Die Rezeption lateinischer Wissenschaft, Spiritualität, Bildung und Dichtung aus Frankreich 9783110250602

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Die Rezeption lateinischer Wissenschaft, Spiritualität, Bildung und Dichtung aus Frankreich
 9783110250602

Table of contents :
Vorwort......Page 5
Inhaltsverzeichnis......Page 11
1 Einleitung und Überblick......Page 13
2. Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen (Ende 11. Jh. – Anfang 13. Jh.)......Page 61
3. Philosophie/Theologie......Page 151
4. Enzyklopädie......Page 173
5. Ars amandi......Page 213
6. Poetik......Page 229
7. Geistliche und weltliche Lyrik – die Rezeption lateinischer Lyrik aus Frankreich im deutschen Sprachgebiet......Page 255
8 Allegorie......Page 293
Abkürzungsverzeichnis......Page 319

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Germania Litteraria Mediaevalis Francigena (GLMF) Band I

Germania Litteraria Mediaevalis Francigena (GLMF) Handbuch der deutschen und niederländischen mittelalterlichen literarischen Sprache, Formen, Motive, Stoffe und Werke französischer Herkunft (1100–1300)

Herausgegeben von

Geert H. M. Claassens, Fritz Peter Knapp und René Pérennec

De Gruyter

Die Rezeption lateinischer Wissenschaft, Spiritualität, Bildung und Dichtung aus Frankreich GLMF I Herausgegeben von

Fritz Peter Knapp Redaktion Nils Borgmann

De Gruyter

Germania Litteraria Mediaevalis Francigena (GLMF) Gesamtplan Band I Die Rezeption lateinischer Wissenschaft, Spiritualität, Bildung und Dichtung aus Frankreich Band II Sprache und Verskunst Band III Lyrische Werke [2012] Band IV Historische und religiöse Erzählungen [2014] Band V Höfischer Roman in Vers und Prosa [2010] Band VI Kleinepik, Tierepik, Allegorie und Wissensliteratur [2012] Band VII Gesamtregister, Bibliographie, Addenda

ISBN 978-3-11-025060-2 e-ISBN 978-3-11-034914-6 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort

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Vorwort Kaum ein Buch bedarf so dringend eines Vorworts wie das vorliegende. Zum ersten mögen die Leser der zuvor erschienenen vier Bände von GLMF, die alle höhere Bandnummern tragen, längst auf die allgemeine Grundlegung gewartet haben, zum zweiten – und dies ist leider vordringlicher – kann dieser Band I einer Apologie, die weit über den üblichen Bescheidenheitstopos hinausgeht, nicht entraten. Band V, der als erster gedruckt vorlag, mußte notgedrungen etwas vom Grundsätzlichen für alle Bände vorwegnehmen, das es nun wieder aufzunehmen gilt. Ausgangspunkt der Konzeption war seinerzeit der Überblick von Joachim Bumke [1967], „Die romanisch-deutschen Literaturbeziehungen im Mittelalter“, gewesen, wo es u.a. geheißen hatte: „An dem geistigen Aufbruch Europas im 12. Jahrhundert hat Deutschland wenig schöpferischen Anteil genommen. In immer größerer Zahl zogen die jungen Kleriker nach Frankreich, zu den Quellen der neuen Bildung, um dort Theologie und Philosophie, Jurisprudenz und Naturwissenschaften, Dichtung und Baukunst zu studieren. Als der Kölner Kanoniker Alexander von Roes gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Ämter der Welt unter den europäischen Völkern verteilte, zeichnete er die Franzosen durch das studium – die überlegene Bildung – aus, während die Italiener das sacerdortium verwalten sollten und die Deutschen das regnum. Dieses Schema war freilich insofern unrealistisch, als Frankreich damals auch politisch bereits die erste Macht in Europa war. Inzwischen hatte sich der Aufschwung der volkssprachigen Dichtung vollzogen, die im 12. Jahrhundert zum erstenmal gleichwertig neben die lateinische trat. Wiederum ging Frankreich voran. Ein Jahrhundert lang stand Deutschland stärker unter seinem Einfluß als zu jeder anderen Zeit; aber in der Aneignung und Verwandlung der vom Westen kommenden Impulse hat sich die volkssprachige Dichtung auch in Deutschland zur Blütezeit der mittelalterlichen Literatur entfaltet.“ (Bumke [1967], S. 12)

Erst die Bände der Reihe „Germania Litteraria Mediaevalis Francigena“ – Band II „Sprache und Verskunst“ sowie der Registerband VII werden noch im Anschluß erscheinen – haben aus diesen vor bald fünfzig Jahren geschriebenen Worten die nötigen radikalen Konsequenzen gezogen und einen halbwegs vollständigen Überblick über die Auswirkungen dieses Einflusses (der gegen Ende des 13. Jahrhunderts wieder stark nachließ) geliefert, welchen Bumke (für das gesamte Mittelalter) erstmals auf fünfzig Seiten ganz knapp skizziert hatte.

VI

Vorwort

Grundlage Europas, genauer: Lateineuropas, ist das karolingische Reich gewesen. Die karolingische Reform und ihre Ausstrahlung schuf eine einheitliche lateinische Bildungswelt, welcher seit Anfang des 12. Jh. eine französisch-okzitanische Sprachkultur zur Seite trat. Bis zum Anfang des 14. Jh. war das Französische (in seiner anglo-normannischen Variante) auch die Sprache des herrschenden Adels in England sowie auch in Italien (mit geringem italienischem Einschlag) in literarischem Gebrauch. Auch im germanischen Teil Flanderns und Brabants war der Adel durchwegs des Französischen mächtig. In Frankreich selbst wurde südlich der Loire okzitanisch gesprochen und geschrieben, und der literarische Gebrauch dieser eigenständigen Sprache verbreitete sich auch über weite Teile Spaniens und Oberitaliens. In Oberitalien lernten vermutlich auch viele deutsche Minnesänger den okzitanischen Minnesang kennen (vgl. GLMF III). Oberitalien bildete somit einen Teil der interkulturellen Transferzone wie die ebenso zum mittelalterlichen Imperium Romanum gehörigen westlichen romanisch-germanischen Reichsteile des (ehemaligen) Königreichs Burgund und des (ehemaligen) Herzogtums Lothringen. Während die Sprachgrenze hier innerhalb der Reichsgrenze verlief, teilte sie umgekehrt auch die Grafschaft Flandern, die zum Großteil, aber nicht vollständig ein Lehen der französischen Krone war. Aus heutiger Sicht gehören die nördlichen Teile von Flandern, Hennegau und Brabant natürlich zum niederländischen Sprachgebiet. Im Hochmittelalter ist das Niederländische jedoch vom Niederdeutschen ganz wenig und vom Mitteldeutschen nicht weiter entfernt als dieses vom Oberdeutschen, so daß man mit Recht von einer gemeinsamen ‚theodisken‘ Sprache sprechen kann (f Einleitung und Überblick, Kap. 1.3; vgl. GLMF II). Die westliche kontinentale Germania (abgesehen vom literarisch bedeutungslosen Friesischen) gehört also viel enger zusammen als die westliche Romania (Französisch und Okzitanisch). Es wäre daher eine arge Verfälschung, wenn die nördliche Kontaktzone an Schelde und Maas gegenüber der mittleren und südlichen an Mosel, Rhein und Aare unterbelichtet oder ausgeblendet bliebe, obwohl sie offenkundig für den Kultur- und Literaturtransfer die größere Bedeutung besaß. Daß das Auseinanderdriften der mediävistischen Niederlandistik und Germanistik nicht nur neuzeitlichem Nationalismus entsprungen war, zeigt freilich die literarische Entwicklung im Laufe des 13. Jh. Obwohl eine Verständigung über die Sprachregionsgrenzen noch weitgehend problemlos möglich war und es auch einen gewissen literarischen Austausch gab, nahm man in Flandern und Brabant von der deutschen Literatur kaum Notiz. Der nächstliegende Grund dafür ist wohl ein dort ver-

Vorwort

VII

breitetes Gefühl der Zugehörigkeit zum französischen Kulturkreis, das trotz des zunehmenden literarischen Gebrauchs der ‚theodisken‘ Sprache erst langsam schwächer wurde (f Einleitung und Überblick). Falls diese Hypothese stimmen sollte, würde sich aus dieser Perspektive das Konzept von GLMF erst recht bewähren. Dies gilt allerdings nicht im gleichen Maße für die zeitliche Grenze von ca. 1300. Sie ist für die mnl. Literatur im Gegensatz zur mhd. Literatur kaum von Bedeutung. Während in Deutschland um diese Zeit der französische Einfluß deutlich abnimmt und zugleich die großen Gattungen der höfischen Epik und Lyrik langsam auslaufen, ist um 1300 in den Niederen Landen die Kontinuität ziemlich ungebrochen. Das Ende des Betrachtungszeitraums wirkt hier des öfteren gewaltsam und mußte daher gelegentlich auch mißachtet werden. Historisch problematisch muß natürlich auch die Zusammenfassung von Okzitanisch und Französisch im Titel der GLMF erscheinen, auch wenn manches okzitanische Literaturgut über das Französische in die angrenzende Germania gelangt ist. Kaum als Argument kann die häufige Vereinnahmung des Okzitanischen durch die neuere französische Literaturgeschichtsschreibung dienen. Mehr ins Gewicht fällt die zumindest lehensrechtliche Zugehörigkeit des größeren Teiles des okzitanischen Sprachgebiets zum mittelalterlichen Frankreich (der Rest gehörte zum Reich). Aber dann wäre wiederum das Anglonormannische ausgeschlossen. Bleiben rein praktische Gründe der Einfachheit, die schließlich den Ausschlag gegeben haben. Schon Bumke hatte, wie oben zitiert, den Literaturtransfer in die großen geistigen Strömungen eingeordnet. Bildung, Wissenschaft und Spiritualität wurden aber bis ins Spätmittelalter zuerst ausschließlich und dann ganz überwiegend lateinisch transportiert. Sollten wir diese Bereiche sowie die lateinische Dichtung deshalb aus unserem Handbuch ausschließen, weil sie sich eines allgemein zugänglichen ‚internationalen‘ Mediums bedienten? Gewiß entstand bei Übernahme eines lateinischen Textes aus dem Ausland selbst durch lokale Adaptationen in aller Regel kein neuer Text – anders als bei einer Übersetzung oder fremdsprachigen Bearbeitung. Aber ‚theodiske‘ Autoren greifen nicht selten alternierend auf lateinische und französische/okzitanische Vorlagen aus dem Westen zurück, z.B. bei der Kreuzzugslyrik oder den Antikenromanen, ohne die Bearbeitungsweise dabei markant zu ändern, so wie jene Vorlagen schon untereinander mannigfaltig verwoben sind. Und wußte man nicht überall in Lateineuropa, daß die lateinische scholastische Dialektik ebenso ein französischer Import war wie der volkssprachige Artusroman? Wir haben uns also bei der

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Vorwort

Konzeption von GLMF entschlossen, den lateinischen Bereich in einem schmaleren Band I voranzustellen, dies im vollen Bewußtsein der genannten Problematik und in Beschränkung auf ausgewählte hervorstechende Phänomene. Das Konzept von GLMF hatte als Kern die Darstellung der einzelnen Gattungen, der lyrischen Werke (Band III), der historischen und religiösen Erzählungen (IV), des Höfischen Romans in Vers und Prosa (V) sowie der Kleinepik, Tierepik, Allegorie und Wissensliteratur (VI) vorgesehen. Am Ende sollte ein Längsschnitt durch Stoffe und Motive stehen (VII). Vorweg sollte ein Blick auf die Rezeption lateinischer Wissenschaft, Bildung, Spiritualität und Dichtung aus Frankreich (I) sowie den Transfer von Sprache und Metrik (II) geworfen werden. Doch der wohl zu ehrgeizige Plan ließ sich trotz allem Entdeckungsdrang und Forschereifer während der von der DFG bewilligten Projektlaufzeit 2007–2014 nicht in allen Punkten durchführen. So wurde der entbehrlichste, Band VII, geopfert, die übrigen Bände mußten gegenüber der ursprünglichen Konzeption in teilweise erheblichem Maß revidiert werden. Auch der Zeitplan wurde in verschiedener Weise durch unglückliche Umstände, gesundheitliche Beeinträchtigungen und auch durch die Überlastung von Herausgebern und Beiträgern durch den universitären Alltag in Gefahr gebracht. Am schlimmsten traf es Band I. Es war von vornherein klar gewesen, daß er wegen der Überschreitung der Fachgrenzen selbst über alle Philologien hinaus ein Sorgenkind werden würde, so daß er trotz oder wegen seines grundlegenden Charakters von Anfang an in der Planung an das Ende des Projekts gestellt wurde. Beabsichtigt war, die Herausgeberschaft zum größeren Teil mediävistischen Philosophiehistorikern zum übertragen, die mit ihrer fächerübergreifenden Vernetzung am besten geeignet schienen, Fachleute für die mittelalterliche Geschichte der Spiritualität, Bildung und Wissenschaft(en), insbesondere der Theologie und Philosophie, für Beiträge zu gewinnen. Namhafte Vertreter der genannten Disziplin – nomina non sunt nominanda – unterschrieben nacheinander im Abstand von drei Jahren einen solchen Herausgebervertrag, jedoch ohne ihn zu erfüllen. Nur eine einzige Mitarbeiterin wurde angeworben, Frau Iolanda Ventura vom CNRS-IRHT, Centre Augustin Thierry, Université d’Orléans (deren sehr umfang- und inhaltsreicher Beitrag im thematischen Rahmen von GLMF leider nur teilweise Aufnahme finden konnte), hingegen keine weiteren dringend benötigten Beiträger (die vielleicht gerne etwas geschrieben hätten und sich jetzt übergangen fühlen mögen). Da die Herausgeber volle Freiheit haben sollten, hatte es sich von selbst verboten,

Vorwort

IX

parallel zu ihnen bei potentiellen Autoren anzufragen. Nach ihrem Rücktritt aber war die für die Artikelvergabe vorgesehene Frist ungenutzt verstrichen – bis auf den Bereich der Dichtung und Dichtungstheorie in Band I, für den von vornherein der unterzeichnete, nunmehr allein verbliebene Herausgeber verantwortlich war. Nur durch Zufall gelang es noch, in kürzester Frist den prominenten Pariser Historiker Jean-Marie Moeglin von der Sorbonne für Kapitel 2 zu gewinnen. Aber alle geplanten Beiträge zu den einzelnen Wissensgebieten der Artes, der Philosophie, dogmatischen und mystischen Theologie und eventuell noch weitere konnten nicht vergeben werden, da niemandem mehr ausreichende Bearbeitungszeit geblieben wäre. Ihr Inhalt konnte in den Kapiteln 1 und 3 vom Herausgeber nur skizziert werden. Zudem mußte die nötige gegenseitige Abstimmung von Band I und II, die parallel entstanden, aus Zeitgründen ebenso unterbleiben wie die nochmalige Überarbeitung der früher verfaßten Kapitel 5, 6 und 8 dieses Bandes. Deshalb aber auch die Kapitel 2, 4 und 7 dem Publikum vorzuenthalten wäre schwer zu rechtfertigen gewesen. Insbesondere der Beitrag von Jean-Marie Moeglin füllt eine bedeutende Forschungslücke und deutet zumindest an, wie das große geistige Panorama zu zeichnen gewesen wäre. Davon wirklich einen angemessenen Eindruck in der Totale zu vermitteln war schon von vornherein ein zu ehrgeiziges Ziel. Dazu scheint auch die Zeit noch nicht reif. So muß es beim nunmehr vorliegenden torsohaften Versuch bleiben. Liberali hospitio excipiatur! Wien, im Sommer 2013

Fritz Peter Knapp

Benutzerhinweis Kreisverweise auf andere Einzelartikel des Handbuches werden durch einen Rechtspfeil (f) vor der Nennung des andernorts nochmals und ausführlicher behandelten Gegenstandes gegeben. Befindet sich der betreffende Artikel in einem anderen Band, wird die Bandnummer in römischen Ziffern vorangestellt, z.B. „f V Tristanromane“. Steht der Artikel im gleichen Band, wird der Verweis durch die Nennung des Unterkapitels in arabischen Ziffern präzisiert, z.B. „f Poetik, Kap. 6.2“.

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Vorwort

Vorwort

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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Einleitung und Überblick von Fritz Peter Knapp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

2 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen (Ende 11. Jh. – Anfang 13. Jh.) von Jean-Marie Moeglin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Philosophie/Theologie von Fritz Peter Knapp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4 Enzyklopädie von Iolanda Ventura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5 Ars amandi von Fritz Peter Knapp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 6 Poetik von Fritz Peter Knapp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 7 Geistliche und weltliche Lyrik – die Rezeption lateinischer Lyrik aus Frankreich im deutschen Sprachgebiet von Udo Kühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 8 Allegorie von Fritz Peter Knapp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

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Vorwort

Francia und Imperium Romanum

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1 Einleitung und Überblick von Fritz Peter Knapp

Vale, dulcis patria, suavis Suevorum Suevia! Salve, dilecta Francia, philosophorum curia! Suscipe discipulum in te peregrinum; quem post dierum circulum remittes Socratinum. 1.1 Francia und Imperium Romanum – 1.2 Ein Blick in ein feindliches Land? – 1.3 Die nachbarlichen geographischen Vorstellungen von Frankreich – 1.4 Die Rolle der Lingua franca im Kulturaustausch – 1.5 Predigt und Erbauungsschrifttum – 1.6 Die Träger des Kulturtransfers – 1.7 Mönchtum und Mystik – 1.8 Umgang mit der Bibel – 1.9 Wissenschaften – 1.10 Dichtung und Dichtungstheorie

Ausnahmsweise muß der Leser gebeten werden, vor dem Einstieg in dieses erste Kapitel, dessen Unzulänglichkeit sich nicht verbergen läßt, unbedingt das Vorwort des Bandes, welches jene ein wenig zu rechtfertigen versucht, zu lesen.

1.1 Francia und Imperium Romanum Die Entwicklung der soziokulturellen Differenzen zwischen den aus dem einen Karolingerreich entstandenen Teilreichen im Laufe des Mittelalters ist in den ersten beiden Bänden der verdienstvollen „Deutsch-französischen Geschichte“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft von Rudolf Große (2005) und Jean-Marie Moeglin (2010) ausreichend dargestellt worden. Stichworte müssen und können hier genügen. Der Grundstein für die im Mittelalter vorherrschende West-Ost-Richtung des Kulturtransfers, die im Titel unseres Unternehmens, „Germania litteraria mediaevalis francigena“, hoffentlich unmißverständlich zum Ausdruck kommt, wurde wohl schon weit vor Beginn der deutsch-französischen Geschichte gelegt, nämlich durch die frühzeitige Integration Galliens in das Römische Reich seit den Zeiten Julius Caesars, wodurch die Bedingungen für ein wesentlich höheres Maß an Kulturkontinuität von

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Einleitung und Überblick

der Antike zum Mittelalter westlich als östlich des Rheins geschaffen wurden. Freilich ist auch dort die Kontinuität nicht ungebrochen und hätte wohl nicht ausgereicht, wären nicht neue Impulse in dieselbe Richtung gegeben worden, welche die eklatante kulturelle Dominanz Frankreichs gerade im 12. und 13. Jh. verursachten. Sie waren wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und religiöser, aber kaum machtpolitischer Art. Zur ersten europäischen Macht steigt Frankreich erst im 13. Jh. auf und erlebt den Höhepunkt in der Regierungszeit Ludwigs IX. des Heiligen (1226–1270). Als Wendepunkt der Machtverlagerung gilt die Schlacht von Bouvines 1214. Im 12. Jh. hatte dagegen das französische Königtum angesichts der Bedrohung durch das Angevinische Reich am Abgrund gestanden, während der Glanz des staufischen Kaisertums noch wenig getrübt schien. Aber dem erblichen sakralen Königtum (zur Salbung des Königs vgl. Große 2005, S. 54) und dem Zentralismus Frankreichs gehört schließlich die Zukunft, während im Reich die Territorialfürsten immer mehr die Vorherrschaft übernehmen. Das hat alles offenkundig keine entscheidende Bedeutung für den eklatanten Aufschwung der Bildung und Wissenschaft an den Schulen sowie der rituellen Repräsentation, Ritterschaft und Literaturförderung an den Adelshöfen des Westens im 12. Jh., die intensiv und nachhaltig auf die kontinentalgermanischen Nachbargebiete Frankreichs ausstrahlen. Nötig dafür war selbstverständlich eine ausreichende ökonomische Basis. Frankreich war im 12. Jh. dem Reich an Bevölkerungsdichte, Verstädterung, Handel und teilweise auch in der Warenproduktion voraus (Große 2005, S. 162). Auf dieser Basis etablierte sich eine relativ konsistente adelige Gesellschaftsschicht, die sich ritterlich-höfischen Idealen verpflichtet fühlte. Bedingung dafür war die enorme Aufwertung des Begriffs rittermiles-chevalier, zu welcher das von der Kirche geförderte und in den Kreuzzügen erprobte Ideal der militia Christi entscheidend beitrug (vgl. Knapp 2011, S. 226–228). Endgültig geklärt ist das Zusammenspiel zwischen Adel, Rittertum und Kirche zwar noch immer nicht (vgl. die dazu in f V Einleitung, insbes. S. 30, und bei Große 2005, S. 255f., genannte Forschungsliteratur), aber die in Frankreich ausgebildete Ritterideologie kennt von vornherein nur soziale, keine regionalen, nationalen oder sprachlichen Grenzen. Nicht wirklich einschätzen läßt sich die Bedeutung der Handelsbeziehungen für den Kulturaustausch, insbesondere der Champagne-Messen, die im 13. Jh. blühten und nicht wenige deutsche Händler nach Provins, Reims, Troyes etc. brachten, wo sie Waren aus ganz Europa erwarben und auch Niederlassungen errichteten (Moeglin 2010, S. 58–66).

Francia und Imperium Romanum

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International sind natürlich im Prinzip die klerikalen Institutionen. Die neuen Orden des 12. Jh., die Zisterzienser und die Prämonstratenser, greifen von Frankreich auf das ganze Abendland über, desgleichen die Reform der Augustiner-Chorherren. Diese spirituelle Erneuerung wirkt sich im gesamten kulturellen Klima aus, auch auf den weltlichen Bereich. An der Schwelle zu diesem steht der Weltklerus. Die Hofkapelläne sind sogar integrierender Bestandteil der höfischen Kultur. Im Schulwesen geht die Führung schon im 10./11. Jh. von den Klöstern an die Domstifte, also an Regular- und Säkularkanoniker, aber auch stiftsunabhängige Weltkleriker, über. Dabei ist das Niveau im Osten und Westen des ehemaligen Karolingerreichs vorläufig noch annähernd gleich hoch. Im Laufe des 11. Jh. verweigern sich die Domschulen im Reich jedoch zunehmend allen Neuerungen, insbesondere dann der Scholastik, und versinken in Provinzialität (vgl. Sturlese 1993, S. 184–190; Große 2005, S. 72f.). Um höhere Bildung zu erlangen, muß man im 12. Jh. nach Frankreich gehen. Und noch in der zweiten Hälfte des 13. Jh. weist der Kölner Kanoniker Alexander von Roes die Führungsrolle im studium Frankreich (Gallia) zu, was zweifellos der Realität entspricht, während die von Alexander der Theutonia zugesprochene politische Vormachtstellung, das regnum, dem Kaisertum längst streitig gemacht wurde (vgl. Moeglin 2010, S. 304). In Kap. 2 unseres Bandes weist Jean-Marie Moeglin noch auf eine wichtige soziale Differenz in der klerikalen Ausbildung in Frankreich und im Reich seit dem späten 12. Jh. hin. Während hier die Ausbildung an den Domschulen von vornherein allein auf die durch ihre Geburt zu hohen kirchlichen Würden bestimmten adeligen Sprößlinge beschränkt bleibt, haben in Frankreich die besten Absolventen berühmter städtischer Schulen die Möglichkeit, auch dann im kirchlichen (oder auch weltlichen) Bereich Karriere zu machen, wenn sie keinem mächtigen und angesehenen Geschlecht entstammen. Nur so, in einer weit offeneren Gesellschaft, fanden die großen magistri moderni auf dem ‚freien Markt‘ genügend Hörer, um von deren Schulgeld leben zu können. Das daraus entstehende Kulturgefälle bedurfte im 13. Jh. wohl schon dringend einer Beschönigung, denn es prägte sich der ‚Volksmentalität‘ ein. „Ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl ließ die Deutschen sich von dem angeblich brillanteren Nachbarn angezogen und abgestoßen fühlen“ (Moeglin 2010, S. 111). Umgekehrt empfanden die Franzosen wie einst die Griechen die fremde Sprache als geradezu barbarisch (ein Beispiel ebd., S. 285). Restlos erklärbar sind solche mentalitätsgeschichtlichen Befunde allerdings ebensowenig wie literaturgeschichtliche. Die Selbst- und Fremdeinschätzung von Gemeinschaften tragen viele irrationale Züge. Nicht

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Einleitung und Überblick

unwesentlich beruhen sie auch auf dem Ruhm einzelner herausragender Persönlichkeiten, der sich aber keineswegs notwendig einstellt. Und schon das geistige Genie ist nur sehr teilweise das Produkt eines bestimmten geistigen Klimas. In gewisser Weise ist es doch nur aus sich selbst zu erklären. Ob Frankreich aber ohne solche Genies wie Abaelardus, Chrétien de Troyes oder Bernart de Ventadorn jene Vormachtstellung hätte erreichen können, scheint fraglich.

1.2 Ein Blick in ein feindliches Land? Wie hat nun die im Norden und Osten auf dem Festland angrenzende Germania Frankreich gesehen? Welche Vorstellungen machte man sich hier zuerst einmal von der geopolitischen Lage Frankreichs und Deutschlands im 12./13. Jh.? Schon die beiden Länderbezeichnungen sind erst einmal historisch zu definieren. Orientieren können wir uns hier wiederum an den genannten Bänden der „Deutsch-französischen Geschichte“. Die Diskussion der Historiker über den Beginn einer je eigenständigen Geschichte der beiden aus dem Karolingerreich hervorgegangenen ‚Staaten‘ hält seit langer Zeit an. Es sind mit Recht mehrere Zeitpunkte oder Zeiträume ab der ersten Reichsteilung vorgeschlagen worden. Ihn später als an den Anfang des 12. Jh. zu datieren scheint aber jedenfalls kaum möglich (Große 2005, S. 125). Damit können wir uns zufrieden geben, weil hier erst unser Betrachtungszeitraum anhebt. Doch ist damit noch nichts über den Umfang dieser Länder gesagt. Erstaunlich suggestive Wirkung hat die antike Vorgabe gehabt, obwohl sie von jeher problematisch gewesen ist. „Die Trennung in die beiden Großräume Gallia und Germania ist künstlich und geht auf die von Caesar geschaffene Rheingrenze zurück“ (ebd., S. 118). Sie definiert die Lebensräume der (keltischen) Gallier und Germanen weder für das erste Jahrhundert vor Christi Geburt noch für die vorausgehenden Jahrhunderte befriedigend und erst recht nicht die der gallomanischen und ‚theodisken‘ Sprachgemeinschaften. Die Grenze des Imperium Romanum – die übliche Bezeichnung Deutsches Reich sollte nicht zuletzt wegen des erheblichen romanischen Anteils besser vermieden werden – im 12./13. Jh. verläuft dann weit westlich des Rheins, schließt Holland, Brabant, den Hennegau, Lothringen, die Freigrafschaft Burgund, Savoyen, Vienne/Dauphiné und die Provence mit ein, also einen guten Teil französischsprachigen Gebiets. Die Sprachgrenze hat weder etwas mit der antiken geographischen Einteilung noch den aktuellen politischen Grenzen zu tun. Sie trennt im Mittelalter im Norden ein

Ein Blick in ein feindliches Land?

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wenig südlicher als heute in Belgien Flamen (im weiteren Sinne) von Wallonen, knickt östlich von Lüttich nach Süden, überquert die Mosel nördlich nahe von Metz, folgt den Vogesen und teilt die Westschweiz etwa so wie noch heutzutage (vgl. Moeglin 2010, S. 195f. u. 364 [Karte s. nächste Seite]). Kein Wunder, wenn jeder zeitgenössische Betrachter diejenige Grenze herausgegriffen hat, welche ihm von seinen Quellen oder seiner politischen oder kulturellen Vorliebe nahegelegt wurde. Die Franzosen bevorzugen vielfach aus naheliegenden Gründen die antike Einteilung. Richer von Saint-Remi etwa bezeichnete im 10. Jh. die Nachbarn als transrhenenses und ihren Herrscher als rex Germanorum oder rex Germaniae et Italiae (Große 2005, S. 127). Nicht selten setzte man Gallia einfach mit Francia gleich. Die andere Seite vermied das in der Regel. Man nannte dort die französischsprachigen Bewohner des Reichs meist Gallici oder Walhische/Welsche, die Untertanen des Königs von Frankreich Franci/Francigenae oder Franzoisen (Moeglin 2010, S. 198). Die französischsprachigen Reichsbewohner besaßen so eine Art doppelte Identität, die nach beiden Seiten Annäherung und Distanzierung möglich machte, was im Konfliktfall zwischen dem Kaiser und dem ‚allerchristlichsten‘ König (eine für das Hochmittelalter anachronistische Bezeichnung, die erst König Ludwig XI. erlangte) besonders virulent werden mußte. Freilich kam es bis zum Ausgang des 13. Jh. zwischen diesen kaum zu ernsten politischen Zerwürfnissen oder gar kriegerischen Auseinandersetzungen. Die berühmte Schlacht von Bouvines 1214 schadete zwar dem militärischen Ansehen der ‚Deutschen‘ enorm, war aber primär eine dynastische Auseinandersetzung zwischen den kapetingisch-staufischen und den angevinisch-welfischen Verbündeten. Lokale Konflikte aber waren häufig und wurden mitunter von der Propaganda zu Kriegen zwischen Welschen und Deutschen aufgebauscht, so der zwischen Mömpelgard (Montbéliard) und Freiburg im Jahre 1287 im ‚Chronicon Ellenhardi‘ (um 1290–92). Da hat angeblich der Graf vom Breisgau durch seine Flucht den guten Ruf der Theutonia zerstört, Rudolf von Habsburg jedoch eingegriffen, gegen den Erzbischof von Besançon, den Grafen von Burgund und ganz Gallia siegreich gekämpft und damit die Ehre der ganzen Theutonia wiederhergestellt (Moeglin 2010, S. 212). Auf einen grundsätzlichen Antagonismus darf man daraus nicht schließen, auch wenn die Sprachgrenze nicht so leicht zu überwinden war. Zweisprachigkeit war nur Sache der sozialen und geistigen Eliten. Moeglin (2010, S. 285) hat Kommunikation und Beziehungen zwischen Franzosen und Deutschen, denen er die Niederländer ohne weiteres zuschlägt, vom 13. bis 15. Jh. genauer betrachtet und eine sehr verbreitete

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Einleitung und Überblick

Ein Blick in ein feindliches Land?

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gegenseitige Unkenntnis festgestellt. Wo die Kenntnis fehlt, blüht das Klischee. Die Franzosen galten als hochmütig und weibisch, die Deutschen als raufsüchtig und grobschlächtig (ebd., S. 293f.). Wenn Ritter beider Seiten einmal in größerer Menge zusammenkamen, gab es bald Reibereien. Das zeigte sich schon beim ersten Kreuzzug 1098 (Große 2005, S. 130). Im übrigen schätzt Moeglin (2010, S. 285f.) den mittelalterlichen Personenverkehr zwischen beiden Ländern relativ gering ein, den in Richtung Frankreich aber jedenfalls stärker als umgekehrt. Die Hohen Schulen Frankreichs, insbesondere die Universität Paris, übten allerdings eine beträchtliche Anziehungskraft auf Intellektuelle aus (f Träger und Modalitäten des Austauschs). Die Studenten erfreuten sich jedoch keiner großen Beliebtheit bei den einheimischen Bürgern, da sie Sonderrechte genossen und ihr Betragen manchen Anlaß zu Klagen gab. Im Jahre 1200 kam es beispielsweise zu einem Streit eines deutschen Studenten mit einem Herbergswirt. Der Prévot von Paris griff zugunsten des Wirtes ein. Eine Menschenmenge stürmte die Herberge, in der der Student mit weiteren Deutschen wohnte. Da es sogar Tote gab, brachten die Studenten Klage beim König vor. Philipp II. August bestrafte die Angreifer und erließ ein Privileg für die Scholaren (Ehlers 1996, S. 188; Große 2005, S. 201; Baldwin 2006, S. 14). Der heftige Unmut, den er damit erregte, artikuliert sich in einem wohl bald nach jenem Anlaß verfaßten Einschub in ein afrz. Heldenepos, ‚Les Narbonnais‘ (nicht ‚La mort Aymeri de Narbonne‘, wie bei Ehlers 1996, S. 188, Anm. 124, angegeben). Die Stelle ist so bezeichnend, daß wir sie hier in größeren Ausschnitten wiedergeben wollen, allerdings nur in Übersetzung, da es hier auf den Kunstcharakter des Textes nicht ankommt. Das Epos gehört zu den Chansons de geste des Wilhelmszyklus (f IV B Wilhelmsepen), die weder ins Mnl. noch ins Mhd. übernommen wurden. In ihm wird etwas aus der Vorgeschichte der großen Taten Guillaumes von Orange und seiner Brüder, also der Söhne Aymeris von Narbonne, erzählt. Sie kommen in ihrer Jugend nach Paris, nehmen dort im Hôtel d’Aquentin le Normand Unterkunft, wo auch der große Held Roland abzusteigen pflegt, und finden dort eine Menge Deutsche vor. Sie wollen sich gleich ihrer entledigen. „‚Wahrlich‘, sagte Hernaut, ‚da werden sie hinausgehen, denn davor wird sie nichts bewahren, da es dem Grafen Roland diente.‘ Sogleich kam er zu Pferd in die Unterkunft und fand die Deutschen beim Essen sitzen. Er grüßte sie artig und höflich: ‚Der Gott, welcher in Bethlehem von der Jungfrau auf sein Geheiß geboren wurde, grüße und behüte euch, edle, wackere Ritter! Liebe Leute seid ihr, wenn ihr euch gut aufführt. Eßt mit Freude, bei Gott dem Allmächtigen, und trinkt in geziemender

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Einleitung und Überblick Weise Wein – wer sich zuviel damit beschwert, handelt unklug –, dann aber geht und sucht euch eine andere Unterkunft, denn das da ist die meine. Zu gerechtem Lehen fordere ich es, denn es gehörte dem guten Grafen Roland.‘ Einer der Deutschen erhob sich auf der Stelle. Er hielt ein Messer, dessen Glanz groß war, und schwor bei Gott, dem wahren allmächtigen König: ‚Wenn ich es nicht allein um Gottes willen unterließe, würde ich euch jetzt damit erstechen.‘ Die Brüder hörten es und waren darüber sehr empört. Aymer spornte das trabende Pferd und sprengte bis zu dem Schlemmer, ergriff ihn vorne am Bart, zog daran und riß ihm mehr als hundert Haare heraus, so daß das Blut herauskam und herabtropfte. Dann legte er die Hand an das schneidende Schwert und schwor bei Gott, dem Vater und Heiland: ‚Wenn ihr euch nicht rasch von hier erhebt, so erschlage ich euch jetzt damit.‘ ‚Wahrlich‘, sagte Bovon, ‚töricht sind die Deutschen, die nicht ihres Weges gehen.‘ Unter den Deutschen gab es nur Schrecken, als sie sahen, wie jener am Bart gezogen wurde. Sie sprangen dort auf, in der Absicht, sich zu waffnen. Sie fielen Aymer von allen Seiten an und zerrissen ihm seinen neuen, leuchtenden Hermelinpelz. Als er das sah, war nur Wut in ihm. Wer dann gesehen hätte, wie Bovon daherschritt, Bernart, der Ältere, der Held Guillaume, König Hernaut, der tapfere Aymer und Herr Garin, der sehr Lobenswertes tat! Die Deutschen konnten ihnen nicht standhalten. Ob sie wollten oder nicht, sie mußten sich fortbegeben, eine andere Unterkunft suchen und diese aufgeben. Oft habe ich sie beim Schimpfen sagen gehört: ‚Die Übermacht weidet die Wiese ab‘. Das habe ich sagen gehört. Und die Barone ließen ohne jedes Säumen die Unterkunft reich ausstatten.“ (‚Les Narbonnais‘, V. 2350–2400)

Daraufhin veranstalten sie ein Festmahl mit zahllosen Spielleuten, so daß der Wirt erklärt, nur noch solche Gäste haben zu wollen, nicht dagegen die knausrigen Deutschen. Allerdings fürchte er sich vor deren Rückkehr. Doch Bovon, einer der Söhne Aymeris, beruhigt ihn. Er brauche keine Angst zu haben. Dann blendet der Erzähler auf den Hof Karls des Großen über: „Doch lassen wir die Narbonneser dort bleiben. Wir müssen euch wieder von den Deutschen erzählen, die sich bei Karl beschweren gingen. Allesamt verletzt, stiegen sie in den Palas hinauf. Einer begann für alle zu sprechen. ‚Herr Kaiser, hört uns an! Ihr habt uns an euren Hof gerufen. Wir glaubten, wir hätten sicheres Geleit beim Kommen und Gehen. Aber uns haben sechs wilde Vasallen, alles junge Ritter, mißhandelt, uns aus unserer Herberge herausgeworfen und so geschlagen, wie ihr sehen könnt.‘ Der König vernahm es und war nichts als wütend. Voll Unmut unternahm er es, sie zu befragen: ‚Kennt ihr sie? Könnt ihr sie benennen?‘ ‚Nein, wahrlich, Herr. Es sind sechs junge Ritter, wild und stolz, mit angriffslustigen Reden. Sie ähneln einander stark beim Kommen und Gehen. Sie haben denselben Vater, das kann man für sicher halten. Es könnten einander Männer nicht so gleichen, wenn sie nicht zweifellos von einem Manne abstammten. Von unserem Essen ließen sie uns aufstehen, so daß wir es nicht wagten, Widerspruch einzulegen. Völlig gegen unseren Willen mußten wir fortgehen, und sie ließen es uns teuer bezahlen. Wir wissen nicht, bei wem wir uns anderswo beschweren sollten, als bei euch, Herr, der ihr uns schützen müßt. Schafft uns Recht, wahrer, erhabener Kaiser!‘ Karl schwor es beim wahren Leib der heiligen Audomar und Dionysius, denen er Verehrung schuldete, sie würden sich auf nichts so Erhabenes berufen können, daß er sie nicht höchlich dafür büßen und teuer mit ihrem Leib dafür bezahlen ließe. Da mag der König seinen Eid schwören und

Ein Blick in ein feindliches Land?

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seine Stimme hoch erheben. Doch wenn er die sechs Brüder sprechen und ihr Geschlecht erwähnen und nennen hören wird, wird er all seine Gedanken und seine Gesinnung ändern müssen.“ (ebd., V. 2464–2502)

So geschieht es denn auch. Karl ist wütend und schickt nach einer Beratung drei Vasallen aus, die Übeltäter an seinen Hof zu entbieten. „Während alle drei dorthin ritten, war der reiche Bürger, der die Narbonneser beherbergt hatte, vor seinem Haus und überwachte die Straße. Da erblickte er einen Deutschen, einen von seinen alten Gästen, die er früher gehabt hatte, nahm eine Streitaxt aus dem Land der Dänen, stürzte sich auf ihn, schlug ihn sofort nieder und trennte ihm den Kopf ab. Dieser fiel ganz still um (V. 2560). ‚Wirt‘, sagte Bovon, ‚der wird monatelang keinen Durst mehr haben! Wegen dieses Übergriffs wird uns, beim heiligen Audomar von Blois, der König gut und gerne zur Rechenschaft ziehen.‘ ‚Herr‘, sagte der Wirt, ‚bei Gott, der die Gesetze schuf, regt euch wegen des Geldes nicht auf. Noch habe ich einen Sextar cenomanensischer Münzen. Davon könntet ihr alles nehmen nach eurer Wahl. Soviel werden wir davon am Hofe dem Franzosen geben, daß wir von dem Deutschen guten Frieden haben werden. Wenn ich ihn getötet habe, so hat er mir zuvor Übles getan (V. 2570). Viele Male nannte er mich ‚überführter Hahnrei‘ (?) und tötete mir im Übermut einen jungen Bären (?). Ich hätte ihn nicht für hundert Orléaner Sous (als Gast) gewollt. Hier drinnen hat er mich oft in Wut gebracht.‘ ‚Wirt‘, sagte Bovon, ‚gut wurde das Recht wahrgenommen. Dieser ist zu seinem Unglück aus seinem Land umgezogen!‘“ (ebd., V. 2552–2575)

Die Boten sehen auf ihrem Ritt den Toten und erwarten, daß Karl das bitter bestrafen wird. Sie kommen in die Herberge, und der Abt von SaintDenis, den Karl auch gesandt hat, trifft ebenfalls ein. Als er aber erfährt, daß die Ritter die Söhne von Aymeri und Hermanjart sind, umarmt er seine Cousins. Er geht mit ihnen an den Hof, preist die Verdienste ihres Vaters, kündigt große künftige Taten ihrer Tapferkeit an und bietet dem König tausend Mark aus dem Schatz von Saint-Denis. Karl weist die Bestechung zurück und verweist auf seine Pflicht zur Gerechtigkeit. Der Abt schiebt die Schuld auf den Widerstand der Deutschen im ostel Rollant. Sie hätten die Brüder, die von Aymeri und Hermanjart zum Königsdienst nach Paris gesandt worden waren, angreifen wollen. Für den toten Deutschen verspricht er ein schönes Begräbnis. Karl gibt ihnen ihres Vaters Aymeri wegen Pardon. Die Brüder kleiden sich in der Unterkunft noch prächtiger, machen dem Kaiser eine neuerliche Aufwartung und bieten ihre absolute Loyalität an, nachdem Karl zuvor noch lange geschwiegen hatte. Schließlich gelangen sie zu hohen Ehren. Der Jongleur ergreift hier literarisch raffiniert Partei. Diese Chanson de geste war zum Vortrag sicher nicht nur vor Landadeligen, sondern auch vor städtischen Reichen und Großen, vielleicht sogar auf Märkten und Plätzen bestimmt. Die Szene aus der realen hochmittelalterlichen Gegen-

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Einleitung und Überblick

wart wird in die Zeit Karls des Großen verlegt. Es geht nicht um Studenten, sondern um deutsche Reisende eines nicht näher bestimmten Standes. Sie erregen offenbar nur Anstoß, weil sie Ausländer sind und sich anmaßen, im ostel Rollant zu nächtigen und zu speisen. Ihnen werden Guillaume und seine Brüder, französische Volkshelden, gegenübergestellt. Unter deren Schutz fühlt sich selbst der Herbergswirt stark genug, einen deutschen Gast kurzerhand umzubringen, was einer der Brüder mit einem brutalen Witz quittiert. Karl will zuerst überparteiliche Gerechtigkeit üben, politische, militärische und verwandtschaftliche Räson bringen ihn aber rasch zum Umdenken. Wer für Frankreich siegreich kämpft, hat immer recht. Das ist die Botschaft des Textes. Dabei weiß der Jongleur recht gut, daß Charlemagne kein ‚purer‘ Franzose ist, denn er sagt, Karl habe bei der Begegnung mit den Söhnen Aymeris lange geschwiegen und „weder deutsch noch romanisch gesprochen“ (‚Les Narbonnais‘, V. 2794: Que il ne dist ne tyois ne romant ). Die deutschen Studenten von 1200 konnten sich dagegen lateinisch verständigen, selbst mit dem König, schwerlich aber mit dem Herbergswirt. Sie mußten also Französisch lernen. Trotzdem erkannte man sie wohl gleich an der Sprache, die im Laufe des Mittelalters immer mehr zum wichtigsten Unterscheidungsmerkmal wurde, bis sie schließlich im 15. Jh. zur Bestimmung der Nationalität ausreichte.

1.3 Die nachbarlichen geographischen Vorstellungen von Frankreich Im ganzen Mittelalter und weit darüber hinaus begriff sich jede/r aber zuerst einmal als Angehörige/r einer kleinen Einheit, einer Dorf- oder Stadtgemeinschaft und einer Landsmannschaft. Wollte ein Schriftsteller einmal sich oder sein Publikum über größere Zusammenhänge, insbesondere das Ausland informieren, hatte er es nicht eben leicht. Zur ersten Information über Frankreich griff der damalige deutsche Schriftkundige wohl zur ‚Imago mundi‘ von Honorius Augustodunensis aus der ersten Hälfte des 12. Jh. Ob die darin enthaltene Erdbeschreibung aus der Sicht vom Osten aus geschrieben ist, bleibt so lange ungewiß, als sich die Verbindung des Autors mit Regensburg nicht wirklich sichern läßt. Sie ist aber ohnehin zuerst einmal der antiken Topographie, wie sie v.a. von Isidor von Sevilla dem Mittelalter übermittelt wurde, verpflichtet, die von der Trennung von Gallia und Germania durch den Rhein ausgeht. Honorius schreibt (in Übersetzung):

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„Gallia wird nach der weißen Haut der Bewohner so genannt, denn griechisch gala heißt Milch. Der Rhein entspringt in den Alpen, wendet sich gegen Norden und wird vom Bogen des Ozeans aufgenommen. Vom Fluß Rhein weg beginnt Gallia Belgica, benannt nach der Stadt Belgis. Diese (sic!) entspringt am Mons Iovis und mündet gegen Norden in den britannischen Ozean. Sie heißt auch Francia, benannt nach dem König Francus, der aus Troja mit Aeneas kam, Troja am Rhein [= Xanten] gründete und dem Land den Namen Francia gab. Im Westen grenzt daran Gallia Lugdunensis, das auch Gallia Comata wegen der langen Haare (comae) und auch Gallia Togata wegen der langen Gewänder genannt wird. Im Osten davon ist Gallia Narbonensis, benannt nach der Stadt Narbona, im Westen Aquitania, genannt nach den Gewässern Rhodanus und Liger.“ (Honorius Augustodunensis, ‚Imago mundi‘ I, 26–27)

Hier ist gegenüber Isidors ‚Etymologien‘ XIV,4,25–27 schon einiges in Unordnung geraten. Den Verlauf des Rheins beschreibt er zweimal, läßt aber die Unterscheidung von Gallia cisalpina und Galla transalpina weg. Das hat dann Rudolf von Ems verwirrt, der Honorius als Vorlage in seiner ‚Weltchronik‘ (um 1250/54) benützt: „Die anderen welschen Reiche nennt die Schrift allesamt mit Namen Gallia, obwohl sie sich doch hier und da weithin in viele Länder teilt. Die Schrift macht die Grenzen und Lage ihrer Länder bekannt. […] Die Gesamtbezeichnung Gallia teilt sich in drei Bezeichnungen. Ein Teil davon heißt Gallia Belgica. Diese beginnt beim Mont Job und geht vom Gebirge dann herab nach Norden, bis der Rhein sie mit seinem Lauf abschneidet und die Grenzlinie des Landes bildet, das Britannien zunächst liegt. In diesem Teil liegen die Länder, deren drei Namen Burgundia, Lothringen und das Land zu Kärlingen heißen, dazu all die Gegenden und Länder dazwischen, deren Namen bekannt sind mit besonderen Namen in vielen Ländern. Das Grenzziel des zweiten Teiles ist Gallia Lugdunensis, deren Beginn das apenninische Gebirge da so gesetzt hat, daß sie von dem Gebirge die Rhône (Rotten) hinab nach Lyon (Lugdun) reicht. Dem dritten Teil hat Narbonne (Naribun) Ziel und Anfang markiert und seinen Namen beigelegt, so daß man den Teil Gallia Narbonnensis nennt, die bis Aquitania geht, wo der Landesname endet.“ (Rudolf von Ems, ‚Weltchronik‘, V. 2630–2671)

Wiederum ist eine – hier nicht zu besprechende – Menge Unklarheiten und Notformulierungen unterlaufen, sowohl dem Autor als auch dem Schreiber. Auch die Ausgabe von Ehrismann (1915) ist unzureichend. Die Gallia Belgica läßt Rudolf wie Honorius schon beim Ursprung des Rheins unter dem Großen Sankt Bernhard (genannt Mons Jovis) beginnen, die Gallia Lugdunensis schon am Apennin. Man gewinnt überhaupt kaum den Eindruck, als ob er wüßte, wo die einzelnen Orte und Gegenden tatsächlich liegen. Dies verwundert umso mehr, als er im ‚Wilhelm von Orlens‘ (f IV A Einleitung) die Länder Anjou, Brabant, Burgund, Champagne, Flandern, Gascogne, Hennegau, Haspengau, Kärlingen/France, Lothringen, Normandie, Provence, Vermandois und etliche französische Einzelorte nennt. Immerhin setzt er auch in der ‚Weltchro-

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Einleitung und Überblick

nik‘ zu den wirren Übernahmen aus der ‚Imago mundi‘ von sich aus die Ländernamen Burgund, Lothringen und das Zentralgebiet Kärlingen (Francia) hinzu. Da zeigt sich Jacob van Maerlant um 1260 doch ganz anders informiert, obwohl auch bei ihm manches befremdet. Doch dürften in diesem Fall zumeist die Schreiber schuld daran sein. In der fiktiven Abbildung der Erde auf einem Grabmal nimmt die Beschreibung Galliens 57 Verse ein (Jacob van Maerlant, ‚Alexanders geesten‘ VII,1542–99) und kann daher hier nicht zur Gänze wiedergegeben werden. Zu Anfang folgt Maerlant ziemlich genau Honorius (ohne die Namensetymologie von Gallia). Nach der Etymologie der neueren Bezeichnung des Landes, Frankreich (Vrancrike nach Vranc/Francus), zählt Maerlant die nördlichen Provinzen auf: Lothringen, Elsaß, Ardennen, Tiraten (nach Franck 1882 verderbt aus Cameraten, Region von Cambray, oder Tornaten, Region von Tournai; vielleicht ist aber die Picardie gemeint), Hennegau, Brabant, Haspengau, Flandern, Vermendois, Normandie, Champagne, Artois und das rechte Vranken. Bis Cracaengen (= Bartaengen = Britannien) reiche dieses Gallien, welches das wohlbekleidete Gallien (wel gheclede Gallen) heiße. Das ist offenbar eine Verwechslung von Gallia Togata und Gallia Belgica bei Honorius. Die Gallia Lugdunensis erhält bei Maerlant den anderen Beinamen, den Honorius dafür nennt, Gallia Comata, gehaerde Gallia. Als deren Länder, die sich vom Westen bis zur Rhône ausbreiten, nennt Maerlant Bretagne, Berry, Auvergne, Limousin, Burgund, Recordane (Périgord?). Das dritte Gallien, zwischen dem Gebirge und der Rhône gelegen, heiße das gebaerde Gallen (= Gallia Barbata, verballhornt aus Gallia Braccata?). Darin liegen Narbonne, Marseille, Toulon, Arles (?), Montpellier und die Provence. Maerlant kennt auch Aquitanien, aber nicht den antiken Umfang dieser Provinz. Er teilt ihr nicht nur Poitou, sondern auch Anjou zu. Dafür spricht er ihr die oben schon genannten Länder Berry, Auvergne, Limousin fälschlich ab. Von der Gascogne weiß er gar nichts. Man sieht, der flämische Dichter kennt sich im Norden und Osten Frankreichs recht gut aus. Nach Südwesten nehmen die Kenntnisse sukzessive ab. In diesem Frankreichbild mischt sich offenbar viel selbst Gehörtes (und Gesehenes?) in das gelehrte Wissen. Daß er relativ viel über den Südosten zu sagen weiß, könnte mit der Zugehörigkeit des Regnum Arelatense zum Reich zusammenhängen. Doch dagegen spricht, daß er das Römische Reich und die Reichsgrenze gar nicht nennt, sondern die historisch unzutreffende Gleichsetzung des antiken Gallien (bzw. nur der Gallia Belgica) mit dem Reich der Franken und weiterhin mit Frankreich durch Honorius einfach übernimmt.

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Welchen Grund könnte der aus Flandern (einem Lehen der französischen Krone) gebürtige Dichter, der die ‚Alexanders geesten‘ in der dem Reich lehenspflichtigen Grafschaft Holland verfaßte (f IV A Alexanderromane, Kap. 2.5), dafür gehabt haben? Maerlants Sprache ist nach eigener Angabe duutsc/duuts (< diudisk < theudisk), die gemeinsame, wenngleich dialektal differenzierte, kontinentalwestgermanische Sprache der Niederländer und Deutschen im Mittelalter, die ich hier nach einem Vorschlag von De Grauwe (2003) ‚theodisk‘ nennen möchte (stets in Anführungszeichen, da sich die Bezeichnung noch nicht eingebürgert hat – vgl. dazu GLMF II, insbes. Kap. 1). Aber dem französischen Kulturkreis scheint er sich mindestens ebenso wie dieser ‚theodisken‘ Sprachgemeinschaft zugehörig gefühlt zu haben, da er diese in seiner Länderbeschreibung gar nicht thematisiert. Ist für ihn Frankreich zuerst und immer noch das Land der Franken, das in seinem Geschichtsbild nach Francus, einem Anführer der in Griechenland gefangenen und dann (nach Errichtung des Römischen Reiches durch einen Nachkommen des Trojaners Aeneas) ausgewanderten Trojaner, benannt ist? In seiner ‚Historie van Troyen‘ schreibt er liebevoll über ihn: Daer was Vranc af hoeftman. „Ihr Anführer war Vranc. In Vrancryc was hy, die wan Er war in Frankreich, der Yerstwerve coren ende wyn erstmals Korn und Wein pflanzte Op die edel ryvier den Ryn; an dem edlen Ufer des Rheins. Noch heitet lant na synen naem. Nach ihm trägt das Land den Namen.“ (Jacob van Maerlant, ‚Historie van Troyen‘, Ausg. Verdam, V. 11067–72)

Läßt sich dieses Zugehörigkeitsgefühl auf andere flämische und brabantische Autoren übertragen? Lassen sich so deren Reserviertheit gegenüber der mhd. Literatur und die Offenheit gegenüber der französischen erklären? Der Brabanter Jan van Boendale kennt zwar auch nur die eine dietsche (= duutsche), also ‚theodiske‘ Sprache, nennt aber Maerlant in ‚Der leken spieghel‘ (von 1325/33) III,15,119f. vader der dietsche dichteren algader, also „Vater aller theodisken Dichter zusammengenommen“, so als wüßte er von Wolfram, Gottfried oder Walther nichts. Genau dazu paßt der Befund, daß das Mittelniederländische gegenüber dem sprachlichen Einfluß des Altfranzösischen offener ist als das Mittelhochdeutsche (vgl. GLMF II) und die mittelniederländischen Bearbeitungen sich an ihre altfranzösischen Vorbilder in der Regel viel enger anlehnen (vgl. GLMF IV u. V). – Schließlich soll auch noch ein Blick auf eine Quelle geworfen werden, woraus ein ganz spezielles Publikum geographisches Wissen schöpfen konnte. Der 1214 bei Bouvines schwer geschlagene, auf die marginale Machtbasis zwischen Harz und Heide zurückgedrängte römische Kaiser

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Otto IV. erhielt 1215 das Widmungsexemplar der ‚Otia imperialia‘ seines arelatischen Reichsmarschalls Gervasius von Tilbury, die allerdings schon in den 1180er Jahren am englischen Königshof begonnen wurden. Dort weilte damals dieser englische Adelige, dort wuchs zur selben Zeit Otto (geb. 1175/76, gest. 1218), der Sohn Herzog Heinrichs des Löwen, auf und genoß eine westeuropäische Bildung. Gervasius erwarb dann in Bologna den Magistertitel des kanonischen Rechts und lebte anschließend überwiegend im Königreich Burgund/Arelat und damit im Reich. Aufgrund der bezeugten Lebensstationen muß Gervasius französischsprachig aufgewachsen und später außer Latein auch die okzitanische und die italienische Sprache (in einer Dialektvariante) gelernt haben. Daß er Zugang zum Deutschen besaß, ist höchst unwahrscheinlich. Er konnte auf Ottos Lateinkenntnisse vertrauen und wollte zudem mit seiner geographischhistorisch-naturkundlichen Enzyklopädie ein internationales Publikum erreichen. Die darin enthaltenen geographischen Angaben, die offenbar die Hauptgrundlage für die berühmte Ebsdorfer Weltkarte (vgl. Baumgärtner/Kugler [Hgg.] 2008) bildeten, sind um vieles genauer als die oben genannten, wenngleich keineswegs fehlerlos, und können trotz unserer Beschränkung auf den Ausschnitt Frankreich (Gervasius von Tilbury, ‚Otia imperialia‘ II,10, Ausg. Banks/Binns, S. 284–302) hier nur ganz grob resümiert werden. Die teilweise von Isidor übernommenen etymologischen Angaben übergehe ich. Wie auch sonst ist der Ausgangspunkt Gallien in den bekannten Grenzen von Alpen, Rhein, Ärmelkanal und Atlantik. Im Inneren unterscheidet Gervasius nicht ohne beträchtliche Widersprüche Celtiberia (Aquitannia, Guasconia), Gallia Germanica (Alemania, Thoringia!) und Gallia Belgica, die angeblich sowohl an Burgund (an der Saône) als auch im Osten an den Rhein, im Südosten an den Apennin (!), im Norden an Britannien und im Süden an die Gallia Narbonensis grenzt. Schließlich kennt Gervasius auch noch die Gleichungen Gallia Togata = Longobardia, Gallia Comata = Burgundia et Francia, Gallia Braccata = Teuthonia. Auch Gervasius spricht also einmal nur von der Gallia transalpina und bezieht ein anderes Mal auch die Gallia cisalpina mit ein, ohne dies klar zu machen. Besondere Schwierigkeiten hat er bei der Germania. Im nächsten Anlauf zählt er – keineswegs korrekt – die Provinzen der Gallia Belgica (Normandie, Boulogne, Flandern, Anjou, Touraine, Berry, Bretagne, in der Mitte Francia) auf. Erst in beträchtlichem Abstand nennt er zum ersten Mal ganz zutreffend und im Widerspruch zu dem bisher Gesagten die Gallia Lugdunensis: „Diese breitet sich in einem langen, engen Halbrund um die Provinz Aquitanien aus und hat im Osten die Gallia Belgica, im Süden die provincia Narbonensis, welche

Die Rolle der Lingua franca im Kulturaustausch

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Subalpina heißt und vom Mittelmeer und der Rhône begrenzt wird“ (ebd., S. 292). Dann fügt er noch die östliche Begrenzung durch die Alpen hinzu. Hier, in der Provence, seinem eigenen Lebensraum, kennt sich der Autor am besten aus, wie die minutiöse Beschreibung zeigt. Aber auch die Lage von Aquitanien wird schließlich ungefähr zutreffend beschrieben. Dann folgt noch eine Aufzählung aller Bischofsstädte innerhalb der Erzbistümer Lyon, Reims, Sens, Tours, Rouen, Bourges, Bordeaux, Narbonne, Auch, Besançon, Vienne, Tarantaise, Embrun, Aix, Arles. Diese Erzbistümer werden jeweils den drei Teilen Galliens, Francia, Burgundia und Guasconia, zugeteilt. Während das Reichsgebiet östlich von Rhône und Saône ganz präsent ist, verschwimmt am Rhein das Bild merklich. Auch bei der vorangehenden Beschreibung Germaniens (Gervasius von Tilbury, ‚Otia imperialia‘ II,7) ist nur traditionell und ziemlich vage von Sueuia und Alemania die Rede; dann wendet sich der Blick weiter nach Osten. Von Elsaß, Lothringen, Rheinland, Maasland, Brabant, Holland, Friesland ist in diesem Zusammenhang gar keine Rede. Ebenfalls gar keine Angaben macht Gervasius zur Reichsgrenze. Bessere Informationen konnten trotzdem auch gebildete Kreise Lateineuropas damals kaum bekommen. Ausreichend zur Erfassung der Wirklichkeit waren auch sie nicht. Wie im ganzen Buch mischen sich Wissen und Pseudo-Wissen. Auch Klischees werden transportiert. Nach Isidor leitet auch Gervasius die Völkermentalitäten vom Klima ab. Die Römer seien seriös, die Griechen leichtfertig, die Afrikaner verschlagen, die Gallier wild, die Engländer intelligenter, die Deutschen kräftiger (Gervasius von Tilbury, ‚Otia imperialia‘ II,10, Ausg. Banks/Binns, S. 286).

1.4 Die Rolle der Lingua franca im Kulturaustausch Die römisch-katholische Kirche hat einen einheitlichen lateinischsprachigen Bildungs- und Kulturraum geschaffen. Der in diesem Raum, dem sogenannten Lateineuropa, entstandenen lateinischen Literatur ist somit in erster Linie eine globale Sicht angemessen. Die Sequenzen Adams von St. Victor oder die ‚Alexandreis‘ Walters von Châtillon, lat. Werke aus Frankreich, las man überall, wo Latein verstanden wurde. Was könnte uns also berechtigen, den Einfluß solcher Werke auf das literarische Leben im ‚theodisken‘ Sprachraum dem Einfluß französischsprachiger Werke an die Seite zu stellen? Doch umgekehrt: Was berechtigt uns anzunehmen, daß jene genannten lat. Werke im 12. Jh. so ohne weiteres anderswo als in Frankreich hätten geschaffen werden können und daß sie im Ausland ein-

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fach wie einheimische Produkte empfunden wurden? Gewiß erfolgte der literarische Austausch zuerst einmal innerhalb derselben und verwandter Institutionen, also bei den lat. Texten innerhalb der Kirche und der Orden. Die Sequenzen Adams von St. Victor werden durch die Augustiner-Chorherren in Europa verbreitet, die ‚Alexandreis‘ Walters von Châtillon durch die Lateinschulen der Stifte und Klöster. Dasselbe konnte den Liedern Bernarts de Ventadorn oder den Romanen Chrétiens de Troyes nicht passieren. Dennoch wird bei Walter von Châtillon „Alexanders Zug von Reims aus gesehen“ (Glock 2000, S. 286), und es gibt in dem Werk noch eine ganze Menge weiterer speziell französischer ‚Zutaten‘, die es sogar möglich erscheinen ließen, den Text in Band IV des GLMF-Handbuches (f IV A Alexanderromane, Kap. 2.4) zu behandeln. So wie die grundsätzlich überall gleiche römische Liturgie in jeder Diözese ihre besondere Note erhielt, so prägten sich auch Lyrik und Epik sowie Spiritualität und Wissenschaft in den verschiedenen Regionen in verschiedener Menge und Eigenart aus. Der Austausch von Personen und Handschriften zwischen den Klöstern, Stiften und Höfen (f Träger und Modalitäten des Austauschs) machte das literarische Gut zwar vielerorts verfügbar, aber deshalb nicht ubiquitär und einfach austauschbar. Man wußte meist von der Herkunft der Importe. An der Sprache war sie zwar selten festzumachen. Gallizismen oder Germanismen sind nur in lat. Gebrauchsliteratur häufig. Ein deutsches oder französisches Mittellatein gibt es nicht. Aber es gibt andere Textsignale, Bezüge auf lokale kirchliche, liturgische, soziokulturelle, politische etc. Gegebenheiten, die Anlaß gaben, die mittellateinische Literatur einzelner Regionen, Deutschlands (Langosch 1964a), Englands (Rigg 1992), Böhmens (Nechutova 2007) etc., eigens, unter Umständen in Verbindung mit der volkssprachlichen Literatur derselben Region (z.B. Knapp, LG), darzustellen. Solche Textsignale sind aber natürlich ein ungleich geringeres Rezeptionshindernis als eine fremde Sprache. Man konnte sie, verstanden oder nicht, einfach belassen, ebensogut auch verändern, ersetzen oder tilgen. Ein neuer Text entstand dadurch nicht. Ganz anders bei einer Übersetzung oder fremdsprachigen Bearbeitung. Eine Beschränkung auf diese Phänomene bei einem Unternehmen wie dem vorliegenden ließe sich also durchaus vertreten. Die lateinische und volkssprachige Literatur derselben Region sind aber in der Regel weit enger verflochten, als die nationalphilologische Literaturgeschichtsschreibung ahnen läßt. In Frankreich greifen etwa lateinische, okzitanische und altfranzösische Kreuzzugslyrik, Pastourelle, Troja- und Alexanderepik eng ineinander, und es ist infolgedessen gar nicht immer auszumachen, was davon jeweils im einzelnen auf

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das Ausland gewirkt hat. Aber auch wo man in Deutschland etwa auf die chronikalische Überlieferung von König Artus zurückgreift, wird keineswegs immer klar, wo Geoffrey von Monmouth oder Maître Wace dahinterstehen. Im Grunde gilt aber das Gesagte für alle die großen geistigen Strömungen, die von Westen nach Osten übergreifen: Humanismus, Scholastik, Mystik, amour courtois und andere, auch wenn dabei der Anteil der beiden Sprachen jeweils durchaus verschieden ist. Schließlich darf man sich die Trennung des Lateinischen vom Französischen im Mittelalter nicht als absolut vorstellen, weder was die Sprachen selbst noch was ihre Verwendung in den französischen Studieninstituten betrifft. Zwar gibt es, wie gesagt, kein geschriebenes französisches Mittellatein, doch im gesprochenen Latein einen französischen Akzent und Gallizismen im Ausdruck. Vor allem sprachen französische Scholaren außerhalb des Unterrichts miteinander natürlich in ihrer Muttersprache. Wollten Ausländer sich da nicht ausgeschlossen fühlen, taten sie gut daran, diese auch zu lernen. Sie benötigten sie ohnehin in der Kommunikation mit dem ‚Volk‘. Wenige ‚theodiske‘ Studenten werden da ohne Französischkenntnisse nach Hause gekommen sein. Eindeutige Zeugnisse sind allerdings rar. Jean-Marie Moeglin (f Träger und Modalitäten des Austauschs, Kap. 2.3) verweist immerhin auf zwei Stellen in Chroniken, einmal bei Arnold von Lübeck, der behauptet, die von ihren Eltern zum Studium nach Paris geschickten adeligen jungen Männer würden dort auch „in die Sprache und Literatur jenes Landes eingeführt“ (litteratura simul et idiomate lingue terre illius imbuti), was die volkssprachliche meinen könnte, zum andern in der Lauterberger Chronik (‚Chronicon Montis Sereni‘), wo der Abt von Pegau in Sachsen, der wohl in Frankreich studiert hatte, in einen Brief einige (allerdings verballhornte) afrz. Worte einfließen läßt.

1.5 Predigt und Erbauungsschrifttum Kaum in einem anderen literarischen Genre wirken Volks- und Gelehrtensprache so eng zusammen wie in der Predigt. Vermutlich wurde die weit überwiegende Zahl der Predigten in den Volkssprachen gehalten. Das Lateinische blieb im Vortrag in der Regel auf Kloster, Stift, Bischofshof und (Hohe) Schule beschränkt. Verglichen damit ist unsere Kenntnis volkssprachiger schriftlicher Predigttexte gering. Bei kaum einem davon scheint es definitiv gelungen zu sein, ihn als die Wiedergabe des Wortlauts einer tatsächlich gehaltenen Predigt zu erweisen. Vielmehr handelt es sich zumindest zum allergrößten Teil um sekundäre Nachschriften, wenn nicht

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überhaupt um veritable Lesepredigten. Hingegen besitzen wir eine Menge lateinischer Aufzeichnungen von Predigten, die gewiß nur in der Volkssprache gehalten wurden, oft allerdings nur in Konzept- und Stichwortform von Musterpredigten. Hier, wo Schrift und Stimme so eng zusammengehören, driften sie für uns in eklatanter Weise auseinander. Hier, wo die Schrift an sich nur dienende Funktion haben sollte und wo Literatur nur aufgrund ihrer mündlichen Realisierung zum Massenmedium wird, haben wir so gut wie keinen sicheren Zugriff auf das gesprochene Wort. Was wir darüber wissen, wird in den beiden Sammelbänden von Kienzle (2000) und Muessig (2002) beschrieben. Der für unsere Frage so wichtige Verschriftlichungsprozeß geht sehr verschiedene Wege. Die Niederschrift kann vor, während und nach dem Vortrag durch den Prediger selbst, durch beauftragte Schreiber oder Zuhörer erfolgen. Erst seit den späten siebziger Jahren des 20. Jh. hat die Forschung von den überlieferten Pariser Predigten des 13. Jh. eine Menge als tatsächliche Mitschriften, sogenannte reportationes, identifiziert. Wir besitzen auch damit aber keineswegs einen unmittelbaren Zugang zum gesprochenen Wort, denn die Schreiber haben zwar Momentaufnahmen geliefert, diese aber ganz subjektiv verändert, gekürzt und zumeist in Latein abgefaßt, auch wenn in der Volkssprache gepredigt wurde. Auch von lateinisch gehaltenen Predigten Bernhards von Clairvaux und Hugos von St. Victor im 12. Jh. sind schon reportationes belegt, aber nicht erhalten (Bériou 1992, S. 270). Sie dienten dann als Grundlage für eine gründliche Überarbeitung zu einer literarischen Fassung. Das wird auch im 13. Jh. der Normalfall gewesen sein. Ein Prediger hält meist anhand eigener lateinischer Entwürfe eine meist volkssprachige Kanzelrede und stellt aufgrund einer lateinischen Mitschrift dann eine Endversion her, die wiederum von ihm selbst oder anderen in die Volkssprache übertragen werden kann. Ein ‚einfacher‘ Volksprediger wie Berthold von Regensburg (s.u.) hält seine deutschen Predigten hingegen – angeblich oder tatsächlich – für gar nicht der Aufzeichnung wert. Wenn er sich trotzdem gezwungen sieht, sie selbst niederzuschreiben oder zu diktieren, so nur deshalb, weil er weiß, daß einfache Kleriker oder Religiosen sie während seines Vortrags mitgeschrieben, dabei aber so verdorben haben, daß daraus Irrlehren entstehen könnten. Nicht nötig aber sei es, „daß andere Gebildete und Kundige sie aufschrieben, da viel bessere Predigten von Magistern verfertigt wurden, die für jegliche Ausbildung von Glauben und Sitten ausreichen würden. Daher mögen sie diese Predigten den schlichten Ungebildeten wie meinesgleichen und denen, welche Tiefes und Subtiles nicht fassen können, überlassen, weil sie in Wort und Sinn nichts bieten, was gebildete Literaten

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anstreben und besorgen müßten“ (lat. Text bei Schönbach 1905/06, Bd. V [1906], S. 3f.). Kein Prediger des Hochmittelalters hat solches europäisches Prestige erlangt wie Bernhard von Clairvaux (um 1090–1153). Sein Notar Gaufredus preist seine Rednergabe in den höchsten Tönen. Sie habe sogar über Sprachgrenzen hinweg Wirkung ausgeübt (Übers. nach ‚Vita Bernardi‘ III,7 [MPL 185, 307]): „Unter seiner Zunge lagen Milch und Honig; nichtsdestoweniger kam aus seinem Munde das feurige Gesetz […]. Daher wurde er mit wunderbarer Ergriffenheit auch vernommen, wenn er zu deutschen Leuten sprach, und deren Andacht durch seine Predigt, welche sie als Menschen einer anderen Zunge gar nicht verstehen konnten, mehr erregt als durch die verständlichen Worte des kundigsten Dolmetschers, der nach ihm sprach. Zum sicheren Beweis dafür schlugen sie sich an die Brust und vergossen Tränen.“

Bernhard predigte nicht nur in Frankreich, sondern auch in den Rheinlanden den Kreuzzug. In Speyer am 27. 12. 1147 sprach er französisch und ließ einen Dolmetscher die deutsche Übersetzung verkünden. In Köln sprach er lateinisch und erreichte damit bei den Zuhörern mehr Aufmerksamkeit als der deutsche Dolmetscher, bei dessen Übersetzung sie den Platz verließen (Leclercq 1996, S. 320; Kienzle, in: Muessig [Hg.] 2002, S. 110). Schriftlich erhalten hat sich davon unmittelbar nichts (vgl. Schneyer 1969, S. 126 u. 172f.). Auch die durch den Titel eines jüngeren Aufsatzes von Hendrik Breuer (2009) geweckten Hoffnungen auf eine neue Entdeckung erfüllen sich leider nicht. Die propagandistischen Argumente der Predigten Bernhards werden freilich keine anderen gewesen sein als in seinen erhaltenen themengleichen Schriften. Nichts besitzen wir auch vom französischen Wortlaut der Predigten, die Bernhard in seiner Heimat hielt. Selbst bei den zahlreichen überlieferten lateinischen Konventspredigten hat man erhebliche Zweifel an der Wiedergabe des lebendigen Wortes geäußert, obwohl sie so viele Signale eines Publikumskontaktes enthalten. Köpf (1994, S. 30) führt als Hauptargument den elaborierten Charakter der Predigten, hier insbesondere der ‚Sermones super Cantica Canticorum‘, an, der durch mündliche Produktion nicht zu erzeugen gewesen sei und das Verständnis der Zuhörer sehr erschwert haben würde. Ob das Argument einer semioralen Gesellschaft angemessen sein kann, sei hier dahingestellt. Die Mehrzahl der schriftlichen Rezensionen einer Predigt spricht jedenfalls für eine mehrfache Überarbeitung durch den Autor und andere; und in dieser Form gelangten die Predigten in alle Zisterzienserklöster Europas und auch in andere Klöster und Stifte (zur Verbreitung im deutschen Sprachraum f Träger und Mo-

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dalitäten des Austauschs, Kap. 2.2), nicht durch mündliche Überlieferung. Predigten tradierte und sammelte man seit der Spätantike. Die Predigten der Kirchenväter Ambrosius, Augustinus, Hieronymus, Gregorius Magnus, Origenes, Pseudo-Dionysius Areopagita, Beda u.a. behielten die höchste Autorität im ganzen Mittelalter, hinzu traten im Hochmittelalter aber v.a. Petrus Lombardus, Hugo von St. Victor und Bernhard von Clairvaux, dem auch unzählige Predigten anderer Autoren unterschoben wurden. Auf die genannten vier großen lateinischen Kirchenväter beschränkt sich die ungemein verbreitete Sammlung ‚Speculum ecclesiae‘ von Honorius Augustodunensis (s. Kap. 1.9), der dabei wie die meisten anderen Redaktoren mit dem Wortlaut sehr frei umgeht. Umgekehrt nehmen Verfasser ‚neuer‘ Predigten umfassend älteres Gut auf, so daß die Grenzen fließend sind. Oft läßt nur mangelnde Quellenkritik Predigten als Originalwerke erscheinen. Etwa für die Predigten Hermanns von Rein (Reun) aus den siebziger Jahren des 12. Jh. hat der Nachweis des zitatenhaften Charakters diesen Irrtum ausgeschlossen, nicht aber für die ‚Admonter Predigten‘ aus der Mitte des 12. Jh. Schon ein flüchtiger Blick läßt aber viele Lesefrüchte aus älteren und neueren Predigten, so auch welchen von Bernhard, erkennen (Knapp, LG I, S. 77). Dieser hat hier aber einen verschwindenden Anteil im Vergleich zu Hermanns Sammlung, die für eine steirische Zisterziensergemeinschaft geschaffen wurde und dem berühmten Ordensmitbruder breites Gehör verschuf. Bernhard von Clairvaux ist nur das herausragendste Beispiel für ein allgemeines Phänomen, die Vorherrschaft sowohl Frankreichs als auch des Mönchtums im Predigtwesen des 12. Jahrhunderts. Die Konventspredigt spielte eine ganz wichtige Rolle im Leben religiöser Gemeinschaften, insbesondere bei den Zisterziensern. Im 12. Jh. gewinnen die thematischen Predigten, die sermones, die Überhand über die Homilien. In beiden beruft sich der Prediger zwar gleichermaßen ständig auf die Schrift; nur in der Homilie bildet sie jedoch stets den ersten Ausgangspunkt der Ausführungen. Diese werden im Sermo nun stärker formal gegliedert, ohne die assoziative Reihung auszuschließen. Der Aufbau nach symbolischen Zahlen wie drei, vier oder sieben ist besonders beliebt. Von den Hohen Schulen Nordfrankreichs, dann insbesondere von der Universität Paris, geht dann die Verwissenschaftlichung der Predigt aus. Die Kanzelrede wird der scholastischen Disputation angeglichen, soweit die Zusammensetzung des Publikums das zuläßt. Manches davon wie die ständige Verwendung eines streng zahlenmäßigen Aufbaus erhält sich sogar noch in der Volkspredigt des 13. Jh., da deren

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Hauptträger, die Bettelorden, ihre Mitglieder gerne auf die Universitäten schicken und auch ein eigenes höheres Schulwesen aufbauen. Aus der Sicht unseres Handbuchs ist dabei die Beobachtung entscheidend, daß die Volkspredigt in Frankreich und Deutschland etwa zeitgleich um die Mitte des 13. Jh. hervortritt, in Frankeich v.a. mit den Dominikanern Guillaume de Peyrault (Peraldus, gest. 1271), Humbert de Romans (gest. 1277) und Nikolaus von Gorram (gest. 1295), in Deutschland v.a. mit den Franzikanern Konrad Holtnicker von Sachsen (gest. 1279) und – allen voran – Berthold von Regensburg (gest. 1272). Ein Einfluß der genannten Franzosen ist im Osten bei den Zeitgenossen noch kaum spürbar, sondern erst in den folgenden Jahrhunderten, die uns hier nicht mehr beschäftigen. Und auch dann geht der Weg in aller Regel über lat. Aufzeichnungen. Wenn Berthold und Konrad von der zeitgenössischen afrz. Volkspredigt nichts aufnehmen, so setzen sie hingegen die mittelalterliche Rezeption der lat. Predigten Bernhards kontinuierlich fort. Wenn wir uns auf einen kurzen und oberflächlichen Vergleich zwischen Bernhards und Bertholds lat. Predigten – von diesen sind, abgesehen von Exzerpten bei Schönbach (1905/06), bisher nur zwanzig, die ‚Sermones ad religiosos‘, veröffentlicht – beschränken, so wirken die des Franziskaners scholastischer und nüchterner. Divisio und partitio sind viel wichtiger, die Zitate aus Bibel und Kirchenvätern (einschließlich Bernhard!) sind um einiges häufiger. Die Sprache ist korrekt, aber so ziemlich ohne jeden auffallenden Schmuck, ja weithin ohne Schwung. Die immer aufs neue durchbesprochenen Mittel und Hindernisse der Vervollkommnung in religione, also im religiösen Leben einer geistlichen Gemeinschaft, zeigen durchaus viele motivliche Gemeinsamkeiten mit Bernhard. Doch dessen zentraler Gedanke der geistigen Vereinigung des Frommen mit Gott klingt bei Berthold kaum einmal an. Von einem westlichen Einfluß auf die Predigt in Deutschland kann man also durchaus sprechen, ohne jedoch – abgesehen von wörtlichen Zitaten – punktuelle Anschlußstellen ausfindig machen zu können. Der spirituelle Aufschwung des 12. Jh. hat von Frankreich aus auch nach Osten ausgegriffen, und eines der wichtigsten Medien ist dabei sicher die Predigt gewesen. Sind jedoch schon bei der lat. Predigt konkrete Auswirkungen im Detail schwer auszumachen, so natürlich erst recht bei der Volkssprache. Kann es da überhaupt einen Zusammenhang geben, wenn Bertholds deutsche Predigten stilistisch den Konventspredigten Bernhards näher zu stehen scheinen als seine lateinischen? Sie wirken weit lebendiger und eindringlicher, v.a. durch ihre sprachlichen Reihungen und Häufungen, die mit den

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scholastischen Zahlenreihen (z.B. die zwölf Stämme Israels – die zwölf Abteilungen aller Menschen, d.h. der Sünder und der Gerechten) eine sinnvolle Verbindung eingehen. Wieviel davon auf das Konto des anderen, des weltlichen Publikums und der diesem angepaßten Thematik geht, wäre zu untersuchen. Es kann jedenfalls nicht wundernehmen, wenn die deutschen ‚Sankt Georgener Predigten‘ (vermutlich 2. Viertel des 13. Jh., aus dem Oberrheingebiet) den Einfluß von Bernhards Konventspredigten noch viel deutlicher spüren lassen. Ihre Themen sind „Trinität, Christologie, Mariologie, Abendmahl, Aufstieg der Seele zu Gott, mystische Erfahrung; dazu treten umfassende Anleitungen zum Klosterleben“ (Schiewer/Seidel 2010, S. XIV). Sie sind zur Lektüre von Nonnen bestimmt.

1.6 Die Träger des Kulturtransfers Im Falle der Predigt sind die Träger des Kulturtransfers von Frankreich nach Deutschland in allererster Linie Handschriften und in zweiter Linie die geistlichen Orden, welche den Handschriften ihre Austauschwege vorgegeben haben, teils nur innerhalb derselben Orden, teils auch über Ordensgrenzen hinweg. Schon seltener überschritten sie die Schwelle zur Weltgeistlichkeit, noch seltener zu den Laien. Selbstverständlich waren es Menschen, die Blätter und Bände überbrachten, aber jene mußten mit diesen nicht notwendig in innerem Zusammenhang stehen. Ganz anders liegt der Fall, wenn Menschen selbst Wissen und Kenntnisse im fremden Land erwerben und im eigenen Land verbreiten bzw. selbst aus dem Ausland stammen und von dort mitbringen. Jean-Marie Moeglin hat die Frage in Kap. 2 ausführlich untersucht und den Transfer der Handschriften in allererster Linie den Klerikern aus dem Reich, die nach Frankreich und wieder zurück kamen, zugeschrieben. Selbstverständlich widmet er sich daher zuerst der Mobilität der Personen seit dem ausgehenden 11. Jh., die in erster Linie von der Bildungssituation in Lateineuropa abhängt. Bis ins 11. Jh. ist sie zwischen dem Reich und Frankreich durchaus ausgewogen, weshalb der Personenaustausch innerhalb des lateinkundigen Klerus nach beiden Seiten etwa gleichmäßig verläuft. Von nun an vertieft sich aber einerseits die Kluft zwischen Mönchs- und Weltklerus, andererseits die zwischen den Domschulen diesseits und jenseits des Rheins. Die Klöster verschließen ihre Schulen immer mehr nach außen und bilden zunehmend nur noch ihre Novizen aus. Die Domschulen im Reich bleiben wie zuvor vornehmlich Ausbildungsstätten für künftige

Die Träger des Kulturtransfers

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Prälaten aus hochadeligen Familien, während in den Kathedralschulen des Westens und den sich dort daneben bildenden weiteren städtischen Schulen sozusagen jedermann Zugang hat, sofern er die nötigen Bildungsvoraussetzungen mitbringt. Bedingung dafür ist eine weit höhere soziale Mobilität, die eine klerikale Karriere in der Kirche oder an einem weltlichen Fürstenhof nicht mehr ganz überwiegend von der geblütsmäßigen Abstammung, sondern von den erworbenen geistigen Fähigkeiten abhängig macht. Dies steht in Interdependenz mit den Bildungsinhalten. In Lüttich, Hildesheim, Bamberg oder Magdeburg brauchte sich diesbezüglich im Grunde wenig zu ändern. Die Kenntnisse der Liturgie, des Lateinischen und der Artes liberales hatten bisher für die künftigen Bischöfe und Pröpste genügt. Warum sollten sie es nicht auch weiterhin? In Laon, Chartres oder Paris dagegen suchten die Magister nach neuen Wegen, um neue Schüler durch ein neues Wissensverständnis anzuziehen. Es geht ihnen v.a. um die höheren Wissenschaften jenseits der Artes, allen voran um die Theologie, die nun aber auf Basis von Logik und Dialektik, also wissenschaftlich betrieben werden soll. Und sie erhalten enormen Zulauf von überall her, auch aus dem Ausland. Allerdings folgt dieser allgemeine – nun auch wörtlich zu verstehende – Aufbruch nicht nur äußerem Karrieredenken und/oder innerem Wissensdrang, sondern oft auch spirituellen Beweggründen. So wie die große kirchliche Reformbewegung, die zur Regulierung zahlreicher Kanonikerstifte, v.a. aber zur Gründung und Verbreitung neuer Orden führte, trotz etlicher Spannungen nicht grundsätzlich negativ gegenüber den neuen Schulen und ihren Lehrmethoden eingestellt war, so konnte auch der Weg ausländischer Studenten in Frankreich durch die verschiedenartigsten kirchlichen Institutionen führen. Berühmtestes deutsches Beispiel ist Otto von Freising, der in Frankreich bei Gilbert von Poitiers studierte, dann jedoch in die Zisterze Morimond eintrat und schließlich in Bayern Bischof wurde. Aber Moeglin zeigt, daß es durchaus eine Menge vergleichbare Fälle gab. Er unterscheidet bei den Deutschen, die zum Studium nach Frankreich kommen, drei Gruppen, zum ersten die Gruppe der Kleriker, die in erster Linie von spirituellen Motiven geleitet werden, ihre religiösen Ziele aber auch mit Mitteln der Wissenschaft verfolgen wollen. Unter ihnen ragen Bruno von Köln, der den Kartäuserorden gründen wird, und Norbert von Xanten, der Gründer des Prämonstratenserordens, hervor. Daß von ihnen einmal einer ganz auf ‚Abwege‘ gerät, in Frankreich bleibt und hier ein berühmter Lehrer wird, wie Hugo von St. Victor, kommt mehr als selten vor. Es verwundert dann auch nicht, wenn wir Hugo nicht an einer ‚freien‘

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städtischen Schule, sondern an einer Stiftsschule finden, die in Paris eine Art Bildungsalternative darstellt, und zwar auch bezüglich der Bildungsinhalte, die sich von der streng dialektischen Methode à la Abaelard fernhalten. Die Mitglieder der zweiten Gruppe der deutschen ‚Auslandsstudenten‘ scheinen in erster Linie vom Wunsch, nach dem Studium in Frankreich selbst in der Heimat als Magister zu unterrichten, getrieben. Zu ihnen gehören u.a. Radulf von Köln und Eberhardus Alemannus. Die dritte und wohl wichtigste Gruppe wird von den Kindern der großen Familien des deutschen Adels gebildet, die von Geburt an für die Karriere eines Bischofs bestimmt sind, die Zeit bis zum Freiwerden des Bischofsstuhls mit einem Studium überbrücken und sich vom Renommee einer französischen Schule eine zusätzliche Unterstützung ihrer kirchlichen Ambitionen erhoffen. Zu ihr gehören u.a. die Erzbischöfe Friedrich I. von Köln, Bruno II. von Köln, Adalbert II. von Mainz, Konrad I. von Mainz, Adalbert von Magdeburg und Bischof Gebhard von Würzburg. Obwohl die Liste bei Moeglin weit länger ist, weigert dieser sich doch, von einer Massenbewegung zu sprechen. So kommen von den 21 identifizierbaren Schülern Anselms von Laon, der einen großen internationalen Ruf genoß, neun aus Frankreich, drei aus der Bretagne, sieben aus England, vier aus Italien und nur einer oder zwei aus dem Reich (nördlich der Alpen). Aber die ‚Westdrift‘ ist gleichwohl um ein Vielfaches stärker als das Gegenteil. Was im 10./11. Jh. noch ganz normal war, beschränkt sich jetzt auf eine Handvoll französischer magistri im Reich, darunter den bedeutenden Rechtslehrer Gérard Pucelle, 1166–68 und gegen 1189 Scholaster in Köln. Diese wenigen Franzosen können also für den wirklich beachtlichen Transfer von scholastischen Werken aus den französischen Schulen nach Deutschland nur in ganz geringem Ausmaß verantwortlich sein, vielmehr sind es deutsche Kleriker, die aus Frankreich vom Studium zurückkamen, aber auch und in erstaunlich hoher Zahl Zisterzienser, die ihre Mutterklöster oder die Generalkapitel besuchten – erstaunlich v.a. deshalb, weil davon auch die Vermittlung von Autoren betroffen ist, die bei weitem nicht allen monastischen Kreisen genehm waren. Anders ist es aber kaum zu erklären, daß etwa die theologischen Werke Abaelards in Deutschland besser überliefert sind als in Frankreich. Selbst wenn dies Zufall aufgrund von Handschriftverlusten sein sollte, können wir darin eines der vielen Zeichen dafür sehen, wie innig sich der ‚theodiske‘ Osten der französischen Gelehrsamkeit verbunden fühlte und sie sich auf alle erdenkliche Art zu eigen zu machen versuchte.

Mönchtum und Mystik

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1.7 Mönchtum und Mystik Gelebte Frömmigkeit ist der Kern mönchischen Lebens oder sollte es zumindest sein. In diesem Rahmen bildet sich im 12. Jh. eine besondere Form, die Mystik (vgl. Dinzelbacher 1994 u. 2012), heraus. „Eine hinreichend historische Erklärung fehlt noch“ (Dinzelbacher 1993, Sp. 983). Die Hauptanregung zumindest für die spekulative Ausprägung der Mystik kam gewiß vom ‚Corpus Dionysiacum‘ in der Übersetzung durch Johannes Scotus Eriugena (9. Jh.), die im 12. Jh. europaweite Verbreitung erlangte. Dementsprechend ist die Mystik eine europäische Erscheinung, wenngleich mit einigen regionalen Schwerpunkten. Für Frankreich sind hier einmal mehr die Hohelied-Predigten Bernhards von Clairvaux, daneben die Hohelied-Auslegung seines Freundes Wilhelm von St. Thierry (ab 1135 Zisterzienser in Signy, gest. 1148/49) zu nennen. Wichtiger als das französische ist aber sicher das zisterziensische Milieu. Doch auch die Augustiner-Chorherren in St. Victor/Paris formulieren mystische Gedanken. Der spekulativen Gottesschau und Gotteseinigung, entwickelt vornehmlich aus dem Verhältnis von Braut und Bräutigam im Hohenlied der Bibel (Sponsus: Gott/Christus – Sponsa: Seele), stellt sich zudem bald eine Frauenmystik, eine Erlebnismystik mit Visionen, Auditionen etc. an die Seite. Sie kommt jedoch aus dem Benediktinerorden. „In den lat. Visionswerken der Elisabeth von Schönau [gest. 1164] zeigen sich erste Ansätze zu einer geschauten Passions- und Liebesmystik; die großen Offenbarungsschriften und Briefe der Hildegard von Bingen [gest. 1179] gehören dagegen kaum zur Mystik im oben definierten Sinn, sondern zum Genus der Prophetie und Bildallegorie“ (Dinzelbacher 1993, Sp. 983). Erst in der zweiten Hälfte des 13. Jh. treten Zisterzienserinnen als Mystikerinnen hervor, Mechthild von Magdeburg, Gertrud von Helfta u.a. Jetzt macht sich auch der Einfluß der mystischen Schriften Bernhards von Clairvaux und Hugos von St. Victor bemerkbar. Die Frauenmystik ist aber insgesamt keine von Frankreich ausgehende Erscheinung, sondern greift umgekehrt dorthin erst zögernd aus. Selbst die franziskanische Mystik in Italien hat hier noch einen Vorsprung. Noch früher aber treten niederländische Beghinen hervor, davon für die Literaturgeschichte am wichtigsten Hadewijch im zweiten Viertel des 13. Jh. Sie kennt auch die spekulative nordfranzösische Mystik gut, bedient sich aber wie Mechthild von Magdeburg der Volkssprache. Damit gehen diese Frauen den berühmten ‚theotisken‘ Mystikern Meister Eckhart (gest. 1328), Johannes Tauler (gest. 1361), Heinrich Seuse (gest. 1366) und Jan van Ruusbroek (gest. 1381) voran. Hier greifen wir ein durchaus eigenständiges geistiges und literarisches

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Phänomen, das zwar in die europäische Entwicklung eingebettet, aber nicht der sonst dominierenden West-Ost-Drift unterlegen ist.

1.8 Umgang mit der Bibel Für die mystische Theologie ist die Auslegung des Hoheliedes von besonderer Bedeutung gewesen. Jedoch steht die gesamte Bibel stets im Fokus des mittelalterlichen Denkens. Sie geht im liturgischen Gebrauch den Geistlichen sozusagen in Fleisch und Blut über, wird gelesen, memoriert, paraphrasiert, versifiziert, ausgelegt und übersetzt. Dementsprechend werden die in den Tagzeiten gebeteten Psalmen von Anfang an mit reichen Glossen tradiert. Ihnen treten in karolingischer Zeit insbesondere die glossierten Paulusbriefe an die Seite, aber auch der Pentateuch. Sie bilden den Grundstock der seit ca. 1100 in den nordfranzösischen Schulen angelegten ‚Glossa ordinaria‘, bestehen aber ihrerseits schon überwiegend aus älteren Kirchenväterzitaten. Die ‚Glossa ordinaria‘ (vgl. den Überblick bei Swanson 2001, v.a. nach Smalley 1984), im Mittelalter selbst nur ‚Glosa‘ genannt, unternimmt es erstmals, die in tausend Jahren zwischen den Zeilen und am Rande des Bibeltextes angebrachten erklärenden Anmerkungen übersichtlich in einem gemeinsamen Layout zusammenzustellen und, soweit nötig, zu bearbeiten und zu ergänzen. Den wichtigsten Anstoß haben dafür Anselm von Laon († 1117) und seine Schule gegeben. Petrus Lombardus († 1160) und Gilbert von Poitiers († 1154) setzten diese gewaltige Arbeit in Paris fort. Erst jetzt erlangt die ‚Glossa ordinaria‘ den Status eines Standardwerkes für das Theologiestudium wie etwa zur selben Zeit die ‚Sentenzen‘ des Lombarden. Sie wird selbst wieder glossiert, verbreitet sich von Paris aus über das Christentum, gelangt im 15. Jh. in den Druck und erfährt bis ins 18. Jh. zahlreiche Nachdrucke. Auf diese und auf Auszüge daraus (in MPL) sind wir auch heute noch zum Studium weitgehend angewiesen. Es versteht sich von selbst, daß auch der im Norden und Osten an Nordfrankreich angrenzende Raum an der handschriftlichen Verbreitung intensiv teilnimmt. Die neueren Arbeiten von Cédric Giraud über die Schule von Laon (vgl. v.a. Giraud 2010) geben dafür wichtige Hinweise. Jean-Marie Moeglin hat daraus einige in Kap. 2 referiert und andere hinzugefügt. So wurde das älteste lokalisierbare Zeugnis der ‚Glos(s)a‘ der Schule von Laon zu den Lamentationes (von Gilbertus Univeralis) 1131 im Augustiner-Chorherrenstift von Riechenberg in der Diözese Hildesheim kopiert. Die Dombibliothek Hildesheim enthält drei Manuskripte

Umgang mit der Bibel

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von glossierten Heiligen Schriften und Werken Pariser Magister vom Ende des 12. Jh. aus der Schenkung eines Domherrn, Scholasters und späteren Kapiteldekans Hilarius (bezeugt 1183–1212). Eines davon enthält außer dem glossierten Lukasevangelium die ‚Summa quaestionum‘ des Petrus von Poitiers, ein anderes Stephan Langtons Kommentar zur ‚Magna glossatura‘ des Petrus Lombardus zu den Paulusbriefen (Handschriften der Dombibliothek zu Hildesheim [1991–1993], Bd. I, Hs. 656, S. 73f., u. Hs. 658, S. 77f.). Dem Prämonstratenserstift Windberg schenkte ein sonst unbekannte Magister Gerboto 15 Bücher, welche wohl dem Typ einer Magisterbibliothek aus der Mitte des 12. Jh. entsprechen könnten, darunter glossierte Teile der Bibel (Mc, Io, Rom, Cor, Epistolae catholicae, Apc). Insbesondere die Zisterzienserbibliotheken schaffen auch im 13. Jh. weiterhin neue Pariser Bibeln an, kleinformatige, zweispaltige, in Kapitel eingeteilte Bibeln, so etwa ein Exemplar von ca. 1250/60 in Eberbach (vgl. Cîteaux 1098–1998 [1999], Nr. 29, S. 110) oder ein anderes von ca. 1270, das im Kloster Arnberg bezeugt ist (vgl. ebd., Nr. 49, S. 150). Von den Handschriften des glossierten Hohenliedes liegen heute drei in der Schweiz, zwei in Einsiedeln, eine in Zürich, von denen des glossierten Matthäusevangeliums eine (von ca. 1200) in Basel (Giraud 2010, S. 89, Anm. 264, u. S. 94, Anm. 296). Der neue Typus der lat. Bibeln macht Epoche im Theologiestudium. Der Papst verbietet sogar 1179 das Bibelstudium sine glosa (Lobrichon 2003, S. 170). Ein professioneller Zugang zu dem nicht einfach zu verstehenden Text war nunmehr viel leichter und konnte so auch leichter an Laien weitergereicht werden. Auch volkssprachliche Schriftsteller profitierten davon, und zwar keineswegs nur im Umkreis der nordfranzösischen Schulen. Diesen Einfluß teilte sich aber die ‚Glossa ordinaria‘ mit einem anderen lat. Werk aus Nordfrankreich, das zumindest das Verständnis des Litteralsinnes der Bibel gewiß nicht weniger förderte – die wahrscheinlich zwischen 1169 und 1173 abgeschlossene ‚Historia scholastica‘ des Petrus Comestor (vgl. Klein 2004). Der aus Troyes stammende Augustiner-Chorherr Petrus lehrte an der Kathedralschule von Notre Dame de Paris und zog sich nach Aufgabe seines Lehrstuhls in das Stift St. Victor zurück, wo er wohl 1178 starb. Die ‚Historia scholastica‘ faßt den historischen (und pseudohistorischen) Inhalt der Bibel chronologisch und mitunter kommentierend zusammen, hauptsächlich auf Grundlage der biblischen Bücher selbst, aber auch unter Verwendung von Apokryphen, Flavius Josephus, Kirchenvätern, ‚Glossa ordinaria‘ und profanen Historiographen, aus denen gelegentlich gleichzeitige Ereignisse den biblischen gegenübergestellt werden. Weit mehr als zweihundert Handschriften haben sich bis heute erhalten.

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Der Bekanntheitsgrad im ganzen Abendland war enorm, und so auch im germanischen Sprachraum. Als erste verraten Gottfried von Viterbo und Herrad von Landsberg in ihrem ‚Hortus deliciarum‘ (ca. 1175/85) die Benutzung der ‚Historia scholastica‘ außerhalb Frankreichs. Unter deren Benutzern befinden sich keineswegs nur lat., sondern auch viele volkssprachliche Autoren. Die Weltchronistik und Reimbibeln sind ab dem 13. Jh. ohne Rückgriff auf die ‚Historia scholastica‘ gar nicht denkbar (vgl. Klein 2004), da sie die für Laien doch viel zu verwirrende Geschehensdarstellung des biblischen Alten Testaments viel geordneter und verständlicher wiedergab. Allerdings verwendete man die ‚Historia scholastica‘ fast immer zusammen mit weiteren Quellen, insbesondere dem Bibeltext selbst. Gattungsmäßig schwer auseinanderzuhalten sind auch die daraus entstehenden Produkte, die Weltchroniken und die Reimbibeln, da jene oft auch nicht viel über biblische Ereignisse hinauskommen. Den Anfang macht der Vorarlberger Ministeriale Rudolf von Ems mit seiner ‚Weltchronik‘ (begonnen wohl nach 1240 und abgebrochen 1254 bei Vers 33346), der jedoch nur bis zur Darstellung der Geschichte König Salomos (III Rg 11,43) kommt. Rudolf hatte sein Werk zwar nach dem Muster der lateinischen Universalchronik konzipiert, verzichtete aber auf die Synchronisierung biblischer und profaner Ereignisse aus seiner Hauptquelle, der ‚Historia‘, und faßte die außerbiblische Geschichte der ersten drei Weltzeitalter nur in knappen kompendienhaften Exkursen jeweils am Ende der drei Abschnitte zusammen. Ein anonymer Fortsetzer gelangte noch bis in das 4. Buch der Könige. Zu etwa der gleichen Zeit oder kurz darauf verfaßte ein namenloser Kleriker in Thüringen die nach den Anfangsworten so genannte ‚Christherre-Chronik‘, stützte sich seinerseits bereits auf Rudolfs Chronik, setzte sich jedoch sowohl in seiner möglichst genauen Wiedergabe des Bibeltextes und der ‚Historia‘ als auch in seiner bewußt theologischen, christozentrischen Konzeption deutlich gegen sein Vorbild ab. Damit gab er der Profangeschichte auch keinen viel größeren Raum als Rudolf, mehr hingegen den enzyklopädischen Informationen, die das besondere Markenzeichen dieser Chronik ausmachen. Da die ‚Christherre-Chronik‘ sogar bereits zu Beginn des Buchs Richter (Idc 1,7) bei V. 24330 abbricht, erfüllt sie ihren universalhistorischen Anspruch letztlich ebensowenig wie Rudolfs Chronik. Dies tut erst Jans von Wien (vgl. Knapp, LG II/1, S. 234–247) in den siebziger oder achtziger Jahren des 13. Jh., allerdings mit Verzicht auf jede Art von historischer Genauigkeit und Vollständigkeit und heilsgeschichtlicher Perspektivierung. Jans benutzte die ‚Historia‘ auch nur spärlich und eher indirekt, da er offenbar mit dem Latein Schwierigkeiten hatte. Ganz anders Jacob van Maerlant, der in seinem gewaltigen Arbeitseifer bis

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1271 die ‚Historia scholastica‘ nahezu vollständig von Genesis bis Christi Himmelfahrt in 35000 mnl. Verse übersetzte (‚Rijmbijbel‘ – vgl. Van Oostrom, LG, S. 531 u. 536–541). Kürzungen hat er nur bei der Darstellung der Prophetenbücher und dem wissenschaftlichen Beiwerk vorgenommen. Der deutsche Chronist Otto von St. Blasien zählt Petrus Comestor um 1209 zu den großen zeitgenössischen Gelehrten. Er weiß auch, daß er wie Petrus Lombardus in Paris lehrte. Die meisten deutschen litterati, die die ‚Historia scholastica‘ benützen, stufen sie allerdings schwerlich als speziell französisches Werk ein. Jede spezielle französische Einfärbung fehlt diesem ja, abgesehen von der Dedikation: dem episcopus Senensis von Petrus, dem presbyter Trecensis. Näher auf Text und Entlehnungen einzugehen, erübrigt sich also. Niederlandisten und Germanisten dürfen sich aber durchaus Rechenschaft davon geben, wieviel Texte, die in ihre Kompetenz fallen, von der Arbeit der nordfranzösischen Schulen an der lat. Bibel entscheidende Anregungen erhalten haben.

1.9 Wissenschaften Der Umgang mit der Bibel kann liturgisch, meditativ, nacherzählend, philologisch oder theologisch erfolgen. In der Theologie steht der bibelwissenschaftliche dem systematischen Teil gegenüber, der seinerseits vielfach in die Philosophie übergreift. Im Mittelalter war dieses Verhältnis bekanntlich prekär, da die institutionelle Organisation der Studien eine Entfaltung der Philosophie außerhalb des christlichen Glaubens nicht zuließ. Gleichwohl läßt sich mit Recht von einer christlichen Philosophie sprechen (f Philosophie/Theologie). Wieweit sie die Grenzen der Orthodoxie im Einzelfall gesprengt hat, ist eine andere Frage, die im Mittelalter auch ständig gestellt wurde. Die Antwort von seiten der Kirche auf diese Frage ist im Hochmittelalter mit Blick auf Frankreich des öfteren, auf Deutschland aber höchst selten bejahend ausgefallen. Erst als in Deutschland die Philosophie mit Meister Eckhart ihren berühmten ‚Sonderweg‘ einschlug, änderte sich das. Bis dahin war Deutschland in der Regel davor gefeit, weil es sich gegenüber neuen originellen philosophischen Gedanken weitgehend passiv, wenn nicht abwehrend verhielt. Der Befund scheint signifikant genug, um hier einen klar erkennbaren regionalen Unterschied zu konstatieren. Wohlgemerkt: Man nahm die Schriften aus dem Westen sehr wohl zur Kenntnis (wenngleich nicht alle), absorbierte auch das neue enzyklopädische Wissen, führte die großen Neuerungen des Aristotelismus an den

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nordfranzösischen Schulen, insbesondere der Universität von Paris, aber erst mit Albertus Magnus in der zweiten Hälfte des 13. Jh. eigenständig fort, während im Bereich der volkssprachigen Dichtung Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Walther von der Vogelweide u.a. schon um und nach 1200 die großen Errungenschaften des Höfischen Romans und der Minnelyrik wahrhaft schöpferisch weiterentwickelten (vgl. GLMF III, IV u. V). Die Verbreitung der aristotelischen Schriften hat im 12. Jh. dazu geführt, daß im neuen Sprachgebrauch philosophia alle Arten des Wissens umfassen konnte. Zu ihnen zählten im 12. Jh., z.B. bei Hugo von St. Victor, auch noch alle Artes liberales, wenn auch neben das Quadrivium noch eigens die Naturwissenschaft (physica) gestellt wurde. Erst die Hochscholastik trennte Grammatik und Rhetorik von der philosophia ab (Flasch 1986, S. 305–309). Diesem Usus folgte auch das neue Studium generale der Dominikaner in Köln ab 1248. An den Lateinschulen im Reich wurden jedoch wie eh und je die Sieben Freien Künste in der üblichen Reihenfolge gelehrt. Ein lebendiges Bild davon liefert Eberhard der Deutsche (vermutlich) in der ersten Hälfte des 13. Jh. in seinem ‚Laborintus‘. Er hatte in Paris und Orléans studiert und lehrte dann wahrscheinlich in Bremen, vielleicht auch in Köln (f Poetik, Kap. 6.3). Im ‚Laborintus‘ (V. 127–174) ruft die philosophia die septem artes zusammen und vertraut sie zuerst der grammatica an. Das ist die allegorische Umschreibung für die Aufgabe des Lehrers, den Schülern vorerst einmal die sprachliche Grundlage für den Unterricht einzubleuen. Dann aber widmet sich Eberhard der dichterischen Anwendung der grammatischen Kenntnisse gemäß den Lehren der Schule von Orléans, wo die Poetik und Poesie einen viel höheren Stellenwert als sonst in der Wissenschaftssystematik innehatte. Damit fordert Eberhard aber keineswegs zu einer Vernachlässigung der übrigen Artes auf. Da sie zur Bibelexegese unverzichtbar sind, legen gerade auch die sogenannten deutschen Symbolisten großen Wert darauf, lehnen allerdings alles darin, insbesondere in der Dialektik, deutlich erkennbare heidnische Denken strikt ab. Eine ebenso ingeniöse wie arbiträre Bibelallegorese bildet daher für Rupert von Deutz und seine Anhänger die einzig wichtige Grundlage des theologischen Denkens. Dennoch dringt frühscholastische Rationalität durchaus, wenngleich in vereinfachter Form, in Deutschland ein, gefördert v.a. durch die weithin kompilatorischen Schriften des Honorius Augustodunensis (von Regensburg?) und die auch hier reichlich überlieferten Werke Hugos von St. Victor. Beide vermitteln neuplatonisches Gut, wie es der spätkarolingische Autor am westfränki-

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schen Hof, Johannes Scotus Eriugena, aufbereitet hatte. Honorius ist überdies deutlich von Anselm von Canterbury abhängig, der als einer der ersten die strenge aristotelische Logik (ars vetus) auf die christliche Glaubenslehre angewandt und so die Frühscholastik initiiert hatte. Aber auch radikalere Dialektiker der Frühscholastik in Frankreich, Anselm von Laon, Wilhelm von Champeaux, sogar Petrus Abaelardus und Gilbert von Poitiers, wurden im Reich, insbesondere in Bayern und Österreich bereitwillig rezipiert, wie die erhaltenen Handschriften beweisen. Selbständige Verarbeitung wie bei Petrus von Wien ist allerdings extrem selten und so ziemlich ohne Wirkung geblieben. Als geradezu symptomatisch kann da das zwiespältige Verhalten des großen Historiographen Otto von Freising zur Frühscholastik gelten. Er stand mit Gilbert von Poitiers und dessen Anhänger Petrus von Wien ebenso in persönlichem Kontakt wie mit Bernhard von Clairvaux, dem Gegner Gilberts; er brachte aus Frankreich das ganze aristotelische Organon, also auch die ars nova, mit und benützte es auch, referierte Gilberts sprachlogische Trinitätslehre, ohne sie freilich zu beurteilen, stellte selbst philosophisch-scholastische Überlegungen an, betrachtete all dies aber als eher marginale Zutaten zu seinem großen Geschichtswerk, das auf Augustinus aufbaut und heilsgeschichtlich-symbolistisch geprägt ist. Ist ihm, der als Reichsbischof und Halbbruder des römischen Königs europäische Politik mitbestimmte, abstraktes Denken letzten Endes doch als zu realitätsfremd erschienen, weshalb er sich und sein Publikum lieber der historia als magistra vitae anvertrauen wollte? Wie die aristotelische Dialektik ist auch die platonische oder platonistische Naturphilosophie aus Frankreich übernommen worden. Die Quelle war hier vor allem die um 1124 entstandene ‚Philosophia mundi‘ Wilhelms von Conches, der an der Kathedralschule von Chartres lehrte. Daraus schöpften Gottfried von Viterbo und der deutsche ‚Lucidarius‘ (zumeist auch mit Rückgriff auf die salernitanische Medizin). Dagegen erreichte der nächste naturwissenschaftliche Schub, der v.a. durch die lateinischen Übersetzungen der arabischen Traktate zu Philosophie und Naturwissenschaft (aus Spanien und Italien), insbesondere des großen AristotelesKommentars von Averroes, in Frankreich ausgelöst wurde, den Osten mit jahrzehntelanger Verzögerung. Die aristotelischen Schriften aus den Bereichen der ars nova, der Metaphysik, der Physik und der übrigen Naturwissenschaft tauchen hier in den Bibliothekskatalogen des 12. und 13. Jh. nur ganz selten auf. Man behalf sich offenbar mit Florilegien aus antiken ‚philosophischen‘ Schriften wie dem von Arnoldus Saxo aus dem zweiten Drittel des 13. Jh. Es wurde (ebenso wie die ‚Philosophie mundi‘) auch von

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dem Magdeburger Franziskaner Bartholomaeus Anglicus in der naturkundlichen Enzyklopädie ‚De proprietatibus rerum‘ vom Anfang der vierziger Jahre des 13. Jh. benützt, der aber auch sonst Zugang zum Corpus Aristotelicum hatte. Denn er war zuvor Student in Paris gewesen und blieb über seinen Orden mit Paris verbunden. Das neue aristotelische Weltbild brachte er von dort aber nicht mit. Er sammelte vielmehr unzählige naturkundliche Detailinformationen von überall her, wo immer er sie finden konnte, und unterwarf sie zum Teil sogar nachträglich einer geistlichmoralischen Auslegung (f Enzyklopädie, Kap. 4.5). Sie wurden damit zugleich für die Predigt verwendbar, so daß franziskanische Kanzelredner wie Berthold von Regensburg sich ihrer auch bedienten. So bleibt der kontinentalwestgermanische Raum im Norden und Osten Frankreichs im wesentlichen doch ‚stiller Teilhaber‘ der großen philosophischen Neuerungen, bis Albertus Magnus sie seit der Mitte des 13. Jh. kreativ aufgreift. Trotz seiner unbezweifelbaren Originalität wird aber niemand bestreiten, daß seine Ideen ohne den Nährboden des Pariser Aristotelismus nicht möglich gewesen wären. Insofern gehört er zur Germania francigena wie die großen deutschen und niederländischen Dichter, die sich französischer Vorlagen bedienten. Einige Zeit Schüler Alberts des Großen am Ordensstudium in Köln war Thomas von Cantimpré, eine Gestalt der Wissenschaftsgeschichte des 13. Jh., die als geradezu symptomatisch für die relative Bedeutungslosigkeit der niederländisch-französischen Sprachgrenze für einen lateinischen Schriftsteller gelten kann. Nahe dieser Sprachgrenze ca. 1201 geboren, war Thomas etwa ab dem 17. Lebensjahr Augustiner-Chorherr in Cantimpré (bei Cambrai, in Wallonien, aber noch innerhalb der Reichgrenze), dann ab ca. 1232 Dominikaner in Leuven, Köln, Saint-Jacques in Paris, schließlich wieder in Leuven, sicher dreisprachig, auch als Prediger, als Schriftsteller aber, soweit wir wissen, nur Lateiner. Sein Hauptwerk, der ‚Liber de natura rerum‘, entstanden wohl von ca. 1225 bis zu seinem Tod vielleicht in den 1270er Jahren, eine Naturenzyklopädie, vergleichbar mit ‚De proprietatibus rerum‘ von Bartholomaeus, umfassend die menschliche Physis und Psyche, Tiere, Pflanzen, Quellen, Steine, Metalle, Gestirne und Elemente mit mehr oder minder ausführlichen allegorischen Auslegungen, gehört zu den Bestsellern des Mittelalters und ist in nahezu 200 Hss. überliefert, die allerdings durchaus verschiedenen Fassungen angehören. Von diesen stammt die am stärksten abweichende, genannt ‚Thomas III‘ gar nicht mehr von Thomas, sondern entstand wahrscheinlich noch zu Thomas’ Lebzeiten im bayerisch-österreichischen Raum in Kreisen der Benediktiner oder Zisterzienser. Sie hat dann im 14. Jh. Konrad von Megenberg zur

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Vorlage seines deutschsprachigen ‚Buchs der Natur‘ gedient (f Enzyklopädie, Kap. 4.4). Schon im 13. Jh. hat Jacob van Maerlant die früheren Fassungen von ‚De natura rerum‘ in flämischen Versen unter dem Titel ‚Der naturen bloeme‘ bearbeitet (Van Oostrom, LG, S. 502–512). Wie in Kap. 4 dargestellt, beschränkt Maerlant seine erfolgreiche Bearbeitung inhaltlich auf die Beschreibung der Erde, schließt also Himmel, Meteorologie, Elementen- und Seelenlehre aus. Er behauptet im Prolog, sich streng an die Vorlage gehalten zu haben, die er Albert dem Großen zuschreibt, nimmt aber bei aller Hochachtung für diesen seinen Gewährsmann doch eine Menge publikumsbedingte Simplifizierungen vor, sucht die Vorliebe ebendieses Publikums für Mirabilien möglichst zu befriedigen und sowohl die praktischen Nutzanwendungen als auch die Moralisationen zu vermehren. Er reduziert einerseits die Datenmenge, z.B. die Etymologien, fügt aber andererseits neues aus anderen Quellen (darunter Petrus Lombardus, Solinus oder dem ‚Speculum naturale‘ von Vinzenz von Beauvais) hinzu. Ein gewisses Schwanken zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxisnähe ist unverkennbar. In der Sprache zeigt sich die Tendenz, auf den Fachwortschatz der physici zu verzichten und dafür eine eigene volkssprachliche Fachterminologie einzuführen. Nicht nur Frankreich hat also an der Blüte der enzyklopädischen Literatur des 13. Jh. teil, auch wenn sich dort das Zentrum befindet. Hier liegen auch ihre zahlreichen Wurzeln im 12. Jh. (f Enzyklopädie) – abgesehen von der ‚Imago mundi‘ des Honorius, die zumindest ihre Endredaktion im südostdeutschen Raum erhalten haben dürfte und hier auch am besten überliefert ist. In Frankreich findet diese Blüte mit dem ‚Speculum maius‘ des Vinzenz von Beauvais (ca. 1190 – ca. 1264) auch ihren krönenden Abschluß. In dieser riesigen, ab ca. 1230 konzipierten, bis zum Tode des Autors nicht vollendeten, durch Mitarbeit seiner Ordensbrüder wesentlich geförderten Kompilation, die aus dem ‚Speculum naturale‘, einer Naturenzyklopädie, dem ‚Speculum doctrinale‘, einem Kompendium der übrigen Wissenschaften, und dem ‚Speculum historiale‘, einer Weltchronik, besteht, findet so ziemlich das gesamte Wissen der Zeit Platz. Als ganzes konnte das Werk keine produktive Rezeption finden. Nur den ersten Teil hat Jacob van Maerlant teilweise in Verse gesetzt (s. Kap. 1.10). Aber ‚De natura rerum‘ kann nur sehr eingeschränkt als ‚francigen‘ gelten. Thomas ist Brabanter aus dem Reichsgebiet und auch überwiegend auf diesem tätig, wenn auch durchaus mit Frankreich geistig verbunden. ‚Thomas III‘ ist vollends ein südostdeutsches Produkt. Aus allen drei Fassungen dürfte sich dann Vinzenz von Beauvais im ‚Speculum naturale‘ reichlich bedient haben. Damit erschöpft sich aber auch so ziemlich die

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‚französische‘ Rezeption von ‚De natura rerum‘, während die Enzyklopädie des Bartholomaeus Anglicus sich in der ganzen Romania großer Beliebtheit erfreute, im 13. Jh. allerdings hier auch nur eine einzige (Teil-)Bearbeitung (in anglonormannischer Sprache) erfuhr. Aber schon die älteste lateinische Überlieferung verweist vorzugsweise auf England und Nordfrankreich (Meyer 2000, S. 41–119 u. 137–146). Der französischen, insbesondere Pariser Wissenschaft verhaftet ist Bartholomaeus vielleicht noch mehr als Thomas, hat jedoch ‚De proprietatibus rerum‘ wohl größtenteils in Magdeburg verfaßt (f Philosophie/Theologie, Kap. 3.6; f Enzyklopädie, Kap. 4.5).

1.10 Dichtung und Dichtungstheorie In diesem Bereich erscheint die Einbeziehung des Lateinischen in die romanisch-germanische Perspektive von vornherein berechtigter als in den vorausgehenden. Allein die – allerdings seltenen – mehrsprachigen Texte und Autoren geben einen Fingerzeig. Schon in Kap. 1.4 wurde die enge Verflechtung angedeutet. Vielleicht wird man an dieser Stelle zuerst ein Wort zu dem wahrhaft europäischen Phänomen des geistlichen Spiels erwarten. Gerade hier zeigen sich aber die Grenzen und Insuffizienzen eines solchen komparatistischen Zugriffs am deutlichsten. Die ältesten schriftlichen Zeugnisse für das ‚Urdrama des christlichen Mittelalters‘, den dialogischen Tropus der ‚Visitatio sepulcri‘ nach Mt 28,4–7 bzw. Lc 24,4–8, stammen aus St. Gallen in der Ostschweiz und aus St. Martial in Limoges in Aquitanien aus etwa der gleichen Zeit im 10. Jh. Obwohl es sich in beiden Fällen um Benediktinerklöster handelt, wissen wir von einem unmittelbaren Austausch nichts, und bald taucht der gleiche Tropus, der rasch textlich ausgeweitet wird, auch in anderen Teilen Europas auf. Neben den ältesten Feiertypus I treten allenthalben der Feiertypus II mit der Hinzufügung des Apostellaufes und der Feiertypus III, der auch die Szene aus Io 20,14–17 mit der Begegnung Maria Magdalenas mit dem Auferstandenen einbezieht. Dieser Typus scheint im anglonormannischen Bereich im frühen 12. Jh. entstanden zu sein. Vielleicht gibt aber das kleine frühmhd. biblische Epos vom ‚Leben Jesu‘ der Frau Ava aus derselben Zeit auch schon den visuellen Eindruck einer solchen Feier vom Typ III wieder (vgl. Knapp, LG I, S. 94 u. 122). Jedenfalls gehören Apostellauf und Hortulanus-Szene dann zum festen Bestand der ältesten Osterspiele, darunter dem ‚Maastrichter Osterspiel‘ (um 1220) und dem ‚Klosterneuburger Osterspiel‘ (frühes 13. Jh.).

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Das alles spielt sich selbstverständlich im kirchlichen und lateinischen Bereich ab. Geben und Nehmen lassen sich da kaum auseinanderhalten. Einflußforschung stößt ins Leere. Auch die seit dem 12. Jh. auftauchenden volkssprachlichen geistlichen Spiele, die in unterschiedlicher Form auf den lateinischen beruhen, scheinen in den romanischen und germanischen Ländern unabhängig voneinander entstanden und entwickelt worden zu sein. Bei den epischen und lyrischen Gattungen der lateinischen Literatur erweist sich das Konzept von GLMF nicht als ähnlich heuristisch wertlos, obwohl es auch hier genug Texte gibt, die als ‚paneuropäisch‘ gelten können, so daß sich die Provenienz entweder gar nicht oder nur durch extratextuelle Zeugnisse, nicht aber aus dem Text selbst einwandfrei erweisen läßt. Bis heute hat sich etwa der Entstehungsort des biblisch-allegorischen Epos eines gewissen Eupolemius (um 1100) oder der elegischen Komödie ‚Pamphilus de amore‘ (Anfang des 12. Jh.?) nicht sicher bestimmen lassen. Die enormen Unsicherheiten, mit denen man bei der Lokalisierung der Tätigkeit von Honorius Augustodunensis zu kämpft hat, wurden in Kap. 1.3 kurz angesprochen. (Von geringer Bedeutung in unserem Zusammenhang ist die biologische Herkunft der Autoren. Die deutsche Abkunft Hugos von St. Victor ist nur wichtig, wenn er aus der Heimat wichtige Bildungsinhalte mitbrachte.) Wenig lokalisierungsrelevante Merkmale trägt üblicherweise die geistliche Lyrik – ähnlich dem aus dem geistlichen Gesang hervorgegangenen geistlichen Spiel –, es sei denn, es werden darin lokale Feste, insbesondere Heiligenfeste, gefeiert. Wir sind auf formale Kennzeichen oder auf außertextliche Hinweise, v.a. Vermerke in den Handschriften und deren Verbreitung angewiesen. Die 45 oder 55 rhythmisch-strophischen Sequenzen, die zu Recht oder Unrecht Adam von St. Victor zugeschrieben werden, haben sich offenbar stufenweise zuerst vom Augustiner-Chorherrenstift St. Victor (in Paris) in der Pariser Diözese, dann in anderen Teilen Frankreichs, schließlich in den meisten Diözesen des Abendlandes verbreitet – die einzelnen Stücke freilich mit unterschiedlicher Schnelligkeit und Reichweite (Langosch 1964b, S. 111). Diese Gipfelpunkte geistlicher Liedkunst in Wort und Ton haben allenthalben reichlich Nachahmung gefunden und die Weiterentwicklung liturgischer, paraliturgischer, ja sogar weltlicher, lateinischer und volkssprachlicher Lyrik stimuliert. Sie sind geprägt von der spezifischen Spiritualität der Victoriner, die als Regularkanoniker der Welt stärker verbunden bleiben als das strengere Mönchtum, die intellektuelle Arbeit der manuellen vorziehen und der Liturgie ähnlich breiten Raum geben wie die Cluniazenser (vgl. Berndt 1997). Sie tragen wie die Werke

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Hugos von St. Victor zum großen Ruhm der Victoriner bei, werden aber in der abendländischen Christenheit kaum als fremdländisch empfunden. Anders liegen die Dinge zumeist bei der weltlichen lateinischen Lyrik. Hilarius und Hugo von Orléans haben offenbar beträchtlichen Einfluß auf die europäische Dichtung des 12. Jh. in der Gelehrtensprache ausgeübt. Dabei konnte aber wenigen die Herkunft aus dem französischen Kulturkreis entgehen. Hilarius richtet Gedichte an Nonnen und adorierte Knaben in England und Angers, sein berühmtestes an seinen Lehrer (?) Petrus Abaelardus, versehen mit einem afrz. Strophenrefrain. Derselbe renommierte Gelehrte wird von Hugo heftig gescholten, aber nicht heftiger als andere Kleriker. Hugos Dichtungen sind fast durchgehend persönlich gehalten und geben ihr reales Objekt auch nicht selten preis. Auch die lateinischfranzösische Sprachmischung kommt bei ihm vor. Aber die Lyrik beider Autoren ist sehr schmal überliefert. Wenig dürfte davon im deutschen Sprachraum bekannt geworden sein wie das kleine Wasser-und-Wein-Lied Hugos (CB 194 = Oxford, Bodleian Library, Ms. Rawlinson G 109, Nr. 14). Allerdings sind Gedichte im Stile dieser Autoren in den ‚Carmina Burana‘ nicht selten (s.u.). Weit größeren Raum nehmen hier aber die im Lateinischen äußerst beliebten moralisch-satirischen Gedichte ein, deren berühmtester Vertreter Walter von Châtillon in der Sammlung immerhin mit fünf Stücken vertreten ist (CB 8, 19, 41, 42, 123). Auffällige Übereinstimmungen in der lyrischen Sprecherrolle zeigen Gedichte Walters mit Sangsprüchen seines deutschen Namensvetters, Walthers von der Vogelweide. Generell warnt Udo Kühne (f Geistliche und weltliche Lyrik, Kap. 7.1) mit vollem Recht vor einer zu optimistischen Einschätzung der handschriftlichen Verbreitung frankolateinischer weltlicher Lyrik in Deutschland. Als eine der seltenen Ausnahmen vermerkt er den Zürcher Kodex C 58/275 vom Ende des 12. Jahrhunderts, in dem ein clericus alemannischer Herkunft, der sich zu Studienzwecken nach Frankreich begab, frankolateinische Texte zusammentrug und dann nach Hause mitnahm, darunter eine Auswahl von Gedichten Marbods von Rennes, aber auch rhythmische Lyrik wie eine Sequenz Adams von St. Victor und andere Sequenzen, und als eine weitere, die wichtigste, die Sammlung der ‚Carmina Burana‘, eine in jeder Hinsicht einmalige Handschrift, welche eine Menge westlicher Produkte, auch viele sonst gar nicht überlieferte, enthält. Benedikt K. Vollmann hat dieser Gruppe immerhin mit einiger Sicherheit die Liednummern CB 1–37, 41, 42, 47, 52, 56–77, 83–96, 98–106, 108–110, 112, 115–123, 131, 155–160, 164, 167, 187, 189, 193, 195, 202, 220, 226, also rund 100 Lieder, zugerechnet. Als direkte Quelle für deutsche Lyriker kommt der Codex natürlich nur beschränkt in Frage, schon wegen seines

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späten Datums (um 1230) und seines exzentrischen Aufzeichnungsgebietes (höchstwahrscheinlich Südtirol), aber er vermittelt uns zumindest den Eindruck von der prinzipiellen Möglichkeit der Rezeption. Eine solche hat nachweislich vor allem im Falle der moralisch-satirischen Dichtungen durch die deutsche Sangspruchdichtung stattgefunden, mitunter allerdings auf dem Umweg über die entsprechende okzitanische Gattung (Sirventes). Eine vergleichbare Wirkung läßt sich sonst nur bei der Pastourelle sicher konstatieren (f Geistliche und weltliche Lyrik). Recht weit ab von jeder frankolateinischen Lyrik liegt dagegen die im selben Codex überlieferte jüngere und kleinere Sammlung von lateinischer Liebeslyrik deutscher Herkunft (CB 132–186 außer 155–160, 164, 167), wohl Relikt eines einmaligen poetischen Experiments ohne traditionsbildende Ausstrahlung. Ursprünglich ganz allein im lateinischen Raum ist die geistliche Lyrik zu Hause. Auf Deutsch ist sie sogar im Hochmittelalter noch eher selten, die Abhängigkeit vom Latein fürs erste einmal traditionell schon seit dem Frühmittelalter gegeben. Im 12. Jh./13. Jh. tritt dann die Wirkung der neuen Sequenzen aus dem Westen hinzu, doch muß sie wiederum nicht direkt von frankolateinischen Stücken Adams von St. Victor und anderer, sondern kann auch von einheimischen lateinischen Nachahmungen jener Stücke ausgegangen sein. Andererseits ist die deutsche Lyrik der sogenannten Hohen Minne ganz von der romanischen Chanson d’amour abhängig (vgl. GLMF III). Aber es gibt Interferenzen, wenn Minnelyrik etwa Einflüsse des biblischen Hohenliedes oder des geistlichen Frühlingseinganges zeigt (f Geistliche und weltliche Lyrik, Kap. 7.1). Walther von der Vogelweide zeigt wohl einige Vertrautheit mit lateinischer Lyrik. Er gibt in seinen Minneliedern erstmals auch lehrhaften Tendenzen Raum. Daneben existieren im Deutschen wie im Okzitanischen und Französischen auch ausgesprochen minnetheoretische Schriften. Die bei weitem gewichtigste Schrift dieses Genres ist jedoch lateinisch: ‚De amore‘ vom Hofkapellan Andreas (bereits aus dem ausgehenden 12. Jh.!). Dieser Text ist für die Forschung seit jeher ein faszinierendes Rätsel gewesen. Mit seiner Gelehrtheit im Bereich der lateinischen Wissenschaft tief verwurzelt, scheint er weltanschaulich weithin der höfisch-ritterlichen Laienkultur verhaftet. So wurde er denn in der Forschung schon früh als Kodifizierung der okzitanischen Trobadorminne gefeiert, dann als ironisch-satirische Polemik dagegen verdächtigt. Auch an Parallelen zur deutschen Literatur mangelt es nicht, ohne daß sich das Abhängigkeitsverhältnis klären ließe. In aller Regel dürfte ein verlorenes romanisches Zwischenglied die Vermittlung übernommen haben. Am nächsten scheinen wir diesem bei Thomasin von Zerkläre zu kommen, der selbst sagt, er habe in der betreffenden Partie nur eine

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eigene ‚welsche‘ Schrift wiedergegeben. Ob er diese verlorene Schrift (‚De la cortezia‘) selbst teilweise aus ‚De amore‘ oder aus einer okzitanischen Quelle desselben bezogen hat, läßt sich aber nicht sagen (f Ars amandi). Ein alle Sprachgrenzen überschreitendes Phänomen ist das Tierepos (vgl. GLMF VI B). Es erklärt sich allerdings zumindest teilweise daraus, daß die einschlägigen Werke ‚Ysengrimus‘ (Flandern), ‚Reinhart Fuchs‘ (Elsaß), ‚Van den vos Reynaerde‘ (Flandern) alle nahe der germanischromanischen Sprachgrenze entstanden sind. Nur die ältesten Branchen des ‚Roman de Renart‘, auf welche das mhd. und das mnl. Reinhart-Epos zurückgehen, stammen vermutlich aus dem etwas weiter von jener Grenze entfernten Nordfrankreich. Wie stark der afrz. ‚Renart‘ vom lat. ‚Ysengrimus‘ abhängig ist, wird verschieden eingeschätzt. Der vermutlich dreisprachige Autor (ein Magister Nivardus?) des um 1150 in Gent entstandenen Tierepos ‚Ysengrimus‘ dünkt sich wohl als Gelehrter den Dichtern in den Volkssprachen überlegen, wertet aber auch diese unterschiedlich. Er läßt den Fuchs Reinardus behaupten, eine Causa im Gegensatz zu seinem Kontrahenten in französischer Sprache (‚Ysengrimus‘ VII,379: Galla loquela; VII,383: Franco ore) führen zu können. Jener Kontrahent aber sei ein armseliger Deutscher (VII,381: Teutonicus miser), der aus bairischer Kehle knarrende Wörter herausfließen lasse (VII,382: Stridula Bauarico gutture uerba liquans). Das ist auffällig, da das hohe Prestige des Französischen in Flandern sonst erst in etwas späterer Zeit belegt ist (vgl. Mann 1987, S. 165–167). Ein rätselhaftes Grenzphänomen stellt auch das Streitgespräch von Salomon und Markolf dar. Die überaus komplizierte Entstehung dieser europaweit beliebten parodistischen Kontrafaktur der Gattung des gelehrten Streitgesprächs konnte bisher nicht entschlüsselt werden (neue Ausg. u. Studie: Ziolkowski 2008). Die mündlichen und schriftlichen Anfänge reichen ins Frühmittelalter zurück. Überliefert ist der lat. ‚Dialogus Salomonis et Marcolfi‘ aber erst im 15./16. Jh., und zwar ganz überwiegend in Deutschland. Das Latein trägt dagegen vielfach romanische Züge. Die Masse des vielleicht im romanisch-germanischen Grenzgebiet zusammengetragenen disparaten sentenziösen Materials könnte bis zum 12. Jh. zusammengestellt worden sein – aus der Bibel, der Schule und dem Volksmund. Die Dialogpartner sind der weise jüdische König Salomon und der ebenso schlagfertige wie ungehobelte Marcolfus. Ehe im zweiten Teil schwankhafte Episoden von den beiden erzählt werden, tragen sie zuvor jeweils Sprüche in Wechselrede vor, wobei Marcolfus auf die weise Moral Salomons „mit ‚niederer‘ Gnomik und Lebenserfahrung“ und somit „drastisch demaskierend […] mit sprichwörtlicher Redensart, animalisch-grober Verdeutlichung oder Verzerrung oder einfach obszöner Sprachgeste

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‚antwortet‘“ (Curschmann 1980, Sp. 81). Auch auf Altfranzösisch aus dem 13. Jh. ist uns zwischen Salomon und Markolf (Marcoul) ein Austausch von Proverbien erhalten, die jedoch keine eindeutigen Übereinstimmungen mit dem lat. Text aufweisen. Die deutschen Fassungen des 15. und 16. Jh. gehen dagegen direkt auf die bekannte lateinische zurück. Intensiv wirken Latein, Französisch und Okzitanisch bei der Vermittlung der Antikenrezeption an den ‚theodisken‘ Sprachraum zusammen. Selbstverständlich wird in diesem das antike Erbe seit der karolingischen Reform auch ganz selbständig aus den antiken Quellen bezogen, aber etwa 1100 kommt ein neuer Schub aus dem Westen, welcher grammtische, rhetorische und poetologische Richtlinien sowie Motive und Sujets vermittelt. Von den Sujets befördern die afrz. Antikenromane (romans d’antiquité) die Hauptlast (vgl. GLMF IV A). Wenn dem ‚Roman de Troie‘ Benoîts de Sainte-Maure auch lat. Pseudo-Ovidiana (‚Ylias‘ von Simon Aurea Capra; CB 101, inc. Pergama flere volo) zur Seite treten, so tragen sie zum Stoff wenig zusätzliches bei, anders als die antiken Texte selbst. Jacob van Maerlant etwa ergänzt die Übertragung des ‚Roman de Troie‘ unter anderem mit Stücken aus der vergilischen ‚Aeneis‘. Und die deutschen Autoren sind sich fast immer dessen bewußt, daß hinter der französischen Zwischenstufe noch eine antike Quelle steht. Ein veritables Konkurrenzverhältnis läßt sich zwischen dem ‚Roman d’Alexandre‘ (in seinen diversen Fassungen) und der lat. ‚Alexandreis‘ Walters von Châtillon (um 1180) beobachten, wozu natürlich wiederum noch die antiken pseudohistoriographischen Quellen treten. Der Befund ist kompliziert und auch noch nicht in allen Details klar und vollständig eruiert (f IV A Alexanderromane). Um das Konkurrenzverhältnis unmittelbar zu veranschaulichen, werden die Derivate der ‚Alexandreis‘ (von Rudolf von Ems, Ulrich von Etzenbach, Jacob van Maerlant) nicht hier in GLMF I behandelt, obwohl dies aus den oben genannten Gründen durchaus vertretbar gewesen wäre. Doch darf man die ‚Alexandreis‘ (wie in f IV A Alexanderromane, Kap. 2.4, ausgeführt wird) zu denjenigen lat. Werken zählen, welche für den Rezipienten problemlos als opus francigenum zu erkennen waren. Anspielungen auf französische Belange sind nicht selten. Am deutlichsten spricht das Gebet anläßlich des babylonischen Triumphzuges Alexanders (Walter von Châtillon, ‚Alexandreis‘ V,510–520), Gott möge einen solchen König Frankreichs senden, der die Heiden besiegen und so zwingen könnte, sich durch den Bischof von Reims taufen zu lassen. Die Mehrheit der lat. Epen des 12./13. Jh. behandeln, anders als die ‚Alexandreis‘, Gegenstände der eigenen regionalen oder ‚nationalen‘

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Geschichte, oft sogar der Zeitgeschichte. Dergleichen ist ebensowenig wie die Historiographie in Prosa ein geeigneter Stoff für den Literaturtransfer von einem Land in ein anderes, sondern regional gebunden. An solcher Geschichtsdichtung und -schreibung für den eigenen ‚Hausgebrauch‘ beteiligen sich beide Seiten des Rheins mit etwa gleichem Eifer, ohne sich fremde Nachhilfe, abgesehen von antiken Vorbildern, zu holen. Etwa das an Vergil, Lucan, Statius etc. geschulte Barbarossa-Epos ‚Ligurinus‘ eines deutschen Dichters namens Gunther braucht im Bereich der Geschichtsepik gewiß keine französische Konkurrenz zu scheuen. In jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung ist die Rezeption des ‚Speculum historiale‘ des Pariser Dominikanerlektors Vinzenz von Beauvais (vor 1200 bis 1264), der bedeutendsten historischen Enzyklopädie des Zeitalters. Der riesige lat. Prosatext (selbst nur Teil eines noch viel größeren Werkes) ist größtenteils reine Kompilation fremder Texte mit zeitlich und räumlich umfassendem Anspruch. Etwaige ‚nationale‘ Züge gehen in der Masse des Materials völlig unter. Jacob van Maerlant widmet seine Übertragung in mehr als 90000 mnl. Versen dem Grafen Florens V. von Holland, dem Sohn König Wilhelms (Gegenkönig 1247–1256). Königlich soll sich das überdimensionale Werk präsentieren. Nur deshalb hebt Maerlant auch hervor (Van Oostrom, LG, S. 524), Vinzenz selbst habe auf Geheiß König Ludwigs von Frankreich geschrieben (was allerdings nur auf eine Überarbeitung des ‚Speculum‘ zutrifft – vgl. Wiegand 1999, Sp. 365). Es besteht also kaum Anlaß, das Französische an dem lat. Werk hervorzuheben und die Ableger in unserem Rahmen zu besprechen, auch wenn es neben Maerlants Übertragung auch noch deutsche Versuche des 13. und 14. Jh. gab, darunter vielleicht sogar den einer Gesamtübersetzung im Deutschen Orden (Wiegand 1999, Sp. 367). Kann man das ‚Speculum historiale‘ als wahrhaft europäisches Geschichtskompendium bezeichnen, so vertritt die ‚Historia regum Britanniae‘ Geoffreys von Monmouth einen durchaus ‚nationalen‘ Standpunkt. Es wirkt fast wie eine Ironie der Geschichte, daß die parteiische Lobhudelei für den historisch zweifelhaften Britenkönig Arthur Anlaß für eine der wirkungsmächtigsten Gattungen der mittelalterlichen volkssprachigen Literatur, den Artusroman, gegeben hat (vgl. GLMF V). Das Genie Chrétiens von Troyes hat zwar die ‚Historia‘ und ihre afrz. Version fast hinter seinen Romanen verschwinden lassen, aber spätestens mit dem afrz. Prosaroman kehrt die Gattung zur Geschichte und damit zumindest partiell wieder zu Geoffreys ‚Historia‘ zurück. Wolfram von Eschenbach kennt diese zwar nicht, deutet im ‚Parzival‘ jedoch historische Zusammenhänge wenigstens von fern an. Diesen Weg geht dann vehement Wolframs

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literarischer Nachfolger, Albrecht, weiter. Nicht nur Huschenbett (1978, Sp. 167f.) vertritt (entgegen anderen Forschern) die Auffassung, Albrecht habe im ‚Jüngeren Titurel‘ (vor 1272?) nicht nur die ‚Historia‘ gekannt, die er zitiert, sondern auch deren afrz. Umsetzung durch Meister Wace und auch ‚Joseph d’Arimathie‘ (‚Roman de l’estoire dou Graal‘) von Robert de Boron und den afrz. ‚Prosa-Lancelot‘. Gesichert scheint mir das nicht und jedenfalls weiterer Untersuchungen bedürftig. Die Aufbewahrung der Gralsschüssel durch Joseph von Arimathia findet sich jedenfalls nicht nur bei Robert de Boron und seinen Nachfolgern, sondern auch in der vor 1216 entstandenen lat. ‚Weltchronik‘ Hélinands von Froidmont (MPL 212, 814D-815A). Der Fall ist typisch für eine Quellensituation, wo Lateinisches und Französisches gar nicht sicher auseinandergehalten werden können und daher in gleichem Maße berücksichtigt werden müssen. Man wußte natürlich, daß Artus König von Britanje/Britane/Bertane gewesen ist, aber allein die mhd. Namensform Artus weist auf den französischen Vermittlungsweg der Kunde von diesem keltischen Herrscher. Der Artusroman ist zweifelsfrei eine volkssprachige Erfindung, anders als die epische Allegorie, die sich auf Latein in Frankreich formiert. Auf diesem Feld gehen Rezeption antiker Mythologie und Poesie fast zwangsweise Hand in Hand, werden antike Mythen im christlichen Mittelalter doch meist allegorisch interpretiert und so fast selbstverständlich zum Gefäß der Darstellung vorchristlicher kosmologisch-anthropologischer Spekulationen, die auch für die Christen eine beschränkte Geltung haben können. Weil sich jene Spekulationen aber de facto nur bildlich-fiktiv, als integumentum, wie man es damals nannte (f Allegorie), ausdrücken lassen, öffnet sich die Philosophie der Poesie, die zudem in ihrer formalen künstlerischen Ordnung die wissenschaftlich erkannte Ordnung der Welt spiegelt. Die allegorische Dichtung ist für das Mittelalter in der Spätantike vorgebildet, an erster Stelle durch die ‚Psychomachia‘ des Prudentius. Den speziellen philosophischen Gehalt liefert aber erst die neuplatonische Schöpfungslehre der sogenannten Schule von Chartres. In die mit der christlichen Dogmatik so halbwegs vereinbare und poetisch vorbildhafte Gestalt wird sie von Alanus ab Insulis im ‚Anticlaudianus‘ (um 1181/84) gebracht und macht in ganz Lateineuropa Furore, obwohl sie in den Augen rigoristischer Kreise der Kirche immer noch zu heterodoxe Züge trägt. Kommentare und Resümees versuchen denn auch, Alains homo perfectus mit Christus gleichzusetzen, was aber zu unaufhebbaren Widersprüchen führen muß. Am meisten faszinierte aber die integumentale, also profan-allegorische Darstellungsweise, die sich auf viele weitere Gegenstände übertragen ließ,

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die Gebildeten und Literaten. Es dürfte diesen schwerlich entgangen sein, daß die neue Art der fabula ein Ertrag des nordfranzösischen Schulunterrichts war, auch wenn der ‚Anticlaudianus‘ (ebenso wie Alains früheres Werk, der ‚Planctus Naturae‘) jede Anspielung auf lokale Verwurzelung und Mäzenatenabhängigkeit vermissen läßt. Diese Darstellungsweise macht im 13. Jh. auch in den Volkssprachen Schule, in Frankreich erstmals im ‚Songe d’enfer‘ (um 1210?) von Raoul de Houdenc, einer Traumvision der von den menschlichen Lastern bewohnten Höllenstadt, und dann in den ersten ca. 4000 Versen des ‚Roman de la rose‘ von Guillaume de Lorris (vielleicht um 1225/30), der ersten großen Minneallegorie (f VI C Rosenroman). Erst Jean de Meun aber nimmt in seine Fortsetzung des ‚Rosenromans‘ von 1270/80 auch eine ganze Partie des ‚Anticlaudianus‘ in Übersetzung auf. Weit weniger deutlich, aber doch nicht auszuschließen sind Reflexe in Dantes ‚Divina Comedia‘. Im Deutschen (f Allegorie) hat sich fraglos Gottfried von Straßburg intensiv mit den inneren geistigen und ästhetischen Strukturen der Alanischen Dichtung auseinandergesetzt, obwohl er kaum an der Textoberfläche wahrnehmbare Entlehnungen vornimmt. Sonst beschränkt sich Alains Einfluß auf markante Einzelmotive, insbesondere die allegorischen Personifikationen der Natura und der Fortuna. Beide kommen natürlich in der lat. Literatur nicht nur bei Alanus vor. Und auch im Afrz. spielt Nature z.B. bei Chrétien von Troyes (zeitlich vor Alanus) eine wichtige Rolle als Schöpferin weiblicher Schönheit. Hartmann von Aue und Wolfram übernehmen diese kreative Instanz nach und neben Gott, mit welcher Chrétien sichtlich spielt, nicht. Dies tut erst Heinrich von dem Türlin in der ‚Krone‘ von ca. 1230, vielleicht unter dem Eindruck der Werke des Alanus ab Insulis. Wörtlich zitiert er diesen jedenfalls in der Beschreibung der Fortuna (vrou Saelde). Die Kenntnis des integralen Textes des ‚Anticlaudianus‘ wird dadurch freilich nicht bewiesen, noch weniger durch die Alanus-Zitate im ‚Welschen Gast‘ Thomasins von Zerklaere (von 1214/15). Wenn Thomasin die Elementenlehre, die Exempelfiguren der Artes liberales, vielleicht auch die geistigen Fähigkeiten des Menschen aus dem ‚Anticlaudianus‘ bezieht, so wirkt das Verfahren durchaus eklektisch. Von dem gesamten chartrensischen Weltbild scheint Thomasin wenig begriffen und schon gar nicht sich Alains genuin poetisches Anliegen zu eigen gemacht zu haben. Dieses beruht nicht zuletzt auf den neuen poetologischen Überlegungen in den nordfranzösischen Schulen, insbesondere in der Schule von Orléans (f Poetik, dort auch Hinweise zur Ars dictaminis). Aus dem intensiven Umgang mit den antiken auctoritates, den Kommentaren und der lectio auctorum insgesamt entspringt eine sonst von der Scholastik zurück-

Dichtung und Dichtungstheorie

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gewiesene Hochschätzung des wissenschaftlichen Wertes der poesis. Sie wird als gleichberechtigte scientia neben sapientia, eloquentia und mechani(c)a gestellt. In denselben Kommentaren findet sich auch die theoretische Grundlegung der allegorischen Dichtung. Hier wird das integumentum definiert als „eine Rede, die unter einer fabulösen Erzählung eine wahre und vom Äußeren verschiedene Einsicht verhüllt“ (‚Martiankomm.‘ 2,74f.: oratio sub fabulosa narratione verum et ab exteriori diversum involvens intellectum ~ ‚Aeneiskomm.‘ 3,14f.), und unterschieden von der allegoria, wo die fabulosa narratio durch die historica narratio ersetzt wird (‚Martiankomm.‘ 2,73). Die lectio auctorum steht (als Teil der scientia interpretandi ) der Erlernung der aktiven Textproduktion im Rahmen der ars grammatica unmittelbar zur Seite und diese auch der Rhetorik recht nahe. In Orléans schuf Matthäus von Vendôme auf der Basis der antiken Vorschriften Donats, Ciceros und Pseudo-Ciceros seine ‚Ars versificatoria‘. Er war aus Tours gekommen, wo er bei Bernardus Silvestris studiert hatte, ging von Orléans dann (vor 1175) nach Paris und kehrte schließlich wieder nach Tours zurück († vor 1200?). An Wirkung wurde die ‚Ars versificatoria‘ von der ‚Poetria nova‘ Galfreds von Vinsauf (um 1210?) bei weitem übertroffen, die trotz ihres Titels dennoch ebenfalls weit eher eine rhetorische als eine poetologische Schreibanleitung darstellt. Fast 200 meist vollständig erhaltene Handschriften, verstreut über ganz Europa, bezeugen die Beliebtheit der ‚Poetria nova‘. Noch an den spätmittelalterlichen Universitäten wurde daraus Rhetorik gelehrt und gelernt. Sie regte weitere ähnliche Werke an, die aber viel weniger Erfolg hatten. Eines davon, entstanden vielleicht noch im ersten Drittel des 13. Jh., ist der ‚Laborintus‘ Eberhards des Deutschen. Darin wird Orléans als „autorennährende Quelle der Muse“ (Eberhard, ‚Laborintus‘, V. 947f.: alumna Auctorum, Musae fons) gepriesen. Dort hat der Verfasser studiert, zuvor in Paris; nun zur Zeit der Abfassung des ‚Laborintus‘ erfüllt er die drückenden Pflichten eines Schulmeisters, wie er sagt (‚Laborintus‘ 943–952). In Frankreich hat er den Beinamen Alemannus bekommen. Nur aus späteren Handschriften erfahren wir, daß er schon Pariser magister war und dann rector scolar(i)um in Bremen (oder/und in Köln?). Obwohl aufgrund der schwachen und späten Überlieferung des Werkes keine bemerkenswerte Wirkung auf die lateinische und deutsche Dichtung vor 1300 anzunehmen ist, kann uns Eberhard als Kronzeuge für die unmittelbare Ausstrahlung der ‚Poetik‘ der nordfranzösischen Schulen nach Osten und Nordosten gelten. Die in den ‚Laborintus‘ eingefügte ‚Leseliste‘ läßt auch auf das textliche Rezeptionsgut schließen, welches aus der frankolateinischen Poetik und Poesie des 12. und frühen 13. Jh. bereitwillig aufgenommen wurde.

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Einleitung und Überblick

Von den praktischen Dichtungsregeln am stärksten ins Gewicht fällt zweifellos die von Galfred aufgebrachte und von Eberhard getreulich reproduzierte Entscheidungsmöglichkeit zwischen dem schweren Schmuck der bildhaften Ausdrucksweise, dem „schwierigen Weg“ (‚Laborintus‘ 285: semita difficilis), und dem „ebenen Weg“ (431: via plana). Der sogenannte ‚Literaturexkurs‘ im ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg ist ohne diese Vorgabe nicht vorstellbar, auch wenn eine Kenntnisnahme der ‚Poetria nova‘ durch Gottfried chronologische Probleme bereitet. Der ‚Laborintus‘ konnte Gottfried sicher nicht bekannt sein. Dafür zitiert Gottfried aber an anderer Stelle die ‚Ars versificatoria‘ wörtlich. Wir dürfen ihn uns ohne allzu großes Risiko in seinen früheren Jahren an einer nordfranzösischen Schule vorstellen. Er wirft gleichermaßen mit lat. Bildungsgut wie mit afrz. Wörtern und Phrasen um sich. Daraus sollte exemplarisch hervorgehen, wie sinnvoll und nötig es scheint, den lateinischen so wie den volkssprachigen Export aus dem französischen in den ‚theodisken‘ Sprachbereich zu berücksichtigen.

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Einführung

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2 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen (Ende 11. Jh. – Anfang 13. Jh.) von Jean-Marie Moeglin 2.1 Einführung – 2.2 Lateineuropa als Kulturraum – 2.3 Kulturdynamik und Polarisation im Raum – 2.4 Die Mobilität von Personen – 2.5 Der Transfer der Handschriften und Werke – 2.6 Gekreuzte Blicke zwischen Deutschland und Frankreich

2.1 Einführung Am Ende des 11. Jh. liegt die Verantwortung für die Kultur, welche man gelehrt nennen kann, ausschließlich bei der Kirche. Es sind die kirchlichen Institutionen, die ihre Produktion ermöglichen; es sind die Männer der Kirche, welche sie hervorbringen; es ist das kirchliche Netzwerk, welches ihre Verbreitung organisiert und überwacht. Die Kirche ist ja eine internationale Organisation (vgl. u.a. Borgolte 1992) ohne Grenzen: ohne Beschränkungen für die Mobilität der Kleriker und ohne nationale Restriktionen für die Ernennung zum Bischof oder Abt in einem bestimmten Land. Die Kleriker und ihre Bücher wandern ungehindert von Ort zu Ort. Die gemeinsame lateinische Sprache garantiert zwischen ihnen eine problemlose Kommunikation. Zwar machen die kirchlichen Strukturen seit den letzten Jahrzehnten des 11. Jh. mit der Entwicklung der Kirche zur hierarchisierten Institution unter dem absoluten Supremat des Papstes eine wichtige Veränderung durch, doch stellt diese den übernationalen Charakter der Kirche nicht nur nicht in Frage, sondern verstärkt ihn sogar noch. Das bedeutet, daß man von vornherein auf kultureller Ebene keine Opposition, ja nicht einmal eine Unterscheidung zwischen französischsprachigem und deutschsprachigem Raum machen kann (vgl. zusammenfassend Große 2005). Die entscheidende Differenz liegt innerhalb der Gelehrtenkultur der Kirche als Ganzer, nämlich in der zunehmenden

50 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Konfrontation der monastischen Kultur, welche in einer langen Tradition der ständigen Meditation über die heiligen Schriften steht, mit der Kultur der neuen städtischen Schulen, die ihr Schwergewicht auf Logik und Dialektik legen. Beide Kulturen haben ihren eigenen Platz, auf der einen Seite die alten Domschulen und immer mehr auch die neuen städtischen Schulen, auf der anderen die Klöster und Kanonikerstifte. Was die beiden Welten unterscheidet, ist – mehr als abweichende Lehrmeinungen, die man nicht überschätzen sollte – der Wille der einen zur Öffnung nach außen, die Fähigkeit, eine Kultur zu entwickeln, welche auf neue Bedürfnisse einer Gesellschaft im raschen Wandel reagiert, während die anderen den Rückzug aus der Welt bevorzugen (über die Kontroverse vgl. zuletzt Kouamé 2009). Die neuen Schulen sind deutlich offen zur Welt draußen und leben davon, während die monastische Kultur zuvörderst auf sich selbst gerichtet ist und sich nur an andere Menschen wendet, um sie zum Klostereintritt einzuladen. Das große Ganze, bestehend aus dem Deutschen Reich und dem Königreich Frankreich, ist so in unserer Periode von den letzten Jahrzehnten des 11. Jh. bis zu den ersten des 13. Jh. ein offener Raum, teilweise zusammengehalten und strukturiert durch Vernetzungen. Doch es handelt sich nicht um einen homogenen Raum, sondern ganz im Gegenteil um einen, in dem die Polarisierung sich erkennbar während des 12. Jh. immer weiter steigert. Es entwickeln sich neue kulturelle Zentren, die an Bedeutung und Prestige gewinnen und die sie umgebenden Gebiete dominieren. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie Paris von der ersten zur zweiten Hälfte des 12. Jh. so etwas wie die intellektuelle Hauptstadt des Abendlandes wird. Es bildet sich eine neue kulturelle und intellektuelle Geographie Europas heraus, in der eine kleine Zahl von Zentren über periphere Räume gebietet. Einen wichtigen Aspekt dieser Polarisation bildet die Vertiefung des kulturellen Ungleichgewichts zwischen West und Ost. Die Erneuerung der Institutionen und kulturellen Inhalte vollzieht sich zuerst im Westen, während der Osten, ohne unbeweglich und unschöpferisch zu sein, doch eher dem alten und überkommenen Schulwesen verhaftet bleibt. Daraus resultiert eine Asymmetrie des geistigen Austauschs: die Wanderung der Studenten von Ost nach West und der Handschriften und Werke von West nach Ost. Zur gleichen Zeit wird allenthalben eine Art Vorherrschaft der französischen Kultur erkennbar. Zwar sind einige ihrer Hauptvertreter fremden Ursprungs; ihre Ausbildung haben sie aber in Frankreich bekommen und da als Lehrer gewirkt.

Lateineuropa als Kulturraum

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Es sind diese Aspekte, welche wir uns hier bemühen werden herauszustellen, wobei zu betonen ist, daß etliche hier angesprochene Aspekte Gegenstand aktueller Untersuchungen, Debatten und Fragestellungen sind, die wir hier nicht ausreichend berücksichtigen können, und daß im übrigen manches unterbelichtet bleiben muß.

2.2 Lateineuropa als Kulturraum Ein offener Raum für den Austausch von Personen und Werken – Ein partiell durch Austausch und Transfer zusammengehaltener Raum

Ein offener Raum für den Austausch von Personen und Werken Die lateinische Christenheit bildet einen Raum, in dessen Innerem sich Magister und Scholaren ohne Probleme frei bewegen und sich an diesem oder jenem Ort niederlassen, je nachdem, ob die Bedingungen ihrem Tätigkeitsprofil am ehesten zu entsprechen scheinen oder ob ihnen Stellen angeboten werden. In einer Welt mit geringer Institutionalisierung des Bildungswesens bildet sozusagen die Mobilität, ob frei gewählt oder auferlegt, selbst die Grundstruktur (Lesne 1940; Verger 1991; Giraud 2009) und hält sich an keine nationalen Grenzen. Einige Beispiele aus dem 11. Jh.: Erzbischof Maurille von Rouen († 1067) wurde, obwohl sicherlich in Reims geboren, Scholaster in Halberstadt und schließlich 1055 Erzbischof von Rouen. Gozechin (oder Gozwin) von Mainz, gegen 1000 in Lüttich geboren, erzogen in Fulda unter Erzbischof Bardo, dürfte Schüler Herimans von Reims gewesen sein, ehe er nach 1058 Scholaster in Mainz und schließlich Erzbischof von Mainz wurde. Noch repräsentativer für ein solches Itinerar ist das Beispiel des Honorius Augustodunensis (vgl. Garrigues 1986–88; Sturlese 1993, S. 119–142; zuletzt http://www.geschichtsquellen.de/repPers_119066548.html). Er könnte in Irland vor 1080 geboren sein, bis er nach England ging, wo er seine ersten Werke verfaßte, vielleicht in Worcester. Gegen 1102 verließ er Großbritannien, begab sich möglicherweise nach Autun, wo er Kleriker geworden sein könnte. Dann könnte er in Nordfrankreich studiert, die Lektionen Wilhelms von Champeaux gehört haben und gegen 1117 in Laon gewesen sein. Eine Stelle bei Honorius scheint nämlich anzudeuten, daß er dem Unterricht Wilhelms von Champeaux beigewohnt hat, entweder in Laon oder in Paris. Bis 1120/1125 veröffentlicht er Schulschriften,

52 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen ehe er zu Streitschriften übergeht. Gegen 1126 befindet er sich mit höchster Wahrscheinlichkeit in Deutschland. Möglicherweise verbrachte er einige Zeit in Siegburg, wo er Chuno von Raitenbuch kennenlernen konnte, ehe dieser zum Bischof von Regensburg gewählt wurde. Jedenfalls dürfte er sehr rasch in das Regensburger Schottenkloster St. Jakob eingetreten sein, und er beschloß allem Anschein nach, in Regensburg zu bleiben. In dieser Zeit nahm er sich sein älteres Werk wieder vor, verbesserte es und gab ihm seine endgültige Form. Die Handschriften dieser Zeit und dieser Region nennen ihn oft inclusus oder solitarius. Diese Mobilität von Magistern und Scholaren zwischen der Germania und der Gallia wird hier an dem Beispiel des Itinerars einiger Magister demonstriert, aber es kann ebensogut auch komplementär am Beispiel der Abfolge von Magistern innerhalb ein und derselben Schule geschehen, wie man sie an der Schule von Reims am Ende des 11. Jh. beobachten kann (Williams 1947 u. 1954; Demouy 2005, S. 165f.), zu einer Zeit, da sie eine der führenden Wissenszentren Europas nördlich der Alpen darstellt. Deutsche und romanische Magister wechseln einander problemlos ab und unterrichten französische und deutsche Schüler. Heriman, vielleicht deutscher Abstammung, ist Magister in Reims 1043 bis 1075. In dieser Zeit scheinen im Reimser Geistesleben Grammatik, Rhetorik, lectio et imitatio auctorum, praecipue poetarum die Hauptschwerpunkte des Unterrichts zu sein, während die Logik kaum gepflegt wurde. Meinhard von Bamberg, Schüler von Heriman, schreibt ein an Horaz, Vergil, Cicero und Martial geschultes Latein (vgl. Schieffer 1985; Märtl 1991, S. 331–338). Aber Heriman nimmt auch die Kommentierung der Bibel im Lichte der patristischen Schriften in Angriff. Dieser neue Lehrgegenstand zieht Studenten an, deren bekanntester der aus Köln gebürtige Bruno ist. Unterrichtet an den Reimser Schulen (wohl 1044–48), kehrt er, ausgestattet mit der Pfründe eines Kanonikus von St. Kunibert, als Nachfolger Herimans am Ende der 1050er Jahre unter Bischof Gervasius, dann seinem Nachfolger Manasses I. nach Reims zurück. 1076 ist er Kanzler des Erzbischofs und Scholaster, muß aber wegen seiner Gegnerschaft gegen Manasses ins Exil gehen. Zurück in Reims am Beginn der 1080er Jahre, entschließt er sich sehr schnell, der Welt zu entsagen, was ihn schließlich zur Gründung der Chartreuse 1084 führen wird. Er stand im Rufe, eine universale Wissenskompetenz von den profanen Wissenschaften bis zur Bibelexegese zu besitzen. Seine ‚Expositio in psalmos‘ wie auch die ‚Expositio in epistolas Pauli‘, die ihm lange zugeschrieben wurde, aber von einem Manne aus seiner Umgebung stammt, übten einen profunden Einfluß auf die theologische Erneuerung an der Wende vom 11. zum 12. Jh. aus (vgl. Kraebel 2009). Viellleicht wurde auch

Lateineuropa als Kulturraum

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Anselm von Laon in Reims ausgebildet. Doch fehlen dafür sichere Zeugnisse. Am Ende des 11. Jh. erleidet die Reimser Schule einen Rückschlag, der sich vielleicht durch die Anfänge des Unterrichts in Laon durch Anselm erklärt. In Reims tritt Brunos Nachfolge als Kanzler und Scholaster ein gewisser Gottfried an, der bis 1094 im Amt bleibt. Ihm folgt ab 1096 der Kanoniker Oudry, der 1106 Kardinal in Rom wird und dort bleibt. Reims muß bis zur Ankunft Alberichs als Scholaster warten, ehe es sein Prestige wiedererlangt. Die Internationalität der Magister und Scholaren war jedenfalls am Ende des 11. Jh. generell gegeben, und man kann sich die Gesamtheit der Magister als ein Netzwerk vorstellen, in welchem sie durch persönliche und vor allem briefliche Kontakte verbunden waren. So schreibt in einem Brief der Briefsammlung von Hildesheim ein fortgeschrittener Schüler an einen anderen, er habe ihn an mehrere französische, normannische und deutsche Magister empfohlen, und fährt fort mit der Warnung vor einem Pseudo-Magister Heribert, der schon fatal in Beauvais gewütet habe und für dessen Unterricht man ihm in Frankreich nicht einmal drei Heller geben würde, sollte er dort geblieben sein (Erdmann/Fickermann 1950, Nr. 36, S. 77f.). Dieser Brief ist vielleicht nur eine Stilübung. Aber ein ganz realer Brief von Gozwin von Mainz (s.o.), datiert auf ca. 1065 und an seinen alten Schüler Walcher adressiert, kritisiert scharf die üblen Sitten der neuen Studenten: Wandernde Schüler, die an verschiedenen Orten nur Pseudo-Wissen erwerben, gehen hierauf als vagi von Schule zu Schule und kehren dann als pseudomagistri in ihr Land zurück, um andere mit ihren schlechten Lehren zu verderben. Für Gozwin ist Berengar (von Tours) der Prototyp und die Quelle dieser pseudomagistri. Aber die wahren Meister, Hermann von Reims, Drogo von Paris, Huozmann von Speyer, Meinhard von Bamberg, halten Abstand von solchen abscheulichen Neuerungen, um sich dem Studium der Theologie zu widmen (Gozechinus, ‚Apologiae duae‘, Ausg. Huygens, S. 3–43, hier S. 32 u. 35: haec omnia sapienter despexit Herimannus Remensis, Drogo Parisiensis, Spirensis Huozemannus, Bavenbergensis Meinhardus et preterea multi et prestantes et precipuae auctoritatis viri, qui precisis spebus et abdicatis laboribus, studiis valefecerunt et sapienti consilio usi in theologiae otium concesserunt; vgl. Jaeger 1994, S. 221–226; Steckel 2011, S. 950). Hier zeichnet sich eine Art magistraler Internationale ab, wo alle einander von Paris bis Bamberg und Reims bis Speyer kennen. Der ungestörten Mobilität der Magister und Scholaren im französischdeutschen Raum entspricht auf der anderen Seite der ungehinderte Transfer von Werken und Manuskripten. Die Briefsammlung von Hildesheim, nach Carl Erdmann kurz nach 1085 in Hildesheim zusammengestellt, ent-

54 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen hielt z.B. ein Konvolut von 22 Briefen Berengars von Tours († 1088), berühmt für seine Kontroverse um die Eucharistie (Erdmann/Fickermann 1950, S. 6f.; Steckel 2011, S. 760). Die Aufnahme der Briefe Berengars in eine deutsche Briefsammlung bezeugt enge Kontakte mit dem französischen Raum. Sie sind wahrscheinlich von einem deutschen Schüler Berengars herbeigebracht worden. In der Tat waren Berengars Thesen in Deutschland bekannt und haben Abwehrreaktionen bei deutschen Gelehrten hervorgerufen, wie es der oben zitierte Brief Gozwins zeigt. Umgekehrt findet man die Briefe des Scholasters Meinhard von Bamberg, der die beiden Jahre seines Studiums in Reims als die schönsten seines Lebens betrachtete, in einem französischen Manuskript, wo sie sich in der Nachbarschaft der Briefe Hildeberts von Lavardin und Marbods von Rennes, Scholasters von Angers, befinden (Erdmann/Fickermann 1950, S. 189; Schieffer 1985; Märtl 1991, S. 333–340). Diese Briefsammlungen dienten zweifelsohne dem Unterricht. Etliche andere Beispiele für diesen Transfer von Büchern und Handschriften werden im Laufe dieses Beitrags noch geliefert werden. Ein partiell durch Austausch und Transfer zusammengehaltener Raum Der Kulturraum, welchen Germania und Gallia innerhalb von Lateineuropa bilden, ist zwar eine offener, aber auch ein durch supranationale Vernetzungen zusammengehaltener Raum. Diese Netzwerke organisieren den Austausch und Transfer auf literarischem und kulturellem Gebiet. Die sichtbarsten, weil am besten organisierten, sind die monastischen Netzwerke. Cluny benötigte eine Menge Zeit, ehe seine Klöster sich zu einem wirklichen Orden affiliierten. Die Cluniazenser erlebten außerdem in Deutschland keine unbegrenzte Entwicklung, auch wenn sie einen mittelbaren Einfluß durch die Vermittlung von Hirsau ausübten, dessen consuetudines weithin die von Cluny nachahmten. Man kann drei cluniazensische Expansionsphasen im deutschen Reich unterscheiden (vgl. Kohnle 1998). Die erste reicht von 965 bis zum Beginn des 11. Jh., die zweite von 1070 bis 1107 mit der Gründung von 11 Töchterklöstern in der Westschweiz (Rougemont, Münchenwiler, Corcelles, Hettiswil, St. Alban/Basel und Bellmund, später noch die St. Petersinsel), im Elsaß (Altkirch und Froidefontaine) und im deutschen Kernland (St. Ulrich, Sölden und Istein). Eine dritte Phase deckt sich in etwa mit der Regentschaft von Abt Petrus Venerabilis von Cluny (1122–1156) mit der Schaffung von zehn weiteren

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Prioraten, nämlich Baulmes, Thierenbach, Bargenbrück, Vallorbe, Feldbach, Röthebach, Bassins, Biesheim, St. Peter/Kolmar und Mollens. Nach dem 12. Jh. findet die Ausbreitung der Cluniazenser im Reich ihr Ende, abgesehen von dem Umstand, daß manche der Cluniazenser-Klöster selbst (z.B. St. Alban in Basel) eine geringfügige Expansion erlebten. Diese Cluniazenser-Expansion im engeren Sinn bliebt in jedem Fall bescheiden. Hirsau hingegen, das in der ersten Hälfte des 12. Jh. einen veritablen Aufschwung erlebt, kann in gewisser Weise als Ableger von Cluny gelten. Es hatte nämlich die consuetudines Cluniacenses infolge eines Aufenthalts des päpstlichen Legaten Bernhard von St. Victor/Marseille und des Priors Ulrich von Cluny in Hirsau 1079 angenommen. Aber Hirsau ist bestenfalls eine deutsche Adaptation von Cluny, keinesfalls eine Tochter von Cluny. Im übrigen blieb der Wunsch, die Gewohnheiten und Bräuche auf Kosten lokaler Traditionen innerhalb der Hirsauer Kongregation zu uniformieren, schwach ausgeprägt. Es ist evident, daß die Cluniazenser ‚Internationale‘ auf jeden Fall nur eine relativ bescheidene Rolle im Kulturtransfer zwischen Frankreich und Deutschland spielen konnte. Ganz anders liegt der Fall bei den neuen Orden des 12. Jh. und insbesondere beim Zisterzienserorden, der sich rasant verbreitete und ca. 500 Töchterklöster zwischen 1113/15 und dem Jahrhundertende gründete. Spätestens seit den 1140er Jahren bekam nämlich das von Hirsau geprägte Modell Konkurrenz durch das neue zisterziensische Modell. Papst Innozenz II. tadelt übrigens die Äbte der Zisterzen nahe von Hirsau dafür, daß sie Flüchtlinge aus dieser Schwarzwaldabtei aufgenommen hätten. Die neuen Klöster des Zisterzienserordens wurden ausgehend von einer schon bestehenden Abtei gegründet, welche jeweils ein Kontingent von zwölf Mönchen aussandte. Unter den ersten Zisterziensergründungen in Deutschland zählt man namentlich Kamp 1123, Ebrach 1127, Walkenried 1129, Salem 1134 und Heiligenkreuz, gegründet von den Babenbergern 1135 bei der Rückkehr Ottos, des späteren Bischofs von Freising, von seinem Aufenthalt an französischen Schulen und dann im Zisterzienserkloster Morimond. Jedes Mutterkloster hatte die Pflicht, seine Töchter zu visitieren. Des weiteren sahen die Ordensstatuten die Teilnahme aller Abteien am jährlichen Generalkapitel des Ordens vor. Diese deutschen Zisterziensergründungen (vgl. Wollenberg 1986 u. 2000) gingen alle von Morimond (in der Diözese Langres) aus, abgesehen von Eberbach und Himmerod, die von Clairvaux aus gegründet wurden. Himmerod im speziellen wurde vom Trierer Bischof Adalbero von Montreuil gegründet, der sich persönlich an Bernhard wandte. Dieser nahm sich sogleich der Gründung des neuen Klosters an.

56 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Die Neugründungen sollten, in welcher Region auch immer sie stattfanden, das Urbild unverändert abbilden, und das galt namentlich für die Ausstattung der Klöster mit Büchern. Im ‚Exordium Cistercii‘ (vermutlich gegen 1120 hergestellt) war bestimmt worden, daß alle Zisterzen die folgenden Bücher besitzen sollten: Missale, Evangeliar, Epistolar, Kollectar, Graduale, Abtiphonar, Hymnar, Psalter, Lektionar, Regel und Kalendar. Ab Schaffung der neuen Abtei hatte die gründende Einrichtung die Verpflichtung, die Bücher zur Verfügung zu stellen, die diesen obligatorischen Grundbestand ausmachten. Mitunter freilich bediente man sich des eigenen Fundus. So bezeugt für das Kloster Kamp eine Notiz in der Handschrift des Graduale (jetzt verloren), daß sie aus Morimond, dem Mutterkloster, kam: a Morimundensi monasterio ad monasterium Campense in exordio suae fundationis creditur directum versus annum 1122. Kamp war in der Tat am Beginn des Jahres 1123 von zwölf Mönchen aus Morimond geründet worden, die einen Platz dafür vom Kölner Erzbischof Friedrich I. zugewiesen bekommen hatten. Der erste Abt von Kamp war der Bruder Friedrichs, Heinrich, Mönch in Morimond, dessen Abt ein anderer Bruder Friedrichs, Arnold, war (vgl. Dicks 1913; Kottje 1998, S. 28f.). Zwar hat man bei den Statuten eine erhebliche Differenz zwischen Theorie und Praxis festgestellt (zuletzt Falmagne 2012, bes. S. 16f. u. 31). Doch gibt es auf alle Fälle zugleich zahleiche Anzeichen für die engen Bande zwischen den französischen Klöstern und ihren deutschen Töchtern über den Zeitpunkt der Gründung hinaus. Die Liste der Äbte von Eberbach, einer Gründung von Clairvaux, zeigt klar, wie eng die Verbindungen mit Clairvaux während des ganzen 12. Jh. blieben. Der letzte Repräsentant dieser Tradition ist in den letzten Jahrzehnten des 12. und ersten des 13. Jh. Konrad von Eberbach. Seit 1169/70 Mönch in Clairvaux, ging er am Beginn des 13. Jh. nach Eberbach, wo er 1221 kurz vor seinem Tode Abt wurde. Er begann in Clairvaux und vollendete in Eberbach ein erfolgreiches Werk, das ‚Exordium magnum Cisterciense sive narratio de initio Cisterciensis ordinis‘ (vgl. Palmer 1998). Diese dauerhaften Verbindungen sind auch verantwortlich für die Etablierung eines – mitunter etwas verzögerten – Kulturtransfers durch die Verbreitung der Zisterzen von Frankreich nach Deutschland. Hinlänglich bekannt auf dem Gebiet der gotischen Kunst (vgl. Moeglin 2010, S. 148–153), betreffen sie auch das Gebiet der Schriftkultur. Erhalten haben sich z.B. Antiphonarfragmente aus Kloster Schönau, einer Tochter von Eberbach (gegründet 1142 oder 1145). Das Manuskript muß in Eberbach geschaffen worden sein, doch die Kopisten verwendeten ein System der diastemischen Musiknotation, wie sie eben neu in Frankreich aufgetre-

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ten war (vgl. Palmer 1998, S. 56). Es verbreitete sich am Jahrhundertende in den Zisterzienserklöstern, die unter dem Einfluß des Klosters Lützel im südlichen Elsaß standen. Desgleichen sieht man, wie vom Ende des 12. Jh. ab in denselben Zisterzienserklöstern ein neuer aus dem Westen gekommener Stil der Schmuckinitialen auftritt (vgl. Beer 1989). Allgemein etabliert sich vor allem in den Zisterzienserklöstern ab dem 12. Jh. östlich des Rheins ein neuer aus Frankreich stammender Stil der Bücherproduktion. Er bricht radikal mit dem althergebrachten autochthonen Typus der großen benediktinischen Zentren der Region wie Hirsau oder St. Blasien (vgl. Heinzer 1999; Tischler 2004). Wir werden darauf zurückkommen. Auf dieselbe Weise kommen die französischen Bücher in die Zisterzienserbibliotheken. An erster Stelle sind es klarerweise die Werke des hl. Bernhard, für die Morimond oft die Vorlage bereitgestellt haben dürfte. Dies trifft auf jeden Fall auf die Version des Hohenliedkommentars, welche in Österreich verbreitet war (vgl. Fagin Davis 2007), zu. Das gilt aber auch für die Werke anderer Zisterzienser. In Eberbach z.B. (Palmer 1998, S. 68) wurde ohne Zweifel gegen 1200 eine Handschrift eines rezenten Werkes des Zisterziensers Thomas kopiert, eines Hohenliedkommentars, welcher zwischen 1170 und 1189 in einer französischen Zisterzienserabtei verfaßt wurde. Ganz offenkundig begann der Zisterzienserorden seit der Jahrhundertwende vom 12. zum 13. Jh. die alten strengen Vorschriften zu lockern, welche nur den Besitz von Büchern der Liturgie, der Bibel, der Bibelexegese, der Kirchenväter und Askese zuließen. Dies verstärkte – wir werden darauf zurückkommen – das Eindringen der modernen in Frankreich verfaßten scholastischen Literatur in die Zisterzienserbibliotheken. Auf einem ganz anderen Felde hat man erst kürzlich erwiesen, welche Bedeutung das zisterziensische Netzwerk für die reiche Verbreitung der neuen, am Ende des 11. Jh. in Italien erfundenen ars dictaminis in Frankreich und Deutschland seit der Mitte des 12. Jh. eben im zisterziensischen Milieu gehabt hat (Turcan-Verkerk 2012, S. 138f.; Falmagne 2012, S. 30; vgl. Worstbrock/Klaes/Lütten 1992). Der Beitrag der zisterziensischen Verbindungen zur Gestaltung des französisch-deutschen Kulturraumes ist somit von unbezweifelbarer Bedeutung, aber es ist nicht das einzige derartige Netzwerk. Auch andere Orden weisen eine vergleichbare Zentralisation auf wie die Zisterzienser. Die Reorganisation des Prämonstratenserordens, nachdem der Gründer Norbert Erzbischof von Magdeburg geworden war, unter der Leitung des neuen Abtes von Prémontré, Hugo von Fosses (1128–1161) (vgl. Weinfurter 1989; ebenso die Studien gesammelt in Crusius/Flachenecker 2003),

58 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen geht in dieselbe Richtung. Die consuetudines von 1130 sahen u.a. vor, daß alle Stifte des neuen Ordens dieselben Bücher besitzen sollten. Man findet wie im Zisterzienserorden das Prinzip der Oberaufsicht des Abtes des Gründerklosters über die Töchter – ein dann allerdings auf Kosten einer Organisation nach Provinzen aufgegebenes Prinzip – ebenso wie das jährliche Generalkapitel aller Abteien des Ordens. Die Anfangsschwierigkeiten bei der Institutionalisierung und Zentralisierung des Ordens führten in der Mitte des 12. Jh. sogar zur Einführung einer noch schärferen Kontrolle als bei den Zisterziensern durch das Generalkapitel und den Abt von Prémontré über die Häuser des Ordens. Ohne Zweifel waren nicht alle geistlichen Orden ebenso strikt organisiert, aber alle bildeten Netzwerke und trugen zu einem Austausch von Ideen, Büchern und Personen im ganzen französisch-deutschen Raum bei. Namentlich der Beitrag der Gemeinschaft der Augustiner-Chorherrenstifte würde es mit Gewißheit verdienen, hervorgehoben zu werden. So hat man neuerdings zeigen können, wie das Augustiner-Chorherrenstift von Marbach im Elsaß, dessen erster Propst Manegold von Lauterbach war, in der zweiten Hälfte des 12. Jh. in Verbindung mit dem Kaiserhof das dynamische Zentrum des Austauschs von Handschriften und Männern zwischen den Regularkanonikerstiften bildete, welches wesentlich zur Verbreitung der ältesten französischen Scholastik in Deutschland beitrug (Huth 2004). Parallel dazu taten auch die beschleunigte Hierarchisierung und Einigung des Weltklerus unter der Führung des Papstes in Rom und dessen immer aktivere Eingriffe in das Leben der Königreiche das Ihrige, um die Gelegenheiten der Begegnung, des Kontakts und Austausches zwischen den aus beiden Ländern kommenden Klerikern auch über den konkreten politischen Anlaß hinaus zu vervielfachen. So begab sich z.B. Bischof Gerhard von Angoulême (1102–1136) im Frühjahr 1112 nach Deutschland, um dem Kaiser Heinrich V. die Entschlüsse der Lateransynode von März 1112 zu überbringen. In Köln wurde er von seinem früheren Schüler Friedrich aus dem bairischen Grafenhause Schwarzenburg empfangen, der in Angoulême oder Périgueux unter seiner Leitung studiert hatte und nun Erzbischof von Köln war (Ehlers 1996 [1986], S. 169; vgl. auch Kumaoka 1997). Wilhelm von Champeaux, damals Bischof von Châlons-surMarne, ist 1119 aktiv an den Verhandlungen in Reims zwischen Papst und Kaiser Heinrich V. beteiligt. Ein zeitgenössischer Bericht über diese Verhandlungen, die ‚Relatio de concilio Remensi‘ von dem scholasticus Hesso, stellt die Rolle heraus, die er dabei spielte (MGH SS 12, S. 422–428, u. BRG, Bd. V, S. 353–363). Der Autor, Hesso, war selbst Scholaster in

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Straßburg. Der Abt von Cluny, Petrus Venerabilis, knüpfte Kontakte mit Deutschland, wie ein Brief, den Anselm von Havelberg wohl in der Mitte des Jahres 1153 an ihn richtet, bezeugt (Chartes de Cluny, Nr. 4176, S. 526). Der in einem freundschaftlichen und persönlichen Ton gehaltene Brief scheint anzudeuten, daß sich Anselm und Petrus begegnet sind, und zwar vielleicht beim Laterankonzil von 1139 oder beim Reichstag im März 1147, wo Konrad III. die Grundlagen zu seinem Kreuzzug legte (vgl. Sigler 2005, S. 193). Das von Eugen III. im März 1148 nach Reims einberufene Konzil führte verschiedene deutsche Prälaten zusammen: Adalbero von Montreuil, Erzbischof von Trier, Erzbischof Eberhard von Salzburg, die Äbte Wibald von Stablo, Folknand von Lorsch und Adam von Ebrach, Otto, den Prior von Cappenberg, den jungen Reinhald von Dassel, damals noch Kanoniker in Hildesheim etc. – auch wenn viele von ihnen schon wieder abgereist waren, als auf Initiative Bernhards von Clairvaux der berühmte Prozeß gegen Gilbert von Poitiers stattfand. Umgekehrt nahm Thierry von Chartres, der berühmte Pariser Lehrer, der eine große Rolle bei der Einführung des aristotelischen Organon in Paris spielte, nachweislich am Hoftag in Frankfurt am 15. August 1149 teil (Schalles-Fischer 1969, S. 153–155 u. 598f.), in Begleitung eines anderen Magisters aus Gallia namens Gerland, Scholasters von St. Paul in Besançon, Autors der ‚Candela juris‘. Die großen ökumenischen Konzilien im Lateran, das dritte (1179) und vierte (1215), waren dann große internationale Foren, wo sich die Kirchmänner aus den verschiedenen Ländern der lateinischen Kirche trafen. Der französisch-deutsche Raum bleibt so während der gesamten Epoche und darüber hinaus nicht nur ein offener Kulturraum, sondern erlebt wahrscheinlich in dieser Periode eine deutliche Verdichtung der inneren Vernetzungen. Ebendiese Verdichtung wird aber notwendig begleitet von einer verstärkten räumlichen Polarisierung aufgrund der kulturellen Dynamiken, die sich in den beiden Ländern nach Intensität, Zeit und Art jeweils unterschiedlich ausprägen.

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2.3 Kulturdynamik und Polarisation im Raum Vorbemerkung – Die Erneuerung der monastischen Theologie – Aufschwung der französischen Schulen – Die Beziehungen zwischen der monastischen und der scholastischen Theologie

Vorbemerkung Im Rahmen der bedeutsamen Kulturdynamik, welche den lateinischen Westen vom Ende des 11. Jh. an erfaßt, zeichnet sich eine räumliche Differenzierung zwischen Zentren, von denen die Neuerungen ausstrahlen, und Peripherien, welche sie aufnehmen und adaptieren, ab. Die kulturelle Dynamik ist zuerst einmal das Resultat der Spiritualisierungswelle, die den lateinischen Westen seit Ausgang des 11. Jh. ergriffen hat. Diese Aufwallung ist getragen von dem Wunsch, zugleich die Wahrheiten des Glaubens und die Prinzipien eines diesen Glaubenswahrheiten entsprechenden Lebens zu definieren. Ein authentischer Magister ist zuerst ein magister fidei und ein Lebensmeister – eher als ein Gelehrter. Dies alles führt auf der einen Seite zu einer wiederauflebenden Dynamik des Reformmönchtums vom Ende des 11. Jh. und zum Auftreten der neuen Mönchsorden und Regularkanoniker, welche die neuen spirituellen Ideale tragen, andererseits zur Entwicklung der urbanen Schulen und neuer Formen des Wissens. Zwischen den beiden Strömungen von Anfang an eine Opposition sehen zu wollen wäre gewiß verfehlt; intellektuelle Spekulation und spirituelle Meditation müssen einander nicht grundsätzlich ausschließen. Doch läßt sich nicht leugnen, daß die beiden Strömungen im Kern von zwei verschiedenen Haltungen gegenüber dem Wissen und namentlich der Erkenntnis Gottes und der Glaubenswahrheiten ausgehen.

Die Erneuerung der monastischen Theologie Die Klöster sind am Ende des 11. und am Beginn des 12. Jh. noch sehr bedeutende geistige Zentren, und ihre kulturelle Dynamik erhält von der Klosterreform einen neuen Schub. Im übrigen ist ein Benediktinerkloster, nämlich Bec in der Normandie, gewissermaßen die Wiege des ersten Aufschwungs der Scholastik unter Abt Lanfranc und seinem Schüler Anselm – beide spätere Erzbischöfe von Canterbury. Gleichwohl verläßt sehr rasch die Entwicklung der Dialektik das monastische Milieu der Normandie und

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wählt ihren Ort in der ersten Kathedralschule, die bereit ist, die Nachfolge anzutreten, die Anselms von Laon. Dagegen werden die Reformklöster und die neuen Orden eine neue „monastische Theologie“ (Leclercq 1957) entwickeln, die nicht von der Anwendung der menschlichen Vernunft und Logik auf die heiligen Texte ausgeht, sondern von der göttlichen Inspiration, die ihre Beglaubigung durch ein perfektes asketisches Leben erlangt. Als Vorbilder dafür dienen Bernhard von Clairvaux (ca. 1090–1153) und Hildegard von Bingen (1089–1179). Nur auf dieser Grundlage ist es erlaubt, die Bibel aus dem großen Fundus der allegorisch-typologischen Exegese zu interpretieren. Dieser Aufschwung einer neuen monastischen Theologie ist Sache des Reformmönchtums und erfolgt daher ebenso im Osten wie im Westen. Besonders hervorzuheben gilt es die Kraft dieser Strömung in den deutschen Klöstern. Dafür stehen große und fruchtbare Autoren wie Honorius Augustodunensis, den wir schon genannt haben, Rupert von Deutz, Gerhoch von Reichersberg oder auch Hildegard von Bingen. Neben diesen Hauptgestalten sind noch etliche weitere zu nennen wie die im Reformkreis von Salzburg: Gottfried und Irimbert von Admont, Arno von Reichersberg, Gerhochs Bruder (vgl. Weinfurter 1975). Zu erwähnen ist auch das Werk Konrads von Hirsau oder Peregrinus, Mönch dieses Klosters, das damals, in der ersten Hälfte des 12. Jh., an der Spitze der Reform im Reich stand. Nach den Angaben des Trithemius in den ‚Annales Hirsaugienses‘ soll Konrad gegen 1070 geboren und in Hirsau Schüler des Abtes Wilhelm (1069–91) gewesen sein, dann die innere Schule des Klosters geleitet und eine Menge bemerkenswerter und überaus gelehrter Schüler ausgebildet haben, schließlich im hohen Alter gegen 1150 nach einem durch Wissen und Weisheit hervorragendem Leben gestorben sein. Dieser Peregrinus alias Konrad soll namentlich der Autor eines ‚Speculum virginum‘, eines ‚Dialogus super auctores‘, von ‚De vita spiritus et fructu mortis‘ (oder ‚De fructu carnis et spiritus‘) und ‚De mundi contemptu vel amore‘ gewesen sein. Sein Werk ist beeinflußt von Hugo von St. Victor, insbesondere ‚Speculum virginum‘ und ‚De vita spiritus et fructu mortis‘, das lange Hugo zugeschrieben wurde. Es ist weithin ein Preis des Mönchslebens und findet sich häufig in den Klöstern Süddeutschlands von Salzburg bis Admont (vgl. Mews 2007). Schließlich kann man noch Boto von Prüfening erwähnen (ca. 1105 – ca. 1170), der Werke ganz im Stile Gerhochs schrieb, ‚De statu domus Dei‘, ‚De magna domo sapientie‘ sowie Predigten über Ezechiel. Er bezog sich auf Pseudo-Dionysius Areopagita, Rupert von Deutz, Bernhard von Clairvaux und Hugo von St. Victor.

62 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Zu Unrecht würde man auch die Lebendigkeit der monastischen Exegese und Theologie in etlichen deutschen Reformklöstern unterschätzen, deren leuchtendstes Beispiel Hirsau ist. Die Ankunft eines Honorius Augustodunensis im Donauraum beweist dessen Attraktivität. Gewiß setzte man im Studium der Glaubenswahrheiten nicht solche Akzente wie in einigen der – damals noch nicht so zahlreichen – Zentren Frankreichs. Vielmehr handelte es sich um eine Art Exegese, die die Rolle der göttlichen Inspiration in den Vordergrund stellte (so bei Rupert von Deutz; vgl. Meier 2006a) und Verachtung für intellektuelle Spekulationen und die sie erzeugende Ruhmsucht zur Schau trug, eine Verachtung, die vielleicht weniger echt als vorgegeben ist – wir werden darauf zurückkommen. Diese Exegese hat jedenfalls ihr Publikum bei Mönchen, Nonnen und Regularkanonikern gefunden (Steckel 2011, S. 1055). Schließlich erfuhren die Reformklöster im deutschsprachigen Raum als Orte spiritueller Neuerung harte Konkurrenz durch die neu hinzugekommenen. Die neuen Orden, in denen sich die Erneuerung der monastischen Spiritualität wahrhaftig verkörpert, entwickeln sich zuerst im Westen und Süden und verbreiten sich erst dann nach Osten und Norden, d.h. über die Germania. In der Folge davon gerät Deutschland während des 12. Jh. selbst auf dem Felde der monastischen Theologie immer mehr in eine Randlage, während sich die Blicke immer mehr auf das richten, was im Westen passiert. Als die große Gestalt der monastischen Theologie tritt Bernhard von Clairvaux, die Hauptperson des Zisterzienserordens, hervor, aus Burgund stammend und tätig vor allem im Königreich des Westens. Vermutlich hätte der hl. Bernhard seine Berühmtheit und enorme Autorität gar nicht erlangen können, wenn sein hauptsächliches Tätigkeitsgebiet Deutschland gewesen wäre. Doch sein Prestige, wirkungsvoll getragen vom zisterziensischen Netzwerk, war auch in Deutschland beträchtlich. Es war seine Predigt in der Kathedrale von Speyer zu Weihnachten 1146, welche Konrad III. dazu bestimmte, das Kreuz zu nehmen, und er war auch beim Reichstag in Frankfurt 1147 anwesend, der den Wendenkreuzzug vorbereitete. Der Chronist Helmold von Bosau etwa liefert einen enthusiastischen Bericht über den Aufenthalt Bernhards in Deutschland und erzählt die Wunder, die er da bewirkte (‚Chronica Slavorum‘, S. 114f.). Zudem hat Barbarossa zweimal Cîteaux besucht und ist in die Gebetsgemeinschaft des Klosters aufgenommen worden. Auf seinen Reisen in Deutschland wurde Bernhard von deutschen Brüdern unterstützt, die zugleich seine Dolmetscher waren, so Abt Frowin von Salem, selbst ehemaliger Mönch der Zisterzienserabtei von Lützel/Lucelle (gegründet 1123/24), das am Oberrhein als Umschlagplatz zwischen Romania und Germania fungierte (Wollenberg 1986, S. 331).

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Die Verbreitung der Werke Bernhards in Deutschland ist beachtlich; aber er ist bei weitem nicht der einzige französische Autor, der hier Erfolg hatte. So hat man auf die enorme Verbreitung der ‚Epistola ad fratres de monte Dei‘ verwiesen, eines kleinen Werks in Briefform, welches Wilhelm von St. Thierry an die kleine Gemeinschaft der Kartause vom Mont-Dieu (zwischen Sedan und Reims) richtete. Es hatte in Nordostfrankreich und in ganz Deutschland einen außerordentlichen Erfolg (vgl. Honemann 1978 u. 1981). Aufschwung der französischen Schulen Wenn sich Orte der neuen monastischen Theologie genauso im deutschsprachigen wie im französischsprachigen Raum finden – mag auch den großen Gestalten des Westens ein gewisser Primat zukommen –, so läßt sich eine solche räumliche Verteilung für den neuen intellektuellen Zugang nicht feststellen. Dieser findet ausschließlich in Frankreich statt, was natürlich, wie wir sehen werden, die Ausstrahlung der französischen Studien nach Osten nicht ausschließt. Dieser Aufschwung der sogenannten Scholastik geht auf eine Wende zurück, welche sich in der ersten Hälfte des 12. Jh. in gewissen nordfranzösischen Kathedralschulen vollzieht, deren Magister, ohne die traditionellen Zugänge zurückzuweisen, die Quellen der Logik für die Erkenntnis Gottes und der Geheimnisse des Glaubens und der Welt anzapfen, was schließlich zur Schaffung einer neuen Theologie führt. Eine solche Wende kam in den großen deutschen Domschulen am Ende des 11. Jh. nicht zustande (Jaeger 1994; Ehlers 1996, S. 29–52; Zielinski 2006). Diese Entwicklung gewinnt um so größere Bedeutung, als die großen Domschulen in Deutschland tendenziell zu den einzigen Zentren der Schulbildung werden, weil die Klosterschulen sich entweder verschließen oder auf sich selbst zurückziehen. 1079 ordnete jedenfalls Papst Gregor VII. die Errichtung von Schulen an allen Bischofssitzen an. Vom 11. zum 12. Jh. werden die Bischöfe mehr und mehr in Kathedralschulen ausgebildet und immer seltener in Klosterschulen (Delhaye 1947; Leclerc 1963; Ferruolo 1985, S. 51f.; Johanek 1986, S. 40; Ehlers 1996). Die deutschen Domschulen florierten bis zum Ende des 11. Jh., namentlich Lüttich, Hildesheim, Bamberg, Magdeburg und – in geringerem Maße – Würzburg. Man konnte die Studien an einem lokalen Schulzentrum beginnen und an einer der renommierten Domschulen beenden. Doch sie schlossen sich an der Jahrhundertwende nicht der Bewegung an, die sich in

64 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Frankreich abspielte, um sich zu städtischen Schulen umzuwandeln, welche den Unterricht in Dialektik und Logik ausbauten und so zu Stätten einer neuen Theologie mit neuen Methoden wurden. In dieser Hinsicht ist der Fall Manegolds von Lautenbach ganz charakteristisch, der Dialektik lehrt, wie Wilfrid Hartmann (1970 u. 1997, S. 85–88) gezeigt hat, aber von den Schulen ins Kloster wechseln und die Vorstellung verteidigen wird, daß die Wahrheit von Gott eingegeben werden muß – eine Entwicklung, welche Manegold unter dem Eindruck der gregorianischen Auseinandersetzung durchmacht (zu Manegold von Lautenbach und zur Möglichkeit, daß sich verschiedene Personen hinter dem gleichen Namen verbergen vgl. Châtillon 1953, S. 153–170; Fuchs 1986 u. 2004, S. 271–277; Ziomkowski 2002; Fuhrmann 2003; Giraud 2010a, S. 40ff.; http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_04667.html; zuletzt Ehlers 2013, S. 100–102). Bis zum Beginn des 12. Jh. hatten die deutschen Domschulen wichtige Bibliotheken entsprechend ihrer Bedeutung als schulische und intellektuelle Zentren aufgebaut. Doch dann scheint der Ausbau allmählich zum Stillstand zu kommen (Barrow 1989, S. 124). Die liturgischen Bücher, die glossierten Bibeln, die Kirchenväterschriften, die klassischen Autoren, vermehrt um einige Elementarwerke der Logik, dürften weiterhin am besten in den deutschen Dombibliotheken repräsentiert sein, während die Texte der scholastischen Theologie des 12. Jh. und v.a. die kirchenrechtlichen Schriften aus der Zeit nach dem 11. Jh. auf den ersten Blick weitgehend fehlen. In Würzburg sollte in der ersten Hälfte des 12. Jh. so gut wie kein einziges Buch angeschafft oder kopiert und erst im letzten Drittel des Jahrhunderts das Skriptorium wieder aktiver werden, um sich allerdings auf Bibelglossen und ein Passionale zu beschränken. In Bamberg konnte die neue Theologie im Verlauf des 12. Jh. kaum rezipiert werden (Fried 1986; mit Einschränkung durch Tischler 2004, S. 96, bes. Anm. 47). Die Dombibliothek zu Köln scheint keine Kopie der ‚Sentenzen‘ des Petrus Lombardus vor dem 13. Jh. besessen zu haben. Der Erwerb einiger weniger Gratian-Handschriften des späten 12. oder frühen 13. Jh. dürfte im Zusammenhang mit der Ankunft des Scholasters Gérard Pucelle in Köln stehen (Fried 1982, S. 132ff.). Eine dieser Handschriften (Ms. 127) dürfte jedenfalls zur Gérards Zeit im Skriptorium von Groß St. Martin geschrieben worden sein. Auch die Sammlung kirchenrechtlicher Handschriften des Domes von Halberstadt ist nicht älter als 1212 und geht auf die Ankunft von Magister Johannes Zemeke, alias Johannes Teutonicus (ca. 1180–1245) zurück (Stelzer 2004). In den Katalogen der Klosterbibliotheken tauchen sie noch eher auf als in denen der Dombibliotheken.

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Das Bild ist allerdings eventuell durch die moderne Geschichtsschreibung zu sehr eingeschwärzt worden, denn man hat einigen Bibliotheken kirchlicher Würdenträger zu wenig Bedeutung zugemessen, wo sich eine beachtliche Menge gelehrter Bücher findet, die später in den Besitz der Kapitelbibliotheken überging. Das trifft etwa auf Bischof Bruno von Hildesheim († 1161) zu (vgl. Goetting 1984, S. 383–400), der seine Bücher der Kapitelbibliothek vor seiner Pilgerreise ins Heilige Land vermacht, vermutlich vor dem Antritt des Episkopats 1153 – eine eindrucksvolle Menge von Schriften namentlich exegetischen, theologischen und medizinischen Charakters. Die Bücher wurden entweder direkt dem Dom vermacht oder einem Magister Echard, der die Bücher der Kapitelbibliothek im Fall seines Ablebens zurückgeben sollte (Urkundenbuch Hildesheim, Nr. 324). Der Autor des ‚Chronicon Hildesheimense‘ (Ausg. Pertz, S. 856) hat die Bedeutung dieser Schenkung erkannt: contulit [Bischof Bruno] autem ad ipsum armarium totum testamentum novum et vetus utrumque glosatum, expositores et hystoriographos ac divinorum librorum tractatores necnon libros phisicae aliosque quamplures suo nomine insignitos. Der künftige Bischof von Hildesheim vermacht also der Kathedrale seine schöne Sammlung, welche namentlich glossierte Heilige Schriften, Werke Hugos von St. Victor und Sentenzensammlungen, deren Autoren nicht identifiziert sind, vereinigte, ebenso eine schöne Kollektion medizinischer Bücher. Hinzu kommt noch das ‚Decretum‘ Ivos von Chartres (dazu zuletzt Heitzmann 2010 und v.a. Tischler 2010, S. 242–245). Die Medizinsammlung des Bischofs offenbart ein Übergewicht der Werke des Constantinus Africanus: Von den 26 erwähnten Schriften stammen mit Sicherheit 12 von ihm, nur vier nicht. Von den 10 restlichen dürfte zumindest die Hälfte ihm zugeschrieben werden können (vgl. Sudhoff 1916; Schipperges 1996). Es wäre interessant zu wissen, wo der Hildesheimer Bischof diese Bücher studiert bzw. erworben hat. Auf jeden Fall entspricht das Übergewicht der Schriften des Constantinus Africanus († 1087) dem Entwicklungsstadium der abendländischen Medizin vor der Verbreitung der Übersetzungen, welche Gerhard von Cremona und seine Umgebung angefertigt haben, und vor den Überarbeitungen der Werke der Schule von Salerno in Montpellier und Bologna. Was die exegetischen und theologischen Schriften, die Bruno besaß, betrifft, so weisen sie auch auf die erste Hälfte des 12. Jh. Das Gewicht, welches darin die glossierten Bücher des Alten und Neuen Testaments, darunter die Psalmenglossen des Gilbertus Porretanus, die Werke Hugos von St. Victor ebenso wie die nicht sicher identifizierten Sentenzen haben, lassen an einen Pariser Aufenthalt im zweiten Viertel des 12. Jh., ehe er 1153 Bischof von Hildesheim wurde,

66 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen denken. Manche der Bücher wurden in Frankreich abgeschrieben und dann in Niedersachsen illuminiert. In jedem Fall verfügte spätestens seit dem Beginn der 1160er Jahre die Domschule von Hildesheim durch ihn über einen durchaus bemerkenswerten Fundus an gelehrten Büchern. Vor diesem Hintergrund muß man die Bedeutung der Domschule von Hildesheim in der Mitte des 12. Jh. einschätzen, deren neuer Scholaster, Heinrich, der künftige Bischof von Lübeck (s.u.), noch hatte in Paris studieren müssen (vgl. Petersen 2004, S. 152–157, mit weiterer Lit.; Tischler 2010; Stammberger 2010). Diese Schenkung ist die spektakulärste, aber auch etliche andere haben die Bibliothek am Ende des 12. Jh. bereichert (dazu zuletzt Tischler 2010, S. 249f.). Wir wissen z.B., daß Bischof Berno (1190–1194) glossierte Bücher des Alten und Neuen Testaments vermacht hat (vgl. Goetting 1984, S. 455; Tischler 2010, S. 249), während drei (noch erhaltene) Manuskripte von glossierten Heiligen Schriften und Werken Pariser Magister vom Ende des 12. Jh. aus der Schenkung eines Domherrn, Scholasters und späteren Kapiteldekans Hilarius (bezeugt 1183–1212) stammen. Man konnte auch zeigen – wir haben schon kurz darauf verwiesen und werden darauf zurückkommen –, wie rasch in Bamberg die in Nordfrankreich ab dem Beginn der ersten Hälfte des 12. Jh. geschaffenen Bücher als neue Vorbilder eingeführt und nachgeahmt wurden. In diesem Prozeß spielte Bischof Eberhard II. von Bamberg (1146–1170), der in Frankreich studiert hatte, sichtlich eine wichtige Rolle, auch wenn der Prozeß schon vor seinem Amtsantritt begonnen hatte und sich nach seinem Tode fortsetzte (Tischler 2004). Aufmerksam machen muß man noch auf einen Würzburger Scholaster offenbar französischer Herkunft, einen Magister Johannes Gallus (vgl. Herkenrath 1980, S. 10), der seit 1163 bezeugt ist, vermutlich 1179 starb und seine juristischen Bücher, darunter Handschriften von Gratian und des ‚Corpus juris civilis‘, dem Dom vererbte: … nomina autem librorum hec sunt: Instituta et Sidonius in uno volumine, Codex vetus Digestum et novum Digestum in duo volumina divisum, Liber autenticorum et liber Novellarum in uno volumine, Longobarda, Summa codicis et Paucopalia in uno volumine, Decreta Gratiani (MBKDS IV/2, S. 966 u. 989). Allerdings verband er sein Vermächtnis mit der Bedingung, das Kapitel solle die Bücher verkaufen, um mit dem Ertrag des Verkaufs Land zu erwerben, dessen Einkünfte die jährlichen Gottesdienste für sein Seelenheil gewährleisten könnten. Gleichwohl läßt sich festhalten, daß der Scholaster die Bücher für seine Ausbildung benützt haben muß und schließlich glaubte, sie würden bei einem Abnehmer einen guten Preis erzielen.

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So läßt sich gegen 1150/60 durchaus die Präsenz einiger großer Magister der französischen Schulen des vorausgehenden halben Jahrhunderts in drei der alten und berühmten deutschen Dome feststellen. Zur selben Zeit scheint die Domschule von Köln durch die Ankunft von Gérard Pucelle vom westlichen Geist ein wenig abbekommen zu haben, während in Halberstadt ein gewisser Magister Harderadus, bezeugt als Domherr von Hildesheim zwischen 1151 und 1179, dem Kollegiatsstift Unserer Lieben Frau verschiedene glossierte Bücher der Bibel übergab, von denen einige mit Sicherheit Pariser Erzeugnisse aus dem Umkreis von St. Victor waren (vgl. Stammberger 2001; zuletzt Tischler 2010, S. 246–248). Ganz allgemein sollten die bezeugten Verbindungen bestimmter Mitglieder des deutschen Episkopats und das Reformmönchtum, das für neue Werke französischer Schulen offen war, zur Überprüfung der These führen, die deutschen Domschulen hätten generell den Neuerungen aus dem Westen kein Interesse entgegengebracht. Aber selbst wenn die deutschen Domschulen sicherlich mehr Anteil an den Neuerungen der Schulen des 12. Jh. nahmen, als man lange dachte, kann man nicht leugnen, daß sie keinen Magister hervorgebracht haben, der es mit denen aufnehmen hätte können, die damals immer zahlreicher in Paris hervorragten. Zur Erklärung hat man den Umstand betont, daß die deutschen Domschulen ihrer Funktion der Ausbildung des Reichsepiskopats treu geblieben sind (Jaeger 1987, hier S. 571 u. 575; vgl. Jaeger 1985, S. 19–53 u. 213–219). Im 12. Jh. beschränkte die Ausbildung in den deutschen Domschulen sich folglich weiterhin völlig auf den Elementarunterricht und die Artes liberales, v.a. das Trivium (Barrow 1989, S. 124). Diese Ausbildung entspricht einem lange vorherrschend gebliebenen Ideal des kirchlichen Würdenträgers, welches ihm die Verbindung von honestas oder elegantia morum sowie scientia litterarum mit der nobilitas generis auferlegte. Lüttich verfügte bis in die erste Hälfte des 12. Jh. über ein beachtliches Renommee für eine solche Erziehung, und nicht zufällig begegnen und befreunden sich dort Wibald von Stablo, Arnold von Wied, künftiger Kanzler Konrads III. und Erzbischof von Köln, oder auch Anselm von Havelberg. Für einen gebildeten Abt wie Wibald von Stablo bleiben dabei ohne Zweifel Cicero und sein schöner Stil der entscheidende intellektuelle Bezugspunkt. Diese Ausbildung hatte zuerst das Ziel, eine soziale Elite auszuweisen und zu legitimieren. Damit übereinstimmend scheint der deutsche Episkopat sozial wesentlich geschlossener geblieben zu sein, als dies in Frankreich der Fall war. Wie Joachim Ehlers (1996) festgestellt hat, war der Zugang zu einem Bischofsamt für Männer, welche weit eher ihre Gelehrsamkeit als ihre soziale Herkunft empfahl, wie etwa Petrus Lombardus oder Maurice

68 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen von Sully in Paris oder Johannes von Salisbury in Chartres, in Deutschland kaum möglich. Die deutschen Domschulen werden so von strikten Normen geleitet, die sie auf die Ausbildung für die künftige Amtstätigkeit von Domherren und Bischöfen beschränken. Sie haben daher gar keinen Anlaß, sich nach außen für ein anderes Publikum zu öffnen als für adelige Kinder, die für eine kirchliche Laufbahn bestimmt sind. Auch die Praxis, daß sich ein Scholaster durch andere Magister unterstützen lassen konnte, scheint nicht mehr existiert zu haben (Barrow 1989). Doch mehr noch als in dem den deutschen Domschulen auferlegten Konservatismus liegt die Erklärung für die relative Unbeweglichkeit ohne Zweifel darin, daß sich in Deutschland nicht jene sozialen und ökonomischen Bedingungen vereinigten, welche die Kathedralschulen gerade aus ihrer Rolle einer Ausbildung einiger Prälaten hoher Abkunft heraustreten und sich in Reaktion auf eine soziale Forderung nach außen öffnen ließen (vgl. Ehlers 1996 [1981], S. 134ff.). Die ökonomische und soziale Entwicklung geht in Deutschland nicht so weit, daß Scholaren, die von der Verbreitung ihres Wissens leben wollen, eine ausreichende Hörermenge zustande bringen können, wie es im Westen und Süden Europas mehr und mehr der Fall ist. In Frankreich und Italien, nicht in Deutschland, erlangt das Wissen einen solchen neuen sozialen Wert, daß man damit in der Gesellschaft Karriere machen kann, und zwar selbst Leute eines relativ niedrigen gesellschaftlichen Status, auch wenn man die Geschwindigkeit dieser Entwicklung nicht überschätzen sollte (vgl. Baldwin 1976 u. 1982). Nun bildet sich jedoch ein Markt heraus. Berühmte Magister an den Kathedralschulen ziehen die Studenten an, welche die Karrieremöglichkeiten nützen wollen, die den Wissensträgern nun offenstehen; oder vielmehr ist es die Versammlung einer Studentenschar, welche die berühmten Lehrer anzieht, was wiederum den Zulauf der Studenten vergrößert. In Frankreich also vollzieht sich der kulturelle Aufschwung, der in der Vermehrung der Studentenzahl, der Diversifikation der Ausbildungsprogramme, dem Erscheinen von Handbüchern wie der Sentenzen- und Glossensammlungen seit den 1120er Jahren zum Ausdruck kommt (Verger 1991; 1994; 1996; 1998; 1999 u. 2003). Dies ist die Zeit, da Wilhelm von Champeaux und dann Abaelard es unternehmen, Dialektik und Betrachtung des christlichen Glaubens zu kombinieren, und damit die Umwandlung der Theologie zu einer Wissenschaft anbahnen. Ingesamt ist es die Absicht der neuen städtischen Magister, ein über litterae und mores hinausgehendes Wissen zu vermitteln. In einem berühmten Satz seiner Autobiographie beschreibt Guibert den raschen Wechsel: „Es gab vor einiger Zeit und noch zum Teil zu mei-

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ner eigenen Zeit einen solchen Mangel an Magistern der Grammatik, daß man keinen in den Marktflecken und wohl kaum einen in den Städten finden konnte, und wenn es einen gab, war seine Wissenschaft so begrenzt, daß man sie nicht einmal mit den jetzigen wandernden Pfäfflein vergleichen konnte“ (Guibert von Nogent, ‚De vita sua‘, Ausg. Labande, S. 26: erat paulo ante id temporis, et adhuc partim sub meo tempore tanta grammaticorum charitas, ut in oppidis prope nullus, in urbibus vix aliquis reperiri potuisset, et quos inveniri contigerat, eorum scientia tenuis erat, nec etiam moderni temporis clericulis vagantibus comparari poterat; vgl. Foreville/Leclercq 1957, S. 65; Verger 1999, S. 27f.; vgl auch Rubenstein 2002). Die Behauptung könnte allerdings ein wenig satirisch gemeint sein und sich über die Bedeutung, welche die Magister sich zuschrieben, lustig machen. Nichtsdestoweniger offenbart sie das Tempo der Entwicklung. Begünstigt durch den ökonomischen Aufschwung und die Emanzipation der Städte, wird dieser kulturelle Aufschwung durch das Wiedererstarken der Königsmacht getragen, die den Rahmen sowohl für die Politik der Kirchenreform als auch für die Entwicklung der Schulen abgibt. Die Schulen von Reims, Chartres, Laon, Paris, Angers oder Orléans profitieren, mochten sie nun in der Krondomäne oder den benachbarten Fürstentümern liegen, von der politischen Unterstützung, die ihre Ausstrahlung begünstigt. Parallel dazu unterstützen die Kirche und sogar das Papsttum, inbesondere unter dem Pontifikat Alexanders III. (1159–1181), die Entwicklung der Schulen durch den Versuch, einem Magister generell eine Pfründe zuzugestehen und die Verleihung der Lehrbefugnis, der licentia docendi, kostenlos zu machen. Diese Kathedralschulen unter der Autorität eines Bischofs stehen neben anderen Schulen, die von Regularkanonikern wie denen von St. Victor in Paris oder von St. Ruf in der Provence unterhalten werden, oder auch den privaten städtischen Laienschulen, in welchen die Magister sich gegen Schulgeld dem Unterricht in den Artes liberales, der Logik, dem Recht und der Medizin widmen (in den beiden letzten Disziplinen hauptsächlich in Südfrankreich und Norditalien). Umgekehrt scheint es eine allgemeine Tendenz in den Klöstern zu sein, die äußeren Schulen zu schließen und den Nachwuchs in den inneren Schulen auszudünnen, indem sie zum Klostereintritt nur noch mindestens halbwüchsige Novizen, die also schon eine Grundausbildung besitzen, zulassen. Manche urbane Zentren erlangen durch die Aufeinanderfolge berühmter Magister ein hohes Prestige als Ausbildungsort. Sie genießen sogar einen internationalen Ruf. Das trifft auf die sogenannte Schule von Laon zu (dazu die grundlegende Studie von Giraud 2010a). Im 11. Jh. war der

70 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Glanz der Schule in der zweiten Hälfte des 9. Jh. nur noch eine ferne Erinnerung. Nur die Erwähnung eines Rodulphus scholasticus scheint auf die Existenz einer Schule zu verweisen, die einen gerade für den Diözesanklerus ausreichenden Elementarunterricht vermittelt. Dann jedoch unter Anselm († 1117), hierauf unter seinem Bruder Raoul († 1133), wird Laon zu einem Ausbildungsort, wo sowohl die ‚Glossa ordinaria‘ ihren Ausgang nimmt (Lobrichon 2003, S. 109–128, 129–144 u. 158–172) als auch eine systematische Organisation der Sammlung von Sentenzen (Giraud 2010a). In Laon wird man für die Lektüre der Bibel, nicht für die Artes liberales ausgebildet. 16 von 21 bekannten Schüler Anselms erlangten die Bischofswürde. Die Gelehrsamkeit ist der Weg zu Führungsstellen in der Kirche, auch wenn die Suche und der Erwerb solcher Gelehrsamkeit zuvörderst an spirituelle Bestrebungen gebunden sind. 1117 kommt Aubry/Alberich, aus Reims stammender Schüler Anselms von Laon, wieder nach Reims und wird dem Zentrum unter dem Episkopat von Raoul Le Vert (1107–1124) und Renaud de Martigné (1124–1139) sein Prestige verleihen, indem er die Studien in der Zeit von 1118 bis 1136 geradewegs auf die scientia divina ausrichtet (Giraud 2009 u. 2010, S. 424 u. 429ff.). Er selbst spezialisierte sich auf das Studium des Neuen Testaments. Die Vita Hugos von Marchiennes († 1158) bestätigt den Zustrom der Studenten nach Reims für diese Epoche: „Es herrschte in dieser Zeit und an diesem Ort ein großer Lerneifer, und diese Stadt war sehr geschätzt wegen ihrer großen Zahl an Gebildeten und in der Weisheit zu Bildenden, die dort zuhauf zusammenkamen. Sie waren so zahlreich, daß die Kleriker, als es zwischen ihnen und den Bürgern zu Streitereien kam, die Bürger durch ihre Menge überwältigt hätten, wenn nicht bald wieder der Frieden eingekehrt wäre, indem diese in ihre Schulen, jene zu ihren Geschäften zurückkehrten – so der Bericht der Augenzeugen“ (‚Vita Hugonis Marchianensis‘, Ausg. Platelle/Godding, S. 316: fervebat eo temporis et eo loci grandis ardor discendi et civitas illa requisita tunc nimis propter eruditos et erudiendos corde in sapientia, qui multi convenerant: tam multos, aiunt qui viderunt, ut clericis cum laicis aliquando altercantibus, clerici cives multitudine vicissent, nisi mox pace facta inter eos, isti scholas, illi fora repeterent ). In der Tat haben u.a. zu jener Zeit Petrus Lombardus, Petrus Cantor, vielleicht auch Otto von Freising die Schulen von Reims besucht. Alberich wurde von Autoren wie Bernhard von Clairvaux, Johannes von Salisbury, Gottfried von Auxerre und Wibald von Stablo gefeiert; Wibald z.B. stellt ihn in einem Brief an Manegold von Paderborn von 1149 auf eine Stufe mit Anselm von Laon, Wilhelm von Champeaux und Hugo von St. Victor (Wibald, Briefbuch, Bd. I, Nr. 142, S. 293). Auf der anderen Seite hinterließ Abaelard ein bissiges Porträt von ihm, da er ja

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zusammen mit Lotulph von Novara beim Prozeß von Soissons 1121 seine erste ‚Theologia‘ angegriffen hatte. Alberich wurde 1136 Erzbischof von Bourges, und die Schule von Reims erholte sich von seinem Weggang nicht mehr. Richard W. Southern hat die Existenz einer Schule von Chartres heftig bestritten (zuletzt Southern 1995), hat damit aber keine allgemeine Zustimmung gefunden (Jeauneau 1995; Verger 1997). Chartres scheint auf jeden Fall einiges Aufsehen als schulisches Zentrum gemacht zu haben, insbesondere zur Zeit Bernhards von Chartres, der bis zu seinem Tode 1124 eine Menge von Studenten anzog. In Paris kam zur Kathedralschule auf der Île de la Cité seit 1108/1113 die neue Kollegiatsschule der regulierten Augustiner-Chorherren von St. Victor hinzu, ins Leben gerufen durch Wilhelm von Champeaux, dann überstrahlt von der Persönlichkeit Hugos von St. Victor (Ehlers 1973; Poirel 1998). St. Victor scheint eine schola interior für die Novizen und eine schola exterior für die Kleriker, die keine Profeß in der Abtei abgelegt hatten, nicht unterschieden zu haben. Der viktorinische liber ordinis schweigt sich über die Rolle des magister scholae aus; dieser genießt gewiß keine institutionelle Anerkennung im Gegensatz zu den Scholastern der mehr und mehr institutionalisierten Kathedralschulen. Aber die Schule der Abtei ist weit offen für Hörer von außen vermöge einer Verpflichtung zur Gastfreiheit, welche freigebig geübt wird (Giraud 2010b). Wie die nordfranzösischen Kathedralschulen erfährt St. Victor in der ersten Hälfte des 12. Jh. einen Zustrom von auswärtigen Studenten. St. Victor bietet sich dank der besonderen Verbindungen zu anderen großen Einrichtungen wie der Kathedrale von Paris (Giraud 2010a, S. 454ff.) in Paris als eine Art intellektuelle Alternative zu der Methode Abaelards an und erlangt dank Hugo eine internationale Anerkennung. Die Schule von St.Victor muß bis zum Abgang von Thomas Gallus 1218 aktiv geblieben sein, verlor jedoch viel von ihrem Glanz in den letzten Jahrzehnten des 12. Jh. Es sind andere Magister bezeugt wie z.B. Robert von Melun, der kein Kanoniker von St. Victor war, aber etwa in den 1150er Jahren dort unterrichtet haben dürfte, wobei er von Wilhelm von Champeaux und auch Abaelard den Wunsch übernahm, die Dialektik mit dem Theologiestudium zu verbinden. Der Unterricht weiterer Meister ist in der ersten Hälfte des 12. Jh. in Paris bezeugt, unter denen sich natürlich Abaelard befindet (ca. 1079–1142) (zu Abaelard vgl. in einer gewaltigen Menge von Lit. zuletzt Jolivet/Habrias [Hgg.] 2003; Brower/Guilfoy [Hgg.] 2004; Poirel 2007; Mews 2009; Clanchy/Smith 2010). Er muß in den Schulen der Loiregegend ausge-

72 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen bildet worden sein. Vermutlich hörte er in Loches die Vorlesungen von Roscelin von Compiègne. In Paris angekommen um 1100, folgte er dem Unterricht Wilhelms von Champeaux, welcher der Magister der Kathedralschule auf der Île de la Cité war. Nachdem er gegen diesen heftig opponiert hatte, ging er fort, um außerhalb von Paris zu unterrichten. Wiederum in Paris 1108, rieb er sich erneut an Wilhelm, der eben St. Victor gegründet hatte. In den Jahren 1110–1112 lehrte er auf dem Montagne Sainte-Geneviève. Gelockt von der Theologie ging er dann nach Laon, wo damals Anselm glänzte. Aber er rieb sich ebenso an Anselm, der ihn aus Laon hinauswarf. Zurück in Paris gegen Ende 1113, lehrte Abaelard die Artes liberales und die Theologie einige Jahre lang, gewiß zwischen 1113 und 1117. Nach vielen Umwegen seines abenteuerreichen Lebens kehrte er in den 1130er Jahren nach Paris zurück und lehrte auf der Montagne Sainte-Geneviève. Johann von Salisbury (ca. 1115–1180) sagt, er sei 1136 sein Hörer gewesen. Nach einer kurzen Unterbrechung ist er wieder gegen Ende 1138 zurück. Dieser Unterricht nimmt ein jähes Ende nach seiner (später durch den Papst bestätigten) Verurteilung durch ein Konzil, das in Sens zusammenkam, nachdem ihm vom hl. Bernhard etwa 19 Irrtümer vorgeworfen wurden. Abaelard starb am 21. April 1142. Seine Unterrichtszeit in Paris ist relativ kurz, scheint aber doch dazu beigetragen zu haben, das Renommee des Zentrums Paris wesentlich zu stärken. Andere Ausbildungszentren erlangten vorübergehendes Ansehen wie Angers im ersten Viertel des 12. Jh. oder auch ein länger andauerndes wie Orléans, wo sich der Unterricht in der Ars dictaminis in der zweiten Jahrhunderthälfte entwickelte. Diese neuen schulischen Zentren führten zu einer Verlagerung der Schwerpunkte im Raum. So erfuhren die Schulen von Lüttich (vgl. Renardy 1979a u. 1979b), die im 11. Jh. einen guten Ruf besessen hatten, in der ersten Hälfte des 12. Jh. einen Niedergang, der sowohl auf ihre dem Muster der anderen Domschulen des Reichs nördlich der Alpen entsprechende Weigerung, die scholastische Wende zu vollziehen, als auch auf die Konkurrenz durch die Kathedralschulen der Reimser Provinz, insbesondere die von Laon, zurückzuführen sein dürfte. Gegen 1150 kann man eine Beschleunigung im Prozeß der eindeutigen Stabilisierung einiger ganz großer Ausbildungszentren von internationalem Renommee auf Kosten der Schulen mit bloß regionaler oder lokaler Ausstrahlung beobachten. Die Zeit der charismatischen Magister, die durch ihren Ruf und ihre Anziehungskraft allein eine Schule zum Erfolg führten, bis sie nach ihrem Abgang oder Tod wieder in der Bedeutungslosigkeit versank, ist vorüber. Dies alles führt zu einer Reorganisation der Bildungsgeographie von Grund auf.

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Paris, der große Gewinner des Selektionsprozesses in Nordfrankreich wird zu einer Hauptstadt der Disziplinen des Triviums und der theologischen Studien. Zu dieser Zeit um 1140/50 kommen die Magister von allen Seiten dorthin, weil sie sicher sein können, da ein gut vorgebildetes Publikum zu finden. Johannes von Salisbury erwähnt in seinem ‚Metalogicon‘ dreizehn Magister, welche er während seines Aufenthalts an Pariser Schulen kennenlernte. Davon stammt ein einziger, Wilhelm von Champeaux, aus der Pariser Region, zwei kommen aus der Bretagne (Abaelard, Thierry von Chartres), zwei aus der Normandie (Wilhelm von Conches, Bischof Richard), zwei aus England (Robert von Melun, Robertus Pullus), einer aus Poitou (Gilbert von Poitiers) und einer aus Deutschland (Hardewinus Teutonicus); für vier unter ihnen kann die Herkunft nicht sicher bestimmt werden (Alberich, Petrus Helias, Wilhelm von Soissons, Simon von Poissy – vgl. Ehlers 1996 [1986], S. 163, Anm. 1). Umgekehrt wurden die Schüler durch die Anwesenheit der berühmten Meister angelockt. So begünstigt eine Art Spiralbewegung ganz zweifelsfrei die Konzentration auf bestimmte Orte, an erster Stelle auf Paris. Die anderen Schulen, welche in der ersten Hälfte des Jahrhunderts geblüht hatten, Laon, Reims oder Chartres, verlieren an Bedeutung und strahlen nicht mehr über ihre kleine Provinz hinaus aus. Reims etwa findet nur noch vorübergehend seinen Glanz wieder, und zwar nur während der letzten Jahrzehnte des 12. Jh. und nur auf dem Gebiet des Rechts (Demouy 2005, S. 175ff.). Auf dem Gebiet der Theologie etablieren sich die Pariser Magister: Petrus Comestor (1168–1178), Petrus Cantor († 1197), Alain de Lille († 1203), Petrus von Poitiers, Kanzler von 1193 bis zu seinem Tod 1205, Prepositinus von Cremona, Kanzler von 1206 bis zu seinem Tod 1209, sowie ihre zahlreichen Schüler (vgl. Baldwin 2006, S. 285–350; Gorochov 2012). Die Beziehungen zwischen der monastischen und der scholastischen Theologie Die führenden Vertreter der monastischen Theologie haben bisweilen eine heftige und spektakuläre Abwehrhaltung gegenüber gewissen Strömungen, die von den neuen städtischen Schulen kamen, eingenommen. Sie waren jedoch nicht grundsätzlich negativ gegen die Stadtschulen und die Methode, welche sie anwandten, eingestellt. So kann man feststellen, daß Wibald von Stablo, der Schüler Ruperts von Deutz gewesen war, in seinem Brief an den Scholaster Manegold von Paderborn einen Lektürekanon vorführt, der zwar Abaelard ausschließt,

74 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen aber neben den alten Autoritäten wie Beda, Haimo von Halberstadt, Hrabanus Maurus oder Johannes Scotus Eriugena auch Anselm von Laon, Wilhelm von Champeaux, Alberich von Reims und Hugo von St. Victor gelten läßt (Wibald, Briefbuch, Bd. I, Nr. 142, S. 209–306). Er zeigt übrigens einen gewissen Stolz über seine persönliche Kenntnis dieser berühmten Intellektuellen (ebd., S. 293: nec non illos, quos vidimus …). Allerdings scheint Wibald zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes schon einen gewissen Abstand zu seinem Lehrer Rupert von Deutz gewonnen zu haben, vielleicht unter dem Einfluß seines Freundes Anselm von Havelberg, der Rupert persönlich begegnet war (ja vielleicht sein Schüler in Lüttich war) und fürderhin mit Verachtung von ihm sprach (vgl. Giraud 2010a, S. 441f.; Hartmann 2011, S. 7f.). Das heißt, die göttliche Inspiration, die man im Kloster empfängt, genügt in Wibalds Augen nicht, sondern es muß eine Ausbildung hinzukommen, die das beste der christlichen Tradition berücksichtigt, d.h. nicht nur die karolingischen Autoren, sondern auch die zeitgenössischen Magister (Wibald, Briefbuch, Bd. I, Nr. 142, S. 290–306). Andererseits wendet sich Wibald gegen die argutias et sophisticas conclusiunculas, quas Gualidicas a Gualone quodam vocant (ebd., S. 300). Er spielt hier auf Galo, den ehemaligen Scholaster der Kathedrale von Paris, an, der 1126 eine heftige Auseinandersetzung mit Bischof Stephan von Senlis gehabt hatte. Ein Schiedsspruch war 1127 durch Suger und Gilduin von St. Victor ergangen (vgl. Bournazel 2007, S. 175). Selbst der hl. Bernhard ist kein kompromißloser Gegner der städtischen Schulen (vgl. Häring 1974; Verger 1992; Doyle 2005). Erst die Schüler des hl. Bernhard haben die Vorstellung von der Feindschaft Bernhards gegen die Schulen in den verschiedenen Versionen der ‚Vita prima Sancti Bernardi‘ verbreitet, worin die Entscheidung Bernhards als eine Wahl für den Rückzug aus der Welt nach Cîteaux und gegen die Schulen erscheint – in Nachahmung der (nach Gregor dem Großen) vom hl. Benedikt getroffenen Wahl (vgl. Ferruolo 1985, S. 54). Der Bericht wurde gegen 1145 von Wilhelm von St. Thierry verfaßt und zuletzt von Gottfried von Auxerre, dem Sekretär des hl. Bernhard, überarbeitet. Nun hatte Gottfried von Auxerre die Schulen von Paris besucht, dann aber sich entschlossen, Bernhard nachzufolgen, nachdem er dessen Predigt über die Umkehr der Kleriker 1139/40 gehört hatte; und auch Wilhelm von St. Thierry hatte die Schulen besucht, bevor er benediktinischer Abt wurde. In den 1140er Jahren erlebte der Streit mit Abaelard seinen Höhepunkt, und dies war auch die Zeit, da die Zisterzienserklöster mit den Pariser Schulen um die Gewinnung der Besten für ihre Sache rivalisierten.

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Doch es gibt eine Menge Hinweise, daß die tatsächliche Haltung des hl. Bernhard gegenüber den Schulen keineswegs im Prinzip von Feindschaft geprägt war. Er stand in freundschaftlichen Beziehungen mit etlichen etablierten Magistern und unterstützte andere, jüngere, durch seine Empfehlung in ihrer Karriere. 1142 etwa, ein Jahr nach dem Prozeß von Sens gegen Abaelard, verteidigte er den Engländer Robert Pullen, Autor einer Sammlung von Sentenzen, ehemaliger Magister in Oxford und künftiger Kardinal, gegen seinen Bischof, der seine Kanonikerpfründe einziehen wollte, weil er seiner Residenzpflicht nicht nachkam. Bernhard versichert, er selbst habe ihm geraten, einige Zeit in Paris zu verbringen – d.h. sich dort ausbilden zu lassen – aufgrund der gesunden Doktrin, die er vertrete. Der hl. Bernhard hielt also bei der Gottessuche des Menschen verschiedene Wege für möglich, auch wenn der privilegierte Weg der des Eintritts in den Zisterzienserorden war. Überhaupt wird man kaum irgendeine Feindschaft etwa zwischen der Schule von Laon und den Zisterziensern feststellen. So dürfte der ‚Liber pancrisis‘, der die Hauptinformationsquelle in Bezug auf Anselms theologischen Unterricht darstellt, in den Jahren 1130–40 ohne Zweifel in der Nähe von Clairvaux ausgearbeitet worden sein. Dieses Florileg läßt als einziges die Sentenzen der modernen Magister präzise identifizieren. Das zisterziensische Milieu hat dergestalt Sorge getragen, schriftlich den Unterricht bestimmter Magister festzuhalten, und diesen sentenziarischen Unterricht verbreitet. So bleiben zur selben Zeit, da durch Vermittlung von Schülern der Schule von Laon Sentenzensammlungen anonym überliefert, aber unter Einschluß der Sentenzen Laoneser Magister ausgearbeitet und in den Stadtschulen gebraucht wurden, die monastischen Kreise keineswegs gleichgültig und feindlich gegenüber der Schulproduktion in Laon oder anderen zeitgenössischen Schulen. Nach den vier großen Kirchenvätern und den beiden großen Vermittlern der antiken Kultur, Isidor von Sevilla und Beda Venerabilis, berufen sie sich auch auf die vier modernen Magister, Ivo von Chartres, Anselm von Laon, Wilhelm von Champeaux und Raoul von Laon. Diese werden als die obligatorischen Referenzen in den 1140er Jahren betrachtet (vgl. Giraud 2010a). Man kann also von keiner kompromißlosen Konfrontation einer scholastischen Konzeption des Wissens (gegründet auf der Dialektik) mit einer monastischen Konzeption, einer rein mystischen und symbolistischen Theologie (gegründet auf göttlicher Inspiration) sprechen. Für viele der Akteure schlossen sich die beiden Zugänge nicht aus, sondern sollten sich vielmehr ergänzen. Der anerkannte Vorrang der Theologie vor den profanen Gegenständen und die Öffnung gegenüber der Welt der Kirchen-

76 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen reform, welche die Schulen Raouls von Laon und Alberichs von Reims charakterisieren, erklären so „la pénétration pendant tout le XIIe siècle des recueils laonnois dans les établissements monastiques, notamment dans l’espace germanique“ (Giraud 2010a, S. 436). Die genaue Untersuchung der Werke eines Autors wie Konrad von Hirsau zeigt, daß er gegenüber den neuen, in den Stadtschulen entwickelten Methoden nicht gleichgültig bleibt (vgl. Warnan 2011). Auf diesem Hintergrund ist die wichtige Buchproduktion in den Skriptorien der deutschen Klöster im 12. Jh. zu sehen (vgl. Thomson 2007 u. 2012).

2.4 Die Mobilität von Personen Die neue Geographie, die sich, sowohl was die geistigen Ausstrahlungspunkte als auch die städtischen Schulzentren betrifft, im Laufe des 12. Jh. herausbildet, hat die Mobilität von Klerikern, Magistern und Scholaren zur Folge. Bis zum 12. Jh. gingen die Reisen in die eine oder in die andere Richtung. In den 1070er Jahren kamen Scholaren von Reims nach Bamberg und von Bamberg nach Reims (Märtl 1991, S. 335). Noch 1112 scheint sogar der junge hl. Bernhard, nach seiner Ausbildung in den Artes liberales unschlüssig über den Anschluß höherer Studien, überlegt zu haben, auf Anraten seiner Brüder nach Deutschland zu gehen (Gottfried von Auxerre, Fragmenta, Ausg. Fassetta, S. 88 [Lechat 1932, S. 93]: placuit sermo in oculis eius et constituta est dies qua providerent fratres itineri eius necessaria et sic in Alemaniam profisciceretur). Nunmehr mußte jedoch ein Deutscher, um höhere Studien, die über die Grundausbildung in den Artes liberales hinausgehen sollten, zu absolvieren, sich in die Fremde begeben, nach Frankreich oder Italien. Im Laufe des 12. Jh. lassen sich dann viele Deutsche feststellen, die ihren Weg nach Frankreich nahmen, um sich dort spirituell zu vervollkommnen und/oder dort zu studieren. Die Quellen erlauben es jedoch nicht, das Phänomen auch nur annähernd als Ganzes zu erfassen. Es handelt sich sicherlich um kein Massenphänomen, schon deshalb, weil der Aufenthalt in einer fremdländischen Stadt bedeutende finanzielle Mittel erforderte und so nur für Sprößlinge einer kleinen Elite möglich war oder für Individuen, die von einer Gemeinschaft, insbesondere einer kirchlichen Institution unterstützt wurden. Zudem scheinen die Verantwortlichen der deutschen kirchlichen Institutionen die Auslandsaufenthalte nicht wirklich gefördert zu haben – im Einklang mit dem immer noch in Kraft befindlichen Ausbildungsmodell der kirchlichen Würdenträger, wie wir es oben beschrieben haben. Die

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Möglichkeit eines Auslandsaufenthalts scheint z.B. auf junge Leute ab einem gewissen Alter beschränkt gewesen zu sein. Otto von Freising, der selbst zu den jungen Deutschen gehörte, die die französischen Schulen besucht hatten, und, was ihn betrifft, davon auch sicher stark geprägt war, ordnete 1158 an, pueri et adolescentes, die sich im Kapitel aufhielten, um dort Kanoniker zu werden, könnten nicht ins Ausland gehen, ehe sie die Weihe zum Subdiakon erhalten hatten, also vor dem Zeitpunkt, wo sie Vollkanoniker geworden waren (nec occasione discendi foras eos evagari ante hoc tempus concedimus; vgl. Barrow 1989, S. 123). Man hat auch darauf aufmerksam gemacht (Barrow 1989, S. 127), daß die Bischofprivilegien für die deutschen Domkapitel die Domherren im Falle der Übernahme eines Bischofsamtes von der Residenzpflicht befreiten, aber nicht im Falle auswärtiger Studien, wie die französischen und italienischen Privilegien es vorsahen. Man mußte von Fall zu Fall um Genehmigung ersuchen. Dies ist z.B. für den künftigen Missionar und Bischof von Oldenburg, Vizelin, bezeugt (s.u.). Nichtsdestoweniger gab es einen kontinuierlichen Zustrom von Deutschen, die sich nach Frankreich zum Studium begaben, und er scheint sich während des 12. Jh. verstärkt zu haben. Was suchten diese Deutschen in Frankreich, v.a. in Paris? Gewiß begaben sie sich in das Land, weil hier insbesondere am Beginn unserer Periode die intellektuelle Blüte und die spirituelle Erneuerung am ausgeprägtesten waren. Darin kann man den initialen Impetus für den Zustrom finden. Bezeichnend dafür ist ein Brief, geschrieben von einem deutschen Studenten am Beginn des 12. Jh. Er berichtet voll Begeisterung vom Unterricht bei Wilhelm von Champeaux in Paris (vgl. u.a. Mews 2010, S. 133ff.). Die Stellung des Briefs im Codex zeigt an, daß er 1111 geschrieben wurde, als Wilhelm das Kapitel von Notre Dame verließ, und nicht 1108, wie man bis jetzt im Vertrauen auf die Überlieferung von St. Victor dachte; der Student verfaßt eine dithyrambische Lobrede auf Wilhelm: „Ich bin gegenwärtig zu Paris in der Schule des Magisters Wilhelm, des gebildetsten Mannes in jeder Disziplin unter allen in dieser Zeit, die ich kennengelernt habe. Diese Stimme, wenn wir sie hören, kommt uns nicht als die eines Menschen, sondern die eines Engels vor. Die Süße seiner Worte und die Tiefe seiner Sentenzen scheinen nämlich weit über die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten hinauszugehen“ (‚Codex Udalrici‘, Ausg. Jaffé, S. 286: Parisius sum modo, in scolis magistri Gwillelmi, summi viri omnium huius temporis, quos ego noverim in omni genere doctrinae. Cuius vocem cum audimus, non hominem, sed quasi angelum de caelo loqui putamus; nam et dulcedo verborum eius et profunditas sententiarum quasi humanum modum transcendit ), und er berichtet, Wilhelm habe letzte Ostern auf sein Amt verzichtet, um ein strengeres Leben in der

78 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Art des Magisters Manegold aufzunehmen. Er habe wieder zu lehren begonnen, jedoch von seinen Schülern kein Geld mehr verlangt. Er lehre sowohl die heiligen als auch die profanen Wissenschaften. Der Briefschreiber vergleicht ihn mit Manegold, der wie jener ebenfalls gelehrt habe, ohne Hörergeld zu erheben, ehe er die Lehre aufgegeben habe, um das Leben eines Religiosen anzunehmen. Der Ort, wohin Wilhelm sich 1108 zurückgezogen haben könnte, wäre dann 1113 die Abtei St. Victor geworden (nach einer anderen Hypothese könnte er sich in Puiseaux niedergelassen haben – vgl. Führer 2010). In der Folge wurde die peregrinatio scolarum nach Westen, angetrieben von jenem ersten Impetus, der klassische Weg. Wenn man den Schlüssen traut, welche man aus der genauen Identifikation bestimmter Deutscher, die zum Zwecke des Studiums nach Frankreich kamen, ziehen kann, so läßt sich das sie alle verbindende Faktum feststellen, daß dieses Studium in Frankreich sie in hohe kirchliche Stellungen brachte. Abgesehen davon sind allerdings die Modalitäten und die Ziele der Reise nicht für alle dieselben. Es zeichnen sich mehrere Gruppen ab, die man aber nicht allzu strikt trennen sollte. Vielmehr sind die Überschneidungen zahlreich. Eine erste Gruppe bilden Personen, bei denen die Reise nach Frankreich ihrem Wunsch entsprach, ihre religiösen und spirituellen Bestrebungen zu befriedigen, indem sie die dafür nötige intellektuelle Ausbildung erwarben. Sie stellen diese Ausbildung in den Dienst eines spirituellen und pastoralen Engagements zum Zwecke der Kirchenreform. Unter ihnen konnten einige jedoch ihre außerordentliche Eignung für diese Studien so glänzend unter Beweis stellen, daß sie, statt nach Deutschland zurückzukehren und sich nach der Studienzeit im Pastoralamt zu engagieren, in Frankreich blieben und hier Magister mit großem Renommee wurden. Am besten demonstriert Hugo von St. Victor diesen Sonderweg. Es ist nämlich nunmehr erwiesen, daß Hugo aus Sachsen stammte, genauer aus der Diözese Halberstadt, zu welcher er Beziehungen hatte, wie er ausdrücklich erwähnt (vgl. Cohen-Mushlin 2004, S. 21ff.; Poirel 2006; zuletzt Tischler 2010, S. 238, Anm. 17). Er gehörte zur Grafensippe von Blankenburg. Einer seiner Onkel war Reinhard, Bischof von Halberstadt ab 1107, gestorben 1123 (vgl. Bogumil 1963). Er könnte Wilhelm von Champeaux in Paris kennengelernt haben, als er bei ihm studierte, bevor Wilhelm Bischof wurde. Er gründete ein Regularkanonikerstift St. Pankraz in Hamersleben, vergleichbar mit St. Victor. Reinhard könnte 1110 den jungen Hugo, der damals gerade Stiftsherr in St. Pankraz war, angeregt haben, nach Paris und St. Victor aufzubrechen. Nach einem Umweg über die Abtei St. Victor in Marseille, um Reliquien mitzunehmen, könnte Hugo 1115

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in St. Victor in Paris angelangt sein, begleitet und gefolgt von einem anderen Onkel, Archidiakon von Halberstadt, der nach Aussage des Nekrologs von St. Victor die Abtei beachtlich beschenkte. Dominique Poirel (2006) meint, Hugo sei schon voll ausgebildet nach St. Victor gekommen und dies habe eine wichtige Rolle für den neuen Geist gespielt, den er den Studien in St. Victor nach Wilhelm von Champeaux einhauchte. In der Tat ist er weniger interessiert an Problemen der Sprache und an der Logik als Wilhelm. Dafür aber dürfte er in Sachsen (oder dem Rheinland) das Werk von Pseudo-Dionysius Areopagita kennengelernt haben. So wird er wesentlich zur Wiedereinführung des Werks in Frankreich beitragen, da bis zum Ende des 11. Jh. der wesentliche Teil der Handschriften des Areopagiten in Deutschland lag. Schwerlich hatte Hugo bei der Abreise vorausgesehen, daß er in Paris bleiben würde. Aber seine intellektuellen Fähigkeiten führten eine Umentscheidung herbei. Denn Paris war gewiß weit eher als Sachsen der Ort, wo jene sich wahrhaft entfalten konnten. Neben Hugo kann man noch Magister Hartwinus anführen, der offenbar gegen 1140 in Paris die Artes des Quadriviums lehrte. Doch Johannes von Salisbury, der uns mit ihm bekannt macht, widmet ihm nur eine wenig preisende Würdigung (‚Metalogicon‘ 2, 10). Eine vergleichbare spezielle geistige Persönlichkeit, wie sie Hugo von St. Victor darstellte, sollte erst mit Albert dem Großen nach eineinhalb Jahrhunderten wieder auftreten. Denn die Mehrzahl der Deutschen, die sowohl von einer anspruchsvollen Spiritualität als auch dem Geschmack an den Studien nach Frankreich geführt worden waren, wendeten sich in der Folge der pastoralen Tätigkeit zu oder wählten jedenfalls ein Leben, das ein Vorbild und Beispiel des spirituellen Ideals, das sie vertraten, sein sollte. Neben dem schon erwähnten Bruno von Köln, der den Kartäuserorden gründen wird, gehört auch Norbert von Xanten, der Gründer des Prämonstratenserordens, hierher. Er hat wahrscheinlich die Schule von Raoul von Laon besucht, auch wenn sein Biograph den Topos der Gründung von Prémontré als eine Art Herausforderung an die Welt der Schulen aufgreift. Sein Biograph berichtet nämlich, Norbert habe sich in Laon befunden, um im Einvernehmen mit Bischof Bartholomäus den besten Ort für seine Gründung zu bestimmen. Er will laut seiner Vita zu einer Vorlesung über den Psalm 118 ‚Beati immaculati‘ gehen, weil er das Renommee der Schule Anselms und seines Bruders Raoul kennt. Aber ein früherer Mitschüler Norberts, Drogo, Prior von St. Nicasius in Reims und späterer Abt von St. Johann in Laon, schreibt ihm, um ihn für die Bevorzugung der weltlichen Schule und der irdischen Philosophie vor der Schule des Heiligen Geistes, der menschlichen vor der himmlischen Weisheit, zu tadeln. Daraufhin verwirft Norbert

80 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen ein Projekt, das die Gefahr in sich barg, ihn von seiner gottgewollten Mission der Gründung von Prémontré abzubringen. Nach der Gründung von Prémontré wird Nobert – nach Hermann von Tournai – Schüler anwerben, die er bis hinein in die Kathedralschule bei Magister Raoul sucht. Folgend einem Aufruf gelingt es ihm „sieben der reichsten, die eben aus Lothringen gekommen waren, zu bekehren und führte sie mit viel Geld seiner Kirche zu“ (‚Vita Norberti‘, Ausg. Wilmans, S. 678; Hermann, ‚Miracula‘, Ausg. Saint-Denis, S. 208; vgl. Giraud 2010a, S. 409f.). Es gibt noch weitere Beispiele spiritueller Berufung unter den deutschen Schülern von Laon. Tatsächlich funktioniert die Schule von Laon als veritables Netzwerk, das das Milieu der scolares mit dem der claustrales verbindet (vgl. Giraud 2010a). Hugo Métel, Kanoniker von St. Leo in Toul (ca. 1080 – ca. 1150), stammte aus dem romanischen Teil des Reichs. Er gibt in seiner Korrespondenz Hinweise auf seine Grundausbildung, ohne daß man sagen könnte, um welchen Ort es sich dabei genau handelt, Toul oder Chartres. Er hat die Artes liberales studiert, erklärt aber, zugleich Neues und Altes Testament in Laon bei Magister Anselm studiert zu haben. Er verläßt Laon mit einer klareren Vorstellung seiner wirklichen Berufung und wird Regularkanoniker in St. Leo gemäß der Regel von St. Ruf (Giraud 2010a, S. 144f.). Der Aufenthalt von Franco, Abt von Lobbes (1149–59), in Laon ist ebenfalls ein Zeichen für die Anziehungskraft der Schule von Laon zur Zeit von Raoul und erweist einmal mehr den Übergang von der klösterlichen Welt zu der der Schulen (Giraud 2010a, S. 417–420). Vicelin, künftiger Bischof von Oldenburg, und sein Schüler Thietmar haben ebenfalls die Schule von Laon besucht (vgl. Ehlers 1996 [1986], S. 180f.; Giraud 2010a, S. 411–417). Der Chronist Helmold von Bosau liefert einen genauen Bericht dieser Ausbildung (Helmold von Bosau, ‚Chronica Slavorum‘, Ausg. Schmeidler, S. 84–93). Vicelin, geboren in den letzten Jahrzehnten des 11. Jh. in Hameln am linken Weserufer, stammte aus einem Geschlecht, „das mehr durch ehrenvolle Sitten als durch Geblütsadel hervorragte“. Die Rudimente der litterae erlernte er bei den Kanonikern am Ort, doch er als von einem Priester befragt wurde, ob er die ‚Achilleis‘ des Statius kenne, und er behauptete, sie studiert zu haben, machte er sich lächerlich. Zutiefst getroffen, beschließt er, richtige Gelehrsamkeit zu erwerben, und begibt sich nach Paderborn, ubi tunc forte studia litterarum florebant sub nobili magistro Hartmanno, welcher als Domherr bezeugt ist, und verweilt dort einige Jahre. Er widmet sich mit Verbissenheit den Studien, überrundet so seine Mitschüler und wird in scolis regendis magistri coadjutor. Das in Paderborn erworbene Wissen befähigt ihn, nach Bremen

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zu gehen und dort, nachdem er ins Domkapitel eingetreten ist, die Leitung der Schulen zu übernehmen (curandis scolis magister ibidem preditus est). Das kann nicht später als 1118 gewesen sein. Es erweist sich als anspruchsvoller Lehrer, ebenso bedacht auf die sittliche wie die intellektuelle Vervollkommnung. Seine Strenge vertreibt zwar einen guten Teil der Schüler, doch andere werden in Menge von seinem Renommee angelockt. Vicelin wünscht aber nun eine weitere Stufe der Bildung zu erklimmen, indem er sich für seine höheren Studien (maiorum scilicet gratia studiorum) nach Frankreich begibt. Mit Erlaubnis des Dompropsts erreicht Vicelin in Begleitung seines Schülers Thietmar nun die Schulen der verehrten Meister Raoul und Anselm, welche die berühmtesten ihrer Zeit für das Studium der Heiligen Schriften sind. (Anselm ist allerdings schon tot, als Vicelin ankommt. Die Erwähnung bei Helmold zeigt, daß das Prestige von Laon mit dem Namen Anselms verbunden blieb.) Helmold hebt hervor, daß Vicelin sich sorgfältig von questiones … supervacuas pugnasque verborum, quae non edificant, sed magis subvertunt ferngehalten habe. Denn nur die Umkehr des Lebenswandels und der spirituelle Aufstieg sollen die wahre intellektuelle Ausbildung leiten. Er strebt auch die höheren Weihen an, denn bisher ist er nur Akolyth. Aber zuvor will er eine ausreichende Bildung erlangen. Auf diese Weise verbringt er drei Jahre in Laon, um sich zu vervollkommnen, ehe er sich zur Heimkehr und zu den höheren Weihen entschließt. In Laon scheint er sich auch entschlossen zu haben, der Konversion die Priorität vor der intellektuellen Karriere einzuräumen. Während sein Schüler Thietmar nach Bremen zurückkehrt, um Kanoniker zu werden und wohl auch um Vicelin als Scholaster nachzufolgen, sucht Vicelin Norbert von Xanten auf, der zum Erzbischof von Magdeburg aufgestiegen ist, und läßt sich von ihm zum Priester weihen. Ohne Zweifel war es in Laon gewesen, wo man Vicelin von Norbert erzählt hat, weshalb sich Vicelin an diesen wandte und nicht an den Bremer Metropoliten. Er engagiert sich mit Billigung des Erzbischofs von Bremen-Hamburg, Adalbero, in der Slavenmission (ratus igitur ad opus ewangelii se divinitus vocari). Ab 1127 unternimmt er auch in Faldera (Neumünster) ein Reformwerk, welches außer in der Konversion von Laien darin besteht, die Kleriker zur Einhaltung ihrer Pflichten wie des Zölibats, des Gebets, des Fastens und der Werke der Barmherzigkeit zurückzuführen. Dies steht am Anfang der Gründung einer nach der Augustinerregel lebenden Gemeinschaft. Ausgehend von der Gruppe der in Faldera vereinigten Gläubigen fördert er die Reform in Sachsen. Helmold berichtet weiter vom Erfolg dieses Werks und den Wundern, die es begleiten. Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen offenbaren sein Charisma. Sein Schüler Thietmar gibt 1143 seine Ämter in Bremen auf, um

82 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen sich der Gründung Vicelins in Faldera (Neumünster), dann in Cuzelina (Högersdorf) anzuschließen. Er stirbt am 25. Sept. 1149 einen vorbildhaft erbaulichen Tod. Was Vicelin betrifft, so wird er Bischof werden, als am 25. Sept. 1149 Hartwig, neuer Erzbischof von Hamburg-Bremen (1148–1168), eine Erneuerung der wendischen Bistümer anstrebt und Vicelin nach 23 Jahren der Mission zum Bischof von Oldenburg weiht. Doch er gerät in Konflikt mit Heinrich dem Löwen, den Hartwig nicht konsultiert hatte. Er stirbt am 12. Dez. 1154 und ist im Kloster zu Neumünster, seiner Gründung, begraben. Dieselbe Verbindung von Studien und geistlichem Ideal wird auch im folgenden bestimmte Deutsche französische Schulen besuchen lassen. Der künftige Prior von Seelau in Böhmen, Gottschalk, Sohn eines Ministerialen der Kirche von Köln, hatte zuvor in Köln eine solide Grammatikausbildung genossen, ehe er von seinen Eltern nach Paris geschickt wurde, wo er die Artes liberales studierte mit der Absicht, sich dann der Medizin zu widmen, auf jeden Fall aber die Studien fortzusetzen. Doch mit zwanzig Jahren wurde er bei einem Heimataufenthalt, der nötig war, um neue finanzielle Mittel zu erhalten, schwer krank. Ergriffen von der göttlichen Gnade, entsagte er der Welt und den Studien und trat nach einer Begegnung mit Eberwin von Elfenstein in das Prämonstratenserstift Steinfeld ein, wo Eberwin Prior war. 1149 wurde er im Alter von 33 Jahren Abt von Seelau in Böhmen (‚Continuatio Gerlaci‘, Ausg. Pertz, S. 694f.; vgl. Hofmeister 1912, S. 128, Ehlers 1996 [1986], S. 180). Ekbert von Schönau († 1185), Autor von 23 Predigten contra hereses Katarorum, die zwischen 1155 und 1160 verfaßt wurden, dürfte in Paris studiert haben, ehe er Kanoniker von St. Cassius und Florentius in Bonn und dann Mönch im Benediktinerkloster Schönau wurde (vgl. Köster 1959; zuletzt Gorochov 2012, S. 162). Doch dies beruht auf unsicheren Zeugnissen. Es heißt nur in einem seiner Briefe, er habe zusammen mit Rainald von Dassel den Philosophieunterricht eines gewissen Adam genossen, den man nicht genau identifizieren kann (s.u.). Der spätere Erzbischof von Magdeburg, Ludolf von Kroppenstedt, gehört auch zu dieser Gruppe. Offenbar niederer Herkunft, da er in einer Quelle als Bauernsohn erscheint, erhielt er seine erste Ausbildung in Halberstadt, ehe er sich nach Paris begab und dort etwa fünf Jahre blieb. Dabei studierte er teilweise gleichzeitig mit Thomas Becket (Ehlers 1996 [1986], S. 181). Dann wurde er Domscholaster in Magdeburg, ausgestattet mit einer Pfründe, dann 1184 Domdekan, schließlich 1192 Erzbischof. Auch die Zisterzienser haben zu dieser Gruppe eine Menge beigetragen. Abt Adam von Ebrach, geb. vor 1100, gest. zwischen 1166 und 1170,

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war Mönch in Morimond gewesen, ehe er 1134 Ebrach gründete und von Ebrach aus sechs weitere Zisterzen in Süddeutschland. Er kann zu den deutschen Kontaktpersonen des hl. Bernhard gezählt werden. Er dürfte eben zu dieser Gruppe gehören, auch wenn wir über seine Schulausbildung nichts wissen (vgl. Geldner 1953 u. 1974). Es gibt auch gute Gründe für die Annahme, der Zisterzienserabt Caesarius von Heisterbach habe die Pariser Schulen besucht, obwohl wir über keine klaren Zeugnisse verfügen (dazu allgemein Wagner 2009). Nach Johannes Fried (1982, S. 132) war Caesarius tatsächlich in Frankreich und könnte dort zu der Konversion des späteren Zisterzienserabtes Philipp von Ottenberg (bezeugt als Kanoniker in Köln 1170 und 1176, gest. 1225) beigetragen haben. Über diesen sagt uns nämlich Caesarius, er habe die Vorlesungen des Kölner Scholasters Rudolf in Paris gehört, bevor er der Welt entsagte und in ein Zisterzienserkloster eintrat, welches wieder zu verlassen ihn sein Magister vergeblich zu bewegen versucht habe (Caesarius von Heisterbach, ‚Dialogus miraculorum‘ I, c. 38, Ausg. Strange, S. 46: Abbas Philippus de Ottirburg … Rudolphum eiusdem ecclesie scholasticum Parisiis legentem audivit. Divina inspirante gratia, magistro suo ignorante, scholas deseruit ). Am Beginn des 13. Jh. sind schließlich noch Konrad von Hildesheim und alle Personen seiner Entourage zu erwähnen. Dieser Zirkel könnte sich in Paris, wenn nicht gebildet, so doch wenigstens gefestigt haben (dazu zuletzt Moeglin 2010, S. 258; Gorochov 2012, S. 92f.). Konrad von Hildesheim erwarb wahrscheinlich in Paris vor 1209 den Grad eines Magister artium (Crusius 1984) und unterrichtete dort Theologie, von 1209 bis 1216 war er Dompropst in Speyer, 1216 Domscholaster in Mainz, 1221 wurde er zum Bischof von Hildesheim gewählt und am 7. März 1224 vom Papst zum Legat im Erzbistum Mainz für den Kreuzzug ernannt. Er blieb Bischof von Hildesheim bis 1246 und starb 1249 im Zisterzienserkloster Schönau. Aus seiner Entourage kommt Oliver von Köln (vgl. Hiestand 1987; Grasso 2010). Dieser ist 1201–1223 Scholaster in Köln, studiert inzwischen in Paris 1203–1207, gleichzeitig mit Konrad von Hildesheim, wird Bischof von Paderborn 1223, Kardinal 1225 und stirbt nach dem 9. August 1227. Andere ‚alte Pariser‘ Mitglieder dieses Zirkels sind Heinrich, Kanoniker von St. Cassius in Bonn, später Abt von Heisterbach, sowie Gerung, Scholaster von St. Cassius in Bonn, auch er Kreuzzugsprediger. Kürzlich hat man mit guten Gründen vorgeschlagen, daß der spätere Erzbischof von Magdeburg, Adalbert (1205–32), der ebenfalls in diesen Jahren in Paris war, auch zu diesem Zirkel gehörte (Gramsch 2009). Im übrigen haben auch andere litterati, die mit Konrad von Hildesheim in Verbindung standen, Paris besucht. Johannes, Kanoniker in Xanten, später

84 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Scholaster ebendort, Prior in Aachen und Abt von St. Trond und Deutz; Hermann, Dekan von St. Cassius in Bonn und Abt von Himmelrod, Heisterbach und Marienstatt; oder auch Daniel, Scholaster in Münstereifel und Kerpen und Abt von Schönau. Und die Verbindungen, welche Konrad von Hildesheim im Laufe seines Pariser Aufenthalts geknüpft hatte, müssen auch hernach noch eine Rolle gespielt haben: Konrad zählte in Paris Caesarius von Speyer zu seinen Schülern, der, wohl unter dem Einfluß seines Magisters, das Kreuz nahm und nach Palästina aufbrach. Dort schloß er sich dem Franziskanerprovinzial Elias an, so daß er schon 1221 durch Franz von Assisi mit der Franziskanermission in Deutschland beauftragt wurde und sich dabei der Unterstützung Konrads erfreuen konnte. Das neue deutsche Reformmilieu der Franzsikaner hat gleichfalls seine Verbindungen mit den Kreisen der Pariser Schulen, wie dies schon bei Ihren Vorgängern, den Zisterziensern, fast ein Jahrhundert früher der Fall war. Eine zweite Gruppe von Deutschen, die nach Frankreich zum Studium kommen, vereinigt Personen, deren Profil sich – zuvörderst aufgrund der mangelnden Beleglage – nicht immer deutlich abzeichnet. Nichtsdestoweniger werden die Konturen dieser Gruppe im Verlauf des 12. Jh. immer klarer. Sie wird von denen gebildet, welche sich von einem erfolgreichen Studium auch dann gute Karriereaussichten erhoffen, wenn sie selbst nicht von hoher Geburt sind. Diese Entwicklung läßt sich mit der wachsenden Verbreitung des Titels magister verbinden und der sozialen Bedeutung, welche er erlangt. Manfred Groten (1993) hat nämlich eine unmittelbare Relation zwischen der Verbreitung des Magistertitels im Reich mit dem Besuch französischer, v.a. Pariser Schulen hergestellt, wenngleich er vermerkt, daß Deutsche auch oft ohne Grad und Titel aus Frankreich zurückgekommen sein müssen. Man wird den Mitgliedern dieser Gruppe nicht von vornherein ein wirklich spirituelles Ideal rundweg absprechen können, aber es scheint doch nicht selten – und dies ist der Unterschied zur ersten Gruppe – ein wenig hinter der Attraktion der Studien und/oder der Karrieren, welche durch die auswärtigen höheren Studien ermöglicht werden, zurückzutreten. Es scheint nämlich die Annahme zulässig, daß ein Gutteil der magistri, welche in den deutschen Urkunden der zweiten Hälfte des 12. Jh. als Kapellane und Notare im Dienst der Bischöfe und weltlichen Fürsten aufscheinen, ihren Titel einem Aufenthalt an einer französischen, v.a. Pariser Schule verdankt, aber dies läßt sich nur für eine Minderheit unter ihnen exakt nachweisen (vgl. Groten 1993, S. 27ff.). Die Karriere, welche sich durch ein erfolgreiches französisches Studium eröffnet, ist namentlich die eines Scholasters an einer Domschule. Schon

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der Scholaster von Köln, Ragimbold (vgl. Oediger 1973, S. 353), war im ersten Viertel des 11. Jh. Schüler von Fulbert von Chartres gewesen. Theoderich, Domherr und wahrscheinlich Scholaster von Paderborn, hatte seine Ausbildung in den 1060er Jahren bei Lanfranc im Kloster Bec oder Caen erhalten (vgl. Schmidtinger 1962; Johanek 1986, S. 40), jenem Lanfranc, der nach dem Wort Willirams von Ebersberg die Deutschen anzog (vgl. Steckel 2011, S. 958). Wieder nach Deutschland zurückgekehrt und Autor eines Kommentars zum Paternoster, wird dieser Theoderich von Paderborn der erste Importeur des scholastischen Geistes gewesen sein. Diese Fälle von Scholastern, die in Frankreich ausgebildet wurden, scheinen sich nun in der zweiten Hälfte des 12. Jh. zu vervielfachen. So ist z.B. der Scholaster Rudolf von Köln als Magister in Paris bezeugt. Nach einer Hypothese von Johannes Fried (1982) sei, als Gérard Pucelle 1180 nach Köln zurückkam, um seine Pfründe als Kanoniker und Scholaster wieder einzunehmen, Rudolf, der ihn nach dessen erster Periode als Scholaster in Köln einige Jahre lang ersetzt hatte, seinerseits zum Unterrichten nach Paris gegangen, und zwar zwischen 1179/80 und 1183/84. Er könnte ins Pariser Exil von diesem oder jenem jungen Kölner Kanoniker begleitet worden sein, so von dem oben erwähnten Philipp von Otterberg. Als Gérard Pucelle Bischof von Coventry geworden war, sei Rudolf nach Köln zurückgekehrt, um dort seine Funktion als Scholaster wieder auszuüben. Es besaß auf alle Fälle theologische Kenntnisse, die er wahrscheinlich in Paris erwarb, wie seine Behauptung – bezeugt von Caesarius von Heisterbach (‚Dialogus miraculorem‘ I, c. 32, Ausg. Strange, S. 38) – über die Verortung des Fegefeuers zeigt. Fried (1991) hat auch vorgeschlagen, Rudolf mit dem berühmten Archipoeta zu identifizieren. Doch diese Hypothese bleibt umstritten. Der Archipoeta war nach den von ihm selbst gegebenen Hinweisen auf jeden Fall zwischen 1162 und 1164 tätig und unterhielt enge Verbindungen mit Rainald von Dassel, dem acht seiner Gedichte gewidmet sind. Er bezeichnet sich als scolaris, erwähnt ein abgebrochenes Medizinstudium in Salerno und rühmt die viri litterati gegenüber den laici. Mit guten Gründen hat Rudolf Schieffer (1990) vorgeschlagen, ihn mit dem Scholaster Radulf zu identifizieren, der 1157/58 in Köln bezeugt ist (zu einer anderen Identifikation, ebenfalls im Kölner Milieu, vgl. Landau 2011). Zu der Gruppe gehört auch ein Autor, den man Eberhardus Alemannus nennt. Er ist in den letzten Jahrzehnten des 12. Jh. in einigen Handschriften als Schüler in Paris und Orléans, dann als Magister in Paris bezeugt, ehe er Scholaster in Bremen wird. Er ist der Autor eines Gedichts mit dem Titel ‚Laborinthus sive de miseriis rectorum scholarum‘, wo er auf seine

86 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen eigenen Studien anspielt (Ausg. Faral, S. 336–377; vgl. Worstbrock 1980a). In Köln ist auch ein gewisser Magister Anselm bezeugt, Neffe des Priesters Anselm von St. Brigitta, von dem es erwiesen ist, daß er 1200 die Universität von Paris besucht hat. Sein Titel magister meint sicher einen in Paris erworbenen Grad (vgl. Groten 1993, S. 29). Magister Heinrich von Avranches (vgl. Bund 2000a; 2000b; 2005; 2007a; 2007b) gehört gleichfalls zu den litterati, die dank ihrer Studien Karriere machen. Diese litterati können fallweise sogar, wie die Mitglieder der zuvor genannten Gruppe, zum Bischofsamt aufsteigen, wenn sie sich der Protektion eines mächtigen Fürsten erfreuen. Dies trifft auf Heinrich von Lübeck zu (1173–82). Geboren in Brüssel, betreibt er nach dem Zeugnis Arnolds von Lübeck seine Studien in Paris (Arnold von Lübeck, ‚Chronica Slavorum‘, Ausg. Lappenberg, S. 73: relicto studio Parisiensi ), wird Scholaster in Hildesheim und Braunschweig, dann Abt des Klosters St. Ägidius in Braunschweig. Die Nähe zu Heinrich dem Löwen, den er auf seiner Pilgerreise nach Jerusalem 1172 begleitet, verhilft ihm 1173 zur Nachfolge Bischof Konrads I. von Riddagshausen, der auf derselben Reise ins Heilige Land stirbt (vgl. Kintzinger 1990, S. 45; Groten 1993, S. 31f.; Lorentzen 2001). Die Gruppe von Deutschen, welche in Frankreich studiert haben, bevor sie in Deutschland ein Lehramt oder sonst ein kirchliches Amt übernommen haben, könnte durchaus bedeutender sein, als die lückenhaften Quellen preisgeben. So weist eine banale Pariser Urkunde von 1216 nicht nur die Subskription des künftigen Kölner Erzbischofs, Konrad von Hochstaden, auf (vgl. Groten 1993, S. 32f.), sondern auch einer ganzen Reihe weiterer Deutscher, deren Aufenthalt in Paris auf diese Weise zufällig ans Licht kommt. Auch eine Urkunde des Kapitels von Hildesheim (Urkundenbuch Hildesheim, Nr. 684) zeigt so nebenbei die Existenz des Neffen eines gewissen Konrad vom Markte an, der 1216 in Paris war und der nach Hildesheim zurückkehren sollte, um in den Genuß einer Donation seines Onkels, Kanonikers des Kollegiatsstifts St. Andreas in Hildesheim, zu kommen. Die dritte und letzte, wenn nicht die umfangreichste, so doch jedenfalls sichtbarste Gruppe der deutschen Studenten in Frankreich, wird von den Kindern der großen Familien des deutschen Adels gebildet, die von Geburt an für die Karriere eines Bischofs bestimmt sind und für eine bestimmte Zeit in einige renommierte schulische Zentren Frankreichs geschickt werden, in der Erwartung, daß der von ihnen angestrebte Bischofssitz inzwischen frei wird. Für sie stellen die Studien in Frankreich bloß ein Plus für den Einstieg in die Karriere eines Kirchenfürsten dar, für welche sie ohnehin schon durch ihre Geburt prädestiniert sind. Doch es ist für mindestens

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einige von ihnen nicht ausgeschlossen – auf Otto von Freising trifft dies bestimmt zu –, daß sie zugleich spirituelle Bestrebungen und/oder intellektuelle Veranlagungen zeigten, die eine Rolle für ihre Sendung nach Frankreich gespielt haben. In grober chronologischer Folge der Ankunft dieser künftigen Prälaten in Frankreich ist zuerst Erzbischof Friedrich I. von Köln (1100–1131) zu nennen, der sich ohne Zweifel am Ende des 11. Jh. nach Angoulême oder Périgeux zum Studium beim künftigen Erzbischof Gerhard von Angoulême (1102–36) aufmachte (Ehlers 1996 [1986], S. 169). Die Miniatur auf dem Frontispiz der Handschrift der Briefe des hl. Hieronymus, welche er gegen 1130 in Auftrag gab, zeigt ihn auf jeden Fall thronend unterhalb von Christus, umgeben von Büchern seiner Bibliothek (Kölner Dombibl., Ms. 59, fol. 1r – vgl. Thomson 2007, S. 24f.). Bischof Gebhard von Würzburg (1122–27 u. 1150–59), aus der Familie Henneberg, begab sich 1122 für ein Studium nach Frankreich, kehrte aber im selben Jahr, angeblich mit Bedauern, nach Deutschland zurück, um Bischof von Würzburg zu werden: „Ich war nach Frankreich gegangen, um zu studieren. Da kamen zu mir einige; sie behaupteten, auf Befehl des Bischofs Bruno von Speyer gekommen zu sein … Ich aber, der – Gott weiß es – nichts davon hielt und einige Zeit beim Studieren verbringen wollte, wollte zuerst nicht auf ihre Worte hören; am Ende jedoch wurde ich von den geheimen Botschaften meiner Freunde und den Mahnungen meiner Lehrer besiegt, so daß ich nach Deutschland zurückkam.“ in Franciam causa studii iveram. Quo secuti sunt me quidam, qui dicebant, se iussu Spirensis episcopi Brunonis venisse … Ego autem, ut Deus novit, nil tale meditans sed aliquamdiu in studio morari desiderans, verba eorum parvi pendi; donec, victus secretis amicorum meorum legationibus et magistrorum meorum suggestionibus, redii (‚Codex Udalrici‘, Nr. 233, S. 406).

Erzbischof Bruno II. von Köln (1131–37) kehrte ebenfalls überstürzt von einem Studienaufenthalt aus Frankreich zurück, um sich nicht das ihm zugedachte Erzbistum Köln entgehen zu lassen (Ehlers 1996 [1986], S. 169). Die Schullaufbahn des Erzbischofs Adalbert II. von Mainz (1137–41) ist uns teilweise gut bekannt dank seiner Vita, die ein gewisser Anselm verfaßte (den mit Anselm von Havelberg zu identifizieren wir keinen Grund haben), und zwar bald nach dem Tode des Erzbischofs 1141 (‚Vita Adalberti II. Moguntini‘; vgl. Ehlers 1996 [1978]). Adalbert war ein Sproß der mächtigen Grafenfamilie von Saarbrücken, Schwager Herzog Friedrichs II. von Schwaben, während sein Onkel väterlicherseits, Adalbert I., auch Erzbischof von Mainz war. Er war möglicherweise von Anfang an für eine kirchliche Laufbahn vorgesehen und ist seit 1128 als Prior von

88 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen St. Maria von Erfurt bezeugt. Seit 1139 ist er Prior von St. Peter in Mainz und ebenfalls Prior des Kollegiatsstifts St. Stephan in Mainz seit 1132. Schließlich wurde er 1138 zum Erzbischof von Mainz gewählt, nach dem Tode seines Onkels, dank der kräftigen Unterstützung seines Schwagers, des Herzogs von Schwaben. Seine Laufbahn wurde eindeutig von seinem Onkel und Förderer bestimmt, und es fragt sich, ob dieser Onkel ihn zum Besuch der Schulen animiert hat, weil dieser nützlich für die künftige bischöfliche Karriere sein konnte, oder ganz einfach, weil man irgendwie die Zeit bis zum Antritt des Bischofsamtes überbrücken mußte. Er beginnt seine Schulbildung 1128 in Sachsen an der Domschule von Hildesheim (‚Vita Adalberti‘, V. 64, Ausg. Jaffé, S. 570: Saxoniae partes adiit, quod disceret artes). Dort bildet er sich in den Fächern des Triviums, insbesondere der Grammatik, lernt lateinische Prosa schreiben, versucht sich im Versemachen und erhält eine Einführung in literarische und philosophische Texte. Diese Ausbildung muß ihn befähigt haben, einer Ausbildung auf höherem Niveau zu folgen. Für diese wählte er Reims aufgrund des Rufes, den der Logikunterricht dort besaß. Sein Onkel hatte darauf gedrängt, und der Biograph preist die Logik in den höchsten Tönen. Adalbert wendet sich zuerst zu den minimos doctores – was beweist, daß es in Reimes neben Alberich noch andere Magister gab, auch wenn diese nicht seinen Ruf besaßen – und studiert die sieben Artes liberales mit solchem Erfolg, daß selbst die Franzosen, die sich sonst soviel einbilden, ins Staunen geraten (ebd., V. 356: contra morem sit Francia passa stuporem). Daneben studiert Adalbert römisches Recht mit solchem Erfolg, daß er die besten der Stadt hätte besiegen können (V. 321: … ut in turbis rectores vinceret urbis). Aber die Schule von Reims genießt ihren Ruhm vor allem aufgrund des Wirkens von Magister Alberich. Bekannt ist dieser zuvörderst für seine exegetischen Fähigkeiten, obwohl Adalberts tatsächliche Kenntnisse auf diesem Felde nicht über allen Zweifel erhaben sind. Sein Biograph rühmt jedenfalls vor allem die Kompetenz, die er in dieser Kunst erworben hat. Dann aber wurde Adalbert durch seinen Onkel nach Mainz zurückgerufen, und er kommt in Begleitung einer stattlichen Freundesschar zurück, worunter sich auch Franzosen befinden (‚Vita Adalberti‘, V. 614–617: set preter reliquos, quos secum duxit, amicos / prodigus ille dator, nec fictae laudis amator / duxit honoratos, equitum de sanguine natos, / Francigenas, tenerae pubis qui flore fuere / inque nivis more vultus nituere decore). Er liefert in Mainz Proben seines erworbenen Wissens. Aber sein Onkel befindet seine Ausbildung noch nicht als vollkommen und schickt ihn zum Dialektikstudium nach Paris (V. 683). Er wird dort freudig von den Franzosen und Engländern empfangen. Der Lehrer, dessen Unterricht er hier nun folgen wird, ist Thierry

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von Chartres, dessen Renommee der Biograph Anselm feiert und der eben durch dieses Renommee Adalbert anzieht: „Als der junge Mann […] in die mächtige Stadt eintrat, wurde ihm von der Tugend und dem Ruf Thierrys erzählt. Dieser war zugleich Rhetoriker, Liebhaber der Grammatik sowie der Logik und führte ein keusches Leben. Geboren war er in der Bretagne, lebte aber in Frankreich. Sobald er von seinem Ruf hörte, zögerte er nicht und ging als junger und herrlicher Gast, den ehrwürdigen Meister zu besuchen. Thierry sieht und erkennt das königliche Antlitz, während die ganze Francia staunt, nicht wohl wissend, was sie mehr bewundern soll, die Sitten des Jungen oder sein strahlendes Antlitz […].“ tempore quo iuvenis […] subit urbis tecta potentis, / cepit ei dici virtus et fama Thedrici. / Qui fuit orator et rhetor et artis amator / grammaticae, logicae, vitam ducendo pudice; / cuius erat genitrix Britannia, Francia nutrix. / Huius ut audivit famam, non segniter ivit / visere doctorem, veluti iuvenis seniorem, / hospes munificus.Videt agnoscitque Thedricus / vultum regalem. Stupet et rem Francia talem, / nunc iuvenis morem, nunc ammirando decorem / purpurei vultus … (‚Vita Adalberti‘, V. 684–695).

Thierry hatte in der Tat, bevor er Kanzler der Kathedrale von Chartres wurde, in Paris gelehrt, wo Johannes von Salisbury 1136 oder kurz danach sein Schüler war. Er spielte bekanntermaßen in Paris eine wichtige Rolle in der Einführung des aristotelischen Organon. Adalbert wird von Thierry als Schüler angenommen (‚Vita Adalberti‘, V. 708f.: corpore iam sospes, animo nec languidus hospes / discipulus dici dignatur et esse Thedrici ) und bekommt von ihm dafür eine fürstliche Entlohnung (V. 773–776: Donaque doctori dat magna set equa labori, / exule maiora, set nobilitate minora; / nam si preberet, quae se prebere deceret, / dona daret pene tot, quot reputantur harenae). Er zeigt sich überdies gegenüber armen Studenden als sehr freigebig. Unter Thierrys Anleitung übt sich Adalbert zugleich in der Kunst der Disputation (V. 714f.: disputat, opponit, probat et contraria ponit, / infert concludens …) und der Rhetorik (V. 718–720: sed neque rethoricam renuens, Ciceronis amicam, / rethor et orator, defensor et insidiator, / iudex et testis …). Er bereitet sich so auf seine künftigen Aufgaben vor. Doch statt zur Rückkehr nach Mainz entschließt er sich zu einer Pilgerreise nach Saint-Gilles du Gard. Nach Saint-Gilles sucht er noch Montpellier auf, wo er Physik und Medizin studieren will (V. 802–805: ergo manens didicit breviter, quod phisica dicit, / perspiciens causas naturae, res sibi clausas; / non ut lucra ferat vel opes hoc ordine querat, / set quia de rerum voluit vi noscere verum), womit er ein frühes Zeugnis für den Aufschwung der Medizinschulen von Montpellier liefert. Adalberts Biograph unterstreicht deutlich, daß Adalbert seine Studien ohne jede Absicht, daraus finanzielles Kapital zu schlagen, betreibt (V. 405: est pius A(lbertus), sine lucri peste repertus …) und sich so von jenen unterscheidet, welche Anselm verurteilt, weil sie die Gelehrsamkeit suchen, um daraus ein Geschäft zu machen und sich wie

90 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen die Honig sammelnden Bienen verhalten (vgl. V. 384–393). Schließlich kehrt Adalbert nach Mainz zurück und besteigt den Erzbischofsstuhl. Die Vita liefert uns offenkundig eine sehr positive Ansicht der intellektuellen Fähigkeiten des künftigen Erzbischofs. Wahrscheinlich muß man da einiges abziehen. Aber ein Zeugnis für die Lebens- und Anziehungskraft der französischen Schulen bietet sie allemal. Der künftige Bischof von Freising, Otto, ein Sproß der mächtigen Familie der Babenberger, Markgrafen, dann Herzöge von Österreich, durch seine Mutter zudem Onkel des Kaisers Friedrich Barbarossa, ist ein weiteres bedeutendes Beispiel für junge Deutsche aus hochadeliger Familie, die zum Studium nach Frankreich gehen (vgl. Hofmeister 1912; Ehlers 1996 [1986], S. 178f.; jetzt grundlegend Ehlers 2013). Otto wurde gewiß gegen 1110 geboren und noch als Kind von seinem Vater zum Propst des Regularkanonikerstifts Klosterneuburg gemacht. Er könnte, mit einer bedeutenden Begleiterschar nach Paris zum Studium geschickt (‚Continuatio Claustroneoburgensis‘ I, Ausg. Pertz, S. 610), dort etwa acht Jahre von seinem fünfzehnten bis zu seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahr verbracht haben. Wahrscheinlich hat er sich auch in Reims, ja sogar Chartres aufgehalten. Auf dem Rückweg machte er mit fünfzehn Klerikern seiner Entourage Halt in Morimond, dem Zisterzienserkloster im Bistum Langres, das mit der Aufgabe betraut war, die Expansion des Ordens in Deutschland zu betreiben. So traten Otto und seine Gefährten in den Zisterzienserorden ein. Nach seiner Rückkehr nach Österreich werden die Babenberger drei Zisterzienserklöster gründen, Heiligenkreuz nahe Wien sowie Zwettl und Baumgartenberg. Den Abt von Baumgartenberg, Friedrich (später Bischof in Ungarn), können wir als einzigen von Ottos fünfzehn Gefährten mit Namen benennen. Laut dem Autor der ‚Continuatio Claustroneoburgensis‘ I (Ausg. Pertz, S. 611), der just diesen Friedrich als seine Quelle zitiert, haben alle fünfzehn Gefährten Ottos hohe Würden erreicht. Otto wird in Morimond sterben und begraben werden, wohin er sich im Rahmen seiner Frankreichreise zum Generalkapitel der Zisterzienser begeben hatte. Wir wissen sehr wenig über Ottos Studien in Frankreich. Vielleicht ist die Existenz einer Handschrift in der Bibliothek von Heiligenkreuz, die Notizen zu den Vorlesungen Thierrys (von Chartres) über die Schöpfung enthält, mit Otto in Verbindung zu bringen (Southern 1995, S. 210). Diese Notizen sind sehr fragmentarisch, erscheinen aber doch als frühes Zeugnis der Bemühungen dieses Magisters, den biblischen Schöpfungsbericht mit Hilfe des wissenschaftlichen des platonischen ‚Timaios‘ zu erklären. Zudem hat Otto einen Bericht über den Streit von Gilbert von Poitiers mit dem hl. Bernhard 1148 hinterlassen, aus dem klar hervorgeht, daß seine Sympa-

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thien auf der Seite Gilberts liegen, dessen Schüler er wahrscheinlich war. Nach Ottos Schüler und Fortsetzer, Rahewin (zu Rahewin vgl. Deutinger 1999; zu den Manuskripten der ‚Gesta‘ zuletzt Giese 2011), war Otto „mit wissenschaftlicher Kenntnis nicht in geringer oder gewöhnlicher Weise ausgerüstet; er galt unter den Bischöfen Deutschlands als der erste oder als einer der ersten, insofern als er außer der Kenntnis der heiligen Schrift, deren versteckte und tiefsinnige Sentenzen er besser als die anderen verstand, auch fast als erster unseren Ländern die subtile Kenntnis der philosophischen und aristotelischen Bücher der Topik, Analytik und sophistischen Refutationen vermittelt hat“ (Otto v. Freising/Rahewin, ‚Gesta Friderici I.‘ IV,14: litterali scientia non mediocriter aut vulgariter instructus, inter episcopos Alemanniae vel primus vel inter primos habebatur, in tantum, ut praeter sacrae paginae cognitionem, cuius secretis et sententiarum abditis praepollebat, philosophicorum et Aristotelicorum librorum subtilitatem in topicis analeticis atque elencis fere primus nostris finibus apportaverit).

Danach wäre er der erste gewesen, der den Teil des Organon nach Deutschland brachte, der in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters hier unbekannt war. Unter den Gefährten Ottos könnte sich Heinrich, der Sohn Herzogs Engelbert von Kärnten (1124–34, gestorben 1141 als Mönch in Seeon), befunden haben. Heinrich wird von 1143 bis zu seinem Tod 1169 Bischof von Troyes sein (Hofmeister 1912, S. 140). Wir verfügen zwar über kein Zeugnis von Heinrichs Studium in Paris, doch es ist gesichert, daß er Mönch in Morimond war, denn er ist der erste Abt des Klosters Weiler-Bettnach (Diözese Metz). Dieses Kloster wurde von Morimond aus gegründet, und von Weiler-Bettnach aus wird dann der Orden nach Viktring in Kärnten verpflanzt, gewiß dank der Vermittlung Heinrichs. Mathilde, die Schwester Heinrichs, war seit 1126 mit Graf Theobald II. von der Champagne verheiratet. Dadurch erklärt sich problemlos Heinrichs spätere Berufung auf den Bischofssitz von Troyes. Ottos Bruder, Konrad, könnte ebenfalls in den 1130er Jahren in Frankreich gewesen sein (Ehlers 1996 [1986], S. 179). Er wird 1148 Bischof von Passau und 1164 durch die alexandrinische Partei zum Erzbischof von Salzburg gewählt. Beweise für seinen Besuch französischer Schulen besitzen wird jedoch keine (vgl. Egger 2004a, S. 152). Daniel, Bischof von Prag 1148–67 (vgl. Hausmann 1957), stammte wahrscheinlich aus einer adeligen böhmischen Familie. Er studierte in Paris, ehe er 1143 Prior des Domkapitels in Prag wurde. Da er Herzog Vladislav II. von Böhmen nahesteht, wird er 1148 Bischof von Prag und bleibt dies bis zu seinem Tod auf der Romfahrt 1167, die er im Dienste Vladislavs und Kaiser Friedrich Barbarossas unternimmt. Von seinen Studien in Paris erfahren wir nur zufällig durch eine Anekdote, die sich in die Leichenpreisrede anläßlich seines Todes eingeschlichen hat: Narravit autem

92 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen idem sanctus vir abbas Gothscalcus ex relatione predicti Danielis episcopi quoddam memorabile factum contigisse in Frantia, dum ipse studeret Parisius, quod hic inserere volo ad edificationem legentium … (‚Continuatio Gerlaci‘, Ausg. Pertz, S. 684). Eberhard von Salzburg (1147–64), der Mönch in Prüfening und Abt von Biburg war, ehe er zum Erzbischof aufstieg, hatte in Bamberg studiert. Von seinem Lehrer begleitet, begab er sich zur Perfektionierung nach Frankreich (‚Vita et Miracula beati Eberhardi episcopi‘, Ausg. Pertz, S. 98: quia igitur chorum clericalem monastice tonsus non decuit, sumptibus datis in Franciam discendi causa cum magistro suo directus est. Ubi in tantum profecit, quod sibi seniores suos sensu crescente subegit. Deinde cum iam corpore simul et virtute magnus excreverat, in patriam reducitur; vgl. Ehlers 1996 [1986], S. 171). Seine spätere Tätigkeit an der Spitze des Erzbistums zeigt auch in ihm die Verbindung von spirituellem Ideal des Reformmönchtums mit der Anziehung durch das Studium, insbesondere der Theologie. Es ist nicht sicher, ob sich dasselbe von Erzbischof Hillin von Trier sagen läßt, der sich ebenfalls in juvenili aetate zum Studium nach Frankreich begeben haben dürfte. Sein Biograph versichert, er sei dabei dank seines Fleißes in virum doctissimum verwandelt worden, doch im selben Atemzug auch, daß vor allem seine Sittenstrenge ihn hoher Ehren und so auch der Besteigung des erzbischöflichen Stuhles würdig gemacht habe (‚Gesta Treverorum‘, Ausg. Waitz, S. 380). Erzbischof Reinald von Dassel (1159–67) könnte sich durchaus nach seiner Ausbildung in Hildesheim nach Frankreich begeben haben. Eine Passage in einem Brief vom Nov./Dez. 1149 an Wibald von Stablo (Wibald, Briefbuch, Bd. I, Nr. 189, S. 401), worin er Wibald anbietet, ihm aus Frankreich mitgebrachte Bücher zu schicken, bezeugt einen Frankreichaufenthalt Rainalds, doch ohne weitere Details, so daß es sich bloß um Rainalds Teilnahme am Reimser Konzil im Laufe des vorausgegangenen Jahres handeln könnte. Ekbert von Schönau erinnert ihn seinerseits bei Gelegenheit seiner Erhebung zum Erzbischof von Köln an den gemeinsamen Philosophieunterricht bei Adam. Dieser Adam ist aber schwierig zu identifizieren. Adam du Petit Pont, berühmter Pariser Magister und einer der ersten Kommentatoren der neuen Logik des Aristoteles, paßt nicht, da der Lehrer Ekberts vor 1164 bereits als gestorben erwähnt wird, während man annimmt, daß Adam du Petit Pont Bischof von St. Asaph in Wales (1175–81) geworden sei (Ehlers 1996 [1986], S. 170), so daß wir keinen sicheren Beweis für Pariser Studien Ekberts (s.o.) und Rainalds besitzen. Der Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg (ca. 1130–1191) hat ein Studium in Reims absolviert, allerdings zu einem Zeitpunkt, da die Reimser Schulen nur noch einen Schatten von einst darstellten. Er war als jün-

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gerer Sohn eines mächtigen rheinischen Geschlechts zuerst an der Stiftsschule zu St. Andreas in Köln unter der Leitung des magister et paedagogus Gottfried ausgebildet worden, der ihn dann nach Reims begleitete, wohin er zur Perfektionierung geschickt worden war. Zurück aus Frankreich, erhielt er 1156 die Pfründe des Kölner Domdekans, wozu dann 1165 noch die des Dekans und Archidiakons von Lüttich kamen. Als enger Mitarbeiter Rainalds von Dassel wird er Kanzler Barbarossas und schließlich 1167 nach dem Tode Rainalds zum Erzbischof gewählt (vgl. Corsten/Gillessen [Hgg.] 1991). Erzbischof Konrad I. von Mainz (1161–65 u. 1183–1200), eine Zeit lang auch Erzbischof von Salzburg (1177–83), Mitglied der mächtigen bayerischen Grafenfamilie Scheyern-Wittelsbach, hat ebenfalls in Paris studiert. Ein Brief, den ihm Petrus von Blois 1193 schickt, um sich über die Gefangennahme von Richard Löwenherz in Deutschland zu beschweren, berichtet nämlich, daß sie beim selben Lehrer studierten, der ihnen auch Gastfreundschaft gewährte, und daß sie Freunde wurden – eine Freundschaft, die all die Jahre unvermindert anhielt (Epistolae Moguntinae, Nr. 64, S. 414: Quia quandoque in scholaribus castris militavimus sub eodem doctore et ex diutina eiusdem hospitii cohabitatione socialis amicitiae iura contraximus, fiducialius vobis scribo …; vgl. Ehlers 1996 [1986], S. 178). Konrad kannte jedenfalls Frankreich gut, wohin er, vertrieben von seinem Mainzer Bischofssitz durch Barbarossa um seiner Treue zu Alexander III. willen, den Papst begleitete. Konrad von Querfurt († 1202), Bischof von Hildesheim, dann von Würzburg, Kanzler Heinrichs VI., hat ebenfalls die Pariser Schulen durchlaufen. Geboren um 1150, studierte auch er zuerst in Hildesheim, begab sich dann nach Paris, wo er Lothar von Segni, den späteren Papst Innozenz III., kennenlernte, durch dessen Freundschaft er den päpstlichen Zorn schließlich überstehen konnte, den er sich durch schwere Verstöße gegen das kanonische Recht verdient hatte (vgl. Bach 1988; Bünz 2004). Erzbischof Adalbert von Magdeburg (1205–32) ist schon weiter oben kurz erwähnt worden. Einerseits durch seine Mutter Großneffe Erzbischof Adalberts II. von Mainz, andererseits verschwägert mit und gefördert von Konrad von Querfurt, war auch er dem klassischen Ausbildungsweg gefolgt, der von Hildesheim nach Paris führte. Doch er schloß noch einen Aufenthalt in Bologna an. Seine Verbindung mit dem Kreis von Deutschen in Paris um Konrad von Hildesheim (s.o.) dürfte keine geringe Rolle bei seiner Beförderung zum Erzbischof von Magdeburg gespielt haben (vgl. Silberborth 1910; Gramsch 2009).

94 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Wir können die Liste mit Konrad von Hochstaden, Erzbischof von Köln, abschließen, der auf einer Zeugenliste einer (bereits oben erwähnten) in Paris 1216 ausgestellten Urkunde zu figurieren scheint (vgl. Groten 1993, S. 32f.) – ebenso wie eine ganze Reihe weiterer Deutscher. Man sollte noch die Fälle registrieren, wo ein vorgesehener und vorauszusehender Aufstieg zum Bischofsamt nicht realisiert wurde. So weiß man, daß Landgraf Ludwig II. von Thüringen 1162 seine beiden Söhne mit einem Empfehlungsschreiben für Ludwig VII. zum Studium nach Paris schickte (vgl. Ehlers 1996 [1986], S. 178). Man wird auch den Fall des Grafen Dietrich von Groitzsch und Sommerschenburg († 1207) anführen, von dem wir aus einer Chronik erfahren, daß er als Kanoniker von Magdeburg und schon Subdiakon in Paris studierte, wohl in den 1170er Jahren. Doch er ließ seine Leute auf seiten der Studenten in einem Streit mit den Bürgern eingreifen. Da die Affäre mit Totschlägen endete, fürchtete er, diese könnten ihm eine kirchliche Karriere verwehren, und zog es vor, in den Laienstand zurückzukehren und zu heiraten (‚Chronicon Montis Sereni‘, Ausg. Ehrenfeuchter, S. 204f., vgl. Ehlers 1996 [1986], S. 187). Des weiteren hat eine bestimmte Zahl von Personen gewiß in Frankreich studiert, doch wir verfügen über keine Quellen, die es zuließen, den Zeitpunkt zu bestimmen. Gottfried von Viterbo erklärt zum Beispiel, er sei oft als Gesandter in Frankreich gewesen (‚Memoria seculorum‘, Ausg. Waitz, S. 105: sepe in Franciam). Man hat jedenfalls gezeigt, daß Gottfried die scholastische Methode der quaestio anzuwenden verstand, auch wenn er dabei auf einer veralteten Stufe der Theologie verbleibt (Boockmann 1992, S. 136f.; Huth 2004, S. 27). Ebenso ist der Prior Marquard von Klosterneuburg zu nennen, der Bruder Gerhochs von Reichersberg, der von seiner Rückkehr von den französischen Schulen berichtet (Gerhoch von Reichersberg, Libelli, Ausg. Sackur, S. 499: tercius frater a scolis Franciae reversus …), wohl vor 1133. Ebenfalls mit höchster Wahrscheinlichkeit sind Studien in Frankreich für einen Autor mehrerer Werke, die scholastischen Geist atmen, anzunehmen: Hugo von Honau (Classen 1960, S. 270f., Worstbrock 1983; Sturlese 1993, S. 132–147; Huth 2004). Miglied der königlichen Hofkapelle Barbarossas, Scholaster an der elsässischen Abtei Honau, unternahm er 1171 und 1177 Gesandtschaftsreisen nach Byzanz. Er fühlte sich als Schüler Gilberts von Poitiers, bei dem er ohne Zweifel studiert hatte, und war zudem mit einem anderen bekennenden Porretaner in Deutschland, Petrus von Wien, befreundet (zu diesem s.u.). Des weiteren offenbart die Geschichte – wir werden darauf zurückkommen – von der Prüfung der Zuverlässigkeit der Schriften Hildegards von Bingen durch die Pariser Meister der Theologie (wohl in den 1210er Jahren), mag

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sie authentisch oder fiktiv sein, die Existenz zweier Personen, Arnulf, Scholaster von St. Peter in Mainz, und Johannes, Magister in Mainz und Propst von Bingen, die zur Zeit ihres Theologiestudiums in Paris Zeugen jener Prüfung gewesen sein sollen (qui tunc temporis in theologia Parisius studuerunt, qui eosdem libros Parisius examinari viderunt – zit. nach Klaes 1998, S. 278). Welche Größenordnung hatten nun ingesamt diese Reisen junger Deutscher nach Paris? Um es zu wiederholen, von einer Massenbewegung zu sprechen, wäre sicher weit übertrieben. Das zeigen verschiedene Hinweise. Eine nicht unbeachtliche Zahl von Schülern Anselms von Laon läßt sich identifizieren, aber wenige davon stammen aus dem Reich. Unter den 21 Schülern, die seinen Vorlesungen gefolgt sind und von denen wir genauere Kunde haben, kommen neun aus Frankreich, drei aus der Bretagne, sieben aus England, vier aus Italien und einer oder zwei aus dem Reich (nördlich der Alpen); das beweist das internationale Renommee Anselms (Giraud 2010a, S. 46), aber zugleich die unbedeutende Präsenz der zuletzt genannten deutschen Schüler, sofern wir nicht einer optischen Täuschung aufgrund mangelhafter Quellen erliegen. Unter den von Johannes von Salisbury in der Mitte des 12. Jh. genannten Magistern wird ein einziger als Deutscher ausgewiesen. Wenn wir des weiteren die Laufbahnen der Bischöfe des Reichs von der Wende des 12. zum 13. Jh. (und darüber hinaus) nochmals betrachten, so stellen wir fest, daß nur bei einer kleinen Minderheit davon Studien in Frankreich nachgewiesen werden können, auch wenn durchaus auch andere dort gewesen sein können, wovon jedoch die Quellen schweigen. Daß die zum Studium nach Paris gekommenen Deutschen doch durchaus zahlreicher waren, als die raren Quellen sicher feststellen lassen, wird in der Tat durch die Existenz von viel vageren Zeugnissen der Anwesenheit deutscher Schüler in Frankreich nahegelegt, ohne daß sich genau sagen ließe, auf wen sie sich beziehen. Es handelt sich dabei um sehr verschiedene Berichte, die nur zufällig die Anwesenheit von Deutschen in Frankreich anzeigen oder eine Person erwähnen, die sich kaum identifizieren läßt. So erzählt der Biograph des künftigen Erzbischofs von Mainz, Adalbert II., bei Gelegenheit seines Berichts des von ihm beobachteten Eingreifens seines Helden in eine Schneeballschlacht, daß er unter Schülern verschiedener Nationen zu verkümmern drohte, was beweist, daß es in Reims so etwas wie eine deutsche Studentennation avant la lettre gab. Ein Brief von Petrus von Blois (Epistolae, Nr. 71, col. 219–221, zitiert bei Ehlers 1996 [1981], S. 137) berichtet, wie er anläßlich einer Gesandtschaft beim König von Frankreich mehrere Rechtsbücher für seinen Neffen gekauft und sie sich beim Buchhändler habe zurücklegen lassen, sie ihm aber

96 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen weggeschnappt wurden durch einen gewissen C. Sachsenburgensis praepositus, der einen höheren Preis geboten hatte. Die Geschichte bietet vor allem Petrus die Gelegenheit, seine Rechtskenntnis zur Schau zu stellen, aber sie beweist auch, daß die Anwesenheit deutscher Kleriker in Paris als normal angesehen wurde. Zwei Handschriften von Eberbach (vgl. Palmer 1998, S. 72f.) enthalten einen Besitzvermerk eines magister Hugo. Es handelt sich wahrscheinlich um einen Eberbacher Mönch, der nach seinen Studien in Paris am Ende des 12. Jh. mit dem Magistertitel zurückgekommen war und beim Eintritt ins Kloster seine Bücher der Bibliothek geschenkt hat. Eines der Bücher ist eine Sammelhandschrift, die u.a. die erste (lateinische) Sammlung der Predigten des Pariser Bischofs Maurice de Sully sowie Werke mehrerer Pariser Magister, namentlich exegetische Kommentare von Andreas von St. Victor, enthält, die wir sonst nur noch aus einem zweiten Manuskript kennen. Die Werke wurden von zahlreichen französischen Händen kopiert und dürften in Eberbach zusammengebunden worden sein. In denselben Zusammenhang gehört die Erwähnung eines Kanonikers des Augustiner-Chorherrenstifts Frankenthal bei Worms mit Namen Johannes, der vielleicht zum Studium des kanonischen Rechts nach Paris ging und dort mindestens zehn Jahre bis zu seiner Rückkehr (wahrscheinlich 1204/05) mit verschiedenen von ihm gekauften oder abgeschriebenen Büchern blieb (Thomson 2012, S. 133, nach Cohen/Mushlin 1990). Anzuführen ist noch der Bericht Liebhards von Prüfening, wie deutsche Studenten nach ihrem Theologiestudium in Paris ein Manuskript der ‚Distinctiones‘ des Petrus Cantor mitbrachten, wovon er sich so viel wie möglich abzuschreiben beeilte (Ehlers 1996 [1986], S. 175; Egger 2004b, S. 87). Schließlich wurde ein berühmter Streit, welcher den Pariser Magistern und Studenten die Möglichkeit bot, sich ihre persönlichen Privilegien vom König bestätigen zu lassen, von deutschen Studenten angezettelt (Baldwin 2006, S. 14). So gibt es also einen anhaltenden Zustrom der Deutschen in die Gallia, weil jene dort studieren wollen, und er scheint gegen Ende der hier behandelten Periode noch zuzunehmen. Auf der Montagne Sainte-Geneviève in Paris waren die Deutschen am Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jh. nicht selten, und sie kehrten in ihre Heimat zurück, nicht ohne auch Französisch gelernt zu haben. Wie sollte man es sonst erklären, wenn im fernen Sachsen der Abt von Pegau in maliziöser Weise französische Worte in seine schneidende Antwort an den Bischof von Merseburg, der einmal mehr versucht hatte, ihn unter seine Obrigkeit zu stellen, einfließen lassen konnte (‚Chronicon Montis Sereni‘, Ausg. Ehrenfeuchter, S. 205: Abbas vero ei respondit in hunc modum et rescripsit: ‚Domno Ekkehardo Mersenburgensi epi-

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scopo Sifridus Dei gracia Pigaviensis abbas salt pur salt et un avant‘. Sunt autem hec verba Gallica et sic sonant in Latino: Salutem pro salute et una plus …)? Wie steht es aber nun mit Reisen von Franzosen nach Deutschland? Honorius Augustodunensis mochte ein Kloster im Donauraum noch als einen idealen Ort für ein der intellektuellen Spekulation und der spirituellen Meditation geweihtes Leben betrachten. Aber kam eine solche Wahl für seine Zeit nicht reichlich spät? Nichtsdestoweniger begaben sich Franzosen nach Deutschland, wie es die Erwähnung der Begleiter des späteren Erzbischofs Adalbert von Mainz bei seiner vorübergehenden Rückkher nach Deutschland anzeigt (s.o.). Aber wenn Franzosen sich nach Deutschland begeben, so tun sie es nicht, um sich dort zu bilden und zu studieren, sondern um dort eine Funktion oder ein Amt zu übernehmen, nach Art der obenerwähnten vielen Deutschen, die in Frankreich eine höhere Bildung erwarben und nach Deutschland zurückkehrten, um hier ein Lehramt zu übernehmen oder wieder zu übernehmen. Die Anwesenheit dieser Franzosen oder dieser in Frankreich ausgebildeten Deutschen kann so mitunter in diesem oder jenem Zentrum durchaus Sensation machen, zumindest vorübergehend. Das trifft sicherlich auf den magister Petrus von Wien zu, der von Gerhoch von Reichersberg hart angegriffen wird. Es handelt sich um eine schlecht belegte Person (vgl. Fichtenau 1955, S. 283–297; Sturlese 1993, S. 145–156). Man weiß nur aus dem ersten ihn betreffenden Brief Gerhochs von 1154, daß er Scholaster war, vielleicht schon in Wien, wo er jedenfalls in den 1160er Jahren bezeugt ist. Er figuriert als Kapellan in der Umgebung Herzog Heinrichs von Babenberg und seines Bruders Konrad, Bischof von Passau (1148–1164), dann Erzbischof von Salzburg (1164–1168). Otto von Freising ist für ihn eine theologische Autorität und könnte ihn nach Bayern und Österreich gebracht haben. Vielleicht gehörte er 1141 zu jenen Klerikern von Freising, welche mit Otto Gilbert gegen den Angriff Gerhochs verteidigt hatten. Er wurde in Frankreich ausgebildet, läßt sich aber nicht mit absoluter Sicherheit als Franzose bestimmen, wenngleich dies wahrscheinlich ist (Classen 1959, S. 293). Er gehörte jedenfalls der Schule Gilberts von Poitiers an, dessen Unterricht er in Chartres oder Paris genossen hatte, und ist weiterhin Mitglied des kleinen, aber über ganz Europa verbreiteten Kreises derjenigen geblieben, welche ihrem Meister noch Jahrzehnte nach seinem Tode die Treue hielten. Er ist der Autor einer theologischen Summe, wovon sich zwei Handschriften im österreichisch-steirischen Raum, in Zwettl und Admont, erhalten haben (vgl. Häring 1977). Die ‚Zwettler Annalen‘, die seinen Tod 1183 erwähnen, qualifizieren ihn als vir adprime eruditus (‚Continuatio Zwetlensis altera‘, Ausg. Wattenbach, S. 542).

98 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Noch weitere Magister, die aus Frankreich kamen und sich dann in Deutschland niederließen, können genannt werden, so der Scholaster von Würzburg, Johannes Gallus (s.o.), gestorben 1178, und v.a. Gérard Pucelle, der Magister in Paris gewesen war, einer der großen Rechtslehrer am Ende des 12. Jh. (vgl. Fried 1982, S. 125ff.; Groten 1993, S. 28ff.; allgemeiner zum Übergang juristischer Texte von West nach Ost: Stelzer 1982 u. 1995). Er war 1166–68 und wiederum gegen 1189 Scholaster in Köln. Die Erzbischöfe Arnold I. und Rainald von Dassel scheinen versucht zu haben, aus ihrer Metropole eine Schule zu machen, die es mit den Zentren französischen Unterrichts aufnehmen konnte. 1140 gab es zwei am Dom von Köln wirkende Scholaster; 1166 läßt ohne Zweifel Rainald von Dassel den glänzenden englischen Kanonisten Gérard Pucelle aus Paris kommen. Das Ziel bestand vielleicht darin, aus Köln eine Alternative zu Paris für die deutschen Studenten zu machen, als das alexandrinische Schisma das Reisen nach Frankreich verhinderte. Zwar konstatiert Fried (1982, S. 125ff.), es gebe kaum Zeugnisse für die Anwendung der römisch-kanonischen Prozeßordnung in der Rechtspraxis seit der Kölner Tätigkeit Gérard Pucelles, aber sein Einfluß könnte sich im Hinblick auf den Unterricht bemerkbar gemacht haben. Tatsächlich beginnt nach ihm die Zeit der gelehrten Scholaster, zuerst mit Rudolf, dann dem berühmten Kreuzzugsprediger Oliver, der schließlich noch Kardinal wird (s.o.). Unter den Gelehrten, die sich im Kielwasser Gérard Pucelles ausbilden, muß man z.B. Magister Bertram nennen (hat er in Frankreich studiert?), Kanoniker von St. Gereon, in dem man vielleicht den Autor der ‚Summa Coloniensis‘ sehen kann und für dessen Erhebung zum Erzbischof von Hamburg-Bremen sich Gérard Pucelle vergeblich eingesetzt hat. Nennen wir zu guter Letzt Prepositinus von Cremona, der zwischen 1194 und 1202 Kanoniker und Scholaster in Mainz ist, ehe er Kanzler von Paris wird (vgl. Gorochov 2012, bes. S. 63f.). Er könnte eine wichtige Rolle in dem Netzwerk der Deutschen in Paris gespielt haben (Gramsch 2009), desgleichen in der Affäre um die Untersuchung von Hildegards Schriften (s.u.).

2.4 Der Transfer der Handschriften und Werke Wenn man sich dem Transfer der Handschriften und Werke zuwendet, so kann man als wesentlich herausstellen, daß er von Frankreich nach Deutschland gerichtet war. Das kann im übrigen kaum überraschen, denn die Handschriften reisen mit den Menschen, und es sind eindeutig die

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deutschen litterati, die sie von ihren französischen Studienorten nach Deutschland mitbringen. Die Bedingungen können klarerweise nicht dieselben sein für die Werke, die sich auf das Gebiet ‚monastische Theologie‘ beziehen, wo der deutsche Raum in gleicher Weise fruchtbar gewesen ist, wie für Werke auf dem Gebiet der Scholastik, wo der deutsche Raum nichts wirklich Originelles hervorgebracht, sondern sich bloß vor diesem nicht verschlossen hat. Was die Werke betrifft, die man schematisch unter der Kategorie der monastischen Theologie einreihen kann, haben die großen deutschen Autoren beträchtliche Verbreitung und Rezeption in ihrem Land erfahren – mitunter übrigens zusammen mit französischen Werken. Andererseits sind sie im französischen Raum sehr mäßig aufgenommen und verbreitet worden, vielleicht sogar im Verlaufe des 12. Jh. immer weniger. Wenn man als Beispiel die Werke Ruperts von Deutz heranzieht (http://www.geschichtsquellen.de/repPers_118604198.html), so haben diese in Deutschland gewiß eine große Verbreitung erfahren, insbesondere im Donauraum (vgl. Haacke 1960 u. 1970; Silvestre 1962; Egger 2009a). Diese Verbreitung könnte unter dem Einfluß der Siegburger Kongregation gestanden haben (vgl. Haacke 1960). Selbst die deutsche Verbreitung Ruperts bleibt jedoch nicht völlig vom französischen Einfluß unberührt, nämlich insofern als man die Werke mitunter mit französischen zusammen findet, sowie in einem Buchformat, das einem französischen Muster entspricht. Das trifft z.B. auf den Codex Vindobonensis 1561 aus dem 12. Jh. zu. Der Codex ist für 1433 in der Dombibliothek Salzburg bezeugt, aber man weiß nicht, wo er zusammengestellt wurde. Er enthält eine Sammlung kleiner Texte, Predigten und Auszüge, v.a. aus Ruperts ‚De divinis officiis‘. Die Handschrift verrät zuerst durch ihre Form französischen Einfluß, da sie das neue Muster der Buchproduktion aufnimmt, das sich in den nordfranzösischen Schulen entwickelt. Am Beginn der Handschrift (fol. 1r-3v) findet sich nämlich der Kanon der Messe mit Interlinear- und Marginalglossen, „wobei das Layout dem der glossierten Bibeln, wie sie im 12. Jahrhundert mehr und mehr gebräuchlich werden, entspricht“ (Egger 2009a, S. 28). Im übrigen zeigt der Inhalt, daß Rupert von anderen Autoren, namentlich französischen, begleitet wird. Auf den Kanon folgen nämlich liturgisch-eucharistische notabilia, hierauf Auszüge und Sentenzen verschiedenen Ursprungs, hierauf die Auszüge aus Ruperts ‚De divinis officiis‘, dann neue Sentenzen verschiedener Autoren und schließlich eine Kompilation von Predigten des hl. Bernhard. In derselben Weise hat ein Autor mit dem Namen Hermann, der im Zisterzienserkloster Rein wirkte, eine Predigtkompilation für alle Tage des Jahres angefertigt. Für

100 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen gewisse dieser seiner Predigten dient ihm Rupert als Grundlage, so für eine Predigt für den Ostersonntag, wo er ausführlich Ruperts Kommentar zum Propheten Nahum abschreibt, bevor er eine Predigt des Petrus Lombardus benützt (vgl. Egger 2009a, S. 29). Ist Rupert von Deutz in Frankreich irgendwie verbreitet gewesen? Im Vergleich zur weiten Verbreitung in Deutschland ist eine solche in Frankreich schwach, aber doch vorhanden. Die Karte bei Haacke (1960, S. 404*) zeigt nämlich, daß es eine gewisse Verbreitung nördlich der Seine gibt. St. Victor, Sainte-Geneviève sowie die Abtei Lyre in der Normandie besaßen z.B. Rupert-Handschriften, und man weiß, daß Wilhelm von St. Thierry zumindest teilweise Ruperts Werk kannte, da er Ruperts ‚De divinis officiis‘ kritisiert. Darin zeigt sich einmal mehr eine gewisse Differenz zwischen der französischen und der deutschen Verbreitung Ruperts, denn Handschriften haben zwar sowohl in Deutschland wie in Frankreich zirkuliert, doch die von ‚De divinis officiis‘ werden dabei in Frankreich oft von der Kritik Wilhelms begleitet (vgl. Ceglar/Verdeyen 2003, S. 27f.; Egger 2009a, S. 28). Nach der Publikation von ‚De divinis officiis‘ durch Rupert gegen 1112 hatte nämlich Wilhelm aus Lüttich (1075–1148), ausgebildet an der Reimser Kathedralschule, dann Mönch von St. Nicasius in Reims, dann Abt (1121–35) des Klosters St. Thierry in der Diözese Reims, bevor er sein Leben als Zisterzienser beschloß, in einem Brief gewisse theologische Irrtümer in Ruperts Eucharistielehre angemerkt. Dieser Brief (Guillaume von Saint-Thierry, Opera didactica et spiritualia, Ausg. Ceglar/Verdeyen, S. 18–22; vgl. Eggert 2009a, S. 26–28; Steckel 2011, S. 1074f.) und der ihn begleitende Eucharistietraktat wurden in mehreren deutschen Zisterzen abgeschrieben, in Wilhering, Heiligenkreuz bei Wien sowie in Heilsbronn. Dieselben Texte finden sich auch im Codex 1 (12. Jh.) der Priesterseminarbibliothek von Fulda (er kommt aus der Dombibliothek von Fritzlar, doch kennt man seine mittelalterlichen Besitzer nicht). Es handelt sich um eine bedeutende Handschrift, denn sie enthält überdies ein Exemplar von Abaelards ‚Theologia scholarium‘ (vgl. Mews 1985) sowie den Meßtraktat des Florus (vgl. die Korrektur zum Artikel von Mews durch Egger 2009a, S. 27). Die Verbreitung Ruperts im 12. Jh., bedeutend in Deutschland, bescheiden in Frankreich, aber doch vorhanden, dürfte auf jeden Fall von der Leistungsfähigkeit des zisterziensischen Netzwerks befördert worden sein, woraus nebenbei auch die Verbindung der Textübermittlung mit der Kritik Wilhelms von St. Thierry resultiert. Die Verbreitung der Schriften Hildegards von Bingen (vgl. Meier 1981; Gouguenheim 1996; http://www.geschichtsquellen.de/repPers_

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118550993.html) nach Frankreich ist gleichfalls bezeugt. Sie hatte übrigens auch reale Verbindungen zur Gallia, namentlich dank ihrem Sekretär Guibert von Gembloux († 1213). Papst Eugen III. hatte die Sehergabe Hildegards beim Provinzialkonzil von Trier 1147/48 bestätigt, und der hl. Bernhard hatte beigestimmt. Die Wertschätzung bezog sich auf den Inhalt von ‚Scivias‘. Dies eröffnete den Weg zu einer autorisierten Verbreitung ihres Werkes. Möglicherweise wurde eine Kopie von ‚Scivias‘ an Johannes von Salisbury gesandt, denn er schreibt im Oktober 1166 einen in der Briefsammlung Thomas Beckets erhaltenen Brief an den bereits genannten Gérard Pucelle, damals Scholaster in Köln, und beendet ihn mit der Bitte, ihm mangels Neuigkeiten, die er hätte ausfindig machen können, zumindest die uisiones et oracula beatae illius et celeberrimae Hildegardis zukommen zu lassen, welche ihm die päpstliche Approbation besonders empfohlen habe. Er möchte insbesondere wissen, ob sie irgend etwas zum Ende des Schismas geweissagt habe (Johannes von Salisbury, Briefe, Bd. II, S. 224). Johannes hatte überdies schon in einem Brief an Becket vom Ende des Sommers 1165 eine zustimmende Bemerkung zu zwei prophetissae teutonicae gemacht, die er zwar nicht nennt, die aber Hildegard und Elisabeth von Schönau sein könnten. Die Verbreitung der Schriften Hildegards geht auf deren eigene Initiative zurück und vom Kloster von Rupertsberg aus, wo Hildegard vergleichbar dem hl. Bernhard sich in der privilegierten Lage sah, über ein eigenes Skriptorium zu verfügen, um ihre persönlichen Werke herauszubringen. Die folgende Verbreitung scheint wiederum vom Netzwerk der Zisterzienser profitiert zu haben. Ein Manuskript des ‚Liber divinorum operum‘, verfertigt in Rupertsberg, hat rasch seinen Weg nach Clairvaux gefunden, wie ein Besitzvermerk des 12./13. Jh. bezeugt: Liber Sancte Marie Clarevallensis (vgl. Embach 2003, S. 164). Abgesehen davon scheint es aber nicht viele französische Handschriften der Werke Hildegards gegeben zu haben. Im übrigen haben Hildegard – im Gegensatz zum hl. Bernhard, der sehr wohl in Deutschland präsent war – ihre Reisen nie über die Grenzen des Reiches hinausgeführt. Ihre Kanonisation gelang auch nicht, trotz einer möglichen positiven Überprüfung ihrer Schriften zwischen 1210 und 1216 durch die Pariser Theologen. Gleichwohl hatte ihr Name eine wahrhaftige internationale Berühmtheit erlangt und bewahrte sie auch. Der Brief an den Kölner Klerus gegen die Ketzer wird dem Weltklerus der Pariser Universität in ihrem Kampf gegen die Bettelorden dienen, insofern als eine versifizierte Fassung des Textes von Heinrich von Avranches existierte (s.o.), einem Kleriker, der wahrscheinlich in Deutschland geboren wurde, aber hauptsächlich in England Karriere gemacht hatte, ein wenig aber auch an der

102 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Universität von Paris. Die anhaltende Reputation Hildegards verdankt allerdings viel der wenig getreuen Kompilation der Visionen im ‚Pentachronon‘ Gebenos von Eberbach (ca. 1220), das eine beträchtliche Verbreitung erlangt (http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_02385.html). Dagegen scheint Gerhoch von Reichersberg keinerlei Echo in Frankreich gefunden zu haben. Weiter unten werden wir sehen, daß er vergeblich versuchte, die Aufmerksamkeit des hl. Bernhard auf sich zu lenken. Die Konrad von Hirsau zugeschriebenen Werke scheinen ebenfalls in Deutschland durchaus Verbeitung gefunden zu haben, aber recht wenig in Frankreich, trotz dem Aufscheinen einer Handschrift des ‚Speculum virginum‘ in Clairvaux, was wiederum auf das zisterziensische Netzwerk weist. Die deutschen Autoren waren also in Deutschland wirklich verbreitet, erreichten jedoch in Frankreich bestenfalls eine mäßige Anerkennung und Verbreitung. Demgegenüber ist der Einfluß des hl. Bernhard in Deutschland beträchtlich. Seine Schriften werden dort weithin in Umlauf gebracht. Diesbezüglich genügt die Feststellung, daß von den ca. 1450 identifizierten Handschriften des hl. Bernhard 500 aus dem deutschen Bereich einschließlich Böhmen kommen. Was nun die Werke der Frühscholastik betrifft, sind sie notwendigerweise französischer Herkunft. Die Nichtexistenz von scholastischen Produktionszentren in Deutschland könnte einen auf den Gedanken bringen, die französische Produktion sei in Deutschland nicht rezipiert worden. Dem ist nicht so. Vielmehr können wir eine massenweise Rezeption feststellen, vor allem, aber nicht nur im Donauraum und in zahlreichen Klöstern und Stiften. So hat man einen raschen Import seit dem zweiten Viertel des 12. Jh. erweisen können und dann die Reproduktion in Deutschland nach dem neuen Muster der glossierten Bibeln, wie sie die nordfranzösischen Schulen, zuerst in Laon, dann in Paris, herausgebracht hatten. Ihre Verfügbarkeit ist z.B. für Bamberg seit dem zweiten Drittel des 12. Jh. und bis ins 13. Jh. gut bezeugt oder auch für Admont unter Abt Gottfried (1138–65) (vgl. de Hamel 1984; Tischler 2004 u. 2005; Stammberger 2005; vgl. auch Egger 2004a, S. 152f., der auf Rouse/Rouse 1982 verweist). Die Zisterzienserbibliotheken importieren im 13. Jh. weiterhin die neuen Pariser Bibeln, kleinformatige, zweispaltige, in Kapitel eingeteilte Bibeln, wie es etwa das Exemplar der in Paris ca. 1250/60 angefertigten Bibel zeigt, welche ein Mönch des Klosters Eberbach von seinem möglichen Aufenthalt im Bernhardinerkolleg in sein Kloster zurückgebracht haben muß (vgl. Cîteaux 1098–1998 [1999], Nr. 29, S. 110). Man kennt auch ein auf 1270 datiertes Exemplar, das im Kloster Arnberg bezeugt ist (vgl. ebd., Nr. 49, S. 150).

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Die Rezeption der französischen Werke beschränkt sich nicht auf die glossierten Bibeln, sondern erfaßt auch die großen Gestalten der neuen Theologie an den französischen Schulen, und zwar nicht nur die Autoren, die sich gut mit der monastischen Theologie vertrugen, wie Hugo von St. Victor, Anselm von Laon oder auch Petrus Lombardus, sondern auch die weitaus revolutionäreren Theoretiker, die für das mit dem „old learning“ eines Anselm von Laon brechende „new learning“ (Jaeger 1994, S. 229–236) stehen, wie Petrus Abaelardus und Gilbertus Porretanus – was klarerweise keine Vorentscheidung über die Aufnahme ihrer Theorien bedeutet. Als erster hat Peter Classen (1959; vgl. Johanek 1986; Mews 2000 u. 2007) den überwiegenden Anteil der Klöster Süddeutschlands und des heutigen Österreich an den Abschriften scholastischer Werke aus der ersten Hälfte des 12. Jh. demonstriert, die so ihre zuvor aus klassischen und patristischen Autoren bestehenden Sammlungen ergänzen. Die neueren Arbeiten von Cédric Giraud über die Schule von Laon (u.a. Giraud 2010a, wo Flint 1976 korrigiert und Weisweiler 1936 fortgeführt und komplettiert wird) bestätigen und erweitern diese Feststellungen. Das älteste lokalisierbare Zeugnis der Glossa der Schule von Laon zu den Lamentationes wurde 1131 im Augustiner-Chorherrenstift von Riechenberg in der Diözese Hildesheim kopiert. Mit den Sentenzensammlungen verhält es sich ebenso: Die Kollektion ‚Deus non habet‘ und ihre Fortsetzung erfahren durchaus eine weite Verbreitung im deutschen Sprachraum. Von den 22 vollständigen und partiellen Zeugnissen sind nur vier französischer Herkunft (nämlich aus den Abteien Clairvaux und Jumièges), während fünf aus Italien und die anderen aus Deutschland kommen. Die bis heute erhaltenen deutschen Handschriften kommen aus Süddeutschland, und zwar aus Bayern bzw. Österreich, aus Prämonstratenserstiften (Windberg und Schäftlarn) und Benediktinerklöstern (Benedktiktbeuern, Lambach), aus Franken (Michelsberg) und Schwaben (Weingarten). Alles in allem stammen von den 60 Zeugnissen (Giraud 2010a, S. 400ff.) der in der Schule von Laon erweiterten Sentenzensammlungen 25 Manuskripte von deutschen, 20 von französischen und 12 von anglonormannischen Händen. Sie wurden in der zweiten Hälfte des 12. Jh. angefertigt. Eine derartige Verbreitung trifft durchaus in gleicher Weise auf die Autoren der anderen französischen Schulen zu. Hugo und Richard von St. Victor (vgl. Goy 1976 u. 2005) haben Abschriften ihrer Werke insbesondere in den Abteien Süddeutschlands (vgl. zur deutschen Rezeption Hugos auch Stammberger 2005 u. 2007) erfahren. Doch Hugo von St. Victor ist auch durchaus in Hildesheim vorhanden, in der Kapitelbibliothek

104 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen spätestens nach der Schenkung durch Bruno und auch im Kloster St. Michael mit einer Handschrift, in der sein ‚Didascalicon‘ mit ‚De gratia et libero arbitrio‘ des hl. Bernhard zusammengestellt wurde (vgl. Müller 2010, S. 79; Stammberger 2010, S. 115). In noch weiterem Rahmen scheinen seine Werke in seiner alten sächsischen Heimat dank der Verbindungen seines alten Stifts Hamersleben verbreitet gewesen zu sein: Sindold, Mönch von Reinhardsbrunn in Thüringen, Kompilator der sog. Reinhardsbrunner Briefsammlung, schrieb nach 1137 an den Propst Gunther des Frauenkonvents Lippoldsberg, um ein besseres Exemplar von Hugos ‚De sacramentis‘, als das er besaß, zu erbitten, und der Bibliothekskatalog von Lippoldsberg von 1151 weist in der Tat eine Menge von Werken Hugos auf, zusammen mit solchen von Honorius Augustodunensis, Rupert von Deutz und Bernhard von Clairvaux (Stammesberger 2010, S. 122; Tischler 2010, S. 239), was sich dadurch erklärt, daß der Prior von Lippoldsberg ein früherer Augustiner-Chorherr von Hamersleben war. Die Werke Hugos sind am Ende des 12. Jh. auch im Konvent von Lamspringe bezeugt, welcher ebenfalls enge Verbindungen mit Hamersleben unterhielt (vgl. Wolter-von dem Knesebeck 1995; Tischler 2010, S. 238f.). Gottfried von Viterbo und Herrad von Landsberg in ihrem ‚Hortus deliciarum‘ (ca. 1175/85) sind die ersten Autoren, welche eine Benutzung der ‚Historia scholastica‘ des Petrus Comestor außerhalb Frankreichs verraten (Huth 2004, S. 32). Die ‚IV libri sententiarum‘ des Petrus Lombardus (beendet 1155/57) sind rasch nach Deutschland gekommen (zur Verbreitung der Werke des Lombarden in Deutschland vgl. Classen 1960, S. 260). Gerhoch benützt sie bereits 1163/64 in seiner Polemik gegen Folmar. Bei Petrus Lombardus findet man nämlich die Mehrzahl der Augustinuszitate, die Gerhoch verwendet (Classen 1960, S. 260). In ‚De gloria‘ preist er den Lombarden als hervorragenden Lehrer und Kompilator, doch es kommt auch vor, daß er in einem Brief an Eberhard von Bamberg die Glossen des Lombarden für den Irrtum Folmars verantwortlich macht. Er stempelt ihn aber doch nicht wie Abaelard und Gilbert zum Haupt einer Häretikerschule. Rahewin (gestorben vor 1177) sichert als einer der ersten die Rezeption der ‚Sentenzen‘ des Lombarden. Er hat ihren Inhalt teilweise in einem langen Gedicht kompiliert, gleichwohl drei Viertel davon beiseitegelassen (Classen 1960, S. 271; Deutinger 1999, S. 179–194 u. 233–304 [Ausg.]). Im Kloster von Himmerod – als ein Beispiel unter anderen – wahrscheinlich im zweiten Drittel des 12. Jh., jedoch spätestens zu Beginn des 13. Jh. wurde eine Handschrift der Glossen des Lombarden zu den Paulusbriefen angefertigt (vgl. Cîteaux 1098–1998 [1999], Nr. 18, S. 88). Wir haben die ‚Sentenzen‘ in einem Manuskript der Klosterbibliothek der

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Zisterze Waldsassen in der Oberpfalz von ca. 1200 (vgl. Egger 2004a, S. 148), desgleichen etliche Exemplare Pariser Ursprungs in Hildesheim ebenfalls vom Beginn des 13. Jh. (Tischler 2010, S. 250f.). Die süddeutschen Klöster haben ohne Unterschied, oft sogar in denselben Handschriften die Werke der ‚modernen‘ monastischen Theologie und der neuen Schulautoren aufgenommen. Cédric Giraud (2010a, S. 400ff.) hat gezeigt, daß, wenn die Laoneser Sammelhandschriften andere Werke enthalten, es sich hauptsächlich um diesen Typus von Schulschriften handelt, welchen sie überliefern. So findet man häufig ganz oder teilweise die ‚Summa sententiarum‘, ein wichtiges der Schule Hugos von St. Victor zugeschriebenes Werk, dessen Einfluß noch in den ‚Sentenzen‘ des Petrus Lombardus spürbar ist, zeitgenössische Autoren wie Honorius Augustodunensis (mit seinem ‚Elucidarium‘), Hugos von St. Victor ‚De sacramentis‘, Bernhard von Clairvaux und Walter von Mortagne. Auch die mit Laon verbundenen Sentenzen und Kollektionen (‚Sententiae Magistri A.‘, ‚In primis hominibus‘) sind reich vertreten. Des weiteren kann man Beispiele der Kombination von Werken Abaelards, Hugos oder der Schule von Laon im selben Manuskript anführen (vgl. Egger 2004a, S. 153). Der Fall von Schäflarn, einem 1140 gegründeten Prämonstratenserstift, ist ein lebendiges Beispiel für die kulturelle Ausrichtung eines Klosters in den Anfängen und für die Aufnahme französischer Schulwerke in Deutschland (vgl. Ruf 1962). Die Zeit des zweiten Priors Eberhard (1153–60) und seines Nachfolgers Arnold (1160–64) ist durch eine rege Abschreibetätigkeit mit Hilfe einer Schar von mindestens fünf Kopisten, die vor Ort arbeiten und die unverzichtbaren Codices kopieren, gekennzeichnet. Die Bibel, die liturgischen Bücher, die Kirchenväter, einige Werke von Origenes, Ambrosius, Hieronymus, Augustinus, Gregorius, Isidor und Beda werden damals in dem kurzen Zeitabschnitt der beiden Priorate abgeschrieben. Nach dieser Gründungsphase kommt die Zeit der Bereicherung unter dem Prior Heinrich I. (1164–1200), wo sich Schäftlarn den Werken der modernen Autoren öffnet: Ivo von Chartres († 1115), Rupert von Deutz († 1129), Bernhard von Clairvaux († 1153), Honorius Augustodunensis († 1153). So kompiliert die Handschrift München, clm 1701 aus Schäftlarn zusammen mit der Sammlung ‚Deus non habet‘ Auszüge von Ivo, Bernhard und Hugo von St. Victor. Auch in dem Prämonstratenserstift Windberg stellte der erste Prior, später Abt Gerhard (1141/46–1191) eine Bibliothek zusammen, indem er etwa die Hälfte der noch erhaltenen sechzig Manuskripte des 12. Jh. (vgl. Rommens 1978; Giraud 2010a, S. 403f.) abschreiben ließ, sich aber auch auf den Kauf verlegte, um den Bestand an glossierten biblischen

106 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Büchern (Psalter und Johannesevangelium) und liturgischen Codices, v.a. Missalia, zu vergrößern. Diese Handschriften dienten zur Schriftinterpretation und zur Meßlesung, den Hauptaufgaben der Prämonstratenserstifte. In einer Sammlung, welche Sentenzen, Glossare und Briefe vereinigte, ließ Gebhard seit 1165 den Briefwechsel zwischen Eberhard von Bamberg und Gerhoch von Reichersberg abschreiben. Hinzuweisen ist auch auf eine Schenkung eines Postens von 15 Büchern durch einen unbekannten Magister mit Namen Gerboto an die Abtei – Büchern, welche wohl dem Typ einer Magisterbibliothek aus der Mitte des 12. Jh. entsprechen könnten: die Hl. Schrift, erläutert durch Glossen und ergänzt durch Sentenzen oder Kirchenväterzitate (vgl. Giraud 2010a, S. 404). Es handelt sich v.a. um glossierte Bücher des Alten Testaments sowie des Neuen Testaments mit den Evangelien des Markus und Johannes, den Episteln an die Römer und Korinther, den kanonischen Episteln und der Apokalypse. Neben den traditionellen Autoren wie Augustin oder der (glossierten) ‚Consolatio philosophiae‘ des Boethius finden sich auch drei moderne Autoren: die Psalterglossen Anselms von Laon, die Pauluskommentare Abaelards oder des Lombarden, die ‚Sentenzen‘ Hugos von St. Victor. Diese Verbreitung in Deutschland erfaßt also auch Abaelard, der viel umstrittener als die Werke der Victoriner, ja sogar des Lombarden war, welche insgesamt völlig von den Vertretern der monastischen Theologie akzeptiert wurden. Die alten Kataloge und die erhaltenen Handschriften (vgl. Classen 1960, S. 91f.) zeigen nämlich einen hohen Grad an Verbreitung der Werke Abaelards und seiner Schüler in Deutschland und insbesondere in der Salzburger Kirchenprovinz und in den benachbarten Bistümern. Im Besitz des einen oder anderen Werkes Abaelards und seiner Schüler waren Heilsbronn, Prüfening, St. Emmeram, Freising, Indersdorf, Tegernsee, Salzburg, Admont, St. Nikolaus/Passau, St. Florian und Heiligenkreuz. Die Studenten, die aus Frankreich zurückkamen, aber auch die Zisterzienser, die ihre Mutterklöster oder die Generalkapitel besuchten, verbreiteten die Bücher, wobei die Verurteilung Abaelards 1140 seine Schüler nicht hinderte, sich weiterhin auf ihn zu berufen. Eine Marbacher Handschrift z.B. (Kolmar, Codex 128; vgl. Huth 2004, S. 119ff., mit Verweis auf Engels 1975; zur Verbreitung der Werke Abaelards im allgemeinen vgl. Luscombe 1969, S. 60–102; Barrow/Burnett/Luscombe 1984/85) enthält Werke von Abaelard. Die Zisterze Heilsbronn, gegründet durch Bischof Otto II. von Bamberg zu Lebzeiten des hl. Bernhard, stellt sich rasch ihre Bibliothek zusammen (vgl. Sprusansky [Hg.] 1991). Wie sich feststellen läßt, erscheint dort sehr bald ein wichtiges Werk Abaelards, die ‚Theologia

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Summi boni‘, verbunden u.a. mit einem Kommentar von Thierry von Chartres (Erlangen, UB 182); Abaelard wird darin in den höchsten Tönen gepriesen. Ein anderes Manuskript aus der zweiten Hälfte des 12. Jh. mit derselben Kombination der Texte fand sich in Admont. Diese beiden Handschriften könnten auf ein gemeinsames Vorbild aus dem Kloster Michelsberg in Bamberg zurückgehen (vgl. Häring 1956; Johanek 1986, S. 55; Buytaert/Mews 1987, S. 60–63; Egger 2004b, S. 91f.; Mews 2007, S. 225). Die letzte Theologie Abaelards (‚Theologia scholarium‘) wurde in mindestens drei deutschen Manuskripten des 12. Jh. tradiert, insbesondere in einer Heiligenkreuzer Hs., welche Notizen über den Unterricht bei Abaelard, Hugo von St. Victor und anderen Pariser Lehrern hinzufügt (Classen 1959, S. 285). Die fünf direkt mit Abaelard oder seiner Schule verbundenen Sentenzensammlungen (‚Sententiae Hermanni‘ aus St. Nikolaus/Passau und Prüfening, ‚Sententiae Rolandi‘, ‚Sententiae Omnebene‘ aus Tegernsee, ‚Sententiae Parisienses‘ und ‚Sententiae Florianenses‘) sind durch dreizehn Hss. bekannt, wovon sieben deutscher Herkunft sind – die ‚Sententiae Florianenses‘ leiten z.B. ihren Namen von dem österreichischen Kloster St. Florian ab, wo das einzige Exemplar bewahrt wird – neben vier aus Italien und nur zwei aus Frankreich (vgl. Egger 2004b, S. 93f.). Etwa in Engelberg (vgl. Classen 1959, S. 284) besaß man vor 1178 einen liber magistri Petri de fide et caritate et de sacramentis, dessen Dreiteilung als Sentenzenbuch auf ein Werk, wenn nicht Abaelards selbst, so doch seiner Schule weist, ebenso wie excerpta auctoritatum a Petro Baiuardo collecta. Sub eodem volumine glosse super Macrobium glosse super Briscianum accentuum, welche ‚Sic et non‘ sein könnten. Auch Salzburg unter Erzbischof Eberhard, der in Frankreich studiert hatte, scheint ein Hauptort der Rezeption der neuen französischen theologischen Werke im deutschsprachigen Raum gewesen zu sein. Jedenfalls besaß man dort am Ende des 12. Jh. die ‚Sententiae Petri Bailardi‘, welche man auch in Hss. von Admont, Prüfening (dann St. Emmeram) und St. Nikolaus/Passau gefunden hat (vgl. Mews 2007, S. 226; Thomson 2012, S. 139). In Klosterneuburg zeigt eine Handschriftenliste von ca. 1200 das Vorhandensein eines ‚Dialogus Petri Baiolardi‘, womit die ‚Collationes‘ (auch genannt ‚Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum‘) des Petrus Abaelardus gemeint sein könnten. Derselbe Text könnte auch nochmals in der Bibliothek von St. Peter in Salzburg vorrätig gewesen sein (vgl. Egger 2004a, S. 159–161). Alles in allem kommen von den zwanzig Hss. mit theologischen Werkens Abaelards nicht weniger als zehn aus Deutschland und nur sieben aus Frankreich (vgl. Kottje 1969).

108 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Zwar muß man mit Classen (1959, S. 286) festhalten, daß sich die Verbreitung Abaelards nicht auf seine logischen, sondern nur auf seine theologischen Werke erstreckt, doch ist dies ein allgemeiner und nicht nur spezifisch deutscher Befund. Während Abaelards theologisches Werk weit verbreitet gewesen ist (etwa an die 20 Manuskripte seiner drei ‚Theologien‘, etwa zehn von ‚Sic et Non‘, fünf der ‚Ethik‘ und drei des ‚Dialogus‘), ist sein logisches Werk (die Kommentare zu Aristoteles und Boethius, seine Traktate über Grammatik und Logik) oft nur durch ein einziges, mitunter unvollständiges Manuskript bekannt, sofern es nicht überhaupt ganz und gar verschollen ist, wahrscheinlich deshalb, weil es durch die Rezeption von Teilen des aristotelischen Organon, die durch Boethius nicht übersetzt worden waren (‚Topica‘, ‚Analytica‘, ‚Sophistici elenchi‘) und von denen Abaelard bestenfalls nur eine vage Ahnung hatte, so daß er sie in jedem Fall nicht systematisch benützen konnte, seit den 1140er Jahren rasch veraltet war. Im übrigen vermerkt der Bibliothekskatalog des Augustiner-Chorherrenstifts Hamersleben, daß man dort immerhin ein Exemplar der ‚Logica ingredientibus‘ besaß (vgl. Thomson 2012, S. 131, der auf Cohen-Mushlin 2004 verweist). Das Werk Gilberts von Poitiers ist auch problemlos nach Deutschland gelangt (vgl. die Handschriftenliste bei Classen 1959, S. 290–296), wo die beiden Exemplare der ‚Sententiarum divinitatis‘ der Porretanerschule geschrieben und bewahrt wurden. Beim Prozeß gegen Gilbert vom April 1148 in Reims waren gewiß wenige Deutsche präsent. Doch dies hindert nicht, daß wir auch in Deutschland das Glaubensbekenntnis finden, welches Gilbert dort akzeptieren mußte, sowie die Propositionen, zu deren Widerruf er gezwungen worden war. Man findet auch die Boethiuskommentare wieder, welche den Konflikt ausgelöst hatten (vgl. Classen 1959). Petrus von Wien (s.o.) hat sicher bei der Verbreitung von Gilberts Werken in den bayerischen und österreichischen Klöstern eine wichtige Rolle gespielt (Classen 1960, S. 272). Marginalglossen in Hilarius- und GilbertHss. in Klosterneuburg und Zwettl, hier im Sinne Gerhochs, da im Sinne Gilberts, bezeugen das bedeutende Echo des christologischen Streits, dessen Akteur er war. Man kann diese Hss. mit einem anderen teilweise im österreichisch-bayerischen Raum geschriebenen Manuskript verbinden (jetzt Codex Vaticanus lat. 254), welches Werke des Hilarius von Poitiers enthält, mit einer Randbemerkung, die ausdrücklich Gilbert von Poitiers heranzieht (Classen 1959, S. 297f.; Egger 2004a, S. 154f., u. 2004b, S. 93). Eine Handschrift von Gilberts Psalmenkommentar befand sich auch im 12. Jh. in Indersdorf in Bayern (München, clm 7618; vgl. Häring 1978, Nr. 82, S. 168f.).

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In Prüfening zitiert der zweite, vom Mönch Wolfger gegen 1165 aufgezeichnete Bibliothekskatalog Abaelard unter den moderni (unterschieden von den patres antiqui ): Moderni sunt Beda, Albinus, Rabanus, Bernaldus, Ivo, Heimo, Honorius, Zacharias, Anshelmus lucensis, Anshelmus cantuarienis, Hugo, Gratianus, Ruopertus, Petrus Damianus, Petrus Baiolardus et multi alii (MBKDS IV/1, S. 422) – ein Zeichen der Akzeptanz. Die Studien zur Überlieferung der französischen Magister der zweiten Hälfte des 12. Jh. und des Beginns des 13. Jh. wie Petrus Comestor, Petrus Cantor, Petrus von Poitiers und Alanus ab Insulis sind weniger zahlreich. Verschiedene Hinweise lassen aber gleichwohl die Annahme zu, daß sie auch im deutschen Sprachraum durchaus bekannt waren. Zuerst muß man das außergewöhnliche Lob der Pariser Magister Petrus Lombardus, Petrus Comestor (zum Jahr 1158), dann Petrus Cantor, Alanus ab Insulis und Prepositinus von Cremona (zum Jahr 1194) in der Chronik Ottos von St. Blasien (‚Chronica‘, Ausg. Hofmeister, S. 13f. u. 64f.; Übers. Schmale, S. 37–39 u. 121–123) zitieren: „In diesen Tagen glänzten in Paris die berühmten Magister Petrus Lombardus und Petrus Manducator; viel haben sie zum Nutzen der Kirche geschrieben. Von ihnen verfaßte der Lombarde das ‚Sentenzenbuch‘, geordnet in vier Distinctionen […]. Außerdem erläuterte er ausgezeichnet den Apostel [Paulus] sowie den Psalter durch fortlaufende Glossen; einen Gottes würdigen Lebenswandel zu Paris führend, schied er aus diesem Leben. Der andere aber, nämlich Manducator, der ihm im Lebenswandel und Studieneifer nicht ungleich war, verfasste das sehr nützliche Buch der ‚Historia Scolastica‘ […]. Zu dieser Zeit waren zu Paris die Magister Petrus Cantor, Alanus und Prepositinus berühmt. Der erste verfaßte ein ‚Buch der Unterscheidungen‘, ein ‚Buch der Psalmen‘, ein Evangelienbuch mit vier feinsinnigen und fortlaufenden Glossen und noch vieles andere. Der zweite verfaßte vielerlei und legte es dar. Unter ihnen verfaßte er ein Buch, das ‚Anticlaudianus‘ betitelt war, sowie ‚Regeln des himmlischen Rechts‘, ‚Gegen die Heiden‘, ein Buch ‚Von Fehlern und Tugenden‘ und ‚Über die Kunst des Predigens‘, ein Buch seiner Predigten und vieles andere mehr, Vernünftiges und Katholisches. Der Dritte schrieb eine ‚Summe der Sentenzen‘ und vieles mehr …“ His diebus Petrus Lombardus et Petrus Manducator apud Parisius magistri insignes claruerunt multaque ecclesie profutura conscripserunt. E quibus Lombardus librum Sententiarum IIIIor distinctionibus ordinatum confecit […]. Preter hec Apostolum necnon Psalterium per continuas glosas luculenter admodum exposuit Deoque digna conversatione degens apud Parisius vita decessit. Alter vero, Manducator scilicet, conversatione et studio huic non dispar, librum Scolastice Hystorie utilissimum confecit […]. His temporibus Petrus cantor Parisiensis et Alanus et Prepositinus magistri claruerunt. Horum prior librum Distinctionum librumque Psalmorum Euangeliumque unum ex IIIIor per continuas glosas subtiliter compilavit et preter hec alia multa. Alter vero multa conscribens exposuit. Inter que librum qui intitulatur Anticlaudianus et Regulas celestis iuris et Contra hereticos et librum De viciis et virtutibus et De arte predicandi librumque sermonum suorum et multa alia sana et catholica conscripsit. Tercius nichilominus Summam sententiarum cum multis aliis conscripsit …

110 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Des weiteren wird Petrus Comestor (gest. am 22. Okt. 1178) im Nekrolog des Domes von Hildesheim erwähnt (vgl. Stammesberger 2010, S. 114). Ihre Namen waren also durchaus bekannt, doch auch ihre Werke vorhanden. Wir haben einen Bücherkatalog der 1185 von Hardehausen aus, einer Tocher von Morimond, gegründeten Zisterze Marienfeld (vgl. Degering 1913), der eine Reihe von Werken der französischen Schulen des 12. Jh. aufzählt: Hugo und Richard von St. Victor, aber auch Petrus Lombardus, Petrus Cantor, Alanus ab Insulis etc. Die Hypothese der Erstellung des Katalogs ab 1185, um damit eine Art Inventar der der Neugründung zur Verfügung gestellten Bücher zu geben (Degering 1913), wird von den Kunsthistorikern nicht gestützt, die von einer Datierung nicht vor 1200 und einer Lokalisierung in Marienfeld ausgehen (vgl. Väth 2001, Nr. 81, S. 108f.). Die ‚Summa‘ des Prepositinus von Cremona, der, wie schon erwähnt, Kanoniker und Scholaster in Mainz war und wahrscheinlich enge Verbindungen mit dem deutschen Milieu in Paris am Anfang des 13. Jh. pflegte, wurde in den Bibliotheken des österreichisch-bayerischen Raumes kopiert (vgl. Egger 2004a, S. 148, Anm. 25). Eines der von dem Hildesheimer Kanoniker und Scholaster Hilarius vermachten Manuskripte (s.o.) enthält außer dem glossierten Lukasevangelium die ‚Summa quaestionum‘ des Petrus von Poitiers (vgl. Handschriften der Dombibliothek zu Hildesheim [1991–1993], Hs. 656, Bd. I, S. 73f.); ein anderes enthält Stephan Langtons Kommentar zur ‚Magna glossatura‘ des Petrus Lombardus zu den Paulusbriefen (ebd., Hs. 658, Bd. I, S. 77f.). In Kamp (vgl. Buzas 1975, S. 62) ist ein Exemplar des 13. Jh. von der ‚Summa in IV libros sententiarum‘ Wilhelms von Auxere († 1231/37) bezeugt. Was Alanus betrifft, so hat sein Werk in vielfacher Hinsicht große Wirkung auf die deutsche Literatur ausgeübt (vgl. Huber 1988). Der Erfolg der französischen Autoren beschränkt sich nicht auf das Feld der Philosophie und Theologie. Die Urkundenlehre (‚De privilegiis‘) Bernhards von Meung (bei Orléans) von ca. 1180/90 hatte ebenfalls Erfolg in Deutschland. Man findet sie z.B. in der Handschrift der sog. ‚Jüngeren Hildesheimer Briefsammlung‘, wo sie nach dem Herausgeber Rolf de Kegel aus einem Lütticher Exemplar abgeschrieben worden sein dürfte. Sie dürfte auch in der Kollegiatsbibliothek von Hamersleben vorhanden gewesen sein (vgl. de Kegel 1995, S. 1–13; Milde 1995, S. 482; zur Verbreitung Bernhards von Meung vgl. Wortbrock/Klaes/Lütten 1992, S. 43–62). Systematische Studien haben auch gezeigt, wie lebendig der Transfer des kanonischen Rechts gewesen ist (vgl. Stelzer 1982; Gouron 1985). Die neue scholastische Methode der französischen Schulen des 12. Jh. war jedenfalls in Deutschland wohlbekannt. Darauf weist z.B. der Um-

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stand, daß in der zweiten Hälfte des 12. Jh. in Klosterneuburg ein Klosterinsasse in einen Codex mit dem ‚Tractatus de sacramentis‘ Hugos von St. Victor die Darstellung einer Disputation, wohl nicht ohne eine gewisse Ironie, eingetragen hat: Auf einem Lehrstuhl sieht man einen Magister mit dem erhobenen Zeigefinger, welcher besagt: est, est; unter ihm mit einem offenen Buch ein Schüler, der dieselbe Geste vollführt und sagt: non est, non est. Er ist umgeben von fautores, die ihm zustimmen und den Worten des Magisters widersprechen (Klosterneuburg, Stiftsbibl. 311, fol. 82v–83r; vgl. Johanek 1986, S. 52). Vielleicht kann man sagen, daß man sich in Deutschland mehr für den monastischen Autor Hugo von St. Victor interessierte (vgl. Egger 2009b, S. 554) als für einen Autor, der zu den ersten Scholastikern gehörte. Ohnehin von selbst versteht es sich, daß sich die Verbreitung Abaelards in Deutschland nicht mit der des hl. Bernhard vergleichen läßt. Jedenfalls hat sich der deutschsprachige Raum in keiner Weise vor den neuen scholastischen Erzeugnissen aus Frankreich verschlossen. Der hl. Bernhard hat heftig gegen Abaelard opponiert, doch nach dem Zeugnis der zisterziensischen und anderen Klosterbibliotheken werden die Werke des Letztgenannten in den deutschen Klöstern ebensowenig zögerlich aufgenommen wie die Werke Bernhards selbst, Hugos von St. Victor oder des Honorius Augustodunensis (mitunter in denselben Hss.), der klassischen Autoren und der Schulhandbücher der Artes liberales. Fragt man nun, wie die Bücher in die Bibliotheken kamen, so ist die Erklärung offenkundig im Zustrom der Personen, die von Deutschland nach Frankreich und wieder zurück kommen, zu suchen. So weiß man etwa, daß zur Zeit des Abtes Wolfram von Michelsberg (1112–23) ein gewisser Burchard dem Kloster verschiedene Handschriften schenkte, welche Werke des Boethius und Glossen dazu sowie Abaelards ‚Theologia Summi boni‘ bzw. Glossen zu Pophyrios, Aristoteles und Cicero enthielten (MBKDS, III/3, S. 355–365, bes. S. 358; vgl. Mews 2007, S. 230). Manche Handschriften könnten Mitschriften von Studenten aus Deutschland sein. Dies hat man z.B. für die ‚Sententiae Florianenses‘ aus der Schule Abaelards vorgeschlagen. Die Verbindungen zwischen den Klöstern haben überdies lebhaft zur weiteren Verbreitung der Werke beigetragen. So hat man die Rolle Admonts bei der regionalen Verbreitung der Texte aus Frankreich demonstrieren können (Stammberger 2005). Die Bücher aus Frankreich waren also bekannt und zirkulierten in Deutschland. Doch wie hat man sie aufgenommen und was hat man mit ihnen angefangen? Die Aufnahme dieser Werke in die Klosterbibliotheken hat auf jeden Fall konkrete Folgen gehabt. Der frühere Benediktiner und spätere Zister-

112 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen zienser Idung von Prüfening (vgl. Huygens 1985) stellt in seinem ‚Dialogus duorum monachorum‘ einen Zisterzienser einem Cluniazenser gegenüber, die beide jeweils die Meriten des eigenen Ordens verteidigen. Der Zisterzienser (wohl Idung selbst) rühmt sich der Vorzüge des transitus, v.a. um die Kleinmütigen zu ermuntern, die den Bruch des Gelübdes durch das Verlassen ihres Klosters befürchten. Um seine Position zu stärken, bezieht er sich auf Magister Anselm, der seiner Meinung nach die Erlaubtheit des transitus vertritt, gestützt auf die Autorität Augustins (Giraud 2010a, S. 289f.). Dieser Bezug auf französische Magister begegnet ebenso bei Gelegenheit des Streits Gerhochs mit dem Regensburger Klerus und mit Magister Petrus von Wien (vgl. Classen 1960, S. 51 u. 162–173). Da stützt sich der Regensburger Weltklerus in dem Konflikt mit Gerhoch im Herbst 1130 um die Frage der Gültigkeit der Sakramente unwürdiger Priester auf die Lehren der französischen Schulen, genauer die Sentenzensammlungen Ivos von Chartres, Wilhelms von Champeaux und der Schule von Laon, die man in etlichen bayerischen Manuskripten findet. So werden die Sentenz Anselms von Laon Quod ille solus habendus sit excommunicatus qui iudicali ordine personaliter reus nominatus oder die Wilhelms von Champeaux Simoniaca haeresis a Simone benützt. Nach Peter Classen (ebd.) haben wir hier das erste ausdrückliche Zeugnis eines Einflusses jener Schulen auf Bayern vor uns. Abgesehen davon scheinen einige deutsche Autoren sehr lebhaft und laut auf die Neuerungen reagiert oder sie auf alle Fälle vorsichtig aufgenommen zu haben – der Leser (Gerhoch?) einer Admonter Handschrift, welche Sentenzen der Schule von Laon und Abaelards vereinigt, schrieb am Rande von gefährlich eingeschätzten Passagen: cave (Mews 2007, S. 225f.) –, während andere sie mit Bereitwilligkeit aufnehmen, Abaelard beschwingt preisen oder seine Ankläger verdammen (ebd., S. 227). Das führt schließlich zur Frage der jeweiligen Sicht des anderen zwischen Frankreich und Deutschland.

2.5 Gekreuzte Blicke zwischen Deutschland und Frankreich – die wechselseitige Identitätsfindung durch die Sicht des anderen Von den letzten Jahrzehnten des 11. bis zu den ersten des 13. Jh. findet eine Bewegung großen Ausmaßes in der Kulturgeschichte statt. Der Schwerpunkt der Ausbildung einer neuen europäischen Kultur verlagert sich dauerhaft in den Westen und Süden, und der germanische Osten wird

Gekreuzte Blicke zwischen Deutschland und Frankreich

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zu einer Randzone. Die Folgen manifestiersen sich in der Mobilität der Personen in die eine und der Werke und Handschriften in die andere Richtung. Ganz grob gesagt, gehen die Personen von Ost nach West und die Werke und Handschriften von West nach Ost. Für mehrere Jahrhunderte wird die deutsche Kultur unter dem Zeichen der etwas verzögerten Adaptation dessen stehen, was sich im Westen und Süden enfaltet – was gleichwohl keineswegs eine eigene veritable deutsche Kulturdynamik verhindert, da die Rezeption/Adaptation beileibe kein passives Phänomen darstellt. Die Zeitgenossen haben mehr oder minder klar das Zustandekommen dieser breiten Bewegung erfaßt. Nichtsdestoweniger kann man im 12. Jh. die Ausbildung eines – mehr oder weniger akzeptierten – Minderwertigkeitskomplexes bei den deutschen ‚Intellektuellen‘ auf der einen Seite und irgendwie folgerichtig eines Überlegenheitsgefühls bei den französischen und in zunehmenden Maße den Pariser Intellektuellen auf der anderen Seite erkennen. Am Beginn des 13. Jh. etabliert sich nunmehr die Vorstellung von Frankreich als der natürlichen Heimat der Wissenschaft. Das Prestige der Magister dort ist offensichtlich. Ausdrücklich bezeugen es Listen berühmter Magister, erstellt von bestimmten deutschen Autoren. Ein Brief Gozwins von Mainz von 1065 nannte zwei Magister französischer Schulen (einen in Paris und einen in Reims) und zwei Magister deutscher Schulen (einen in Speyer und einen in Bamberg). Ein solches Gleichgewicht ist im 12. Jh. verschwunden. Die herausgestellten Magister sind jetzt, wenn nicht alle Franzosen, so doch in Frankreich, und zwar mehr und mehr in Paris, aktiv. In der Liste bei Otto von Freising aus den 1140er Jahren sind es: Berengar von Tours, Manegold (von Lauterbach?) und Anselm von Laon – ausdrücklich vorgestellt als die ersten einer langen Reihe von Magistern aus Gallia (Otto von Freising, ‚Chronica‘, lib. V, Ausg. Hofmeister, S. 227). Wibald von Stablo zitiert 1149 Anselm von Laon, Wilhelm von Paris (d.h. von Champeaux), Alberich von Reims und Hugo von Paris (d.h. von St. Victor); Otto von St. Blasien nennt in seiner Chronik von 1209/10 in einer ersten Liste Petrus Lombardus und Petrus Comestor, in einer zweiten Petrus Cantor, Alanus ab Insulis und Prepositinus von Cremona (s.o.). Parallel dazu beobachten wir die Erwähnung des Todes berühmter französischer Magister in bestimmten in Deutschland geschriebenen Annalen, wie z.B. des Todes Hugos von St. Victor in den Melker Annalen zum Jahr 1142: Hugo magister pie memoriae obiit (‚Continuatio Mellicensis‘, Ausg. Wattenbach, S. 503), oder eine Bezugnahme auf treffende Aussprüche, so etwa Anselms von Laon beim Mönch Idung von Prüfening gegen 1145 (s.o.).

114 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen Man muß sich also nach Frankreich begeben, um erstklassige Studien zu absolvieren. Der Autor der Vita des Bischofs Adalbero von Würzburg (1045–90) schreibt, zur Zeit seines Helden (d.h. etwa in der Mitte des 11. Jh.) hätten die Pariser Schulen floriert „so wie es noch immer der Fall ist“ (‚Vita Adalberonis episcopi Wirziburgensis‘, Ausg. Wattenbach, S. 130: ubi tunc, sicut et nunc, omnium floruit peritia artium; vgl. Egger 2004a, S. 143), also zur Zeit des Autors, offenbar eines zu Beginn des 13. Jh. schreibenden Mönchs von Lambach, und dorthin sollte man unbedingt einen jungen deutsche Knaben schicken, der brillante intellektuelle Fähigkeit zeige. Im selben Zusammenhang kann man auch die berühmte Stelle bei Arnold von Lübeck (gest. gegen 1211/14) zitieren, wo er erklärt, die adeligen Dänen ahmten die Sitten der Deutschen nach, die ihre Kinder zur Ausbildung nach Frankreich schicken: „Auch in der Wissenschaft haben sie große Fortschritte gemacht, da die Edlen des Landes ihre Söhne nicht allein, um den geistlichen Stand zu erhöhen, sondern auch zur Ausbildung in den weltlichen Wissenschaften nach Paris schicken. Dort haben sie, in die Bildung und in die Sprache jenes Landes eingeführt, viel nicht nur in den weltlichen Artes, sondern auch in der Theologie gelernt. So sind sie wegen der ihnen angeborenen Schnelligkeit des Sprechens sehr geschickt nicht allein in der dialektischen Beweisführung, sondern auch zur Behandlung der kirchlichen Geschäfte gute Dekretisten bzw. Legisten geworden.“ Scientia quoque litterali non parum profecerunt, quia nobiliores terre filios suos non solum ad clerum promovendum, verum etiam secularibus rebus instituendos Parisius mittunt. Ubi litteratura simul et idiomate lingue terre illius imbuti, non solum in artibus, sed etiam in theologia multum invaluerunt. Siquidem propter naturalem lingue celeritatem non solum in argumentis dialecticis subtiles inveniuntur, sed etiam in negotiis ecclesiasticis tractandis boni decretiste sive legiste comprobantur (Arnold von Lübeck, ‚Chronica Slavorum‘, Ausg. Lappenberg, S. 147).

Die Vorstellung der Gallia als Vaterland der Wissenschaft war übrigens im 12. Jh. nicht komplett neu, denn schon Bischof Heribert von Eichstätt (1102–42) hatte nach dem Anonymus Haserensis mit Verachtung von dem Scholaster Gunderam gesprochen und nach Mitteln, sich seiner zu entledigen, gesucht, weil er domi und nicht iuxta Renum seu in Gallia ausgebildet worden war, damals jedoch die Rheingegend keinen Anteil mehr an den Schwerpunkten der neuen Kultur hatte (Anonymus Haserensis, ‚De gestis episcoporum Eistetensium‘, Ausg. Bethmann, S. 261). Otto von Freising schlägt schon das Thema der translatio studii an, gewiß beeindruckt von seinem französischen Aufenthalt in der Mitte des 12. Jh.: Wie die potentia und in Verbindung mit jener so hat, erklärt er, auch die sapientia eine Übertragung von Ost nach West mitgemacht und ist nun so weit wie möglich im Westen angelangt, in Spanien und in Gallien (Otto von Freising, ‚Chronica‘, lib. V., praefatio, Ausg. Hofmeister, S. 227). Doch

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es sind die Pariser Magister selbst, die zum Nutzen von Paris seit der zweiten Hälfte des 12. Jh. an dem Thema der translatio studii arbeiten und daraus einen wirklichen Topos machen. Die Kultur und die Gelehrsamkeit seien im Laufe der Zeit von Griechenland nach Rom, von Rom nach Paris gewandert, wo sie sich jetzt befänden. Autoren wie Alexander Neckam, Petrus Cantor oder noch Giraldus Cambrensis formulieren diese translatio studii seit dem Ende des 12. Jh. Die kanonische Form gibt ihr dann Vinzenz von Beauvais in der Mitte des 13. Jh., und das Thema kehrt in der Folge ständig wieder (vgl. Lusignan 1999, bes. S. 225–237; Verger 2005; Baldwin 2006, S. 285f.). Otto von Freising hatte zeigen wollen, daß die sapientia im Kielwasser und im Schlepptau der translatio imperii nach Westen gewandert sei. Offenkundig lag jedoch die Gallia nicht im Reich. So war diese Verbindung mit dem Reich schwer zu verteidigen. Daher ignorieren die französischen Autoren, die am Ende des 12. Jh. nach Paris blicken, sie auch mit vollem Recht, und am Ende des 13. Jh. nimmt ein Autor wie Alexander von Roes durchaus zur Kenntnis, daß translatio studii und translatio imperii unabhängig voneinander sind (Moeglin 2010, S. 303f.). Das Thema der translatio studii war geeignet, der Vorstellung einer kulturellen Überlegenheit des Westens eine feste Form zu geben. Hat man in Deutschland diese Vorstellung ohne das geringste Zögern akzeptiert? Man kann ohne Zweifel in diesem Licht die oben angesprochene Kritik Gozwins, des Scholasters von Mainz, an den schlechten Studenten, Schülern Berengars, sehen, welche nach seiner Ansicht als vagi durch die Schulen wandern und eine Pseudowissenschaft erwerben, um sich dann als pseudomagistri in ihre Heimatländer zu begeben und die andern mit ihren schlechten Lehren zu verderben, auch wenn er mehrere renommierte französische Magister seiner Zeit von der Kritik ausnimmt. Deutlicher zeichnet sich in der Folge die Kritik an den französischen Neuerungen in den offenen Polemiken Ruperts von Deutz und Gerhochs von Reichersberg gegen die Magister der französischen Schulen ab. Rupert von Deutz (ca. 1075/76–1129) eröffnet etwa eine Kontroverse mit Anselm von Laon. Er will die Unaussprechlichkeit des Göttlichen gegen die offenbar in Laon vertretenen scholastischen Neuerungen verteidigen (zur Auseinandersetzung mit Anselm vgl. Giraud 2010a, S. 162–177; Kouamé 2009, S. 29f.). Rupert, damals Mönch des Klosters St. Laurentius in Lüttich, erfuhr am Beginn der 1110er Jahre eine schwere innere Krise, wodurch sich sein Interesse an theologischen Fragen, die er lösen zu können überzeugt war, verstärkte. Seit seinem ‚De divinis officiis‘ aus dem Jahre 1111 kritisiert er diejenigen, welche sich fragen, wie der Fall Adams

116 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen mit der göttlichen Allmacht zu vereinbaren sei; dann in seinem ‚De voluntate Dei‘ 1116 wendet er sich namentlich gegen die beiden „berühmten Magister“, Wilhelm von Champeaux und Anselm von Laon, „denn einer der Unseren behauptet, in ihren Schulen sagen gehört zu haben, daß Gott Böses geschehen lassen wolle …“. Anselm richtet zuerst an Rupert eine Anwort, in der er sich vom Bezug auf das Thema der Polemik abhebt, indem er erklärt, wie die scheinbare Divergenz zwischen katholischen Sätzen ausgeräumt werden kann. Ende des Jahres 1116 zwingt jedoch der durch seine Behauptungen entfachte Skandal Rupert, das Kloster St. Laurentius zu verlassen und sich in die Abtei St. Michael in Siegburg zurückzuziehen: Nachdem er sich vor Abt Heribrand von St. Laurentius, Archidiakon Heinrich von Lüttich und zwei anderen Prälaten hat verantworten müssen, legt er 1117 letzte Hand an einen neuen Traktat über die Prädestination an (‚De omnipotentia Dei‘), worin er einen Unterschied zwischen den Gewährsleuten seiner Gegner, welche gewisse Magister des „geschwätzigen Frankreich“ (quosdam facundiae Franciae magistros) seien, und Anselm von Laon macht, den er in den höchsten Tönen lobt (Giraud 2010a, S. 169f.). In einem weiteren Werk (‚Super quaedam capitula regulae divi Benedicti‘ oder ‚Liber de apologeticis suis‘), inszeniert Rupert eine Reise, die er selbst auf einem Eselfüllen Ende 1117 nach Laon gemacht habe, um Anselm direkt mit den Irrtümern seiner Schüler zu konfrontieren, wo dieser jedoch durch ein klares Zeichen des göttlichen Willens gestorben sei und die Herausforderung nicht mehr habe annehmen können, während Wilhelm von Champeaux (der 1121 sterben wird) seinerseits mehr oder weniger im Sterben gelegen sei. Und 1126 präsentiert sich Rupert nach dem Tode Anselms an einer Stelle von ‚De gloria et honore Filii hominis super Mattheum‘ nunmehr als „allein gegen alle“ (Giraud 2010a, S. 171), als eine Art unverstandener Prophet im Kampf gegen Feinde, die das Renommee eines berühmten Magisters vor sich hertragen, um ihre Irrtümer zu unterstützen. Bei der Analyse dieser Polemik ahnt man bei Rupert eine Mischung von Bewunderung, Neid und Frustration, die ihm Anselm von Laon einflößt, dieser ruhmvolle Lehrer, dessen Sentenzen Autorität und ein Echo erlangen, das den eigenen nicht zuteil wird, obwohl sie doch von Gott inspiriert sind. Er hätte von Anselm Zustimmung zu seinen Thesen erlangen wollen, auch wenn die kirchlichen Autoritäten sie verwarfen. Bei Gerhoch von Reichersberg (vgl. http://www.geschichtsquellen.de/ repPers_118690752.html) findet man dieselbe Mischung wieder, doch die Polemik intensiviert und verzweigt sich und wird bitterer. Gerhoch sah sich als Schüler zweier bedeutender Lehrer, welche in seinen Augen Ru-

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pert von Deutz, aber auch Hugo von St. Victor (wie er selbst ein Augustiner-Chorherr, von dem er sicher wußte, daß er ein Deutscher war) waren. Er nennt sie duos … egregios angelos modernos (Gerhoch von Reichersberg, ‚Tractatus in psalmum XXXIII‘, Ausg. van den Eynde, S. 209; zur Benützung Hugos durch Gerhoch vgl. Classen 1960; Egger 2009b, S. 553f.), doch kritisiert er Hugo auch (vgl. Stammberger 2005, S. 260f.). Andererseits kann er gar nicht genug harte Worte für die Vertreter der neuen französischen Schulen finden. Im Konflikt mit den Regensburger Geistlichen der 1130er Jahre weist er ohne weiteres die Argumente zurück, welche seine Gegner den Pariser Magistern entlehnen. Er war schon in Rom mit den französischen Lehrsätzen über die Natur Christi konfrontiert gewesen und kritisiert scharf alle diejenigen, welche die Heiligen Schriften nicht ecclesiastice, sondern scholastice lesen und erklären. Gegen die falsche Autorität der scholae in Frankreich beruft er sich auf die anerkannte Autorität der ecclesia in Rom. Er legt sich 1141 auch mit Gilbert von Poitiers an. In einem verlorenen Brief (Classen 1960, S. 94) an Bischof Otto von Freising greift er seine Paulusglossen an – es geht dabei um die Natur Christi: Gott in vollem Sinne oder nur Adoptivsohn nach der These, die Gerhoch seinen Gegnern zuschreibt. Vermutlich hat Otto von Freising zuerst den Autor der Glossen verteidigt, der nichts anderes getan habe, als die alten bezeugten Lehren in den früheren Glossen teilweise aufzugreifen, v.a. in denen Anselms von Laon. Ob Gerhoch 1141 die inkriminierten Glossen, für deren Verbreitung er Gilbert, aber auch Anselm und Petrus Lombardus verantwortlich macht, schon in Händen hatte, ist nicht sicher. Aber 1144 beginnt er, deutlich sichtbar, den Psalmenkommentar Gilberts zu benützen, und wir besitzen in der Tat ein erhaltenes Exemplar von Gilberts Pauluskommentar, in das Gerhochs Hand zahlreiche Marginalglossen eingetragen hat (es handelt sich um den Codex Vindobonensis 1562; vgl. Classen 1960, S. 96 u. 435–438; Egger 2004b, S. 92). Es muß aus den 1150er Jahren stammen. Es läßt sich übrigens feststellen, daß ein kleiner Teil der Glossen Gerhochs gewiß dazu dienen soll, die offensichtlich wenig sorgsam kopierte Handschrift Gilberts mit Hilfe eines anderen Exemplars des Werkes Gilberts zu korrigieren. Ab 1154 beginnt Gerhoch mit einer wilden Polemik gegen magister Petrus, d.h. den oben erwähnten Porretanerschüler Petrus von Wien (Classen 1960, S. 162–173). Im Frühjahr 1156 nahm Gerhoch in einem großen an Papst Hadrian gerichteten Traktat seine gesamte Kritik an den Neuerungen seiner Zeit wieder auf. Ohne Petrus namentlich zu erwähnen, entwickelte er seine Thesen und stellte die Gilberts (der am 4. Sept. 1154

118 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen gestorben war) in Frage, dies auf der Grundlage der Bibelglossen und v.a. der Boethiuskommentare Gilberts. Gleichzeitig übte Petrus von Wien in einem an Otto von Freising gerichteten Taktat seinerseits scharfe Kritik an Gerhochs Thesen (Fichtenau 1955, S. 233). Gerhoch antwortet, nachdem er Kenntnis von diesem Brief erhalten hat, mit einer historischen und philologischen Kritik an den Argumenten seines Widersachers. Das Hauptthema (Classen 1960, S. 169) von Gerhochs Kritik an Gilbert und seinen Schülern besteht im Zitat des Apostels Paulus von den profanae vocum novitates, welches schon Bernhard gegen Abaelard und Gilbert vorgebracht hatte und dann weiterhin allenthalben verwendet wurde. Gerhoch sieht die Wurzel aller Irrtümer in den Schulen, wo die Philosophen lehren secundum elementa mundi und wo quaestiones indisciplinatae diskutiert werden. Als Sprengmeister werden von Gerhoch ausdrücklich Abaelard und Gilbert verantwortlich gemacht. Jedoch bemüht er sich auch um eine rationale Argumentation, um seine Gegner zu widerlegen. Petrus von Wien wirft seinerseits in seiner Anwort den beiden Brüdern Gerhoch und Rüdiger novitates vor, welche der anmaßenden Wortmeldung ungebildeter Leute zuzuschreiben seien. Ebenso wie Gilbert erklärte, Bernhard habe Hilarius nicht verstehen können, weil es ihm an Bildung in den Artes liberales und den anderen Wissenschaften fehlte, denunziert Petrus Gerhoch als ungebildeteten Schwätzer, der seine einzige Ausbildung in Hildesheim erfahren habe – eine Argumentation, die deutlich die Verachtung anzeigt, die ein Zögling französischer Schulen, möglicherweise selbst französischer Abstammung, denjenigen gegenüber empfindet, die nur deutsche Schulen besucht haben. Gerhochs Polemik läßt ihrerseits sein Ressentiment gegen das übermäßige Prestige der französischen Schulen zum Vorschein kommen. Nach der Widerlegung einer Lehrmeinung Gilberts ruft er aus: tu es magister in Francia et hoc ignorat (zit. nach Classen 1960, S. 171). Gerhoch fühlt sich an Gelehrsamkeit nicht unterlegen, und seine Polemik ist dieser gegenüber nicht grundsätzlich feindlich eingestellt, sondern empört sich gegen den Alleinvertretungsanspruch für diese Gelehrsamkeit durch einen Kreis von Magistern, die an den neuen französischen Schulen ausgebildet wurden. Interessanterweise lassen sich dieselben Sentiments bei Gerhoch auch in seinen Beziehungen zum hl. Bernhard feststellen (vgl. Classen 1960, S. 47–54, 78–89, 152f., 330f., 343, 350 u. 408f.). Ihre erste Begegnung fand in Rom 1132 statt. Gerhoch hatte seinen ‚Dialogus‘ dem Papst geschickt, und dieser rief ihn zu sich, um sich genauer informieren zu lassen. Gerhoch legte seine Lehrmeinung in Gegenwart Bernhards dar (consulente venerabili viro Bernardo), konnte den Papst auch überzeugen, nicht aber

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Bernhard, was er doch so innig gewünscht hatte. Eine weitere Gelegenheit ergab sich 1135 bei dem Hoftag von Bamberg, wo Bernhard zugegen war und sich eine große Disputation über die Sakramentenlehre entsponnen haben muß. Gerhoch hatte seine Thesen zu verteidigen und wurde vielleicht mit einer Häresieanklage konfrontiert, während Bernhard eine Stellungnahme zu der Sache verweigerte, Gerhoch Wortklauberei und Stolz vorwarf und sich von ihm distanzierte. Gerhoch konnte sich nicht ohne Bezugnahme auf die päpstliche Approbation aus der Affäre ziehen. Er wollte keineswegs auf die Zustimmung Bernhards verzichten, betrachtete diesen Mißerfolg jedoch einfach als Folge der Überlastung Bernhards, die ihn daran hindere, sich wirklich mit der Sakramentenlehre auseinanderzusetzen. So kam es zur Ausarbeitung von ‚De eo, quod princeps huius mundi iam iudicatus sit‘ (mit dem geläufigen Titel ‚De simoniacis‘). Wie im ‚Dialogus‘ behauptet Gerhoch, der Fürst der Welt und seine Anhänger seien bereits durch die geltenden Gesetze verurteilt. Die Simonisten seien ipso facto exkommuniziert, wobei Gerhoch das Verbrechen der Simonie auf alle Kleriker außerhalb des Regularklerus ausdehnt. Die von ihnen gespendeten Sakramente seien unwirksam. Gerhoch verlangte von Bernhard, endlich den Mut zur Stellungnahme aufzubringen, und ließ ihm den Traktat durch einen Boten bringen, doch Bernhard würdigte Gerhoch keiner Antwort. Noch zwei Briefe Gerhochs an Bernhard kennen wir, den einen von 1144, den anderen von 1147. In diesem zweiten Brief stachelte Gerhoch Bernhard an, Papst Eugen III. zur Reform des Kardinalskollegiums zu bewegen. Er bat Bernhard um Klärungen einiger unklarer Aspekte seiner Christologie und erinnerte ihn daran, daß er immer noch auf seine Meinung warte. Aufs neue würdigte Bernhard Gerhoch keiner Antwort. Dennoch war Gerhoch ein Bewunderer des hl. Bernhard (Classen 1960, S. 152f.) und hatte seit langem seine Schriften benützt, v.a. neben ‚De gratia et libero arbitrio‘ seine Predigten über das Hohelied. Nach dem Tode Bernhards 1153 nimmt er mit Eifer sein Testament, ‚De consideratione‘, auf und läßt eine Kopie Eberhard von Bamberg zukommen. Er zitiert Bernhard und Rupert von Deutz neben den alten Kirchenvätern als die patres novi. Aber er muß zwangweise anerkennen, daß er das Ohr und die Zustimmung des Meisters nie gehabt hat, der es nicht der Mühe wert befunden hatte, seine schriftlichen Annäherungen von 1135, 1144 und 1147 zu beantworten. Vielleicht verärgert durch diese Zurückweisungen, zögert Gerhoch auch nicht, Bernhard Vorwürfe zu machen, indem er anklingen läßt, Bernhard habe ebensowohl bei Guten wie bei Bösen Erfolg. Er erinnert daran, daß die wahren Propheten öfter verkannt und abgewiesen als

120 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen gelobt wurden, und er hält sich für einen mit Bernhard gleichwertigen Theologen. Andererseits muß er die positive Rolle anerkennen, welche Bernhard für die Sache der Kirche spielt, und zugeben, daß Erfolg und Echo seiner eigenen Taktate in keinem Verhältnis zu denen des Zisterzienserabtes stehen. Der ein wenig pathetische Zug der erfolglosen Versuche Gerhochs, den hl. Bernhard dazu zu bestimmen, ihn, Gerhoch, als gleichwertig und als theologische Autorität desselben Niveaus anzuerkennen, oder auch nur seine Aufmerksamkeit zu erregen, spiegelt in gewisser Weise den Verdruß, den ihm der Mißerfolg seiner Versuche, die Autorität und den Ruhm der Magister der französischen Schulen und ihrer Nachahmer in Deutschland zu erschüttern, bereitet. Kümmert man sich umgekehrt in Frankreich um die Vorgänge in Deutschland? Offensichtlich weniger und weniger. Zwar polemisiert Gilbertus Porretanus gegen einen anonymen Deutschen (in Germaniae partibus, quidam […] Hic tamen si proprii nominis sui titulo haeretici quaesisset honorem, ecclesiasticae auctoritatis sententia fieri posset insignis – „in Deutschland, einer … hätte er mit der Angabe seines Namens die Ehre einer Bezeichnung als Häretiker erstrebt, hätte er berühmt durch die Sentenz einer kirchlichen Autorität werden können“) und kritisiert die Theorie dieses Autors, derzufolge die Seligen nach der Auferstehung göttliche Natur annehmen (Gilbert von Poitiers, ‚Contra Eutychen‘ 7,9, Ausg. Häring, S. 330). Vielleicht war der anonyme Autor Honorius Augustodunesis (vgl. Endres 1906, S. 126ff.). Dies verweist auf jeden Fall auf eine Zeit, wo der deutschsprachige Raum noch den Eindruck erwecken konnte, in der kulturellen Ausstrahlung mit dem französischen in Konkurrenz treten zu können. In der Folge hat es kaum noch den Anschein, als kümmerten sich die Franzosen darum, was in Deutschland geschieht. Am Beginn des 13. Jh. ist es daher für die gebildeten und gelehrten Deutschen ausgemacht, daß Paris die große Autorität in der Gelehrsamkeit und insbesondere in der königlichen Wissenschaft, zu welcher die Theologie geworden war, bildet. Dieser Ruf von Paris und diese geradezu unumgängliche Anerkennung, die es erlangt hat, werden durch die – reale oder fiktive – Prüfung der Schriften Hildegards von Bingen durch die Magister der Theologie in Paris zwischen 1210 und 1216 illustriert. Denn die Akten zum Versuch, Hildegard zu kanonisieren (‚Acta inquisitionis‘; zit. nach Klaes 1998) erwähnen eine Erklärung Brunos, custos und Priesters von St. Peter in Straßburg, er habe eine Pilgerschaft zum Grab des hl. Martin in Tours unternommen und bei dieser Gelegenheit seien die drei großen Werke der Visionärin Hildegard, ‚Scivias‘, ‚Liber vitae meritorum‘

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und ‚Liber divinorum operum‘, den Pariser Theologen zur Verifizierung vorgelegt worden. Die Episode habe zwischen der Oktav des Festes der Jungfrau und der Oktav von Epiphanie stattgefunden. Nach erfolgter Expertise der Theologen seien Hildegards Schriften dem Bischof übergeben worden, der sie dann an Magister Wilhelm von Auxerre weitergereicht habe. Die Affäre steht an zwei verschiedenen Orten der ‚Acta inquisitionis‘ (Klaes 1998, S. 270): „Nachdem er ihre [Hildegards] Werke, und zwar die Bücher ‚Wisse die Wege‘, ‚Verdienste des Lebens‘, ‚Werke Gottes‘, aus den Exemplaren seines Klosters abgeschrieben hatte und als er dabei war, eine Pilgerschaft nach Sankt Martin zu unternehmen, nahm er dieselben Bücher mit nach Paris; und um sie mit größerer Sicherheit studieren zu können, erreichte er nicht ohne große Mühe und mehrere Schwierigkeiten vom örtlichen Bischof, alle Magister der Theologie zusammenzurufen und jeden von ihnen diese Bücher jeweils zu drei Quaternionen (?) von der Oktav des hl. Martins bis zur Oktav von Epiphanie examinieren zu lassen. Nachdem sie die Bücher geprüft hatten, gaben sie sie dem Bischof zurück. Der gab sie nun dem Magister Wilhelm von Auxerre, der zur Zeit sein Magister war, der ihm die Bücher zurückgab mit der Beteuerung, daß es darin, nach der Sentenz der Magister, keine menschlichen, sondern nur göttliche Worte gebe.“ cum libros eius (=Hildegards), scilicet librum Scivias, librum Vite meritorum, librum divinorum operum, secundum monasterii sui exemplaria conscripsisset, et cum in peregrinatione ad beatum Martinum ire disposuisset, libros iam dictos secum Parisius detulit; et ut securius in eis studere posset, ab episcopo loci tunc presidente per multos labores et magnas tribulationes obtinuit, quod omnes in theologia tunc magistros legentes convocavit, et cuilibet eorum per tres quaternos ipsos libros ad examinandum dedit ab octava Martini usque ad octavam Epiphanie. Quibus examinatis episcopo restituerunt; qui magistro Wilhelmo Antisiodorensi, pro tempore suo magistro, eos assignavit et sibi eos restituit affirmans, quod magistrorum esset sententia non in eis esse verba humana, sed divina

und weiter unten (ebd., S. 278): „Folgende Werke, die Bücher ‚Wisse die Wege‘, ‚Verdienste des Lebens‘, ‚Werke Gottes‘, die die hl. Hildegard ohne menschliche Hilfe, sondern nach Diktat des heiligen Geistes geschrieben hatte, wurden auf Befehl des Pariser Bischofs von allen Magistern der Theologie sorgfältig geprüft, so daß jeder Magister drei Quaternionen zu examinieren hatte; als sie aber die Bücher zurückgaben, war ihr einmütiges Urteil, daß es darin keine menschlichen, sondern göttlichen Worte gab. Dies ist gesichert durch Bruno, Propst von Sankt Peter zu Straßburg, der unter Eid beteuert, daß die Bücher nach Paris gebracht worden sind, Arnold, Scholaster zu Sankt Peter von Mainz, jetzt Inquisitor, Magister Johann, Scholaster zu Mainz und Propst zu Bingen, jetzt Inquisitor, die zu dieser Zeit die Theologie in Paris studierten und die Prüfung der Werke sahen.“ quod liber Scivias, liber Vite Meritorum, liber Divinorum operum, quos beata Hildegardis sine terreno magistro, sed Spiritu sancto dictante conscripsit, ad mandatum episcopi Parisiensis per omnes magistros Parisienses tunc in theologia legentes sunt diligenter examinati, ita quod quilibet magistrorum tres quatuor habuit ad examinandum, in restitutione vero librorum episcopo magistrorum

122 Träger und Modalitäten des Austauschs: Institutionen – Personen – Quellen omnium sententia fuit, non in eis esse verba humana, sed divina: hoc probatur per Brunonem, custodem Sancti Petri Argentine, qui libros Parisius adportatos iurat, Arnoldum scholasticum S. Petri Maguntie et nunc inquisitorem, magistrum Johannem, scholasticum Maguntinum et prepositum Pinguensem et nunc inquisitorem, qui tunc temporis in theologia Parisius studuerunt, qui eosdem libros Parisius examinari viderunt.

Da Wilhelm von Auxerre in Paris kaum vor 1210 Magister der Theologie wurde und 1231 starb, muß die Prüfung in diesem Zeitraum stattgefunden haben, ohne Zweifel im Zusammenhang mit der erhofften Kanonisation Hildegards (vgl. Embach 2003, S. 72f. u. 158f.). Es ist schwierig, sich über die Authentizität dieser Prüfung zu äußern. Doch sie bezeugt, ob sie nun den Tatsachen entspricht oder nicht, daß eine deutsche Gestalt, wie großartig ihre Bedeutung und Originaliät auch immer gewesen sein mögen – wie eben die der „Prophetin vom Rhein“ –, nicht einfach mehr aus eigener Kraft Anerkennung finden konnte, sondern sich auf die Anerkennung durch französische Magister stützen mußte. Von nun an ist die Überlegenheit der Magister der Pariser Schulen, welchen nationalen Ursprungs sie auch immer sein mögen, durchaus etabliert. Die Absolvierung dieser Schulen formte eine Identität (Giraud 2009), aber nun kam auch noch die französische Qualität der Schulen hinzu. Nur diese erklärt den kontinuierlichen Zustrom der deutschen Kleriker, die zum Studium an den französischen Schulen aufbrechen. Zwar scheint es zwischen Hugo von St. Victor und Albert dem Großen keinen Deutschen gegeben zu haben, der eine intellektuelle Rolle in der vordersten Reihe in Lateineuropa gespielt hätte, doch sollte die Bedeutung jener Bewegung nicht unterschätzt werden. Die vielen anonymen deutschen Kleriker haben nicht nur die Aufnahme neuer Autoritäten der gelehrten scholastischen Kultur in Deutschland erlaubt, sondern sie waren es oft, die ganz gewiß zugleich zu den ersten Akteuren des großen Transfers der neuen in Frankreich geschaffenen weltlichen höfischen Kultur an die deutschen Höfe seit den letzten Jahrzehnten des 12. Jh. gehört haben. [Übersetzung (Kap. 2): Fritz Peter Knapp]

Literaturverzeichnis

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Einleitung

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3 Philosophie/Theologie von Fritz Peter Knapp 3.1 Einleitung – 3.2 Die Abwehr durch den sogenannten deutschen Symbolismus – 3.3 Neuplatonismus und Porretanismus – 3.4 Otto von Freising – 3.5 Deutsche Populärwissenschaft – 3.6 Naturwissenschaft und ihre geistliche Applikation – 3.7 Albertus Magnus – 3.8 Der deutsche Sonderweg ab dem Ende des 13. Jahrhunderts

3.1 Einleitung In der „Encyclopedia of Philosophy“ lesen wir über die Philosophie in Deutschland im 12. und 13. Jh.: „[…] the main line in the history of philosophy runs through France […]. The full development of scholasticism in Germany did not take place until the time of Albertus Magnus […]“ (Beck 1967, S. 291f.). Danach erschiene das vorliegende Kapitel verzichtbar. Nachdem jedoch Loris Sturlese (1993) erstmals dieser angeblichen geistigen Provinz ein Gesicht gegeben hat, wollen wir seinem Buch „Die deutsche Philosophie im Mittelalter“ dankbar folgen, ohne deshalb dem Befund der älteren Forschung alle Berechtigung abzusprechen oder ihn gar ins Gegenteil zu verkehren. Das wäre wohl auch aussichtlos angesichts der Selbstverständlichkeit, mit welcher etwa Frank Bezner (2005) seine intellectual history des 12. Jahrhunderts nur anhand von lateinischen Texten aus Frankreich zeichnet. Der von Bezner aus seinem Material gezogene thesenhafte Schluß ist daher für unseren Zusammenhang auch nur ein, wenngleich beachtenswertes Prolegomenon: Das 12. Jahrhundert sei eine Schwellenzeit, in welcher sich die radikale Rationalisierung und Verwissenschaftlichung Lateineuropas erst allmählich herausentwickle, die lateinische Poesie dabei nicht einfach verdränge, sondern diese ihrerseits „eine Dimensionierung des Ästhetischen als Medium von Wissen und Rationalität“ (Bezner 2008, S. 44) anstrebe. Hauptzeugnisse sind dabei Praxis und Theorie der integumentalen Dichtung (f Poetik, Kap. 6.4).

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Philosophie/Theologie

Wir haben für dieses Kapitel als kompromißhaften Titel „Philosophie/ Theologie“ gewählt. Das entspricht in etwa dem von Sturlese zugrundegelegten sehr weiten Begriff ‚Philosophie‘, der nahezu alles systematische weltanschauliche Denken umfaßt, das ja im christlichen Mittelalter, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer unter theologischen Vorzeichen bzw. Vorbehalten steht. Freilich sind gerade das 12. und 13. Jh. durch eine Emanzipation von der Theologie durch die Rezeption der vorchristlichen Philosophie des Aristoteles gekennzeichnet, bis 1277 der Bischof von Paris 219 Thesen eines mit der Theologie unvereinbaren Aristotelismus verurteilte. Der Erfolg der Verurteilung war keineswegs durchschlagend. Aber es wurden in ziemlich spektakulärer Weise Grenzen sichtbar gemacht. Obwohl der geistige Austausch zwischen Frankreich und Deutschland weit ins 11. Jh. zurückreicht, entfalten die französischen Schulen, insbesondere die Domschulen, ihren intensiven Einfluß auf den Osten erst im 12. Jh., wofür Sturlese (1993, S. 96) als beispielhaftes Signal den Brief eines deutschen Studenten aus Paris zitiert, worin dieser seinen Lehrer Wilhelm – gemeint ist Wilhelm von Champeaux (gest. 1122) – in den höchsten Tönen preist. Die zahlreichen deutschen Studenten, die nach Paris, Laon, Chartres, Reims usw. kamen, und die ebenso zahlreichen lateinischen Handschriften, welche aus diesen und anderen Schulzentren nach Deutschland gelangten, bezeugen gewiß ein hohes Interesse an den Lehren der moderni magistri. Gleichwohl löst es für lange Zeit keineswegs die Gründung eigener vergleichbarer Schulen oder überhaupt die kreative Übernahme der scholastischen Methode aus. Vielmehr begnügt man sich weithin mit passiver Rezeption, sofern man nicht mit offener Ablehnung reagiert. Schließlich kamen europäische Kleriker auch aus primär religiösen Gründen nach Frankreich, um in eines der vielen neuen, spirituell attraktiven Kanonikerstifte oder Mönchsklöster einzutreten. Wenn aus einem solchen auch einmal ein Zentrum der Wissenschaft entstand, wie im Augustiner-Chorherrenstift Saint-Victor in bzw. bei Paris, war das die Ausnahme, erst recht, wenn einer der ausländischen Zuwanderer dort herausragende wissenschaftliche Bedeutung erlangte, wie Hugo von SaintVictor, der wahrscheinlich aus Sachsen stammte (Ehlers 2009, S. 23). Selbstverständlich ist dann auch Hugo (als Schüler des victorinischen Abtes Gilduin – vgl. Mews 2009) nicht weniger ein Glied des französischen Intellektualismus als Abaelard oder Gilbert.

Die Abwehr durch den sogenannten deutschen Symbolismus

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3.2 Die Abwehr durch den sogenannten deutschen Symbolismus Über die Träger und Modalitäten des geistigen Austauschs informiert ausführlich Jean-Marie Moeglin in Kap. 2. Hier genügen ein paar Andeutungen. Die Scholastik wird vornehmlich von Weltgeistlichen getragen. Die vehementesten Gegner sind Benediktiner und Regularkanoniker, in Deutschland allen voran Rupert von Deutz und Gerhoch von Reichersberg. Doch verlaufen die Fronten keineswegs überall eindeutig. Anselm von Canterbury (1033/34–1109) etwa ist Benediktinermönch (1063–93 im normannischen Kloster Le Bec), und eine der – auch für die Ausstrahlung nach Osten – wichtigsten französischen Schulen hat im regulierten Augustinerchorherrenstift Saint-Victor in Paris ihren Sitz. Demensprechend hält sich dann ein in Deutschland besonders einflußreicher französischer Denker, Hugo von St. Victor, auch von den Extremen der dialektischen Methode fern. Diese als ganze lehnte jedoch Rupert von Deutz, der Hauptvertreter des sogenannten deutschen Symbolismus, ab. Die von den Kirchenvätern dringend empfohlene Kenntnis der sieben freien Künste konnte er freilich nicht verteufeln, wohl jedoch alles darin, insbesondere in der Dialektik, deutlich erkennbare heidnische Denken. Rupert, um 1076 in oder bei Lüttich, also an der Sprachgrenze, geboren, dort im Kloster St. Laurentius aufgewachsen, 1119–29 Abt des Klosters Deutz bei Köln, geriet schon früh in theologischen Konflikt mit Lehrern an Lütticher Stadtschulen, aber auch bald mit wichtigen Vertretern der französischen Scholastik, Anselm von Laon (gest. 1117) und Wilhelm von Champeaux (Domscholaster an Notre Dame in Paris, ab 1008 Augustiner-Chorherr, gest. 1122), denen er 1117 in Châlons-sur-Marne in öffentlicher Disputation gegenübertreten wollte (f Träger und Modalitäten des Austauschs, Kap. 2.3). Er hinterließ ein aus der allegorischen Bibelexegese entwickeltes gewaltiges Œuvre. Eine Auseinandersetzung mit der antiken Philosophie wird darin nur an wenigen Stellen sichtbar. Dort aber herrscht ein ausgesprochen polemischer Ton. Sturlese (1993, S. 103) zitiert u.a. Ruperts Verurteilung der philosophischen Wissenschaften als Illusionen von Zauberern und Erfindungen von Dichtern. Ziel der Polemik ist insbesondere der Platonismus. Wo er etwas Wahres enthalte, sei dies auf Diebstahl aus der Heiligen Schrift zurückzuführen. Meist sei bei dieser Gelegenheit das Alte Testament aber mißverstanden worden. Auch Auseinandersetzungen mit bestimmten theologischen Positionen der moderni magistri wie der Schule von Laon zur Frage an deus velit mala fieri (ob Gott will, daß Böses geschieht)

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Philosophie/Theologie

treten weit zurück gegenüber der nicht enden wollenden allegorischen Ausleuchtung des in der Bibel gezeichneten Weges der göttlichen Vorsehung und des Wirkens des Heiligen Geistes. Besondere Beachtung in unserem Rahmen verdienen Sturleses Überlegungen zu einem möglichen nationalen Gegensatz (Sturlese 1993, S. 109f.). Rupert selbst artikuliert einen solchen nämlich keineswegs, bezeichnet sich selbst auch nicht als Deutschen. Die moderni magistri sind für ihn nicht als Franzosen bekämpfenswert. Sie ihrerseits haben ihn als philosophischen Gegner offenbar nicht ernstgenommen. Mit allegorischer Bibelauslegung versorgten den Westen ohnehin Hugo von St.Victor und andere Victoriner. Die Verbreitung von Ruperts Schriften nur in Lothringen, dem Rheinland, Bayern und Österreich (Haacke 1960) erklärt sich durch das Wirken der Siegburger Reform. Rupert hatte 1116–19 im Kloster Siegburg gelebt. In Frankreich sind die Spuren seines Werkes sehr gering (f Träger und Modalitäten des Austauschs, Kap. 2.4). In Deutschland war Rupert dann aber eine Zelebrität. Sturlese hebt besonders die Nachwirkung bei Honorius Augustodunensis, Boto von Prüfening, im ‚Deutschen Lucidarius‘ und insbesondere bei Gerhoch von Reichersberg hervor. Dieser ist sein wichtigster Nachfolger im Kampf gegen die moderni magistri (vgl. Sturlese 1993, S. 110–118). Wie für Rupert werden jene für Gerhoch (1092/93–1169), bayerischem Augustiner Chorherrn und 1132–69 Propst des Stiftes Reichersberg am Inn, nur soweit interessant und zu Gegnern, als sie auf ihre Weise zur Lösung theologischer Fragen beitragen wollen, hier im speziellen zum Verständnis des Trinitätsdogmas (das Folgende mehr oder minder wörtlich nach Knapp, LG I, S. 69f., dies wiederum nach Classen 1960). Sie versuchen mittels sprachlogischer Unterscheidungen zu in sich widerspruchsfreien Aussagen zu gelangen. Petrus Abaelardus behauptet, Christus sei teilweise Gott und teilweise Mensch, als Mensch sei er nur Gottes einzigartige Wohnung und somit nur im übertragenen Wortsinne Gott zu nennen. Gilbert von Poitiers unterscheidet mit Hilfe seiner subtilen spekulativen Grammatik die eine göttliche Wesenheit (substantia, essentia, natura), wodurch Gott Gott ist, von den drei personalen Prädikaten, die alle von Gott ausgesagt werden können, und von den drei Personen, die durch je eines der Prädikate definiert, aber nicht mit diesen identisch sind. Die göttliche Natur schließt er von der Menschwerdung aus, da keine Natur eine weitere annehmen könne, sondern nur eine Person eine zweite Natur. Genau auf die übernatürliche Vereinigung der Naturen zielt hingegen Gerhoch, auf die supernaturalis naturarum unio, wodurch die göttliche Natur selbst Fleisch angenommen habe

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und dieses Fleisch als inkarnierter Logos in Christus erhöht, in den Himmel erhoben und so verherrlicht worden ist. Erst in dieser gottgleichen Verherrlichung der menschlichen Natur vollende sich die Erlösung des Menschen, damit überschreite der fleischliche Leib Christi auch die Grenzen von Zeit und Raum und könne als Altarsakrament zugleich an tausend Altären dargebracht werden. Von einer Abstufung zwischen Gottvater und Sohn will Gerhoch nichts wissen, faßt er diese Sohnschaft doch keineswegs als eine gnadenhafte, sondern als eine natürliche. Daher gebühre auch dem Menschen Christus, der als Mensch dieselbe Wesenheit und Herrlichkeit besitze wie Gott, genau dieselbe Anbetung wie Gott.

3.3 Neuplatonismus und Porretanismus Gerhoch leugnete rundweg die Möglichkeit, mit Hilfe vernunftgeleiteter Unterscheidungen die göttlichen Geheimnisse zu durchdringen, und bezichtigte Abaelard und Gilbert offen der Häresie (Sturlese 1993, S. 112f.), konnte sich jedoch mit seinen eigenen, nur auf die Bibelexegese gestützten, keineswegs weniger spekulativen Ansichten in der katholischen Kirche so wenig durchsetzen wie seine Gegner. Gerhoch blieb überhaupt fast jegliche Nachwirkung im Mittelalter versagt – ganz im Gegensatz zu einem weit weniger eigenständigen Denker, der vermutlich als Mönch in Regensburg lebte und schrieb, Honorius Augustodunensis. Kurt Flasch hat dem ‚Elucidarium‘ des Honorius, einem der bei weitem erfolgreichsten Schriften des Mittelalters, vorgeworfen, eine naive Banalisierung der Gedanken Anselms von Canterbury zu sein (Flasch 1986, S. 204–206). In der Tat bietet das ‚Elucidarium‘ (um 1100) als Erstlingswerk des Honorius Populärwissenschaft. Daher der gewaltige Erfolg. Doch Sturlese weigert sich, danach das gesamte Denken des Honorius beurteilen zu wollen sowie aus der Abhängigkeit von Anselm auf ein konkretes Lehrer-Schüler-Verhältnis zu schließen. Die Anleihen kann man freilich gar nicht übersehen, weil handschriftliche Marginalen auf sie verweisen: Anselms Appropriations-, Satisfaktions-, Passions-, Eucharistielehre und vieles andere sind ins ‚Elucidarium‘ teilweise wörtlich übernommen. Anselms Lehre vom freien Willen wird von Honorius in einem anderen Werk, dem ‚Inevitabile‘, verarbeitet, jedoch erst in einer späteren Fassung, nachdem in einer früheren Fassung noch die Prädestinationslehre des späten Augustinus geherrscht hatte (Sturlese 1993, S. 126–129). Damit hat frühscholastische Rationalität durchaus, wenngleich in vereinfachter Form in Deutschland Eingang gefunden. Allerdings lagen Anselm von den logischen Schriften des Aristo-

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teles nur die von Boethius übersetzten, die sog. ars vetus (‚Kategorien‘ etc.), vor. Erst im Laufe des 12. Jh. wurden die restlichen Teile des ‚Organon‘, die sog. ars nova (‚Analytiken‘ etc.), auf Latein bekannt, so daß sie zumindest teilweise Abaelard und Gilbert zur Verfügung standen (zu den Übersetzungen des gesamten Corpus Aristotelicum vgl. zuletzt Brams 2005). Honorius dürfte mit Schriften von Aristoteles direkt gar nicht in Berührung gekommen sein. Seine Anwendung der rationalistischen Methode auf die Theologie hat er von Anselm bezogen – und von Johannes Scotus Eriugena (um 810 – um 877). Dieser spätkarolingisch-westfränkische Gelehrte irischer Abstammung übersetzte Pseudo-Dionysius Areopagita und wurde so neben dem Augustinismus (s.u.) zum wichtigsten Vermittler des christlichen Platonismus an das Abendland. Sein Hauptwerk ‚De divisione naturae‘ lebte allerdings auch in etlichen Handschriften weiter, und zwar nicht nur im Westen, sondern auch in Deutschland, wo auch die Pseudo-Dionysius-Überlieferung bis ins 11. Jh. konzentriert war (f Träger und Modalitäten des Austauschs, Kap. 2.4). Einen entscheidenden Schub gab hier jedoch die Zusammenfassung jenes Werkes in der ‚Clavis physicae‘ des Honorius (1125/30?), der auch sonst in seinen übrigen Werken gerne eriugenianisches Gedankengut verwendet hat, die Lehren von den Theophanien, den Seinsstufen, dem Menschen als Ebenbild Gottes und Mikrokosmos, der Rückkehr zu Gott etc. Wieweit Honorius Johannes verstanden hat, ist wie vieles bei diesem Autor umstritten. So ist ihm vielleicht auch gar nicht bewußt geworden, welche heterodoxen Züge dieser Spiritualismus trägt. So sah er wohl auch keinen entscheidenden Gegensatz zwischen einer vernunftgeleiteten Theologie und seiner symbolistischen Deutung von Bibel und Natur im Stile Ruperts von Deutz, auch wenn er wie dieser heidnisches Gedankengut strikt ablehnt. Die eriugenianische Lehre der Theophanie erreicht allerdings Deutschland im 12. Jh. auch auf einem anderen Wege, den Sturlese nur am Rande und in anderem Zusammenhang erwähnt (Sturlese 1993, S. 301). Hugo von St. Victor hat eine Auslegung der ‚Himmlischen Hierarchie‘ des PseudoDionysius Eriugena verfaßt, die sich redlich bemüht, dessen Neoplatonismus in christliche, augustinische Bahnen zurückzuleiten, und überhaupt viel selbständiger mit ihm umgeht als Honorius. Obwohl die Schrift nicht zu den bestüberlieferten von Hugo gehört, ist sie mit der ersten großen Welle der Verbreitung seines Œuvre auch nach Osten gelangt. Die große Überlieferungsstudie von Rudolf Goy hat Hugo als einen der meistverbreiteten geistlichen Autoren des 12. Jh. erwiesen und insbesondere gezeigt, daß dabei der südostdeutsche Raum (Österreich und Bayern) nach Nordfrankreich den wichtigsten Schwerpunkt der Tradition darstellt, d.h.

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im großen und ganzen derselbe Raum, der auch Schriften der Frühscholastiker Abaelard, Gilbert von Poitiers u.a. am bereitwilligsten außerhalb Frankreichs aufgenommen hat (Goy 1976, S. 532–541; Ergänzungen bei Egger 2009; f Träger und Modalitäten des Austauschs. Kap. 2.4). Man hat das mit der Klosterreform in Zusammenhang gebracht, ohne damit m.E. eine wirklich befriedigende Erklärung zu liefern, schon gar nicht für den Umstand, warum die größte Rolle für die Überlieferung der Schriften Hugos nicht die Augustiner Chorherren, sondern die Benediktiner und danach die Zisterzienser gespielt haben. Gilbert von Poitiers, selbst unter dem Verdacht der Heterodoxie, greift in einer seiner Schriften einen unbekannten Deutschen scharf an, der die Rückkehr aller Auferstandenen in Gott gelehrt habe. Das ist eindeutig eriugenianisches Gut, aber so weder bei Honorius noch bei einem anderen deutschen Autor von der Forschung nachgewiesen. Sturlese hält deshalb aber das Zeugnis Gilberts für noch bemerkenswerter. „Es beweist nämlich nicht nur, in welch miserablem Ruf die geistigen Produkte aus Deutschland bei den hochgebildeten französischen Dialektikern standen, sondern liefert auch die Bestätigung dafür, daß der Eriugenismus in Deutschland weit tiefer eingedrungen war, als man bisher annahm“ (Sturlese 1993, S. 145). Wenn es nun gleichwohl deutsche ‚Porretaner‘, also Anhänger Gilberts von Poitiers, gab, sollte man dieses Phänomen nicht überschätzen, auch wenn es in Deutschland für einiges Aufsehen sorgte, wie bei der Besprechung Gerhochs vermerkt wurde. Bekannt sind nur die Namen Hugo von Honau und Petrus von Wien, die bei Gilbert in Chartres und/oder Paris studiert hatten und in ihren wenigen erhaltenen Schriften sich seines dialektischen Verfahrens bedienen, allerdings ausschließlich zu theologischen Zwecken und – insbesondere Hugo – unter Einbeziehung der griechischen Patristik. Die Gruppe dieser deutschen „Porretaner“ ist sehr klein im Vergleich mit der raschen und massiven Übernahme vieler Schriften der französischen moderni magistri nach Deutschland (vgl. Weisweiler 1936; Classen 1983). Auch noch in Frankreich geschrieben dürfte die nach der ersten aufgefundenen Handschrift sogenannten ‚Summa Zwettlensis‘ und der Autor daher im Text auch Petrus Pictavensis (= von Poitiers) genannt worden sein, obwohl dieser höchstwahrscheinlich mit dem gut belegten Gegner Gerhochs und Freund Hugos von Honau, Petrus Wiennensis (= von Wien), identisch ist, der 1183 im Kloster Zwettl starb. Im Zentrum dieser Schrift, welche der Herausgeber für das beste systematische Werk der Porretanerschule, vermutlich zusammengestellt nach Gilberts mündlicher Lehre, hält, steht die oben zitierte Trinitätserklärung Gilberts. Zu ihrer

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Grundlegung legt Petrus zuerst ausführliche semantische Definitionen der griechischen und lateinischen Wörter für Sein, Seiendes, Wesenheit, Eigenschaft, Einheit, Verschiedenheit, Natur, Person etc. vor. Besonders wichtig ist ihm die strenge Unterscheidung nicht nur von Natur und Person, sondern auch von Natur und persönlicher Eigenschaft (proprietas). Die Proprietäten des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes bezeichnen jeweils Beziehungen der drei Personen zueinander. In ihrer Unübertragbarkeit begründen diese Proprietäten drei Personen, die dennoch in der einen göttlichen Substanz zusammenfallen. Im natürlichen Bereich sind dagegen drei Personen auch drei verschiedene Substanzen (Knapp, LG I, S. 169). Kein Wunder, daß Gerhoch dagegen ebenso polemisierte wie gegen Gilbert selbst. Da Petrus in Deutschland dann um die Anerkennung hoher kirchlicher Würdenträger warb, suchte er die Stützung durch theologische Autoritäten, und dazu schienen ihm in besonderem Maße die griechischen Kirchväter geeignet, weshalb er direkt und indirekt (über Hugo von Honau) mit Gelehrten in Byzanz in Kontakt trat. Jedenfalls stand er gegen Gerhoch an Aggressivität nicht zurück und bezichtigte ihn wegen seiner Verehrung des Fleisches Christi der Götzenanbetung, wie Gerhoch selbst in einem Brief sagt (Sturlese 1993, S. 146).

3.4 Otto von Freising Von Petrus von Wien ist nur ein Brief, nämlich einer an Otto von Freising erhalten. Als Kaplan der Babenberger stand er mit dem Babenberger Otto, Bischof von Freising von 1138 bis zu seinem Tod 1158, in Verbindung, vielleicht aber auch schon seit seinem Studium in Frankreich, denn um 1127 weilte auch Otto an einer Pariser Schule und dann vermutlich bei Gilbert in Chartres, ehe er 1133 in Morimond in den Zisterzienserorden eintrat. Damit wechselte er aber nicht einfach ins Lager des Antidialektikers Bernhard von Clairvaux, sondern wog dann in seinem zweiten, 1157 begonnenen Hauptwerk, den ‚Gesta Frederici‘, bei der Behandlung der gegen Gilbert erhobenen Vorwürfe Argumente und Gegenargumente vorsichtig ab. Gilbert hatte sich ja in dem gegen ihn angestrengten Prozeß geschickt verteidigt und schließlich auch den päpstlichen Spruch, die theologische Unterscheidung zwischen Natur und Person und die zwischen Gott und der divina essentia seien unzulässig (Otto von Freising, ‚Gesta Frederici‘ I,62, Ausg. Schmale, S. 260), akzeptiert. Otto läßt es offen, ob die Verurteilung vermieden wurde, weil Bernhard hier in seiner Anklage übers Ziel geschossen oder weil Gilbert seine wahre Ansicht verschleiert habe

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(ebd.). Er stellt Gilberts gesamte Trinitätslehre ausführlich dar, enthält sich aber eines Urteils (‚Gesta‘ I,55f.). Er billigt ihm tiefste Gelehrsamkeit zu, die freilich sehr schwer zu verstehen gewesen sei, verteidigt ihn aber gegen den Vorwurf des geistigen Hochmuts, dem hingegen Abaelard bisweilen verfallen sei. Bernhard andererseits gilt ihm als religiöser Eiferer, der der menschlichen Vernunft mißtraute und überall Häresie witterte. Ottos Kaplan und Fortsetzer der ‚Gesta Frederici‘ nach Ottos Tod, Rahewin, stellt fest, Otto, ein ungewöhnlich gebildeter Mann, habe nahezu als erster die subtilitas des gesamten aristotelischen Organon nach Deutschland gebracht (Rahewin, ‚Gesta Frederici‘ IV,14, Ausg. Schmale, S. 538). Otto nennt die Schriften auch in seinem ersten Geschichtswerk, der ‚Historia de duabus civitatibus‘ (II,8) von 1146, und zitiert mehrfach aus ihnen (nach Schmidlin 1905, S. 172, durch direkte, nicht über Frankreich vermittelte Bekanntschaft mit der Übersetzung von Jacobus Venetianus). Platon aber schätzt er wegen seiner erstaunlichen metaphysischen Einsichten. Ihm habe nur die göttliche Offenbarung gefehlt. Was menschlicher Verstand von der göttlichen Natur ergründen könne, habe er ergründet (Otto von Freising, ‚Historia‘ II,8, Ausg. Lammers, S. 122). Diese wohlwollende Einstellung gegenüber den heidnischen Philosophen wird Otto wohl aus Frankreich mitgebracht haben. Weder Platon noch Aristoteles haben jedoch eine Geschichtsphilosophie entwickelt. Hier ist Otto natürlich in erster Linie Augustinus verpflichtet. Daß für die ‚Gesta Frederici‘ auch Boethius’ ‚De consolatione philosophiae‘ große Bedeutung besaß, hat Pickering (1967/76) m.E. nachgewiesen, damit aber in der einschlägigen Forschung und so auch bei Sturlese (1993) offenbar keinen Eindruck hinterlassen. Immerhin verweist Wöhler (2006, S. 77) auf Ottos Radsymbolik „als einer Metapher für die Unaufhörlichkeit des Wechsels zwischen Glück und Umglück im Verlauf eines zyklischen Prozesses“ (nach Otto, ‚Historia‘ II,50, Ausg. Schmale, S. 202; V,36, Ausg. Schmale, S. 426–428; Rahewin, ‚Gesta‘ III,49, Ausg. Lammers, S. 492). Auch sonst gehen die Meinungen über Ottos Geschichtsphilosophie ziemlich weit auseinander. Man hat ihm überhaupt jegliche philosophischtheologische Originalität abgesprochen (Brezzi 1939), ihn als asketischpessimistischen Symbolisten verstanden (Rauh 1979), aber auch als rationalistischen Philosophen (Schmidlin 1905; Koch 1973). Sturlese (1993) neigt zu einer ausgleichenden Beurteilung, hält Ottos philosophische Überlegungen nur für Entwürfe, wenngleich bedeutende, und für bloße Beigaben zu einer im wesentlichen heilsgeschichtlich-symbolistisch geprägten Geschichtsschreibung.

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Wenn wir mit Sturlese (1993, S. 178) „nach den Spuren suchen, die sein Studium in Frankreich in seinem erfolgreichen Œuvre (von der ‚Historia‘ sind 46 Handschriften bekannt, von den ‚Gesta‘ 13) hinterließ“, so finden wir sie vornehmlich in Exkursen und in den Berichten über die Prozesse gegen Abaelard und Gilbert von Poitiers. Im unmittelbarsten Bezug auf die Idee der Geschichtlichkeit des Menschen tauchen diese Spuren in ‚Gesta Frederici‘ I,5 auf, wo es sich der Autor ausdrücklich gestattet, „ein wenig zu philosophieren“ (paulisper philosophari). Mit Koch (1973) sieht auch Sturlese dort die geschichtsphilosophischen Kernaussagen. Ottos Anthropologie sei ganz auf den rationalistischen Argumenten der französischen Frühscholastiker aufgebaut. Der Mensch sei etwas Geborenes, Gewordenes, daher nichts Ewiges, Einfaches, Unvergängliches etc. Er vereinige etliche wesentliche Formen und viele akzidentielle, entstehende und vergehende Formen (vgl. auch Wöhler 2006, S. 75–77). An dieser Stelle beruft sich aber Otto plötzlich auf das ‚Corpus Hippocraticum‘, also medizinisches Wissen aus der Schule von Salerno: „Daher haben diejenigen, die solche Veränderlichkeit der Natur und des Verweilens betrachten, zutreffend gesagt: Besser zur Höhe als auf der Höhe, denn wenn es nichts mehr gibt, wohin man weiterwachsen kann, ist es notwendig abzunehmen“ (Otto von Freising, ‚Gesta‘ I,5, Ausg. Schmale, S. 140: Bene ergo a tam mutabilitatem nature quam more considerantibus dictum est: melius est ad summum quam in summo, quia, cum amplius, quo crescat, non habeat, descrescere necesse est – Übers. nach Adolf Schmidt). Sturlese (1993, S. 175) spricht hier von einem „Gesetz der Lebenskurve“ und hält es für das Fundament des Gesamtwerks. Ob dafür Otto den gesamten scholastischen Begriffsapparat gebraucht hätte? Umgekehrt haben die moderni magistri herzlich wenig für Geschichtsschreibung übrig. Historisches Denken ist vielmehr in aller Regel mit monastischer Theologie verbunden (vgl. Leinsle 1995, S. 105). So erhält auch für den Freisinger Bischof seine historiographische Darstellung der „Veränderlichkeit der irdischen Welt“ (und des „Reichs“ im besonderen) ihre letzte Rechtfertigung aus dem theologisch Gegensatz zur notwendig vorausgesetzten regni caelestis immutabilitas (Otto von Freising, ‚Historia‘ V,36, Ausg. Lammers, S. 428). Otto kann also trotz aller Anleihen bei der Frühscholastik kaum als Zeuge massiven französischen Einflusses verbucht werden.

Deutsche Populärwissenschaft

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3.5 Deutsche Populärwissenschaft Die monastische Theologie verzeichnete in Deutschland neben und nach Rupert von Deutz und Gerhoch von Reichersberg durchaus eine Reihe beachtlicher Denker, die jedoch kaum Berührungen mit der scholastischen Philosophie aufweisen. Dort, wo sie hätte ihren Platz finden können, an den deutschen Domschulen, sank das Niveau seit dem 11. Jh. kontinuierlich und „verlief die Scholastik im Sande“ (Sturlese 1993, S. 189). Nicht daß sie unter den Mönchen ganz unbekannt gewesen wäre. Doch die Kenntnis der Dialektik wird bestenfalls als Verteidigungswaffe empfohlen, wie etwa von Wibald, Abt von Stablo und Corvey (gest. 1158), der auch Anselm von Laon, Wilhelm von Champeaux, Alberich von Reims und Hugo von St. Victor zu kennen behauptet (ebd., S. 204). Wenn unter den Quellen der bebilderten populärwissenschaftlichen Enzyklopädie für das Benediktinerinnenkloster Hohenburg im Elsaß, des ‚Hortus deliciarum‘ von ca. 1180/90, auch über 200 Exzerpte aus den ‚Sentenzen‘ des berühmten Pariser Lehrers Petrus Lombardus stammen, so nicht um Einblick in die scholastische Methode der Entscheidung zwischen widersprechenden Autoritäten zu erhalten, sondern nur um sakramenttheologisches Wissen zu vermitteln. Eher Populärwissenschaft liefert auch Gottfried von Viterbo (um 1125 – nach 1190), Kaplan und Notar der Staufer. Seine verschiedenen Werke stehen in einem komplizierten Verhältnis zu einander. Sie scheinen alle im Grunde nur Fassungen ein und desselben Werkes zu sein, einer prosimetrischen Weltchronik mit zahlreichen enzyklopädischen Einsprengseln. Doch Sturlese (1993, S. 240–244) hat als erster darin auch Einflüsse des Chartrenser Gelehrten Wilhelm von Conches entdeckt (zur Bedeutung der neuplatonischen Gedanken des Macrobius für Wilhelm vgl. Hüttig 1990, S. 94–106). Wilhelm von Conches (um 1080 – um 1154), lehrte seit 1120 an der Kathedralschule von Chartres, stellte die platonistische Naturphilosophie in den Mittelpunkt seines Interesses und faßte sie systematisch in seiner um 1124 entstandenen ‚Philosophia mundi‘ zusammen. Gott erscheint darin als Schöpfer eines von Anfang an geordneten Kosmos und der natura operans, durch deren Wirken der Kosmos sich nach eigenen Gesetzen entfaltet und entwickelt. Die erste Ordnung bestehe in der Setzung der vier Elemente. Die Vorstellung ist eine grundsätzlich mechanistische. Das Werk der Natur bringe immer nur Gleiches aus Gleichem hervor (vgl. Gregory 1955; Ernst 1998). Sturlese weist nun Reflexe dieser Gedanken in den poetischen Teilen des ‚Pantheon‘ Gottfrieds von Viterbo (bzw. von dessen früherer Fassung unter dem Titel ‚Memoria saeculorum‘ von 1185) nach, die sogar wörtliche Zitate sein können, z.B. die

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Verwendung des Ausdrucks elementatum „aus Elementen zusammengesetzt“. Wieweit Gottfrieds Formulierungen Wilhelms Intentionen wirklich entsprechen, wäre aber noch im Einzelfall zu prüfen. Die Versfassung verunklärt die Sache auch etwas, vielleicht aus Angst vor Angriffen. Die jeweils beigeordnete Prosaerklärung ist hingegen nur ganz beschränkt eine solche, denn hier verläßt Gottfried seine philosophische Grundlage und greift auf das populärwissenschaftliche ‚Elucidarium‘ des Honorius (s.o.) und in der Endredaktion (um 1190) auch noch auf psychologische und medizinische Schriften der salernitanischen Schule (welche allerdings teilweise auch schon von Wilhelm benutzt wurden) zurück. Gottfried hatte ja vor 1140 einen Studienaufenthalt in Salerno absolviert. Warum er dann ausgerechnet in einer so späten Arbeitsphase darauf so massiv zurückgreift, während die Entlehnungen aus Wilhelms Werken „Zeugnisse einer frühen spekulativen Arbeitsphase“ seien, sagt Sturlese aber nicht. Jedenfalls spielt die Ausrichtung auf ein fürstliches Laienpublikum gewiß eine Rolle. Hauptadressat ist Kaiser Heinrich VI. Da schien wohl doch Honorius als theologischer Gewährsmann besser geeignet. Gleichwohl muß uns Gottfried von Viterbo als Zeuge für die Rezeption des Chartrenser Platonismus in Deutschland im 12. Jh. wertvoll sein. Er ist freilich nicht der einzige. Schon 1149 wird Wilhelm von Conches in einem Brief des Scholastikers Manegold von Paderborn an Wibald von Stablo erwähnt. Ausführlich zu Wort kommt er schließlich im deutschen ‚Lucidarius‘, was am meisten wundernehmen muß, da dieser im letzten Drittel des 12. Jh. im deutschen Südwesten in der Volkssprache, also offensichtlich nicht für Gelehrte abgefaßt wurde. Der Name, die Dialogform und Teile des Wortlauts gehen zwar auf das ‚Elucidarium‘ des Honorius Augustodunensis (s.o.) zurück, doch übersetzen oder resümieren nur das dritte Buch und kleinere Teile des ersten Buchs Partien dieses lateinischen Werkes, während sonst andere Quellen herangezogen werden, ‚Imago mundi‘ und ‚Gemma animae‘ des Honorius, ‚De divinis officiis‘ Ruperts von Deutz und eben die ‚Philosophia mundi‘ Wilhelms von Conches. Der oder die Autoren des deutschen Prosawerks haben den weitgehend rein theologischen Gehalt des ‚Elucidarium‘ in Buch I zugunsten der Kosmologie zurückgedrängt. Hier finden dann auch die Zitate aus der ‚Philosophia mundi‘ Platz. Sie entstammen den Themenbereichen: Bewegungen des Himmels und der Planeten, himmlische Mittelwesen (cacodemones), Weltei, Elemente des Himmels, Meer und Gezeiten, Antipoden, Sonnenbahn, Planeten und Sterne, Mond, Kometen, Sonnenfinsternis, Meteorologie, Brunnen, Beschaffenheit des Menschen, Zeugung und Geburt, Gehirn (Sturlese 1993, S. 253).

Deutsche Populärwissenschaft

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Es läßt sich keinerlei Reserve gegenüber den rein rationalen Argumenten des Chartrensers erkennen, obwohl sie von Anfang an im einzelnen (wie etwa die Antipodenlehre) wie schon insgesamt in ihrem methodischen Anspruch durchaus umstritten waren. Bei Bernhard von Clairvaux kamen sie nicht besser an als die Dialektik Abaelards und Gilberts. Bernhards Freund, der Zisterzienser Wilhelm von Thierry (1085/90–1148/49), schrieb zur Widerlegung einen eigenen Traktat. Aber auch unter den Victorinern regte sich Widerspruch (Sturlese 1993, S. 256). Im ‚Lucidarius‘ wird Wilhelms Verfahren dagegen sogar gelegentlich selbständig und auch unter Heranziehung anderer naturwissenschaftlicher Quellen weiterverfolgt. Sturlese ist davon so begeistert, daß er mit dem ‚Lucidarius‘ „eine neue Epoche der deutschen Geistesgeschichte“ beginnen läßt (ebd., S. 262). Es sollte aber nicht vergessen werden, daß das Buch insgesamt doch im wesentlichen ein ganz konservatives theologisches Kompendium ist. Vielleicht hat die erstaunliche Freiheit naturwissenschaftlichen Denkens sogar etwas mit dem volkssprachigen Medium zu tun, das der klerikalen Kritik weiter entrückt war. Das Argument fiele allerdings dahin, wenn sich dasselbe Denken in einem der von Sturlese (1993, S. 263) aufgezählten lateinischen naturwissenschaftlichen Schriften finden ließe, die im 12. Jh. vermutlich in Deutschland entstanden, aber noch nicht ediert sind. Zudem wissen wir über die Genese des ‚Lucidarius‘ im Grunde nichts, seit sich der Prolog, der das Werk den Hofkapellänen Heinrichs des Löwen zuschreibt, als Zutat eines späteren Redaktors herausgestellt hat. Die Wirkung des Werks war jedenfalls außerordentlich. 68 Handschriften und 80 Drucke sind erhalten. Im Osten und Norden wurden fremdsprachige Übersetzungen angefertigt. Wilhelms Platonismus und salernitanische Medizin scheinen das Äußerste, was an naturwissenschaftlichen Neuerungen bis 1200 trotz monastischer Skepsis in Deutschland Befürworter finden konnte. Der nächste Schub, der v.a. durch die lateinischen Übersetzungen der arabischen Traktate zu Philosophie und Naturwissenschaft (aus Spanien und Italien), insbesondere des großen Aristoteles-Kommentars von Averroes, in Frankreich ausgelöst wurde, erreichte den Osten mit jahrzehntelanger Verzögerung. Die erhaltenen mittelalterlichen Bibliothekskataloge zeigen einen ganz geringen Bestand des 12. und 13. Jh. an aristotelischen Schriften aus den Bereichen der ars nova (obwohl sie ja schon von Otto von Freising herübergebracht wurden), der Metaphysik, der Physik und der übrigen Naturwissenschaft (Sturlese 1993, S. 279–283). In Paris war man sich dagegen des enormen intellektuellen Vorsprunges wohl bewußt. Aristoteles war hier nun „der Philosoph“ schlechthin. Das rief sogleich auch Spott

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hervor. Henri d’Andeli, der mit dem Pariser Universitätsmilieu vertraut war und für dieses Milieu auch einen afrz. Nekrolog auf den Kanzler von Notre Dame 1236 verfaßt hat, zeigt in seinem afrz. ‚Lai d’Aristote‘ (vor 1225?) den weisesten Philosophen als lächerlichen Minnesklaven. Wenig später wurde auch eine mhd. Fassung der kleinen Erzählung angefertigt (f VI A Höfisch-galante Erzählungen, Kap. 2.5).

3.6 Naturwissenschaft und ihre geistliche Applikation Ausführliche Kenntnis des neuen lat. Corpus Aristotelicum in Deutschland beweist erstmals das Florilegium eines gewissen Arnoldus Saxo. Der sonst nicht bekannte Niedersachse Arnold trug hier im zweiten Drittel des 13. Jh. über 1400 einzelne Textauszüge aus ca. 80 Schriften zusammen und teilte sie in fünf Bücher. Die Themen sind in Buch I Metaphysik, Kosmologie, Astronomie, Elementenlehre, Botanik, Meteorologie, Geographie, Mineralogie, in II Physiologie des Menschen, der Vierfüßler, Vögel, Fische und Reptilien, in III die Kräfte des Menschen, der Tiere, Pfanzen und Steine, in IV Mineralogie, in V Ethik (Worstbrock 1978). Jedem Buch steht als eigene Zutat ein Prolog voran. Das Erstaunliche an dem ansonsten rein kompilatorischen Werk ist die Auswahl der Quellen. Es fehlen Bibel, Bibelkommentare und Patristik vollkommen. Es erscheinen nur antike und mittelalterliche Autoren, die Arnold als philosophi einschätzte, von Platon und Aristoteles bis zu den Arabern Algazel, Avicenna u.a. Sturleses Inhaltsanalyse ausgewählter Stellen läßt den Willen erkennen, in systematischer Ordnung ein platonisch-aristotelisches Weltbild (möglichst unter Ausschluß der Widersprüche zwischen diesen beiden) entstehen zu lassen. Dabei ergeben sich Parallelen auch zu den Chartrensern, ohne daß diese zitiert würden (Sturlese 1993, S. 287–290). Der Rezeption der ‚Nikomachischen Ethik‘ trägt Arnold schließlich noch zum Abschluß mit einem kleinen Traktat aus moralphilosophischen Zitaten Rechnung. Neben Aristoteles werden hier aber auch ausführlich Cicero und Seneca zitiert. Damit schließt Arnold unmittelbar an die Tradition an, die v.a. durch den weitverbreiteten Traktat ‚Moralium dogma philosophorum‘ (ca. hundert Hss. und Drucke!) repräsentiert wird. Dieser ist ein systematisches Florileg aus heidnisch-antiken Autoren, allen voran Cicero und Seneca. Aristoteles fehlt selbstverständlich, denn der Text stammt noch aus der Mitte oder dem dritten Viertel des 12. Jh. Es finden sich darin aber auch keine Spuren des chartrenser Neuplatonismus, so daß die früher übliche Zuschreibung des Textes an Wilhelm von Conches

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schon von daher unwahrscheinlich ist. Der Traktat ist aber jedenfalls der humanistischen Richtung des nordfranzösischen Schulbetriebs des 12. Jh. verpflichtet. In unseren Zusammenhang gehört er, weil der Traktat eine volkssprachliche Bearbeitung erfahren hat. 1170/80 hat der oldenburgische, also niederdeutsche Kleriker Wernher von Elmendorf/Elmendorpe ein Lehrgedicht in mitteldeutschen Reimpaarversen verfaßt, das das ‚Moralium dogma philosophorum‘ zugrunde legte, jedoch recht frei damit verfuhr. Es geht zwar immer noch um laikale Tugend (unter Einschluß der Frömmigkeit). Doch einzelne praktische Anweisungen zur Gerechtigkeit, Freigebigkeit, Kriegführung etc. ersetzen die ethische Systematik der Quelle (vgl. Bumke 1999). Das (unvollständig überlieferte) mitteldeutsche Gedicht hat keinerlei Nachfolge gefunden. Daß Sturlese sowohl den lat. wie den dt. Text nur am Rande erwähnt (Sturlese 1993, S. 249 u. 292), erscheint berechtigt durch den durchaus unselbständigen, pseudoantiken Charakter des ‚Moralium dogma philosophorum‘ und die Unzulänglichkeit der dt. Bearbeitung. Für GLMF werden die Texte erst wirklich bedeutend durch die spätere afrz. und die daraus abgeleitete mittelfränkische Fassung (f VI C ‚Moralium dogma philosophorum‘). Arnoldus Saxo wird wie Wernher ein Niedersachse gewesen sein. Der Beiname weist aber eher darauf hin, daß er außerhalb Niedersachsens tätig war. Wo hat er das Florileg angelegt? Sturlese weist auf das große Übergewicht deutscher Handschriften und das älteste Zitat aus dem Werk in ‚De proprietatibus rerum‘ von Bartholomäus Anglicus, das am Anfang der vierziger Jahre des 13. Jh. in Magdeburg abgefaßt wurde, schließlich auf die Benutzung durch Albert den Großen hin (Sturlese 1993, S. 294f.). Doch Bartholomäus kam 1231aus Paris nach Magdeburg. Kann er nicht da das Florileg, das der Niedersachse vielleicht schon in Frankreich eben zusammengestellt hatte, zur Abschrift mitgebracht haben? Woher hätte jemand in Deutschland die achtzig zitierten Bücher nehmen sollen? Sturlese sieht das Problem, glaubt es aber durch Verweis auf den Mangel an uns erhaltenen bildungsgeschichtlichen Quellen beiseite schieben zu können. Für Bartholomäus selbst geht auch Sturlese von einer weiterbestehenden Verbindung nach Paris aus, die durch das Netz der Bettelordensgemeinschaften gewährleistet wurde (Sturlese 1993, S. 300). Die von ihm benützten neuesten Übersetzungen der aristotelischen Schriften und ihrer Kommentare müssen daher auch nicht schon länger vor seiner Ankunft in Magdeburg vorhanden gewesen sein. Die Schrift ‚De proprietatibus rerum‘ selbst wird im folgenden Kapitel (f Enzyklopädie, Kap. 4.5) behandelt. Dort erfahren wir, daß Bartholomäus außer den traditionellen Quellen eine Reihe von zeitgenössischen arabisch-lateinischen philoso-

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phischen und naturwissenschaftlichen Übersetzungen und theologischen Schriften wie die ‚Summa theologiae‘ Alexanders von Hales benützt und im 10. und 11. Buch auf die ‚Philosophia mundi‘ Wilhelms von Conches zurückgegriffen hat. Sturlese hingegen stellt fest, daß Bartholomäus in seinem ‚theoretischen‘ Konzept weit hinter seinem Interesse für moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse im Detail zurückbleibt. Jenes ist in alter Enzyklopädistenmanier auf die Auslegung der Heiligen Schrift ausgerichtet und auf der christlich-platonistischen Lehre des Johannes Eriugena in der Interpretation Hugos von St. Victor aufgebaut, wird aber kaum reflektiert. Es gerät immer wieder hinter der Masse aufgehäuften medizinischen und naturwissenschaftlichen Wissens in Vergessenheit. Aber auch das neue systematische aristotelische Weltbild kann sich bei ihm nicht durchsetzen. Schließlich fügt er noch, wohl nachträglich, aber trotzdem schon für die Erstveröffentlichung als Randnotizen zu etlichen Büchern der Enzyklopädie auch noch allegorische Auslegungen der diversen proprietates hinzu. Allein unter diesem letzten Aspekt wird Bartholomäus auch in den lateinischen Predigten seines Ordensmitbruders Berthold von Regensburg (gest. 1272) herangezogen, darüber hinaus aber auch noch ganz aktuelle Übersetzungen aristotelischer Werke wie der ‚Nikomachischen Ethik‘ von Robert Grosseteste, die erst 1246/47 angefertigt wurde und Bartholomäus noch unbekannt war (Sturlese 1993, S. 320; vgl. überdies Luscombe 2005; die Abhängigkeit Bertholds von Bartholomäus wird bestritten von Meyer 1995). Diese Übersetzung ist insofern von Bedeutung, als sie nicht aus dem Süden Europas wie die allermeisten stammt, sondern von dem anglonormannischen Bischof von Lincoln (1235 bis zu seinem Tod 1253), der in späteren Lebensjahren nach Studien in Paris und Lehrtätigkeit in Oxford Griechisch lernte und eine Reihe verschiedenartigster, überwiegend theologische Texte übertrug. 1229–30 war er auf Einladung des Ordensprovinzials mit der Ausbildung der Franziskaner befaßt und förderte den Orden auch als Bischof (McEvoy 1995). So erklärt sich am einfachsten Bertholds Kenntnis seines Werks. Aber prägenden Charakter haben wissenschaftliche Traktate für die franziskanische Predigt keineswegs. Das große Vorbild sind vielmehr die Kanzelreden und theologischen Erbauungsschriften Bernhards von Clairvaux. Hier fassen wir wohl einen besonders wichtigen gallolateinischen Einfluß auf das lat. Schrifttum Deutschlands überhaupt.

Albertus Magnus

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3.7 Albertus Magnus Im Gegensatz zu den englischen ziehen sich die deutschen Franziskaner aus der höheren und spekulativen Wissenschaft zurück. Diesen geistigen Freiraum füllten die Dominikaner. Sie errichteten sogar 1248 ein Studium generale auf deutschem Boden, und zwar in Köln. Mit der Durchführung dieser außerordentlichen Maßnahme wurde der etwa fünfzigjährige Pariser Universitätslehrer Albert aus Lauingen (in Schwaben) betreut. Studiert hatte er wahrscheinlich in Köln, Padua und Paris. Es folgten Lehrtätigkeiten an mehreren deutschen Partikularstudien, ehe Albert ein zweites Mal, wohl 1240/41, nach Paris kam und dort gemäß den Statuten ordnungsgemäß die Sentenzen las, aber auch etliche gewichtige philosophische und theologische Traktate verfaßte, so daß man ihm die neue, große Aufgabe in seinem Heimatland zutraute. Einer seiner ersten Schüler war hier Thomas von Aquin. Albert vollendete hier seinen Sentenzenkommentar, schrieb dann einen Kommentar zum ‚Corpus Dionysiacum‘, wandte sich aber dann völlig der Philosophie zu und schuf in 15 Jahren einen Kommentar zum ganzen ‚Corpus Aristotelicum‘, beginnend mit dem Kommentar zur ‚Nikomachischen Ethik‘. Erst im Spätwerk begegnen wieder speziell theologische Schriften. Neben seiner umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeit erfüllte er auch zahlreiche seelsorgerische, organisatorische und kirchenpolitische Aufgaben. Er starb über achtzigjährig 1280 in Köln (Fries 1978). Albertus, genannt de Colonia, Theutonicus oder Magnus, ersetzte die arabischen Kommentare wohl aus eigenem Antrieb und auf zumindest partiell originelle Weise, brachte die Idee aber offenbar aus der geistigen Atmosphäre der auf dem Gebiet der Theologie und Philosophie führenden Pariser Universität mit, wo der Aristotelismus in der ersten Hälfte des 13. Jh. Furore machte, nach Deutschland. Auch wenn diese Gedankenwelt im wesentlichen heidnisch-antik (mit islamischen Ingredienzen versehen) gewesen ist, war sie in Paris doch Bestandteil der abendländischen geworden. Insofern scheint es nicht übertrieben, in Albertus Magnus den wichtigsten Vermittler westlichen philosophischen Einflusses zu sehen, auch wenn eine Überblicksdarstellung wie die von Craemer-Ruegenberg (1980) wenig davon ahnen läßt. Und auch Sturlese betont vor allem Alberts Eigenständigkeit und epochale Bedeutung für eine Art Unabhängigkeitserklärung der rationalen Philosophie. Behutsam arbeitet er die Kerngedanken der Schriften ‚De anima‘, ‚De natura et origine animae‘, ‚De homine‘, ‚De intellectu et intelligibili‘ heraus (Sturlese 1993, S. 350–377): Die menschliche Seele besteht

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aus der vom Körper abhängigen vegetativen und sensitiven Seele und der unabhängigen Vernunftseele, die durch Emanation der ersten Vernunft, der Ersten Ursache, also Gott, eingeflößt wird. Das geht über die biblische Lehre von der Schöpfung des Abbildes Gottes hinaus. Denn die individuelle Vernunft hat damit Anteil an der allgemeinen Vernunft, so daß „das Allgemeine, das in meiner und deiner Seele gedacht wird, das gleiche ist“ (Albert, ‚De anima‘ III,2,13, zit. nach Sturlese 1993, S. 371: idem intellectum universale est in anima mea et in anima tua). Damit scheint eine Harmonisierung von Platon, Aristoteles, Augustinus und Averroes möglich. Sturlese sieht aber den entscheidenden Fortschritt in Alberts Gedanken, „den Grund der menschlichen Natur in einem natürlichen Prinzip (der Vernunft) zu verankern“ (Sturlese 1993, S. 385). Albert sucht wie alle Zunftgenossen seiner Zeit nach einer Lösung in dem elementaren Konflikt zwischen Theologie und Philosophie. Sie läuft bei ihm aber weder auf eine Einvernahme der (aristotelischen) Philosophie durch die Einheitswissenschaft Theologie (wie bei Bonaventura) noch auf eine gegen die Theologie gleichsam immunisierte Autonomie der Philosophie (wie im radikalen Pariser Aristotelismus) hinaus (vgl. Van Steenberghen 1977), sondern geht – nach Honnefelder (2005, S. 266–270) – von einer neuplatonischen Deutung des Seins als der von Gott zuerst und unmittelbar geschaffenen Wirkung aus. Gott tritt also in der Metaphysik, der Ersten Philosophie, nicht als Gegenstand, sondern als dessen Ursache auf. Eine ähnliche ‚offene‘ und daher letztlich doch prekäre Synthese gelingt bei der Ethik, wenn Albert zwischen einer durch eigenes Denken und Handeln erreichbaren Tugend und einer durch göttliche Gnade eingegossenen Tugend unterscheidet. Bei dem daraus entwickelten Gedanken einer autonomen philosophischen Ethik bezieht sich Honnefelder (2005, S. 270–273) einmal auch kurz auf Sturlese (1993), sonst aber nirgends, was dem Fachfremden die Gefahr bewußtmacht, in dieser speziellen Materie auch einmal auf einen mit scheinbar triftigen Argumenten gepflasterten Irrweg zu geraten. Ein Irrweg wäre es jedenfalls, diese originellen Gedanken als deutsch einzustufen, ebensowenig wie den heterodoxen Aristotelismus des Siger von Brabant und des Boethius von Dacien (Dänemark) als französisch. Aber die beiden Denker ausländischer Herkunft haben ihre Gedanken gänzlich aus der Geisteswelt der Pariser Universität heraus entwickelt, während Albert sich davon wohl nicht nur räumlich ein wenig entfernt hat.

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3.8 Der deutsche Sonderweg ab dem Ende des 13. Jahrhunderts Viel weiter weg führt dann jedoch der ‚Sonderweg‘ der deutschen Philosophie, die deutsche Mystik. Sie radikalisiert die Pariser philosophischen Ansätze in ganz anderer Richtung und baut die Idee der Göttlichkeit und Ungeschaffenheit der menschlichen Seele aus. Ein wichtiger Wegbereiter dafür ist Dietrich von Freiberg, bezeugt um 1275 als Lesemeister des Dominikanerklosters Freiberg in Sachsen und Student der Theologie an der Universität von Paris, 1297 als Magister theologiae daselbst. Er war dann wohl überwiegend in Deutschland tätig und starb um 1318/20. Er kam aus dem geistigen Umkreis Alberts des Großen, der ja, wie wir gesehen haben, einiges mit den radikalen Aristotelikern gemein hatte. Dietrichs Affinität zu ihnen war offenbar noch größer, doch ging er mit seiner These der Subjektivität des menschlichen Erkenntnisprozesses ganz eigene, modern anmutende Wege, denn er nahm an, „der menschliche Intellekt konstituiere die Wesensstruktur der Dinge“ (Flasch 1986, S. 397). Wir verfolgen die spannende Entwicklung hier nicht weiter, da die Entstehung von Dietrichs wichtigsten Werken erst nach 1300, also jenseits unseres Betrachtungszeitraumes entstanden sein dürften, ebenso wie die seines weit berühmteren Ordensmitbruders Eckhart von Hohenheim (um 1260–1328), der ebenfalls mehrfach nach Paris entsandt wurde, um dort zu studieren und zu lehren. Wieweit die deutsche Mystik von Pariser akademischen Diskussionen geprägt ist, überlassen wir den Fachleuten zu entscheiden. Irgendwie mit der Universität Paris scheint aber jeder deutscher Philosoph des 13. Jh. verbunden gewesen zu sein, und so hat denn dieses hiermit abgeschlossene behelfsmäßige Kapitel auch in unserem Band seinen rechten Platz.

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Einleitung: Stand der Forschung, Gattungsgeschichte

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4 Enzyklopädie von Iolanda Ventura 4.1 Einleitung: Stand der Forschung, Gattungsgeschichte (12. und 13. Jahrhundert) und Gattungsdefinition – 4.2 Die enzyklopädische Literatur Frankreichs im 12. Jahrhundert – 4.3 Das goldene Zeitalter der mittelalterlichen Enzyklopädie in Frankreich (13. Jahrhundert) – 4.4 Thomas von Cantimpré, ‚De natura rerum‘: lateinische und volkssprachliche Fassungen – 4.5 Bartholomaeus Anglicus, ‚De proprietatibus rerum‘: lateinische und volkssprachliche Fassungen

4.1 Einleitung: Stand der Forschung, Gattungsgeschichte (12. und 13. Jahrhundert) und Gattungsdefinition In den letzten Jahrzehnten sind die mittelalterlichen Enzyklopädien in den Blickpunkt der Forschung gerückt. Tagungen zum Thema und die parallelen, den frühneuzeitlichen Enzyklopädien gewidmeten Initiativen zeigen das Interesse der Forscher für diese Gattung und den Willen, die chronologischen Grenzen des Mittelalters und die sprachlichen Grenzen des Lateinischen zu überwinden. Sie können als Versuch gelten, eine allgemeine Geschichte der enzyklopädischen Literatur und des Enzyklopädismus zu schreiben und die Mechanismen des Wissenstransfers in enzyklopädischer Form durch die Epochen und die sprachlichen und kulturellen Kontexte zu erforschen. Besondere Projekte, Sonderforschungsbereiche und Forschungsinstitute (Münster in Westfalen, Eichstätt/Würzburg, Nancy, Louvain etc.) haben Netzwerke von Forschern ins Leben gerufen und umfangreiche Analysen und/oder Editionen initiiert (Ribémont/Meyer/Van den Abeele 1999; Ventura 2010 u. 2012 – s.u.). Wurden die lateinischen und volkssprachlichen Enzyklopädien des Mittelalters im 19. Jahrhundert und im ersten Teil des 20. lediglich als unkritische Wissenskompilationen und bloße Zusammenstellungen von Exzerpten aus der ‚echten‘ naturwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Literatur betrachtet (De Boüard 1930), werden sie heutzutage anerkannt als Zeugnisse der Verbreitung und Rezeption der mittel-

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alterlichen Naturwissenschaft und Philosophie und ihrer Fortschritte (wobei der Bereich der Theologie noch auf tiefgreifende Studien wartet), als auf einer festen Struktur und Auffassung der Welt und der Wissenschaft aufgebaute Texte, welche sowohl für die Anpassung des Wissens an die Bedürfnisse nichtspezialisierter Leser („vulgarisation du savoir“) als auch für die Behandlung problematischer Wissensbereiche geeignet sind. Zahlreiche Studien hat Christel Meier einer ‚Epistemologie der enzyklopädischen Gattung‘ gewidmet. Infolge ihrer Pionierstudie von 1984 (Meier 1984), in der sie für eine neue, positive Bewertung der Gattung aufgrund ihrer Funktion als Wissensvermittlerin plädierte und Hauptmerkmale der Texte auflistete (Quellen, äußere Formen und Strukturen, Sprachen, Auswahl und Zusammenstellung der Wissensbereiche, paratextuelle Elemente wie Illustrationscorpora), welche man im Rahmen einer neuen Erforschung und Bewertung der mittelalterlichen Enzyklopädien als privilegierte Formen des mittelalterlichen Wissenstransfers betrachten sollte, konzentrierte sie sich bei späteren Essays auf die Definition der enzyklopädischen Gattung als Texttypus, der ein Streben nach Universalgelehrsamkeit mit einer pragmatischen Funktion als Hilfsmittel in unterschiedlichen Formen kombinierte, und sich hauptsächlich als Mittel, eine komplette Reproduktion des Universums (‚Weltbuch‘) und einen ‚Bibliotheksersatz‘ zu bieten, durchsetzte (Meier 1988; 1992; 1995; 1996; 2002). Diese Doppelfunktion erzeugte verschiedene Formen und Typen enzyklopädischer Texte wie politische Enzyklopädien, Schul-, Kloster-, Predigtenzyklopädien, medizinische Enzyklopädien usw. (Meier 1997 u. 2002). Ferner hat sie in einigen Studien zu Brunetto Latini gezeigt, daß die mittelalterliche Enzyklopädie auch eine gewisse Beziehung zur sozialen Realität und zur pragmatischen Verwendung des Wissens besaß. Diese prägt nicht nur die Typen der Enzyklopädie, sondern auch (und überhaupt) die Struktur der Welt und die Ordnung des Wissens (oder das Wissenssystem), die der Autor seinem Publikum zu Verfügung stellt. Wenn Brunetto Latini im Prolog seines ‚Tresor‘ die drei Bücher der Enzyklopädie mit Geld, Edelsteinen und Gold vergleicht, gilt diese Metapher als Konzeption und Interpretation des Wissens (zum Prolog des ‚Tresor‘ vgl. auch Luff 1999, S. 262–313). Diese beeinflussen die Struktur des Werkes, die Auswahl der Themen, die Bewertung der Teile der Welt und der Wissenschaften (man denke etwa an die artes mechanicae), die nur wegen ihrer praktischen Nutzbarkeit einen Platz in der Enzyklopädie finden und nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem von Gott geschaffenen ordo rerum (im Fall der Naturteile) oder zu einem von den Autoritäten und der gelehrten Tradition durchgesetzten ordo artium.

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Bernard Ribémont hat Momente und Phasen der Entwicklung der enzyklopädischen Gattung im Mittelalter untersucht, die die obenerwähnten Forschungsrichtungen am besten exemplifizierten, wie das Werk Isidors von Sevillas, Brunetto Latinis und Jean Corbechons, sowie Auswirkungen der Fortschritte der wissenschaftlichen Kultur auf diese Gattung sowohl in Bezug auf die Bereicherung der von den Kompilatoren benutzten Bibliothek der Quellen als auch auf die Entwicklung der Weltauffassung derselben Kompilatoren. In dieser Hinsicht untersuchte er eine sonst von den Enzyklopädieforschern beiseite gelassene Epoche, das 12. Jahrhundert (Ribémont 2002). Obwohl da noch keine Enzyklopädien im engeren Sinne entstanden sind, verursachen die Innovationen und Fortschritte der Naturwissenschaften und der Naturphilosophie eine entscheidende Wende in der Weltauffassung der zeitgenössischen Gelehrten. Gleichzeitig stellen die neuen, durch die Übersetzungen aus dem Griechischen und aus dem Arabischen im Abendland bekanntgewordenen philosophischen und naturwissenschaftlichen Texte neue Daten und Informationen zu Verfügung. Ribémont sieht in Verbindung mit jenen Fortschritten Werke wie die ‚Imago mundi‘ des Honorius Augustodunensis, die ‚Quaestiones naturales‘ Adelards von Bath oder die ‚Topographia Hiberniae‘ des Giraldus Cambrensis als Vorreiter des enzyklopädischen Geistes des 13. Jh. Obwohl man Adelard von Bath oder Giraldus Cambrensis schwerlich dasselbe Ziel wie Bartholomaeus Anglicus oder Vinzenz von Beauvais, nutzbares Wissen zu vermitteln, eine universale Gelehrsamkeit in einem Werk zusammenzufassen und ein Modell der Welt sowie ein Wissenssystem zu bilden, unterstellen kann, ist der Hinweis auf den kulturellen Wandel des 12. Jh., v.a. in Frankreich, der sich danach in den Quellen, den Strukturen, der Auswahl der Themen der Enzyklopädien des 13. Jahrhunderts widerspiegeln wird, ohne Zweifel sehr wichtig. Die heutige Enzyklopädieforschung hat nicht nur versucht, von den Enzyklopädien und ihrem intellektuellen Hintergrund gestellte erkenntnistheoretische Fragen zu beantworten bzw. umfangreichere Gattungsgeschichten zu schreiben, sondern auch die mit dem Ursprung, den Quellen, der Überlieferung und der Rezeption eines Werkes verbundenen Probleme zu lösen. So sind ‚Biographien‘ einzelner enzyklopädischer Werke, insbesondere von ‚De proprietatibus rerum‘ von Bartholomaeus Anglicus, ‚Speculum maius‘ von Vinzenz von Beauvais und ‚De natura rerum‘ von Thomas von Cantimpré geschrieben worden, welche eine komplexe Entstehungsgeschichte, eine reiche handschriftliche Überlieferung, eine breite Rezeption und die Benutzung einer vielfältigen Quellenbibliothek zeigen (Meyer 2000; PaulmierFoucart 2004; Albrecht 2000; 2007 u. 2009; Vollmann 1994 u. 2002; Hüne-

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mörder 1990; 2001 u. 2002 u.a.). Heinz Meyer hat sich auf zwei Aspekte der Textgeschichte und der Rezeption von ‚De proprietatibus rerum‘ konzentriert. Was die Textgeschichte angeht, hat er die Anwesenheit und die Verbreitung von Randnotizen allegorischen Inhaltes in den Handschriften untersucht und gezeigt, daß diese Randnotizen nicht als isoliertes Phänomen zu betrachten, sondern in die Tradition des Textes einzubeziehen sind, weil sie sich schon in den ältesten Handschriften und in der Mehrheit der Zeugnisse finden und so als Produkt einer spezifischen Autorintention und als Konsequenz einer langen Praxis der Allegorisierung der Natur gelten können (Meyer 1988; 1990 u. 1993). Was die Überlieferung der Enzyklopädie anbelangt, hat Meyer auf der Basis einer umfangreichen Liste der lateinischen und volkssprachlichen Handschriften zunächst einen Überblick über die verschiedenen Redaktionen und Bearbeitungen des Textes zusammengestellt und konsequent die Vitalität des Textes und seine Fähigkeit, sich an verschiedene kulturelle Milieus und Bedürfnisse anzupassen, untersucht (Mitüberlieferung, Erweiterungen, Glossen, Benutzerspuren). Monique Paulmier-Foucart (1978 u. 2004, mit weiterer Lit.) verfolgt minutiös die Entwicklung der beiden Autorfassungen des ‚Speculum maius‘ des Vinzenz von Beauvais, den Übergang der sogenannten versio bifaria (einer Kombination von ‚Speculum naturale‘ und ‚Speculum historiale‘) zur versio trifaria (in der das ursprüngliche ‚Speculum naturale‘ in ein ‚Speculum naturale‘ und in ein ‚Speculum doctrinale‘ geteilt wird). Dieser Übergang ändert nicht nur die Größe der Enzyklopädie und die Anzahl von Daten und Informationen, sondern auch ihre interne Ordnung und ihre theoretischen Voraussetzungen, da die neue Einteilung zeigt, daß die Betrachtung und Vorstellung der Naturwelt aus der Perspektive des ordo rerum (hier: der Ordnung der göttlichen Schöpfung) und des Wissenssystems (ordo artium) erfolgen kann. Darin manifestiert sich eine intensive Auseinandersetzung mit der mittelalterlichen Tradition der ordines disciplinarum (man denke an Al-Farabi, Dominicus Gundissalinus oder Hugo von St. Viktor; vgl. Paulmier-Foucart/Duchenne 2009; Paulmier-Foucart/ Frunzeanu 2011), und es führt zu einem eigenen System, worin sowohl die artes liberales als auch die artes mechanicae ihren Platz finden, das Recht und die Medizin eine Sonderstellung und eine besondere Bedeutung besitzen (zur Stellung der Medizin vgl. auch Schuler 1999) und sich im allgemeinen die Beziehung zwischen scientia theorica und scientia practica in einem problematischen Gleichgewicht zwischen der Autorität der Viktoriner und den neuen Ansätzen der zeitgenössischen magistri wie Robert Kilwardby hält. (Eine weitere Untersuchung der Überlieferung und der Autorfassungen bietet Albrecht 2000; 2007 u. 2009).

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Die Enzyklopädie ‚De natura rerum‘ des Thomas von Cantimpré (s. Kap. 4.4) lebt am kräftigsten in einer späteren, aus dem deutschen Sprachraum stammenden Fassung, dem sog. ‚Thomas III‘, weiter (bisher mehr als 200 Hss. bekannt). Ihr widmen sich die langjährigen Forschungen von Benedikt K. Vollmann (1994 u. 2002) und Christian Hunëmörder (1986; 2001 u. 2002). ‚Thomas III‘ erwies sich nicht als bloße spätere Bearbeitung der Autorredaktion, sondern als in mehrfacher Hinsicht originelles Werk, worin nur die naturkundlichen Bücher des Originals (Bücher IV–XII u. XIV–XIX) benutzt, die ‚philosophischen‘ (u.a. die Seelenlehre) ausgeschlossen und die Quellenbasis u.a. durch die Interpolation des Inhaltes einer zwischen 1220 und 1240 in England abgefaßten Kompilation des dem Ps. John-Folsham zugeschriebenen ‚Liber de naturis rerum‘ (dazu Abramov 2002; Ausgabe in Abramov 2008) aktualisiert und so die allgemeine Enzyklopädie in eine reine naturwissenschaftliche Kompilation verwandelt wurde. Zur Überlieferung und Rezeption der Enzyklopädien des 13. Jh. hat auch der belgische Forscher Baudouin van den Abeele mit seiner Forschung Wesentliches beigetragen (Van den Abeele 2007), v.a. die Handschriftenliste verlängert und unsere Kenntnisse der Fassungen und der Rezeptionsmilieus erweitert. Anhand der Enzyklopädien lassen sich auch Bekanntheit, Autorität und Breitenwirkung einzelner philosophischer und naturwissenschaftlicher Werke (z.B. der biologischen Werke des Aristoteles und ihrer lateinischen Übersetzungen) zu bestimmten Zeitpunkten eruieren. So hat Isabelle Draelants (2000; 2002 u. 2005) die Quellen der enzyklopädischen Kompilation ‚De floribus rerum naturalium‘ des Arnoldus Saxo aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts untersucht, sodann die Verwendung einzelner Autoren wie Boethius oder Aristoteles in den Enzyklopädien erforscht (Draelants 2011a u. b), schließlich eine umfangreiche Datenbank initiiert, welche den kompletten Text der wichtigsten Enzyklopädien des 13. Jahrhunderts zusammen mit Quellenapparat und Kommentar zu Verfügung stellen wird (Draelants 2010). Diese Untersuchungen können auch auf bestimmte Wissensbereiche zentriert erfolgen. Die Meteorologie in den Enzyklopädien ist von Joelle Ducos (1998; 2005; 2010 u. 2011), der Bereich von Botanik, Medizin und der Pharmakologie von Iolanda Ventura erforscht worden. Ventura geht dabei entweder von einem besonders dominierenden Quellenwerk aus, der salernitanischen pharmazeutischen Kompilation ‚Circa instans‘, oder nimmt die vielfältige Wissenschaft der Botanik als ganze in den Blick und verfolgt die Rolle und die Funktion von unterschiedlichen (etymologisch-

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lexikographischen, naturhistorischen, medizinischen und pharmazeutischen) Daten- und Informationstypen in mehreren Kompilationen oder widmet sich der Interaktion zwischen Medizin und Naturphilosophie in den Enzyklopädien des 13. Jahrhunderts (Ventura 2003; 2004; 2005; 2007; 2009; 2012 u. 2013). Erfreulicherweise hat neues Interesse für die Enzyklopädien endlich auch zu Neu- und Ersteditionen von Primärtexten geführt. Von ‚Thomas III‘ war schon die Rede. Viel aufwendiger noch ist die Edition von ‚De proprietatibus rerum‘ des Bartholomaeus Anglicus, die seit einigen Jahren 24 Forscher aus verschiedenen Ländern beschäftigt (Ribémont/Meyer/ Van den Abeele 1999; Ventura 2010 u. 2012). Sie beschränkt sich auf fünf Handschriften, erfaßt aber auch die allegoretischen Marginalien (s.o.) und bietet einen Quellenapparat und einen Kommentar. Schließlich erleben auch einige Editionsprojekte volkssprachlicher Enzyklopädien bzw. Übersetzungen von Enzyklopädien jetzt endlich ihren Abschluß. Das neue Interesse an dieser Textgattung hat logischerweise auch zu der Frage geführt, ob sich im Hochmittelalter ein enzyklopädischer Geist, eine „attitude/ambition encyclopédique“ herausgebildet hat, deren Spuren sich auch außerhalb der Enzyklopädien zeigen, etwa in Dialogen (vgl. Cardelle de Hartmann 2007), Bibelkommentaren, philosophischen Summen etc. Ist etwa der gängige Begriff der Gattung Enzyklopädie doch zu eng gefaßt (Guldentops 1997 kritisch zu Heinrich Bate)? Wo liegen die Grenzen zwischen Enzyklopädie, Naturbuch, philosophischer und/oder naturwissenschaftlicher Summe und Schriften, die wissenschaftliche und philosophische Daten und Informationen in Form von mehr oder weniger inszenierten Dialogen zusammenstellen? Das Problem betrifft im besonderen die Bewertung von Texten, die im 12. und 13. Jahrhundert in Frankreich den Aufbau der Welt beschreiben (v.a. in der sog. Schule von Chartres) und/oder einen besonderen Typus von ordo rerum darstellen (zur imago mundi vgl. Luff 1999; Meier 2002 – s. Kap. 4.2). Des weiteren haben sich die Fragen ergeben: Haben lateinische und volkssprachliche Enzyklopädien einen grundsätzlich unterschiedlichen Sitz im Leben? Sind diese bloß vulgarisierende Adaptationen der lateinischen Texte für lateinunkundige Laien oder eigenständige kulturelle Produkte? Die Frage stellt sich v.a. für die französische Übersetzung von ‚De proprietatibus rerum‘ durch Jean Corbechon (Ribémont 1999a u. b; Ducos [Hg.] i. Dr.), welche keine verbum-de-verbo-Wiedergabe des lateinischen Textes vorlegt, sondern zahlreiche Auslassungen, Erklärungen, Umstellungen zeigt, die hauptsächlich die Verständlichkeit und die Zugänglichkeit des Inhalts zum Ziel haben, oder die niederländische Übertra-

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gung von ‚De natura rerum‘ durch Jacob van Maerlant (‚Der naturen bloeme‘). Eine besondere Stellung in dieser Hinsicht nimmt das ‚Buch von natürlichen Dingen‘ Konrads von Megenberg ein, das jedoch erst dem 14. Jh. angehört.

4.2 Die enzyklopädische Literatur Frankreichs im 12. Jahrhundert Mit Ribémont (s. Kap. 4.1) könnte man der Ansicht, das 12. Jahrhundert habe keine echte Enzyklopädie hervorgebracht, widersprechen, indem man darauf hinweist, daß einige Werke (s.u.) dasselbe Ziel und (wenigstens zum Teil) dieselbe Struktur und denselben Inhalt wie eine enzyklopädische Kompilation hatten, obwohl sie nicht als Enzyklopädie schlechthin zu definieren sind, in erster Linie, weil sie einen stärkeren philosophischen Charakter haben, und konsequenterweise die Naturphänomene nicht nur beschreiben, sondern in ihrem Ursprung und konkreten Erscheinen erklären. Werke wie die ‚Imago mundi‘ des Honorius Augustodunensis’ oder die ‚Philosophia mundi‘ Wilhelms von Conches stellen im Prinzip ein Abbild des Kosmos vor, das man auch in einer Enzyklopädie wiederfinden kann. Zugunsten der These Ribémonts könnte man noch vorbringen, daß Werke wie Wilhelms ‚Philosophia mundi‘ oder, aus einer anderen Perspektive, das ‚Didascalicon‘ Hugos von St Viktor, wenigstens zum Teil entstanden seien, weil man die Notwendigkeit spürte, (a) die von den neuen, aus dem Arabischen und dem Griechischen übersetzten philosophischen und naturwissenschaftlichen Texten vermittelten Daten, Informationen, Interpretationen der Naturwelt und Theorien zusammenzustellen, zu organisieren und dem Gelehrtenpublikum zu Verfügung zu stellen und (b) die Ordnung, die Strukturen des Wissens, das Wissenssystem und die diese stützende Bibliothek der Quellen neu zu ordnen und zu strukturieren. In dieser Hinsicht teilen Wilhelms und Hugos Texte, obwohl man sie nicht schlechthin als Enzyklopädie bezeichnen kann, doch wenigstens einige Merkmale und Zwecke mit der enzyklopädischen Gattung. Einen weiteren Beweis für eine weiter verbreitete „attitude encyclopédique“ könnte man auch in der Rezeption und der/den Benutzungsweise(n) der naturphilosophischen Summen sehen. Meiner Kenntnis nach ist eine solche Untersuchung allerdings bisher nicht unternommen worden. Trotzdem sollte man sich wenigstens die Frage stellen, ob die ‚Philosophia mundi‘ (oder ein anderes Werk des Wilhelms von Conches, der philosophi-

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Enzyklopädie

sche Dialog ‚Dragmaticon‘) nicht nur als philosophische Summe gelesen wurde, sondern auch als ‚Naturbuch‘ (wenn nicht als Enzyklopädie). Wenn wir z.B. das 10. und 11. Buch von Bartholomaeus’ ‚De proprietatibus rerum‘ durchlesen, merken wir, daß Wilhelms ‚Philosophia‘ eine der Hauptquellen gewesen ist. Es ist deshalb legitim, sich zu fragen, ob Bartholomaeus das Werk seines philosophischen Hintergrundes wegen verwendet hat oder weil es eine klare, gut organisierte, wissenschaftlich fundierte Abbildung des Kosmos – in diesem Fall der Elemente und des coelus sublunaris mit seinen Naturphänomenen – bot (vgl. Seymour [Hg.] 1992). Bevor man jedoch diese Frage definitiv beantworten könnte, müßte man eine umfangreiche Erforschung der handschriftlichen Überlieferung und der Rezeption der Werke Wilhelms unternehmen. Das kann hier selbstverständlich nicht geschehen. Während des 12. Jahrhunderts ist das Wissenssystem noch vom Modell der ‚Etymologiae‘ Isidors von Sevilla geprägt. Auch wenn die Naturwissenschaft sich in einer Phase der Erneuerung befindet (z.B. durch die Übersetzung arabischer Werke zur Astronomie), werden das von Isidor zur Verfügung gestellte Wissen und seine Autorität nicht in Frage gestellt. So leiten die enzyklopädischen Kompilatoren des 13. Jahrhunderts ihre Abhandlungen zu den einzelnen Naturelementen (in erster Linie zu Pflanzen, Tieren, Edelsteinen, aber auch zu Planeten oder meteorologischen Phänomenen) immer noch mit einer Wiedergabe der entsprechenden Passage der ‚Etymologiae‘ ein, wo die Etymologie des Namens des jeweiligen Naturelementes aufgrund der Eigenschaften der res erklärt wird. Im 12. Jh. zeichnen sich drei Typen enzyklopädischer oder protoenzyklopädischer Werke ab: 1) die imagines mundi, wo ein Abbild des Kosmos (oder eines Teiles des Kosmos) im Mittelpunkt steht; 2) die Debatten um die Ordnung des Wissens; 3) die Sammlungen von naturales quaestiones. Sie werden beispielhaft durch (1) die ‚Imago mundi‘ des Honorius Augustodunensis, (2) das ‚Didascalicon‘ Hugos von St Viktor, (3) die ‚Naturales quaestiones‘ Adelards von Baths vertreten. Das ‚Didascalicon‘ lasse ich hier beiseite, da darin die Naturkunde nicht eigens behandelt wird. Die ‚Imago mundi‘ des Honorius Augustodunensis (zu seiner Vita f Träger und Modalitäten des Austauschs, Kap. 2.2) zählt zu den bestverbreiteten Werken des Mittelalters. Sie könnte in England konzipiert und in Deutschland redigiert worden sein; der Entstehungsort läßt sich jedoch nicht mit Sicherheit identifizieren. Auch sein bekanntestes Werk, ‚Elucidarium‘, eine auf die Theologie konzentrierte Kompilation, erfreute sich sowohl in seiner lateinischen Originalredaktion sowie in zahlreichen volks-

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sprachlichen Übersetzungen (deutsch, französisch, italienisch, spanisch, englisch) großer Beliebtheit. Die ‚Imago mundi‘ wurde schnell zum Bestseller. Die von Valerie Flint (1982) zusammengestellte Liste der auf das 12. Jahrhundert datierbaren Handschriften enthält 39 Exemplare und diejenige, die das gesamte Mittelalter abdeckt, 122 Codices. Die neuesten Forschungen von Van den Abeele haben jedoch gezeigt, daß die Verbreitung des Werkes deutlich größer war: Er hat mehr als 100 vorher unbeachtete Handschriften entdeckt und die Liste auf 230 Codices gebracht, von denen die meisten aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammen (Van den Abeele 2007, S. 71f.). Die geographische Provenienz zeigt jedoch eine Konzentration der Zeugnisse im süddeutsch-österreichischen Raum (ebd., S. 72), wo das Werk ja auch abgeschlossen wurde. (Eine genauere Erforschung und Bewertung der handschriftlichen Überlieferung steht noch aus.) Die Verwandtschaft des kosmographischen Denkens mit der Schule von Chartres scheint gleichwohl evident. Das Werk ist in drei Bücher unterteilt, von denen das erste dem Wissen vom Kosmos (Geographie, Astronomie, Astrologie), das zweite der säkularen (d.h. astronomischen) und liturgischen Zeit, das dritte der historischen Chronologie gewidmet ist. Die von Honorius benutzten Quellen stammen aus der Spätantike und dem Frühmittelalter (Beda, Orosius, Isidor, Martianus Capella, Hrabanus Maurus u.a.) und zeigen noch keinen Einfluß von arabischen Texten. Flint (1982, S. 14f.) sieht in dem Werke eine „complexity of composition disguised by extreme simplicity“ und hebt auch die bewußte Auswahl der Quellen hervor, die auch das Ziel hat, Klarheit und Sicherheit in einige Bereiche wie Kosmologie oder Computus zu bringen, wo die Gefahr der Kontamination mit zweifelhaften Daten und Informationen bestand. Die ‚konservative‘ und gleichzeitig ‚pädagogische‘ Auswahl der Quellen spiegelt sich in dem letzten und sehr berühmten Satz des Prologs wider, in dem Honorius behauptet: Nihil autem in eo [scil. libello] pono nisi quod majorum commendat traditio (‚Imago mundi‘, Prologus, Ausg. Flint, S. 49). Daß Honorius von den kulturellen Strömungen in Frankreich nicht unberührt war, wird durch seine kosmologischen Überlegungen bewiesen. Eine der Gemeinsamkeiten mit chartrensischem Gedankengut stellt das Bild der Welt als Ei dar (‚Imago mundi‘ I,1, Ausg. Flint, S. 49; zum Vergleich mit Wilhelm von Conches vgl. Dronke 1974, S. 80f. u. 154–156). Das Bild stammt ursprünglich aus dem 7. Buch von Macrobius’ ‚Saturnalia‘ (VII,16,58). Macrobius ist eine ganz wichtige Autorität für die französische Naturphilosophie der Zeit. Das Enzyklopädische an Honorius’ Arbeitsweise besteht darin, daß der Kompilator ein Naturelement nicht

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nur aus naturwissenschaftlicher Perspektive beschreibt, sondern auch mit der Hilfe naturwissenschaftlicher Daten und Informationen erklärt. Inwiefern läßt sich nun der Typus der imago mundi in die Gattung der Enzyklopädie einreihen? Imago mundi wird oft als Synonym für „Enzyklopädie“ im Sinne von „Weltbuch“ verwendet. Doch während Robert Luff (1999, S. 6f.) die Bezeichnung imago mundi als Titelmetapher wegen ihrer Häufigkeit in den Titeln und den Prologen der Enzyklopädien als immanente Gattungsdefinition für die kompilationsartigen Werke versteht und sie gleichzeitig als „flexiblen und dynamischen Gattungsbegriff“ betrachtet, beschränkt Christel Meier (1997, S. 105–107; vgl. auch Meier 2002) den Begriff imago mundi auf einen auf dem ordo rerum basierten Typus von enzyklopädischer Schrift, der erst während des 13. Jahrhunderts und nach dem Muster des Honorius nachzuweisen ist. Nach Meier besteht der Beitrag der imagines mundi für die Entwicklung der enzyklopädischen Gattung in der Erfindung und Verwendung einer Struktur der Welt, welche hierarchisch von Gott herab zu den Naturelementen aufgebaut ist. Dieser Aufbau, in dem jedes Naturelement seinen Platz findet, kann entweder nach der Ordnung der göttlichen Schöpfung oder nach einem Descensus-Prinzip von Gott bis zu den unbeseelten Wesen strukturiert sein. In dieser Hinsicht gilt der Auftritt dieses Typus der Naturenzyklopädie als „Geburt des (spät-)mittelalterlichen Naturbuches“. Während Luff die imago mundi als allgemeines Bild der Enzyklopädie und ihrer internen Dynamik vorstellt, versteht Meier den Auftritt dieses alternativen Modells als eine Art „Revolution der Gattung“, in der eine neue Konzeption der Naturwelt sich gegen die isidorianische oder plinianische Struktur und Interpretation der Welt durchsetzt. Beide Definitionen setzen jedoch den entscheidenden Beitrag der Naturphilosophie des 12. Jahrhunderts voraus, ohne die Eigenart und Dimension dieses Beitrags zu berücksichtigen bzw. ohne sich zu fragen, ob Honorius’ ‚Imago mundi‘ schlechthin ein Modell für spätere enzyklopädische Kompilationen sei, und/oder ob dieses Werk als Teil einer umfangreicheren Gruppe von Texten eine neue Konzeption, ein neues Bild und eine neue Struktur der Natur im Zusammenhang mit einem besonderen Interesse für die Kosmologie vorstellt und durchsetzt, die auch für die Entwicklung der enzyklopädischen Literatur von Bedeutung ist. Weitere Texte dieser Gruppe wären der anonyme (und immer noch nicht kritisch edierte) ‚Apex physicae‘ (einzige Studie: Garrigues 1975; vorläufige Transkription: Lemke/Maurach 1994/99; Entdeckung einer neuen Handschrift: Falmagne 2003), die ‚Philosophia mundi‘ Wilhelms von Conches (Ausg. Maurach [1980]; vgl. dazu Obrist/Caiazzo [Hgg.] 2011, mit weite-

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rer Literatur) und die ‚Philosophia‘ Daniels von Morley (Ausg. Maurach [1979] mit Studie). Diese drei Werke unterschieden sich voneinander in vielerlei Hinsicht, darunter im intellektuellen Hintergrund der Autoren, im jeweiligen philosophischem Niveau des Inhaltes, in ihrem Ruhm und ihrer Verbreitung. Trotzdem haben sie ein neues, weit entwickeltes Interesse für den Kosmos gemeinsam. In allen drei Fällen liegt der Schwerpunkt der Kompilationen in der Beschreibung des Universums, der Elemente, der Himmel, der Sterne, während der Mensch sowie andere lebendige Wesen nicht oder nur am Rande berücksichtigt werden. Der anonyme ‚Apex physicae‘ stammt aus dem dritten Quartal des 12. Jahrhunderts (Garrigues 1975 schlägt 1165 als Datierung vor), und ist anonym in 4 Handschriften überliefert. Die Zuschreibung und die Lokalisierung des Textes sind umstritten. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem ‚Apex physicae‘ und dem ‚Liber Marii de elementis‘ hatten Marie-Thérèse d’Alverny und Charles Burnett (Burnett 1997) dazu geführt, einen salernitanischen Ursprung des Textes zu vermuten. Da aber inzwischen die salernitanische Herkunft des ‚Liber Marii‘ auch in Zweifel gezogen wird (Moureau 2013), verliert die Hypothese an Bedeutung. Außerdem scheint sein Autor einen breiteren kulturellen Horizont als die salernitanischen Quellen zu besitzen, da er auch die vor kurzer Zeit übersetzten ‚Meteora‘ des Aristoteles sowie toletanische Übersetzungen aus dem Arabischen erwähnt. Das Werk besteht aus 5 Büchern, von denen das erste von Gott, den Engeln, der ersten Schöpfung und dem Firmament handelt, während das zweite sich mit der Elementenlehre sowie mit der commixtio elementorum befaßt. Das dritte Buch wechselt zum lebendigen Wesen, indem es die humores, membra, virtutes, die facultates der Seele, die fünf Sinne beschreibt und mit einer Abhandlung über generatio und corruptio endet. Das vierte Buch betrifft die Akzidentien der Dinge wie Geschmack, Geruch und Farben (Themen, die u.a. in der salernitanischen Literatur Beachtung gefunden hatten), und endet mit der Definition der crasis oder complexio und den Zeichen der guten Komplexion (im besonderen mit der Pulslehre). Das fünfte und letzte Buch verläßt den Bereich der lebendigen Wesen wieder und befaßt sich mit der Meteorologie und den Eigenschaften des coelus sublunaris sowie der fünf Klimazonen. Die vom Autor des ‚Apex physicae‘ behandelten Themen sind für die naturphilosophische Kultur des 12. Jahrhunderts von enormer Bedeutung. Dasselbe gilt auch für die ‚Philosophia‘ Daniels von Morley, ein Werk, das der Herausgeber (Maurach 1979) zwischen 1175 und 1187 datiert und in England lokalisiert. Die Schrift war wie der ‚Apex physicae‘ nicht beson-

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ders verbreitet. Maurach listet 5 Handschriften vom Ende des 12. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts auf. Vom Autor und von dem Empfänger des Werkes, einem gewissen Johann von Oxford, Bischof von Norwich zwischen 1175 und 1200, wissen wir fast nichts. Die Umstände der Abfassung der Kompilation beschreibt Daniel in seinem Prolog, in dem er erzählt, wie er, von den Pariser Meistern und ihren mangelhaften Kompetenzen enttäuscht, sich nach Toledo begab, um sich mit den arabischen Wissenschaften des Quadriviums vertraut zu machen. Nach England mit vielen Büchern zurückgekehrt, wird er von seinen Freunden herzlich empfangen und beginnt, astronomische Probleme zu besprechen. Im Prolog beschreibt Daniel sein Ziel, sich in seiner Weltbeschreibung mit Hilfe der arabischen Schriften vor allem um das zu bemühen, was die lateinischen Philosophen aus Unkenntnis nur mit zweideutigen Metaphern verunklärt hätten (Daniel von Morley, ‚Philosophia‘, Prologus, § 5, Ausg. Maurach [1979], S. 212). Er beginnt seine Abhandlung mit dem Menschen, geht aber sofort zur Schöpfung der Welt über, zur yle oder materia primordialis, zu den Elementen, dem Anfang und der Zusammenstellung der Welt, der dispositio elementorum, ihren Qualitäten, ihrer Bewegung, mit der er das erste Buch abschließt. Das zweite Buch behandelt zunächst den Himmel mit seinen Eigenschaften (immutabilitas, luciditas, simplicitas, pondus, motus, forma) und setzt mit den Gestirnen und den Planeten fort. In der Mitte des Buches (cap. 10; Ausg. Maurach [1979], S. 239f.) steht eine kleine digressio de calumniatoribus astronomie. Das Buch geht mit der Beschreibung der Himmelkreise weiter und schließt mit einer Übersicht der Sternzeichen. Die Quellen der Kompilation lassen sich in der platonisch-chartrensischen Literatur sowie in den astronomischen und astrologischen Werken des Abu-Mashr und des Al-Ferghani finden. Im Vergleich mit Honorius Augustodunensis und seiner ‚Imago mundi‘ ist Daniels Werk durch lateinische Übersetzung aus dem Arabischen und die neuere Entwicklung der Physik und Kosmologie geprägt. Es versucht eine philosophisch fundierte Erklärung der Grundelemente der Welt und betrachtet diese nicht nur in augustinischer Perspektive als Sammlung von Dingen, die zu Gott führen, sondern als eine Gruppierung von Naturphänomenen, die mit dem Blick der Vernunft und der Hilfe der Wissenschaften (auch derjenigen, die nicht immer zum orthodoxen Hintergrund eines vir christianus gehören, wie der Astronomie und der Astrologie) zu analysieren sind. Das vierte Beispiel einer kosmologischen Kompilation, die ‚Philosophia mundi‘ Wilhelms von Conches ist deutlich älter als die anderen Texte, nämlich schon in den zwanziger Jahren des 12. Jahrhunderts abgefaßt (und in dem philosophischen Dialog ‚Dragmaticon‘ zwischen 1147 und 1149

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neu bearbeitet) worden und besteht aus vier Büchern, von denen das erste mit einer Definition der Philosophie anfängt und mit der Behandlung theologischer Themen wie der Existenz Gottes, der Trinität, der Anima mundi und der Dämonen, der Elementenlehre sowie der Beschreibung der Schöpfung der Himmel und des Menschen fortfährt. Den Menschen als Ende des Weges von oben nach unten, vom Unsichtbaren zum Sichtbaren kündigt Wilhelm schon in seinem Prolog an (Wilhelm von Conches, ‚Philosophia mundi‘, Prologus, § 3; Ausg. Maurach [1980], S. 17). Das zweite Buch ist dem coelus superlunaris gewidmet: Aether, aquae supercelestes, Firmament, Sterne, Tierkreis, Bewegung des Firmaments, Planeten, Sonne, astronomische Zeit, Mond. Das dritte Buch steigt unter den Mond hinunter und befaßt sich mit der Luft und den meteorologischen Phänomenen, mit dem Wasser, mit den Winden und der Flut. Schließlich kommt im vierten Buch die Erde dran, mit den geographischen Zonen, den die Erde bewohnenden Wesen, der Entwicklung des Menschen. Wilhelms Auswahl und Verarbeitung der Quellen sind schwierig zu beurteilen (vgl. Elford 1988; Ronca 1994 u. 1997). Die ‚Philosophia mundi‘ als Kompilation zu bezeichnen, und sie in die Gattung der Enzyklopädien einzureihen, ist nicht legitim, obwohl sie wenigstens einige Charakteristika mit der enzyklopädischen Gattung teilt, wie die Auseinandersetzung mit den Quellen und Autoritäten, den Versuch, ein allgemeines Bild der Natur in allen ihren Komponenten zu vermitteln. Trotzdem ist ihr philosophischer, ihr rationeller Hintergrund zu tief und komplex, um sie schlechthin als Buch der Natur oder wissensorganisierende Kompilation zu betrachten. Gleichwohl wissen wir, daß sie wenigstens als wissensvermittelndes Buch gelesen und verwendet und zur Autorität im Bereich der Himmel- und Elementenlehre sowie der Meteorologie wurde. Auf der anderen Seite können wir die ‚Philosophia mundi‘ aufgrund der Konzentration auf die Grundbestandteile des Kosmos und die mit ihnen verbundenen Probleme in eine Reihe mit den anderen eben betrachteten Werken stellen. Auffallend in allen vier Werken ist die wichtige Rolle der Elementenlehre, die als fundamentaler und problematischer Teil der Naturwissenschaften und der Naturphilosophie wahrgenommen und dementsprechend behandelt wird. Eine solche Konzentration von Werken innerhalb von wenigen Jahrzehnten, die dieses Thema behandeln, wird es im Lauf des Mittelalters nicht mehr geben. Die ‚Imago mundi‘ ist im 13. Jh. zweimal im französischen Sprachraum in die Volkssprache übersetzt worden, zuerst wohl zu Anfang des Jahrhunderts, sicher aber vor 1250, in England. Das Werk, genannt ‚La petite phi-

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losophie‘, überträgt das erste Buch von ‚Imago mundi‘ in 2920 anglonormannische Verse (Ausg. Trethewey; Beschreibung und Daten: Féry-Hüe 1992; vgl. auch Merrilees 1987). Es war so gut wie nur in England verbreitet, und auch das nicht sehr lange. Im allgemeinen folgt die Übertragung dem Original ziemlich genau, läßt nur einige Kapitel weg und fügt einige Versgruppen hinzu. Die Auslassungen verdanken sich offenkundig einer Skepsis des Autors gegen die verderbliche Wirkung der Astrologie. Ersetzt wurden die Prologe des Honorius durch eigene Prologe des Übersetzers, von denen der erste sich als scharfe Kritik derjenigen erweist, die weder Talent zum Schreiben noch einen ausreichenden kulturellen Hintergrund besitzen und aus diesem Grund Schriftsteller und Dichter attackieren, während der zweite ein Lob des Wissensdurstes der Philosophen und Wissenschaftler (li sages) enthält, die keine Mühen sparen, um neue Kenntnisse zu erwerben bzw. neue Entdeckungen zu machen. Das liegt weit ab von Honorius, der zwar dasselbe Lob des wissenschaftlichen Forschers (Flint 1982, S. 48) ausspricht und dieselbe Kritik an neidischen Menschen, welche die Gelehrten angreifen, übt, sich jedoch danach ausdrücklich an die Tradition der maiores anschließt und so eine durchaus konservative kulturelle Haltung zeigt. Von dieser Haltung fehlt beim anglonormannischen Dichter jede Spur. Er ist komplett vom Lob der neuen naturwissenschaftlichen Kultur eingenommen und betont die intellektuelle Freiheit und Macht, welche die Kenntnis verleiht. Die zweite Bearbeitung der ‚Imago mundi‘ stammt von Gossouin de Metz. Diese ‚Image du Monde‘ zählt zu den bekanntesten volkssprachlichen Enzyklopädien des Mittelalters. Sie ist reich überliefert (71 Hss. – vgl. Connochie-Bourgne 1999, Bd. I, S. 91–283) und regte sehr bald zwei weitere Versfassungen an, welche offenbar unterschiedliche Gruppen von Lesern erreichen wollten. Die Originalfassung (die sog. Redaktion A) wurde 1246 in Lothringen abgeschlossen und besteht aus 6600 achtsilbigen Versen, die in drei Bücher eingeteilt sind, von denen das erste die Theologie (Gott, Natur, den freien Willen) und die Kosmogonie (das Universum, die Elemente, die Erde) behandelt, das zweite die Geographie (die Erde und ihre Regionen, das Wasser und die Luft) bis zum Firmament, das dritte die Astronomie. Insgesamt hat der Autor der ersten Versfassung die Materie auf solche Weise organisiert, daß der Leser der drei Bücher auf einen Weg von oben (Gott) nach unten (Erde, Menschheit) und danach wieder nach oben (Himmel) geführt wird (vgl. Gossouin, ‚Image du monde‘, V. 6575: a Dieu commence, a Dieu prent fin). Ihr Autor, Gossouin von Metz, wurde von Charles V. Langlois (1911, S. 70) und Chantal Connochie-Bourgne (1999, Bd. I, S. 85) mit einem Mönch aus

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dem Kloster von St. Arnould, Gosuinus, identifiziert. Er selbst dürfte es auch gewesen sein, der auch gleich eine Prosafassung des Werkes angefertigt hat (acht Hss., Ausg. Prior). Die zweite Versfassung, die sogenannte Redaktion B, wurde gleich nach dem Abschluß der ersten angefangen, und ca. 1250 abgeschlossen. Sie enthält etwa 11000 achtsilbige Verse, und ist in zwei Bücher geteilt, von denen das erste grosso modo die Naturwissenschaften behandelt, das zweite die Kosmologie. Vom Autor oder den Autoren wissen wir nichts (vgl. Connochie-Bourgne 1999; zur Überlieferung, Komposition und Zielsetzung vgl. Centili 2002, 2005; 2006a u. b). Gossouin von Metz hat außer der ‚Imago mundi‘ des Honorius auch die ‚Philosophia mundi‘ und das ‚Dragmaticon‘ Wilhelms von Conches und Alexander Nequams ‚De naturis rerum‘ sowie vermutlich aristotelische Texte wie die ‚Meteora‘, die ‚Physica‘, das pseudo-aristotelische ‚De mundo‘, lateinische Übersetzungen der Schriften des Ptolomaeus und Senecas ‚Quaestiones naturales‘ benutzt (Connochie-Bourgne 1999, Bd. II, S. 429–543). Hier zeichnet sich so ziemlich der ganze naturwissenschaftliche Hintergrund der Kosmologie des 12. Jahrhunderts ab, der für den volkssprachlichen Autor auch noch in der Mitte des 13. Jh. ganz aktuell ist. Dieser kombiniert jedoch das naturwissenschaftliche Material mit einer theologischen und moralischen Ausrichtung, die das Werk von einer reinen Enzyklopädie entfernt. Er bietet also nicht nur ‚Populärwissenschaft‘ (die französische Forschung spricht von „vulgarisation“), sondern tritt erkennbar als Lehrmeister für Laien auf, der sich einerseits geradezu pedantisch um Klarheit und Präzision bemüht, andererseits die religiöse Sinngebung alles Wissens nicht aus den Augen verliert. Die ‚Image du monde‘ wurde dreimal während der Renaissance ins Englische übertragen; zwei von diesen Übersetzungen wurden von William Caxton gleichzeitig vorbereitet und gedruckt (die erste 1481, die zweite 1490), während die dritte von Lawrence Andrewe 1527 in London veröffentlicht wurde (dazu Prior 1913, S. 11). Noch weit bemerkenswerter sind jedoch hebräische Bearbeitungen, auf welche Adolf Neubauer hingewiesen hat. Sie reichen bis weit in die Neuzeit hinein. Auch eine jiddische Bearbeitung ist darunter (Hs. Oxford, Bodleian Library, Oppenheimer 579). Für uns von Bedeutung wäre die älteste hebräische Version, welche schon wenige Jahrzehnte nach der Abfassung der ersten Versfassung diese übersetzt hat. Doch fehlen nach meiner Kenntnis eine kritische Ausgabe und jede nähere Untersuchung.

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4.3 Das goldene Zeitalter der mittelalterlichen Enzyklopädie in Frankreich (13. Jahrhundert) In einem grundlegenden Essay hat Jacques Le Goff (1994) mit Recht beobachtet, daß das 13. Jahrhundert „l’âge d’or de l’encyclopédisme médiéval“ sei. Diese Aussage läßt sich leicht rechtfertigen, wenn man in Rechnung stellt, wie viele enzyklopädische Kompilationen während des 13. Jahrhunderts, besonders in Frankreich, verfaßt wurden, wie breit ihr wissenschaftliches und philosophisches Spektrum, wie umfangreich und, wenigstens im Fall des Bartholomaeus Anglicus und des Vinzenz von Beauvais, wie ‚up to date‘ die von ihnen vermittelten Informationen und ihre Quellen, wie groß die Vielfalt der literarischen Produktion und der Typen von enzyklopädischen Texten im 13. Jahrhundert in Frankreich sind und wie rasch manche davon noch im selben Jahrhundert dort eine volkssprachige Bearbeitung finden. Diese polyglotte Dimension der enzyklopädischen Literatur zeigt nicht nur das von der Volkssprache erreichte sprachliche Niveau und ihre Fähigkeit, auch komplexe Begriffe zum Ausdruck zu bringen und/oder volkssprachliche Äquivalente für die auf Lateinisch formulierte Fachterminologie zu finden, sondern auch die Existenz eines wenigstens potentiell gelehrten Publikums oder, besser gesagt: einer oder mehrerer Kategorien von Lesern, die ein Interesse für die Philosophie und die Naturwissenschaften besaß(en). Das von der französischen Sprache erreichte Niveau und ihre Fähigkeit, als Kultursprache zu wirken, wird auch von der Entscheidung Brunetto Latinis bestätigt, seinen ‚Tresor‘ auf Französisch zu schreiben, da das Französische la parleure la plus delitable et plus commune a tout langages sei (Brunetto Latini, ‚Tresor‘; Ausg. Beltrami u.a.). Die Gründe für diese privilegierte Stellung Frankreichs als fruchtbares Milieu für die Entwicklung der enzyklopädischen Gattung haben wir schon angedeutet: Es sind v.a. die breite Rezeption der durch die Übersetzungen aus dem Arabischen und aus dem Griechischen im Abendland bekanntgewordenen philosophischen und naturwissenschaftlichen Texte und die damit verbundene neue Konzeption des Universums, was alles ohne die Ausbildung einer eigenen Gelehrten- und (später) akademischen Kultur überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Einen ganz entscheidenden Beitrag zu dieser Kultur leisten die Bettelorden mit ihrem Studienprogramm, das viel Wert auf die Verfassung und Verbreitung von Hilfsmitteln für die Bibelexegese und die pastorale Tätigkeit, v.a. die Predigt legte (Mulcahey 1998; Senner 2005 u. 2007). So stammen denn nicht zufällig zwei der Hauptvertreter der enzyklopädischen Gattung in lateinischer Sprache des 13. Jahrhunderts aus dem Milieu der

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Dominikaner (Vinzenz von Beauvais) und der Franziskaner (Bartholomaeus Anglicus) – eine Zusammenfassung der Umstände dieser Entwicklung der enzyklopädischen Gattung findet sich bei Ventura (2013). Zu jenen Hilfsmitteln gehören nicht nur Enzyklopädien, sondern auch Florilegien, Konkordanzen, Distinctiones, Sammlungen von Schemata von Sermonen, Sammlungen von exempla und similitudines naturales (zu der dahinterstehenden „new attitude to the page“ vgl. Rouse/Rouse 1991). Das umfangreichste enzyklopädische Werk des 13. Jh. ist das ‚Speculum maius‘ des Vinzenz von Beauvais, bestehend aus ‚Speculum naturale‘, ‚Speculum doctrinale‘ und ‚Speculum historiale‘. Der letzte Teil wurde unter dem Titel ‚Miroir historial‘ von Jean de Vignay um 1330 für die adelige Entourage von König Philipp VI. von Valois und Königin Jeanne de Bourgogne verfaßt, der es auch gewidmet ist (kritische Ausgabe vorbereitet v. M. Cavagna und L. Brun; Literatur unter www.arlima.net, ad locum). Noch dem 13. Jh. gehört die mittelniederländische Übertragung von Jacob van Maerlant, der ‚Spiegel historiael‘, an. Jacob van Maerlant ist der fruchtbarste mnl. Versschriftsteller. Er ist in Flandern geboren (ca. 1230/35) und gestorben (wahrscheinlich kurz nach 1291). Er bearbeitete lat. und afrz. Vorlagen (Überblick bei Bieshövel 2004) und taucht daher in etlichen Bänden von GLMF auf. Sowohl in GLMF IV (f IV B Einleitung; f IV A Trojaromane) als auch in dem vorliegenden Band GLMF I kann man die Bearbeitungen des ‚Speculum historiale‘ des Vinzenz von Beauvais (‚Spiegel historiael‘, begonnen um 1284, unvollendet) und der ‚Historia scholastica‘ des Petrus Comestor (‚Rijmbibel‘ von 1271) einreihen. Nur hier zu besprechen ist die Bearbeitung von ‚De natura rerum‘ (s. Kap. 4.4). Der ‚Spiegel historiael‘ kann als das Meisterwerk des Übersetzers Maerlant betrachtet werden. In Angriff genommen wurde er im Jahr 1284 im Auftrag von Graf Floris V. von Holland und beschäftigte den Übersetzer und Dichter vermutlich bis zu seinem Tod (wenigstens bis 1288); seine Übersetzung blieb unvollständig, und wurde von zwei weiteren zeitgenössischen Übersetzern, Philip Utenbroeke und Lodewijc van Velthem, ergänzt. Dank der Verfügbarkeit einer kritischen Edition (Ausg. Von Hellwald/De Vries/Verwijs; vgl. Van Oostrom 1994) sowie zahlreicher Studien (u.a. Van Oostrom 1996; komplette Bibliographie unter www.dbnl.org, ad locum) können wir nun das Werk besser überblicken. Die Übersetzung zeigt deutliche und tiefe Änderungen in Form, Struktur, Konzeption und Inhalt im Vergleich mit dem lateinischen Originalwerk. In erster Linie verwandelt Jakob Vinzenz’ Text in eine Dichtung, die für das Durchlesen, und nicht für das Nachschlagen gedacht ist. Zweitens arrangiert Jacob die Chronologie und die Reihenfolge der Ereignisse auf eine Weise, die eine

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enzyklopädische Vision der Weltgeschichte in ein historisches Werk verwandelt. In dieser Hinsicht wird die Weltchronologie auf eine Art rekonstruiert, daß sie in vier partïen zerfällt. Drittens reproduziert Jakob nicht das ganze ‚Speculum historiale‘, sondern wählt die Teile aus, die für ihn, für seinen privilegierten Leser, Floris V. (wieder einen Fürsten!), und für sein kulturelles Projekt als wichtig erscheinen. Dazu kürzt er z.B. den theologischen Rahmen deutlich, der das Werk Vinzenz’ eröffnete und dazu diente, der Geschichte eine göttliche Dimension zu verleihen. Die Intention, das historische Werk in eine Art ‚historischen Fürstenspiegel‘ umzuwandeln, erklärt, warum er besondere Aufmerksamkeit den historischen oder (in unserer Auffassung) legendären Persönlichkeiten wie Alexander dem Großen, König Arthur oder Karl dem Großen schenkt. Andererseits schenkt er im Rahmen der Universalgeschichte auch der Landesgeschichte besonderes Augenmerk. Viertens legt Jacob besonderen Wert auf die historische Zuverlässigkeit. Wenn Van Oostrom (1996, S. 338) schreibt, Maerlant vermittle „een mengel van waarheid en leugen, en een bijna ononwarbaar kluwen van historiciteit en fantasie“, kann dies aber nur aus moderner Sicht als negatives Urteil erscheinen, denn Jacob schreibt für Adlige, die mit historischen Romanen vertraut waren. Somit war es gewiß eine bewußte Entscheidung, Geschichte in eine Art Roman zu verwandeln, um den Geschmack seiner Leser besser treffen zu können. Alle diese Merkmale zeigen die relative Unabhängigkeit Jacobs als Übersetzer und seine Intention, nicht einfach ein enzyklopädisch-historisches Werk in eine Volkssprache zu übertragen, sondern seinem Publikum ein literarisches Produkt zur Verfügung zu stellen. Was aber das ‚Speculum naturale‘ anbelangt, scheint eine volkssprachliche Rezeption zu fehlen. Alle bisher geäußerten Vermutungen in dieser Richtung haben sich als unzutreffend erwiesen. Das ‚Speculum naturale‘ wurde schon auf Latein zwar als Kompendium von naturwissenschaftlichen Exzerpten und als Vermittler reicher naturkundlicher Dokumentation hochgeschätzt, aber selten als Ganzes rezipiert, sondern nur als Reservoir von Daten verwendet. Um so weniger eignete es sich dazu, übersetzt und als Übersetzung gelesen zu werden. So kann man mit einer gewissen Sicherheit eine Entdeckung einer bisher unbekannten volkssprachliche Fassung ausschließen. Ein anderer möglicher Weg, den die Forschung verfolgen könnte, ist die Suche nach Teilübersetzungen und Auszügen in volkssprachlicher Form. Zahlreiche aus dem reichen Quellenreservoir exzerpierte Passagen, von denen einige den Charakter einer kleinen zusammenfassenden Abhandlung eines Themas annehmen, hätten eine geeignete Basis für eine Übersetzung bieten können. Aber auch

Das goldene Zeitalter der mittelalterlichen Enzyklopädie in Frankreich

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diese Art von Recherche, die kein Forscher bis jetzt unternommen hat, scheint nicht eben vielversprechend, dafür umso aufwendiger. Auch die von Karl Baas (1905a; 1905b; 1906 u. 1908) aufgestellte Hypothese, die von Manfred P. Koch (1982, S. 272) ohne Nachprüfung wiederholt wurde, führt in die Irre. Angeblich soll Heinrich Laufenbergs ‚Versehung des Leibs‘ oder ‚Regimen‘, Kap. 6 Wie sich die swanger frauven halten sollent und Wie man das Kindlein halten sol (Ausg. Menge, V. 4102–4906), einige Übereinstimmungen mit „thematisch entsprechenden Kapiteln bei Vinzenz von Beauvais“ aufweisen. Diese Hypothese habe ich mit Hilfe der Kapitel 50–65 und 79–81 des 31. Buchs von Vinzenz’ ‚Speculum naturale‘ (Druck Douai 1624, Nachdr. Graz 1964, Sp. 2330–2342 u. 2352–2355) nachgeprüft, die mir Laufenbergs ‚Regimen‘ am nächsten zu stehen schienen – bei beiden Forschern fehlen nähere Angaben. Das Ergebnis des kursorischen Vergleichs der beiden Schriften war negativ. Da Laufenberg aber ohnehin erst im 15. Jh. schrieb, können wir die Sache hier auf sich beruhen lassen. Um die typologische und inhaltliche Vielfalt der im 13. Jahrhundert in Frankreich verfaßten enzyklopädischen Kompilationen zu erläutern, seien hier die repräsentativsten Werke beschrieben. Ich werde mich ausschließlich zwei Hauptvertretern der lateinischen Enzyklopädie, nämlich ‚De natura rerum‘ von Thomas von Cantimpré und ‚De proprietatibus rerum‘ von Bartholomaeus Anglicus widmen. Vinzenz von Beauvais lasse ich in Anbetracht der mangelnden Wirkung (s.o.) außer Betracht. Für die wichtigsten Etappen der Abfassung des ‚Speculum maius‘ und die Bedeutung der lateinischen Kompilation für die Geschichte der enzyklopädischen Gattung im 13. Jahrhundert verweise ich auf den oben gelieferten Forschungsbericht (M. Paulmier-Foucart, I. Draelants und E. Albrecht – s. Kap. 4.1). Auch die auf französisch verfaßten Texte wie Brunetto Latinis ‚Tresor‘ oder die anonymen Dialoge aus den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts, ‚Livre de Sydrac‘ und ‚Placides et Timéo‘, berücksichtige ich nicht. Ich bin mir selbstverständlich ihrer Bedeutung für die Entwicklung der enzyklopädischen Gattung in Frankreich und im gesamten europäischen Bereich sowie ihrer Beziehungen zu der lateinischen und volkssprachlichen Tradition der enzyklopädischen Dialoge bewußt. Was den ‚Livre de Sydrac‘ betrifft, hat seinerzeit Charles V. Langlois (1911, Bd. III, S. 191) – ohne weitere Belege anzuführen – geschrieben: „C’est un des ouvrages qui ont eu le plus de vogue jusqu’au coeur de la Renaissance. Il a figuré dans toutes les bibliothèques princières du XIVe et du XVe siècle. Il n’est guère de grande bibliothèque qui n’en possède des manuscrits ou des incunables.

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Il a été traduit au Moyen Age en provençal, en italien, en flamand, en mittelniederdeutsch, en anglais, et la plupart de ces traductions ont été, comme l’original, très répandues“. Zwar haben Ernstpeter Ruhe (2000), Doris Ruhe (1994), Beate Wins (1993), Brigitte Weisel (1993) und Robert Luff (1999, S. 159) auf diese Bemerkung hingewiesen, jedoch ist sie nach meiner Kenntnis nie überprüft noch aufgrund der handschriftlichen Überlieferung des Werkes bestätigt worden. Nur die niederländische Übersetzung hat Beachtung gefunden, und zwar im Rahmen der herausgeberischen Tätigkeit von Van Tol (1936) und den neusten Forschungen zur Artes-Literatur von Jansen-Sieben (1989) und Lie u.a. (2006; vgl. www.dnbl.org). Ein Überblick über die Rezeption des ‚Livre de Sidrac‘ in anderen europäischen Sprachen bleibt noch ein Desiderat der Forschung. Aus chronologischen Gründen ist die GLMF davon jedoch nicht betroffen.

4.4 Thomas von Cantimpré, ‚De natura rerum‘: lateinische und volkssprachliche Fassungen Thomas von Cantimpré wurde im flämischen Brabant (vielleicht in der Nähe von Brüssel) in den Jahren um 1200 geboren. In Cambrai zum Priester ausgebildet, lernt er Jacques von Vitry kennen, der ihn als canonicus regularis für das monastische Leben gewinnen kann. Er schließt sich der Gemeinschaft von Cantimpré an, wo er zwischen 1216 und 1230 sein Leben verbringt. Zwischen 1230 und 1232 wechselt er zum Dominikanerorden und geht nach Leuven. Dort bleibt er, abgesehen von Studienzeiten in Paris und Köln (wo er Schüler von Albert dem Großen ist), und einigen Missionen nach Lüttich und Tournai, bis zum seinem Tod um das Jahr 1270 (Hünemörder/Ruh 1995; Platelle 1997). Sein Hauptwerk im Bereich der enzyklopädischen Literatur ist ‚De natura rerum‘, eine Naturenzyklopädie in 19 Büchern, an der er 15 Jahren lang arbeitete und deren erste Fassung um 1240 veröffentlicht wurde (Ausg. Boese, ohne kritischen Apparat und Quellenverzeichnis). Mit dieser Zeit beginnt die komplexe Geschichte der Überlieferung und Rezeption des Textes. Als erste Etappe dieser Geschichte können wir die Hinzufügungen und Interpolationen ansehen, die er selbst seinem Text angehängt hat (erhalten in London, British Library, Harley 3717, z.T. einem Autograph). Die Verbindung der Originalfassung mit den Interpolationen (v.a. in Buch I u. IV–IX) wird als ‚Thomas II‘ bezeichnet. An diese Fassung wird auch ein zwanzigstes Buch angehängt, das die Kosmologie betrifft und dessen Inhalt wenigstens zum Teil aus der ‚Philosophia mundi‘ des Wilhelm von Conches entnommen wurde. Die

Thomas von Cantimpré, ‚De natura rerum‘

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anderen 19 Bücher, welche die Fassungen ‚Thomas I‘ und ‚Thomas II‘ gemeinsam haben, behandeln die menschliche Anatomie (Buch I), die Seele (Buch II), die Monstra (Buch III), die Vierfüßler (Buch IV), die Vögel (Buch V), die Seemonster (Buch VI), die Fische (Buch VII), die Reptilen (Buch VIII), die vermina (Buch IX), die Bäume (Buch X), die Sträucher (Buch XI), die Kräuter (Buch XII), die Brunnen (Buch XIII), die Edelsteine (Buch XIV), die Metalle (Buch XV), die Luftzonen (Buch XVI), die Planeten (Buch XVII), die Meteorologie (Buch XVIII), und die Elementenlehre (Buch XIX). Eine deutliche Umwandlung erfährt das Werk erst in der oben schon genannten ‚Thomas III‘-Fassung (s. Kap. 4.1). Der Autor dieser Fassung, der wahrscheinlich in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts in Süddeutschland oder Österreich gelebt hat, änderte die Struktur der Kompilation deutlich, indem er die philosophischen Bücher (Buch II u. XX) wegnahm und die restlichen auf eine solche Weise arrangierte, daß das Ordnungsprinzip des Werkes nicht mehr die Sequenz Mensch – Monstra – Tiere – Pflanzen – Edelsteine und Metalle – Himmel – Elemente war (d.h. sich von den beseelten zu den unbeseelten Wesen und dann von der Erde zum Himmel bewegte), sondern vom Himmel bis zu den Tieren, den Pflanzen, den Edelsteinen und Metallen und dem Mensch ging, und in drei Gruppen geteilt werden kann: Bücher XVI–XIX, Bücher IV–XIII und Bücher I u. III. Die daraus resultierende Kompilation (die wiederum in mehreren Sub-Redaktionen vorliegt) hat ihren Mittelpunkt in den auf der Erde auffindbaren Naturelementen (Pflanze – Tier – Mensch). Die Behandlung erfolgte ungleichmäßig. Einige Bücher wurden mit neuen Materialien (bzw. neuen Spezies) versehen, andere um einige Kapitel und die in ihnen beschriebenen Naturobjekte gekürzt. Während z.B. die Anzahl der beschriebenen Edelsteine von 68 bis 89 stieg, sank diejenige der Fische von 91 bis auf 31. Dazu trugen die intensivere Nutzung sowohl bereits verwendeter autoritativer Quellen (v.a. Aristoteles) als auch neuer Quellen, z.B. des ‚Liber de naturis rerum‘ des Pseudo-John Folsham (kritische Ausgabe: Abramov 2008), bei. Schließlich kommen im ‚Thomas III‘ auch noch Moralisierungen hinzu. ‚Thomas III‘ ist das älteste Rezeptionszeugnis von ‚De natura rerum‘ östlich des Rheins. Schon ein wenig früher wurde die Enzyklopädie aber schon im Norden, in Flandern, bearbeitet (s.u.). Weitere Bearbeitungen folgen im 14. und 15. Jh. (chronologische Übersicht in Van den Abeele 2007, S. 44–46). Die bei weitem wichtigste wurde in der Mitte des 14. Jh. von dem Franken Konrad von Megenberg vermutlich in Wien angefertigt (ca. 119 Hss.; Ausg. Luff/Steer; neuere Untersuchungen u.a. Ulmschnei-

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der 1992 u. 1994; Steer 2002; Gottschall 2004; Hayer/Schnell 2010; Märtl u.a. [Hgg.] 2006; Feistner [Hg.] 2011). Im weiteren sind zu nennen: eine partielle mnl. Übertragung des ersten Buches der Kompilation, die unter dem Titel ‚Van smeinscen lede‘ (Ausg. Elaut) in einer Brüsseler Handschrift (Brüssel, Königl. Bibl. 19398) überliefert ist; eine bairische Übersetzung von Peter Königschlacher, das ‚Buch von naturen der ding‘ von 1472 (Ausg. Stahl); eine weitere vom Zisterziensermönch Michael Baumann, das ‚Buch von der natür und eÿgenschafft der dingk, die Gott der herre schuff‘, das nach dem Kolophon in der einzigen überlieferten Handschrift im Jahr 1478 für den Graf Johann III. von Wertheim verfaßt wurde (Ausg. Berzeviczy). Es handelt sich hier um eine Kompilation von Exzerpten aus der Schrift ‚De natura rerum‘ und der Enzyklopädie ‚De proprietatibus rerum‘ des Bartholomaeus Anglicus. Die französische Rezeption ist gegenüber der ‚theodiken‘ überaus spärlich. Viel früher als die genannten deutschen Autoren hat Jacob van Maerlant seine Bearbeitung von ‚De natura rerum‘ unter dem Titel ‚Der naturen bloeme‘ verfaßt. Von Jacobs Übersetzertätigkeit war oben schon die Rede. ‚Der naturen bloeme‘ ist Nicolaas van Cats, Herrn der Insel Noord-Beveland und miles des Grafen Floris V. von Holland gewidmet und wird daher in der Regel auf ca. 1270 datiert. Es besteht aus ca. 16000 Versen und ist in 13 Bücher geteilt, welche den Menschen und die homines monstruosi (Buch I), die Tiere (Buch II), die Vögel (Buch III), die monstra marina (Buch IV), die Fische (Buch V), die Reptilien (Buch VI), die vermina (Buch VII), die Bäume (Buch VIII), die arbores aromaticae (Buch IX), die Kräuter (Buch X), die Brunnen (Buch XI), die Edelsteine (Buch XII), und die Metalle (Buch XIII) zum Gegenstand haben. Der Himmel, die Meteorologie, die Elementen- und die Seelenlehre bleiben aus diesem Panorama ausgeschlossen. Die poetische Kompilation beschränkt sich auf die Erde. Das Werk war durchaus erfolgreich. Heute kennen wir davon 21 Handschriften, davon 10 fragmentarische. 7 von den 11, welche das ganze Werk überliefern, sind mit Miniaturen versehen. Besonders wichtig davon ist die vermutlich älteste Handschrift, das Manuskript Detmold, Lippische Landesbibliothek, MS 70, das aus dem Ende des 13. oder aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts stammt, und mit ca. 500 Miniaturen geschmückt ist (vgl. Matla 1986; Van Oostrom 1996, S. 220; Berteloot/Hellfaier [Hgg.] 2001 mit Beiträgen zur Detmolder Handschrift). Das Werk ist zweimal kritisch ediert worden (Ausgg. Verwijs [1878]; Gysseling [1998]). Die Literatur zu Maerlant und seinem Werk ‚Der naturen bloeme‘ ist umfangreich. Einen Überblick gibt Van Oostrom (1996). Bei ‚Der naturen bloeme‘ hat sich die Forschung v.a. mit der Frage nach der von Maerlant

Thomas von Cantimpré, ‚De natura rerum‘

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verwendeten Redaktion der Schrift ‚De natura rerum‘, der Analyse der Strategien der Stoffauswahl, der Übersetzungs- und Wissensvermittlungstechnik und der Rekonstruktion des Bildes einiger ausgewählten Wissensbereiche sowie der von Maerlant vertretenen Konzeption einer Naturenzyklopädie in der Volkssprache beschäftigt. Hier möchte ich die wichtigsten Ergebnisse dieser Forschungen zusammenfassen. Was die Identifikation der von Maerlant benutzten Version von ‚Der naturen bloeme‘ betrifft, ergibt schon ein erster Überblick, daß der flämische Dichter nur ein Exemplar aus der Redaktion ‚Thomas II‘ verwendet haben konnte. Es war aber der Verdienst von Traude-Marie Nischik, die genaue Sub-Redaktion identifiziert zu haben, die als  bezeichnet wird und durch die Abwesenheit der Kapitel De uranoscopo, De capa und De cervo volante gekennzeichnet ist (Nischik 1986, S. 82–90). Vor kurzer Zeit hat aber Amand Berteloot (2008/09) diese Angaben besser präzisieren können, indem er die Sektionen de piscibus und de monstris marinis unter die Lupe genommen und aufgrund der Positionierung der Kapitel (insbes. des Kapitels De ceto, das in einer der Übergangsphasen von der ersten zur zweiten Redaktion umgestellt wurde), abwesender Ergänzungen, die zur Redaktion ‚Thomas II‘ gehören, und vorhandener Hinzufügungen, die der Fassung  angehören, festgestellt hat, daß Maerlant eine Handschrift aus jener Übergangsphase zur Verfügung hatte. Diese Umwandlung erfolgte auf keine lineare Weise, sondern in mehreren, zum Teil auch chaotischen Stufen. Die Analyse der von Maerlant benutzten Redaktion kann hier auch wichtige Hinweise für die Rekonstruktion der Überlieferung des lateinischen Textes geben. Was die Strategien der Stoffauswahl, der Übersetzung und der Wissensvermittlung angeht, hat die Forschung großen Respekt vor der Autorität der Vorlage (Jacob schreibt ‚De natura rerum‘ Albert dem Großen zu, wie es später auch Konrad von Megenberg tun wird!), sorgfältige Auswahl, Organisation und Wiedergabe der Materie sowie Rücksicht auf sein Publikum, auf dessen Bedürfnisse und Fähigkeiten festgestellt. Jacob selbst gibt seine eigenen Eingriffe für ganz gering aus, wenn er im Prolog (Jacob van Maerlant, ‚Der naturen bloeme‘, V. 1–14; Ausg. Gysseling) behauptet: Jacob van maerlant die dit dichte omme te sendene tere ghifte wil datmen dit boec nome jn ulaems der naturen bloeme want noch noint in dietschen boeken ne gheen dichtre wilde soeken hiet te dichtene van naturen van so messeliken creaturen

„Jacob von Maerlant, der dies dichtete, um es als Gabe zu senden, will, daß man dieses Buch in Flämisch ‚Die Blume der Natur‘ nennen möge. Denn noch nie wollte in ‚dietschen‘ Büchern ein Dichter etwas zu dichten suchen über die Natur von so vielfältigen Kreaturen,

184 alse in desen boeken staen niemene nebbe dies waen dat ic die materie vensede els dan ic die rime pensede want de materie vergaderde recht van colne meester albrecht.

Enzyklopädie wie sie in diesen Büchern stehen. Niemand soll dabei glauben, daß ich den Gegenstand erdichtet habe – nur die Reime habe ich ausgedacht, denn den Gegenstand hat ganz richtig Meister Albert von Köln bewältigt.“

Die Realität sieht aber anders aus und zeugt von einer gewissen Beherrschung der Materie. Jacob wählt aus der Vorlage aus und läßt Daten aus, die er als überflüssig oder als für den Leser zu schwierig empfindet (Nischik 1986, S. 95–112). An die Bedürfnisse des Lesers und seiner Geisteshaltung ist auch die Suche und die Reproduktion bestimmter Typen von Informationen angepaßt. Er greift bei den Tieren besonders gerne Exotika und Mirabilien auf und fügt häufig Moralisationen hinzu. Die Erwähnungen der medizinischen und diätetischen Anwendungen der Tierkörper (vgl. dazu Bogaart 2001) sollen nicht nur den Leser zur Bewunderung des Kosmos und seines Schöpfers anregen, sondern auch auf den konkreten Nutzen hinweisen, den er aus der Natur ziehen kann. In der Übersetzungs- und Versifikationsstrategie setzt sich neben dem Prinzip der „selektiven Wiedergabe“ auch dasjenige der Straffung des wiedergegebenen Materials durch (Nischik 1986). Diese Prinzipien bestätigen sich auch durch die Analyse des den Schlangen gewidmeten Teils, die Marcel van der Voort (2001) vorgelegt hat. Dabei wird auch klar, daß die Versifikation an sich schon bis zu einem gewissen Grad die Stoffauswahl steuert. Typen von Informationen, die weder aus inhaltlicher Perspektive nützlich noch aus stilistischer Perspektive leicht anzupassen sind, wie die Etymologien, werden beiseite gelassen. Auf der anderen Seite bewahrt Jacob die Namen der Autoritäten, die seinen Diskurs unterstützen. Zu demselben Schluß führt die von Karina H. van Dalem-Oskam (2001) nach dem ganzen Text erarbeitete Statistik der Quellennennungen. Obwohl die Übersetzung eine eher literarische als wissenschaftliche Dimension besitzt, verzichtet sie also nicht darauf, möglichst den ganzen Quellenfundus des Originals vorzuzeigen. Was die Quellen selbst und die Wissenschaftsdisziplinen betrifft, gehört zuerst einmal zu den Strategien des Dichter-Übersetzers selbstverständlich der relativ freie Umgang mit der Hauptvorlage. Diese ‚Selbst-Zensur‘, die eigentlich zu einer Reduzierung der Daten und Referenz-Texte hätte führen sollen, wird erstaunlicherweise durch die Verwendung zusätzlicher Quellen (darunter Petrus Lombardus, Solinus oder ‚Speculum naturale‘ von Vinzenz von Beauvais) teilweise konterkariert (zu den Zusatzquellen Schoonheim 2001). Hier ist aber weitere Forschung nötig, um den tatsäch-

Bartholomaeus Anglicus, ‚De proprietatibus rerum‘

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lichen Beitrag zusätzlicher oder (wie im Fall des Solinus) schon in der Vorlage herangezogener Autoritäten zu eruieren. Schließlich haben die oben genannte Forscher, indem sie die Quellen oder die Strategien der Wissensvermittlung Jacobs analysieren, auch sein Bild der Zoologie, der Geographie und der Medizin rekonstruiert. Im Bereich der Zoologie ist zum Beispiel die Vorliebe Maerlants für die Wunder der Natur und die Monstren im Vergleich mit Thomas von Cantimpré noch weit stärker ausgeprägt. Darauf und auch auf die reiche moralische Didaxe, die das Leben der Tiere zur Erbauung des Menschen vorführt (Bogaart 2001), wurde schon hingewiesen. Bei der Darstellung der Schlangen konnte gezeigt werden, wie Maerlant sich in eine Tradition wissenschaftlicher Betrachtung dieser Tiere einreiht, die bis zu der Antike führt (Van der Voort 2001). Schließlich wurde auch das Bild der Medizin von Nischik (1986, S. 139–172) untersucht. Diese Untersuchung hat einen neuen Weg für die Forschung eröffnet, da sie den Kontrast zwischen dem theoretischen und professionellen Hintergrund der Disziplin und Jacobs Intention, für Laien zu schreiben, aufzeigt. Dieser Kontrast offenbart sich nicht nur in der Darbietung von Daten und Informationen, die eine gewisse Entfernung von der Kultur der experti zeigt, sondern auch in der Sprache, die auf den Fachwortschatz der physici verzichtet und dafür eine volkssprachliche in der normalen Praxis verwurzelte Sonderterminologie prägt.

4.5 Bartholomaeus Anglicus, ‚De proprietatibus rerum‘: lateinische und volkssprachliche Fassungen Bartholomaeus Anglicus, eine nicht näher rekonstruierbare Persönlichkeit, deren Tätigkeit sich innerhalb des 13. Jahrhunderts erstreckte, war ein Mitglied des Franziskanerordens, der in der ersten Phase der Entstehung und Verbreitung des Ordens wirkte. Seine Biographie ist nur in kleinen Bruchstücken bekannt. Sicher in England geboren, war er in den Jahren um 1220–1230 in Paris als lector bibliae im Franziskanerkloster tätig; im Jahr 1231 wurde er, wie die Chronisten Salimbene de Parma und Jordanus de Giano bezeugen, nach Magdeburg geschickt (Meyer 2000, S. 13f.; Van den Abeele 2005, S. 3–34, u. 2007, S. 50–51; Ventura 2013, S. 82f.). Seine Versetzung nach Magdeburg ist die einzige sichere Angabe über seine Person, die wir heutzutage besitzen. Andere Daten, wie z.B. das Todesdatum oder die eventuelle Autorschaft anderer Werke, fehlen. Er soll das Werk zwischen Paris und Magdeburg verfaßt haben; beide Orte galten im 13. Jahrhundert als angesehene kulturelle Zentren, von de-

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nen der erste als internationaler Treffpunkt der akademischen, sowohl philosophischen, als auch theologischen und naturwissenschaftlichen Kultur von enormer Bedeutung war, während der zweite als Knotenpunkt sowohl der Entwicklung der hohen Ausbildung in Deutschland als auch der Verbreitung des christlichen Glaubens in Osteuropa einen besonderen Ruhm genoß. Die internationale Dimension des kulturellen Hintergrundes des Bartholomaeus Anglicus, der sicher Zugang zu Quellen hatte, die entweder nur in England, oder nur in Paris und Magdeburg verbreitet und zugänglich waren, manifestiert sich in seiner Enzyklopädie, die eine breite Kenntnis klassischer, patristischer und mittelalterlicher Quellen offenbart, ja sogar einer Reihe von zeitgenössischen arabisch-lateinischen philosophischen und naturwissenschaftlichen Übersetzungen (u.a. der Übersetzung der biologischen Schriften Aristoteles, die Michael Scotus erst vor einigen Jahren angefertigt hatte, oder der astronomischen Werke AbuMashrs und Al-Qabisis) sowie von in den selben Jahren verfaßten theologischen Schriften wie der ‚Summa theologiae‘ des Alexander von Hales (Zusammenfassung mit Diskussion der von den Quellen aufgeworfenen Fragen bei der herausgeberischen Tätigkeit in Ventura 2013). Die Enzyklopädie besteht aus 19 Büchern, die Gott (Buch I), die Engel (Buch II), die menschliche Seele (Buch III), die Qualitäten und humores (Buch V), die menschliche Anatomie (Buch V), das menschliche Leben (Buch VI), die Pathologie (Buch VII), die Astronomie (Buch VIII), die Zeit (Buch IX), die Elemente (Buch X), die Luft und die Meteorologie (Buch XI), die Vögel (Buch XII), das Wasser und die Fische (Buch XIII), die Erde und ihre Teile (Buch XIV), die Geographie (Buch XV), die Mineralogie (Buch XVI), die Botanik (Buch XVII), die Tiere (Buch XVIII), und die Akzidentien der Dinge (Farbe, Geschmack usw.; Buch XIX) als Objekt haben. Die Struktur des Textes gehorcht einem neuplatonisch orientierten Descensus-Prinzip, das vom Gott bis zum Menschen, vom Himmel bis zur Erde reicht. Der Text ist mit einem reichen Apparat von Randnoten allegorischer Bedeutung versehen, die fast in allen Büchern, mit Ausnahme der theologischen, geographischen und zum Teil der mineralogischen Sektionen, die Eigenschaften der Dinge moralisiert (dazu Meyer 2000, S. 283–293; Van den Abeele 2007, S. 53f.; vgl. Ventura 2007 zu den Randnoten des 17. Buches). Ein Editionsprojekt des lateinischen Textes mit seinem allegorischen Apparat, als Kooperation von 24 Forschern aus verschiedenen Ländern konzipiert, ist seit einigen Jahren im Gang. Zwei Bände sind bereits erschienen (Ausgg. Van den Abeele u.a. [2007]; Ventura [2007]), weitere sind in Vorbereitung (dazu Ventura 2010).

Bartholomaeus Anglicus, ‚De proprietatibus rerum‘

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‚De proprietatibus rerum‘ des Bartholomaeus Anglicus kann mit Recht als einer der Bestseller des Mittelalters und als eine der erfolgreichsten Enzyklopädien dieser Zeit gelten. Bis jetzt sind nach den Forschungen von Meyer (2000, S. 41–137) und Van den Abeele (2007, S. 54–58) 200 Zeugnisse der Vulgata-Fassung und der Bearbeitung in 13 Büchern und in alphabetischer Reihenfolge (Incipit: Angelus purus natura) und 118 Manuskripte, die Auszüge, Fragmente und Bearbeitungen aufbewahren, bekannt. Die Liste der erhaltenen Handschriften wird sich zweifellos noch ergänzen lassen. Zahlreiche Bibliotheken sind noch nicht komplett katalogisiert, und können weitere, unbekannte Exemplare aufbewahren; Fragmente, Auszüge und Abschriften einzelner Kapitel oder Bücher sind oft in den Handschriftenkatalogen nicht verzeichnet, und können erst mit der Hilfe einer Autopsie des Manuskripts entdeckt werden. Eine komplette Erforschung der Nachweise des Werkes in mittelalterlichen Katalogen steht auch noch aus. Der Erfolg der Enzyklopädie wird neben den zahlreichen lateinischen Handschriften auch von den verschiedenen volkssprachlichen Übersetzungen bezeugt. Das Werk wurde ins Französische, Provenzalische, Anglonormannische, Italienische, Spanische, Englische, Deutsche und Niederländische übertragen. Dem 13. Jh. gehört davon aber nur eine um 1260 abgeschlossene anonyme anglonormannische Teilübersetzung an, die nur das 15. Buch enthält (‚Le livre des regions et des provins dont la Bible fait mention‘, einzige Hs. in einer Privatsammlung in Atlanta, USA; Ausg. Pitts). Die übrigen Bearbeitungen fallen somit aus dem chronologischen Rahmen von GLMF heraus: Es handelt sich (1) um die italienische Übersetzung, die vor dem Jahr 1309 von Vivaldo Belcalzer in Mantua abgeschlossen und dem Podestà Guido Bonacolsi gewidmet wurde, auf der Basis eines Exemplars der Vulgata-Fassung in 19 Büchern und einer Handschrift, welche die verkürzte Version in 13 Büchern enthält, (2) die provenzalische Übersetzung, die im Auftrag von Gaston III. Phébus (1331–1391) um 1350 von einem Anonymus angefertigt wurde (überliefert nur in dem reich bebilderten Widmungsexemplar mit dem Titel Elucidari de las proprietaz de totas res naturals, Paris, Bibliothèque Sainte-Geneviève, 1029; vgl. Meyer 2000, S. 382–386; Ausgabe vorbereitet von P. Ricketts und C. Hershon); (3) der ‚Livre des propriétés des choses‘ von Jean Corbechon, Augustinermönch, Lehrer der Theologie an der Universität Paris und Hofkaplan des Königs, im Jahr 1372 dem französischen König Karl V. gewidmet (erhalten in 45 teilweise reich illustrierten Codices; eine kritische Ausgabe wird unter der Leitung von J. Ducos, B. Ribémont und B. van den Abeele vorbereitet; zahlreiche Untersuchungen zu dem Text v.a. von

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Enzyklopädie

B. Ribémont, M. Salvat, J. Ducos, F. Féry-Hüe); (4/5) zwei spanische Übersetzungen, überliefert in dem Codex London, British Library, Add. 30037 (Ausg. vorbereitet v. E. Eggart) bzw. in einer Inkunabel von 1494; (6) die mittelenglische Übersetzung von John Trevisa, abgeschlossen am 6. Februar 1398/1399 im Auftrag von Thomas IV., Lord of Berkeley (acht vollständige Handschriften, fünf Fragmente; drei frühe Drucke; Ausg. Seymour [1975–88]; vgl. Van den Abeele 2007, S. 60f.); (7) die mittelniederländische, 1485 bei Jacob Bellaert in Haarlem gedruckte Bearbeitung ‚Van den proprieteyten der dinghen‘ (vgl. Bogaart 2004; digitale Edition 2010); (8) Konrad von Megenberg (?), ‚Von der Sel‘, nach Kapitel 2–7 des dritten Buches von ‚De proprietatibus rerum‘, überliefert zusammen mit einer deutschen Übersetzung des ps.-athanasianischen Symbolum Quicunque und einer knappen Abhandlung ‚Von den engeln‘ in 27 Manuskripten, darunter in den Handschriften der sogenannten ‚Widmungsfassung‘ des ‚Buchs von den natürlichen Dingen‘ des Konrad von Megenberg (Ausg. Steer [1966]; vgl. Buckl 1993; Gottschall 2004 [gegen die Autorschaft Konrads]). Wahrscheinlich ist der Text Konrad abzusprechen. So oder so hat die Enzyklopädie des Bartholomäus im 13. Jh. keinerlei ‚theodiske‘ Bearbeitung erfahren, obgleich der Autor schon in eigener Person den Brückenschlag von Paris nach Niederdeutschland vollzogen hat.

Literaturverzeichnis 1) Textausgaben Lateinische Texte: [‚Apex physicae‘] Apex physicae anonymi, hg. v. Hans Lemke u. Gregor Maurach, in: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 45 (1994), S. 171–263, u. 49 (1999), S. 7–80. [Bartholomaeus Angliicus, ‚De proprietatibus rerum‘] Bartholomaei Anglici de genuinis rerum coelestium, terrestrium et inferarum proprietatibus […]. Procurante D. Georgio Bartholdo Pontano a Braitenberg, Frankfurt a. M. 1601 [Nachdr. Frankfurt a. M. 1964]. Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum, Libri I–IV, hg. v. Baudouin Van den Abeele, Heinz Meyer, Michael W. Twomey, Bernd Roling u. R. James Long, Turnhout 2007. Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum, Liber XVII, hg. v. Iolanda Ventura, Turnhout 2007. Daniel von Morley, Philosophia, hg. v. Gregor Maurach, in: MJb 14 (1979), S. 204–255. Honorius Augustodunensis, Imago mundi, hg. v. Valerie J. Flint, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 57 (1982), S. 7–153.

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Enzyklopädie

Liebe als Lehrdisziplin

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5 Ars amandi von Fritz Peter Knapp 5.1 Liebe als Lehrdisziplin – 5.2 Französische, okzitanische, niederländische, deutsche Minnelehrschriften – 5.3 ‚De amore‘ vom Hofkapellan Andreas – 5.4 Minnekasus in ‚De amore‘ und in der volkssprachigen Literatur – 5.5 ‚Der welsche Gast‘ von Thomasin von Zerklaere, Kapitel IX–XI – 5.6 Inhalt des Traktats ‚De amore‘ – 5.7 Quid Thomasinus cum Andrea? – 5.8 Das okzitanische Bindeglied – 5.9 Weitere Quellen der deutschen Minnelehre

5.1 Liebe als Lehrdisziplin Unter den vielen paradoxen Erscheinungen der mittelalterlichen Geisteswelt findet sich auch der Versuch, ausgerechnet ein so irrationales psychophysisches Phänomen wie die geschlechtliche Liebe (amor – minne) in Form eines logisch-didaktischen Diskurses zu bewältigen. Eine Reihe von Gründen läßt sich dafür namhaft machen, darunter die folgenden: Zum einen war Liebe durchaus ein Gegenstand der offiziell verkündeten Moraltheologie, wenngleich diese nur die Gottes- und die Nächstenliebe mit einem positiven Vorzeichen versah, die geschlechtliche Liebe aber der cupiditas oder concupiscentia, der Fleischeslust, zuordnete und nur innerhalb der Ehe tolerierte. Zum anderen traf man bei der Frage nach der Ursache der Liebe auf allgemeine anthropologische Voraussetzungen, die Gegenstand der Wissenschaften, etwa der Medizin, waren. Zum dritten hatte man aus der Antike die sokratische Vorstellung von der Lehrbarkeit der Tugenden übernommen, und im höfischen Raum galt die höfische Liebe als Tugend. Schließlich kannte man ja aus der römischen Welt eine Liebeslehre, Ovids berühmte ‚Ars amatoria‘, die man entgegen ihrem in Wirklichkeit rein spielerischen Charakter vielfach ernst zu nehmen bereit war. Man ordnete so häufig die ars amandi den artes mechanicae wie der Jagd-, Kriegs-, Dichtoder Schreibkunst zu. Ein mehr oder minder deutlicher lehrhafter Zug ist der mittelalterlichen Literatur ja überhaupt eigen. So hat sich einerseits das Lehrgedicht als lite-

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Ars amandi

rarische Gattung voll etabliert, andererseits präsentieren sich auch Lyrik und Epik immer wieder stellenweise als Unterweisung, sei es des lyrischen oder epischen Ich, sei es einer handelnden oder hier besser: lehrenden Person. Hierher gehören etwa die Lehre des Gurnemanz in Wolframs ‚Parzival‘ oder die Sangspruchlyrik Walthers von der Vogelweide. Bei Walther verfließen gerade in der Minnereflexion die Grenzen zwischen Minnelyrik und Spruchlyrik (f III Minnesang (III): Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide). Saget mir ieman, waz ist minne? So beginnt ein berühmtes – ja was, doch wohl ein Minnelied (L 70,1ff. – Ausg. Cormeau, Nr. 45). So fehlen denn dem literarischen Phänomen der Minnedidaxe die klaren gattungsmäßigen Konturen, so daß eine auch nur annähernd vollständige Erfassung und Beschreibung völlig utopisch wäre, erst recht, wenn man den eingeschränkten Blickwinkel einer einzigen Literatursprache verläßt und komparatistisch vorgeht.

5.2 Französische, okzitanische, niederländische, deutsche Minnelehrschriften Selbst ein Vergleich der rein minnedidaktischen Schriften in französischer und deutscher Sprache vor 1300 ist bisher bis auf Ansätze bei Alfred Karnein (1981) und Ingeborg Glier (1971) nicht geleistet worden. Soviel aber scheint klar, daß kaum Zusammenhänge zu bestehen scheinen. Das erklärt sich wohl schon daraus, daß die französischen Texte erst in einer Zeit einsetzen, da der massive Einfluß Frankreichs auf den Osten schon verebbt ist. Zu nennen sind hier vor allem Werke, welche (ohne Gewähr) Richard de Fournival († 1259/60), einem bedeutenden nordfranzösischen Gelehrten hohen klerikalen Standes, zugeschrieben werden, die Prosatraktate ‚Poissance d’amours‘ (‚Puissance d’amour‘), ‚Consaus d’amours‘ (‚Conseils d’amour‘), ‚Commens d’amours‘ (‚Commencement d’amour‘). Sicher von Richard um 1250 geschaffen wurde das berühmte ‚Bestiaire d’amours‘, welches die allegoretische Auslegung der Tiereigenschaften zur Minnelehre nützt. Es ist im Spätmittelalter in Flandern und am Niederrhein übertragen worden (f VI C ‚Bestiaire d’amour‘). Hinzukommen noch einige freie Übertragungen der ovidischen ‚Ars amatoria‘ in Vers und Prosa, namentlich von Jacques d’Amiens vom Ende des 13. Jh. Das umfangreichste minnetheoretische Werk, das es durch enzyklopädische Ausweitung auf ca. 34000 Verse bringt, ist hingegen aus dem okzitanischen Bereich überliefert: ‚Lo breviari d’amor‘ von Matfre Ermengaud, einem Juristen und späteren Franziskaner, entstanden ebenfalls am Ende

Französische, okzitanische, niederländische, deutsche Minnelehrschriften

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des 13. Jh., also wiederum zu spät für einen romanisch-germanischen Literaturtransfer. Im deutschen Sprachraum beginnt die Tradition der volkssprachigen Minnelehrdichtung früher, vielleicht schon mit dem nur als schmalem Bruchstück überlieferten (und daher nicht wirklich interpretierbaren) ‚Heimlichen Boten‘, vielleicht erst mit Hartmanns von Aue ‚Klage‘ oder ‚Büchlein‘ (um 1180). Dann folgen des Strickers ‚Frauenehre‘ (nach 1220), die anonyme ‚Winsbekin‘ (um 1250), und Ulrichs von Liechtenstein ‚Frauenbuch‘ (1257). Nach Alfred Karnein (1981, S. 137–141) ziehen diese Lehrgedichte ohne Rücksicht auf gattungsverwandte französische Texte, selbst wo sie diese schon gekannt haben könnten, einfach Minnelehren aus der deutschen klassischen höfischen Lyrik und Epik, spinnen sie durchaus fiktional weiter, versuchen also keinen Brückenschlag zur sozialen Wirklichkeit oder zum gelehrten Schrifttum. Sie tendieren zur allgemeinen Tugendlehre und zur abstrakten Idealisierung. Hartmanns ‚Klage‘ wirft allerdings ein eigenes Problem auf, einerseits durch die Verwendung literarischer Muster, die auch in Frankreich Verwendung finden, nämlich die Gattungen des débat, des Streitgesprächs, der complainte d’amour, der Liebesklage, und des salut, des Liebesgrußes, andererseits durch einen direkten Hinweis im Text auf französische Herkunft: Einer der allegorischen Dialogpartner, das Herz, empfiehlt dem anderen, dem Leib, allegorische Kräuter, nämlich die für den Minnedienst erforderlichen ethischen Vorzüge. Zu ihrer Gewinnung und Anwendung bedürfe der Leib einer Zauberkunst, welche vom Herzen aus Frankreich, von Karlingen (Hartmann von Aue, ‚Klage‘, V. 1280), gebracht worden sei. Aber diese Kräuter, Freigebigkeit, Anstand, Demut, Treue, Beständigkeit, Keuschheit und zuverlässige Tapferkeit, weisen keineswegs speziell auf den Westen, und die genannten Genres sind in Frankreich auch kaum älter als die ‚Klage‘, abgesehen vom Streitgespräch, das sich aber nicht genuin und auch später nur gelegentlich mit der Minnethematik verbindet. In der ‚Klage‘ entspinnt es sich eben zwischen Herz und Leib, der dem Herzen vorwirft, ihn zur vergeblichen Liebeswerbung um eine Frau verführt und damit in tiefes Leid gestürzt zu haben. Das Herz erwidert, zum Erfolg habe das bisherige Bemühen des Leibes noch nicht ausgereicht. Dazu seien viel größere Anstrengungen und bessere sittliche Voraussetzungen, eben jene Kräuter, erforderlich. Der Leib nimmt die Belehrung an. Die ‚Klage‘ schließt mit einem Liebesbekenntnis an die frouwe, welches vollends im Rahmen der abstrakten Minnereflexion des zeitgenössischen Liedschaffens verbleibt. Konkreter wird dann nur Ulrich in seiner Abwehr klerikaler Restriktionen des Minnedienstes. Gerade darin erweist er

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Ars amandi

sich als streitbarer Vertreter einer autonomen Laienethik des Kriegeradels, die von der Bevormundung durch die lateinisch Gebildeten nichts wissen will.

5.3 ‚De amore‘ vom Hofkapellan Andreas Ulrich von Liechtenstein hatte keine Ahnung, daß er gerade aus dieser Ecke auch beste Unterstützung für seine freizügigen Ansichten hätte bekommen können. Er kannte nur die gängige Ansicht der Moraltheologie, die es natürlich auch einer vom Ehegatten ungeliebten und malträtierten Frau nicht gestattete, fremdzugehen, wie es dagegen das ‚Frauenbuch‘ (V. 909–994) empfahl. Es gab aber ein lateinisches Buch, in dem allen Ernstes behauptet wurde, eheliche Liebe und außereheliche Liebe seien bloß Homonyme, daher auch keine Gegensätze. Es handelt sich um die wichtigste Liebeslehre des Mittelalters, den Traktat ‚De amore‘ eines Hofkapellans Andreas vermutlich aus dem späten 12. Jh. Die Person und der Wirkungsort des Hofkapellans (aulae regiae capellanus) Andreas sind nicht sicher zu identifizieren. Am ehesten entstand der lateinische Liebestraktat in Nordfrankreich um das Jahr 1186. Das älteste eindeutige lateinische Rezeptionszeugnis stammt erst von 1238 (Italien). Jahrzehnte später nimmt die französische Literatur erstmals nachweislich Notiz von dem Buch. Die von vielen mediävistischen Disziplinen betriebene ‚De amore‘-Forschung ist in allen entscheidenden Fragen von einem Konsens weit entfernt. Während die einen in dem Werk zumindest tendenziell so etwas wie eine Kodifizierung der höfischen Liebe sehen, halten die anderen es für eine satirische Streitschrift gegen dieselbe. Müssen die einen das letzte Buch, das die geschlechtliche Liebe rundweg verdammt, herunterspielen, so die anderen alle moraltheologisch eindeutig bedenklichen Empfehlungen der Bücher I und II für ironisch erklären. Wir können hier in die Diskussion nicht einsteigen und lassen den inneren Widerspruch des Textes einmal als solchen stehen. Ist es aber nicht überhaupt müßig, sich hier weiter um diesen Text zu kümmern? Eindeutig und direkt rezipiert wird er im deutschen Sprachraum doch erst gegen Ende des Mittelalters, so von Eberhard von Cersne in ‚Der Minne Regel‘ von 1404 und Johannes Hartlieb in seiner Prosaübersetzung von 1440.

Minnekasus in ‚De amore‘ und in der volkssprachigen Literatur

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5.4 Minnekasus in ‚De amore‘ und in der volkssprachigen Literatur Was ältere Forschung als Parallelen in der deutschen höfischen Literatur um 1200 und in dem lateinischen Traktat geltend gemacht hat, erweist sich bei näherem Zusehen fast durchgehend entweder als zu unspezifisch, als verbreiteter Gemeinplatz oder zumindest noch in einem anderen romanischen Text nachweisbar. Ähnliche Streitfälle wie bei Andreas kommen in den Gattungen der okzitanischen tenso und des französischen débat, aber auch in französischen fabliaux zur Sprache. Dazu gehören die ungleichen Maßstäbe für Mann und Frau in der Sexualmoral, wie sie etwa Albrecht von Johansdorf (vermutlich als fremde Meinung) zitiert: man solz den man erlouben und den vrouwen niht (MF 89,20 – vgl. ‚De amore‘ II,6,16) oder die Bewährung wahrer Treue, wenn den Geliebten eine schwere Kampfverletzung, etwa der Verlust eines Auges, trifft, oder die Pflicht der Frau, unter bestimmten Bedingungen den vollen Liebeslohn nicht zu versagen (f III Minnesang (II): Der deutsche Minnesang von 1170 bis 1190/1200). Episch durchgespielt wird der Minnekasus der Treueprobe (‚De amore‘ II,7,35f.) in dem Roman ‚Ille et Galeron‘ von Gautier d’Arras (um 1180) und in zwei deutschen höfischen Versnovellen, ‚Das Auge‘ (anonym, 1. Hälfte 13. Jh.?) und ‚Die treue Gattin‘ (von Herrand von Wildon, † 1278/82; f VI A Höfisch-galante Erzählungen, Kap. 2.1). Einen Fall von unzulässiger Lohnverweigerung behandeln die deutsche Versnovelle von ‚Mauricius von Craûn‘ (Anfang 13. Jh.?) und das Fabliau ‚Du chevalier qui recovra l’amor de sa dame‘ (NRCF 7; f VI A Höfisch-galante Erzählungen, Kap. 2.2). Graf Mauricius von Craûn hat seiner Dame lange vergeblich gedient, erhält aber endlich eine Lohnzusage für den Fall, daß er ein Turnier ausrichtet und sich darin bewährt. Die Lösung ist in beiden Erzählungen verschieden, deren thematischer Zusammenhang jedoch evident. Nur im deutschen Text gewährt die Dame dem Ritter Ring, Kuß und Umarmung als Bekräftigung der Verheißung ihrer vollen Hingabe. Man kann darin trotz Karneins Einspruch (Karnein 1985, S. 165f.) die vier Liebesstufen aus ‚De amore‘ I,6,60 wiedererkennen: spei datio, osculi exhibitio, amplexus fruitio, totius personae concessio. Da aber Andreas hier nur an eine lateinische Tradition anschließt, die in die Antike zurückreicht und sich im 12. Jh. u.a. in der elegischen Komödie ‚Pamphilus de amore‘ oder den ‚Carmina Burana‘ manifestiert, ist ein unmittelbarer Zusammenhang wiederum unbeweisbar. Ja, selbst wo ein romanisches Zwischenglied zwischen Andreas und seinem deutschen Pendant nicht überliefert ist, wie bei dem seltsamen Kasus

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Ars amandi

‚De amore‘ I,6,533ff., wird man grundsätzlich eher mit einer Überlieferungslücke rechnen, da dergleichen viel eher in die Romania paßt. In der Versnovelle ‚Die Heidin‘ (Ende 13. Jh.; f VI A Höfisch-galante Erzählungen, Kap. 2.1) stellt eine umworbene, jedoch vorerst treue Ehefrau den Liebhaber vor die Wahl zwischen ihrer oberen und ihrer unteren Hälfte. Der Held, ein deutscher Graf, wählt geschickter Weise die obere Hälfte der Dame, gebietet dieser Hälfte aber, ihrem Gatten, einem Heidenkönig, den Gehorsam zu verweigern, worauf sie Prügel erhält und zu dem Liebhaber flieht. Was hier halb sentimental, halb burlesk erzählerisch vorgeführt wird, nehmen die Gesprächspartner in ‚De amore‘ zum Anlaß einer theoretischen Auseinandersetzung über den Wert der geistigen und der sinnlichen Liebe. Völlig scheidet der lateinische Traktat als Quelle nicht aus, solange sich keine romanische finden läßt. Auf jeden Fall kann er als Zeugnis für die Existenz dieses Motivs in Frankreich gelten, gleichgültig, ob die potentielle romanische Vorlage der ‚Heidin‘ das Motiv von Andreas oder anderswoher bezogen oder selbst erfunden haben sollte.

5.5 ‚Der welsche Gast‘ von Thomasin von Zerklaere, Kapitel IX–XI In diese Richtung muß wohl vorerst auch die Lösung der Quellenfrage bei der Minnelehre in den Kapiteln IX bis XI des großen Lehrgedichts ‚Der welsche Gast‘ von Thomasin von Zerklaere zielen, der man bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Thomasinus de Cerclar(i)a, aus Friaul stammender Kanonikus des Domkapitels von Aquileja, an einer Hohen Schule ausgebildet, mehrerer Sprachen mächtig, verfaßte sein deutsches Lehrgedicht vom Sommer 1215 bis Winter 1216 für Höfe im deutschen Sprachraum, zuerst einmal für den Hof des Patriarchen von Aquileja, Wolfgers von Erla. Er richtet folgende Lehren an die deutschen adeligen Damen und Herren: (I) Minne stärkt die Weisheit des Weisen, aber auch die Torheit des Toren. (II) Die Beständigkeit einer Frau kann nur aus ihrem Herzen, nicht von äußerem Zwang kommen. (III) Minne darf und kann man nicht mit materiellem Gut erkaufen. (IV) Bescheidene Gabe darf die Frau wohl annehmen, insbesondere Schmuckgegenstände, obwohl äußerer Putz den inneren Wert einer Frau nie aufwiegt (V). (VI) Eheliche Treue ist unbedingt einzuhalten. Ja, eine ehrbare Frau wehrt alle Zudringlichkeiten eines Mannes ab (VII), die sich ohnehin für einen anständigen Ritter verbieten (VIII). Ein solcher wird auch bei der Werbung um eine ledige Frau zucht-

Inhalt des Traktats ‚De amore‘

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voll und geduldig vorgehen (IX) und für den Fall erkennbarer Aussichtslosigkeit in Ehren ganz davon abstehen (X). (XI) Leichtfertige und eitle Frauen ziehen untreue, liebesgierige Männer magisch an. (XII) Aber auch die schiere Habgier verleitet Frauen zur voreiligen Hingabe statt zur gebotenen (XIII) sorgfältigen Prüfung von Ehre und Tugend des Bewerbers. (XIV) Auch auf Standesgleichheit sollte sie achten, wobei allerdings der Tugendadel manches ausgleichen kann. Wem es aber an Tugend und Klugheit mangelt, der neigt nicht nur zur Untreue, sondern prahlt auch mit seinen Liebeserfolgen und ruiniert so den Ruf aller Frauen (XV). Diese Minnelehre (Thomasin, ‚Der welsche Gast‘, V. 1163–1706) bildet nur einen Bruchteil (544 Verse) der rund 14800 Verse umfassenden Verhaltenslehre, welche über die Tugenden und Laster, die vergänglichen und unvergänglichen Güter, die Seelenkräfte, freien Künste, die Sinne und anderes unterrichtet. So manches davon spricht auch der lateinische prosaische Traktat des Andreas an, jedoch ausschließlich aus dem Blickwinkel der alles beherrschenden Minnethematik.

5.6 Inhalt des Traktats ‚De amore‘ Nach dem Vorbild von Ovids ‚Ars amatoria‘ handelt das erste Buch von ‚De amore‘ von der Gewinnung, das zweite von der Erhaltung der Liebe. Das dritte entspricht Ovids Buch von den ‚Heilmitteln gegen die Liebe‘ (‚Remedia amoris‘). In der Füllung des Rahmens ist das antike Vorbild nur noch selten spürbar. Das erste Kapitel definiert die Frauenliebe gut frühscholastisch als Erleiden durch den Anblick des geliebten Wesens und schildert die Ängste und Nöte vor und nach Erreichen des Zieles. Das zweite Kapitel beschreibt die Liebe als das höchste irdische Gut für den Liebenden, der dafür auf alles andere zu verzichten bereit ist, und die Armut als bedeutendes Hindernis für eine Liebesbeziehung. Kapitel III bringt die antike Etymologie des Wortes amor. Wird hier und zuvor das Zwanghafte und auch Sexuelle dieser Liebe nicht verschwiegen, so kehrt das vierte Kapitel die veredelnde Seite hervor: Liebe vertreibt den Geiz, läßt Häßlichkeit ignorieren, gibt dem Niedriggeborenen adlige Sitten (ohne ihn allerdings im sozialen Sinne adlig zu machen), macht den Stolzen demütig, bewirkt außerdem Keuschheit, da der Liebende nur die Umarmung einer einzigen Person wünscht. Leider mißt die Liebe mit ungleichen Gewichten, d.h. Gegenliebe ist alles andere als die Regel. Kapitel V schließt mit biologischen Gründen zu Junge, zu Alte, Blinde und Erotomanen von der wah-

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ren Liebe aus. Kapitel VI nennt als mögliche Gründe für den Erfolg des Liebeswerbens schönes Äußeres, Adel der Sitten, Redegewandtheit, Reichtum und mangelnde weibliche Zurückhaltung. Wirklich billigen kann Andreas davon aber nur den inneren sittlichen Wert: morum probitas. Acht Dialoge bilden das sechste, das bei weitem längste Kapitel nicht nur des ersten, sondern aller Bücher. Jeweils werben darin Männer um die Liebe der weiblichen Gesprächspartnerin, die dem gleichen, einem niedrigeren oder einem höheren Stande angehört. Die vorher als Mittel der Liebesgewinnung genannte Redekunst kommt hier zu vollem Einsatz, verhilft jedoch gemäß der vorherigen Einschätzung nie zum vollen Erfolg. Auf jedes noch so gefinkelte Argument folgt ein Gegenargument, wobei sich die Gesprächspartner meist als rhetorisch-dialektisch ebenbürtig erweisen. Selten gibt einer von beiden zumindest in einem Punkt zu, unterlegen zu sein. Am Ende der vorletzten Runde wird die Gräfin der Champagne als Richterin angerufen. Sie entscheidet, daß wahre Liebe und Eifersucht in der Ehe keinen Platz haben. Die beteiligten Stände sind die reiche städtische Kaufmannschaft, der einfache Adel und der Hochadel. Obwohl dem Tugendadel der höchste Wert zugebilligt wird, bleiben die Schranken des Geburtsstandes doch de facto so gut wie unüberwindlich. Immerhin wird das wohlhabende Stadtbürgertum nicht von der höfischen Liebe ausgeschlossen, anders als die in den Kapiteln VII–XII besprochenen gesellschaftlichen Gruppen, die Nonnen, Huren und Bauern, ja auch der Weltklerus, bei dem jedoch das Verbot stark relativiert erscheint, gehören doch der Lehrer und der Schüler selbst diesem Stande an. Die besprochenen Themen sind überaus vielfältig, Liebe und Tugend, Liebe und Geld, Ehe, Eifersucht, Lüge, Verführung, Untreue usw. Sie stammen hauptsächlich aus der volkssprachlich-höfischen Literatur, werden aber bisweilen mit gelehrt-scholastischen Diskursen unterfüttert, noch häufiger in solche überführt. Das zweite Buch fragt in den ersten fünf Kapiteln in gut ovidianischer Manier nach der rechten Wahrnehmung der Bewahrung, Steigerung, Abnahme, des Endes und der Gegenseitigkeit der Liebe. Kapitel VII bringt 21 Liebesurteile, gefällt von den Damenkonsortien der französischen Liebeshöfe unter Vorsitz der Gräfin der Champagne und anderer Fürstinnen. Sie behandeln erotische Streitfälle, die vielfach in volkssprachigen Liedern, Streitgedichten, Romanen und Novellen wiederkehren. Kapitel VIII erzählt eine Geschichte von einem bretonischen Ritter, der einen Schönheitspreis erringt und 31 Liebesregeln vom Hof des Königs Artus zurückbringt. Während die Bücher I und II mit der Säkularisierung des christlichen Liebesbegriffs spielen, wendet das dritte Buch die ovidischen remedia amo-

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ris ins Geistliche. Als Heilmittel gegen die Anfechtungen der Welt empfiehlt es die Erkenntnis der Vergänglichkeit und Verfänglichkeit alles Irdischen, der weiblichen Schönheit, alles Sinnlichen und Geschlechtlichen. Die reprobatio amoris schließt an das reiche klassisch-antike und biblischchristliche frauenfeindliche Schrifttum an.

5.7 Quid Thomasinus cum Andrea? Die Schriften des friulanischen und des nordfranzösischen Geistlichen unterscheiden sich nicht nur nach Form und Umfang, sondern auch nach ihrer Machart diametral. Thomasin legt eine allgemeine, einfache Tugendund Lasterlehre für lateinunkundige Laien vor, Andreas widmet sich auf durchaus doppeldeutige, ausgesprochen gelehrte, rhetorische und dialektische Weise nur dem Thema Liebe. Wenn diese von Thomasin behandelt wird, bleibt die kirchlich verordnete Unverbrüchlichkeit der Ehe unangetastet. Erfolgreiche Werbung um Frauenliebe muß in die Ehe münden, um Gott und der Welt zu gefallen. Genauso sehen das der deutsche Spruchdichter Freidank um 1230 (‚Bescheidenheit‘, V. 104,8ff.; 105,1f. u. ö.) und der okzitanische Jurist Matfre Ermengau (s.o.). Wenn wir von Thomasins Harmonisierung seiner Minnelehre mit der geistlichen Norm absehen, sind aber auch nicht wenige Gemeinsamkeiten mit den Büchern I und II von ‚De Amore‘ zu entdecken. Daß beide auf die sittliche Vervollkommnung des Werbenden als den ausschlaggebenden, von der umworbenen Frau nach reiflicher Überlegung und langer Prüfung einzig anzuerkennenden Liebesgrund abzielen, mag der allgemeinen höfischen Ideologie entsprechen wie so manches andere auch. Doch die vorsichtige Abwägung der Rollen des Geburtsadels und des Tugendadels klingt doch bei beiden Autoren erstaunlich ähnlich. Andreas stellt die Frage zwar geradezu in den Mittelpunkt seines ersten Buches, billigt den Adeligen von Geburt in der Regel auch hohen Tugendadel zu und gestattet die Wahl eines nichtadeligen Liebhabers nur im Ausnahmefall, wenn ihm wirklich kein Adeliger weit und breit an Tugendadel gleichkommt (Andreas, ‚De amore‘ I,6,116–122). Aber Thomasin sagt in drei Sätzen im Grunde dasselbe: Die Dame soll sich zuvörderst an ihresgleichen halten. Wenn sie aber einen Mann, der ihr dem Stande nach nicht völlig ebenbürtig ist, als untadelig erkannt hat, so darf sie ihn nehmen, denn ein wertloser Hochadeliger wäre die weit schlechtere Wahl (Thomasin, ‚Der welsche Gast‘, V. 1579–96). Ebenso lassen Thomasins Lehren III, IV und XII aufhorchen. In III heißt es, „daß jeder, der echte Liebe erlangen wolle, sie nicht mit Geschen-

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ken zu erwerben versuchen sollte“ (Thomasin, ‚Der welsche Gast‘, V. 1221f.), in XII: „Räuber, Diebe und untreue Frauen verkaufen ihre Ehre und sich selbst (êre und lîp) für Besitz (guot). Sie verkaufen ihre Seligkeit und ihre Seele aus Habgier (girecheit)“ (V. 1575ff.). Lehre IV schließlich erlaubt einer Dame von ihrem Freund kleine Geschenke anzunehmen: Handschuhe, Spiegel, Ring, Spange (vürspangel), Kranz (schapel), Blumen. „Eine Dame,“ heißt es weiter, „soll sich wohl davor hüten, größeres Gut anzunehmen, es sei denn, sie bedürfte seiner durchaus; dann erlaube ich ihr, daß sie mehr annehmen darf, jedoch nicht so viel, daß sie nicht mehr erkennen ließe, daß ihr ihr Freund mehr bedeutet als das Gut“ (V. 1338–48). Im Traktat des Andreas findet sich folgendes Urteil der Gräfin der Champagne: Eine Dame könne von ihrem Freund ein Taschentuch, Haarbänder, einen Stirnreif aus Gold und Silber, eine Brustspange, einen Spiegel, einen Gürtel, einen Ring, Handschuhe oder andere schmückende Kleinigkeiten annehmen, „wenn nur die Annahme der Gabe jeglichen Verdachts der Habgier zu entbehren scheint“ (Andreas, ‚De amore‘ II,7,49). Ein ellenlanges Kapitel, das neunte des ersten Buches ‚De amore‘, ist der mit Geld erkauften Liebe gewidmet. Darin heißt es unter anderem (in Übersetzung): „Aber wenn eine Frau von so brennender Habsucht eingenommen ist, daß sie sich um eines Geschenkes willen dem Geliebten hingibt, soll diese von niemandem für eine Liebende, sondern eine Heuchlerin der Liebe gehalten werden, die den Bordellen unkeuscher Frauen zuzuordnen ist“ (I,9,2). Später setzt Andreas noch hinzu: „Man sieht aber niemals einen Anlaß zur Scham für eine Frau darin, wenn sie in einer akuten Notlage Geschenke ihres Liebespartners akzeptiert und seine vollkommene Großzügigkeit genießt“ (I,9,9). Wir haben also ein und dieselbe Vorschrift in beiden Werken vor uns, und sie ist so speziell, daß eine quellenmäßige Abhängigkeit vorausgesetzt werden muß.

5.8 Das okzitanische Bindeglied Die einfachste Lösung der Quellenfrage kommt allerdings nicht in Frage. Es kann hier nicht der lateinische Traktat die Quelle für den deutschen Text abgegeben haben, denn Thomasin gibt hier nur, und zwar vermutlich verkürzt, auf deutsch wieder, was er zuvor in seinem Buch ‚Von der hüfscheit‘ in romanischer Sprache (welhschen) verfaßt hat, wie er selbst sagt (Thomasin, ‚Der welsche Gast‘, V. 1173ff.). Dieses (verlorene) Buch ‚De la cortezia‘ kann nur okzitanisch/provenzalisch oder italo-provenzalisch

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gewesen sein, da es damals keine italienische Literatursprache gab. Es muß daher zuerst die nächstliegende Annahme, Thomasin habe einfach auf provenzalische Unterweisungsgedichte, ensenhamens, zurückgegriffen, geprüft werden. Eine Einsicht in die überlieferten ensenhamens des 12. Jahrhunderts bestätigt diese Annahme jedoch nicht. Garin lo Brun, Burggraf von Veillac († ca. 1156), schreibt ein ensenhamen, eine Unterweisung, in 650 Versen für die Damen. Er gibt konkrete Verhaltensregeln für das Benehmen vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, für die Körperpflege, die Kleidung, Haltung, Gestik, Konversation. Alles steht natürlich unter dem Gebot der Courtoisie. Innere Werte werden nur oberflächlich angedeutet, das Wesen der Minne gar nicht weiter beleuchtet. So ziemlich dasselbe läßt sich von dem zweiten, etwa gleich langen ensenhamen des 12. Jh. (ca. 1170/80) sagen, der Ritterlehre von Arnaut Guilhem de Marsan, Herrn von Roquefort und Montgaillard. Zwar weist das SprecherIch des Gedichts mehrfach darauf hin, daß alle Perfektion des Ritters nur das Ziel hat, die Gunst der Damen zu erringen, und zählt am Ende die von ihm selbst Eroberten sogar namentlich auf – was offenbar nur parodistisch oder satirisch gemeint sein kann, da Diskretion in Liebessachen in der Trobadorlyrik als oberstes Gebot galt. Wenig comme il faut mutet auch die Empfehlung an, bei Geldknappheit das Glücksspiel zu riskieren und gegebenenfalls auch Spielverluste stoisch zu ertragen. Aber sie paßt immerhin zu der hier hochgepriesenen Tugend der Freigebigkeit und Gastfreundschaft. Auf gute Kleidung, Rüstung, Pferde und Knappen wird auch großer Wert gelegt, der größte aber auf tapfere Ritterschaft. Ruhm im Kampf gefällt den Damen am meisten. Von den Vorzügen der donas spricht schließlich auch der niedrig geborene, klerikal gebildete Trobador Arnaut de Maruelh (Mareuil) in seinem zwischen 1171 und 1190 verfaßten Lehrgedicht, gar nicht jedoch von der Liebe. Das kulturgeschichtlich hochinteressante ensenhamen, welches manche inhaltliche Gemeinsamkeit mit dem ‚Welschen Gast‘ aufweist, so den Adressatenkreis der edlen Damen und Herren einschließlich des hohen Klerus und die vehemente Betonung des Tugendadels, fällt als Quelle von Thomasins Minnelehre also erst recht aus. Thomasins verlorenes Buch ‚De la cortezia‘ wird entweder auf eine ebenfalls verlorene okzitanische Quelle von ‚De amore‘ oder direkt auf das Buch ‚De amore‘ zurückgegriffen haben. Wir haben hier also einen höchst bemerkenswerten Fall internationalen und interlingualen literarischen Transfers vor uns: Ein oberitalienischer Kleriker vermittelt deutschsprachigen Höfen ein okzitanisches Lehrgedicht, das wir nicht besitzen, dessen Inhalt wir aber aus einer deutschen Übersetzung und einer lateinischen Quelle rekonstruieren können.

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5.9 Weitere Quellen der deutschen Minnelehre Die deutsche Minnelyrik hat höchstwahrscheinlich auch dasjenige Motivgut nur aus romanischen Liedern bezogen, welches im Traktat des Andreas ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, den Vorrang innerer Vorzüge, den beständigen, ausdauernden Liebesdienst, die Wertsteigerung durch denselben, die Geheimhaltung der Liebe, das eindeutig sexuell definierte Wunschziel jeder Werbung usw (f III Minnesang (I): Die Anfänge des deutschen Minnesangs). Nur bei Walther von der Vogelweide ist eine Kenntnis des lateinischen Liebestraktats nicht gänzlich ausgeschlossen. Für die Beschreibung der physisch-psychischen Auswirkungen einer aufflammenden Liebe dürften dagegen Ovid, die lateinischen Ovidiana und deren romanische lyrische und epische Adaptationen das Arsenal bereitgestellt haben, wie es zum Beispiel im deutschen ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke (V. 9821–9851) auf der Grundlage des anglonormannischen ‚Eneas‘ (V. 7980–8024) erscheint: Erbleichen, rasender Wechsel der Körpertemperatur, Schlaf- und Appetitlosigkeit usw. Das gleiche gilt für die Liebesmetaphern der Krankheit, der Wunde, des Todes, des Krieges u.a., die Oxymora der süßen Bitternis, des guten Übels etc. und v.a. die Liebesgötter Venus und Amor (f IV A Aeneasromane). Aber das simple Verführungsmodell der Ovidiana wird sowohl von Andreas, den originären romanischen und deutschen Artes amandi (natürlich nicht in den Ovidbearbeitungen) als auch in Epik und Lyrik verworfen oder zumindest ‚verfeinert‘ und überlagert von der Domestizierung der Triebe und der Idealisierung der Frau. Ovid und seine lateinischen Adepten waren von der grundsätzlichen Lüsternheit und bloß scheinbaren Schamhaftigkeit der Frau überzeugt, der daher sanfte Gewalt willkommen sein mußte. So führen die (aus Frankreich stammende?) elegische Komödie ‚Pamphilus‘ oder die Sittenlehre ‚Facetus‘ (‚Mann von feinem Benehmen‘) aus dem 12. Jh. wie Meister Ovid selbst nichts anderes vor als das Verfahren, wie man ein Mädchen oder eine Frau durch geschickte Wahl von Zeit und Ort, durch Schmeicheleien, Bitten, unverbindliche Versprechungen und Schwüre und schließlich Kuppelei zur geschlechtlichen Hingabe bringt. Selbst die relativ freizügigste deutsche Minnelehre, das 1257 entstandene ‚Frauenbuch‘ Ulrichs von Liechtenstein, verläßt diesen rein männlichen, tendenziell frauenverachtenden Standpunkt zugunsten einer weiblichen, emanzipatorischen Sicht. Statt der im ‚Facetus‘ empfohlenen Jagd auf Jungfrauen und Witwen macht er die Rechte der verheirateten Frauen geltend. Wenn eine wahrhaft liebenswerte Dame von einem schlechten, ehrvergessenen Gatten, den sie sich nicht selbst gewählt hat, keine Freude

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und Liebe empfange, so habe sie das Recht, sich auch körperlich ihrem Geliebten hinzugeben, sofern dieser ihre Liebe verdiene (Ulrich von Liechtenstein, ‚Frauenbuch‘, V. 909–994). Auch wenn die antikirchliche Ehebruchsmoral hier partiell an Andreas erinnert, liegt doch eine Verbindung zur französischen Gattung der Lieder schlecht verheirateter Frauen (chansons des malmariées) viel näher (f VI A Komische und moralisch-belehrende Erzählungen, Kap. 3.10). Immer aufs neue kommt derselbe literarhistorische Befund heraus: Ein direkter Einfluß des Traktats ‚De amore‘ auf die deutsche Literatur des 13. Jahrhunderts ist nicht sicher zu erweisen. Als Sammelbecken minnetheoretischer Vorstellungen, Motive und Kasus aus der romanischen Didaktik, Lyrik und Epik des 12. Jahrhunderts ist der Traktat aber von herausragender Bedeutung, findet sich hier doch so manches, was die deutsche Literatur aus der romanischen übernommen hat, in deren erhaltenen Zeugnissen jedoch nur undeutlich oder verspätet oder gar nicht belegt ist. [Manuskriptabschluß (Kap. 5): Dezember 2010]

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Grammatik und Poetik

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6 Poetik von Fritz Peter Knapp 6.1 Grammatik und Poetik – 6.2 Artes poeticae aus Nordfrankreich – 6.3 Eberhard der Deutsche – 6.4 Lectio auctorum und Gattungspoetik – 6.5 Deutsche volkssprachige Rezeption der Artes poeticae – 6.6 Französische Gattungspoetik in deutschen Werken?

6.1 Grammatik und Poetik Erst die Genieästhetik des späten 18. Jahrhunderts ist auf die Idee gekommen, im wahren Dichter weit mehr ein Produkt der Natur als der Kunst zu sehen. Die vorangehende Zeit sah das Verhältnis umgekehrt. Dem Mittelalter galt die Dichtkunst im wesentlich als lehr- und lernbar, jedenfalls in der Theorie, die vornehmlich eine lateinische, aus der Antike abgeleitete war. Ein Aufschwung der lateinischen Bildung im ganzen bedeutete also stets auch einen solchen in Literatur und Poesie. Die seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert aufblühenden, zur Führung in Europa aufsteigenden Dom- und Stiftschulen Nordfrankreichs waren nicht nur Pflanzstätten scholastischer Theologie und Philosophie, sondern auch einer protohumanistischen Sprach- und Literaturpflege, welche freilich mit jenen von Anfang an auch in Konflikt geraten konnte. Dies spiegelt sich in den Versuchen, die Poetik im System der Wissenschaften unterzubringen. Die traditionelle Gliederung der Gegenstände der Grammatik (vgl. u.a. Irvine/Thomson 2005, S. 16) als einer der drei trivialen Artes unterscheidet die ratio recte scribendi et loquendi von der scientia interpretandi, welche die Regeln der lectio (des korrekten sprachlichen Textverständnisses und des Vortrags), der enarratio (der formalen und inhaltlichen Interpretation), der emendatio (der Korrektur der handschriftlichen Überlieferung) und des iudicium (des kritischen Werturteils) lehrt. Hugo von St. Victor († 1141) riskiert in seinem Unterricht in der Schule des Pariser Augustiner-Chorherrenstifts keine direkte Inkorporation der Poetik in das Gebäude der Artes, sondern bringt sie in einem Anbau, in den appendicia oder appendentia artium, unter, da nicht nur die lyrischen, epischen und dramatischen Stücke, son-

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dern auch die „Schriften derjenigen, welche wir jetzt Philosophen nennen und einen knappen Stoff mit langen verbalen Umschweifen auszuweiten pflegen“ (‚Didascalicon‘ III,4, Ausg. Buttimer, S. 54), den Weg zur Weisheitslehre (philosophia) bereiten. Johannes von Salisbury folgt zwar Hugos Unterordnung der Artes unter die philosophia und deren Neugliederung, ordnet aber die poetica direkt der Grammatik (anstelle der scientia interpretandi ) zu. Zugleich notiert er, daß die Poetik nicht nur mit der Grammatik, sondern auch mit der Rhetorik eine Menge Vorschriften gemeinsam habe (‚Metalogicon‘ I,17, Ausg. Webb, S. 43). Andere Systematiken rücken Rhetorik und Poetik noch näher zusammen (Klopsch 1980, S. 66–68). Die prominenteste Rolle erhält die poesis offenbar in der Schule von Orléans. Der Cambridger ‚Kommentar zu Martianus Capella‘, der ‚Kommentar zu Vergils Aeneis‘ und der sogenannte ‚Leipziger Ordo artium‘ teilen die Wissenschaft in sapientia, eloquentia, poesis und mechani(c)a ein, fassen also poesis nicht als eines der Mittel der Philosophie oder der Beredsamkeit, sondern als gleichberechtigten Wissenschaftszweig neben diesen auf (Klopsch 1980, S. 68–70). Die Zuweisung des Autors an Orléans ist freilich nur durch eine Anspielung im ‚Martiankommentar‘ (6,1083) möglich. Doch die inhaltlichen, bis in den Wortlaut hineinreichenden Gemeinsamkeiten mit dem ‚Aeneiskommentar‘ reichen für die Annahme einer Verfassereinheit (bzw. immerhin einer direkten Abhängigkeit beim ‚Ordo‘) aus. Eine Verfasserangabe findet sich nur im ‚Aeneiskommentar‘, aber auch da nur in einer der vier Handschriften, und zwar in einer jungen aus dem 15. Jh. Bernardus Silvestris (aus Tours, † nach 1159) galt danach lange als Autor dieses, dann beider Kommentare. Die Herausgeber haben aber Zweifel angemeldet (Jones/Jones 1977, S. X), welche der Editor der ‚Cosmographia‘ wiederum für übertrieben hält (Dronke 1978, S. 3f.). Aus einer der nordfranzösischen Hohen Schulen stammen alle diese Werke aber auf jeden Fall. Gewirkt haben sie freilich auch anderswo. Die alte, aus Frankreich stammende Hs. des ‚Leipziger Ordo artium‘ aus der Zeit um 1200 ist aus der meißnischen Zisterze Altzelle in die Leipziger UB gelangt (Cod. 164) und sonst nur noch in Exzerpten in einer anderen weit östlich gelegenen Zisterze (Lilienfeld, 14. Jh.) erhalten. Seine ‚Cosmographia‘ hat Bernardus Silvestris seinem Lehrer ( ? ) und Freund Thierry von Chartres (Theodoricus Brito Carnotensis, † ca. 1155/56) gewidmet. In Tours dürfte er aber als erster Franzose eine Ars dictaminis verfaßt haben, die freilich bisher noch nicht identifiziert wurde. Diese neue Gattung eines Regelwerks für einen guten Prosastil zur Abfassung von Briefen und Urkunden kommt aus Oberitalien und strahlt von dort nach West- und Mitteleuropa, auch in den deutschen Sprachraum, aus,

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gehört also insofern nicht zu den vordringlichen Gegenständen unseres Handbuchs. Allerdings hat sie in Nordfrankreich durchaus eine Heimstätte gefunden, vornehmlich und gewiß nicht zufällig wiederum in Orléans. Sowohl die ‚Summa dictaminis‘ des Bernardus de Magduno (Meung-surLoire) von ca. 1180 als auch die anonyme ‚Ars dictaminis Aurelianensis‘ (bald nach 1200) haben ihre Wirkung auch in Deutschland entfaltet. „Die frz. Ars dictaminis unterschied sich von der oberitalienischen v.a. durch stärkere Betonung grammatischer und literarischer Gesichtspunkte und durch die höhere Wertschätzung der antiken Klassiker. Die Schule von Orléans pflegte einen prunkvoll überladenen Sprachstil, der im 13. Jh. in der Briefliteratur auch Italiens und Deutschlands vielfach nachgeahmt wurde“ (Schaller 1980, Sp. 1036).

6.2 Artes poeticae aus Nordfrankreich Lateinisches Schrifttum in Prosa und Versen wurde an allen nordfranzösischen Dom- und Stiftschulen eifrig gepflegt, in Chartres, Reims, Laon, Paris, Orléans, Tours und anderswo. Die Poesie blühte aber am schönsten an der Loire, seitdem schon im ausgehenden 11. Jh. Marbod von Rennes (Begründer des studium in Angers, † 1123 als Bischof von Rennes), Baudri (Baldericus) von Bourgueil (Abt von Bourgueil, † 1130 als Bischof von Dol) und Hildebert von Lavardin († 1134 als Erzbischof von Tours) dort die antiken Musen kräftig wiederbelebt hatten. Zu diesen prägenden Gestalten der aetas Ovidiana treten im 12. Jh. dann wichtige Wegbereiter der rhythmischen Dichtung hinzu, Hilarius von Orléans († um 1150) und Hugo Primas von Orléans († um 1160?). Hilarius war Grammatiklehrer in Angers und Orléans, Hugo ein typischer Wanderpoet, der jedoch seine biographischen Wurzeln in Orléans hatte. Dort lebte und wirkte eine Zeit lang mit ihm gemeinsam Matthäus von Vendôme, der aus Tours kam, wo er bei Bernardus Silvestris studiert hatte, von Orléans dann (vor 1175) nach Paris ging und schließlich wieder nach Tours zurückkehrte († vor 1200?). Matthäus (Mattheus, Matthieu) dichtete im ovidianischen Stil, u.a. das biblische Kurzepos ‚Tobias‘, das europaweit zur Schuldichtung wurde. Bei weitem nicht so verbreitet, aber deshalb keineswegs unwirksam war seine in Orléans entstandene ‚Ars versificatoria‘ (AV – Ausg. Munari), mit der die Gattung der Artes poeticae begründet wurde. Obwohl der Werktitel erst von Louis Bourgain stammt, der das Werk 1879 (noch in fragmentarischer Form) in der Neuzeit bekannt machte, trifft er die Sache weit

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besser als ‚Ars poetica‘. Als Muster für eine solche lag Horaz’ berühmte versifizierte Epistel II,3 bereit, welche seit Quintilian (‚Institutio oratoria‘ VIII,3,60) „das Buch ‚De arte poetica‘“ hieß – die ‚Poetik‘ des Aristoteles kannte man im 12. Jh. gar nicht –, doch schlossen sich Matthäus und seine Nachfolger hier nur punktuell an, im ganzen jedoch massiv an die rhetorischen Schriften Ciceros und Pseudo-Ciceros (insbesondere ‚De inventione‘ und ‚Rhetorica ad Herennium‘), gelegentlich auch Quintilians, schließlich an die Grammatik Donats. Es ging ihnen in allererster Linie um literarische Technik, und auch da fast nur um die kleinen Einheiten, kaum um das Werkganze und dessen Makrostruktur. Matthäus definiert zuerst den Vers als eine durch Metrik, schöne Wortverbindungen und Redeschmuck geprägte Rede (AV 1,1) und beginnt gleich mit den Arten des Beginns, nämlich mit einer Sentenz, mit einem Sprichwort oder mit irgendeiner anderen rhetorischen Figur. Es folgen die Stilfehler – der hohe Stil kann aufgebläht, der niedrige Stil zu trocken, der mittlere Stil zerfließend sein usw. – und dann der Schwerpunkt des ganzen Werks, die descriptio, die Beschreibung von Personen, Taten, Vorgängen, Situationen. Entsprechend dem ursprünglichen Ausgangspunkt, der römischen Gerichtsrede, welchen es auch im folgenden nicht aus den Augen zu verlieren gilt, sollen die inneren und äußeren Qualitäten (Gestalt, Alter, Geschlecht, Abkunft, Amt etc.) und Aktionen einer Person möglichst vollständig aufgelistet und deren Wert oder Unwert deutlich herausgestrichen werden, also etwa die Klugheit des Ulysses, die Schönheit Helenas oder die Häßlichkeit Beroes. Dafür werden ausführliche Musterbeispiele geliefert. Teil II behandelt den superficialis ornatus verborum, den „äußeren Wortschmuck“, d.h. die der Aussage entsprechende, dem Versmaß tadellos angepaßte, klangvolle, dem Ohr gefällige Wortwahl, Teil III dann die eher den Intellekt ansprechende qualitas dicendi, d.h. die rhetorischen Figuren und Tropen nach den oben genannten antiken Quellen. Unangekündigt folgt noch ein Teil IV über die executio materiae, nämlich über die Behandlung eines zuvor von anderen Dichtern noch nicht oder bereits gestalteten Stoffes (materia illibata aut ab aliquo poeta primitus exsecuta). Im Grunde interessiert aber nur die in den Schulen übliche Neugestaltung antiker Stoffe. Dabei sollten die Heutigen (moderni) die Fehler der Alten (antiqui), gewisse metrische Freiheiten und zu große Weitschweifigkeit, meiden. Zu den Mitteln, die den Stoff über Gebühr ausweiten und daher nur spärlich verwendet werden sollen, gehören auch die Gleichnisse. Andererseits dürfe bei menschlichen Handlungen, z.B. der Knüpfung eines Liebesverhältnisses, die zu erwartende Abfolge nicht gestört oder verkürzt werden. Es folgen Anweisungen an Lehrer und Schüler für eine konkrete Fehlerkorrektur im

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Unterricht. Der Schluß der Poetik lehrt, wie man ein Gedicht mit Bitten und Dank an Gott und das Publikum abschließen soll. Im Rahmen dieses extremen Formalismus treten die ästhetischen Maximen des Luziden, Eleganten, Graziösen, Abwechslungsreichen am deutlichsten hervor. Inhaltlich stehen die Prinzipien des Wahrscheinlichen und des Idealen in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Aber besondere Bedeutung kommt dem nicht zu, da die ständige Betonung der Einheit von Inhalt und Ausdruck bei Matthäus ohnehin kaum viel mehr als ein Lippenbekenntnis ist. Dasselbe trifft so ziemlich auf alle mittelalterlichen Poetiken zu, selbst auf die ‚Poetria nova‘ Galfreds von Vinsauf (PN – Ausg. Gallo), wie sehr hier die Nachrangigkeit des äußeren Schmuckes auch betont werden mag. Leider wissen wir über die Entstehung dieses so wirkungsmächtigen Textes nicht sicher Bescheid. Er ist Papst Innozenz III. (1198–1216) gewidmet. Dabei erwähnt Galfredus (Gaufridus, Gaufroi, Geoffroi, Geoffrey) de Vino Salvo (Vinsauf) – der Beiname weist auf eine Herkunft aus der Normandie –, er sei aus England nach Rom gekommen, und setzt sich für die Versöhnung zwischen der Herrschaftsspitze (PN, V. 2086: imperialis apex) und dem princeps noster (V. 2094) ein. Edmond Faral hat das mit guten Gründen auf das Interdikt bezogen, mit dem eben jener Papst das England des Königs Johann Ohneland 1208–1213 belegte (Faral 1924, S. 33). Selbst wenn wir Faral zustimmen, was keineswegs alle tun (vgl. z.B. die Datierung des Werks auf 1200–1215 bei Murphy [2005, S. 43]), wissen wir aber noch immer nicht, wo das Werk geschrieben worden ist. Etwa in Rom? Wenn eines jedoch die akademische Luft von Orléans, Paris oder Chartres atmet, dann gerade dieses. Das Werk trägt den Titel im Anschluß an die im Mittelalter so genannte ‚Poetria vetus‘ (= ‚Ars poetica‘) des Horaz, ohne sich deshalb enger an diese anzuschließen. Es behandelt sowohl Poesie als auch Prosa, ist selbst aber nur in Hexametern geschrieben, im Gegensatz zu Galfreds prosaischem ‚Documentum de modo et arte dictandi et versificandi‘, das ungefähr denselben Stoff bringt. Nur in der ‚Poetria‘ finden sich die Anfangsüberlegungen zum poetischen Schaffensvorgang, die offenbar dem Chartrenser Platonismus verpflichtet sind. Das Werk soll aus einem geistigen archetypischen Zustand (PN, V. 47f.: status archetypus) im Innern des Dichters in einen sinnlich erfaßbaren Zustand über- und hervortreten. Schließlich, wenn die Ordnung im Geheimen des Geistes gelungen ist, mag poesis die materia mit Worten umkleiden. Gemäß der Schulrhetorik folgen auf diesen knappen Abschnitt zur inventio weitere zur dispositio, elocutio, memoria und pronuntiatio. Bei der Gliederung des Werks (dispositio) empfiehlt

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Galfred wie Matthäus Sentenz und Exempel am Beginn vor der Schilderung der Ereignisse, aber auch deren Umstellung, also die Vorwegnahme der Mitte oder des Endes. Dies nennt Galfred nach dem ‚Vergilkommentar‘ des Servius und älteren mittelalterlichen literaturtheoretischen Schriften ordo artificialis – im Gegensatz zum ordo naturalis, der Einhaltung der tatsächlichen Reihenfolge, die er natürlich auch nicht verbietet. Bei der elocutio unterscheidet Galfred den stilistischen Schmuck (ornatus) von der Umfangsvariation, obwohl er dazu auch v.a. Gedankenfiguren einsetzt. Er folgt auch hier durchweg antiken Vorgaben, nimmt aber doch wichtige definitorische Verschiebungen vor, die sich insbesondere aus der Empfehlung der sekundären Neugestaltung einer bekannten Materie ergeben. Diese soll ausgeweitet (amplificatio durch Umschreibung, Vergleich etc.) oder gerafft (abbreviatio durch Emphase, Anspielung etc.) werden. Viel stärker hat Galfred in die antike Stillehre eingegriffen, die er in der ‚Poetria‘ durch die Dichotomie von schwerem und leichtem Schmuck (ornatus difficilis/facilis) ersetzt. Jenem weist er die Tropen, also die übertragenen, bildhaften Ausdrücke, diesem die Wort- und Sinnfiguren zu. Es folgen noch Anweisungen zu morphologischen Variationen sowie syntaktischen Umsetzungen und Kombinationen (conversiones et determinationes), schließlich verstreute Einzelvorschriften, z.B. die Aussparung des ornatus im komischen Stil, und Anweisungen für das richtige Vorgehen bei der Fehlerkorrektur. Ganz knapp werden das Auswendiglernen (memoria) und der Vortrag (pronuntiatio, actio) des Werks behandelt. Was im ‚Documentum‘ am stärksten von der ‚Poetria‘ abweicht, sind die Einzelvorschriften, da sie sich stärker an Horaz orientieren. So werden aus V. 128–137 der ‚Ars poetica‘ Ratschläge für eine ausreichende, weil wirklich neu wirkende Umgestaltung eines bereits bearbeiteten Stoffes herausgezogen und aus V. 26–28 eine eigene Dreistilelehre, die sich mit der Ornatuslehre in der ‚Poetria‘ zwar berührt, jedoch die styli materialisiert. Das System kommt dann bei Johannes de Garlandia zur ‚Vollendung‘ (s.u.). Galfred überbietet Matthäus an Systematik und Vollständigkeit und erreicht offenbar schon dadurch, vielleicht aber auch durch die Versform, ein viel breiteres Publikum. Den Geschmack seiner Zeit und der Nachwelt getroffen hat er aber namentlich durch die eindringliche Empfehlung der rhetorischen Verhüllung des Gedankens und der bildhaften Redeweise, d.h. des von ihm so genannten schweren Schmucks, welcher gleichwohl nicht obskur wirken, sondern das Gemeinte klar durchscheinen lassen soll (Bezner 2005, S. 402–409). Die Beliebtheit des Textes signalisieren uns die fast 200 meist vollständig erhaltenen Handschriften (Woods 1985, S. xv;

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Murphy 2005, S. 59), verstreut über ganz Europa. Von der ‚Ars versificatoria‘ sind es nur an die zwanzig, welche jedoch oft auch nur Auszüge aus dem Werk bieten (Munari 1977). Viele Handschriften der ‚Poetria nova‘ sind mit Glossen versehen, die sich bisweilen zu regelrechten Kommentaren ausweiten, die wiederum, etwa ein Dutzend an der Zahl, auch selbständig überliefert sein können. Der älteste davon, verfaßt noch innerhalb derselben Generation wie das kommentierte Werk, bringt es auf acht Überlieferungsträger, die alle nicht in Westeuropa liegen und überwiegend aus dem deutschen Sprachraum stammen dürften (Woods 1985, S. xxxviii– xlix). Nur aus drei englischen Handschriften ist die ‚Ars poetica‘ des Gervasius von Melkley bekannt. Sie schließt direkt an Bernardus Silvestris, Matthäus und Galfred an, wie aus dem Prolog hervorgeht. Man könnte sie also dem Kreis der nordfranzösischen Poetiken zurechnen, obwohl sie 1215/16 ziemlich sicher in England entstanden ist. Die offenbar geringe überregionale Wirkung läßt eine nähere Behandlung hier jedoch verzichtbar erscheinen. Anzumerken gilt es freilich, daß Gervasius die meist traditionellen Themen einer völlig neuen scholastischen Systematik unterwirft. Wenig Systematik ist dagegen in der ‚Parisiana poetria‘ des Johannes von Garlandia aus der Mitte des 13. Jh. zu spüren. Dafür ist die behandelte Stoffülle zu groß. Johannes, ebenfalls Engländer, aber Angehöriger der nächsten Generation, gestorben wohl nach 1272, gestaltete auch sonst in seinen zahlreichen Werken mannigfaltige Themen. Er studierte zumindest anfangs in Oxford und lehrte überwiegend in Paris. Den Beinamen trug er von seiner Wohnstätte, dem clos de Garlande im späteren Pariser Quartier Latin. Die ‚Parisiana poetria‘, entstanden zwischen 1232 und 1249 (Paetow 1927, S. 107–127), eine Prosaschrift mit Musterbeispielen in Prosa und Versen, handelt de arte prosaica, metrica et rhythmica v.a. nach Ciceros ‚De inventione‘ und Galfreds ‚Poetria nova‘, mit gelegentlichen Zitaten aus der ‚Ars poetica‘ des Horaz, berücksichtigt einerseits stärker die Brieflehre, andererseits auch die Poetik. Aber die Anweisungen für Prosa und Poesie gehen immer wieder durcheinander. Die Prosa definiert Johannes zu Anfang als eine durch den Cursus rhythmisierte Rede (‚Parisiana poetria‘ 1,28 – Ausg. Lawler), zählt aber später (5,402–467) vier Arten des modernen Prosastils (nach Bernhard von Meung) auf, von denen eine doch keinen Cursus kennt. Diesem Abschnitt entspricht bei der Poesie einer über die moderne Dichtung in Rhythmen, die Johannes vollständig zu erfassen sucht (7,467–1356). Die Übernahme des materialen Stilbegriffs von Galfred tritt schon in Kapitel I bei der Behandlung der Stoffwahl (inventio) hervor. Erst in Kapi-

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tel II (nach 2,115) schematisiert Johannes im Anschluß an Galfreds Vergilbeispiel (nach den antiken Vergilkommentaren) in einer offenbar von ihm geschaffenen Radform (rota Virgilii) die zu den drei Stilarten, gravis stilus, mediocris stilus, humilis stilus, passenden Gegenstandsbereiche der Kriegshelden, Bauern und Hirten mit ihren Attributen. „Der stilus ist ein an eine persona geknüpftes Sachgebiet mit den dazugehörenden Bezeichnungen, er ist die materia, repräsentiert durch die nomina der personae et res, um Galfreds Termini zu gebrauchen. Von einem besonderen Wie der elocutio ist nicht die Rede“ (Quadlbauer 1962, S. 114). Daß damit nur ein Teilbereich möglicher Gegenstände abgedeckt, ja die mittelalterliche Welt kaum getroffen wird, bleibt unerwähnt. Schon in Kapitel I erscheint das System aber auf diese umgelegt, wenn die darzustellenden Personen in die Standesgruppen der curiales, civiles, rurales eingeteilt werden. Zu den curiales zählt Johannes alle Geistlichen und die weltlichen Hochadeligen, zu den civiles alle Stadtbewohner, zu den rurales alle, die irgendwie das Land bestellen (‚Parisiana poetria‘ 1,124–134). Der niedere Adel, das Rittertum fehlt bemerkenswerterweise. In der Regel dürfen nur stilkonforme Handlungen, Vergleiche und Sachbezeichnungen verwendet werden. Den Ausgleich kann allein die Wahl des leichten oder schweren Schmucks bringen, indem etwa ein niederer Gegenstand durch eine Metapher auf eine hohe Stilebene gehoben wird. Unvermittelt in andere Zusammenhänge eingestreut hat Johannes vieles, darunter auch ziemlich krude gattungspoetische Bemerkungen. Paul Klopsch hat Ordnung hineinzubringen versucht (Klopsch 1980, S. 153–157). Doch bleibt etliches unklar. Obwohl Johannes die platonische Einteilung der Dichtung nach den Sprechern kennt (‚Parisiana poetria‘ 5,305–311), geht er doch von der Schilderung des Falles (narratio) in der Gerichtsrede aus (Cicero, ‚De inventione‘ I,19,27), und obwohl er die Definitionen der drei Arten der narratio, nämlich fabula, historia, argumentum, nach der ‚Rhetorica ad Herennium‘ (I,8,13) zitiert, setzt er doch historia mit Dichtung überhaupt gleich und ordnet ihr alle antiken Gattungen von der Lyrik und Hymnik bis zur Satire, Tragödie und Komödie unter. Diese in Wahrheit dramatischen Stücke sind offenbar für ihn wie für seine Zeitgenossen epische, wenn auch großteils dialogisierte Gedichte, bestimmt durch den traurigen bzw. heiteren Ausgang (‚Parisiana poetria‘ 4,477–481; 5,365f.). Die Komödie weist (der rhetorischen Tradition nach) den Realitätsbezug des argumentum, also Wahrscheinlichkeit, auf und steht im elegischen Vermaß (5,370–372). Das Beispiel für eine comedia, welches in Kapitel IV geliefert wird (4,433–458), eine kleine, angeblich aus dem Französischen übersetzte Schwankerzählung, ist allerdings in leoninischen Hexametern geschrieben.

Eberhard der Deutsche

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Johannes könnte eine Ahnung davon gehabt haben, daß die antiken Rhetoriker die fiktive fabula in der Tragödie sahen, denn er zitiert Horaz’ berühmten Ratschlag für Tragödienschreiber, entweder der Sage zu folgen oder in sich Stimmiges zu erfinden (‚Ars poetica‘, V. 119 = ‚Parisiana poetria‘ 5,320). Kurz darauf spricht er jedoch von der fabula in der Bedeutung von Tierfabel. Diese solle zur Deutung einer dunklen, erklärungsbedürftigen Erzählung herangezogen werden. Sie sei ein integumentum, eine im Bild der Fabel verhüllte Wahrheit, die allegoria hingegen eine im Bild der Historie verhüllte Wahrheit, die in hagiographischen Texten zu verwenden sei (5,390–401). Diese Unterscheidung von integumentum und allegoria entspricht ziemlich genau der im ‚Martiankommentar‘ (2,70–78; s. Kap. 6.4) des Bernardus Silvestris (?). Die ‚Parisiana poetria‘ trägt stark kompilatorische Züge. Was neu daran erscheint, könnte nicht selten auf einem Mißverständnis der Quellen beruhen. Sie war, nach der Überlieferung zu schließen, weniger erfolgreich nicht nur als die ‚Poetria nova‘, sondern auch als die ‚Ars versificatoria‘. Immerhin zeigen die sechs erhaltenen Manuskripte heute eine breite Streuung: Brügge, Cambridge, München, Oxford, Paris, Wien, so daß mit Kenntnis auch im deutschen Sprachraum zu rechnen ist.

6.3 Eberhard der Deutsche Keine Spuren hat die ‚Parisiana poetria‘ im ‚Laborintus‘ (Lb – Ausg. Faral) Eberhards des Deutschen hinterlassen, was in der zeitlichen Priorität dieses Werkes begründet sein kann, aber nicht muß. Daß darin Orléans als „autorennährende Quelle der Muse“ (Lb, V. 947f.: alumna Auctorum, Musae fons) gepriesen wird, weist aber wirklich noch eher in die erste Hälfte des 13. Jh. (Worstbrock 1980, Sp. 274). Dort hat der Verfasser studiert, zuvor in Paris; nun zur Zeit der Abfassung erfüllt er die drückenden Pflichten eines Schulmeisters, wie er sagt (Lb, V. 943–952). In Frankreich hat er den Beinamen Alemannus bekommen. Nur aus späteren Handschriften erfahren wir, daß er schon Pariser magister war und dann rector scolar(i)um in Bremen (oder/und in Köln?). Der Titel des Werks geht auf eine übliche mittelalterliche etymologische Ableitung des Wortes labyrinthus aus labor intus zurück, nimmt nun aber speziell auf die Mühen des Schulmeisters Bezug. Dem Titel entsprechend beginnt das Werk auch nicht als Lehrbuch, sondern als Schilderung des Elends: Natura zögert, im Mutterleib den Armseligen zu formen, über den nichts Gutes in den Sternen steht. Auch Fortuna verheißt Übles. Der heranwachsende künftige Schulmeister wird

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von Philosophia der Grammatica übergeben und über die Anleitung der Schüler belehrt. Ihr schließt sich ihre Dienerin, die Poesis, an und erteilt Unterricht in der Metrik. Als ihren Stoff bezeichnet sie „alles, was der Weltkreis umschließt“ und rechnet Philosophia zu ihrem Gefolge. Das weist wie die Personifikationen der Abstrakta auf eine Vorliebe für die philosophisch-allegorische Dichtung in der Art der Chartrenser. Nun erst nach 268 elegischen Versen beginnt die eigentliche Poetik, welche zuerst die Arten des Beginns (Lb, V. 269–298), dann die Mittel der amplificatio et abbreviatio (299–342) und des ornatus (343–598) lehrt. Diese beiden letzten Kapitel entsprechen formal der ‚Poetria nova‘ und auch weitgehend inhaltlich, nicht allerdings die Arten des Beginns, die auf Matthäus von Vendôme beruhen. Ihn nennt auch die anschließende Liste der Schulautoren (599–686) mit Namen, von Galfred dagegen nur das Werk, sofern mit Ars nova (Lb, V. 665f.) die ‚Poetria nova‘ gemeint ist. Es folgen Anweisungen für den Bau des Hexameters und Pentameters mit allen im Hochmittelalter bekannten Reimschmuckformen. Darauf fällt der Autor wieder in seine Klagen vom Anfang zurück und schildert das elende Leben des Schullehrers (835–990). Angehängt ist ein kurzer Abschnitt über die rhythmische Dichtung (991–1005) mit einer Menge von Musterbeispielen der Strophenformen. Im ganzen Werk werden viele Anweisungen nicht diskursiv, sondern nur durch konkrete Vorschläge poetischer Gestaltung gegeben. Der ‚Laborintus‘ ist zuerst ein wichtiges Zeugnis für Selbstverständnis und Befindlichkeit eines (deutschen) Schulleiters im 13. Jh. Etwas Vergleichbares besitzen wir nur aus der Feder des Bamberger Schullehrers Hugo von Trimberg um 1300. Uns interessiert das Werk jedoch als deutsches Rezeptionszeugnis der französischen Ars poetica. Natürlich darf es nicht als hinreichend repräsentativ genommen werden. Jede in den östlichen Nachbarländern Frankreichs angefertigte Abschrift einer französischen ‚Ars poetica‘, insbesondere natürlich eine kommentierte, muß das Bild ergänzen. Ein eigener Kommentar scheint jedoch in den deutschen Ländern vor dem ‚Poetria-Kommentar‘ des Nicolaus Dybinus aus dem 14. Jh. nicht verfaßt worden zu sein. Nicolaus hat auch den ‚Laborintus‘ kommentiert (Szklenar 1981). Im 14. Jh. sind auch mehr als ein Dutzend Hss. des ‚Laborintus‘ angelegt worden, im 13. Jh. nur eine. Die Überlieferung geht aber, wie bei Galfreds Werk, im Spätmittelalter weiter. Mindestens 43 Hss., allerdings fast nur deutscher Herkunft, sind insgesamt erhalten (Worstbrock 1980). Eine direkte Wirkung der Anweisungen Eberhards auf die lateinische und deutsche Dichtung wird man somit in der in unserem Handbuch beschriebenen Epoche vor 1300 nur sehr beschränkt annehmen dürfen.

Eberhard der Deutsche

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Aber wir dürfen aus dem Inhalt des ‚Laborintus‘ auf das Rezeptionsgut schließen, welches aus der gallolateinischen Poetik und Poesie des 12. und frühen 13. Jh. bereitwillig aufgenommen wurde. Allerdings ist das Anlehnungsbedürfnis nicht durchgängig. So setzt sich Eberhard mit seiner Reimseligkeit in der daktylischen Dichtung ganz deutlich von der klassizistischen Reimfeindschaft des Matthäus (AV 2,43) ab. Auch die Anweisungen für die rhythmischen Formen stammen nicht von Matthäus oder Galfred. Erst in der ‚Parisiana poetria‘ finden sich solche in partieller Übereinstimmung mit dem ‚Laborintus‘. Für Eberhard muß in diesem Punkt keine spezielle französische Tradition vorausgesetzt werden. Die rhythmische Dichtung blüht in der gesamten lateinischen Literatur des Hochmittelalters ziemlich gleichmäßig (Klopsch 1972, S. 27–38). Insgesamt ist die grundsätzliche Anbindung von Theorie und Praxis an die Antike stets fest im Auge zu behalten. Donat, Cicero, Pseudo-Cicero, Horaz standen allen mittelalterlichen Autoren gleichermaßen zur Verfügung, ebenso die Musterautoren für die poetische Praxis. Matthäus und Galfred sorgen hier nur für wichtige Akzentuierungen. Am stärksten ins Gewicht fällt davon zweifellos die von Galfred aufgebrachte und von Eberhard getreulich reproduzierte Entscheidungsmöglichkeit zwischen dem schweren Schmuck der bildhaften Ausdrucksweise, dem „schwierigen Weg“ (Lb, V. 285: semita difficilis), und dem „ebenen Weg“ (431: via plana). Dieser zweite Weg ist allerdings bei Eberhard nicht einfach der des leichten Schmucks der Wort- und Sinnfiguren, sondern wiederum ein Zweiweg, von dem nur die eine Abzweigung der von Galfred vorgezeichneten Richtung des leichten Schmucks folgt. Während Galfred erklärt, „Rede möge sich stets schmücken“ (PN, V. 737: se semper sermo coloret ), und davor warnt, „daß häßliche Flachheit die Ohren erschrecken könnte“ (1096: planities turpis ne terreat aures), räumt Eberhard auch die schlichte Möglichkeit ein, auf jeden Schmuck zu verzichten und alltägliche Wörter zu benutzen (Lb, V. 431–436). Sein Interesse gilt dann aber natürlich der planities picta (439). Doch das manieristische Credo Galfreds, daß jeder Inhalt „sich ein preziöses Gewand umlegen solle“ (PN, V. 756: sibi pretiosum sumat amictum), erscheint zumindest abgeschwächt. Von den empfohlenen Schulautoren schreiten allerdings nur die lateinischen prosaischen Äsopfabeln auf dem ebenen Weg der Alltagssprache dahin, sonst können alle aufgeführten antiken und mittelalterlichen Musterautoren als Beispiele für leichten oder schweren Schmuck, meist für beides, dienen. Die Mehrzahl von ihnen ist schon in älteren Listen der auctores (Accessus ad auctores, Konrad von Hirsau u.a.) zu finden. Doch dabei handelt es sich nur um antike oder für antik gehaltene Autoren. Nun treten

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jedoch mittelalterliche und zwar in allererster Linie französische oder anglonormannische aus dem 12. und frühen 13. Jh. hinzu, Vertreter der Theorie (Grammatiker und Poetiker) und der Praxis (Vitalis von Blois und andere ‚Elegiker‘ des 12. Jh., Johannes von Hauville, Walther von Châtillon, Joseph Iscanus [?], Marbod von Rennes, Petrus Riga, Alain von Lille, Matthäus von Vendôme [‚Tobias‘], Bernardus Silvestris). Hier wird jedem etwas geboten, Klassizistisches und Manieristisches, Elegantes und Hermetisches, Lehrhaftes und Erzählendes, auf jeden Fall Fundgruben für alle möglichen rhetorischen Schmuckmittel.

6.4 Lectio auctorum und Gattungspoetik Gattungspoetische Ansätze lassen sich in Eberhards Literaturliste ebensowenig entdecken wie im übrigen ‚Laborintus‘, in der ‚Ars versificatoria‘ oder der ‚Poetria nova‘. Dafür muß man in die Einführungen und Kommentare zu den auctores Einsicht nehmen. Auch diese Tradition wird im französischen Kulturraum des 12. Jh. entscheidend bereichert. Verbunden mit der zu Anfang dieses Artikels besprochenen Aufwertung der Dichtung zu einer vollgültigen Wissenschaft plädiert man nun auch in gesteigertem Maße für deren erkenntnis- und wahrheitsvermittelnde Funktion. Die antiken Ausgangspunkte dafür sind einmal mehr die ‚Ars poetica‘ des Horaz und die klassische Rhetorik, dann Macrobius’ Kommentar zu Ciceros ‚Somnium Scipionis‘, Servius’ Kommentar zu Vergils ‚Aeneis‘ sowie christlich-spätantike Exzerpte aus diesen Schriften, insbesondere in Isidors ‚Etymologien‘. Den hier anschließenden mittelalterlichen Theoretikern der Literatur geht es aber weniger um diese an sich in ihrer Eigenart, sondern um ihren philosophisch-theologischen Erkenntniswert (Bezner 2005, S. 341–413). Soweit man ihr einen solchen zubilligte, gewann sie gleichwohl dadurch höheres Prestige. Der französische Aeneiskommentator des 12. Jh. (Bernardus Silvestris?) schreibt Vergil die Absicht zu, das Schicksal des Aeneas und der Trojaner „nicht durchgehend gemäß der historischen Wahrheit“ (‚Aeneiskommentar‘ 1,9: non usque secundum historie veritatem), die Dares Phrygius beschrieben habe, darzustellen, sondern vielmehr mit Erfindungen (1,10: ficmentis) zu erhöhen, um die Huld des Augustus zu verdienen. Die Dichter teilt er ein in satirici, comedi und historici nach den horazischen Kategorien der utilitas und der delectatio (2,13 ~ ‚Ars poetica‘, V. 333: Aut prodesse volunt aut delectare poetae). Das Ziel der Satiriker sei nur der (moralische) Nutzen, das der Komödienschreiber nur die Unterhaltung, das der historici schließ-

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lich eine Kombination von beiden, die nunmehr an der ‚Aeneis‘ demonstriert wird. Sowohl Form wie Inhalt können den Leser ergötzen. Am Stil kann er sich aber auch selbst schulen und zugleich die Taten der Protagonisten als exempla guten und schlechten Verhaltens zu Richtlinien des eigenen Lebens machen (‚Aeneiskommentar‘ 2,11–3,3). Vergil soll aber auch als Philosoph schlechthin erscheinen, hatte doch Macrobius der ‚Aeneis‘ sowohl poeticae figmentum als auch philosophiae veritatem zugebilligt (‚In somnium Scipionis‘ I,9,8; danach ‚Aeneiskomm.‘ 1,1–3). In diesem Sinne versteht der Kommentator das Epos (im Gefolge des Fulgentius) als naturphilosophische und anthropologische Allegorie, die den moralischen Aspekt durchaus einschließt, aber übersteigt. Derselbe Kommentator stellt auch im ‚Martiankommentar‘ die moralische utilitas, welche schon in der ‚Ars poetica‘ (V. 397–399) hervorgehoben wird, in den Vordergrund. Aufgabe der Dichtung sei es grundsätzlich, „Laster auszurotten und Tugenden einzupflanzen“ (‚Martiankomm.‘ 3,984f.: vicia eradicare et virtutes inserere) – ein Gemeinplatz der mittelalterlichen Dichtungslehre. Die Einteilung der Gattungen leitet er wie üblich aus Ciceros ‚De inventione‘ (I,19,27) bzw. aus ‚Rhetorica ad Herennium‘ (I,8,13) ab. Danach definiert er die fabula als eine weder wahre noch wahrscheinliche Erzählung, die historia als Erzählung eines tatsächlichen Ereignisses (‚Martiankomm.‘ 3,976: narratio rei geste), das argumentum als ein erfundenes Ereignis, das dennoch hätte geschehen können. Der antiken Quelle folgt auch die Exemplifizierung des argumentum durch die comedia, nicht dagegen die der historia durch die satira und die tragedia. Vom dramatischen Charakter der tragedia hören wir nichts (vgl. Klopsch 1980, S. 112–119), nur von ihrer moraldidaktischen Wirkung. Vor allem lehre sie, Mühen wie die des Ulixes zu ertragen und Fortuna zu verachten (3,980f.). Die Ausstrahlung dieser poetologischen Thesen zeigt sich im Kommentar Radulfs von Longchamp zum ‚Anticlaudianus‘ des Alanus ab Insulis vom Anfang des 13. Jh. (‚In Anticlaudianum‘ 44,3–15). Das von Vergil angewendete philosophische Verfahren in der ‚Aeneis‘ drückt der ‚Martiankommentar‘ klarer aus als der ‚Aeneiskommentar‘. Nach der Aussage beider beschreibt Vergil in integumento, „was der auf Zeit in den menschlichen Körper versetzte menschliche Geist tut und leidet“ (‚Martiankomm.‘ 1,83f. ~ ‚Aeneiskomm.‘ 3,10f.). In beiden ist integumentum nahezu identisch definiert als „eine Rede, die unter einer fabulösen Erzählung eine wahre und vom Äußeren verschiedene Einsicht verhüllt“ (‚Martiankomm.‘ 2,74f.: oratio sub fabulosa narratione verum et ab exteriori diversum involvens intellectum ~ ‚Aeneiskomm.‘ 3,14f.). Nur im ‚Martiankommentar‘ werden aber das integumentum und die allegoria als zwei Arten des Bildes,

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der figura, vorgestellt. In der Definition der allegoria ist gegenüber der Definition des integumentum nur die fabulosa narratio durch die historica narratio ersetzt (‚Martiankomm.‘ 2,73). Als Beispiel für diese dient das Ringen Jakobs mit dem Engel, für jene der Orpheusmythos. Damit steht die theologische Bibelexegese sozusagen gleichberechtigt neben der philosophischen Dichtungsexegese, die natürlich ihre Wurzeln in der antiken Homerallegorese hat. Die Hauptquelle ist hier Macrobius (Knapp 1997, S. 44f.). Doch das Ergebnis ist ganz mittelalterlich. Nicht nur in der historia, sondern auch in der fabula kann sich eine tiefere Wahrheit verbergen, auch wenn sich in der fabula kein spiritueller Sinn, sondern nur ein zweiter Literalsinn offenbaren kann (ebd., S. 47). Daß die historia in einem Gegensatz zur Dichtung stünde, wie dies Aristoteles behauptet und noch der antike Vergilkommentator Servius am Beispiel Lucans nachgesprochen hatte, ist daraus nicht abzuleiten. Vielmehr interpretiert es Arnulf von Orléans in seinem Kommentar zu Lucans ‚Bellum civile‘ gerade als Lob, wenn dieser „nicht einfach Dichter, sondern Dichter und Geschichtsschreiber genannt wird“ (Arnulf, ‚Lucankommentar‘ 4,4: poeta non simpliciter dicitur, sed poeta et historiographus; vgl. von Moos 1976, S. 117). Hier ist stets nur von einer einfachen Alternative fabula – historia die Rede (ebenso in den ‚Integumenta Ovidii‘ von Johannes von Garlandia, Ausg. Ghislaberti, S. 39f.). Die ‚Zwischenlösung‘, das argumentum verisimile, spielt dabei keine Rolle, obwohl es in der rhetorischen Trias weiter ‚mitgeschleppt‘ wird. Die aristotelische Poetik der Wahrscheinlichkeit hat im Mittelalter keine Wurzeln geschlagen. Nur Päivi Mehtonen hat das anders gesehen und dem argumentum als fictiva et verisimilis narratio eine prominente Stellung im Gattungsspektrum des 12. Jh. zugesprochen (Mehtonen 1996, S. 50f.). Die der historia und dem argumentum angeblich gemeinsame Schnittmenge der Wahrscheinlichkeit wird nur in den ‚Glossen zu Platons Timaios‘ von Wilhelm von Conches herausgestellt, aber keine konkrete Gattung als Beispiel für historia oder argumentum genannt. Traditionell wurde die Komödie mit dem argumentum assoziiert, wodurch sich die sog. Elegische Komödie des 12. Jh. legitimieren konnte. Der spanische Übersetzer und Philosoph Dominicus Gundissalinus († nach 1181) und später um 1300 der steirische Benediktiner Engelbert von Admont bringen hier dagegen die biblische parabola ins Spiel (Knapp 2005, S. 245). Das gehört zwar nicht in die französische Szene, spricht aber grundsätzlich gegen die Existenz eines fest umrissenen argumentum-Konzepts. Wenn Anselm von Laon in seinem ‚Lucankommentar‘ erklärt: „Jeder Erzähler soll zumindest wahrscheinlich erzählen“ (ad IV,810: omnis, qui narrat, verisimiliter saltem debet narrare – Ausg. Weber, S. 323; vgl. Marti 1941, S. 251), so folgt er damit

Deutsche volkssprachige Rezeption der Artes poeticae

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einerseits der alten rhetorischen Empfehlung für die Fallschilderung in der Gerichtsrede (‚Rhetorica ad Herennium‘ I,9,14) und bezieht dies andererseits auf einen Autor, den er in erster Linie, wenngleich nicht ausschließlich als Historiographen qualifiziert (Anselm, ‚Lucankommentar‘, Ausg. Weber, S. 3). Lateinische Schriften aus dem deutschen Sprachraum, welche uns eine Rezeption der beschriebenen gattungspoetischen Überlegungen bezeugen könnten, scheinen nicht zu existieren. Ob die Kommentare des (Pseudo-) Bernardus Silvestris hier vor 1300 oder überhaupt je bekannt waren, wissen wir nicht.

6.5 Deutsche volkssprachige Rezeption der Artes poeticae Das mag noch die Zweifel derjenigen bestärken, welche ohnehin einem Zusammenhang der lateinischen Theorie mit der volkssprachigen, im speziellen der deutschen poetischen Praxis skeptisch gegenüberstehen. Die enge Verflechtung der intellektuellen Szenen diesseits und jenseits des Rheins sollte aber aus dem vorliegenden Band insgesamt deutlich genug hervorgehen. Gegenüber dem prinzipiellen Zweifel wendet James J. Murphy mit Recht ein, daß ein mittelalterlicher Schulmeister – der ja zwar lateinisch unterrichtete, aber Latein nicht als Muttersprache hatte – die von ihm gelehrten sprachlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten von vornherein als sprachenunabhängige verstanden hat, so daß hier jederzeit eine Übertragung möglich war, und schließt daraus: „The school arts of poetry and prose, then, help us to understand what truly may be called the literary infrastructure of the Middle Ages“ (Murphy 2005, S. 67). Die Artes poeticae und andere hochmittelalterliche poetologische Werke und Werkpassagen sind wichtige Indizien dieser „literarischen Infrastruktur“, machen diese aber, wie bereits mehrfach angedeutet, beileibe nicht allein aus. Jeder mittelalterliche Erzähler, der etwas länger eine bessere Schule besucht oder professionellen Kontakt mit einem fortgeschrittenen Schüler gehabt hatte, wußte z.B., daß eine Erzählung „kurz, klar und wahrscheinlich sein soll“ (‚Rhetorica ad Herennium‘ I,9,14: ut brevis, ut dilucida, ut veri similis sit ). Erzähler, welche grob dagegen verstoßen, versuchen daher vielfach ernsthaft oder ironisch, sich zumindest nominell gegen entsprechende Vorwürfe zu verwahren, versprechen also etwa, der nötigen Kürze wegen etwas zu übergehen – ehe sie es dann doch meist schildern. Dazu bedurfte es keines französischen Einflusses, auch wenn die Intensität des grammtisch-rhetorischen Unterrichts an deutschen

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Schulen im 12. Jh. generell vom Westen bedeutende Impulse erhalten haben dürfte. Gottfried von Straßburg möchten wir uns freilich am liebsten als jungen Mann an einer nordfranzösischen Domschule vorstellen. Belegen können wir das zwar nicht. Selbst die Benützung der neuen Artes poeticae für seinen berühmten Literaturexkurs im ‚Tristan‘ (um 1210) kann man nicht stringent nachweisen. Da Gottfried jedoch ohne jeden Zweifel an anderer Stelle seines Werks direkt und wörtlich aus der ‚Ars versificatoria‘ geschöpft hat (‚Tristan‘, V. 17983–89, nach AV 1,55,11–34; vgl. Glendinning 1987, S. 624–626), wird man die feststellbaren Parallelen im Literaturexkurs auch als Anleihen bei der derselben ‚Ars‘ werten dürfen, sofern es sich nicht um rhetorische Gemeinplätze handelt. Im Gegensatz zu Matthäus, der ja seine ‚Ars‘ Jahrzehnte vor dem ‚Tristan‘ schrieb, ergeben sich bei den anderen Artes poeticae allerdings chronologische Probleme. Höchstens Galfred käme noch als Gewährsmann in Frage. Die Blumen (flores – bluomen) und Farben (colores – varwe) sind als bildhafte Bezeichnungen für den ornatus seit Cicero im Gebrauch. Sie tauchen denn auch ganz selbstverständlich bei Gottfried und in den Artes poeticae auf. Nur diesen scheint aber die Beschreibung des ästhetisch-poetischen Ideals verpflichtet: 4619 Hartman der Ouwære ahî, wie der diu mære beide ûzen unde innen mit worten und mit sinnen durchverwet und durchzieret! 4625 wie er mit rede figieret der âventiure meine! wie lûter und wie reine sîne cristallînen wortelîn beidiu sint und iemer müezen sîn!

„Hartmann, der von der Aue, hei, wie der die Erzählung außen und innen mit Worten und Gedanken durchfärbt und ausziert! Wie er den Sinn der Aventüre mit dem Ausdruck genau trifft! Wie lauter und rein seine kristallenen Wörtchen sind und auch immer bleiben mögen!“

Christoph Huber (1979) und Eberhard Nellmann (1988) schließen das unmittelbar an die ‚Poetria nova‘ (V. 742f.: se sermo coloret Intus et exterius; ähnlich V. 746 u. 1886f.) und an den ornatus verborum et sententiarum im ‚Documentum‘ (II,3,2) an, sehen aber – im Gegensatz zu Lambertus Okken (1984, zur Stelle) – auch die Nähe zur ‚Ars versificatoria‘ (2,9): Versus enim aut contrahit elegantiam ex „Der Vers bezieht seine Eleganz aus der venustate interioris sententie, aut ex superficiali Schönheit des inneren Sinns, aus dem ornatu verborum aut ex modo dicendi. oberflächlichen Schmuck der Wörter oder aus der Ausdrucksweise.“

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Die venustas interioris sententie exemplifiziert Matthäus an zwei antiken Beispielen für eine allgemeine Sentenz (generalis sententia), wo alltägliche Wörter und keine Figuren oder Tropen verwendet werden (AV 2,10). Daraus erhellt, daß dahinter nicht die alte Unterscheidung von Wort- und Sinnfiguren stecken kann. So wird denn auch bei Gottfried von einem äußeren Schmuck mit worten und einem inneren Schmuck mit sinnen die Rede sein, auch wenn die komprimierte Ausdrucksweise eine Überkreuzung zuließe. Das scheinen die folgenden zitierten Verse zu bestätigen (sinne ~ meine; wort ~ wortelîn), obwohl auch hier die poetische Rede die Logik nicht eben stärkt. Doch im Fokus steht die durchscheinende Klarheit des Ausdrucks. Sie entspricht dem klassisch-lateinischen Stilideal der perspicuitas. Nellmann (1988, S. 43f.) verweist mit Recht vor allem auf Quintilian, übersieht aber, daß sowohl Galfred als auch Matthäus die sprachliche Dunkelheit vehement ablehnen. Nur mit Matthäus hat Gottfried aber die Bevorzugung der via plana des leichten Schmucks gemein. Die poetische Rede soll zwar keinesfalls schmucklos, doch ebene unde sleht (‚Tristan‘, V. 4659: „eben und gerade“) sein, so daß niemand darüber stolpert. Den schlechten Dichtern wirft er vor, sie würden mit einem Baumstumpf, nicht mit Blättern Schatten spenden (V. 4671–73). Dieses Bild für den mangelhaften ornatus hat er wohl wieder von Matthäus (AV, Prolog 7: qui trunco, non frondibus efficit umbram) bezogen, der es freilich selbst aus Lucans ‚Bellum civile‘ (I,140) genommen hat. Die von Matthäus getadelten Flickschuster, pannorum assutores (AV, Prolog 7 nach Horaz, ‚Ars poetica‘, V. 16), haben dagegen die Textilmetaphern Gottfrieds schwerlich angeregt, ist doch der textus, das „Gewebe“, ein schon in der Antike habitualisiertes Bild für die Dichtung. Gottfried schreibt den Exkurs natürlich nicht als ‚objektiver‘ Kunstrichter, sondern in erster Linie zur Rechtfertigung seiner eigenen Dichtung, in welche der Exkurs ja auch kunstvoll integriert ist. Der Anschluß an die zeitgenössischen lat. Poetiken spekuliert zweifellos auf Akzeptanz seines ästhetischen Urteils bei den Zunftgenossen (vgl. Chinca/Young 2001, S. 643). Fraglich ist, wieweit er sich von den Vorgaben entfernt. Die lat. Poetiker scheinen die inneren Vorzüge einer Dichtung auf sentenzartige Lebensmaximen einzuschränken. Sie haben ja fast nur kleinere Einheiten im Visier. „Blickt Gottfried hier auf das Romanganze und erstellt mit meine einen integrierenden Sinnbegriff“, wie Huber (1979, S. 295) meint? Denkbar wäre es, doch der Fortgang des Literaturexkurses gibt wenig Anlaß zu dieser Auffassung – abgesehen von dem Angriff auf die vindære wilder mære (‚Tristan‘, V. 4663), sofern damit Erfinder dunkler, unverständlicher Geschichten gemeint sind (Nellmann 1988, S. 49). Gottfried sieht sich demgegenüber ‚nur‘ als Bearbeiter einer bereits poetisch

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gestalteten Erzählung (Huber 1979, S. 293), und genau diesem Fall haben auch die Artes poeticae ihr Hauptaugenmerk gewidmet. Rudolf von Ems, ein Bewunderer und Nachfolger Gottfrieds, nennt in seinem nach 1230 entstandenen ‚Alexander‘, V. 3143–45, Gottfrieds Stil spæhe guot wilde reht […] ebensleht wæhe reine vollekommen („kunstvoll, gut/geeignet, seltsam/dunkel, richtig, eben und gerade, glänzend, rein, vollkommen“), den Stil Hartmanns sleht, süeze unde guot (V. 3123), den Stil Wolframs schließlich starc, in mange wîs gebogen, wilde guot und spæhe, mit vremden sprüchen wæhe (V. 3130–32: „stark, in vielfältiger Weise gebogen, seltsam/dunkel, gut/geeignet und kunstvoll, glänzend mit ungewöhnlichen Aussagen“). Gustav Ehrismann (1919, S. 35) hat resümiert: „Hartmanns Stil ist nicht wilde und spæhe wie der Wolframs und Gotfrids, Wolframs Stil nicht sleht und süeze wie der Hartmanns und Gotfrids, Gotfrids Stil aber umfaßt alle Eigenschaften, die Hartmann und Wolfram zukommen und dazu noch einige.“ Er muß aber gleich darauf zugeben, daß dem Stil Gottfrieds weder Kraft noch gewundene, krumme Ausdrucksweise noch fremde sprüche zugesprochen werden. Obwohl Gottfried und Wolfram das Epitheton wilde erhalten, kann man nicht herauslesen, daß Gottfried nach Rudolfs Meinung „the smoothness of Hartmann with the twistedness that characterises Wolfram“ kombiniert (Palmer 2005, S. 547), vielmehr könne, heißt es, Gottfried „so gut dichten, krumme Gedichte [gedichtete Krümmung?] gerade machen“ (Rudolf von Ems, ‚Alexander‘, V. 3163f.: sô wol tihten, / getihte krümbe slihten). Rudolf spricht nur von der kunst der Meister im allgemeinen, so daß schon Ehrismanns Einschränkung auf den Stil problematisch, aber nicht ganz unplausibel ist. Die verwendeten Epitheta möchte er aus lat. literaturgeschichtlichen Abrissen de scriptoribus ecclesiasticis oder dergleichen herleiten, meint aber nicht, „daß Rudolf neben Gotfrid noch ein derartiges lateinisches Dichterkompendium gekannt hat“ (Ehrismann 1919, S. 37). Rudolf kann dann auch nicht mehr als Zeuge einer direkten Beeinflussung durch die Artes poeticae gelten. Das Übergewicht des formalen Aspekts in der ästhetischen Bewertung hat sich aber erhalten, ja wohl sogar verstärkt. Im Laufe des 13. Jh. beginnt man eine mit reichem rhetorischem ornatus ausgestattete poetische Ausdrucksweise auch im Deutschen mit einer Lehnübersetzung (bzw. einem Lehnwort) als geblümte Rede (geblüemet/ geflôrieret rede) zu bezeichnen. Im speziellen meint blüemen aber seit den 1270er Jahren „die Verwendung metaphorischer Ausdrucksformen mit vorzugsweise hyperbolischer Bedeutung in amplifikatorischer Funktion in laudativen Kontexten“ (Hübner 2000, S. 442). Gert Hübner schlägt dafür als Terminus technicus „Lobblumen“ vor und hält einen historischen Zu-

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sammenhang mit den von Matthäus gelehrten Beschreibungsvorschriften und mit Galfreds Amplifikationstechniken, insbesondere in Verbindung mit dem schweren Schmuck, für durchaus erwägenswert. Rudolf von Ems spricht ausschließlich von der kunst (ars), gar nicht von der natürlichen Begabung (ingenium) des Dichters. Daß beides zusammengehört, ist schon für Horaz (‚Ars poetica‘, V. 408–411) und Quintilian (‚Institutio oratoria‘ X,2,12) selbstverständlich. Auch die Artes poeticae gehen daher davon aus, müssen aber als Schultexte natürlich die Erlernbarkeit des Dichtens in den Vordergrund stellen. Matthäus räumt die vorgängige Notwendigkeit des ingenium sozusagen nur gezwungenermaßen ein: Quamvis enim natura fundat ingenium, provehit tamen usus, sive exercitium confirmat, perseverantia coronat (AV 4,36 „Obwohl die Natur den Grund der Begabung legt, führt der Gebrauch sie doch weiter, oder die Übung stärkt sie; die Ausdauer krönt sie“). Die deutschen fahrenden Literaten dürften diese Meinung weitgehend geteilt haben. Aber es gibt auch Ausnahmen. Einer der besonders kunstfertigen Reimschmiede, Konrad von Würzburg († 1287), behauptet kühn, jede Kunst könne erlernt werden, nur nicht die Kunst des Dichtens (‚Trojanerkrieg‘, V. 68–87). Gleichzeitig kehrt Konrad aber seine Bildung in den Artes allenthalben in seinen Werken überdeutlich hervor – ganz im Gegensatz zu Wolfram von Eschenbach, der die Inspiration für seinen ‚Willehalm‘ sogar als illitteratus, d.h. ohne Kenntnis der Schrift oder zumindest jeder skriptoralen Gelehrsamkeit, direkt vom Heiligen Geist erhalten haben will (Wolfram, ‚Willehalm‘ 2,16–22): der rechten schrift dôn unde wort dîn geist hât gesterket. mîn sin dich kreftec merket: swaz an den buochen stêt geschriben, des bin ich künstelôs beliben. niht anders ich gelêret bin: wan hân ich kunst, die gît mir sin.

„Klang und Wortlaut der wahrhaften Schrift hat dein Geist gestärkt. Kraftvoll nimmt ihn mein Erkenntnisvermögen wahr. Alles, was in den Büchern geschrieben steht, ist für meine Kunst wirkungslos geblieben. Auf keine andere Weise bin ich gelehrt: Besitze ich Kunst, so kommt sie aus dem Erkenntnisvermögen.“

Das Deutsche wie das Französische besitzen für die Inhaltsseite einer sprachlichen Aussage und die Einsicht in diese Aussage nur ein Wort, mhd. sin, afrz. sen, während im Lateinischen jene nicht nur mit sensus, sondern auch mit sententia wiedergegeben werden kann. In dem Zitat könnte aber das Wort sin bei seinem letzten Vorkommen eventuell sogar den Heiligen Geist bezeichnen, der unmittelbar darauf um Inspiration angefleht wird. Hier treten wir auf jeden Fall vollends aus dem Dunstkreis der Schulstube heraus.

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6.6 Französische Gattungspoetik in deutschen Werken? Obwohl Wolfram sich von der Schulgelehrsamkeit distanziert, legt er doch größten Wert darauf, daß das von ihm Erzählte dem historischen Wahrheitsanspruch genügt. Bei der französischen oder germanisch-deutschen Heldensage, die als Geschichtsüberlieferung des illiteraten Kriegeradels galt, war dies kein Problem, wohl jedoch beim Höfischen Roman, der auf die Anbindung an die Geschichte weitestgehend verzichtete, so viele irreale Geschehnisse erzählte und sich zumindest teilweise keine Mühe gab, sie ernstlich zu beglaubigen. Im Lateinischen gibt es zwar gelegentlich am Rande der Geschichtsdichtung auch die epische Verarbeitung von Heldensagen; die Gattung des Höfischen Romans existiert jedoch ausschließlich in der Volkssprache. Hier ist die Gattungstheorie aber ausgesprochen defizitär (Knapp 1997 u. 2005). Im Französischen hebt wenigstens Jean Bodel in seiner ‚Chanson de Saisnes‘ (V. 9–11) die Chansons de geste als „wahr“ (voir) von den Romanen ab, die bloß „nichtig und ergötzlich“ (vain et plaisant) seien. In deutschen Werken fehlt eine solch klare Stellungnahme. Immerhin qualifiziert der deutsch schreibende friulanische Lehrdichter Thomasin von Zerkläre in seinem ‚Welschen Gast‘ von 1215/16 die âventiure bzw. der âventiure maere als lüge. Thomasin geht in ‚Der welsche Gast‘ (V. 1079–1162) von der zuvor empfohlenen Kinderlektüre aus, die Enite und Penelope, Gawein und Karl den Großen etc. als Vorbilder vor Augen stellen soll, weist dieser Lektüre aber nunmehr den ihr angeblich allein zukommenden Platz, eben die Kinderstube zu und empfiehlt denjenigen, welche zu Verstand gekommen sind (V. 1081), sie sollten diese unwahren Geschichten ganz sein lassen (1085: diu spel diu niht wâr sint ). Er will zwar niemand schelten, der âventiure verfassen könne, da diese ja zur Ausbildung junger Menschen beitragen. Die in den âventiuren enthaltenen bilde achtet Thomasin den gemalten Bildern gleich und dementsprechend die âventiure-Leser den Schriftunkundigen (illitterati), als deren Beispiele er nur Bauern und Kinder ausdrücklich erwähnt. Aber diesen stelle sich eben jeder gleich, der nicht über die âventiuren und die bilde hinausgelangen könne. Wer weiter nichts verstehen könne (1091: swer niht vürbaz kan vernemen), d.h. eben schwierigere Sinnzusammenhänge (1108: tiefe sinne), für den sei es besser, sich wenigstens moralisch an den Vorbildern in den âventiuren auszurichten (1109–12). Aber wessen Verständnis tiefer reiche, der solle nicht seine Zeit mit der Erzählung von âventiuren verlieren (1113–15), sondern der Lehre von Anstand, Vernunft und Wahrheit (1116f.: der zuht lêre / und sinne unde wârheit ) folgen.

Literaturverzeichnis

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Die âventiure wird definiert als Wahrheit, die mit Lügen sehr schön eingekleidet, ja mit ihnen geradezu gekrönt sei. Immerhin liege aber in dem bildlichen Verweis (Thomasin, ‚Der welsche Gast‘, V. 1124: bezeichenunge) auf zuht und wârheit ein Wert. Nochmals wird den deutschen âventiureDichtern gedankt. Noch besser wäre es aber gewesen, wenn sie etwas ganz ohne diese Lüge verfaßt hätten (1139–41). Mit der reinen Wahrheit könne man ja die Gesinnung eines Menschen noch weit wirksamer bessern. Die Wahrheit stelle jedem Dichter stets genug Material zur Verfügung. Deshalb solle sich ein höfischer Dichter schlechthin jeder Lüge enthalten und statt dessen von guoten dingen reden (1161). Man hat dahinter die integumentum-Lehre des (Pseudo-)Bernardus Silvestris vermutet (Huber 1986). Das trifft aber wohl den – recht schlichten – Sinn dieses Textes nicht (Knapp 1987; Nellmann 1988, S. 42; Haug 1992, S. 238). Es ist hier nicht von einem doppelten Verständnis der âventiure die Rede, einem oberflächlichen und einem der tiefen sinne. Vielmehr werden diese tiefen sinne nach Thomasins Ansicht nur von den reinen Lehrschriften vermittelt. Die âventiuren vermögen nur Ungebildeten indirekte Verweise auf Moral und Wahrheit zu geben. Das wußte man alles schon seit der spätantik-christlichen Poetik, die selbst der ‚lügenhaften‘ Tierfabel eine verax significatio (Isidor, ‚Etymologiae‘ 1, 40, 6) zubilligt. Der neuen poetologischen Überlegungen aus den nordfranzösischen Schulen bedurfte es dazu nicht. Dasselbe gilt für die übrigen poetologischen Gemeinplätze in der deutschen Dichtung des 12./13. Jh., die Aufgabe des prodesse et delectare, die gespielte Bescheidenheit, die Unfähigkeitsbeteuerung, die dennoch immer wieder postulierte Unsterblichkeit der Dichtung und andere (vgl. Boesch 1936 u.a.). [Manuskriptabschluß (Kap. 6): Februar 2008]

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Einleitung

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7 Geistliche und weltliche Lyrik – die Rezeption lateinischer Lyrik aus Frankreich im deutschen Sprachgebiet von Udo Kühne 7.1 Einleitung – 7.2 Mittellateinische Lyrik in Frankreich – 7.3 Die Rezipierbarkeit franzigener lateinischer Lyrik – 7.4 Felder der Interferenz

7.1 Einleitung Rahmenbedingungen für lateinische Lyrik im Mittelalter – Gattungstradition und Gattungsbewußtsein – Metrisch/Rhythmisch – Geistlich/Weltlich – Text/Melodie – Lyriküberlieferung – Internationalität?

Rahmenbedingungen für lateinische Lyrik im Mittelalter Im Unterschied zu den volkssprachlichen Literaturen des Mittelalters steht die gesamte mittellateinische Schriftlichkeit prinzipiell in einem Traditionsverhältnis zur Textkultur der römischen Antike. Das Bindeglied (an der Oberfläche) stellt die Literatursprache Latein dar. Diese ist jedoch im Mittelalter nirgends mehr die Muttersprache der produzierenden Autoren, sie muß also von ihnen erlernt werden, und zwar anhand eines schulischen Lektürekanons, der anfangs exklusiv Werke der römischen Klassik und der christlichen Spätantike umfaßt, später auch einigen Spitzentiteln vornehmlich des 12. Jahrhunderts (wie beispielsweise ‚Anticlaudianus‘ oder ‚Alexandreis‘) sich öffnet. Dabei dominiert Poesie, vor allem Epos und Lehrgedicht, die Prosa tritt zurück. Das Trivium (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) vermittelt auf solchen Bahnen einen kombinierten Sprachund Literaturunterricht. Stoffe, Formen und Techniken der Dichtung lernt der angehende mittelalterliche litteratus in antikem Gewand kennen. Will er sich der eigenen Lebenswelt literarisch zuwenden, verlangt ihm dies oft eine explizite Distanznahme ab. Für die ist er aber gut gerüstet. Im

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Geistliche und weltliche Lyrik

Verlauf des 12. Jahrhunderts sieht er sich sogar mit attraktiven Innovationen aus der volkssprachlichen Kultur, Artusroman und Minnesang, konfrontiert. Wenn er sich auf dies Angebot ein wenig einläßt, und sei es nur: rezipierend (lesend und/oder zuhörend), wird er feststellen, auch da kann weiterhin mit ‚römischer Münze gezahlt‘ werden, bleiben lateinische Grundlagen noch (mehr oder weniger) kenntlich. Sie machen den vorliegenden Band I der GLMF erforderlich. Das damit gefallene Stichwort von der mittelalterlichen Zweisprachigkeit stellt keine leere Parole dar. Es verweist auf eine in Mittelalter und früher Neuzeit prinzipiell geltende ‚kulturelle Zweisprachigkeit‘, die sonst in keiner anderen Epoche der Geistesgeschichte, weder in Antike noch Moderne, als Grundbedingung literarischen Produzierens anzutreffen ist und die aus dem Beharrungsvermögen des Lateins resultiert. Auch nachdem die sog. Volkssprachen in Europa längst bereits literaturfähig geworden waren, Autoren ihre Werke etwa auf Französisch, Deutsch oder (spät) Italienisch verfassen konnten, in ihren jeweiligen Muttersprachen, blieb das Latein in der Rolle einer internationalen Gelehrten- und Literatursprache eine feste Größe und oft übermächtige Konkurrenz. Es hieße aber, diese Komplementarität zweier Literatursprachen verkürzt wahrzunehmen, wollte man darin lediglich den Reflex unterschiedlicher Bildungsgrade von Verfassern erkennen. Uns begegnen im Mittelalter hochgelehrte Autoren, die sich volkssprachlich ausdrücken, beispielsweise hermetische Lyrik dichten (wie Frauenlob), und schlichteste lateinische Texte, in denen, abgesehen vom Latein, nichts auf Bildung hindeutet, etwa fast volkstümliche Weisen in den ‚Carmina Burana‘. Allerdings: Wer als Literat über das Lateinische verfügte, konnte damit rechnen, in bestimmten Kreisen über die Grenzen seines eigenen Landes hinaus europaweit verstanden und rezipiert zu werden. Und auch wer seine Texte nicht lateinisch verfaßte, nahm nicht selten, vielleicht sogar in aller Regel und je nach Können und Interesse mehr oder weniger, die lateinische Literatur wahr, denn diese bildete als kulturelle Instanz eine starke Säule der europäischen Identität. Im konkreten Einzelfall bedeutet literarische Zweisprachigkeit für einen mittelalterlichen Dichter natürlich nicht völlige Wahlfreiheit. Er muß bestehende Traditionen beachten und insbesondere bedenken, für welches Publikum er schreibt. Der Literaturbetrieb orientiert sich auch in der Vormoderne an Institutionen, in welchen geeignete Texte wirken können. Eine solche Institution von zentraler Bedeutung, die Schule (in Kloster, Stift oder Stadt, später die Universität), wurde bereits erwähnt. In ihr herrscht kontinuierlich das Latein. Aber nicht jeden lateinischen Text heißt sie willkommen. Die Lyrik hat es schwer, dort zum Zuge zu kommen. Bei-

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spielsweise werden von Horaz neben der ‚Ars poetica‘ meist nur die Satiren gelesen, von Ovid lieber die ‚Ars amatoria‘ als die ‚Amores‘, Liebeslehre geht vor Liebesgenuß. Jedenfalls gibt es keine Tabuthemen. Hexametrische Poesie wird bevorzugt. Lyrische Maße gelten als kompliziert; wer sich dennoch für sie interessiert, dem wird die ‚Consolatio Philosophiae‘ des Boethius an die Hand gegeben, da für die Verspartien in diesem Prosimetrum das formale Prinzip der Polymetrie gilt, so daß auf einen Schlag das ganze Spektrum metrischer Möglichkeiten mit geeigneten Specimina vor Augen steht. Die sechs Komödien des Terenz hält man fast immer für Prosawerke; sie stehen in der Schule für das antike Drama. Wo aber erhält die mittelalterliche Lyrik ihren gegebenen Ort, rezipiert zu werden? Bei Hofe, lautet die Standardantwort, die (generell und tendenziell) gewiß ebenso zutreffend ist wie die weitere Faustregel, wonach volkssprachliche Lieder am weltlichen Fürstenhof, lateinische am geistlichen Bischofshof ein passendes Auditorium fanden. Musik wird dabei überall vorausgesetzt. Die lateinische Lyrik am geistlichen Hof läßt sich thematisch als (vorwiegend) weltlich klassifizieren. Doch bleibt dabei die religiöse Poesie gewissermaßen in Hörweite, sie grundiert in der Liturgie Gotteslob und Heiligenpreis mit einem kirchlichen Kunsterlebnis. Gattungstradition und Gattungsbewußtsein Die schulische Lektüre und besonders Kommentierung bescherte lateinischen Texten (verglichen mit volkssprachigen) potentiell ein höheres Maß an theoretischer Durchdringung. Denn im Umkreis des institutionell geregelten Schulbetriebs entwickelte sich ansatzweise eine mittelalterliche ‚Literaturwissenschaft‘, aus der Werke der Sekundärliteratur hervorgingen (Kommentare, accessus ad auctores, Poetiken). Das in ihnen Verhandelte konnte in Konkurrenz treten zu Äußerungen primärer Programmatik, wie sie von den Autoren selbst, zumeist in Prologen, Epilogen oder eingeschobenen Exkursen, für ihre Texte konzipiert wurde. (Diese Form autorseitiger Rezeptionslenkung stand natürlich auch volkssprachlichen Verfassern zur Verfügung.) Doch profitierten von den Möglichkeiten primärer und sekundärer theoretischer Reflexion nicht alle lateinischen Gattungen gleichmäßig und am wenigsten die Lyrik. Denn im Unterschied besonders zur Epik besitzen einzelne Lieder natürlich keine Prologe, doch können metatextuelle Aussagen ihrerseits zum Thema von Gedichten werden. Schon aus der Antike kennen wir von Dichtern selbst zusammengestellte (und mit einer Einteilung in Bücher versehene) Lyrikzyklen, wobei insbe-

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sondere den Eröffnungs- und Schlußstücken (der Sammlung insgesamt oder einzelner Bücher) die Aufgabe einer poetologischen Grundlegung zukommt, wie es z.B. für Ovids ‚Tristien‘ gilt. Um 1100, also etwa beim Anbruch mittelalterlicher aetas Ovidiana, folgt der französische Dichter Baudri von Bourgueil solchem Modell, wenn er seine lateinischen carmina in einer von ihm konzipierten Gesamtausgabe vorlegt, dabei durchgängig, besonders in mehreren enthaltenen Programmgedichten, den Status seiner Poesie reflektiert und ansatzweise sogar Prinzipien einer Theorie der Lyrikanthologie entwickelt. Der Hauptgrund für die defizitäre mittelalterliche Theoretisierung der Lyrik liegt freilich in dem Faktum begründet, daß die Institution Schule epische und didaktische Poesie konstant bevorzugt, so daß nahe beim Spektrum lyrischer Gattungen allenfalls Verssatiren eine stärkere Berücksichtigung in der Kommentierungstätigkeit der grammatici finden, und Kommentare bleiben im lateinischen Mittelalter der angestammte Ort für Literaturtheorie. Jedoch gilt es zu beachten, daß noch in der gegenwärtigen Literaturwissenschaft aus der Trias der neuzeitlich sogenannten literarischen ‚Naturformen‘ die Lyrik am wenigsten Eigenprofil aufweist, was an einer quasi negativen, durch Ausschluß der komplementären Begriffe gewonnenen aktuellen Definition für Lyrik abzulesen ist: „Ordnungsbegriff der Gattungstheorie für Verstexte, die nicht episch oder dramatisch sind“ (Fricke/Stocker 2000, S. 498). Erschwert wird die einwandfreie Wahrnehmung von Lyrik des Mittelalters zudem durch Konglomerate der Textüberlieferung. So finden wir etwa lyrische Stücke in narrativen Zusammenhängen plaziert, antike Lyrik im epischen Maß, die daher nicht als Lyrik klassifiziert wird, lyrische Texte außerhalb von Lyrikhandschriften, in Lyrikhandschriften wiederum Episches oder Dramatisches (man denke z.B. an die geistlichen Spiele im Codex Buranus). Vor allem aber operiert der mittelalterliche Literaturbetrieb (Produzenten, Theoretiker) seinerseits kaum nennenswert mit dem Klassifikationsbegriff ‚Lyrik‘. Wo Name und Sache der Lyrik bei der Einteilung und Analyse von Literatur auftreten, herrscht ein wortgeschichtlich-etymologisches Interesse vor. Diese Richtung repräsentiert natürlich am besten Isidor von Sevilla (gest. 636), der am Beginn des Mittelalters das Wissen der Antike in seinen ‚Etymologiae‘ gebündelt vorlegt. Darin werden in einem Abschnitt unter der Überschrift De poetis (Isidor, ‚Etymologiae‘ VIII,7) neben Tragikern und Komikern, also den Vertretern des antiken Dramas, und neben ‚theologischen Dichtern‘ mit ihren Götterliedern (de diis carmina) lyrici poetae erwähnt und als ihr Berufssignum das Instrument genannt, welches ihnen den Namen gab: die lyra. Die Lyra wurde erst

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neuzeitlich, wenn wir hier bildlich weiterdenken, als Merkmal des Lyrikers durch den Schreibstift, die Feder abgelöst; womit vorgreifend gesagt sein soll: Lyrik ist das literarische Feld, das am längsten und am festesten mit der Sphäre von Mündlichkeit und Aufführung verbunden bleibt, von Schrift und Schriftlichkeit Abstand hält. Als deutlichstes Zeichen für die mündliche Präsentation vor Publikum darf die musikalische Einrichtung der Texte gewertet werden. Lyrik und Musik bilden eine traditionelle Symbiose auch in der lateinischen Textkultur, womit (in sekundärer Rezeption) Leselyrik nicht ausgeschlossen ist. Eine genauere Bestimmung, womöglich inhaltliche Kennzeichnung der literarischen Produkte von lyrischen Dichtern bietet Isidor nicht, nennt (im Unterschied etwa zu seiner nachfolgenden Behandlung der antiken Komödie) keine Gattungsvertreter, sagt nur, sie, die Lyriker, verfügten über varietas carminum, womit er in allgemeiner Form auf zahlreiche lyrische Untergattungen verweist und eine Feingliederung des Gattungskomplexes Lyrik immerhin andeutet, ohne eine entsprechende Spezifizierung zu liefern. Zum richtigen Verständnis von Isidors Dichter-Kapitel gehört es freilich, dessen Plazierung in der Enzyklopädie zu beachten: Es steht im 8. Buch in einer Reihe mit Kapiteln über magi und sibillae, so daß Isidor hier (abgesehen von seinem generellen Interesse an etymologisch fundierter Sacherklärung) seine Aufmerksamkeit einem kulturgeschichtlichen (enger noch: kultgeschichtlichen) Phänomen der Antike widmet. Seine Bemerkungen lassen sich nur sehr eingeschränkt und bestenfalls indirekt als literaturtheoretisch-poetologische Erörterung auffassen. Die Lyrik findet darin Berücksichtigung, weil sie einen (erklärungsbedürftigen) alten, nämlich griechischen, Namen trägt und weil es für Lyriker in der antiken Kultur einen passenden Platz gab, wovon Isidor noch eine gewisse Kenntnis besitzt. Als Quelle für derartiges frühmittelalterliches Wissen dienen in der Regel die Lehrtraktate und Kommentare der spätantiken Grammatiker. Isidor beschließt sein Kapitel De poetis mit einem Hinweis auf die alte rhetorische Einteilung literarischer Äußerungen nach dem sog. Direktheitsgrad der Sprache (vgl. Lausberg 1990, §§ 291 u. 1082). Es gebe für Dichter (apud poetas) drei Äußerungsarten (Isidor, ‚Etymologiae‘ VIII,7,11: tres characteres esse dicendi ), nämlich Autorsprache, Personensprache und eine Mischform. Den einzelnen Sprechweisen werden zur Illustration poetische Gattungen als Beispiele literarischer Realisationen zugeordnet. Für Autorsprache steht nun nicht, wie man das gemäß modernem Literaturverständnis vielleicht erwarten würde, ein Vertreter der Lyrik (die Lyrik gilt ja klassischer Ästhetik als subjektivste Ausdrucksweise, in ihr sei der Dichter ganz bei sich selbst, spreche in ureigenstem Belang), sondern Vergil als Lehrdichter (der ‚Georgica‘).

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Die sich hier bereits abzeichnenden Probleme bei der historischen Rekonstruktion des (oder eines) mittelalterlichen Lyrikbegriffs finden sich unterstrichen angesichts der Beobachtung, daß einige von Isidors Nachfolgern, hoch- oder spätmittelalterliche Enzyklopädisten, wo es ihnen um Klassifikation von Dichtung zu tun ist, die Lyrik als Oberbegriff gänzlich unberücksichtigt lassen, so etwa der große Enzyklopädist des 13. Jahrhunderts, Vinzenz von Beauvais, in seinem ‚Speculum doctrinale‘, obwohl er in dem Kapitel über Poetik (wie auch sonst) durchaus noch von Isidor abhängt (vgl. Kindermann 1989). Im Umgang mit dem Lyrikbegriff fehlt es im lateinischen Mittelalter weithin an durchgreifender Systematisierung und terminologischer Hierarchisierung. Als Gattungsname begegnet das carmen lyricum, wenn überhaupt, vorwiegend in Typenreihen poetischer Formen, so beispielsweise im ‚Didascalicon‘ (3,4; Ausg. Buttimer, S. 54f.) Hugos von St. Viktor (gest. 1141). Selbst die Repräsentanten der hochmittelalterlichen ‚Neuen Poetik‘ (um 1200) gelangen kaum wesentlich über summarische, heterogen klassifizierende Kataloge von Literaturgattungen hinaus, da sich ihr Interesse außerhalb einer umfassenden und differenzierten Gattungstheorie auf das elokutionelle Erscheinungsbild von Literatur (und schwerpunktmäßig von epischer Dichtung) konzentriert. Am umsichtigsten in der Wahrnehmung unterschiedlicher Poesieformen erweist sich Johannes de Garlandia. In Kapitel V seiner ‚Parisiana poetria‘ führt er einzelne Typen von carmina an, die er mit traditionellen inhaltsbezogenen Standarddefinitionen zumeist spätantiker Provenienz versieht, darunter (im Blick auf die horazische Ode): Liricum, quod est de potatione et comestione vel commessatione et amore deorum (Johannes de Garlandia, ‚Parisiana poetria‘, Ausg. Lawler, S. 102). Eine eigene Position nimmt in Dichtungstypologien zumeist die Verssatire ein, deren römische Gattungsvertreter Horaz, Juvenal und Persius eine tragende Säule schulischer Lateinlektüre des Mittelalters bildeten. Isidor versteht unter Satiren schon auch im Blick auf die drei Gattungsrepräsentanten einerseits allgemein Gedichte verschiedenen Inhalts (‚Etymologiae‘ V,16: saturas scribere est poemata varia condere) und stellt anderseits (VIII,7,7) diese Satiriker als novi comici in die Nachfolge der alten römischen Komödie. Hier scheint bereits das spätere Hauptgattungsmerkmal des ‚Satirischen‘ hervor, worunter die Absicht von Autoren, Bestehendes zu kritisieren und zu verbessern, begriffen wird. Solche carmina reprehensoria bleiben formal lange an den klassischen Hexameter gebunden. Dies ändert sich im 12. Jahrhundert, und zwar in Frankreich, als Walter von Châtillon, ein prominenter Vertreter der damals blühenden zeit- und kirchenkritischen Poesie, als erster in diesem Umfeld den Anspruch formuliert,

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mit seinen Texten Satiren vorzulegen (vgl. Kindermann 1978, S. 18–20). Die (seitens der Forschung) sog. ‚moralisch-satirische Dichtung‘ bildet einen wichtigen Zweig der mittellateinischen rhythmischen Poesie, füllt beispielsweise die erste Abteilung der ‚Carmina Burana‘ und gehört dezidiert zur Lyrik, gibt ihr ein spezifisch hochmittelalterliches Profil, das in der französischen Sirventesdichtung und im deutschen Sangspruch nachgewirkt hat. Als Hauptvers der lateinischen Satire diente nunmehr statt des Hexameters die Vagantenzeile. Metrisch/Rhythmisch Zwar erhält, wie gesagt, die mittellateinische Lyrik keine konsistente gattungstheoretische Positionierung in den mittelalterlichen Poetiken. Dennoch berücksichtigen einige Vertreter der ‚Poetria nova‘ (Johannes de Garlandia, Eberhard von Bremen) die rhythmische Verskunst und somit die Lyrik, genauer: die technische Seite der Lyrik. Damit tragen sie einem Phänomen Rechnung, das Dichtung im Mittelalter grundlegend prägt: Während Verse in der antiken Poesie durchweg nach den Gesetzen der Metrik, d.h. der Silbenmessung, gebaut sind, deren Schematik sich also aus einer geregelten Abfolge von langen bzw. kurzen Silben ergibt, entwickelt sich allmählich aus und neben dieser quantitierenden Dichtung, die weiterhin gepflegt wird, der rhythmische Vers. In ihm spielen die Silbenquantitäten keine Rolle, vielmehr kommt es auf eine bestimmte Anzahl von Silben im Vers an. Außerdem gelten für die Gestaltung des Versschlusses, die Kadenz des Verses, Regularien der Akzentuierung, wobei das Hauptaugenmerk sich darauf richtet, ob die letzte oder vorletzte Silbe tontragend ist. Überwiegend, fast schon obligatorisch, tritt in der rhythmischen Poesie Reimschmuck hinzu, der, ebenso wie auf der Ebene der Musik die Melodiegestaltung, eine Gruppierung der Verse (in Strophen oder Versikel) anzeigt. Die Tragweite dieser von der Verstechnik ausgehenden Innovation innerhalb der mittellateinischen Dichtung kann kaum überschätzt werden. Zwar bleibt die Epik an daktylische Maße gebunden, doch geht die Lyrik zunehmend zur Rhythmik über. Während noch um 1100 etwa die maßgeblichen Repräsentanten des ‚Loire-Kreises‘, die französischen Bischöfe Hildebert, Marbod und Baudri, fast ausschließlich metrisch dichten, dokumentiert der gegen 1230 vorliegende Codex Buranus, in welchem weltliche (lateinische) Lyrik des 12. und frühen 13. Jahrhunderts aus Frankreich und Deutschland von kundigen Redaktoren zusammengestellt wurde, bereits die völlige Dominanz der rhythmischen Poesie. Da lateinischer sil-

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benzählender Vers und taktgebundener volkssprachlicher Vers auf verwandten (und kompatiblen) Formprinzipien beruhen, öffnet sich ein Feld für Interferenzen. Geistlich/Weltlich In der mediävistischen Literaturgeschichtsschreibung bildet die grundlegende Unterscheidung zwischen geistlichen und weltlichen Texten ein fest etabliertes und vielfach bewährtes Schema. Es handelt sich dabei um eine funktionale Differenzierung, welche im Prinzip auf alle Hauptgattungen (Lyrik, Epik, Drama, Didaxe) zutrifft. Die religiöse Lyrik des lateinischen Mittelalters besitzt ihr Zentrum in gottesdienstlicher Liturgie, liturgienaher Gebetspraxis institutioneller Gemeinschaften und der Privatandacht klerikaler Kreise. Sie wird daher vorwiegend eigens tradiert, in liturgischen Handschriften, die eher Kirchengut als Bibliotheksbestand sind und exklusiv lateinisch bleiben, sowie in geistlichen Liederbüchern. Sowohl inhaltlich wie auch formal lassen sich zwischen der religiösen und profanen Lyrik im ganzen oder bei einzelnen Elementen zahlreiche wechselseitige Einwirkungen erkennen. Vereinzelt wurde bereits im Mittelalter die begriffliche Opposition von Geistlich und Weltlich als Einteilungskriterium für lyrische Textbestände genutzt. Beispielsweise ließ sich das vielgestaltige und umfangreiche Liedschaffen des Mönchs von Salzburg am treffendsten als Geistliche und werltliche lied (so im Cgm 715, Mitte 15. Jh.; vgl. Ausg. März, S. 56) charakterisieren und damit grundlegend strukturieren, mit einer Strukturierung, die bis heute für das Mönch-Œuvre gilt. Im ‚Ludus de rege Aegypti‘ (CB 228), dem geistlichen Spiel, welches im Buranus das voranstehende ‚Benediktbeurener Weihnachtsspiel‘ (CB 227) fortsetzt, fungiert als Gesang beim Auftritt des ägyptischen Königs, um dessen heidnische ‚Weltlichkeit‘ zu illustrieren, ein Liebeslied, das in der Liebeslyrik-Abteilung der ‚Carmina Burana‘ ebenfalls Aufnahme fand (CB 80). Dem Formprinzip der Kontrafaktur, bei welchem einer bekannten Melodie ein neuer Text gegeben wird, liegt häufig ein Überwechseln von Geistlich zu Weltlich (oder umgekehrt) zugrunde.

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Text/Melodie Solche Kontrafakturen unterstreichen die tragende Bedeutung der Musik für das mittelalterliche Erscheinungsbild jeglicher Lyrik, deren primäre Wirkung eben im Gesang zutage tritt. Die Darbietung lateinischer Liedkunst unterscheidet sich somit nicht prinzipiell von der Aufführung volkssprachlicher melodiebegleiteter Texte. Es fehlt auch nicht an literarischen Zeugnissen, in denen der Auftritt von Sängern geschildert wird. Ganz an den Anfang mittellateinischer weltlicher Lyrikproduktion (wenn man vom Erhaltenen ausgeht) führt der Bericht des Verssatirikers Sextus Amarcius (kurz vor 1100) im 1. Buch seiner ‚Sermones‘ (V. 402–421; Ausg. Manitius, S. 74–76) über die Präsentation weltlicher Lieder wohl an einem geistlichen Hof durch einen iocator, der auch als mimus bezeichnet wird und der zum Spiel einer chelys (für lyra) singt. Amarcius gewährt sogar einen Einblick in das Repertoire dieses Sängers, wenn er auf vier Stücke einzeln Bezug nimmt, indem er sie thematisch knapp umreißt, ein Repertoire, das sich weithin mit in der einige Jahrzehnte zuvor angelegten ‚Cambridger Liedersammlung‘ tatsächlich Überliefertem deckt. Während dieses Zeugnis die Rolle der Musik bei der Aufführung von Lyrik deutlich akzentuiert, bleiben mittelalterliche Gebrauchssituationen denkbar, in denen der Text eines Gedichts ganz im Vordergrund steht. Hierfür ebenfalls ein Beispiel: Der italienische Franziskaner Salimbene de Adam (13. Jh.), der auch viel in Frankreich unterwegs war, berichtet in seiner als Autograph erhaltenen, annalistisch strukturierten ‚Cronica‘ zum Jahr 1233 vom Dichter Primas, was, sieht man einmal von dem (ohnehin wohl verfehlten) zeitlichen Ansatz ab, an den berühmten Dichter Hugo von Orléans (gest. um 1160) mit dem ehrenden Beinamen Primas denken läßt. Salimbene freilich stellt den Primas als Kölner Kanoniker vor, was wiederum auf den Archipoeta, Hugos Zeitgenossen, hinzudeuten scheint (mit dessen ‚Vagantenbeichte‘ der Bericht endet). Offenbar fließen beim Chronisten Kenntnisse über Hugo Primas und den Archipoeta (sowie wohl einige weitere Poeten) ineinander, was im Ergebnis zu dem Personalkonstrukt Primas canonicus Coloniensis führt, das er mit einer (aus seiner Sicht) Gegenwartsdatierung versieht. In dem betreffenden Abschnitt der Chronik (Ausg. Scalia, S. 121–126) beschreibt Salimbene in anekdotisch geprägtem Stil, wie dieser maximus versificator et velox in jeder Lebenslage alles, was ihm begegnete, mit passenden (metrischen oder rhythmischen) Versen, die jeweils im Wortlaut zitiert werden, spontan zu kommentieren wußte. Hier bleibt die Musik natürlich ganz abseits, in den Vordergrund tritt ein Repräsentant poetischer Eloquenz als reiner Wortkünstler.

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Lyriküberlieferung Mittelalterliche Lyrik steht unter spezifischen Überlieferungsbedingungen. Jeder lyrische Text (Lied, Gedicht) bedarf, da Einzelblätter, die es wohl (insbesondere aufführungsnah) verbreitet gab, keine Überlieferungschance haben, einer geeigneten, sinnvollen Kontextualisierung. Als deren Zielform präsentiert sich uns die (mehr oder minder repräsentative, umfassende) Sammelhandschrift oder Lyrik-Sammlung. Aufgrund bestimmter Merkmale gewinnen Lyrikhandschriften ein charakteristisches Profil, das ihnen eine relative Wiedererkennbarkeit sichert. Daraus, und weil es demzufolge offenbar leichter ist, eine Lyrikhandschrift zu definieren als die Lyrik selbst, ließe sich eine Art pragmatische Lyrik-Definition ableiten: Lyrische Texte sind im Mittelalter Texte, die in einer Lyriksammlung tradiert werden. In derartigen Anthologien stößt man freilich auf Stücke, die für sich, nach Gattungsmaßstäben beurteilt, als nicht zur Lyrik gehörend gelten müßten, die jedoch in der betreffenden Sammlung als Lyrik tradiert werden, eben in einem Lyrik-Zusammenhang stehen und dazu womöglich von den dabei tätigen Sammlern, deren Rolle nicht unterschätzt werden sollte, aus anderen, ‚angestammten‘ Gattungszusammenhängen herausgelöst wurden. So enthält z.B. die gegen Mitte des 11. Jahrhunderts entstandene Cambridger Liederhandschrift, welche die nach ihr benannten (nur wenig älteren) ‚Carmina Cantabrigiensia‘ überliefert, als Nr. 29 (Ausg. Ziolkowski, S. 96–99) Verse aus dem zwölften Buch der ‚Thebais‘ (V. 325–348) des antiken Epikers Statius. Eine solche epische Partie (es gibt weitere in der Cambridger Sammlung), dieser poetische Text im epischen Versmaß des Hexameters, wird hier im lyrischen Kontext, mehr noch: nach Art von Lyrik, tradiert. Die lyrische Adaptation solcher Stücke lateinischer Epik tritt andernorts noch prägnanter hervor, wenn die Extrakte musikalisch eingerichtet auftreten, neumiert wie sonst Rhythmen. Auch der erwähnte Statius-Abschnitt läßt sich vielfach mit Notation nachweisen (Ziolkowski 2007, S. 267–269). Seine Transposition in die mittelalterliche Lyrik geschieht keineswegs zufällig oder wahllos, denn an der Stelle klagt Argia um ihren Gatten Polynices, die Klage (planctus, lamentatio) aber bildet eine zentrale Ausdrucksform der Lyrik, so daß hier passenderweise ein lyrisches Element im Epos aufgegriffen wurde.

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Internationalität? Die Doppelsprachigkeit der literarischen Kultur im europäischen Mittelalter führt in den einzelnen Ländern zu unterschiedlichen Rezeptionsbedingungen für die jeweils (zeitlich, räumlich) parallelen zwei Literaturen. Dabei wäre nach Binnenrezeption und Außenrezeption zu differenzieren. Lateinische und volkssprachliche literarische Produktion gehören da, wo sie entstehen, primär eigenen Bereichen an, deren Publikum ‚im Normalfall‘ ein verschiedenes, je spezifisches gewesen sein dürfte. Bei beiden Rezipientenkreisen, das sollte nicht vergessen werden, handelte es sich, gesamtgesellschaftlich betrachtet, um elitäre Gruppen (Adel, gehobene Geistlichkeit). Daher waren zwischen ihnen auch keine strikten Grenzen gezogen, so daß es, je nach Interessenlage, zu Austauschprozessen kommen konnte. Eine damit in Ansätzen sich abzeichnende Interkulturalität des mittelalterlichen Literaturbetriebs wirkte auf die Textproduzenten zurück: Uns begegnen Autoren, die sich von lateinischen Werken inspirieren lassen und in ihrer Volkssprache schreiben oder, seltener wohl, umgekehrt volkssprachige Quellen der Latinität zuführen oder auch, freilich wenige sind es nur, wechselnd in zwei Sprachen publizieren. Was die Außenrezeption, die Nachwirkung von Texten über die Ländergrenzen hinweg, betrifft, so müßte man prinzipiell die lateinische Literatur in einer komfortableren Ausgangsposition sehen. Denn es zeichnet ja das nicht mehr muttersprachliche Latein des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus, daß es in ganz Europa als quasi internationale Gelehrten- und Literatursprache Verwendung fand und somit überall (in lateinischen Kreisen) verstanden wurde. Während also beispielsweise ein französischer Text, um im deutschen Sprachraum wirken zu können, erst ins Deutsche übersetzt oder deutsch (rein theoretisch auch lateinisch) bearbeitet werden mußte, entfällt eine entsprechende Hürde natürlich für Lateinisches. Der von den formalen Voraussetzungen her freie Zugang der lateinischen Literatur überallhin hat nun aber nicht dazu geführt, jeden Text tatsächlich sofort europaweit vorzufinden. Bei aller notwendigen Differenzierung läßt sich vielmehr generell davon ausgehen, daß echte literarische ‚Internationalität‘ nur für wenige mittellateinische Autoren und ihre Texte erreichbar war, vieles Produzierte hingegen in regionalen oder nationalen Bezügen stehenblieb. (Die Wahrnehmung nationaler Spezifitäten innerhalb einer potentiell internationalen lateinischen Schriftlichkeit des Mittelalters bildet ja überhaupt erst die Grundlage dieses Artikels.) Eine Besonderheit der literarischen Landkarte Europas im Hochmittelalter liegt darin, daß zwischen England und Frankreich kontinuierlich ein enger kultureller Austausch gepflegt wurde,

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so daß tendenziell von einem einheitlichen Kulturraum gesprochen werden kann, in welchem führende Gelehrte und Literaten im häufigen Wechsel nördlich und südlich des Kanals wirkten. So finden wir im 12. Jahrhundert den Franzosen Petrus von Blois am Hof Heinrichs II. von England, den Engländer Johannes von Salisbury als Bischof von Chartres, seinen Landsmann Johannes de Garlandia im 13. Jahrhundert in Paris und Toulouse (und dies sind nur Beispiele). Frankreichs führende Rolle in Wissenschaft und Kultur, die ab dem frühen 12. Jahrhundert unangefochten zutage tritt, machte das Land auch für bildungsbeflissene clerici deutscher Herkunft attraktiv und stellte schließlich Paris in den Rang des Zielorts einer von Athen ausgehenden und über Rom führenden translatio studii (vgl. Worstbrock 1965). Die Mobilität im Zeichen der litterae schärfte zugleich den Blick der Zeitgenossen für nationale Eigenheiten, und auch im Mittelalter galt die Verschiedenheit der Sprachen als ein zentrales Bestimmungsmerkmal unterschiedlicher gentes (vgl. Schmugge 1982), bei dem das generelle Konzept spezifischer ‚Nationalliteraturen‘ anknüpfen könnte.

7.2 Mittellateinische Lyrik in Frankreich Überlieferung – Loire-Kreis (um 1100) – 12./13. Jahrhundert

Überlieferung Auf institutionellen Bahnen verläuft die Tradierung liturgischer Gesänge, also der religiösen Lyrik im engeren Sinn. Französische Klöster (wie St-Martial in Limoges) und Kathedralkirchen (wie Notre-Dame de Paris) bilden Zentren musikalischer Kompositionskunst mit europaweiter Ausstrahlung. Die Aufzeichnung solchen Musikschaffens erfolgt professionell und führt zu kontinuierlich verbesserter Notenschrift in den Kodizes, wobei ab dem 11. Jahrhundert der Übergang von den seit karolingischer Zeit überlieferten Neumen zu diastematischer Notation zügig vorankommt (römische Quadratnotation auf vier Linien). Zu weiterer Verfeinerung nötigt bald die kompositorische Mehrstimmigkeit. Daß mit solch avancierter Musikpraxis die weltliche Liedkunst nicht Schritt halten kann, belegt etwa der um 1230 in Südtirol entstandene Codex Buranus, der zwar, was Umfang und Qualität der in ihm enthaltenen Texte betrifft, von keiner anderen Sammlung (weder vorher noch später) übertroffen wird, doch bei der

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Melodieverzeichnung (die sich in neumierten ersten Strophen vieler Lieder dokumentiert) alles andere als auf der Höhe der Zeit ist. Die meisten Handschriften mit profaner mittellateinischer Lyrik verzichten überhaupt auf Melodien. Eine ähnliche Überlieferungssituation gilt ja für den deutschen Minnesang. Frankreich präsentiert sich diesbezüglich hingegen zweigeteilt: Während im Norden die Trouvère-Melodien reichhaltig tradiert werden, steht die Musikdokumentation der provenzalischen Trobadorlyrik deutlich zurück. Natürlich läßt sich von fehlender Notation in den Kodizes nicht geradenwegs auf eine bestimmte Gebrauchsform mittelalterlicher Lyrik zurückschließen: Lieder ohne eingetragene Melodien bleiben Lieder, eine Epoche der Leselyrik war das Mittelalter nie, auch nicht in der lateinischen Sphäre, soweit jedenfalls die Poesie in rhythmischen Versen berührt ist. Bei der Tradierung weltlicher Lyrik bilden reine Liederbücher, also umfassende Lyrikanthologien, eine seltene Ausnahme, hier erweist sich fürs Lateinische der Buranus als echter Solitär. Stattdessen füllen Gedichte in aller Regel einzelne Lagen oder wenige Blätter in heterogenen Sammelhandschriften. Prominente Beispiele für diesen tendenziell durchgängigen Überlieferungsbefund bieten die ‚Carmina Cantabrigiensia‘ (11. Jh.), die einer Kollektion geistlicher Dichtung beigegeben sind, oder die 28 Stücke der sog. ‚Arundel-Sammlung‘ (14. Jh.) aus England (nützliche Übersicht zur Überlieferung mittellateinischer Liebeslyrik: Dronke 1968, Bd. II, S. 545–584). Die tatsächlichen Tradierungswege mittellateinischer Lyrik lassen sich überall (und auch in Frankreich) weder im allgemeinen noch in speziellen Einzelfällen kaum je vollständig oder auch nur umfassend rekonstruieren. Oft dürften Lieder nur mündlich existiert haben, andere Stücke standen, noch aufführungsnah, auf losen Blättern, und es hing von Zufällen ab, ob sie in größere Konvolute (Hefte oder libelli ) eingingen, so daß die bekannte Faustregel für Lyriküberlieferung (‚vom Liederblatt zum Liederbuch‘) sicher nur eine erste orientierende Vorstellung vermittelt (zumal sie auf einer anderen, ebenso zutreffenden Generalisierung beruht: Einzelblätter haben keine Überlieferungschance). Am ehesten konnten Lieder dann mit schriftlicher Verbreitung, also Literarisierung, rechnen, wenn sie aus Kreisen stammten, in denen ein geregelter Lyrikvortrag fest etabliert war, so daß ein gewisser Grad von Institutionalisierung vorausgesetzt werden kann, oder wenn sie sich mit klingenden Dichternamen verbinden ließen; nicht selten bedeuten Autorzuschreibungen in Handschriften dementsprechend nur so viel wie: ‚aus dem Umkreis, der Schule‘ von dem Genannten oder in dessen Manier. Das Autorprinzip als Sammlungskrite-

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rium kam, aufs Ganze gesehen, bei der mittelalterlichen Tradierung von lateinischer Lyrik weniger zur Geltung als etwa in den großen deutschen Minnesang-Corpora oder in der provenzalischen Trobadorlyrik, wo bekanntlich regelrechte ‚Steckbriefe‘ (vidas) der Dichter die tradierten Lieder begleiten. Der Codex Buranus kennt (im Grundstock) überhaupt keine Dichternamen, sondern disponiert die versammelten Texte nach einer sachlichen, inhaltlichen Ordnung. Eher schon findet man Gesamtausgaben lateinischer Autoren, Kodizes, in denen folglich die unterschiedlichsten literarischen Gattungen enthalten und ggf. auch Lyrica des Betreffenden einbezogen sein können (Beispiele aus Frankreich nennt Bourgain 1991, S. 66). Während profane lateinische Lyrik aus dem 11. Jahrhundert nur erst spärlich tradiert ist (die Cambridger Liedersammlung steht hier noch fast allein), fließen nachfolgend die Textquellen reicher. Doch bleibt auch da und stets die Beschäftigung mit Lyrik nur Wenigen, interessierten Kreisen, Klerikerkreisen freilich, vorbehalten. So nimmt es nicht wunder, wenn die bedeutendsten Lyrikhandschriften lange Zeit aus kulturell führenden Abteien stammen, in Frankreich etwa St. Amand, St. Bertin oder Fleury. Loire-Kreis (um 1100) An der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert erlebt die lateinische Lyrik in Frankreich einen ersten Höhepunkt. Getragen wird dieser Aufschwung der Poesie von hochrangigen Kirchenmännern, episkopalen Dichtern: Zu nennen sind Marbod von Rennes (um 1035–1123), Baudri von Bourgueil (1045/46–1130) und Hildebert von Lavardin (1056–1133). Daß Bischöfe somit „an der Schwelle des höfischen Zeitalters“ (von Moos 1965) als Repräsentanten einer „Ovidian subculture“ (Bond 1995, S. 43) in Erscheinung treten, mag uns von heutiger Warte ein wenig befremdlich erscheinen; dem Mittelalter selbst bedeutete freilich (jedenfalls in dieser Aufbruchzeit) kirchliches Amt und dichterische Ambition keine Kollision. Im Gegenteil: Der selbstverständliche und gewandte Umgang mit lateinischer weltlicher Poesie vermochte geistliche Karrieren zu befördern, erwies sich als Ausdruck einer kultivierten Lebensform intellektueller Eliten (vgl. Jaeger 2006, S. 422). Unter den führenden Dichtern dieser Epoche besteht eine Art Gemeinschaftsbewußtsein, das weniger durch persönliche Treffen als vielmehr durch einen regen literarischen Austausch im Zeichen von amicitia gepflegt wird. Dazu dienen bevorzugt Versepisteln im hexametrischen oder elegischen Maß. Verse sind jedenfalls das Entreebillett für diesen

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Kreis, den man heute (seitdem ihn Bezzola 1960, S. 366–391, als „école de la Loire“ präsentierte) allgemein und prägnant als ‚Loire-Kreis‘ kennt, zu dem neben den Protagonisten Hildebert, Marbod und Baudri auch der etwas ältere Gottfried von Reims oder die Dichterin Muriel von Wilton (von deren Gedichten nichts erhalten blieb) zählen. Hier konstituiert sich erstmals (nach dem freilich ganz anders strukturierten karolingischen ‚Hofkreis‘) eine facettenreiche, von Bildung und Aufgeschlossenheit getragene poetische Kommunikationskultur, die zwar der Schriftform bedarf, gleichwohl in den Briefgedichten und übersandten carmina stets als eigentliche Zielvorstellung das colloquium mit der mündlichen Rezitation von Versen ausmalt (zur Rolle Baudris innerhalb dieser Gesprächsgelehrsamkeit grundlegend Lutz 2013, S. 59–138). Nicht allein solchen Rezeptionsmodalitäten für Lyrik widmet besonders Baudri von Bourgueil in diesem Kreis seine Aufmerksamkeit, vielmehr bedenkt er ebenso den Status und die Möglichkeiten des lyrischen Dichters im Spannungsfeld von Kunst und Leben, womit im Kern zugleich die Produktionsbedingungen seiner carmina berührt sind. Er führe, so seine fast modern anmutende Analyse, eine Art ‚Doppelleben‘, welches aus der Spannung zwischen Pflicht (dem geistlichen Amt) und Neigung (die der Poesie gilt) resultiere. Freiräume für letztere müßten erkämpft werden, gedichtet habe er eben nachts oder auf Reisen, bekundet Baudri im eröffnenden Programmgedicht seiner Lyrikanthologie (carm. 1, V. 64: Talia dictabat noctibus aut equitans; Ausg. Tilliette, Bd. I, S. 3). Zwischen der Dichtung und dem wirklichen Leben zieht Baudri eine markante Trennlinie, so daß alle ‚Welthaltigkeit‘ seiner Poesie nicht erlebt, sondern literarisch vermittelt sei. Eine derartige, den carmina selbst eingeschriebene, zunächst autorbezogene Positionsbestimmung nutzt Baudri weitergehend zu poetologischer Fundierung seiner Liebeslyrik. In ihr habe er lediglich poetische Sprechweisen erproben wollen, eigene Erfahrungen teile er in den Texten nicht mit (vgl. Kühne 2013). 12./13. Jahrhundert Noch zu Lebzeiten der Repräsentanten des ‚Loire-Kreises‘, in welchem sich um 1100 eine europaweit einzigartige Lyrik-Avantgarde kristallisiert, kommt unter interessierten Gelehrten, die etwas von lateinischer Liedkunst verstehen, eine Diskussion in Gang über die Frage, ob man ‚neue Lieder‘ benötige. Sie zielt freilich nicht auf die weltliche Lyrik, vielmehr wird damit die Reformbedürftigkeit liturgischer Gesänge angesprochen. Wenn der Musiktheoretiker Johannes Cotto von Affligem sich den nova

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cantica dieser Zeit gegenüber sehr reserviert zeigt (novae modulationes nunc in ecclesia non sunt necessariae; zit. nach Haug 2004, S. 98), bezieht er sich natürlich auf die äußere Form der Gesänge, die vorhandenen Melodien. Einen deutlich anderen Akzent setzt hingegen um 1130 Petrus Abaelardus, renommierter Intellektueller und prägende Gestalt des französischen Kulturbetriebs im Hochmittelalter. Für das von ihm gegründete Nonnenkloster Paraklet, dem sodann Heloisa vorstand, dichtete er einen das gesamte Kirchenjahr umspannenden Zyklus neuer liturgischer Lieder, den in drei Bücher eingeteilten ‚Hymnarius Paraclitensis‘. In einem das Werk eröffnenden Begleitschreiben erläutert Abaelard sein Programm, das dem Unternehmen zugrundelag und bei einer kritischen Sichtung des traditionellen Hymnenbestands einsetzte. Der alte Kirchengesang, als dessen Repräsentanten er Hilarius, Ambrosius und Prudenz namentlich erwähnt, sei in formaler, nämlich verstechnischer Hinsicht nicht immer gefeit gewesen vor confusio, deren Ursache in einer die Texte prägenden inaequalitas syllabarum liege (AH 48, S. 143). Hiermit verpflichtet Abaelard das von ihm entscheidend geförderte neue geistliche Liedschaffen auf eine Beachtung des silbenzählenden Prinzips rhythmischer Versifikation, welches im Verlauf des 12. Jahrhunderts in religiöser wie profaner Poesie allenthalben sich durchsetzt. Sein ‚Hymnarius‘ zeichnet sich durch einen bemerkenswerten Reichtum an Strophenformen aus, und manche Neuerung läßt sich aus der volkssprachlichen Lyrik Frankreichs ableiten, so daß Abaelard etwa als Schöpfer des lateinischen Rondeau (mit innerem Strophenrefrain) gelten darf (Diehl 1985, S. 94f.). Das Werk blieb ganz mit Heloisas Paraklet verbunden, eine größere oder gar internationale Verbreitung war ihm nicht beschieden. Paris wurde in dieser Zeit zum weit ausstrahlenden Zentrum geistlicher Liedproduktion, wofür besonders der in den Stiften von St. Victor und Notre Dame gepflegte jüngere Sequenzenstil einsteht. Sein Merkmal liegt in einer zunehmenden Vereinheitlichung der Versikel in den Texten, so daß Sequenz und Strophenlied sich angleichen und oft allein noch durch divergierende Melodieführungen unterschieden bleiben. In dieser ‚regulären‘ Sequenz, als deren namhaftester Repräsentant Adam von St. Viktor (gest. 1192) zu gelten hat, reüssiert die sog. ‚Stabat mater‘-Strophe als weithin bevorzugte Versikelform, und allgemein herrscht zweisilbiger Reim (Klopsch 1972, S. 56). Um 1180 erlebt die mittellateinische Literatur, besonders in Frankreich, eine Phase, die das Etikett ‚Blütezeit‘ verdient. In dichter Folge erscheinen epochemachende Hauptwerke der Dichtung, auf dem traditionsreichen Gebiet des Epos der ‚Anticlaudianus‘ des Alanus von Lille und die ‚Alexandreis‘

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Walters von Châtillon, die im Verein mit dem zur selben Zeit von Chrétien de Troyes initiierten volkssprachlichen Artusroman die Kunst mittelalterlichen Erzählens auf ungekannte Höhen führen. Auch die weltliche Lyrik profitiert freilich von diesem Aufschwung poetischen Gestaltens. Hier ist ganz vorn wiederum Walter von Châtillon zu nennen, der nicht nur als Epiker, sondern ebenfalls als rhythmischer Dichter ein neues Maß vorgab. Inhaltlich verfügt Walter in seinen Liedern über das gesamte Spektrum lyrischer Themen in vielfältiger Variation: Frühlingspreis, Liebesglück oder -leid, Zeitklage, Kirchenkritik. Besonderes Augenmerk widmet er der Formkunst lyrischen Ausdrucks. Zum Beispiel findet sich eine (wohl schulisch veranlaßte) Weiterentwicklung der Vagantenstrophe zuerst bei ihm (vgl. Schmidt 1974): Dabei tritt an die Stelle der vierten, die Strophe sonst abschließenden Vagantenzeile ein Hexameter, meist kein selbst gedichteter, sondern ein (antikes) Dichterzitat (auctoritas). Walter darf als Erfinder dieser Vagantenstrophe cum auctoritate gelten, die rhythmische und metrische Poesie in direkte Berührung bringt (vgl. Worstbrock 1975, S. 19–21). Ein Nebeneinander von Rhythmik, Metrik und zudem Prosa, also aller drei im lateinischen Mittelalter verfügbaren dictamina, erprobt Walter in einem sowohl inhaltlich wie eben formal besonderen Werk (carm. 3; Ausg. Strecker 1929, S. 39–57), das als eine Sonderform des Prosimetrums anzusprechen wäre. Der Autor stilisiert dies mixtum compositum als (vielleicht wirklich gehaltenen) Festvortrag vor der in ganz Europa renommierten juristischen Fakultät der Universität Bologna, an der er sich zuvor kurzzeitig als Gaststudent aufgehalten hatte. Für unseren Zusammenhang verdient allein Beachtung, daß Walter in diesem Text die zeitgenössische rhythmische Lyrik gesondert würdigt, indem er (in den Abschnitten 7 und 8) vier vorbildliche Dichter (rithmice dictantes) in einem kleinen Katalog oder auch Kanon präsentiert: Stephan von Orléans, Petrus von Blois, Berter von Orléans und sich selbst: alle Franzosen. Wie kein Zweiter steht Walter als Lyriker sofort im Rang eines Klassikers der (damaligen) Moderne, ihm vergleichbar wäre (aufgrund der formalen und thematischen Reichhaltigkeit des Œuvres) allein sein deutscher Zeitgenosse Walther von der Vogelweide. Unter Walters lateinischen Kollegen, die er, wie gerade erwähnt, selbst wahrnahm, reichte allenfalls sein Landsmann Petrus von Blois an ihn heran. Im 13. Jahrhundert hält sich die lateinische Lyrik Frankreichs auf konstant hohem Niveau. Ein Dichter sei noch herausgehoben: Philipp der Kanzler, aus Paris stammend, dort ab 1217 Kanzler des Bischofs und der Universität, gestorben 1236. Literarisch trat er mit theologischen Schriften und Predigten hervor, daneben schuf er ein reichhaltiges lyrisches Werk.

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Mehrere Lieder fanden Aufnahme im Codex Buranus. Er stand der Musikschule von Notre Dame nahe und lieferte auch Verse für lateinische Motettenkompositionen, von denen einige mit französischen Texten kombiniert vorliegen (Ausg. Schetter): ein markantes Beispiel für die Interferenz von lateinischer und volkssprachlicher musikalischer Lyrik im hochmittelalterlichen Frankreich. Den Aufschwung von Kunst und Literatur insbesondere zwischen 1100 und 1200 dokumentieren nicht nur die aus dieser Zeit erhaltenen Werke. Erstmals machen Autoren darin vielfältig und vernehmbar ihren Anspruch explizit, mit diesen Werken Neuland zu betreten, etwas zu sagen, das so noch nicht gesagt wurde: Kein besseres Signal läßt sich denken für die kulturelle Aufbruchsstimmung des 12. Jahrhunderts als dieses (wiewohl oft noch partikulare) Originalitätspostulat (vgl. Leesemann 2013).

7.3 Die Rezipierbarkeit franzigener lateinischer Lyrik Problemlage und grundsätzliche Erwägungen – Verfügbarkeit der Texte

Problemlage und grundsätzliche Erwägungen Bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts interessierte sich die (romanistische und germanistische) Minnesangforschung für die mittellateinische Poesie fast ausschließlich im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Ursprungsfrage. Als ein Schlüsselwerk dieser Forschungsrichtung darf Hennig Brinkmanns „Entstehungsgeschichte des Minnesangs“ (1926) gelten. Das Buch besaß nach Stil und Disposition alle Vorzüge, um die ‚mittellateinische Ursprungstheorie‘ zu stärken; thesenhafte Zuspitzung und Entschiedenheit verbinden sich mit gekonnt ausgewählter Dokumentation von Textbelegen. Die Argumentation verläuft zweistufig: In einem ersten Schritt wird das Auftreten des französischen Minnesangs vor dem Hintergrund von zwei Traditionssträngen der mittellateinischen Poesie beleuchtet, der Dichtung des Loire-Kreises (den Brinkmann noch „Dichterkreis von Angers“ nannte) sowie der sog. Vagantenlyrik. Aus diesem Konglomerat konnte dann, so Brinkmanns zweiter Schritt, der deutsche Minnesang schöpfen. Vorbereitet hatte der Verfasser seine These mit einer im Jahr zuvor (1925) erschienenen konzisen Studie zur mittellateinischen Liebesdichtung, worin insbesondere deren antike Grundlagen veranschaulicht wurden. Manche Eigenheit von Brinkmanns Darstellungsform, etwa

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das Arbeiten mit Mosaiken von Zitaten aus verschiedensprachigen Liedern, prägt noch Peter Dronkes große, weiterhin entwicklungsgeschichtlich ausgerichtete Studie von 1965/66 (Dronke 21968), obgleich hier die aufgewiesenen Parallelen weniger genetisch als vielmehr typologisch aufgefaßt werden. Auch wenn die vielgestaltige lateinische Liebespoesie der Antike und des Mittelalters gewiß nicht den volkssprachlichen Minnesang geradezu initiiert hat, so bildet sie für Minnesänger einen möglichen Hintergrund von Bezugstexten, der zwar nicht generell, doch im Einzelfall gewissermaßen aktiviert werden konnte. Da lyrisches Sprechen (oder Singen) von der Liebe wohl ein Universale der Weltliteratur sein dürfte (wie Liebeserfahrung ein Universale menschlichen Lebens), sind die poetischen Variationsmöglichkeiten solchen Sprechens reich, aber nicht unbegrenzt. Wiederkehrende Motive und Haltungen müssen daher nicht von Bezugstexten ausgehen. Das Besondere am (‚klassischen‘) Minnesang, das ihn von der mittellateinischen Liebeslyrik deutlich abhebt, liegt freilich im Systemcharakter einer höfisch konventionalisierten, durch Aufführungen vor Publikum stabilisierten und damit weithin regelhaften, immer schon vorausgesetzten und den Sang stets wieder initiierenden Liebeskonstellation (der Sänger wirbt um eine Dame), deren implizite Pointe dann darin besteht, daß allein die Erfolglosigkeit der Werbung das Weitersingen und also die Kunst sichert. Demnach wäre ‚Hohe Minne‘ eher ein Kunstprinzip als eine Liebesidee. An den Rändern des Systems zeigen sich freilich rasch aufschlußreiche Grenzphänomene, was zu ‚Gegengesängen‘ (Tagelied, Pastourelle, Neidhart) führt. Für die lateinische Liebespoesie gilt eine derartige, quasi gattungskonstituierende Vorgabe (und somit Restriktion) beim poetischen Umgang mit ‚Liebe‘ gerade nicht. Daher läßt sich auch nicht von einer konsistenten oder einheitlichen mittellateinischen Liebesauffassung sprechen. Lyrisches Sprechen über die Liebe konnte hier besonders vielfältig und zudem, sogar in relativ geschlossenen Textzusammenhängen, auch widersprüchlich sein, so vielfältig wie die literarischen Modelle, bei denen die mittelalterlichen Dichter anknüpften, wobei der Einfluß Ovids immens blieb. Variierende Neubesetzung etablierter Textpositionen darf geradezu als übergreifendes Merkmal mittellateinischer Liebespoesie angesehen werden. Dabei nimmt die Lyrik gerne Anregungen aus benachbarter Dichtung, etwa der Epik, auf, so daß sie häufig narrative Züge trägt, und für das Erzählen von der Liebe liefert bevorzugt der antike Mythos den geeigneten Hintergrund: An Ovid führt eben kein Weg vorbei. – Bei der zweiten Säule der volkssprachlichen Lyriken des Mittelalters, der Spruchdichtung (Sirventes, Sangspruch), ergeben sich, wie die

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mediävistische Komparatistik seit langem erkannt hat, Berührungspunkte mit der lateinischen sog. ‚moralisch-satirischen Dichtung‘. Der Versuch, die Rezeption einer bestimmten, ‚national‘ betrachteten Literatur des lateinischen Mittelalters, hier der mittellateinischen Lyrik aus Frankreich, in einem anderen, wiederum nationalsprachlich umgrenzten Raum, hier dem deutschsprachigen, zu dokumentieren, sieht sich im allgemeinen mit ernstzunehmenden Einwänden und im besonderen mit beträchtlichen Problemen konfrontiert. Läßt sich, so könnte der Haupteinwand lauten, eine Literatur, die (aufgrund ihrer internationalen Sprache, des Lateins) als einzige im Mittelalter nie vordringlich eine ‚Nationalliteratur‘ zu sein hatte, was ihr im Gegenzug ja gerade das auszeichnende Merkmal einer ‚europäischen‘ Literatur verleiht, in national ausgerichtete ‚Teilliteraturen‘ aufgliedern? Freilich findet man in mittellateinischen Texten gar nicht selten Anhaltspunkte dafür, daß deren Autoren, obwohl sie auf Latein schrieben, sich selbst und ihre Kollegen, also andere Autoren, in nationalen, regionalen oder lokalen Bezügen wahrnahmen. Ich erinnere nur an den oben erwähnten Katalog rhythmischer Dichter, in welchem sich Walter von Châtillon in einer rein ‚französischen‘ Gruppe positioniert. Besonders allerdings deutet die mittelalterliche Textüberlieferung, wie sie aus heutiger Sicht erkennbar wird, darauf hin, daß für viele Werke eine herkunftsspezifische Tradierung galt und nur wenige Texte quasi europaweit greifbar waren. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn sich klare Aussagen treffen ließen, wonach etwa ein deutscher Dichter des frühen 13. Jahrhunderts in einem seiner Lieder eine Textstelle aus einem lateinischen carmen eines französischen Autors des späten 12. Jahrhunderts imitiert, übersetzt, bearbeitet, ‚retextualisiert‘ oder auf sie angespielt habe. Solcher Klarheit stehen prinzipiell die komplexen Bezüge entgegen, in welche mittelalterliche Autoren ihre Texte gestellt haben. Und durch die Zweisprachigkeit der Kultur und die daraus resultierende überall gegebene Koexistenz zweier Literaturen komplizieren sich die Verhältnisse. Denkbar wären immer auch folgende Transferenzvorgänge: Ein lateinischer Text aus Frankreich wirkt auf einen französischen Text ein (oder auch umgekehrt). Daraus ergeben sich für einen deutschen Text, wie es scheint, zwei Anschlußstellen. Aber dabei bleibt es nicht, denn gesetzt, der frankolateinische Text habe zudem einen lateinischen Text im deutschen Sprachraum beeinflußt (dies wäre überhaupt der nächstliegende, nämlich ‚innerliterarische‘ Fall), dann konnte der erwähnte deutsche Text ebenso dort anknüpfen. Wir brechen unser kleines Spiel hier ab und halten nur allgemein fest: Franzigen Lateinisches kann stets auch indirekt, über eine französische Vernakularquelle,

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in mittelhochdeutsche Texte gelangen (und solche Transferenz unterschiede sich dann fast gar nicht mehr von dem mittelalterlichen Standardfall der romanisch-deutschen Literaturbeziehungen), freilich auch durch deutsche Latinität vermittelt sein. Einzelnachweise für die Rezeption lateinischer Lyrik im französischen Minnesang liegen sporadisch vor (z.B. Goddard 1988), über deren Schlüssigkeit (wie nahezu immer, wenn es um bestimmte Motivparallelen geht) unterschiedliche Auffassungen gelten könnten. Vor dem hier skizzierten Hintergrund ließe sich an einen Perspektivenwechsel denken. Besonders interessant wären demnach gerade solche lateinischen Textzeugnisse französischer Herkunft, die, ganz unabhängig von einer wie auch immer gearteten konkreten Aufnahme in einzelnen deutschen Texten, im deutschsprachigen Raum verfügbar waren, d.h. gelesen werden konnten, und so, ohne vielleicht im engeren Sinn in den Bestand der deutschen Literatur überzugehen, zum Gesamtbild der Schriftkultur im deutschen Hochmittelalter dazugehören. Eine derartige Sicht versteht ‚Rezeption‘ eben nicht einseitig nur als produktive Rezeption, sie ist weniger autorzentriert, stellt vielmehr eine zeitgenössische Hörer- und Leserschaft ins Zentrum des Interesses, aus der immer wieder Autoren hervortreten. Zu allen Zeiten war ein Autor ja zuerst ein Leser. Bei einem solchen Verständnis von Rezeption ließe sich (im Hinblick auf Rezeptionsweisen) präzisierend zwischen ‚flächiger‘ und ‚punktueller‘ Rezeption unterscheiden (zu dieser Begriffsdifferenzierung für Quellenverhältnisse vgl. Lausberg 1967, S. 50–52). ‚Punktuell‘ wäre der je konkrete Zugriff auf einen vorhandenen Text zu nennen, ein Vorgang, der uns nur bekannt wird, wenn er textlich Spuren hinterlassen hat (die noch zu erkennen sein müssen) und daher faktisch an den Autor gebunden ist, prinzipiell aber auch für einen ‚bloßen‘ Leser gelten dürfte, etwa, wenn der mit anderen über das Gelesene spricht. ‚Flächige‘ Rezeption meint das Wirksamwerden von Literatur in einem viel abstrakteren Sinn: Gattungen, Werkreihen, Texttraditionen oder Formtypen können auf solche Weise rezipiert werden. Das Wissen von ihnen geht in die Literaturerfahrung einzelner oder von Gruppen ein. Ob dieses Erfahrungswissen dann je wieder (punktuell) aktiviert wird und produktiv zu neuer Literatur führt, dies ist eine ganz andere, wiederum schwer zu beantwortende Frage. Statt von faktischer Rezeption franzigener lateinischer Lyrik im deutschsprachigen Raum wäre somit eher von potentieller Rezipierbarkeit zu sprechen, deren grundlegende Voraussetzung in einer ausreichenden Versorgung mit Texten besteht.

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Verfügbarkeit der Texte Es wurde schon angedeutet, daß die handschriftliche Überlieferung von Texten oftmals regionale oder nationale Schwerpunkte kennt; anders gesagt, daß Werke französischer Herkunft am besten in Frankreich greifbar blieben. Versucht man, einen Überblick zur Tradierung weltlicher lateinischer Lyrik von französischen Dichtern zu gewinnen, bestätigt sich dieser Erfahrungswert. (Wenn im folgenden von Überlieferung gesprochen wird, ist stets natürlich die noch erhaltene oder erkennbare gemeint, die in aller Regel aufgrund eingetretener Verluste die tatsächliche einstige Verbreitung der Texte nur reduziert abbildet.) Von den drei Protagonisten des LoireKreises hat Baudri von Bourgueil praktisch keine Außenwirkung erzielt. Die von ihm selbst konzipierte Sammlung seiner carmina (Nr. 1–153) tradiert, ergänzt um weitere 103 Stücke, ein heute vatikanischer Codex unicus, der zeitlich noch an Baudris Lebenszeit heranreicht (Lutz 2013, S. 60). Viel besser steht es um Hildeberts Gedichte. Sie finden sich in ca. zwanzig autorbezogenen Kollektionen (unterschiedlicher Zusammenstellung, vgl. Ausg. Scott, S. VIII–XIV), von denen die meisten aus Frankreich, einige aus England und immerhin drei aus dem deutschsprachigen Raum stammen (Bamberg, Passau, Liesborn). Eine weitere Sammlung liegt in dem Zürcher Kodex C 58/275 vom Ende des 12. Jahrhunderts vor, im Rahmen einer Anthologie, die auch eine Auswahl von Gedichten Marbods von Rennes beinhaltet. Diese Handschrift verdient hier besondere Beachtung, weil sie den Weg zu erkennen gibt, auf dem poetische Produkte aus Frankreich ins östliche Nachbarland gelangen konnten. Neben lateinischen Texten stehen in ihr auch deutsche Stücke, darunter drei namenlose Liedstrophen, die heute „Minnesangs Frühling“ eröffnen (MF, Bd. I, S. 19). „Der gesamte Codex stammt von einem einzigen Schreiber, in dem wohl auch der Sammler und erste Besitzer zu sehen ist“ (Schneider 1987, Textbd., S. 62; vgl. Tafelbd., Abb. 26). Über einen längeren Zeitraum hat hier ein clericus alemannischer Herkunft, der sich zu Studienzwecken nach Frankreich begab, regelrecht ‚Buch geführt‘, indem er alles, was ihm an erhaltenswerten Texten unterkam, zusammentrug und dann nach Hause mitnahm. Der schulische Ursprung vieler Stücke (in Vers oder Prosa) tritt deutlich hervor, und sogar die für den Schreiber damals gegebene Situation des Auslandsstudiums spiegelt sich in mehreren Gedichtanfängen wider: Hospita in Gallia nunc me vocant studia oder Vale! dulcis patria! suavis Suevorum Suevia! / Salve! dilecta Francia! philosophorum curia! (Werner 1905, S. 134, Nr. 342 bzw. 343). Metrische Poesie wurde bei der Auswahl deutlich bevorzugt, und zwar gerade solche von Autoren wie Hildebert und Marbod,

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deren bleibender Rang um 1200 bereits außer Frage stand (vgl. Tilliette 1995). In der Schlußpartie der Handschrift kommen rhythmische Gedichte besser zum Zuge; es finden sich dort etwa die ‚Vagantenbeichte‘ des Archipoeta, aber auch Marienlyrik, darunter eine Sequenz Adams von St. Viktor (inc. O Maria, stella maris / pietate singularis; Ausg. Grosfillier, S. 465–467), und ganz am Ende, auf der letzten Seite (Bl. 185v), zwei Sequenzen zu Ehren des 1170 ermordeten (und 1173 kanonisierten) Thomas Becket. Abseits von größeren Hildebert-Sammlungen, zu denen dieser Zürcher Kodex zählt, haben einzelne seiner carmina eine enorme Bekanntheit in ganz Europa erzielt, wie aus der Dokumentation der Streuüberlieferung hervorgeht (Ausg. Scott, S. 80–104). Marbods Poesie ist hingegen, sieht man einmal von der in rd. 160 erhaltenen Handschriften quasi omnipräsenten Lehrdichtung des ‚Liber lapidum‘ ab, äußerst schwach bezeugt. Für manche carmina wie auch die meisten Kapitel des zyklischen ‚Liber decem capitulorum‘, der als Marbods Hauptwerk gelten darf, stellt die 1524 in Rennes gedruckte editio princeps (die ihrerseits heute nur noch in einem einzigen Exemplar nachweisbar ist) den ältesten Textzeugen dar. Umso mehr verdient das Ensemble von Marbod-Gedichten, das der alemannische studiosus aus Frankreich in seine Heimat brachte, Beachtung. Walter von Châtillon, der wohl renommierteste lateinische Lyriker des späteren 12. Jahrhunderts, fand viele begabte imitatores und wirkte in diesem Sinne ‚schulbildend‘ (vgl. Strecker 1927); durch zahlreiche Kodizes vorwiegend aus Frankreich, England und Italien wurden seine Gedichte bekannt. „Weniger nahm das rechtsrheinische Gebiet an dieser Verbreitung teil“ (Ausg. Strecker [1929], S. XVII), doch stellt sich aus heutiger Sicht auch hier die Überlieferungslage dank manchen Neufunds etwas günstiger dar. In einer um 1300 entstandenen Sammelhandschrift aus dem Augustinerchorherrenstift Vorau (cod. 401) steht direkt vor einem Lied Walters, das andernorts ebenfalls belegt ist (Ausg. Strecker [1925], Nr. 12), ein längeres Gedicht in 29 Vagantenstrophen. Dieser in Vorau unikal überlieferte Text stimmt nach Tendenz, Thematik und Ausdrucksmitteln so weitgehend mit sicheren Stücken aus dem Walter-Corpus überein, daß es sich sogar um ein authentisches Lied des Meisters handeln könnte, zumindest aber um eine gelungene ‚Schülerarbeit‘ (vgl. Worstbrock 1972). Ganz bescheiden nimmt sich hingegen die ‚deutsche Präsenz‘ des Lyrikers Petrus von Blois aus. Abgesehen von einigen wenigen versprengten Versen sowie vom Sonderfall des Codex Buranus (in dem zehn carmina des Dichters Aufnahme fanden) läßt sich keine einzige erhaltene Handschrift ins mittelalterliche Deutschland lokalisieren (vgl. Ausg. Wollin, S. 43–65).

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Dort war man an mehr oder weniger vollständigen corpora der führenden frankolateinischen Lyriker wohl auch tatsächlich nur in sehr spezialisierten Kreisen interessiert. Meist begnügte man sich mit leicht verfügbaren Sammlungen des Florilegium-Typs, durch welche größeren Kreisen eine repräsentative Auswahl gängigen Versguts zur Hand war. Besondere Erwähnung als Vermittlungsinstanz lateinischer Poesie verdient der ‚Floridus aspectus‘, eine noch in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vom Reimser Kanoniker (und Bibelepiker) Petrus Riga vorgelegte Anthologie, die in bearbeiteter Form Material namhafter zeitgenössischer Dichter, etwa Hildeberts von Lavardin, präsentierte und in über 100 Handschriften, nicht wenigen aus dem deutschsprachigen Raum, erhalten blieb, die sich verschiedenen Redaktionen zuordnen lassen (Wollin 2008/09). Freilich sollte beim Blick auf die mittelalterliche Lyriküberlieferung nicht nur von der Verfügbarkeit der Texte gesprochen werden, sondern ebenfalls von der Verfügbarkeit der Melodien. Denn nicht selten, zunehmend ab 1300, dokumentiert sich in Liedersammlungen aus geistlichen, später dann stadtbürgerlichen Kreisen das vorherrschende Interesse an einem ‚internationalen‘ Musikrepertoire. Dadurch gelangten auch lateinisch textierte französische Kompositionen ins Umfeld einer deutschen Gesangspraxis, aus der neue Liedtexte, deutsche oder lateinische, hervorgehen konnten. So begegnet im Repertoire des ‚Rostocker Liederbuchs‘ (um 1475) eine zweistimmige Motette (Ausg. Ranke/Müller-Blattau, Nr. 60), die sich als Umarbeitung einer dreistimmigen Motette Philipps von Vitry, des französischen Meisters der ‚Ars nova‘, erweist. Philipps Motette fand (neben vier weiteren Stücken von ihm) Aufnahme im französischen ‚Roman de Fauvel‘, der gegen 1317 abgeschlossen vorlag. Dem Rostocker Stück dient der Motetus aus Philipps Komposition, die dortige 2. Oberstimme, als Tenor, wobei der ursprüngliche Text mit übernommen wurde. Hinzu tritt in Rostock eine neu textierte alleinige Oberstimme, die aus dem originalen Tenor gebildet ist. Grundsätzlich bleibt im übrigen zu bedenken, daß nicht nur Handschriften im Mittelalter auf Reisen gingen und etwa von Frankreich ostwärts gelangten, sondern immer auch an Literatur und Lyrik Interessierte im Land selbst unterwegs sein konnten, vor Ort Texte lasen oder (gesungen) hörten und sich dabei manches merkten und notierten, ohne daß sie schließlich ein ganzes Buch von ihrem kulturell inspirierenden Auslandsaufenthalt mitbrachten, wie es jener (oben erwähnte) alemannus tat, dessen ‚Anthologia francigena‘ im Zürcher Kodex C 58 bis heute vorliegt.

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7.4 Felder der Interferenz Formen – Themen – Ein besonderer Fall: ‚Carmina Burana‘

Formen Vieles wäre im Hinblick auf literarische Einflußnahme, Rezeption und die Nachwirkung von Texten leichter zu beurteilen, wenn Autoren ihre Anknüpfungspunkte und Bezugsquellen offenlegen würden und dabei explizit machten, was sie woher haben. Das geschieht nur höchst selten, aber es kommt insbesondere dann vor, wenn eine literarische Neuerung ans Publikum herangeführt werden soll. Ein entsprechendes Beispiel bietet der St. Galler Dichter Notker Balbulus (gest. 912), der im Widmungsproömium seines Sequenzenbuches (‚Liber ymnorum‘) die Herkunft der noch ungewohnten Dichtungsform Sequenz mitteilt: Er kenne solchen Gesang, so Notker, aus dem nordfranzösischen Jumièges (bei Rouen), von wo ein beim Einfall der Normannen im dortigen Kloster vertriebener Priester mit einem Antiphonar nach St. Gallen kam (Ausg. Von den Steinen, S. 8–11; vgl. Klopsch 1972, S. 53f.). Aus derartigen Anfängen stammend, erfuhr die Sequenz (westfränkisch oft prosa genannt) eine beispiellose Erfolgsgeschichte in ganz Europa und wurde bereits im 12. Jahrhundert in die deutschsprachige geistliche Lyrik übernommen. Sowohl die ‚Mariensequenz aus Seckau‘ wie auch die ‚Mariensequenz von Muri‘ schließen bei einem lateinischen Prätext an, der Sequenz ‚Ave praeclara maris stella‘, die dem Reichenauer Mönch Hermannus Contractus (gest. 1054) zugeschrieben wird. In der weltlichen mittellateinischen Lyrik entwickelte sich der Liedtyp Sequenz zu einer der beliebtesten Gestaltungsweisen, die vielen Abwandlungen und Spielformen Raum bot. Inwieweit der deutsche Leich von lateinischen Traditionen beeinflußt ist, wird unterschiedlich beurteilt; doch ließ sich für ihn beim Versuch, das (fast gänzlich aus dem 13. Jahrhundert überlieferte) Material nach formalen Gesichtspunkten zu ordnen, (neben ‚Estampie-Typ‘ und ‚Lai-Typ‘) ein ‚Sequenz-Typ‘ etablieren (Kuhn 1967, S. 136–140). Daß Walther von der Vogelweide für seinen Leich eine Form aufgegriffen hat, wie sie in CB 60, einer Sequenz französischer Herkunft, vorliegt, darf aufgrund genauen Vergleichs der Bauformen beider Texte heute als gesichert gelten (Knapp 2005). Die jüngere, ‚reguläre‘ Sequenz aus der Schule von St. Victor war auch im deutschen Sprachraum zügig überall verbreitet; die in ihr häufig verwendete ‚Stabat mater‘Strophe begegnet als Stollenform bereits in Veldekes Lied MF 56,1, im

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deutschen Minnesang des 13. Jahrhunderts dann allgemein (Touber 2009, S. 278–283). Zuerst in Frankreich stoßen wir innerhalb der rhythmischen Dichtung auf den aus steigendem Siebensilbler und fallendem Sechssilbler gebildeten Langzeilen-Typ, „einen Emporkömmling des 12. Jahrhunderts“ (Schaller 2001, S. 87), die sog. Vagantenzeile. Sie erlebte, nach früher Erprobung etwa an der Schule von St. Martial oder in den ‚Planctus‘ Abaelards, nach 1150 „eine fast explosionsartige Ausbreitung“ (ebd.), besonders in Form der Vagantenstrophe mit vier gleichreimenden Zeilen. Auch für dieses vielleicht typischste Produkt mittellateinischer Poesiepraxis lassen sich, wenngleich nur sehr sporadisch, deutsche Äquivalente finden; genannt sei Konrads von Würzburg Lied 29 (Ausg. Schröder, S. 49f.), wo den drei Strophen jeweils ein Refrain folgt. (Lateinische Vagantenzeilen mit Refrain bietet beispielsweise CB 200.) Gottfried von Neifen formiert den Aufgesang seines Tons I (KLD 15) aus vier Langversen, jeweils Kombinationen eines Vierhebers mit einem Dreiheber, welche ins Schema der Vagantenzeile passen. Ob in solchen Fällen von einer gezielten Imitation lateinischer Muster gesprochen werden kann, muß natürlich offen bleiben. Wenn es für derartige Bildungen überhaupt eines direkten Vorbilds bedurfte, kämen dafür auch Entsprechungen bei den Trobadors oder Trouvères in Betracht, deren Verstypen ihrerseits Parallelen zu üblichen lateinischen Formen besitzen. So besteht Lied III von Gace Brulé (Ausg. Petersen Dyggve, S. 198–202) aus Vagantenstrophen mit baulich abweichender Ergänzung, die zum Refrain überleitet (vgl. Ranawake 1976, S. 116). Einer besonderen Konstellation zweisprachiger Lyrikpräsentation verdanken die vier deutschen Vagantenstrophen, die im Codex Buranus (um 1230) als Begleitstrophen lateinischer Lieder auftreten, ihre Existenz (s.u.). Auch in der geistlichen Lyrik des Mittelalters kam die Vagantenstrophe verbreitet zum Einsatz und stellt z.B. in der Sammlung von jeweils fünfstrophigen lateinischen ‚Salutationes‘ des österreichischen Zisterziensers Christan von Lilienfeld (fl. 1300) die bevorzugte Strophenform dar. Übernahmen der Vagantenstrophe ins deutsche geistliche Lied findet man ab dem 15. Jahrhundert. Die (oben erwähnte) Vagantenstrophe mit auctoritas, diese durch Walter von Châtillon kreierte Sonderform, konnte natürlich aufgrund des spezifisch lateinischen Changierens zwischen rhythmischer und metrischer Versifikation nicht in der volkssprachlichen Poesie nachwirken. Freilich findet man in der mittellateinischen Hymnendichtung, zuerst in Frankreich, dann überall, eine formale Technik, bei der jede Strophe eines Lieds durch eine entlehnte Zeile abgeschlossen wird, die ursprünglich das Initium eines älteren Hymnus darstellt. Diese „regelmäßige Zeilen-

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entlehnung“ fand großen Anklang und weite Verbreitung im späteren kirchlichen Liedschaffen (Szövérffy 1972). Die Beliebtheit und entsprechend hohe Frequenz von Refrains in der mittellateinischen weltlichen Lyrik, besonders in Liebesliedern (nord)französischer Provenienz (vgl. Sayce 1992, S. 22), könnte auf den ab dem späten 12. Jahrhundert zunehmenden Gebrauch von Refrainformen in der Trouvèrelyrik eingewirkt haben (die Trobadors kennen ihn fast nur in der Alba). Die Aufwertung des Refrains korreliert schließlich mit Veränderungen im Gattungsgefüge des französischen Lieds und schlägt sich auch in poetologischen Erörterungen nieder. Während Dante in seiner Schrift ‚De vulgari eloquentia‘ (um 1300) bekanntlich der Kanzone mit ihrem Bau sine responsorio den höchsten Rang zuweist, sieht der Dichtungstheoretiker Jacques Legrand in dem (französisch verfaßten) Traktat ‚Des rimes‘ (vor 1425) die auf dem Refrainprinzip beruhende Ballade vorn (vgl. Klaper 2012). Verwandte Formen treten hinzu (Rondeau, Virelai, Motette). Der gehäuften Verwendung deutscher Refrains in den mehrsprachigen Liedeinheiten der ‚Carmina Burana‘ liegt wohl lateinischer Einfluß zugrunde (vgl. Janota 2000). Themen Was die Liedinhalte betrifft, so waren für die volkssprachliche Lyrik zweifelsohne solche genuin in der mittellateinischen Poesie verhandelten Themenbereiche besonders attraktiv, in denen Weltliches mit Geistlichem verwoben schien. Die Kompetenz für Geistliches lag eben traditionell in der Lateinkultur. Warum nicht sollte die höfische Welt von ihr profitieren, gar an ihr partizipieren? Zu nennen wären unter dieser Perspektive Themen wie die Kreuzzüge oder politische Konflikte im Spannungsfeld von Reich und Kirche, allgemein auch Zeitklage und -kritik. Die hierzu tradierte mittellateinische Lyrik ist bislang erst durch eher summarische oder partielle Übersichten erfaßt, noch keineswegs abschließend analysiert (Schüppert 1972; Spreckelmeyer 1974). Inwieweit die politischen Sangsprüche Walthers von der Vogelweide (f III Spruchdichtung und Sirventes) vor dem Hintergrund der moralisch-satirischen Dichtung zeitgenössischer lateinischer clerici gesehen werden dürften, entschiede sich nicht an Motivparallelen, wäre hingegen an übereinstimmenden Sprechweisen der Dichter, etwa spezifischen Autorimplikationen in ihren Texten, aufzuweisen (Worstbrock 1989). Walther kennt genauso wie der französische Protagonist der lateinischen moralsatirischen Lyrik, Walter von Châtillon, die Inszenierung einer ‚repräsentativen Sprecherrolle‘, wodurch dem Text-Ich eine

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von Autorschaft getrennte Autorität quasi prophetischen Kündens zuwächst. „Ob Übereinstimmung hier auch Zusammenhang besagen kann, dergestalt, daß Walther durch moralistische Lieder wie die Walters von Châtillon poetologisch instruiert worden wäre, steht dahin“ (ebd., S. 66f.). Im Umkreis der Liebespoesie des lateinischen Mittelalters fehlt es ebenfalls nicht an geistlichem Kolorit. So liegen die Anfänge des Natureingangs, dieses die gesamte Liebeslyrik prägenden Stereotyps, in der religiösen Dichtung, wo sich die freudigen, vom Wiedererwachen der Natur angeregten Erwartungen nicht schlicht auf die Annehmlichkeiten des Frühlings als vielmehr auf das Erlösungsfest Ostern richten. Schon in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts findet man bei Venantius Fortunatus in Gallien, zur Eröffnung von dessen ‚Versus de resurrectione Domini‘, einen solchen geistlichen Natureingang; für das französische 12. Jahrhundert seien das Liedschaffen von St. Martial (AH 20, S. 106, Nr. 125) oder der österliche Laudes-Hymnus Abaelards (AH 48, S. 180, Nr. 171) genannt. Auch Adam von St. Viktor vergegenwärtigt in einer seiner Ostersequenzen (inc. Mundi renovatio / nova parit gaudia) Christi Auferstehung als Frühlingsfeier, wobei die Erlösung der Welt im Neuerwachen der Natur einen unmittelbaren Ausdruck findet (Ausg. Grosfillier, S. 318f.). Namhafte Liederdichter des 14. und 15. Jahrhunderts (Mönch von Salzburg, Oswald von Wolkenstein, Heinrich von Laufenberg) haben diese Sequenz (sowie weitere geistliche lateinische Lyrik) ins Deutsche übertragen (Bärnthaler 1983). In der Liebeslyrik behauptet sich der Natureingang literaturenübergreifend; er inszeniert als Grundtableau für das Durchspielen oft ambivalenter Liebessituationen ein dynamisches Moment (mutatio rerum), Sinnbild der conditio humana (vgl. Zink 2006, S. 135–150). Noch im 14. Jahrhundert läßt sich aus der Überschrift zum 16. Buch der Lieder Heinrichs von Mügeln in der Göttinger Handschrift der poetologische Wink ableiten, wonach ein Minnedichter vor allem den Natureingang beherrschen sollte (Wachinger 2011, S. 67; zum ‚späten‘ Natureingang: Köbele 2003, S. 47–116). In solcher Standardtextualität fallen Sonderwege besonders auf. Burkhard von Hohenfels präsentiert in seinem Frühlingsreigen (KLD 6, Nr. XI; Ausg. Wachinger [2006], S. 106–109) mit dem Schema von den Syzygien der Elemente „eine gelehrte Form der eröffnenden Frühlingsansage“, die „auf unzweifelhaft lateinisches literarisches Terrain“ führt (Worstbrock 2001, S. 79). Mittellateinischer Einfluß darf auch dann angenommen werden, wenn weltliche Liedgattungen in einer Art geistlicher ‚Überformung‘ auftreten. Diese mag sich in einer spezifischen Figurenzeichnung zu erkennen geben, etwa dadurch, daß die gepriesene Geliebte in der Liebeslyrik mit marianischen Zügen versehen ist (vgl. Kesting 1965). ‚Geistliche Tagelieder‘

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begegnen provenzalisch bereits im späten 12. Jahrhundert (zur deutschen Tradition: Schnyder 2004). Pastourellen (neben den Tageliedern die zweite Form des ‚genre objectif‘) erscheinen fast gleichzeitig lateinisch und volkssprachlich im Frankreich des 12. Jahrhunderts. In der mittelhochdeutschen Dichtung fehlen sie bekanntlich weithin. Doch liefert Neifen eine Pastourelle (KLD 15, Nr. XXVII), deren Strophenbau mit zwei Carmina Burana nächstverwandt ist (CB 79 u. 158), beide sind lateinische Pastourellen. „Anlehnungen an lateinische Muster, die seiner Manier entgegenkamen, werden bei einem Autor nicht überraschen, dessen Textbildungen sich bei näherer Betrachtung als durch und durch von lateinischer Figurenrhetorik instrumentiert erweisen“ (Worstbrock 2007, S. 16). Die Auswahl mittellateinischer Pastourellen, welche um 1230 am Südrand des deutschen Sprachgebiets Eingang findet in den Codex Buranus, umfaßt nicht nur die erwähnten Stücke CB 79 und 158, sondern zudem CB 90 und 157; außerdem drei gemischtsprachige Lieder, denen eine pastourellenartige Konstellation zugrundeliegt: CB 177, 184 und 185. Alle sieben Lieder werden im Buranus unikal und anonym überliefert. Insbesondere CB 157 (Ausg. Vollmann, S. 524–526) macht deutlich, daß in dem literarischen Umfeld, für das diese große Lyriksammlung bereitgestellt wurde, eine Vertrautheit mit dem Gedichttypus Pastourelle durchaus vorausgesetzt werden konnte, denn diese Pastourelle ist geistlich stilisiert, sie spielt mit der ‚Normalform‘, indem sie diese nicht mehr erfüllt. Die gattungstypische Hirtin, im Ton des Hohenlieds (Ct 2,13) als virgo speciosa (CB 157, Str. 2, V. 3) tituliert, tritt mit ihrer Herde bischöflich auf (Str. 1, V. 5: baculo pastorali ); die Ansprache der Hirtin durch das Erzähler-Ich erfolgt im Stil einer Marienhymne (Str. 3, V. 3: salve regie digna) usw. Wir erleben, wie ein schlichtes anonymes lateinisches Lied einen vor allem französisch traditionsreichen Texttypus von innen heraus ‚um-schreibt‘ und reformiert. In solchen intertextuellen, verschiedene Literaturen einbeziehenden Transformationen zeigt sich in einer konkreten Literatursituation des deutschen Mittelalters der europäische Aspekt dieser Lyrik. Ein besonderer Fall: ‚Carmina Burana‘ Von solcher Literatursituation zeugt allein der Codex Buranus (München, clm 4660). Als literarisches Dokument stellt er einen Ausnahme- und Glücksfall dar. Denn in ihm fließen, auf der Ebene der Sammlung, französische und deutsche Quellen ineinander. Entstanden ist er um 1230 in Südtirol, einer „Randlage“, die als Relais eines „europäischen Kulturtransfers“

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(Knapp 1998) fungieren konnte. Die Nähe Italiens zeigt sich in manchen von dort beeinflußten Usancen der Schreiber, doch substantiell richtete sich der Blick der Redaktoren zunächst nach Frankreich. Hier erschloß sich ihnen eine stattliche Kollektion lateinischer Lyrik westeuropäischer, vorwiegend französischer, Provenienz, das Kernstück der ‚Carmina Burana‘. Einige Stücke darin reflektieren offenbar die Lebenswirklichkeit ausländischer studiosi in der Francia, die hier als Dichter in Betracht kommen könnten (CB 95; 118). Diesen älteren, zumeist dem 12. Jahrhundert zuzuweisenden Textbestand ergänzte bald darauf eine jüngere und kleinere Sammlung von Liebeslyrik deutscher Herkunft (CB 132–186), die ihren passenden Platz am Ende der zweiten, nämlich die Liebeslieder enthaltenden Abteilung fand. Durch die unmittelbare Nachbarschaft, in welche der Buranus die beiden in ihm zusammengeführten Kollektionen von carmina amatoria stellt, können die Unterschiede zwischen den Ensembles besonders deutlich hervortreten (vgl. Wachinger 1984). Schon formal heben sich in der jüngeren, nah an die Entstehungszeit des Codex heranreichenden Gruppe die vierzig mehrsprachigen Liedeinheiten heraus, die jeweils aus der Kombination von lateinischen Strophen mit einer im Bau ähnlichen deutschen ‚Begleitstrophe‘ gebildet sind. Unter den hierfür herangezogenen deutschen Strophen finden sich solche, die renommierten Minnesängern gehören: Walther, Reinmar, Morungen, Dietmar von Eist oder Neidhart. Die meisten Strophen in solcher Funktion tradiert der Buranus freilich unikal, und auch den zugehörigen lateinischen Texten fehlt fast immer eine Parallelüberlieferung. Es hat den Anschein, daß für die mehrsprachigen Lieder viele ihrer Textbestandteile, sowohl lateinische wie deutsche, erst geschaffen wurden, neu gedichtet mit der klaren Zielvorstellung, etwas bis dato Unbekanntes zu präsentieren, wodurch offenbar lateinische Liebeslyrik und deutscher Minnesang in einen bewußten Zusammenhang gestellt werden sollten. Das war und blieb exzeptionell, schuf jedenfalls keine Tradition. Am besten ließe sich angesichts des Überlieferungsbefunds von einem projektartigen Experiment lateinischer Lyrikkenner ausgehen, deren Interesse sich auch einmal dem deutschen Minnesang zuwandte, den sie dann lateinisch kontextualisierten, um ihm die ‚Fremdheit‘ zu nehmen. Im Zuge solchen Vorgehens entstanden etwa die (bereits erwähnten) deutschen Vagantenstrophen (CB 126, 138, 142 u. 170), die es sonst in dieser Zeit noch nirgends gab, die aber dem damaligen (lateinischen) Publikum am deutlichsten die ‚Zugänglichkeit‘ der vorgestellten Minnelyrik signalisieren konnten. Der Buranus bildet das integrative, gleichermaßen rezeptive wie produktive Verfahren dieser Lyrikenthusiasten nur noch indirekt und reduziert ab, die ursprünglichen Projekt-

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unterlagen sind verlorengegangen. Den wenige Jahre später tätigen Südtiroler Redaktoren des Buranus erschloß sich wohl noch die Besonderheit des Konvoluts ihrer Vorgänger, doch machten sie deren Sache (verständlicherweise) nicht mehr zu der ihren. Deshalb nahmen sie von den vormals ganzen deutschen Liedern nur noch jeweils die Eröffnungsstrophe auf. Die Annahme, in der ‚deutschen‘ Gruppe der Liebeslieder-Abteilung des Buranus zeige sich das Relikt eines projektartigen Unternehmens (vgl. Kühne 2000), ließe sich mit dem Befund, daß diese Gruppe „verdeckte Schichten“ und ein „anderes Paradigma“ im deutschen Minnesang zu erkennen gebe (Worstbrock 2001), durchaus vereinbaren. Sie könnte sogar als besonders plausible Motivation für den Befund dienen. Die reduzierte Schematik dieser Poesie mit den Konstanten von Natureingang und Appell zu gemeinschaftlicher Freude käme als gemeinsamer Nenner eines Literaturverständnisses auf der Grenzscheide von Deutsch und Latein in Betracht. Nur bliebe dieser hier sichtbar werdenden ‚zweiten Konvention‘ des Minnesangs demnach eine gewisse ‚Künstlichkeit‘ als Folge einer spezifischen ‚Versuchsanordnung‘ eigen (und es ließe sich fragen, inwieweit von dort die Linie zu Neidharts Sommerliedern ausgezogen werden kann). Daß zu dieser im Buranus dokumentierten Sonderentwicklung deutschlateinischer Poesie die reiche Tradition der etwas früheren lateinischen Liebeslyrik (vornehmlich des 12. Jahrhunderts) aus Frankreich, die der Buranus ja ebenfalls in voller Breite präsentiert, nur Weniges beitragen konnte, versteht sich nun fast von selbst. Deren anspruchsvolle und voraussetzungsreiche Literarisierung von ‚Liebe‘ ließ sich kaum mit der für die deutsche Partie geltenden Tendenz einer Minnesang-Assimilierung in Einklang bringen. Den künstlerisch ambitionierten carmina französischer Dichter galt hingegen das eigentliche Interesse der Buranus-Redaktoren. Was sie auf diesem Feld zusammentrugen, verdient Bewunderung, dies um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß sie nicht von einem literarischen Zentrum, einer Metropole aus agierten, sondern sich in einer Randlage befanden, die ihnen immerhin durch die Nähe zur Romania eine gewisse Weltläufigkeit verhieß. Die Sammler müssen europaweit gute Kontakte zu Lyrikkreisen geknüpft haben. Auch wenn sie ihre Sammlung nicht nach dem Autorenprinzip strukturierten und etwa auf Dichternamen in den Rubriken ganz verzichten, so müssen sie natürlich gewußt haben, welch illustre Schar von lyrici in ihre ‚Carmina Burana‘ Eingang fand. Petrus von Blois, in deutschen Handschriften sonst kaum zu finden, ist mit zehn Gedichten bestens vertreten, es fehlen weder Walter von Châtillon noch Philipp der Kanzler, auch nicht Hugo Primas oder der Abaelard-Schüler Hilarius von Orléans. Aus dem Loire-Kreis, der die erste

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Blütezeit frankolateinischer Poesie bezeugt, steuerte Marbod von Rennes (metrische) Verse bei. Texte der Genannten und viele weitere anderer (namentlich bekannter oder, meist, anonym bleibender) Dichter und damit einen repräsentativen Querschnitt durch die lateinische Lyrik Frankreichs zu Anfang des 13. Jahrhunderts am Südrand des deutschen Sprachgebiets verfügbar gemacht zu haben: hierin liegt die imposante Leistung dieser wahrhaft internationalen Sammler. Freilich gibt es kaum Anhaltspunkte dafür, daß von ihrer Sammlung starke Impulse zu allgemeiner Verbreitung solcher Lyrik nach Norden hin ausgegangen wären. Zugleich führt uns der einzigartige Codex Buranus durch die in ihm aufgenommenen mehrsprachigen Lieder ganz nah an eine spezifische Produktionssituation von Lyrikern heran, die zweifelsohne Ausnahmecharakter besitzt. Das Besondere liegt hierbei in der versuchsweisen, aber sehr sachkundigen und allemal kreativen Integration verschiedener, sogar verschiedensprachiger, Liedtraditionen, wobei bis dahin unübliche Formen, etwa deutsche Vagantenstrophen, entstehen. Sehen wir für diese Übernahme ins Deutsche die lateinische Poesie gewissermaßen als gebende, so kommt doch auch der umgekehrte Fall vor. Um 1300 bemühte sich ein Kreis lateinischer Dichter, deren Namen wir kennen (Estas, Mersburg, Tilo, Dietrich von Saldern oder Heinricus Scriptor), bei der Tradition des deutschen Sangspruchs anzuknüpfen – lateinisch anzuknüpfen, so daß hier, und nur hier, im Ergebnis lateinische Sangsprüche in den adaptierten Tönen der Meister (z.B. von Boppe, Marner oder Frauenlob) vorliegen. Auch dies bedeutete natürlich eine Art Experiment, von dem eine etwa hundert Jahre später entstandene Aufzeichnung Kenntnis gibt (Augsburg, UB, Cod. II.1.2° 10); doch läßt die Präsentation der Texte in dieser ‚Augsburger Cantionessammlung‘ nicht mehr die ursprüngliche Aufführungssituation durchscheinen, da alle Melodien fehlen. Bei ihrer lateinischen Nutzung einer deutschen Form orientierten sich die beteiligten Dichter durchaus auch in inhaltlicher Hinsicht an Vorgaben der Gattung Sangspruch, mußten freilich auf Akzentuierungen aus der Tradition lateinischer Poesie, ihrem prägenden Umfeld, keineswegs verzichten. So klingt am Beginn einer Strophe Dietrichs von Saldern im Hofton Reinmars von Brennenberg die markante Eröffnung eines Lieds Walters von Châtillon (Fas et nefas ambulant / pene passu pari) nach, das auch als Carmen Buranum 19 überliefert ist (vgl. Kühne 2007). Es zeigt sich, daß diese lateinischen Dichter über ihrem Interesse am deutschen Sangspruch die besten Vertreter der lateinischen Lyrik, von welcher sie künstlerisch ausgingen, nicht aus den Augen verloren hatten, und solche ihnen vorbildliche Lyriker waren zumeist, besonders im 12. Jahrhundert, in Frankreich beheimatet.

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Geistliche und weltliche Lyrik

Die Gattung

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8 Allegorie von Fritz Peter Knapp 8.1 Die Gattung – 8.2 Bernardus Silvestris – 8.3 Alanus ab Insulis – 8.4 Gottfried von Straßburg – 8.5 Thomasin von Zerkläre – 8.6 Heinrich von dem Türlin – 8.7 Das ‚Compendium Anticlaudiani‘

8.1 Die Gattung Für das Mittelalter ist das Denken in zeichenhaften Analogien typisch. Alles von Gott Geschaffene bezeichnet zugleich ein anderes und weist damit letztlich stets auf den Schöpfer hin. „Denn Gottes unsichtbares (Wesen), auch seine ewige Kraft und seine Göttlichkeit werden seit der Schöpfung der Welt an dem, was geschaffen ist, erkannt“, heißt es in der Bibel (Rm 1,27). „Diese ganze sinnlich wahrnehmbare Welt ist wie ein Buch, geschrieben vom Finger Gottes“ (Universus enim mundus iste sensiblis quasi quidam liber est scriptus digito Dei), sagt Hugo v. St. Victor (gest. 1141) im ‚Didascalicon‘ 7,3 (MPL 176, 814B). Die Scholastik wollte jedoch der theologischen Ausdeutung sprachlicher Aussagen eine Grenze setzen. Was für das Wort Gottes galt, konnte menschliche Rede in aller Regel nicht für sich beanspruchen, schon gar nicht dichterische Fiktion. Aber schon die Antike hatte erkannt, daß es eine uneigentliche, bildliche Rede gibt, die auf einen anderen, zweiten Sinn zielt, und hatte auch versucht das Phänomen der $ (allegoria, lat. alieniloquium) in der Rhetorik zu systematisieren. Als Kernzelle sah sie die Metapher an, die ausgeweitet werden kann. Das wirkt etwas zu simpel angesichts der Vielfalt der Allegorie, die sich ja sogar in Gestalt ganzer ‚erzählender‘ Werke wie des ‚Anticlaudianus‘ Alains von Lille (s. Kap. 8.3) präsentieren kann. Schon bei der verbreitetsten Art der Allegorie, der Personifikation abstrakter Begriffe, ist der Weg von der sprachlichen Metapher bis zu der sprechenden, handelnden, plastischen und daher auch in der bildenden Kunst darstellbaren Person, Frau Fortuna, Frau Weisheit etc., recht weit, noch weiter bis zu allegorischen Bauwerken (z.B. der Min-

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Allegorie

neburg), Landschaften (z.B. dem Garten der Lüste), Szenen und Handlungsgerüsten (Spaziergang, Reise, Kampf, Belagerung, Jagd, Gerichtstag etc.). Auf jeden Fall davon begrifflich streng zu trennen ist die Allegorese, das Verfahren der Auslegung, welche einen allegorischen Sinn aus einem Werk herausholt, unabhängig davon, ob er ursprünglich bewußt hineingelegt worden ist. In der Allegorie findet dagegen in jedem Fall eine bewußte Verbildlichung (Illustration, Expression, Materialisation) eines abstrakten gedanklichen Konzeptes statt. Für das Mittelalter maßgebliche literarische Vorbilder allegorischer Werke sind die ‚Psychomachia‘ des Prudentius (405 n. Chr.), ‚De nuptiis Philologiae et Mercurii‘ des Martianius Capella (4. Jh. n. Chr.) und ‚De consolatione philosophiae‘ des Boethius (aus seinem Todesjahr 524 n. Chr.). Prudenz läßt paarweise und ‚leibhaftig‘ die sieben Hauptlaster gegen die sieben Kardinaltugenden kämpfen. Bei Martian heiratet der Gott Merkur das irdische Mädchen Philologia (wissenschaftliche Bildung) und schenkt der Braut seine Dienerinnen, die sieben freien Künste. Dem Dichter und Gelehrten Boethius erscheint in seiner Todeszelle die weise Frau Philosophie und tröstet ihn über sein grausames Geschick. Diese Vorbilder, allen voran die ‚Psychomachie‘, sind auch in erster Linie maßgebend für mittelalterliche Allegorien im deutschen und niederländischen Sprachraum geworden, doch stellen sich ihnen in ihrer Wirkung dann auch als weitere Muster der lat. ‚Anticlaudianus‘ und der afrz. f [VI C] ‚Roman de la rose‘ an die Seite. Alle genannten Werke sind in gewisser Weise Lehrdichtungen, deren wissenschaftliche und ästhetische Ansprüche sich freilich quantitativ ganz unterschiedlich, jedenfalls kaum je im Gleichgewicht zueinander verhalten. Martian wirft seiner Enzyklopädie nur ein leichtes poetisches Mäntelchen um, Guillaume de Lorris schwelgt im ersten Teil des ‚Rosenromans‘ dagegen in seiner poetisch-fiktiven Bilderwelt. Prudenz kleidet christliche Morallehre in klassische Hexameter, um anstößige heidnische Epik zu ersetzen. Im 12. Jh. ist solches kaum noch nötig. Antik-pagane Dichtung ist ungefährlich geworden, aber formal vorbildhaft geblieben. Wenn man nun sowohl antike Formen wie antike Inhalte aufgreift, so geschieht dies zumindest teilweise geradezu aus innerer Notwendigkeit. Die sogenannte Schule von Chartres, eine Reihe französischer Autoren, die teils in der Domschule von Chartres lernten und/oder lehrten, teils nur geistig von solchen, die dies taten, abhängig waren, widmete sich vorwiegend kosmologischen und anthropologischen Themen, ausgehend in erster Linie von Platons Dialog ‚Timaios‘ in der Übersetzung und Kommentierung durch Calcidius (um 400 n. Chr.), aber auch von hermetischem Schrifttum und

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dem christlichen Neuplatonismus. Schon der antike Platonismus nahm zur Erklärung der tiefsten Geheimnisse der Welt Mythen zu Hilfe. Da Mythen überhaupt im christlichen Mittelalter vielfach allegorisch verstanden werden, wird die Form der Allegorie fast selbstverständlich zum Gefäß der Darstellung kosmologisch-anthropologischer Spekulationen. Weil sich hier vieles nur bildlich-fiktiv, als integumentum, wie man es damals nannte, ausdrücken läßt, öffnet sich die Philosophie der Poesie, die zudem in ihrer formalen künstlerischen Ordnung die wissenschaftlich erkannte Ordnung der Welt spiegelt. Man hat darin sogar einen entscheidenden Anstoß für die volkssprachliche Literaturblüte und die höfische Kultur des 12. Jh. gesehen (Wetherbee 1988, S. 44): The result of all this is a new sense of the importance of poetry and poetic form, which not only conditions the study and production of poetry in the schools, and the poetics implicit in the new artes poeticae, whose appearance is a further symptom of the new trend, but will affect fundamentally the generation of the new poetic ‚world‘ of vernacular romance, and the way in which this world gives shape to the ideology of courtoisie.

Wie hoch man den Einfluß auch immer einschätzen mag, nicht alle Chartrenser Leuchten waren Dichter, die ersten, Bernhard von Chartres († ca. 1126), Thierry von Chartres († ca. 1150) schon gar nicht, aber auch Wilhelm von Conches († 1154) und Clarembald von Arras († ca. 1170) nicht – anders Bernardus Silvestris und Alanus ab Insulis. Wie andernorts in diesem Band auch schon ausgeführt, geht es der ‚Schule‘ von Chartres keineswegs allein um naturwissenschaftliche Interessen, sondern sie strebt einen möglichst umfassenden Bildungshorizont auf der Basis der Artes an, um davon ausgehend in die verschiedensten Richtungen vorzudringen, zu einem philosophisch-theologischen Ausgleich zwischen Platon und Aristoteles, wie es Gilbert von Poitiers († 1154) versucht, zu einer Ethik auf antiken Grundlagen, wie sie im f [VI C] ‚Moralium dogma philosophorum‘ (von Wilhelm von Conches?) entworfen wird, zu einem philosophisch-ethischen ‚klassischen Humanitätsprogramm‘, wie es Johannes von Salisbury († 1180), Schüler von Wilhelm von Conches, Gilbert von Poitiers, Thierry von Chartres u.a., anstrebt. All dies strahlt auf ganz Lateineuropa aus, ist in diesem Kapitel aber nicht darzustellen, auch wenn sich Übernahmen nicht immer säuberlich trennen lassen.

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Allegorie

8.2 Bernardus Silvestris Bernardus Silvestris verfaßte sein Prosimetron ‚Cosmographia‘ (‚De mundi universitate‘) in den späten vierziger Jahren des 12. Jh. in Tours und widmete das Werk Thierry (Theoderich) von Chartres. Im ersten Buch mit dem Titel ‚Megacosmus‘ bittet Natura Noys (  «), die ungeordnete Materie (silva, hyle) zu formen. Noys scheidet die vier Elemente, so daß sich aus dem Chaos der Kosmos (mundus) schon ansatzweise herausbildet. Aus Gottes Geist, Noys (dei intellectus, providentia), entsteht in Form einer Emanation die Weltseele (anima mundi, endelichia), die sich dem Mundus in heiliger Hochzeit vermählt. Dadurch ordnen sich die neun Engelchöre im Himmel, die Fixsterne am Firmament, die Bahnen der Planeten. Die Erde erhält ihren Platz in der Mitte; es entstehen die Tiere, die Flüsse, Quellen, Hügel, Bäume, die anderen Pflanzen, Fische und Vögel. Alles ist schön und nützlich. Im zweiten Buch ‚Microcosmus‘ verspricht Noys der Natura, den Menschen zu schaffen, verlangt von ihr jedoch, sich der Hilfe der Urania, der himmlischen Vernunft, und der Physis, des physischen Lebensprinzips, zu versichern. Natura findet Urania in den Himmelskreisen und Physis samt ihren Töchtern Theorica und Practica auf der blühenden Erde. Physis formt nach der Reihe alle Glieder des Menschen aus den Resten der vier Elemente, Urania die menschliche Seele aus der Weltseele. Natura wird Leib und Seele zusammenfügen. In Stoff und Form ist der Mensch ein verkleinertes Abbild des Kosmos.

Dieses Weltbild wirkt auf den ersten Blick sehr optimistisch. Alles ist in der schönsten Ordnung, und der Mensch ist ein würdiger Teil derselben und stellt sie im Kleinen nochmals dar. Überdies setzt das menschliche Ingenium gleichsam das göttliche fort, wirkt selbst kreativ und dringt mit seiner Erkenntnis tief in das Wesen der Dinge ein. Ganz wegdisputieren kann Bernardus aber die Gebrechlichkeit und Todesverfallenheit der physischen Existenz des Menschen aber doch nicht. Ja, man hat die ‚Cosmographia‘ sogar in erster Linie als eine Theodizee, eine Rechtfertigung Gottes angesichts der Mängel seiner Schöpfung, interpretiert (Ratkowitsch 1995). Diese Rechtfertigung sei gegeben durch die Delegation des größten Teiles der Schöpfung an niedrigere, hierarchisch geordnete göttliche Mächte, während Gott Vater als das Eine und als causa finalis absolut transzendent bleibt. Die Schöpfungsmächte des Mikrokosmos stehen in dieser Hierarchie ganz unten und vermögen daher der Materie die Form bei weitem nicht vollkommen aufzuprägen. Diese Materie, griechisch  (hyle), lat. silva – daher Bernards Beiname Silvestris – ist kein böses Gegenprinzip gegen Gott (wie bei den Manichäern und Katharern), vielmehr von Noys in der Ewigkeit geschaffen, der Form vorerst ermangelnd. So kann der Mensch sich zwar in der Zeugung reproduzieren, aber nicht vor dem individuellen Tode bewahren, und die Zeugung geschieht durch ein Organ der

Bernardus Silvestris

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Wollust, die sich der mäßigenden Ordnung immer wieder entzieht. Allerdings kann der Mensch sich durch rationale Beherrschung der Affekte selbst erlösen und nach dem Tod des Leibes in seinem seelischen Teil zu Gott zurückkehren, so wie nach dem platonischen Prinzip grundsätzlich alles einschließlich der göttlichen Potenzen im Kosmos zum summum bonum strebt. Einer Erlösung durch den Gottessohn bedarf es offenbar nicht. Bernards ‚Erzählung‘ endet auch vor dem Sündenfall. Höchstens von ferne wird auf ihn angespielt (Ratkowitsch 1995, S. 117–119). Unvereinbar mit dem platonischen Konzept erscheint die biblische Verbindung von Eros und Thanatos ja nicht. Unklar bleibt der Anteil des freien menschlichen Willens, ungelöst die alte Streifrage nach dem Zusammenfall von providentia und praedestinatio. Bernardus beschreibt Noys – in Unkenntnis des Griechischen ausgesprochen no-is und als Femininum gebraucht – u.a. so (Bernardus Silvestris, ‚Cosmographia‘ I,2,13): Illic exarata supremi digito dispositoris: Textus temporis, fatalis series, dispositio seculorum, illic lacrime pauperum, fortuneque regum, illic potentia militaris, illic philosophorum felitior disciplina […]. „Dort sind aufgezeichnet mit dem Finger des höchsten Organisators das Gewebe der Zeit, der Lauf des Schicksals, die Anordnung der Jahrhunderte, dort die Tränen der Armen, Glück und Unglück der Könige, dort die Macht der Heere, dort die glücklichere Lehre der Philosophen […].“

Nicht eindeutiger sind die Aussagen über die Macht der Sterne (Bernardus, ‚Cosmographia‘ I,3,33–38). Wenn die himmlische Substanz in den Sternen abbildet, „was aus dem Schicksalsgesetz kommen mag“ (I,3,34: Quod de fatali lege venire potest ), bleibt offen, ob dieses Gesetz eine restlose Determination bedeutet oder aus den Sternen nur abgelesen werden kann. Die Forschung ist hier auch gespalten. Wolfram von den Steinen (1966) etwa trat für die deterministische Lesart ein und meinte in den Schicksalsvorstellungen von Hartmanns ‚Gregorius‘, Gottfrieds ‚Tristan‘ und Wolframs ‚Parzival‘ gewisse Parallelen dazu finden zu können. Obwohl von den Steinen an keinen quellenmäßigen Zusammenhang denkt, empfiehlt Peter Dronke (1978, S. 14) der Germanistik, einen solchen zu überprüfen. Der Aufwand würde sich aber schwerlich lohnen. Einen strengen Determinismus vertritt wohl keines der deutschen Werke, den partiellen Einfluß der Gestirne auf das menschliche Schicksal nur der ‚Parzival‘. Wolframs rechtgläubige Frömmigkeit steht im übrigen außer Frage, was man von Gottfried von Straßburg so eindeutig nicht sagen kann. Chartrenser Gedankengut scheint hier wie dort gelegentlich anzuklingen. Was davon von Bernardus stammen könnte, bleibt in der Regel Spekulation. Daß die ‚Cos-

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mographia‘ damals im deutschen Sprachraum bekannt war, ist schon aufgrund des jetzigen Handschriftenbestandes in Bern, Berlin und Wien wahrscheinlich. Eberhard der Deutsche (f Poetik, Kap. 6.3) wird das Werk dagegen eher noch in Frankreich kennengelernt haben. Er nennt es in seinem ‚Laborintus‘ nicht namentlich, zitiert es aber offenkundig (V. 27–32 u. ö.). Seine intensive und europaweite Wirkung hat das Werk sicherlich erst durch die Beeinflussung der Dichtungen Alains von Lille entfaltet.

8.3 Alanus ab Insulis Obwohl einer der einstmals berühmtesten und meistgelesenen mittelalterlichen Autoren, ist Alanus/Alain als Person nur schattenhaft faßbar. Wir wissen nur, daß er in oder bei Lille (lat. Insulae, daher sein Beiname) geboren wurde, in Chartres und Paris studierte, in Paris und (um 1200) in Montpellier Artes und Theologie lehrte und 1202/03 als Mönch in Citeaux starb, bereits recht betagt, so daß man etwa 1125/30 oder noch früher als Geburtsdatum vermutet. Er war ein überaus fruchtbarer Autor (Liste bei Evans 1983). Seine Werke widmen sich den Artes ebenso wie der Theologie, der spekulativen wie der praktischen. Er galt nahezu als allwissend und erhielt daher den Beinamen doctor universalis. Die größte Ausstrahlung besaß er aber als Dichter. Aus seiner Feder stammen Hymnen, Sequenzen, geistliche und weltliche Rhythmen, das Prosimetrum ‚De planctu naturae‘ (um 1160/70?) und das Hexameterepos ‚Anticlaudianus‘ (um 1181/84). – Inhalt von ‚De planctu naturae‘: Dem träumenden Dichter, der über das widernatürliche Verhalten des Menschen trauert, erscheint Natura als wunderschöne Frau in einem prächtigen, bilderverzierten Kleid auf einem gläsernen, mit Pfauen bespannten Wagen, gibt ihre Funktion im Weltgefüge bekannt und klagt über das gegen die natürliche Ordnung verstoßende Verhalten des Menschen, insbesondere in der Perversion der Liebe, aber auch durch die Laster der Unmäßigkeit, der Habsucht, des Hochmuts und des Neides. Auf diese Weise verfehlt der Mensch die ihm aufgetragene ordentliche Vermehrung. Natura hat die Aufgabe, den Menschen auf den richtigen Weg zurückzuführen, auf Venus, Hymenaeus und Cupido übertragen; die arbeitsscheue Venus aber beging Ehebruch mit Antigenius, so daß Ehebruch und Homosexualität und in der Folge andere Sünden epidemisch geworden sind. Nun erscheinen Naturas jungfräuliche Dienerinnen, Keuschheit, Mäßigkeit, Freigebigkeit und Demut. Natura sendet Hymenaeus zu ihrem Priester Genius. Auftragsgemäß erscheint Genius und exkommuniziert im Priestergewand im Namen der superessentialis Usya ( ) und der himmlischen Heerschar und kraft des Beistandes der Natura und der Tugenden alle sündigen Menschen. Sie werden von der göttlichen Liebe und aus dem Kreise der natürlichen Dinge ausgeschlossen.

Alanus ab Insulis

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Wie in der ‚Cosmographia‘ besteht auch hier die schwerste menschliche Verfehlung in der Entartung der im Schöpfungsplan nur zur Fortpflanzung bestimmten Sexualität. Aber die Hierarchie der göttlichen Mächte ist reduziert und geändert. Noys wird hier nicht von Gott unterschieden, der aber nur die Ideen aller Dinge und die Gesetze der Harmonie schafft und die weitere Ausführung seiner vicaria Natura überläßt, die ihrerseits Venus als subvicaria einsetzt, die für die Fortpflanzung verantwortlich ist. Obwohl der ‚Planctus‘ noch reicher überliefert ist als der ‚Anticlaudianus‘ (s.u.), setzt die Rezeption offenbar viel langsamer ein. Die erste sichere Erwähnung findet sich erst im ‚Registrum multorum auctorum‘ Hugos von Trimberg etwa 1280. Die meisten überlieferten Hss. sind danach geschrieben. Einige wenige gehen aber schon auf die Wende vom 12. zum 13. Jh. zurück. Wenngleich der ‚Planctus‘ nicht zur Schullektüre wurde, hat er nachhaltigen Einfluß auf die Artes poeticae ausgeübt. Die personifizierte Natura ist offenbar sofort von anderen lat. Autoren in Frankreich aufgegriffen worden, so von Walther von Châtillon gegen 1181 und Johannes von Hauville 1184. Da sie aber im ‚Anticlaudianus‘ von Alain selbst weiter ausgestaltet wird, ist im folgenden meist nicht mehr auszumachen, aus welchen der beiden Werke Natura stammen könnte, so z.B. im ‚Laborintus‘ Eberhards von Bremen / des Deutschen, V. 11–20, wo sogar statt dessen der unmittelbare Anschluß an die antike Tradition zu erwägen ist. – Inhalt des ‚Anticlaudianus‘: Natura bedauert die Unvollkommenheit ihrer alten Geschöpfe und beschließt, einen neuen, göttlichen, vollkommenen Menschen zu schaffen. Sie ruft dafür in ihrer paradiesischen Residenz die Tugenden Eintracht, Fülle, Bescheidenheit, Ehrenhaftigkeit, Klugheit und andere zusammen. Alle versprechen ihre Mitwirkung, nur die Klugheit gibt zu bedenken, daß auch ihre vereinigten Kräfte dafür nicht ausreichen. Die Vernunft schlägt vor, die Klugheit zu Gott zu senden und ihn um die Schaffung der Seele des neuen Menschen zu bitten. Von der Eintracht läßt sich die Klugheit nach langem Zögern dazu überreden, die schwierige Aufgabe zu übernehmen. Sie beauftragt ihre Mägde, die sieben freien Künste, ihr einen Himmelswagen zu bauen. Die Eintracht fügt alle Teile zusammen. Die Vernunft schirrt die fünf Sinne als Pferde an die Deichsel und setzt sich selbst auf den Kutschbock. Die Klugheit steigt ein, der Wagen erhebt sich in die Lüfte, durchquert die sublunare Sphäre, dann die Sphären der Planeten und erreicht das Firmament. Die regina poli, die Theologie, übernimmt die Führung und führt die Klugheit (hier meist nicht mehr Prudentia, sondern Phronesis, später auch Sophia genannt) ohne ihren Wagen, nur auf dem Pferd des Gehörs sitzend, durch das Empyreum, d.h. die Sphären der Engel, Heiligen und Marias bis zum Thron Gottes. Von dem Glanz wird die Klugheit ohnmächtig, erhält vom Glauben einen himmlischen Trank und einen Spiegel, in dem allein sie den geistigen Himmel, die obersten göttlichen Prinzipien und Gott schauen kann. Sie trägt in der Burg des Himmelskönigs ihr Anliegen vor. Gott gewährt seiner Tochter die Bitte, läßt seinen Geist (Noys) die Idee dieser Seele aus allen Ideen herausfinden und bildet daraus die

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Seele des neuen Menschen, der die Parzen Glück verheißen. Mit der Seele nimmt die Klugheit denselben Weg mit denselben Mitteln zurück auf die Erde. Natura formt nun den Körper des neuen Menschen aus den reinsten Elementen. Die Eintracht fügt Leib und Seele zusammen. Fülle, Gunst, Jugend, Frohsinn, Keuschheit, Vernunft, Ehrenhaftigkeit, Klugheit, die sieben freien Künste, die Güte, die Treue, die Freigebigkeit spenden ihre Gaben. Fortuna erklärt ihre Gaben für überflüssige Zusätze, läßt es dann aber doch nicht an den Glücksgaben fehlen, allerdings nur in den von der Vernunft gesetzten Grenzen. Insbesondere erhält der neue Mensch so auch edle Abstammung. Alecto beruft nun die Übel zu einem höllischen Konzil. Die Mächte des Bösen marschieren gegen den neuen Menschen. Die Tugenden bewaffnen und unterstützen ihn. Er siegt mit ihrer Hilfe. Die Feinde fliehen zurück in die Unterwelt. Als alle Übel verschwunden sind, kehrt das irdische Paradies wieder.

Die vicaria Dei Natura delegiert hier ihre eigene Schuld nicht weiter, kann aber selbst kraft nur übertragenen Amtes nichts Vollkommenes schaffen. Alle ihre zur Verfügung stehenden Mittel und Helfer reichen dazu nicht aus. Prudentia/Phronesis kommt nur durch Theologie und Glauben zu Gott. Nur Gottes Gnade kann den Menschen retten. Ipse Deus (Alanus ab Insulis, ‚Anticlaudianus‘ VI,428) schafft die Seele. Noys hat nur das geeignete exemplar der Seele des homo perfectus auszuwählen. Die Seele erschaffen kann er nicht, geschweige denn Urania, die bei Bernardus diese Aufgabe übernimmt. Sowohl in der Erkenntnistheorie als auch in der Kosmologie werden die Chartrenser Vorstellungen so zurechtgestutzt, daß sie mit katholischer Rechtgläubigkeit vereinbar erscheinen. Die göttliche Wesenheit wird rationalem Erfassen entrückt, und der platonische Kosmos in seiner Begrenztheit spiegelt eher wie ein umgekehrtes Trugbild die göttliche Unendlichkeit (vgl. Wetherbee 1988, S. 52). Dem steht allerdings die Schaffung des neuen Menschen entgegen. Dieser läßt sich so im biblischen Heilsplan nicht finden und wirkt auch erstaunlich weltlich und optimistisch konzipiert. Einen neuen Adam in einem neuen irdischen Paradies, der nicht der Messias ist, dürfte es nach dem Verständnis der Kirche eigentlich gar nicht geben. Wer oder was dieser homo novus sein soll, beurteilt auch die Forschung verschieden: etwa der „chevalier idéal“, der in einer „croisade idéale“ kämpfe (Raynaud de Lage 1951), der höchste Repräsentant menschlicher Möglichkeiten (Brinkmann 1966; ähnlich Evans 1983), eine historische Gestalt, König Philipp II. August (Wilks 1977), eine utopische vom idealen Mittelmaß geprägte Gegengestalt gegen das alte asketische Mönchsideal (Deug-Su 1998) oder eine bloße Nebenfigur des Epos, in dem es vielmehr um den Aufstieg des Geistes (Prudentia) zu Gott (Wetherbee 1972; ähnlich Sheridan, Übers. [1973]) oder um Selbsterkenntnis und Selbstfindung einer Person (Luckner 2004) oder um Demonstration der moraltheologischen These von der

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notwendigen praktischen Bewährung der von Gott verliehenen potentia virtutis (Bezner 2008, S. 61) gehe? Der manieristische Werktitel ‚Anticlaudianus de Antirufino‘, der sich antithetisch auf Claudians Schmähgedicht gegen Rufinus, ein menschliches Scheusal (Ende 4. Jh.), bezieht, erklärt natürlich so gut wie nichts. Entscheidend aber ist in jedem Fall das strikte Verständnis des Werkes als integumentum, d.h. nach der Definition des Bernardus Silvestris als „eine Rede, die unter einer fabulösen Erzählung eine wahre und vom Äußeren verschiedene Einsicht verhüllt“ (‚Martiankommentar‘ 2,74f.; f Poetik, Kap. 6.2). Es liegt hier eine fabula, keine historia zugrunde. Der perfekte Mensch im neuen irdischen Paradies ist litteraliter nicht existent, auch nicht als heilsgeschichtliche Verheißung, sondern er ist ein bloßes Bild für ein Gedankenkonstrukt. Die Offenheit für vielfältige Auslegungen, der enzyklopädische Charakter und die formale Perfektion haben wohl dem Werk seinen enormen Erfolg gesichert. Der Herausgeber Robert Bossuat (1955) wußte schon von über hundert Handschriften. Inzwischen sind weitere entdeckt worden. Manche reichen nahezu an die Entstehungszeit zurück. Bossuat hat sich für seine Edition fast ganz auf die Pariser Hss. beschränkt. Doch hat auch der deutsche Sprachraum einen wichtigen Anteil an der Überlieferung. Alanus wird in Deutschland ebenso zum Schulautor wie in Frankreich und regt hier wie dort sowohl als Gattungsmuster als auch mit einzelnen Motiven und Themen die volkssprachige Literatur an, wobei sich nicht immer klar erkennen läßt, wieweit die Einflußbahnen nach Deutschland bereits den Umweg über afrz. Werke genommen haben. Der ‚Roman de la rose‘, das berühmteste afrz. Werk, das sich deutlich auf Alanus bezieht, fällt dabei freilich aus, da er zwar im Niederländischen (f VI C ‚Roman de la rose‘), nicht aber im Deutschen rezipiert wurde. Schwerlich jenseits des Rheins bekannt war auch Ellebauts afrz. Übersetzung des ‚Anticlaudianus‘ vor 1271. Sie scheint mit ihren 3400 Versen unvollendet, zeigt aber auch so schon eine sehr freie Behandlung des Originals, die bis zur radikal christlichen Umdeutung reicht. Sie identifiziert den homo novus mit Christus, was schon der lat. Kommentar Wilhelms von Auxerre aus dem ersten Drittel des Jahrhunderts versucht hatte (Bossuat 1955, S. 45) und das ‚Compendium Anticlaudiani‘ vom Ende des Jahrhunderts konsequent durchziehen wird.

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8.4 Gottfried von Straßburg Christoph Huber (1988) hat der deutschen Alanus-Rezeption eine ebenso ausführliche wie ausgezeichnete Studie gewidmet, die hier nur zum kleinen Teil referiert werden kann. Von vornherein ausgeschlossen werden rein punktuelle und ganz fragliche Rückbezüge auf ‚Planctus‘ und ‚Anticlaudianus‘ (Acl – Ausg. Bossuat). Ein eigenes Kapitel hat Huber (1988, S. 79–135) Gottfried von Straßburg vorbehalten, den die Forschung immer wieder mit der Schule von Chartres im allgemeinen und Alanus im besonderen in Zusammenhang gebracht hat. Einen knappen Überblick bietet zuletzt auch Tomasek (2007, S. 39f. u. 149f.). Es gibt jedoch wenige mittelalterliche deutsche Dichter, die uns so viele letztlich unlösbare Rätsel aufgeben wie Gottfried. Und dies beginnt mit dem Verhältnis des überaus breiten Bildungsgutes, das Gottfried offenbar verarbeitet hat, zu seiner Originalität, die das Bildungsgut mitunter bis zur Unkenntlichkeit verfremdet, wobei man aber auch Mißverständnisse des Autors nicht immer ausschließen kann. Da wir zudem von Gottfrieds konkretem Bildungsweg überhaupt nichts Sicheres wissen, muß es in aller Regel offen bleiben, was er wo und wie kennengelernt und übernommen hat. Nur daß er wie kaum ein anderer der lateinischen Bildungswelt Frankreichs nahe stand, kann keinem Zweifel unterliegen. Mit der Schule von Chartres teilt er in jedem Falle das zumindest ansatzweise pagan gefärbte, am Rande der christlichen Orthodoxie stehende Weltbild und die Neigung zur allegorischen Darstellungsweise. Dieser kaum abweisbare (gleichwohl von einzelnen Forschern doch partiell in Frage gestellte) Gesamteindruck steht aber wiederum im Kontrast zu den schwer nachweisbaren Detailentlehnungen – ein Gegensatz, der sich bei Thomasin von Zerkläre (s. Kap. 8.5) genau umgekehrt darstellen wird. In dem Versroman ‚Tristan‘ von ca. 1210 findet sich der einzige Musenanruf in der deutschen Dichtung des Mittelalters. In der lateinischen Renaissance des 12. Jh. ist dieser heidnisch-antike Topos dagegen trotz der Bedenken der christlichen Rigoristen nicht selten aufgegriffen worden, so auch von Alanus im Acl, Prologus 7–9. Bevor Phronesis aber vor Gottes Thron gelangen kann, schwört der Dichter ausdrücklich der Führung der Musen und Apolls wiederum ab und vertraut sich einer anderen an, um sich selbst zum Propheten zu wandeln. „Der himmlischen Muse wird der irdische Apoll weichen, die Muse dem Jupiter“ (Alanus, Acl V,270f.: Celesti Muse terrenus cedet Apollo, / Musa Iovi ). Diesen Wechsel der Inspirationsinstanz von den heidnischen Musen zum christlichen Gott hat man auch im ‚Tristan‘ wiederfinden wollen (Kolb 1967), denn Gottfried erbittet einen

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Tropfen aus dem Musenquell, aus dem die Gaben der Inspiration fließen, die Gaben des Helikons (Êlicôn), Apolls und der Musen (Camênen), und unmittelbar darauf nochmals die selben gotes gâbe / des wâren Êlicônes / des obersten trônes (Gottfried, ‚Tristan‘, Ausg. Marold, V. 4895f.) oben in den Himmelschören (V. 4904). Soll man dieses „wahr“ als echtes typologisches (so Kolb 1967) oder nur als typologieanaloges Steigerungssignal (so Wolf 1974 u.a.) verstehen? In beiden Fällen kann man sich an Alanus erinnert fühlen (so schon Jaeger 1977, S. 143f.). Auch Wachinger glaubt an eine chartrensisch anmutende Überhöhung, die freilich die höhere Instanz im Unklaren läßt (Wachinger 2002, S. 248f.). Doch bleibt überhaupt die ganze Stelle unklar. Wolf (1989, S. 109) hat mit Recht festgestellt, daß „dieselben Gottesgaben des wahren Helikons“ schon von Anfang an gemeint gewesen sein müssen, die doppelte Invokation also dasselbe Ziel hat, dieses jedoch den Pegasusquell des verstorbenen Dichterkollegen Heinrich von Veldeke (,Tristan‘, V. 4729) überbietet. Die Frage scheint aber fast müßig, steht doch gar nicht fest, daß der ungemein selbstbewußte Dichter Gottfried das Inspirationsgebet ernst gemeint hat. Noch vager die Anklänge an Alains homo novus in dem Bildungsgang des Helden Tristan (Huber 1988, S. 92–95); unverkennbar dagegen die Ähnlichkeiten in der Beschreibungstechnik (ebd., S. 85–91). Interessanterweise greift Gottfried dabei nirgends auf die Schöpfungsinstanz der personifizierten Natur zurück, die in der lateinischen Tradition für die physische Schönheit verantwortlich gemacht wird. Die Verwendung des Topos bei Chrétien de Troyes hat zu einer ausgedehnten Forschungsdebatte (vgl. Huber 1988, S. 9f. u. 103f.) geführt, denn sie findet sich bei ihm nicht nur in einfacher, sondern auch in hyperbolischer Form, wenn Yvain daran zweifelt, Nature könne die Schönheit Laudines geschaffen haben, und dafür Gottes eigene Hand in Erwägung zieht (Chrétien, ‚Yvain‘/‚Chevalier au Lion‘, Ausg. Foerster, V. 1491–99; vgl. auch ‚Erec et Enide‘, Ausg. Foerster, V. 411–436). Da hat man wiederum nicht nur allgemein an Einfluß der Chartrenser, sondern an den Instanzenzug des Acl gedacht. Aber es geht bei Chrétien nicht um die verschiedene Abkunft von Leib und Seele von Natura bzw. Gott wie im Acl, sondern um eine scheinbare biblizistische Korrektur einer philosophischen Allegorie. Den Unernst der Stelle bei Chrétien wird niemand verkennen, der die weitere Übersteigerung beachtet: In seiner Liebe auf den ersten Blick traut Yvain selbst Gott nicht zu, noch eine solche Frau zu schaffen (‚Yvain‘, V. 1503–06). Daß Gottfried Natura/Nature/Natiure nicht kennt, erstaunt umso mehr, als er sonst eine durchaus ‚chartrensische‘ Vorliebe für Personifikationen an den Tag legt. Die wichtigste davon ist wohl diu gotinne Minne.

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Sie scheint ähnlich doppelgesichtig zu sein wie Venus im ‚Planctus‘ von Alanus. Venus degeneriert und stört hier durch ihren Ehebruch die Schöpfungsordnung. Das bildet augenscheinlich integumental den Sündenfall ab. Gottfried benennt diesen direkt (‚Tristan‘, V. 17929–70), aber auch ohne wesentlich heilsgeschichtliche Implikation. Er versteht ihn als Gottes-, Ehr- und Selbstverlust der Frau und sieht die mögliche Restitution in einer erstaunlich modern anmutenden leib-seelischen weiblichen Selbstverwirklichung (V. 17990–18118), die aber auch ganz zeitgebundene Elemente wie den Topos der ‚Frau mit den männlichen Tugenden‘ enthält. Die exakte Bedeutung des Erzählerexkurses ist wie vieles in dem Werk umstritten. Auf die Wiederherstellung eines maßvollen Liebeslebens in rechter Ehe zielt sie jedenfalls nicht (gegen Wisbey 1980). Wiederum mündet der anfängliche Gleichklang – vgl. auch die Klage über den Verfall der Liebe (V. 12187–361) – zwischen den beiden Autoren Alanus und Gottfried in eine Dissonanz (Huber 1988, S. 106–127). Zum Ideal verklärt erscheint schließlich die Minne in der allegorischen Minnegrotte, die freilich als dauernder Aufenthaltsort für die Liebenden nicht in Frage kommt, weil sie damit aus der Gesamtgesellschaft herausfallen würden. Hier versucht Huber keinen konkreten Anschluß an Alanus herzustellen. Tatsächlich hat die Minnegrotte zwar etwas von einem irdischen Paradies, macht aber einen eskapistischen und ephemeren Eindruck. Für die Gebäudeallegorie boten sich weit mehr Vorbilder als die Häuser der Natura und der Fortuna im Acl an. Für die Beschreibungstechnik standen die lat. Poetiken zur Verfügung (die allerdings auch direkt oder indirekt der Schule von Chartres entstammen). Aber diese Allegorie verläßt dermaßen deutlich den üblichen Rahmen eines volkssprachlichen Höfischen Romans, daß ihr Aufbau ohne den Rückhalt an Alains berühmten allegorischen Werken unwahrscheinlich dünkt. Und Gottfrieds ‚Botschaft‘ ist zwar durchaus eine andere als die Alains, scheint sich aber doch auf diese zu beziehen. „Seine Position ist historisch nur als Antwort auf die vorausgehende Antwort des Alanus zum Liebesproblem zu verstehen“ (Huber 1988, S. 135).

8.5 Thomasin von Zerkläre Das deutsche Lehrgedicht ‚Der welsche Gast‘ (WG – Ausg. Rückert), welches der Friulaner Domherr Thomasin 1215/16 vermutlich für den Hof des Patriarchen Wolfger von Aquileia geschaffen hat, bereitet dem Leser durch manche sprachliche Unzulänglichkeiten und gedankliche Untiefen

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Schwierigkeiten, welche Huber (1988) etwas zu wenig in Rechnung stellt. Thomasin ist des Deutschen nicht uneingeschränkt mächtig und hat zwar eine gelehrte Ausbildung genossen, gibt sie aber teils stark simplifiziert und vergröbert wieder, vielleicht aus Rücksicht auf sein gemischtes Publikum: vrume rîtr und guote vrouwen / und wîse phaffen suln dich schouwen (WG, V. 14695f.). Zudem überlagert seine Hauptintention der moralischen Unterweisung die Vermittlung anderer Wissensinhalte. Die kosmologische Auffassung von der stabilen Weltordnung, der sich allein der Mensch mit und nach dem Sündefall widersetzt und sogar über seinen eigenen Bereich hinaus schadet, ist altes Traditionsgut und wird in der Schule von Chartres und so auch von Alanus aufgegriffen. Thomasin beschreibt die Eigenheit, Gegensätzlichkeit und Verbindung der vier Elemente im sublunaren Bereich, dann die fünfte Wesenheit (quinta essentia) der Himmel und Planeten vom Mond aufwärts. Nur hier in diesem Bereich herrscht reine stæte, unten dagegen die Zweitracht der Elemente, die gleichwohl jeweils ihre eigene Natur bewahren – anders als der Mensch, der den ihm gegebenen Platz nicht einhalten will. Daher die ständige Störung der Gesellschafts- und Friedensordnung. Soweit die übernommene gelehrte Theorie. Dann aber versucht Thomasin sogar die Unbilden der Witterung auf die menschliche Sünde zurückzuführen, wobei es jedoch unerfindlich bleibt, wie der regelmäßige Wechsel der Jahreszeiten der natürlichen Ordnung entsprechen sollte (WG, V. 2199–2208), wenn es ohne Erbsünde nur ewigen Frühling und gar keinen Regen, Winter oder Schnee gäbe (2173–76). Bernardus Silvestris hatte diesen Ausnahmezustand als göttliches Geschenk einem einzigen kleinen Plätzchen auf der Erde zum Aufenthalt der zu schaffenden Menschen vorbehalten (Bernardus Silvestris, ‚Cosmographia‘ II,9,3). Die Anpassung an die biblische Lehre führt bei Thomasin zum inneren Widerspruch. Bei der Elementenlehre steht der Lehrdichter näher bei den Chartrensern. Welche Quellen Thomasin hier konkret benützt hat, läßt sich aber nicht sagen. Offen muß auch bleiben, woher er die Spitzenstellung der Beständigkeit (stæte) in seiner Tugendreihe bezogen hat. Am nächsten steht der stæte natürlich die lat. constantia, die zum Umkreis der Kardinaltugend fortitudo gehört (vgl. ‚Moralium dogma philosophorum‘, Ausg. Holmberg, S. 39f.), schon wesentlich ferner die concordia, die Eintracht, auch wenn diese im ‚Anticlaudianus‘ für den Zusammenhalt der Elemente und die Verbindung von Seele und Leib verantwortlich ist. Huber (1988, S. 36) erschließt die „moralphilosophische Spitzenstellung“ der concordia aus ihrer Unterstützung des homo novus in der Psychomachie gegen die Zwietracht (discordia). Sie taucht hier aber gar nicht auf. Täte sie es, müßte dies ja weit eher zur

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Versöhnung als zum weiteren Kampf führen. Allerdings ist die Zwietracht bei Thomasin die unmittelbare Folge der unstæte (WG, V. 2423–34). Die Psychomachie im Acl hat zweifelsfreie Spuren bei Thomasin hinterlassen, auch wenn die allegorische Grundidee natürlich schon bei Prudenz, teilweise sogar schon im Brief des Apostels Paulus an die Epheser 6,10–17, vorgegeben ist und der Grundstock der Laster aus den ‚Moralia in Job‘ Gregors des Großen stammt (Liste bei Huber 1988, S. 411–415). Aber Thomasin bereitet wie Alanus den Kampf durch die Aufstellung der Laster, das Nahen des Heeres und die Wappnung des Kämpfers vor, welche auch Detailgleichungen der Waffenallegorie aufweist: Pferd(e) – Hoffnung, Sporen – Tapferkeit, Zügel – Keuschheit, obwohl im Deutschen die weltlich-ritterliche Tendenz viel deutlicher durchschlägt. Am nächsten steht dem lat. Vorbild die Schar der unkiusche/luxuria. Hier entsprechen die Nebenlaster leckerheit, vraz, trunkenheit, unsælic sælde, bitter süez, armer rîchtuom, rîch armuot, valsch minne (WG, V. 7401–08) unmittelbar und ausschließlich Acl VIII,260–273 fastus (luxus), gula, hebrietas (crapula), prospertas aduersa, insipidus dulcor, opulencia pauper, paupertas diues, falsus amor (Ochsenbein 1955, S. 138f.). An dem Gewicht dieser Stelle im Ganzen mag man freilich zweifeln. Die Psychomachie spielt bei Thomasin überhaupt eine viel kleinere Rolle als im Acl. An der Spitze der feindlichen Laster steht bei ihm wie bei Gregor Magnus superbia/übermuot, die/der bei Alanus bemerkenswerterweise ganz fehlt, ebenso wie die Tugend der Demut, die WG, V. 7498 die Reihe beschließt. Das mit der unkiusche/luxuria unmittelbar verknüpfte Liebeskonzept ist ebenfalls unterschiedlich. Nur Alanus empfiehlt bei der Liebe als Abwehr die Flucht (Acl IX,238–251). Ob der Widerstreit von Vernunft und Sinnlichkeit aus dem ‚Planctus‘ dem WG um soviel näher steht, wäre noch weiter zu prüfen. Thomasins Vorstellung von den geistigen Fähigkeiten des Menschen, von ihrer Aufteilung in imaginatio, ratio, memoria, intellectus und von deren Stufenfolge in der Erkenntnis und moralischen Vervollkommnung (WG, V. 8789–8856) läßt sich wiederum allgemein mit der Schule von Chartres verbinden, aber nicht notwendig mit Alanus. Doch die anschließende Lehre von den Wissenschaften enthält eine Namenreihe von berühmten historischen Repräsentanten der Artes liberales, und diese Reihe stimmt mit dem Acl in weiten Teilen überein. Insbesondere werden einzelne Namen nur im Acl derselben Ars zugewiesen, so Sidonius Apollinaris der Rhetorik (Acl II,357† ~ WG, V. 8948) oder Atlas der Astronomie (Acl II,348 ~ WG, V. 8957). Aber die kurze Liste in WG, V. 8933–57 ist aus einer mehrere hundert Verse umfassenden lat. allegorischen Beschreibung ausgezogen. „Dies könnte wie schon frühere Beobachtungen auf eine

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exzerptartige, normalisierte Arbeitsgrundlage Thomasins deuten“ (Huber 1988, S. 55). Ja, es zeigt ein kompilatorisches, eklektisches Verfahren an. Alain und Thomasin weiten zwar beide die Wissenschaftssystematik über die spätantiken sieben Artes hinaus aus, jener aber nur (gegen Huber 1988, S. 56) um die Theologie (Acl VII,318: ars diuina poli, die schon bei der Himmelreise der Prudentia weiterhelfen mußte (V,166): poli regina), Thomasin jedoch um Theologie (WG, V. 9085: divinitas), Medizin (9077: physica) und Jurisprudenz (9151: decrete und leges), was auf die späteren höheren Fakultäten der Universitäten vorausweist, damals aber in dieser Zusammensetzung neu gewesen zu sein scheint, auch wenn es in der Diskussion der Schulen etliche Ansätze dazu gibt. Über Thomasins realen Bildungsweg wissen wir nicht Bescheid. In seiner Lehrdichtung tritt er jedenfalls nicht als Neuerer auf, sondern als Vermittler übernommenen Wissens an ein Laienpublikum, das zwar nach seiner Ansicht den Zugang zur schriftlichen Schulbildung suchen soll, sie aber doch nur partiell erlangt (hat). Diesem Publikum hat er gewiß das vermittelte gelehrte Wissen angepaßt, das Wissensgut deshalb aber keineswegs notwendig systematisch ausgewählt. Es kann durchaus vom konkreten Angebot und der Art der Aneignung in der Schule geprägt und das innovative Potential der Chartrenser in mehr oder minder zufälliger Dosierung darin enthalten gewesen sein. Nach Hubers Meinung hat Thomasin Alains Werk als ganzes überblickt und dessen geschlossene allegorische Handlung in eine Reihe von einzelnen Lehren überführt, „die sich der Bildlichkeit nach Gutdünken bedienen, um sie dann in eine didaktische Formel wieder aufzulösen“ (Huber 1988, S. 73). Um die nachgewiesenen Anleihen zu machen, muß der Friulaner aber das ganze Werk nicht gekannt haben, so daß auch die elementaren Veränderungen nicht allein dem – nicht zuletzt publikumsbedingten – Gattungs- und Sprachwechsel und bewußten Eingriffen zu verdanken sein müssen. Aber jedenfalls ist so von Alains speziell poetischem Anliegen weder auf der Makro- noch der Mikroebene etwas übriggeblieben. Das ‚Abhängigkeitsverhältnis‘ stellt sich also bei Thomasin völlig anders dar als bei Gottfried, der zwar kaum an der Textoberfläche wahrnehmbare Entlehnungen vorgenommen, sich dafür aber intensiv mit den inneren geistigen und ästhetischen Strukturen der alanischen Dichtung auseinandergesetzt zu haben scheint.

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8.6 Heinrich von dem Türlin Der nach wie vor kaum faßbare Autor der ‚Krone‘ (f V Gauvainromane) von ca. 1230/40 führt als erster vrowe Nature in den Höfischen Roman ein, welche Hartmann und Wolfram sich noch geweigert hatten von Chrétien zu übernehmen. Er nennt sie über dreißigmal, wenn auch nicht in allen Fällen die Personifikation offen zu Tage liegt (Jillings 1980, S. 200). Sie ist verantwortlich für alle möglichen physikalischen und physischen Erscheinungen, insbesondere natürlich für Frauenschönheit (im Sinne des alten Topos von der natura formatrix), gelegentlich aber auch für eine menschliche Sitte oder Unsitte. Die Übersteigerung begnügt sich mit dem Unüberbietbarkeitstopos: Nature het dehein scham Erworben an ir leibe. Ich wæn, si nie von weibe Niht schœnrs gemachet (Heinrich von dem Türlin, ‚Die Krone‘, Ausg. Knapp/Niesner, V. 8167–70: „Natur hat an ihrer [=dieser Frau] Gestalt keine Schande erworben. Ich denke, sie hat nie ein schöneres weibliches Wesen geschaffen“). Von Gott selbst als höherer Instanz ist keine Rede. Frau Natur scheint recht unabhängig zu agieren, ohne deshalb aber zu einer beherrschenden kosmologischen Macht zu avancieren. Sie tritt auch nicht wie bei Boethius in der ‚Consolatio philosophiae‘ (III,2 u. ö.) als Stabilitätsprinzip der Fortuna gegenüber, denn diese ist in der ‚Krone‘ einerseits dafür zu mächtig und andererseits gegenüber wahrer Tüchtigkeit des unübertrefflichen Ritters dann doch selbst zur Stabilität gezwungen. Um den Wert des idealen Artusrittertums geht es Heinrich offenkundig zu allererst. Gawein, der Hauptheld des Romans, Inbegriff aller ritterlichen Vorzüge, kann zur Not auch aus eigener Kraft ohne die Gaben Fortunas auskommen, und gerade dadurch fallen sie ihm letztlich wie selbstverständlich zu. Das soll in der Gesamthandlung zum Ausdruck kommen, zeichenhaft aber wird es auf den Punkt gebracht in der Allegorie vom Palast der Frau Saelde (= Fortuna). Diese thront darin, auf dem Schoß ihr Kind Heil, oben auf dem Glücksrade, das kreisend die darauf befindlichen Menschen herumwirbelt. Rechts und links befinden sich weitere Leute, links des Rades arm und bloß, rechts reich und gleißend, wie auch die thronenden Gestalten dem Aussehen nach entsprechend zweigeteilt sind. Mit Gaweins Eintritt steht aber das Rad still, und es erstrahlen alle Anwesenden in dem Palast in Schönheit und Pracht. Jubel ertönt. Frau Saelde verspricht Gawein die Erfüllung aller Wünsche, Sieg und Heil in allen weltlichen Angelegenheiten und garantiert auch den weiteren glücklichen Bestand des Artusreiches (Heinrich von dem Türlin, ‚Die Krone‘, V. 15823–908). Den bildmäßigen Traditionen dieser Allegorie ist de Boor (1975) nachgegangen und hat Alanus als Vorbild ausgeschlossen. Im an-

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schaulichen Bereich orientiert sich Heinrich tatsächlich kaum am Acl, wohl jedoch in der inneren Wesenbestimmung Fortunas. Das wird deutlich schon in Gaweins Beschreibung des Glücks (‚Krone‘, V. 6017–72), welche zahlreiche wörtliche Entsprechungen zu Acl VIII,13–62 aufweist (Knapp 1977, S. 261). Es handelt sich um eine endlose Reihe von auch sonst bei Alanus (und lat. Dichtern seiner Zeit) so beliebten Oxymora, z.B. Acl VIII,22–24: pauper Et dives, mansueta, ferox, perdulcis, amara, Ridendo plorans, stando uaga, ceca uidendo ~ ‚Krone‘, V. 6017: Gelük ist manigem rich, Manigem ist ez arm; 6030: Ez gesihet vnd ist blint; 6053: Ez zürnt vnd lachet, Ez singet vnd weinet. Aber entscheidend ist die Reaktion Fortunas auf die Bitte ihrer Tochter Nobilitas: Das Werk der Natur und der Tugenden bedürfe ihrer Gaben nicht. Um sich jedoch nicht den Vorwurf des Neides einzuhandeln, ist sie bereit, ihre vergänglichen Güter zu spenden. So kann denn der Geburtsadel letztlich auch zur Ehre des homo novus beitragen (vgl. Knapp 1995). Fortuna will aber in diesem Ausnahmefall ihr eigenes Wesen ändern, ihren Hauptfehler ablegen: „Ich werde mich beständig machen, die Bewegung [des Rades] teilweise hemmen, beginnen, tüchtig, weise, bedächtig, wahrhaftig und beständig zu werden, die ich töricht, unvorhersehbar, trügerisch und voreilig bisher war“ (Acl VIII,102–104: me reddam stabilem, motum pro parte recidens, Incipiam solers, sapiens discretaque, uerax Et stabilem fieri, que stulta, improuida, mendax Et preceps hucusque fui ). Das ist im Kern dasselbe, was Frau Saelde in der ‚Krone‘ verspricht: Ich will dorch dich machen Dinen öheim, künig Artus, Sin rich vnd sin husz So ewig vnd so vest, Das yme icht gebrest, sagt sie zu Gawein (‚Krone‘, V. 15901–05). Niemals ist zuvor Fortunas Geschenk „ewig und fest“ gewesen, wie man Gaweins oben zitierter Rede entnehmen kann. Mit diesem unzweifelhaften Befund beginnen aber erst die Interpretationsprobleme. Wächst schon die Minnegrotte im ‚Tristan‘ aus der Romanhandlung heraus und befreit sich auch nie ganz aus ihr, obwohl alle Gebäudeteile bestimmte Minnetugenden versinnbildlichen und keine nennenswerte Handlungsfunktion tragen, so kommt Frau Saelde in der ‚Krone‘ auch sogar außerhalb der genannten Stelle als handelnde Person im Hintergrund vor. Sie wirkt den Zauberstein in den Gürtel hinein, den ihre Schwester, die gotinne Garanphiel/Giranphiel, für ihren Geliebten Fimbeus hergestellt hat. Wer diesen Gürtel trägt, ist reich an äußeren und inneren Vorzügen, allseits beliebt und unbesiegbar. Der Gürtel wechselt mehrfach den Besitzer, bis ihn Gawein endlich und endgültig wieder für den Artushof erringt. Dies gelingt in einem Zweikampf mit Fimbeus, wo die Zauberkräfte auf beiden Seiten ausgeschaltet werden und so allein die persönliche Kampfeskraft den Ausschlag gibt. Damit ist Fortuna sozusa-

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gen überflüssig geworden (Knapp 1977, S. 256–259). Wer aber sind Fimbeus und Garanphiel? Sie bleiben als Handlungsträger mehr als blaß, geben aber auch keinen allegorischen Sinn preis. Auch die Namen sind nicht zum Sprechen zu bringen. Negative Gestalten sind es allzumal. Bei Alanus hat Fortuna wohl eine Tochter, aber keine Schwester. Da die Fiktionalität der Romanhandlung von Heinrich in der Schwebe gehalten wird – im Gegensatz zum ‚Tristan‘, wo offenbar integumentale Einschübe ein grundsätzlich pseudohistorisches Geschehen überhöhen sollen –, bleibt auch der Status der ‚Göttinnen‘ im Ungewissen. Sollte ihnen Realität zukommen, könnten es nur Feen, böse oder gute Geister in christlicher Sicht, sein. Nur Saelde trägt eindeutig allegorische Züge. Gawein ist dagegen auf keinen Fall eine Allegorie, trotz aller übertriebenen Idealisierung. Diese zielt aber ganz anders als bei Alanus nicht aufs Transzendente. Die rein weltliche Ausrichtung des Romans sichert ihm in einer säkularisierten modernen Forschung gerade besonderes Interesse, drängte ihn im 13. Jh. dagegen eher ins Abseits. Wie gut Heinrich den Acl kannte, läßt sich nicht sagen. Er könnte sich nur auf Auszüge gestützt haben (aber nicht auf ein Resümee!). Ein allegorisches Epos wollte er ebensowenig schaffen wie Gottfried.

8.7 Das ‚Compendium Anticlaudiani‘ Dieses schmale, in der Druckfassung 16 Seiten umfassende Werk ist in 13 Handschriften des 14. und 19 Hss. des 15. Jahrhunderts nachzuweisen. Die älteste davon (um 1300) stammt aus der Zisterze Zwettl in Niederösterreich. In Heiligenkreuz, einem anderen Zisterzienserkloster desselben Landes, war laut Aussage des Kataloges von 1363/81 auch ein Codex des ‚Compendium Anticlaudiani‘ (Cacl – Ausg. Ochsenbein) neben einer Hs. des Originalwerks Acl vorhanden. Ein Zisterzienser wird wohl auch die Bearbeitung der Schrift des Alanus, der im Mutterkloster Cîteaux starb, unternommen haben. Sie gibt sich als getreuliches Resümee des Acl aus, nennt so auch nur Alanus als Autor. Der Herausgeber Ochsenbein (1969) hat ganz vorsichtig Gutolf von Heiligenkreuz erwogen. Der von ihm zur Klärung der Verfasserfrage angeregte Stilvergleich steht noch aus. Es fällt aber jedenfalls bereits bei einem Blick auf das Schlußkapitel auf, daß dessen sieben Sätze gleich sechs Beispiele des von Gutolf so geliebten cursus velox enthalten. Das CAcl erzählt den Acl abbreviierend in Prosa nach, nicht um in das Werk einzuführen, sondern um den Inhalt einerseits leichter verfügbar zu

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machen, andererseits das theologisch Bedenkliche daran zu beseitigen. Wie bei Alanus will Natura zusammen mit den Tugenden den homo perfectus schaffen und sendet Prudentia auf dem Wagen der Wissenschaften zu Gott. Gott willigt ein, dem vollkommen gebildeten Leib die Seele einzugießen. Aber die Nacherzählung verschiebt den Akzent von der naturphilosophischen zur moraltheologischen Thematik; sie erfolgt in einem biblisch infiltrierten Latein und macht mitunter durch direkte Bezüge auf die biblische Geschichte die bei Alanus höchstens implizierte Entsprechung der neuplatonischen Personifikationen zu theologischen Heilsbegriffen explizit (z.B. bei der Prudentia). Vollends über Alains Intention hinaus geht das CAcl aber schließlich, wenn im abschließenden Teil nun Gott nicht mehr die von seinem Noys nach den Ideen entworfene Seele bildet und der Prudentia anvertraut, welche sie der Concordia zur Vereinigung mit dem inzwischen geformten idealen Leib überläßt, sondern die Tugenden in die Jungfrau Maria eintreten und mit Hilfe des Heiligen Geistes Leib und Seele zur Empfängnis des neuen Menschen befähigen. Der Engel Gabriel verkündet Maria die göttliche Botschaft. Freilich stellt Natura auch hier die Materie (hier die reinste) bereit und Gott schafft die Seele (hier die heiligste) und gießt sie ein. Die Tugenden erfüllen den neuen Menschen so rasch, daß sie mit ihm zugleich geschaffen erscheinen (CAcl, Z. 336–341). Auch Geburt, Heranwachsen und Reifung des Knaben werden dann in biblischen Wendungen gefeiert, bis die Nacherzählung mit der Reaktion der Höllengeister auf dieses Ereignis wieder einigermaßen in das Fahrwasser des Acl zurückgleitet. Doch selbst die große Schlacht zwischen Lastern und Tugenden, die schließlich dem homo novus perfectus zum Sieg und zur Herrschaft in einem goldenen Zeitalter verhelfen, ist hier nun nur noch ein Bild für des Erlösers Leiden, Sterben, Höllenfahrt und endgültige Überwindung des Todes. Als Angreifer fungieren nun die principes tenebrarum (die Fürsten der Finsternis), die „mit dem Lärm der Laster“ aus der Hölle kommen (CAcl, Z. 360f.), und – zumindest vage angedeutet – die Juden. Schon das höllische Gegenkonzil war nicht mehr wie bei Alanus von der antiken Furie Alecto, sondern von Mors (dem personifizierten leiblichen und seelischen Tod) und Infernus (dem personalen Teufel) einberufen worden, die jetzt beide vom homo novus besiegt werden. Das bei Alanus folgende Goldene Zeitalter ist ersetzt durch das jenseitige, ewige Reich Christi. Die neue Deutung geht notwendigerweise Hand in Hand mit einer Verleugnung der literaturtheoretischen Vorgaben der Schule von Chartres. Da eine fabula, eine rein fiktionale Erzählung von Ereignissen, welche so weder geschehen sind noch geschehen können, nur als integumentum philo-

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sophisch ausgelegt werden kann, schlägt der Autor unserer Nacherzählung das Werk der entgegengesetzten Gattung zu (CAcl, Z. 7–9): hunc autem tractatum per modum hystorie versifice compilavit. ego autem textualiter ad compendium redegi, ut possint spiritualia sapientibus tamquam hystoria recitari – „diese Abhandlung aber hat er [Alanus] in der Art einer historia in Versen verfaßt. Ich aber habe (es) textgetreu zu einer Kurzfassung redigiert, damit die geistlichen Inhalte den Verständigen wie eine historia vorgetragen werden können“. Beim CAcl ist also wohl an eine Lesung vor einem Hörerkreis, der solches zu verstehen vermag, also vermutlich einem Konvent, gedacht. Am ehesten käme eine Tischlesung in Frage (Meier 1980, S. 480f.), eventuell aber auch eine lectio im nächtlichen Officium divinum. Für beide waren sonst Bibel, Bibelexegese, Predigten, Legenden und dergleichen vorgesehen. Um ein philosophisch-integumentales Werk dafür zu verwenden, mußte erst einmal ein sensus historicus, ein biblisch-historischer Sinn, dem Integumentum als sekundäre Bedeutung eher gewaltsam abgewonnen werden, um dieser wiederum einen sensus spiritualis zu unterlegen. Genau das wird hier versucht: „Wenn wir die Formung dieses neuen Menschen verstehen wollen, muß die Geschichte folgendermaßen gestaltet werden„, heißt es CAcl, Z. 329f. (Si volumus huius novo hominis plasmacionem intelligere, formetur hystoria sic) vor dem Inkarnationsbericht (s.o.). Zuvor war aber eine heilsgeschichtliche Deutung der fabula des Alanus auf weite Strecken unterblieben. Von Anfang an „zeichnet sich eine Akzentverschiebung von der naturphilosophischen auf die ethische Thematik ab“ (Huber 1988, S. 208). Natura wird weitgehend auf die Natura humana eingeschränkt. Doch bei ihrem Wirken und der Reise der Prudentia wird die heilsgeschichtliche Ebene nur ganz punktuell eingeblendet, so durch die Identifikation der regina poli (bei Alain offenkundig die Theologie) mit der göttlichen Misericordia, massiv erst bei der Geburt des neuen Menschen. Das Ergebnis wirkt notgedrungen ebenso zwiespältig wie der literaturtheoretische Anspruch. Aber es entspringt denselben Schwierigkeiten, die noch moderne Interpreten mit dem Acl haben, die den Weg zur Schaffung des neuen Menschen für viel wichtiger erachten möchten als das Ziel, ganz entsprechend der Intentionsbeschreibung des Werks zu Anfang des CAcl, Z. 2–4: in quo intendit describere, qualiter ex natura humana aliquis homo ad summam perfectionem pervenire – „worin er [Alanus] beschreiben will, wie gemäß der menschlichen Natur irgendein Mensch zur höchsten Vollendung kommen kann“. Kann es aber Alanus um „irgendeinen Menschen“ gegangen sein? Gerade die Identifikation mit Christus schließt dann diese Möglichkeit vollends aus. Sie lag nach mittelalterlichem Verständnis aber am nächsten

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und machte den Text für geistliche Gemeinschaften auch erst ohne Bedenken verwendbar. Das CAcl steht daher mit seinem Versuch auch keineswegs allein. Etwa der dreiseitige Bilderzyklus in der Pommersfelder Handschrift Nr. 215 (2837) aus dem 14. Jh. versteht den homo novus genauso wie das CAcl, natürlich ohne nähere Erläuterung (Meier 1980, S. 471–483). Das Werk ist keine intellektuelle Großtat, was durchaus zu Gutolf von Heiligenkreuz (2. Hälfte des 13. Jh.), einem ebenso vielseitigen wie mittelmäßigen lat. Autor (zu diesem vgl. Knapp, LG II/1, S. 38–52) passen würde. Aber das ist erst recht kein Beweis der Autorschaft. Doch auf jeden Fall ist der Text von beträchtlichem ideengeschichtlichem Interesse und dies nicht nur als Rezeptionszeugnis seiner berühmten Vorlage. Er zeigt uns, daß die gattungstheoretische Diskussion im südostdeutsche Raum wie anderswo immer stärker in den Sog der bibelexegetischen Allegorese gerät, ohne deshalb an logischer Stringenz zu gewinnen, des weiteren daß auch relativ anspruchsvolle theologische Traktate wie der vorliegende die Ebene der hochscholastischen Soteriologie zugunsten mythischer Elemente aus der apokryphen Überlieferung und dem geistlichen Spiel (Kampf Christi mit dem Satan, Höllenfahrt) unterbieten können. Nicht zuletzt spielt das CAcl eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung des Stoffes an die volkssprachliche Dichtung. Zu Anfang des 14. Jh. schreibt Heinrich von Neustadt (zu diesem vgl. Knapp, LG II/1, S. 280–297) sein geistliches Gedicht ‚Von Gottes Ankunft‘ und nennt als seine wichtigste Quelle den Acl. Im vorliegenden Band muß das Gedicht aber nicht nur deshalb nicht behandelt werden, weil es schon dem 14. Jh. angehört, sondern weil Heinrich Alanus kaum – außer vielleicht zu Beginn des Werks den ‚Planctus‘ – benutzt hat, vielmehr nur das CAcl. Es liegt also nur eine sekundäre Rezeption vor (Huber 1988, S. 214–236). Weitere in der Forschung ebenfalls erwogene Einflüsse Alains auf deutschsprachige Texte des 13. Jh. (von Ulrich von Zatzikhoven, Walther von der Vogelweide, Neidhart oder dem Stricker) lassen sich ebenfalls nicht sichern, wenn auch nicht hundertprozentig ausschließen. Nichtsdestoweniger haben nicht viele französische Autoren so intensiv wie Alanus ab Insulis nach Deutschland ausgestrahlt. Die lat. Dichtung hat er hier nur marginal angeregt. Das ‚Compendium Anticlaudiani‘ reduziert das Werk auf seinen Inhalt. Dagegen darf man mit Grund vermuten, daß Alains poetische Sprache im Deutschen Gottfrieds von Straßburg und Heinrichs von dem Türlin ihre Spuren hinterlassen hat. Aber vergleichbares war natürlich auch bei anderen lat. Autoren zu finden, wie auch die allegorische

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Form, die im Deutschen nachgeahmt wird, wenn auch als Allegorien kleineren Ausmaßes innerhalb nichtallegorischer Werke. Ist es Zufall, daß Gottfried und Heinrich dafür Höfische Romane nach französischem Vorbild ausgewählt haben? Haben sie irgendeine Affinität zwischen diesem und dem gallolateinischen Autor empfunden? Wie weit war ihnen die französische Herkunft des ‚Planctus‘ und des ‚Anticlaudianus‘ überhaupt bewußt oder wichtig? [Manuskriptabschluß (Kap. 8): Oktober 2009]

Literaturverzeichnis 1) Textausgaben Lateinische Texte: [Acl = Alanus ab Insulis, ‚Anticlaudianus‘] Alain de Lille [Alanus ab Insulis], Anticlaudianus, hg. v. Robert Bossuat, Paris 1955. Alain de Lille [Alanus ab Insulis], Anticlaudianus, übers. v. Wilhelm Rath, Stuttgart 1966. Alain de Lille [Alanus ab Insulis], Anticlaudianus, (engl.) übers. v. James J. Sheridan, Toronto 1973. Alain de Lille [Alanus ab Insulis], De planctu naturae, hg. v. Nikolaus M. Häring, in: StM, Serie terza 19/2 (1978), S. 797–879. [Bernardus Silvestris(?), ‚Aeneiskommentar‘] The Commentary on the First Six Books of the ‚Aeneid‘ of Vergil Commonly Attributed to Bernardus Silvestris, hg. v. Julian W. Jones u. Elizabeth F. Jones, Lincoln 1977. [Bernardus Silvestris(?), ‚Martiankommentar‘] The Commentary on Martianus Capella’s ‚De nuptiis philologiae et Mercurii‘Attributed to Bernardus Silvestris, hg. v. Haijo Jan Westra, Toronto 1986. Bernardus Silvestris, Cosmographia, hg. v. Peter Dronke, Leiden 1978. Compendium Anticlaudiani, hg. v. Peter Ochsenbein, in: Ochsenbein 1969, S. 93–109 (s.u. unter Forschungsliteratur). L’école de Chartres: Bernard de Chartres – Guillaume de Conches – Thierry de Chartes – Clarembaud d’Arras. Théologie et cosmologie auf XIIe siècle, hg. u. übers. v. Michel Lemoine u. Clotilde Picard-Parra, Paris 2004. [Galfred von Vinsauf] Geoffroi de Vinsauf, Documentum de modo et arte dictandi et versificandi, hg. v. Edmond Faral, in: Faral 1924, S. 263–320. [Galfred von Vinsauf] Galfredus de Vinosalvo, Poetria nova, hg. u. übers. v. Ernest Gallo, in: Gallo 1971, S. 11–130. [Isidor von Sevilla, Etymologiae] Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum libri XX, hg. v. Wallace Martin Lindsay, 2 Bde., Oxford 1910–1911 [Nachdr. Oxford 1991].

Literaturverzeichnis

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Allegorie

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306

Allegorie

Abkürzungsverzeichnis

307

Abkürzungsverzeichnis (Allgemeine Bibliographie „Germania Litteraria Mediaevalis Francigena“) AASS AaTh AaThU

ABäG Abb. ABBCL Abs. AfdA AfK afrz. Afrz. Gramm. ags. AH ahd. AHDL AJPh AK alem. ALMA AM an. anfrk. Anm. Annales ESC AnR

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308 ANT AQ APF AR arab. Arbitrium Art. as. ASNS AT ATB Aufl. Ausg(g). bair. BAR BBIAS BBSR Bd., Bde. bearb. begr. Berlin, mgf (mgq, mgo) Bertau, LG bes. Bezzola BGP BHL Bibl. (-bibl.) BIMILI Bl(l). BMZ

Abkürzungsverzeichnis Anglo-Norman Texts, Oxford 1939ff. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, Darmstadt 1956ff. Les anciens poètes de la France, hg. v. François Guessard, Paris 1858–1870 Archivum romanicum, Florenz 1917–1941 arabisch Arbitrium. Zeitschrift für Rezensionen zur germanistischen Literaturwissenschaft, Tübingen 1983ff. Artikel altsächsisch Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Braunschweig u.a. 1846ff. Altes Testament Altdeutsche Textbibliothek, begr. v. Hermann Paul, Halle a. d. S. 1882–1939 u. 1952–1955, Tübingen 1955ff. (Ergänzungsreihe 1963ff.) Auflage Ausgabe(n) bairisch Biblioteca dell’Archivum romanicum, Florenz 1921ff. Bibliographical Bulletin of the International Arthurian Society / Bulletin bibliographique de la Société internationale arthurienne, Paris 1949ff. Bulletin bibliographique de la Société Rencesvals, Lüttich 1958ff. Band, Bände bearbeitet begründet Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. (Ms. germ. qu., Ms. germ. oct.) Karl Bertau, Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, 2 Bde.; I: 800–1197, München 1972; II: 1195–1220, München 1973. besorgt Reto R. Bezzola, Les origines et la formation de la littérature courtoise en Occident (500–1200), 3 Teile in 5 Bde., Paris 1958–1963 Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Münster 1891ff. Bibliotheca hagiographica latina, Brüssel 1898–1901, Supplementbd. 21911 Bibliothek (-bibliothek) Bibliothek mittelniederländischer Literatur, Münster 2005ff. Blatt (Blätter) Georg F. Benecke, Wilhelm Müller u. Friedrich Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, 3 Bde., Leipzig 1854–1866 [Nachdr. Stuttgart 1990]

Abkürzungsverzeichnis De Boor, LG

De Boor, LG III/2 (Glier) De Boor, Texte BPM BRG Brunner, LG Bumke Bumke/Cramer/ Kartschoke, LG

CB CCCM CCM CCSL CFMA CISR CN cod(d). CSEL CUERMA Curtius

309

Helmut de Boor u. Richard Newald (Hgg.), Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart; I: Helmut de Boor, Die deutsche Literatur von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung. 770–1170, München 11949, bearb. v. Herbert Kolb, München 91979; II: ders., Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang. 1170–1250, München 11953, bearb. v. Ursula Henning, München 111991; III/1: ders., Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn. 1250–1350, München 11962, bearb. v. Johannes Janota, München 51997 Helmut de Boor u. Richard Newald (Hgg.), Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart; III/2: Ingeborg Glier (Hg.), Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Reimpaargedichte, Drama, Prosa. 1250–1370, München 1987 Walther Killy (Hg.), Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse; I: Helmut de Boor (Hg.), Mittelalter, 2 Teilbde., München 1965 Bulletin de philosophie médiévale, Turnhout 1964ff. Bibliotheca rerum Germanicarum, hg. v. Philipp Jaffé, 6 Bde., Berlin 1864–1873. Horst Brunner, Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters im Überblick (RUB 9485), Stuttgart 1997. Joachim Bumke, Die romanisch-deutschen Literaturbeziehungen im Mittelalter. Ein Überblick, Heidelberg 1967 Joachim Bumke, Thomas Cramer u. Dieter Kartschoke, Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter, 3 Bde., München 1990; I: D. Kartschoke, Deutsche Literatur im frühen Mittelalter, München 32000; II: J. Bumke, Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter, München 52004; III: Th. Cramer, Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, München 32000 Carmina Burana, hg. v. Alfons Hilka u. Otto Schumann; I/1–3: Text, Heidelberg 1930–1970; II/1: Kommentar, Heidelberg 1930. Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, Turnhout 1966ff. Cahiers de civilisation médiévale, Poitiers 1958ff. Corpus Christianorum. Series Latina, Turnhout 1953ff. Classiques français du moyen-âge, Paris 1910ff. Congrès international de la Société Rencesvals (+ Jahr) Cultura neolatina. Rivista di filologia romanza, Modena 1941ff. codex (codices) Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum (Academiae Vindobonensis), Wien 1866ff. Centre Universitaire d’Études et de Recherches Médiévales d’Aix Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen 111993 [11948]

310 DA DEAF DEAF, Bibl. ders., dies. Diss. Diss. Abstr. DLFMA DLZ DMA DNP Donaueschingen, cod. DPhA -dr. dt. DTM DU durchges. DVjs DWB ebd. EG Ehrismann, LG EM engl. Eppelsheimer erw.

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Abkürzungsverzeichnis Euphorion europ. expl. f., ff. Fabula FEW FFC fl. Flutre FMSt fol. Frgm., frgm. frk. frnhd. frz. Fs. FSt GAG gegr. germ. Germania Germanistik Gerritsen/Melle GLL GQ Gramm. Gramm. Buridant Gramm. Loey Gramm. Moignet griech. GRLMA GRM

311

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Abkürzungsverzeichnis JEGPh Jh. Kalff, LG Kap. Klapp KLD Kluge Knapp, LG

Knuvelder, LG

Komm., komm. krit. KTRMA L LAGDTM Langlois lat. LB

313

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314 Lexer LG LGRPh LiLi Lit. Literaturwiss., literaturwiss. Literatuur LJb LL LL2 LMA LR LThK

MA MAev MAev PhSt MAge Manitius, LG MarR masch. md. me. Mediaevalia Mediaevistik MF

Abkürzungsverzeichnis Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Leipzig 1872–1878 [Nachdr. Stuttgart 1992] Literaturgeschichte Literaturblatt für germanische und romanische Philologie, Heilbronn 1880–1944 Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Stuttgart/ Weimar 1970ff. Literatur Literaturwissenschaft, literaturwissenschaftlich Literatuur. Tweemaandelijks tijdschrift over Nederlandse letterkunde, Amsterdem 1984–2004 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, (N.F.) Berlin 1960ff. Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, hg. v. Walther Killy, 14 Bde. (+ Registerbd.), Gütersloh 1988–1993 Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums, 2. Aufl. hg. v. Wilhelm Kühlmann, 12 Bde. (+ Registerbd.), Berlin/New York 2007ff. Lexikon des Mittelalters, hg. v. Robert Auty u.a., 9 Bde. (+ Registerbd.), München u.a. 1980–1999 Les lettres romanes, Löwen 1947ff. Lexikon für Theologie und Kirche, begr. v. Michael Buchberger, 3., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Walter Kasper, 10 Bde. (+ Registerbd.), Freiburg 1993–2001 Mittelalter(s) Medium Aevum, Oxford 1932ff. Medium Aevum. Philologische Studien, München 1963ff. Le moyen âge. Revue d’histoire et de philologie, Brüssel/Paris 1888ff. Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, 3 Bde. (Handbuch der Altertumswissenschaft IX/2/1–3), München 1911–1931 [Nachdr. München 1965] Marche romane, Lüttich 1951–1993 maschinenschriftlich mitteldeutsch mittelenglisch Mediaevalia. A Journal of Mediaeval Studies, Binghamton (N.Y.) 1975ff. Mediaevistik. Internationale Zeitschrift für interdisziplinäre Mittelalterforschung, Frankfurt a. M. u.a. 1988ff. Des Minnesangs Frühling, unter Benutzung der Ausgg. v. Karl Lachmann u. Moriz Haupt, Friedrich Vogt u. Carl von Kraus neu bearb. v. Hugo Moser u. Helmut Tervooren, 3 Bde., Stuttgart 361977–1981; I: Texte, 38., erneut revidierte Aufl., Stuttgart 1988; II: Editionsprinzipien, Melodien, Handschriften, Erläuterungen, Stuttgart 1977; III: Kommentare, [Nachdr.] Stuttgart 1981; III/1: Carl von Kraus, Untersuchungen, Leipzig 1939;

Abkürzungsverzeichnis

mfrk. MGG MGG2 MGH MGH AA MGH DC MGH DMA MGH EE MGH HM MGH LL MGH PL MGH QG MGH Schr. MGH SRG MGH SRL MGH SRM MGH SS MGH ST mhd. Mhd. Gramm. Mhd. Wb. MIF MIGSN

Minis I Minis II MIÖG MJb

315

III/2: Anmerkungen, 30. Aufl. neu bearb. v. Carl von Kraus, Zürich 1950 mittelfränkisch Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Friedrich Blume, 14 Bde. (+ 3 Supplementbde.), Kassel u.a. 1949–1986 Die Musik in Geschichte und Gegenwart, begr. v. Friedrich Blume, 2. Ausg. hg. v. Ludwig Finscher, 2 Teile in 26 Bde., Kassel u.a. 1994ff. Monumenta Germaniae historica, Berlin u.a. 1826ff., München 1949ff. MGH Scriptores. Auctores antiquissimi, 15 Bde. MGH Scriptores. Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des MA, 6 Bde. MGH Deutsches Mittelalter. Kritische Studientexte, 4 Hefte MGH Epistolae, bisher 27 Bde. MGH Hilfsmittel, bisher 27 Bde. MGH Leges, bisher 63 Bde. MGH Antiquitates. Poetae latini medii aevi, bisher 6 Bde. MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters, bisher 27 Bde. Schriften der MGH, bisher 62 Bde. MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, 78 Bde.; N.F.: Scriptores rerum Germanicarum, bisher 25 Bde. MGH Scriptores rerum Langobardorum et Italicarum, 1 Bd. MGH Scriptores rerum Merovingicarum, 7 Bde. MGH Scriptores, bisher 39 Bde. MGH Studien und Texte, bisher 53 Bde. mittelhochdeutsch Hermann Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik, 25. Aufl. neu bearb. v. Thomas Klein, Tübingen 2007 Mittelhochdeutsches Wörterbuch, hg. v. Kurt Gärtner u.a., bisher 1 Bd., Stuttgart 2006ff. Stith Thompson, Motif-Index of Folk-Literature, 6 Bde., Kopenhagen 21955–1958 [11932–1936] Motif-Index of German Secular Narratives from the Beginning to 1400, hg. v. d. Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter der Leitung v. Helmut Birkhan, 7 Bde., Berlin/New York 2005–2010 Cola Minis, Französisch-deutsche Literaturberührungen im Mittelalter, in: RJb 4 (1951), S. 55–123 Cola Minis, Französisch-deutsche Literaturberührungen im Mittelalter, in: RJb 7 (1955/56), S. 66–95 Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (1923–1942: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung), Innsbruck u.a. 1880ff. Mittellateinisches Jahrbuch, Stuttgart 1964 ff. (Beihefte: 1968 ff.)

316

Abkürzungsverzeichnis

mlat. Mlat. Wb.

mittellateinisch Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert, hg. v. d. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, bisher 4 Bde. (+ Registerbd.), München 1959ff. MLJ Modern Language Journal, New York 1916ff. MLN Modern Language Notes, Baltimore 1886ff. MLQ Modern Language Quaterly, Seattle 1940ff. MLR Modern Language Review, London 1905ff. MM Miscellanea Mediaevalia. Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln, Köln 1960ff. MMS Münstersche Mittelalter-Schriften, München 1970ff. mnd. mittelniederdeutsch mnl. mittelniederländisch Mnl. Gramm. Johannes Franck, Mittelniederländische Grammatik, Leipzig 21910 [Nachdr. Arnheim 1971] Mnl. Wb. Eelco Verwijs u. Jakob Verdam, Middernederlandsch woordenboek, 11 Bde., ’s-Gravenhage 1885–1952 Molinier Auguste Molinier, Les sources de l’histoire de France des origines aux guerres d’Italie (1494), 6 Bde., Paris 1901–1906 [Neudr. New York 1964] MPh Modern Philology, Chicago 1903ff. MPG Patrologiae cursus completus, series Graeca, hg. v. Jacques Paul Migne, 161 Bde., Paris 1857–1866. MPL Patrologiae cursus completus, series Latina, hg. v. Jacques Paul Migne, 217 Bde. (+ 4 Registerbde.), Paris 1844–1864. MR Medioevo romanzo, Rom 1974ff. ms(s). manuscrit(s), manuscript(s) MSt Mediaeval Studies, Toronto 1939ff. MTU Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, hg. v. d. Kommission für deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1960ff. München, cgm (clm) München, Bayerische Staatsbibliothek, codex germanicus monacensis (codex latinus monacensis) (+ Nr.) Museum Museum. Tijdschrift voor filologie en geschiedenis, Leiden 1893–1959 NAWG NdJb ndl. NdSt Neophilologus N.F. nfrk. nhd.

Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Klasse, Göttingen 1941–2006 Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Niederdeutsches Jahrbuch, Neumünster 1876ff. niederländisch Niederdeutsche Studien, Münster/Köln 1954ff. Neophilologus. An International Journal of Modern and Mediaeval Language and Literature, Dordrecht 1916ff. Neue Folge niederfränkisch neuhochdeutsch

Abkürzungsverzeichnis NHL Niermeyer NLk NM NT NTg NTk obd. OFM OGSt o.J. okz. Olifant Van Oostrom, LG OP OSB österr.

317

Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, hg. v. Klaus von See, 24 Bde. (+ Registerbd.), Wiesbaden 1972–2002 Jan Frederik Niermeyer/Co van de Kieft, Mediae latinitatis lexicon minus, 2. Aufl. bearb. u. hg. v. Jan W. J. Burgers, 2 Bde., Leiden u.a. 2002 Nederlandse letterkunde, Assen 1996ff. Neuphilologische Mitteilungen, Helsinki 1899ff. Neues Testament De nieuwe taalgids, Groningen 1907–1995 Nederlandse taalkunde, Assen 1996ff. oberdeutsch Ordo fratrum minorum – Franziskaner Oxford German Studies, London 1966ff. ohne Jahr okzitanisch Olifant. A Publication of the Société Rencesvals, AmericanCanadian Branch, Winnipeg 1973ff. Frits P. van Oostrom, Stemmen op schrift. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur vanaf het begin tot 1300, Amsterdam 2006. Ordo fratrum praedicatorum – Dominikaner Ordo sancti Benedicti – Benediktiner österreichisch

Paris, B.N. ms. fr./lat. Paris, Biblothèque nationale de France, manuscrit français/latin (+ Nr.) PBB Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, begr. v. Hermann Paul u. Wilhelm Braune, Halle a. d. S. 1874– 1979, Tübingen 1955ff. PBB (Halle) PBB, Halle a. d. S. 1955–1979 PBB (Tüb.) PBB, Tübingen 1955–1979 PC Alfred Pillet, Bibliographie der Troubadours, hg. u. bearb. v. Henry Carstens, Halle a. d. S. 1933 [Nachdr. New York 1968] PhStQu Philologische Studien und Quellen, Berlin 1956ff. PMLA Publications of the Modern Language Association of America, New York 1884ff. Poetica Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft, München 1967ff. PQ Philological Quarterly, Iowa City 1922ff. PRF Publications romanes et françaises (1930–1960: Société de publications romanes et françaises), Genf 1930ff. prov. provenzalisch QF Queeste

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Berlin u.a. 1874–1996 Queeste. Tijdschrift over middeleeuwse letterkunde in de Nederlanden, Hilversum 1994ff.

318 R RAC RBPh RE

Reg. REW Rez. RF RG RGA RGG rhfrk. RHLF RJb RL RLG RLLO RLR RMSt RN rom. Romania RPh RR RSM

RSt

Abkürzungsverzeichnis G. Raynauds Bibliographie des altfranzösischen Liedes, neu bearb. und ergänzt v. Hans Spanke, Teil 1, Leiden 1955 Reallexikon für Antike und Christentum, begr. v. Franz Joseph Dölger, hg. v. Theodor Klauser u.a., bisher 24 Bde., Stuttgart 1950ff. Revue belge de philologie et d’histoire, Brüssel 1922ff. Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, begr. v. August Pauly, neue Bearbeitung hg. v. Georg Wissowa u.a., 1. Reihe 24 Bde., 2. Reihe 10 Bde., 15 Supplementbde., Stuttgart 1893–1978 Register Wilhelm Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch (SREH III/3), Heidelberg 31935 [Nachdr. Heidelberg 1992] Rezension Romanische Forschungen, Frankfurt a. M. 1883ff. Recherches germaniques, Straßburg 1971ff. Reallexikon der germanischen Altertumskunde, begr. v. Johannes Hoops, 2., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Heinrich Beck u.a., 35 Bde., Berlin 1973–2007 [11913–1919] Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 4., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Hans Dieter Betz, 8 Bde. (+ Registerbd.), Tübingen 1998–2006 rheinfränkisch Revue d’histoire littéraire de la France, Paris 1894ff. Romanistisches Jahrbuch, Hamburg 1947ff. Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft (Neubearbeitung des RLG), hg. v. Klaus Weimar u.a., 3 Bde., Berlin 1997–2003 Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, begr. v. Paul Merker u. Wolfgang Stammler, 2. Aufl. hg. v. Werner Kohlschmidt u.a., 4 Bde. (+ Registerbd.), Berlin 1958–1988 Revue de langue et littérature d’Oc (1960–1961: Revue de langue et littérature provençales), Avignon 1960ff. Revue des langues romanes, Montpellier 1870ff. Reading Medieval Studies, Oxford 1975ff. Romance Notes, Chapel Hill (N.C.) 1960ff. romanisch Romania. Revue (1872–1942: Recueil) trimestrielle consacrée à l’étude des langues et littératures romanes, Paris 1872ff. Romance Philology (Research Center for Romance Studies, Berkeley), Turnhout 1947ff. Romanic Review, New York 1910ff. Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts, hg. v. Horst Brunner; I: Überlieferung, Tübingen 1994; II: Katalog der Töne, Tübingen 2009; III–XIII: Katalog der Texte, Tübingen 1986–1990; XIV–XVI: Register, Tübingen 1996–2002 Romanistische Studien, Berlin 1897–1941

Abkürzungsverzeichnis RUB RZLG S. SATF SB SBB SBH SBL SBM SBW Schneider Scriptorium Sénéfiance Slg. SM SMS Sp. span. Speculum SpL SREH St. StF StM StN Stotz Stouten u.a. (Hgg.), LG StPh

319

Reclam Universal-Bibliothek, Leipzig 1867–1992 u. Stuttgart 1947ff. Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte (1994–1997: Cahiers d’histoire des littératures romanes), Heidelberg 1977ff. Seite (Publications de la) Société des anciens textes français, Paris 1875ff. Sitzungsberichte Sitzungsberichte der (Preußischen/Deutschen) Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Phil.-hist. Klasse, Berlin 1836ff. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Heidelberg 1909ff. Sitzungsberichte (1849–1960: Berichte über die Verhandlungen) der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.hist. Klasse, Berlin 1849–1960, Leipzig 1962ff. Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, Phil.-hist. Klasse, München 1860ff. Sitzungsberichte der (Österreichischen) Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-hist. Klasse, Wien 1848ff. Karin Schneider, Gotische Schriften in deutscher Sprache, 2 Teile; I: Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300, 2 Bde., Wiesbaden 1987. Scriptorium. Revue internationale des études relatives aux manuscrits, Brüssel 1946ff. Sénéfiance [Schriftenreihe], Aix-en-Provence 1976ff. Sammlung Sammlung Metzler, Stuttgart 1961ff. Die Schweizer Minnesänger, hg. v. Karl Bartsch, Frauenfeld 1886; Die Schweizer Minnesänger, [nach der Ausg. v. Karl Bartsch] neu bearb. u. hg. v. Max Schiendorfer, Tübingen 1990 Spalte spanisch Speculum. A Journal of Medieval Studies, Cambridge (Mass.) 1926ff. Spiegel der letteren. Tijdschrift voor nederlandse literatuurgeschiedenis en voor literatuurwetenschap, Löwen 1956ff. Sammlung romanischer Elementar- und Handbücher, Heidelberg 1901ff. Sankt, Saint(e) Studi francesi, Turin 1957ff. Studi medievali, Spoleto 1904ff. Studia neophilologica, Oslo u.a. 1928ff. Peter Stotz, Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters, 5 Bde., München 1996–2004 Hanna Stouten u.a. (Hgg.), Histoire de la littérature néerlandaise. Pays-bas et Flandre, Paris 1999 Studies in Philology, Chapel Hill (N.C.) 1906ff.

320

Abkürzungsverzeichnis

Str. StR

Strophe Studia romanica, Heidelberg 1961ff.

Tab. TCFMA Tervooren

Tabelle Traductions des classiques français du Moyen Âge, Paris 1968ff. Helmut Tervooren, Van der Masen tot op den Rijn. Ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur im Raum von Rhein und Maas, Berlin 2006 Adolf Tobler, Altfranzösisches Wörterbuch, bearb. u. hg. v. Erhard Lommatzsch, weitergeführt v. Hans Helmut Christmann, 11 Bde., Stuttgart 1925–2002 Textes littéraires français, Genf u.a. 1945ff. Tijdschrift voor Nederlandse taal- en letterkunde, Leiden 1881ff. Wilhelm Totok, Handbuch der Geschichte der Philosophie; II: Mittelalter, Frankfurt a. M. 1973 Thesaurus proverbiorum medii aevi, begr. v. Samuel Singer, hg. v. Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, 13 Bde., Berlin 1995–2002 Theologische Realenzyklopädie, hg. v. Gerhard Krause u. Gerhard Müller, 36 Bde. (+ 2 Registerbde.), Berlin 1974–2007 Tijdschrift van de (Koninklijke) Vereniging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis, Amsterdam 1882ff.

TL TLF TNTL Totok TPMA TRE TVNM UB Übers., übers. übertr. Überweg

Universitätsbibliothek Übersetzung, übersetzt übertragen Friedrich Überweg (Hg.), Grundriß der Geschichte der Philosophie; II/2: Die patristische und scholastische Philosophie, hg. v. Bernhard Geyer, Berlin 131956

V. Verf., verf. VGI

Vers Verfasser, verfaßt Veröffentlichungen (1958–66: Mitteilungen) des GrabmanInstituts zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, München u.a. 1958ff. (N.F. 1967ff.) Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Afdeeling Letterkunde, Amsterdam (N.F.) 1938ff. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begr. v. Wolfgang Stammler, 2., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Kurt Ruh u. Burghart Wachinger, 10 Bde. (+ 4 Ergänzungsbde.), Berlin 1978–2008 [11933–1955] Verslagen en mededelingen der Koninklijke Vlaamsche academie voor taal- en letterkunde (ab 1972: Verslagen en mededelingen der Koninklijke Academie voor Nederlandse Taal- en Letterkunde), Gent 1887ff. Vox romanica, Basel u.a. 1936ff.

VKNAW VL

VMKVA

VR

Abkürzungsverzeichnis Walther

Wb. WdF Wehrli, LG Wien, cod. Te Winkel, LG

Wiss., wiss. WSt WW Z. ZfdA ZfdPh ZfG ZfrPh ZFSL Zink, LG zit.

Hans Walther, Proverbia sententiaeque Latinitatis medii aevi. Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabetischer Anordnung, 5 Bde. (+ Registerbd.), Göttingen 1963–1969. Wörterbuch Wege der Forschung, Darmstadt 1956ff. Max Wehrli, Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 31997 [11980] Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Codex Vindobonensis (+ Nr.) Jan te Winkel, De ontwikkelingsgang der Nederlandsche letterkunde, 3 Teile in 7 Bde., Haarlem 21922–1927 [Neudr. Utrecht 1973]; I: Geschiedenis der Nederlandsche letterkunde van Middeleeuwen en Rederijkerstijd, Haarlem 21922 [11908] Wissenschaft(en), wissenschaftlich Wolfram-Studien, Berlin 1970ff. Wirkendes Wort, Trier 1950ff. Zeile Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Wiesbaden u.a. 1841–1875, Stuttgart 1876ff. Zeitschrift für deutsche Philologie, Berlin 1869ff. Zeitschrift für Germanistik, Berlin u.a. 1980ff. (N.F. 1991ff.) Zeitschrift für romanische Philologie, Tübingen 1877ff. Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, Stuttgart u.a. 1889ff. Michel Zink, Littérature française du Moyen Age, Paris 22001 [11992] zitiert (bei Ausgaben: nach dieser Ausgabe wird zitiert)

(Abkürzungen biblischer Bücher nach der Vulgata) Abd Act Agg Am Apo Bar Ct Col I Cor II Cor Dn Dt Ec Eph

321

Abdias Apostelgeschichte Aggäus Amos Geheime Offenbarung (Apokalypse) Baruch Hoheslied Kolosserbrief 1. Korintherbrief 2. Korintherbrief Daniel Deuteronomium Prediger (Ecclesiastes) Epheserbrief

322 I Esr II Esr Est Ex Ez Gal Gn Hab Hbr Iac Idc Idt Ier Io I Io II Io III Io Iob Ioel Ion Ios Is Iud Lam Lc Lv Mal Mc I Mcc II Mcc Mi Mt Na Nm Os I Par II Par Phil Phlm Prv Ps I Pt II Pt III Rg IV Rg Rm Rt Sap

Abkürzungsverzeichnis 1. Esdras 2. Esdras (Nehemias) Esther Exodus Ezechiel Galaterbrief Genesis Habakuk Hebräerbrief Jakobusbrief Richter Judith Jeremias Johannes-Evangelium 1. Johannesbrief 2. Johannesbrief 3. Johannesbrief Job Joel Jonas Josue Isaias Judasbrief Klagelieder Lukas-Evangelium Leviticus Malachias Markus-Evangelium 1. Makkabäer 2. Makkabäer Michäas Matthäus-Evangelium Nahum Numeri Osee 1. Chronik (Paralipomenon) 2. Chronik (Paralipomenon) Philipperbrief Philemonbrief Sprüche Psalm(en) 1. Petrusbrief 2. Petrusbrief 3. Könige 4. Könige Römerbrief Ruth Weisheit

Abkürzungsverzeichnis Sir I Sm II Sm So Tb I Th II Th I Tim II Tim Tit Za

Sirach (Ecclesiasticus) 1. Samuel (1. Könige) 2. Samuel (2. Könige) Sophonias Tobias 1. Thessalonicherbrief 2. Thessalonicherbrief 1. Timotheusbrief 2. Timotheusbrief Titusbrief Zacharias

323

324

Abkürzungsverzeichnis