Die resiliente Stadt: Landschaftsarchitektur für den Klimawandel 9783035622355, 9783035622331

Wie Städte dem Klimawandel begegnen Der Klimawandel ist eine der großen Zukunftsherausforderungen von Städten. Die La

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Die resiliente Stadt: Landschaftsarchitektur für den Klimawandel
 9783035622355, 9783035622331

Table of contents :
INHALT
PROJEKTE, INSTITUTIONEN, INITIATIVEN
VORWORT
RESILIENZ ALS FAKTOR DER STADTENTWICKLUNG
TORONTO
VANCOUVER
NEW YORK CITY
DETROIT
HOUSTON
BOGOTÁ
MEDELLÍN
RIO DE JANEIRO
MANAUS
BRASÍLIA
MONTEVIDEO
LANDSCHAFTSARCHITEKTUR UND DIE RESILIENZ DER STÄDTE IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS
Quellen/Literaturhinweise
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DIE RESILIENTE STADT

LANDSCHAFTS­ARCHITEKTUR FÜR DEN KLIMAWANDEL Elke Mertens



D IE RESIL IENTE STADT Elke Mertens

LANDSCHAFTS­ARCHITEKTUR FÜR DEN KLIMAWANDEL

BIRKHÄUSER BASEL



DIE RESILIENTE STADT

INHALT Vorwort 7 RESILIENZ ALS FAKTOR DER STADTENTWICKLUNG 9 TORONTO 17 VANCOUVER 37 NEW YORK CITY 57 DETROIT 83 HOUSTON 95 BOGOTÁ 115 MEDELLÍN 135 RIO DE JANEIRO 161 MANAUS 181 BRASÍLIA 199 MONTEVIDEO 221 LANDSCHAFTSARCHITEKTUR UND DIE RESILIENZ DER STÄDTE IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS 235 Quellen/Literaturhinweise 244 Register 251 Bildnachweis 254 Über die Autorin 255 Danke! 255 Impressum 255

PROJEKTE, INSTITUTIONEN, INITIATIVEN Amazonien ..........................................  186 Botanischer Garten, Manaus ............ 191 Buffalo Bayou Park, Houston ...........  100 Bürgerzentrum des Departamento Antioquia, Medellín ............................  153 CALP – Collaborative for Advanced Landscape Planning, Vancouver ........ 51 Campus Martius Plaza, Detroit .......... 92 La Ciclovía, Bogotá ............................  130 Citizen’s Coolkit ................................... 53 Climate Museum, New York City ....... 68 Complete Streets und Green Streets, Toronto ........................ 20 Corredor Verde Recreio, Rio de Janeiro ...................................... 176 Domino Park, New York City ............... 69

Ecovila Aldeia do Altiplano, Brasília ..................................................  211 EPM-Gebäude, Medellín ...................  156 Evergreen Brick Works, Toronto ........ 24 Future Delta 2.0 .................................... 52 Governors Island Park, New York City ........................................ 63 Greenest City – die grünste Stadt, Vancouver .............................................. 42 Humedal Santa Barbara, Bogotá .....  124 Hunter’s Point South Park, New York City ........................................  73 INPA und das ATTOForschungsprojekt, Manaus ............  195 Institut für Gestaltung, Universität von Uruguay, Montevideo ................. 232 Keep Growing Detroit .......................... 89 Levy Park, Houston ............................  107 Mauá-Platz mit neuen Museen, Rio de Janeiro .....................................  169 Midtown Park, Houston ...................... 110 Millennium Water Olympic Village,

False Creek, Vancouver ....................... 44 Moravia, Medellín ...............................  150 Nationaler Umsiedlungsplan, Montevideo .........................................  231 Parkbibliotheken, Medellín ...............  143 Parque 93 und der Masterplan DEMOS P 93, Bogotá .........................  120 Parque del Río, Medellín ...................  142 Parque de la Imaginación, Medellín ...............................................  145 Parque de los Deseos, Medellín ......  146 Parque de los Pies Descalzos, Medellín ...............................................  148 PICS – Pacific Institute for Climate Solutions, Vancouver ........................... 56 Porto Maravilha, Rio de Janeiro .......  166 Regionalpark Tominé, Bogotá ...........  131 Ruta N, Medellín .................................. 157 Sidewalk Labs und das Quayside-Projekt, Toronto ................. 32 Universität von Brasília .....................  214 Wychwood Barns, Toronto ..................  27



VORWORT

Richard Stiles

Kolonialgeschichtlichen Berichten zufolge, „entdeckte“ der schottische Forscher David Livingstone im Jahr 1855 jenes gewaltige Naturwunder, dem er den Namen Victoria Falls gab. Heute fragen wir uns, vor dem Hintergrund unserer gewissermaßen aufgeklärteren Sichtweise, wie es sein konnte, dass die einheimische Bevölkerung dieses sensationelle Schauspiel über Jahrhunderte angeblich völlig ignoriert hatte und es eines Entdeckers aus der Ferne bedurfte, um sie darauf hinzuweisen! An eine derartige koloniale Hybris erinnern die gegenwärtigen Diskussionen über grüne Infrastruktur, die in letzter Zeit immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht und angesichts der Krise von Klimawandel und Biodiversitätsverlust neuerdings als potenzielle Retterin unserer Städte und Landschaften gilt. Eine erste Verwendung des Begriffs „grüne Infrastruktur“ geht auf einen Bericht des Gouverneurs von Florida über Landschaftsschutz aus dem Jahr 1994 zurück.1 Was jedoch heutzutage mit urbaner grüner Infrastruktur assoziiert wird, unterscheidet sich kaum von den Parks und Plätzen, die bereits William Pitt „the Elder“, britischer Premierminister Mitte des 18. Jahrhunderts, als „die Lungen Londons“ bezeichnete. Dass städtische Grünflächen die Lebensqualität und die öffentliche Gesundheit verbessern, ist seit langem bekannt. Das lässt sich unter anderem am Werk des produktiven Gartenbau- und Landschaftsautors John Claudius Laudon belegen, der mit seinen 1829 erschienenen Hints for Breathing Places for the Metropolis (Hinweise für Plätze zum Atmen in der Metropole) maßgeblich daran beteiligt war, Konzepte zur Planung städtischer Grünflächen für London zu entwickeln. Parks und Grünflächen als „Lungen“ und „Räume zum Atmen“ zu verstehen, ließ durchaus die Idee einer grünen Infrastruktur erkennen, ebenso die „grünen Ringe um Städte“, wie sie Gräfin Adelheid Ponińska 1874 in einer deutschen Veröffentlichung forderte, oder auch die Betonung der Förderung von „sanitärem Grün der Städte“ in der Dissertation des Berliner Stadtplaners Martin Wagner von 1915. Wenn also grüne Infrastruktur, wie eben die Victoriafälle, letztendlich gar nichts Neuartiges ist, sondern allenfalls eine neue Sicht auf etwas, das wir schon immer kannten, dann brauchen wir womöglich keine Entdecker „aus der Ferne“, die unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, sondern es gilt vielmehr, das lokale „Know-how“ der ohnehin schon kundigen „Einheimischen“ zu nutzen. Wie dieses hervorragende Buch prompt klarstellt, sind eben diese „Einheimischen“ Landschaftsarchitektinnen, denen die Planung und Gestaltung ihrer urbanen Grünflächen seit langem ein großes Anliegen ist. Resilient City lässt seine Leserinnen und Leser den urbanen Lebensraum aus einer neuen Perspektive betrachten und macht auf die maßgebliche Beziehung zwischen drei Faktoren aufmerksam: Klimawandel, grüne Infrastruktur und Resilienz. 7 1

Karen Firehock (2010): A Short History of the Term Green Infrastructure and Selected Literature, Januar, www. gicinc.org/PDFs/GI%20History.pdf

Anhand von elf Porträts von Großstädten in unterschiedlichsten Klimazonen des ameri­kanischen Kontinents – von Vancouver in Kanada bis Montevideo in Uruguay – wird dargestellt, wie die Landschaftsarchitektur unterschiedliche Ansätze grüner Infra­struktur nutzt, um eine Resilienz gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels zu gewährleisten. Einem allgemeinen Überblick über die Rahmenbedingungen der jeweiligen Stadt und ihrer speziellen Probleme hinsichtlich eines sich verändernden Stadtklimas folgen detaillierte Beispiele zu Strategien der Landschaftsgestaltung sowie zu Plänen und Projekten zur Stärkung der Zukunftsfähigkeit der betroffenen Metropolen. Darüber hinaus unterstreichen diese Beispiele, dass grüne Infrastruktur im Stadtraum zur Linderung der Folgen des Klimawandels zwar unabdingbar ist, doch dass dies nicht ihre einzige Funktion ist. Weil sie in der Regel nicht unabhängig von herkömmlichen Parks und städtischen Grünflächen existiert, muss grüne Infrastruktur neben ihrer resilienzfördernden Rolle weiterhin viele andere bewährte Funktionen wahrnehmen: Sie soll grüne Lungen bieten, attraktive Orte zur Erholung und Entspannung, Lebensräume für die Pflanzen- und Tierwelt und zugleich Stätten, an denen Wertvorstellungen der Menschen in der Stadt reflektiert werden. Wie Die Resiliente Stadt überzeugend veranschaulicht, sind wir durchaus nicht auf neue Generationen kolonialer Entdecker angewiesen, um uns auf diesem auf den ersten Blick unbekannten Terrain zurechtzufinden – vielmehr können wir uns dem geschulten Wissen und Können erprobter „einheimischer“ Landschaftsarchitekten anvertrauen.

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VORWORT

RESILIENZ ALS FAKTOR DER STADTENTWICKLUNG

STÄDTISCHE GRÜNE INFRASTRUKTUR Heute sind Städte Lebens-, Arbeits- und Aufenthaltsorte für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Menschen brauchen ein gesundes Umfeld, um leistungsfähig und zufrieden zu sein, und es ist die Voraussetzung dafür, dass sie ihre Entwicklungspotenziale wahrnehmen können. In diesem Kontext haben Grün- und Freiflächen, in denen sich die Menschen aufhalten, spielen, sich sportlich betätigen und erholen, eine große Bedeutung für die Städte. Landschaftsarchitektinnen sind Expertinnen für die Planung, den Bau und die Pflege von Freiräumen. In Zeiten des Klimawandels ist die Landschaftsarchitektur besonders gefordert, zunehmend wichtige planerische und gestalterische Aufgaben von großer Tragweite für die Städte zu übernehmen. Grüne Freiflächen wie Parks und Gärten haben neben ihrem Nutzen, den Stadtbewohnern Aufenthaltsmöglichkeiten zu bieten, weitergehende Funktionen als klimatische Ausgleichsflächen für die zunehmende Versiegelung, als Belüftungsbahnen für den Luftaustausch, als Versickerungs- und Verdunstungsflächen für den Wasserhaushalt und als Puffer für vermehrt auftretende extreme Wetterereignisse wie einerseits Sturmfluten mit Starkregenfällen und andererseits Hitze mit verlängerten Trockenzeiten. Diese für alle Städte wichtigen Funktionen werden auch als grüne oder, bei  Einbeziehung von Wasserflächen, als grün-blaue Infrastruktur bezeichnet. Wie die graue Infrastruktur, die technische Anlagen und Einrichtungen für die Ver- und Entsorgung sowie des Verkehrs umfasst, und die soziale Infrastruktur, wie Schulen, Betreuungseinrichtungen, Krankenhäuser, Sportgelände und Kultureinrichtungen, erfüllt die grüne Infrastruktur ebenfalls wichtige Voraussetzungen einer Infrastruktur. Sie ist zumeist öffentlich zugänglich, dient der Begegnung und sie wird von der öffentlichen Hand gewährleistet, auch wenn sie nicht immer deren Eigentum ist. Alle Typen von Infrastrukturen können ihre Funktionen nur bei guter und dauerhafter Pflege und Erhaltung ihres optimalen Zustands erfüllen. Insbesondere die grüne Infrastruktur nimmt bei entsprechendem Management mit zunehmender Entwicklung der Vegetation über einen langen Zeitraum an Wert zu und erfüllt ihre Aufgaben in der Zukunft oft besser als direkt nach der Pflanzung junger Bäume. Ein weiterer wichtiger Faktor bei Infrastrukturen ist die Flexibilität – ein Punkt, der durch den Klimawandel zusätzlich an Bedeutung gewonnen hat. Viele Anlagen der grauen Infrastruktur, zum Beispiel Straßen und Gleisanlagen, Kanäle, Flutmauern oder Dämme sowie größere Gebäude, sind starr und nur wenig veränderbar. Die grüne Infrastruktur zeichnet sich dagegen durch eine hohe räumliche und zeitliche Flexibilität aus. Damit können ihre Funktionen schneller an neue Umgebungsbedingungen wie zum Beispiel den Klimawandel

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angepasst werden. Überdies ist die grüne Infrastruktur multifunktional. Sie kann den erholsamen Aufenthalt der Menschen im Freien mit den wichtigen Funktionen wie Kühlung, Wasserspeicherung oder CO2-Minderung verknüpfen. Dabei gibt es, anders als für die graue oder die soziale Infrastruktur, keine Standardlösungen, sondern die grün-blaue Infrastruktur wird für jeden Ort individuell entwickelt und ist, insbesondere im Hinblick auf ihre Klimaresilienz, regelmäßig zu überprüfen, anzupassen und weiterzuentwickeln. So wird die Anpassung an den Klimawandel mit grüner Infrastruktur zu einem iterativen Prozess von Anpassung und Steuerung. Die Landschaftsarchitektur nimmt die Aufgaben der grünen Infrastruktur zunehmend wahr. In der Praxis bleiben jedoch Chancen für eine nachhaltige Entwicklung zum Beispiel durch Regenwassernutzung, Dach- und Fassadenbegrünungen, natürlichen Sonnenschutz durch Baumkronen und durch urbanen Gartenbau häufig ungenutzt. Dieses Buch zeigt beispielhaft anhand von elf Städten in Nord- und Südamerika sowie einigen ihrer herausragenden Projekte von Landschaftsarchitektinnen, wie sich Städte auf den Klimawandel vorbereiten und die Landschaftsarchitektur einsetzen, um eine Minderung der Folgewirkungen zu erreichen. Die vorgestellten Städte wurden 2018/19 besucht. Im Rahmen der Besuche wurden herausragende landschaftsarchitektonische und andere klimarelevante Projekte und Initiativen besichtigt und Gespräche mit Landschaftsarchitekten, Stadtverwaltungen und Forschungseinrichtungen geführt. Anschließend wurden die Projekte und die gewonnenen Erkenntnisse ausgewertet. Die beschriebenen Vorgehensweisen und Pläne können beispielhaft für andere Städte gelten, die Projekte als wegweisende Beispiele für eine neue Landschaftsarchitektur dienen, die einen wesentlichen Beitrag für die Klimaanpassung leistet. Sie zeigen auf, welche Faktoren bei der klimaresilienten Freiraumentwicklung zu berücksichtigen sind. Von großer Bedeutung sind dabei Kooperationen mit anderen Disziplinen, wobei Landschaftsarchitektinnen zunehmend den führenden Part übernehmen.

STÄDTE IM KLIMAWANDEL

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An dem allseits diskutierten Klimawandel sind Städte einerseits als Verursacher und als Orte der Emissionen von Treibhausgasen massiv beteiligt, andererseits sind die Stadtbewohner auch selbst stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Daher trifft Städte besonders die Aufgabe, an einer effektiven Reduzierung der Ursachen des Klimawandels mitzuwirken. Gleichzeitig müssen sie dafür Sorge tragen, dass die Menschen sowie die gesamte städtische Infrastruktur nicht durch die Auswirkungen des Klimawandels zu Schaden kommen. Viele Städte verzeichnen bereits jetzt Veränderungen durch den Stadtklimaeffekt, der unter anderem mit Überwärmung und damit Stress für die Bürgerinnen einhergeht. Menschen können sich weniger gut an hohe Temperaturen anpassen, besonders kleine Kinder und ältere Menschen sind bei extremer Hitze gefährdet. Der Stadtklimaeffekt wird schon heute durch den Klimawandel verstärkt und diese Entwicklung wird in der Zukunft noch zunehmen. Die Aufgabe, die Folgen des Klimawandels zu begrenzen, betrifft jede Stadt der Welt, wenngleich das Ausmaß der Herausforderungen variiert. Jede Stadt ist gefragt, auf  der Basis ihrer Größe, ihrer geografischen Lage und klimatischen Verhältnisse sowie ihrer sozialen und ökonomischen Voraussetzungen wirksame Maßnahmen zu entwickeln. Betroffen sind dabei Fragen der wirtschaftlichen und politischen Teilhabe, der Umweltgerechtigkeit, Lebensmittelsicherheit, der Gesundheit der Bevölkerung

RESILIENZ ALS FAKTOR DER STADTENTWICKLUNG

und Biodiversität. Netzwerke zwischen Städten sind hilfreich für den Wissens- und Erfahrungsaustausch und eine zügige Entwicklung der Klimaresilienz, was insgesamt der Weltbevölkerung in den Städten dient. Eine weltweit zentrale Bedeutung für die Erforschung der Ursachen und Folgen des Klimawandels hat der Zwischenstaatliche Ausschuss zum Klimawandel (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), auch Weltklimarat genannt. Er wurde 1988 von der Weltorganisation für Meteorologie und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) gegründet. Das IPCC mit Sitz in Genf dient der Politik, der Industrie und der allgemeinen Öffentlichkeit als Informationsquelle zum Klimawandel. Alle  195 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen können im Weltklimarat mitarbeiten. Die Arbeit ist in drei Arbeitsgruppen gegliedert. Die erste arbeitet zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels, die zweite zu den Auswirkungen und Möglichkeiten der Anpassung und der Vulnerabilität aufgrund des Klimawandels, die dritte Gruppe arbeitet an der Verminderung des Klimawandels durch die Reduktion von Emissionen. Der Weltklimarat stellt Erkenntnisse aus der weltweiten Forschung zusammen und veröffentlicht regelmäßig Sachstandsberichte, die ein gründliches wissenschaftliches Begutachtungsverfahren durchlaufen und dadurch ein hohes Ansehen erreichen. Außerdem ist der Weltklimarat eine Wissensbasis für Entscheidungsträger und ist wichtiger Ratgeber der UN-Klimarahmenkonvention. Der mittlerweile sechste Sachstandsbericht wird 2021/22 veröffentlicht werden. In den Jahren 2018 und 2019 wurden Sonderberichte, unter anderem zu den Themen 1,5 °C Globale Erwärmung und Klimawandel und Landsysteme, veröffentlicht. Bereits zum fünften Sachstandsbericht 2014 wurde ein Sonderbericht zum Thema Minderung des Klimawandels erstellt. Die Ursachen für den Klimawandel sind nach den Berichten des Weltklimarates die durch die Menschen in die Atmosphäre emittierten Treibhausgase. Die schädlichsten dieser Gase sind Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) und Fluor-(F-)Gase (H-FKW, PFC und SF6), wobei das CO2 den größten Anteil ausmacht. Die größte Quelle für das CO2 ist die Verbrennung fossiler Brennstoffe in den Energieumwandlungssystemen von Stromkraftwerken, Flugzeug- und Automobilmotoren, das Kochen, das Heizen von Wohnungen und Büros sowie industrielle Produktionsverfahren. Diese Emissionen machen den größten Anteil der Treibhausgase aus, etwa ein Drittel wird durch die Landwirtschaft (hauptsächlich CH4 und N2O), die Entwaldung (vorwiegend CO2), die Herstellung fossiler Brennstoffe (vorwiegend CH4), Industrieprozesse (vorwiegend CO2, N2O und F-Gase) sowie durch kommunale Abfälle und Abwässer (vorwiegend CH4) emittiert. Allgemein bekannte Auswirkungen des Klimawandels sind steigende Temperaturen mit Hitzestress, steigende Meeresspiegel mit häufigeren Sturmfluten und Starkregenereignisse und Überschwemmungen. Der Klimawandel betrifft Veränderungen aller wesentlichen Klimaparameter: Temperatur, Niederschlag, Windgeschwindigkeit und -richtung. Die genauen Auswirkungen dieser Veränderungen sind noch unklar und es gibt keine Vorhersagen darüber, welche Folgen wann und in welchem Ausmaß eine Stadt treffen. Wenn aber die Städte sich nachhaltig gegenüber dem Klimawandel entwickeln, wird dies der Klimaanpassung der ganzen Welt nützen. Erst im fünften Sachstandsbericht von 2014 hat der Weltklimarat im Sonderbericht Minderung des Klimawandels das Kapitel „Siedlungen, Infrastruktur und Raumplanung“ aufgenommen, weil die Verstädterung ein globaler Megatrend ist, der Gesellschaften

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Städte im Klimawandel

stark verändert. Bis 2050 wird die städtische Bevölkerung um 2,5 bis 3 Milliarden wachsen, was 64 bis 69 Prozent der Weltbevölkerung entsprechen wird. Bis dahin werden mehr Stadträume und Infrastrukturen geschaffen werden, als derzeit existieren. Die Entwicklung der Städte und Ballungsgebiete der kommenden Jahrzehnte wird entscheidend für den globalen Energieverbrauch und die CO2-Emissionen sein. Bereits 2014 wurde der Anteil der Städte an dem weltweiten Energieverbrauch auf zwischen 67 und 76 Prozent geschätzt, der Anteil der globalen energiebezogenen CO2-Emissionen auf 71 bis 76 Prozent. Wesentliche Faktoren der Treibhausgasemissionen in Bezug auf die Stadtgestalt sind die Dichte der Bebauung, die Landnutzungsdurchmischung sowie Anbindung und Erreichbarkeit, die das Verkehrsaufkommen maßgeblich beeinflussen. Diese Faktoren stehen in Wechselwirkung zueinander und müssen daher in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit voneinander betrachtet werden. Städte sind zwar für einen hohen Anteil an den globalen CO2-Emissionen verantwortlich, sie nehmen aber nur zwei bis drei Prozent der Landfläche der Erde ein. Dieses Missverhältnis wird auch zukünftig weiter bestehen bleiben, da sich der Anteil der Siedlungsfläche vor allem durch das Wachstum der Ballungsräume bis 2050 auf vier bis fünf Prozent erhöhen wird. Als Think Tanks mit wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und politischem Potenzial zur Steuerung ihrer klimasensitiven Entwicklung und gleichzeitig große Mitverursacher des Klimawandels haben Städte besondere Möglichkeiten und unterliegen gleichzeitig der Notwendigkeit, den Klimawandel positiv zu beeinflussen. Dabei stehen die Verringerung und im besseren Fall die Vermeidung des Ausstoßes von Treibhausgasen (Mitigation) sowie die Abschwächung sich einstellender Veränderungen (Adaptation) im Fokus. Da Städte nicht ohne ihr Umland für die Nahrungsproduktion, Teile ihrer Infrastruktur und als Erholungsflächen auskommen, ist eine klimasensible Verbindung von Stadt und Umland ebenfalls von Bedeutung. Wachsende Städte weiten sich auch in landund forstwirtschaftlich genutzte Flächen aus, so dass es hier zu Nutzungskonflikten kommt. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche mit derzeit 37 Prozent der weltweiten Landfläche hat in den letzten drei Jahrzehnten zugenommen, insbesondere in den Tropen. Sie benötigt zukünftig noch größere Flächen für eine Ausweitung der Produktion zur Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung. Sie entwickelt sich vor allem zu Großbetrieben für die Produktion von Fleisch, Sojabohnen, die zum großen Teil als Futtermittel verwendet werden, und die Gewinnung von Palmöl. Mit dieser Entwicklung verbunden ist ein tragischer Verlust an Biodiversität und Ökosystemleistungen, unter anderem der Speicherung von CO2. Im Gegensatz zu der wachsenden Flächeninanspruchnahme von Städten und der Landwirtschaft verliert der Wald an Fläche. Gegenwärtig sind 29 Prozent der weltweiten Landfläche mit Wald bedeckt, davon werden etwa zwei Drittel forstwirtschaftlich genutzt, nur 36 Prozent sind Primärwälder. Trotz großflächiger Aufforstungen in verschiedenen Regionen findet weltweit betrachtet weiterhin ein markanter Waldverlust statt, der zum Verlust an Biodiversität und Ökosystemleistungen beiträgt und außerdem zu einer höheren Erosion durch fehlende Bodenbedeckung und einer geringeren Bodenfruchtbarkeit führt.

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Der IPCC-Sonderbericht Klimawandel und Landsysteme von 2019 weist in seiner „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“ darauf hin, dass Maßnahmen im Bereich der Landnutzung, die zur Anpassung an den Klimawandel und zur Minderung der negativen Auswirkungen beitragen, auch der Desertifikation und Landdegradierung entgegenwirken und die Ernährungssicherheit verbessern.

RESILIENZ ALS FAKTOR DER STADTENTWICKLUNG

Ausdrücklich erwähnt wird das Minderungspotenzial aus Ackerbau und Tierhaltung sowie der Agroforstwirtschaft und des gesamten Ernährungssystems von der Produktion bis zum Verbrauch einschließlich Nahrungsmittelverlusten und -verschwendung. Der IPCC hat klimaresiliente Entwicklungspfade (Climate-Resilient Development Pathways, CRDPs) entwickelt, mit denen eine gesellschaftlich wünschenswerte, das heißt sowohl sozial gerechte als auch kohlendioxidarme Zukunft gestaltet werden kann. Sie beziehen sich auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und die Aussagen des Pariser Klimaabkommens, dass die Umsetzung der raschen Reduktion von Treibhausgasen auf der Grundlage von Gleichstellung sowie im Rahmen von nachhaltiger Entwicklung und Bemühungen zur Beseitigung von Armut erfolgen muss. Die CRDPs vereinen die kurzfristige Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele mit einer langfristig angelegten nachhaltigen Strategie zur Entwicklung und der Reduzierung der Emissionen auf Netto-Null bis Mitte des Jahrhunderts. Dafür müssen die Lebensräume der Menschen in den Städten resilienter werden und sich flexibel anpassen können. Für die Planung der CRDPs werden Netzwerke benötigt, die den Austausch ermöglichen und fördern, aber sie werden für jede Stadt individuell zu erarbeiten sein. Der IPCC-Sonderbericht 1,5 °C Globale Erwärmung von 2018 betont die Bedeutung des während des Klimagipfels in Paris 2015 vereinbarten Ziels, dass die Erderwärmung nicht über 1,5 °C hinausgehen sollte, da oberhalb dieses Wertes die Anpassungsbemühungen deutlich aufwändiger würden. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass als Anpassung nicht allein Reaktionen auf die Folgen des Klimawandels ausreichen können, wie zum Beispiel der Bau einer Ufermauer als Barriere gegen eine Flutwelle, sondern dass ein tiefgreifender, systemischer Wandel nötig sein wird, wie beispielsweise neue Strategien zum Verhalten gegenüber Sturmfluten und Starkregenereignissen. Zu dieser Art transformativer Anpassung gehört auch eine Umgestaltung sozialer und ökologischer Systeme. Damit überschneiden sich die Ziele des Weltklimarates zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze stark mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, die ebenfalls im Jahr 2015 mit der Agenda 2030 verabschiedet wurden. Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) sind Teil der Agenda 2030, dem globalen Plan der UNO zur Förderung nachhaltigen Friedens und Wohlstands sowie zum Schutz unseres Planeten. Insbesondere sollen nationale Entwicklungspläne dafür sorgen, dass Armut bekämpft und soziale Ungleichheiten reduziert werden, wobei besonderes Augenmerk auf die schwächsten Bevölkerungsgruppen zu legen ist, damit im Zuge der Anstrengungen, die Ziele bis 2030 zu erreichen, niemand zurückgelassen wird. Insgesamt zielen die SDGs darauf ab, extreme Armut und Hunger zu beseitigen, Gesundheit, Bildung, Frieden, sauberes Wasser und saubere Energie für alle sicherzustellen, die Inklusivität und Nachhaltigkeit von Konsum, Städten, Infrastruktur und Wirtschaftswachstum zu fördern, Ungleichheiten wie diejenige zwischen den Geschlechtern zu verringern, den Klimawandel zu bekämpfen sowie die Meere und terrestrische Ökosysteme zu schützen. Das Ziel 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen benennt ausdrücklich den Klimawandel, seine negativen Auswirkungen auf die Volkswirtschaften und das Leben der Menschen, insbesondere der Ärmsten und Schwächsten. Weitere Ziele sind eng mit dem Klimawandel verbunden, darunter das Ziel 3: Gesundheit und Wohlergehen, Ziel 7: Bezahlbare und saubere Energie und Ziel 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden. Das Ziel 17: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele weist auf die Notwendigkeit hin, Netzwerke zu bilden. Städte

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Städte im Klimawandel

haben hier bereits sehr gute weltweite Verbindungen aufgebaut, wie das Netzwerk C40 und das 100-Resiliente-Städte-Netzwerk. C40 verbindet heute weltweit 97 der größten Städte der Welt, um Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen, mit denen eine gesündere und nachhaltigere Zukunft erreicht werden soll. Die Bürgermeister dieser Städte, in denen über 700 Millionen Bürgerinnen leben und die ein Viertel der Weltwirtschaft ausmachen, haben sich verpflichtet, ihre Stadt so zu entwickeln, wie es zum Erreichen der Klimaziele des Pariser Abkommens von 2015 erforderlich ist, und außerdem die Luft ihrer Stadt von Schadstoffen zu reinigen. Unter den in diesem Buch vorgestellten Städten gehören Toronto, Vancouver, New York City, Houston, Bogotá, Medellín und Rio de Janeiro dem C40-Netzwerk an. Das Netzwerk 100 Resiliente Städte, kurz 100RC (Resilient Cities), wurde 2013 von der amerikanischen Rockefeller-Stiftung gegründet, um Städte darin zu unterstützen, ihre Resilienz gegenüber den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stärken. Von den über 1.000 Städten, die sich beworben hatten, wurden 100 ausgewählt. Diese erhielten über sechs Jahre projektbezogene finanzielle Unterstützung, außerdem bekamen sie die Finanzierung für einen Resilienzmanager, der die Bemühungen der Stadt, nachhaltiger und resilienter zu werden, leiten und fachliche Unterstützung bei der Entwicklung einer Resilienzstrategie geben sollte. Drittens verband sich mit der Mitgliedschaft in dem globalen Netzwerk ein intensiver Wissensaustausch und die Beteiligung an Kooperationen untereinander. Die 100 resilienten Städte repräsentieren ein Fünftel der städtischen Weltbevölkerung. Mehr als 50 Resilienzstrategien mit über 1.800 Maßnahmen und Initiativen wurden bisher verfasst. Das Netzwerk führte zu über 150 Kooperationen zwischen Städten. Am 31. Juli 2019 wurde die Initiative beendet, allerdings unterstützt die Rockefeller-Stiftung die Arbeit der Resilienzmanager weiter, so dass die bisher geleistete wertvolle Arbeit weitergeführt werden kann. Mitgliedsstädte, die in diesem Buch beschrieben werden, sind Toronto, Vancouver, New York City, Houston (als 101. Mitglied, unterstützt von Shell), Medellín, Rio de Janeiro und Montevideo.

RESILIENZ DER STÄDTE Ohne Zweifel ist der Klimawandel für die Städte eine große Herausforderung auf ihrem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Dabei müssen die Bedürfnisse der Bewohnerinnen nach gleichberechtigter Teilhabe, die Sicherung der Daseinsvorsorge sowie ein gewisser, möglichst gleichmäßig verteilter Wohlstand berücksichtigt werden. Öffentliche Grün- und Freiflächen zeichnen sich als in der Regel große Flächenanteile in Städten dadurch aus, dass sie für alle Bewohner und Besucherinnen zugänglich sind. Aufgrund ihrer Vegetation haben sie ein günstigeres Klima als dicht bebaute Stadtteile, allerdings sind sie meistens in verschiedenen Stadtteilen mit unterschiedlichen Anteilen präsent. Private Grünflächen sind ebenfalls klimawirksam, aber üblicherweise nicht für die Öffentlichkeit zugänglich und sie liegen meistens eher an den Stadträndern. In mit Grünflächen eher unterversorgten Stadtteilen mit einer relativ hohen Einwohnerzahl ist der Nutzungsdruck in den Freiräumen meistens besonders groß. Hier müssen die Grünflächen qualitativ besonders hochwertig angelegt und regelmäßig dem Charakter und der Nutzung der Flächen entsprechend gepflegt werden, damit sie ihre Funktionen angemessen erfüllen können. 14

RESILIENZ ALS FAKTOR DER STADTENTWICKLUNG

Die Folgewirkungen des Klimawandels haben besondere Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt, dass Freiräume eine wichtige Schutzfunktion haben, wenn es darum geht, bebaute Zonen gegen Überschwemmungen und Erdrutschungen abzusichern. In von Überflutungen bedrohten Stadtteilen müssen Freiräume so ausgeführt werden, dass sie zum einen als Wasserspeicher fungieren und das Ausmaß von Überflutungen mindern und außerdem der eigenen Zerstörung durch Wetterextreme widerstehen können. Ebenso können Wohngebiete in problematischen Hanglagen, die bei Starkregenereignissen von Erosion bedroht sind, durch die Anlage stabilisierender Freiräume vor Schäden geschützt werden. In dem extremen Fall, dass ein sicheres Wohnen für die Zukunft nicht mehr gewährleistet werden kann, müssen die Bewohnerinnen aus vom Klimawandel massiv bedrohten Gebieten in andere, sichere Stadtgebiete umziehen. Die Bedrohungen durch den Klimawandel haben die Interessen der Stadtgemeinschaft, wie die Entwicklung einer klimawirksamen grün-blauen Infrastruktur oder einer Bebauung mit dem Fokus auf die Stärkung der Resilienz, in letzter Zeit stärker in den Vordergrund gerückt. Da jede Stadt ihre eigene Struktur, ihre spezielle Lage, Größe und Entwicklung hat, ist es von Bedeutung, dass sich jede Stadt der möglichen Veränderungen des eigenen Klimas, in Verbindung mit weiteren Entwicklungen, die mit dem Klimawandel in Einklang zu bringen sind, bewusst wird. Selbstverständlich sind die Bürger in die Entscheidungen zur Anpassung an den Klimawandel einzubeziehen. In der Regel verfügen die meisten Städte bereits über Pläne für die Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen. Das gilt auch für die Mehrheit der in diesem Buch vorgestellten Städte in Nord- und Südamerika. Darüber hinaus haben die meisten Städte Klimawandel-Anpassungspläne und teilweise auch Resilienzstrategien erarbeitet, in  denen die erwarteten Veränderungen auf der Grundlage von Daten aus Klimamessungen, Luft- oder Satellitenbildern oder Modellrechnungen, bzw. meistens aus einer Kombination dieser Möglichkeiten, abgeleitet und Handlungs- und Planungsvorschläge unterbreitet werden. Nur in wenigen Fällen wird die grüne Infrastruktur ausdrücklich als Möglichkeit zur Minderung von Klimawandelfolgen und zur Verbesserung der Resilienz erwähnt. Dagegen werden Investitionen in technische Infrastruktur sehr häufig genannt und vielfach ist die Teilhabe und Beteiligung der Bevölkerung bei Anpassungen als wichtiger Faktor erwähnt. Dass die grüne Infrastruktur oder die Landschaftsarchitektur nur selten erwähnt werden, erstaunt insbesondere deshalb, weil die klimawirksamen Eigenschaften von Grünflächen und insbesondere Bäumen sowie weitere vielfältige Lösungen für eine Erhöhung der Resilienz der Städte eindeutig bekannt sind. Grünflächen können mit entsprechend robuster Bauweise bei Starkregenereignissen große Regenmengen aufnehmen und diese geplant weiterleiten, ohne dauerhaft beeinträchtigt zu werden. In neuen Parkanlagen einiger Städte sind Regengärten integriert, die bei Starkregen zu Wasserspeichern werden und gleichzeitig die Bevölkerung und insbesondere die Kinder für die Themen Wasser und Klimawandel sensibilisieren. Ein wichtiger Beitrag der Landschaftsarchitektur besteht in verbesserten Baumpflanzungen, die zu einer deutlichen Erhöhung des Lebensalters von Stadtbäumen und damit deren Ökosystemleistungen führen. Bekannt ist, dass Pflanzen, besonders Bäume, als Kohlenstoffsenken wirken, da sie durch ihre Photosynthese CO2 speichern und Sauerstoff in die Umgebung abgeben. Außerdem senken Pflanzen durch ihre Verdunstungsleistung die Umgebungstemperatur und beschatten den Erdboden, wodurch sich die Umgebung weniger erwärmt. Grundsätzlich gilt, dass die Kohlenstoffbindung sowie die Abkühlung durch Schattenwurf und Verdunstung

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Resilienz der Städte

kleinklimatisch umso wirksamer sind, je mehr Vegetation vorhanden ist. Voraussetzung für die optimale Leistung der Pflanzen ist die ausreichende Versorgung mit Wasser und gegebenenfalls Nährstoffen, damit sie sich artgerecht entwickeln und ihre maximale Lebenserwartung sowie Leistungsfähigkeit erreichen können. Das Ziel des Weltklimarates, die Erderwärmung auf maximal 1,5 °C zu begrenzen, sowie einige Aspekte der Nachhaltigkeit wie Ernährungssicherheit, gesunde Ökosysteme und teilweise die Bekämpfung von Armut müssen in direktem Zusammenhang mit der grünen Infrastruktur gesehen werden. Städte gelten im Allgemeinen aufgrund ihrer Bevölkerungsdichte, ihrer ökonomischen Bedeutung und grauen Infrastrukturen als besonders vulnerabel gegenüber dem Klimawandel. Extreme Wetterereignisse stellen nicht automatisch bei ihrem Auftreten eine Gefahr dar, sondern erst, wenn ihre Folgen wie Hitzestress oder Überflutungen die Gesundheit oder das Leben der Menschen gefährden oder Schäden an der Substanz der Stadt verursachen. Das Risiko ist folglich abhängig von den Wetter­ ereignissen, die auf gefährdete Bereiche treffen, und dem Grad der Verwundbarkeit dieser Bereiche. Daher ist auch eine Risikoabschätzung der Folgeschäden des Klimawandels besonders wichtig als Entscheidungsgrundlage, um vor allem an den verwundbarsten Stellen einer Stadt Veränderungen vorzunehmen. Resilienz in Städten bedeutet, dass extreme Klima- und Wetterereignisse ihre Einwohnerinnen und ihre Infrastrukturen nicht nachhaltig schädigen, sondern anschließend die städtischen Funktionen aufrechterhalten oder zügig ohne bleibende Beeinträchtigungen wiederhergestellt werden können. Anzustreben sind Lösungen, die verschiedene Maßnahmen miteinander verbinden und zu einer ganzheitlichen Transformation der Städte führen. Ohne Landschaftsarchitekten wird es dabei nicht gehen. Allerdings wird zunehmend deutlich, dass auch die Landschaftsarchitektur sich beim Wandel hin zu einer klimaresilienten Entwicklung der Städte neu orientieren muss. Gestaltungen für Freiräume müssen immer auch auf die ortsspezifische Anpassung an den Klimawandel ausgerichtet werden, die Zusammenarbeit mit weiteren Planerinnen und Fachleuten aus anderen Disziplinen muss verstärkt werden und Landschaftsarchitekten sollten eher die Leitung von Planungsverfahren haben, um alle Aspekte der Gestaltung mit der Klimaresilienz miteinander zu vereinbaren.

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RESILIENZ ALS FAKTOR DER STADTENTWICKLUNG

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„Diversity Our Strength“ – „Vielfalt ist unsere Stärke“ lautet das Motto der Stadt Toronto, der mit fast 3 Millionen Einwohnern größten Metropole Kanadas. Wird das weitere Einzugsgebiet, die Greater Toronto Area, dazugerechnet, verdoppelt sich diese Bevölkerungszahl auf 6,2 Millionen. Sie liegt am Ontariosee, im sogenannten Goldenen Hufeisen, einer dicht besiedelten und wirtschaftsstarken Region, die das westliche Ende des Sees umfasst. In den letzten Jahrzehnten hatte das Goldene Hufeisen ein starkes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen, gegenwärtig lebt hier etwa ein Viertel aller Einwohner Kanadas. Toronto ist gesellschaftlich wie architektonisch eine fortschrittliche Stadt, mit modernen Bauten vor allem in der Downtown und entlang des in jüngster Zeit neu bebauten Uferbereichs am Ontariosee, ausgedehnten gewachsenen Reihenhausgebieten, einer multikulturellen Gemeinschaft und lebendigen Quartieren. Die Einwohnerinnen gehören vielen Ethnien an und fast die Hälfte von ihnen wurde im Ausland geboren. Nach Miami ist Toronto damit in Nordamerika die Stadt mit dem zweithöchsten Prozentsatz an im Ausland geborenen Einwohnern, doch anders als in Miami dominieren in Toronto unter den Zugezogenen nicht einige wenige ethnische Gruppen, sondern es gibt eine Vielfalt der Minderheiten, wie sie in der Breite in nur wenigen anderen Städten der Welt zu finden ist. Das Motto der Stadt ist als affirmative Geste für das gesellschaftliche und kulturelle Selbstverständnis der Stadt zu verstehen. Eine topografische Besonderheit Torontos sind die nach der letzten Eiszeit entstandenen Schluchten und Flüsse, die das Stadtgebiet in Richtung Ontariosee durchziehen, weshalb Toronto auch als City of Ravines beschrieben wird. Diese dicht bewaldeten Gebiete, die 20 Prozent des Stadtgebietes ausmachen, haben wichtige ökologische Funktionen, wozu vor allem die Tatsache zählt, dass sie bei Regenfällen das Wasser der anliegenden Stadtgebiete sammeln und in den Ontariosee ableiten. Die zentrale Rolle der Schluchten für die Wasserführung in der Stadt ist bis heute ein grundlegender Bezugspunkt aller stadtplanerischen Überlegungen und Handlungen. Das Klima in Toronto ist kalt und gemäßigt. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt bei 8,7 °C, mit der geringsten monatlichen Durchschnittstemperatur im Februar, –4,4 °C, und der höchsten im Juli mit 21,9 °C. Die höchsten Tagestemperaturen

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Die Innenstadt von Toronto am Ontariosee.

Die Planung für die Mündung des Flusses Don in den Ontariosee. Der Fluss führt bei Starkregen sehr viel Wasser mit sich, Rückhalteflächen an der Mündung sollen die Fließgeschwindigkeit regulieren. Gleichzeitig mit

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einer neuen hydrologischen und grünen Infrastruktur werden mit diesem Wettbewerbsbeitrag neue Ökosysteme, Erholungsräume und ein Wohnumfeld mit kulturellen Angeboten geplant.

des Jahres werden in der Regel im August gemessen und erreichen um die 25 °C. Die Niederschlagssumme liegt bei 845 Millimetern im Jahr, wobei das ganze Jahr über monatliche Niederschläge in einer Höhe zwischen 50 und 85 Millimetern fallen. Die Jahreszeiten unterscheiden sich durch erhebliche Temperaturunterschiede. Im Winter treten temporär Temperaturen von bis zu -10 °C auf, die durch die Winde aus Richtung des Sees als noch kälter empfunden werden. Niederschlag fällt von November bis April überwiegend als Schnee, die relative Luftfeuchtigkeit liegt im Winter bei 80 Prozent, die Sonnenscheindauer bei zwei Stunden. Im Frühjahr und Sommer scheint die Sonne bis zu sieben Stunden am Tag.

AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Toronto zählt zu den „100 Resilient Cities“, die 2013 aus dem Wettbewerb der Rockefeller Foundation hervorgingen. Im Rahmen ihrer Teilnahme an diesem Programm hat die Stadt sowohl eine Resilience Strategy als auch eine Strategie für den Klimaschutz, TransformTO genannt, entwickelt. Im Jahr 2015 wurden diese Pläne noch durch eine Strategie für die Gesundheit der Bevölkerung im Klimawandel, die Climate Change and Health Strategy, ergänzt. In dem umfangreichen Dokument der Resilience Strategy werden zu erwartende Auswirkungen des Klimawandels auf die Stadt konkret benannt: Toronto geht demnach davon aus, heißer, nasser und „wilder“ zu werden. Für die einzelnen Klimaparameter bedeutet dies signifikante Veränderungen. Von 1976 bis 2005 wurden durchschnittlich pro Jahr 12,2 heiße Tage mit Temperaturen über 30 °C gemessen, von 2021 bis 2050 werden 30,7 solche Tage erwartet, im Zeitraum von 2051 bis 2080 steigt diese Zahl voraussichtlich auf 54,9 Tage. Während der durchschnittliche Niederschlag zwischen 1976 und 2005 jährlich 786 Millimeter betrug, wird bis 2050 mit einer Steigerung auf 817 Millimeter und bis 2080 auf 854 Millimeter gerechnet. Die durchschnittliche Anzahl der Tage mit starken Niederschlägen von mehr als 20 Millimetern in Form von Regen oder Schnee betrug bis 2005 jährlich 6,6 Tage, bis 2050 werden 6,9 derartige Tage erwartet, bis 2080 dürfte der Wert auf 7,8 Tage jährlich steigen. TransformTO, das Strategiepapier für Maßnahmen zum Klimaschutz, wurde 2017 einstimmig vom Stadtparlament beschlossen. Es setzt auf eine langfristige Umwandlung der Stadt und nennt folgende Ziele: Reduktion von Treibhausgasemissionen, Förderung der Gesundheit, Wirtschaftswachstum und Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit. Der Plan zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen sieht eine Senkung um 30 Prozent bis 2020 vor, um 65 Prozent bis 2030 und das Erreichen eines Null-Energieverbrauchs bis 2050 oder früher. Als Hauptverursacher der Treibhausgasemissionen werden Gebäude, Verkehr und die Abfallwirtschaft benannt. Die Climate Change and Health Strategy gibt einen Überblick über die zu erwartenden negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung der Stadt. Dazu gehören ein erhöhtes Aufkommen von durch Hitze oder Kälte ausgelösten Krankheiten und eine steigende Sterberate, eine Zunahme von durch Unwetter verursachten Verletzungen und – ebenfalls aufgrund von extremen Wetterereignissen – von durch Wasser übertragbaren Infektionen, ferner ein Anstieg von vektorübertragenen Krankheiten, Beeinträchtigungen der Lebensmittelversorgung (einschließlich einer

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Verschlechterung der Ernährungssicherheit und einer Erhöhung von durch Lebensmittel übertragenen Krankheiten) sowie eine Zunahme von Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen aufgrund schlechterer Luftqualität. Wetterereignisse, die große Schäden verursachen, schärfen in der Regel die Aufmerksamkeit der Bevölkerung einer Stadt für Klimaveränderungen. Für Toronto fand ein derartiges Ereignis am 15. Oktober 1954 statt, als während des Hurrikans Hazel 121,4 Millimeter Niederschlag fielen. In der Folge kam es zu Schäden, von denen ältere Bewohnerinnen noch heute berichten. Auch wenn stärkere und häufiger auftretende Hurrikans für die Region von Toronto nicht zu den im Zuge des Klimawandels erwarteten Veränderungen zählen, zeigt das Beispiel dennoch, dass Wetterextreme, die die Dimension einer Naturkatastrophe annehmen, im gesellschaftlichen Gedächtnis langfristig gespeichert werden. Es scheint so zu sein, dass in einer Situation, in der auch für Toronto mit einer Zunahme der Häufigkeit von Wetterextremen zu rechnen ist, sich dieses Gedächtnis vorausschauend aktivieren lässt.

COMPLETE STREETS UND GREEN STREETS Die Stadt Toronto hat zwei besondere Programme entwickelt, um über den Umbau von Straßen einen Beitrag zum Umweltschutz, zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und nicht zuletzt zur Vorbereitung auf die Folgen des Klimawandels zu schaffen. Die beiden genannten Programme kategorisieren Straßen in Complete Streets und Green Streets mit dem Ziel, positive Aspekte von Straßen miteinander zu verbinden. Das Stadtgebiet von Toronto umfasst ca. 5.600 Kilometer Straßen und befestigte Flächen, die in aller Regel zum Klimawandel beitragen, weil sie sich aufheizen und ihre Versiegelung dazu führt, dass Niederschläge meist direkt in die Kanalisation abgeführt werden. Straßenflächen machen in Toronto etwa ein Viertel der Stadtfläche aus. Nur in New York nehmen die Straßen einen noch größeren Anteil an der gesamten Stadtfläche ein, wie Vergleiche mit Städten in Europa, Nordamerika und Ozeanien zeigen.

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Das Complete Streets Program berücksichtigt eine Vielzahl an Mobilitätsarten unterschiedlichster Nutzer- und Altersgruppen wie Laufen, Radfahren, die Fortbewegung mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit privatem Kraftfahrzeug. Außerdem werden weitere Nutzungen wie Straßencafés, Stadtmöbel (zum Beispiel Bänke, Kioske oder Blumenkübel), ferner Straßenbäume, die Infrastruktur zur Ver- und Entsorgung und nicht zuletzt auch das Regenwasser­management berücksichtigt. Während bei diesem Programm die Mehrfachnutzung eines Straßenraums und damit eine qualitative Verbesserung für die Gesamtheit der Nutzerinnen im Vordergrund stehen, liegt der Fokus bei dem wenig später entwickelten Green Streets Program stärker auf der ökologischen Wirksamkeit von Straßen durch die Integration grüner Infrastruktur. Der Definition nach beinhaltet eine Green Street natürliche und künstlich geschaffene Elemente wie Bäume, bepflanzte Wände und umweltschonende Anlagen zur Ableitung des Regenwassers, die ökologische und hydrologische Funktionen sicherstellen. Im  Gegensatz zu herkömmlichen Straßen, in denen das Regenwasser unverzüglich mitsamt den sich auf versiegelten Oberflächen ansammelnden Verschmutzungen in die Abwasserleitungen und -kanäle geleitet wird, sammeln „grüne“ Straßen das Wasser und stellen es den Pflanzen zur Verfügung. Der Boden dient dabei als natürlicher

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Filter für die Reinigung des Wassers, bevor es versickert oder weitergeleitet wird. Die  Vorteile sind, dass die urbane Vegetation länger vom Regenwasser profitiert, sie sich besser entwickeln kann und mehr Wasser für die Verdunstung zur Verfügung steht, was in der Folge den Wärmeinseleffekt reduziert. Außerdem kann das Regenwasser insbesondere nach Starkregenereignissen über die offenen Versickerungsflächen besser für die Grundwasseranreicherung genutzt werden, was zur Verbesserung der Luftqualität beiträgt und die Luftfeuchtigkeit erhöht. Beispiele sind die begehbare begrünte Dachfläche des Rathauses von Toronto, Straßen- und Parkplatzbegrünungen sowie Straßenbegleitgrün, dessen Böden das Wasser halten und reinigen können. Das Green Streets Program stellt für Planer, Projektentwicklerinnen und die städtische Verwaltung technische Anleitungen zusammen, die die Planung eines nachhaltigen Regenwassermanagements unterstützen. Dabei wird auf eine Auswahl geeigneter Maßnahmen grüner Infrastruktur hingewiesen, die bei einer Neugestaltung oder einem Umbau von Straßen integriert werden sollen. Besonderer Wert wird auf das sich noch in der Entwicklung befindliche Pflanzsubstrat gelegt, das bestimmte Anforderungen wie die Aufnahme großer Niederschlagsmengen erfüllen soll. Ziel ist, dass die grünen Straßen nicht nur attraktiv und funktional sind, sondern auch zu ihrem städtischen Umfeld passen. Ihre Entwicklung hat Vorrang gegenüber den herkömmlichen, weniger multifunktionalen Straßen, denn die Vielfalt der grünen Infrastrukturmaßnahmen sorgt dafür, dass das Regenwassermanagement bereits am Ort des Auftretens beginnen und wirksam werden kann. 21 3

Beispiel einer „vollständigen“ Straße („complete street“), West Donlands. Hier wurde das Athletendorf für die XVII. Panamerikanischen Spiele 2015 gebaut.

Complete Streets und Green Streets

STRASSENBÄUME Straßenbäume zu pflanzen, zu pflegen und sie zu erhalten, ist in Toronto wie in den meisten Städten ein besonders wichtiges Thema und mit dem Klimawandel gleichzeitig auch eine deutlich größer werdende Herausforderung. Toronto hat etwa 10,2 Millionen Bäume, von denen sich 60 Prozent in Privateigentum befinden. Die restlichen 4,1 Millionen Bäume wachsen auf öffentlichen Grundstücken, 6 Prozent des Gesamtbaumbestandes, also ca. 600.000, sind Straßenbäume und nur 1,5 Prozent aller Bäume in der Stadt, 150.000 Exemplare in absoluter Zahl, haben einen Durchmesser von über 30 Zentimetern, gemessen in Brusthöhe. Bäume, insbesondere Straßenbäume, üben für den Ausgleich negativer Folgen des Klimawandels in den Städten wichtige Funktionen aus. Sie verdunsten Wasser über ihre Blätter, was zur Kühlung von durch Bebauung und Versiegelung überwärmten Stadtgebieten beiträgt. Sie spenden Schatten und damit Kühlung für den Boden, der  sich weniger stark aufheizt, als wenn er ständig besonnt würde. Damit wirken Bäume der Erwärmung ihrer direkten Umgebung entgegen und die Menschen profitieren von einem Mikroklima, das für den Aufenthalt im Freien besser geeignet ist. Über ihre Blätter binden Bäume CO2 und Schadstoffe. Bäume, und wiederum besonders Straßenbäume in Innenstädten, sind aber auch den Belastungen durch die Folgen des Klimawandels ausgesetzt. Sie müssen sich an die höheren Temperaturen in den Städten, an unregelmäßiger fallende Niederschläge und vermehrt aufkommende Stürme zu unüblichen Jahreszeiten anpassen, an die länger werdenden Vegetationsperioden und möglicherweise an neu auftretende Schädlinge. Nicht allen Bäumen gelingen diese Anpassungen gleich gut und insgesamt fehlen noch ausreichende Forschungsergebnisse, um schon bei der Artenauswahl und Pflanzung die neuen Herausforderungen berücksichtigen zu können. Laufende Forschungen zu diesem Themenbereich sind vielfältig und betreffen die Eignungen der unterschiedlichen Baumarten und -sorten, Substrate, den Wasserbedarf einzelner Bäume, Pflegemaßnahmen und nicht zuletzt die Notwendigkeit und Dauer von Wasser- und Düngergaben. Die Ergebnisse werden stark von den Orten der Datenerhebungen abhängen und jeweils auf die vorhandenen und zu pflanzenden Bäume einer Stadt neu auszurichten zu sein. Das Ziel ist – und muss sein –, dass Straßenbäume sich über einen langen Zeitraum artgerecht entwickeln können, denn sie brauchen Jahrzehnte, bis sie ausgewachsen sind und ihre Wirksamkeit voll entfalten können. Daher ist nicht nur die Anzahl der Bäume, sondern auch ihre Größe und ihr Gesundheitszustand von großer Bedeutung für ihre Klimawirksamkeit. Wissenschaftliche Studien über die Lebenserwartung von Straßenbäumen treffen zum Teil widersprüchliche Aussagen, die zudem auch nicht auf jede Stadt übertragbar sind. Moll etwa machte Ende des letzten Jahrhunderts mit erschreckenden Zahlen darauf aufmerksam, dass ein Straßenbaum im Zentrum einer amerikanischen Stadt im Mittel nur sieben Jahre überleben kann.

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Die Studie von Lara A. Roman et al. aus dem Jahr 2001 über die Überlebensrate von Straßenbäumen hat mehrere bis dahin vorliegende Untersuchungen aus den USA sowie jeweils eine aus Belgien, England und China zusammengestellt und verglichen. Zusätzlich haben die Autoren auch eigene Untersuchungen unternommen, und zwar an Feldahorn (Acer campestre) in Philadelphia, USA, der über einen Zeitraum von

zehn Jahren gepflanzt wurde. Im Ergebnis kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die angeblich sehr geringen Lebenserwartungen von Straßenbäumen nicht bestätigt werden können. Die jährliche Überlebensrate beträgt zwischen 94,9 und 96,5 Prozent, was bedeutet, dass etwa 5 Prozent der neu gepflanzten Bäume bereits im ersten Jahr nach der Pflanzung absterben. Die geschätzte mittlere Lebenserwartung des Feldahorns wird mit 19 bis 28 Jahren angegeben. Da diese Angaben sich auf die Zeit nach der Pflanzung beziehen und Bäume in der Regel in einem Alter von 12 und mehr Jahren nach Anzucht in der Baumschule gepflanzt werden, beträgt ihre Lebenserwartung im Mittel ca. 35 Jahre. Das ist zwar länger, als Moll behauptete, aber dennoch bedenklich, da die meisten Bäume erst ab diesem Alter ihren arttypischen Wuchs und ihre volle ökologische Wirksamkeit entwickeln. Viele Bäume erreichen dieses Stadium nicht, weil sie nicht gesund altern und am Standort verbleiben können. Wenn die Hälfte der Bäume in diesen „jungen Baumjahren“ schon entfernt und im besten Fall ersetzt wird, kann eine ökologische Wirksamkeit nicht ausreichend erreicht werden. Die Leistung wird sogar immer geringer, da ältere Bäume natürlicherweise sukzessive ausfallen und nur mit jungen Bäumen ersetzt werden können. Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte nur die quantitative Erhöhung von Baumpflanzungen in Städten, insbesondere in Innenstädten sein – jedoch gibt es in den meisten Städten zu wenig Platz, als dass genügend Bäume gepflanzt werden und sich artgerecht entwickeln können. In jedem Fall sind Bäume intensiv zu pflegen und in ihrem Wachstum so gut wie möglich zu unterstützen. Die Kosten dafür sind gut eingesetzt, denn Neupflanzungen von Jungbäumen in kurzen Abständen sind mit Sicherheit immer teurer als eine baumgerechte und kontinuierliche Pflege. Insgesamt wird in Großstädten ein mäßiger bis häufig schlechter Allgemeinzustand der vorhandenen Straßenbäume beobachtet, wobei sich diese Beobachtungen immer auf in der Vergangenheit gepflanzte Bäume beziehen. Nicht überall gab oder gibt es Vorschriften zur Bodenvorbereitung und zur Pflege während der Zeit des Anwachsens sowie während des weiteren Größenwachstums. Inzwischen haben viele Städte, darunter auch Toronto, Leitfäden für die Pflanzung und Pflege sowie für die Arten- und Sortenwahl von Straßenbäumen erstellt. Das Ziel ist in der Regel eine Lebenserwartung von 40 Jahren, damit ein Stammdurchmesser von 40 Zentimetern in Brusthöhe erreicht wird. In Toronto waren bisher 6 bis 10 Kubikmeter Boden oder Substrat pro Baum bei einem Pflanzabstand von 6 Metern üblich; neuerdings werden 20 bis 30 Kubikmeter und ein Pflanzabstand von 10 Metern empfohlen. Weniger Bäume mit größeren Abständen erhöhen die Chance, dass die Bäume gut anwachsen. Die Baumscheiben sind bisher mit 1,25 Quadratmetern sehr klein bemessen. Auf der Basis der neuen Richtlinien werden zur besseren Aufnahme von Regenwasser im Wurzelbereich mindestens 1,5 Quadratmeter oder größere offene Pflanzflächen empfohlen. Die Baumscheiben sollen mit Mulch bedeckt und die Wurzelbereiche mit aufgefangenem Regenwasser bewässert werden. Für Neupflanzungen werden 30 Baumarten empfohlen, einheimische wie auch nichteinheimische. Wenn sich das Klima wie gegenwärtig prognostiziert dahingehend verändert, dass es insgesamt wärmer wird und weniger regelmäßige Niederschläge zu erwarten sind, muss die Auswahl an geeigneten Baumarten entsprechend angepasst werden. Im Folgenden werden zwei Beispiele für eine nachhaltige Entwicklung ehemaliger Gewerbeflächen in Toronto vorgestellt, über die Joe Lobko, Partner des Landschaftsarchitektur- und Urban-Design-Büros DTAH, berichtete. Die Projekte besaßen

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aufgrund ihrer ursprünglichen Nutzung eine jeweils spezifische Gebäude- und Freiflächenstruktur und wurden nach intensiven Planungsprozessen für neue Zwecke umgestaltet. Sie konnten in lebendige Einrichtungen für die Nachbarschaft und die Stadt insgesamt entwickelt werden, wobei die Nachhaltigkeit ein wesentliches Thema der Gestaltung war. Beide Projekte wurden von gemeinnützigen Trägern und mit großem Engagement von Bürgerinnen bei der Finanzierung, der Ausgestaltung des Nutzungsprogramms und administrativen Aufgaben entwickelt.

EVERGREEN BRICK WORKS Das Gelände der ehemaligen Ziegelei liegt im Don Valley, einer der für Toronto typischen Schluchten, und gehört zum Überflutungsgebiet von Don River und Mud Creek. Die 1889 gegründete Fabrik lieferte rund 100 Jahre lang Ziegel für den Bau der vielen Einfamilienhäuser, die für Toronto so charakteristisch sind. Nachdem in den 1980er Jahren die natürlichen Ressourcen weitgehend erschöpft waren und der Tonabbau eingestellt werden musste, wurde das Gelände verkauft. Die Stadtverwaltung wurde nach ihrem Interesse an dem Grundstück befragt, da es aufgrund seiner Lage in einem ökologisch sensiblen Schluchtengebiet hinsichtlich seiner Entwicklungsmöglichkeiten eher als Teil der Parklandschaft des Flusstals angesehen wurde. Doch wegen der ökonomischen Rezession Anfang der 1980er Jahre und weil niemand sich an die schwierige Aufgabe herantraute, Reste einer Tongrube und eines Ziegelwerkes für eine neue Nutzung zu sanieren, unterließ die Stadt es, die Fläche zu entwickeln. Stattdessen übernahm ein privater Bauträger das Gelände mit dem Ziel, ein ausgedehntes neues Wohngebiet darauf zu errichten. Die Fläche wurde teilweise verfüllt und das Baurecht erteilt. In dieser Phase wurde die Bevölkerung der umliegenden Stadtquartiere auf das Projekt aufmerksam und opponierte gegen die Bebauung in diesem sensiblen, überflutungsgefährdeten Flusstal. Der Protest führte schließlich dazu, dass die Stadt eine Enteignung durchführte und das 5 Hektar große und 16 denkmalgeschützte Gebäude umfassende Gebiet zurückkaufte.

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Die Conservation Authority begann, die Tongrube in ein Naherholungsgebiet umzuwandeln, einen sogenannten Steinbruch-Garten. Zu den Maßnahmen zur Schaffung dieses besonderen Parks gehörten die Renaturierung des Mud Creek, die Anlage von Teichen und Wiesen sowie eine Bepflanzung mit einheimischen Bäumen, Sträuchern und Wildblumen. Der Park wurde schnell zu einem beliebten Ausflugsziel und gilt heute als Musterbeispiel für die gelungene ökologische Entwicklung eines Flusstals. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wurden auch die denkmalgeschützten Gebäude auf dem Gelände durch die gemeinnützige Organisation Evergreen Canada in die Entwicklung des Geländes mit einbezogen. Evergreen Canada sieht seine Aufgabe darin, landesweit die Natur in die Städte zurückzubringen und umweltgerechte, gesellschaftlich progressive Stadtentwicklungen zu fördern. Zu den Schwerpunkten gehören Umwelterziehung und Schulhofbegrünungen. Es waren die umfangreichen Pflanzungen im Wassereinzugsgebiet des unteren Don River, die die Organisation auf das Gelände aufmerksam werden ließen. Geoff Cape, der Gründungsdirektor von Evergreen Canada, war überzeugt, dass die Tongrube sich hervorragend dazu eignete, hier ein kommunales Umweltzentrum entstehen zu lassen, in dem neben seiner eigenen weitere ähnlich ausgerichtete Organisationen angesiedelt werden könnten. Seine Vision ist, dass hier eine Drehscheibe für Menschen entsteht, die das Verhältnis zwischen Natur, Kultur und Gesellschaft erforschen und eine grüne Zukunft für

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An der Wand eines alten Gebäudes der Ziegelei, das heute für Märkte und andere Zwecke genutzt wird, ist zu sehen, wie tief die Grube während des Betriebes der Ziegelfabrik war.

Ein Teil Torontos wurde aus den Ziegeln gebaut, die aus dieser Tongrube hergestellt wurden.

Natürliche Vegetation in Verbindung mit Wasser wurde zu einem besonderen Habitat für Tiere und Pflanzen und einem außergewöhnlichen Erholungsort.

Der Niveauunterschied ist trotz teilweiser Auffüllung des Geländes beachtlich, was zu einer Vielzahl von Biotopen und einem eigenen Mikroklima im Tal führt.

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Das Gelände der ehemaligen Tongrube wurde zum Teil aufgefüllt und zu einem Park mit Wegen in natürlicher Vegetation umgestaltet.

Evergreen Brick Works

Toronto und andere Städte planen möchten. Vielfalt ist ein wesentlicher Aspekt der Philosophie von Evergreen Canada, sowohl im Sinne gesunder Ökosysteme als auch einer offenen, nachhaltig wirtschaftenden Gesellschaft. Auf Vielfalt wurde auch bei der organisatorischen Durchführung und der architektonischen wie landschaftsarchitektonischen Realisierung der Ideen geachtet. Evergreen bezog eine Vielzahl von Partnerinnen in das Projekt ein. Beteiligt waren drei Architekturbüros, zwei Landschaftsarchitekturbüros sowie weitere Ingenieure, Ökologinnen, Hydrologen, Umweltpädagoginnen und andere Fachleute. Es war Evergreen wichtig, während der gesamten Projektplanung viele unterschiedliche Sichtweisen zu berücksichtigen und einfließen zu lassen. Die wichtigsten Elemente bei der Entwicklung und Gestaltung dieser Landschaft waren bestimmte natürliche Gegebenheiten einerseits und anthropogene Veränderungen andererseits: Das Spektrum reichte von Wasserwegen, Böschungen und Hangkanten, Pflanzschemata und Gehölzflächen zu Radwegen, einer Straße, einer Schnellstraße, zwei Eisenbahnlinien und einer von einem Wasserkraftwerk ausgehenden Stromleitung.

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Nach der Erstellung der Parkanlage wurde auch der Gebäudebestand wieder nutzbar gemacht, in dem Bewusstsein, dass bereits existierende Gebäude in aller Regel am „grünsten“ sind. Im Mittelpunkt der Fabrikanlage steht das Centre for Green Cities, ein Neubau mit einer LEED-Platinum-Auszeichnung, der in ein Bestandsgebäude eingefügt wurde. Das Gebäude wird als Besucherzentrum, für Ausstellungen und Konferenzen genutzt und präsentiert grüne Technologien. Die Erreichbarkeit des etwas abgelegenen Standortes wurde durch Rad- und Fußweganbindungen in die Stadt verbessert sowie durch die Einrichtung einer Shuttlebus-Verbindung zur und von der nächstgelegenen U-Bahn-Station und durch einen Car-Sharing-Service. Seit seiner Fertigstellung 2010 hat Evergreen Brick Works die in dieses Projekt gesetzten Hoffnungen durchaus erfüllt und sich in der Tat zu einem ökologischen Zentrum für die ganze Stadt entwickelt. Es gibt einen wöchentlichen Bäuerinnenmarkt, ein umfangreiches Umweltprogramm für Kinder und vielfältige Veranstaltungen zur Präsentation lokaler Nahrungsmittel. Jenseits solcher Aktivitäten von eher lokaler Bedeutung finden hier auch Konferenzen und Workshops zu Themen wie die Zukunft der Städte oder die Entwicklung einer grünen Wirtschaft statt.

WYCHWOOD BARNS Das Straßenbahndepot Wychwood Barns nebst zugehöriger Reparaturhalle wurde zwischen 1913 und 1921 im Westen der Innenstadt errichtet und diente dem öffentlichen Personennahverkehr für die wachsende Bevölkerung. Die fünf Hallen wurden direkt nebeneinander gebaut, jede ist 12 Meter breit und 60 Meter lang. Zwei von ihnen bestehen aus einer Stahlrahmen-, drei aus einer Betonrahmenkonstruktion. Von hier aus fuhren bis zu 167 Straßenbahnen auf zehn Linien. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erwies sich die Lage des Depots aufgrund der Entwicklung der Stadt als zunehmend ungünstig. Ab 1980 wurde es in deutlich geringerem Umfang genutzt und Mitte der 1990er Jahre wurde der Betrieb ganz eingestellt, die Fläche lag anschließend brach. Planungsüberlegungen seitens der Stadt, die Hallen abzureißen und das Gelände mit Wohnungen sowie Gewerbe zu bebauen, wurden von den Anwohnern vor allem mit dem Hinweis auf fehlende Parks und Grünflächen abgelehnt. Nach einem positiven Gutachten zur historischen Bedeutung der alten Hallen wurde 2001 die Agentur Artscape engagiert, ein Bürgerinnenbeteiligungsverfahren zu initiieren. Ziel war, mögliche weitere Nutzungen der Hallen im Hinblick auf die Entwicklung eines neuen Parks zu klären. Neben Bürgerorganisationen wurden Architektinnen und Ingenieure in das Vorhaben involviert und Anwohnerinnen zu Ideen und zu ihren Interessen und Wünschen befragt. Ein Vorschlag kam von The Stop Community Food Centre, einer Organisation, die sich um einen besseren Zugang zu gesunder Nahrung für benachteiligte Teile der Bevölkerung bemüht. Sie schlug vor, eine gesamte Halle für die Aktivitäten eines Lebensmittel-Netzwerks zu nutzen, von dem vor allem die Bewohner des umliegenden Stadtteils profitieren würden. Die Halle sollte zur Produktion von Nahrungsmitteln genutzt werden, und es sollten dort außerdem Fortbildungen zum Thema Ernährung, Kochkurse und gemeinschaftliche Mahlzeiten angeboten werden sowie ein Bäuerinnenmarkt stattfinden. Mit diesem Vorschlag wurde das Schwergewicht auf die Entwicklung eines vielfältigen Nachbarschaftszentrums gelegt, bei dem Nachhaltigkeit als zentrales verbindendes Thema der weiteren Entwicklungsplanung fungierte. Artscape schlug nach vielen 9

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Die alte Ziegelei im Don Valley, heute Evergreen Brick Works, vor der Kulisse des Stadtzentrums.

In diesem Garten des Geländes der Evergreen Brick Works lernen Kinder das Gärtnern auf spielerische Weise.

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Wychwood Barns, das ehemalige Straßenbahndepot, ist heute ein Nachbarschaftszentrum mit Markt und Anbau von Gemüse und Obst sowie ein Ort für Künstler.

Markttag zwischen den Hallen, in denen früher Straßenbahnen abgestellt wurden.

Neben den Marktständen wird von unterschiedlichen Nachbarschaftsgruppen Gemüse angebaut.

Auch voll ausgestattete Gewächshäuser stehen für den Anbau von Lebensmitteln zur Verfügung.

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Diskussionen und Beteiligungsrunden schließlich vor, dass vier Hallen vollständig und eine teilweise – als Element des zu gestaltenden Parks – erhalten bleiben sollten. Die besondere Chance wurde darin gesehen, das Gelände auf der Basis der als resilient eingeschätzten Strukturen zu entwickeln. Das Konzept sah schließlich vor, in der ersten, an der Straße liegenden Halle, ein Atelierhaus mit Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten für Künstler sowie eine Galerie einzurichten. Die zweite Halle blieb in ihrer Nutzung offen und dient in Form einer „überdachten Straße“ unter anderem als Durchgang und Marktplatz. Die dritte Halle wird für Nachbarschaftsveranstaltungen genutzt, die vierte ist die „Grüne Halle“, mit einem Gewächshaus für den Gemüseanbau, einem geschützten Gartenbereich und mit Platz zum Kochen, Lernen und für Gemeinschaftstreffen. Die fünfte Halle wird für den Bäuerinnenmarkt und als Erweiterung des Parks genutzt, der sich westlich, südlich und östlich der Hallen erstreckt. Nachhaltigkeit wird durch Energieeinsparmaßnahmen, einen reduzierten Wasserverbrauch, die angemessene Nutzung vorhandener Baustrukturen und eine umfassende Grünplanung erreicht. Im Park wurde eine Geothermieanlage mit 50 Brunnenpunkten im Raster von 6 Meter Abstand und mit einer Tiefe von 120 Metern installiert, die einen großen Teil des Bedarfs an Wärme und Kühlung abdeckt. Auf den ca. 0,4 Hektar großen Dachflächen wird Regenwasser gesammelt, das für die Toilettenspülungen ebenso wie für die Bewässerung des Parks, der Gärten und des Gewächshauses verwendet wird. Außerdem wurde untersucht, an welchen Stellen eine Isolierung der Gebäudewände sinnvoll ist. Seit ihrer Eröffnung im Herbst 2008 haben die Wychwood Barns sich zu einer lebendigen Einrichtung entwickelt, deren Wirkung weit über die unmittelbare Nachbarschaft ausstrahlt. Insbesondere der wöchentliche Bauernmarkt und der Eigenanbau von Lebensmitteln ist im multikulturellen Toronto auf fruchtbaren Boden gefallen und hat zu lebhaften Diskussionen über Gesundheit, Wohlbefinden und die allgemeine Lebensqualität in Kanadas größtem urbanen Ballungsraum geführt. Darüber hinaus haben sich weitere Nutzungen ergeben, die während der Planung nicht vorhersehbar waren. Artscape schreibt, dass das Projekt eine intensive Debatte über die Aufgaben eines städtischen Parks und die Möglichkeiten einer Nachnutzung vorhandener Gebäude bewirkt habe. Das Sanierungsprojekt bekam 2010 die erste LEED-Gold-Zertifizierung in Kanada, die einem denkmalgeschützten Gebäude verliehen wurde.

URBANE LANDWIRTSCHAFT Unser Besuch der Wychwood Barns fand an einem Tag statt, an dem Joe Nasr, einer der Autoren des viel beachteten Buches Carrot City, mehrere Projekte der urbanen Landwirtschaft vorstellte, die von Akteurinnen vor Ort erläutert wurden. Neben dem zu den Wychwood Barns gehörenden Projekt haben wir in Toronto auch den Garten des Regent Park Community Food Centre und die Black Creek Community Farm kennengelernt. Obwohl Kanada zu den reichen Ländern zählt, ist der Zugang zu Lebensmitteln von guter Qualität nicht für alle Einwohner gesichert und erschwinglich, so dass diese Einrichtungen für viele Bürgerinnen eine große Bedeutung haben. Das bereits erwähnte Buch Carrot City von Joe Nasr, June Komisar und Mark Gorgolewski,

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Joe Nasr, Gründer des Projektes Carrot City, und Ashrafi Ahmed, Verantwortliche für die urbane Landwirtschaft im neu gebauten Stadtviertel Regent Park, erläutern das Projekt.

Gemeinschaftsgärten, Community Food Centre, in Regent Park.

Hochbeete für Senioren in der Black Creek Community Farm.

Auch Pilze werden kultiviert und den Menschen wird das Wissen für den Anbau sämtlicher Lebensmittel vermittelt.

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Ernte im Herbst, die an die Menschen der Nachbarschaft weitergegeben wird.

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das 2011 erschien, zog damals weit über Kanada hinaus Aufmerksamkeit auf sich. Es ist eine Sammlung von Ideen und Projekten, wie eine nachhaltige Lebensmittelproduktion wieder in die Städte integriert werden kann. Dazu werden 40 wegweisende Beispiele vorgestellt, die zeigen, wie Stadtplanung, Landschaftsarchitektur und Architektur eine ökologische urbane Landwirtschaft auf visuell und künstlerisch interessante Weise ermöglichen und befördern können. Auf der Website zum Buch wurde eine allgemein zugängliche Datenbank zu weiteren Projekten weltweit geführt, außerdem erstellten die Autoren eine Wanderausstellung, die auch in Europa und Nordafrika gezeigt wurde. Der Erfolg von Carrot City war so groß, dass in die Datenbank heute nur noch neue Projekte in Toronto aufgenommen werden. Dieses Projekt zeigt, dass urbane Landwirtschaft nicht nur der besseren, oftmals solidarischen Versorgung der Bevölkerung mit Obst, Gemüse und anderen gesunden Lebensmitteln dient, sondern dass sie auch einen wichtigen Beitrag gegen negative Auswirkungen des Klimawandels leistet, sei es durch die zusätzlichen Pflanzen, die bei Trockenheit ständig bewässert werden müssen, und die damit einhergehende höhere Verdunstung, durch eine besondere Nähe zu und Aufmerksamkeit für Pflanzen seitens der Beteiligten oder durch die Entsiegelung von Flächen bzw. das Aufstellen von Pflanzcontainern auf versiegelten Flächen. 31 20

Gewächshäuser der Black Creek Community Farm.

Urbane Landwirtschaft

SIDEWALK LABS UND DAS QUAYSIDE-PROJEKT Um die früher industriell genutzten und danach vernachlässigten Uferzonen entlang des Ontariosees in ein lebendiges urbanes Stadtgebiet zu verwandeln, gründete die Stadt Toronto im Jahr 2000 die Entwicklungsbehörde Waterfront Toronto. Als deren Ziel wurde definiert, eine 800 Hektar große Brachfläche innerhalb von 25 Jahren zu einem nachhaltigen und in seiner sozialen Struktur und seinen Nutzungen gemischten Baugebiet mit einem hohen Anteil an öffentlichen Flächen zu entwickeln. Auf einem Teil des Uferbereiches soll der neue Stadtteil Quayside angelegt werden. Die Ausschreibung für die Planung des neuen Stadtquartiers gewann 2017 das Startup Sidewalk Labs, eine Tochter des Google-Mutterkonzerns Alphabet. Sidewalk Labs setzte sich gegenüber seinen Konkurrentinnen mit einer Initiative für eine Smart City durch. Die 2017 vielversprechend begonnene Planung musste jedoch im Mai 2020 aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie und der dadurch verursachten wirtschaftlichen Unsicherheiten abgebrochen werden. Bis dahin hatte Sidewalk Labs sich planerisch mit wichtigen aktuellen Fragen des Städtebaus befasst, insbesondere mit der Bezahlbarkeit von Wohnraum und Nachhaltigkeit. Trotz der Einstellung des Quayside-Projekts will das Unternehmen seine Arbeit zu diesen Themen fortführen. Für das 5 Hektar große Gebiet wurden mit neuen Holzbautechniken erstellte Gebäude, autonom fahrende Verkehrsmittel, eine intelligente Müllsammlung mittels eines Luftdrucksystems, Luftqualitätsmessungen sowie beheizte und auf Bodenhöhe beleuchtete Straßen und ein öffentliches WLAN geplant, ferner eine große Zahl an Kameras und Sensoren zur Beobachtung des Verkehrs und des öffentlichen Raums. Die letztgenannte Technik hatte allerdings Konflikte mit Bürgerinitiativen ausgelöst, da sie Fragen zum Datenschutz aufwirft. Intelligente Systeme nutzen häufig Daten der Nutzenden, wobei deren weitere Verwendung bekanntermaßen nicht immer ausreichend nachvollziehbar ist. Die neuartigen Lösungen für bezahlbaren Wohnungsbau, verbesserte Mobilität und die Bewältigung der Folgen des Klimawandels, die Sidewalk Labs für Quayside entwickelt hat, richten sich auf Herausforderungen, die Toronto insgesamt und viele weitere Städte in der ganzen Welt betreffen. Über die eigene Forschung zu nachhaltig gebauten Städten (von bisher noch überschaubarer Größe) hat Sidewalk Labs in den letzten Jahren eine Ausstellung sowie Vortragsreihen und weitere Veranstaltungen organisiert. In der Ausstellung wurden die Ergebnisse mit Hilfe von Tafeln, Bildern und dreidimensionalen Videos gezeigt und erläutert. Ferner wurde zur Demonstration der Planungsabsichten eine computerunterstützte Visualisierung erstellt, die eine um virtuelle Aspekte erweiterte reale Welt (Augmented Reality) zeigt und so eine bewegte Anschaulichkeit erzeugt.

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Unter Klimagesichtspunkten besonders interessant sind Forschungen zum Bauen aus Holz. Für die Nachhaltigkeit von Städten wird die Verwendung von Holz als Baustoff insbesondere dann relevant, wenn auch vielstöckige Häuser und Hochhäuser auf neue Weise aus Holz errichtet werden. Massivholz wirkt gegenüber Stahl und Beton als Kohlenstoffsenke, denn Letztere benötigen zur Herstellung sehr viel Energie und wirken sich schon dadurch negativ auf das Klima aus. Einer von Nature vom Mai 2018 veröffentlichten Studie zufolge könnte die Bauindustrie ihre weltweiten Kohlenstoffemissionen um bis zu 31 Prozent reduzieren, wenn Beton und Stahl durch Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern ersetzt würden.

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Ein Teil der Ausstellung von Sidewalk Labs Toronto mit Darstellung zukünftiger Stadtentwicklung.

Virtual-Reality-Darstellung eines Wärmepilzes für einen angenehmen Aufenthalt im Freien während des Winters.

Sidewalk Labs und das Quayside-Projekt

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Der Plan für das Entwicklungsgebiet Quayside von Sidewalk Labs.

Das Gelände am westlichen Rand der Innenstadt am Ufer des Ontariosees, an dem Quayside entstehen sollte, nahe der Einmündung des Don.

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Das Zentrum des Gebietes Quayside Ungewöhnliche Visualisierung in Visualisierungen für die Situation im eines Regenwettertages für das Sommer und im Winter. Entwicklungsgebiet, dessen weitere Planung beendet wurde.

Sidewalk Labs und das Quayside-Projekt

Sidewalk Labs arbeitete außerdem an einem Konzept für bezahlbareren Wohnraum dank einer modular gegliederten Baustruktur, die den sich ändernden Bedürfnissen der Bewohnerinnen und der Gesellschaft angepasst werden kann. Der Bau solcher Gebäude soll schneller und deutlich preiswerter als herkömmliches Bauen werden, dabei trotzdem kreative Architektur zulassen. Die Module bestehen aus vorgefertigten Teilen, die vor Ort ohne umfangreiche Vorbereitungen zusammengebaut werden können. Die Etagen sind flexibel nutzbar konzipiert. Dank des Ein- oder Ausbaus von Wandmodulen sind sie leicht veränderbar und können als Wohnungen, Büros, Geschäfte und für andere Zwecke genutzt werden. So lassen sich etwa mehrere kleinere Wohnungen zu einer größeren zusammenlegen, damit größer werdende Familien am Ort wohnen bleiben können. Dies unterstützt nicht nur eine natürliche und kontinuierliche Entwicklung eines Stadtteils, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass Nachbarschaften in Bezug auf Faktoren wie Einkommen der Bewohner, Wohnungsgröße und Art der Nutzung divers bleiben, ferner, dass viele Dinge des täglichen Lebens zu Fuß erreichbar sind. Ziel dieser Form des Urban Design ist eine integrierte Stadtgesellschaft. Die Straßen, die Sidewalk Labs entworfen hat, sind sogenannte people-first streets. Ob Fußgängerinnen oder Autofahrer, die Menschen sollen sich auf den städtischen Straßen sicher fühlen. Beispiele für die technischen Innovationen, die zum Tragen kommen sollen, sind mit Kameras ausgerüstete Ampeln, die reagieren, wenn ein Mensch nur langsam die Straße überqueren kann, und die Grünphase entsprechend verlängern, oder Straßenbeläge, die im Winter beheizt werden können, um schneeund eisfrei zu sein und sicheres Fahren zu ermöglichen. Autonome Fahrzeuge kommen als öffentliche Verkehrsmittel zum Einsatz. Je nach Bedarf bieten sie einen Shuttle-Service oder eine gemeinschaftliche Nutzung an. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die derzeitigen Probleme des autonomen Fahrens überwunden werden und höchste Sicherheit gewährleistet werden kann. Entfällt der Parkplatzbedarf für private PKWs, verändert sich die Nutzung des Straßenraums. Parkstreifen entlang der Straßen könnten als Fußwege, heutige Bürgersteige als Platzflächen für Restaurants, Märkte und weitere Aufenthaltsmöglichkeiten genutzt werden. Ungeachtet der Einstellung des Quayside-Projekts, arbeitet Sidewalk Labs weiter an seinen Plänen für eine innovative Stadt, die in puncto urbane Mobilität, öffentliche Gesundheitsvorsorge und neue Infrastrukturen die Türen zur Zukunft aufstößt. Toronto hat bisher in hohem Maße die Erwartungen und Hoffnungen erfüllt, die viele mit gesellschaftlicher Diversität und einer aktiven Beförderung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien verbinden. Die größte kanadische Stadt hat bereits jetzt viele interessante Möglichkeiten aufgezeigt, wie eine offene, multikulturelle und demokratische Gesellschaft dem Klimawandel mit Freude, Kreativität, viel Elan und Achtsamkeit begegnen kann. Ob es um Strategiepläne zur Anpassung an den Klimawandel und die Abmilderung der negativen Auswirkungen geht oder um die gleichzeitige Berücksichtigung der Gesundheit der Bevölkerung und die Unterstützung von Nachbarschaftsinitiativen für eine gute Lebensmittelversorgung – Toronto belegt eindrucksvoll, dass es die Herausforderungen angenommen hat und nun erst recht viel Wert auf Umwelt- und Klimaschutz legt, wie auch auf eine sozial nachhaltige, solidarische Stadtgesellschaft.

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„By Sea, Land, and Air We Prosper“ – „Zu Wasser, zu Lande und in der Luft schaffen wir Wohlstand“ –, so lautet der Wahlspruch Vancouvers. Die Hafenstadt an der kanadischen Westküste wurde am 6. April 1886 gegründet und bekam ihren Namen zu Ehren von George Vancouver, einem Offizier der britischen Royal Navy, der Ende des 18. Jahrhunderts die Ostküste der heutigen USA und Kanadas erforschte und vermaß. Die Stadt liegt im Südwesten der Provinz British Columbia, an der Straße von Georgia, einem Meeresarm, der durch die vorgelagerte Insel Vancouver Island vom Pazifik abgeschirmt wird. Im Norden und Osten Vancouvers erheben sich die Rocky Mountains, im Süden stößt die Stadt an die kanadisch-amerikanische Grenze. Im Stadtgebiet wohnen rund 630.000 Einwohner, Greater Vancouver, die drittgrößte Metropolregion Kanadas, hat eine Bevölkerung von 2,65 Millionen Menschen. Wasserwege spielen in Vancouver eine zentrale Rolle für die Wirtschaft und sie tragen auch zu Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen bei. Zum Stadtgebiet gehört auch ein Meeresarm, der 2 Kilometer lange False Creek. Vancouver verfügt außerdem über eine große Anzahl von Parks und Gärten, die zusammen mit einer Fläche von 1.300 Hektar etwa 11 Prozent der Stadtfläche ausmachen. Der größte unter ihnen, der Stanley Park, ist mit einer Fläche von 404 Hektar einer der größten Stadtparks Nordamerikas. Die Bewahrung vieler Grünflächen im Zuge der Ausdehnung der Stadt zu einer großen Metropole ist auch Folge einer traditionell politisch progressiven Ausrichtung der Bürgerschaft. Bürgerinneninitiativen und politische Bewegungen haben sich hier schon oft für Umwelt- und Naturschutz, eine am Gemeinwohl orientierte Stadtplanung, Armutsbekämpfung und demokratische Mitbestimmung auf lokaler Ebene eingesetzt. Es ist vermutlich kein Zufall, dass 1971 in Vancouver Friedens- und Umweltaktivisten die heute international agierende und weltweit bekannte Umweltorganisation Greenpeace gründeten. Mit der Weltausstellung von 1986 begann eine Phase reger Bautätigkeit, die bis heute fast ohne Unterbrechungen anhält. Das Gelände der sehr erfolgreichen und bisher letzten Weltausstellung in Nordamerika lag am nördlichen Ufer des False Creek, es war zuvor eine Industriebrache gewesen. Nach der Weltausstellung wurde das Gebiet um den False Creek als eins der größten Stadtentwicklungsgebiete Nordamerikas zu einem beliebten und hochverdichteten Wohngebiet am Rand der Innenstadt. Am Südufer wurde das Olympische Dorf für die Winterspiele 2010 gebaut. Die Einwanderergesellschaft Kanadas ist auch in Vancouver sichtbar. Nach Einwanderinnen aus Europa und deren Nachkommen bilden mit fast 30 Prozent Menschen chinesischer Abstammung die zweitgrößte ethnische Bevölkerungsgruppe. Einwanderer aus China kamen zuerst während des Goldrauschs und für den Bau der transkontinentalen Eisenbahn im 19. Jahrhundert, zu einer zweiten Welle kam es in den 1980er und 1990er Jahren vor der Übergabe Hongkongs an China. Heute sind 20 Prozent der Landwirtinnen in der Region Vancouver Einwanderer aus China. Sie erzeugen ein breites Spektrum typischer chinesischer Lebensmittel. Auch andere ethnische Gruppen in Vancouver nutzen sichtbar ihre Gärten für den Gemüseanbau, aus China stammende Einwanderinnen bzw. deren Nachkommen verwenden manchmal dafür sogar die Flächen ihres Vorgartens und des öffentlichen Grüns entlang des Bürgersteigs. Andere private Vorgärten sind mit eher ungewöhnlichen Pflanzen ausgestattet und fungieren als sinnvolle Ergänzung des Stadtgrüns. Da privates und wohnungsnahes Grün in der Regel besser gepflegt und bewässert wird, bildet es ein wichtiges Bindeglied der grünen Infrastruktur. 38 1 (vorige Seite)

Das Zentrum Vancouvers mit dem Freizeithafen.

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Erweiterung des Vorgartens mit dem Anbau von Bohnen.

Gemüseanbau vor dem Vorgarten.

Die malerische Kulisse der Stadt vor den schneebedeckten Bergen im Hintergrund.

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Auch Zierpflanzen können den Bürgersteig beschatten und für ein angenehmes Klima für Fußgängerinnen sorgen.

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Neben einer in Bezug auf die Umwelt maßvollen, mitunter klugen Stadtentwicklung und einer liberalen Stadtgesellschaft sind es die geografische Lage und das Klima, die Vancouver zu einer der Städte mit der weltweit höchsten Lebensqualität machen. Vancouver ist von imposanten und wenig beeinträchtigten Naturlandschaften umgeben, die Stadt hat sowohl Strände als auch nahe gelegene Berge und erfreut sich ganzjährig eines für kanadische Verhältnisse milden Klimas. Im Gegensatz zu den übrigen Großstädten Kanadas mit kontinentalem Klima, das sehr kalte und schneereiche Winter sowie heiße Sommer mit sich bringt, sorgt das maritime Klima in Vancouver für vergleichsweise ausgeglichene Jahreszeiten. Aufgrund ihrer Lage in einer feucht-gemäßigten Zone gibt es weder lange Trockenperioden noch eine ausgeprägte Schneedecke. Die Durchschnittstemperaturen liegen im Winter bei 6  bis 8 °C, im  Sommer bei 21 bis 23 °C, die Sonnenscheindauer beträgt im Jahresmittel etwa sechs Stunden. Die Luftfeuchtigkeit liegt im Jahresdurchschnitt bei 80 Prozent. Die durchschnittliche Wassertemperatur des Meeres beträgt nur 11,1 °C, selbst der Höchstwert bleibt unter 18 °C. Der Niederschlag fällt ganzjährig als Regen mit einer Jahressumme von 1.580 Millimetern, von Mai bis August ist der monatliche Niederschlag mit unter 25 Millimetern niedrig, von Oktober bis Februar liegt er über 75 Millimeter. Im Jahresdurchschnitt gibt es 13,4 Regentage monatlich, im Winter sind es im Mittel 20, im Sommer sechs bis zehn Tage. Im Vergleich zu anderen Orten in Kanada hat Vancouver damit fast drei Regentage mehr. In den nahen Bergen fällt der Niederschlag im Winter als Schnee und ermöglicht den Einwohnern Wintersport. Die Schneeschmelze im Frühjahr verläuft eher langsam und versorgt Vancouver mit Trinkwasser.

AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Im Januar 2019 nahm der Stadtrat von Vancouver einen Antrag an, der die globale Klimakrise bestätigt und außerdem anerkennt, dass die Stadt mehr tun muss, um auf diesen Notstand zu reagieren. Als Küstenstadt sind der Anstieg des Meeresspiegels und Überschwemmungen zwei der größten Herausforderungen für die Anpassung an den Klimawandel, denen sich Vancouver stellen muss. Beobachtet und mittels Prognosen erfasst wird der Klimawandel für Vancouver und Umgebung bereits seit vielen Jahren. Schon 2012 wurde der erste Klimaanpassungsplan verabschiedet, im Jahr 2020 wurde dieser Plan fortgeschrieben. Praktische Informationen über die physikalischen Auswirkungen von Klimaschwankungen und -änderungen in der Pazifikregion Kanadas werden vor allem vom Pacific Climate Impacts Consortium (PCIC) zur Verfügung gestellt. Das PCIC ist als regionales Klimadaten-Informationszentrum an der University of Victoria angesiedelt. Es arbeitet mit Klimaforscherinnen und regionalen Interessengruppen zusammen und unterstützt mit seinen Ergebnissen langfristige Planungen.

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Die Daten, die das PCIC über seine Webseite (PCIC Climate Explorer) veröffentlicht, basieren auf globalen, standardisierten Klimasimulationen mit weitgehend standardisierten Randbedingungen (CMIP5). Täglich berechnete Klimaszenarien haben eine Auflösung von ca. 10 Kilometern für den Zeitraum von 1950 bis 2100 (BCCAQv2). Außerdem werden auf der Basis jährlicher oder monatlicher Statistiken Indizes für Klimaextreme berechnet (CLIMDEX). Sie können als Diagramme oder Karten visualisiert und heruntergeladen werden. Klimaänderungen beziehen sich auf die

Vergleichswerte der Basisperiode von 1961 bis 1990. (Dreißigjährige Zeiträume sind als Perioden in der Meteorologie üblich. Der genannte Zeitraum wird üblicherweise als Vergleichszeitraum angegeben, da der Klimawandel hier noch nicht als besonders relevant angesehen wird und der folgende von 1991 bis 2020 noch nicht vollständig ausgewertet ist.) Veränderungen der Temperaturwerte, des Niederschlags und weiterer abgeleiteter Klimawerte werden gegenüber der Basisperiode für die 2050er Jahre, als Mitte der neuen 30-jährigen Periode von 2040 bis 2069, und für die 2080er Jahre für die Region British Columbia berechnet. Dabei werden die Mittelwerte sowie Schwankungen darunter und darüber angegeben. Ähnlich wie der PCIC Climate Explorer erzeugt die Website Plan2Adapt auf derselben Datenbasis des PCIC Karten, Diagramme und Daten, die die zukünftigen regionalen Klimabedingungen in British Columbia beschreiben. Anhand dieser Daten kann der Klimawandel auf gleicher Basis und mit gleichen Kriterien bewertet werden. Die einfachere Benutzeroberfläche ist für die Bedürfnisse von Akteurinnen ausgerichtet, die sich in lokalen und regionalen Planungsgremien engagieren.  limate Die Modellrechnungen für die Folgen des Klimawandels, auf denen die C Change Adaptation Strategyvon 2012 beruht, ergaben, dass im Raum Vancouver die Veränderungen bis in die 2050er Jahre moderat bleiben, sich aber in den 2080er Jahren eine starke Klimaveränderung einstellen wird. Bis in die 2050er Jahre sehen die Vorhersagen einen Anstieg der Temperaturen voraus, eine Verlängerung der Vegetationsperiode um 15 Prozent und eine Abnahme der Anzahl der Frosttage um 72 Prozent; ferner wird prognostiziert, dass die Schneeschmelze zu einem früheren Zeitpunkt im Jahr einsetzt und im April die durchschnittliche Regenmenge um 20 Prozent höher ausfallen wird. Entsprechend dieser Entwicklung werden im Sommer die Maximaltemperaturen höher sein und Hitzewellen häufiger auftreten. Die Anzahl der Tage mit Temperaturen über 25 °C verdoppelt sich, was unter anderem zur Folge hat, dass gefährdete Personen einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind. Es wird außerdem für die Sommerperiode eine Abnahme der Regenfälle um 20 Prozent vorhergesagt, so dass längerfristig mit Einschränkungen beim Wasserverbrauch zu rechnen ist. Im Herbst werden Starkregenereignisse um 35 Prozent häufiger auftreten und es muss mit einer Steigerung der Regenmenge um 21 Prozent gerechnet werden. Damit würde das Überflutungsrisiko steigen. Die Winter werden laut Prognosen wärmer ausfallen und es wird eine Abnahme der Schneedecke in der Region um 58 Prozent geben. Da der größte Teil des Trinkwassers der Region aus der Schneeschmelze der nahe gelegenen Berge gewonnen wird, bedeutet eine geringere Schneehöhe – und ein schnelleres Abschmelzen durch höhere Temperaturen – eine deutliche Erhöhung der Gefahr von Sommerdürren. Die Minimumtemperaturen werden sich um 4,8 °C erhöhen, dadurch wird der Bedarf an Heizwärme um 29 Prozent reduziert. Aufgrund von höheren Tiden und Stürmen kommt es zu vermehrten Überschwemmungen an der Küste. Auch der für Vancouver aufgrund des Abschmelzens des westantarktischen Eisschildes bis 2050 vorausgesagte Anstieg des Meeresspiegels, der auf 0,5  Meter berechnet worden ist, trägt zu einem erhöhten Risiko für Überflutungen bei. Nicht nur Wohngebiete sind dadurch bedroht, sondern auch sensible Küstenhabitate bestimmter Vögel und Fische. Die Climate Change Adaptation Strategyvon 2012 ist ein Beispiel dafür, dass in einer Demokratie mit funktionierenden Institutionen politische Beschlüsse auch umgesetzt werden. Seit 2012 wurden mehr als 50 Maßnahmen initiiert, darunter die

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Auswirkungen des Klimawandels

Bewertung von Hochwasserrisiken an der Küste, Pläne und Pilotprojekte zur Anpassung der Entwässerung, ein Aktionsplan für die städtischen Wälder und die Pflanzung von Bäumen in von Hitze vorrangig betroffenen Stadtgebieten. Im Jahr 2018 wurde die Strategie zur Anpassung an den Klimawandel überarbeitet und um neue Maßnahmen erweitert, für deren Realisierung in vielen Fällen das Fachwissen und der Einsatz der Landschaftsarchitektur gefragt sind. Zu den vorrangigen Themen zählt die Schaffung einer klimaresistenten Infrastruktur, hier bilden Regenwassermanagement und grüne Infrastruktur die Schwerpunkte. Bei den Grün- und Naturräumen stehen die Umstellung der Entwicklung städtischer Wälder von einem reaktiven zu einem proaktiven Vorgehen an sowie der Boden- und Gewässerschutz. Außerdem ist der Küstenschutz ein wichtiges Thema. Bereits 2020 wurden die Strategiemaßnahmen erneut weiterentwickelt. Diesmal wurden zusätzlich Projekte zur Erhöhung der Resilienz gegenüber Klimaereignissen in die Pläne aufgenommen. Ein Beispiel ist der Umbau einer Straße mit durchlässigem Pflaster, unterirdischen Wasserspeichern und einer speziellen Baumbepflanzung. Für  die Grün- und Naturräume wurde die Ausdehnung von Baumpflanzungen beschlossen (seit 2011 wurden bereits 150.000 Bäume gepflanzt), eine Biodiversitätsstrategie in Kraft gesetzt, Vorsorge gegenüber Waldbränden für den Stanley Park getroffen, eine Strategie für das Pflanzen von Straßenbäumen erarbeitet und der natürliche Waldbau gefördert. Für den besonders gefährdeten Bereich des False Creek wurde 2020 ein neues sogenanntes Fokusprojekt, SEA2CITY, entwickelt. Ab 2021 will die Stadt mit Bürgern zusammenarbeiten, um eine Zukunftsvision für das Jahr 2050 – und den Weg dahin – zu erarbeiten, den False Creek Coastal Adaptation Plan. Die Ergebnisse sollen anschließend in den Vancouver Plan eingearbeitet werden.

GREENEST CITY – DIE GRÜNSTE STADT Im Jahr 2009 verkündet die Stadtverwaltung von Vancouver das ehrgeizige Ziel, bis 2020 die grünste Stadt der Welt zu werden. Zwei Jahre später wurde der Greenest City Action Plan in Kraft gesetzt. Mit diesem Plan können auch Klimaziele verbunden sein, daher unterstützt das Programm die Bemühungen zur Anpassung an den

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Die erreichten Ziele des Greenest City Action Plan 2018als Angaben auf einem Aushang im Rathaus. 7

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Urbanes Gärtnern vor dem Rathaus von Vancouver. Die Beete sind zugeteilt, der Zugang und der Aufenthalt sind offen für alle Bürger.

Klimawandel. So sollen die Treibhausgasemissionen der Stadt um 5 Prozent unter das Niveau von 1990 gesenkt werden, obwohl die Bevölkerung in den seither vergangenen 30 Jahren um über 27 Prozent gewachsen und die Zahl der Arbeitsplätze um mehr als 18 Prozent gestiegen ist. Bei Gebäuden sollen die CO2-Emissionen so gesenkt werden, dass sie 20 Prozent unter den Werten von 2007 liegen, und alle Gebäude, die ab 2020 gebaut werden, müssen im Betrieb klimaneutral sein. Da die Bewohnerinnen der Stadt fast 90 Prozent ihrer Zeit innerhalb von Gebäuden verbringen, ist das Beheizen für die Reduktion der Emissionen ein wichtiger Punkt. Für die Stromerzeugung werden in British Columbia bereits heute zu 93 Prozent erneuerbare Energien genutzt, ein Bereich, der weiter ausgebaut werden soll und in dem neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Auch der Verkehr soll umweltfreundlicher werden. Dafür sollen Nachbarschaften dichter bebaut und mit einer Mischung aus Wohnen, Arbeit, Einzelhandel und Einrichtungen für die Freizeitgestaltung ausgestattet werden. Statt neue Straßen zu bauen, sollen bevorzugt Infrastrukturen für Fußgänger und Radfahrerinnen sowie öffentliche Verkehrsmittel ausgebaut werden. Weitere Ziele des Plans betreffen diverse Aspekte, die alle unter dem Begriff Green City aufgezählt werden: Vermeidung von Abfall, Zugang zur Natur, sauberes Wasser, die Erhöhung lokal erzeugter Lebensmittel um 50 Prozent gegenüber 2010, Luftreinhaltung, eine „grüne“ Wirtschaft und eine Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks um 33 Prozent gegenüber 2006. Auch wenn eine grüne Stadt als plakatives Ziel sehr eingängig sein kann, werden im Falle Vancouvers mit der Farbe Grün eine derart große Vielzahl an Zielen verknüpft, dass die Gefahr besteht, dass das übergeordnete Ziel allzu unkonkret wird. Im Zusammenhang mit einer Green City wird in der Regel vor allem die Verbesserung der grünen Infrastruktur und ihre Vernetzung mit der grauen Infrastruktur sowie der Zugang der Bevölkerung zu diesen natürlichen und naturnahen Flächen erwartet. Weitere Aspekte wären beispielsweise der hohe Ressourcenverbrauch für Neubauten, die Notwendigkeit von klimaausgleichenden Grünflächen vor allem in dicht bebauten Stadtgebieten und die Notwendigkeit, für attraktiven Radverkehr auch die passende Infrastruktur zur Verfügung stellen zu müssen.

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MILLENNIUM WATER OLYMPIC VILLAGE, FALSE CREEK Bei der Entscheidung für die Olympischen Winterspiele 2010 spielte der Aspekt der Nachhaltigkeit für das Vancouver Organizing Committee eine zentrale Rolle. Die Spiele sollten nicht nur wirtschaftlich solide, sondern auch sozial und ökologisch verantwortlich geplant und durchgeführt werden. Ein Beispiel für diese Ansprüche, das für Stadtplaner und Landschaftsarchitektinnen bis heute vorbildlich ist, sind die Vorgaben für das Olympische Dorf in False Creek, das nach den Spielen als Wohngebiet weiter genutzt werden sollte. Die Forderung an die Planer war, dass über das verfügbare Regenwasser hinaus kein Tropfen Trinkwasser für die Bewässerung der Pflanzen in den Freiräumen verwendet werden darf. Das Ergebnis ist eine den Freiraum mit der Architektur verbindende Regenwasser-Sammelanlage. Diese speichert das Regenwasser aller Hausdächer des Wohngebietes und aller befestigten Flächen in großen Zisternen, die sich in den untersten Etagen der Tiefgaragen befinden. Das gespeicherte Regenwasser steht für die Wasserelemente in den Freiräumen wie Teiche, Springbrunnen etc., für die Bewässerung der Grünanlagen sowie für die Toilettenspülungen in den Wohnungen zur Verfügung. Einige Häuser wurden zudem mit einem vergrößerten Dach versehen, ähnlich einem umgekehrten Schirm, der zusätzlich Wasser auffangen kann. Die Ingenieurinnen und Planer hatten zu berücksichtigen, dass in Vancouver deutlich mehr Regen im Winterhalbjahr (Oktober bis März) als im Sommerhalbjahr (März bis Oktober) fällt. Die Nutzung des gesammelten Regenwassers ist daher so geregelt, dass im Winterhalbjahr, das heißt bei häufigen Niederschlägen, der Zisterneninhalt regelmäßig für die Toilettenspülungen der Wohnungen verwendet wird, da wenig oder kein Bedarf an Wasser zur Bewässerung und zum Betrieb von Wasserelementen in den Außenanlagen besteht. Im Sommer hingegen wird das Wasser aus den Zisternen für die Grünflächenbewässerung und Wasseranlagen der Freiräume genutzt, die mit den Zisternen durch einen Wasserkreislauf verbunden sind, so dass ein erheblicher

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Plan des Olympic Village.

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Das Zusammenspiel von intensiv und extensiv begrünten Dachflächen mit Gärten und Aufenthaltsbereichen auf den in unterschiedlichen Höhen gestaffelten Dächern; Mitte links die Tiefgarageneinfahrt mit Wasserbecken und Kunstwerk (Foto 2009 nach Fertigstellung); rechts daneben erweiterte

Dachüberstände und Symbole der olympischen Disziplinen (Foto 2009 nach Fertigstellung); unten das Gemeinschaftshaus Creekside Community Centre.

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Wasserspiele bei Nacht mit Beleuchtung.

Das Wasserbecken mit der Kunst oberhalb der Tiefgarageneinfahrt bei Nacht.

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Begrünter Innenhof mit Wasserachse, Fontäne und Wasserfall zur Umwälzung des Wassers, das in den Zisternen gespeichert wird. Bäume wachsen auf den Balkons der oberen Stockwerke (Foto 2012).

Aufenthaltsflächen laden zum Verweilen ein (links).

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Teil des genutzten Wassers in die Zisternen zurückfließt. Durch die Umwälzung des Wassers aus den Zisternen wird das Wasser mit Sauerstoff angereichert und behält eine gute Qualität. Die kontinuierliche Sammlung des Niederschlagswassers von den befestigten Flächen und Dächern sowie dessen Verwendung in Toilettenspülungen während der niederschlagsreicheren Zeit reduziert den Wasserbedarf der Siedlung an städtischem Trinkwasser um 40 Prozent. Der Trinkwasserbedarf der Toilettenspülungen liegt gegenüber herkömmlichen Spülungen etwa um die Hälfte niedriger. Zusätzlich wurde in jeder Wohnung ein eigener Wasserzähler installiert, der den Verbrauch direkt anzeigt und die Bewohnerinnen anregen soll, mit Wasser sorgsam umzugehen. Toilettenspülungen machen einen erheblichen Teil des Trinkwasserverbrauchs modernen Wohnens aus, ein Bedarf, dessen Umfang erstaunlicherweise kaum hinterfragt wird. Im Millenium Water Olympic Village wird für jeden Kubikmeter Regenwasser, der gesammelt wird, in der Art eines Guthabens die gleiche Menge Trinkwasser von der Stadt zur Verfügung gestellt. Mit der gutgeschriebenen Trinkwassermenge können im Sommer die Grünflächen bewässert werden, da anders, als es normalerweise bei städtischen Quartieren der Fall ist, während der regenreichen Zeit des Jahres kein Trinkwasser aus der städtischen Versorgung für die Toilettenspülungen verbraucht wird. Das Olympische Dorf ist mit vielen Grünflächen ausgestattet, die in regenarmen Zeiten auf Bewässerung angewiesen sind. Um die Bewässerung möglichst gering zu halten, wird auf dem gesamten Gelände ein automatisches Bewässerungs­system eingesetzt, das mit einer Wetterstation und Sensoren im Boden gekoppelt ist. Das  System ist nicht nur auf die Bedürfnisse der Pflanzen und auf die Bodenverhältnisse eingestellt, sondern versteht auch, dass es sich nach einem Regen, der den Boden ausreichend durchfeuchtet hat, nicht einschalten muss. Der Wasserverbrauch wird durch dieses intelligente System um fast 50 Prozent gegenüber einer auf regelmäßiges Einschalten programmierten Anlage reduziert. Während wichtige Teile des innovativen Regenwassermanagements im Olympischen Dorf nach außen hin unsichtbar bleiben, wie zum Beispiel die Zisternen in den Untergeschossen der Tiefgaragen, sind die „grünen“ Dächer zum Speichern von Regenwasser ein sichtbares Stück Nachhaltigkeit. Sie machen deutlich, was für eine wertvolle Ressource Regenwasser – und Wasser allgemein – darstellt und wie wichtig seine sparsame und sorgfältig geplante Verwendung ist. Es ist zu wünschen, dass das Beispiel des Millennium Water Olympic Village Stadtverwaltungen andernorts als Vorbild dienen und dazu anregen wird, ähnliche Anlagen zum nachhaltigen Umgang mit Regenwasser und Trinkwasser für neue Bauvorhaben grundsätzlich vorzuschreiben.

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Neben der Vorgabe für die Wassereinsparung verlangte die Stadt Vancouver von den Projektentwicklern, dass 50 Prozent der Dachflächen begrünt werden sollten. Die Entwicklerinnen waren darüber zuerst in Sorge, weil diese Dächer von vielen Wohneinheiten aus zu sehen sind. Nicht immer verbessern bepflanzte Dächer den Anblick einer urbanen Umgebung, denn bei mangelnder Pflege und/oder Austrocknung können sie auch als die Aussicht störend wahrgenommen werden. Der geforderte Anteil von 50 Prozent wurde schließlich über eine Kombination von intensiven und extensiven Dachbegrünungen erreicht. Die Landschaftsarchitekten des Büros Durante Kreuk, die die Freiflächen des gesamten Olympischen Dorfs gestaltet haben, entwarfen nachhaltige, attraktive und vielfältige Freiräume. Auf einem Teil der Dächer

wurden mit unterschiedlichen Pflanzen (Sedum-Arten) Motive olympischer Disziplinen angelegt, die im Luftbild und von höheren Gebäuden aus sichtbar sind. Für diese extensiv begrünten Dachflächen wurden Vegetationsmatten mit trockenheitsangepasster Vegetation verwendet. Freiräume auf den Dächern sowie Terrassen und Balkone sind mit größeren Pflanzen ausgestattet. Die Bewohnerinnen sind selbst für die weitere Pflege dieser intensiv begrünten Dachflächen verantwortlich. Städtische Freiflächen in bebauten Bereichen werden häufig als dekorative Grünanlagen entwickelt, die die Gebäude ergänzen sollen. Typisch sind Pflanzgefäße, Gründächer und Terrassenbepflanzungen. Im Olympischen Dorf von Vancouver wurden die Freiflächen um die Gebäude speziell für den Aufenthalt im Freien und zur Förderung der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit entwickelt. So sollen die Menschen etwa die Möglichkeit bekommen, einander kennenzulernen und eine Gemeinschaft zu entwickeln. Direkte Zugänge von Innenräumen in den gemeinschaftlich genutzten Freiraum verbinden Innen und Außen miteinander und die Freiräume sind untereinander, auch über unterschiedliche Höhen, verbunden. In einem Beispiel ist ein Hof in der zweiten Etage über einen Wasserfall mit dem Garten im Erdgeschoss verbunden. Die  Freiflächen der einzelnen Grundstücke wurden so gestaltet, dass sie einerseits die Privatsphäre der Bewohner berücksichtigen und gleichzeitig möglichst viele gemeinschaftliche Nutzungen zulassen. Auf den Freiflächen sind Spielplätze angelegt und jeder Innenhof ist mit einer Wasseranlage ausgestattet, die mit Regenwasser aus den Zisternen gespeist wird. Diese nachbarschaftsfördernden Orte und Anlagen im Außenraum ergänzen die Gemeinschaftsräume im Inneren der Gebäude, wie zum Beispiel eine Küche oder ein Spiel- und Gymnastikraum. Nach Aussagen von Peter Kreuk, einem der beiden Partner von Durante Kreuk, ist die Verbindung von Dachbegrünung und Regenwasser­management seit langem Standard. Neu ist in diesem Projekt die Synchronisierung der Gebäudeinfrastruktur mit der grünen Infrastruktur des Freiraums. Das Ziel war die Zirkulation und Nutzung des Regenwassers für die Bewässerung der Grünflächen, die Toilettenspülungen und für die Regenwassergärten. Kreuk ist überzeugt, dass nachhaltige Entwicklungen in ästhetisch anspruchsvolle Entwurfsplanungen integrierbar sind und die ökologischen und sozialen Anforderungen der Bewohnerinnen erfüllen können. Die hohe Qualität der Freiflächen entstand in erster Linie durch die sorgfältige und hochwertige Planung der Landschaftsarchitekten. So stellt ihr Entwurf zum Beispiel sicher, dass die Pflanzen bei Trockenheit gewässert werden und vital bleiben. Es wurden einheimische und anpassungsfähige Pflanzenarten ausgewählt, eine notwendige Bedingung für die LEED-Qualifizierung der Gebäude. Auch für urbane Landwirtschaft wurden in dem Neubaugebiet des Olympischen Dorfes Flächen bereitgestellt, insbesondere für Schulen, Stadtteilzentren und interessierte Anwohnergruppen. Auch Dachgärten werden gärtnerisch genutzt, ein weiterer Beleg für die positiven Auswirkungen der 50-Prozent-Vorgabe für die Dachbegrünung. Der Bodenauftrag beträgt bei Dachgärten etwa 45 Zentimeter, so dass dort Gemüse und andere Nutzpflanzen angebaut werden können. Mit dem Produzieren von Lebensmitteln im städtischen Raum für den Eigenbedarf verbinden sich verschiedene Vorteile. Den Menschen wird in der Regel die Bedeutung der Erzeugung gesunder Nahrungsmittel bewusster, und durch das Arbeiten in Gemeinschaftsgärten ergeben sich zudem integrative und solidarische soziale und ökonomische Effekte.

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MILLENNIUM WATER OLYMPIC VILLAGE

DACHBEGRÜNUNG IN WEST VANCOUVER Ein weiterer Fall einer Dachbegrünung, die im Hinblick auf die Bedeutung solcher Elemente für die klimaresistente Umgestaltung menschlicher Bebauung beachtenswert ist, findet sich im Vorort West Vancouver. Das private Wohnhaus liegt an einem Hang oberhalb der Strait of Georgia, der nordwestlich der Stadt liegenden Wasserstraße. Es besteht aus drei am Hang gestaffelt liegenden Baukörpern, die jeweils mit einer extensiven Dachbegrünung ausgestattet sind. Durch die Art der Bepflanzung tragen sie dazu bei, dass sich das Haus gut in die umgebende Landschaft einfügt. Die Dachflächen sind zusammen 180 Quadratmeter groß und haben eine Neigung zwischen einem und sieben Grad.

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Extensive Dachbegrünung eines Privathauses mit Sedum.

Erweiterung der Auswahl von Sedumarten als Dachbegrünung für das Privathaus.

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Mit dem Bewuchs, hauptsächlich mit den flachwüchsigen Sedum-Arten Weißer Mauerpfeffer und Mongolenfetthenne sowie Pachysandra termi­nalis (Dickmännchen), wird nicht nur der zauberhafte Blick über die Dächer auf das Wasser deutlich verschönert. Die Dachbegrünung erfüllt auch eine Funktion als Regenwasserspeicher. Teil des Aufbaus ist ein Drain- und Wasserspeicherelement mit einem Speichervermögen von 20 bis 40 Litern pro Quadratmeter. Damit sind zum einen die Pflanzen an trockenen Tagen bestens mit Wasser versorgt, zum anderen verringert sich bei Regenereignissen der Wasserabfluss. Anders als bei begrünten Hochhausdächern entsteht hier ein Kühlungseffekt, da das Wasser über die Vegetation in einer Höhe verdunstet, die zum Aufenthaltsbereich der Bewohnerinnen gehört, bevor es in die Atmosphäre zurückgegeben wird. Und anders als bei einem dunklen Flachdach heizt sich dieses Dach weniger stark auf. Da die Dachbegrünung eine beträchtliche Menge Wasser speichern kann, mindert sie zudem die Erosion des Bodens durch Niederschläge. Gerade an bebauten Hängen ohne gewachsene Vegetation, die den Boden halten kann, kann Starkregen zu Hangrutschungen führen. Durch die Begrünung der Gebäude und die Regenwasserspeicherung des Dachaufbaus wird diese Gefahr reduziert.

CALP – COLLABORATIVE FOR ADVANCED LANDSCAPE PLANNING Das Akronym CALP steht für eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung an der University of British Columbia, die Forschung und Praxis verbindet. Zu den besonderen Schwerpunkten gehören Landschaftsplanung, Landschaftsvisualisierung, Umweltwahrnehmung, öffentliche Landmanagementprozesse und nachhaltige Landschaftsentwicklung. Die Einrichtung wird von Professor Stephen Sheppard geleitet, der seit vielen Jahren die Auswirkungen des Klimawandels erforscht und sich auf dessen Visualisierung spezialisiert hat. Er und seine Mitarbeiter erzeugen fiktive, weil in die Zukunft vorlaufende, aber gleichzeitig realistische visuelle Darstellungen konkreter Landschaften und Orte, die vom Klimawandel bedroht sind: beispielsweise Bilder von möglichen Hochwasserereignissen in der südlich von Vancouver gelegenen Stadt Delta; Bilder, die den weiteren Rückgang der Schneegrenze in den Skigebieten der Schweizer Alpen zeigen oder fotorealistische Bilder zu der sich verändernden Landnutzung bei fortschreitendem Klimawandel. Sheppard nutzt diese Visualisierungen, um den Klimawandel und seine Auswirkungen zu kommunizieren und ein Bewusstsein für die Dringlichkeit zu erzeugen. Er legt dabei Wert auf die Einhaltung ethischer Standards, die auf Transparenz und Wahrhaftigkeit im Sinne wissenschaftlicher Analysen basieren. Die Dramatik, die seinen Bildern innewohnt, ist das Ergebnis von Berechnungen, Extrapolationen und realistischen Prognosen und gerade kein Sensationalismus. Mit Hilfe solcher kreativer und interaktiver Darstellungsformen können die Bürgerinnen sehr anschaulich informiert und auf die möglichen Folgen für ihren Ort und für ihr eigenes Leben aufmerksam gemacht werden. Neben Visualisierungen und Vorträgen sind weitere pädagogische und didaktische Materialien in der Entwicklung, um Menschen dazu zu motivieren, sich für die klimagerechte Umgestaltung ihrer Umgebung zu engagieren. Die CALP arbeitet mit dem Pacific Institute of Climate Solutions (PICS) zusammen, das weiter unten vorgestellt wird. 51

DACHBEGRÜNUNG IN WEST VANCOUVER

FUTURE DELTA 2.0 Future Delta 2.0 ist ein vom CALP entwickeltes ortsbezogenes Lernvideospiel zur Erforschung bevorstehender Herausforderungen des Klimawandels und möglicher Lösungen. Wer an dem Spiel teilnimmt, wird in die Stadt Delta im Jahr 2100 versetzt, die sich bis dahin nicht um eine Vorbereitung auf den Klimawandel gekümmert hat. Den Teilnehmern bietet sich eine geradezu dystopische Situation: Die Stadt ist vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht, sie hat mit häufigen Sturmfluten, Hitzewellen und Bränden zu kämpfen, es stehen nicht ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung, die Preise sind gestiegen, Verkehr und Umweltverschmutzung haben zugenommen. Im Verlauf des Spiels kehren die Teilnehmerinnen zum Ausgangszeitpunkt zurück, was ihnen erlaubt zu erkennen, welche potenziellen Auswirkungen Unterlassungen

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Das Spiel Future Delta 2.0 stellt den Lebenslauf und unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten eines bei Spielbeginn 15-jährigen Schülers für die Jahre 2015, 2020, 2050 und 2075 in drei Szenarien dar:

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1 Business as usual, keine Veränderung gegenüber dem Ist-Zustand 2 Unter den Bedingungen angepassten Verhaltens

3 Unter den Bedingungen angepassten Verhaltens sowie bei Vermeidung klimaschädlichen Verhaltens.

Fragebogen mit Anleitung und Hinweisen zur Bedeutung der Stadtbäume (links); Anleitung für die Bestandsaufnahme der Wohnumgebung in Bezug auf die Bedeutung der Stadtbäume (rechts).

haben und was in der Gegenwart getan werden muss, um sich für den Klimawandel zu wappnen und eine bessere Zukunft zu gestalten. Der besondere Wert dieses Videospiels liegt darin, dass es die Folgen des Klimawandels für die Allgemeinheit, vom Rentner bis zum Schulkind, nachvollziehbar darstellt und zur Erkundung der eigenen Umgebung anregt. Es verbindet kommerzielle Computerspieltechnik mit wissenschaftlicher Forschung zu einem partizipativen Instrument, das für die gesellschaftliche Aufklärung und politische Willensbildung sehr nützlich sein kann. Die Spielabläufe wurden mit Hilfe von Schülerinnen und Lehrkräften von Schulen entwickelt, um herauszufinden, wie sich simulierte Zukunftsszenarien über die lokale Umgebung auf das Interesse und die Lernbereitschaft der dort wohnenden Menschen auswirken und ob sie Verhaltensänderungen und bürgerschaftliches Engagement erzeugen können. Das Spiel ermöglicht, Veränderungen der Umwelt in Echtzeit darzustellen und dadurch entstandene Probleme mit Hilfe von Anpassungs- und Vermeidungsstrategien unmittelbar zu lösen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Lösungsvorschläge werden hier in einer pädagogisch-didaktischen Weise einem potenziell breiten Publikum zugänglich, wie dies die herkömmliche Klimawissenschaft oft nicht erreicht. Die Auswertung der Daten über die Nutzung des Spiels umfasst zum einen das Spielerlebnis und zum anderen die Auswirkungen, die es auf den Wissensstand, die Einstellungen, die Ortskenntnis und die Sorge um den globalen und lokalen Klimawandel der Nutzer hat.

CITIZEN’S COOLKIT Auch das Citizen’s Coolkit ist ein Kommunikationsinstrument, das die CALP entwickelt hat, hier in der Form eines Planspiels für Nachbarschaften. Es zielt darauf ab, die Lücke zu schließen zwischen dem Wissen über den Klimawandel und daraus abgeleiteten notwendigen Handlungen der Menschen in ihrem Wohnumfeld. Es ist MAP YOUR BLOCK URBAN FOREST QUEST DO YOU KNOW... How much squirrel habitat is on your block? How many trees there are on your block? Why trees are important to us and squirrels?

30 minutes

STEP 2: MAP YOUR BLOCK Your name/team name Do you know much about the trees on your block? Have you ever tried to inventory important things on your block and consider their links to climate change? Do you live on a high carbon or low carbon block? The activities in this section will help you see your surroundings in a new way, and learn to use some simple mapping techniques.

1) COUNT THE TREES

1. URBAN FOREST QUEST allows you to investigate “squirrel habitat” (tree canopy) and other features of your urban forest

Street trees are trees alongside the curb in the public

2. CLIMATE CHANGE DETECTIVE QUEST allows you to investigate “car habitat” and other signs of climate change (Longer Version)

right-of-way. Count the number of street trees on your block. 6

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3. MAP DIFFERENT HABITAT TYPES in your block to see how green or grey it is and where it could be

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improved (Longer Version)

2) MEASURE TRUNK SIZE 1

2

4. VULNERABILITY MAPPING allows you to find parts of your block which would be under the greatest

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Total # of street trees:

threat from climate change

Measure the circumference (girth) of the biggest and smallest trees. At around 1.3 metres (or 4.5 ft) up from the ground, measure around the tree’s stem.

Total # of trees in gardens:

Girth of biggest tree: Girth of smallest tree:

cm cm 1.3 m

3) THE LEAPING SQUIRREL TEST Check out your block’s street tree canopy by using the distance a squirrel leaps. Squirrels live up in the trees and are safer there than on the ground. Assume squirrels can leap about 2 metres (6 ft or a person’s height) between branches:

Important because... Larger trees have bigger canopies and so more benefits. Smaller trees are also important since they will replace existing big trees one day.

can a squirrel make it from one end of the block to the other and cross the street at least twice, without coming down to the ground? Yes / No If “No”, how many gaps (greater than 2 metres) between canopies did you see?

Important because... A continuous canopy has more shade during the summer for cooling and reduces stormwater flooding. To read more: http://forestry.ohiodnr.gov/

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portals/forestry/urbantoolbox/articles/BigTrees_ SEOhio.pdf

FINISHED! 9

calp.forestry.ubc.ca/

calp.forestry.ubc.ca/

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FUTURE DELTA 2.0

wichtig, dass möglichst viele Beteiligte vor Ort mitentscheiden und handeln, denn sie kennen ihr Umfeld und auch die Möglichkeiten für Anpassungen am besten. Mit Hilfe des Coolkits lernen sie, wie der Klimawandel ihre Umgebung beeinflusst, und werden angeregt, sich mit ihren Nachbarinnen darüber auszutauschen. Weiter lernen sie, wie sie gemeinsam ihre Umgebung verbessern und ihre Häuser und Nachbarschaft klimaresilienter gestalten können. Außerdem lernen sie Möglichkeiten kennen, ihren CO2-Ausstoß gemeinsam zu verringern. Gleichzeitig – und das ist ein wichtiger Punkt – sollen alle Beteiligten während der Beschäftigung mit dem Coolkit Spaß haben. Das Coolkit ist für eine Dauer von vier Wochen angelegt und so aufgebaut, dass zunächst Informationen über dieses Werkzeug und auch über den Klimawandel vermittelt werden. Eine hervorragende Gelegenheit ist zum Beispiel ein Nachbarschaftsfest als Anlass für die Einführung in den Prozess und für die gemeinsamen ersten Schritte. Zunächst gibt es Gespräche zum gegenseitigen Kennenlernen. Dann wird anhand von Fotos die Umgebung analysiert und mit Hilfe eines Quiz das Wissen über den Klimawandel getestet. Auf Fotos werden Potenziale zur Vermeidung des Klima-

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Vorher-nachher-Vergleich einer Straße in einem Wohngebiet: a) Ist-Zustand und b) Zustand, falls die Bäume wegfallen sollten.

VANCOUVER

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wandels wie vorhandene Grünflächen und mögliche Standorte für neue Bäume oder Gemüsebeete, aber auch mögliche Gründe für die Verstärkung des Klimawandels wie versiegelte Flächen und Verkehr markiert. Im nächsten Schritt werden die Bürger angeleitet, ihre Wohnumgebung zu kartieren. Dafür stehen Luftbilder zur Verfügung und es werden Anleitungen gegeben, wie Kartierungen mit verschiedenen frei verfügbaren Software-Werkzeugen, zum Beispiel Google Earth, i-Tree, Vanmaps, erstellt und mit Hilfe von GIMP-Angaben in den Karten ergänzt oder verdeutlicht werden können. Ein Beispiel wäre das Kartieren der Ausdehnungen von Baumkronen als „Eichhörnchen-Habitate“ sowie Baumhöhen und Stammdurchmesser. Auch Orte, die auf Veränderungen durch den Klimawandel sensibel reagieren oder diesen verstärken, werden kartiert. Dazu gehören versiegelte Flächen, dunkle Dächer oder schlechte Regenwasserableitungen einerseits, weiße Dächer oder wasserdurchlässige Oberflächen und ein hoher Beschattungsgrad durch Bäume andererseits. Die auf Vancouver bezogenen Risiken sind die städtische Wärmeinsel, Dürrezeiten während der Sommermonate und Überflutungen. In Angriff zu nehmende Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels sind Kühlung durch Vegetation, Versickerung und kontrollierte Ableitung des Regenwassers sowie Gemüsegärten und Solaranlagen. Anschließend werden die Beteiligten angeregt, über eine Website ihren eigenen CO2-Fußabdruck zu bestimmen und ihren Haushalt über einen Fragebogen sowohl auf Möglichkeiten zur Vermeidung klimaschädlichen Verhaltens hin zu überprüfen als auch im Hinblick auf Anpassungsmöglichkeiten an den Klimawandel. Danach wird nach Vorschlägen für Verbesserungsmöglichkeiten gefragt: Wie lassen sich die eigenen Grundstücke und die Nachbarschaft der Teilnehmerinnen klimagünstig verändern? Dafür werden Hinweise gegeben, wie solche Veränderungen mit geeigneter Software wie GIMP oder Photoshop visualisiert werden können. So werden die Bewohner in die Lage versetzt, ihre Zukunft ein Stück selbst in die Hand zu nehmen und stärker klimaneutral zu gestalten. Dafür werden nicht nur die Freiflächen betrachtet, sondern es werden auch Hinweise zu Veränderungen der Gebäude gegeben, wie etwa die Isolierung von Dächern und Kellern zur Energieeinsparung. Im nächsten Schritt werden die Pläne umgesetzt. Dafür hält das Coolkit eine Reihe von Vorschlägen bereit, wie angepasste Gehölze, Regenwasser-Sammelbehälter, klimaangepasste Vorgärten durch den Ersatz von Rasenflächen durch Wiesen mit Klee und Kräutern, Kompostierung und natürliche Schädlingsbekämpfung. Neben der Umgestaltung privater Grundstücke ist das Ziel, mit Hilfe des Coolkits auch öffentliche Flächen umzugestalten und zum Beispiel das Straßenbegleitgrün in „Straßengärten“ zu verwandeln. Über die Klimaschutzeffekte hinaus können durch das Coolkit auch die allgemeinen nachbarschaftlichen Kontakte gestärkt werden und möglicherweise löst es bei den Beteiligten einen Bewusstseinsprozess aus und verändert deren Umweltverhalten hin zu einer Verringerung des eigenen CO2-Fußabdrucks, zum Beispiel durch Reduzierung der PKW-Nutzung, Abfallvermeidung und ein verändertes Konsumverhalten.

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Citizen’s Coolkit

PICS – PACIFIC INSTITUTE FOR CLIMATE SOLUTIONS Das PICS ist ein unabhängiges Wissensnetzwerk zur Bewertung, Entwicklung und Förderung innovativer Klimawandelvermeidungs- und -anpassungsmöglichkeiten. Es wurde 2008 gegründet mit dem Zusammenschluss von Einrichtungen an vier Universitäten der Provinz British Columbia, und zwar der University of Victoria (UVic), der Simon Fraser University (SFU), der University of British Columbia (UBC) und der University of Northern British Columbia (UNBC). Ziel der Arbeit des Instituts ist es, Lücken zu schließen, die sich regelmäßig zeigen zwischen einzelnen Forschungsarbeiten und -reihen an den Universitäten einerseits, Bestrebungen der Städte, Programme gegen negative Auswirkungen des Klimawandels zu entwickeln andererseits und drittens Projekten zur Partizipation der Bevölkerung an den notwendigen Veränderungsprozessen. In einer speziellen Studie hat das PICS zum Beispiel Möglichkeiten aufgezeigt, wie Menschen zur aktiven Unterstützung des Klimaschutzes motiviert werden können. Dafür wurden sieben Forschungsprojekte untersucht, die innovative Wege und vielfältige Möglichkeiten beschreiben, die Öffentlichkeit für den Klimaschutz zu aktivieren, wobei der Fokus auf der Verminderung der Energienutzung und der Reduzierung des CO2-Fußabdrucks lag. Dabei zeigte sich, dass den meisten Bürgerinnen in British Columbia der Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Bedrohungen durch den Klimawandel nicht bekannt war, selbst dann, wenn sie gehört hatten, dass die Provinzregierung sich zum Ziel gesetzt hat, den Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2050 auf unter 80 Prozent der Menge des Jahres 2007 zu reduzieren. Die Studie enthält umfangreiche Hinweise und Anleitungen für Regierungsbehörden und öffentliche Verwaltungen, Nichtregierungsorganisationen und Nachbarschaften, wie sich deren Belegschaften, Mitglieder und Bewohner erfolgreich zur Mitarbeit motivieren lassen. Das Spektrum reicht von Methoden zur Stärkung des sozialen Engagements, der Bedeutung digitaler, visueller und sozialer Medien, dem Nutzen von Nachbarschaftsinitiativen bis zur Notwendigkeit des Austauschs zwischen Bürgerinnen und der Regierung. Der besondere Wert der Arbeit des PICS liegt in der Erforschung von Möglichkeiten, Wissenschaftler und engagierte Bürgerinnen mit entsprechenden Förderprogrammen zu vernetzen. Dem Klimaschutz helfen weder Forschung, die nicht umgesetzt wird, noch Aktionen, die die Forschungsergebnisse nicht ausreichend berücksichtigen. Einzelne gute Ansätze bedürfen der Kooperation mit weiteren Forschungsergebnissen und Akteuren und auch mit neuen Entwicklungen.

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VANCOUVER

NEW YORK CITY 57



Mit 8,3 Millionen Einwohnern ist New York City nicht nur die bevölkerungsreichste Stadt der Vereinigten Staaten, sondern auch die am dichtesten besiedelte und die wirtschaftlich und kulturell bedeutendste. Die Metropolregion, in der fast 20 Millionen Menschen leben, zählt zu den bevölkerungsreichsten der Welt. New York – The City That Never Sleeps! – ist jedoch nicht nur für seine geballte Wirtschaftskraft und den Reichtum seines Kulturlebens berühmt, sondern auch für seine Parks und Grünanlagen, allen voran den Central Park. In jüngster Zeit sind zu diesen eine Reihe von aufsehenerregenden neuen Parks hinzugekommen. Sie sind Ausdruck der erheblichen Anstrengungen öffentlicher Institutionen wie zivilgesellschaftlicher Kräfte, die Resilienz dieser global wichtigen Metropole gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels zu erhöhen. Die Stadt liegt am Hudson River, der in die in den Atlantik übergehende New York Bay mündet. Dank einer gewissen Entfernung vom offenen Meer ist New York City zwar vor direkten Meereseinflüssen zum Teil geschützt, dennoch ist die Stadt vom Anstieg des Meeresspiegels und weiteren Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Der mit Abstand bekannteste der fünf Stadtbezirke New Yorks ist Manhattan, das Zentrum der Stadt, benannt nach der Insel, auf der es liegt. Vom Hudson River und einer East River genannten Meerenge begrenzt, verdankt Manhattan seine Bedeutung nicht zuletzt seiner markanten geografischen Position in der Mitte eines natürlichen Hafens. Mit der begehrten Lage Manhattans ging eine immer dichtere Bebauung einher, die bis heute anhält. Nur wenige Metropolen der Welt weisen eine ähnlich große oder noch größere Zahl an Hochhäusern auf. In den 2010er Jahren wurden auf Manhattan und in anderen Stadtteilen mehrere große Bauprojekte fertiggestellt, weitere sind noch im Bau oder in der Planung, darunter auch mehrere Supertall Skyscrapers mit einer Höhe von über 300 Metern. Anders als in vielen anderen sehr großen Städten gelang es der Stadtverwaltung von New York bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, mitten im Zentrum eine Grünfläche von substanzieller Größe vor einer Bebauung zu bewahren. Daraus entstand der heute weltberühmte Central Park, der von dem bekannten Landschaftsarchitekten Frederick Law Olmsted gestaltet wurde. Gleichwohl besteht auch in New York ein Bedarf nach weiteren Grünflächen und Parks. Unter Bürgermeister Michael Bloomberg (2002–2013) wurden nicht nur eine Reihe von öffentlichen Grünanlagen großflächig umgestaltet, sondern auch die Bedingungen und Ansprüche an die Planung neuer Parkanlagen wurden deutlich verändert. Diese neue Phase begann mit dem Bau der High Line, einem 2,3 Kilometer langen Park auf einer ehemaligen, nicht mehr benötigten Hochbahntrasse. Das Projekt, das ursprünglich mit einem zunächst privaten Engagement von Bürgerinnen in Form eines Protestes gegen den Abriss der nicht mehr benötigten Eisenbahnlinie begann, zog bald große Aufmerksamkeit auf sich und wurde zu einem Publikumsmagnet. Der Erfolg der High Line hat dazu beigetragen, dass Vorschläge zur Nutzung von nicht mehr benötigten Infrastrukturflächen oder ehemaligen Industriegebieten für die Anlage innerstädtischer Parks heutzutage bessere Realisierungschancen haben – auch über New York hinaus. Auch Freiflächen werden neuerdings nach anderen Gesichtspunkten geplant. Die Manhattan vorgelagerte Insel Governors Island wurde von Landschaftsarchitekten in Kooperation mit Ingenieurinnen zu einem neuen klimaresilienten Park gestaltet, der viel Grün, relative Ruhe und herausragende Aussichten auf die Freiheitsstatue, Downtown Manhattan und Brooklyn bietet. 58 1 (vorige Seite)

Blick von Brooklyn auf Manhattan.

NEW YORK CITY

Die wohl wichtigsten neuen Parkanlagen, die in jüngerer Zeit auf New Yorker Stadtgebiet angelegt wurden oder sich in der Planungsphase befinden, sind solche, die eine Reaktion auf die erwarteten Veränderungen durch den Klimawandel darstellen und diesen standhalten müssen. Dazu gehören zwei Parks, die den East River säumen und an neue Stadtviertel grenzen. Der Domino Park liegt in Brooklyn, genauer im Stadtteil Williamsburg nördlich der Williamsburg Bridge, die zur Lower East Side von Manhattan hinüberführt. Nur wenig Kilometer weiter nördlich, jenseits der Mündung des Newtown Creek, der die Grenze zwischen Brooklyn und Queens markiert, liegt der Hunter’s Point South Park. Die beiden Parks bilden unterschiedliche Antworten auf den erwarteten Anstieg des Meeresspiegels und die gefährlichen Sturmfluten, mit denen New York rechnen muss. Das Klima in New York City ist gemäßigt, mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 11,9 °C. Die Temperaturunterschiede mit Werten bis über 30 °C im Sommer und deutlich unter 0 °C im Winter fallen groß aus. Das Wetter ist aufgrund der Insellage und Nähe zum Atlantik oft wechselhaft und windig. An heißen Tagen im Sommer kann auch Windstille herrschen, dann fühlt sich die Stadt bei 70 Prozent relativer Luftfeuchte und sechs bis sieben Sonnenstunden leicht schwül an. Der Januar ist der kälteste Monat, mit oftmals durchaus eisigen Temperaturen und starkem Wind. Starker Schneefall und Hurrikans treten häufig auf und variieren in Stärke und Auswirkungen erheblich. Die Jahresniederschlagssumme beträgt 1.139 Millimeter, die monatlichen Niederschlagsmengen differieren nicht sehr stark.

AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Wenn es ein singuläres Wetterereignis gab, dass den Einwohnern von New York die reale Bedrohung durch den Klimawandel vor Augen geführt hat, so war dies der Hurrikan Sandy, der am 29. Oktober 2012 in großen Teilen der Stadt zu verheerenden Schäden führte und 43 Todesopfer forderte. Insbesondere an der oberen Ostküste der USA setzte er einen neuen Maßstab für die Auswirkungen des Klimawandels. Auch fast ein Jahrzehnt später ist Sandy – mit einem Durchmesser von fast 1.800 Kilometern das ausgedehnteste jemals im Atlantik gemessene Sturmgebiet  – in der Erinnerung der Bürgerinnen präsent und gilt als unmissverständliche Warnung vor den Dimensionen zukünftiger Extremwetterlagen. Die Vorhersagen der Wissenschaftler werden seitdem deutlich ernster genommen und die Gefährdung der Stadt ist zu einem politischen Thema für die Zukunft geworden. Hochwassergefahren stellen noch zusätzlich ein besonders dringliches Zukunftsproblem dar, weil der Meeresspiegelanstieg in dieser Region im globalen Vergleich ungewöhnlich stark ist. Außerdem leidet die Stadt durch die dichte Bebauung unter Hitzewellen, deren Häufigkeit und Intensität infolge der globalen Erwärmung in den nächsten Jahrzehnten zunehmen werden. Nach Aussagen des New York City Panel on Climate Change (NPCC ), einem seit 2009 bestehenden unabhängigen Gremium, das die Stadtverwaltung in puncto Vorbereitung auf den Klimawandel berät, wird das Klima im Raum New York variabler werden und es ist mit stärker ausfallenden und häufiger auftretenden extremen Wetterereignissen zu rechnen. Diese Einschätzung findet sich in New Yorks Climate Resiliency Design Guidelines von 2019, den Richtlinien für klimaresilientes Entwerfen. Eine Häufung von ungewöhnlich starken Stürmen und damit einhergehenden massiven

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NEW YORK CITY

Regenfällen ist bereits in der Gegenwart zu beobachten. Im Fall von Sandy kam es zu ausgedehnten Überflutungen, Stromausfällen für Hunderttausende und einem Zusammenbruch großer Teile des öffentlichen Nahverkehrs. Die Prognosen sagen voraus, dass die mittleren jährlichen Temperaturen bis 2050 um 2 bis 3,6 °C zunehmen werden, und um 3 bis 5,7 °C bis zum Jahr 2080. Die Häufigkeit von Hitzewellen wird sich bis 2050 verdreifachen auf fünf- bis siebenmal pro Jahr, bis zu den 2080er Jahren ist mit einer weiteren Erhöhung der Frequenz auf fünf- bis achtmal pro Jahr zu rechnen. Der mittlere jährliche Niederschlag soll bis in die 2050er Jahre um 4 bis 13 Prozent zunehmen, bis in die 2080er Jahre um 5 bis 19 Prozent. Der Meeresspiegel wird um 28 bis 53 Zentimeter in den 2050er Jahren und um 45 bis 99 Zentimeter in den 2080er Jahren ansteigen. Der Meeresspiegelanstieg ist hier deshalb so extrem, weil sich zusätzlich zum Klimawandel die Küste im Nordosten der USA aufgrund natürlicher geologischer Prozesse senkt. An der Südspitze Manhattans zum Beispiel wirken die Gezeiten doppelt so stark wie im globalen Mittel. Mit  ihrer über 900 Kilometer langen Küste ist die Herausforderung, die der ansteigende Meeresspiegel bedeutet, für die Stadt nahezu unübersehbar groß. Eine vorübergehend diskutierte Überlegung war, südlich der Spitze von Manhattan eine Barriere in der New York Bay zu errichten. Dieser Plan wurde aber wieder verworfen, denn die Barriere, die bei „normalem“ Wetter offen wäre und sich bei einer Sturmflut schließen würde, könnte zwar eine Flut umlenken, wäre aber für das Abwenden negativer Folgen eines allmählichen Meeresspiegelanstiegs nutzlos. Eine institutionelle Folge des Klimawandels ist, dass die New Yorker Stadtverwaltung eine eigene Abteilung für Belange rund um die grüne Infrastruktur eingerichtet hat, die mittlerweile rund 120 Mitarbeiterinnen beschäftigt. Es wurde ein Green Infrastructure Plan beschlossen, dessen Umsetzung 2011 anlief. Seitdem wurden Dachbegrünungen gefördert und zahlreiche sogenannte Rain Gardens angelegt, Grünflächen an Baumstandorten oder anderen Pflanzflächen, die so angelegt sind, dass sie Regenwasser aufnehmen können, es zunächst für die Pflanzen eine Zeit lang halten und dann weiterleiten. Vor allem die Regengärten erfüllen mit der Rückhaltung und Speicherung von Niederschlägen bei Starkregenereignissen eine wichtige Aufgabe. Im Zuge der allmählichen Versickerung oder verlangsamten Ableitung wird das von der Straße ablaufende Regenwasser zusätzlich durch die Pflanzen und das Substrat gereinigt. Für diese Regengärten oder bioswales, wie sie andernorts meist genannt werden, wurden standardisierte Ausstattungen entwickelt. Es hat sich gezeigt, dass Straßenbäume, die in solchen Regengärten stehen, eine längere Lebenserwartung haben als Bäume, die auf übliche Art gepflanzt wurden und gepflegt werden.

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Auffällig an den Climate Resiliency Design Guidelines ist, dass der Fokus auf der Berücksichtigung des Klimawandels bei der Planung neuer großer städtischer Projekte liegt, dazu gehören Infrastrukturen, Grünanlagen und Gebäude sowie die dazugehörige Gebäudetechnik im Inneren. Versorgungsanlagen sollen in Zukunft so weit oberhalb berechneter Überflutungslinien platziert werden, dass sie bei Überschwemmungen nicht oder nur äußerst selten zu Schaden kommen. Die Bedeutung solcher Vorgaben ermisst sich daran, dass bei einem Anstieg des Meeresspiegels um 80 Zentimeter fast ein Viertel der Stadt unterhalb der Wasseroberfläche liegen wird. Das NPCC sagt das Eintreten eines solchen Überflutungsereignisses bis 2050 voraus. Im Geltungsgebiet dieser Prognose liegen auch eine Reihe von Stadtentwicklungsgebieten, die in unmittelbarer Nähe zum Wasser, und zwar am Hudson River, East River und der New York Bay, angesiedelt sind und deren Lage bislang noch als äußerst begehrt gilt.

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Regengarten: Sammlung des Regenwassers in der Baumscheibe zur besseren Versorgung des Straßenbaumes.

Längliche Baumscheibe für die Nutzung des Regenwassers für das Straßenbegleitgrün.

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Auswirkungen des Klimawandels

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Nicht zuletzt hat New York City sich zur Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen um 40 Prozent bis zum Jahr 2030 und um 80 Prozent bis 2050 verpflichtet. Zur Reduzierung des PKW-Verkehrs beitragen dürften die neuen Radwege – seit 2010 wurden 1.800 Kilometer gebaut – und die Vergrößerung des Straßenraums für Fußgänger, wie beispielsweise der Umbau des Times Square zeigt, auch wenn es für das Erreichen der gesetzten Ziele vieler weiterer und größerer Anstrengungen bedarf. 62 4, 5

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Die Möblierung des Times Square (Hersteller Vestre) fördert die Kommunikation und ist für viele Menschen aufgrund des Designs und der Farbwahl attraktiv.

Times Square am Abend: Fußgängerinnen nutzen den Platz, der durch den Rückbau der Straßen geschaffen wurde.

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GOVERNORS ISLAND PARK Governors Island ist eine südlich von Manhattan und westlich von Brooklyn in Sichtweite der Freiheitsstatue gelegene Insel, die zum Stadtgebiet von New York City gehört. Sie wurde bereits von den Ureinwohnerinnen bewohnt, dann von Einwanderern aus den Niederlanden, 1674 kam sie wie zuvor die gesamte Stadt unter britische Kontrolle. Aufgrund ihrer markanten Lage wurde die Insel ab 1755 militärisch genutzt und war über lange Zeit nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Durch Aufschüttungen, mit denen die Stadt ihrer riesigen Aushubmengen durch die rasante Bebauung Herr werden wollte, vergrößerte sich die Fläche der Insel im Laufe der Zeit um ein Mehrfaches. Die größte Aufschüttung fand statt, als der Aushub für die U-Bahn-Linie unter der Lexington Avenue hierhergebracht wurde, er ließ die Fläche der Insel von 28 auf 70 Hektar anwachsen. Im Jahr 2004 wurde die Insel als Governors Island Park der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Eine Ausrichtung auf Resilienz und nachhaltige Entwicklung bildet den Schwerpunkt der landschaftsarchitektonischen Gestaltung. Der Park soll ein Beispiel dafür sein, dass Städte an den Klimawandel und einen steigenden Meeresspiegel angepasst werden können, ohne den Zugang zu Ufern und damit die Lebensqualität der Bevölkerung zu beeinträchtigen. Entwickelt wurde ein regenerativer Entwurf, der mit seiner Hervorhebung von Nachhaltigkeit und Langlebigkeit ein hohes Maß an Resilienz gegenüber dem Klimawandel beansprucht. Der Park wurde mit anderen Worten so gestaltet, dass er Auswirkungen des Klimawandels wie temporäre Überflutungen und eine ausgeprägte städtische Wärmeinsel ebenso wie den allmählichen Anstieg des Meeresspiegels abfangen kann. Dabei wurden die Topografie, Pflanzen und Boden, Regen- und Grundwasser, ferner Luftqualität und Habitatgebiete berücksichtigt.

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Lage von Governors Island südlich von Manhattan und westlich von Brooklyn.

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Entwicklung der Insel: im ersten Schritt Nutzung des zentralen Bereichs sowie der Südspitze, im zweiten Schritt Entwicklung der Hügel und Befestigung der Uferlinie mit Steinschüttungen.

Schemata des Aufbaus der Hügel.

Ziel der Entwicklung der Vegetation an einer steilen Böschung eines Hügels.

Schema für den Schutz und Bewuchs eines Hügels.

NEW YORK CITY

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Zeichnung eines Hügels: Höhe, Aufbau eines besonders kritischen Abschnitts, Schichtung der Materialien.

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Aufbau und Vegetationsentwicklung an einer steilen Böschung eines Hügels.

Der Südwesten der Insel ist rascheren Wetteränderungen, stärkerem Wind und Strömungen ausgesetzt, die Nordostseite ist dagegen deutlich ruhiger. Grundlage des Entwurfs für den resilienten Parks war die Hochwasserlinie einer Hundertjahresflut bei zu Planungsbeginn vorhandener Topografie. Diese wurde so verändert, dass der Großteil der Insel und vor allem auch der Großteil der Wurzelbereiche der mehrjährigen Bepflanzung oberhalb des Wasserstandes einer Hundertjahresflut liegen. Auf  diese Weise soll eine Lebenserwartung des Parks von 100 und mehr Jahren gewährleistet werden. Im Zug der Erhöhung des Geländes wurden vier Hügel angelegt, mit Höhen von 7,5, 11, 12 und über 21 Metern. Das Baumaterial für diese Hügel entstand durch den Abriss bestehender Gebäude und durch Entsiegelung von nicht mehr benötigten asphaltierten und gepflasterten Parkplatzflächen. Durch diese „Nachnutzung“ wurden Belastungen des Klimas durch den Transport von Boden, Schutt und weiteren Materialien vermieden, denn auch die Auswirkungen von Baumaßnahmen selbst auf den Klimawandel sind jeweils zu bedenken. Die Hügel werden unterschiedlich genutzt, zum Beispiel als Aussichtspunkt oder als Tragstruktur für mehrere Rutschen, von denen eine die längste Rutsche der gesamten Stadt ist. Mit den Hügeln wurden außerdem Aussichten erschaffen, die es vorher nicht gab: ein 360°-Panoramablick auf Manhattan und Brooklyn sowie auf die südlichen Ränder der Insel. Durch seine Ausblicke nimmt der Park insgesamt eine enge Verbindung mit seiner näheren Umgebung und weiten Teilen der Stadt auf und hat auf diese Weise eine einzigartige Bedeutung angenommen. Die Skyline soll eine grüne Insel zeigen. Ein Großteil der vorhandenen Fläche wurde entsiegelt, neue Rasenflächen, Gärten, Feuchtgebiete und Gehölzflächen wurden angelegt. Auf der gesamten Insel wurden fast 3.000 Bäume gepflanzt, wodurch sich die Anzahl der Bäume verdoppelte. Bäume erzeugen Schatten, der eine wichtige Funktion gegen die Überwärmung des Bodens hat: Schatten verbessert die Aufenthaltsbedingungen für die Menschen an heißen Tagen, er beeinflusst das Mikroklima für Fauna und Flora günstig und reduziert gegebenenfalls die übermäßige Erwärmung und Verdunstung grüner Bereiche. Auf den Hügeln wurden fast 43.000 Sträucher gepflanzt, unter denen 54 Pflanzenarten vertreten sind. Die Arten wurden so ausgewählt, dass sie den rauen Wetterbedingungen standhalten können und die nötige Salztoleranz des Wurzelsystems gewährleisten Da mit einer Klimaerwärmung gerechnet wird, wurde die Auswahl insbesondere der langlebigeren Pflanzen so ausgerichtet, dass sie eher dem Klima einer weiter südlich gelegenen Zone entspricht. Die Pflanze, die die zu erwartenden zukünftigen klimatischen Anforderungen am besten erfüllt, ist Rhus aromatica aus der Familie der Sumach-Gewächse, Duftender Essigbaum oder Gewürzsumach genannt. Dieses Gehölz ist in Nordamerika heimisch. Die Verwendung einheimischer Pflanzen war ein explizites Ziel der Pflanzplanung. Ferner ist die Pflanzenauswahl auf das durch die Topografie entstandene örtliche Mikroklima abgestimmt. Das Pflanzsubstrat wurde den Bedürfnissen der Pflanzen und ihrer Wurzeln angepasst. Für die erhöht angelegten Pflanzflächen, bei denen davon ausgegangen wurde, dass sie nicht von Salzwasser überflutet werden, wurde der Boden so ausgewählt, dass die Gehölze sich dauerhaft gut entwickeln können. Ziel ist die Entwicklung langlebiger Pflanzengesellschaften, die gesunde Lebensräume für Vögel bieten, so dass sich der Governors Island Park in die regionalen Habitat-Netzwerke eingliedert. 65

Governors Island Park

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Neben der Entsiegelung großer Asphaltflächen und der Schaffung umfangreicher Pflanzflächen wurde die Versickerungsfähigkeit des Bodens erhöht und der Abfluss verringert, indem für befestigte Flächen wasserdurchlässige Oberflächen verwendet wurden. Außerdem wird das Regenwasser gesammelt und vor Ort für die Bewässerung der Pflanzen sowie für die Pflege verschiedener Lebensräume genutzt, anstatt dass es in den Hafen oder in die städtische Kanalisation fließt. Ein funktionales Formelement der Anlage ist die weiße Betonkante der Rasen- und Pflanzflächen. Sie dient einerseits zum Sitzen, andererseits als Schutz für die Hügel gegen Wellenschlag, wenn Sturmfluten und Überschwemmungen diese bedrohen.

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Die Einfassung der Rasen- und Blick auf die tropfenförmigen Hügel. Vegetationsflächen als gestalterisches Element. Zusätzlich leiten die Kanten aus Beton das Wasser nach starken Regenfällen in die gewünschte Richtung weiter.

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Die autofreie Insel, die über eine Fährverbindung zur Südspitze Manhattans bequem und schnell erreichbar ist, eignet sich zum Radfahren wie zur Eroberung zu Fuß. Der  Park bietet mit seinen vielen verschiedenen Freiräumen Orte für unterschiedlichste Aktivitäten, von Sport und Spiel zu künstlerischen Betätigungen bis zum urbanen Gärtnern. Die weitreichende Transformation, der Governors Island unterzogen wurde, hat die Insel nicht nur zu einem interessanten Beispiel der Vorbereitung auf den Klimawandel gemacht, sondern darüber hinaus zu einem Ort, der die Fantasie anregt.

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Die langen Rutschen am Rutschenhügel.

Die Befestigung und eine Möglichkeit zum Aufstieg auf den höchsten der Hügel, den Aussichtsberg.

Blick über die Rasenfläche und die Bepflanzung des Parks Richtung Brooklyn.

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Das Climate Museum ist das erste amerikanische Museum, das der Klimakrise gewidmet ist. Mit Hilfe von Kunst und Wissenschaft werden Herausforderungen und Chancen des Klimawandels in Bezug auf Schutz und Gesundheit der Bevölkerung, die Zukunft des Städtebaus, aber zum Beispiel auch im Hinblick auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit thematisiert. Das Anliegen des Museums, das in Reaktion auf den Hurrikan Sandy gegründet wurde, ist, das Wissen über den Klimawandel zu verbessern und gesellschaftliches Engagement für die Bewältigung der Aufgaben, die der Klimawandel mit sich bringt, zu mobilisieren. Als Ausgangspunkt für ihre Arbeit nahmen die Initiatorinnen die Diagnose, dass die meisten Menschen in den USA zwar besorgt über die Klimakrise, gleichzeitig aber inaktiv seien. Aufbauend auf der Popularität von Museen und ihrem Ruf, seriöse Informationen zu bieten, sollen Menschen sich fundiertes Wissen aneignen können, Lösungen kennenlernen und motiviert werden, sich dem Kampf für eine sichere und bessere Zukunft anzuschließen. Im Jahr 2018 nutzte das Museum neben anderen Orten Governors Island für die Ausstellung Climate Signals, einer Multi-Site-Installation im Freien, die von dem Künstler Justin Brice Guariglia konzipiert wurde. Die Ausstellung bestand aus zehn großen, mobilen und solarbetriebenen Leuchtschildern, die ihre Leser mittels provozierender Aussagen in ein Gespräch über soziale und politische Aspekte des Klimawandels verwickeln sollten. Diese Art von Leuchtschildern sind gemeinhin bekannt als

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Das Logo des Climate Museum, das 2018 auf Governors Island stationiert war.

Eines der Climate Signals auf Governors Island mit unterschiedlichen Warnungen vor den Folgen des Klimawandels.

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temporäre Warnhinweise, die im Verkehr, vor allem an Autobahnen, verwendet werden. Wo sie stehen, wird besondere Aufmerksamkeit erwartet. Das Museum stellte seine „Klima-Warnhinweise“ auf Governors Island und in anderen Parks in der ganzen Stadt auf, einschließlich einiger der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Stadtteile. Die Warnhinweise und Denkanstöße blinkten den Passantinnen nicht nur auf Englisch entgegen, sondern in mehreren der vielen Sprachen New Yorks: Chinesisch, Französisch, Russisch und Spanisch.

DOMINO PARK Der 2018 eröffnete Domino Park besteht aus einem 2,4 Hektar großen, länglich-schmalen Uferstreifen von 400 Meter Länge und 30 Meter Breite. Er ist Teil der ehemaligen, 2004 geschlossenen Domino Sugar Refinery, einer Zuckerfabrik, in der einst bis zu 98 Prozent des in den USA konsumierten Zuckers raffiniert wurden. Das  gesamte Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik wird gegenwärtig von dem ortsansässigen Familienunternehmen Two Trees Management entwickelt. An den Park schließt ein Neubaugebiet mit gemischter Nutzung an. Es entstehen 2.800 Mietwohnungen, davon über 700 preisgünstige Einheiten, sowie in dem historischen Fabrikgebäude ein Bürokomplex. Bei der Gestaltung des Parks wurden bewusst Reste der markanten und die Uferlinie bestimmenden Industrieanlage integriert. Vier 11 Meter hohe zylindrische Tanks, in denen früher Sirup für die Zuckerherstellung gelagert wurde, 21 Säulen des Rohzuckerlagerhauses, ehemalige Schneckenförderer sowie etwa 180 Meter Schienen für die Kranführung und originale Portalkräne wurden nicht abgerissen und entfernt, sondern zu integralen Bestandteilen des Parks transformiert. Sie erinnern an die Geschichte von Zuckerindustrie und Zuckerhandel in New York und geben dem Park eine besondere Prägung.

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Ein weiteres Climate Signal vor der Kulisse Manhattans auf Governors Island.

CLIMATE MUSEUM

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Domino Park ist ein schmaler, lang gestreckter Park, dessen alle Bereiche verbindender Hauptweg direkt am East River verläuft. Er liegt vor einer ehemaligen Zuckerfabrik, hinter der sich die neue Bebauung erhebt. Sein markantes Zeichen sind die erhalten gebliebenen Kräne der ehemaligen Fabrik. Das in regelmäßigen

Intervallen stattfindende Wasser- und Nebelspiel auf der Nebelbrücke vor den ehemaligen Tanks der Zuckerfabrik stellt das Wasser in einen neuen Zusammenhang und dient im Sommer als zusätzliche Kühlung für die Gäste des Parks. 25–30

Mit seinen verschiedenen Angeboten für alle Altersgruppen und ein weites Spektrum an Bedürfnissen wurde der Park schnell von den Anwohnern angenommen und erfreut sich großer Beliebtheit. Was an dieser Stelle des East River zur Zeit der industriellen Nutzung des Geländes nicht möglich war, ist dank der Parkanlage zu einer Selbstverständlichkeit geworden: freier Zugang zum Wasser und die Aussicht auf Manhattan und die Williamsburg Bridge. Entlang des Wassers verläuft ein 360 Meter langer Fußweg. Daran knüpfen von Süden nach Norden eine Vielzahl von Aktivitätszonen und Attraktionen an: ein Hundeauslauf, ein Bocciagelände, ein Multifunktionsspielfeld, ein Volleyballfeld, eine Wasser-/ Lichtinstallation zur Inszenierung der vier Siruptanks mit der „Nebelbrücke“, ein zentraler Sitzplatz mit Stufen und einer vorgelagerten Brunnenanlage, ein Imbiss, ein thematisch an die frühere Nutzung des Ortes angelehnter Spielplatz, eine Rasenfläche und eine Fläche mit Liegestühlen zum Entspannen. Im Bereich der Brunnenanlage ist der Weg abgesenkt, wodurch die Aussicht auf Manhattan auf der anderen Seite des East River betont wird. Die Umnutzung von Teilen der industriellen Anlage als Bestandteile des Parks, Laufstege und Aussichtspunkte sowie eine einfallsreiche Farbgestaltung (die Kräne und andere Elemente wurden türkisfarben lackiert) geben dem Park einen eigenen Charme. Das nördliche Drittel des Parks wird bestimmt durch die auffälligen Kräne und den sogenannten Artifact Walk (Weg der Artefakte), einem erhöhten, ebenfalls zur ehemaligen Fabrik gehörenden Steg, wiederum mit großartiger Aussicht auf Manhattan. Entsprechend dem resilienten Gestaltungsansatz der Landschaftsarchitekten von James Corner Field Operations fungiert das Gelände gleichzeitig als Schwamm, der das Wasser aufsaugt, und als Frontlinie gegen Sturmfluten. Um diese Doppelfunktion zu gewährleisten, wurden nicht etwa, wie es vielerorts zu sehen ist, höhere Schutzmauern gebaut, stattdessen wurde der gesamte Park auf einer Höhe von 60 Zentimetern bis 2 Metern oberhalb der Überflutungslinie für Hochwasser mit einer 100-jährlichen Auftrittswahrscheinlichkeit angelegt, so dass das Risiko für Überschwemmungen verringert ist und das Wasser in den Fluss abfließen kann. Fast die Hälfte des Parks besteht aus Vegetationsfläche. Die überwiegend einheimischen Pflanzen wurden entsprechend ihrer Widerstandskraft gegenüber Spritzwasser und Überschwemmungen ausgewählt, es wurden außerdem annähernd 175 Bäume gepflanzt. Die Pflege des Parks wird vollständig ohne Verwendung von Pestiziden oder Herbiziden ausgeführt. Pflanzenabfälle werden kompostiert und in die Pflanzflächen eingearbeitet. Die Beleuchtung erfolgt durch LED-Leuchten, die nicht nur den Energieverbrauch, sondern auch die Lichtverschmutzung reduzieren. Das für den zentralen Brunnen mit seinen 21 Düsen genutzte Wasser wird über ein Pumpenund Wasserrückhaltesystem reguliert und mit UV-Licht gefiltert.

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HUNTER’S POINT SOUTH PARK Zwei Bootshaltestellen nördlich vom Domino Park erstreckt sich der Hunter’s Point South Park auf einer künstlich aufgeschütteten Landzunge an der Mündung des Newtown Creek in den East River. Der Park ist 4,5 Hektar groß und umfasst Kinderspielplätze, eine Sportfläche, die auch von der nahe gelegenen Schule genutzt wird, ein Café, einen Bootsverleih, einen schiffsbugähnlichen Aussichtspunkt in Richtung Manhattan und über den Park sowie einen Hundeauslauf. Die Anlage ist Teil eines Entwicklungsgebietes, für das 5.000 Wohnungen geplant sind, 60 Prozent davon für Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen. Der Park erfüllt nicht nur die Funktion eines öffentlichen Erholungsgeländes, sondern dient auch für das angrenzende Wohngebiet als schützender Puffer im Falle von Sturmfluten. Entsprechend verbindet die Entwurfskonzeption Strategien zur Anpassung an die sich verändernden klimatischen Bedingungen mit Erholungseinrichtungen wie einem Schwimmdock oder mit einem „Schienengarten“ als Erinnerung an die industrielle Geschichte. Der erste Teil des Parks mit einer Größe von 2,2 Hektar wurde Ende August 2013 eröffnet. Er bietet einen Hundeauslauf, einen Staudengarten im Bereich ehemaliger Bahnanlagen aus der vorherigen Infrastrukturnutzung, einen Spielplatz, eine Uferterrasse, einen Strand und eine Schattendachkonstruktion mit Fotovoltaikanlage für die Stromversorgung des nahen Imbisses. Unter Aspekten der Klimaresilienz betrachtet, ist besonders die grüne, ovale, 90 x 70 Meter große Spiel- und Sportfläche ein wichtiges 31

Blick auf den Park: links der Landspitze der East River, rechts der Newtown Creek. Vorn befindet sich die zweite Entwicklungsphase des Parks, dahinter am East River liegt die erste Phase.

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Element. Die Grünfläche, auf der intensive Nutzung durch Ballspiele vorgesehen ist, besteht aus Kunstrasen, während die seitlich begrenzenden Rasenflächen aus natürlichen Gräsern bestehen. Begrenzt wird die Grünfläche von einer das Oval nahezu vollständig umlaufenden, 80 Zentimeter hohen, zweistufigen Betonmauer. Bei einer Überflutung dient diese Fläche als Wasserspeicher, der das Wasser zurückhält, außer in dem in direkter Nähe zum Fluss gelegenen Bereich. Dort ist die Fläche niveaugleich mit dem angrenzenden Weg, so dass das Wasser in den East River abfließen kann. Auch die Kombination aus Kunstrasen und natürlichen Gräsern ist durch die Funktion des Parks als Hochwasserschutz bedingt. Kunstrasen ist nach einer Überflutung, vor allem mit Salzwasser, schnell wieder nutzbar. Das natürliche Gras wächst nur oberhalb der Überflutungslinie und ist dadurch vor dem Salzwasser geschützt. Der zuerst eröffnete Teil des Parks war durch den Hurrikan Sandy im Oktober 2012 bereits während seiner Erbauung einer ersten Bewährungsprobe ausgesetzt. Der Rekordsturm flutete genau die Überschwemmungsflächen, die zur Bewältigung einer Hundertjahresflut vorgesehen waren. Die Wellen des East River führten hier zu einem Wasserstand von 1,2 Metern Höhe. Die ovale Spielfläche hielt das Wasser und verhinderte, dass angrenzende Straßen überflutet wurden; anschließend floss das Wasser wie geplant in den East River ab. Ein weiterer Beleg für die Richtigkeit des Entwurfs: Auch die zum Park führenden Straßen hielten die Niederschlagsmengen zurück, bevor sie in den Park fließen konnten. Das war möglich, weil diese Straßenzüge mit wasserrückhaltenden Pflanzflächen und Baumscheiben ausgestattet worden waren, die das Wasser planmäßig auffingen, speicherten und es danach wie in einer Kaskade langsam an die weiter unterhalb liegenden Flächen ableiteten, bis es schließlich in den Fluss abfließen konnte. Darüber hinaus tragen diese Bio-Retentionsflächen mit der Filterwirkung ihres Substrats auch zu einer Verbesserung der Wasserqualität des Flusses bei, da der Straßenablauf vor der Weiterleitung gereinigt wird. Ein weiteres Element des Hochwasserschutzes sind die am östlichen Rand des Parks angelegten Gabionen in einer Länge von 230 Metern. Diese mit Schotter und Steinen gefüllten Drahtkörbe sind gut 15 Zentimeter in den Boden eingelassen und in der Bepflanzung mit Stauden und Gräsern sichtbar. Sie halten das überflutende Wasser auf dem Weg in die Kanalisation zurück, beim verlangsamten Rückfluss wird es auch hier zusätzlich gereinigt. Die Bauarbeiten am ersten Abschnitt des Parks konnten wenige Tage nach Sandy wiederaufgenommen werden, da alle Konstruktionen und Pflanzungen dem Sturm und seinen Fluten standgehalten hatten.

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Der zweite Teil des Parks, der sich nach Süden zur Landspitze an der Mündung des Newtown Creek hin erstreckt, ist ebenfalls etwa 2,2 Hektar groß und wurde im Juni 2017 eröffnet. Auch hier steht eine resiliente Gestaltung im Vordergrund, im Gegensatz zum ersten Parkabschnitt weist sie jedoch eine größere Naturnähe auf. Zu diesem Teil des Parks gehören eine Öko-Halbinsel, ein Sumpfgebiet, ein 7 Meter erhöht gelegener Aussichtspunkt sowie eine Wiese, Laufstrecken und eine Kajakanlegestelle. Die Wegeführung ist kurviger und vielfältiger als im ersten Parkteil. Die Halbinsel ist so angelegt, dass sie bei einer Sturmflut überflutet werden kann, dabei aber nicht zerstört werden würde. Eine Skulptur von Nobuho Nagasawa aus sieben gewölbten und geätzten Betonkuppeln ist schon aus der Ferne sichtbar, sie zeigt die sieben Mondphasen. Die Oberflächen sind mit einer phosphoreszierenden Beschichtung versehen, die das Sonnenlicht tagsüber speichern und die Skulptur nachts in blauer Farbe schimmern lassen. Das Sumpfgebiet, über dem sich der Aussichtspunkt als freitragende Konstruktion erhebt, wird zweimal am Tag von der Flut des East River

überschwemmt. Die dort gepflanzten Gräser sind geeignet, sich in dem Brackwasser zu entwickeln, eine Steinschüttung verhindert die Erosion des Ufers und die Pflanzen verbessern außerdem die Wasserqualität. Zusätzlich wurden Lebensräume für Tiere, insbesondere Fische, geschaffen. Um Gänse fernzuhalten, wurden kleine rosa Fahnen aufgestellt. Die Wegeführung sowohl in den Bereichen auf Niveau des East River, die die Besucherinnen direkt ans Wasser führen, als auch zu dem markanten Aussichtspunkt mit Blick auf Manhattan und die Uferzonen bietet angesichts der gar nicht großen Gesamtfläche des Parks eine erstaunliche Vielzahl an Eindrücken. Weitere Elemente der Nachhaltigkeitsstrategie des Hunter’s Point South Park sind die Verwendung von örtlich produziertem Stahl für das Schattendach sowie die darauf angebrachten Solarpaneele, deren Stromerzeugung in das städtische Netz eingespeist wird und in der Menge dem Verbrauch für die Beleuchtung entspricht.

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Die Blickbeziehungen nach Manhattan über den East River sind vielfältig interessant und bestimmten die Lage und Gestaltung des Aussichtspunkts.

Hunter’s Point South Park

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Die Anforderungen an den Park und seine Funktionen aufgrund seiner Lage in der Stadt und am Fluss sind vielfältig. Im unteren Teil der Grafik wird gezeigt, wie die Überflutungsbereiche bei normalem Hochwasser, einem 10-jährigen und

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einem 100-jährigen Flutereignis ausfallen werden.

34 Nicht nur die Vegetations- und befestigten Flächen sind zu berücksichtigen, sondern auch das Leben im Wasser, im Boden und in der Luft.

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Die Rasenfläche bei normalem Hochwasserstand.

Die Rasenfläche bei Überflutung.

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Die Rasenfläche 2018, mit weiterentwickelter Vegetation und Bebauung im Hintergrund. Der Rasen wird gut genutzt.

Die zentrale Rasenfläche aus Die Entwicklung und Struktur des widerstandsfähigem Kunstrasen Schattendaches. im unteren Spielbereich und Rasengräsern im höhergelegenen, von Fluten nicht betroffenen Bereich. 39

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Die erste Phase des Parks in der Übersicht.

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Das Schattendach mit Pavillon und Imbiss in ökologisch nachhaltiger Bauweise korrespondiert gestalterisch mit der Aussichtsterrasse.

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Abendstimmung am Kunstwerk von Nobuho Nagasawa mit Blick auf Manhattan.

Die Aussichtsterrasse mit bestechenden Blickbeziehungen nach Manhattan. Die Terrasse selbst auch ein Blickfang.

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Die Vegetation der wasserführenden Überflutungsbereiche hat sich stark entwickelt, was dafür spricht, dass sich die Planung bewährt hat.

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Dieses  Netto-Null-Energiesystem benötigt keine Batterien und die Beleuchtung ist für das gesamte Jahr gesichert. Auch der ökologische Fußabdruck des Imbisses wird durch verschiedene Maßnahmen minimiert: Die Berücksichtigung der Sonneneinstrahlung bei der Ausrichtung reduziert die Notwendigkeit einer Kühlung und versetzt angeordnete Dachelemente ermöglichen eine indirekte natürliche Belichtung. Für das Sonnendeck des Parks wurden Holzplanken aus heimischer Kiefer aus dem Süden der USA verwendet. Das Kiefernholz wurde mit der Kebony-Technologie behandelt, einem Verfahren, bei dem Weichhölzern aus nachhaltiger Forstwirtschaft durch Auftragen einer aus den Abfallprodukten der Zuckerrohrverarbeitung gewonnenen biologischen Flüssigkeit die Dauerhaftigkeit von tropischem Hartholz verliehen wird. Übliche Nebenprodukte der Holzbehandlung wie Kupferarsenit entfallen ebenso wie die weitere Zerstörung bereits bedrohter Tropenwälder. Besucher haben gute Möglichkeiten, sich den Park ohne Benutzung eines PKWs zu erschließen. Der Park ist mit einer Bootshaltestelle sowie einer nahe gelegenen U-Bahn-Station gut an den öffentlichen Verkehr angebunden, außerdem ist er an das Radwegenetz der Stadt angeschlossen und bietet attraktive Zugangsrouten für Fußgängerinnen und Jogger. Die Auswahl heimischer und regional angepasster Pflanzen mit einer Resilienz gegenüber Trockenheit einerseits und Überschwemmungsresistenz andererseits sorgt für einen minimalen Wasserbedarf für die Bewässerung. Die  wasserdurchlässigen Wegebeläge, Steinschüttungen und der Sandstrand sind als helle, reflektierende Oberflächen ausgebildet, die Niederschlags- und Flutwasser aufnehmen und den Abfluss reduzieren. Feuchtgebiete stellen die natürlichen Gegebenheiten unter den Bedingungen der Gezeitenschwankungen wieder her. Ein 2013 in der New York Times erschienener Artikel fasste die Lehren aus der Planung dieses Parks in prägnanter Weise zusammen: 1. Baue höher, als du dir vorstellen kannst, dass das Wasser jemals steigen könnte. 2. Mache es dem steigenden Wasser sehr schwer, aber nicht unmöglich, in die Fläche einzudringen. 3. Lass das Wasser wieder in den Fluss zurückfließen, aber nicht in die Kanalisation. Der Grundgedanke, den Park nicht mit Betonwänden vor dem Wasser zu schützen, das heißt, ihn nicht in Abgrenzung gegen den Fluss, sondern „mit“ dem Fluss und seinen wechselnden Wasserständen zu entwickeln, ist auch als eine Hommage an die Landschaft zu verstehen, wie sie an dieser Stelle vor 200 Jahren, also vor der Urbanisierung durch europäische Einwanderer, bestand. Damals gab es einen Großteil des heutigen Parkgeländes nicht einmal. Neben den Uferzonen handelt es sich auch bei der Landspitze um eine Fläche, die erst durch Aufschüttung entstand. Heute ist das Gebiet voll in den städtischen Organismus integriert. Der Park muss jedoch nicht nur oberirdisch funktionieren, beachtet werden müssen auch der Untergrund, die Wassertiefe und Festigkeit des Gewässergrundes sowie die vorhandene städtische Infrastruktur vor Ort. Unter dem East River und dem Park verlaufen die zwei parallel liegenden Röhren des knapp 2 Kilometer langen Queens-Midtown-Tunnels, der als Teil der Interstate 495 die Stadtteile Queens und Manhattan verbindet. Daneben liegen die vier 1.800 Meter langen Röhren des East-River-Tunnels für Regional- und Fernbahnlinien. Beide Tunnel liefen während des Sturms Sandy mit Salzwasser voll und sind seitdem aufgrund der nach dem Abpumpen des Wassers verbliebenen korrosiven Salze immer noch beschädigt, wenn auch grundsätzlich funktionsfähig. Ferner verlaufen sowohl durch den Eisenbahntunnel als auch durch eine weitere separate Röhre wichtige Stromtrassen, so dass neben der Resilienz des eigentlichen Parks auch die Werterhaltung der grauen Infrastruktur im Fokus der Parkplanung steht.

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Die Beispiele zeigen, dass die Idee einer resilienten Gestaltung nicht darin besteht, eine Überschwemmung mit allen Mitteln zu verhindern, obwohl sie idealerweise nicht vorkommen sollte. Die Resilienz des Parks zeigt sich vielmehr zum einen darin, dass Wasser nach einer Überflutung rasch wieder ablaufen kann, und zwar in einem Tempo, das der Fluss und die Kanalisation gemeinsam bewältigen können, und dass zum anderen wichtige städtische Funktionen und Einrichtungen vor einer Beeinträchtigung durch extreme Klimaereignisse geschützt werden. Die neuen Parks in New York erfüllen diese Aufgaben aus heutiger Sicht in hohem Maße und dienen daher als Vorbilder für eine moderne resiliente Grünflächengestaltung.

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Der Aussichtspunkt am Abend.

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Detroit gehört zu den Städten, die in ihrer Geschichte besonders dramatische Auf­ stiege und Krisenzeiten durchlebt haben. Gegenwärtig ist Detroit das weltweit vielleicht bekannteste Beispiel für eine schrumpfende Großstadt. In weitgehen­ der Abhängigkeit von einem einzigen Industriezweig, der Automobilindustrie, groß geworden, wurde Detroit von den Veränderungen dieser Branche extrem hart getrof­ fen. Die vergangenen Jahrzehnte waren eher schwierige Zeiten und es ist noch nicht absehbar, wann sich der Trend dauerhaft umkehrt. Der Wahlspruch auf der Flagge lautet „Speramus Meliora; Resurget Cineribus“, zu Deutsch „Wir hoffen auf Besseres; es wird aus der Asche auferstehen“. Detroit wählte dieses Motto 1805 nach der Zer­ störung durch einen verheerenden Brand, 200 Jahre später ist es wieder sehr aktuell. Der Name der von Franzosen zu Beginn des 17. Jahrhunderts gegründeten Stadt „D’Etroit“ bedeutet „an der Enge“. Er spielt auf die Lage an dem gleichnamigen Fluss an, der zusammen mit dem St. Clair River und dem Lake St. Clair den Abfluss zwischen zwei der fünf Großen Seen bildet, und zwar vom Huronsee in den Eriesee. Nicht zuletzt durch seinen Zugang zu günstigen Transportwegen für Rohmaterialen und Fertig­ produkte wurde Detroit im späten 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Zentrum des Manufacturing Belt, des industriellen Ballungsraums, der sich hier im Norden der USA an den Großen Seen entwickelte. Nachdem Henry Ford 1903 in De­ troit die Ford Motor Company gründete, profitierte die Stadt bald von dem rasanten wirtschaftlichen Erfolg der sich um weitere Fahrzeughersteller erweiternden ameri­ kanischen Automobilindustrie, der bis in die 1950er Jahre anhielt. Der enorme Bedarf an Arbeitskräften zog vor allem Menschen aus dem Süden der USA nach Detroit, von denen viele sich hier den amerikanischen Traum von einem festen Arbeitsplatz und einem Eigenheim für ihre Familie erfüllen konnten. 1950 erreichte die Stadt mit über 1,8 Millionen den Höchststand ihrer Einwohnerzahl. Detroit war zur viertgrößten und reichsten Stadt der USA geworden.

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Sogar am Rand der Innenstadt gibt es in Detroit große freie Flächen.

Verlassene Häuser und geräumte Grundstücke – in weiten Teilen, vor allem unweit des Zentrums, bietet Detroit nicht den Eindruck einer lebendigen Stadt.

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Als die Autoindustrie in den darauffolgenden Jahrzehnten durch Sättigung der Märkte und ausländische Konkurrenz viele Arbeitsplätze abbauen musste, waren die Aus­ wirkungen auf die Motor City besonders heftig. Hinzu kam das Phänomen der Sub­ urbanisierung, das durch die massenhafte Motorisierung stark begünstigt wurde. Viele Familien und Unternehmen zogen in die Vororte, zwischen 1950 und 2000 wuchs die Fläche der Stadtregion um 30 Prozent. Über Jahrzehnte verlor die Kernstadt damit in großem Ausmaß Arbeitsplätze und Menschen, so dass die Einwohnerzahl aktuell nur noch etwa 650.000 beträgt. Aufgrund der Abwanderung stehen im Stadtgebiet mehr als 80.000 Häuser leer, von denen bereits einige abgerissen wurden, und rund 100.000 Grundstücke werden nicht genutzt. Die Stadt hat daher ungewöhnlich viele Freiflächen. Die Folgen dieser Situation sind unter anderem große Herausforderun­ gen in Bezug auf die Unterhaltung der vielen Straßen dieser autogerechten Stadt, die graue Infrastruktur und die Kosten für die Bereitstellung von Wasser, Gas, Strom und anderen Versorgungsleistungen der öffentlichen Hand. Sogar die Versorgung mit Lebensmitteln wurde mitunter zu einem Problem, da es kaum noch Supermärkte mit einem regulären Angebot an Lebensmitteln gab. Stattdessen wurden Waren des täg­ lichen Bedarfs wie Milch und Obst vielfach an Tankstellen verkauft. Für die Bewälti­ gung des Klimawandels bieten sich durch die vielen Freiflächen zwar Möglichkeiten für die grüne Infrastruktur, aber auch besondere Herausforderungen aufgrund der dünnen Besiedelungsdichte der 360 Quadratkilometer großen Stadtfläche. Inzwischen hat die Stadt damit begonnen, leerstehende und verfallene Häuser abzu­ reißen und die Grundstücke einer neuen Nutzung zuzuführen. Sie sucht aktiv nach Lösungen gegen den weiteren Verfall und zur Bewältigung des enormen Schulden­ bergs. Im Jahr 2010 wurde die Organisation Detroit Future City ins Leben gerufen. Dieser gemeinnützige Think-Tank hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen strategi­ schen Entwicklungsplan für die nächsten 50 Jahre zu erarbeiten, mit dem die Stadt wirtschaftlich stabiler und nachhaltiger werden und sich die Lebensqualität verbes­ sern soll. Schwerpunkte sind wirtschaftliches Wachstum, neue Landnutzungsarten,

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Die städtische Versorgung ist nicht mehr ausgelastet. Auch die Straßenbeleuchtung, Trinkwasserleitungen und die Kanalisation wurden einst für eine größere Einwohnerzahl gebaut.

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nachhaltigere und dichter besiedelte Nachbarschaften, eine neu ausgerichtete (graue) Infrastruktur und verbesserte öffentliche Dienstleistungen sowie die produk­ tive und nachhaltige Nutzung freier Grundstücke. Neben dem Anbau von Lebens­ mitteln sollen Frei- und Brachflächen durch die Anlage von Oberflächengewässern und Rückhaltebecken auch für das Regenwassermanagement sowie als Flächen für Forschungsvorhaben oder zur Energiegewinnung genutzt werden. Nach der Zerstörung durch den großen Brand von 1805 wurde De­troit nach dem Vor­ bild der Hauptstadt Washington, D. C., das heißt dem Schema eines Radialachsen­ konzepts folgend, wiederaufgebaut. Drei große Hauptstraßen­ achsen treffen sich am Campus Martius, einem Platz, der seit dieser Erneuerung das Zentrum der Stadt markiert und jüngst, Anfang dieses Jahrtausends, neu gestaltet wurde. Mit seinen neuen Aufenthaltsmöglichkeiten und Grünflächen im Zentrum der Stadt bietet er eine angenehme Atmosphäre und stärkt als physischer Mittel- und symbolischer Kristalli­ sationspunkt die Beziehung der Bevölkerung zu ihrer Stadt. Die meisten Gebäude im Stadtzentrum wurden saniert und machen einen guten Eindruck, die Hochbahntrasse wurde durch eine moderne Straßenbahnlinie ergänzt. Detroit hat ein feucht-kontinentales Klima mit einer Jahresmitteltemperatur von 14,5 °C. Bezogen auf den Zeitraum von 1961 bis 1990 lagen die Höchsttemperaturen im Sommer, von Juni bis September, im Mittel über 20 °C, während die Minimumtem­ peraturen im Winter, von Dezember bis Februar, unter 0 °C lagen. Die mittlere Jahres­ niederschlagssumme betrug in diesen Dekaden 780 Millimeter.

AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Eine langfristige Beobachtung des Klimas von Detroit und seiner Region wird seit 1951 vom Great Lakes Integrated Sciences and Assessments Center (GLISA) vorge­ nommen, einer Einrichtung, die gemeinsam von der University of Michigan und der Michigan State University getragen wird. Die Messungen zeigen eine Zunahme der Niederschläge von 1951 bis 2014 um 10,7 Prozent. Der jährliche Niederschlag hat um 25,2 Prozent zugenommen, am stärksten in den Herbstmonaten mit 40 Prozent, am geringsten im Sommer mit 9,4 Prozent. Die meisten Modellrechnungen sagen für die Zukunft einen Trend zu häufigeren und stärkeren Niederschlägen voraus. Aufgrund der wärmer werdenden Temperaturen wird im Winter eher Regen als Schnee fallen. Die mittlere Temperatur stieg von 1951 bis 2014 um 1,5 °C an, wobei die Nachttempe­ raturen sich um 1,9 °C erhöhten, die Tagestemperaturen um 1,1 °C. Der Temperatur­ anstieg ist am deutlichsten im Frühjahr mit 1,7 °C, am geringsten im Herbst mit 1,0 °C. Die eisfreie Zeit hat sich in derselben Periode um 15 Tage verlängert.

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Es ist zu erwarten, dass die festgestellten Trends sich zukünftig fortsetzen oder ver­ stärken werden. Die Durchschnittstemperatur wird bis Mitte dieses Jahrhunderts um 4 bis 5 °C zunehmen und es werden mehr heiße Tage erwartet. Die Vegetationspe­ riode, das heißt frostfreie Tage, wird sich in Abhängigkeit von den Emissionen um ein bis zwei Monate verlängern. Die Anzahl der Tage, an denen Gebäude geheizt werden müssen, hier festgelegt auf eine Außentemperatur von 18 °C oder weniger, werden angesichts der erwarteten Erwärmung des Klimas abnehmen, jedoch wird die Anzahl der Tage, an denen Gebäude gekühlt werden müssen, hier festgelegt auf Außentem­ peraturen von über 18 °C, zunehmen. Detroit verzeichnete von 1951 bis 2014 einen dra­

matischen Anstieg von warmen Tagen, an denen Innenräume klimatisiert werden, und zwar um 40 Prozent. Heiztage nahmen in dieser Periode um 11 Prozent ab. Der zusätz­ liche Energieverbrauch für die Gebäudekühlung übersteigt insofern die Einsparun­ gen durch das geringere Heizen. Ein Problem stellen ferner kurzfristige Anstiege des Energiebedarfs dar, zum Beispiel für die Kühlung von Wohnräumen während Hitze­ wellen, die den Einsatz zusätzlicher stromerzeugender Kraftwerke nötig machen. Diese werden in Detroit normalerweise mit Kohle oder anderen fossilen Brennstof­ fen betrieben, wodurch zusätzlich Treibhausgase und andere Schadstoffe in die Luft abgegeben werden. Auf der Basis dieser Beobachtungen und Berechnungen wurde 2017 ein C  limate Action Planfür Detroit beschlossen. Interessanterweise wurde dieser Plan nicht von der Stadtregierung „von oben“ verordnet, sondern entstand im Zuge einer Initiative, die in umgekehrter Richtung agierte: Städtische Organisationen, Unternehmen, Unterabteilungen der Verwaltung, wissenschaftliche Institutionen und Non-ProfitOrganisationen drängten die politische Führung der Stadt dazu. Der Klimawandel ist nicht der einzige Schwerpunkt des Plans, er berücksichtigt auch, wie in der Stadt gelebt und gearbeitet wird und wie die Stadt regiert werden soll. Die auf wissenschaftlichen Veröffentlichungen basierenden Aussagen zum Klima­ wandel beziehen sich in erster Linie auf allgemeine Empfehlungen zum Regenwas­ sermanagement, zur Reduzierung des Wärmeinseleffektes und zur Verbesserung der Luftqualität. Darüber hinaus werden soziale Aspekte wie die Versorgung der Stadtbe­ wohnerinnen mit und deren Zugang zu Grünflächen berücksichtigt. Als ökologisches Ziel ist die Vernetzung von Habitaten für Wildtiere genannt. Weitere wesentliche Punkte sind Erhebungen zum Ausstoß von Treibhausgasen, Umweltgerechtigkeit und Vulnerabilität, das heißt die Wahrscheinlichkeit, von durch den Kimawandel aus­ gelösten Wetterereignissen betroffen zu sein. Unter dem Oberbegriff Vulnerabili­ tät wird auch die Sensibilität von Menschen und Kommunen gegenüber den zu erwartenden Klimaveränderungen subsumiert und deren Vermögen, sich diesen

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Die neuen Werkshallen der Ford Rouge Factory in Dearborn, dem Geburtsort Henry Fords nahe Detroit, haben neben großen Grünflächen, auf denen Bienenvölker leben, auch Fassaden- und Dachbegrünung. Die Dachbegrünung war, nach Angaben vor Ort, bei der Anlage das größte „lebendige“ Dach der Welt.

Auswirkungen des Klimawandels

Veränderungen anzupassen. Menschen unterschiedlichen Alters und verschiedener Konstitution reagieren auf den Klimawandel unterschiedlich und die Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden können sehr unterschiedlich sein. Auch Kom­ munen sind besser oder weniger gut ausgestattet, die speziellen Auswirkungen des Klimawandels aufzufangen oder abzumindern. Die Themen des Klimaanpassungsplans im Einzelnen sind Abfallentsorgung, Gesund­ heitswesen, Unternehmen und Institutionen, an vierter Stelle stehen Parks mit grünblauer Infrastruktur, öffentliche Räume und Wasserinfrastruktur, an fünfter und letzter Stelle die Entwicklung der Nachbarschaften. Bemerkenswert ist die große Bedeutung, die der Klimaaktionsplan der grün-blauen Infrastruktur für das gesamte Stadtgebiet beimisst, insbesondere bezogen auf das Wassermanagement und die Wasser- und Luftreinhaltung. Wenn sie strategisch günstig angelegt und gepflegt wird, lassen sich auf diese Weise die Hitzeinseln redu­ zieren und das Regenwassermanagement signifikant unterstützen. Starke Regenfälle führen oft zur Überlastung des Kanalsystems, so dass ungereinigtes Wasser direkt in die Flüsse gelangt. Pflanzen und besonders Regengärten mindern den Abfluss des Wassers, filtern es und fördern zusätzlich die Versickerung und Verdunstung, was die Abwasserinfrastruktur entlastet. Diese und weitere Maßnahmen für das Regenwas­ sermanagement sollen stadtweit vermehrt als Alternativen zu teurer, traditioneller grauer Infrastruktur eingesetzt werden. Grüne Puffer aus Vegetation können zudem die Luft zwischen Straßen oder zwischen Industriegebieten und Wohngebieten filtern und reinigen, den Lärm und die Licht­ verschmutzung reduzieren und sie dienen als Kohlenstoffsenken. Auf unbebauten Grundstücken sollen für diese Zwecke Prärievegetation und Wälder angelegt wer­ den. Der Plan für die stadtweite grüne Infrastruktur sieht vor, bei der Neugestaltung auch die funktionalen Aspekte von Parks als Kohlenstoffsenken zu berücksichtigen, zum Beispiel durch einen hohen Gehölzanteil der Vegetation, mit Wasserspeicher­ möglichkeiten wie Regengärten, Mulden oder Teichen, mit einem entsprechenden Angebot für die Erholung und verbesserter Pflege. Einige dieser Maßnahmen dienen außerdem unmittelbar der Gesundheit der Bevölkerung. Aufgrund eines Rückstaus an großen und kostspieligen Reparaturen der Wasserinfra­ struktur ist das Trinkwasser in Detroit teurer als in vergleichbaren Städten. Sehr viele Haushalte konnten ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen und sahen sich mit einer Wassersperrung konfrontiert. Investitionen in Technologien wie die grüne Infrastruk­ tur werden daher als dringend notwendig bezeichnet, um die Kosten der Wasser­ betriebe und ihre ständigen Wasserverluste aufgrund des veralteten Leitungsnetzes zu senken. Nicht zuletzt soll der Ausbau der grün-blauen Infrastruktur ausdrücklich der Verbes­ serung der Resilienz von Ökosystemen dienen. Der Plan identifiziert eine beträchtliche Anzahl an großen freien Flächen innerhalb der Stadtgrenzen – zusammengenommen machen sie über 100 Quadratkilometer aus –,  die zu Naherholungsgebieten, aber auch zu Lebensräumen für Wildtiere entwickelt werden sollen. Im Anschluss an eine Bestandsaufnahme und Kategorisierung dieser Brachen sollen die ökologisch wert­ vollen Flächen und Korridore unter ihnen besonders geschützt und entwickelt werden. 88

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KEEP GROWING DETROIT Ungenutzte Grundstücke sind für eine Stadtverwaltung nicht nur Problemfälle, sondern sie bieten auch Potenzial für alternative Nutzungen, die in wirtschaftli­ cher Hinsicht, in Bezug auf die öffentliche Gesundheit und für den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft produktiv sein können. Eine solche alternative Nutzung, die in De­troit in vergleichsweise großem Stil praktiziert wird und mit der die Stadt sich einen Namen gemacht hat, ist die neue urbane Landwirtschaft. Das Konzept, brachliegende Grundstücke im Stadtgebiet für Landwirtschaft oder Gartenbau nutzbar zu machen, das in vielen Städten Amerikas und Europas seit den 1970er Jahren Schule gemacht hat, ist in Detroit Teil einer deutlich längeren Geschichte. Deren Anfänge sind mit einer rund drei Jahre andauernden ökonomi­ schen Krise in den 1890er Jahren verbunden, als viele Menschen keine Arbeit, aber Hunger und ihre Arbeitskraft hatten, die Stadt wiederum nicht über die Mittel für eine finanzielle Unterstützung, dafür aber über große Freiflächen innerhalb und außer­ halb der Stadtgrenze verfügte. Der damalige Bürgermeister, Hazen Pingree, ließ die vorhandenen Flächen parzellieren und an bedürftige Bürgerinnen für den Anbau von Kartoffeln, Bohnen und anderem Gemüse übergeben. Die zu Bauern geworde­ nen Städter halfen sich gegenseitig, erzielten große Ernten und überstanden so die Wirtschaftskrise und die Lebensmittelknappheit. Das ganze Land schaute damals auf Pingree und seine Stadt, und das „Detroit Model“ wurde bald in vielen amerikanischen Städten kopiert.

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Die freiwilligen Helferinnen arbeiten auf einem Gemüsefeld zwischen ehemaligen Werkshallen.

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Die großen Gemüsebeete sind mit professioneller Bewässerung ausgestattet und geben reichlich Ertrag.

Ein großes Gewächshaus im Aufbau.

Keep Growing Detroit unterstützt Urban Gardening und besitzt selbst Betriebe, die von und mit Freiwilligen Gemüseanbau betreiben.

Regelmäßig wird im Eastern Market das lokal produzierte Gemüse und Obst verkauft. Außerhalb des Markttages ist die Gegend wenig belebt.

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Beim nächsten Einbruch der Wirtschaft, der ungleich gravierenderen Weltwirtschafts­ krise der 1930er Jahre, verfügte die Stadtregierung von Detroit über ein Vorbild, auf das sie zurückgreifen konnte. Wieder war es der Bürgermeister, Frank Murphy, der die Initiative ergriff. Sich an Pingrees Erfolg erinnernd und von der Motivation und dem Arbeitswillen der Arbeitslosen überzeugt, entwickelte Murphy das Programm der sogenannten Detroit Thrift Gardens. Bedürftige Haushalte konnten sich um die Teil­ nahme am Programm bewerben und bekamen von der öffentlichen Hand ein Grund­ stück zugewiesen, für das sie außerdem Dünger, Tomaten- und Kohlpflanzen sowie Saatgut für viele Gemüsesorten erhielten. Auch diesmal halfen sich die Menschen gegenseitig; diejenigen, die mehr Erfahrung mit Gartenarbeit hatten, lernten andere an und halfen ihnen, ihre Gärten anzulegen. So wurde auch dieses Programm ein Erfolg. Die Regel war, dass das produzierte Gemüse nicht verkauft, sondern nur unter­ einander verteilt werden durfte. Das Programm wurde bis 1936 fortgeführt, als es der Wirtschaft wieder besser ging. Ein drittes Programm zur Förderung urbaner Landwirtschaft war das Farm-A-Lot Program des ersten afroamerikanischen Bürgermeisters von Detroit, Coleman A. Young, das 1974 ins Leben gerufen wurde. Es hatte zum einen den Zweck, den Pro­ blemen der seit längerem schrumpfenden Stadt wie Armut, hoher Kriminalitätsrate und verbreitetem Drogenkonsum zu begegnen, und zum anderen, die Bevölkerung zum Selbstanbau von Gemüse und Obst zu motivieren. Die Stadt stellte Grundstü­ cke und Sämereien zur Verfügung, doch von den 3.000 verfügbaren Grundstücken wurden nur wenige angenommen; das Programm wurde schließlich 2002 eingestellt. Trotz seiner begrenzten Wirkung hat es offenbar bei einigen Bürgerinnen einen Fun­ ken gezündet und den Teilnehmenden gezeigt, was es bedeutet, eigene Lebensmittel in hoher Qualität zu erzeugen. In den 1990er Jahren bildeten sich Initiativen, die die Vorzüge der urbanen Landwirtschaft wahrnahmen und sich zum Detroit Agriculture Network (DAN) zusammenschlossen. Das Netzwerk wurde staatlich gefördert und gründete eine Organisation, das Garden Resource Program (GRP), das zur „Mutter“ vieler Gartenprogramme wurde und heute von Keep Growing Detroit (KGD) geleitet wird, einer weiteren Non-Profit-Organisation. KGD möchte „eine unabhängige Stadt fördern, in der der Großteil des Obsts und Gemüses, das die Detroiter konsumieren, von Einwohnern innerhalb der Stadtgrenzen angebaut wird“. Die Organisation unter­ hält Gartenbau auf großen Flächen und arbeitet mit Freiwilligen, Kindern und allen, die das urbane Gärtnern lernen oder auch nur mitarbeiten möchten. Das Gemüse wird regelmäßig auf Märkten verkauft wie auch in Restaurants oder für Catering verarbeitet. Keep Growing Detroit kann in mehrfacher Hinsicht als großer Erfolg für die Stadt gel­ ten: Es bindet die Einwohnerinnen ein, versorgt sie mit gesunden Lebensmitteln und unterhält klimawirksame Grünflächen im Stadtgebiet. Die positive Bilanz lässt sich anhand der Zahlen belegen: Die Organisation unterstützte im Jahr 2019 insgesamt 25.491 Bürgerinnen, die 1.589 Gärten und landwirtschaftliche Betriebe bewirtschaf­ ten; zudem beteiligten sich 2.650 Freiwillige an den Arbeiten. Unter den Gärten waren 983 Familiengärten, 141 Schulgärten, 374 Gemeinschaftsgärten und 91 Höfe und Märkte; 58 Gärtner haben ihre Produkte auf den Märkten verkauft und einen Erlös von $ 51.190 erzielt. Die Hälfte der 2019 bewirtschafteten Gärten war bereits seit mehr als drei Jahren bei KGD. Die Organisation hat ferner 53.596 Saattüten und 204.015 Jung­ pflanzen verteilt, die insgesamt 95 Sorten Gemüse umfassen. Es wurden 967 Obst­ bäume und -sträucher sowie 10.620 einheimische Pflanzen an 150 Partner gegeben. Sieben Regenwassersammelsysteme speichern über 50.300 Liter Regenwasser,

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Keep Growing Detroit

59 Imker halten 55 Bienenvölker, 16 junge Menschen wurden ausgebildet, 80 Veran­ staltungen hatten 552 Beteiligte. Zu den Zielsetzungen, die sich KGD laut Satzung gegeben hat, gehört die Förderung der Gesundheit der Nachbarschaftsbewohner durch hochqualitative Lebensmittel, der Aufbau einer resilienten lokalen Wirtschaft und der Schutz bzw. Erhalt von Boden, Wasser und Biodiversität für zukünftige Generationen.

CAMPUS MARTIUS PLAZA In Städten mit großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen werden Parks und Grünflächen häufig vernachlässigt, so auch in Detroit. Hier wurde diese Problematik noch dadurch verschärft, dass die Innenstadt insgesamt vernachlässigt wurde, nach­ dem über mehrere Dekaden viele Familien und Firmen in die Vororte gezogen waren. Vor diesem Hintergrund kommt der Neugestaltung des Campus-Martius-Parks für die 300-Jahr-Feier der Stadt nicht nur stadtplanerisch besondere Bedeutung zu, sondern sie hat auch wichtige symbolische und kulturelle Dimensionen. Obwohl der 300. Geburtstag der Stadt in das Jahr 2001 fiel, konnte eine grundlegende Erneuerung des Geländes durch das Büro Rundell Ernstberger Associates erst 2003–04 realisiert werden. Ursprünglich diente der Campus Martius als Exerzierplatz. Als die Stadt nach dem großen Feuer von 1805 wiederaufgebaut werden musste, wurde in dem damals noch sumpfigen Gelände ein großer Stein für die Platzierung der Messinstrumente zur genauen Bestimmung der Himmelsrichtungen verwendet. Dieser Stein ist noch heute markiert und gilt als Ursprung des neuen Detroits, denn hier beginnt das Koordinaten­ system der Stadt. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das sumpfige Land zur Verbesse­ rung des Baugrunds um mehr als 30 Meter aufgefüllt.

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Der Ursprung der Stadt, in Granitstein kenntlich gemacht auf der Campus Martius Plaza.

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Bis zum Fluss sind die Fußgängerbereiche über die querenden Straßen mit Zebrastreifen verbunden. Lichtinstallationen animieren zum Besuch auch am Abend.

Große Bäume auf der Grünfläche laden ein zum Aufenthalt im Zentrum der Stadt.

Ein Strand mit Palmen animiert zum Spielen im Sand.

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Die Rasenfläche lädt ein zum Sitzen. Unterschiedlich große Gruppen können die Stühle frei zusammenstellen.

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Die Aufenthaltsbereiche sind unterschiedlich begrünt, so dass der Verkehr wenig stört und die Flächen ein besseres Sicherheitsgefühl vermitteln.

Campus Martius Plaza

Die Neugestaltung zu Beginn des 21. Jahrhunderts umfasste neben dem Park auch die Straßenräume der von dort ausstrahlenden fünf großen Boulevards. Zu den Gestaltungselementen gehören Brunnenanlagen, öffentliche Gärten, Beleuchtungs-, Klang- und Kunstinstallationen, Beschilderungen sowie Hinweistafeln an historisch bedeutsamen Orten. Der Park wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, unter anderem 2010 mit dem Amanda Burden Urban Open Space Award des Urban Land Institute. Die Jury beschrieb den Park als herausragendes Beispiel eines öffentlichen Raums, der als Katalysator für die Entwicklung angrenzender Stadtteile fungiert. Die vielfältig nutzbaren Freiflächen bieten Raum für Veranstaltungen zu allen Jah­ reszeiten. Auffällig sind die vielen unterschiedlichen Aufenthaltsmöglichkeiten, die hochwertige und gut gepflegte Bepflanzung, die Rasenflächen mit freier Bestuhlung, ferner eine einfallsreiche Beleuchtung, die zum Aufenthalt auch am Abend anregt. Auch wenn hier im Stadtzentrum Hochhäuser dominieren, sind der Grünanteil und die Aufenthaltsqualität erfreulich hoch. Die Baumkronen sorgen für eine lichte Beschat­ tung der Aufenthaltsflächen und in der Mitte des Parks bietet eine große Sandfläche Möglichkeiten für einen vielfach gestaltbaren Aufenthalt. Der Klimawandel trifft Detroit in einer Situation, in der die Stadt immer noch mit den Folgen eines massiven wirtschaftlichen Niedergangs beschäftigt ist, der bereits Mitte des 20. Jahrhunderts einsetzte. Die Stadt hat aus der Not der doppelten Herausforde­ rung von Schrumpfung und Resilienzförderung gewissermaßen eine Tugend gemacht und kann insbesondere bei der Umwidmung von Brachflächen unter anderem auf im Zuge einer langen Tradition und wechselhaften Geschichte angesammelte Erfahrun­ gen zurückgreifen. Im Vordergrund der urbanen Entwicklung stehen die Stärkung und Regenerierung einer reichhaltigen grün-blauen Infrastruktur, die Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln sowie der Erhalt der städtischen Identität. In diesem Kontext sind die Neugestaltung der Grünflächen im Stadtzentrum und die Nutzung innerstädtischer Brachflächen für urban gardening und urban agriculture besonders vorbildhaft.

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Houston liegt im Osten des US-Bundesstaates Texas, etwa 60 Kilometer von der Küste des Golfs von Mexiko entfernt, auf einem niedrigen, nur 15 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Küstenplateau. Die offizielle Namensergänzung der Stadt ist „Space City“, denn hier befindet sich seit 1961 das Johnson Space Center, das Astronautenausbildungs- und Flugkontrollzentrum der NASA, nebst einem Besucher- und Lernzentrum für Wissenschaft und Weltraumforschung, dem Space Center Houston, das 1992 eröffnet wurde. Houston ist die größte Stadt der Südstaaten und viertgrößte Stadt des gesamten Landes mit 2,3 Millionen Einwohnerinnen im Stadtgebiet und 7 Millionen in der Metropolregion. Letztere erstreckt sich mittlerweile bis an die Golfküste und zählt zu den besonders schnell wachsenden Großstadtregionen der USA. Gegründet wurde die Stadt 1836 am Ufer des Buffalo Bayou, einem kaum 100 Kilometer langen Gewässer. Die Gründung erfolgte, nachdem General Sam Houston während des texanischen Unabhängigkeitskrieges von 1835/36 in der entscheidenden Schlacht von San Jacinto, östlich der heutigen Stadt, die mexikanischen Truppen besiegte. Der Buffalo Bayou ist auch noch heute der wichtigste Fluss Houstons, er durchfließt die Stadt von West nach Ost. Bayou ist in den Südstaaten der USA die Bezeichnung für einen langsam fließenden Tieflandfluss, der typischerweise, wie auch hier, in sumpfigem Gelände verläuft. Insgesamt fließen zehn solcher Wasserläufe durch Houston und seine weitere Umgebung; die Stadt hat daher auch den zweiten Beinamen „The Bayou City“. Die sumpfigen Flüsse dienen unter anderem als Entwässerung der bebauten Stadtflächen. Der Buffalo Bayou wird östlich der Stadt als Houston Ship Channel weitergeführt, der etwa 60 Kilometer weiter südlich in den Golf von Mexiko mündet. Entlang des Kanals erstreckt sich über 40 Kilometer der zweitgrößte Seehafen der USA. Aufgrund der Gefährdung durch Hurrikans wurde er im geschützteren Landesinneren angelegt. Houston ist vor allem für den Umschlag von Öl- und Ölprodukten bekannt. In seinem Ballungsraum stehen mehrere der größten Raffinerien von Texas. Da die Region im Falle von Wetterextremen besonders gefährdet, zugleich aber ein wertvoller Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen ist, kann die Lagerung und Verarbeitung von Ölprodukten in großem Stil aus ökologischer Sicht nur kritisch beurteilt werden. Allein an der Galveston Bay, die den Großraum Houston mit dem offenen Meer verbindet, und dem östlich angrenzende Küstenstreifen befinden sich drei bedeutende Vogelschutzgebiete, die Anahuac National Wildlife Refuge, die McFaddin National Wildlife Refuge mit dem Sea Rim State Park und die Texas Point National Wildlife Refuge. Houston liegt in der subtropischen Klimazone mit tropisch-warmen Temperaturen und hohen Niederschlagsmengen. Das Klima wird dazu von der Lage nahe der Golfküste beeinflusst. Es eignet sich besonders gut für Landwirtschaft. Die mittlere Tagestemperatur beträgt 26,1 °C über das Jahr, überdurchschnittliche Temperaturen von bis zu 34,2 °C werden im Sommer zwischen April und Oktober erreicht, in sieben Monaten steigen die Temperaturen über 25 °C. Die durchschnittliche Tiefsttemperatur beträgt 14,1 °C. Die Niederschlagssumme liegt im Jahr bei 1.242 Millimetern. Es regnet in jedem Monat des Jahres, mit monatlichen Niederschlagsmengen zwischen 60 und 130 Millimetern, im Winter weniger als im Sommer. Die Luftfeuchtigkeit wird in über der Hälfte des Jahres als schwül empfunden, wobei die Kriterien eine Temperatur von mehr als 25 °C und eine relative Luftfeuchtigkeit von mehr als 75 Prozent sind. 96 1 (vorige Seite)

Der Buffalo Bayou Park vor der Kulisse der Downtown von Houston.

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In der weiteren Region um Houston treten häufig tropische Wirbelstürme auf, die Hurrikan-Saison dauert vom 1. Juni bis zum 30. November. Houston liegt zwar am Rand der ausgewiesenen Gebiete für tropische Wirbelstürme, erlebte aber in den letzten Jahren eine Häufung von unterschiedlichen Wetterextremen. Im Sommer 2011 war Houston beispielsweise über einen Zeitraum von 24 Tagen einer extremen Hitzewelle mit Temperaturen von über 38 °C ausgesetzt. Ein Drittel der Bürger konnte ihr Haus wegen fehlender Klimaanlagen oder unerschwinglicher Stromkosten für den Betrieb der Anlagen nicht ausreichend kühlen. In Texas vertrockneten 301 Millionen Bäume und allein in Houston zerbrachen rund 1.000 Wasserleitungen aufgrund der Austrocknung und damit Schrumpfung des Lehmbodens. In den darauffolgenden Jahren wurde Houston dann von verheerenden Stürmen mit starken Regenfällen getroffen. Ende Mai 2015 wurde im Zuge der stärksten Niederschläge seit Beginn der Wetteraufzeichnungen ein großer Teil der Stadtfläche überschwemmt. Nur etwas mehr als zwei Jahre später, Ende August 2017, zog der Zyklon Harvey, der die Stufe 4 erreicht hatte, mit sehr langsamer Geschwindigkeit über Houston hinweg. 42 Menschen kamen ums Leben und noch ein Jahr später waren Spuren an Häusern, Infrastruktureinrichtungen und Grünflächen sichtbar. Harvey war der regenreichste Sturm, der jemals über die USA zog. Er brachte innerhalb weniger Stunden 60 bis 80 Liter Niederschlag pro Quadratmeter, während des tagelangen Dauerregens fielen bis zu 1.000 Liter pro Quadratmeter. Wiederum rund zwei Jahre später traf der Wirbelsturm Imelda auf Houston, erneut mit hohen Niederschlagsmengen. Fünf Menschen starben und der Sachschaden war auch in diesem Fall immens. Innerhalb weniger Jahre war Houston damit einem 500-jährlichen und zwei 100-jährlichen Regenereignissen ausgesetzt. Diese kurze Abfolge von Extremwetterereignissen war ebenso ungewöhnlich wie unerwartet. Der Klimawandel erhöht offenbar nicht nur die Häufigkeit der Stürme, sondern er scheint auch ihre Geschwindigkeit zu verringern, was wiederum dazu führt, dass die Wassermengen, die die Zyklone über dem Meer aufnehmen, steigen und die Niederschläge stärker werden.

AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Houston hat in besonders drastischer Weise erfahren, dass die Abstände zwischen Extremwetterereignissen kürzer werden und entsprechend weniger Zeit bleibt, Schäden zu beseitigen und resilientere Strukturen aufzubauen. Nach dem Sturm Harvey wurde in der Stadtverwaltung eine Abteilung für Nachhaltigkeit gegründet und ein Klimaaktionsplan ausgearbeitet, der 2020 in Kraft trat. Dieser Plan sieht eine massive Reduzierung von Treibhausgasemissionen vor, um bis zum Jahr 2050 das Ziel der Klimaneutralität, das im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurde, zu erreichen. Trotz des zeitweisen Rückzugs der Bundesregierung der USA aus diesem Klimaabkommen hat sich der Bürgermeister von Houston, ebenso wie 425 weitere Bürgermeisterinnen amerikanischer Städte in 49  Bundesstaaten, zu dem Abkommen und der Erfüllung seiner Ziele bekannt. Weniger als ein Jahr nach Hurrikan Harvey trat Houston als 101ste Stadt dem Netzwerk der resilienten Städte bei. Während die ersten 100 Städte von der Rockefeller Stiftung unterstützt wurden, die die Initiative ins Leben gerufen hatte, bekam Houston 1,8 Millionen Dollar von der Shell Oil Company. Im Klimaaktionsplan für die Stadt Houston wird der Klimawandel als eine unvorhersehbare Herausforderung für die Sicherheit und den Wohlstand der Stadt aufgefasst. Aufgrund der Erlebnisse mit Harvey und seinen desaströsen Folgen für die

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Bevölkerung, Infrastrukturen und Besitztümer wurde der Verbesserung des Hochwasserschutzes Priorität eingeräumt. Außerdem wird die Notwendigkeit benannt, sich auf größere Hitzewellen und Dürren sowie Beeinträchtigungen der Luft- und Wasserqualität vorzubereiten. Weitere Punkte, die genannt werden, sind die Gefährdung der Ernährungssicherheit sowie die Verbreitung von Krankheiten. Allerdings sind diese Aussagen noch allgemein gehalten und nicht speziell auf die Stadt Houston bezogen. Als Bedrohung werden ferner die Erosion der Küste am Golf von Mexiko sowie Veränderungen der Lebensräume aufgrund des Eindringens von Salzwasser in Süßwassergebiete durch den zunehmenden Anstieg des Meeresspiegels bewertet. Auf der vor der Golfküste gelegenen Insel Galveston ist bereits eine Erhöhung des Meeresspiegels von im Mittel 60 Zentimeter festgestellt worden. Häuser sind hier in der Regel auf Stützen gebaut, in der Hoffnung, dass sie bei Hochwasser unbeschädigt bleiben. Entlang der Golfküste befinden sich auch ausgedehnte Wildtierschutzgebiete, deren Ökosysteme zwar an regelmäßige Überschwemmungen angepasst sind, die aber auf eine Änderung der Salinität des Wassers, auf Erosion und weitere Veränderungen aufgrund von Sturmfluten sensibel reagieren könnten. Der Klimaaktionsplan ist in die vier Bereiche Verkehr, Energie, Gebäudeoptimierung und Müllentsorgung und -nutzung gegliedert und macht für jeden dieser Bereiche drei Vorschläge zur Verminderung von Treibhausgasemissionen. Für den Bereich Energie wird das Ziel formuliert, zwecks Bindung von CO2 bis zum Jahr 2030 4,6 Millionen heimische Bäume zu pflanzen. Es ist das einzige Ziel im Klimaaktionsplan, das die Vegetation oder grüne Infrastruktur betrifft. Shell unterstützt die Mitgliedschaft im Global Resilient Cities Network mit der Finanzierung der Entwicklung einer Resilienzstrategie. Sie soll es der Stadt ermöglichen, gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels deutlich widerstandsfähiger zu werden. Aufschlussreich sind die Klimaprognosen, von denen diese Entwicklungsstrategie ausgeht, falls die Stadt untätig bleiben sollte. Für diesen Fall wird Houston vorhergesagt, dass anstatt der heute zehn Tage im Jahr mit Temperaturen von

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Die Häuser an der Golfküste in Galveston stehen bereits heute auf Stelzen zum Schutz gegen Hochwasser.

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über 40 °C im Jahr 2050 derartig hohe Temperaturen an 74 Tagen auftreten würden. Als  Ursachen werden fortschreitende Verstädterung und Bevölkerungswachstum und die damit einhergehende Zunahme der Versiegelung von Flächen genannt. Das Ergebnis seien längere und heißere Sommer. Auch die Häufigkeit und die Regenmengen von Sturm- und Starkregenereignissen werden laut diesen Prognosen zunehmen. Der Anstieg des Meeresspiegels an der texanischen Golfküste wird als doppelt so hoch wie im weltweiten Durchschnitt angenommen. Wenn diese Prognosen eintreffen sollten, wären Küstenlebensräume extrem gefährdet, und zwar nicht nur Wohnhäuser auf Stelzen, sondern zum Beispiel auch Industrieanlagen wie Kraftwerke und Ölraffinerien, die an der texanischen Küste zahlreich sind. Zu den Initiativen der Stadtverwaltung, um den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen, gehört auch das Green Building Resource Center. Die Einrichtung, die 2009 am Tag der Erde (22. April) eröffnet wurde und sich in einem mit der LEEDBewertungsstufe Gold zertifizierten Gebäude befindet, ist eine wahre Fundgrube für Inspirationen und Informationen über nachhaltiges Bauen. Das Informationszentrum präsentiert anhand von Schaubildern, Modellen und Erklärungstafeln über 50 Beispiele, wie sich Gebäude und Freiräume ökologisch und resilient bauen bzw. anlegen lassen. Zu den Exponaten für Demonstrationszwecke gehören unter anderem ein grünes Dach, das mit dem Kondenswasser von Kühlanlagen bewässert wird, eine Fotovoltaikanlage sowie vier Windturbinen. Die Informationen sind äußerst vielfältig und ein Besuch wird auf Wunsch fachkundig begleitet. Neben praktischen Anwendungen weist das Green Building Resource Center auch auf weiterführende Initiativen und Netzwerke hin, beispielsweise auf die Klimaschutzinitiative Drawdown. Die Initiative ist benannt nach dem Punkt, an dem die Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre so stark abgenommen hat, dass der schädliche anthropogene Einfluss auf das Klima gestoppt ist. Drawdown teilt die Lösungsansätze zur Eindämmung des Klimawandels in drei Kategorien: Reduktion der Emissionen, Stärkung von Treibhausgassenken und gesellschaftliche Fortschritte. Die hauptsächlichen Treibhausgasemittenten werden in fünf Sektoren unterteilt – Elektrizität; Ernährung, Landwirtschaft und Landnutzung; Industrie; Verkehr; Gebäude – und es wird deren Reduktionspotenzial aufgrund zurzeit bekannter Maßnahmen und Möglichkeiten analysiert. Die Treibhausgassenken liegen auf dem Land, an Gewässerufern oder in den Meeren, oder es handelt sich um von Menschen konstruierte Anlagen. Die  Beiträge der Landschaftsarchitektur betreffen im Wesentlichen die Sektoren Landnutzung einschließlich Ernährung, ferner Verkehr und Gebäude. Das Projekt stellt auch konkrete Maßnahmen vor und bewertet diese hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf eine Verringerung der Klimagasemissionen. Die Liste befindet sich ständig in der Überprüfung und Aktualisierung und wird als nicht abgeschlossen betrachtet. Abhängig vom gewählten Szenario eines Temperaturanstiegs bis zum Jahr 2100 von 2 oder 1,5 °C haben die Ergebnisse eine unterschiedliche Reihenfolge. Beispielsweise wird im Fall des ersten Szenarios der Reduzierung von Lebensmittelabfällen das größte Potenzial zur Reduzierung von Klimagasen zugerechnet, denn ein Drittel der weltweit erzeugten Lebensmittel wird gegenwärtig nicht verzehrt. Dementsprechend werden viele weitere Ressourcen wie Saatgut, Wasser, Energie, Land, Dünger, Arbeit und Finanzkapital geradezu verschwendet und erzeugen darüber hinaus unnötig Treibhausgase. Verschwendete Lebensmittel machen zurzeit etwa 8 Prozent der globalen Emissionen aus. In Ländern mit niedrigeren Einkommen ist die Vernichtung in der Regel ungewollt und findet in den Lieferketten statt, auf den Farmen, während

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Auswirkungen des Klimawandels

der Lagerung oder bei der Verteilung. In Ländern mit höherem Einkommen kann die Lebensmittelverschwendung dagegen als vorsätzlich bezeichnet werden, etwa wenn Lebensmittel aufgrund von unregelmäßigem Wuchs, Beulen und Verfärbungen vernichtet werden oder weil aufgrund niedriger Preise häufig zu viel gekauft wird. Angefangen mit den Stellen mit den höchsten Verlusten an Nahrungsmitteln, müssen, so  die Forscher von Drawdown, Wege zur Reduktion des Wegwerfens und Verderbenlassens und damit zur Treibhausgasreduktion gefunden werden. Damit verbindet sich die Aufgabe, die Verteilung produzierter Lebensmittel so zu organisieren, dass niemand hungern muss und für alle Menschen eine gute Ernährung gesichert wird. Dies ist die Voraussetzung für eine gute Entwicklung von Kindern und für eine gesunde Bevölkerung, es ist das Mindeste, das erreicht werden muss. Über nationale Zielvorgaben hinaus muss es internationale Bemühungen geben, so Drawdown, allen Menschen eine ausreichende und gesunde Ernährung zukommen zu lassen und die Verschwendung von Lebensmitteln auf ein Minimum zu begrenzen. Eine andere Lösung mit großem Potenzial zur Einsparung von Treibhausgasen, die von Drawdown skizziert wird, ist das bessere Management von chemischen Kältemitteln. Die in Kühlschränken und Klimaanlagen enthaltenen Kältemittel erzeugen Kälte durch die Aufnahme und Abgabe von Wärme. Diese Mittel, besonders Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) und teilfluorierte Kohlenwasserstoffe (HFKW), sind extrem klimaschädlich, und zwar um den Faktor 1.000- bis 9.000-mal mehr als CO2. Inzwischen werden dank des Kigali-Abkommens von 2016, das von allen 197 Ländern der Vereinten Nationen unterzeichnet wurde, Anstrengungen zum Umstieg auf andere Mittel wie Propan oder Ammonium unternommen. Für Industrieländer ist eine Reduktion des HFKW-Verbrauchs um 85 Prozent bis 2036 vorgesehen, für die Entwicklungsund Schwellenländer gelten differenzierte Reduktionspläne mit Zielen von 80 bzw. 85 Prozent für den Zeitraum von 2024 bis 2047. Bis überall auf der Welt weniger klimaschädliche Kühlmittel eingesetzt werden, wird die Menge der HFKW jedoch noch weiter ansteigen und am Ende ihrer Nutzungsdauer ist eine sorgfältige Entfernung unerlässlich. Drawdown weist darauf hin, dass Wissenschaftler die Auswirkungen des Kigali-Abkommens so hoch einschätzen, dass die globale Erwärmung um fast 1 °C reduziert wird. Doch zurück zu den Maßnahmen zur Resilienzstärkung im texanischen Houston. Das Houston Parks and Recreation Department verwaltet und pflegt aktuell 370 Parkanlagen und 200 weitere Grünflächen und Promenaden. Drei städtische Parks werden hier vorgestellt, von denen einer, der Buffalo Bayou Park, die größte Ausdehnung unter den Grünflächen in zentraler Lage hat und als resilienter Park bezeichnet wird. Die anderen beiden Parks umfassen unter anderem integrierte Regengärten für die Rückhaltung von Regenwasser. Sie liegen beide in dicht bebauten Innenstadtgebieten südwestlich des Zentrums.

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Der 2015 eröffnete Buffalo Bayou Park erstreckt sich über 3,7 Kilometer westlich des Stadtzentrums entlang des Flusses, nach dem er benannt ist, und umfasst eine Fläche von insgesamt 65 Hektar. Die Bedeutung des Buffalo Bayou und der anderen Flüsse für die Entwässerung der Stadt, insbesondere nach starken Regenfällen, wurde bereits zum Zeitpunkt der Gründung von Houston erkannt. Wie oben bereits

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erwähnt, wurde Houston in einiger Entfernung von der Golfküste angelegt, weil die Anfälligkeit für Überflutungen nicht zu übersehen war. Vor diesem Hintergrund war das Gebiet, das heute den Buffalo Bayou Park umfasst, bereits seit den frühen 1900er Jahren als Parkland vorgesehen. Doch jahrzehntelang sah die Stadtverwaltung keinen Anlass, das innerstädtische Tiefland-Flusssystem, innerhalb dessen der Buffalo Bayou der größte Teilfluss ist und der Innenstadt am nächsten liegt, als potenzielle Rückhaltezone für den Fall großer Überschwemmungen zu bewahren. Im Gegenteil, in den 1950er Jahren wurde der Buffalo Bayou sogar in Teilen begradigt und es gab Pläne, ihn als Kanal mit Betonwänden auszubauen, um bei Hochwasser den Abfluss zu beschleunigen. Zwar konnte die Umsetzung solcher aus heutiger Sicht kontraproduktiven Bauvorhaben verhindert werden, doch das hochwassergefährdete Gelände um den Bayou wie auch das Gewässer selbst wurden weiterhin vernachlässigt. Zeitweilig hatte der Buffalo Bayou sogar den Ruf, der am stärksten verschmutzte Fluss von Texas zu sein. Dennoch entstanden in der Umgebung des Flusses und seiner Uferzonen vor allem wohlhabende Stadtviertel. Im Jahr 1986 gründete sich die Bürgerinneninitiative Buffalo Bayou Partnership (BBP), die sich der Entwicklung des Gebietes annahm und Planungen beauftragte. Wichtige Anliegen der auch 35 Jahre später noch aktiven Initiative sind Umweltgerechtigkeit, die Partizipation von Bürgern an der Planung und Gestaltung sowie das Erinnern an die Geschichte des Geländes mittels Schautafeln, Denkmälern und künstlerischer Eingriffe und Installationen.

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Mit seiner Ausdehnung und zentralen Lage übernimmt der Buffalo Bayou Park wichtige Funktionen für die Stadt.

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Die Wege des Parks liegen auf unterschiedlichen Niveaus, sie werden von Fußgängern wie Radfahrerinnen genutzt.

Die Fußgängerbrücken über den Fluss verbinden angrenzende Stadtteile miteinander.

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Der erste Plan für den Buffalo Bayou Park aus dem Jahr 2002 sah vor, das Ökosystem des Flusslaufes wo erforderlich wiederherzustellen, seine Wasseraufnahme zu vergrößern, den Erlebniswert zu erhöhen und im Zuge dessen angrenzende Stadtteile aufzuwerten. Der Schutz vor Überschwemmungen war das wichtigste Anliegen, aber BBP wollte darüber hinaus auch eine Uferpromenade und einen veritablen Park mit Aufenthaltsqualitäten schaffen. Als öffentlich-private Partnerschaft gelang es BBP, erhebliche Mittel für das Projekt einzuwerben, darunter eine großzügige Einzelspende, so dass sowohl der Park gebaut als auch seine weitere Unterhaltung finanziert werden konnten. Die Planung übernahm die SWA Group, ein Landschaftsarchitekturbüro, das über Jahrzehnte Erfahrungen in Sachen Wiederherstellung der Ökologie, Regenwassermanagement und Hochwasserschutz gesammelt hatte.

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Im Vergleich der Aufnahmen im Normalzustand, oben, und bei Überschwemmung, unten, wird das Ausmaß der Wassermassen, die im Park zusammenkommen, sichtbar.

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Ein Jahr nach der Flut sind noch geringe Schäden sichtbar, aber der Park ist wieder funktionsfähig.

Noch ein Jahr nach dem Sturm Harvey zeigt das Treibgut die Höhe des damaligen Wasserstandes an.

Im oberen Teil des Parks haben die typischen Eichen, Quercus virginiana, keinen Schaden durch das Hochwasser genommen.

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Der Park liegt nahezu überall unterhalb des Niveaus der Straßen und der die umliegenden Stadtgebiete verbindenden Brücken. Das Gelände wurde um vier neue Fußgängerinnenbrücken ergänzt, um Möglichkeiten für unterschiedlich lange Rundwege zu schaffen, die für Wanderungen ebenso wie für Radtouren geeignet sind. Die Fußgängerbrücken haben auch die Anbindung der angrenzenden Stadtgebiete verbessert, so dass nunmehr rund 44.000 Haushalte den Park innerhalb von zehn Minuten zu Fuß erreichen können und eine halbe Million Haushalte nicht mehr als 30 Minuten mit dem Rad entfernt liegen. Im Park gibt es vielfältige Angebote für die Freizeitgestaltung, darunter zwei Besucherinnenzentren, ein Fahrradverleih, Kunstwerke und Gärten, in den höher gelegenen Zonen befinden sich Flächen für Sport und Spiel, ein Bootshaus, ein Skatepark und ein großer Hundeauslauf. Der Entwurf des Parks gibt stets dem Blick auf das Wasser Vorrang und berücksichtigt dabei sowohl Überschwemmungssituationen als auch Trockenzeiten – Extreme, die hier beide auftreten. Die Begradigung des Wasserlaufs wurde rückgängig gemacht. Stattdessen wurden Mäander und die Fließgeschwindigkeit reduzierende Schwellen angelegt, an denen Hochwasser abfließen und Schlamm sich absetzen kann. Nach einem Hochwasser werden besonders diese Stellen gereinigt. Altarme des Bayou wurden als Feuchtgebiete wiederhergestellt, und durch die Urbanisierung verloren gegangene Nebenflüsse wurden mit Hilfe von mit Pumpen betriebenen Kaskaden neu belebt, um zusätzlichen Lebensraum und weitere Hochwasserkapazitäten zu schaffen. Steile Hänge wurden so angepasst, dass sich die Durchlässigkeit des Flusstals und wiederum die Aufnahmekapazität verbesserten und sie gleichzeitig den Blick in und durch das Tal öffnen. Unter der Mitarbeit und Beratung lokaler Naturschutzorganisationen wurden umfangreiche Neupflanzungen angelegt; dazu zählen 14.000 einheimische Bäume sowie Präriepflanzen auf einer Gesamtfläche von 12 Hektar . Die Strukturen des Parks sind so angelegt, dass sie bei Überschwemmungen sowohl dem Wasser als auch dem darin mitgeführten Geröll standhalten. Sämtliche Bauten, Parkmöbel und andere Elemente wurden zum einen mit tiefreichenden Fundamenten ausgestattet, damit sie nicht weggeschwemmt werden können, zum anderen wurden besonders robuste und widerstandsfähige Materialien ausgewählt: Die Schattenpavillons bestehen aus Betonplatten, Lichtmasten aus Betonfertigteilen, Handläufe sind bewusst überdimensioniert und Brückenwiderlager wurden mit Beton gefüllt und mit verzinktem Stahl überzogen. Letztere sind außerdem so dimensioniert, dass sie über die Marke für ein 100-jährliches Hochwasser ragen. Die Betonstützen der neuen Fußgängerbrücken führen über 20 Meter tief in die Erde. Abgerundete Ecken schützen Brückenpfeiler ebenso wie Bänke oder Müllbehälter bei Hochwasser vor einem Umstürzen durch Erosion, Stützmauern sind im unteren Bereich geneigt, damit der Schlamm abfließen kann. Die Gebäude haben Erdgeschosszonen, die ohne bleibende Schäden überflutet werden können. Eine Ausstattung mit solchen Konstruktionsmerkmalen erhöht die Kosten um 15 bis 20 Prozent gegenüber einer herkömmlichen Errichtung oder Fertigung. Nach seiner Fertigstellung im Jahr 2015 erlangte der Park bei der Bevölkerung schnell große Beliebtheit. Neue Wegeverbindungen für Fußgängerinnen und Radfahrer entlang des Bayou führen nach Osten in die Innenstadt und zu den Wander- und Reitwegen des Memorial Parks im Westen der Stadt. Zuvor weitgehend getrennte Stadtteile auf beiden Seiten des Buffalo Bayou wurden stärker verknüpft und zum Teil sehr

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unterschiedliche soziale und kulturelle Milieus in Kontakt miteinander gebracht. Zahlreiche Veranstaltungen erhöhen die Attraktivität des Parks zusätzlich. Allerdings stiegen auch die Immobilienpreise in der Nähe des Parks deutlich. Der Erfolg der Entwurfsplanung und Konstruktionsweise des Parks zeigte sich vor allem nach Hurrikan Harvey 2017. Obwohl das Wasser am westlichen Ende des Parks um 13 Meter anstieg, stand das obere Drittel des Parks nicht lange unter Wasser. In diesem Bereich konnten die Wege schon bald wieder genutzt werden. Die enormen Wassermengen, die über den Bayou abgeführt werden mussten, einschließlich der Auslässe aus höherliegenden Stauseen, sowie die Schlammmassen, die durch das Tal geschwemmt wurden bzw. sich dort absetzten, hinterließen in den unteren zwei Dritteln des Parks beträchtliche Schäden an der Vegetation und mehreren Fleder­ mauskolonien. Nach Ablauf des Wassers waren die Uferbereiche erodiert und es mussten 4.000 LKW-Ladungen Schlick, Pflanzenreste und Trümmer beseitigt werden. Bei der Wiederherstellung wurde der Schutz der Ufer vor Erosion durch eine zusätzliche Befestigung der Hänge mit Steinschüttungen, Gabionen aus recyceltem Beton und Kokosfasern verbessert. Besonders Zonen unter Brücken und gegenüber von Zuläufen waren aufgrund der langen Dauer der Überschwemmung stark betroffen und mussten zusätzlich stabilisiert werden. Unter den Brücken hängende Pflanzenreste zeugten noch ein Jahr nach Harvey von der enormen Höhe des damaligen Hochwassers, und an einigen Stellen waren noch erodierte Uferbereiche zu erkennen. Aber insgesamt war der Park ein Jahr nach der Katastrophe voll funktionsfähig und entsprechend gut besucht. Für die Reparaturleistungen konnten die finanziellen Reserven genutzt werden, die vorausschauend zu Beginn der Planung zurückgelegt worden waren. Die Erkenntnisse aus der Planung des Buffalo Bayou Parks werden für die geplante Umgestaltung des weiteren Flusslaufes in Richtung Osten von großem Nutzen sein. Hier ist das Tal nicht so eng. Da es allerdings zuvor als Industriegebiet genutzt wurde, müssen zunächst diverse Probleme durch Altlasten gelöst werden. BBP hat bereits Grundstücke gekauft, um Parkflächen und Wege anzulegen. Die Entstehungsgeschichte des Buffalo Bayou Park demonstriert einmal mehr, welche zentrale Bedeutung die Entwicklung der grün-blauen Infrastruktur für die Lebensfähigkeit und Lebensqualität einer Stadt hat. In Zeiten eines sich beschleunigenden Klimawandels gilt das umso dringlicher. In Houston wurde die grün-blaue Infrastruktur über lange Zeit vernachlässigt. Stattdessen wurden die Grünflächen und Gewässer, die das Stadtgebiet durchziehen, technokratischen und wirtschaftlichen Interessen unterworfen, die jedem Miteinander mit der Natur und ihren Gegebenheiten entgegenstanden. Seit ein Umdenken eingesetzt hat, nicht zuletzt befördert durch sich häufende Wetterkatastrophen, ist in dieser reichen texanischen Metropole nunmehr ein resilienter Park entstanden, der vorbildliche Qualität hat. Der Buffalo Bayou Park zeigt nicht nur, dass, wenn das verfügbare technische und gestalterische Wissen der Landschaftsarchitektur auf kluge und geschickte Weise genutzt wird, die Gefahren durch den Klimawandel für eine Stadt der Größe Houstons beträchtlich gemindert werden können. Der Erfolg des Parks zeigt auch, dass damit ganz neue Potenziale der Stadtlandschaft – und vielleicht auch der Stadtgesellschaft – freigesetzt werden können.

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LEVY PARK Dieser gut 2 Hektar große Park, der westlich der Downtown von Houston im Upper Kirby District liegt, war bereits in den 1940er Jahren angelegt worden, im Laufe der Jahrzehnte jedoch stark verfallen, so dass er kaum noch genutzt wurde. Nach mehrjähriger Planung wurde das Gelände 2015 von dem Landschaftsarchitekturbüro OJB Landscape Architecture vollkommen erneuert und 2017 wiedereröffnet. Unmittelbar auffällig ist das weite Spektrum an unterschiedlichen Elementen, die auf dem vergleichsweise kleinen Gelände untergebracht sind. Dazu gehören unter anderem originelle Spielzonen für Kinder, interaktive Wasserelemente, ein Pavillon mit ausladendem Schattendach, Restauration, gepflasterte Plätze mit vielfältigen Sitzgelegenheiten, Rasenflächen und ein Hundespielplatz. Charakteristisch für den Entwurf des Büros OJB ist neben der großen Dichte und Vielfalt der Aktivitätsangebote eine klimaresiliente Gestaltung, die sowohl auf große Hitze als auch auf Starkregenfälle eingestellt ist. Zu den besonders interessanten Elementen gehören hier der Rain Garden und der Community Garden, die beide Regenwasser sammeln und nutzen. Der auf der Südseite des Parks angesiedelte Regengarten liegt unmittelbar an einem breiten Weg und ist mit heimischen Sträuchern und Blumen bepflanzt. Hinweisschilder und Schautafeln erläutern den Besucherinnen seine Funktion, so dass alle, die den Park nutzen, diesen wichtigen Aspekt des Parks kennenlernen, und sei es auch eher beiläufig. Der Gemeinschaftsgarten, der 27 Beete umfasst, zwischen denen schmale Wege verlaufen, dient neben dem Ernten und der Weiterverwendung durch Kompostierung auch dem Lernen. Die befestigten Flächen des Parks sind mit regionalen wasserdurchlässigen Materialien ausgeführt, sie summieren sich zu einer Flächengröße von über einem Hektar, also fast der Hälfte der Gesamtfläche. Die Pflanzen sind nach ihrer Trockenheits- und Schädlingsresistenz ausgewählt. 138 einheimische Bäume wurden neu gepflanzt, die CO2 binden und deren Wurzelräume über 20.000 Liter Wasser fassen können. 11

Der Levy Park ist von allen Seiten zugänglich und bietet als Stadtteilpark vielfältige Aufenthaltsmöglichkeiten für Besucher jeden Alters.

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Das Gefälle der Parkflächen dient der Entwässerung und Sammlung des Wassers zur Weiterverwendung, zum Beispiel für die Bewässerung der Beete im Gemeinschaftsgarten.

Das Wasser, dass in Richtung Pavillon fließt, wird von dort in den Regengarten geleitet und dort von den Pflanzen gereinigt.

Der Levy Park ist für jedes Wetterereignis geplant. Die Verwendung und der Abfluss des Regenwassers sind wichtige Bestandteile der Gestaltung.

Im Vordergrund der Regengarten. Auch die Gemeinschaftsbeete im rechten Bereich sowie die übrige Vegetation werden mit dem gesammelten Wasser versorgt.

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Der gesamte Park ist auf den Abfluss von Regenwasser ausgerichtet.

Außerdem wurden acht große alte Eichen in den Park umgepflanzt. Sie spenden Schatten für den Spielplatz und auf der ehemals baumlosen Ostseite des Parks und reduzieren damit die Temperaturen. Die Sanierung des Levy Park hat nicht nur die Lebensqualität der umliegenden Stadtteile verbessert, sondern ist dank des Beitrags zum Regenwassermanagement und zur Temperaturreduzierung ein wichtiger Baustein im Klimaanpassungsplan der Stadtverwaltung. Hatte der Park vor der Neugestaltung etwa 75 Besucher pro Woche, sind es heute zwischen 5.000 und 10.000.

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Im Spielbereich sorgt Wasser im Sommer für Abkühlung.

Levy Park

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MIDTOWN PARK

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Anders als der Levy Park ist der etwa gleich große Midtown Park im gleichnamigen Stadtgebiet nahe der Downtown von Houston eine komplette Neuentwicklung, die auf dem Entwurf des Büros Design Workshop basiert. Das Gebiet des ebenfalls 2017 eröffneten Parks war zuvor eine Brachfläche in einem ansonsten dicht bebauten Teil der Innenstadt. Zu dem Projekt gehören auch eine Tiefgarage unter einem Teil des Parks und ein achtstöckiger Wohnturm.

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Der Schatten der großen Eiche neben dem Regengarten ermöglicht im Sommer einen kühlen Aufenthalt auf der Bank.

Der Regengarten ist mit einer Vielzahl an Pflanzen üppig bewachsen.

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Der Midtown Park ist dem Levy Park darin ähnlich, dass er die vorhandene Fläche maximal ausnutzt und den Besucherinnen eine große Vielfalt an Aktivitätsangeboten macht. Diese umfassen einen umbaubaren Pavillon mit Bühne, eine große Rasenfläche, Kunstwerke, einen Spielplatz und einen Hundepark. Hinzu kommen mehrere Elemente, die in Bezug auf das Thema Klimaanpassung von besonderem Interesse sind, und zwar ein Regengarten, daran angrenzende interaktive Wasserspiele und das Kunstwerk „Wild Wonderland“ der Künstlerin Dixie Friend Gay am südlich Parkeingang. Bei dem Kunstwerk handelt es um ein 6 Meter breites Wandbild, das in Form eines Mosaiks eine Nahaufnahme der Flora und Fauna Houstons präsentiert. Diese Teile des Parks vermitteln auf spielerische Weise Wissen über die Bedeutung von Wasser und Gewässern in der natürlichen Umgebung der Stadt und über die klimatischen Besonderheiten, denen die Stadt durch Stürme und Starkregenfälle ausgesetzt ist. Besucher erfahren wichtige Informationen über Wassermanagement und Feuchtgebiete und über die in der Region natürlich vorkommenden Pflanzen. Am westlichen Eingangsbereich wird der Blick bereits auf einen künstlichen Bayou in kleinem Maßstab gelenkt. An dieser Stelle befindet sich ein Wasserfall, der vor Straßenlärm schützt und zugleich für ein kühleres Mikroklima sorgt. Der Regengarten dient als Wasserrückhaltegebiet und ist den natürlichen Bayous nachempfunden. Er erfüllt wichtige Aufgaben einer nachhaltigen klimagerechten Parkplanung. Das anfallende Regenwasser wird vor Ort aufgefangen und mit Hilfe der Pflanzen und des Bodens, durch den es versickert, von Verunreinigungen gesäubert, bevor es in die städtische Kanalisation geführt wird, um schließlich über Vorfluter in den Golf von Mexiko zu gelangen. Teil dieser Zone des Parks ist auch ein künstliches, mit einem Wasserkreislauf ausgestattetes Sumpfgebiet, das mit Sträuchern und Hartholzbäumen bewachsen ist  – beides natürlich vorkommende Elemente der Landschaft. Tafeln erläutern den Besuchern diese Zusammenhänge. Die natürlichen Sumpfgebiete im Süden von Texas sind flache, ständig überflutete Süßwasserfeuchtgebiete, die sich durch einen hohen Anteil an Strauchbedeckung und krautigen Pflanzen mit wenigen Bäumen auszeichnen. Sie bieten nicht nur Lebensraum für zahlreiche Vogelarten, sondern auch andere Ökosystemleistungen wie Erosionsschutz und eine Verbesserung der Wasserqualität. Die vorherrschenden Pflanzenarten in dieser Umgebung sind Roter Ahorn (Acer rubrum), Palme und Segge (Carex). Sie finden sich daher auch im Midtown Park.

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Eine Tafel erläutert die Sammlung, Reinigung und Nutzung des Regenwassers.

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Midtown Park

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Eine große Rasenfläche in der Mitte des Parks lädt zu vielfältigen Nutzungen ein. Das Gras wird mit dem gesammelten Regenwasser gesprengt.

Das Thema Wasser ist auch an bestimmten Stellen in den Weg integriert in Form von Düsen, die Besucher zur Abkühlung selbstständig anstellen können.

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Der Midtown Park wird gesäumt von großen Eichen, an denen am Wochenende ein Markt stattfindet.

Das Wasservolumen ist groß, durch die Geräusche des Wassers wird der Straßenverkehr ausgeblendet.

Die Vegetation ist naturnah und üppig, sie verdunstet Wasser und kühlt dadurch die Umgebung in warmen Perioden.

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Die Bereiche für Kinderspiel und den Regenwassergarten sind geschickt miteinander verbunden.

Am Rand des Parks bildet eine Wasserlandschaft die natürliche Umgebung der Bayous und Houstons nach.

Midtown Park

Hartholzwälder kommen in Auengebieten entlang von Flusssystemen vor. Diese ökologisch reichen alluvialen Feuchtgebiete sind vom Wechsel zwischen Trockenperioden und Überschwemmungen nach großen Regenfällen geprägt. Der im Park angelegte Bayou schafft für den Hartholzwald Bedingungen, die diesen natürlichen Gegebenheiten ähnlich sind. Entsprechend besteht der Wald aus Arten wie Eiche, Echte Sumpfzypresse (Taxodium distichum), Platane (Platanus occidentalis) und Palme. Ein Gartenweg erläutert die heimischen Pflanzen, er wird begleitet von einem kleinen Bachlauf und interaktiven, von Kindern auslösbaren Wasserdüsen. Ein interaktives Element sind auch die Wasserspiele, die sich direkt vor der Pavillonbühne befinden und einen Wolkenbruch simulieren können. Sie kühlen die Luft und die mit dem Wasser spielenden Besucherinnen. Ein Wasserfilm auf dem Granitsteinen erfrischt die Füße. Entlang der den Park von Südwesten nach Nordosten begleitenden Main Street befinden sich Schattenplätze unter imposanten Eichen der Spezies Quercus virginiana, die in dieser Region heimisch ist. Am Wochenende gibt es hier einen Wochenmarkt. Nicht für die Nutzer unmittelbar sichtbar ist die große Zisterne, die das auf Dächern und befestigten Flächen aufkommende Regenwasser sammelt, so dass es für die Bewässerung der Pflanzen und der Rasenfläche genutzt werden kann. Allerdings wird auf einer Tafel über diese Vorrichtung informiert. Sollte die Zisterne volllaufen, wird das überschüssige Wasser in den Regengarten geleitet. Grün-blaue Infrastrukturen wie der künstliche Bayou im Midtown Park von Houston haben neben der Regulierung der Niederschlagsmenge den besonderen Wert, dass sie nicht nur die graue Regenwasserinfrastruktur entlasten, sondern gleichzeitig Lebensräume für Vögel, Schmetterlinge und viele andere Tiere schaffen. Die illustrierten Hinweistafeln, die auch für Kinder verständlich sind, erläutern nicht nur das künstliche Flusssystem des Parks, sondern auch die Vorbilder in der weiteren natürlichen Umgebung. Die Erfolgsgeschichten der neuen klimaresilienten Parks und Grünflächen Houstons strahlen auf andere Initiativen aus. Die rund zehn Jahre alte Bayou Greenways Initiative hat einen Plan vorgelegt, Bayou Greenways 2020, der vorsieht, auf regionaler Ebene die Wasserläufe der Bayous in geschützte Grün- und Wasserflächen umzuwandeln, die als Naherholungsgebiete fungieren und es gleichzeitig dem Großraum Houston ermöglichen, zukünftige Überschwemmungen und Trockenperioden deutlich besser zu überstehen. Geplant ist ein Netz von Parkanlagen, die insgesamt über 1.000 Hektar umfassen und sich entlang von 240 Flusskilometern erstrecken. Ferner sollen 120 Kilometer neue Spazier- und Radwanderwege angelegt werden. Die Gesamtinvestitionen für das Projekt sind auf 220 Millionen Dollar veranschlagt. Ein Großteil der Summe ist bereits von einer Stiftung zugesagt worden und ein weiterer Teil konnte über den freien Verkauf von Parkanleihen aufgebracht werden – ein deutliches Indiz für die Zustimmung, die das Projekt erfährt. Mit der Verwirklichung von Bayou Greenways 2020 werden 60 Prozent der Einwohnerinnen Houstons Zugang zu einem Park innerhalb eines Radius von maximal 2 Kilometern um ihren Wohnort haben. Auf dem Weg zu einer klimaresilienten, grünen Stadt ist das ein bedeutender Schritt vorwärts. 114

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BO GOTÁ

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„Bogotá, 2.600 metros más cerca de las estrellas“ – „Bogotá, 2.600 Meter näher an den Sternen“ –, so lautet das Motto der Hauptstadt Kolumbiens, die zugleich auch die größte Stadt des Landes ist. Der Wahlspruch beschreibt ihre Lage in der Hochebene der Anden am Fuß zweier Berge der Kordilleren in einer Höhe von 2.640 bis 4.000 Metern. Mit 7,8 Millionen Einwohnern im Stadtgebiet ist Bogotá die größte Stadt der Welt in dieser Höhenlage. In der Metropolregion leben 10,7 Millionen Menschen. Durch die seit Jahrzehnten andauernde Landflucht aufgrund von Armut und Bürgerkriegen ist Bogotá eine der am schnellsten wachsenden Städte Südamerikas. Die Ausdehnung der Stadt wird begrenzt durch hohe Berge im Osten und den Fluss Bogotá im Westen, daher hat sie sich in länglicher Form in Nord-Süd-Ausrichtung entwickelt. Obwohl Bogotá in der Klimazone der Tropen und nahe am Äquator liegt, sind die Temperaturen aufgrund der Höhenlage der Stadt moderat, fast kühl, und sie bleiben über das ganze Jahr relativ konstant. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt etwa 14 °C, eine Temperatur, bei der weder Heizung noch Kühlung notwendig und in vielen Haushalten auch nicht üblich sind. Die Sonneneinstrahlung ist in der Stadt aufgrund der Lage am Äquator und der Höhenlage sehr hoch. Im Gegensatz zu dem das ganze Jahr über gleichmäßigen Temperaturverlauf verteilt sich die Jahressumme der Niederschläge von 1.100 Millimetern unterschiedlich: Im April ist der Niederschlag mit 150 Millimetern am höchsten, im August fällt mit 30 Millimetern am wenigsten. Grund dafür ist, dass Kolumbien nur zwei Jahreszeiten aufweist, Sommer und Winter bzw. Trockenzeit (sequía) und Regenzeit (temporada de lluvias). Die Ausprägungen der Jahreszeiten werden in manchen Jahren durch die Wetterphänomene El Niño und La Niña beeinflusst. Diese beiden Phänomene beschreiben Anomalien in der Zirkulation der Passatwinde und Wasserströmungen. Normalerweise, in der neutralen Phase, fließt das Oberflächenwasser des Pazifiks von Osten nach Australien, Indonesien und zu weiteren Gebieten Südostasiens im Westen, wodurch das Klima dort regnerisch und feucht wird. In den Küstenregionen Südamerikas ist das Klima zur gleichen Zeit trocken und das fischreiche Tiefenwasser des Humboldtstroms quillt in höhere Schichten auf. El Niño kehrt diesen Rhythmus um, die Wolken, die normalerweise Niederschläge an die asiatischen und australischen Ostküsten bringen, werden in die entgegengesetzte Richtung getrieben und regnen an den sonst trockenen Westküsten Amerikas ab. Ursprünglich trat El Niño nur an der Westküste Südamerikas auf und wurde von peruanischen Fischern nach dem spanischen Wort für das Christkind benannt, weil er in der Regel zur Weihnachtszeit mit dem Abflauen der tropischen Passat-Ostwinde einsetzt. Neuere Untersuchungen zeigen eine weltweite Reichweite des aufgrund seiner Unberechenbarkeit und der großen mitgeführten Wassermengen gefürchteten Ereignisses, das im Schnitt alle drei bis vier Jahre auftritt.

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Blick auf Bogotá und die weitläufige Ausdehnung der Stadt in der Hochebene.

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Im Anschluss an El Niño, der „warmen“ Phase mit hohen Niederschlägen an den amerikanischen Westküsten, tritt häufig die gegenläufige Anomalie, La Niña, das Mädchen oder auch „kalte“ Phase genannt, auf. Dabei kühlen sich die oberen Wasserschichten des tropischen Ostpazifiks ungewöhnlich stark ab. Das Wetter verhält sich in der Folge entgegengesetzt zu den Phänomenen, die bei dem Auftreten des El Niño zu beobachten sind, und zeichnet sich durch eine Verstärkung der tropischen Passat-Ostwinde und eine Intensivierung der Tiefdruckgebiete über dem indonesischen Archipel aus. In Südamerika führt der Humboldtstrom wieder fischreiches Wasser heran und die starken, oft zu Überschwemmungen führenden Regenfälle enden. Früher gab es

durch diese Alternation einen klimatischen Ausgleich, aber in der letzten Zeit war die La-Niña-Periode dafür zu kurz und zu schwach ausgeprägt, um für ein ausgeglichenes Klima sorgen zu können. Die Ursache für diese Veränderungen ist bisher noch ungeklärt. Außerdem bestehen noch Fragen hinsichtlich der globalen Auswirkungen des El-Niño-Phänomens. Die Beziehung zwischen der Anomalie der Verteilung der Wassertemperaturen des tropischen Pazifiks und der Verteilung des Luftdrucks von den Westküsten Amerikas bis zu den Ostküsten Australiens und Asiens wird mit dem Begriff ENSO, El Niño Southern Oscillation, bezeichnet. Zu den möglichen Auswirkungen des El Niño gehören gewaltige Überschwemmungen aufgrund der Wassersättigung der Böden, Erdrutsche und Überflutungen von Städten und Landschaften, vor allem in den westlichen Ländern bzw. Regionen Süd-, Mittel- und Nordamerikas. Die östlichen Pazifikländer der Tropen leiden dann unter Trockenheit, so dass teilweise in den Städten das Wasser knapp wird. Neben Australien und Südostasien kann auch der Südosten Afrikas betroffen sein. Für die Menschen sind beide Extreme, sowohl die zu hohen Niederschläge als auch die Dürren, mit erhöhten Krankheitsrisiken verbunden, ebenso wird die Tier- und Pflanzenwelt in Mitleidenschaft gezogen. Seevögel und Robben zum Beispiel, die auf das fischreiche kühle Wasser des Humboldtstroms angewiesen sind, sterben in großer Zahl aufgrund fehlender Nahrung. Die Klimaanomalie dauert in der Regel ein Jahr und kann nicht beeinflusst werden. Obwohl im Landesinneren und auf einer andinen Hochebene gelegen, bekommt auch Bogotá die Auswirkungen der El-Niño- und La-Niña-Phänomene zu spüren. Die normalen saisonbedingten Regenfälle haben in den letzten Jahren zugenommen, El Niño verstärkt diesen Trend noch, so dass die Stadt in den letzten zwei Jahrzehnten ihre Pläne angepasst und neue verabschiedet hat. Im Jahr 2000 wurde der Raumordnungsplan Plan de ordenamiento territorial verabschiedet, der zu einer ökologischen Gliederung des Stadtgebietes führte. Er unterteilt das Gebiet in städtische, ländliche und Stadterweiterungsgebiete, weist Flächen aus, die für Katastrophenschutzmaßnahmen von der Bebauung freizuhalten sind, sowie Bereiche für die Erhaltung und Wiederherstellung wichtiger Ökosysteme. In diesem Plan werden auch Flächen für Parks und öffentliche Grünflächen festgelegt, um der Bevölkerung angemessene Erholungsflächen zur Verfügung zu stellen. Die Stadt soll sich insgesamt nach nachhaltigen Kriterien entwickeln, und daher werden ökologische Charakteristika benannt, die in der Estructura Ecológica Principal, einem ergänzenden Dokument über die wichtigsten Elemente der ökologischen Struktur der Stadt, zusammengefasst sind. Unter anderem gehören dazu die Parkanlagen und Naturschutzgebiete. Bogotá verfügt über eine Vielzahl von Parks unterschiedlicher Ausmaße, der größte unter ihnen, der Parque Metropolitano Simón Bolívar, ist mit einer Fläche von 400 Hektar einer der größten Stadtparks weltweit. Daneben gibt es weitere große Parks sowie eine Vielzahl kleinerer Stadtteilparks. In der Estructura Ecológica werden die Parkanlagen als wertvoll für den Schutz der natürlichen Umwelt und die soziale Interaktion mit ihr bezeichnet. Zu den wichtigsten Naturschutzgebieten in der weiteren Umgebung von Bogotá gehört der 1977 gegründete Parque Nacional Natural Sumapaz. Er ist das größte zusammenhängende Schutzgebiet Südamerikas mit der typischen baumlosen

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Vegetation der andinen Hochlandsteppe, dem Páramo. Kennzeichnend für den Park, der oberhalb der Baumgrenze liegt, sind seine Größe, das feuchte Klima mit Temperaturen zwischen 8 °C tagsüber und –3 °C nachts ohne jahreszeitliche Schwankungen, aber mit raschen Wetterwechseln und 1.000 bis 2.000 Millimeter jährlichem Niederschlag, 75 Prozent relativer Luftfeuchte und häufigem Nebel. Der Boden ist von einer dicken Schicht aus schwarzem Humus bedeckt, die Pflanzen wachsen langsam, aber stetig und werden sehr alt. Die Vegetation ist artenreich und optimal an die Bedingungen angepasst, ebenso die Tierwelt, zum Beispiel werden hier die Lebensräume des seltenen Bergtapirs Kolumbiens besonders geschützt. Das Ökosystem des Páramo ist in der Lage, Wasser über längere Zeiträume zu speichern, und kann so auch in Trockenzeiten Quellen speisen. Daraus resultiert seine große Bedeutung für die Wasserversorgung der umliegenden Orte. Nicht zuletzt sind die besonderen Eigenschaften des Páramo der Grund, weshalb diese Landschaft zunehmend unter Schutz gestellt wird, denn Entwicklungen wie die Ausdehnung von Landwirtschaft und Viehzucht und der Abbau von Rohstoffen stellen Bedrohungen dar und führen immer häufiger zu Konflikten. Seit 2013 wurden der Schutz ökologisch wertvoller Gebiete um Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels ergänzt. Zum einen werden Ökosysteme, die sich durch eine besondere Bedeutung für das Wasserressourcenmanagement und die biologische Vielfalt auszeichnen, stärker gegenüber anderen Nutzungsinteressen geschützt. Zum anderen werden Biotopverbünde und deren sozioökonomische Bedeutung für die Bevölkerung hervorgehoben. Diese Anpassungen und Erweiterungen der Estructura Ecológica bilden die erste Strategie zur Anpassung an den Klimawandel. Ein weitere wichtige rechtliche Grundlage ist der Landnutzungsplan von 2020, der Bogotá als eine kompakte, dicht bebaute Stadt definiert, um die ökologisch wichtigen Ausgleichsgebiete schützen zu können. Allerdings ist Bogotá bereits jetzt so dicht bebaut, dass jeder Einwohnerin nur vier Quadratmeter öffentlichen Raums zur Verfügung stehen.

AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Bogotá ist seit mittlerweile mehr als 100 Jahren klimatischen Risiken vor allem in Form von Überschwemmungen und Erdrutschen ausgesetzt, die Häufigkeit derartiger Ereignisse nimmt zu. In den 30 Jahren von 1985 bis 2015 wurden 165 Überschwemmungen und 158 Erdrutsche registriert, das sind 34 bzw. 32 Prozent aller jemals in der Stadt gemeldeten Ereignisse dieser Art. Studien des Instituts für Hydrologie, Meteorologie und Umweltforschung (IDEAM) in Bogotá deuten darauf hin, dass die Höhe der Niederschläge von den Phänomenen La Niña und El Niño beeinflusst wird. Aufgrund der höheren Niederschläge wird erwartet, dass die Häufigkeit von Erdrutschen weiter zunimmt, ein Risiko besonders für illegale Siedlungen an den Hängen des Stadtrandes. Im Zusammenhang mit sich verändernden Niederschlägen muss als reale Möglichkeit einkalkuliert werden, dass es zum Übergang von einem halbfeuchten zu einem halbtrockenen Klima bis zur Mitte des Jahrhunderts und zu einem eher ariden Klima bis zum Ende des Jahrhunderts kommt. 118

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Veränderungen bei den Temperaturen scheinen die Erwartung einer klimatischen Verschiebung zu bestätigen. Auch hier sieht das IDEAM einen Zusammenhang zu La Niña und El Niño. Die Durchschnittstemperatur, gemessen an den Normalwerten des Zeitraums von 1971 bis 2000, soll den Prognosen zufolge für den Rest des 21. Jahrhunderts weiter ansteigen. Dieser allmähliche Anstieg könnte sich von 1 °C in den ersten Jahrzehnten auf 4 °C in den letzten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts beschleunigen. Die geschätzten Durchschnittswerte für den Zeitraum 2011–2070 können zwischen 10 °C in den höheren Lagen und 16 °C in den unteren Lagen variieren, während die Werte, die für den Zeitraum 2071–2100 berechnet wurden, zwischen 12 und 18 °C liegen. Mit  dem Temperaturanstieg, so die Sorge, könnten neue Krankheiten und die Erreger, die sie übertragen, heimisch werden. Weitere Folgen können Probleme bei der Nahrungsversorgung der Bevölkerung und ein größerer Druck auf die wichtigen Ökosysteme der Umgebung sein, die die Stadt mit Wasser versorgen. Die Luftverschmutzung ist bereits heute hoch und problematisch. Eine weitere Zunahme von Atemwegserkrankungen wird befürchtet. Seit 2016 bezieht sich Anpassung an den Klimawandel auf die Erhaltung, Wiederherstellung und das nachhaltige Management der Ökosysteme, die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks und insbesondere die Sicherung der Gebiete, die die Wasserversorgung sichern. Für diese Punkte wurden Ziele festgelegt, die bis 2030 erreicht werden sollen. Zwecks Vorbeugung der Entstehung von Wärmeinseln soll der Anteil der städtischen Vegetation erhöht werden, neue Stadtentwicklungsprojekte sollen den Oberflächenabfluss verringern und eine Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen soll durch den Umbau des Verkehrs erreicht werden. Der Plan zum Katastrophenrisikomanagement und Klimawandel, Plan Distrital de Gestión del Riesgo de Desastres y del Cambio Climático para Bogotá D. C., 2018– 2030, bereitet den Hauptstadtdistrikt darauf vor, sich bis 2030 auf die Auswirkungen und Risiken des Klimawandels vorzubereiten und resiliente Strukturen zu entwickeln. Wichtigste Ziele im Hinblick auf den Klimaschutz sind eine CO2-arme Stadtentwicklung und der Schutz der Ökosysteme und Wasserressourcen sowie die Gewährleistung des Wohlergehens ländlicher Gemeinden und Städte. Die Prioritätensetzung dieses Plans ist umfangreich und allgemein gehalten. Sie reicht von der Verbesserung der Warnsysteme zu klimatischen und lufthygienischen Werten, der Nahrungsmittelsicherheit bis zum Schutz der biologischen Vielfalt und der Gesundheit der Bevölkerung. Wichtigstes Ziel ist die Reduzierung des CO2-Ausstoßes, die im Wesentlichen durch eine nachhaltige Mobilität und Nachhaltigkeit beim Bauen sowie die Anlage von Grünflächen erreicht werden soll. Bis 2050 will der Distrito Capital de Bogotá 22.000 Bäume pflanzen, außerdem Regenwasser verstärkt nutzen und geschützte strategische Ökosysteme bis 2030 um 322 Hektar erweitern. Ebenfalls bis 2030 sollen 2.000 Familien, die in durch den Klimawandel gefährdeten Gebieten wohnen, umgesiedelt werden. Ein weiteres Vorhaben ist die Entwicklung von 20 städtischen Projekten zur Eindämmung der durch den Klimawandel verursachten Risiken. Der Plan betont, dass es wichtig sei, auf regionaler Ebene zu handeln, aber für einen effektiven Klimaschutz ist es erfahrungsgemäß notwendig, auf die Mitwirkung der Gemeinden zu zählen, um auf lokaler Ebene das Ausmaß der Risiken zu verringern und Gelegenheiten für Veränderungen zu finden, die sich multiplizieren lassen. Die Handlungsanweisungen des Plan Distrital bleiben eher vage.

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Auswirkungen des Klimawandels

PARQUE 93 UND DER MASTERPLAN DEMOS P 93 Ein Beispiel für einen neuen Stadtpark ist der Parque 93, geplant vom Büro Grupo Verde mit Martha Fajardo, Noboru Kawashima und Yin Fang Chen. Er wurde nach zehnjähriger Planungsdauer mit intensiver Bürgerbeteiligung von 2012 bis 2014 angelegt und hat eine Größe von 1,5 Hektar. Der Park liegt in einem dicht bebauten Stadtgebiet und wirkt wie eine Oase. Bereits seit 1994 wird das Gelände, zuvor eine ungestaltete Freifläche, von einer privaten Bürgerinnenorganisation, der Asociación Amigos del Parque 93, verwaltet und gepflegt. Der Park ist ausgestattet mit einem großen Spielplatz, einer zentralen, offenen grünen Fläche für Spiel und Bewegung und großen älteren, schattenspendenden und strukturgebenden Bäumen. Er bietet ein vielfältiges und variables Angebot an Sitzplätzen, verfügt über eine kleine Bibliothek, eine Bühne und reichlich Grünfläche, so dass der Park nicht nur am Wochenende überaus belebt ist. Dank eines offenbar effektiven Parkmanagements weist der Parque 93 einen guten Pflegezustand auf und er erfüllt in ästhetischer, ökologischer und funktionaler Hinsicht seine Aufgaben vorbildlich. Als Ergänzung zum Entwurf des Parque 93 wurde Grupo Verde 2018 mit der Planung der Umgebung des Parks unter der Bezeichnung DEMOS P 93 (Distrito Especial de Mejoramiento y Organización Sectorial) beauftragt. Das Motto des Masterplans lautet „Die gesunde und begehbare Stadt“. Für diesen Plan wurden Möglichkeiten ermittelt und dokumentiert, wie sich die grüne Infrastruktur und die Qualität des Aufenthaltes im öffentlichen Raum in einer Weise verbessern lassen, die stärker an den Bedürfnissen der Bewohnerinnen orientiert ist. Der Masterplan für die 42 Hektar umfassende Fläche – mit dem Parque 93 nahezu im Zentrum gelegen – schlägt eine Mischung aus Umnutzung, Neuanlage und Wiederherstellung vor. Es ist eine Stärkung des öffentlichen Raums mittels kleiner und mittelgroßer Veränderungen vorgesehen sowie durch eine experimentelle und kostengünstige, dazu schrittweise Umsetzungsstrategie, die auf die Beteiligung der Menschen setzt und die Natur in den Mittelpunkt stellt.

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Die Planung des Büros Grupo Verde für den Parque 93.

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Für die Erholung gibt es im Park vielfältige und variable Aufenthaltsmöglichkeiten. Die Stühle können in den Schatten oder in die Sonne gerückt werden. Auch größere Veranstaltungen finden auf der großen Wiese statt, wie Yogakurse

oder Bürgerversammlungen. Die kleine Leihbibliothek hat regelmäßige Öffnungszeiten. Bei Nacht verleiht das Beleuchtungssystem dem Park eine besondere Atmosphäre.

Parque 93 und der Masterplan DEMOS P 93

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Es sollen temporäre Orte geschaffen werden, die den Bürgerinnen mit der Nutzung des urbanen Grüns eine stärkere sinnliche Naturerfahrung ermöglichen. Die Realisierung der ersten Projektphase ist für 2021 geplant, sie wird von der Asociación Amigos del Parque 93, Anwohnern und der Bezirksverwaltung umgesetzt.

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Die Visualisierungen und Pläne des DEMOS P 93 sind sehr überzeugend und es ist sicher ein richtiger Weg, einen grünen Stadtpark als Ausgangsort für den Einsatz grüner Infrastruktur im Stadtraum zu wählen. An erster Stelle steht hier zwar der soziale Aspekt als Ziel der Planung auf dem Papier, viele der vorgesehenen Maßnahmen, wie Baumpflanzungen, Schattierung des Straßenraums und Verwendung heller Bodenbeläge, dienen aber gleichzeitig der Abwendung negativer Folgen des Klimawandels. So ist diese städtebauliche Planung auch als eine vorbildliche klimagerechte Konzeption anzuerkennen.

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Die Erweiterung des Planungsgebietes Parque 93 angrenzenden Straße mit DEMOS um den Parque 93, Aufenthaltsgelegenheiten und neuer erster Teil. Entlang der Straßen Vegetation. werden die grüne Infrastruktur und die Aufenthaltsmöglichkeiten verbessert. Der obere Plan zeigt die Entwicklung der nördlich an den

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Die Analyse der grünen Infrastruktur zeigt unterschiedliche Belastungen. Als starke Belastung (rot markiert) wird erkannt, dass es in dem Gebiet zu wenige Bäume und Grünflächen gibt. Als mäßig problematisch (orange) wird die Zerschneidung des Stadtgefüges angesehen, als geringer beeinträchtigt (grün) wird das Stadtbild bewertet.

Die Analyse der soziokulturellen Situation zeigt als größte Herausforderung (rot) die Änderung der Nutzungsstruktur von Wohnen zu Gewerbe und Dienstleistungen. Der Autoverkehr (orange) wird als Belastung empfunden, Aufenthaltsräume (grün) sind zu wenig vorhanden.

Parque 93 und der Masterplan DEMOS P 93

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HUMEDAL SANTA BARBARA

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Die Terrasse aus dem nachhaltigen und CO2-speichernden Rohstoff Holz.

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In Bogotá müssen private Konzerne 15 Prozent der von ihnen bebauten Fläche für eine öffentliche Nutzung zur Verfügung stellen, so auch das Bürozentrum Santa Barbara im Stadtteil Usaquén. Die Eigentümerinnen lobten 2014 für die Umgestaltung der öffentlich zu widmenden Freifläche und des Zugangs zu den Aufzügen von sechs 25 Jahre alten Bürohochhäusern einen offenen Wettbewerb innerhalb der kolumbianischen Architektenschaft aus. Die zu gestaltende Fläche ist insgesamt 8.500 Quadratmeter groß. Gewinner des Wettbewerbs war der Architekt Juan Melo mit seinem Büro Obraestudio. Er legte in seinem Entwurf großen Wert auf die Berücksichtigung ortstypischer Vegetation und ihre Einbeziehung in der Gestaltung. Für seinen Wettbewerbsbeitrag unternahm er klimatische Untersuchungen, berücksichtigte die hauptsächliche Windrichtung für das Planungsgebiet und stellte fest, dass das Klima des für den Wettbewerb ausgeschriebenen Geländes demjenigen der Feuchtsavanne entspricht – daher die Bezeichnung humedal, Feuchtgebiet. Diese Landschaftsform kommt in der Umgebung Bogotás natürlich vor und wurde so Ideen- und Gestaltgeberin; ihre Vegetation und ihr teils schroffes Aussehen, ihre Farben und das gesamte Ökosystem bestimmten die Planung.

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Übersicht über die Freiflächen des Bürozentrums Santa Barbara: im hinteren Teil des Bildes der zentrale Bereich des Innenhofs, im vorderen Bereich die vielfältige Wasseranlage und Bepflanzung.

Blick in den Innenhof und die gewachsene Vegetation mit erklärender Tafel.

Blick in den offenen Raum zwischen den Bürogebäuden.

Humedal Santa Barbara

Der öffentlich zugängliche Teil der Fläche stellt einen Übergangsbereich zwischen feuchten und trockenen Flächen der natürlichen Vegetationsform dar und vermittelt zwischen den beiden Elementen Wasser und Land. Teil des Konzepts sind zahlreiche länglich-schmale, mit Pflanzen besetzte Wasserbecken, die mit aufgefangenem Regenwasser gespeist werden. Die Auswahl der Pflanzen richtet sich nach den gestalterischen und ökologischen Anforderungen. Sämtliche verwendeten Pflanzen kommen aus den sumpfigen Gebieten der Umgebung Bogotás, das heißt sie wurden aus Flächen gewonnen, in denen sie natürlich vorkommen, nicht aus Staudenanzuchtbetrieben oder Baumschulen. Die Pflanzen werden vor Ort auf Schautafeln dargestellt, benannt und näher erläutert. So können Interessierte sich näher mit ihnen befassen. Das Projekt ist als öffentlicher Raum vielseitig nutzbar durch die frei wählbare Wegeführung entlang der Wasserflächen, dem Angebot an Bänken (unter denen sich die Entlüftung der unter der Fläche liegenden Tiefgarage befindet) und der interessanten Anordnung einheimischer Pflanzen. Der Zugang zu den Geschäftshäusern wurde mit Cortenstahl verkleidet und mit einem Skulpturengarten ausgestattet, um diesem zentralen Raum eine neue Ruhe zu geben. Alle Ausstattungselemente wie Bänke und Leuchten wurden eigens für dieses Projekt entworfen.

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Pflanzenverwendung entlang der Wasserbecken.

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Dem Klimawandel begegnet die Anlage mit der Sammlung, Entsandung und Umwälzung des gesamten anfallenden Regenwassers von durchschnittlich 110 Kubikmetern pro Tag. Es kann über die offenen Wasserflächen und die Pflanzen verdunsten und die Umgebung kühlen. Der Niederschlag wird in einem Tank in der Tiefgarage gesammelt und von dort durch alle Vegetations- und Wasserflächen geleitet. Der Tank, der sich auf einem Gelände nahe der Grundstücksgrenze zur daran anschließenden Straße befindet, verfügt über mehrere Überlaufstellen für den Fall, dass das Volumen des Regenwassers seine Kapazität und die des „Feuchtgebietes“ auf dem Platz übersteigt. Die  angepasste einheimische Vegetation wird nach Bedarf über ein Bewässerungssystem feucht gehalten. Die Entlüftung der Tiefgarage erfolgt auf natürliche Weise. Die Bodenbeläge bestehen aus Naturstein und Holz.

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Schnitt durch die Freifläche, mit der Höhe der Vegetation als vergleichendem Maßstab.

Schnitte durch die Freifläche mit Darstellung der Tiefgaragenebenen und der Lage des Wasserreservoirs zur Speisung und Regulierung des Wasserstandes in den Wasserbecken.

Humedal Santa Barbara

GRÜNE DÄCHER UND FASSADEN Interessante Einblicke in neue Entwicklungen zur Bauwerksbegrünung vermittelte ein Gespräch mit Andrés Ibáñez Gutiérrez an der renommierten Päpstlichen Universität Xaveriana. Ibáñez zählt zu den Vorreitern in diesem Gebiet. Anhand der Projekte vor Ort, die er betreut, können die Studierenden lernen, die Folgen des Klimawandels zu verstehen und sie in ihren Planungen zu berücksichtigen. Zu den zu bewältigenden Herausforderungen in Bogotá zählen vor allem Überflutungen aufgrund zu geringer Abflüsse und unzureichender Rohrleitungen, die ausgeprägte städtische Wärmeinsel, besonders in der historischen Innenstadt, sowie die seit langem bestehende hohe Luftverschmutzung. Während entsprechend angelegte Gründächer eine wichtige Möglichkeit für die Rückhaltung von Regenwasser bieten, tragen grüne Fassaden zu einer Absenkung der Temperaturen in der Stadt bei und filtern Schadstoffe aus der Luft. Dachbegrünung ist in Bogotá nicht vorgeschrieben, aber es gibt inzwischen über 200.000 grüne Dächer in der Stadt, wozu auch die Begrünungen untertunnelter Straßen zählen. Auf Hausdächern mit extensiv angelegten Begrünungen wachsen häufig Sedum-Arten, die zwar den Bedingungen angepasst, aber nicht einheimisch sind. Zu  der Pflanzenauswahl sollte nach Ibáñez’ Meinung weiter geforscht werden, so dass mehr und vor allem auch einheimische Pflanzen auf Gründächern gepflanzt werden können. Während Gründächer vom Straßenraum aus häufig nicht sichtbar sind, fallen grüne Fassaden in Bogotá häufig ins Auge. Dabei handelt es sich oft um aufwändige, an der Fassade befestigte Konstruktionen, die mit einer Bewässerungsanlage sowie vielfältiger Pflanzenauswahl ausgestattet sind und einen hohen Pflegeaufwand erfordern.

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Gründach eines Gebäudes der Universität Xaveriana.

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Parque Bicentenario: Begrünung des Straßentunnels mit Aufenthaltsbereichen auf unterschiedlichen Ebenen.

Staudenpflanzungen mit Sitzbank als Begrenzung. Die Vegetationsflächen sind mit Bewässerungsleitungen ausgestattet.

Die Einfahrt in den Straßentunnel ist als grüne Wand gestaltet.

Vielfältige Fassadenbegrünung am Hotel B3.

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Das Begrünungssystem besteht aus Rinnen mit unterschiedlicher Bepflanzung mit Bewässerung.

Grüne Dächer und Fassaden

LA CICLOVÍA Die Ciclovía, die temporäre Sperrung städtischer Straßen zugunsten des Fahrradverkehrs, wurde 1974 in Bogotá „erfunden“. In den ersten Jahren wurden auf Initiative der Bürgerorganisation „Pro-cicla“ und der städtischen Verwaltungsabteilung für Transit und Transport lediglich zwei Straßen für drei Stunden für die ausschließliche Benutzung mit Fahrrädern reserviert. Daran nahmen bereits 5.000 Bürgerinnen teil, die so gegen die Umweltverschmutzung durch Autos und den Mangel an Erholungseinrichtungen in der Stadt demonstrierten. Im Jahr 1976 entschied daher der Bürgermeister, strategisch günstig gelegene Straßen an Sonn- und ausgewählten Feiertagen für einen festgelegten Zeitraum ausschließlich dem Fahrrad- und Fußgängerverkehr zuzuweisen. Diese regelmäßig ausgeführte Aktion ist heute als La Ciclovía bekannt. Rund zwei Jahrzehnte später, 1995, wurde die Ciclovía mit der Idee verknüpft, den „größten temporären Park der Welt“ zu schaffen – zur Verbesserung der Lebensqualität der Stadtbewohnerinnen durch bessere Luftqualität, weniger Lärm, mehr Möglichkeiten zu körperlicher Betätigung und damit für eine bessere Gesundheit, Gleichberechtigung und Integration. Die Stadtverwaltung hat längst eine eigene Abteilung für die regelmäßige Durchführung gegründet; eine hohe Zahl an Freiwilligen und die Polizei garantieren den reibungslosen Ablauf des regelmäßigen Ereignisses. Über Werbekampagnen wird die Bevölkerung zur Teilnahme angeregt, sei es mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit Rollerskates. Im Laufe der Jahre kamen weitere Straßen hinzu und auch der Zeitraum pro Tag wurde ausgedehnt, außerdem wurden alle Feiertage hinzugenommen. Heute werden 121 Kilometer der Straßen Bogotás an Sonn- und Feiertagen von sieben Uhr morgens bis 14 Uhr am Nachmittag für den nichtmotorisierten Verkehr freigehalten. Das Budget wurde seit Beginn mehr als verzehnfacht, regelmäßig beteiligen sich über 1,5 Millionen Menschen.

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Nutzung der Straßen durch Radfahrerinnen, Skater und Fußgängerinnen während der sonntäglichen Ciclovía.

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Während die Ciclovía abgehalten wird, gibt es im Umkreis der betroffenen Straßen Angebote für Sport, zum Beispiel Aerobic und Tanz, und andere Aktivitäten zum Mitmachen. Auch Stände, an denen Essen und anderes verkauft wird, werden entlang der Strecken organisiert. So gibt es viele Möglichkeiten und Gründe, sich auf und an den Straßen aufzuhalten – ohne Autolärm und Abgase. Im Jahr 1999 fand die erste Ciclovía nocturna mit einer Beteiligung von 3 Millionen Teilnehmern statt. Seitdem steigt die Zahl regelmäßig an. 80 Prozent der Tagesstrecken stehen für die nächtliche Ausrichtung zur Verfügung. Mittlerweise wird eine Ciclovía nocturna zweimal im Jahr veranstaltet, einmal im August anlässlich des Geburtstags der Stadt und einmal im Dezember. Auch zu diesen Veranstaltungen finden Rumbaoder Aerobic-Aktivitäten sowie ein Feuerwerk statt. Die Menschen nehmen in erster Linie den sozialen Aspekt wahr, doch die Bevölkerung erkennt auch, welche Vorteile eine emissionsfreie Nutzung der Straßen hat. Die Ciclovía von Bogotá wurde bald weithin bekannt und hat inzwischen Nachahmungen in anderen Städten Kolumbiens und in ganz Südamerika gefunden. Auch in diesen Orten freut sich die Stadtbevölkerung über die neu gewonnenen Freiheiten im städtischen Raum. Da Bogotá beim Naturschutz großen Wert auf die Beteiligung und Aufklärung der Bevölkerung legt, kann die Ciclovía auch unter diesem Aspekt als ein positiver Beitrag gesehen werden.

REGIONALPARK TOMINÉ Die Energiegesellschaft von Bogotá beschloss 1960, für die Wasser- und Stromversorgung der Stadt einen Staudamm im Tal des Rio Tominé anzulegen. Im Zuge der Realisierung des Projekts wurde der ursprüngliche Ort Guatavita vernichtet und ab 1964 am Ufer des entstandenen Stausees (Embalse de Tominé) neu errichtet. Guatavita hat eine besondere Bedeutung für die Region, weil sie die religiöse Hauptstadt der Muiscas ist, einer der wichtigsten indigenen Bevölkerungsgruppen Kolumbiens. Ihre bedeutendste heilige Stätte ist die Laguna de Guatavita, ein kleiner Bergsee, der wenige Kilometer östlich des ungleich größeren Stausees liegt. Aufgrund ihrer Goldschmiedekünste und eines besonderen Rituals, bei dem der neue König bei der Amtseinführung mit Goldstaub überzogen wurde, den er anschließend durch ein Bad in der Lagune abwusch, wurden die Muiscas mit Erzählungen über Eldorado in Verbindung gebracht. Nach dem Bau des Staudamms und der Flutung des Flusstals verschwand die Landschaft, mit der die Kultur und Identität des indigenen Volksstamms seit Jahrtausenden eng verbunden war. Der neue Regionalpark knüpft immerhin an die Geschichte der Muiscas und ihre enge Beziehung zu der Landschaft an und erinnert an die Achtung, die sie der Natur bis heute entgegenbringen. Der 4.900 Hektar große Stausee von Tominé ist rund 50 Kilometer nach Norden von Bogotá entfernt. Er wurde zu einem der wichtigsten Wasserreservoirs der ganzen Region und ist für die Sicherung der Qualität des städtischen Trinkwassers von großer Bedeutung. Der See liefert nicht nur Trinkwasser in die Hauptstadt, sondern wird auch von der Landwirtschaft zur Bewässerung genutzt ebenso wie zur Energieerzeugung. Darüber hinaus verbessert er die Wasserqualität seines Hauptzuflusses, des Rio Tominé, durch natürliche Filter und dient der Umleitung überschüssigen Wassers aus dem Rio Bogotá – in den Wintermonaten ein wichtiger Faktor für den Hochwasserschutz.

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LA CICLOVÍA

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Dennoch führte der Staudammbau zu erheblichen Umweltbeeinträchtigungen durch die Veränderung des Flusslaufes und der natürlichen Vegetation, die durch Kiefern-, Akazien- und Eukalyptusplantagen ersetzt wurde. Auch die Beziehungen zwischen den betroffenen Gemeinden wurden von der Umformung der Landschaft beeinträchtigt, so dass die sozialen Auswirkungen erheblich sind.

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Laguna de Guatavita, eine heilige Stätte der Muiscas.

BOGOTÁ

Das Projekt des neuen Regionalparks (Parque Regional de Tominé) ist im Kontext der Behebung dieser ökologischen und sozialen Schäden zu sehen. Ziele sind die Wiederherstellung des Landschaftsraums, die Verbesserung des Ökosystems und der biologischen Vielfalt sowie eine stärkere soziale und kulturelle Unterstützung der indigenen Bevölkerung des Gebietes. Das Projekt fügt sich in die längerfristige Vision eines „Umweltkreislaufs“ zwischen der Stadt Bogotá und umgebenden Regionalparks ein, die im Rahmen des Entwicklungsplans für Bogotá für den Zeitraum von 2016 bis 2020 dargelegt wurde. Geplant ist die Erstellung eines Netzes von miteinander verbundenen öffentlichen Räumen, welches strategisch bedeutsame städtische und ländliche Ökosysteme integriert und so das Angebot an Freiräumen für Erholung und in puncto Umwelterziehung erheblich ausweitet. In umweltpolitischer Hinsicht sind der Schutz der östlich gelegenen Berge sowie des San-Rafael-Stausees und die Sanierung des Río Bogotá erste Schritte für eine nachhaltige Entwicklung. Geplant sind Familientage, Veranstaltungen zu Umweltbildung und Gesundheit und besondere Angebote für Senioren sowie für „gute“ Natur-, Kultur- und Aktivtouristen. Die  Aktivitäten sprechen die Wünsche und Ansprüche eines weiten Spektrums an Besucherinnen an.

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Der neue Ort Guatavita, im Hintergrund der Stausee Tominé an der ursprünglichen Stelle des Ortes und seiner Umgebung.

Die Landschaft um den Stausee Tominé.

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Regionalpark Tominé

Mit Blick auf den prognostizierten Temperaturanstieg und Wassermangel werden Regenwasserspeicher angelegt als Wasserresourcen für Nutzungen, die keine Trinkwasserqualität erfordern, wie beispielsweise landwirtschaftliche Bewässerung. Weitere wichtige klimawirksame Ziele sind die Renaturierung des Waldbestandes, die Verminderung der Erosion, die Wiederherstellung der Feuchtgebiete und Wiederaufforstungen mit einheimischer Vegetation. Der zukünftig größte Regionalpark Lateinamerikas soll über die nächsten zehn Jahre nachhaltig entwickelt werden. Für die Bevölkerung von Bogotá und angrenzender Gemeinden wird so der Zugang zur Natur verbessert, was angesichts der Tatsache, dass die dicht besiedelte Stadt bezogen auf die Einwohnerzahl nur über relativ wenige innerstädtische Freiräume verfügt, ein bedeutender Fortschritt ist. In stärkerem Maße als in den wohlhabenden bis reichen Städten des globalen Nordens haben in Bogotá und anderen südamerikanischen Städten bei den Bemühungen um Klimaschutz Bedürfnisse der Gesellschaft, insbesondere der ärmeren Schichten, in der Relation ein deutlich größeres Gewicht. Bogotá bietet Projekte im großen Maßstab, viele davon mit einer gesellschaftlich progressiven Ausrichtung. Das Spektrum reicht von der Wiederherstellung eines Landschaftsraums über die klimatische Verbesserung eines Stadtviertels mittels eines Parks als zentralem Ort der grünen Infrastruktur zu kleinräumigeren Interventionen wie Bauwerksbegrünungen und einer neuen Parkanlage auf dem Deckel eines Straßentunnels. Die Stadtverwaltung hat bedeutende Anstrengungen unternommen, die Zahl der Grün- und Freiflächen, die den Bürgerinnen zur Verfügung stehen, zu erhöhen, und sei es auch nur temporär wie bei der Ciclovía. Ziel ist es, ein klimafreundliches Stadtleben zu befördern, das auf großen Zuspruch fällt und leicht übertragbar ist. Es geht darum, die Menschen auf konstruktive Weise für den Klimaschutz zu gewinnen und sie zu weiteren individuellen Beiträgen, beispielsweise durch den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad, zu motivieren.

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BOGOTÁ

ME DELLÍN

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Aufgrund des sonnigen und warmen Klimas in 1.500 Meter Höhe über dem Meeresspiegel trägt Medellín den Beinamen „La ciudad de la eterna primavera“, Stadt des ewigen Frühlings. Die zweitgrößte Stadt Kolumbiens und Hauptstadt der Region Antioquia hat 2,5 Millionen Einwohnerinnen, die Metropolregion mit zehn weiteren Gemeinden, die sich nordöstlich und südlich in das Aburrá-Tal erstrecken, kommt auf annähernd 4 Millionen Einwohnerinnen. Sie umfasst eine Fläche von 1.152 Quadratkilometern, ist zu einem Drittel städtisch bebaut und zu zwei Dritteln ländlich geprägt. Das vom Río Medellín durchzogene Tal, in dem die Stadt liegt, wird häufig mit der Form einer Tasse verglichen, die eine breite Grundfläche hat und an den Rändern steil ansteigt. Der geplant bebaute, urbanisierte Teil der Stadt befindet sich überwiegend in dem flachen, etwa 10 Kilometer langen Tassengrund, während an den Rändern im Zuge der in den 1960er Jahre einsetzenden Landflucht viele informelle Siedlungen entstanden sind. Die Hauptverbindungen der Autostraßen und Bahnlinien verlaufen in Nord-Süd-Richtung entlang des Río Medellín. Die umgebenden Gebirgsketten bewirken eine Ausprägung unterschiedlicher Mikroklimata, es gibt Wasserfälle und Wälder mit hoher ökologischer Bedeutung. Der 1.761 Hektar große Regionalpark Arví im Nordosten der Stadt ist dank einer Seilbahn besonders gut erreichbar. Er ist nicht nur ein bedeutendes Ausflugsziel, sondern bietet auch ein vielfältiges pädagogisches Angebot zur Förderung des Umweltbewusstseins. Kolumbiens Geschichte ist seit Jahrzehnten durch bewaffnete Konflikte bis hin zu Bürgerkriegen bestimmt, deren Ursachen in der extremen Ungleichverteilung von Wohlstand und politischer Macht liegen. In den 1960er Jahren formierten sich bäuerliche Guerillagruppen, die sich gegen die ungerechte Verteilung von Landbesitz und gegen die Unterstützung der Großgrundbesitzer durch das Militär zur Wehr setzten. Viele Landarbeiterinnen gehören zur indigenen oder afrokolumbianischen Bevölkerung. In den 1970er Jahren stiegen Anführer der paramilitärisch agierenden Gruppen in den Drogenhandel ein, der bedeutendste war bis zu seinem Tod 1993 Pablo Escobar als Führer des Medellín-Kartells. Während der 1970er und 1980er Jahre, der Hochzeit von Escobars Kartell, gehörte Medellín zu den gefährlichsten Städten der Welt, nicht zuletzt aufgrund einer extrem hohen Mordrate. Nach einem langwierigen Friedensprozess, in dessen Verlauf sich die politische Lage deutlich verbesserte, konnte 2016 ein Friedensvertrag zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), der weitaus größten Guerillagruppe, unterschrieben werden. Allerdings bestehen die großen Ungleichgewichte in Bezug auf Landbesitz weiterhin und auch der Drogenhandel konnte nicht vollständig gestoppt werden, teilweise hat er sich in Nachbarländer wie Peru verlagert. Insbesondere die jüngeren Menschen in Medellín kennen und reflektieren die Geschichte ihres Landes intensiv, zum Teil lebten sie während ihrer Kindheit und Jugend im Ausland und kehrten erst nach Beruhigung der Lage in ihre Heimat zurück. Oft vertreten sie in Bezug auf den immer noch vorhandenen Drogenanbau und -handel die Ansicht, dass diese Situation so lange erhalten bleiben wird, wie sich weltweit Abnehmer für die Drogen finden. Bemerkenswert und hoffnungsträchtig ist ihre Energie, über ihr Land und seine Transformation zu berichten und sich für den begonnenen friedlichen Weg einzusetzen.

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Blick über die Stadt und das Aburrá-Tal.

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Gegenwärtig ist Kolumbien immer noch der größte Kokainproduzent der Welt und die wichtigste Lieferantin von Heroin für die USA. Da die USA das Hauptabnehmerland der Drogenproduktion in Lateinamerika sind, drängt die amerikanische Regierung seit mittlerweile Jahrzehnten darauf, Anbauflächen zu vernichten, um den Drogenhandel

einzuschränken. Mit dem Plan Colombia (2000–2015) setzten die USA auf militärische Mittel, außerdem versprühten sie aus der Luft Pflanzengifte, die nicht nur Kokapflanzungen vernichteten, sondern häufig ganze Landstriche samt den dort lebenden Menschen, ihren Nutzpflanzen und Tieren wie auch den Regenwald belasteten. Die Langzeitfolgen für die Landwirtschaft wie die Umwelt sind beträchtlich. Laut Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe gibt es durch den immer wieder aufflammenden Bürgerkrieg der letzten 50 Jahre mehr als 8 Millionen interne Flüchtlinge, so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Außerdem steht Kolumbien mit aktuell ca. 1,8 Millionen an zweiter Stelle derjenigen Länder, die die meisten Flüchtlinge aus dem Ausland aufgenommen haben. Der weitaus größte Teil kommt aus dem Nachbarland Venezuela, von wo aus aufgrund der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den vergangenen Jahren Millionen Menschen ins Ausland flüchteten. Viele Flüchtlinge ziehen in die Städte, deren Einwohnerzahlen in der Folge weiter ansteigen. Auch Medellín ist davon betroffen. Anpassungen an die zum Teil massiven sozialen Verwerfungen, denen die Stadt ausgesetzt ist, spielen daher für die Stadtentwicklung eine große Rolle und müssen bei der Anpassung an den Klimawandel stets mitgedacht werden. Die erkennbaren städtebaulichen Veränderungen, die seit den 1980er Jahren in Angriff genommen wurden, sind vielfältig und beachtlich, wenn auch die deutlich verbesserte Situation noch nicht als abgeschlossen und stabil bezeichnet werden kann. In die Veränderungsprozesse sind neben den politisch Verantwortlichen auch vielfach die Stadtwerke, Empresas Públicas de Medellín (EPM), in vorbildlicher Weise eingebunden. Sie sind ein öffentliches Versorgungsunternehmen, das die Stadt und die Gemeinden in der Umgebung mit Wasser, Elektrizität, Gas und Telekommunikation versorgt, außerdem ist EPM für die Kanalisation und die Müllentsorgung zuständig. Zur EPM-Gruppe gehören 44 weitere Unternehmen in Form von Aktiengesellschaften, in denen EPM eine Mehrheitsbeteiligung hält. Für das Unternehmen sind Nachhaltigkeit und Beteiligung der Bürger wichtig. Besonders hervorzuheben ist das über die eigentlichen Aufgaben hinausgehende Engagement für eine nachhaltige Stadtentwicklung und öffentliche Grünflächen. Das Klima in Medellín ist subtropisch und mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 15,8 °C milder als in Bogotá. Über das Jahr sind die Temperaturunterschiede sehr gering. Die Durchschnittstemperatur beträgt 16,0 °C im wärmsten Monat August und 15,5 °C im kühlsten Monat November. Mit fast 3.000 Millimeter Niederschlag erhält die Stadt deutlich mehr Regen als Bogotá. Es regnet in jedem Monat des Jahres. Im Januar liegt die durchschnittliche Regenmenge mit 150 Millimetern am niedrigsten, im April mit 350 Millimetern am höchsten. Für die Vegetation, insbesondere für viele Blütenpflanzen, sind diese Bedingungen günstig, so dass Medellín mit einem zweiten Beinamen auch als „die Stadt der Blüten“ bezeichnet wird.

AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Die Herausforderungen durch den Klimawandel liegen zum einen im Anstieg der Tageshöchsttemperaturen wie auch der gefühlten Temperatur. Die Folgen reichen von einer verminderten Produktivität der Bewohnerinnen bis zu einer stärkeren

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Zersetzung organischen Materials. Außerdem wird eine Zunahme von Trockenperioden prognostiziert, was zu einer Absenkung der Grundwasserstände und Veränderungen von Ökosystemen führen wird, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion. Schließlich wird eine Zunahme von Starkregenereignissen vorausgesagt, in deren Folge vermehrt Erdrutsche auftreten werden, die vor allem Siedlungen an den steilen Berghängen erheblich bedrohen. Im Klimawandelplan für das Aburrá-Tal, der für den Zeitraum von 2019 bis 2030 aufgestellt wurde, sind als Hauptziele die Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 35 Prozent und die Anpassung an den Klimawandel benannt. Der Plan umfasst auch Veränderungsstrategien für die Bereiche Bildung und Wissenschaft, Stadtplanung sowie Wirtschaft und Politik. Generell sollen die Energieeffizienz und der öffentliche Personennahverkehr gefördert werden, ferner sind Naturschutz und Landnutzung zu berücksichtigen. Außerdem soll im Rahmen des Klimarisikomanagements ein Informations- und Warnsystem entwickelt werden, um Katastrophen, insbesondere für Siedlungen in Hanglage, aufgrund der hydrometeorologischen Verhältnisse in Verbindung mit dem Phänomen El Niño zu verhindern. Ferner werden die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung, der sanitären Grundversorgung und der Gesundheit für die Bevölkerung sowie der Umweltschutz als Anpassungsziele benannt.

NEUE VERKEHRSINFRASTRUKTUR Ein wichtiges Element der parallel zur gesellschaftlichen Befriedung stattfindenden umweltbewussten und nachhaltigen Stadtentwicklung ist der Aufbau eines modernen öffentlichen Nahverkehrssystems. Dazu gehören eine Hochbahn, die die gesamte Stadt von Norden nach Süden durchquert, sowie Straßenbahnen, die die im Westen und Osten gelegenen Stadtteile daran anschließen. Von den Endpunkten dieser

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Die neue Hochbahn, die Medellín von Norden nach Süden durchquert.

Die neue Monorail-Straßenbahn, die die Stadtgebiete zwischen der Hochbahn und der Seilbahn verbindet.

Die Straßenbahn fährt ohne ein abgetrenntes Gleisbett durch belebte Straßen.

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Die Fahrt in die höhergelegenen Stadtteile mit der Seilbahn bietet weite Blicke über das Stadtgebiet.

Kaum sichtbar führen die neuen orangefarbigen Rolltreppen im dicht bebauten Stadtteil Comuna 13 den steilen Hang hinauf.

Die Rolltreppen haben eine markante Erscheinung.

Der Radweg nutzt die Straße, ist jedoch vom Autoverkehr und vom Fußweg getrennt.

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Die gut gepflegten Rolltreppen werden gerne genutzt.

Neue Verkehrsinfrastruktur

Linien bringen Seilbahnen, Metrocables genannt, die Bewohner zu ihren meistens an den steilen Hängen gelegenen Häusern. Die äußeren Stadtteile wurden so zum ersten Mal über schnelle öffentliche Verkehrsmittel mit der Innenstadt verbunden. Wege zu den Arbeitsstätten im Zentrum sind in deutlich geringerer Zeit zu bewältigen als vorher zu Fuß oder mit dem Bus – ehemals zwei Stunden mit dem Minibus dauern jetzt sieben Minuten mit der Seilbahn. Die Kombination der Verkehrsmittel ist Teil einer Strategie, die Mobilitätsplanung stärker in die Stadtentwicklung einzugliedern. Positive soziale Effekte verbinden sich zudem mit ökologischen Vorteilen. Da der Einsatz veralteter Busse auf steilen und engen Straßen verringert wurde, sanken die Emissionen von Feinstaub, CO2, Treibhausgasen und anderen Schadstoffen. Beim CO2 liegt die Reduktion des Ausstoßes bei etwa 20.000 Tonnen pro Jahr, so dass die Stadt einen Teil der Betriebskosten für den öffentlichen Nahverkehr mittlerweile über den Emissionshandel finanzieren kann. Die Menschen nutzen und schätzen die verschiedenen Bahnen sehr. Es ist überraschend, wie sauber sie sind und wie sehr sich die Menschen vorsehen, Waggons nicht zu verschmutzen und Mitfahrende nicht zu belästigen. In einem Viertel an einem sehr steilen Hang, wo ein Höhenunterschied in der Höhe eines 30-stöckigen Hochhauses bewältigt werden muss, wurden sogar überdachte Rolltreppen im Freiraum installiert, damit die Wege für die Bewohnerinnen weniger beschwerlich sind. In flacheren Stadtteilen wurden entlang vieler Straßen Radwege angelegt, wobei die Abtrennung von der Fahrbahn für Autos vorbildlich ist und der Sicherheit der Radfahrerinnen dient.

GRÜNE KORRIDORE Medellín legt großen Wert auf eine Ausdehnung von Grünflächen und Begrünungen, die die Stadt gegenüber den negativen Folgen des Klimawandels resilienter machen soll. Dazu wurde ein herausragendes Programm für eine grüne Infrastruktur entwickelt, das auch bereits teilweise umgesetzt worden ist. Durch die Integration bestehender Flächen und die Schaffung neuer Parkanlagen konnte außerdem eine Zunahme des öffentlichen Raums pro Einwohner um etwa das 2,5-Fache erzielt werden. An 18 Straßen und zwölf Flussläufen wurden sogenannte corredores verdes (grüne Korridore) eingerichtet, in denen seit 2016 rund 9.000 Bäume und 350.000 Sträucher gepflanzt wurden – mit dem bisherigen Erfolg, dass die lokale Temperatur dort im Mittel um zwei Grad abgesenkt werden konnte. Außerdem dienen diese Pflanzungen der Verbesserung der Luftqualität, sie bieten Schatten für Radfahrer und Fußgängerinnen und erhöhen die Biodiversität. Ergänzt werden die grünen Korridore durch „grüne Wände“, vertikale Gärten, die sich ebenfalls positiv auf die Regulierung des Klimas, die Lufthygiene und die biologische Vielfalt auswirken. Das Projekt der grünen Korridore, das vom Kigali Cooling Efficiency Program und im Rahmen einer Partnerschaft mit Sustainable Energy for All unterstützt wurde, erhielt 2019 von der britischen Wohltätigkeitsorganisation Ashden den renommierten Nachhaltigkeitspreis „Award for Cooling by Nature“. Im Text zur Preisverleihung heißt es: „Medellín zeigt, wie naturnahe Lösungen die Menschen und den Planeten kühl halten können.“

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Die Wegeverbindungen im Grünen mit Baumschatten laden zum Laufen und Aufenthalt bei angenehm kühlen Temperaturen ein. Die üppige Begrünung senkt die Temperatur in der Stadt deutlich.

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Grüne Korridore

PARQUE DEL RÍO Ein vielversprechendes Projekt sowohl für die Transformation der Stadt als auch für die Umsetzung der Strategie der grünen Korridore ist der Parque del Río, geplant von den Landschaftsarchitekten Sebastián Monsalve Gómez und Juan David Hoyos. Seit 2014 im Bau, wurde von der geplanten Gesamtlänge der Parkanlagen von 20 Kilometern bisher nur ein Teil fertiggestellt. Ziel des Projekts sind zusätzlich zur Erweiterung grüner Infrastruktur neue Möglichkeiten für nichtmotorisierte Mobilität, die Gestaltung der Uferanlagen und die Biodiversität entlang des Flusses.

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Parque del Río, Tunneleinfahrt der Straße und Begrünung oberhalb.

Im Park kann das Regenwasser in großen Vegetationsflächen gesammelt werden.

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Neben des überwiegend kanalisierten Zustandes des Río Medellín, der die Stadt in zwei Hälften teilt, haben sich auch die parallel verlaufenden Autostraßen als schwer überwindbare Hindernisse herausgestellt. Doch immerhin entstehen durch die partielle Verlegung der Straßen in Tunnel neue, qualitativ hochwertige öffentliche Freiflächen und der Zugang zum Wasser wird wieder erlebbar, das war seit 60 Jahren nicht mehr möglich. Der Fluss bleibt als strukturierende Achse für den Park bestehen. Für Fußgänger und Radfahrerinnen werden neue Brücken als verbindende Elemente zwischen den westlichen und östlichen Stadtgebieten errichtet. Zur Bepflanzung des Parks werden zwecks Stärkung und Bewahrung der heimischen Flora einheimische Pflanzen verwendet. Außerdem wird so das Bewusstsein der Bevölkerung für ihre natürliche Umwelt im städtischen Kontext gefördert. Die Stadtwerke betreiben einen Pavillon für kulturelle Angebote. Der Park ist in zwölf Abschnitte unterteilt, von denen bisher zwei realisiert wurden. Die  gesamte Bauzeit soll bis zu 15 Jahre dauern. Es ist beabsichtigt und wird erwartet, dass entlang der neuen Grün- und Freiflächen neue Wohngebiete entwickelt werden. Sollten diese Vorstellungen Wirklichkeit werden, würde das die Bedeutung dieser Umweltmaßnahme für eine verbesserte Lebensqualität in der Stadt noch erheblich steigern. Für die Bewältigung des Klimawandels wären eine weitere Begrünung als Ausgleich für die städtische Wärmeinsel und auch Anlagen zur Sammlung von Niederschlägen bei Starkregenereignissen wichtig.

PARKBIBLIOTHEKEN Ökologische Resilienz und soziale Widerstandsfähigkeit liegen im Falle der Stadtentwicklungsprojekte von Medellín nahe beieinander. Neben einem Umbau der Verkehrsinfrastruktur, der weniger umweltbelastenden öffentlichen Verkehrsmitteln den Vorzug gibt und entferntere einkommensschwache Stadtviertel besser ans Zentrum anbindet, ist die gezielte Errichtung von Bibliotheken in sozialen Brennpunkten ein weiteres herausragendes Beispiel für die Förderung von Resilienz auf verschiedenen Ebenen. Die sogenannten Parkbibliotheken Medellíns sind jeweils mit einer umgebenden Grünfläche ausgestattet. Klimatisch bilden sie mit ihren 1 bis 2 Hektar großen angrenzenden Freiräumen kühlende grüne Oasen, außerdem leisten sie als öffentlicher 15

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Aufenthaltsflächen im Park werden gerne angenommen, die Bäume werden zukünftig mehr Schatten spenden.

Der Park verläuft linear entlang des Flusses. 2018 wurde auf dem Gehwegbereich eine Ausstellung von Kunstwerken des Prado in Madrid gezeigt.

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PARQUE DEL RÍO

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Raum mit Angeboten in den Bereichen Bildung, Kultur und Soziales einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der jeweiligen Stadtteile. Sie sind Teil der sogenannten Sozialakupunktur, einem Konzept strategisch ausgewählter, punktueller Maßnahmen zur Umgestaltung von Stadtgebieten, die den Bürgerinnen die Interaktion mit ihrer Lebensumwelt erleichtern und neue Wege für städtisches Leben bereitstellen. Der im Nordosten der Stadt gelegene Parque Biblioteca España wurde von Spanien gespendet und 2007 eröffnet. Aufgrund der auffälligen Architektur der drei kubischen Gebäude und ihrer Lage am Rande eines steilen Berges ist die Bibliothek zu einer Sehenswürdigkeit geworden. Leider sind die Gebäude jedoch inzwischen seit Jahren geschlossen, weil unerlässliche Renovierungsarbeiten nicht ausgeführt werden. Ein anderes bemerkenswertes Beispiel ist der Parque Biblioteca León de Greiff, benannt nach einem der bedeutendsten kolumbianischen Dichter des 20. Jahrhunderts, der aus Medellín gebürtig ist. Auch diese Parkbibliothek steht an einem steilen Hang in einem Stadtviertel der Peripherie. Sowohl die begehbare Dachterrasse als auch der öffentlich nutzbare Park bieten beeindruckende Ausblicke über die Stadt. Im Jahr 2007 auf dem Gelände eines ehemaligen Gefängnisses errichtet, hat diese Anlage einen neuen öffentlichen Raum geschaffen, an dem die Menschen lernen, sich treffen und erholen können und der zugleich seine urbane Umgebung kühlt und deren Mikroklima verbessert.

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Die drei markanten Gebäude der Bibliothek La Ladera Léon de Greiff umfassen einen kleinen Park, der abends beleuchtet wird.

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100 NEUE PARKS Ein weiteres Stadtentwicklungsprojekt zur Stärkung der Resilienz ist die Anlage neuer bzw. die Renovierung vorhandener Parks. 100 Objekte, die sich über die gesamte Stadt verteilen, sind hierzu in Planung, einige sind bereits fertiggestellt. Bei der Betrachtung ihrer Stadt fiel den Planungsbehörden auf, dass es viele Stadtbereiche ohne ausreichende Beleuchtung und andere grundlegende öffentliche Infrastruktureinrichtungen gab. EPM analysierte daraufhin seine eigenen Anlagen und bemerkte, dass es sich bei den dunklen Flächen um die Gelände von 144 Wassertanks handelte, die ursprünglich am Stadtrand angelegt worden waren. Im Zuge der fortschreitenden Ausdehnung Medellíns waren die informellen Siedlungen, die sich die Hänge des Aburrá-Tals hinaufschoben, über die Tankanlagen hinweggewachsen. Als unbeleuchtete Orte inmitten von Vierteln ohne ausreichende öffentliche Infrastruktur gelegen, bestand die Gefahr, dass sich Kriminalität entwickeln könnte. Mit dem Ziel, der Problematik stadtplanerisch und architektonisch zu begegnen, begann EPM als Betreiber der Wassertanks, in diesen Vierteln Medellíns qualitativ hochwertige öffentliche Räume zu schaffen. Sie werden programmatisch als Unidades de Vida Articulada (UVA), als Orte des sozialen Miteinanders bezeichnet. Hier sollen die Menschen sich treffen, sich versammeln und Veranstaltungen abhalten, Kinder spielen und Familien der Enge der eigenen vier Wände entfliehen können. Statt Asphalt, Backsteinen und Beton sollen Bäume, Blumen und weitere Pflanzen vorherrschen. Von den 144 vorhandenen Wassertankanlagen wurden 32 für eine Umgestaltung zu einer UVA ausgewählt, davon 14 in Gebieten mit besonders hohem Bedarf an Freiflächen. Das umgebende Gelände dieser 14 Wassertanks wurde der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht, im Rahmen von Beteiligungsverfahren neu gestaltet und zu einem Nachbarschaftstreffpunkt ausgebaut. Vorher durch Zäune voneinander getrennte Flächen wurden so städtebaulich wieder miteinander verbunden. Die meisten Wassertankanlagen befinden sich auf steilen Grundstücken, weshalb die neu entstandenen öffentlichen Räume in vielen Fällen eher als Balkon oder Terrasse denn als konventioneller Park anmuten. Wasser und Energie sind die grundlegenden Komponenten der UVAs und gleichzeitig auch der Beginn für den ersten Masterplan für eine städtische Beleuchtung der informellen Stadtviertel. Kennzeichen einer UVA ist, dass sie die städtischen Versorgungsnetze der Gemeinschaft zugänglich macht. Dazu gehört auch die Öffnung von Infrastruktureinrichtungen für weitere, zuweilen unkonventionelle Nutzungen. So gesehen sind die UVAs hervorragende Beispiele für ein Umdenken in Richtung einer sozial resilienteren, weil gesellschaftlich gerechteren und ausgeglicheneren Stadt. Im Folgenden werden drei der 100 Parks beispielhaft beschrieben. Sie sind unterschiedlich in ihrem Erscheinungsbild sowie ihrer Themensetzung und verdeutlichen das Spektrum der Möglichkeiten.

PARQUE DE LA IMAGINACIÓN Der Park der Fantasie liegt im Stadtteil 8, Villa Hermosa. Im Jahr 2015 angelegt, umfasst er eine 8.600 Quadratmeter große Freifläche sowie 2.200 Quadratmeter bebaute Fläche. In der näheren Umgebung des Parks leben rund 27.000 Menschen. Auf der Freifläche wurden umfangreiche Spiel- und Sportmöglichkeiten für alle Altersstufen geschaffen, außerdem ein Aussichtspunkt mit Blick über die Stadt. Das Thema „Wasser“ wird von einem Wasserspiel und einem im Inneren eines runden, offenen Wassertanks

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angelegten Freilufttheater aufgegriffen. Diese beiden Elemente geben dem Ort seine Identität. In den Gebäuden befinden sich Schulungs- und Computerräume zur freien Nutzung, Ausstellungsräume für künstlerische, pädagogische und kulturelle Aktivitäten sowie Musikprobenräume. Die Nutzung inkl. Dienstleistungen ist kostenlos und an sechs Tagen der Woche bis zum Abend möglich.

PARQUE DE LOS DESEOS

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Das Wasserbecken des Parque de la Imaginación, umgeben von Verkaufsständen und Spiel- und Sportgeräten. Seine nüchterne Ausstrahlung schafft eine außergewöhnliche Atmosphäre des Raums.

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Der vom Büro des Architekten Felipe Uribe de Bedout entworfene Park der Wünsche wurde 2003 realisiert. Eher untypisch liegt er in der Flussebene im Norden der Stadt, nahe dem Botanischen Garten und der Universität von Antioquia. Ein großer Teil des 1,2 Hektar großen Geländes besteht aus einer überwiegend versiegelten, geneigten Fläche, die an den Stirnseiten von der 2005 fertiggestellten Casa de la Música und dem Planetarium begrenzt ist. Auf dieser Fläche finden Veranstaltungen wie Konzerte oder Open-Air-Kinovorführungen sowie Workshops oder Führungen statt. Das Haus der Musik ist ein wichtiger Treffpunkt für Musiker und Künstlerinnen, es bietet sechs Proberäume für bis zu 250 Teilnehmer. Im Schnitt nutzen monatlich über 5.000 Musikerinnen die Räume für mehr als 12.000 Probestunden.

Die Angebote des Hauses der Musik sowie die ca. 400 jährlichen kulturellen Veranstaltungen sind kostenlos. Mit 40 Großveranstaltungen pro Jahr ist der Park der Wünsche ein wichtiger Veranstaltungsort für die gesamte Stadt. Zusammen mit dem Planetarium bildete der Park den Auftakt zur Entwicklung des nördlichen Stadtgebietes. Inzwischen gehören zehn Institutionen, darunter die Universität, der Botanische Garten, eine Metro-Linie und der Komplex Ruta N zu den wichtigen Einrichtungen, die diesen Stadtteil stabilisieren. Tagsüber spielen vor allem Schulkinder auf der weiten Fläche des Parque de los Deseos, deren besondere Attraktion neben weiteren Spielangeboten in einem Spielplatzbereich eine Doppelreihe von Wasserfontänen ist, die sich bestens zum Nassspritzen und Abkühlen eignen. Studierende der nahe gelegenen Universität nutzen

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Der Hauptplatz des Parque de los Deseos, mit dem Planetarium und dem Haus der Musik im Hintergrund, bietet mit Fontänen, beschatteten Sitzgelegenheiten und einem Spielplatz vielfältige Beschäftigung.

100 neue Parks

den Platz gerne am Abend, und am Wochenende treffen sich hier viele Familien. Angesichts des hohen Versiegelungsgrades der zentralen Fläche wirkt der Park eher wie ein städtischer Platz. Auf den Spielplatzflächen werden mittels interaktiver Spielgeräte naturwissenschaftliche Zusammenhänge erklärt: Dazu gehören akustische Muscheln, mit denen die Kinder sich über eine Distanz unterhalten können, eine Sonnenuhr sowie ein Gerät, das die Entstehung von Sonnenfinsternissen demonstriert. Der Park wird von der EPM-Stiftung unterhalten und bekam 2003 den „Lápiz de Acero Azul“, den höchsten kolumbianischen Designpreis. Außerdem erhielt er von Colciencias, einer Abteilung des Ministeriums für Wissenschaft, Technologie und Innovation, eine Auszeichnung als Park zur Förderung des Interesses an den Wissenschaften.

PARQUE DE LOS PIES DESCALZOS Im Zentrum der Stadt, direkt vor dem Hauptgebäude der Stadtwerke EPM gelegen, befindet sich der insgesamt 3 Hektar große Barfußpark. Er lädt seine Besucher ein, die verschiedenen Zonen des Geländes barfuß zu erobern. Zum Laufen, Spielen, Spazierengehen und Verweilen gibt es Sand- und -Spielflächen, einen Bambushain und einen befestigten Platz. In die befestigte Fläche sind zwei flache Wasserbecken eingelassen, zum Waten oder Eintauchen der Füße; auch Felder mit Fontänen sind in den Platz integriert. Das Waten soll an das Durchqueren eines kühlen, flachen Stroms außerhalb der Stadt erinnern, die Fontänen versprühen dagegen städtische Lebensfreude. Im Bambushain kann meditiert werden, so dass die Angebote dieses Parks neben Sport und Spiel auch für die geistige und körperliche Entspannung geeignet sind. Der 2000 fertiggestellte Park wurde ebenfalls von EPM initiiert und gefördert und von Felipe Uribe de Bedout geplant. Zur Parkanlage gehört das angrenzende interaktive Wassermuseum, das täglich um die 1.000 Besucherinnen zählt, überwiegend Schüler. Das Museum erläutert auf unterhaltsame Art naturwissenschaftliche, geografische und ökologische Aspekte des Wassers und stellt Techniken der Trinkwassergewinnung, Abwasserreinigung, Energieerzeugung etc. vor. Auch Abteilungen über die Themen Elektrizität, Gas und Telekommunikation, den anderen Sparten der Stadtwerke, sind Teil des Museums. Wie der Park wird auch das Museum von EPM finanziert und betrieben.

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Ein Wasserbecken im Parque de los Pies Descalzos. Der Bambushain bietet eine beschattete Fläche zum Meditieren oder Lesen.

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MORAVIA Viele der wegen des Bürgerkriegs oder aus wirtschaftlichen Gründen in die Stadt gezogenen Menschen siedelten sich in informellen Siedlungen an, deren Häuser sie selbst aus den nötigsten einfachen Materialien bauten. So wurde auch der Stadtteil Moravia gegründet und besiedelt. Er liegt am Río Medellín zwischen zwei Ausfallstraßen im Norden der Stadt, nahe des Busbahnhofs. Das Gebiet wurde in den 1970er Jahren genutzt, um Schutt und Aushub zu lagern, der bei Neubauvorhaben anfiel. Um den Zuzug auf das Gelände zu unterbinden, legte die Stadtverwaltung hier 1977 eine städtische Mülldeponie an. Diese wuchs schnell auf 30 Meter Höhe an und erstreckte sich über 7 Hektar Land. Das hielt die Menschen jedoch nicht davon ab, sich hier aufzuhalten und anzusiedeln, im Gegenteil, die Mülldeponie zog immer mehr Bewohnerinnen an, die dort nach Nahrung und Kleidung suchten oder nach Dingen, die sie durch Recycling oder Verkauf zu Geld machen konnten. Hunderte, wenn nicht Tausende Familien lebten ständig auf dem Müllberg, der eine vollständig unhygienische Lebensumwelt bot.

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Auf der ehemaligen Müllhalde Moravia, die abgedichtet und begrünt wurde, gibt es heute Spazierwege mit Erinnerungstafeln, die an die Veränderung erinnern.

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Die Tafel zeigt den ehemaligen Zustand der Halde 1984 und nach Begrünung im Jahr 2014.

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1983 geriet Moravia außer Kontrolle. 15.000 Menschen lebten in dem Stadtteil auf und um die Müllhalde herum. Damit war das Gebiet zu dem am dichtesten besiedelten Stadtviertel Medellíns geworden. Die Gefährdung der Gesundheit der Bewohner durch die kontaminierte Lebensumgebung, verschärft durch die soziale Enge, war gravierend. Nach dem Ausbruch mehrerer Feuer wurde die Müllhalde 1984 geschlossen. 1990 wurde das Viertel zu einem besonderen Interventionsgebiet, 2005 zu einer öffentlichen Katastrophenzone erklärt. Zu den klimatischen Auswirkungen der Halde zählten die Entwicklung von Hitze, die nicht durch Schattenzonen gemildert wurde, die Emission giftiger Gase, vermutlich auch des klimaaktiven Methangases, in die Atmosphäre und die Gefahr von Hangrutschungen bei Starkregenfällen durch instabile Bodenverhältnisse. Im Jahr 2004, zwei Jahrzehnte nach Schließung der Müllhalde, wurde ein Plan für das Viertel beschlossen, auf dessen Grundlage eine Reihe von entscheidenden Verbesserungen implementiert werden konnten. Dazu zählten der Aufbau eines Abwassersystems, die Entwicklung von Gewerbe für das ökonomische Wachstum des Stadtteils und die Einrichtungen eines Netzes an sozialen Organisationen. Die Menschen, die auf dem Müllberg lebten, wurden in neu gebaute Häuser umgesiedelt, teilweise in andere Stadtteile. Im Jahr 2009 wurde die Müllhalde schließlich gegen toxische Gasemissionen abgedeckt, und es wurden 50.000 Bäume und Sträucher auf dem Gelände gepflanzt. Innerhalb kurzer Zeit wurde aus der ehemaligen Deponie der größte Garten der Stadt. Die Pflanzenarten wurden so ausgewählt, dass sie in Verbindung mit entsprechenden Bakterien helfen würden, die Giftstoffe der Halde abzubauen und unschädlich zu machen. Im Rahmen der allgemeinen Modernisierung des Stadtviertels baute die Stadt Fußwege und Brücken über die Flutkanäle, eröffnete Gesundheitszentren und stellte kostenlose öffentliche Fahrräder zur Verfügung. Moravia ist heute mit mittlerweile über 40.000 Einwohnerinnen immer noch einer der am dichtesten besiedelten Stadtteile Medellíns. Doch die 30.000 Quadratmeter umfassende Grünfläche auf der ehemaligen Deponie, die Bildung von Genossenschaften, die sich positiv auf den sozialen Zusammenhalt auswirken, und eine gerechtere Verteilung von Wohnraum und Arbeitsmöglichkeiten haben dazu geführt, dass Moravia zu einem der Wahrzeichen der Transformation der Stadt geworden ist. Das Beispiel steht dafür, dass – und auf welche Weise – in der zweiten Zuwanderergeneration eine Stadtgesellschaft entstehen kann, die der Elterngeneration einen sozialen Aufstieg beweisen kann. Die Sanierungs- und Infrastrukturmaßnahmen, gekoppelt mit dem Aufbau sozialer Einrichtungen, haben die Voraussetzung geschaffen, dass Bürger sich mit ihrem Stadtteil – und damit mit ihrer Stadt – positiv identifizieren und ihre Chancen auf Bildung und wirtschaftliche und politische Teilhabe nutzen. Es ist die Parallelität von gelingendem gesellschaftlichen Miteinander und einer ausreichenden Versorgung mit Grün- und Freiflächen sowie der Vermeidung negativer Auswirkungen des Klimawandels, die in Moravia das Gemeinwohl beträchtlich erhöht hat und hoffentlich für die Zukunft sichern kann.

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GRÜNE ARCHITEKTUR Ausdruck eines wachsenden Bewusstseins der Stadtgesellschaft von Medellín für den Schutz von Umwelt und Klima ist die Tatsache, dass es eine Reihe von Gebäuden gibt, die in Sachen ökologischer Qualität und Resilienz Vorreiter sind. Dazu gehört neben einer herausragenden Begrünung eine direkte Verbindung mit den an sie anschließenden Freiflächen, so dass sich eine ausgesprochen positive Wechselwirkung zwischen Architektur und umgebendem Grün ergibt. Genau diese Verbindung ist in Bezug auf den Klimaschutz in Städten von großer Wichtigkeit, wird aber gleichzeitig oft nicht berücksichtigt. Drei Beispiele werden hier vorgestellt.

BÜRGERZENTRUM DES DEPARTAMENTO ANTIOQUIA Das Bürgerzentrum von Antioquia, auch Edificio Plaza de la Libertad genannt und 2010 fertiggestellt, zeigt in beeindruckender Weise das Zusammenspiel der Architektur eines Gebäudes mit seinem Freiraum und den Einfluss einer Reflexion über die kulturellen und natürlichen Gegebenheiten des Standortes. Die Architekturbüros OPUS und Toroposada Arquitectos hatten den Anspruch, eine Architektur zu entwerfen, die sichtbar und spürbar an die Umwelt- und Klimabedingungen der Tro-1 pen angepasst ist. Traditionelle Elemente der regionalen Architektur wie Terrassen, Brücken und Balkone werden auf zeitgemäße Art in einem hochmodernen Entwurf eingebunden. Gleichzeitig ist das Gelände ein Vorbild für die Integration von Vegetation in das Stadtbild, hier mit dem Ziel, an die Reichhaltigkeit des Naturraums zu erinnern und eine enge Verbindung der Menschen mit ihrer natürlichen Umwelt zu schaffen. Die auffällige Fassade erinnert die Menschen an die Wälder ihrer natürlichen Umwelt. Das Grundstück des Gebäudes ist zu den umliegenden Freiflächen durchlässig und offen gestaltet, die Grünflächen sind mit einheimischen Arten bepflanzt. Auf diese Weise wird unter anderem die städtische Wärmeinsel reduziert, die einheimische Fauna findet einen Lebensraum und Beschäftigte wie Besucher können sich im Grünen erholen. Der Bedarf an Klimatechnik und künstlicher Beleuchtung konnte dank der Verwendung vertikaler Paneele für die Verschattung an der Fassade gering gehalten werden.

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Die Freiflächen des Bürgerzentrums sind mit einheimischen Pflanzen gestaltet.

Auch ein Wasserbecken gehört zu den Außenanlagen des Bürgerzentrums.

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EPM-GEBÄUDE Das EPM-Gebäude ist die Zentrale der Stadtwerke von Medellín. Es wurde Anfang der 1990er Jahre im Sinne einer progressiven, gesellschaftlich integrativen Stadtplanung in einem der ärmeren Stadtviertel platziert, auch um die städtebauliche Entwicklung dieses Viertels zu befördern. Das sechs einzelne Türme bündelnde Bürogebäude grenzt an den Barfußpark und wurde als intelligentes, LEED-zertifiziertes Gebäude geplant. Es ist mit einem Dachgarten und grünen Wänden, Gründächern und einer Fassadenbegrünung in Richtung Barfußpark ausgestattet. 60 Prozent der verwendeten Pflanzen sind einheimische Arten. Im Jahr 2017 wurden das Dach mit einer aus 1.044 Paneelen bestehenden Fotovoltaikanlage ausgestattet, die 2021 ihren Betrieb aufnahm und 5,5 Prozent des monatlichen Stromverbrauchs des Gebäudes erzeugen soll. Mit seiner umweltfreundlichen Architektur und seinem „intelligenten“ Design gilt das EPM-Gebäude seit bald 30 Jahren als ein Symbol des fortschrittlichen und innovationsfreudigen Medellín.

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Das EPM-Gebäude, die Zentrale der Stadtwerke, hat im Eingangsbereich eine teilweise begrünte Wand.

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RUTA N Das Gebäude Ruta N des Büros Estudio Transversal aus dem Jahr 2011 ist ein Unternehmens- und Innovationszentrum, das nicht nur durch seine Architektur, sondern vor allem aufgrund des üppig begrünten umgebenden Freiraums im Stadtbild auffällt. Der Komplex liegt unweit des Parks der Wünsche, gegenüber der Universität von Antioquia, und ist Teil der Erneuerung der nördlichen Stadtgebiete. Ein wesentliches Element der Architektur ist der an drei Seiten umbaute Innenhof, in dem ein Garten mit vielfältigen Tropenpflanzen angelegt wurde. Die einheimischen Pflanzen, die unter Mitarbeit des Botanischen Gartens der Stadt ausgewählt wurden, benötigen wenig Bewässerung und kommen ohne Pestizide aus. Die Namen der Spezies sind auf Tafeln angegeben und mit QR-Codes versehen, so dass genauere Informationen über sie im Internet gefunden werden können. Der umgebende Freiraum des Gebäudes ist zum einen mit den gegenüberliegenden Grünanlagen des Universitätsgeländes verbunden, zum anderen schließt er an die begrünte Fassade des Gebäudekomplexes an. 35, 36–37 (nächste Seite)

Das Gebäude RUTA N mit seiner markanten Straßenecke hat einen zur Straße offenen Innenhof mit Garten, der mit Tropenpflanzen üppig begrünt ist. Zusammen mit der ebenfalls begrünten Gebäudewand zum Innenhof kühlt er das Gebäude und versorgt es mit Frischluft.

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Das System der passiven Kühlung: Die Luft wird durch die Pflanzen im Garten und an der Fassade gekühlt und in das Gebäudeinnere geleitet.

Die Fassade zur passiven Lenkung des Tageslichts: Die speziellen Faltungen dienen als innovative Strategie für den Sonnenschutz und zur Steuerung des natürlichen Lichts, um den Innenraum indirekt, aber mit natürlichem Licht zu versorgen.

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Das Ruta N weist weitere Eigenschaften auf, die seine Nachhaltigkeit steigern: Die Beleuchtung der Innenräume findet vollautomatisch über Lichtsensoren statt, um den Energieverbrauch zu minimieren. Die Kühlung funktioniert adiabatisch anstatt mechanisch, das heißt kühle Luft wird in das Gebäude geleitet, die erwärmte Luft über die Terrassen wieder abgegeben. Für die Funktion der Luftkühlung ist der reichhaltige Bewuchs des begrünten Innenhofs eine wichtige Voraussetzung. Die Struktur der Fassade ermöglicht eine gute Luftzirkulation. Alle Büroräume lassen eine Belüftung zwischen Wand und Decke zu. Regenwasser wird gesammelt, gereinigt und für die Toilettenspülungen sowie die Gartenbewässerung genutzt. Nutzerinnen des Komplexes haben die Möglichkeit, im Freiraum ihr Handy oder Tablet kostenlos mit Solarstrom aufzuladen und das eigene Fahrrad in einem der vielen Fahrradständer abzustellen. Das Beispiel zeigt, dass Gebäude von einer grünen Infrastruktur erheblich profitieren können, wenn sie in ein entsprechendes Gesamtkonzept eingebunden werden. Als erstes Gebäude in Kolumbien erhielt das Ruta N eine LEED-Gold-Zertifizierung. Nach vielen Jahrzehnten, die von endemischer politischer Gewalt, ausufernder Drogenkriminalität und dadurch zusätzlich erschwerten Lebens- und Wohnbedingungen für die Menschen geprägt waren, hat Medellín sich im neuen Jahrtausend schrittweise wieder zu einer Stadt mit neuen Chancen entwickelt. Die positive Identifikation der Einwohnerinnen mit ihrer Stadt hat zugenommen. Die Verbesserung der politischen Situation und der Rückgang von Gewalt und Kriminalität haben auch dazu geführt, dass dem Umweltschutz und der Bewältigung des Klimawandels mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden kann. Die dafür bereitgestellten Mittel haben in Medellín stets eine soziale Komponente. Die Maßnahmen zur Stärkung der Klimaresilienz umfassen vor allem eine Ausdehnung der grünen Infrastruktur, die von der Bauwerksbegrünung bis zur Durchgrünung der Stadt entlang wichtiger Straßenzüge und den öffentlichen Parkanlagen entlang des Río Medellín reicht. Gleichzeitig wurde eine Erweiterung des öffentlichen Verkehrsnetzes vor allem durch die Anbindung einkommensschwächerer Stadtviertel betrieben, verbunden mit dem Aufbau neuer Bildungseinrichtungen und der Anlage einer Vielzahl neuer Parks auf ehemals verschlossenen Infrastrukturflächen, die heute geöffnet und mit sozialen Einrichtungen sinnvoll verknüpft sind. Auch wenn die Fortsetzung des Friedensprozesses nicht gesichert ist und die neuen Herausforderungen, die durch den Klimawandel kommen werden, sich erst allmählich abzeichnen, sind die bisher erreichten Schritte bemerkenswert und inspirieren weit über die Stadtgrenzen von Medellín hinaus.

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Rio de Janeiro ist mit 6,7 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Brasiliens, sie liegt im gleichnamigen Bundesstaat im Südosten des Landes. Einer ihrer Beinamen ist „Cidade Maravilhosa“, wunderschöne Stadt, was aufgrund ihrer eingebetteten Lage zwischen dem Atlantik und einer großen Bucht (Baía de Guanabara), der bewaldeten Bergkulisse und den weiten weißen Stränden leicht nachvollziehbar ist. Die Stadt liegt durchschnittlich 31 Meter über dem Meeresspiegel. Die Metropolregion zählt 13,3 Millionen Einwohnerinnen, bis zum Jahr 2035 wird erwartet, dass die Zahl auf 14,8 Millionen ansteigt. Der portugiesische Entdecker André Gonçalves stieß am 1. Januar 1502 auf eine Siedlung an der Bucht von Guanabara, die er zunächst für einen Fluss hielt. Aus dieser Annahme in Verbindung mit dem Entdeckungsmonat, Rio für Fluss und Janeiro für Januar, entstand der Name der Stadt, Fluss im Januar, Rio de Janeiro. In der Ortschaft lebten damals 3.000 indianische Ureinwohner. Die weißen Europäerinnen, die sich bei ihnen niederließen, bezeichneten sie in ihrer Sprache als Cariocas, was heute der gebräuchliche Ausdruck für die Einwohner Rio de Janeiros ist. Ein weiteres Beispiel für den Fortbestand der Sprache ist Copacabana, die Bezeichnung für den wohl berühmtesten Strand der Stadt mit der Bedeutung „klares Wasser“. Die Gründung der portugiesischen Stadt, zunächst mit dem Namen São Sebastião do Rio de Janeiro, fand am 1. März 1565 statt. Heute gilt Rio de Janeiro, das bis 1960 Hauptstadt Brasiliens war, als eines der schönsten urbanen Zentren der Welt und ist ein entsprechender Touristinnenmagnet. Es wird außerdem als kulturelle Hauptstadt Brasiliens angesehen und ist der zweitwichtigste Wirtschaftsstandort des Landes. Die Stadt ist ein wichtiges Zentrum für Kulturausstellungen und internationale Konferenzen. 1992 und erneut 2012 wurde hier die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung abgehalten und es ist kein Zufall, dass die ersten Olympischen Spiele Südamerikas 2016 in Rio stattfanden. Gleichzeitig hat Rio de Janeiro große Herausforderungen der Stadtentwicklung zu meistern, darunter der Ausbau der Infrastruktur und soziale Verbesserungen in den vielen bevölkerungsreichen Favelas, eine hohe Kriminalitätsrate in der Stadt, die Erweiterung des öffentlichen Nahverkehrs als Mittel gegen die Staus und die in großen Teilen fehlenden Sanitäreinrichtungen wie sauberes Trinkwasser und ein gut funktionierendes Abwassersystem. Dazu kommen nun die Auswirkungen des Klimawandels. Die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, die im Juni 1992 in Rio de Janeiro stattfand und heute auch als Erdgipfel oder Rio-Konferenz bekannt ist, hat deshalb eine herausragende Bedeutung, weil Umwelt und Entwicklung vor einem großen Publikum erstmals zusammengebracht und -gedacht wurden. Die Ziele der Konferenz werden seitdem eng mit dieser Stadt assoziiert. Vertreter aus 178 Ländern, darunter auch viele von Nichtregierungsorganisationen, berieten über aktuelle Umweltfragen und die Entwicklung im 21. Jahrhundert. Sie verabschiedeten das Konzept der nachhaltigen Entwicklung als internationales Leitbild. Anerkannt wurde damit, dass wirtschaftliche Effizienz, soziale Gerechtigkeit und die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen gleichwertige und überlebenswichtige Interessen sind. Ergebnisse der Konferenz sind die Rio-Deklaration, die Agenda 21 sowie völkerrechtlich verbindliche Konventionen zum Klimaschutz, zum Schutz der Biodiversität und zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Diese bilden mit der Waldgrundsatzerklärung die Grundlage für die weltweite Zusammenarbeit in der Umwelt- und Entwicklungspolitik. 162 1 (vorige Seite)

Der Zuckerhut, Wahrzeichen von Rio de Janeiro, und die Einbettung der Stadt in die malerische landschaftliche Umgebung aus Wasser, Felsen und Wäldern.

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Zu den politischen Vorreitern entwicklungs- und klimapolitischer Initiativen in Brasilien gehört der frühere Bürgermeister von Rio de Janeiro Eduardo Paes, der von 2014 bis 2016 Vorsitzender des globalen C40-Städtenetzwerks war und unter dem die Resilienzstrategie von Rio de Janeiro beschlossen wurde. Sie bezieht sich ausdrücklich auf die Ziele der Organisation 100 Resilient Cities der Rockefeller-Stiftung. Auch  Programme des C40-Netzwerks und weiterer Organisationen laufen in dieser Strategie zusammen bzw. schließen an sie an. In die Amtszeit von Paes fielen auch die Olympischen Spiele 2016, für die eine Reihe bedeutender Infrastrukturverbesserungen geplant und umgesetzt werden konnten, wie die Verlängerung der U-Bahn und die Einführung eines Schnellbus-Systems in vom Zentrum weiter entfernt liegenden Stadtteilen. Auch das in diesem Kapitel beschriebene große Stadtumbauprojekt Porto Maravilha hat er maßgeblich befördert. Rio de Janeiro war eine der ersten Städte, die im Jahr 2000 eine Übersicht über die Treibhausgasemissionen unter Angabe der hauptemittierenden Sektoren erstellte. Im Ergebnis waren der Verkehr (37  Prozent), der Müll (16  Prozent) und die Industrie (12  Prozent) die Bereiche, die die meisten Treibhausgase ausstießen. Die Ziele des damaligen Bürgermeisters waren, bis zum Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen um 20 Prozent gegenüber dem Ausstoß von 2005 zu senken. Als Mitglied der Carbon Neutral Cities Alliance hat Rio de Janeiro sich ferner verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Ein wichtiges Projekt, das zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen beitragen soll, ist die Verwertung organischer Abfälle. Brasilien ist eines der zehn Länder mit den größten Lebensmittelabfällen weltweit. Bis zu 30 Prozent der Obst- und Gemüseernten werden auf Deponien entsorgt, täglich 40.000 Tonnen Lebensmittel. Davon fallen allein in Rio de Janeiro täglich 5.000 Tonnen an. In einem Pilotprojekt setzt die Stadt seit 2018 die Biomethanisierung von Lebensmittelabfällen ein. Mit diesem Verfahren werden Strom, Biokraftstoffe und Kompost hergestellt, während der Ausstoß von klimaschädlichem Methangas aus Deponien verringert wird. Sicher sollte das Ziel sein, organische Abfälle, wie Abfälle überhaupt, insgesamt zu reduzieren. Die Stadt geht dennoch davon aus, dass die Maßnahme dazu beiträgt, eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu erreichen. Zu den positiven Entwicklungen der Stadt gehört ferner ein Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, der dazu geführt hat, dass zuvor schlecht erschlossene Wohn- und Arbeitsgebiete inzwischen besser vernetzt sind. Hierzu haben die bereits erwähnte Verlängerung der U-Bahn in den westlichen Stadtteil und das daran anschließende Schnellbus-System maßgeblich beigetragen, auch wenn dieses umfangreiche Infrastrukturprojekt erst nach der Olympiade von 2016 fertiggestellt werden konnte. Seit 2018 gibt es auch in Rio de Janeiro ein modernes Fahrradverleihsystem für den öffentlichen Raum, Bike Rio. Weitere Maßnahmen sind der Ausbau von Fußwegen und ein Aufforstungsprogramm, mit dem abgeholzte Berghänge wieder aufgeforstet und gegen weitere Erosion und Erdrutsche mit oftmals katastrophalen Folgen gesichert werden. Seit 1989 sind mehr als 12 Millionen Bäume im Stadtgebiet gepflanzt worden. Nur wenige Meter oberhalb des Meeresspiegels gelegen, ist das Klima in Rio de Janeiro tropisch-feucht, mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 23,6 °C. Der Februar ist der wärmste Monat mit bis zu 27 °C, im kältesten Monat Juli fallen die Temperaturen, bedingt durch die warmen Meeresströmungen des Atlantiks, auf 20 °C. Die Unterschiede der Jahreszeiten sind schwach ausgeprägt, die Temperaturamplitude beträgt zwischen Sommer und Winter nur 6,8 °C. Frost und Schneefall traten seit Beginn der

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Wetteraufzeichnungen bisher nicht auf. Die Jahressumme der Niederschläge beträgt 1.250 Millimeter, wobei im August mit 45 Millimetern der geringste, im Januar mit 170 Millimetern der meiste Niederschlag fällt. Durch die hohen Wassertemperaturen des Atlantiks ist von Oktober bis Januar die relative Luftfeuchtigkeit mit 75 bis 90 Prozent oft sehr hoch. Dadurch können lokal kurze Schauer und Gewitter entstehen, die große Regenmengen mit sich führen und lokal abregnen.

AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Brasilianische Städte haben den Klimawandel lange hauptsächlich als ein Risiko betrachtet, das sich irgendwie vermeiden lässt, und keine Anpassungen diskutiert. In Abkehr von dieser Haltung hat Rio de Janeiro 2016 als eine der ersten Städte des Landes eine Strategie zur Anpassung an den Klimawandel, die E  stratégia de Adaptação às Mudanças Climáticas da Cidade do Rio de Janeiro, beschlossen. Darin werden neben den Veränderungen der direkten Klimaparameter auch weitere sich abzeichnende Entwicklungen berücksichtigt, zum einen die Alterung der Gesellschaft und ein sich verlangsamender Anstieg der Einwohnerinnenzahl, zum anderen der wachsende Flächenverbrauch durch Erweiterungen der Stadt. Diese Strategie soll zukünftig zu einem Klimawandel-Anpassungsplan weiterentwickelt werden. Die Strategie zur Anpassung an den Klimawandel geht detailliert auf die Gefahren für die einzelnen Stadtgebiete ein. Zu den Trends, die sich auf der Basis vorhandener Klimaaufzeichnungen bereits heute feststellen lassen, gehört, dass heiße Tage häufiger werden und die durchschnittliche jährliche Höchsttemperatur um 0,05 °C pro Jahr angestiegen ist, Hitzeperioden länger andauern und kalte Tage seltener werden. Außerdem zeigt sich, dass Häufigkeit und Stärke von Regenfällen besonders in höheren Lagen zunehmen. Die Vorhersagen für das zukünftige Klima in Rio de Janeiro wurden vom Nationalen Institut für Weltraumforschung mit Hilfe von Klimamodellrechnungen erstellt. Sie prognostizieren, dass der derzeitige Trend des Temperaturanstiegs voraussichtlich innerhalb einer Spanne von 1,16 bis 2,42 °C anhält und dass sowohl die Minimal- als auch die Maximaltemperaturen bis 2040 ansteigen werden. Der geringste Anstieg wird in den küstennahen, ein höherer Anstieg in den küstenfernen Stadtteilen erwartet, so dass sich die heute bereits messbaren Temperaturunterschiede der unterschiedlichen Stadtlagen abhängig von der Nähe zum Meer und zu Waldgebieten weiter verstärken werden. Die Anzahl der Tage mit Höchsttemperaturen über 25 °C und derjenigen mit Minimaltemperaturen über 20 °C wird ebenfalls ansteigen.

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RIO DE JANEIRO

Für die jährliche Niederschlagsmenge wird ein rückläufiger Trend auf einen Wert von 700 bis 800 Millimetern angegeben, besonders in denjenigen Stadtteilen, in denen die aktuellen Niederschlagswerte bereits niedriger sind, und auch in den sonst regenreicheren Sommermonaten Dezember bis Februar. Angesichts einer gegenwärtigen mittleren Jahresniederschlagsmenge von 1.250 Millimetern scheint die prognostizierte Abnahme sehr hoch. Sie würde weniger stark in den bewaldeten und bergigen Regionen ausfallen, was die große Bedeutung dieser Gebiete für die Speicherung der Regenfälle unterstreicht. Perioden ohne Regen sollen länger als bisher, und zwar bis zu 16,5 Tage, andauern. Die Häufigkeit extremer Regenereignisse und die Menge der damit verbundenen Niederschläge sollen den Berechnungen zufolge abnehmen.

Allerdings wird gleichzeitig angeführt, dass die Unsicherheiten der Berechnungen auf der Basis von regionalen Klimamodellen zurzeit noch sehr hoch sind. Eine Verbesserung der Ergebnisse wird durch die Berücksichtigung von intensiveren, aber nicht extremen Regenereignissen erwartet. Außerdem sollen die städtischen Wärmeinseln, der Versiegelungsgrad und die Versickerungsmöglichkeiten des Bodens sowie die Energieflüsse in der Stadt in die Modelle einfließen, um deren Aussagefähigkeit zu verbessern. Neben dieser Darstellung der Prognosen von Modellrechnungen beruht die hier präsentierte Recherche über die Auswirkung des Klimawandels in Rio de Janeiro auf Literatursichtung und auf Gesprächen mit Experten. Als Gefahren werden von diesen der Anstieg des Meeresspiegels und die Ausbildung höherer Wellen genannt, ferner Erdrutsche, Hitzewellen und Überflutungen sowie die Entstehung von Wärmeinseln und längere Trockenperioden. Meereswellen haben für die durch eine lange Küste geprägte Stadt und ihre Bewohnerinnen eine große Bedeutung, denn sie bestimmen die Ausgestaltung der Uferlinien und -promenaden und haben so indirekt einen großen Einfluss auf den Lebensstil der Cariocas. Der erwartete Anstieg des Meeresspiegels wird die Wellen verstärken. Bereits im 19. Jahrhundert wurde über Schäden nach Sturmfluten berichtet und die Ermittlungen der Wissenschaftler deuten auf einen Anstieg der Häufigkeit starker Wellen seit 1980 hin. Die Vulnerabilität der Stadt gegenüber dem Anstieg des Meeresspiegels wird als sehr hoch eingeschätzt. Die Auswirkungen beziehen sich auf die küstennahe Bebauung sowie auf die Lagunen, deren ökologische Funktionalität sich durch den vermehrten Eintritt von Salzwasser verändern würde. Längere Trockenzeiten und die potenzielle Beeinträchtigung der Wasserversorgung wurden nicht in die Bewertung der Klimastrategie einbezogen, da sich die Vulnerabilitäts­analyse nur auf die Vegetationsbedeckung der Berge und Wassereinzugsgebiete bezog. Ein großes Problem in Rio de Janeiro im Zusammenhang mit Starkregenereignissen stellen Erdrutschungen und Muren dar. Besonders betroffen sind die Bewohner von an Hängen gebauten Slumsiedlungen, den Favelas. In der Vergangenheit kam es bereits zu schweren Unglücken mit Todesopfern, die Häufigkeit solcher Ereignisse nahm in den letzten Jahren zu. In den Niederungen führen die Muren zur Verschlammung der Entwässerungssysteme. Durch Erdrutsche bedrohte Wohngebiete werden seit 2011 mit einem Alarm ausgestattet, um die betroffene Bevölkerung rechtzeitig warnen zu können. Eine Studie zur Wahrscheinlichkeit von Erdrutschen in Abhängigkeit von der Regendauer ergab, dass die kritischste Zeit im Sommer zwischen Dezember und März liegt. Die angewendeten Modellrechnungen können Häufigkeiten von Starkregenereignissen bisher nicht ausreichend vorhersagen, außerdem berücksichtigen sie nur ungenügend die Topografie der Stadt, so dass ein vorbeugender Schutz noch nicht in dem erforderlichen Maße gewährleistet werden kann. Auch Hitzewellen und der Wärmeinseleffekt können von den Modellrechnungen noch nicht so sicher berechnet werden, als dass ihre Auswirkungen ausreichend genau vorhergesagt werden könnten. Beobachtungen und Messungen zeigen jedoch ein vermehrtes Auftreten von Hitzeperioden. Eine wichtige Bedeutung für die Kühlung der Stadt haben die Seewinde, die sich abkühlend auf die küstennahen Stadtgebiete auswirken können, wenn Architektur und Vegetation die Winde nicht blockieren,

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Auswirkungen des Klimawandels

sondern sie in die bebauten Stadtgebiete leiten. Auch die Belüftungsverhältnisse müssen noch genauer untersucht werden. Die Stadt ist aufgrund ihrer geografischen Lage anfällig für Überschwemmungen. Sie erstreckt sich über Mangroven und Sumpfgebiete, verfügt aber nicht über Anlagen zur Regenrückhaltung oder einen Hochwasserschutz. Auch bei der küstennahen Bebauung wurde die Dynamik des Meeres nicht ausreichend berücksichtigt. Über die Modellierung der Geländeneigung lässt sich eine Abstufung der Anfälligkeit für Überschwemmungen berechnen. Diese Modellierung lässt zwar den Niederschlag und den Hochwasserabfluss außer Acht, sie kann aber ein Instrument für die Stadtplanung sein, indem sie Bebauung und Verdichtung an kritischen Orten für nicht zulässig erklärt. Die Wissenschaftlerinnen und Klimaexperten, die die Strategie zur Klimaanpassung verfasst haben, äußern sich selbst kritisch über die fehlende Datenlage und darüber, welche möglichen Konsequenzen dieser Umstand für das Bemühen der Stadtverwaltung und ihrer Planungsbehörden hat, angemessen auf den Klimawandel zu reagieren. Es ist nach Auffassung der Verfasserinnen sehr schwierig festzustellen, ob ein bestimmtes Ereignis aus globalen Klimaveränderungen resultiert, wenn keine systematisch gesammelten Daten zur Umwelt vorliegen. Unwissenheit über die Küstenumgebung der Stadt ist ihrer Meinung nach das größte Risiko und das Haupthindernis für die Planung angemessener Reaktionen auf den Klimawandel. Emilio Lèbre La Rovere, Professor an der Staatlichen Universität in Rio de Janeiro und Leiter des Centro Clima, weist in diesem Zusammenhang außerdem auf das schnelle Wachstum der Städte Brasiliens hin. 1940 hatte Brasilien 40 Millionen Einwohner, davon wohnten 10 Millionen in Städten, 1990 waren es bereits 100 Millionen, von denen zwei Drittel in Städten wohnten. Die Infrastruktur konnte nicht ausreichend schnell entwickelt werden und das Wachstum folgte keinem übergeordneten Plan. In Rio de Janeiro, wo sich die Bebauung aus Platzmangel ohne die erforderliche konstruktive Absicherung an steilen Berghängen hinaufgeschoben hat, droht die Gefahr von Hangrutschungen. Der letzte gravierende Vorfall dieser Art, der sich 1966 ereignete, ist den Menschen, insbesondere in den Favelas, noch in Erinnerung. Unglücke dieser Art sind ein Beispiel für die Katastrophen, die entstehen, wenn die Folgen des Klimawandels mit sozialen Problemen zusammenfallen.

PORTO MARAVILHA Die Umgestaltung des Hafengebietes von Rio de Janeiro ist das größte städtebauliche Sanierungsprojekt Brasiliens. Es wurde 2010 begonnen und soll in einem Zeitraum von 15 Jahren fertiggestellt werden. Auf einer Fläche von 500 Hektar wurden umfangreiche städtebauliche Veränderungen vorgenommen, die aus einem Gebiet mit einer aufgeständerten Hochstraße, Lagerhallen und nicht öffentlich zugänglichem Ufer, der ältesten Favela der Stadt und dem ehemaligen Ankunftsort der Sklavinnen einen völlig neuen städtischen Raum entstehen lassen.

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RIO DE JANEIRO

Wie in vielen großen Hafenstädten war der Auslöser für die Umgestaltung des Hafenareals auch hier die Umstellung des Gütertransports per Seeweg auf Containerschiffe. Die damit verbundene Automatisierung des Güterumschlags benötigte weniger Personal, dafür mehr Lagerflächen für die Container und größere Wassertiefen

im Hafenbereich. Letztere ließen sich in Rio de Janeiro wie andernorts nicht im Bereich des alten Hafens, sondern an anderer Stelle finden. Die alten Hafenanlagen und Lagerhallen wurden in der Folge nicht mehr für den ursprünglichen Zweck gebraucht, auch umliegende Wohnungen und Büroflächen standen leer, historischen Gebäuden drohte der Verfall. Durch die Umgestaltung konnte dieser Teil des Hafengebietes unter Berücksichtigung seiner großen kulturellen Bedeutung einer neuen Gestaltung und Nutzung zugeführt werden. Mehrere Großereignisse, darunter die Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2014, die 450-Jahr-Feier der Stadt im Jahr 2015 und die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2016, für die es 2009 den Zuschlag gab, waren Motivation, das Vorhaben umzusetzen und wesentliche Teile bis 2016 fertigzustellen. Die Betrachtung dieses großen Stadtentwicklungsgebietes zeigt die vielen Möglichkeiten auf, durch freiwerdende Flächen den öffentlichen Raum für die Bürger neu zu entwickeln. Wichtig dabei sind nicht nur neue Freiflächen und neue Architektur mit Angeboten für Bildung und Kultur, sondern auch die Berücksichtigung der Geschichte des Ortes und deren Bedeutung für die dort lebenden Menschen. So kamen im Zuge der Umgestaltung des Porto Maravilha etwa Zeugnisse über die Geschichte der Sklaverei Brasiliens zutage, die entweder nicht mehr bekannt oder nicht mehr sichtbar waren. Sie haben nun wieder ihren Platz und geben den Menschen einen Teil ihrer Geschichte und damit Würde zurück. Das Entwicklungsgebiet steht für eine resiliente Stadtentwicklung, die Erinnerungen an vielfältige Geschichte(n) berücksichtigt und so den Zusammenhalt und die Verständigung zwischen den Gruppen der multikulturellen Stadtgesellschaft fördert, denn neben den technischen Neuerungen werden auch die sozialen und kulturellen Verbindungen der Menschen mit ihrer Heimat behutsam und respektvoll gepflegt.

ORGANISATION Das Projektgebiet Porto Maravilha liegt an der Guanabara-Bucht und wurde nach dem Konzept der konsortialen Stadtentwicklung als Public Private Partnership organisiert. Dabei werden öffentliche Flächen als Baugebiete ausgewiesen, die private Baugesellschaften dann in einem höheren Maß bebauen dürfen, als das Baurecht normalerweise vorsieht. Den dadurch erwirtschafteten Mehrwert müssen die privaten Bauherrinnen in die Infrastruktur sowie Bildungs- und Kulturangebote investieren. Ziele des Projekts sind die Verbesserung der städtischen Infrastruktur, eine Reduzierung der Verkehrs- und Umweltbelastung, die Erschließung und Bereitstellung von Bauflächen in einer Größenordnung von bis zu 5 Millionen Quadratmetern, die Anlage neuer Parks und Plätze, Baumpflanzungen an 40 Straßenkilometern und die Reinigung der Mangrovenwasserflächen. Mit diesen Umbaumaßnahmen sollen zudem 20.000 Arbeitsplätze geschaffen werden, nicht zuletzt durch die Ansiedelung von Technologie- und anderen innovativen Unternehmen. Für die Bevölkerung soll die Wohnsituation verbessert werden, in der Hoffnung, dass dies neue Bewohner anziehen wird. Bestehende wie neue Kulturangebote sollten den Ort auch als touristischen Anziehungspunkt entwickeln sowie das historische und kulturelle Erbe angemessen berücksichtigen.

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INFRASTRUKTUR Bisher wurde tatsächlich vieles bewirkt und das ehemalige Hafengebiet hat seinen Charakter vor allem entlang des Wassers sehr verändert. Die erste große Veränderung betrifft den Abriss der Hochstraße, Perimetral genannt. Sie war eine wichtige Verkehrsverbindung, die 1950 als aufgeständerte Straße auf einer Länge von 5,5 Kilometern oberhalb der Wasserkante angelegt wurde und den Hafenbereich sowie den Fähranleger zur nahe gelegenen Stadt Niterói vom Altstadtbereich trennte. Von 2012 bis 2015 wurde diese Straße abgetragen und der Verkehr auf neue Straßen mit Tunneln, darunter der mit 3 Kilometern längste Straßentunnel Brasiliens, geleitet. Anstelle der früheren, unter der Perimetral gelegenen ebenerdigen Straße entstand eine 3,5 Kilometer lange Promenade für Fußgängerinnen und Radfahrer sowie eine neue Straßenbahnlinie mit einer Streckenlänge von 28 Kilometern, die das Gebiet von der nahen U-Bahn-Linie und dem Stadtzentrum aus erschließt. Im Endausbau sollen 70 Kilometer Straßen, 650.000 Quadratmeter Fußwegflächen und 17 Kilometer Radwege entstehen sowie 15.000 Bäume gepflanzt werden. Durch die Baumpflanzungen soll der Grünanteil in diesem Gebiet von heute 2,46 Prozent auf 10,96 Prozent gesteigert werden. Weniger sichtbar, aber nicht weniger wichtig war die Erneuerung von 700 Kilometer Kanalisation und Entwässerungsleitungen als vorbereitende Maßnahme zur Anpassung an den steigenden Meeresspiegel sowie der Anschluss des Gebietes an das moderne Glasfasernetz.

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Die ehemalige Hochstraße Perimetral, hier im Jahr 2010, zerteilte den städtischen Freiraum als dominantes und lärmemittierendes Bauwerk.

Der Freiraum unterhalb der Perimetral wurde von der Bevölkerung genutzt, lag aber, trotz der zentralen Lage in der Stadt, aufgrund des Einflusses der Straße abseits des allgemeinen städtischen Lebens.

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MAUÁ-PLATZ MIT NEUEN MUSEEN Am zentralen Platz des Hafengebietes, der Praça Mauá, wurden zwei neue Museen errichtet, das 2013 eingeweihte Kunstmuseum, Museu de Arte do Rio, kurz MAR genannt, und das Museum der Zukunft, Museu do Amanhã (wörtlich: Museum für das Morgen), welches im Dezember 2015 eingeweiht wurde. Das MAR besteht aus einem historischen Gebäude aus dem frühen 20. Jahrhundert, dem Palast von König Johann  VI., und einem schlichten modernen Neubau, der von dem brasilianischen Architekturbüro Bernardes Jacobsen Arquitectura mittels einer wellenförmigen Dachkonstruktion mit dem Altbau verbunden wurde. Als Kunstmuseum richtet sich das MAR mit seinen Angeboten nicht nur an die Kunstwelt und Touristinnen, sondern explizit auch an die Nachbarschaft. Auch Schulen werden regelmäßig in Projekte mit einbezogen. Inhaltlich wird vielfach die Geschichte der Stadt und insbesondere des umgebenden Stadtteils thematisiert. Das Museu do Amanhã besteht in Gänze aus einem Neubau, der auf einem alten Pier errichtet wurde. Die auffällige und ausdrucksstarke Architektur des Architekten Santiago Calatrava macht das Gebäude weithin sichtbar. Inhaltlich beschäftigt sich das Museum mittels künstlerischer wie wissenschaftlicher Inhalte mit den wohl drängendsten Problemen der Menschheit: dem Klimawandel und der Überbevölkerung. Das Gebäude selbst vertritt einen Nachhaltigkeitsansatz, den sein Architekt dahingehend beschreibt, dass es die natürlichen Ressourcen des Ortes nutzt. Das Wasser der Guanabara-Bucht wird für die Klimatisierung genutzt, Sonnenenergie wird zur Deckung des Strombedarfs herangezogen, und zwar mit Hilfe von Fotovoltaikpaneelen, die in die Flügelelemente des Daches integriert sind. Diese Flügel sind beweglich und passen sich dem optimalen Sonnenstandswinkel an, um die bestmögliche Energieausbeute zu erzielen. Das Gebäude wurde 2017 mit dem Best Innovative Green Building MIPIM Award ausgezeichnet. Westlich des Mauá-Platzes befindet sich entlang der Kreuzfahrtterminals und diverser Veranstaltungshallen eine ausgedehnte Freifläche für Fußgänger, Radfahrinnen und die Straßenbahn. Die Wände der Hallen sind mit großen Wandgemälden des

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Der neu gewonnene Stadtraum nach Abriss der Perimetral mit einigen der neu gepflanzten Stadtbäume.

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Das Kunstmuseum, Museu de Arte de Das moderne Gebäude für das Rio, MAR, als Kombination aus Alt- und Museum der Zukunft, Museu do Neubau. Amanhã.

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Sitzbank neben dem Museum der Zukunft, mit Solarschattendächern in Form einer Palme.

Von vorne ähnelt die Ansicht des Museums der Zukunft … 9

… dem Anblick eines daneben festgemachten Kreuzfahrtschiffes.

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brasilianischen Künstlers Eduardo Kobra bemalt, darunter das Werk „Ethnien“, das mit 3.000 Quadratmeter Fläche, 17 Meter Höhe und 150 Meter Länge das größte von einem einzigen Künstler geschaffene Graffiti weltweit ist. Es zeigt Porträts von fünf Gesichtern, die die Kontinente repräsentieren, die an den Olympischen Spielen teilnehmen. Das Wandbild wurde am 4. August 2016 mit dem Eintreffen der olympischen Fackel eingeweiht. Vom Mauá-Platz aus lässt sich zu Fuß in wenigen Minuten das ebenfalls 2016 eröffnete Meerwasseraquarium AquaRio erreichen. Es ist in einem umgebauten historischen Gebäude untergebracht und das größte Aquarium dieser Art in Südamerika. Auf der Freifläche zwischen den Gebäuden, vor allem zwischen Mauá-Platz und Aquarium, liegen die Gleise der Straßenbahn sinnvollerweise in eine Rasenfläche eingebettet. So ist der Boden hier unversiegelt, er kann Regenwasser aufnehmen und es später in die bodennahe Luftschicht verdunsten, was sich positiv gegenüber die Überwärmung der ansonsten hochgradig versiegelten Fläche auswirkt. Der kühlende Effekt ist dennoch als eher gering einzuschätzen. Bäume haben ein sehr viel größeres Potenzial zur Verdunstung und spenden außerdem Schatten, unter dem sich Oberflächen weniger erhitzen. Auf der Freifläche wurden auch Bäume gepflanzt, jedoch als sehr kleine Setzlinge. Sie werden leider nur wenig im Wachstum unterstützt, so dass ihre klimatische Wirkung zum heutigen Zeitpunkt als fast nicht vorhanden einzuschätzen ist. Es kann ihnen leider auch keine gute Zukunft vorhergesagt werden, in der sie sich großartig entwickeln, Schatten spenden und Regenwasser regulieren. Aus der Perspektive klimabewegter Stadtplaner ist es sehr bedauerlich zu sehen, dass an einem neu gestalteten Ort mit mehreren Superlativen bei den Ingenieurinnenleistungen und preisgekrönten Architekturen keine nachhaltige Bepflanzung umgesetzt wurde. 10

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Ausschnitt der Wandmalerei „Ethnien“ des Künstlers KOBRA, hier Ansicht der gebürtigen Afrikanerin Mursi aus Äthiopien.

Ein anderer Ausschnitt der Wandmalerei „Ethnien“, hier Ansicht eines Huli-Mannes aus PapuaNeuguinea mit seinen typischen gelben und roten Gesichtsgemälden.

Das Meerwasseraquarium AquaRio, das größte Aquarium dieser Art in Südamerika.

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Das begrünte Gleisbett für die neue Straßenbahn. Ältere und größere Bäume stehen entlang der Gebäude.

Diese Bäume spenden noch lange nicht genügend Schatten für den Aufenthalt auf den Bänken bei heißen Temperaturen.

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DIE KULTURELLE BEDEUTUNG DES HAFENGEBIETES Weiter westlich des Aquariums befindet sich, ebenfalls in fußläufiger Entfernung, eine Reihe renovierter Hallen, die 2006 wiedereröffnet wurden. Hier, in der sogenannten Cidade de Samba, sind die Sambaschulen und ihre umfangreichen Requisitensammlungen untergebracht. Sambaschulen sind kulturelle Vereine mit bis zu 5.000 Mitgliedern, deren Zweck die Teilnahme am Karneval ist. Die Umzüge der Sambaschulen im eigens dafür angelegten Sambódromo stellen einen bedeutenden Teil des Karnevals in Rio de Janeiro dar. Die Tradition ist eng verknüpft mit der Geschichte der afrobrasilianischen Bevölkerung. Deren Ursprünge sind wiederum eng mit dem zum Porto Maravilha gehörenden Stadtgebiet verknüpft, das Ankunftsort einer großen Zahl von Sklaven und ein Zentrum des Sklavinnenhandels war. Die Sklaverei war rund 350 Jahre lang der Motor der brasilianischen Wirtschaft. Etwa 40 Prozent der ca. 10 Millionen Afrikaner, die als Sklavinnen verschifft wurden, landeten in Brasilien, deutlich mehr als in Nordamerika. Ihre Geschichte in Brasilien begann für viele Sklaven mit der Ankunft am ValongoKai im Hafen von Rio de Janeiro. Heute liegt er etwas landeinwärts von der aktuellen Wasserkante. Der Cais do Valongo wurde erst 2011 im Zuge der Bauarbeiten für das Projekt Porto Maravilha wiederentdeckt. Er war 1811 als Anlegestelle für Schiffe mit afrikanischen Sklavinnen gebaut worden, die auf Plantagen im Landesinneren und anderen Regionen des Landes oder in Haushalten der damaligen Hauptstadt Rio de Janeiro arbeiten sollten. An diesem Kai wurden Schätzungen zufolge über einen Zeitraum von nur 40 Jahren ca. 900.000 Sklaven in das Land gebracht, etwa ein Viertel aller nach Südamerika verschifften afrikanischen Sklavinnen. Damit war dieser Ort der größte Sklavenempfangshafen der Welt. Im Jahr 1888 wurde die Sklaverei in Brasilien abgeschafft. Damit waren die Menschen auf dem Papier frei, aber ohne adäquaten Zugang zu Bildung, Besitz und angemessenen Möglichkeiten für eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft. Der Cais do Valongo wurde 2017 in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen. Die  archäologische Stätte wird vom Institut für nationales Erbe, Geschichte und Kunst betreut und fungiert zugleich als ein öffentliches Mahnmal, das an die mit der Sklaverei begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und an die historische Verantwortung der heutigen Gesellschaft erinnert. Außerdem wird an diesem Ort die Leistung der afrobrasilianischen Bevölkerung für die kulturelle, wirtschaftliche und soziale Entwicklung Brasiliens und des amerikanischen Kontinents gewürdigt.

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Der 1811 angelegte Cais do Valongo war der Ankunftsort für ca. 900.000 Sklaven aus Afrika. Heute ist das Gelände ein UNESCO-Weltkulturerbe.

Das Instituto de Pesquisa e Memória Pretos Novos (IPN).

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Nicht weit vom Valongo-Kai wurde Ende der 1990er Jahre, ebenfalls zufällig, der Friedhof der neuen Schwarzen, Cemitério dos Pretos Novos, auf einem Privatgrundstück entdeckt. Hier wurden zwischen 1770 und 1830 Zehntausende Afrikanerinnen beerdigt, die vor oder kurz nach ihrer Ankunft in Brasilien gestorben waren. Inzwischen wurde hier neben einem Mahnmal das Institut für Forschung und Erinnerung eingerichtet, das mit regelmäßigen Rundgängen auf die Spuren des Sklavenhandels aufmerksam macht und über die afrobrasilianische Kultur informiert. Ebenfalls in der Nähe des Valongo-Kais befindet sich der Hängende Garten von Valongo. Er wurde 1906 im Zuge eines Revitalisierungsprogramms für das Hafengebiet von dem Gartenarchitekten Luís Rei am Hang des Morro da Conceição als romantischer Garten und Fortsetzung einer Stützmauer angelegt. Der kleine Garten liegt 7 Meter oberhalb des Straßenniveaus und ist 1.530 Quadratmeter groß. Er sollte den Bürgern für Spaziergänge während ihrer Freizeit dienen und wurde mit Blumenbeeten, weiterer Bepflanzung, einem Wassertank mit Bewässerungsanlage und vier Marmorstatuen griechischer Gottheiten ausgestattet. In der Nähe des ehemaligen Sklavinnenmarktes gelegen sollte diese erholsame und vergnügliche Grünfläche von der düsteren Geschichte des umgebenden Stadtviertels ablenken. Nachdem der Garten lange vernachlässigt worden war, wurde er im Rahmen der Umgestaltung von Porto Maravilha wiederhergestellt und ist heute ebenfalls Teil des kulturellen Erbes.

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Bis heute besteht die Bevölkerung der Stadtteile in Hafennähe vor allem aus Nachfahren von Sklaven. Diese Viertel gehörten zu den bevorzugten Zuzugs- und Siedlungsgebieten ehemaliger Sklavinnen, die nach ihrer Befreiung 1888 aus dem Nordosten in große Städte wie Rio de Janeiro oder São Paulo zogen, wo es mehr Arbeit gab. Auch der Hügel Morro da Providência wurde so besiedelt. Die erste Favela der Stadt entstand hier, viele sollten ihr folgen.

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Blick auf die Favela Morro da Providência.

Ein Teil des Gartens von Valongo und ein Gebäude an seinem steilen Hang.

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Die Entwicklung des Gebietes um Porto Maravilha ist im Hinblick auf die sensible Entwicklung der Geschichte des Ortes vorbildlich. Eine stärker auch auf den Klimaschutz ausgerichtete Planung hätte zu einer Verringerung der Folgen des Klimawandels beitragen können. Die Möglichkeiten sind am größten bei einer Neuplanung oder großzügigen Umgestaltung eines Stadtgebietes, eine Chance, die hier leider nicht vollständig genutzt wurde. Das ist insofern überraschend, als das Zentrum unter Bevölkerungsschwund leidet und es für die Stadt aus verschiedenen Gründen sehr wichtig ist, dass diese Viertel als Wohngebiete wieder attraktiver werden. Eine betont klimaresiliente Entwicklung mit neuen Freiflächen und einer verbesserten grünen Infrastruktur hätte für eine Unterstützung dieses Ziel genutzt werden können. Immerhin ist ein Anfang zur Erneuerung gemacht. Das Gebiet lässt noch Raum für weitere Entwicklungen, die ihre Zeit brauchen werden.

CORREDOR VERDE RECREIO Die massive Urbanisierung der Küstenregion, in der Rio Janeiro vor über 450 Jahren gegründet wurde, betraf in den letzten Jahrzehnten vorwiegend Gebiete westlich des Stadtzentrums und hat auch dort die ursprüngliche Landschaft stark verändert. Insbesondere in die natürlichen Wasserkreisläufe und den Wasserhaushalt wurde durch Trockenlegung von Feuchtgebieten und die Kanalisierung bzw. das Verlegen unter die Erde der meisten der 267 Flüsse und Bäche des Stadtgebietes stark eingegriffen. Dennoch verfügt die Stadt bis heute über bedeutende nationale, staatliche und kom-3 munale Naturschutzgebiete. Allerdings sind die meisten dieser Zonen schon lange nicht mehr untereinander verbunden, im Gegenteil, viele von ihnen sind durch die weiterhin fortschreitende Ausdehnung der Stadt und den damit einhergehenden Bedarf an Bauland bedroht. Paradox daran ist wie so oft, dass die fortschreitende Bebauung und die damit einhergehende Zerstörung der natürlichen Ökologie einen maßgeblichen Anteil an den Gefährdungen haben, denen die Stadt ihrerseits durch die Natur ausgesetzt ist. Die stärkste Bedrohung geht vom Wasser aus, sei es durch Starkregenfälle, Sturmfluten oder Überschwemmungen und damit einhergehende Erosion. Als langfristige Gegenmaßnahme hat die Stadt beschlossen, elf Gebiete auszuweisen, um sie als wichtige Restgebiete von Ökosystemen unter dem Namen „Carioca-Mosaik“ miteinander zu verbinden. Das Carioca-Mosaik wurde 2015 vom Umweltministerium zur Erhaltung und Wiederherstellung des Ökosystems des Atlantischen Regenwaldes entwickelt. Der erste grüne Korridor, dessen Sicherung in Angriff genommen wurde, liegt im westlichen Stadtgebiet und umfasst ein ökologisch sensibles Lagunensystem. Ein Teil dieses Gebietes ist der Grünzug im Stadtteil Recreio. Er verbindet mehrere Naturparks miteinander und liegt in einem Bereich des Tieflandes mit wertvollen Ökosystemen, Lagunen und Kanälen.

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Das im Westen der Stadt gelegene Viertel Recreio ist in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen, zum einen durch das Anlegen von „Gated Communities“, abgeschlossenen und besonders gesicherten Wohnanlagen für die Mittel- und Oberschicht, zum anderen durch den Bau von neuen informellen Siedlungen in den Niederungen. Dabei wurden sensible Ökosysteme zerstört. Das 2012 begonnene Corredor-Verde-Projekt ist ein Versuch, gegenzusteuern und neue Lebensräume für Flora und Fauna zu schaffen. Finanziert wird der Grünzug über Ausgleichsmaßnahmen für die Baumaßnahmen der Olympischen Spiele. Er umfasst über 320 Hektar geschützte Flächen und 60 Hektar öffentliche Freiflächen. In den zum Projektgebiet gehörigen Gewässern leben lokal gefährdete Arten wie Kaimane, Wasserschweine und Strandfalter.

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Entwicklungsplan für den grünen Korridor, Corredor Verde, in Recreio, mit Darstellung der Veränderungen.

Konzept für den Corredor Verde. Markiert sind die Schutzzonen, die Übergangsbereiche und die grünen Wohngebiete sowie die Gewässer, Plätze, begrünten Straßen und die Verbindungen für die ökologische Biodiversität.

Darstellung einzelner Bereiche des Grünzugs: geschützte Gebiete, Biodiversität, die begrünte Straße, die vielfach genutzte Straße, grüne Wohngebiete und der Sandra-Alvim-Spazierweg.

Schnittansicht mit Darstellung der Veränderungen der vorhandenen Situation zur Verbesserung des Grünzugs.

Corredor Verde Recreio

Ziele des Projekts sind die Verbesserung und Bewahrung der Biodiversität, aber auch die Erhöhung der Resilienz dieses westlichen Ausläufers der Stadt gegenüber den erwarteten Auswirkungen des Klimawandels. Hierfür spielen die Verbindung zuvor zerschnittener Naturflächen und die Anlage begrünter Straßen als Pufferzonen und grüner Inseln als Biotoptrittsteine eine wichtige Rolle. Außerdem sollen die bebauten Flächen durch Pflanzungen einheimischer Gehölze sowie mittels Dach- und Fassadenbegrünungen grüner werden. Mit Hilfe neuer Rad- und Gehwege sowie der Verbesserung der öffentlichen Verkehrsmittel wird „saubere“ Mobilität gefördert. Auch die Beteiligung der Bewohner an der Projektplanung und Investitionen in die Umwelterziehung sind Bestandteile des Projekts. Die Ergebnisse der 2012 begonnenen Planung und die damit verbundenen Ziele wurden der Bevölkerung in öffentlichen Veranstaltungen vorgestellt. Wie in vielen Fällen ist ein langfristiger Erfolg des Projekts nur zu erwarten, wenn die von ihm betroffenen bzw. an ihm teilhabenden Menschen ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung von Biodiversität und Ökosystemleistungen für die eigene Lebensqualität und das eigene Wohlbefinden entwickeln. Ein Teil des Grünzugs ist der bereits seit 1989 geschützte Städtische Naturpark Chico Mendez. Dieser Park liegt in einer Ebene, die zu einem großen Teil aus einer Lagune besteht und ansonsten überwiegend von Atlantischem Regenwald bewachsen ist. Das Ökosystem basiert auf sandigen, meist salzhaltigen Böden, auf denen sich bei starker Sonneneinstrahlung und Windbelastung besondere Pflanzenformationen mit Bromelien, Kakteen und anderen wasserspeichernden Pflanzen entwickeln. Die Fauna besteht eher aus Vögeln und Reptilien und wenigen Säugetieren. Die Pflanzen bieten den Tieren über das gesamte Jahr Blüten und Früchte.

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Das Gewässer im städtischen Naturpark Chico Mendez, einem Kerngebiet des Corredor Verde.

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Die Casa Firjan, Haus des Industrieverbandes des Bundesstaates Rio de Janeiro. Firjan unterstützt die nachhaltige Entwicklung von Firmen, fördert ihre Wettbewerbsfähigkeit, bietet technologische Lösungen, Innovation

und berufliche Bildung. Ausdruck der Nachhaltigkeit und zeitgemäßen Ausstattung sind Angebote wie ein Fab Lab, Trendlabors, Unterstützung für die Projektentwicklung und Ausbildung, Ausstellungen und kulturelle Angebote. Firjan greift

die Initiative Rio de Janeiros als Koordinatorin der nachhaltigen Entwicklung der Welt auf. Auf dem Gründach liegen die Kühlanlagen des Hauses hinter einem begrünten Zaun, daneben die Solaranlage.

Corredor Verde Recreio

Acht Jahre nach Start des Projekts sind die Maßnahmen noch nicht vollständig umgesetzt. Bisher konnten Schutzgebiete gestärkt, invasive Pflanzenarten entfernt und einheimische Spezies gepflanzt werden. Die bedrohten Tiere bekamen mehr Platz und Schutz durch die Einzäunung der Kerngebiete, außerdem können sie dadurch besser beobachtet werden. Größere Herausforderungen stellt eine Favela dar, die an einem der Kanäle liegt. Hauptproblempunkte sind hier die fehlende Abwasserreinigung und die Eutrophierung der Gewässer, die sich negativ auf das Leben im Wasser auswirkt. Die Kaimane etwa sind überwiegend männlich, weil die Wassertemperatur aufgrund der Verrottung des organischen Materials zu hoch ist, so dass die weiblichen Eier nicht reifen. Die Wasserschweine wiederum stellen eine Bedrohung für die Menschen dar, weil sie Zecken mit sich führen, die Borreliose übertragen können. Die Erfahrungen mit diesem Projekt sind dennoch insgesamt positiv. Die Methode der naturbasierten Planung hat sich hier für die Aufwertung von Freiflächen und den Biotopverbund als angemessen erwiesen, weil das Ökosystem gesichert wurde, die grüne Infrastruktur zur Verbesserung der Biodiversität beiträgt und das Schutzgebiet als Puffer für den Klimawandel stabilisiert werden konnte. Rio de Janeiro, die Stadt, in der vor drei Jahrzehnten das Konzept der nachhaltigen Entwicklung als internationales Leitbild anerkannt wurde und wichtige Netzwerke für die Umweltvorsorge ihren Ursprung nahmen, hat selbst vor Ort signifikante Anstrengungen unternommen, große Entwicklungsprojekte für den nachhaltigen Umbau von Stadtgebieten und die Verbesserung der Infrastruktur zu nutzen. Dazu gehören die Reduzierung des Treibhausgasausstoßes durch das Absaugen des Methangases der Müllhalden, der Aufbau eines flächendeckenden Schnellbus-Systems zwecks Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs und die Einsparung von Energie für die öffentliche Stadtbeleuchtung. Die Klimaziele, die sich die Stadt für 2012 vorgenommen hatte, wurden zwei Jahre später erreicht. Es zeigt sich allerdings auch, dass in Rio, wie in fast jeder Stadt, die größte Herausforderung darin besteht, dass nur etwa 1 Prozent einer Stadt sich zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer Entwicklung als Neubau befindet, 99 Prozent sind Bestand, für dessen zukunftssichere Umgestaltung der Aufwand deutlich größer ist. Die Möglichkeiten, bestehende Viertel an die neuen klimatischen Herausforderungen anzupassen, sind begrenzter, die Kosten dafür jedoch erheblich höher. Außerdem müssen hier in aller Regel historische und kulturelle Gegebenheiten berücksichtigt werden.

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Hinzu kommt, dass der Klimawandel nicht überall das drängendste Thema ist, ein Aspekt, der in Europa oft nicht ausreichend berücksichtigt wird. Wie viele Länder des globalen Südens ist Brasilien mit riesigen sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben konfrontiert, die Bekämpfung von Armut, ein starkes Bevölkerungswachstum, Landflucht, massive Naturzerstörung. Für die Städte des Landes bedeutete das, dass sie über Jahrzehnte überwiegend planlos wuchsen. Abwasserentsorgung und Regenwassermanagement hielten in keiner Weise Schritt, insgesamt wurde die Infrastruktur nicht ausreichend entwickelt. Das Zusammentreffen von seit langem bestehenden sozialen Problemen mit den Folgen des Klimawandels hat daher dazu geführt, dass sich die Aufgaben der Stadt deutlich vergrößert haben. Dennoch war Rio de Janeiro kürzlich eine der ersten Städte, die eine Anpassungsstrategie verfasst hat und auf dem Weg ist, daraus einen Anpassungsplan mit konkreten Maßnahmen zu entwickeln. Rio de Janeiro zeigt große Anstrengungen, materielle Ressourcen, gesellschaftliche Energie und planerischen Einfallsreichtum zur Lösung der vielen Herausforderungen einschließlich des Klimawandels zu mobilisieren.

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MANAUS UND DAS AMAZONASBECKEN Manaus ist mit geschätzt 2,2 Millionen Einwohnern die siebtgrößte Stadt Brasiliens und die Hauptstadt von Amazonas, dem flächenmäßig größten Bundesstaat des Landes. 60 Prozent der Bevölkerung von Amazonas leben hier, weshalb Manaus auch den Beinamen „Metropole des Amazonas“ trägt. Die nur drei Grad südlich des Äquators liegende Stadt ist so sehr mit dem Regenwald und den großen Flüssen verbunden, dass sie nicht ohne ihr weiteres Umfeld und dessen sensibles Ökosystem, das klimatisch von globaler Bedeutung ist, betrachtet werden kann. Das Klima ist tropisch, mit einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von 27,4 °C und einer jährlichen Niederschlagsmenge von 2.145 Millimetern. Während die Temperaturen über das gesamte Jahr überwiegend gleich bleiben, variieren die Niederschläge zwischen durchschnittlich 56 Millimetern im August und 295 Millimetern im regenreichsten Monat, dem März. Manaus erhielt am 24. Oktober 1848 das Stadtrecht, trägt seinen heutigen Namen allerdings erst seit dem 4. September 1856. Der Name erinnert an den Indianerstamm der Manaós und bedeutet „Mutter Gottes“. 1866 erließ der brasilianische Kaiser Pedro II. ein Dekret, das die Schifffahrt auf dem Amazonas für Handelsschiffe aller Nationen öffnete. Bald danach wurde Manaus in weltweite Handelsrouten eingebunden, wovon die Stadt wirtschaftlich sehr profitierte. Für die Fernschifffahrt wurde sogar ein Linienverkehr eingeführt. Ab 1877 fuhren zum Beispiel regelmäßig Schiffe von Manaus nach Liverpool, ab 1881 gab es eine regelmäßige Schiffsverbindung nach New York. Heute noch haben Schiffe eine wichtige Funktion als Verkehrsmittel zwischen Zielen entlang des Amazonas, wobei die Schiffsfahrten nicht unbedingt bequem oder romantisch sind. Eine Fahrt von Manaus nach Belém an der Atlantikküste beispielsweise dauert drei bis fünf Tage. Für die niedrigste Preiskategorie heißt das Übernachtung in einer eigenen Hängematte; diese Schlafplätze hängen meistens sehr eng nebeneinander. Zu den meisten außerhalb von Amazonas liegenden Zielen gibt es inzwischen Flugverbindungen, da nur wenige ausreichend gut ausgebaute Fernstraßenverbindungen nach Manaus existieren.

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Die Stadt Manaus am Rio Negro.

Mit dieser Art von Schiffen werden Personen und Güter auf den größeren Flüssen transportiert.

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Ab 1870 sorgten die Produktion und der Handel mit Kautschuk für einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung in der Stadt. Als Zentrum des Kautschukbooms aufgrund seiner geografischen Lage zog Manaus Arbeitssuchende aus ganz Brasilien und auch aus anderen Teilen der Welt an, die für die Erschließung des Regenwaldes und zur Gewinnung von Kautschuk aus dem Kautschukbaum (Hevea brasiliensis) benötigt wurden. Der Anteil von Ausländerinnen an der Bevölkerung stieg zeitweise auf über 5 Prozent. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Stadt weltweit als eine für damalige Verhältnisse besonders offene Großstadt bekannt, was sich auch darin zeigte, dass die Sklaverei hier bereits 1884, vier Jahre vor der Lei Áurea, dem Goldenen Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei in Brasilien, verboten wurde. Dank des Wirtschaftsbooms konnte sich Manaus als einzige Stadt Brasiliens bereits in den 1890er Jahren an den breiten Straßen eine elektrische Beleuchtung, ferner ein Wasser- und Abwassersystem und ab 1899 die erste elektrische Straßenbahn Brasiliens leisten. Die Stadt wurde damals das „Paris der Tropen“ genannt. In dieser Zeit wurden eine Reihe repräsentativer städtischer Gebäude errichtet, wie der Justizpalast und vor allem die Oper, der noch heute der ehemalige Reichtum anzusehen ist. Auch die 1882 eingeweihte, direkt am Rio Negro gelegene Markthalle, die heute noch in Betrieb ist und in der eine große Vielfalt an regionalen Produkten, Obst- und Gemüsesorten, Gewürzen und Kräutern aller Art sowie Fleisch und Fisch angeboten werden, ist in einem extravaganten Art-Nouveau-Stil gebaut. Von Gustave Eiffel nach dem Vorbild der Pariser Markthallen (Halles Centrales) entworfen und mit Bauelementen aus Frankreich errichtet, gilt sie als eines der bedeutendsten Beispiele der Stahlarchitektur des späten 19. Jahrhunderts. Ab 1910 verfiel der Kautschukpreis, von dem die Stadt jahrzehntelang profitiert hatte, aufgrund der aufkommenden Produktion in Asien. In den folgenden Jahrzehnten konnte Manaus seine frühere wirtschaftliche Bedeutung und den erreichten Wohlstand nicht erhalten. Erst ab 1957, als die Stadt zwecks Förderung der regionalen Entwicklung zur Freihandelszone erklärt wurde und Unternehmen ihre Rohmaterialien fast zollfrei einführen konnten, nahm die wirtschaftliche Bedeutung wieder zu. Ab dieser Zeit wurde auch neuer Wohnraum für die zuziehenden Menschen geschaffen, die Cidade Nova (Neue Stadt) wurde gegründet. Aufgrund der industriellen Entwicklung, aber auch wegen der hohen Geburtenrate von über 4,7 Kindern pro Frau, stieg die Einwohnerzahl zwischen 1970 und 1985 von 300.000 auf 800.000, bis 2020 auf über 2,2 Millionen. Die Cidade Nova ist heute der größte Stadtteil. Bei Manaus fließen die Flüsse Rio Negro und Rio Solimões zusammen und bilden den Amazonas, der dann nach Osten das nach ihm benannte Amazonasbecken durchquert und nördlich der Stadt Belém in den Atlantik mündet. Eine Fahrt von Manaus mit dem Boot zum Bereich des Zusammenflusses von Rio Negro und Rio Solimões ist ein beeindruckendes Erlebnis, denn aufgrund ihrer unterschiedlichen Temperatur, Dichte, Fließgeschwindigkeit und Sedimentfracht vermischen sich die Farben des dunklen Schwarzwasserflusses (Rio Negro) und des bräunlichen Weißwasserflusses (Rio Solimões) nur langsam über eine Strecke von 10 Kilometern. Das Naturphänomen wurde vom Nationalen Institut für historisches und künstlerisches Erbe (IPHAN) zum brasilianischen Naturerbe erklärt.

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Das Teatro Amazonas, während des Kautschukbooms 1896 gebaut.

Der Largo de São Sebastião: Im Mittelpunkt des Platzes mit aufwändiger Pflasterung steht das Denkmal für die Öffnung der Häfen für befreundete Nationen, Monumento à Abertura dos Portos às Nações Amigas. Es wurde 1899 in Erinnerung

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Die Markthalle Adolpho Lisboa.

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an den Zugang zu den Häfen und den Amazonas für fremde Nationen im Jahr 1866 errichtet. Das für den Bau verwendete Material wurde vollständig aus Europa importiert.

Der Palácio Rio Negro, 1903 gebaut vom deutschen „Kautschukbaron“ Karl Waldemar Scholz, heute ein Museum.

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Der Zusammenfluss des Rio Solimões (braune Farbe) mit dem Rio Negro (dunkle Farbe). Sie vermischen sich nur langsam über eine Strecke von 10 km.

Manaus und das Amazonasbecken

DER KLIMAWANDEL IN MANAUS Wie für alle brasilianischen Städte vorgeschrieben, hat auch Manaus einen Stadtentwicklungsplan mit Festlegungen für die Richtlinien der Entwicklung erlassen, der letzte ist aus dem Jahr 2014. Einen besonderen Klimaanpassungsplan gibt es für die Stadt nicht. In einem Forschungsprojekt wurde die Frage untersucht, ob Manaus den Klimanotstand in der lokalen Planungspraxis berücksichtigt. Aufgrund eines fehlenden Klimawandel-Anpassungsplans griffen die Autorinnen für die Bewertung von Manaus auf den Umweltcodex der Stadt aus dem Jahr 2011 zurück, da dieser indirekt einige lokale Klimamaßnahmen vorsieht. Dabei wurden klimarelevante Maßnahmen den Bereichen Katastrophenschutz, Gesundheit, Mobilität, Abwasserentsorgung und Abfall zugeschrieben. Diese Themen wurden zusätzlich den klimawandelrelevanten Kategorien „Klimaplan“, „Anpassung“, „Kooperation“ und „Minderung“ zugeordnet. Im Ergebnis werden Anpassungen an den Klimawandel in Manaus in andere Maßnahmen der Stadtentwicklung integriert, jedoch fehlen konkrete Aussagen zur Minderung der negativen Folgen des Klimawandels. Bezeichnenderweise wird hierbei stets auf den Zusammenhang zwischen dem Klima der Stadt und dem Klima des sie umgebenden Regenwaldes hingewiesen. Eine Studie weist sogar darauf hin, dass die von Kraftfahrzeugen und der Industrie in Manaus emittierten Stickoxide das Klima des Regenwaldes beeinflussen, indem sie die Regenbildung beeinträchtigen. Insofern wären ein Emissionskataster und Klimamessungen sowie Projektionen der zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels auf die Stadt erste wichtige Schritte, um zum einen selbst gegenüber dem Klimawandel resilient zu werden, zum anderen aber auch, um die Ökosysteme des Amazonasbeckens zu schützen.

AMAZONIEN Der Name Amazonien oder Amazonasbecken bezieht sich sowohl auf das Flusssystem als auch auf den für das Weltklima so wichtigen Regenwald. Das gesamte Gebiet umfasst eine Größe von etwa 7,5 Millionen Quadratkilometern, davon sind circa 5,5 Millionen Quadratkilometer tropischer Regenwald. Etwa 60 Prozent dieser Fläche liegen in Brasilien, weitere Teile in den Nachbarländern Peru, Kolumbien, Venezuela, Ecuador, Bolivien, Guyana, Surinam und Französisch-Guyana. In Brasilien umfasst das Amazonasbecken neben dem Bundesstaat Amazonas teilweise oder ganz die Staaten Acre, Amapá, Maranhão, Mato Grosso, Pará, Rondônia, Roraima und Tocantins. Insgesamt macht es fast zwei Drittel der Landesfläche Brasiliens aus.

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Im Amazonasbecken leben etwa 30 Millionen Menschen, davon 17 Millionen in Brasilien. Mehr als 2,7 Millionen Menschen gehören indigenen Völkern an. In Brasilien allein leben 220 verschiedene indigene Völker im Amazonasbecken. Ihre Siedlungs- und Schutzgebiete umfassen etwa 45 Prozent der gesamten Fläche. Es gibt 180 unterschiedliche indigene Sprachen, die meisten Indigenen sind auch des Portugiesischen mächtig. Außerhalb der Städte leben die Menschen hauptsächlich vom Fischfang, von der Jagd und den Früchten der Vegetation, teilweise leben sie in Subsistenzwirtschaft. Die Gewässer des Amazonasbeckens machen ein Fünftel aller Süßwasserreserven der Erde aus. Der Amazonas ist der Hauptstrom dieses flächenmäßig größten Flussgewässersystems der Welt, das auch das weltweit größte Wasservolumen außerhalb der Ozeane aufweist. Die Wasserstände der Flüsse sind abhängig von den Niederschlagsmengen und können um mehrere Meter steigen oder fallen. Selbst in

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der Trockenzeit ist der Amazonas 10 bis 20 Kilometer breit und während der Regenzeit werden zusätzlich 20 bis 60 Kilometer breite Uferbereiche des Regenwaldes überschwemmt. Jegliche Bebauung muss sich daher auf die stark unterschiedlichen Wasserstände einstellen. Die der Überschwemmung ausgesetzten Zonen sind überhaupt nur auf Uferwällen bebaubar. Der Fluss ist im Mittel 30 bis 40 Meter, an einigen Stellen bis 100 Meter tief. Im und nahe des Amazonas leben etwa 30 Prozent der bekannten Tierarten Amazoniens. Unter den ca. 2.000 bekannten Süßwasserfischarten sind Piranhas, Zitteraale und der von den Ureinwohnern als heiliges Tier verehrte Flussdelfin mit einer rosa Färbung auf der Körperunterseite. An den Ufern leben auch zahlreiche Wasservögel wie Reiher, Störche, Ibisse und Löffler, die ihre Nahrung im Wasser finden. Das Amazonasgebiet ist das größte zusammenhängende Landschaftsgebiet und der größte zusammenhänge Regenwald der Welt. Schätzungen zufolge befinden sich hier etwa 10 Prozent der weltweit bekannten Tier- und Pflanzenspezies. Die Artenvielfalt ist im Amazonas-Regenwald größer als überall sonst auf der Welt. Zehntausende Pflanzenarten, darunter zahllose Heilpflanzen, mehr als 2,5 Millionen Insekten-, 1.300 Vogel-, 430 Säugetier- und mehr als 3.000 Fischarten, ferner Amphibien- und Reptilienspezies sind beschrieben, immer noch werden viele Arten neu entdeckt. Das Ökosystem des Regenwaldes beinhaltet eine besonders große Biomasse, da die Pflanzen in aufeinander abgestimmten Etagen wachsen. Die höchsten Bäume sind 60 bis 80 Meter hoch, darunter wachsen die Bäume, die mit weniger Sonnenlicht auskommen, den Boden erreicht fast gar keine Sonneneinstrahlung. Die größeren Tiere halten sich meist in den hohen Baumwipfeln im Hellen auf. Angesichts dieser großen Biomasse ist es erstaunlich, dass der Boden nur wenig fruchtbar ist. Die Humusschicht ist nur wenige Millimeter stark, da die Nährstoffe sofort von Tieren verarbeitet und anschließend von den Pflanzen aufgenommen und gespeichert werden. Infolgedessen ist der Boden des Amazonas-Regenwaldes der ärmste und unfruchtbarste der Welt. Wird er gerodet, ist er für die landwirtschaftliche Nutzung nur für eine kurze Zeit geeignet und schon nach wenigen Jahren ausgelaugt. Wird der Boden dann sich selbst überlassen, entwickelt sich der Regenwald nicht mehr in seinen ursprünglichen Zustand zurück.

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Die Vegetation ist an unterschiedliche Wasserstände angepasst, hier ein Nebenfluss des Rio Negro bei hohem Wasserstand.

Amazonien

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Der Wasserstand kann um mehr als 12 m variieren.

Gebäude werden an festen Ufern oberhalb der Hochwasserlinie gebaut.

Die Ufer und an ihnen gebaute Häuser sind von Erosion durch Hochwasser und starke Regenfälle bedroht.

Zur Sicherheit werden Häuser auf Stelzen gebaut, da der Wasserstand über das Jahr sehr unterschiedlich ist.

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DER KLIMAWANDEL IM AMAZONASBECKEN Auch wenn die Wirkungen des Amazonas-Regenwaldes und seine Bedeutung für das Weltklima noch nicht vollständig bekannt sind, scheint es keinen Zweifel zu geben, dass er aufgrund seiner Größe, seines Wasserreichtums und seiner Lage nahe des Äquators wichtige Einflüsse auf seine weitere Umgebung und wahrscheinlich auf das Klima der ganzen Welt hat. Durch die starke Sonneneinstrahlung während des gesamten Jahres und die reichhaltige Verfügbarkeit an Wasser entsteht in den Regenwaldgebieten eine enorme Verdunstung, die wiederum Verdunstungskühle und Wolken erzeugt. Die Kühlleistung ist sehr hoch und es ist naheliegend, dass ihre Wirkung sehr weit reicht. Das Amazonasbecken wird daher auch als „Klimaanlage der Erde“ bezeichnet. Die Wolken regnen sich überwiegend südlich des Amazonas ab, in den fernen Großstädten São Paulo und Rio de Janeiro, und in den landwirtschaftlich genutzten Gebieten Brasiliens, Paraguays und Argentiniens. Dieser Wassertransport über die Luft wird auch als „fliegende Flüsse“ bezeichnet. Ohne den Regenwald und seinen Wasserreichtum sähe Südamerika ähnlich aus wie Afrika auf dem gleichen Breitengrad, mit großen Wüsten, Halbwüsten, Savannen und Steppen. Neben den direkten Einflüssen auf das Wetter und Klima ist der Regenwald, wie alle Wälder, eine hervorragende Senke für Kohlendioxid (CO2). Die Bäume wandeln tagsüber das CO2 in Sauerstoff und Zucker um; bei Dunkelheit in der Nacht, die nahe des Äquators gleich lang wie der Tag ist, kehrt sich der Prozess um, wobei insgesamt etwas mehr CO2 gebunden als freigesetzt wird. Der Amazonas-Fluss nimmt 5 Prozent der von Menschen verursachten CO2-Emissionen auf, deutlich mehr wird nur in den Meeren gespeichert. 15

In feuchten Lichtungen wachsen natürlicherweise die Riesenseerosen Victoria amazonica (regia).

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Während die Nutzung des Regenwaldes durch die indigenen Völker überwiegend als nachhaltig einzuschätzen ist, hat das moderne Brasilien große Teile des Regenwaldes durch Abholzungen, Brände und Brandrodungen vernichtet. Bis heute sind bereits etwa 20 Prozent des Regenwaldes abgeholzt, vornehmlich in den südlichen und östlichen Randlagen. Die folgende Zahl verdeutlicht die Dimension des Problems: 89 Prozent der Treibhausgasemissionen des Bundesstaates Amazonas werden mit Änderungen der Landnutzung begründet, nur 3 Prozent mit landwirtschaftlicher Nutzung. Seit 2014 steigen die Emissionswerte wieder an, nachdem sie vorher rückläufig waren. Die Auswirkungen der Vernichtung des Regenwaldes auf die indigenen Völker, die Biodiversität und den Wasserkreislauf des Amazonas sind immens. Außerdem verändert die Rodung die klimatische Funktion der betreffenden Gebiete, die anschließend landwirtschaftlich oder für Bebauung genutzt werden  – aus einer CO2-Senke wird eine CO2-Quelle. Die zusätzliche CO2-Produktion, die von den in Brasilien gerodeten Flächen ausgeht, beträgt 1 bis 2 Gigatonnen CO2 pro Jahr. Bei einer globalen Treibhausgasemission von 50 Gigatonnen ist diese Menge als erheblich einzuschätzen. Die Zerstörung des Regenwaldes hat in dieser Region selbst bereits zu einer Erwärmung von 0,8 bis 0,9 °C geführt und die trocken- oder regenarme Zeit hat sich verlängert. Bei weiterer Abholzung wird ein Kipppunkt erreicht werden, so dass sich das gesamte regionale Klima unwiederbringlich verändern wird. Die Auswirkungen auf die Kohlenstoffspeicherung, die biologische Vielfalt und das lokale, wenn nicht sogar das globale Klima wären aller Wahrscheinlichkeit nach gravierend. Experten befürchten einen Rückgang der Niederschläge und das Austrocknen des Amazonasgebietes. Die Auswirkungen wären auch in weiter Entfernung, beispielsweise in São Paulo mit seinen über 20 Millionen Einwohnern, zu spüren. Dort wurden bereits während des trockenen und heißen Sommers 2014 die Abholzungen des Amazonas-Regenwaldes und weiterer Wälder in der Nähe der Stadt für den Niederschlagsmangel verantwortlich gemacht. In der Folge haben die Paulistas, die Einwohnerinnen von São Paulo, angefangen Wassertanks und Zisternen zu bauen, um im Falle einer Reduzierung der städtischen Wasserversorgung unabhängiger zu sein.

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Studien haben gezeigt, dass bei einer Erderwärmung von etwa 4 °C der Kipppunkt für das zentrale, südliche und östliche Amazonasgebiet erreicht werden würde. Der Wald würde sich zu Savannen entwickeln. Die Wissenschaftler Thomas E. Lovejoy und Carlos Nobre schätzen, dass der Kipppunkt für das Amazonasgebiet durch die negativen Synergien von Abholzung, Klimawandel und Brandrodung bei einer Entwaldung von 20 bis 25 Prozent liegt. Dieser Punkt kann nicht exakt bestimmt werden, und wenn, dann wahrscheinlich erst im Nachhinein, das heißt wenn er überschritten ist. Viele Indikatoren deuten darauf hin, dass der Kipppunkt nicht mehr weit entfernt ist. Außergewöhnlich große Dürreperioden traten in den Jahren 2005, 2010 und 2015/16 auf und könnten erste deutliche Anzeichen für die Klimaveränderung sein. Aber auch das Gegenteil tritt häufiger als früher auf. In den Jahren 2009, 2012, 2014 und 2015 gab es schwere Hochwasser mit Wasserständen von über 29 Metern. Seit den Aufzeichnungen der jährlichen Wasserstände im Jahr 1902 gab es derartige Pegelhöhen nur in den Jahren 1909, 1922 und dreimal in den 1970er Jahren. Die Häufung extremer Ereignisse in den letzten 20 Jahren könnte darauf hindeuten, dass das System des Regenwaldes sich verändert. Wissenschaftler und Klimaaktivistinnen drängen darauf, dass die abgeholzte Fläche sicherheitshalber unter 20 Prozent der gesamten Fläche bleiben müsse, um nicht zu riskieren, das der Kipppunkt erreicht oder gar überschritten wird. Bei der Klimakonferenz 2015 in Paris verpflichtete sich Brasilien zur Wiederauffors-

tung von 12 Millionen Hektar Wald bis 2030. Ein großer Teil dieser Wiederaufforstung soll im südlichen und östlichen Amazonasgebiet erfolgen, wo es bisher die größten Rodungen gab, um den großräumigen Wasserkreislauf sowie die weiteren positiven Wirkungen des Regenwaldes erhalten zu können. Einen großen Einfluss auf die Niederschläge und die hydrologischen Zyklen des Regenwaldgebietes haben die Beziehungen der beiden den Kontinent umgebenden Meere, der äquatoriale Pazifik im Westen und der tropische Atlantik im Osten. Hier kommt es bedingt durch den Klimawandel zu häufigeren ungewöhnlichen Schwankungen. Die Auswirkungen des El Niño und der La Niña wirken sich nachweislich auf den Amazonas-Regenwald aus. So wurde eine ganze Reihe von Dürren entweder auf die Erwärmung im östlichen Pazifik durch das El-Niño-Phänomen oder auf eine Erwärmung im tropischen Atlantik zurückgeführt. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die überregionalen Strömungsverhältnisse könnten ebenfalls einen Einfluss haben.

DER BOTANISCHE GARTEN Der Botanische Garten Adolpho Ducke in Manaus, der sich auch Museum Amazoniens nennt, ist nach dem in Italien geborenen Botaniker und Ethnologen benannt und fungiert als eine Art Schaufenster in das Ökosystem des Regenwaldes. Ducke studierte das System der Bäume des Amazonas-Regenwaldes, beschrieb 900 Arten und 50 Gattungen und war bis zu seinem Tod 1959 einer der angesehensten Kenner der Flora Amazoniens. Der Botanische Garten liegt in einem 100  Quadratkilometer

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Riesenseerosen Victoria amazonica (regia)im Botanischen Garten MUSA.

DER KLIMAWANDEL IM AMAZONASBECKEN

großen Naturschutzgebiet des Regenwaldes, das gleichzeitig die Grenze zwischen für die Entwicklung der Stadt zur Verfügung stehenden Flächen und dem Regenwald markiert. Eine 500 Meter breite und 5 Kilometer lange Fläche am Rand des Schutzgebietes bildet den Botanischen Garten. Das Naturreservat wird vom Nationalen Institut für Amazonas-Forschung (INPA) verwaltet. Das Thema des Gartens bzw. „lebendigen“ Museums ist der typische primäre Regenwald, seine Pflanzen, Tiere und indigenen Völker. Die Lebenszusammenhänge des Waldes werden über erklärende Tafeln in Gebäuden als auch direkt in der Natur anschaulich erläutert. Zu den besonderen Attraktionen zählen ein See, in dem die beeindruckenden Riesenseerosen Victoria amazonica (regia) wachsen, eine Vielzahl an Wegen durch verschiedene Ökosysteme des Waldes mit Erläuterungen der für sie typischen Bäume sowie ein 42 Meter hoher Aussichtsturm mit drei Aussichtsplattformen, von dem aus die einzelnen Etagen des Waldes erfasst werden können. Von ganz oben bietet sich ein Blick in die beeindruckende Weite des Regenwaldes, dessen Bäume hier etwa 40 Meter hoch sind. Neben der Natur wird auch die Kultur der indigenen Völker des Regenwaldes mittels einer bedeutenden archäologischen Sammlung präsentiert, die Exponate zu einer Vielzahl indigener Gemeinden umfasst. Dem Museum angegliedert ist ein archäologisches und ethnologisches Forschungszentrum, das sich der Bewahrung des archäologischen Erbes des Amazonasgebietes widmet und die Lebensweise und das kulturelle Wissen indigener Ethnien erforscht. Unter dem Motto „Zusammenleben“ setzt sich das Museum für den Erhalt der kulturellen, biologischen und sozialen Vielfalt im Amazonasbecken ein und will die Interaktion zwischen indigenen Gemeinden und dem modernen Brasilien fördern.

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Eine anschauliche Erläuterungstafel über die Staffelung der Gehölze des Regenwaldes im Botanischen Garten MUSA.

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Blicke vom Aussichtsturm im Botanischen Garten MUSA. Der Turm reicht vom Fuß der Bäume bis oberhalb der Baumkronen, so dass der Regenwald von unten, nach oben gehend und schließlich von oben betrachtet werden kann.

Der Botanische Garten

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DAS INPA UND DAS ATTO-FORSCHUNGSPROJEKT Das bereits erwähnte Nationale Institut für Amazonas-Forschung (INPA) wurde 1952 gegründet und ist mit seiner Erforschung der natürlichen Umwelt und der sozioökonomischen Lebensbedingungen des Amazonasgebietes weltweit anerkannt. Wurden zu Beginn die Flora und Fauna der Region untersucht, stehen heute vorrangig die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen und die Wechselbeziehungen zwischen Klima und Umwelt im Vordergrund. Folgende Bereiche bilden die Forschungsschwerpunkte des Instituts: Umweltdynamik; Gesellschaft, Umwelt und Gesundheit; Technologie und Innovation sowie Biodiversität. Anhand von Modellen und großräumigen Experimenten arbeiten die Forscher an Berechnungen über das zukünftige Klima des Regenwaldes inklusive des Gebietes der Stadt Manaus. Die Modellierungen zum urbanen Klima haben vor allem das Ziel, die Ausbildung der klimawandelbedingten städtischen Wärmeinsel zu reduzieren. Das Forschungsinstitut liegt selbst in einem interessanten Waldgebiet mit einer reichen regionalen Flora. Die Pflanzen sind mit Tafeln versehen, die ihren botanischen Namen angeben und gegebenenfalls den pharmazeutischen Nutzen erläutern. In den Gewässern lassen sich Tiere wie Otter, Schildkröten und Seekühe, die größten im Süßwasser lebenden Tiere, beobachten. Etwa 150 Kilometer Luftlinie nordöstlich von Manaus in einem noch weitgehend unbeeinträchtigten Teil des Regenwaldes liegt die brasilianisch-deutsche Forschungsstation Amazon Tall Tower Observatory (ATTO). Hier werden seit 2009 in einer Kooperation von INPA, der Universität Amazoniens (UEA) und den deutschen Max-Planck-Instituten für Chemie und Biogeochemie die Wechselwirkungen des Regenwaldes mit dem Klima wissenschaftlich untersucht. Das Herzstück für die Datenerhebung sind neben Forschungsflächen am Boden und Laborcontainern ein 325 Meter hoher Turm sowie zwei 80 Meter hohe Türme, mit Hilfe derer meteorologische und atmosphärische Prozesse, die Flüsse von Spurengasen und Aerosolen, Stoffkreisläufe in den Pflanzen und eine Vielzahl weiterer Elemente des Ökosystems in verschiedenen Höhen innerhalb und oberhalb der Baumwipfel des Regenwaldes untersucht werden. Der höchste Turm existiert seit 2015. INPA schätzt, dass es zehn bis 20 Jahre dauern wird, um die angestrebten Ergebnisse zu erhalten. Mit den Ergebnissen sollen Klimamodelle und das Verständnis der Bedeutung des Amazonasbeckens für das Klimasystem der Erde verbessert werden.

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Blick in die Spitze der Baumkronen vom Aussichtsturm im Botanischen Garten MUSA.

DIE FOLGEN DER VERNICHTUNG GROSSER TEILE DES REGENWALDES Der in seinen Eigenschaften wie in seinen Dimensionen einzigartige Regenwald, von dem Manaus vollständig umgeben ist, hat für die klimatische Situation der Stadt und dafür, wie sie mit Veränderungen derselben umgeht, eine überragende Bedeutung. Bisher hat sich Manaus noch wenig auf den Klimawandel vorbereitet. In der aufgrund der Freihandelszone schnell wachsenden Stadt standen Aufgaben wie Wohnungsbau und öffentliche Infrastrukturbauten im Vordergrund. Allerdings braucht gerade Manaus mitten im Regenwald ein zukunftsfähiges Konzept für die Anpassung an den Klimawandel, und zwar sowohl für die Erhaltung guter Lebensbedingungen als auch als eine Verstärkung des Kampfes um die Bewahrung des tropischen Regenwaldes. Die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes schreitet allerdings seit Jahrzehnten weiter fort, obwohl die enormen negativen Folgen, die das mit sich bringt, genauso lange bekannt sind und immer wieder von Wissenschaftlerinnen, Umweltaktivisten und Bürgerinitiativen diskutiert und thematisiert werden. Abholzungen, vielfach mittels Brandrodung, betreffen überwiegend die östlichen und südlichen Ränder Amazoniens wie in den Bundesstaaten Para und Mato Grosso. In diesen Regionen ist die befürchtete und vorhergesagte Bildung von trockenen Savannen bereits eingetreten. Die gesellschaftlichen Akteurinnen, die die Rodungen vorantreiben, sind die Vertreter von Landwirtschaft, Agrarindustrie und Bergbau und deren Organisationen bzw. Parteien, die ihre Interessen im politischen System durchsetzen. Diese Akteurinnen bestreiten die negativen Folgen der Abholzung für das Klima oder setzen egoistische und kurzsichtige betriebswirtschaftliche Ziele über das langfristige Gemeinwohl.

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Aus der Luft fallen Flächen auf, die der Gewinnung der Bodenschätze im Regenwald dienen.

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Im Jahr 2019 ist allein im Bundesstaat Para ein Anstieg der Rodungen um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen gewesen. Kritiker führen dies auf den Regierungswechsel auf Bundesebene zurück, der sich am 1. Januar 2019 mit dem Amtsantritt des neu gewählten rechtskonservativen Präsidenten Jair Bolsonaro vollzog. Tatsächlich zeigt die neue Regierung ein verstärktes Interesse an einer intensiveren wirtschaftlichen Entwicklung der Regenwaldgebiete, einschließlich der Nutzung von Bodenschätzen, und hat eine deutlich geringere Neigung, ihn zu schützen. Beispiele dafür sind Entscheidungen wie die Übertragung der Zuständigkeit für die Festlegung indigener Gebiete und die Angliederung des brasilianischen Forstamtes an das Ministerium für Landwirtschaft, die Angliederung der nationalen Wasseragentur an das Ministerium für regionale Entwicklung, die Schließung des Klimawandel-Sekretariats und die Verkleinerung des Umweltrats. Der Klimawandel ist von der politischen Agenda der Bundesregierung weitgehend verschwunden, er wird entweder verharmlost oder als unvermeidlich betrachtet. Stattdessen werden für große Projekte der Agrar- und Bergbauindustrie, für Wasserkraftwerke und dergleichen, die im Regenwald und in indigenen Schutzzonen liegen, Genehmigungen erteilt. Überarbeitungen von Flächennutzungsplänen begünstigen die Interessen der Landwirtschaft. Dabei werden auf den landwirtschaftlichen Flächen überwiegend keine Lebensmittel für die regionale Bevölkerung angebaut, sondern sie werden, gemäß der globalisierten Agrarwirtschaft, in großem Maße für die Rinderzucht und den Anbau von Soja genutzt. Die Rinder dienen nicht den vor Ort lebenden Menschen als Nahrung, sondern sie werden zu einem großen Teil entweder lebendig in andere Länder verbracht oder zerteilt exportiert. Soja wird überwiegend als Viehfutter ausgeführt und weltweit für die Fütterung von Masttieren genutzt. Auf die großmaßstäbliche landwirtschaftliche Nutzung gerodeter Flächen folgen der Bau neuer Straßen und die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und Tierarzneien. Seit 2019 wurden in Brasilien für die Landwirtschaft 239 neue chemische Produkte zugelassen. Davon sind laut Greenpeace 43 Prozent extrem giftig, ihre Anwendung beeinträchtigt die Gesundheit von Menschen und Tieren. Die Mehrheit der Klimaexpertinnen ist sich darüber einig, dass eine Bewahrung des Regenwaldes im Amazonasgebiet große Auswirkungen auf das Klima Brasiliens, wenn nicht ganz Südamerikas hat und vermutlich sogar eine wichtige Rolle für das globale Klima spielt. Unabhängig davon, dass viele Zusammenhänge und Wirkungen aktuell noch erforscht werden, ist evident, dass diese einzigartige Naturlandschaft so schnell und umfassend wie möglich wirksam geschützt werden muss. In diesem Zusammenhang wird modernem naturwissenschaftlichen Wissen oftmals mehr zugetraut und Priorität eingeräumt gegenüber dem Wissen der indigenen Völker, die in dieser Region der Erde zu Hause sind. Vor dem Hintergrund, dass diese Völker seit mehreren Tausend Jahren im Regenwald leben und über einen sehr langen Zeitraum gelernt haben, ihre natürliche Umgebung nachhaltig zu nutzen, sollte ihr tradiertes Erfahrungswissen als ein wertvoller Schatz verstanden und entsprechend bewahrt werden. Die indigenen Kulturen verfügen in aller Regel über ein reiches Wissen über die Tiere und Pflanzen ihres Lebensraums, das moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse erweitern kann, zum Beispiel wenn es darum geht, Pflanzen und Wurzeln als Heilmittel zu nutzen. Am meisten kann die westliche moderne Gesellschaft vielleicht von der grundsätzlichen Haltung der indigenen Völker gegenüber dem Regenwald lernen, die von Achtsamkeit statt von Beherrschungswillen und Ausnutzungsbegehren geprägt ist. 197

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Ein wichtiger Faktor zum Schutz des Regenwaldes ist die Politik, und das heißt im Falle des Amazonas-Regenwaldes auch die internationale Politik. Brasilien muss langfristig auf die internationale Unterstützung zählen können, die das Land bereits bekommt, vor allem auch aus dem globalen Norden. Diese Unterstützung reicht von der Einbindung Brasiliens in internationale Institutionen und Abkommen bis zur Unterstützung lokaler NGOs, von Einfuhrverboten für den Regenwald schädigende Produkte zu gezielten Öffentlichkeitskampagnen. Abschließend zurück zum Ausgangspunkt Manaus. Die größte Stadt Amazoniens würde langfristig gesehen vom Schutz des Regenwaldes profitieren. Doch in der nahen Zukunft gilt es, auch daran zu arbeiten, dass die deutlich mehr als 2 Millionen Einwohner nachhaltig vor den Auswirkungen des Klimawandels geschützt werden und die Resilienz der Stadt gegenüber zu erwartenden extremen Wetterereignissen, hier besonders Überschwemmungen und Dürren, erhöht wird. Allein den Stadtklimaeffekt zu untersuchen und zu mindern, wird der Bedeutung der Anpassung an den Klimawandel nicht mehr gerecht. Es gilt, die grüne Infrastruktur auszubauen, Retentionsflächen für Regenwasser zu schaffen, die Vegetation auf Trockenheitsverträglichkeit auszuwählen und bestehende Parkanlagen auf ihre Resilienz zu überprüfen, sie bei Bedarf für den Klimawandel nachzurüsten, bevor zum Beispiel Starkregen ihnen Schäden zufügt.

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Der 53.421 m² große Stadtpark Parque Senador Jefferson Péres nahe dem Palácio Rio Negro ist als Sanierungsprojekt für die Bäche (igarapés) entstanden, die zuvor verfüllt waren. Sie wurden wieder geöffnet, so kann das Regenwasser

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auch bei starken Niederschlägen dem Park nicht dauerhaft schaden.

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Brasiliens Hauptstadt ist eine auf dem Reißbrett entstandene Neugründung, die 1960 nach nur vier Jahren Bauzeit für die wesentlichen Teile der Infrastruktur eingeweiht wurde. Weitere Regierungs- und städtische Gebäude wurden in den darauffolgenden Jahren fertiggestellt. Die Idee einer neuen, zentral im Landesinneren gelegenen Hauptstadt wurde bereits 1891 in der ersten republikanischen Verfassung verankert, aber erst ab 1956 vom damaligen Präsidenten Juscelino Kubitschek zur Umsetzung gebracht. Mit der Auswahl des Ortes der Stadtgründung sollte das Hinterland erschlossen und geöffnet werden. Bereits 1950 war im zentralen Hochland an der Grenze der Bundesstaaten Goiás und Minas Gerais eine Fläche von 5.800 Quadratkilometern ausgewählt worden, sie entspricht dem heutigen Bundesdistrikt, Distrito Federal do Brasil. Er ist identisch mit der Gemeinde Brasília, die heute 31 Verwaltungsregionen umfasst. Der Kernbereich Brasílias, Plano Piloto genannt, der dem ersten Plan des Stadtplaners Lúcio Costa entspricht, ist seit 1997 eine eigenständige Verwaltungsregion. Der Bundesdistrikt vereint zu einem großen Teil administrativ die Ebenen der Stadt und des Bundesstaates, es gibt eine gemeinsame Legislative und eine Exekutive, der Gouverneur übt gleichzeitig die Funktion als Bürgermeister aus. Einige Aufgaben des Bundesstaates werden auch von der Bundesregierung wahrgenommen. Für 500.000 Einwohner konzipiert, leben heute über 3 Millionen Menschen in der Stadt und geschätzte 4,4 Millionen in der Metropolregion. Mittlerweile ist Brasília die drittgrößte Stadt des Landes, die Bevölkerung nimmt weiter zu, aber Brasília gehört nicht zu den am schnellsten wachsenden Städten Brasiliens. Der Name der Stadt leitet sich aus dem Landesnamen ab, der wiederum auf den Nationalbaum Pau Brasil (Caesalpina echinata) und sein bernsteinfarbenes Holz („brasil“ ist das portugiesische Wort für „Bernstein“) zurückgeht. Der Baum kommt hauptsächlich im atlantischen Küstenwald vor und hat aufgrund der Farbe und Widerstandsfähigkeit seines Holzes eine große zivilisatorische und kulturelle Bedeutung. Aus dem Holz wurde früher Farbstoff gewonnen, heute werden vor allem Bögen für Saiteninstrumente aus Brasilholz hergestellt. Die Rinde und der natürliche Farbstoff finden weiterhin in der Medizin Verwendung. So gibt es Forschungen darüber, ob sich aus dem Baum Produkte gewinnen lassen, die sich zur Behandlung von Krebserkrankungen eignen. Die Hymne der Hauptstadt gibt deren Beinamen als „Stadt der Hoffnung“ an. In der Tat verbanden sich mit dem Umzug der Bundesregierung in eine neu geplante, von historischen Lasten unbeeinträchtigte Stadt große Hoffnung für die Zukunft des Landes und sein politisches System. Dazu gab es große Erwartungen, dass der moderne Städtebau, der in Brasília praktiziert werden würde, für gute Lebens- und Arbeitsbedingungen sorgen würde. Die klassischen Probleme von über lange Zeiträume gewachsenen Städten wie enge Wohnverhältnisse, ein geringer Anteil an Freiflächen und Vegetation sowie mangelnde Belüftung sollten hier vermieden werden. Das seit 1960 existierende Stadtwappen orientiert sich mit seiner Form an der Idee der Stadtgründer. In der Mitte befindet sich ein Kreuz mit vier auseinanderlaufenden Pfeilen, die von einem in der Mitte platzierten Ort in alle Himmelsrichtungen zeigen und damit symbolisch die Ausstrahlung der Politik, des Nationalkongresses, in das Land darstellen. Das Motto „venturis ventis“ (kommende Winde) greift das Thema der Erwartungen an die Zukunft auf. 2

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Modell der Stadt Brasília in der VerDas Wappen der Stadt Brasília. waltungsregion Plano Piloto, mit dem Nationalkongress in der unteren Mitte, darüber die große zentrale Achse mit den Gebäuden der Ministerien, quer dazu im Bogen verlaufend die Achse mit den Wohnquartieren, den Supercuadras.

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Über den Masterplan für die neue Hauptstadt wie auch die Entwürfe für einzelne Gebäude wurde im Rahmen eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs entschieden, dessen Ergebnisse 1957 vorgestellt wurden. Dabei wurde darauf Wert gelegt, dass der Wettbewerb unter brasilianischen Stadtplanern und Architektinnen entschieden wurde. Die Intention war, vor dem zeitgenössischen Hintergrund eine eigene Formensprache und eine Eigenständigkeit zu entwickeln, die zugleich Modernität und Leistungsfähigkeit ausdrücken sollte. Als Ergebnis des Wettbewerbs wurden Lúcio Costa als Stadtplaner und Oscar Niemeyer als Architekt zu den leitenden Gestaltern der neu zu bauenden Stadt ernannt, wichtige Grünflächen und Gärten gestaltete Roberto Burle Marx. Brasília wurde durch dieses Team tatsächlich umfassend geplant – von der Anordnung der Gebäude, Straßen und Freiflächen über die Architektur bis zu den Gartenräumen – und startete daher mit einer optimalen Situation, die in gewachsenen Städten so nicht möglich ist. Die Stadtplanung stand ganz im Zeichen der Moderne und der Charta von Athen, die 1933 während des IV. Internationalen Kongresses für moderne Architektur (Congrès Internationaux d’ Architecture Moderne, CIAM) verfasst und 1943 in Paris von Le Corbusier, unter dessen Federführung sie entwickelt worden war, veröffentlicht wurde. Anlass waren die Probleme vieler Städte zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Sie litten durch hohen Bevölkerungsdruck und unzureichende Freiflächen in den Innenstädten, durch Luftbelastungen seitens Industrie und Gewerbe, ferner durch ungleich verteilten Wohnraum und eine mit dem Wachstum der Städte zunehmende Entfernung von Naturräumen. Das Modell der funktionalen Stadt gemäß den Prinzipien der modernen Stadtplanung, wie sie von Le Corbusier gedacht und in der Charta von Athen beschrieben wurde, sollte die damals bekannten Probleme von Städten in der neuen brasilianischen Kapitale von vornherein verhindern. Im Idealfall sollten in der Innenstadt die Einrichtungen für Verwaltung, Handel und Konsum sowie Kultureinrichtungen angesiedelt werden, um das Zentrum herum, aber voneinander getrennt, Wohnen, Industrie und Gewerbe. Über Grünflächen voneinander abgegrenzt, sah das Modell vor, die Sektoren über Straßen miteinander zu verbinden. In der Peripherie sollten ferner Satellitenstädte allein für das Wohnen angelegt werden. Viele Städte und Stadtteile wurden in Anlehnung an die Charta von Athen geplant bzw. weiterentwickelt. Die Vorteile waren verbesserte Wohnbedingungen und mehr Grünflächen in den Städten. Allerdings führte die Entmischung der städtischen Funktionen zu einer Störung gewachsener Stadtgefüge und vor allem zu einem Anstieg des privaten und öffentlichen Verkehrsaufkommens. Staus, Luftverschmutzung und andere Belastungen zeigten sich in vielen Städten als die Symptome der funktionalen Stadtplanung. Die erste Idee, aus der der Grundriss für Brasília entstand, war ein von Lúcio Costa gezeichnetes Kreuz, vermutlich zurückgehend auf eine vorhandene Kreuzung zweier Straßen in der freien Landschaft, in der die neue Stadt angelegt werden sollte. Im Schnittpunkt der beiden Hauptachsen befindet sich der Busbahnhof. Entlang der Ost-West-Achse, der Monumentalachse, wurden die Regierungsgebäude, die Ministerien, der Nationalkongress mit Senat und Repräsentantenhaus, der Präsidentenpalast und der Oberste Gerichtshof, in der entgegengesetzten Richtung der Fernsehturm platziert. Diese Achse ist über 300 Meter breit, hat zwei Fahrtrichtungen mit jeweils mehreren Fahrspuren in jede Richtung und dazwischen breite Rasenflächen, die im Bereich des Fernsehturms und am Nationalkongress zusätzlich mit Wasseranlagen ausgestattet sind. 201

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Die Nord-Süd-Achse wird als Wohnachse verstanden. Sie ist nicht ganz so breit wie die Monumentalachse und aufgrund der Topografie leicht gekrümmt. Sie wird ebenfalls von breiten Rasenflächen begleitet, auf denen sich Baum- und Strauchgruppen befinden. An diese Achse reihen sich die sogenannten Supercuadras oder Superblöcke aneinander, Stadtviertel für jeweils bis zu 5.000 Bewohner. Die einheitlich gestalteten Wohnhäuser sind oft aufgeständert, um einen durchgängigen und teilweise beschatteten öffentlichen Raum zu schaffen. Jede Supercuadra ist 300 x 300 Meter groß, vier dieser Blöcke bilden eine Nachbarschaftseinheit mit Einrichtungen für den täglichen Bedarf, Restaurants, Freiflächen und einer gemeinsamen Zufahrt von der Hauptverkehrsstraße. Die Orientierung fällt nach einer Eingewöhnung leicht, da die Nachbarschaften alle ähnlich angelegt sind.

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Erste Zeichnungen für die Planung der Stadt von Lúcio Costa.

Die große Achse über den zentral am Schnittpunkt der beiden Hauptachsen gelegenen Busbahnhof bis zum Nationalkongress und den weitläufigen Grünflächen in der Mitte der Fahrbahnen. Im Hintergrund der künstlich angelegte See Lago Paranoá.

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Wohngebiet, Supercuadra, mit offenen beschatteten Grünflächen, Großbäumen und Aufenthaltsmöglichkeiten. Die teilweise aufgeständert gebauten Gebäude bieten schattige Räume, gleichzeitig Luftzirkulation und verbinden die Freiräume um die Gebäude miteinander.

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Verbunden werden die Supercuadras untereinander durch die Straßenachse mit ihren großflächigen Grünflächen. So wirkt die Stadt aus der Perspektive einer Nachbarschaftseinheit betrachtet eher kompakt, mit wohnungsnahem Grün und kurzen Wegen zu den Einrichtungen des täglichen Bedarfs. In ihrer Gesamtheit gesehen ist die Stadt jedoch sehr weitläufig und ohne ein Auto kaum zu erleben – zum einen aufgrund der großen Entfernungen, zum anderen wegen der oft fehlenden Fuß- und Radwege. Die großzügigen Grünflächen sind in gutem Zustand, der Rasen ist gemäht und die Hecken sind geschnitten, so dass die Freiflächen den Autofahrerinnen eine angenehme Umgebung bieten und den Charakter einer gepflegten Stadt in der Landschaft vermitteln. Manche der im Stil der Moderne und überwiegend aus Beton errichteten Regierungsbauten und öffentlichen Gebäude machen durch eine auffällige Gestaltung auf sich aufmerksam. Zum Teil sind sie mit Wasseranlagen ausgestattet, was in dieser Region zu einer Erhöhung der Luftfeuchtigkeit und einem angenehmeren, den Aufenthalt im Freien begünstigenden Mikroklima führt. So erstreckt sich vor der Ostseite des in der Mitte der Monumentalachse gelegenen Congresso Nacional, dem Parlamentsgebäude mit der nach unten gewölbten Kuppel für den Senat und der nach oben gewölbten Kuppel für das Abgeordnetenhaus, seit 1991 ein großes Wasserbecken. Die Ministerien reihen sich in gleich großen und identisch aussehenden Blöcken beidseitig der Monumentalachse nach Westen auf, nur das Justiz- und das Außenministerium haben eine eigenständige Architektur und sind zwischen dem Nationalkongress und den Ministerien eingefügt – ein Hinweis auf die herausragende Bedeutung dieser beiden Institutionen für das politische System des Landes. Auch diese beiden Gebäude sind jeweils mit einem Wasserbecken umgeben. In die Arkade des Justizministeriums, dem Palácio da Justiça, ist sogar eine Abfolge von Wasserfällen integriert. Das Außenministerium, der Palácio Itamaraty, an drei Seiten von einem Wasserbecken umgeben, verfügt über einen offenen Gartenbereich als Abgrenzung zum hinteren Straßenraum und einen halboffenen Dachgarten. Beide Gärten wurden von Roberto Burle Marx gestaltet. Als erstem zeitgenössischen Baudenkmal überhaupt wurde dem Verwaltungsbezirk Plano Piloto 1987 in seiner Gesamtheit durch die UNESCO der Status eines Weltkulturerbes zuerkannt. Bewahrt werden sollen die Monumentalität der öffentlichen Bauten, die Wohnqualität, der pittoreske Charakter der Freiflächen und die die Gemeinschaft vieler sozialer Gruppen fördernde Aufenthaltsqualität der Wohngebiete. Seit ihrer Gründung ist Brasília erheblich gewachsen und umfasst heutzutage viele Stadtteile, die zu der Planstadt von Lúcio Costa wenig Bezug aufnehmen und entweder ungeplant entstanden oder als losgelöste Satellitenstädte gebaut wurden. Auch politische Veränderungen wie die Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985, Wirtschaftskrisen und neue städtebauliche Philosophien verhinderten die konsequente Weiterentwicklung im Stil der Moderne. Die ambitionierten Ziele konnten nur zu Beginn umgesetzt werden. Inzwischen werden die Monofunktionalität der Stadtteile, die großen Dimensionen und die Abhängigkeit vom Auto als größte Schwächen der Stadt angesehen. Selbst Lúcio Costa und Oscar Niemeyer sollen sich später kritisch zu der Stadt geäußert und das „Experiment“ in Frage gestellt haben. Brasília liegt auf dem Zentralplateau im mittleren Westen des Landes, 1.000 bis 1.200 Meter oberhalb des Meeresspiegels in der Cerrado genannten Hochlandsteppe. Der Cerrado weist das semihumide Klima der wechselfeuchten Tropen auf, mit einem

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Durch ein sogenanntes Cobogó, hier im unteren rechten Bereich, kann ein Gebäude zugleich luftdurchlässig und sichtgeschützt gestaltet werden.

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Das Parlament, Congresso Nacional: von Süden betrachtet mit der kleineren, konkav gewölbten Kuppel für den Senat und der größeren, konvex gewölbten Kuppel für das Abgeordnetenhaus, dazwischen die beiden 28-geschossigen

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Bürotürme. Jeder Kammer ist ein Turm zugeordnet. Die untere Aufnahme zeigt von Norden betrachtet das Wasserbecken, das seit 1991 die Bürotürme umgibt.

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Das Justizministerium, Palácio da Justiça, mit Arkaden, dem Wasserbecken und Wasserfällen vor der Fassade.

Das Gebäude des Außenministeriums mit seinen großen Arkaden ist von einem Wasserbecken mit Pflanzen umgeben. Die Pflanzbeete befinden sich auf im Wasser angelegten Beetflächen.

Der halboffene Dachgarten des Außenministeriums, ein oft zitiertes Highlight der Gartenplanung von Roberto Burle Marx.

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Die Wasserfälle vor der Fassade des Justizministeriums.

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Der im Haus liegende Garten ist gleichzeitig offener Übergang in den angrenzenden Freiraum.

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ausgeprägten Wechsel zwischen Regen- und Trockenzeit und einem Jahresniederschlag von 1.500 bis 1.700 Millimetern. Er bildet das zweitgrößte Biom Südamerikas, die artenreichste Savanne der Welt. Bekannt sind über 10.000 Pflanzen- und 200 Säugetierarten, ferner eine große Anzahl an Vögeln, Fischen, Reptilien und Amphibien. Die Artenzusammensetzung ist an das zeitweise trockene Klima und die nährstoffarmen Böden angepasst. Auch die über 80 indigenen Völker, die im Cerrado leben, haben sich den Bedingungen angepasst und leben in der Hochlandsteppe seit vielen Generationen auf nachhaltige Weise. Das Ökosystem des Cerrado ist durch die Flächenansprüche vor allem der mechanisierten Landwirtschaft und der Agrarindustrie massiv bedroht. Für den Anbau von Soja, Mais und Baumwolle in Monokultur, die Erschließung neuer Weideflächen und den Anbau von monokulturellen Wäldern für die Produktion von Zellstoff und Holzkohle werden immer weitere Flächen der usprünglich bewaldeten Savannenlandschaft gerodet. Ein weiterer Faktor, der stark zur Zerstörung beiträgt, ist der Bau von Staudämmen. Jährlich gehen etwa 30.000 der ursprünglichen Fläche von fast 2 Millionen Quadratkilometern verloren, heute ist die Primärevegetation nur noch auf etwa 55 Prozent der Fläche des Cerrado vorhanden. Das Klima in Brasília ist tropisch, das Jahresmittel der Temperaturen liegt bei 20,6 °C, die Schwankungen im Laufe des Jahres liegen zwischen 13 °C als Tiefst- und 28 °C als Höchstwert, wobei die Unterschiede zwischen Tag- und Nachttemperaturen größer sein können als die Unterschiede der Tagestemperaturen im Jahresverlauf. Der Jahresniederschlag liegt bei 1.500 Millimetern, die Trockenzeit dauert von Mai bis August, die Regenzeit mit ihren meist kurzen und starken Regenfällen von Oktober bis April. Ein wesentlicher Faktor des Klimas in Brasília ist die oft niedrige relative Luftfeuchtigkeit von unter 30 Prozent. In der Regenzeit beträgt sie im Mittel 70 Prozent, in der Trockenzeit, die bis zu fünf Monate andauern kann, kann sie bei höheren Temperaturen

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Die Landschaft der Caatinga nahe Brasília.

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sehr viel niedriger sein. Nicht zuletzt deshalb wurde mit dem Bau der Stadt auch ein großer See, der Lago Paranoá, angelegt, um die Luftfeuchte für die Stadt zu erhöhen. Er zieht sich von Süden über den Osten bis in den Norden um die Kernstadt und wird von dem gleichnamigen Fluss und dessen Nebenflüssen gespeist. Der See hat eine Oberfläche von 48 Quadratkilometern und es gibt drei Inseln; die mittlere Wassertiefe beträgt 12 Meter, an der tiefsten Stelle sind es 38 Meter.

AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Die Dokumentation „Klimawandel im Bundesdistrikt und die integrierte Entwicklungsregion“, die die Regierung des Bundesstaates Distrito Federal 2016 veröffentlichte, enthält Klimadaten für Brasília von 1960 bis 2010 und stellt Prognosen zusammen für die weitere Entwicklung der Klimaparameter Temperatur und Niederschlag bis zum Jahr 2100. Außerdem werden die Risiken, die der Klimawandel mit sich bringt, grob skizziert. Das Dokument bezieht sich auf Berichte des Weltklimarats der UNO, die für den Zeitraum von 1901 bis 2012 weltweit eine allerdings regional divergierende Erwärmung der Erde feststellen. Auf den Kontinenten haben die Temperaturen mit bis zu 2,5 °C stärker zugenommen als in den Ozeanen, wo die Temperaturen um 0,8 °C zulegten. In Brasilien werden die Temperaturerhöhungen über den besagten Zeitraum in derselben Amplitude wie für die Welt insgesamt angegeben: 2,5 °C in den am stärksten urbanisierten Regionen und deutlich weniger, zwischen 0,6 und 0,8 °C, im dicht bewaldeten Amazonasgebiet. Damit gehört das Amazonasbecken im weltweiten Vergleich zu den Regionen mit den geringsten Erwärmungswerten. Für Brasília wird in den letzten 50 Jahren eine signifikante Zunahme der Tage mit niedriger relativer Luftfeuchtigkeit (30 Prozent oder weniger) festgestellt, und zwar von 24 auf 50 Tage pro Jahr. Die Temperaturamplitude zwischen den täglichen Maximum- und Minimumtemperaturen hat um fast 2 °C abgenommen. Die Veränderungen der Niederschlagswerte waren weniger deutlich ausgeprägt. Brasília erlebt allerdings seit Jahren eine Zunahme von extremen Regenereignissen und Stürmen, die zum Teil stark genug sind, Bäume zu entwurzeln und Schäden an Gebäuden zu verursachen. Gleichzeitig kam es in den Jahren 2014 und 2015 zu einer extremen Trockenheit mit hohen Temperaturen und einer extrem geringen relativen Luftfeuchtigkeit, die im Extrem auf 10 Prozent sank. Bei diesen Werten war nicht nur die bioklimatische Belastung hoch, sondern es kam in der Savanne des Cerrado auch zu einer Häufung von Bränden. Im Jahr 2016 ereigneten sich mehr als 17.000 Brände, die höchste Zahl der letzten fünf Jahre, bei denen über 17.000 Hektar Savanne und landwirtschaftlich genutzte Flächen verbrannten. Im Juni 2016 wurde im Bundesdistrikt für die Landwirtschaft der Notstand erklärt. Allein die Maisernte fiel Schätzungen zufolge um 70 Prozent geringer aus als erwartet. Im November 2016 musste als Folge der Dürre in Brasília das Wasser rationiert werden. Im Jahr 2009 hatte die brasilianische Regierung im Rahmen des Nationalen Plans zum Klimawandel ein Gremium für den Klimawandel (PBMC) gegründet, dem 360 Wissenschaftler angehören. Ihre Aufgabe ist zu untersuchen, wie Brasilien auf die globale Erwärmung und ihre Folgen vorausschauend und verantwortungsvoll reagieren kann. 2015 hat das PBMC einen Ersten Nationalen Bericht zum Klimawandel (Primeiro Relatório de Avaliação Nacional sobre Mudanças Climáticas – RAN1) verfasst, auf den sich auch die oben erwähnte Dokumentation zum Klimawandel im Bundesdistrikt stützt. Im RAN1 sind für die sechs brasilianischen Regionen Amazonien, Atlantik,

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Pantanal, Caatinga, Cerrado und Pampas für dieses Jahrhundert die durchschnittlichen Temperatur- und Niederschlagsentwicklungen für Perioden von jeweils 30 Jahren berechnet. Diese Vorhersagen basieren auf Modellrechnungen und beziehen sich auf Unterschiede gegenüber der Messperiode von 1961 bis 1990 bei weiterer Zunahme des CO2-Gehaltes in der Luft. Die Ergebnisse für den Nordosten Brasiliens deuten auf einen Temperaturanstieg und eine signifikante Reduzierung der Niederschläge hin. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts werden für diese Region Erwärmungen von 2 bis 6 °C prognostiziert, hauptsächlich während des Frühlings. Für die Region um Brasília werden für das verbleibende 21. Jahrhundert Abnahmen der Niederschlagsmengen vorhergesagt, vor allem in der Regenzeit, da in der Trockenzeit bereits wenig Regen fällt, wobei die Höhe der Reduzierung noch vage scheint. Die Tendenz weist auf längere Trockenzeiten hin, bei gleichzeitiger Zunahme von Niederschlagsmengen, die in Form von Starkregenereignissen niedergehen. Für den Cerrado wird bis zum Jahr 2040 ein Anstieg der Temperatur um 1 °C und eine Abnahme der Niederschlagsmenge zwischen 10 und 20 Prozent erwartet, in den Jahren bis 2070 wird der Temperaturanstieg 3 bis 3,5 °C betragen und der Niederschlag um 20 bis 35 Prozent abnehmen. Zum Ende des Jahrhunderts erreicht der Temperaturanstieg Werte zwischen 5 und 5,5 °C, die Niederschläge nehmen zwischen 35 und 45 Prozent ab. Gemessen am Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015, das eine Temperaturerhöhung von maximal 2 °C erlaubt, ist diese Prognose der Erwärmung bei gleichzeitiger Reduktion des Wasserangebotes ein dramatisches Szenario. Als zu erwartende Folgen des Temperaturanstiegs im Cerrado wird eine Abnahme der Photosyntheseleistungen der Pflanzen genannt, was wiederum eine Abnahme der Biomasse mit sich bringt. In der Zukunft muss mit einer drastischen Abnahme der Wasserverfügbarkeit gerechnet werden. Die Modellrechnungen deuten auf eine Zunahme extremer und langanhaltender Dürren hin, so dass sich die Anfälligkeit für Brände noch vergrößert. In der Trockenzeit wird der Cerrado aufgrund des Wassermangels zu einer zusätzlichen Kohlenstoffquelle für die Atmosphäre. Der Bericht über die Klimaänderungen richtet sich an Entscheidungsträgerinnen und stellt die wichtige Frage, wie die Millionenstadt Brasília eine klimaresiliente Stadt werden und angesichts ihrer Lage in einem sensiblen Naturraum die von ihr ausgehenden Belastungen begrenzen kann. Schon im Vorwort des Dokuments zum Klimawandel benennt André Lima, Minister für Umwelt und Präsident des Umweltrates, dass nichtklimatische Faktoren zum Ausmaß der Auswirkungen beitragen. Der Wassermangel ist in dem übermäßigen Verbrauch sowie in den Schwächen des Wassergewinnungs- und -verteilsystems begründet. Deshalb fordert der Minister den bewussten Umgang mit dem Wasser im regionalen Kontext. Im Cerrado wirken sich zunehmende Bodennutzung und Versiegelung auf die Wasseraufnahme der Böden aus. Er appelliert entsprechend, dass Wasser zum Schutz der Quellgebiete und für die Grundwasseranreicherung gespart werden soll. Außerdem müssen neue Methoden zur Wassereinsparung und -gewinnung genutzt werden. Ausdrücklich ermahnt er, die Ökosysteminfrastruktur zu bewahren und wiederherzustellen, und stellt die Frage, wie viel grüne Infrastruktur benötigt werden wird, um die negativen Folgen des Klimawandels zu mindern.

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Da die Vorhersagen auf Modellrechnungen mit einer Rasterweite von 20 x 20 Kilometern beruhen, werden in dem Dokument für die Bewertung der Ergebnisse eine Skalierung auf regionale Maßstäbe sowie eine Überprüfung der Ergebnisse gefordert. Damit erhielten die Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung eine genauere Grundlage für ihr Handeln. Die Umsetzung der Schlussfolgerungen aus den Messungen und Prognosen mittels Gesetzen und Verordnungen, um eine Veränderung der Landnutzung herbeizuführen und die Folgen des Klimawandels zu reduzieren, ist eine bedeutende Zukunftsaufgabe.

ECOVILA ALDEIA DO ALTIPLANO Jede Stadt braucht eine funktionierende Infrastruktur für die Versorgung ihrer Bewohnerinnen mit Lebensmitteln. Im besten Fall kommen diese aus der nahen Umgebung und erreichen die Konsumenten bald nach der Ernte oder Verarbeitung dank kurzer Transportwege, die vergleichsweise geringe Emissionen mit sich bringen. Eine vorbildhafte Initiative ist das von Fabiana Peneireiro 2015 gegründete Ökodorf Aldeia nahe Brasília, bis zum Nationalkongress sind es nur 20 Kilometer. Der solidarisch geführte Betrieb arbeitet in Form einer Agroforstwirtschaft. Peneireiros Ziel ist, gesunde Lebensmittel in Einklang mit dem Erhalt und der Entwicklung der Landschaft anzubauen. Aufgrund der Nähe zur Stadt ist der Kontakt zu den Verbraucherinnen sehr eng. Dies sind überwiegend Menschen, die wissen möchten, wo und wie ihre Lebensmittel produziert werden, und die sich für diese behutsame, aber auch anstrengende Art der Landwirtschaft entschieden haben. Die Agroforstwirtschaft verbindet den Anbau von Gehölzen, das heißt Bäume, Sträucher, Stauden, mit Ackerkulturen aus krautigen Gemüse- oder Futterpflanzen. Das sogenannte neue Waldgesetz von 2012, das zwar grundsätzlich den Schutz der Wälder des Landes vor wirtschaflichen Interessen stärkt, aber in vielen Detailbestimmungen umstritten ist, erlaubt Agroforstwirtschaft als Mittel zur Wiederherstellung von Ökosystemen, solange diese die grundlegenden ökologischen Funktionen des Gebietes erhält oder verbessert. Im Ergebnis müssen Eingriffe den Menschen und anderen Lebewesen zugutekommen. Damit wurde der Agroforstwirtschaft gesetzlich Anerkennung gezollt und eine Rolle für die Lebensmittelproduktion zugesprochen. Fabiana Peneireiro hat mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen verfasst, darunter eine technische Anleitung, wie sich die Erhaltung der Ökosysteme mit der Produktion von Nahrungsmitteln in den Gebieten des Cerrado und der Caatinga, der semiariden Landschaft im Nordosten Brasiliens, vereinbaren lässt. Diese Anleitung ist Teil des neuen brasilianischen Forstgesetzbuches und wird von landwirtschaftlichen Bildungseinrichtungen in ganz Brasilien genutzt. Vor Ort in Aldeia widmet sich Peneireiro nicht nur der nachhaltigen Herstellung landwirtschaftlicher Produkte, sondern sie verbringt einen Teil ihrer Arbeitszeit auch damit, ihr Konzept einer solidarischen und nachhaltigen Agroforstwirtschaft Gästen, Berufskollegen und anderen Interessierten detailliert und anschaulich zu erläutern. Ihr Ziel ist, auf der Basis des Wissens über Pflanzensukzessionen und die Merkmale der lokalen Ökosysteme ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaft und Ökologie herzustellen. Die ständige Variation der essbaren Nutzpflanzen, die für das Ökosystem relevant sind, erweitert nicht nur die Ressourcen für das weitere Pflanzenwachstum, sondern kann auch genutzt werden, um eine Pflanzengemeinschaft nach einer Störung wiederherzustellen. In der Agroforstwirtschaft wird bestimmten Arten die Möglichkeit gegeben, sich über einen

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Die natürliche Umgebung der Ecovila Aldeia do Altiplano.

Der Wasser- und Nährstoffkreislauf – die Mischkultur und die zeitliche Planung des Anbaus verringern ökonomische Risiken der Abhängigkeit von einer Saison und von Schädlingen und Krankheiten.

Eine abgestimmte Planung der Baumpflanzung optimiert die Ressourcen Wasser, Sonnenlicht und Nährstoffe.

Für das Cerrado angepasster intensiver Anbau und die Entwicklung der Pflanzen in der Agroforstwirtschaft.

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Fabiana Peneireiro zeigt die Früchte ihrer Arbeit.

Die Produkte für die Kundinnen liegen je nach Saison und Ertrag samstags zur Abholung bereit.

Von Fabiana Peneireiro neu angelegte Mischkulturen der Agroforstwirtschaft.

Das Regenwasser wird gesammelt.

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längeren Zeitraum zu entwickeln, während andere nach Erreichen ihrer kürzeren Lebenszeit absterben und Humus für die nachfolgenden Arten bilden, zumindest mit ihrem im Boden verbleibenden Wurzelwerk. Diese unterschiedlichen Lebenszyklen entsprechen der natürlichen Dynamik des Lebensraums und den Ansprüchen an Licht, Feuchtigkeit, Temperatur, Nährstoffen und anderen Wachstumsfaktoren. Die  Tatsache, dass Pflanzen eine unterschiedliche Höhe erreichen, wird dazu genutzt, im Zuge einer gemischten Pflanzung jeder Spezies ein Optimum an Sonnenlicht zukommen zu lassen: Manche brauchen sehr viel davon und wachsen entsprechend höher, andere gedeihen besser im Schatten. Die Kombination unterschiedlicher Pflanzen optimiert die Nutzung des Raums ebenso wie die der Ressourcen Wasser, Licht, Nährstoffe, Bodenlebewesen und -organismen. Die Agroforstwirtschaft ist zwar arbeitsintensiv, aber gleichzeitig sehr produktiv – und sie steht im Einklang mit dem Naturraum. Ein wichtiger Teil der sozialen und wirtschaftlichen Dimension der solidarischen Landwirtschaft ist die Bindung der Verbraucherinnen. Diese verpflichten sich über einen bestimmten Zeitraum zur Abnahme der Produkte und bezahlen einen festen, vorab kalkulierten Preis. Jeden Samstag holen sie sich ihre frisch geernteten Lebensmittel ab, kennen dadurch die Gemeinschaft und den Ort der Produktion und haben die Möglichkeit, selbst mitzuarbeiten, zu pflanzen und zu ernten. Verteilt werden je nach Saison zum Beispiel Bananen, Papayas, Zitronen, Kürbis, Maniok, Salat, Rucola, Grünkohl, Mandeln, grüne Bohnen, Tomaten und Koriander. So trägt der Erzeuger nicht allein alle Risiken, die Verbraucherinnen bekommen regelmäßig gesunde frische Produkte aus der Umgebung und die Region wird nachhaltig bewirtschaftet und entwickelt. Damit das System zum Nutzen aller über einen langen Zeitraum gelingt, müssen die Preise für die Lebensmittel fair sein. Die Beteiligten sind nicht in erster Linie daran interessiert, weniger Geld für ihre Lebensmittel zu bezahlen oder mehr zu verdienen. Sie sind daran interessiert, sich gegenseitig zu helfen, Probleme gemeinsam zu lösen, ihr Wissen zu teilen und Dinge zu ermöglichen, die für die Gemeinschaft und die Landschaft nützlich sind.

DIE UNIVERSITÄT VON BRASÍLIA Bereits zwei Jahre nach Gründung der Stadt wurde auch die Universität des Bundesdistriktes eröffnet. Gründungsdirektor war der Ethnologe und Schriftsteller Darcy Ribeiro, nach dem das Hauptgebäude heute benannt ist. Ribeiro, der 1997 verstarb, gilt als einer der bedeutendsten Gelehrten Brasiliens des 20. Jahrhunderts. Das Hauptgebäude der Universität, das sogenannte Zentralinstitut der Wissenschaften (ICC), wurde wie die meisten bedeutenden Gebäude der Kernstadt ebenfalls von Oscar Niemeyer entworfen. Die lange Bauzeit von 1963 bis 1971 hat mit den Dimensionen des Baus zu tun. Es ist mit fast 700 Metern ein ungewöhnlich langes Gebäude, das aus zwei parallelen Baukörpern besteht, deren äußere Bereiche gerade verlaufen, während die mittleren Zonen ähnlich der Hauptachse des Stadtplans leicht gebogen sind. Das Logo der Universität spiegelt die Form des Gebäudes wider.

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Die Baukörper bestehen aus einer zur Bauzeit innovativen Konstruktion aus vor Ort angefertigten Betonfertigteilen. Pfeiler aus Sichtbeton im Abstand von 3 Metern ragen bis zu 30 Meter über den Innenbereich als Verbindung der Gebäudeteile. In der Mitte der Baukörper liegt die innere Erschließung für Fußgänger ebenerdig neben einem langgestreckten Gartenraum, die Zufahrten für PKWs und Anlieferungen befinden

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sich im Untergeschoss. Die Gartenanlagen wurden von den Gartenarchitekten Miguel Alves Pereira, Nelson Saraiva dos Santos und Paulo de Melo Zimbres geplant. Sie sind durch die Gebäude vor trockenen Winden geschützt und erhöhen durch die Verdunstungsleistung der Pflanzen die Luftfeuchtigkeit in der Umgebung. Das gemäß Niemeyers Interpretation der Moderne erbaute Gebäude ist nicht nur architektonisch ein Kind seiner Zeit, sondern spiegelt auch die politisch-pädagogische Haltung der 1960er Jahre wider. Der Anthropologe Darcy Ribeiro und der Pädagoge Anísio Teixereira hatten eine Bildung im Sinn, die frei, staatlich organisiert, laizistisch und auf die Bedürfnisse eines sich zu einer modernen Industrienation entwickelnden Landes zugeschnitten sein sollte. Die Universität, sowohl das Gebäude als auch die Institution, sollte so flexibel strukturiert sein, dass sie Raum für neue Perspektiven öffnen würde. Ein wichtiger Punkt war ferner die Finanzautonomie, mit der die Universität sich frei und unabhängig entwickeln können sollte. Die Magna Charta der Universität, das Gründungsdokument aus dem Jahr 1962, ist noch heute gültig. Das Hauptgebäude integriert mehrere Fakultäten, praktisch befand sich zu Beginn fast die gesamte Universität in diesem einen Gebäude. Über die Jahrzehnte ist die Universität allerdings erheblich gewachsen und es sind viele weitere Gebäude auf dem großzügigen Gelände dazugekommen. Ein weiterer Bau, der durch seine interessante Architektur auffällt, ist das Rektoratsgebäude. Es besteht auch aus zwei quaderförmigen Gebäudeteilen, deren Zwischenraum mit einem offenen Betonraster überdacht und mit Rampen erschlossen ist. Außerdem ist dieser offene Hof mit vielfältiger Vegetation und einem Wasserbecken ausgestattet. Auch vor den beiden Gebäuderiegeln sind Wasserbecken angelegt,

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Das Modell der Universität von Brasília. Das Hauptgebäude ist aufgrund seiner Größe und langgestreckten Form besonders markant.

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Der Verbindungsfußweg zwischen den beiden Teilen des Hauptgebäudes ist beschattet und begrünt.

Der Zwischenraum zwischen den beiden langgestreckten Teilen des Hauptgebäudes ist eine breite Grünfläche auf voller Länge.

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die so zur Hauptwindrichtung platziert sind, dass sich die Luft bei Wind mit Wasser anreichern kann und auf diese Weise neben der Vegetation eine weitere Quelle für Verdunstungskühle entsteht. Anfang 2019 waren die Wasserbecken jedoch nicht gefüllt und am Gebäude waren sichtbar einige Klimaanlagen installiert worden; offenbar scheint die natürliche und durch die luftige Architektur unterstützte Kühlung nicht mehr ausreichend zu sein. Ob der Grund dafür in den wegen des Klimawandels angestiegenen Tageshöchsttemperaturen lag, die Becken defekt waren oder die Ansprüche an das Wohlfühlklima höher geworden sind, konnte nicht ermittelt werden. Dass aber die Becken schon in der Regenzeit trocken waren, lässt nicht darauf hoffen, dass ihre Klimawirkung während der Trockenzeit genutzt oder für ausreichend befunden wird. Während der Trockenzeit ist in der gesamten Stadt, auch auf dem Campus, das Gras trocken und die Bäume haben kein Laub, verdunsten also nicht. Damit ist eine natürliche Erhöhung der Luftfeuchtigkeit und Kühlung durch die Transpiration der Pflanzen während der trockenen Monate nicht gegeben. Die Universität gilt als eine der besten Brasiliens, sie hat heute 43.000 Studierende, davon 1.000 im Fach Architektur, und sie unterhält Partnerschaften mit Universitäten in der ganzen Welt. Besonders interessant für das Thema der Anpassung an den Klima­wandel ist das Umweltinstitut Laboratório de Controle Ambiental (LACAM). Unter der Leitung von Professorin Cláudia Naves David Amorim und als Teil der Fakultät für Architektur und Stadtentwicklung laufen hier Forschungsarbeiten zu nachhaltiger Architektur, zum Bioklima der Architektur, zu natürlicher und künstlicher Beleuchtung, dem Wärmeverhalten, der Akustik und der Energieeffizienz von Gebäuden sowie dem sparsamen Verbrauch von Wasser in Gebäuden. LACAM ist Teil eines brasilianischen Netzwerks für die Zertifizierung der Energieeffizienz von Gebäuden, die in Brasilien für öffentliche Gebäude vorgeschrieben ist.

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Das Rektoratsgebäude benötigt neuerdings Klimaanlagen.

Vor dem aufgeständerten Rektoratsgebäude wurden ursprünglich Wasserbecken angelegt, damit der darüber und in den Innenhof wehende Wind Feuchtigkeit und Kühle in das Gebäude bringt. Leider sind sie inzwischen trocken und erfüllen diese Aufgabe nicht mehr.

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Der Innenhof des Rektoratsgebäudes ist teils geöffnet, teils überdacht und beschattet. Auch die Öffnung der Räume und die Vegetation im Innenhof sind sehr sinnvoll aufeinander abgestimmt. Pflanzen können sich gut entwickeln. Doch ohne Wasser im Becken sind die geplante Verdunstung und die damit verbundene Abkühlung nicht mehr gegeben.

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Die vollständig neu geplante Stadt Brasília ist in ihrem Kernbereich nach den Regeln des Städtebaus der klassichen Moderne gebaut worden, mit denen die Vorstellung der Herstellung eines dauerhaften Idealzustandes verbunden war. Der Weg zu einem Idealzustand beruht immer auch auf negativen Erfahrungen, die für die Zukunft vermieden werden sollen, wie mangelhafte Lebens- und Wohnqualität, ungünstige Distanzen zwischen Arbeits- und Wohnorten etc. Insofern ist Brasília ein interessantes Beispiel für die kompromisslose Umsetzung der damaligen zeitgenössischen Ideen. Im Ergebnis sind als Teil einer umfassenden Stadtplanung großzügige Gebäude entstanden, die von weitläufigen Grünflächen umgeben sind. Den modernen institutionellen Gebäuden wurde eine Offenheit verliehen, die es möglich machte, sie weitgehend ohne künstliche Klimaanlagen zu kühlen. Zusätzlich wird an geeigneten Stellen die oft sehr geringe Luftfeuchtigkeit mit Hilfe der Verdunstung von Vegetation und Wasserflächen erhöht. Auch die Wohngebäude, die Supercuadras, schaffen durch ihre aufgeständerte Bauweise beschattete Aufenthaltsräume im Freien. Wenn aber die Pflege der Pflanzen und Wasserbecken  – die erforderlich ist, damit deren positive Auswirkungen das Klima regulieren können – vernachlässigt wird und stattdessen Klimaanlagen zum Einsatz kommen, wird eine Negativspirale in Gang gesetzt. Der Energieverbrauch steigt, dadurch werden indirekt die Auswirkungen des Klimawandels verstärkt, die Temperaturen werden tendenziell höher, der Energiebedarf für die Kühlung mit Klimaanlagen wird wiederum größer. Heute ist es wahrscheinlich wichtiger denn je, energieschonende Möglichkeiten zu nutzen, um für die Menschen geeignete Temperaturen innerhalb von Gebäuden und in Außenräumen zu erhalten. Der Klimawandel ist eine deutliche Herausforderung für Brasília. Reaktionen auf die vorliegenden Untersuchungen und Prognosen sind im Stadtbild als Ganzes noch nicht erkennbar, auch wenn der Umweltminister richtigerweise die Notwendigkeit eines Ausbaus der grünen Infrastruktur und Maßnahmen zur Senkung des Wasserverbrauchs betont. Zum Klima der Region gehören stark ausgeprägte Trockenzeiten und Brasília gerät zunehmend in eine Lage, in der Wasser zur knappen Ressource wird, während der Bedarf ständig steigt, denn die Stadt ist inzwischen sehr viel größer, als sie einst geplant war, und wächst weiter. Weitere wichtige Punkte angesichts der zu erwartenden Klimaveränderungen werden in Brasília das Regenwassermanagement und neue Verkehrskonzepte zur Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs sein, da die Menschen aktuell mangels Alternativen noch stark auf ihr Auto angewiesen sind.

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Montevideo, Hauptstadt der Republik östlich des Flusses Uruguay, wie das Land offiziell heißt, liegt im Süden des zweitkleinsten Landes Südamerikas. Die Stadt erstreckt sich über 30 Kilometer entlang des Río de la Plata und ihre 1,4 Millionen Menschen machen etwa 40 Prozent der Einwohnerzahl des gesamten Landes aus. Der Name Uruguay kommt aus dem Wortschatz der Guaraní, einem der indigenen Völker Südamerikas, und bedeutet „Fluss, an dem der Vogel wohnt“ oder „Fluss der angemalten Vögel“. Das wasserreiche Land ist stark von den Flüssen, die es durchziehen, geprägt. Sie sorgen im Landesinneren für eine grüne und sehr fruchtbare Landschaft. Der größte Fluss ist der Río Uruguay, der im Westen die Landesgrenze zu Argentinien bildet und zusammen mit dem Paraná den Río de la Plata speist, ein 290 Kilometer langes und bis zu 220 Kilometer breites Mündungsdelta zum Atlantik hin. Auf Höhe von Montevideo ist das Delta bereits so breit, dass das gegenüberliegende Ufer nicht mehr sichtbar ist und sich das Delta vom offenen Meer nicht unterscheiden lässt. Montevideo wurde in den 1720er Jahren gegründet. Ab 1861 wurde die eng bebaute und von einer Stadtmauer geschützte Altstadt nach und nach erweitert. Diese Quartiere jüngeren Datums sind großzügiger angelegt und entlang der Straßen finden sich überwiegend auf beiden Seiten Straßenbäume, die in der Regel von beträchtlicher Höhe sind und Schatten spenden. Kulturell ist Montevideo für seinen besonders lang andauernden Karneval bekannt und konkurriert mit Buenos Aires um den Ursprung des Tangos.

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Die Promenade entlang des Río de la Plata ist 18 km lang und in weiten Bereichen ohne Bäume. Insbesondere an Sommerabenden lädt sie zum Spazierengehen ein.

Von einem erhöhten Standpunkt aus gesehen, wachsen die Bäume, die den Straßenraum kühlen, über viele Häuser hinaus.

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Die großen Kassiabäume spenden ausreichend Schatten für den Straßenraum.

Die hochgewachsenen Platanen bieten dem Straßenraum angenehmen Schatten.

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Seit den 1950er Jahren hat das Land den Beinamen „Schweiz Südamerikas“. Uruguay gilt als das sicherste, politisch und sozial stabilste Land Südamerikas, der Bildungsstand ist hoch, der Wohlstand dank eines breiten Mittelstandes relativ gleichmäßig verteilt. Die Demokratie, in der Volksentscheide eine wichtige Rolle spielen, ist über 100 Jahre alt und Frauen wählen hier im Unterschied zur Schweiz bereits seit 1937. Die Landwirtschaft ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Über 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche werden für die Rinderhaltung genutzt. Dem Sprichwort nach gibt es hier viermal mehr Rinder als Einwohner. Die überwiegende Zahl der Rinder wird für die Fleischproduktion gehalten, der geringere Teil für die Milcherzeugung. Das Fleisch dient der Eigenversorgung der Bevölkerung und es wird exportiert, vor allem nach China und Europa. Der landwirtschaftliche Pflanzenbau ist vielfältig. Getreide wie Soja, Reis, Sesam, Mais werden sowohl als Nahrungsmittel als auch als Tierfutter angebaut. Weitere Nutzpflanzen sind Tee, Tabak, Baumwolle, Wein, Obst und Gemüse. Erstaunlicherweise wird in Uruguay keine Stechpalme (Ilex paraguariensis) angebaut, aus dessen Blättern der Mate-Tee zubereitet wird, denn in Montevideo sind viele Bewohnerinnen mit diesem Getränk in der Hand draußen unterwegs zu beobachten. Nicht nur die vielen grünen Weiden des Landes machen deutlich, dass die Bedingungen für die Landwirtschaft aufgrund der hohen Niederschlagsmengen und warmen Temperaturen günstig sind. Im Winter gibt es kaum Bodenfrost. Auch die typischen Passatwinde wirken sich ganzjährig günstig aus. Im Sommer bringen sie Feuchtigkeit von der Meerseite, im Winter kommen die Winde aus dem Landesinneren und bringen kühle und trockenere Luft ins Land. Montevideo liegt wie das ganze Land in der feucht-subtropischen Klimazone mit warmen Temperaturen und regelmäßigem Niederschlag. Die Tagestemperatur beträgt im Jahresmittel 21,5 °C, im Sommer, von November bis April, werden maximale Temperaturen von 28,5 °C erreicht, über vier Monate bleiben die Tageshöchsttemperaturen über 25 °C. Die durchschnittliche Tiefsttemperatur beträgt 12,2 °C. Im Durchschnitt hat Montevideo 7,7 Sonnenstunden täglich, im Sommerhalbjahr etwas mehr. Die relative Luftfeuchtigkeit liegt im Jahresmittel bei 73,8 Prozent, nur im Sommer kann sie etwas höher ausfallen, sie steigt aber nicht über 82 Prozent. Die Schwelle zur Schwüle liegt bei einer Temperatur von 25 °C und einer relativen Luftfeuchte von 75 Prozent. Im Winter ist die Luft nicht zu trocken, der Grenzwert für die Behaglichkeit wird mit 35 Prozent bei 25  °C angegeben und selten erreicht. Regen fällt ganzjährig an durchschnittlich 5,9 Tagen pro Monat, im Sommer etwas mehr als im Winter, jedoch ohne ausgeprägte Regen- und Trockenzeiten. Wie für seine Klimazone typisch wird Uruguay besonders im Frühjahr und Herbst häufiger von heftigen Stürmen heimgesucht. Charakteristisch für die feucht-subtropische Klimazone sind halb-immergrüne Feuchtwälder, Lorbeerwälder oder Sumpf- und Hochgrasebenen. Besonders in den Feuchtwäldern wachsen die Bäume sehr dicht und können bis zu 50 Meter hoch werden. Ähnlich wie die Regenwälder bilden sie mehrere Etagen aus, haben aber bei weitem nicht die gleiche Artenvielfalt. Einige Tiere kommen nur hier vor, wie die Flamingos und bestimmte Alligatoren.

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Die Parkanlagen, wie hier der Parque Rodó, bieten vielfältige Grün- und Wasseranlagen zum Verweilen in der Sonne und im Schatten.

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Auch auf der innerstädtischen Plaza de la Constitución bieten Platanen willkommenen Schatten an warmen Sommertagen.

In der Altstadt wachsen aufgrund der engen Bebauung nur wenige Straßenbäume. Ein Teil des Straßenraums wurde mit Parklets umgestaltet, die Aufenthaltsmöglichkeiten bieten. Ihre Sitzbänke sind vor dem Autoverkehr geschützt. Pflanzen in den Pflanzgefäßen zwischen den

Rückenlehnen der Bänke unterteilen die einzelnen Abschnitte.

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AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS Obwohl das Land nur zu 0,15 Prozent am globalen Ausstoß von Treibhausgasen beteiligt ist, ist es genauso vom Klimawandel betroffen wie andere Länder, die selbst viel mehr zu den Ursachen beitragen. Der Beitrag des Landes zum Pariser Klimaabkommen zur Reduzierung der Emissionen der Treibhausgase CO2, CH4 und N2O wurde im Jahr 2017 beschlossen. In Uruguay leben mehr als 93 Prozent der Bevölkerung in Städten und 70 Prozent in Küstengebieten. Da in Stadtgebieten das Risiko für extreme Klimaereignisse häufiger und intensiver ist als auf dem Land, sind beim Eintreten solcher Ereignisse fast alle Einwohner des Landes betroffen, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Im  Nationalen Plan zur Anpassung an den Klimawandel von Städten und Infrastrukturen des Umweltministeriums von 2021 werden als Auswirkungen aufgrund von Klimaveränderungen Dürren, Überschwemmungen, Hitzewellen, Hagel, Tornadostürme, Sturmfluten und der Anstieg des Meeresspiegels benannt. Bereits in der Gegenwart ist zu beobachten, dass Überschwemmungen immer intensiver und die Umfänge der Schäden, die sie an Häusern und Straßen verursachen, größer werden. Im Jahr 2015 etwa mussten 20.000 Menschen aufgrund von Überschwemmungen ihre Wohnungen vorübergehend verlassen. Weitere Folgewirkungen des Klimawandels, mit denen gerechnet wird, sind das Auftreten neuer Vektoren, zum Beispiel bestimmter Mückenarten, die Infektionskrankheiten übertragen, und die Schrumpfung der biologischen Vielfalt.

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Die Küstenlinie sowie die Erdgeschosszone der wassernahen Gebäude sind hochwassergefährdet.

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Uruguay ist bisher von einem Anstieg des Meeresspiegels um fast 20 Zentimeter betroffen. Seit dem Jahr 2000 gab es je nach Einschätzung drei bis vier schwere Sturmfluten mit einem Wasserstand von 3  Metern und mehr über Normal. Längerfristige Prognosen sagen die Möglichkeit eines Anstiegs des Meeresspiegels von einem Meter und von Sturmfluten mit bis zu 4  Meter hohen Wellen voraus. Sollten diese Prognosen eintreten, wären in Montevideo massive Überschwemmungen der Ufer und Promenaden einschließlich der angrenzenden Stadtgebiete die Folge. Prognostiziert wird auch ein Anstieg der jährlichen Niederschlagsmengen und vor allem der Starkregenereignisse. Die Einrichtung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe zum Klimawandel im Jahr 2010 ist Ausdruck der Bemühungen seitens der Regierung, Anpassungen für die zu erwartenden negativen Folgen des Klimawandels für das Land und insbesondere für die Region Montevideo in die Wege zu leiten. Der erste Klimaschutzplan der Stadtverwaltung, Montevideo gegen den Klimawandel, aus dem Jahr 2014 versteht sich als Reaktion auf beobachtete Veränderungen im Zeitraum von 2010 bis 2014 und geht vor allem auf die Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen ein. In dem Klimaschutzplan wird festgestellt, dass das Gebiet des Landes, das den größten Anteil an den CO2-Emissionen hat, auch die größte Konzentration an informellen Siedlungen aufweist. Diese sind potenziell von negativen Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffen, denn sie verfügen gesellschaftlich und wirtschaftlich über geringere Ressourcen, bis hin zu Ernährung und Erholungsmöglichkeiten. Sie können Beeinträchtigungen, Schäden und Zerstörungen weniger gut aus eigener Kraft beheben. Außerdem umfasst diese Zone eine lange Küstenlinie, die naturgemäß durch Stürme und den Anstieg des Meeresspiegels unmittelbar bedroht ist. Bereits 2012 war auf subnationaler Ebene ein Klimaaktionsplan für die Metropolregion Montevideo mit den benachbarten Orten Canelones und San José beschlossen worden. Dieser Plan entstand im Kooperation mit dem Entwicklungs- und Umweltprogramm der Vereinten Nationen, der Schwerpunkt liegt auf der Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Der Klimaaktionsplan betont besonders die Bedeutung der Beteiligung lokaler Akteurinnen und Anwohner, die, da sie die klimatischen Bedingungen ihrer Wohnumgebungen am besten kennen, aufgefordert sind, sich an den Maßnahmen zu beteiligen. Dieser Ansatz versteht den Klimawandel als ein komplexes Problem der nachhaltigen Entwicklung, nicht als ein reines Umweltproblem. Ziel ist das Ergreifen und Koordinieren von Maßnahmen auf ökologischer, ökonomischer und sozialer Ebene. Dabei sollen sowohl positive als auch negative Synergien im Hinblick auf Ziele der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Eine im Mai 2014 gegründete Arbeitsgemeinschaft zur Umsetzung von Maßnahmen in Anlehnung an die Beschlüsse des Klimaaktionsplans verfolgt den partizipativen Planungsprozess. Bisher wurden über 30 Workshops mit mehr als 700 Beteiligten organisiert, deren Spektrum von wichtigen lokalen Akteurinnen wie Bürgerorganisationen über Experten zu Verwaltungsmanagerinnen reicht. Auf den Ergebnissen der Workshops aufbauend, wurden anschließend Klimaprofile als Verbindung der Treibhausgasemissionen mit den Ergebnissen der Partizipationsverfahren erarbeitet. Diese wurden um Berechnungen aus Klimamodellen und -szenarien ergänzt. Im nächsten Schritt wurden Möglichkeiten zur Reduzierung von Emissionen sowie Anpassungsmaßnahmen identifiziert, diskutiert und nach ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis priorisiert. Zum Schluss wurden alle Studien, Analysen und Abwägungen in einen Plan

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Auswirkungen des Klimawandels

mit Strategien für die Region übersetzt und Projekte mit Arbeitsaufträgen für die verschiedenen Beteiligten definiert. Im September 2018 veröffentlichte die Stadtverwaltung von Montevideo eine Resilienzstrategie. Diese benennt als Grundlage vier Säulen, von denen die erste die Stadtentwicklung und den Verkehr, die zweite die gleichrangige Teilhabe und Diversität der Bevölkerung, die dritte eine soziale und solidarische Wirtschaft und die vierte schließlich das Umweltmanagement betrifft. Die letzte Säule betreffend werden die Vermeidung von Umweltschädigungen durch Müll mittels neuer Technologien, die Aufwertung des ländlichen Raums, die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements für den Umweltschutz sowie die Vermeidung von Risiken durch Stärkung der Resilienz aufgeführt. Für Montevideo bietet sich der öffentliche Raum für die Entwicklung der sozialen und ökologischen Resilienz gegenüber dem Klimawandel an. Es  soll ein Leitfaden entwickelt werden, der neben der Nutzung und dem Management öffentlicher Freiräume auch die Verwendung von Pflanzen, den Erhalt der Biodiversität, die grüne Infrastruktur und wasserdurchlässige Bodenbeläge berücksichtigt. Auf der Grundlage von Erfahrungen mit Pilotprojekten soll ein nachhaltiges Regenwassermanagement entwickelt werden. Dazu gehören Regengärten, die Sanierung von Wasserläufen, die Erneuerung von Grünflächen, durchlässige Pflasterbeläge, Gründächer, grüne Stadtplätze sowie Auen- und Retentionsräume, wobei zunächst eine Auswahl an Maßnahmen in den am stärksten von Überflutungen gefährdeten Stadtgebieten umgesetzt werden soll. Ferner wird Montevideo  – zunächst beobachtendes – Mitglied im Netzwerk Essbare Städte (Edible Cities Solutions Network), um Anstöße für die Nutzung städtischer Freiräume für die Lebensmittelproduktion zu bekommen. Ebenfalls im Jahr 2018 wurde die dreijährige Arbeit an dem bereits erwähnten Nationalen Plan zur Anpassung an den Klimawandel für Städte und Infrastrukturen begonnen, der 2021 fertiggestellt wurde. Seine Hauptziele für die ersten drei Jahre nach Verabschiedung sind der Aufbau von Kapazitäten zur Erhöhung der Resilienz der Städte und Infrastruktureinrichtungen sowie konkrete Entwicklungsstrategien für Städte und Regionen. Für vier ausgewählte Stadtgebiete werden künftige Klimaszenarien analysiert und in ihren potenziellen Auswirkungen bewertet. Die Ergebnisse sollen als Grundlage für Prognosen für das Land als Ganzes dienen und als Indikatoren für Resilienz und Klimawandelanpassung in die Instrumente der Stadt- und Raumplanung integriert werden. Mit einer nationalen Klimaschutzpolitik, die auf drei Jahrzehnte, also bis zum Jahr 2050 ausgelegt ist, dürfte Uruguay eher zu den langfristig planenden und sich vorbereitenden Ländern gehören. Die Klimaschutzpolitik umfasst sowohl die Minderung der Folgen des Klimawandels durch Reduzierung von Treibhausgasemissionen als auch Pläne zur Anpassung an den Klimawandel. Dafür gibt es drei unterschiedliche Planungsbereiche: für Städte und Infrastruktur, für die Küsten und für die Landwirtschaft. Für jeden der drei Bereiche werden die Risiken identifiziert, konkrete Maßnahmen zur Verbesserung erarbeitet und ein Investitionsplan aufgestellt.

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Dieser Ansatz der Verankerung von Strategien und Handlungsanweisungen auf der Grundlage von Anpassungsplänen, die insbesondere soziale Auswirkungen berücksichtigen, ist bemerkenswert. Ökonomische und soziale Nachhaltigkeitziele und Maßnahmen gegen den Klimawandel sind Teil der regulären Planungsprozesse. Uruguay und das westliche Nachbarland Argentinien sind nach eigenen Angaben die einzigen

beiden Länder, die im Vergleich zur Klimarahmenkonvention des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in ihren nationalen Klimaschutzbeiträgen (Nationally Determined Contributions, NDCs) bis zum Jahr 2025 einen höheren Detaillierungsgrad festgelegt haben, als dies ansonsten der Fall ist. Das Vorgehen bezieht sich hauptsächlich auf die städtischen Gebiete, da hier die meisten Einwohner leben und der Urbanisierungsgrad weiter fortschreiten wird. Zu den vorgesehenen Instrumenten gehört insbesondere die Risikobeurteilung mittels Risikokarten, die eine wichtige Grundlage für Anpassungsstrategien gegenüber dem Klimawandel bilden. Landnutzungsplanungen werden von den Risiken durch den Klimawandel beeinflusst. Beispielsweise ist die Hochwasser-Risikokarte eine wesentliche Entscheidungsbasis dafür, welche Gebiete von Bebauung freizuhalten sind und in welche Zonen die von Hochwasser bedrohte Bevölkerung umgesiedelt werden soll. Die freizuhaltenden Gebiete werden vor Besiedlung geschützt. Damit werden die potenziellen Gefahren, die von Überschwemmungen ausgehen, reduziert. Ähnlich soll mit weiteren Risiken verfahren werden, die bisher noch nicht so klar benannt sind, zum Beispiel mit den Sturmflutrisiken, denen küstennahe Siedlungen ausgesetzt sind, wiederum betrachtet für den Zeitraum bis 2050. Weitere Karten werden von Universitäten und Kooperationspartnerinnen erarbeitet. Andere Klimarisiken wie Dürren, extreme Niederschläge und Luftfeuchtigkeit, ungewöhnlich starke Winde sowie Häufigkeit und Intensität des Auftretens solcher extremen Ereignisse sind bisher noch wenig berücksichtigt. Die mittlerweile häufiger auftretenden Wärmewellen, die über drei bis vier Tage anhalten können, gefährden in städtischen Ballungsräumen die Gesundheit besonders der älteren Menschen und der Kinder. Auch der übermäßige Gebrauch von Klimaanlagen mit ihrem hohen Energieverbrauch ist kritisch zu sehen. Die Entwicklung von Richtlinien für die Entwicklung des öffentlichen Raums und für die Nutzung von Vegetation in städtischen Gebieten zur Verringerung von Überhitzung wird als besonders wichtig angesehen. In Montevideo, wie in Uruguay insgesamt, beziehen sich Angaben zu den Risiken des Klimawandels stärker auf Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Ökonomie. Entsprechend stehen Maßnahmen wie Veränderungen der Landnutzung und die Reduzierung von Treibhausgasemissionen im Vordergrund. Eine weniger große Rolle spielen dagegen Maßnahmen, die auf eine konkrete Beeinflussung von Klimaparametern abzielen, wie die Reduzierung der städtischen Überwärmung, die Vermeidung von Folgen längerer Trockenzeiten und eine ausreichende Belüftung betroffener Gebiete. Mit der Priorisierung von direkten Handlungen zum Schutz der Bevölkerung und der ökonomischen Grundlagen unterscheidet sich Montevideo stark von den meisten anderen Städten.

DER NATIONALE UMSIEDLUNGSPLAN In Uruguay sind Überschwemmungen die gravierendsten Risiken des Klimawandels. In den letzten zehn Jahren wurden aus diesem Grund mehr als 67.000 Menschen in 60 Städten des Landes evakuiert. Seit 2010 soll ein Nationaler Umsiedlungsplan diese Risiken langfristig eindämmen oder beseitigen. Der Plan ist darauf ausgelegt, mindestens 60 Prozent der von Überflutungen bedrohten Bevölkerung zu helfen und sie finanziell zu unterstützen. Er betrifft vor allem Menschen, die entlang von Flüssen

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AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS

oder in kontaminierten Gebieten leben und nicht mit eigenen Mitteln eine Wohnung in sicheren Gebieten bezahlen können. Der Schutz für diese Bürger soll nachhaltig verbessert werden. Zu diesem Zweck wird den Betroffenen seitens der Regierung neues Land zur Verfügung gestellt. Das Programm sieht vor, dass die umgesiedelten Familien sich selbst am Bau eines neuen Hauses, das in ihren Besitz übergehen wird, beteiligen. Neben dem Schutz vor Hochwasser verfolgt das Umsiedlungsprogramm auch das Ziel, die soziale Teilung und Zersiedlung des Landes aufzuhalten oder sogar umzukehren. Das Ministerium für Wohnungsbau und Raumplanung stellt die Finanzmittel sowie technische Unterstützung zur Verfügung, die regionalen Verwaltungen stellen das Land für die Umsiedlungen bereit und sorgen für die technische Infrastruktur wie Wasser- und Stromanschlüsse, elektrische und sanitäre Installationen. Im Rahmen der Umsiedlung erhält die betroffene Bevölkerung ferner umfassende Unterstützung durch begleitende Sozialprogramme, die den Menschen helfen, sich in der neuen Umgebung einzuleben, Ausbildung und Arbeit zu finden und das neue Zuhause sowie die Nachbarschaft mitbestimmen zu können. Die neuen Siedlungsgebiete liegen in Stadtgebieten mit Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln und Bildungseinrichtungen. Die Familien werden in den Beteiligungsprozess einbezogen, um eine möglichst zukunftsfähige Nachbarschaft bilden zu können. Das ehemals besiedelte Land wird zu öffentlichen Freiflächen, in der Regel Parks, umgestaltet, auf denen temporäre Überschwemmungen keine großen Folgeschäden verursachen. Eine Wiederbesiedlung mit informellen Siedlungen wird verhindert. Seit 2010 wurden 55 Vereinbarungen für Umsiedlungen unterzeichnet, davon wurden 34 Maßnahmen abgeschlossen, weitere 21 befanden sich bis Ende 2019 in der Ausführung. Insgesamt waren bis dahin über 2.100 Haushalte umgezogen, was den Erfolg des Programms deutlich macht. Die meisten Umsiedlungen gab es entlang des Río Uruguay und anderen Flüssen, an denen es in den Jahren 2009 und 2010 Überflutungen gab. In Montevideo ist eine neue Siedlung mit 894 Einwohnerinnen entstanden.

INSTITUT FÜR GESTALTUNG, UNIVERSITÄT VON URUGUAY

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Zu den Institutionen, die wichtige Arbeiten für die Anpassung an den Klimawandel erarbeiten, gehört das Institut für Gestaltung, das der Fakultät für Architektur, Gestaltung und Urbanistik der staatlichen Universität, Universidad de la República de Uruguay, angeschlossen ist. Im Jahr 1959 gegründet, widmet es sich der Lehre und Forschung zu landschaftsarchitektonischen Themen. Seit 1999 werden angesichts der stärker interdisziplinären Anforderungen an die Landschaftsarchitektur neue theoretische und methodische Ansätze entwickelt. In Reaktion auf den Klimawandel hat das Institut ein Forschungsprogramm für den Bereich Landschaft und öffentlicher Raum initiiert, das sowohl theoretische als auch planerisch-angewandte Themen umfasst. Der Rahmen reicht dabei von der großräumigen Landschaftsplanung bis zum kleinräumigen Entwurf. Ergebnisse der Arbeit sollen allgemeingültige Aussagen zu den Funktionen von Freiräumen sein, die auf konkrete Planungsbeispiele und ihre Nutzungen übertragbar sind, um die Lebensqualität der Bevölkerung mit einer nachhaltigen Gestaltung des öffentlichen Raums positiv zu beeinflussen. Ein Beispiel ist die Ausarbeitung einer allgemeinen Methodik der Analyse, Bewertung und Ausarbeitung von Richtlinien für die Planung und Verwaltung der öffentlichen

Stadtparks von Montevideo. Die Ergebnisse des Instituts werden regelmäßig veröffentlicht, was zu einer beeindruckend hohen Qualität der Arbeiten führt. Ein herausragendes Beispiel ist das Projekt zu einem gut 25 Kilometer langen Teil der Promenade in Montevideo, das von 20 Forschenden bearbeitet wurde. Unter Berücksichtigung der baulichen Struktur, Vegetation und Ausstattung mit Beleuchtung und Stadtmobiliar, der Nutzungsangebote und Aktivitäten der Nutzer, des Denkmalschutzes und auch der mikroklimatischen Bedingungen wurden Richtlinien und Empfehlungen für die zukünftige Entwicklung der Promenade ausgearbeitet. Maßnahmen zur Erhaltung und Aufwertung der natürlichen und städtebaulichen Situation werden auf der Grundlage einer Analyse, Bewertung und von daraus abgeleiteten Planungsvorschlägen entwickelt. Einige Arbeiten haben Preise gewonnen. Darunter sind beispielsweise für Montevideo die Arbeit „Montevideo a cielo abierto. El espacio público“ (Montevideo unter freiem Himmel. Der öffentliche Raum) mit einer Erwähnung durch die Jury während der XIV. panamerikanischen Architekturbiennale in Quito, Ecuador, oder die auch das Klima betreffende Arbeit „La frontera del agua. El paisaje costero de Uruguay“ (Die Wassergrenze. Die Küstenlandschaft Uruguays), die den ersten Preis bei der ersten lateinamerikanischen Biennale und der dritten mexikanischen Biennale für Landschaftsarchitektur erringen konnte. Montevideo ist für Landschaftsarchitektinnen und Stadtplaner eine interessante Stadt, was die intensive Nutzung der Freiräume und Parks durch die Bevölkerung anbetrifft. Ob die Menschen abends an der 18 Kilometer langen Promenade sitzen oder laufen oder sich tagsüber in einer der vielen Parkanlagen aufhalten – meistens haben sie ihren Mate-Tee dabei und wirken entspannter als in hektischeren Städten. Dass der Klimawandel schon sehr lange ein Thema für die Stadt und das gesamte recht überschaubare Land ist, ist sicher für die Bevölkerung ein großes Glück. Neben den Strategien zur Reduzierung klimaschädlicher Treibhausgasemissionen und den Vorkehrungen gegen durch den Klimawandel ausgelöste extreme Wetterereignisse liegt der Fokus immer auch darauf, die Menschen „mitzunehmen“, das heißt, neben der Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Natur, Gebäude und Infrastruktur auch gesunde und nachhaltige Lebensbedingungen zu schaffen. Umsiedlungsprogramme sind sicher die letzte Möglichkeit für den Schutz vor extremen Wetterereignissen. In  Uruguay wurde die Umsiedlung mit einer Art Sozialprogramm verbunden, das Bewohnerinnen in durch den Klimawandel oder Verunreinigungen betroffenen Wohnlagen nicht nur vor existenziellen Bedrohungen schützt, sondern ihnen eine nachhaltige Besserung ihrer Wohnsituation und ihrer sozialen Lage insgesamt ermöglicht. Die bemerkenswerte Kombination von Klimaschutz und sozialem Ausgleich spricht für eine kluge und weitsichtige Politik der Entscheidungsträger in den politischen Institutionen und der Verwaltung. Eine forschungsstarke Universität, die wissenschaftliche und experimentelle Unterstützung für die notwendigen Anpassungen an den Klimawandel bietet, ist als Partnerin für die staatlichen Stellen und für die konkrete Umsetzung der Klimapläne von essenzieller Bedeutung.

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Institut für Gestaltung, Universität von Uruguay

LANDSCHAFTSARCHITEKTUR UND DIE RESILIENZ DER STÄDTE IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS

Weltweit nehmen Meldungen über Hitzewellen mit extrem hohen Temperaturen, großflächige Wald- und Steppenbrände sowie Flutwellen und Überschwemmungen mit Todesopfern und Verletzten zu, Schäden an Gebäuden, Straßen sowie Gleisanlagen erreichen zum Teil unvorhergesehene Ausmaße. Diese Extremwetterlagen begründen sich mit der Erwärmung der Atmosphäre, der Ozeane und der Landflächen, die im Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) von 2021 als eindeutig vom Menschen verursacht festgestellt wird. Insofern braucht es derzeit große Anstrengungen, sowohl den extremen Wetterereignissen zu begegnen als auch die Treibhausgasemissionen zu verringern, um noch größere Folgeschäden zu vermeiden. Viele Länder sind aufgrund der Vereinbarungen des Pariser Klimagipfels von 2015 bemüht, die Erderwärmung auf 1,5 bis maximal 2 °C zu beschränken, meistens jedoch sind die Maßnahmen für das Einhalten dieser Grenze vage. Der Weltklimarat weist schon seit einigen Jahren darauf hin, dass die weltweiten Bemühungen und Maßnahmen um die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles noch nicht ausreichend sind. In seinem Sechsten Bericht betont er, dass die globale Erwärmung im Laufe des 21. Jahrhunderts den Wert von 2 °C übersteigen wird, wenn nicht die Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahrzehnten drastisch reduziert werden. Insofern ist die Möglichkeit einer Begrenzung der Erderwärmung und der daraus resultierenden unvorhersehbaren Klimaveränderungen noch gegeben. Dennoch prognostiziert der Bericht, dass sich die regionalen Auswirkungen des Klimawandels wie die Intensität von Hitze, höhere Meereswellen und Starkniederschläge, Dürren und tropische Wirbelstürme in der nächsten Zukunft verstärken werden. Die Betrachtung der in diesem Buch vorgestellten Städte auf den beiden amerikanischen Kontinenten zeigt auf, dass der Klimawandel für ihre zukünftige Entwicklung ein wesentlicher Faktor sein wird. Viele Städte haben inzwischen Klimawandelanpassungspläne oder -strategien entwickelt und verabschiedet, um zum einen ihren Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen zu leisten und zum anderen ihre Resilienz gegenüber den prognostizierten extremen Wettereignissen zu verbessern. Letztere werden unweigerlich eintreten, ohne dass dafür der genaue Zeitpunkt, das Ausmaß oder die Folgeschäden vorhersehbar sind. Aufgrund dieser Unwägbarkeiten ist es eine große Herausforderung für Städte, entsprechende Anpassungspläne auszuarbeiten, konkrete Maßnahmen zu beschließen und diese umzusetzen. Zudem müssen sie in andere, bereits bestehende Planwerke eingebunden werden. Zu den zentralen Erfordernissen gehört, dass die Stadtplanung zukünftig das Stadtgrün in ausreichendem Maße über die gesamte Stadtfläche betrachtet und es als funktionale grüne Infrastruktur für den Klimaschutz plant. Außerdem muss das Regenwasser deutlich bewusster und differenzierter in den Planungsprozessen berücksichtigt

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werden, denn Wasser ist einerseits ein potenzieller Schadensverursacher in Form von Starkregen, andererseits wird es in seiner kühlenden Funktion und als Lebensgrundlage für jegliche Vegetation dringend benötigt. Geplante Maßnahmen sollten die möglichen Leistungen der Landschaftsarchitektur in einem deutlich größeren Ausmaß berücksichtigen. Die vorgestellten Projekte zeigen einen Ausschnitt der breiten Vielfalt von Möglichkeiten auf. Die Landschaftsarchitektur als interdisziplinäre Fachrichtung mit dem Anspruch auf die Planung von dem Klima angepassten nachhaltigen Freiräumen und Städten bekommt im Klimawandel eine große und in Teilen neue Bedeutung. Landschaftsarchitektinnen können durch ihre Freiraumplanungen mit zum Klima passender Auswahl der Vegetation, dem Einsatz von Wasserflächen und durch die Auswahl der Materialien maßgeblich zu einer klimagerechten und resilienten Entwicklung der Städte beitragen. Angepasste und mitunter widerstandsfähigere Bauweisen sowie eine bessere Vernetzung der grünen mit der grauen Infrastruktur und der Architektur der Stadt, die Beteiligung der Bewohner und gegebenenfalls deren Ernährungssicherheit, die Verkehrsplanung und die Anordnung des Stadtgrüns sowie dessen Ausweitung über das gesamte Stadtgebiet sind Aufgaben der Städte, bei denen die Landschaftsarchitektur eine wichtige Rolle spielen muss. Die in diesem Buch vorgestellten Projekte erläutern vielfältige individuelle und wegweisende Möglichkeiten, wie sich die Resilienz von Städten mit Weitblick und passend eingesetzter grüner Infrastruktur an die zurzeit absehbaren Folgen des Klimawandels anpassen lässt. Es ist dringend notwendig, dass alle Beteiligten, die Stadtverwaltungen mit ihren Planungsabteilungen, die Auftraggeberinnen und Investoren sowie die Landschaftsarchitektinnen und Forschenden die Rolle der Landschaftsarchitektur für alle Projekte, Gestaltungen und Strategien über- und neu denken. Die vorgestellten Projekte, Forschungsarbeiten und Entwicklungen sind Wegbereiter für eine klimagerechte Stadtentwicklung. Die Städte brauchen im Klimawandel mehr sowie eine wirksamere und besser vernetzte Landschaftsarchitektur. Sonst sehen wir in Zukunft

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Geschäfts- und Bürohaus an der Plaza Independencia in der Innenstadt von Montevideo – fast jeder Raum verfügt über eine Klimaanlage, die bei Nutzung einen großen Energiebedarf und hohe CO2-Emissionen zur Folge hat.

Häuser auf Stelzen, um dem Anstieg des Meeresspiegels und hohen Wellen zu trotzen – werden so zukünftig die Städte am Meer gebaut werden müssen?

Wasserdampf wird zur Kühlung dieses Platzes in Buenos Aires versprüht – gegenüber der Verdunstungsleistung und Abkühlung durch Stadtbäume eine aufwändige Technik mit hohem Energieverbrauch.

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an zu vielen Gebäuden Klimaanlagen mit großem Energieverbrauch, müssen Häuser gegebenenfalls sogar gegen den Anstieg des Meeresspiegels auf Stelzen bauen und vielleicht die Luft künstlich befeuchten, um  in urbanen Umgebungen ein gesundes Leben mit der gewünschten Qualität führen oder überhaupt dort leben zu können.

MEHR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR Die Reduzierung der CO2-Emissionen muss in den emittierenden Sektoren passieren, doch bleiben auch bei deren zukünftiger Reduzierung auf null die bereits emittierten Treibhausgase noch eine lange Zeit in der Atmosphäre erhalten. Für den schnellstmöglichen Abbau der Gase braucht es vermehrt Kohlenstoffsenken, die am besten erforschte ist neben den Weltmeeren die Vegetation in Form von Wäldern, Mooren und Grasland, die über die Photosynthese aus CO2 Wasser und Sauerstoff erzeugt und den Kohlenstoff bindet. In den dicht bebauten Städten gibt es nicht den Platz für ausreichend große Waldflächen, aber die Vegetation hat hier trotzdem eine große Bedeutung über ihre Funktion als Treibhausgassenke hinaus. Städte haben oft großes Potenzial für die Anlage von mehr Stadtgrün und eine Vergrößerung des Anteils von Grünflächen ist ohne schädliche Nebenwirkungen und dazu relativ günstig realisierbar. Das gesamte Stadtgrün hat mit dem Klimawandel erheblich an Bedeutung gewonnen. Es hat das Potenzial zur Verringerung der Überwärmung und zur Rückhaltung und Versickerung von Regenwasser. In Hitzeperioden wirkt es kühlend durch Schattenwurf und Verdunstung und erfüllt bei befürchteten Starkregenfällen wichtige Funktionen der Wasserspeicherung und -versickerung für die Grundwasseranreicherung. Die Aufgabe der Städte ist es, diese Leistungen von Grünflächen anzuerkennen und sie entsprechend in den Klimawandel-Anpassungsplänen und -strategien zu berücksichtigen und das Stadtgrün entsprechend zu fördern.

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Vorbildliches und notwendiges Beispiel der Markierung einer öffentlichen Grünfläche in Montevideo mit der Aufforderung, dass es Aufgabe aller Einwohnerinnen ist, diese Fläche zu pflegen.

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Die Vegetation hat auch für die Anpassung an den Klimawandel besonders wichtige Funktionen, wie viele Beispiele zeigen. Verwunderlich ist, dass die wenigsten der für dieses Buch recherchierten Klimawandel-Anpassungspläne die Vorteile der grünen Infrastruktur benennen und eine funktionsfähige Grünplanung einfordern. Nur in wenigen Städten wie zum Beispiel in Toronto, Vancouver oder Medellín wird besonders großer Wert auf öffentliches Grün gelegt, werden für die STRASSENBÄUME in vorbildlicher Weise ausreichend große Pflanzgruben und entsprechendes -substrat explizit gefordert und die Bäume art- und altersgerecht gepflegt. Jeder Baum entwickelt seine klimawirksamen Funktionen erst mit zunehmendem Alter. Viele Straßenbäume werden in zu kleine Pflanzgruben gepflanzt, nicht ausreichend bewässert und nicht gepflegt, so dass sie nur eine sehr kurze Lebenserwartung haben. Der Austausch eines älteren Baums durch einen neuen, in der Regel kleineren Baum mindert die Klimawirkung an dieser Stelle deutlich, und diese Reduzierung wird erst ausgeglichen sein, wenn der junge Baum entsprechend groß gewachsen ist, vorausgesetzt, er wird über seine Lebensdauer kontinuierlich fachgerecht gepflegt. Dieses Prinzip gilt für jeden Ersatz eines Baumes, sei es aus Altersgründen oder wegen des Neubaus von Gebäuden, Verkehrsflächen und anderer grauer Infrastruktur. Das Ziel muss sein, neben der Anzahl auch die Lebenserwartung von Straßenbäumen in den Städten deutlich zu erhöhen, um auch kommenden Generationen die Klimawirkung der Bäume zugutekommen zu lassen. Da der Klimawandel auch neue Krankheiten für Bäume mit sich bringt und für das bisherige Klima geeignete Bäume mit den Klimaänderungen zunehmend Einbußen ihrer Vitalität verzeichnen, sind eine gute Planung, Pflanzung und Pflege unerlässlich und die für die städtischen Bäume verantwortliche Behörde ist dauerhaft mit ausreichenden finanziellen Mitteln auszustatten. Gute  Beispiele zeigen Toronto mit den Complete Streets, Vancouver für den Stanley Park, New York City mit den Rain Gardens sowie Montevideo. Für eine maximale Verdunstungsleistung der Bäume sind diese während der Vegetationsperiode dauerhaft mit Wasser zu versorgen. Für eine Überbrückung von Trockenzeiten eignen sich Baumrigolen in den Pflanzflächen unterhalb des Wurzelbereiches, in denen Wasser nach einem Regenfall gesammelt wird und länger zur Verfügung steht als in Baumgruben ohne Baumrigole. Die GRÜNE INFRASTRUKTUR erfüllt gleichzeitig mehrere Aufgaben, sie sollte möglichst weitläufig in jeder Stadt vernetzt sein. Die Vernetzung sorgt für einen besseren Klimaausgleich in den bebauten Stadtgebieten, da die kühlende und feuchtigkeitsanreichernde Wirkung erst bei einer ausreichenden Flächengröße in den bebauten Gebieten wirksam wird. Hervorragende Beispiele grüner Infrastruktur mit Funktion für die Wassersammlung und -abführung zeigen besonders der Hunter’s Point South Park in New York City, die Campus Martius Plaza in Detroit, der Buffalo Bayou Park in Houston, der Parque 93 in Bogotá, der grüne Korridor und der Parque del Río in Medellín, zum Teil das Gebiet Porto Maravilha und der Corredor Verde Recreio in Rio de Janeiro, die großen Grünflächen im Zentrum und in den Wohngebieten der brasilianischen Städte sowie die innerstädtischen Parkanlagen in Montevideo.

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Eine produktive Form des städtischen Grüns ist der URBANE GARTENBAU, dessen Größe von einzelnen Beeten wie vor dem Rathaus in Vancouver bis zu größeren Anlagen für die Produktion für die Märkte in Detroit oder den Community Farms in Toronto reicht. Städte bieten häufig öffentliche Freiflächen für diese Art von Grünflächennutzung an. Zum einen reduziert diese Art der Nutzung die notwendige Pflegeleistung der Grünflächen durch die Stadt, zum anderen werden die so genutzten Flächen zumeist sehr intensiv betreut. Häufig wird hier ausgesuchtes Saatgut alter Sorten eingebracht, so dass zusätzlich dem Arten- und Sortenrückgang entgegengewirkt und die Biodi-

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versität unterstützt wird. Der urbane Gartenbau nutzt auch der Gemeinschaft, da er den Austausch und das Wissen über Pflanzen und Kulturen fördert und das Bewusstsein für das Klima und dessen Veränderungen schärft. Die Produkte werden wohnortnah angebaut, brauchen keine langen Transportwege und vermindern damit ein wenig die CO2-Emissionen durch den Lieferverkehr. Im größeren Maßstab sichern sie einen Teil der Ernährung für Menschen, deren gute Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht ständig gesichert ist. Es ist davon auszugehen, dass selbst angebaute Lebensmittel auch verzehrt und Reste dem Kompost zugeführt werden, was einen sorgsamen Umgang mit Lebensmitteln fördert und die Lebensmittelverschwendung, die in relevantem Maße zum Klimawandel beiträgt, reduzieren hilft. Der urbane Gartenbau eignet sich auch als temporäre Zwischennutzung für brachliegende Grundstücke, die in Städten zwangsläufig vorkommen.

WIRKSAMERE LANDSCHAFTSARCHITEKTUR Die Landschaftsarchitektinnen sind aufgefordert, die Möglichkeiten ihres Fachs für den Klimaschutz deutlich mehr zu nutzen. Ein großes Plus der Landschaftsarchitektur gegenüber der Planung von Gebäuden oder Verkehrsflächen ist ihre Flexibilität, eine Eigenschaft, die im Klimawandel besonders gefordert ist. Grünflächen können verändert und angepasst werden, obgleich die Pflanzen, insbesondere die Bäume, ihre größte Wirksamkeit erst nach vielen Standjahren entfalten. Hierfür ist ein langer Planungshorizont über zwei und mehr Menschengenerationen zu berücksichtigen. Allein die Pflanzung standortangepasster Vegetation und die Anlage von ein- oder mehrfach nutzbaren Freiflächen reicht im Klimawandel nicht mehr aus. Grüne Freiflächen müssen auch so gebaut werden, dass sie dessen Folgen wie häufiger auftretende Starkregenfälle sowie längere Trockenzeiten und Dürreperioden ohne dauerhafte Schäden überstehen können. Zum einen kann das bedeuten, dass die üblichen Bauweisen sehr viel stabiler ausgeführt werden müssen als bisher, zum anderen aber auch, dass die Flächen wasserdurchlässiger sein und im Material entsprechend angepasst werden müssen. Die Folgen des Klimawandels für die nächsten Jahrzehnte, am besten für die nächsten hundert Jahre, sind also jetzt einzuplanen und in der baulichen Ausführung zu berücksichtigen. Für entsprechend resiliente Freiräume sollte, ähnlich der LEEDZertifizierung für Gebäude, ein GÜTESIEGEL entwickelt werden, das ihre Qualität in Bezug auf die Nachhaltigkeit und die Kriterien der UNO, die Nutzbarkeit, die Eigenschaften der verwendeten Materialien und insbesondere ihre Resilienz gegenüber dem Klimawandel zertifiziert. Gute Beispiele für entsprechend geplante und gebaute Parkanlagen sind Hunter’s Point South Park sowie Governors Island in New York City. Beide Freiräume reagieren proaktiv auf die Folgen des Klimawandels. Auf den vorhergesagten Anstieg des Meeresspiegels und die zu erwartenden Überflutungen mit Salzwasser reagiert die Gestaltung mit einer entsprechenden neuen Topografie, indem wichtige Bereiche der Parks und ihrer Vegetation oberhalb der Überflutungslinie angelegt wurden. Die Parks wurden sowohl im Hinblick auf kommende Hochwasser und die Lenkung des Wasserablaufs ausgerichtet, als auch entsprechend widerstandsfähig gebaut, ohne dabei Einschränkungen in der Nutzungsvielfalt in Kauf zu nehmen. Im Gegenteil, beide Parks haben sich in kurzer Zeit zu Besuchermagneten entwickelt. Auch Houstons Buffalo Bayou Park ist von dem Hurrikan Harvey auf seine Widerstandsfähigkeit geprüft worden und hat diese Prüfung ohne größere oder bleibende

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MEHR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

Schäden bestanden. Aufgrund seiner Topografie waren die oberen Parkbereiche weniger lange von reißenden Wassermassen betroffen als die unteren Zonen. Diese Verhältnisse sind zu beachten, sie führen beim Anlegen und bei der Wiederherstellung zu unterschiedlichen Bauausführungen. Hier wie in vielen anderen Fällen zeigen sich die Vorteile wie auch die Notwendigkeiten, die Fehler der Vergangenheit, als Flüsse begradigt und verrohrt wurden, zurückzubauen und dem Fluss seine benötigte Fläche zurückzugeben, ihn mäandrieren zu lassen, damit er wieder langsamer fließt. Die Anlage eines Parks entlang eines Flusses ist in vielerlei Hinsicht optimal, denn er erhöht die wohnungsnahen Nutzungsmöglichkeiten und die Biodiversität, reduziert das Verkehrsaufkommen und verbindet Nachbarschaften und Stadtviertel miteinander über Fuß- und Radwege. Als natürlicher Regenwassersammler muss er den prognostizierten höheren Wasserständen und größeren Wassermassen standhalten können, dann wird die gebaute Stadt vor Überflutung geschützt. Die Faktoren KLIMA, WASSER und BELÜFTUNG sowie Lufthygiene haben im Klimawandel eine noch größere Bedeutung für die Stadtentwicklung als sie bisher bereits üblicherweise Berücksichtigung finden. Insbesondere die Wasserspeicherung, die Verdunstungsleistung der Vegetation und offenen Wasserflächen sowie die Mehrfachnutzung von Regenwasser bekommen eine größere Aufmerksamkeit. Gleichzeitig müssen die Freiflächen dem Druck großer Wassermassen durch häufiger auftretende Starkregenereignisse standhalten, ohne dass anschließend große Teile dieser Flächen wiederhergestellt werden müssen. Bisher war die übliche Praxis in der Freiraumplanung, das Wasser schnell in die Kanalisation zu leiten oder über Versickerungsmulden oder unterirdische Speicher versickern zu lassen. Sehr oft wurden für die unterirdischen Speicheranlagen Plastikmaterialien verwendet, deren dauerhaftes Verhalten im Boden noch unklar ist. Voraussichtlich werden sich diese Materialien nicht rückstandsfrei zersetzen, eher könnten sie dazu beitragen, den Anteil an Mikro­ plastik im Boden und Wasser zu erhöhen, was im Sinne des Bodenschutzes keine gute oder dauerhafte Lösung ist. Auch wird das Wasser lediglich abgeführt und steht einer Nutzung nicht mehr zur Verfügung, der positive Aspekt ist lediglich die Anreicherung des Grundwassers. Im Klimawandel treten neben Starkregenfällen ebenso längere Trockenzeiten mit Hitze und Dürre auf, so dass die Notwendigkeit besteht, das anfallende Regenwasser intelligent aufzufangen und weiterzuverwenden. Häufig werden dafür Regenwasserzisternen verwendet, die besonders für kleinere Grundstücke und Häuser geeignet sind, wobei darauf zu achten ist, dass das Wasser mit Sauerstoff angereichert wird, damit es eine gute Qualität behält. Die Wiederverwendung von Brauchwasser mittels Aufbereitung ist in vielen wärmeren Ländern bereits gängige Praxis. Sie verhindert, dass bei Wasserknappheit allein auf Oberflächengewässer und Grundwasser zurückgegriffen werden muss. Das Olympic Village in Vancouver ist ein ausgezeichnetes Beispiel für eine alternative Regenwasser­nutzung im Mehrgeschosswohnungsbau. Die Dächer wurden in diesem Quartier sogar über die Dachflächen hinaus vergrößert, um auf einer größeren Fläche Wasser zu sammeln. Dieses wird dann in großen Zisternen in der Tiefgarage – anstatt in den Böden der Freiflächen – gesammelt und beim Durchfließen der Wasser­anlagen in den Gartenräumen mit Sauerstoff angereichert. So steht dauerhaft eine große Menge Wasser in guter Qualität zur Verfügung.

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Ein besseres Verständnis für die Umwelt, für das Zusammenspiel der ökologischen Faktoren und der Lebensweise in den Städten sowie das Wissen über die konkreten Auswirkungen des Klimawandels sollte Teil der ALLGEMEINBILDUNG sein, damit die

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Bevölkerung eine höhere Wertschätzung der „grünen Stadt“ entwickelt und selbst besser zu ihrer Resilienz beitragen kann. Das Verstehen von Notwendigkeiten für Änderungen im Lebensstil der Stadtbevölkerung und gleichzeitig für eine neue Art der Freiraumplanung setzt bei Landschaftsarchitektinnen, Planern, und Auftraggeberinnen an. Vorreiter sind in dieser Hinsicht Institutionen und Forschungsinitiativen wie die Forschungsgruppe CALP an der Universität von British Columbia, die bürgernahe Medien wie das Videospiel Future Delta und den Citizen’s Coolkit für die klimaschützende Arbeit in Nachbarschaften entwickelt hat. Die Rolle der Universitäten ist für die Querschnittsaufgaben bezüglich des Klimawandels wichtig, um einerseits Erkenntnisse zu erforschen und andererseits das neue Wissen in die Gesellschaft zu transportieren. Bürgerinnen jeden Alters müssen über die Auswirkungen ihres eigenen Handelns informiert sein. Auch Regengärten in Parkanlagen wie dem Levy Park und dem Midtown Park in Houston oder dem Parque de los Deseos in Medellín mit seinen Wasserspielangeboten sind Teil derartiger Bildungsmöglichkeiten, weil sie den Kindern schon beim Spielen die Bedeutung des Wassers erklären.

BESSER VERNETZTE LANDSCHAFTSARCHITEKTUR Der Nutzen der grünen Infrastruktur erhöht sich deutlich und sie wird für den Klimaschutz noch wirksamer, wenn sie direkt mit Bauwerken und mit der grauen Infrastruktur verbunden ist. Sie kann deren negative Auswirkungen, zum Beispiel die Aufheizung der Fassaden im Sommer, verringern sowie die Funktionen dieser meistens starren Systeme mit ihrer größeren Anpassungsfähigkeit ergänzen, so dass im Ganzen flexible und vernetzte Gestaltungsmöglichkeiten entstehen. Die Ver- und Entsorgung der GEBÄUDE in den Städten ist mehr oder – meistens – weniger mit dem angrenzenden Freiraum verknüpft. Allerdings bietet die Vernetzung von Bauwerken und Grünflächen Chancen, die dem Wohnen und Arbeiten im Klimawandel dienlich sind. Im Olympic Village in Vancouver wird das Regenwasser, wenn die Zisternen in der regenreichen Jahreszeit vollgelaufen sind, als Grauwasser, in diesem Fall für die Toilettenspülungen, in den Gebäuden genutzt. Die dadurch eingesparte Wassermenge wird dann während der regenarmen Zeit für die Bewässerung der Grünflächen aus dem Trinkwasser der Stadt zur Verfügung gestellt. Diese Art des Ausgleichs der unterschiedlich anfallenden Regenmengen ist ein Beispiel dafür, wie die zu unterschiedlichen Zeiten anfallenden Niederschläge über einen längeren Zeitraum auch – zumindest rechnerisch – für die Pflege von Grünflächen genutzt werden und Energie und Kosten für die Aufbereitung von Trinkwasser gespart werden können. Die Vorteile der Nutzung von Grauwasser in Gebäuden sind längst bekannt, aber leider selbst in Neubauten noch nicht die übliche Praxis, obwohl sie sich in diesen leicht integrieren ließe. Eine klimaangepasste Gebäudeplanung wie die der Supercuadras in Brasília hilft, gut belüftete und schattierte Außenanlagen in den Übergangsbereichen von Haus und Freiraum zu erhalten. Diese Räume bieten, mit den Grünflächen in Verbindung, ideale wohnungsnahe Aufenthalts- und Erholungsmöglichkeiten für Bewohner jeder Altersgruppe. Das moderne Bürogebäude RUTA N in Medellín nutzt aktiv die Kühlleistung der nahe gelegenen Grünflächen für die Innenraumbelüftung und -kühlung. Derartige Vernetzungen der grünen Infrastruktur mit der Bauweise und Gebäudeinfrastruktur verringern den Energiebedarf von Gebäuden für die Kühlung im Sommer sowie den Heizbedarf im Winter und damit CO2-Emissionen in einer relevanten Größenordnung. Bauwerksbegrünungen in Form von Dach- und Fassadenbegrü-

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WIRKSAMERE LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

nungen, aber auch die Begrünung von Straßentunneln sind bautechnisch umfassend erprobt und in ihrer kühlenden Wirkung gut erforscht. Wenig geneigten Dachflächen sollten zusätzlich für die Retention des anfallenden Regenwassers genutzt werden. In Verbindung mit einer unterirdischen Zisterne, aus der das Wasser bei Trockenheit wieder zurück auf das Dach gepumpt werden kann, lässt sich eine weitgehend ununterbrochene Verdunstung durch die Begrünung auf den Dächern erreichen. Bei einer großflächigen Anwendung kann sich die Bauwerksbegrünung nachweisbar auf das Klima eines Quartiers über die direkte Abkühlung der Dach- oder Fassadenflächen auswirken. Einzelne Dach- und Fassadenbegrünungen sind lediglich für das jeweilige Gebäude und kaum darüber hinaus im Stadtraum messbar. VERKEHRSFLÄCHEN wie Straßen, Parkplätze, Gehwege und weitere befestigte Areale nehmen in Städten einen großen Anteil der Fläche ein und tragen in der Regel durch ihre Materialien und Bauweisen zur Überwärmung der Städte bei. Zudem werden sie monofunktional genutzt, der Verkehr emittiert große Schadstoffmengen, so  dass die Luftbelastung im Straßenraum hoch und zum Teil sogar gesundheitsgefährdend ist. Straßenflächen bieten entlang ihrer Verläufe und aufgrund ihrer Verbindungen ein besonderes Potenzial für unterschiedliche Begrünungsformen, und, wenn die Nutzung verändert wird, für Möglichkeiten der klimagerechten Mobilität wie Skaten oder Radfahren. Wenn Straßen mit Straßenbegleitgrün, insbesondere Bäumen, ferner mit Regengärten, Anlagen zur Regenwassersammlung in Verkehrsinseln und ähnlichen klimawirksamen Flächen ausgestattet sind, haben Straßenräume das Potenzial, die Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren und gleichzeitig weiterhin als Bewegungsraum besonders für die emissionsfreie Mobilität genutzt zu werden. Diese  Freiräume können zusätzlich von den Menschen für die Begegnung in ihren Nachbarschaften und an zentralen Orten genutzt werden. Beispiele für Möglichkeiten einer klimafreundlichen Mehrfach- oder Umnutzung sind die Complete und Green Streets in Toronto, der Times Square in New York City, die Ciclovía in Bogotá und anderen Städten sowie die Parklets in Montevideo. Eine besondere Entwicklung zeigt Medellín mit dem Neu- und Ausbau des schienengebundenen öffentlichen Verkehrssystems sowie den Seilbahnen. Mit diesem System werden Emissionen reduziert, für die Bürgerinnen verkürzen sich die Wege bei deutlich besseren, klimafreundlicheren und schnelleren Verkehrsmitteln, und mit der Anbindung der meisten Stadtteile an das zentrale Stadtgebiet erhöht sich zudem die Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt. Straßen können umgehend für klimafreundlichere Fortbewegungsarten bereitgestellt werden und den Bewohnerinnen gleichzeitig mehrere Vorteile bieten, eine bessere Luftqualität, weniger Lärmbelastung, mehr Aufenthaltsqualität und gegebenenfalls auch eine bessere Kommunikation untereinander. Die gezeigten Beispiele zeigen auf, mit welchen ideenreichen Projekten Landschaftsarchitekten die Städte darin unterstützen, ihre Resilienz gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen, und machen deutlich, warum der Landschaftsarchitektur für die Bewältigung des Klimawandels in den Städten eine zentrale Rolle zukommen sollte.

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Fairford Avenue in Toronto vor und nach der Umgestaltung in eine Complete Street.

Ryerson Avenue in Toronto vor und Wasserdurchlässiger Straßenbelag, nach der Umgestaltung mit Flächen für geeignet für die Ableitung des die biologische Wasserrückhaltung. anfallenden Regenwassers in den Boden bei entsprechend durchlässig gebauter Tragschicht.

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BESSER VERNETZTE LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

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REGISTER

Buffalo Bayou Park 96, 100–106, 238, 239 Buffalo Bayou Partnership 101 Bürgerzentrum Departamento Antioquia 153–155 Burle Marx, Roberto 201, 205, 207 Caatinga 210, 211 Cais do Valongo, Valongo-Kai, Rio de 1,5 °C Globale Erwärmung und Janeiro 173, 174 Klimawandel und Landsysteme 11, Calatrava, Santiago 169 13 CALP – Collaborative for Advanced XIV. panamerikanische Landscape Planning 51, 52, 53, 240 Architekturbiennale 233 Campus Martius Plaza, Detroit 86, 100 Resiliente-Städte-Netzwerk, 100 92–94, 238 Resilient Cities 14, 19, 163 Canelones, Uruguay 229 Aburrá-Tal 136, 138, 145 Cape, Geoff 24 Acre 186 Carbon Neutral City Alliance 163 Agenda 2030 13 Carioca-Mosaik 176 Agenda 21 162 Cariocas 162, 165 Ahmed, Ashrafi 30 Carrot City 29, 30, 31 Aldeia siehe Ecovila Aldeia do Altiplano Casa de la Música 146 Alphabet 32 Casa Firjan, Rio de Janeiro 179 Alves Pereira, Miguel 215 Central Park, New York City 58 Amanda Burden Urban Open Space Centre for Green Cities 27 Award 94 Centro Clima 164 Amapá 186 Cerrado 205, 208, 209, 210, 211, 212 Amazonas 182, 183, 184, 186, 187, 189, Charta von Athen 201 190, 191, 196, 198 Chen, Yin Fang 120 Amazonasbecken 182, 183, 186, 189, China 22, 38, 224 192, 209 Ciclovía nocturna 131 Amazonien 186, 187, 209 Cidade de Samba 173 Amorim, Cláudia Naves David 217 Cidade Nova, Manaus 183 Anahuac National Wildlife Refuge 96 Citizen’s Coolkit 53–55, 241 Anden 116 City of Ravines 18 Antioquia 136, 146, 153 Climate Action Plan(Detroit) 87 AquaRio, Meerwasseraquarium, Rio de Climate Change Adaptation Strategy Janeiro 171 (Vancouver) 41 Äquator 116 Climate Change and Health Argentinien 222, 230 Strategy (Toronto) 19 Artifact Walk 72 Climate Explorer 40, 41 Artscape 27, 29 Climate Museum, New York 68–69 Arví, Regionalpark 136 Climate Resiliency Design Guidelines, Ashden 140 New York 59, 60 Asociación Amigos del Parque 93 120, Climate Signals 68 122 Colciencias 148 Atlantik 58, 59, 162, 163, 164, 182, 183, Complete Streets Program 20, 242, 191, 209, 222 243 ATTO-Forschungsprojekt 195 Congrès Internationaux d’Architecture Augmented Reality 32 Moderne (CIAM) 201 Award for Cooling by Nature 140 Congresso Nacional, Brasília 205, 206 Baía de Guanabara, GuanabaraConservation Authority 24 Bucht 162, 167, 169 Copacabana, Rio de Janeiro 162 Bayou Greenways 2020 114 Corona-Pandemie 32 Bedout, Felipe Uribe de 146, 148 Corredor Verde Recreio, Rio de Belém 182, 183 Janeiro 176–180 Bernardes Jacobsen Arquitectura 169 Corredores verdes 140 Best Innovative Green Building MIPIM Costa, Lúcio 200, 201, 202, 205 Award 169 De Melo Zimbres, Paulo 215 Bike Rio 163 Delta, Kanada 51 Bioswale 60 Design Workshop 110 Black Creek Community Farm 29, Detroit 83–94, 238 30, 31 Detroit Agriculture Network (DAN) 91 Bloomberg, Michael 58 Detroit Future City 85 Bogotá 14, 115–134, 137, 238, 242 Detroit Model 89 Bolivien 186 Detroit Thrift Gardens 91 Bolsonaro, Jair 197 Distrito Capital de Bogotá 119 Botanischer Garten Adolpho Ducke, Distrito Especial de Mejoramiento y Manaus 191–193 Organización Sectorial (DEMOS Brasília 199–220, 241 P 93) 120–123 Brasilien 163, 166, 173, 174, 180, 183, 186, Distrito Federal do Brasil 200 190, 192, 197, 198, 209, 211, 217 Domino Park, New York City 59, 69–72, British Columbia 38, 41, 43, 51, 56, 240 73 Brooklyn, New York City 58, 59, 63, Domino Sugar Refinery 69 65, 67 Don River 18, 24, 34 Buenos Aires 222, 236 Don Valley 24, 27 Drawdown 99, 100

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252

REGISTER

DTAH 23 Ducke, Adolpho 191 Durante Kreuk 48, 49 East River 58, 59, 60, 71, 72, 73, 74, 75, 81 East-River-Tunnel 81 Ecovila Aldeia do Altiplano 211–214 Ecuador 186 Eiffel, Gustave 183 El Niño 116, 117, 118, 119, 138, 191 El Niño Southern Oscillation (ENSO) 117 Eldorado 131 Embalse de Tominé, Stausee 131–132, 133 Empresas Públicas de Medellín (EPM) 137, 145, 148, 156 EPM-Gebäude, Medellín 156 EPM-Stiftung 148 Eriesee 84 Erster Nationaler Bericht zum Klimawandel (Primeiro Relatório de Avaliação Nacional sobre Mudanças Climáticas – RAN1) 209 Escobar, Pablo 136 Estratégia de Adaptação às Mudanças Climáticas da Cidade do Rio de Janeiro 164 Estructura Ecológica Principal 117 Estudio Transversal 157 Ethnien 171 Europa 20, 31, 38, 180, 222, 224 Evergreen Brick Works 24–27 Evergreen Canada 24, 26 Fairford Avenue, Toronto 243 Fajardo, Martha 120 False Creek, Vancouver 38, 42, 44–49 False Creek Coastal Adaptation Plan 42 Farm-A-Lot Program 91 Feldahorn 22, 23 Ford Motor Company 84 Ford, Henry 84, 87 Französisch-Guyana 186 Freiheitsstatue 58, 63 Friedhof der neuen Schwarzen, Cemitério dos Pretos Novos, Rio de Janeiro 174 Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) 136 Future Delta 2.0 52, 53, 241 Galveston Bay 96 Galveston, Insel 98 Garden Resource Program (GRP) 91 Gay, Dixie Friend 111 Genf 11 Gewürzsumach 65 Global Resilient Cities Network 98 Goiás 200 Goldenes Hufeisen 18 Golf von Mexiko 96 Golfküste 96, 98, 99, 101 Gonçalves, André 162 Google 32, 55 Gorgolewski, Mark 31 Governors Island Park, New York 63–67, 239 Great Lakes Integrated Sciences and Assessments (GLISA) 86 Greater Toronto Area 18 Greater Vancouver 38 Green Building Resource Center 99 Green City 43 Green Infrastructure Plan (New York) 60 Green Streets Program 21, 242

Greenest City Action Plan, (Vancouver) 42 Greiff, León de 144 Gremium für den Klimawandel (PBMC) 209 Grüne Infrastruktur 7, 8, 9, 10, 15, 42, 60, 85, 88, 98, 120, 122, 140, 180, 198, 210, 230, 235, 238 Grupo Verde 120 Guaraní 222 Guariglia, Justin Brice 68 Guatavita 131, 133 Gutiérrez, Andrés Ibañez 128 Guyana 186 Hängender Garten von Valongo 174, 175 Harvey, Hurrikan 97, 104, 106, 239 Hazel, Hurrikan 20 High Line, New York City 58 Hongkong 38 Houston 14, 95–114, 238, 239, 241 Houston Parks and Recreation Department 100 Houston Ship Channel 96 Houston, Sam 106 Hoyos, Juan David 142 Hudson River 58, 60 Humedal Santa Barbara 124–127 Hunter’s Point South Park 59, 73–81, 238, 239 Huronsee 84 Imelda, Wirbelsturm 97 Institut für Forschung und Erinnerung 174 Institut für Hydrologie, Meteorologie und Umweltforschung (IDEAM) 118, 119 Institut für nationales Erbe, Geschichte und Kunst 173 Intergovernmental Panel on Climate Change siehe IPCC, Weltklimarat Interstate 495 81 IPCC 11, 12, 13, 235 siehe auch Weltklimarat James Corner Field Operations 72 Johnson Space Center 96 Kanada 8, 18, 29, 31, 38, 40, Kautschukbaum (Hevea brasiliensis) 183 Kawashima, Noboru 120 Kebony-Technologie 81 Keep Growing Detroit (KGD) 89–91 Kigali Cooling Efficiency Program 140 Kigali-Abkommen 100 Klimaanpassungsplan 40, 88, 109, 186 Klimarahmenkonvention des Umweltprogramms der Vereinten Nationen 11, 231 Klimaresiliente Entwicklungspfade (Climate-Resilient Development Pathways, CRDPs) 13 Klimasimulationen 40 Klimaszenarien 40, 230 Klimawandel und Landsysteme 12 Kobra, Eduardo 171 König Johann VI. 169 Kolumbien 116, 118, 131, 136, 137, 160, 186 Komisar, June 31 Kordilleren 116 Kreuk, Peter 49 Kubitschek, Juscelino 200 La Ciclovía 130–131 La Niña 116, 118, 119, 191 Laboratório de Controle Ambiental (LACAM) 217 Lago Paranoá 202, 209

Laguna de Guatavita 131, 132 Lake St. Clair 84 Lapiz de Acero Azul 148 Largo de São Sebastião, Manaus 184 Lateinamerika 136 Lateinamerikanische Biennale 233 Laudon, John Claudius 7 Le Corbusier 201 Lèbre La Rovere, Emilio 164 LEED 27, 29, 49, 156, 160 Lei Áurea 183 Levy Park 107–111, 241 Lima, André 210 Livingstone, David 7 Lobko, Joe 23 London 7 Lovejoy, Thomas E. 190 Lower East Side, Manhattan 59 Main Street, Houston 114 Manaus 181–198 Manhattan, New York City 58, 60, 63, 65, 67, 69, 72, 73, 75, 79, 81 Manufacturing Belt 84 Maranhão 186 Markthalle Adolpho Lisboa, Manaus 184 Mato Grosso 186 Max-Planck-Institut für Chemie und Biogeochemie 195 McFaddin National Wildlife Refuge 96 Medellín 14, 135–160, 237, 238, 241, 242 Medellín-Kartell 136 Melo, Juan 124 Mertens, Eva 9–16, 235–243 Mexikanische Biennale für Landschaftsarchitektur 233 Miami 18 Michigan State University 86 Midtown Park, Houston 110–114, 241 Millennium Water Olympic Village 38, 44–49 Minas Gerais 200 Minderung des Klimawandels 11 Moll, C. W. 22, 23 Monsalve Gómez, Sebastián 142 Montevideo 8, 221–233, 236, 237, 238, 242 Montevideo gegen den Klimawandel 229 Monumento à Abertura dos Portos às Nações Amigas 184 Moravia, Medellín 150–152 Morro da Conceição, Rio de Janeiro 174 Mud Creek 24 Muiscas 131, 132 Murphy, Frank 91 Museu de Arte de Rio (MAR) 170 Museu do Amanhã, Rio de Janeiro 170 Nagasawa, Nobuhu 74, 79 NASA 96 Nasr, Joe 29, 30, 31 Nationaler Plan zum Klimawandel 209 Nationaler Plan zur Anpassung an den Klimawandel von Städten und Infrastrukturen 228 Nationaler Umsiedlungsplan 231–232 Nationales Institut für AmazonasForschung (INPA) Nationales Institut für historisches und künstlerisches Erbe (IPHAN) 183 Nationales Institut für Weltraumforschung 164 Nature 32 Naturpark Chico Mendez, Rio de Janeiro 178 Netzwerk C40 14, 163

Netzwerk Essbare Städte (Edible Cities Solutions Network) 230 New York Bay 58, 60 New York City 14, 20, 57–82, 182, 238, 239, 242 New York Panel on Climate Change (NPCC) 59, 60 New York Times 81 Newtown Creek 59, 73, 74 Niemeyer, Oscar 201, 205, 214, 215 Niterói 168 Nobre, Carlos 190 Obraestudio 124 OJB Landscape Architecture 107 Olmsted, Frederick Law 58 Olympic Village, Vancouver 240, 241 Olympische Winterspiele 2010 38, 44 Ontariosee 18, 32, 34 OPUS 153 Pacific Climate Impacts Consortium (PCIC) 40, 41 Pacific Institute of Climate Solutions, PICS 51, 56 Paes, Eduardo 163 Palácio Itamaraty, Brasília 205 Palácio Rio Negro, Manaus 184, 198 Pampas 210 Pantanal 210 Päpstliche Universität Xaveriana 128 Pará 186 Páramo 118 Paraná 222 Paris 13, 14, 97, 183, 190, 201, 210, 235 Pariser Klimaabkommen 13, 14, 97, 183, 210, 228, 235 Parque 93 120–123, 238 Parque Biblioteca España, Medellín 144 Parque Biblioteca León de Greiff, Medellín 144 Parque de la Imaginación, Medellín 145–146 Parque de los Deseos, Medellín 146– 148, 241 Parque de los Pies Descalzos, Medellín 148–149 Parque del Río, Medellín 142–143, 238 Parque Metropolitano Simón Bolívar 117 Parque National Sumapaz 117 Parque Regional de Tominé 131–134 Parque Senador Jefferson Péres, Manaus 198 Pau Brasil (Caesalpina echinata) 200 Paulistas 190 Pazifik 38, 40, 116, 117, 191 Pedro II. 182 Peneireiro, Fabiana 211, 213 People-first Streets 36 Perimetral 168, 169 Peru 136, 186 Philadelphia 22 Pingree, Hazen S. 89, 91 Pitt, William „the Elder“ 7 Plan Colombia 137 Plan de ordenamiento territorial, Bogotá 117 Plan Distrital de Gestión del Riesgo de Desastres y del Cambio Climático para Bogotá D. C., 2018–2030 119 Plan2Adapt 41 Plano Piloto, Brasília 200, 205 Plaza de la Libertad, Medellín 153 Plaza Independencia, Montevideo 236 Porto Maravilha, Rio de Janeiro 166– 176, 238

Praça Mauá, Rio de Janeiro 169–171 Pro-cicla Bürgerorganisation 130 Quayside, Toronto 32–36 Queens, New York City 59, 81 Queens-Midtown-Tunnel 81 Quercus virginiana 104, 114 Quito 233 Regengärten 15, 60, 88, 100, 107, 108, 110, 111, 114, 230, 241, 242 Regent Park Community Food Centre 29 Regenwassermanagement 20, 21, 42, 48, 49, 86, 87, 88, 103, 109, 180, 220, 230 Rei, Luís 174 Resilience Strategy (Toronto) 19 Resilienzstrategie 14, 15, 98, 163, 230 Rhus aromatica 65 Ribeiro, Darcy 214, 215 Río Bogotá 116, 132 Rio de Janeiro 14, 161–180, 189, 238 Río de la Plata 222 Río Medellín 143, 150, 160 Rio Negro 182, 183, 185, 187, 198 Rio Solimões 183, 185 Río Tominé 131 Río Uruguay 222, 232 Rio-Deklaration 162 Rio-Konferenz 162 Rockefeller-Stiftung, Rockefeller Foundation 14, 19, 97, 163 Rocky Mountains 38 Roman, Lara A. 22 Rondônia 186 Roraima 186 Rundell Ernstberger Associates 92 Ruta N 147, 157–160, 241 Ryerson Avenue, Toronto 243 Sambódromo, Rio de Janeiro 173 San Jacinto 96 San José, Uruguay 229 Sandy, Hurrikan 59, 60, 68, 74, 81 San-Rafael-Stausee 132 São Paulo 174, 189, 190 São Sebastião do Rio de Janeiro 162 Saraiva dos Santos, Nelson 215 Schweizer Alpen 51 Sea Rim State Park 96 SEA2CITY 42 Shell Oil Company 97 Sheppard, Stephen 51 Sidewalk Labs 32–36 Smart City 32 Space Center Houston 96 St. Clair River 84 Staatliche Universität, Rio de Janeiro 164 Stanley Park 38, 42, 238 Stiles, Richard 7, 8 Strait of Georgia, Straße von Georgia 38, 50 Straßenbäume 20, 22, 23, 42, 60, 222, 227, 238 Südamerika 10, 15, 116, 131, 171, 173, 189, 236 Supercuadras, Superblöcke 200, 202, 205, 220, 241 Surinam 186 Sustainable Energy for All 140 SWA Group 103 Tag der Erde (22. April) 99 Teatro Amazonas, Manaus 184 Teixereira, Anísio 215 Texas 96, 97, 101, 111 Texas Point National Wildlife Refuge 96 The Stop Community Food Centre 27

Times Square, New York City 242 Tocantins 186 Toronto 14, 17–36, 237, 238, 242, 243 Toroposada Arquitectos 153 TransformTO 19 Tropen 12, 116, 117, 153, 183, 205 Two Trees Management 69 Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) 11 UNESCO 173, 205 Unidades de Vida Articulata (UVA) 145 Universidad de la República de Uruguay 232 Universität Amazoniens (UEA) 195 Universität von Antioquia 146, 157 Universität von Brasília 215–219 University of British Columbia 51, 56, 240 University of Michigan 86 University of Victoria 40, 56 UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 162 UNO 13, 137, 209, 239 UNO-Flüchtlingshilfe 137 Upper Kirby District, Houston 107 Urban Land Institute 94 Uruguay, Republik östlich des Flusses Uruguay 8, 222, 224, 228, 230, 231, 232, 233 USA 22, 38, 58, 59, 60, 68, 69, 81, 84, 96, 97, 136, 137 Usaquén, Bogotá 124 Valongo siehe Cais do Valongo, Hängender Garten von Valongo Vancouver 8, 14, 37–56, 237, 238, 240, 241 Vancouver Island 38 Vancouver Organizing Committee 44 Vancouver Plan 42 Vancouver, George 38 Venezuela 137, 186 Victoria amazonica (regia), Riesenseerosen 189, 191, 192 Victoriafälle 7 Villa Hermosa, Medellín 145 Wagner, Martin 7 Wärmeinseleffekt 21, 87, 165 Washington, D. C. 86 Waterfront Toronto 32 Weltklimarat 11, 13, 16, 209, 235 siehe auch IPCC Weltorganisation für Meteorologie 11 West Vancouver 50 Wild Wonderland 111 Williamsburg Bridge 59, 72 Williamsburg, New York City 59 Wychwood Barns, Toronto 27–29 Xaveriana siehe Päpstliche Universität Xaveriana Young, Coleman A. 91 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) 13 Zwischenstaatlicher Ausschuss zum Klimawandel siehe IPCC, Weltklimarat

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REGISTER

BILDNACHWEIS

Die Inhaberin der Rechte an allen Fotos und Abbildungen, die nicht gesondert im Bildnachweis aufgeführt sind, ist Elke Mertens.

TORONTO

MEDELLÍN

2 Courtesy of WEISS/MANFREDI 23 Sidewalk Labs 24 DroneBoy for Sidewalk Labs 25–27 Picture Plane for Heatherwick Studio for Sidewalk Labs

31 Courtesy of OPUS, paisaje arquitectura territorio 32 Sergio Gómez, courtesy of OPUS, paisaje arquitectura territorio 38, 39 Alejandro Echeverri + Valencia arquitectos

VANCOUVER 5, 8–11, 13–15, 17 Courtesy of DURANTE KREUK LTD. 12 Canadian Society of Landscape Architects 20–25 CALP (Collaborative for Advanced Landscape Planning), UBC

NEW YORK CITY 7 Photo: Iwan Baan 8–16 © West 8 22 Eight and a Half, courtesy of the Climate Museum 31, 43 © Bill Tatham/SWA, courtesy of SWA/Balsley and WEISS/MANFREDI 32–36, 40 Courtesy of SWA/Balsley and WEISS/MANFREDI 38, 39, 41, 46 © Albert Vecerka/Esto, courtesy of SWA/Balsley and WEISS/MANFREDI 42 © David Lloyd/SWA, courtesy of SWA/Balsley and WEISS/MANFREDI

HOUSTON 1, 4, 5 © Singleton/SWA 3 Courtesy SWA 6 Houston First 7 Photo by Geoffrey Lyon of G. Lyon Photography, Inc. 11–16 Courtesy of OJB Landscape Architecture 17 Morris Malakoff

BOGOTÁ 2, 3, 5, 6, 8–11 Grupo Verde/Asociación Amigos del Parque 93 12 Courtesy of OBRAESTUDIO, photographer Andres Valbuena 13 Courtesy of OBRAESTUDIO, photographer Daniel Segura 15 Courtesy of OBRAESTUDIO, photographer Jairo Llano 16–18 Courtesy of OBRAESTUDIO

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BILDNACHWEIS

RIO DE JANEIRO 21–24 Embyá Paisagens & Ecossistemas

BRASÍLIA 2 http://www.df.gov.br/simbolos/ 5–10 Thiago dos Santos Nascimento 21–23 Courtesy of Fabiana M. Peneireiro, published in: Agroforestry Systems for Ecological Restoration: How to reconcile conservation and production. Options for Brazil’s Cerrado and Caatinga biomes 25, 26 Fabiana M. Peneireiro

LANDSCHAFTS­ ARCHITEKTUR UND DIE RESILIENZ DER STÄDTE IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS 6, 9 Kristina Hausmanis 7, 8 Maili Sedore

ÜBER DIE AUTORIN

DANKE!

IMPRESSUM

Nach Schulabschlüssen in Deutschland und in den USA absolvierte Elke Mertens eine Ausbildung zur Gärtnerin, Bereich Baumschule. Anschließend studierte sie Landschaftsplanung an der TU Berlin, verbrachte ein Semester als Praktikum in Kamerun und verfasste ihre Diplomarbeit über eine städtebauliche Planung mit besonderem Fokus auf das Bioklima. Nach Tätigkeiten in Büros arbeitete sie wissenschaftlich im Bereich der Verbindung von Landschaftsarchitektur und Bioklimatologie und promovierte zum Bioklima städtischer Baustrukturen. 1998 wurde sie zur Professorin an die Hochschule Neubrandenburg für das Fachgebiet Gartenarchitektur/Freiraumpflege im Studiengang Landschaftsarchitektur berufen. Der Schwerpunkt ihres Interesses, die Landschaftsarchitektur mit der Klimatologie zusammen zu betrachten, blieb über die Jahre erhalten, so dass 2018/19 eine Forschungsreise nach Nord-, Mittel- und Südamerika genau dieses Thema vertiefte und Grundlage für dieses Buch wurde.

Dieses Buch ist mit großartiger Unterstützung vieler Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde, Fachleute aller Art und mit viel Energie aller Beteiligten entstanden. Bereits über Jahrzehnte bestehen einige Freundschaften und Kontakte, die mir bei der Forschung zu diesem wichtigen und gleichzeitig meinem Herzensthema geholfen haben. Dieses Buch ist ein großes Dankeschön an alle, die mich unterstützt haben und mir immer wieder mit Wissen und Informationen behilflich waren.

Satz, Layout und Umschlaggestaltung: Birkhäuser

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Lektorat: Michael Wachholz und Andreas Müller, Berlin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Herstellung: Heike Strempel Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe (Saale)

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, Papier: der Entnahme von Abbildungen und Ich danke allen, die uns vor, während 120 g/m2 Amber Graphic Tabellen, der Funksendung, der Mikround nach unserer sechsmonatigen verfilmung oder der Vervielfältigung Reise durch Nord-, Mittel- und Südauf anderen Wegen und der Speicheamerika informiert und begleitet rung in Datenverarbeitungsanlagen, haben. Insbesondere waren es die Dieses Buch ist auch als E-Book bleiben, auch bei nur auszugsweiser vielen Fachgespräche, die Zusammen- (ISBN 978-3-0356-2235-5) sowie in Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielhänge und Ideen deutlich machten. englischer Sprache (ISBN 978-3-0356- fältigung dieses Werkes oder von TeiWie bei vielen Reisen waren darüber 2234-8, E-Book ISBN 978-3-0356len dieses Werkes ist auch im Einzelfall hinaus auch diesmal zahlreiche weitere 2265-2) erschienen. nur in den Grenzen der gesetzlichen Gespräche und Hinweise hilfreich, Bestimmungen des Urheberrechtsdie uns „nebenbei“ die Umstände und © 2021 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel gesetzes in der jeweils geltenden Zusammenhänge jeweils vor Ort haben P.O. Box 44, 4009 Basel, Schweiz Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich besser verstehen lassen. Ein Unternehmen der Walter de vergütungspflichtig. ZuwiderhandlunGruyter GmbH, Berlin/Boston gen unterliegen den StrafbestimmunDen Büros für Landschaftsarchitektur, gen des Urheberrechts. Stadtplanung und Architektur, den Gedruckt auf säurefreiem Papier, Stadtverwaltungen und Ministerien hergestellt aus chlorfrei gebleichtem sowie den Kolleginnen und Kollegen Zellstoff. TCF ∞ an den Universitäten, mit denen ich Library of Congress Control Number: Kontakt hatte, danke ich für die Bilder, Printed in Germany 2021947601 Dokumente und tiefer gehenden InISBN 978-3-0356-2233-1 formationen über Projekte, Planungsstrategien und Vorgehensweisen, die 987654321 mir bereitwillig zur Verfügung gestellt wurden. Dieses Wissen hat die Besuwww.birkhauser.com che vor Ort und die Literaturrecherche enorm bereichert und ich habe mehr sehen und die Gründe für bestimmte Planungen erkennen können. Yasmim, Arthur, Thiago, Carla und auch Juanita danke ich für Eure zeitweise Begleitung und Unterstützung, die uns Sicherheit gab, und für die besondere fachliche und freundschaftliche Hilfe. Ihr habt geholfen, weitergehende Zusammenhänge zu verstehen und manchmal sprachliche Missverständnisse auszuräumen. Allen Freunden einen herzlichen Dank für Eure Gastfreundschaft und für die wunderschönen Erlebnisse bei gemeinsamen Unternehmungen!

Dieses Buch erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung (www.boell.de).

Nicht zuletzt ein herzliches „Danke“ Dir, Lutz, dass Du Dir die Zeit für die Reise genommen und mir wichtige Hinweise zum Thema gegeben hast, dass Du bei allen schönen und den wenigen unschönen Erlebnissen an meiner Seite warst und die beste Reise­planung so detailliert und erfolgreich ausgearbeitet hast!

ÜBER DIE AUTORIN/DANKE!/IMPRESSUM

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