäftigt, sah ich zwei russische Offiziere auf der Straße, die gleich neben meinem Haus vorbeiführt, stehen. Ein Offizier hatte ein Gewehr bei sich. Dieser Offizier kniete sich auf die Straße nieder, brachte das Gewehr in Anschlag und feuerte einen Schuss ab. Da ich vor den russischen Offizieren Angst hatte, begab ich mich ins Haus. Nach kurzer Zeit kamen die beiden Offiziere ins Haus und erklärten, dass sie mir das Reh, das sie soeben erlegt haben, schenken. [...] Ein Offizier sagte mir dabei, dass, wenn der Jäger schimpfen soll, ich mich sogleich an ihn wenden kann und er das weitere [sie!] regeln wird." 108 Der Bezirksjägermeister konnte auf Grund der Mitteilungen der einzelnen Jagdpächter für das Jahr 1947 feststellen, dass ungefähr 220 Stück Rehwild, 160 Hasen und 90 Fasane während der Schonzeit durch die Sowjets erlegt worden waren. 109 Während einer diesbezüglichen Vorspräche beim Landeskommandanten wurde klar gestellt, dass der Kommandant mit diesen Vorfällen nicht einverstanden war und veranlasste, dass unbefugte Abschüsse unverzüglich zu melden wären.110 Dennoch kam es immer wieder zu solchen Vorfällen, wie oben erwähntes Zitat aus dem Jahr 1955 beweist.

104 AdBIK, OHI, VD-0318/0319, Deutsch. 105 OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 5, 1952, Präsidium, ZI. 35-1952; siehe auch OÖLA, Landesregierung seit 1945, ZVM, Schachtel 141, Sitzungsprotokoll, 10.7.1952. 106 OÖLA, Politische Akten, Rotbuch, MF 5080. 107 AdBIK, OHI, VD-0318/0319, Deutsch. 108 OÖLA, BH Perg, Schachtel 168, 1955, Abt. Präs., Präsidium, ZI. 12-1955. 109 OÖLA, BH Perg, Schachtel 51, 1948, Abt. VII, Agrarische Angelegenheiten, 13-1948. 110 Ebd.

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Gerald Hafner „Es hat schon auch Tränen gegeben!" „Am 25. Oktober wird der letzte fremde Soldat österreichischen Boden verlassen haben und unsere Heimat endlich frei sein!""1, heißt es in einer Aussendung der Abteilung Presse des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung. Zum Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen berichtet ein oberösterreichischer Zeitzeuge Folgendes: „Es hat schon auch Tränen gegeben. [...] Es hatten sich ja auch Freundschaften gebildet. Die Russen waren auch traurig, denn in Russland selbst hat sie ja auch nichts Gutes erwartet. Bei uns ging es ihnen ja viel besser."112 Über ein ganz besonderes Erlebnis bezüglich des Abzuges der sowjetischen Besatzungsmacht berichtet Ida Ortmayr: „Es war ein normaler Schultag, und ich machte mich wie täglich auf, zum Bahnhof zu kommen. Dazu musste ich bei uns [...] die ,Kremserstraße' überqueren. Als ich bei unserem Haustor herauskam, hörte ich schon einen ganz komischen Lärm, dann sah ich auch schon die ganze Straße rauf und runter Panzerkolonnen, einen Panzer nach dem anderen. Ich wartete eine Weile und dachte, dass der Transport ja bald zu Ende sein müsste. Langsam wurde ich nervös, ich hatte Angst, meinen Zug zu versäumen, und wollte einen geeigneten Abstand zwischen den Panzern abwarten und durch diese Lücke die Straße queren. Ich machte einige Schritte auf die Straßenmitte zu, und in diesem Moment richtete sich das Abschussrohr des Panzers genau auf mich. Vor Schreck ließ ich meine Schultasche fallen und stand für meine Begriffe lange, wie angewurzelt, stehen. [...] Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis ich mich wieder im Griff hatte und zurück zum Gehsteig laufen konnte. Von dort aus verfolgte ich noch lange diesen Panzertransport. [...] An diesem Tag hatte ich meinen Zug versäumt und blieb daheim."113 Resümee Die sowjetische Besetzung des Mühlviertels brachte diesem Landesteil auf wirtschaftlicher Ebene zweifelsohne schwere Nachteile. Durch seine Wirtschaftsstruktur gehörte das Mühlviertel immer schon zu den Entwicklungsgebieten Oberösterreichs, doch die zehn Jahre sowjetischer Besetzung bedeuteten für diese Region einen erneuten Rückschlag. Verwaltungsmäßig hätte die Entwicklung nach dem Ende des Krieges zu einer Isolation des Mühlviertels und somit zu einem Auseinanderleben zwischen Oberösterreich südlich und nördlich der Donau führen können. Aus diesem Grund zielte schon 1945 sofort jede Politik auf die Aufrechterhaltung der Verbindungen zwischen dem Mühlviertel und dem übrigen Oberösterreich ab. In aller Eile wurde die Zivilverwaltung Mühlviertel eingerichtet. Die sowjetische Besatzungsmacht akzeptierte die Einbindung des „Staatsbeauftragten" des Mühlviertels in die Landesregierung des von den US-Amerikanern 111 OÖLA, Landeskorrespondenz, Presseaussendung, Schachtel 17, Sonderausgabe aus Anlass der Befreiung Österreichs. 112 AdBIK, OHI, VD-0318/0319, Deutsch. 113 AdBIK, Schriftliche Mitteilung Ortmayr.

Das Mühlviertel unter sowjetischer

Besatzung

besetzten Teils Oberösterreichs. Diese Politik bewährte sich bis zur rechtlichen Beendigung der Teilung des Bundeslandes Oberösterreich im Jahr 1955. Für die Zivilbevölkerung waren die zehn Jahre sowjetischer Besatzung gekennzeichnet durch die Ungewissheit über die weitere Entwicklung des Mühlviertels und durch die Angst gegenüber der Besatzungsmacht. Als Schwerpunkt hinsichtlich der Meinungsund Vorurteilsbildung gegenüber den Sowjets, dem Bolschewismus und Kommunismus kann sicherlich die nationalsozialistische antisowjetische Propaganda angesehen werden: „Es hat sich nicht ergeben, freundschaftliche Beziehungen aufzubauen, weil die Kontaktmöglichkeit gefehlt hat. [...] Angst hatten wir noch von der Nazi-Propaganda her, aber das hat sich sehr schnell als Propaganda herausgestellt."" 4 Lev Kopelev bringt in seiner Autobiographie eine wichtige Tatsache, was das Verhalten der sowjetischen Besatzungsmacht den Österreichern gegenüber betrifft, zur Sprache. Rache zu üben, zu morden, zu plündern und zu schänden ist für viele die einzige logische Konsequenz auf Hitlers Aggression. Menschlichkeit dem „Feind" gegenüber wurde als Verrat am Vaterland angesehen." 5 Doch nicht alle zeigten Gefühle der Rache. So war zum Beispiel der erste militärische Bezirkskommandant von Freistadt, Major Sacharjan, bekannt dafür, dass er - er hatte durch deutsche SS-Angehörige seine Frau, seine beiden Kinder und die Schwiegereltern verloren - sein Verhalten der österreichischen Zivilbevölkerung gegenüber niemals von Gefühlen der Rache leiten ließ." 6 Auf Grund vieler positiver Erfahrungen mit der sowjetischen Besatzungsmacht wurden einige vorherrschende Sterotypien zumindest zum Teil aufgelöst, denn „Kontakte sind die beste Form, Feindbilder zu entschärfen [...]":" 7 „Sie sind keine Unmenschen. Sie sind natürlich Soldaten. [...] Einer der Cousins meiner Mutter, [...] der hat natürlich Dinge erzählt, aber nicht wie die Russen sich verhalten haben, sondern wie sie [die Deutschen] sich verhalten haben in der Ukraine und in Russland. Dass die Deutschen die Häuser von den Bauern angezündet haben."" 8 Mit dem Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 war nach zehnjähriger Ungewissheit für das Mühlviertel endlich die Zeit des Abzuges der sowjetischen Besatzungsmacht und der vollständigen Wiedereingliederung in den Landesverband Oberösterreich gekommen.

114 AdBIK, OHI, V D - 0 3 1 7 , Fischerlehner. 115 Lev Kopelev, Aufbewahren für alle Zeit! Mit einem Nachwort von Heinrich Boll. München 1987, S. 96. 116 Merl, Besatzungszeit im Mühlviertel, S. 83. 117 Karl Heinz Ritschel, Der Zwiespalt von Kritik und Feindbild, in: Hubert Feichtlbauer (Hg.), Feindbilder. Wie Völker miteinander umgehen. Wien 1988, S. 12-17, hier: S. 15. 118 AdBIK, OHI, V D - 0 3 1 7 , Fischerlehner.

Edith Petschnigg

Die „sowjetische" Steiermark 1945 Aspekte einer Wendezeit

„Narben verbleiben" schrieb die Oststeirerin Maria Reichmann beinahe 60 Jahre nach Kriegsende in einem ihrer Gedichte. 1 Auf ebenso prägnante wie berührende Weise geben ihre Verse Einblick in die bedrohlichen und gefahrvollen Lebensumstände, denen sie und ihre Zeitgenossen in den Frühjahrstagen des Jahres 1945 ausgesetzt waren. Nur selbst knapp einer Vergewaltigung durch sowjetische Soldaten entronnen, sind ihr - ebenso wie vielen anderen „Zeitzeuginnen" und „Zeitzeugen" - die Ereignisse rund um das Ende der NS-Herrschaft und die militärische Besetzung durch die Rote Armee unauslöschlich im Gedächtnis verankert geblieben: an eine Zeit „voll Verzweiflung, aber auch voll Hoffnung auf Frieden und Freiheit".2 Die Besatzungszeit in Österreich begann bereits einige Zeit vor der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht. Am Gründonnerstag, dem 29. März 1945, überschritten Einheiten des IX. Garde-Mech.-Korps der 3. Ukrainischen Front den „Südostwall" 3 bei der Ortschaft Klostermarienberg, nördlich des Geschriebensteins, der die Grenze zwischen den „Reichsgauen" „Niederdonau" und Steiermark4 bildete, und drangen auf 1

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„Aus der Geschichte von Feldbach und Umgebung: 1945", in: Maria Reichmann, Gedanknblüah. Gedichte in oststeirischer Mundart. Feldbach 2003, S. 12. Vielfachen Dank für die Unterstützung bei der Verfassung dieses Beitrages schulde ich meinen Kollegen am Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung (BIK): Herrn Mag. Arno Wonisch für die Übersetzung der russischen Archivalien sowie Herrn Mag. Dr. Peter Ruggenthaler und Herrn Mag. Harald Knoll für wertvolle Quellenhinweise. Zur Thematik dieses Beitrages siehe auch Siegfried Beer, Das sowjetische „Intermezzo". Die „Russenzeit" in der Steiermark. 8. Mai bis 23. Juli 1945, in: Historische Landeskommission für Steiermark (Hg.), Vom Bundesland zur europäischen Region. Die Steiermark von 1945 bis heute. Geschichte der Steiermark. Bd. 10. Graz 2004, S. 35-58. Heinz Karpf, Die Kampfhandlungen in der Steiermark, in: Die Steiermark. Land - Leute - Leistung. Graz 1956, S. 4 1 3 - ^ 2 4 , hier: S. 421. Der „Südostwall", der sich vom Geschriebenstein bei Rechnitz bis zum untersteirischen Rann/Brezice, heute Slowenien, erstreckte, bildete einen wichtigen Abschnitt der östlichen Verteidigungsanlagen des „Dritten Reiches"; mit seiner Errichtung wurde im Herbst 1944 begonnen. Für die rasch vordringenden sowjetischen Truppen stellte er jedoch kein tatsächliches Hindernis dar. Vgl. Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945. Aspekte ihrer politischen, wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Entwicklung. 2., ergänzte Aufl. Graz - Wien 1986, S. 398-401; Felix Schneider, Die Militärischen Operationen in der Steiermark März - Mai 1945, in: Graz 1945. Historisches Jahrbuch der Stadt Graz. Bd. 25. Graz 1994, S. 1 7 ^ 6 , hier: S. 19-23. Im Oktober 1938 waren die südburgenländischen Bezirke Jennersdorf, Güssing und Oberwart an die Steiermark angeschlossen, das Ausseerland an den „Reichsgau Oberdonau" abgetrennt worden. Vgl.

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Edith Petschnigg burgenländisches Gebiet vor.5 Über Ostern 1945 rückten sowjetische Einheiten der 26., 27. und 57. Armee der 3. Ukrainischen Front unter Marschall Fedor Tolbuchin mangels entsprechender militärischer Gegenwehr - die Verteidigung erfolgte durch eilig aufgestellte Volkssturm-Einheiten und Hitlerjugend sowie durch Reste der deutschen 6. Armee und der 2. Panzer-Armee - zügig in die Oststeiermark vor: von Rechnitz über Schlaining, Friedberg und Vorau in Richtung Fischbacher Alpen, über Szentgotthärd, Mogersdorf und Jennersdorf bis nach Fehring sowie über Tauka, Kalch, Bad Gleichenberg und Feldbach bis nach Kirchberg a. d. Raab, wo der Vormarsch der Roten Armee nur 30 Kilometer vor Graz am Ostermontag vorläufig zum Stillstand kam.6 Das Raabtal, in dem verschiedene Orte mehrmals den Besitzer wechselten, bildete eines der Hauptkampfgebiete der Steiermark, ebenso wie das Joglland südlich des Wechsels und östlich der Fischbacher Alpen. Rund sechs wechselvolle und blutige Wochen standen zwischen dem Beginn der Kampfhandlungen im mittleren und südlichen Burgenland sowie der Steiermark und deren Ende.7 Die Kämpfe im Verlauf dieser beiden Stoßrichtungen an den Flanken der Roten Armee, deren Ziel Wien war, nämlich der Vorstoß in den Süden der Steiermark durch die 27. Armee unter Generaloberst S. Trofimenko und der 57. Armee unter Generaloberst M. Sarochin und jener der 26. Armee unter dem Befehl von Generalleutnant N. Gagen in die nordöstlichen Teile der Steiermark, in das Joglland bis nach Fischbach, sollen im Folgenden in aller Kürze beleuchtet werden. Dabei stellt sich die Frage nach den operativen Zielen der sowjetischen Truppen in der Oststeiermark im April 1945: Wären die beiden Vorstöße in die Steiermark gleichzeitig erfolgt, würden sie den Eindruck einer einheitlichen Operation erwecken. Dies war jedoch nicht der Fall: Der Stoß in das Raabtal traf zwar die Flanke der deutschen 6. Armee, zog bis 6. April jedoch keine operativen Folgen nach sich.8 Am 13. April, dem Ende der „Schlacht um Wien", erfolgte auf Befehl des Sowjetischen Oberkommandos, der Stavka, der Einmarsch sowjetischer Divisio-

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Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 335. Im Zuge des Balkanfeldzuges war weiters im April 1941 die Untersteiermark einschließlich eines Grenzstreifens südlich der Save dem „Reichsgau" Steiermark angegliedert worden. Vgl. ebd., S. 126-131. Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 405; Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Neuaufl. Graz - Wien - Köln 1995, S. 63. Manfried Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich '45. Wien 1995, S. 241. Vgl. dazu Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 224 (Karte: Die Operationen im südlichen Burgenland und gegen die Steiermark); Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 404-416. Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich '45, S. 242. Zum militärischen Kriegsende in der Steiermark vgl. u. a. Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 391^121; Stefan Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert. Politik - Wirtschaft - Gesellschaft - Kultur. Graz - Wien - Köln 2000, S. 301-311; Karpf, Die Kampfhandlungen in der Steiermark; S. 415^420; Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 241-281; Schneider, Militärische Operationen in der Steiermark; Felix Schneider, Kriegsende, in: Historische Landeskommission für Steiermark (Hg), Vom Bundesland zur europäischen Region. Die Steiermark von 1945 bis heute. Geschichte der Steiermark. Bd. 10. Graz 2004, S. 9 - 3 0 , sowie Regionalstudien, beispielsweise Othmar Tuider, Die Kämpfe im Vorgelände der Fischbacher Alpen 1945. Militärhistorische Schriftenreihe, H. 17. 3. Aufl. Wien 1984, oder Gertrud Kerschbaumer, Fürstenfeld 1945. Kriegsende und sowjetische Besatzung. Graz 1997. Tuider, Die Kämpfe im Vorgelände der Fischbacher Alpen, S. 23. Vgl. auch Karpf, Die Kampfhandlungen in der Steiermark.

Die „sowjetische " Steiermark nen in das Vorgelände der Fischbacher Alpen: „Das Zentrum und der linke Flügel der [3. Ukrainischen] Front haben zur Verteidigung an den erreichten Linien überzugehen, mit Ausnahme des Raumes Fischbach, der unverzüglich zu besetzen ist. Nur falls sich der Feind vor dem rechten Flügel und dem Zentrum der Front als schwach erweist und den Rückzug beginnt, haben die Truppen der Front sogleich zum Angriff überzugehen und zur Linie Große Erlauf (Fluss) - Graz vorzurücken, wo sie sich festzusetzen haben." 9 Bereits in der Nacht vom 13. auf den 14. April wurde das nominelle Angriffsziel Fischbach erreicht. 10 Weshalb gerade der Einnahme der Ortschaft Fischbach seitens der Stavka des Oberkommandos so große Bedeutung zugemessen wurde, während der 3. Ukrainischen Front generell der Übergang zur Verteidigung und das Festhalten an den erreichten Linien befohlen wurde, stellt nach wie vor ein Forschungsdesideratum dar. Eine bemerkenswerte Erklärung für den sowjetischen Vorstoß nach Fischbach bot Jurij El'tekov, ehemaliges Mitglied der sowjetischen Aufklärung in einer Abteilung zur besonderen Verwendung im Verband der 11. Garde-Kavallerie-Division des 91. Grenz-Regiments des 54. Pionier-Bataillons: „Es gab damals das Gerücht, dass in einem der in den Fischbacher Alpen gelegenen Bergen die Nationalsozialisten den ungarischen Goldschatz versteckt hätten und die Abteilung zur besonderen Verwendung den Auftrag erteilt bekommen hätte, nach diesem Gold zu suchen." 11 Die Rote Armee zog jedoch keinen nachhaltigen militärischen Nutzen aus ihrem Vorstoß in den Raum Fischbach, und Mitte April 1945 stellte eine deutsche Gegenoffensive die vorherigen militärischen Verhältnisse wieder her. Die Front verlief bei Kriegsende weitestgehend wieder entlang der burgenländischsteirischen Grenze. 12 Ein kurzer Abriss der alliierten Zonenplanungen für Österreich soll Einblick in die diesbezüglichen Konzeptionen der Sowjetunion für die Steiermark geben. Bereits im Oktober 1943 wurde, bei der Moskauer Außenministerkonferenz, die Einsetzung der „European Advisory Commission" (EAC) mit Sitz in London beschlossen, deren Hauptaufgabe es war, Regelungen für die Zeit nach dem militärischen Sieg über Deutschland auszuarbeiten. Auf Grund des alliierten Beschlusses, Österreich von Deutschland zu trennen, ergab sich die Notwendigkeit, für Österreich separate Abkommen hinsichtlich alliierter Besatzungszonen zu treffen. 9

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CAMO, F. 148a, op. 3763, d. 213, S. 82; in deutscher Übersetzung zit. nach Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 492. Zu den Kämpfen im Raum Fischbach vgl. u. a. Heinz Karpf, Die Kampfhandlungen in der Steiermark, in: Die Steiermark. Land - Leute - Leistung. Graz 1956, S. 413^124; Leopold Hohenecker, Das Kriegsende 1945 im Raum Fischbach, in: ÖGL. 1975/4, S. 193-225: Tuider, Die Kämpfe im Vorgelände der Fischbacher Alpen; Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945. 3., Überarb. Aufl. Graz 1994, S. 404-413, und den Beitrag von Natal'ja Eliseeva, Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee, in diesem Band. Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 264. AdBIK, Schriftliche Mitteilung, Dr. Jurij El'tekov. Moskau, 10.5.2004. Tatsächlich wurde der ungarische Kronschatz mit der Stephanskrone 1945 in Mattsee, Salzburg, den US-Truppen übergeben und in die USA überstellt. Die Rückgabe an Ungarn erfolgte erst im Jahr 1978. http://www.aeiou.at/ aeiou.encyclop.s/s839449.htm, 20.12.2004, 12.00 Uhr, Microsoft Internet Explorer. Tuider, Die Kämpfe im Vorgelände der Fischbacher Alpen, S. 23; zur Kriegsgliederung und den Stellenbesetzungen der 3. Ukrainischen Front siehe Rauchensteiner, Krieg in Österreich, S. 504—506.

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Edith Petschnigg Weil die USA zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Interesse an einer Besetzung des Landes zeigten, sollte Österreich in eine britische und eine sowjetische Zone geteilt werden, mit einer Dreimächteteilung von Wien. Ende November 1944 ergaben die sowjetischen Planungen allerdings folgende Zoneneinteilung: Das Burgenland, das östliche Niederösterreich und der größere östliche Teil der Steiermark einschließlich der Landeshauptstadt Graz sollten der sowjetischen Zone angehören, der westliche Teil Niederösterreichs, der nordwestliche Teil der Steiermark und Kärnten der britischen; Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg sollten von den USA verwaltet werden.13 US-Präsident Franklin D. Roosevelt stimmte erst im Dezember 1944 der Errichtung einer US-Besatzungszone in Österreich zu. Im November 1944 war auf Betreiben der Briten schließlich auch Frankreich in die EAC aufgenommen worden, das im Jänner 1945 ebenfalls den Erhalt einer Besatzungszone in Österreich forderte.14 Ein britischer Vorschlag vom Jänner dieses Jahres sah schließlich die Teilung Österreichs in vier Zonen vor: Osttirol, Kärnten, die Steiermark und der südliche Teil des Burgenlandes - Steiermark und Kärnten somit in ihren Reichsgaugrenzen - sollten unter britische Besatzung fallen. Tirol und Vorarlberg sollten die französische Zone bilden, Salzburg und Oberösterreich die amerikanische; unter sowjetischer Verwaltung würden Niederösterreich und das nördliche Burgenland stehen. Für Wien war eine Teilung in vier Sektoren vorgesehen.15 Dieser Vorschlag - er sollte schließlich die Basis des Zonenabkommens bilden - stieß jedoch hinsichtlich des Burgenlandes auf sowjetischen Widerspruch. Die Sowjetunion vertrat die Ansicht, dass die alten österreichischen Bundesländergrenzen zu gelten hätten und daher das gesamte Burgenland unter sowjetischer Verwaltung stehen sollte.16 Da den alliierten Vereinbarungen zufolge die österreichischen Ländergrenzen wiederzuerrichten waren, stimmten die westlichen Alliierten der sowjetischen Forderung letztendlich zu.17 Die Einheit des Burgenlandes wurde damit endgültig wiederhergestellt. In der Steiermark verfolgten die Sowjets somit keinerlei Nachkriegsinteressen, weshalb auf ihrem Gebiet nur unbedingt notwendige Operationen durchgeführt und rein operativ-taktische Ziele verfolgt wurden. So wurde der sowjetische Anspruch auf das Burgenland durch das Vordringen in die Steiermark abgesichert. Vermutlich erfolgte ein weiteres Vorrücken in den Westen nur dort, wo die deutschen Truppen zurückwichen und wo es aus örtlichen Gründen unbedingt erforderlich erschien. Darüber hinaus sollte einem möglichen Zurückweichen der deutschen 6. Armee unter Hermann Balck und der 2. Panzer-Armee unter Maximilian de Angelis in Richtung Norden Einhalt geboten werden.18

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Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955. Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62. 4. Aufl. Wien - Köln - Graz 1998, S. 28f. Ebd., S. 30. Ebd. Rauchensteiner, Krieg in Österreich, S. 242. Ebd. Ebd.

Die „sowjetische " Steiermark Im Folgenden soll nun auf Basis bisher unveröffentlichter Auszüge aus den Kampfberichten der 3. Ukrainischen Front ein neuer Blickwinkel eröffnet und aus sowjetischer Sicht Einblick in die militärischen Vorstöße der Roten Armee in die Steiermark gegeben werden. Marschall Tolbuchin erteilte am 1. April 1945 seinen am rechten Flügel operierenden Truppen, darunter der 9. Garde-Armee, folgende Befehle, die im Hinblick auf die 26. Armee auch die Steiermark tangierten: „Die 9. Garde-Armee hat den Abschnitt Haschendorf, Sollenau, Unter-Piesting, Pernitz einzunehmen. Bis zum Vorrücken der 26. Armee ins Gebiet Gloggnitz - Mürzzuschlag ist Gloggnitz mit einer Schützendivision verstärkt durch Artillerie einzunehmen und sind von links die Aktionen des Stoßtrupps zu sichern; mit einem verstärkten Schützenregiment ist Gutenstein einzunehmen. Die Grenzlinien mit der 26. Armee sind: Aspang, Wörth, Rohrbachgraben, Gutenstein." Die Kämpfe im Verlauf des 1. April hätten einen „erbitterten Charakter" getragen, so der Bericht. 19 Über einen sowjetischen Angriff auf einen Abschnitt des „Südostwalls" erging ferner folgender Bericht: „Das CXXXIII. Schützen-Korps 20 [der 57. Armee] stieß mit einem Teil seiner Kräfte in Richtung des Flusses Mur vor, und die Armee setzte ihre Offensive entlang des nördlichen und südlichen Murufers in Richtung österreichischer Grenze fort. Am 6. April trafen Teile der Armee auf den von den Deutschen errichteten Verteidigungswall. Dem Feind war es gelungen, diesen Abschnitt mit sich zurückziehenden Kräften zu halten, und die Armee war gezwungen, die feindliche Verteidigung neuerlich zu durchbrechen. Zwischen 6. und 11. April kam es zu erbitterten Kämpfen, im Zuge derer der Feind seine Einheiten verstärkte, indem er Teile der 14. SS-Infanterie-Division ,Galizien' aus Jugoslawien sowie das 16. Völkssturm-Bataillon und die Unteroffiziersschule der 2. Panzer-Armee aus Österreich verlegte. Der Kommandierende der 57. Armee nahm seinerseits eine Umgruppierung vor und brachte die letzte bislang noch nicht operierende Division, die 61. Garde-Schützen-Division des VI. Garde-Schützen-Korps 21 , zum Einsatz."22 Die Einheiten der 57. Armee drangen stetig weiter in die Steiermark vor, doch hatten sie nach wie vor mit erheblichem Widerstand der deutschen Truppen zu kämpfen: „Am 12. April wurde die Abwehr des Feindes an der rechten Flanke auf einer Länge von 25 Kilometer durchbrochen und Einheiten der Armee drangen täglich bis zu sieben Kilometer in die Tiefe vor. Jedoch leistete der Feind unter Ausnützung der bergigen Topographie weiterhin hartnäckigen Widerstand. Unsere Einheiten konnten in den folgenden vier Tagen keine wesentliche Vorwärtsbewegung verzeichnen." 23 19

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CAMO, F. 243, op. 2900, d. 2058a, S. 84. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzi-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 7. Befehlshaber des CXXXIII. Schützenkorps der 57. Armee war Generalmajor P. Artjusenko. Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 504. Das VI. Gardeschützenkorps der 57. Armee wurde von Generalmajor N. Drejer befehligt. Rauchensteiner, Krieg in Österreich, S. 504. CAMO, F. 243, op. 2900, d. 1573, S. 248-255. Ebd.

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Edith Petschnigg Die Truppen der 27. Armee drangen darüber hinaus vom Burgenland her in die Steiermark vor. „Das XXXV. Gardeschützenkorps24 nahm nach seinem im Raabtal erfolgten Vorstoß am 1. April Feldbach ein. Doch verstärkte der Feind mit Hilfe seines zuvor angelegten Verteidigungswalls entlang der österreichisch-ungarischen Grenze und unter Ausnutzung des für die Verteidigung günstigen bergigen und stark gegliederten Reliefs seinen Widerstand. Es begannen erbitterte Kämpfe; Truppen der Armee kamen unter Aufwendung großer Anstrengungen nur langsam vorwärts und gingen mit 15. April auf Befehl des Oberkommandierenden der Front zur Verteidigung auf der Linie ostwärts Burgau - Fürstenfeld - Mitterbreitegg - Übersbach - Wiesenberg - Oberkornbach - Trautmannsdorf über."25 Auf Grund des Vormarsches der 27. Armee waren die deutschen Truppen gezwungen, sich am 12. April aus dem Raum nordöstlich von Güssing hinter den steirisch-burgenländischen Grenzfluss Lafnitz und den Lobenbach zurückzuziehen. Am 15. April führten die Truppen der 27. Armee Kämpfe auf der Linie Payerbach (westlich Gloggnitz) - Schottwien - Pfaffenmauer - St. Jakob - Waldbach - Flusslauf der Lafnitz - Markt Allhau - Wolfau, ostwärts Burgau. In den Folgetagen konnten die Armeeeinheiten jedoch keine Vorwärtsbewegungen verzeichnen.26 Die Hauptaufgabe der 57. Armee am linken Flügel war zu diesem Zeitpunkt bereits erfüllt: „Die 57. Armee drang in die Vorberge der Alpen vor. Am 16. April wurde der Befehl zur Festigung der Verteidigung auf der Linie ostwärts Grub - westlich Dirnbach - Müggendorf - Straden - Unterkarla - Radochen - Donnersdorf und weiter entlang des linken Murufers in Richtung Safarsko - Strigova erteilt."27 Der „erste Russe" Durch das durch Jahrzehnte tradierte Russenbild, durch Berichte von Flüchtlingen aus Ungarn und durch das vom NS-Regime propagierte Bild vom „slawischen Untermenschen" fürchteten sich die Menschen vor dem „Tag X": dem Auftauchen der Sowjetsoldaten.28 Der Grazer Heimo Widtmann, der das Kriegsende als 15-jähriger im südsteirischen Unterjahring erlebte, erinnert sich an die Ängste der Bevölkerung und seinen ersten Kontakt mit einem Rotarmisten: „Man [hat] uns versichert, dass, wenn die Russen kommen, quasi die Welt untergeht, dass es uns sehr schlecht geht. Am 8. Mai, am Nachmittag, hieß es dann im Dorf, ein Russe ist da, der erste Russe. Der kam auf einem Motorrad, das war so ein mittelalterlicher Mann, der offenbar Ausschau halten sollte, ob es dort noch ver-

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Das XXXV. Gardeschützenkorps der 27. Armee wurde von Generalleutnant S. Gorskov befehligt. Rauchensteiner, Krieg in Österreich, S. 505. CAMO, F. 243, op. 2900, d. 1573, S. 257. Ebd., S. 260. CAMO, F. 243, op. 2900, d. 1573, S. 248-255. Zur militärischen Besetzung der Steiermark durch die Rote Armee im Zeitraum von 1. bis 12. Mai 1945 siehe den Anhang dieses Beitrages. Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1943-1945. Materialien zur Zeitgeschichte. Bd. 1. Wien 1977, S. 234f.

Die „sowjetische" Steiermark sprengte deutsche Truppen gab, in dem einsamen Graben. Es gab keine mehr, nur große Lager mit Gütern, die die Wehrmacht zurückgelassen hatte. Nach einigen vorsichtigen Kontakten kam man drauf, dass das ein ganz angenehmer Mensch war. Er wurde bewirtet und fuhr dann mit dem Motorrad wieder weg." 29 Über ihre erste Begegnung mit Rotarmisten berichtete die damals 18-jährige Adolfine Weidinger aus Mühldorf bei Feldbach wiederum Folgendes: „Wir waren ja im Keller unten. Am 1. April kamen die Russen herein. [...] Mein Vater sagte,,Engländer?' - ,Nein, nix Engländer, Russkij' - ,Oh Maria', sagte ich. [...] Wir waren beim Mittagessen, Schinken, es war Ostern. Wir sagten, er könne mitessen. [...] Und dann aß er mit, wie er sah, dass wir auch aßen. Der eine, der ein Höherer war, die anderen waren halt alle da heraußen. Der ganze Hof war voll mit Russen." 30 Karl Karlin, zu Kriegsende 14 Jahre alt, blieben die Kämpfe in Feldbach, das fünf Wochen lang im Frontgebiet lag31, in Erinnerung. Er berichtete über das Vordringen der sowjetischen Truppen am Ostersonntag, dem 1. April 1945: „Es war eine ,Mords-' Schießerei, wie man sagt, und ruck zuck fuhren Panzer durch. Und ca. 30, 35 Meter von der Berufsschule [wo er mit seiner Familie wohnte] entfernt, wurde von einem Hitlerjungen ein Panzer abgeschossen, ein russischer, in der Gleichenbergerstraße. Und wir schauten vom Keller raus, brannte ja alles dort und da hingen drei Leichen heraus, also, wie man halt sagt, Soldaten. Und nach ca. zwei Stunden, [gingen] wir dann zurück, weil es zogen immer gleich Panzer durch, es war ja Hauptstraße. [...] Die Panzer wichen dann aus, weil der mitten auf der Straße stand. [...] Und es dauerte dann vier Tage, die russische Besatzungszeit, die erste." 32 Tatsächlich mussten sich die Sowjets am 5. April 1945 vorübergehend bis zum südlich von Gleisdorf gelegenen Steinberg zurückziehen. 33 Auch außerhalb der Kampfgebiete war der Einmarsch der Roten Armee zahlreichen Zeitzeugenberichten zufolge stets mit Angst verbunden. So berichtete die damals 11-jährige Maria Mayer, wie sie das Eintreffen von Angehörigen der Roten Armee in Friesach bei Stübing, wohin sie zu Kriegsende mit ihrer Familie aus Graz geflohen war, erlebte: „Also, ich persönlich mit einem Schock, wie die Rote Armee auf der Landstraße und vor der Villa Aufstellung nahm. Und dann gingen sie alle in das Wirtschaftsgebäude hinein und wir waren alle wie festgenommen, also unter der Kontrolle der Roten Armee. [...] Wir versteckten uns nicht. Wir standen da, dann ergaben wir uns dem Schicksal." 34 „Angst, Angst hatten wir natürlich. Die dachten ja, die könnten alles machen mit uns", blieb gleichfalls Maria Beyer, gebürtig aus Kirchberg a. d. Raab, über ihre erste Begegnung mit Rotarmisten in Erinnerung. „Wie die Russen kamen", so Beyer weiter, „da gingen der Bürgermeister, der Schuldirektor und der Pfarrer, da gingen sie mit der weißen Fahne entgegen. Also, sie ergaben sich, damit sie dort nicht noch mehr wüteten.

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AdBIK, Oral-History-Interview, V D - 0 2 6 7 , DI Dr. H e i m o Widtmann. Graz, 3.9.2003. AdBIK, Oral-History-Interview, V D - 0 2 6 9 , Adolfine Weidinger. Mühldorf, 1.9.2003. Rudolf Grasmug, 8 Jahrhunderte Feldbach. 100 Jahre Stadt. Feldbach 1984, S. 335. AdBIK, Oral-History-Interview, V D - 0 2 3 7 , Karl Karlin. Graz, 3.9.2003. Grasmug, 8 Jahrhunderte Feldbach, S. 324. Zur Besetzung der Stadt Feldbach am 1. April 1945 vgl. die Kampfberichte der 3. Ukrainischen Front weiter oben. AdBIK, Oral-History-Interview, V D - 0 2 6 6 , Maria Mayer. Graz, 30.8.2004.

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Edith Petschnigg Eigentlich zusammengeschlagen wurde nichts." Maria Beyer betonte diesbezüglich die Zivilcourage der Ortsbewohner: „Aber wie sie anfingen zu rauben, dann gingen wir her, die Frauen, und ließen die Kirchenglocken läuten, kamen wir zusammen mit Sicheln und Sensen und Gabeln und verjagten sie nach Möglichkeit."35 Zur fünffachen Besetzung Vom 8. bis 11. Mai besetzten sowjetische Einheiten die Steiermark bis zur Enns im Raum Schladming, zogen sich jedoch wieder etwas zurück. Sie drangen ferner in den Raum Köflach - Voitsberg und Zeltweg vor, ehe sie bei Judenburg auf britische Truppen stießen. Verbände der 1. Bulgarischen Armee, die im Rahmen der 3. Ukrainischen Front kämpften, besetzten den Raum von Radkersburg über Wildon bis zur Koralpe und mischten sich in diesem Gebiet mit jugoslawischen Partisanenverbänden. Dabei kam es auch zu Mehrfachbesetzungen, wie etwa in Leibnitz: Hier stellten Sowjets, Bulgaren und Jugoslawen abwechselnd die Ortskommandanten.36 Am 9. Mai hatte die Rote Armee fast alle wichtigen Positionen der Steiermark besetzt.37 Truppen der US-amerikanischen 3. Armee waren von Oberösterreich und Salzburg aus bis zur Enns38, die Briten aus Kärnten ins obere Murtal und bis Köflach vorgestoßen. Die Bezirksstadt Judenburg wurde zum steirischen „Sonderfall", eine zwischen Briten und Sowjets geteilte Stadt.39 Die Mur diente als Demarkationslinie, jeglicher Verkehr über die Brücke wurde eingestellt. Erst Ende Mai wurde diese Sperre für einige Tage aufgehoben, als Judenburg zum Ort der Auslieferung von 35.000 mit Deutschland verbündeten Kosaken und bis zu 15.000 weitere „Heimatverräter" an die Sowjets wurde.40 Eine besondere Situation ergab sich zu Kriegsende in Murau, welche die Furcht der steirischen Bevölkerung vor einer sowjetischen Besetzung versinnbildlicht - eine Furcht, die ein äußerst waghalsiges Unternehmen begründete. Unter dem Engagement des späteren Abgeordneten zum Nationalrat und Landtagspräsidenten der ÖVP, Karl Brunner, wurde die bevorstehende sowjetische Besetzung der Stadt verhindert und die Machtübernahme durch britische Truppen in die Wege geleitet. In Murau hatte sich be35 36

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AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0288, Maria Beyer. Graz, 6.2.2004. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 84f. Zur Situation in der Südweststeiermark vgl. auch Herbert Blatnik, Zeitzeugen erinnern sich an die Jahre 1938-1945 in der Südweststeiermark. 2. Aufl. Eibiswald 2000, S. 437-465. Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 427. Ebd.; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 84. Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 426. Zur Auslieferung der Kosaken vgl. Stefan Karner, Zur Auslieferung der Kosaken an die Sowjets 1945 in Judenburg, in: Johann Andritsch (Hg.), Judenburg 1945 in Augenzeugenberichten. Judenburg 1994, S. 243-259; Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 421; Stefan Kamer, Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion 1941-1956. Kriegfolgen-Forschung. Bd. 1. Wien - München 1995, S. 26-32; Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 323f.; Hugo Portisch, Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 2: Die Wiedergeburt unseres Staates. München 1993, S. 98-107, sowie den Beitrag von Ol'ga Pavlenko, Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie 1945, und den Beitrag von Stefan Karner und Peter Ruggenthaler, (Zwangs-)Repatriierungen sowjetischer Staatsbürger aus Österreich in die UdSSR, in diesem Band.

Die „ sowjetische " Steiermark reits 1944 eine Widerstandsbewegung unter der Leitung des Sozialdemokraten Karl Valiant formiert, die schon vor Kriegsende Kontakt zum Christlichsozialen Karl Brunner aufgenommen hatte. Die Bewegung übernahm am 8. Mai 1945 die Kreisleitung und rief die Bevölkerung zur rot-weiß-roten Beflaggung der Stadt auf. Flüchtende SS-Divisionen und die heranrückende Rote Armee stellten jedoch ein Gefahrenpotential dar. „Wir wollten eine reguläre Besetzung des Bezirks durch Westalliierte", so Alfred Wenzendorf, ein Mitglied der Widerstandsbewegung. 4 ' In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1945 erhielt der Gendarmerieposten Murau Meldung über den Einmarsch einer sowjetischen Vorhut in Scheifling. 42 Als Karl Brunner dies erfuhr, fasste er den Entschluss, eine britische Besatzung Muraus vorzutäuschen. „Es war mir bekannt, daß im Bezirk Murau englische Kriegsgefangene auf den verschiedenen Arbeitsplätzen beschäftigt waren, weshalb ich veranlasste, dass diese mit Auto und Motorrädern nach Murau gebracht werden. Mittlerweile ließ ich eine englische Flagge zusammenschneidern, und als um 5 Uhr morgens insgesamt 21 englische Kriegsgefangene in Murau beisammen waren, gab ich den Auftrag, diese auszurüsten und außerhalb von Murau, zirka 2 km auf der Straße gegen Scheifling in Stellung zu bringen. Die Engländer wurden über den Plan genauestens unterrichtet und versprachen, keinen Menschen, weder Soldat noch Zivilist, durchzulassen", so Brunner. 43 Sein Plan sollte sich als erfolgreich erweisen: In den Morgenstunden des 12. Mai 1945 wurden Stadt und Bezirk von britischen Truppen besetzt. 44 Murau war damit die letzte Bezirksstadt Österreichs, die unter alliierte Kontrolle fiel. 45 Als einziges Bundesland Österreichs war die Steiermark nunmehr fünffach besetzt. Der Großteil des Landes, etwa zwei Drittel, stand unter sowjetischer Besatzung. Hinsichtlich der Zoneneinteilung stellte die Steiermark somit ein besonderes Problem dar, das es zu lösen galt.

Zur Machtübernahme in der Landeshauptstadt Graz Am 7. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, war - wie oben dargestellt - die Steiermark ein noch kaum besetztes Land. Zu diesem Zeitpunkt war auch die Landeshauptstadt Graz noch nicht von alliierten Truppen besetzt46, obgleich die Besitznahme der Stadt den Kampfberichten der 3. Ukrainischen Front zufolge bereits für 41

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Wolfgang Wieland, Murau. Eine Stadt stellt ihre Geschichte vor. Von 1850 bis zur Gegenwart. Bd. 2. Murau 1998, S. 130-132. Vgl. dazu auch Edith Petschnigg, Von der Front aufs Feld. Britische Kriegsgefangene in der Steiermark 1941-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 7. Graz 2003, S. 247-251; Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 308; Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 416-419. Wieland, Murau, S. 135. StLA, ZGS, Erinnerungen 1938-1947, K. 210. Bericht Karl Brunners über das Kriegsende in Murau. Ebd. Vgl. Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 308. Kamer, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 427. Ebd., S. 420. Zur sowjetischen Besetzung der Stadt Graz vgl. u. a. auch Gertrud Kerschbaumer, Sowjetische Besatzungszeit in Graz. Überprüfung von Mythen, in: Stefan Karner (Hg.), Graz in der NSZeit 1938-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Sonderbd. 1. 2. Aufl. Graz 1999, S. 195-209.

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Edith Petschnigg Anfang April geplant gewesen war: „Mit den Einheiten der 26., 27. und der 57. Armee sowie der 1. Bulgarischen Armee sind bis spätestens 12. 4. Gloggnitz, Bruck, Graz, Maribor einzunehmen sowie feste Stellungen im Gebiet der Flüsse Mürz, Mur und Drau zu beziehen" 47 , hatte es in einer Anordnung der Stavka des Oberkommandos vom 1. April 1945 geheißen. Die sowjetischen Truppen standen zu Kriegsende jedoch noch fern von Graz, etwa auf der Höhe Semmering - Fürstenfeld - Feldbach und Radkersburg; die Untersteiermark wurde zum überwiegenden Teil von Tito-Partisaneneinheiten kontrolliert. Die westlichen Alliierten waren zu diesem Zeitpunkt noch weit von den steirischen Kerngebieten entfernt. Die militärische Besetzung des Großteils der Steiermark erfolgte erst innerhalb weniger Tage nach der Kapitulation. 48 Die letzten deutschen Truppen hatten die Landeshauptstadt bereits am 7. Mai 1945 verlassen. Zu Mittag des 8. Mai wurde über Rundfunk der Rücktritt von Gauleiter und Reichsstatthalter Sigfried Uiberreither bekannt gegeben, und Gauhauptmann Armin Dadieu, der die Amtsgeschäfte von diesem übernommen hatte, übergab ohne Widerstand die steirische Landesregierung und Verwaltung an Mitglieder der im Untergrund bereits gebildeten Parteien. Diese hatten sich unter der Führung des Sozialisten Reinhard Machold 49 im Grazer Rathaus versammelt. Gemeinsam mit Christlichsozialen und Kommunisten übernahm Machold die Regierungsgeschäfte. 50 „Ein furchtbarer Krieg ist beendet. Eine ungemein schwere Zeit liegt hinter uns, und eine nicht minder schwere Zeit liegt vor uns", so die Worte Landeshauptmann Macholds, die er am Abend des 8. Mai 1945 in seiner ersten Rundfunkansprache an die steirische Bevölkerung richtete. „Die für die Landesverwaltung verantwortlichen Männer sind abgetreten. Ich bitte euch dringend, tragt jetzt aus freien Stücken euren Teil dazu bei, damit kein Chaos entsteht, in dem auch noch das Letzte, was den gequälten Menschen Übriggeblieben ist, untergeht." 51 Einheiten der Roten Armee, die seit Anfang April Teile der Oststeiermark besetzt hatten, standen zwischen Gleisdorf und Graz, ihre Vorhuten hatten bereits die Ries erreicht, befanden sich also unmittelbar vor der steirischen Landeshauptstadt. Noch war ungewiss, welche alliierte Macht Graz besetzen würde; auf Grund vertraulicher Informationen rechnete man mit dem Einmarsch britischer Truppen. Diese waren allerdings in Oberitalien länger als geplant aufgehalten worden. 52

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CAMO, F. 243, op. 2900, d. 2058a, S. 87. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 7. Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 420f. Zu Leben und Wirken Landeshauptmann Reinhard Macholds siehe Rupert Gmoser, Reinhard Machold. Vom Arbeiter zum Landeshauptmann, in: Alfred Ableitinger - Herwig Hösele - Wolfgang Mantl (Hg.), Die Landeshauptleute der Steiermark. Graz - Wien - Köln 2000, S. 4 9 - 6 3 . Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 424f. Zum Kriegsende und zur Machtübergabe in Graz vgl. auch Hugo Portisch, Am Anfang war das Ende. Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staatsvertrag. Bd. 1. München 1993, S. 392-399. Gmoser, Reinhard Machold, S. 54. Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 355-361; Karin M. Schmidlechner, Frauenleben in Männerwelten: Kriegsende und Kriegszeit in der Steiermark. Studien zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Bd. 10. Wien 1997, S. 34; Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 425.

Die „sowjetische" Steiermark Am Abend des 8. Mai traf ein sowjetisches Vorkommando am Hilmteich in Graz ein. Ein sowjetischer Offizier und drei sowjetische Soldaten traten als Parlamentäre mit den verantwortlichen steirischen Stellen in Kontakt. 53 Begleitet wurden sie von einem österreichischen Kriegsgefangenen, der ihnen, ausgestattet mit einer weißen Fahne, den Weg wies. Unter Polizeischutz - der Kriegsgefangene hatte die Sowjets zunächst zu einer Polizeiwachstube geführt - erreichten die Parlamentäre schließlich das Polizeipräsidium, wo sie mit dem von Machold neu ernannten Polizeipräsidenten von Graz, Alois Rosenwirth, und anschließend auch mit dem Landeshauptmann sowie den Mitgliedern der Landesregierung zusammentrafen. Das Ergebnis dieser Besprechung war eine genaue Festlegung der Routen, auf denen die Sowjets in Graz einmarschieren sollten. 54 Noch in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai rückten Einheiten der 57. Armee der 3. Ukrainischen Front von der Ries herab in Graz ein.55 Ihr Einmarsch erfolgte auf den mit Rosenwirth vereinbarten Routen. 56 Die Grazerin Ida Schreiner erinnerte sich an den Einzug der sowjetischen Truppen: „Wir kamen dann nach Graz, meine Mutter und ich, und da kamen die Russen über die Ries herein, und da konnten wir diesen Transport beobachten, von unserem Haus aus in der Ragnitz. Und dann wurde unser Haus [...] von einem russischen Major besetzt." Und Schreiner weiter: „Wir konnten aber bleiben [...]. Sie verjagten uns nicht. Dieser Major war so im mittleren Alter. Der kam dort mit seinem Gefolge: Soldaten und Pferde. [...] Wir leisteten keinen Einwand oder Widerstand. Wir vertrauten nur auf Gott und warteten, was da kommt, meine Mutter und ich. Nur Angst war dabei." 57 Die ersten sowjetischen Panzer erreichten um zwei Uhr morgens den Grazer Hauptplatz. Ihr Einmarsch erfolgte nach Inkrafttreten des Waffenstillstandes. Graz wurde widerstandslos der Roten Armee übergeben und kam als letzte österreichische Landeshauptstadt unter alliierte Besatzung. 58 Im Gegensatz zur offiziellen Politik der Sowjetunion deklarierten sich die Sowjettruppen in Graz nicht als „Befreier", sondern als „Sieger", wie ein Offizier der Roten Armee in einem Gespräch mit dem ersten Provisorischen Bürgermeister der Stadt, Engelbert Rückl 59 , betonte. In der Folge veröffent-

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Zur Entsendung sowjetischer Parlamentäre vgl. auch den Beitrag von Natal'ja Eliseeva, Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee, in diesem Band. Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 404—407. Zur Entsendung sowjetischer Parlamentäre und zur Übergabe der Stadt Graz an die Rote Armee siehe auch den Beitrag von Natal'ja E. Eliseeva, Zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee, in diesem Band. CAMO, F. 243, op. 2914, d. 268. Vgl. Kamer, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 306. Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 408. AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0276, Ida Schreiner. Graz, 12.11.2003. Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 425. Der Sozialdemokrat Prof. Engelbert Rückl wurde am 8. Mai 1945 mit dem Amt des Bürgermeisters der Stadt Graz betraut, das jedoch bereits wenig später, am 16. Mai, über Bestellung durch die Landesregierung und unter sowjetischer Zustimmung von Prof. Dr. Eduard Speck übernommen wurde. Engelbert Rückl, der an einer schweren Nervenkrankheit litt, verstarb am 15. März 1946 in Bad Gleichenberg. Gerhard Marauschek, Die Grazer Stadtverwaltung im Jahre 1945, in: Graz 1945. Historisches Jahrbuch der Stadt Graz. Bd. 25. Graz 1994, S. 161-180, hier: S. 163.

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Edith

Petschnigg

lichte der erste sowjetische Stadtkommandant von Graz, Oberst Chabarov 60 , am 9. Mai 1945 unter Verwendung eines Vordrucks seinen Befehl Nr. I.61

Zur Regierungsbildung Am 10. Mai 1945 wandte sich die Provisorische Regierung der Steiermark an die Stadtkommandantur und das Kommando der Roten Armee, bot der Roten Armee ihre Dienste an und bekundete dabei gleichzeitig ihre Bereitschaft, den Behörden, die von der Roten Armee ernannt werden würden, Platz zu machen. 62 Denn auch in der Steiermark sollte das Prinzip sowjetischer Politik, nationale „Volksfrontregierungen" unter Beteiligung aller „antifaschistischen" Parteien zu bilden, wie es bereits in Wien und in Osteuropa praktiziert wurde, Verwirklichung finden. 63 Zu diesem Zweck waren von 11. bis 14. Mai eine Gruppe der 7. Abteilung der politischen Verwaltung der 3. Ukrainischen Front und Vertreter des Zentralkomitees (ZK) der KPÖ in Graz tätig.64 Die Verhandlungen wurden auf höchster Ebene geführt: Bereits einen Tag nach dem Einmarsch der Roten Armee in Graz war der Generalsekretär der KPÖ, Friedl Fürnberg, eingetroffen, um - ausgestattet mit den Vollmachten seiner Partei und der sowjetischen Zentralstellen - mit den Verhandlungen zur Regierungsbildung zu beginnen. 65 Major Vasil'ev, der auf sowjetischer Seite an den Verhandlungen teilnahm, gibt Einblick in den Prozess der Regierungsbildung: „Gemeinsam mit Fürnberg [arbeiteten wir] an der Schaffung eines Einheitsblockes der demokratischen Parteien. [...] In prinzipiellen Fragen konnte Übereinstimmung erzielt werden. Die Regierung wird unter Beteiligung von Vertretern aller Parteien umorganisiert."66 A m 14. Mai 1945 wurden die Verhandlungen abgeschlossen und die zweite Provisorische Landesregierung nach 60

In der Grazer Stadtkommandantur wurden mehrmals Umbesetzungen vorgenommen: Oberstleutnant Chabarov fungierte als erster Stadtkommandant von Graz; er übte seine Funktion lediglich von 8. bis 16. Mai 1945 aus. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 84. Im Grazer Stadtarchiv scheint der Kommandant unter der Schreibweise „Chabaroff' auf: StAG, Konv. A. 9. bis 12.5.1945, zit. n. Marauschek, Die Grazer Stadtverwaltung, S. 162. Chabarovs Nachfolger wurde Major Visnevskij, in allen österreichischen Quellen als „Wischnewski" verzeichnet. Grazer Antifaschichtische Zeitung, 19.5.1945; Stadtkommandant erst ab 23.5.1945: in: StAG, Konv. Präs.Erl. Nr. 3/1945, zit. n. Marauschek, Die Grazer Stadtverwaltung, S. 163. Darüber hinaus wurde Major Matus Spektor als Stadtkommandant von Graz genannt, der spätere Stadt- und Kreiskommandant von Lilienfeld (NÖ). Klaus-Dieter Mulley, Befreiung und Besatzung. Aspekte sowjetischer Besatzung in Niederösterreich, in: Alfred Ableitinger - Siegfried Beer - Eduard Staudinger (Hg.) Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955. Wien - Köln - Graz 1998, S. 3 6 1 ^ 0 0 , hier: S. 381. Weitere Erwähnung fand auch Major Todua (wahrscheinlich: Todov), der mit dem „stellvertretendem Stadtkommandanten Todova" ident sein dürfte. Neue Steirische Zeitung, 24.6. und 26.6.1945; Marauschek, Die Grazer Stadtverwaltung, S. 163. Für diesbezüglich Quellenhinweise sei Herrn Mag. Harald Knoll, BIK Graz, herzlich gedankt.

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Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 409. Der Vordruck des Befehls Nr. 1 ist auch abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 10. CAMO, F. 413, op. 10389, d. 46, S. 280. Zur Errichtung nationaler „Volksfronten" als Prinzip sowjetischer Politik vgl. die Beiträge von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band. CAMO, F. 243, op. 2914, d. 100, S. 123. Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 410. CAMO, F. 243, op. 2914, d. 268, S. 53.

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Die „sowjetische " Steiermark dem Prinzip der Drittelparität gebildet. Reinhard Machold, der von sowjetischer Seite als „Mann mit großer Autorität, politischer und administrativer Erfahrung" 67 geschätzt wurde, wurde als Landeshauptmann der Steiermark bestätigt. 68 Er berichtete darüber in seinen Erinnerungen: „Nach tagelangen zermürbenden Verhören durch politische Offiziere der Besatzungsmacht werde ich vom sowjetischen Kommando als Landeshauptmann von Steiermark bestätigt. [...] Der frühere, von den Nationalsozialisten entfernte Landesamtsdirektor Dr. Otto Koban wird von mir eingesetzt und mit der schwierigen Aufgabe des Aufbaus der Landesverwaltung betraut. Das sowjetische Kommando lässt mir nun nach jeder Richtung völlig freie Hand." 69 Tab. I: Die zweite Provisorische Landesregierung der Steiermark70 Name

Zuständigkeit

Reinhard Machold (SPÖ), Landeshauptmann

Verfassungsrecht, Personelles, Sicherheit

Viktor Elser (KPÖ), Landeshauptmann-Stv.

Verwaltung der Bezirke und Gemeinden, Gesundheitsfürsorge

Univ.-Prof. Dr. Alois Dienstleder (ÖVP), Landeshauptmann-Stv.

Kultus

Norbert Horvatek (SPÖ)

Finanzen

Fritz Matzner (SPÖ)

Bauwesen, Wiederaufbau

Anton Pirchegger (ÖVP)

Landwirtschaft

Josef Schneeberger (ÖVP)

Industrie, Gewerbe

Ditto Pölzl (KPÖ)

Bildung, Kunst

Raimund Bachmann (KPÖ)

Soziales

Dass dem Prinzip der Regierungsparität seitens der steirischen demokratischen Parteien kaum Protest entgegengesetzt wurde, erklärt der Leiter der Politabteilung der 57. Armee, Generalmajor Georgij Cinev, in seinem Bericht vom 5. Juni 1945 auf folgende Weise: „Das Prinzip einer Regierung mit Drittelparität rief seitens der Sozialisten und Christlichsozialen nur unbedeutenden Widerstand hervor, weil diese Parteien in den damaligen Tagen noch über keine städtischen Organisationen verfügten, die sich mit der kommunistischen Organisation hätten vergleichen können." 71 Des Weiteren spricht Cinev auch die Gründe für die Nichtbeteiligung des Landbundes an der Regierungsbildung an: „Alle drei Parteien haben einstimmig beschlossen, keine Vertreter des Landbundes in die Regierungsorgane aufzunehmen, weil diese Organisation in der Steiermark stets äußert geringen Einfluss besaß und ihr Aktiv nach 1938 ins Lager Hitlers übergewechselt war. Außerdem gab es seitens der Mitglieder des Landbundes keinerlei Bestrebungen, sich zu legalisieren. Die Verteilung der Ämter und Funktionen verlief ohne größere Meinungsverschiedenheiten, weil die Christlichsozia67 68 69 70 71

RGASPI, F. 17, op. 128, d. 35, S. 20. Zur allgemeinen Einschätzung der steirischen SPÖ, ÖVP und KPÖ durch den Leiter der Politverwaltung der Roten Armee, M. Burcev, siehe ebd., S. 18-23. CAMO, F. 243, op. 2914, d. 100, S. 123. Im Original: „Regierung der Steiermark und Kärntens [sie!]." Reinhard Machold (Festschrift). Graz o. J. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 35, S. 45. ZK der VKP(b) an Genossen G. M. Dimitrov. 21.6.1945. Vgl. dazu Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 428. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 35, S. 46-49.

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Edith Petschnigg len einzig auf die Führung der die Versorgung betreffenden Funktionen und die Kommunisten nur auf Propaganda betreffende Ämter, die Bildung sowie das Wohnungsressort Anspruch erhoben." Und er fügt hinzu: „Die Bildung der Verwaltungsorgane erfolgte unter demokratischen Rahmenbedingungen, ohne dass dabei über einen , Druck der Russen' gesprochen worden wäre."72 Ebenfalls am 14. Mai 1945 wurden die Verhandlungen zur Frage der Bildung der Grazer Stadtverwaltung abgeschlossen; zum Bürgermeister der Stadt Graz wurde der Sozialdemokrat Prof. Dr. Eduard Speck ernannt.73 Mit 16. Mai nahm der Provisorische Stadtrat seine Tätigkeit auf.74 Tab. 2: Der Provisorische

Grazer

Stadtrat75

Name

Ressort

Prof. Dr. Eduard Speck (SPÖ), Bürgermeister

Allgemeine Fragen

Johann Janeschitz (KPÖ), Bürgermeister-Stv.

Soziales

Dr. Udo Iiiig (ÖVP), Bürgermeister-Stv.

Gewerbe

Josef Kowaschitz (KPÖ)

Wohnungsfragen

Otto Möbes (SPÖ)

Unternehmen

Theodor Haupt (ÖVP)

Gesundheitsfürsorge

Franz Pratter (ÖVP)

Ernährung

Anton Strassegger (SPÖ)

Finanzen

Ing. Franz Huihammer (KPÖ) 76

Bauwesen

Zur Einstellung der Grazer Bevölkerung gegenüber der Roten Armee Laut Einschätzung des US-Geheimdienstes OSS (Office of Strategie Services) wurde der antibolschewistischen NS-Propaganda seitens der Antifaschisten in Graz wenig Glauben geschenkt und dem Kommen der Roten Armee oftmals „mit großer Erwartung und Freude entgegengesehen". Des Weiteren wäre den Sowjets ein herzlicher Empfang bereitet und „alle mögliche Kooperation" versprochen worden, so der Bericht. Die Besatzer wiederum hätten versprochen, korrekt und fair zu handeln. Diese positive Sichtweise der Roten Armee sollte sich jedoch bald ins Gegenteil verkehren. „Die Antifaschisten sind sehr enttäuscht. Beinahe alle Informanten gaben zu, dass die Russen wahrscheinlich gute Gründe für Rache hatten, verweisen aber darauf, dass die Russen immer behauptet hatten, sie würden als Befreier kommen, und als solche wurden sie auch erwartet. [...] Die allgemeine Meinung ist nun, dass die Russen ihrer Reputation großen Schaden bereitet haben und auch dem demokratischen Prozess in Österreich."77 72 73 74 75 76 77

Ebd. Ebd., S. 46. Marauschek, Die Grazer Stadtverwaltung, S. 164. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 35, S. 46f. Vgl. dazu Marauschek, Die Grazer Stadtverwaltung, S. 164. Marauschek, Die Grazer Stadtverwaltung, S. 164. Stadtrat Ing. Franz Huihammer scheint in den sowjetischen Quellen nicht auf. Siegfried Beer, Zur Situation der Steiermark im Jahre 1945. Zwei Berichte des amerikanischen Geheimdienstes OSS bzw. SSU über Besatzung und Universitätsleben in den ersten Nachkriegsmonaten, in: Informationen für Geschichtslehrer zur postuniversitären Fortbildung. 1985/6, S. 14—26, hier: S. 15f.

Die „sowjetische"

Steiermark

Hinsichtlich der Einstellung der Grazer Bevölkerung gegenüber den sowjetischen Truppen aus der Sicht des Besatzers sind die Berichte des Leiters der Politabteilung der 57. Armee, Generalmajor Georgij Cinev, von Interesse. Bemerkenswert ist, dass in seinem Politbericht vom 12. Mai 1945 auch die Themen Vergewaltigung und Plünderung angesprochen wurden, wenngleich die Frage nach den Tätern offen blieb: „Ein großer Teil der Bevölkerung (außer sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern) sah unserem Eintreffen mit Furcht entgegen. Diese Furcht schlägt indes nicht in aktive Feindseligkeit gegen die Rote Armee um. [...] In den vergangenen zwei Tagen gab es einige Fälle von Vergewaltigungen, Wohnungs- und Geschäftsplünderungen, die sich in der Stadt sofort herumsprachen. Die Übeltäter konnten bislang noch nicht ausgeforscht werden. Es kursieren auch Gerüchte, dass ausländische Arbeiter (Franzosen, Polen u. a.), darunter auch Russen, für die Gewaltakte und Plünderungen verantwortlich zeichnen." Zur Behebung derartiger Missstände und „zur Herstellung der Ordnung" wurden jedoch gemäß dem Befehl des Militärrates der Front Nr. 0197 vom 6. Dezember 1944 bereits Maßnahmen gesetzt, wie Cinev abschließend anführte. 78 Gemäß eines weiteren Berichtes Cinevs besserte sich die Situation der Grazer bald: „Die Herstellung der Ordnung in den innerstädtischen Bezirken und die merkbare Besserung der Lage der Arbeiter in den Randbezirken führte zu einer Änderung der Einstellung der Bewohner gegenüber der Roten Armee. Die in den ersten Tagen nach unserem Eintreffen verbreiteten Gerüchte, wonach sich die Rote Armee an den Österreichern rächen würde und dass Österreichern eine Deportation nach Sibirien u. Ä. bevorstünde, sind verstummt. Die Bewohner der Stadt lernten, zwischen der Politik der Armee in ihrer Gesamtheit und den Aktionen einzelner Marodeure zu unterscheiden." 79 Weiters betonte Cinev, dass sich mittlerweile viele Grazer wohlwollend gegenüber der Roten Armee verhielten, wenngleich auch er einräumte, dass sich in dieser positiven Haltung nach wie vor ein „gewisses Quantum Angst" verbarg. 80 Obgleich die Tagesberichte der Sowjets an das ZK in Moskau großteils schöngefärbt waren, wurde jedoch auch darin schon bald eine Stimmung gegen die Besatzungsmacht verzeichnet. 81 Über die Haltung der Grazer Bevölkerung den sowjetischen Truppen gegenüber zog Ida Schreiner, aus dem Blickwinkel einer Einheimischen, wiederum folgende Bilanz: „Anfangs, durch die Angst bedingt, ist ja klar - man hörte so viel Negatives - , sah man das nicht als Befreiung. Aber dann, letztendlich, war man froh, dass der Krieg aus war." Und auf die Frage, ob sie eher positive oder negative Erinnerungen an die Zeit der sowjetischen Besatzung hätte, resümierte Schreiner: „Beides, ja, beides." 82

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C A M O , F. 413, op. 10389, d. 46, S. 280f. Zur Ahndung von Ausschreitungen und Plünderungen durch Soldaten der Roten Armee vgl. Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 320. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 35, S. 50. Ebd. Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 317. AdBIK, OHI, VD-0276, Schreiner.

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Edith Petschnigg Zur Situation der katholischen Kirche Im Allgemeinen schienen die sowjetischen Stellen äußerst darauf bedacht zu sein, für den Schutz der Kirchen in der Steiermark zu sorgen, wie der US-Geheimdienst OSS vermerkte.83 Von sowjetischer Seite wurde ausdrücklich betont, dass sich die Angehörigen der Roten Armee gegenüber der katholischen Kirche und ihren Dienern respektvoll verhalten hätten. Weder in der Bischofskanzlei noch in der Kulturabteilung der Provisorischen Landesregierung seien Fälle von Schändung, Raub von Kirchenbesitz oder Gewalttaten gegen Pfarrer, Mönche und Schwestern verzeichnet worden, so der Bericht des Leiters der Politabteilung der 57. Armee, Generalmajor Cinev, vom 25. Mai 1945.84 Obgleich das Sowjetkommando bei der Einnahme der Stadt die vollste Disziplin der Truppe zugesichert hatte, erfolgten in Graz wie auch in der übrigen sowjetisch besetzten Steiermark Übergriffe durch sowjetische Soldaten.85 Diesbezügliche Anzeigen ergingen auch an Fürstbischof Ferdinand Pawlikowski.86 Dieser berichtete in seinen Erinnerungen: „Bei mir liefen gleich in den nächsten Tagen [nach der Besetzung der Stadt] Meldungen von verschiedenen Seiten der Umgebung von Graz ein, dass russische Soldaten in Häuser eingedrungen seien, fremdes Eigentum entwendet und auch verschiedene Frauen geschändet hätten." Daraufhin wurde Pawlikowski beim Stadtkommandanten vorstellig, der seine „Beschwerde ruhig anhörte und versprach, Abhilfe zu verschaffen".87 Als der Fürstbischof wiederholt Beschwerden über die Belästigung von Frauen und die Trunksucht der sowjetischen Soldaten vorbrachte, entgegnete ihm der Stadtkommandant, dass er doch aus eigener Erfahrung als Soldatengeistlicher wissen müsse, wie es Soldaten nach vierjährigem Kriegsdienst ergehe. So seien die Soldaten über den „plötzlich eingetretenen Frieden außer sich geraten" und „wüssten vor Freude und Genugtuung nicht, was sie alles anstellten". Pawlikowski unterstrich insbesondere die mangelnde Disziplin der Rotarmisten. Diese äußerste sich „nicht bloß auf der Gasse, in der Öffentlichkeit, auch im Kommandogebäude. Es grüßte kein Soldat seinen Offizier. [...] Diese Disziplinlosigkeit mochte etwa vier Wochen angedauert haben. Dann kehrte die Achtung vor dem Offizier beim Soldaten wieder zurück."88 Den steirischen Pfarrchroniken zufolge herrschten unter der katholischen Bevölkerung zwar große Freude und Erleichterung über das Kriegsende, doch Angst und Schrecken wären nach wie vor gegeben, so der Tenor der Eintragungen hinsichtlich der sowjetischen Besatzung.89 Von sowjetischer Seite wurde das Verhältnis zur katholischen 83 84 85 86

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Beer, Zur Situation der Steiermark im Jahre 1945, S. 22. CAMO, F. 413, op. 10389, d. 46, S. 316f. Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 408. Zu Fürstbischof Pawlikowski siehe Maximilian Liebmann, Dr. Ferdinand Stanislaus Pawlikowski (1927-1953), in: Karl Amon (Hg.), Die Bischöfe von Graz-Seckau 1218-1968. Graz 1969, S. 4 5 6 469. StLA, ZGS, Erinnerungen 1938-1947, K. 210. Erinnerungen von Fürstbischof Dr. Pawlikowski 1945. Ebd. Maximilian Liebmann, Leben und Wirken der katholischen Kirche und ihrer Bischöfe bis zur Gegenwart, in: Alfred Ableitinger - Dieter A. Binder (Hg.), Steiermark. Die Überwindung der Peripherie. Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945. Schriftenreihe des Forschungsinstituts für

Die „sowjetische" Steiermark Kirche und ihren Amtsträgern allerdings in weit positiverem Licht gesehen: „Die Gottesdienste gehen in allen Kirchen ungestört weiter, und Pawlikowski selbst sowie andere Priester betonen das korrekte Verhalten unserer Rotarmisten gegenüber der Kirche. [...] Pawlikowski gab bekannt, dass er die Loyalität aller Katholiken gegenüber der Roten Armee garantiert. Es ist festzustellen, dass die Predigten einer Reihe von katholischen Priestern einen wohlwollenden Charakter gegenüber uns und dem neuen Österreich besitzen." 90 Fürstbischof Pawlikowski selbst stand seinen Aufzeichnungen zufolge unter dem Schutz des Grazer Stadtkommandanten, der ihn aufforderte, sich stets an ihn zu wenden, wenn er Klagen vorzubringen hätte. Ferner ließ ihm dieser nicht nur ein Fahrzeug zur Verfügung stellen und nach mehreren Hausdurchsuchungen Wachen vor dem Bischöflichen Palais postieren, sondern vermittelte ihm auch einen Passierschein, der ihm jederzeit den Zutritt zur Stadtkommandantur sichern sollte. Die Macht des Stadtkommandanten schien allerdings begrenzt zu sein, da die Wachposten diesen Passierschein für ungültig erklärten. Dennoch gelang es Pawlikowski wiederholt, über den Hintereingang in das Rathaus zu gelangen. 91 Folgende Episode lässt darüber hinaus vermuten, dass der Stadtkommandant durchaus für den Rat des Bischofs empfänglich war und dieser in der Lage war, seine Autorität zum Wohle der Stadtbevölkerung einzusetzen. „Eines Tages erschien ich wieder beim Stadtkommandanten, der mich mit sehr böser Miene empfing. Auf die Frage, warum er mich heute so indigniert anschaue, stellte er an mich die Gegenfrage: ,Haben Sie noch nicht gehört, daß zwanzig unserer Offiziere mit Gifterscheinungen im Spital liegen? Das werden die Grazer büßen müssen!'" Als Pawlikowski seine Vermutung eines übermäßigen Alkoholkonsums bestätigt sah, legte er dem Stadtkommandanten nahe, dass es sich hierbei um so genannte Direktträger gehandelt habe. „Ich erklärte ihm die Wirkung des Methylalkohols und seine Gefährlichkeit. Diese Aufklärung beruhigte den Stadtkommandanten und er nahm sie wohlwollend zur Kenntnis", so der Fürstbischof. Und er fügte hinzu: „Ich hatte den Eindruck, daß ich den Grazern dadurch eine unüberlegte Strafmaßnahme erspart hatte." 92

Zum kulturellen Leben Kurze Zeit nach dem Einmarsch der Roten Armee in Graz begann das kulturelle Leben der Stadt wiederzuerstehen. Die Sowjets waren sehr darauf bedacht, Kinos, Theater, Cafes und Orchester zu eröffnen oder Tanzveranstaltungen zu ermöglichen. 93 Bereits am

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politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek. Bd. 6/7. Wien - Köln - Weimar 2002, S. 3 4 3 - 4 0 8 , hier: S. 346f. C A M O , F. 4 1 3 , op. 10389, d. 46, S. 316f. StLA, ZGS, Erinnerungen 1 9 3 8 - 1 9 4 7 , K. 210. Erinnerungen von Fürstbischof Dr. Pawlikowski 1945. Ebd. Beer, Zur Situation der Steiermark im Jahre 1945, S. 21.

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Edith Petschnigg 14. Mai 1945 hatten vier Grazer Kinos geöffnet 94 , Ende Mai befanden sich zehn in Betrieb.95 Am Spielplan standen zugelassene ausländische und sowjetische Filme96, wie „Kampf um Leningrad", „Professor Mamlok", „Aleksandr Nevskij" 97 oder „Komsomol'sk". 98 Auswahl und Zensur der Filme erfolgten bisweilen durch sowjetische Organe, häufiger jedoch durch die österreichische Landesfilmsteile, deren Leiter, Landeshauptmannstellvertreter Victor Eisner, ein führender Kommunist war. Nach Ankunft der Sowjettruppen rief die kommunistische Partei gemeinsam mit der sozialistischen Partei eine Kulturvereinigung ins Leben, deren Mitglieder bei allen Vorstellungen zu ermäßigten Preisen Einlass gewährt wurde; die Mitgliedschaft war allerdings auf Arbeiter beschränkt.99 Die beiden in der Stadt erscheinenden Zeitungen, der Rundfunk und die Bühnen der Stadt standen unter der Kontrolle der Roten Armee.100 Ein Tanz- und Musikensemble der 57. Armee gab zwei Konzerte, denen rund 2500 Personen beiwohnten.101 Das erste dieser Konzerte fand am 13. Mai statt102, das zweite eine Woche später, am 20. Mai.103 Auch die Theater nahmen ihren Betrieb wieder auf.104 Bereits am 29. Mai 1945 wurde das Grazer Schauspielhaus mit dem Lustspiel „Straßenmusik" von Paul Schurek wiedereröffnet; 105 etwa einen Monat später, am 30. Juni, fand mit der Oper „Die Maienkönigin" von Christoph Willibald Gluck die erste Nachkriegsaufführung in der Grazer Oper statt.106

Befreier oder Besatzer? „Die Rote Armee [kämpft] gegen die deutschen Okkupanten, aber nicht gegen die österreichische Bevölkerung. Nicht als Eroberin, sondern als Befreierin ist die Rote Armee nach Österreich gekommen. [...] Der friedlichen Bevölkerung Österreichs droht nichts."107 Flugblätter wie dieses gaben der österreichische Bevölkerung Hoffnung auf einen friedvollen Neubeginn. Die Intention, die Zivilbevölkerung zu schonen, wurde jedoch nicht nur in Österreich propagiert, sondern auch innerhalb der eigenen Truppen kommuniziert. So wurde in einer Mitteilung des Militärrates an die Truppen der 3. Uk-

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Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 412. CAMO, F. 243, op. 2914, d. 100, S. 152. Ebd., S. 124f. Ebd., S. 159. CAMO, F. 243, op. 2914, d. 268, S. 54. Beer, Zur Situation der Steiermark im Jahre 1945, S. 21f. Zum Kinobetrieb im Graz der Nachkriegszeit siehe u. a. Franz Β. N. Suppan, Film und Kino in Graz von 1945 bis zum Beginn der fünfziger Jahre, in: Graz 1945. Historisches Jahrbuch der Stadt Graz. Bd. 25. Graz 1994, S. 601-622. CAMO, F. 243, op. 2914, d. 100, S. 125. Ebd., S. 159. Ebd., S. 125. Ebd., S. 152. Ebd., S. 159. Neue Steirische Zeitung, 29.5.1945, S. 2. Neue Steirische Zeitung, 29.6.1945, S. 4. Aufruf des Oberbefehlshabers der 3. Ukrainischen Front, Fedor Tolbuchin, „An die Bevölkerung Österreichs" v. 10.4.1945. Abgedruckt in: Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1943-1945. Materialien zur Zeitgeschichte. Bd. 1. Wien 1977, Anhang II/3 (Faksimile), S. 413f., und Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 16.

Die „sowjetische"

Steiermark

rainischen Front folgende Verhaltensweise angeordnet: „Bei der Befreiung Österreichs kämpft die Rote Armee gegen die deutschen Besatzer und nicht gegen die Bevölkerung Österreichs. [...] Während ihr erbarmungslos mit den deutschen Unterjochern abrechnet - verschont dabei das friedliche österreichische Volk. Achtet die Lebensweise, die Familien, das Eigentum. Seid stolze Träger des ruhmreichen Namens eines Soldaten der Roten Armee. Die ganze Welt soll nicht nur die alles besiegende Stärke der Roten Armee sehen, sondern auch den hohen Grad an Disziplin und Kultur ihrer Soldaten. Möge euer Benehmen überall Achtung gegenüber der Roten Armee - der Befreierin - und gegenüber eurem machtvollen Vaterlande hervorrufen." 108 Dennoch: Zwischen Theorie und Praxis der Befreiung Österreichs durch die Rote Armee lag nicht selten eine erhebliche Diskrepanz. So findet sich in einer Tagebuchabschrift folgender Eintrag zum Einmarsch der Roten Armee in die obersteirische Stadt Leoben: „In den Sonnenmorgen der Kleinstadt brach plötzlich die aufregende Kunde: Die Russen kommen. - Und man hatte doch die Engländer erwartet. [...] Sie muteten an, wie der Einbruch einer Insektenmasse. Wohnungen wurden überschwemmt und requiriert, natürlich häufig - vielfach nachts - geplündert. Einzelstehende Frauen bekamen einen ganzen Schwärm Russen auf den Leib gesetzt, der sich den ganzen Tag um sie herumdrängte.'" 09 Diese Darstellung des Einmarsches der Roten Armee in die Stadt Leoben 110 vermag sicherlich beispielhaft den Tenor der großen Mehrheit von „Zeitzeugenberichten" zum Kriegsende wiederzugeben. Er versinnbildlicht einerseits die enttäuschte Erwartung, die Steiermark würde der britischen Besatzungszone zufallen, und verdeutlicht andererseits die vielfältige Bedrängnis, der sich die Zivilbevölkerung, insbesondere Frauen und Mädchen, ausgesetzt sah. Zweifelsohne konnotiert die überwiegende Majorität der steirischen „Zeitzeugen" und „Zeitzeuginnen" die sowjetische Besatzungsmacht, wie aus zahlreichen Gesprächen und schriftlichen Aufzeichnungen hervorgeht, zunächst allein in negativer Weise, und erst die gezielte Nachfrage nach etwaigen positiven Erlebnissen mit Rotarmisten führt auch zu diesbezüglichen Äußerungen. Abhängig von verschiedenen Indikatoren, wie etwa Alter und Geschlecht oder dem Umstand, ob man sich im Frontgebiet befand oder nicht, gestaltete sich das Erleben des Kriegsendes und der sowjetischen Besatzung vielfach unterschiedlich. Im Folgenden sei daher eine differenzierte Annäherung an die Extremsituation der Besatzungszeit, welche die Steirerinnen und Steirer zu Kriegsende zu bewältigen hatten, versucht. Zunächst bestand keinerlei Fratemisierungsverbot zwischen den sowjetischen Truppen und der österreichischen Bevölkerung; erst in späterer Folge legte das sowjetische Oberkommando darauf Wert, dass seine Soldaten weitgehende Distanz zur einheimi-

108 Aus dem Aufruf des Militärrates an die Truppen der 3. Ukrainischen Front v. 4.4.1945. Abgedruckt in: Ministerstvo inostrannych del S S S R (Hg.), S S S R - Avstrija 1 9 3 8 - 1 9 7 9 . Dokumenty i materialy. Moskau 1980, S. 17, und Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 9. 109 StLA, ZGS, Erinnerungen 1 9 3 8 - 1 9 4 7 , K. 2 1 0 , Tagebuch-Abschrift Dr. Μ. M. Mailing 1945. 110 Leoben wurde in den Morgenstunden des 9. Mai 1945 von der Roten Armee besetzt. Kamer, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 425.

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Edith Petschnigg sehen Bevölkerung hielten111 - ein Vorsatz, der vielfach keine Realisierung fand. Auch der Steiermark blieben Demontagen, Plünderungen, Verhaftungen, Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen bis hin zum Mord - wie überall im Verlauf der Ostfront - nicht erspart, wenngleich eine Reihe von Verordnungen und Befehlen der Roten Armee ungesetzliche Taten durch sowjetische Soldaten verurteilte und die Festnahme des Schuldigen sowie eine Erhebung des Tatbestandes vorschrieb. Beispielsweise erteilte der Kommandant des 335. Grenz-Regiments am 8. März 1945 auf Grundlage der Weisung des Leiters der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 2. Ukrainischen Front folgenden diesbezüglichen Befehl: „1. In sämtlichen Fällen von ungesetzlichen Taten von Angehörigen der Roten Armee gegenüber der örtlichen Bevölkerung (Raub, Vergewaltigung von Frauen usw.) sind die Schuldigen festzunehmen, ein Akt anzulegen und ein Verhörprotokoll aufzusetzen, die gemeinsam mit den Materialien der Vorerhebung entweder an die eigene Einheit oder an die SMERS zu senden sind, wobei je ein Exemplar im Stab der jeweiligen Einheit zu bleiben hat. 2. An den Regimentsstab hat unverzüglich ein operativer Bericht zu ergehen, der nur exakt überprüfte und nachgewiesene Fakten beinhalten darf." 112 Marschall Ivan Konev, der Oberbefehlshaber der Zentralen Gruppe der Streitkräfte (CGV), bemerkte in einem Gespräch mit Bundeskanzler Karl Renner: „Wenn es einzelne Fälle von Disziplinarverstößen gegeben hat, dann werden der Herr Kanzler und die Herren Minister als Menschen verstehen, dass solche in einem Krieg nicht zu verhindern sind und es schwierig ist, alles im gesetzlichen Rahmen zu halten." Konev versicherte Renner aber, „dass wir einen entschlossenen Kampf gegen Plünderungen und einzelne Disziplinverstöße führen". 113

„Russische Soldaten" und „einheimische Russen": Zur Plünderungsproblematik Sowohl Berichte steirischer „Zeitzeugen" als auch eine Vielzahl an Vörfallensberichten steirischer Gendarmerieposten" 4 geben Einblick in ein Leben, das von einer permanenten Bedrohungssituation gekennzeichnet war, die quasi Teil des Alltags wurde. Dieser Belastung hielt nicht jedermann stand. Der Gendarmerieposten Gratwein verfasste am 31. Mai 1945 folgende Meldung betreffend den Selbstmord eines Ortbewohners: „Wie durch Erhebungen festgestellt wurde, hat [Johann] Peihsenbach schon seit längerer Zeit Selbstmordgedanken geäussert [sie!], u. zw. deshalb, weil er infolge der gegenwärtigen Verhältnisse Einquartierung russischer Truppen, eigenmächtiger Entnahme 111 Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 412. 112 RGVA, F. 32917, op. 1, d. 7, S. 96. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 117. Vgl. dazu den Beitrag von Nikita Petrov, Die Inneren Truppen des NKVD/ MVD im System der sowjetischen Repressionsorgane in Österreich 1945-1946, in diesem Band. 113 CAMO, F. 275, op. 353761, d. 1, S. 864f. Gespräch des Oberbefehlshabers der Zentralen Gruppe der Streitkräfte, I. Konev, mit dem österreichischen Staatskanzler K. Renner über die Lage in Österreich v. 9.7.1945. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 44. 114 Vorfallensberichte der Gendarmerieposten zum Untersuchungsgegenstand sind im Steiermärkischen Landesarchiv aus folgenden Bezirkshauptmannschaften erhalten geblieben: Bruck a. d. Mur, Deutschlandsberg, Fürstenfeld, Graz, Hartberg, Knittelfeld, Leibnitz und Voitsberg.

Die „sowjetische" Steiermark von Futtermittel[n] usw. durch dieselben mit seinen Nerven versagte und deshalb zum Selbstmord schritt."115 Plünderungen und Requirierungen zählten zu den häufigsten Übergriffen durch sowjetische Soldaten. Bis Dezember 1945 wurden allein in Graz 2708 Fälle von Plünderungen durch Sowjetsoldaten zur Anzeige gebracht, die Zahl der tatsächlichen Delikte ist jedoch weitaus höher zu veranschlagen. Zu besonders umfangreichen Plünderungen kam es in Gleichenberg, Feldbach und Fehring.116 Bisweilen gingen Plünderungen auch mit tätlichen Übergriffen durch Rotarmisten einher. So gibt ein Vorfallensbericht des Gendarmeriepostens Kainbach bei Graz Einblick: „Am 13.7.1945 um 21 Uhr kamen zum Besitzer Franz Neuhold in Hönigtal [...] mehrere russische Soldaten in Begleitung von Frauen de[r] Roten Armee und verlangten ein Nachtquartier[,] welches sie auch bekamen. Einer der Soldaten machte sich im Hause gleich zu schaffen, wobei der im Hause anwesende Strassenwärter [sie!] Anton Weigl [...] von den Soldaten ohne jede Ursache einige Faustschläge am Kopfe erhielt [...]. Die Soldaten verlangten dann die sofortige Sperrung aller Hauseingänge und fingen dann an zu Plündern [sie!], wobei der Besitzer Franz Neuhold von den Soldaten durch Faustschläge im Gesicht blutig geschlagen wurde. Die übrigen Hausleute wurden aus dem Hause vertrieben."117 Doch nicht für jede Plünderung zeichneten Soldaten der Roten Armee verantwortlich; oftmals nutzten auch abziehende „Ostarbeiter"-Gruppen und Einheimische118 die Gelegenheit, verlassene Häuser und Wohnungen nach Brauchbarem zu durchsuchen. Maria Beyer erinnerte sich: „[Das waren] ganz gewöhnliche Leute von uns dort, die Einheimischen. Wir sagten, die einheimischen Russen'. Die nahmen uns alles weg, weil ja ziemlich viel dort war. Der Vater war ziemlich begütert. Wir waren drei Mädchen, und wir waren gut angezogen. Und dann sahen wir die Leute, die mit unseren Kleidern herumgingen." 119

Zur Demontagepolitik Während Plünderungen durch zahlreiche Verordnungen und Befehle der Roten Armee untersagt waren und immer wieder geahndet wurden120, beruhte die Demontage industrieller und gewerblicher Anlagen aus den besetzten Gebieten auf Anordnungen von höchster Instanz: Bereits im Februar 1945 hatte Iosif Stalin die Gründung eigener, den sowjetischen Fronten beigeordneter Kommissionen beschlossen, die für den Abtrans115 StLA, BH Graz, Gr. 14, 1945. Gendarmerieposten Gratwein, 31.5.1945. 116 Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 3 2 0 - 3 2 2 . 117 StLA, B H Graz, Gr. 14, 1945. Gendarmeriepostenkommando Kainbach bei Graz, 15.7.1945. Zu Plünderungen im Bezirk Graz-Umgebung siehe weiters beispielsweise StLA, BH Graz, Gr. 14, 1945 N - Z . Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Nestelbach an die Ortskommandantur der Roten Armee in Graz über die Nichteinhaltung der von der Besatzungsmacht erlassenen Anordnungen durch sowjetische Soldaten. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1 9 4 5 - 1 9 5 5 , Dokument Nr. 84. 118 Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 320. 119 AdBIK, OHI, V D - 0 2 8 8 , Beyer. 120 Vgl. dazu Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 320, und den Beitrag von Wolfram D o m i k , Besatzungsalltag in Wien, in diesem Band.

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Edith Petschnigg port von Industrieeinrichtungen in die Sowjetunion verantwortlich zeichneten. Mittels der Verordnung Nr. 7897ss des Staatlichen Verteidigungskomitees (GOKO) wurde im März 1945 schließlich das Volkskommissariat für Bauwesen mit der Demontage deutscher Industrieanlagen für die im Wiederaufbau befindlichen sowjetischen Betriebe betraut. Ferner wurden so genannte Montagesonderverwaltungen ins Leben gerufen, die sowohl über die nötige technische Ausstattung als auch über ein eigenes Transportwesen und spezielle Demontage-Bataillone verfügten.121 Die österreichische Regierung versuchte ihr Möglichstes, um die sowjetischen Demontagen, die der Wirtschaft Ostösterreichs erhebliche Schäden zufügten, zu beendigen. Dieses Bemühen kam auch in einem Gespräch zwischen Marschall Konev und Bundeskanzler Renner über die Lage in Österreich zum Ausdruck. KPÖ-Chef Johann Koplenig, der ebenfalls an diesem Gespräch teilnahm, sprach die Problematik direkt an: „Ich glaube, dass die Instandsetzung und die Wiedererrichtung der Industrie auch durch ein Einstellen des Abtransportes von Werkbänken erleichtert wird. Wir verstehen, dass das notwendig war, aber es ist wünschenswert, dass der Sache ein Ende gesetzt wird, weil wir unsere Arbeit unbedingt aufnehmen müssen, und dazu müssen wir wissen, was bei uns geblieben ist. Es gibt Fälle, in denen die Produktion aufgenommen wird, die Arbeiter bereits an den Werkbänken arbeiten, und dann werden diese Werkbänke weggebracht, was den allgemeinen Unmut der Arbeiter erregt. Das behindert die Produktion, das beunruhigt die Arbeiter."122 Die Antwort Konevs fiel zwar beschwichtigend aus, aus sowjetischer Sicht betonte der Oberbefehlshaber aber dennoch die Notwenigkeit der Demontagepolitik: „Im Großen und Ganzen glauben wir, dass der Abtransport abgeschlossen ist, offen ist nur noch die Menge, die mit der Regierung vereinbart wurde. Die ganze übrige Industrie untersteht dem Zuständigkeitsbereich der Regierung. [...] Ich gehe davon aus, dass die Regierung versteht, dass den Erfordernissen der Roten Armee, die sich hier befindet, auch nachzukommen ist."123 In der Steiermark waren die eisenerzeugende Industrie, der Bergbau und die Fahrzeugindustrie in besonderem Maße von sowjetischen Demontagen betroffen. Nur ein Teil der demontierten Anlagen erreichte allerdings ihre Bestimmungsorte in sowjetischen Betrieben. Zur Gänze demontiert wurden etwa das neu errichtete Stahlwerk von Böhler in St. Marein oder das ebenfalls neu erbaute Murkraftwerk der Steweag in St. Dionysen. In Donawitz beispielsweise fiel die neu errichtete Blockstrecke der sowjetischen Demontagepolitik zum Opfer; ferner büßte etwa auch der Erzbergbau seine wichtigsten Abbaugeräte ein. Die durch Demontagen und Plünderungen entstandenen

121 Pavel Polian, Deportiert nach Hause. Sowjetische Kriegsgefangene im „Dritten Reich" und ihre Repatriierung. Kriegsfolgen-Forschung. Bd. 2. München - Wien 2001, S. 170. 122 CAMO, F. 275, op. 353761, d. 1, S. 856-866. Gespräch des Oberbefehlshabers der Zentralen Gruppe der Streitkräfte, I. Konev, mit dem österreichischen Staatskanzler K. Renner über die Lage in Österreich v. 9.7.1945. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 44. 123 Ebd. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 44.

Die „sowjetische" Steiermark gesamtwirtschaftlichen Schäden waren beträchtlich: Wie spätere Berechnungen ergaben, übertrafen diese die durch Bombenangriffe und Kriegshandlungen verursachten Schäden beinahe um das Dreifache. 124 „Ein etwas grober Umgang": Zur Einquartierungsproblematik Äußerst traumatische Erfahrungen mit sowjetischen Soldaten machte etwa die Grazerin Gertrud Lang, die gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern als Bombenopfer bei Verwandten in Puch bei Weiz Zuflucht gefunden hatte. Obgleich zu diesem Zeitpunkt erst neun Jahre alt, erinnert sich Lang aus ihrer Sicht detailliert an die Vorkommnisse zu Kriegsende: „Schon kamen drei Russen herein, drei große, übermächtig große Menschen. Und der eine hatte ein Bajonett, der andere hatte ein Gewehr, und hinein in die Stube und schrien. Wir verstanden nichts, ist eh klar. Und als Erstes schlug er einmal die Heiligenbilder mit dem Gewehrkolben herunter. Und in der Ecke war ein Kruzifix mit Blumen, das schlug er als Nächstes herunter. Und wir Kinder saßen so auf der Bank, dann jagte er uns weg von der Bank, und schliff die Messer, eines nach dem anderen und legte sie auf den Tisch."125 Als die Rotarmisten schließlich alle Anwesenden zwangen, Schnaps zu trinken, eskalierte die Situation. Gertrud Lang berichtete weiter: „Meine Mama hätte auch sollen trinken von diesem Krügerl, und sie trank und ließ das aber alles hinunter rinnen, und das merkte er. Und dann nahm er so ein Steingutteller, und das wollte er meiner Mama an den Kopf hauen, weil er merkte, dass sie das nicht getrunken hatte. Und dann kamen ihr die zwei Cousins [die Söhne der Hausbesitzerin] sofort zu Hilfe. Und die Russen schrieen, und die zwei Verwandten schrien auch. Dann schlugen sie diese zwei Männer, waren große Männer, soviel, bis sie blutüberströmt unter der Bank liegen blieben. Einer war bewusstlos, und die versuchten immer, aufzustehen, und war einfach nicht möglich, so hatten sie sie geschlagen." 126 Schließlich wurde auch ihre eigene Mutter Opfer dieses Übergriffs. Lang schilderte die Geschehnisse wie folgt: „Dann war meine Mama - also meine ältere Schwester, die war damals schon elf, nein zwölf war sie - sie schrie, so geschrien und lief dann hinaus. Sie war sowieso durch den Fliegerangriff nervlich sehr angegriffen. Und sie hielt das nicht mehr aus, und dann stand sie auf und lief hinaus, und meine Mama lief ihr nach, weil die Russen dann dem Kind nachrannten. [...] Dann schlug er sie so, meine Mutter: Er schlug ihr das Oberkiefer auseinander, schlug ihr die Lippen auseinander, die Unterlippe, also das war alles voll Blut." Letztlich gelang es Gertrud Lang, gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern auf einen Nachbarhof zu flüchten und von dort weiter in einen nahe gelegenen Wald, wo sie die Nacht verbrachten. Erst 124 Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 437; Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 322. Vgl. auch Stefan Karner, Zu den Anfängen der sowjetischen Besatzung in Österreich 1945/46, in: Manfried Rauchensteiner - Robert Kriechbaumer (Hg.), Die Gunst des Augenblicks. Neuere Forschungen zu Staatsvertrag und Neutralität (in Druck). 125 AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0275, Gertrud Lang. Graz, 19.11.2003. 126 Ebd.

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Edith Petschnigg zur Mittagszeit des folgenden Tages wagten sie die Rückkehr auf den Bauernhof. Zwar heilten die Verletzungen ihrer Mutter, doch eine Narbe blieb für immer zurück.127 In weiterer Folge bezogen ein sowjetischer Offizier und einige Mannschaftssoldaten im Bauernhaus Quartier. Dieser Offizier blieb Gertrud Lang im Gegensatz zu ihren ersten Erfahrungen mit sowjetischen Soldaten stets in positiver Erinnerung, insbesondere seine Herzlichkeit gegenüber Kindern.128 Die sprichwörtliche Kinderliebe der sowjetischen Soldaten ist ein gängiger Erzähltopos129, der auch in Gesprächen mit Steirerinnen und Steirern immer wieder deutlich wird. Gertrud Lang erzählte folgende Begebenheit: „Meine Schwester war sehr herzig, die war gelockt und ganz ein aufgewecktes Kind. Dann sagte er [der sowjetische Offizier] zu meiner Mama, zeigte er meiner Mutter ein Foto, wo seine Frau drauf war mit den zwei Kindern, und dann sagte er, [...] deutsche Soldaten haben seine Familie ... so hat er gezeigt [Gertrud Lang deutet mit der rechten Hand einen Kehlschnitt an, Anm. d. Verf.], Dann kamen ihm die Tränen in die Augen, und dann nahm er meine kleine Schwester, so am Arm und ging mit ihr hinaus. Und meine Mama sagte, sie hatte nur einen Gedanken, er wird mit dem Kind nie mehr zurückkommen [...]. Und dann ging er mit dem Kind hinunter, hinterm Haus zum Wald und [...] nach einiger Zeit kam er mit ihr wieder zurück, stellte sie in der Stube ab und streichelte ihr über den Kopf. Ich muss sagen, [...] uns Kindern taten sie nichts."130 An die Einquartierung sowjetischer Offiziere - in der Wohnung seines Vaters in der Grazer Grabenstraße - erinnert sich auch Heimo Widtmann; sein Bericht ist, vor allem hinsichtlich der persönlichen Sicherheit der Hausbewohner, ambivalenter Natur: „Die ganze Wohnung war okkupiert, auch der Stock darüber. Man ließ uns - wir waren fünf Personen - nur ein fensterloses Zimmer zunächst und ein bisschen Küchenbenützung. Aber es war sowieso fast nichts zum Kochen da. Es waren ziemlich hohe Chargen dort. Der höchste war ein Oberstleutnant, ein Major, viel Gefolge. Ein sehr netter Asiate, ein Mongole, namens Ivan, der trank mit viel Freude unseren letzten Spiritus. Er wurde aber glücklicherweise eher freundlicher, wenn er etwas getrunken hatte."131 Ferner blieben Widtmann auch bedrohliche Situationen in Erinnerung: „Zunächst war es natürlich schon ein etwas grober Umgang. Sie rissen die Wohnungstür aus den Angeln, damit sie [diese] nicht immer auf und zu machen mussten. Und bei einer Auseinandersetzung schoss der Oberstleutnant mit der Pistole an die Decke. Da gab es irgendwas, wo mein Vater offenbar nicht das getan hat, was er wollte. Wir beließen die Löcher in der Decke lange als Erinnerung." Vor allem jedoch war es der Vermittlung eines jugoslawischen Zwangsarbeiters, der in der Baufirma seines Vaters beschäftigt gewesen war und sich zu Kriegsende Tito-Partisanen angeschlossen hatte, zu verdanken, dass sich die Situation der Familie verbesserte. „Er erkundigte sich, wie's uns ginge, ob 127 Ebd. 128 Ebd. 129 Zu Erzähltopoi von Rotarmisten vgl. Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung, Der Topos des sowjetischen Soldaten in lebensgeschichtlichen Interviews mit Frauen, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jahrbuch 1995. Wien 1995, S. 28-44. 130 AdBIK, OHI, VD-0275, Lang. 131 AdBIK, OHI, VD-0267, Widtmann.

Die „ sowjetische " Steiermark es dem Chef gut ginge, ob uns nichts passiert wäre. Er war geradezu empört, dass wir so eng wohnen mussten. Er sagte, er würde sich mit den Russen unterhalten, das musste geändert werden. Das tat er und das wirkte auch"132, wie Heimo Widtmann heute noch anerkennend berichtet. Des Weiteren erinnerte sich Widtmann gerne an ein freundschaftliches Verhältnis, das ihn mit einem sowjetischen Offizier verband: „Dann [...] gewann ich eine Art Freund unter den Russen. Das war der Major namens Misa, der ein perfektes klassisches Wienerisch sprach. Wie er berichtete, war er also Geheimagent während des Krieges in Österreich. Und seine erste Frage an mich war,,Kannst Pokern, Bua?' Ich sagte, ,Nein.' - ,Dann werde ich's dir beibringen.' Ich lernte also von einem hohen russischen Offizier das amerikanische Kartenspiel Pokern. Geld hatte ich keines. Er schenkte mir 200 Schilling [Militärschillinge133]. Ich durfte ihm weitere 200 abgewinnen, er war da sehr vornehm. Auch das verbesserte die Atmosphäre etwas. Er war nicht nur ein angenehmer Mensch, er war auch gebildet."134

„Wo es Frauen gab": Zur Vergewaltigungsproblematik Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten wurden sowohl in Deutschland als auch in Österreich Teil der kollektiven Erfahrung der Nachkriegszeit.' 35 Zahlen vermögen die Dimensionen dieser Übergriffe nur begrenzt wiederzugeben, lassen aber dennoch ihr Ausmaß erahnen: Allein im Zeitraum vom 8. Mai bis 4. August 1945 wurden in der Steiermark amtlichen Aufzeichnungen zufolge 9493 Frauen und Mädchen im Alter zwischen zehn und 70 Jahren Opfer von Vergewaltigungen, davon rund vier Fünftel in der Ost- und Südsteiermark. 136 Bei der Grazer Polizei wurden 639 Vergewaltigungsdelikte angezeigt.137 Wie viele Frauen und Mädchen jedoch tatsächlich Opfer von Vergewaltigungen wurden, liegt im Dunkeln, da aus Scham oftmals weder Anzeige erstattet noch eine ärztliche Untersuchung in Anspruch genommen wurde.

132 Ebd. 133 Mit der Roten Armee kam auch eine neue Währung in die Steiermark: der Militärschilling, der in Wien bereits eingeführt worden war. Dieses Militärgeld war 1944 in Großbritannien gedruckt worden und trug die Aufschrift: „Serie 1944 - in Österreich ausgegeben". Zunächst blieb die Reichsmark in ganz Österreich Zahlungsmittel, die Alliierten bezahlten jedoch in Militärschilling. Der Wert eines Militärschillings entsprach dem einer Reichsmark. Portisch, Österreich II, Bd. 1, S. 412. 134 AdBIK, OHI, VD-0267, Interview Widtmann. 135 Vgl. dazu Ingrid Schmidt-Harzbach, Das Vergewaltigungssyndrom. Massenvergewaltigungen im April und Mai 1945 in Berlin, in: Irene Bandhauer-Schöffmann - Ela Hornung (Hg.), Wiederaufbau Weiblich. Dokumentation der Tagung „Frauen in der österreichischen und deutschen Nachkriegszeit". Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften. Bd. 23. Wien - Salzburg 1992, S. 181-198. Vergewaltigungen wurden jedoch nicht ausschließlich von sowjetischen, sondern auch von britischen, amerikanischen und französischen Soldaten in Österreich verübt. Margarethe Hannl, Mit den Russen leben. Ein Beitrag zur Geschichte der Besatzungszeit im Mühlviertel 1945-1955. Phil. DA. Salzburg 1988, S. 63. 136 Karpf, Die Kampfhandlungen in der Steiermark, S. 424; Kamer, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 432. 137 Kamer, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 318.

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Edith Petschnigg Neben der Infektion mit Geschlechtskrankheiten waren Schwangerschaften oftmals die Folge von Vergewaltigungen. Von 1. Juni bis 30. Juli wurden an der Frauenklinik der Universität Graz 441 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Für die folgenden Wochen waren weitere 175 Frauen für Abtreibungen vorgemerkt. Darüber hinaus ließen sich rund 2500 Frauen wegen Geschlechtskrankheiten an der Klinik untersuchen, von diesen waren 12,5 Prozent an Gonorrhö erkrankt. Täglich kamen im Juni und Juli etwa 120 Mädchen und Frauen zu Tests an die Klinik; die jüngste Patientin war neun, die älteste 70 Jahre alt.138 Nach dem gültigen Strafgesetz war die künstliche Unterbrechung einer Schwangerschaft zwar strafbar139, doch gab die Provisorische Landesregierung im Mai 1945 „zur Abhilfe eines Notstandes" Abtreibungen aus gesundheitlichen oder ethischen Gründen bis zur gesetzlichen Regelung frei. Zur Durchführung eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs war jedoch eine entsprechende amtliche Bestätigung zu erbringen. Zunächst hatte die zuständige Polizeistelle zu bescheinigen, „dass mit Sicherheit oder grosser [sie!] Wahrscheinlichkeit ein Notzuchtsakt begangen" wurde; anschließend erfolgte eine Untersuchung durch den Amtsarzt, der zu prüfen hatte, „ob der von der Frau angegebene Tag der Vergewaltigung mit dem Alter der Schwangerschaft übereinstimmt". Die Kosten der Gutachten und des ärztlichen Eingriffs hatten die Krankenkassen zu übernehmen, sofern die betreffenden Frauen krankenversichert waren; im Falle fehlender Eigenmittel wurden die Kosten vom Land getragen.140 Die Position der katholischen Kirche in Österreich sah jedoch keinerlei Ausnahmeregelungen für vergewaltige Frauen vor. So veröffentlichte Kardinal Theodor Innitzer ,,[a]ngesichts ernster Vorkommnisse" im Wiener Diözesanblatt vom November 1945 eine Verlautbarung zum Schutz des menschlichen Lebens, worin er den kirchlichen Grundsatz betonte, dass ,,keimende[s] Leben auch unter den schwersten Umständen zu halten und zu schützen" sei.141 Kaum ein „Zeitzeuge", kaum eine „Zeitzeugin", die nicht zumindest vom Hörensagen von Vergewaltigungen zu berichten weiß. Der Feldbacher Karl Karlin wurde im April 1945 selbst Augenzeuge der Vergewaltigung seiner Tante, seiner Cousinen und

138 Beer, Zur Situation der Steiermark im Jahre 1945, S. 20. Vgl. Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 318. 139 Nach Paragraph 144 der Strafgesetzordnung, der ab Juni 1945 wieder in Kraft war, waren Schwangerschaftsabbrüche prinzipiell verboten, doch erlaubten einzelne Durchführungsbestimmungen eine Umgehung. Gertrud Kerschbaumer, Fürstenfeld 1945. Kriegsende und sowjetische Besatzung. Fürstenfeld 1997, S. 101. Auf Grund des Fehlens der wichtigsten Akten für die unmittelbare Nachkriegszeit ist eine Rekonstruktion der rechtlichen Lage hinsichtlich Schwangerschaftsunterbrechungen schwierig. Zu diesem Thema vgl. Maria Mesner, Frauensache? Zur Auseinandersetzung um den Schwangerschaftsabbruch in Österreich nach 1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften. Bd. 23. Wien 1994, S. 36-46. 140 StLA, BH Bruck, Gr. 12, 1945, K. 435, N-Z. Erlassabschrift der prov. Landesregierung Graz, betr. Schwangerschaftsunterbrechungen aus gesundheitlicher oder ethischer Anzeige. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955, Dokument Nr. 118. Vgl. dazu Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 318. 141 Zum Schutz des keimenden Lebens. Kundgebung Sr. Eminenz vom 6. November 1945, in: Wiener Diözesanblatt. 1945/10, S. 34. Zit. nach: Mesner, Frauensache?, S. 46.

Die „sowjetische " Steiermark weiterer Mädchen. Er versuchte, das Unsagbare in Worte zu fassen: „Und ich wollte Milch holen, und auf einmal kamen Russen herein. [...] Und dann sagten sie, sie wollten eine Eierspeise mit zehn oder zwanzig Eiern. [...] Und sie tranken, tranken Most vom Keller. Und dann kamen sie zurück herein. Zwei waren draußen, die [kamen] auch herein. Auf einmal war zugesperrt, da waren aber sechs Mädel, weil eine allein, das war viel gefährlicher. Und die waren immer schockweise zusammen, und die waren zufällig bei meiner Tante dort. Und auf einmal sperrte der zu, und einer sagte, mein Cousin und ich, wir müssten uns am Bauch hinlegen, die Hände vorne. Und dann ging eben die ganze Sache los. [...] Aber was konnte man machen, wir durften uns nicht rühren. Der stand mit der MP und hatte halt [...]. Und da kamen die ganzen Dirndln dran. Als Bub, muss ich ehrlich sagen, war es ein Schock." 142 Karlins Cousinen und die anderen Mädchen wurden in der Folge von ihren Peinigern zu einem Bauernhof verschleppt, wo bereits weitere Mädchen festgehalten wurden. Erst einige Tage später erfuhr die Familie vom Aufenthaltsort der Mädchen, jedoch blieben alle Versuche zur Befreiung der Mädchen erfolglos. Karlin berichtet: „,Helft uns', schrien sie schon heraus zu uns, speziell zur Mutter, ich war ja weiter hinten als Bub, mein Vater [war] auch mit. Und dann sagte der, da kam einer heraus, und da sagte meine Tante, ,Lasst die Kinder heraus' usw. Überhaupt keine Chance. [...] Nachher schrieb er einen Zettel, wir sollten zur Kommandantur gehen." Der Weg zur Stadtkommandantur blieb jedoch ohne Erfolg; die Mädchen kamen erst nach dem vorübergehenden Rückzug der Roten Armee aus Feldbach wieder frei. 143 Ebenfalls im Raum Feldbach, in der Gemeinde Mühldorf, erlebte die damals 20jährige Maria Reichmann den Vormarsch der Roten Armee, auch sie berichtete von Vergewaltigungen: „Es war ein herrlicher Tag, der 1. April, und da auf der Straße von Gleichenberg [kamen] die Russen heraus. Wir gingen in den Wald, weil wir uns auch fürchteten. Und dann sahen wir schön hinunter, und da marschierten sie durch. Und dann liefen schon die Soldaten zu den Häusern, und wo sie Frauen fanden, waren schon die ersten Vergewaltigungen. Und dann marschierten sie weiter, schnell weiter Richtung Feldbach und dann eben [...] Richtung Graz. Und derweil sind sie schon gekommen, war schon im Dorf neben der Kapelle einquartiert die Führung. Und da kamen die Mädchen halt schon dran und die Frauen auch." 144 In weiterer Folge sollte für Maria Reichmann und ihre drei jüngeren Schwestern ebenfalls eine bedrohlichen Situation entstehen, als sie ihr Versteck in einem Nachbarhaus verlassen mussten. Reichmann erinnerte sich: „Die Frau sagte, ,Kommt heraus, sonst werden sie uns das Haus anzünden.' Und dann gingen wir hinunter, und der eine sagte zu der einen Schwester, dass sie mitgehen musste. Und wir liefen alle dann hin, und dann nahm er eine andere. Und am Dachboden war eine, und da waren drei Russen, die nahmen sie dann oben her, eine in den Wald mit hinauf. [...] Wir sagten: ,Wir möchten heimgehen.' Und dann sagte er: ,Ich Katholik.' Er hatte so sein Feuerzeug, ein rotes

142 AdBIK, VD-0237, Karlin. 143 Ebd. 144 AdBIK, Oral-History-Interview, VD-0268, Maria Reichmann. Mühldorf. 1.9.2003.

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Edith Petschnigg Herz, er sagte, ,Ich Katholik, ich nix machen.'" Dieser sowjetische Soldat gab Maria Reichmann und ihren Schwestern schließlich sicheres Geleit.145 Bald drohte der Familie jedoch eine neuerliche Gefahr. Durch einen einheimischen Denunzianten auf die vier Schwestern aufmerksam gemacht, drangen sowjetische Soldaten eines Nachts in das Haus der Familie Reichmann ein. „Und da waren wir [...] in einem Raum drinnen, wo wir geschlafen hatten [...]. Der Vater zog den Kasten vor, jetzt waren wir aber verraten, sonst hätten sie uns gar nicht gefunden. Dann kamen wir heraus, und dann, das erlebten wir selber, ja. Und dann brachten sie uns in die Stube hinein. [...] Und der Vater sagte: ,In Gottes Namen, kommt halt heraus'. Und dann drängten sie uns in die Stube hinein und es wurde zugesperrt. Und dann hatte einer, Strom war ja keiner, eine Lampe, diese zündete er an. [...] Dann machte er [sie] aus. Meine Schwester hatte schon einer, er wollte sie schon hinschmeißen, und ich ging hin, ich wollte meine Schwester erwischen und erwischte den Russen. Ich spürte die abgesteppte Jacke, und der schrie dann, Licht, Licht, Licht. Sie hatten die Türe zugemacht, aber wir konnten hinaus, das Schloss funktionierte nicht."146 Über die Schrecken dieser Nacht berichtete Reichmann weiter: „Einer hatte so ein Maschinengewehr, das war so verchromt, und dann, der ging halt hin, und wir standen nebeneinander, und Vater konnte auch nichts machen. Und dann wehrten wir uns halt, und dann zog einer, die Schwester stand vor uns, und dann zog er das Gewehr auf und wollte ihr auf den Kopf schlagen. Und uns setzte er das Gewehr an. [...] Ach ja, dann sagte der eine noch: ,Alle schießen, Vater schießen, Mutter schießen, Kinder schießen.' Und dann schoss er drei Mal in das Holz." Ferner fügte Maria Reichmann hinzu: „Die Mami wollte uns helfen und stellte sich vor uns hin, und ich weiß nicht, wie die Waffe heißt, so wie ein Messer und mit das setzte er der Mami an, und die machte einen Schrei und verlor die Stimme. In zwei, drei Monaten fing sie wieder ganz langsam an zu reden." Die sowjetischen Soldaten ließen daraufhin von den Mädchen ab und verlangten nach Schnaps. „Schnaps verlangten sie überall, den suchten sie direkt. Und wenn er wo ausgegangen war, kamen sie auch mit den Waffen her, damit sie wieder einen holten", so Reichmann.147 Freiwillige Beziehungen zu Soldaten der Roten Armee waren in der Steiermark eine seltene Ausnahme, wie zahlreiche „Zeitzeugen" berichten. Dennoch gab es Steirerinnen, denen sowjetische Offiziere die Ehe versprochen hatten und die bereit waren, ihren Bräutigamen in die Sowjetunion zu folgen.148 Maria Reichmann berichtet diesbezüglich über jenen Soldaten, der sie und ihre Schwestern vor Vergewaltigungen geschützt hatte: „Er hat sich später eine gesucht, die freiwillig mitgegangen ist. Der hat er versprochen, er nimmt sie nach Russland mit." Dieses Versprechen wurde beim Abzug der Roten Armee aus der Steiermark Ende Juli 1945 allerdings nicht in die Tat umgesetzt. Reichmann bemerkte weiters: „Es sind auch manche mitgefahren, aber vor der Grenze haben sie sie [die Frauen] dann hinausgeschmissen."149 145 146 147 148 149

Ebd. Ebd. Ebd. Portisch, Österreich II, Bd. 2, S. 186. AdBIK, OHI, VD-0268, Reichmann.

Die „sowjetische"

Steiermark

Verhaftet und verschleppt Tief im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung Ostösterreichs verankert haben sich auch Verschleppungen und Verhaftungen von Zivilisten, von Männer und Frauen, die scheinbar willkürlich der Gewalt der sowjetischen Besatzungsmacht anheim fielen. Die Gründe für die Verhaftungen - oftmals auf Grund von Denunzierungen aus der Nachbarschaft - waren mannigfaltig und veränderten sich während der Besatzungszeit. Zunächst waren es vor allem „Werwolf'-Aktivitäten, Kriegsverbrechen, unerlaubter Waffenbesitz und Vergehen an sowjetischen Besatzungssoldaten, die zu Festnahmen führten; ab 1951 wurde Spionage zum wichtigsten Verhaftungsgrund. 150 Gerade die Steiermark hält im Hinblick auf Verhaftungen durch sowjetische Organe - trotz der nur zweieinhalbmonatigen sowjetischen Besatzung - einen Österreich weiten Rekord: Nirgendwo sonst wurde innerhalb eines Jahres eine größere Zahl an Verhaftungen vorgenommen. Bis 23. Juli 1945 sind für die Steiermark 186 Festnahmen nachweisbar; insgesamt wurden nach gegenwärtigem Wissensstand 223 Steirer verhaftet." 1 In einem US-Geheimdienstbericht vom August 1945 wurde die Zahl der in die Sowjetunion verschleppten Steirer hingegen bereits mit rund 500 angegeben. Einige der Festgenommenen verblieben in Österreich in Haft und wurden oftmals nach einiger Zeit wieder in die Freiheit entlassen. Der Großteil der Verhafteten hingegen wurde im sowjetischen GULAG interniert und zu schwerer körperlicher Arbeit gezwungen. Die Überlebenden wurden erst in den 1950er Jahren repatriiert. Das weitere Schicksal vieler Verschleppter ist jedoch bis heute unbekannt. 152 So etwa auch im Falle des Hauptmanns a. D. Alois Haberschrek aus Wildon, der „ohne jede Begründung auf Grund von Denunziation verhaftet und verschleppt" wurde. 153 Sein Los ist nach wie vor ungeklärt. 154

150 Siehe dazu im Detail den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band; Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx, Österreichische Zivilverurteilte in der Sowjetunion. Ein Überblick, in: Andreas Hilger - Mike Schmeitzner - Ute Schmidt (Hg.), Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1 9 4 5 - 1 9 5 5 . Sowjetische Militärtribunale. Bd. 2. Köln - Weimar - Wien 2 0 0 3 , S. 5 7 1 - 6 0 5 ; Kamer, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 319f.; Stefan Karner, „Ich bekam zehn Jahre Zwangsarbeit." Zu den Verschleppungen aus der Steiermark durch sowjetische Organe im Jahre 1945, in: Siegfried Beer (Hg.), Die „britische" Steiermark 1 9 4 5 - 1 9 5 5 . Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark. Bd. 38. Graz 1995, S. 2 4 9 - 2 5 9 ; Harald Knoll, Verhaftungen durch die Rote Armee in der Steiermark 1945. Unveröffentlichtes Manuskript. Graz 2002. 151 Vgl. dazu den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band. Für die gesamte sowjetische Zone sind 2201 Verhaftungen von Zivilisten nachweisbar. Ebd. 152 Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 320. 153 StLA, B H Leibnitz, Gr. 14, 1945, K. 376. Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde Wildon an die britischen Militärbehörden in Leibnitz über Verhaftungen durch die zeitweilige sowjetische Besatzungsmacht v. 13.8.1945. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 87. 154 AdBIK, Datenbank österreichischer Zivil verurteilter in der UdSSR. Herrn Mag. Harald Knoll sei für diesen Hinweis herzlich gedankt.

552

Edith Petschnigg Von der „sowjetischen" zur „britischen" Steiermark Am 4. Juli 1945 wurde das Erste Kontrollabkommen der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges über Österreich beschlossen und in dessen Folge am 9. Juli die endgültige Festlegung der Besatzungszonen durch das Zonenabkommen in Österreich.155 Damit wurde die Steiermark in ihrer Gesamtheit Teil der britischen Zone. Formell übernahmen die Briten am 24. Juli 1945 die Steiermark (noch ohne das Ausseerland) als Besatzungszone.'56 In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli verließen - von einer Stabswache abgesehen - die letzten Soldaten der Roten Armee die Landeshauptstadt Graz. Am Abend des 23. Juli trafen die ersten Einheiten der 46. Infanterie-Division der 8. britischen Armee ein, um die Übernahme der Stadt durch die britische Besatzungsmacht in die Wege zu leiten. Die offizielle Übergabe erfolgte am frühen Vormittag des 24. Juli; Chef der britischen Militärregierung für Steiermark wurde Oberst Alexander C. Wilkinson. Die Provisorische Landesregierung unter Reinhard Machold trat zurück, doch wurde Machold von Wilkinson umgehend mit der Bildung einer neuen Provisorischen Landesregierung beauftragt. Diese kam nach zahlreichen Querelen - sowohl interner Natur als auch solcher mit der britischen Besatzungsmacht - Anfang August zustande und nahm ihre Tätigkeit mit dem 9. des Monats auf. Damit hatte das Prinzip der Drittelparität in der Steiermark ihr Ende gefunden: Die neue Regierung wies vier Vertreter der SPÖ, drei der ÖVP und zwei der KPÖ auf.157 Am 22. Juli 1945 begann der Abzug der Roten Armee aus der Steiermark.158 Die persönliche Sicherheit der Bevölkerung, die sich nach den ersten Wochen der sowjetischen Besetzung verbessert hatte, verschlechterte sich vor dem Abzug erneut.159 Ein Lagebericht des Bezirksgendarmeriekommandos Fürstenfeld beleuchtet die prekären Sicherheitsverhältnisse: „Während des Abzuges der russischen Truppen und der Ostarbeiter aus der Richtung Graz in derZeit vom 21.-27.7.1945 waren die Sicherheitsverhältnisse im Grenzbezirke Fürstenfeld katastrophal. Diebstähle, Plündereien, Verschleppungen von Personen, Schändungen und vereinzelt auch Morde kamen vor. Was zur Verhinderung getan werden konnte[,] geschah mit Entschlossenheit und Tatkraft. Besonders

155 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 28-34. 156 Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 325. Zur britischen Verwaltung der Steiermark siehe Siegfried Beer (Hg.), Die „britische" Steiermark 1945-1955. Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark. Bd. 38. Graz 1995, und Felix Schneider, Britische Besatzungs- und Sicherheitspolitik, in: Historische Landeskommission für Steiermark (Hg.), Vom Bundesland zur europäischen Region. Die Steiermark von 1945 bis heute. Geschichte der Steiermark. Bd. 10. Graz 2004, S. 59-98. 157 Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 327; Die britische Militärregierung, Land Steiermark. Kommentar von Eduard G. Staudinger, in: Alfred Ableitinger - Siegfried Beer - Eduard G. Staudinger (Hg.), Besatzungszeit in der Steiermark 1945-1955. Bericht über die 4. Geschichtswerkstatt Graz 1991. Graz - Esztergom - Paris - New York 1994, S. 14-17, hier: S. 14f. Die Periode des Provisoriums wurde mit den Landtagswahlen am 25. November 1945, der Konstituierung des Steiermärkischen Landtages am 12. Dezember und der Wahl einer neuen Landesregierung unter Anton Pirchegger (ÖVP) abgeschlossen. Vgl. ebd., S. 15. 158 Portisch, Österreich II, Bd. 2, S. 185. 159 Beer, Zur Situation der Steiermark im Jahre 1945, S. 17.

Die „sowjetische" Steiermark betroffen waren die Orte an der Hauptstraße nach Ungarn." 160 Des Weiteren nahmen Sowjetsoldaten beinahe jedes zivile oder sich in öffentlicher Hand befindliche Fahrzeug mit sich, und als die Briten die Verwaltung der Steiermark übernahmen, mussten diese ihre eigenen Rettungswagen dem Grazer Krankenhaus zur Verfügung stellen.161 Im letzten Zug, mit dem Sowjetsoldaten die Steiermark verließen, befanden sich auch einige österreichische Frauen. Adolf Findeis berichtet über die Abfahrt Folgendes: „Der Zug wurde ohne Feierlichkeiten verabschiedet. Auf dem Bahnsteig standen einige Angehörige, vor allem Mütter, die um ihre Töchter weinten [...]. Dann fuhr der Zug los. Aber zur größten Überraschung von uns allen blieb der letzte Waggon mit den Bräuten auf dem Bahnsteig stehen. [...] Die [Frauen] stiegen aus, waren zunächst sehr betroffen, aber dann schien es mir, als wären alle doch recht glücklich, dass sie dieses Abenteuer auf solche Art überstanden hatten." 162 Die sowjetische Besatzung der Steiermark war erst am 31. Juli 1945 mit dem Abzug der letzten Rotarmisten aus Mürzzuschlag endgültig beendet. 163 Die britische Besetzung der gesamten Steiermark erfolgte in Etappen vom 27. Juli bis 4. August 1945.164 Von der steirischen Bevölkerung wurde die Ankunft der britischen Truppen meist überschwänglich begrüßt. Karl Karlin erinnerte sich an ihr Eintreffen in Feldbach: „Dann hieß es schon: Jetzt kommen die Engländer.' [...] Das war auch ein Erlebnis. [...] Und ich schaute halt auch. Um zwölf [am 21. Juli 1945]165, hieß es, kämen die Engländer. [...] Beim Rathaus war der Empfang. War auch mein Chef dort, verabschiedete sich auch, weil wir die alle kannten. Und er wartete, bis die Engländer kamen. Zuerst kamen sie mit Motorrädern, mit Sturzhelmen, weiße, die Militärpolizei, hatte ja keiner, NortonMaschine. [...] Die [Briten und Sowjets] gaben sich die Hand, wie halt die Begrüßung war. Und die paar Leute, waren dann schon mehr, teilweise haben spuckten sie schon, muss ich sagen. [...] Für mich allein dachte ich mir, hoffentlich kommen die nicht mehr zurück." 166 Karlin fügte jedoch hinzu, dass sich - abgesehen von den äußerst negativen Erfahrungen mit den Kampftruppen in seiner Heimatstadt Feldbach - in weiterer Folge aus seiner Sicht ein gutes Einvernehmen mit der sowjetischen Besatzungsmacht entwickelte. „Und dann bekam auch jeder sein Brot, die hatten so weiße Wecken." Dennoch sah er die britische Besatzungsmacht in einem weit positiveren Licht: „Am nächsten Tag waren die Engländer schon bei uns in der Schule einquartiert. Da lebten wir ja wie Gott in

160 StLA, BH Fürstenfeld, Gr. 14, 1945 S-Z. Bezirksgendarmeriekommando Fürstenfeld, Lagebericht v. 1.8.1945. 161 Beer, Zur Situation der Steiermark im Jahre 1945, S. 17. 162 Portisch, Österreich II, Bd. 2, S. 186. 163 Schneider, Britische Besatzungs- und Sicherheitspolitik, S. 60. Als der letzte sowjetische Soldat die Steiermark verlassen hatte, gab es im Lande noch Brot für fünf Tage. Die täglichen Lebensmittelzuteilungen betrugen durchschnittlich 845 Kalorien. Karpf, Die Kampfhandlungen in der Steiermark, S. 421. 164 Ebd. 165 Die ersten Briten trafen bereits am 21. Juli 1945 in Feldbach ein. Rund 300 Mann britischer Truppen besetzten die Stadt. Grasmug, 8 Jahrhunderte Feldbach, S. 342. 166 AdBIK, OHI, VD-0237, Karlin.

553

554

Edith Petschnigg Frankreich, das Weißbrot und Fisch. [...] Das war ja der Himmel auf Erden. [...] Von dort weg ging es aufwärts."167 Der Grazer Heimo Widtmann - zu Kriegsende 15 Jahre alt - verlieh dem Abzug der sowjetischen Truppen aus seinem Elternhaus in Graz eine persönliche Note: „Ich kann mich nicht erinnern, ob es irgendeine besondere Abschiedsszene gab, wie die unser Haus verließen. [Aber] die gingen sehr ungern. Denen gefiel es sehr gut bei uns. Und wir gewöhnten uns auch irgendwie aneinander. Und wenn das Aufregende vorbei war, die Bomben, die Schießerei, die Spannung, die anfängliche, dann war auch das eine Art Alltag. Da waren halt die Russen da."168 Widtmann charakterisierte seine Sichtweise der Roten Armee: „Im Mai '45 sicher als Besatzer, im Hinterkopf immer die Erlebnisse, die für mich negativen Erlebnisse der NS-Zeit, also, es war ein gutes Gefühl, dass die vorbei war. Man hatte sich nur gewünscht, dass sie durch eine bessere Situation ersetzt worden wäre. Aber das war unter den Bedingungen, unter denen Deutschland Krieg geführt hatte, ein schwacher Wunsch. Aber natürlich, für einen 15-Jährigen, dachte man sich, ,Der Krieg ist aus, herrlich, aber müssen es gleich die Russen sein?"" 69 Fürstbischof Ferdinand Pawlikowski resümierte über den Abzug der sowjetischen Truppen aus Graz ferner wie folgt: „Erlösend wirkte, als am 22. Juli um 2 Uhr [sie!]170 früh die russischen Truppen durch die Elisabethstraße zur Ries hinaufzogen. Dieser Abzug machte den Eindruck einer Flucht. Nicht in geordneter Weise, sondern im Durcheinander, mehr laufend als marschierend, zogen die Truppen [...] ab. Ihre landesüblichen Fuhrwerke waren mit verschiedenen Möbeln und kostbaren Teppichen beladen. Man hatte den Eindruck, dass etwas besonderes [sie!] vorgegangen sein muss, weil die Truppen in solcher Eile Graz verließen."171 Maria Mayer berichtete über das Ende der sowjetischen Besatzungszone in der Steiermark schließlich Folgendes: „Da machten wir Dankgottesdienst und gingen in die Kirche und nach Mariatrost und beteten, dass alle endlich Österreich verließen, besonders die Rote Armee." Diese sah Mayer ausschließlich „als Besatzer, [...] auch die englischen [Truppen], nur etwas zivilisierter." Und sie zog folgendes Resümee: „Für mich waren die zehn Jahre eine Besatzungszeit. Aber, wie gesagt, das Ärgste war schon unter der Roten Armee. [...] Aber wir hatten trotzdem großes Glück, und der liebe Gott hielt seine Hand über uns, weil es hätte anders ausgehen können. Wenn sie einmal betrunken waren, waren sie sehr unzurechnungsfähig. Dann war's sehr gefährlich, dann musste man wohl bitten, den Herrgott, dass nichts passierte. [...] Aber ich hatte großes Glück. Der Herrgott schaute sehr auf uns."172 167 168 169 170

Ebd. AdBIK, OHI, VD-0267, Widtmann. Ebd. Tatsächlich verließen die Truppen der Roten Armee in der Nacht vom 22. auf den 23. Juli 1945 die Landeshauptstadt Graz. Kamer, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 442, u. Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, S. 326. 171 StLA, ZGS, Erinnerungen 1938-1947, K. 210. Erinnerungen von Fürstbischof Dr. Pawlikowski 1945. 172 AdBIK, OHI, VD-0266, Mayer.

Die „sowjetische" Steiermark

Anhang Dislozierung der Truppen der 3. Ukrainischen Front in der Steiermark, in der ehemaligen Untersteiermark und im Übermurgebiet von 1. bis 12. Mai 1945173 1. Mai 1945 Armee

Korps

Division, Regiment

Ort

27. Armee

33. S.K.

337. S.D.

Postleiten, Breitenbrunn, Spitzer, Mönichwald

27. Armee

33. S.K.

155. S.D.

Spitzbauer, Hofmeister

27. Armee

33. S.K.

78. S.D.

Bruck a. d. Mur, nördliches Ufer der Lafnitz, Schachtbauer

27. Armee

33. S.K.

206. S.D.

nördliches Ufer der Lafnitz, Rohrbach, ostwärts Eichberg, Lafnitz

27. Armee

37. S.K.

108. S.D.

östliches Ufer der Lafnitz, Markt Allhau

27. Armee

37. S.K.

316. S.D.

Markt Allhau, Wolfau, Langeriegel, Mitterberg, Stinatz, Tischlerberg, Ollersdorf

27. Armee

35. S.K.

163. S.D.

Neudauberg, Burgauberg, Rohrbrunn, Kracherberg

27. Armee

35. S.K.

3. S.D.

Welsdorf, Übersbach

27. Armee

35. S.K.

202. S.D.

Ranzelberg, Eisenhütte, Kukmirn, Berghauser, Eltendorf

57. Armee

64. S.K.

113. S.D.

Stallhaus, Grub, Dirnbach, Straden

57. Armee

64. S.K.

73. S.D.

Straden, Unterkarla, Radochen, Donnersdorf

57. Armee

64. S.K.

299. S.D.

St. Anna am Aigen, Klöch, Gerlinci (SLO), Cmci (SLO)

57. Armee

133. S.K.

104. S.D.

Radkersburg, Petanjci (SLO)

57. Armee

133. S.K.

122. S.D.

Petanjci, Banovci, Bistrica (alle SLO)

57. Armee

6. Gd.-S.K.

10. Gd.-S.D.

Rittschein, Wiesenberg, Kargibauer, Rosenberg, Raabau

57. Armee

6. Gd.-S.K.

61. Gd.-S.D.

Feldbach, Baumbuch, Klausen, Trautmannsdorf

57. Armee

6. Gd.-S.K.

20. Gd.-S.D.

Petersdorf, Höflach, Pölten

Armee

Korps

Division, Regiment

Ort

26. Armee

30. S.K.

36. S.D.

Rettenegg

27. Armee

33. S.K.

-

Breitenbrunn

27. Armee

5. Gd.-K.K.

63. Gd.-K.D.

Pinkafeld

2. Mai 1945

173 CAMO, F. 243, op. 2900, d. 2034, S. 1-226. Für die Übersetzung der russischen Dokumente und die Unterstützung bei der Erstellung dieser Übersicht danke ich Herrn Mag. Arno Wonisch, B1K Graz, sehr herzlich.

555

556

Edith Petschnigg

Armee 26. Armee 26. Armee 27. Armee 27. Armee 27. Armee 27. Armee 57. Armee

Armee 26. Armee 26. Armee 26. Armee 57. Armee

Korps 30. S.K. 135. S.K. -

33. S.K. 33. S.K. 33. S.K. -

Korps 30. S.K. -

-

3. Mai 1945 Division, Regiment Ort 36. S.D. Rettenegg, Fritz Fritz 177. S.R. 337. S.D. Mönichwald 155. S.D. Mönichwald, Bruck 320. S.D. Mönichwald, Bruck Gruber, Lafnitz Gleichenberg, Ratschendorf, Großdorf 4. Mai 1945 Division, Regiment Ort 36. Gd.-S.D. Rettenegg 104. S.R. Rettenegg 108. S.R. Rettenegg Obergiem, Straden

Armee 27. Armee 27. Armee 57. Armee

Korps 33. S.K. 33. S.K.

57. Armee 57. Armee 57. Armee

6. Gd.-S.K. 64. S.K. 64. S.K.

57. Armee

64. S.K.

5. Mai 1945 Division, Regiment Ort Fritz, Lafnitz 155. S.D. Friedberg Oberhatzendorf, Klausen, Gnas, Hofstetten, Ratschendorf, Obergiem, Riegersburg, Meixner, Krusdorf, Ried Feldbach, Kirchberg a. d. Raab Dietersdorf, Mettersdorf Vadarci, Zenkovci, Bodonci, Brezovci 10. S.D. (alle SLO) 122. S.D. Dankovci, Pecarovci, Dohna (alle SLO)

Armee 57. Armee

Korps 64. S.K.

6. Mai 1945 Division, Regiment Ort Dirnbach

Armee 27. Armee 57. Armee

Korps 35. S.K. 64. S.K.

7. Mai 1945 Division, Regiment Ort Rohrbach 163. S.D. 122. S.D. Hrastje-Mota, Ljutomer (beide SLO)

Die „sowjetische"

Armee

Korps

27. Armee

27. 27. 27. 27. 27. 27. 57.

Armee Armee Armee Armee Armee Armee Armee

33. 37. 37. 37. 35. 35.

S.K. S.K. S.K. S.K. Gd.-S.K. Gd.-S.K.

-

57. Armee

57. 57. 57. 57. 57. 57.

Armee Armee Armee Armee Armee Armee

57. Armee 57. Armee

6. Gd.-S.K. 6. Gd.-S.K. 64. S.K. -

64. S.K. -

133. S.K. 133. S.K.

Steiermark

8. Mai 1945 Division, Regiment, Ort Brigade Ratten, Schlagbauer, St. Stefan, Großsteinbach, Rittschein, Übersbach, Hartl, Walkersdorf, Gleisdorf, Eggersdorf, Andritz Vorau, Feichtinger 78. S.D. 200. S.D. Lembach 108. Gd.-S.D. Greith, Löffelbach 316. S.D. Oberbuch, Ebersdorf 163. S.D. Neustift b. Sebersdorf [...] Dombach, Nestelbach i. Ilztal, Gleisdorf 3. Gd.-L.D. 32. Gd.-mech.-Br. Edelsbach114, Holzmannsdorf, weiter Richtung Graz. Gleisdorf, Kirchberg a. d. Raab, St. Stefan, Ungerdorf, Siebing, [...], Rittschein, Übersbach, Hartl, Walkersdorf, Gleisdorf, Eggersdorf, Andritz175 10. Gd.-S.D. Neustift [...] 61. Gd.-S.D. Feldbach, Baumbuch 113. S.D. Grub, Müggendorf [...] 32. Gd.-mech.-Br. Fehring, Schiefer, Feldbach, Gniebing 122. S.D. Nemcavci, Puconci (beide SLO) 104. S.D. [...] Podgrad (SLO), Überquerung der Mur Murufer 122. S.D. Linkes Murufer, Unterau [...] 104. S.D.

174 Im Original als „El'ksonbach" verzeichnet. 175 Die Linie Rittschein - Übersbach - Hartl - Walkersdorf - Gleisdorf - Eggersdorf - Andritz bildete die Grenze zwischen den Operationsgebieten der 27. und der 57. Armee.

557

558

Edith

Petschnigg

Armee

Korps

26. Armee 26. Armee

104. S.K. 30. S.K.

26. Armee 26. Armee 26. Armee 26. Armee 27. Armee 27. Armee 27. Armee 27. Armee 27. Armee 27. Armee 27. Armee 27. Armee

30. S.K. 30. S.K. 30. S.K.

9. Mai 1945 Division, Regiment, Brigade 266. S.R. 9. Pz.-Br. 21. S.D. 68. S.D. 21. S.D. 36. S.D.

-

-

33. 33. 33. 37. 37. 37. 35. 35.

S.K. S.K. S.K. S.K. S.K. S.K. Gd.-S.K. Gd.-S.K.

35. Gd.-S.K.

320. 337. 155. 206. 108. 316. 163. 202.

S.D. S.D. S.D. S.D. S.D. Inf.D. S.D. S.D.

27. Armee 57. Armee

-

3. Gd.-L.D. 32. Gd.-mech.-Br.

57. Armee

133. S.K.

104. S.D.

57. Armee

13. S.K.

122. S.D.

1. Bulg. Armee

-

-

Ort Gußwerk Leoben, St. Michael Adambauer [?] Bruck a. d. Mur, Kapfenberg176 Krieglach Seewiesen Feregger [?]177 Hinterhofer, Birkfeld [...] Friedberg Steg, Anger Weißenbach Oberdorf, Weiz Kleinsemmering, Gschwendt Linkes Murufer, Peggau, Eggenfeld, Hinterberg Gratkorn, Gratwein, Kugelberg Wildon, Leibnitz, Landscha, Kaisdorf, Stainz, Deutschlandsberg, Lasselsdorf178 Crnci, Domajinci (beide SLO), Sulz, Siebing Puconci, Markisavci, Martjanci (alle SLO) Ehrenhausen, [...], Gradiäce, Maribor (beide SLO)

176 CAMO, F. 243, op. 2900, d. 1905, S. 76-78. 177 Im Original als „Pameger" verzeichnet. Vgl. CAMO, F. 243, op. 2900, d. 1905, S. 76-78. 178 Im Original als „Sosselsdorf' verzeichnet.

Die „sowjetische"

Armee

Korps

26. 26. 26. 26.

Armee Armee Armee Armee

104. S.K. 104. S.K. 30. S.K. 30. S.K.

26. 26. 26. 26. 26. 27. 27. 27. 27. 27. 27. 57.

Armee Armee Armee Armee Armee Armee Armee Armee Armee Armee Armee Armee

30. S.K. 30. S.K. 135. S.K. 135. S.K. 135. S.K. 33. S.K. 37. S.K. 37. S.K. 35. Gd.-S.K. 35. Gd.-S.K. 35. Gd.-S.K. 6. Gd.-S.K.

57. Armee 57. Armee 57. Armee 57. Armee 57. Armee 57. Armee 1. Bulg. Armee 1. Bulg. Armee 1. Bulg. Armee 1. Bulg. Armee 1. Bulg. Armee

6. Gd.-S.K. 6. Gd.-S.K. 64. S.K. 64. S.K. 6. Gd.-S.K. 133. S.K. -

Steiermark

10. Mai 1945 Division, Regiment, Ort Brigade Seewiesen, Aflenz 151. S.D. Bruck a. d. Mur 74. S.D. Bruck a. d. Mur 63. S.D. 21. S.D. Leoben, Hieflau, Eisenerz, Liezen, Kaiwang 36. S.D. St. Michael Liezen, Rottenmann, Judenburg, Zeltweg 9. Pz.-Br. 233. S.D. Mürzzuschlag Kindberg 236. S.D. Ottertal 155. S.D. Pemegg, Mixnitz, Frohnleiten Röthelstein, Feistritz 108. Gd.-S.D. Gratwein, Semriach 316. S.D. 202. S.D. Gschwendt, Oberurscha, Mitterdorf Feistritz, Eggenfeld 163. S.D. Eggenfeld, Gratwein-St. Veit 3. Gd.-L.D. 61. Gd.-S.D. Voitsberg, Krems; Treffen mit dem 27. Pz.-R. der britischen Armee 20. Gd.-S.D. Nordöstliches Graz 10. Gd.-L.D. Westliches Graz Lieboch, Dobl, Dietersdorf 299. S.D. 73. Gd.-S.D. Wildon, Leibnitz Gössendorf [...] 104. S.D. Gnas 10. Inf.D. Landscha, Leibnitz, Obervogau 12. Inf.D. Kamnica (SLO) 8. Inf.D. Selnica (SLO) 3. Inf.D. Dravograd, Radlje (beide SLO) 10. Inf.D. Maribor, Ptuj (beide SLO)

559

560

Edith Petschnigg

Armee

Korps

26. 26. 26. 26. 26. 26.

104. S.K. 104. S.K. 30. S.K. 30. S.K. 30. S.K. 30. S.K.

Armee Armee Armee Armee Armee Armee

26. Armee

30. S.K.

26. 26. 27. 27. 57. 57.

Armee Armee Armee Armee Armee Armee

135. S.K. 135. S.K. 37. S.K. 37. S.K. 6. Gd.-S.K. 6. Gd.-S.K.

57. Armee 57. Armee 57. Armee 57. Armee 57. Armee 57. Armee 57. Armee 1. Bulg. Armee 1. Bulg. Armee 1. Bulg. Armee 1. Bulg. Armee

6. Gd.-S.K. 6. Gd.-S.K. 6. Gd.-S.K. 64. Gd.-S.K. 6. Gd.-S.K. 64. S.K. 133. S.K. -

11. Mai 1945 Division, Regiment, Ort Brigade 151. S.D. Seewiesen, Göriach, Aflenz 74. S.D. Bruck a. d. Mur 36. S.D. St. Michael 21. S.D. Hieflau, Wald, Unterwald [...] 9. Pz.-Br. Döllach, Aigen i. Ennstal 21. S.D. Liezen; Treffen mit der 80. US-Inf.D.179 94. S.R. 36. S.D. Judenburg, Fisching, Zeltweg, Knittel104. S.R. feld; nördlich von Judenburg: Treffen einer Einheit des 104. S.R. mit Einheiten der 27. Pz.-Brig. der 8. britischen Armee 236. S.D. Kindberg 233. S.D. Mürzzuschlag, Langenwang 316. S.D. Semriach Gamsgraben, Rothleiten 108. S.D. 61. Gd.-S.D. Voitsberg, Gaisfeld, Mettersdorf 84. S.D. Straßengel, Steinberg, Webling, Straßgang 10. Gd.-S.D. Westliches Graz, Eggenberg Nordöstlich von Graz, Kroisbach 20. Gd.-S.D. Lieboch, Weitendorf, Bierbaum 299. S.D. 73. Gd.-S.D. Wildon, Leibnitz St. Georgen a. d. Stiefing, Laubegg 113. S.D. Deutschlandsberg, Gasselsdorf 104. S.D. Sulz, Siebing, 22 km östlich von Graz 11. Inf.D. Ehrenhausen 42. Inf.R. Ober- und Untervogau 41. Inf.R. St. Veit am Vogau, Lind 12. Inf.R. Straß, Schwarza

179 Am 11. Mai 1945 kam es zwischen 12.30 und 15.00 Uhr im Bezirk Liezen zu einem Treffen des Kommandierenden der 21. Schützen-Division unter Generalmajor Voskresenskij mit dem US-amerikanischen Korpsgeneral Sowker und dem Kommandierenden der 80. Infanterie-Division, General McBride. Aus den Gesprächen ging hervor, dass sich die 80. Infanterie-Division nördlich der Enns, im Räume Wörschach, befand und über eine Einheit nordwestlich von Hieflau verfügte. Die 27. Panzer-Brigade der 8. Britischen Armee befand sich nördlich der Mur, wo Fisching die östliche Grenze bildete. Gespräche mit der 27. Panzer-Brigade waren für den 12. Mai im Räume Judenburg angesetzt. CAMO, F. 243, op. 2900, d. 2034, S. 96. Die Gespräche nahmen schließlich am 12. Mai um 13 Uhr in Judenburg ihren Anfang. CAMO, F. 243, op. 2900, d. 2034, S. 105.

Die „sowjetische"

12. Mai 1945 Armee

Korps

26. Armee 26. Armee 26. Armee

104. S.K. 104. S.K. 104. S.K.

26. Armee

104. S.K.

26. Armee

30. S.K.

26. Armee

30. S.K.

26. Armee

30. S.K.

26. Armee

30. S.K.

57. Armee 57. Armee

64. S.K. 64. S.K.

1. Bulg. Armee

Legende: Br. bulg. D. Gd. Inf. K. L. Pz. R. S.

Brigade bulgarisch Division GardeInfanterieKorps LuftlandePanzerRegiment Schützen-

Division, Regiment, Brigade 74. S.D. 93. S.D 151. S.D. 683. S.R. 151. S.D. 581. S.R. 21. S.D. 94. S.R. 21. S.D. 326. S.R. 21. S.D. 116. S.R. 36. S.D. 104. S.R. 73. Gd.-S.D. 113. S.D. 12. Inf.D.

Steiermark

Ort Gams, Hieflau Mariazell, Seewiesen Aflenz Kapfenberg Wald am Schoberpass Unterwald Liesingau Pols Wundschuh, Steindorf Heiligenkreuz am Waasen, Allerheiligen bei Wildon St. Stefan, [...]. Alle Einheiten der 1. Bulgarischen Armee wurden am 12. Mai von Jugoslawien nach Österreich verlegt.

Ol'ga Pavlenko

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie 1945 Das erste Jahrzehnt nach Entstehen des Jalta-Potsdam-Systems verlief im Zeichen einer beispiellosen diplomatischen Konfrontation der Alliierten der Militärkoalition, im Verlaufe derer sich die Linien der Einflussnahme der UdSSR und der USA, die im Zuge des Weltkrieges eine nicht offizielle Vormachtstellung erlangt hatten, mal erweiterten, mal verengten. Die zwischenstaatlichen Beziehungen waren zu dieser Zeit im Besonderen durch die diplomatische Praxis eines „äquivalenten Austausches" von Territorien, Ressourcen und lebenswichtigen Interessensphären geprägt, die sich die Siegermächte aktiv zu Nutze machten. Die Geschichte der Entstehung des österreichischen Staatsvertrages und der Neutralität ist Teil dieser internationalen Verhandlungsprozesse. Die schwierige Kombination innen- und außenpolitischer Faktoren, die direkt oder indirekt auf den Verlauf der Verhandlungen Einfluss nahmen, schoben die Wahrscheinlichkeit einer Einigung manchmal hinaus bzw. ließen diese manchmal näher rücken. Jeder beliebige Versuch einer Rekonstruktion der Prioritäten der sowjetischen Diplomatie stößt in einer narrativen Dokumentation auf bestimmte „Bruchlinien" - das Fehlen direkter Angaben zum Prozess der Annahme dieser oder jener außenpolitischen Entscheidungen. 1 Offizielle diplomatische Dokumente stellen bloß die Spitze eines Eisberges dar, doch auch eine gänzliche Einsichtnahme in geheime Materialien des Bestandes des Völkskommissars für Äußere Angelegenheiten der UdSSR, Vjaceslav Molotov (1939 bis 1949 und 1953 bis 1956), oder in den Österreich-Bestand der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums vermag keine ausreichende Vorstellung über mittel- und langfristige Prioritäten der sowjetischen Außenpolitik zu geben. Dies erklärt sich in hohem Maße durch die Besonderheiten der hinter verschlossenen Kremltüren ablaufenden Ereignisse in den 1930er, 1940er und 1950er Jahren, als die alten Bolschewiken Elemente eines konspirativen Untergrundes einbrachten und die kurzen,

1

Ich möchte meinen Dank dem Leiter des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner, für die Möglichkeit der Mitarbeit am Projekt „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955" aussprechen und danke auch für die Einladung zu einem Forschungsaufenthalt an genanntem Institut. Mein Dank gebührt auch Dr. Barbara Stelzl-Marx und Dr. Peter Ruggenthaler, für ihre Betreuung und für wertvolle Hinweise beim Verfassen des Artikels.

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Ol'ga Pavlenko mündlich erteilten Anordnungen des „Hausherrn", Iosif Stalin, von dessen Umgebung widerspruchslos ausgeführt wurden. Ein bedeutendes Konvolut an früher geheimen Dokumenten russischer Archive wurde Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre für die Wissenschaft zugänglich gemacht. Doch die Historiographie zum ersten Jahrzehnt des Kalten Krieges weist offene Fragen auf, die zum Verstehen der Besonderheiten der sowjetischen außenpolitischen Planung von entscheidender Bedeutung sind. Verfügte die Kreml-Führung über einen geostrategischen Plan zur Schaffung von Sicherheitszonen in Mittel- und Südosteuropa, in der asiatisch-pazifischen Region, in Kleinasien, in Nordeuropa? Inwieweit ging der territoriale Imperativ mit Entwürfen zur Sowjetisierung der regierenden Nachkriegsregime in verschiedenen Weltgegenden einher? Wie entwickelte sich der Prozess zur Schaffung von Blöcken, vor allem in Mittel- und Osteuropa, das zum Epizentrum des weltweiten „Abkühlens" wurde? Die Suche nach Antworten auf diese Fragen globaler Bedeutung ist bei der Erforschung jedes beliebigen „nationalen Sujets" unabdingbar, weil diese Fragen das erforderliche Koordinatensystem zu bilden imstande sind, in das die wichtigsten geopolitischen Fragen eingebettet sind. Jede nationalstaatliche Frage stellte ein wichtiges Element auf dem „globalen Schachbrett" dar, auf dem als Hauptexponenten die UdSSR, die USA und Großbritannien agierten. Die zu Zeiten Stalins hinter verschlossenen Türen vollzogene Diplomatie führt in der Welt der Wissenschaft nicht selten dazu, dass oft auf das Auftauchen eines sensationellen Dokumentes gehofft wird, das den die Geheimnisse der wahren Absichten Stalins verdeckenden Vorhang etwas zur Seite zu ziehen vermag. Doch in vielen Fällen entpuppen sich anfangs als außergewöhnlich erscheinende Dokumente als administrativapparative Materialien allgemeinen Charakters - so passiert etwa mit den Dokumenten der Kommissionen des Völkskommissariates für Äußere Angelegenheiten, die während des Krieges informationell-analytische Berichte und Empfehlungen zur Behandlung internationaler Fragen anfertigten, die für die oberste Führung als Vorschläge bestimmt waren. 2 Ein weiteres „sensationelles" Dokument - der im Jahr 1989 zugänglich gemachte und mit 5. November 1946 datierte „Operative Plan zur Tätigkeit der Gruppe der Besatzungstruppen in Deutschland" wurde im „Voenno-istoriceskij zumal" veröffentlicht. 3 Auf Grundlage dieser Zeugnisse wurden Hypothesen über die osteuropäischen Pläne Stalins aufgestellt. Zur gleichen Zeit brachte Leonid Gibianskij berechtigterweise Zweifel an der Angemessenheit der Empfehlungen von Diplomaten bezüglich Strömungen und Vorstellungen, die damals in der nächsten Umgebung des sowjetischen Führers 2

3

G. P. Kynin - J. Laufer, SSSR i germanskij vopros. 22 ijunja 1941g.-8 maja 1945. SSSR i germanskij vopros 1941-1949. Bd. 1. Moskau 1996, S. 237-241, 333-360; M. Leffler, Inside Enemy Archives. The Cold War Reopend, in: Foreign Affairs. Vol. 74. 1996/4, S. 122-125; V. Pechatnov, The Big Three After World War II. New Documents on Soviet Thinking about Post-War Relations with USA and Great Britain. Cold War International History Project. Working Paper Nr. 13. Washington 1995; Τ. V. Volokitina, Stalin i smena strategiceskogo kursa Kremlja ν konce 40-ch godov. Ot kompromissov k konfrontacii, in: Stalinskoe desjatiletie cholodnoj vojny. Fakty i gipotezy. Moskau 1999, S. 10-22, hier: S. 10-12. Voenno-istoriceskij zurnal. 1989/2, S. 16-31. Siehe auch: V. A. Sekistov, Kto nagnetal voennuju opasnost', in: Voenno-istoriceskij zurnal. 1989/7-10, S. 20-26.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie vorherrschten, zum Ausdruck. Zudem verfügte eine der Hauptkommissionen des Volkskommissariates für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR (NKID), die den Vorschlag zu einer Friedensordnung ausarbeitete und unter der Leitung des in Ungnade gefallenen stellvertretenden Volkskommissars Maksim Litvinov stand, über keine direkten Richtungsvorgaben seitens der Führung der UdSSR. 4 Ohne den dokumentarischen Wert dieser analytischen Auslegungen in Frage stellen zu wollen, muss dennoch konstatiert werden, dass sie bloß verschiedene Varianten, die Stalin eventuell in Betracht ziehen konnte, widerspiegeln. Die österreichische Frage wurde im Rahmen der alliierten Diplomatie im Laufe der Jahre von 1945 bis 1955 erörtert. Die formelle Allianz zwischen der UdSSR, Großbritannien und den USA stellte die einzige Form eines Nachkriegskonsenses dar, auf Grundlage dessen die Mechanismen der Besatzungspolitik ausgearbeitet wurden, Fragen der operativen Verwaltung über die Militärkontingente und die Sicherstellung der Existenz der Bevölkerung in den Besatzungszonen gelöst wurden. Der Verhandlungsprozess zwischen den Alliierten über die Zukunft Österreichs war ein äußerst widersprüchlicher und beinhaltete sowohl produktive als auch rückwärtsweisende Tendenzen. All dies verlangte von den Beteiligten eine Menge an zielgerichteten Anstrengungen und Taten, im Zuge derer Positionen exakt abgesteckt und Kompromisslösungen ausgearbeitet wurden. Manchmal kam es indes auch umgekehrt: Erzielte Übereinkünfte wurden aufgelöst, und Verhandlungen nahmen einen Neuanfang. Ziel vorliegenden Artikels ist es, erstens die Phase des Verhandlungsprozesses im Jahr 1945 mit seinen produktiven und rückwärtsweisenden Elementen sowie die Funktionen der sowjetischen Politik in der „Schachpartie Österreich" zu beleuchten. Zweitens sollen der Grad an geostrategischem Interesse des Kremls an der Kontrolle über österreichisches Gebiet und auch die Strategien der sowjetischen Diplomatie analysiert werden.

Sowjetisch-britische Widersprüche in der österreichischen Frage 1943-1945 In letzter Zeit konnte ein steigendes Interesse an der Erforschung psychologischer und ideologischer Hebel, die die Mechanismen der alliierten Solidarität während des Krieges und in den ersten Nachkriegsmonaten in Bewegung setzten, verzeichnet werden. 5 Die Konturen der zukünftigen Nachkriegs-Friedensordnung wurden von den Alliierten

4

5

L. Ja. Gibianskij, Problemy Vostocnoj Evropy i nacalo formirovanija sovetskogo bloka, in: Ν. I. Egorova - A. O. Cubar'jan (Hg.), Cholodnaja Vojna 1945-1963 gg. Istoriceskaja retrospektiva. Moskau 2003, S. 105-136, hier: S. 122f. V. O. Pecatnov, Ot sojuza - k vrazde (sovetsko-amerikanskie otnosenija ν 1945-1946gg.), in: Cholodnaja Vojna 1945-1963. Istoriceskaja retrospektiva. Moskau 2003, S. 21-65; Pechatnov, The Big Three After World War II; D. G. Nadzafov, Κ voprosu ο genezise cholodnoj vojnoj, in: Cholodnaja Vojna 1945-1963. Istoriceskaja retrospektiva. Moskau 2003, S. 65-104; D. G. Nadzafov, Antiamerikanskie propagandistskie pristrastija Stalinskogo rukovodstva, in: Aleksandr Cubar'jan u. a. (Hg.), Stalinskoe desjatiletie cholodnoj vojny: fakty i gipotezy. Moskau 1999, S. 134—150; Ο. A. Rzesevskij, Sekretnye voennye plany U. Cercillja protiv Rossii ν mae 1945 goda, in: Novaja i novejsaja istorija. 1999/3, S. 98-123.

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Ol'ga Pavlenko bereits Ende 1941, Anfang 1942 vorgezeichnet.6 Bereits zum damaligen Zeitpunkt war eine Menge an Widersprüchen zwischen der UdSSR und Großbritannien entstanden. Es ist bekannt, dass das britische Kabinett Entwürfe zu einer zukünftigen Umgestaltung der europäischen Staaten vorbereitete, bei denen kleine Staaten zu Föderationen bzw. Konföderationen zusammengefasst wurden. Regionale konföderative Gebilde, wie etwa ein skandinavisches, ein balkanisches und eines des Donauraumes, sollten die Widersprüche um die umstrittenen Grenzgebiete ausräumen und die Garantie für einen friedlichen europäischen Raum darstellen. Winston Churchill maß in seinem Brief an Anthony Eden vom 13. Dezember 1942 Österreich eine Schlüsselrolle im Rahmen einer Donauföderation bei: „Es wäre sehr gut, wenn es eine österreichische Streitmacht gäbe, falls man diese ohne besondere Schwierigkeiten führen könnte. Ich bin an Österreich sehr interessiert und hoffe, dass Wien die Hauptstadt einer großen Donau-Konföderation wird. Eine sich auf Wien stützende Donau-Konföderation wird die Lücke ausfüllen, die nach dem Verschwinden der österreichisch-ungarischen Monarchie entstanden ist. Bayern kann dieser Gruppe angeschlossen werden."7 Doch erhielt der britische Entwurf von europäischen Konföderationen keine Unterstützung durch die sowjetische Seite. Im Zuge der Verhandlungen im Dezember 1941 präsentierte die UdSSR den Vorschlag, dass im sowjetisch-britischen Alliierten-Vertrag das Recht der UdSSR, nach dem Krieg eine Allianz mit Rumänien abzuschließen und auf dessen Territorium Militärbasen zu unterhalten, festgeschrieben sein sollte. Ähnliches sollte für die finnische Frage gelten.8 In den ersten Jahren nach 1941 bekundete die UdSSR bei internationalen Verhandlungen vor den westlichen Alliierten für zwei Staaten Interesse - für Rumänien und Finnland, waren es doch gerade diese Staaten, die eine wichtige strategische Lage besaßen und „Tore" in der mitteleuropäischen und nordeuropäischen Region darstellten.9 In den ersten Nachkriegsjahren unternahm die sowjetische Seite diplomatische Sondierungen und prüfte die Reaktion der USA und Großbritanniens. Zu diesem Zeitpunkt war die Linie des Kremls gegenüber den Westalliierten von äußerster Vorsicht gekennzeichnet. Indem eine militärische und politische Zusammenarbeit angeknüpft und der ideologische Pathos wesentlich aufgeweicht wurde, errichtete die sowjetische Führung das Fundament für ihre territorialen und politischen Forderungen in Mittel- und Südosteuropa sowie im Fernen Osten.10

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7 8 9 10

Kynin - Laufer, SSSR i germanskij vopros, Bd. 1,S. 120-132, 155-158. Einen Kommentar zu diesen Dokumenten siehe im Artikel von Alexej M. Filitov, Österreich, die deutsche Frage und die sowjetische Diplomatie (40-50er Jahre des 20. Jh.s), in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA Bd. 50. Wien 2003, S. 123-132, 261-270, hier: S. 261-265. Winston Churchill, The Second World War. Bd. IV. London 1951, S. 636 und 810. Sovetsko-anglijskie otnosenija vo vremja Velikoj Otecestvennoj vojny, 1941-1945. Dokumenty i materialy. Bd. 1. Moskau 1983, S. 188-198; Kynin - Laufer, SSSR i germanskij vopros, Bd. 1, S. 127. Die Interessen der UdSSR waren natürlich weitreichender, auch wenn dies auf diplomatischer Ebene nicht bekundet wurde. Gibianskij, Problemy Vostocnoj Evropy, S. 105-111; V. K. Volkov, Uzlovye problemy ν novejsej istorii stran Central'noj i Jugo-Vostocnoj Evropy. Moskau 2000, S. 94-98; L. Ja. Gibianskij (Hg.), U istokov „socialisticeskogo sodruzestva". SSSR i vostocnoevropejskie strany ν 1944-1949gg. Moskau 1995.

Osterreich im Krafifeld der sowjetischen

Diplomatie

Der erste offene Aufeinanderprall der geopolitischen Interessen der UdSSR und Großbritanniens betreffend die Zukunft Österreichs ereignete sich am Vorabend der Moskauer Konferenz der Außenminister. Die britischen Diplomaten hatten geplant, den Entwurf von europäischen Konföderationen oder Föderationen als Punkt in die Tagesordnung aufzunehmen, wobei der Frage Österreichs besondere Beachtung zukommen sollte. Im Juni 1943 hatte das britische Foreign Office ein Sonderdokument mit dem Titel „Die Zukunft Österreichs" erstellt, das vom britischen Botschafter in der UdSSR, Sir Archibald Clark Kerr, dem Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Molotov, übergeben wurde. Er sah vier Varianten vor: „1. Vereinigung Österreichs mit Deutschland entweder in Form eines Teils des Reiches oder Vereinigung auf föderaler Basis. 2. Eingliederung Österreichs in eine süddeutsche Konföderation. 3. Wiederrichtung Österreichs als freier und unabhängiger Staat. 4. Einbeziehung Österreichs in eine wie auch immer geartete Form einer Mittel- oder Südosteuropäischen Konföderation." Im Text des Dokumentes wurden die ersten beiden Varianten abgelehnt, und es stellte sich heraus, dass die Präventivmaßnahme für eine Stabilität in diesem Raum in der Bildung eines föderativen staatlichen Gebildes liegen müsse, in dem Österreich eine Schlüsselrolle einnehmen könnte." Die sowjetische Regierung hatte bereits in einer am 7. Juni 1943 ergangenen Note den Entwurf einer Eingliederung Österreichs in den Verband einer Föderation mit Nachdruck abgelehnt. 12 Der diplomatische Kampf rund um die österreichische Frage nahm im Herbst 1943 an Heftigkeit zu. Britische Diplomaten fertigten den Entwurf einer Erklärung über Österreich an, der in seiner ersten Variante eine glatte und wenig griffige Formulierung über eine mögliche Eingliederung Österreichs in eine Föderation beinhaltete. Andererseits wurde mit diesem Entwurf erstmals in einem gemeinsamen alliierten Dokument vorgeschlagen, den Grad der Schuld Österreichs an der Entfesselung des Krieges festzulegen. Die „Schuldklausel" war für den gesamten Verhandlungsprozess von prinzipieller Bedeutung, weil ihre Hineinnahme den Staaten der „großen Troijka" eine international-rechtliche Begründungsgrundlage für ihre territorialen, politischen und Reparationsforderungen gegenüber diesem Land bot. Es ist beachtenswert, dass der Begriff „Schuld" in der ersten Variante formalen Charakter besaß. 13 Der Prozess der 11 12

AVP RF, F. 06, op. 5, p. 20, d. 214, S. 11. Sovetskij Sojuz na mezdunarodnyh konferencijach perioda Velikoj Otecestvennoj vojny 1941-1945 gg. Moskovskaja konferencija ministrov inostrannych del SSSR, SSA i Velikobritanii (19-30 oktjabrja 1943g.). Sbornik dokumentov. Bd. 1. Moskau 1978, S. 382. Eine eingehende Analyse des Prozesses der Ausarbeitung des britischen Memorandums „The Future of Austria" und die Akkordierung der Positionen zwischen britischen und amerikanischen Diplomaten, die sich mit der außenpolitischen Planung befassten, wurde von Günter Bischof vorgenommen. Von ihm stammt auch die Anmerkung, dass Stalin bemüht war, die britischen Pläne europäischer Konföderationen zu blockieren, indem Stalin davor warnte, dass auf diese Weise ein neuer „cordon sanitaire" gegen die UdSSR entstehen würde. Günter Bischof, Austria in the First Cold War 1945-55. The Leverage of the Weak. London - New York 1999. S. 21-23.

13

Man hielt fest, dass die Regierungen Großbritanniens, der UdSSR und USA „den am 15. März 1938 vollzogenen Anschluss Österreichs an Deutschland als nicht existent und nichtig betrachteten und ein freies und unabhängiges Österreich wiederhergestellt sehen wollten". Sovetskij Sojuz na mezdunarodnyh konferencijach, S. 59. Siehe dazu ausführlich Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 11-28.

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Ol'ga Pavlenko Findung eines gemeinsamen Wortlautes der Deklaration auf der Moskauer Außenministerkonferenz verlief in zwei Etappen: Zuerst wurde der Text von der britischen und der amerikanischen Delegation gemeinsam erörtert und ergänzt, nachdem man die prinzipiellen Positionen der ersten Variante beibehalten hatte. Die sowjetische Seite brachte sodann ihre Korrekturen und Ergänzungen ein. Die Idee einer „Donau-Föderation" wurde von der sowjetischen Seite rundum abgelehnt - Österreich sollte nach dem Krieg ein souveräner Staat werden. Die alliierten Staaten gestanden dem österreichischen Volk das Recht zu, sein zukünftiges politisches System selbst zu wählen. Zugleich wurde die „Schuldklausel" Österreichs stärker in den Vordergrund gerückt: „Es [Österreich] trägt Verantwortung, der es sich nicht entziehen kann - Verantwortung für die Teilnahme am Krieg an der Seite Deutschlands, und bei einer endgültigen Regelung wird der Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung berücksichtigt werden."14 Gerade die im offiziellen Dokument festgehaltene starke Betonung der Begriffe Schuld und Verantwortung, „derer es sich nicht entziehen kann", räumte den Alliierten das Recht ein, Forderungen verschiedener Art an Österreich heranzutragen. Diesen diplomatischen Ansatz wusste Molotov bereits seit Beginn des Verhandlungsprozesses über das Schicksal Österreichs für sich zu beanspruchen. Der Wortlaut der Erklärung wurde einstimmig angenommen und in Form einer Beilage zu einem Geheimprotokoll verabschiedet. Die Genehmigung der Erklärung durch das Französische Nationalbefreiungskomitee erfolgte am 16. November 1943. Die weiteren Versuche Winston Churchills, die Frage von Konföderationen oder Wirtschaftsunionen im Rahmen der sowjetisch-britischen Verhandlungen im Spiel zu belassen, stießen auf die entschiedene Ablehnung Stalins. In der Regel gingen die sowjetischen Diplomaten dabei so vor, dass sie ihre britischen Partner daran erinnerten, dass eine Föderalisierung Europas ein Thema der Zukunft sei, wobei sie auch nicht zu betonen vergaßen, dass derartige Entwürfe in vielerlei Hinsicht den außenpolitischen Strategien eines rund um die UdSSR gezogenen „cordon sanitaire" in den 1920er und 1930er Jahren entsprechen würden.15 Ab Ende 1943 erfuhr die taktische Linie des Kremls schrittweise Änderungen. In den Arbeiten Tat'jana Volokitinas, Igor' Orliks und Leonid Gibianskijs wird auf Grundlage einer durch verschiedene Dokumente erfolgten Rekonstruktion demonstriert, dass sich die sowjetische Diplomatie in osteuropäischen Fragen „auf die Überholspur begab" und ihre britischen und amerikanischen Partner oftmals vor vollendete Tatsachen stellte. Die politischen und militärischen Operationen Ende 1943, Anfang 1944 zielten auf die Errichtung einer sowjetischen Kontrolle in Polen, Rumänien, Jugoslawien und Bulgarien ab. Die britische Regierung unternahm den Versuch, die sowjetischen Vormarschlinien im Vorhinein abzugrenzen und gemeinsame Einflusssphären zu schaffen, doch ungeachtet dessen befand sich der Kreml im Besitz beinahe aller entscheidenden strategischen Positionen Osteuropas und der Balkanhalbinsel.16

14 15 16

Sbornik osnovnych dokumentov SSSR, SSA, Anglii, Francii ob Avstrii. Ed. 1. Moskau 1953, S. 354. Sovetskij Sojuz na mezdunarodnyh konferencijach, S. 166f. „Die westliche Politik gegenüber den Ländern der Region war zusehends von Improvisation und dem Versuch, verlorenes Terrain wettzumachen, geprägt. Sie waren bestenfalls in der Lage, die Entwick-

Osterreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie Der unerwartete Tod Franklin D. Roosevelts im April 1945 - gerade zu dem Zeitpunkt, als die Kämpfe um Österreich tobten - führte nicht nur zu einer grundlegenden Änderung des Inhalts, sondern auch des Tons in den gegenseitigen Beziehungen der Alliierten. An die Stelle einer kompromissbereiten und vorsichtigen Politik gegenüber dem Kreml trat nun eine Politik des Verfolgens einer härteren und einem klareren Ziel folgenden Linie. Die Verhandlungen über die Besatzungspolitik in Österreich, die bereits im April und Mai 1945 ihren Anfang genommen hatten, verliefen unter den Bedingungen einer neuen geopolitischen Situation. Als Antwort auf den sowjetischen Befreiungsvorstoß in Osteuropa reagierte Washington mit einer „unverzüglichen Änderung beim Transport von Lieferungen" nach dem Prinzip „Lend and Lease". Die Kremlführung zeigte sich über diesen unerwarteten Kurswechsel äußerst verbittert, zumal er gerade in den Tagen erfolgte, als sie daran war, einen triumphalen Sieg über den Nationalsozialismus einzufahren. Ungeachtet der darauf folgenden Reihe an versöhnlichen Gesten zur Demonstration der alliierten Loyalität blieb offensichtlich, dass ein schwieriger politischer Kampf bevorstehen würde.17

Die sowjetische diplomatische Praxis: April bis August 1945 Ab Frühjahr 1945 nahm die Bereitstellung der „Infrastruktur" für den interalliierten Verhandlungsprozess zu Österreich ihren Anfang. Zu dieser Zeit gelang der sowjetischen Führung die Lösung eines wichtigen Problems - die Schaffung der personellen und organisatorischen Voraussetzungen zur Sicherstellung der Umsetzung ihrer Politik in Österreich. Man begann mit der Errichtung paralleler „vertikaler" Hierarchisierungen und Beiordnungen der verschiedenen Organe der sowjetischen Vertretungen in Ostösterreich. Über dem Zentrum, das sich aus dem Völkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten, dem Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (NKVD), dem Generalstab, verschiedenen Volkskommissariaten und Ministerien, dem Kominformbüro und dem Politbüro zusammensetzte, stand der persönliche Wille Stalins. Doch führten innerhalb des Zentrums weiterhin bestehende zwischenbehördliche Reibungspunkte und Widersprüche und der hohe Grad an Bürokratisierung des Schriftverkehrs zu wesentlichen Verzögerungen bei der Umsetzung der notwendigen politischen Beschlüsse. Ein vorsichtiges Resümee dazu zog der Diplomat Nikolaj Lun'kov in seinen Erinnerungen

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lung in den osteuropäischen Staaten einzubremsen oder zu verlangsamen, doch konnten sie diese keinesfalls ändern - diese wurde im Großen und Ganzen von Moskau vorgegeben." Zit. n.: Gibianskij, Problemy Vostocnoj Evropy, S. 185. Siehe dazu auch: I. I. Orlik, Vostocnaja Evropa ν dokumentach rossijskich archivov. 1944—1953, in: Novaja i novejsaja istorija. 1999/5, S. 183-199, hier: S. 185. Mit einem gewissen Maß an Rigorismus wird von Günter Bischof bekräftigt, dass „Soviet postwar planners never intended to incorporate Austria in Russia's postwar security sphere and rejected Eastern European confederation plans which intended to establish a conservative-Catholic glacis containing the Soviet Union [...]. Soviet planning papers indicate that Austria was not expected to be part of a Soviet security sphere in Europe. Not even in plans for a .maximum sphere' that included all Scandinavian countries with the exception of Denmark." Bischof, Austria in the First Cold War, S. 21-23. Erste Symptome einer „Abkühlung" zwischen der UdSSR und den USA wurden in Russland auf Grundlage von amerikanischen und russischen Archivdokumenten im Artikel von Vladimir Pecatnov rekonstruiert. Pecatnov, Ot sojuza - k vrazde, S. 35f.

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Ol'ga Pavlenko an Wien im Jahr 1945: „Die Österreicher waren sehr aktiv, und wäre es nicht zu Verzögerungen durch manche unserer Organisationen gekommen, hätten sich die Dinge noch besser entwickelt."18 Nach formalem Prinzip und dem Modus der Geschäftsabwicklung, die beide trotz häufig auftretender behördlicher Barrieren in einem engen Zusammenhang zueinander stehen, können bedingt vier Ebenen der sowjetischen diplomatischen Praxis in Österreich unterschieden werden. Auf der ersten Ebene, der „Arbeitsebene", wurden Informationen über den inneren Zustand der österreichischen Gesellschaft analysiert, konkrete Schritte der sowjetischen Verwaltung ausgearbeitet und Weisungen und Empfehlungen der wichtigsten Entscheidungsträger des Staates umgesetzt. Diese Aufgabenbereiche kamen den Mitarbeitern des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich und der entsprechenden Abteilungen des NKID zu. Die administrative Linie Alliierte Kommission für Österreich - 3. Europäische Abteilung des Volkskommissariates für Auswärtige Angelegenheiten - Vjaceslav Molotov und dessen Stellvertreter Andrej Vysinskij, Vladimir Dekanozov - Iosif Stalin bildete die Hauptachse der sowjetischen Politik, über die die wichtigste administrative, militärische und wirtschaftliche Korrespondenz verlief, die allerdings nicht immer im Kreml endete, sondern in vielen Fällen in den Amtsräumen des Volkskommissariates für Auswärtige Angelegenheiten. Als Koordinationszentrum fungierte die 3. Europäische Abteilung, die sich mit Österreich und Deutschland betreffenden Angelegenheiten befasste. An der Spitze dieser Abteilung stand ab dem Jahr 1943 der erfahrene Kaderdiplomat Andrej Smirnov (1905-1982), der Mitglied des Kollegiums des Volkskommissariates war.19 Die Mehrzahl seiner Mitarbeiter in den Kriegsjahren stellten junge Beamte mit einem Alter von durchschnittlich 30 Jahren, die den militärisch-diplomatischen Zweig der höheren Parteischule besucht hatten. Wurde Smirnov wegen nicht fristgerechter Erledigung von Angelegenheiten getadelt, pflegte er in der Regel zu sagen: „Was kann ich denn schon machen? Ich habe hier einen Kindergarten um mich!" Als Kuratoren der Abteilung fungierten der erste Stellvertreter des

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Nikolaj M. Lun'kov, Russkij diplomat ν Evrope. Moskau 1999, S. 31. Nikolaj Lun'kov (1919-2002) war von Februar bis Juli 1945 im Stab der 3. Ukrainischen Front tätig, wo er als Oberadjutant des politischen Beraters fungierte. Zur Zeit seines Aufenthaltes in Wien war Lun'kov noch sehr jung, weshalb er in der Regel auf Grund seiner guten Deutschkenntnisse die Funktion eines Ubersetzers ausübte. Bereits im Juli wurde Lun'kov in den Zentralapparat des Volkskommissariates für Auswärtige Angelegenheiten zurückberufen und im Jahr 1946 zum ersten Sekretär der sowjetischen Vertretung in der Schweiz ernannt. Daraufhin war er im Sekretariat von Andrej Vysinskij tätig, später führte ihn sein Weg nach Deutschland und in andere europäische Staaten. Nikolaj Lun'kov verfügte neben all seinen persönlichen Qualitäten gegenüber seinen Kollegen noch über einen weiteren Vorteil, der darin lag, dass Verteidigungsminister Marschall Aleksandr Vasilevskij sein Schwiegervater war. Anstelle von Lun'kov entsandte die 3. Europäische Abteilung des sowjetischen Außenministeriums Ivan Serov und Petr Busuev nach Wien.

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Zwischen 1946 und 1949 übte Smirnov gleichzeitig das Amt des stellvertretenden Außenministers aus, von 1956 bis 1957 war er Botschafter der UdSSR in Österreich. Zu den führenden sowjetischen Fachleuten in Österreich siehe: Wolfgang Mueller, Sowjetbesatzung, Nationale Front und der „Friedliche Übergang zum Sozialismus". Fragmente sowjetischer Österreich-Planung 1945-1955, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA Bd. 50. Wien 2003, S. 143-145; Diplomaticeskij slovar'. V 3-ch tomach. Moskau 1985; Α. V. Korotkov - A. D. Cernov - Α. A. Cemobaev, Posetiteli kremlevskogo kabineta I. V. Stahna, in: Istoriceskij archiv. 1996/4, S. 66-131.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten, Andrej Vysinskij (1883-1954), mit dem alle grundlegenden personellen und politische Fragen abgestimmt wurden, und auch der eng mit dem Chef des NKVD, Lavrentij Berija, verbundene Stellvertreter des Volkskommissars, Vladimir Dekanozov. In Schriftstücken zur Aufgabenkoordinierung, die den grundlegenden Dokumenten zu österreichischen Fragen gewöhnlich beigelegt wurden, war unbedingt ein Verweis auf folgende Staatsmänner der UdSSR zu tätigen: Stalin, Molotov, Mikojan, Berija, Malenkov. Zwischen der 3. Europäischen Abteilung und dem Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission für Österreich bestand eine direkte Verbindung, und es kam auch oft vor, dass Mitarbeiter in diesen beiden Institutionen gleichzeitig tätig waren. Im Februar 1945 wurden von der 3. Europäischen Abteilung in den Stab des Kommandierenden der 3. Ukrainischen Front, FedorTolbuchin, fünf junge Mitarbeiter entsandt, deren Aufgaben in einer Analyse der Informationen vor Ort und in der Übersendung von Dokumenten an das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten lag, wodurch ihnen die Funktion einer Schnittstelle zukam, die den sperrigen Apparat der sowjetischen Diplomatie in Österreich in Bewegung setzte. Nach der Bildung der Alliierten Kommission für Österreich entwickelten sich innerhalb des sowjetischen Teils der Hochkommissar und der politische Berater zu Schlüsselfiguren bei der Ausarbeitung der politisch-diplomatischen Strategie. Der politische Berater verfügte über weitreichende Kompetenzen und unterhielt gemeinsam mit seinem Stellvertreter die direkte Verbindung zwischen den sowjetischen Organen und den ersten österreichischen Verwaltungsstrukturen der Nachkriegszeit. Der politische Berater war direkt dem Hochkommissar der UdSSR in der Alliierten Kommission unterstellt, doch gleichzeitig übte er über diesen auch eine heimliche „Kontrolle" aus, indem er das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten und den NKVD über dessen Aktivitäten in Kenntnis setzte. Zu jedem einzelnen Mitarbeiter der Alliierten Kommission für Österreich wurde im NKVD ein Geheimdossier geführt, das regelmäßig um neu eingetroffene Informationen ergänzt wurde. Schlüsselfigur in der ersten Phase der sowjetischen Politik war der Oberkommandierende der sowjetischen Truppen in Österreich, Fedor Tolbuchin (April bis Juli 1945), der später von Marschall Ivan Konev abgelöst wurde. Dieser übte die Funktion des Hochkommissars des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich bis zum Jahr 1946 aus. Als seine engsten Mitarbeiter fungierten Generalleutnant Aleksej Zeltov, ein Mitglied des Militärrates der 3. Ukrainischen Front, und der politische Berater Evgenij Kiselev, wobei sich die Kompetenzen der beiden Letztgenannten teilweise überschnitten, was unausweichlich zu einem Anstieg persönlicher Animositäten und zu administrativen Intrigen führen musste. 20 Kiselev (1908-1963) genoss das Vertrauen 20

Zeltov hatte die Absicht, die Frage nach Installierung einer neuen Planstelle - eines Bevollmächtigten des Militärkommissars für die Kommunikation mit der Provisorischen Regierung - vorzubringen, die er mit einem „seiner Leute" zu besetzen gedachte, um auf diese Weise die Kompetenzen Kiselevs einschränken zu können. M. Koptelov teilte Lun'kov in einem Telefongespräch mit, dass Oberst Piterskij inoffiziell über die Pläne Zeltovs gesprochen hatte. Lun'kov sollte davon Vysinskij in Kenntnis setzen. Laut Koptelov verfolgte Zeltov das Ziel, Kiselev vom direkten Kontakt mit Renner abzuschneiden. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 53. Die Funktion eines politischen Vertreters bei der österreichischen Regierung wurde im Jahr 1946 tatsächlich eingeführt.

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Ol'ga Pavlenko Vysinskijs, wovon auch die Tatsache zeugt, dass er zwischen 1943 und 1945 als Generalkonsul der UdSSR in New York tätig war - eine Funktion, die nur Diplomaten bekleideten, die auf das besondere Wohlwollen führender politischer Entscheidungsträger vertrauen konnten. Unmittelbar nach seiner Tätigkeit in den USA wurde Kiselev als politischer Berater des Hochkommissars der UdSSR in die Alliierte Kommission nach Wien berufen, wo er sein Amt bis 1948 ausübte. Im Jahr 1946 folgte seine zusätzliche Ernennung zum politischen Vertreter der UdSSR bei der österreichischen Regierung. Allein diese Doppelfunktion Kiselevs zeugt davon, dass er im Moskauer Zentrum als der am besten geeignete Politiker und Diplomat erachtet wurde. Nebenbei angeführt sei die bemerkenswerte Tatsache, dass Kiselev nach seiner Abberufung aus Österreich im Jahr 1948, zu einem Zeitpunkt, als die sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen eine Zuspitzung erfuhren, zum Leiter der Abteilung für Balkanstaaten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten ernannt wurde. Kiselev war ein Mann vielfältiger politischer Talente, der die „Säuberung" in den Reihen des Außenministeriums in den Jahren 1952 und 1955 bis 1956 überstanden hatte und seine Karriere mit dem Amt des stellvertretenden UNO-Generalsekretärs krönte. Das Amt eines politischen Beraters stellte ein wesentliches Element der sowjetischen Besatzungspolitik in Europa dar. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um eine zwischenbehördliche Instanz, der die Rolle eines „Puffers" zwischen Armeeangehörigen, Diplomaten, Aufklärungsabteilungen und Organen des NKVD zukam. Politische Berater mussten nicht nur über vielfältige Informationen verfügen, sondern hatten auf deren Grundlage auch Vorschläge zu politischen Vorgangsweisen auszuarbeiten. Von den Fähigkeiten und persönlichen Qualitäten politischer Berater hing in vielerlei Hinsicht das Bild eines Landes ab, das auf Grundlage ihrer analytischen Berichte an das Zentrum in Moskau Gestalt annahm. Von 1945 bis 1948 wurde die Funktion des ersten Stellvertreters des politischen Beraters von Michail Koptelov (1904-1952) ausgeübt, der in diplomatischen Kreisen die Reputation besaß, ein Kenner österreichischer Angelegenheiten mit vielfältigen Informationsquellen und persönlichen Kontakten zu österreichischen Politikern zu sein. Seine diplomatische Karriere gestaltete sich ungewöhnlich. Im Frühjahr 1945 hatte er die Funktion des politischen Beraters beim Kommandierenden der 3. Ukrainischen Front inne, und es waren gerade seine Berichte, denen in den ersten Nachkriegsmonaten besondere Bedeutung zur Entwicklung einer sowjetischen Strategie für Österreich zukam. Koptelov persönlich erledigte die organisatorischen Angelegenheiten zur Bildung der Provisorischen Regierung Karl Renners. Er genoss das besondere Vertrauen Smirnovs und war noch aus Zeiten der gemeinsamen Arbeit in der politischen Vertretung der UdSSR in Deutschland, wo ihn im Jahr 1941 der Ruf ereilte, als Generalkonsul nach Wien zu gehen, ein Mann aus „seinem Team". Das Schicksal wollte es, dass sich die Wege der beiden ständig kreuzten, so wie etwa in den Jahren des Krieges, als sie gemeinsam Dienst in der sowjetischen Botschaft im Iran versahen. Nach der Abberufung Kiselevs nach Moskau wurde Koptelov im Jahr 1948 zum politischen Vertreter der UdSSR bei der österreichischen Regierung ernannt. Diese Funktion übte er bis 1951 aus, wobei über ihn die wesentliche diplomatische Korrespondenz abgewickelt wurde.

Osterreich im Kraftfeld der sowjetischen

Diplomatie

Koptelov sandte geheime Fernsprüche über Treffen der alliierten Befehlshaber in der Alliierten Kommission für Österreich an Vysinskij und Smirnov, er informierte Dekanozov über die Handlungen des politischen Beraters und des sowjetischen Oberbefehlshabers und verfasste offizielle Berichte zur inneren Lage in Österreich und im Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission. Alle auf der „Arbeitsebene" verfassten Schriftstücke, die den Mechanismus der sowjetischen Politik in Österreich in Gang setzten, unterlagen einer besonderen Kontrolle durch den NKVD. Die zweite Ebene der sowjetischen Diplomatie, die „Verhandlungsebene", bildete sich als Ergebnis des Verhandlungsprozesses mit den Westalliierten heraus. Diese Ebene konnte durch die Bestände zur Alliierten Kommission für Österreich, zu den Sitzungen der Außenminister und des offiziellen Schriftverkehrs höherer politischer Entscheidungsträger am eingehendsten einer wissenschaftlichen Behandlung unterzogen werden. 21 Auf dieser Ebene bedienten sich die Vertreter der UdSSR in Verteidigung ihrer Positionen gegenüber den westlichen Partnern oftmals demonstrativer (bis hin zu ultimativen) Mittel(n) diplomatischer Praxis. Äußerlich präsentierte sich die sowjetische Politik bis zum Tod Stalins als überaus konsequent: Wurde von Mai bis Dezember 1945 von der UdSSR die Anerkennung der Provisorischen Österreichischen Regierung forciert, so erfuhr der von der sowjetischen Diplomatie betriebene Verhandlungsprozess ab Dezember 1945 eine wesentliche Verlangsamung. Die dritte Ebene, die „Schattenebene", bildete das Operationsgebiet der sowjetischen Aufklärungsdienste. Auf dem Staatsgebiet Deutschlands, Österreichs und auf dem der Staaten Osteuropas kam es bereits ab dem Jahr 1945 zu einem Aufeinanderprallen der Interessen der USA und der UdSSR, zur Projektion eines Konfliktes zweier Weltanschauungen und zweier unterschiedlicher Systeme. Zur Waffe in diesem Konflikt entwickelte sich die Information. In wissenschaftlichen Arbeiten wurde Material zu einer Rekonstruierung der Aktivitäten der nichtmilitärischen Aufklärungsgruppen

21

Vgl. dazu die Aufsätze von Kurt Peball, Die Benützungsbestimmungen des Österreichischen Staatsarchivs, in: Günter Bischof - Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949. Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte. Bd. 4. Innsbruck 1988, S. 409-413; Robert Wolfe, Records of U.S. Occupation Forces in Austria, 1945-55, in: Günter Bischof - Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949. Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte. Bd. 4. Innsbruck 1988, S. 415-426; Robert Knight, The Main Records of the Public Record Office for Post-War Austria, in: Günter Bischof - Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949. Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte. Bd. 4. Innsbruck 1988, S. 427^132; Klaus Eisterer, Die französischen Archivalien zur Nachkriegsgeschichte Österreichs (1945-1955), in: Günter Bischof - Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949. Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte. Bd. 4. Innsbruck 1988, S. 433-445; Vojtech Mastny, The Cold War and the Soviet Insecurity. The Stalin Years. New York - Oxford 1996; Manfried Rauchensteiner - Wolfgang Etschmann (Hg.), Österreich 1945. Ein Ende und viele Anfange. Graz - Wien - Köln 1997; Günter Bischof, Die Planung und Politik der Alliierten 1940-1954, in: Rolf Steininger - Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Bd. 2. Wien - Köln - Weimar 1997, S. 107-146; Audrey Kurth Cronin, Great Power Politics and the Struggle over Austria 1945-1955. Ithaca - New York 1986; Vgl. auch Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955. Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62. 4., völlig Überarb. u. erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1998.

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Ol'ga Pavlenko in Deutschland gesammelt, die vom Stellvertreter Marschall Georgij Zukovs, Generaloberst Ivan Serov, geleitet wurden. Bereits im Jahr 1945 erfolgte die Gründung eines Netzes an operativen Sektoren des Volkskommissariates für Staatssicherheit (NKGB), dessen Mitarbeiter in Kontakt mit dem sowjetischen Militärkommando oder mit der Verwaltung des NKVD standen. Man versuchte, Agenten auf den besetzten Gebieten, in den geschaffenen „bourgeoisen Parteien" und in den örtlichen Verwaltungsstrukturen anzuwerben. Eines der Hauptziele der Aufklärungsdienste lag in der Aufdeckung der Aktivitäten „reaktionärer Kreise in England und in den Vereinigten Staaten, die die Bildung einer antisowjetischen Front planten". 22 Im Zusammenhang damit gilt es auch die Tätigkeit von Generaloberst Zeltov und des politischen Beraters Kiselev in der Alliierten Kommission für Österreich einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Der erste Botschafter der UdSSR in Österreich, Generalleutnant Ivan Il'icev, hatte zuvor ebenfalls die Funktion eines Leiters der militärischen Aufklärung ausgeübt und von 1947 bis 1951 als Stellvertreter des Vorsitzenden des Komitees für Information fungiert. Bei dieser Abteilung handelte es sich um eine unabhängige, direkt dem Ministerrat unterstellte Organisation, der die Durchführung der gesamten politischen, wirtschaftlichen, industriellen und wissenschaftlich-technischen Aufklärung sowie auch der Gegenaufklärung oblag. Die vierte Ebene, die „öffentliche Ebene", operierte mittels „politischer Kodierung" des öffentlichen Raumes. Objekte ihres Betätigungsfeldes waren Massenveranstaltungen, feierliche Eröffnungen von Denkmälern und Gedenktafeln, Paraden der sowjetischen Truppen, offizielle und inoffizielle Formen der Kommunikation mit Österreichern u. a. All diese demonstrativen Manifestationen „sowjetisch-österreichischer Freundschaft" hatten befohlenen ideologischen Charakter, wurden streng nach einem vorgegebenen Szenario angewickelt und gemäß der sowjetischen propagandistischen Praxis reglementiert. Auch die in Österreich verrichtete kulturelle „Arbeit" war streng zentralisiert. Die Mitarbeiter der Alliierten Kommission standen in direktem Kontakt mit der Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland, die sämtliche wissenschaftliche Projekte und Bildungsmaßnahmen koordinierte. Die in Österreich gegründete Gesellschaft für kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen mit der UdSSR stand „unter unserer Kontrolle und unter unserem Einfluss", weshalb ihre Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Klassen- und parteiideologischen Zugehörigkeit streng überprüft wurden.23

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23

Κ. A. Stoljarov, Golgofa. Diplomaticeskaja povest'. Moskau 1991; Pavel Sudoplatov - Anatolij Sudoplatov, Special tasks. The memoirs of an unwanted witness. A soviet spymaster. London 1994; Geoffrey Bailey - Sergej Kondrasov - David Murphy, Pole bitvy - Berlin. Moskau 2002, S. 42-63. Vgl. dazu Stefan Karner (Hg.), Geheime Akten des KGB. „Margarita Ottilinger". Graz 1992; Stefan Karner, Zur Politik der sowjetischen Besatzungs- und Gewahrsamsmacht. Das Fallbeispiel Margarethe Ottiiiinger, in: Alfred Ableitinger - Siegfried Beer - Eduard G. Staudinger, Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955. Wien - Köln - Graz 1998, S. 4 0 1 ^ 3 1 . RGASPI, F. 17, op. 128, d. 299, S. 20. A. S. Stykalin, Propaganda SSSR na zarubeznuju auditoriju i obscestvennoe mnenie stran Zapada ν pervye poslevoennye gody (po dokumentam rossijskich archivov), in: Vestnik Moskovskogo universiteta. 1997/1. Ser. Zurnalistika, S. 57-70, Nr. 2, S. 35^t6.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie

Strategische Ziele des Kremls in Österreich: April bis Dezember 1945 Bereits am 21. August 1944 hatten britische Diplomaten ein Memorandum über den alliierten Kontrollmechanismus in Österreich präsentiert. Dabei handelte es sich um einen bis ins Detail ausgearbeiteten Entwurf einer administrativen Verwaltung der alliierten Besatzungszonen in Deutschland und Österreich. Eine längerfristige Besatzung österreichischen Gebietes war nicht vorgesehen, sondern man war vielmehr um die Bildung einer schnellstmöglichen Zivilverwaltung bemüht. Die anfängliche Formel über Kompetenzen höchster Instanz für das militärische Kommando in den besetzten Gebieten wurde im Jänner 1945 entsprechend dem britischen Vorschlag präzisiert: „Sobald es die militärischen Umstände erlauben", sollten an die Stelle von Oberkommandierenden Zivilpersonen treten. „Für bestimmte Zeit hat die höchste Machtinstanz in den Händen desjenigen Oberkommandierenden zu verbleiben, dessen Streitkräfte das jeweilige Gebiet kontrollieren. Er wird die Kontrolle über die Zivilverwaltung mit Unterstützung seiner für Zivilfragen zuständigen Organisation ausüben." 24 Am 4. April 1945 brachte die UdSSR in der EAC den Vorschlag zur Aufnahme einer Abteilung für Reparationen in die Struktur der alliierten Kontrolle ein, wobei sie sich auf die Moskauer Deklaration über Österreich berief, in der die Verantwortung für die Teilnahme Österreichs am Krieg auf Seiten Deutschlands festgeschrieben wurde. 25 Die Forderung nach von allen Satelliten des „Dritten Reiches" zu leistenden Reparationen entwickelte sich zur gängigen Praxis der sowjetischen Diplomatie. Molotov maß der Frage über Reparationen nachhaltig primäre Bedeutung bei, unabhängig davon, mit welchem Erfolg sich der sowjetische Einfluss in diesen Ländern verbreitete. So wurde von Molotov anlässlich des Empfanges einer rumänischen Regierungsdelegation am 31. August 1944 und der Erörterung einer Friedensvereinbarung nachdrücklich unterstrichen, dass Rumänien verpflichtet wäre, „die der Sowjetunion zugefügten Verluste zu ersetzen". Als Lucretiu Patrascanu, der erste provisorische Ministerpräsident Rumäniens, ihn zu überzeugen versuchte, dass dies eine Frage der Zukunft wäre, wurde ihm vom Volkskommissar in aller Ruhe entgegnet, dass dies eine der „grundlegendsten Fragen" darstellte. 26 Die sowjetische Seite stieß sich nicht an der Reaktion der Alliierten auf den Vorschlag über österreichische Reparationen, die von diesen abgelehnt wurden. Der sowjetische Vorschlag wurde - wenn auch mit Vorbehalten - angenommen. In die

24

AVP RF, F. 0425, op. 1, p. 6, d. 29, S. 3, 23. Im ersten britischen Entwurf war eine enge Kooperation zwischen den Besatzungsstrukturen in Deutschland und in Österreich vorgesehen, was sowohl auf das obere Verwaltungsniveau (allgemeines Koordinationszentrum der EAC oder „analoges Organ") als auch auf das niedrige - direkter Kontakt zwischen österreichischen und deutschen Abteilungen - zutreffen sollte. Geplant war die Bildung von vier allgemeinen Abteilungen: einer Abteilung für die Entwaffnung, einer Wirtschafts-, Polit- und Finanzabteilung. Grundsätzlich war dies ein Entwurf zur Schaffung einer einheitlichen Verwaltungsstruktur, die unter der Kontrolle Großbritanniens, der UdSSR und der USA stand. Der Ruf nach diesem Entwurf wurde im Frühjahr 1945 laut. Vgl. dazu Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Neuaufl. Graz - Wien - Köln 1995, S. 116-118.

25 26

AVP RF, F. 0425, op. 1, p. 6, d. 29, S. 31. Iz dnevnika V. M. Molotova. Nr. 11, in: Vostocnaja Evropa ν dokumentach rossijskich archivov 1944-1953. Bd. 1 (1944-1948). O. O. o. J, S. 59f.

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Ol'ga Pavlenko Struktur des Kontrollmechanismus wurde eine Abteilung für Reparationen aufgenommen, doch schob man die Entscheidung über deren Tätigkeit und auch über das Ausmaß der Reparationen vorerst auf. Das offen gezeigte Interesse des Kremls an von Österreich zu leistenden Reparationen, das von sowjetischen Diplomaten in ihren auf verschiedenen Ebenen geführten Verhandlungen mit den westlichen Alliierten nicht verborgen wurde, wird von Günter Bischof in seinem Buch „Austria in the First Cold War" als oberste Priorität der sowjetischen Politik in Österreich angesehen. Mittels Unterscheidung dreier Stadien der wirtschaftlichen Ausbeutung der sowjetischen Besatzungszone wird nachdrücklich konstatiert, dass das Hauptziel der sowjetischen Politik in Österreich im Erhalt maximaler Reparationsleistungen lag. Diesem Zweck hätte auch die Bildung der „befreundeten" Regierung Renner gedient.27 Allerdings wird durch die Dokumente des offiziellen Schriftverkehrs zwischen den führenden Entscheidungsträgern der alliierten Staaten vom Frühjahr und Sommer 1945 belegt, dass der österreichischen Frage von Stalin vielmehr eine besondere geostrategische Bedeutung beigemessen wurde. Von 27. April bis 2. Mai 1945 fand zwischen führenden Exponenten der vier Mächte ein Meinungsaustausch betreffend das Vorgehen bei der militärischen Besetzung der Zonen Deutschlands und Österreichs statt. Zu diesem Zeitpunkt wurden die deutsche und die österreichische Frage stets als voneinander abhängig angesehen und gemeinsam behandelt. Die Initiative zu diesem Meinungsaustausch war von Churchill ausgegangen, der in einem an Stalin und Harry Truman adressierten Brief einen Plan zu einer schrittweise erfolgenden Besetzung Deutschlands und Österreichs dargelegt hatte.28 Obwohl von Stalin noch am 13. April in einem Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter Avereil Harriman ein Vorschlag unterbreitet wurde, dass sich alliierte Vertreter zwecks Bekanntmachung mit ihren jeweiligen Besatzungszonen und Erzielung eines endgülti27 28

Bischof, Austria in the First Cold War, S. 37f., 42. War die Abgrenzung der Besatzungszonen in Deutschland bereits zwischen den Alliierten vereinbart worden, so gab es über die Zonen Österreichs zum damaligen Zeitpunkt noch keine genaue Vorstellung. In einem Schreiben an Stalin hielt Churchill fest, dass, solange die Zerschlagung der Deutschen Wehrmacht erfolge, „die Grenzen zwischen den Streitkräften der drei Alliierten von den Kommandierenden auf dem Schlachtfeld gezogen werden müssen und nach operativen Erwägungen und Erfordernissen festgelegt werden. Es ist unausweichlich, dass sich unsere Truppen in diesem Zeitraum auf Gebieten befinden werden, die außerhalb der endgültigen Grenzen der Besatzungszonen liegen werden." Erst nach Einstellung der Kampfhandlungen und nach Einsetzung der Alliierten Kontrollkommissionen werden „detaillierte Maßnahmen zum Abzug der Streitkräfte in die entsprechenden Besatzungszonen" ausgearbeitet werden. Beachtung ruft Punkt 5 von Churchills Schreiben hervor, in dem er besonders darauf hinweist, dass man nach Beendigung der Kampfhandlungen für eine „entscheidende Verlegung" der sowjetischen Truppen in den Gebieten der Dislozierung des angloamerikanischen Kontingents eine rechtzeitige Sanktionierung durch den Alliierten Stab benötigen würde. Stalin bekräftigte diesen Vorschlag, doch in seinem Antwortschreiben vom 2. Mai 1945 ist keine Rede von einem beabsichtigten Treffen der Alliierten in Wien und von einer genauen Festlegung der Besatzungszonen. Nur zweimal erfolgt die Erwähnung eine Festlegung einer „provisorischen taktischen Grenzlinie" zwischen den Orten der Dislozierung der alliierten Truppen. Siehe: Premierminister W. Churchill an Marschall Stalin, 27.4.1945. Persönlich und geheim von Iosif Stalin an Präsidenten Harry Truman, 2.5.1945, in: Α. A. Gromyko (Hg.), Perepiska predsedatelja Soveta ministrov SSSR s prezidentami SSA i prem'er-ministrami Velikobritanii vo vremja Velikoj Otecestvennoj vojny. Bd. 2. Moskau 1986, S. 316, 317, 238f.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie gen Abkommens über die Besatzung ganz Österreichs nach Wien begeben sollten, war den Alliierten ein Betreten der österreichischen Hauptstadt im Frühjahr und im Sommer 1945 untersagt. 29 In einem persönlichen Schreiben von US-Präsident Truman an Stalin vom 15. Juni 1945 wird insbesondere auf den Zusammenhang zwischen der österreichischen und der deutschen Frage in der alliierten Nachkriegspolitik hingewiesen: „Die Lösung der österreichischen Frage erachte ich als genauso vordringliche Angelegenheit wie die Lösung der deutschen. Die Stationierung der Truppen in den jeweiligen Besatzungszonen, die im Wesentlichen von der Europäischen Beratenden Kommission festgelegt wurden, die Verlegung nationaler Garnisonen nach Wien und die Einsetzung der Alliierten Kommission für Österreich müssen mit analogen Maßnahmen in Deutschland einhergehen. Deshalb messe ich der Regelung der ungelösten österreichischen Fragen größte Bedeutung bei, um gleichzeitig eine Übereinkunft zu deutschen und österreichischen Angelegenheiten zu erzielen." 30 In den ersten Nachkriegsmonaten entstand in der alliierten Politik ein regelrechtes Vakuum, weil die Kapitulation Deutschlands überhaupt nicht nach dem in der alliierten Planung ausgearbeiteten Szenario abgelaufen war. Wie im Falle Österreichs, so wurden auch im Falle Deutschlands die von der EAC in den Jahren 1944 und 1945 erarbeiteten Dokumente nicht herangezogen. Der ursprünglich von den Siegermächten erarbeitete Entwurf zu den besetzten Gebieten zerfiel in jeder Besatzungszone in einzelne Vektoren der Realpolitik - eine Tatsache, die den Kommandos in den jeweiligen Zonen de facto freie Hand gab. Das Bemühen Trumans, einen allgemeinen Mechanismus für Besatzungspolitik zu schaffen, stieß auf den Widerstand der Stalinschen Diplomatie, die darauf ausgerichtet war, alle vorteilhaften Aspekte einer gleichsam politischen Spaltung auszuloten. Aleksej Filitov legt anhand neuer Archivdokumente über die Kontakte des Kremls mit deutschen Kommunisten überzeugend dar, dass das Umschwenken der sowjetischen Politik in der deutschen Frage Ende Mai, Anfang Juni 1945 seinen Anfang nahm, also genau zu einem Zeitpunkt, zu dem erfolglos die Frage über einen Einzug alliierter Truppen nach Wien behandelt wurde. Stalin fasste unerwartet den Beschluss, die Sowjetisierung in der Ostzone Deutschlands voranzutreiben. 31 Neben der deutschen Frage, die auf den Prozess der Findung von Lösungen für österreichische Probleme Einfluss nahm, kam auch der sowjetischen Politik in Zentralund Südosteuropa besondere Bedeutung zu. In den Monaten Mai und Juni des Jahres 1945 warf Stalin in einer Korrespondenz mit Churchill und Truman ständig die Frage nach einer diplomatischen Anerkennung der Regierungen Rumäniens, Bulgariens und

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30 31

Stalin gab zu, dass er Vertretern der alliierten Kommandos ein „prinzipielles Einverständnis" zu einem Besuch in Wien erteilt hatte, doch verschob er deren Besuch mit der Begründung, dass sich Marschall Tolbuchin in Moskau befinden würde, von Ende Mai auf 1. Juli. Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 248, 264. Licno i strogo sekretno dlja marsala Stahna ot prezidenta Trumana, poluceno 15 ijunja 1945 goda, in: Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 262. Aleksej M. Filitov, SSSR i germanskij vopros. Povorotnye punkty (1941-1946), in: Ν. I. Egorova - A. O. Cubar'jan (Hg.), Cholodnaja vojna. 1945-1963gg. Istoriöeskaja retrospektiva. Moskau 2003, S. 223-256, hier: S. 231.

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Ol'ga Pavlenko Finnlands durch die Alliierten auf.32 Anfang Juni kam zu dieser Staatenliste noch Ungarn hinzu. Zweifel des amerikanischen Präsidenten und des britischen Premiers bezüglich des „demokratischen Charakters" der sich dort an der Macht befindlichen Regime und Vorbehalte angesichts der Notwendigkeit einer Konsultation der drei Mächte riefen den Widerstand des Kremls hervor. Eines der Mittel zur Ausübung von Druck auf die Alliierten lag, wie sich zeigte, in der Verschleppung der Frage über deren Eintreffen in Wien.33 Von April bis Juni 1945 wurden in der offiziellen Korrespondenz zwei Themen am aktivsten behandelt: die diplomatische Anerkennung der Provisorischen Regierungen und die Einigung über die Besatzungszonen in Österreich. Stalin gab unter Berufung auf die Beschlüsse der Konferenz von Jalta offen zu verstehen, dass sich die UdSSR nicht in die inneren Angelegenheiten Belgiens, Griechenlands und Italiens einmischen, sich jedoch das Recht vorbehalten würde, die Sicherheit des eigenen Landes mittels Unterstützung der „befreundeten Regierungen" in Polen, Rumänien, Bulgarien, Finnland und Ungarn zu gewährleisten.34 Die diplomatische Situation wurde zusätzlich durch die ungelöste Frage der territorialen Einteilung der Einflusssphären in Österreich erschwert. Es ist bekannt, dass Stalin die Empfehlung seiner Militärs und Diplomaten, sowjetische Truppen tief in die westliche Besatzungszone zu verschieben, ablehnte. Andrej Smirnov berichtete am 20. April 1945 an den stellvertretenden Volkskommissar Vladimir Dekanozov: „Wir erachten es als möglich, die Alliierten nach Wien zu lassen, wenn zuvor in der EAC in der Frage über die Besatzungszonen Österreichs und der Stadt Wien entsprechend unseren Vorschlägen entschieden wurde."35 Dass eigene Bedingungen den Alliierten ultimativ aufgezwungen wurden, war nicht bloß eine Sache „situationsbedingter" Verhandlungsführung, sondern vielmehr ein Prinzip, das das taktische Vorgehen der sowjetischen Diplomatie bestimmte. Sowohl an der Front als auch im Kreml dominierte das psychologische Gefühl, „Sieger" zu sein und seine eigenen Spielregeln zur Anwendung bringen zu müssen. Im Juli 1945 brachen die diplomatischen Konflikte zwischen den Alliierten in neuer Stärke auf, wobei das Epizentrum der Widersprüche diesmal im asiatisch-pazifischen 32 33

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Licno i sekretnoe poslanie prem'era I. V. Stahna prezidentu H. Trumanu ot 27 maja 1945 goda, in: Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 254f. Auf analoge Weise verzögerte sich die Verlegung von Truppen in die Zonen Deutschlands. So etwa begründete Stalin Mitte Juni die Schwierigkeiten beim Einzug amerikanischer Truppen nach Berlin damit, dass Marschall Zukov und alle Kommandierenden zu einer Sitzung des Obersten Sowjets und zwecks Organisierung einer Parade nach Moskau eingeladen worden wären und von dort erst Anfang Juli zurückkehren könnten. Licno i sekretno ot prem'era I. V. Stahna prezidentu H. Trumanu ot 16 ijunja 1945 goda, in: Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 264. Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 354f., 352, 366f. Zu dieser Zeit verfügte der Kreml über ein großes Spektrum an politischen Strategien zur Aufstellung provisorischer, kontrollierter Regierungen in befreiten Staaten. Verlief der Prozess der Entstehung neuer Regime in Jugoslawien und Albanien zwar mit sowjetischer Unterstützung, aber im Grunde genommen dennoch durch diese beiden Staaten selbst, so wurden die ersten Regierungen Polens, Rumäniens und Ungarns unter direkter sowjetischer Einflussnahme gebildet. Vgl. dazu Stefan Troebst, Warum wurde Finnland nicht sowjetisiert?, in: Osteuropa. 48/2, 1998, S. 178-191; Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944—1949. Paderborn u. a. 2002. AVPRF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 7.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie Raum lag. In Vorbereitung einer Grundlage für Übereinkommen mit den Alliierten bezüglich Japan beschritt Stalin nun den Weg eines gewissen Abbaus der Spannungen in der europäischen Politik. Obwohl die Lösung der Frage einer diplomatischen Anerkennung der Provisorischen Regierungen aufgeschoben wurde, kam es zu einer Öffnung Wiens für den Einzug der alliierten Truppen. Die „österreichische Frage" wurde in der sowjetischen Politik im Frühjahr und Sommer 1945 als schwieriges geopolitisches Problem angesehen, das untrennbar mit der zukünftigen Entwicklung des gesamten zentraleuropäischen Raumes verbunden war. Die Außenpolitik der UdSSR wies systematischen und bipolaren Charakter auf. Ihre Ideologisierung und das Prinzip der „Parteizugehörigkeit", die den Leitfaden in der diplomatischen Sphäre darstellten, führten zu einer wesentlichen Verringerung der Möglichkeiten, Übereinkünfte mit den Westalliierten im Verhandlungsprozess zu erzielen. Die Entwicklung der sowjetischen Politik in Österreich stellte keine klare Linie mit exakt ausgewiesenen Interessen dar, sondern vielmehr einen Weg, der, wenn das Resultat nicht schon im Vorhinein feststehen konnte, eigentümliche „Auswahlsituationen" bot, und ein aktives Vorgehen von politischen Akteuren der einen Seite rief nicht weniger aktiven Widerstand der anderen Seite hervor.

Die Provisorische Österreichische Staatsregierung - eine Mythologisierung Die erste derartige Situation trat rund um die Provisorische Regierung Karl Renners ein - ein Thema, das von österreichischen Historikern eingehend untersucht wurde.36 Doch offen für Diskussionen bleibt die Frage darüber, welche Rolle Österreich in der sowjetischen außenpolitischen Planung in den ersten Nachkriegsmonaten zukam. Gab es ein eigenes Szenario einer „befreundeten Regierung" Österreichs, ähnlich dem, das unter der Kontrolle der Kremlführung in den zentraleuropäischen Ländern zur Anwendung kam? Zur Rekonstruierung der in den Monaten April und Mai 1945 eingetretenen historischen Situation ist es notwendig, nicht nur den bloßen Verhandlungsprozess der sowjetischen Führung mit Karl Renner zu beleuchten, sondern vielmehr auch „Faktoren im Hintergrund", die indirekten Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Kremls nahmen, mit einzubeziehen. Dazu gilt es erstens anzumerken, dass die im Kreml entstandene Idee der Einsetzung einer Provisorischen Österreichischen Regierung an sich keine Neuheit darstellte. Stalin betrieb in diesem Falle eine Politik, die bereits in Rumänien, Bulgarien und Ungarn erprobt worden war. Zweitens sah sich Stalin gezwungen, gerade in den Monaten März und Anfang April 1945 in der Korrespondenz mit dem amerikanischen Präsidenten und dem britischen Premier in der Lösung der Frage über die Anerkennung der Provisorischen Polnischen Regierung einen ultimativen Ton anzuschlagen. Dieses Beispiel ist überaus bezeichnend, erlaubt es doch, einige Linien der sowjetischen Politik in Österreich nachzuzeichnen. Die Zuspitzung in den alliierten Beziehungen resultierte daraus, dass Churchill mit der Zusammensetzung der polnischen Regierung unter Boleslaw Bieruta nicht 36

Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 112-130.

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Ol'ga Pavlenko einverstanden war.37 Der Vorschlag Stalins zu einer Regierungsumbildung „nach jugoslawischem Vorbild" (ein Verhältnis von 4:1 zugunsten der Kommunisten) stieß auf den Widerstand der Westalliierten.38 Der Prozess des Übereinkommens über die Zusammensetzung der polnischen Regierung in den Monaten März und April 1945, der zwischen den Staatsoberhäuptern heftige Diskussionen hervorrief und bis hin zu gegenseitigen Anschuldigungen nach einer Verletzung der alliierten Verpflichtungen führte, nahm auch Einfluss auf die Taktik Stalins in der Frage betreffend das Oberhaupt des österreichischen Kabinetts. Die Wahl fiel nicht auf die Kommunisten, weil diese Variante bereits im Vorhinein zum Scheitern verurteilt war. Nach all den Debatten zur polnischen Frage war klar, dass die Alliierten die Kandidatur eines Kommunisten nicht unterstützen würden. Es war daher notwendig, eine Person zu finden, die über eine hohe politische Reputation unter den „linken Kräften", über Autorität in der Gesellschaft und über Erfahrung auf dem Gebiet der staatlichen Verwaltung verfügte und bereit war, mit der sowjetischen Führung zu kooperieren. Die früheste Erwähnung der Person Karl Renners im Zusammenhang mit der Regierungsbildung findet sich in den Memoiren des Mitglieds des Generalstabes, General Sergej Stemenko, dem in Erinnerung geblieben ist, wie Stalin auf einer Sitzung im März seinen Generälen unvermittelt die Frage nach dem Schicksal Karl Renners stellte. Die Worte des Marschalls, wonach man die „einflussreichen Kräfte, die antifaschistische Positionen vertreten, nicht vernachlässigen darf', wurden gleichsam als Befehl verstanden, zur Tat zu schreiten. Bereits am 4. April wurde an Stalin vom Militärrat der 3. Ukrainischen Front Bericht erstattet, dass Karl Renner aus eigenem Antrieb in den Stab der 103. Garde-Armee gekommen wäre. Es ist offensichtlich, dass sich Stalin ob der Tatkraft seiner Militärs erfreut zeigte, denn noch am selben Tag diktierte er ein an

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Stalin verbarg in seinen Briefen an Churchill nicht, dass eine Nichtanerkennung der polnischen Regierung in seinen Augen einen „Akt des Unrechts und der Feindseligkeit gegenüber der Sowjetunion" darstellen würde und dass die „Methode von Drohungen und einer Diskreditierung - sollte diese weiterhin betrieben werden - unserer Zusammenarbeit nicht zuträglich sein wird". Licno i sekretno ot prem'era I. V. Stalina prem'er-ministru g-nu W. Churchillu, 23 marta 1945, in: Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 215. Stalin unternahm den Schachzug einer Umbildung der polnischen Regierung, jedoch wurde auch diese Maßnahme nicht gebilligt: „Sie sind offensichtlich nicht einverstanden damit, dass die Sowjetunion das Recht auf eine ihr freundschaftlich gesinnte Regierung in Polen hat und dass sich die sowjetische Regierung nicht damit einverstanden erklären kann, dass in Polen eine ihr feindlich gesinnte Regierung im Amt ist." Licno i sekretno ot prem'era I. V. Stalina prem'er-ministru g-nu W. Churchillu, 24 aprelja 1945, in: Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 335. Licnoe i strogo sekretnoe poslanie dlja marsala Stalina ot g-na Churchilla, 28 aprelja 1945, in: Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 348. Churchill widersprach kategorisch: „Die Regierung Seiner Majestät kann die Bildung einer Regierung jugoslawischen Typs, in der vier Vertreter der nunmehrigen Provisorischen Warschauer Regierung auf einen Vertreter anderer demokratischer Elemente kommen, nicht zulassen. In der Regierung muss ein gebührendes Gleichgewicht herrschen und eine entsprechende Verteilung der wichtigen Funktionen vorgenommen werden." In seiner Antwort beharrte Stalin auf dem jugoslawischen Modell für die Provisorische Regierung: „Das jugoslawische Modell ist meiner Meinung nach vor allem deshalb wichtig, weil es den Weg zu einer möglichst zielführenden und praktischen Lösung der Frage über die Bildung einer neuen Vereinigten Regierung weist, wobei als Basis für diese das Regierungsorgan genommen wird, das im Land die Staatsmacht innehat." Licnoe i sekretnoe poslanie prem'era I. V. Stalina prem'er-ministru g-nu W. Churchillu, 4 maja 1945, in: Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 352.

Osterreich im Kraftfeld der sowjetischen

Diplomatie

den Militärrat adressiertes Telegramm, in dem er Renner offen seine Unterstützung „zwecks Wiederrichtung der demokratischen Ordnung" in Österreich versicherte. 39 Die Erinnerungen Stemenkos sind trotz Dokumentiertheit und des hohen Maßes an Authentizität verständlicherweise nicht frei von emotionalen Akzentuierungen des Verfassers. Indem er das „große politische Geschick" Renners betont, der „mit feierlichen Versprechen" und „eigennütziger Schmeichelei nicht geizte", zitiert der sowjetische General genüsslich den langen und schmeichlerischen Brief Renners an Stalin vom 15. April 1945, der von ihm teils als politisch naiv (vor allem wenn Renner schreibt, dass ihn mit Lev Trockij und David Rjazanov eine lange währende Bekanntschaft verband) und teils als feierlich („ohne die Hilfe der Roten Armee wäre nicht ein einziger meiner Schritte möglich gewesen") dargestellt wird. Dieser Brief hilft jedoch, die Logik des Denkens Renners zum damaligen Zeitpunkt und seine Befürchtungen, dass der Westen so wie im Jahr 1919 Österreich in einer „ausweglosen Situation" zurücklassen könnte, zu verstehen, und verdeutlicht, weshalb Renners Hoffnung der Person Stalins galt - „ich bitte Sie, uns Ihren mächtigen Schutz zuteil werden zu lassen". Im Rahmen der Geschichte zur österreichischen Staatlichkeit ruft das Thema der Bildung und Anerkennung der Provisorischen Österreichischen Staatsregierung Karl Renners bei Wissenschaftlern besonderes Interesse hervor. Der politische Mythos, dass das Treffen von Renner mit dem sowjetischen Kommando in Wien am 19. April 1945 auf Eigeninitiative Renners hin stattgefunden hätte, wurde von sowjetischen Ideologen bereits im Jahr 1945 verbreitet und sowohl zu Propagandazwecken verwendet als auch offiziell gegenüber den Alliierten propagiert. 40 Eine derartige Interpretation bot die Möglichkeit, den Blick auf den erbitterten diplomatischen Kampf zu verstellen, den die UdSSR mit den Westalliierten austrug, um von diesen die Anerkennung der Kompetenzen der Provisorischen Regierung für das gesamte Staatsgebiet Österreichs zu erlangen. Auf Grund dieses politischen Mythos bildete sich die Meinung, dass die Sowjetunion die österreichische Staatlichkeit sofort nach dem Krieg herzustellen bestrebt war, die Alliierten dies jedoch nicht zuließen. 41 Die von den österreichischen Historikern Stefan Karner und Peter Ruggenthaler 42 gefundenen Materialien erlauben eine detaillierte Rekonstruierung des schwierigen Verhältnisses Karl Renners zum sowjetischen Kommando, was dadurch bedingt ist, dass Renner unter strenger Kontrolle stand und die Arbeit mit ihm mittels direkt aus Moskau erteilten Weisungen abgewickelt wurde. Doch durch ständiges Lavieren war es Renner immerhin dennoch gelungen, seine politische Reputation zu behalten und zu keiner Marionette in den Händen Stalins zu werden. 39 40

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S. M. Stemenko, General'nyj stab ν gody vojny. Kniga vtoraja. Moskau 1973, S. 356-358, 365f. Diese offizielle Version erfuhr in sowjetischer Zeit große Verbreitung. Siehe dazu: A. Efremov, Sovetskoavstrijskie otnosenija posle vtoroj mirovoj vojny. Moskau 1958; V. N. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija. Bor'ba Sovetskogo Sojuza za vozrozdenie nezavisimoj demokraticeskoj Avstrii i ustanovlenie s nej druzestvennych otnosenij (1938-1960gg.). Moskau 1962; Μ. A. Poltavskij, Diplomatija imperializma i malye strany Evropy (1938-1945gg.). Moskau 1973; A. A. Roscin, Poslevoenoe uregulirovanie ν Evrope. Moskau 1984; I. G. Ziijakov, SSSR - Avstrija. Itogi i perspektivy sotrudnicestva. Moskau 1985. Siehe ζ. B.: Istorija diplomatii. Bd. 5. Moskau 1974. Vgl. dazu den Beitrag von Stefan Karner und Peter Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, in diesem Band.

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Ol'ga Pavlenko Im Archiv des Außenministeriums der Russischen Föderation wird ein Schriftstück zum ersten offiziellen Treffen des Marschalls der UdSSR, Fedor Tolbuchin, mit Karl Renner am 19. April 1945 aufbewahrt.43 Eine genaue schriftliche Dokumentation dieses Treffens findet sich in den Erinnerungen des Diplomaten Nikolaj Lun'kov, der einer zweimal in dieser Dokumentation erwähnten Tatsache besondere Beachtung schenkt: Anfangs hätte Renner vorgeschlagen, ein Exekutivkomitee zu gründen, Tolbuchin jedoch auf der Bildung einer Provisorischen Regierung beharrt. Renner benötigte für Konsultationen mit den Spitzen der demokratischen Parteien insgesamt fünf Tage. Der Plan zur Einsetzung einer Provisorischen Regierung wäre somit von der sowjetischen Seite entworfen worden, war diese doch bemüht, seit Beginn der Kampfhandlungen auf österreichischem Gebiet die Initiative anstelle der Westalliierten selbst zu ergreifen. Lun'kov erwähnt in seinen Erinnerungen eine interessante Begebenheit: Als „Einheiten der Roten Armee in Gloggnitz eindrangen", wäre es dort zu seinem ersten Treffen mit Karl Renner gekommen. Die Frage der Regierung hätte man dabei aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erörtert, und Lun'kov beendet seine Aufzeichnungen mit den Worten Renners, wonach „Österreich niemals seine Dankbarkeit gegenüber seinen Befreiern zu bezeugen vergessen wird".44 Gab es Alternativen zur Person Karl Renners? In der sowjetischen Literatur der 1950er und 1960er Jahre wurde bei der Befreiung Österreichs konsequent die These der bedeutenden Rolle des österreichischen Widerstandes in den Personen Major Carl Szokolls, Raoul Burenaus und Emil Oswalds verbreitet. In seinen Erinnerungen merkt Lun'kov an, wie hoch die Tätigkeit Carl Szokolls von Marschall Fedor Tolbuchin eingeschätzt wurde, doch widersprechen diese Informationen den im Buch General Stemenkos gemachten Angaben.45 Stemenko zweifelt die These der Existenz eines schlagkräftigen österreichischen Widerstandes generell an, indem er konstatiert, dass an der Gründung der antifaschistischen Organisation „05" Allen Dulles, ein Mitarbeiter der amerikanischen Aufklärung, beteiligt war. Die Führer der Bewegung wollten sich gegenüber dem sowjetischen Kommando als mustergültige zukünftige Regierung präsentieren, doch wurde ihnen das Scheitern des Wiener Aufstandes vom 6. April zur Last gelegt. Die politischen Widersacher Karl Renners, die über Kontakte zu den Westalliierten verfügten, kamen letztendlich nicht zum Zug. Stalin hatte Karl Renner auserkoren und nicht den Chef der österreichischen Kommunisten, das Mitglied der Komintern und den erwiesenen „Freund der Sowjetunion", Johann 43 44 45

AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118, d. 7, S. 4. Lun'kov, Russkij diplomat ν Evrope, S. 20f. Marschall Tolbuchin unterstrich in einem Gespräch mit Lun'kov, dass die Rote Armee beim Sturm auf Wien mehr als 70.000 Mann verloren hätte, wenn sich nicht der Anführer der Bewegung, Major Carl Szokoll, in dieser Sache besonders verdient gemacht hätte. Er war Mitarbeiter der „Anti-Nationalsozialistischen deutsch-österreichischen-sowjetischen Aufklärung", übermittelte dem Stab der 3. Ukrainischen Front den Plan von Hitlers Verteidigung Wiens und arbeitete einen Plan zu einem Anschlag auf das Kommunikationswesen durch Blockade der Telefonzentrale aus. Lun'kov, Russkij diplomat ν Evrope, S. 18f. Sergej Stemenko führt unter Bezugnahme auf das Buch von S. I. Vorosilov, Rozdenie vtoroj respubliki ν Avstrii. Leningrad 1968, anders lautende Angaben an, wobei auch die Schreibweise des Namens Carl Szokoll eine andere ist. Stemenko, General'nyj stab ν gody vojny (1973), S. 360-366.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie Koplenig. Es handelte sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach um eine persönliche Wahl, wenn auch nur einer „provisorischen Figur" für die Zeit des Überganges. Der sowjetische Teil der Alliierten Kommission machte aus seiner Bevorzugung Koplenigs kein Hehl, indem man mit ihm Schritte zu einer Annäherung an Renner akkordierte. In einem an Dekanozov adressierten Schreiben Michail Koptelovs vom 19. April 1945 mit dem Titel „Zur Frage der Bildung der Provisorischen Regierung Österreichs" wird ausgeführt, dass am Vorabend des Treffens Renners mit Tolbuchin eingehende Konsultationen mit Koplenig bezüglich der Zusammensetzung der Provisorischen Regierung stattgefunden hätten. Indem er das Antreten Renners guthieß, erachtete es der Führer der österreichischen Kommunisten gleichzeitig als notwendig, den Kommunisten das Amt des Vizekanzlers und den Posten des Innen- sowie des Unterrichtsministers zuzuerkennen. Der anfängliche Plan Renners über die Schaffung eines Exekutivkomitees mit Vertretung aller demokratischen Parteien und mit einem ihm gegenüber verantwortlichen Präsidium mit Regierungsfunktionen wurde abgelehnt. Sein zweiter Vorschlag zur Zusammensetzung der Regierung (drei Sitze für die Sozialdemokraten, zwei für die Kommunisten, zwei für die ChristlichSozialen und je ein Sitz für den Landbund und die Partei der revolutionären Sozialisten sowie zwei Sitze für Parteilose) fand ebenfalls keine Unterstützung. Michail Koptelov charakterisierte das Verhalten Renners wie folgt: „Der Stimmung Renners nach zu schließen scheint es, dass er sehr zufrieden damit ist, Regierungschef zu werden, doch glaube ich, dass er den Sinn unserer Vorschläge noch nicht vollständig verstanden und die für ihn notwendigen Schlüsse nicht gezogen hat. Er erklärt sich mit unseren Vorschlägen und den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen gerne einverstanden. All seine Beurteilungen und Einschätzungen sind von außerordentlichem Optimismus geprägt, wonach alles gut werde, alles erledigt werde; alles wird sich weisen, und Österreich wird von neuem Leben erfüllt sein und für immer mit den Nazis brechen." 46 Der Sinn der sowjetischen Vorschläge wurde in einem an die 8. Verwaltung des Generalstabes adressierten „streng geheimen Telegramm", dessen Wortlaut im Artikel Peter Ruggenthalers und Stefan Karners in vollem Umfang angeführt wird, erläutert. Demzufolge wären aus Moskau „Verteilungsschlüssel" für die Zusammensetzung der Provisorischen Regierung eingegangen: 35 Prozent Sozialdemokraten, 35 Prozent Kommunisten, 20 Prozent Katholiken und zehn Prozent der Plätze für die Revolutionären Sozialisten.47 Die Formel für die Zusammensetzung der österreichischen Regierung unterschied sich demnach wesentlich sowohl von der für die jugoslawische als auch von der für die polnische Regierung. Die Bildung einer Regierung mit einer gleichen Anzahl von Sitzen für die Sozialdemokraten und die Kommunisten bei einer Stärkung Letzterer durch Zuerkennung des Schlüsselministeriums für Innere Angelegenheiten und des Posten des Vizekanzlers (entsprechend den Wünschen Koplenigs) wurde erst durch die Kalkulation möglich, dass 46

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AVP RF, F. 066. op. 25, p. 118a, d. 7, S. 4. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 21. Vgl. dazu den Beitrag von Stefan Karner und Peter Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, in diesem Band.

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Ol'ga Pavlenko die Kommunisten in der Ostzone mit sowjetischer Unterstützung bis zu den Nationalratswahlen an Stärke zulegen würden. Außerdem konnte die Parität bei der Verteilung der Ressorts als triftiges Argument gegenüber den Westalliierten herhalten, vermochte es doch zu illustrieren, dass die sowjetische Führung bezüglich Österreich „demokratische Pläne" verfolgte, denn ursprünglich hatte sich die sowjetische Führung ja das Ziel gesetzt, die Kompetenzen der Provisorischen Regierung auf alle Zonen auszuweiten. Es steht außer Zweifel, dass sich die sowjetische Politik von Anfang an an den Kommunisten orientierte. Dies geht unter anderem aus der Dokumentation der „Arbeitsebene" der sowjetischen Politik hervor. Am 21. Juni 1945 wurde Dekanozov von Smirnov über einen Telefonanruf des politischen Beraters Kiselev informiert. Dieser hätte mitgeteilt, dass an diesem Tag die sowjetischen Einheiten und die Einheiten der Alliierten in Österreich und in Wien mit ihrer Verlegung in ihre jeweiligen Zonen begonnen hätten, und dabei angefragt, ob er darüber Karl Renner informieren müsste. Smirnov riet ihm, dies zu tun, wobei er hervorhob, „vor allem Koplenig darüber in Kenntnis zu setzen".48 Dem Prinzip der „Parteizugehörigkeit" bei der Wahl politischer Verbündeter kam in der Strategie des Kremls allerhöchste Priorität zu. Mit Unterstützung der Franzosen und Briten brachten die Amerikaner den Vorschlag ein, die österreichische Polizei einer generellen alliierten Kontrolle zu unterstellen. Angesichts der Besonderheiten des politischen Vorgehens der Sowjetunion in den Staaten Osteuropas, in denen sich die Machtstrukturen der Übergangsregierungen in den Händen von Kommunisten befanden, strebten die Westalliierten nach einer Neutralisierung des Einflusses von Innenminister Franz Honner, zugleich stellvertretender Vorsitzender der KPÖ. Auf diesen Schritt wurde im Kreml äußerst empfindlich reagiert, wovon die vom stellvertretenden Völkskommissar für Äußere Angelegenheiten, Andrej Vysinskij, an Konev ergangene Sonderdirektive zeugt: „Bezüglich der Frage einer Unterstützung bei der Wiederaufstellung der österreichischen Polizei und einer über diese ausgeübten Kontrolle ist zu beachten, dass die Alliierten, die so großes Interesse an der Polizei und einer Bevormundung derselben zeigen, das Ziel verfolgen, diese den Händen des Ministers für Innere Angelegenheiten zu entreißen. In dieser Frage hat Vorsicht geübt zu werden."49 Als Folge dessen wies Konev den Vorschlag zu einer alliierten Kontrolle der österreichischen Polizei zurück. Auf der am 28. September abgehaltenen Konferenz der Ländervertreter drehten sich die Debatten hauptsächlich um den Posten des Innenministers, wobei man sich auf eine Kompromisslösung einigte, derzufolge der Kommunist Honner das Amt behielt, doch gleichzeitig ein aus Mitgliedern aller drei demokratischen Parteien bestehendes Komitee zur Kontrolle der Polizei geschaffen wurde.50 48

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Diese Mitteilung wurde von Dekanozov mit der Bemerkung „Richtig." versehen. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 10. Als weiteres Beispiel kann der Fall des ehemaligen Direktors der politischen Abteilung des österreichischen Außenministeriums, Theodor Hornbostel, dienen, der die Bitte um Erlaubnis zur Ausreise nach Österreich aus der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland vorgebracht hatte. Smirnov bat daraufhin Kiselev, die „Meinung der österreichischen Kommunisten über die Zweckmäßigkeit einer Reise von Hornbostel nach Österreich einzuholen". AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 9, S. 89. Ebd., S. 96.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie Die Strategie der Diplomatie Stalins einer sukzessiven und nachhaltigen Sowjetisierung Osteuropas erwies sich als äußerst beweglich und differenziert. In ihrer Zone in Österreich agierte die sowjetische Führung bereits im Geiste der erprobten politischen Vorgehensweise. Dabei stieß sie jedoch auf erbitterten Widerstand ihrer westlichen Partner, von denen die Briten die sich am meisten unterscheidende Position bezogen hatten.51 Die international-rechtliche Anerkennung der Regierung Karl Renners und die Ausweitung ihrer Jurisdiktion auf das gesamte Gebiet des Landes eröffnete die Möglichkeit eines auf diplomatischer Ebene ausgetragenen Kampfes zur Beendigung der alliierten Besatzung. Die taktischen Aktionen der sowjetischen Seite in der österreichischen Frage ähneln denjenigen, die in den Fragen zur Zukunft Rumäniens, Polens, Bulgariens und Ungarns angewandt wurden. In seiner Note vom 2. Mai 1945 an das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten charakterisierte der britische Botschafter die entstandene Lage wie folgt: „Meine Regierung ist angesichts der Weigerung der sowjetischen Regierung, die sich in Italien aufhaltenden Alliierten Missionen nach Wien verlegen zu lassen, solange in der Europäischen Beratenden Kommission keine Einigung bezüglich entsprechender Zonen in Wien und des provisorischen Kontrollmechanismus in Österreich erzielt wurde, beunruhigt. Es ist unmöglich, Vereinbarungen zu treffen, solange die Alliierten Missionen nicht in Wien eingetroffen sind und keine Lagebeurteilungen vor Ort vornehmen können. Es entsteht eine ausweglose Situation, und die sowjetische Regierung bleibt das einzige Kontrollorgan hinsichtlich Österreich betreffende Angelegenheiten." 52 Als die Frage der Zonenaufteilung Österreichs endlich gelöst war, wurde mit der Bildung der Struktur des Kontrollmechanismus begonnen (Alliierte Kommission in Österreich, Außenminister-Rat). 53 Auf diese Weise verlief der Verhandlungsprozess zur österreichischen Frage bereits ab Herbst 1945 auf zwei parallelen Schienen: einerseits in der Alliierten Kommission für Österreich, in der professionelle Militärs den Ton angaben, und andererseits im Außenminister-Rat, der professionell diplomatisch agierte. Durch die Schaffung des Außenminister-Rates wurden das Niveau der Verhandlungen und die Kompetenzen seiner Mitglieder wesentlich erhöht. Außerdem war vorgesehen, Fragen zu inneren und äußeren Angelegenheiten, zu denen die Oberkommandierenden der Besatzungszonen keine Lösung würden finden können, zur Durchsicht dem Apparat des Außenminister-Rates zu übergeben. In der ersten Phase der Verhandlungen zu Österreich von April bis August 1945 wurden die Grundlagen des interalliierten Zusammenwirkens festgelegt: Man schuf einen Kontrollmechanismus für die Besatzungspolitik und nahm die endgültige Einteilung der Zonen vor. Besondere Bedeutung besitzt dabei die Tatsache, dass ungeachtet der bereits damals in den Verhandlungen entstandenen „Sackgassen", in die man sich oftmals durch die von der sowjetischen Diplomatie anfangs praktizierte Taktik des „Überholens" begeben hatte, immer noch konstruktive Beschlüsse zur Institutionalisierung des Verhandlungsprozesses im Ganzen gefasst wurden.

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Cronin, Great Power Politics, S. 20-24. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 9, S. 3f. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 117.

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Ol'ga Pavlenko In den Folgejahren blieben die Vorgabe der elementaren Positionen in der Lösung der österreichischen Frage und die Koordination der Politik der Alliierten weiterhin Sache der Alliierten Kommission für Österreich und des Außenminister-Rates. Bereits in der ersten Phase demonstrierte die UdSSR ihren westlichen Partnern offen ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen in Österreich.54 Zu dieser Zeit intensivierten sowjetische Diplomaten ihre Kontakte zu österreichischen Politikern. Evgenij Kiselev bat die drei Parteien, die Erteilung der Erlaubnis zur Herausgabe von Parteizeitungen in Österreich zu beschleunigen, weil man anderenfalls bei einer weiteren Verzögerung „viel verlieren" würde. Man ging daran, besonderes Gewicht auf eine Entstehung eines positiven Bildes der UdSSR in der österreichischen Gesellschaft zu legen. Zu einer der ersten groß angelegten Maßnahmen in diesem Zusammenhang zählte der Auftritt bekannter sowjetischer Künstler in Wien im Juli 1945. Es handelte sich dabei um eine Idee Marschall Konevs, der damit, kurz nach der Ablösung seines Vorgängers Tolbuchin, sein gesellschaftlich-politisches „Debüt" in seiner neuen Funktion gab. Den Erinnerungen Nikolaj Lun'kovs zufolge hatte Konev in seiner Anwesenheit telefonisch Kontakt mit Stalin aufgenommen und diesen eindringlich darum gebeten, schnell die besten Künstler nach Wien zu schicken: „Genösse Stalin, ich garantiere einen gewaltigen Erfolg unserer ,Stars', davon ist auch Renner überzeugt, und wir beide ersuchen Sie, unserer Bitte zu entsprechen."55 Der Stil dieses Ansuchens entsprach dem sowjetischen propagandistischen Konzept einer „Freundschaft mit den Völkern", die zur Einflusssphäre des Kremls gezählt wurden. Am darauf folgenden Tag waren die führenden Künstler der UdSSR bereits in Wien,56 nachdem ihre Abreise aus Moskau in so großer Eile erfolgt war, dass die Primaballerina des Bolschoi-Theaters, Galina Ulanova, sogar ihre Ballettschuhe zuhause vergessen hatte. Das Konzert wurde ein voller Erfolg, und Renner gab zu Ehren der Künstler einen großen Empfang, bei dem Vertreter „aller kulturell-politischen Organisationen" (rund 500 Personen) zugegen waren. Die offizielle sowjetische Seite wurde dabei vom politischen Berater Kiselev

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Eingehend bearbeitetes Dokumentarmaterial zu diesem Thema bietet die Diplomarbeit von Wolfgang Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. Die Errichtung der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich von 1945 bis 1946 im Spiegel ihrer Lageberichte. Phil. DA. Wien 1998, S. 2 1 - 2 7 , 42-79. Lun'kov, Russkij diplomat ν Evrope, S. 32f. Eine solche Vorgangsweise war generell charakteristisch für die sowjetischen Vertreter in der Alliierten Kommission für Österreich, die im Geiste von Stalins Paradigma einer Priorität der ideologischen Propaganda agierten. Im Juli 1945 schrieb Kiselev an den Direktor der Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland, V. Kemenov: „Demnächst wird in Wien mit der Ankunft der Engländer, Amerikaner und Franzosen gerechnet, die von der Bevölkerung mit großer Ungeduld erwartet werden, weil sie hofft, dass diese viel Neues und Frisches in das kulturelle Leben der österreichischen Hauptstadt bringen werden. Wenn wir keine entsprechenden Maßnahmen durchführen, dann wird es den anderen keine großen Probleme bereiten, die führende Position im kulturellen Leben Österreichs einzunehmen." GARF, F. 5283, op. 16, d. 10, S. 127. Am 11. Juli 1945 stand die Entsendung der sowjetischen Künstler auf der Tagesordnung im Sekretariat des ZK der VKP(b), das die Angelegenheit sofort an das Politbüro weiterleitete, wo der entsprechende Beschluss zur sofortigen Abreise der Künstler nach Österreich gefasst wurde. RGASPI, F. 17, op. 116, d. 220, S. 54. Protokoll Nr. 220 (282) der Sitzung des Sekretariats des ZK der VKP(b), 11.7.1945. Ebd., F. 17, op. 3, d. 1053, S. 23. Politbüro-Beschluss Nr. 46 (102) v. 11.7.1945.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie und von Generaloberst Zeltov repräsentiert.57 Generell verfügte die sowjetische Propaganda über verschiedene Kanäle zur Vermittlung ihrer Inhalte: eine Radiosendung für Österreich, Gastauftritte von Künstlerensembles und eine prokommunistische Presse. Dennoch erwies sich die massierte Propaganda als ineffizient. In Moskau trafen Signale über eine ausnehmende Trägheit und Inkompetenz derjenigen Personen ein, die für die Entstehung eines positiven Bildes über die UdSSR zu sorgen gehabt hätten, was sich in geringer Effizienz der Radiosendungen und mangelnder Qualität des propagandistischen Programms äußerte.58 Das Hauptaugenmerk der sowjetischen Politik lag jedoch auf der Frage der Anerkennung der Provisorischen Regierung Karl Renners. In der Alliierten Kommission wurde von Marschall Konev beinahe auf allen Sitzungen eben diese Frage nach der Anerkennung der Regierung und der Ausweitung ihrer Kompetenzen auf ganz Österreich gestellt. Gleichgültig, welches Österreich betreffende Problem (Lebensmittelversorgung der Bevölkerung, Frage des Schicksals der DPs59 und die Notwendigkeit ihrer Verbringung nach Deutschland60, Entnazifizierung, deutsches Eigentum u. a.) auch erörtert wurde, nachdrücklich und mit einiger Schärfe erhob der sowjetische Vertreter ständig die Forderung nach Anerkennung der Provisorischen Regierung.61 Gewöhnlich erstreckten sich Diskussionen über mehrere Sitzungen des Alliierten Rates, weil beinahe alle Fragen zusätzliche Konsultationen erforderlich machten. Ein anhand der stenografischen Berichte der Alliierten Kommission für Österreich rekonstruierter allgemeiner Blick auf den Modus der Erörterungen und die Aussagen der Verhandlungsteilnehmer zeichnet folgendes Bild: Die Diskussionen verliefen gemäß der Formel „3-1", weshalb Konev unter dem Druck einer einheitlichen Position der Alliierten oftmals zu Zugeständnissen oder zur Annahme von Kompromissvarianten bereit sein musste. Auf der ersten Sitzung des Außenminister-Rates in London beharrte auch Molotov auf der Notwendigkeit der Anerkennung der Provisorischen Österreichischen Regierung durch die Westalliierten, wobei sein Verhalten beim amerikanischen Präsidenten Truman große Besorgnis hervorrief. In einem Brief an Stalin wies er besonders auf die Frage der Anerkennung der Provisorischen Regierung hin, die für ihn nicht nur völkerrechtlichen, sondern auch vor allem systematische geostrategische Bedeutung besaß.62 Die Tatsache, 57 58 59 60

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AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 9. Sty kaiin. Propaganda SSSR, S. 3 5 ^ 6 ; RGASPI, F. 17, op. 125, d. 509, S. 278; GARF, F. 5283, op. 16, d. 19, S. 165. AVP RF, F. 450, op. 1, p. 1, d. 3, S. 21. Ebd.; AVP RF, F. 450, op. 1, p. 1, d. 9, S. 132-134. Die Besatzungsbehörden konnten sich bloß darauf einigen, die tschechoslowakische und die jugoslawische Regierung zu ersuchen, die Aussiedelung „dieser Personen nach Österreich" einzustellen. Es reichte gerade einmal für eine „Bitte", denn andere Mechanismen zur Eindämmung dieses nicht enden wollenden Stromes an Vertriebenen waren einfach nicht vorhanden. Siehe dazu genauer: Rauchensteiner, Der Sonderfall. Truman verfasste diesen Brief nach einem detaillierten Bericht über die Sitzung des AußenministerRates, der von Staatssekretär James Byrnes verfasst worden war. Er schrieb an Stalin Folgendes: „Ich war in der Tat verwundert, als ich erfahren habe, dass Herr Molotov nicht nur in Gesprächen mit Herrn Burns, sondern auch vor dem gesamten Außenminister-Rat verkündet hat, dass die Vereinigten

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Ol'ga Pavlenko dass bei der Erörterung dieser Frage Molotov Österreich in eine Reihe mit Finnland, Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien stellte, kann als indirektes Indiz für den Plan einer Sowjetisierung Österreichs dienen. Andererseits war die amerikanische Verwaltung im Herbst 1945 ebenso nicht gewillt, die Regierung Renners als „Sonderfall" in der europäischen Politik zu behandeln, obwohl sie gemeinsam mit den Briten die sowjetischen Initiativen blockierte. Ein weiterer wichtiger Faktor, der auf die Strategie des Kremls in der österreichischen Frage Einfluss nahm, war die überaus klare Vorstellung Stalins von einer grundlegenden Änderung des globalen Kräfteverhältnisses und einem beginnenden Zerfall der alliierten Anti-Hitler-Allianz. Die edierte Korrespondenz zwischen Stalin und Molotov gibt Einblick in die psychologische Einstellung, die in der höchsten sowjetischen Führung gegenüber den Alliierten herrschte. Stalin befahl eine „feste Haltung", „bei Rumänien keinerlei Zugeständnisse" zu machen, die unverrückbare Position damit zu begründen, dass die Alliierten „antisowjetische Elemente" unterstützten, was „mit unseren alliierten Beziehungen unvereinbar ist". Die starre Haltung von James Byrnes in der Balkanfrage und beim Kontrollmechanismus in Japan wurde sowohl von Stalin als auch von Molotov als persönliche Beleidigung aufgefasst. Indem er die neue geopolitische Situation und vor allem den Faktor des atomaren Monopols der USA abwog, prognostizierte Stalin die zukünftige Strategie der Alliierten: „Erstens - Abwendung unserer Aufmerksamkeit vom Fernen Osten, wo sich Amerika als morgiger Freund Japans betrachtet; zweitens - Erhalt einer formellen sowjetischen Zustimmung, so dass die USA in Teilen Europas die gleiche Rolle spielen kann wie die UdSSR, um sodann in einem Block mit Großbritannien das Schicksal Europas in ihre Hände zu nehmen; drittens - Annullierung des Verbündeten-Paktes, den die UdSSR bereits mit europäischen Staaten abgeschlossen hat; viertens - die Gegenstandslosmachung jeglicher zukünftigen Pakte der UdSSR über eine Union mit Rumänien, Finnland usw."63 Die von Stalin getroffene „Vorhersage" des Entstehens einer bipolaren Welt brachte grundlegende Änderungen in der außenpolitischen Planung mit sich und führte zu einer Intensivierung der Aktivitäten in den Ländern Europas, die vom Kreml als „Zone für die nationale Sicherheit" erachtet wurden. In den Monaten Oktober und November 1945 erhöhte sich der Druck auf die österreichischen Verwaltungsorgane. Minister Honner beklagte sich bei Koptelov, dass die ständigen Anfragen „von Vertretern des sowjetischen Kommandos, von militärischen Einheiten, von Aufklä-

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Staaten im Zusammenhang mit einer Anerkennung der Regierungen Rumäniens und Bulgariens eine angeblich feindselige Politik gegenüber der Sowjetunion betreiben würden. Ich kann nicht glauben, dass Ihre Regierung allen Ernstes glaubt, dass die amerikanische Politik davon bestimmt wird. Unsere Politik im Zusammenhang mit der Anerkennung der Provisorischen Regierungen Finnlands, Polens, Ungarns und Österreichs zeigt, dass wir bemüht sind, unsere Politik mit der Politik der Sowjetunion abzustimmen, und dass wir bereit sind, auf diesem Weg sehr weit zu gehen." Licno i sekretno dlja generalissimusa Stahna ot prezidenta Trumana, poluceno 24 oktjabrja 1945 goda, in: Gromyko, Perepiska predsedatelja Soveta, S. 271. Zit. n.: „Sojuzniki nazimajut na tebja dlja togo, ctoby slomit' u tebja volju ..." Perepiska Stalina s Molotovym i drugimi clenami Politibjuro po vnesnepoliticeskim voprosam ν sentjabre - dekabrje 1945 goda, in: Istocnik. 1999/2, S. 7 0 - 8 5 , hier: S. 74f.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen

Diplomatie

rungsorganen u. a." von der Erfüllung der eigentlichen dienstlichen Pflichten abhalten würden. Er verhehlte nicht, dass die Verhaftungen von österreichischen Männern „Hass auf die Rote Armee und gegen die Sowjetunion" schüren würden. 64 Offenes Missfallen über die Handlungen der sowjetischen Administration brachte auch Karl Renner zum Ausdruck, der sich diesen etwa ab Anfang September entgegenzustellen versuchte. So etwa im Falle der Vereinbarung über eine langfristige Förderung des österreichischen Erdöls, zu der Moskau die Provisorische Regierung verpflichten wollte. Auf der am 8. September 1945 abgehaltenen Sitzung des Politischen Rates teilte Renner unter Berufung auf die Forderung des amerikanischen Hochkommissars Mark W. Clark mit, dass er die Unterzeichnung dieser Vereinbarung auf unbestimmte Zeit aufschieben werde. 65 Ein in der 3. Europäischen Abteilung geführtes Geheimdossier zu Karl Renner beinhaltet Zitate aus dessen persönlichen Gesprächen mit österreichischen Kommunisten und mit dem politischen Berater Kiselev sowie amerikanischen und britischen Zeitungen gegebene Interviews. Bereits in den Monaten Juli und August begann sich der österreichische Regierungschef öffentlich darüber zu äußern, dass „ihn die Sowjetunion enttäuscht hat". In seiner Rede auf einer am 23. August abgehaltenen Konferenz der Sozialistischen Partei Niederösterreichs wurde von Renner verkündet: „Am Anfang war der grüne Faschismus, der vom braunen abgelöst wurde. Ich lasse es gerne zu, dass einige Leute auch mit dem roten Faschismus kokettieren. Denn man kann ja ruhig auch über so einen Faschismus nachdenken." Die Merkmale des „roten Faschismus" wurden von Renner überaus offen kritisiert: schlechte Lebensmittelversorgung, Beschlagnahme der „deutschen Aktiva" in Österreich, was er als „Beraubung des österreichischen Volkes" bezeichnete, Verhaftungen und Strafen. 66 Renner unterhielt zu diesem Zeitpunkt bereits enge Kontakte mit dem Amerikanischen und dem Britischen Teil der Alliierten Kommission, und aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er seine persönliche und politische Wahl bereits getroffen. Bemerkenswert ist eine andere Tatsache: All diese Informationen wurden im April 1946 ans Moskauer Zentrum übermittelt. Die Mitarbeiter der 3. Europäischen Abteilung waren damit befasst, akribisch Angaben zum „Umschwenken" Renners und zum Anwachsen der antisowjetischen Tendenzen unter österreichischen Politikern zusammenzutragen. Doch warum wurden diese im November und Dezember 1945 nicht eingefordert? Sogar der Vysinskij überaus ergebene Michail Koptelov übermittelte dem Zentrum überaus optimistische Berichte. Erst nach der Niederlage der Kommunisten bei den Wahlen im November 1945, die für die Apparatschiks des Kremls eine unangenehme Überraschung darstellte, begann Smirnov Unzufriedenheit mit der Tätigkeit des politischen Beraters in Österreich und dessen Personals zu bekunden. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde Kiselev zur Last gelegt, dass seine Materialien „nicht immer ausreichend diese oder jene Frage auf den Punkt brachten", ein unvollständiges Bild

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AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 32. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 88. A. Smirnov an E. Kiselev, 7.9.1945. Ebd., S. 34. AVP RF, F. 066, op. 26, p. 125, d. 47, S. 5 - 8 .

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Ol'ga Pavlenko von den österreichischen politischen Parteien vermittelten und ungeschickt sowie schlampig verfasst waren.67 Eine Schwierigkeit, auf die die sowjetischen Politiker in Österreich stießen, war anderer Natur: Karl Renner wurde den Hoffnungen des Kremls nicht gerecht, und ein anderer Politiker seines Formates war weit und breit nicht in Sicht. Im Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten behielt man sein politisches Lavieren und seine öffentlichen Auftritte aufmerksam im Auge. Im Archiv des Außenministeriums der UdSSR wird sein aus dem Deutschen übersetzter Brief an das österreichische Volk vom 13. September 1945 verwahrt, der vom offenen Abgehen des führenden österreichischen politischen Akteurs von seinem pro-sowjetischen Kurs zeugt: „Wien und der östliche Teil Österreichs wurden von der Roten Armee befreit. In den westlichen Teilen des Landes hieß es, dass sich Österreich in Richtung Osten orientieren und Wien unter dem Druck der Kommunisten auf Moskau hören würde. Um diese scheinbare Tendenz aufhalten zu können, schlagen viele vor, dass wir uns zu den westlichen Staaten hin orientieren sollten. Von nun an wird sich Österreich, im Gefühl, einen richtigen Weg gefunden zu haben und von allen früheren Bestrebungen in Richtung eines Anschlusses - das heißt in Richtung einer Abhängigkeit von Budapest, Rom, Berlin oder Moskau - für immer abgegangen zu sein, an einem neuen Land orientieren. Die UdSSR hat mich enttäuscht. Ich wollte mich in Richtung Osten orientieren, aber die Ereignisse haben gezeigt, dass wir auf das Eintreffen der Westalliierten zu warten haben. Klar ist eines - Österreich muss manövrieren."68 Die Geschichte der sowjetischen Politik in Österreich setzt sich aus zahlreichen Sujets zusammen. Die Fragmente der diplomatischen Praxis der UdSSR, die in diesem Artikel behandelt wurden, vermögen keine allumfassende Vorstellung von der sowjetischen Strategie zu vermitteln. Nichtsdestotrotz kann konstatiert werden, dass die massierte sowjetische Politik ungeachtet des „freundschaftlichen Charakters" und der propagandistischen Aktionen einen groben inneren Mangel aufwies. Im Versuch, den politischen und moralischen Einfluss im Land zu erhöhen, fuhren die sowjetischen Entscheidungsträger fort, einen „kolonialen Diskurs" zu entwickeln, indem das in der UdSSR entwickelte Modell sozialer Beziehungen auf die besetzten Gebiete umgelegt wurde. Das Heranziehen und die Nutzung der wirtschaftlichen und menschlichen Ressourcen des Landes, die strenge Regelung seiner Politik, das Gebaren als „großer Bruder" und „gerechter Inquisitor" - all dies entwickelte sich bereits in der ersten Phase der Besatzung zur Norm der sowjetischen Politik. Das Jahr 1945 in besetzten Gebieten stand im Zeichen einer regulierten und reglementierten Sowjetisierungsvorbereitung, so wie sie für die von der Roten Armee besetzten Länder Zentral- und Südosteuropas typisch war.

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AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 74-78. Smirnov an Kiselev, 25.12.1945, abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 145. AVP RF, F. 0431/1, op. 1, p. 7, d. 45, S. 21.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie

Die dritte Phase der Verhandlungen: Dezember 1945 bis Dezember 1949 In dieser Zeit kam es zu einer wesentlichen Änderung der Haltung der sowjetischen Führung bezüglich der Entwicklungsperspektiven der österreichischen Staatlichkeit. Die erhaltenen diplomatischen Dokumente erlauben die Feststellung, dass dieser Kurswechsel der sowjetischen Politik in erster Linie durch die Diskussionen um die Zahl der militärischen Besatzungskontingente bedingt war. Die zahlenmäßig starke Präsenz der sowjetischen Truppen in Ostösterreich stellte für die Kremldiplomatie einen äußerst wichtigen Faktor präventiver Machtdemonstration dar, wobei man damit Druck sowohl auf die Verbündeten als auch auf antisowjetische Kräfte im entstehenden Ostblock auszuüben im Stande war. Die Frage zu den alliierten Besatzungstruppen stellte sich bereits auf den Sitzungen des Alliierten Rates, bei denen es um die Erörterung des Gesetzes zur Konvertierung ging. Man fasste den Beschluss, dass die unter Beteiligung der Besatzungsbehörden emittierten vier Millionen Schilling nach folgendem Schlüssel aufgeteilt werden sollten: „2,5 Millionen für Erfordernisse der Zivilbevölkerung; 1,5 Millionen für den Umtausch von Geld, das sich in den Händen der Besatzungstruppen befand, und auch für die Deckung der Militärausgaben während des ersten Monats nach Start der Konvertierung. Die österreichische Regierung gewährleistet die Deckung der den Besatzungstruppen erwachsenden Kosten. Die dafür benötigten Geldbeträge werden den Oberkommandierenden zur Verfügung gestellt." 69 Die UdSSR erhob ob der größten Ausmaße ihrer Zone Anspruch auf ein Drittel dieses Geldes, womit jedoch die Westalliierten nicht einverstanden waren. Zu alldem war die österreichische Regierung mit dem genannten Geldbetrag für den Unterhalt der Alliierten nicht einverstanden. Am 30. November sandte Karl Renner als Chef der Provisorischen Regierung eine Note an den Alliierten Rat, in der klar zur Stärke der in Österreich stationierten Besatzungstruppen Stellung bezogen wurde: „Auf Grund der Tatsache, dass es noch keinen Friedensvertrag oder keine Vereinbarung über einen Waffenstillstand gibt, im Rahmen derer gewöhnlich die Frage von Besatzungskosten geregelt wird, fehlt eine juridische Grundlage. Außerdem steht die Stärke der Besatzungstruppen in krassem Gegensatz zu den Dimensionen des besetzten Landes. Die Kaufkraft, über die die militärischen Einheiten verfügen, bringt eine reale Gefahr für die Lebensmittelversorgung der Zivilbevölkerung mit sich."70 Die Art, wie diese Frage gestellt wurde, und auch der Ton der Erklärung stießen bei den Alliierten auf allgemeinen Unmut. Wohl zum erstenmal hatten sie zu einer Aktion Renners eine einheitliche Meinung. Der sowjetische und der französische Kommandant teilten mit, dass die Note eine für sie unannehmbare politische Erwägung beinhalte, und General Clark fügte dem hinzu: „Wir müssen der österreichischen Regierung sagen, dass sie die Stärke der Truppen in Österreich nichts angeht." 71 Die offizielle Antwort des Alliierten Rates war betont scharf gehalten: „Österreich, das sich am Krieg an der

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AVP RF, F. 450, op. 1, p. 1, d. 19, S. 25f. AVP RF, F. 450, op. 1, p. 1, d. 11, S. 187f. Ebd.

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Ol'ga Pavlenko Seite Deutschlands beteiligte, kann sich aus eigener Kraft nicht der Verpflichtung, die Besatzungskosten zu tragen, entziehen."72 Gleich nach den Wahlen begann die sowjetische Seite damit, Schritte zur Diskreditierung der österreichischen Regierung und der Alliierten zu unternehmen. In einem an den Alliierten Rat ergangenen Memorandum vom 21. Dezember 1945 ist die Rede von sich in Österreich befindenden und aus Österreichern rekrutierten deutschen Militäreinheiten sowie von Versuchen, auf Basis dieser Einheiten eine österreichische Armee aufzustellen. In diesem sowjetischen Memorandum wurde darauf hingewiesen, dass in Österreich ohne Wissen der Alliierten eine staatliche Militärkanzlei gebildet worden wäre, die von ihren Strukturen her einem Generalstab ähneln würde. Die Militäradministration in der Steiermark hätte einen Plan zur Aufstellung einer Armee mit Panzer- und Luftwaffentruppen mit einer Stärke von bis zu 40.000 Mann ausgearbeitet. Maßnahmen zur Versorgung dieser Armee mit militärischem Gerät und Geschützen waren getroffen worden. Neben diesen Angaben wurde dabei besonders hervorgehoben, dass in der britischen Zone die Aufstellung neuer militärischer Einheiten unternommen würde: „Aus dem Verband des 68. und des 69. Armeekorps und der Korpsgruppe ,Noeldechen' 73 der ehemaligen Deutschen Wehrmacht hat das britische Kommando eine österreichische Brigade unter dem Kommando von Generalleutnant Aldrian aufgestellt. Zum Verband dieser Brigade zählen zwölf Infanterie-Regimenter, die von Offizieren der ehemaligen Deutschen Wehrmacht befehligt werden. Die genannten Einheiten verfügen über Waffen. Außerdem gibt es in der britischen Zone bewaffnete militärische Einheiten aus Bürgern anderer Staaten. Im Bezirk Klagenfurt ist ein bis zu 15.000 Mann starkes russisches Weißgardisten-Infanterie-Korps unter dem Kommando von Oberst Rogozin disloziert, das von den Deutschen im Jahr 1941 aufgestellt wurde und gegen alliierte Truppen kämpfte. Vom britischen Kommando wurde die gesamte Struktur der Korps mit allen Stäben und Diensten aufrechterhalten und dieses im Besitz seiner Waffen belassen. Im Bezirk Andersdorf befindet sich eine andere russische weißgardistische Einheit unter dem Kommando von Oberst Gel'tjar' mit einer Stärke von 7500 Mann."74 General Richard McCreery stellte diese Angaben entschieden in Abrede, wobei er sich auf die Nichtzuständigkeit des sowjetischen Informanten und auf das Fehlen stichhaltiger Beweise bei seinen Ratgebern berief. Doch die Frage der versteckten Entwaffnung der österreichischen Militäreinheiten, die angeblich unter Beteiligung der Militärverwaltungen erfolgen würde, behielt sich die sowjetische Seite für die Zukunft zurück. Diese Frage sollte später noch jedes Mal dann als Gegenargument eingesetzt werden, wenn es um eine Verkleinerung des sowjetischen Militärkontingents in Österreich ging. Bereits am 22. Jänner 1946 traten die durch die Wahlergebnisse beunruhigten Alliierten für eine Aufweichung der Besatzungsbedingungen in Österreich ein. Der Vertreter

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AVP RF, F. 450, op. 1, p. 2, d. 12, S. 20. Benannt nach Generalmajor Ferdinand Noeldechen, Kommandant der 96. Infanterie-Division. AVP RF, F. 0430, op. 2, p. 5, d. 11, S. 13f.

Osterreich im Kraftfeld der sowjetischen

Diplomatie

der USA schlug eine Verkleinerung der Stärke der in Österreich stationierten Truppen, vor allem in der sowjetischen Zone, vor, was er mit der Notwendigkeit einer Milderung des Besatzungsregimes begründete. Der französische General Marie Emile Bethouart sprach sich ebenfalls für eine Herabsetzung der Truppenstärke aus, „weil die entsprechenden Besatzungskosten das österreichische Budget belasten". 75 Der Druck der Alliierten auf die sowjetische Seite nahm zu, weshalb eine diplomatische Offensive unbedingt erforderlich wurde. Dabei fungierte das stärkste in Europa stationierte Kontingent an Besatzungstruppen als Trumpfass in der sowjetischen Osteuropapolitik. Objekt des Angriffs waren diesmal nicht die alliierten Verhandlungspartner, sondern die österreichische Regierung. Auf der am 30. Jänner 1946 abgehaltenen Sitzung des Alliierten Rates kam es zur ersten direkten Attacke eines sowjetischen Vertreters auf die neu legitimierte österreichische Verwaltung: „Ich erachte es als notwendig, die Mitglieder des Alliierten Rates darüber zu informieren, dass sich im Zusammenhang mit der von uns durchgeführten Demobilisierung die Stärke der in Österreich stationierten sowjetischen Truppen ohnehin laufend verringert. Von den österreichischen Behörden wurden unter Missachtung der Kapitulationsurkunde Deutschlands Pläne zur Aufstellung einer österreichischen Armee auf Basis ehemaliger deutscher Militäreinheiten und ehemaliger österreichischer Kriegsgefangener ausgearbeitet, was darauf schließen lässt, dass noch keine völlige Entmilitarisierung erfolgt ist. Die Entnazifizierung in Österreich verläuft ebenso unzufriedenstellend. Gerichtsprozesse gegen nationalsozialistische Verbrecher werden verschleppt, eine Säuberung der staatlichen Einrichtungen wurde nicht vorgenommen, und die Mehrzahl der nationalsozialistischen Verbrecher befindet sich in Freiheit." 76 Diese Worte wurden durch die Mitschrift der geheimen Sitzung des österreichischen Kabinetts am 6. Dezember 1945 bestätigt. Laut Text, der von Konev als unumstößliches Beweismittel präsentiert wurde, hätte Renner zu seinen Kollegen Folgendes gesagt: „Die Alliierten haben neuerlich eine Reihe von Gesetzen bestätigt, doch das Gesetz über ein Militärministerium war nicht darunter. Wir haben eine siebenmonatige Frist gehabt, um den Militärdienst zu organisieren. Österreich wird erst zu dem Moment frei sein, wenn es die Truppen der Alliierten verlassen haben, denn die militärische Besatzung dient nicht unserer Sicherheit und nicht einer Säuberung von Nationalsozialisten, sondern der Herstellung eines Gleichgewichtes der Kräfte. Eine Armee stellt eine Waffe in den Händen der führenden Politiker eines Staates dar. Österreich ist ein kleines Land, und all seine Nachbarn sind wesentlich stärker. Ein zukünftiger Krieg wird damit beginnen, womit der letzte geendet hat. Es wird das Land siegen, dass das größte industrielle und militärische Potential sowie den größten Raum für seine Aufrüstung besitzt." 77 Konev beharrte auf Sanktionen gegen die österreichische Regierung, jedoch äußerten die Alliierten Zweifel an der Glaubwürdigkeit der mitgeteilten Informationen. Letztendlich wurde Karl Renner nur darauf hingewiesen, dass die Zahl der in Österreich

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AVP RF, F. 0430, op. 2, p. 3, d. 18, S. 174. Sbomik osnovnych dokumentov SSSR, SSA, Anglii, Francii ob Avstrii, S. 241 f. AVP RF, F. 0430, op. 3, p. 2, d. 14, S. 86.

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Ol'ga Pavlenko stationierten Besatzungstruppen nicht auf Erwägungen im Zusammenhang mit einer Ausgewogenheit der Stärke der Streitkräfte basiert. Der Alliierte Rat gab Renner zu verstehen, dass er die Art, wie er seine Frage vorgebracht hatte, als Versuch, Schwierigkeiten in den Beziehungen zwischen den Alliierten heraufzubeschwören, auffassen würde. Neben der „Angelegenheit" mit der heimlichen Aufstellung einer neuen österreichischen Armee erhob die sowjetische Seite eine neue Anschuldigung gegen die österreichische Regierung. Diesmal ging es um Verstöße im Zuge der Entnazifizierung. Auf der am 25. Februar 1946 abgehaltenen Sitzung des Alliierten Rates wurden Fakten ungesetzlicher Auszahlungen von Feiertagsgeldern und Pensionen in der Höhe eines Minimallohnes präsentiert, die die österreichische Regierung entlassenen Nationalsozialisten hätte zukommen lassen, wobei angemerkt wurde, dass dies der gleichen Summe entspräche, die auch Nicht-Nationalsozialisten erhielten.78 Ab Beginn des Jahres 1946 änderte sich die Taktik der sowjetischen Diplomatie, wobei angesichts der geopolitischen Interessen der UdSSR das Schwergewicht in der österreichischen Frage auf unbedingte Erhaltung des Status quo zu liegen kam, weil einzig die Fortführung der Besatzung das legitime Recht gewähren konnte, bedeutende Truppenkontingente in Mitteleuropa zu belassen. Das politische Szenario einer Sowjetisierung war fehlgeschlagen und seine weiteren Perspektiven mehr als ungewiss, doch das Netz an sowjetischen Militärgarnisonen hatte sich bereits herauszubilden begonnen. Diese Tatsache war für den Kreml von überaus großer Bedeutung, und man war in Moskau bereit, dafür mit allen Mitteln zu kämpfen. Andererseits begann man den „österreichischen Fall" auch als Mittel einer diplomatischen Erpressung bei der mit den USA und mit Großbritannien erfolgenden Erörterung strittiger Fragen im Zusammenhang mit Deutschland und den Ländern Mittel- und Südosteuropas zu nutzen. Der Prozess der Sowjetisierung in den ersten Nachkriegsjahren bestand aus zwei Komponenten: Errichtung und Sicherstellung einer Sicherheitszone der UdSSR durch Einrichtung von Militärbasen und einer parallel dazu erfolgenden „Implantierung" sozial-wirtschaftlicher, politischer und ideologischer Elemente des sowjetischen Modells. Wie bekannt ist, kam es bis zum Jahr 1948 zu keiner direkten Wiederholung der von der UdSSR in den Staaten des nachmaligen Ostblocks gemachten Erfahrungen. Die Besonderheit der Lage in Österreich nach den Wahlen im Herbst 1945 lag darin, dass das geopolitische Interesse des Kremls in diesem Land, das eine gemeinsame Grenze mit der Tschechoslowakei, mit Jugoslawien und Ungarn besaß, dermaßen groß war, dass auch bestimmte innenpolitische Entwicklungen Österreichs Moskau nicht von seinem Kurs abbringen konnten. Mit anderen Worten - der Erfolg der Sowjetisierung in den Ländern Mittel- und Südosteuropas hing von zahlreichen Faktoren ab, von denen die sowjetische Militärpräsenz zu einem der wichtigsten zählte. Aus Ostösterreich konnten militärische Kontingente in jedes beliebige der genannten Nachbarländer Österreichs verlegt werden. Angesichts der nach Hiroshima eingetretenen geopolitischen Situation war dieser Präventivfaktor für die UdSSR von erstrangiger Bedeutung. Auf diese Weise

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AVPRF, F. 450, op. 1, p. 3, d. 18, S. 130.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie entwickelte sich das nach seiner Befreiung strebende Österreich zu einem Faustpfand der sowjetischen Politik. Für die sowjetische Seite bestand die Notwendigkeit, ständig diplomatische Diskussionen über eine Remilitarisierung Österreichs auszutragen. Jeder Vorschlag, der auf eine Verkleinerung des sowjetischen Truppenkontingents und auf den Entwurf eines Friedensvertrages mit Österreich abzielte, stellte für die UdSSR einen Verstoß gegen das militärisch-strategische Gleichgewicht der Kräfte dar und konnte unter den Bedingungen einer sich zuspitzenden Konfrontation bezüglich Einflusssphären in Europa von der sowjetischen Seite nicht angenommen werden. Als der Staatssekretär der USA, James Byrnes, im Herbst dieses Jahres Molotov die Erörterung eines Entwurfes zu einem Friedensvertrag mit Österreich vorschlug, wurde ihm zu verstehen gegeben, dass die sowjetische Seite für eine derartige Erörterung noch nicht bereit sei, weil „Österreich noch nicht vom nationalsozialistischen 79 Einfluss gesäubert ist".80 Eine Lösung der österreichischen Frage wäre laut Meinung des Chefs der sowjetischen Außenpolitik früher möglich als die Unterzeichnung eines Vertrages mit Deutschland. Die Diplomaten der Großmächte erzielten darüber Einigkeit, dass sich Österreich in einer besonderen Lage befand: Es hatte keine Kriegserklärung ausgesprochen, stand jedoch in einem Staatsverband mit dem „Dritten Reich". Auch nach dem Krieg blieben die Schicksale der beiden deutschen Staaten eng miteinander verwoben, was zumindest in der Politik der alliierten Mächte der Fall war. Der britische Außenminister Ernest Bevin bekannte auf einer Sitzung des Außenminister-Rates im Jahr 1946 in Paris offen: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie man die deutsche Frage ohne Behandlung der österreichischen Frage lösen kann, sind doch beide eng miteinander verbunden." 81 Am 28. Juni 1946 wurde auf Initiative der UdSSR von den vier Besatzungsmächten ein neues Kontrollabkommen zu Österreich unterzeichnet. Obwohl in diesem Dokument die Souveränität Österreichs, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, anerkannt wurde, sollte eine Politik der Entnazifizierung dennoch Bedingung für die Erlangung derselben sein. Laut Angaben der österreichischen Regierung gab es zum damaligen Zeitpunkt 556.000 sich im Land aufhaltende Nationalsozialisten, von denen 460.000 vor dem Krieg gewöhnliche Mitglieder der NSDAP gewesen waren und die übrigen Aktivisten darstellten, die verschiedener Verbrechen beschuldigt wurden. 82 Anfang 1947 trat ein Gesetz in Kraft, demzufolge Nationalsozialisten aus dem Staatsapparat, aus wirtschaftlichen Einrichtungen und aus dem Bildungssystem zu entlassen waren. Am aktivsten wurde das Programm zur Entnazifizierung in der sowjetischen Zone umgesetzt. Entsprechend dem neuen Kontrollabkommen erstreckten sich die Zuständigkeitsbereiche des Alliierten Rates in erster Linie auf den mit Entmilitarisierung und Entnazifizierung verbundenen Fragenkomplex. Dem Alliierten Rat wurde das Recht eingeräumt, ohne vorangegangene Erörterung direkt mit der österreichischen Regierung über Fragen einer militärischen, wirtschaftlichen, industriellen, technischen und wissenschaftlichen 79 80 81 82

Im russischen Original „faschistischen", was der sowjetischen Terminologie entspricht. AVP RF, F. 0431/2, op. 2, p. 5, d. 22, S. 9. AVP RF, F. 0431/2, op. 2, p. 11, d. 47, S. 6f. SSSR ν bor'be za nezavisimost'Avstrii. Moskau 1965, S. 113.

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Ol'ga Pavlenko Entmilitarisierung, der Wahrnehmung und der Deckung der Bedürfnisse der Besatzungstruppen, der Rückgabe von Eigentum an Mitgliedsländer der Vereinten Nationen und der Suche, Verhaftung sowie der Auslieferung von Kriegsverbrechern zu verhandeln. Von einer Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Österreich konnte keine Rede sein. Es handelte sich um eine äußerst umfangreiche und harte sowie allseitige Kontrolle der Tätigkeiten des österreichischen Kabinetts.83 Mehrmals wurde der UdSSR von den Westmächten vorgeschlagen, Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit Österreich aufzunehmen, und jedes Mal fand die sowjetische Seite Gründe, diese Initiativen zu blockieren. Die sich sukzessiv verstärkende Konfrontation entwickelte sich zu einem Charakteristikum der im Rahmen von Sitzungen des Außenminister-Rates durchgeführten Verhandlungen. Im Mai 1946 unternahmen westliche Diplomaten den Versuch, die Frage eines Vertrages mit Österreich auf die Tagesordnung des Außenminister-Rates zu setzen, weil zu diesem Zeitpunkt bereits die Frage eines Vertrages mit Italien und das Problem der österreichisch-italienischen Grenzziehung erörtert wurden. Molotov lehnte eine Aufnahme dieser Frage als Punkt der Tagesordnung rundweg ab und teilte bei einem darauf folgenden Treffen mit Byrnes Folgendes mit: „Auf der ganzen Welt gibt es keinen einzigen Winkel, in den die USA nicht ihren Blick werfen würden. Überall errichten die USA ihre Luftwaffenbasen: in Spanien, Italien, in der Türkei, in China, Indonesien, sie verfügen über eine große Zahl an Flotten- und Luftwaffenstützpunkten im Pazifischen Ozean. Dies ist Zeugnis einer ständigen Expansion, die die Bemühungen gewisser amerikanischer Kreise zur Ausübung einer imperialistischen Politik zum Ausdruck bringt." Byrnes widersprach, indem er als Gegenargument die Präsenz des großen Kontingents sowjetischer Truppen in Österreich ins Treffen führte: „Die amerikanischen Truppen ziehen aus China ab und nehmen dabei kein Eigentum mit, so wie dies die sowjetischen Truppen in der Mandschurei gemacht haben. Die UdSSR verfügt über hunderttausende Mann außerhalb ihrer Grenzen. Warum hat die UdSSR trotz Bitten der österreichischen Regierung den Abschluss eines Vertrages über den Abzug der Truppen aus Österreich abgelehnt?" In diesen Worten verbarg sich eine Anspielung darauf, dass die Russen in ihrer Besatzungszone österreichisches Gut demontiert hatten. Molotov antwortete darauf gelassen, dass es sich dabei um Kriegsbeute handle, der Vertrag dann abgeschlossen werde, wenn „die Zeit gekommen ist", und „die UdSSR ihre Truppen solange in Österreich belassen werde, solange sie das Recht dazu habe".84 Um die Zeit der Besatzung verlängern zu können, bedienten sich sowjetische Politiker jedes Mal verschiedener Vorschläge. Die amerikanische Delegation präsentierte ihre Variante eines Entwurfes eines Vertrages mit Österreich, der die Anerkennung der Unabhängigkeit des Landes durch die Alliierten, die Aufnahme Österreichs in die Vereinten Nationen, die Aufhebung des Kontrollmechanismus, den Abzug der alliierten Truppen und die Wiederherstellung der Grenzen aus dem Jahr 1937 vorsah. Dazu sollte Österreich diesem amerikanischen Vorschlag zufolge allerdings auch Südtirol von Italien 83 84

Sbornik osnovnych dokumentov SSSR, SSA, Anglii, Francii ob Avstrii, S. 43^45. AVP RF, F. 0431/2, op. 2, p. 5, d. 22, S. 33f.

Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie zurückerhalten. In diesem Vorschlag war für Österreich das Recht vorgesehen, Streitkräfte mit einer Stärke von bis zu 70.000 Mann zu unterhalten. Diese Zahl überstieg die mit dem Friedensvertrag von St. Germain aus dem Jahr 1919 festgelegte Maximalstärke einer österreichischen Armee um das beinahe Zweifache. Dieser Entwurf sollte den Regierungen der alliierten Mächte zur Durchsicht vorgelegt werden. 85 Die Frage Südtirols, das zwei Provinzen mit deutschsprachiger Bevölkerungsmehrheit - Bozen und das Trentin - umfasste, wurde auf Grundlage eines Kompromisses gelöst: Ein im Jahr 1946 unterzeichnetes österreichisch-italienisches Abkommen garantierte der deutschen Bevölkerungsgruppe das Recht auf Unterricht in der Muttersprache und eine Gleichstellung der deutschen Sprache in Verwaltungsangelegenheiten. Doch tatsächlich erhielt mit diesem Abkommen die Bewegung der Südtiroler Deutschen für einen Anschluss an Österreich neuen Zulauf, wobei die österreichische Regierung den erhobenen Forderungen verständnisvoll begegnete. Die Tatsache, dass die USA in dieser ethnischen und territorialen Frage für österreichische Interessen eintrat, lässt sich in vielerlei Hinsicht durch das damalige Erstarken der Kommunisten im politischen Leben Italiens erklären. 86 Doch die Sowjetunion schob den Abschluss eines Friedensvertrages mit Österreich neuerlich hinaus, wobei die Frage der DPs laut Meinung der sowjetischen Seite in diesem Zusammenhang ein schwerwiegendes Hindernis darstellte. Im Gegenzug wurde der amerikanischen Seite ein sowjetischer Vorschlag präsentiert, der „eine schnellstmögliche Vernichtung der Reste des Nationalsozialismus in Österreich, eine Garantieerklärung gegen einen neuerlichen Anschluss, die Evakuierung der rund 500.000 DPs - darunter an der Seite Hitler-Deutschlands kämpfende serbische Cetniks und kroatische Ustase, ungarische Szälasi-Leute, faschistische Soldaten des General Wladislaw Anders, russische und ukrainische Weißgardisten sowie Verräter aus der Armee General Andrej Vlasovs - aus Österreich in deren Heimat vorsah". 87 Das Buch des österreichischen Historikers Stefan Karner „Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion 1941-1956" 88 basiert auf einzigartigen Archivmaterialien und mündlichen Berichten zur Politik der „Entnazifizierung", die von Organen des NKVD auf dem Gebiet Österreichs betrieben wurde. Eines der tragischsten der in diesem Buch angeführten Themen betrifft die Zwangsrepatriierung russischer Emigranten aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, die mehrheitlich Kosaken waren und als Offiziere in der Weißen Armee gedient hatten. Stefan Karner nennt auch Zahlen: Von 1945 bis zum 1. März 1946 wurden insgesamt 5,352.963 Personen repatriiert, davon 50.000 Kosaken und Emigranten, die von der britischen Besatzungsverwaltung an Organe des NKVD übergeben wurden. Die Mehrzahl dieser Personen bestand aus entschiedenen Gegnern des kommunistischen Regimes, die an der Seite der Deutschen Wehrmacht gekämpft hatten. Im Verlauf des Rückzuges der deutschen Truppen aus Italien und Kärnten kamen auch verschiedene Kosakenformationen samt 85 86 87 88

AVPRF, F. 0431/2, op. 2, p. 11, d. 47, S. 193. Ebd. Ebd. Stefan Karner, Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion. Kriegfolgen-Forschung. Bd. 1. Wien - München 1995.

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Ol'ga Pavlenko Zivilbevölkerung, darunter auch Frauen und Kinder, in die Steiermark. Unter ihnen befanden sich etwa auch der Ataman der Don-Kosaken, General Petr Krasnov, der Ataman der Kuban-Kosaken, General Vjaceslav Naumenko, und der legendäre Ataman Andrej Skuro. Die Auslieferung der Kosaken durch das britische Kommando an sowjetische Truppen rief unter der österreichischen Bevölkerung eine Welle der Angst hervor. Zum Sammelpunkt für die Kosaken und Emigranten, die aus allen österreichischen Städten zusammengeführt wurden, wurde die obersteirische Stadt Judenburg.89 Ein anderer sowjetischer Vorschlag über eine Verbringung der „Volksdeutschen" aus Österreich in die jeweiligen Zonen in Deutschland wurde im Rahmen eines persönlichen Treffens von Molotov und Byrnes erörtert. Diese Tatsache verdient besondere Erwähnung, weil sie deutlich den spezifischen Umgang der sowjetischen Führung mit den Menschenrechten zu demonstrieren vermag. Als Byrnes entgegnete, dass sich in der amerikanischen Zone in Deutschland bereits mehr als 500.000 DPs aufhielten, schlug Molotov auf Grund des Arbeitskräftemangels im Bergbau eine Heranziehung dieser Personen zu Arbeiten unter Tag vor. James Byrnes erwiderte, dass die Amerikaner Leute nicht dazu zwingen könnten, im Bergbau zu arbeiten oder in die Heimat zurückzukehren, weil dies nicht ihren politischen Ansichten entspräche. Molotov war ob dieser Aussage sichtlich erstaunt, weil man diesen Personen gegenüber seiner Meinung nach nicht die Prinzipien politischer Freiheit anzuwenden brauchte, hatten sie doch an der Seite Hitlers am Krieg teilgenommen und diesen verloren.90 Das Schicksal der DPs blieb auch im Jahr 1946 weiterhin unklar, weshalb auch eine Erörterung eines Vertragsentwurfes mit Österreich auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Indes erfuhren die Beziehungen zwischen der UdSSR und den USA eine rapide Verschlechterung. Das Jahr 1947 war nicht nur von einer Konfrontation rund um die Zukunft Deutschlands, sondern auch von der von den USA in Gang gebrachten Initiative zur Integration Deutschlands in Westeuropa geprägt. Der Grund für die neue außenpolitische Strategie, die vom Nachfolger Byrnes' als US-Außenminister, George Marshall, vertreten wurde, lag darin, dass man Europa nicht völlig dem von der UdSSR ausgehenden kommunistischen Expansionsbestreben überlassen wollte und seinen Nachkriegswiederaufbau unterstützte. Der „Marshall-Plan" trug wesentlich zu einer Spaltung Europas in einen westlichen und einen östlichen Teil bei, was weniger durch die geostrategische Lage von Ländern, sondern vielmehr durch den jeweils von den Staaten eingeschlagenen politischen Weg bestimmt war. Wie sollten österreichische Politiker nun unter diesen Bedingungen ihre Position und die Ausrichtung der österreichischen Politik festlegen? Die Regierung war bestrebt, so eng wie möglich mit den Westmächten zu kooperieren. Die kommunistischen Minister traten als Zeichen ihres Protestes gegen die Annahme des Marshall-Planes aus der Regierung aus. Auf dem XIV. Parteitag der KPÖ wurden die Sozialisten eines großdeutschen Chauvinismus bezichtigt, der Österreich hin zu einer „germanozentrischen, rassistischen und antislawischen Politik" führen würde.

89 90

Ebd., S. 26-32. AVPRF, F. 0431/2, op. 2, p. 5, d. 22, S. 112.

Osterreich im Kraftfeld der sowjetischen

Diplomatie

In ideologischer Hinsicht folgten die Kommunisten der offiziellen, vom Außenministerium der UdSSR vorgegebenen Politik.91 Ab 1947 begannen sowjetische Diplomaten hinhaltend von der Gefahr eines „großdeutschen Anschlusses" zu sprechen. Laut Meinung der sowjetischen Führung würde eine umfassende Integration der westlichen Besatzungszonen in Deutschland unweigerlich zum Anschluss der österreichischen Westzonen und zur Bedrohung des sowjetischen Ostblocks durch einen neuen, militaristischen deutschen Staat führen. 92 „Die Bedrohung durch einen neuen deutschen Militarismus" bildete einen wichtigen Eckpfeiler der Logik in den sowjetischen außenpolitischen Planungen Ende der 1940er Jahre. Im Jahr 1947 spitzte sich der diplomatische Kampf um die österreichische Frage auf Grund der beharrlichen Versuche der amerikanischen Delegation nach einer Begrenzung der in Mitteleuropa stationierten Truppenkontingente weiter zu. Auf der dritten Sitzung des Außenminister-Rates in New York brachten die Amerikaner einen Vorschlag zu einer Reduzierung der Stärke der Besatzungstruppen um 25 bis 30 Prozent mit 1. April 1948 ein. Übersetzung aus dem Russischen: Arno Wonisch

91 92

Die Kommunistische Partei Österreichs. Wien 1987, S. 382-392. Ebd.

Ludmilla Lobova

Österreich und die UdSSR Die bilateralen Beziehungen vor dem Hintergrund der Anfangsphase des Kalten Krieges

Die Positionen der UdSSR und der Westmächte in der „österreichischen Frage" und der lange Weg zum Abschluss des Staatsvertrages 1955 sind anschauliche Beispiele für die Vorstellungen der Großmächte von der Nachkriegsordnung der Welt und spiegeln ihren Kampf um Einflusssphären wider. Die Lage Österreichs im Ost-West-Konflikt und die Entwicklung des Kalten Krieges sind wichtige Probleme in der neueren österreichischen Geschichtsforschung.1 Allerdings werden bereits anhand der Frage, welche Ereignisse in welchem Zeitraum überhaupt den Beginn des Kalten Krieges markieren, Auffassungsunterschiede zwischen österreichischen und russischen Historikern deutlich. In der sowjetischen Geschichtswissenschaft galt die Rede des britischen Premierministers Winston Churchill in Fulton (USA) 1946 als Beginn des Kalten Krieges. Nach Dokumenten des sowjetischen Außenministeriums hat diese Rede damals aber in der Botschaft der UdSSR in Washington keine große Aufmerksamkeit ausgelöst.2 Nur die Botschaftspresse berichtete darüber. Doch lösten die Aussagen Churchills über den „Eisernen Vorhang" zwischen Ost- und Westeuropa sowie über den (aus seiner Sicht

1

Günter Bischof, Austria in the First Cold War 1945-55: The Leverage of the Weak. London - New York 1999; Audrey Kurth Cronin, Great Power Politics and the Struggle over Austria 1945-1955. Ithaca - London 1986; Eva-Marie Csäky, Der Weg zu Freiheit und Neutralität. Dokumentation zur österreichischen Außenpolitik 1945-1955. Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen. Bd. 10. Wien 1980; Francesca Gori - Silvio Pons (Hg.), The Soviet Union and Europe in the Cold War 1943-1953. London - New York 1996; Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien - Köln - Weimar 2000; Michael Gehler - Rolf Steininger (Hg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945-1995. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung. Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Arbeitskreis Europäische Integration. Historische Forschungen Veröffentlichungen. Bd. 1. Wien - Köln - Weimar 2000; Vladislav Zubok, The Soviet Attitude towards the European Neutrals during the Cold War, in: Michael Gehler, Rolf Steininger (Hg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945-1995. Wien - Köln - Weimar 2000, S. 2 9 ^ 3 ; Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Neuaufl. Wien - Graz - Köln 1995; Oliver Rathkolb, Der Wiederbeginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion 1945-1947 zwischen Kaltem Krieg und österreichischer Innenpolitik, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. M Ö S t A B d . 50. Wien 2003, S. 157-166.

2

Rudolf G. Pichoja, Sovetskij Sojuz: Istorija vlasti 1945-1991. Moskau 1998, S. 30.

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Ludmilla Lobova bestehenden) Nutzen des amerikanischen Monopols auf Atomwaffen (das die UdSSR erst 1949 brechen sollte) den Unwillen Stalins aus, der sich u. a. auf den Seiten der sowjetischen Parteizeitung „Pravda" im 14. März 1946 artikulierte.3 Schlüsselereignisse am Beginn des Kalten Krieges auf russischer Seite sind ein (als „long telegram" bekannter) politischer Bericht über die Perspektiven der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, den der später bekannte George Kennan, damals Gesandter an der US-Botschaft in Moskau, im Februar 1946 verfasste, sowie eine Rede Kennans an der Universität Stanford (USA) im Oktober 1946.4 Er formulierte schon damals die These, dass die Vorstellung von der „kapitalistischen Einkreisung" die außenpolitische Doktrin der UdSSR dominiert und dass die Sowjetmacht „sehr unempfänglich für die Logik der Vernunft", aber „sehr sensibel gegenüber der Logik der Stärke" sei.5 Schon 1946, als man noch nicht nur von einer Konfrontation, sondern auch von einer Suche nach Kompromissen zwischen Ost und West sprechen konnte, wurde nach einem Modell der künftigen Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR gesucht. So musste man Fragen der Nachkriegsordnung Deutschlands und des Umgangs mit seinen früheren Satellitenstaaten aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges lösen und Friedensverträge abschließen. Die „österreichische Frage" gehörte 1946 noch in die „Politik der Kompromisse". Als Hauptereignisse der Beziehungen zum Westen im Jahr 1947 gelten aus Sicht der sowjetischen und dann russischen Zeitgeschichte die am 12. März von US-Präsident Harry S. Truman öffentlich gemachte und nach ihm benannte Doktrin (die am Beginn der „Containment-Politik" der USA gegenüber der UdSSR stand) und das von US-Außenminister George Marshall am 5. Juni an der Harvard-Universität verkündete „European Recovery Program" (ERP, Marshall-Plan) für die Staaten Europas, die unter Hitlers Angriffskriegen gelitten hatten. Sowjetische Historiker unterstrichen, dass unmittelbar nach der Verlautbarung der Truman-Doktrin die Verhandlungen zum österreichischen Staats vertrag beim Moskauer Außenministertreffen im März 1947 scheiterten.6 Die Amerikaner machten dafür die sowjetische Seite verantwortlich. Der „Marshall-Plan" wurde vom „Mainstream" der russischen Geschichtswissenschaft als politische und wirtschaftliche Auswirkung der Streitigkeiten und Kompromisse auf den Konferenzen der wichtigsten Länder der Anti-Hitler-Koalition von Teheran (1943) und Jalta (1945) über die faktische Aufteilung Europas in „Einflusssphären" betrachtet. Die sowjetische Antwort auf den Marshall-Plan war die Wiederherstellung eines einheitlichen Leitungsorgans für die kommunistischen Parteien in der ganzen Welt: Im September 1947 wurde das „Informationsbüro der kommunistischen Parteien" 3 4 5 6

Ebd. Aleksej M. Filitov, Kak nacinalas' „cholodnaja vojna", in: Sovetskaja vnesnjaja politika ν gody „cholodnoj vojny" (1945-1985): Novoje proctenije. Moskau 1995, S. 47-68. Pichoja, Sovetskij Sojuz, S. 31. V. N. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija. Bor'ba Sovetskogo Sojuza za vozrozdenie nezavisimoj demokraticeskoj Avstrii i ustanovlenie s nej druzestvennych otnosenij (1938-1960gg.). Moskau 1962, S. 134.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen Beziehungen (Kominform) gebildet 7 , und um die gleiche Zeit verstärkte die UdSSR die Kontrolle über die Länder Ostmitteleuropas. 8 Hinsichtlich der „österreichischen Frage" führten diese Umstände zu einer Verstärkung der Propaganda sowohl seitens der UdSSR als auch seitens der Westalliierten. Folglich fanden sich Österreich und seine Bevölkerung im Zentrum von Propagandaveranstaltungen mit einander ausschließenden Grundaussagen wieder: Einerseits wurde vor einer „Verbreitung des Kommunismus", andererseits vor einer „Stärkung des reaktionären Imperialismus" gewarnt. Das Jahr 1948 brachte eine massive Zuspitzung des Kalten Krieges: In Prag kamen die Kommunisten an die Macht, Westberlin wurde von der UdSSR blockiert. Berlin blieb auch in der Folge eine Art „Testgelände" des Ost-West-Konfliktes. 9 Die Verzögerung der Verhandlungen zum österreichischen Staatsvertrag (1948) war dabei nahezu eine logische Folge: Die UdSSR und die Westmächte stritten sich um das ehemalige deutsche Eigentum in Österreich (unter Berücksichtigung des „Cherriere-Plans" vom 8. Oktober 1947)10, die Frage österreichischer Kompensationen dafür, das österreichische Erdöl, mehrere Artikel des Staatsvertrages und auch die in einem Memorandum vom 26. April 1948 niedergelegten Gebietsansprüche Jugoslawiens an Österreich. All das führte zur Verzögerung des Abschlusses des Staatsvertrages. Schon damals begannen sich die Westalliierten mit der Idee eines „Kurzvertrages" (siehe weiter unten) mit Österreich anzufreunden, und die UdSSR betrachtete die Aktivitäten Washingtons als „neuen Kurs der amerikanischen Politik in Europa", der das Ziel habe, „Österreich in einen allgemeinen Brückenkopf der USA gegen den bolschewistischen Block zu verwandeln"." Vom Standpunkt der österreichischen Historiographie waren andere Ereignisse Ausgangspunkte des Kalten Krieges. Hier wurden Probleme um einen gescheiterten Erdölvertrag, ein Befehl zum deutschen Eigentum (Befehl Nr. 17 des Oberbefehlshabers der sowjetischen Besatzungstruppen in Österreich vom 27. Juni 1946 betreffend den Übergang deutscher Vermögenswerte im östlichen Österreich in das Eigentum der Sowjetunion, verlautbart am 5./6. Juli 1946)12 und, in internationaler Hinsicht, die praktische amerikanische Politik des „Containment" in den Krisen um den Iran und die Türkei (1946) hervorgehoben. Die Ost-West-Konfrontation erschwerte auch eine Diskussion der „österreichischen Frage". Das betraf etwa den Befehl Nr. 17, der zum Stein des Anstoßes werden musste. Die sowjetische Seite nahm klare Schuldzuweisungen vor: „Natürlich dort, wo es nach Erdöl riecht, dort, wo die Frage der Donau und der Donau-Schifffahrt gelöst werden soll,

7 8 9 10 11 12

Die Kommunistische Internationale (Komintern) war 1943 auf Anordnung Stalins aufgelöst worden. Pichoja, Sovetskij Sojuz, S. 35. Ebd., S. 37; Istorija vnesnej politiki S S S R 1 9 4 5 - 1 9 7 5 . Bd. 2. Moskau 1976, S. 80f. Österreichisches Jahrbuch 1949. Wien 1949, S. 1 f. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija, S. 166. Vgl. Gerald Stourzh, U m Einheit und Freiheit: Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-WestBesetzung Österreichs 1 9 4 5 - 1 9 5 5 . Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62. 4., völlig Überarb. u. erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1998, S. 782.

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Ludmilla Lobova können die Imperialisten der USA und Englands keine unparteiischen Partner sein. [...] Der Anspruch der Sowjetunion auf dieses Eigentum ist unbestreitbar."13 Moskau zeigte sich in der Frage des deutschen Eigentums in Österreich unnachgiebig. In einem Gedächtnisprotokoll von Bundeskanzler Leopold Figl und dem Minister für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, Peter Krauland, zu einem Treffen mit dem Kommandeur der sowjetischen Truppen in Österreich, Generaloberst Vladimir Kurasov, hieß es, dass dieser die Debatte „in ziemlich heftigem Ton" eröffnet und Figl vorgehalten habe, „dass sich Österreich nur in der Kritik der Potsdamer Beschlüsse [vom August 1945] und seines Befehles Nr. 17 ergangen sei", und erklärte, es hätte „von Russland keine Hilfe erhalten", als es sich bemühte, „den Alliierten Rat bzw. die anderen Mächte mit der Frage zu beschäftigen". Kurasov meinte, „sein Befehl Nr. 17 habe mit dem Alliierten Rat nichts zu tun, und er werde sich daher hinsichtlich seines Befehls mit keiner anderen Macht auf eine Debatte einlassen. Er anerkenne keine andere Auslegung der Potsdamer Beschlüsse als jene, die von Moskau ausgegeben wird."14 Dies erscheint deshalb wichtig, weil noch im Frühherbst 1945 die Konstruktion einer gemeinsamen Sowjetisch-Österreichischen Erdölexportgesellschaft ernsthaft diskutiert wurde und die Verhandlungen nur auf Druck des US-Gesandten John G. Erhardt und der Briten im September 1945 abgebrochen wurden.15 Insgesamt demonstrierten schon die ersten Diskussionen über die Nachkriegsordnung Österreichs, seinen völkerrechtlichen Status, die Grundlagen seiner wirtschaftlichen Entwicklung, die Frage des deutschen Eigentums und den letztlich nicht unterzeichneten Erdölvertrag die unterschiedlichen Positionen der Großmächte in der „österreichischen Frage". So wurde Österreich bereits 1946 in die Ost-West-Konfrontation hineingezogen. Jeder Schritt der österreichischen Regierung zur einen oder anderen Seite wurde von der jeweils anderen kritisiert. So äußerte sich Moskau zur Politik der österreichischen Regierung in der Frage des „Deutschen Eigentums": „Das Oberhaupt der österreichischen Regierung stellte im Alliierten Rat die Frage über das deutsche Eigentum. Das war ein Versuch, einerseits Unstimmigkeiten zwischen den Alliierten hervorzurufen, andererseits den Massen die Angelegenheit so darzustellen, als ob die Vertreter der Sowjetunion die Sache der Verstaatlichung hintertreiben wollten."16 Aus sowjetischer Sicht war bezeichnend, „dass die USA und England die Frage des ehemaligen deutschen Eigentums in der Schweiz, Schweden und den lateinamerikanischen Ländern regelten und [...] in die Besitzrechte ohne irgendeine Einmischung der Sowjetunion eintraten".17 Natürlich entwickelten sich die österreichisch-sowjetischen Beziehungen - wie auch die Lösung der „österreichischen Frage" selbst, unter der nicht nur eine unabhängige Entwicklung des Landes, sondern auch die von den Großmächten auf seinem Territorium ergriffene Gesamtheit wirtschaftspolitischer Maßnahmen verstanden wurde - in Abhängigkeit von den Beziehungen der Großmächte untereinander. Dies bedeutete, 13 14 15 16 17

ÖStA/AdR, BMfaA, Ktn. 81, 111.423-pol/48. ÖStA/AdR, BMfaA-II pol, Staatsvertrag 132.313-6VR/46. Rathkolb, Der Wiederbeginn der diplomatischen Beziehungen, S. 160. ÖStA/AdR, BMfaA, Ktn. 81,111,423-pol/48. Ebd.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen Beziehungen „dass der Wiederbeginn der auswärtigen, diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion unter keinem guten Stern gestanden ist, weil der Kalte Krieg bereits deutlich sichtbar geworden ist".18 Die neuen Verhältnisse nach 1945 - die Suche nach Partnern und die Herausbildung der beiden weltpolitischen Blöcke, die besondere innenpolitische Entwicklung Österreichs und die an Schärfe gewinnenden Propagandakampagnen - verzögerten die Lösung der „österreichischen Frage" und erschwerten die Suche von beiderseits vorteilhaften Kompromissen. Die früheren Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition hatten bis 1946 noch keine klaren Vorstellungen über die Nachkriegsordnung der Welt ausgearbeitet. Die Absteckung der Einflusssphären wirkte sich natürlich auf die „deutsche Frage" aus, von deren Lösung in vielerlei Hinsicht auch das Schicksal des österreichischen Staatsvertrages abhing.

Österreich in der Ost-West-Konfrontation von 1946 bis 1955 Die Entwicklung der „österreichischen Frage" vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges kann auf (zumindest) zwei Ebenen betrachtet werden: 1. ausgehend von der innenpolitischen Lage in Österreich von 1945 bis 1955 (Bildung einer Regierung, Entwicklung der Propagandazentren der Besatzungsmächte, Arbeit der Besatzungsmächte mit den österreichischen Parteien); 2. auf Grundlage der außenpolitischen Realitäten, die sich in dieser Zeit herausbildeten und auf die Staatsvertragsverhandlungen Einfluss nahmen. Propaganda: Der Kampf um die öffentliche Meinung von 1946 bis 1949 Die Propaganda wurde zu einem der wichtigsten Instrumente des Kalten Krieges. Beide Seiten (d. h. die westlichen Besatzungsmächte und die UdSSR) versuchten, in ihre Aktivitäten möglichst breite Schichten der Bevölkerung einzubeziehen und dabei die innen- und außenpolitische Lage des Landes zu nutzen. Charakter und Methoden der sowjetischen Propaganda wurden von der österreichischen Geschichtsforschung im Ansatz bereits untersucht.19 Daher wird hier das Schwergewicht auf eine andere Seite der Frage gelegt, nämlich wie sich verschiedene Ereignisse - so die Staatsvertragsverhandlungen, die Suche nach Lösungen der Berlin-Frage, die Gründung der NATO (1949) und der Vertrag über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) - auf die Vorgehensweise der Besatzungsmächte in Österreich auswirkten. Hinsichtlich der inhaltlichen Seite der Propaganda kann man zwei Perioden unterscheiden: Zwischen 1946 und 1949 wuchs die Zahl der sowjetischen Propagandazentren an; sie führten einen Kampf um die österreichische öffentliche Meinung. Die

18 19

Rathkolb, Der Wiederbeginn der diplomatischen Beziehungen, S. 165. Vgl. Wolfgang Mueller, Österreichische Zeitung und russische Stunde. Die Informationspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich 1945-1955. Phil. DA. Wien 1998.

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Ludmilla Lobova Phase von 1949 bis 1955 könnte man bereits mit dem (heute allgemein verwendeten) Begriff „Informationskrieg" charakterisieren, weil jede der beiden Seiten der jeweils anderen „aggressive Pläne" sowie Absichten vorwarf, Österreich in diese hineinzuziehen. Den Beginn des Kalten Krieges charakterisieren massive Propagandaoffensiven von allen Seiten und auf mehreren Ebenen - von Parteien und Organisationen, in Großbetrieben, in Kultur und Bildung usw. Die sowjetische Propaganda konzentrierte sich auf zwei „klassische" Aspekte: die „Enthüllung" von „imperialistischen Absichten" der Westalliierten sowie eine vorteilhafte Darstellung der „sowjetischen Lebensweise". Die besondere Lage Österreichs zwischen den beiden Europa dominierenden politischen Systemen und entstehenden Blöcken sowie ihr jeweiliger Einfluss auf die innenpolitische Situation zeigten sich auch auf dem Gebiet der Propaganda. Es ist aufschlussreich zu beobachten, wie sich in Verbindung mit bedeutenden Vorgängen der österreichischen Innenpolitik (Regierungsbildung 1945, die - jedenfalls gemessen an den Erwartungen Moskaus - schwache Position der KPÖ, Beginn der Umsetzung des Marshall-Plans usw.) Methoden und Charakter der Propaganda wandelten. Schon 1946 trafen in Moskau Mitteilungen über eine „Stärkung reaktionärer Kreise" in Österreich und über die „Notwendigkeit" der Verstärkung der eigenen Propaganda ein. Im selben Jahr stellte sich das sowjetische Kommando in Österreich die Aufgabe, die Aktivitäten sowohl der Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich als auch der „Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland" (VOKS) zu intensivieren. Die VOKS erhielt den Auftrag, neue Zweigstellen in der sowjetischen Zone zu gründen und „die bereits bestehenden zu aktivieren".20 Schon im Dezember 1945 waren in ganz Österreich (d. h. auch in den westlichen Zonen) 22 VOKS-Zweigstellen tätig.2' Sie propagierten die „sowjetische Lebensweise" und die „Vorzüge des sozialistischen Systems" auch durch einen wissenschaftlichen und kulturellen Austausch. Insgesamt ging es jedoch um die Stärkung des sowjetischen Einflusses in Westeuropa. Daher nahm die VOKS auch politische Funktionen wahr, die durch ihre Sektionen umgesetzt wurden. Konkret behandelte die Organisation folgende Aufgaben: „Intensivierung und Kontrolle der aktiven Zweigstellen; stärkere Versorgung mit Literatur, Fotomaterial, Filmen; [...] die regelmäßige Unterbringung von geeigneten Artikeln in den Wiener Zeitungen und v. a. Zeitschriften."22 Verschiedene österreichische Intellektuelle nahmen die Möglichkeit zum Wissenschafts- und Kulturaustausch mit der UdSSR gerne an. Schon Ende 1945 bemühten sie sich über die VOKS um Kontakte zu sowjetischen Kollegen. Zu nennen sind hier etwa der Dozent für Sowjetrecht und Völkerrecht an der Universität Wien, Nikolaus Valters23,

20 21 22 23

GARF, F. 5283, op. 16, d. 8, S. 152f. 22 VOKS-Zweigstellen: u. a. vier in Wien, 14 in Niederösterreich, eine in Oberösterreich, eine in der Steiermark, eine im Burgenland und eine in Tirol. Zit. nach GARF, F. 5283, op. 16, d. 8, S. 210. GARF, F. 5283, op. 16, d. 8, S. 198f. GARF, F. 5283, op. 16, d. 11, S. 58f. Brief vom 7.1.1946.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen Beziehungen der Zoologe Prof. Stephan Breuning 24 sowie Prof. Leo Santifaller, der Leiter des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung an der Universität Wien.25 Allerdings warf der Kalte Krieg seine Schatten bereits voraus. Die stalinistische These von den „imperialistischen Feinden" beeinflusste auch die Beziehungen zu Österreich. So wies Moskau den bekannten Augenarzt Prof. Adalbert Fuchs ab, der in der UdSSR Vorlesungen über Ophthalmologie halten wollte. 26 1947 wurde sowjetischen Fußballspielern, die von der Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich (ASKÖ) eingeladen worden waren, die Ausreise verwehrt. 27 Auch in breiten Schichten der österreichischen Bevölkerung war die Polarisierung unübersehbar. Nun war bedeutend, wer in welche „Einflusszone" geraten war und wer welche Ideen unterstützte. So trafen in der VOKS immer wieder Briefe österreichischer Bürger ein, die sich über „Strafen" beschwerten, die sie angeblich von Seiten österreichischer Stellen für die Teilnahme an sowjetischen Aktivitäten erdulden mussten. 28 Die österreichische Regierung versuchte im Rahmen ihrer Möglichkeiten, nicht direkt Partei für West oder Ost zu ergreifen, was unter den Bedingungen der Blockkonfrontation nicht immer einfach durchzuhalten war. Am ersten Kongress der VOKS (26. bis 29. September 1946 in Wien) wurde von einem gewissen Kende erklärt: „Wir Österreicher tragen selbst für unser Land die Verantwortung. Wir dürfen nicht zwischen Ost und West stehen, sondern müssen als natürliche Verbindung wirken." 29 Ab 1949 wurden die gesammelten Werke Stalins in deutscher Sprache verbreitet. Die sowjetische Propaganda in Österreich betonte die „georgische Thematik": georgische Kunst, Literatur und Kultur wurden - offenbar auf Grund der Nationalität des sowjetischen Führers - breit propagiert. 1949 wurde auch ein „Verzeichnis von Artikeln zum 70. Geburtstag von Stalin für österreichische Medien" nach Österreich gesandt. 30 Das Hauptgewicht wurde dabei auf die politische Propaganda gelegt. Allerdings äußerte sich Prof. Vasilij Chorosko (medizinische Sektion) in einem „Bericht über die Arbeit der VOKS-Delegation in Österreich" über die Beziehung der Österreicher zu jeder (d. h. nicht nur zur sowjetischen) Propaganda: „Sie haben schon von jeglicher Propaganda genug, sie schrecken vor ihr zurück." 31 Andere Einschätzungen fielen optimistischer aus. Ein umfassendes Bild über Inhalt und Richtung der sowjetischen Propaganda in Österreich geben die Dokumente aus Moskauer Archiven. 32 Sie enthalten Mitteilungen, Berichte und Informationen der Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliier24 25 26 27 28

29 30 31 32

Ebd., S. 66. Brief von 2.1.1946. GARF, F. 5283, op. 16, d. 18, S. 44f. - Brief vom 12.12.1945. Brief von Prof. Adalbert Fuchs vom 5.6.1945. Zit. nach: GARF, F. 5283, op. 16, d. 11, S. 19-20, 26-27. GARF, F. 5283, op. 16, d. 11, S. 58f. So beschwerte sich Schachmeister Müller brieflich über einen (nicht näher beschriebenen) „Terror", dem er wegen seiner Teilnahme an sowjetischen Veranstaltungen ausgesetzt gewesen sei. GARF, F. 5283, op. 16, d. 47, S. 45^17. „Organisationsbericht". Zit. nach: GARF, F. 5283, op. 16, d. 12, S. 74. GARF, F. 5283, op. 16, d. 29, S. 1-3. GARF, F. 5283, op. 16, d. 12, S. 158. Vor allem das Russische Staatliche Archiv für sozial-politische Geschichte (RGASPI; das frühere zentrale Parteiarchiv der KPdSU) und das Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF).

609

610

Ludmilla Lobova ten Kommission für Österreich und der Österreichabteilung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS; Mitteilungen über die Verbreitung von „antisowjetischen" Zeitungen und Flugblättern; Materialien zur Lage in den österreichischen Parteien; Berichte der VOKS; Materialien der 7. Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee (GlavPURKKA); Fragen der Außenpolitik (vom sowjetischen Teil der Alliierten Kommission für Österreich) usw. Die Stoßrichtung der Propaganda zeigen bereits die Bezeichnungen einiger Dokumente.33 In der Folge werden einige Beispiele von Berichten der Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich an das ZK der VKP(b) abgedruckt: An das ZK der VKP(b), Michail Suslov von Burcev, 7. Mai 1946: „Ich berichte Ihnen von wesentlichen Änderungen, die im politischen Leben Österreichs in der letzten Zeit vorgefallen sind. Die anglo-amerikanischen Stellen bemühen sich um eine Änderung des gültigen Besatzungsregimes in Österreich. Das zeigt sich daran, dass Vertreter Englands und der USA versuchen, im Alliierten Rat für Österreich Fragen über den Abzug aller Besatzungstruppen aus Österreich und eine Revision der Entscheidungen der Potsdamer Konferenz zur Diskussion zu stellen."34 Bericht über die Arbeit der Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich für März 1947 vom 13. März 1947, Nr. 9/0110, Wien, Hotel „Imperial", an das ZK der VKP(b), an Genossen Suslov: „Ich schicke einen Bericht über die Arbeit der Abteilung des Sowjetischen Teils des Alliierten Rates für Österreich" (zur Kenntnisnahme). Gez. vom Chef der Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Oberstleutnant Dubrovickij, 21. April 1947: „Die politische Lage in Österreich: Die politische Stimmung der Bevölkerung Österreichs wird im März von den gleichen Faktoren bestimmt, die schon in den letzten Monaten eine Rolle spielten: 1. Die schwierige wirtschaftliche Lage und Nahrungsmittelversorgung; 2. Die weitere Aktivierung faschistischer und reaktionärer Elemente, die zunehmende Aktivität reaktionärer Elemente, die zunehmende Aktivität und den 33

Im Einzelnen waren dies: „Über einige Mängel der sowjetischen Propaganda in Österreich" (1946), „Über das Aufleben der Reaktion in Österreich und in Ungarn" (1946), „Über die katholische Kirche in Österreich" (1946), „Die politische Lage in Österreich vor dem Einmarsch alliierter Truppen nach Wien" (1946), „Politische Stimmungen in der Bevölkerung Österreichs" (Informationskonvolut mit zwei Punkten: 1. Berichte der österreichischen Bevölkerung über die Hilfe der Roten Armee und Ziele der Präsenz der Roten Armee auf dem Territorium Österreichs; 2. „Die antisowjetische Agitation der Sozialisten in St. Pölten" und „Die Aufnahme antisowjetischer Propaganda" (1947), „Information über die Propaganda unter den Arbeitern in den sowjetischen Betrieben in Österreich" (1947), „Über die angloamerikanische Propaganda in Österreich" (1947), „Über die Propaganda in der Sowjetzone" (1946), „Der Parteitag der Sozialistischen Partei Österreichs" (d. h.: die sowjetische Reaktion darauf zwischen Dezember 1946 und Jänner 1947), „Über das Auftauchen von linken und rechten Strömungen in der KPÖ" (15. April 1946), „Die Kampagne der SPÖ gegen das Besatzungsregime" (Brief vom 6. Juni 1946), „Die verbrecherische Tätigkeit des sozialistischen Abgeordneten der unteren Parlamentskammer Franz Gruber" (1946), „Über das Verbot der Versendung von Paketen aus den USA in die sowjetische Zone Österreichs" (1946). Vgl. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 112, 113, 116, 117 (S. 213-218; S. 227-239) 118, 177, 299, 301.

34

RGASPI, F. 17, op. 128, d. 112, S. 112-115, Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der VKP(b), Burcev, an den Sekretär des ZK der VKP(b), Suslov.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen

Beziehungen

Einfluss demokratischer Elemente [vom Standpunkt der UdSSR]; die fortdauernde Polarisierung der politischen Kräfte im Land." 35 Im Bericht werden auch außenpolitische Aspekte angesprochen, so etwa die Konferenz des Rates der Außenminister in Moskau (10. März bis 24. April 1947). Aufschlussreich sind die Kommentare der sowjetischen Propagandaabteilung über die Einstellungen der österreichischen Bevölkerung zu diesem Treffen. So wird unterstrichen, dass „breite Schichten des österreichischen Volkes sich intensiv für den Verlauf der Beratungen in Moskau zur Frage des Vertrages mit Österreich interessiert haben. [...] Noch vor dem Beginn der Moskauer Session des Rates der Außenminister ergaben sich zwei Linien der österreichischen Presse (der Volkspartei und der Sozialistischen Partei) in der Einschätzung der Ergebnisse der Londoner Konferenz und der bevorstehenden Session des Rates der Außenminister. Die reaktionären Presseorgane beeilten sich, Zweifel in den Massen zu wecken, und machten düstere Prognosen, indem sie behaupteten, dass eine Verständigung mit der Sowjetunion nicht gelingen wird. Andere geizten nicht mit optimistischen Vorhersagen, um im Falle eines unerfreulichen Ausgangs der Moskauer Session die ganze Schuld auf die Sowjetunion zu schieben. In den Blättern , Arbeiter-Zeitung', ,Die Presse' usw. gab es klare Versuche, die Widersprüche zwischen den Alliierten auszunutzen, indem auf die ,Unversöhnlichkeit' der UdSSR und ihrer Position hingewiesen wurde, die den Positionen der anderen Mächte gegenübergestellt wurde. Noch kurz vor der Session veröffentlichten österreichische Zeitungen eine tüchtige Zahl verschiedener Telegramme (aus einer amerikanischen Quelle), welche der Moskauer Session einen Fehlschlag vorhersagte." 36 Im Bericht wurde auch die Mundpropaganda hinsichtlich des Moskauer Außenministertreffens dargestellt. Im Zusammenhang mit dieser sei „das Interesse der Bevölkerung an außenpolitischen Fragen und besonders an der Außenpolitik der UdSSR und konkret ihren Beziehungen zu Österreich gewachsen. Diese Fragen", so der Bericht weiter, „waren auch in der Mundpropaganda, welche die Abteilung durchführte, zentral. Insgesamt wurde von den sowjetischen Offizieren und freien österreichischen Lektoren 115 Vorlesungen und Vorträge über die UdSSR gehalten. Dabei wurden über 20.000 Personen erfasst." 37 Den Propagandaaktivitäten in den österreichischen Parteien maß die sowjetische Seite besondere Aufmerksamkeit bei. So hieß es 1947 in diesem Bericht „Die Arbeit mit demokratischen Organisationen" der Propagandaabteilung der sowjetischen Alliierten Kommission: „Es wurde eine Mitteilung über die Arbeit der SPÖ in einem der sowjetischen Betriebe Wiens erstellt. Die darin gemachten Vorschläge werden derzeit in die Praxis umgesetzt. Für die SPÖ-Mitglieder in elf Bezirken der Stadt Wien wurde ein Bericht über die Außenpolitik der UdSSR verlesen. [...] Die Frage zur propagandistischen Arbeit der Österreichischen Völkspartei unter den Massen wird untersucht (eine Mitteilung wurde angefertigt). [...] Die Tätigkeit von vier Wiener Bezirksorganisationen der ÖVP wird untersucht. Es wurde eine Mitteilung über den Gang der Vorbereitung des 35 36 37

RGASPI, F. 17, op. 128, d. 301, S. 51. Chef des Stabes des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Morozov an Suslov, 13.5.1947. Ebd. Ebd., S. 60.

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Ludmilla Lobova ÖVP-Parteitages verfasst. Es wurde eine Mitteilung über die Vorbereitung der ÖVPFrauenorganisation auf den Parteitag verfasst."38 Insgesamt war die Propaganda von 1946 bis 1949 auf die Stärkung der Positionen der UdSSR in der öffentlichen Meinung Österreichs, auf die Darstellung der „sowjetischen Lebensweise", auf die Suche nach Kooperationsmöglichkeiten mit den führenden politischen Kräften Österreichs und auf die „Entlarvung" der Propaganda der Westmächte konzentriert. 1949 nahm die Schärfe der propagandistischen Auseinandersetzung zwischen der UdSSR und ihren früheren westlichen Verbündeten weiter zu. Der Informationskrieg von 1949 bis 1954: „Sowjetischer Angriffskrieg" und „ Verstärkung der Reaktion in Österreich " Die internationalen Ereignisse Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre wirkten sich unmittelbar auf den Charakter der bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der UdSSR aus. In dieser Hinsicht wurde 1949 zu einer Wende. Zu einer Zeit, als sich sowjetische Lageberichte auf die Gründung der NATO bezogen und dabei über „aggressive Pläne des Westens" und Versuche, Österreich in diese hineinzuziehen, zu berichten wussten, zeigten sich die Westmächte wegen der Umgruppierungen der sowjetischen Truppen in Osteuropa, militärischer Pläne Moskaus und die Nachkriegssituation in der UdSSR (v. a. bei der Wiederherstellung der Wirtschaft) beunruhigt. 1952 tauchten in westlichen Medien immer mehr Meldungen über militärische Vorbereitungen der UdSSR auf. Der österreichische Botschafter in Moskau, Norbert Bischoff, ließ Außenminister Karl Gruber eine genaue Analyse der innenpolitischen Lage in der UdSSR zukommen. In dem Dokument „Angebliche Vorbereitungen für einen Angriffskrieg durch die Sowjetunion" vom 10. Mai 195239 hieß es konkret: „Herr Bundesminister! Mit dem oben zitierten Erlass wurde ich beauftragt, zu melden, ob hier irgendwelche Wahrnehmungen gemacht werden konnten, die darauf sprechen, dass die Sowjetunion nunmehr zu einem Dritten Weltkrieg entschlossen sei, worunter ich nach dem ganzen Tenor des Erlasstextes verstehe, dass die Frage gestellt ist, ob die Sowjetunion einen baldigen Angriffskrieg plant. [...] Ich muss melden, dass ich keine auf sowjetische Angriffsabsichten hindeutenden Wahrnehmungen gemacht habe und dass das gleiche ganz offenbar auch von allen meinen hiesigen Kollegen und westlichen Journalisten zu gelten hat; denn hätte einer von ihnen auch nur das winzigste Stückchen einer wenn auch noch so problematischen Information in dieser Richtung erhalten, so hätte er damit ganz gewiss nicht eine Stunde lang hinter dem Berg gehalten."40 Bischoff analysierte zudem detailliert den aktuellen Zustand der sowjetischen Wirtschaft, verglich ihn mit der Vorkriegszeit, brachte Beispiele über die Kosten der Wiederherstellung der Städte und Eisenbahnen der UdSSR, untersuchte das Militärpotenzial der UdSSR im Vergleich mit den Verteidigungsausgaben der USA und lenkte die 38 39 40

Ebd., S. 67. ÖStA/AdR, BMfaA, 149.999-pol52. ÖStA/AdR, BMfaA, 151.676-pol52.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen

Beziehungen

Aufmerksamkeit auf die Besonderheiten der internationalen Lage nach der Entstehung der NATO und angesichts des Atomprogramms der USA. Am Ende seines umfangreichen Berichts findet sich folgendes Fazit: „Aus allen diesen Gründen glaube ich die Eventualität eines sowjetischen Angriffskrieges mit voller Überzeugung und im vollen Bewusstsein meiner Verantwortung als ausgeschlossen bezeichnen zu sollen und diese notgedrungen nur schematische Analyse mit dem Resümee beschließen zu dürfen, das ich vor mehr als vier Jahren an das Ende meines Bericht ZU/ Ρ χ 1948 gesetzt habe: ,Das überragende Ziel der russischen Außenpolitik bleibt somit die Vermeidung des Krieges zwecks Ermöglichung des raschesten und entscheidendsten Ausbaus des Wirtschaftspotenzials der Union und der ihr nahestehenden Staaten sowie die Festigung und Koordinierung der sozialen und moralisch-politischen Struktur des gesamten Systems. Es ist dies genau derselbe Grund, der auf der anderen Seite Theoretiker wie James Burnham den allerraschesten und rücksichtslosesten Einsatz der Atomwaffe zur Niederwerfung des ,Stalinismus' fordern lässt.'" 41 Am 16. Mai 1952 schickte Bischoff die analytische Notiz „Militärische Nachrichten aus Zentraleuropa" an Gruber, in der es hieß: „Ein hiesiger neutraler Botschafter erzählte mir, dass sein Wiener Kollege vor einigen Wochen ,in Wiener Regierungskreisen' eine gewisse Nervosität über angebliche militärische Pläne oder Vorbereitungen der Russen bemerkt zu haben glaubte und hierüber an seinen Minister berichtet hat. Hierauf wurden die Missionschefs in den verschiedenen mitteleuropäischen Hauptstädten beauftragt, zu berichten, ob und was sie in dieser Hinsicht wahrnehmen konnten." 42 Bischoff analysierte genau die Lage in den verschiedenen europäischen Hauptstädten und sandte folgende Informationen an Gruber: „Das Ergebnis dieser Rundfrage war folgendes: Warschau: In Polen sind keinerlei Wahrnehmungen über Truppenbewegungen oder sonstige ungewöhnliche militärische Tätigkeit gemacht worden. Prag: Es sind nur die normalen Vorbereitungen der tschechischen Armee für die Sommerausbildung (Manöver) der Truppen zu konstatieren. Budapest: 1. Es sollen in letzter Zeit verschiedene Veränderungen in der Dislozierung von Truppenteilen vorgefallen sein, doch seien sie nur kleineren Umfanges und auch ihrer Richtung nach so uneinheitlich, dass in ihnen keine strategische Bedeutung zu erkennen sei. Man spreche sogar von Rückverlegungen von sowjetischen Einheiten aus Österreich nach Ungarn. 2. In (westlichen) diplomatischen Kreisen der ungarischen Hauptstadt sei das Gerücht verbreitet worden, dass das Hauptquartier der sowjetischen Kräfte im Donauraum, das sich bisher in Baden bei Wien befunden habe, nunmehr in einen Ort in der Nähe von Budapest verlegt worden sei. Der Berichterstatter übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit dieses Gerüchtes." 43 Im November 1952 erhielt Gruber von der österreichischen Gesandtschaft in Bern die Mitteilung „N. Basseches über die russische Einstellung gegenüber Österreich", in der der Gesandte von einem Gespräch mit dem damals bekannten österreichischen Publizisten Nikolaus Basseches berichtet, der sich auf einem offiziellen Bankett der 41 42 43

Ebd. ÖStA/AdR, BMfaA, 152.273-pol52. ÖStA/AdR, BMfaA, 152.273-pol52. Siehe dazu den Beitrag von Irina Kazarina, Die Sowjetische Armee in Österreich 1953-1955 im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU, in diesem Band.

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Ludmilla Lobova Auslandspresse in Bern mit dem TASS-Mitarbeiter Novikov unterhalten hatte. Basseches bewertete „die Meinungsäußerungen des TASS-Korrespondenten als das, was man als die Meinung der .politische Kreise Moskaus', als des äußeren Kreises um den Kreml bezeichnen könnte". So wurden alle interessanten Momente der sowjetischen Position bezüglich Platz und Rolle Österreichs in Europa nach dem Abzug der Besatzungstruppen unterstrichen. Novikov zufolge habe die UdSSR „weder die Absicht, in Österreich zu bleiben, noch Österreich in das System der volksdemokratischen Satellitenstaaten einzugliedern, es werde aber erst dann aus Österreich herausgehen, wenn die volle Gewähr dafür geboten ist, dass Österreich nach dem Abzug der Besatzungstruppen weder ein amerikanischer noch ein deutscher Satellitenstaat und als solcher ein Glied des Atlantikpaktes werde".44 Novikov betonte, dass die UdSSR eine so genannte „Donaukonföderation" nicht begrüßen würde, wenn sich Österreich an das volksdemokratische Satellitensystem anschlösse: „Herr Basseches brachte in diesem Zusammenhang den sehr interessanten Gedanken zum Ausdruck, dass Moskau die Eingliederung Österreichs in das volksdemokratische Satellitensystem nicht nur nicht anstrebe, sondern vielmehr gar nicht wünsche, weil man in Moskau fürchte, dass sich daraus über kurz oder lang eine Art volksdemokratische Donaukonföderation entwickeln könnte, die Russland eines Tages nicht nur infolge ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit, sondern auch aus politischen Gründen gefährlich werden würde. Eine solche volksdemokratische Donaukonföderation würde nämlich den an sich starken titoistischen Kräften in den Satellitenstaaten einen starken Auftrieb verleihen und die Beherrschung dieses großen Raumes durch Moskau bedeutend erschweren, wenn nicht ä la longue unmöglich machen."45 Außerdem wurde der wirtschaftliche Aspekt des westlichen Einflusses in Gestalt des Marshall-Plans auf Österreich und seine Beziehungen zu Deutschland unterstrichen: „Anderseits deute aber sehr vieles darauf hin, dass Deutschland, zwar noch getarnt, aber nicht minder planmäßig, seine Hand wieder nach Österreich ausstrecke und Washington nicht ohne Erfolg zu überzeugen versuche, dass ein wirtschaftlicher Anschluss Österreichs an Deutschland im Interesse der amerikanischen Europapolitik notwendig sei. So gehörte ζ. B. John Foster Dulles bereits zu den überzeugten Vertretern dieser These. Moskau werde Österreich in dem Augenblick verlassen, wo ihm die völlige politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Österreichs, also gewissermaßen eine Art positive Neutralität Österreichs, gewährleistet erscheint."46 Gruber erhielt verschiedene Nachrichten über „aggressive Pläne" der UdSSR und ihre Verantwortlichkeit für die Verzögerung des Abschlusses des österreichischen Staatsvertrages. So berichtete etwa der österreichische Gesandte Braunias am 23. März 1953 aus Belgrad an Außenminister Figl vom Artikel „Der Staatsvertrag mit Österreich und die aggressive Strategie der UdSSR auf dem Balkan", der in der „Medunarodna Politika" (= Internationale Politik), dem Sprachrohr des jugoslawischen Außenministeriums,

44 45 46

ÖStA/AdR, BMfaA, 158.341 -pol52. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 290. Ebd. ÖStA/AdR, BMfaA, 159.341-pol52.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen Beziehungen sechs Tage zuvor erschienen war. Als Verfasser wurde ein „Oberst Ivan" (offensichtlich ein Pseudonym) angeführt. Einleitend hieß es im Text: „In diesem Artikel beabsichtige ich nicht, mich in die politische Seite dieses Problems einzulassen, d. h. in die Betrachtung der politischen Gründe, die die Sowjetunion dazu führt, den Vertrag mit Österreich nicht abzuschließen, sondern ich werde nur einige strategische Gründe anführen, wegen welchen die UdSSR den Abschluss dieses Vertrages unmöglich macht, da sie damit die Ausgangsgrundlage ihrer aggressiven Politik insbesondere und daneben ihre aggressive Strategie und dies [nicht] nur im weitesten Rahmen, sondern auch in engstem militärischen Sinn schwächen würde." 47 Unter der Überschrift „Zahl und Zusammensetzung der Sowjettruppen in Österreich" schrieb „Ivan", dass die sowjetischen Besatzungstruppen in Österreich viel stärker seien als die Truppen der drei Westmächte. „Die UdSSR hält in Österreich ungefähr 40 bis 50.000 Soldaten, aufgeteilt in Infanterie-, Artillerie-, Luft- und Panzereinheiten." 48 Der Autor fuhr fort: „Österreich und Westungarn bieten Ausgangspositionen für einen Durchbruch auf der Linie Agram - Laibach nach Norditalien, wodurch ein Verteidigungssystem, das sich auf die Alpen stützt, umgangen würde. Davon abgesehen dienen die Sowjettruppen in Europa auch dazu, die Kriegspsychose aufrechtzuerhalten. Die Stärke und Ausrüstung der Besatzungstruppen in Österreich verrate, dass sie aggressiven Zwecken dienen. Dasselbe gilt für die sowjetischen Truppen in Ungarn und Rumänien, die offiziell zwar nur zur Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen Russland und der Besatzung in Österreich zu dienen haben." 49 Am Schluss heißt es: „Man kann daher annehmen, dass wegen solcher expansionistischer und aggressiver Ziele die Sowjetunion den Staatsvertrag mit Österreich nicht abschließen wird." 50 Im Oktober 1949 fanden die zweiten Nationalratswahlen nach dem Krieg statt, bei denen die KPÖ eine neuerliche Niederlage erlitt: Ihr Bündnis „Kommunisten und Linkssozialisten" - („KuLS") erreichte nur 5,08 Prozent. Gleichzeitig schlug sich der neue „Verband der Unabhängigen" (VdU), der besonders um die Stimmen ehemaliger Nationalsozialisten warb, mit 11,7 Prozent überraschend gut. Die sowjetische Seite nahm dies zum Anlass, von einer „Stärkung der Reaktion" und einer „Belebung faschistischer Elemente" v. a. in den Besatzungszonen der Westmächte sowie vor Versuchen der Westalliierten zu warnen, eine österreichische Armee aufzubauen. So publizierten die Zeitungen „Pravda" und „Izvestija" am 15. Juli 1953 den TASS-Artikel „Die österreichischen Militaristen geben keine Ruhe", in dem es u. a. hieß: „In Westösterreich wird eine umfangreiche militaristische und revanchistische Propaganda betrieben, die ihren Ausdruck insbesondere in zahlreichen Zusammenkünften' und ,Treffen' ehemaliger Soldaten und Offiziere der Hitler-Armee findet."51 Die „Izvestija" wusste am 22. August 1953 von „militärischen Vorbereitungen" in Westösterreich zu berichten: „Bekanntlich wurde unter dem Deckmantel von ,Segel47 48 49 50 51

ÖStA/AdR, Ebd. ÖStA/AdR, ÖStA/AdR, ÖStA/AdR,

BMfaA, 318.866-pol53 (4x+Beilage). BMfaA, 318.866-pol53. „Kurzauszug für den Herrn Bundesminister." BMfaA, 318.866 (4x+Beilage). BMfaA, 322.792-pol53.

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Ludmilla Lobova flugschulen' in West-Österreich eine Reihe von Organisationen gegründet, welche die Ausbildung des Flugpersonals für die Luftwaffe der jetzt insgeheim im Entstehen begriffenen österreichischen Armee zur Aufgabe haben." An diesen „Segelflugschulen" seien nicht nur Österreicher, sondern auch Vertreter der USA und westeuropäischer Länder beteiligt.52 Die „Pravda" bemängelte am 24. August 1953 auch, dass in Westösterreich „bei zahlreichen Treffen ehemaliger Soldaten und Offiziere der Hitler-Armee eine hemmungslose militärische Propaganda betrieben wird". 53 Salzburger Besprechungen im August 1953, an denen mehrere hochrangige USamerikanische Vertreter (darunter etwa der Hochkommissar in Österreich, Llewellyn Ε. Thompson, und der stellvertretende Kommandeur der US-Besatzungstruppen, Oberst Nixon) und von österreichischer Seite Innenminister Oskar Helmer und sein Staatssekretär Ferdinand Graf, der 1956 zum ersten Verteidigungsminister der Zweiten Republik bestellt wurde, teilnahmen, wurden in sowjetischen Medien als „Vorbereitung zur Aufstellung einer Armee in Österreich" betrachtet. Die „Izvestija" bemerkte am 23. August 1953: „Das Ergebnis der Besprechungen war die Schaffung eines eigenen Organs im Innenministerium, welches der Zentralverwaltung der Gendarmerie angehört und sich mit Fragen der Wiedererrichtung der Armee und der Remilitarisierung des Landes beschäftigt. Mit der Leitung dieses neuen Organs ist Staatssekretär Graf betraut." 54 Die „Pravda" kritisierte, dass diese neue „B-Gendarmerie", die Vorläuferorganisation des Bundesheeres, nach NATO-Richtlinien ausgebildet und ausgerüstet werden solle. Zwischen 1949 und 1954 ruhten die Verhandlungen für den österreichischen Staatsvertrag wegen des an Schärfe zunehmenden Kalten Krieges weitgehend. Die UdSSR festigte ihre Positionen in Ostmitteleuropa. Im Westen trat am 3. April 1948 das Europäische „European Recovery Program" in Kraft, 1949 entstand die NATO, und 1952 wurde der EVG-Vertrag unterzeichnet. In dieser Zeit befand sich die Ost-West-Konfrontation auf einem ersten Höhepunkt, was sich auch in den Methoden und im Inhalt der Propaganda beider Seiten in Österreich 1953-54 niederschlug. Und wenn in der westlichen Presse Artikel über die militärischen Pläne der UdSSR erschienen, orientierte sich die sowjetische Seite mehr an der Kritik der führenden österreichischen Parteien, die ihrer Meinung nach prowestlich orientiert waren und einen „westlichen Wirtschaftskurs" verfolgten, was Österreich in einen westlichen Militärblock hineinziehen würde. So teilte der „Pravda"-Korrespondent V. Michajlov mit: „Die regierenden Kreise Österreichs verhehlen nicht mehr, dass die Volksmassen des Landes noch größere Lasten zu tragen haben werden. Eine erweiterte und vertiefte Militarisierung der Wirtschaft des Landes steht bevor. Das in Washington ausgearbeitete und Österreich vorgelegte so genannte Wirtschaftsprogramm des (Finanz-)Ministers Reinhard Karnitz sieht eine Umstellung der grundlegenden Industriezweige zur Belieferung der Kriegsarsenale der Länder des Atlantikblocks vor."55

52 53 54 55

ÖStA/AdR, ÖStA/AdR, ÖStA/AdR, ÖStA/AdR,

BMfaA, BMfaA, BMfaA, BMfaA,

323.560-pol53. 323.578-pol53. 330.273-pol53. 318.993-pol53.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen Beziehungen Auf wenig sowjetische Begeisterung stießen auch die Resultate der österreichischen Nationalratswahlen vom 22. Februar 1953. So bemängelte die „Pravda": „Die regierenden Kreise [...] planten bei den Nationalratswahlen die Stellung des faschistischen Verbandes der Unabhängigen zu stärken, um ihn in Hinkunft als Stoßtrupp im Kampf gegen die fortschrittlichen Kräfte des österreichischen Volkes zu verwenden [...]. Nach den Wahlen schickten sich die Regierungsparteien an, eine Politik der Konzentration aller reaktionären Kräfte in Österreich zu betreiben." 56 Es wurde auch über Verhandlungen berichtet, die ÖVP und SPÖ mit dem VdU führten. ÖVP und VdU hätten ein einheitliches Aktionsprogramm ausgearbeitet. 57 Auch die SPÖ und ihr Minister Helmer wurden in der sowjetischen Presse nicht geschont: „Beachtung verdient die unschöne Rolle, welche die rechtssozialistische Partei beim Wiedererstehen dieser faschistischen Partei [gemeint: der VdU] und bei ihrem allmählichen Vordringen zur Macht spielte. Niemand anderer als einer der Führer der Sozialistischen Partei, der Innenminister Helmer, hat den Beschluss zur Gründung des ,Verbandes der Unabhängigen' sanktioniert und das Wiedererstehen dieser faschistischen Organisation als einer - demokratischen (!) staatsbejahenden Partei' begrüßt." 58 Anfang der 1950er Jahre wurde die EVG sehr rege diskutiert. Die UdSSR stand dieser Initiative naturgemäß sehr ablehnend gegenüber und beschwor „die Gefahr einer Revanche". So berichtete die „Pravda" vom 31. Mai 1954 unter der Überschrift „Österreich angesichts einer neuen Anschlussgefahr" über Bestrebungen zur Einbeziehung Österreichs in verschiedene europäische Organisationen. „Die Bonner Revanchepolitiker genießen jetzt in Österreich völlige Freiheit. Bekannt ist beispielsweise, dass die Vertreter der österreichischen Regierungsparteien mit offenen Armen den Bonner Minister ,für Sonderaufgaben' Franz [Josef] Strauß empfingen, der kurz Wien besuchte [...]. Seine Rede über die ,Mission Westdeutschlands' in der Frage der Schaffung eines so genannten , Vereinten Europa' wurde von den Vertretern der Regierungsparteien mit offener Sympathie aufgenommen. Diese Pläne Bonns decken sich offensichtlich mit den Bestrebungen gewisser österreichischer Politiker." 59 Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer habe von „realen Möglichkeiten [...] einer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Einbeziehung Österreichs" in den westlichen Block gesprochen, hieß es im Bericht weiter. Die sowjetische Position war insgesamt eindeutig: Alle Initiativen in Richtung Schaffung der EVG wurden als ein „neuer Anschluss" Österreichs betrachtet. 60 Die Aufregung stellte sich allerdings als grundlos heraus, da die EVG 1954 in der französischen Nationalversammlung - nicht zuletzt auf Grund des ablehnenden Abstimmungsverhaltens der Kommunisten - scheiterte.

56 57 58 59 60

Ebd. Ebd. Ebd. ÖStA/AdR, BMfaA, 144.258-pol54. Ebd.

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Ludmilla Lobova Die „Pravda" zitierte zu dieser Frage Vertreter verschiedener österreichischer Parteien: Der stellvertretende Landeshauptmann von Kärnten, Hans Ferlitsch (ÖVP), habe erklärt, dass Westdeutschland und Österreich „zwei Staaten" seien, „die auf einem Ast sitzen. Wir sind zu klein, um getrennt zu existieren." Einer der Führer des „Verbandes der Unabhängigen", Herbert Kraus, habe geäußert: „Wir Österreicher sind zugleich auch Deutsche und müssen uns in unserem Tun von gesamtdeutschem Bewusstsein leiten lassen." Die SPÖ-Führung unter Adolf Schärf und Bruno Pittermann habe auf einem Brüsseler Kongress der „rechtssozialistischen Parteiführer" für die Annahme einer Resolution gestimmt, welche die Schaffung der EVG billige. Helmer sei ein besonders aktiver Anhänger der „Anschlusspolitik" gewesen: Er lasse nicht nur „Anschluss- und Revanchepropagandisten gewähren", sondern leite selbst „die Heranbildung von Kontingenten für die Bonner Wehrmacht". 62 Dann folgte eine Einschätzung der öffentlichen Meinung in Österreich: „Angesichts verstärkter Anschlussgefahr wachsende Beunruhigung und Notwendigkeit des verstärkten Kampfes um Unabhängigkeit." 63 61

Sowjetische Beziehungen zu den österreichischen Parteien Die propagandistischen Fragen sind eng mit den Beziehungen der Alliierten zu den österreichischen Parteien verbunden. Jede Seite musste sich für diese oder jene politische Kraft entscheiden, über die sie ihre Politik vermitteln konnte. Die UdSSR setzte auf die KPÖ. Zunächst bestand Hoffnung auf die Schaffung einer „einheitlichen nationalen Front" oder einer „einheitlichen demokratischen Koalition". Darunter verstand die sowjetische Seite nicht nur ein Bündnis aus Kommunisten und Sozialisten, sondern eine breitere Front, die auch die ÖVP einbeziehen sollte. Das Scheitern dieser Idee trug aus sowjetischer Sicht „zu einer unselbstständigen Politik Österreichs" und seiner „Einbeziehung in die militärstrategischen Pläne des Westens" bei, was nach Moskauer Lesart den Abschluss des Staatsvertrages verzögerte. 64 Eine Besonderheit der sowjetischen Politik gegenüber den österreichischen Parteien war der Umstand, dass die SPÖ schon nach den Nationalratswahlen 1945 als eine Partei angesehen wurde, die eine prowestliche Politik verfolgte. In einer Reihe von Dokumenten wird die SPÖ sogar als „reaktionärer" als die ÖVP charakterisiert. Dies erklärt sich aus mehreren Umständen, vor allem aber daraus, dass sich die österreichischen Sozialisten im Gegensatz zu den Erwartungen der sowjetischen Seite nicht auf eine Vereinigung mit den Kommunisten einließen. Schon 1947 war klar, dass die SPÖ an einer „nationalen Front" nicht teilnehmen würde.65 Außerdem war „der Antikommunismus in der österreichischen Bevölkerung, der sich 1945 in den Augen Schärfs und Helmers im Wahlsieg

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Ebd. Ebd. Ebd. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija, S. 13. Vgl. dazu Fritz Weber, Der Kalte Krieg in der SPÖ. Koalitionswächter, Pragmatiker und Revolutionäre Sozialisten 1945-1950. Wien 1986.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen

Beziehungen

der ÖVP und in der katastrophalen Niederlage der KPÖ niedergeschlagen hatte", „ein nicht zu unterschätzendes Kalkül für das politische Handeln der SPÖ-Führung". 66 Die SPÖ hatte gute Kontakte zur britischen Labour Party, die 1945 die Wahlen gewonnen hatte und seither mit Clement Attlee den Premierminister stellte. Daher sah die SPÖ keinen Grund, sich mit Großbritannien (und den anderen Westalliierten) auf eine der UdSSR nützliche Konfrontation einzulassen. ÖVP und SPÖ versuchten schon im Interesse des Staates eine gute Gesprächsbasis sowohl mit der UdSSR als auch mit den Westalliierten herzustellen, um ehebaldigst eine Entscheidung über den Staatsvertrag und den Abzug aller Besatzungstruppen aus Österreich herbeizuführen. Die sowjetische Seite sah andererseits ein, dass es aussichtslos wäre, die KPÖ ohne die Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten zu fördern. Daher versuchte Moskau, in Österreich so viele politische Ressourcen wie möglich auf seine Seite zu ziehen und den politischen Realitäten Rechnung zu tragen. Zudem setzte die sowjetische Politik in Österreich immer auf bestimmte und in der Bevölkerung populäre Spitzenpolitiker. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass die Besatzungsmächte in Österreich - auch die UdSSR - konkrete wirtschaftliche Interessen verfolgten (vor allem in der Industrie und beim Erdöl), die man nur zusammen mit ernsthaften populären politischen Kräften lösen konnte. Und das traf eben auf die KPÖ unzweifelhaft nicht zu. Die UdSSR beobachtete die Lage in den österreichischen Parteien genau. Über die Lage in der KPÖ - besonders 1946, als es noch die Hoffnung auf sie als eine selbstständige politische Kraft gab - wurde natürlich ständig nach Moskau rapportiert. Ein Bericht vom 17. April 1946 betraf etwa das Auftauchen von „rechten" und „linken" Strömungen in der KPÖ. Die „Rechten" seien, so hieß es darin, „eine antirussische Strömung gegen die Zusammenarbeit mit der Roten Armee und der Sowjetunion (ζ. B. im Burgenland/ Eisenstadt)". Diese „Rechten" würden die Meinung vertreten, dass die Anwesenheit der Roten Armee die KPÖ störe, ihr Wachstum bremse und „die Erfahrung der russischen Kommunisten für die österreichischen Kommunisten keinen großen Wert" darstelle; zudem könne man von den sowjetischen Kommunisten nichts lernen. Einzelne Führungsorgane der Kommunisten, so etwa in Eisenstadt, würden der Roten Armee buchstäblich feindselig gegenüberstehen. Eine andere Strömung sei die „linksradikale": Sie beschuldigte die KPÖ-Führung, sich zu sehr auf Österreich zu konzentrieren, daher die internationalistischen Aufgaben der Partei zu vergessen und mit Parteien zusammenzuarbeiten, „die dem Proletariat feindlich gegenüberstehen - der Sozialistischen Partei und der Volkspartei". 67 Die Berichte der sowjetischen Propagandaabteilungen analysierten auch die Sicht der verschiedenen österreichischen Parteien zueinander. Daher wurde 1947 etwa dem SPÖ-Parteitag und dem dort gehaltenen Referat des Parteivorsitzenden Adolf Schärf besondere Aufmerksamkeit geschenkt. 68 Schärf erklärte dort: „Von der Volkspartei wis66

67 68

Walter Blasi, Die Entwicklung der österreichischen Neutralität in den Jahren 1945 bis 1955 unter Berücksichtigung der Haltung der SPÖ und ÖVP. in: Bundesministerium für Landesverteidigung. Militärwissenschaftliches Büro. Information zur Sicherheitspolitik. 2001/12, S. 1-15. hier: S. 11. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 112, S. 68-71. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 113, S. 2-88. Vortrag A. Schärfs am 2. Parteitag der SPÖ. Dez. 1948.

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Ludmilla Lobova sen wir, dass sie nicht beabsichtigt, mit Sowjetrussland freundschaftliche Beziehungen zu beginnen. [...] Niemand in Österreich wird erwarten, dass es dank der politischen Tätigkeit der ÖVP zu einer Verbesserung der Beziehungen mit Russland kommt."69 Und weiter: „Mit einem solchen Machtfaktor wie Russland muss man rechnen. Da können wir nicht taub bleiben. Es wäre eine fruchtlose und für uns als Partei wie für Österreich schädliche Tätigkeit, zu der schlecht klingenden Pfeife der ÖVP zu tanzen. Nur wenn es uns wirklich gelingt, das Notwendige für die Wiederherstellung des Landes und der Wirtschaft zu garantieren, und nur dann, wird unsere Forderung - keine einseitige Orientierung nur auf den Westen oder nur auf den Osten, sondern gleichermaßen Freundschaft, gleichrangige Beziehungen zu allen Staaten und Völkern der Welt - voll und ganz verwirklicht. Dank unserer Initiative muss ein wesentlicher Schritt vorwärts in diese Richtung getan werden."70 Bei der Analyse der Kräfteverhältnisse zwischen den österreichischen Parteien merkten sowjetische Historiker an, dass die Führer von ÖVP und SPÖ noch 1945 in einer einheitlichen Front auftraten und - „nachdem sie die Unterstützung der Westmächte erhalten hatten - begannen [sie], einen denen genehmen Kurs zu verfolgen".71 Dabei wurde die besondere Rolle Großbritanniens unterstrichen: „Die Engländer forderten im Namen der Westmächte eine definitive Abwendung von der Volksdemokratie, indem sie einen Block aus ÖVP und SPÖ gegen die KPÖ bildeten."72 Die sowjetische Politik ging zudem 1947 davon aus, dass „die reaktionäre Politik der , Volks'-Partei und ihrer Vertreter in der Regierung unmöglich wäre, wenn sie nicht von den Okkupationsmächten in den außersowjetischen Zonen unterstützt würde. Dieser Umstand ist in erster Linie durch die Politik der englischen und amerikanischen Regierung in Bezug nicht nur auf Österreich, sondern auf die Länder des ganzen Donauraumes bedingt."73 Das Akademiemitglied J. P. Trainin berichtete etwa 1947, dass beide österreichische Großparteien gegen die Verstaatlichung einer Reihe von Unternehmen in den Besatzungszonen Großbritanniens und Frankreichs (ζ. B. Betriebe zur Verarbeitung von Magnesium in Veitsch und Radenthein) aufgetreten waren, auf welche die sowjetische Seite jedoch bestanden hatte.74 Ähnlich äußerte sich die Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich 1947 über ÖVP- und SPÖPolitik: „Die reaktionäre Politik der österreichischen Regierung wird von den beiden Großparteien aktiv unterstützt. Die Führung der Sozialistischen Partei wetteifert mit den Reaktionären aus der Volkspartei beim Kampf gegen die demokratischen Umgestaltungen, gegen die zunehmende Demokratie."75 Dabei nahm man sich vor allem die SPÖ vor: „Unter der Vortäuschung von demagogischen Parolen setzte die Sozialistische Partei ihre Blockpolitik mit der Volkspartei Österreichs sowie die Hetze gegen die Kom-

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RGASPI, F. 17, op. 128, d. 113, S. 59. Das Zitat ist eine Rückübersetzung aus dem Russischen. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 113, S. 61. Das Zitat ist eine Rückübersetzung aus dem Russischen. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija, S.13f. Ebd., S. 18. Vgl.Anm. 13. Ebd. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 301, S. 54. Morozov an Suslov, 13.5.1947.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen

Beziehungen

munistische Partei Österreichs fort und blieb Initiator aller antisowjetischen und antidemokratischen Aktionen. Die ihrer Blockpolitik mit reaktionären Elementen in- und außerhalb des Landes treue SPÖ-Führung solidarisiert sich nicht nur mit der Politik der ÖVP, sondern orientiert sich in letzter Zeit an deren ausländischen Herren - der USA. Die SPÖ-Führer und ihr Organ, die ,Arbeiter-Zeitung', loben immer öfter die Stärke der USA, die Politik Trumans, die Hilfe der USA für Österreich und den Auftritt von amerikanischen Vertretern (Marschall Clark 76 usw.) auf internationalen Konferenzen." 77 Die Einschätzung der ÖVP im Jahr 1947 durch die sowjetische Stelle war keine Überraschung: „Die Volkspartei hat ihre Presse- und Mundpropaganda der reaktionärsten Punkte ihres politischen Programms sehr verstärkt. Eine führende Rolle in dieser Kampagne spielt der so genannte ,Wirtschaftsbund', eine Teilorganisation der Volkspartei. Im März führte er eine aktive Kampagne gegen die Verstaatlichung und andere demokratische Maßnahmen durch. In allen Bezirken führte die Volkspartei in diesen Tagen Versammlungen unter den Losungen des Kampfes gegen die Verstaatlichung, Sozialisierung und eine neue Arbeitsgesetzgebung durch. Bei den Demonstrationen traten bekannte Funktionäre und Parlamentsabgeordnete dieser Partei auf." 78 Die KPÖ kam hingegen in den sowjetischen Berichten 1947 lobend weg. Sie hätte „die reaktionäre Politik der österreichischen Regierung und die diese Politik unterstützenden Parteien ÖVP und SPÖ entlarvt, eine entschiedene Änderung des reaktionären Kurses der Innen- und Außenpolitik verlangt, die demokratischen Elemente zur Zusammenfassung ihrer Kräfte und zur Einheit der Arbeiterklasse, zur Absage an die Kräfte der Reaktion, zur Demokratisierung des Landes im Kampf gegen die Überreste des Faschismus aufgerufen. [...] Die KPÖ wächst weiter. Beispielsweise ist die niederösterreichische Organisation auf 681 Mitglieder angewachsen." 79 1947 hatte die KPÖ insgesamt 155.000 Mitglieder 80 , doch ihr im Kabinett Figl verbliebener Minister Karl Altmann trat bereits in diesem Jahr zurück. Schon bald nach Kriegsende musste die UdSSR ihre Taktik gegenüber Österreich vor dem Hintergrund ihrer Beziehungen zu den Westalliierten (v. a. den USA) gestalten. Die innenpolitische Situation in Österreich wirkte ebenfalls auf die Position Moskaus und insgesamt auf den Charakter der bilateralen Beziehungen zwischen der UdSSR und Österreich ein. Dazu kam die österreichische Regierungsbildung 1945 als entscheidender Faktor der Entwicklung, das neue politische Kräfteverhältnis, die Aktivierung der Tätigkeit der österreichischen Parteien in der Nachkriegszeit, die Parlamentswahlen 1949, der Beginn des Marshall-Plans und die Verwicklung Österreichs in Propagandakampagnen des Kalten Krieges. Auch die außenpolitische Lage wirkte sich auf die Beziehungen der UdSSR zu Österreich aus: Der Beginn der Blockbildung in Ost und West, die Verstär-

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Gemeint ist General Mark W. Clark, von Juli 1945 bis Dezember 1946 US-Militär- bzw. Hochkommissar in Österreich. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 301, S. 54f. Morozov an Suslov, 13.5.1947. Ebd., S. 55. Ebd., S. 56. Chronik der KPÖ, http://members.muerznet.at/kpoe/chronik.htm, 30.6.2004, 17.15 Uhr, Microsoft Internet Explorer.

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Ludmilla Lobova kung des Krieges der Geheimdienste Anfang der 1950er Jahre, die EVG-Pläne und die Sowjetisierung Osteuropas verzögerten die Lösung der „österreichischen Frage" und die Unterzeichnung des Staatsvertrages. Die Staatsvertragsverhandlungen unter den Bedingungen der Ost-West-Konfrontation Die Geschichte der Vorbereitung des Staatsvertrages dokumentiert zwangsläufig jene Vorstellungen, welche die Großmächte vom Nachkriegseuropa und der Rolle Österreichs darin hatten. In den Etappen, die bei der Ausarbeitung des Staatsvertrages durchlaufen wurden, ragen zwei Ereignisse heraus, welche die Lage Österreichs in der WestOst-Konfrontation reflektierten: 1. der von den Westmächten angeregte „Kurzvertrag" (1950 bis 1953) und 2. die Berliner Konferenz von 1954. Der „Kurzvertrag" wird von der sowjetischen und auch postsowjetischen russischen Historiographie als „Produkt des Kalten Krieges" eingestuft, dessen Ziel es gewesen sei, Österreich auf die Seite des Westens zu ziehen. Die Geschichte dieser beiden Ereignisse im Kontext der Entstehung des Staatsvertrages ist in der österreichischen wie sowjetischen Historiographie recht genau beschrieben. Es soll daher hier dargestellt werden, wie die Mechanismen des Kalten Krieges auf den Gang der Verhandlungen und die Entscheidungsfindung einwirkten. Kontroversen um den „Kurzvertrag" Zu Beginn der 1950er Jahre, als die Staatsvertragsverhandlungen unterbrochen waren, kam es zu einer weiteren Zuspitzung des Kalten Krieges. In Korea tobte ein „heißer" Krieg, und auch in Europa bereitete man sich auf neue militärische Auseinandersetzungen vor. In Verbindung damit wurde auch die Rolle Österreichs gesehen, dessen östlicher Landesteil bereits vom „sozialistischen Lager" umgeben war. Eine Auswirkung dieser Ereignisse auf die „österreichische Frage" war der „Kurzvertrag". Schon seit Anfang 1950 verbreiteten sich in der UdSSR Gerüchte, wonach die Westmächte einen „speziellen" Vertrag mit Österreich vorbereiteten. Die Grundzüge des „Kurzvertrages" wurden bis Ende 1951 ausgearbeitet und auf einer Session des NATORates in Lissabon Anfang 1952 endgültig abgestimmt. Am 13. März 1952 sandten die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs eine Note mit dem Text des Kurzvertrages an die Sowjetregierung. Die UdSSR reagierte schroff, weil sie meinte, dass Österreich bei Annahme dieses Dokuments in die Einflusssphäre des Westens abgleiten oder geteilt würde. Österreichische Historiker, wie Gerald Stourzh, stellten den „Kurzvertrag" als kein absolut neues Dokument dar. Er „orientierte sich an Texten der vorhandenen , Langfassung' [von 1949]. Die Präambel wurde aus dem Jahr 1947 übernommen, freilich mit einer wesentlichen Ausnahme: Es fehlte der Passus über die Mitverantwortung Öster-

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen

Beziehungen

reichs für die Teilnahme am Kriege. Auch die folgenden, insgesamt acht Artikel waren im Wesentlichen der Langfassung von 1949 entnommen." 81 Vom Standpunkt der UdSSR aus fehlten im „Kurzvertrag" grundlegende Bestimmungen, die eine „Grundlage für die Schaffung eines freien, unabhängigen und demokratischen Österreich wären". 82 Moskau verwies darauf, dass im „Kurzvertrag" nichts Klares über die Unzulässigkeit einer Militarisierung sowie die Beendigung der Entnazifizierung des Landes ausgesagt wurde. Zudem meinte Moskau, dass dadurch eine schon geleistete Arbeit zur Vorbereitung des Staatsvertrages (etwa 260 Sitzungen von Ministern und ihren Stellvertretern) zunichte gemacht würde. Auf diplomatischer Ebene kam es zu heftigen Kontroversen um den „Kurzvertrag". In der sowjetischen Note vom 14. August 1952 an die US-Botschaft in Moskau hieß es: „Gegenwärtig machen die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs dem Abschluss des Staatsvertrages mit Österreich auf Grund der früher zwischen den Regierungen der vier Mächte vereinbarten Prinzipien ausweichend den Vorschlag, den von ihnen abgefassten neuen Entwurf eines so genannten ,Kurzvertrages' für Österreich zu erörtern, der vorher von den Vertretern der vier Mächte nicht behandelt wurde und mit dem Potsdamer Abkommen nicht im Einklang steht. Auf diese Weise versuchen sie den Staatsvertrag mit Österreich, der die Erfüllung [...] internationaler Abkommen 83 und die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich zur Voraussetzung hat, durch den erwähnten ,Kurzvertrag' zu ersetzen, obwohl dieser ,Kurzvertrag' keinerlei Bestimmungen vorsieht, die der Wiederherstellung eines tatsächlich unabhängigen und demokratischen österreichischen Staates förderlich sein könnten." 84 Die sowjetische Seite argumentierte: 85 1. „Der vorgeschlagene Entwurf eines ,Kurzvertrages' für Österreich gewährleistet dem österreichischen Volk nicht die Ausübung der demokratischen Rechte. So sieht er nicht das Recht des österreichischen Volkes vor, seine Regierung auf Grund des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechtes frei zu wählen, während dieses Recht im Entwurf des Staatsvertrages mit Österreich garantiert ist" (Art. 8). 2. „Der von den Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs vorgeschlagene Entwurf eines , Kurz Vertrages' für Österreich sieht auch keine Maßnahmen vor, die den demokratischen Parteien und Organisationen eine freie Tätigkeit gewährleisten und das Bestehen von der Demokratie und den Frieden [zwischen] feindlichen Organisationen in Österreich behindern würden" (Art. 7). 3. Artikel 9 des Entwurfes des „Kurzvertrages" verpflichtet die österreichische Regierung, Maßnahmen zu treffen „zur Vernichtung der nationalsozialistischen Partei, ihrer Gliederungen und Organisationen, einschließlich der von ihr kontrollierten politischen, militärischen und halbmilitärischen Organisationen auf dem Gebiet Österreichs". 81 82 83 84 85

Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 184. ÖStA/AdR, BMfaA, Staatsvertrag, Ktn. 187-11 pol51, 140.922-pol51. Vgl. Anm. 86. ÖStA/AdR, BMfaA, Staatsvertrag ΙΑ, II pol 1952, 154.84l-pol52. Ebd.

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Ludmilla Lobova Außerdem wies die sowjetische Seite darauf hin, dass „der Entwurf des .Kurzvertrages' für Österreich auch eine so wichtige Frage wie das Recht Österreichs auf eigene, der Landesverteidigung dienenden nationalen Streitkräfte umgeht, während im Entwurf des Staatsvertrages mit Österreich Bestimmungen zwischen den vier Mächten vereinbart wurden, die Österreich das Recht geben, eigene Streitkräfte zu besitzen". Grundsätzlich argumentierte Moskau, dass der „Kurzvertrag" schon erreichte Vereinbarungen wieder rückgängig machen würde.86 Außenminister Vjaceslav Molotov verurteilte in einer Erklärung vom 12. Februar 1954 die „Kurzvertrag"-Initiative der Westmächte als „Separataktivitäten". Zudem behauptete er, dass die österreichische Regierung die Idee eines „Kurzvertrages" unterstützt habe, obwohl dieser „im Widerspruch zu den früher vereinbarten Entscheidungen der vier Mächte steht. Auf diese Weise kann Österreich die Verantwortung für die letzte Verzögerung mit der Entscheidung der Frage über den Staatsvertrag nicht zurückweisen."87 Die USA reagierten auf die erwähnte sowjetische Note vom 14. August 1952 rasch. In einem Chiffretelegramm vom 25. August 1952 hieß es:88 Das Department of State habe „offiziell mitgeteilt, es habe der britischen und französischen Regierung den Text einer Antwort auf die Note der Sowjetregierung vom 14. August vorgeschlagen, die folgende wesentliche Punkte enthält: Die Sowjetregierung habe in ihrer Note vom 14. August gegen den Kurzvertrag eingewendet, dass er die Bestimmungen der Art. 7, 8 und 9 des alten Staatsvertrages nicht enthalte. Obwohl die amerikanische Regierung der Auffassung ist, dass der Inhalt dieser Bestimmungen ohnedies in der österreichischen Verfassung enthalten ist, ist sie jedoch bereit, diese Bestimmungen in den Kurzvertrag aufzunehmen. Die Sowjetregierung habe ferner das Fehlen militärischer Bestimmungen im Kurzvertrag bemängelt. Die amerikanische Regierung stellte fest, dass Österreich kein feindlicher Staat war und daher diesbezüglich nicht beschränkt sein sollte, wäre aber bereit, Bestimmungen des Artikels 17 ebenfalls in den Kurzvertrag aufzunehmen. Die amerikanische Regierung schlägt die Einberufung von Deputies Ende September (1952) in London zur Paraphierung eines solchen Abkommens vor." Die USA waren ungeachtet der sowjetischen Reaktion entschlossen, den „Kurzvertrag" umzusetzen, und schlugen dazu konkrete Schritte vor. Das State Departement glaubte, dass „die Politik der Westmächte auf folgenden Grundsätzen aufgebaut sein sollte: - Geeignete Ergänzung des Entwurfes des verkürzten Staatsvertrages, aber keineswegs Verzicht auf dieses Instrument; - Vorschlag auf Einberufung einer Tagung der Deputies; 86

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Gemeint waren folgende Abkommen: Die Moskauer Konferenz der Außenminister der UdSSR, der USA und Großbritanniens im Oktober 1943; die Potsdamer Konferenz 1945; die Konferenz der Außenminister der UdSSR, der U S A und Großbritanniens und Frankreichs im Dezember 1946 in New York sowie die Pariser Konferenz der Außenminister der vier Siegermächte im Juni 1949. AVP RF, F. 444, op. 1, p. 12, d. 58, S. 12. ÖStA/AdR, BMfaA, Staatsvertrag ΙΑ, II pol52,155.141-pol52.

Osterreich und die UdSSR. Die bilateralen -

Beziehungen

Befassung der Vereinten Nationen mit der Frage der Wiederherstellung der vollen Souveränität Österreichs und stärkste Unterstützung durch die Westmächte." 89

Weiter hieß es in der amerikanischen Antwort auf die sowjetische Note: „Hierdurch wäre zunächst auf dem Gebiete der Propaganda die Lage dadurch vereinfacht, dass erklärt werden könne, die Sowjetunion lehne den Kurzvertrag nicht aus ideellen, sondern aus materiellen Gründen ab. Nach der Ansicht des Staatsdepartements sei es ferner unrichtig, den Kurzvertrag aufzugeben, ohne dass die Sowjetunion hiefür ihrerseits zur geringsten Konzession geneigt sei."90 Die Kontroverse um den „Kurzvertrag" spielte sich in erster Linie zwischen der UdSSR und den USA ab. Die beiden anderen Westalliierten unterstützten die USA zwar nach außen, standen der Idee aber insgesamt abwartend gegenüber. Stourzh kommentierte: „Weder Engländer noch Franzosen waren begeistert. Ihr Hauptargument war, dass man von den Sowjets unmöglich erwarten könnte, einen Text ,zu schlucken', der ihnen wegnehmen würde, was ihnen zwei bis drei Jahre zuvor bereits zugestanden worden war. Die Franzosen zeigten sich besonders kritisch." 91 Am 15. November 1951 meldete die österreichische Botschaft in Paris zur französischen Reaktion bezüglich der Widersprüche zwischen der UdSSR und der USA nach Wien: „Gewisse Divergenzen bestehen weiter. Die Franzosen wollten, wie schon gemeldet, im Rahmen des Vertragsentwurfs bleiben und sind gegen die amerikanische Idee des .verkürzten Vertrages', der ihrer Ansicht nach die Gefahr einer Räumung Österreichs ohne dessen Ausstattung mit einer genügenden Exekutive bei andauernder Nähe russischer Truppen bedeutet." 92 Am 23. September 1953 wies die österreichische Regierung den „Kurzvertrag" offiziell zurück und sprach sich für eine Fortsetzung der Verhandlungen zum Staatsvertrag aus. Insgesamt war der „Kurzvertrag" ein Resultat der scharfen Kontroverse der Großmächte zu Beginn der 1950er Jahre, vor deren Hintergrund auch nach Wegen zur Ausgestaltung der sowjetisch-österreichischen Beziehungen gesucht wurde. Für jede der beiden am Kalten Krieg beteiligten Seiten war dies nicht bloß eine Lösung der „österreichischen Frage", sondern ein Streit um künftige Positionen in Europa. Später schrieben einige sowjetische Historiker, dass die UdSSR in der Frage des „Kurzvertrages" eine „Verteidigungsposition" bezogen habe. Dokumente und Äußerungen sowjetischer Funktionäre in der internationalen Presse bezeugen aber das Gegenteil. Angesichts der scharfen Konfrontation mit dem Westen begann man in der UdSSR an die Möglichkeit direkter Verhandlungen mit Österreich zu denken,

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ÖStA/AdR, B M f a A , Staatsvertrag I A, II pol52, 155.469-pol52. Amerikanische Antwort auf die Note der Sowjetunion über Österreich, Österreichische Botschaft in Washington, Herrn Bundesminister für die Auswärtigen Angelegenheiten, Dr. Karl Gruber. Ö S t A / A d R , B M f a A , Staatsvertrag ΙΑ, II pol52, ZI. 155.469-pol52. ÖStA/AdR, B M f a A , Staatsvertrag ΙΑ, II pol52, 155.469-pol52. Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 185. Ö S t A / A d R , B M f a A , 140.922-pol51.

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Ludmilla Lobova was während der Berliner Konferenz schon konkrete Konturen annahm. Dort war die österreichische Seite erstmals als gleichberechtigter Partner bei Verhandlungen vertreten. Die Berliner Konferenz Die Berliner Konferenz (25. Jänner bis 18. Februar 1954) erscheint von der österreichischen Historiographie gut erforscht.93 Vom Moskauer Standpunkt aus war sie ein wichtiger Schritt zur Annäherung der Positionen der UdSSR und Österreichs, was sich bald auch auf die Entwicklung der bilateralen Beziehungen auswirkte. Allerdings wird die Konferenz in österreichischen und sowjetischen/russischen Quellen unterschiedlich bewertet: Während österreichische Beobachter eher auf die Verzögerung des Abschlusses des Staatsvertrages und daher auf das Scheitern der Konferenz verweisen94, sehen sie russische, besonders aber sowjetische Historiker als wichtigen Schritt auf dem Weg zum Staatsvertrag: Vom Standpunkt der UdSSR aus wurden dazu mehrere wichtige Initiativen unternommen; so trat Österreich der Idee der Neutralität näher. Russische und österreichische Historiker sind sich aber - wenig überraschend - darin einig, dass sich die innenpolitische Situation in der UdSSR nach dem Tod Stalins (1953) - und konkret der Kampf verschiedener Gruppierungen innerhalb der KPdSU - auf die Moskauer Einstellung zur „österreichischen Frage" auswirkte. Selbst Historiker der alten sowjetischen Schule unterstrichen, dass man den Widerstand Molotovs überwinden musste, der den Abschluss des Staatsvertrages und die Verbesserung der Beziehungen zu Österreich behindert habe.95 Im Rahmen des vorliegenden Beitrages wird dennoch das Schwergewicht auf die Untersuchung der Frage zu legen sein, wie sich die Ost-West-Konfrontation auf die Vorbereitung und Entscheidungen der Berliner Konferenz auswirkte. Erwartungen und Positionen 1953-1954 In Österreich verfolgte man die Reaktionen der westlichen Staatskanzleien, die sich von der Berliner Konferenz von Anfang an nicht viel erwartet hatten, und deren Pläne naturgemäß genau. Außenminister Figl wurde am 16. Jänner 1954 vom Österreichexperten des US-Außenministers, John Foster Dulles, zur Konferenz begleitet und über die amerikanische Position informiert.96 Allein der Gedanke an eine österreichische Neutralität löste in den USA Unruhe aus. Die US-Position zielte u. a. darauf ab, dass die Sowjetunion bis dahin keine vertraglich festgelegte Neutralität Österreichs verlangt habe. „Sollte sie dies jedoch fordern und ein von den vier Mächten abzuschließender 93 94 95 96

Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 301-319. Wolfgang Mueller, Sowjetbesatzung, Nationale Front und der „friedliche Übergang zum Sozialismus", in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStABd. 50. Wien 2003, S. 133-156, hier: S. 154f. Evgenij Novosel'cev, Vnesnjaja politika Avstrii. Vnesnjaja politika i mezdunarodnye otnosenija. Moskau 1962, S. 13. ÖStA/AdR, BMfaA, 141.159-pol54.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen Beziehungen Garantievertrag angeregt werden, so wäre zu bedenken, dass unter Umständen gewisse Schwierigkeiten daraus entstehen könnten." 97 Das State Departement erwartete bezüglich der noch offenen Artikel des Staatsvertrages „keine unlösbaren Probleme, vorausgesetzt, dass die Sowjetunion diesmal überhaupt bereit sei, den Staatsvertrag abzuschließen". Der Österreichexperte war hinsichtlich der bevorstehenden Konferenz nicht übermäßig optimistisch, bemerkte aber, dass „die Sowjetunion die Konferenz nicht ohne irgendein Ergebnis abschließen" wolle. 98 Die Amerikaner hielten es für wichtig, auch die Erdölfrage auf die Tagesordnung zu setzen. Das State Department war „der Ansicht, dass versucht werden müsse, die Erdölquellen und die Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft wieder in österreichischen Besitz zu bringen. Eine russische Kontrolle der Erdölgebiete könnte eine dauernde Gefahr für die innere Sicherheit Österreichs bilden. Es wäre daher anzustreben, die Erdölquellen und die Schifffahrtsinteressen der Sowjetunion abzukaufen'." 9 9 Interessant waren auch die britischen Erwartungen. 100 Britische Medien stellten Mutmaßungen über die sowjetischen Initiativen auf der Berliner Konferenz an. So unterstrich die „Times", dass - wenn es zu Deutschland keine Fortschritte gäbe - kaum Aussichten bestünden, in der „österreichischen Frage" zu einem Resultat zu kommen." 101 Der konservative „Daily Telegraph" notierte: „Wenn in Berlin [...] in den Punkten Österreich und Deutschland ein Erfolg erzielt werden könnte, würde dies sehr zur Lösung der anderen internationalen Probleme beitragen. Es könne allerdings keine Hoffnung bestehen, wenn die Russen weiterhin fortführen, die NATO zu verdächtigen. Wenn die Russen wirklich versuchen sollten, irgendeine Lösung zu erreichen, könnte es tatsächlich zum Abschluss irgendeiner Art von Locarno-Vertrag kommen." 102 Der liberale „Manchester Guardian" betonte: „Im Übrigen könnte bei den Verhandlungen mit Russland nur dann ein für den Westen positives Resultat erreicht werden, wenn die militärischen Kräfte der Westmächte weiterhin gestärkt werden." 101 Die Reaktion des „Economist" wurde an Gruber berichtet: „Das russische Schlagwort bezüglich der Berliner Konferenz sei nun ,Europa den Europäern', wobei sich Russland selbst als europäische Macht bezeichne, also verlange es nichts anderes, als den Rückzug der Amerikaner aus Europa." 104 Von besonderem Gewicht war natürlich die Position Moskaus. Für die sowjetische Seite war die Berliner Konferenz nicht nur deswegen wichtig, weil sich nach einer fünfjährigen Pause die Außenminister der Großmächte zum ersten Mal trafen und den österreichischen Staatsvertrag diskutieren konnten, sondern auch deswegen, weil sich

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Ebd. Ebd. Ebd. ÖStA/AdR, BMfaA, 330.205. Die britische Presse zur Bermuda- und Berliner Konferenz, London, österreichische Botschaft. ÖStA/AdR, BMfaA, 330.205. ÖStA/AdR, BMfaA, 330.205. Anspielung auf sicherheitspolitische Verhandlungen in Locarno (Schweiz), die 1925 zu einem nach der Stadt benannten Vertrag zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien führten. ÖStA/AdR, BMfaA, 330.205. Ebd.

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Ludmilla Lobova ihr die Möglichkeit bot, die (zu diesem Zeitpunkt noch nicht gescheiterte) EVG zu thematisieren. Die Verhandlungen zur Einberufung der Konferenz liefen im Sommer und Herbst 1954. Dabei wurde vereinbart, dass Österreich als gleichrangiger Partner teilnehmen sollte. Das war auch für die Weltkriegsalliierten eine neue und ungewohnte Situation. So Stourzh: „Die Alliierten entsprachen schließlich diesem Wunsch, obgleich nicht ohne Zögern [...] Dieses Zögern, am stärksten auf amerikanischer Seite, hing mit Rücksichtnahmen auf die Bundesrepublik Deutschland zusammen; die BRD würde ja keinesfalls als Verhandlungspartner bei dem Hauptverhandlungspunkt, der deutschen Frage, präsent sein."105 Die sowjetische Seite meinte, dass der Umstand, dass Österreich in Berlin gleichrangig vertreten ist, bereits von einer Annäherung zwischen Moskau und Wien zeuge. Ein anderer wichtiger Moment, auf den in der UdSSR verwiesen wurde, war der Auftritt Figls am 12. Februar 1954. Er legte die Position seiner Regierung dar, wonach Österreich keine Absicht habe, irgendwelchen Militärblöcken beizutreten und anderen Mächten auch keine Militärbasen zur Verfügung stellen werde. Diese Aussagen wertete die sowjetische Seite als „Absicht Österreichs, eine Politik der Neutralität zu verkünden". 106 Allerdings findet sich in den Dokumenten der Berliner Konferenz noch keine klare Abgrenzung zwischen den Begriffen „Neutralität", „Neutralisierung" und „Neutralisation", worauf österreichische Historiker später ihre Aufmerksamkeit lenkten. 107 Damals war v. a. von „Neutralisierung" die Rede, auch, weil noch nicht klar war, welches neutralitätspolitische Vorbild Österreich für sich wählen würde. Die sowjetische Delegation präsentierte auf der Konferenz zwei Zusatzvorschläge zum Staatsvertrag. Der erste betraf einen Artikel 4, ein Beitrittsverbot Österreichs zu einem Militärblock. Der zweite enthielt eine Veränderung von Artikel 33, die vorsah, dass auch nach dem Inkrafttreten des Vertrages kleine Truppenkontingente der vier Besatzungsmächte in Österreich bleiben sollten - und zwar bis zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland. Molotov rechtfertigte die sowjetischen Änderungswünsche damit, dass sie der „nationalen Unabhängigkeit und Sicherheit Österreichs" entsprächen. Wichtiger aus seiner Sicht war aber offenbar, dass so die personellen und materiellen Ressourcen Österreichs nicht von anderen Staaten (d. h. den Westmächten) allein genutzt werden konnten.' 08 Von ihrer Position nahm die UdSSR erst ein Jahr später Abstand, als Molotov in seiner Rede „Über die internationale Lage und die Außenpolitik der UdSSR" auf einer Sitzung des Obersten Sowjets der Sowjetunion am 8. Februar 1955 eine Erklärung der 105 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 301. 106 Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija, S. 204. 107 Vgl. dazu Michael Gehler, Quo vadis Neutralität? Zusammenfassende Überlegungen zu ihrer Geschichte und Rolle im europäischen Staatensystem sowie im Spannungsfeld der Integration, in: Michael Gehler - Rolf Steininger (Hg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945-1995. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung. Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Arbeitskreis Europäische Integration. Historische Forschungen Veröffentlichungen. Bd. 1. Wien - Köln - Weimar 2000, S. 711-754. 108 AVP RF, F. 444, op. 1, p. 12, d. 58, S.14.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen Beziehungen Sowjetführung zur „österreichischen Frage" machte. Anfang 1954 waren allerdings die Westmächte der Meinung, dass genau dieser Punkt die Verhandlungen in eine Sackgasse führe und die Unterzeichnung des Staatsvertrages in Berlin unmöglich machte. Mit ihren Vorschlägen demonstrierte die UdSSR Unnachgiebigkeit gegenüber der NATO und deren angebliche Versuche, ihren Einfluss auf Österreich auszudehnen; zudem sah sie ihre Vorschläge als Reaktion auf den EVG-Vertrag und eine von ihr unterstellte Stärkung der Rolle der Bundesrepublik Deutschland. Die Kritik der Westmächte an den sowjetischen Änderungsvorschlägen für Artikel 33 des Staatsvertrages lief auf den Verdacht hinaus, dass die UdSSR die Besetzung Österreichs nicht beenden wollte. Die sowjetischen Vorschläge wurden abgelehnt, und jede Seite erklärte das Scheitern des österreichischen Staatsvertrages auf der Berliner Konferenz auf ihre Weise.

Reaktionen auf die Berliner Konferenz Im Westen gab man überwiegend der UdSSR die Hauptschuld am Misserfolg der Berliner Konferenz: „Die Aussichten der Konferenz wurden von Anfang an mit sehr geringem Optimismus betrachtet. Allgemein wird die Ansicht vertreten, dass die Schuld an dem Misserfolg der Verhandlungen über die deutsche Frage auf russischer Seite liegt. Vielfach bestand aber die Hoffnung, dass vielleicht in der österreichischen Frage ein positiver Erfolg erzielt werden könnte. Mit um so größerer Enttäuschung wurde die Mitteilung über die Unnachgiebigkeit des russischen Unterhändlers aufgenommen." 109 Auch die westlichen Reaktionen auf die sowjetischen Änderungswünsche zum Artikel 33 waren eindeutig: „Für das Scheitern der Verhandlungen wird ausschließlich die russische Seite verantwortlich gemacht, umso mehr, da im Verlauf der Verhandlungen von Österreich größte Zugeständnisse gemacht wurden. Zur Forderung der Russen, ihre Truppen in Österreich zu belassen, wird erklärt, dass dies ein Zeichen der Schwäche ihrer Position in Europa sei und eine dauernde Politik sich nicht auf Bajonette stützen könne." 110 Auch der Einfluss der innenpolitischen Situation in der UdSSR nach dem Tod Stalins auf die Berliner Konferenz wurde thematisiert: „Die Unnachgiebigkeit des russischen Unterhändlers ist - nach der Meinung eines leitenden Beamten des Außenamtes (Österreichische Botschaft in Santiago, am 21. Februar 1954) - auch darauf zurückzuführen, dass die inneren Verhältnisse in Russland zu wenig konsolidiert seien, als dass die staatliche Leitung irgendwelche Konzessionen hätte machen können. Molotov, dessen Bedeutung nach dem Tode Stalins vielfach überschätzt wurde, habe nur die Stellung eines höheren Beamten, der entsprechend den Weisungen handeln müsse. Die leitenden Staatsmänner seien nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die von der mächtigen Partei als Verzicht der von Stalin erreichten Positionen oder vom Heer als das Aufgeben strategischer Positionen abgelehnt werden. [...] Die Tatsache, dass es 109 ÖStA/BMfaA, Staatsvertrag, Ktn. 299 II-pol 1954, 142.121. 110 Ebd.

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Ludmilla Lobova Molotov möglich war, dank der Tätigkeit der internationalen Presseagenturen seine Argumentation und seine verschiedenen Vorschläge, die abgelehnt werden mussten, in den Weststaaten publik zu machen, hat hier das Urteil über die allgemeine Politik Moskaus nicht beeinflusst." 1 " Natürlich musste die österreichische Seite die innenpolitische Lage in der UdSSR verfolgen, um Beziehungen zu Moskau aufzubauen und Möglichkeiten zur Lösung der „österreichischen Frage" zu suchen. Aus der österreichischen Botschaft in Moskau hieß es, dass „die neuen Machthaber nach dem Tod Stalins vorläufig nicht in der Lage sein werden, weitgehende politische Vereinbarungen zu treffen und Konzessionen zu machen". 112 Die Ergebnisse der Berliner Konferenz stießen in Österreich auf verschiedene Reaktionen, aber natürlich galt sie insgesamt als Misserfolg. Das Außenministerium in Wien war sich aber auch noch eines anderen Umstandes bewusst: „Wenn das Ergebnis der Berliner Konferenz einerseits lebhaftes Bedauern darüber ausgelöst hat, dass Österreich die Unabhängigkeit nicht erreichen konnte, wird andererseits die aufrechte, entschlossene Haltung der österreichischen Regierung und das unbeugsame Streben Österreichs nach voller Freiheit allgemein anerkannt." 113 Moskau bewertete die Konferenz natürlich von einer anderen Position aus. So wurden die Ergebnisse mit der Lösung der „deutschen Frage" verbunden. Es falle dem Westen schwer, aus Österreich wegzugehen, „solange die Bonner Republik nicht bewaffnet ist".114 Rostislav Sergeev, außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter und Teilnehmer an den Verhandlungen zu Österreich und Deutschland, meinte: „Die Delegation Österreichs hat sich auf der Berliner Konferenz zu keinen selbstständigen Schritten entschlossen. [...] Seine Diplomatie war durch die negative Position der westlichen Delegationen gebunden. Unter diesen Bedingungen blieb in der sowjetischen Delegation die Wechselwirkung der Entscheidung der österreichischen Frage mit der Regulierung des deutschen Problems erhalten." 115 Im Archiv des russischen Außenministeriums findet sich ein an Molotov gerichtetes Dokument vom 25. Februar 1954, in dem Vorschläge zur Ausrichtung der sowjetischen Propaganda in Österreich nach der Berliner Konferenz gemacht werden. Es heißt darin einleitend, dass die Regierungsparteien die sowjetischen Vorschläge zum Staatsvertrag verfälschen würden. Es ginge darum, zu zeigen, dass der Idee einer weiteren alliierten Truppenpräsenz in Österreich „gegen die Bedrohung eines neuen Anschlusses" gerichtet sei und die „staatliche Unabhängigkeit Österreichs erhalten" solle. Am Scheitern der Berliner Konferenz in der „österreichischen Frage" trügen die Westmächte Schuld, weil sie die sowjetischen Vorschläge nicht akzeptiert hätten." 6

111 112 113 114 115

Ebd. Ebd. Ebd. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija, S. 207. Rostislav Sergeev, Kak byl dostignut proryv ν avstrijskom voprose, in: Sovremennaja Evropa. 2000/4, S. 105-113, hier: S. 106. 116 AVPRF, F. 06, op. 13, p. 12, d. 122, S. 1-3.

Österreich und die UdSSR. Die bilateralen Beziehungen Sowjetische Historiker unterstrichen zu den Ergebnissen der Berliner Konferenz die Rolle der österreichischen Parteien in dieser Frage und ihrer Betrachtungsweise der aktuellen Ereignisse. Die sowjetischen Entscheidungsträger meinten, dass es in den Führungen der beiden Großparteien, v. a. aber der ÖVP, Anhänger der Unterzeichnung des Staatsvertrages gab, aber die sowjetischen Vorschläge von ihnen dennoch zurückgewiesen wurden, weil sie sich nach sowjetischem Eindruck unter starkem Einfluss der USA befanden." 7 Moskau unterstrich, dass die führenden österreichischen Parteien nach der Berliner Konferenz eine „Kampagne" zur Annäherung an den Westen gestartet hätten. Die ÖVP habe sich auf einer Versammlung von Industriellen am 4. März 1954 „für eine Westorientierung der österreichischen Wirtschaftspolitik und des Außenhandels" ausgesprochen, und SPÖ-Führer stimmten am 28. Februar 1954 bei einer Konferenz der Sozialistischen Internationale in Brüssel für die Schaffung einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft". Insgesamt spiegelte sich der Kalte Krieg natürlich in Vorbereitung, Verlauf und Einschätzung der Berliner Konferenz wider. Diese war ein Versuch, die „österreichische Frage" ausgehend von den Interessen der in Herausbildung begriffenen Blöcke in Ost und West zu lösen. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich die Beziehungen zwischen der UdSSR und Österreich, und die Konferenz galt der sowjetischen Diplomatie als bestimmte „Annäherung der Positionen" der beiden Länder, auf deren Grundlage sich schon die Konturen einer Lösung der „österreichischen Frage" abzeichneten. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die Entwicklung der bilateralen Beziehungen der UdSSR und Österreichs fiel in die schwierigen Jahre des Kalten Krieges, als Europa Schauplatz eines politischen Kampfes um Einflusssphären war und schließlich für vier Jahrzehnte zwischen den Blöcken aufgeteilt wurde. Ausgehend davon wurde schließlich auch die „österreichische Frage" gelöst. Die Ost-West-Konfrontation schlug sich sowohl in der inneren Entwicklung Österreichs als auch in seinem außenpolitischen Kurs nieder. Unter den Bedingungen der Besatzung und einer echten Propagandakampagne von allen Seiten mussten die österreichischen Spitzenpolitiker mit der Politik der nach 1947 zunehmend auseinanderstrebenden Alliierten rechnen. Die UdSSR hoffte ursprünglich auf die Schaffung einer „Nationalen Front" in Österreich und rechnete nicht mit den Wahlniederlagen der KPÖ und einer „prowestlichen" Orientierung der Großparteien ÖVP und SPÖ. Als die sowjetischen Pläne zur Vereinigung aller „demokratischen Kräfte" Österreichs scheiterten, begann Moskau andere Wege zur Erhaltung seines Einflusses zu suchen. Das machte sich auch in Inhalt und Methoden der sowjetischen Propaganda bemerkbar. Es ist wichtig, zu bemerken, dass die UdSSR jene innenpolitische Situation akzeptieren musste, die sich in Österreich besonders nach den Nationalratswahlen von 1949 117 Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija, S. 209.

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Ludmilla Lobova einstellte. Moskau beschritt nicht den Weg einer Konfrontation und eines Kampfes um eine Sowjetisierung Österreichs, sondern versuchte die Kontakte mit den beiden Großparteien zu verstärken, die auch die Unterstützung der Westalliierten besaßen. Schon im Verlauf der Vorbereitung und auch während der Berliner Konferenz (1954) unterstrich die sowjetische Seite ständig die Wichtigkeit direkter Kontakte mit österreichischen Vertretern und der Stärkung der bilateralen Beziehungen. Der „innenpolitische Faktor" spielte beiderseits eine zentrale Rolle bei der Entwicklung dieser Beziehungen. Es ging nicht nur um die innere Lage in Österreich, sondern auch um politische Prozesse in der UdSSR nach dem Tod Stalins, was sich auf die Staatsvertragsverhandlungen direkt auswirkte. Die Unterzeichnung des Staatsvertrages im Mai 1955 war ein Schlüsselmoment in der Geschichte der bilateralen Beziehungen - ungeachtet dessen, dass der Kalte Krieg bis 1989 andauerte: Er berührte das Fundament der bilateralen Beziehungen nicht mehr.

Walter Blasi

Die Haltung der Sowjetunion zur Remilitarisierung Österreichs

1945-1955 Man schrieb den 18. Februar 1942, als der britische Premierminister Winston Churchill, der sich noch öfters pro-österreichisch äußern sollte, vor einer Runde Österreicher unter Führung des letzten Gesandten in London bis März 1938, Sir George Franckenstein, anlässlich einer Geschenküberreichung an seinem Amtssitz Downing Street 10 erklärte: „We can never forget in this island that Austria was the first victim of Nazi aggression." Der sowjetische Diktator Iosif Stalin aber hatte bereits Ende 1941 klare Vorstellungen, wie Österreich nach Kriegsende in die Kräftekonstellation eingebaut werden sollte, nämlich als unabhängiger Staat. Damit fand in der Moskauer Erklärung von 1943 nicht nur die „Opferthese" ihren Niederschlag, sondern es wurde auch das Ziel der Alliierten, die Wiederherstellung eines freien und unabhängigen Österreich, eindeutig festgelegt, auch wenn die (späteren ehemaligen) Verbündeten in weiterer Folge durchaus unterschiedliche Absichten für die Republik hegten. 1 Die alliierte Österreichpolitik der letzten Kriegsjahre macht deutlich, dass das Schicksal Österreichs nicht isoliert, sondern stets in Verbindung mit Deutschland sowie der Ost- und Südosteuropapolitik betrachtet werden muss. Die Wiederherstellung der österreichischen Unabhängigkeit diente einem umfassenderen Ziel, nämlich der Schwächung Deutschlands. Der britische Wunsch nach Integration Österreichs in einer mittel- oder südosteuropäischen Konföderation, die den zu erwartenden Machtzuwachs Moskaus in Europa eindämmen sollte, rief die Gegnerschaft und Ablehnung seitens der Sowjetunion von derartigen Föderationsplänen auf den Plan und sorgte damit in letzter Konsequenz für die Befürwortung eines unabhängigen Österreich. Washington war anders als London zu jener Zeit eher bereit, eine Expansion des sowjetischen Einflusses in Kauf zu nehmen, die eine Folge des Desinteresses der USA an Europa (der pazifische Raum war ihr Interessengebiet, und man wollte keinesfalls in die Probleme auf dem Balkan sowie in eine mögliche dortige britisch-sowjetische Rivalität hineingezogen

1

Gerald Stourzh, U m Einheit und Freiheit: Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1 9 4 5 - 1 9 5 5 . Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62. 4., völlig Überarb. u. erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1998, S. 13ff.

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Walter Blasi werden) und des abzusehenden Engagements Englands im kolonialen Bereich gewesen wäre. Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt hätte gegen ein kommunistisch dominiertes Österreich keinen Widerstand geleistet.2 Auch die Verhandlungen über die Besatzungszonen in Österreich, die Anfang 1944 begonnen worden waren, schleppten sich bis Juli 1945 hin. Auffallend ist wiederum die bis Ende 1944 fehlende Absicht des amerikanischen Präsidenten und der Vereinigten Generalstabschefs der US-Streitkräfte, an einer Besetzung Österreichs teilzunehmen. Das Abkommen über die Alliierte Kontrolle in Österreich sah die Errichtung eines alliierten Kontrollsystems vor, „das in Österreich bis zur Errichtung einer frei gewählten, von den vier Mächten anerkannten österreichischen Regierung funktionieren" sollte.3 Die Westalliierten sollten jedoch überrascht werden, mit welcher Schnelligkeit im Frühjahr 1945 durch tatkräftige Mithilfe der sowjetischen Besatzungsmacht die Provisorische Staatsregierung unter Staatskanzler Karl Renner zustande kam und die Verwaltung wieder in Gang gesetzt wurde. Paradoxerweise waren es gerade die Sowjets, die der österreichischen Regierung Möglichkeiten zur administrativen und legislativen Entfaltung gaben, die in den westlichen Besatzungszonen ohne Beispiel blieb. Die sowjetische Besatzungsmacht trachtete offenbar, über die in der Regierung vertretenen Kommunisten eine Fernsteuerung der Regierungstätigkeit zu versuchen.4 Auf Grund der politischen Aktivitäten der Sowjets in Osteuropa betrachteten die Westalliierten ihrerseits die Provisorische Regierung Renner mit großem Misstrauen. Renner konnte sogar ein Unterstaatssekretariat für Heerwesen einrichten, ohne auf Widerspruch seitens der Russen zu stoßen. Dieses Heeresamt, in dem Vertreter der SPÖ und der ÖVP, jedoch keine Kommunisten mitarbeiteten, wurde während des Sommers und Herbstes 1945 in den Bundesländern (außer in Niederösterreich und dem Burgenland) um so genannte Heeresamtsstellen erweitert. Die Aufgabe dieser Dienststellen war die Durchführung der personellen und sachlichen Demobilisierung. Daneben sollte das Heeresamt und seine nachgeordneten Dienststellen in den Bundesländern bereits die Grundlagen für die möglichst rasche Neuaufstellung einer österreichischen Armee schaffen. Im November 1945 verfügten die vier Besatzungsmächte aus unterschiedlichen Motiven die Auflösung des Heeresamtes. Der Alliierte Rat untersagte schließlich am 10. Dezember 1945 in einem einstimmigen Beschluss jegliche Art militärischer Tätigkeit.5 Gerade die Pläne zur Neuaufstellung eines österreichischen Bundesheeres missfielen der sowjetischen Besatzungsmacht. Die Abteilung zur Liquidierung des Heeresamtes (im Bericht wird von der „Staatskanzlei" gesprochen) wurde ebenfalls genau beobachtet. Einem im Juni 1946 von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmten Papier dieser Abteilung ist eindeutig der defensive Charakter einer künftigen österreichischen Armee zu entnehmen.6 2 3 4 5 6

Ebd., S. 15f. Ebd., S. 29f., 31 f. Ebd., S. 32. Walter Blasi, Die B-Gendarmerie 1952-1955. Wien 2002, S. 13. CA FSB, F. 4, op. 4, d. 1441a, S. 83-90. Schriftlicher Bericht des Nachrichtendienstes des Sowjeti-

Die Haltung der Sowjetunion zur Remilitarisierung

Österreichs

Sowjetische Propagandaziele in Österreich: Entnazifizierung, mangelnde Demokratisierung und Entmilitarisierung Bei den im November 1945 von den Besatzungsmächten unbeeinflussten Nationalratswahlen erlitten die Kommunisten eine empfindliche Wahlniederlage 7 , welche für die Übergriffe der sowjetischen Soldaten bezahlen mussten. Die auf dem Boden der westlichen Demokratie stehenden Großparteien ÖVP und SPÖ erzielten hingegen einen überwältigenden Wahlerfolg. 8 Es ist anzunehmen, dass die Sowjets im Zuge ihrer Expansionsbestrebungen durchaus Hoffnungen hegten, (auch) aus Österreich eine kommunistische Volksrepublik machen zu können. Diese Hoffnungen mussten sie allerdings bei den Wahlen von 1945 zu Grabe tragen, bei denen es ÖVP und SPÖ gelang, der KPÖ eine empfindliche Niederlage beizubringen. Die nächste Wahlniederlage von 1949 und der gescheiterte Generalstreikversuch von 1950 dürften die Sowjets endgültig von der Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens - mit und ohne ihre direkte Unterstützung - überzeugt haben. 9 Die nur punktuelle Unterstützung für den Streikaktivismus der KPÖ lässt einen solchen Schluss durchaus zu.10 Auch wenn es nicht gelang, Österreich in eine Volksdemokratie zu verwandeln, behielt das Land in den Händen der sowjetischen - und selbstverständlich auch der westlichen - Machthaber aus psychologischen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gründen seinen Wert. Die geopolitische Lage Österreichs machte das Land einfach zu einem Handelsobjekt im Kalten Krieg. Der Wahlausgang von 1945 kann durchaus als Wendepunkt für Moskau angesehen werden. Von nun an betrachtete die UdSSR Österreich nicht mehr als eine potentielle Volksdemokratie." Mit der ständigen Obstruktion in der Frage der Vorbereitungen für das künftige Bundesheer könnte Moskau noch einen - letzten - Trumpf in der Hand zurückbehalten haben, dem Kommunismus in Österreich vielleicht doch noch zum Sieg zu verhelfen. Gerade in der Abzugsphase der Besatzungstruppen nach Unterzeichnung des Staatsvertrages hätte Österreich auf Grund fehlender militärischer und sicherheitspolitischer Kräfte leicht das Opfer eines gewaltsamen Umsturzversuches der Kommunisten, vor allem des

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sehen Teiles der Alliierten Kommission für Österreich an den stv. Leiter der 3. Hauptverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MGB) der UdSSR, V. Budarev, über die Tätigkeit der österreichischen Regierung zur Aufstellung einer Armee (Nr. 1177). Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupaeija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 151. 1947 schieden die Kommunisten ganz aus der Regierung aus. Die Mandatsentwicklung der KPÖ bzw. des Linksblocks bei den Nationalratswahlen sah folgendermaßen aus: 1945: 4; 1949: 5; 1953:4; 1956: 3; ab den Wahlen von 1959 konnte die Linke keine Mandate mehr erringen; Anm. d. Verf. Erich Zöllner, Geschichte Österreichs: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien - München 1990, S. 532. William Lloyd Stearman, Die Sowjetunion und Österreich 1945-1955. Ein Beispiel für Sowjetpolitik gegenüber dem Westen. Bonn - Wien - Zürich 1962, S. 186. Walter Blasi, Die Entwicklung der österreichischen Neutralität in den Jahren 1945 bis 1955 unter Berücksichtigung der Haltung der SPÖ und ÖVP. Interne Information zur Sicherheitspolitik. H. 12. Wien 2001, S. 7. Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 43. Vgl. dazu den Beitrag von Peter Ruggenthaler, Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in diesem Band.

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Walter Blasi von amerikanischer Seite als gefährlich eingeschätzten Werkschutzes12 der USIA-Betriebe, werden können.13 Moskau hatte nichts gegen eigene österreichische Streitkräfte einzuwenden, wie die qualitativ guten und quantitativ großzügigen Geschenke an das österreichische Bundesheer aus dem Jahr 1955 beweisen, nur sollte mit der Aufstellung erst nach der Staatsvertragsunterzeichnung begonnen werden.14 Die Demilitarisierungskampagne Mit der Wahlniederlage 1945 trat jedenfalls eine Änderung in der sowjetischen Besatzungspolitik ein. Hatten die Sowjets der von ihren Gnaden installierten Regierung Renner anfangs freie Hand gelassen (wie ζ. B. bei der „Entnazifizierung", die eine rein österreichische Angelegenheit war), so wurden nun die Zügel spürbar angezogen. Zunächst begann die sowjetische Besatzungsmacht, die österreichischen Entnazifizierungsmaßnahmen kritisch zu beleuchten, die bis zu ihrem Abzug im Jahr 1955 zum Dauerthema wurden.15 Außerdem erregte die ihrer Ansicht nach „mangelnde Demokratisierung" Aufmerksamkeit, wenn auch nicht in einem solchen Ausmaß wie die Entnazifizierung.16 Hingegen sollte die „Demilitarisierung" eines der am meisten strapazierten Argumente der Sowjets werden, um die Besetzung Österreichs hinauszuzögern. Sie verursachte die erste tiefgehende Meinungsverschiedenheit im Alliierten Rat und blieb faktisch bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrages auf der Tagesordnung. Die Sowjets begannen nun, „wahrhaft embryonale militärische Tätigkeiten" zu entdecken, die ihrer Meinung nach gegen sie hätten gerichtet sein können.17 Im Dezember 1945 startete die sowjetische Besatzungsmacht eine regelrechte Entmilitarisierungskampagne, nachdem bereits im November von allen vier Alliierten die Auflösung des Heeresamtes beschlossen worden war. Etwa bis Anfang 1947 wurde die UdSSR dabei oftmals von den Westalliierten in ihrer naiven Vorstellung einer tatsächlichen Remilitarisierungsverhinderung sogar noch unterstützt, obwohl es sowjetischerseits Angriffe auf die westlichen Besatzer gerade in dieser Richtung gab. Am 8. Dezember 1945 schlug der sowjetische Vertreter während der Sitzung des Exekutivrates vor, dass jeder Befehlshaber in seiner Zone alle militärischen und paramilitärischen Organisationen auflösen solle, und dabei beiläufig die Existenz einer „österreichischen Brigade" erwähnte. Am 10. Dezember behaupteten die Sowjets bei einer Sitzung des Alliierten Rates, dass gewisse Arbeitstrupps in der britischen Zone, die aus Wehrmachtspersonal bestanden, das sich ergeben hatte, in Wirklichkeit militärische Organisationen seien. Daraus resultierte schließlich das Verbot jeglicher Form österreichischer militärischer Aktivitäten.18 Marschall Ivan Konev drückte in einem Schreiben am 14. Dezember 1945 12 13 14 15 16 17 18

Tatsächlich soll der Werkschutz, der in den Jahren 1946 bis 1948 aufgebaut wurde, über nicht mehr als 1500 bis 2000 Mann verfügt haben; Blasi, Die B-Gendarmerie 1952-1955, S. 14. Ebd. Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 113. Ebd., S. 102. Ebd., S. 109. Ebd., S. 111. Ebd., S. l l l f .

Die Haltung der Sowjetunion zur Remilitarisierung Österreichs seine Beunruhigung über die „Taten der österreichischen Regierung zu einer Wiederaufstellung und Neuorganisation der Streitkräfte auf dem Gebiet Österreichs" aus. Er wollte bereits die Errichtung militärischer Einheiten, Stäbe und die Struktur eines Generalstabes erkennen und rief zur „Vernichtung des militärischen Potenzials zur Sicherung eines dauerhaften Friedens" auf.19 Am 17. Dezember wurde in einem an die Adresse der österreichischen Regierung gerichteten sowjetische Papier die Dringlichkeit der vollständigen Demilitarisierungsmaßnahmen nochmals betont. 20 Der sowjetische Hochkommissar legte schließlich am 10. Jänner 1946 dem Alliierten Rat eine Liste von 14 militärischen und paramilitärischen Organisationen vor, die angeblich in Österreich existierten und unter denen österreichische, deutsche und weißrussische Brigaden angeführt wurden. Auch das mit Zustimmung der sowjetischen Besatzungsmacht eingerichtete Heeresamt stand auf der Liste. Als die Sowjets am 11. Februar 1946 versuchten, die Zustimmung des Alliierten Rates für diese Liste zu bekommen, verweigerte der britische Hochkommissar Generalleutnant Sir Richard McCreery die Anerkennung der genannten Brigaden in der britischen Zone als militärische Organisationen. Es war dies die erste gröbere Meinungsverschiedenheit im Alliierten Rat. Der nächste Schritt im Frühjahr 1946 bestand in der Säuberung der offiziellen Militärarchive, die auch Material aus der nationalsozialistischen Zeit enthielten, das entfernt werden musste. Die Sowjets und Franzosen wollten darüber hinaus noch die Archivbeamten bestrafen, weil sie erklärt hätten, die Archive seien frei von verbotenem Material. Hiebei spielten die britischen und amerikanischen Vertreter allerdings nicht mit.21 Aus Österreich wurde in einem Schreiben vom Sommer 1946 an das Außenministerium in Moskau eindringlich die Gefahr eines Wiederauflebens des Militarismus in Österreich als „groß" geschildert. Man vergaß auch nicht darauf hinzuweisen, dass dies durch die große Zahl an in Österreich vorhandenen nazistischen und reaktionären Elementen und durch die Enttäuschung einer großen Anzahl an (vor allem jungen) Österreichern über den verlorenen Krieg erkennbar wäre. 22 Die nächste sowjetische „Remilitarisierungsepisode" folgte dann im Jahr 1947. Als sich im Jänner dieses Jahres die stellvertretenden Außenminister in London zu industriellen Abrüstungsfragen trafen, forderten sie vom Alliierten Rat unter anderem auch einen Bericht über die Demilitarisierung und Abrüstung in Österreich an. Die Westalliierten waren der Meinung, dass dies mit wenigen Ausnahmen erfolgt sei. Lediglich die Sowjets schlossen sich dieser Auffassung nicht an und beharrten auch weiterhin darauf, dass weder Demilitarisierung noch Abrüstung in irgendeiner Form vollständig wären. 19

20 21 22

AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 16, S. 79-84. Konev an Alliierten Rat. 14.12.1945. - Für die Zurverfügungstellung der russischen Akten danke ich dem Ludwig Boltzmann-Institut für KriegsfolgenForschung sehr herzlich. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 16, S. 86f. Koptelov an Smirnov. 17.12.1945. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx -Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 143. Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 112. AVP RF, F. 066, op. 26, p. 123, d. 27, S. 71-92: II. Über die Nichterfüllung der am 5.6.1945 in Berlin unterzeichneten Deklaration über die Kapitulation Deutschlands durch die österreichische Regierung.

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Walter Blasi Auf Grund eines kuriosen sowjetischen Begriffes „Militärpotential" scheint dieses tatsächlich größer als 1938 gewesen zu sein, denn es reichte allein die Tatsache der theoretischen Herstellung von Knöpfen für militärische Uniformen aus, um die dazugehörige Knopffabrik als „Kriegspotential" zu brandmarken. Zu Jahresbeginn von 1947 hatten sich die stellvertretenden Außenminister - also auch der sowjetische - in London darauf geeinigt, der Staatsvertrag solle Österreich ein Landheer in der Stärke von 53.000 Mann und Luftstreitkräfte mit 90 Flugzeugen zugestehen. Am 21. März 1947 brachte die britische Seite den Vorschlag, der auch von den Amerikanern und Franzosen unterstützt wurde, ins Spiel, der österreichischen Regierung solle erlaubt werden, mit der Planung für die im Vertragsentwurf vorgesehenen Streitkräfte zu beginnen, damit zum Zeitpunkt des alliierten Truppenabzuges genügend Sicherheitskräfte zur Verfügung stünden. Dieser Vorschlag wurde von den Sowjets als „verfrüht" abgelehnt, sie legten Veto ein.23 In weiterer Folge richteten sie ihre Angriffe auf alles, was auch nur im Entferntesten einer Armee ähnelte. Der Kalte Krieg und die Westorientierung Österreichs 1947 übernahmen die USA die führende Rolle in der europäischen Politik des Westens. Weil sie in den ersten beiden Jahren nach Kriegsende noch an eine Politik der Zugeständnisse geglaubt hatten, ruhte die Last des Widerstandes gegen den sowjetischen Expansionsdruck in Mitteleuropa fast allein auf den Schultern der Briten. Auf dem europäischen Schauplatz wurde das Konzept der „Eindämmung" des Kommunismus nach dem Prager Staatsstreich (1948) und der Berlin-Blockade (1948/49) zur Grundlage der offiziellen amerikanischen Politik. Hand in Hand damit ging eine massive Wiederaufrüstung der USA. Washington hatte sich entschlossen, der UdSSR zu demonstrieren, dass der Status quo in Europa gewahrt bleiben müsse.24 Die Westorientierung Österreichs wurde erstmals mit der Annahme des MarshallPlanes (1948), dem umfassenden Wirtschaftshilfeprogramm der USA für Europa, sichtbar. Dieser verfolgte von Anfang an das Ziel einer Stärkung der europäischen Staaten zur Abwehr des sowjetisch-kommunistischen Einflusses. Die Anlehnung an die Westmächte sollte in den folgenden Jahren noch enger werden - Österreich wurde auf Grund der Krisen an seinen Grenzen durch die Zusammenarbeit auf dem sicherheitspolitischen Sektor mit den Besatzungsmächten USA, Großbritannien und Frankreich zum „geheimen Verbündeten" des Westens.25 Ende 1946 vertrat Washington - zumindest nach außen hin - noch die sowjetische Linie: Die Frage eines künftigen österreichischen Heeres könne erst nach Abschluss des Staatsvertrages in Erwägung gezogen werden.26 In weiterer Folge schalteten sich die Alliierten immer wieder in die Diskussion über das künftige Heer ein. 1947 forderten

23 24 25 26

Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 112f. Walter Laqueur, Europa auf dem Weg zur Weltmacht 1945-1992. München 1992, S. 157ff. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 106 u. 192. Keine Verhandlungen über Österreichs Heer, in: Wiener Kurier, 28.12.1946.

Die Haltung der Sowjetunion zur Remilitarisierung

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die Sowjets eine Reihe von militärischen Klauseln, die einer Kontrolle der Armee hätten dienen sollen. Außerdem unterstützten sie einen Antrag der Franzosen, österreichische Offiziere, die in der Deutschen Wehrmacht gedient hätten, vom Dienst in der österreichischen Armee auszuschließen. Übrig blieb der 1955 im Staatsvertrag aufgenommene „Oberstenparagraph". 27 Bei den Nationalratswahlen von 1949 wollten die Kommunisten sogar mit dem Schreckgespenst der drohenden Aufstellung einer österreichischen „Wehrmacht" punkten und Stimmen für den Linksblock gewinnen, was bekanntlich nicht zum gewünschten Ziel führen sollte.28 Die kommunistische Presse versorgte in den nächsten Jahren ihre Leserschaft immer wieder mit aufgebauschten Enthüllungen über die im Lande stattfindende „Remilitarisierung", denn die Aus- und Aufbaumaßnahmen der mobilen Gendarmerieeinheiten (Alarm-Bataillone inklusive drei mit Panzerspähwagen ausgerüstete „Fahreinheiten") ab 1949 sowie der so genannten B-Gendarmerie ab 1952 ließen sich nicht verheimlichen, und auch der militärische Charakter war vor einem einschlägig gebildeten Fachmann 29 kaum zu verbergen. 30 So konnte es nicht ausbleiben, dass die sowjetische Besatzungsmacht im Alliierten Rat wieder ihre Stimme erhob. Sie beschuldigte die österreichische Regierung, mit Unterstützung der Besatzungstruppen der Westmächte die Demilitarisierung des Landes hintertrieben und unter angloamerikanischem Druck Kurs in Richtung einer Remilitarisierung genommen zu haben. Frustriert mussten die Sowjets allerdings feststellen, dass die „Angloamerikaner" jedes Mal ihre Vorschläge zur Untersuchung des von der österreichischen Regierung betriebenen Programms zur Demilitarisierung abgelehnt hatten. 3 ' 1950 wurden zum ersten Mal auch Pläne einer Wiederbewaffnung Westdeutschlands angekündigt. Daraufhin begann die sowjetische Propaganda sofort, Verschwörungen aufzudecken, die darauf abzielten, Österreich eine Rolle bei der Bildung der westdeutschen Streitkräfte zuzuweisen. Der österreichische Entschluss, Beobachter zur Montanunion und Vertreter zum Europarat zu entsenden, wurde von sowjetischer Seite als Versuch qualifiziert, Österreich in die NATO zu integrieren (siehe dazu weiter unten) und es an der Wiederbewaffnung Westdeutschlands teilnehmen zu lassen.32 Aber nicht nur die sowjetische Besatzungsmacht und die österreichischen Kommunisten machten mobil, es wurde auch eine ihrer Tarnorganisationen - der „Österreichische Friedensrat" - an die mediale Front geschickt. 1951 präsentierte dieser seine Bro-

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Österreichische Volksstimme v. 14.3.1947. Diese Regelung besagte, dass Personen, die in der Deutschen Wehrmacht den Dienstgrad eines „Oberst" bzw. eines „Generals" geführt hatten, nicht als Offiziere in das Bundesheer übernommen werden konnten, Anm. d. Verf. Graf soll Heeresminister werden. Von den Astparteien vereinbart - Oberweiser und VdU-Leute bilden das Offizierskorps, in: Wahrheit, 30.9.1949. „Nach 10 Minuten Beobachten habe ich gewusst, dass es sich hier um Militär handelt"; freundliche Mitteilung von Korpskommandant i. R. Dipl.-Vw. Lothar Brosch-Fohraheim. Siehe dazu die diverse Ausgaben der Österreichischen Volksstimme. AVP RF, F. 066, op. 31, p. 147, d. 14, S. 1-9. Schreiben Gribanovs an Vysinskij v. 23.3.1950. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 109. Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 118f.

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Walter Blasi schüre „Die Aufrüstung Österreichs: Dokumente und Tatsachen". 33 1951 sollten dann die sowjetischen Anstrengungen, die österreichische Remilitarisierung zu beweisen, ihren Höhepunkt erreichen. Während einer Sitzung des Alliierten Rates am 28. September 1951 verlas Hochkommissar Generalleutnant Vladimir Sviridov eine Erklärung von fünf Seiten Länge, die Österreich beschuldigte, seine Kriegsindustrie in den westlichen Zonen wieder einzurichten, Flugzeug- und Raketenfabriken im Dienste der westlichen Wiederaufrüstung neu zu beleben, weiters die Ausbildung einer 40.000 Mann (!) starken Gendarmerie unter amerikanischer Kontrolle als Kern für eine österreichische Armee zu betreiben sowie eine Gesetzgebung vorzubereiten, die „Kriegsbemühungen" erleichtern würde. Der US-Hochkommissar Walter J. Donnelly wies all diese Anschuldigungen auf das Entschiedenste zurück, und sein britischer Amtskollege Sir Harold Caccia bezeichnete „diesen Unsinn kategorisch als Lüge". Sowohl Außenminister Karl Gruber als auch Innenminister Oskar Helmer rechtfertigten die Verstärkungen der Gendarmerie damit, das Land vor „Kommunisten und Verbrechern" schützen zu können. Aber inzwischen hatten sich die österreichische Regierung und die Westalliierten bereits an die immer wieder hartnäckig vorgebrachten Remilitarisierungsvorwürfe der Sowjets und ihrer österreichischen Genossen gewöhnt und damit zu leben gelernt. 34 Der Ver- und Behinderungsmechanismus hatte jedoch auch seine negativen Seiten. Die österreichische Zivilluftfahrt kam auf Grund der Entscheidungen des Alliierten Rates vom 10. Dezember 1945 und des Exekutivkomitees vom 19. Februar 1946 völlig zum Erliegen. Zwar wurde 1947 vom Alliierten Rat die Bildung einer Abteilung für Zivilluftfahrt und 1949 die Segelfliegerei gestattet, doch die Sowjets verhinderten bis zum Abschluss des Staatsvertrages jede österreichische Flugtätigkeit. Noch im Jahr 1954 weigerte sich der sowjetische Hochkommissar, das österreichische Ansuchen um fünf Leichtflugzeuge und fünf Hubschrauber zu genehmigen, die für den Rettungsdienst in den Bergen dringend benötigt worden wären. 35

Die Remilitarisierungsprogramme Österreichs - was wussten die Sowjets? Zunächst ist davon auszugehen, dass den Sowjets nicht alle in Österreich laufenden Remilitarisierungsprogramme, auf die noch einzugehen sein wird, bekannt waren. Als Aufstellungstag der so genannten „B-Gendarmerie", die Weiterentwicklung der AlarmBataillone mit ehemaligen Wehrmachtsoffizieren, gilt der 1. August 1952. Genau an jenem Tag enthüllte beispielsweise der kommunistische Kärntner „Völkswille" die „endgültige Formierung der Schwarzen Wehrmacht" in Form der Aufstellung des „Gendarmeriebataillons Kärnten". Der Autor des Artikels sah in der „verantwortungslosen Kriegsspielerei" eine „ungeheure Gefahr für Österreich" und erkannte als Aufgaben dieser rein militärischen Einheiten „die Niederhaltung des österreichischen Volkes, vor allem aber die Schaffung des Kerntrupps für ein geplantes österreichisches Bundesheer, 33 34 35

Österreichischer Friedensrat (Hg.), Die Aufrüstung Österreichs. Dokumente und Tatsachen. Wien 1951. Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 113ff. Ebd., S. 115, Fußnote 35.

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das bekanntlich in den amerikanischen Kriegsplänen gegen die Sowjetunion als Lieferant von billigem Kanonenfutter eine große Rolle spielen soll".36 Am 13. August 1952 wurde Stalin in einem ausführlichen Schreiben des Ministeriums für Staatssicherheit der UdSSR aus Wien über die B-Gendarmerie informiert. Bis auf wenige Kleinigkeiten waren die Sowjets über diese Formation und die in dieses Programm involvierten Personen voll im Bilde. 37 Das offizielle Österreich bemühte sich dagegen, die Wiederbewaffnung zu bagatellisieren und gewissermaßen zu legitimieren, denn die österreichische Regierung sah es als primäres Ziel ihrer Politik an, die Einheit des Landes nicht zu gefährden. 38 Tatsächlich dürften die Risiken der verstärkten Verteidigungskooperation mit dem Westen (vor allem Vorkehrungen für einen Angriff aus dem Osten) im Hinblick auf die Sowjets nicht unterschätzt werden 39 , und die politische Führung wird getrachtet haben, die „Reizschwelle" - schon angesichts der nicht durchgehaltenen Geheimhaltung - keinesfalls zu überschreiten. Einschließlich der Planungen für die möglichst rasche Aufstellung des Bundesheeres unmittelbar nach Abschluss des Staatsvertrages, die bereits seit dem Frühjahr 1948 und dann neuerlich mit größerer Intensität ab 1950 betrieben wurde, sind vier wichtige Programme festzustellen. Es handelte sich erstens um das „Gendarmerie Increase Program", besser bekannt unter seiner populären österreichischen Bezeichnung Β-Gendarmerie- oder Sonderprogramm (wie es von den militärischen Fachleuten genannt wurde), zweitens um die „Registration, Mobilization of Austrian Manpower", von österreichischer Seite als „Aufgebot" bezeichnet, und drittens um die „Formation of a Post Treaty Austrian Army", also um die Vorbereitung der sofort nach Unterzeichnung des Staatsvertrages aufzustellenden österreichischen Armee. 40 Das vierte Programm betraf die Aufstellung eines (militärischen) Nachrichtendienstes, in welches nur ein kleiner Personenkreis involviert war, aber deshalb in seiner Bedeutung keinesfalls unterschätzt werden darf.41 Gerade die Sowjets zeigten sich, was nachrichtendienstliche oder Spionageaktivitäten im besetzten Österreich generell betraf, besonders empfindlich. 42

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Blasi, Die B-Gendarmerie 1 9 5 2 - 1 9 5 5 , S. 24. C A F S B , F. 4 o s , op. 10, d. 52, S. 6 6 - 6 8 . Schriftlicher Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit der U d S S R an Stalin über die Maßnahmen betreffend der Zusammenstellung eines österreichischen Heeres unter d e m Druck der Amerikaner (Nr. 5591/i). Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 168. Christian Stifter, Die Wiederaufrüstung Österreichs. Die geheime Remilitarisierung der westlichen Besatzungszonen 1 9 4 5 - 1 9 5 5 . Wiener Zeitgeschichte-Studien. Bd. 1. Innsbruck - Wien 1997, S. 147. Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 211. Ebd., S. 204f. Siehe dazu Walter Blasi, D i e Anfänge des militärischen Nachrichtendienstes in Österreich, in: Walter Blasi - Erwin A. Schmidl - Felix Schneider (Hg.), B-Gendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste. Der militärische Weg zum Staatsvertrag (in Druck). Vgl. dazu Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx, Österreichische Zivilverurteilte in der Sowjetunion. Ein Überblick, in: Andreas Hilger - Mike Schmeitzner - Ute Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale. Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1 9 4 5 - 1 9 5 5 . Köln - Weimar - Wien 2003, S. 5 7 1 - 6 0 5 ; Edda Engelke, Zum Thema Spionage gegen die Sowjetunion, in: Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien 2000, S. 119-136.

Walter Blasi Offiziell wurden von der sowjetischen Besatzungsmacht oder der kommunistischen Presse in Österreich nur die „Wiederbewaffnung" aufs Korn genommen. Das „Aufgebot" oder die nachrichtendienstlichen Beziehungen dürften ihnen entweder entgangen oder es dürfte aus nicht bekannten Gründen dazu geschwiegen worden sein. Immer wieder gab es jedoch Hinweise in der einschlägigen Presse, die Österreicher seien ζ. B. „Landsknechte der USA-Strategie" oder die Gendarmerie werde als USA-Hilfstruppe eingeschult und das Land wäre (ab 1949) in die Aufmarschstrategie der NATO einbezogen.43 Diese Anschuldigungen zielten wiederholt auf einen angeblichen NATO-Beitritt Österreichs ab, über den an späterer Stelle noch zu sprechen sein wird. Die Sowjets statteten jedenfalls der „Remilitarisierung" verdächtigten Dienststellen wie der Pensionsabteilung Α des Finanzministeriums unter Leitung von Hofrat (Generalmajor d. R.) Ing. Dr. Emil Liebitzky44, bestimmten Dienststellen der Bundesgebäudeverwaltung II und dem Kriegsarchiv in regelmäßigen Abständen von zwei bis drei Monaten Besuche ab, um Auskünfte einzuholen. Mit der Verstärkung und Militarisierung der Gendarmerie im Herbst 1951 wurden, wie Liebitzky berichtete, die Fragen bohrender und die Drohung in den Raum gestellt, dass die Spielereien im Westen Österreich um den Staatsvertrag bringen werden. Liebitzky, der das Befragungsritual schon sehr gut kannte, interpretierte die Drohgebärden eher als Theaterdonner, da der sowjetische Oberstleutnant Cernov den beschränkten Wert der Formationen erkannt und den Begriff „Spielerei"45 gebraucht hatte.46 Im März 1955 musste der inspizierende sowjetische Oberst Samov, „der natürlich alles gewusst hat und so getan hat, als ob er nichts wusste"47, auf die Frage Liebitzkys „Lachen Sie nicht manchmal selbst über die Behauptung von der gefährlichen Remilitarisierung?" dies sogar - selbst lachend - zugeben.48 Zwischen der offiziell von Moskau vorgegebenen politischen Linie und der gelebten Realität in Österreich lag doch eine bedeutende Kluft. Auch wenn die Β-Gendarmerie und die westliche Unterstützung nicht zu leugnen waren, vermied man es, die Sowjets zu provozieren. Die amerikanischen Militärs hielten ihre österreichischen Partner dazu an, Fotos von B-Gendarmen mit schweren amerikanischen Waffen als unwiderlegbaren Beweis der Remilitarisierung durch den Westen zu unterbinden.49 1953 wurden die Kommandanten der Gendarmerieschulen (= Bataillone) 43 44

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Siehe dazu die verschiedenen Presseartikel. Diese Abteilung war die Einzige von den Besatzungsmächten geduldete Dienststelle, die sich mit militärischen Fragen in Form von Rehabilitierungen, Pensionierungen, Unterhaltsbeiträgen usw. befassen durfte. Sie spielte in weiterer Folge eine wichtige Rolle bei den in Österreich ablaufenden „Remilitarisierungsprogrammen"; Blasi, Die B-Gendarmerie 1952-1955, S. 13. Der Begriff wird verständlich, wenn man die Vorstufe der NVA, die Kasernierte Volkspolizei, betrachtet, die ab 1952 in Ostdeutschland aufgebaut wurde und die im Vergleich zur B-Gendarmerie (über 6000 Mann im Jahr 1955) über eine Stärke von 100.000 Mann im Jahr 1956 verfügte. Siehe dazu Torsten Diedrich, Frühe Aufrüstung im Zeichen des Kalten Krieges. Der Aufbau militärischer Formationen in der SBZ/DDR 1948 bis 1955/56, in: Walter Blasi - Erwin A. Schmidl - Felix Schneider (Hg.), B-Gendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste. Der militärische Weg zum Staatsvertrag (in Druck). ÖStA/KA, Nachlass Liebitzky, B/1030:197. Schreiben Liebitzkys an Graf v. 28.11.1951. Freundliche Mitteilung von Bgdr i. R. Alexander Buschek. ÖStA/KA, Nachlass Liebitzky, B/1030:174. Bericht über den Besuch Oberst Schamows am 8.3.1955. HGM/MGF-Abt, Karton B-Gendarmerie 1952-1954, VO.Z1. 45-B-53 v. 30.9.1953.

Die Haltung der Sowjetunion zur Remilitarisierung Österreichs darauf hingewiesen, dass diese nicht als militärische Formationen oder als Teil eines künftigen Heeres anzusehen wären. Auf Grund des fehlenden „militärischen Charakters" konnte daher auch angeordnet werden, dass sie nicht an militärischen Feiern teilnehmen dürfen. 50 Sorge bereiteten der Kurierdienst und die Reisetätigkeit von Heeresoffizieren zu ihren Familien, die zum Teil in der sowjetischen Besatzungszone lebten. Beim eventuellen Verlust des als „streng geheim" klassifizierten Schriftverkehrs zwischen dem österreichischen Verbindungsoffizier zu den Westalliierten in Salzburg und dem Planungsgremium in Wien wurde mit „politischen Folgen" gerechnet. Zeitweise wurden auch unerklärlich lange Verzögerungen im Postlauf festgestellt." Generell kann angenommen werden, dass eine Teilung Österreichs kaum im Interesse der UdSSR gelegen war, denn dies hätte erstens eine stärkere Annäherung der österreichischen Westzonen an Westdeutschland und zweitens eine verstärkte Integration Westösterreichs in die US-dominierte Militärkontrolle im westlichen Mitteleuropa (die US-Zonen in Deutschland und Österreich grenzten unmittelbar aneinander) bedeutet. Die Gefahr einer „Zerreißung" Österreichs durch gewisse Schritte soll damit keinesfalls heruntergespielt werden. Sehr klar - und zwar das einzige Mal - wurde die Teilungsgefahr im Dezember 1954 von sowjetischer Seite an die Wand gemalt, als Moskau den Amerikanern und Franzosen vorwarf, in Tirol hielten sich amerikanische Truppen auf. Dieser Vörwurf war auf den Beschluss der Westmächte vom Oktober 1954 zurückzuführen, die BRD in die NATO aufzunehmen. Die Sowjetunion versuchte durch „Sperrfeuer" verschiedenster Art, den Weg der BRD in die NATO doch noch zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen.52 Ein NATO-Beitritt Österreichs: Berechtigter Anlass zur Sorge oder bloße Propaganda Moskaus? Als sich das National Security Council der USA im Jahr 1948 mit der Frage eines militärischen Bündnisses einiger westlicher Staaten zu beschäftigen begann und die Kerngruppe feststand, wurden auch mögliche Erweiterungen überlegt. Der Leiter des Planungsstabes im US-Außenministerium, George Kennan, erläuterte wenig später diese Vorstellungen, wobei auch der Name Österreichs fiel, das mit Irland, Spanien, der Schweiz und Westdeutschland erst zu einem späteren Zeitpunkt in der zweiten Erweiterungsrunde aufgenommen werden sollte. Allerdings beschränkte sich das Grundsatzpapier des National Security Council der USA, NSC 9 vom 13. April 1948, auf die Aufnahme der westlichen - eben von den Westalliierten besetzten - Hälfte Österreichs. Auch in Wien zeigte man sich an dem im Entstehen begriffenen Sicherheitsbündnis höchst interessiert, und der österreichische Außenminister Karl Gruber äußerte sich bei 50 51 52

HGM/MGF-Abt, Karton B-Gendarmerie 1952/53 (Aufstellung), Mappe 8, Res.Zl. 9/53 v. 7.10.1953. HGM/MGF-Abt, Karton B-Gendarmerie 1952-1954, Mappe 3, Z.Z1. 31/54, 105 geh/54 v. 17.10.1954. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 584f.

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Walter Blasi einem Besuch in London gegenüber seinem britischen Amtskollegen Ernest Bevin in diesem Sinne. Der ebenfalls bei diesem Treffen anwesende britische Hochkommissar in Österreich, Generalleutnant Sir Alexander Galloway, machte aber unmissverständlich klar, dass man Österreich betrügen würde, wollte man es in das Bündnis aufnehmen, ohne notfalls „die Absicht und die Möglichkeit" zu haben, es auch zu verteidigen.53 Diese Aussage wird aus der militärischen Konzeption jener Tage verständlich. Zur Gründungszeit der NATO sahen die Planungen Truppenrücknahmen weit in den Westen vor.54 Hinsichtlich Österreich sprach der Chef des Vereinigten Generalstabes, General Omar N. Bradley, im Oktober 1949 von Amerikas „militärisch unhaltbarer Position" in Österreich.55 Die Briten gingen in ihrer Auffassung sogar noch weiter. Sie bezweifelten schon die Sinnhaftigkeit einer Aufnahme Italiens in das Bündnis, denn sie hegten berechtigte Zweifel an dessen Abwehrvermögen bei einem Angriff. Amerikanisch-britisch-kanadische Planungen aus dem Jahr 1948 sahen keinerlei Truppeneinsätze zur Verteidigung Europas vor; lediglich lokale Kräfte auf sich allein gestellt sollten dies tun. Die britischen Truppen sollten daher aus Österreich an den Rhein abgezogen werden. Österreich wurde als „absolut nicht verteidigbar" eingestuft.56 Auch die verschiedenen Pilgrim-Pläne der NATO aus der zweiten Jahreshälfte von 1949 tendierten mit einer Ausnahme für einen Abzug der Truppen aus Österreich. Als Folge des Koreakrieges wurde im Dezember 1950 die „Vorwärtsstrategie", d. h. eine Verteidigung so dicht am „Eisernen Vorhang" wie möglich, proklamiert. 1951 wurden diese Überlegungen, was Österreich betraf, allerdings wieder revidiert.57 Sehr deutlich werden die unterschiedlichen Ansichten der drei „NATO-Opinionleader" USA, Großbritannien und Frankreich. Letzteres drängte natürlich, da es auf dem Kontinent lag und von einem sowjetischen Angriff direkt betroffen gewesen wäre, auf eine effektive Verteidigung unter Einbeziehung österreichischen Staatsgebietes. Im Dezember 1952 wurde deutlich, dass eine „Vorwärtsverteidigung" in Österreich nicht möglich wäre, da die erforderlichen zusätzlichen alliierten Truppen nicht zur Verfügung standen. Ende 1953 kam es dann - aus finanziellen Gründen - zum weitgehenden bis fast vollständigen Abzug der britischen und französischen Truppen aus ihren jeweiligen Besatzungszonen. Die fast vollständige Entblößung der französischen Zone bedeutete jedenfalls das Ende für die Alpenverteidigungspläne und für den Nachfolger General Dwight D. Eisenhowers als NATO-Oberkommandierender Europa, General Alfred Gruenther, erschien ein Verzicht der Verteidigung Österreichs immer klarer. Die geostrategische Lage des Landes war im untersuchten Zeitraum sehr schlecht, wenn nicht sogar aussichtslos: Österreich lag - für eine Verteidigung - viel zu weit im Osten.58 53 54 55 56 57 58

Manfried Rauchensteiner, Österreich und die NATO. Ein historischer Rückblick, in: Truppendienst. 2000/4, S. 272. Vgl. dazu Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien - Köln - Weimar 2000. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 213. Beatrice Heuser, Western „Containment" Policies in the Cold War: The Yugoslav Case 1948-53. London - New York 1989, S. 113f. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 213f. Ebd„ S. 215f.

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Aus dem vorherigen Abschnitt geht eindeutig hervor, dass eine Aufnahme Österreichs in die NATO bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Staatsvertrages im Jahre 1955 vom Bündnis nie beabsichtigt war. Auch mit der späteren Aufnahme Westdeutschlands in die NATO ist die geopolitische Lage für Österreich auf Grund der bei einem Angriff nach wie vor leicht zu durchstoßenden, flachen Räume im Osten nicht besser geworden. Eine NATO-Mitgliedschaft Österreichs hätte sich für das Bündnis nur im Raum Tirol hinsichtlich der Verbindung zwischen Westdeutschland und Italien 59 positiv ausgewirkt.60 Zieht man einen Angriff der NATO auf den Ostblock (bzw. den Warschauer Pakt) in Erwägung, dann wäre eine Aufnahme Österreichs in das westliche Militärbündnis sicherlich erfolgt. Auf Grund seiner vorgeschobenen Lage im Osten hätte es sich als „Angriffsplattform" geradezu prädestiniert. Ein wiederholter Vorwurf an die Adresse der Westmächte seitens der Sowjets lautete auch, dass Briten und Amerikaner den Westen Österreichs in eine militärische Operationsbasis verwandeln wollten, und zwar um „einen strategischen Absprungplatz für die Vorbereitung eines Angriffskrieges gegen die Sowjetunion und die Volksdemokratien" zu schaffen. In den letzten vier Jahren der Besatzung wurde auch immer wieder die Behauptung aufgestellt, die Westalliierten förderten aus militärischen Gründen einen neuen Anschluss zwischen Westdeutschland und Österreich. 61 Diesem Szenario hätte allerdings eine „Zerreißung" Österreichs vorausgehen müssen - ein Umstand, der kaum im Interesse der Sowjets gelegen sein konnte, wie bereits vorhin an anderer Stelle festgestellt wurde. Auch die Vorwürfe über Österreichs Rolle in einem „Angriffskrieg" gegen die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten halten den Fakten nicht stand. 1945/46 sah man die kommunistische Herausforderung noch als Systemkonkurrenz unterhalb der militärischen Schwelle an, da das amerikanische Atommonopol und die Wiederaufbaubedürfnisse der UdSSR einen neuen großen Krieg unwahrscheinlich machten. Im NATOVertrag vom April 1949 kommt die Doppelgleisigkeit des Sicherheitsbedürfnisses klar zum Ausdruck. Der Artikel 2 stellte die Schaffung von Stabilität und Wohlstand durch wirtschaftliche Zusammenarbeit als Bündnisziel voran. Erst im Artikel 3 wurden die militärischen Absichten formuliert, durch kollektive Verteidigungsanstrengungen „einem bewaffneten Angriff zu widerstehen". Der vorrangige Zweck der NATO war zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Abwehr einer unmittelbar zu befürchtenden sowjetischen Invasion, sondern hauptsächlich die psychologische Stützung des angeschlagenen westeuropäischen Selbstvertrauens. Auf Grund der anhaltenden wirtschaftlichen Schwäche Europas waren trotz steigender Bedrohungsfälle seit 1947/48 die Spielräume für westeu59

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Dieser Nachteil war der westlichen Seite sehr wohl bewusst und dennoch hatten sie ihre Zustimmung zum Staatsvertrag und einer Neutralität nach Schweizer Muster gegeben. Allerdings wurden bereits einen Tag nach Vertragsunterzeichnung, also am 16. Mai 1955, Vertreter der Westmächte bei Bundeskanzler Julius Raab und Vizekanzler Adolf Schärf u. a. wegen (militärischer) Überflugs- und Transitrechte durch Österreich vorstellig. Walter Blasi, General der Artillerie Ing. Dr. Emil Liebitzky: Österreichs „Heusinger"? Bonn 2002, S. 179. Siehe dazu Gerhard Artl, Das Aufgebot. Das besetzte (West-)Österreich als „geheimer Verbündeter" der NATO? Unveröffentlichtes Manuskript. O. O. o. J. Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 117ff.

Walter Blasi ropäische Aufrüstungsprogramme allerdings eng bemessen. Die USA wiederum kamen zu dem Schluss, dass die Sowjetunion in den nächsten vier Jahren den amerikanischen Nuklearvorsprung wettgemacht haben werde und damit durch ihr überlegenes konventionelles Militärpotential eine dominierende Position erreichen könnte. Zwar genoss nach wie vor die Abschreckung zur Verhinderung eines Krieges oberste Priorität, im Falle eines Scheiterns der Abschreckung mussten nunmehr Maßnahmen für eine erfolgreiche Verteidigung des Bündnisgebietes eingeleitet werden. 1950 ging man in der NATO von einer mit überlegenen Mitteln geführten sowjetischen Invasion Westeuropas aus, die durch die erhebliche Streitkräftelücke auf Grund des Abzuges amerikanischer Truppen und der Bindung westeuropäischer Streitkräfte in Afrika und Asien geradezu herausgefordert werde. Die Sowjetunion und ihre osteuropäischen Satellitenstaaten konnten im Kriegsfall 175 bis 200 Divisionen aufbieten. Die Planungen der NATO bewegten sich daher in einer Größenordnung von 90 bis 100 Divisionen für Westeuropa. Allerdings stieß man zwischen 1950 und 1952 in allen NATOStaaten schnell an die finanz- und innenpolitischen Grenzen bei der Umsetzbarkeit der hiefür erforderlichen Rüstungsanstrengungen. In diesen Zeitraum, und zwar 1950, fiel auch die Einbeziehung der westdeutschen wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen. Der Westen musste erkennen, dass eine Aufholjagd gegenüber dem Ostblock auf dem konventionellen Rüstungssektor zu kostspielig und damit innenpolitisch nicht durchzuhalten wäre. 1952/53 klangen schließlich die ersten Spannungen des Kalten Krieges ab und die Kernwaffen erfuhren eine technologische Weiterentwicklung. Letzteres eröffnete die Chance, die Unterlegenheit bei konventionellen Waffen durch überlegene nukleare Feuerkraft auszugleichen. Konkret bedeutete dies, dass Kernwaffen nicht mehr allein der Abschreckung dienten, sondern als Äquivalent zu einer zu teuren konventionellen Rüstung voll in die NATO eingeplant wurden. Diese „Politik" sollte schließlich unter dem neuen US-Präsidenten Eisenhower formuliert werden.62 Auch die Anlage von Waffenlagern in zahlreichen Staaten Westeuropas in den Jahren 1951 bis 1954 für Stay-behind-Operationen gegen einen Aggressor belegen auf anschauliche Weise die defensive Haltung des westlichen Verteidigungsbündnisses. 63 Mit weit unterlegenen konventionellen Kräften ist ein erfolgreicher Angriff nicht durchführbar, und mit Kernwaffen können keine territorialen Gewinne erzielt werden.

Nachsatz Den sowjetischen Politikern und Militärs waren all diese Fakten einerseits sowohl durch ihre Kontrolltätigkeit in Österreich als auch durch ihre militärische Aufklärung und ihr ausgedehntes nachrichtendienstliches Netz sehr wohl bekannt. Dennoch wurden

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Bruno Thoss, Strategie und Ökonomie: Die Suche der NATO nach einem Ausgleich zwischen militärischen Zielen und finanziellen Mitteln 1949 bis 1967, in: Stefan Karner - Erich Reiter - Gerald Schöpfer (Hg.), Kalter Krieg. Beiträge zur Ost-West-Konfrontation 1945 bis 1990. Graz 2002, S. 32-36. Blasi, Die B-Gendarmerie 1952-1955, S. 18.

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die zitierten Wiederbewaffnungsanschuldigungen an die Adresse Österreichs und die Westalliierten immer wieder erhoben. Stalin glaubte gemäß seiner Ideologie, dass die „Kapitalisten" stets danach strebten, den „Sozialismus" mit allen Mitteln zu bekämpfen, um ihn letztendlich ganz zu vernichten. Er hat sich daher bis an sein Lebensende sehr häufig mit der „Unvermeidbarkeit des Krieges" beschäftigt. Stalin war jederzeit über die westlichen Absichten im Bilde und konnte sich so versichern, dass der angeblich unvermeidbare Krieg lediglich drohte und nicht unmittelbar bevorstand. 64 Die teilweise überzogenen Reaktionen auf militärische Maßnahmen - und das bei einer deutlichen Überlegenheit auf dem konventionellen Streitkräftesektor - sind nur mit einem extremen Misstrauen und einer fast krankhaften Angst vor einem unvorhergesehenen Angriff zu erklären. Die Gründe für die Haltung Stalins bzw. der UdSSR in militärischen Angelegenheiten wären daher „psychischer Natur" - zu tief saß offenbar der Schock vom 22. Juni 1941 und die Angst vor einem remilitarisierten (West-)Deutschland.

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Vojtech Mastny, N e u e Forschungsresultate zum Kalten Krieg aus osteuropäischen Archiven, in: Kurt R. Spillmann - Andreas Wenger (Hg.), Zürcher Beiträge zur Sicherheitspolitik und Konfliktforschung Nr. 54. Zürich 1999, S. 7 - 1 7 .

Peter Ruggenthaler

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde Sowjetische Österreich-Politik 1945-1953/55

„Zehn Jahre sind [die Truppen] dort gestanden. Jedes Jahr haben [die Österreicher] den Tag der Befreiung Österreichs gefeiert, doch vor kurzem haben sie anstelle der Befreiung eine Protestdemonstration veranstaltet, damit wir sie von uns befreien. Und wenn die Österreicher morgen Steine auf unsere Truppen werfen, was denn, werden wir etwa schießen?" 1 . Anastas Mikojan, 1955 „Wenn nicht, was willst du dann mit unseren Truppen in Wien erreichen? Wenn du für einen Krieg bist, dann wäre es richtig, in Österreich zu bleiben. Es ist ein strategisches Gebiet, und nur ein Tor würde ein strategisches Gebiet aufgeben, wenn er sich zu einem Krieg rüstet. Wenn wir aber gegen einen Krieg sind, müssen wir gehen." 2 Nikita Chruscev zu Vjaceslav Molotov, 1955

Auf Grund der im Rahmen des Forschungsprojektes „Die Rote Armee in Österreich 19451955" erstmals freigegebenen Aktenbestände der höchsten sowjetischen Entscheidungsträger kann nunmehr ein umfassendes Bild der sowjetischen Österreich-Politik und ihrer Ziele gegeben werden. Für den vorliegenden Beitrag waren vor allem zwei Bestände aus dem ehemaligen Parteiarchiv (RGASPI) von größter Relevanz. Hierbei handelt es sich um die kürzlich teilweise geöffneten Politbüro-Beschlüsse aus der „Sondermappe" („osobaja papka")3, die einer strengen Geheimhaltung unterlagen - im Gegensatz zu den „gewöhnlichen" Politbüro-Beschlüssen, die seit längerem zugänglich sind4 (eine Auflistung der Po1

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RGANI, F. 2, op. 1, d. 159, S. 83-88. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 184. Anastas Mikojan in der XII. Sitzung (Frühsitzung) des Plenums des ZK der KPdSU, 11.7.1955. Plenum Transcripts, 1955-1957, in: Leadership Transition in a Fractured Bloc. CWIHP. Bulletin. 1998/ 10, S. 34-43, hier: S. 42f. RGANI, F. 2, op. 1, d. 176. Nikita Chruscev im Plenum des ZK der KPdSU, 12.7.1955. Vojtech Mastny, Die Nato im sowjetischen Denken und Handeln 1949 bis 1956, in: Vojtech Mastny - Gustav Schmidt, Konfrontationsmuster des Kalten Krieges 1946 bis 1956. Entstehen und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956. Bd. 3. München 2003, S. 383-471, S. 440. RGASPI, F. 17, op. 162. „Sondermappe" der Politbüro-Beschlüsse 1945-1953. RGASPI, F. 17, op. 3. „Gewöhnliche" Politbüro-Beschlüsse 1945-1953. Eine vollständige Auflistung aller Tagesordnungspunkte ohne weitere inhaltliche Angaben wurden vom Archiv im Jahr 2001 publiziert. G. M. Adibekov - Κ. M. Anderson u. a. (Hg.), Politbjuro CK RKP(b)-VKP(b). Povestki dnja zasedanij. Tom III. 1940-1952. Katalog. Moskau 2001.

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Peter Ruggenthaler litbüro-Beschlüsse findet sich im Anhang des Artikels). Zusätzlich zu den nicht vollständig zugänglichen Politbüro-Beschlüssen von 1945 bis Ende 1952 konnten russische Kollegen im Archiv des Präsidenten diese in Stalins Österreich-Unterlagen überprüfen und ergänzen.5 Auf dieser Basis kann bezüglich der wichtigsten politischen Entscheidungen der Kreml-Führung erstmals im Hinblick auf sowjetische Ziele in Österreich ein gewisser Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Der zweite Bestand des Parteiarchivs erlaubt es, die Genese der Politbüro-Entscheidungen von 1949 bis Ende 1952 zu rekonstruieren. Es handelt sich hierbei um die Österreich betreffenden Akten von Vjaceslav Molotov in seiner Funktion als „Überwacher" der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP(b), die vor kurzem vom Archiv des Präsidenten (AP RF) dem RGASPI übergeben wurden.6 Hierbei zeigte sich, dass Molotov auch nach seiner Absetzung als Außenminister der UdSSR nach wie vor der Hauptakteur der sowjetischen Außenpolitik, freilich als ausführende Hand Stalins, blieb und sein offizieller Nachfolger, Andrej Vysinskij, Molotov alle relevanten Entscheidungen vorzulegen hatte (lediglich bei rasch zu fällenden Entscheidungen erging die Korrespondenz des sowjetischen Außenministeriums, ohne sie Molotov vorzulegen, direkt an Stalin). Darüber hinaus wurden die Bestände des sowjetischen Außenministeriums (vor allem der Österreich-Abteilung für die Jahre 1945 bis 1955 und des Molotov-Bestandes 1945 bis 1949) für den vorliegenden Beitrag herangezogen. Da jedoch nach wie vor die Findbücher der letztgenannten Bestände nicht zugänglich sind, können Entscheidungsprozesse allein auf der Basis von Akten des Archivs für Außenpolitik der Russischen Föderation (AVP RF) nur bedingt nachvollzogen und rekonstruiert werden und wären ohne Kenntnis der gefassten Beschlüsse der obersten Instanzen nur schwer einschätzbar. Auf Grund der seit 1990 laufenden, einschlägigen Forschungen von Stefan Karner und ab 1993 des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung kann auf Grund der in den letzten 14 Jahren eingesehenen Akten konstatiert werden, dass der Österreich-Bestand etwa 1200 Faszikel umfassen muss, von denen bis heute lediglich rund 200 Faszikel zugänglich sind. Seit dem Erscheinen der letzten maßgeblichen Publikation zur Erforschung der sowjetischen Österreich-Politik für den Zeitraum von 1945 bis 19477 wurden folglich weitere beachtliche Aktenkonvolute geöffnet und erstmals gesichtet, wobei vor allem der Bestand zum Jahr

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APRF, F. 3, op. 64, d. 10 („Österreich, Sowjetischer Teil der Alliierten Kommission für Österreich und Hochkommissar in Österreich", 4.7.1945-1.10.1955). RGASPI, F. 82, op. 2. Ehemals AP RF. Vgl. Oliver Rathkolb, Sonderfall Österreich? Ein peripherer Kleinstaat in der sowjetischen Nachkriegszeit 1945-1947, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944—1949. Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 353-373, hier: S. 353f. Rathkolb erreichte von 1994 bis 1996 die Freigabe von ca. 200 Dokumenten aus ca. 50 Faszikeln aus verschiedenen Beständen (Österreich-Bestand, Molotov, Vysinskij, Dekanozov, Rat der Außenminister). Reproduzierte Akten können im Bruno-Kreisky-Archiv eingesehen werden. Akteneinsicht erhielten in den letzten Jahren zudem Gerald Stourzh, Wolfgang Wagner, Wolfgang Mueller und Ingrid Fraberger. Der umfangreichste Bestand an reproduzierten Akten aus dem Österreich-Bestand befindet sich am Ludwig Boltzmann-Institut für KriegsfolgenForschung (ca. 5000 Seiten), dessen Leiter, Prof. Dr. Stefan Karner, 1990/91 als erster ausländischer Wissenschafter Zugang ins Archiv des sowjetischen Außenministeriums erhielt.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert

wurde

1945 am besten zugänglich ist.8 Zum Jahr 1945 sind die Akten des Österreich-Bestandes zu 53 Prozent geöffnet, zum Jahr 1950 jedoch lediglich zu ca. zehn Prozent. Trotz der selektiven Auswahl stellen sie vor allem eine wichtige Quelle in der Rekonstruktion von Entscheidungsprozessen dar, umfassen sie doch insbesondere Berichte des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich nach Moskau. Die Akten sind jedoch nur bruchstückhaft zugänglich, und sie können nicht Aufschluss darüber geben, inwieweit Berichte von Diplomaten die Meinung der sowjetischen Führung widerspiegeln. In der deutschen Historiographie ist diesbezüglich nach wie vor eine heftige Diskussion im Gange 9 , die deutlich macht, wie besonders kritisch man als Historiker mit Quellen totalitärer Regime umgehen muss. In Bezug auf Österreich können nunmehr erstmals alle prinzipiellen sowjetischen politischen Entscheidungen und Beschlüsse für den gesamten Zeitraum der sowjetischen Besatzung von 1945 bis 1955 aufgezeigt werden, für den Zeitraum von 1949 bis 1953 zudem auf der Basis des obgenannten Molotov-Bestandes auch die Prozesse zur Entscheidungsfindung. Da die sowjetische Österreich-Politik und das interne sowjetische Ringen um den Abschluss des österreichischen Staatsvertrages im Frühjahr 1955 bereits gut dokumentiert10 und erforscht sind", wird im Folgenden das Hauptaugenmerk

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Vgl. dazu den Beitrag von Ol'ga Pavlenko, Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie 1945, und Stefan Karner - Peter Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, in diesem Band. Auf Grund des internen Aktenarchivierungs-Laufnummemsystems des Archivs kann mittlerweile festgestellt werden, dass der Bestand 066 (Referantura po Avstrii, Österreich-Abteilung der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums) zu den Jahren 1945 bis 1955 ca. 800 Faszikel, der Bestand 66 (Geheimbestand der Österreich-Abteilung) ca. 400 Faszikel umfassen muss. Die prozentuelle Verteilung des Bestandes 066 (800 Faszikel = 100 %) nach Jahren: 1945: 5 %, 1946: 9 %, 1947: 6 %, 1948: 6 %, 1949: 4 %, 1950: 11 %, 1951: 8 %, 1952: 3 %, 1953: 13 %, 1954: 17 %, 1955: 18 %. Davon geöffnet: 1945: 53 % (der Faszikel), 1946: 10 %, 1947: 2 %, 1948: 12 %, 1949: 16 %, 1950: 4 %, 1951: 7 %, 1952: 2 %, 1953: 12 %, 1954: 3 %, 1955: 3 %. Die prozentuelle Verteilung des Bestandes 66 (400 Faszikel = 100 %) nach Jahren: 1945: 5 %, 1946: 4 %, 1947: 6 %, 1948: 14 %, 1949: 7 %, 1950: 44 %, 1951: 4 %, 1952: 4 %, 1953-55: 13 %. Davon geöffnet: 1945: 16 % (der Faszikel), 1946: 28 %, 1947: 50 %, 1948: 15 %, 1949: 16 %, 1950: 9 %, 1951: 21 %, 1952: 2 4 % , 1953-55: 31 %. Wilfried Loth zieht anhand von Dokumenten, die bis auf zwei Ausnahmen (Politbüro-Beschlüsse) aus dem Archiv des sowjetischen Außenministeriums stammen, den heftig umstrittenen Schluss, die Ernsthaftigkeit des politischen Willens, die Stalin in den Lösungsangeboten der deutschen Frage an den Tag legte, bewiesen [!] zu haben. Wilfried Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note". Dokumente aus Moskauer Archiven, in: Jürgen Zarusky (Hg.), Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen. Mit Beiträgen von Wilfried Loth, Hermann Graml und Gerhard Wettig. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. Bd. 84. München 2002, S. 19-115. Ähnlich die Missdeutungen der Teilungsszenarien Deutschlands, die bereits nach 1941 im sowjetischen Außenministerium angestellt wurden. Vgl. hierzu G. P. Kynin - J. Laufer, SSSR i germanskij vopros. 22 ijunja 1941g.—8 maja 1945. SSSR i germanskij vopros 1941-1949. Bd. 1. Moskau 1996. Vojtech Mastny lässt am Monumentalwerk von Gerald Stourzh insofern Kritik aufkommen, als er zu Recht eine teilweise Überbewertung des Agierens sowjetischer Diplomaten konstatiert. Vojtech Mastny, The Soviet Godfathers of Austrian Neutrality, in: Günter Bischof - Anton Pelinka - Ruth Wodak (Hg.), Neutrality in Austria. Contemporary Austrian Studies. Bd. 9. New Brunswick - London 2001, S. 240-250, hier: S. 240f. CWIHP, Bulletin 1998/10, S. 38-43. Protokolle des Plenums des ZK der KPdSU, 1955-1957. Zur sowjetischen Österreich-Politik 1955 auf Basis der im CWIHP-Bulletin abgedruckten Sitzungsprotokolle des Präsidiums des ZK der KPdSU siehe ausführlich Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit: Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955.

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Peter Ruggenthaler der sowjetischen Österreich-Politik von 1945 bis 1953 gelegt. Trotz der guten, bisher besten, Quellenlage können folgende Ausführungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit in allen Detailfragen erheben, es bleibt vielmehr zu hoffen, dass auf der Grundlage der nun überschaubaren sowjetischen Archivbestände und Quellen viele Detailstudien entstehen werden. Österreich - kein Sonderfall? Der emsthafteste Versuch, in Österreich eine volksdemokratische Regierung zu etablieren, beschränkt sich auf das aus sowjetischer Sicht verheißungsvolle Experiment „Karl Renner". Enorme Parteispenden an die KPÖ und eine vor allem ab 1946 heftig einsetzende sowjetische Propaganda sind zwar als Mittel der Durchsetzung kommunistischer Interessen, mit einem möglichen Endziel der Errichtung einer sozialistischen Volksdemokratie in Österreich, zu sehen, doch wurden diese Mittel bekanntlich von sowjetischer Seite in Österreich nicht durch solche, die in den späteren „OstblockStaaten Anwendung fanden, ergänzt. Terror, politische Verfolgung, „Säuberungen" und Schauprozesse blieben im vierfach besetzten Österreich aus. Die sowjetische Propaganda kam einer moralischen Unterstützung der KPÖ gleich, die eher als eine Gegenantwort auf die erfolgreiche angloamerikanische Propaganda unter den Prämissen des Kalten Krieges zu sehen ist. Die Destabilisierungspolitik der politischen Landschaft Österreichs durch die Sowjets ist in diesem Lichte als Unterstützungsmaßnahme der KPÖ zu werten, wie sie aber auch in anderen westeuropäischen Ländern den kommunistischen Parteien zuteil wurde. Die italienischen Kommunisten wurden von Stalin gemaßregelt, keinen revolutionären Weg zu beschreiten. Ihre Politik musste sich den außenpolitischen Zielen der UdSSR unterordnen. Stalin war nicht an einem revolutionären Kurs der Kommunisten in Italien und Frankreich interessiert.12 In Österreich kam es erst gar nicht so weit. Die KPÖ konnte bedingungslos massiv unterstützt werden, sie bewegte sich auch nach 1945 bekanntlich nie in die Nähe des Erfolges der Bruderparteien in Frankreich oder Italien. Es ist eine Frage der Definition, Österreich als „Sonderfall" zu bezeichnen. Aus der Sicht der sowjetischen Vörgehensweise in Osteuropa ab 1947 trifft dies freilich zu, Maßnahmen einer brutalen Sowjetisierung wurden in Österreich keine gesetzt. Lediglich bis zu den Novemberwahlen 1945 „agierte die sowjetische Führung [...] im Geiste der erprobten politischen Technologien".13 Betrachtet man das Endergebnis, ergaben sich mehrere „Sonderfälle": Jugoslawien, das den Weg der Selbst-Sowjetisierung beschritt, und ähnlich Albanien sowie Finnland, das sich einer Sowjetisierung entzog, bzw. Österreich, das nicht sowjetisiert wurde. Die Definition eines „Sonderfalls" impliziert indirekt, der Kreml hätte über konkrete Sowjetisierungspläne verfügt. Aus dieser Sichtweise

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Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62. 4., völlig Überarb. u. erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1998, S. 450^485. Zur sowjetischen Österreich-Politik 1953-1955 siehe den Beitrag von Michail Prozumenscikov, Nach Stalins Tod, in diesem Band. Donal O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire". Die sowjetische Osteuropapolitik und die Reaktionen des Westens 1939-1949. Paderborn - München - Wien - Zürich, S. 309. Vgl. dazu den Beitrag von Ol'ga Pavlenko, Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie 1945, in diesem Band.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde ergäbe sich wohl nur ein „klassischer Sonderfall", nämlich Finnland. Im Falle Finnlands war es zumindest vor 1939 Stalins Absicht, den nördlichen Nachbarn als Sowjetrepublik der UdSSR einzuverleiben. 14 Auch danach gab es derartige Pläne, doch wurden diese nicht mit Nachdruck durchgeführt. 15 Für den Kreml war es nunmehr vorteilhafter, einen „Sonderfall" zuzulassen. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu Österreich. Im Hinblick auf Österreich hatte Stalin in den Nachkriegsplanungen zum Deutschen Reich wohl die konkretesten Pläne (dauerhafte Abtrennung von Deutschland, Etablierung eines unabhängigen souveränen Staates, der Teil einer neutralisierten europäischen Zone von Skandinavien über Deutschland bis Italien sein sollte).16 Österreich musste sich keiner Sowjetisierung entziehen, definiert man „Sowjetisierung" als Einbeziehung eines Landes in die sowjetische „Sicherheitszone" („cordon sanitaire") mit gewaltsamer (!) Aufoktroyierung des sozialistischen Gesellschaftssystems. Die sowjetischen Grundziele zu Österreich wurden erfüllt: die Wiederherstellung eines kleinen schwachen Staates, das keine antisowjetische Politik betreiben würde. In dieser Hinsicht kann Österreich nicht als „Sonderfall" bezeichnet werden, es war eher gar „kein Fall" für Stalin.17 Österreich stand während der Kriegszeit nie auf der „Prioritätenliste" Stalins, um in die „Sicherheitszone" der Sowjetunion einbezogen zu werden. Zwar hatten sich die Interessen und Ziele Stalins mit der Zeit vor allem unter den Prämissen des Kalten Krieges gewandelt und lag vielen Entscheidungen Stalins eine gewisse Ad-hocPolitik zugrunde, in Bezug auf Österreich kann man jedoch auch heute für keinen Zeitpunkt eine Einbeziehung Österreichs in die sowjetische (militärische) Sicherheitszone nachweisen. Selbst eine Einbeziehung in die sowjetische Einflusssphäre (im wortwörtlichen Sinne) dürfte den ausführenden Organen in Wien nicht mit auf den Weg gegeben worden sein. In einem Dossier, das der sowjetische politische Vertreter in Österreich, Michail Koptelov, am 3. Juni 1945 für das sowjetische Außenministerium erstellte, schlug er vor, die österreichischen Besatzungszonen nicht als Einflusssphären der Alliierten anzusehen. 18 Es ist schwierig, die Einschätzungen und Äußerungen sowjetischer Spitzendiplomaten in die Denkweisen der Kreml-Führung einzugliedern, interessant ist 14 15 16

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Stefan Troebst, Warum wurde Finnland nicht sowjetisiert?, in: Osteuropa. 1998/48(2), S. 178-191. Ruth Büttner, Sowjetisierung oder Selbständigkeit? Die sowjetische Finnlandpolitik 1943-1948. Hamburg 2001. Vgl. dazu die revidierten Konzeptionen der sowjetischen Planungskommission unter Litvinov. Siehe dazu Alexej Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik während und nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Boris Meissner-Alfred Eisfeld (Hg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis. Berlin 1999, S. 4 3 - 5 4 , hier: S. 50. Österreich und Finnland waren „unausgesprochene Ausnahmen", wenn im Kreml intern über die Einführung des Sozialismus in Osteuropa gesprochen wurde. Vgl. dazu Gerhard Wettig, Stalins Deutschland-Politik 1945-1949 vor dem Hintergrund seines Vorgehens im Osten Europas, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944—1949. Paderborn - München - Wien - Zürich 2002, S. 15^(4, hier: S. 25. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 3f. Vorschläge von Genossen Koptelov zur österreichischen Frage, 3.6.1945. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 62.

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Peter Ruggenthaler jedoch, dass sich der sowjetische politische Vertreter in Wien zu diesem Zeitpunkt veranlasst sah, unterstreichen zu müssen, dass Österreich nicht in eine Einflusssphäre der Großmächte einbezogen werden sollte, stand die UdSSR doch offiziell stets auf dem Standpunkt, Österreich als unabhängigen Staat wiederherstellen zu wollen. Es ist dennoch schwierig, angesichts der Kenntnis über die sowjetische Vorgehensweise in Ländern des späteren „Ostblocks", die nicht auf der Liste der zu erreichenden außenpolitischen Minimalziele Stalins standen (wie die Tschechoslowakei und Ungarn), zu beweisen, dass es keine konkreten Unternehmungen gab, in Österreich eine Volksdemokratie zu etablieren und das Land in die sowjetische Einflusssphäre einzubeziehen. Zumindest bis 1947, und nicht erst seit den Novemberwahlen 194519, sondern von Anfang an20, war die sowjetische Vorgehensweise gegenüber Österreich bisher plausibel als Exploitationspolitik („Österreich durch massive Reparationsforderungen politisch zu destabilisieren")21 erklärbar. Die hohen Besatzungskosten, die der österreichische Staat für die sowjetischen Truppen zu tragen hatte, waren eine enorme Belastung für den Haushalt. Stalin konnte lange Zeit davon ausgehen, dass die Österreicher diesbezüglich nicht aufmucken würden.22 „Die Österreicher würden sich so ein starkes Stück nicht erlauben", so Stalin 1947. Die Novemberwahlen 1945 und später die De-facto-Akzeptierung des Marshall-Plans für Österreich durch die Sowjetunion23 markieren den Anfang vom Ende der sowjetischen Hoffnungen, Österreich möglicherweise auf friedlichem Weg zum Sozialismus zu führen. Vielen in Wien stationierten Politvertretern war dies von Anfang an klar, auch wenn man nach Moskau weiterhin geschönte Berichte sandte, die bestenfalls festhielten, dass der Marshall-Plan eine ernsthafte Konkurrenz zur USIA darstellte [!], wie an späterer Stelle noch zu zeigen sein wird. Österreich wurde in der Folge wirtschaftlich gespalten. Dem Osten des Landes blieb die Marshall-Plan-Hilfe vorenthalten. Die geringfügig geleisteten Investitionen in Ostösterreich wurden von den Amerikanern aus propagandistischen Gründen getätigt und nicht, um die Wirtschaft Ostösterreichs anzukurbeln. Die im Folgenden darzulegenden Forschungsergebnisse zur sowjetischen Österreich-Politik von 1945 bis 1953/55 erlauben hinsichtlich ihrer Zielsetzungen folgende Periodisierung: 1941 bis 1945: Wiederherstellung Österreichs in seinen Grenzen der Zwischenkriegszeit, klein und schwach, keine Staatenkonföderationen

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Ab diesem Zeitpunkt dennoch in verschärfter Form, wie an späterer Stelle noch zu zeigen sein wird. Vgl. hier vor allem die verdienstvollen Arbeiten von Aleksej Filitov. Von Anfang an war es Stalin wichtig, eine Option auf Reparationen durch Österreich offen zu halten. Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 363. „Vengry ili avstrijcy ne napisali by nam takuju stuku." Stalin gegenüber dem rumänischen Generalsekretär der KP, Gheorgiu-Dej, am 2.2.1947 in Moskau. Die rumänische KP hatte Kostenersatz für die geleisteten Besatzungskosten von Moskau gefordert. Stalin machte dem rumänischen KP-Chef klar, dass die Rumänen „nicht nur einen Fehler, sondern eine Dummheit" begangen hatten. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 331. Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 372.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde -

1945: der illusorische Versuch der Etablierung einer „Nationalen-Front-Regierung" mit dem von Stalin auserkorenen Karl Renner 1946 bis 1949: maximale Gewinnoptimierung und wirtschaftliche Ausbeutung Österreichs in Erwartung des Abschlusses des österreichischen Staatsvertrages 1950 bis 1951: Übergang zur längerfristigen Besatzung infolge der eingetretenen weltpolitischen Veränderungen 1951 bis 1953: Festigung des sowjetischen Einflusses in der sowjetischen Besatzungszone als Folge des zunehmenden westlichen Einflusses in ganz Österreich 1953 bis 1955: zwischen Stagnation und Tauwetter 1955: „Annus mirabilis" 24

Die Novemberwahlen 1945 und die sowjetischen Reaktionen Die kommunistischen Parteien hatten zunächst in vielen Ländern Europas durchaus ansehnliche Wahlergebnisse erreicht. In Österreich aber erlitten sie am 25. November 1945 ein vernichtendes Debakel. Karl Renner hatte von Anfang an in seinen Sondierungsgesprächen mit den Sowjets darauf bestanden, so rasch wie möglich in ganz Österreich freie Wahlen abhalten zu lassen. Dies entsprach den sowjetischen Intentionen, denen die theoretischen Überlegungen der im Siegestaumel befindlichen Chefideologen, der Kommunismus werde sich ohnedies gemäß eines natürlichen Gesetzes überall durchsetzen, zugrunde lagen. Im Falle Österreichs bestätigte Andrej Smirnov, Leiter der 3. Europäischen Abteilung im sowjetischen Volkskommissariat für Äußere Angelegenheiten (NKID) 25 , am 20. August 1945 in einem Schreiben an Andrej Vysinskij im Zusammenhang mit der bevorstehenden Erklärung an das österreichische Volk durch die vier Oberkommandos der Besatzungstruppen die Absicht, in Österreich bald Wahlen abhalten lassen zu wollen: „Bereits nach der Kapitulation Deutschlands wurden in Österreich erste Schritte zur Wiedererrichtung eines freien und unabhängigen Österreich gesetzt. Sobald es die Zeit erlaubt, soll Österreichern die Möglichkeit zu freien Wahlen gegeben werden" 26 . Gab man sich auch in Österreich Hoffnungen hin, auf demokratischem Weg die KPÖ zum Ziel zu führen? Unmittelbar vor der angesprochenen Absichtserklärung Smirnovs erreichte diesen ein mehrseitiger Bericht von Politberater Evgenij Kiselev aus Wien. Dieser kam einer Bankrotterklärung der sowjetischen Politik in Österreich gleich. Kiselev sprach von einer „dermaßen ernsten Lage" und bat um die „Erteilung entsprechender Instruktionen". 27 Der Bericht wurde Molotov vorgelegt, zog jedoch, soweit bekannt, keine konkreten Konsequenzen nach sich. Die Kreml-Führung schwelgte nach wie vor im Siegestaumel und zweifelte nicht daran, dass die kommunistischen Parteien stark aus den freien Wahlen 1945 hervorgehen werden. Die Wahlausgänge in Frankreich, Italien, Dänemark etc. gaben ihnen Recht. Warnungen der österreichischen 24 25 26 27

Vgl. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 335-578. Bezeichnung des sowjetischen Außenministeriums bis 1946. AVPRF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 23. Smimov an Vysinskij, 20.8.1945. AVPRF, F. 06, op. 7, d. 322, S. 19-26. Kiselev an Smirnov, 17.8.1945. Abgedruckt in: Karner - StelzlMarx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 67.

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Peter Ruggenthaler Kommunisten wurden heruntergespielt, trotz des „Warnschusses" aus Ungarn, wo drei Wochen zuvor gewählt worden war. Für die Sowjetführung sprach nichts dagegen, so rasch wie möglich auch in Österreich wählen zu lassen.28 1945 galt das primäre Interesse der Sowjetführung den Entwicklungen in Rumänien und Bulgarien. Den Wahlausgang in Ungarn konnte man (noch) verschmerzen, der Wahlgang in Österreich allerdings war von noch geringerer Bedeutung. Das vernichtende Ergebnis für die KPÖ war allerdings ein „Warnschuss" für die Vorgehensweise in der SBZ.29 Andere Berichte der sowjetischen Politvertreter in Wien vor den Novemberwahlen entbehren jedoch vielfach nicht einer gewissen illusorischen Wahrnehmung bzw. Verkennung der politischen Realität. Nach Abhaltung der ersten Länderkonferenz im September 1945 verfasste der Stellvertreter Kiselevs, Michail Koptelov, spät in der Nacht einen Bericht nach Moskau. Darin sprach er von einer Verfestigung der „Annäherung zwischen Sozialisten und Kommunisten" und „gegenseitig erwiesener Unterstützung".30 Anscheinend sah er die österreichischen Kommunisten den richtigen Weg beschreiten31, im Gegensatz zu Kiselev, der die politische Lage in Österreich eher den Tatsachen entsprechend einschätzte. Zwar war die KPÖ im Wahlkampf von der sowjetischen Besatzungsmacht intensiv unterstützt worden (Millionenspende für die Wiener Staatsoper32 oder der Ankündi28

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Der Wahltermin des 25.11.1945 wurde von der Regierung Renner auf der Länderkonferenz vom 24. bis 26.9.1945 verkündet. Josef Leidenfrost, Preventing a Rupture? U.S. Occupational Authorities and Austria's long and winding road to the first post-war nation-wide elections on 25 November 1945, in: Zeitgeschichte. 2003/1, S. 19-36, hier: S. 30. Gerhard Wettig zieht aus der Niederlage der KPÖ den Schluss, der Ausgang der Wahlen sei für Moskau eine Überraschung gewesen, und interpretiert den Wahlausgang als Auslöser für die eigentlich erst für später vorgesehene, schließlich aber vorgezogene Zwangsvereinigung der KPD mit der SPD. Wettig, Stalins Deutschland-Politik 1945-1949, S. 33. Ähnlich Rolf Steininger, der das „ÖsterreichSyndrom" als Mitgrund der Forcierung der Zwangsvereinigung sieht. Rolf Steininger, Deutsche Geschichte. Darstellung und Dokumente in vier Bänden. Bd. 1. 1945-1947. Frankfurt a. M. 2002, S. 174. Aleksej Filitov hingegen argumentiert auf der Basis neuer Quellen nachvollziehbar, dass Stalin die Forcierung bereits früher beschlossen hatte, was einen engeren Zusammenhang mit den Wahlen in Österreich ausschließt. Zur Sowjetisierung der DDR selbst muss sich Stalin zwischen Ende Mai und Anfang Juli 1945, also vor der Potsdamer Konferenz, entschieden haben. Siehe dazu Aleksej M. Filitov, SSSR i germanskij vopros: Povorotnye punkty (1941-1961gg.), in: Ν. I. Egorova - A. O. Cubar'jan (Hg.), Cholodnaja Vojna 1945-1963gg. Istoriceskaja retrospektiva. Sbornik statej, Moskau 2003, S. 223-256, hier: S. 231f. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 49f. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 50. Ähnlich sein Bericht im Juni 1945 über die KPÖ, in dem er noch einzelne Fehler im Auftreten der KPÖ feststellte. CAMO, F. 275, op. 353763, d. 1, S. 113-117. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 141. Marschall Konev gab im Befehl Nr. 18 des Oberkommandierenden der Zentralen Gruppe der Streitkräfte hierfür auf Verfügung der Sowjetregierung 2,000.000 Schilling (eine Million Rubel) frei. CAMO, F. 275, op. 426039, d. 4, S. 14. Österreichische Zeitung u. Arbeiter-Zeitung, 13.10.1945, jeweils S. 1. Am 17. Oktober 1945 verkündeten die Zeitungen die Übergabe der ersten Rate (eine Million) an den Direktor der Wiener Staatsoper. Molotov bestätigte am folgenden Tag die Gesamtsumme von einer Million Rubel (= zwei Millionen Schilling). CAMO, F. 275, op. 28382, d. 32, S. 266. Darüber hinaus wurden Hunderte Tonnen Beutebaumaterialien zur Verfügung gestellt. CAMO, F. 275, op. 426039, d. 4, S. 13f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 54. Befehl des Oberkommandierenden der CGV, Konev, über materielle Hilfe für die Österreichische Provisorische Regierung zum Wiederaufbau der Wiener Staatsoper.

Warum Österreich nicht sowjetisiert

wurde

gung der Aufnahme diplomatischer Beziehungen der UdSSR mit Österreich 33 ), das Interesse an Österreich selbst hielt sich im sowjetischen Volkskommissariat für Äußere Angelegenheiten jedoch in Grenzen. In einem Telegramm rügte Vize-Außenminister Vysinskij zwar Marschall Ivan Konev und dessen Politberater Evgenij Kiselev am 21. November 1945 34 , dass Moskau nicht über den Wahlkampf in Österreich unterrichtet werde, doch zeugt allein der Zeitfaktor dieser Rüge (vier Tage vor der Wahl), nicht gerade von planvollem Vorgehen, sondern eher von Unkoordiniertheit wie im Falle Ungarns, wo am 4. November 1945 Wahlen stattfanden. 35 A m Tag vor den Wahlen in Österreich, dem 24. November, berichtete schließlich Nikolaj Lun'kov, Mitarbeiter der 3. Europäischen Abteilung des NKID, an den Stellvertreter Molotovs, Vladimir Dekanozov, über ein von ihm mit Kiselev in Wien geführtes Telefongespräch. Letzterer war zuvor mit Renner zusammengetroffen, wobei Renner schätzte, dass die KPÖ rund 20 Prozent der Stimmen bekommen würde. Kiselev hielt fest, dass er diese Zahl für zweifellos übertrieben hoch (!) halte. 36 Zumindest die sowjetischen Diplomaten in Wien hatten sich folglich nicht viel erwartet und wohl bereits erkannt, dass sich ihre Versprechungen mit Renner nicht erfüllen ließen, und schätzten die politische Situation in Österreich realistischer ein als die sowjetische Führung. Dem sowjetischen stellvertretenden Militärkommissar, Aleksej Zeltov, war berichtet worden, dass Renner die Kommunisten als „Feinde der Demokratie" bezeichnet und Angriffe gegen die 33

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Den diesbezüglichen Beschluss fällte das Politbüro am 19. Oktober 1945. Am 23. Oktober veröffentlichte die Österreichische Zeitung das diesbezügliche Schreiben Konevs an Renner. RGASPI, F. 17, op. 162, d. 37, S. 154, 163, Nr. 47 (56)-op. Politbüro-Beschluss des ZK der VKP(b), Moskau, 19.10.1945. Abgedruckt in: K a r n e r - Stelzl-Marx - T s c h u b a r j a n , Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 142. Österreichische Zeitung, 23.10.1945, S. 1. Zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen siehe Oliver Rathkolb, Der Wiederbeginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion 1945-1947 zwischen Kaltem Krieg und österreichischer Innenpolitik, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA. 2003/50, S. 157-166. Siehe auch AVPRF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 324, S. 8. Briefentwurf Molotovs an Renner. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 3, S. 29. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 55. „In Österreich ist der Wahlkampf in vollem Gange. Die ausländische Presse misst den Wahlen große Bedeutung bei. [...] Doch wir erhalten von ihnen keine Informationen über den Wahlkampf und das Verhalten der Parteien." Auch die Wahlen in Ungarn im November 1945 waren für den Kreml nicht von primärer Bedeutung. Sowjetische Bemühungen, die linken Kräfte in einem Block antreten zu lassen, wurden erst drei Wochen vor den Wahlen begonnen. Das vehemente Auftreten der Kleinlandwirtepartei und der westlichen Vertreter in der Alliierten Kontrollkommission verhinderten dies jedoch. Siehe dazu Jänos M. Rainer, Der Weg der ungarischen Volksdemokratie. Das Mehrparteiensystem und seine Beseitigung 1944—1949, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944—1949. Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 319-352, hier: S. 331 f. Oliver Rathkolb, Historische Fragmente und die „unendliche Geschichte" von den sowjetischen Absichten in Österreich 1945, in: Alfred Ableitinger - Siegfried Beer - Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955. Wien 1998, S. 137-158; AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 61 f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 57. Siehe auch Wolfgang Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. Die Errichtung der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich von 1945 bis 1946 im Spiegel ihrer Lageberichte. Phil. DA. Wien 1998, und Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 368. Von unerwarteten Niederlagen der Kommunisten in Ungarn und Österreich geht Noel Annan aus. Die Wahlen wirkten sich auf Moskau äußerst nüchtern aus. Noel Annan, Changing Enemies. The Defeat and Regeneration of Germany. New York 1995, S. 189.

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Peter Ruggenthaler UdSSR getätigt hatte.37 Auch dem sowjetischen Geheimdienst war nicht entgangen, dass die österreichischen Kommunisten einen schweren Stand hatten. Den Agenten war zu Ohren gekommen, dass die ÖVP auf einer „illegalen Versammlung" in Krems die Anweisung ausgegeben hätte, Kommunisten, sollten sie „in Dörfern auftauchen", „schnell aus den Dörfern verjagen" und „zu verprügeln". 38 Generell hätte die ÖVP „seit Anfang der Wahlkampagne die Grundlagen des demokratischen Blocks verletzt [...] und einen aktiven Kampf gegen Kommunisten und Sozialisten [...] und antisowjetische Propaganda" geführt, so die Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich (SCSK).39 Zusammenfassend unmittelbar nach den Wahlen stellte die SMERS jedoch fest, dass „keine Exzesse registriert" wurden, „lediglich eine Reihe von Streitigkeiten und Schlägereien" sowie „Angriffe auf die Kommunisten". 40 Molotov soll die österreichischen Kommunisten, die sich über den frühen Wahltermin bei den Sowjets beklagt hatten, beruhigt haben. Es soll sogar zu ernsthaften Konflikten „mit den Russen" gekommen sein. Molotov soll der KPÖ-Spitze gesagt haben, sie solle die Wahlen nicht fürchten.41 Molotov dürfte sich tatsächlich ein besseres Abschneiden der KPÖ bei den Wahlen im Dezember 1945 erwartet haben. Indizien hierfür finden sich in dem oben erwähnten Vermerk Lun'kovs, der von Dekanozov auch Molotov vorgelegt wurde. Auf dem einseitigen Dokument unterstrich Dekanozov oder Molotov selbst den von Renner prognostizierten Stimmenanteil von 20 Prozent und jenen der „Katholiken" (ÖVP, 40 Prozent) zwei Mal.42 Dies kann als weiteres Indiz gewertet werden, dass Molotov und wohl auch Stalin auf Renner nach wie vor ihre Hoffnung setzten. Karl Renner war für den Kreml ein Versuch, Österreich auf den Weg zu einer Volksdemokratie zu bringen. Die Sowjetführung hatte sich von Renner viel versprochen, doch erwiesen sich die Hoffnungen als pure Illusion. Die Einschätzungen der sowjetischen Politvertreter in Wien reflektierten auf jeden Fall in keinster Weise die Meinung Stalins und Molotovs. Der Ausgang der Wahlen in Österreich war aber zumindest für die sowjetischen Diplomaten unmittelbar vor dem Urnengang keine große Überraschung, höchstens das Ausmaß der vernichtenden Niederlage der KPÖ kam unerwartet. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass, wie bereits erwähnt, freie Wahlen in von der Roten Armee besetzten Ländern bereits durchgeführt worden waren. In Ungarn hatte die KP 37 38 39 40 41

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CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 21, S. 100-113. Bericht des Chefs der Propagandaabteilung der SCSK, Pasecnik an den stellvertretenden Hochkommissar, Zeltov, vermutlich zw. 8. u. 11.11.1945. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 23, S. 36f. Bericht des Assistenten des Chefs der Hauptverwaltung für Gegenspionage SMERS, Rozanov, an Zeltov, 21.10.1945. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 21, S. 100-113. Bericht des Chefs der Propagandaabteilung der SCSK, Pasecnik, an den stellvertretenden Hochkommissar, Zeltov, vermutlich zw. 8. u. 11.11.1945. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 1, S. 307-310. Bericht des Assistenten des Chefs der Hauptverwaltung für Gegenspionage SMERS, Rozanov, an Abakumov, 26.11.1945. Heinz Gärtner, Zwischen Moskau und Österreich. Die KPÖ - Analyse einer sowjetabhängigen Partei. Wien 1979, S. 93. Ernst Fischer soll sich lediglich fünf Prozent der Stimmen in Wien erwartet haben. Siegfried Beer, Wien in der frühen Besatzungszeit. Erkundungen des US-Geheimdienstes OSS/SSU im Jahre 1945. Eine exemplarische Dokumentation, in: Ferdinand Opll - Karl Fischer (Hg.), Studien zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Bd. 51. Wien 1995, S. 35-92, hier: S. 83. AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 324, S. 20f.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde drei Wochen zuvor 16,9 Prozent der Stimmen erlangt. Marschall Kliment Vorosilov hatte vor den Wahlen in Ungarn bei den Bemühungen um den Zusammenschluss der linken Parteien zu einem Wahlblock ungestüm agiert und hatte sich hierfür sogar eine Rüge des ZK eingehandelt. 43 In der österreichischen Historiographie wurde das schlechte Abschneiden der KPÖ lange Zeit als Wendepunkt der sowjetischen Österreich-Politik dargestellt. Die Schlussfolgerung, dass sich der Kreml bei den Wahlen ohnehin nicht viel für die KPÖ erwartete, scheint jedoch zu früh gezogen worden zu sein.44 Natürlich stellen die Wahlen aus österreichischer Sicht einen Wendepunkt dar, immerhin lehnten die Österreicher hierbei in eindrucksvoller Weise den Kommunismus ab und zumindest die Gefahr, dass Österreich auf demokratischem Wege kommunistisch werden könnte, war grundsätzlich gebannt. Sie war infolge der Plünderungen und Vergewaltigungen sowie der zahlreichen Demontagen ohnedies gering gewesen. Das „Experiment Renner" war aus Moskauer Sicht gescheitert. Inwiefern stellen die Wahlen jedoch auch einen Wendepunkt der sowjetischen Österreich-Politik dar? Von großem Interesse erscheint in dieser Frage die Vorgehensweise um die Beantwortung eines Bittschreibens Renners an Stalin vom 17. Oktober 1945 kurz vor den Wahlen. Auf der Pariser Tagung des Rates der Außenminister Ende April 1946 betonte Molotov, dass Österreich „in einer besonderen Lage", sprich ein „Sonderfall" wäre. Österreich zählte als befreites und dennoch besetztes Land weder zu den Siegern noch zu den Verlierern.45 In seinem „Privatbrief' vom 17. Oktober 1945, wie er es nannte 46 , hatte Karl Renner Stalin gebeten, „dass Österreich als Sonderfall" behandelt werden möge, damit sich die Weltpolitik nicht jedes Mal auf Österreich niederschlug. Stalin unterstrich auf der ihm vorgelegten Übersetzung diesen Satz - neben drei anderen Punkten: 47 der Bitte um Druckausübung auf die Alliierten zwecks der endgültigen De-jure-Anerkennung der Provisorischen Regierung, Begrenzung der Kontrolle durch die Alliierten sowie eine stufenweise Verringerung der Besatzungstruppen - in dem ihm vorgelegten Brief und wies den Oberreferenten der 3. Europäischen Abteilung, 43 44 45 46

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O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 271 f. Zuletzt Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 368, u. Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 35. Siehe dazu Renners Mitteilung im Kabinettsrat: „Ich habe mich mit Rücksicht darauf, dass sich alle Angelegenheiten jetzt s o schwierig gestalten, entschlossen, Privatbriefe zu schreiben, und zwar einerseits an den englischen Außenminister Bevin, der mir parteipolitisch nahe steht, sowie an Stalin, mit dem ich schon früher in brieflichen Beziehungen gestanden bin. Ich habe sie in diesen Schreiben gebeten, uns die Schwierigkeiten, in die wir verwickelt sind, w o m ö g l i c h zu erleichtern. Ich habe dabei noch einige Bemerkungen über die Frage der Anerkennung gemacht und sodann über ihre Notwendigkeit gesprochen, die Regierung bei ihren bevorstehenden Maßnahmen zu unterstützen." Gertrude Enderle-Burcel - Rudolf Jefabek (Hg.), Kabinettsratsprotokoll Nr. 3 0 bis Kabinettsratsprotokoll Nr. 43. 12. September 1945 bis 17. Dezember 1945. Protokolle des Kabinettsrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945. Bd. 3, S. 143f. Kabinettsratssitzung v. 18.10.1945. Renner bat Stalin, auf die Alliierten Einfluss zu nehmen, um die Frage der Anerkennung der Provisorischen Regierung zu beschleunigen, die zivile Verwaltung den österreichischen Behörden zu überlassen und unverzüglich mit einer ständigen Reduzierung der Besatzungstruppen zu beginnen. AVP RF, F. 0 6 6 , op. 25, p. 119, d. 10, S. 2 6 - 3 2 . Renner an Stalin, 17.10.1945. Übersetzung ins Russische v. 31.10.1945. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 53.

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Peter Ruggenthaler Μ. Chosev an, ein Antwortschreiben an Renner vorzubereiten. Dieser übertrug diese Aufgabe dem Leiter der 3. Europäischen Abteilung des NKID, Andrej Smirnov, der wiederum dem stellvertretenden Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, Andrej Vysinskij, am 17. November 1945 empfahl, „Renner in mündlicher Form über Zeltov zu antworten, weil sich das Auftreten Renners bezüglich der Sowjetunion in den letzten Monaten zur schlechten Seite gewendet hat".48 Vysinskij erklärte sich mit dem Vorschlag Smirnovs einverstanden, nicht jedoch Molotov. Dieser wies den Österreich-Diplomaten Ivan Lavrov an, ein Antwortschreiben vorzubereiten, welches wiederum Vysinskij vorgelegt wurde. Vysinskij gab sein Einverständnis, und der neue Entwurf wurde Molotov am 22. November vorgelegt. Angesichts der bevorstehenden Wahlen entschied Molotov, mit der Beantwortung des Briefs vom 17. Oktober zu warten.49 Renners Brief blieb zunächst - bis zum 26. Jänner 1946 - unbeantwortet liegen. Erst dann gab Molotov dem sowjetischen Politvertreter in Österreich die Anweisung, einen Vorschlag in dieser Causa zu unterbreiten. Kiselev antwortete unverzüglich und empfahl seinem Außenminister, auf den Brief Renners vom 17. Oktober nicht zu antworten, da es unter den gegebenen Umständen nicht zielführend wäre. Außerdem sei die grundsätzliche Frage der Anerkennung der Regierung ohnedies bereits entschieden und Renner mittlerweile nicht mehr Staatskanzler.50 Die Diskussionen über die Beantwortung dieses Briefes Renners zeigen eines deutlich auf: Die Grundzüge der sowjetischen Politik gegenüber Österreich änderten sich auf Grund des für die Kommunisten verheerenden Wahlausganges nicht, mittelfristig blieb der Leitfaden der sowjetischen Politik der Gleiche. Über Vysinskij ließ Molotov - er nahm damit den Vorschlag Kiselevs auf - Konev in Wien anweisen, Renner im Jänner 1946 durch Zeltov aufsuchen zu lassen und ihm mündlich auf den Brief Renners an Stalin zu antworten. Zeltov hatte gegenüber Renner zum Ausdruck zu bringen, dass „die sowjetische Regierung auch in Zukunft bereit ist, Österreich die notwendige Hilfe und Unterstützung in der Angelegenheit des endgültigen Ausrottens der Folgen des Hitler-Regimes und der Wiederherstellung demokratischer Ordnung und Verwaltung zu erweisen." 51 Dass diese Worte auch unmittelbar nach den Wahlen nicht nur Strategie, sondern planmäßiges Vorgehen darstellten, zeigen die internen Entwürfe der Diplomaten, die zwar, wie oben dargelegt, nicht abgeschickt wurden, aber alle gleichen Inhalts waren. Die mittelfristige sowjetische Österreich-Politik hatte sich nicht entscheidend geändert.52

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AVPRF.F. 066, op. 25, p. 119, d. 10, S. 22; AVPRF, F. 06, op. 8, p. 22, d. 305, S. 1-13. AVP RF, F. 06, op. 8, p. 22, d. 305, S. 1-13. Ebd., S. 1-7; AVP RF, F. 066, op. 26, p. 121, d. 10, S. 23-32, hier: S. 20. Kiselev an Molotov, 26.1.1946. AVP RF, F. 06, op. 8, p. 22, d. 305, S. 1-7. AVP RF, F. 066, op. 26, p. 121, d. 10, S. 23-32. Einer der wenigen russischen Historiker, Vladimir Sokolov, der über österreichische Zeitgeschichte schreibt, hatte bereits 1995 - ohne jedoch Beweise vorlegen zu können - festgestellt, die sowjetische Politik habe sich nach den Wahlen nicht entscheidend verändert. Seiner Einschätzung zufolge musste sich die sowjetische Politik nicht ändern, da sie „niemals irgendwelche weitergehenden Ziele gegenüber Österreich verfolgt hatte". Sokolov, Sowjetische Österreichpolitik 1943/45, S. 85.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde Dieses Beispiel der sowjetischen Diplomatie ist weniger ein anschauliches Exempel des bürokratischen Apparats im sowjetischen Volkskommissariat für Äußere Angelegenheiten, sondern veranschaulicht eher die Einbeziehung einer Reihe von Diplomaten in den Entscheidungsprozess zur sowjetischen Politik zu Österreich. In diesem Fall handelte es sich nicht nur um die Beantwortung eines Schreibens, sondern um grundsätzliche Entscheidungen der sowjetischen Positionierung. Die sowjetische Führung vermied es, unmittelbar vor den Wahlen dem provisorischen Kanzler Renner seine vorgebrachten Bitten zu bestätigen. Wie oben erwähnt, strich Stalin wie gewöhnlich mit einem Buntstift die vier Bitten Renners an. Chosev schrieb diese auf einem eigenen Blatt Papier nieder. Das entsprechende Dokument findet sich im „Österreich-Bestand" des Archivs des Russischen Außenministeriums wieder. Diese vier oben genannten Punkte sind wohl als Anweisungen Stalins zur Österreich-Politik zu verstehen. Vor den Wahlen wäre es aus sowjetischer Sicht sicherlich taktisch unklug gewesen, dem SPÖ-Exponenten alle seine Bitten zu erfüllen bzw. offiziell mitzuteilen, dass Stalin sich für seine Ziele einsetzen werde. Es wäre eine unwillkommene Wahlhilfe gewesen. Ein interessantes Zeugnis dafür, dass die Meinungen und Hoffnungen zu den Wahlen 1945 und zur Einschätzung der politischen Lage in Österreich innersowjetisch divergierten, stellt eine der wenigen handschriftlichen Berichterstattungen dar, die, ohne dass sie einem Korrekturlesen unterzogen und maschinell reingeschrieben werden konnten, von besonderem Interesse sind und wohl am ehesten die persönliche Meinung der Exponenten widerspiegeln. Am Heiligabend 1945 verfasste der stellvertretende Politberater Michail Koptelov einen Bericht, in dem er den Leiter der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Volkskommissariats für Äußere Angelegenheiten vor den Schlussfolgerungen „einiger Genossen" warnte: „Viele unserer Genossen denken in alten Kategorien und treffen in diesem Geiste auch ihre Beurteilungen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Beurteilung der Volkspartei und der Sozialistischen Partei. Die Volkspartei wird als katholische Partei alten Typs angesehen. Doch entspricht dies bei weitem nicht der Realität. In dieser Partei ist es zu weitreichenden Änderungen gekommen, und sie unterscheidet sich heute wesentlich von ihrer katholischen Vorgängerpartei. Die Zerschlagung Deutschlands erwies sich als Zerschlagung ihrer pro-nazistischen und nazistischen Ausrichtung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet sich die Volkspartei in einem Entwicklungsprozess und in einer Phase der Verankerung demokratischer Prinzipien. Die Partei bewegt sich vom rechten Rand weg und hat eine klare Haltung bezogen. Was die Sozialistische Partei anbelangt, scheint mir zur Zeit eine Überbewertung vorgenommen zu werden. Meiner Meinung nach war und ist die Sozialistische Partei die gefährlichste Partei, und sie wird dies auch in Zukunft bleiben. Sie hat bislang keine Lehren aus dem Krieg gezogen. Als Vorbild betrachtet sie die Mitglieder der britischen Labour-Party, denen sie es in allem gleichzutun versucht. Ihren Worten nach zu schließen blickt sie nach vor, doch ihren Taten nach beschreitet sie einen Weg in die Vergangenheit. Die sozialdemokratische Ideologie in der Arbeiterbewegung ist von Rost zerfressen und erweist sich für die wahre Demokratie als zersetzend."53 53

AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 71-73. Seiten 71 u. 72 abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 71.

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Peter Ruggenthaler Koptelov mahnte, vorschnelle Schlussfolgerangen zu treffen: „Die heutige Lage ist äußerst ungewiss. Die Wahlen stellen eine deutliche Zäsur dar und brachten Stärken und Schwächen jeder Partei zum Vorschein." 54 Koptelov stellte demnach der ÖVP ein gutes Zeugnis aus und wollte damit „einen Umstand hervorheben, der die eingetretene Lage gelegentlich in einem falschen Licht erscheinen" ließ. Sein Bericht lässt viele Fragen offen. Was wollte er beschwichtigen? Gab es Vorschläge hinsichtlich eines anderen, härteren Vorgehens gegenüber Österreich nach den Wahlen 1945 von seinen Kollegen in Wien? Oder konnte er seine Meinung nicht durchsetzen und stellt das sowjetische Vorgehen nach den Wahlen ein aus seiner Sicht nicht wünschenswertes Maximum dar? Koptelov schloss sein Schreiben an Smirnov mit der Bitte, zu berücksichtigen, „dass die wirtschaftliche Lage Österreichs eine äußerst schwierige, beinahe katastrophale ist". Wollte Koptelov mit diesen Zeilen einer noch verheerenderen weiteren wirtschaftlichen Ausbeutung des Landes entgegentreten? Er konnte sich mit seinen Ansichten freilich nicht durchsetzen. Koptelovs Vorgesetzter, Evgenij Kiselev, sah Mitte 1946 die Wahlen als Zäsur der österreichischen Innen- und Außenpolitik. Die ÖVP orientiere sich offen in amerikanische Richtung, Leopold Figl und Karl Gruber bezeichnete er als „Agenten der Amerikaner". 55 Die SPÖ vermochte es zum Missfallen der Sowjets, die Unterstützung der breiten Massen zu erhalten, „dem Charakter der Führung nach erscheint die sozialistische Partei als eine der rechtesten und reaktionärsten der sozialdemokratischen Parteien Europas, die als der offensichtlichste Feind der UdSSR mit antisowjetischer Propaganda auftrete". 56 Der sowjetische Geheimdienst schätzte die SPÖ in dieser Zeit gleich ein, indem er „offene Auftritte" der Sozialisten gegen die Sowjetunion konstatierte und der „Arbeiter-Zeitung" systematische Verleumdung der UdSSR zuschrieb. 57 Kiselev sah in dieser Situation den „Kampf für eine einheitliche Arbeiterklasse auf dem Weg der Gründung einer Einheitspartei als unmöglich" 58 , andererseits konstatierte er eine sinkende Popularität der Regierungsparteien und steigenden Einfluss der Kommunisten: „Die kommunistische Partei, die bei den Wahlen eine bedeutende Niederlage erlitten hatte, hat nicht nur die Krise ausgestanden, sondern in bedeutsamen Ausmaß ihren Einfluss in den Massen gefestigt" und hoffte bis zum Frühjahr 1947 entscheidenden Einfluss zu

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Ebd. AVP RF, F. 012, op. 7, p. 101, d. 80, S. 40f. Memorandum E. Kiselevs „Die politische Lage in Österreich und die Aufgaben unserer Politik", 4.6.1946. Eine Kopie des Dokuments befindet sich im Bruno-Kreisky-Archiv. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 148. Karl Gruber wurde bereits nach den Novemberwahlen von sowjetischen Diplomaten als „offener amerikanischer Agent" beurteilt. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 8, S. 55. Bericht G. Dzjubenkos über die neuen Regierungsmitglieder, o. D. AVP RF, F. 012, op. 7, p. 101, d. 80, S. 40f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 148. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 21, S. 137-142. Bericht Bogdanovs, 4.7.1946. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 149. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 23, S. 223-225. Bericht Bogdanovs, 19.11.1946. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 153. AVP RF, F. 012, op. 7, p. 101, d. 80, S. 42. Memorandum E. Kiselevs „Die politische Lage in Österreich und die Aufgaben unserer Politik", 4.6.1946. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 148.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde gewinnen. 59 Tatsächlich interessierte sich die für Österreich zuständige 3. Europäische Abteilung Ende 1946, unter welchen Umständen in Österreich Neuwahlen vonstatten gehen könnten. Die provisorische wiedereingeführte Verfassung von 1929 wurde eingehend studiert60, man musste jedoch erkennen, dass Neuwahlen nur als Folge des Austretens zumindest einer Großpartei möglich werden würden. Das ZK der KPÖ hielt dies jedoch frühestens im Frühling bzw. erst im Herbst 1947 für möglich.61

Der Befehl Nr. 17 als unmittelbare Reaktion auf die Wahlen 1945 Das wirtschaftliche Ziel der sowjetischen Besatzung, Ostösterreich weitgehend wirtschaftlich für sich nutzbar zu machen und die Ressourcen auszubeuten, wurde durch die getroffenen Maßnahmen evident. Allerdings wurde dieses Ziel sowjetischer Politik bereits vor den Wahlen 194562, wenn auch in abgeschwächter Form formuliert und aus der Situation heraus. Die Sowjets bekräftigten seit dem Sommer 1945 immer wieder, nur jene Fabriken und Industrieanlagen zu demontieren, die ihnen nach dem PotsdamAbkommen als Kriegsbeute zustanden. Das mehrfache Angebot der Sowjets, bilaterale Gesellschaften zu gründen, wurde von den Österreichern jedoch abgelehnt. Dies führte noch 1945 zu einer weiteren Forcierung 61 der wirtschaftlichen Exploitationspolitik in Österreich. Am 5. Juli 1946 sorgte schließlich der für die österreichische Regierung völlig unerwartete Befehl Nr. 17 des sowjetischen Hochkommissars Vladimir Kurasov für einen Schock in der österreichischen Öffentlichkeit. 64 Das gesamte Deutsche Eigentum (nach breit angelegter sowjetischer Definition) wurde unter direkte sowjetische Kontrolle gestellt und ging in das Vermögen der UdSSR über. Der vor das Verstaatlichtengesetz rückdatierte Befehl war allerdings keine Schnellschuss-Aktion, sondern wurde schon bald nach den Novemberwahlen 1945 konkret ins Auge gefasst. Im Februar/März 1946 lag im Volkskommissariat für Äußere Angelegenheiten ein diesbezüglicher ausgearbeiteter Ministerratsbeschluss vor.65 Demnach sollte der Ministerrat der UdSSR Folgendes beschließen: „Der Oberbefehlshaber der Zentralen Gruppe der Streitkräfte, Marschall Konev, ist zu verpflichten, die ehemals deutschen Vermögenswerte und Aktiva in Ostösterreich, die gemäß dem Beschluss der Berliner

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Ebd., S. 43. AVP RF, F. 066, op. 26, p. 124, d. 41, S. 10-15. Bericht über die Verfassungsänderungen Österreichs von 1920-1934. Ebd., S. 17-19. Bericht Kiselevs über die Verfassung von 1929 und Möglichkeiten von Neuwahlen, 26.11.1946. Ebd., S. 16. Anweisung Lavrovs an Kiselev, darzulegen, unter welchen Umständen Neuwahlen in Österreich nötig werden. Ebd., S. 19. Rathkolb, Historische Fragmente, S. 152. Zum Wandel im sowjetischen Umgang mit Österreich siehe Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Neuaufl. Graz - Wien - Köln 1995, S. 185f. Otto Klambauer, Die USIA-Betriebe. Phil. Diss. Wien 1978, S. 18. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 180-184. Der Befehl wurde auf den 27.6.1946, d.h. auf den Vortag der Unterzeichnung des Zweiten Kontrollabkommens, rückdatiert. Wie in den Vorlagen üblich, wurde das genaue Datum freigelassen. AVP RF, F. 06, op. 8, p. 22, d. 312, S. 4 - 8 . Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 93.

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Peter Ruggenthaler Drei-Mächte-Konferenz [Potsdamer Konferenz] in Eigentum der Sowjetunion übergangen sind, seiner Verwaltung zu unterstellen und das Eigentumsrecht der Sowjetunion per Befehl rechtsgültig zu machen." Der Entwurf eines Ministerratsbeschlusses mit beiliegendem Befehlsentwurf des sowjetischen Hochkommissars in Österreich wurde Außenminister Molotov vorgelegt, der nach Durchsicht am rechten oberen Rand handschriftlich ein Kreuz anbrachte. Das Kreuz signalisierte seinem Stellvertreter Vysinskij einen Präzisierungsbedarf einer bedeutenden Angelegenheit. Vysinskij hatte sich eingehender mit der Thematik zu beschäftigen. 66 Unter Berücksichtigung der zunächst behutsamen und langsamen sowjetischen Vorgehensweise in Mittelost- und Osteuropa können die Wahlen in Österreich in der mittelfristigen sowjetischen Österreich-Politik keine Zäsur darstellen, wie etwa in Ungarn, wo Stalin nach den Wahlen 1945 darauf beharrte, das Schlüsselressort des Innenministeriums den Kommunisten zu übertragen. Im Gegensatz zu Ungarn und allen anderen ausschließlich von der Roten Armee besetzten Ländern war Österreich jedoch vierfach besetzt. In Österreich hätte eine ähnliche Vorgangsweise zu ernsten Konflikten mit den Alliierten geführt. Der Kreml konnte daher „nur" wirtschaftliche Repressionsmaßnahmen setzen, in erster Linie, um wirtschaftlich noch mehr Beute aus Österreich herauszuholen, andererseits hat diese Vorgehensweise sicherlich auch im sich verschlechternden Verhältnis zu Renner selbst und zur neuen Regierung Figl seine Wurzeln. Demontagen etwa wurden nun nicht weiters begründet, wie dies von Seiten Tolbuchins und Konevs gegenüber Renner vorkam. Das erste politische Zeichen für eine härtere Gangart im Umgang mit Österreich, die sich auch in einem strengeren Ton der diplomatischen Sprache niederschlug 67 , war bekanntermaßen das von der UdSSR im Alliierten Rat eingelegte Veto gegen einige von Bundeskanzler Figl vorgesehene Minister. Die Initiative ging von Kiselev aus. Am 8. Dezember telegrafierte er an Vysinskij folgende Empfehlung: „Wir erachten es für notwendig, die Frage zu stellen, Ferdinand Graf, der in einer ganzen Reihe antisowjetischer Auftritte involviert war, von der Kabinettsliste zu streichen, ebenso Dr. Schumy, der für seine profaschistischen Auftritte bekannt ist. Ebenso werden wir die Frage über ein Ersetzen Raabs 68 und Korps stellen. Im Übrigen halten wir die Liste 66

AVP RF, F. 06, op. 8, p. 22, d. 312, S. 7. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 93. Bis Anfang Juli 1946 waren die Konfiskationen immer umfangreicher geworden. Die österreichischen Behörden waren bereits ab März 1946 zur Übergabe der Unterlagen über ausländische Besitzrechte aufgefordert worden. Bei obgenanntem ersten Befehlsentwurf dürfte es sich um einen ersten Entwurf des Befehls Nr. 12 handeln, demzufolge das Deutsche Eigentum zunächst einmal registriert werden sollte. Bewiesen werden kann nunmehr, dass der sowjetische Entschluss zur Übernahme Deutschen Eigentums in Ostösterreich in den Besitz der UdSSR bereits Anfang 1946 feststand. Der Wahlausgang hat die Beschlussfassung zur Umsetzung des Vorhabens vermutlich beschleunigt. Zur Beschlagnahme von Betrieben als „Deutsches Eigentum" in Ostösterreich ab Februar 1946 siehe Klambauer, Die USIA-Betriebe, S. 147-178.

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Siehe dazu den Beitrag von Ol'ga Pavlenko, Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie 1945, in diesem Beitrag. Die sowjetischen Diplomaten lasteten Raab eine „sowjetfeindliche" Einstellung an, die er des öfteren in Reden mit „feindlichen Aussagen in Richtung Sowjetunion und Roter Armee" zum Ausdruck gebracht hatte. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 208f. A. Smirnov an A. Vysinskij. Moskau, 8.12.1945.

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Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde für annehmbar. Das ZK der KPÖ fasste den Entschluss, sich an der Regierung zu beteiligen, wie von Figl angeboten. Die Kandidatur des Kommunisten ist vom künftigen Kanzler angenommen." 69 Eine Regierungsbeteiligung der KPÖ stand keinesfalls fest. Nachdem das ZK der KPÖ die Empfehlung abgegeben hatte, sich an der Regierung zu beteiligen, sofern ihr ein Ministerposten angeboten würde, wandte sich Politberater Kiselev, der mit Johann Koplenig in Verbindung stand, mit der Frage an Moskau, ob sich die KPÖ an der Regierung beteiligen solle. Die Vorgehensweise zeugt nicht gerade von einer Geradlinigkeit der sowjetischen Politik in Österreich und gegenüber der KPÖ, sondern vielmehr von einer der Stringenz actio - reactio folgenden Vorgehensweise. Die Sowjets in Wien waren nicht darauf vorbereitet, wie sie nach den geschlagenen Wahlen mit dem Debakel der KPÖ weiter vorgehen mussten oder sollten. Kiselev schrieb an Vysinkij: „Ich bringe die außergewöhnliche Wichtigkeit der prinzipiellen Entscheidung über eine Beteiligung der Kommunisten an der Regierung zur Kenntnis und bitte um Ihre unverzüglichen Anweisungen." 70 Der Kreml entschied sich schließlich, wie bekannt, zu einer Regierungsbeteiligung der KPÖ. Karl Altmann bekleidete fortan den einzigen kommunistischen Ministerposten in der Geschichte der Zweiten Republik. 71

Bankrotterklärung der sowjetischen Politik in Österreich Anfang 1947 ging der Kreml zur Konsolidierung seiner Eroberungen und zur Festigung seines Satellitenorbits in Mittelost- und Osteuropa über.72 Die Zügel wurden strenger angezogen, Oppositionelle verfolgt und liquidiert. Verhaftungswellen folgten Schauprozesse. Koordiniert wurden die Tätigkeiten der kommunistischen Parteien Osteuropas ab September 1947 durch das neugegründete Kominform, dessen vorrangigstes und wichtigstes Ziel für Stalin die Zusammenschweißung des „cordon sanitaire" war.73 1948 übernahmen die Kommunisten in Österreichs nördlichen und östlichen Nachbarländern die uneingeschränkte Macht und beschritten den Weg treuer Moskauer Vasallen. In Österreich wurden diese Schritte nicht gesetzt. Eine der wenigen Quellen, die genauen Aufschluss über die konkreten Aufgaben der sowjetischen Organe in Österreich für diesen Zeitraum geben, ist der Schlussbericht des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich (SCSK) für das Jahr 1947 aus dem „Geheimbestand" zu Österreich

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AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 324, S. 23f. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 204-208; AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 3, S. 18f. Kiselev an Vysinskij. Wien, 4.12.1945. Auch vor dem Austritt aus der Regierung im November 1946 holte das ZK der KPÖ die Erlaubnis dazu in Moskau ein. AVP RF, F. 012, op. 7, p. 101, d. 80, S. 90. Eine Kopie des Dokumentes befindet sich in der Sondersammlung des Bruno-Kreisky-Archivs. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 400. Grant Μ. Adibekov, Das Kominform und Stalins Neuordnung Europas. Zeitgeschichte - Kommunismus - Stalinismus. Materialien und Forschungen. Bd. 1. Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 329. Die französische und italienische KP sollten den Weg von „bewaffnetem und friedlichem Entwicklungsweg der Revolution" gehen und „außerparlamentarische Formen des Kampfes für den Sozialismus" anwenden. Ebd., S. 328.

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Peter Ruggenthaler im Archiv des russischen Außenministeriums. Von besonderem Interesse sind die darin angeführten Ziele der militärischen Abteilung der SCSK, die wie folgt lauteten: - Durchführung der Demilitarisierung der ehemaligen Rüstungsindustrie - Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Regierung in der Frage der Gründung einer österreichischen Armee - Nichtzulassen einer Wiedergeburt des Militarismus in Österreich und die Arbeit in den militärischen Organen74 Der insgesamt viele Dutzend Seiten starke Schlussbericht aller Abteilungen der SCSK wurde Andrej Smirnov, dem Leiter der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums, in sechsseitiger Zusammenfassung vorgelegt.75 Er kam einer Bankrotterklärung der sowjetischen Politik in Österreich gleich: „Es ist offensichtlich, dass die österreichische Regierung zu einer folgsamen Marionette in den Händen der Amerikaner geworden ist und mit ihrer Hilfe in Österreich eine amerikanische Politik betrieben wird. Deshalb sind die sowjetischen Interessen in Österreich mit großer Beharrlichkeit und Konsequenz zu wahren, indem man insbesondere verhindert, dass in der sowjetischen Zone Gesetze und Verordnungen durchgesetzt werden, die im Grunde genommen nicht mit den Vier-Mächte-Abkommen zu Österreich vereinbar sind." Die sowjetischen Organe mussten eingestehen, dass es „den Amerikanern, Engländern und Franzosen [·..] mithilfe der österreichischen Regierung [···] gelungen [ist...], den Einfluss der österreichischen Kommunistischen Partei einzuschränken". 76 Die ÖVP und SPÖ wurden als „der Sowjetunion feindlich gesinnte Parteien" eingestuft. Feindselige Strömungen gegenüber der Sowjetunion würden gepflegt, sämtliche Vorschläge des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission abgelehnt, sabotiert oder ignoriert.77 Die Motive des Zusammenhalts der ÖVP und der SPÖ und ihr gemeinsames Auftreten gegenüber der KPÖ wurden bereits ab Anfang 1946 als Resultat eines massiven angloamerikanischen Einflusses auf die beiden Parteien gesehen. Während die SPÖ zunächst neben der KPÖ auch die ÖVP bekämpfte, indem sie „ständig Kurs auf das labouristische England hielt", schwenkte sie Ende 1946 um und trat „in einen Block mit der Volkspartei in allen Fragen ihrer proamerikanischen Politik", nachdem die SPÖ angeblich erkannt hatte, „dass England in seiner Politik von den USA abhängig ist".78 Als Ursache der entstandenen innenpolitischen Situation kritisierten die Sowjets jedoch auch die „überaus schwache" Position der österreichischen Kommunisten. Aber auch in den eigenen Reihen suchte man nach Sündenböcken. 79 Die Verantwortlichen 74 75

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Kurzannotation zum Abschlussbericht der Militärabteilung des sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich 1947. AVPRF, F. 66, op. 26, p. 32, d. 29, S. 15. AVP RF, F. 66, op. 26, p. 32, d. 29, S. 25-30, hier: S. 29. Zusammenfassung des Schlussberichts der SCSK für das Jahr 1947. Barulin an Smirnov, o. D. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 73. AVP RF, F. 66, op. 26, p. 32, d. 29, S. 25-30. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 73. Ebd. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 29, S. 201-207. Bogdanov an Kurasov, 30.5.1947. Vgl. dazu den Beitrag von Wolfgang Mueller, „Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter.", in diesem Band.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde der Propagandaabteilung der SCSK sollten in Zukunft daran gehindert werden, „sich in die Arbeit der österreichischen kommunistischen Partei einzumischen" und diese durch „keine Bevormundung" zu behindern. Doch auch eine „Bloßstellung der antidemokratischen Politik der Österreich besetzenden Westmächte" 80 konnte nicht realisiert werden. Zudem bedauerten die Sowjets nunmehr, der österreichischen Regierung durch Abschluss des Zweiten Kontrollabkommens zu viel Freiraum ermöglicht zu haben. Der Verzicht auf die Durchführung einer Landreform und auf ausreichende Wahrnehmung einer Kontrolle durch die Militäradministration hätte vor allem den Westmächten Vorteile gebracht. Intern wurde die bis dato gehandhabte „Nichteinmischung in Angelegenheiten der lokalen Verwaltung" kritisiert, was „auf Grund des Mangels an notwendiger Energie bei den österreichischen Kommunisten" zu einem ungehinderten Beamtenaustausch zugunsten der ÖVP und SPÖ geführt hatte.81 Die Ereignisse des Juni 1947 im Zuge der „Figl-Fischerei" 82 , die bis dato als ernsthafter sowjetischer Versuch, die KPÖ an die Macht zu hieven, interpretiert wird, fanden im genannten Bericht mit keinem Wort Erwähnung. Begangene Fehler schrieb sich die sowjetische Besatzungsmacht sogar selbst zu. Selbstkritisch gab Grigorij Barulin, Mitarbeiter der 3. Europäischen Abteilung, im vorgelegten Österreich-Bericht zu 1947 die Empfehlung ab, die Propagandaabteilung möge „es einstellen, sich in die Arbeit der KPÖ einzumischen". 83

Die „Figl-Fischerei" Im Juni 1947 hatte der KP-Nationalratsabgeordnete Ernst Fischer „Geheimgespräche" mit Bundeskanzler Figl geführt. Dabei gab Fischer zu verstehen, dass die Sowjetunion möglicherweise zu größeren Zugeständnissen gegenüber Österreich bereit wäre, wenn einige der Sowjetunion feindlich gesinnte Minister zurücktreten würden. Ernst Fischer brachte auch einen neuen, alten Namen für den Posten des Kanzlers ins Spiel: Josef Dobretsberger. 84 Außenminister Gruber ging jedoch an die Öffentlichkeit, und es kam zu einem der größten Skandale der jungen Zweiten Republik, als Folge dessen sich die SPÖ als zuverlässigster Partner der Amerikaner etablierte, obwohl auch sie mit Ernst Fischer Gespräche geführt hatte, was jedoch nicht publik wurde. 85 In der österreichischen Öffentlichkeit wurden die Forderungen nach einer, den Sowjets genehmen, Regierungsumbildung als einer der ernsthaften Versuche des Kremls gewertet, in Österreich einen Machtumschwung zugunsten der Kommunisten zu erwirken. Anhand

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AVP RF, F. 66, op. 26, p. 32, d. 29, S. 29. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 73. Ebd., S. 29f. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 204-206. Michael Gehler, „... this nine days wonder"? Die „FiglFischerei" von 1947 eine politische Affäre mit Nachspiel, in: Michael Gehler - Hubert Sickinger (Hg.), Politische Affären und Skandale. Thaur - Wien - München 1995, S. 346-381. AVP RF, F. 66, op. 26, p. 32, d. 29, S. 30. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 73. Zur „Figl-Fischerei" siehe Hugo Portisch, Der lange Weg zur Freiheit. Österreich II. Die Geschichte Österreichs vom 2. Weltkrieg bis zum Staats vertrag. Bd. 4. München 1993, S. 47-52, hier: S. 48. Gehler, „... this nine days wonder"?, S. 364f. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 105.

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eines Dokumentes aus dem russischen Parteiarchiv kann nun bewiesen werden, dass die vom KP-Nationalratsabgeordneten Ernst Fischer geführten Gespräche mit Figl („Figl-Fischerei") keine gelenkte und gesteuerte Aktion der sowjetischen Besatzungsmacht, sondern lediglich eine Eigenaktion Fischers waren. Fischer hatte nicht einmal in Absprache mit seinen Parteigenossen gehandelt: „Fischer unterhält umfangreiche Verbindungen mit bourgeoisen Kreisen, darunter mit amerikanischen und englischen. Er neigt dazu, sich von taktischen Manövern mitreißen zu lassen, manchmal zum Nachteil der prinzipiellen Linie. So trat Fischer im Sommer 1947 mit der Regierung in Verhandlungen über Teilnahmebedingungen der Kommunisten in der Regierung - ohne Wissen oder Erlaubnis des ZK der KPÖ."86 Initiator der „Figl-Fischerei" soll Julius Raab gewesen sein. 87 Dobretsberger kann zu diesem Zeitpunkt zudem den Sowjets kein genehmer Kandidat gewesen sein, hielt doch ein sowjetischer Geheimdienstbericht fest, dass Dobretsberger Kanzlerkandidat einer neuen katholischen Partei sei, die „nach direkter Anordnung des Vatikans und Forderungen der Amerikaner" im Begriff sei gegründet zu werden. 88 Für die Propaganda der Westmächte waren die Vorkommnisse um die „Figl-Fischerei" freilich Wasser auf den Mühlen. Rechtfertigungsversuche und Richtigstellungen seitens der KPÖ fanden kein Gehör. Für die österreichische Regierung war der richtige Zeitpunkt gekommen, sich des kommunistischen Staatspolizeichefs, Heinrich Dürmayer, zu entledigen.89 Die westliche Propaganda verbreitete immer stärker Putschgerüchte. In Ungarn hatten die Kommunisten die Macht übernommen und Ängste in Österreich wurden vehement geschürt: „Nach Budapest kommt Wien."90 Streiks kommunistischer Arbeiter in Wien wurden von den Westmächten als konkrete Putschpläne und Versuche einer gewaltsamen kommunistischen Machtübernahme interpretiert91 und auch durchaus bewusst 86

RGASPI, F. 82, op. 2, d. 117, S. 22f. Charakteristik Ernst Fischers, vorgelegt V. Molotov in seiner Funktion als Überwacher der Außenpolitischen Abteilung des ZK der VKP(b) 1949-1953. 87 So zumindest stellt es ein Bericht des sowjetischen Außenministeriums 1955 dar. AVP RF, F. 06, op. 14, p. 9, d. 109, S. 9. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 176. 88 CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 29, S. 201-207. Bogdanov an Kurasov, 30.5.1947. Der Geheimdienstbericht enthält Falschmeldungen. Dobretsberger soll demnach u. a. im amerikanischem Exil gewesen sein. Zu Dobretsbergers Rolle 1945 siehe den Beitrag von Stefan Karner und Peter Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, in diesem Band. 89 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 213. Die von langer Hand von der Regierung vorbereitete „Reorganisation" der Staatspolizei mit dem Ziel, sich der Kommunisten zu entledigen, wurde vom sowjetischen Nachrichtendienst bei der SCSK genau beobachtet. Bereits Ende 1946 hatten die Sowjets vernommen, dass Figl eine Versetzung Dürmayrs „in die englische oder amerikanische Zone" plante, was schließlich zur Verhaftung durch diese führen sollte. CA FSB RF, F. 135, op. 1, d. 23, S. 257-267. Bogdanov an stellvertretenden Hochkommissar, 17.12.1946. CA FSB RF, F. 4, op. 5, d. 870, S. 172181. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 104. Bogdanov an den MGB der UdSSR, 9.9.1947. 90 CA FSB RF, F. 4, op. 5, d. 870, S. 172-181. Bericht Bogdanovs an den MGB, 9.7.1947. Die Ernennung V. Sviridovs zum neuen Hochkommissar in Österreich hatte zusätzlich Sorgen bereitet, war er zuvor doch Stellvertreter von Marschall Vorosilov in Ungarn. Siehe dazu Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 287. 91 Günter Bischof, „Prag liegt westlich von Wien", in: Günter Bischof - Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949. Innsbruck 1988, S. 315-345, hier insbesondere: S. 334—337.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde hochgespielt. Angebliche Entdeckungen von Putschplänen der KPÖ92 stammten, wie heute vermutet wird, wahrscheinlich aus der Produktion der eigenen Geheimdienste93, die auf diese drastische Weise Ängste der österreichischen Regierung und Bevölkerung vor einer permanenten Gefahr, die von der politisch bedeutungslosen KPÖ ausging, stärkten. Das hatten auch die sowjetischen Agenten erkannt, die die künstlich produzierte Putschgefahr als Vörwand zur Stärkung „reaktionärer Organisationen" und Entfernung von Kommunisten aus der Polizei einschätzten.94 Ein sowjetischer Geheimdienstbericht zur „Putschhysterie": „Im Juni, Juli d. J. [1947] verbreiteten sich verstärkt Gerüchte über einen im Land anstehenden kommunistischen Putsch*. In Zusammenhang mit diesen Gerüchten, die auf alle Art von den .Alliierten' und reaktionären Kreisen unterstützt wurden, verstärkte sich die Hetzjagd auf die Kommunistische Partei Österreichs und die Angriffe auf die Sowjetunion, die angeblich diese ,Pläne' der Kommunisten unterstützt."95 Auch wenn der Kreml revolutionäres Vorgehen oder Putschversuche in Österreich nicht wünschte, weder 1947 noch zu einem späteren Zeitpunkt, wie an späterer Stelle noch zu zeigen sein wird, kann nicht geleugnet werden, dass die Putschgefahr durch die österreichischen Kommunisten reell war und dass es der Verdienst derjenigen, die Widerstand leisteten, war, dass alle angeblichen Putschversuche scheiterten. Das Jahr 1948 schien in dieser Hinsicht für Österreich noch schwieriger zu werden.

Das Krisenjahr 1948 - Putschgefahr in Österreich? Im Frühjahr 1948 unternahm die Sowjetunion in Finnland den letzten ernsthaften Versuch, einen Kurswechsel zugunsten der Kommunisten zu erreichen. Nach ungarischem Muster wurde eine „Verschwörung" aufgedeckt. Der Plan scheiterte jedoch. Die finnischen Kommunisten waren nicht in der Lage, die Sozialdemokratie zu zersetzen und zu spalten, wie dies von ZK-Sekretär Andrej Zdanov immer wieder gefordert wurde. In der Folge nahm die UdSSR endgültig davon Abstand, das Land zu sowjetisieren und gab sich mit dem Abschluss eines Friedensvertrages zufrieden. Für die Sowjetunion vorteilhafte Beziehungen waren ab diesem Zeitpunkt das Hauptziel ihrer Politik in Finnland.96 Aus der Sicht der UdSSR galt auch 1947/48 dem finnischen Nachbarn im Norden höheres Interesse als dem vierfach geteilten Österreich an der südwestlichen Peripherie. Eine mögliche Teilnahme Finnlands in der Kominform wurde immerhin diskutiert97, im Gegensatz zu Österreich durfte Finnland jedoch nicht am Marshall-Plan teilnehmen.98

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Franz Olah, Die Erinnerungen. Wien - München - Berlin 1995, S. 3 3 9 - 3 4 5 . Reinhold Knoll - Martin Haidinger, Spione, Spitzel und Agenten. Analyse einer Schattenwelt. St. Pölten 2 0 0 1 , S. 3 0 5 - 3 0 9 . M e i n e m Kollegen Harald Knoll sei an dieser Stelle für diesen Hinweis herzlich gedankt. C A FSB RF, F. 4, op. 5, d. 870, S. 104. Bericht Bogdanovs an den M G B , 9.7.1947. Ebd. Büttner, Sowjetische Finnlandpolitik. Siehe dazu Adibekov, Das Kominform und Stalins Neuordnung Europas, S. 1 8 2 - 1 9 7 . Grant Adibekov, W h y was the Communist Party of Finland Not Admitted into the Cominform, in: Jukka Nevakivi (Hg.), Finnish-Soviet Relations 1 9 4 4 - 1 9 4 8 . Helsinki 1994, S. 1 9 9 - 2 1 5 . Adibekov, Das Kominform und Stalins Neuordnung Europas, S. 1 8 2 - 1 9 7 . Mikhail Narinsky. The

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Eine Teilnahme Österreichs verhinderte die Sowjetunion jedoch nicht, wie im Fall der Tschechoslowakei." Sie konnte es freilich nicht. Es blieb der sowjetischen Besatzungsmacht lediglich, den Marshall-Plan in der Folge heftigst zu kritisieren und anzufeinden, auch wenn zwei Jahre nach Inkrafttreten intern zugegeben werden musste, dass der Marshall-Plan „eine ernsthafte Konkurrenz zur USIA" darstellte!100 Die Sowjets mussten einsehen, dass die Annahme des Gesetzes nicht zu verhindern war. Es handelte sich schließlich um ein bilaterales Abkommen zwischen Österreich und den USA. Seit dem Zweiten Kontrollabkommen konnten die Alliierten bekanntermaßen nur mehr gegen Verfassungsgesetze Einspruch erheben.101 Es blieb den Sowjets lediglich, im Alliierten Rat Protest einzulegen 102 und fortan eine Untergrabung der Unabhängigkeit Österreichs auf dem Wege der wirtschaftlichen Vereinnahmung durch die USA zu propagieren und einen Verstoß gegen die Vereinbarungen der „Moskauer Deklaration" zu orten.103 1948 schien Österreich von allen Seiten bedroht. In Prag übernahmen die Kommunisten die Macht, die bevorstehenden Wahlen in Italien stellten eine ernsthafte Bedrohung dar, die Kommunisten könnten auf legalem Wege an die Macht kommen. Stalins Druck auf Finnland und die Berlin-Krise ließen die Gerüchteküche über Putschpläne und Blockaden auch für Wien brodeln.104 Dies führte sogar dazu, dass die Westmächte begannen, Flugplätze in Wien zu planen, um im Notfall die Wiener Bevölkerung versorgen zu können.105 In den Lageberichten der westlichen Geheimdienste tauchten wiederholt Gerüchte über Putschpläne auf, die Franzosen hatten vernommen, dass die Kommunisten angeblich aus Moskau gerügt worden seien, „nicht genügend zu agitieren".106 Getadelt wurden sie tatsächlich, Anweisungen für Putschpläne bekamen sie aber keine, im Gegenteil.

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Soviet Union, Finland and the Marshall Plan, in: Jukka Nevakivi (Hg.), Finnish-Soviet Relations 1944-1948. Helsinki 1994, S. 80-99. O'Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire", S. 322; Jiri Kocian, Vom Kaschauer Programm zum Prager Putsch. Die Entwicklung der politischen Parteien in der Tschechoslowakei in den Jahren 1944—1948, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949. Paderborn - München - Wien - Zürich 2002, S. 301317, hier: S. 315. AVP RF, F. 066, op. 31, p. 149, d. 29, S. 18. Memorandum Koptelovs an Vysinskij, „Über die konkreten Folgen des Marshall-Plans für die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit Österreichs". Moskau, 10.6.1950. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 168-174, zum Marshall-Plan, S. 242f. Alfred Ableitinger, Großbritannien und das Zweite Kontrollabkommen. Genese und Gehalt des britischen Regierungsentwurfes vom 4. Februar 1946, in: Alfred Ableitinger - Siegfried Beer - Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955. Wien 1998, S. 71-109. So geschehen am 13. August 1948. Siehe dazu Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich. Graz 1989, S. 113. Jill Lewis, Auf einem Seil tanzen: Die Anfänge des Marshall-Planes und des Kalten Krieges in Österreich, in: Günter Bischof - Dieter Stiefel (Hg.), „80 Dollar". 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948-1998. Wien - Frankfurt a. M. 1999, S. 297-314, hier: S. 304. Bischof, „Prag liegt westlich von Wien", S. 315-345; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 224f., 232. Zu den Planungen der Alliierten, Österreich im Notfall ähnlich wie Berlin mit Lebensmitteln zu versorgen, siehe vor allem Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien - Köln - Weimar 2000, sowie zu den Planungen zum Bau von Flugplätzen in den westlichen Sektoren Wiens Richard Hufschmied, Wien im Kalkül der Alliierten (1948-1955). Maßnahmen gegen eine sowjetische Blockade. Wien - Graz 2002. Bischof, „Prag liegt westlich von Wien", S. 334.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde Im Februar 1948 weilten die österreichischen Kommunisten Johann Koplenig und Friedl Fürnberg in Moskau zu einer Unterredung mit Andrej Zdanov im ZK der Partei. Im Gespräch mit den KPÖ-Führern erläuterte Zdanov den offiziellen Standpunkt des Zentralkomitees der Allunionspartei der Bolschewiken (später KPdSU): „Das ZK der Allunionspartei der Bolschewiken meint, dass bei den österreichischen Genossen im Zusammenhang der Perspektiven und Taktiken der Kommunistischen Partei nicht alles klar ist. Seine Taktik baut das ZK der KPÖ darauf auf, dass die sowjetischen Truppen länger auf dem Gebiet Österreichs bleiben. Das ZK der Allunionspartei der Bolschewiken ist damit nicht einverstanden. Bei den österreichischen Genossen gab es sogar Gespräche darüber, dass eine Teilung Österreichs besser als irgendeine andere Perspektive ist. Das ZK der Allunionspartei der Bolschewiken hält diese Einstellung für völlig falsch. Beide Einstellungen des ZK der KP Österreichs sind gegen das Prinzip der Unabhängigkeit und die Einheit Österreichs gerichtet." 107 Zdanov erklärte Fürnberg und Koplenig, dass er darin den Fehler der KPÖ sehe und sie deshalb nicht die Mehrheit des österreichischen Volkes zufrieden stellte. Er brachte seinen Wunsch zum Ausdruck, dass die KPÖ ihre Taktik ändere. Ohne die Betonung der nationalen Souveränität und Unabhängigkeit sah Zdanov keine Chance einer positiven Entwicklung der KPÖ.' 08 Den österreichischen Kommunisten wurde offiziell unmissverständlich klar gemacht, dass die Sowjetische Armee nicht in Österreich bleiben werde. Zdanov unterstrich, dass die UdSSR einer Teilung Österreichs nichts abgewinnen würde. („Der Ratschlag dazu, sich zu einer Teilung Österreichs hinzuarbeiten, ist ein schädlicher Ratschlag.") 109 Zdanov verwies in seinem Gespräch mit Koplenig und Fürnberg auf das Auftreten der KPD, die, wie er es ausdrückte, „mit Erfolg die Losung für ein geeintes Deutschland verwendet". Auch die KPÖ solle mit allem Beharren für die „Einheit Österreichs kämpfen" und für die baldige Liquidierung des Besatzungsregimes." 0 Zdanov wies die österreichischen Kommunisten an, sich für die Zeit nach dem Abzug der Besatzungstruppen vorzubereiten und „Maßnahmen vorzubereiten, dem angloamerikanischen Einfluss in Österreich" entgegenzutreten: „Man muss die Politik der Angloamerikaner als die Untergrabungspolitik der Souveränität Österreichs enthüllen. Der Marshall-Plan und andere wirtschaftliche Maßnahmen, die von den Amerikanern und Engländern durchgeführt werden, führen zum Verlust der Unabhängigkeit Österreichs." Nur die Sowjetunion sei Garant für eine Politik der Freundschaft, die „nicht mit einer Einschränkung ihrer Unabhängigkeit und Souveränität [verbunden] ist". Zdanov weiter: „Die österreichischen Genossen sind entmutigt von der Perspektive der Liquidierung des Besatzungsregimes. Die Sowjetunion kommt den österreichischen Genossen entgegen, wenn sie Maßnahmen benötigen, die auf eine Erleichterung des Besatzungsregimes ausgerichtet sind und 107 108 109 110

RGASPI, F. 77, op. 3, d. 100, S. 1. Gesprächsnotiz Α. A. Zdanovs v. 13.2.1948. Ebd. Ebd., S. 6. In der handschriftlich korrigierten Notiz war vorher sogar die Rede davon, die KPÖ solle „den Abzug nicht nur der amerikanischen und englischen, sondern auch der sowjetischen Truppen" propagieren. RGASPI, F. 77, op. 3, d. 100, S. 2, 10. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 157.

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Peter Ruggenthaler unternimmt alles in diese Richtung, was sie kann. Jeder andere Weg erscheint weder als national noch als demokratisch noch als revolutionär."1" Für Koplenig und Fürnberg war es ein Canossagang. Sie mussten eingestehen, dass der bisherige Weg der KPÖ der falsche war, und bedankten sich für die Klarstellungen Zdanovs. Sie versuchten zwar, die schwierige Lage der KPÖ darzulegen und zu erklären, dass ihr Spielraum klein war. Österreich war ihrer Meinung nach nach wie vor nicht „demokratisiert", zudem sei die österreichische Regierung eine Agenten-Einrichtung Amerikas." 2 Koplenig legte auch Zdanov die Zwicklage der KPÖ dar. Einerseits war sie stets dafür eingetreten, dass die Sowjetunion zu Recht Deutsches Eigentum in Österreich für sich beanspruchte, mittlerweile aber war die UdSSR bereit, sich das Deutsche Eigentum abkaufen zu lassen. Koplenig erklärte, dass es für Österreich unmöglich sein werde, 200 Millionen Dollar zu berappen, und dass dieses Geld schlussendlich wohl von den USA aufgebracht werde. Die Reaktion Zdanovs auf Koplenigs Rechtfertigungsversuche ist interessant, spiegelt sie doch möglicherweise die illusorischen Hoffnungen der Sowjetunion wider, Österreich werde nach Abzug der Besatzungstruppen den Weg zur Völksdemokratie beschreiten. Zdanov: „Es ist nötig, dass die [österreichischen] Genossen verstehen, dass die Ideen der Unabhängigkeit und Souveränität Österreichs, wenn [Österreich] sich in den Händen der Kommunisten befindet [v. Verf. hervorgehoben], als die entscheidende Kraft der demokratischen Entwicklung erscheinen." Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die hervorgehobene Formulierung des Gesprächprotokolls von Zdanov im Anschluss durchgestrichen wurde und Stalin diese nicht zu Gesicht bekam. Im Zusammenhang damit erhebt sich die Frage, ob Zdanov mit dieser Aussage den österreichischen Kommunisten lediglich Mut machen wollte und sich dessen bewusst war, dass die Erfolgschancen der KPÖ aussichtslos waren. Sollte in dieser Phase in Österreich Ruhe bewahrt werden, um das vorrangige Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung der sowjetischen Besatzungszone Österreichs nicht zu behindern? Die Devise der Sowjetunion hieß weiterhin: volle Unterstützung der Bruderpartei KPÖ, vor allem in finanzieller Hinsicht. Auch wenn man auf Grundlage des Gesprächsprotokolls der Unterredung Zdanovs mit den KPÖ-Vertretern nicht mit hundertprozentiger Sicherheit die wahren Intentionen des Kremls in der Österreich-Frage zu diesem Zeitpunkt feststellen kann, handelt es sich immerhin doch um konkrete Anweisungen der sowjetischen Führung an die österreichischen Kommunisten. Schließlich sollten sich die österreichischen Kommunisten ja auch nicht gegensätzlich zu den Sowjets im Alliierten Rat in Wien äußern.113 Zdanov hatte zum Ausdruck gebracht, welches Agieren sich der Kreml von der KPÖ wünschte. Welche tatsächlichen Ziele sich dahinter verbargen, ist wohl im Zusammenhang mit der deutschen Frage zu sehen. Der Kreml wünschte sich ein inhaltlich ähnliches Auftreten der KPÖ wie jenes der deutschen Genossen, „die mit Erfolg die Losung des Kampfes 111 RGASPI, F. 77, op. 3, d. 100, S. 3. 112 „Avstrijskoe pravitel'stvo javljaetsja agenturoj Ameriki". Ebd. 113 Siehe dazu Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 238.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde für ein einheitliches Deutschland benützten". Wie die deutschen Genossen der SED sollte auch die KPÖ für die Einheit des Landes auftreten. Die gleiche Strategie mit unterschiedlichen Zielen: die weitere Sowjetisierung der Ostzone in Deutschland und der 1948 noch gewünschte Abschluss des Staatsvertrages mit Osterreich.

„In Österreich hat der Kapitalismus gesiegt" - oder doch nicht? Die Propaganda-Abteilung der SCSK hatte zwar bereits im Februar 1947 die Anweisung erhalten, „der Propaganda über die Sowjetunion, über unsere Ideologie, über die Idee des Marxismus-Leninismus und über die Rolle der Roten Armee als Befreierin größere Aufmerksamkeit zu schenken".1'4 Wenige Monate später musste Moskau jedoch eingestehen, dass die sowjetische Propaganda in Österreich erfolglos war und der starken Propaganda vor allem durch die Amerikaner wenig entgegenzusetzen hatte. Zunächst wurden die Ursachen vor allem auf mangelndes Personal und ineffizientes Arbeiten zurückgeführt. Eine Kommission wurde eingesetzt, die die Mängel aufzeigte, aber keine „Vorschläge zur Abstellung der Unzulänglichkeiten und zur Neugestaltung der Arbeit" unterbreitete. Im März 1948 kam eine weitere Kommission des ZK der VKP(b) zu dem Ergebnis, dass die „Propaganda von ihrem Charakter her keine offensive, sondern eine verteidigende, defensive sei und die Abteilung für Propaganda nicht die gewünschte offensiv agierende Instanz im Rahmen der Alliierten Kommission wäre, die sie sein müsste". 115 Im Mai 1948 hielt der Leiter der Propagandaabteilung der SCSK, Oberst Dubrovickij, auf einer Konferenz beim sowjetischen Hochkommissar zusammenfassend fest, dass „der Kapitalismus in Österreich zunehmend Fuß gefasst habe"." 6 Michail Koptelov, seit April 1948 politischer Vertreter der UdSSR in Österreich, widersprach Dubrovickij" 7 ,der sowjetische Hochkommissar Kurasov sah die Lage in Österreich jedoch ähnlich realistisch wie Dubrovickij." 8 Zeltov kritisierte in starkem Ton die Umsetzung der sowjetischen Propaganda in Österreich und verwies darauf, dass beispielsweise „Kriegsfilme nicht immer unseren Zwecken dienen, sondern ganz im Gegenteil, auch ein negatives Licht auf uns werfen können. Wenn eine Person, die im Krieg seine Angehörigen verloren hat, drei Jahre später sieht, wie wir die Deutsche Wehrmacht und somit auch Österreicher besiegen bzw. töten, dann kann diese Person keine positive Einstellung uns gegenüber entwickeln."" 9 Zeltov forderte, „in der Propaganda über die Wahrheit zur Sowjetunion [...] die Vorzüge unseres sozialistischen Systems, unserer staatli114 RGASPI, F. 17, op. 132, d. 5, S. 196-210. Ansprache von Generaloberst A. Zeltov auf der Mitte Mai 1948 durchgeführten Konferenz beim sowjetischen Hochkommissar über die Arbeit der Propagandaabteilung der SCSK. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 106. 115 Die Kommission wurde „zur Untersuchung der Arbeit der Propagandaabteilung der SCSK" vom Sekretariat des ZK der VKP(b) eingesetzt. RGASPI, F. 17, op. 116, d. 337, S. 97f. Beschluss Nr. 337 (512) des Sekretariats des ZK der VKP(b) v. 23.1.1948. 116 RGASPI, F. 17, op. 132, d. 5, S 59-65. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 105. Vortrag Dubrovickijs. 117 Ebd., S. 178. Vortrag Koptelovs. 118 Ebd., S. 188-195. Vortrag Kurasovs. 119 Ebd., S. 196-210. Vortrag Zeltovs.

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Peter Ruggenthaler chen und gesellschaftlichen Ordnung aufzuzeigen." Mit einer „Österreichisierung" der sowjetischen Propaganda, wie von einigen Genossen gefordert, war Zeltov nicht einverstanden. Er sah die sowjetische Propaganda in Österreich als „Kampf zwischen zwei gegensätzlichen Ideologien" und bekräftigte, dass der Aufgabenbereich „wie bisher die prinzipielle Propaganda bleiben [muss] - über die Sowjetunion, über das sowjetische System, die sowjetische Ideologie und über die Errungenschaften des Sozialismus in unserem Lande". Dass dies bisher in Österreich nur mangelhaft bzw. gar nicht umgesetzt werden konnte, begründete Zeltov mit „amateurhaftem Arbeiten" und Mangel an innerer Disziplin und organisatorischer Koordination. „Die Tatsache", so Zeltov, „dass es in Österreich noch nicht zu Veränderungen, vergleichbar denen in den Staaten der Volksdemokratie gekommen ist, muss nicht bedeuten, dass sich in Österreich der Kapitalismus breit gemacht hat. Diese Feststellung ist unrichtig und zeugt davon, dass viele Genossen die Lage in Österreich nicht grundlegend zu erfassen im Stande sind."120 Zeltovs Worte sprechen eine eindeutige Sprache. Er sah Österreich zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht als „verloren" an, der Kapitalismus hatte seines Erachtens Österreich noch nicht erobert, in einer effizienter durchgeführten sowjetischen Propaganda in Österreich sah der überzeugte Marxist noch Möglichkeiten, in Österreich das Ruder herumzureißen. Zeltov trat damit jedoch zweifelsohne eine Flucht nach vorne an, immerhin war er bereits seit Kriegsende 1945 eine der hauptverantwortlichen Figuren in Wien, auch wenn er formal nicht dem zivilen Apparat der SCSK angehörte. Denn die Aufgaben der Propagandaabteilung waren 1945 ohnedies deutlich festgelegt worden: „Organisation und Durchführung von Propaganda unter der österreichischen Bevölkerung durch Presse, Radio und andere Mittel mit Hilfe von Österreichern aus antifaschistischen demokratischen Parteien und Organisationen" und „Durchführung der Kontrolle und Zensur über die österreichische Presse, den österreichischen Rundfunk und die Verlage".121 Wie sich Zeltov selbst ausdrückte, handelte es sich in Österreich um einen „Kampf zwischen zwei gegensätzlichen Ideologien". Österreich war in dieser Hinsicht ein Schlachtfeld und vielleicht auch Prototyp, welche Ideologie sich im Laufe der Zeit durchsetzen würde. Stalin war davon überzeugt, dass der Kommunismus dem Kapitalismus überlegen sei und siegen werde. In Bezug auf Österreich können die Aufgabenstellungen der Propagandaabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission jedoch nicht als konkrete Sowjetisierungsmaßnahmen des Landes interpretiert werden. Kein Staatsvertrag für Österreich: „No" und „Njet" 1949 1949 wäre der Staatsvertrag beinahe unter Dach und Fach gebracht worden. Am 20. Juni 1949, dem letzten Konferenztag des in Paris zusammengetretenen Rates der Außenminister, verlautbarten die vier Großmächte, den österreichischen Staatsvertrag 120 Ebd. 121 AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 321, S. 41f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 70. Beschlussentwurf „Über die Organisation einer Propagandaabteilung". Vgl. dazu den Beitrag von Wolfgang Mueller, „Die Kanonen schießen nicht... Aber der Kampf geht weiter.", in diesem Band.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert wurde bis zum 1. September unterschriftsreif zu machen. Die Sonderbeauftragten sollten eine Reihe von Artikeln redigieren. 122 Der neue sowjetische Außenminister Vysinskij erklärte gegenüber seinem amerikanischen Amtskollegen Dean Acheson, man könne „den Österreich-Vertrag nicht ad infinitum hinausschieben". 123 Vysinskijs Aussage dürfte tatsächlich nicht nur diplomatische Taktik gewesen sein, sondern den Intentionen des Kremls in dieser Phase entsprochen haben. 124 Indizien hierfür finden sich im russischen Parteiarchiv im Zusammenhang mit dem ins Sekretariat des ZK der Partei eingebrachten Vorschlag, die Herausgabe der „Österreichischen Zeitung" aus den Agenden der Politverwaltung der Zentralen Gruppe der Streitkräfte der Sowjetischen Armee in Österreich auszugliedern und der SCSK zu übertragen. Andrej Gromyko, der später am längsten dienende sowjetische Außenminister, wurde damals gemeinsam mit zwei ZK-Mitarbeitern mit der Prüfung dieser Frage beauftragt. Einer der beiden, Leonid Il'icev, verfasste Mitte Juli (die Sitzungen der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag hatten am 1. Juli begonnen) einen diesbezüglichen Bericht für den Sekretär des ZK der VKP(b), zu dieser Zeit Georgij Malenkov, in dem er sich gegen eine Umorganisation der „Österreichischen Zeitung" aussprach. Die Begründung ist an dieser Stelle von höchstem Interesse: „Die Mitteilung des Außenministeriums der UdSSR (Genösse Vysinskijs) über den bevorstehenden Abschluss des Friedensvertrages [!] mit Österreich bis zum Ende des laufenden Jahres, halten wir die Annahme des Vorschlags [...] für nicht zielführend. Nach dem Abschluss des Friedensvertrages wird der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich liquidiert und die sowjetischen Truppen bleiben noch bis zu 90 Tage auf dem Territorium Österreichs."125 Mitte Juli 1949 dürfte demnach der Abschluss des österreichischen Staatsvertrages tatsächlich im Interesse der UdSSR gestanden sein. 126 Die wirtschaftlichen Erfolge wären für die UdSSR sehr vorteilhaft

122 Vgl. Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 154f. Audrey Kurth Cronin, Eine verpasste C h a n c e ? Die G r o ß m ä c h t e und die Verhandlungen über den Staatsvertrag im Jahre 1949, in: Günter B i s c h o f - Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949. Innsbrucker Forschungen z u r Z e i t g e s c h i c h t e . Bd. 4. Innsbruck 1988, S. 3 4 7 - 3 7 0 , hier: S. 3 4 7 - 3 5 1 . 123 Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 151. 124 In seiner Berichterstattung an Stalin geht zumindest nichts Gegenteiliges hervor, eher im Gegenteil: „In Z u s a m m e n h a n g mit der a m Rat der Außenminister getroffenen Entscheidung zum österreichischen Vertrag" übermittelte Vysinskij Stalin Vorschläge vor allem in der Frage des Deutschen Eigentums. R G A S P I , F. 82, op. 2, d. 1114, S. 12. Vysinskij an Stalin, 25.6.1949. Indizien für eine sowjetische Abschlussbereitschaft finden sich bereits A n f a n g 1949. A m 6.2. beschloss der Rat der Volkskommissare, die Repatriierung von 441 österreichischen Kriegsgefangenen und Internierten auf die Zeit nach Abschluss des Staatsvertrages zu verschieben. Sie sollten wohl weniger als Faustpfand zurückbehalten werden als vermutlich e h e r in einer propagandistischen Aktion entlassen werden. N a c h d e m der Staats vertrag 1949 nicht abgeschlossen wurde, wurden die 441 Österreicher dennoch repatriiert. Den entsprechenden Beschluss fasste das Politbüro im September 1950. R G A S P I , F. 17, op. 3, d. 1084, S. 85f. Politbüro-Beschluss Ρ 77 (449) vom 20.9.1950. 125 R G A S P I , F. 17, op. 118, d. 455, S. 238. L. Il'icev an G. Malenkov, 14.7.1949. N a c h d e m Moskau schlussendlich nicht d e m Abschluss des österreichischen Staats Vertrages 1949/50 zustimmte, wurde die „Österreichische Z e i t u n g " im August 1950 schließlich der SCSK unterstellt. Siehe dazu ausführlicher Fußnote 331 in diesem Beitrag. 126 Im Juni hatte der sowjetische H o c h k o m m i s s a r in Wien Fabriken untersagt, „keine Aufträge mehr a n z u n e h m e n , deren A u s f ü h r u n g mehr als ein paar M o n a t e benötigen würden". Cronin, Eine verpasste Chance?, S. 351. Als weitere Indizien können die handschriftlichen Unterstreichungen Molotovs auf

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Peter Ruggenthaler gewesen und der politische Einfluss der USA wäre in Europa geschwächt worden.127 Am 21. August empfahl Vysinskij noch Stalin, in einigen Detailfragen zu Artikel 35 nachzugeben.128 Das Politbüro segnete das empfohlene Entgegenkommen ab.129 Der amerikanische Präsident Truman hatte bekanntlich ebenso - zunächst gegen den Widerstand des Militärs - erst am 26. Oktober grünes Licht für den Abschluss der Verhandlungen gegeben.130 Zwischen Juni und Oktober 1949 veränderte sich die weltpolitische Lage jedoch nachhaltig: Die UdSSR zündete Ende August die erste Atombombe, die Auseinandersetzung zwischen Stalin und Tito eskalierte Ende September, die sowjetische Besatzungszone Deutschlands wurde Anfang Oktober zur DDR, und die chinesischen Kommunisten errangen zum gleichen Zeitpunkt den Sieg im Bürgerkrieg und errichteten die Volksrepublik China. In dieser Zeit traten die Briten am entschiedensten für einen raschen Verhandlungsabschluss bezüglich Österreich ein. Sie wollten dadurch einerseits den Sowjets die Möglichkeit nehmen, den „Start" der Bundesrepublik zu verhindern, andererseits wünschten die Briten den Abzug sowjetischer Truppen aus der Nähe Jugoslawiens. Zudem hätte ein Abzug aus Österreich auch die Truppenpräsenz der Sowjetunion in Ungarn und Rumänien nicht mehr gerechtfertigt. Für die amerikanische Seite war dieses Argument einleuchtend, doch musste sie erkennen, dass wohl auch die Sowjets dies realisierten.131 Sie hatte Recht, genau das war schlussendlich das schlagende Argument, warum der Kreml zu einem Vertragsabschluss im Herbst 1949 „njet" sagte. Ende September 1949 kamen die Sonderbeauftragten der Staatsvertrags Verhandlungen zu neuen Beratungen in New York (23. September bis 16. Dezember 1949) zusammen. Der sowjetische Außenminister Vysinskij erklärte am Rande der UN-Generalversammlung gegenüber Ernest Bevin, Stalin selbst habe ihn angewiesen, den Österreich-Vertrag abschließen zu müssen132, weigerte sich aber, die sowjetischen Wirtschaftsforderungen abzuschwächen.133 Zu diesem Zeitpunkt freilich konnte Vysinskij ohne Weiteres eine derartige Ankündigung aussprechen, hatte er sich doch nach Ab-

den Gesprächsprotokollen des Empfangs Grubers durch Vysinskij am 9. Juni 1949 gewertet werden. Molotov hob mit einem Stift die Aussage Grubers hervor, dass der Abschluss des österreichischen Staatsvertrages einer Entwicklung des Handels vor allem mit der UdSSR und den Staaten Osteuropas dienen würde. Ferner hob Molotov Grubers Aussage hervor, dass der Abschluss des Staatsvertrages vor allem von der Bedrohung der österreichischen Grenzen behindert würde. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 3-7. Aus dem Diensttagebuch Vysinskijs, Empfang Grubers am 9.6.1949. Ebenso in: AVP RF, F. 066, op. 30, p. 140, d. 4, S. 11-15, mit Anmerkungen der Diplomaten. In einem Schreiben Bischoffs an Gromyko hob Molotov schließlich folgenden Satz hervor: „den österreichischen Staatsvertrag abschließen, damit Österreich frei werde und das österreichische Volk frei leben kann." Ebd., S. 8f. Bischoffan Molotov, 13.6.1949. AVP RF, F. 066, op. 30, p. 140, d. 4, S. 11-15. 127 128 129 130 131

Ebd. S. 351,363f. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 34. Vysinskij an Stalin, 21.8.1949. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1077, S. 188-193. Politbüro-Beschluss Nr. Ρ 70(386) ν. 23.8.1949. Cronin, Eine verpasste Chance?, S. 361. Vgl. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 161-172. Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 275f. Cronin, Eine verpasste Chance?, S. 355f. 132 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 170f. 133 Cronin, Eine verpasste Chance?, S. 358.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde schluss der Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (1. Juli bis 1. September 1949) nicht davon ausgehen können, dass eine weitere Verhandlungsrunde den Sowjets genehme Ergebnisse über den so strittigen Artikel 35 (Deutsches Eigentum) bringen würde. Nach der Vertagung der Verhandlungen in London (bis zum 1. September) hielt Vysinskij an Stalin fest: „Obwohl wir wenig Grund haben zu vermuten, bei einer Wiederaufnahme der Arbeit der Stellvertreter [Sonderbeauftragten] die herrschenden Uneinigkeiten zu beseitigen, wenn die Westmächte ihre Positionen nicht ändern werden, denke ich zumindest, dass wir den Vorschlag die Arbeit der Stellvertreter wiederaufzunehmen, nicht abschlagen sollten." 134 Vysinskij hatte bis dahin zumindest keine gegenteilige Direktiven erhalten, den Staatsvertrag nicht abzuschließen. 135 Da sich die Frage des Abschlusses realiter noch nicht stellte, ist es schwierig, einen genauen Zeitpunkt zu eruieren, seit wann genau der Kreml nicht mehr zum Abschluss bereit war. Es war auf jeden Fall ein sich entwickelnder Prozess, spätestens am 24. Oktober 1949 wurde die sowjetische Delegation vom Politbüro angewiesen, die Verhandlungen abzubrechen. 136 Im August hatten die Westmächte erstmals die Forderung erhoben, Österreich im Staatsvertrag zu verpflichten, „prompte und effektive Entschädigung" für das Deutsche Eigentum zu leisten.137 Im Vorfeld der Konferenz der Sonderbeauftragten in New York hatte die KPÖ-Führung Moskau vorgeschlagen, es möge von den Westmächten bei den Verhandlungen in dieser Frage konkrete Summen verlangen, um diese in Artikel 42 (Abs. 9) zu fixieren. Man erhoffte sich dadurch eine Bloßstellung der Westmächte und einen Schlag ins Gesicht der ÖVP und SPÖ, die in den Wahlkampagnen für 1949 die selbstlose Unterstützung der Westmächte in der Frage des Staatsvertrages propagierten. 138 Die Sowjets hatten eine Positionsänderung der Westmächte in der Frage des Deutschen Eigentums zu Beginn der Verhandlungen in New York vernommen und versuchten, dies für sich und die KPÖ auszunutzen. Der Kreml nahm den Vorschlag der österreichischen Kommunisten gerne an. Außenminister Vysinskij und der sowjetische Chefverhandler über den österreichischen Staatsvertrag, Georgij Zarubin, wurden angewiesen, „Maßnahmen zu ergreifen, dass diese Anfrage des sowjetischen Vertreters und die Antworten

134 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 45. A. Vysinskij an Stalin, 9.9.1949. Gromyko brachte gegenüber den Botschaftern der Westmächte in Moskau am 19. September 1949 zum Ausdruck, „dass während der Verhandlungen in London die Vertreter der drei Regierungen an einer Linie festhielten [provodili liniju], die ein Erreichen einer Übereinkunft unmöglich machte", und stellte den Westmächten für die weiteren Verhandlungen quasi die Rute ins Fenster. AVP RF, F. 066, op. 30, p. 140, d. 4, S. 20-23. Aus dem Diensttagebuch A. Gromykos, 19.9.1949. 135 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1.114, S. 1 ^ 6 . Österreich-Akten Molotovs betr. Staatsvertragsverhandlungen, Mai-September 1949. RGASPI, F. 17, op. 162, d. 40. Ebd., op. 3, d. 1077. Politbüro-Beschlüsse des ZK der VKP(b) v. 30.6., 23.8., 24.9., 28.9., 6.10. u. 15.10.1949. Direktiven an die sowjetische Delegation. Siehe dazu Tabelle 1 und 2. 136 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 42, S. 103. Politbürobeschluss Ρ 71 (479)-op. des ZK der VKP(b), Moskau, 24.10.1949. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 160. 137 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 162. Deponiert wurde die Forderung nach Entschädigung bereits 1947, 1949 jedoch erstmals in Form eines Antrags. 138 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1.114, S. 63f. A. Gromyko an Stalin, 22.9.1949.

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Peter Ruggenthaler der Vertreter der USA, Englands und Frankreichs in der Presse entsprechend beleuchtet werden, weil ja die Sitzungen der Sonderbeauftragten geschlossen sind, [...da] die österreichischen Freunde dieser Frage große politische Bedeutung beimessen und an einer möglichst breiten Veröffentlichung der genannten Frage interessiert sind".139 Die Verhandlungen begannen. Die Westmächte überrumpelten die Sowjets jedoch ihrerseits bereits am ersten Verhandlungstag mit großen Zugeständnissen in der Frage des Deutschen Eigentums. Am 24. September 1949 berichtete Andrej Gromyko schließlich Stalin, dass die Vorschläge „vorteilhaft für die UdSSR sind, weil sie unsere Interessen im Zusammenhang mit der Besitznahme und Nutzung dieses Eigentums garantieren"140, und empfahl, in dieser Frage zuzustimmen und die von Vysinskij aus New York übermittelten Vorschläge anzunehmen. Diese wurden umgehend vom Politbüro des ZK abgesegnet und Vysinskij mitgeteilt.141 Wenige Tage später berichtete Vysinskij nach Moskau, dass es angebracht sei, einige kleine Konzessionen zu machen, sollten die Westmächte die sowjetischen Vorschläge zu Artikel 35 annehmen.142 Stalin zeigte sich mit den Vorschlägen einverstanden, und das Politbüro hatte diese in seiner Sitzung am 6. Oktober abzusegnen.143 Die Direktive, einen Passus in der Frage der Entschädigungsverpflichtung Österreichs (Artikel 42) keinesfalls zuzulassen, wurde hinfällig, nachdem die Westmächte nach der Erlangung einer bilateralen Abmachung mit Österreich darauf verzichten konnten.144 Die Sowjets machten in der Folge einige kleinere Konzessionen145, viel mehr noch die Westmächte.146 Wie seit langem bekannt ist, waren bis Ende Oktober 1949 auf der Seite der Westmächte die Amerikaner nicht bereit, die Besatzung Österreichs aufzugeben.147 Die ursprünglichen Ziele, die sich aus dem Zweiten Weltkrieg ergaben, waren hinfällig geworden, der vorrangige Zweck der amerikanischen Präsenz galt dem „Kampf gegen den Kommunismus". Die westlichen Zonen Österreichs wurden in das Verteidigungskonzept Westeuropas eingebaut.148 Der Staatsvertrag wurde, obwohl fast fertig ausverhandelt, bekanntermaßen 1949 nicht abgeschlossen. Nachdem sich die Amerikaner am 26. Oktober 1949 schließlich dazu durchgerungen hatten, dass die politischen Vorteile 139 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 41, S. 13 u. 142, Politbüro-Beschluss 71-op (192) v. 24.9.1949. Siehe auch RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1118, S. 67. Anweisungen an Vysinskij und Zarubin. 140 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1.114, S. 69f. A. Gromyko an Stalin, Moskau, 24.9.1949. 141 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 41, S. 17 u. 21, Politbüro-Beschluss 71-op (237) v. 28.9.1949. Siehe auch RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1118, S. 68-71. Anweisungen an Vysinskij und Zarubin. 142 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1118, S. 72f. A. Gromyko an Stalin, 4.10.1949. 143 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 41, S. 22, Politbüro-Beschluss 71-op (324) v. 6.10.1949. Berücksichtigt sind dabei geringfügige Änderungen. Siehe RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1118, S. 74. Entwurf des Beschlusses an das ZK der VKP(b). 144 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 174. 145 Die Vorschläge zu Zugeständnissen unterbreitete A. Gromyko am 16.10.1949 Stalin. In der Frage Groß Enzersdorf war Stalin jedoch nicht bereit, Zugeständnisse zu machen. Siehe dazu RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1118, S. 87f„ sowie RGASPI, F. 17, op. 162, d. 42, S. 34, 103. Politbüro-Beschluss 71-op (479) v. 24.10.1949. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 160. 146 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 171. 147 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 277; Cronin, Eine verpasste Chance? 148 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 163, 170.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde durch den Abschluss des Staatsvertrages überwogen, war es bereits zu spät. Die Sowjetdelegierten trugen das Ihre dazu bei und stellten nun immer wieder neue Forderungen, die die Westmächte auch akzeptierten. War eine Frage gelöst, erhob sich jedoch die nächste.149 Was war der Grund für die Verschleppungstaktik der Sowjets? Waren sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch an einem Abschluss des österreichischen Staatsvertrages interessiert? 150 Am 18. November 1949 erzielten die Verhandler schließlich Einigung über Artikel 35151, nachdem Truman die amerikanischen Unterhändler angewiesen hatte, einen Vertrag „unter den bestmöglichen Bedingungen anzustreben". 152 Doch aus dem Abschluss des Staatsvertrages wurde wieder nichts. Wer aber trug letztendlich die Verantwortung für das Scheitern kurz vor dem vermeintlichen Ziel? Hatte denn Stalin im Herbst 1949 eine Weisung gegeben, den Vertrag unter Dach und Fach zu bringen, wie Vysinskij in New York beteuerte? 153 Ein hochinteressanter Aktenfund im ehemaligen russischen Parteiarchiv bringt nun erstmals vollends Aufklärung. 154 Am 21. Oktober 1949, also noch lange vor Einigung über Artikel 35, hielt Gromyko in einem Berichtentwurf an Stalin fest, „dass die Position der Vertreter der USA, Englands und Frankreichs in den in letzter Zeit stattgefundenen Sitzungen der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag davon zeugt, dass die Westmächte Interesse an einer Beschleunigung des Abschlusses des Vertrages mit Österreich an den Tag legen". 155 Gromyko sah sich veranlasst, Stalin gleichsam zu warnen, dass bei weiteren Zugeständnissen der Westmächte „alle grundlegenden Uneinigkeiten, die den Abschluss des österreichischen Vertrages verzögern könnten, beseitigt seien". Wie bereits oben angesprochen, hatten die Sowjets nach Ende der Verhandlungen der Sonderbeauftragten in London im September 1949 nicht davon ausgehen können, dass weitere Verhandlungen zu einem Ergebnis führen würden, und sahen sich deshalb auch nicht veranlasst, Einwand gegen eine weitere Verhandlungsrunde der Sonderbeauftragten in New York zu erheben. Bekräftigt wird dies durch den genannten Bericht Gromykos. Trotz der von den Außenministern der vier Mächte am 6. Oktober in New York erzielten Vereinbarung, bis zum 22. Oktober „über den Wortlaut des Vertrages zu einer endgülti-

149 Portisch, Österreich II, Bd. 4, S. 206f. 150 Vgl. Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 1 7 3 - 1 7 7 . 151 Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 170f.; RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1118, S. 8 6 - 8 8 . Bericht über die Zugeständnisse der Westmächte von A. Gromyko an Stalin, Moskau, 16.10.1949. 152 Cronin, Eine verpasste Chance?, S. 362. 153 Vgl. hier die Erklärungen Vysinskijs, Stalin habe ihn angewiesen, den Vertrag abzuschließen, und Beteuerungen eines sowjetischen Diplomaten gegenüber Außenminister Gruber. Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 170, 174. 154 RGASPI, F. 82, op. 2, d. Π 1 4 . 155 Gromyko legte seinen Entwurf Molotov in seiner Funktion als „Überwacher" der Außenpolitischen Kommission des ZK der Partei vor, derzufolge ihm die Funktion eines „Überwachers und Kontrolleurs" des Außenministeriums zukam. Molotov nahm im genannten Papier einige handschriftliche Ausbesserungen vor, ehe die Berichterstattung an Stalin erging. Ursprünglich hieß es bei Gromyko: „sind offen interessiert". RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 9 0 - 9 7 . Zwei Entwürfe von Berichterstattungen über die Verhandlungen in N e w York zum österreichischen Staatsvertrag für Stalin. Gromyko an Stalin, mit Ausbesserungen Molotovs, Moskau, 21. u. 22.10.1949. S. 9 4 - 9 7 , abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 159.

Peter Ruggenthaler gen Einigung zu kommen"156, und trotz des Verhandlungsfortschritts hielt es Gromyko für notwendig, nun die eigene Position festzulegen: „In diesen Bedingungen erhebt sich die Notwendigkeit, unsere Position in den weiteren Verhandlungen zum Entwurf des österreichischen Vertrages festzulegen." Gromyko warnte, dass „das Bestreben der Westmächte, den Abschluss des österreichischen Vertrages zu beschleunigen, allem Anschein nach mit ihren Plänen verbunden ist, die Grundlagen einer weiteren Präsenz sowjetischer Truppen in Österreich wie auch in Ungarn und Rumänien zu beseitigen, auf deren Staatsgebieten gemäß den Bedingungen der Friedensverträge die Sowjetunion ein Recht hat, ihre Streitkräfte zu halten, die für die Aufrechterhaltungen der Verbindungswege mit der sowjetischen Besatzungszone Österreichs unabdingbar sind".157 Gromyko empfahl daher, eine Verzögerungstaktik einzuschlagen: „Nach unserer Meinung sollten wir uns nicht einmal mit kleinen158 Zugeständnissen im Staatsvertragsentwurf beeilen [...] und die Entscheidung dieser Frage bis zur endgültigen Klärung der Bereitschaft der Westmächte, all unsere Hauptforderungen in den noch gebliebenen ungeklärten Fragen zufrieden zu stellen, aufschieben."159 Einige Tage später, am 24. Oktober 1949, hatte das Politbüro die von Stalin redigierte Direktive an Vysinskij für die weitere Verhandlungstaktik in New York abzusegnen. Darin hieß es: „Auf Grund einer Reihe von Hinweisen ist ersichtlich, dass die Angloamerikaner begonnen haben, sich mit dem Abschluss des österreichischen Vertrages zu beeilen, womit sie, wie ersichtlich ist, bestrebt sind, auch Jugoslawien politische Unterstützung zu erweisen. Unsere Vertreter haben davon auszugehen, dass wir nicht an einem schnellen Abschluss des österreichischen Vertrages interessiert sind. Deshalb ist es für Sie [gemeint ist Vysinskij] unabdingbar, bestehende Uneinigkeiten zu nutzen und auf der New Yorker Konferenz der Sonderbeauftragten die Vorbereitung des Vertrages nicht zu Ende zu führen."160 Vysinskij wurde angewiesen, die Positionen der Westmächte zu allen sowjetischen Vorschlägen auszuloten, „ohne auch in nur einer einzigen wesentlichen Frage" von der sowjetischen Position abzuweichen.161 Und Uneinigkeiten gab es freilich noch, allen voran die Frage der „Erbsenschulden"162, die von den Sowjets dazu benützt werden konnten, den Vertrag in New York nicht unterschriftsreif zu machen. Die sowjetische Seite hatte folglich spätestens am 24. Oktober die klare Direktive erhalten, den österreichischen Staatsvertrag nicht abzuschließen, also zwei Tage, bevor der amerikanische Präsident nach vier Monaten interner Auseinandersetzungen „endlich

156 Arbeiter-Zeitung vom 20.10.1949, S. 1. 157 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 91f. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 159. Somit bestätigt sich die These Cronins, dass Stalin wahrscheinlich Ende 1949 aus eben diesem Grund nicht bereit war, die Truppen aus Österreich zurückzuziehen. Cronin, Eine verpasste Chance?, S. 365f. 158 „nicht einmal mit kleinen" durch Molotov ergänzt. 159 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 9lf. 160 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 42, S. 103. Politbürobeschluss Ρ 71 (479)-op. des ZK der VKP(b), Moskau, 24.10.1949. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 160. 161 Ebd. 162 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 175-179.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde eine klare politische Linie" gefunden und den Weg zu einem Staatsvertragsabschluss frei machte! 163 Unmittelbarer Auslöser für diese Direktive, den Staatsvertrag aus sowjetischer Sicht auf keinen Fall abzuschließen, war der genannte Bericht Gromykos. Die Westmächte hatten die Sowjets sichtlich mit ihrem Entgegenkommen und der Einigung über Artikel 35 überrascht. Die UdSSR hatte im Herbst 1949 mit der Erwartung, ohnedies keine nennenswerten Fortschritte zum österreichischen Staatsvertrag zu erzielen, weiteren Verhandlungen zugestimmt. Die einsetzende Verzögerungstaktik der Sowjets, die freilich erst nach Einigung über den Artikel 35 offen zu Tage kam, war somit nicht auf ein konkretes Ereignis infolge der völligen Änderung der Lage, „die durch die westlichen Rüstungen entstanden sei'" 64 , zurückzuführen. Die weltpolitische Frage war zweifelsohne der Grund, warum der Kreml nicht bereit war, den österreichischen Staatsvertrag abzuschließen, führte jedoch nicht unmittelbar zu neuen Weisungen aus eben diesem Grund. Vielmehr erwarteten sich die Sowjets ohnedies keine Fortschritte in den Staatsvertragsverhandlungen. Man konnte also verhandeln, denn man wähnte sich sicher, dass die Sitzungen Nr. 213 bis 246 ohnedies zu keinem Ergebnis führen würden. Gegenüber Österreich und dem Rest der Welt zeigte man dadurch seinen guten Willen, doch als es ans „Eingemachte" ging, musste Stalin auf die Bremse treten. Man hatte das Gegenteil erreicht: die Sowjets wurden nun, als der Westen endlich seinen Abschlusswillen bekundete, offen als Verzögerer an die Wand gespielt. Die Sowjets „retteten" sich mehr oder weniger über die Verhandlungen in New York hinweg. Die „Erbsenschuld" trat deutlich „als Instrument der immer klarer zutage tretenden Verzögerungstaktik der Sowjets" 165 hervor, auch wenn diese Frage in der sowjetischen Strategie nicht als Verzögerungsartikel konzipiert war und nicht der vermeintlich letzte nicht ausverhandelte Artikel blieb. Bereits am 10. Oktober 1949 hatte Gromyko Stalin mitgeteilt, dass „wir wenig Gründe haben, von Österreich zu verlangen, dass es die Kosten der von den sowjetischen Truppen durchgeführten Instandsetzungsarbeiten der Eisenbahnverbindungen trage und für die Benutzung der Beutelokomotiven und Waggons bezahle, wo doch in bedeutsamem Maße die Instandsetzungsarbeiten und die Benutzung der Lokomotiven und Waggons in Zusammenhang mit der Versorgung der sowjetischen Truppen in Österreich standen." 166 Gromyko empfahl daher, diese Frage mittels „Briefaustausch" zu regeln. Aus wirtschaftlichen und aus politischen Gründen, argumentierte Gromyko gegenüber Stalin, sei es „vorteilhaft", weil einerseits die Forderungen der UdSSR an Österreich höher waren als umgekehrt, und andererseits könnte die gelöste Frage der gegenseitigen Schuldforderungen von der österreichischen Regie-

163 „Am 26. Oktober 1949 [...] hatte Truman tatsächlich die endgültige Entscheidung getroffen." Cronin, Eine verpasste Chance?, S. 361. 164 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 174; Mastny, The Cold War Insecurity, S. 78 165 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 175. Neben den Erbsenschulden verlangte die UdSSR von Österreich jedoch auch die Bezahlung der durch die sowjetische Besatzungsmacht in Ostösterreich wiederhergestellten Eisenbahnstrecken und Brücken. Doch Österreich konnte seine Schulden theoretisch bei der Sowjetunion gegenrechnen lassen. 166 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 76-78. Gromyko an Stalin, Moskau, 10.10.1949.

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Peter Ruggenthaler rung nicht weiterhin als feindliche Propaganda gegen die Sowjetunion, „die zur Zeit in Zusammenhang mit der Einnahme einer Besatzungssteuer unter der Bevölkerung stattfindet", verwendet werden. Die sowjetischen Absichten der Lösung der „Erbsenschulden" waren durchaus ernst gemeint. Sie wurden von Gromyko ja auch zu einem Zeitpunkt geäußert, als die Westmächte noch auf prinzipiellen Fragestellungen des Artikels 35 beharrten (Gromyko begann seinen Bericht an Stalin mit der Darlegung des Standpunktes der Westmächte).167 Am 5. Dezember 1949 wandte sich schließlich Bundeskanzler Figl schriftlich an den sowjetischen Hochkommissar, die „sowjetischen Dienstleistungen und die österreichischen Forderungen [...] gegenseitig aufzurechnen", wie von den Sowjets angeregt.168 Die Sowjets antworteten - natürlich - positiv, auch wenn sie nun nicht mehr an einer raschen Lösung dieser Frage interessiert sein konnten.169 Am 12. Dezember hatte das Politbüro den von Stalin abgesegneten Vorschlag des Außenministeriums abzusegnen, demzufolge es die sowjetischen Politvertreter in Wien, Zeltov und Koptelov, anwies, in mündlicher Form Kanzler Figl mitzuteilen, „dass seine neuen Vorschläge [...] im Gegensatz zu den bisherigen Vorschlägen der österreichischen Regierung als ein Schritt nach vorne erscheinen".170 Wie oben dargelegt, hatten sich die Sowjets nicht erwartet, dass in New York ein Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen in den Bereich des Möglichen rücken würde. Die Signalisierung der Bereitschaft der Sowjets, mit den Österreichern die Schuldenfrage zu regeln, erfolgte zu einem Zeitpunkt (über einen Monat zuvor), als eine Einigung über Artikel 35 nicht realistisch war, und beruhte auf nichts anderem, als in den Verhandlungen vor allem wirtschaftliche Vorteile herauszuschlagen. Zu dem Zeitpunkt, als in Deutschland durch die Gründung der DDR ein zweiter deutscher Staat entstand und die spätstalinistische Epoche des Kalten Krieges anbrach, setzte man sich in der Frage Österreich noch an einen Tisch, auch wenn weder die eine noch die andere Seite bereit war, ihre Truppen aus Österreich abzuziehen. Die Motive für die weitgehenden Konzessionen der Westmächte ortete Stalin als offensichtliche Unterstützung Titos. Dies war spätestens der Auslöser, warum er die Verhandlungen in New York aus seiner Sicht stoppen musste. 167 Ebd. 168 Ebd., S. 76-79. Gromyko an Stalin, Moskau, 10.10.1949; RGASPI, F. 17, op. 162, d. 41. PolitbüroBeschlüsse Oktober 1949. Gromyko hatte ursprünglich einen Briefwechsel mit der österreichischen Regierung in Betracht gezogen und Stalin vorgeschlagen, der sowjetische Hochkommissar Sviridov möge in Wien in Erfahrung bringen, ob die österreichische Seite mit diesem Vorschlag einverstanden sei. Molotov gab jedoch die Empfehlung ab, „sich mit den Österreichern vorher abzusprechen". Der ZK-Entwurf Gromykos wurde tatsächlich nicht bestätigt. Am 5. Dezember 1949 übergab Figl seinen dementsprechenden Brief an Sviridov. Die Initiative hierzu kann auf Grund des oben Dargelegten wohl kaum von den Österreichern ausgegangen sein. Vgl. dazu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 176. 169 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 2f. Gromyko an Stalin, 10.12.1949. 170 RGASPI. F. 17, op. 162, d. 43, S. 1, 15. Politbürobeschluss Nr. 72 (10)-op. des ZK der VKP(b), Moskau, 12.12.1949. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 4f. Entwurf für Stalin in Kopie für Molotov. Den Inhalt des Briefes nahm Gromyko im Gespräch mit dem österreichischen Gesandten in Moskau, N. Β ischoff, am 14.12.1949 vorweg. AVP RF, F. 066, op. 30, p. 140, d. 4, S. 37f. Aus dem Diensttagebuch A. Gromykos vom 14.12.1949.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde Die nicht gelöste Schuldenfrage, aber auch andere nicht ausverhandelte Artikel boten den Sowjets schließlich den willkommenen Anlass, die Verhandlungen der Sonderbeauftragten zu vertagen, um sich eine diplomatische Atempause zu verschaffen und verhandlungsstrategisch neu positionieren zu können. Denn noch sprachen sich die Sowjets für weitere Verhandlungen aus. Über die Verhandlungen der Sonderbeauftragten in New York erstattete Vysinskij Stalin zusammenfassend Bericht. Vysinskij schrieb: „Die Vertreter der Westmächte nahmen alle unsere Hauptforderungen an, darunter zu Artikel 35 (Deutsches Eigentum in Österreich), der für uns die allerwichtigste Bedeutung hat. Ausgehend von der Direktive, die Vorbereitung des Entwurfs des österreichischen Vertrages nicht zu forcieren, setzten wir uns für unsere Forderungen zu allen Artikeln, über die keine Einigung erzielt wurde, ein und rückten davon nicht ab."171 Vysinskij empfahl, die ab 9. Jänner 1950 anberaumten Sitzungen der Sonderbeauftragten in London nicht zu verschieben. Stalin willigte ein und erteilte die Direktive, von den bisherigen Positionen zu den Artikeln 16 (DPs), 27 (Verhinderung der deutschen Wiederaufrüstung), 42 (Eigentum der Vereinten Nationen in Österreich) und 48 (Schuldenfrage) nicht abzurücken.172 Somit gab es wohl keinen Verhandlungsspielraum mehr, und die sowjetische Seite konnte ziemlich sicher davon ausgehen, dass die Westmächte nicht noch mehr Zugeständnisse machen würden, auch wenn das Politbüro die sowjetischen Unterhändler anwies, im Falle einer Übereinkunft der obgenannten Artikel, der Übergabe des Vertragsentwurfs in die Endredaktion zuzustimmen. 173 Die wenigen Sitzungen der Sonderbeauftragten, die 1950 stattfanden, führten zu keinem Ergebnis. Es entstand der Anschein, als seien die „Erbsenschulden" Österreichs das größte Hindernis, was freilich nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber geschickt von den Westmächten ausgenutzt wurde, um der UdSSR die Alleinschuld am Verhandlungsabbruch zuzuschieben. In der Zwischenzeit hatte Vysinskij die SCSK in Wien beauftragt, Fakten über die „Gefahren der Rückkehr des Nazismus in Österreich" und der Nichteinhaltung der Verpflichtungen der österreichischen Regierung in den Fragen der Demilitarisierung und Entnazifizierung zusammenzutragen.174 Am 2. April 1950 schrieb Vysinskij an Stalin, dass zu fünf Artikeln des

171 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 104f., 1 2 0 - 1 2 2 . Vysinskij an Stalin, Moskau, Entwurf v o m 2 7 . 1 2 . 1 9 4 9 und Endfassung v o m 2.1.1950. 172 Im Politbüro stand die von Stalin redigierte Anweisung an den sowjetischen Botschafter in London, Zarubin, am 7 . 1 . 1 9 5 0 auf der Tagesordnung. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1079, S. 43, 158. Politbürobeschluss Nr. 7 2 (190) des ZK der VKP(b), Moskau, 7.1.1950. Der an Stalin geschickte Entwurf Vysinskijs findet sich in: RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 107-110. Vysinskij hatte Stalin ursprünglich empfohlen, zur Regelung der gegenseitigen Ansprüche mit der österreichischen Regierung Verhandlungen zu beginnen. Von sowjetischer Seite sollte Koptelov die Verhandlungen führen, die allerdings nicht forciert werden sollten. 173 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1079, S. 43, 158. Politbürobeschluss Nr. 72 ( 1 9 0 ) des ZK der VKP(b), Moskau, 7.1.1950. 174 Der sowjetische Hochkommissar hatte am 9. Dezember 1949 ein Memorandum vorgelegt. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1080, S. 294. Politbürobeschluss Nr. 7 3 (92) des ZK der VKP(b) v. 26.2.1950. Zur Entnazifizierung in Österreich siehe Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich. Wien - München Zürich 1981; Wolfgang Schuster - Wolfgang Weber (Hg.), Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Linz 2004. Zur sowjetischen Entnazifierung, im Speziellen zur Suche nach österreichischen Kriegs-

Peter Ruggenthaler österreichischen Staatsvertrages noch keine Einigung erzielt wurde.175 Da jedoch davon auszugehen sei, dass sich die Westmächte bis zur nächsten Sitzung am 26. April 1950 mit der österreichischen Regierung bezüglich der Artikel 42 und 48 einigen würden und dass die österreichische Regierung auch die sowjetischen Vorschläge zur Begleichung der „Erbsenschulden" annehmen würde, wies Vysinskij Stalin darauf hin, dass „auf diese Weise alle Uneinigkeiten für den Entwurf des österreichischen Staatsvertrages und alle Hindernisse zur Unterzeichnung des Vertrages" ausgeräumt würden.176 In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass just zu diesem Zeitpunkt, als die KPÖ infolge der sich verschleppenden Staatsvertragsverhandlungen erstmals Neutralitätsparolen vertrat177, die sowjetischen Politvertreter in Wien, Evgenij Koptelov und Georgij Cinev, einen Lösungsvorschlag der österreichischen Frage im sowjetischen Außenministerium einbrachten, Österreich im Staatsvertrag zu verpflichten, „keinerlei militärisch-politischen Blocks beizutreten". 178 Diese wurden jedoch vom Leiter der 3. Europäischen Abteilung, Michail Gribanov, zurückgewiesen, weil sie „in gewissen Maße eine diskriminierende Haltung gegenüber Österreich" bedeuten würden. Eines der Hauptziele des österreichischen Staatsvertrages, so Gribanov, war die „Verhinderung einer Vereinigung Österreichs mit Deutschlands", die ohnedies durch einen eigenen Artikel gewährleistet wurde. Seine weiteren Schlussfolgerungen folgten bereits unter der Prämisse, dass die UdSSR nicht an einem Abschluss des Staatsvertrages interessiert war und kamen einer Suche nach Gründen, die Verschleppungstaktik zu rechtfertigen, gleich.179 Die sowjetischen Vertreter in Wien wussten dies freilich nicht. Im Wissen, dass Stalin nicht abschließen wollte, hatte Vysinskij aus seiner Sicht plausible Gründe gefunden, den Staatsvertrag nicht unter Dach und Fach zu bringen: die Entnazifizierung und Demilitarisierung Österreichs. 180 Molotov brachte in seiner Funktion als „Überwacher" des Außenministeriums am Entwurf des Vorschlags Vysinskijs einige Ausbesserungen vor und gab die Empfehlung ab, einen eigenen Absatz „über die Verstärkung von Maßnahmen gegen die Rückkehr des Faschismus in Österreich" in den Entwurf einzuarbeiten. 181 Stalin nahm Molotovs Vorschlag auf,

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Verbrechern, siehe Barbara Stelzl-Marx, Entnazifizierung in Österreich: Die Rolle der sowjetischen Besatzungsmacht, in: Wolfgang Schuster - Wolfgang Weber (Hg.), Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Linz 2004, S. 431^154. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 146-148. Vysinskij an Stalin, Moskau, 2.4.1950. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 161. AVP RF, F. 66, op. 29, p. 49, d. 11, S. 25-27. Ausarbeitung der unterschiedlichen Positionen zu den fünf nicht ausverhandelten Artikeln, 10.3.1950. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 146-148. Vysinskij an Stalin, Moskau, 2.4.1950. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 161. Siehe dazu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 267. AVP RF, F. 66, op. 29, p. 49, d. 11, S. 25-27. Gribanov an Vysinskij zu den Vorschlägen Cinevs und Koptelovs, 28.2.1950. Ebd. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 146-148. Vysinskij an Stalin, Moskau, 2.4.1950. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 161. Ebd., S. 150. Entwurf von Anweisungen für den sowjetischen Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London, Moskau, 2.4.1950.

Warum Österreich nicht sowjetisiert

wurde

und der vom Außenministerium einige Male überarbeitete Entwurf 182 ging (freilich nach jeweiliger erneuter Überprüfung durch Molotov und Stalin) an das Politbüro, das am 14. April 1950 die sowjetische Verhandlungsdelegation unter Zarubin in London anwies, Ergänzungen im Artikel 9 (Verpflichtung Österreichs, faschistische Organisationen aufzulösen) 183 einzubringen. 184 Zarubin wurde zudem beauftragt - für den Fall, dass der Westen die UdSSR der Verzögerungstaktik beschuldige dies kategorisch zurückzuweisen und die Schuld an der Verzögerung des Verhandlungsfortganges den Westmächten zuzuschieben und darauf hinzuweisen, dass „die Regierungen diese früher von ihnen unterzeichneten Verträge verletzen, wie zum Beispiel den Vertrag mit Italien bezüglich Triest".185 Mit der Junktimierung des österreichischen Staatsvertrages mit der Triester Frage hatte die sowjetische Seite ein sogar völkerrechtlich überzeugendes „Argument" gefunden, die Lösung der österreichischen Frage auf lange Zeit zu vertagen. Was konnte der UdSSR 1950 die Sicherheit geben, dass sich der Westen an die Bestimmungen eines Staatsvertrages mit Österreich halten und nicht absichtlich Vereinbarungen ähnlich wie mit Triest brechen würde? A m 15. Dezember 1950 fand für lange Zeit die letzte Sitzung der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag statt.186 Für die anstehende 258. Sitzung wandte sich Gromyko an Molotov und „bat ihn um Anweisungen". 187 A m 10. Dezember segnete das Politbüro die Direktive an die sowjetischen Verhandler ab. Diese ließ keinen Spielraum für irgendwelche Verhandlungen. Der sowjetische

182 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1114, S. 151-169. Weitere Versionen obigen Entwurfes. 183 Siehe hierzu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 178. 184 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1080, S. 92 u. 294. Politbürobeschluss Nr. 73 (430) des ZK der VKP(b) v. 14.4.1950. 185 Ebd. 186 Siehe dazu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 183. 187 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1115, S. 23-29. Wie oben erwähnt, war Molotov im März 1949 von seiner Position als sowjetischer Außenminister abgelöst worden. „Stalin gab seinem alten Kampfgefährten zu verstehen: Das frühere Vertrauen zu ihm bestand nicht mehr" (Adibekov, Das Kominform und Stalins Neuordnung Europas, S. 49-52). Adibekov sieht in der Neuschaffung einer „außenpolitischen Kommission" des Politbüros, dessen „Überwacher" Molotov wurde, jedoch auch eine „Abmilderung des Schlages", um nach wie vor das Vertrauen in den alten Freund zu demonstrieren. Es war Stalins persönliche Art und Weise, mit einem etwas in Ungnade gefallenen Freund abzurechnen. Nach dem Ministerratsbeschluss der UdSSR und des ZK der VKP(b) waren alle Fragen des Außenministeriums unmittelbar dem Politbüro des ZK der VKP(b) vorzulegen, also nicht Molotov! Wie in der Folge in der Österreichfrage dargelegt, blieb jedoch Molotov der wahre Leiter der sowjetischen Außenpolitik, freilich den Stalinschen Grundsätzen verpflichtet. Zur Tragweite der Rolle Molotovs, die weitaus größer war, als bislang angenommen, siehe Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker, Das Problem der Gleichschaltung osteuropäischer Parteien im Vergleich. Eine Synthese, in: Stefan Creuzberger - Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949. Paderborn - Wien - München - Zürich 2002, S. 419-434, hier: S. 434. Auch in der österreichischen Frage wurden, wie in der Folge zu zeigen sein wird, Molotovs Vorschläge durchwegs von Stalin angenommen und Politbüro-Beschlüsse auf der Basis seiner Korrekturen gefasst. Wilfried Loth kommt zur Rolle Molotovs in Bezug auf Deutschland zum selben Schluss, neben sonst zweifelhaften Thesen zur Deutschlandpolitik Stalins. Wilfried Loth, Die Entstehung der „StalinNote". Dokumente aus Moskauer Archiven, in: Jürgen Zarusky, Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen. Mit Beiträgen von Wilfried Loth, Hermann Graml und Gerhard Wettig. Schriftenreihe VJZG, München 2002, S. 19-115, hier: S. 60.

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Peter Ruggenthaler Botschafter in London, Zarubin, wurde angewiesen, „sich an bisherige Positionen im Einklang mit den gegebenen Anweisungen zu halten".188 Stalin konnte aus zumindest zwei Gründen 1949/50 mit dem Westen nicht abschließen. Erstens sah er im Abschluss eine Unterstützung Jugoslawiens durch den Westen, zweitens wollte er zwar 1950 den Anschein erwecken, er verhandle mit dem Westen, zum Abschluss des Vertrages war er aber nicht bereit. Ein Abschluss des Staatsvertrages mit Österreich unmittelbar nach Gründung der DDR hätte freilich viele Kräfte ermuntern können, nach einer ähnlichen Lösung für Deutschland zu streben. Vielleicht war es gerade das, was Stalin wünschte: kein Abschluss mit Österreich, um sein eigentliches Ziel, die Konsolidierung der DDR, zu erreichen, andererseits jedoch den Anschein zu erwecken, in der nebensächlichen österreichischen Frage verhandlungsbereit zu sein. Stalin war nicht ernsthaft an einer Umsetzung des Friedensvertrages mit Italien in Bezug auf die Triest-Frage (Einsetzung eines UN-Hochkommissars) interessiert. Triest war eine Trumpfkarte, die die UdSSR zu jeder Zeit zücken konnte, um den Vertrag mit Österreich nicht abschließen zu müssen und in weiterer Folge den Verbleib Ungarns und Rumäniens im sowjetischen Orbit nicht zu gefährden. War Österreich 1949/50 Mittel zum Zweck? Österreich hatte nun den Preis der politischen Eiszeit zwischen den Großmächten zu zahlen. Die Zeit des „Einigeins" hatte begonnen, im Juni 1950 brach der Korea-Krieg aus. Im zweiten Halbjahr 1950 fanden lediglich drei Sitzungen der Sonderbeauftragten für die Staatsvertragsverhandlungen statt.189 In Österreich gärte es. Ohne Aussicht auf Erringung des Staatsvertrages hatte die österreichische Regierung mit der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land zu kämpfen. Nach dem 4. Lohn-Preis-Abkommen gingen die vornehmlich aus USIA-Betrieben stammenden Arbeiter auf die Straße. Die Streiks erreichten eine enorme Intensität, die die österreichischen Kommunisten auszunützen versuchten. Sie riefen zum Generalstreik auf! Doch der Widerstand antikommunistisch gesinnter Österreicher war größer. Die Streiks brachen zusammen. Eine Unterstützung der Streikenden durch die Rote Armee blieb aus.

Die Legende vom gelenkten Oktober-Putsch 1950 Die „Putsch"-Metapher zu den Ereignissen des Generalstreiks im September und Oktober 1950 wird in der österreichischen Zeitgeschichteforschung bereits die längste Zeit angezweifelt.190 Tatsächlich gibt es keine Hinweise auf von der UdSSR inszenierte oder 188 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 45, S. 9, 76. Politbürobeschluss Nr. 79-op (237) des ZK der VKP(b) v. 8.12.1950. 189 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 179 u. 183. 190 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 289-297. Portisch, Österreich II, Bd. 4, S. 269f. Oliver Rathkolb, Die Putschmethapher in der US-Außenpolitik gegenüber Österreich 1945-1950, in: Michael Ludwig - Klaus Dieter Mulley - Robert Streibel (Hg.), Der Oktoberstreik 1950. Ein Wendepunkt der Zweiten Republik. Dokumentation eines Symposions der Volkshochschulen Brigittenau und Florisdorf und des Instituts für Wissenschaft und Kunst. Wien 1991, S. 113-123. Siehe auch die Beiträge bei Stefan Karner - Erich Reiter - Gerald Schöpfer (Hg.), Kalter Krieg. Beiträge zur Ost-West-Konfrontation 1945 bis 1990. Graz 2002.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde gesteuerte Umsturzversuche in Österreich. 191 Zusammenstöße oder gar Bürgerkriege widersprachen generell den sowjetischen Wunschvorstellungen, Volksdemokratien auf „friedlichem Weg" zu schaffen 192 , die Anwendung von Gewalt war der letzte Weg. In den östlichen und nördlichen Nachbarstaaten Österreichs wurde der Kommunismus von Moskau auf verschiedene Art und Weise eingeführt. Mittel zum Zweck war aber überall die materielle und geistige Schwächung der bürgerlichen Gesellschaft. Ihre Widerstandskraft wurde in den Ländern des „Ostblocks" gebrochen, mit Verhaftungswellen, Deportationen und innerer Zersetzung der Oppositionsparteien, die kein gemeinsames Rezept gegen das Vormachtstreben der kommunistischen Parteien entwickeln konnten. Es liegt auf der Hand, dass Prozesse dieser Art von der Sowjetunion nicht in allen Ländern mit gleicher Vehemenz umgesetzt wurden bzw. werden mussten. Österreich aber musste aus Moskauer Sicht nicht unbedingt kommunistisch werden. Im sicherheitsstrategischen Denken spielte das abseits gelegene Österreich keine Rolle. Die sowjetische Besatzungszone in Ostösterreich war für Moskau spätestens nach der Konsolidierung der sowjetischen Vorherrschaft in Ungarn nicht mehr unverzichtbar. 193 Neben dem Korea-Krieg konnte der Kreml nicht an einem weiteren Krisenherd interessiert sein.194 Die Rote Armee griff militärisch in Österreich nicht zugunsten der Streikenden ein, bis auf eine kleine Ausnahme: In Wiener Neustadt ließen die Sowjets die Räumung des von Kommunisten besetzten Postamtes durch Polizei- und Gendarmerieeinheiten des Innenministeriums nicht zu. Die österreichische Exekutive wurde an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert. 195 Bundeskanzler Figl brachte diesbezüglich mehrmals schärfsten Protest beim Alliierten Rat und direkt beim sowjetischen Hochkommissar ein und wurde dabei von den Westmächten unterstützt. 196 Ein brisanter Aktenfund gibt nun einen Einblick, wie Stalin über die Streiks in Österreich berichtet wurde. Andrej Gromyko kritisierte in seiner Berichterstattung am 27. November 1950 die von ihm als penetrant empfundene 191 APRF, F. 3, op. 64, d. 10 („Österreich, Sowjetischer Teil der Alliierten Kommission für Österreich und Hochkommissar in Österreich", 4.7.1945-1.10.1955); RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1084-1086, PolitbüroBeschlüsse August bis Oktober 1950; RGASPI, F. 17, op. 162, d. 44f. Besondere Politbüro-Beschlüsse, 2. Jahreshälfte 1950. Für den späteren Zeitraum siehe die Auflistungen der Politbüro-Beschlüsse im Anhang dieses Beitrages. 192 Siehe hierzu die herausragenden Forschungen der russischen Historikerin Tat'jana Volokitina der letzten Jahre, u. a.: Τ. V. Volokitina, Stalin i smena straticeskogo kursa Kremlja ν konce 40-ch godov: ot kompromissov k konfrontacii, in: Aleksandr Cubar'jan (Hg.), Stalinskoe desjatiletie cholodnoj vojny. Fakty i gipotezy. Moskau 1999, S. 10-22, hier: S. 13. 193 Creuzberger - Görtemaker, Das Problem der Gleichschaltung osteuropäischer Parteien im Vergleich, S. 423. 194 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 297. 195 Zum Eingreifen der Roten Armee in Wiener Neustadt siehe Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 292f. Portisch, Österreich II, Bd. 4, S. 265-268. 196 Portisch, Österreich II, Bd. 4, S. 254. Zum Verhalten der kommunistischen Polizeibeamten und zur Entfernung der kommunistischen Kommissariatsleiter in der sowjetischen Zone siehe Ulrike Wetz, Geschichte der Wiener Polizeidirektion vom Jahre 1945 bis zum Jahre 1955 mit Berücksichtigung der Zeit vor 1945. Phil. Diss. Wien 1970, S. 394-421. Sieben Protestnoten Figls finden sich im Archiv des russischen Außenministeriums. AVPRF, F. 66, op. 29, p. 49, d. 9, S. 1-6, 7 - 9 , 12-17, 18-20, 21-23, 24-29, 30-36. Keine Einzige wurde vom Leiter der 3. Europäischen Abteilung, Michail Gribanov, an Außenminister Vysinskij oder gar an Stalin weitergeleitet.

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Peter Ruggenthaler Haltung der Westmächte, die im Vorgehen der Roten Armee in Wiener Neustadt eine Verletzung des Kontrollmechanismus sahen, und stellte die Reaktionen des Westens als übertrieben dar. Gromyko empfahl Stalin, gegen die Demarche der Westmächte schriftlich zu protestieren und die Vorwürfe zurückzuweisen:197 „Diese Anordnung des sowjetischen Kommandanten legen die Regierungen der USA, Englands und Frankreichs als Einmischung der sowjetischen Organe in die Polizeifunktionen der österreichischen Regierung sowie als Verletzung des Kontrollabkommens aus. [...] Die Regierungen der drei Mächte sehen eine Verletzung des Kontrollmechanismus in Österreich durch die Sowjetmacht ebenso darin, dass die Sowjetmacht nicht erlaubte, Kommunisten, Chefs von fünf Bezirkspolizeikommissariaten im sowjetischen Sektor Wiens, von der Arbeit zu entlassen, die die österreichischen Behörden unter dem Vorwand der Nichtunterstellung unter Anordnungen des Polizeipräsidenten versuchten, ihrer Posten zu entheben."198 Gromyko wertete die Protestnoten der Westmächte als Versuch, die Aufmerksamkeit von der Prager Erklärung und dem Vorschlag der UdSSR, einen Außenministerrat einzuberufen, abzulenken.199 Im Politbüro des ZK der VKP(b) standen die Ereignisse vom Herbst 1950, die ganz Österreich in Atem hielten, lediglich einmal auf der Tagesordnung. Der sowjetische Hochkommissar Vladimir Sviridov und sein Politberater Michail Koptelov wurden auf deren Empfehlung hin angewiesen, „Aktivitäten der österreichischen Verwaltungsorgane, die gegen die Teilnehmer des Generalstreikversuchs in der sowjetischen Besatzungszone in Österreich sind, zu verbieten".200 Dieser Beschluss des Politbüros fand nicht einmal Eingang in die 42 bekannten, unter besonderer Geheimhaltung gefassten Beschlüsse und Weisungen des Politbüros des ZK der VKP(b) zu Österreich, die in der „Sondermappe" verschlossen wurden.201 Dennoch gelang es der österreichischen Regierung, sich in der Folge durchzusetzen, mit einer, wie man sagen könnte, typisch „österreichischen Lösung". Zwar wurden auf der einen Seite die Disziplinarverfahren gegen kommunistische Bezirkskommissariatsleiter und gegen Kommunisten in der Polizei eingestellt, und die bereits Abgesetzten verblieben in ihrem Amt. Infolgedessen ergab sich die paradoxe Situation, dass es auf der Bezirksebene zwei Polizeikommissariatsleiter gab: einen, der die Befehle der sowjetischen Kommandantur, und eine, der die Befehle vom österreichischen Innenministerium entgegennahm.202

197 198 199 200

RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1120, S. 95f. Entwurf der Protestnote. Ebd., S. 92f. Gromyko an Stalin, Moskau, 27.11.1950. Ebd., S. 93. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1085, S. 66, 188. Politbürobeschluss Nr. 78 (335) des ZK der VKP(b) v. 25.10.1950. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 163. Diesem Beschluss dürfte eine äußerst umfangreiche Berichterstattung nach Moskau vorangegangen sein. Dies lässt sich vermuten, weil rund die Hälfte der ca. 400 im „Geheimbestand Österreich 1945-1955" vermuteten Faszikeln dem Jahr 1950 zuzurechnen ist. Vgl. Fußnote 8. 201 AP RF, F. 3, op. 64, d. 10 (siehe dazu weiter unten). 202 Meinem Kollegen Mag. Harald Knoll sei an dieser Stelle für diesen Hinweis gedankt.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde

„Den sowjetischen Einfluss stärken" Sowjetische Österreich-Politik 1951 bis 1953 Am 15. September 1951 beschloss das Politbüro des ZK der VKP(b), eine Kommission zwei Wochen lang nach Wien zu schicken, um die Arbeit der SCSK zu überprüfen, um anschließend Verbesserungsvorschläge zur „Stärkung des sowjetischen Einflusses" in Österreich im ZK einzubringen. Mit der Mission beauftragt wurden Andrej Smirnov (Außenpolitische Kommission des ZK) und S. Satilov (Politverwaltung des Kriegsministeriums 203 der UdSSR). 204 Was war jedoch der Auslöser dieses gesetzten Schrittes? Sollte nun zumindest West-Österreich enger an den sowjetischen Orbit herangezogen werden, wie es eine erste Betrachtungsweise vermuten lassen könnte? Waren die Sowjets Ende 1951, nachdem, wie oben dargelegt, die Sowjetunion seit Ende 1949 den Abschluss des österreichischen Staatsvertrags nicht wollte, um sich nicht der „Legitimität" der Truppenpräsenz in Ungarn und Rumänien zu berauben, nunmehr dazu entschlossen, auch eine Teilung Österreichs zu riskieren und militärisch erobertes Land in den sowjetischen Orbit einzuverleiben? Analysiert man die Genese des genannten Politbüro-Beschlusses, können solche Rückschlüsse nicht gezogen werden. Er war vielmehr eine Reaktion auf nicht zufrieden stellende Arbeit der sowjetischen Stellen in Österreich. Am 11. August 1951 hatte sich der Vorsitzende der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP(b), Vagan Grigor'jan, an Molotov gewandt und berichtet, dass die Kommission über Informationen der SCSK und „österreichischer demokratischer Organisationen" über den Zustand der sowjetischen Propaganda in Österreich verfügte. Grigor'jan hielt dabei fest: Die Angaben „zeugen über den nicht zufrieden stellenden Stand der sowjetischen Propaganda unter der österreichischen Bevölkerung. Die sowjetische Propaganda tritt bedeutend hinter die angloamerikanische Propaganda in Österreich zurück". 205 Die sowjetische Propaganda widme sich nicht der unerlässlichen Klärung der „friedensliebenden Politik der Sowjetunion und der Länder der Volksdemokratie", so Grigor'jan. Man trete zu schwach gegen „rechte Sozialisten und TitoAgenten" auf. Grigor'jan beklagte, dass die Verteilung sowjetischer Zeitungen schlecht organisiert und diese großteils von den Amerikanern aufgekauft würden. Ferner kritisierte er die schlechte Umsetzung sowjetischer Propaganda durch die RAVAG und den unbefriedigenden Stand „demokratischer Kräfte" in den USIA-Betrieben. Den Zustand der sowjetischen Aktivitäten in Österreich begründete Grigor'jan einerseits mit dem zu geringen Personalstand an Mitarbeitern der SCSK und ihrer passiven Arbeitsweise sowie mit „einer manchmal taktlosen Einmischung in die Arbeit österreichischer demokratischer Organisationen". Grigor'jan empfahl die Entsendung einer Kommission des ZK der VKP(b), von Vertretern der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und deutscher Kommunisten aus der DDR nach Österreich, um Vorschläge

203 Politupravlenie Voennogo Ministerstva SSSR. 204 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1090, S. 96. Politbürobeschluss Nr. 83 (509) des ZK d. VKP(b) v. 15.9.1951. 205 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 29f. Grigor'jan an Molotov, Moskau, 11.8.1951.

Peter Ruggenthaler einer „Stärkung der sowjetischen Propaganda in Österreich" zu unterbreiten, und bat Molotov um Anweisungen. 206 Molotov beauftragte anschließend Smirnov, zu dieser Zeit Stellvertreter der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP(b), Vorschläge „zur Stärkung des sowjetischen Einflusses in Österreich" auszuarbeiten. 207 Smirnov hielt fest: „Die Sowjetunion verfügt in Österreich über die wichtigsten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Hebel, die es erlauben, ernsthaft unseren Einfluss in Österreich zu stärken und einer Zahl von österreichischen demokratischen Kräften sowohl in der sowjetischen Besatzungszone als auch in ganz Österreich Hilfe zu erweisen." 208 Smirnov räumte ein, dass diese Möglichkeiten früher nicht in vollem Maße ausgenützt worden seien. Den Westmächten sei es gelungen, selbst auf die USIA-Betriebe erheblichen Einfluss zu nehmen und ungestört antisowjetische Propaganda betreiben zu können. „Wien wird zum Zentrum, in dem feindliche Organisationen subversive Arbeit gegen die Länder der Volksdemokratie führen." All diese Mängel führte Smirnov auf die Untätigkeit der SCSK zurück, die, seiner Meinung nach, nicht ausreichend die Tätigkeit der österreichischen Behörden in der [sowjetischen] Zone kontrollierte", sowie auf die Untätigkeit der USIA-Verantwortlichen, die „in letzter Zeit keine Investitionen tätigen und nicht einmal nötige Reparaturen vornehmen, was zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und sanitären Bedingungen der Arbeiter führt". Doch auch die KPÖ kritisierte er heftig: „Trotz der Hilfe der sowjetischen Militärorgane konnte die kommunistische Partei bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal unter den Arbeitern der Mehrheit der sowjetischen Betriebe in Österreich eine Führungsstellung erlangen." Smirnov empfahl wie Grigor'jan die Entsendung einer Kommission zu einer Bestandsaufnahme der Zustände, um „der Instanz [= Stalin] entsprechende Vorschläge" vorlegen zu können. 209 Am 17. Oktober 1951 legten die nach Österreich entsandten ZK-Vertreter ihren Bericht „Über die Arbeit der SCSK für Österreich und über Maßnahmen zur Stärkung des sowjetischen Einflusses in Österreich" dem Politbüro vor.210 In dem Bericht wurde die SCSK zunächst gelobt. Die ihr 1945 von der sowjetischen Regierung übertragenen Aufgaben (Gewährleistung der Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone, Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Behörden, Hilfestellung bei der Errichtung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, Durchführung der Entmilitarisierung und Auslöschung von Folgen des NS-Regimes) wurden in der sowjetischen Zone in den letzten sechs Jahren zu einem großen Teil (Abschluss der Entmilitarisierung in der sowjetischen Besatzungszone, Liquidierung von NS-Organisationen, Repatriierung sowjetischer Bürger, Rückführung von durch die Wehrmacht nach Österreich gebrachten sowjetischen Besitzes, Inbetriebnahme der in den Besitz der UdSSR übergegangenen deutschen Unternehmen und Erdölfelder) erfüllt. 2 " 206 207 208 209 210 211

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd. Ebd., Ebd.,

S. 29-31. Grigor'jan an Molotov, Moskau, 11.8.1951. S. 32-34. Grigor'jan und Smirnov an Molotov. Moskau, 7.9.1951. S. 33. Smirnov an Molotov, Moskau, 7.9.1951. S. 43-55. Smirnov und Satilov an das Politbüro des ZK der VKP(b). Moskau, 17.10.1951. S. 44.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde Die ZK-Vertreter konstatierten jedoch vier wesentliche Mängel der Arbeit der SCSK: Erstens hätte sie zu sehr die Aufmerksamkeit auf die Arbeit im Alliierten Rat gelegt und sich nur wenig der sowjetischen Besatzungszone gewidmet sowie keine wirkungsvolle Kontrolle der Tätigkeit der österreichischen Regierung und örtlichen Behörden organisiert. Zudem hätten die Sowjetvertreter in Österreich zu wenig darauf geachtet, dass Kommunisten den Staatsapparat erobert hätten und so „eine der wichtigsten Aufgaben, die Demokratisierung Österreichs und in erster Linie die Demokratisierung der sowjetischen Besatzungszone Österreichs, nicht erfüllt wurde". 212 Zweitens wurde der SCSK die Schuld für die Schwäche der kommunistischen Organisationen in Österreich gegeben. Die KPÖ selbst hätte „noch immer nur einen geringen Einfluss auf die Arbeiterklasse, die Bauern und die Intelligenz. Sogar in den sowjetischen Betrieben ist der Einfluss der kommunistischen Partei und der von ihr geführten demokratischen Organisationen unbedeutend und die entscheidenden Positionen (administrative und gewerkschaftliche) in den Händen der Sozialisten und Volksparteiler."213 Drittens hätte „die Unterschätzung der Bedeutung der Demokratisierung Österreichs und in erster Linie der sowjetischen Zone durch die Führung der SCSK dazu geführt", dass die Kommunisten aus dem Staatsapparat entfernt wurden. Die den Kommunisten erwiesene Hilfe seitens der SCSK werde nie zu Ende geführt und, sobald sie auf Widerstand seitens der österreichischen Regierung und der örtlichen Behörden traf, eingestellt und „eine Verteidigungsposition gegenüber reaktionären Tätigkeiten" eingenommen. 214 Viertens wurde die Nichterfüllung der Aufgabe der „Demokratisierung" der sowjetischen Besatzungszone nicht nur den schwierigen innenpolitischen Umständen zugeschrieben, sondern vor allem der Vorgehensweise der SCSK, die Fragen, „ohne sich auf die fortgeschrittenen Kräfte des österreichischen Volkes zu stützen", zu lösen versuchte und sich oftmals „taktlos und rücksichtslos in die Arbeit der kommunistischen Organisationen einmischte". Die ZK-Vertreter konstatierten: „Die Unterschätzung der Rolle und Bedeutung der demokratischen Organisationen in der Angelegenheit der Stärkung unseres Einflusses, das Streben, alles mit den eigenen Händen zu machen, führte dazu, dass die sowjetischen Arbeiter für die österreichischen demokratischen Organisationen nicht nur gesellschaftlich-politische Aufgaben, die durch Kräfte der Österreicher selbst gelöst hätten werden müssen, sondern sogar technische Arbeiten zur Ausstattung von Vitrinen und Gebäuden nach ihrem und nicht nach dem Geschmack der Österreicher durchführten." 215 Bemängelt wurde im Bericht der ZK-Gesandten ferner die mangelnde Qualifikation der Bevollmächtigten des sowjetischen Hochkommissars in den Bundesländern und der ihnen untergeordneten Militärkommandanten, die nicht einmal ihre eigentlichen Aufgaben im Detail kannten und auch auf ihr Äußeres keinen Wert legten, was zu einem Autoritätsverlust führte und als Folge den Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht nicht gewährleisten konnte, so die Schlussfolgerungen im Bericht.216 In Bezug auf die 212 213 214 215 216

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S. S.

45. 46. 46. 46. 47.

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Peter Ruggenthaler KPÖ stellten die ZK-Funktionäre fest, dass das Verhältnis der SCSK zur KPÖ-Führung „nicht ganz normal" sei. Die Schuld für diese Lage gaben sie in erster Linie dem sowjetischen Hochkommissar Sviridov und seinem Politberater Koptelov, die nicht einmal die Namen der wesentlichen Parteiführungskader der KPÖ kannten.217 Zudem war die KPÖ-Spitze nicht besonders daran interessiert, gute Beziehungen zur SCSK zu unterhalten: „Auch unsere Freunde [die österreichischen Kommunisten] wollen keine guten Beziehungen zum Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission aufbauen. Sie wenden sich nur mit einer Reihe von wirtschaftlichen Bitten und Klagen über Tätigkeiten dieser oder jener sowjetischen Arbeiter an die Kommission. Zur Erörterung großer politischer Fragen wenden sie sich nicht an die Kommission. Ratschläge und Wünsche, die sie von der Führung der Kommission erhalten, werden von den österreichischen Genossen, laut Auskunft der Genossen Sviridov und Koptelov, formal entgegengenommen und oftmals nicht ausgeführt." 2 ' 8 Ferner kritisierte der sowjetische Hochkommissar, dass die KPÖ-Führung nicht sehr auskunftsfreudig zur Lage in der Partei sei, angeblich hätte das ZK der KPÖ ein diesbezügliches Verbot ausgesprochen. ZK-Generalsekretär Friedl Fürnberg trat im Gespräch mit den ZK-Gesandten selbstbewusst auf und drückte seine Unzufriedenheit über die Höhe der vom ZK der VKP(b) erwiesenen finanziellen Hilfe, die geringer sei als die Einkünfte, die die UdSSR in Österreich einnimmt, aus! Die KPÖ führe ihre Arbeit hauptsächlich in Wien aus, und ihre Funktionäre reisten wenig durch das Land: „Sie treten nicht vor den Arbeitern der großen Fabriken auf, sie führen fast keine Arbeit unter den Bauern durch und sie arbeiten sehr schlecht unter der Jugend, den Frauen und der Intelligenz."219 Zusammenfassend hielten die Gesandten des ZK fest, dass „von Seite des Außen- und Kriegsministeriums der UdSSR nicht die notwendige Aufmerksamkeit der Arbeit des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich gewidmet und unabdingbare Hilfe nicht geleistet wurde". Die GUSIMZ (Hauptverwaltung sowjetischen Eigentums im Ausland) wurde gerügt, nicht die notwendige Kontrolle über die sowjetischen Betriebe in Österreich gewährleistet zu haben.220 Die KPÖ trat die Flucht nach vorne an. ZK-Sekretär Koplenig wandte sich am 17. September 1951 an Stalin persönlich und übermittelte ihm vom ZK der KPÖ aufgestellte Leitsätze [„tezisy"] und bat um „Bemerkungen". Einen Monat später wurde dem Politbüro „im Auftrag der Instanz" [= Stalin] ein Antwortschreiben zur Absegnung und Weiterleitung an den sowjetischen Politvertreter in Wien, Michail Koptelov, vorgelegt. Stalin schrieb an das ZK der KPÖ Folgendes: „1. Es wäre wünschenswert, in den Leit217 Ebd. Sviridov hielt 1953 in einem Bericht an das ZK selbstkritisch fest, dass „den Besonderheiten der politischen Entwicklung Österreichs lange Zeit von der sowjetischen Besatzungsmacht nicht in ausreichendem Maß Rechnung getragen wurde, was zu einer ganzen Reihe ernsthafter Mängel in ihrer Arbeit führte. Diese Mängel wurden im Beschluss [...] vom 1. November 1951 aufgedeckt, der nach der Prüfung der SCSK durch Vertreter der Instanz [= Stalin] im Herbst 1951 angenommen wurde." RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, S. 5. Sviridov und Kudrjavcev an das ZK d. KPdSU, 21.3.1953. 218 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 50. Smirnov und Satilov an das Politbüro des ZK der VKP(b), Moskau, 17.10.1951. 219 Ebd., S. 51. 220 Ebd., S. 52.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert wurde sätzen [,tezisy'J konkrete Forderungen des Kampfes des österreichischen Volkes für den Frieden zu formulieren, gegen die Remilitarisierung und Faschisierung Österreichs sowie für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Werktätigen auszuformulieren, was als Programm für die Tätigkeit der Parteiorganisationen und für den Kampf der werktätigen Massen Österreichs in nächster Zeit dienen könnte; - es wäre notwendig, neben den in den Leitsätzen enthaltenen Vorschlägen zu einer Vereinigung aller demokratischen und patriotischen Kräfte Österreichs für den Kampf um die Unabhängigkeit Österreichs und zur Verhinderung der Nutzung [Österreichs] als Aufmarschgebiet des amerikanischen Imperialismus konkrete organisatorische Formen dieser Vereinigung aufzuzeigen [,vydvinut"] (gesamtösterreichische Friedensfront, Nationale Front u. Ä.). 2. Es erscheint uns falsch, als Mittel zur Verbesserung und Stärkung der Parteiorganisationen einen Wettstreit in der Parteiarbeit zu liefern. Besonders falsch ist es, die Parole eines Wettstreits bei der Anwerbung von Parteimitgliedern aufzubringen. Das Aufbringen einer solchen Parole veranlasst die Parteiorganisationen zu einer wahllosen Vergrößerung [,ogul'noe uvelicenie'] der Reihen der Kommunistischen Partei Österreichs, was zu deren Verunreinigung führt und sich nicht mit den grundlegenden organisatorischen Prinzipen des Aufbaus einer Partei der Arbeiterklasse vereinbaren lässt. Es wäre unserer Ansicht nach wünschenswert, die Parteiorganisationen zu einer kritischen Beurteilung ihrer Tätigkeit und zur Entwicklung von Selbstkritik in den Parteireihen als unbedingt notwendige Voraussetzung für eine Mobilisierung der Kommunisten Österreichs für den Kampf zur Erfüllung der der Kommunistischen Partei bevorstehenden großen, bislang ungelösten Aufgaben zu veranlassen." 221 Zwei Tage später, am 20. Oktober 1951, beauftragte das Politbüro des ZK der VKP(b), weil der Bericht der ZK-Gesandten über die sowjetischen Stellen in Österreich die Agenden mehrerer Ministerien ansprach 222 , die Genossen Vysinskij, Vasilevskij, Grigor'jan, Sergeev, Satilov und Smirnov innerhalb von fünf Tagen, die Sachlage zu studieren und dem Politbüro Vorschläge zu unterbreiten 223 , die am 1. November 1951 in einem Maßnahmenpaket abgesegnet wurden. 224 Diese Anweisungen, die dem ZKBericht in allen Punkten fast wörtlich entnommen wurden, stellen die weitreichenden Änderungen in der sowjetischen Politik mit personellen Konsequenzen und Umstrukturierungen sowjetischer Organe in Österreich dar. Das ZK der VKP(b) wiederholte die Anschuldigungen an Vysinskij (Außenministerium) und Vasilevskij (Kriegsministerium), ebenso an den sowjetischen Hochkommissar Sviridov und die Hauptverwaltung sowjetischen Vermögens im Ausland (GUSIMZ). Dem Politbürobeschluss zufolge wurde die SCSK verpflichtet:

221 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 47, S. 5, 56. Politbürobeschluss Nr. 84 (84)-op d. ZK d. VKP(b) v. 18.10.1951. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 162. 222 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 43. Grigor'jan an Politbüro, Moskau, 17.10.1951. 223 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1091, S. 23. Politbürobeschluss Nr. 84 (99) d. ZK d. VKP(b) v. 20.10.1951. 224 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 47, S. 11-13. Politbürobeschluss Nr. 84 (215)-op d. ZK d. VKP(b) v. 1.11.1951. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 77.

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die hauptsächliche Aufmerksamkeit auf die Arbeit in der sowjetischen Zone zu konzentrieren und die Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Regierung und örtlichen Behörden zu verstärken, insbesondere bezüglich der Fragen der Entmilitarisierung und Demokratisierung; Verhinderung antidemokratischer Organisationen, damit die Wirtschaft der sowjetischen Zone nicht für Kriegsziele der Westmächte verwendet werden kann; aktiver gegen die Maßnahmen der Westmächte und der österreichischen Behörden, die nach einer Remilitarisierung Österreichs trachten, im Alliierten Rat aufzutreten und diesbezügliche Auftritte im Alliierten Rat besser vorzubereiten, zu überprüfen und vorher dem Außenministerium vorzulegen; über das ZK der KPÖ demokratischen Organisationen die unabdingbare Hilfe zu erweisen, um ihren Einfluss in den sowjetischen Betrieben zu verstärken; die nötigen Maßnahmen zur Verstärkung des Kampfes mit Spionen österreichischer und ausländischer Geheimdienstorgane in sowjetischen Industriebetrieben zu treffen; besser qualifizierte und politisch überprüfte Kader bei der „Österreichischen Zeitung" und der Radioredaktion „Russische Stunde" einzusetzen.

Zum Zwecke der besseren Koordinierung hatte die Hauptverwaltung des sowjetischen Eigentums im Ausland beim Ministerrat der UdSSR in Absprache mit dem Außenministerium zudem einen Bevollmächtigten beim sowjetischen Hochkommissar zu ernennen. Zudem wurde sie verpflichtet: innerhalb eines Monates Maßnahmen zur Besserung der Produktions- und Wirtschaftstätigkeit der sowjetischen Betriebe in Österreich auszuarbeiten und bessere materielle und kulturelle Bedingungen für die USIA-Arbeiter in Österreich zu schaffen; besondere Aufmerksamkeit der Verbesserung der kommerziellen Tätigkeit der sowjetischen Betriebe zu widmen; die Führung der USIA mit zuverlässigen und qualifizierten Kadern zu versehen. Der politische Vertreter der UdSSR in Wien, Koptelov, wurde seiner Funktion enthoben, ihm folgte Sergej Kudrjavcev. Die Minister Vysinskij und Vasilevskij wurden angewiesen, innerhalb von zwei Monaten die sowjetischen Militärkommandanturen in Österreich mit besser qualifizierten Kadern, die „nicht nur fähig sind, die nötige Ordnung in den sowjetischen Militärgarnisonen zu gewährleisten, sondern auch die notwendige Kontrolle über die Tätigkeit der örtlichen Behörden und die notwendige politische Arbeit in der Bevölkerung ausüben können", zu verstärken. Das Politbüro beauftragte Vysinskij und Vasilevskij, dem Ministerrat der UdSSR innerhalb von zwei Monaten Vorschläge zur Umstrukturierung der SCSK vorzulegen. 225 Mit zweiwöchiger Verspätung stand am 17. Jänner die Umstrukturierung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich in einer Sitzung des Präsidiums des Ministerrates der 225 Ebd.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde UdSSR auf der Tagesordnung. Einem Meinungsaustausch folgte die erneute Aufforderung an Vysinskij und Vasilevskij, einen Entwurf eines Ministerratsbeschlusses „über die Struktur und die Funktionen der SCSK" auszuarbeiten. Am 3. Februar 1952 legten sie einen Entwurf, der alle unterbreiteten Vorschläge der ZK-Gesandten aufnahm (siehe oben), Molotov vor.226 Am 20. Februar 1952 verfügte der Ministerrat der UdSSR mittels Beschluss Nr. 986-317ss 227 die Umstrukturierung der SCSK. Die wesentlichste Änderung betraf die Unterstellung der sowjetischen Militärkommandanturen unter die SCSK, um vor allem den Parallelismus aufzuheben. 228 Ende März 1952 waren die gesetzten Maßnahmen so weit erfüllt, dass sich die Außenpolitische Kommission beim ZK der VKP(b) mit einem ersten Rechenschaftsbericht über „die Durchführung des ZK-Beschlusses" zur Verbesserung der Arbeit der SCSK an Stalin wenden konnte. Zunächst wurde festgehalten, dass die SCSK neu strukturiert und mit neuen Mitarbeitern versehen wurde und nunmehr von Seite des sowjetischen Außenministeriums „mehr Aufmerksamkeit geschenkt" 229 bekam. Militärkommandanturen wurden ebenso neu besetzt, wirtschaftliche Maßnahmen durch die USIA gesetzt. Das ZK meinte nach nur wenigen Wochen festgestellt zu haben, dass die SCSK ihre Hauptaufgabe auf „die Arbeit in der Zone und die Verstärkung der Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Regierung und örtlichen Behörden lenkte", und die SCSK nunmehr „über das ZK der KPÖ demokratischen Organisationen mehr Hilfe zur Festigung ihres Einflusses in sowjetischen Betrieben" leistete und nun engen Kontakt mit der Führung der KPÖ herstellte. Man führte nun gemeinsame Besprechungen zur „Erörterung laufender Fragen" durch. Um den Einfluss in den sowjetischen Betrieben zu erhöhen, wurde der KPÖ die Führung der kulturellen Arbeit der USIA übertragen. Ohne im Detail auf alle seit dem Erlass des ZK-Beschlusses vermeintlich erreichten Ziele in Österreich einzugehen, bringt der Rechenschaftsbericht an Stalin, der freilich einer Schönfärberei der Lage und des Arbeitseinsatzes der Agierenden gleichkommt, die Zufriedenheit der sowjetischen Stellen über die erfolgreich umgesetzten Maßnahmen zum Ausdruck. Kritisiert wurde der noch mangelhafte Kampf mit österreichischen und ausländischen Agenten und die noch nicht erfolgte Bestellung eines Bevollmächtigten der GUSIMZ für Österreich. Auch die Arbeit der Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland (VOKS), der die ÖSG unterstand, war nicht zufriedenstellend. 230 Der Bericht der ZK-Kommission an Stalin hielt abschließend fest, dass „die Führung der SCSK zur Zeit Maßnahmen zur Liquidierung der Mängel zur Durchführung des ZK-Beschlusses der VKP(b) durchführt. In einer Sondersitzung der SCSK wurde die Frage über die Notwendigkeit sorgfaltigen Studierens der politischen Umstände in Österreich und der Verbesserung der Arbeitsqualität des Apparates [der SCSK] diskutiert. Allen Abteilungen wurde befohlen, konkrete 226 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 62. Vysinskij und Vasilevskij an Molotov, Moskau, 3.2.1952. 227 AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 82-90; RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 112. 228 Zur Umstrukturierung im Detail siehe den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission, in diesem Band. 229 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 111-115. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 79. V. Grigor'jan an Stalin, 28.3.1952. 230 Ebd., S. 111-115.

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Peter Ruggenthaler Pläne unter Berücksichtigung der veränderten politischen Umstände in Österreich auszuarbeiten." 231 In einem 55 Seiten starken Situationsbericht über die Erfüllung des Politbürobeschlusses „Über die Verbesserung der Arbeit der SCSK" stellte der sowjetische Hochkommissar Sviridov zwei Wochen nach Stalins Tod fest, dass nunmehr „die Hauptaufmerksamkeit in unserer Arbeit auf die praktische Hilfestellung für die KPÖ mit dem Ziel der Stärkung ihres Einflusses unter der österreichischen Bevölkerung konzentriert wurde". 232 Als wichtigste gesetzte Maßnahme zur „Demokratisierung" der sowjetischen Zone bezeichnete Sviridov „die Stärkung der Positionen unserer Freunde in den sowjetischen Betrieben" und die entschiedene Einmischung der Kommandanturen in die Versuche der Behörden, den Staatsapparat von Kommunisten zu säubern. 233 Zusammenfassend hielt er fest: „Als Resultat der im [letzten] Jahr durchgeführten Maßnahmen in der sowjetischen Zone wurde eine günstige Lage für das Anwachsen demokratischer Kräfte und für die Festigung ihres Einflusses unter der österreichischen Bevölkerung geschaffen." 234 Die auf breitem Raum dargelegten Erfolge der sowjetischen Besatzungsmacht von der Gründung von Friedensräten in jedem sowjetischen Betrieb und Erfolgen bei Gewerkschaftswahlen über Erfolge bei der Arbeit unter den Bauern können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter der Berichterstattung ein gewisser Zwang der Agitatoren zur Schönfärberei steckte. So betonte Sviridov abschließend die positiv geleistete Arbeit und unterstrich, dass diese jedoch noch nicht in ausreichendem Maß vorgenommen wurde und erst den Anfang bilde, ohne jedoch weitergehende Ziele, etwa eine Regierungsbeteiligung der KPÖ, auch nur ins Auge zu fassen: „Die im letzten Jahr durchgeführte Arbeit, den demokratischen Organisationen Hilfe zu leisten, gab zweifelsohne bekannte positive Ergebnisse. Auch wenn wir das nur als erste Schritte sehen. In der Zukunft ist es notwendig, unsere Arbeit in der Zone zu verstärken, um eine weitere Verbreiterung des Einflusses demokratischer Kräfte zu erreichen, indem wir für diese Ziele alle zu unserer Verfügbarkeit stehenden Mittel nutzen." 235 Stalin ließ jedoch, wie oben erwähnt, die KPÖ wissen, dass er keine „unbegründete Vergrößerung" wünschte. Die Wortwahl Stalins ist an und für sich ein Paradoxon schlechthin. Die österreichischen Kommunisten hatten die Flucht nach vorne angetreten und den „Vozd" (Führer) selbst um Rat gefragt, überzeugt davon, dass die ZK-Kommission die Missstände in Österreich aufzeigen würde. Doch Stalin schien die politische Lage in Österreich nicht unangenehm zu sein. Es bestand nach wie vor kein Anlass, in Österreich durch zu aktive Tätigkeiten der KPÖ einen weiteren Krisenherd zu schaffen. Die österreichischen Kommunisten sollten weiterhin die UdSSR als Garanten für den

231 Ebd., S. 115. 232 RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, S. 1-56, hier: S. 6. Sviridov und Kudrjavcev an das ZK der KPdSU, 21.3.1953. Conclusio des Berichts abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Doument Nr. 80. 233 RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, S. 6, 11, 13. 234 Ebd., S. 13. 235 Ebd., S. 16f.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde Weltfrieden propagieren. In einem Nebensatz „empfahl" Stalin, eine „allösterreichische Friedensfront, Nationalfront usw." vorzubringen. Allein die Wortwahl und der Vergleich zur „Friedensfront" und anderen Organisationsstrukturen zeugt nicht von einer mit Vehemenz geforderten Forcierung der Umsetzung der Strategien einer „Nationalen Front", dem theoretischen Konzept des friedlichen Übergangs zum Sozialismus unmittelbar nach Kriegsende. 236 Es hatte sich in fast allen Ländern - mit Ausnahme der Tschechoslowakei - längst gezeigt, dass die „Nationale-Front-Strategie" in keinem besetzten Land zum Erfolg geführt hatte. Überall musste der Kreml Gewalt und Terror anwenden, um den Weg zur Volksdemokratie in Osteuropa zu ebnen. Die im allgemeinen Siegestaumel von Chefideologen und Parteikadern ausgearbeitete Strategie, den Kommunisten mithilfe des Aufbaus einer „Nationalen Front" in den besetzten Ländern auf demokratischem Weg zur Macht zu verhelfen, blieb eine Theorie, die sich in der Praxis nicht durchführen ließ. In Österreich hatte sich dies, früher als in anderen Ländern, bereits Ende 1945 gezeigt. Wenn Stalin den österreichischen Kommunisten beiläufig u. a. die „Nationale Front" empfahl, konnte es sich hierbei maximal um ein Mittel handeln, sich an die Ideen und Maxime, die den österreichischen Kommunisten während des Zweiten Weltkrieges im Moskauer Exil eingetrichtert worden waren, zu erinnern. Damit konnte sich Stalin sicher wähnen, dass die KPÖ keinen revolutionären Weg beschreiten würde. Im Oktober 1950 wurden die österreichischen Kommunisten in ihrem Enthusiasmus gebremst, ein Jahr später nochmals, diesmal von Stalin höchstpersönlich. Stalin konnte freilich nicht die KPÖ selbst in Frage stellen, deshalb wurde sie auch finanziell massivst unterstützt. 237 Die Empfehlung der - zu diesem Zeitpunkt bereits antiquierten - „Nationalen-FrontStrategie" war hierbei ein willkommenes Mittel zum Zweck, die österreichischen Kommunisten zu beruhigen und eine Eskalation in einem potentiellen neuen Gefahrenherd in Mitteleuropa, der unweigerlich zu unnötigen, vom Kreml nicht gewünschten Provokationen mit den Westmächten geführt hätte, kalt zu stellen. Der Kreml war zu diesem Zeitpunkt bereits längst nicht mehr an einem Abschluss des österreichischen Staatsvertrages interessiert. Ein „friedlicher Übergang" zum Sozialismus in ganz Österreich war nicht realistisch. 238 Überlegungen zur Teilung Österreichs sind mit heutigem Wissensstand auszuschließen. Dem Kreml ging es 1952 um die „Festigung des sowjetischen Einflusses" in der sowjetischen Besatzungszone. Und dies ist im wortwörtlichen Sinne zu verstehen. Sogar in ihrer Zone hatte die Sowjetmacht eine 236 Siehe dazu den Beitrag d. Verf., Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte, in diesem Band. 237 Siehe dazu im Detail Tabelle 5 im Anhang. 238 Der aufgestellten These, dass die Umstrukturierung eine Maßnahme des „friedlichen Übergangs zum Sozialismus" in Österreich war, kann auf Grund der oben dargelegten Vorgangsweise bei der Umsetzung der erwogenen Maßnahmen nicht beigepflichtet werden. Der diesbezügliche ZK-Beschluss zur „Festigung des sowjetischen Einflusses" kann zudem nicht als Indiz eines beibehaltenen Kurses des „friedlichen Übergangs" zum Sozialismus nach dem Wahldebakel der KPÖ 1945 gesehen werden, sondern ist m. E. vielmehr als „Neubeginn" im Sinne einer Verschärfung der sowjetischen ÖsterreichPolitik zu bewerten. Vgl. hierzu die im Jahr 2003, freilich noch auf dünner Quellenbasis, aufgestellten Thesen von Wolfgang Mueller, Sowjetbesatzung, Nationale Front und der „friedliche Übergang" zum Sozialismus: Fragmente sowjetischer Österreich-Planung 1945-1955, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. MÖStA. 2003/50, S. 133-156, hier: S. 152f.

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Peter Ruggenthaler Unterwanderung durch kapitalistische Elemente realisiert. Dies konnte sie keinesfalls zulassen, um nicht in der spätstalinistischen Phase des „Einigeins" im Kalten Krieg Schwäche zu zeigen. Die KPÖ wurde freilich weiter unterstützt. Um es richtiger zu sagen, in ihrer alltäglichen Arbeit 239 von den Sowjetvertretern in Wien auf direktem Wege erstmals seit 1945. Die Untätigkeit der SCSK und ihrer Mitarbeiter in dieser Frage war einer der zentralen Kritikpunkte gewesen, die zur Erlassung des Maßnahmenbündels geführt hatten. Die KPÖ konnte ohne Vorbehalte in hohem Maß unterstützt werden, die Wahlen 1945 und 1949 hatten klar aufgezeigt, dass die österreichischen Kommunisten nie in die Nähe der Regierungsbeteiligung oder -bildung kommen würden.

„Nicht die Aufmerksamkeit für die deutsche Frage schwächen" Ablehnung des „Kurzvertrages" durch die UdSSR Ende 1951 erklärten die Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs, es gebe keinen Grund, den Abschluss des österreichischen Staatsvertrages weiter hinauszuziehen. Im Jänner 1952 lud turnusmäßig der amerikanische Sonderbeauftragte zur nächsten Sitzung am 21. Jänner 1952.240 Nachdem die Einladung zur Sitzung im sowjetischen Außenministerium eintraf, wandte sich Gromyko an Stalin. Die sowjetische Position war klar: „Davon ausgehend, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt an einer Beschleunigung des Abschlusses des österreichischen Vertrages nicht interessiert sind" 241 , schlug Gromyko vor, der Sitzung der Sonderbeauftragten zuzustimmen, unter der Bedingung, dass die Missachtung des italienischen Friedensvertrages durch die Westmächte bezüglich Triest und die Frage der Entnazifizierung und Entmilitarisierung erörtert würden. Gromyko suchte freilich nach einer Möglichkeit, den Westmächten die Schuld für ein Scheitern zuzuschieben, weil damit zu rechnen war, dass alle übrigen Artikel ausverhandelt werden könnten: „Die Vertreter der USA, Englands und Frankreichs werden aller Voraussicht nach alle Einwände zu den verbliebenen Artikeln, über die noch keine Einigkeit besteht, zurücknehmen. [...] Als Resultat werden sich alle Artikel des Vertragsentwurfs als ausverhandelt erweisen, was den Regierungen der drei Staaten den Vorwand geben wird, mit einer Erklärung aufzutreten, dass die Sowjetunion die Verantwortung für das Platzen des Vertragsabschlusses mit Österreich trägt, und die Frage über den österreichischen Vertrag in die laufende Generalversammlung der UNO einzubringen." 242 Die Sowjets wollten nicht emsthaft über Triest diskutieren, sondern lediglich eine Möglichkeit ausloten, die ihnen sicherstellen würde, dass die Westmächte weiteren Verhandlungen nicht zustimmen würden. Gromyko rechnete mit einer Absage der Sitzung seitens der Westmächte, die wiederum den Sowjets die Möglichkeit geben

239 Nunmehr trafen sich die Sowjets regelmäßig mit den österreichischen Kommunisten, „um gemeinsam die wichtigsten politischen Fragen zu erörtern", RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, ab S. 17. Sviridov und Kudrjavcev an das ZK d. KPdSU, 21.3.1953. 240 Vgl. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 183. 241 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1115, S. 62-64. Gromyko an Stalin. Moskau, 16.1.1952. Entwürfe mit Ausbesserungen Molotovs. Ebd., S. 38f., 67-69. 242 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1115, S. 37.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde sollte, dem Westen die Schuld für eine Verzögerung des Staatsvertragsabschlusses zu geben. 243 Nachdem Molotov den Entwurf des Schreibens an Stalin gesichtet und einige Ausbesserungen angebracht hatte244, gab Stalin sein Einverständnis, und das Politbüro segnete das von Gromyko vorgeschlagene Antwortschreiben an den amerikanischen Vorsitzenden sowie die internen Direktiven für das weitere sowjetische Vorgehen durch den Sonderbeauftragten Zarubin in London ab.245 Die Westmächte jedoch schoben die Schuld am NichtZustandekommen einer Sitzung der Sonderbeauftragten den Sowjets zu. Am 20. Jänner 1952 befasste sich das Politbüro mit einem vorläufig letzten Antwortschreiben und segnete die von Gromyko Stalin vorgelegten Direktiven an den sowjetischen Vertreter in London ab, der schließlich auftragsgemäß die sowjetischen Forderungen (Triest, Entnazifizierung, Entmilitarisierung) vor den Westmächten wiederholte und erklärte, er könne an der für den 21. Jänner 1952 anberaumten Sitzung der Sonderbeauftragten nicht teilnehmen. 246 In einer weiteren Note beschuldigten schließlich die Westmächte die UdSSR, sie verzögere bereits seit etwa zwei Jahren den Abschluss des österreichischen Staatsvertrages. 247 Gromyko bereitete wiederum ein Antwortschreiben an die Westmächte vor, in der er erneut den sowjetischen Standpunkt darlegte. Diesmal entschieden sich Stalin und/oder Molotov 248 aber anders und zogen es vor, überhaupt nicht mehr zu antworten. Die österreichischen Politiker erkannten, dass ein Abschluss des Staatsvertrages im sich verschärfenden Kalten Krieg einzig und allein von entscheidenden Änderungen in der Weltpolitik abhing. Im März 1952 übernahmen die Westmächte erneut die Initiative zur Wiederbelebung der österreichischen Frage und boten der UdSSR den so genannten „Kurzvertrag" an. Diesem Vorschlag zufolge sollten sich die vier Besatzungsmächte verpflichten, Österreich innerhalb von 90 Tagen nach Inkrafttreten zu räumen. Alle bisher offen gebliebenen Fragen der bisherigen Verhandlungen fanden im Kurzvertrag keine Erwähnung mehr. Mittlerweile ist bekannt, dass die Initiative des Westens „anderen als österreichischen Zwecken diente". 249 Der Westen sah den „Kurzvertrag" als Prüfstein für die sowjetischen Absichten in der Deutschland-Frage. Die seltsame Logik

243 Ebd., S. 38. 244 Ebd., S. 36-67. Mehrere Entwürfe von Schreiben Gromykos an Stalin mit handschriftlichen Ausbesserungen Molotovs. Moskau, Jänner 1952. 245 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 48, S. 13, 63f. Politbürobeschluss Nr. 85 (283)-op. d. ZK d. VKP(b) v. 17.1.1952. 246 Ebd., S. 14, 66. Politbürobeschluss Nr. 85 (296)-op. d. ZK d. VKP(b) v. 20.1.1952. Siehe dazu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 183. 247 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1115, S. 88-94. Gromyko an Stalin. Moskau, Februar 1952. Der von Gromyko vorbereitete Briefentwurf an die Westmächte kam nicht auf die Tagesordnung des Politbüros. RGASPI, F. 17, op. 162, d. 48. Ebd., op. 3, d. 1092. Politbüro-Beschlüsse, Februar 1952. 248 Es ist nicht erkennbar, ob der Entwurf Gromykos Stalin vorgelegt wurde. Es ist möglich - aber wohl kaum wahrscheinlich dass Molotov eigenständig handelte und Gromyko die Order gab, die Österreich-Frage ruhen zu lassen. 249 Michael Gehler, Kurzvertrag für Österreich? Die westliche Staatsvertrags-Diplomatie und die StalinNoten von 1952, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 1994/2, S. 243-278, hier: S. 253; Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 184-192.

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dahinter: Im Falle eines sowjetischen Ablehnens des Kurzvertrages sei die „mangelnde Ernsthaftigkeit der Deutschlandvorschläge Stalins" bewiesen. 250 A m 12. März 1952 wurde der „Kurzvertrag" auf diplomatischem Wege Moskau übermittelt, wo dieser zunächst ad acta gelegt wurde.251 Nachdem die Westmächte am 9. Mai 1952 auf eine Antwort drängten, empfahl Vysinskij Stalin am 12. Mai Folgendes: „Ich würde es für zielführend halten, im Grunde auf die Note [...] über einen Kurzvertrag für Österreich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Antwort zu geben, um nicht die Aufmerksamkeit zur Erörterung der deutschen Frage, zu welcher, wie bekannt ist, auch die Regierungen der USA, Englands und Frankreichs streben, zu schwächen." 252 1952 hatte die deutsche Frage eindeutig Priorität, und die österreichische Frage war nur insofern an sie gekoppelt 253 , als die österreichische Frage nicht gelöst werden durfte, um nicht eine „Modellfalllösung" für die deutsche Frage zu inszenieren. Die Sowjetunion lehnte erst am 14. August 1952 den „Kurzvertrag" in einer Note ab254 und wiederholte dies am 27. September. 255 Alles in allem war der „Kurzvertrag", der eindeutig gegen die Interessen der UdSSR sprach (dies hielt auch Molotov in seinen ersten Korrekturen auf dem von Vysinskij vorgelegten Papier fest) 256 , ein für die Sowjets weiteres, geradezu ideales diplomatisches Mittel zum Zweck, nicht in Staatsvertragsverhandlungen eintreten zu müssen. Der Westen wollte mit der Österreich-Frage abtesten, inwieweit Stalins „Lösungsvorschläge" in der deutschen Frage und später die „Notenschlacht" 257 ernst gemeint waren, eine tatsächlich bizarre Logik: Wie oben dargelegt, bestand 1952 sowjetintern kein

250 Gehler, Kurzvertrag für Österreich?, S. 253. 251 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1115. Am 14.3. wurden die entsprechenden Noten mit beiliegendem „Kurzvertrag" in russischer Übersetzung Molotov vorgelegt. Ebd., S. 95-108. 252 Ebd., S. 110. Vysinskij an Stalin, Moskau, 12.5.1952. Interessant in diesem Zusammenhang erscheint die Deutung des „Kurzvertrages" in einem internen Tätigkeitsbericht des sowjetischen Hochkommissars Vladimir Sviridov an das ZK der KPdSU. Darin bezeichnete er den Kurzvertrag als amerikanisches „Manöver", das den endgültigen Abbruch der Staatsvertragsverhandlungen zum Ziel hatte und „das Land vor die Perspektive einer langen Besatzung und einer möglichen Teilung" führen sollte. Zweifelsohne war der Kurzvertrag gegen die Interessen der UdSSR gerichtet, doch war das für Vysinskij in seinen Berichten an Stalin, wie oben dargelegt, nicht das entscheidende Argument. Vysinskij empfahl Stalin sogar, den Erhalt der Vorschläge zum „Kurzvertrag" zu bestätigen. Ebd., S. 112. 253 Somit bestätigen sich im Wesentlichen die Vermutungen von Michael Gehler. Siehe dazu Gehler, Kurzvertrag für Österreich?, S. 253. 254 Die entsprechenden Antworten wurden von Vysinskij im Juli vorbereitet und Molotov zweimal zur Korrektur vorgelegt, ehe sie Stalin vorgelegt wurden. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1115, S. 113-119. Vysinskij an Molotov mit der Bitte um Anweisungen, 31.7.1952. Ebd., S. 120-127, Vysinskij an Molotov mit der Bitte um Anweisungen, 5.8.1952. 255 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1096, S. 151-153. Politbüro-Beschluss Nr. 89 (316) des ZK der VKP(b) v. 27.9.1952. Entwurf der 1. Note an Stalin in: RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1115, S. 128-135, der 2. Note in ebd., S. 152-158. Zur Ablehnung des Kurzvertrages durch die UdSSR siehe Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 187. 256 „Kurzvertrag - Verletzung der Rechte der UdSSR (nach dem Potsdamer Abkommen)". RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1115, S. 114. Entwurf einer Antwortnote zum „Kurzvertrag" an die Westmächte von Vysinskij mit handschriftlichen Anweisungen Molotovs, 31.7.1952. 257 Siehe dazu den guten Überblick bei Rolf Steininger, Deutsche Geschichte. Darstellung und Dokumente in vier Bänden. Bd. 2. 1948-1955. Frankfurt a. M. 2002, S. 195.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde Junktim zwischen der österreichischen und der deutschen Frage, und die UdSSR wollte durch das Nichteingehen auf den Vorschlag des „Kurzvertrages" schlicht nicht von der prioritären, deutschen Fragestellung ablenken. Vysinskij hatte Stalin aufmerksam gemacht, dass ja auch der Westen in erster Linie an der deutschen Frage interessiert sei. Es kann jedoch auch die These aufgestellt werden, dass ein Entgegenkommen in der österreichischen Frage oder gar ein Lösen dieser dem Kreml wohl nicht genehm gewesen wäre. Dies hätte ja schließlich nicht nur die Gesprächsbereitschaft Stalins, die ja in der deutschen Frage in den vielen Noten 1952 scheinbar zutage getreten war, bekräftigt, sondern auch gezeigt, dass sie zu konkreten Ergebnissen führen kann. So also konnte Stalin die österreichische Frage nicht vom Tisch und folglich eine „Modellfall"-Lösung für Deutschland schaffen. Der Nicht-Abschluss des österreichischen Staatsvertrages zwischen 1949 und 1952 ist unter diesem Aspekt ein weiteres Mosaiksteinchen in der Forschung, das bekräftigt, dass Stalins Angebot in seiner berühmten Note vom 10. März 1952 nicht ernst gemeint sein konnte. 258 Österreich war damit aus der Sicht der UdSSR an zwei „Fronten" für die Konsolidierung des Ostblocks von Bedeutung: in erster Linie als Argument gegenüber den Westmächten für die sowjetische Truppenpräsenz in Ungarn und Rumänien, andererseits hätte ein von allen Alliierten freigegebenes Österreich unvermeidlich die Konsolidierung der DDR gefährdet. Im Herbst 1952 hatte der „Noten-Krieg" um Deutschland ein Ende gefunden. Die Positionen waren festgefahren, der Sowjetisierungsweg der DDR war als Resultat weiter fortgeschritten und unumkehrbar. Den Erinnerungen Nikita Chruscevs zufolge soll Stalin im Herbst 1952 gegenüber Molotov Überlegungen angestellt haben, „den Kriegszustand zwischen der UdSSR und Österreich" zu beenden. 259 In diese Zeit fiel auch die erste konkrete sowjetische „Empfehlung", Österreich sollte den Weg einer strikten Neutralitätspolitik ähnlich der Schweiz und Schwedens einschlagen. 260 Schenkt man den Erinnerungen Chruscevs Glauben, war Stalin in seinen letzten Lebensmonaten zu einem Abschluss des österreichischen Staatsvertrages bereit. Tatsache ist zumindest, dass Stalin den Weg für weitere Verhandlungen der Sonderbeauftragten im Februar 1953 in London frei machte.261 Die interne sowjetische Positionierung blieb unverändert: Forderung nach Rücknahme des Kurzvertrages durch die Westmächte, Durchführung einer Überprüfung der Demilitarisierung und Entnazifizierung in Österreich in allen Besatzungszonen, Erfüllung des Friedensvertrages mit Italien bezüglich Triests („eine der wichtigsten Bedingungen des Abschlusses des Staatsvertrages mit Österreich"). 262

258 Zur kontroversen Debatte um die Ernsthaftigkeit der „Stalin-Note" v o m 10. März 1952 siehe vor allem Jürgen Zarusky, Die Stalin-Note v o m 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen. Mit Beiträgen von Wilfried Loth, Hermann Graml und Gerhard Wettig. München 2002; Steininger, Deutsche Geschichte, Bd. 2, S. 1 7 3 - 2 0 7 . 2 5 9 Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 454; J. L. Schecter - V. V. Luchkov (Hg.), Khrushchev Remembers. The Glasnost Tapes. Boston - Toronto - London 1990, S. 72. 2 6 0 Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 221. 261 Siehe dazu ebd., S. 183. 2 6 2 RGASPI, F. 17, op. 164, d. 212, S. 1 0 1 - 1 0 4 . Anweisungsvorschläge an den sowjetischen Botschafter in London, A. Gromyko, Vysinskij an Stalin, 2.2.1953.

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Peter Ruggenthaler Geht man von der Annahme aus, dass Stalin tatsächlich einen Abschluss des Staatsvertrages kurz vor seinem Tod in Betracht zog, wäre die logische Schlussfolgerung, dass Molotov und/oder Vysinskij Stalin vom Gegenteil überzeugt hatten. Über die noch auszuverhandelnden Artikel durfte zufolge den sowjetinternen Anweisungen an die eigene Delegation keine Übereinkunft erzielt werden, solange keine Resultate einer Überprüfung der Demilitarisierung und Entnazifizierung, die neben der Rücknahme des „Kurzvertrages" in den Verhandlungen errungen werden sollte, vorlagen. 263 Dies ließ keinen Spielraum für einen raschen Vertragsabschluss zu. Nach nur zwei Sitzungen der Sonderbeauftragten wurden die Verhandlungen für zwei bis drei Wochen unterbrochen. Am 4. März 1953 hielt der sowjetische Botschafter in London, Jakov Malik, in einem Schreiben an Georgij Malenkov fest, dass „bis zum jetzigen Zeitpunkt die Vertreter der drei Mächte keinerlei Schritte zur Wiederaufnahme der Verhandlungen in der Österreich-Frage unternommen" hätten. Vysinskij hielt daher die Entsendung Andrej Gromykos nach New York zur 7. UNO-Generalversammlung für nicht angebracht. 264 Der sowjetische Außenminister konnte jedoch ohnedies keine Anweisungen mehr erhalten. Stalin war bereits sterbenskrank. Am 5. März 1953 erlag er den Folgen von mehreren Schlaganfällen. Dem folgenden politischen Tauwetter waren in der Österreich-Frage bereits „einige Schwalben vorausgeflogen", so die treffende Wortwahl von Gerald Stourzh. 265 Nach heutigem Wissensstand kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass ein Abschluss des Staatsvertrages unter Stalin unter gewissen Umständen möglich gewesen wäre. Auch wenn Österreich nach Stalins Tod von sowjetischer Seite zahlreiche Erleichterungen im Besatzungsalltag zugestanden wurden, fand die Österreich-Politik in der Person des nun wieder offiziell eingesetzten Außenministers Molotov Kontinuität zu Ungunsten Österreichs. Es wird oft vergessen, dass die Sowjets eine drohende Teilung Österreichs nicht zu Stalins Lebzeiten, sondern Ende 1954 andeuteten! 266 Zwei Jahre sollten nach Stalins Tod noch vergehen, bis Molotov vor allem dem Druck Chruscevs 267 nachgeben musste und die Österreicher am 15. Mai 1955 die lang ersehnte Freiheit durch Unterzeichnung des Staatsvertrages bejubeln konnten. Wie gezeigt wurde, stellte die Jahreswende 1951/52 eine Zäsur in der sowjetischen Österreich-Politik dar. Die Initiative zur „Festigung des sowjetischen Einflusses" ging von Molotov aus. Stalin hatte kurz vor seinem Tod angeblich anklingen lassen, dass er bereit war, den Vertrag mit Österreich abzuschließen und damit die sowjetischen Truppen abzuziehen. Molotov ergriff jedoch nicht die Initiative, substantielle Verhandlungen Anfang 1953 zuzulassen und Österreich aufzugeben. Vysinskij erschien zunehmend nur mehr als Aushängeschild der sowjetischen Außenpolitik, im Hintergrund zog nach wie vor Molotov

263 Ebd., S. 105f. Anweisungsvorschläge an den sowjetischen Botschafter in London, A. Gromyko, Vysinskij an Malenkov, 4.2.1953. 264 Ebd., S. 212. Malik an Malenkov, 4.2.1953. 265 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 220f. 266 Vgl. ebd., S. 337f„ 788. 267 Zur Konfrontation Chruscev - Molotov und zur sowjetischen Österreich-Politik 1955 siehe ausführlich Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 450-485.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde die Fäden268, der vielleicht nunmehr Hoffnungen hegte, Österreich „demokratisieren" zu können. In diesem Licht erscheinen die widersprüchlich anmutenden Äußerungen Molotovs nicht mehr völlig gegensätzlich. Einerseits hatten sich die Sowjets (1945) nicht einer „unvorbereiteten Angelegenheit" annehmen und diese „verkomplizieren" 269 , andererseits (1945 bis 1951/52) sich nicht in ein „Abenteuer" mit den Westmächten einlassen können, wie es Molotov später bezeichnete.270 1952 war die Ausgangslage eine andere geworden. Weder der Westen noch Moskau waren nunmehr bereit, aus Österreich abzuziehen. Die Fronten hatten sich verhärtet, der Kalte Krieg in der Zeit des Spätstalinismus seinen Höhepunkt erreicht. Der Ostblock war gefestigter als je zuvor. Gab es nunmehr, neben dem illusorischen „Experiment Renner" ernstere Versuche, Österreich zu „demokratisieren", was nicht gelang, wie Molotov feststellte?271 Wie gezeigt wurde, waren die 1951/52 gesetzten Maßnahmen eine Reaktion auf den zunehmenden Einfluss der Westmächte sogar in der sowjetischen Besatzungszone in Österreich, wogegen aus sowjetischer Sicht selbstredend etwas unternommen werden musste. Es versteht sich, dass das getroffene Maßnahmenpaket auch politisch-ideologische Inhalte umfasste. Handelte es sich tatsächlich um eine politisch-ideologische „Mission"272, die von Molotov initiiert und schließlich von Chruscev und seinen Parteigenossen gestoppt wurde, indem sie den Weg für den Abzug aus Österreich freimachten? An dieser Stelle scheint es notwendig, nochmals einen kurzen Blick auf die stets prioritäre deutsche Frage zu werfen. Nach dem Tod Stalins entstand bezüglich der weiteren Vorgangsweise gegenüber der DDR eine Meinungsverschiedenheit zwischen Molotov und dem an die Macht strebenden Lavrentij Berija. Die deutschen Genossen unter Walter Ulbricht hatten nach dem Geschmack Molotovs eine zu forcierte Angriffspolitik gegen die Kapitalisten geführt. Er kritisierte, „dass sie mit lauter Stimme über den Sozialismus in der DDR zu reden begannen und eigentlich nichts dazu vorbereitet" war.273 Molotov soll eine vorsichtigere Vorgehensweise eingemahnt haben, „keine forcierte Politik des Aufbaus des Sozialismus in der DDR" 274 zu betreiben. Berija war gegen Molotov aufgetreten und hatte den Aufbau des Sozialismus in Ostdeutschland generell als nicht wichtig empfunden: „Weil wir nur ein friedliches Deutschland brauchen, ob dort nun Sozialismus sein wird oder nicht, das ist uns egal." 275 Unter Stalin, so Molotov, wäre diese Frage nie gestellt worden: „Davon hätte nicht einmal die Rede sein können, darüber, was nun Berija vorschlägt, nach sei268 Zur Tragweite der Rolle Molotovs, die weitaus größer war, als bislang angenommen, siehe Creuzberger - Görtemaker, Das Problem der Gleichschaltung osteuropäischer Parteien im Vergleich, S. 434. 269 Feliks Cuev, Molotov. Poluderzavnyj Vlastelin. Moskau 1999, S. 106. Molotov zu Cuev, 14.8.1973. 270 „Wir hätten uns in ein vollkommen neues Abenteuer begeben." Vjaceslav Molotov zu Feliks Cuev auf die Frage, warum Israel, Finnland und Österreich nicht sozialistisch „gemacht wurden", 4.10.1972. Cuev, Molotov, S. 128. Siehe dazu den Beitrag d. Verf., Warum Österreich nicht sowjetisiert werden sollte, in diesem Band. 271 Cuev, Molotov, S. 21. Molotov zu Cuev, 28.11.1974. 272 Mueller, Sowjetbesatzung, S. 152f. 273 Cuev, Molotov, S. 402. Molotov zu Cuev, 31.7.1972, 6.6.1973, 29.4.1982. Zur Haltung Berijas in der österreichischen bzw. deutschen Frage 1953 siehe den Beitrag von Michail Prozumenscikov. Nach Stalins Tod, in diesem Band. 274 Ebd. 275 Ebd. Siehe dazu den Beitrag von Michail Prozumenscikov, Nach Stalins Tod, in diesem Band.

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Peter Ruggenthaler nem [Stalins] Tod. Bei der Gründung der DDR [...] sagte ja Stalin276, dass das eine neue Etappe der Entwicklung Deutschlands ist, hier konnte es keine Zweifel geben." 277 Stalin hatte die Sowjetisierung der DDR strikt verfolgt, war jedoch vorsichtig, nichts zu forcieren. 278 Zur Proklamation des Zieles der Einführung des Sozialismus in der DDR soll Stalin im Sommer 1952 von Walter Ulbricht gedrängt worden sein.279 Am Weg zum Sozialismus bestand kein Zweifel, Stalin und Molotov waren einer Meinung, dies müsste behutsam geschehen. Berija gab gegenüber Molotov nach („Nun, zum Teufel mit dir [...], ich bin mit deinen Vorschlägen einverstanden"), und Chruscev unterstützte Molotov. Chruscev sah in einem sozialistischen deutschen Zweitstaat die Garantie für die Verhinderung der Wiedererstarkung Deutschlands. „Chruscev unterstützte mich in der deutschen Frage. [...] Wenn die DDR nicht den Weg des Sozialismus beschreitet, dann wird Deutschland das Alte werden." 280 Und das galt es unter allen Umständen zu vermeiden. Das Festhalten an diesen Prinzipien nach Stalins Tod durch die neue Führung war weiterhin das oberste Credo. Der Meinungsverschiedenheit zwischen Molotov und Berija lagen weniger unterschiedliche Zielvorstellungen zugrunde, sondern die Methode zur Verwirklichung des permanenten Hauptzieles der sowjetischen Außenpolitik nach dem Sieg über Hitler-Deutschland war strittig. Die Sicherheitsinteressen der UdSSR standen im Vordergrund, dies einte Molotov und Chruscev in dieser Frage. Molotovs Politik lagen freilich in hohem Maße ideologische Motive zugrunde, in erster Linie hatte er jedoch sicherheitsstrategischen Interessen der sowjetischen Außenpolitik Rechnung zu tragen. Für das Verhalten Berijas in der deutschen Frage nach 1953 hatte er ihn als „äußerst rechts" bezeichnet. Auch Chruscev war in Molotovs Augen ein „rechter", doch half Chruscev, so Molotov, in dieser Frage der „russische Patriotismus". 281 Welche Schlussfolgerungen kann man auf Grund dessen für die sowjetische Österreich-Politik nach 1952 ziehen? Das wichtigste Kriegsziel des Kremls, Österreich nach dem Krieg klein und schwach zu machen, wurde verwirklicht. Strategisches Sicherheitsdenken in Bezug auf Österreich spielte nur insofern eine Rolle, als eine Sowjetisierung Ostösterreichs mehr Schaden als Nutzen gebracht hätte. Hier ergibt sich der wesentliche Unterschied zwischen der sowjetischen Deutschland- bzw. Österreich-Politik. Hier: die forcierte Teilung und Sowjetisierung, dort: keine Teilung und keine Sowjetisierung. Beide Ziele basierten in erster Linie auf sowjetischen sicherheitspolitischen Interessen. 276 „Stalin ze vystupil pri sozdanii GDR, skazal, cto eto novyj etap ν razvitii Germanii." Ebd., S. 404. 277 Ebd., S. 404. Molotov zu Cuev, 31.7.1972,6.6.1973, 29.4.1982. Diese Molotov-Zitate wurden meines Wissens in der Forschung bislang völlig außer Acht gelassen und sind m. E. ein weiteres wichtiges Indiz, dass Stalin zumindest nach Gründung der DDR keine Alternativlösungen für Deutschland in Betracht zog und der sozialistische Weg der DDR außer Zweifel stand. Die 1999 auf Russisch erschienene, überarbeitete und erweiterte Fassung der Konversationen Cuevs mit Molotov hat meines Wissens generell noch keinen Eingang in die deutsche Historiographie gefunden. 278 Molotov brachte hierbei den Vergleich, dass Nikolaj Bucharin stets zur Forcierung des Angriffs auf die Kulaken drängte. „Wir aber waren vorsichtiger, wir haben das Wort forcieren nicht benützt." Ebd., S. 402. Molotov zu Cuev, 31.7.1972, 6.6.1973, 29.4.1982. 279 Jan Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949. Struktur und Funktion. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Bd. 44. Berlin 1999, S. 425. 280 Cuev, Molotov, S. 405. Molotov zu Cuev, 31.7.1972, 6.6.1973, 29.4.1982. 281 Ebd., S. 404f. Molotov zu Cuev, 31.7.1972, 6.6.1973, 29.4.1982.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde Ein Anschluss Westösterreichs an Westdeutschland sollte nicht zugelassen werden. Im Falle der DDR war der Export des Kommunismus in erster Linie Mittel zum Zweck. Sicherheitspolitische Ziele erfüllten hier freilich auch sowjetideologische, sie gingen Hand in Hand. Im Falle Österreichs konnte nicht nur, sondern es musste auf die ideologische Zielsetzung der Verbreitung des Kommunismus verzichtet werden. Die 1951/52 in Ostösterreich ergriffenen Maßnahmen zur Festigung des sowjetischen Einflusses können nur eine Antwort auf die Untergrabung der sowjetischen Autorität in der sowjetischen Zone gewesen sein. Grundlagen für einen „friedlichen Übergang" zum Sozialismus wurden und konnten dadurch keine gelegt werden. Sie hätten ohnedies nur im Osten Österreichs geschaffen werden können. Man darf den Kreml-Führern, insbesondere Molotov, dem Initiator der gesetzten Maßnahmen, zugestehen, dass sie sich dessen bewusst waren. Eine Teilung Österreichs, zu der unweigerlich zumindest während der alliierten Besatzung auch der „friedliche Weg" zum Sozialismus geführt hätte, kann für die UdSSR zu keinem Zeitpunkt erstrebenswert gewesen sein.

Zum Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen 1955 Der Tod Stalins hatte nicht nur für Österreich viel bewirkt. Der neue starke Mann im Kreml, Nikita Chruscev, forderte Molotov auf, den Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen mit Österreich vorzubereiten. Molotov jedoch wollte die sowjetische Position in Österreich nicht schwächen und Österreich als mögliches Aufmarschgebiet gegen den Balkan nicht aufgeben. Doch Molotov verlor den politischen Kampf gegen Nikolaj Bulganin und Anastas Mikojan, die in der Österreich-Politik schließlich die Initiative übernahmen und sich entschlossen, einen neuen Kurs einzuschlagen und die österreichische Frage von der deutschen zu trennen. Eine kurze Phase der Entspannung auf der weltpolitischen Bühne hatte begonnen.282 Aus den Protokollen des ZK der KPdSU geht hervor283, dass Molotov von Mikojan und Bulganin massiv dazu gedrängt wurde, die österreichische Frage getrennt von der deutschen zu behandeln. Doch Molotov zierte sich zunächst. Der Aufforderung, bis zur Jännersitzung des Präsidiums des ZK 1955 Vorschläge zu Österreich vorzustellen, kam er nicht nach. Molotov hatte bereits auf der Außenministerkonferenz in Berlin im Februar 1954 für die Besatzungsmächte das Recht eingefordert, die Truppen bis nach Lösen der deutschen Frage in Österreich stationiert zu lassen.284 Die Molotov-Gegner hatten erkannt, dass die starre Position über kurz oder lang „zwangsläufig zu ernsten Konflikten mit den

282 Neben dem Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen mit Österreich hatte das Moskauer Parteipräsidium auch eine Änderung der starren Haltung in der UN-Abrüstungskommission beschlossen. Molotov wurde angewiesen, den Fortschritt der Gespräche nicht mehr zu blockieren. Mastny, Die NATO im sowjetischen Denken und Handeln 1949 bis 1956, S. 383-471, hier: S. 441. 283 Plenum Transcripts, 1955-1957, S. 42f. 12. Juli 1955. Nach Abschluss des österreichischen Staatsvertrages kam es in der Präsidiumssitzung des ZK der KPdSU zu einer offenen Abrechnung mit Molotov. Siehe dazu im Detail Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 335f., Fußnote 3. 284 Siehe dazu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 301-319.

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Peter Ruggenthaler Amerikanern wegen Österreich führen" würde.285 Mikojan sah die „guten Beziehungen" gefährdet und betrachtete dies als „keine saubere Lösung". In einem vollständigen Abzug sah Mikojan auf Grund der geopolitischen Lage Österreichs militärstrategische Vorteile für die UdSSR: „Wenn wir unsere Truppen in Österreich belassen, dann heißt das, dass wir den Amerikanern das Recht einräumen, ihre Truppen an der Donau zu belassen. Die Amerikaner müssen zurück hinter die Berge, nach Italien, nach Westdeutschland. Unsere Position ist sogar in militärischer Hinsicht stärker geworden, wir drängen den Feind zurück. Das ist elementar. Und er [Molotov] hat sich überzeugen lassen."286 Chruscev drängte Molotov zum Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich. Er fragte Molotov, ob dieser einen Krieg wolle: „Wenn nicht, was willst du dann mit unseren Truppen in Wien erreichen? Wenn du für einen Krieg bist, dann wäre es richtig, in Österreich zu bleiben. Es ist ein strategisches Gebiet, und nur ein Tor würde ein strategisches Gebiet aufgeben, wenn er sich zu einem Krieg rüstet. Wenn wir aber gegen einen Krieg sind, müssen wir gehen."287 Molotov saß am kürzeren Ast. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als einzulenken und schließlich die Kehrtwende in der sowjetischen Außenpolitik einzuschlagen und die Bereitschaft des Kremls in seiner außenpolitischen Grundsatzrede vom 8. Februar 1955 vor dem Obersten Sowjet zur Auflösung des österreichisch-deutschen Junktims anzukündigen. Molotov hielt zwar an der grundsätzlichen Verknüpfung der österreichischen mit der deutschen Frage fest, bestand aber nicht mehr auf dem Verbleib der Besatzungstruppen bis zum Abschluss des Friedensvertrages mit Deutschland. Österreich sollte sich verpflichten, „keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen", und der Staats vertrag sollte Garantien gegen einen neuerlichen Anschluss Österreichs an Deutschland enthalten. Molotov forderte eine sofortige Einberufung einer Viermächtekonferenz zur Behandlung der deutschen und österreichischen Frage. Noch am gleichen Tag begrüßte Bundeskanzler Raab die sowjetische Bereitschaft, wandte sich allerdings gegen die Auffassung, die österreichische Frage könne nicht ohne Berücksichtigung des deutschen Problems gelöst werden. Es können und sollen an dieser Stelle nicht die bekannten Entscheidungsprozesse des „annus mirabilis" nacherzählt werden288, sondern lediglich abschließend auf ein neu aufgefundenes Dokument aus dem Archiv des russischen Außenministeriums, das ein interessantes Licht auf mit dem Abschluss des Staatsvertrages gesetzte Hoffnungen wirft, hingewiesen werden. Einem Bericht über die „Rechte und Möglichkeiten, die sich durch den Entwurf des Staatsvertrags für die Sowjetunion ergeben", zufolge verließen die Sowjets Österreich nicht ohne Hoffnung, Österreich würde wie Finnland auch in Zukunft von der Sowjetunion „abhängig" sein. Die finnische Wirtschaft war tatsächlich zu einem beträchtlichen Teil auf den sowjetischen Markt ausgerichtet. Auf diesem Weg wollte sich der Kreml politische Einflussmöglichkeiten sichern.289 285 RGANI, F. 2, op. 1, d. 159, S. 83-88. 12. Sitzung des Plenums des ZK der KPdSU der XIX. Versammlung am 11.7.1955, Sitzungsprotokoll. Vgl. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 456. 286 RGANI, F. 2, op. 1, d. 159, S. 83-88. 287 Mastny, Die NATO im sowjetischen Denken und Handeln, S. 440. 288 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 335-578. 289 Büttner, Sowjetische Finnlandpolitik, S. 290.

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde Kurz vor Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen mit Österreich machte sich im sowjetischen Außenministerium - so, als ob der Marshall-Plan für Österreich ohne Konsequenzen geblieben wäre - ernsthaft die Hoffnung breit, dies auch im Falle Österreichs erreichen zu können und das nunmehr neutrale Österreich von der Sowjetunion wirtschaftlich abhängig zu machen. Der obgenannte Bericht hielt Folgendes fest: „Es ist angebracht, zu erwähnen, dass die österreichisch-sowjetische Übereinkunft, die in Bezug auf wirtschaftliche Fragen in Moskau erreicht wurde 290 , in Zukunft zur Druckausübung auf die Wirtschaft Österreichs genutzt werden kann. Die sowjetische Seite kann einen bestimmten Teil der österreichischen Volkswirtschaft in Abhängigkeit der Forderungen des sowjetischen Marktes bringen, nicht nur auf dem Weg der Erfüllung der genannten Übereinkunft, sondern auch nach seiner Erfüllung (nach dem Beispiel Finnlands, wenn ein bedeutender Teil der finnischen Industrie, die für den sowjetischen Markt arbeitet, auch zum jetzigen Zeitpunkt weiterhin diesen Markt nötig hat)."291 Einen Konflikt wegen des kleinen Österreich konnte die Sowjetunion im Kalten Krieg nicht riskieren. Der osteuropäische Satellitengürtel konnte nur mit Gewalt gehalten werden, der Widerstand gegen die Sowjetmacht war nicht nur in den baltischen Ländern und der Westukraine enorm. 1955 war die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland so weit fortgeschritten, dass in Moskau die Alarmglocken läuteten, die auch den Beitritt Westösterreichs in die NATO verhießen, womöglich als Teil der Bundesrepublik. 292 Unter dem Deckmantel, einen neuen „Anschluss" zumindest von Teilen Österreichs an Deutschland verhindern zu müssen, trat Chruscev auf den Plan und setzte mit der Forcierung und Bereitschaft der Lösung der österreichischen Frage ein Zeichen der Entspannung des Ost-West-Konflikts. Die geographische Spaltung der NATO durch die Neutralen, Schweiz und Österreich, ergab zudem ein angenehmes „Nebenprodukt". 293 Chruscev ließ mit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich die Welt wissen, dass die Sowjetunion auch zu Konzessionen bereit und die Gefahr eines Dritten Weltkriegs erheblich reduziert war.

Zusammenfassung Mit der Etablierung der Provisorischen Österreichischen Staatsregierung unter dem Feigenblatt einer auf dem Prinzip der Drittelparität aller drei zugelassenen „antifaschistischen" Parteien (ÖVP, SPÖ und KPÖ) unter der Führung des von Stalin auserkorenen Karl Renner hatte sich der Kreml erhofft, wie auch in den von der Roten Armee besetzten Ländern Osteuropas, Österreich auf den Weg zu einer Völksdemokratie zu bringen. Es war freilich ein illusorischer Versuch. Die Kommunisten sollten an einer Partnerschaft

290 Im Moskauer Memorandum im April 1955. Siehe dazu im Detail Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 433^149, abgedruckt in: ebd., S. 667-670. 291 AVP RF, F. 66, op. 34, p. 61, d. 13, S. 79f. Bericht über die „Rechte und Möglichkeiten, die sich durch den Entwurf des Staatsvertrags für die Sowjetunion ergeben", ohne genaues Datum, vermutlich Ende April 1955. 292 Siehe dazu Mastny, Die NATO im sowjetischen Denken und Handeln, S. 440. 293 Ebd., S. 440.

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Peter Ruggenthaler mit den Koalitionspartnern in der Regierung, ÖVP und SPÖ, festhalten, solange, bis sie die Massen der Bevölkerung auf ihre Seite gezogen hätten. Renners prosowjetisches Auftreten wurde sehr früh als unehrlich erkannt, dennoch ließ ihn die sowjetische Besatzungsmacht in seiner Tätigkeit freie Hand. Die provisorische Regierung sollte unter keinen Umständen von innen gesprengt werden, um den Anschein einer von den Sowjets unabhängig agierenden Regierung aufrechtzuerhalten, selbst als die KPÖ die Sowjets warnte, Renner betreibe eine Untergrabung des Schlüsselressorts Innenministerium mit dem Ziel der Schaffung einer Staatspolizei zu seiner Verfügung. Die Erwartungen für die anstehenden Wahlen dürften aus sowjetischer Sicht wenigstens bis zu den Wahlen in Ungarn hoch gewesen sein, erst unmittelbar vor den Wahlen hatten zumindest die in Wien stationierten Diplomaten erkannt, dass die österreichischen Kommunisten auf verlorenem Posten standen. Im November 1945 erlitt die KPÖ ein vernichtendes Wahldesaster. Das „Experiment Renner" war aus Moskauer Sicht fehlgeschlagen. Für Österreich kam es einer Weichenstellung zu einer stabilen Zweiten Republik gleich. Die sowjetische Österreich-Politik änderte sich seit den Wahlen insofern, als dass man einsehen musste, dass die Strategie des Aufbaus einer Nationalen Front mit der Vereinigung aller linken Kräfte in Österreich keine reellen Chancen hatte, mittelfristig kam es zu keinen Änderungen. Die KPÖ wurde in der Folge massivst unterstützt, seriösere Destabilisierungsversuche der politischen Landschaft Österreichs können jedoch kaum als Indizien für einen von Moskau ernsthaft gewollten Machtumschwung zugunsten der KPÖ nach 1946 gewertet werden. Die wirtschaftliche Exploitationspolitik der sowjetischen Besatzungszone wurde in der Folge verstärkt (Befehl Nr. 17 als unmittelbare Reaktion auf die Novemberwahlen 1945). Ende 1946 im sowjetischen Außenministerium diskutierte Neuwahlen konnten freilich nicht herbeigeführt werden, die ÖVP und SPÖ verfolgten in den prinzipiellen Fragen dieselbe politische Zielsetzung: gemeinsam gegen ein kommunistisches Österreich. 1946 zog Stalin die letzten Regimenter der Grenztruppen des NKVD, denen in den Ländern Osteuropas eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung von Sowjetisierungsmaßnahmen zukam, aus Österreich ab. 1947 musste die Sowjetmacht eingestehen, dass ihre Politik in Österreich in allen Linien versagt hatte. In allen Lebensbereichen setzte sich westliche Propaganda, die die freie Welt und Konsumgesellschaft verkörperten, zunehmend in der österreichischen Bevölkerung, auch in der sowjetischen Besatzungszone, durch. Die sowjetische Propaganda, die die klassenlose Gesellschaft und das friedliebende Wesen der UdSSR predigte, stand auf verlorenem Posten. Lange Zeit als von Moskau gesteuerte Umsturzversuche gewertete Manöver („Figl-Fischerei"), angebliche Putschversuche (Oktober 1950) etc. standen zu keiner Zeit im Einklang mit den Intentionen des Kremls, im Gegenteil, sie können nunmehr endgültig als nicht von Moskau gesteuerte Aktionen der KPÖ widerlegt werden. Lagen dem Verhandlungsfortschritt in der Frage des österreichischen Staatsvertrages seitens der UdSSR anfänglich u. a. noch ernsthafte Sorgen um die bedingungslose Entnazifizierung des Landes zugrunde, zeigen Indizien, dass der Kreml zumindest bis zum Sommer 1949 tatsächlich bereit war, den Staats vertrag unter Dach und Fach zu bringen. Ende 1949 lag jedoch ein Abschluss des österreichischen Staatsvertrages nicht im Inte-

Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde resse der Sowjetunion. Stalin willigte in eine weitere Verhandlungsrunde Ende 1949 in New York nur deshalb ein, weil die Positionen zu sehr festgefahren waren und ohnedies kein Vertragsabschluss zu erwarten war. Als die Westmächte die sowjetische Delegation in den Verhandlungen überrumpelte und ein Abschluss des Staatsvertrages plötzlich im Raum stand, wandte sich Außenminister Vysinskij besorgt an Stalin, um gleichsam um die Direktive zu bitten, die Verhandlungen abzubrechen, um sich nicht selbst des Argumentes, auch weiterhin sowjetische Truppen in Rumänien und Ungarn stationiert zu lassen, zu berauben. Stalin vermutete im Verhalten der Westmächte eine offen zu Tage gestellte Unterstützung für Tito und wies Vysinskij an, die nächste sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um die Verhandlungen um den österreichischen Staatsvertrag abzubrechen, die Schuld jedoch den Westmächten aufzubürden. Der Westen konnte durch Propagierung der „Erbsenschuld" jedoch geschickt die Schuld den Sowjets in die Schuhe schieben. Die Sowjets konnten sich in eine diplomatische Verschnaufpause retten und in der Folge zu Recht auf die Nichterfüllung des italienischen Friedensvertrages durch die Westmächte in der Triest-Frage verweisen. Die Triest-Frage war jedoch nur Mittel zum Zweck. Stalin war nicht mehr bereit, die sowjetischen Truppen aus Ostösterreich abzuziehen. Die Sowjetmacht richtete sich in der Folge auf eine längere Präsenz in Österreich ein, ohne jedoch Maßnahmen zu ergreifen, Ostösterreich in den sowjetischen Orbit einzubeziehen. Die KPÖ wurde im Oktoberstreik 1950 nicht unterstützt. Das örtliche Eingreifen der Roten Armee zugunsten der Streikenden wurde auch intern nur als Maßnahme zur Herstellung von Ruhe und Ordnung gesehen. Der Kreml konnte nach dem Ausbruch des Korea-Krieges nicht an einem weiteren Krisenherd interessiert sein, der zudem ein Aufreißen des eben erst konsolidierten „cordon sanitaires" zum „Schutz" der Sowjetunion zur Folge gehabt haben könnte. Im Herbst 1951 vernahm die Außenpolitische Kommission des ZK der VKP(b), später KPdSU, dass die sowjetische Position sogar in den einstigen Hochburgen der USIABetriebe infolge der Unterwanderung westlicher Propaganda ernsthaft geschwächt war. Das Politbüro beauftragte daraufhin, die Arbeit des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich zu überprüfen und Besserungsvorschläge einzubringen und einen Maßnahmenkatalog zur Stärkung des sowjetischen Einflusses auszuarbeiten. Die sowjetischen Behörden wurden scharf kritisiert: Der sowjetische Hochkommissar kannte nicht einmal die Namen der wichtigsten KPÖ-Führer. Die Militärkommandanten waren mit ihren eigentlichen Aufgabestellungen nicht vertraut. In der Folge wurde der Parallelismus der sowjetischen Administration in Österreich aufgehoben und der militärische Apparat den Stellen des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission unterstellt. Zeitgleich gab Stalin der KPÖ-Führung die „Empfehlung" ab, nicht den Weg zu einer Massenpartei zu beschreiten, sondern auf „Qualität" zu achten. Es bestand nach wie vor kein Anlass, in Österreich durch zu aktive Tätigkeiten der KPÖ einen weiteren Krisenherd zu schaffen. Ein „friedlicher Übergang" zum Sozialismus war in Österreich seit den geschlagenen Novemberwahlen 1945 nicht realistisch. Sowjetische Überlegungen zur Teilung Österreichs sind nach heutigem Wissensstand auszuschließen. 1952 lehnte die UdSSR den von den Westmächten vorgeschlagenen „Kurzvertrag", der alles andere als österreichischen Interessen dienen sollte, ab, um nicht die Aufmerksamkeit von der für

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Peter Ruggenthaler sie primären deutschen Frage zu lenken. Die österreichische Frage war in dieser Zeit im Kreml nur insofern an die deutsche gekoppelt, als sie wohl kaum erfolgreich diskutiert werden sollte, um nicht eine „Modellfalllösung" für Deutschland zu schaffen. Die Positionen waren erneut festgefahren, die Konsolidierung der DDR weiter fortgeschritten. Kurz vor Stalins Tod fand eine letzte Verhandlungsrunde der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag statt. Die internen Anweisungen an die sowjetische Delegation ließen jedoch keinen Spielraum für einen Vertragsabschluss zu. Nach dem Tod Stalins 1953 erfuhr die sowjetische Außenpolitik durch den wieder eingesetzten Außenminister Molotov Kontinuität im Stalinschen Verständnis. Trotz der Besatzungserleichterungen, die Österreich gewährt wurden, vergingen weitere zwei Jahre, bis am 15. Mai 1955 der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet werden konnte, gegen den Willen des eigenen Außenministers, wie es Nikita Chruscev später in seinen Memoiren festhielt. Die Sowjets verließen Österreich jedoch nicht ohne Hoffnung, Österreich wie Finnland in ihre wirtschaftliche Abhängigkeit bringen zu können.

Anhang Politbürobeschlüsse zu Österreich 1945 bis 1952 Die sowjetische Österreich-Politik konnte in der Historiographie bisher vor allem auf Grund der nur vereinzelt zugänglich gemachten bzw. bekannt gewordenen Entscheidungen auf höchster politischer Ebene für die Zeit nach 1945 nur bruchstückhaft nachgezeichnet werden.294 Aussagekräftige Rückschlüsse unter hundertprozentigem Ausschluss möglicher Gegenszenarien, sprich einer doch gewollten zwangsweisen Sowjetisierung Österreichs, konnten daher nicht gezogen werden. Zwar wurden auch für die Zeit nach 1945 in den sowjetischen Zielen gegenüber Österreich keine ernsthaften Sowjetisierungsabsichten und eine Einbeziehung in den Ostblock gesehen295, ausschließen konnte man es, berücksichtigt man vor allem die auf Ad-hoc-Entscheidungen beruhende Stalinsche Außenpolitik, jedoch nicht gänzlich.296 Die nun erstmals zugänglichen „besonderen Politbüro-Beschlüsse" des ZK der VKP(b), die in einer „Sondermappe" geheim gehalten wurden, geben Einblick und großteils Aufschluss in dieser für die österreichische Geschichtsschreibung so zentralen Fragestellung. Insgesamt finden sich für die Zeit von 1945 bis 1952 42 „Geheim"-Beschlüsse zu Österreich. Die Beschlüsse konnten, wie einleitend erwähnt, mit Akten des Archivs des Präsidenten verglichen werden. Daher kann festgehalten werden, dass es sich bei folgender Auflistung um die wichtigsten „be-

294 Rathkolb, Sonderfall Österreich?, S. 353-356. 295 Siehe dazu das in seinen Grundaussagen nach wie vor gültige Standardwerk zur sowjetischen Österreich-Politik von Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1943-1945. Materialien zur Zeitgeschichte. Bd. 1. Wien 1977. Weiterführend Wilfried Aichinger, Die Sowjetunion und Österreich 1945-1949, in: Günter Bischof - Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949. Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte. Bd. 4. Innsbruck 1988, S. 275-292. 296 Siehe dazu den präzisen Forschungsüberblick von Mueller, Die sowjetische Besatzungsmacht in Österreich 1945-1955, S. 114-129.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert

wurde

sonderen" Politbürobeschlüsse zu Österreich handelt.297 Weitere „besonders wichtige" Beschlüsse können dezidiert ausgeschlossen werden. Tab. 1: „Besondere"

Politbürobeschlüsse

des ZK der VKP(b) 1945 bis 1952298

Politbürobeschluss-Nr.

Datum

Betreff

Ρ 4 7 (56)-op

19.10.1945

A u f n a h m e diplomatischer B e z i e h u n g e n zwischen der U d S S R und Österreich 2 9 9

Ρ 5 5 (288)-op

11.12.1946

Z u r v e r f ü g u n g s t e l l u n g von zwei Millionen Schilling f ü r die F ü h r u n g der K P Ö

Ρ 60 (6)-op

21.11.1947

Direktiven an die sowjetische Delegation im A u ß e n m i nisterrat in L o n d o n , der deutschen Frage oberste Priorität z u k o m m e n zu lassen und die österreichische Frage nur als 2. T a g u n g s p u n k t zu behandeln 3 0 0

Ρ 61 (68)-op

23.1.1948

Direktiven an die sowjetische Delegation f ü r die K o n ferenz der S o n d e r b e a u f t r a g t e n f ü r den österreichischen Staatsvertrag in L o n d o n ( G e g e n v o r s c h l a g der U d S S R z u m Cherriere-Plan) 3 0 1

Ρ 6 2 (42)-op

14.2.1948

Bereitstellung von vier Millionen Schilling „ f ü r spezielle Zwecke"

Ρ 6 3 (87)-op

24.4.1948

Frage des sowjetischen A u ß e n m i n i s t e r i u m s zu Österreich und U S A (Inhalt unbekannt)

297 Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass noch einige weitere „besondere" Politbüro-Beschlüsse gefallt wurden. Diese können jedoch nicht von enormer Wichtigkeit sein, denn sonst hätten sie freilich Eingang in Stalins „Sondermappe" zu Österreich gefunden. 298 A P R F , F. 3, op. 64, d. 10, und RGASPI, F. 17, op. 162, d. 37-48. Zur Zeit befindet sich die Herausgabe eines gemeinsamen Dokumentenbandes u. a. mit den Österreich betreffenden Politbürobeschlüssen durch das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, Graz - Wien - Klagenfurt, und das Russische Staatsarchiv für sozial-politische Geschichte (RGASPI) in Planung. 299 Am 20. Oktober 1945 von Evgenij Kiselev verkündet. Aichinger, Die Sowjetunion und Österreich 1945-1949, S. 281. 300 Molotov sprach die österreichische Frage tatsächlich lediglich am Rande „in letzter Minute" an. Molotov soll zu erkennen gegeben haben, dass die sowjetische Seite nunmehr bereit wäre, auf Basis des Cherriere-Plans zu verhandeln. Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 118. Die Anweisungen, die der Kreml Molotov im Vorfeld nach London mitgab, lauteten jedoch anders: „Wenn die anderen Delegationen auf eine Durchsicht des neuen französischen Vorschlags zu Artikel 35, der am 8. Oktober in Wien gemacht wurde, bezüglich einer Teilung des wichtigsten Deutschen Eigentums, nämlich des Erdöls und der DDSG zwischen den vier Alliierten Mächten und ein Abkauf des übrigen Teils des Deutschen Eigentums durch Österreich auf dem Weg von Lieferungen österreichischer Waren an die Alliierten, bestehen werden, dann muss die sowjetische Delegation diesen Vorschlag als den Potsdamer Beschlüssen widersprechend und ausgerichtet auf Schmälerung der gesetzlichen Rechte und Interessen der Sowjetunion ablehnen." RGASPI, F. 17, op. 162, d. 39, S. 1 , 3 - 5 . P60 (6)-op. 301 Zum sowjetischen Vorschlag im Detail: Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 114—121. Das Politbüro hatte der sowjetischen Delegation in seinem Beschluss bereits für den ersten sowjetischen Gegenvorschlag einen Verhandlungsspielraum bis zu 150 Millionen Dollar (im Vorschlag: 200 Millionen) als Ablösesumme für die von der UdSSR in Österreich beanspruchten Werte und eine jährliche Raffineriekapazität bis zu 400.000 Tonnen (im Vorschlag: 450.000) erlaubt. Man einigte sich schließlich auf 420.000 (März 1948). RGASPI, F. 17, op. 162, d. 39, S. 10, 21-23. P61 (68)-op.

712

Peter Ruggenthaler Ρ 64 (127)-op

17.7.1948

Bereitstellung von 3,5 Millionen Schilling für „spezielle Zwecke" in Österreich 302

Ρ 66 (216)-op

17.12.1948

Bereiterklärung der UdSSR, die Staatsvertragsverhandlungen wieder aufzunehmen 3 0 3

Ρ 67 (25)-op

17.1.1949

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Unterstützung der jugoslawischen Gebietsforderungen) 304

Ρ 67 (202)-op

23.2.1949

Über die Repatriierung sowjetischer Bürger aus den amerikanischen und britischen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs 305

Ρ 68 (328)-op

2.5.1949

Frage der Außenpolitischen Kommission des ZK über die K P Ö (Inhalt unbekannt)

Ρ 70 (46)-op

25.6.1949

Frage der Außenpolitischen Kommission des ZK über Österreich (Inhalt unbekannt)

Ρ 70 (78)-op

30.6.1949

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Übermittlung des ergänzten sowjetischen Gegenvorschlags zum Cherriere-Plan 306 , Einverständnis zu Artikel 7 307 und 19)

Ρ 71 (192)-op

24.9.1949

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Westmächte sind aufzufordern, konkrete Entschädigungssummen für das Deutsche Eigentum zu nennen) 308

Ρ 71 (237)-op

28.9.1949

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Artikel 35)

302 Angeblich zur Finanzierung der SCSK. Siehe dazu G. M. Adibekov - Κ. M. Anderson u. a. (Hg.), Politbjuro CK RKP(b)-VKP(b). Povestki dnja zasedanij. Tom III. 1940-1952. Katalog. Moskau 2001, S. 519. 303 Siehe dazu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 144. 304 Aus den Direktiven geht klar hervor, dass die UdSSR die jugoslawischen Gebietsforderungen nur mehr zum Schein unterstützte. Sie sollten zwar weiterhin von den Sowjets getragen werden, waren aber auch Gegenstand von Konzessionen gegenüber anderen Vorschlägen seitens der Westmächte. Siehe dazu neuerdings Stefan Karner - Peter Ruggenthaler, „Eine weitere Unterstützung der jugoslawischen Gebietsforderungen bringt uns in eine unvorteilhafte Lage". Der Artikel 7 des österreichischen Staatsvertrags als diplomatischer Kompromiss mit Österreich und den Westmächten, in: Stefan Kamer - Andreas Moritsch (t) (Hg.), Aussiedlung - Verschleppung - nationaler Kampf. Kärnten und die nationale Frage. Bd. 1. Klagenfurt 2005, S. 99-115. Bezüglich des Deutschen Eigentums und aller anderen Artikel bekam die sowjetische Verhandlungsseite keine neuen Direktiven und hatte der Linie, „an bisherigen Positionen festhalten", zu folgen. RGASPI, F. 17, op. 162, d. 40, S. 2, lOf. P67-op (25). Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 158. Zu den Verhandlungen in London siehe Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 145-149. 305 Vgl. dazu den Beitrag von Stefan Karner und Peter Ruggenthaler, (Zwangs-)Repatriierungen in diesem Band. 306 Siehe dazu im Detail Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 114f. 307 Siehe dazu Stefan Karner - Peter Ruggenthaler, „Eine weitere Unterstützung der jugoslawischen Gebietsforderungen bringt uns in eine unvorteilhafte Lage", S. 107f. 308 Siehe dazu hier und die folgenden Direktiven die Seiten 677f. in diesem Beitrag.

Warum Österreich nicht sowjetisiert

wurde

Ρ 71 (324)-op

6.10.1949

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Artikel 35)

Ρ 71 (400)-op

15.10.1949

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Artikel 35)

Ρ 71 (479)-op

24.10.1949

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Anweisung, Verhandlungen zu verzögern und nicht abzuschließen)

Ρ 72 (10)-op

12.12.1949

Über die Verhandlungen mit der österreichischen Regierung über die Regulierung gegenseitiger Ansprüche 309

Ρ 72 (42)-op

16.12.1949

Frage der Außenpolitischen Kommission über Österreich (Inhalt unbekannt)

Ρ 72 (236)-op

13.1.1950

Frage des sowjetischen Außenministeriums zu Österreich, der Tschechoslowakei und der Schweiz (Inhalt unbekannt)

Ρ 72 (245)-op

13.1.1950

Frage des sowjetischen Außenministeriums zu Österreich (Inhalt unbekannt)

Ρ 73 (464)-op

17.4.1950

Über Erholungsurlaub F. Fümbergs mit Ehefrau in der UdSSR

Ρ 75 (l)-op

26.5.1950

Über Urlaub von KPÖ-Funktionären in der UdSSR (Honner, Fritz, Marek, Zucker-Schilling)

Ρ 77 (164)-op

28.8.1950

Bestätigung Georgij Cinevs im Amt des stellvertretenden Hochkommissars der UdSSR in Österreich

Ρ 78 (184)-op

5.10.1950

Über Besatzungskosten in Österreich

Ρ 79 (90)-op

22.11.1950

Frage des sowjetischen Außenministeriums zu Österreich (Inhalt unbekannt)

Ρ 79 (237)-op

10.12.1950

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Demilitarisierung, Entnazifizierung, Triest, Artikel 48) 3 1 0

Ρ 80 (173)-op

3.2.1951

Über die Gründung eines Parteikomitees der Parteiorganisationen sowjetischer Einrichtungen in Österreich

Ρ 81 (30)-op

17.3.1951

Bereitstellung von 1,200.000 Schilling für das Theater „Scala" 3 "

309 Siehe dazu S. 682. 310 Siehe S.685f. 311 1951 beschloss das ZK der KPÖ das Theater „Scala" wegen Geldmangels zu schließen. Der sowjetische Hochkommissar Sviridov empfahl jedoch dem ZK der VKP(b), dem „progressiven Theater" mit 1,200.000 Schilling jährlich „zu helfen". Der Vorschlag Molotovs, die Summe mit 800.000 bis 900.000 Schilling zu begrenzen, wurde nicht aufgegriffen. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1120, S. 109. V. Grigor'jan, Vorsitzender der Außenpolitischen Kommission des ZK d. VKP(b) an Stalin. Moskau 10.3.1951. Das Theater wurde 1948 von der KPÖ gegründet und hatte ca. 80 Mitarbeiter. Es führte vor allem sowjetische Theaterstücke auf, aber auch Emst Fischers literarische „Abrechnung" mit Tito, „Der große Verrat", und trat auch in der DDR auf. Im Bericht an Stalin wurde ihm erklärt, dass „das Theater ,Scala' für die österreichische Bevölkerung eine große Rolle im Kennenlernen der sowjeti-

713

714

Peter

Ruggenthaler

Ρ 81 (200)-op

10.4.1951

Ρ 82 (221)-op

16.6.1951

Ρ 82 (567)-op

28.7.1951

Ρ 83 (116)-op

14.8.1951

Ρ 83 (509)-op

15.9.1951

Ρ 84 (85)-op Ρ 84 (215)-op

13.10.1951 1.11.1951

Ρ 84 (624)-op Ρ 85 (283)-op

4.12.1951 17.1.1952

Ρ 85 (294)-op

19.1.1952

Ρ 85 (296)-op

20.1.1952

Ρ 85 (143)-op

19.4.1952

312 313 314 315

316

Frage des sowjetischen Außenministeriums zu Österreich (Inhalt unbekannt) Über Erholungsurlaub österreichischer KP-Funktionäre in der UdSSR (Koplenig, Fürnberg, Altmann, Honner, Hexmann, Brichatschek, Strobel) Ernennung Viktor Kraskevics zum stellvertretenden Hochkommissar der UdSSR in Österreich Frage des sowjetischen Außenministeriums zu Österreich (Inhalt unbekannt) Beorderung einer Kommission zwecks Überprüfung der Arbeit der SCSK „zur Erteilung von Vorschlägen zur Stärkung des sowjetischen Einflusses in Österreich" nach Wien312 Brief der KPÖ an Stalin „Über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der SCSK"313 Über den Brief Koplenigs und Fürnbergs ν. 13.11.1951 Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Verschleppende Verhandlungstaktik) 314 Anweisungen an den sowjetischen Hochkommissar in Wien bzgl. Besatzungskosten315 Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (anberaumter Sitzung nicht zuzustimmen)316 Anweisungen zur persönlichen Bewachung des Sekretärs des ZK der KPÖ, Johann Koplenig

sehen Kunst spielt und sich unter den Arbeitern großer Popularität erfreut." RGASPI, F. 82, op. 2, d. 11120, S. 111. Bericht über das Theater „Scala". Siehe dazu auch Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 179f., und den Beitrag von Wolfgang Mueller, „Die Kanonen schießen nicht ... Aber der Kampf geht weiter.", in diesem Band. Siehe S.689f. Siehe S. 693. Siehe S. 699. Gromyko empfahl am 17. Jänner 1952 Stalin, den Vorschlag des sowjetischen Hochkommissars Viktor Kraskevic, die Besatzungskosten für 1952 mit 200 Millionen Schilling festzusetzen, gegen den möglichen Vorschlag der US-Seite, die Besatzungskosten von 1951 in der Höhe von 151 Millionen Schilling nicht zu überschreiten, aber keinen Einwand zu erheben. RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1120, S. 115-117. Gromyko an Stalin, Moskau, 17.1.1952, mit beiliegendem entsprechenden Politbürobeschluss-Entwurf. Siehe S. 699. und Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 183.

Warum Österreich nicht sowjetisiert Tab. 2: „ Gewöhnliche " Politbürobeschlüsse

des ZK der VKP(b) 1945

wurde

bis1952?"

Politbürobeschluss-Nr.

Datum

Betreff

Ρ 45 (108)

7.4.1945

Bestellung Vladimir Dekanozovs zum Politberater Marschall Fedor Tolbuchins und Andrej Smirnovs zu dessen Stellvertreter 318

Ρ 46 (102)

11.7.1945

Entsendung sowjetischer Künstler nach Österreich 319

Ρ 49 (2)

20.1.1946

Bestellung Evgenij Kiselevs zum Politberater in Wien 320

Ρ 49 (21)

29.1.1946

Entsendung einer Delegation sowjetischer Gewerkschafter nach Österreich

Ρ 52 (1)

26.6.1946

Entsendung einer VOKS-Delegation nach Österreich und Einladung einer österreichischen Delegation in die UdSSR

Ρ 56 (25)

6.1.1947

Gründung und Einsetzung einer Kommission zur Vorbereitung von Entwürfen des Friedensvertrages mit Deutschland und des Staatsvertrages mit Österreich 321

Ρ 56 (33)

7.1.1947

Bestellung Fedor Gusevs zum sowjetischen Vertreter auf der Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag

Ρ 56 (61)

3.3.1947

Über die Zusammensetzung der sowjetischen Delegation der Konferenz des Außenministerrates zu den Fragen des Friedensvertrages mit Deutschland und des Vertrages mit Österreich

Ρ 58 (27)

6.5.1947

Bestätigung des sowjetischen Vertreters Kirill Novikov in der Kommission der vier Großmächte zur Durchsicht der noch nicht ausverhandelten Fragen des Staatsvertrages mit Österreich

Ρ 64 (95)

29.6.1948

Amnestierung von 49 durch sowjetische Militärtribunale verurteilten Österreichern 322

Ρ 66 (78)

20.9.1948

Über die Entsendung einer Delegation der Zentralvereinigung der Konsumgenossenschaft zu einer Versammlung nach Österreich

Ρ 66 (140)

2.12.1948

Über M. Koptelov

317 RGASPI, F. 17, op. 3. 318 Siehe dazu Mueller, Sowjetbesatzung, S. 143f. 319 Siehe dazu den Beitrag von Ol'ga Pavlenko, Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie 1945, in diesem Band, S. 588. 320 Ebd., S. 573f. 321 Das Politbüro segnete damit die Anordnung des Ministerrats der UdSSR ab. Zum Vorsitzenden der Kommission wurde Andrej Vysinskij, zum stellvertretenden Vorsitzenden Fedor Gusev bestellt. Weitere Mitglieder waren: Nikolaj Bulganin (Ersatz: N. Slavin), V. Krutikov (Ersatz: Boris Kolpakov), Maksim Saburov und Vladimir Semenov. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1063, S. 7; RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1494, S. 98. Bezüglich Österreich legte die sowjetische Seite nie einen eigenen Vertragsentwurf vor. Siehe dazu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 72. 322 Siehe hierzu den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band, S. 314. Empfehlung Molotovs an Stalin, diese Gruppe der Österreicher zu amnestieren in: RGASPI, F. 17, op. 163, d. 1513, S. 34f. Abgedruckt in: Kamer-Stelzl-Marx-Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 107.

715

716

Peter

Ruggenthaler

Ρ 68 (327)

2.5.1949

Ρ 68 (356)

6.5.1949

Ρ 70 (386)

23.8.1949

Ρ 71 (27)

29.8.1949

Ρ 71 (95)

10.9.1949

Ρ71 (145)

19.9.1949

Ρ 71 (634)

13.11.1949

Ρ 71 (648) Ρ 71 (728)

15.11.1949 24.11.1949

Ρ71 (761)

26.11.1949

Ρ 71 (888)

8.12.1949

Ρ 72 (87)

27.12.1949

Über die Reise zu einem Gesundungsaufenthalt des ZKSekretärs der KPÖ, J. Koplenig, und seiner Frau in die UdSSR Entsendung sowjetischer Offiziersdelegationen zu Gedenkfeiern für NS-Opfer in Österreich und Deutschland323 Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Detailanweisungen zu Artikel 35) Über die Teilnahme von Vertretern der SMAD und der SCSK zur Konferenz der Internationalen Vereinigung zur wechselseitigen Benützung von Güterwaggons in Neapel Beorderung Georgij Zarubins und Andrej Merkulovs zur Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag nach New York Verlängerung des Aufenthalts eines georgischen Tanzensembles in Osterreich Anweisungen an den Handelsvertreter der UdSSR in Österreich zu den Verhandlungen mit Österreich über den Abschluss einer Handelsübereinkunft zwischen der UdSSR und Österreich324 Über Begrüßung J. Koplenigs Freigabe von 150.000 Schilling für den Ankauf von Weihnachtsbäumen durch den sowjetischen Hochkommissar325 Erlaubnis an die staatliche Verwaltung sowjetischen Vermögens im Ausland (GUSIMZ), Arbeitern in Österreich in Notfällen Vorauszahlungen leisten zu dürfen Absegnung der Erklärung des sowjetischen Hochkommissars im Alliierten Rat über den VdU und die Tätigkeit neonazistischer Organisationen in Österreich326 Anweisungen an den sowjetischen Hochkommissar, Vladimir Sviridov, und Politberater M. Koptelov dem Sicherheitsdirektor für Niederösterreich, Andreas Liberda, zu verhaften327

323 Im Falle Österreichs betraf dies die Gedenkfeier in Mauthausen. RGASPI, F. 17, op. 163, d. 1524, S. 203f. 324 Der Anweisung zufolge war der österreichischen Regierung mitzuteilen, dass die Frage des Abschlusses einer Handelsübereinkunft zwischen der UdSSR und Österreich vom sowjetischen Außenhandelsministerium geprüft wird. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1.078, S. 363. 325 Siehe hier und die später folgenden entsprechenden Politbürobeschlüsse den Beitrag von Irina Kazarina, Die Sowjetische Armee in Österreich 1953-1955 im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU, in diesem Band. 326 Erklärung im Wortlaut in: RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1078, S. 449-451. Zur Problematik siehe den Beitrag von Walter Blasi, Die Haltung der Sowjetunion zur Remilitarisierung Österreichs 1945-1955, in diesem Band. 327 Andreas Liberda war rechtzeitig in die westlichen Besatzungszonen Österreichs geflüchtet. Die sowjetische Besatzungsmacht forderte über ein Jahr lang von der österreichischen Regierung und von den Westmächten die Auslieferung Liberdas, obwohl man sowjetintern einsah, dass kaum ausreichende Gründe für eine Verhaftung vorlagen. Liberda wurde nie ausgeliefert. Meinem Kollegen Harald Knoll danke ich an dieser Stelle für diesen Hinweis.

Warum Österreich

nicht sowjetisiert

wurde

Ρ 72 (190)

7.1.1950

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Weiterverhandeln, aber bisherige Positionen beibehalten)

Ρ 73 (92)

26.2.1950

Absegnung eines Briefes des sowjetischen Außenministeriums an N. Bischoff zur Frage des Staatsvertrages und Erlaubnis, den Brief zu veröffentlichen 328

Ρ 73 (176)

7.3.1950

Frage des sowjetischen Außenministeriums (über M. Koptelov)

Ρ 73 (243)

17.3.1950

Über die Entsendung des Völkschors „Pjatnickij" nach Österreich zu Auftritten in Garnisonen der sowjetischen Truppen

Ρ 73 (387)

11.4.1950

Anweisung an den sowjetischen Hochkommissar Vladimir Sviridov, der österreichischen Regierung mitzuteilen, dass die UdSSR der österreichischen Bitte nach Verzicht auf Besatzungskosten nicht nachkommen kann

Ρ 73 (388)

11.4.1950

Absegnung des Antwortschreibens an die österreichische Regierung 329

Ρ 73 (430)

14.4.1950

Direktiven an die sowjetische Delegation für die Konferenz der Sonderbeauftragten für den österreichischen Staatsvertrag in London (Ergänzungen zu Artikel 9 und Anweisungen zu Verhandlungstaktik, wie den Westmächten die Schuld für Abbruch der Verhandlungen zugeschoben werden kann) 3 3 0

Ρ 75 (56)

1.6.1950

Über die Entsendung einer sowjetischen Delegation zum Österreichischen Kongress der Friedensfreunde

Ρ 76 (80)

18.7.1950

Ρ 76 (176)

26.7.1950

Über ernste Mängel in der Chiffrierarbeit in den Stäben der Zentralen Gruppe der Streitkräfte in Österreich Über die Entsendung einer Delegation sowjetischer Jugendlicher

Ρ 77 (75)

20.8.1950

Absegnung eines Antwortschreibens an die jugoslawische Regierung bzgl. deren Protests angeblicher Behinderung der freien Schifffahrt auf der Donau in Österreich für jugoslawische Schiffe

Ρ 77 (102)

22.8.1950

Unterstellung der „Österreichischen Zeitung" der SCSK 331

328 Siehe hierzu Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 177f. 329 Die UdSSR wies in der Note entschieden den Vorwurf zurück, der Abschluss des österreichischen Staatsvertrages hänge nur von der Schuldenfrage ab. Die Note findet sich als Beilage zum Politbürobeschluss in: RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1080, S. 269. 330 Siehe S. 685. 331 Die Herausgabe der „Österreichischen Zeitung" wurde am 5. April 1945 vom Sekretariat des ZK der VKP(b) beschlossen. Sie wurde von der Politverwaltung der 3. Ukrainischen Front 13-mal monatlich aufgelegt. Die Erstauflage belief sich auf 25.000 Exemplare. RGASPI, F. 17, op. 116, d. 209, Protokoll Nr. 209 der Sitzung des Sekretariats des ZK der VKP(b) v. 5.4.1945. Nach den Novemberwahlen brachte Iosif Sikin im Sekretariat des ZK den Vorschlag ein, die Auflage der „Österreichischen Zeitung" zu erhöhen. Er begründete dies mit der in Österreich „verkomplizierten politischen Lage". Der Sieg der Volkspartei und die Bildung der neuen Regierung hätten „die politischen Positionen der Reaktion und der Anglo-Amerikaner in Österreich" verstärkt. Die Kommunisten, so der Bericht, „ha-

717

718

Peter

Ruggenthaler

Ρ 77 (228)

4.9.1950

Entsendung einer VOKS-Delegation nach Österreich

Ρ 77 (267)

6.9.1950

Anweisungen an den sowjetischen Hochkommissar Vladimir Sviridov über in Österreich akkreditierte diplomatische Gesandte

ρ 77 (446)

20.9.1950

Antwortschreiben an die Regierungen der Westmächte bzgl. ziviler Hochkommissare in Österreich 332

Ρ 77 (449)

20.9.1950

Über die Repatriierung von 431 österreichischen Kriegsgefangenen und zehn Internierten, die lt. Beschluss des Rates der Volkskommissare v. 6.2.1949 bis zum Abschluss des Staatsvertrages in der UdSSR behalten werden sollten

Ρ 78 (3)

21.9.1950

Über Delegationsvertreter des sowjetischen Komitees der Friedensfreunde beim ständigen Komitees des Weltkongresses der Friedensfreunde, die nach Österreich und in skandinavische Länder geschickt werden

Ρ 78 (66)

27.9.1950

Anweisung an Andrej Gromyko, Möglichkeiten einer Verringerungen der Besatzungskosten in Österreich zu überarbeiten

Ρ 78 (269)

17.10.1950

Entwurf von Anweisungen an V. Sviridov u. M. Koptelov bezüglich vier österreichischer Verbrecher

Ρ 78 (335)

25.10.1950

Weisungen an den sowjetischen Hochkommissar nach dem „Oktoberstreik" 333

Ρ 79 (370)

19.12.1950

Freigabe von 200.000 Schilling für den Ankauf von Weihnachtsbäumen für Kinder durch den sowjetischen Hochkommissar

ben noch nicht die notwendige Autorität und den Einfluss unter den breiten Massen der Bevölkerung erobert". Sikin empfahl, „unsere Propaganda unter allen Schichten der österreichischen Bevölkerung zu verstärken". RGASPI, F. 17, op. 125, d. 426, S. 2-5. I. Sikin an G. Aleksandrov, 15.1.1946. 1946 hatte die „Österreichische Zeitung" eine Auflage von 70.000. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 299, S. 25, Bericht über die Arbeit der Propagandaabteilung der SCSK. Im Mai 1949 brachte S. Satilov erstmals im Sekretariat des ZK den Vorschlag ein, die „Österreichische Zeitung" nicht mehr von der Sowjetischen Armee, sondern von der SCKA im Namen des sowjetischen Informationsdienstes in Österreich herauszugeben. Burcev unterstützte den Vorschlag, weil die politische Arbeit unter der österreichischen Bevölkerung mit Beschluss des Ministerrats der UdSSR v. 13.10.1945 der SCSK aufgetragen wurde. RGASPI, F. 17, op. 118, d. 455, S. 231-237. Materialien zur Sitzung des Sekretariats des ZK der VKP(b) v. 8.7.1949 (Protokoll Nr. 445). Eine Expertenkommission, die am 8. Juli 1949 eingesetzt wurde, kam jedoch zum Schluss, dass eine Umorganisation nicht mehr vonnöten wäre, da bis Ende des laufenden Jahres der Staatsvertrag mit Österreich abgeschlossen würde und die sowjetischen Truppen innerhalb von 90 Tagen das Land verlassen würden. Ebd., S. 238. L. Il'icev an G. Malenkov, 14.7.1949. RGASPI, F. 17, op. 116, d. 445, S. 37. Beschluss Nr. 445 (91) des Sekretariats des ZK der VKP(b) v. 8.7.1949. Nachdem der Kreml Ende 1949 jedoch die Verzögerungstaktik einschlug und nicht mehr an einem Abschluss des Staatsvertrages interessiert war, beschloss das Politbüro des ZK der VKP(b) am 22.8.1950, die „Österreichische Zeitung" in Zukunft als „Organ der SCSK" herauszugeben. RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1094, S. 19. Politbürobeschluss Nr. 77 (102) d. ZK d. VKP(b). RGASPI, F. 17, op. 116, d. 530, S. 93, Beschluss Nr. 523 (459) des Sekretariats des ZK der VKP(b), 11.8.1950; Ebd., d. 531, S. 16, Beschluss Nr. 524 (39) des Sekretariats des ZK der VKP(b), 18.8.1950. RGASPI, F. 17, op. 119, d. 12, S. 188-192. Berichterstattung an Suslov und Stalin, Juni bis August 1950. 332 Zum Rückzug des Militärs aus der Alliierten Verwaltung siehe Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 304f. 333 Siehe S. 688.

Warum Österreich nicht sowjetisiert

wurde

Ρ 80 (274)

16.2.1951

Über die Entsendung sowjetischer Frauen nach Österreich

Ρ 81 (30)

17.3.1951

Frage des sowjetischen Außenministeriums zu Österreich

Ρ 81 (341)

30.4.1951

Über die Entsendung sowjetischer Jugendlicher nach Österreich

Ρ 81 (426)

14.5.1951

Einladung einer Delegation von Pionierarbeitern aus Österreich in die UdSSR

Ρ 82(270)

22.6.1951

Einladung einer Delegation österreichischer Frauen in die UdSSR

Ρ 82 (272)

22.6.1951

Einladung einer Delegation von Gewerkschaftern demokratischer Lehrer Österreichs

Ρ 82 (334)

28.6.1951

Einladung einer Jugenddelegation aus Österreich in die UdSSR

Ρ 82 (338)

28.6.1951

Entsendung einer Delegation sowjetischer Gewerkschafter nach Österreich

Ρ 82 (406)

5.7.1951

Entsendung einer Delegation sowjetischer Gewerkschafter nach Österreich

Ρ 82 (423)

9.7.1951

Entsendung einer Delegation sowjetischer Gewerkschafter nach Österreich

Ρ 82 (495)

14.7.1951

Erlaubnis des Briefverkehrs zwischen verurteilten Österreichern und ihren Verwandten in Österreich 334

Ρ 82 (567)

28.7.1951

Über V. Kraskevic u. G. Cinev

Ρ 83 (43)

4.8.1951

Absegnung eines Antwortschreibens an die US-Regierung nach einem tödlichen Zwischenfall in Wien (Erschießung eines US-Soldaten)

Ρ 83 (129)

15.8.1951

Über den Abzug der sowjetischen Repatriierungsmission aus der britischen Besatzungszone Österreichs 335

Ρ 83 (509)

15.9.1951

Beorderung einer ZK-Kommission zur Überprüfung der SCSK nach Wien 336

Ρ 83 (542)

18.9.1951

Über die Teilnahme sowjetischer Zahnärzte am internationalen Zahnärztekongress in Wien

Ρ 83 (643)

28.9.1951

Entsendung einer VOKS-Delegation nach Österreich

Ρ 84 (35)

13.10.1951

Absegnung eines Antwortschreibens des sowjetischen Hochkommissars an den britischen Hochkommissar

Ρ 84 (74)

18.10.1951

Grußworte des ZK d. VKP(b) an den XV. Parteitag der KPÖ

Ρ 84 (99)

20.10.1951

Über die Arbeit der SCSK und Maßnahmen zur Festigung des sowjetischen Einflusses in Österreich 337

Ρ 84 (169)

26.10.1951

Entlassung von 23 ehemaligen Nationalsozialisten aus der Strafanstalt Stein

334 Siehe dazu den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band, S. 279. 335 Siehe dazu den Beitrag von Stefan Karner und Peter Ruggenthaler, (Zwangs-)Repatriierungen sowjetischer DPs aus Österreich in die UdSSR, S. 262. 336 Siehe S. 689. 337 Siehe dazu S. 693.

719

720

Peter

Ruggenthaler

Ρ 84 (209)

1.11.1951

Ρ 84 (317)

9.11.1951

Ρ 84 (425)

19.11.1951

Ρ 84 (427)

19.11.1951

Ρ 84 (438)

19.11.1951

Ρ 84 (524)

26.11.1951

Ρ 84 (533) Ρ 84 (564)

26.11.1951 28.11.1951

Ρ 84 (674)

7.12.1951

Ρ 85 (18)

12.12.1951

Ρ 85 (353)

30.1.1952

Ρ 85 (395)

6.2.1952

Ρ 85 (399)

6.2.1952

Ρ 86 (34)

7.3.1952

Ρ 85 (97)

19.3.1952

Aufhebung der Zensur bei Telefongesprächen in Österreich Freigabe von 250.000 Schilling für den Ankauf von Weihnachtsbäumen für Kinder österreichischer Arbeiter durch die SCSK Über die Antwort an die österreichische Regierung in der Angelegenheit A. Marek338 Ernennung Sergej Kudrjavcevs zum politischen Vertreter der UdSSR in Österreich339 Über in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs aufgegriffene amerikanische und britische Militärdiener Über den Beginn von Verhandlungen über die Umwandlung der österreichischen politischen Vertretung in Moskau in eine diplomatische Mission Über den Brief Koplenigs und Fümbergs ν. 13.11.1951 Über in die sowjetische Besatzungszonen Österreichs und Deutschlands übergelaufene Angehörige ausländischer Armeen Über die skeptische Haltung zur Umwandlung der österreichischen politischen Vertretung in Moskau in eine diplomatische Mission Über in die sowjetische Besatzungszonen Österreichs und Deutschlands übergelaufene Angehörige ausländischer Armeen Anweisungen über die Position der SCSK zum vom österreichischen Parlament am 17.12.1951 angenommenen Gesetz „Verfassungsgesetz über die Befreiung der Spätheimkehrer von der Verzeichnis- und Sühnepflicht"340 Anweisungen über die Positionierung der SCSK zur Frage der teilweisen Regierungsumbildung Anweisungen an Viktor Kraskevic und Sergej Kudrjavcev bzgl. der Freilassung ehemaliger NSDAP-Mitglieder341 Anweisungen an den sowjetischen Hochkommissar V. Sviridov und S. Kudrjavcev zu Fragen der Prozedur der Verhaftung und Strafverbüßung durch Gerichte der Besatzungsstaaten verurteilter Österreicher342 Anweisung an das sowjetische Außenministerium, Norbert Bischoff mitzuteilen, dass eine Reise einer österreichischen Frauendelegation zur Inspektion von Kriegsgefangenenlagern nicht notwendig ist

338 Zur Verhaftung Anton Mareks siehe den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band. 339 Siehe S. 694. 340 Siehe dazu den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band. 341 Anweisungen an den sowjetischen Hochkommissar in: RGASPI, F. 17, op. 163, d. 1612, S. 122. 342 Siehe dazu den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich, in diesem Band.

Warum Osterreich nicht sowjetisiert

wurde

Ρ 87 (82)

13.4.1952

Einladung österreichischer Jugendlicher in die UdSSR

Ρ 87 (343)

20.5.1952

Über den Abzug der sowjetischen Repatriierungsmission aus der französischen Besatzungszone Österreichs

Ρ 87 (395)

27.5.1952

Entsendung einer Delegation sowjetischer Jugendlicher nach Österreich

Ρ 88 (193)

27.6.1952

Über Erholungsurlaub österreichischer KP-Funktionäre in der UdSSR (Hütter, Wachs, Richter, Fritz, Koplenig, Fürnberg, Lauscher, Marek)

Ρ 89 (106)

20.8.1952

Entsendung sowjetischer Vertreter zur Versammlung der internationalen Vereinigung der Widerstandsbewegungen und NS-Opfer in Wien

Ρ 89 (197)

3.9.1952

Entsendung sowjetischer Gewerkschafter nach Österreich

Ρ 89 (316)

26.9.1952

Ablehnung des Kurzvertrages w

Ρ 89 (316)

27.9.1952

Über eine Antwort auf die Noten der Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs zur österreichischen Frage 144

Ρ 89 (370)

11.10.1952

Entsendung sowjetischer Vertreter der Internationalen Kooperationsallianz nach Wien

B e s c h l ü s s e des Präsidiums des ZK der K P d S U 1953 bis 1955 Tab. 3: Tagesordnungspunkte Beschluss-Nummer

20/66

des Präsidiums

des ZK der KPdSU 1953 bis 1955}45

Datum

Tagesordnungspunkt

28.7.1953

Bestätigung der Noten an die Westmächte und Österreich bzgl. Staatsvertragsverhandlungen

10.8.1953

Weisungen an den sowjetischen Hochkommissar (Besatzungserleichterungen etc.)

26.8.1953

Vergrößerung des Personalstands des Apparates des Hochkommissars, vor allem der Organe der sowjetischen Aufklärung 346

28.8.1953

Über Antwortschreiben der UdSSR auf die Note der Westmächte vom 17.8.1953 und auf die Note Österreichs vom 19.8.1953

1.9.1953

Über Antwortschreiben der UdSSR auf die Note der Westmächte vom 17.8.1953 und auf die Note Österreichs vom 19.8.1953

8.10.1953

Einreiseerlaubnis in die DDR, nach Österreich, Ungarn, Polen und Rumänien für Frauen und Kinder von Offizieren, die dort den Dienst versehen

343 Siehe S. 700 und den Beitrag von Ludmilla Lobova, Österreich und die UdSSR: Die bilateralen Beziehungen vor dem Hintergrund der Anfangsphase des Kalten Krieges, in diesem Band, hier S. 624f. 344 Zu den Bemühungen um weitere Verhandlungen zum österreichischen Staatsvertrag im Herbst 1952 siehe Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 187. 345 RGANI, F. 3, op. 8 u. 10. Beschlüsse des Präsidiums des ZK der KPdSU und entsprechende Entwürfe. 346 AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 114.

722

Peter Ruggenthaler 53/IX

2.3.1954

8.6.1955 133/XVI

18.7.1955

134/X

21.7.1955

136/14

26.7.1955 30.7.1955

155/22

156/X

8.8.1955 28.9.1955

30.9.1955 16.11.1955 24.11.1955

347 348 349 350 351

Durchführung von „Maßnahmen im Geiste des mit dem Präsidium des ZK erfolgten Meinungsaustausches" (auf Grund der Zunahme der gegen die sowjetische Kolonie in Österreich gerichteten zersetzenden Aktivitäten britischer und amerikanischer Aufklärungsorgane) 347 Vorschläge des Verteidigungsministeriums der UdSSR zum Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich Über die Einstellung der Tätigkeit der Alliierten Kommission für Österreich348 Über die Einstellung der Tätigkeit des Alliierten Rates für Österreich349 Absegnung der von Il'icev zu verlesenden Erklärung auf abschließender Sitzung des Alliierten Rates350 Entwurf des Befehls des Verteidigungsministeriums der UdSSR zum Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich Über den Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich Auflösung des Amtes des Hochkommissars der UdSSR in Österreich und Bestätigung des Personalbestandes der Botschaft der UdSSR in Wien351 Veröffentlichung des Beschlusses 155/22 in der Presse352 Über die Gewährung eines Darlehens an Niederösterreich durch die UdSSR Über die Gewährung eines Darlehens an Niederösterreich durch die UdSSR

Ebd., S. l l l f . Ebd., S. 120-123. Ebd., S. 129-131. Ebd., S. 132-134. Siehe den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission, in diesem Band. 352 Pravda, 1.10.1955.

Warum Österreich nicht sowjetisiert

wurde

B e s c h l ü s s e und Anordnungen des Rates der Volkskommissare der U d S S R bzw. des Ministerrats der U d S S R Tab. 4: Beschlüsse (postanovlenija) und Anordnungen (rasporjazenija) des Rates der Volkskommissare der UdSSR353 bzw. des Ministerrats354 der UdSSR 1945 bis 1955x5 sowie Entwürfe von Anordnungen Nummer156

Datum

Inhalt

690

7.4.1945

Ü b e r die materielle A b s i c h e r u n g der G r u p p e von nach Österreich reisenden Arbeitern des NKID 3 5 7

872 lrs-158

5.6.1945

Ü b e r die G e w ä h r u n g eines Kredites in der H ö h e von 4 0 0 . 0 0 0 . 0 0 0 R e i c h s m a r k an die Provisorische Österreichische Staatsregierung 359

1553-355s 3 6 0

4.7.1945

Z u r Sicherstellung der Verwaltung der sowjetischen B e s a t z u n g s z o n e in Österreich und zur A u s ü b u n g der Kontrolle über die Tätigkeit der österreichischen Behörden 3 6 '

2616-710s

13.10.1945

Bildung der Propagandaabteilung der SCSK 3 6 2

16524rs

18.11.1945

Verlängerung der RückZahlungsfrist des der Provisorischen Österreichischen Staatsregierung gewährten Kredites bis 31.12.1945 1 6 3

28.3.1946

G r ü n d u n g der USIA 3 6 4

5.10.1946

Offizielle Bestellung K u r a s o v s z u m sowjetischen H o c h kommissar 3 6 5

2223-919s

353 Sovet narodnych kommissarov (SNK). Bezeichnung bis 1946. 354 Sovet ministrov (SM). Bezeichnung ab 1946. 355 Die Beschlüsse des Rates der Volkskommissare, die im russischen Staatsarchiv (GARF) lagern, sind nach wie vor nicht zugänglich. Bei den hier präsentierten Beschlüssen handelt es sich um die bis dato bekannten Österreich betreffenden Entscheidungen. Die wichtigsten Beschlüsse finden sich in der „Sondermappe" Stalins zu Österreich im Archiv des Präsidenten wieder und sind in der Tabelle 4 berücksichtigt. Vgl. AP RF, F. 3, op. 64, d. 10 („Österreich, Sowjetischer Teil der Alliierten Kommission für Österreich und Hochkommissar in Österreich", 4.7.1945-1.10.1955). Auf Fragen der Repatriierung österreichischer Kriegsgefangener und verurteilter Zivilisten betreffende Beschlüsse wird verzichtet. Sie werden nur genannt, wenn es sich um ausschließlich Österreicher betreffende Beschlüsse handelt. Siehe dazu vor allem Stefan Kamer, Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion. Kriegfolgen-Forschung. Bd. 1. Wien - München 1995. 356 Sofern diese bekannt ist. 357 GARF, F. 5446, op. 1, d. 248, S. 151; Mueller, Sowjetbesatzung, S. 144. 358 „rasporjazenie sekretnoe". Geheime Anordnung. 359 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 18, S. 8. A. Vysinskij an V. Molotov, o. D. 360 „sekretno" = geheim. 361 A P R F , F. 3, op. 64, d. 10, S. 1-5. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 15. Veröffentlicht am 9.8.1945 in der Izvestija. 362 AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 22f.; RGASPI, F. 17, op. 118, d. 455, S. 236. Endfassung in AVP RF, F. 06, op. 7, p. 26, d. 321, S. 41 f. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - T s c h u b a r j a n , Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 70. Die wesentlichsten Auszüge in: RGASPI, F. 17, op. 128, d. 299, S. lf. 363 AVPRF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 18, S. 9. Trubenkov an A. Smimov u. I. Zlobin. 29.12.1945. 364 RGANI, F. 5, op. 28, d. 224, S. 69-78. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 113. 365 AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 26. Kurasov war zwei Tage zuvor vom stv. Außenminister Dekanozov in Absprache mit Molotov Stalin vorgeschlagen worden. AVP RF, F. 012, op. 7, p. 101, d. 80, S. 87f. Dekanozov an Stalin mit beiliegendem Entwurf des Ministerratsbeschlusses, 3.10.1946.

723

724

Peter Ruggenthaler 2773-877ss 366

2.8.1947

527-207ss

6.2.1949

2786-1158s

Anweisung an GUSIMZ, für Kredite in Österreich 350 Millionen Schilling in der Gosbank stets mindestens einhegen zu lassen369 Gewährung von Ermäßigungen für Personal der sowjeti5.11.1949 schen Kontrollkommission in Deutschland, ab 20.2.1952 auch für SCSK gültig370 Einstellung der Arbeit zur Erfassung ehemals Deutschen 18.6.1950 Eigentums in Österreich371 Errichtung eines Handelsnetzes für den offenen Handel in 13.8.1950 der sowjetischen Zone durch die USIA372 8.10.1950 Einsetzung einer Kommission zur Durchsicht der Vorschläge des sowjetischen Hochkommissars über die weitere Verwendung von Beuteeigentum und Militärobjekten in Ostösterreich373 Beauftragung der GUSIMZ, mit österreichischer Regie30.6.1951 rung in Verhandlungen zu treten374 7.12.1951 Über ernsthafte Mängel und schwerwiegende Verfehlungen in der Tätigkeit sowjetischer Betriebe und Einrichtungen der USIA in Österreich375 Über die Funktionen und die Struktur der SCSK 376 20.2.1952 Februar 1952 Über Maßnahmen zur Verbesserung der Produktions-, kommerziellen und finanziellen Tätigkeit der sowjetischen Betriebe in Österreich377 Februar 1953 Über die Verwendung noch nicht genutzter Erdölerzeugnisse der sowjetischen Mineralölverwaltung in Österreich378

5159-1967ss

2600-1028s 3420-1435 4204-1778s

4988-2159ss

986-317ss Entwurf (nicht beschlossen) Entwurf (nicht beschlossen)

Beschluss, 55.291 österreichische Kriegsgefangene zu repatriieren367 Beschluss, 431 österreichische Kriegsgefangene und 10 Internierte in der Sowjetunion weiterhin grundlos zu behalten und sie erst nach Abschluss des Staatsvertrages zu repatriieren368

25.6.1949

366 „Soversenno sekretno". Streng geheim. 367 GARF, F. 9401, op. 2, d. 204, S. 104. 368 GARF, F. 9401, op. 2, d. 269, S. 331 f. Am 20.9.1949 beschloss das Politbüro, 431 Österreicher zu repatriieren. RGASP1, F. 17, op. 3, d. 1084, S. 85. 369 RGASPI, F. 17, op. 164, S. 154. 370 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 64. 371 Ebd., S. 27. 372 RGASPI, F. 17, op. 164, S. 208. 373 RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 6. 374 Ebd., S. 116. 375 RGASPI, F. 17, op. 164, S. 153 u. 172. 376 AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 82-90; RGASPI, F. 82, op. 2, d. 1117, S. 66-75 u. 112. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 78. 377 RGASPI, F. 17, op. 164, S. 158ff. 378 Ebd., S. 112f.

Warum Österreich nicht sowjetisiert 1420-57 Iss

6.6.1953

1606-634ss

27.6.1953 1955

Uber die Aufteilung der Funktionen des Oberkommandierenden der sowjetischen Besatzungstruppen in Österreich und der Funktionen des Hochkommissars in Österreich 379 Uber die Struktur und den Personalstand des Apparates des Hochkommissars der UdSSR in Österreich 380 Uber den Abzug der sowjetischen Truppen aus Osterreich (Vorlagen an das Präsidium des ZK der KPdSU) 381

Tabelle 5: Parteispenden des „Internationalen (später KPdSU), in US-Dollar382 1951 K P Belgien KP Chile KP Dänemark KP England KP Finnland KP Frankreich KP Griechenland K P Indien Iranische Volkspartei Sozialistische Einheitspartei Island KP Israel

-

-

874.000 384

50.000 100.000 385 -

-

bzw. der

VKP(b)

1954

1956

30.000

40.000

-

7.500

1.200.000

Gewerkschaftsfonds"

5.000

25.000

25.000

112.000

100.000

480.000

975.000 383

1,200.000

1,200.000

80.000

80.000

100.000

50.000

60.000 -

-

15.000

45.000

30.000

50.000

KP Italien

500.000

700.000

2,640.000

Sozialistische Partei Italiens (Nenni)

200.000

300.000

450.000

KP Japan

100.000 386

KP Luxemburg

wurde

20.000

-

25.000

250.000 25.000

KP Mexiko

-

-

25.000

KP Niederlande

-

-

30.000

379 AP RF, F. 3, op. 64, d. 10, S. 103-105. 380 Ebd., S. 106-113; CAMO, F. 275, op. 140935ss, d. 1, S. 182. Abgedruckt in: Karner - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 81. 381 RGANI, F. 3, op. 8, d. 278, S. 108f.; RGANI, F. 3, op. 10, d. 165, S. 5, 102. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 186. 382 RGANI, F. 89, op. 38, d. 26, S. 1,3-5. Seiten 3 bis 5 abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 165. RGANI, F. 89, op. 38, d. 28, S. 1, 3-5. Seiten 3 bis 5 abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 174. Für das Jahr 1951 wurden die Mittel aus dem entsprechend einem Beschluss des ZK der VKP(b) gebildeten „Internationalen Gewerkschaftsfonds zur Unterstützung von linken Arbeiterorganisationen beim Rumänischen Gewerkschaftsrat" und aus den Mitteln des Fonds der VKP(b) bereitgestellt. 1954 waren die Mittel der KPdSU (2,9 Millionen US-Dollar) direkt in den „Internationalen Gewerkschaftsfonds" geflossen. 383 Davon 525.000 US-Dollar aus den Mitteln der KPdSU. Das Lenin-Museum in Tampere erhielt zusätzlich 2000 US-Dollar. 384 Davon 600.000 US-Dollar direkt aus dem Fonds der KPdSU. 385 Zur Gänze aus dem Fonds der KPdSU. 386 Zur Gänze aus dem Fonds der KPdSU.

726

Peter Ruggenthaler KP Norwegen KP Österreich KP Portugal KP Schweden

-

650.000 387 -

20.000

30.000

30.000

250.000

885.000 388

-

55.000

10.000 30.000

KP Syrien und Libanon

-

-

Schweizer Arbeiterpartei

-

-

50.000

KP Spanien

-

-

50.000

KP Triest KP USA Gesamt

70.000 389 -

3,186.500 3 9 0 USD u. 14,000.000 ATS

150.000 100.000 3,727.000 USD 391

40.000

100.000 -

5,247.000 USD 392

Es verwundert nicht, dass die Gründungsparteien der Kominform, die KPI und KPF, enorme finanzielle Unterstützungen aus Moskau erhielten. Vergleicht man jedoch die übrigen europäischen Länder, so fällt auf, dass der finnischen und der österreichischen KP die höchsten Zuwendungen zukamen. Auf der Basis der zur Zeit zugänglichen sowjetischen Akten gibt es für die Besatzungszeit bis 1951 Hinweise auf zwei weitere Geldspenden für die KPÖ. Am 11. Dezember 1946 gab das Politbüro des ZK der VKP(b) zwei Millionen Schilling aus Mitteln des sowjetischen Finanzministeriums für die KPÖ frei.393 Zu den Jahren 1952, 1953 und 1955 sind im ZK-Archiv keine Belege für weitere Zahlungen greifbar.394 In den Jahren zuvor gab das Politbüro insgesamt 9,5 Millionen Schilling „für spezielle Zwecke in Österreich" frei (1946: zwei Millionen, 1948: einmal vier, einmal 3,5 Millionen Schilling), es bleibt jedoch unklar, ob dieses Geld direkt an die KPÖ ging.395 387 Zur Gänze aus dem Fonds der KPdSU. Der Betrag ist in der Quelle mit 14 Millionen Schilling angegeben, was nach damaligem Umrechnungskurs ca. 650.000 Dollar entsprach. 388 Davon 385.000 US-Dollar direkt aus Mitteln der KPdSU. 389 Davon 50.000 US-Dollar direkt aus dem Fonds der KPdSU. 390 Davon 850.000 US-Dollar direkt aus dem Fonds der KPdSU. Für das Jahr 1952 setzte das ZK des Politbüros das Gesamtbudget auf 2,500.000 US-Dollar fest. Die Finanzierung lautete wie folgt: von der VKP(b) 850.000, KP China: 625.000, PZPR: 225.000, MSZP, PMR, KPC und SED je 200.000 US-Dollar. RGANI, F. 89, op. 38, d. 26, S. 1. 391 Das Gesamtbudget lag 1954 bei fünf Millionen US-Dollar. 1,324.000 Millionen US-Dollar blieben im Fonds in Reserve für das Jahr 1955, für welches wie im Jahr zuvor um ein Gesamtbudget von fünf Millionen US-Dollar gebeten wurde. Das Gesamtbudget wurde zu 58 Prozent von der KPdSU, zu 22 Prozent von der chinesischen KP und zu je vier Prozent von der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, von der Rumänischen Arbeiterpartei, von der KP, von der KP Ungarns und der SED finanziert. RGANI, F. 89, op. 38, d. 28, S. 4; RGANI, F. 89, op. 38, d. 33, S. 1. 392 Das Gesamtbudget lag 1954 bei 6,424.000 US-Dollar. 177.000 Millionen US-Dollar blieben im Fonds in Reserve für das Jahr 1956, für welches um ein Gesamtbudget von 5,5 Millionen US-Dollar gebeten wurde. Das Gesamtbudget wurde zu 54,55 Prozent von der KPdSU, zu 22,73 Prozent von der chinesischen KP und zu je 4,56 Prozent von der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, von der Rumänischen Arbeiterpartei, von der KPC, von der KP Ungarns und der SED finanziert. RGANI, F. 89, op. 38, d. 33, S. 1-3. 393 RGASPI, F. 17, op. 162, d. 38, S. 140. Politbürobeschluss Ρ 55 (288)-op v. 11.12.1946; Mueller, Sowjetbesatzung, S. 152. 394 Freundlicher Hinweis des Stellvertretenden Direktors des RGANI, Michail Prozumenscikov. 395 Siehe Tabelle 1.

Michail Prozumenscikov

Nach Stalins Tod Sowjetische Österreich-Politik 1953-1955

Am 15. Mai 1955 wurde im Schloss Belvedere in Wien in einem Akt von größter Bedeutung für das gesamte Nachkriegseuropa der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet. 17 Jahre nach dem „Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland und zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlangte Österreich seine staatliche Unabhängigkeit und völlige Freiheit wieder zurück. Zum ersten Mal war es den ehemaligen Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition, die danach im Kalten Krieg zu erbitterten Feinden wurden, in der Nachkriegszeit gelungen, eine Einigung in einer überaus wichtigen Frage zu erzielen. Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages wurde erstmals seit Jahren ein bedeutendes politisches Projekt mit Erfolg in die Tat umgesetzt, das nicht auf eine Verschärfung der Konfrontation und auf eine Entzweiung Europas ausgerichtet war, sondern zur Besänftigung der angespannten internationalen politischen Lage beitrug. Obwohl sich die Verhandlungen über die Bedingungen für den Abschluss des Staatsvertrages fast ein Jahrzehnt 1 hin erstreckten und der entscheidende Durchbruch nur wenige Monate vor dem Mai 1955 erzielt wurde, darf ohne Zweifel der 5. März 1953 als ein für Österreichs Unabhängigkeit richtungweisender Tag gelten. An diesem Tag starb Iosif Stalin, der beinahe über drei Jahrzehnte hinweg nicht nur die Innen- und Außenpolitik der UdSSR bestimmt, sondern auch entscheidenden Einfluss auf die politischen Entwicklungsprozesse in der ganzen Welt genommen hatte. Die Nachfolger Stalins versuchten mitunter inkonsequent und widersprüchlich, neue Zugänge zur Lösung jener zahlreichen Probleme zu finden, die sich in den vorangegangenen Jahren in Windeseile angehäuft hatten. Unter diesen Problemen befand sich auch die österreichische Frage. Wenn man die politische Landkarte Nachkriegseuropas betrachtet, wird schnell deutlich, dass sich im Vergleich zu Karten aus den 1930er und 1940er Jahren die Umrisse einer ganzen Reihe von Staaten grundlegend verändert hatten. Territoriale

1

Berechnungen von Experten führten zum Ergebnis, dass die Frage des österreichischen Staatsvertrages auf 33 Außenministerkonferenzen der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs sowie auf 260 Treffen der Sonderbeauftragten dieser Länder und auf 85 Zusammenkünften der Wiener Kommission erörtert wurde, wobei in dieser Aufstellung zahlreiche sonstige bilaterale und multilaterale Verhandlungen und Gespräche keine Berücksichtigung fanden.

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Michail Prozumenscikov Zugewinne und Verluste standen dabei in direktem Zusammenhang mit der Haltung des jeweiligen Landes zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und waren auch davon beeinflusst, welchen Stellenwert die Siegermächte - die UdSSR, die USA, Großbritannien und Frankreich - diesem Land in ihren Plänen über die Nachkriegsordnung Europas einräumten.2 Im Unterschied zu den Landkarten, die für den Massengebrauch herausgegeben wurden, existierte auf besonderen Karten der hohen Politik für lange Zeit an der Stelle Österreichs ein eigentümlicher „weißer Fleck". Österreich, das zwischen 1938 und 1945 Teil des Deutschen Reiches gewesen war, hatte zwar seinen vormaligen Namen3 und den Status eines gegenüber Deutschland eigenständigen Staates, keineswegs aber seine staatliche Unabhängigkeit wiedergewonnen. Wie Deutschland war auch Österreich von den Truppen der Anti-Hitler-Koalition besetzt, deren Abzug sich auf Grund der Verschärfung der Widersprüche zwischen den einzelnen Besatzungsmächten immer schwieriger gestaltete. Zu Beginn der 1950er Jahre gab es keinen Anlass, bezüglich der österreichischen Frage besonders optimistisch zu sein: Die Konfliktparteien ergingen sich in wechselseitigen Vorwürfen und Forderungen, ohne den Argumenten des Opponenten wirklich Gehör zu schenken. Die Sowjetunion knüpfte die Lösung der österreichischen Frage hartnäckig an die Klärung des für sie im Vordergrund stehenden deutschen Problems. Unter Iosif Stalin geriet die „erfolgreiche" Behandlung beider Probleme in eine Sackgasse. Auf deutschem Boden bildeten sich zwei unabhängige Staaten heraus, die sich sehr gegensätzliche Ziele setzten: Die vom Westen unterstützte BRD belebte schnell die kapitalistische Wirtschaftsordnung wieder, während hingegen in der DDR unter Mithilfe der Sowjetunion im selben Eilzugstempo die Grundlagen für eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung geschaffen wurden. Angesichts dieser Entwicklung der Ereignisse hätte eine Vereinigung Deutschlands nur dann vollzogen werden können, wenn eine der beiden Seiten freiwillig (oder gewaltsam erzwungen) auf diejenigen sozialpolitischen und ökonomischen Prinzipien verzichtet hätte, welche die Grundlagen der Gesellschaftsordnung der DDR bzw. der BRD bildeten. Nur wenig besser sah die Situation in Österreich aus. Zwar kam es hier nicht zu einer Spaltung des Landes, aber es schien, als ob der Weg zum Abschluss eines Staatsvertrages in den vorangegangenen Jahren nicht kürzer, sondern länger geworden wäre. Stein des Anstoßes war vor allem der von den westlichen Siegermächten und Österreich vorgebrachte Entwurf des so genannten „Kurzvertrages", dem man dadurch Legitimität verleihen wollte, indem der Entwurf des Kurzvertrages in die Tagesordnung der UN-Ge2

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Dabei gab es auch komplizierte Fälle. Polen trat, obwohl es ein Land der Anti-Hitler-Koalition gewesen war, einen Teil seines Territoriums an die Sowjetunion ab und erhielt im Gegenzug östliche Teile Deutschlands. Rumänien, das im Krieg lange Zeit auf der Seite Hitlers gekämpft hatte, schloss sich nach der Revolution im Jahr 1944 den Ländern der Anti-Hitler-Koalition an und richtete seine Waffen gegen seine ehemaligen Verbündeten. In der Folge erhielt Rumänien nach dem Krieg einen Teil Ungarns, das bis Kriegsende auf der Seite Deutschlands gekämpft hatte. Auf den politischen Weltkarten, die im August 1939 in der UdSSR herausgegeben wurden, bezeichnete man nach Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes und vor dem Juni 1941 Österreich und andere von Deutschland okkupierte Länder als „Lebensinteressensphären des Deutschen Reiches".

Nach Stalins Tod neralversammlung aufgenommen wurde. Moskau weigerte sich kategorisch, über diesen Entwurf auch nur zu diskutieren, man forderte, zum Entwurf eines Staatsvertrages zurückzukehren, und ließ verlautbaren, dass „die Sowjetunion die Gesetzeskraft jedweder Resolution, welche die UN-Generalversammlung in der Behandlung dieser Frage verkündet, nicht anerkennen wird". 4 Der Ton in den Erklärungen der Gegenseite war dementsprechend. Der amerikanische Senator Cliveland forderte im außenpolitischen Komitee des US-amerikanischen Senats, „die Russen aus den von ihnen okkupierten Landesteilen mit Militärgewalt zu vertreiben". 5 Auf der anderen Seite verkündete der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Österreichs, Johann Koplenig, am Ende Mai 1952 abgehaltenen XIX. Parteitag der KPdSU neben den üblichen Huldigungen an den „Führer der Völker", dass „die reaktionären Kräfte sich erneut vereint hätten" und dass das österreichische Volk in unschätzbarer Schuld der Sowjetunion stehe, dank welcher „es den amerikanischen Imperialisten nicht gelungen ist, Österreich vollständig zu verschlucken". 6 Die Handlungspraxis der UdSSR und der westlichen Länder war sogar auf eine Verstärkung ihrer Positionen in Österreich ausgelegt. Die USA rückten ungeachtet des bestehenden Abkommens über die Besatzungszonen und des Kontrollabkommens im Mai 1952 mit militärischen Verbänden in die französische Zone ein; zur selben Zeit brachte Außenminister Dean Acheson den Vorschlag ein, das amerikanische Truppenkontingent in Österreich aufzustocken. Auch in den Plänen der UdSSR war ein Abzug sowjetischer Truppen aus Österreich in naher Zukunft nicht vorgesehen. Als indirekter Beweis dafür kann die in der Sowjetunion so beliebte langfristige Wirtschaftsplanung herangezogen werden: Nach Zahlen und Fristen zu schließen, die sich in einer ganzen Reihe von Parteidokumenten wiederfinden, hatte Moskau die Absicht, seine Militärpräsenz in Österreich auf lange Zeit hin aufrechtzuerhalten. Fasst man die mit dem Verbleib und dem Abzug der in Österreich stationierten Besatzungstruppen verbundenen Schwierigkeiten näher ins Auge, ist zu berücksichtigen, dass in dieser Frage politische, ökonomische und militärische Aspekte eng miteinander verknüpft waren. Die Sowjetunion war in ihrer oppositionellen Haltung gegen die westlichen Mächte in erster Linie durch Fragen der ideologischen Zweckmäßigkeit und des nationalen Prestiges geleitet. Schon in den 1940er Jahren hatte Stalin, im Gegensatz zu einer Reihe von Staaten in Osteuropa, im Falle Österreichs eine Umwandlung des Staates (oder einiger seiner Teile) in eine „Volksdemokratie" ausgeschlossen. Jedoch konnte die UdSSR nicht zulassen, dass Österreich, für dessen Befreiung so viele sowjetische Soldaten ihr Leben gelassen hatten, nach dem Abzug von Teilen der Sowjetarmee erneut Brückenkopf für einen gegen die Sowjetunion gerichteten Blitzkrieg werden würde. Moskau hegte sogar ernsthafte Befürchtungen vor einer Vereinigung von Österreich und Westdeutschland in einen einheitlichen Staat (einen erneuten „Anschluss"). In jedem 4 5 6

Ministerstvo inostrannych del SSSR (Hg.), SSSR - Avstrija, 1938-1979. Dokumenty i materialy. Moskau 1980, S. 48. Österreichische Volksstimme, 6.5.1952. Devjatnadcatyj s"ezd Vsesojuznoj Kommunisticeskoj Partii (bol'sevikov). Bulletin Nr. 14. Moskau 1952, S. 13.

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Michail Prozumenscikov Fall wäre ein Abzug der UdSSR aus Österreich ohne eine ernst zu nehmende politische Begründung in Moskau als empfindliche Niederlage der sowjetischen Außenpolitik gewertet worden. Noch größeren Einfluss auf die Behandlung der österreichischen Frage nahm der Faktor eines möglichen Kriegsszenarios. Stalin ging, wie im Übrigen auch viele seiner westlichen Gegenspieler, davon aus, dass ein Dritter Weltkrieg wenn auch nicht unausweichlich, so doch sehr wahrscheinlich war. In dieser Hinsicht stellte Österreich, das sich im Zentrum Europas und am Berührungspunkt zweier antagonistischer politischer Lager befand, einen außerordentlich wichtigen Gegenstand militärischer Überlegungen dar. Im Jahr 1955 herrschte unter den Staaten der Anti-Hitler-Koalition Einigkeit darüber, dass Österreich ein unabhängiger Staat werden müsse; im Jahr 1953 bildete sich aber in den westlichen Ländern unter Einfluss von Militärkreisen eine konträre Meinung heraus - sollte es zum Ausbruch eines Dritten Weltkrieges kommen, würde eine mögliche Neutralität Österreichs eine Verlegung der NATO-Truppen aus Italien in die BRD erheblich erschweren und darüber hinaus die Verteidigung Westeuropas signifikant schwächen. Auch die sowjetischen Militärs, die ihrerseits die Karte Europas ebenso als Schauplatz bevorstehender Kriegshandlungen betrachteten, waren keine glühenden Verfechter eines neutralen Österreich. Im militärischen Fachjargon ausgedrückt, trieb der östliche Teil Österreichs einen tiefen Keil in die Stellung der osteuropäischen Länder, und die sowjetischen Generäle zogen es vor, dass auf diesem „österreichischen Brückenk o p f wenigstens ein begrenztes, aber ausreichend schlagkräftiges Truppenkontingent der Sowjetischen Armee stationiert bliebe. Schließlich muss bei einer Erörterung der österreichischen Frage unbedingt auch der ökonomische Faktor berücksichtigt werden. Die Bemühungen der Sowjetunion, die Teilnahme Österreichs am Marshall-Plan zu verhindern, blieben ohne Erfolg. Obschon in Moskau ständig vom Versklavungscharakter des Marshall-Plans, von einer Unterjochung Österreichs durch die US-amerikanischen Monopolisten usw. die Rede war, blieb die unbeugsame Tatsache bestehen, dass die österreichische Wirtschaft kontinuierlich wuchs und bereits im Jahr 1949 ihr Vorkriegsniveau übertreffen konnte. Allerdings stellen diese Umstände lediglich die Spitze eines Eisbergs von Interessenkonflikten zwischen den Besatzungsmächten in wirtschaftlichen Fragen dar. Im Frühjahr 1953 gab der Machtwechsel in der UdSSR dem träge und de facto ergebnislos verlaufenden Verhandlungsprozess in der deutschen und österreichischen Frage einen neuen, kräftigen Impuls. Aus Moskau waren bislang ungehörte Vorschläge und Initiativen zu vernehmen. Der politischen Führung der DDR wurde unzweideutig befohlen, sie möge sich nicht nur mit der Verkündigung des sozialistischen Charakters der ostdeutschen Gesellschaft beeilen, sondern auch alsbaldigst die Idee einer sozialistischen DDR offen legen.7 In der UdSSR begann man sogar behutsam, die Voraussetzungen für einen möglichen Abzug sowjetischer Truppen aus Deutschland zu sondieren, wenn im Gegenzug die westlichen Länder die Neutralität Deutschlands und eine Sicherheitsgrenze für die UdSSR und ihre Verbündeten gewährleisten würden. In Österreich wurden 7

RGANI, F. 3, op. 8, d. 26, S. 67-69. Beschluss des Präsidiums der KPdSU.

Nach Stalins Tod solche Signale aus Moskau mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, zumal Österreich zu Recht davon ausging, dass die Lösung der deutschen Frage auch den Weg zu einem österreichischen Staatsvertrag ebnen würde. Die Hoffnungen auf einen Staatsvertrag wurden zudem dadurch verstärkt, dass sich im Verhältnis der Sowjetunion zu Österreich ein Aufweichen der bisher unnachgiebigen sowjetischen Position abzuzeichnen begann. Am 9. Juni 1953 wurde von den sowjetischen Besatzungskräften entlang der Demarkationslinie für die österreichische Bevölkerung die Personenkontrolle sowie die Kontrolle der Warenüberfuhr aufgehoben. Mit 1. August 1953 übernahm die UdSSR selbst alle Ausgaben für die Erhaltung der sowjetischen Truppen in Österreich, in der sowjetischen Besatzungszone wurde die Zensur aufgehoben, die Radiostation der RAVAG wurde der österreichischen Regierung übergeben. Als Zeichen des guten Willens beschloss die UdSSR, 610 österreichische Kriegsgefangene zu repatriieren, die von sowjetischen Gerichten verurteilt worden waren. 8 Vieles, was die Sowjetunion in jener Zeit am internationalen Parkett in die Tat umsetzte, war mit dem Namen des Innenministers und des ersten Stellvertreters des Ministerrates der UdSSR, Lavrentij Berija, verbunden, der als einer der wichtigsten Initiatoren für eine kompromissbereite Behandlung der deutschen und der österreichischen Frage gelten darf. Allerdings verhinderte der anhaltende Machtkampf unter den Nachfolgern Stalins die Verwirklichung all seiner Pläne. Die Verhaftung von Berija im Sommer 1953, seine Verurteilung als „Spion und Volksfeind", desavouierte gemäß der „guten" sowjetischen Tradition automatisch alle seine Handlungen und Erklärungen, welche für „verräterisch" und „staatsschädigend" befunden wurden (auch wenn sie noch wenige Tage zuvor von der gesamten Parteispitze gutgeheißen worden waren). Und obwohl einige der genannten Österreich betreffenden Maßnahmen auch nach der Verhaftung von Berija umgesetzt wurden, so geschah dies von nun an unter Zwang und ohne besonderes Engagement. Als Beispiel für die sowjetische Haltung gegenüber Österreich nach der Verhaftung Berijas kann die oben angesprochene Repatriierung von 610 verurteilten österreichischen Kriegsgefangenen herangezogen werden. Die offizielle diplomatische Note dazu wurde dem österreichischen Botschafter in der UdSSR, Norbert Bischoff, am 26. Juni 1953 überbracht und nur wenig später zusammen mit einer vollständigen Liste der zurückzuführenden Personen in der österreichischen Presse veröffentlicht. 9 Allerdings 8

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Die UdSSR vollzog auch unter Iosif Stalin Repatriierungen verurteilter ausländischer Kriegsgefangener. So wurde im Dezember 1952 auf einer Sitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU die Amnestierung und Repatriierung 27 verurteilter österreichischer Kriegsgefangener beschlossen. Wirft man einen genaueren Blick auf die Kriegsgefangenen, welche in dieser Zeit aus sowjetischen Gefängnissen und Lagern entlassen wurden, fällt schnell ein besonderer Umstand auf: Nur neun der 27 Gefangeneren waren Angehörige der Deutschen Wehrmacht, Polizei oder Gendarmerie gewesen, dabei hatten sie vor allem in niedrigen Rängen gedient und waren im Jahr 1952 schon 50 Jahre oder älter. Die übrigen Amnestierten verbüßten bereits eine zweite Haftstrafe, für die sie in den Jahren 1948/49, also bereits in sowjetischer Kriegsgefangenschaft befindlich, meist für den Diebstahl von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen aus Lagervorräten verurteilt worden waren. Im Zusammenhang mit ihrer neuen Politik trat die UdSSR an Österreich mit dem Vorschlag heran, auch die politischen Vertreter in den Botschaften in Wien und Moskau auszutauschen. Diesem Vorschlag wurde Mitte 1953 Folge geleistet.

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wurde im Anschluss daran eine endgültige Entscheidung über die Repatriierung der österreichischen Gefangenen immer wieder aufgeschoben, und zwar, wie sowjetische Beamte Norbert Bischoff undurchsichtig zu verstehen gaben, „aus bekannten Gründen". Am 25. August desselben Jahres richtete sich das sowjetische Außenministerium angesichts der in Österreich zu konstatierenden, durchwegs negativen Reaktion darauf, dass die amnestierten österreichischen Staatsbürger noch immer in der UdSSR bleiben mussten, mit der dringenden Bitte an das Präsidium des Zentralkomitees der KPdSU, eine endgültige Entscheidung der vorliegenden Frage alsbaldigst herbeizuführen. Erst am 26. September (d. h. drei Monate nach der ersten Entscheidung) erteilte die Parteispitze einer Repatriierung der österreichischen Kriegsgefangenen ihre endgültige Zustimmung. Dieses Vorgehen Moskaus ist für die zweite Hälfte des Jahres 1953 nicht schwer zu erklären. Denn nach der Ablöse von Lavrentij Berija setzten sich erneut Vertreter einer in internationalen Fragen unnachgiebigen und Konfrontationen nicht scheuenden Haltung an die Spitze der Kremlführung; Vjaceslav Molotov, einer der linientreuesten Stalinisten, übernahm das Amt des Außenministers. Bezüglich Nikita Chruscev ist anzumerken, dass in jener Zeit sein politisches Gewicht und sein Einfluss für eine alleinige Führung des Staates noch nicht ausreichten; er bevorzugte es, abzuwarten und zu lavieren, ohne in strittigen Fragen seine Meinung offen zu legen. Diese Umstände bewirkten, dass die UdSSR auf der internationalen Politbühne ein sehr widersprüchliches Auftreten an den Tag legte, was sich insbesondere in der Vorbereitung auf die Konferenz der Außenminister der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs bemerkbar machte, die im Jänner und Februar 1954 in Berlin abgehalten wurde. Die Berliner Außenministerkonferenz hatte auch die deutsche und österreichische Frage zum Thema. Am Vorabend der Konferenz wurde bei der Erörterung der besonderen Aufgaben der sowjetischen Delegation festgelegt, dass mit oberster Priorität seitens der UdSSR folgende zwei Punkte in die Tagesordnung aufgenommen werden sollten: „Maßnahmen zur Entspannung der internationalen Lage und Einberufung eines Treffens der Außenminister Frankreichs, Großbritanniens, der USA, der UdSSR sowie der Volksrepublik China" sowie „Die deutsche Frage und Maßnahmen zur Erhaltung der europäischen Sicherheit". Erst an dritter Stelle wurde der Punkt „Der österreichische Staatsvertrag" angeführt, wobei die sowjetische Delegation für den Fall, dass die westlichen Länder die Aufnahme des ersten Punktes in die Tagesordnung verweigern würden, dahingehend instruiert wurde, trotzdem darauf zu bestehen, „dass dieser nach der deutschen Frage und vor der Debatte über einen österreichischen Staatsvertrag behandelt werde". Darüber hinaus war in einer ersten Variante der Direktiven für die sowjetische Delegation, welche Molotov in einer Sitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU zur Durchsicht vorlegte, die österreichische Frage als ein eigenständiger Tagesordnungspunkt überhaupt nicht enthalten. Es gab lediglich die reichlich schwammige Formulierung, dass die sowjetische Seite für den Fall, dass die westlichen Länder die österreichische Frage behandeln wollten, dem nicht widersprechen würde; allerdings hatte die Sowjetunion auch dabei die Absicht, die österreichische Frage als Druckmittel zu benützen, um die

Nach Stalins Tod Verhandlungsteilnehmer dazu anzuhalten, den ersten, von ihr eingebrachten Tagesordnungspunkt zu behandeln. Nach mehreren Redigierungen und Anmerkungen durch die Mitglieder des Parteipräsidiums des ZK der KPdSU wurde der österreichischen Frage in den Richtlinien für die sowjetische Delegation ein signifikant größerer Stellenwert eingeräumt. In einigen zuvor strittigen Fragen wurde ein klarer Fortschritt erzielt. So trat Moskau jetzt selbst dafür ein, zur Berliner Außenministerkonferenz einen Vertreter der österreichischen Regierung einzuladen, und erklärte sich sogar damit einverstanden, die Erfüllung des Friedensvertrages mit Italien bezüglich Triest nicht zur Vorbedingung für den Abschluss des Staatsvertrages mit Österreich zu erheben. Die UdSSR verkündete außerdem offiziell ihr Einverständnis damit, dass Österreich die Zahlungen für ehemals deutsche Vermögenswerte durch Warenlieferungen deckte. Die für Österreich wichtigste und schmerzlichste Frage blieb dabei dennoch ungelöst. Und nach sowjetischer Interpretation sollte die Lösung der österreichischen Frage erneut in direkter Abhängigkeit zu einer erwünschten Übereinkunft in der deutschen Frage behandelt werden. Es ist unbekannt, was man im Kreml beabsichtigte, als man in den Wortlaut der Vorschläge, die von der sowjetischen Delegation hätten bekannt gegeben werden sollen, zwei derart widersprüchliche Punkte aufnahm. Denn einerseits wurde (im ersten Punkt) vorgeschlagen, binnen einer Dreimonatefrist eine endgültige Textvorlage für einen österreichischen Staatsvertrag vorzubereiten, durch welchen „Österreich als souveräner, unabhängiger und demokratischer Staat wiederhergestellt wird [...] und durch den die gegenwärtige Kontrollinstanz - die Alliierte Kommission für Österreich und alle ihre Organe - aufgelöst sowie die Besetzung Österreichs beendet wird". Andererseits wurde (im zweiten Punkt) festgelegt, dass, „um die Vereinnahmung Österreichs durch den einen oder anderen Machtblock zu vermeiden, was mit den Bedingungen für einen österreichischen Staatsvertrag nicht zu vereinen wäre, der Truppenabzug der vier Siegermächte aus den entsprechenden österreichischen Besatzungszonen bis zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland aufzuschieben ist". Alle darauf folgenden leeren Phrasen darüber, dass die Truppen der vier Siegermächte keine Besatzungstruppen seien und ihnen ein besonderer Rechtsstatus zukomme, dass sie sich nicht in die Angelegenheiten der österreichischen Verwaltung und in das gesellschaftspolitische Leben Österreichs einmischten, konnten über die wichtigste Tatsache nicht hinwegtäuschen: Gemäß den sowjetischen Vorschlägen mussten auf dem Staatsgebiet des „unabhängigen und souveränen Österreichs" auf unbestimmte Zeit fremde Truppenkontingente stationiert bleiben. In Anbetracht dieser Umstände wird klar, dass die Berliner Außenministerkonferenz in der Lösung der österreichischen Frage nicht auch nur einen einzigen Schritt vorankommen konnte; die Hauptverantwortung dafür lag in den Augen der internationalen Staatengemeinschaft und besonders aus der Sicht Österreichs bei der Sowjetunion. 10

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Wenn man die diesbezüglichen Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft ins A u g e fasst, ist zu berücksichtigen, dass in der U d S S R und den Ländern des Ostblocks die offizielle Propaganda einen entgegengesetzten Ausgang der Berliner Außenministerkonferenz verkündete. In den sowjetischen

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Die nach der Konferenz verlautbarten Erklärungen Molotovs, dass sich die Haltung Moskaus in Abhängigkeit zum Bestreben des Westens, die BRD in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)" aufzunehmen, gestaltete, machten Österreich einmal mehr klar, dass die UdSSR die österreichische Frage streng an die Lösung des sich kontinuierlich verkomplizierenden deutschen Problems knüpfte. Der Verlauf der Ereignisse bewirkte in Österreich eine Verstärkung antisowjetischer Tendenzen und trug zu einer offen zur Schau getragenen prowestlichen Stimmung im Land bei. Indes konnte Moskau nicht entgangen sein, dass sich einige der führenden Köpfe der ÖVP bereits im Februar für die Einführung eines neutralen Österreichs ausgesprochen hatten 12 und schon bald nach der Berliner Außenministerkonferenz begannen, für eine ausschließlich westliche Ausrichtung der österreichischen Handels- und Wirtschaftspolitik sowie des österreichischen Außenhandels einzutreten. Zur selben Zeit stimmten die Anführer der SPÖ, die bis zur Berliner Außenministerkonferenz eine sehr zurückhaltende Position vertreten hatten, auf der Konferenz der Sozialistischen Internationale in Brüssel am 28. Februar 1954 für die Schaffung der EVG. In den Erklärungen der politischen Führer Österreichs klangen vermehrt pessimistische Töne mit. Bundeskanzler Julius Raab sprach im Juni 1954 offen davon, dass „allerdings noch einige Zeit verstreichen müsse, bis neue Bemühungen unternommen werden könnten; denn es habe keinen Sinn, die österreichische Frage unmittelbar nach der Berliner Außenministerkonferenz wiederaufzunehmen". 13 Alles, worauf die österreichische Regierung unter den gegebenen Umständen hoffte, war eine weitere Lockerung des Besatzungsregimes in vielen kleinen Schritten. De facto war das ganze Jahr 1954 solchen „kleinen Schritten" vorbehalten: Die UdSSR, Österreich und die westlichen Länder tauschten diplomatische Noten aus, welche die Möglichkeit einer Konferenz der Botschafter der vier Besatzungsmächte, die Handhabung strittiger Fragen im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag, eine mögliche Ablöse der Alliierten Kommission durch ein anderes Organ u. a. zum Thema hatten. Alle diese Handlungen erinnerten in gewisser Hinsicht an eine Pattsituation im Schachspiel, wenn beide Konkurrenten wissen, dass kein Zug mehr möglich ist, der dem Spiel eine entscheidende Wende geben kann. Aber auch wenn Moskau gegenüber dem Misserfolg der Berliner Außenministerkonferenz und den darauf folgenden Erklärungen österreichischer Politiker vergleichsweise

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Druckwerken wurde behauptet, dass die USA „alle möglichen Mittel darauf verwendet habe, eine Regelung der mit dem Staatsvertrag verbundenen Fragen nicht zuzulassen", dass die Schuld für den Misserfolg der Verhandlungen in der österreichischen Frage „bei den Regierungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und teilweise der Österreichs liege". Izvestija, 19.2.1954; I. G. Zirjakov, SSSR i Avstrija ν 1945-1975 gody. Moskau 1982, S. 18. Ministerstvo inostrannych del SSSR, SSSR - Avstrija, S. 52. Bereits vor und auch während der Berliner Außenministerkonferenz betonten die führenden Köpfe der ÖVP beständig, dass „sowohl die Bundesregierung als auch das österreichische Volk entschlossen sind, eine rein österreichische, nicht aber eine russophile oder proamerikanische Politik zu führen", dass „die Österreicher nie weder amerikanische noch russische Lakaien sein werden." RGANI, F. 5, op. 28, d. 223, S. 90. Stv. Hochkommissar Kudijavrev an das ZK der KPdSU, 27.7.1954. Wiener Zeitung, 19.6.1954.

Nach Stalins Tod gelassen auftrat, so beunruhigte die politische Führung der UdSSR doch die Reaktion des österreichischen Volkes. Antisowjetische Kundgebungen, an denen sich die unterschiedlichsten Schichten der österreichischen Bevölkerung beteiligten, kamen für die sowjetischen Politgranden völlig unerwartet; sie waren noch immer der Meinung, dass die Österreicher die Rote Armee ausschließlich als Befreierin vom Nationalsozialismus und Beschützerin vor dem US-amerikanischen Imperialismus betrachten würden. In Moskau konstatierte man entmutigt, dass die Österreicher, nachdem sie acht Jahre ihre Befreiung vom NS-Regime gefeiert hatten, nun im neunten Jahr „eine Protestdemonstration abhielten, auf dass wir sie von uns befreien mögen". Noch größere Beunruhigung rief in der UdSSR die Möglichkeit einer weiteren Verschärfung der Lage in Österreich hervor, wenn etwa die sowjetischen Truppen in den Augen der Österreicher nicht mehr als Befreier, sondern als Besatzer gelten würden. Dazu hieß es auf sowjetischer Seite: „Und was, wenn morgen die Österreicher mit Steinen nach unseren Soldaten werfen, werden wir dann etwa auf sie schießen?" 14 Wie von Mitgliedern des Präsidiums des ZK der KPdSU bestätigt wurde, blieben die politischen Aspekte des österreichischen Problems in der gesamten zweiten Hälfte des Jahres 1954 im Blickfeld der politischen Führung der UdSSR. 15 Dabei können die vorliegenden Dokumente bei weitem nicht immer die zähe Auseinandersetzung belegen, welche die Sowjetführung diesbezüglich in jener Zeit führte, zumal vieles, das auf höchster Ebene diskutiert wurde, undokumentiert geblieben ist. Dessen ungeachtet ist anzunehmen, dass sich im Präsidium des ZK in der österreichischen Frage zwei Gruppen herausbildeten, die gewissermaßen als „Orthodoxe" und „Gemäßigte" bezeichnet werden können. Während die erste Gruppierung weiterhin auf eine Behandlung der österreichischen Frage beharrte, welche die politischen Veränderungen in Europa und in der ganzen Welt nicht berücksichtigte, suchte die zweite Gruppe nach Kompromisslösungen, die es der Sowjetunion erlaubten, mit Würde und ohne Beeinträchtigung ihrer Interessen einen Ausweg aus der sich verkomplizierenden Lage zu finden. Es wäre falsch, das Ausmaß der divergierenden Meinungen in beiden Gruppen übermäßig groß darzustellen, allerdings steht außer Zweifel, dass im Verlauf des Jahres 1954 in höchsten sowjetischen Parteikreisen verstärkt die Meinung aufkam, dass die bisher vertretene Österreichpolitik grundlegend geändert werden müsse. Dabei ist zu beachten, dass den sowjetischen „Orthodoxen", welche die österreichische Frage weiterhin in Hinblick auf eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung zweier feindlicher Lager betrachteten und nicht bereit waren, hinsichtlich eines Truppenabzugs und des Abschlusses eines Staatsvertrages Zugeständnisse zu machen, die Österreicher selbst bereitwillig in die Hände spielten. Denn während in Moskau mögliche Veränderungen in der Österreichpolitik diskutiert wurden, trat einer der An-

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RGANI, F. 2, op. 1, d. 159, S. 86. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 184. Ebd., S. 84.

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Michail Prozumenscikov führer des Verbands der Unabhängigen (VdU), Max Stendebach, in einer Rede vor dem österreichischen Parlament für eine alsbaldige Vereinigung Österreichs mit der BRD ein, wobei er erklärte, dass „die Grenze zwischen Österreich und der BRD unsichtbar sein muss".16 In Österreich erfreute sich, u. a. auch im Kreis hochrangiger Politiker, ein in Großbritannien erschienenes Buch von Julius Braunthal großer Beliebtheit, in dem insbesondere davon die Rede war, dass die Idee eines unabhängigen Österreichs als „reaktionäre und abschreckende Utopie"17 anzusehen sei. Im Zusammenhang mit den Erklärungen und Handlungen der USA und anderer westlicher Mächte, die mit aller Kraft danach strebten, Österreich als aktives (nicht als passiv-neutrales) Mitglied der westlichen Gemeinschaft zu erhalten, gereichten solche Aussagen denjenigen Kremlführern zum Vorteil, welche sich weigerten, an eine friedliche und rasche Lösung des österreichischen Problems zu glauben. Der Widerwille der Sowjetunion, in der österreichischen Frage eine Kompromisslösung zu finden, war nicht nur auf die in der UdSSR vorherrschenden politischen, ideologischen und militärischen Doktrinen zurückzuführen. In der Behandlung der österreichischen Frage spielten auch wirtschaftliche Probleme eine wichtige Rolle, die zu einem guten Teil mit der sowjetischen Militärpräsenz in Österreich verbunden waren. Denn während sich die sowjetische Führung mit dem politischen Aspekt der österreichischen Frage erst im Jahr 1954 ernsthaft auseinander zu setzen begann, war der wirtschaftliche Aspekt der sowjetischen Militärpräsenz in Österreich bereits ein Jahr zuvor Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. Die Hoffnung auf den Abschluss eines Staatsvertrages in naher Zukunft, worauf die sowjetische Führung im Frühjahr des Jahres 1953 zu sprechen gekommen war, veranlasste die UdSSR dazu, die wirtschaftliche Tätigkeit sowjetischer Unternehmen in Österreich genauer unter die Lupe zu nehmen. Was dabei ans Tageslicht kam, rief in Moskau nur wenig Freude hervor. Ungeachtet dessen, dass die UdSSR in ihren zahlreichen diplomatischen Noten an die westlichen Länder die Idee eines „Kurzvertrages" auch deshalb ablehnte, weil ein solcher Vertrag den wirtschaftlichen Interessen der UdSSR in Österreich widersprach, fügte sich die Sowjetunion in wirtschaftlichen Belangen selbst großen Schaden zu. Dabei war mit dem entstandenen wirtschaftlichen offensichtlich auch ein politischer Schaden verbunden. Denn vor dem Hintergrund der Erfolge der österreichischen und westlichen Unternehmen vermittelte die ineffektive wirtschaftliche Führung der sich in einer anhaltenden Krise befindlichen sowjetischen Betriebe den Österreichern ein besseres Bild von den „Vorzügen" der sozialistischen Wirtschaft als alle politischen Losungen. In wirtschaftlicher Hinsicht bereiteten der UdSSR vor allem die Unternehmen der USIA erhebliche Schwierigkeiten. Der Entwurf des Staatsvertrages sah bei dessen Abschluss für die österreichische Seite den Kauf der sich im Besitz der USIA befindlichen

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SSSR ν bor'be za nezavisimost' Avstrii. Moskau 1965, S. 146. Julius Braunthal, The Tragedy of Austria. London 1948, S. 154.

Nach Stalins Tod Unternehmen für 150 Millionen US-Dollar vor. Die Verhandlungen zur österreichischen Frage, die am Übergang der 1940er zu den 1950er Jahren in eine Sackgasse geraten waren, ließen den Abschluss eines Staatsvertrages sowie den Verkauf der Unternehmen in naher Zukunft jedoch sehr unwahrscheinlich erscheinen. Nach dem Tod Stalins richtete sich Wien mit der Bitte an Moskau, den Kauf der sowjetischen Unternehmen noch vor Abschluss des Staatsvertrages zu verhandeln, und deponierte frühzeitig den Wunsch, die Bezahlung der oben genannten Summe nicht in frei konvertierbaren Valuten erbringen zu dürfen, wie es der Entwurf des Staatsvertrages vorsah, sondern durch Warenlieferungen. Im Rahmen der neuen politischen Tendenzen in der ersten Hälfte des Jahres 1953 begegnete die UdSSR dieser Bitte zunächst mit Verständnis. Anfang Mai 1953 beauftragte das Präsidium des Ministerrates der UdSSR die entsprechenden Behörden mit der Vorbereitung eines Direktivenentwurfs für die Aufnahme von Verhandlungen mit der österreichischen Regierung, wobei man von einem positiven Entscheid der österreichischen Anfrage ausging. Allerdings revidierte das Präsidium des Ministerrates der UdSSR diese Entscheidung bereits drei Wochen später in seiner Sitzung am 22. Mai 1953 und hielt einen Verkauf der sowjetischen Unternehmen für nicht weiter zweckmäßig. Es erscheint klar, dass eine solche Änderung der sowjetischen Position keineswegs nur auf politische, sondern insbesondere auf wirtschaftliche Überlegungen zurückzuführen war. Denn wie sich herausstellte, befand sich die Mehrheit der sowjetischen Unternehmen in einer sehr angespannten wirtschaftlichen Lage und ihr Verkauf in diesem Zustand hätte als Eingeständnis der sowjetischen Unfähigkeit, die Unternehmen rentabel zu führen, bewertet werden können. Vor allem deshalb wurde in der Sowjetunion beschlossen, diese Angelegenheit zu bereinigen. Im Juni 1953 traf der Ministerrat der UdSSR eine Reihe von Maßnahmen, die darauf ausgerichtet waren, die bestehenden Missstände zumindest teilweise zu beheben. Es wurde beschlossen, 32 defizitäre Unternehmen stillzulegen, die Kapitalanlage in der USIA wesentlich zu erhöhen (in den kommenden eineinhalb Jahren sollten mehr Mittel in sie fließen, als in allen vorangegangenen Jahren zusammen) oder etwa einen speziellen Fonds für die Verbesserung der Lage der Arbeiter und Angestellten einzurichten. Dem Wohnungsfonds der USIA wurden zusätzliche Mittel zugeteilt, um neue Gebäude zu errichten und den bestehenden Häuserbestand, der sich aus baufälligen Gebäuden und einfachen Holzbaracken zusammensetzte, zu sanieren. Die UdSSR beschloss weiters über das Filialnetz der sowjetischen Geschäfte in der sowjetischen Besatzungszone einen freien Einzelhandel für Versorgungs- und Industriegüter einzurichten, deren Preise zehn bis 15 Prozent unter denen der österreichischen Geschäfte lagen. Schließlich wurden auch die Ressourcen der sowjetischen Militärbank in Österreich aufgefüllt, die zuvor aus Mangel an finanziellen Mitteln nicht in der Lage war, den Unternehmen der USIA Kredithilfe zu gewähren. Es ist zu berücksichtigen, dass ein Teil der wirtschaftlichen Probleme, die mit den sowjetischen Unternehmen in Österreich verbunden waren, aus den ideologischen Maximen erwuchsen, nach welchen man sich in der UdSSR unter allen Umständen streng richtete. Die Losung, wonach das Proletariat der westlichen Länder als einziger

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Michail Prozumenscikov Verbündeter der sozialistischen Staaten auf dem Weg in eine verheißungsvolle kommunistische Zukunft wäre, fand auch in der Lohnpolitik der USIA einen sonderbaren Ausdruck. Gemäß der streng geheimen sowjetischen Statistik übertraf das Lohnniveau der einfachen Arbeiter und Hilfskräfte (d. h. der am wenigsten qualifizierten Arbeiter) in den Betrieben der USIA das der vergleichbaren Arbeiter in österreichischen Unternehmen um sieben bis 13 Prozent. Das Gehalt der höher qualifizierten Arbeiter war in der sowjetischen Zone nur um 2,5 Prozent höher als im übrigen Österreich, und was die Angestellten der USIA oder, wie es im sowjetischen Fachjargon hieß, „die Vertreter des Kleinbürgertums" betraf, so lag deren Lohnniveau nur bei 80 bis 90 Prozent von dem des Verdienstes ihrer Kollegen in österreichischen Firmen. Zur eigentümlichen sowjetischen Wirtschaftspolitik trugen auch die so genannten „Freunde" der Sowjetunion, d. h. die Vertreter der KPÖ, bei, die regelmäßig finanzielle Zuwendungen aus Moskau erhielten und deren Meinung die UdSSR Gehör schenken musste. Die österreichischen Kommunisten hegten die Befürchtungen, dass die in den Betrieben der USIA begonnene Umstrukturierung die Lage der Arbeiter, die zu einem guten Teil Parteimitglieder waren, verschlechtern könnte, was einen weiteren Prestigeverlust der ohnehin nicht sonderlich angesehenen KPÖ zur Folge gehabt hätte. Deshalb mussten ungeachtet der im Juni 1953 gefällten Entscheidung einige der zur Stilllegung vorgesehenen Unternehmen auf Bitte der KPÖ in Betrieb bleiben. Diese Betriebe brachten der Sowjetunion im Jahr 1953 einen Verlust von mehr als 100.000 Rubel ein. Dennoch war die UdSSR dazu entschlossen, schon bis Jahresende 17 der ihr in Österreich gehörenden Betriebe zu mustergültigen Unternehmen zu machen. Wenn man berücksichtigt, dass sich allein in der sowjetischen Beatzungszone 144 Betriebe der USIA befanden, dann hätte sich die Umstrukturierung der Unternehmen nach sowjetischem Plan mindestens auf eine Dauer von zwei Fünfjahresplänen erstreckt. In der Frage der Umstrukturierung der sich im Besitz der USIA befindlichen Unternehmen herrschte in der sowjetischen Führung unerwartete Einigkeit. Die „Orthodoxen" gingen davon aus, dass die sowjetische Militärpräsenz in Österreich noch von langer Dauer sein würde und für die Neustrukturierung der Unternehmen demnach noch genügend Zeit vorhanden wäre. Die „Gemäßigten", die sich Mühe gaben, der internationalen Staatengemeinschaft die Unternehmen unter sowjetischer Wirtschaftsführung in einem besseren Licht zu präsentieren, hofften, vor Unterzeichnung des Staatsvertrages wenigstens einige Betriebe der USIA rentabel zu machen. Nach dem missglückten Versuch, die österreichische Frage auf der Berliner Außenministerkonferenz zu lösen, auf welcher im Rahmen der Behandlung allgemeiner Fragen auch die Möglichkeit des Verkaufes von Unternehmen der USIA erörtert worden war, versuchte Österreich, seine Aktivitäten in diese Richtung wieder zu verstärken. Im März 1954 erklärte Julius Raab, dass er vor dem sowjetischen Hochkommissar „auf die Rückgabe der Betriebe der USIA gemäß den Bestimmungen des Staatsvertrages" bestehen würde. Zeitgleich mit den zahlreichen Protesten gegen eine fortgesetzte Besatzung des Landes, die in der UdSSR als „feindselige Handlungen gegen die Sowjetmacht und die sowjetischen Besatzungstruppen in Österreich" verurteilt wurden, begann in Öster-

Nach Stalins Tod reich ein gegen die Betriebe der USIA gerichteter Boykott 18 , und die österreichischen Tageszeitungen berichteten ausführlich über die angespannte Lage in den Unternehmen der USIA. In Moskau bezeichnete man die Vorgehensweise der österreichischen Printmedien als „provokativ und verleumderisch", aber bei aller offensichtlicher politischer Polemik war nicht daran zu zweifeln, dass die Meldungen der österreichischen Zeitungen wahrheitsgemäße Angaben enthielten. Die Sowjetunion musste einsehen, dass die Aufrechterhaltung des Status quo im Zusammenhang mit den Unternehmen der USIA für die UdSSR weder politisch noch wirtschaftlich von Nutzen war. Im Kreml wurde man sich bewusst, dass durch die Schönfärberei der offiziellen Statistik, mittels derer das eigene Volk getäuscht werden konnte, die Bevölkerung eines Landes, in welchem die UdSSR nicht über die totale ideologische Kontrolle und über mächtige Zensurorgane verfügte, nicht hinters Licht zu führen war. Denn die offiziellen Zahlen unterschieden sich deutlich von denjenigen, welche die Sowjetunion in ihren Pressemitteilungen bekannt gab. Nach offiziellen Angaben brachten die Unternehmen der USIA der sowjetischen Seite während der Besatzungszeit innerhalb von acht Jahren einen Reingewinn im Ausmaß von 927 Millionen Rubel. Tatsächlich aber hätte die UdSSR fast die Hälfte dieser Summe (450 Millionen Rubel) in Form von Bundessteuern an Österreich bezahlen müssen. Unter dem Vörwand, dass Österreich das Eigentumsrecht der Sowjetunion auf diese Unternehmen als ehemaliges deutsches Vermögen nicht anerkannte und diese nicht registrierte, verweigerte man jedoch die Bezahlung von Steuern. Es ist nicht schwer zu erraten, dass Österreich, wenn es nun das Eigentumsrecht der Sowjetunion an den Unternehmen der USIA anerkannt hätte, deren ohnehin schon prekären finanziellen Lage einen empfindlichen Schlag versetzt hätte. Moskau bezahlte außerdem auch keine Steuern für den Warenumsatz der von der USIA eröffneten Einzelhandelsgeschäfte, was eine besonders grobe Gesetzesübertretung darstellte, zumal Letztere nie Deutsches Eigentum gewesen waren. Auf Grund der von sowjetischer Seite getätigten Erhöhung der Investitionen in diese Unternehmen und wegen der Absatzschwierigkeiten sowie der sich verschlechternden Konjunkturlage schwand die Rentabilität der USIA zusehends. Schon im Jahr 1953 machte die USIA nur noch 137 Millionen Rubel Gewinn, was um 80 Millionen Rubel weniger war als im Jahr davor. Dabei betrug der eigentliche Ertrag aus der Tätigkeit der Unternehmen nur 38 Millionen Rubel. Die restlichen 99 Millionen ergaben sich durch die Umgehung von Steuern, Zöllen und Akzisen (also faktisch wiederum durch Vergehen gegen die geltende Gesetzgebung). Angesichts der Tatsache, dass die sowjetische Seite für 1954 ohnehin nur noch mit einen halbierten Reingewinn kalkulierte, wurde offensichtlich, dass eine etwaige österreichische Forderung nach Einhaltung sämtlicher Gesetze (die von den westlichen Ländern zweifellos unterstützt worden wäre) zum völligen Bankrott der Unternehmen der USIA geführt hätte. 18

In einigen Bezirken Niederösterreichs wurden gemäß einer Verfügung des Innenministeriums Österreicher, die Waren in den Geschäften der USIA gekauft hatten, strengen Verwaltungsstrafen zugeführt: Die Sicherheitsorgane beschlagnahmten die in den Läden der USIA gekauften Waren und belegten die Käufer mit einer Geldstrafe. RGANI, F. 5, op. 28, d. 222, S. 84. Bericht des Vertreters des Hochkommissars der UdSSR in Niederösterreich, A. Panin, für das Jahr 1954 an das ZK der KPdSU.

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Michail Prozumenscikov Somit war es wohl kein Zufall, dass das Präsidium des Zentralkomitees der KPdSU im April 1954 die Lage der Unternehmen der USIA neuerlich begutachtete und sie als absolut nicht zufriedenstellend einstufte. Dabei wurden weitere Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Tätigkeit vorgeschlagen, etwa zusätzliche Investitionen, die Versorgung der Unternehmen mit Aufträgen aus der Sowjetunion und den volksdemokratischen Ländern sowie eine Erhöhung der Einfuhr von Waren der USIA-Unternehmen in die UdSSR als Reaktion auf die zunehmenden Absatzschwierigkeiten von deren Produktion in Österreich. Darüber hinaus plante man auch folgende soziale Maßnahmen: einen jährlichen Erholungsurlaub in der Sowjetunion für 25 Arbeiter und Angestellte der Firmen der USIA, Wohnbaudarlehen für hoch qualifizierte Spezialisten, kostenlose Verpachtung von Häusern aus dem Wohnfonds der USIA an österreichische Vereine und Bürger u. Ä. Die aufgezählten Vorschläge wurden bereits im Mai 1954 der sowjetischen Führung zur Bestätigung vorgelegt. Parallel zu diesen Vorschlägen war noch eine weitere Idee ausgearbeitet worden. Interessant ist dabei, dass eines der langjährigsten Mitglieder des Präsidiums des ZK bei der Entstehung beider Dokumente federführend beteiligt war - der Erste Stellvertreter des Ministerratsvorsitzenden der UdSSR, Anastas Mikojan. So gelangte am 17. Mai 1954 gleichzeitig mit den oben aufgezählten Vorschlägen, die bereits die Unterschrift des sowjetischen Regierungschefs Malenkov sowie jene Mikojans und einer ganzen Reihe weiterer Partei- und Regierungsfunktionäre19 trugen, eine Notiz Mikojans von genau gegenteiligem Inhalt auf den Sitzungstisch des ZK. Diese enthielt den Vorschlag, unverzüglich mit der österreichischen Regierung in Verhandlungen über einen Verkauf der Unternehmen der USIA zu den Bedingungen von Artikel 35 des Staatsvertragsentwurfes zu treten. Mikojan begründete diesen durchaus unerwarteten Vorschlag sowohl mit politischen als auch mit ökonomischen Erwägungen. In Bezug auf Letztere wies er mit Recht darauf hin, dass sich bei einer Fortsetzung der bestehenden Tendenzen der Gewinn aus den Unternehmen der USIA auf ein Minimum reduzieren würde oder diese gar nur noch Verluste bringen würden. Unterdessen würde die UdSSR - im Falle eines Verkaufs - von Österreich im Lauf von sechs Jahren garantiert jährlich Waren im Wert von 100 Millionen Rubel erhalten. Die politische Zweckmäßigkeit einer solchen Entscheidung argumentierte Mikojan damit, dass sie helfen sollte, der mächtigen Welle der antisowjetischen Kampagne entgegenzuwirken, die sich in den vorangegangenen Jahren in Österreich entfaltet hatte und sich in erster Linie gegen die Präsenz sowjetischer Truppen und Unternehmen richtete. Auch der zur Gruppe der „Gemäßigten" gehörige und mit dem baldigen Abschluss eines Staatsvertrages rechnende Anastas Mikojan nahm an, dass die weitere Präsenz der sowjetischen Besatzungsmacht es erleichtern würde, dafür zu sorgen, dass die Österreicher ihre Zahlungsverpflichtungen in der Höhe von 150 Millionen Dollar erfüllten, wohingegen nach Abschluss des Staatsvertrages und besonders nach dem Abzug der sowjetischen Truppen Österreich versucht sein könnte, die Zahlung dieser Summe zu sabotieren. 19

An der Ausarbeitung des Verordnungsentwurfs des ZK sowie der zugehörigen Materialien waren auch I. Kabanov, V. Zorin, M. Gribanov, P. Nikitin, S. Zolnin und der Geschäftsführer des Ministerrats, A. Korobov, beteiligt.

Nach Stalins Tod Die einzigen Ausnahmen von der Verkaufsempfehlung waren für die Unternehmen der Sowjetischen Mineralölverwaltung und der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft vorgesehen, welche Moskau unter keinen Umständen abgeben wollte. Die UdSSR war, ebenso wie ihre Verbündeten in den Ländern der „Volksdemokratie", sehr an dem in Österreich geförderten hochwertigen Erdöl interessiert, das mit Schiffen nach Batumi transportiert wurde und mittels Schienenverkehr bis Mukacevo in die Westukraine gelangte. Mikojans Initiative fand jedoch in den höchsten Führungskreisen keine Unterstützung. Innerhalb der sowjetischen Führung setzten sich erneut jene Kräfte durch, die nicht an einen baldigen Vertragsabschluss und den damit verbundenen Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich glaubten. Der von Mikojan vorgelegte Verordnungsentwurf des ZK der KPdSU, der an sich schon kompromisshaften Charakter trug 20 , wurde noch deutlich abgeändert. An die erste Stelle rückte schließlich jener Punkt über die Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit in den Unternehmen der USIA. Darauf folgte eine lakonische (aber für jeden, der in die kremlinternen Uneinigkeiten eingeweiht war, durchaus verständliche) Formulierung: „Die Begutachtung der Vorschläge über einen Verkauf sowjetischer Unternehmen in Österreich ist um einen Monat zu verschieben." Wie nicht schwer zu erraten ist, wurde diese Frage im Präsidium des ZK weder nach einem Monat noch nach einem halben Jahr wieder aufgegriffen. Selbst als im Sommer des Jahres 1954 eine Erhöhung der Erdölförderung und -Verarbeitung in den Unternehmen der Sowjetischen Mineralölverwaltung in Österreich (eben jener, die Mikojan auf keinen Fall verkaufen hatte wollen) diskutiert wurde, sprach niemand mehr von einem Verkauf der Unternehmen der USIA. Moskau benützte die Anwesenheit der Sowjetischen Armee in Österreich oft als „letztes Argument" auch zur Lösung rein wirtschaftlicher Fragen. Wie bereits erwähnt, fürchtete sich die sowjetische Führung davor, dass im Falle eines Abzugs der militärischen Kontingente die österreichische Regierung die Bezahlung der verkauften Unternehmen der USIA verweigern könnte. Ähnlich verhielt es sich auch in der Diskussion über die Ölfirmen auf österreichischem Territorium. Gemäß dem Entwurf zum Staatsvertrag sollte die Sowjetunion auf 30 Jahre die Konzessionen für österreichische Ölfelder bekommen. Dazu die Konzessionen für Bohrstellen mit dem Recht, dort acht Jahre lang Bohrungen durchzuführen und über einen Zeitraum von 25 Jahren, ab dem Tag der Eröffnung einer Lagerstätte, Erdöl zu fördern. Solange die Ölfirmen unter dem Schutz der sowjetischen Militärverwaltung standen, mussten sie nicht um ihr Schicksal fürchten. Die Sowjetische Mineralölverwaltung überwachte mit besonderer Strenge die Tätigkeit der angloamerikanischen Ölfirmen, die sich in der sowjetischen Besatzungszone befanden. Alle Versuche dieser Firmen, sich mit den sowjetischen Militärvertretern über eine Aufteilung der Ausgaben für die 20

Im Gegensatz zur ursprünglichen Variante, w o lediglich von Verhandlungen mit der österreichischen Regierung über einen Verkauf der Unternehmen der U S I A die Rede war, schienen im neuen Entwurf unter Punkt 2 Vorschläge dazu auf, mit welchen Maßnahmen man die Arbeit der Unternehmen verbessern könnte - allerdings mit der Einschränkung, dass nur von solchen Maßnahmen die Rede wäre, die noch 1954 verwirklicht werden könnten.

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Michail Prozumenscikov Überwachung der kontrollierten Ölfirmen oder Ermäßigungen auf die Abgabepreise für Erdöl zu verständigen, endeten ergebnislos. Indes war man sich in der UdSSR völlig darüber im Klaren, dass im Falle eines baldigen Abzugs der sowjetischen Truppen die Zeit der Begünstigungen für die Unternehmen der Sowjetischen Mineralölverwaltung vorbei sein würde und diese „über eine längere Periode dem Konkurrenzkampf mit kapitalistischen Firmen ausgesetzt wären". Allerdings musste die sowjetische Führung, wie schon im Fall der Firmen der USIA, mit großem Bedauern feststellen, dass die technischen Standards der Erdölverarbeitung in den sowjetischen Unternehmen in Österreich die Erzeugung hochwertiger Erdölprodukte, die gegen ernsthafte Konkurrenz bestehen könnten, nicht zuließ. Ganz offensichtlich war die Organisation der Produktion nach sozialistischem Modell in ihren Formen und Methoden der kapitalistischen Konkurrenz unterlegen. Unter den Bedingungen in einem zwar neutralen, aber unabhängigen und kapitalistischen Österreich konnte dies nur zum Zusammenbruch der sowjetischen Betriebe führen. Hier schloss sich der Kreis - Moskau brauchte das hochwertige österreichische Erdöl (die UdSSR plante eine Erhöhung der Fördermenge von 3,1 Millionen Tonnen im Jahr 1954 auf 4,1 Millionen Tonnen für 1957). Dass dieses Öl auch über viele Jahre hinweg in die Sowjetunion gelangen würde, garantierte wiederum die fortdauernde Präsenz der Sowjetischen Armee in Österreich. Wenn es etwas gab, wovon sich die Sowjetunion gerne trennte, so war das jenes in ihren Besitz übergegangene ehemalige deutsche Eigentum, das weder politischen noch nennenswerten ökonomischen Gewinn brachten. Im Mai 1953 übergab die sowjetische Regierung den Österreichern die Vermögenswerte des Wasserkraftwerks Ybbs-Persenbeug, wobei der Kaufpreis in der Pauschalsumme von 150 Millionen Dollar inkludiert war. Ein Jahr später erklärte sich Moskau auf die Bitte von Julius Raab hin einverstanden, auch die sich in der sowjetischen Besatzungszone befindlichen nicht fertig gestellten Objekte der Autobahn Wien - Salzburg abzugeben. Der UdSSR lag offensichtlich wenig am Bau neuer Verkehrswege. Nachdem dieses Vermögen nicht von der USIA betrieben wurden, brachten sie der sowjetischen Seite keinerlei Gewinne. Entsprechend trennte man sich davon - auch zu den von Wien vorgeschlagenen Bedingungen - leichten Herzens. Die schwierige Lage ihrer Unternehmen in Österreich nötigte die sowjetische Führung dazu, Mikojans Vorschläge ständig im Hinterkopf zu behalten. Im Laufe des Jahres 1954 erinnerten sowjetischen Vertreter in Österreich immer wieder an die Möglichkeit eines Verkaufs der Unternehmen vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages. Damit weckten sie Hoffnungen bei der österreichischen Regierung und gleichzeitig panische Angst bei der Führung der KPÖ. Im Jänner 1955 wurde diese Frage überraschend in der Präsidiumssitzung des ZK der KPdSU aufgeworfen. Dazu kam es vor allem auf Initiative der KPÖ, die durch die zu ihr vorgedrungenen Nachrichten über einen angeblich geplanten Verkauf sowjetischer Unternehmen in Österreich beunruhigt war. Das Präsidium des ZK bekräftigte offiziell seine Position, wonach man „Verhandlungen mit österreichischen Vertretern über einen Verkauf der Unternehmen der USIA an die österreichische Regierung vor der Schließung eines Staatsvertrages zum gegebenen

Nach Stalins Tod Zeitpunkt" als „unzweckmäßig" betrachtete. Gleichzeitig beauftragte man den sowjetischen Hochkommissar in Österreich, die Führer der KPÖ einerseits zu beschwichtigen und den österreichischen „Freunden" andererseits zu empfehlen, die Arbeit der KPÖ in den Betrieben der USIA besser zu organisieren, um den zu geringen Einfluss der Partei auf die dort beschäftigten Arbeiter zu stärken. Die Erörterung der Frage nach der Zweckmäßigkeit eines Verkaufs der Unternehmen der USIA in der Präsidiumssitzung vom Jänner 1955 fiel zeitlich mit jener Plenarversammlung des ZK der KPdSU zusammen, auf welcher Georgij Malenkov nicht nur harsch kritisiert, sondern auch seines Postens als Regierungschef enthoben wurde. 21 Dieses neuerliche Aufflammen der Machtkämpfe innerhalb der poststalinistischen Sowjetführung hatte für Österreich einige weit reichende Folgen. Zum einen wurden die Positionen Chruscevs bedeutend gestärkt, der auf der Suche nach verschiedenen Wegen zur Lösung des österreichischen Problems durchaus auch zu Kompromissen bereit war. Zum anderen löste der als Feldherr zu Ruhm gelangte Georgij Zukov im Zuge der Umstellungen innerhalb der Kremlführung Nikolaj Bulganin als Verteidigungsminister ab, der seinerseits neuer Vorsitzender des Ministerrates wurde. Hatte Bulganin, der ab 1950 Verteidigungsminister gewesen war, noch konsequent die von Stalin vorgegebene politische Linie weiterverfolgt, so verdankte der in der Armee populäre, aber bei Stalin in Ungnade gefallene Zukov seinen neuerlichen Aufstieg Nikita Chruscev persönlich. Das wiederum war für Chruscev insofern nicht unwesentlich, als nicht eindeutig abzusehen war, wie man in Armeekreisen auf einen möglichen Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich reagieren würde. Die Auswirkungen der Veränderungen in der sowjetischen Führung auf die Österreichpolitik der UdSSR blieben allerdings nicht darauf beschränkt. Noch am 19. Jänner 1955 hatte das Präsidium des ZK die ordentliche Tagung des Obersten Sowjets der UdSSR (des formal höchsten Legislativorgans im Land) für den 9. März desselben Jahres anberaumt. 22 Die Affare Malenkov zwang jedoch zu einer Korrektur dieses Plans. Nachdem man die Tagung eiligst um einen Monat vorverlegt hatte, verlautbarte Vjaceslav Molotov ausgerechnet dort jene neuen sowjetischen Vorschläge in Bezug auf Österreich, die den Weg zur Schließung des Staatsvertrages endgültig ebneten. Die Unterzeichnung der Pariser Verträge von 1954 und die im Herbst desselben Jahres in der DDR durchgeführten so genannten „freien" Wahlen hatten allem Anschein nach mit den Hoffnungen auf eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands auch die Aussichten auf einen Staatsvertrag für Österreich zu Grabe getragen. Entsprechend unerwartet kamen nun die neuen außenpolitischen Initiativen der UdSSR zu Beginn des Jahres 1955. Und wenn die kurz zuvor von der sowjetischen Führung 21

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Es ist interessant, dass Chruscev nach der Plenarversammlung des ZK, deren Beschlüsse noch einige Tage vor dem sowjetischen Volk und dem Rest der Welt geheim gehalten wurden, bei einem Treffen mit dem amerikanischen Verleger Hurst ohne die geringste Verlegenheit erklärte, die im Westen aufgetauchten Gerüchte über eine Verschärfung des Machtkampfes innerhalb der sowjetischen Führung sowie über Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Georgij Malenkov seien nichts anderes als Märchen bzw. Versuche, Wunschdenken als Realität auszugeben. RGANI, F. 3, op. 10, d. 123, S. lf. Beschluss des Präsidiums der KPdSU über die Einberufung der 2. Sitzungsperiode des Obersten Sowjets.

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Michail Prozumenscikov verlautbarten Vorschläge zur Zukunft Deutschlands trotz allem noch den gewohnten propagandistischen Beigeschmack hatten23, so war die Erklärung zu Österreich einfach „revolutionär". Zweifellos erfolgte Molotovs Auftritt einerseits auf Drängen von Chruscev und dessen Anhängern im Präsidium des ZK, andererseits auch vor dem Hintergrund, dass Molotov selbst, als er die neue sowjetische Initiative in der Österreichfrage verkündete, vom Erfolg eines derartigen Unternehmens keineswegs überzeugt war. Nicht zufällig weisen die in Chruscevs Regierungsära veröffentlichten zeitgeschichtlichen Publikationen darauf hin, dass Molotov „weitere Anstrengungen von Seiten der UdSSR zur Lösung der österreichischen Frage" für „vergeblich" hielt.24 Um so mehr, als nur ein Punkt in den sowjetischen Vorschlägen tatsächlich neu und „revolutionär" war. Nämlich jener, in dem sich Moskau bereit erklärte, die Frage zu diskutieren, ob ein Truppenabzug der vier Besatzungsmächte aus Österreich ohne vorhergehenden Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland zu verwirklichen wäre.25 Alle anderen Angebote - sowohl zu baldigen Beratungen zwischen den vier Besatzungsmächten als auch zu einer Beteiligung Österreichs am Verhandlungsprozess oder zur Schaffung einer Garantie gegen einen neuerlichen „Anschluss" - waren, in mehr oder weniger deutlicher Form, bereits in früheren sowjetischen Erklärungen enthalten gewesen. Doch nun waren sie erstmals nicht an die friedliche Lösung der deutschen Frage gebunden. Es ist schwer zu sagen, ob das zeitliche Zusammentreffen der neuen sowjetischen Initiative mit der Abberufung Malenkovs reiner Zufall war oder ob zwischen diesen Ereignissen ein Zusammenhang bestand. Offiziell machte man Malenkov für Fehler bei der Organisation der Volkswirtschaft (insbesondere im Bereich der Landwirtschaft) verantwortlich und warf ihm außerdem vor, dass er die Entwicklung der Leichtindustrie auf Kosten der Schwerindustrie forciert hatte. Allerdings wurden sowohl bei der Erörterung der „Frage Malenkov" im Präsidium als auch danach auf der Plenartagung des ZK wiederholt Andeutungen laut, wonach er sich „nicht von Berija distanziert" bzw. sich sogar „zu seiner Nähe zu Berija bekannt" hätte u. Ä.26 Wie den Aufzeichnungen des Leiters der Allgemeinen Abteilung des ZK sowie den Protokollen des ZK-Präsidiums zu entnehmen ist, wurde auf ein Nahverhältnis Malenkovs zu Berija nicht nur in Zusammenhang mit Repressionen hingewiesen, sondern auch in Verbindung mit der Idee, die

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Die Mehrheit der westlichen Länder lehnte die neuen sowjetischen Vorschläge für Deutschland vor allem deswegen ab, weil mit diesen de facto langfristig ein Bestehen zweier deutscher Staaten anerkannt wurde. Nichtsdestotrotz entbrannten in der BRD stürmische Debatten zwischen dem regierenden Block aus CDU und CSU einerseits und den Vertretern der SPD andererseits, welche die Ansicht vertraten, dass „die Reaktion der Westmächte und des deutschen Bundeskanzlers auf die jüngsten Vorschläge Moskaus unverantwortlich" wäre. Konrad Adenauer, Vospominanija (1953-1955). Moskau 1968, S. 140. Vgl. etwa V. N. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija. Bor'ba Sovetskogo Sojuza za vozrozdenie nezavisimoj demokraticeskoj Avstrii i ustanovlenie s nej druzestvennych otnosenij (1938-1960gg.). Moskau 1962, S. 219. Izvestija, 9.2.1955. RGANI, F. 3, op. 8, d. 388, S. 26f. Arbeitsnotiz der Sitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU v. 31.1.1955.

Nach Stalins Tod deutsche Frage durch eine Vereinigung beider Teile Deutschlands zu einem einheitlichen und neutralen, aber kapitalistischen Staat zu lösen.27 Nach der Ausschaltung Berijas mutierte Malenkov - wie im Rahmen der politischen Kämpfe in der höchsten sowjetischen Führungsetage durchaus nicht unüblich - zu einem der eifrigsten Verfechter einer Vereinigung Deutschlands „auf echter demokratischer Grundlage" (übersetzt aus der Sprache der sowjetischen Ideologie bedeutete dies nichts anderes als die Ausweitung des in der DDR herrschenden politischen Systems auf das übrige Deutschland). Auf diese Weise wurde Malenkov unfreiwillig zu einem der wichtigsten Verbündeten Molotovs, der in seiner Handlungsweise auf internationalem Parkett nach wie vor an den alten Stalinschen Richtlinien 28 festhielt. Als Malenkov seinen Status einbüßte und sein politisches Gewicht sank29, verlor der sowjetischen Außenminister diesen Mitstreiter. Molotov selbst ging während des gesamten Jahres 1954 nicht davon ab, die Lösung der österreichischen Frage von jener der deutschen abhängig zu machen. Gleichzeitig versuchte er, die übrigen Präsidiumsmitglieder davon zu überzeugen, dass ein Scheitern des westlichen Vorhabens zur Gründung einer Europäischen Verteidigungsunion die Verhandlungsposition der Sowjetunion verbessern würde. Als sich dann das französische Parlament weigerte, das Abkommen über die Verteidigungsunion zu ratifizieren, wurde dies als Erfolg der sowjetischen Diplomatie gewertet, und Molotov schien zunächst in seiner Handlungsweise bestätigt. Doch nur einige Monate später zeigte die Unterzeichnung der Pariser Verträge, dass Molotovs Politik in dieser Frage kein Erfolg beschieden war. In diesem Zusammenhang wies das Präsidium des ZK das sowjetische Außenministerium an, bis zur Plenarversammlung im Jänner 1955 neue Vorschläge in Bezug auf Österreich zu präsentieren, was jedoch unterblieb. Wenn man Anastas Mikojan glauben darf, dann hat er Molotov dazu geraten, auf der Tagung des Obersten Sowjets den Vorschlag vorzubringen, die deutsche und die österreichische Frage unabhängig voneinander zu lösen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass Mikojan einer der wichtigsten Anhänger eines allmählichen Rückzugs der Sowjetunion aus Österreich war, wovon er dann auch - in Anwesenheit Molotovs, der gegen diese Deutung der 27

Im Einzelnen erinnerte Molotov daran, dass im Frühling 1953 „Berijas kapitulationsartiger Vorschlag zur Schaffung eines einheitlichen bourgeoisen Deutschland als angeblich .neutralen' Staat von der überwältigenden Mehrheit der Präsidiumsmitglieder des ZK abgelehnt wurde, worauf Berija und Malenkov nach der Sitzung mit Drohungen über einzelne Präsidiumsmitglieder herfielen." R G A N I , F. 3, op. 8, d. 195, S. 32. Entschluss des Entwurfs des Präsidiums des ZK der KPdSU „Über Gen. G. M. Malenkov". Mit handschriftlichen Ausbesserungen Molotovs.

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Stalins Konzeption der Außenpolitik Ende der 1940er bis Anfang der 1950er Jahre basierte auf dem Prinzip, dass jedes Zugeständnis an den Kapitalismus der ganzen Welt die Schwäche der U d S S R und ihrer Verbündeten demonstrieren und so den Westen zur Entfesselung eines Dritten Weltkrieges provozieren würde. Eine solche Politik „am Rande der Konfrontation" erlaubte es, das eigene Volk in ständiger Kriegsbereitschaft zu halten und gleichzeitig eigene Fehler und Irrtümer den „Intrigen der Imperialisten" und der Notwendigkeit, sich auf einen neuerlichen Krieg vorzubereiten, zuzuschreiben. Die gleiche Taktik benützte später Mao Tse-Tung, der Führer der Kommunistischen Partei Chinas, mit Erfolg.

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Obwohl Georgij Malenkov hart kritisiert und von seinem Posten des sowjetischen Regierungschefs entfernt wurde, ernannte man ihn danach zum Minister für Kraftwerke und darüber hinaus blieb er auch Mitglied des Präsidiums des ZK.

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Michail Prozumenscikov Geschehnisse nichts einzuwenden hatte - vor dem Plenum des ZK berichtete, dann entspricht dies offensichtlich ebenso der Wahrheit30 wie die Annahme, dass Mikojan Molotov jenen Vorschlag nicht ohne vorhergehende Billigung durch Chruscev unterbreiten konnte. Schließlich entsprach es nicht den Gepflogenheiten der sowjetischen Führung, derartige Initiativen ohne das Wissen des Parteichefs zu ergreifen. Sogar nach seiner Erklärung versuchte Molotov weiterhin sicherzustellen, dass Moskau im Falle eines Abzugs aus Österreich rein symbolische Truppenkontingente dort zurücklassen oder sich das Recht sichern sollte, jederzeit erneut Truppen in Österreich stationieren zu dürfen. Für diese Vorschläge fand er allerdings keine Mehrheit. Zum einen wollte die sowjetische Führung die Enttäuschung der Berliner Außenministerkonferenz nicht ein weiteres Mal erleben und erneut Öl ins Feuer der unerfüllten österreichischen Erwartungen gießen. Zum anderen hätte die Anerkennung eines solchen Rechts zur Anerkennung eines entsprechenden Rechts auch für die USA, Großbritannien und Frankreich geführt, was kaum absehbare und gefährliche Folgen für die Zukunft gehabt hätte. Molotov scheint dies eingesehen zu haben und kam weder in den Verhandlungen mit österreichischen Regierungsmitgliedern noch in der Diskussion der sowjetischen Vorschläge mit den Westmächten auf dieses Thema zurück, sondern vertrat die einheitliche Linie des Zentralkomitees der KPdSU.31 Wenngleich die gesamte sowjetische Führungsriege mehr oder weniger von den außenpolitischen Dogmen Stalins geprägt war und keiner der Parteiführer beabsichtigte, grundlegende ideologische Prinzipien preiszugeben, so erkannten doch viele von ihnen, allen voran Chruscev selbst, die Notwendigkeit, neue Wege und Zugänge zur Lösung der festgefahrenen Situation zu finden. Außerdem war es geradezu charakteristisch für Chruscev, dass er auf Ideen von einstigen Gegenspielern, die er selbst gestürzt hatte (freilich in neuem Gewand und unter anderen Bedingungen) zurückgriff. So setzte er vieles von dem, was Berija geäußert hatte und das deshalb im Sommer 1953 einem Bann anheim gefallen war, später - in leicht modifizierter Form und mit entsprechender propagandistischer Aufmachung versehen - erfolgreich in die Tat um. Dabei muss man dem sowjetischen Führer zweifellos zugute halten, dass er sich fähig zeigte, die gegebene Situation aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Für die westlichen Länder kam die sowjetische Initiative völlig überraschend. Sie waren an die „Molotovsche Diplomatie" gewöhnt und hatten keine radikalen Änderungen in der Vorgangsweise des Kreml erwartet. So verwundert es kaum, dass sie in den vielen darauf folgenden Erklärungen und Kommentaren den sowjetischen Vorschlägen keine Alternativen entgegenzusetzen hatten. Man beschränkte sich auf Warnungen an die Adresse der österreichischen Machthaber, bei Verhandlungen in Moskau „Vorsicht" walten zu lassen, „keine konkreten Vertragsbedingungen" zu diskutieren und sich darauf zu beschränken, sich die sowjetischen Vorschläge genauer erläutern zu lassen. 30

31

RGANI, F. 2, op. 1, d. 159, S. 87. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 184. Ebd., S. 87f.

Nach Stalins Tod Die offizielle Reaktion Wiens war entsprechend vorsichtig - man habe die sowjetischen Vorschläge „mit großem Interesse zur Kenntnis genommen und eingehend studiert", sie seien jedoch „nicht klar genug formuliert". 32 Noch größere Skepsis herrschte unmittelbar in der österreichischen Öffentlichkeit. Auch als sich die österreichische Regierungsdelegation im April 1955 bereits auf die Verhandlungen in Moskau vorbereitete, glaubte kaum jemand, dass diese erfolgreich enden würden. Nach Meinung der einfachen Österreicher würde bestimmt wieder „irgendjemand gegen irgendetwas" 33 sein. Erst nach den Beratungen zwischen der sowjetischen Führung und Norbert Bischoff im Februar und März 1955, in welchen Moskau dem Botschafter eine Reihe von Fragen genauer erläutert hatte, ließ man sich in Wien von der Seriosität der sowjetischen Absichten überzeugen, worauf sich der Ton der Erklärungen der österreichischen Regierung deutlich änderte. Als dann die offizielle Einladung zu Verhandlungen in Moskau erfolgte, bedeutete dies für Bundeskanzler Julius Raab und seine Regierung eine einmalige Gelegenheit, die man nicht mehr auslassen konnte. Und wenn es auch noch Hindernisse gab, so rechtfertigten diese nicht, dass Österreich ihretwegen auf die Möglichkeit verzichtete, seine Unabhängigkeit zu erlangen. Deshalb blieben auch alle westlichen Versuche wirkungslos, Julius Raab davon zu überzeugen, keine Übereinkommen zu unterzeichnen, wenn die UdSSR darauf beharren sollte, dass sich Österreich - nach dem Vorbild der Schweiz - zu einem neutralen Staat erklären müsse. 34 Österreich stand vor der Wahl zwischen einer Fortsetzung der Besatzung durch Mächte, die einander noch dazu feindlich gegenüberstanden, und einer Unabhängigkeit, die einerseits an die Neutralität und andererseits an die Verpflichtung gebunden war, keine Union mit dem nördlichen Nachbarn zu suchen. Die österreichische Regierung zog es vor, sich für Letzteres zu entscheiden. Die UdSSR gab sich ihrerseits alle Mühe, damit Wien diese Entscheidung nicht wieder zurücknahm. Die sowjetischen Verhandler erklärten der österreichischen Führung, dass das Teilnahmeverbot an Koalitionen und militärischen Bündnissen für wirtschaftliche, kulturelle, wissenschaftliche und ähnliche zwischenstaatliche Vereinigungen oder Abkommen ebenso wenig galt wie für politische Zusammenschlüsse, die sich nicht gegen Drittstaaten richteten und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienten. Desgleichen verzichtete Moskau auf schärfere Formulierungen an jenen Stellen des Staats Vertrages, wo von der Verhütung eines neuerlichen „Anschlusses" die Rede war. Eine bedeutende Rolle spielte die Frage nach den Fristen des Abzugs der Besatzungstruppen aus Österreich. In den zahlreichen Gesprächen, welche die UdSSR und die Westmächte im Verlauf mehrerer Jahre zu diesem Thema geführt hatten, waren die unterschiedlichsten Zeiträume - von 90 Tagen bis zu zwei Jahren - genannt worden. Unmittelbar vor der Ankunft der österreichischen Delegation in Moskau präsentierte Molotov der höchsten sowjetischen Führung die Empfehlungen seines Außenministeriums für die Verhandlungen mit der österreichischen Regierung. Er sprach dabei von

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Neues Österreich, 11.2.1955. RGANI, F. 5, op. 28, d. 231, S. 136. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 241-331.

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Michail Prozumenscikov einer Notwendigkeit, die Fortdauer der Besatzung nach Unterzeichnung des Staatsvertrages auf ein Jahr zu verkürzen. Seiner Meinung nach hätte eine länger andauernde Präsenz sowjetischer Truppen in Österreich der UdSSR keinen wesentlichen Nutzen gebracht, sondern hätte - ganz im Gegenteil - die Pläne der NATO-Länder unterstützt. Diese wären „aus militärstrategischen Überlegungen darauf bedacht" gewesen, „den Abzug ihrer Truppen aus Österreich hinauszuzögern". Daneben war aber auch ein rein propagandistischer Aspekt zu berücksichtigen: Moskau ging zu Recht davon aus, dass das österreichische Volk ein baldiges Ende der Besatzung freudig begrüßen würde und man so der ganzen Welt einmal mehr den guten Willen der UdSSR demonstrieren könnte. Bei der Erörterung dieses Vorschlags im Präsidium des ZK entschieden sich die sowjetischen Machthaber für eine noch großzügigere Geste. In der endgültigen Fassung der „Instruktionen für die Verhandlungen mit der österreichischen Regierung" war bereits von einer sechsmonatigen Abzugsfrist aller Truppenkontingente vom österreichischen Territorium die Rede. Auf diese Weise bot man der österreichischen Regierung eine höchst verlockende Aussicht: Im Falle einer baldigen Unterzeichnung und Ratifizierung des Staatsvertrages durch sämtliche Seiten sollte diese ihrem Volk den Abzug sämtlicher ausländischer Soldaten bis zum 1. Jänner 1956 ankündigen können.35 Die Zustimmung der UdSSR zu einem schnellen Abzug der Besatzungstruppen aus Österreich entsprang nicht nur den Bestrebungen, das österreichische Problem - auch um den Preis gewisser Zugeständnisse - endlich zu lösen. Der Beitritt Westdeutschlands zur NATO sowie die von Moskau bereits geplante Schaffung des Warschauer Pakts als militärisch-politisches Gegengewicht hatten eine neue geopolitische Situation in Europa geschaffen. Nachdem es Moskau dank der Anstrengungen Chruscevs gelungen war, das unter Stalin zerstörte Verhältnis zu Österreichs südlichem Nachbarn Jugoslawien wieder zu normalisieren (wenn es auch nicht mehr jenes „brüderliche" war, wie in den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs, so doch wieder ein durchaus freundschaftliches), hatte die strategische Verteilung der Kräfte im Zentrum Europas eine neue Qualität bekommen. Ein neutrales Österreich, wenn es auch einige hundert Kilometer in den Ostblock hineinragte, wirkte für die sowjetischen Militärs wesentlich attraktiver als für die westlichen Strategen, die das Land gerne zu ihrer „Alpenfestung" gemacht hätten.36 35

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Es ist erwähnenswert, dass noch einige Monate zuvor, im Rahmen der Tagung des österreichischen Parlaments vom November und Dezember 1954, die Abgeordneten der Regierungsparteien sagten, dass Österreich „unter der Bedingung eines gleichzeitigen Abzugs aller Besatzungstruppen, jedoch mit einer Verlängerung der Abzugsfrist auf zwei Jahre", bereit sein wird, den Staatsvertrag zu unterschreiben. RGANI, F. 5, op. 28, d. 331, S. 72. 1950 bis 1951 führten westliche Länder Manöver durch, in welchen sie Kampfhandlungen gegen sowjetische Armeen in Europa imitierten (gemäß dem so genannten Bethouart-Plan). Dieser Plan sah vor, in den Bergen Salzburgs und Tirols einen „befestigten Alpenabschnitt" zu errichten und Jugoslawien, das zu der Zeit der UdSSR gegenüber feindselig eingestellt war, zu überreden, die Briten bei der Verteidigung der rechten Flanke der westlichen Heere in Österreich zu unterstützen. Vgl. Bruno Koppensteiner, Bethouarts Alpenfestung. Militärische Planungen und Verteidigungsvorbereitungen der französischen Besatzungsmacht in Tirol und Vorarlberg, in: Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1948. Spione, Partisanen, Kriegspläne. Wien - Köln - Weimar 2000, S. 193-238. Vöoruzenie Avstrii. Dokumenty i fakty. Moskau 1952, S. 33f.

Nach Stalins Tod Die gleichzeitige Lösung der österreichischen und der jugoslawischen Frage erlaubte der sowjetischen Führung, gleich eine weitere außenpolitische Initiative anzukündigen. Unter Verwendung Österreichs als Präzedenzfall dachte man in Moskau an einen Gürtel aus neutralen Staaten in Mitteleuropa, der die beiden militärischen Blöcke voneinander trennen und auch ein vereintes und neutrales Deutschland beinhalten sollte. Dieser Gedanke stieß auf unerwartete Unterstützung durch die USA. Präsident Dwight D. Eisenhower bekundete seine grundsätzliche Zustimmung zur „Schaffung einer Kette aus neutralen Staaten, die ganz Europa von Norden nach Süden durchziehen" sollte, und amerikanische Zeitungen berichteten darüber, dass die USA den sowjetischen Vorschlag mit einem eigenen Plan eines „neutralen Gürtels" 37 erwidern wollten. Dass Washington jedoch für die Einbindung Deutschlands in diesen Gürtel von Moskau die „Neutralisierung" aller sowjetischen Verbündeten in Osteuropa verlangte, stellte sich erst später heraus. Damals - im Mai 1955 - glaubte die UdSSR noch an eine umfassende Entspannung der Lage. Ein schneller Abschluss des Staatsvertrages kam der UdSSR auch aus ökonomischer Sicht zugute. Erstens war die Präsenz sowjetischer Truppen in Österreich mit bedeutenden Kosten verbunden, für die Moskau - wie bereits erwähnt - ab 1953 allein aufkam. Zweitens entschloss sich die UdSSR doch dazu, sich von all ihren Unternehmen in Österreich zu trennen - auch von denjenigen, die sie ein Jahr zuvor noch keineswegs abgeben hatte wollen: nämlich die Erdölunternehmen und die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Der Grund für diese Entscheidung lag wiederum nicht nur in der Bereitschaft der sowjetischen Führer, für den Staatsvertrag auch Zugeständnisse zu machen. Ungeachtet der 1954 erhöhten Investitionen blieb die Lage der sowjetischen Ölfirmen äußerst schwierig. Die Ölverarbeitungsanlagen waren technisch veraltet, und Treibstoffe mit hoher Oktanzahl bzw. hochwertige Öle konnten überhaupt nicht produziert werden. Weil diese Unternehmen nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages zur Bezahlung der entsprechenden Steuern an die österreichische Regierung verpflichtet gewesen wären, zeichnete sich für Moskau dasselbe Dilemma ab wie mit den Unternehmen der USIA: Entweder man investiert über mehrere Jahre hohe Summen in die Modernisierung und Entwicklung der Unternehmen - ohne Garantie, dass sie im kapitalistischen Wettbewerb nicht trotzdem bankrott gehen - oder man verkauft sie zu einem vernünftigen Preis den Österreichern. Letztlich behielt das elementare ökonomische Kalkül die Oberhand, und die Mitglieder der österreichischen Delegation nahmen erstaunt zur Kenntnis, dass die Sowjetunion ihnen nun vorschlug, was sie selbst jahrelang nicht zu äußern gewagt hatten. 38

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Washington Post, 19.5.1955; Newsweek, 16.5.1955. Wie die Österreicher diese Situation erlebten, lässt sich aus der Rede von Kanzler Julius Raab erschließen, die er nach der Rückkehr aus Moskau in Wien hielt: „Wir konnten kaum glauben", meinte er, „dass all das, worauf wir kaum hoffen durften, Wirklichkeit wurde." Zit. nach: Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrija, S. 227.

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Michail Prozumenscikov Als Ergebnis der Moskauer Verhandlungen überließ die UdSSR Österreich das gesamte deutsche Eigentum, einschließlich der Firmen der USIA, der Ölfelder und Raffinerien, der Aktiengesellschaft für den Handel mit Erdölprodukten und der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft zusammen mit der Werft in Korneuburg sowie den Schiffen und Hafenanlagen. Moskau erhielt dafür die zuvor vereinbarte Summe von 150 Millionen Dollar, die zur Gänze in Form von Lieferungen österreichischer Waren zu begleichen war. Zusätzlich sicherte man sich für zehn Jahre das Recht auf Erhalt von einer Million Tonnen Rohöl pro Jahr. Der Nutzen dieser Abmachung war mehr als offensichtlich - nach Berechnungen sowjetischer Experten hätte die UdSSR im Falle eines Verbleibs der Ölunternehmen unter sowjetischer Verwaltung jährlich nur 170.000 Tonnen Erdöl aus Österreich importieren können, berücksichtigt man Steuern, notwendige Investitionen sowie den allgemeinen technischen Zustand der Anlagen. Auf einem Punkt beharrte die Sowjetunion mit aller Entschiedenheit: Österreich musste sich verpflichten, nach der Übergabe des Deutschen Eigentums in der sowjetischen Besatzungszone „den Übergang dieses Vermögens in den Besitz ausländischer Bürger auszuschließen". Moskau begründete diese Forderung damit, dass der Erwerb des Eigentums durch Ausländer Österreichs wirtschaftliche Abhängigkeit von Westdeutschland begünstigen würde. Man rechnete nämlich damit, dass die BRD nichts unversucht lassen würde, sich diese Vermögenswerte zurückzuholen. Die Sowjetunion vergaß auch nicht auf ihre österreichischen „Freunde" und erreichte eine offizielle Erklärung der österreichischen Regierung, wonach diese „keine Unterdrückung oder Diskriminierung österreichischer Bürger in Zusammenhang mit deren Beschäftigung in sowjetischen Institutionen und Unternehmen in Österreich bis zum In-Kraft-Treten des Staatsvertrages zulassen" würde. Die Ereignisse im Umfeld der Unterzeichnung des Staatsvertrages demonstrierten einmal mehr die Widersprüchlichkeit und Komplexität der Prozesse, die in jenen Jahren auf der internationalen Bühne vor sich gingen. Für die Weltgemeinschaft war es überraschend, dass auf der Prioritätenliste der sowjetischen Führung bei der Lösung der österreichischen Frage die geopolitische Komponente vor der ideologischen rangierte. Bei aller Divergenz der Einschätzungen und Urteile bleibt es doch ein unbestreitbares Faktum, dass das kapitalistische Österreich seine Unabhängigkeit vor allem den Bemühungen der neuen sowjetischen Führung zu verdanken hatte. Gleichzeitig opferte Moskau unverhohlen die Interessen seiner österreichischen kommunistischen „Freunde", die, so scheint es, zu einem gewissen Zeitpunkt zur Überzeugung gelangt waren, die Sowjetische Armee würde bis zum Sieg des Weltkommunismus in Österreich bleiben. Doch schließlich mussten die Führer der KPÖ, wohl oder übel, die Idee des Staatsvertrages mit besonderem Enthusiasmus unterstützen. Sowohl als Patrioten ihres Landes als auch als Freunde der Sowjetunion, von der diese Initiative ausgegangen war. Auf diese Weise mussten in der Vorbereitung auf die Unterzeichnung des Staatsvertrages sämtliche Thesen der sowjetischen Propaganda von einem proletarischen Internationalismus sowie dem Kampf um die

Nach Stalins Tod Machtergreifung durch die „progressiven [sprich: prokommunistischen] Kräfte" in Österreich vorerst in den Hintergrund treten. 39 Die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages, die nur einen Monat nach den sowjetisch-österreichischen Verhandlungen in Moskau stattfand 40 , bedeutete einen unzweifelhaften Erfolg für die sowjetische Außenpolitik, der das internationale Prestige der UdSSR steigerte. Es ist bezeichnend, dass im Verlauf des folgenden innerparteilichen Kampfes in der sowjetischen Führung, als man den gestürzten Führern (unter ihnen auch Nikita Chruscev) alle tatsächlichen und vermeintlichen Sünden anlastete, nicht die geringste Kritik in Bezug auf die Unterzeichnung des Staatsvertrages oder die Bedingungen der Gewährung der Unabhängigkeit für Österreich geäußert wurde. Österreich entging durch seine Neutralitätserklärung und die Weigerung, ausländische Militärbasen auf seinem Territorium zu beherbergen, in der dramatischsten Periode des Kalten Krieges einer Verwicklung in die Konfrontationen, besonders in jenen Tagen, als sich an seinen Grenzen zunächst die ungarische und dann die tschechoslowakische Tragödie abspielten. Der erfolgreiche Abschluss des Staatsvertrages demonstrierte die Möglichkeit - selbst am Höhepunkt des Kalten Krieges - , internationale Streitfragen mit friedlichen und zivilisierten Mitteln zu lösen. Der Staatsvertrag für Österreich wurde außerdem zu einem der Symbole für die schrittweise Überwindung der Epoche der Stalinschen Diplomatie. Die neue sowjetische Führung hatte unter Beweis gestellt, dass sie zu vernünftigen Kompromissen und zum Dialog mit unterschiedlichen politischen Kräften fähig war. Ü b e r s e t z u n g aus d e m R u s s i s c h e n : A n d r e a s Konrad - C l e m e n s T o n s e m

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Nach Einschätzung sowjetischer Diplomaten waren viele österreichische Kommunisten der Ansicht, die Sowjetunion hätte sie durch die Unterzeichnung des Staatsvertrages „ihrem Schicksal überlassen". Trotz aller Bemühungen der KPÖ-Führung zeichnete sich gegen Herbst 1955 eine Austrittswelle aus der Partei ab. Allein die niederösterreichische Landesorganisation der KPÖ verlor innerhalb weniger Monate etwa zehn Prozent ihrer Mitglieder. Eine analoge Tendenz war auch in den anderen Organisationen der Partei zu beobachten. R G A N I , F. 5, op. 28, d. 330, S. 288. Aus dem Diensttagebuch des Chefs der Abteilung für innenpolitische Fragen des Apparates des Hochkommissars in Österreich, A. Kolobov, Notiz eines Gesprächs von A. Kolobov mit dem stv. Vorsitzenden der KP Niederösterreichs, R. Dubovsky, 15.9.1955.

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Vor vollendete Tatsachen gestellt, mussten die U S A , Großbritannien und Frankreich, wenn sie auch der U d S S R gegenüber erklärt hatten, dass vor der endgültigen Lösung des österreichischen Problems „noch einiges an Vorbereitungsarbeit zu erledigen" wäre, jedoch eingestehen, dass es sich dabei um rein technische Fragen handelte, welche dann auch im Rahmen der Botschafterkonferenz der vier Besatzungsmächte im Mai 1955 unter Teilnahme österreichischer Vertreter ausgehandelt wurden.

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Irina Kazarina

Die Sowjetische Armee in Österreich 1953-1955 im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU Vor sechzig Jahren ging in Europa der blutigste und grausamste Krieg der Weltgeschichte, der Dutzende Millionen Menschenleben gefordert hatte, zu Ende. Aber seine schreckliche Bilanz ist den Führern jener Länder, die am unmittelbarsten an ihm beteiligt waren, keine Lehre gewesen: Noch ehe sie es geschafft hatten, diesen Krieg zu beenden, beeilten sich die ehemaligen Alliierten, das Feuer des Kalten Krieges zu entfachen, den viele als Auftakt eines folgenden, noch verheerenderen Krieges sahen. Im Laufe von zehn Jahren konnten die Siegermächte, ausgehend von den eigenen politischen und militärischen Ambitionen, die so genannte „österreichische Frage" nicht lösen, woraufhin die Unterzeichnung des Staatsvertrages auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Die ganze Zeit über befanden sich ausländische Besatzungstruppen auf österreichischem Gebiet, die einen wesentlichen Einfluss auf die innenpolitische und ökonomische Lage des Landes ausübten. Während jedoch die Lage in den Gebieten, die sich unter der Kontrolle der USA, Großbritanniens und Frankreichs befanden, auf Grund des kapitalistischen Charakters dieser Staaten und auch Österreichs einander ähnlich und weniger problematisch waren, gestalteten sich die Dinge in der sowjetischen Zone weitaus schwieriger. Die Unterschiede in den sozialpolitischen Systemen, den ideologischen Prinzipien und den Methoden der Wirtschaftshaushaltsführung verursachten ernsthafte Widersprüche, die sich auf die ohnehin schwierige Beziehung zwischen den Vertretern der sowjetischen Besatzung in Österreich und der einheimischen Macht auswirkten. Das veranlasste die Führung der UdSSR, ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Lage der Sowjetischen Armee in Österreich und auf jene Organisationen, die in der sowjetischen Besatzungszone eine Funktion ausübten, zu lenken. Fragen, die im Zusammenhang mit der letzten Periode des Aufenthalts sowjetischer Truppen in Österreich standen, fanden durch die Tätigkeit der Militärkommandanturen und der fremden Strukturen der Sowjetunion auf dem Gebiet dieses Landes eine umfassende Widerspiegelung in den Dokumenten des Russischen Staatsarchivs für neueste Geschichte (RGANI). Derzeit werden im RGANI Dokumente aufbewahrt, die chronologisch die Periode nach dem XIX. Parteitag der der Kommunistischen Allunionspartei (der Bolschewiken) VKP(b), also ab Ende 1952, umfassen. Außerdem befinden sich

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Irina Καζαήηα im Fundus des Archivs auch noch Dokumente aus viel früherer Zeit. Obgleich die ehemaligen Archive des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU (auf ihrer Basis formierte sich nämlich das im Jahr 1991 gegründete RGANI, das einige Jahre nach seiner Entstehung „Zentrum der Aufbewahrung zeitgenössischer Dokumentation", CChSD, hieß) gar nicht als offizielle behördliche Archive fungierten und deshalb insbesondere der höchsten Ebene nicht enthielten, waren die Probleme der Nachkriegsbesatzung in Österreich dort äußerst vielfältig dargestellt. Dafür gibt es eine spezielle Erklärung. In den Jahren der Sowjetmacht stand die gesamte politische, wirtschaftliche und übrige Tätigkeit des Landes unter der strengen und ständigen Kontrolle der Führung der KPdSU. Im Zeitraum einiger Jahrzehnte, als sie die einzige sich an der Macht befindende Partei war, erfüllte die KPdSU zahlreiche wichtige Regierungsfunktionen, darunter auch im Bereich der internationalen Beziehungen. Die Ausarbeitung außenpolitischer Beschlüsse und die Vorbereitung der Dokumente, die fernerhin der Formierung fundamentaler Prinzipien der Sowjetmacht zugrunde lagen, passierte hauptsächlich im Apparat des ZK der KPdSU auf dem „Alten Platz" (Staraja Ploscad') in Moskau. Eigentlich waren die Führer der KPdSU selbst gleichzeitig die Leiter des Staates, der Regierung, der wichtigsten Ministerien und Behörden. In den 1950er Jahren, bereits nach dem Tod Iosif Stalins, waren sowohl der Chef des Außenamtes, Vjaceslav Molotov, als auch der Leiter des Verteidigungsministeriums der UdSSR, Nikolaj Bulganin, der Vorsitzende des Obersten Sowjets, Kliment Vorosilov, und auch der Vorsitzende des Ministerrates, Georgij Malenkov, Mitglieder des höchsten Führungsorgans der Partei, das damals in „Präsidium des ZK der KPdSU" umbenannt wurde. Dementsprechend wurden in Beständen des Archivs zur österreichischen Thematik sowohl Dokumente, die unmittelbar nach ihrer Erstellung im Apparat des ZK in weiterer Folge in Form von Beschlüssen, Entscheidungen oder Erlässen verabschiedet wurden, als auch zahlreiche Dokumente, die von verschiedenen staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen sowie auch aus dem Ausland an die Parteiführung ergangen waren, aufbewahrt. Bei einem eingehenden Studium dieser Dokumente lässt sich die Geschichte der sowjetisch-österreichischen Beziehungen der letzten Besatzungsperiode besser verstehen, und man kann die Ansichten der Führung der poststalinistischen UdSSR zur Frage der Rolle und der Position der Sowjetischen Armee und der unter ihrer „Patronage" stehenden Strukturen bei der Lösung der „österreichischen Frage" einer Analyse unterziehen. Bei einer Durchsicht der Dokumente des RGANI, die sich auf die sowjetische Besatzung Österreichs beziehen, können drei grundlegende thematische Komplexe ausgemacht werden: Auf den ersten beziehen sich Beschlüsse und Entscheidungen der höchsten Partei-, Regierungs- und Staatsorgane, welche die grundlegenden Prinzipien der Präsenz und Funktion der sowjetischen Truppen und auch anderer sowjetischer Einrichtungen auf österreichischem Gebiet regelten, die unter der Kontrolle der Militäradministration standen. In der Regel waren es so allgemeine Fragen wie die jährlich zu bestätigenden Finanzpläne der Besatzungsausgaben, Instruktionen bezüglich der Fragen, die auf den Sitzungen der Alliierten Kommission geprüft wurden, oder etwa Probleme der vierfachen Kontrolle. Wenn man die Dokumente politischen Inhalts

Die Sowjetische Armee in Österreich im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU (unzählige Noten, Anträge und Beschlüsse die Probleme des Staatsvertrages und des Abzugs der Besatzungstruppen betreffend), welche sich in der Praxis in keiner Weise auf die Änderungen des Besatzungsstatus auswirkten, außer Acht lässt, so besaßen die restlichen, die Sowjetische Armee in Österreich betreffenden Fragen hauptsächlich finanzökonomischen Charakter. So ging zu Beginn des Jahres 1953 eine Verfügung des Ministerrates der UdSSR über die Lieferung von sieben Automobilen der Marke „Moskvic", von fünf Automobilen der Marke „GAZ-51" sowie von einem Autobus der Marke „PAZ-651" an den sowjetischen Teil der Alliierten Kommission (SCSK) in Österreich auf Rechnung des Fonds des Verteidigungsministeriums der UdSSR hinaus. Hatten die sowjetischen Truppen in Österreich mit den Panzern und Flugzeugen keine besonderen Probleme, so hatten die Soldaten doch mit der Technik gewöhnlicher Zivilfahrzeuge ernsthafte Schwierigkeiten. Offensichtlich war dies der Grund, warum das Ministerium für Verkehrswesen auf Grund eines Beschlusses der höchsten Parteiinstanzen verpflichtet war, in kürzester Zeit dem Ministerium für Automobil- und Traktorenindustrie Waggons für den Abtransport und die Zustellung der in der Verfügung genannten Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen. 1 Es ist interessant, dass sich dabei auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone eine große Anzahl an herrenlosen, erbeuteten Fahrzeugen (Autos, Traktoren, Autobusse, Motorräder, Anhänger) in betriebsbereitem Zustand befanden, die fürsorgliche Österreicher gut in Schuss hielten, aber ohne Erlaubnis der sowjetischen Besatzungsmacht nicht benutzen durften. Nach mehreren Appellen in dieser Sache, die von Österreichern an die Adresse der sowjetischen Führung gesandt worden waren, kam man ihnen in Moskau endlich entgegen: Die sowjetischen Vertreter in Österreich wurden beauftragt, mit dem österreichischen Finanzministerium bezüglich der Regelung der Abrechnung der herrenlosen Beutegüter Verhandlungen zu führen, und das von der österreichischen Regierung für dieses Gut erhaltene Geld dem Staatsbudget der UdSSR zu überweisen. 2 In den Dokumenten des Archivs war in einer Reihe von Fällen das Echo der Verordnungen früherer Jahre zu hören. Im Jahr 1951 wurde eine Kommission zur Überprüfung der Tätigkeit der sowjetischen Besatzungsmacht von Moskau nach Wien gesandt. Die Überprüfung brachte große Unzulänglichkeiten in praktisch allen Tätigkeitsbereichen der sowjetischen Militärverwaltung ans Tageslicht, was in dem Beschluss des Ministerrates der UdSSR vom 1. November 1951 „Über die Verbesserung der Arbeit des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich" Ausdruck fand. Wenn man sich mit dem Text des Beschlusses vertraut macht, zeichnet sich ein ziemlich trauriges Bild ab: Die Sowjetische Armee in Österreich verwandelte sich immer mehr in eine gewissermaßen entpersönlichte Besatzungsmacht, deren Politorgane sich zudem selbst von der Durchführung der Arbeit in der Bevölkerung und der Unterstützungsarbeit „antifaschistischer" Organisationen zurückzogen und eine passive Abwehrposition einnahmen. Wie es in solchen Fällen üblich war, wurden im Beschluss nicht nur die Schuldigen genannt, 1 2

RGANI, F. 3, op. 10, d. 8, S. 33. RGANI, F. 3, op. 8, d. 10, S. 175.

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Irina Kazarina sondern man setzte auch „konkrete Maßnahmen" zur Verbesserung der zutage getretenen Missstände. Dementsprechend gingen von Österreich in den nachfolgenden zwei Jahren regelmäßig Informationen über den Verlauf der Verordnungserfüllung im ZK der KPdSU ein. Zugegeben, über die gemachten Fehler sprach man etwas milder und verschwommener: In einem dieser Informationsschreiben zeigte sich, dass „die Besonderheiten der politischen Entwicklung Österreichs lange Zeit nicht im nötigen Ausmaß von der sowjetischen Besatzungsmacht berücksichtigt wurden, was zu einer ganzen Reihe von ernsthaften Fehlern in ihrer Arbeit führte". 3 Die Beschlüsse und Entscheidungen zu allgemeinen Fragen der sowjetischen Präsenz in Österreich standen in engem gegenseitigen Zusammenhang mit dem zweiten großen Dokumentenbestand, der die unzähligen Funktionen der sowjetischen Besatzungsstrukturen beleuchtet. In Übereinstimmung mit den Instruktionen aus Moskau löste das Kommando des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission in Österreich die unterschiedlichsten und weit über den Rahmen des militärischen Bereiches hinausgehende Aufgabe. Abgesehen von den unmittelbaren Truppenvorbereitungen, der Durchführung der Lehre und der Dienstausübung, übte der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission auch die Kontrolle über die Tätigkeit der Organe der österreichischen Regierung sowie über Vereine und Verbände aus; er unterstützte die Führung sowjetischer Einrichtungen und demokratischer Organisationen Österreichs bei der Durchführung verschiedenster Maßnahmen; er kontrollierte den Transport von Kriegsgerät und Ähnlichem über die Demarkationslinie. Für eine ihrer wichtigsten Aufgaben hielt man „die Enthüllung und Unterbindung von Maßnahmen zur Vorbereitung der Kader und des Materiallagers auf eine zukünftige österreichische Armee [...], die Aufdeckung von Organisationen und Institutionen, deren Tätigkeit in irgendeiner Weise Elemente der Militärarbeit einschließt". 4 Dahin wurden auch die Bemühungen der sowjetischen Vertreter in den Alliierten Institutionen gelenkt. Wie schon erwähnt, war die österreichische Regierung verpflichtet, nur solchen Beschlüssen Folge zu leisten, die von allen vier Mächten einstimmig angenommen wurden. Da aber die sowjetischen Vertreter in Österreich, auf Anordnung aus Moskau, nicht so sehr bemüht waren, gegenseitig annehmbare Herangehensweisen zu den existierenden Problemen zu finden und sich vielmehr mit „der Enthüllung der Politik der westlichen Besatzungsmächte und der reaktionären österreichischen Regierung beschäftigten", wurden solche einstimmigen Beschlüsse von Mal zu Mal seltener. Zum Beispiel wiesen die sowjetischen Vertreter erst Ende 1952, Anfang 1953 kategorisch die Bitte der österreichischen Regierung um die Erweiterung der Rechte der Tätigkeit der Abteilung für Zivilluftfahrt zurück, sie verboten den österreichischen Funkamateuren, an der Übertragung auf Kurzwellen zu arbeiten, und sie unterbanden die Einrichtung einer Telefonverbindung mit Spanien. Diese und andere Beschlüsse von sowjetischer Seite wurden mit den gleichen Argumenten begründet: Dergleichen Vorschläge können nicht angenommen werden, da sie die Remilitarisierung des Landes

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RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, S. 5. Vgl. dazu den Beitrag von Harald Knoll und Barbara Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich, in diesem Band. Ebd., S. 130f.

Die Sowjetische Armee in Österreich im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU forcieren, die Tätigkeit im Bereich der Vorbereitung der Militärkader aktivieren und die Spionage gegen die sowjetischen Militärstrukturen ermöglichen. Zur selben Zeit bemerkte man zur allgemeinen Besorgnis, dass die österreichische Führung, offensichtlich nicht ohne Zuflüstern ihrer westlichen „Freunde", Wege gefunden hatte, die bestehenden Hindernisse zu umgehen. Indem sie sich auf Artikel 6 des zweiten Kontrollabkommens bezogen, begannen die Österreicher, all jenen Maßnahmen, die einen sowjetischen Protest hervorrufen könnten, die Form von Bundesgesetzen zu verleihen. Solche Gesetze unterlagen nicht der Bestätigung des Alliierten Rates und konnten somit ohne die Billigung der sowjetischen Besatzungsmacht in Kraft treten. Von Ende 1951 bis Anfang 1953 legte die österreichische Regierung dem Alliierten Rat drei Verfassungsgesetze zur Sanktion vor, gegen welche die sowjetische Seite auch sofort ein „Veto" einlegte. Die Zahl der nicht verfassungsmäßig festgeschriebenen Gesetze, gegen die man in Moskau erfolglos Einspruch zu erheben versuchte, belief sich auf 132.5 Noch eine Methode, die sich die österreichische Regierung zur Umgehung der sowjetischen Besatzungsmacht zu Nutze machte, lag darin, die Direktiven und Anordnungen direkt an die Bezirksvorsteher und an die Gendarmerie- und Polizeiposten zu senden und so die Landesregierungen oder die Sicherheitsorgane in den Ländern, die unter der Kontrolle von sowjetischen Kommandanten standen, zu übergehen. Im Jahr 1952 wurde bei der Überprüfung eines Gendarmeriepostens durch sowjetische Militärpersonen ein Befehl des österreichischen Innenministers Oskar Helmer entdeckt, der die Gendarmen und Polizisten verpflichtete, bei den Wahlkampfveranstaltungen der linken Parteien und Organisationen Bespitzelungen durchzuführen. Die UdSSR legte beim Alliierten Rat gegen den Befehl wie auch gegen die Tatsache, dass die einheimischen Machtorgane, die unter der Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmächte standen, nichts von ihm wussten, Protest ein.6 Es gilt anzumerken, dass die Herangehensweise zur Einhaltung früher beschlossener Gesetze und Entscheidungen von österreichischer wie auch von sowjetischer Seite eine deutliche Spezifik aufwies. Während jedoch die Österreicher „Umgehungsmanöver" vorzogen, so nutzten die sowjetischen Besatzungsorgane als entscheidendes Argument nicht selten das, was zwar vom offiziellen Standpunkt aus (wie in sowjetischen Dokumenten auch offiziell zugegeben wurde) legal war, aber „unseren Interessen widersprach". 7 Eben von diesen Positionen ausgehend, erklärte die sowjetische Besatzungsmacht in Österreich die Verfügung über die den sowjetischen Kommandanten nicht gewährten Auskünfte über den Personalstand der Polizei und Gendarmerie für nichtig; den Polizisten in der sowjetischen Zone wurde es verboten, Gummiknüppel zu benützen 8 ; eine Erhöhung der Zahl der Gendarmen an der Grenze zur Tschechoslowakei wurde nicht zugelassen und eine Umorganisierung des Personalstandes der Polizei ohne Zustimmung des sowjetischen Kommandos verboten. Zur Vermeidung von Versuchen der 5 6 7 8

Ebd., S. 36. Ebd., S. 37. Ebd., S. 33. Abgedruckt in: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx - Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente. Krasnaja Armija ν Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945-1955. Dokumenty. Graz - Wien - München 2005, Dokument Nr. 111.

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Irina Kazarina österreichischen Führung, die eigene Luftflotte unter dem Deckmantel verschiedener Segelflugvereine wieder zu beleben, überhäuften die Vertreter der sowjetischen Militärverwaltung diese Organisationen mit unzähligen Überprüfungen und Einschränkungen, sodass, wie man in sowjetischen Berichten aus Österreich nicht ohne Stolz bemerkte, „die meisten Segelflugorganisationen in unserer Zone im Grunde noch immer handlungsunfähig sind, und einige von ihnen vor dem Zerfall stehen". 9 Allerdings gingen im ZK der KPdSU weiterhin Beschwerden von sowjetischen Soldaten und Parteimitarbeitern in Österreich darüber ein, dass die österreichische Regierung übermäßig große Freiheit und Selbstständigkeit genieße und dass die „Hochkommissare in ihren eigenen Besatzungszonen in Fragen der Gewährleistung der Sicherheit ihrer Truppen und für die Aufrechterhaltung von Legalität und der Ordnung nur dann aktiv werden könnten, wenn dies die österreichischen Behörden nicht selbst zu gewährleisten im Stande wären". 10 Bis zu einem gewissen Grad konnte man die Vertreter des sowjetischen Militärkommandos in Österreich verstehen. Dem Wesen nach waren sie ja Besatzungskräfte, das heißt, sie besaßen die Hoheit über einen Teil des österreichischen Territoriums. Gleichzeitig jedoch konnten sie keine Befehle oder Verfügungen ausgeben, die einen verpflichtenden Charakter für die österreichische Regierung besaßen oder die durch ihr Wirken die Verfassungsrechte der österreichischen Behörden verletzten. Diese seltsame Symbiose aus Elementen in der Verwaltung, die kriegsähnlichen Charakter besaßen, mit den demokratischen Prinzipien der Friedenszeit, aber auch Moskaus aktive Ablehnung der zusehends westlichen Orientierung Österreichs rief nicht wenige Schwierigkeiten in der Tätigkeit der sowjetischen Militäradministration hervor. Die Besonderheit der Lage der sowjetischen Einheiten zeigte sich auch in unmittelbar militärischen Fragen. In den Jahren des Kalten Krieges provozierten sich beide gegeneinander kämpfenden Lager ständig durch Erkundungsflüge ihrer Militärflugzeuge mit „Anflügen" in den gegnerischen Luftraum oder etwa durch das Auftauchen von Unterwasserbooten in den Hoheitsgewässern benachbarter Staaten. Gewöhnlich tauschten die Seiten auf Grund solcher Verletzungen Protestnoten aus, aber in einer Reihe von Fällen scheuten sie sich auch nicht vor resoluten Gegenmaßnahmen, wenn, in der sowjetischen Propagandasprache ausgedrückt, „ein unbekanntes Flugzeug in Richtung Meer verschwunden ist", was im Klartext bedeutete, dass es auf Grund der Maßnahmen der gegnerischen Luftabwehr abgestürzt war. Auch in Österreich fanden Verletzungen der festgelegten Regeln, welche die Überflüge über die sowjetische Besatzungszone betrafen, durch die Westmächte statt. Allein im ersten Quartal des Jahres 1953 hatten sich über 30 solcher Verletzungen angesammelt. Während sich ein Teil davon auf Flüge von britischen und amerikanischen Transportflugzeugen außerhalb der festgelegten Grenzen des Luftkorridors zurückführen lässt, waren die restlichen Verletzungen aber mit unverhüllten aufklärerischen Aktionen der westlichen Luftwaffe verbunden. In diesem Fall konnten jedoch die sowjetischen Truppen nicht aktiv werden (es waren sogar Versuche verboten, solche Flugzeuge zum 9 10

Ebd., S. 153. Ebd., S. 3.

Die Sowjetische Armee in Österreich im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU Landen auf ihrem eigenen Territorium zu zwingen). Der Leiter der Militärabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission in Österreich, Oberst M. Egorov, war gezwungen, in seinen Berichten nach Moskau die bittere Tatsache zu konstatieren, dass „unsere Kontrolle über die Überflüge von Flugzeugen westlicher Besatzungsmächte wie gehabt wenig effektiv ist und nur auf die Registrierung der Verletzungen und den Briefwechsel diese Sache betreffend mit den amerikanischen und britischen Besatzungstruppen hinausläuft"." Die sowjetische Besatzungsmacht in Österreich war natürlich auch mit nichtmilitärischen Aufgaben betraut, wie etwa der Kontrolle über die Wirtschaft des Landes, vor allem über die wichtigsten Industriebetriebe der sowjetischen Besatzungszone. Eine wichtige Rolle spielten dabei wohl die Militärkommandanturen, aber auch die Bevollmächtigte des Hochkommissars in den Bundesländern, denen die Vertreter der Wirtschaftsabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich zur Seite standen. Wenngleich die sowjetischen Offiziere in Militärangelegenheiten gut ausgebildet waren, so waren die Versuche, sie als Wirtschaftskontrolleure einzusetzen, meistens nicht besonders effektiv. Dies verstand man auch in Moskau, umso mehr, als die Wirtschaftsabteilung des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission immer wieder der höchsten sowjetischen Führung mitteilte, dass die Auswahl der Kader, die mit der Kontrolle der österreichischen Wirtschaft betraut war, äußerst unbefriedigend wäre. In der überwältigenden Mehrheit handelte es sich um junge Offiziere, die „überhaupt nicht mit Produktions- oder Industrieeinrichtungen vertraut" 12 waren. Außerdem waren viele Kommandanturen personell nicht vollständig besetzt, was ebenfalls ernsthafte Probleme bereitete und keine Behandlung aller in den Kompetenzbereich der Kommandanturen fallenden Fragen zuließ. Auch die Versuche, Offiziersversammlungen der Kommandanturen zu organisieren, in denen spezielle Lehrveranstaltungen im Bereich der Wirtschaftspolitik stattfanden (das Abhalten von Vorträgen und Vorlesungen über die österreichische Wirtschaft, über die Aufgaben und die Methoden der Kontrolle, über die örtlichen Budgets und die Kontrolle über ihren Vollzug), brachten nicht die erwünschten Resultate. Trotz der strengen militärischen Disziplin erwies sich selbst die Organisation dieser Versammlungen als äußerst schlecht. Zum Teil waren folglich an solchen Versammlungen Anfang 1953 Vertreter von nur zwölf von 35 Kommandanturen anwesend, wobei die Vertreter der wichtigsten Industriegebiete, darunter auch Wien, nicht an den Versammlungen teilnahmen. 13 Einen Ausweg aus dieser Lage sahen die Vertreter des sowjetischen Militärkommandos in der „Hilfeleistung für die Kommandanturen in Form von Durchführung regulärer Versammlungen, Ausfahrten in die Bezirke und auch Verstärkung des Personalbestandes der Kommandanturen durch Offiziere, die eine technische Ausbildung haben". Die Reaktion in Moskau auf diese Vorschläge war nur allzu typisch für die sowjetische Führung.

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Ebd., S. 156. Ebd., S. 107. Ebd., S. 108.

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Irina Kazarina Die Angelegenheit der Hilfestellung durch Militärkader, die im Wirtschaftsbereich kompetent sind, blieb im Prozess der Koordinierung zwischen den verschiedenen Behörden „hängen". Dafür wurde vom Sowjetischen Teil der Alliierten Kommission gefordert, „die Aktivitäten in Bezug auf solche Fragestellungen zu erhöhen, die dazu beitragen, die volksfeindliche Wirtschaftspolitik der österreichischen Regierung zu entlarven".14 Den dritten thematischen Dokumentenbestand bilden Materialen über das alltägliche Leben der sowjetischen Truppen in Österreich, über die Beziehungen der Militärpersonen mit der einheimischen Bevölkerung. Derartige Informationen erschienen in der Regel nicht als selbstständige dokumentarische Quelle, sondern waren fragmentarisch auf den Seiten verschiedenster Dokumente verstreut. Nichtsdestoweniger kann man, wenn man diese einzelnen Zeugnisse sammelt und vergleicht, einen Einblick in das Alltagsleben der sowjetischen Besatzungssoldaten in Österreich bekommen. Jede Armee, die sich lange Zeit ohne Beschäftigung auf dem Territorium des okkupierten Staates befindet, beginnt früher oder später an einem „Besatzerkomplex" zu leiden. Dies beunruhigte besonders die sowjetische Führung, die die Aufrechterhaltung des moralischen Kampfgeistes der sowjetischen Einheiten in Österreich aufmerksam verfolgte. Zu diesem Zweck wurde mit dem Mannschafts- und Offiziersstand Propagandaarbeit geleistet, es wurden Vorlesungen und Politinformationsveranstaltungen organisiert, die den Gedanken bis zu den Soldaten übertragen mussten, welch wichtige und notwendige Sache sie ausführten, was für eine große Ehre und Verantwortung ihnen anvertraut wurde. Dies erwies sich jedoch nicht als Wundermittel, und so musste die sowjetische Führung, wohl oder übel, mit den Berichten von Zwischenfällen, die mit dem Aufenthalt der sowjetischen Truppen in Österreich verbunden waren, konfrontiert werden. Beunruhigung riefen zu gleichen Teilen Rechtsverletzungen wie auch die übermäßige Fraternisierung der sowjetischen Militärpersonen mit der weiblichen Bevölkerung in Österreich hervor. Obwohl jede sanktionierte und nichtsanktionierte Verbindung der Soldaten mit der einheimischen Bevölkerung unter der besonderen Kontrolle der Politorgane in den Einheiten stand, war es natürlich sehr schwierig, alle Fälle von „engen Kontakten" zu verfolgen. Eine nicht unbedeutende Bedrohung der sowjetischen Ideologie stellte das Leben in Österreich selbst dar. Von Kindheit an daran gewöhnt, dass er im besten, fortschrittlichsten und freiesten Land lebte, konnte ein Soldat der Sowjetischen Armee, der ins kapitalistische, „zu verfaulen beginnende" Österreich geraten war, durchaus einen Schock, hervorgerufen durch das dort Gesehene, erfahren, vor allem im Vergleich zur sowjetischen Wirklichkeit. Es ist anscheinend kein Zufall, dass die Rotation der Kader, darunter auch jene der Offiziere, in Österreich ziemlich hoch und regelmäßig war, und auch, dass sich dort die Partei- und Militärpropagandisten aktiver bemüht haben. In den Dokumenten des RGANI trifft man nicht nur einmal auf Bemerkungen wie: „Berücksichtigend, dass der Bestand der Kommandanturen erneuert wurde [...],

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Ebd.

Die Sowjetische Armee in Österreich im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU war es unumgänglich, instruktive Versammlungen der Vertreter ausnahmslos aller Kommandanturen durchzuführen." 15 Ein genau entgegengesetztes Bild konnte man beobachten, wenn die Initiative zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Kontakte mit der sowjetischen Militärverwaltung von der einheimischen Bevölkerung ausging. Diese Initiative wurde auf jede mögliche Weise begrüßt und von den sowjetischen Vertretern gutgeheißen und stieß, ganz im Gegensatz dazu, auf Widerstand von Seiten der österreichischen Behörden. Die niederösterreichische Landesregierung verbot den Staatsangestellten überhaupt offiziell, sowjetische Kommandanturen zu besuchen. Dem Beauftragten des Hochkommissars gestattete man nur, die Mitglieder der Landesregierungen zu besuchen, aber unbedingt in Begleitung eines Referenten.' 6 Die sowjetischen Kommandanten appellierten anlässlich solcher Verbote immer wieder an die Bundesregierung, diese jedoch beeilte sich durchaus nicht immer, sich in die Lösung solcher Konflikte einzumischen. Was die Rechtsverletzungen betrifft, war dieser Aspekt des Lebens der Sowjetischen Armee keine spezifische Besonderheit der sowjetischen Besatzungszone. Rechtsverletzungen und sogar Verbrechen geschahen auch in den westlichen Zonen, und sie waren die unvermeidliche Folge jener Situation, in denen sich die Truppen der Anti-HitlerKoalition befanden, die sich nach dem Willen der Politiker in Österreich aufhielten. Dabei muss man berücksichtigen, dass im Gegensatz zu den Deutschen (obwohl auch Österreicher aktiv an den Kampfhandlungen an der Ostfront teilgenommen hatten) die Beziehung der sowjetischen Soldaten zu den Österreichern recht friedlich war. Deshalb waren, wenn es zu Verletzungen kam, diese durchaus nicht mit ideologischen, nationalen oder anderen Widersprüchen verbunden, denen ein Widerhall des vergangenen Krieges zugrunde lag. Zu den häufigsten Vergehen gehörten Trunksucht und Raufereien der Soldaten mit der einheimischen Bevölkerung. In einer Reihe solcher Fälle wird in den diesbezüglichen Berichten die Benutzung von Messern oder sogar von Feuerwaffen erwähnt, aber in der Regel beschränkte man sich auf Drohungen, diese einzusetzen. 17 Man muss jedoch anmerken, dass die Anzahl solcher Rechtsverletzungen von 1953 bis 1955 sehr gering war, aber das Wichtigste: „bei allen Verletzungen der Gesellschaftsordnung durch Personen der sowjetischen Besatzungstruppen ergriffen die Kommandanten Sofortmaßnahmen, und die Schuldigen wurden bestraft" 18 , hieß es in einer Meldung nach Moskau, die von Vertretern des sowjetischen Militärkommandos in Österreich formuliert wurde. Dies war durchaus keine leere Behauptung. Das ZK der KPdSU forderte in seinen Beschlüssen von seinem Militärkontingent in Österreich die Einhaltung der Prinzipien „der sozialistischen Gesetzlichkeit" und die Aufrechterhaltung des Images des sowjetischen Menschen als Begründer der fortschrittlichsten und gerechtesten Gesellschaftsform. Es wurde angeordnet, die Beschlüsse des obersten Parteiorgans in der UdSSR streng nach den Buchstaben des Gesetzes zu erfüllen und deren Verletzungen entschieden zu bestrafen. 15 16 17 18

Ebd. RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, S. 34. RGANI, F. 5, op. 28, d. 222, S. 73. Ebd.

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Irina Kazarina Zahlenmäßig an zweiter Stelle der Verletzungen der österreichischen Gesellschaftsordnung stand bei den sowjetischen Soldaten die illegale Jagd und der illegale Fischfang. Dabei erschienen im Kreis der Rechtsverletzer nicht nur Rekruten und Unteroffiziere, sondern auch Offiziere auf. Und obwohl man solche Zwischenfälle kaum sozial gefährlich nennen konnte, hatten sie trotzdem manchmal unangenehme und weitreichende Folgen. So geschah es zum Beispiel, dass im Bezirk Rohrbach, wo durch ein Staubecken, das von sowjetischen Soldaten in einem Bach errichtet worden war, um auf diese Art und Weise Fische zu fangen, der Damm beschädigt wurde und so eine Mühle außer Betrieb gesetzt wurde.19 Über alle derartigen Fälle informierten die österreichischen Behörden unverzüglich die sowjetischen Kommandanten und den Vertreter des Hochkommissars in Österreich. Die Anzahl der Beschwerden stieg besonders an, wenn diese Verfehlungen von den Kommandanten selbst oder anderen sowjetischen verantwortlichen Persönlichkeiten begangen wurden. Wobei mitunter gar nicht die Rede von Verletzungen war, sondern von einer elementaren Unfähigkeit einiger sowjetischer Offiziere, eine gemeinsame Sprache mit den örtlichen Behörden zu finden, und von Grobheiten und Unbeherrschtheiten der Mitarbeiter in den Kommandanturen. Was aber wiederum nicht verwunderlich war: Vielen Kommandanten, die durch die Schule harter Kampfhandlungen gegangen und die raue Militärsprache gewohnt waren, gelang es bei weitem nicht sofort, bei den Gesprächen mit den österreichischen Beamten, die sie, wenn schon nicht als feindliche, so offensichtlich auch nicht als befreundete Kräfte ansahen, vom Befehlston Abstand zu nehmen. Die Unfähigkeit einzelner Vertreter der sowjetischen Militärverwaltung, die richtige Herangehensweise an die Lösung von nicht einmal besonders schwierigen Fragen zu finden, ihr gespanntes Verhältnis zu den einheimischen österreichischen Behörden, berührte die sowjetische Führung anscheinend nicht sonderlich. Maßnahmen wurden natürlich ergriffen. Dem einen wurde bei der Arbeit Hilfe geleistet, mit einem anderen führte man klärende Gespräche. In den Meldungen nach Moskau wird etwa Militärkommandant Major Cernych erwähnt, bei dem wegen seines Unvermögens, richtig an die Lösung der einfachsten Fragen heranzugehen, „gespannte Verhältnisse mit den einheimischen österreichischen Behörden festgestellt wurden, und die Letzteren lassen keine Gelegenheit aus, Beschwerden über die falschen Handlungen dieses Militärkommandanten zu schreiben." 20 Es gab auch solche, die von ihrem Dienst entlassen und in andere Dienststellen versetzt wurden. Eine Zeit lang entstand jedoch der Eindruck, in der UdSSR würde die „gemäßigte Härte" in den Handlungen der Militärkommandanturen sogar gutgeheißen. Außerdem, wie auch im Fall der Kontrolle der österreichischen Wirtschaft durch Militärpersonen, hingen die objektiven Probleme in der Tätigkeit der Kommandanturen mit dem elementaren Mangel an Kaderpersonal zusammen. Obwohl in allen Personaletats der Komman-

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Ebd. Vgl. dazu auch den Beitrag von Gerald Hafner, Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung, in diesem Band. RGANI, F. 5, op. 28, d. 222, S. 74.

Die Sowjetische Armee in Österreich im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU danturen Stellen für Dolmetscher vorgesehen waren, gab es sie bei weitem nicht überall. So hatte, den Informationen nach, die im ZK der KPdSU eingegangen sind, im Mühlviertel von drei Kommandanturen nur eine einen Dolmetscher. 21 Natürlich verursachte diese Situation zusätzliche Probleme bei den Kontakten der Vertreter der sowjetischen Militärverwaltung mit den einheimischen Behörden. Auf die Beziehungen der sowjetischen Militärangehörigen zu den österreichischen Behörden übten die politischen Metamorphosen, die rund um den Staatsvertrag in den Jahren von 1953 bis 1955 geschahen, großen Einfluss aus. Die Änderung der Politik der neuen sowjetischen Führung, Schritte, die in Richtung Milderung des Besatzungsregimes gingen, erfüllten die Herzen der Österreicher mit Hoffnung auf eine baldige Lösung der „österreichischen Frage" und nötigten die österreichischen Behörden in Bezug auf die sowjetischen Militärangehörigen, äußerst akkurat und korrekt zu handeln. Nach dem Scheitern der Berliner Konferenz änderte sich die Lage schlagartig, und der Ton der öffentlichen Personen, wie auch jener in den österreichischen Massenmedien, wurde in höchstem Maße, soweit es eben unter den Besatzungsbedingungen möglich war, schroff. Die darauf folgenden antisowjetischen Auftritte und Demonstrationen, die in der sowjetischen Führung unverhüllte Panik auslösten, 22 verschärften für eine gewisse Zeit die Beziehungen der sowjetischen Militärverwaltung mit den einheimischen Behörden. Erst nach dem äußerst barschen Auftritt des sowjetischen Hochkommissars am 17. Mai 1954, der die österreichische Regierung an ihre Verantwortung für die Anfachung der antisowjetischen Stimmung erinnerte und an Wien eine Liste von sowjetischen Reklamationen stellte, endete die antisowjetische Propagandakampagne sehr schnell. In die Liste dieser Reklamationen fanden, abgesehen von direkten Anklagen der künstlichen Entfachung einer antisowjetischen Stimmung, auch Fakten Eingang, wie die weit beworbene Österreichrundfahrt ehemaliger NS-Generäle, die Verstärkung der Aktivitäten eng miteinander verbundener westdeutscher und österreichischer Verbindungen, Treffen von Kriegsveteranen des Zweiten Weltkrieges, auf denen Revancheerklärungen und Aufrufe zu einem neuen „Anschluss" offen ausgesprochen wurden, und vieles mehr. Ungeachtet dessen, dass es absurd wäre, von einem natürlichen oder normalen Verhältnis zwischen der Militärverwaltung der Besatzungsmacht und der Führung des besetzten Landes zu sprechen, existierten doch qualitative Unterschiede der Verhältnisse der sowjetischen Militärpersonen mit den einheimischen Behörden auf Staats- oder Regionalniveau. Im ersten Fall wurden diese Verhältnisse, wie schon erwähnt, von der internationalen Atmosphäre, den Meinungsverschiedenheiten mit den anderen Ländern der Alliierten Kommission oder etwa der bekannten wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit der österreichischen Regierung von den Westmächten beeinflusst. Auf regionaler Basis waren bisweilen die laufenden ökonomischen Probleme und das unmittelbare Leben unter der ständigen Anwesenheit der sowjetischen Truppen entscheidend.

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Ebd. RGANI, F. 2, op. l , d . 159, S. 86. Abgedruckt in: K a r n e r - S t e l z l - M a r x - T s c h u b a r j a n , Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 184.

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Irina Kazarina Hier trat der so genannte „menschliche Faktor" viel stärker zutage, und deshalb kam es auf lokaler Ebene oft zu mitunter sehr verzwickten Verflechtungen von Sympathien und Antipathien gegenüber sowjetischen Militärpersonen: Die Gereiztheit auf Grund ihrer Anwesenheit und die Hoffnung auf Schutz, die ehrliche Entrüstung auf Grund der vollzogenen Verstöße und die ebenso ehrliche Dankbarkeit für die geleistete Hilfe. Es ist anzumerken, dass auch in der UdSSR sehr genau darauf geachtet wurde, wie die einfache Zivilbevölkerung auf die Anwesenheit der sowjetischen Truppen in Österreich reagierte. In Moskau hatte man die Aussagen der Österreicher, die ihr positives Verhältnis zur Sowjetunion und ihrer Armee bezeugten, buchstäblich gesammelt. Besonders gefielen Erklärungen wie: „Die Amerikaner sollen gehen, aber die Russen bleiben" oder „die Russen sollen nicht gehen, mit ihnen fühlen wir uns sicher". 23 Selbstverständlich führte niemals jemand in der UdSSR Nachforschungen durch, wie hoch der prozentmäßige Anteil solcher Aussagen in Wirklichkeit war, wie ehrlich man in der Buchführung über die Situationen der Besatzung war, ganz zu schweigen davon, ob nicht ein Teil von ihnen von den Informanten selbst zur Beruhigung der Kremlführung ausgedacht war. Nichtsdestotrotz unterliegt die Tatsache selbst, dass es solche Stimmungen gab, keinem Zweifel. Den Dokumenten nach zu urteilen, richtete man in Moskau eine besondere Aufmerksamkeit auf die Beschaffung von Neujahrstannen für österreichische Kinder, woran sich die sowjetischen Militärangehörigen sehr aktiv beteiligten. Sogar zu Stalins Lebzeiten, als die sowjetischen Vertreter in Österreich um Finanzierungsmittel für die Organisation der Neujahrsfeierlichkeiten des Jahres 1953 baten, und die Summe sich fast auf das Doppelte des Vorjahres belief, kamen im ZK der KPdSU nicht die geringsten Zweifel über die Zweckmäßigkeit so einer Erhöhung auf. Die neue sowjetische Führung setzte diese Tradition fort. Wie in einem Dokument des ZK Anfang 1955 erwähnt wurde, „war die Anschaffung von Neujahrstannen für die österreichischen Kinder eine wichtige politische Kampagne zur Stärkung der Freundschaft und des gegenseitigen Verständnisses zwischen dem österreichischen und dem sowjetischen Volk".24 In den Dokumenten wurde allerdings nicht davon gesprochen, dass analoge Neujahrsfeierlichkeiten in Österreich auch von anderen Besatzungsmächten veranstaltet wurden, aber dafür wurden nebenbei und nicht ohne Schadenfreude die Amerikaner erwähnt, die es wegen Transportschwierigkeiten nicht geschafft hatten, Weihnachtslebensmittelpakete für Pensionisten und Bedürftige rechtzeitig zu den Feiertagen zu liefern. Die Veranstaltung von Neujahrsfeierlichkeiten und die Verteilung von Geschenken an österreichische Kinder ermöglichte es den sowjetischen Führungskräften, den Grad der Loyalität der einheimischen österreichischen Behörden zu den Vertretern der UdSSR und der Sowjetischen Armee einzuschätzen. Um so mehr, als solche Feierlichkeiten zu Neujahr 1955 nicht nur in Wien stattfanden, sondern auch in 33 Städten und Orten Österreichs sowie auch in den sowjetischen Betrieben der USIA und der SMV, der Sowjetischen Erdölverwaltung in Österreich, zu denen neben den Kindern der Arbeiter 23 24

RGANI, F. 5, op. 28, d. 222, S. 5, 31. RGANI, F. 5, op. 28, d. 331, S. 91.

Die Sowjetische Armee in Österreich im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU und Angestellten auch die Kinder der einheimischen Bevölkerung und der Arbeitslosen eingeladen wurden. Auf allen diesen Feierlichkeiten traten der Bürgermeister der Stadt, Schulinspektoren und andere offizielle Persönlichkeiten auf, und die sowjetischen Vertreter in Österreich hörten aufmerksam zu, was diese sagten, um es danach ausführlich nach Moskau zu berichten. Natürlich stimmten die meisten Redner Lobeshymnen auf die sowjetischen Soldaten an, die Österreich und die ganze Welt vom Faschismus gerettet hatten, und auf das sowjetische Volk, das „heute Geschenke [...] überreicht, die alle Kinder dieser Erde gerne haben würden". Gleichzeitig blieb aber vor dem wachsamen Auge der Kontrolleure die Information nicht verborgen, wonach einige Direktoren Wiener Schulen, die darauf hinwiesen, dass der Besuch der Feier eine freiwillige Veranstaltung sei, von den Kindern eine schriftliche Einverständniserklärung der Eltern für den Erhalt der Einladung zu dieser Feier verlangten. 25 Ein weiteres Ereignis, das die Sowjetische Armee mit der einheimischen österreichischen Bevölkerung näher zusammenbrachte, war das Hochwasser 1954, das besonders Ostösterreich großen Schaden zugefügt hat. Die sowjetischen Soldaten halfen den Bewohnern der in Mitleidenschaft gezogenen Gebiete, indem sie Heldentum und Mut bei der Rettung der ins Unglück geratenen Menschen an den Tag legten. Dankbarkeit wurde den sowjetischen Soldaten nicht nur von den einfachen Bürgern und örtlichen Behörden ausgesprochen, sondern auch von der Bundesregierung, die sich sogar mit der Bitte um Genehmigung, den besonders herausragenden Soldaten österreichische Staatsauszeichnungen verleihen zu dürfen, an die Führung der UdSSR wandte, was Moskau in eine schwierige Situation brachte: Es gab in der Sowjetunion keinen Präzedenzfall, in dem ihre Soldaten und Offiziere mit Orden und Medaillen von der Regierung eines von ihnen besetzten Landes ausgezeichnet wurden. Infolgedessen musste einen Monat, nachdem auf der Sitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU die Entscheidung für die Hilfeleistung für das durch das Hochwasser geschädigte Österreich getroffen worden war, auf der Sitzung desselben Parteiorgans die Frage diskutiert werden, ob es zweckmäßig sei, die sowjetischen Soldaten österreichische Auszeichnungen annehmen zu lassen.26 Gemäß der sowjetischen politischen Doktrin sollte die sowjetische Militärverwaltung in Österreich mit den österreichischen Kommunisten und anderen „progressiven" (d. h. an der Moskauer Orientierung festhaltenden) Organisationen engere Kontakte unterhalten. In der Praxis verhielt sich jedoch alles etwas anders. Schon im oben erwähnten Beschluss des Ministerrates der UdSSR vom 1. November 1951 lag einer der schwerwiegendsten an die sowjetische Militärverwaltung adressierten Vorwürfe in der sonderbaren unpolitischen Haltung der Vertreter der Sowjetischen Armee und in der geringen Unterstützung der KPÖ. Während die Kontrolle über die Regierungshandlungen und der Kampf gegen die Versuche einer Wiedergeburt des Faschismus und des Militarismus noch auf einem mehr oder weniger annehmbaren Niveau geführt wurden, so verhielt sich die Sache mit der Unterstützung der KPÖ und anderen linken Organi25 26

Ebd., S. 94. Siehe dazu den Beitrag von Ludwig Steiner, Das Miterleben einer historischen Zeit, in diesem Band.

Irina Kazarina sationen ausgesprochen schlecht. In den Jahren nach der Überprüfung hatte sich nicht viel verändert, obwohl die sowjetischen Vertreter in Österreich munter nach Moskau meldeten, dass die von ihnen in letzter Zeit geleistete politische Arbeit „eine ernsthafte Hilfe für die KPÖ und andere demokratische Organisationen Österreichs in all ihren Tätigkeitsfeldern darstellte". 27 Gleichzeitig gingen vom sowjetischen Kommando in Österreich Gegenanschuldigungen an die Führung der KPÖ, die selbst keine Erweiterung der Verbindungen mit den sowjetischen Militärvertretern anstrebten. Der Einfluss der Kommunisten auf die Bevölkerung „erschwerte sich durch die Organisationsschwäche der Partei, das niedrige ideologische Niveau ihrer Mitglieder und Funktionäre, das Vorhandensein von Sektierertum in den Reihen der KPÖ, die Vetternwirtschaft und die schwerwiegenden Überbleibsel der Sozialdemokratie". 28 Besonders deutlich zeigte sich die mangelnde Koordinierung der Handlungen der Militärverwaltung und der Führer der KPÖ bei der Durchführung der politischen Arbeit in den Betrieben der USIA und der SMV. Die Soldaten verwiesen auf die Entscheidung des Politbüros des ZK der KPÖ, die besagte, dass diese Arbeit die betrieblichen Parteiorganisationen durchzuführen hätten, und entließen sich faktisch selbst, indem sie ihre Tätigkeit auf das Organisieren von sportlichen und kulturellen Massenveranstaltungen beschränkten. Und da die österreichischen Kommunisten sich nicht sonderlich beeilten, den Beschluss des eigenen Politbüros zu erfüllen, wurde die politische Arbeit in den sowjetischen Betrieben in Österreich völlig vernachlässigt. Wenn man den Berichten über die Liquidierung der Mängel, die im Laufe der Überprüfung der Tätigkeit der sowjetischen Militärverwaltung in Österreich zutage traten, Glauben schenken darf, waren die sowjetischen Vertreter auch hier - bei voller Informiertheit der höchsten Parteiorgane - bemüht, dieser Frage die Schärfe zu nehmen, indem sie erklärten, dass „die vorhandenen Umstände zu einer gewissen Einschränkung der politischen Arbeit in den sowjetischen Betrieben der USIA und der SMV geführt hat". 29 Äußerst wichtig für die sowjetische Führung war auch die Information über die Reaktion der Bevölkerung Österreichs auf die Entscheidung der Beendigung der Besatzung. Selbstverständlich hatten solche Informationen keine praktische Bedeutung mehr im Sinne der Vervollkommnung des Systems der Wechselbeziehungen zwischen den sowjetischen Soldaten und den Vertretern der österreichischen Behörden. Gemäß dieser Information versuchte man jedoch in der UdSSR, die Stimmung in den verschiedensten österreichischen Gesellschaftsschichten zu bewerten und diese Daten bei der Formierung neuer Elemente der sowjetischen Regierungspolitik im Verhältnis zum unabhängigen Österreich zu verwenden. Dies umso mehr, als die Nachricht vom Abzug der sowjetischen und der westlichen Besatzungstruppen aus Österreich, so seltsam es auch klingt, keine einheitliche Reaktion unter der einheimischen Bevölkerung hervorrief. Natürlich war das Gefühl der Freude darüber, dass das Land zehn Jahre

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RGANI, F. 5, op. 28, d. 221, S. 314. RGANI, F. 5, op. 28, d. 70, S. 4. RGANI, F. 5, op. 28, d. 221, S. 316.

Die Sowjetische Armee in Österreich im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU nach Kriegsende endlich die Freiheit erlangte, vorherrschend. Zu diesem Gefühl gesellten sich aber auch die Angst und die Unsicherheit, die Zukunft der österreichischen Regierung betreffend. Es ist verständlich, dass sich die Kommunisten am meisten vor dem Abzug der sowjetischen Truppen fürchteten. Einige von ihnen befanden sich in den ersten Monaten nach der Bekanntmachung des Abzugs der Sowjetischen Armee aus Österreich in einem regelrechten Schockzustand. Wie die Führer der KPÖ selbst zugaben, „ging ein Teil der Kommunisten [...] davon aus, dass die Sowjetische Armee in ihrem Wirkungsbereich nicht an der Demarkationslinie halt machen würde, sondern eines wunderschönen Tages nach Westen streben und dem österreichischen Volk und anderen Völkern die völlige Befreiung bringen würde". 30 Besonders deutlich zeigte sich die Bestürztheit der österreichischen Kommunisten im Zuge eines außertourlichen Plenums des ZK der KPÖ am 18. April 1955, auf dem als Hauptpunkt die Einstellung der Kommunisten zur bevorstehenden Unterzeichnung des Staatsvertrages diskutiert wurde. Wie die sowjetischen Vertreter, die dem Plenum beigewohnt hatten, nach Moskau berichteten, sprachen viele Kommunisten offen ihre Befürchtungen aus, dass nach dem Abzug der sowjetischen Truppen gegen sie mit Repressivmaßnahmen begonnen werden würde.31 Weder die Garantien der österreichischen Regierung noch die sowjetischen Versprechungen, eine solche Entwicklung der Ereignisse nicht zuzulassen, konnten die österreichischen Kommunisten und ihre Sympathisanten besonders überzeugen. Möglicherweise stand vor den Augen der österreichischen Kommunisten Jugoslawien, mit dem die UdSSR praktisch zur selben Zeit die früher unterbrochenen Beziehungen wiederherstellte. In der Folge waren jene jugoslawischen Kommunisten, die früher die bedingungslose Unterstützung Moskaus im Kampf gegen „die Diktatur Titos" genossen hatten, jetzt, da Josip Tito abermals ein sowjetischer Freund wurde, faktisch Weggeworfene, dem Schicksal Überlassene. Aber auch nicht kommunistisch eingestellte bzw. politisch sonderlich interessierte Menschen sahen dem Abzug der Besatzungstruppen mit gemischten Gefühlen entgegen. Ihr grundlegendes Argument bestand darin, dass die Anwesenheit der Sowjetischen Armee in Österreich eine Stabilität der politischen und militärischen Situation im Land und in ganz Europa ermöglichte und auch die Unmöglichkeit eines neuerlichen „Anschlusses" garantierte. Außerdem trieben die Samen des gegenseitigen Misstrauens, die in den Nachkriegsjahren auf politischen Grund gesät worden waren, starke Keime, die viele alles, was um sie herum passierte, mit Argwohn betrachten ließ. Der Argwohn war gegenseitig. Laut den Informationen der Sekretärin des Moskauer Komitees der KPdSU, Ekaterina Furceva, stellten die Moskauer Werktätigen im Zuge der Gespräche und Politinformationen über den Abschluss des Staatsvertrags immer wieder folgende Fragen: „Hat die UdSSR richtig gehandelt, als sie Zugeständnisse machte?", „Werden

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RGANI, F. 5, op. 28, d. 330, S. 228. Ebd., S. 125f.

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Irina Kazarina nicht die USA das erreichte Abkommen verletzen?", „Was wird sein, wenn die UdSSR ihre Truppen abzieht, aber die anderen das nicht tun?"32 Zur gleichen Zeit mussten sich sowjetische Parteifunktionäre und Mitarbeiter des diplomatischen Corps oft genau so viele misstrauische Erklärungen von den Österreichern anhören, die fürchteten, dass einer der Alliierten die Bedingungen des Abkommens nicht erfüllen und versuchen würde, nach Österreich zurückzukehren, und es nun einer einseitigen Besatzung aussetzen würde. Dieser Argwohn verbreitete sich in gleichem Maße auf die Sowjetische Armee wie auch auf die Streitkräfte der westlichen Länder, umso mehr, als aus den Mündern einiger westlich orientierter Politiker und Militärpersönlichkeiten Österreichs sowohl vor als auch nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages Sprüche ertönten wie „die Neutralität Österreichs ist verübergehend", „im Falle eines Krieges wird die Neutralität für ungültig erklärt werden" und Ähnliches.33 Und völlig unerwartet kamen für Moskau die Mitteilungen darüber, dass die Beendigung der Besatzung ein Anlass für das Entstehen von innerparteilichen Konflikten innerhalb der KPÖ selbst sein würde. Einige österreichische Kommunisten, die sich all die Jahre über in westlichen Besatzungszonen befunden hatten, begrüßten den Abzug der sowjetischen Truppen und verbargen ihre „Schadenfreude" hinsichtlich ihrer Parteigenossen aus der sowjetischen Zone nicht. Da sie meinten, dass sich jene, im Gegensatz zu ihnen, in einer bequemen Lage befunden hatten, hatten sie doch unter dem Schutz der sowjetischen Militärstrukturen gearbeitet, erklärten die „westlichen" österreichischen Kommunisten nun mit offenem Hohn: „Schauen wir einmal, wie sie jetzt arbeiten werden, wenn die Sowjetische Armee weg ist!"34 Der rasche Abzug der Besatzungskräfte aus Österreich (gemäß dem Staatsvertrag mussten alle ausländischen Truppen bis zum 25. Oktober 1955 aus dem Land abgezogen werden) bedingte einen jähen Wandel des Charakters der Informationen über die sowjetischen Truppen, die in der zweiten Hälfte des Jahres 1955 in Moskau aus Österreich einliefen. In den meisten Fällen ging es um technische Fragen, die mit der Notwendigkeit der Ausfuhr des bedeutenden Militärkontingents mitsamt seinem ganzen Militärgerät aus dem Land binnen eines kurzen Zeitraums verbunden waren. Umso mehr, als die Militäreinheit wieder einmal außer den militärischen auch wirtschaftliche Probleme lösen musste, die meistens nichts mit dem Aufenthalt der Sowjetischen Armee in Österreich zu tun hatten. So nahmen die sowjetischen Soldaten an der Wiederschiffbarmachung der Donau teil und halfen bei der Übergabe des der Sowjetunion gehörenden, erbeuteten mobilen Eisenbahngeräts an Österreich. Außerdem bereitete den Vertretern der sowjetischen Militärverwaltung der zeitliche Zusammenfall des Abzugs der Truppen aus Österreich mit der Normalisierung der sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen zusätzliche Sorgen: Viel Zeit und Kraft mussten sie für die Suche und Lieferung verschie-

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RGANI, F. 5, op. 30, d. 90, S. 52. V. N. Beleckij, Sovetskij Sojuz i Avstrii. Bor'ba Sovetskogo Sojuza za vozrozdenie nezavisimoj demokraticeskoj Avstrii i ustanovlenie s nej druzestvennych otnosenij (1938-1960gg.). Moskau 1962, S. 244f. RGANI, F. 5, op. 28, d. 330, S. 130.

Die Sowjetische Armee in Osterreich im Spiegel von Dokumenten des ZK der KPdSU denster Ausrüstungen nach Jugoslawien verschwenden, die bei sowjetischen Betrieben in Österreich schon Ende 1940 bestellt worden waren und seit damals in den Lagern verstaubten. Gleichzeitig musste die UdSSR verschiedene Mitteilungen von westlichen Informationsagenturen über den Zeitpunkt des Abzugs und die Orte der zukünftigen Dislozierung der Einheit der Sowjetischen Armee, die sich in Österreich befand, dementieren. Anfangs erklärte Moskau, dass die im August 1955 aufgetauchten Meldungen über die Aufstellung der aus Österreich abgezogenen Truppen in Ungarn „leere Erfindungen der westlichen Presse" seien. Nachdem ein Monat vergangen war, wurde auf einer Sitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU ein Beschluss angenommen, wonach die sowjetische Nachrichtenagentur TASS bevollmächtigt wurde, die Mitteilung der mittlerweile westdeutschen Nachrichtenagentur DPA über die Verlegung der sowjetischen Truppen von Österreich nach Ungarn zu dementieren. Als Antwort auf alle Anschuldigungen berief man sich in der UdSSR auf den vom Präsidium des ZK der KPdSU sanktionierten und in der sowjetischen Presse am 31. Juli 1955 abgedruckten Befehl des Verteidigungsministers Georgij Zukov, der u. a. eine Anweisung über den Abzug der bis 1. Oktober 1955 in Österreich stationierten Truppen auf das Staatsgebiet der Sowjetunion enthielt. 35 Diese und andere Probleme stellten die gegenwärtigen Fragen, die mit den letzten Monaten des Aufenthalts der sowjetischen Truppen auf österreichischem Boden zusammenhingen, in den Schatten und weckten auch, den Dokumenten des Archivs nach zu urteilen, nie mehr das Interesse der höchsten sowjetischen Führung. In den folgenden Jahrzehnten standen Einheiten der Sowjetischen Armee oftmals außerhalb der Grenzen ihres Heimatlandes. In manchen Ländern war ihre Präsenz eine langfristige und dauerhafte, anderenorts erfüllten sie bisweilen auch häufig Aufgaben, die so manchem nicht aufmerksamen Betrachter verborgen blieben. Im Kalten Krieg war das eine gewöhnliche Erscheinung. Genauso gingen auch die USA und ihre Verbündeten vor, und der einzige Unterschied bestand darin, dass sie ihre Handlungen mit der „Verteidigung der Demokratie vor der Bedrohung des weltweiten Kommunismus" rechtfertigten, während die Sowjetunion, ganz im Gegensatz dazu, „die Errungenschaften des Sozialismus und der progressiven nationalen Befreiungsbewegung vor dem weltweiten Imperialismus verteidigte". Im ZK der KPdSU sammelten sich wie gehabt unzählige und streng geheime Informationen über die militärisch-politische Situation in jenen Regionen, wo Teile der Sowjetischen Armee disloziert wurden, oder etwa über die Atmosphäre in den Truppen und die Beziehungen mit der einheimischen Bevölkerung. Vor dem Hintergrund dieser Materialien zeichnen sich die Dokumente zum Aufenthalt der sowjetischen Truppen im Nachkriegsösterreich durch ihren besonderen Charakter aus. Zum Teil erklärt sich das offensichtlich aus den spezifischen Besonderheiten der entstandenen Situation. Erstens hatte die UdSSR in jenen Jahren noch nicht genug Erfahrung in der langfristigen Einsetzung ihrer Truppen als Besatzungseinheiten auf dem Territorium einer fremden Regierung. Zweitens stellte sich der Sowjetischen 35

RGANI, F. 3, op. 10, d. 162, S. 155. Abgedruckt in: Kamer - Stelzl-Marx - Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dokument Nr. 185. Pravda, 31.7.1955.

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Irina Kazarina Armee in Österreich, im Gegensatz zu Deutschland, nicht die Aufgabe, die Errichtung und Bewahrung einer prosowjetischen „Arbeiter- und Bauernregierung" in einem Teil Österreichs zu ermöglichen. Schließlich agierte die Sowjetische Armee in Österreich im Vergleich zu den „volksdemokratischen" Ländern, auf deren Territorium (laut Vertrag oder auf die Bitte der Marionettenherrscher) auch mit der Zeit sowjetische Truppen aufgestellt wurden, unter den Bedingungen eines latenten, aber mitunter auch unverhüllten Widerstands von Seiten der einheimischen Behörden und der Westmächte, die das restliche Territorium besetzten. All das verleiht den Archivdokumenten, die von der Geschichte des Aufenthalts sowjetischer Truppen in Österreich erzählen, eine zusätzliche Spezifik und ein besonderes Interesse. Übersetzung aus dem Russischen: Sandra Polainko

Aleksandr Curilin

Wie die „österreichische Frage" gelöst wurde

Die „österreichische Frage" entstand im März des Jahres 1938 als Folge des „Anschlusses" Österreichs an Hitler-Deutschland. Anstelle von Österreich fand sich in Karten des „Dritten Reiches" die Bezeichnung „Ostmark" wieder. Die durch den Vertrag von SaintGermain 1919 garantierte Unabhängigkeit des Landes wurde auf demonstrative und zynische Weise ausgelöscht, doch quittierte dies die Mehrzahl der europäischen Staaten bloß mit Schweigen. Österreich wurde zu einem der ersten Opfer des nationalsozialistischen Deutschland. In Moskau führte man sich die weiteren Perspektiven eines Anwachsens des deutschen militaristischen Expansionsdranges und die von diesem ausgehende Bedrohung mit aller Deutlichkeit vor Augen. Aus diesem Grund war es auch gerade die Sowjetunion, die als erster Staat den „Anschluss" Österreichs verurteilte und andere Staaten dazu aufrief, gemeinsame Maßnahmen gegen den Aggressor und zum Schutz seiner Opfer zu ergreifen. Am 17. März 1938 wurde vom Völkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, Maksim Litvinov, eine mit dem „Anschluss" im Zusammenhang stehende Sondererklärung verfasst, die an die Leiter der jeweiligen außenpolitischen Ämter nach London, Paris, Prag und Washington übermittelt wurde. In dieser Erklärung wurde von der sowjetischen Regierung davor gewarnt, dass „internationale Passivität und Nichtahndung von Aggression in einem Fall auf fatale Weise zu einer Wiederholung und zu einer Häufung derartiger Fälle führt. Die internationalen Ereignisse bestätigen leider die Richtigkeit dieser Warnungen. Eine neuerliche Bestätigung erfuhren sie im Falle der militärischen Invasion in Österreich und der dem österreichischen Volk gewaltsam weggenommenen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Unabhängigkeit." Die Wahrung der Interessen des österreichischen Volkes wurde zu einem weiteren Element der sowjetischen Politik aktiven Widerstandes gegen die Gefahr eines neuerlichen globalen Konfliktes. Im Zusammenhang mit dem „Anschluss" ging man in Moskau von der berechtigten Annahme aus, dass die im Zentrum Europas ausgebrochene Gewalt ohne Zweifel eine Gefahr darstellte, die nicht nur auf die elf nunmehr an Deutschland grenzenden Staaten beschränkt bleiben, sondern auch auf alle europäischen Staaten und sogar über diese hinaus greifen würde. Es drohe ein Verlust der territorialen Integrität und daraus resultierend auch zweifelsfrei ein Verlust der politischen, wirtschaftlichen

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Aleksandr Curilin und kulturellen Unabhängigkeit kleiner Völker, und es käme zu einer unausweichlichen Unterjochung, die die Voraussetzungen für die Ausübung von Druck und sogar für den Angriff auf große Staaten schaffen würde. „In erster Linie", betonte Volkskommissar Litvinov, „erwächst eine Bedrohung für die Tschechoslowakei, doch dann droht auf Grund der Ausbreitung der Aggression die Entstehung neuer internationaler Konflikte, die sich bereits anhand der Besorgnis erregenden Lage an der polnisch-litauischen Grenze manifestieren."1 Die Zeit sollte die Richtigkeit der Worte Litvinovs bestätigen. Doch der von der sowjetischen Delegation auf dem Plenum des Völkerbundes am 21. September 1938 vorgebrachte Vorschlag zu einer Verurteilung der Annexion Österreichs und zur Ergreifung von entsprechenden Maßnahmen gegen den Aggressor wurde de facto durch die westliche Diplomatie blockiert. „Das Verschwinden des österreichischen Staates wurde vom Völkerbund nicht bemerkt", so der Volkskommissar verbittert.2 Der in Europa ausbrechende Krieg rückte die österreichische Frage vorübergehend in den Hintergrund, doch bereits im Dezember 1941 teilte Iosif Stalin dem britischen Außenminister Anthony Eden während dessen Besuches in Moskau mit, dass Österreich „als unabhängiger Staat wiedererrichtet werden muss".3 An dieser Position hielt die sowjetische Diplomatie auch später, nach den Siegen der Roten Armee in Stalingrad und bei Kursk sowie Orel, durch die die Frage der Wiedergeburt Österreichs Aktualität erhielt, entschieden fest. Zu einer nachhaltigen Erörterung der „österreichischen Frage" durch die Alliierten kam es auf der im Oktober 1943 abgehaltenen Moskauer Konferenz der Außenminister der UdSSR, der USA und Großbritanniens. Dabei wurde von der sowjetischen Delegation eine Initiative, die vorsah, dem österreichischen Volk eine Neuauflage der Habsburgermonarchie in Form einer österreichisch-ungarischen Föderation zu „schenken", abgelehnt. Die auf der Konferenz getroffenen und in der Erklärung über Österreich festgeschriebenen Beschlüsse legten die Grundzüge der Strategie zur Wiederrichtung der österreichischen Staatlichkeit und Souveränität sowie zum Wiederaufleben der Demokratie im Lande fest. In der Erklärung wurde konstatiert, dass Österreich - das erste freie Land, das zu einem Opfer der Aggression Hitlers wurde - von der deutschen Herrschaft befreit werden müsse, und man den am 13. März 1938 vollzogenen Anschluss des Landes an Deutschland für null und nichtig betrachte. Die Alliierten verkündeten, dass „sie ein freies unabhängiges Österreich wiederhergestellt zu sehen wünschen und dadurch [...] die Österreicher selbst [...] die politische und wirtschaftliche Sicherheit finden können, die die einzige Grundlage für einen dauernden Frieden ist".4 Gleichzeitig wurde Österreich in der Moskauer Deklaration aber auch darauf hingewiesen, „dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine

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Izvestija, 22.3.1938. Dokumenty po istorii Mjunchenskogo sgovora, 1937-1939. Moskau 1979, S. 260. AVP RF, F. 048, op. 2, p. 1, d. 6, S. 11. AVP RF, F. 06, op. 5b, p. 42, d. 44, S. 116f.

Wie die „österreichische Frage" gelöst wurde Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird". 5 Doch legten die Alliierten bei der Umsetzung der in Moskau erzielten Vereinbarung bezüglich Österreich unterschiedliche Lesarten an den Tag. Im Westen zog man bei der Erörterung von Plänen für die Neugestaltung Nachkriegseuropas Möglichkeiten seiner Umgestaltung in Betracht, die zu einer Auflösung Österreichs mit darauf folgender Eingliederung seiner Landesteile in neue territoriale Staatsgebilde geführt hätten. Beginnend mit Oktober 1942 zählte man im sowjetischen Außenministerium vier solcher Varianten, darunter eine, die ein Verbleiben Österreichs im Verbände Deutschlands vorsah, eine andere, die eine Wiedererrichtung Österreichs als selbstständiger Staat, doch auf Grundlage einer breiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit und in enger Verbindung mit anderen Ländern zum Ziel hatte, eine, die ein autonomes Österreich im Verband einer Donauföderation sah, und eine weitere, die auf die Errichtung eines zentralisierten Staates etwa in den Grenzen des ehemaligen Österreich-Ungarn abzielte. 6 Die innerhalb der Anti-Hitler-Koalition zur „österreichischen Frage" hergestellten und unterhaltenen Kontakte zeugen davon, dass man sich keinen abstrakt-spekulativen Erwägungen hingab, sondern beharrlich von allerhöchsten Kreisen entwickelte Versuchsszenarien ins Spiel brachte. So etwa wurde von den Briten im Sommer 1944 in der Europäischen Beratenden Kommission (EAC) der Vorschlag eingebracht, „die Regierung der USA, falls sie dies wünscht, einzuladen, die Hauptverantwortung bei der Besetzung Österreichs zu übernehmen", weil die „vorgesehene amerikanische Zone in Deutschland von ihrer Fläche her wesentlich kleiner als die anderen beiden Zonen ist". Es versteht sich, dass eine hypothetische Ausweitung des US-amerikanisch besetzten Territoriums mit aneinander grenzenden Gebieten in Deutschland und in Österreich zum Entstehen eines einheitlichen Verwaltungsraumes geführt hätte und somit der Aufrechterhaltung von Verbindungen und einer Vereinigung Österreichs mit einem Teil Deutschlands förderlich gewesen wäre. Die sowjetischen Vertreter beharrten jedoch auf einer anderen Lösung. Man betonte die Notwendigkeit, dass Österreich „durch die Kraftanstrengungen aller drei Länder wiederzuerrichten [...] und seine Besetzung von Truppen der drei Länder gemeinsam durchzuführen ist". Dementsprechend wurde ausbedungen, dass das österreichische Staatsgebiet in seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 durch Truppen der UdSSR, der USA und Großbritanniens besetzt werden müsste. 7 Ein derartiges Vorgehen definierte den Status Österreichs naturgemäß außerhalb Deutschlands. Später, im Zuge sowjetisch-britischer Verhandlungen, die im Oktober 1944 in Moskau stattfanden, sondierte der britische Premierminister Winston Churchill die Möglichkeit der Integration Österreichs in eine nicht genauer definierte polynationale Struktur.

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Ebd., S. 116f. AVP RF, F. 066, op. 22, p. 118, d. 312, S. 2. AVP RF, F. 0425, op. 1, p. 7, d. 41, S. 1.

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Aleksandr Curilin In einem Gespräch mit Stalin versuchte er in Erfahrung zu bringen, ob es denn nicht den sowjetischen Vorstellungen entsprechen würde, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn und Österreich zu einer Einheit zusammenzuschließen. Stalin erteilte Churchill daraufhin die Antwort, dass nach Beendigung des Krieges bei den Völkern der Wille nach Souveränität und einer völlig individuellen nationalen Existenz stärker wäre, weshalb er glaube, dass es „nun unmöglich ist, an eine Vereinigung zu denken".8 Durch das Vorrücken der Roten Armee auf österreichisches Gebiet mit anschließender Befreiung eines bedeutenden Teils des Landes inklusive der Einnahme der Hauptstadt Wien im April 1945 war den Versuchen einer Teilung mit darauf folgender Integrierung Österreichs in territoriale zentraleuropäische Gebilde ein Ende gesetzt. Die UdSSR leistete den Hauptbeitrag zur Befreiung Österreichs. Sowjetische Truppen nahmen rund 36.500 Quadratkilometer der Fläche Österreichs mit einer Bevölkerungszahl von mehr als 4,5 Millionen Personen ein.9 Bei den erbitterten Kämpfen um Wien und in den östlichen Teilen des Landes fanden rund 26.000 sowjetische Soldaten und Offiziere den Tod.10 Unmittelbar nach Einstellung der Kampfhandlungen leisteten Angehörige der Roten Armee dem österreichischen Volk materielle Hilfe und waren auch bei der Neugestaltung des Lebens behilflich. Im Verlauf des Jahres 1945 verteilten die sowjetischen Behörden unter der Hunger leidenden Wiener Bevölkerung 72.000 Tonnen Getreide und Mehl, 20.000 Tonnen Getreidekörner, 8000 Tonnen Fleisch und 6000 Tonnen Zucker. Ungeachtet der ausnehmend schwierigen Versorgungslage in der UdSSR erreichte die von der Sowjetunion an Österreich geleistete Lebensmittelhilfe allein im ersten Nachkriegsjahr den eindrucksvollen Umfang von 132.600 Tonnen, was in etwa der Menge an Nahrungsmitteln entsprach, die von den USA, von Großbritannien und Frankreich gemeinsam zur Verfügung gestellt wurde." „Die Wiener wären vor Hunger gestorben, wenn die Rote Armee nicht geholfen hätte, wenn sie uns nicht über viele Monate hinweg mit Lebensmitteln versorgt hätte", schrieb später Unterrichtsminister Felix Hurdes.12 Das sowjetische Kommando versorgte Wien weiters mit Treibstoff, half beim Wiederaufbau einer Reihe von Industriebetrieben und bei der Instandsetzung des Verkehrsnetzes. Zur Unterstützung des Staatshaushaltes erhielt Österreich zwei Darlehen über eine Gesamtsumme von 600 Millionen Mark.13 Prinzipelle Bedeutung bei der Wiedererrichtung Österreichs kam der Bildung der von der sowjetischen Seite unterstützten Provisorischen Regierung zu. Beim Vorrücken sowjetischer Truppen auf österreichisches Gebiet nahmen diese Kontakt mit dem ehemaligen Kanzler Karl Renner auf. Den Erinnerungen des ehemaligen stellvertretenden Chefs des Generalstabes der Roten Armee Sergej Stemenko zufolge stammte die Idee zu

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AVP RF, F. 06, op. 7, p. 58, d. 19, S. 5f. SSSR ν bor'be za nezavisimost' Avstrii. Moskau 1965, S. 99. Istorija Vtoroj mirovoj vojny. Bd. 10. Moskau 1979, S. 197. SSSR ν bor'be za nezavisimost' Avstrii, S. 96. A. Efremov, Sovetsko-avstrijskie otnosenija posle vtoroj mirovoj vojny. Moskau 1958, S. 27. AVP RF, F. 66, op. 27, p. 126, d. 2, S. 191.

Wie die „österreichische Frage" gelöst wurde dieser Kontaktaufnahme von Stalin persönlich, der Anfang April 1945 Angehörigen der Roten Armee den Auftrag erteilte, Informationen zum Schicksal Renners in Erfahrung zu bringen. Am 4. April 1945 teilte der Militärrat der 3. Ukrainischen Front mit, dass sich Karl Renner von sich aus im Stab der 103. Garde-Schützen-Division gemeldet hätte. In Beantwortung der Fragen von Stabsoffizieren gab er bekannt, dass er bereit wäre, „nach bestem Wissen und Gewissen" zur Errichtung einer demokratischen Ordnung im Lande mitzuarbeiten. Daraufhin erteilten Stalin und der Chef des Generalstabes der Roten Armee, Aleksej Antonov, dem Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen Front, Fedor Tolbuchin, unverzüglich die Weisung, Karl Renner Vertrauen entgegenzubringen, ihm mitzuteilen, dass ihm das Kommando der sowjetischen Truppen im Interesse einer Wiedererrichtung der demokratischen Ordnung in Österreich Unterstützung erwiese, und ihn darüber aufzuklären, dass die sowjetischen Truppen nicht zur Eroberung, sondern zur Vertreibung der nationalsozialistischen Besatzer auf österreichisches Gebiet vorgedrungen wären. 14 In einem ähnlichen Ton gehalten waren auch die an das österreichische Volk gerichteten offiziellen Erklärungen der UdSSR, die die sowjetischen Aufgaben in Österreich exakt und unzweideutig festlegten. So hob der Kommandierende der 3. Ukrainischen Front, Marschall Tolbuchin, in seinem an die Bewohner Wiens gerichteten Aufruf vom 6. April 1945 hervor, dass die Rote Armee einzig mit dem Ziel einer Zerschlagung der nationalsozialistischen Truppen und einer Befreiung des Landes aus deutscher Abhängigkeit nach Österreich einmarschiert wäre. Am 9. April wurde in einer Erklärung der sowjetischen Regierung festgehalten, dass von ihr nicht das Ziel einer Änderung der sozialen Ordnung Österreichs verfolgt würde, sondern sie auf dem Standpunkt der Moskauer Deklaration aus dem Jahr 1943 stünde, sie diese Deklaration umsetzen und zu einer Zerschlagung des Regimes der nationalsozialistischen Besatzer sowie zu einer Wiedererrichtung der demokratischen Grundlagen und Institutionen beitragen würde. 15 Die Westalliierten waren informiert, dass Karl Renner nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Wien der sowjetischen Seite seine Absicht zur Bildung einer Provisorischen Regierung mitgeteilt hatte. Dabei führte er aus, dass er als letzter Präsident des österreichischen Nationalrates das gesetzliche Recht zur Bildung einer Regierung hätte. Karl Renner schlug vor, all die auf von sowjetischen Truppen befreiten Gebieten Österreichs verbliebenen ehemaligen Abgeordneten des österreichischen Nationalrates zusammenzurufen und gemeinsam mit diesen die Frage der Zusammensetzung der Provisorischen Regierung zu erörtern, der, seiner Meinung nach, Vertreter aller österreichischen Parteien sowie Parteilose angehören sollten. Ausgehend davon, dass durch die Bildung der Provisorischen Regierung den Alliierten im Kampf für eine vollständige Befreiung Österreich aus deutscher Abhängigkeit 14

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Sergej M. Stemenko, General'nyj stab ν gody vojny. Knigartoraja. Moskau 1973, S. 351-353. Siehe dazu den Beitrag von Stefan Karner und Peter Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle: Zur Regierungsbildung in Österreich 1945, in diesem Band. Ministerstvo inostrannych del SSSR (Hg.), SSSR - Avstrija, 1938-1979. Dokumenty i materialy. Moskau 1980, S. 19-21.

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Aleksandr Curilin wesentliche Unterstützung zuteil werden würde, erachtete es die sowjetische Regierung als möglich, Karl Renner und den anderen österreichischen politischen Akteuren bei der Bildung einer solchen Regierung keine Hindernisse in den Weg zu legen.16 Am 27. April 1945 veröffentlichte die Provisorische Österreichische Regierung die Proklamation über die Selbstständigkeit Österreichs, in der die auf der Moskauer Konferenz der Außenminister im Jahr 1943 beschlossene Erklärung über Österreich beinhaltet war. In der auf die Proklamation folgenden Unabhängigkeitserklärung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass „der im Jahr 1938 dem österreichischen Volk aufgezwungene Anschluss null und nichtig ist". Am gleichen Tag wurde auch die Regierungserklärung veröffentlicht, in der eine Aufzählung der Aufgaben der Regierung erfolgte und dazu aufgerufen wurde, die Rote Armee in ihrem Bestreben, die Kampfhandlungen abzukürzen und dem Land den Frieden wiederzugeben, zu unterstützen.17 An die Adresse der sowjetischen Regierung gerichtet wurde von Renner weiters verkündet, dass von Vertretern aller österreichischen politischen Parteien in Anlehnung an die Beschlüsse der Konferenzen von Moskau und Jalta der Entschluss gefasst worden wäre, einen selbstständigen, unabhängigen und demokratischen Staat wiederzuerrichten und sie die Provisorische Regierung gebildet hätten. Der Kanzler bat um die Anerkennung der österreichischen Staatlichkeit und um die Erweisung von Unterstützung.18 In Bezugnahme auf dieses Ersuchen merkte Stalin in seinem Schreiben an Renner vom 12. Mai 1945 an, dass „die Sorge des österreichischen Kanzlers um die Unabhängigkeit, Ganzheit und das Wohlergehen Österreichs auch unsere Sorge ist, und jede Unterstützung, die für Österreich notwendig sein könnte, wird ihm nach Kräften und nach Möglichkeit gewährt".19 Das Vorgehen des österreichischen Kanzlers in dieser schwierigen Situation rief in Moskau Achtung und Vertrauen hervor, und die Verwaltung des Landes begann in österreichische Kontrolle überzugehen. In Beurteilung der damaligen sowjetisch-österreichischen Beziehungen hielt Renner fest, dass „der Beschluss der Roten Armee, nach der durch die Parteien erfolgten Bildung der Zentralregierung, dieser auf dem Gebiet, auf dem die Kampfhandlungen zu Ende gegangen sind, die Zivilverwaltung in vollem Umfang zu übertragen, unserer Meinung nach nicht nur edelmütig, sondern auch weise war".20 Die Unterstützung für die Provisorische Regierung war indes nicht ausschließlich auf Grund der durch den Krieg hervorgerufenen Zerstörungen und des Chaos notwendig. Der Oberkommandierende der angloamerikanischen Streitkräfte im Mittelmeerraum, Feldmarschall Harold Alexander, unterstrich in einem an das österreichische Volk gerichteten Aufruf, dass „die alliierten Streitkräfte als Sieger nach Österreich einmarschiert sind, weil Österreich als Bestandteil Deutschlands einen Krieg gegen die Alliierten geführt hat". Der Feldmarschall teilte mit, dass er „in den besetzten Gebieten die höchste legislative, exekutive und judikative Macht" ausüben werde.21 16 17 18 19 20 21

AVPRF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 9, S. 14-16. AVP RF, F. 066, op. 27, p. 126, d. 2, S. 25-27. Ministerstvo inostrannych del SSSR (Hg.), SSSR - Avstrija, S. 24. Ebd., S. 26f. AVP RF, F. 48, op. 2a, p. 6, d. 6, S. 14. Ebd., S. 17.

Wie die „österreichische Frage" gelöst wurde Durch eine derartige Aussage wurde bei den Österreichern natürlich Beunruhigung hervorgerufen. Es erforderte beharrliches Vorgehen der sowjetischen Diplomatie, um das Verhältnis der westlichen Partner gegenüber der Provisorischen Regierung zu ändern. Der in Potsdam unterbreitete sowjetische Vorschlag nach Ausweitung der Kompetenzen auf ganz Österreich stieß anfangs auf keine positive Reaktion, was den Prozess der Wiedererrichtung Österreichs naturgemäß verlangsamte. Erst im Oktober 1945 übermittelte der Alliierte Rat an Karl Renner ein Memorandum über die Anerkennung der Provisorischen Regierung, in dem auch der Ausweitung der Regierungsmacht auf das ganze Land zugestimmt wurde. 22 Zeitgleich damit informierte der Oberkommandierende der Zentralen Gruppe der Streitkräfte, Ivan Konev, die österreichischen Behörden über den Beschluss der sowjetischen Regierung, die Regierung Karl Renner offiziell anzuerkennen, mit ihr diplomatische Beziehungen aufzunehmen und auch diplomatische Vertreter ins jeweils andere Land zu entsenden. 23 Die Anerkennung der Regierung Renner und die Ausweitung ihrer Kompetenzen auf das gesamte Staatsgebiet stellten im Großen und Ganzen den Schlusspunkt des Prozesses der Wiedererrichtung des Staates Österreich dar. In Folge der im November 1945 abgehaltenen ersten freien Nationalratswahlen kam es zur Einsetzung der ersten ständigen Bundesregierung. Die Bemühungen zur Wiedererrichtung eines unabhängigen, souveränen und demokratischen Österreich hatten damit jedoch noch nicht ihr Ende gefunden. Beinahe noch über ein ganzes Jahrzehnt lang sollte sich der Prozess des Abschlusses eines politischen Abkommens zwischen den Siegermächten und Österreich hinziehen - eines Abkommens, das einen endgültigen Schlussstrich unter eine tragische Epoche in der Geschichte des Landes Österreich zog. Bereits im Dezember 1946 trafen die Alliierten einen Beschluss zur Vorbereitung eines Vertrages mit Österreich. Im Juli 1949 gelang es, über 45 Artikel eines Vertragsentwurfes Übereinkunft zu erzielen; zu bloß sechs Artikeln galt es noch weiterzuverhandeln. Doch die westlichen Partner weigerten sich hartnäckig, die sowjetischen Vorschläge, die eine Umsetzung der bereits früher vereinbarten Beschlüsse aller vier Seiten über eine Demokratisierung und Demilitarisierung Österreichs vorsahen, zu akzeptieren. (Es ging dabei um die Auflösung nationalsozialistischer Organisationen, Warnungen vor einer Wiederbewaffnung Deutschlands, das Eigentum der Vereinten Nationen in Österreich u. a.). Zu einer Hürde bei der Lösung der österreichischen Frage entwickelte sich auch die Weigerung der Regierungen der USA und Großbritanniens, ihren aus dem bereits abgeschlossenen Friedensvertrag mit Italien erwachsenden Verpflichtungen nachzukommen. Schließlich wurden die Erörterungen zum Entwurf des Staatsvertrages abgebrochen.

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AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 9, S. 115. Ebd., S. 116.

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Aleksandr Curilin Anstelle einer Beseitigung der von ihnen errichteten Hindernisse lehnten die Westalliierten weitere Verhandlungen über den im Großen und Ganzen bereits akkordierten Vertragsentwurf überhaupt ab und brachten im März 1952 die Option eines (von Österreich unterstützten) „Kurzvertrag" ins Spiel.24 Der österreichische Außenminister Karl Gruber bezog zu dessen Inhalt deutlich Stellung, indem er darauf hinwies, dass die USamerikanische Regierung „einen Vertragsentwurf ausgearbeitet hat, der insgesamt nur einige Artikel umfasst und hauptsächlich vom Abzug der Truppen handelt".25 Dieser Vertragsentwurf stand in direktem Widerspruch zu den Potsdamer Beschlüssen und zu anderen in Bezug auf Österreich getroffenen Vereinbarungen und hätte einer Lösung der österreichischen Frage nicht gedient. Durch das Beharren auf Erörterungen zu diesem „Kurzvertrag" manövrierten die USA, Großbritannien und Frankreich die Verhandlungen geradewegs in eine Sackgasse. Die Aktivitäten rund um den Staatsvertrag gerieten zunehmend unter den Einfluss des beginnenden Kalten Krieges und litten unter den zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion ausgebrochenen Meinungsverschiedenheiten. In Moskau ging man davon aus, dass die regierenden Kreise der Westmächte nach Gründung des Nordatlantischen Bündnisses den Plan hegten, nicht nur Westdeutschland, sondern auch die von ihnen besetzten Teile Österreichs, in denen Befürworter eines neuerlichen Anschlusses ihre Tätigkeiten zu entfalten begannen, der Einflusssphäre der NATO zuzuführen. 26 Dies führte zu einer Verknüpfung der österreichischen mit der deutschen Frage und brachte die Notwendigkeit mit sich, vertragliche Garantien zur Verhinderung einer Wiederholung der tragischen Ereignisse der Vergangenheit und einer Erlangung eines militärstrategischen Übergewichts der Westmächte in Zentraleuropa sicherzustellen. Die österreichische Frage wurde zu einer Karte in einem großen politischen Spiel. Auch die starre Haltung der österreichischen Führung, die in den 1940er Jahren und zu Beginn der 1950er Jahre zu Lasten des Verhältnisses zur UdSSR zusehends einen Kurs in Richtung Westmächte einschlug, trug zu keinem Vorwärtskommen bei. Die Defacto-Weigerung, die Verantwortung für die Kriegsteilnahme an der Seite Deutschlands zu tragen, der nicht vorhandene Wunsch, auf den Potsdamer Beschlüssen fußende Fragen durch direkte Verhandlungen mit der sowjetischen Seite zu lösen, die in der Presse lancierten feindlichen antisowjetischen Kampagnen und die Versuche, der sowjetischen Seite die Verantwortung für die Verzögerungen bei der Ausarbeitung des Staatsvertrages zuzuschieben, führten zu einer wesentlichen Erschwerung des bilateralen Dialoges. Der österreichischen Außenminister Gruber soll sogar so weit gegangen sein, im Zuge einer im Oktober 1950 durchgeführten USA-Reise den Aufruf zu tätigen, die sowjetischen Truppen aus Österreich gewaltsam zu entfernen.27

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AVP RF, F. 06, op. 13g, p. 65, d. 29, S. 97f. AVP RF, F. 048, op. 2, p. 6, d. 1, S. 25. AVP RF, F. 06, op. 13g, p. 65, d. 29, S. 4f. AVP RF, F. 048, op. 2, p. 1, d. 6, S. 25.

Wie die „ österreichische Frage " gelöst wurde Die intensivierte sowjetische Diplomatie im Jahr 1953 gab den Versuchen einer Lösung der österreichischen Frage neue Impulse. Auch in Wien erkannte man die neue Richtung, die die sowjetische Politik eingeschlagen hatte. Man ging daran, selbstständiger und mit mehr Initiative zu agieren und änderte den Ton im Dialog mit der sowjetischen Seite. Auf der in den Monaten Jänner und Februar 1954 in Berlin abgehaltenen Konferenz der Außenminister der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs wurde von der sowjetischen Seite der Vorschlag eingebracht, innerhalb einer dreimonatigen Frist den endgültigen Wortlaut des Staatsvertrages vorzubereiten. In den bestehenden Entwurf sollte die Verpflichtung Österreichs, keinen gegen seine Befreierstaaten gerichteten militärischen Bündnissen beizutreten und keine Errichtung ausländischer Militärbasen auf seinem Staatsgebiet zuzulassen Eingang finden. Gleichzeitig damit war - zur Verhinderung eines erneuten Anschlusses - vorgesehen, den Abzug der in Österreich stationierten Truppen der vier Mächte bis zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland aufzuschieben. Dieser Punkt erschien den Westmächten zum damaligen Zeitpunkt nicht annehmbar. Im Juli 1954 war es schließlich Wien, von dem die Initiative zur Einberufung eines Treffens der Botschafter der vier Mächte mit der österreichischen Seite zur „Verbesserung der bestehenden Situation" ausgegangen war. Die sowjetische Seite antwortete darauf mit dem Vorschlag, ein Treffen zur Erörterung der noch nicht gelösten Fragen des Staatsvertrages zu organisieren. Die Österreicher waren zu Gesprächen bereit, und obwohl die Westmächte zu diesem Treffen nicht gekommen waren, konnten nun Fortschritte erzielt werden. Am 8. Februar 1955 wurde auf einer Sitzung des Obersten Sowjets der UdSSR im Namen der sowjetischen Regierung eine Erklärung getätigt, in der insbesondere darauf hingewiesen wurde, dass die sowjetische Seite der Regelung der österreichischen Frage große Bedeutung beimessen und eine weitere Verzögerung des Abschlusses des Staatsvertrages als ungerechtfertigt betrachten würde. Dabei wies man auf die Notwendigkeit einer schnellstmöglichen Einberufung einer Konferenz der vier Mächte hin, bei der neben der deutschen Problematik auch die Frage des Vertragsabschlusses mit Österreich behandelt werden sollte. In Anbetracht dessen, dass eine Lösung der deutschen Frage auf Grund der Schuld der Westmächte nicht erzielt werden konnte, erachtete es die Sowjetunion als möglich, vorzuschlagen, die Truppen der vier Besatzungsmächte noch vor Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland aus Österreich abzuziehen. Gleichzeitig damit wurde in der Erklärung darauf hingewiesen, dass bei der Lösung der österreichischen Frage die „Möglichkeit eines erneuten Anschlusses Österreichs an Deutschland" unbedingt ausgeschlossen werden müsste. Man hob weiters hervor, dass an den Verhandlungen über den Abschluss des Staatsvertrages auch die österreichische Seite einzubeziehen wäre, woraufhin die Österreicher zu Gesprächen nach Moskau eingeladen wurden. Die österreichische Delegation mit Bundeskanzler Julius Raab, Vizekanzler Adolf Schärf, Außenminister Leopold Figl und Staatssekretär Bruno Kreisky traf am 11. April 1955 bei Schneeregen in Moskau ein. Doch ungeachtet der widrigen Witterungsver-

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Aleksandr Curilin hältnisse verliefen die Verhandlungen in einem überaus konstruktiven Klima, das die Erzielung eines für beide Seiten annehmbaren Lösungsansatzes in der österreichischen Frage ermöglichte. Die österreichische Bundesregierung erklärte sich bereit, eine Deklaration zu verfassen, die Österreich international zur Einhaltung einer immer währenden Neutralität, vergleichbar jener der Schweiz, verpflichtete. Die sowjetische Seite brachte ihre Bereitschaft zum Ausdruck, den österreichischen Staatsvertrag unverzüglich zu unterzeichnen; sie erklärte sich mit dem Abzug der Besatzungstruppen der vier Mächte nach dessen Inkrafttreten einverstanden und war bereit, gemeinsam mit den Westmächten Garantien für die Neutralität und die Unverletzlichkeit des österreichischen Staatsgebietes abzugeben. Um jedoch gemeinsam mit den westlichen Partnern den Staatsvertrag in seine endgültige Fassung zu bringen, waren noch zusätzliche Anstrengungen seitens Moskaus und Wiens erforderlich. Der Initiative, für die Unterzeichnung des Staatsvertrages in Wien eine Konferenz der Außenminister einzuberufen, begegneten die Westalliierten mit dem Vorschlag, neuerlich Erörterungen zu den einzelnen Artikeln des Vertrages vorzunehmen.28 Doch auf Grund der von der österreichischen Seite mitgetragenen Beharrlichkeit der UdSSR wurde letztendlich beschlossen, bloß strittige Punkte neuerlich einer Erörterung zu unterziehen. In den Prozess zur endgültigen Lösung der österreichischen Frage war endlich Bewegung gekommen. Am 15. Mai 1955 wurde in Wien von den Außenministern der UdSSR, der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Österreichs der Staatsvertrag unterzeichnet. Am 20. September desselben Jahres hatte die UdSSR den Abzug ihrer Truppen aus Österreich abgeschlossen, und am 26. Oktober wurde vom österreichischen Nationalrat in einem Bundes-Verfassungsgesetz die immerwährende Neutralität nach dem Muster der Schweiz beschlossen. Die „österreichische Frage" war somit gelöst. Die folgenden Jahre sollten die Richtigkeit der im Jahr 1955 gefassten Beschlüsse zu einer endgültigen Regelung der österreichischen Frage zeigen. Österreich blieb es erspart, die drückende Last des Kalten Krieges und die Gefahren der Konfrontation der beiden Blöcke mittragen zu müssen. Das friedliche Österreich schlug einen erfolgreichen Weg ein und entwickelte sich zu einem einflussreichen Mitglied der europäischen Familie. Wien fungiert bereits seit vielen Jahren als eines der Zentren globaler und europäischer Diplomatie; die österreichisch-russischen Beziehungen nehmen eine positive und fruchtbare Entwicklung. Im Zuge des im Juni 2001 absolvierten Moskau-Besuches von Bundespräsident Thomas Klestil wurde vom Präsidenten der Russischen Föderation, Vladimir Putin, folgende Aussage getroffen: „Unsere Länder verbinden lange freundschaftliche Beziehungen und eine aktive geschäftliche Partnerschaft. Dem zu Grunde liegen gegenseitige Wertschätzung und aufrichtige Sympathien unserer beiden Völker füreinander, ein gemeinsames Festhalten an den Werten der europäischen Zivilisation und das Bestreben, in einer stabilen und berechenbaren Welt zu leben. Es war gerade unser Land, das an

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Ebd., S. 35.

Wie die „österreichische Frage" gelöst wurde den Anfängen der nach dem Krieg erfolgten Wiedererrichtung eines unabhängigen demokratischen Österreich und beim Abschluss des historischen Staatsvertrages im Jahr 1955 beteiligt war [...]. Die selbstständige Politik der Zweiten Republik, die auf deren neutralem Status fußt, hat nicht nur das Ansehen Österreichs gestärkt, sondern sich auch zu einem gewichtigen Faktor in den internationalen Beziehungen entwickelt." Die auf diesem Fundament basierenden bilateralen österreichisch-russischen Beziehungen verfügen über viel versprechende Perspektiven. Übersetzung aus dem Russischen: Arno Wonisch

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60 Jahre mit den „Russen" Erinnerungen an die Zeit als Legationssekretär an der Österreichischen Botschaft Moskau Meine Kontakte mit der russischen Sprache und mit sowjetischen Strukturen, um dies einmal ganz allgemein zu definieren, begannen im Herbst 1944, als der Wehrmachtsbericht meldete, dass deutsche Truppen in der Umgebung des Plattensees in erfolgreiche Abwehrkämpfe gegen die „bolschewistischen" Streitkräfte verwickelt waren: Da ich das militärisch-politische Geschehen schon damals sehr genau verfolgte, beschlichen mich ernsthafte Zweifel, ob wir wohl noch vom Westen her befreit werden könnten; eine Besetzung meiner engeren Heimat durch sowjetische Truppen rückte immer mehr in das Blickfeld realistischer Betrachtungsweisen. Und so schritt ich denn festen Mutes in die Buchhandlung Schubert in der St. Pöltner Wienerstraße, wo auch alle meine Schulbücher gekauft worden waren, und erstand mit meinem Taschengeld Langenscheidts Unterrichtsbriefe für Russisch. Ich studierte über den Winter - wegen der herrschenden Energiekrise oft in Mantel und Handschuhe gehüllt (Schlagwort des Nazi-Regimes: „Der Kohlenklau geht um!") - fleißig in diesem Behelf; fremde Sprachen hatten mich schon immer fasziniert. Als sich im April 1945 das Ende des „Dritten Reiches" endlich doch zu nähern schien, flüchtete ich mit meiner Mutter in meine Geburtsstadt Scheibbs in Niederösterreich, wo unsere Familie eine Fleischhauerei betrieb. Hier ergab sich für kurze Zeit der Eindruck, als würde ich die neu erworbenen Sprachkenntnisse doch nicht benötigen, denn noch am 8. Mai mittags hatte uns der nationalsozialistische Kreisleiter des Scheibbser Bezirks versichert, er habe sich erkundigt, die Amerikaner stünden ganz nahe und würden noch am selben Tag unseren Ort besetzen. Er fahre ihnen jetzt entgegen, um sie zu begrüßen. Sprach's und war schon weggebraust in Richtung Waidhofen an der Ybbs, wo sich tatsächlich, wenn auch nur für kurze Zeit, US-Einheiten aufhielten. Groß war die Enttäuschung, als wir wenige Stunden später sowjetische Panzer die Bergstraße von den umliegenden Bergen herunterkommend in unsere Stadt einrollen sahen. Der Pfarrer des Ortes ließ vom Kirchturm eine von fleißigen Frauenhänden vorsorglich genähte rot-weiß-rote Fahne am Kirchturm hissen, und der Gemeinderat empfing zusammen mit der neu formierten Gruppe des österreichischen Widerstandes die Vertreter der Sowjetmacht. Dieser symbolische Akt der Übergabe und Begrüßung war nicht ganz ungefährlich, da sich noch Einheiten der 6. SS-Panzerarmee des Oberst-

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Herbert Grubmayr Gruppenführers Sepp Dietrich in den Randgebieten unseres Ortes verschanzt hatten, und es kam dann auch noch zu einem kurzen Gefecht, wo man in der Dämmerung die Leuchtspurmunition hin- und herblitzen sah. Ich wiederholte nun doch wieder im Geiste die mühsam eingelernten russischen Begrüßungsvokabeln. Aber vorerst brauchte ich sie, wie weiter unten beschrieben, für andere Zwecke; vor allem, um mich vor einer Gefangennahme durch die Befreier aus dem Osten zu schützen. Zur Erklärung der damaligen subjektiven Betrachtungsweise der Ereignisse muss man auf die nicht zu unterschätzenden Auswirkungen der NS-Propaganda hinweisen; so waren wir 1944 in St. Pölten von der Schule aus in die Ausstellung „Sowjetparadies" geführt worden, die man in einem aufgelassenen Zuckerbäckerladen eingerichtet hatte: eine Ansammlung von gebrochenen Möbeln und verwahrlosten Gebrauchsgegenständen, auf engstem Raum aufgestapelt und darüber die ermunternde Aufschrift: „So leben die Sowjets und wenn Ihr Euch nicht wehrt gegen die bolschewistische Flut, werdet Ihr auch so hausen." Ja, und im Gedächtnis blieben die Schilderungen haften, die aus den Medien des „Dritten Reiches" laufend auf uns herniederprasselten: Alle Frauen würden vergewaltigt werden und die Männer kommen nach Sibirien. Damit wollten die Nazi-Größen das Volk nochmals zu einer letzten Anstrengung für den „Endsieg" aufstacheln.1 Manche der unschönen Dinge, welche uns die NS-Propaganda verhieß, traten auch wirklich ein: So wurden in Scheibbs in der ersten Nacht nach der Befreiung viele Frauen vergewaltigt, es kam zu Plünderungen (zum Teil auch, angespornt durch das fremde Beispiel, seitens der eigenen Bevölkerung); junge Leute männlichen Geschlechts wurden schon am darauf folgenden Tag unter dem Hinweis, dass man verkappte Angehörige der Deutschen Wehrmacht suche, auf der Straße angehalten, um ihre allfällige militärische Vergangenheit auszuforschen; und dies, obwohl ja am 9. Mai 1945 auch nach sowjetischer Zeitrechnung in Europa schon Waffenstillstand herrschen sollte.2 Ich entzog mich irgendwelchen Zugriffen dieser Art, indem ich mich als Fleischhauergeselle verkleidete: weißes Jäckchen, weiße Hose, weiße Schürze, und als mich eine sowjetische Patrouille auf der Straße anhielt, schrie ich laut: „Ja delaju kolbasy!" - „ich mache Würste", und die Kombination aus Verkleidung und Langenscheidt-Russisch half. Sie ließen mich ziehen, und meine damals vielleicht schon drohende physische Bekanntschaft mit Mütterchen Russland wurde damit vorerst um fast zehn Jahre hinausgeschoben. Aber von höchster Wichtigkeit war dabei der Umstand, dass dem sowjetischen Kommandanten gleich nach der Befreiung Wurst aus dem Betrieb meines Onkels (meine Vorfahren waren schon über 300 Jahre Fleischer und Selcher im Ort) serviert 1

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Tatsächlich hat der damalige Gauleiter von Niederdonau, Dr. Hugo Jury, am 1. Mai 1945 bei einer Trauerfeier für Hitler im Hotel „Hemerka" in Scheibbs das Wort „Endsieg" in den Mund genommen (ich musste über Befehl des Kreisleiters teilnehmen und war Augen- und Ohrenzeuge dieser Rede). Genau eine Woche später verübte Jury in Zwettl Selbstmord. Bekanntlich waren sich die westlichen Alliierten mit den Sowjets wegen der doppelten Waffenstillstandszeremonien in Reims und Karlshorst nicht über den Zeitpunkt des Ereignisses einig: So ist im Westen der 8. Mai als „VE-Day" festgelegt, als sowjetischer Siegestag wird auch heute noch in den Nachfolger- bzw. Fortsetzerstaaten der Sowjetunion der 9. Mai 1945 gefeiert.

60 Jahre mit den „Russen " worden war: Er ließ meinen Onkel zu sich kommen und befahl ihm, weiter Wurstwaren für seine Soldaten zu liefern. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass unser Unternehmen und seine Mitarbeiter nicht von den Militärs belästigt werden dürften; dazu gehörte jetzt dem Anschein nach auch ich, obwohl ich vorher nie einen Finger in der Fleischhauerei gerührt hatte. Ich betätigte mich damals auch als Helfer der Sieger. Einen Tag nach der Ankunft der Roten Armee hielt ich mich im Haus eines befreundeten Buchdruckers auf. Plötzlich ging die Tür auf, und ein streng blickender sowjetischer Hauptmann (vier kleine goldene Sternchen auf den Schulterklappen, das hatte ich schon gelernt!) schritt herein, gefolgt von Soldaten mit einer großen Kiste. „Heute ist ein großer Tag, der Sieg der ruhmreichen Sowjetarmee über den Hitlerfaschismus", sagte er. „Dafür werden Broschüren mit dem Tagesbefehl von Generalissimus Stalin für die Sowjetische Armee gedruckt. Sie werden drucken!" Eine gewisse Erleichterung zeigte sich auf dem Gesicht unseres Freundes, des Buchdruckers. Er war nicht unbedingt ein Gegner des verflossenen Regimes und der Hitlerpartei gewesen, wenn er auch andererseits den ganzen Krieg über für den Ortspfarrer das Kirchenblatt gedruckt hatte, was die NS-Behörden nicht gerne sahen. Aber würden diese geistig-religiösen Gutpunkte auch gegenüber der Roten Armee nützlich sein? Nun kam also nur eine Aufforderung zu einer professionellen Arbeit, und diese wurde schnell in Angriff genommen. Aus der Kiste holten die Soldaten die kyrillischen Lettern und die ganze Nacht wurde gedruckt. Vor dem Weggehen hatte der Offizier als Druckerlohn noch ein Schwein versprochen, was wir alle etwas ungläubig zur Kenntnis nahmen (ein ganzes Schwein stellte bei der damaligen Lebensmittelknappheit einen ungeheuren Wert dar). Ich wurde zum Falten der Broschüren eingeteilt; mindestens zehntausend solcher Faltprospekte mit dem Bild des „weisen Führers der Völker" auf dem Deckblatt legte ich in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 1945 zusammen. Die Überschrift des Tagesbefehls an die sowjetische Armee mit dem Hammer-und-Sichel-Wappen hat sich sehr plastisch in mein Gedächtnis eingeprägt. 3 Was alles auch damals passierte, ich schuldete den Befreiern, die vom Großteil der Bevölkerung nur sehr bedingt als solche empfunden wurden, besonderen Dank, denn ich war für den 7. April des Jahres nach St. Pölten zur Deutschen Wehrmacht einberufen worden, war aber dieser Stelligmachung durch die Flucht ausgewichen. Als das Ende des „Dritten Reiches" endlich in Sichtweite rückte, hatte ich mich (als Fünfzehneinhalbjähriger!) schon einen Monat als Deserteur zwischen Wehrmachtsstreifen und SS-Häschern hindurchgemogelt gehabt. Dass mein Verhalten nicht ungefährlich war, wurde mir nachdrücklich vor Augen geführt, als ich im April 1945 in der Umgebung von Scheibbs einen Mann auf einem Baum hängen sah, mit einer Tafel um den Hals: „Weil ich feig war." 3

Der Druckerlohn in Gestalt eines lebenden Schweins wurde übrigens pünktlich geliefert, quiekend sprang es plötzlich von der Ladefläche eines Militärlastwagens herunter. Wo es die Soldaten wohl gefunden hatten? Jedenfalls wurde die Vertragstreue der sowjetischen Auftraggeber positiv registriert, gerade weil sich parallel dazu in unserem Ort auch sehr negative Erscheinungsformen der Behandlung von befreiten Völkern dokumentierten.

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Herbert Grubmayr Ja, und etwas später, als ich im Juni 1945 wieder in mein Gymnasium nach St. Pölten zurückkehrte, betrat eines Tages der Direktor der Schule unser Klassenzimmer und eröffnete uns: „Der Stadtkommandant hat befohlen, dass alle Kinder freiwillig Russisch lernen, sonst werden weitere Häuser für die Besatzungsmacht evakuiert." Also unterschrieben wir alle die Liste der „freiwilligen Russischstudenten" und lernten die schöne Sprache Puskins, vorerst mit einem ukrainischen Lehrer, der nicht gut Russisch und noch weniger Deutsch sprach. Als er uns einmal erklären wollte, was eine „zaba" ist, stellte er sich vor uns hin, hüpfte dann zwischen den Reihen der Schüler und rief dazu laut: „Quak, quak!" Ja, diese Methode war unvergesslich: Das russische (und ukrainische) Wort für „Kröte" habe ich seitdem nie wieder vergessen. Dieser, wenn auch etwas mangelhafte Unterricht des Russischen hat später weitgehend meinen Lebensweg bestimmt, nämlich in Richtung Moskau und Sowjetunion. Moskauer Memorandum und Staatsvertrag4 Wieder zehn Jahre später, ich war inzwischen in das österreichische Außenministerium eingetreten, wurde ich im März 1955 für mich überraschend an die Botschaft in Moskau versetzt. Der damalige österreichische Botschaftssekretär in der sowjetischen Hauptstadt war vorzeitig abberufen worden, weil zwischen ihm und leitenden Beamten unseres Ministeriums Differenzen eher skurril-esoterischer Natur aufgetreten waren, deren Details hier zu weit führen würden. Einer der Gründe, warum man gerade mich als Nachfolger auswählte, war der Umstand, dass in meinem Personalakt Russischkenntnisse vermerkt waren. Nun hatte man mir vorher schon einen Posten an unserem Konsulat in New York versprochen, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als wieder in die USA zurückkehren zu können, nachdem ich dort ein Jahr als Stipendiat der US-Regierung verbracht hatte. Aber der damalige Personalchef des Ministeriums und spätere Bundespräsident Dr. Kurt Waldheim erklärte mir in strengem Tone: „Bei uns ist das wie bei den Soldaten, du gehst dorthin, wohin man dich schickt! Kauf dir einen Pelz und fahre" (das Gespräch fand im Februar statt). Ich hatte vor dem etwas hastigen Abgang in die sowjetische Hauptstadt keinerlei sachliche Instruktionen über mein neues Arbeitsfeld erhalten - bis dahin war ich hauptsächlich mit Erbschaften österreichischer Staatsbürger in den USA und mit Personalfragen, Versetzungen etc. beschäftigt gewesen. Und als ich mich beim Generalsekretär des Außenamtes, also dem höchsten Beamten unseres Ministeriums (welches damals noch 4

Meine nachfolgenden Darstellungen beruhen auf persönlichen Wahrnehmungen aus dieser Zeit. Sie sollen und können keinerlei Konkurrenz zu zeitgeschichtlichen Forschungsarbeiten, wie dem grundlegenden Werk von Gerald Stourzh darstellen und beleuchten eher schlaglichtartig konkrete Ereignisse oder Abläufe aus dem Gesamtgeschehen des „Annus mirabilis" der Zweiten Republik, mit denen ich mich im Zuge meines beruflichen Lebens persönlich auseinander zu setzen hatte. Aber ich freue mich, dass Stourzh bei gewissen Einschätzungen, vor allem auch hinsichtlich der Rolle unseres damaligen Botschafters in Moskau, Norbert Bischoff, zu Schlüssen kommt, die mit den meinen weitgehend parallel laufen. Vgl. Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit: Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955. Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 62.4., völlig Überarb. u. erw. Aufl. Graz - Wien - Köln 1998.

60 Jahre mit den „Russen " gar keines war, denn verwaltungsmäßig bildeten wir nur eine Sektion des Bundeskanzleramtes), verabschiedete, fragte er mich beiläufig, ob ich verheiratet sei. Ich war etwas erschrocken, an sich war die Tatsache meines Junggesellentums ja amtsbekannt. Auf meine negative Antwort hin begann er laut zu schreien, dass dies „ein Wahnsinn" sei, man müsse nun in Moskau die gleichen Schwierigkeiten gewärtigen, mit denen man gerade erst in Budapest konfrontiert gewesen war (der ungarische Geheimdienst hatte eine Agentin an einen unverheirateten Kollegen angesetzt), und ich sah meine Reise nach Moskau schon ins Nichts zerrinnen. Da trat der politische Direktor, Dr. Josef Schöner, der im Nebenzimmer amtierte, durch die halb offene Tür und fragte nach dem Grund der lautstarken Rede. Als er die Ursache der Aufregung erfuhr, wispelte er durch die halb geschlossenen Lippen (er war bekannt dafür, mit fast geschlossenem Mund zu sprechen): „Bevor du dir ein Mädchen in die Botschaft nimmst, verstecke die Safeschlüssel!" Wir blickten beide etwas verdutzt auf unseren Mitredner, dem Generalsekretär kam das Bizarre der Situation nun doch zum Bewusstsein, so streckte er mir die Hand zum Abschied entgegen, und mit einem bündigen: „Geh mit Gott!" wurde ich schnell aus dem Zimmer komplimentiert. Einen Monat später empfingen wir in Moskau die österreichische Regierungsdelegation mit Julius Raab, Adolf Schärf, Leopold Figl und Bruno Kreisky am Regierungsflughafen in Moskau. 5 Am selben Abend kam es zu einem internen Gespräch auf der Botschaft, bei dem sich Raab und Schärf ziemlich scharf befehdeten: Schärf beharrte auf dem Standpunkt, dass alle Betriebe der so genannten USIA, der Verwaltung des Sowjetischen Vermögens in Österreich, ausnahmslos in österreichisches Eigentum übernommen werden müssten, koste es, was es wolle. Den Versicherungen der sowjetischen Seite, sich bei der weiteren Führung der Betriebe den österreichischen Gesetzen zu unterwerfen, sei auf Grund der gehabten Erfahrungen kein Vertrauen zu schenken. Er schien nach seinen Worten vor allem eine Fortsetzung der Probleme mit dem kommunistisch dominierten Werkschutz und den im USIA-Bereich tätigen sowjetischen Geheimdienstfunktionären zu fürchten. Auch die Gefahr einer weiteren Beeinflussung der Arbeiterschaft im kommunistisch-sowjetischen Sinne dürfte ihn dazu bewogen haben, auf wirtschaftlichem Gebiet einen vollen Rückzug der sowjetischen Besatzungsmacht zu fordern. Raab hingegen meinte, man müsse der sowjetischen Seite klar signalisieren, dass sie den Preis für die Ablöse des Deutschen Eigentums nicht unbeschränkt in die Höhe treiben könne. Viele Fabriken und die Ölfelder seien von der sowjetischen Verwaltung herabgewirtschaftet worden, und man solle die „Russen" einfach unter der österreichischen Gesetzgebung weiterarbeiten lassen, wenn ihre Forderungen zu hoch geschraubt würden. Ich hatte damals den Eindruck, dass der Bundeskanzler hier eine Nachricht über die in der Botschaft vermuteten Mikrofone an die sowjetische Führung weiterge5

Der Delegation gehörte auch der damalige Sekretär des Bundeskanzlers und spätere Staatssekretär, Dr. Ludwig Steiner, an. Er hatte mir als Angehöriger der Personalabteilung 1952 den Amtseid abgenommen und heute, über ein halbes Jahrhundert später, arbeiten wir wieder gemeinsam im Österreichischen Versöhnungsfonds; er ist als Vorsitzender des Komitees nach dem Bundeskanzler der zweithöchste Funktionär dieser Institution, und ich beschäftige mich als freier Mitarbeiter mit den Zwangsarbeitern aus der ehemaligen Sowjetunion.

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Herbert Grubmayr ben wollte: „Lizitiert uns nicht zu sehr hinauf, sonst machen wir nicht mit!" Tatsächlich einigte man sich dann in dieser Frage, wenn auch, wie Raab mehrmals betonte, unter schweren finanziellen Opfern für Österreich. Auch in der Frage der Verwendung des Wortes „Neutralität" traten bei dieser Gelegenheit Differenzen unter den Koalitionspartnern auf: Schärf war in Moskau anfänglich strikt gegen diesen Terminus; er befürchtete damals offenbar negative Auswirkungen auf die Wählerschaft der SPÖ, wenn man sich zu einer Neutralität bekennt, die dann möglicherweise von den Kommunisten in Österreich als Neutralismus uminterpretiert würde, wobei er wohl die Wühlarbeit im Auge hatte, welche die Partei Johann Koplenigs und Franz Honners unter der Arbeiterschaft mittels Verwendung des letzteren Vokabels vollführen könnte. Dem Einfluss Bruno Kreiskys, der die Kriegszeit im neutralen Schweden verbracht hatte, war es schließlich zu verdanken, dass Schärf der von Vjaceslav Molotov geforderten Verwendung des Wortes „Neutralität" zustimmte. Auf Grund der Absprache mit der österreichischen Delegation verwendete die sowjetische Presse in ihren ersten Meldungen über die Ergebnisse der bilateralen Gespräche in Moskau die Neutralität mit keinem Wort. Dort, wo dieser Ausdruck textmäßig hätte vorkommen müssen, setzten sie den Terminus „Unabhängigkeit". Die österreichischen Politiker wollten ihre Parteigremien und die Öffentlichkeit nach der Rückkehr nach Wien zuerst einmal von sich aus auf diese neue Situation vorbereiten.

Ein Telegramm für Julius Raab In Moskau war 1955 mit der Regierungsdelegation auch der Chefchiffreur des Außenministeriums, Legationsrat (später Gesandter) Eugen Mauler, mit von der Partie. Er schritt gewichtig mit seiner Aktentasche, welche die geheimen Materialien enthielt, in der Delegation mit und verließ fast nie das Gästehaus, um seine Zahlenwürmer zu bewachen. Damals chiffrierte man ja noch mit der Hand, durch endlose Additionen und Subtraktionen wurden Dinge ver- und entschlüsselt; ich habe diese Prozeduren damals in Moskau manchmal zwölf Stunden hintereinander praktiziert, dann (alb-)träumt man nur noch von Plus und Minus. Kurzwellenfunk und Fernschreiber, damals durchaus schon „state of the art", glänzten auf unserer (und meiner Erinnerung nach auch auf allen anderen Auslandsmissionen Österreichs) Botschaft durch Abwesenheit. Ja, und Fax, DFÜ und E-Mail kannte man in dieser aus heutiger Sicht als Steinzeit der IT-Revolution zu betrachtenden Periode nicht einmal dem Namen nach. Nun, Mauler hatte wenig zu tun, die Regierungsspitze war in Moskau, welche Aufträge sollten da aus Wien kommen? Und Julius Raab war auch nicht der Mann, um sich von seinem Parteipräsidium irgendwelche Vollmachten oder Verhaltungsweisen nachliefern zu lassen. Aber siehe da - es kam plötzlich doch ein Chiffretelegramm. Die Chiffretelegramme wurden übrigens immer von einem kleinen, dicken Postfräulein des Moskauer Zentralpostamtes angeliefert, die dann meist laut und mehrmals das Wort „Telegrammaaa!" schrie und das Telegramm in einem Kuvert auf einem kleinen Wandkästchen neben der botschafterlichen Küche deponierte. Wer es gerade hörte, lief dann hin - meist war es die Köchin oder eines der russischen Dienstmädchen.

60 Jahre mit den „Russen" Also, es kam die Depesche, und wir erschraken etwas, sie war mit „statissime" gekennzeichnet. Dieser Dringlichkeitsvermerk darf nur verwendet werden - so hatte man mir in Wien vor der Abreise nach Moskau eingebläut - vor Ausbruch eines Krieges (oder vielleicht nach heutigen Kriterien auch bei der Verhängung von Sanktionen durch Bruderländer!), dem Absturz der gesamten Regierung im Flugzeug oder ähnlichen Katastrophensituationen. Mauler überreichte mir die entzifferte Meldung mit betroffenem Gesicht: Was war geschehen? Die sowjetische Besatzungsmacht hatte den körperlich relativ kleinen, aber mit drei Doktortiteln ausgestatteten Handelsminister Udo Iiiig festgenommen, weil er mit einem Sportflugzeug über das Burgenland geflogen war - und das verstieß gegen eine Bestimmung des damaligen Besatzungsrechtes. Er hatte daraufhin „den Russen" gedroht, wenn er nicht sofort frei käme, würde Bundeskanzler Raab mit seiner Delegation den Besuch in Moskau abbrechen. Ich trug das Papier sogleich zu Julius Raab, der es ruhig, mit bis an die Nasenspitze vorgeschobener Brille las und mich augenzwinkernd, ohne jede Regung von Zorn oder Entsetzen, anschaute. Ich hatte schon den Bleistift gezückt gehabt, um das Diktat der Antwort entgegenzunehmen. Doch Raab lachte leise und sagte nur: „Nix schreibn ma zruck!" Am Abend wurde im Gästehaus innerhalb der Delegation die Nachricht von der Festnahme diskutiert. Es gab harte Worte über die sturen Sowjets. Raab hörte sich das alles schweigend an, und dann kam sein Kommentar: „In der Monarchie waren bei allen Personenwaggons außen bei der Tür Stricherln eingeritzt, ca. 1,50 m vom Boden. Wer größer war wie das Stricherl, musste ganze Fahrt zahlen, wer darunter blieb, brauchte nur eine halbe Karte lösen. Wenn wir dieses System noch heute hätten, könnte der Iiiig immer um die Hälfte Eisenbahn fahren!" (Im Namen der österreichischen Neidgenossenschaft ist hier gleich die Frage des Tages fallig: „Zahlt ein Minister überhaupt bei den ÖBB?") Die Sache kam zu einem glücklichen Ende: Noch bevor Raab seine später berühmt gewordene Botschaft verkündete: „Österreich wird frei und alle Gefangenen kehren heim!", war Iiiig schon wieder in Freiheit - und es hieß ja auch im Staats vertrag: Wir dürfen fliegen, nur nicht mit deutschen oder japanischen Piloten und Flugzeugen. Und das hatte der Herr Handelsminister ja auch nicht getan. Erst Jahrzehnte nach diesen Ereignissen sollte uns der Verkehr wieder Komplikationen eintragen, als sich die österreichische Luftverkehrsgesellschaft anschickte, unter Mitwirkung japanischer Hostessen ihre Schwingen über Sibirien hinweg nach Ostasien auszubreiten, doch davon später mehr.

Das Feuerwehrauto für den Herrn Generalsekretär Was waren meine Aufgaben in meiner Funktion als Erster Zugeteilter der Botschaft Moskau in diesen für Österreich doch sehr bedeutungsvollen Tagen? Verschiedenste, könnte man zusammenfassend sagen. Bis dahin hatten viele Kollegen an anderen Botschaften und auch die sich zuweilen besonders allmächtig dünkenden westlichen

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Herbert Grubmayr Pressekorrespondenten von mir kaum Notiz genommen - vielleicht mochten sie sich denken, warum schicken diese Österreicher auch an einen solch wichtigen Posten, und noch dazu in einem kritischen Moment, einen Lehrbuben (ich war 26, die meisten der anderen „Nummer 2's" in den ausländischen Missionen zählten eher 40 bis 50 Jahre)? Und nun plötzlich jagten auch ältere würdevolle Botschafter hinter mir her, um ein Stückchen Neuigkeit über diesen eher unerwarteten Besuch aus einem viergeteilten Kleinstaat zu erhäschen; und die Creme der Journalistenrunde bekundete mir meine Wichtigkeit durch das nachhaltige Stellen von neugierigen Fragen über den Erfolg unserer Verhandlungen, Fragen, die in den ersten Tagen nach der Ankunft unserer Delegation ohnehin nicht beantwortet werden konnten. Und ich musste an internen Sitzungen teilnehmen, bisweilen Kontakte nach Wien herstellen und bei den zahlreichen gesellschaftlichen Veranstaltungen im Kreml, im Gästehaus des Außenministeriums („Spiridonovka") oder in der Botschaftsresidenz anwesend sein, um mich gegebenenfalls auch um die persönlichen Befindlichkeiten unserer Delegationsmitglieder zu kümmern - was in einem speziellen Fall auch einmal sehr intensiv erforderlich war. Dazwischen wurde ich kurzzeitig wieder einmal zu den bilateralen Gesprächen gerufen, wenn etwas von der Botschaft benötigt wurde. Ja, und dann traf mich bald nach der Ankunft unserer Regierungsspitze ein Auftrag von Seiten des damaligen Vizekanzlers, den man in einem westlichen Land wahrscheinlich über den Botschaftschauffeur erledigt hätte, bei dem damaligen Stand der sowjetischen Konsumgesellschaft aber ein durchaus heikles Unterfangen darstellte, weil das Scheitern fast vorgezeichnet war: Dies würde dann den Anschein erwecken, dass ausgerechnet ich als „Tiefschwarzer" (CVer etc.) ein vom westlichen Standpunkt ja leicht erfüllbares Ersuchen des Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Österreichs ignorierte oder mich der Erledigung dieser kleinen Gefälligkeit entzog. Was war das Begehr? Ein Feuerwehrauto mit russischer Aufschrift („Pozarniki" heißt dies auf Russisch oder „pozarnaja masina") für das Enkelkind des Herrn Vizekanzlers. Ich machte mich, obwohl ich eigentlich auf der Botschaft Liaisondienst gehabt hätte, mit meinem Kollegen Dr. Camillo Schwarz auf den Weg; die ersten Stationen waren vollkommen erfolglos: Achselzucken, misstrauische Reaktionen der Verkäufer gegenüber ausländischen Extravaganzen; dann beschlossen wir, unser Glück in dem ziemlich neu eröffneten „Detskij Mir" (Kinderwelt) zu versuchen, der direkt neben dem Hauptquartier des KGB am Dzerzinskij-Platz die Freuden der Kleinen verwaltete. Wieder Achselzucken, also fordern wir mit strenger Stimme Zutritt zum „Administrator" (Geschäftsführer), was nach einigen Mühen gelang. Aus dem Gespräch mit diesem höheren Funktionär wurde dann allmählich klar, dass es den gewünschten Artikel doch gab, er aber nur an einen besonderen Kundenstock aus dem Dunstkreis der Nomenklatur ausgefolgt würde. Verweise auf unseren Diplomatenstatus und die hohe Stellung unserer Auftraggeber fruchteten nichts. Daraufhin spielte ich aus Verzweiflung meinen letzten Trumpf aus: Ich erklärte dem Spielzeugbonzen mit ziemlich lauter Stimme, dass abends ein Empfang des Politbüros für die Gäste aus Österreich stattfinde und wir dem Ersten Parteisekretär, Nikita Chruscev, gegenüber die Verweigerung der Herausgabe des fraglichen Gerätes als unfreundlichen Akt der sowjetischen Verwaltung monieren würden. Jetzt begann das Eis

60 Jahre mit den „Russen" langsam zu brechen, mein Gegenüber fing an hektisch zu telefonieren; und da wir weiter unerschütterlich in seinem Büro ausharrten, warf er mir schließlich einen giftigen Blick zu und erteilte seiner Sekretärin einen knappen Befehl; es dauerte noch ein Weilchen, und dann schleppte man den gewünschten Artikel herein. Ich forderte die Öffnung des Pakets, und siehe da, das Fahrzeug war nicht nur rot, sondern trug auch die verlangte Aufschrift! Ich bezahlte - das war in dieser auf Kasten (Einzahl: die Kaste, nicht der Schrank!) aufgebauten Bezugsscheingesellschaft das Geringere der Übel - und wir verließen nach insgesamt halbtägiger Jagd mit unserer Beute triumphierend den Spielwarentempel, um uns wieder unseren bürokratischen Obliegenheiten zuzuwenden. Das wirklich verdiente Lob des Auftraggebers nahmen wir mit Freude entgegen. Und wie es eben seltsame Fügungen des Schicksals gibt, stieg der Empfänger jenes Pozarnaja-Vehikels später selbst die Karriereleiter hoch hinauf zum zweithöchsten Funktionär des Amtes, welchem ich 42 Jahre lang gedient hatte. Wenn ich dies anno dazumal schon hätte geltend machen können, wäre es dann vielleicht einfacher gewesen, das gute Stück dem gesperrten Bereich der fortschrittlich-kommunistischen „Kinderwelt" zu entreißen?

Diner im Kreml Zum Abschluss der Verhandlungen gab es am 14. April 1955 ein großes Bankett im Kreml, den ich bis dahin nur von außen gekannt hatte. Nach langen Märschen durch verschiedene Gänge standen wir plötzlich dem gesamten Politbüro unter Führung des Ersten Parteisekretärs Nikita Chruscev gegenüber. Bilder, die ich bis dahin nur aus der Zeitung oder Wochenschau (dies war noch die fernsehlose Zeit!) kannte, waren nun unverhofft Realität geworden. An diesem Abend hatte ich mein erstes persönliches Erlebnis mit Nikita Chruscev. Nach Aufhebung der Tafel, an der etwa 30 Toasts abwechselnd mit Wodka oder armenischem Kognak auf die gegenseitige Freundschaft und Zusammenarbeit ausgebracht worden waren, nahm man stehend den Kaffee ein. Plötzlich näherte sich Chruscev der Gruppe der Gäste, bei der ich stand, packte mich an den Rockaufschlägen und fing zu schreien an: „Ich bin ein alter Mann, aber bevor ich sterbe, fahren noch einige mit mir in die Grube!" Obwohl der Ausspruch ja einen Widerspruch in sich enthielt, war ich verständlicherweise erschrocken, aber ein sowjetischer Protokollbeamter zwinkerte mir beruhigend zu: „Der Wodka." Genau diesen hatte ich schon selbst während der fortschreitenden Toastoffensive verspürt, und ich versuchte bisweilen, das volle Glas unter den Tisch zu schütten. Neben mir saß aber der Oberbefehlshaber der sowjetischen Luftwaffe, Marschall Pavel Zigarev (1900-1963). Er sah mich strafend an und meinte: „Tak nel'zja - das darf man nicht! Junger Mann muss trinken!" Dreißig Jahre später hatte ich ein Treffen der besonderen Art mit dem Marschall: Ich stand plötzlich vor seiner in Stein gehauenen hoch aufgerichteten Gestalt auf dem Friedhof des Novodevic'e-Klosters. Das geflügelte russische Wort: „Vypit' nuzno - man muss trinken!" kam mir unwillkürlich wieder in den Sinn und auch jener denkwürdige Abend im Katharinensaal des Kremls, wo wir Österreicher die vielen Trinksprüche mit „Ex-Trinken" im Interesse der Freiheit unseres Vaterlandes über uns ergehen ließen.

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Herbert Grubmayr Ich habe am 19. April 1955 meinen Eltern einen Brief geschrieben, in dem ich über das Ereignis im Kreml Folgendes berichtete: „Da morgen ein Kurier geht, will ich schnell ein kurzes Lebenszeichen geben. Beiliegend ein Zeitungsausschnitt, auf dem ich zu sehen bin. Das Bild wurde bei dem Diner im Kreml gemacht, welches Bulganin für die Delegation gegeben hat. Das Essen bei Bulganin war sehr interessant, weil nachher noch eine längere Plauderei bei Kaffee und Kuchen stattfand, wobei ich Gelegenheit hatte, mit Bulganin, Malenkov, Kaganovic und Pervuchin sowie auch mit der ,Nummer 1' hier, Chruscev, zu reden. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, mit diesen Leuten an einem Tisch zu sitzen; ich bin ca. eine Stunde zwischen Bulganin und Malenkov gesessen, wobei ich meine ganzen Russischkenntnisse zusammengenommen habe, um bei dem Gespräch mitzukommen. Bulganin hat mir dabei öfters auf die Schulter geklopft und dabei immer ,molodec' (junger Mann, im Sinne von ,gescheites Bürschchen') gesagt. Er steckte mir dann auch ein Bonbon in die Tasche, wo auf der Hülle das bekannte Gemälde des russischen Malers Schischkin mit zwei jungen Bären wiedergegeben ist, die auf einen Baumstamm klettern. Malenkow, der ein bisschen Deutsch kann, wie übrigens die meisten Politbüromitglieder, hat etwas melancholisch dreingeschaut, aber er war auch sehr nett. Das Diner war großartig, aber für meinen Magen ganz entschieden zu umfangreich." Stolz war ich auch darauf, dass im Original des Moskauer Memorandums, welches von den sowjetischen und den österreichischen Vertretern in Moskau unterzeichnet wurde, meine Handschrift aufscheint, wenn auch nur mit einigen stilistischen Korrekturen, die ich im letzten Augenblick vor der Unterzeichnung anbringen musste, da aus Zeitgründen eine Neufassung auf der Schreibmaschine in dieser weit zurückliegenden computer- und druckerlosen Ära nicht mehr produziert werden konnte. Die „Russen" und das Öl Das Kapitel der Öllieferungen als Ablöse für die SMV, die Sowjetische Mineralölverwaltung, wurde bis 1960 auf höchster Ebene weiterverhandelt. 1958 fuhr Raab nach Moskau und verlangte eine Reduktion der insgesamt zehn Millionen Tonnen Rohöl, zu deren Lieferung wir uns verpflichtet hatten, und er setzte sich tatsächlich mit seinem Verlangen durch. Ich erlebte diese Gespräche aus nächster Nähe mit, weil ich inzwischen von Moskau zurückgekehrt und Raabs Sekretär geworden war. Schwerpunkt meiner Tätigkeit war die Aufrechterhaltung von direkten Kontakten mit der sowjetischen Seite unter Umgehung der sonstigen offiziellen Stellen. Ich erinnere mich noch lebhaft an den Herrn „Professor" E. Egoskin, der mir als sowjetischer Kontaktmann in Wien des Öfteren in einem Wiener Restaurant gegenübersaß, um gewisse Gedanken oder kritische Bemerkungen über die Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen auszutauschen - all das von meiner Seite aus natürlich im engsten Kontakt mit meinem Chef, dem Bundeskanzler. Als zwei Jahre später Chruscev auf Staatsbesuch nach Österreich kam - nun schon selbst Ministerpräsident an Stelle des 1957 ausgeschiedenen Nikolaj Bulganin, fand das Feilschen um das Erdöl seine Fortsetzung. Die anfänglichen Verhandlungen in Wien,

60 Jahre mit den „ Russen" welche sowjetischerseits vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Aleksej Kosygin geleitet wurden, stockten. Raab hatte seinen Gast samt Frau und Tochter sowie Kosygin, den Außenminister Andrej Gromyko und Kulturministerin Ekaterina Furceva auf eine Busfahrt durch Österreich eingeladen, und im Zuge dieser Reise kam es dann in Kärnten zum Handel unter vier Augen. Nach einer anstrengenden Fahrt über die österreichischen Alpen, wo auch das Wasserkraftwerk Kaprun besichtigt wurde, bei dessen Bau während des Zweiten Weltkrieges viele Sowjetbürger als Zwangsarbeiter eingesetzt gewesen waren, langten wir gegen Abend in der Stadt Villach ein. Raab befahl mir, ein privates Gespräch mit Ministerpräsident Chruscev zu arrangieren. Es war schon 23 Uhr, als sich die beiden Regierungschefs im Schlafzimmer von Raab trafen; ein eigener Konferenzraum stand nicht zur Verfügung. Die nachfolgende Konversation von etwa eineinhalb Stunden stellt sich heute noch als einer der markantesten Punkte meiner langen Karriere im Außendienst dar. Ich musste für Raab Protokoll führen, der anwesende sowjetische Kollege sollte dolmetschen. Beide Politiker waren müde, und die Stimmung wurde bald etwas gereizt, vor allem, als Raab seinen sowjetischen Gesprächspartner rügte: „Der Adenauer ist mein Freund. Über den können Sie in Österreich nicht schimpfen." Chruscev fing daraufhin an, verbale Attacken gegen Revanchismus und Faschismus zu reiten, worauf Raab ihn unterbrach: „Die Faschisten waren in Italien. Bei uns waren die Nazi." Sein Gegenüber schaute ihn auf diesen Einwurf hin vollkommen fassungslos an, und Raab lenkte das Gespräch auf sein Lieblingsthema, das Öl. Ich merkte bereits, dass mein Chef aus Müdigkeit von Minute zu Minute mehr in seinen niederösterreichischen Dialekt abglitt, der für mich kein Problem darstellte, aber den sowjetischen Dolmetscher immer mehr ins Stottern versetzte, weil er den Sinn der Worte nicht mehr begriff. Bei einer neuerlichen Klage Raabs, dass er bei weiterer Verweigerung von Konzessionen seitens der sowjetischen Seite hinsichtlich der Höhe der Öllieferungen ernstliche Schwierigkeiten in seiner Partei (also der ÖVP) haben werde, verwendete er plötzlich Ausdrücke und einen Tonfall, die den Dolmetscher endgültig zum Schweigen verurteilten. Er starrte Raab mit weit geöffneten Augen an, als ob dieser unversehens auf Chinesisch umgeschwenkt hätte. Chruscev schrie ihn an: „Übersetze!" Ich verstand als einziger die peinliche Situation und übernahm kurzerhand, ohne zu fragen, die Übersetzung solange, bis Raab wieder etwas verständlichere Sätze formulierte. Ich erinnerte mich an diesen Teil der Verhandlungen später immer dann, wenn ich irgendwo im Orient, sei es in Bagdad, in Aleppo oder in Damaskus, einen Teppich erwarb; es war ein Basarhandel klassischer Qualität, Chruscev sprach davon, dass ihn die Partei absetzen würde, wenn er zu große finanzielle Zugeständnisse mache, und Raab jammerte immer wieder, dass seine Position auf dem Spiel stehe. Jedenfalls erreichte Raab sein Ziel: Er erhielt auf Grund dieses Gesprächs wieder eine bedeutende Reduktion des festgelegten Kontingents an Öllieferungen, sodass schlussendlich Österreich statt zehn Millionen Tonnen netto nur sechs Millionen Tonnen als Kaufpreis für die ÖMV aufbringen musste. Als typisch für die damals herrschende Konkurrenzsituation zwischen Regierungschef und Außenminister möchte ich noch folgendes Zwischenspiel erwähnen: Einige Tage, nachdem Nikita Chruscev abgereist war, um in der Heimat wieder an der „hellen

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Herbert Grubmayr Zukunft" seines Volkes zu werken (so ein beliebter Ausdruck der sowjetischen Propaganda für die finalen Perspektiven der kommunistischen Offenbarungsdialektik), erschien in meinem Büro im Sekretariat des Bundeskanzlers der politische Direktor des österreichischen Außenamtes mit der Miene eines Pfandgut erheischenden Gerichtsvollziehers und verlangte in knappen Worten die Herausgabe der von mir angefertigten Unterlage über das Gespräch Raab - Chruscev in Villach. Von welcher Seite er wohl über diese damals noch als geheim betrachtete Unterredung Kenntnis erhalten hatte? Nach mehr als zwei Jahren Dienst für den Regierungschef ging ich vor dem viel älteren und höherrangigen Kollegen keineswegs, wie er dies offenbar erwartete, in die Knie, sondern entgegnete ihm mit einem Achselzucken, dass ich das einzige Exemplar des betreffenden Transkripts weisungsgemäß dem Bundeskanzler persönlich übergeben hätte, und weiters: Sollte ich ihm etwa in dieser Sache einen Termin bei meinem Chef verschaffen? Auf diese Antwort hin zog er sich mit einer noch eisigeren Miene als der, mit welcher er gekommen war, zurück. Was ich meinem Gegenüber verschwiegen hatte: Ich besaß zwar keine Kopie der Reinschrift mehr, wohl aber gab es noch meine stenographischen Notizen zu diesem Gespräch, die ich dann - allerdings erst Jahrzehnte später - neuerlich in Langschrift übertrug. Aber zurück zu Raab: Warum legte er auf Konzessionen wirtschaftlicher Natur so großen Wert? Dazu muss man wissen, dass er vor allem ein Innenpolitiker war: Auch der Abzug der Besatzungstruppen war für ihn im Wesentlichen ein innenpolitisches Problem, weil er wusste, dass vor allem im Osten Österreichs die Fortdauer der ausländischen Okkupation als sehr drückend empfunden wurde und deren Beendigung sowie die Erlangung der völligen Handlungsfreiheit einem weit verbreiteten Wunsch der Bevölkerung entsprach. Ebenso war es beim Erdöl: Erlangte er von der sowjetischen Regierung eine quantitativ ins Gewicht fallende Verringerung der Lieferverpflichtungen, so konnte er vor seine Wähler hintreten und ihnen erklären: „Durch meine Politik ist es mir gelungen, den Russen so und so viel Öl herunterzuhandeln; das macht pro Steuerzahler eine Ersparnis von so und so vielen Schillingen. Also, ihr verbessert euch damit euren Lebensstandard und bitte wählt mich wieder." Übrigens, eine Bemerkung zu dem Wort „Russen": Man verwendete regierungsintern bei uns diese Bezeichnung fast immer, wenn man auf die Sowjetunion oder Moskau verweisen wollte; es wurde kaum je von „Sowjets" gesprochen. War das nur ein schlampiges Beharren auf alten geopolitischen Denkstrukturen oder eine unbewusste Vorwegnahme viel später eintretender regressiver Entwicklungen? Besatzung, Neutralität und Freiheit Nun noch ein Wort zu dem schon erwähnten Verhandlungskomplex Neutralität: Die österreichischen Politiker sind 1955 keineswegs nach Moskau gefahren, um, koste es was es wolle, die immerwährende Neutralität zu erlangen, ja, es gab sogar am Beginn, wie schon erwähnt, innerhalb der österreichischen Delegation ernsthafte Bedenken gegen die Verwendung dieses Begriffes, der von Außenminister Molotov als Grundlage für

60 Jahre mit den „ Russen " eine beiderseitige Regelung gefordert wurde. Unsere Vertreter wollten den Rückzug der Besatzungsmächte erreichen und die volle Kontrolle über die heimische Industrie erlangen; sie waren vor allem auch bestrebt, die Gefahr von ihrem Land abzuwenden, die sie darin erblickten, dass bei irgendwelchen Krisensituationen im Ostblock die sowjetische Führung an den Übergängen von ihrer Zone in die westlichen Bereiche Österreichs den bewussten Eisernen Vorhang herunterlassen würde, immer das drohende Gespenst der „Deutschen Demokratischen Republik" vor Augen. Dem Wort „Neutralität" fiel bei den Moskauer Verhandlungen dann im Wesentlichen doch nur die Rolle eines Verhandlungschips zu. Auch wenn man sich zum Beispiel das Organ der ÖVP, „Das Kleine Volksblatt", vom 15. Mai 1955 ansieht, so findet sich dort ganz oben eine fett gedruckte Überschrift: „Der Tag der Freiheit ist da!" Etwas kleiner folgt dann: „Auch der Kriegsschuld-Passus gestrichen!" und der wertfrei formulierte Begriff „Dauernde Neutralität" bekommt erst einige Zeilen tiefer einen noch kleineren Schriftgrad zugemessen. Das gibt wohl auch einen gewissen Hinweis auf die differenzierte Bewertung der durch den Staatsvertrag erzielten Ergebnisse. Und Botschafter Norbert Bischoff, der ja voll in die Verhandlungen eingebunden war, kritzelte (oder war es seine Gattin?, die Handschrift ist nicht ganz klar zu identifizieren) auf die Rückseite einer Fotografie, auf der man im April 1955 Schärf und Kreisky auf dem Gehsteig zwischen Botschaft und Gästehaus lustwandeln sieht, mit Bleistift: „Überlegen die Sozialisten Neutralität?" Dass die Frage des Abzugs der ausländischen Besatzungsmächte in Westösterreich vielfach mit ganz anderen Augen betrachtet wurde als in Wien, beweist der Umstand, dass der Landeshauptmann eines westlichen Bundeslandes einige Tage vor Abschluss des Staatsvertrages im Mai 1955 vom Bundeskanzler die Zusicherung von Entschädigungen für den Einnahmenausfall verlangte, der durch den Abzug der dort stationierten ausländischen Militärs verursacht würde, denn die Besatzungsangehörigen hätten sich angesichts ihrer freigebigen Hand zu einem wichtigen Faktor des lokalen Wirtschaftsaufschwunges entwickelt. Der Niederösterreicher Raab reagierte auf diese Forderung verständlicherweise eher ungehalten. Zur Frage der Neutralität wäre hier noch eine aus heutiger Sicht eher skurril anmutende Begebenheit anzumerken: Am 11. Juli 1958 veröffentlichte der Schweizer Bundesrat eine Erklärung, wonach er „in Übereinstimmung mit unserer jahrhundertelangen Tradition der Wehrhaftigkeit der Ansicht ist, dass der Armee [...] die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen. Dazu gehören die Atomwaffen." 6 Und schon einen Tag später, am 12. Juli, äußerte das Mitglied des Politbüros der KPdSU, Anastas Mikojan, dem schweizerischen Botschafter, Alfred Zehnder, gegenüber Vorstellungen über diesen Beschluss des Bundesrates und erklärte, dass derartige Maßnahmen im Widerspruch zur schweizerischen Neutralität stünden. Er gab seinem Bedauern Ausdruck, dass von sowjetischer Seite anlässlich der österreichisch-sowjetischen Verhandlungen vom April 1955 Österreich eine Neutralität nach dem Muster der

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Neue Zürcher Zeitung, 13.7.1958, S. 7.

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Herbert Grubmayr Schweiz auferlegt wurde.7 Aber dann lockerte Mikojan, dem ja auch in oberster Instanz die Wahrnehmung der außenwirtschaftlichen Agenden der Sowjetunion oblag, die Konversation etwas auf, indem er seinem Schweizer Gesprächspartner vorschlug, die Schweiz aus alten sowjetischen Atombeständen zu bewaffnen. Und er sprach einen Toast aus auf eine zu schließende Abmachung über den Verkauf alter sowjetischer Atomausrüstung gegen Schweizer Franken! Die Angelegenheit blieb ohne weitere Folgen; wie bekannt, hat die Schweiz die Idee einer Atomrüstung später wieder fallen gelassen. Die Realien der Souveränität Ich fungierte trotz meiner relativen Jugend damals schon bei Abwesenheit des Botschafters als Geschäftsträger. So hielt ich am 14. Mai 1955, also am Vorabend der Unterzeichnung, in der VOKS8 einen Vortrag über die Bedeutung des Staatsvertrages für die österreichisch-sowjetischen Beziehungen vor einem hochgestellten sowjetischen Publikum. Im August 1955 wurde ich eines Tages telefonisch vom sowjetischen Außenministerium ersucht, auf den Kiewer Bahnhof in Moskau zu kommen; man würde mir österreichische Kriegsverbrecher übergeben, welche auf Grund der erzielten Einigung mit Österreich nun den Rest ihrer Strafe in Österreich absitzen sollten. Da war dann auch ein junger Bursche dabei, der wegen des Besitzes einer rostigen Pistole seine „zehn Jahre" ausgefasst hatte. Als ich durch den Waggon schritt, stand plötzlich ein weißhaariger Mann mit Stock und Prothese vor mir auf (ich war 26!), salutierte und sagte in knappem militärischen Ton: „Ukrainischer Kriegsminister meldet sich zur Stelle!" Ich war verblüfft, ich hatte nie vorher von ihm gehört: Er war 1918 in der Regierung des Hetman Pavlo Skoropadskij Kriegsminister gewesen, flüchtete dann nach Österreich, wurde 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht an seinem Wohnsitz in Baden bei Wien aufgegriffen und - offenbar wegen Vaterlandsverrat - zu einer längeren Haftstrafe verurteilt. Im Jahr 1955 stellte man ihn dann für uns überraschend als österreichischen Staatsbürger an uns zurück. Im selben Monat trug ich zusammen mit dem Legationsrat Dr. Friedrich Kudernatsch vom österreichischen Außenministerium eine Schatulle mit Bank wechseln über 150 Millionen Dollar in die sowjetische Nationalbank, zum damaligen Kurs waren dies 3,9 Milliarden Schilling! Diese Wertpapiere waren als bankmäßige Sicherstellung für die pünktliche Abwicklung der Ablöselieferungen gedacht. Nie vorher oder nachher hatte ich je so viel an Geldeswert in meinen Händen gehabt.

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Dieser Vorfall wurde in einem von Botschafter Bischoff angefertigten Amtsvermerk ZI. 5-RES/58 v. 17.7.1958 festgehalten; interessant scheint in diesem Zusammenhang der Ausdruck „auferlegt"; hat Mikojan tatsächlich dieses Wort verwendet oder entspringt es einer Interpretation Bischoffs hinsichtlich des Inhalts der Mitteilung über den Inzidient, die er vom Schweizer Kollegen Zehnder erhalten hat? Bischoff verwendet übrigens eine identische Umschreibung der Genesis der österreichischen Neutralität in seinem „Gasteiner Memorandum" vom September 1955. Dazu siehe weiter unten. Russische Abkürzung für „Allunionsgesellschaft für Kulturelle Beziehungen mit dem Ausland".

60 Jahre mit den „ Russen " Visa stempeln für eine Weltmacht Eines Tages gegen Ende Juli 19559 holte mich Andrej Gromyko, damals noch, wie man im Bürokratenrussisch sagt, „Pervyj Sam" („Erster Stellvertretender Minister des Äußeren") zu sich, um mir mitzuteilen, dass in zwei Tagen die österreichische Souveränität auf dem Gebiet der Visaerteilung für sowjetische Staatsbürger wiederhergestellt werden würde. Ich ahnungsloser Jüngling nahm dies mit Befriedigung zur Kenntnis, bis am nächsten Tag der Bote des Außenministeriums mit einem größeren Reisekoffer voll von sowjetischen Pässen in der Botschaft erschien und gleichzeitig bemerkte, in zwei Tagen würde er sie, nachdem wir die Sichtvermerke eingestempelt hätten, wieder abholen. Wir kleines Häuflein von Botschaftsangehörigen (damals nur drei Personen außer dem Botschafter) blickten mit Fassungslosigkeit auf diesen riesigen Stapel von Reisedokumenten, hatten wir doch noch keinerlei Instruktionen von Wien hinsichtlich dieses Aspekts unserer Souveränitätsausübung erhalten. Die Sowjetbürger waren bis zu diesem Zeitpunkt mit einem von ihren eigenen Militärbehörden ausgestellten „Propusk" in unser Land eingereist. Es gab unter unseren Visa-„Kunden" eine ganze Reihe von höchst problematisch angesehenen Persönlichkeiten, wie ζ. B. die aus der Sowjetunion stammenden Mitarbeiter des Weltfriedensrates und des Weltgewerkschaftsbundes. Beide internationalen Organisationen, die in Österreich als „kryptokommunistisch" galten, waren gegen den deklarierten Willen der österreichischen Regierung in der sowjetischen Besatzungszone von Wien angesiedelt worden. Sie verlagerten sich dann bald nach dem Abschluss des Staatsvertrages nach Prag bzw. Helsinki, vor allem auch deswegen, weil wir nun den sowjetischen Funktionären dieser Institutionen die freie Einreise nach Österreich erschwerten. Gemeinsam mit unserem Botschafter übergab ich im Juni 1955 im MID die österreichische Ratifikationsurkunde zum Staatsvertrag, was eine der Voraussetzungen für das Inkrafttreten dieses für uns damals sehr bedeutenden Dokuments war. Auf diese Weise erlebte ich im Verlaufe einiger Wochen und Monate die einzelnen praktisch-bürokratischen Etappen unserer Souveränitätswerdung und lernte dabei auch immer wieder hohe sowjetische Funktionäre kennen. Bei einem Empfang, den Ministerpräsident Bulganin auf der so genannten „fernen" Daca von Iosif Stalin in Semenovskoe am 7. August 1955 für das Diplomatische Corps gab, war ich Zeuge eines längeren Gespräches zwischen

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Nachträglich erst wurde mir bewusst, dass dieser Schritt offenbar im Zusammenhang mit dem am 27. Juli 1955 erfolgten In-Kraft-Treten des Staatsvertrages erfolgt ist; an diesem Tag wurde von Frankreich als Letztem der fünf Partner des Staatsvertrages das Ratifikationsinstrument in Moskau hinterlegt, womit der Vertrag in Kraft trat. Dieses Datum hat bei uns nie besondere Bedeutung erlangt; man denkt, wenn man vom Staatsvertrag spricht, stets nur an den 15. Mai (Unterzeichnung) oder an den 26. Oktober, als den ersten Tag ohne fremde Besatzungssoldaten (was auch nicht ganz stimmt, weil einige Briten erst am 29./30 Oktober Österreich verließen); und wenn man bei der Erinnerung an den 26. Oktober den neutralen Status unseres Landes im Auge hat, so muss eigentlich darauf hingewiesen werden, dass das einschlägige Gesetz erst am 5. November 1955 in Kraft getreten ist. Aber Legendenbildungen spielen in Geschichte und Politik eine nicht zu unterschätzende Rolle.

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Herbert Grubmayr dem Politbüromitglied Lazar Kaganovic und der Gattin des israelischen Botschafters Josef Avidar, das zum Teil auf jiddisch geführt wurde und an dem ich mich trotz meinen eher bescheidenen Kenntnissen dieser Sprache auch beteiligte. Die damaligen Politbüromitglieder, mit welchen ich zusammentraf - und es waren fast alle - verhielten sich durchwegs sehr freundlich zu uns Österreichern. Ich bewahre noch eine Menükarte von dem schon erwähnten Kremlbankett auf, welches von der sowjetischen Führung für unsere Delegation gegeben wurde. Über meine Bitte haben neben Chruscev auch Bulganin und Ex-Ministerpräsident Georgij Malenkov darauf unterschrieben. Und auch einige rote, heute schon verblasste Flecken befinden sich auf diesem Souvenir: Als Chruscev unterschrieb, stieß er in seiner impulsiven Art gegen die Hand des daneben stehenden Malenkov, worauf aus dessen Glas einige Tropfen Rotwein darauf fielen: Wermutstropfen des Politbüros über einen verlorenen Vorposten in Mitteleuropa? Adenauer in Moskau In dem für mich damals sehr heißen - sowohl was das besonders schwüle Wetter als auch die große Arbeitslast betrifft - August 1955 erhielt ich eines Tages den Anruf eines Fritz Günther von Tschirschky, der der Protokollabteilung des deutschen Auswärtigen Amtes angehörte und mir mitteilte, dass er mich im Zusammenhang mit dem für September des Jahres angesetzten Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer in Moskau zu sprechen wünsche. Er besuchte mich in Begleitung eines anderen deutschen Diplomaten, Horst Gröppers, der beim Betreten meines Salons ausrief: „Mensch, hier habe ich ja gewohnt!"; er war von 1939 bis 1941 an der deutschen Botschaft zugeteilt und hatte in unserem Haus, welches in dieser Zeit zum Areal der deutschen diplomatischen Mission in der sowjetischen Hauptstadt gehörte, eine Wohnung zugewiesen bekommen. Er beschrieb dann im Detail seine damalige Wohnungseinrichtung, nicht ohne sich eloquent darüber zu beschweren, dass ihm nach dem Juni 1941 das schöne Inventar abhanden gekommen war. Der Zweck der Vorsprache der beiden Herren gründete sich auf den Umstand, dass der Besuch der österreichischen Regierungsspitze im April seit vielen Jahren die einzige hochgestellte Visite westlicher Regierungsvertreter in Moskau darstellte und sie über alle Details des damaligen Aufenthaltsprogramms in protokollarischer Hinsicht Bescheid wissen wollten. Ich gab ihnen aus den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen Auskunft und bekam zum Dank dafür auch eine Reihe von vertraulichen Einzelheiten über die deutsche Besuchsgestaltung zu hören, welche ich meinerseits nach Wien berichtete. So brachten die Deutschen einen Zug, der in Brest umständlich umgespurt werden musste, nach Moskau, um den deutschen Politikern abhörfreie Beratungsräume zu sichern. Die Garnitur wurde weit außerhalb des Zentrums auf einem Frachtenbahnhof abgestellt; wie ich nachher hörte, hat Adenauer ihn nie benützt, weil er die langen Fahrten zu diesem abgeschirmten „Kabernäuschen" als zu lästig und zeitraubend empfand. Der Empfang im Kreml für Konrad Adenauer, zu dem ich als österreichischer Geschäftsträger eingeladen war, wird mir stets in Erinnerung bleiben. Er war viel um-

60 Jahre mit den „Russen" fangreicher und großzügiger angelegt als das uns im April 1955 gebotene Bankett, aber „big country - big feast"! Ich wurde dabei auch Zeuge der heftigen verbalen Sträuße, welche die beiden Protagonisten Chruscev und Adenauer während der Tischreden miteinander ausfochten. Das im Georgssaal des Kremls sich solcherart darbietende Bild erinnerte mich lebhaft an das Letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci, nur der Judas fehlte (?): Die deutsche und sowjetische „Spitze" saß an einem langen Tisch, die anderen Mitglieder der deutschen Delegation, das Diplomatische Corps und die verschiedenen NomenklaturaGruppen der Einheimischen waren jeweils stehend in einen eigenen mit roten Schnüren begrenzten Korral gesperrt (die Protokollbeamten warnten uns: „no fraternization"!), wo sie die Szene am Haupttisch mitverfolgen konnten. Hinsichtlich Qualität und Auswahl der Speisen hingegen schienen, so weit aus der Distanz erkennbar, keine hierarchischen Diskriminierungen gegenüber dem uns gebotenen Gastmahl vorgenommen worden zu sein. - Ich bewahre unter meinen Papieren noch ein Schreiben von Herrn von Tschirschky vom 17. September 1955 auf, in welchem er sich bei mir vor seiner Abreise aus Moskau für die „liebenswürdige Unterstützung" bedankt, die ich ihm zuteil werden ließ.

Renner - der Auslöscher der Funken Während meiner ersten Moskauer Zeit kam ich auch mit dem Problemkreis Karl Renner in Berührung. Er gilt ja als der Gründer der beiden durch die Diktatur zeitlich getrennten Erscheinungsformen der Republik Österreich. Im April 1955 sprach der SPÖ-Vorsitzende Vizekanzler Adolf Schärf mit seinen sowjetischen Gesprächspartnern offenbar auch über Gemeinsamkeiten und Kontakte, die in der ideologischen (Vor-)Vergangenheit der beiderseitigen Bewegungen Platz gegriffen hatten. Das Politbüromitglied Mikojan, damals neben Molotov der zweite Chefverhandler auf Moskauer Seite, scheint dabei während einer der vielen gesellschaftlichen Veranstaltungen etwas über einen Briefwechsel zwischen Renner und Stalin erwähnt zu haben. Kaum war er nach Wien zurückgekehrt, schrieb Schärf an Botschafter Bischoff, er möge ihm eine Kopie dieser Korrespondenz verschaffen: 10 Mikojan oder Molotov - genau konnte sich Schärf nicht erinnern - hätten ihm versprochen, er könnte diese Papiere erhalten, wenn er daran interessiert sei - und er war es! Ich bekam diesen Brief Schärfs auch in die Hand, wir intervenierten „gegebenenorts". und siehe da, tatsächlich kamen diese bis dahin offenbar auch in sozialistischen Parteikreisen in Wien nicht bekannten Stücke zu Tage. Über die Textierung des Renner-Briefes ist seitdem viel diskutiert worden: „Werter Genösse Stalin" und „Dank im persönlichen Namen wie im Namen der Arbeiterklasse der Roten Armee und Ihnen, deren ruhmbedeckten Befehlshaber"; doch muss man nicht zugeben, dass vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber der Sowjetunion damals eine bittere Notwendigkeit darstellten? Aber die Sache nahm nach 1945, wie ich in dem „Renner-Akt" der Botschaft nachlesen konnte, einen für das Verhältnis zwischen den beiden Staatsmännern sehr negativen Verlauf. Stalin, sichtlich enttäuscht über den „westlichen" Kurs des österreichischen 10

Schreiben von Vizekanzler Adolf Schärf an Botschafter Norbert Bischoff v. 18.4.1955.

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Herbert Grubmayr Staatsmannes, ließ 1947 in der sehr angesehenen Moskauer „Literatur-Zeitung"11 einen langen gifttriefenden Artikel gegen den damaligen österreichischen Bundespräsidenten veröffentlichen, der mit „Die Verräter" und „Der Auslöscher der Funken" überschrieben war. Auch in gewissen inzwischen bekannt gewordenen Unterlagen über interne Besprechungen der Moskauer Führungskreise reflektiert sich eine ziemliche Skepsis gegenüber Renner und der ihm nahe stehenden rechten Führungsgarnitur der SPÖ. „Verräter" waren sie, weil sie dem westlich-pluralistischen Gesellschaftssystem treu geblieben waren, im Unterschied zu gewissen linken Kräften - sie dachten dabei wohl vor allem an Erwin Scharf - , die sich in diesen schwierigen Jahren zu „Vertretern der Arbeiterklasse" im durchaus sowjetfreundlichen Sinne gemausert hatten. Norbert Bischoff - Beschaffer des Staatsvertrages und/oder „unguided missile" am österreichischen Polithimmel? Eine Schilderung meiner Zeit in Moskau wäre unvollständig ohne ein Eingehen auf die Person meines Chefs, des österreichischen Botschafters in Moskau, Norbert Bischoff; er hatte seinen Posten am 31. Dezember 1946 angetreten, war also bei meiner Versetzung nach Moskau schon über acht Jahre am Platz und verblieb dann noch bis zum 4. April 1960 in der sowjetischen Hauptstadt, also insgesamt mehr als 13 Jahre. Über ihn gab und gibt es viele verschiedene Einschätzungen und Urteile im Hinblick auf sein Wirken in Moskau. Der „Kurier" hat ihn einmal als „unseren Kommissar in Moskau" bezeichnet. Gegen ihn erfolgten in den österreichischen Medien und auch im Parlament, vor allem von Seiten des damaligen VdU, immer wieder Angriffe, gegen die ihn das Außenamt in Wien seiner Ansicht nach nicht genügend in Schutz nahm. Andererseits muss man anerkennen, dass Bischoff vor allem in den ersten Jahren seiner Mission in Moskau trotz seiner evidenten Aufgeschlossenheit für das Gastland kein leichtes Leben hatte. Man blockierte die österreichische „Politische Vertretung" („Botschaft" wurde sie erst nach dem Tod Stalins im Sommer 1953) und ihren Chef, wo es nur ging, Vorsprachen im Außenministerium wurden nicht gewährt, und dies setzte sich fort bis zur absichtlichen Verschleppung solch alltäglicher Dinge wie der Zollfreischreibung von aus Wien geschickten Möbeln für das gerade erst zurückerlangte Botschaftsgebäude. Ich zitiere hier aus einem Bericht 96/P, den er am 17. November 1947 an das Außenamt in Wien richtete: „Es kann kein Zweifel bestehen, dass wir durch eine Verfügung, die zumindest von der Spitze des Ministeriums, vielleicht von noch höherer Stelle ausging, derzeit vollkommen blockiert sind und man uns ,in unserem Saft schmoren lässt', wobei nur das Rein-Protokollarische und die allerbanalsten Administrativa ihren normalen Lauf nehmen." In positiver Hinsicht muss festgehalten werden, dass er es verstand, in Moskau aller Unbill zum Trotz ein persönliches vertrauensvolles Verhältnis zur sowjetischen Führung 11

Literaturnaja Gazeta, 29.10.1947. Gezeichnet ist der Artikel von „A. Sarov". Es dürfte sich dabei um den Schriftsteller Aleksandr Sarov handeln (1909-1984), der sich später vor allem als Romancier und Verfasser von Kinderbüchern einen Namen machte.

60 Jahre mit den „Russen " zu etablieren und er sich ganz außer Zweifel ausschlaggebende Verdienste bei der Vorbereitung des Abschlusses des Staatsvertrages erwarb. Als auch nach Stalins Tod immer wieder Hemmnisse zwischen den vier Mächten bei der Finalisierung dieses Vertrages auftraten, wusste er doch die Zeichen der Zeit in Form des beginnenden Tauwetters in Moskau zu deuten, und es gelang ihm, Bundeskanzler Raab im direkten Gespräch und unter Umgehung des Wiener Außenministeriums davon zu überzeugen, dass von Österreich selbst gewisse grundlegende Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluss mit Moskau geschaffen werden müssten. Hauptpunkt dabei war die Inkaufnahme des Risikos eines bilateralen Herangehens im Verhältnis zu Moskau, um der sowjetischen Führung den Komplex zu nehmen, dass Österreich einen bloßen „Satelliten" der Westmächte darstelle, der ohne Erlaubnis aus Washington keine Gesprächsbereitschaft in Richtung Sowjetunion zeigt. Das Ergebnis sprach dann ja eine deutliche Sprache hinsichtlich der Richtigkeit der von Bischoff angeregten Vorgangsweise. Andererseits warf man ihm in Österreich und im Westen damals immer wieder ein zu großes Verständnis für sowjetische Belange vor. Für ein genaueres Eingehen auf die Rolle und die Persönlichkeit von Norbert Bischoff ist hier kein Platz. Aber ich habe in den drei Jahren, die ich unter ihm in Moskau diente, Einsicht in viele Dinge bekommen, die das gespannte Verhältnis zwischen Bischoff und Ballhausplatz beleuchteten und auch von mir immer wieder die Einnahme einer eigenständigen Position erforderten. Ich kam in Moskau öfters in eine Lage, die ich in meiner ersten Dienstzeit in Wien nie gekannt hatte; dort hatte ich mich in eine Hierarchie eingebettet gefühlt, die ich vom ergonomischen Standpunkt durchaus positiv empfand. Aber schon bei meinen Abschiedsbesuchen vor der Abreise nach Moskau war im Amt oft eine gewisse Verhaltenheit oder Skepsis zu spüren: „Ah, zum Bischoff gehst du? Na, da wünsche ich dir viel Glück!" und Ähnliches mehr hörte ich damals. Als ich die Berichterstattung meines neuen Chefs dann selbst zu lesen bekam, begann ich zu verstehen, worin der Gegensatz bestand. In Wiener Außenamtskreisen hatte man nach und nach den Eindruck gewonnen, „ihr Mann in Moskau" habe die Realität unter den Füßen verloren. Dass er so wesentlich am positiven Ausgang der Staatsvertragsverhandlungen 1955 beteiligt war, wollten viele dieser Kritiker auch post festum nicht wahrhaben. Ich muss dabei auch an ein Vorkommnis im Frühjahr 1956 denken, als ich plötzlich Tuscheln und düstere Mienen bei Bischoff und seiner Sekretärin, die gleichzeitig die langjährige Freundin und Vertraute der Familie Bischoff war, wahrnahm. Wegen aufgetretener Komplikationen beim Dechiffrieren eines Wiener Telegramms (diese Tätigkeit erfolgte damals noch rein händisch bzw. im Kopf mit endlosen Rechenoperationen) musste ich ins Vertrauen gezogen werden, und so entfaltete sich vor mir bruchstückartig und über längere Perioden hin allmählich die Problematik des so genannten „Gasteiner Memorandums". Das war eine Art Zukunftsprojektion, die Bischoff über die österreichische Außenpolitik im Herbst 1955 im Hotel Straubinger in Gastein während eines ausgedehnten Kuraufenthalts verfasst hatte - ich erinnere mich noch lebhaft, dass ich in dieser Zeit infolge seiner Abwesenheit mehr als zwei Monate im Sommer und Herbst an meinen Dienstposten gefesselt war, was unter den damals in Moskau herrschenden Umständen eine ziemliche Härte bedeutete. Das Papier trug den offiziellen Titel „Über-

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Herbert Grubmayr sieht über die wichtigsten Probleme der österreichischen Außenpolitik" und umfasste 23 Seiten. Der Inhalt widersprach in vielen grundlegenden Fragen diametral den Ansichten des Ballhausplatzes. Dort vertrat man von Anfang an die These der „militärischen Neutralität" als Gegensatz zur extensiven neutralistischen Interpretation des ideologischen „Auf-dem-Zaun-Sitzens", und andererseits lag die Betonung von Wien aus auf der absoluten Freiwilligkeit und Selbstständigkeit, mit der Österreich diesen Status als außenpolitische Maxime angenommen hatte. Bischoff polemisierte gegen diese, wie er es sah, unzulässige Einschränkung und Negativierung des umfassenden Konzepts, welches die Neutralität seiner Meinung nach darstellen sollte. Ganz besonders hat damals Bischoffs Wort von „der vertragsmäßig uns auferlegten Neutralität" in Wien Missfallen erregt, und seine Ausfälle gegen die militärische Neutralität stellten eigentlich auch einen Angriff auf das von Bundeskanzler Raab im Parlament selbst vorgelegte Neutralitätskonzept dar. Die in dem bewussten Papier geäußerte Ansicht, dass „es nur einen einzigen effektiven Garanten der nationalen Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa, nämlich die Sowjetunion" gäbe, trug nicht zum Entzücken der österreichischen außenpolitischen Spitzen bei. Es war die Zeit des Kalten Krieges, und trotz der mitunter in Moskau zu registrierenden leichten Tauwetterlage legte man bei uns Wert darauf, in der westlichen Front nicht als unsicherer Kantonist betrachtet zu werden. Andererseits enthält das Gasteiner Memorandum Passagen, welche aus heutiger Sicht fast als eine prophetische Vorwegnahme der Wende von 1989/90 gedeutet werden könnten, eine Wende allerdings, deren Zustandekommen er unter Aufrechterhaltung der Weltmacht Sowjetunion für möglich ansah. Im Wiener Außenamt hatte man sich nach Erhalt des Elaborats darauf beschränkt, es unter Hintanhaltung einer weiteren Zirkulation, wie dies bei Grundsatzpapieren sonst üblich gewesen wäre, im Panzerschrank der Politischen Abteilung unter Verschluss zu nehmen. Ermahnungen an Bischoff, seine Haltung mehr in Richtung auf eine in Wien als solche erachtete Objektivität zu modifizieren, betrachtete man nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre offensichtlich als zweckloses Unterfangen. Andererseits wusste man, dass Bischoff unter dem Schutz des Bundeskanzlers stand und jegliche Versuche, ihn aus Moskau abzuziehen, ohnehin aussichtslos gewesen wären. Nun aber, im Frühjahr 1956, erfuhr das Ministerium, dass das Bischoff-Papier angeblich Zeitungen zum Verkauf angeboten worden sei und auch schon bei ausländischen Botschaften zirkuliere. Da ergab sich Handlungsbedarf. Niemand nahm an, dass Bischoff in diesen Aspekt der Sache verwickelt sein könnte, aber man wollte von ihm wissen, ob er das Papier allenfalls vertraulich an dritte Personen weitergegeben habe, was er, soweit ich die Texte der einschlägigen Chiffretelegramme zu Gesicht bekam, verneinte. Aber das Außenamt sah nun Handlungsbedarf und entschloss sich, das bis dahin streng vertraulich behandelte „Gasteiner Memorandum" bei einer Reihe von Missionschefs im Ausland zu zirkulieren, unter Beifügung einer Sprachregelung, „dass es sich hier um rein private Gedanken des Verfassers handelt, die weder die offizielle noch die offiziöse Auffassung der Wiener staatlichen Stellen wiedergeben". Die Position des Ballhausplatzes zu Bischoff zeigte sich auch in einem Vorfall im Zusammenhang mit der Entfernung Molotovs, Malenkovs und anderer Politbüromit-

60 Jahre mit den „Russen" glieder aus der Moskauer Führungsriege im Juni 1957. Ich war zu dieser Zeit auf Urlaub in Österreich, Bischoff fuhr zusammen mit dem damaligen Justizminister Otto Tschadek auf einem Wolgaschiff im Zuge eines offiziellen Besuches, den Letzterer unserem Empfangsstaat abstattete, und gerade in diesem Augenblick brach der „Sturm" in der Hauptstadt los: Die Machtkämpfe im Politbüro wurden ruchbar, alle Diplomaten rangen um Informationen und schickten Telegramme an ihre Außenämter. Ich eilte ins Ministerium und fragte den damaligen Politischen Direktor, Heinrich Haymerle, was Bischoff über diese Ereignisse gemeldet habe. Haymerle schaute mich mit einem rätselhaft sein sollenden Blick an und antwortete: „Gar nichts." Als ich mein Unverständnis über dieses Schweigen zum Ausdruck brachte, meinte er, wobei ein leicht boshaftes Lächeln um seine Lippen spielte: „Sie werden doch den Bischoff am Ende nicht mitgesäubert haben?" Das Rätsel löste sich: Der Botschafter hatte die Nachricht zwar im Radio vernommen, es gab aber bei dem damaligen Zustand der sowjetischen Fernmeldeeinrichtungen keine Chance, vom fahrenden Dampfer mit der Außenwelt in Verbindung zu treten. In Moskau saß ein als Geschäftsträger agierender Kollege, der nie in die Sowjetunion versetzt werden wollte, sich weigerte, Russisch zu lernen, und von dem Wirbel rundherum nichts mitbekam. Die Sekretärin Bischoffs hatte die Nachricht zwar gehört, aber den Beamten, den sie wegen seiner „Russenfeindlichkeit" nicht schätzte, in Unwissenheit belassen. Ja, man kann aus heutiger Sicht sagen, das war halt noch eine lustige Botschaft! Ein Jahr später versuchte Bischoff dann eine Art Vermächtnis seiner Moskauer Tätigkeit der Öffentlichkeit zu übergeben. Er hatte ein Manuskript mit dem Titel „Die Haltung der Sowjetunion in der Frage des Abschlusses des österreichischen Staatsvertrages" erarbeitet und ersuchte im Dezember 1958 das Ministerium um die Erlaubnis der Publikation seines Werkes, welches im November 1959, also zum ungefähren Zeitpunkt seiner aus Altersgründen vorgesehenen Pensionierung, erscheinen sollte. Für die verantwortlichen Funktionäre des Ballhausplatzes konnte dieses Projekt im Übrigen kaum eine besondere Überraschung darstellen, hatte sich Bischoff doch schon früher intensiv mit dieser Thematik befasst und zwei je 13 Seiten lange Berichte im Juni 1949 und dann wieder im Mai 1955 zu diesem Thema Wien vorgelegt. Ich hatte inzwischen Moskau schon verlassen und arbeitete als Sekretär bei Bundeskanzler Raab in Wien. Aber noch vor meiner Rückversetzung hatte ich manchmal der Sekretärin an der Botschaft über die Schulter geschaut, als sie das Manuskript in Maschinenschrift übertrug; dabei erkannte ich bald den Sinn dieses im Entstehen begriffenen Elaborats, und es stellte sich bei mir auf Grund der in Moskau gewonnenen Einsichten über unsere außenpolitischen Strukturbilder alsbald eine starke Skepsis ein, ob man in Wien eine Veröffentlichung dieser Art goutieren würde. Nach längerer Prüfung, mit welcher vor allem die Botschafter Heinrich Haymerle und Stephan Verosta betraut wurden, erfolgte tatsächlich eine negative Antwort, was Bischoff, der den Staatsvertrag auch ein bisschen als sein eigenes Lebenswerk betrachtete, persönlich schwer traf.12 12

Diese Ablehnung erfolgte dann ein knappes Jahr vor seiner Versetzung in den Ruhestand und der damit verbundenen Rückberufung nach Wien. Die von ihm als bitteres Unrecht empfundene Haltung des

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Herbert Grubmayr Die Gründe für die Ablehnung waren vielfach. Bischoff beabsichtigte, im Zuge dieser Publikation eine größere Anzahl von bis dahin geheim gehaltenen Noten, Telegrammen und Memoranden der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, was man als Widerspruch zur Vertraulichkeit des diplomatischen Verkehrs ansah. Besonderen Anstoß nahm man an der beabsichtigten Publikation eines Schreibens, welches Bischoff einen Tag nach dem Abgang von Außenminister Karl Gruber im November 1953 ohne nachvollziehbare Autorisierung durch den Ballhausplatz an Außenminister Molotov gerichtet hatte, wo er das Ausscheiden des bisherigen Außenministers als Beseitigung eines Hindernisses für den Abschluss des Staatsvertrages bezeichnete und Bundeskanzler Raab sowie indirekt auch sich selbst als künftige Kontrahenten der Sowjetunion vor allem in dieser Frage empfahl. Inhaltlich hatte man Bedenken, dass der Verfasser dazu neige, allzu sehr auf die Sicherheitsbedürfnisse der Sowjetunion einzugehen, während er den parallelen Erwägungen des Westens zu wenig Bedeutung zumesse. Man befürchtete auch, dass bei einer Autorisierung des Werkes Bischoffs tatsächlich eine „historische Debatte", wie der Autor es nannte, über die Ursachen der Verzögerungen beim Abschluss des Staatsvertrages wiederaufgenommen werden könnte. Dazu muss man bedenken, dass die ungarische Revolution erst zwei Jahre zurücklag und in Wien die Ansicht vorherrschte, man könne nur bei einem in den Augen des Westens möglichst eindeutigen und unverdächtigen Verhalten im Falle einer neuerlichen Krise im Sowjetbereich die gewünschte Rückendeckung aus Washington erhoffen. Konfrontation mit der „Gefahr aus dem Osten" Die Frage, ob uns die Neutralität vor einem Angriff beschützt hätte (oder tatsächlich hat), ist heute noch immer ein unerschöpfliches, emotional gespeistes Diskussionsthema und wird es wohl noch bleiben, bis dieser Statuskomplex wirklich in den Schatten der Geschichte zurückgesunken ist und „sine ira et studio" von den Historikern analysiert werden kann. Es hat, Gott sei Dank, keinen direkten Anlassfall gegeben, der den schlüssigen Beweis lieferte, dass die Sowjetunion im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Westen - oder auch nur bei einer Krise ohne begleitenden kriegerischen Konflikt - die österreichische Souveränität verletzt hätte. Aber beim Ungarnaufstand des Jahres 1956 schien eine sowjetische Intervention aus damaliger Sicht nicht vollkommen unrealistisch: Wir wurden in der kritischen Zeit Anfang bis Mitte November fast täglich in das

Ballhausplatzes und das bevorstehende Ende seiner Mission dürften ihm auch physisch beträchtlich zugesetzt haben. Dazu kam die mit den gesellschaftlichen Verpflichtungen in Moskau verbundene eher ungesunde Lebens- und Ernährungsweise. Jedenfalls erlitt Bischoff im November 1959, kurz vor seiner endgültigen Abreise aus der sowjetischen Hauptstadt, einen schweren Herzinfarkt, an dessen Folgen er am 30. Juni 1960 in Schruns während eines Kuraufenthaltes starb - genau an dem Tag, an dem der sowjetische Ministerpräsident Chruscev zu seinem ersten Besuch in Österreich eintraf, eine Visite, an deren Zustandekommen Bischoff durch seine Mitwirkung an der Einigung zwischen Österreich und der Sowjetunion indirekt maßgeblich beteiligt war.

60 Jahre mit den „ Russen " sowjetische Außenministerium zitiert, wo man uns Neutralitätsverletzungen der westlichen Seite hinsichtlich Österreichs vorhielt; westliche Militärflugzeuge, die in Wien humanitäre Hilfsgüter für die ungarischen Flüchtlinge ausluden, hätten in Wirklichkeit Waffen für die „Konterrevolutionäre" mitgebracht, welche dann über österreichisches Territorium nach Ungarn weitergeleitet worden seien. Man gab uns sogar die Kennnummern der Flugzeuge an, welche die Ausrüstungen angeblich an Bord hatten. Alle diese Behauptungen wurden von österreichischer Seite Punkt für Punkt dementiert. Aber aus der Diktion unserer sowjetischen Gesprächspartner wurde uns ziemlich klar, dass man in Moskau schon eine Note vorbereitete, in welcher Österreich beschuldigt worden wäre, sich gegen die Verletzung seiner Neutralität durch die westlichen „Revanchisten" nicht in einer neutralitätskonformen Weise zur Wehr zu setzen bzw. in Kollision mit diesen Kräften zu stehen - daher sei die Sowjetunion zu ihrem Bedauern gezwungen, den Schutz der österreichischen Neutralität in ihre eigenen Hände zu nehmen usw. Wir blickten manchmal am Morgen schon etwas ängstlich auf die Straße vor der Botschaft, in der wir damals alle auch unsere Wohnungen hatten, um nachzuschauen, ob wir vielleicht schon von Sicherheitsorganen umzingelt seien. Erst als ich 1958 nach Wien zurückkehrte, erhielt ich einen gewissen Einblick in die damals zwischen Wien und Washington laufenden Kontakte. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Amtsvermerk über die Haltung der USA in jenen kritischen Tagen, den Botschafter Haymerle am 12. November 1956 anlässlich eines Besuches des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland am Ballhausplatz verfasst hatte, der aber der Botschaft in Moskau nach meinem Wissen nie zur Kenntnis gebracht worden war: „Es erscheint Botschafter Mueller-Graaf bei Ges. Haymerle und teilt mit, dass nach einer Meldung des deutschen Militärattaches in Washington die Amerikaner die Sowjetunion in keinem Zweifel darüber gelassen hätten, dass ein sowjetrussischer Angriff auf Österreich den Dritten Weltkrieg auslösen würde." Es folgt dann noch ein ähnlicher Hinweis hinsichtlich eines Eingreifens Moskaus im Nahen Osten, und zum Schluss steht die lakonische Bemerkung des Verfassers des Amtsvermerks: „Die Information enthält wenig Neues." Die Information stellte ja zum damaligen Zeitpunkt eine weltpolitisch bedeutende Mitteilung dar; Präsident Dwight D. Eisenhower und John Foster Dulles hatten ihrem Gegenüber die Faust gezeigt. Aber warum war so „wenig Neues" an dieser Information? Das führt mich zurück zu meinen häufigen Kontakten mit dem früheren Außenminister Gruber während der Zeit, als ich in den späteren 1950er und Anfang der 1960er Jahre als Sekretär von Bundeskanzler Raab arbeitete. Gruber war nach einem dreijährigen Aufenthalt als Botschafter in den USA 1957 nach Wien zurückgekehrt und wirkte nun als Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Er hatte eine sehr unkonventionelle und oft auch etwas barsche Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Bei einer Diskussion des obigen Themas sagte er mir einmal: „Der österreichische Botschafter in Washington hat eine wichtige Aufgabe, die alles andere in den Hintergrund treten lässt. Er muss ständig in seinem Notizbuch einige Telefonnummern von einflussreichen Leuten parat haben, wo er bei Tag und bei Nacht anrufen und Hilfe mobilisieren kann, wenn es einmal an

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Herbert Grubmayr unserer Ostgrenze kracht." Ob er im November 1956 tatsächlich die Telefonleitung in dem bewussten Sinne strapazierte? Diese konkrete Frage stellte ich ihm damals nicht, aber der Kommentar von Haymerle zu den Mitteilungen des deutschen Botschafters lässt die Schlussfolgerung zu, dass er tatsächlich die Notleine aus dem Notizbuch betätigte und Wien beruhigte, während wir in Moskau uns schon halb im Gewahrsam des KGB dünkten. Im Jahr 1965 gab es übrigens wieder eine Garantie von dem (damals schon Ex-) Präsidenten und verdienten General des Zweiten Weltkrieges: Dwight D. Eisenhower erhielt aus der Hand von Bruno Kreisky am 13. Oktober 1965, also am Vorabend seines 75. Geburtstages, einen österreichischen Orden. In seiner Dankesrede führte er aus: „You can believe that America's pledge, typified by our forces in Europe, will ensure that neither your country nor any other would ever again be overrun by the mighty forces of oppression. US military strength is there to ensure smaller countries that we are not going to see freedom oppressed again." Wie wohl unser damaliger Außenminister diese Zusicherung eines - wenn auch berühmten - Pensionisten aufgenommen hat, wenn man an sein späteres Verhältnis zu den republikanischen Inkumbenten des Weißen Hauses denkt? Aber schon im Herbst 1968 nach dem abrupten Ende des Prager Frühlings fielen die Zusicherungen am Potomac River weitaus schwächer aus. Der US-amerikanische Außenminister, Dean Rusk, reagierte auf die drängenden Fragen von Außenminister Waldheim, was sein würde, wenn die Sowjets an der tschechisch-österreichischen Grenze nicht stehen blieben, weitaus zurückhaltender: Ja, das wäre „a very grave violation of peace". Aber niemand kann beim gegebenen Grad des Archivzutritts in Moskau heute wirklich sagen, ob diese differenzierten Echos aus Washington tatsächlich eine notwendige Abschreckung zum Zwecke der Aufrechterhaltung unserer territorialen Integrität darstellten oder ob auf der „anderen" Seite - abgesehen von militärischen Planspielen ä la Polarka - ohnehin nie bedrohliche Absichten in Richtung Österreich bestanden. Staatsvertrag und Neutralität als Hindernis auf dem Weg nach Europa? Nach einem Hiatus von fast einem Vierteljahrhundert geriet ich neuerlich in den Problemkreis Österreich - Sowjetunion, als ich 1985 zum österreichischen Botschafter in Moskau ernannt wurde. Der Ursprung war wieder etwas prosaisch: Ein Kollege, der seiner Stellung in der Hierarchie nach in die engere Auswahl für diesen Posten gelangt war, fragte mich während der Botschafterkonferenz im September 1984 in Wien: „Kannst du noch Russisch?" Meine zögernd positive Antwort genügte für die Versetzung, und auf meine spätere Frage an ihn: „Warum bist du nicht selbst nach Moskau gegangen?" kam die trockene Antwort: „In Moskau gibt es keine gescheiten Tennisplätze." Meine fünf Jahre in der sowjetischen Hauptstadt bis zur Weiterversetzung nach Bonn im Herbst 1990 waren vor allem durch einen dauernden, oft sehr heftig geführten Dialog mit der sowjetischen Seite über den Wunsch Österreichs nach einer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft gekennzeichnet. Auf Nebenschauplätzen kam es auch zu Auseinandersetzungen über heute schon längst vergessene oder als „obsolet" erklärte Sachfragen; so vollführten wir ein jahrzehntelanges „Gerangel" (anders kann

60 Jahre mit den „Russen " man dies angesichts der vorliegenden Umstände nicht bezeichnen) um die Bewaffnung des österreichischen Bundesheeres mit Lenkwaffen; und Ende der 1980er Jahre wurde im sowjetischen Außenamt sogar der Umstand als heikel empfunden, dass beim Überflug über sowjetisches Gebiet japanische Hostessen auf Tokio-Flügen der AUA an Bord waren. Man bezog sich damals auf Artikel 15, Absatz 2 des Staatsvertrages. Aber man hat uns meines Wissens nie Artikel 16 vorgehalten, der für Österreich bei strenger Auslegung den Ankauf von Airbussen verhindert hätte. Doch diese wollte man ja in Moskau schon in Sowjetzeiten auch selbst erwerben, und da schien es nicht angezeigt, eine Sache aufzugreifen, die das Airbus-Syndikat als unfreundlichen Akt gegen den Westen hätte auffassen können. Damals wurden von Moskau sowohl die Definition des Anschlussverbotes im Staatsvertrag als auch die behauptete völkerrechtliche Verbindlichkeit des Moskauer Memorandums im Zusammenhang mit der Frage unseres Neutralitätsstatus in verschiedentlicher und oft recht aggressiver Weise hinterfragt. So vertrat man damals in der für Österreich und Deutschland zuständigen 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums noch bis gegen das Ende der Sowjetunion hin die Auffassung, dass wir uns in der Neutralitätsfrage gegenüber Moskau durch das Moskauer Memorandum vertraglich gebunden hätten. Im Dezember 1987 erklärte mir der sehr einflussreichen Leiter dieser Stelle, Botschafter Aleksandr Bondarenko, mit deutlich hörbarem hämischen Unterton: „Wir haben zwar 1955 davon abgesehen, die Neutralität in den Staatsvertrag zu schreiben und Ihnen erlaubt, freiwillig neutral zu werden, aber das heißt nicht, dass wir da nichts mitzureden haben - politisch ist das alles sehr eng verbunden!" Die These, dass die betreffenden Passagen des Moskauer Memorandums nicht, wie wir es immer auffassten, eine bloße Verwendungszusage der Regierungsdelegation gegenüber dem österreichischen Parlament darstellte, sondern, wie die sowjetische Formulierung lautete, „eine historisch-politische Beziehung" zwischen Neutralität und Staatsvertrag begründet habe, von welcher Moskau dann glaubte, ein quasi-völkerrechtliches Ingerenzrecht ableiten zu können, wurde mir mit wechselnder Intensität immer von meinen offiziellen Gesprächspartnern vorgehalten. Auch die sowjetische Interpretation, wonach unser Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft eine Verletzung des Artikels 4 des Staatsvertrages (Verbot des Anschlusses an Deutschland) bedeute, kam gebetsmühlenartig bei den einschlägigen Kontakten aufs Tapet. Es bedurfte vieler Aufklärungsarbeit, so bei außenwirtschaftlich orientierten sowjetischen Institutionen und Think-Tanks, bei maßgeblichen sowjetischen Journalisten, aber vor allem auch in den einschlägigen Stellen des Zentralkomitees der KPdSU und der allmählich unabhängiger werdenden sowjetischen Volksvertretung (welche in dieser Periode mehrmals die Bezeichnung wechselte), um die starre Bastion der Gralshüter des sowjetischen Imperialismus sozusagen „von hinten und von oben her" aufzurollen. Solche Lobbying-Arbeit, die in einem westlichen Land für den Botschafter eine Selbstverständlichkeit darstellt, war in diesen Jahren in Moskau nur mit vorsichtiger Nachhaltigkeit und Beharrlichkeit möglich. Ich wurde öfters gerügt, dass ich mich bei der Auswahl meiner Ansprechpartner nicht an die in Moskau für Diplomaten festgelegten

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Herbert Grubmayr Regeln halte. Aber schließlich brachte die Entwicklung der Perestrojka einen Liberalisierungsschub mit sich, dem sich auch die sowjetischen Hardliner nicht mehr widersetzen konnten. Die „Zivilcourage" machte sich schließlich bezahlt, nicht nur gegenüber den sowjetischen Ewiggestrigen, sondern auch in Bezug auf manche Kollegen aus NATO-Staaten, die es vom Standpunkt der westlichen Solidarität als ungehörig empfanden, dass ich als Vertreter eines nicht-kommunistischen Staates regelmäßig die für die Außenpolitik zuständigen Funktionäre im Apparat des Zentralkomitees aufsuchte - aber schließlich leiteten diese Leute die Konzepte an das Außenministerium weiter, welche ihnen aus dem Dunstkreis des Generalsekretärs vorgegeben wurden. Warum immer nur zum Schmiedl gehen und nicht zum Schmied? Am interessantesten in diesen fünf Jahren war die zuerst nur bruchstückartig zu erahnende und dann immer weiter um sich greifende Annäherung an zivilgesellschaftliche Befindlichkeiten bei den diversen sowjetischen Strukturen, in denen ich meine Gesprächspartner hatte. So konnte ich in der Zeitschrift des sowjetischen Außenministeriums 1988 einen längeren Artikel über meine Kontakte und Erfahrungen in der Sowjetunion veröffentlichen, welcher zum Teil sehr kritische Anmahnungen an die Gastgeber enthielt und wo ich mich u. a. auch über die Geheimniskrämerei des Nomenklatura-Systems mokierte: So fragte ich, warum die Herren Grigorij Sinov'ev und Sergej Kirov (zu ihrer Zeit prominente Mitglieder des Politbüros) in den 1920er Jahren das Leningrader Telefonbuch mit voller Adresse zierten13, während es in der jetzigen Periode der Glasnost' („Transparenz") und Perestrojka („Umgestaltung") - also 1988 - in der sowjetischen Hauptstadt noch immer kein allgemein zugängliches Telefonbuch gäbe? Am 20. September 1990, als ich meinen Abschiedsempfang in der Botschaft gab, sagte mir ein höherer sowjetischer Funktionär14, den ich gut kannte - er bekleidete auch einmal die Funktion des Vorsitzenden der sowjetisch-österreichischen Freundschaftsgesellschaft - , im Laufe eines Gesprächs über die Zukunft der Sowjetunion mit bitterem Tonfall in der Stimme: „Wissen Sie, wir befinden uns heute dort, wo die Deutschen 1945 waren: nach einem verlorenen Krieg." Bei der gleichen Gelegenheit überreichte eine Moskauer Bekannte, die eine Gemäldegalerie betrieb, meiner Frau und mir als Abschiedsgeschenk ein damals schon „antikes" Ölbild von Stalin, welches 1939 zu dessen 60. Geburtstag „ediert" worden war. Die Wirkung auf die anwesenden offiziellen Sowjetvertreter war eklatant: Als die Galeristin das Bild auswickelte und lachend über ihrem Kopf schwenkte, wandten sie sich demonstrativ ab und zeigten deutlich ihr Befremden: Iosif Stalin war in ihrer Gedankenwelt noch nicht in den Schatten der Geschichte zurückgesunken - mit seinem Abbild treibt man keine Scherze.

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„Abonenty Leningradskoj Telefonnoj Seti" 1925, S. 106 (Grigorij Sinov'ev) und „Spisok Abonentov Leningradskoj Gorodskoj Telefonnoj Seti" 1927, S. 218 (Sergej Kirov). Die Adresse ist in beiden Fällen die gleiche (also wohl Dienstwohnung!), die Nummer hatte sich aber über die zwei Jahre hin geändert, von 127-61 im Jahr 1925 auf 45-34 für 1927. Ich kenne natürlich den Namen dieses seinerzeitigen Nomenklatura-Funktionärs, aber da er noch lebt, ziehe ich es vor, diesen anonym bleiben zu lassen. Es gibt vielleicht doch noch Kräfte, die eine solche Bemerkung mit dem früher so beliebten Vorwurf des „Verrats am Vaterland" gleichsetzen könnten, zum Nachteil des Autors des zitierten Ausspruchs.

60 Jahre mit den „Russen "

Moskau-Postskriptum - Boris El'cin ante portas! Im Februar 1995 wurde ich, damals gerade ein frisch gebackener Pensionist, nochmals in einer etwas heiklen Mission nach Moskau entsandt. Es ging um eine „Gemeinsame Erklärung", welche die nun seit drei Jahren existierende Russische Föderation mit Osterreich unterzeichnen wollte. Sie enthielt alle den postsowjetischen Moskauer Strategen so teuren Paraphernalien: vor allem die Bezugnahmen auf Staatsvertrag und Neutralität. Und Präsident Boris El'cin, der zur Feier des 50. Jahrestages der Wiedererrichtung der Republik Österreich nach Wien eingeladen worden war, sollte bei dieser Gelegenheit das Dokument feierlich unterzeichnen. Nun aber hatten sich die ebenfalls eingeladenen anderen Staatsoberhäupter der Signatarmächte von 1955 für diesen Anlass entschuldigt. Man sah sich also nun mit der als etwas peinlich empfundenen Perspektive konfrontiert, das Jubiläum allein mit Boris El'cin begehen zu müssen.' 5 Ich wurde nach Moskau geschickt, um zu klären, wie sich der weitere Verlauf der Dinge darstellen sollte, aber auch mit der Absicht, von unserer Seite aus gewisse wünschenswert erscheinende Stellungnahmen zu deponieren. Denn wieder tauchten die Schatten der Vergangenheit auf, man spürte das Bestreben der Russischen Föderation, sich als „Fortsetzer-(nicht: N a c h f o l g e s t a a t " der Sowjetunion, als Mitredner bei Neutralität und Staatsvertrag zu etablieren. Schließlich wurde mein an sich schon delikater und schwer zu transponierender Auftrag am Tag vor der Abreise in die russische Hauptstadt auf ein einziges negatives Petit zusammengestrichen: rundherum abwinken, in jeder Hinsicht! Es gab unter den in meine Mission eingeweihten außenpolitischen Protagonisten des Ballhausplatzes stärkeren Widerstand gegen diese Mission. Ich selbst hatte längere Zeit hindurch versucht, diesen ersten „Pensions"-Job, dem im Laufe meines Ruhestands noch einige andere folgen sollten, wieder los zu werden, aber vergeblich. Also verkündete ich nach meiner Ankunft in Moskau - ich absolvierte diese Dienstreise zusammen mit dem damaligen Leiter des Völkerrechtsbüros des Ballhausplatzes, Botschafter Franz Cede - in der österreichischen Mission, wo ich Quartier genommen hatte, lautstark den eigentlichen Sukkus meines Auftrages, in der leisen Hoffnung, dass die Mikrofone in der Wand noch ihren Dienst tun würden. Erst dann brachen wir zu unserer Gesprächstour in den Kreml und in das Außenministerium auf, und ich gewann aus den Reaktionen den Eindruck, dass man dort schon ziemlich klare Vorstellungen über den wahren Inhalt der uns aufgetragenen Botschaft gewonnen hatte. War die Mission ein Erfolg? Als Fazit wäre anzuführen, dass bis heute keine gemeinsame Erklärung unterschrieben wurde und sich der sowjetische Botschafter kurz nach unserer Rückkehr nach Wien zu Außenminister Alois Mock begab, um mitzuteilen, der russische Präsident sehe sich zu seinem Bedauern außerstande, der Einladung zur Republikfeier Folge zu leisten.

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Über die Hintergründe der gegebenen Problematik gibt ζ. T. folgender Artikel Auskunft: Atmosphärische Störung wegen Klestil-Einladungen zu den Republikfeiern, in: Der Standard, 16.12.1994.

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Herbert Grubmayr Russisches Umfeld über 60 Jahre hinweg Damals, im Februar 1995, dachte ich wirklich, als ich in Moskau das Flugzeug zurück nach Wien bestieg: Moskau, ade! Aber es kam anders. Im März 2000 bestellte man mich zum Wahlbeobachter der OSZE, als Vladimir Putin das erste Mal zum Präsidenten der Russischen Föderation gewählt wurde, und ich konnte die politische Wirklichkeit nun einmal von unten betrachten, aus dem Blickwinkel des Moskauer Wahllokals, bei dem ich eingeteilt wurde und wo ich mit den Wählern und Wahlhelfern die vom Wahlkomitee vorbereitete Jause, bestehend aus Tee, Keksen und Sandwich, verzehrte. Und seit 2001 pflege ich wieder sehr intensive Kontakte mit dem offiziellen Russland, jetzt allerdings auf eher humanitärem Gebiet im Rahmen der Zusammenarbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds mit der Russischen Stiftung „Verständigung und Aussöhnung" in Moskau. Auf Grund dieser Kooperation, die häufige Reisen in die Staaten der ehemaligen Sowjetunion erfordert - ich besuche dabei neben Moskau auch Kiew und Minsk, wo es parallele Organisationen gibt - , haben schon rund 60.000 ehemalige sowjetische Staatsbürger, die während des Zweiten Weltkrieges auf dem Boden des heutigen Österreich Zwangsarbeit verrichten mussten, einmalige freiwillige Zahlungen erhalten, die über das Budget vom österreichischen Steuerzahler und zu einem beträchtlichen Teil auch von unserer Wirtschaft aufgebracht worden sind. Und ich habe wieder Bekanntschaften und auch Freundschaft mit meinen neuen Gesprächspartnern geschlossen und dabei auch alte Kontakte aufgefrischt. Aber bisweilen sind hiebei Umstände eingetreten, welche mich an meine früheren Treffen mit den Repräsentanten der Sowjetmacht erinnern, wobei die damals gewonnenen Erfahrungen auch unter den Bedingungen der zeitgenössischen russischen Realität durchaus wertvoll und brauchbar erscheinen. Solcherart haben meine 1944/45 geknüpften Kontakte mit der russischen Sprache und dem sowjetisch-russischen Milieu mit einigen Unterbrechungen bis zum heutigen Tag angehalten und sich auch auf die Fortsetzer- und Nachfolgestaaten der Sowjetunion übertragen. Seit meinen ersten Gehversuchen im Russischen sind mittlerweile 60 Jahre vergangen. Trotz mancher ausgefochtener Sträuße mit den Befreiern des Jahres 1945 und später auf dem diplomatischen Parkett bildete sich im Laufe der Jahrzehnte bei mir ein starkes Gefühl der Vertrautheit mit dem Phänomen Russland heraus. In der engeren Umgebung meines achtjährigen Moskauer Habitats bin ich richtig heimisch geworden. Wenn ich durch die kleinen Gassen und die vielen Durchhäuser von der Starokonjusennyj-Gasse16 zum Arbat17 spaziere, wird in mir auch heute noch das Bewusstsein wach, dass ich wieder ein Stück meiner Jugend erlebe und ich in ein Milieu 16

Starokonjusennyj pereulok (Deutsch: Alte Pferdestallgasse) Nr. 1 ist seit 1927 die Adresse der Österreichischen Botschaft in Moskau. Österreich bekam damals dieses Gebäude zur „unentgeltlichen unbefristeten Nutzung" im Austausch gegen das frühere k. u. k. Botschaftspalais in der Sergeevskaja Nr. 10 in Leningrad. 1938 übernahm die deutsche Botschaft unser Haus, in welchem im August 1939 kurzzeitig Außenminister Joachim von Ribbentrop logierte, als er den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion unterzeichnete. Und im Oktober 1944 soll nach britischen Quellen, die der zweimal an der Botschaft in Moskau tätig gewesene Gesandte Dr. Georg Heindl ausforschte, Premierminister Winston Churchill während eines Besuches bei Stalin, wo es vor allem um die Nachkriegsposition Polens ging, einige Tage

60 Jahre mit den „ Russen " eintauche, welches zur Glorie meines ersten Auslandspostens gehörte, mit vielen schönen, aber andererseits auch dramatisch-bedrohlichen Reminiszenzen. Als ich 1988 eingeladen wurde, den schon erwähnten Artikel über „Meine Moskauer Erfahrungen" für die Zeitschrift „Neues Leben" zu schreiben, änderte der Chefredakteur nach Lektüre den Titel meines Beitrages auf die eher unpolitisch und für den Außenstehenden vielleicht ein bisschen nach „Gartenlaube" klingende Bezeichnung „Im Bereich des Alten Arbat" ab. Er hatte damit, wie er mir später sagte, den Grundtenor meiner Gedanken wiedergeben wollen, so wie er sich ihm offenbarte. Und nach anfänglichem Zögern wegen der vordergründigen Banalität der vorgenommenen Korrektur musste ich ihm doch schließlich Recht geben. In den letzten Jahren sind die Gassen meiner engeren Moskauer „Heimat" bunter und eleganter geworden, und das Milieu strahlt dem unvoreingenommenen Betrachter gegenüber mehr Aufbruchsstimmung und positive Grundhaltung aus, als dies bei früheren Besuchen der Fall war. Kann man trotz aller Unbill und Schwierigkeiten, die das moderne Russland kennzeichnet, dennoch die Erwartung hegen, dass eine tatkräftige und nachhaltig tätige neu heranwachsende Generation imstande sein wird, die Vision einer helleren Zukunft, die das Modeschlagwort einer früheren Epoche war, in eine lebenswerte Realität zu verwandeln?

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in dem Gebäude Ostrovskij pereulok Nr. 6 verbracht haben. Dies aber ist die zweite Hausnummer der österreichischen Botschaft, welche über zwei Eingänge in verschiedenen Gassen verfügt. Nach dem Krieg konnte die damalige „Österreichische Politische Vertretung" erst am 2. Oktober 1948 wieder in ihre angestammte Ubikation einziehen, obwohl unser erster Vertreter in Moskau, Dipl.-Ing. Karl Waldbrunner, schon am 6. April 1946 nach Wien meldete, dass er das Haus besichtigt und dessen Rückgabe für die Zwecke der Mission reklamiert hat. Über die Straße, die heute im Volksmund „Staryj Arbat" (deutsch: „Alter Arbat") (in den Stadtplänen heißt sie bloß „Arbat") genannt wird, ist Napoleon 1812 in Moskau eingezogen. In den 1950er Jahren noch eine pulsierende, aber auch lärmende Hauptverkehrsstraße des Zentrums, ist sie heute zu einer eher stilleren, aber doch sehr geschäftigen Fußgängerzone mutiert, von der man in eine Reihe von Nebengassen gelangt, die in den kulturellen und gesellschaftlichen Strukturen der Stadtgeschichte einen bedeutenden Platz einnehmen. Es gibt parallel dazu auch einen breiten Boulevard, der die offizielle Bezeichnung „Neuer Arbat" führt.

Ludwig Steiner

Das Miterleben einer historischen Zeit Als Sekretär von Bundeskanzler Raab in Moskau 1955

Erlebnisse und Erfahrungen „auf dem Weg zum Staatsvertrag" beinhalten eine lange Vorgeschichte und, Gott sei Dank, eine lange und erfolgreiche Fortsetzung. Bundeskanzler Julius Raab nahm sich gleich am Tag meines Dienstantrittes in seinem Sekretariat im Jahr 1953 Zeit für ein längeres Gespräch mit mir. Dabei kam er auf seine Gründe für den Wechsel von Außenminister Karl Gruber zu Leopold Figl zu sprechen. Er wisse - und er schätze das sehr - , dass ich in den für mich sicher schwierigen letzten Wochen als Sekretär treu zu Karl Gruber gehalten hätte. Er habe sich diesen Wechsel sehr gut überlegt. Die wichtigste Zielsetzung sei es, möglichst rasch die volle Souveränität Österreichs zu erreichen. Die Dauer des Besatzungsregimes sei nach derzeitigem Stand der Dinge nicht abzusehen - das müsse geändert werden. Diese scheinbar endlose Besetzung durch die vier Alliierten nehme unserem Land jede Zukunftshoffnung. Unter dem Fehlen jeder Perspektive leiden die Menschen in den verschiedenen Zonen in unterschiedlicher Weise. Eine dauerhafte Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten sei so nicht möglich. Er werde daher mit allen Mitteln auf einen möglichst baldigen Abschluss des Staatsvertrages drängen. Bei der gegenwärtigen Weltlage sei das sicherlich nur erreichbar, wenn sich Österreich in der Zukunft als neutral erklären werde. Kurz gesagt: Er strebe eine Neutralität wie die der Schweiz an. Mit den Sowjets müsse unbedingt eine Gesprächsbasis hergestellt werden, Gruber gelte bei den Sowjets - zwar zu Unrecht - als USA-„lastig", Figl habe aber ganz einfach ein besseres Verhältnis zu den Sowjets. Gruber werde Botschafter in Washington werden, auf diesem Platz sei er für uns von ganz besonderer Wichtigkeit. Über die Neutralität könne allerdings zur Zeit noch nicht offen gesprochen werden. Diese Politik erfordere noch eine längere Vorbereitung mit einer klaren weltanschaulichen Position, um kein Misstrauen, weder in unserer Bevölkerung noch bei unseren Freunden im Westen, aufkommen zu lassen. Andererseits müsse aber auch versucht werden, zu den Sowjets wenigstens ein Mindestmaß an Vertrauen herzustellen. Nur so könne die Zustimmung der Sowjets zum Abschluss des Staatsvertrages erwartet werden. In diesem Zusammenhang ist eine Erklärung vom KPÖ-Chef Johann Koplenig von Mitte Mai 1954 interessant, der sagte, „gegen wachsende Bedrohung durch den deut-

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Ludwig Steiner sehen Militarismus kann es keine Neutralität geben." Koplenig stellte damit sicherlich den damaligen Standpunkt der KP der UdSSR klar. Das Thema „Staatsvertrag" war mir natürlich zu der Zeit bereits in vielen Einzelheiten gründlich bekannt. Ich hatte seit meinem Eintritt in den Diplomatischen Dienst im September 1948 in allen Dienstverwendungen immer irgendwie mit Problemen im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag zu tun gehabt: in der wirtschaftspolitischen Abteilung der Zentrale, an der Gesandtschaft, später an der Botschaft in Paris und als Sekretär von Außenminister Gruber. Für jeden politisch Engagierten war klar, die langandauernde Teilung des Landes in Besatzungszonen musste zunehmend negative Folgen für den inneren Zusammenhalt der Republik haben. Die Sorge und damit die Zielsetzung der Politik des Bundeskanzlers war daher mehr als verständlich. Von der Neutralität der Schweiz hatte Julius Raab eine sehr eingehende Kenntnis. Man kann sich natürlich fragen, wie kommt ausgerechnet ein niederösterreichischer Politiker und Baumeister zu dieser gründlichen Vorstellung davon, was die immerwährende Neutralität der Schweiz bedeutet. Der Bruder des Bundeskanzlers, Heinrich Raab, musste 1938 aus politischen Gründen Österreich verlassen und fand in der Schweiz Asyl. Er informierte sich bei befreundeten Schweizer Universitätsprofessoren mit großer Gründlichkeit über die staatsrechtliche Stellung und über die politische Praxis der Schweizer Neutralität in Friedens- und Kriegszeiten. Der Bundeskanzler bekam von seinem Bruder immer wieder eingehende Abhandlungen zur Problematik. Julius Raab beeindruckte ganz besonders, dass die Eidgenossenschaft im Unterschied zur Republik Österreich zwischen den verfeindeten Großmächten eine eigene, unabhängige staatliche Existenzberechtigung aufbauen konnte. Von der hieß es nach dem Zusammenbruch der Monarchie, sie sei lediglich der Rest, der von einem großen Reich übrig geblieben wäre. Unsere Republik - so glaubte man in den meisten europäischen Staatskanzleien in der Zwischenkriegszeit, vor allem Frankreichs Ministerpräsident Georges Clemenceau - hätte keine eigentliche „raison d'etre", also keine Existenzberechtigung, keine Aufgabe, keinen Wert in der Völkergemeinschaft. Die wirtschaftliche Stabilität der Schweiz über fast ein Jahrhundert hinweg war für den Kanzler ganz besonders beeindruckend. Eines Morgens im Herbst 1953 brachte Raab 15 Zehnfrankenscheine ins Büro mit. Die erst nun zufällig aufgefundenen Scheine mit Ausgabedatum 1913 stammten von einer schon lange verstorbenen Tante. Ob die noch etwas wert sein könnten? Die Scheine kamen mir bekannt vor, und ich ging gleich zu einer Bank in der Herrengasse. Die Scheine waren ganz normal im Umlauf und voll gültig. Alle im Sekretariat, auch der Bundeskanzler, staunten respektvoll über eine solche Wertbeständigkeit. Das Beispiel „neutrale Schweiz" war also in seiner Substanz genau bekannt und auch in der Praxis erlebbar. Im Laufe des Jahres 1953 vollzog sich dann tatsächlich schrittweise eine Änderung der Grundstruktur der österreichischen Staats Vertragspolitik. Seit Mitte 1945 war man allgemein der Meinung, Österreich müsse vor allem die Zuneigung und Unterstützung des Westens erhalten und sicherstellen. Nur die westlichen Alliierten seien in der Lage

Das Miterleben einer historischen Zeit und auch willens, die Sowjets zu einem Einlenken in ihrer Politik gegen einen Staatsvertragsabschluss zu bringen. Die Sowjets dagegen wollten auf Dauer in Mitteleuropa bleiben - Staatsvertrag hin oder her - nach dem Motto: „Wohin der Sowjetsoldat einmal seinen Stiefel gesetzt hat, gibt es kein Zurück mehr." Allerdings hatte die Sowjetunion auch am Konferenztisch bei der Aufteilung der Besatzungszonen weitgehend zusätzliche Positionen erreicht. Der sich rasch verschärfende West-Ost-Konflikt machte es immer unwahrscheinlicher, dass die westlichen Alliierten die Sowjets zu einem Nachgeben bringen konnten. Zur Drohung mit oder zur Anwendung von militärischer Gewalt war im Westen offenkundig niemand bereit. In Österreich natürlich auch niemand. Das wussten auch die Sowjets sehr genau und verhielten sich danach. Sie konnten gefahrlos mit ihrem „Njet" bis zum Äußersten gehen. Raab war sich dieser Situation sehr wohl bewusst. Er wollte daher direkt mit den Sowjets ins Gespräch kommen und schrittweise wenigstens ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen herstellen. Franz Karasek und ich, wir beiden Sekretäre des Kanzlers, erlebten jeden der Schritte zur Erweiterung der Gesprächsbasis Österreich - UdSSR gewissermaßen tätig mit. Abwechselnd waren Franz Karasek und ich dabei, wenn der Bundeskanzler dem sowjetischen Hochkommissar einen Besuch abstattete oder ihn im Bundeskanzleramt empfing. Dabei gelang es trotz harter Gespräche, sachliche Lösungen für die österreichischen Forderungen zu erreichen. Jede Seite wagte sich an Vorleistungen heran und erwartete auch Leistungen von der anderen Seite. Den Sowjets kam es darauf an, dass sie als Großmacht, ja, mitbestimmende Macht in Mitteleuropa zur Kenntnis genommen wurden. Es ging ihnen dabei weitaus mehr um machtpolitische Optik und weniger um ideologische Vereinnahmungen. Nach einiger Zeit konnte jede Seite die Handschlagsqualität der Gegenseite einschätzen. Woche um Woche trat der Bundeskanzler diesen Weg zum sowjetischen Hochkommissar an, um Erleichterungen des Besatzungsregimes zu erreichen und den österreichischen Standpunkt, vor allem auch die eigene ideologische Überzeugung zweifelsfrei darzulegen, um andererseits aber auch herauszufinden, was die wirklichen Grundsätze der sowjetischen Politik gegenüber Österreich sein könnten. Immer wieder wollten die Sowjets Klarheit über die zukünftige österreichische Politik nach einem allfälligen Abzug der Besatzungsmächte erhalten. Besonders beeindruckend für mich war, welche Bedeutung das Element des Vertrauens zur Person des jeweiligen politischen Partners in der sowjetischen Politik hatte. Offenbar war es für die Sowjetunion nicht nur wichtig, welche politischen Erklärungen abgegeben wurden, sondern wie viel an Vertrauen in jene Person gesetzt werden konnte, die eine bestimmte Politik verfolgte. Auch wenn sie weltanschaulich in kämpferischer Weise andere Standpunkte vertraten, so wurde die Haltung österreichischer Politiker von der Sowjetunion als fixes Element der Politik immer voll in Rechnung gestellt. Raab scheute sich auch nie, sowjetische Presseangriffe und Verdächtigungen gegen Österreich mit Vehemenz, Klarheit und Schärfe zurückzuweisen. Noch etwas kam mit der Zeit hinzu: Die mächtige Sowjetunion wollte Abmachungen nur mit jemanden treffen, der selbst eine politische Kraft darstellte. Die KPÖ hat mit

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Ludwig Steiner der Wahlniederlage 1945 gezeigt, dass sie nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung hatte. Es dauerte einige Zeit, aber es wurde doch klar, dass die sowjetische Regierung wenig auf die Stellung der KPÖ Rücksicht nahm, wenn es um weitreichende Entscheidungen in Sachen Staatsvertrag ging. Mit dieser Politik, mit der UdSSR in eine geordnete Gesprächsbasis zu kommen, hatte Raab viel auf sich genommen. Dafür kam er sehr bald unter scharfen Beschuss des sozialistischen Koalitionspartners. Auch von westlicher Seite tauchten Verdächtigungen auf, dass diese Politik zu „sowjetlastig" werden könnte. Es ist nicht zu übersehen: Diese Politik basierte anfänglich nur auf einer persönlichen Einschätzung und Beurteilung von Vorgängen in der sowjetischen Politik, verlässliche Beweise als Grundlage für Entscheidungen gab es dafür nicht. Nach Stalins Tod am 5. März 1953 zeigten sich in den folgenden Monaten in der bis dahin völlig erstarrten sowjetischen Außenpolitik ganz vereinzelte Anzeichen von Bewegung. Anzeichen, die von außen her kaum beurteilt werden konnten. Man kann sich heute schwer vorstellen, wie wenig verlässliche Informationen für unsere politischen Entscheidungen der sowjetischen Politik zur Verfügung standen. Nur Schritt für Schritt konnte Österreich an allfällige politische Entscheidungen herangehen. Das plötzliche Verschwinden der übergroßen Stalin-Bilder an sowjetisch besetzten Gebäuden in Wien war dann jedenfalls ein sehr eindrucksvolles Signal für eine neue Entwicklung. Das Bemühen Raabs, zu einer tragfähigen Gesprächsbasis mit der UdSSR zu kommen, begann zur rechten Zeit. Er hat mit sicherem Gespür und Wagemut die historische Chance erfasst, um auch die Sowjets zu einem Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen zu bringen. In dieser Phase waren nicht nur die Kontakte der Spitzenpolitiker mit den alliierten Regierungen oder den Hochkommissären der Besatzungsmächte wichtig, sondern von großer Bedeutung waren auch Kontakte auf mittlerer Ebene, wenn sie in loyaler Weise durchgeführt wurden. In den vier Besatzungszonen gab es für die Regelung alltäglicher Probleme naturgemäß zahlreiche Kontakte mit den örtlichen Stellen der jeweiligen Besatzungsmacht, etwa auch durch Landespolitiker und Bürgermeister. Raab verstand es sehr gut, in Gesprächen mit Personen, die solche Erfahrungen im täglichen Umgang machten, herauszuhören, was die von ihm erreichten Erleichterungen des Besatzungsregimes für die Bevölkerung wirklich bedeuteten und andererseits, auf diesem indirekten Weg, seine Politik den jeweils erreichbaren Alliierten verständlich zu machen; gewissermaßen auf einem besonderen Weg „etwas auf die Post zu geben". Es war System bei allen Alliierten in Wien, jede neu auftauchende offizielle österreichische Erklärung auf den verschiedensten Ebenen durchzukontrollieren. Dabei war es oft möglich, Missverständnisse und Verleumdungen rechtzeitig klarstellen zu lassen. Sichtbare Anzeichen, dass die Sowjets neue Akzente in ihrer Staatsvertragspolitik setzen wollten bzw. dass sie die Signale Bundeskanzler Raabs zur Kenntnis genommen hatten und sie als wichtige Elemente einer möglichen zukünftigen österreichischen Außenpolitik ansahen, war das Verhalten der Sowjets in der Vorbereitung der Berliner Außenministerkonferenz vom 25. Jänner bis zum 18. Februar 1954. Das gab vorerst

Das Miterleben einer historischen Zeit Anlass zu einigen bescheidenen Hoffnungen auf eine politische Grundsatzentscheidung zum Staatsvertrag. Es zeigte sich aber bald, dass sich täglich Hoffnungen und Enttäuschungen abwechselten. Den Fortgang der Berliner Konferenz verfolgte ich im Zimmer des Bundeskanzlers bei den täglichen Telefonaten von Außenminister Figl aus Berlin mit Raab. Dabei ging es um Fragen des österreichischen Staatsvertrages im allfälligen Zusammenhang mit dem deutschen Friedensvertrag, um zukünftige europäische Sicherheitsfragen oder wie die österreichische Haltung zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) mit der in Diskussion stehenden „Bündnisfreiheit" Österreichs zu sehen sei. Dann spielte wieder u. a. die Frage eine Rolle, wie lange noch nach Abschluss des Vertrages alliierte Truppen in Österreich stationiert bleiben sollten. Meist war auch Vizekanzler Adolf Schärf bei diesen Telefongesprächen mit dabei. Zu den einzelnen Fragen musste möglichst rasch die Haltung der Bundesregierung abgeklärt werden. Dies bedeutete rein technisch gesehen viel Sekretariatsarbeit. Letztlich war die Berliner Konferenz ein Fehlschlag. Die Positionen zwischen den Alliierten gingen weiter auseinander als zuvor. Als eine Folge davon kam es am 23. März 1955 zur Ratifizierung der NATO-Verträge durch Frankreich. Damit waren die NATO-Verträge in Kraft. Österreich aber war keinen Schritt näher zum Abschluss des Staatsvertrages gekommen. Die Art der Verhandlungsführung Vjaceslav Molotovs hatte allerdings auch der UdSSR keine Gewinne gebracht. Erst Monate später suchten die Sowjets einen neuen Start für Gespräche mit dem Westen. Vorerst einmal gab es eine Geste gegenüber Österreich: Am 13. Juli 1954 lud die Sowjetregierung die österreichische Bundesregierung ein, ein Regierungsmitglied oder eine Delegation zur Eröffnung der allsowjetischen Landwirtschaftsmesse nach Moskau zu entsenden. Bundeskanzler Raab empfand dies als ein positives Signal und machte in einem Gespräch mit Vizekanzler Schärf den Vorschlag, dass jeweils ein Minister der ÖVP und der SPÖ der Einladung Folge leisten sollten. Er seinerseits würde Landwirtschaftsminister Franz Thoma delegieren. Vizekanzler Schärf sagte eine Antwort für den nächsten Tag zu, die jedoch negativ ausfiel. Es stünde nach wie vor ein Beschluss des SPÖ-Vorstandes in Kraft, demzufolge keine offiziellen Besuche eines SPÖ-Ministers in der UdSSR stattfinden dürften. Vizekanzler Schärf meinte, er wäre mit seinem Vorschlag im Vorstand nicht durchgekommen. Tatsächlich war die Reise von Landwirtschaftsminister Franz Thoma die erste offizielle Reise eines österreichischen Regierungsmitgliedes in die Sowjetunion seit 1945. Zwar waren im Jahr 1947 die Bundesminister Karl Gruber und Peter Krauland in offizieller Mission in Moskau, aber nicht als Gäste der Sowjetregierung, sondern als Teilnehmer der Moskauer Außenminister-Konferenz. Der Aufenthalt von Franz Thoma wurde von den Sowjets als wichtiger Staatsbesuch geradezu zelebriert. Es war klar, es sollte ein Zeichen gesetzt werden: Wenn Österreich bereit sei, auch direkt mit der Sowjetunion zu reden, dann könne es allenfalls eine Änderung in der Haltung zur Staatsvertragsfrage geben. Die Politik Raabs zeigte Wirkung. Am 11. Juli 1954, bei dem Jahrhundert-Hochwasser an der Donau, gab es wiederum ein Signal für die Verbesserung der Beziehungen. Das katastrophale Do-

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Ludwig Steiner nau-Hochwasser hatte auch einen politischen Effekt: Amerikanische Soldaten und Sowjetsoldaten kamen der Bevölkerung in den Hochwassergebieten entlang der Donau tatkräftig unter risikoreichem Einsatz zu Hilfe. Bei Ybbs-Persenbeug erlebte ich dies gemeinsam mit Bundeskanzler Raab. Sowjetische Soldaten evakuierten mit Landungsbooten die verzweifelten Menschen aus den ersten Stockwerken der unter Wasser stehenden Häuser. Der Sappeur-Offizier des Ersten Weltkriegs, Julius Raab, war beeindruckt. Der Bundeskanzler sorgte dann dafür, dass diese Soldaten der Besatzungsmächte mit österreichischen Orden ausgezeichnet wurden. Leider ist es nicht gelungen, dies in einer gemeinsamen Feier für die GIs und für die sowjetischen Soldaten durchzuführen. Die amerikanische Seite war nicht dazu bereit. Ich habe selbst die entsprechenden Gespräche geführt. Die sowjetische Seite reagierte nach einer kurzen Nachdenkpause geradezu enthusiastisch. Die Sowjetsoldaten traten im Steinsaal des Bundeskanzleramtes an, und Raab hefteten ihnen die Insignien an die Brust. Bei einem Soldaten gelang dies nicht so recht, und der Orden fiel klirrend auf den Steinboden. Es war unglaublich, aber dies löste sichtbar Erschrecken bei den Soldaten aus. Ich hob den unbeschädigten Orden auf und befestigte ihn sicher an der Soldatenbrust. Trotz allem wurde diese Geste der Ordensverleihung von den nun sehr stolzen Soldaten überaus geschätzt. Selbst der sowjetische Hochkommissar war beeindruckt. Neben diesen Ereignissen gab es als vertrauenbildende Maßnahmen von sowjetischer Seite immer wieder schrittweise Erleichterungen des Besatzungsregimes. Dies alles trug dazu bei, dass es dann zu grundlegenden weiteren Schritten kam. Die entscheidende Wende in der Staatsvertragspolitik brachte die Rede Molotovs am 8. Februar 1955. Noch am gleichen Tag begrüßte Raab diese Erklärung des sowjetischen Außenministers und die darin ausgesprochene sowjetische Bereitschaft, die Unabhängigkeit Österreichs zu sichern. Allerdings brachte der Bundeskanzler auch Vorbehalte gegen verschiedene Vorschläge Molotovs vor. Für uns im Sekretariat des Bundeskanzlers war dies der Beginn einer außerordentlich spannenden Zeit. Es gab wiederholte Gespräche mit Botschafter Norbert Bischoff, der beauftragt wurde, sich die sowjetischen Vorschläge ausführlich erläutern zu lassen. Diese Gespräche mitzuerleben, war ein besonderes Privileg in einer historisch bedeutenden Periode der Republik. Es ging immer wieder darum, den Gesprächsfaden mit den Sowjets nicht abreißen und gleichzeitig im Westen keine Unklarheiten über die Haltung Österreichs aufkommen zu lassen. Am 20. März 1955 deutete Raab in einer Rede die mögliche österreichische Bereitschaft an, eine feierliche Verpflichtung des österreichischen Parlaments in Fragen der Stationierung fremder Truppen abzugeben. Wieder gab es mehrere Gespräche mit Bischoff, der die Rede Raabs in Moskau mündlich und schriftlich erläuterte. Eine schon fast logische Folge dieser Vorgänge, aber doch eine unglaubliche weltpolitische Überraschung, war dann die Einladung der Sowjetregierung, die Molotov am 24. März 1955 an Raab richtete: Raab und andere Vertreter Österreichs, die die Bundesregierung für wünschenswert hielte, würden zu Gesprächen nach Moskau eingeladen.

Das Miterleben einer historischen Zeit Es folgten umfangreiche Unterredungen innerhalb der Bundesregierung und mit Experten, die den völkerrechtlichen und wirtschaftlichen Inhalt der einzelnen Bestimmungen des Staatvertragsentwurfes noch einmal überprüften. Wichtig waren allerdings auch die Gespräche, die auf allen Ebenen mit den westlichen Alliierten stattfanden. Ein großer Teil der technisch-juridischen Vertragssubstanz war ausverhandelt. Was letztlich fehlte, war eine politische Entscheidung von geschichtlicher Bedeutung, die der Sowjetunion aus verschiedenen, auch innersowjetischen Gründen leicht fallen konnte. Immerhin müssten Sowjettruppen Gebiete verlassen, die sie in blutigen, verlustreichen Kämpfen erobert hatten. Am 29. März 1955 beschloss die Bundesregierung offiziell, die Einladung anzunehmen. Zur Art der Vorbereitung für politische Entscheidungen höchster Tragweite für die Republik in Moskau ist die Feststellung überaus interessant, dass es vor der Abreise nach Moskau keinen Beschluss bezüglich der „Neutralität" gab - weder in der Bundesregierung noch im Plenum oder in den Ausschüssen des Nationalrates, des Bundesrates oder der Parlamentsklubs. Raab und Figl gaben im ÖVP-Parteivorstand eine Perspektive für die Verhandlungen in Moskau. Es gab Applaus, aber keine Abstimmung. Im SPÖParteivorstand gab es, so wurde gesagt, nur die klare Feststellung, in Moskau würde nicht über „Neutralität" gesprochen. Wenige Tage vorher hatte es eine Mahnung von Chefredakteur Oscar Pollak in der sozialistischen „Arbeiter-Zeitung" unter dem Titel „Raab der Neutralität verdächtigt!" gegeben. Als ich Raab auf diesen Artikel aufmerksam machte, meinte er nur: „Ah, der Pollak, mit dieser Verdächtigung hat er einmal ausnahmsweise wirklich recht. Gut schreiben kann er ja." Es waren Tage voller Erwartungen und zugleich voll Sorge, die Hoffnungen könnten zu hoch gesteckt sein. Zur Spannung trugen auch die Art und Weise der sowjetischen Vorbereitungen der Reise selbst bei. Nach Moskau zu reisen war damals noch etwas ganz Außergewöhnliches. Die Sowjets planten alles bis ins kleinste Detail. Die verschiedenen sowjetischen Stellen in Wien wollten sich natürlich bei ihren Vorgesetzten in Moskau mit ihrem Eifer hervortun. Das stiftete viel Verwirrung. Auf österreichischer Seite gab es auch einiges Gedränge dabei, welche Stelle was organisieren sollte. Schließlich wollten möglichst viele bei einem solchen Großereignis sichtbar tätig werden. Die Mitglieder der Delegation mussten sich klar werden, was an Dokumenten mitgenommen werden sollte, wie es mit Telefonverbindungen funktionieren könnte, welches Chiffre-Material man brauchen würde. Da wir im Gästehaus der Sowjetregierung wohnen sollten, waren selbstverständlich Überlegungen zur Frage des Abhörens nötig. Wie sollte man innerhalb der Delegation diskutieren und Entscheidungen treffen können, wenn man befürchten musste, dass den Sowjets alles sofort bekannt würde. Für alle Fälle wurde ein Minerva-Radio mit Plattenspieler mitgenommen, „damit man bei lauter Musik ungestört reden konnte". Der Radioapparat sollte uns auch ermöglichen, Nachrichten aus Österreich zu hören. Kurz, es war uns klar: „Jetzt wird es ernst." Wohlwollende Freunde gaben Informationen, wie man sich bei der russischen Gastfreundschaft mit Wodka-Genuss verhalten sollte. Journalisten baten um Zusagen

Ludwig Steiner für Informationen aus Moskau, wie man in Moskau lebt, wie die Leute angezogen sind usw., allerdings mit dem Ratschlag: „Lass dich aber nicht davon blenden, was man euch zeigt!" Die Sowjetunion war, so schien es, einfach ein unbekanntes Land. Die Sowjets stellten zwei Regierungsflugzeuge zur Verfügung, zweimotorige Iljusin 50 Turboprop Flugzeuge mit den Nummern 003/4340403 und 007/4340407. Die sowjetische Flugleitung gab bekannt, dass sehr früh am Morgen geflogen werden müsste, da am späteren Vormittag über der Tatra Turbulenzen zu erwarten waren. So etwas wollte man natürlich den Gästen ersparen. Die umfangreichen Vorbereitungen der Sowjets zeigten, dass man diesem Treffen in Moskau größte politische Bedeutung beimaß. Bundeskanzler Raab holte mich um fünf Uhr früh von der Wohnung ab. Meine Frau, die gerade unser erstes Kind erwartete, war beim Abschied schon etwas besorgt. Im Auto sagte Raab, der sich sichtbar der Aufgabe bewusst war, die vor uns stand, nach einiger Zeit: „Was glaubst du, was wir dort erleben werden?" Und nach einer Pause: „Du wirst sehen, wir kommen mit der Neutralität zurück." Eine Karikatur im „Kurier" traf die allgemeine Stimmung sehr gut. Die vier Regierungsmitglieder saßen in einem Geisterbahn-Wagerl, das gerade auf den Eingang der Grotte zufuhr. Der Eingang war der weit aufgerissene Mund Molotovs. Und Raab sagt: „Was werden wir da drinnen sehen?" Die sowjetischen Flugzeuge waren bequem wie ein Salon eingerichtet, wie die gute Stube der oberen Chargen des Sowjetregimes: echte Plüschfauteuils, am Boden angeschraubt, das Geschirr in einer Glaskredenz mit Gummibändern befestigt. Dann war da noch ein großer Speisezimmertisch. Die Bewirtung war üppig. Vorerst war es ein ruhiger Flug. 300 Kilometer vor Moskau kamen wir in einen starken Schneesturm, und da wurde es trotz aller Vorkehrungen ein überaus „holpriger" Flug. Wir alle, im ersten der beiden Flugzeuge, waren schon recht blass, hielten aber durch. Die Landung war trotz des unvermindert heftigen Schneesturms perfekt. Bereits im Ausrollen sah man die österreichischen und die sowjetischen Fahnen im Sturmwind, das angetretene Ehrenbataillon und dann die Sowjetprominenz. Persönlichkeiten, deren Namen man aus Zeiten der Zwischenkriegszeit her kannte und die man bisher nie in natura, sondern nur in Zeitungen oder Wochenschauen gesehen hatte. Alle hatten wahrscheinlich einen politischen Weg hinter sich, auf dem Blutvergießen nicht fremd war. Ihre Lebensläufe waren uns bekannt, dafür hatten schon die Amerikaner in Wien gesorgt. Der Bundeskanzler begrüßte in kurzen Worten die angetretene Truppe. Trotz eisigem Schneesturm war es berührend, hier die Bundeshymne zu hören, die etwas flotter als üblich gespielt wurde. Die Front wurde von der gesamten Delegation abgeschritten. In einer langen Autokolonne, jeder nach Rang eingeordnet, ging es vorbei an dem Denkmal, das an der Stelle stand, an der die Offensive der Wehrmacht vor Moskau endgültig zum Stehen gekommen war. Die breite „Rollbahn" (sowjetische Autobahn) in die Stadt war für jeden Verkehr gesperrt, daher waren wir rasch im Zentrum der Stadt. Kolonnen von Frauen säuberten mit Besen die Straßen vom Schnee.

Das Miterleben einer historischen Zeit Im Gästehaus, direkt neben der Österreichischen Botschaft, waren wir bald eingerichtet, und schon begannen die ersten internen österreichischen Besprechungen. Im Gästehaus gab es echte altrussische Gastfreundschaft, die Tische bogen sich! Am nächsten Tag wurden vorerst die protokollarischen Besuche beim Staatspräsidenten, dann beim Ministerpräsidenten und Außenminister absolviert. Staatspräsident Kliment Vorosilov bekam einen Brief von Bundespräsident Theodor Körner überreicht, in dem um die Heimkehr der Kriegsgefangen ersucht wurde. Vorosilov sagte eine wohlwollende Prüfung zu. Die beginnenden Verhandlungen über Sachfragen machten gute Fortschritte, allerdings in mühseligen Einzelverhandlungen. Bemerkenswert war die gründliche Kenntnis der jeweiligen Spitzenverhandler in Detailfragen, wie etwa diejenige Molotovs oder Anastas Mikojans. Ein junger sowjetischer Kollege sagte mir, die Sowjetführung habe vorher drei Wochen auf der Krim zugebracht, um das Dossier „Österreich" durchzuarbeiten. Die Sowjets machten allerdings klar, dass alle Übereinkünfte bei den erledigten Kapiteln nur unter der Voraussetzung gelten könnten, dass über die Gesamtheit der behandelten Punkte Übereinstimmung erzielt würde. Das machte deutlich, dass es letztlich auf die Festlegung des zukünftigen politischen Weges Österreichs ankommen würde. Ein Punkt war für uns bei diesen Verhandlungen sehr wichtig: Wir wollten alles vermeiden, was Misstrauen bei den westlichen Alliierten über die österreichische Politik in diesen Gesprächen in Moskau provozieren könnte. Da zeigte es sich nun, dass die Sowjets dafür Verständnis hatten. Auch sie wollten keine neuen Spannungen mit den Westmächten provozieren. Für uns war dies damals überraschend. Die Information der westlichen Botschaften und befreundeten Länder in Moskau erfolgte durch uns auf verschiedenen Ebenen und ganz offen. Die Schwierigkeit war, dass unsere westlichen Gesprächspartner nur schwer glauben konnten, dass die Österreicher, mit den Sowjets allein gelassen, so gut vorankamen. Immer kam dabei die Frage: Was habt ihr den Sowjet alles, vielleicht geheim, zugesagt, gibt es zusätzliche Geheimabsprachen? Bereits am 13. April 1955 war mehr als die Hälfte der Materien behandelt und provisorisch abgeschlossen worden. Molotov gab am späten Nachmittag einen Empfang im Spiridonovska-Palais. Dabei kam es zu einem eigenartigen Vorfall. Molotov, ein sowjetischer Dolmetscher, Figl und ich standen beisammen und tauschten Belanglosigkeiten über Wetter, die Schönheit des Kremls usw. aus. Plötzlich sagte Figl: „Herr Ministerpräsident Molotov, Sie können sich kaum vorstellen, wie beeindruckend für mich schon in der Zwischenkriegszeit der Name Molotov, ,der Hammer', war - ein Symbol der großen Sowjetmacht." Das ging noch so einige Sätze in einer etwas blumigen Sprache weiter. Aber dann kam etwas Besonderes: Figl meinte: „Aber am meisten beeindruckt war ich, als wir einmal im KZ um fünf Uhr früh bei eisiger Kälte am Appellplatz antreten mussten, gefroren haben wir - einige Häftlinge sind vor Schwäche umgefallen - und dann haben wir nach Stunden plötzlich Ihre Stimme aus dem Lautsprecher des Konzentrationslagers gehört. Das war damals, als Sie den Vertrag mit Hitler abgeschlossen hatten." Ich dachte, nun bricht die Welt zusammen, aber Molotov sagte nur „da, da" („ja, ja").

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Ludwig Steiner Figl hatte damit signalisiert, wir wissen und erinnern uns, am Beginn dieses furchtbaren Krieges gab es den Hitler-Stalin-Pakt, und wir waren im KZ. Am Abend des 14. April fand ein großes Bankett im Kreml statt. Die Anwesenheit der wichtigsten Persönlichkeiten der Sowjetführung war für uns ein Signal, dass wir nicht umsonst in Moskau gewesen sein würden. Nach diesem Bankett gab es in der Österreichischen Botschaft eine außerordentlich bedeutsame Besprechung. Figl war schon ins nebenan liegende Gästehaus gegangen. Raab, Schärf, Bruno Kreisky, Bischoff, dessen Gattin und ich blieben in einem Salon der Botschaft. Dabei begann Botschafter Bischoff in harschen Worten davon zu reden, dass die Sozialisten durch ihre Ablehnung der Neutralität den Erfolg der Staatsvertragsverhandlungen auch diesmal zerstören würden. Raab meinte, ohne Klarheit über die Neutralität zu schaffen, könnten wir gleich abreisen. Das ging so einige Zeit hin und her. Dann sagte Schärf, wenn hier in Moskau über Neutralität geredet werden sollte, dann würden die SPÖ-Teilnehmer heimfahren. In dieser nicht sehr guten Stimmung ging man auseinander. Am folgenden Tag erklärte Molotov, es sei nun an der Zeit, dass man zum wichtigsten Teil der Verhandlungen käme: „Was ist die zukünftige Position Österreichs, welche internationale Politik will Österreich in Zukunft führen?" Unsere Delegation legte das Papier mit den 26 Punkten des Außenamtes vor. Darin würde Österreich sich verpflichten, keinen Allianzen beizutreten, keine Stationierung fremder Truppen auf seinem Territorium zuzulassen usw. Es waren sehr weitgehende und sehr konkrete Verpflichtungen, die Österreich dabei übernehmen würde. Grob könnte man vielleicht sagen, es war „Blockfreiheit plus". Molotov sagte nach kurzer Besprechung mit seinen Nachbarn am Verhandlungstisch: „Das sind nur Worte. Die Sowjetregierung weiß schon, was von solchen Erklärungen zu halten ist." Diese Antwort war fast wortgleich wie sie Molotov im September 1953 in Moskau dem indischen Botschafter K. P. S. Menon gegeben hatte, als dieser bei seinen Sondierungsgesprächen Molotov fragte, ob eine solche Erklärung von der UdSSR als befriedigend betrachtet werden könne. Der Bundeskanzler beantragte eine Unterbrechung der Verhandlungen. In einem Nebenraum beim nun folgenden internen Gespräch fragte Raab nach einiger Diskussion, welche Vorschläge wir hätten. Der Entscheidung sei nun nicht mehr auszuweichen. Seiner Meinung nach sei der Verhandlungsspielraum ausgereizt. Was nun? Die bisherigen Verhandlungsergebnisse waren gut, sie nicht anzunehmen, war nicht zu verantworten. Es kam zu keiner Einigung in der österreichischen Delegation, und man ging wieder zum Gespräch mit Molotov in den anschließenden Konferenzraum. Nach der Wiederaufnahme der Verhandlung sagte der Bundeskanzler, ohne die Zustimmung von Schärf und Kreisky zu haben, dass sich Österreich für seine zukünftige Politik eine Neutralität vorstelle, wie sie die Schweiz wahrt. Das war das Schlüsselwort. Molotov fragte dann, wie sich Österreich eine gesetzliche Verankerung vorstelle. Die österreichische Seite sprach von einem Verfassungsgesetz. In den weiteren Gesprächen wurde dann festgehalten, dass die österreichische Regierungsdelegation für einen

Das Miterleben einer historischen Zeit Regierungsbeschluss zur Vorlage eines Verfassungsgesetzes über die immerwährende Neutralität an den Nationalrat sorgen würde. Sie würde weiter dafür sorgen, dass dieses Gesetz mit verfassungsmäßiger Mehrheit im Nationalrat beschlossen wird. Die österreichische Regierungsdelegation gab also in dem ausgehandelten „Moskauer Memorandum" eine so genannte „Verwendungszusage". Diese Zusage wurde in der Folge mit dem Beschluss des Neutralitätsgesetzes und der Gegenzeichnung durch den Bundespräsidenten und der ordnungsgemäßen Veröffentlichung des Gesetzes erfüllt. Die Neutralität ist also nicht in Moskau „beschlossen" worden. „Beschließen" konnte nur der Nationalrat. Die Delegation hatte keine solche Vollmacht. Die Sowjets zeigten sich interessiert, dass die Erklärung der Neutralität in einem souveränen Akt Österreichs erfolgte. Österreich erbat in der Folge von keiner Seite eine Garantie dieser Neutralität, man fürchtete eine „brüderliche Hilfe" im Krisenfall, wie sie die Sowjetunion gerne ihren „Bruderländern" zukommen ließ. Österreich informierte die Staatengemeinschaft lediglich von dem Verfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität in einer diplomatischen Note und bat um die Bestätigung des Empfangs dieser Note. Wenn auch die SPÖ, vertreten durch Schärf und Kreisky, in Moskau nicht bereit war, gemeinsam mit Raab und Figl von der Neutralität zu sprechen, so muss man klar sagen, dass die Beschlüsse von Moskau in der Folge sehr loyal mitvertreten wurden. Der Beschluss der Neutralität Österreichs war ein Risiko für beide Teile, für Österreich und für die Sowjetunion. Es war ein wagemutiger Schritt nach vorne. Raab war sich dieses Risikos bewusst. Niemand konnte aus damaliger Sicht ganz sicher sein, ob die Sowjetunion in jeder zukünftigen politischen Lage die Neutralität respektieren würde. Es war auch die Frage, ob die Österreicher in der Zukunft die Kraft und den Willen haben würden, auch in opferreichen Zeiten an der Neutralität festzuhalten. Die Sowjets konnten ebenso nicht sicher sein, ob Österreich sich nicht bei einer günstigen Gelegenheit grußlos von der Neutralität entfernen und sich zum Westen hinwenden würde. Die Verhandlungen in Moskau waren eine Episode der leidvollen Geschichte Österreichs. Bundeskanzler Julius Raab ließ dies in seiner Botschaft aus Moskau an das österreichische Volk anklingen: - „Österreich wird frei sein, wir bekommen unseren Heimatboden in seiner Gänze zurück. Die Kriegsgefangenen und Inhaftierten werden die Heimat Wiedersehen. - Das hat die aufrechte Haltung des österreichischen Volkes erduldet, erarbeitet und errungen. - Wir freuen uns schon, unsere Heimat nach Abschluss schwerer Verhandlungen glücklich wiederzusehen." Der Abschluss der Tage in Moskau war noch sehr hektisch und erfüllt von der Freude auf die Heimkehr. Die Abschiedszeremonie auf dem Flugplatz in Moskau, bei besserem Wetter als bei der Ankunft, war wiederum eindrucksvoll. Nach einem ruhigen Flug landeten wir in einem Österreich im Jubel. Gleich nachdem ich aus dem Flugzeug gestiegen war, zog mich Innenminister Oskar Helmer zur Seite und fragte: „Wer hat euch erlaubt,

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Ludwig Steiner in Moskau von der Neutralität zu reden. Wer hat das beschlossen? Haben die unseren mitgestimmt?" Seine weiteren Worte gingen zwar in den Klängen der Bundeshymne unter, aber sie klangen nicht recht freundlich. Die österreichische Innenpolitik hatte mich wieder. Aber das machte nichts - es war eine großartige, freudige Heimkehr! Die Wochen bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 waren erfüllt mit der Klärung von Einzelfragen und von linguistischen Arbeiten an den Texten des Vertrages in den vier Sprachen. Wichtige Formulierungen mussten noch in der Botschafterkonferenz und am 14. Mai 1955 bei der Außenministerkonferenz endredigiert werden. Unter anderem tauchte plötzlich das Problem auf, wo der Staatsvertrag hinterlegt werden sollte, was eine heftige Reaktion der Sowjets zur Folge hatte. Ihnen stand, so argumentierten sie, als turnusmäßige Vorsitzführende im Alliierten Rat zu, dieses Dokument in Moskau zu verwahren. Außerdem sei schließlich die Wiederherstellung Österreichs ein sowjetisches Kriegsziel gewesen, festgelegt in der Moskauer Deklaration 1943. Auch diese Frage konnte gelöst werden. Als am 14. Mai 1955 der Text des Staatsvertrages noch einer letzten Lesung durch die Außenminister unterzogen wurde, stand Figl auf und sagte zum Entsetzen der eigenen Delegation, er könne diesen Vertrag nicht unterschreiben, dies ließe das Andenken an seine zu Tode gefolterten KZ-Kameraden nicht zu. In der Präambel des Vertrages sei von einer Teilschuld Österreichs am Ausbruch des Krieges die Rede. Österreich habe damals nicht mehr bestanden und die österreichischen Patrioten mussten in jener Zeit die Leiden der KZ-Haft über sich ergehen lassen. Nach einem kurzen betretenen Schweigen meldete sich Molotov und sagte, aus seiner Sicht könne man auf diesen Teil der Präambel verzichten. Die anderen Außenminister folgten, und dieser Teil der Präambel wurde tatsächlich gestrichen. Für die Politik war der Tag noch lange nicht zu Ende. Am Abend traf man sich in der Wohnung von Außenminister Figl zu einer kleinen Vorfeier. Sehr spät und völlig unerwartet, erschien der Gesandte der BRD, Carl-Hermann Mueller-Graaf. Er sollte im Auftrag von Bundeskanzler Konrad Adenauer unbedingt noch gegen einige Bestimmungen des Staatsvertrages formell protestieren. In dieser fröhlichen Stimmung ließ ihn aber niemand zu Wort kommen. Der allerletzte Versuch, den Abschluss des Staatsvertrages allenfalls zu verzögern, fand keine Zuhörer mehr. Schließlich kam der Tag der feierlichen Unterzeichnung des Staatsvertrages. Es war ein sehr weiter Weg, den Österreich bis zu diesem Sonntag im Mai 1955 hatte gehen müssen. Dies war der seltene Tag, an dem sich so viele Menschen mit Begeisterung bewusst wurden, dass sie nun direkt den Beginn einer neuen Geschichtsperiode ihres Österreichs miterlebten. Man konnte spüren, die Menschen wussten, es wird nun „der Staat, den alle wollten". Allein schon der Begriff „der Staatsvertrag" war über eine Dekade hinweg zum Symbol für das Ringen um die volle Freiheit Österreichs, um die volle Souveränität unserer Republik geworden. Dies war nicht der Tag, an dem man sich überlegte, was genau im Vertrag an Verpflichtungen enthalten war und dass er auch materielle Opfer von uns forderte. Wir kehrten zurück in die Gemeinschaft der freien Völker.

Das Miterleben einer historischen Zeit Für mich begann der 15. Mai nach einer kurzen Nacht sehr früh. Um sechs Uhr traf ich mich mit Bundeskanzler Raab zur Frühmesse in der Franziskanerkirche. Auf dem Weg über den Stephansplatz und Graben zum Ballhausplatz begegneten uns schon viele Menschen, die zum Oberen Belvedere strömten und den Kanzler begrüßten. Im Kanzleramt liefen die letzten protokollarischen und organisatorischen Vorbereitungen auf vollen Touren. Franz Karasek und ich fuhren mit dem Kanzler über dem Ring und Schwarzenbergplatz zum Oberen Belvedere. Die Autokolonne konnte sich durch ein dichtes Spalier von jubelnden Menschen nur mühsam einen Weg bahnen. Die Wagenauffahrt war genau organisiert. Der Bundeskanzler traf vor den alliierten Außenministern ein. Die Bundesregierung, die Präsidenten der Obersten Organe, die Landeshauptleute, Parlamentarier und verschiedene Vertreter der Institutionen der Republik waren anwesend. Im Festsaal war die Spannung und Emotion bei allen deutlich spürbar, nicht nur für uns Österreicher. Auch ich verfolgte mit tiefer innerer Bewegung die Zeremonie der Vertragsunterzeichnung. Nach allem, was man in den letzten zwei Jahrzehnten verkraften musste, war es einfach großartig, diese Stunde miterleben zu dürfen. Die alliierten Außenminister gaben kurze Erklärungen ab und setzten dann ihre Unterschrift und Siegel unter das Dokument. Als letzter unterschrieb Leopold Figl - wie immer mit grüner Tinte. Dann stand Figl auf und rief die berühmten Worte „Österreich ist frei!" Nicht nur im Festsaal herrschte Jubel, von dem auch die alliierten Außenminister erfasst wurden. Durch die geschlossenen Fenster waren die begeisterten Rufe von draußen und das Glockengeläute von ganz Wien zu hören. Für Außenminister Figl war diese Stunde auch deshalb ein unglaubliches Erlebnis, weil er nach fast einem Jahrzehnt des ständigen sowjetischen „Njets" nun selbst sah, wie Molotov den Staatsvertrag unterschrieb - und das genau nach 15 Jahren, acht Monaten und 22 Tagen, nach denen er aus dem Lautsprecher auf dem Appellplatz in Dachau die Stimme dieses Molotovs hörte, der gerade mit Joachim von Rippentrop den Hitler-Stalin-Pakt unterschrieben hatte. Die feierliche Unterzeichnung des Staatsvertrages war nun abgeschlossen, und es wurde Wein kredenzt. Die Außenminister wurden auf den Balkon gebeten. Das war in dem Wirbel des sich gegenseitigen Beglückwünschens gar nicht einfach. Franz Karasek und ich sahen auf dem Tisch den „Staatsvertrag" liegen. Einem plötzlichen Einfall folgend, gaben wir dieses kostbare Dokument Figl in die Hand, damit er es - aufgeschlagen mit Siegel und Unterschriften - vom Balkon aus den begeisterten Menschen im Garten des Belvedere zeigen konnte. Ein Protokollbeamter wollte das verhindern: „Seid ihr verrückt, was ist, wenn er ihn in diesem Gedränge fallen lässt!" Wir wussten, „der Figl" hält diesen Vertrag eisern fest, den lässt er unter gar keinen Umständen fallen. Außenminister Figl mit dem Staatsvertrag in den Händen auf dem Balkon des Belvedere - dieses Bild ging um die Welt - und zurück in die österreichischen Schulbücher. Die Fahrt im Wagen des Bundeskanzlers über die Prinz-Eugen-Straße und den Schwarzenbergplatz zurück ins Bundeskanzleramt war eine Triumphfahrt. Nach einem Besuch in der Hofburg bei Bundespräsident Körner fand im Dom zu St. Stephan ein sehr bewegendes und feierliches Tedeum statt, an dem auch die west-

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Ludwig Steiner liehen Außenminister teilnahmen. Als dann zum Schluss „Großer Gott, wir loben dich" erklang, standen auch sonst eher rauen Zeitgenossen die Tränen in den Augen. Meine Gedanken gingen dabei zurück zum Tedeum, das am 2. Mai 1945 - anlässlich des Kriegsendes in Tirol - in einer halb zerbombten Kirche in Innsbruck abgehalten worden war. Der Tag schloss mit einem festlichen Empfang in Schönbrunn. Bereits am folgenden Tag begannen die Arbeiten für die Umsetzung dieser politischen und völkerrechtlichen Entscheidungen, und das in einer großartigen Aufbruchsstimmung. Für Österreich wurde mit der Erringung der vollen Freiheit das Tor zur Welt weit aufgestoßen. Für die Weltpolitik begann eine Periode der Entspannung in der Konfrontation des Kalten Krieges.

Abkürzungsverzeichnis AA ACA AdBIK Anm. Antifa AP R F ASKÖ AVK AVP R F AZ BAN BBC Bd. BDA Bde. BH BIK BKA BLA BMaA BMBWK BMI BRD bzw. CA FSB R F CAMO CChMF CDAVO

CDIAK CGALI SPb CGIAM C G O A SSSR

Außenamt Allied Commission for Austria Archiv des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung Anmerkung Antifaschistische Bewegung Archiv Prezidenta Rossijskoj Federacii; Archiv des Präsidenten der Russischen Föderation Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich Apparat Verchovnogo komissara SSSR ν Avstrii; Apparat des Hochkommissars der UdSSR in Österreich Archiv vnesnej politiki Rossijskoj Federacii; Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation Arbeiter-Zeitung Biblioteka Akademii nauk; Bibliothek der Akademie der Wissenschaften British Broadcasting Company Band Bundesdenkmalamt Bände Bezirkshauptmannschaft Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung Bundeskanzleramt Burgenländisches Landesarchiv Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Bundesministerium für Inneres Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise Central'nyj archiv Federal'noj sluzby bezopasnosti Rossijskoj Federacii; Zentralarchiv des FSB der Russischen Förderation Central'nyj archiv Ministerstva oborony Rossijskoj Federacii; Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation Central'noe chranilisce muzejnych fondov Leningradskich prigorodnych dvorcov; Zentraldepot der Leningrader Vorstadtschlösser Central'nyj derzavnyj archiv vyscych orhaniv derzavno'i vlady ta upravlinnja Ukrai'ny; Zentrales Staatsarchiv der höchsten Organe der Staatsmacht und der Verwaltung der Ukraine Central'nyj derzavnyj istorycnyj archiv URSR; Zentrales staatliches historisches Archiv der Ukrainischen Sozialistischen Räterepublik Central'nyj gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva Sankt-Peterburga; Zentrales Staatsarchiv für Literatur und Kunst St. Petersburg Central'nyj gosudarstvennyj istoriceskij archiv Moskvy; Zentrales Historisches Staatsarchiv Moskau Central'nyj gosudarstvennyj osobyj archiv SSSR; Zentrales staatliches Sonderarchiv der UdSSR

Abkürzungsverzeichnis CGV CIK CMVS CWIHP d. DA. d. h. Dir. Diss. DÖW DPA DPs Dr. EAC EAJS ebd. ERP ERR etc. EVG f. ff. F. FBAN FO FSB FWF GARF GAU GBL Gestapo GKO GlavPU (SA i VMF)

Central'naja gruppa vojsk; Zentrale Gruppe der Streitkräfte Central'nyj ispolnitel'nyj komitet SSSR; Zentrales Exekutivkomitee der UdSSR Central'nyj muzej vooruzennych sil; Zentrales Museum der Streitkräfte Cold War International History Project delo; Akt Diplomarbeit das heißt Direktor Dissertation Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Deutsche Presse-Agentur Displaced Persons Doktor European Advisory Commission European Association for Jewish Studies ebenda European Recovery Program Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg et cetera Europäische Verteidigungsgemeinschaft folgende folgende Fond; Bestand Fundamental'naja biblioteka Akademii nauk; Zentralbibliothek der Akademie der Wissenschaften Foreign Office Federal'naja sluzba bezopasnosti; Föderaler Sicherheitsdienst Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Gosudarstvennyj archiv Rossijskoj Federacii; Staatsarchiv der Russischen Föderation Glavnoe archivnoe upravlenie; Hauptarchivverwaltung Gosudarstvennaja biblioteka SSSR imeni V. I. Lenina; Staatliche V. I. Lenin-Bibliothek der UdSSR Geheime Staatspolizei Gosudarstvennyj komitet oborony; Staatliches Verteidigungskomitee (siehe GOKO)

Glavnoe politiceskoe upravlenie (Sovetskoj Armii i Vöenno-Morskogo Flota); Politische Hauptverwaltung (der Sowjetischen Armee und der Flotte) GlavPURKKA Glavnoe politiceskoe upravlenie Raboce-Krest'janskoj Krasnoj Armii; Politische Hauptverwaltung der Sowjetischen Arbeiter- und Bauernarmee Gosudarstvennyj komitet oborony; Staatliches Verteidigungskomitee (siehe GKO) GOKO GPIB Gosudarstvennaja publicnaja istoriceskaja biblioteka Rossii; Staatlich-Öffentliche Historische Bibliothek Russlands Gr. Gruppe GRU Gosudarstvennoe razvedyvatel'noe upravlenie; Hauptverwaltung für Aufklärung GSOVG Gruppa sovetskich okkupacionnych vojsk ν German»; Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland GUKR Glavnoe upravlenie kontrrazvedki; Hauptverwaltung für Gegenspionage GULAG Glavnoe upravenie lagerej NKVD; Hauptverwaltung der Lager GUPVI Glavnoe upravlenie po delam voennoplennych i intemirovannych; Hauptverwaltung für Angelegenheiten von Kriegsgefangenen und Internierten GUSIMZ Gosudarstvennoe upravlenie sovetskim imuscestvom za granicej; Hauptverwaltung sowjetischen Eigentums im Ausland GUVV Glavnoe upravlenie vnutrennich vojsk; Hauptverwatung der Inneren Truppen GVP Glavnaja voennaja prokuratura; Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation Herausgeber Hg. HGM Heeresgeschichtliches Museum

Abkürzungsverzeichnis IAI R G G U

IDD MID R F

IKG IKKI ITL IVI MO R F JNUL JUGV K. Kominform Komintern KONR KPC KpdSU KPF KPI KPÖ KPSS KPZ KuLS LAD LG Mag. MAK MFA&A MGB MGF-Abt. MID MK MÖStA MSZP MVD NAA NATO NKGB NKID NKO NKVD NÖLA NOV Nr. NS NSDAP ÖAW ÖBM ÖGL OGPU

Istoriko-archivnyj institut Rossijskogo gosudarstvennogo gumanitarnogo universiteta; Historisch-Archivarisches Institut der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität Istoriko-dokumentarnyj department Ministerstva inostrannych del Rossijskoj Federacii; Historisch-Dokumentarisches Departement des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation Israelitische Kultusgemeinde Ispolnitel'nyj komitet Kominterna; Exekutivkomitee der Komintern Ispravitel'no-trudovoj lager'; Arbeitserziehungslager Institut voennoj istorii Ministerstva oborony Rossijskoj Federacii; Institut für Militärgeschichte des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation Jewish National and University Library Juznaja gruppa vojsk; Südliche Gruppe der Streitkräfte Karton Informationsbüro der kommunistischen Parteien Kommunistische Internationale Komitet osvobozdenija narodov Rossii; Komitee zur Befreiung der Völker Russlands Kommunisticeskaja Partija Cechoslovakii; Kommunistische Partei der Tschechoslowakei Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei Frankreichs Kommunistische Partei Italiens Kommunistische Partei Österreichs Kommunisticeskaja Partija Sovetskogo Sojuza Kamer predvaritel'nogo zakljucenija; Einrichtungen zur Verbüßung einer Untersuchungshaft Kommunisten und Linkssozialisten Landesamtsdirektion Landesgericht Magister Museum für angewandte Kunst Monuments, Fine Arts and Archives Ministerstvo gosudarstvennoj bezopasnosti S S S R ; Ministerium für Staatsicherheit der UdSSR Militärgeschichtliche Forschungsabteilung Ministerstvo inostrannych del; Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der U d S S R Militärkommandantur Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Magyar Szocialista Part; Ungarische Sozialistische Partei Ministerstvo vnutrennich del S S S R ; Innenministerium der U d S S R National Archives o f Australia North Atlantic Treaty Organization Narodnyj komissariat gosudarstvennoj bezopasnosti; Volkskommissariat für Staatssicherheit Narodnyj komissariat inostrannych del; Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten Narodnyj komissariat oborony; Volkskommissariat für Verteidigung Narodnyj komissariat vnutrennich del S S S R ; Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der U d S S R Niederösterreichisches Landesarchiv Narodnooslobodilacka vojska; Jugoslawische Volksbefreiungsarmee Nummer nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Österreichische Akademie der Wissenschaften Österreichische Botschaft Moskau Österreich in Geschichte und Literatur Obedinennoe gosudarstvennoe politiceskoe upravelenie; Vereinigte Staatliche Verwaltung

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Abkürzungsverzeichnis OHI ÖIZG OKR OMGUS OMI ÖMV ÖNB ÖNBB OÖLA op. ORVK ÖSK OSO ÖStA/AdR ÖStA/KA OUN ÖVF ÖVP ÖZ PPKW PMR POEN POJ PZPR RAB RAN RAVAG RCChlDNI RF RGADA RGANI RGASPI RGB RGVA RKKA RSFSR RSHA s. S. SCSK SD SED SEP SHAEF SMAD SMERS SMT SMV

Oral-History-Interview Österreichisches Institut für Zeitgeschichte Otdel kontrrazvedki; Abteilung für Gegenspionage Office of Military Government for Germany, United States Otdel mezdunarodnoj informacii; Abteilung für internationale Information Österreichische Mineralölverwaltung Österreichische Nationalbibliothek Österreichische Nationalbibliothek - Bildarchiv Oberösterreichisches Landesarchiv opis'; Verzeichnis Otdel po rukovodstvu voennymi komendaturami; Abteilung für die Leitung der Militärkommandanturen Österreichisches Schwarzes Kreuz Osoboe sovescanie MGB; MGB-Sonderkommission Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik Österreichisches Staatsarchiv/Kriegsarchiv Orhanizacija ukrajis'kych nacionalistiv (russ. Organizacija ukrainskich nacionalistov); Organisation Ukrainischer Nationalisten Österreichischer Versöhnungsfonds Österreichische Volkspartei Österreichische Zeitung papka; Mappe Personenkraftwagen Partidul Muncitoresc Roman; Rumänische Arbeiterpartei Provisorisches Österreichisches Nationalkomitee Partizanski odredi Jugoslavije; Partisanenverbände Jugoslawiens Polska Zjednoczona Partia Robotnicza; Vereinigte Polnische Arbeiterpartei Reichsautobahnlager Rossijskaja Akademija Nauk; Russische Akademie der Wissenschaften Radio-Verkehrs-Aktiengesellschaft Rossijskij centr chranenija i izucenija dokumentov novejsei istorii; Russisches Zentrum für Aufbewahrung und Studium von Dokumenten zur jüngeren Geschichte Rossijskoj Federacii; Russische Föderation Rossijskij gosudarstvennyj archiv drevnich aktov; Russisches Staatsarchiv für frühe Akten Rossijskij gosudarstvennyi archiv novejsej istorii; Russisches Staatliches Archiv für Zeitgeschichte Rossijskij gosudarstvennyj archiv social'no-politiceskoj istorii; Russisches Staatliches Archiv für sozial-politische Geschichte Rossiiskaja gosudarstvennaja biblioteka; Russische Staatsbibliothek Rossijskij gosudarstvennyj voennyj archiv; Russisches Staatliches Militärarchiv Raboce-Krest'janskaja Krasnaja Armija; Rote Arbeiter- und Bauernarmee Rossijskaja Sovetskaja Federativnaja Socialisticeskaja Respublika; Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik Reichssicherheitshauptamt siehe Seite Sovetskaja cast' Sojuzneceskoj Komissii po Avstrii; Sowjetischer Teil der Alliierten Kommission für Österreich Sicherheitsdienst Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Surrendered enemy personnel Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force Sowjetische Militäradministration in Deutschland Smert' spionam; Spionageabwehr (wörtlich: Tod den Spionen) Sowjetisches Militärtribunal Sowjetische Mineralölverwaltung

Abkürzungsverzeichnis SNK SNU Sovinformbüro SPÖ SSSR StGB StLA stv. SVAG Tab. TASS Telag u. a. UdSSR u. E. UKR UN Univ.-Prof. UNR UNRRA UPA URSR US USACA USIA US NACP usw. v. v. a. VDK VdU Verf. VGBIL vgl. VJHZG VKP(b) VMN VOKS VSRF WStLB ZAB ζ. B. ZBHS ZfG ZGS zit. zit. n. ZK

Sovet Narodnych Komissarov; Rat der Volkskommissare Sovetskoe neftjanoe upravlenie ν Avstrii; Sowjetische Erdölverwaltung in Österreich Sowjetisches Informationsbüro Sozialdemokratische Partei Österreichs Sojuz Sovetskich Socialisticeskich Respublik; Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Strafgesetzbuch Steiermärkisches Landesarchiv stellvertretend Sovetskaja voennaja administracija ν Germanii; Sowjetische Militäradministration in Deutschland Tabelle Telegrafnoe agentstvo Sovetskogo Sojuza; Nachrichtenagentur der Sowjetunion Telegrafenagentur der Komintern unter anderem Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken unseres Erachtens Upravlenie kontrrazvedki; Verwaltung für Gegenspionage United Nations Universitätsprofessor Ukrajins'ka Narodna Respublika (russ. Ukrainskaja Narodnaja Respublika); Ukrainische National republik United Nations Relief and Rehabilitation Administration Ukrajins'ka Povstans'ka Armija; Ukrainische Aufständischen-Armee Ukrajins'ka Radjans'ka Socialistycna Respublika; Ukrainische Sozialistische Räterepublik United States Allied Commission for Austria, U.S. Element Upravlenie sovetskim imuscestvom ν Avstrii; Verwaltung des Sowjetischen Vermögens in Österreich National Archives of the United States, College Park, MD und so weiter von (vom) vor allem Völksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge Verband der Unabhängigen Verfasser/in Vserossijskaja gosudarstvennaja biblioteka inostrannoj literatury imeni Μ. I. Rudomino; Allrussische Staatsbibliothek für fremdsprachige Literatur, Μ. I. Rudomino vergleiche Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Vsesojuznaja kommunisticeskaja partija (bols'evikov); Allunionspartei der Bolschewiken Vyssaja mera nakazanija, Höchststrafe Vsesojuznoje obscestvo kul'turnych svjazej s zagranicej; Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland Verchovnyj sud Rossijskoj Federacii; Oberstes Gericht der Russischen Föderation Wiener Stadt- und Landesbibliothek Zarenbibliothek zum Beispiel Zentralbibliothek der Hohen Schule der NSDAP Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitgeschichtesammlung zitiert zitiert nach Zentralkomitee

Quellenverzeichnis 1. AUSLÄNDISCHE ARCHIVE Archiv Prezidenta Rossijskoj Federacii, Moskau (AP RF) F. 3 Entscheidungen des Politbüros, des ZK, des Rates der Volkskommissare, des Ministerrates, des Präsidiums des Obersten Sowjets F. 3, op. 64, d. 10 „Österreich, Sowjetischer Teil der Alliierten Kommission für Österreich und Hochkommissar in Österreich", 4.7.1945-1.10.1955 Archiv vnesnej politiki Rossijskoj Federacii, Moskau (AVP RF) Wird im wissenschaftlichen Anhangapparat der Beiträge bei den Bestandsbezeichnungen eine „0" verzeichnet, handelt es sich um Geheimbestände. F. (0)6 V. Molotov F. (0)7 A. Vysinkij F. (0)12 V. Dekanozov F. (0)48(s) Nachschlagebibliothek des Archivs F. (0)59 (Edierte) Chiffre-Telegramme F. (0)66 Österreich F. (0)425 Europäische Beratende Kommission F. (0)430 Konferenz des Rates der Außenminister in Moskau 1945 F. (0)431 Rat der Außenminister 1945-1949 F. (0)450 Alliierte Kommission für Österreich F. (0)451 Sowjetischer Teil der Alliierten Kommission für Österreich F. (0)512 Kommission zur Vorbereitung der Friedensverträge und der Nachkriegsplanung („Litvinov-Kommission") F. (0)444 Berliner Konferenz 1954 Central'nyj archiv Federal'noj sluzby bezopasnosti Rossijskoj Federacii, Moskau (CA FSB RF) F. 4, op. 4 F. 4, op. 5 F. 4os, op. 10 F. 135, op. 1 Central'nyi archiv Ministerstva oborony Rossijskoj Federacii, Podol'sk (CAMO) F. 3 F. 25 Zentrale Gruppe der Streitkräfte 1955 F. 48 3. Ukrainische Front bzw. Zentrale Gruppe der Streitkräfte 1945 F. 67 Stab des Chefs des Hinterlandes der Roten Armee F. 148a Direktiven der Stavka F. 240 2. Ukrainische Front 1945 F. 243 3. Ukrainische Front 1945 (Oberkommandierender und Militärrat) F. 254 F. 275 Politabteilung der 3. Ukrainischen Front bzw. der Zentralen Gruppe der Streitkräfte F. 320 4. Garde-Armee der 3. Ukrainischen Front F. 350 9. Garde-Armee der 3. Ukrainischen Front F. 413 57. Armee der 3. Ukrainischen Front

Quellenverzeichnis Central'nyj derzavnyj archiv vyscych orhaniv derzavno'i vlady ta upravlinnja Ukrainy, Kiew (CDAVO) F. 3676, op. 1 Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg F. 4703, op. 2 Akten des Zentralen Staatlichen Historischen Archivs der Ukraine Central'nyj gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva Sankt-Peterburga, St. Petersburg (CGALI SPb) F. 387 Zentrale Aufbewahrungsstätte der Museumsbestände der Leningrader Vorstadtschlösser Central'nyj muzej vooruzennych sil, Moskau (CMVS) Vyvod Sovetskich vojsk iz Avstrii. Avgust-Sentjabr' 1955 goda. Fotodokumenty. Gosudarstvennyj archiv Rossijskoj Federacii, Moskau (GARF) F. 5226s Repatriierungs-Sammelberichte F. 5283 Gesellschaft zur Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion F. 5325 Hauptarchivverwaltung beim sowjetischen Ministerrat F. 5446 Rat der Volkskommissare der UdSSR/Rat der Minister der UdSSR F. 7523 Oberster Sowjet der UdSSR F. 9401 Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR (NKVD)/Ministerium für Innere Angelegenheiten der UdSSR (MVD) F. 9413 Abteilung für Gefängnisse des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der UdSSR (MVD) F. 9526 Verwaltung des Bevollmächtigten des Ministerrates der UdSSR in Repatriierungsangelegenheiten F. 7523 Oberster Sowjet der UdSSR F. 8131 Staatsanwaltschaft der UdSSR F. 9414 Hauptverwaltung für Haftanstalten des Innenministeriums der UdSSR Glavnaja voennaja prokuratura, Moskau (GVP) Rehabilitierungsbescheid 41-N. Rehabilitierungsbescheid 5uv-l 133-97. Rehabilitierungsbescheid 5uv-11992-51. Rehabilitierungsbescheid 5uv-169/98. Rehabilitierungsbescheid 5uv-30542-53. Rehabilitierungsbescheid 5uv-45845-50. Rehabilitierungsbescheid 5uv-6188-48. Rehabilitierungsbescheid 5uv-835-97. Rehabilitierungsbescheid 778. Rehabilitierungsbescheid 7ud-407 14-55. Rehabilitierungsbescheid 7uν-141 -45. Rehabilitierungsbescheid 7uv-9886-52. National Archives of Australia, Canberra (NAA) A439 Berichte der „Australian Broadcasting Commission" über DP-Lager in Deutschland A1838 Australisches Außenministerium, Immigration aus Osteuropa M2607 Premierminister Holt National Archives of the United States, College Park, MD (US NACP) RG 239 American Commission for the Protection and Salvage of Artistic and Historic Monuments in War Areas (Roberts Commission), file no. 11 RG 260 Office of Military Government, United States (OMGUS) Privatarchiv Ν. A. Sokolov Nr. 465-11 GD Public Record FO 371/30942 FO 1020/2793 FO 1020/2794 FO 1020/2795

Office, London (PRO) Österreich - wirtschaftliche Möglichkeiten, 1942 Zentralbibliothek der Hohen Schule Tanzenberg, Juli 1945 - September 1946, Vol. 1 Zentralbibliothek der Hohen Schule Tanzenberg, Juli 1945 - Mai 1946, Vol. 2 Zentralbibliothek der Hohen Schule Tanzenberg, 1945, Vol. 3

Quellenverzeichnis FO 1020/2878 Bibliothek Tanzenberg, allg. Berichte, Listen etc., 1942-1946 FO 1020/2879 Bibliothek Tanzenberg, Berichte, 1945-1948 FO 1020/2880 Bibliothek Tanzenberg, Korrespondenz, 1945-1948 Rossijskij gosudarstvennyi archiv novejsej istorii, Moskau (RGANI) F. 2 Protokolle der Plenarsitzungen des ZK der KPdSU F. 3 Beschlüsse des Präsidiums des ZK der KPdSU F. 5 Apparat des ZK der KPdSU F. 5, op. 28 Abteilung für Beziehungen zu ausländischen kommunistischen und Arbeiterparteien des ZK der KPdSU F. 5, op. 30 Allgemeine Abteilung des Apparates des ZK der KPdSU F. 89 Sammlung im Zuge des Prozesses gegen die KPdSU 1991/92 zugänglich gemachter Dokumente Rossijskij gosudarstvennyj archiv social'no-politiceskoj Istorii, Moskau (RGASPI) F. 17, op. 3 „Gewöhnliche" Politbüro-Beschlüsse des ZK der VKP(b) bis 14.10.1952 F. 17, op. 116 Beschlüsse des Orgbüros und des Sekretariats des ZK der VKP(b) F. 17, op. 118 Unterlagen zu den Sitzungen des Sekretariats des ZK der VKP(b) F. 17, op. 125 Verwaltung für Propaganda und Agitation des ZK der VKP(b) F. 17, op. 127 Verwaltung für Kader des ZK der VKP(b) F. 17, op. 128 Abteilung für Internationale Information des ZK der VKP(b) F. 17, op. 132 Abteilung für Propaganda und Agitation des ZK der VKP(b) F. 17, op. 137 Außenpolitische Kommission des ZK der VKP(b) F. 17, op. 162 „Sondermappe" der Politbüro-Beschlüsse des ZK der VKP(b) bis 14.10.1952 F. 17, op. 163 Unterlagen zu den Politbüro-Beschlüssen des ZK der VKP(b) bis 14.10.1952 F. 17, op. 164 Sitzungsprotokolle des Sekretariats des ZK der VKP(b) Bestand des ZK-Sekretärs der VKP(b) Α. A. Zdanov F. 77, op. 3 F. 82, op. 2 Bestand des Leiters der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP(b), Vjaceslav Molotov, 1949-1953 Komintern F. 495 Iosif Stalin F. 558 F. 644 GOKO-Beschlüsse zu Demontagen in Österreich und zur Verbringung in die Sowjetunion Rossiiskaja gosudarstvennaja biblioteka, Moskau (RGB) op. 25, Nr. 93 Rossijskij gosudarstvennyj voennyj archiv, Moskau (RGVA) F. lp Kriegsgefangene und Internierte F. 32p Einrichtungen für Kriegsgefangene und Internierte des UMVD des Gebietes Kemerovo F. 460 Repatriierte Kriegsgefangene F. 460p Repatriierte Kriegsgefangene der ehemaligen westlichen Armeen F. 461 Zivilisten F. 463 Kriegsgefangene Generäle F. 465 Verstorbene Kriegsgefangene Verstorbene Zivilisten F. 466 F. 514k Vaterländische Front F. 515k Bundeskanzleramt Wien F. 539k Österreichische Vereine F. 540k Niederösterreich F. 603k Karl Werkmann F. 616k Gottfried Kunwald F. 623k Ludwig von Mises F. 637k Rothschild F. 658k Othmar Spann F. 672k Bund Jüdischer Frontsoldaten F. 675k Israelitische Allianz F. 704k Friedrich von Wiesner

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Quellenverzeichnis F. 706k F. 707k F. 709k F. 717k F. 1202k F. 1204k F. 1291k F. 1412k F. 1474k F. 1500k F. 32248 F. 32880 F. 32891 F. 32900 F. 32902 F. 32903 F. 32904 F. 32905 F. 32906 F. 32914 F. 32917 F. 32948 F. 38650 F. 38756 F. 38686 F. 40600 F. 40900

Joseph Isaac Schneersohn Israelitische Kultusgemeinde Wien Israelitische Kultusgemeinde Graz Israelitisch-theologische Lehranstalt Wien Ernst Karl Winter David Herzog Theosophische Gesellschaft Freimaurer Grafen von Bellgarde Familie von Reuss-Köstritz 146. Sonder-Panzerabteilung NKVD-Truppen zum Schutz des Hinterlandes der Roten Armee Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 1. Ukrainischen Front Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der Südlichen Gruppe der Streitkräfte 17. Grenzregiment 91. Grenzregiment Verwaltung der Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes der 2. Weißrussischen Front Verwaltung der Truppen des NKVD-MVD zum Schutz des Hinterlandes der Zentralen Gruppe der Streitkräfte, 1943-1946 37. Grenzregiment 336. Grenzregiment 335. Grenzregiment 128. Grenzregiment Hauptverwaltung der Inneren Truppen des MVD 40. Grenzregiment 63. Schützendivision der Truppen des NKVD Sammlung von Rundschreiben, Befehlen und Verordnungen der GPU-OGPU, des NKVD/MVD und des MGB Verluste der Einheiten des NKVD/MVD

Verchovnyj sud Rossijskoj Federacii, Moskau (VSRF) Bescheid ln-01812/p-52. Bescheid ln-02279/p-52. Bescheid 2-001/48.

2. INLÄNDISCHE ARCHIVE UND GEDRUCKTE QUELLEN Archiv der Bezirkshauptmannschaft Jennersdorf, Jennersdorf (BH Jennersdorf) Präs. Akte, 29/49. Präs. Akte, 19/48. Archiv der Hauptschule Güssing, Güssing (Hauptschule Gttssing) Schulchronik. „Wir lernen Russisch". Archiv der Hauptschule Rechnitz, Rechnitz (Hauptschule Rechnitz) Ferdinand Seper. Chronik der Hauptschule Rechnitz. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1972. Archiv der Stadtgemeinde Freistadt, Freistadt (Stadtgemeinde Freistadt) Gemeindechronik Freistadt, 1945-1955. Archiv der Stadtgemeinde Güssing, Güssing (Stadtgemeinde Güssing) Gemeinderat-Sitzungsschriften, 1945-1950. Archiv der Stadtgemeinde Hirschbach, Hirschbach (Stadtgemeinde Hirschbach) Gemeindechronik Hirschbach, 1945-1955.

Quellenverzeichnis Archiv der Stadtgemeinde Pregarten, Pregarten (Stadtgemeinde Pregarten) Gemeindechronik Pregarten, 1945-1955. Archiv der Volksschule Strem, Strem (Volksschule Strem) Schulchronik. Archiv des Bezirksgendarmeriepostens Güssing, Güssing (Bezirksgendarmerieposten Güssing) Gendarmeriechronik Güssing. Archiv des Klosters der Franziskaner GUssing, Güssing (Franziskanerkloster Güssing) Klosterchronik IV, 1935-1972, Bd. 148. Archiv des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Graz - Wien - Klagenfurt (AdBIK) Datenbanken: Datenbank österreichischer Kriegsgefangener, Zivilverurteilter und Internierter in der UdSSR. (St. Karner) Datenbank österreichischer Zivilverurteilter in der UdSSR. Datenbank Vermisstenkartei des Bundesministeriums für Inneres der Republik Österreich, Wien, Abt. IV. Bestand Rote Armee: Sammlung Vera Ganswohl. Oral-History-Interviews (OHI): VD-0200, Eleonore Dupuis. Wien, 27.9.2002. VD-0203, Igor' Reformatskij. Moskau, 11.11.2002. VD-0210b/02IIa, Vladilen Danilockin. Moskau, 11.11.2002. VD-0211b, Michail Borisov. Moskau, 14.11.2002. VD-0216b, Vasilij Gromov. Moskau, 27.11.2002. VD-0216c/0222b/0223a, Boris Markus. Moskau, 14.2.2003. VD-0220, Igor' Isaev. Moskau, 20.11.2003. VD-0224b/0225a, Nikolaj Kovalenko. Rostov, 1.3.2003. VD-0237, Karl Karlin. Graz, 3.9.2003. VD-0249b/0250a, Vasilij Kononenko. Moskau, 5.6.2003. VD-0251 b/0252a, Jakov Dubovikov. Moskau, 12.6.2003. VD-0252b/0253/0254a, Aleksandr Masjukov. Vyrica, 13.6.2003. VD-0254b/0255a, Nadezda Ivanova. Vyrica, 13.6.2003. VD-0256b/0257a, anonymer Interviewpartner. Moskau, 2.7.2003. VD-0263, Elisabeth Bruck. Krems, 30.5.2003. VD-0266, Maria Mayer. Graz, 30.8.2004. VD-0267, DI Dr. Heimo Widtmann. Graz, 3.9.2003. VD-0268, Maria Reichmann. Mühldorf, 1.9.2003. VD-0269, Adolfine Weidinger. Mühldorf, 1.9.2003. VD-0270, Evegnij Malasenko. Moskau, 20.10.2003. VD-0275, Gertrud Lang. Graz, 19.11.2003. VD-0276, Ida Schreiner. Graz, 12.11.2003. VD-0277, Anonyme Interviewpartnerin. Wien, 6.10.2003. VD-0278, Kurt Guggenberger. Güssing, 18.1.2002. VD-0282b/0283a, Vasilij Tjuchtjaev. Moskau, 21.11.2003. VD-0288, Maria Beyer. Graz, 6.2.2004. VD-0289, Mag. Hans Banner. Wien, 21.1.2004. VD-0290, Mag. Gertrude Smahel. Wien, 21.1.2004. VD-0291, anonyme Interviewpartnerin. Wien, 21.1.2004. VD-0292, Edeltraud Friedrich. Wien, 21.1.2004. VD-0293, Leopoldine Berger. Wien, 26.11.2003. VD-0294, Edith Gebauer. Wien, 25.11.2003. VD-0295, Hildegard Loidolt. Wien, 11.12.2003. VD-0296, Herbert Kellner. Wien, 10.12.2003. VD-0297, Dr. Franz Dostal. Wien, 9.12.2003. VD-0298, Mag. Margarete Gressenbauer. Wien, 10.12.2003.

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Quellenverzeichnis VD-0299, Elfriede Gruber. Groß Weikersdorf, 4.4.2004. VD-0315, Anna Radhuber. Wels, 4.9.2003. VD-0316, Hermine Schaffelhofer. Haid bei Ansfelden, 25.11.2003. VD-0317, Franz Fischerlehner. Wien, 3.12.2003. VD-0318/0319, Franz Deutsch. Wolfsegg, 14.1.2004. VD-0320, Johann Schlapschy. Kefermarkt, 11.6.2004. VD-0323, Fritz Winkler. Eidenberg, 15.6.2004. VD-0324/0325, Walter Stadler. Freistadt, 16.6.2004. VD-0326, Vera Ganswohl. Graz, 5.8.2004. Schriftliche Mitteilungen: E-Mail, Maria Volosenko. Taskent, 31.1.2003. Schriftliche Mitteilung, Dr. Jurij El'tekov. Moskau, 10.5.2004. Schriftliche Mitteilung, Ida Ortmayr. Wels, 18.12.2003. Schriftliche Mitteilung, Frieda K. St. Pölten, 1997. Bruno-Kreisky-Archiv Wien, Wien Abhörberichte der Polizeidirektion Wien/Abteilung 1-Journaldienst. VII 2 BMAA. Bundesgesetzblätter für die Republik Österreich 175, 7.9.1948 Bundesgesetz vom 7. Juli 1948 über die Fürsorge für Kriegsgräber aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. 176, 7.9.1948 Bundesgesetz vom 7. Juli 1948 über die Fürsorge und den Schutz der Kriegsgräber und Kriegsdenkmäler aus dem Zweiten Weltkrieg für Angehörige der Alliierten, Vereinten Nationen und für Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und Opfer politischer Verfolgung. 152, 30.7.1955 Staatsvertrag, betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs. Bundesministerium für Inneres der Republik Österreich, Wien (BMI) Abteilung IV, Vermisstenkartei. Heimkehrerlisten 1947-1956. Listen Nr. 1-7. Burgenländisches Landesarchiv, Eisenstadt (BLA) A/VIII/14,1/5. BH Güssing, Sowjet.-österr. Kulturvereinigung, 1947-1963. „Freies Burgenland", Verein zur Förderung der kulturellen Beziehungen zur Sowjetunion in Eisenstadt, Nr. 1, 1945. Lage-, Vorfalls- und Informationsberichte, Polizei-Berichte, 1945-1948. Lage-, Vorfalls- und Informationsberichte, Sicherheitsdirektions-Berichte, 1946, 1948/49. Lage-, Vorfalls- und Informationsberichte, Bezirkshauptmannschafts-Berichte, 1945-1948. Landesamtsdirektion, Besatzungskosten, 1947-1949. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien (DÖW) Nachlass Toch, Kt. Russische Stunde I, Monatsprogramme 1947-1951. Heeresgeschichtliches Museum/Militärgeschichtliche Forschungsabteilung, Wien (HGM/MGF-Abt) Karton B-Gendarmerie 1952-1954. Karton B-Gendarmerie 1952/53. Landesgericht Graz, Graz (= LG Graz) 4 Vr 1811/62. 7 Vr 2257/59. Landesgericht Wien, Wien (= LG Wien) 20a Vr 3333/56.

Quellenverzeichnis Niederösterreichisches Landesarchiv, St. Pölten (NÖLA) BH Zwettl, Abt. 1, 1955. L. A. 1/2. L. A. III/3-a-29/8-1961. Nachlass Hoth. Nachlass Popp. Nachlass Vanura. Runderlässe 1945-I-Schluss. Oberösterreichisches Landesarchiv, Linz (OÖLA) BHPerg, 1945-1955. Landeskorrespondenz, Presseaussendung. Landesregierung seit 1945, Präsidium, 1946. Landesregierung seit 1945, ZVM, 1945-1955. Oberösterreichische Landeskorrespondenz. Oberösterreichische Landesregierung, Abt. Präs., Präsidium. Politische Akten, Bericht an das Bundeskanzleramt betr. Auswirkungen der Besetzung Österreichs bzw. Oberösterreichs für ein herauszugebendes Weißbuch 1948/49. Politische Akten, Rotbuch. Oral-History-Interviews (OHI) Karl Draskovich. Güssing 9.1.2002. Interviewer: Sonja Wagner. Österreichische Botschaft Moskau, Moskau (ÖBM) Bestand Personalakten. Österreichisches Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, Wien (ÖIZG) Sammlung Rathkolb, Ordner Rundfunk. Österreichische Nationalbibliothek, Wien (ÖNB) MF 183, ALCO/P(47)51, 48. MF 183, ALCO/M(49)90, 90. Österreichische Nationalbibliothek - Bildarchiv, Wien (ÖNBB) E3/1282. Η 9126/1. OEGZ/H10182/1. Österreichisches Staatsarchiv/Kriegsarchiv, Wien (ÖStA/KA) Nachlass Liebitzky. Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Wien (ÖStA/AdR) AA/BMaA, II-pol. 1945. BMfaA, politische Akten 1945-1953. BMaA, politische Akten 1953-1955. BMI, Abt. 2, Generaldirektion für öffentliche Sicherheit. BKA, 160-PrM/1953. BKA, 16333-III/1950. BKA, 91049-III/1948. BKA, Alliiertenverbindungsstelle 270/46. Pfarrarchiv Waidhofen an der Thaya, Waidhofen an der Thaya Taufbuch 20. Staatsgesetzblätter der Republik Österreich 1920,21.07.1920, 303.

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Autorenverzeichnis

Aleksandr Bezborodov, Univ.-Prof. Dir. Dr., Direktor des Historisch-archivwissenschaftlichen Instituts der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität (IAI RGGU), Moskau. Walter Blasi, Mag. Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter des Österreichischen Staatsarchivs/Kriegsarchiv (ÖStA/KA), Wien. Vasilij Christoforov, Generalmajor Dir. Dr., Leiter der Verwaltung für Registrierung und Archivbestände des FSB (CA FSB RF), Moskau. Aleksandr Cubarjan, Akademiemitglied, Univ.-Prof. Dr., Leiter des Instituts für Allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN), Moskau. Aleksandr Curilin, Dir. Dr., Botschafter, Leiter des Historisch-Dokumentarischen Departements des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation (IDD MID RF), Moskau. Wolfram Dornik, Mag. Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung (BIK), Graz. Natal'ja Eliseeva, Mag. Dr., ehem. Abteilungsleiterin des Russischen Staatlichen Militärarchivs (RGVA), Moskau. Aleksej Filitov, Prof. Mag. Dr., leitender wissenschaftliche Mitarbeiter an der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN), Moskau. Patricia Kennedy Grimsted, Dr., Historikerin, Archivprojektleiterin am Harvard Ukrainian Research Institute, Cambridge, MA und am International Institute for Social History, Amsterdam. Herbert Grubmayr, Botschafter i. R. Dr., Österreichischer Versöhnungsfonds (ÖVF), Wien. Gerald Hafner, Mag., wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung (BIK), Graz. Stefan Karner, Univ.-Prof. Dr., Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der Universität Graz; Leiter des Ludwig BoltzmannInstituts für Kriegsfolgen-Forschung (BIK), Graz - Wien - Klagenfurt.

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Autorenverzeichnis Irina Kazarina, Mag. Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin des Russischen Staatsarchivs für Zeitgeschichte (RGANI), Moskau. Harald Knoll, Mag., wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung (BIK), Graz. Ol'ga Lavinskaja, Mag. Dr., Mitarbeiterin des Staatsarchivs der Russischen Föderation (GARF), Moskau. Natal'ja Lebedeva, Mag. Dr., Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN), Moskau. Ludmilla Lobova, Mag. Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Projekt des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung (BIK): „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955", Politologin, Wien. Wolfgang Mueller, Mag. Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Wien. Klaus-Dieter Mulley, Mag. Dr., Historiker, Wien. Ol'ga Pavlenko, Mag. Dr., Dozentin an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen (RGGV), Moskau. Nikita Petrov, Mag. Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter von Memorial Moskau. Edith Petschnigg, Mag., wissenschaftliche Mitarbeiterin des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung (BIK), Graz. Michail Prozumenscikov, stv. Dir. Mag. Dr., stellvertretender Direktor des Russischen Staatsarchivs für Zeitgeschichte (RGANI), Moskau. Peter Ruggenthaler, Mag. Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig BoltzmannInstituts für Kriegsfolgen-Forschung, Graz. Ludwig Steiner, Botschafter i. R., Staatssekretär a. D., Dipl.-Vw. Dr., Vorsitzender des Österreichischen Versöhnungsfonds (ÖVF). Barbara Stelzl-Marx, Mag. Dr., stellvertretende Leiterin des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung (BIK), Graz - Wien - Klagenfurt. Valerij Vartanov, Univ.-Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Militärgeschichte des Verteidigungsministeriums der Russischen Förderation (IVI MO RF), Moskau. Sonja Wagner, Mag., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Projekt des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung (BIK) „Die Rote Armee in Österreich 1945-1955".

Ortsregister Auf Grund der häufigen Nennung von Graz, Moskau und Wien wurden diese nicht in das Register aufgenommen. Admont 98, 1 0 1 , 3 0 0 - 3 0 2 Aflenz 98 Aigen im Ennstal 560 Aleppo 795 Allerheiligen bei Wildon 561 Althofen 251 Amesreith 508 Amsterdam 3 6 3 , 3 7 1 , 3 7 6 , 3 7 9 Amstetten 44, 169f., 176,293, 343, 478 Andersdorf 594 Anger 558 Anzendorf 247 Aspang 98, 170,527 Athen 68 Bad Aussee 385 Bad Gleichenberg 524, 533, 543, 549 Bad Ischl 385 Bad Radkersburg 414f„ 530, 532, 555 Bad Vöslau 169f., 239, 316 Baden 12,98, 122, 124, 169, 170, 176, 190f„ 209. 216, 223, 235, 239, 249, 279, 285, 293, 295-297, 2 9 9 , 3 1 9 , 343, 473,613,798 Bagdad 795 Banovci 555 Bargello 368 Batumie 719 Baumbuch 5 5 5 , 5 5 7 Bekescsaba 170 Belgrad 5 8 , 2 2 2 , 4 2 1 , 6 1 4 Berchtesgaden 30, 75f. Berlin 31 f., 6 6 , 7 3 , 179, 348f„ 254, 364f„ 367, 371,380, 3 8 7 , 4 2 1 , 4 4 4 , 4 5 1 , 4 6 7 , 592, 605, 627-629, 637, 670, 705, 734, 7 8 1 , 8 1 9 Berndorf 169f. Bierbaum 9 8 , 5 6 0 Birkfeld 558

Bistrica 555 Bodonci 556 Bonn 808 Boryslav/Boryslau 2 7 1 , 3 0 7 Bratislava/Pressburg 31,223f. Breitenbrunn 93, 555f. Brest 800 Brezice/Rann 523 Brezovci 556 Brno/Brünn 122 Bruck an der Leitha 103, 216, 471,475 Bruck an der Mur 3 2 , 5 1 , 9 5 , 98, 103, 112, 2 2 1 , 2 6 3 . 4 6 0 , 532, 549. 556 Budapest 1 2 9 , 2 2 2 - 2 2 4 . 2 3 3 , 2 3 4 , 2 4 7 , 370, 3 8 7 , 4 2 1 , 4 4 9 , 459, 5 9 2 , 6 1 3 , 6 6 8 , 7 8 9 Burgau 490f., 497, 528 Burgauberg 490f„ 555 Bychov 112 Cambridge, MA 376 Carnia 250 Carskoe Selo/Puskin 368, 382. 384, 386 Celldömölk 235, 247 Cernigov 277. 285f. Constan'a 103 Craiova 285 Crnci/Schirmdorf 555, 558 Damaskus 795 Dankovci 556 Deutschlandsberg 98, 377, 542, 558, 560 Dietersdorf 556, 559 Dirnbach 528, 555f. Dobl 559 Dolina 556 Döllach 560 Domajinci 558 Dombach 557 Donnersdorf 528, 555

Dravograd/Unterdrauburg 559 Dresden 365f. Drohobyc 307 Ebenburg 170 Ebenfurth 176 Ebergassing 94 Ebersdorf 557 Ebreichsdorf 170 Edelsbach 557 Edlitz 98 Eggenburg 1 7 0 , 4 7 9 , 4 8 3 Eggenfeld 558f. Eggersdorf 557 Ehrenhausen 98. 558 Eichberg 555 Eisenerz 3 2 , 3 0 1 , 5 4 4 , 5 5 9 Eisenstadt 1 5 0 . 1 6 9 . 1 7 0 . 3 4 3 . 352,403, 475,487.489^(91. 499-501.619 Elabuga 54 Eltendorf 555 Enns 212 Eschenau 93 Falkenstein 95 Fehring 5 2 4 , 5 4 3 , 5 5 7 Feistritz 559 Feldbach 9 8 , 2 2 1 , 2 5 2 , 4 1 2 , 523, 524, 528f„ 532, 543. 548f.. 553. 5 5 5 - 5 5 7 Feldkirchen 251 Fischbach 94-96. 104, 221. 524f. Fisching 560 Fohnsdorf 301 Freindorf 508 Freistadt 1 6 8 . 1 7 0 . 4 2 5 . 4 9 9 . 504. 506. 5 0 9 . 5 1 1 . 5 1 4 , 521 Friedberg 95f„ 524. 556. 558 Friesach bei Stübing 529 Fritz 556 Frohnleiten 559 Fulton 603

878

Ortsregister Fürstenfeld 283, 487,490, 492495, 497, 548, 552f. Gaisfeld 560 Gams 561 Gamsgraben 560 Gänserndorf 170,469, 473, 475, 478, 482 Gastein 803 Gateina 379, 381, 383f. Gemona 250 Gerersdorf 93 Gerlinci 555 Gerling 310 Glasenbach 319 Gleinstätten 98 Gleisdorf 529, 532, 557 Gloggnitz 111-114,117,120, 125, 169f., 527, 532, 584 Gmünd 169,176,343,475 Gnas 556,559 Gneixendorf 305 Gniebing 557 Gomita 528 Göriach 560 Gössendorf 559 Gradisce 558 Grafenegg 364, 366 Gratkorn 558 Gratwein 542f., 558f. Greith 557 Groß Enzersdorf 678 Großdorf 556 Großsiegharts 223 Großsteinbach 557 Großweikersdorf 243,271 Gratkorn-St. Veit 559 Grub 508f„ 528, 555, 557 Gruber 556 Grundlsee 385 Gschwendt 558f. Gumpoldskirchen 193,223 Güssing 169, 343f„ 487^189, 493^197, 499-502, 523, 528 Gusswerk 558 Gutenhof 44 Gutenstein 517 Haag 170 Hainburg 169f„ 471, 505 Hainfeld 32 Hartl 557 Haschendorf 112,527 Hatvan 169 Hedervär 98 Heiligenhafen 31 Heiligenkreuz am Waasen 561

Heiligenkreuz im Lafnitztal 498 Helsinki 22, 24f„ 82, 84, 799 Herzogenburg 99, 170 Hieflau 98, 559, 560f. Himberg 98 Hinterberg 558 Hochwolkersdorf 113, 117 Hof 31 Höflach 555 Hofstetten 556 Hohenbrugg 492 Hollabrunn 93, 169, 176 Holzmannsdorf 557 Hönigtal 543 Horn 32, 169f„ 304, 343, 424, 472, 476, 482 Hrastje-Mota 556 Humpolec/Humpoletz 222 Innsbruck 54, 260, 828 Ivano-Frankivs'k/Stanislau 307 Jalta 67-69,74, 105, 118, 180, 245, 260, 565, 580, 604, 788 Jänoshäza 247 Jennersdorf 489,492, 498, 502, 523, 524 Jorglam 555 Judenburg 12,51,95, 103,221, 245, 248-253, 258, 301, 412, 530, 559f., 600 Juzskij 5 4 , 5 6 , 5 9 Kainach 97 Kalch 524 Kaisdorf 558 Kaltenleutgeben 235 Kaiwang 559 Kamnica/Gams 559 Kapfenberg 51, 247, 258, 301 f., 558,561 Kaprun 409, 416f„ 795 Karlovy Vary/Karlsbad 224 Karlshorst 365,786 Kecskemet 169 Kefermarkt 508,510 Kellerberg 259 Kemerovo 253f. Kiew 368, 377-382, 384, 812 Kindberg 176,559f. Kirchberg an der Raab 98, 524, 529, 556f. Kirchschlag 93, 170 Klagenfurt 10, 248, 280, 283, 379, 381,385, 594 Klausen 55, 556 Kleinst. Paul 251

Kleinsemmering 558 Klöch 555 Klostermarienberg 9, 185,523 Klosterneuburg 169 Klosterneuburg 169 Knittelfeld 301,542,560 Köflach 251,530 Kollsgruben 555 Kolomyja/Kolomea 307 Könnend 95,98 Korneuburg 169f., 290, 343, 450, 752 Köszeg 98, 103 Köttlach 113f., 117 Kracherberg 555 Krakow/Krakau 111,378 Krasnodar 265 Krasnogorsk 44, 50, 54-56 Krems 32, 169, 173,216,246, 305-306, 343, 424, 480-482, 559, 658 Krieglach 98,558 Kroisbach 98,560 Krusdorf 556 Ksi^z/Fürstenstein 371 Kugelberg 558 Kukmirn 555 Kursk 348,444,774 L'vi v/Lemberg 224,260,271, 349 Laa an der Thaya 170 Landscha 558f. Langenlois 170 Langenwang 560 Langenzersdorf 223 Langfeld 311 Lasberg 507f. Lassee 475 Lasselsdorf 558 Laubegg 560 Lauffen 385 Laxenburg 98 Leibnitz 530,542,551,558-560 Lembach 557 Leoben 32, 51f., 100, 247, 301, 541, 558f. Leonfelden 504 Lieboch 559f. Liesingau 561 Liezen 300, 302, 559f. Lilienfeld 112, 169f„ 474, 481f„ 534 Linz 54f., 140, 309, 365, 385f., 474, 503f„ 513,519 Ljubljana/Laibach 615 Ljutomer/Luttenberg 556

Ortsregister Lobming 97 Löffelbach 557 Loibl 555 London 27, 30, 42, 67f„ 74, 76, 106, 118, 140, 147, 158, 179, 182, 354, 370f„ 385, 4 5 1 , 5 0 5 , 5 2 5 , 5 8 9 , 624, 633, 637f„ 644, 677, 679, 6 8 3 6 8 6 , 6 9 9 , 701f„ 711-714, 716f„ 773 Lübeck 31 Mannersdorf 98 Mariazell 2 3 1 , 2 8 2 , 5 6 1 Maribor/Marburg 57. 112,532. 558f. Markt Allhau 5 2 8 , 5 5 5 Märmaros Sziget 103 Martjanci 558 Mattersburg 475 Mattsee 525 Mauer 193, 223f. Mauthausen 44, 97, 3 0 8 , 4 0 9 , 412,415f., 519, 716 Melk 169f„ 2 4 7 . 4 7 5 , 4 7 7 , 482f. Mettersdorf 556, 560 Miskolc 169 Mistelbach 169f. 176, 343 Mitterberg 555 Mitterbreitegg 528 Mitterdorf 559 Mixnitz 759 Mödling 169,441 Mogersdorf 524 Mollmannsdorf 100 Mönichwald 94f„ 555f. Moosbierbaum 174 Müggendorf 528, 557 Mühldorf 412, 529, 549 Mukacevo 224, 743 München 270, 365, 378, 385 Murau 530f. Mürzsteg 32 Mürzzuschlag 527, 553, 559f. Nadvirna/Nadwoma 307 Neapel 716 Neckenmarkt 93 Nemcavci 557 Nestelbach bei Graz 543 Nestelbach im Ilztal 557 Neudau 93, 490f. Neudauberg 4 9 1 , 5 5 5 Neuhaus am Klausenbach 498 Neulengbach 169 Neunkirchen 169f., 343

Neusiedl 98 Neustift bei Sebersdorf 557 New York 42, 373, 375f., 574, 601,624, 676-683,702,709, 716, 788 Niklasdorf 301 Novgorod 380f., 384 Novodevic'e 793 Novokuzneck/Stalinsk 254 Oberbuch 557 Oberdorf 97, 558 Obergiem 556 Oberhatzendorf 556 Oberkornbach 528 Oberpullendorf 169f„ 223 Oberurscha 559 Obervogau 559 Oberwart/Felsöör 169f„ 343, 489, 502, 523 Ollersdorf 555 Orel 774 Ottensheim 504 Ottertal 559 Paris 107, 147, 257, 378f„ 597, 625,674, 773,816 Passau 30, 75f., 505 Pavlovsk 3 6 8 , 3 7 9 . 3 8 1 - 3 8 4 . 387 Payerbach 528 Pecarovci 556 Peggau 558 Perg 506, 5 0 8 , 5 1 7 Pernegg 559 Pemitz 112,527 Petanjci 555 Petersdorf 555 Pfaffenmauer 528 Pillnitz 365f. Pinkafeld 170,555 Pirna 365 Platt 176 Podgrad 557 Podol'sk 10 Pols 561 Pölten 555 Postleiten 555 Pot'ma 302 Potsdam 68, 118, 565, 663, 779 Prag 66, 141, 3 5 4 , 4 2 1 , 4 9 3 , 605,613,670, 773,799 Pregarten 506 Ptuj/Pettau 559 Puch bei Weiz 545 Puconci 557f. Pusterwald 97

Raabau 555 Radkersburg siehe Bad Radkersburg Radlje/Mahrenberg 559 Radochen 5 2 8 , 5 5 5 Ragnitz 533 Ratschendorf 556 Ratten 557 Rechnitz 494, 523f. Reims 786 Reitenschlag 504 Rettenegg 555f. Retz 32 Ried 556 Riegersburg 556 Rittschein 555, 557 Rjazan' 293 Rohrbach (Oberösterreich) 168, 170, 176, 504, 5 0 8 . 7 6 4 Rohrbach (Steiermark) 555f. Rohrbachgraben 527 Rohrbrunn 555 Rom 352, 378, 592 Röthelstein 559 Rothleiten 560 Rottenegg 310 Rottenmann 559 Rudersdorf 283, 492 Safarsko 528 Salzburg 2 5 7 . 2 6 0 , 3 1 6 . 3 8 6 . 555, 643. 744 Santiago de Chile 629 Satoralja-Üjhely 169 Scheibbs 98, 169f„ 785-787 Scheifling 531 Schiefer 557 Schladming 530 Schlaining 524 Schottwien 528 Schruns 806 Schwarza 560 Schwechat 1 6 9 , 2 1 2 , 4 5 2 Seewiesen 558-561 Selnica ob Dravi/Zellnitz 559 Semenovskoe 799 Semmering 9. 532 Semriach 559f. Siebing 557f„ 560 Sieggraben 93 Silistra 31 Smolensk 385f. Soci 445 Sollenau 112,527 Sonnberg 176 Sopron 223 Spital bei Weitra 311

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Ortsregister St. St. St. St. St. St. St. St. St. St. St. St.

Anna am Aigen 555 Dionysen 544 Georgen an der Gusen 511 Georgen an der Stiefing 560 Germain 4 0 8 , 5 9 9 Jakob im Walde 9 5 , 5 2 8 Johann im Sulmtal 98 Leonhard 176 Marein im Mürztal 544 Martin bei Villach 258, 263 Martin im Sulmtal 98 Michael in der Obersteiermark 5 5 8 - 5 6 0 St. Oswald (Niederösterreich) 477 St. Oswald bei Freistadt 508 St. Peter 170 St. Petersburg/Leningrad 384, 540, 812 St. Pölten 9 , 4 4 , 8 4 , 9 7 , 103, 112, 169, 170, 177,216, 282, 296, 343, 423, 433, 442, 446, 4 7 5 , 4 8 2 , 6 1 0 , 786-788 St. Stefan im Rosental 5 5 7 , 5 6 1 St. Valentin 44, 169, 170, 247 St. Veit am Vogau 560 St. Veit an der Glan 251 Stadlau 343 Stainz 9 8 , 5 5 8 Stallhaus 555 Stallhofen 9 8 , 5 5 5 Steg 558 Stein 719 Steinberg (Graz-Umgebung) 560 Steindorf 561 Steyr 98 Steyregg 5 1 1 , 5 1 4 , 5 1 9 Stinatz 555 Stockerau 170,478 Stockholm 107,378 Stollberg 98 Straden 528, 555f. Straß in der Steiermark 560 Straßengel 560 Strem 494f. Strigova 528 Stryj 307

Sulz 5 5 8 , 5 6 0 Swiebodzice/Freiburg 371 Szeged 169 Szentgotthärd 524 Täbor 222 Tampere 725 Tanzenberg 379-386 Tartu/Dorpat 384 Tauka 524 Teheran 604 Ternitz 171,403 Ternopil'/Tarnopol 307 Teufelstein 96 Thenneberg 479f. Thörl 301 Tolmezzo 249f. Tomsk 253 Traiskirchen 171 Traismauer 99, 103 Trautmannsdorf 528, 555 Triest 685f.,698f., 7 0 1 , 7 1 3 , 726, 735 Trofaich 2 5 8 , 2 6 3 Tulln 32, 112, 169, 171,212, 3 4 3 , 3 4 9 , 4 4 1 , 4 5 2 , 482 Turnau 32, 311 Übersbach 5 2 8 , 5 5 5 , 5 5 7 Ungerdorf 557 Unterau 557 Unterkarla 5 2 8 , 5 5 5 Unter-Piesting 527 Untervogau 560 Unterwald 560f. Urbersdorf 494 Urfahr 1 7 0 , 2 0 7 , 3 0 1 , 3 4 3 , 3 5 4 , 504, 508f„ 5 1 3 , 5 1 8 Vadarci 556 Verchne-Ural'sk 3 0 2 , 4 3 3 Villach 795f., 263 Vilnius 2 8 4 , 3 8 1 Vladimir 433 Voitsberg 251, 530, 542, 559f. Vorau 5 2 4 , 5 5 7 Vorhauben 556 Voronez 380f„ 384

Wachsenberg 98 Waidhofen an der Thaya 169, 171,223,243 Waidhofen an der Ybbs 98, 169, 785 Walbrzych/Waldenburg 371 Wald 560f. Waldbach 94-96, 104, 528 Walkersdorf 557 Warschau 3 7 5 , 4 2 1 Washington 69, 82, 131, 270, 399, 5 7 1 , 6 0 3 , 6 1 4 , 6 1 6 , 625,633,638,751,773,803, 806-808,815 Weikersdorf 150 Welling 228 Weißenbach 558 Weitendorf 560 Weiz 545, 558 Welsdorf 555 Wiener Neustadt 59, 97f., 109, 122, 124f., 169, 171, 174, 210,216,247,271,302, 315f„ 3 4 3 , 4 7 5 , 4 8 2 , 687f„ Wiesenberg 5 2 8 , 5 5 5 Wildbach 97 Wildon 301, 530, 551, 558-561 Wilhelmsburg 103, 168, 171 Wilkanow/Wölfelsdorf 371 Winterhall 368 Wölbling 93 Wolfau 5 2 8 , 5 5 5 Wolfsberg im Scharzautal 98 Wolfsberg 3 1 9 , 4 1 0 Wolgograd/Stalingrad 44, 54, 304, 774 Wörth 527 Wroctaw/Breslau 371 Wundschuh 561 Ybbs an der Donau 169,477 Ybbs-Persenbeug 744, 820 Zagreb/Agram 615 Zeltweg 530, 559f. Zenkovci 556 Zistersdorf 169 Zwettl 169, 171, 217, 223, 786

Personenregister Auf Grund der häufigen Nennung von Karl Renner und Iosif Stalin wurden diese nicht in das Register aufgenommen. Abakumov, Dimitrij L. 168 Abakumov, Viktor S. 129,153, 225,314, 324, 658 Acheson, Dean 675, 713 Adamov, Boris S. 386 Adenauer, Konrad 617, 795, 800f„ 826 Adibekov, Grant Μ. 73, 685 Adunka, Evelyn 363, 367 Akimov, Fedor M. 170 Akinsa, Konstantin 366 Aldrian 594 Alekseeva, Irina 384 Alexander I 370 Alexander II 372 Alexander, Harold 248, 778 Altmann, Karl 6 2 1 , 6 6 5 , 7 1 4 Anders, Wladistaw 599 Anderson, Kirill M. 15 Angelis, Maximilian de 526 Angermann, Josef 44 Annan, Noel 657 Antonov, Aleksej I. 111,114f., 124, 126, 198,458, 777 Antosch, Paul 155 Appolonov, Arkadij 225f. Artjusenko, P. A. 527 Assouline, Hadassah 374f. Astachova, Marina S. 15 Attlee, Clement 1 4 5 , 1 5 8 , 6 1 9 Avidar, Josef 800 Bachmann, Raimund 535 Baier, Franz 4 7 4 , 4 7 8 Balck, Hermann 526 Baijan 514 Balobramovin 250 Banner, Hans 454, 465f. Barulin, Grigorij S. 666f. Basan'ko, Vasilij P. 170 Basseches, Nikolaus 613 Bauer, Johann 488 Baumgartner, Marianne 425, 462

Bazarov, Semen 33 Beck, Josef 336 Belevic, Elena V. 15 Beljaev, Andrej 171 Beljakov 250 Belkin, Μ. I. 155 Bellgarde, Graf 372 Belousov 330 Belov, Viktor S. 171 Benes, Edvard 85 Berenyi, Georg 336 Berger, Karl 336 Berija, Lavrentij P. 55, 56, 102, 109, 114, 118. 124, 126, 137. 193, 220, 222, 573. 703f„ 733f„ 746-748 Bethouart, Marie Emile 181, 595, Bevin, Ernest 1 4 5 , 1 5 8 , 2 5 7 , 597, 644, 659, 676 Beyer, Maria 529f„ 543 Bezborodov, Aleksandr B. 11, 13, 16 Bieruta, Bolestaw 581 Birjuzov, Sergej 191,210 Bischof, Günter 62, 462f„ 569, 571,578 Bischoff, Norbert 121, 145, 267, 612f„ 676, 6 8 2 , 7 1 7 , 720, 733f„ 749, 788, 797f.. 801-806, 820, 824 Blagodatov, Aleksej V. 125, 168,451,453 Blasi, Walter 13 Blöchl, Johann 5 0 7 - 5 1 0 , 5 1 5 , 517 Blum. Leon 145 Bobruk, S. A. 168 Bogdanov 154f„ 157f„ 192. 294, 666, 668 Bögl, Hans 488 Böhm, Johann 121,228 Böhm, Kurt 336 Bokov 359

Bol'sakov, I. 40 Bolotin 129, 155 Bondarenko, Aleksandr 809 Bondy, Oskar 366 Borejko, Arkadij Α. 168 Borisov V. 3 8 1 , 3 8 5 Bradley, Omar N. 644 Braunthal. Julius 738 Brenner, Ingeborg 432 Breuning, Stephan 609 Brichatschek 714 Brunner, Karl 530f. Bucharin, Nikolaj 704 Buchinger, Rudolf 121, 132. 228 Budarev V. 635 Budarev 156 Budennyjs. Semen 22 Bulganin. Nikolaj A. 114,124. 126, 188f.,215, 705, 715, 745. 756, 794, 799f. Burcev, Μ. I. 3 5 8 . 5 3 5 . 6 1 0 . 7 1 8 Burenau, Raoul 584 Busuev. Petr 572 Byrnes, James Francis 589f.. 597f„ 600 Caccia. Harold 540 Camporidze. Arcil A. 170 Cede, Franz 10, 14.280.811 Cepcov, Aleksandr A. 328. 33 lf. Cemicenko. S. 211 Cernov 642 Cemov, Georgij Τ. 170 Cernych 764 Chabarov 534 Chljapov. Fedor 170 Chmarin. Ν. P. 232 Chomajko 169 Chorosev 140,221 Chorosko. Vasilij 609 Chosev. M. 660f. Christoforov. Vasilij S. 11.15

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Personenregister Chruscev, Nikita S. 2 6 , 8 1 , 8 3 , 113,649,701-707,710 Churchill, Winston S. 29, 35, 63, 6f., 70, 154, 249, 568, 570, 578-582, 603, 633, 775f„ 812 Chvoscev 109 Chvostov, V. M. 56 Cihla, Josef 55 Cinev, Georgij K. 118,146, 190, 257, 3 4 1 , 5 3 5 , 536f„ 684,713,719 Cirkov 169 Clark, Mark W. 1 8 1 , 5 6 9 , 5 9 1 , 593, 621 f. Clemenceau, Georges 816 Cliveland 731 Cornides, Thomas 17 Cronin, Audrey Kurth 36 Cubar'jan, Aleksandr O. 10,12, 14, 339 Cuev, Feliks I. 6 1 , 6 8 , 8 2 , 8 7 , 270,704 Curilin, Alekandr 10, 14f. Cuvasin, Sergej I. 10 Dadieu, Armin 532 Daliin, David 113 Danilockin, Vladilen I. 403 David, Franz 58f. Dederichs, Rosalia 336 Dejneka, Aleksandr 356 Dekanozov, Vladimir G. 38, 110, 124, 126,128, 130f., 143, 185, 187f., 429, 572f„ 575, 580, 585f„ 650, 657f„ 715,732 Delov, Dmitrij A. 170 Deutsch, Franz 5 1 3 , 5 1 6 , 5 1 8 Dienes, Irene 493 Dienstleder, Alois 535 Dietrich, Sepp 150,786 Dimitrov, Georgi M. 40—49, 51-56, 58f„ 76, 107-110, 114, 116f., 346, 535 Djilas, Milovan 6 2 , 4 5 7 Dmitreva, Karina A. 369 Dobretsberger, Josef 86, 108, 667f. Dolgorukaja, Ekaterina 372 Dollfuß, Engelbert 39, 114 Domanov, Timofej I. 249-251 Donnelly, Walter J. 640 Domik, Wolfram 1 3 , 1 6 Doronov, Jakov A. 170 Draskovich, Karl 493, 496, Drejer, Ν. M. 527 Drickin, Daniii A. 411

Drozdov 169 Dubovsky, Robert 753 Dubrovickij, Lev A. 23f., 86, 146, 34If., 359, 610, 673 Dulles, Allen 584 Dulles, John Foster 614, 626, 807 Dupuis, Eleonore 442f. Dtirmayer, Heinrich 1 5 8 , 2 9 4 Dzjubenko, Grigorij Ν. 138 Eden, Anthony 29f., 66-68, 74, 81,568,774,668 Eder, Anna 336 Eder, Irene 14 Eggendorfer, Anton 16 Egorov, M. A. 761 Egoskin, Ε. I. 794 Eichmann, Adolf 284 Eisenhower, Dwight D. 3 5 , 6 4 4 , 646, 751, 807f. El'cin, Boris N. 811 El'tekov, Jurij A. 525 Eliseeva, Natal'ja E. 12, 15, 180 Elser, Viktor 535 Emel'janov 169 Emmerling, Georg 123 Eremin 169 Erenburg, Ilja G. 352 Erhardt, John G. 606 Esaulov 250 Esmond, Petr K. 170 Esterhäzy, Nikolaj 370 Esterhäzy, Paul 370 Esterhäzy, Paul-Antony 370 Falin, Valentin 35 Fechner, Hartmut 336 Feigl, Markus 16 Ferlitsch, Hans 618 Figl, Leopold 22, 85, 135, 146, 148, 312, 352, 413, 473f., 479, 5 0 7 , 6 0 6 , 6 1 4 , 6 2 1 , 6 2 6 , 628, 662, 664f., 667f., 682, 687, 7 8 1 , 7 8 9 , 8 1 5 , 8 1 9 , 821, 823-827 Filitov, Aleksej M. 1 2 , 1 4 , 1 7 , 72, 74, 579, 654, 656 Findeis, Adolf 553 Fink, Anton 491 Fink, Willi (= Pseudonym) Siehe Frank, Willi Finstermann, Franz 54, 58, 109 Fischer, Ernst (= Wieden Peter) 40, 43f., 47, 50, 52, 58f., 99, 109f.,l 18, 121, 128, 138, 3 5 2 , 4 1 3 , 658, 667f„ 713

Fischer, Karl 16 Franckenstein, George 633 Franek, Fritz 59, 109 Frank, Willi (= Fink, Willi) 4 3 Franklin, Karen 376 Franz, Egon 336 Frick, Karl 5 4 , 5 6 , 5 8 , 109 Friebl, Leopold 54 Friedman, Meir 373 Friedrich, Edeltraud 464f. Friedrich, Exilkommunist 57 Fritz 7 1 3 , 7 2 1 Fuchs, Adalbert 609 Fuchs, August 308f„ 313 Furceva, Ekaterina A. 769, 795 Furcikov, Aleksandr 170 Fiirnberg, Friedl 40, 43^17, 52f„ 57-59, 109, 118, 143, 531, 67If., 692, 713f., 720f. Furthmoser, Anton 336 Gabler, Leo 40 Gabriel, Josef 277, 307f„ 319 Gabriel, Teresia 369 Gagen, N. A. 524 Galanin 169 Galloway, Alexander 644 Ganswohl, Vera 4 3 5 , 4 4 1 , 4 4 5 , 447 Gaponkin, Ivan T. 170 Garin 112 Gavrilenko, Michail F. 171 Gehrer, Elisabeth 14 Gel'tjar' 594 Gerasimov, Aleksandr 356 Gerasimov, Sergej 356 Gersanik 231 Gheorghe-Dej 654 Gibianskij, Leonid Ja. 566, 570 Girei-Keletsch 250 Glagolev 113 Glaser, Leo 488 Glaser, Otto 58 Glaubauf, Fritz 40 Gluck, Christoph Willibald 540 Goldberg, Max 58 Golikov, Filipp I. 188f., 245 Golovko 250 Golowin, Alexander W. 15 Gorcakov, Aleksandr 370 Goring, Hermann 416 Gorkij, Maksim 353 Gorkin, Aleksandr F. 328, 332 Gorsenin, Konstantin 324, 327, 335, 337 Gorskov, S. I. 528 Gösser, Wilhelm 414

Personenregister Grachegg, Gustav 306 Graf, Ferdinand 2 6 6 , 2 9 4 , 6 1 6 , 639, 642, 664 Grandpierre, Anna 496 Grecov, Ivan A. 171 Gressenbauer, Margarethe 452, 464-467 Gribanov, Michail G. 8 5 , 1 3 0 , 639, 684, 687, 742 Grigor'jan, Vagan G. 2 0 1 , 2 0 7 , 689f„ 693, 6 9 5 , 7 1 3 Grigorov, Sergej 365 Grimsted, Patricia Kennedy 13 Grjaznov 497 Gromov (Politioffizier) 114 Gromov, Vasilij 403 Gromyko, Andrej A. 312, 6 7 5 685, 687f.,698f., 701 f., 714, 718, 7 9 5 , 7 9 9 Gröppers, Horst 800 Grossmann, Oskar 41 Gruber, Elfriede 243f„ 271 f. Gruber, Franz 3 0 3 , 4 7 8 , 6 1 0 Gruber, Helene 303 Gruber, Karl 1 3 6 , 2 6 7 , 6 1 2 614, 625, 627, 640, 643, 662, 6 6 7 , 6 7 6 , 679,780, 806f„ 815f„ 819 Grubmayr, Herbert 1 4 , 1 7 , 1 1 3 , 121, 145 Gruenther, Alfred 153,644 Guggenberger, Kurt 501 Guggenbichler, Sepp 489 Günter, G. 109 Gurkin 342 Gusev, Fedor T. 3 1 , 6 7 , 106, 715 Gutmann, Rudolf 365f. Gutschi, Georg 54, 56, 58, 109 Gvozdev, Konstantin A. 170 Haberschrek, Alois 551 Habsburg, Otto 30, 108 Hafner, Gerald 13,16 Hajszänyi, Johann 487 Hanbury-Tracy-Domville, Claude 251 Hans-Adam II 377 Harrauer, Hermann 367 Harriman, William A. 578 Hassler, Josef 336 Haupt, Theodor 536 Haymerle, Heinrich 805, 807, 808 Hebrang, Andrija 457 Heindl, Georg 15,812 Heinicke, Erwin 54

Heini, Eduard 99, 121,228 Heinrich, August 336 Helmer, Oskar 145, 276, 294f„ 352, 473, 616-618, 640, 759, 825 Henfling, Margarethe 336 Herzog, David 373 Hexmann, Friedrich 4 4 . 7 1 4 Hirt, Karl 54 Hitler, Adolf 27f„ 4 1 - 4 3 , 4 9 - 5 3 , 5 7 , 6 6 , 177,249, 289, 300f„ 311f„ 319, 365, 385, 399, 4 0 1 , 4 3 8 , 4 5 9 , 5 2 1 , 5 3 5 , 584, 600, 604, 730, 774, 786, 823 Hitler. Paula 311 Hljapov, Fedor V. 169 Höbelt, Lothar 25 Hofer, Andrea 4, 16 Hoffmann 506 Höfner, Anita 461 Holt, Harold 263,271 Holzer, Jenny 411 Hölzl, Leo 125 Honner, Franz 5 0 , 5 7 - 5 9 , 109. 121, 132, 136, 138, 228, 586, 590, 713f„ 790 Hornbostel, Theodor 586 Hornung, Ela 450 Horvatek, Norbert 535 Huber, Ursula 17 Huihammer, Franz 536 Hulka, Irene 410 Hull, Cordeil 29 Hurdes, Felix 776 Hütter, Herbert 5 0 , 5 9 , 7 2 1 Ibscher, Hugo 367 Ignat'ev, Semen D. 158, 331 Ignatova, Varvara 251 f. Iharos, Zeljko 337 Il'cev, Ivan I. 166, 190f„ 210f„ 2 1 4 , 2 1 7 , 576, 722 Il'cev, Leonid 6 7 5 , 7 1 8 Il'enkov, Sergej A. 11,14 Iiiig, Udo 5 3 6 , 7 9 1 Ilthalter, Karl 54 Innitzer, Theodor 548 Intesarjan, M. 413 Isakov, Ivan S. 33 Iscenko, Viktor V. 14,339 Ivasutin, P. I. 151,153 Izjumov, Sergej S. 170 Jagschitz, Gerhard 370, 372 Jakovlev, S. 413 Jaksch,Josef 54, 56 Jakubovits, Erika 376

Janeschitz, Johann 536 Jankov 50 Jants, Svetlana 384 Jaroslavskij. Vasilij 222 Jiras, Erich 54, 56 John, Erich 298-300, 336 Jur'eva, Ekaterina M. 372 Jury, Hugo 786 Kabanov, I. 742 Kacuev, Iosif D. 170 Kaganovic, Lazar 794, 800 Kaghan, Theodore 361 Kalinin, Michael 326 Karnitz, Reinhard 616 Kanin, Nikolaj T. 351 Kapel'kin 169 Kapustin, Stepan E. 222 Karall. Lorenz 488 Karasek. Franz 8 1 7 . 8 2 7 Karbysev. Dimitri 416 Karlin. Karl 529, 548f.. 553 Kamer, Ernelinde 280 Karner. Stefan 12, 280, 565, 585, 650 Käs, Ferdinand 107 Katharina II. 368 Kautsky. Karl 111 Kazamatov, Ivan Ε. 170 Kazarina, Irina V. 15 Keightley. Charles F. 248 Kekkonen, Urho 22. 83f. Kelecsenyi 94 Kemenov, Y. 588 Kende 609 Kennan, George 69. 136, 148. 604. 643 Kerr. Archibald Clark 569 Kestenbaum, David 376 Kiaupa, Zigmas 270 Killian, Herbert 281, 290, 312f. Kimiskez, Lazar 265 Kiridus, Franz 276, 293-296 Kirillova, Elena E. 15 Kirisenko 169 Kirov. Sergej 810 Kirschhofer, Andreas 54, 56, 58, 109 Kiselev, Evgenij D. 113, 126, 140, 142f„ 145, 149, 187190, 197, 267f., 4 2 9 , 4 8 8 . 573f.. 576. 5 8 6 , 5 8 8 , 591f„ 655-657, 660, 662-665, 711, 715 Klein, Erich 421 Klein, Josef 309f. Klesnin, Μ. M. 381

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Personenregister Klestil, Thomas 782 Knoll, Harald 1 2 , 1 6 , 2 8 0 , 4 5 3 , 523, 5 5 1 , 6 6 9 , 6 8 8 , 7 1 6 Koban, Otto 535 Kocarov, Valerian D. 171 Koch, Angela 457 Kockin, Aleksej T. 170 Köhler, Hermann 40, 44 Kollmann, Josef 122, 124f. Kolobov, A. G. 753 Kolodjaznyi 477 Kolpakov, Boris 715 Komov, Oleg 412 Kondratov, Valerij K. 317 Konev, I v a n S . 133, 135f., 138, 140, 143f„ 163, 171, 177, 181, 189-191, 211, 220, 232, 282, 428, 460, 542, 544, 573, 586, 588f„ 5 9 5 , 6 3 6 f . , 6 5 6 f „ 660, 663f„ 779 Konrad, Andreas 16,753 Kopalin, Leonid 317 Kopelev, Lev 521 Koplenig, Johann 39-47, 4 9 - 5 2 , 54, 56, 58-60, 108-110, 121, 125-127, 135, 1 3 8 , 2 0 1 , 5 4 4 , 585f., 665, 671 f., 714, 716, 720f., 7 3 1 , 7 9 0 , 815f. Koppensteiner, Ignaz 311 Koppensteiner, Maria 312 Koptelov, Michail E. 23f„ 85, 126-128, 130, 132,-134, 138, 141-146, 184, 187f., 190, 2 0 1 , 2 0 3 , 2 9 6 , 3 1 2 , 573-575, 585, 590f„ 637, 653, 656, 661 f., 670, 673, 682-684, 688,692,694,715-718 Korin, Aleksandr A. 170 Körner, Theodor 1 1 0 , 1 2 7 , 4 1 3 , 4 5 1 , 4 5 3 , 823, 827 Korobov, A. 742 Korolev, Ν. A. 1 5 6 , 1 5 8 , 2 2 1 Korotaev, Vladimir I. 15, 373 Korp, Andreas 121,228 Koschitz, Johann 336 Kosjanov, Michail 10 Kostkin, Petr I. 4 7 3 , 4 7 5 Kostmann, Jenö 354 Kosygin, Aleksej N. 795 Kovalenko, Nikolaj V. 401 Kowaschitz, Josef 536 Kozlov, Gregorij 336 Kozlov, Μ. V. 5 0 , 5 6 Kozlov, N. 332 Kozlov, Vladimir P. 10,15 Kraskevic, Viktor Μ. 190, 209, 3 4 1 , 7 1 4 , 719f.

Krasnov, Petr 1 0 2 , 2 4 9 - 2 5 1 ,

600 Krasnov, Semen 250 Krauland, Peter 275, 606, 819 Kraus, Herbert 618 Kravcenko, I. 330 Kreisky, Bruno 22, 107,781, 789f., 797, 808, 824f. Krobotz, Georg 487 Kruglov, Sergej N. 225, 337 Krumm, Josef 310 Krupnov 169 Krusikov, V. 715 Kudernatsch, Friedrich 798 Kudrjavcev, Sergej M. 190, 692, 694, 696, 698, 720 Kührer, Rudolf 55f. Kulagin 381 Kunschak, Leopold 59, 1 2 2 124, 127,451 Kunwald, Gottfried 372 Kupec, Vladimir 317 Kuranov 342 Kurasov, Vladimir V. 23f„ 158, 190f., 224, 2 6 8 , 3 1 3 , 358f„ 606, 663, 666, 668, 673, 723 Kusakov, K. S. 358 Kuzelenkov, Vladimir N. 15, 373 Kuznecov, I. S. 1 4 0 , 1 6 9 , 2 2 1 , 227,238 Kynin, Georgij P. 72 Lambert, Jean (= Lemberger Ernst) 107 Lang, Fritz (= Rosner, Jakob) 40 Lang, Gertrud 545f. Laufer, Jochen 72 Lauscher, Josef 721 Lavinskaja, Ol'ga V. 1 3 , 2 7 9 Lavrov 381 Lavrov, Ivan M. 128f., 140, 187,660,663 Lazar, Sigrid 16 Lazarev 169 Lebedenko, Nikita P. 168,282, 339,360 Lebedeva, Natal'ja S. 12 Ledovskich, Stepan 366, 380f., 386 Lemberger, Ernst (Jean Lambert) 107, 140, 147f„ 314 Lenhart, Helmut 16, 17 Lenhart, Markus 16 Lenhart, Maureen 16 Lenin, Vladimir I. 66, 111, 119, 341,356

Leser, Ludwig 488 Levickas 260 Lewis, Sinclair 353 Liberda, Andreas 280, 716 Lieb, Alois 336 Liebitzky, Emil 642, 645 Lillie, Sophie 365f„ 372 Litvinov, Maksim Μ. 29f„ 65f., 69, 74f„ 118, 567, 653, 773f. Lixl, Rudolf 336 Lobner, Rudolf 336 Lobova, Ludmilla 13, 16 Loewinger, Samuel 374 Loftus, Elisabeth 399 Losinowski, Franz 336 Loth, Wilfried 651 Lotvinov, Vladimir G. 170 Low, Toby 250 Lozovskij, Solomon Α. 2 6 0 , 3 4 8 Lun'kov, Nikolaj Μ. 1 4 3 , 5 7 1 573, 584, 588, 657, 658 Machold, Reinhard 532f., 535, 552 Mackiewicz, Josef 253 Macmillan, Herold 248 Maier, Norbert 477 Majskij, Ivan M. 27-29, 33, 71 f., 74, 82, 106, 118 Maksakov, Vladimir 370 Malandin, German Κ. 163 Malasenko, Evgenij I. 14 Malenkov, Georgij M. 47, 124, 126, 196,210, 327, 3 3 5 , 3 3 7 , 346, 348, 370, 573, 675, 702, 718, 742, 745-747, 756, 794, 800, 804 Malik, Jakov 702 Malinovskij, Rodion Ja. 9 , 1 1 6 , 132f., 220, 2 2 6 , 4 2 8 , 4 5 0 , 459 Maller, Theodor 58f. Manuil'skij, Dmitrij Z. 45—4-7, 49 Mao, Tse-Tung 747 Marckhgott, Gerhart 16 Marek, Anton 276, 280, 2 9 3 2 9 6 , 3 1 6 , 720 Marek, Franz 7 1 3 , 7 2 1 Maridimasov, Nikolaj Ja. 170 Mark, Gabi 16 Marshall, George 6 0 0 , 6 0 4 Martynov, B. C. 121 Masjukov, Aleksandr K. 401, 404f. Maslov, S. 246, 261-263, 266 Matjuchov 170

Personenregister Matla-Dorozevic, Ζ. Α. 260 Matzner, Fritz 535 Mauler, Eugen 790f. Mayer, Maria 5 2 9 , 5 5 4 McBride 560 McCreery, Richard 181,184, 594, 637 Menon, K. P. S. 824 Merkulov, Andrej I. 187,194, 350, 716 Merl, Edmund 425 Merlini, Alfred 415 Mermelstein, Igor 295 Mesik, Pavel Ja. 151,220 Metternich, Clemens Wenzel 364,370 Michajlenko 169 Michajlov, V. 616 Miklas, Wilhelm 123f. Miklos, Bela 108 Mikojan, Anastas I. 113,115, 121, 137,573,649, 705f., 742-744, 7 4 7 f . , 7 9 7 f . , 8 0 1 , 823 Mikoletzky, Lorenz 16 Mironenko, Sergej V. 15 Mises, Ludwig von 372 Mistelbacher, Josef 309f. Mittas, Leopold 308 Mitteregger, Josef 417 Möbes, Otto 536 Mock, Alois 811 Mödlagl, Otto 473 Moiseev 169 Molden, Fritz 107, 147f. Molotkov, Nikolaj M. 168 Molotov, Vjaseslav M. 22, 27-29, 33, 46f., 61, 63, 6 6 70, 7 3 - 7 5 , 8 1 , 8 3 , 87, 110, 113-115, 118, 121, 124, 126, 129-131, 137, 144f„ 147f„ 198, 203, 257f., 260, 312, 314, 346, 348f., 565, 569f„ 572f„ 577, 589f„ 597-600, 624, 626, 628-630, 649-651, 655-660, 664, 668, 675-677, 679f., 682, 684f., 689f„ 695, 698-706, 710f„ 713, 715, 723, 734, 736, 745-749, 756, 790, 7 9 6 , 8 0 1 , 8 0 4 , 806, 819f., 822-824, 826f. Morovskaja 370 Morozov, Stepan I. 47f., 133, 153, 188-190, 611, 620f. Mörth, Gabriele 456 Mueller, Wolfgang 13,113,116, 119f„ 370, 3 8 1 , 6 9 7

Mueller-Graaf, Carl-Hermann 807 Mukoedov, Aleksandr Α. 170 Müller, Franz 493 Mulley, Klaus-Dieter 13 Murer, Franz 284 Muskarev 169

Nasko, Siegfried 113 Naumenko, Vjaceslav 250, 253,600 Neuhold, Franz 543 Ney, Gottlieb Peeter 380-384 Nikitin, P. 742 Nikitinskij, 1.1. 370 Nikolaev, V. 3 8 2 , 3 8 6 Nikolaj II. (Nikolaus II.) 377 Nixon 616 Noeldechen, Ferdinand 594 Novikov (TASS-Mitarbeiter) 614 Novikov, Kirill 715 Novobratskij, Lev I. 221 Oberleitner. Charly 175 Ojstrach, David 354 Opll, Ferdinand 16 Orlov, Aleksandr S. 14 Ortmayr, Ida 5 1 7 , 5 2 0 Osetrov, Ν. A. 221 Ossadtschij, Stanislav V. 15 Ostrovskij, Aleksandr 354 Oswald, Emil 584 Ott, Richard 174 Ottiiiinger, Margarethe 275f.. 2 9 3 , 3 1 6 , 433 Ovsjannikov 170 Paasikivi, Juho 22, 82 Palmisano, Simon 15 Pammer, Maximilian 294 Panfilov 502 PaninA. 741 Panjuskin, A. S. 346, 358 Pannwitz, Helmuth 102, 249f. Papkow, Iwan 435 Paryla, Karl 355 Pasecnik, M. 108, 144f„ 194, 342, 349-351 Pasin 140 Patrascanu, Lucretiu 577 Paul I., Zar 368 Pavlenko, Ol'ga V. 1 1 , 1 3 , 1 6 , 66, 125, 130, 189f., 433 Pavlov (Kosaken-Ataman) 249 Pavlov, Ivan I. 221, 230f„ 252

Pavlov, Vasilij A. 221 Pawlikowski, Ferdinand 538f., 554 Pegov 337 Peihsenbach, Johann 542 Perlamutrova, Viktoria V. 401, 403f. Permjakov 473 Pervuchin, M. G. Pesockij 234 Pestov, Major 169 Pestov, Sergej S. 169 Peterlunger, Oskar 294 Petljura, Symon 378 Petrenko, Leonid I. 170 Petrov, Nikita V. 1 2 . 1 4 . 1 7 . 179,459 Petrova, Ol'ga 384 Petrovskij, Boris 367 Petrovskij, Nikolaj 368 Petschnigg. Edith 13, 16 Pfeifer. J. 50 Pigin. Aleksandr 196f. Pirchegger, Anton 535, 552 Pirnath, Peter 16 Piterskij, Georgij I. 120,125. 128f„ 1 4 0 , 3 4 1 . 5 7 3 Pittermann, Bruno 618 Plastov, Arkadij 356 Plechanov 169 Podratzky, Karl 478 Pokulov 443 Polainko, Sandra 4. 16, 772 Polian. Pavel M. 256 Poljakov. G. 187 Poll, Josef 308 Pollak, Oscar 3 5 0 , 8 2 1 Poltavskij, M.A. 358 Pölzl, Ditto 535 Ponomarev 169 Popelka, Gottfried 55f. Popov 169 Portisch. Hugo 131 Pospisil. Josef 295 Postranecky, Helene 177 Pratter, Franz 536 Presinger, Peter 440 Presslinger, Sieglinde 15 Prichod'ko 170 Primakov, Evgenij M. 316 Pronin, K. S. 336 Prosolov, Nikolaj S. 171 Prozumenscikov, Michail Ju. 13. 15 Püspöck, Peter 17 Putin, Vladimir V. 1 0 . 7 8 2 . 8 1 2 Puzanov 169

885

Personenregister Raab, Heinrich 816 Raab, Julius 22,84,217,645, 664, 668, 706, 736, 740, 744,749, 751,781,789-791, 794—796, 803-807, 815-822, 824f„ 827 Räkosi, Mätyäs 54 Ramadier, Paul 145 Ramljak, Anton 336 Ransmayr, Christoph 417 Rauchensteiner, Manfried 125, 130 Razin, V. 107 Razvorotnyj 327 Reagan, Ronald 26 Rebenko 506f. Red'ko, Ε. I. 326 Reichmann, Maria 523, 549f. Reinhardt, Stanley E. 411 Renoldner, Alois 516 Repin, E. 170 Reuss-Köstritz von 373 Ribbentrop, Joachim von 812 Richler, Benjamin 374—376 Richter 721 Riefler, Franz 478 Riegler, Josef 16 Rjazanov, David B. 583 Roberts, Frank 131 Röbl, Franz 506, 514f. Rogojskij, K. G. 336 Rogozin 259,594 Roosevelt, Franklin D. 29, 63, 67-69, 148, 526, 571,634 Rosak, Robert 58 Roscin, Aleksej A. 34 Rosenberg, Alfred 379f. Rosenwirth, Alois 533 Rosner, Jakob (= Lang, Fritz) 40 Roth, Ernst 374 Rothleitner, Susanne 4, 16, 160 Rothschild, Alphonse 366 Rothschild, Louis 366 Rotter, Hermine 336 Rozanov, N. 154f„ 158f., 192, 221,658 Rückl, Engelbert 533 Rudenko 337 Ruew, Viktor 295 Ruggenthaler, Peter 12f., 16, 523, 565, 583, 585 Rumjanzev, Petr V. 170 Rusk, Dean 808 Ryzewsky, Roman 336 Saburov, Maksim 715 Sacharjan, Major 521

Sacharov, Major 169 Sacharov, Vasilij I. (Major) 170 Safonov, Grigorij N. 327f., 332, 335 Sailer, Gerhard 364f., 368 Salamachin 250 Saltyganov, Vali M. 170 Samov 642 Santifaller, Leo 609 Sapiro (Schapiro) 475 Saposnikov, Boris M. 225 Sarochin, Μ. N. 524 Sarov, Aleksandr 802 Satilov, S. 199-201,689,693, 718 Saurer, Therese 435 Savickij, Grigorij A. 222 Scerbakov, A. S. 47 Schäfer, Hugo 306 Schaffelhofer, Hermine 516 Schärf, Adolf 59, 113, 115, 121, 125, 140, 145f., 158, 350, 352, 618f., 645, 781,789f„ 797,801,819, 824f. Scharf, Erwin 86, 144, 802 Scharitzer, Karl 316 Scheermann, Fritz 15 Schmölzer, Ernst 16 Schneeberger, Josef 535 Schneersohn, Joseph Isaac 373 Schneider (Exil-Kommunist) 45,50 Schneider, Franz 244 Schneider, J. 502 Schöner, Josef 87, 789 Schreiber, Alfred 336 Schreiner, Ida 533,537 Schretter, Herbert 478 Schubert, Franz 403 Schumacher, Kurt 145 Schumy, Vinzenz 158, 644 Schurek, Paul 540 Schuschnigg, Kurt 108 Schüssel, Wolfgang 10,316 Schwager, Zabel 58 Schwandtner, Maria 511 Schwarz, Arthur Zacharias 374-376 Schwarz, Camillo 792 Scukin, Petr 171 Sedlak, Hugo 55 Seglevatov 169 Seinfeld, Michail 412f. Seitz, Karl 123,145 Sejnin, Lev 353, 355 Sel'kovnikov 473 Seldes, J. 353

Selivanovskij, Ν. Ν. 155 Sellner, Franz 336 Semenenko 121,235 Semenov, Valerij 383 Semenov, Vladimir S. 35, 86, 110, 122,715 Semenova, Natal'ja 382 Senin 143 Sepilov, Dmitrij T. 188, 190 Serbacev, Sergej 293 Seregina, S. I. 399 Sergeeν (ZK-Mitarbeiter) 201, 693 Sergeev, Rostislav A. 630 Serov, IvanA. 572,576 Sevlak, Fedor M. 170 Seydoux, Franjois 214 Sforza, Carlo Graf 30 Sidorov 381 Sidorov, Nikolaj 435 Sidorov, Valerij I. 15 Sikin 250 Sikin, Iosif V. 350, 358, 717f. Simonov, Konstantin 353f. Sinclair, Upton 353 Sinov'ev, Grigorij 810 Sipcenko, Anatolij 112 Siskin 177,282,370 Sixl, Peter 410f„ 418 Skirjatov, Matvej F. 324, 328 Skorodumov, Generalmajor 238 Skoropadskij, Pavlo 798 Skrzypek, Friedrich 336 Skuro, Andrej 102,250,600 Slavin, N. 715 Smimov, Andrej A. 35f., 110, 118, 122, 128, 130, 142f„ 145, 183, 185, 187, 199-201, 267, 296, 314, 572, 574f„ 580, 586, 591f., 637, 655, 660, 662, 664, 666, 689f„ 692f„ 715,723 Smirnov, Oberleutnant 517 Smith, Walter 260 Sobotka, Kurt 355 Söhn, Alois 17 Sokolov, Vladimir 660 Solzenicyn, Alekander I. 253 Sommer, Josef 136 Sowker 560 Spann, Othmar 533, 536 Speck, Eduard 533, 536 Speiser, Paul 59 Spektor, Matus 170,534 Stachurskij, Michail 226 Starcevskij, Jakov 124f. Starka, Franz 474

Personenregister Stauffenberg, Claus Graf 249 Steiner, Ludwig 14, 84, 789 Steiner, Paul 58 Steinhardt, Karl 451 Steininger, Rolf 656 Stelzl-Marx, Barbara 12f„ 565 Stemenko, Sergej Μ. 110f„ 114, 116, 121,582-584, 776 Stendebach, Max 738 Stepovoj 169 Stern, Leo 110 Stiefel, Dieter 481 Stockhammer, Karl 297-300 Stoklaska, Anneliese 14 Stourzh, Gerald 622, 625, 628, 650f„ 702, 788 Strassegger, Anton 536 Strauß, Franz Josef 617 Strauß, Johann 403 Stremousov, Stepan P. 170 Strobel 714 Strobl, Othmar 58f. Sturm, Margit 450 Subac, Maria 336 Sucharev 47 Sultan (Kosaken-General) 250 Sundström 22 Suppan, Amold 339 Suslov, Michail A. 145, 328, 358f„ 610f„ 620f„ 718 Svarkin, Vassilij 354 Svemik, Nikolaj M. 324, 327f„ 332f. Sviridov, Vladimir P. 85, 190f„ 201,208-210,262,312,640, 668, 682, 688, 692f., 696, 698, 7 0 0 , 7 1 3 , 7 1 6 - 7 1 8 , 7 2 0 Szabö,Jänos 336 Szokoll, Carl 584

Taracovskij, K. 234f. Tarasenko 250 Tarasov (Major) 169 Tarasov 337 Tatarescu, Gheorge 120 Taubin 176 Teklics, Istvän 336 Thelen, Florian 4, 16 Thoma, Franz 819 Thompson, Llewellyn Ε. 616 Thor, Johann 336 Tichockij 250 Timoscenko, Α. M. 87 Tito (Josip Broz) 7 5 , 7 9 , 147, 676, 682, 7 0 9 , 7 1 3 , 7 6 9 Tjuchtjaev, Vasilij A. 125,437

Tjul'panov, Sergej I. 194,345, 359 Tobaj 502 Todov (Todua) 534 Tolbuchin, Fedor I. 9, 60, 77f., 80, 97, 107, 109-112, 114-118, 121-127, 129f„ 132-135, 173, 185-190, 220, 222, 228, 246, 250, 428, 450, 459, 524, 527, 540, 573, 579, 584f„ 588, 6 6 4 , 7 1 5 , 777 Tolstoy, Nikolai 249f. Tomilina, Natal'ja G. 15 Tonsern, Clemens 4, 753 Toporkov, Feofan 228 Torgasin 169 Trainin, J. P. 620 Travnikov, Nikolaj G. 168 Trockij, Lev D. 111,583 Trofimenko, S. G. 524 Truman, Harry S. 63, 69, 578f„ 589, 604, 6 2 1 , 6 7 6 , 679, 681 Tschadek, Otto 805 Tschirschky, Fritz Günther 800f. Tupisev 169 Turgenev, Ivan 354 Uiberreither, Sigfried 532 Ulanova, Galina 3 5 4 , 5 8 8 Ulbricht, Walter 45, 703f. Unterberger, Hans 55 Usakov 381

Valiant, Karl 531 Valters, Nikolaus 608 Valuchov 157 Vanura, Hans 4 7 1 , 4 7 3 f „ 478, 480 Varlamov 169 Vartanov, Valerij N. 10f„ 14f. Vasil'ev 118 Vasilevskij, Aleksandr 2 0 1 , 2 0 3 , 2 2 6 , 4 5 9 , 572, 693-695 Verosta, Stephan 805 Vinogradov, Vladimir K. 15 Visnevskij 534 Vlasov, Andrej A. 250, 599 Vojakina, Natal'ja N. 15 Volin, Anatolij A. 298, 328, 331f„ 335, 337 Volkov 169 Volkov, Fedor 222 Volokitina, Tat'jana 570, 687 Volosenko, Elena 243

Volosenko, Maria 244, 262, 271 f. Voroncov, Vladimir F. 170 Voronin 250 Vorosilov, Kliment E. 31-33, 3 7 , 7 4 , 118,224, 659, 668, 756, 823 Voskresenskij 560 Voss, Hermann 365 Vukovich, Martin 10,15 Vychodil, Rudolf 336 Vysinskij, Andrej Ja. 33, 85. 124, 126, 129-131, 187, 189, 201,203, 260f„ 314, 572f.. 575, 586, 5 9 1 , 6 3 9 , 650, 655, 657, 660. 664f„ 670, 675680, 683f„ 687, 693-695. 700-702. 7 0 9 , 7 1 5 , 723 Wachs 721 Wagner, Constantin 249, 251 Wagner, Helga 410 Wagner, Johann 488 Wagner, Sonja 13, 16 Wagner, Wolfgang 127, 421. 588, 650 Waldbrunner, Karl 813 Waldheim, Kurt 159,788 Warga, Stefan 336 Wehrl, Rudolf 122-124 Weiß, Theodor 336 Wenzendorf, Alfred 531 Wenzel, Edgar 253 Werkmann, Karl 372 Wessely, Alois 488 Wettig, Gerhard 656 Widder, Roland 16 Widtmann, Heimo 528f„ 546f.. 554 Wieden, Peter (= Pseudonym) siehe Ernst Fischer Wieden, Ruth (= Mayenburg, Ruth von) 50 Wiener, Josef 351 Wiesner, Friedrich von 372 Wilkinson. Alexander C. 552 Winkler, Fritz 5 1 2 - 5 1 4 Winter, Ernst Karl 372 Winter, Josefine 366 Wonisch, Arno 4, 16. 17, 26, 37, 60, 104, 160, 178.240, 337, 523,555,601,783 Zabaznov, Aleksej P. 473 Zachvataev, Nikanor 168 Zadov, Aleksej S. 166,191, 21 Of.

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Personenregister Zajcev, Vladimir Α. 170 Zajceva, Irina 384 Zaprjagaeva, Ljudmila P. 15 Zarubin, Georgij 677f., 683, 685f„ 6 9 9 , 7 1 6 Zdanov, Andrej A. 72, 8If., 194, 260, 347, 358-360, 669, 67 If. Zehnder, Alfred 797f. Zejdin, Evlampij 332 Zeltov, Aleksej S. 23, 77, 113,

115-118, 1 2 0 - 1 2 3 , 1 2 5 , 132-135, 138-140, 144, 156, 173, 1 8 6 - 1 9 0 , 2 1 1 , 2 2 8 , 2 4 6 , 260, 268, 282, 341,358f., 488, 573, 576, 589, 657f„ 660, 673f„ 682 Zidov, Aleksej K. 170 Zigarev, Pavel 793 Zil'cov, Michail M. 237 Zimin-Kovalev, Michail I. 221, 224

Zimmermann, Georg 99, 121,

228 Zolnin, S. 742 Zolotarev, Vladimir A. 14 Zozulja, Vladimir 170 Zubkov, Nikolaj N. 369 Zucker-Schilling, Fritz 40, 43, 47,713 Zukov, Georgij K. 2 1 4 , 4 5 8 , 576, 5 8 0 , 7 4 5 , 771 Zwinger, Ludmilla 336