Die romantische Ironie 3-534-05404-0

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Die romantische Ironie
 3-534-05404-0

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TRENT UNIVERSITY LIBRARY

ERTRÄGE DER FORSCHUNG

HELMUT PRANG

DIE ROMANTISCHE IRONIE

WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT DARMSTADT

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https://archive.org/details/dieromantischeirOOOOpran

HELMUT PRANG DIE ROMANTISCHE IRONIE

ERTRÄGE DER FORSCHUNG Band 12

HELMUT PRANG

DIE ROMANTISCHE IRONIE

1972 WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT DARMSTADT

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© Bestellnummer: 5404 Schrift: Linotype Garamond, 9/11

© 1972 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Satz: Maschinensetzerei Janß, Pfungstadt Druck und Einband: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Printed in Germany

ISBN 3-534-05404-0

INHALT Vorwort.

VII

Vorüberlegungen und abgrenzende Begriffsklärungen: Sokratische Ironie — Rhetorische Ironie — Tragische Ironie — Satire — Spott — Humor — Komik — Witz — Paradoxon — Parodie — Travestie — Groteske.

1

Friedrich Schlegel.

8

Schelling, Müller, Solger.

16

A. W. Schlegel, Schleiermacher, Novalis.

27

Ludwig Tieck.

35

Clemens Brentano und Achim von Arnim.

47

E. T. A. Hoffmann.

54

Eichendorff, Heine, Immermann, Hauff.

70

Hegel und Kierkegaard.

78

Hettner, Haym, Huch.

85

Romantik-Forschung im 20. Jahrhundert: H. A. Korff — W. Linden — M. Honecker — J. C. Blankenagel — H. H. H. Remak — F. Brüggemann — M. Pulver — F. Emst — K. Friedemann — C. Enders

— G. Mehlis — O. Walzel — J. Heller — K. Schrötter — F. Wagener — A. E. Lussky — P. Böckmann — H. A. KorflF — P. Kluckhohn — H.-E. Hass — R. Immerwahr — G. Vogt — P. Szondi — B. Alle¬ mann — I. Strohschneider-Kohrs — B. Heimridi — A. Nivelle — E. Behler.

92

Schlußwort.110 Literaturverzeichnis.111 Register.116

VI

VORWORT Nicht nur jede Wesens- oder Begriffsbestimmung der Roman¬ tik1 scheint als ein hoffnungsloses Unternehmen zum Scheitern verurteilt zu sein, sondern auch der Versuch, etwas so Zentrales und Charakteristisches wie die ‘Romantische Ironie’ zutreffend beschreiben oder gar bündig definieren zu wollen, gehört offen¬ bar zu den aussichtslosen Bemühungen der verschiedenen Ro¬ mantiker selber — und erst recht eines Romantikforschers. Denn was wir an ‘Definitionen’ oder Umschreibungen von ‘Romanti¬ scher Ironie’ in den Werken von helm Schlegel

oder von

Friedrich

Schelling

und

den Äußerungen und Gestaltungen von E.

T.

A. Hoffmann

Brentano,

A.

und

August Wil¬

Schleiermacher, Novalis, Tieck

oder in den Bemerkungen von

H. Müller

und

Achim von Arnim zu

in

und

Clemens

hören be¬

kommen, ist ähnlich uneinheitlich in Aussage und Bewertung wie die Urteile und Formulierungen von und

Heine

oder wie die Gedanken von

Hegel

und

Kierke¬

Auch was die historischen Betrachter der Romantik und

gaard.

ihrer Ironie darüber sagen, wie Haym

Solger, Eichendorff

und

Ricarda Huch,

Hermann Hettner, Rudolf

wirkt vielfach sehr problematisch

und z. T. widersprüchlich. Selbst die moderne Romantikfor¬ schung unseres Jahrhunderts kann sich kaum auf eine klare und relativ einheitliche Definition einigen, wie aus den neueren Ar¬ beiten von mann, Behler

von

Ingrid Strohschneider-Kohrs

und

Peter Szondi, Bernhard Heimrich

Beda Alle¬

oder

Ernst

hervorgeht.

1 Julius Petersen: Die Wesensbestimmung der deutschen Roman¬ tik, 1926, Reprint 1968. — Helmut Prang (Hrsg.): Begriffsbestim¬ mung der Romantik (= Wege der Forschung CL), 1968.

VII

Obwohl sie nahezu alle, Romantiker und Romantikforscher, von denselben Quellen, nämlich

Friedrich Schlegels

verschie¬

denen Formulierungen, ausgehen, variieren sie ihre Aussagen und Folgerungen oft in geradezu verwirrender Weise. Trotzdem oder gerade deswegen soll hier der Versuch gemacht werden, wenigstens in diese Vielfalt ähnlicher oder sich widersprechender Argumentationen und Urteile Ordnung und vielleicht sogar eine gewisse Klarheit zu bringen. Eine hilfreiche Vorarbeit dafür leisteten dabei die Mitglieder meines Erlanger Flauptseminars im Sommer 1970, deren Mitarbeit hier dankbar gedacht sei, weil sie in klärendem Gespräch meine Bemühungen unterstützten.

VIII

VORÜBERLEGUNGEN UND ABGRENZENDE BEGRIFFSKLÄRUNGEN Schon die Tatsache, daß von ‘Romantischer Ironie’ gesprochen wird, macht ja deutlich, daß es offenbar auch noch eine anders bestimmte Ironie geben muß, wie z. B. Wendungen ‘Sokratische Ironie’, ‘Tragische Ironie’ oder ‘Rhetorische Ironie’ bezeugen. Das griechische Wort eipco (eirö) heißt: ich sage, rede, erzähle, und die Form elpcoveuopai (eiröneüömai) bedeutet: sich im Reden verstellen; es anders meinen, als man sagt; auch spotten. Dem¬ entsprechend ist 6 eipcov (ho elrön) zunächst: der Frager, aber auch der Schalk oder jemand, der sich unwissend stellt, ja sich überhaupt verstellt. Schließlich versteht man unter f) elpcovela (hae eirönela): Verstellung, Ausflucht, Vorwand, den Anschein von Unwissenheit, aber auch die Äußerung des Gegenteils des¬ sen, was man meint, bzw. sogar Scheinheiligkeit oder Heuchelei. Diesem griechischen Sprachgebrauch entspricht im Grunde die Sokratische Ironie *, insofern als Dialogen

Platons

Sokrates

sich in verschiedenen

fragend verstellt, gelegentlich seinen Ge¬

sprächspartner bewußt in Fallen lockt, zuweilen so tut, als wüßte er wenig oder gar nichts, der Partner dagegen mehr oder alles, manchmal Formulierungen wählt, die den anderen fest¬ legen oder verwirren sollen, so daß er sich in Widersprüche ver¬ strickt oder schließlich seine Unwissenheit eingestehen muß. Da¬ bei steckt nichts Bösartiges hinter diesen gedanklichen Plänke¬ leien oder sprachlichen Irreführungen, sondern das redliche Be¬ mühen — wenn auch oft mit einer unverhohlenen Schaden¬ freude —, den anderen in seiner Selbstsicherheit aufzustören, 1 S. Kierkegaard: Uber den Begriff der Ironie. Mit ständiger Rüdesicht auf Sokrates, 1961 — F. Wagener: Die romantische und die dialektische Ironie, 1931, S. 3 ff. — E. Behler: Klassische Ironie — Romantische Ironie — Tragische Ironie, 1972.

1

ihn nachdenklich und stutzig zu machen, um die Grenzen und Qualitäten seines Denkvermögens zu erkennen. Eine gewisse geistige Spielfreude, vor allem aber auch ein ethisches Verant¬ wortungsbewußtsein für die Zucht des Denkens und Sprechens stehen hinter dieser Ironie des

Sokrates. Es

ist also eine didak¬

tisch-moralische Absicht, ein durch und durch erzieherisches Ele¬ ment, das diese Sokratische Ironie bestimmt und dem PaideiaGedanken2

griechischen

Wesens

überhaupt

entspringt

und

entspricht. Diese ethisch-pädagogische Seite der Sokratischen Iro¬ nie hat sich von der Antike bis in die Neuzeit als ebenso bewähr¬ tes wie zuweilen bedenkliches Erziehungsmittel erwiesen. ton

und

Xenophon

Pla¬

gaben dafür praktische Beispiele in ihren

Dialogen und Erinnerungen, Aristoteles spricht bezeichnender¬ weise in der >Nikomachischen Ethik< (!) (II 7, 1108 a) von der Ironie und versteht darunter „das Zuwenig-Tun“ im Hinblick auf die Wahrheit! Für

Thomas von Aquin

ist ‘ironia’ das Ver¬

halten, „per quam aliquis de se fingit minora“ (= durch das jemand von sich etwas Geringeres vorgibt, S. th. II, II, 113, 1 ob. I).3 Im Unterschied zur ethischen Fragekunst der Sokratischen Ironie will die Rhetorische Ironie, daß sie vom Angesprochenen als das Gegenteil des Gemeinten auch gleich verstanden wird. Nur geistig ebenbürtige Partner können sich ihrer bedienen, weil ihre Anwendung denselben Bildungsstand voraussetzt. Sie ist also ein geistreiches Stil- und Spielmittel ohne moralisch¬ didaktische Absichten, sie riskiert witzige Mißverständnisse und geistvolle Irreführungen, läßt aber das oratorische Vergnügen daran und die eigene Meinung ahnen4, verbirgt demnach nicht soviel wie die Sokratische Ironie. Die Tragische Ironie hängt mit der ‘Ironie des Schicksals’ zu¬ sammen, indem sie den ‘Helden’ eines Dramas auch dann noch 2 W. Jaeger: Paideia II, 1944, S. 74 ff. 3 R. S. 779.

Eisler:

Wörterbuch

4 H. Lausberg: S. 141 ff.

2

der

Elemente

philosophischen

der

literarischen

Begriffe

I,

Rhetorik,

1927, 1963,

ahnungslos und gesichert erscheinen läßt, wenn die anderen Beteiligten oder vor allem die Zuschauer und Leser des Stückes bereits das herannahende Verhängnis erkennen und den ‘tragi¬ schen’ Ausgang der Handlung voraussehen. Die Gestalten von König Ödipus und Wallenstein sind die bekanntesten Muster¬ beispiele dafür. Selbstverständlich kommt diese Tragische Iro¬ nie nicht nur in Dramen vor, sondern kann auch ein Kennzeichen von Erzählungen sein, so daß man u. U. von ‘Epischer Ironie’ sprechen könnte.5 Auf jeden Fall handelt es sich wie bei der ‘rhetorischen Ironie’ um ein Stilmittel und nicht um ein ethisch¬ pädagogisches Phänomen wie in der Sokratischen Ironie. Nach solchen propädeutischen Abgrenzungen gebräuchlicher Ironiebegriffe bedarf es noch weiterer Begriffsklärungen im Hinblick auf verwandte oder benachbart erscheinende Worte wie Paradox und Satire, Humor und Parodie, Spott, Witz und Komik, Groteske, Polemik und Travestie etwa. Am nächsten scheinen dem geläufigen Ironiebegriff, den wir bewußt noch nicht definiert haben, Satire, Spott und Humor zu stehen. Satire6 ist einmal eine bestimmte literarische Form, ähnlich wie das Pasquill als Schmähschrift, die sich von der Antike bis in die Gegenwart verfolgen läßt, zum anderen ist ‘satirisch’ eine geistige Einstellung, ein gedankliches Verhalten, das sich in jeder literarischen Form äußern kann, in der Komödie ebenso wie im Epigramm, in der Kurzerzählung gleichermaßen wie im Ro¬ man. Urgrund jeder satirischen Äußerung ist die Kritik an Zeit¬ erscheinungen und Menschen, an der Welt überhaupt und an ihren Einrichtungen, ist die Unzufriedenheit mit dem Bestehen¬ den, Gewordenen und Gegebenen, ist die Mißbilligung von Vorgängen, Entscheidungen und Charakteren, ist das lieblose Aufdecken und Entlarven von Zuständen, Unzulänglichkeiten und Fehlern, von groben Mängeln und kleinen Versehen. Da¬ hinter steht meist die zuweilen geradezu boshafte Freude am Hervorholen und Preisgeben solcher Schwächen, gelegentlich 5 G. v. Wilpert: Sadiwörterbuch der Literatur, 41964, S. 305. 6 K. Lazarowicz: Verkehrte Welt, 1963.

3

mag damit aber auch der gute Wille zum Helfen- und Bessern¬ wollen verbunden sein. Der Satire verwandt ist der Spott, den man oft noch zusam¬ men mit Hohn nennt. Beidemal spielen boshafte Züge dabei eine wichtige Rolle; wenngleich der Spott gelegentlich auch scherz¬ haften Charakter haben kann. Aber weder mit Spott noch mit Hohn sind liebenswert-geistreiche oder intellektuelle Spielereien verbunden oder gar moralisch-didaktische Absichten, wie bei den verschiedenen Erscheinungsweisen der Ironie und der Satire. Mit diesen haben sie jedoch bis zu einem gewissen Grade zuwei¬ len das Aggressive und Polemische gemeinsam. Doch wie hebt sich Ironie von Humor, Komik und Witz ab? Humor1 ist im allgemeinen Ausdruck einer überlegenen Lebens¬ haltung und Gemütsstimmung, verrät humane Gelassenheit und philosophische Besinnung, bewirkt eine nachsichtige Betrachtung von Welt und Leben, vor allem auch menschlicher Schwächen und Unzulänglichkeiten. Humor ist Zeugnis einer geistigen Frei¬ heit, nicht alles — und schon gar nicht sich selber — schwer und allzu ernst zu nehmen. Humor hat mit ernster Lebenserfah¬ rung, ja oft sogar mit Schwermut, zu tun und ist keineswegs etwas Oberflächliches, ihm eignen elementare Güte und gro߬ zügiges Verständnis für das Ungewohnte und Nichtige wie für das Alltägliche und Durchschnittliche. Er ist auffallenderweise am wenigsten ausgeprägt bei Klassikern, denen es entscheidend auf ethischen Ernst und ästhetische Normen ankommt, wie an den Tragödiendichtern der griechischen Antike ebenso zu er¬ kennen ist wie an den Werken von von

Goethe

und

Schiller,

Corneille

und

Racine

oder

die sich und ihr Bemühen viel zu

wichtig nahmen, um im Werk Humor zu entwickeln. Komik 7 8 ist die um einige Nuancen derbere Spielart des geistig überlegenen Humors. Sie ist lauter im Lachen an Stelle stillen Schmunzelns und Lächelns. Komik entspringt einer oberfläch¬ licheren Schicht der Weltbetrachtung und Lebenseinschätzung

7 W. Preisendanz: Humor als dichterische Einbildungskraft, 1963. 8 G. Müller: Theorie der Komik, 1964.

4

als der Humor, sie ist mit vordergründigerer Freude gepaart als der tiefer gelagerte Humor, steht ihm aber unmittelbar nahe. Zwei ausgeprägte Arten der Komik sind die Charakter- und die Situationskomik, die entweder am Wesen eines Menschen oder an seiner Lage besonders deutlich werden. Sind Humor und Komik gewissermaßen Ausdrucksformen be¬ stimmter philosophischer Lebenshaltungen und Gemütsverfas¬ sungen, so ist der Witz eindeutig eine Angelegenheit des denken¬ den Geistes. Er hat mit Wissen und Geist zu tun, ist Äußerung intellektueller Fähigkeiten des Kombinierens und Formulierens, so daß Paul Böckmann 9 mit Recht vom >Formprinzip des Wit¬ zes in der Frühzeit der deutschen Aufklärung< sprechen kann. Die sprachliche Ausdrucksweise gehört vornehmlich zum Wesen des Witzes. Man muß also nicht „Witz haben“, sondern man muß ihn vor allem auch formulieren können, die Pointe treffen und d. h. das richtige Wort finden. Daher das intellektuelle Spiel mit Worten und das Phänomen des Wortwitzes! Daß Humor und Komik ebenso wie Satire, Spott und Witz in den verschiedensten literarischen Formen und Gattungen Vor¬ kommen können oder auch in bestimmten Literaturarten bevor¬ zugt werden (Fastnachtspiel und Komödie, Schwank und Anek¬ dote etwa), leuchtet sofort ein und bedarf in diesem Zusammen¬ hang keiner näheren Ausführungen, so wie auch die Philosophie dieser verschiedenen Termini hier nicht zu entwickeln ist; denn in diesen andeutenden Vorüberlegungen sollen nur begriffliche Abgrenzungen zum Phänomen der Ironie vorgenommen wer¬ den. Machen wir uns daher noch einige Gedanken über Begriffe wie Paradox und Parodie, Groteske und Travestie, die zuweilen in der geistigen Nachbarschaft der Ironie erscheinen. Das Paradoxon9 10 enthält immer ein Überraschungsmoment, da es stets etwas Widersprüchlich-Scheinendes bietet, das man zunächst nicht erwartet hat. Wie bei der Stilfigur des Oxymoron

9 P.

Böckmann:

Formgeschichte

der

deutschen Dichtung,

1949,

S. 471 ff. 10 K. Schilder: Zur Begriffsgeschichte des ‘Paradoxon’, 1933.

5

werden Begriffe oder Ansichten miteinander verbunden, die ur¬ sprünglich so entgegengesetzt sind, daß sie sich auszuschließen scheinen. Die verblüffende Logik des scheinbar Unlogischen ist Domäne und geistiges Mittel des Paradoxen. Auch hier ist also das intellektuelle Vermögen wichtiger als eine Weltanschauung oder Lebenshaltung, die das Wesen von Humor und Komik be¬ stimmen. Insofern hat das Paradoxon eine gewisse Verwandt¬ schaft mit dem Witz. Die Parodie11 dagegen ist eine literarische Form ähnlich der Satire, nur mit dem Unterschied, daß sie durch Übertreibung etwas Vorhandenes nachahmt oder etwas Gegebenes karikiert. Was, vergröbert gesprochen, die Karikatur im Bereich des Zeich¬ nerischen darstellt, vermittelt die Parodie auf dem Gebiet der Literatur. Ähnlichkeiten bleiben durchaus gewahrt oder in aller Deutlichkeit erhalten, sie werden nur entstellt und verzerrt. Wir haben es abermals mit etwas Formal-Künstlerischem zu tun und nicht mit einer philosophischen Erscheinung. Von der Parodie unterscheidet sich die Travestie dadurch, daß sie nicht wie jene den Inhalt ändert und die Form im allgemeinen bewahrt, sondern daß sie unter Bewahrung des Inhalts die künstlerische Form wechselt und dadurch eine komisch wirkende Dissonanz zwischen Gehalt und Gestalt hervorruft. Das bedeu¬ tet auch in diesem Fall eine formkünstlerische Spielart der Ge¬ staltung und weniger der Aussage. Schließlich sei noch des Grotesken12 gedacht, das ähnlich ver¬ blüffend wie das Paradoxon unvereinbar scheinende Gegensätze auf ebenso närrische wie unheimliche Weise miteinander verbin¬ det, Bekanntes verfremdet, Gestaltetes entstaltet, Ernstes ver¬ zerrt-komisch darstellt oder Komisch-Scheinendes dämonisiert. Dabei handelt es sich um mehr als um ein geistreich-intellektuel-

11 E. Rotermund: Die Parodie in der modernen deutschen Lyrik, 1963. 12 W. Kayser: Das Groteske in Malerei und Dichtung, 1960. — A. Heidsieck: Das Groteske und das Absurde im modernen Drama, 1969.

6

les Formspiel, nämlich um eine Weitsicht und Sinndeutung radikaler Entgegensetzungen, um eine befremdende Interpreta¬ tion von Geist und Form alles Lebenden und Gestalteten. Mehrfach, so beobachten wir, befinden wir uns im Umkreis der Ironie und ihr nahestehender Begriffe im Bereich pilosophischer Spekulationen und Weltdeutungen; denn Humor und Ko¬ mik, Satire und das Groteske sind Ausdrucksweisen bestimmter Welteinstellungen und Lebensbetrachtungen oder kritischer Stel¬ lungnahmen zum Menschen, seinen Eigenschaften, Einrichtungen und Leistungen, seinem Wollen, Vermögen und Wirken. Ethische Stimulantia stehen vielfach hinter den literarischen Erscheinungs¬ weisen und künstlerischen Gestaltungen, die von Ironie oder Humor, Komik oder Satire in ihrem Wesen entscheidend mit¬ bestimmt werden. Derartige Vorüberlegungen und begriffliche Abgrenzungsversuche sind erforderlich, um die schillernde Viel¬ falt des Begriffs ‘Romantische Ironie’ von verwandt erscheinen¬ den Termini klärend abheben zu können; zumal da ‘Roman¬ tische Ironie’ weder in den Äußerungen

Friedrich Schlegels

noch in den Ausführungen anderer Romantiker einen einheit¬ lichen Charakter hat und nur durch Umschreibungen approxi¬ mativ zu erfassen ist.

7

FRIEDRICH SCHLEGEL Den Anstoß zu dem neuen Begriff ‘Romantische Ironie’ gab Friedrich Schlegel,

der verständlicherweise zunächst von der

traditionellen Sokratischen Ironie ausging und sich über diese 1797 im Lyceums-Fragment 108 folgendermaßen äußerte: Die sokratische Ironie ist die einzige unwillkührliche und durch¬ aus besonnene Verstellung. Es ist gleich unmöglich sie zu erkünsteln und sie zu verrathen. Wer sie nicht hat, dem bleibt sie auch nach dem offensten Geständniss ein Räthsel. Sie soll niemand täuschen, als die, welche sie für Täuschung halten, und entweder ihre Freude haben an der herrlichen Schalkheit, alle Welt zum Besten zu haben, oder böse werden, wenn sie ahnden, sie wären auch wohl mit gemeynt. In ihr soll alles Scherz und alles Ernst seyn, alles treuherzig offen und alles tief versteckt. Sie entspringt aus der Vereinigung von Lebenskunstsinn und wissenschaftlichem Geist, aus dem Zusammen¬ treffen vollendeter Naturphilosophie und vollendeter Kunstphilo¬ sophie. Sie enthält und erregt ein Gefühl von dem unauslöschlichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und Nothwendigkeit einer vollständigen Mittheilung. Sie ist die freyeste aller Licenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg; und doch auch die gesetzlichste, denn sie ist unbedingt nothwendig. Es ist ein sehr gutes Zeichen, wenn die harmonisch Platten gar nicht wissen, wie sie diese stete Selbstparodie zu nehmen haben, immer wieder von neuem glauben und misglauben, bis sie schwind¬ licht werden, den Scherz gerade für Ernst, und den Ernst für Scherz halten.1

Was hier im Zusammenhang mit der Sokratischen Ironie ge¬ sagt wird, taucht in Variationen, Erweiterungen und Vertiefun¬ gen ähnlich wieder auf, wenn

Friedrich Schlegel

von Ironie

überhaupt spricht und dann das Spezifikum des Sokratischen 1 Fr. Schlegel: Prosaische Jugendschriften [= Minor] II, S. 198 f.

8

beiseite läßt. So hieß es schon im 42. Lyceums-Fragment so außerordentlich bezeichnend: Die Philosophie ist die eigentliche Heimath der Ironie, welche man logische Schönheit definiren möchte: denn überall wo in mündlichen oder geschriebenen Gesprächen . . . philosophiert wird, soll man Ironie leisten und fordern ... es giebt alte und moderne Gedichte, die durchgängig im Ganzen und überall den göttlichen Hauch der Ironie athmen. Es lebt in ihnen eine wirkliche transcendentale Buffonerie. Im Innern, die Stimmung, welche alles übersieht, und sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigne Kunst, Tugend, oder Genialität: im Äußern, in der Ausführung die mimische Manier eines gewöhnlichen guten italiänischen Buffo.2

Am befremdendsten mag bei diesen Äußerungen die Verbin¬ dung „transcendentale Buffonerie“ wirken. Unter ‘transcendental’ versteht

Schlegel,

nach einer Formulierung im 22. Athe-

näums-Fragment3, das, „was auf die Verbindung oder Trennung des Idealen und des Realen Bezug hat“. Die Kopula „oder“ deutet dabei wohl das Wesentlichste an, insofern als zwei Mög¬ lichkeiten bestehen, Gegensätzliches zu begreifen oder zu gestal¬ ten: in der Verbindung von Heterogenitäten zu einer geistigen Einheit

oder

in

der

bewußten

Trennung,

Auseinander¬

setzung solcher Kontraste wie des Idealen und des Realen. Da¬ mit dieses Philosophikum jedoch nicht allzu ernst wird, bindet Schlegel

das „Transcendentale“ an die „Buffonerie“, also an

das Gehabe der komischen Oper, an das offenbar bewußt-heitere Spiel und die „Manier eines gewöhnlichen guten italiänischen Buffo“. Der „göttliche Hauch der Ironie“ oder die als „logische Schönheit“ definierte Ironie werden ihres intellektuellen, ästhe¬ tischen oder philosophischen Ernstes bis zu einem gewissen Grade entkleidet und der Welt des Verspielt-Heiteren angenähert. Das mag man in Beziehung sehen zu dem früher zitierten Gedanken, die Ironie sei „die freyeste aller Licenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg; und doch auch die gesetzlichste,

2 A. a. O., S. 188 f. 3 A. a. O., S. 207.

9

denn sie ist unbedingt nothwendig“. Dieser Freiheitsbegriff fin¬ det seine Bestätigung durch eine andere Äußerung

Schlegels

im

87. Lyceums-Fragment, wo es heißt: „Es giebt Künstler, welche . . . nicht frey genug sind, sich selbst über ihr Fföchstes zu er¬ heben“4; „ihr Höchstes“ ist doch wohl ohne Zweifel ihre Kunst. Ob und wieweit

Schlegels

Freiheitsbegriff und die Vorstel¬

lung von Subjekt-Objekt-Beziehung auf

Fichtes

Philosophie

zurückgehen, steht hier nicht zur Debatte.5 Bedeutsamer ist in diesem Zusammenhang

Schlegels

Erörterung über das Verhält¬

nis des Künstlers zur Kunst und vor allem zum eigenen Kunst¬ werk, wobei selbst das künstlerische Schaffen relativiert wird bzw. Bewußtsein und Begeisterung in sinnvolle Proportionen gebracht werden müssen. Im 37. Lyceums-Fragment legt gel

Schle¬

seine Gedanken darüber ausführlich dar:

Um über einen Gegenstand gut schreiben zu können, muß man sich nicht mehr für ihn interessieren; der Gedanke, den man mit Beson¬ nenheit ausdrücken soll, muß schon gänzlich vorbey sein, einen nicht mehr eigentlich beschäftigen. So lange der Künstler erfindet und be¬ geistert ist, befindet er sich für die Mittheilung wenigstens in einem illiberalen Zustande. Er wird dann alles sagen wollen; welches eine falsche Tendenz junger Genies, oder ein richtiges Vorurtheil alter Stümper ist. Dadurch verkennt er den Werth und die Würde der Selbst¬ beschränkung, die doch für den Künstler wie für den Menschen das Erste und das Letzte, das Nothwendigste und das Höchste ist. Das Nothwendigste: denn überall, wo man sich nicht selbst beschränkt, beschränkt einen die Welt; wodurch man ein Knecht wird. Das Höchste: denn man kann sich nur in den Punkten und an den Seiten selbst beschränken, wo man unendliche Kraft hat, Selbstschöpfung und Selbstvernichtung . . . Ein Schriftsteller aber, der sich rein ausreden will und kann, der nichts für sich behält, und alles sagen mag, was er weiß, ist sehr zu beklagen. Nur vor drey Fehlern hat man sich zu hüten. Was unbedingte Willkühr, und sonach Unvernunft oder Übervernunft scheint und scheinen soll, muß dennoch im

4 A. a. O., S. 195. Vgl. die Aufsätze von K. Friedemann und C. Enders in der »Zeitschrift für Ästhetik< 1919 und 1920.

10

Grunde auch wieder schlechthin nothwendig und vernünftig seyn; sonst wird die Laune Eigensinn, es entsteht Illiberalität, und aus Selbstbeschränkung wird Selbstvernichtung. Zweytens: man muß mit der Selbstbeschränkung nicht zu sehr eilen, und erst der Selbstschöp¬ fung, der Erfindung und Begeisterung Raum lassen, bis sie fertig ist. Drittens: man muß die Selbstbeschränkung nicht übertreiben.6

Zu den Begriffen ‘Selbstbeschränkung’ und ‘Selbstvernichtung’ gibt es ergänzende und kommentierende Bemerkungen gels

Schle¬

im 121. Athenäums-Fragment, wo es gegen Schluß heißt:

Aber sich willkührlich bald in diese bald in jene Sphäre, wie in eine andre Welt, nicht bloß mit dem Verstände und der Einbildung, son¬ dern mit ganzer Seele versetzen; bald auf diesen bald auf jenen Theil seines Wesens frey Verzicht thun, und sich auf einen andern ganz beschränken; jetzt in diesem, jetzt in jenem Individuum sein Eins und Alles suchen und finden, und alle übrigen absichtlich vergessen: das kann nur ein Geist, der gleichsam eine Mehrheit von Geistern, und ein ganzes System von Personen in sich enthält, und in dessen Innerm das Universum, welches, wie man sagt, in jeder Monade keimen soll, ausgewachsen, und reif geworden ist.7

Gehört es nach den Lyceums-Fragmenten zum Wesen der Ironie, daß der Künstler sich über sich selbst erhebt, also die Frei¬ heit hat zur Selbstbeschränkung, so wird im 51. AthenäumsFragment die Ironie gleichgesetzt mit dem „steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung“ 8, und das bedeutet eine wiederholte Aktion aus der offenbar permanenten Spannung von Bedingtem und Unbedingtem oder von Endlichem und Un¬ endlichem. Von einer ähnlichen Spannung und Bewegung wie im 51. Athenäums-Fragment mag in Nr. 69 der ScHLEGELschen >Ideen< der Ironie-Begriff gesehen werden, wenn wir dort lesen: „Ironie ist klares Bewußtsein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos.“9 Der zitierte „stete Wechsel“ und die „ewige

6 Minor II, S. 187/88. 7 A. a. O., S. 222. 8 A. a. O., S. 211. 9 A. a. O., S. 296.

11

Agilität“ entsprechen in ihrem Bewegungscharakter wohl ein¬ ander. Doch ziehen wir dafür noch das wichtige 238. AthenäumsFragment heran: Es giebt eine Poesie, deren Eins und Alles das Verhältnis des Idealen und des Realen ist, und die also nach der Analogie der philosophischen Kunstsprache Transcendentalpoesie heißen müßte. Sie beginnt als Satire mit der absoluten Verschiedenheit des Idealen und des Realen, schwebt als Elegie in der Mitte, und endigt als Idylle mit der abso¬ luten Identität beyder. So wie man aber wenig Werth auf eine Transcendentalphilosophie legen würde, die nicht kritisch wäre, nicht auch das Producierende mit dem Produkt darstellte, und im System der transcendentalen Gedanken zugleich eine Charakteristik des transcendentalen Denkens enthielte: so sollte wohl auch jene Poesie die in modernen Dichtern nicht seltenen transcendentalen Materia¬ lien und Vorübungen zu einer poetischen Theorie des Dichtungsver¬ mögens mit der künstlerischen Reflexion und schönen Selbstbespiege¬ lung, die sich im Pindar, in den lyrischen Fragmenten der Griechen, und der alten Elegie, unter den Neuern aber in Goethe findet, ver¬ einigen, und in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie seyn.10

Demnach ist es Aufgabe der poetischen Reflexion, „auch das Producierende mit dem Produkt“ und „in jeder ihrer Darstel¬ lungen sich selbst mit“ darzustellen oder wie es im 116. Athenäums-Fragment von der romantischen Poesie als „progressiver Universalpoesie“ heißt, sie könne „am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenziren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen.“ 11 Der „stete Wechsel“ und die „ewige Agilität“ bestätigen diese Möglichkeiten, wenn nicht gar Forderungen an den romantischen Künstler, für den Ironie zu einem wesentlichen Medium wird 10 A. a. O., S. 242. 11 A. a. O., S. 220.

12

zwischen Realem und Idealem oder zwischen Endlichem und Unendlichem, zwischen Bedingtem und Unbedingtem, d. h. zwi¬ schen den größten denkbaren Gegensätzen. Romantische Ironie vermag demnach solche Heterogenitäten nicht etwa im Kompro¬ miß auszugleichen, sondern eher im Hegelschen Sinne „aufzu¬ heben“ oder die Cusanische coincidentia oppositorum herbei¬ zuführen. Überdies ist für Schlegel Ironie „eine permanente Parekbase“ 12, d. h. eine ständige Überschreitung des Gegebenen, und wenn sie dann noch „gleichsam die EJtt8ei|ig der Unendlichkeit“ genannt wird, wird daraus deutlich, daß sie über das Endliche hinauszuweisen vermag, also mehr ist als eine kunstimmanente Spielform des Geistes oder gar nur ein Stilmittel der Poesie. Da hier nicht Friedrich Schlegels gesamte Kunstphilosophie oder Theorie der Poesie zu entwickeln ist, mögen die gebotenen Hinweise auf seine Formulierungen zu Wesen und Aufgabe der Ironie einstweilen genügen, zumal da die neuere Forschung mancherlei andere Stellen, vor allem aber auch Kommentare und Interpretationsversuche zu Schlegels Gedanken geboten hat; allen voran Ingrid Strohschneider-Kohrs und Ernst Behler, aber auch Peter Szondi und Beda Allemann. Doch außer den meist theoretischen Äußerungen Schlegels über die Ironie in den frühen Eyceums- und Athenäums-Fragmenten gibt es noch einen großenteils ironisch gehaltenen Auf¬ satz Schlegels gegen Ende des dritten Athenäums-Bandes vom Jahre 1800 >Ober die Unverständlichkeit13. Es handelt sich da¬ bei gewissermaßen um die angewandte Ironie eines Denkers, der sich zur Genüge theoretisch über dieses eigentümliche Phänomen geäußert hat, d. h., hier wird auf ironische Weise von der Ironie und ihren Möglichkeiten gesprochen. Zunächst geht Schlegel ganz ernsthaft auf Überlegungen ein, die das Verhältnis des Unverständlichen zum Unverstand oder auch zum Mißverstehen 12 Fr. Sdilegel: Schriften und Fragmente... [= Behler], S. 159 und 161. 13 Minor II, S. 386—395.

13

betreffen, wofür er schließlich das berühmte Athenäums-Fragment über >Die Französische Revolution, Fichtes Wissenschafts¬ lehre und Goethes Meisten als „die größten Tendenzen des Zeit¬ alters“ wählt. Doch bedeutsamer für unseren Zusammenhang ist sein Geständnis: „Ein großer Teil von der Unverständlichkeit des Athenäums liegt unstreitig in der Ironie, die sich mehr oder minder überall darin äußert.“ Als Beweis zieht er das Fragment 108 heran: „Die sokratische Ironie ist die einzige durchaus willkührliche und durchaus besonnene Verstellung . . ,“14 Und er er¬ gänzt dieses Selbstzitat durch ein anderes, indem er das 48. Frag¬ ment in Erinnerung ruft, wo es heißt: „Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist alles was zugleich gut und groß ist.“15 Nach dieser kühnen Formulierung entwickelt er nun ohne jeden Zweifel mit Lust an der Ironie ein „System der Ironie“, indem er dem Begriff ganz verschiedene Epitheta beilegt, so daß als „erste und vornehmste von allen . . . die grobe Ironie“ genannt wird, der „die feine oder die delikate Ironie“ folgt; dann gibt es sogar noch „die extrafeine“. Weiter lernen wir „die redliche Ironie“ und „die dramatische Ironie“ kennen, danach macht er sich über die „doppelte Ironie“ lustig, und endlich taucht gar „die Ironie der Ironie“ auf. Natürlich ist dieser Katalog der verschiedenen ‘Ironien’ nicht ernst zu nehmen; er ist keineswegs eine Ergänzung oder Erweiterung des früheren Ironie-Begriffs Schlegels,

sondern er ist ein ironisches Spiel eines überlegenen

Geistes, der Ironie genug besitzt, sich auch über seine eigenen Gedanken und Formulierungen zu erheben und sich darüber lustig zu machen. „Selbstschöpfung“ und „Selbstvernichtung“ werden hier vom Autor selbst praktiziert; der Produzent stellt sich im Produzieren und im Produkt dar; er hat also die erfor¬ derliche Distanz zu sich und seinem Werk; denn er hat Bewußt¬ sein und Freiheit genug, das mit Ernst Erkannte und Geschaffene spielerisch wieder in Frage zu stellen.

14 A. a. O., S. 198 f. 16 A. a. O., S. 190.

14

Dieser kleine Aufsatz ist ein bedeutsamer Beweis dafür, daß Fr. Schlegel sich nicht nur in verschiedenartigen Fragmenten über Wesen und Aufgabe der Romantischen Ironie theoretisch äußern und das Phänomen als solches mehrfach reflektieren konnte, sondern, daß er selber auch imstande war, seine Ein¬ sichten und Gedanken praktisch anzuwenden und an einem literarischen Beispiel aus der eigenen Feder darzustellen. Fried¬ rich Schlegels Aufsatz >Über die Unverständlichkeit ist dem¬ nach ein schriftstellerisches Beweisstück für angewandte Ironie. Die poetische Anwendung stand allerdings zunächst noch aus. Von diesen vielfach divergierenden, aber auch sich ähnelnden Formulierungen Schlegels über Wesen und Aufgabe der Ro¬ mantischen Ironie gehen in Übereinstimmung und Nachfolge, jedoch auch in Abweichung, ja im Widerspruch dazu Schlegels philosophierende und dichtende Zeitgenossen aus; sei es, daß sie in theoretischen Äußerungen dazu Stellung nehmen, in Bestä¬ tigung oder Weiterentwicklung des Gedachten, oder sei es, daß sie in der Praxis ihrer schriftstellerischen Tätigkeit Dichtungen schaffen, in denen diese Art Ironie künstlerische Gestalt gewinnt. Die Vielfalt dieses keineswegs eindeutig zu definierenden Be¬ griffes wird gerade an den unterschiedlichen Reflexionen und poetischen Gestaltungen besonders deutlich und regt daher zum unermüdlichen Betrachten und Umschreiben dieses eigentüm¬ lichen Phänomens an.

15

SCHELLING, MÜLLER, SOLGER Fragen wir uns, wer von

Friedrich Schlegels

Zeitgenossen

seinen Gedanken über die Ironie am nächsten gekommen ist oder gar in sein Philosophieren aufgenommen und weiterentwickelt hat, so sind es nicht die nahen Freunde macher

sophen

oder der Bruder

Schelling, Adam Müller

Schelling,

und

und

Novalis

August Wilhelm,

Schleier¬

sondern die Philo¬

Solger.

dem nach einer Briefäußerung seiner späteren

Frau Caroline vom 4. Februar 1799 persönlich jene Heiterkeit fehlte,1 die eine der Voraussetzungen für das Ironie-Verständ¬ nis und ihre Handhabung ist, hat mit allem Ernst des systema¬ tisierenden Philosophen das Phänomen der Ironie in seine Philosophie der Kunst< aufgenommen,2 und zwar im Sinne Friedrich Schlegels. Schelling

entwickelt am Werk

Ariosts

das Wesen des Romantischen, das er vornehmlich in der Subjektivierung des objektiv Gegebenen sieht, insofern als der Dichter den „Stoff nach sich modificiert“ und ihn mit „Reflexion“ wie mit „Mutwillen“ durchsetzt. Ein „Hauptcharakteristikum des Romantischen überhaupt“ erkennt

Schelling

„in der Vermi¬

schung des Ernstes und des Scherzes“. Worte wie „Schalkhaftig¬ keit“, aber auch „Gleichgültigkeit“ und „Unteilnahme des Dich¬ ters“ fallen, wodurch sich der Poet aber gerade „zum Herrn seines Gegenstandes gemacht“ habe, also jene Überlegenheit und Distanz beweist, die für sind. Auch wenn

Schlegels

Schelling

Ironie-Begriff so wichtig

von der „Schönheit der Willkür“

spricht, kommt er damit dem künstlerischen Freiheitsbegriff

1 Caroline. Briefe aus der Frühromantik I, S. 497. 2 F. W. J. Schelling: Schriften zur Philosophie der Kunst, S. 316 ff.

16

Schlegels

nahe. Ja er verlangt geradezu vom Romandichter

„Gleichgültigkeit gegen den Hauptgegenstand oder den Hel¬ den“, und diese „Gleichgültigkeit darf so weit gehen, daß sie sogar in Ironie gegen den Helden übergehen kann, da Ironie die einzige Form ist, in der das, was vom Subjekt ausgeht oder aus¬ gehen muß, sich am Bestimmtesten wieder von ihm ablöst und objektiv wird.“3 Die Übereinstimmung mit

Schlegels

Gedan¬

ken ist evident und wird gestützt durch das gewählte Beispiel von

>Wilhelm Meisten, in dem der Dichter seine

Goethes

Hauptgestalt selber Bezeichnendes „über die retardierende Kraft des Helden mit besonderer Ironie“ sagen läßt. Ein anderes Musterbeispiel für das Wesen der Romantischen Ironie im Ro¬ man sieht

Schelling

im >Don Quixote< von

Cervantes.

Wenn es auch an Umfang nicht viel ist, was

Schelling

zur

Romantischen Ironie sagt, so ist es doch wohl bedeutend genug für die Wirkung von

Friedrich Schlegels

Ironie-Gedanken,

daß der Philosoph sich eines so zentralen Begriffs für seine Kunstphilosophie bedient und sich offenbar der Konzeption Schlegels Schlegels

anschließt. Wie anders sieht später die Kritik an Ironie-Begriff in den Ausführungen von

Kierkegaard

Hegel

und

aus!

Eine echte und das heißt fruchtbare Übernahme und Weiter¬ führung der ScHLEGELschen Ironie-Philosophie dagegen finden wir in den Werken von

Adam Müller

und K. W. F.

Solger.

Ohne ein streng durchgeführtes Gedankensystem zu bieten, geht Adam Müller

bei all seinem Philosophieren von seiner >Lehre

vom Gegensatze< aus, die 1804 erschienen ist.4 Der Gedanke der Bewegung und der Begriff des Bewußtseins sind für

Müllers

Philosophie von grundlegender Bedeutung. In seinen Vermisch¬ ten SchriftenLehre vom Gegensatze< spricht er außerordentlich glücklich und einprägsam von „künstlerischer Ironie“6, und gleich darauf behauptet er von

Goethe u.

a.: „An gegensätzi-

scher Kunst ... an fester Beweglichkeit, an wahrer Ironie, an Weltreichtum wissen wir ihm keinen Meister an die Seite zu setzen.“ So einleuchtend und selbstverständlich uns das Wort ‘Ironie’ im Zusammenhang kunstphilosophischer Überlegungen erschei¬ nen mag, so befremdend wirkt

es,

wenn

Adam Müller

es zur

Natur in Beziehung setzt. In seinen >Vermischten Schriften< lesen wir: Wie die Natur vom Leben zum Tode und vom Tode zum Leben mit so unendlicher Leichtigkeit und Ironie fortschreitet, daß sie euch wie ein einziges Reich des Lebens und des Todes zugleich erscheint, — so sollt ihr die heiligsten Erzeugnisse eurer Kunst ... zu zerlegen wissen, um neue Werke zu erzeugen.7

Die krassen Gegensätze der Lebenswelt werden schließlich in einem einzigen ‘Reich’ aufgehoben; aber die geglückte Kunst¬ einheit soll in ihre Bestandteile ‘zerlegt’ werden, um aus ihren Gegensätzen Neues zu schaffen. Müssen wir uns hier nicht an den „steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernich¬ tung“ in

Schlegels

Adam Müllers

51. Athenäums-Fragment erinnert fühlen?

Ästhetik und Philosophie des Gegensatzes

betrifft aber nicht nur das Schaffen des Künstlers und das Wesen des geschaffenen Werkes, sondern auch das Verständnis für die Kunst bzw. für deren kritische Rezeption. In seinen Vorlesun¬ gen über die deutsche Wissenschaft und Literatun heißt es so be¬ zeichnend: „Es gibt eine höhere Kritik als die eurige, die echt 8 A. H. Müller: Die Lehre vom Gegensätze, S. 237. 7 Vermischte Schriften II, S. 270 f.

18

deutsche, vermittelnde, meine ich, die nicht bloß zu streiten, sondern im Streite selbst zu versöhnen weiß.“ 8 Diese für

Müller

so charakteristische „vermittelnde“ Kritik wird von ihm in Zu¬ sammenhang gebracht mit dem Wort und Wesen der Ironie. In seinen Erörterungen über argumentiert

Müller:

Fichtes

„. .

Kritik an

Friedrich Nicolai

. wie wohltätig würde der durch

Witz, Spott und erhabenen Ernst erschütterte Leser am Schluß in die leichte, ironische Bewegung echter Kritik versetzt worden sein, wenn der Autor . . .“9 Und kurz darauf begegnet uns die¬ selbe Wortverbindung wieder, wenn es heißt: „Die leichte Iro¬ nie, zu der sich die deutsche Kritik erhebt, führt ihre eigne höhere Urbanität unausbleiblich mit sich.“10 In einer Partie seiner >Vorlesungen< über >Ironie, Lustspiel, AristophanesVorlesungen
Über die dramatische Kunst< lesen wir: „Mit dem Allerheiligsten, . . . , kann gespielt werden, aber auch dieses Spiel muß ein reines, unschuldiges, arg¬ loses, freundliches, heiliges Spiel sein.“16 Jedes dieser Adjektive ist beachtenswert, um eine spätere Stelle desselben Aufsatzes ver¬ stehen zu können: Das eben nun ist die göttliche Ironie, . . ., daß ein einziger Dichter [Aristophanes] sein Volk, dessen Sitten, dessen Gesetze, Götter, Herr¬ scher und Weisen, in Strömen von elektrischen Schlägen des Witzes bespötteln darf, nichts unberührt zu lassen braucht und dennoch durch seine ganzen Werke, bloß durch ein heiliges Maß, durch einen göttlichen Rhythmus, die er hineinzulegen weiß, und trotz der an¬ scheinend pöbelhaftesten Ungezogenheit den höchsten Eindruck sittlidier Erhabenheit auf seine Zeit und auf die wahren Kunstkenner aller Zeiten macht.17

Und

Müller

setzt diese Gedanken fort mit der Feststellung:

„So hat denn gleichfalls die antike Komödie, wenn auch an vie¬ len Stellen ihre Ironie noch durch Satire und eigentlichen Spott und bestimmte Willkür getrübt sein mag, hohe Vorzüge vor der antiken Tragödie.“18 Der einschränkende Wenn-Satz verlangt unsere Aufmerksamkeit. Die Ironie, die er vorher „die göttliche“ genannt hat, wird zuweilen „durch Satire und eigentlichen Spott . . . getrübt“. Müller muß demnach eine bestimmte Vor¬ stellung vom Wesen der Satire und des Spottes haben, die das Spiel „mit dem Allerheiligsten“ beeinträchtigen können, zumal da von diesem ‘Spiel’ erwartet wurde, daß es „ein reines, un¬ schuldiges, argloses, freundliches, heiliges Spiel sein“ müsse. In

der Tat macht

Müller

einen Unterschied zwischen Ironie

und Satire, wie erneut am Gebrauch der Adjektiva deutlich wird, wenn er nämlich fragt: „. . . lachst du mit Freiheit oder ge¬ nötigt und mit Bitterkeit, lachst du mit reiner Ironie oder mit

16 A. a. O. 17 A. a. O., S. 248. 18 A. a. O.

21

schmutziger Satire?“19 Schon in der >Lehre vom GegensatzeErwin< (1815) und dann in seinen >Vorlesungen über Ästhetik< (1829) zum Phänomen der Ironie geäußert hat. Ohne hier dem Gesamt seines philosophischen Denkens nachgehen zu wollen,22 mag jetzt nur angedeutet werden, daß es

Solger

wesentlich auf die Beziehung zwischen Idee und Erscheinung an¬ kommt und daß er versucht, den „Übergang“ zwischen diesen beiden herauszuarbeiten. Dabei ist von Phantasie und Verstand ebenso die Rede wie vom Witz. In dem letzten der vier >ErwinVorlesungen< von

„künstlerischer Dialektik“ spricht24 und damit ein Grundphäno¬ men seiner Ästhetik meint. Gleichfalls in den >VorlesungenErwinErwinVorlesungen über ÄsthetikVorlesungen über Schöne Literatur und KunstA, viel¬ fach mehr den Gedanken

Schellings

als denen seines Bruders

gefolgt zu sein1 2; ja selbst das Wort ‘Ironie’ taucht in dieser Zeit noch relativ selten auf. Viel entschiedener und ausgeprägter äußert sich A. W.

Schlegel

über Wesen und Funktion der Ironie

in seinen Wiener >Vorlesungen über Dramatische Kunst und Lite¬ ratun3. In einer vorsichtigen Definition des Ironie-Begriffes heißt es dort, „daß es ein in die Darstellung selbst hineingelegtes mehr oder weniger leise angedeutetes Eingeständnis ihrer über¬ treibenden Einseitigkeit in dem Antheil der Fantasie und Emp¬ findung ist, wodurch also das Gleichgewicht wieder hergestellt ist.“4 Der Gebrauch des Wortes „Darstellung“ weist auf die Ironie als Kunstmittel hin, mit dem „übertreibende Einseitig-

1 A. W. Schlegel: Vorlesungen über Schöne Literatur und Kunst, 1884 [= Berliner Vorlesungen]. 2 I. Strohschneider-Kohrs, 1960, S. 112 ff. 3 A. W. Schlegel: Vorlesungen über Dramatische Kunst und Lite¬ ratur [= Wiener Vorlesungen], 1923. 4 A. a. O. I, S. 207 f.

27

keit“ von „Fantasie und Empfindung“ zum Ausgleich („Gleich¬ gewicht“) gebracht wird. Doch hat für A. W. Schlegel — im Gegensatz zu seinem Bruder

Friedrich

— die Anwendung der Ironie als künstleri¬

sches Darstellungsmittel eine inhaltlich bestimmte Grenze; denn: „Wo das eigentlich Tragische eintritt, hört freylich alle Ironie auf.“5 Das bedeutet konsequenterweise, daß A. W. Shakespeares

Schlegel

in

Dramen die Ironie nur in komischen Szenen und

bei komischen Personen gelten lassen will, dagegen nicht in Tra¬ gödien, weil dort „die Unterwerfung sterblicher Wesen unter ein unausweichliches Schicksal

den strengen Ernst fordert“.

Ethische Kategorien statt künstlerischer bestimmen hier gels

Schle¬

Forderungen, und das bedeutet eine Begrenzung, ja Ein¬

engung des Ironie-Begriffs, insofern als eben nur nicht allzu ernste Situationen oder Verhältnisse mit Ironie behandelt wer¬ den dürfen. So sehr A. W.

Schlegel Shakespeares

„geheime

Ironie der Charakteristik“ bewundert als „Abgrund des Scharf¬ sinns“, so sehr schränkt er diese Bewunderung doch sofort ein: „aber dem Enthusiasmus thut sie wehe.“ 6 In A. W.

Schlegels

Denken erfährt der Ironie-Begriff seines

Bruders gewissermaßen eine Abwertung. Ironie als künstlerisches Mittel rangiert unterhalb der ernsten Aussage. Sie kann dazu beitragen, auf negative Weise den Gegensatz von Scherz und Ernst deutlich zu machen, hat aber im Grunde nur eine neben¬ geordnete Funktion, d. h., sie wird überflüssig, wenn ihr Beitrag zur „zerstreuenden Unterhaltung“ 7 oder als „komische Unter¬ brechung“8 beendet ist. Mit anderen Worten: A. W.

Schlegel

sieht in der Ironie nur ein begrenzt brauchbares und nur ge¬ legentlich anwendbares Hilfsmittel, weil sich für ihn mit dem Ironie-Begriff etwas Destruktives verbindet, das jeglichem Ernst von Person und Situation unangemessen ist. Vornehmlich ethische

6 A. a.O. 6 A. a. O., 7 A. a. O., 8 A. a. O., 28

II, S. S. S.

S. 141. 140. 142. 141.

Maßstäbe statt ästhetischer Kriterien bestimmen hier Kunstbetrachtung, gegen die sich

Solger

Schlegels

mit Entschiedenheit

wehrte.9 Das würde noch deutlicher werden, wenn wir A. W. Schlegels

Darlegungen über das Wesen der Tragödie und der

Komödie in seinen Berliner und Wiener >Vorlesungen< verfolgen würden.10

Vor

allem

die

Wiener

SHAKESPEARE-Deutungen

machen klar, daß trotz gelegentlichen Übereinstimmungen mit der Terminologie

Friedrich Schlegels

schieden von dem Ironie-Begriff

der ältere Bruder ent¬

Friedrichs

abweicht. Der wohl

entscheidende Unterschied liegt darin, daß A. W.

Schlegel

den

Gebrauch der Ironie auf die „komischen Unterbrechungen“ des Dramas eingeschränkt wissen will und daß er überdies die Welt des Komischen einseitig negativ sieht; denn, so heißt es in den Wiener Vorlesungen, „so ruft die Komödie aus einer durchaus spottenden und erniedrigenden Betrachtungsart aller Dinge die muthwilligste Fröhlichkeit hervor.“ 11 Diese außerkünstlerische Abwertung des Komischen und der Ironie steht geradezu im krassen Gegensatz zur Ironie-Philosophie

Friedrich Schlegels,

der in souveräner Weise die geistige Überlegenheit des künst¬ lerischen Bewußtseins und Produzierens mit dem Wesen und der Funktion der Ironie verband, ja proklamierte. Hat

Friedrich

Schlegels

Bruder

August

Wilhelm

sich

wenigstens mit dem romantischen Ironie-Begriff auseinander¬ gesetzt, auch wenn er ihn anders verstand und bewertete, so scheint einer der intimsten Freunde der Frühzeit,

Friedrich

Schleiermacher,

davon ziemlich unbetroffen gewesen zu sein.

Die Zeugnisse für

Schleiermachers

spärlich. Einige Äußerungen hat

Ironie-Begriff sind äußerst

Wilhelm Dilthey

in seiner

Schleiermacher-Biographie12 überliefert, wenn er „Denkmale der inneren

Entwicklung

Schleiermachers“

zusammenstellt.

Hier

wird das Ich des „ächten Skeptikers ironisch“ genannt13, und er 9 Nachgelassene Schriften II, S. 514 ff. 10 I. Strohschneider-Kohrs, 1960, S. 119 ff. 11 Wiener Vorlesungen II, S. 134. 12 W. Dilthey: Leben Schleiermachers, 1870. 13 A. a. O., S. 92.

29

ist der Meinung: Klugheit „ohne Ironie und Wohlwollen erkäl¬ tet bis zum unerträglichen“ 14. Dabei fällt auf, daß Ironie offen¬ bar der Ergänzung durch das „Wohlwollen“ bedarf, also nicht das alleinige Regulativ der Klugheit sein dürfe. Bemerkenswert ist auch, daß

Schleiermacher

von der „Wehmut“ behauptet:

„Nur ein Ironist kann sie haben.“ 15 Diese zunächst ja befrem¬ dend wirkende Kombination bedarf des Nachdenkens. Wenn wir unter ‘Wehmut’ eine seelische Gestimmtheit verstehen dür¬ fen, die schmerzliche und erinnernd-beglückende Gefühle oder Gedanken zugleich enthält,16 dann würde gerade dieses Zugleich ein Charakteristikum sein, das auch dem Ironiker eigentümlich ist. Die Doppeltheit von etwas Entgegengesetztem, Sich-Ausschließendem gehört ja wohl u. a. zu den wesentlichen Kenn¬ zeichen gerade auch der Romantischen Ironie. Natürlich muß bei Behauptung das apodiktische „Nur“ elimi¬

Schleiermachers

niert werden, um diese ungewohnte Verbindung von Wehmut und Ironie überhaupt zu rechtfertigen. Wenn nach macher

Schleier¬

„ein Ironist“ allein Wehmut „haben“ kann, dann wäre

das nun wohl so zu deuten, daß vor allem der Ironiker fähig ist, Trauer und Genuß der Trauer zugleich zu empfinden, schmerz¬ liche Gefühle und Auskosten dieser Schmerzen ineins zu erleben (etwa wie

Heine),

d.h., auch hier käme das darüberstehende und

sich distanzierende Bewußtsein zum Gefühlserlebnis hinzu. Begreiflicherweise ist in Schleiermachers Einleitungen zu sei¬ ner PLATON-Übersetzung auch von der Ironie des

Sokrates

die

Rede, die sich aber, wie wir wissen, von der Romantischen Ironie wesentlich unterscheidet, insofern als sie ja meist nur als rheto¬ risches Mittel geistreicher Aggression und pädagogischer Dialek¬ tik zu verstehen ist oder als Einsicht in das Wissen vom Nicht¬ wissen. Schleiermachers Berliner >Vorlesungen über dieAesthetik< vom Sommer 1819 sind ebenfalls für unsere Fragestellung

14 A. a. O., S. 95. 15 A. a. O., S. 114. 16 O. F. Bollnow: Das Wesen der Stimmungen, 1941, u. a. S. 209.

30

bemerkenswert unergiebig, wie schon Strohschneider-Kohrs nachgewiesen hat.17

Auch

Friedrich Schlegels

Friedrich

von

anderer vertrauter Jugendfreund

Hardenberg

oder

Novalis

hat

Schlegels

Ironie-Philosophie nicht in sein Denken aufgenommen und ver¬ arbeitet, ja das Wort ‘Ironie’ selber wird von

Novalis

nur selten

gebraucht. Trotzdem hat

versucht,

Harden¬

bergs

Foetik mit

Beda Allemann

Schlegels

Ironie-Begriff in engen Zusammen¬

hang zu bringen.18 Die Gefahr dieser klugen Ausführungen be¬ steht allerdings darin, daß Vokabular gels

Hardenbergs

Allemann

das ganz andersartige

voreilig mit dem Ironie-Begriff Schle¬

gleichsetzt. Berührungspunkte sind zwar nicht zu leugnen,

etwa in der Kombination von Besonnenheit und Ironie19 in Hardenbergs

und

Schlegels

Strohschneider-Kohrs

Sprachgebrauch, aber

Ingrid

geht in diesem überaus heiklen Fall

sehr viel vorsichtiger vor und tastet dementsprechend Sprach¬ gebrauch und Denkmotive der beiden Romantiker sorgfältiger ab.20 Im Grunde variiert

Novalis

den Ironie-Begriff des Freundes,

wenn er in den Blütenstaub-Fragmenten u. a. folgendes schreibt: Was Schlegel so scharf als Ironie charakterisiert, ist, meinem Bedünken nach, nichts anderes als die Folge, der Charakter der echten Besonnenheit, der wahrhaften Gegenwart des Geistes. Der Geist er¬ scheint immer nur in fremder luftiger Gestalt. Schlegels Ironie scheint mir echter Humor zu sein. Mehrere Namen sind einer Idee vorteil¬ haft.21

Um aber kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, wenn hier Humor und Ironie gleichgesetzt werden, muß man wissen, wie

17 I. Strohschneider-Kohrs, 1960, S. 98 f. 18 B. Allemann, S. 119 ff. 19 A.a. 0„ S. 130. 20 I. Strohschneider-Kohrs, 1960, S. 100 ff. 21 Novalis: Briefe und Werke III, S. 64.

31

Novalis

Humor definiert. Im 32. Blütenstaub-Fragment heißt

es u. a.: „Humor ist Resultat einer feinen Vermischung des Be¬ dingten und Unbedingten“ 22; in einer handschriftlichen Variante steht statt „einer feinen“ „einer freien Vermischung ...“23. Wenn jedoch

Novalis

bei einer Gleichsetzung von Humor und

Ironie den Humor als „Resultat“ einer Vermengung von Be¬ dingtem und Unbedingtem bezeichnet, weicht er insofern von Schlegels

Ironie-Begriff ab, als dieser ja etwas Aktives enthält,

also nicht Ergebnis, sondern geistig Bewegendes ist. Für

Novalis

ist demnach Humor oder Ironie ein Zustand, während rich Schlegel

Fried¬

gerade auf das „Bewußtsein der ewigen Agili¬

tät“24 Wert legte und Ironie als „eine permanente Parekbase“, also als eine ständige Grenzüberschreitung, bezeichnete.25 In welchem Maße

Novalis

das Wort ‘Ironie’ variabel ge¬

brauchte, geht auch aus einem Fragment hervor, in dem er das „Lächerliche“ zu charakterisieren versucht und dabei vom Komi¬ ker und der Posse spricht; wobei er in Klammern zur Erläute¬ rung außer „Ironie“ auch noch „Parodie“ und „Travestie“ hin¬ zufügt.26 Und wieder anders lesen wir in den nachgelassenen Fragmenten: „Ironie gleich Art und Weise des Gemüts“27. „Ge¬ müt“ aber wird zuvor definiert als „Harmonie aller Geistes¬ kräfte — gleiche Stimmung und harmonisches Spiel der ganzen Seele“. Jedoch werden hier Ironie und Gemüt keineswegs gleich¬ gesetzt, sondern Ironie wird nur als „Art und Weise des Ge¬ müts“ bezeichnet, also als eine bestimmte Erscheinungs- oder Äußerungsform des Gemüts, nicht als dieses selber, wie das Beda Allemann

offenbar zu deuten versucht.28 Demnach hat

der Ironie-Begriff für

Hardenbergs

nicht die Bedeutung wie für 22 A. a. O., S. 62.

23 A.a.O., S. 88. 24 Idee Nr. 69, Athenäum II, S. 142. 25 Behler, S. 159. 26 Schriften III, S. 573. 27 A. a. O., S. 565. 28 Allemann, S. 129.

32

Kunstdenken bei weitem

Friedrich Schlegels

Poetik. Selbst

wenn

Novalis

und

Schlegel

in ihrer Ästhetik vielfach auf die

gemeinsame Basis der FiCHTEschen Philosophie zurückgehen, so haben sie doch von dieser Grundlage aus ganz verschiedene Richtungen eingeschlagen, die mindestens im Gebrauch des Iro¬ nie-Begriffes keine Übereinstimmung verraten. Somit fand

Friedrich Schlegels

Philosophieren über Wesen

und Funktion der Romantischen Ironie weder bei seinem Bruder August Wilhelm macher

und

noch im Denken seiner Freunde

Novalis

die Resonanz in Aufnahme oder Weiter¬

wirkung, die wir in den Gedanken und K. W. F.

Solgers

Schleier¬

Schellings, A. H. Müllers

beobachten konnten. Doch bleibt zu fra¬

gen: ob nicht in dichterischen Texten von

Schlegels

Zeitgenos¬

sen die Romantische Ironie als angewandtes Kunstmittel auf¬ zuspüren ist, etwa bei

Novalis

selber oder in den Werken von

Ludwig Tieck, Clemens Brentano

und E. T.

A. Hoffmann,

ganz gleich ob diese Dichter sich auch theoretisch über ihre IronieAuffassung geäußert haben oder nicht. Der im allgemeinen sehr ernst reflektierende Schlegels

Novalis

hat für

>Athenäum< einen Beitrag entworfen, der >Monolog
Monolog< trägt somit zur

Dokumentation dessen bei, was man unter theoretischer und praktischer Ironie im Denken und Schreiben des stehen kann.

30 I. Strohschneider-Kohrs, 1960, S. 250. 31 A. a. O., S. 273. 34

Novalis

ver¬

LUDWIG TIECK Der Berliner Aufklärer, Romantiker und Realist Tieck

Ludwig

hat mehr durch seine Dichtungen als durch seine Äuße¬

rungen in Briefen und theoretischen Schriften zur Kennzeich¬ nung der Romantischen Ironie beigetragen. Da er in keiner Weise ein systematischer Denker war, sind seine Bemerkungen zur Ironie durch ihre Widersprüchlichkeit oder Variationsbreite eher verwirrend als klärend, so daß sich kaum ein einheitliches Be¬ griffsschema von Wesen und Funktion der Ironie aus

Tiecks

Denken entwickeln läßt. Trotzdem soll hier der Versuch gewagt werden, wenigstens einige seiner Äußerungen zu diesem neuen Phänomen in Erinnerung zu rufen und zu durchleuchten, zumal da wir in seinen dichterischen Werken wiederholt auf die künst¬ lerisch angewandte Ironie stoßen. Obwohl

Tieck

zeitweise mit

Friedrich Schlegel

gut be¬

freundet war, finden wir auffallenderweise in dieser Frühzeit weniger Bemerkungen über die Ironie und Zusammenhänge mit Schlegels

Definitionsbemühungen als in späteren Jahren, die

unter dem Einfluß der Freundschaft mit Einige Bekenntnisse dazu hat rungen< überliefert1.

Tieck

K.

W.

Rudolf Köpke

F. Solger

stehen.

in seinen >Erinne-

unterschied zeitweise zwischen einer

„ganz einfachen“ oder „groben“ bzw. „gemeinen“ Ironie — etwa bei

Swift

und

Heine2

— und einer „höheren“ Ironie, von

der man „schon aus Plato . . . wissen“ kann und für die er 1828 Aristophanes

und

Shakespeare

bei er sich überdies auf

als Beispiele heranzieht3; wo¬

Friedrich Schlegel

und

Solger

beruft.

1 R. Köpke: Ludwig Tieck ..., 1855, z. B. II, S. 173 f. 2 A. a. O., S. 238, und Brief an Raumer, in: Tieck — F. v. Raumer [= Zeydel/Matenko], S. 33. 3 Schriften VI, S. XXVIII f.

35

In welchem Maße

Shakespeare

für

Tieck

„der ironische Dra¬

matiker“ 4 war, geht vor allem auch aus dem von

Köpke

Über¬

lieferten hervor.5 Neben ganz allgemeinen Äußerungen wie „In der Ironie ist Shakespeare Meister“ und „es ist dies ein tiefes Seelengeheimnis“ werden auch ganz konkrete Werke, Personen und Situationen genannt wie »Romeo und JuliaHamlet< und »Der Kaufmann von Venedig< werden dafür her¬ angezogen, ja selbst „Macbeth hat etwas von der Ironie“. Doch gehen gerade diese Beispiele an dem vorbei, was meint hat und was können. Denn was

Tieck

Tieck

aus

Solgers

Schlegel

ge¬

»Erwin< hätte lernen

hier bemerkt, bezieht sich ausschlie߬

lich auf inhaltliche Gegebenheiten und dramatische Vorgänge, nicht aber auf die künstlerische Gestaltung, erklärt also eher die „tragische“ oder Schicksals-Ironie als das Besondere der Roman¬ tischen Ironie im Sinne

Schlegels

oder

obachtung gilt übrigens auch für Cervantes,

Solgers.

Bemerkungen über

Tiecks

den er in dieser Beziehung

Die gleiche Be¬

Shakespeare

gleich¬

stellt.6 Das trifft letztlich wohl auch auf

Tiecks

Reflexion über den

Anteil der Ironie in seinen eigenen Frühwerken zu, wenn wir bei Köpke lesen: ... in meinen eigenen Dichtungen ist die Ironie zuerst mehr unbe¬ wußt, aber doch entschieden ausgedrückt; vor allem ist dies im »Lovelh der Fall. Die direkte Ironie herrscht im »Gestiefelten Kater«, von der höheren findet sich etwas im »Blaubart«, und entschieden ist sie im »Fortunat«. Die »Genoveva«, welche als Heilige dargestellt wer¬ den sollte, hat freilich nichts davon, aber die Art, wie Golo in seiner Leidenschaft immer tiefer sinkt, streift doch das Ironische.7

Die von Tieck hier vorgenommenen Differenzierungen „unbe¬ wußt, aber doch entschieden“, „direkte Ironie“ oder „von der

4 Kritische Schriften III, S. 92. 5 Köpke II, S. 217 ff. 6 A. a. O., S. 239. 7 A. a. O., S. 174.

36

höheren“ sind keineswegs klar zu erkennen und lassen höchstens wieder das inhaltlich oder sinnbezogene Denken Tiecks ahnen, das mit den Vorstellungen Schlegels gar nichts gemeinsam hat; woraus man sieht, daß der Sprachgebrauch selbst befreundeter und geistig verwandter Menschen derselben Generation recht verschieden sein kann. Mit ‘Ironie’ ist nicht einmal im frühen Romantiker-Kreis um 1800 immer ‘Ironie’ im ScHLEGELschen Sinne gemeint. Näher kommt

mit seinen Formulierungen

Tieck

und dessen Nachfolgern Köpke

Solger

und

Müller,

Schlegel

wenn er zu

äußert:

Die Ironie, von der ich spreche, ist ja nicht Spott, Hohn, Persiflage, oder was man sonst der Art gewöhnlich darunter zu verstehen pflegt, es ist vielmehr der tiefste Ernst, der zugleich mit wahrer Heiterkeit verbunden ist. Sie ist nicht bloß negativ, sondern etwas durchaus Po¬ sitives. Sie ist die Kraft [!], die dem Dichter die Herrschaft über den Stoff erhält; er soll sich nicht an denselben verlieren, sondern über ihm stehen. So bewahrt ihn die Ironie vor Einseitigkeiten und leerem Idealisieren.8

Dementsprechend vermißt Schiller

und

Fouque

etwa an den Werken von

Tieck

die Ironie, weil sie beide zu sehr im Stoff¬

lichen aufgehen,9 statt „die Herrschaft über den Stoff“ zu be¬ halten. Mit anderen Worten: außer den zuvor erwähnten inhalt¬ lich bezogenen Äußerungen Bemerkungen des späten

Tiecks

Tieck,

zur Ironie gibt es auch

die auf sein Verständnis für die

Ironie als angewandtes Kunstmittel schließen lassen. Bezeichnenderweise nennt

Tieck

die Ironie eine „Kraft, die

dem Dichter die Herrschaft über den Stoff erhält“. Er sieht in ihr also ein geistiges Vermögen, ein intellektuelles Mittel, sich vom Stoff zu distanzieren oder sich über ihn zu erheben. Diese Äußerung steht aber im Gegensatz zu dem von lieferten Bekenntnis

Tiecks:

Köpke

über¬

„Alles Reflektieren und Räsonnie¬

ren hat meiner Natur stets fern gelegen. Ich habe die Dinge im-

8 A. a. O., S. 238 f. 9 A. a. O., S. 239 f. und 202 f. 37

mer aus dem Ganzen, aus dem Gefühl und der Begeisterung heraus, aufzufassen und anzuschauen gesucht.“10 Weitere Zeug¬ nisse gerade in dieser Richtung hat I. Strohschneider-Kohrs dankenswerterweise dargeboten,11 wonach Tieck eher dazu neigte, sich an eine Sache zu „verlieren“, sich hinzugeben oder in ihr aufzugehen, als über ihr zu stehen. Daher scheint sein eige¬ nes dichterisches Schaffen eher unreflektiert und spontan gewesen zu sein als philosophisch bedacht und künstlerisch bewußt ge¬ wollt. Romantische Ironie war demnach für Tieck vermutlich nur eine theoretische Möglichkeit für andere, sie als Kunstmittel anzuwenden, galt für ihn selber und sein Schaffen aber keines¬ wegs als künstlerische Notwendigkeit, wie im Denken Schlegels oder Solgers. Dennoch hat er in seinen Dichtungen wiederholt davon Gebrauch gemacht; allerdings nicht aus Einsicht in ein poetisches Erfordernis, sondern auf Freude am überlegenen Spiel auch mit diesem Kunstmittel. Dabei beschränkt sich Tiecks Verwendung der Ironie keines¬ wegs nur auf den immer wieder als Musterbeispiel angeführten >Gestiefelten Katen, sondern läßt sich bereits an früheren Wer¬ ken, auch der Erzählkunst, beobachten. So ist seine umfang¬ reiche Erzählung >Peter Lebrecht. Eine Geschichte ohne AbentheuerlichkeitenWilliam Lovelh (1795/96) Anteil hat, wurde von Fritz Brüggemann in seiner Leipziger Disser¬ tation 1909 herausgearbeitet13; wobei allerdings zu bedenken bleibt, daß es sich hier noch nicht um jenes Phänomen handelt, 10 11 12 13

38

A. a. O., S. 169. I. Strohschneider-Kohrs, 1960, S. 142. Schriften XIV, S. 161 ff. Die Ironie als entwicklungsgeschichtliches Moment, 1909.

das seit

Friedrich Schlegel

als Romantische Ironie gilt, inso¬

fern nämlich als wir es nur mit dem Nichternstnehmen der Gestalt Lovells und einiger Personen dieses Romans zu tun haben, jedoch nicht mit der künstlerischen Überlegenheit und dem geistigen Bewußtsein des Autors, der gerade an diesem Werk persönlich viel zu sehr engagiert war. Dagegen bekommen wir etwas von der überlegenen Ironie des Erzählers

in einigen seiner Straußfedern-Geschichten

Tieck

zu spüren, die er in seiner Frühzeit für

Friedrich Nicolais

Verlag geschrieben hat, z. B. in der dürftigen Erzählung >Die beiden merkwürdigsten Tage aus Sigismunds Lebern14 und stär¬ ker noch in >Ulrich, der EmpfindsameFermer, der genialeFermerDer NaturfreundStraußfedern< (1797) erschienen ist. Mehr satirisch ist >Die ge¬ lehrte Gesellschaft18 gehalten, während

Tiecks

Erzählung >Die

sieben Weiber des Blaubart. Eine wahre FamiliengeschichteRoman in Briefern21 zu spüren,

weil hier verspielt-komischer Einfall und geistreich-ironische Durchführung einander ergänzen. Ebenso bietet

Tiecks

kleine

Erzählung >Das jüngste Gericht. Eine VisionDer doppelte VaterDie HeyrathDie TheegesellschaftAmmenmärchen< vom >Ritter BlaubartOber ethische und religiöse Bedeutung der

neueren romantischen Poesie in Deutschland< (1847) lesen wir von „jener feinen Ironie . . ., die uns überall absichtlich heraus¬ fühlen läßt, daß der Autor an alles das, womit er so geistreich spielt, eigentlich doch selber nicht glaube.“ Wenn >Der gestiefelte KaterDie verkehrte

WeltPhantasus< dieses Lustspiel vorgelesen wurde, heißt es darüber u. a.: „. . . diese scheinbare Willkür, die Zerstörung des Scherzes selbst durch neuen Übermuth“38. Man ist sich also der Scheinhaftigkeit der künstlerischen Willkür bewußt und weiß, daß der gespielte Scherz „durch neuen Übermuth“ zerstört wird, daß demnach Schlegels

Gedanken „Selbstschöpfung und Selbstvernichtung“

hier künstlerisch verwirklicht werden. Das wird bestätigt durch Tiecks

Briefäußerung zu

Solger,

daß im Vergleich zum >Zer-

binoVerkehrte

Welt< vom Titel an eklatante Beispiele für die künstlerische An¬ wendung dieser Art Ironie. Denn hier wird nicht nur thematisch vieles auf den Kopf gestellt, sondern eben auch in der formalen Gestaltung nahezu alles anders gemacht als damals üblich war.

37 Schriften V, S. 283 ff., und KOMEDIA, Bd. 7, 1964. 38 Schriften V, S. 433 f. 39 Matenko, S. 211. 43

Dieses sogenannte „historische Schauspiel“, das weit entfernt von jeder Geschichtlichkeit ist, beginnt mit einer „Symphonie“ in Prosa und läßt danach — vor dem Spiel — einen „Epilogus“ auftreten, der sein Publikum fragt: „. . . wie hat [!] Euch unser Schauspiel gefallen?“ Konsequenterweise erscheint am Ende des ganzen Stückes der „Prologus“, der sich an seine Zuschauer wendet: „Sie werden [!] hier ein Stück sehen, . . .“ Aber es sind nicht nur diese titelgemäßen Verkehrungen, die

Tiecks

ironisch

bewußte Überlegenheit in dramentechnischen Fragen verraten, sondern auch das übertrieben verwendete Spiel im Spiel, das durch seine wiederholte Verschachtelung zu einer dreifachen Zuschauerschicht im Stück selber führt, läßt uns

Tiecks

souve¬

ränen Gebrauch von der Ironie als Kunstmittel erkennen.40 Angewandte Ironie wird weiter deutlich in der bekannten Durchbrechung der Bühnenillusion und durch die bewußt ge¬ machte Rückkehr in die dichterische Illusion, vor allem etwa im Zusammenhang mit dem Bewußtwerden des Rollenspiels. Deut¬ liche Beispiele sind dafür Äußerungen des mitspielenden Publi¬ kums, das sich über seine Zuschauerrolle wundert, seine Situation reflektiert und sich miteinander darüber unterhält.41 Ebenso exemplarisch für angewandte Ironie ist die Gestalt des Wirtes, der sich nicht nur seiner Rolle in diesem Stück bewußt ist, son¬ dern der auch die dramatische Funktion von Wirtsgestalten in anderen Literaturwerken kennt42 und weiß, daß er selber aus seinem „Charakter herausgefallen“ 43 ist. Es sind also nicht die mehr oder weniger geistreichen Anspie¬ lungen und Wortwitze oder die albernen Späße und Kalauer, die

Tiecks

>Verkehrte Welt< zu einem Dokument Romantischer

Ironie machen, sondern es sind gerade und ausschließlich die ironisch eingesetzten Kunstmittel der Bewußtmachung und der bewußten Handhabung einer „permanenten Parekbase“ (Fr.

40 Vgl. J. Voigt: Das Spiel im Spiel, 1954. 41 Schriften V, S. 313 f., 356, 372 f. 42 A. a.O., S. 319 ff. 43 A. a. O., S. 405 ff.

44

Schlegel),

einer fortlaufenden Überschreitung des Gegebenen,

einer ständigen Durchbrechung illusionärer Bühnenmittel, was diese TiECKsche Komödie zu einem markanten Beispiel ange¬ wandter Ironie macht. Deutlicher und markanter jedenfalls als im >Gestiefelten Ka¬ ten und in dem dritten großen Lustspiel dieser romantischen Frühzeit

Tiecks:

>Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten

Geschmack< (17 9 9 ) 44. Aus dem Briefwechsel des Dichters mit seinem Freund

Solger

über dieses Stück im Frühjahr 1816 geht

hervor45, daß sie sich beide über die künstlerische Unzulänglich¬ keit des „Ganzen“ einig waren, weil die Inkongruenz des Komi¬ schen und des Poetischen hier besonders zutage tritt. Die so undramatische Bilderbogenmanier dieses Spiels enthält mehr Sa¬ tire und Parodie als angewandte Ironie; denn es dominiert das literarische Bewußtsein statt der künstlerischen Gestaltungsbewußtmachung. Selbst gelegentliche Desillusionierungen oder der Ansatz, ein Stück im Stück spielen zu lassen, sowie die un¬ gewöhnlich zahlreichen Verwendungen verschiedener poetischer Formen beweisen nicht mehr, als daß hier ein verspielter Geist am Werke ist, der sich mit ausgeklügeltem Raffinement einer Vielfalt künstlerischer Spielmöglichkeiten bedient, die eine sou¬ veräne Überlegenheit in der Handhabung formaltechnischer Mittel verrät. Doch noch so gekonnt eingesetzter Formenreich¬ tum bis zur künstlerischen oder gekünstelten Formauflösung ist zwar ein Beispiel für überlegene Beherrschung poetischer Mittel, ist aber kein Beweis für die ebenso selbstschöpferische wie sich selbstvernichtende Ironie als bewußt angewandtes Kunstmittel. Das gilt mehr oder minder auch für die anderen dramatischen Werke Tiecks in seiner romantischen Schaffensperiode. Denn das Opernlibretto >Das Ungeheuer und der verzauberte WaldLeben und Tod des kleinen Roth-

44 A. a. O. X, S. 1 ff. 45 Nachgelassene Schriften II, S. 388 und 397. 46 Schriften XI, S. 145 ff.

45

käppchensLeben und Tod der heiligen GenovevaDer AutorAnti-FaustLeben und Thaten des kleinen Thomas, genannt DäumchenGestiefelten Katen und vor allem an der Wer¬ kehrten Welt< nachweisen. Darüber hinaus gibt es mancherlei „ironische“ Bemerkungen und Anspielungen, die den souverän spielenden und überlegen gestaltenden Dichter erkennen lassen, der das Mittel der Ironie hinreichend kennt und geschickt einzu¬ setzen weiß.

47 A. a. O. II, S. 327 ff. 48 A. a. O. XIII, S. 267 ff. 49 Nachgel. Schriften I, S. 127 ff. 50 Schriften V, S. 487 ff. 46

CLEMENS BRENTANO UND ACHIM VON ARNIM Zu den dichtenden Vertretern der frühen Romantik wie Friedrich Schlegel

und

Ludwig Tieck

gehören vor allem noch

Clemens Brentano

und

Achim von Arnim. Brentano

erwies

sich in dieser Frühzeit um 1800 herum als der ausgelassene und geistreich verspielte Jugendliche. Aber in seinem mutwilligen Lustspiel >Ponce de Leon< von 1801 zeigt er sich nur als fleißiger Witzemacher, der mit ermüdenden Wortspielen arbeitet und für seinen langen Fünfakter keineswegs die ironische Souveränität eines überlegenen Komödiendichters zur Verfügung hat. Da¬ gegen besitzt er als gewandter Erzähler genügend Distanz zu sich als Autor wie zum Erzählten in seinem Roman >Godwi oder das steinerne Bild der Mutter, ein verwilderter Roman von MariaU. Im Hinblick auf das Phänomen der Romantischen Iro¬ nie geht es weniger darum, daß der Erzähler hier eine bewußt desillusionierende Rolle spielt, sich durch Bemerkungen ein¬ schaltet oder sich durch sein Wissen in Erinnerung bringt, son¬ dern entscheidend ist für unsere Betrachtung, wann und wie der Autor in die Erzählung mit- und umgestaltend eingreift, warum er zur Klärung oder Verwirrung beiträgt, über sich und seine Gestalten reflektiert oder gar diese über ihn und sein Werk mitreden läßt. Angewandte Ironie als Kunstmittel, nicht als witzige oder satirische Aussage, ist der Gegenstand unserer Be¬ obachtungen. Denn entgegen der Meinung von schneider-Kohrs1 2,

in

Brentanos

Ingrid Stroh¬

>Godwi< handele es sich mehr

um die Verwendung geläufiger Stilmittel des humoristischen Ro¬ mans in der Art von

Sterne

und

such gemacht werden, die von

Jean Paul,

Brentano

soll hier der Ver¬

gebrauchten Kunst-

1 C. Brentano: Sämtliche Werke V, und A. Kerr: Godwi ..., 1898. 2 I. Strohschneider-Kohrs, 1960, S. 339 ff.

47

mittel als typisch für Wesen und Funktion der Romantischen Ironie herauszuarbeiten. Wenn bereits in der Widmung die Wendung fällt: „. . . dies Buch hat wenige meiner Tugenden, und alle meine Fehler“ 3, so ist das nicht nur persönliche Koketterie und eitle Selbstbespiege¬ lung dessen, der sich bescheiden gibt, ohne es zu sein, sondern vermutlich auch das mutige Eingeständnis dessen, der sich in der Tat seiner Grenzen bewußt ist und sich weder über seine „Tu¬ genden“ noch über seine „Fehler“ etwas Vormacht. Die Art, wie Brentano

im ersten Teil des Romans auf rund 200 Seiten eine

Reihe von Briefen darbietet, die von Tagebuchaufzeichnungen, Gedichten und Wechselreden in Versen kraus durchsetzt sind, läßt seine unbekümmerte Willkür erkennen, die kaum als künst¬ lerische Freiheit bewußter Komposition anzusprechen ist. Das entspräche allerdings dem bezeichnenden Untertitel „ein ver¬ wilderter Roman“ und fände z. T. Unterstützung durch rich Schlegels

Fried¬

Äußerungen über Wesen und Bedeutung ange¬

wandter Willkür im 37. Lyceums-Fragment und im 121. Athenäums-Fragment. Von besonderer Wichtigkeit für das Phänomen der ange¬ wandten Ironie ist nun die >Vorrede< zum zweiten Band des Romans, insofern als sich der Dichter Maria für die Verwirrun¬ gen des ersten Bandes rechtfertigt und diesbezügliche Erklärun¬ gen abgibt, ja sogar eingesteht, daß er keine „Quellen zu der weitern Fortsetzung des Buches“ habe und sich daher zu Herrn Godwi auf dessen Gut habe begeben müssen, um mit dessen „Hülfe“ überhaupt den zweiten Teil dieses Romans schreiben zu können.4 Mit anderen Worten:

Brentano

läßt seinen erfunde¬

nen Dichter Maria zu dessen erdachtem Romanhelden Godwi gehen, um aus dem verwilderten Wirrwarr des ersten Teiles herauszufinden und dann eine Fortsetzung seiner Geschichte geben zu können.

Brentano

fingiert also eine Wirklichkeit, die

momentweise als Fiktion aufgehoben zu sein scheint, weil inner3 Sämtl. Werke V, S. 4. 4 A. a. O., S. 227.

48

halb ihrer eine weitere poetische Fiktion bewußt gemacht wird. Ähnliches haben wir als Spiel im Spiel schon in

Tiecks

Ver¬

kehrter Welt< beobachten und als Kunstmittel angewandter Iro¬ nie herausarbeiten können. Wie sich die Mittel im Drama und Roman zu gleichen vermögen! Wenn auch der Charakter des verwilderten Erzählens aus dem ersten Teil im zweiten gemildert erscheint, so gibt es doch genügend Unterbrechungen und Einschaltungen ironischer Art, vor allem aber Rückverweise auf den ersten Band, so daß Brentanos

künstlerische

Spielsucht

und

überlegene

Hand¬

habung seiner epischen Kunstmittel durchgehend als angewandte Ironie zum Ausdruck kommt. Ein überzeugendes Beispiel der von

Brentano

wiederholt angewandten Ironie findet sich im

18. Kapitel5, wenn der Dichter Maria seinem von ihm erfunde¬ nen Helden Godwi den ersten Band seines Romans zur Lek¬ türe übergibt, und bald danach unterhalten sich Godwi und sein Dichter über diesen ersten Romanteil. Am berühmtesten für diese Art der Ironie ist der gemeinsame Spaziergang, bei dem Godwi seinem Dichter einen Teich zeigt mit der Bemerkung: „Dies ist der Teich, in den ich Seite 143 im ersten Bande falle“ 6 7, und im Anschluß daran besprechen die beiden — der von tano

Bren¬

erdichtete Roman-Dichter Maria und der angeblich von

Maria erdichtete Godwi — noch die Möglichkeiten eines zweiten Romanbandes, in dem sie sich ja bereits befinden! An anderer Stelle fragt Godwi seinen poetischen Schöpfer: „Und was woll¬ ten Sie Seite 151 mit den stillen Lichtern?

Mehrfach wird

auf diese Weise mit genauer Stellenangabe oder mit Anmer¬ kungen auf Personen und Ereignisse des ersten Bandes angespielt, und zwar ist es vornehmlich Godwi, der gedichtete Held, der seinem Erfinder Maria Fragen stellt oder Hinweise gibt. Bei¬ spiele genug für

Brentanos

Einsatz der Ironie als erzählerisches

Kunstmittel!

5 A. a. O., S. 306. « A. a. O., S. 310. 7 A. a. O., S. 312. 49

Als gegen Ende des Romans sich die Zufälle und Unwahr¬ scheinlichkeiten häufen und

Brentano

selber seiner Einfälle

wohl nicht mehr Herr wird, läßt er Godwi tröstend sagen: . . wir werden gleich der ganzen fatal verwickelten Geschichte los seyn.“8 Ja, als endlich die Abreise der glücklich Vereinigten stattfindet, ruft der Dichter Maria ihnen zu: „Glückliche Reise, . .

kommt um Gottes willen nicht wieder —!“9, und gleich

danach heißt es geradezu aufatmend: „Nun sind wir mit dem verzweifelten zweiten Bande fertig.“ Aber noch immer nickt genug mit der ironisch verspielten Erzählkunst

Brentanos

in diesem Roman! Denn obwohl die

Haupterzählung beendet zu sein scheint, hängt der Dichter noch eine fragmentarische Fortsetzung dieses Romans während der letzten Krankheit des Verfassers< an. Diese fiktiven Aufzeich¬ nungen stammen z. T. von dem kranken Dichter Maria selber, der manches nur „mechanisch“ niederschreibt, „um [seine] Be¬ gräbniskosten herauszubringen“. Ein anderer Teil der „frag¬ mentarischen

Fortsetzung“

dagegen

kommt

aus

der

Feder

Godwis, so daß der poetische Held eines Romans über seinen Dichter schreibt, der seinerseits eine Erfindung

Brentanos

ist.

Ja, von Godwi erfahren wir schließlich die Nachricht: sein Dich¬ ter „Maria ist heute Morgen gestorben“; mit dem Zusatz: „In der letzten Zeit las er meistens in Tiecks Schriften.“ 10 Doch ganz am Schluß

dieses höchst ungewöhnlichen

Werkes steht ein

Distichengedichtu, das >An Clemens Brentano< überschrieben ist, der übrigens zwischendurch schon einmal mit seiner dramati¬ schen Satire >Gustav Wasa< genannt und als besonderer Ver¬ trauter des Dichters Maria erwähnt wurde12! Ähnlich wie in

Tiecks

>Verkehrter Welt< wird auch hier die

Anwendung der Ironie als Kunstmittel auf die Spitze getrieben,

8 A. a. O., S. 396. 9 A. a. O., S. 397. 10 A. a. O., S. 461. 11 A. a. O., S. 476. 12 A. a. O., S. 466.

50

ja übertrieben. Aus leichtem Spiel ist im >GodwiGodwiGodwi< dem, was

Friedrich Schlegel

unter ‘roman¬

tisch’ verstand, nämlich was „einen sentimentalen Stoff in einer 51

phantastischen Form darstellt“.13 Da für

Schlegel

und manche

seiner Zeitgenossen das Romantische und das Ironische mehr oder weniger identisch gewesen zu sein scheinen, ist es wohl erlaubt, mit diesem letzten Zitat einen Hinweis oder gar einen Beitrag zur Deutung des >Godwi< als eines Beispiels angewandter Ironie zu geben. Diese Art der Ironie-Verwendung zeigt sich bei keinem der späteren Erzählwerke

Brentanos

in dem Maße wie beim frühen

>GodwiScherzhafte Abhandlung< vom

»Philister vor, in und nach der Geschichte< sind Zeitsatiren politi¬ scher und gesellschaftlicher Art, und wenn in seinen verschiede¬ nen Märchen immer wieder Geistreich-Gewolltes, Witziges und Spöttisches auftauchen, so ist das meist auch mehr Zeit- oder Literatursatire als angewandte Ironie, also mehr inhaltlich be¬ dingt und für die Aussage wichtig als für die künstlerische Ge¬ staltung. Das Spaßhafte und Parodistische zeigt sich etwa im Märchen vom »Murmeltiers wenn die Sprachreinigungsbestre¬ bungen von J. H. Voss oder der Stil seiner HoMER-Übersetzung verspottend nachgeahmt werden. Aber gerade an solchen ver¬ gleichenden

Gegenüberstellungen

von

künstlerischer

Hand¬

habung der Ironie im >GodwiDie Schicksale des Hundes BerganzaDer goldne TopfKater MurrCallots Manier< ist noch mehr als inhaltliche Aussage; denn „Manier“ ist ja die Art, wie man etwas macht, zeichnet oder malt, beschreibt oder mit dem Wort ge¬ staltet. Und nach

Hoffmanns

Worten „enthüllen Callots aus

Tier und Mensch geschaffene groteske Gestalten dem ernsten, tiefer eindringenden Beschauer alle die geheimen Andeutungen, die unter dem Schleier der Skurrilität verborgen liegen.“6 Die Doppeltheit von „Tier und Mensch“ (in dieser Reihenfolge!) bzw. die überraschende Verbindung beider Bereiche enthüllt mehr, als dem oberflächlichen Betrachter, dem in der Ironie Un¬ geübten, auf den ersten Blick wohl zugänglich ist. Dem „tiefer¬ eindringenden Betrachter“ dagegen werden „die geheimen An¬ deutungen“ offenbar, „die unter dem Schleier der Skurrilität verborgen liegen“. Er versteht also, das Gemeinte hinter dem Gesagten zu enträtseln, weiß, daß Sinn und Wort oder Zeich¬ nung und Inhalt der Zeichnung nicht übereinzustimmen brau¬ chen. Der Betrachter von Callots Zeichnungen muß dement¬ sprechend wie der Leser von

Hoffmanns

Erzählungen mehrere

Perspektiven des rein optischen Sehens und des vordergründigen Lesens wie des intellektuell Verstehenden zur Verfügung haben, um das Auseinanderklaffen wie die Übereinstimmung von SichAusschließendem zu begreifen, ja überhaupt würdigen zu kön¬ nen. Was und vor allem wie dargestellt wird, meint jedenfalls meist mehr, als sich bei flüchtiger Betrachtung anzubieten scheint. 6 A. a. O., S. 21/22. 55

Man könnte der Versuchung unterliegen, das Gesamtwerk E. T. A. Hoffmanns unter diesem Aspekt von „Callots Manier“ zu durchforschen und zu interpretieren. Auf diese Art ist mög¬ licherweise das Spezifikum der HoFFMANNschen Anwendung der Ironie zu verdeutlichen. Vergegenwärtigen wir uns wenigstens einige dieser Beispiele angewandter Ironie in

Hoffmanns

Erzählwerk. Abgesehen von

dem gebräuchlichen Mittel der Desillusionierung durch unter¬ brechende Wendungen an den Leser heißt es z. B. in der Nach¬ richt von den neusten Schicksalen des Hundes Berganza- einmal anläßlich eines Gespräches zwischen drei Leuten, wobei sich Berganza an den Verfasser und den eigenen Gesprächspartner wen¬ det: „Läßt du unsere jetzige Unterhaltung drucken, so muß das Gespräch im Gespräch gehörig eingerückt werden.“7 Und bald danach macht sich der Hund im Anschluß an ein ironisch gehal¬ tenes Sonett Gedanken über den Wert der künstlerischen Form, zu der sich Berganza ausdrücklich bekennt.8 Der Dichter läßt demnach seine tierischen ‘Helden’ über Probleme der künstle¬ rischen Gestaltung innerhalb der Erzählung reflektieren, zu der Berganza selber gehört. Im Märchen >Der goldne Topf< macht sich die Anwendung der Ironie wohl am ehesten in dem ständigen Wechsel von Phanta¬ siewelt und Bürgerwelt bemerkbar, so daß der Leser immer wieder aus dem Bereich des Märchenhaften abrupt herausgeris¬ sen und in die banale Welt der Philister versetzt wird. Was eben vom Dichter poetisch aufgebaut wurde, wird sogleich wieder bewußt zerstört. Brentanos

Fr.

Schlegels

Gedanken und

Tiecks

wie

Kunstmittel stehen hier offenbar geistig Pate. Es ist

aber nicht nur die Tatsache, daß

Hoffmann

uns dieses bewegte

Hinundher zumutet, sondern auch die Art, wie er sprachlich und gerade etwa zu Beginn einer neuen Vigilie diesen Wechsel vor¬ nimmt, was uns berechtigt, bei dieser Erzähltechnik von ange¬ wandter Ironie zu sprechen. Eben sind wir z. B. noch mit An7 A. a. O., S. 110. 8 A. a. O., S. 114/15. 56

selmus am Ende der ersten Vigilie bei den drei Schlangen und ihrer phantastischen Bild- und Klangwelt, da setzt die zweite Vigilie ein: „Der Herr ist wohl nicht recht bei Tröste!“9 Ähn¬ liche Vorgänge wiederholen sich. Beobachten wir schließlich noch den Anfang der 12. Vigilie.10 Der Dichter stellt Betrachtungen über das Schreiben seiner elf Vigilien an und über sein Unver¬ mögen, nun auch noch die zwölfte zustande zu bringen, bis er glücklicherweise einen Brief des von ihm ja erfundenen Archivarius Lindhorst erhält. Schon

Brentano

hatte im >Godwi< eine

poetische Figur an ihren dichterischen Erfinder schreiben lassen, aber wie

Hoffmann

diesen Kunstgriff anwendet, das verdient

Beachtung. Im trocknen Kanzleistil läßt der Dichter eine seiner Hauptgestalten nicht nur über eine andere wichtige Figur dieser Erzählung etwas mitteilen, sondern er läßt sie auch Klage führen wegen der möglichen schädlichen Auswirkungen dessen, was Hoffmann

über Lindhorsts Wesen gesagt hat. Aber „unerachtet

alles dessen“ will Lindhorst seinem poetischen Erfinder „in der Vollendung des Werks behilflich sein“, weil dieser ja auch „viel Gutes“ von ihm und seiner Tochter Serpentina gesagt habe. Und somit gibt er ihm schließlich einen Rat, wie er auch noch die zwölfte Vigilie zum Abschluß bringen könne. Die vom Dichter erfundene Gestalt gewinnt hier so viel geistige Selbständigkeit, daß sie nicht nur ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit ihrem Schöpfer zum Ausdruck bringen, sondern daß sie ihm sogar zur Fertigstellung seines Werkes verhelfen kann! Das Kunstmittel der angewandten Ironie ist hier also nicht zu ver¬ kennen. In welchem Maße E. T. A.

Hoffmann

immer wieder

in

seinen

verschiedensten Werken die poetische Illusion durch Bewußtmachung seiner dichterischen Reflexionen oder den Gebrauch seiner künstlerischen Erzählmittel zerstört, ist in diesem Zusam¬ menhang nicht näher zu untersuchen, obwohl dieser Stilzug sei¬ ner Erzählkunst ein wesentliches Kennzeichen angewandter Iro-

9 A. a. O. I, S. 182. 10 A. a. O. I, S. 241 f. 57

nie im Sinne einiger Romantiker ist. Ein Beispiel unter vielen ist etwa in den >Elixieren des Teufels< die Eingeschaltete Anmer¬ kung des HerausgebersNachtstückenSandmann< nach den ersten drei Briefen unter¬

bricht, sich an den Leser wendet und Betrachtungen darüber anstellt, wie er hätte beginnen können und wie er nun in der Tat begonnen habe14, daß er jetzt „getrost in der Erzählung fortfahren“ könne, „aber . . .“ erst noch etwas anderes berichten müsse. Wie weit das scherzhafte Märchen >Klein Zaches genannt ZinnoberVorwort< zur >Prinzessin Brambilla< vom September 1820 beginnt: „Das Märchen >Klein Zaches, genannt Zinnober< . . . enthält nichts weiter als die lose, lockre Ausführung einer scherzhaften Idee.“ 18 Ironie, Humor, Scherz sind die kommentierenden Begleitworte dieser Dichtung, die in der Tat mehr Witz und Satire, parodistische Züge und komische Situationen enthält als Romantische Ironie. Die wiederholte Durchbrechung der poetischen Fiktion läßt sich zwar auch hier als Mittel angewandter Ironie erkennen, ähnlich jener Technik im >Goldnen TopfVigilien< des >Goldnen Topfes< in der Tat meist etwas Wesentliches über die angekündigten Vor¬ gänge aus, so frappiert uns der Autor des >Klein Zaches< mit seinen Angaben vor jedem Kapitel in irreführender Weise, inso¬ fern als er etwas in Aussicht stellt, was für das Geschehen gar nicht von Wichtigkeit ist. So heißt es z. B. zum ersten Kapitel u. a. „Dringende Gefahr einer Pfarrersnase“ 19, während einige Seiten später nur ganz nebenbei davon die Rede ist, „daß der unartige Däumling ... den ehrwürdigen Herrn sogar in die Nase beißen wollte“ 20, was er kurz darauf wiederholt, ohne daß diese Reaktion irgendwie von Bedeutung für die beteiligten Personen

16 17 18 19 20

W. Haridi: E. T. A. Hoffmann, 1922, S. 163. A. a. O. Werke X, S. 21. A. a. O. IV, S. 109. A. a. O., S. 112. 59

ist. Oder bei der Überschrift zum dritten Kapitel lesen wir u. a.: „Candida und Jungfrauen, die nicht Fische essen dürfen“ 21. Wie¬ der wird etwas später mehr oder weniger nebensächlich erwähnt, daß der heilige Hieronymus „den Jungfrauen verbietet ... Fische zu essen“22; aber für die Geschichte selber bleibt das völlig irrelevant. Ebenso wenig spielt es im fünften Kapitel wirklich eine Rolle, wenn „ein Portier den Studenten Fabian in den Fin¬ ger biß“23. In diesem irreführenden Spiel

Hoffmanns

mit dem

Leser, in dieser Art, bewußt Spannung wecken zu wollen, ohne sie zu erfüllen, könnte man den Versuch sehen, die ironische Er¬ weckung von Neugier und Erwartung als Kunstmittel einzu¬ setzen, zumal wenn die gereizte Aufmerksamkeit nachher unbe¬ friedigt bleibt. Der Autor weiß aber, wessen und warum er sich hier dieses Mittels so täuschend bedient. Daß E. T. A.

Hoffmann

außerdem noch die Fähigkeit hat,

die Ironie als stilistisches Mittel der Aussage einzusetzen, wird u. a. im vorletzten Kapitel des >Klein Zaches« deutlich, wenn vom Tod und Begräbnis Zinnobers die Rede ist.24 Aber diese inhaltliche Version der Ironie ist ja nicht typisches Kennzeichen der Romantischen Ironie, sondern Charakteristikum der Ironie überhaupt, wie sie von vielen Autoren gebraucht wird. Doch kann man den Unterschied dieser allgemeinen, inhaltlich be¬ stimmten Ironie des vorletzten Kapitels zur angewandten Ro¬ mantischen Ironie des letzten Kapitels dieser märchenhaften Geschichte besonders klar erkennen, wenn man sich den Beson¬ derheiten des Erzählens gerade im letzten Kapitel zuwendet25: „Wehmut und Bangen“ überfallen den Dichter, der sich nun von seinem Leser trennen soll, obwohl er „Noch vieles, vieles“ über Zinnober zu berichten wüßte. Aber er fürchtet, dem Leser in den bisherigen neun Kapiteln schon zuviel an Wunderbarem und

21 A. a. O., S. 129. 22 A.a.O., S. 133. 23 A. a. O., S. 146, 151, 155. 24 A.a.O., S. 181 ff. 25 A. a. O., S. 190 ff.

60

Tollem zugemutet zu haben, worüber der Autor nun seinerseits reflektiert. Das führt ihn schließlich zu der Überlegung: Eigentlich hätte die Geschichte mit dem tragischen Tode des kleinen Zinnober schließen können. Doch ist es nicht anmutiger, wenn statt eines traurigen Leichenbegängnisses eine fröhliche Hochzeit am Ende steht? So werde denn noch kürzlich der holden Candida und des glück¬ lichen Balthasars gedacht.26

Und so geschieht es denn nun auch auf den restlichen zwei Seiten dieser phantastischen Dichtung. Dieses wiederholte Durchbrechen und Überschreiten des Erzählraumes durch den Autor entspricht der „permanenten Parekbase“ der ScHLEGELschen Ironie-Bestim¬ mung und ist bekanntlich ein Kunstmittel, das gerade E. T. A. Hoffmann

besonders gern verwendet.

Es kann natürlich nicht unsere Aufgabe sein, in diesem Zu¬ sammenhang möglichst viele oder gar alle Partien aufzuspüren, an denen sich

Hoffmann

der Romantischen Ironie als künstle¬

risches Erzählmittel bedient. Hier soll nur durch Ergänzungen darauf aufmerksam gemacht werden, daß nicht etwa nur die von I.

Strohschneider-Kohrs

als Beispiel gewählte >Prinzessin

Brambilla< am ergiebigsten für die Untersuchung der angewand¬ ten Ironie in

Hoffmanns

Werken ist, sondern daß weit darüber

hinaus dieses Mittel fruchtbare Verwendung findet. Die Erzäh¬ lungen und Zwischenberichte oder Gespräche der >Serapionsbrüder< verdienten daher ebenso unter diesem Gesichtspunkt durchforscht zu werden wie das Märchen vom >Meister Floh< und die letzten Werke des Dichters. Erinnern wir uns z. B. an eine Stelle in der phantastischen Geschichte >Die Brautwahh, wo ziem¬ lich zu Beginn des 6. Kapitels Albertine den geheimnisvollen Goldschmied fragt, „wer er denn eigentlich sei“27, und dieser u. a. antwortet:

26 A. a.O., S. 191. 27 A. a. O. VII, S. 76. 61

... ungeachtet ich midi des jungen Edmund Lehsen [eine andere wichtige Gestalt dieser Geschichte] und deiner so sorglich annehme und überall wie ein echter Deus ex machina erscheine, so werden doch viele, die mit jenen Ästhetikern gleichen Sinnes sind, mich in der Ge¬ schichte gar nicht leiden wollen, da sie an meine wirkliche Existenz nun einmal durchaus nicht glauben können!28

Eine von E. T. A.

Hoffmann

erfundene Gestalt ist sich nicht nur

ihrer epischen Funktion innerhalb ihrer Geschichte bewußt („Deus ex machina“), sondern macht sich auch Gedanken dar¬ über, daß möglicherweise Personen außerhalb der Geschichte diese Figur „nicht leiden“, ja nicht einmal an sie „glauben kön¬ nen“. Zum Schluß der Erzählung spielt der Dichter sogar den Ahnungslosen, was den Ausgang der Geschichte betrifft: „Viel¬ leicht heiratet Albertine gar den artigen Referendarius, wenn er einen guten Posten erschwungen. — Nun! man muß abwarten, was geschieht! —“ 29 E. T. A.

Hoffmann

treibt die Ironie an dieser Stelle aber noch

weiter. Im anschließenden Gespräch der Serapions-Freunde sagt Ottmar zum Erzähler: „Es ist gut, daß deine Erzählung nicht gedruckt wird, Lothar, sonst würdest du schlecht wegkommen vor dem strengen Richterstuhl der Kritik“, doch Lothar fragt dagegen, ob seine „angenehme Geschichte . . . nicht wenigstens einen Berliner Almanach zieren“30 könnte. Dazu macht der fiktive Herausgeber, und das heißt der Dichter selber, eine An¬ merkung, aus der hervorgeht, daß >Die BrautwahL in der Tat im >Berliner Taschenbuch für das Jahr 1820< erschienen sei und „daß die Redaktion jenes Taschenbuchs den Verfasser dringend bat, sich künftig doch im Gebiet der Möglichkeit zu halten“. Auf diese Weise bringt der Autor innerhalb seiner Dichtung eine doppelte Kritik an seiner eigenen Geschichte an: zunächst kriti¬ siert der Zuhörer und Gesprächspartner Ottmar Lothars allzu phantastische Erzählung, und dann läßt er noch eine Stelle

28 A. a. O., S. 77. 29 A. a. O., S. 84. 30 A. a. O., S. 84 f.

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außerhalb der Geschichte, eine fingierte Taschenbuch-Redaktion, an der inzwischen ja gedruckten >Brautwahl< Kritik üben. Dieses bewußte Spiel mit Fiktion und Scheinwirklichkeit ist ein weiterer Beweis für Hoffmanns mehrfach angewandte Ironie als episches Kunstmittel. Damit wird auch eine andere wichtige Seite der Ironie deut¬ lich: die kritische Einstellung zum eigenen Werk, wie das z. B. noch im Zusammenhang der Dinge< gut zu beobachten ist. Das dritte Kapitel31 führt uns in eine literarische Teegesellschaft ein, wo Verse aus einer Schicksalstragödie vorgelesen werden und jemand eine Geschichte „gar graulichen Inhalts“ 32 erzählt. Im Anschluß daran diskutieren die Teilnehmer darüber, wie sonst die Serapionsbrüder über die Dichtungen ihrer Mitglieder spre¬ chen.33 Hoffmann wählt hier also eine deutliche Parallele im Erzählverfahren zu den Zusammenkünften seiner SerapionsFreunde, so daß auf Grund ironischer Bewußtmachung fast eine Art Parodie auf die eigene Erfindung und Erzählweise entsteht. Auch die elfmalige leitmotivische Wiederholung der Titelworte vom „Zusammenhang der Dinge“ wirkt in dieser betonten Nach¬ drücklichkeit wie ein bewußt angewandtes Mittel der Ironie, die in E. T. A. Hoffmanns Gesamtwerk eine weit größere Rolle spielt als bei jedem anderen Dichter der Romantik. Witzig, geistreich, boshaft, komisch, humorvoll und satirisch sind außer ihm und Tieck gelegentlich auch andere Vertreter romantischen Dichtens, aber in der künstlerischen Verwendung der Ironie als Gestaltungsmittel ist E. T. A. Hoffmann wohl unerreicht. Das wird noch einmal überzeugend klar in den >Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen MakulaturblätternVorwort des HerausgebersVorrede des AutorsVorwort. Unterdrücktes des AutorsVorrede< be¬ scheiden im Ton gehalten und vom „Etudiant“ unterzeichnet war, klingt das „unterdrückte“ >Vorwort< des „Homme de lettres . . .“ allzu selbstbewußt und sicher. Wiederum eine Seite weiter findet sich noch eine Nachschrift des Herausgebers, der betroffen dazu Stellung nimmt, daß man das >VorwortNachricht . . . des Hundes Berganza< konnten wir Ähnliches beobachten. Der stete Wechsel von Murrs „Lebensansichten“ und der frag¬ mentarischen Kreisler-Biographie bekommt überdies noch eine besondere Note, wenn der Herausgeber — an den Leser ge¬ wandt — sein Bedauern darüber ausspricht, daß er von Kreis¬ lers Leben nicht hinreichend genug erfahren habe, um eine „schöne chronologische Ordnung“ in seine Darstellung zu brin¬ gen.39 Der Erfinder des Ganzen tut so, als läge es außer dem Bereich seiner Möglichkeit, eine vollständige Lebensgeschichte des Kapellmeisters zu bieten. Er macht uns also auch zwischen¬ durch die Absicht seiner künstlerischen Liktion bewußt. Oder gehört es nicht etwa zum ironischen Spiel, wenn der Dichter den Geheimen Rat in der Kreisler-Geschichte einen Artikel aus einem wirklich existierenden „musikalischen Lexikon“ von Christoph Koch

Heinrich

vorlesen läßt, das 1802 erschienen ist?40 Der

sachlich informierende Text eines Lexikon-Artikels mitten in einer ziemlich phantastischen Geschichte! Und weiter finden wir bewußt eingesetzte Ironie, wenn der Kater den zweiten Ab¬ schnitt seiner Bekenntnisse, Lebenserfahrungen des JünglingsItalienischer Reise< ver¬

wendet, die wenige Jahre zuvor erschienen war. Ebenso gehört die Erwähnung des „Hundes Berganza“ und seiner „neuesten Schicksale in einem gewissen neuen,

höchst abenteuerlichen

39 Werke IX, S. 59. 40 A. a. O., S. 94 f. 41 A. a. O., S. 102. 65

Buche“ 42 zu den ironischen Anspielungen und Bewußtmachun¬ gen des außerhalb des Romans stehenden Autors. Doch bedarf es gewiß nicht mehr der Häufung von Beispielen, um deutlich zu machen, daß E. T. A.

Hoffmann

sich auch oder

gerade in diesem kuriosen Werk des Mittels der angewandten Ironie bedient, um seinen Erzählstil zu beleben. Denn auf den ersten Blick wird uns klar, wie bewußt Murrs „Lehrmonate“ 43 eine ironische Parallele zu >Wilhelm Meisters Lehrjahren< dar¬ stellen und entsprechende Assoziationen hervorrufen sollen. Im Unterschied zu dem satirischen Vortrag Murrs über den Katzphilister44 und die dann folgende Parodie auf den studentischen Komment der Burschenschaften45 ist die „Randglosse des Her¬ ausgebers“ 46 in der Wendung an den fiktiven Autor Murr ein echt ironisches Kunstmittel; denn der angebliche Herausgeber zeiht seine eigene poetische Erfindung „einer schriftstellerischen Lüge“. Er weist dem Kater nämlich nach, daß die von Murr gebrauchten Wendungen bei der Herausforderung zum Duell Shakespeares

und

Brentano

>Wie es Euch gefällt< nachgebildet sind.47

Tieck

haben auf ähnliche Weise von der angewandten

Romantischen Ironie Gebrauch gemacht. Ein Beispiel rhetori¬ scher Ironie ist Murrs persiflierende „Trauerrede am Grabe des zu früh verblichenen Katers Muzius“ 48, so daß wir den Ein¬ druck gewinnen,

Hoffmann

habe sich auch der verschiedenen

Nuancen der Ironie auf eine durchaus künstlerische und d. h. in diesem Falle ‘romantische’ Weise bedient. Damit gewinnt E. T. A. Hoffmanns

>Kater Murr< zusammen mit

Brentanos

>Godwi
Prinzessin Bram-

Hoffmanns

billa< ist bezeichnenderweise wieder „nach Jakob Callot“ ge¬ arbeitet49 und von exempel

ihrer

Ingrid Strohschneider-Kohrs

ausführlichen

zum Haupt¬

Ironie-Untersuchungen

gewählt

worden.50 Erfindung, Technik und Notwendigkeit der hier be¬ vorzugten Erzählform und ihrer Mittel versucht Strohschneider mit allem Nachdruck nachzuweisen, wobei sie den subtilsten Be¬ obachtungen der Motivverflechtung ebenso nachgeht wie den „Erzählzusammenhängen“ oder dem „Zusammenspiel der Er¬ zählwelten“ und dem „Spiel mit der Erzählfiktion“. Der überaus gründlichen Interpretation bleibt hier nur noch ergänzend hinzu¬ zufügen, daß die wichtigsten Kunstgedanken und theoretischen Äußerungen bezeichnenderweise gerade von dem „Ciarlatano, Signor Celionati“51 vertreten werden. Ist nicht auch das bewußt angewandte Ironie, daß gerade ein „Marktschreier“52 diese wichtige Aufgabe erhalten hat? So wie Büchner

Shakespeare, Tieck

und

etwa ihren Narren die tiefsten Weisheiten anver¬

trauen oder sie die klügsten Bemerkungen machen lassen, so hat hier E. T. A.

Hoffmann

seinem „Ciarlatano“, was der Rolle

eines Schwindlers und Quacksalbers entspricht, die Chance ge¬ geben, wesentliche Gedanken über die Kunst zu äußern. Der be¬ wußte Einsatz gerade dieser Figur zum Verkündigen von Ein¬ sichten oder Bekenntnissen die Kunst betreffend kann doch wohl nur als Mittel der angewandten Romantischen Ironie gedeutet werden. Sein letztes abenteuerreiches Märchen >Meister FlohAthenäumsIdeenHerleitung des Schlegelschen IroniebegriffesEinfluß Fichtes< nach103, den er mit Nachdruck be¬ tont. Der gehaltvolle Aufsatz klingt aus mit Gedanken, die >Antithetische Geistesbildung