Die Religionen des Alten Orients 9783805348072, 9783805348133, 9783805348140, 380534807X

Daniel C. Snell erzählt die Geschichte des religiösen Lebens im Nahen Osten von den Anfängen der Landwirtschaft bis zur

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German Pages 208 [207] Year 2014

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Die Religionen des Alten Orients
 9783805348072, 9783805348133, 9783805348140, 380534807X

Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Danksagung
Eine Definition von Zeit und Raum
Frühe Andeutungen
Götter, Götter, Götter
Städte, Staaten und Götter
Die Verlockungen Ägyptens, 4000–1400 v. Chr.
Die Götter Ägyptens
Der Traum des Echnaton, 1350–1300 v. Chr.
Die Praxis in Ägypten
Das internationale Zeitalter, 1400–1000 v. Chr.
Götter und Menschen
„Der Herr ist einzig" – Israel und sein Umfeld
Die Wende
Der gute und der böse Gott
Die Länder des Baal
Griechenland, Etrurien, Rom und die weitergegebenen Traditionen
Die tote Hand der Vergangenheit und der lebendige Gott
Religiöse Erfahrung im alten Orient
Bibliographie
Register
Back Cover

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Daniel C. Snell

Die Religionen des alten Orients Aus dem Englischen von Cornelius Hartz

Englische Originalausgabe: Religions of the Ancient Near East. Copyright © 2011 by Daniel C. Snell First published by Cambridge University Press All rights reserved

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Verlag Philipp von Zabern ist ein Imprint der WBG. © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Ulrich Berkmann, Mainz Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Einbandabbildung: Leichentuch mit Bemalung: Der Tote wird von Anubis zu Osiris geführt. © bpk, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung; SMB, Jürgen Liepe Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8053-4807-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8053-4813-3 eBook (epub): 978-3-8053-4814-0

Inhalt Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Danksagung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Götter, Götter, Götter

Städte, Staaten und Götter

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Verlockungen Ägyptens, 4000–1400 v. Chr. Die Götter Ägyptens Die Praxis in Ägypten

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

„Der Herr ist einzig“ – Israel und sein Umfeld

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Der gute und der böse Gott Die Länder des Baal

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

Griechenland, Etrurien, Rom und die weitergegebenen Traditionen Die tote Hand der Vergangenheit und der lebendige Gott Religiöse Erfahrung im alten Orient Bibliographie Register

83

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Das internationale Zeitalter, 1400–1000 v. Chr. Götter und Menschen

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der Traum des Echnaton, 1350–1300 v. Chr.

Die Wende

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Eine Definition von Zeit und Raum Frühe Andeutungen

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. . . . . . . 164

. . . . . . . . . . . . . . . 174

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

Vorwort

F

angen wir mit ein paar Vorurteilen an. Natürlich haben wir alle vorgefasste Meinungen darüber, was Religion ist oder zumindest sein sollte und wie aus ihr das geworden ist, was sie heute darstellt. Dabei tauchen wir tief in die Vergangenheit ein, um festzustellen, ob wir nachvollziehen können, was geschehen ist. Und wir geben offen zu, dass das in unserem aufgeklärten Zeitalter so gut wie unmöglich erscheint. Ich schreibe dieses Buch nicht, um eine bestimmte Theorie über Religion zu beweisen oder zu widerlegen. Ich habe diesbezüglich ein paar Ideen, und die möchte ich am Ende des Buches auch darlegen. Aber ich habe gleichzeitig eine hoffnungslos romantische Konzeption davon, was die Aufgabe eines Historikers ist: aufzuschreiben, was wir wissen, üblicherweise in chronologischer Reihenfolge, um dann festzustellen, ob wir die Kraft, die Ereignissen, Zeremonien oder Wörtern innewohnt, irgendwie ermessen können. Das, was ich aufschreibe, bedient sich hauptsächlich moderner Forschungsergebnisse über religiöses Leben. Dabei geht es mir nicht darum, die Ansichten anderer zu bestätigen oder gutzuheißen; vielmehr verwende ich sie, um die Kontinuitäten und die Brüche im menschlichen Streben zu veranschaulichen. Wir werden niemals in der Lage sein, das zu erleben, was andere durchlebt oder gehört haben, aber wenn wir nicht versuchen, uns ihren Erfahrungen anzu­nähern, dann sind unsere Forschungsbemühungen so irrelevant wie Kataloge oder geistlose technische Details. Damals lebten Menschen, und all das, was sie erlebt haben, werden wir niemals vollständig erfassen. Aber wir können versuchen, ein Gefühl dafür zu entwickeln. Und das sollten wir auch tun.

Danksagung

B

ei der Formulierung meiner Fragestellungen zur Geschichte der Religionen verdanke ich sehr viel meinen Vorgängern in den beiden Fächern, die ich ­studiert habe, und meiner Familie. Alle meine Verwandten in der Generation vor mir waren ordinierte Pfarrer verschiedener Konfessionen oder mit einem Pfarrer verheiratet. Mein besonderer Dank gilt meiner verstorbenen Tante, Rev. Marjorie Hawkins Call, langjährige Pastorin der Free Methodist Church, die nach Oklahoma kam, um ihren Lebensabend mit meinen damals noch kleinen Kindern zusammen zu verbringen, damit sie alle erfahren konnten, was eine resolute reli­ giöse Frau heute in der Lage ist, in dieser Welt zu erreichen. Was die Wissenschaft betrifft, erinnere ich mich an die ehrenhaften Bemühungen des immer allen Menschen freundlich gesinnten Thorkild Jacobsen, der eine anspruchsvolle und ein wenig eigenwillige Geschichte der mesopotamischen Religion verfasste. Im Folgenden werde ich vehement gegen diverse seiner Ansichten angehen, aber ich schätze seine Klarheit im Ausdruck und die offensichtliche gedankliche Tiefe, mit denen er die Entwicklung der Sumerer beschrieben hat. Profitiert habe ich auch von Bill Hallos Intuition, von dem ich gelernt habe, die Möglichkeit zu akzeptieren, dass sich bestimmte Traditionen immer weiter fortsetzen, zum Teil über Jahrtausende hinweg. Außerdem verdanke ich viel einer ganzen Reihe von Gelehrten, die ich nie kennengelernt habe, aber deren Werke ich studiert habe, allen voran Henri Frankfort, der es gewagt hat, groß zu denken, und der leidenschaftlicher über die ägyptische Religion geschrieben hat als die meisten. Daneben habe ich eine Menge aus Gesprächen mit einer Reihe von Kollegen in diversen Institutionen mitgenommen über das Wesen und die Praxis der Reli­ gion. Im Frühjahr 2008 förderte der Präsident der Universität von Oklahoma, David L. Boren, meinen lang ersehnten Kurs in altorientalischer Religion. Im Rahmen dieses Kurses hörten meine Schüler und ich Vorträge von Prof. Gary Beckman von der Universität von Michigan, Prof. Benjamin Foster von der Yale University, Prof. Ann Macy Roth von der New York University, Prof. Tonia Sharlach von der Oklahoma State University sowie Prof. David Sperling vom Hebrew Union C ­ ollege und dem Jewish Institute of Religion in New York, und wir hatten längere Gespräche mit ihnen. Ich laste ihnen nicht meine eigenen Interpretationen an, aber ich möchte ihnen für ihre Offenheit und ihre Bereitwilligkeit danken, religiöse ­Themen zu diskutieren. Prof. Sharlach war außerdem so freundlich, eine späte Fassung dieses Werks zu lesen und mit hilfreichen Anmerkungen zu versehen.

Danksagung

9

Des Weiteren danke ich Prof. David Levy und Prof. Stanley Burstein, die Korrekturen der Erstauflage beisteuerten. Ich danke meiner Frau, Dr. Katie Barwick-Snell, dafür, dass sie das Manuskript dieses Buches gelesen und kommentiert hat und bei der Erstellung der Karten mitwirkte. Meine liebe Freundin, die Künstlerin Adrienne Day, schuf drei wunderbare Strichzeichnungen. Mein Bruder David Snell aus Atlanta, Georgia, hat sorgfältig mehrere Entwurfsfassungen des Buches gelesen. Als Dank dafür, dass er und seine Frau, Mary Lou Snell, mich im Laufe der Jahre unterstützt haben, widme ich ihnen dieses Buch.

Eine Definition von Zeit und Raum Wer als Student zum Wesentlichen der assyrisch-babylonischen Literatur ­vordringen will, muss alle konventionellen Untersuchungsmethoden vergessen. – Edward Chierra, They Wrote on Clay, 1965, 44

E

s war eine trockene Gegend dort, in der Nähe des Flusses, mit ein paar unkrautbestandenen Becken, pockennarbigen Überresten der letzten Regenfälle. Wenn der Wind wehte, war es durchaus angenehm, auch an einem heißen Sommernachmittag – gar nicht wie in anderen Wüsten, die er kannte und in denen einem der Flugsand ins Gesicht blies; weniger wie der Südwesten der USA, eher wie die fruchtbaren Ebenen des Mittleren Westens, die in einem schlechten Erntejahr zu einer unwirtlichen Gegend wurden, vor allem wenn der Wind den Staub aufwirbelte. Später stand er in einem solchen staubigen Sturm, sein Mund voll Sandkörnern – aber trotzdem ein Lächeln auf den Lippen, obwohl seine Crew kaum arbeiten ­konnte, während unter dem tiefblauen Himmel der sandige Wind heulte. Würde man diese Gegend richtig bewässern, dann könnte es hier richtig paradiesisch sein, dachte er. Und dann erinnerte er sich daran, dass sie in ganz frühen Geschichten, zum Beispiel in der Bibel, genau so dargestellt war: Und es ging aus von Eden ein Strom, zu wässern den Garten, und er teilte sich von da in vier Hauptwasser. Das erste heißt Pison, das fließt um das ganze Land Hevila; und daselbst findet man Gold. Und das Gold des Landes ist köstlich; und da findet man Bedellion und den Edelstein Onyx. Das andere Wasser heißt Gihon, das fließt um das ganze Mohrenland. Das dritte Wasser heißt Hiddekel Tigris, das fließt vor Assyrien. Das vierte Wasser ist der Euphrat. (1 Mose 2,10–14)

*** Das war mein erster Eindruck jenes Teils von Syrien am Euphrat, als ich zum ersten Mal das Land besuchte, das vor langer Zeit einmal Mesopotamien hieß. Ich wühlte als Archäologe im Dreck, in der Hoffnung, das Team würde ein paar Keilschrifttafeln finden, die ich dann lesen könnte. Irgendwann geschah das dann auch, aber inzwischen war ich ebenso schmutzig wie müde. Die Teile des Nahen Ostens, wo die meisten Menschen leben und seit Jahrtausenden gelebt haben, sind nicht wirklich Wüsten oder zumindest nicht immer Wüsten. Sie können durchaus blühen und haben das auch schon oft getan.

Eine Definition von Zeit und Raum

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Die in diesem Buch zu untersuchende Gegend versteht man in der Regel als alten Orient, beginnend mit Mesopotamien, einschließlich der heutigen Länder Irak, Syrien, Türkei, Libanon, Israel, Palästina und Iran. Außerdem soll noch das alte Ägypten in diesen Kontext integriert werden, durch die dortigen Schriften und Monumente. Die behandelte Zeitspanne reicht von der Vor- und Früh­ geschichte bis zur griechischen Eroberung durch Alexander den Großen um 330 v. Chr., auch wenn wir in manchen Fällen ein wenig weiter nach vorne blicken werden und in anderen ein wenig früher aufhören. Die betreffende Region, heute im Deutschen als „Naher Osten“ bezeichnet, nennt man im Englischen „Middle East“; letztere Bezeichnung kann jedoch auch noch weiter östlich gelegene Gebiete wie Afghanistan, Pakistan und Zentralasien sowie im Westen die arabisch- und berbersprachige Küste Nordafrikas beinhalten. Doch so gebräuchlich beide Begrifflichkeiten in diversen modernen Sprachen auch sind, so wenig deskriptiv sind sie im Prinzip. Der Terminus „Middle East“ geht auf den US-amerikanischen Marinehistoriker Alfred Mahan zurück, der die Vorstellung vertrat, der Osten – genauer: der Orient – besitze eine kulturelle Schneise, die von Westen nach Osten verlaufe, entlang dessen, was wir heute als nördliche Ebene des Nahen bzw. Mittleren Ostens bezeichnen würden; er wollte so die Unterschiede zu Indien und China betonen (Lewis 1994, Mahan 1902). Der Begriff „Naher Osten“ ist neuer; wahrscheinlich stammt er daher, dass die Russen die Gebiete, an denen sie ein Interesse hatten, u. a. Afghanistan und Persien, als blizhny vostok („naher Osten“) bezeichneten – „nah“ auf Russland bezogen. Beide Begriffe offenbaren einen durch und durch europäischen Blick auf diese Region. Ein geographisch deskriptiver Begriff wäre „Westasien“, allerdings würde der Nordafrika außen vor lassen, namentlich Ägypten und den Sudan. Mithin verfügen wir über keinen wirklich befriedigenden modernen Begriff für unseren Gegenstand hier (auch der von den Römern geprägte Begriff „Orient“ ist ja sehr ungenau), aber das ist nur eines unserer terminologischen Probleme. Wir müssen noch einige weitere Begriffe definieren. „Sumerisch“ bezieht sich auf die Sprache, die zuerst im Süden Mesopotamiens bezeugt ist, eine Sprache, die mit keiner anderen in Verbindung steht. Das Sumerische war offenbar diejenige Sprache, für die die Keilschrift entwickelt wurde, wie man sie auf Tontafeln entdeckt hat. In dieser Sprache sind die frühesten Funde mit Religionsbezug verfasst worden, die wir haben, jedoch muss sie schon sehr früh vom Akkadischen in den Hintergrund gedrängt worden sein, der Sprache der Nachbarn der Sumerer im Norden. Irgendwann starb Sumerisch als gesprochene Sprache aus, aber wir wissen nicht genau, wann. Dennoch blieb es bis zum Ende der Keilschrift-Tradition im 1. Jh. n. Chr. als wissenschaftliche Sprache erhalten.

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Eine Definition von Zeit und Raum

Die Region Sumer befand sich im Süden des heutigen Irak, und Akkad lag im Norden (heute der mittlere Irak, also Bagdad und Umgebung). In religiöser Hinsicht jedoch erfuhr der Süden eine gewisse Kontinuität, auch wenn es einen kom­ plexen Prozess gab, in dem die Götter der einen Gesellschaft mit denen einer an­ deren gleichgesetzt wurden. Diese Gleichsetzungen waren manchmal genau, manchmal weniger genau. Eine Muttergottheit ließ sich leicht adaptieren, eine Göttin der Liebe oder des Krieges schon weniger. Im Rückblick können wir nicht mehr feststellen, wessen Götter mit ihren Charakteristika tatsächlich dominierten. Viele Aspekte religiösen Lebens konnte man zuerst bei den Menschen beobachten, die Sumerisch sprachen. Schon in frühesten Zeiten lebten und arbeiteten jedoch Akkadisch sprechende Menschen und solche mit sumerischen Namen Seite an Seite, und so kann es durchaus sein, dass es bereits vor der Entwicklung der Schrift zu einer Durchmischung von Praktiken verschiedener Herkunft kam. Heute ist es schwierig, zu klären, was dabei rein sumerisch und was ursprünglich akkadisch war. In den ersten Stadtstaaten überhaupt scheint man Sumerisch gesprochen haben, aber es finden sich auch einige Akkadisch sprechende Staaten in der frühen Königsliste, die wahrscheinlich erst etwa tausend Jahre nach der Entwicklungsphase entstand (Jacobsen 1939). Früher glaubte man, dass sich bei den Akkadisch Sprechenden etwas Nomadisches erhalten habe, aber das ist eher unwahrscheinlich; immerhin war Akkadisch eine semitische Sprache, stand also mit den noch lebenden Sprachen Arabisch und Hebräisch in Verbindung, die beide eine nomadische Phase hatten. Es gibt jedoch keinerlei Anzeichen dafür, dass die Akkader in einer einfacheren Gesellschaftsform lebten als die Sumerer. Ein weiterer Begriff, den wir klären müssen, ist „Assyrisch“. Dieser bezieht sich zunächst auf einen Dialekt des Akkadischen, den man Ende des 2./Anfang des 1. Jts. v. Chr. ganz im Norden des heutigen Irak sprach. Assyrien nannte man den expansiven Staat, der den Irak und einen Großteil des übrigen Nahen Ostens ­dominierte. Die Assyrer besaßen aus ihrer Sicht eine eigenständige Kultur, aber sie sammelten bewusst Texte aus dem Süden des Irak und adaptierten diese Texte für ihren eigenen Hauptgott, Aššur. Es gab verschiedene kulturelle Aspekte, denen man im Süden skeptisch begegnete; der Süden war politisch von den Assyrern entfremdet, fürchtete ihre Organisation und Macht und misstraute ihren Motiven. Assyrien besaß eine ganz eigene Kultur, und doch verdankte es den früheren Traditionen des Südens hinsichtlich seiner Sprache und Haltung eine ganze Menge. Als Analogie könnte man anführen, dass Assyrien für das südliche Mesopotamien das Gleiche war wie die Vereinigten Staaten einst für Großbritannien, bevor sich jemand die Mühe machte, ein amerikanisches Buch lesen. Vor Ralph Waldo Emerson schien Nordamerikas gesamte Kultur aus dem Mutterland zu kommen,

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Eine Definition von Zeit und Raum

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400 miles 600 km

Karte 1 – Der alte Orient.

obwohl auch zahlreiche Menschen aus anderen Ländern in die Vereinigten Staaten einwanderten und die politischen Bindungen zu Großbritannien definitiv ­gekappt waren. „Babylonisch“ ist ein weiterer geographischer Begriff, der in der Beschreibung einiger Zeitabschnitte verwendet wird. Das Wort bezieht sich auf die Stadt Babylon und ihre Umgebung, was in etwa dem Gebiet von Akkad entsprach. Babylon erlangte jedoch erst nach 2000 v. Chr. Bedeutung als Stadt, und das Königreich Babylon wurde zum erfolgreichsten der kleinen Staaten, die aus dem Zusammenbruch des Reiches hervorgingen. Die Sprache von Babylon war wahrscheinlich

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Eine Definition von Zeit und Raum

Akkadisch, aber unter den Mitgliedern der herrschenden Klassen gab es auch ­solche, die Amurritisch sprachen. Amurritisch war nie eine eigenständige Schriftsprache, und wir kennen sie lediglich von Personennamen her. Der Begriff „babylonisch“ wurde weiterhin verwendet, auch nachdem das Altbabylonische Reich an Bedeutung verloren hatte, und man neigte dazu, den ganzen Irak, oder zumindest den Südirak, als „Babylonien“ zu bezeichnen. Es ist eine schwierige Frage, ob man von einer eigenen religiösen Tradition in Babylonien sprechen kann. Das zeitgenössische Gegenstück wäre die Religion der Assyrer, aber in den religiösen Traditionen gab es enge Verbindungen, auch wenn die Politik diejenigen entfremdete, die jene Traditionen verkörperten. Ein letzter zu definierender Begriff ist „Mesopotamien“. So nannten die Griechen die Gebiete Syriens und des Iraks, die, so wörtlich, „zwischen den Flüssen“ lagen; die Aramäer hingegen nannten die Region „jenseits der beiden Flüsse“; sie meinten damit die große Biegung des Euphrat im heutigen Syrien und in der Türkei, und wahrscheinlich schloss dieses Gebiet einen Großteil der Landfläche östlich dieser Biegung mit ein, auch den heutigen Irak. „Mesopotamien“ wurde bis zum 20. Jahrhundert nie als politischer Begriff verwendet, und es waren stets zahlreiche Kulturen in diesem Gebiet angesiedelt (Finkelstein 1962). Dennoch gab es zwischen den unterschiedlichen religiösen Traditionen, auf die sich die im Vorangegangenen vorgestellten Begriffe beziehen, durchaus Kontinuitäten. Polytheistische Systeme neigen nicht zur Orthodoxie, und sie öffnen sich häufig neuen Sitten und Göttern. Dennoch waren einige der Standorte, für die schon sehr früh religiöse Stätten nachgewiesen wurden, wie die Stadt Uruk im Süden des Irak, mehr als drei Jahrtausende lang religiöse Zentren. Einige der dortigen Götter waren ebenso langlebig. Es gab natürlich eine gewisse Entwicklung im Laufe der Zeit, aber dennoch lassen die Traditionen von den frühen bis zur späteren Zeit eine gewisse konzeptuelle Kohärenz erkennen, und man neigt seit jeher dazu, sie als eine einzige Tradition anzusehen. Dennoch gab es innerhalb dieser Traditionen an verschiedenen Orten und zu den verschiedenen Zeiten durchaus unterschiedliche Schwerpunkte und Interessen. Den Polytheismus ernst zu nehmen ist für die moderne westliche Welt schwierig, weil sich unsere eigenen Traditionen in eine ganz andere Richtung bewegt haben. Der Hinduismus ist ein modernes polytheistisches System, das eben jene Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu demonstrieren scheint, die wir im alten Orient finden, aber auch der Hinduismus verfügt über eine lange Geschichte der Interaktion mit dem Islam, in Dialog und Auseinandersetzungen, die hinduistische Intellektuelle möglicherweise dazu zwangen, sich in ihren Lehren festzu­ legen und die Art und Weise, wie sie über religiöse Phänomene sprachen, stärker zu regulieren. Der Hinduismus kann natürlich nicht als Spiegel für den alten Ori-

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Eine Definition von Zeit und Raum

ent gelten, doch es gibt immerhin einige interessante Aspekte, die durchaus ähnlich erscheinen. Die Assoziation von Göttern mit bestimmten Tieren scheint vergleichbar, aber es wäre voreilig zu argumentieren, dass zu irgendeinem Zeitpunkt die Tiere selbst als Götter betrachtet wurden oder dass stets anthropomorphe Tendenzen eingegriffen haben. Immerhin, die Betonung des Sichtbarkeit, dass man die Götter anschauen und so an ihrer Heiligkeit teilhaben kann, scheint ein Echo des alten Orients zu sein (Babb 1975). Doch den Hinduismus und den alten Orient trennen eine Menge Raum und Zeit. Wie Ernest Renan, der führende Semitist des 19. Jahrhunderts, einmal gesagt hat, verdirbt einem der Monotheismus den Geschmack für alle anderen Formen von Religion (Renan 1974: 208), will sagen: Wir, die wir in einer monotheistischen Welt aufgewachsen sind, können einfach nicht nachvollziehen, was den Polytheismus so attraktiv macht (Augé 1982). Nichtsdestotrotz haben auch unsere religiösen Traditionen eine Geschichte, die bis zum ­a lten Orient zurückreicht, und selbst wenn wir nur begreifen, wo wir heute stehen, ist es wichtig, dass wir versuchen nachzuvollziehen, was man in der Antike über die zentralen Themen der Menschheit dachte.

Zeitleiste Mesopotamien

Türkei

Syrien/ Palästina

Ägypten

10.000–5500 v. Chr.

jungsteinzeit­ liche Dörfer

Çatal Höyük



0

5500–3100 v. Chr.

Obed-Kulturen





4000–3000 Naqada-Kultur

3100–2000 v. Chr.

3100–2300 frühdynastische Zeit

0

Ebla

3000–2600 frühdynastische Zeit

2300–2100 alte Akkader, Gutäer

0



2600–2160 Altes Reich

2100–2000 Ur-III-Zeit

0



2160–2055 Erste Zwischenzeit

altbabylonische Zeit

1800–1700 altassyrische Zeit



2055–1650 Mittleres Reich

2000–1600 v. Chr.

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Eine Definition von Zeit und Raum

Mesopotamien

Türkei

Syrien/ Palästina

1650–1550 Zweite Zwischenzeit

1700–1600 Altes Hethiterreich 1600–1200 v. Chr.

mittelbabylonische Zeit

1200–539 v. Chr.

spätbabylonische Zeit

Neues Hethiterreich

Ägypten

1400–1200 Ugarit

1550–1069 Neues Reich 1069–664 Dritte Zwischenzeit

883–625 neuassyrische Zeit



1000–925 Vereinigtes Königreich Israel

625–539 neubabylonische Zeit



925–722 Geteiltes Königreich Israel

664–332 Spätzeit

722–586 Juda 586–539 Babylonisches Exil 539–330 v. Chr.

Persisches Reich







330 v. Chr.

makedonische Staaten: ­seleukidische Epoche





Ptolemäerzeit

0 bedeutet: Es gab nur wenige oder gar keine ähnlichen Phänomene in dieser Epoche. – bedeutet: Es gab ähnliche Phänomene in dieser Epoche.

Frühe Andeutungen Das Wundervolle galt ihm nicht als Ausnahme, sondern als Regel. – Ernest Renan, Das Leben Jesu (Übers. Hans Helling)

D

ie Fremden kamen. Sie sprachen unsere Sprache nicht, aber sie brachten Scherben aus glänzendem Obsidian mit – geradezu perfekt, um Klingen daraus zu machen. Die Klingen waren scharf genug, um durch Fleisch und sogar Knochen zu schneiden. Daher nahmen die, die im Dorf lebten, die Scherben dankbar an und sorgten dafür, dass die Fremden mit Platz nehmen durften, als man am Abend auf dem Dach Ziegenfleisch und Milch servierte. Die Fremden blieben. Vielleicht wollten sie einen Blick auf die Dame werfen, wenn sie vorbeischritt. Vielleicht würde sie auch ihnen Segen bringen, wie den Dorfbewohnern. Bei den Fremden wusste man nie, woran man war. Klar, sie staunten, wie viele Menschen kamen und gingen, waren beeindruckt von der ­großen Zahl der Schafe, die am Abend ins Dorf getrieben wurden. Sie waren wachsam, vor allem, als die Leopardentänzer die Dämmerung willkommen hießen. Die Tänzer trugen die gipsernen Köpfe ihrer ehrwürdigen Vorfahren, von einigen tropfte noch die frische rote Farbe, die die Vorfahren voller Blut und lebendig hielt. Die Männer trugen einen Lendenschurz aus Leopardenfell und führten ein lautes Stöhnen und Wehklagen auf, obwohl Leoparden doch heimlich und leise anzugreifen pflegen. Die Frauen und Männer drehten sich um und schritten rückwärts um das Dorf, wobei sie alle das geheime Lied ihrer Familie sangen und den Gipskopf vor sich ins Dunkel hielten. Sie trugen keine Fackeln, und ganz plötzlich kehrten sie, wie große Katzen, heim, um ihre Vorfahren in ihre Häuser zurückzubringen. Am Haupteingang des Dorfs brannte ein Feuer, und die Fremden versammelten sich dort mit den anderen Männern und Kindern. Ein Schamane, ein alter Mann, der alles über Tiere wusste, stand aus dem Kreis auf und begann das Lied – ein Lied in einer alten Sprache, und selbst die, die es schon oft gehört hatten, verstanden nicht alle Worte. Es ging um Jagd und Erfolg, es lobte bestimmte ­Ahnen dafür, wie gut sie Stiere anlockten und Wildschweine töteten. Der alte Mann versuchte außerdem zu prüfen, ob die Fremden mit lauterer ­Absicht gekommen waren, die Männer und Frauen und ein oder zwei Säuglinge, die

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Frühe Andeutungen

dort zusammen kauerten. Dass Fremde anwesend waren, war äußerst ungewöhnlich; dass nicht alle, die Opfergaben brachten, die Geheimnisse des Dorfs kannten. Immerhin konnte es doch sein, dass ihre Anwesenheit das Gebet, das nun beginnen sollte, wirkungslos machte. Vielleicht aber hieß die Dame ihre Gaben auch gut, und es konnte sein, dass das Gebet und die folgende Ernte günstig ausfielen. Empfänglich genug schienen sie eigentlich, wenn auch ein wenig verblüfft über des Schamanen Kopfschmuck und seine wilde Sprache, die sie nicht verstanden. Es wurde spät, und einige der Fremden waren bereits eingeschlafen. Der Schamane hörte zu singen auf, und ein erwartungsvolles Schweigen befiel die Versammlung. In der Ferne, außerhalb des Lichtkreises, stöhnte ein Leopardenmensch. Dann stand sie auf einmal in ihrer Mitte – groß, stattlich, eine rote Maske auf dem Gesicht, und sie warf ihre Glieder herum und schrie ihren Willen heraus: Man solle die Fremden drei Tage lang bewirten. Man solle ihnen Felle als Bekleidung geben, Steine zum Feuermachen, sie einladen, zur Sonnenwende wiederzukommen und mehr von ihrem Gestein mitzubringen. Sie seien willkommen, schrie sie, von Herzen willkommen! Die Männer und Kinder erhoben sich, jubelten und umarmten die Fremden. Die Dame stolzierte davon in die Nacht. Die Männer legten für die Fremden Felle heraus und kehrten in ihre Häuser zurück. Heute war es noch warm, und sie würden auf ihren Dächern schlafen. Die Frauen lagen dort bereits. Im Morgengrauen aber wurde das Dorf jäh geweckt und die Fremden auch. Dort, am Horizont, schlich ein echter Leopard umher. Die schlanke und hungrige Wildkatze war auf der Suche nach Fleischresten der vergangenen Nacht, hatte aber zu viel Angst vor den Menschen des Dorfs, um näher zu kommen. Das war ein wirklich gutes Omen. *** Çatal Höyük („gabelförmige Ruine“) ist heute ein großer Hügel im Süden der ­Türkei, aber um 8000 v. Chr. war es ein Handelszentrum, in dem vielleicht das passierte, was in den vorangegangenen Zeilen beschrieben wurde. Es war eine große Stadt, noch bevor man die Pflanzen kultivierte, und domestizierte Tiere gab es ebenfalls erst wenige. Aus der erhaltenen Kunst wird klar, dass die Menschen geradezu besessen von Leoparden waren. Vielleicht waren die Leoparden die heiligen Tiere dieser Stätte und man tötete sie in der Regel nicht. Die Stätte Çatal Höyük ist unter den jungsteinzeitlichen Dörfern, die wir kennen, ein Sonderfall. Sie bestand von der Zeit, als die Menschen noch gar keine Töpfe hatten, bis in die Zeit, als Keramik bereits weit verbreitet war. Es barg Spuren von kultiviertem Weizen und domestizierten Ziegen, wie andere Fundorte,

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aber dazu auch Schätze aus Obsidian, dem vulkanischen Glas, aus dem man besonders scharfe Messerspitzen herstellen kann. Das Dorf blühte um 7000 v. Chr. und war von bemerkenswerter Größe, aber seine zahlreichen Häuser hatten keine Türen. Man betrat sie durch ein Loch im Dach. Die Toten wurden in den Etagen der Häuser begraben, aber bei einigen ent­ fernte man den Kopf und bedeckte ihn mit Gips. Der Gips wurde immer wieder erneuert und mitunter rot angemalt. Besonders geehrter Vorfahren, aber auch der Kinder gedachte man auf diese Weise (Bonogofsky 2004). Vermutlich sollte dieser Brauch bedeuten, dass man das Leben des Toten mit Blut erneuerte. Hauswände dekorierte man manchmal mit Jagdszenen, einige davon sind ­heute noch in lebendigen Farben erhalten. Unter den Tieren waren Leoparden besonders prominent; aber sie wurden dabei nicht unbedingt gejagt. Einige von ihnen lagen auf Darstellungen an den Wänden nur wie Katzen herum, und es waren dort Menschen abgebildet, die ein Leopardenfell trugen. Merkwürdig ist, dass man bisher nur einen einzigen Leopardenknochen in der gesamten Anlage gefunden hat, und zwar in der Grabstätte einer Frau von hohem Status; vielleicht trug sie ihn als Anhänger, denn er hatte ein Loch. Gab es einen Grund, warum Menschen keine Leoparden jagten, auch wenn sie offensichtlich einen wichtigen Teil ihrer Kunst darstellten? Denn dass es in der Nähe Leoparden gab, ist klar. Die Stätte war offenbar ein wichtiges Handelsdepot für Obsidian, aber wir können nicht nachvollziehen, warum die Leute es horteten und unter ihrem Fußboden vergruben. Es gab auch Darstellungen von Rindern, und die Bewohner hatten keinerlei Skrupel, Rinder zu essen, wie Knochen zeigen. Vielleicht war es für die Menschen in der Region eine Stätte von religiöser Bedeutung. Es scheint, als hätten die Menschen vor Ort mehr Ressourcen zur Ver­ fügung gehabt, als sie selbst hätten züchten oder jagen können. Was uns in Çatal Höyük auf die Fährte der Religion führt, sind die Fruchtbarkeit von Herden und Kulturpflanzen und das Thema Leben nach dem Tod. Einige, aber anscheinend nicht alle Tote scheinen weitergelebt zu haben in dem Sinne, dass sie Anteil am Leben der Gemeinschaft hatten, in dem Maße, dass ihre Köpfe aufbewahrt und mit mehreren Schichten Gips versehen wurden. Wir können nicht mehr feststellen, wie entschieden wurde, wem man diese Sonderbehandlung zukommen ließ, oder ob eine solche Behandlung als Ehre galt (Hodder 2006). Als die Archäologie im viktorianischen 19. Jahrhundert den alten Orient entdeckte, befand sich die westliche Gesellschaft mitten in einem Prozess der Säkularisierung. Das bedeutete, dass die religiösen Kräfte an Einfluss verloren und an den Rand gedrängt wurden, wenn es um Entscheidungen darüber ging, was die Regierungen taten und wofür sie ihr Geld ausgaben. Allerdings waren viele der Wissenschaftler, die am säkularen Wunder der Wiederbelebung des Wissens um

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den alten Orient Anteil hatten, studierte Theologen, angehende Priester oder Rabbiner oder bekleideten sogar ein geistliches Amt. Ihr Blick auf frühere Epochen mag durchaus von einem größeren Interesse an religiösen Dingen geleitet gewesen sein als der vieler Zeitgenossen. Darüber hinaus enthielten neue Funde die Namen bisher gar nicht oder nur wenig bekannter Götter. Die Welt des alten Orients schien von einer tiefen Religiosität bestimmt gewesen zu sein, in der sich die Erfahrungen der Forscher widerspiegelten. Tempel gehörten zu den größten und interessantesten Funden der viktorianischen Ausgräber. Sie vermuteten, dass die Tempel bei der Entstehung der frühen Zivilisationen ein wichtiger Motivations- und Organisationsfaktor waren. Ihre Publikationen waren reich an Dokumenten aus den Tempeln und religiösen Texten. Sie gelangten zu der Überzeugung, dass diese frühen Gesellschaften sehr fromm gewesen seien und die Religion für sie die Funktion gehabt habe, die Gesellschaft zu ordnen. Die alten Könige hatten damit geprahlt, dass sie Tempel bauten, um die Götter zu erfreuen; die modernen Gelehrten neigten nun dazu, auch wenn sie den Schwulst durchschauten und die politische Motivation dahinter erkannten, diese Frömmigkeit für bare Münze zu nehmen. Es ist erstaunlich, dass dieser Ansatz seinen Höhepunkt ausgerechnet bei dem äußerst weltlichen Anthropologen Robert McCormick Adams fand. In seinem Buch The Evolution of Urban Society (Adams 1966) befand er, dass die Gesellschaften von Mesopotamien genau wie die von Mittelamerika unter der Ägide von Priesterkönigen entstanden seien – Männern, die ihre enge Verbindung mit dem Übernatürlichen benutzten, um andere einzuschüchtern und zur Mitarbeit bei der Umsetzung großer religiöser Projekte zu bringen. Was spätere Epochen angeht, so gibt es umfangreiche Beweise für diese Behauptung; Archive verzeichnen große Ländereien und eine große Zahl an Menschen, die vom „Haus der Dame“ kontrolliert wurden, einem Tempel-Komplex, dem die Ehefrau des Gouverneurs von Lagaš vorstand, einer großen Stadt im Süden des Irak. Das war um 2400 v. Chr., aber doch lange nach Entstehen der mesopotamischen Zivilisation in der irakischen Ebene um 5500 v. Chr. Adams zeichnet in seinem Buch ein plausibles Bild von den frühen Entwicklungen in Mesopotamien und in Mittelamerika, und doch ist dieses Bild ganz zwangsläufig ein skizzenhaftes und theoretisches. Es basiert außerdem auf der abgemilderten marxistischen Vorstellung davon, wie Menschen motiviert werden, indem man ihnen spirituellen Trost bietet im Austausch für körperliche Arbeit. Die Schlussfolgerung lautet, dass diese alten Völker irgendwie religiöser waren als wir es heute sind. Mitunter hat man behauptet, die Menschen damals hätten geglaubt, ihre religiösen Führer besäßen außergewöhnliche Kräfte, durch die sie in der Lage wären, ihnen Schmerzen zuzufügen, wenn sie nicht gehorchten. Für eine solche

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Haltung gibt es wenig direkte Beweise, und die große physische Mobilität der ­mesopotamischen Gesellschaft zeigt, dass die Menschen „mit den Füßen“ abstimmten: Trat ein Stadtoberhaupt allzu anmaßend auf, hatte er bald immer weniger Anhänger, und im schlimmsten Fall war seine Stadt am Ende gänzlich verlassen. Nun mögen Forscher die ferne Vergangenheit noch immer als stark religiös geprägt ansehen, für uns selbst und unsere Gesellschaft verneinen wir jedoch, von religiösen Mandaten bestimmt zu sein oder ihrem Bann zu erliegen. Und dennoch hat auch unsere heutige Gesellschaft zahlreiche Befürworter von mehr Religiosität in der Politik. Nichtreligiöse Menschen sehen hier eigennützige Motive am Werk, und vielleicht war es dieser Egoismus, den Adams wahrnahm und eigentlich ansprechen wollte. Aus einem so großen Abstand heraus ist es natürlich schwer zu beurteilen, wie aufrichtig man damals mit der Religion umging, vor allem, wenn dem modernen Beobachter die Art und Weise, wie man diese Religiosität zum Ausdruck brachte, mehr als fremd- und eigenartig erscheint. Was geschah als Nächstes? Nachdem der Nahe Osten mit bäuerlichen Gemeinden übersät war, die wahrscheinlich lediglich durch den gelegentlichen Austausch von Waren und Innovationen miteinander verbunden waren, kam es durchaus manchmal zu Problemen mit der niederschlagsabhängigen Landwirtschaft. Wir glauben, dass die dortige Gegend ab mindestens 3000 v. Chr. so trocken war, wie sie heute ist – also ziemlich trocken. Es kann also gut sein, dass in schlechten Jahren Dörfer teilweise oder komplett aufgegeben wurden; manche Menschen zogen weiter bis in die Berge, wo es mehr Regen gab, oder sie gaben die Landwirtschaft ganz auf, um ihren domestizierten Schafen oder Ziegen auf ihrer Suche nach Nahrung zu folgen. Solche Umsiedlungen hinterließen in archäologischen Stätten kaum Spuren, aber es kann durchaus sein, dass die Menschen dadurch sehr viel sensibler wurden, was die Wechselhaftigkeit des Wetters betrifft. Dies kann durchaus dazu geführt haben, dass die Menschen versuchten, die Regengötter zu besänftigen. Die Nomaden zogen in die Berge, manchmal aber auch in die Wüste, die ihnen allerdings nicht wirklich zusagte, und spätere Nomaden konzentrierten sich, soviel wir wissen, in ihrem religiösen Bemühen auf den Gott des Mondes – das hatte unter Umständen etwas damit zu tun, wie man sich in einer Gegend mit wenigen verfolgbaren Spuren zurechtfand. Der wichtigste Schritt für die Geschichte der Religion war die Besiedlung der irakischen Ebene von den Gebirgsausläufern im heutigen Irak und Kurdistan aus. Die Gebirgsausläufer wurden auch weiterhin produktiv bewirtschaftet, aber die Ebene wurde wie heute noch von den zwei großen Flüssen und von unzähligen natürlichen Kanälen mit Wasser versorgt. Es war ein Leichtes, an den Ufern dieser Gewässer Felder anzulegen, und es stellte sich heraus, dass solche bewässerten Kulturen bis zu zehn Mal mehr Ausbeute brachten als nur mittels Regen bewirt-

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schaftete Kulturpflanzen. Die Ebene war ansonsten trocken und unfruchtbar und im Sommer auch sehr heiß, aber die hohe Produktivität scheint die Landwirte aus den Dörfern in die Ebene gelockt zu haben. Was die Siedler für die Religion taten, können wir in der südlichen Stätte Eridu beobachten, dem heutigen Abu Schahrain, wo ein irakisches Team eine moderne wissenschaftliche Ausgrabung durchführte, deren Ergebnisse in beispielhafter Art und Weise veröffentlicht wurden (Safar u. a. 1981). Laut der viel späteren sumerischen Königsliste kam das erste Königtum in Eridu vom Himmel herab – das bedeutet, man glaubte, dass sich eine komplexe Sozialstruktur zuerst dort, in Eridu, gebildet habe; und auch wenn dies nicht der am frühesten bewohnte Ort auf der Ebene war, so war er doch schon sehr früh besiedelt, vielleicht um 5500 v. Chr. (Jacobsen 1939: 70–71). In Eridu fanden die Irakis ein altes Gebäude aus Lehmziegeln, dessen Boden mit Fischgräten übersät war; Fisch war ein weiterer Vorteil des Lebens am Fluss. Dieses Gebäude wurde mehrmals umgebaut, und für spätere Epochen konnte man es als Tempel des Gottes Enki identifizieren. Offenbar mochte er es, wenn man ihm Fisch opferte, und teilte seine Beute gerne mit seinen menschlichen Anhängern. Wie wir sehen werden, war er ein Süßwassergott, und sein sumerischer Name bedeutet „Erdenherr“, wobei diese Bezeichnung in die Irre führen kann: Er war ein Gott dessen, was die Erde fruchtbar machte – des Wassers, das die Überschüsse schuf, die die Lagerräume bis an die Decke füllten. Es ist unklar, ob er etwas mit den früheren Regengöttern zu tun hat. In der Ebene gab es nur im Winter Regen. Dieser Tempel war wahrscheinlich ein organisatorisches Zentrum für seine Gemeinde, er war das größte Gebäude und stand für eine umfassende Bündelung der Ressourcen der Menschen. Es gab tägliche Mahlzeiten aus Fisch, und vielleicht durften sich alle daran beteiligen, vielleicht fand hier aber auch nur eine Reihe von Zeremonien statt, an denen nur wichtige Entscheidungsträger der Gemeinde ­Anteil hatten, vielleicht noch nicht einmal die Fischer selbst. Wir haben keine genaue Vorstellung davon, wie sich damals Eliten bildeten, aber wahrscheinlich gab es bei den Feldern eine Hierarchie in Bezug darauf, wie gut man sie bebauen konnte, und diese Ressourcen waren möglicherweise ungleichmäßig verteilt. Selbst wenn sie es nicht waren, so waren einige Leute geschickter und talentierter als andere; im Laufe der Zeit hatten sie mehr Einfluss auf die Entscheidungen innerhalb der Gemeinschaft. Eventuell traten dabei nicht nur Persönlichkeiten in den Vordergrund, die die Gemeinde in praktischen Dingen leiteten, sondern auch solche, die Priester wurden. Das Grundwort im Sumerischen für Priester, e n, bedeutet auf Akkadisch zugleich „Priester“ und „Herr“, und das weist darauf hin, dass es in den Gemeinden unter Umständen keine großen Unterschiede zwischen praktischer und ideologischer Führung gab. Wenn wir diese Entwicklung für eigennützig und gefährlich halten, betrachten wir sie

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vielleicht zu sehr aus heutiger Sicht. Später werden wir sehen, dass es genau diese Personen waren, die für die Versorgung der Armen zuständig waren, und insofern war ihr Ansatz zumindest ein wenig von Altruismus geprägt. Die Bewohner anderer früher Siedlungen können neben dem Gott des Süßwassers durchaus andere Götter angebetet haben, allerdings müssen auch sie vom Flusswasser abhängig gewesen sein. Was die Eigenschaften dieser Götter angeht, kann man nur spekulieren, aber in späteren Zeiten hatten die Städte Hauptgötter, die in den größten Gebäuden verehrt wurden. Diese Götter hatten Götterfamilien, die ebenfalls im Haupttempel verehrt wurden oder eigene kleinere Schreine hatten. Die Konstruktion von Göttergruppen als Familien scheint sehr alt zu sein, auch wenn definitive Beweise dafür erst aus der Zeit stammen, als die Menschen bereits darüber schreiben konnten (Sallaberger 2004). Eine weitere Möglichkeit, Beziehungen zwischen verschiedenen Göttern herzustellen, war der Synkretismus; dabei identifizierte man eine Gottheit mit einer anderen, die einen anderen Namen hatte, aber ähnliche Eigenschaften. Dies scheint ein grundlegender Wesenszug des Polytheismus zu sein: eine Vielzahl von Göttern und das Bedürfnis der Menschen, diese zu kategorisieren. Eventuell war es politisch notwendig, mit anderen Städten zu kooperieren, die andere Götter hatten, aber als freundlich gesonnen galten, so dass man annahm, dass auch die Interaktion zwischen den verschiedenen Göttern positiv verlief. Polytheismen scheinen besonders gut dafür geeignet, religiöse Konflikte zu vermeiden, und dies zum Teil deshalb, weil sie offener sind und eine beliebige Anzahl neuer Götter mit neuen Namen aufnehmen können. Der Synkretismus ermöglicht es ihnen, ein aufkeimendes System zu vereinfachen und dabei die Namen und das Spektrum der am jeweiligen Standort beliebten Gottheiten beizubehalten. Eine Analogie bilden die verschiedenen Formen der Jungfrau Maria, von denen einige eventuell sogar auf verschiedene vorchristliche Gottheiten zurückgehen und die unter dem Dach des Christentums vereinigt worden sind. Sie wird auf unterschiedliche Weise verehrt und weckt hier und dort unterschiedliche Gefühle, aber niemand würde daran zweifeln, dass ein und dieselbe Jungfrau Maria gemeint ist. Dieser Mechanismus war in der Lage ein Pantheon zu erschaffen, das Götter verschiedener Städte inkorporierte, aber bevor die frühen, von der Bewässerung abhängigen Bauerndörfer zu größeren politischen Einheiten verschmolzen, wird sich niemand darum geschert haben. Doch als sie sich zu vereinigen begannen, wurde es umso wichtiger, und man identifizierte die einen Götter mit anderen Göttern und glich ihre Eigenschaften einander an. Dies ist der früheste Polytheismus, von dem wir wissen. Von Stadt zu Stadt mögen die religiösen Befindlichkeiten andere gewesen sein, da die Objekte der Religion sich unterschieden, aber zur einer Spaltung innerhalb der Religion an sich führte dies anscheinend nicht.

Götter, Götter, Götter Die religiöse Welt ist nur ein Widerschein der wirklichen Welt. – Karl Marx, Das Kapital, 1906, 91

Wofür die Götter gut waren

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an hatte dem jungen Priester genau erklärt, was er zu tun hatte, und er war die ganze Nacht auf gewesen, hatte die heiligen Gegenstände bewacht, die ersten Datteln, die jemand aus der Stadt geerntet hatte. Sie waren grün und matschig und nicht besonders appetitlich. Er zog getrocknete Datteln vor, aber die Göttin wollte die allerersten, und zwar so bald wie möglich. Er war müde, aber blieb aufmerksam, während das erste Licht der Morgendämmerung über dem Horizont erschien, und allmählich konnte er das Geflecht des Korbes erkennen und die schlafende Stadt. Erst ein, zwei Rauchwolken stiegen auf, aus den Häusern der Frühaufsteher. Der alte Priester hatte ihm genau erklärt, was er zu tun hatte, und der Priester konnte die Treppe zur Terrasse nicht mehr erklimmen, also durfte er jetzt keine Fehler machen. Er hatte angenommen, dass ihm in der Nacht ein wenig kalt werden würde – schließlich erwartete man von ihm, dass er vollkommen nackt vor dem Tempel aus Lehmziegeln sitzen sollte. Aber es war noch immer Hochsommer, auch wenn die Dattelernte bis in den Herbst hinein dauern würde. Nach der sengenden Hitze des Tags war die Nacht fast angenehm. Dass er nackt war, sollte der Göttin seine Reinheit zeigen; es mochte ihm ein wenig peinlich sein, aber glücklicherweise war er ganz allein. Selbst die Priester der Tagesschicht waren noch nicht eingetroffen, um die Tempelterrasse zu säubern und den Rest des Frühstücks für die Göttin vorzubereiten. Die Gabe, die er darbrachte, war eine ganz besondere, und es musste in der Morgenröte stattfinden, nachdem die erste Ernte eingefahren war. Hier saß er also, nackt. Da, die ersten Sonnenstrahlen hatten endlich die Ebene erreicht. Er erhob sich und ging langsam in den Tempel hinein. Das Bildnis der Göttin schien ihn zu betrachten, das Licht begann gerade, ihr vergoldetes Haar zum Leuchten zu bringen. Das Bildnis war aus Holz gefertigt, mit goldenen Applikationen.

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Es war überlebensgroß, und die Kleider, in denen die Göttin dargestellt war, waren mit diesen teuren blauen Steinen gespickt, die aus dem Osten kamen. Ihre pechschwarzen Augen schienen ihn aufmerksam anzuschauen, als er, den Korb in den Händen, vor sie trat. Er begann mit seinem Gebet, das er auswendig gelernt hatte: „Herrin aller göttlichen Eigenschaften, Lichtgeberin, aufrechte Frau in überwältigender Pracht, vom Himmel wie von der Erde geliebt …“ Das war sie wirklich, wie ihm klar wurde, als er den Korb vor sie warf. Dann wandte er den Blick ab und ging rückwärts wieder hinaus – es konnte doch sein, dass sie sofort beginnen wollte, die Datteln zu verspeisen. Er beendete sein Gebet außerhalb des Tempels, wo die Sonne inzwischen ankündigte, wie heiß der Tag werden würde. *** So in etwa könnten die Erlebnisse eines Priesters ausgesehen haben, der der Göttin Inanna die ersten Früchte der Saison darbot. Das Gedicht, das wir kennen, ist erst viel später entstanden (Hallo und van Dijk 1968: 14–15), und in den frühesten Zeiten wäre die Muttersprache eines solchen jungen Priesters wohl Sumerisch gewesen, so dass er es auch komplett verstanden hätte. Doch schließlich sprach niemand mehr Sumerisch, und es wäre eine akademische Herausforderung gewesen, das Gebet auswendig zu lernen und es richtig aufzusagen. Es falsch wiederzugeben, hätte der Göttin sicher missfallen. Die Religion ist für uns Menschen da, die wir in diesem Moment die Erde bevölkern. Das wird sehr schön durch eine kunsthistorische Tatsache untermauert: Während es in einigen Kulturen Darstellungen einer ganzen Reihe von Göttern gibt, die alle für sich in ihrer eigenen Welt leben, gilt dies nicht fürs alte Mesopotamien. Die wohl bekannteste Darstellung einer komplett göttlichen Welt stammt aus dem 2. Jt. v. Chr. und findet sich im türkischen Yazilikaya, das offenbar ein Zentrum für den Dienst am hethitischen Pantheon war; es ist ein in einen Berghang geschnitztes Relief einer marschierenden Götterparade. Im südlichen Irak findet sich so etwas überhaupt nicht, in keiner Epoche. Dort sind auf Darstellungen immer Menschen präsent, entweder als Gläubige oder als Überbringer von Geschenken. Die Uruk-Vase aus der Uruk-Zeit im 4. Jt. v. Chr. zeigt eine interessante Darstellung einer Göttin, der ein nackter sie anbetender Mann, der politische Führer einer Stadt, zu sehen ist, der ihr einen großen Topf darbietet, wahrscheinlich mit Datteln gefüllt, einem der Grundnahrungsmittel jener Gegend. Immer waren Menschen dabei, manchmal nur an der Peripherie von Mythen und Geschichten, manchmal erschienen sie wie ein nachträglicher Einfall, aber immer waren sie der eigentliche

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Grund dafür, dass man die Geschichte erzählte. Wir haben Götter, weil wir ver­ stehen wollen, wie die Welt funktioniert, aber was noch wichtiger ist: Wir haben Götter, um festzustellen, wie wir in diese Welt passen (Boemer 1957–1971).

Was war ein Gott? Die verschiedenen Wörter für „Gott“ in den Sprachen des alten Orients kennen wir im Allgemeinen gut, doch was genau sie bezeichnen, ist nicht ganz so einfach zu sagen.

Abbildung 1 – Uruk-Vase: Diese Ansicht des oberen Teils der Alabastervase aus der Uruk-Zeit um 3100 v. Chr. zeigt einen nackten und daher vermutlich reinen Vertreter der Gemeinde, der der Göttin einen Korb Datteln darbringt, die sie gnädig akzeptiert, vielleicht um sie in ihrem Lagerraum zu verstauen. Die an Flaggen erinnernden Symbole hinter ihr zeigen, dass sie Inanna ­darstellen soll, die Göttin des Himmels, die mit dem Morgen- und dem Abendstern assoziiert wurde – und mit den Lagerhäusern, die sehr wichtig waren für den Erfolg einer Gemeinde. Zeichnung von A. Day.

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Sicherlich gibt es eine sprachliche Kontinuität von ilum im Akkadischen über el in Texten aus dem Syrien des 2. Jahrtausends und dem hebräischen el und elohim, einem Plural, der wahrscheinlich eher die Bedeutsamkeit denn die Mehrzahl des Objekts ausdrücken soll, bis hin zu Allah, dem arabischen Namen des einen Gottes. Die Wurzel dieses Wortes hat mit Macht zu tun, und natürlich gilt ein Gott als Zentrum von Macht, d. h. er hat die Fähigkeit, Dinge in der Welt geschehen zu lassen. Das sumerische Wort in der ersten Schriftsprache Mesopotamiens lautet dingir, geschrieben mit dem Zeichen für Stern und manchmal selbst als an zu lesen – das ist der Name des Himmelsgottes. Es ist unklar, womit dingir verwandt ist, und dasselbe gilt für das ägyptische Wort, das wir mit „Gott“ übersetzen, net-er. Es ist möglich, dass net-er mit net-ery, „Natron“, verwandt ist, einem Salz zur Trocknung und Reinigung, und folglich „sauber“, „rein“ bedeutete. Vielleicht war aber auch das Konzept des Gottes zuerst da, und man verband es automatisch mit Reinheit. Weil der Kontrast zu unseren eigenen Ansichten oft extrem und überraschend ist, ertappen wir uns oft dabei, wie wir die Erfahrungen der Menschen im Altertum verallgemeinern; davor sollte man sich jedoch hüten, denn das Altertum selbst verallgemeinerte überhaupt nicht gern. Man kümmerte sich stets um eine ganz bestimmte Gottheit und seine oder ihre besonderen Fähigkeiten. Im Folgenden sind einige Eigenschaften dieser Götter aufgeführt. Einige Götter waren nicht unsterblich. Ihr Sterben war ein zentraler Bestandteil der über sie erzählten Geschichten und offenbar auch ihrer Anbetung (also der Handlungen ihrer Gemeinden, um ihrer zu gedenken). Insbesondere wichtig war der Zyklus der mesopotamischen Göttin Ištar und ihres Gatten Tammuz. In diesen Geschichten hatte die Göttin den Wunsch, die Unterwelt zu besuchen, aus der man in der Regel nicht mehr zurückkehrte und wo die Toten kaum noch als Individuen existierten. Ihre Schwester regierte dort, und sie hatte sich mit dieser noch nie gut verstanden. Als sie eintraf, wurde sie totgeschlagen, und ihr Tod führte dazu, dass die Erde aufhörte, fruchtbar zu sein. Die anderen Götter sorgten sich und schickten Gesandte, die die Göttin wiederbeleben sollten, die jetzt nur noch totes Fleisch war. Die Schwester protestierte, aber man einigte sich auf einen Kompromiss: Ištar durfte auf die Erde zurückkehren, aber eine Hälfte des Jahres trat nun ihr sorgloser Ehepartner, der jugendliche Fruchtbarkeitsgott Tammuz oder Dumuzi („gerechter Junge“ auf Sumerisch), an ihre Stelle. Er stand vermutlich für die angenehmere, fruchtbare Jahreshälfte, und wenn er fort war, regierte der regenlose irakische Sommer mit seiner unbarmherzigen Hitze und Trockenheit, in dem nichts wachsen wollte (Pisi 2001). Götter waren auch nicht allwissend. Ein Beispiel dafür findet sich in der Geschichte von der Sintflut, als die meisten der großen Götter beschlossen, die Men-

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schen zu vernichten, weil sie so viel Lärm machten. Ein Gott war jedoch insgeheim anderer Meinung und alarmierte den Helden der Flut, ein Boot zu bauen und zu verhindern, dass das Leben auf der Erde ausstarb. Als die anderen großen Götter davon erfuhren und merkten, dass man sie betrogen hatte, wurden sie ­w ütend, aber dem Abweichler gelang es schließlich, sie davon zu überzeugen, dass es ungerecht sei, alle zu vernichten. Die großen Götter wussten also nicht über alles Bescheid, was geschah, selbst nicht im Zusammenhang mit wichtigen Entscheidungen, die sie getroffen hatten (Foster 2005: 252). Götter waren auch nicht allmächtig. Sie galten als spezialisiert, die einen befassten sich mit diesem Phänomen, andere mit jenem. Enlil, „Herr des Windes“ auf Sumerisch, war zuständig für das Wetter und ein Gott, der fast überall in der irakischen Ebene verehrt wurde. Er war der Hauptverantwortliche für die Sintflut. Aber es gab auch den Herrn der Erde, Enki, der auch der Gott des Süßwassers war, das alles blühen ließ und den Menschen überhaupt erst ermöglichte, zu leben. Wenn die Götter sich versammelten, verkörperten sie eine gewaltige Macht, und wenn sie sich auf etwas einigten, dann geschah es auch, wie eben die Sintflut. Doch ihre Macht war nicht absolut, und es war nicht leicht, sie in eine bestimmte Richtung zu lenken. Berühmte Helden konnten nach dem Tod zu Göttern werden, wie z. B. Gilgamesch. Solche Leute waren in der Regel bereits im Leben Menschen mit hohem Status und weithin bekannt, und was es bedeutete, dass jemand zum Gott wurde, war nicht immer ganz klar. In Ägypten galt schon sehr früh der jeweilige König als Gott, als eine ganz bestimmte Art von Gott, als net-er nefer, „der gute Gott“, der beeinflussen konnte, was tatsächlich im Hier und Jetzt geschah. Trotzdem konnte dieser Begriff auch auf einen kürzlich verstorbenen König angewendet werden, dessen Macht in diesem Leben mit dem Tod geendet hatte. Offensichtlich starben solche Götter und standen nicht immer als Persönlichkeiten zur Verfügung, die im Leben anderer intervenierten. Es gab auch Helden der Kultur, wie den mutmaßlichen Pyramidenbaumeister Imhotep, die nach ihrem Tod zu Göttern wurden. In seinem Fall bedeutete das, dass ihm Tempel errichtet wurden und dass ihm in späteren Zeiten zumindest Architekten und Bauherren Respekt zollten. Vielleicht stellten sie sich vor, dass er eingreifen würde, um die Bauwerke, die sie errichteten, zu perfektionieren, so wie es sich im Mittelalter die Christen von ­ihren Heiligen erhofften (Wilkinson 2003: 111–113). Die Situation im alten Irak war um einiges komplexer. Dort genügte es den Herrschern zumeist, sich als Auserwählte der Götter zu sehen oder auch als Kinder der Götter. Aber um 2200 v. Chr. behauptete der König von Akkad, NaramSîn, tatsächlich ein Gott zu sein. In der Praxis bedeutete das, dass die Könige nun ihren Namen mit dem dingirZeichen davor schreiben ließen. Wir wissen nicht, ob man dies auch mitsprach,

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vielleicht war es nur ein Hinweis für Schriftgelehrte. Die Könige behielten diese Gewohnheit (vielleicht ohne weiter darüber nachzudenken) für die nächsten 300 Jahre bei, während ganze Dynastien untergingen und Traditionen sich änderten. Einige ließen sich Tempel bauen und ordneten Opfer für sich selbst an, und doch regierten sie als Menschen mit all ihren Fehlern, trafen nicht immer glückliche Entscheidungen und starben am Ende. Unklar ist, was andere Mesopotamier von diesen Entwicklungen hielten, aber es birgt schon eine gewisse Ironie, dass die spätere mesopotamische Überlieferung berichtet, Naram-Sîn, der eigentlich nicht der letzte König seiner Linie war, sei für den Fall seiner Dynastie aufgrund von Freveln gegenüber den großen Göttern verantwortlich gemacht worden. Es gibt keine zeitgenössischen Belege dafür, dass dem so war, und es ist auch nicht besonders wahrscheinlich. Allerdings waren die Mesopotamier der Ansicht, dass irgendjemand für den großen Umbruch verantwortlich sein musste, und weil er so berühmt war, schob man die Schuld NaramSîn zu. Mag sein, dass zu den Freveltaten, die spätere Epochen ihm vorwarfen, der Anspruch auf Göttlichkeit gehörte, aber überliefert ist das nicht. Spätere Könige taten es ihm nur allzu gern nach. Heute sieht man dies oft als krassen Versuch, die Untertanen die königliche Macht spüren zu lassen, das Königsamt als etwas ganz Besonderes darzustellen, ganz ähnlich wie die europäischen Könige, die sich von Gottes Gnaden eingesetzt wähnten. Es kann jedoch durchaus sein, dass das gemeine Volk diesen Anspruch gar nicht allzu ernst nahm. Es gibt einen Hinweis darauf, dass einige versuchten, dem regierenden König zu schmeicheln, indem sie ihren Kindern Namen gaben, in denen der Name des Königs enthalten war, eine Praxis, die man aber allerdings noch beibehielt, nachdem die Vergöttlichung der Könige eine Ende gefunden ­hatte. Einer dieser Namen war ein Kompliment an Hammurabi, den König, der den Brauch beendete; ein Junge trug um 1750 v. Chr. herum bis zum Erwachsenenalter den Namen Hammurabi-nuhdi-matim – „Hammurabi ist der Reichtum ˘ des Landes“. Vermutlich hatte er einen kürzeren Spitznamen. Ein Aspekt der Vergöttlichung war der Gedanke, dass nur der König, der das religiöse Zentrum von Nippur nahe dem heutigen Bagdad kontrollierte, zu seinen Ehren Königshymnen komponieren lassen konnte. Nach Akkad scheinen Könige die Tatsache respektiert zu haben, dass in späteren Epochen zwar mehrere Könige um die Macht wetteiferten, dass derjenige in Nippur aber der ranghöchste unter ihnen war. Vielleicht erklärten sich auch andere zu Göttern, aber der Herrscher von Nippur tat dies ganz bestimmt (Hallo 1963). Einige sehen in Hammurabis Verzicht auf die königliche Vergöttlichung einen selbstbewussten Hinweis auf die Fremdheit der Könige amurritischer (oder westlicher) Abstammung, mit dem Argument, dass sich die Amurriter durch eine Vergöttlichung irgendwie beleidigt

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gefühlt hätten. Allerdings waren die meisten der Könige, die sich in den zweihundert Jahren vor Hammurabi nur allzu bereitwillig zu Göttern erklärt hatten, ebenfalls amurritischer Herkunft. Ethnische Herkunft scheint indes keine aus­ reichende Erklärung für das Ende der Vergöttlichung zu sein. Spätere Könige ­ließen ihren Namen manchmal mit dem göttlichen Determinativ schreiben, auch wenn sie keine anderen Insignien der Vergöttlichung verwendeten. Wenn also Könige und Helden Götter sein konnten, was war denn dann ein Gott? Ein Gott war jemand mit außerordentlicher Macht und Erfolg und jemand, der diese Macht über große räumliche und vielleicht sogar zeitliche Distanz ausüben konnte. Wenn Könige und Helden Götter waren, dann waren die Götter gar nicht so weit weg oder so ganz „anders“, als man es in späteren Zeiten annahm. Ein altes Gedicht beginnt mit den Worten: „Als Götter Menschen waren …“, und in gewissem Sinne könnte diese Phrase auf die Einstellung der Menschen gegenüber den mesopotamischen Göttern zurückverweisen; sie waren nicht so weit weg oder so ganz anders, aber natürlich waren sie dennoch mächtig und manchmal auch gefährlich (Foster 2005: 227).

Göttertypen Die Mesopotamier teilten ihre Götter in verschiedene Kategorien ein. Unsere Quellen für das Verständnis ihrer Ansichten reichen von gelehrten Listen bis zu den persönlichen Namen konkreter Menschen. Die Archäologie erlaubt uns manchmal festzustellen, was genau man für einen bestimmten Gott tat, gewährt uns normalerweise aber keinen Einblick in die Gefühle der Menschen bei bestimmten religiösen Anlässen, nicht einmal für die Eliten. Geschichten über die Götter kennen wir auch aus literarischen Texten, die Teil der Ausbildung von Schriftgelehrten waren; diese entsprachen vermutlich in einigen Epochen den ­Ansichten anderer Teile der Gesellschaft, aber sie stellten in keinem Fall eine Orthodoxie dar, an die man sich zu halten hatte. Wenn wir uns also mit einem Mal in einer antiken irakischen Stadt wiederfänden und das Sumerische oder Akkadische so gut beherrschten, dass wir die Menschen verstehen könnten und sie uns, so ist es zweifelhaft, ob jeder, mit dem wir sprächen, überhaupt von all diesen Göttern gehört hätte, deren Geschichten wir kennen. Einige sicherlich schon, so glauben wir, weil das gelehrte Medium der Schrift ihnen diese Informationen ­zugänglich machte, aber was den Rest der Gesellschaft betrifft, so wissen wir es nicht. Vielleicht war es mit den Bildnissen dieser Götter ähnlich wie mit den mittelalterlichen Heiligen der Christen: Vielleicht sahen arme Leute hier und da ein Bild von einem Heiligen, wenn sie das Glück hatten, eine schöne moderne Kirche

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oder einen Schrein zu bewundern, und vielleicht hörten sie einen Priester über die Heiligen predigen, in einer Sprache, die sie verstehen konnten – vielleicht aber auch nicht (Gurewitsch 1992: 95). Unter den Göttern gab es Ur-Götter, die, die als Erste existierten. Sie fanden sich in den gelehrten Göttergenealogien, und sie tauchten auch weiterhin im mythologischen Denken auf, aber sie hatten in den verschiedenen historischen Epochen zumeist keine eigenen Schreine und spielten auch keine große Rolle in den Vorstellungen der meisten Menschen darüber, wie die Welt funktioniert. Sie hatten Namen wie Anšar und Kišar, das bedeutet „ganz Himmel“ bzw. „ganz Erde“. Sie zeugten weitere Götter, und auch diese hinterließen bei späteren Denkern keinen großen Eindruck. Doch es muss am Anfang Götter gegeben haben, und es muss das Konzept gegeben haben, dass im Laufe der Zeit verschiedene Generationen von Göttern folgten. Einer dieser Nachkommen stellte sich schließlich als durchaus bemerkenswert heraus – Abzu, der personifizierte unterirdische Süßwasserozean, von dessen Namen eventuell das englische Wort abyss abstammt, obgleich auch das griechische a-byssos, „ohne Grund“, plausibel erscheint. In gewisser Weise war dieser urtümliche Ort noch immer Teil der Wirklichkeit der Menschen, denn das Süßwasser sprudelte immer noch aus Quellen aus der Tiefe und kam ganz bequem als Fluss zu den Menschen. Wenn wir heute über diesen Süßwasserozean sprechen, nennen wir ihn den abzu, was bedeutet, dass wir ihn uns als unpersönliche Kraft vorstellen; aber in keiner Sprache der Mesopotamier gab es einen bestimmten Artikel, somit ist das eher unsere Vorstellung von den Dingen als ihre. Der abzu hatte auch etwas Unzuverlässiges und Chaotisches, so dass man ihn in den Geschichten über einen Aufstand gegen die von den Göttern verhängte Ordnung immer auf der falschen Seite findet. Außerdem erschien der abzu gleichermaßen als Ur-Ort, als unterste Stelle, die man sich vorstellen konnte, mit Süßwasser gefüllt. Er war auch der Sitz späterer Götter, die eine etwas aktivere Rolle spielten, wie vor allem der Herr der Erde – Enki, der Gott des Süßwassers (Sjöberg 1994: 184–202). Diese frühere Göttergeneration war zu der Zeit, als man die Schrift erfand, um 3100 v. Chr., verblasst und zumindest bei manchen Menschen durch andere Götter verdrängt worden – Götter, die aktiver erschienen und vielleicht auch in das Leben der Menschen eingreifen konnten. Man unterhielt Tempel für sie, und man verfasste für sie Gebete. Die Menschen hofften, dass die Götter etwas für sie tun würden. Der Herr des Windes, Enlil, war der Chef der Götter. Er handelte manchmal willkürlich und war unfair, aber er berief die Versammlung der Götter ein und konnte sie veranlassen, bei Herrschern und anderen Menschen einzugreifen. Prinzen, die im Süden des Irak darauf hofften, ihre Macht zu vergrößern, bauten ihm Tempel und opferten ihm. Offenbar verehrte man ihn im ganzen Süden, aber

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er hatte eine Stadt, die etwas ganz Besonderes für ihn war: Nippur – in vielerlei Hinsicht die religiöse Hauptstadt von ganz Mesopotamien. Soweit wir sehen können, war die Stadt niemals eine politische Hauptstadt. Der Forscher Thorkild Jacobsen war der Meinung, dass die Vorrangstellung von Nippur und Enlil möglicherweise von der Sitte herrührte, dort einen Rat der Stadtstaaten einzuberufen, der sich mit Bedrohungen für das Flusstal auseinandersetzte. Jacobsen sah Nippur als neutralen Ort, wo Frieden aufrechterhalten werden konnte und ruhige, multilaterale Gespräche stattfinden konnten. Doch seine Belege für diese „sumerische Liga“, wie er sie nannte, sind leider lediglich spätere mythische Texte, die einen Rat der Götter beschreiben (Jacobsen 1957, Steinkeller 2002). Der Fall Nippur wirft die Frage auf, inwieweit man die verallgemeinernde ­These aufstellen kann, dass religiöse Hauptstädte immer auch eine politische ­Rolle spielen. Jerusalem war wichtig, weil es zur Königsstadt wurde, und Rom und Istanbul ebenso. Mekka war schon vor dem Propheten des Islam wirtschaftlich bedeutend, und nach seinem Aufstieg war es nie politische Hauptstadt, aber seine religiöse Funktion wurde durch die Offenbarung an Mohammed noch einmal bekräftigt. In Keilschrift schrieb man den Namen der Stadt Nippur einfach „Enlil-Ort“, die Lesarten Nibru und Nippur stammen aus Glossen dazu. Dies setzt sich im heutigen Namen, Nuffer, fort. Der Gott selbst erscheint in seinem Charakter ­jedoch so wie die Könige, die ihn anbeteten: elegant-distanziert, kraftvoll und unergründlich, mit großer Macht ausgestattet, aber potenziell unzuverlässig. Seine Macht verdankte er seiner Abstammung von den Ur-Göttern, und in Nippur stellte er sie zur Schau. Im Gegensatz dazu war der Herr der Erde, Enki, trickreich und verschlagen und verfolgte immer seinen eigenen und eigenwilligen Ansatz. Als Gott des Süßwassers war sein Aufenthaltsort der abzu, und von dort aus ersann er Pläne, um den Menschen zu helfen. Enki war nicht nur der Gott des landwirtschaftlichen Erfolgs, sondern auch der Gott der Weisheit, der seinen Lieblingsmenschen ein „breites Ohr“ lieh, wie es auf Sumerisch heißt – das bedeutet, er hatte ein breites Verständnis dafür, wie die Dinge funktionierten. Diese Weisheit qualifizierte ihn auch auf einzigartige Weise dafür, Menschen Zaubersprüche beizubringen, die es ihnen ermöglichten, Magie anzuwenden. Ihm und seinem Sohn, dem Gott von Babylon, Marduk, sprach man viele solche Zaubersprüche zu. Enkis Stadt war Eridu, tief im Süden in der Flussebene. Bis zum Jahr 2000 v. Chr., vielleicht sogar früher, hatten die meisten Einwohner Eridu verlassen, und es wohnten dort nur noch einige Priester, die sich um den Schrein des Enki kümmerten. Es gab also auch hier, wie im Fall von Enlil, eine seltsame Verbindung zu einer Stadt ohne politische Bedeutung; Enkis Stadt war während der historischen

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Abbildung 2 – Enki-Siegel: Dies ist eine moderne Umzeichnung eines alten Siegels, das den Gott der Fische, des Süßwassers und der Weisheit zeigt, wie er die Berge besteigt und Gutes von seinen Schultern fließen lässt. Neben ihm steht sein ­Gefährte Išum, der oft nützlich war, weil seine diversen Gesichter ihn in verschiedene Richtungen blicken ließen und ihm Einsichten erlaubten, die zu ­Enkis ­Weisheit und magischem Geschick beitrugen. Der Name des Siegel-Besitzers ­erscheint auf der rechten Seite: „Adda, der Schreiber“. Zeichnung von A. Day.

Epoche im Grunde eine Geisterstadt. Sie wurde von den Regierungen nicht aus wirtschaftlichen Gründen aufrechterhalten – denn wahrscheinlich verlief der Fluss dort inzwischen gar nicht mehr, und die Kanäle waren ausgetrocknet –, sondern vielmehr, um Enki Ehre zu erweisen und weil sich die Könige ganz richtig daran erinnerten, dass sie unter den frühen Städten einmal die wichtigste gewesen war (Safar u. a. 1981). Moderne Forscher haben spekuliert, dass es eine Eridu-Theologie gab, die sich von der späteren Nippur-Theologie unterschied. Verschiedene Stränge der schriftlichen Überlieferung heben verschiedene Aspekte der Beziehungen der Götter untereinander in früheren Zeiten hervor. Die Geschichten aus Eridu betonen die UrElemente Wasser und Erde, und sie beinhalteten Appelle an die Götter der Unterwelt; immerhin befand sich Eridu am Eingang zum unterirdischen abzu. Im Zentrum der Geschichten aus Nippur stehen indessen die Himmelskörper und ihr Einfluss auf die Menschen. Auf lange Sicht setzte sich die Nippur-Theologie

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durch, aber Schreiber kopierten auch weiterhin das Material aus Eridu, noch lange nachdem Eridu aufgehört hatte zu existieren (Hallo 1996). Das Bemerkenswerteste an der mesopotamischen Religion war jedoch die ­Anwesenheit mächtiger Göttinnen, die sich größtenteils zwei Typen zurechnen lassen. Einen Typus bilden die Göttinnen der Geburt und Mutterschaft, die in einer Welt, in der Kinder scharenweise an Kinderkrankheiten starben, einen festen Platz hatten; um auch nur sich selbst durch je einen lebensfähigen Nachkommen ersetzen zu können, mussten Frauen und Männer wohl dreimal so viele Kinder bekommen. Der zweite Göttinnen-Typus war zuständig für die Liebe und den Krieg. Die Muttergottheiten hatten viele Namen, allen gemeinsam aber war, dass sie nährend und unterstützend auftraten. In früheren Zeiten stellte man sie mit überdimensionalen Brüsten und Vulven dar, um darauf hinzuweisen, dass sie für eine erfolgreiche Geburt und Mutterschaft sorgen konnten. In historischen Zeiten erscheinen sie stark spezialisiert und doch offensichtlich äußerst beliebt, vor allem bei Frauen, die sich mit den Details der Fortpflanzung konfrontiert sahen. Ištar war der akkadische Name der berühmtesten Göttin für Liebe und Krieg. Auf Sumerisch hieß sie Inanna, was anscheinend „Königin des Himmels“ bedeutet. Einige andere Göttinnen waren dafür zuständig, Kranke zu heilen. Überall dort, wo Kulturen aufeinandertrafen, verglichen sie ihre Götter miteinander und fanden grundlegende Gemeinsamkeiten, selbst bei Göttern mit ganz unterschiedlichen Namen und aus unterschiedlichen Milieus. Der Ägyptologe Jan Assmann vertritt die Meinung, dass solche Gleichsetzungen von Göttern höchst bedeutsame konzeptionelle Durchbrüche darstellten (Assmann 1997: 46). Die Menschen waren fähig, von einem ihrer eigenen Götter zu abstrahieren und ähnliche Qualitäten bei einem Gott aus einer anderen Kultur zu entdecken. Diese Identifizierung erfolgte in einem polytheistischen Kontext, das heißt, die Götter, die verglichen wurden, waren Teil eines Systems, das theoretisch offen war und in der Lage, neue Götter mit unterschiedlichen Aufgaben und Eigenschaften in sich aufzunehmen. Manchmal akzeptierte ein System sogar einen Gott, für den es in diesem System gar keine Analogie zu geben schien. Bei bedeutenderen Göttern war ein erheblicher Aufwand in puncto Identifikation und Übertragung nötig. Bei solchen Gleichsetzungen konnten jedoch durchaus einige Merkmale eines Gottes auf einen anderen abfärben. Möglicherweise war die sumerische Inanna eine Sternengöttin, die für den Planeten Venus und vielleicht für bestimmte Aspekte der körperliche Lieben stand. Ištar scheint vor allem ihre akkadischen ­Lieblingskönige in der Schlacht beschützt zu haben. Doch irgendwann teilten die beiden Göttinnen diese Eigenschaften. Es ist kaum denkbar, dass die Akkad-­ Dynastie diese Identifikation bewusst vornahm, um ihre eigene Göttin mit einer im Süden fest etablierten gleichzusetzen. Viel wahrscheinlicher ist, dass diese Art

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der Gleichsetzung u. a. bei den Schriftgelehrten stattfand, und zwar schon so ­lange, wie akkadisch- und sumerischsprachige Menschen zusammenlebten, also bereits seit der Zeit der frühesten schriftlichen Aufzeichnungen, die wir aus dem süd­lichen Irak kennen (Wilcke 1976–1980). Jacobsen sah Inanna nicht nur als Teil der Dattelpalme, sondern auch als personifiziertes Lagerhaus. Nicht, dass ihr Name das bedeutet hätte, aber ihr Symbol tauchte tatsächlich auf Lagerhäusern auf, die wahrscheinlich zugleich wichtige Zentren für die Gemeinde waren und zur Aufbewahrung von Überschüssen dienten sowie zur Verteilung dieser Überschüsse, wenn eine Hungersnot drohte. Vielleicht waren diese Lagerhäuser der Brennpunkt und der offensichtlichste Erfolgsfaktor früher Gemeinschaften, nicht nur in Südmesopotamien (Jacobsen 1976). Das Symbol der Göttin war eine Turmspitze, an der ein Tuch mit einem Ende festgebunden, das ansonsten frei herabhing. Das Ganze mag Teil einer Tiara ­gewesen sein, wie sie Damen der Oberschicht trugen (Beaulieu 1998; Steinkeller 1998). Solche Turmspitzen ragten über Gebäuden, insbesondere Lagerhäusern, auf und vermeldeten, dass die Göttin wieder für einen Versorgungsüberschuss gesorgt hatte und es genug für alle gab. Ištar war im Südirak eine weibliche Gottheit, im 2. Jahrtausend gab es in Syrien jedoch einen Gott namens Aštar – offenbar das gleiche Wort wie Ištar, nur in männlicher Form. Dieser Gott, den man vielleicht mit der Venus als Morgenstern identifizierte, ehrten auch die vorislamischen Araber (Papst und Röllig 1965: 249– 250). Auch wenn er kein Hauptgott war, wirft seine Existenz die Frage auf, wie konsequent Götter identifiziert und ihre Namen weitergeführt wurden. Inanna-Ištar wurde vor allem in Uruk verehrt, wo allem Anschein nach die erste Schrift entwickelt wurde und woher wir diverse Geschichten über frühdynastische Könige besitzen. In der Literatur galt die Göttin als pflichtbewusste Ehefrau, die gewissenhaft den Segen der Fruchtbarkeit unter den Menschen verbrei­ tete. Eine Möglichkeit, für Fruchtbarkeit zu sorgen, war die sogenannte heilige Hochzeit, bei der der König Inanna-Ištars Ehemann verkörperte und eine Priesterin die Göttin spielte; ihre Vereinigung war ein Garant für fruchtbare Felder. Die Hymnen, die mit diesem Brauch in Verbindung stehen, erwähnen lediglich IddinDagan, der in den 1900er Jahren v. Chr. König der Stadt Isin war. Wir wissen daher nicht, ob dieser Brauch auch an anderer Stelle und zu anderen Zeiten praktiziert wurde (Renger 1972–1975). Ein weiterer Aspekt, der hinsichtlich Inanna von Interesse ist, war ihr Ehemann, der die Trockenzeit des südlichen Irak verkörperte und dennoch zugleich für die Fruchtbarkeit stand. Er wurde schon früh mit einem anderen, zuvor eigenständigen Gott identifiziert, Amaušumgalana, einem Drachen oder Reptil, und seine Rolle als Hirte bedeutete, dass er einen Großteil seiner Zeit außerhalb der

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Abbildung 3 – Uruk-Siegel: Dies ist eine moderne Umzeichnung eines Siegels aus der Uruk-Zeit um 3100 v. Chr. Es scheint darzustellen, welch großer ­Besitztümer der Eigentümer sich rühmte, angezeigt durch Lagerhäuser mit ­ ehenden, flaggenähnlichen Symbolen, gefüllt mit kleinen Tieren und vermutlich w Milchprodukten. Darüber sieht man Rinder, die anzeigen, dass noch weit mehr Vieh vorhanden ist. Zeichnung von A. Day. Städte verbrachte, in den unkultivierten Gegenden zwischen den grünen Feldern. Diesen Bereich nennen wir Steppe, auch wenn das Bild der russischen Steppe, das das Wort heraufbeschwört, nicht ganz zutrifft; der edin (auf Sumerisch, .sēru auf Akkadisch) war die Gegend, die nicht von den Flüssen und Kanälen bewässert wurde. Dort wuchs nur Gestrüpp, aber dieses Gestrüpp reichte aus für die Schafe und Ziegen, die Dumuzi hütete. Die Steppe war für die meisten Mesopotamier ein abschreckender Ort, wo es wilde Tiere gab und wo man Gefahr lief, sich zu verlaufen oder zu verletzen. Keine Spur von romantischer Verbindung zur Natur. Im Gegensatz zu Israel und Griechenland fand man dort in der Wildnis höchstwahrscheinlich keine heiligen Orte. Dennoch stammte Dumuzi von dort; er wollte Inanna umgarnen, und so war er in die Stadt gekommen, wo all die guten Dinge waren, um mitzuhelfen, die Vorteile der Fruchtbarkeit unter die Leute zu bringen. Dumuzi war keiner der Hauptgötter, aber er scheint schon früh eine große Bedeutung gehabt zu haben, und es ist interessant, dass er nicht aus dem städtischen Umfeld stammte. Seine

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Eigenschaften unterstreichen, für wie wichtig die Städte erachtete; dort traf man am ehesten auf die großen Segnungen der Zivilisation in Form der Künste, und dort konnte man als Mensch das Leben am meisten genießen. Es gab noch einen weiteren wichtigen Gott, der bereits früh auftauchte und sich lange hielt, über den man aber keine interessanten Geschichten schrieb. Der Sonnengott verkörperte Nüchternheit und Gerechtigkeit, vielleicht aus dem naheliegenden Grund, dass in einem Land, in dem es kaum regnet, jeden Tag die Sonne scheint, und zwar in alle Winkel und Ecken. Könige baten darum, dass er ihrer Herrschaft und ihren Entscheidungen seinen Segen gab. Auf Sumerisch hieß er Utu, auf Akkadisch Šamaš, und es gibt zudem eine ihm ganz ähnliche Gottheit in Syrien, die aber eindeutig weiblich war. Ihr Name, der mit seinem verwandt ist, lautete Šapaš, und auch sie scheint man mit Unparteilichkeit und Gerechtigkeit in Verbindung gebracht haben (Papst und Röllig 1965: 308–309). Die Stadt des Šamaš war Sippar, nördlich von Babylon, aber man verehrte ihn auch anderswo, und vor allem bei Rechtsstreitigkeiten rief man ihn deutlich öfter an als andere Götter. Die Hauptgötter wurden an vielen Orten und unter diversen Namen verehrt. Obwohl ihre große Bedeutung vielleicht ursprünglich daher stammte, dass man sie mit Naturkräften assoziierte, die für das Überleben und den Erfolg der Menschen wichtig waren, besaßen sie nicht überall dieselben Charaktereigenschaften, noch nicht einmal dasselbe Geschlecht. Sie waren mächtig, aber nicht allmächtig; sie lebten lange, waren aber nicht unbedingt unsterblich; sie wussten viel, waren aber nicht allwissend. Es ist verlockend, über die Vorbilder für diese Götter zu spekulieren und darüber, welche Erfahrungen die Menschen in Mesopotamien gemacht hatten, dass sie sich als Reaktion solche Götter ausdachten. Jacobsen sah vor allem Inanna und Dumuzi als Manifestationen des erfolgreichen Anbaus der Dattelpalme, aber man kann dies schlichtweg nicht beweisen. Die späteren Beinamen für diese Götter scheinen einen solchen Ursprung zwar zu bestätigen (Ringgren 1973: 5), doch ­haben ihre späteren Schicksale nichts mit der Herkunft dieser Götter zu tun. Vielleicht spiegelten die Hauptgötter in gewisser Weise die Erfahrung des Herrschens und Beherrschtwerdens durch andere Menschen wider. Ein solches Konzept entstand, wie wir vermuten, in agrarisch orientierten Dörfern, in denen bestimmte Bewohner einen etwas größeren Überschuss zu produzieren in der Lage waren und Bewässerungsprojekte für ihre Mitmenschen organisierten. Aus Sicht der Regierten waren solche Männer (Frauen waren es wahrscheinlich so gut wie nie) im besten Fall um einen Konsens bemüht. Aber sie konnten durchaus auch beleidigt sein, wenn man sie kränkte, und besorgt über Verluste, über ihre eigenen wie über die der Gemeinschaft. Im schlimmsten Fall waren sie arrogant und herrisch.

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Dennoch wissen wir aus historischen Epochen, dass die Babylonier unliebsame Umstände und Menschen immer wieder hinter sich ließen und flussauf- wie flussabwärts fuhren, um sich anderswo niederzulassen und Landwirtschaft zu betreiben. Einige bevölkerten die höheren Lagen und versuchten sich an der niederschlagsabhängigen Landwirtschaft, andere verschwanden mit ein paar Schafen in der Wüste und verabschiedeten sich so von den Herrschaftsstrukturen der Sesshaften. Daran erkennt man, dass die Macht der Anführer begrenzt war – genau wie die wahrgenommene Macht der Götter. Wir sollten die Hauptgötter jedoch nicht auf Spiegelbilder menschlicher Herrscher reduzieren, selbst nicht jener historisch besser belegten „großen Männer“ des frühen Mesopotamiens. Diese möglichen menschlichen Vorbilder erklären kaum, wie langlebig das Interesse an diesen Göttern war, auch wenn sie für einige ihrer Eigenschaften Pate gestanden haben mögen. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass die Ansichten der Menschen hinsichtlich göttlicher Charakteristika sich im Laufe der Zeit änderten, und so wurden die Hauptgötter im Laufe der Zeit in gewisser Weise immer größer, mächtiger und weiser.

Stadtgötter Die Hauptgötter hatten manchmal unterschiedliche Namen in verschiedenen Städten, was darauf hindeutet, dass z. B. die Mutter-, Liebes- und Kriegsgottheit eines Ortes mit der Inanna eines anderen gleichgesetzt worden war. Die Ähnlichkeiten indes waren noch groß genug, dass sie ein und denselben Namen tragen konnten. Die Ištar von Ninive im Norden sprach andere Menschen an als die Inanna von Uruk, und doch hatten beide etwas Gemeinsames. Es gab auch viele kleinere Götter, die in bestimmten Städten auf bestimmte Weise verehrt wurden. Manchmal galten sie als führende Gottheit im lokalen Pantheon und wurden dabei anderen, berühmteren Göttern gleichgesetzt. In der Stadt Lagaš im Südosten zum Beispiel verblasste die Erinnerung an den Hauptgott Ningirsu (der Name bedeutet „Herr von Girsu“, einem bestimmten Teil der Stadt) irgendwann, doch man assoziierte ihn mit Ninurta („Herr der Erde“), einem Gott von Nippur; sie teilten gewisse kriegerische Eigenschaften und die Macht über die Fruchtbarkeit, und natürlich begannen beider Namen mit Nin-, was entweder „Herr“ oder „Dame“ heißt. Die Stadtgötter herrschten auf lokaler Ebene, aber manchmal besuchten sie auch andere Städte und deren Götter, mit Prozessionen auf dem Wasser, die jeden entlang ihres Wegs beeindruckt haben müssen (Sjöberg 1957–1971). Systematisch denkende Intellektuelle inkorporierten diese lokalen Götter als Kinder von Göttern, die verbreiteter waren.

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Man kann vor allem an den Namen, die die Menschen einander gaben, ablesen, wie bedeutend solche lokalen Götter waren. Einige tauchten lediglich innerhalb ihrer eigenen Städte auf, und ihre Beliebtheit bei der Namensgebung schwand ­zusammen mit der Bedeutung ihrer Städte. Im Laufe der mesopotamischen Geschichte könnte es eine gewisse Homogenisierung von Namen gegeben haben, denn die Hauptgötter scheinen die lokalen Götter abgelöst zu haben. Doch selbst bei den Hauptgöttern gab es Tendenzen einzelner Städte, den oder die einen den anderen vorzuziehen. Bei der Namensgebung glauben wir heute die Einstellung bzw. Gefühle der ­Eltern oder Verwandten nachvollziehen zu können, die diesen Namen für ihr Kind aussuchten. Diese Gefühle haben jedoch nicht immer etwas mit der Religion zu tun; Stil und Mode mögen ebenfalls eine Rolle gespielt haben, wenn auch vielleicht nicht so ausgeprägt, wie das heute der Fall ist. Ich erinnere mich an einen Cartoon im New Yorker von 1988 mit Müttern, die ihre Kinder zum Abendessen herbei­ rufen – und alle Kinder hießen Christopher. Aber das war vor langer Zeit, und all die Christophers haben inzwischen eigene Kinder, die sie anders genannt haben.

Persönliche Götter Ein Aspekt der mesopotamischen Religion, der nie ganz greifbar werden wird, ist die Existenz eines persönlichen Gottes. Das war ein Gott, der mit einem Individuum in Verbindung stand und manchmal offenbar keine andere Funktion hatte, als seine schützende Hand über diese Person zu halten. Auch die Hauptgötter konnten mitunter persönliche Götter sein. Herrscher wie die akkadischen Könige ­sahen Ištar, eine wirklich wichtige Göttin, als ihre persönliche Gottheit an, und Gudea, der Prinz von Lagaš, fühlte sich mit Ningirsu verbunden. Es sind aus ­diversen Epochen Formulierungen wie „sein“ oder „ihr Gott“ überliefert; manchmal bedeutet das nur, dass einer der Hauptgötter in besonderer Weise verehrt wurde, doch manchmal verweist dies auch auf eine kleinere Gottheit, die eine einzelne Person für sich zuständig wähnte. Diese Götter waren aber nicht etwa nur Engel oder Emanationen anderer Gottheiten; sie tauchen sogar in den allgegenwärtigen Präsentationsszenen auf Rollsiegeln auf. Manchmal sieht man auf einem solchen Siegel, wie sich eine Person einem in königlicher Pracht dasitzenden Gott nähert. Der Besitzer tritt nicht etwa aus eigenem Antrieb vor den Gott, weil er ein so tugendhafter Mensch ist, sondern er wird von seinem persönlichem Gott geführt, der explizit als Gott und nicht als Mensch dargestellt ist, was man am gehörnten Kopfschmuck erkennen kann. Der persönliche Gott nähert sich dem bedeutenderen Gott dabei mit der gleichen demütigen

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Haltung wie der Mensch. Dennoch wandelt der geringere Gott auf der gleichen topographischen Ebene wie der bedeutendere Gott, und er ist mit diesem bekannt, was für den demütigen Menschen von Nutzen ist. In gewisser Weise stellt die Existenz eines solchen persönlichen Gottes ein vereinfachendes Element in dem für die Menschen des Altertums sicherlich verwirrenden Durcheinander von Göttern dar. Sie wussten vielleicht, welcher Gott ihnen in einer bestimmten Situation helfen konnte (bei einer Krankheit beispielsweise), aber sich einem solch erhabenen Wesen direkt zu nähern, wäre ein beängstigender Gedanke gewesen. Für das Reich der Götter galt das Gleiche wie für den Bereich der Stadt: Wenn man einen Fürsprecher hatte, der die Probleme kannte, die einen umtrieben, dann hatte man es einfach leichter. Das Konzept des persönlichen Gottes war keine späte Entwicklung. Wir können es bereits in Personennamen aus dem 3. Jahrtausend ablesen (di Vito 1993: 272–275).

Dämonen Es gab jedoch noch andere Geistwesen. Gespenster, Geister der Toten, schlichen umher, unzufrieden mit ihrem Schicksal. Sie mussten besänftigt werden, und das war manchmal ein Problem. Daneben existierten weitere Geister, manche waren böse, andere waren einem wohlgesonnen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man den schützenden persönlichen Gott, auf Akkadisch šēdu, als ebensolchen kleinen Geist ansah, aber als einen verständigen, an den man sich wandte, wenn man Zuspruch und Hilfe brauchte. Die bösen Geister halfen einem da wahrscheinlich eher weniger; im Gegenteil, es konnte durchaus sein, dass sie einem übel mitspielten, ohne dass es überhaupt einen Grund dafür gab. Aus medizinischen Texten wissen wir, dass die einzige Methode, sich von einem solchen bösen Geist zu ­befreien, war, die Magie zu bemühen und den Zauber gegen etwas zu richten, das als Äquivalent des böswilligen Dämons galt. Man musste nicht besonders nett zu ­einem solchen Geist sein. Tatsächlich galten die bösen Geister eher als dumm, und die Sprache der Menschen verstanden sie ebenfalls kaum, daher begegnete man ihnen am effektivsten mit Beleidigungen und schrie sie an (Scurlock 2005). Mesopotamische Pantheons sind schwer zu verstehen – das waren sie schon für die Menschen im Altertum –, doch wir können nachvollziehen, welche Art von Welt die diversen Götterabteilungen widerspiegelten. Es war eine Welt, in der es eine Hierarchie gab, aber nicht ganz klar war, wer in einem bestimmten Fall tatsächlich die Macht in Händen hielt. Die Hauptgötter achteten vielleicht nicht unbedingt auf einen einzelnen Menschen, aber dennoch musste man mit ihren gelegentlichen Bosheiten rechnen. Es gab viele Möglichkeiten, sie zu beleidigen, und doch

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erlitt man dadurch nicht zwangsläufig ein Unglück. Es gab genug kleinere Geister, die einen belästigen konnten, und um mit ihnen fertig zu werden, bedurfte es eines erfahrenen Magiers und der Intervention des persönlichen Gottes. Es war eine unsichere und instabile Welt, aber der persönliche Gott half einem, und manchmal ließen sich sogar die Hauptgötter dazu herab, einem ein Lächeln zu schenken. Auf der untersten Stufe der göttlichen Späre, aber dennoch wichtig für die Menschen, war die Magie angesiedelt. Aus relativ späten Geschichten wissen wir, dass selbst die größten Götter Zaubersprüche benutzten, bestimmte Wortfolgen, die Kräfte beschworen, durch die sie bestimmte Dinge erreichten. Im akkadischen Schöpfungsepos (das mit den Worten: „Als oben“ beginnt) wird eine Schlacht beschrieben, auf deren Höhepunkt der Gott von Babylon Zaubersprüche verwendet, die besser sind als die Zaubersprüche der Göttin des Chaos – so gelingt es ihm, sie zu überwinden (Foster 2005: 459–460). Es scheint, als ob es hinter und über den Göttern eine gewaltige Kraft gab, die amoralisch und richtungslos war, auf die man aber durch den Einsatz der richtigen Worte zugreifen konnte. Kluge Menschen konnten sich dieser Macht ebenfalls bedienen, und die Archivierung und Weitergabe erfolgreicher Zaubersprüche war eine der wichtigsten Aufgaben der schriftlichen Überlieferung. Mittels Ritualen („Ritual“ bedeutet auf Sumerisch wörtlich „erledigte Dinge“) konnte man unter Umständen eine bestimmte Macht eines Gottes für sich erschließen – oder die amorphe Kraft der magischen Sphäre, die über den Göttern stand. Heute debattieren wir viel über den Zusammenhang zwischen Religion und Magie, und beide scheinen in Mesopotamien eine enge Verbindung eingegangen zu sein (Cunningham 1999). Wenn man allerdings glaubt, bei der Religion gehe es immer nur um Götter, dann wird man nicht das damals herrschende eindringliche Gefühl nachvollziehen können, dass das Universum auch von Kräften gelenkt wurde, die nicht persönlich und auch nicht göttlich waren; und dass man, wenn man nur die richtigen Worte sprach, Zugriff auf ein „Sesam öffne dich“ bekam, das weder etwas mit Gerechtigkeit zu tun hatte noch mit Fairness oder irgendetwas anderem, sondern lediglich damit, ob man den richtigen Spruch kannte. Für uns stellt sich dadurch die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Religion, denn einige magische Handlungsweisen scheinen auf die Beschwörung von Naturgewalten hinzudeuten, die plötzlich freigesetzt wurden, wenn man die passenden Worte sprach. Für die Bewohner Mesopotamiens war Magie etwas Unpersönliches und Willkürliches. Jeder konnte sie nutzen, aber es war sinnlos, die Magie anzubeten, denn anders als die Hauptgötter konnte sie einem nicht persönlich antworten.

Städte, Staaten und Götter Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik. … Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. – Karl Marx, zit. in Niebuhr 1964: 41

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ie sah wunderschön aus im Tod, ihr Haar elegant zurechtgemacht; das war es in den paar Wochen ihrer letzten Krankheit nicht gewesen. Und sie trug ­ihren Lieblingsschmuck, eine Halskette aus Gold und den kostbaren blauen Stein, Lapislazuli. Sie lag auf ihrer Bahre und sie sah wirklich königlich aus, beinahe friedlich, auf jeden Fall nicht wie in ihren letzten Tagen von Schmerzen gezeichnet. Die Diener waren froh, dass es endlich vorbei war, aber sie waren sich bewusst, welche Pflicht jetzt auf sie wartete, und der Gedanke daran er­f üllte sie mit gemischten Gefühlen. Die meisten waren selbst noch jung und nicht bereit zu sterben. Die Dame hatte sie jedoch darum gebeten, und ihr engstes Ge­ folge war scheinbar bereit, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Natürlich war ihre Zukunft ohnehin ungewiss. Vielleicht nahm sich der Herrscher eine neue Ehefrau oder verlieh einer seiner Konkubinen eine herausragende Stellung, und die hätte zweifellos ihre eigenen Günstlinge. Die Familie dieser Frau würde von den Gefälligkeiten und Diensten profitieren, und das Gefolge der toten Dame würde degradiert – unklar war nur, inwieweit. Die ­Familie der toten Dame hatte sicherlich Angst, das Gedenken an sie werde ­vollkommen erlöschen, dennoch konnte es durchaus Sinn ergeben, wenn die Höflinge sich das Leben nahmen. Für den Herrscher würde es vieles einfacher machen, außerdem hatte die Dame es sich von ihnen gewünscht, denn sie ­wollte nicht ohne Begleitung in die Unterwelt gehen, die sie sich als unangenehmen Ort vorstellte, an dem der irdische Rang nichts galt und es kaum zu essen und zu trinken gab. Selbst der Held Gilgamesch, der König der Unterwelt, war nur noch ein Schatten seiner irdischen Gestalt, und man konnte von ihm nicht erwarten, dass er sich um jeden Neuankömmling kümmerte, selbst wenn es sich um die Gemahlin des Herrschers von Ur handelte. Es war schon besser, man brachte seine eigene Unterstützung mit, hatte sie argumentiert, soweit sie das am Ende noch gekonnt hatte.

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Also betraten die Harfenspieler die ausgehobene Grube, in der die Dame lag, stellten ihre Instrumente auf und begannen, ihre traurigen Lieder zu spielen. Der Mundschenk brachte die Mägde mit und ordnete sie rund um die Dame an, dann die Wachen, dann einen Wagen voll mit Vorräten, der kaum die Rampe hinunterkam, einschließlich der Ochsen, die den Karren zogen. Alle standen sie einen Moment lang feierlich still, außer den Ochsen, die weiter wiederkäuten und ein wenig unruhig waren. Ein Priester, der nicht zum Gefolge gehörte, sprach ein letztes Gebet, rief die Vorfahren der Dame an, damit sie und ihre Knechte freundlich aufgenommen würden, und bat die Götter der Unterwelt, ihnen allen gnädig zu sein. Die Mägde weinten, als sie an all die glücklichen Tage mit der Dame dachten – und natürlich in Trauer um ihr eigenes Leben, das bald eine Ende finden würde. Die Soldaten standen stramm und still. Die Harfenspieler spielten weiter und gaben sich Mühe, damit das letzte Stück, das sie in ihrem Leben spielten, das beste wäre, das sie je gespielt hatten, voll komplexer Fingersätze und angenehmer Tonfolgen. Dann erschien der Herrscher, flankiert von seinen Soldaten und Dienern, und mit ihm die Familie der Dame, einschließlich der kleinen Jungen, die ihre Geburt überlebt hatten. In jeder Hand hielt der Herrscher einen Helm aus kostbarstem Gold, und in beide war in Keilschrift der Name eines der Herrscher eingeritzt, mit denen sie verheiratet gewesen war. Er trat feierlich hinzu und legte sie neben ihre Füße, hielt inne, um sie noch ein letztes Mal anzuschauen, und zog sich dann schnell zurück, zusammen mit der Familie. Der Heilkundige ging von einem zum anderen, händigte ihnen die kleine Dosis Gift aus, und langsam sanken sie einer nach dem anderen tot zu Boden. Die ­Ochsen tötete man mit schnellen Messerstichen, und der Harfenspieler trank das Gift als Letzter von allen Anwesenden. Die Arbeiter standen am Rand der Grube und machten sich daran, sie mit Erde zu füllen. Bald würde nur noch ein kleiner Hügel an das Grab erinnern, ein anderes Grabmal gab es nicht. *** So fanden die Mitarbeiter des Briten Sir Leonard Woolley die Gräber vor, als sie in den 1930er Jahren die Ruinen von Ur ausgruben, die längst nicht mehr am Fluss lagen, sondern in einer Wüste. Die Ausgräber entdeckten auch das Siegel der Dame, das ihren Namen als Pu-Abi angab, was „der Mund meines Vaters“ bedeutet und wahrscheinlich darauf hinweist, dass sie das Lieblings- und Wunschkind ihres Vaters war. Sie hatte ihr Versprechen eingelöst. Die Namen der Herrscher, mit deren Helmen sie begraben wurde, kennen wir noch immer aus keiner ande-

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ren Quelle; sie tauchen weder auf Inschriften noch in der sumerischen Königsliste auf. Man kennt sie nur über ihre Verbindung mit Pu-Abi. Der Selbstmord eines ganzen Gefolges war im alten Südirak einzigartig. Obwohl eine solche Praxis aus späteren Zeiten aus Zentralasien bekannt ist und vielleicht auch einmal im frühdynastischen Ägypten vorkam (David 2002: 75), ist sie ansonsten nie wieder aufgetreten. Man kann sich ganz allgemein vorstellen, dass eine große Persönlichkeit im Jenseits ihr Gefolge brauchte, aber dies Vorgehen war dennoch ungewöhnlich. Es gibt zwar einige Parallelen in anderen Kulturen, aber sicherlich war die Aussicht, unter einem Herrscher zu dienen, der dies zur Pflicht erhob, ziemlich unattraktiv; schon allein deshalb wird diese Praxis nicht sehr weit verbreitet gewesen sein. Die zusammen mit den Toten begrabenen Objekte sind aus diversen Materialien gefertigt, die teilweise gar nicht aus Mesopotamien stammen, wie Gestein aus den iranischen Bergen, Lapislazuli aus dem heutigen Afghanistan und Gold, das wohl entweder aus dem hohen Norden oder vielleicht aus Ägypten oder anderswo aus Afrika kam. Die Zeit von etwa 3500 bis 3100 v. Chr. ist nach der weitläufigen Region Uruk im Süden des Irak benannt. In der Uruk-Zeit entstanden viele monumentale Gebäude, und man schuf einen heiligen Bezirk mit mehreren großen Tempeln darin. Die Bewohner dieser Tempel galten wahrscheinlich als göttliche Familie. Aus späteren Zeiten wissen wir, dass der Gott des Himmels, An, der Vater der Familie war, und seine spröde und schöne Tochter, Inanna, die „Königin des Himmels“, war die wichtigste weibliche Gottheit. Ihre Mutter nannte man später Antum, grammatikalisch die weibliche Form des akkadischen Wortes für „Himmel“, sie scheint aber eine weniger ausgeprägte Persönlichkeit als ihre Tochter besessen zu haben. Inanna war als Göttin für Fruchtbarkeit, Liebe und Geburt zuständig, daneben kann es aber auch andere Muttergottheiten gegeben haben, die auf lokaler Ebene verehrt wurden. Manchmal können wir sehen, dass Inanna mit diesen kombiniert wurde, und im Laufe der Zeit demonstrierte sie mehr und mehr mütterliche Qualitäten. Die Größe der Siedlungen veränderte sich und ebenso die der Sakralbauten. Beide wuchsen schneller als die Bevölkerung. Uruk selbst nahm geradezu enorme Ausmaße an und beherbergte vielleicht vierzigtausend Menschen innerhalb eines Radius von drei Kilometern. Während die größeren Städte wuchsen, wurden kleinere Siedlungen in ihrer Nähe aufgegeben. Die Menschen arbeiteten noch auf den gleichen Feldern am Ufer des Flusses wie zuvor, aber sie lebten nicht mehr dort. Stattdessen liefen sie täglich dorthin, um die Felder zu bewirtschaften, und so war das um die Städte herum bewirtschaftete Gebiet auf etwa 15 Kilometer begrenzt (Adams 1981). Die religiösen Traditionen ihrer nunmehr verlassenen Dörfer müssen die Bewohner in die wachsenden Städte mitgebracht haben, vielleicht wurden sie ange-

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sichts der erfolgreichen Bündelung von Ressourcen und der Pracht in den Tempeln der Stadt aber auch abgelegt. Der Herrschaftsbereich der Städte war in der Regel nicht kreisförmig, sondern elliptisch, da er sich entlang von Flüssen und Kanälen ausbreitete. In der späten Uruk-Zeit, um 3100 v. Chr., systematisierten Bürokraten ihre Bemühungen in Sachen Archivierung und begannen, Bilder der Dinge, die sie verzeichnen wollten, in Tontafeln zu ritzen, kleine tönerne Kissen, die (im Gegensatz zur Keramik) ohne Beimengung von Stroh hergestellt wurden. Diese Tontafeln, die zunächst anscheinend nur für wirtschaftliche Aufzeichnungen verwendet wurden, ermöglichen uns einen detaillierteren Blick auf das religiöse Leben als je zuvor. Tiere sowie knappe Ressourcen wie Silber wurden verschiedenen Organen zugeteilt, unter anderem den Häusern der Götter. Es dauerte einige Zeit, bis die Schrift für (in unseren Augen) rein religiöse Zwecke verwendet werden sollte, aber bereits zu Beginn war sie ein Werkzeug, das die Erinnerung an Einzelpersonen lebendig halten sollte, und sie ermöglichte die Aufzeichnung von Details über immer größere Mengen an Material, das die ­Eliten zusammentragen und von dem sie etwas abgeben konnten. In der frühdynastischen Zeit, 3000–2300 v. Chr., errichteten Städte Mauern um sich herum; dies weist einerseits auf Feindschaften zwischen ihnen hin, mag aber auch die Vorteile verdeutlichen, die es für die kleinen Leuten hatte, sich in einer Gemeinschaft zusammenzuschließen. Sie konnten sich so leichter verteidigen, auch wenn der Feind vielleicht ihre Felder plünderte. Die Städte der frühdynastischen Zeit nutzten die neuartigen Tontafeln, um Widmungen von Königen an die Götter aufzuzeichnen und um sicherzustellen, dass sich die Nachwelt an das Engagement bestimmter Individuen erinnerte, die am Wiederaufbau von Tempeln mitgewirkt oder etwas gespendet hatten. Es wurden auch Konflikte zwischen Stadtstaaten dokumentiert, und in einem berühmten und ausführlich beschriebenen Fall wurde die Auseinandersetzung zwischen Umma und Lagaš um das Feld des Ningirsu als Kampf zwischen den wichtigsten Göttern der beiden Städte, Šara von Umma und Ningirsu von Lagaš, dargestellt (Cooper 1983a). Dies kann als frühestes Beispiel eines heiligen Krieges gelten – ein Kampf um landwirtschaftliche Nutzflächen, dargestellt als Kampf zwischen Göttern. Die Ansichten der Menschen in Lagaš über den Konflikt sind besser überliefert, aber es war die Stadt Umma, die Ende siegreich auch ihm hervorging. Und doch führte dieser Sieg, wenngleich er wahrscheinlich als Triumph des Gottes Šara über Ningirsu galt, nicht dazu, dass der Kult des besiegten Gottes beeinträchtigt wurde oder gar das Pantheon einer der beiden Städte eine Neuausrichtung erfuhr. Die religiöse Ideologie blieb hier wie dort polytheistisch und ­offen, auch wenn ein Gott den anderen besiegt hatte.

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Die Welt dieser frühdynastischen Stadtstaaten war groß; sie verwendeten einen Teil ihrer Überschüsse, um ausgefallene Waren aus fernen Ländern zu importieren. Den Tod sahen sie als Erweiterung des luxuriösen Lebens, das manche Menschen lebten. Die meisten Menschen führten ein ganz anderes Leben, machten sich aber eventuell ebenfalls Hoffnungen darauf, nach dem Tod ein Leben zu führen, das ihrem gegenwärtigen ganz ähnlich war.

Zusammenschluss und Reichsbildung Beim Sieg der Stadt Umma über Lagaš deutete sich bereits eine Vereinigung des gesamten Südens an, die unter dem letzten unabhängigen Herrscher von Umma begonnen haben mochte. In politischer und religiöser Hinsicht geschah indes etwas ganz anderes: Vom Norden her, im Gebiet rund um das heutige Bagdad und nördlich davon, schwang sich eine neue Macht auf – in Form eines König, der schon durch seinen Namen praktisch zugab, dass er eigentlich gar keinen Anspruch darauf hatte, ein Reich zu regieren – er nannte sich Sargon, das bedeutet: „Der König ist legitim.“ Weil er aus dem Norden kam, können wir seinen gesellschaftlichen Kontext leider weniger nachvollziehen, als wenn er aus einem der südlichen Stadtstaaten gekommen wäre. Seine Muttersprache war wahrscheinlich Akkadisch, die semitische Sprache Mesopotamiens, aber sicherlich zollte er auch den Göttern der sumerischsprachigen Städte des Südens großen Respekt. Vielleicht hatte er Verbindungen zu den akkadischsprachigen Bewohnern des Nordens, die ihr Nomadentum der sesshaften Lebensweise und der Landwirtschaft vorzogen. Ganz offensichtlich war er daran interessiert, sich der von den Bauern erzeugten Überschüsse zu bemächtigen, wobei er jedoch sicherstellte, dass ihre religiösen Vorstellungen berücksichtigt wurden (Westenholz 1997). Ein Weg, um nachzuvollziehen, welche Wirkung Sargon und seine Nachfolger auf die mesopotamische Religion ausübten, ist sich anzuschauen, welche Götter vor und nach ihnen verehrt wurden. Douglas Fraynes Buch über die Zeit vor Sargon (2008) bietet einen hilfreichen Index mit vielen Göttern, die sich in könig­ lichen Inschriften finden. Dabei spielten die lokalen Götter eine wichtige Rolle. Baba, Gatumdu und Nanše aus Lagaš-Girsu waren darunter, aber es wurden auch Götter angebetet, die überregionale Bedeutung hatten, wie An, Enki, Enlil und Inanna sowie Ningirsu, der ebenfalls eine große lokale Bedeutung in Lagaš hatte, und Ninhursag, die „Dame des Bergs“, eine Muttergottheit. Im Lichte der späteren Entwicklungen erscheint es merkwürdig, dass der Mondgott Suen nur dreimal auftaucht und der Sonnengott Šamaš nur einmal, in einer Inschrift eines Königs, dessen Name „Šamaš“ enthielt. Utu, ein Sonnengott,

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den man später mit Šamaš gleichsetzte, scheint ebenfalls übergangen worden zu sein, er wird ganze sechsmal erwähnt. Zu den weiteren Göttern, die später an Bedeutung verloren zu haben scheinen, gehörte Šul-MUSHxPA aus Lagaš (Frayne 2008). (Die Großbuchstaben zeigen an, dass wir nicht wissen, wie man den Namen des Gottes aussprach – noch viel weniger kennen wir seine Charakteristika oder wissen, welche Rolle er spielte.) Bis zur Ur-III-Zeit, wiederum etwa zweihundert Jahre später, verschwanden einige dieser Götter ganz von der Bildfläche, aber Enki, Enlil und Inanna waren immer noch wichtig, und vor allem Nanna, der sumerische Mondgott, erschien in einer ganzen Reihe von Inschriften, auch wenn er im Material aus der Zeit vor Sargon nur einmal erwähnt wird. Lokale Götter waren den späteren Herrschern weiterhin wichtig, und Ningirsu und Šara aus Umma wurden nach wie vor verehrt (Frayne 1997). Texte von und über Sargon wurden noch lange kopiert, nachdem seine Dynastie bereits an Bedeutung verloren hatte. Der Grund dafür war, dass man ihm zuschrieb, den ersten Versuch unternommen zu haben, das gesamte Flusstal politisch zu vereinen. Er baute auch eine neue Stadt, die man Akkad nannte. So hieß bald auch der ganze Norden des mittleren Irak, und die semitische Sprache, die man dort sprach, war Akkadisch. Wie bedeutend er später war, ist also klar, aber der Versuch, in diesen Texten eine Reflexion der religionspolitischen Ziele Sargons und seiner Leute auszumachen (wenn es die überhaupt gab), ist riskant. Am wichtigsten unter diesen späteren Schriften sind die Gedichte, die seiner Tochter En-hedu-anna zugeschrieben werden. Sie war Priesterin im Süden, trug einen sumerischen Namen und schrieb vermutlich auch auf Sumerisch, wenn sie tatsächlich direkt an der Produktion dieser Texte beteiligt war. Ihre Gedichte scheinen zu zeigen, dass ihre Dynastie sich vorgenommen hatte, viele der früheren religiösen Zentren und die dortigen Götter zu verehren. Ihre Tempelhymnen priesen unter anderem die verschiedenen Tempel im Süden und ließen sie alle als gleichrangig erscheinen. Ein interessanter Aspekt dieser Hymnen ist, dass sie zwar ihr zugeschrieben werden, aber bereits viel früher belegt sind, in frühdynastischen Abschriften, lange bevor die Prinzessin zur Welt kam (Sjöberg und Bergmann 1969). Das muss bedeuten, dass sie oder ihre Schreiber einen traditionellen Text verwendeten, um ihr dynastisches Anliegen deutlich zu machen, den zumindest die gelehrteren unter den Menschen im Süden bereits kannten. Eine anderes ihrer Gedichte nennt man „Die Erhöhung der Inanna“. Es scheint der Göttin von Krieg und Liebe eine herausgehobene Stellung unter ihresgleichen zu verleihen (Hallo und van Dijk 1968). Vielleicht nimmt sie auch Eigenschaften der vermutlich nordmesopotamischen Göttin Ištar auf und inkorporiert sie in die Figur der Inanna, die zuvor möglicherweise eher eine Muttergöttin war. Das ­Ergebnis war eine unheimliche Göttin, die in der Schlacht sehr rasch auf der Seite

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ihrer Favoriten intervenierte, zu denen sich die sargonischen Könige sicherlich zählten. Sie war auch die Gottheit der körperlichen Liebe, junger Frauen und ihrer Nöte, junger Männer und ihrer Begierde. Diese Identifizierung der einen Gottheit mit einer anderen ist nicht unbedingt auf En-hedu-anna oder ihr Umfeld zurückzuführen, sondern war unter Umständen Teil eines viel älteren Verfahrens, bei dem man verschiedene weibliche Gottheiten vereinigt hatte. Das Ergebnis war eine enorm attraktive Mischung, die bis zum Ende der Keilschrift-Zivilisation um die Zeitenwende herum wichtig blieb. Aus institutioneller Sicht war Sargon der Erste, der versuchte, die Priesterschaft der Inanna in Uruk und des Mondgottes Nanna in Ur zu kombinieren – in der Person seiner Tochter. Das wirtschaftliche Ergebnis dieser Verbindung ist unklar; die Städte lagen 72 Kilometer voneinander entfernt, vielleicht funktionierte sie also an beiden Orten. Es könnte sein, dass die Tochter dadurch zur wichtigsten Person in der religiösen Hierarchie des gesamten Irak wurde. Bis etwa zur Mitte der altbabylonischen Zeit lag das Recht, diese Priesterin zu ernennen, beim wichtigsten und erfolgreichsten Dynasten, der zu dem Zeitpunkt regierte, als die letzte Priesterin starb. Es kann auch sein, dass die erste Priesterin, En-hedu-anna, in späteren Zeiten wie eine Gottheit verehrt wurde, denn zuweilen wurde ihr Name mit einem göttlichen Determinativ geschrieben (Hallo und van Dijk 1968: 5). Ein weiterer Aspekt der Religionspolitik der Dynastie war, dass Herrscher schon zu ihren Lebzeiten behaupteten, göttlich zu sein. Der erste König, der dies tat, war der vierte der Dynastie; er hieß Naram-Sîn, „vom Mondgott geliebt“, und war der Enkel des Gründers. Er ließ sich mit einem gehörnten Helm abbilden, wie er später den eigentlichen Göttern vorbehalten war. Es ist unklar, ob er sich tatsächlich auch als Gott verehren ließ, aber einige spätere Könige taten dies, und vielleicht war er der erste. Ist das die Spitze der Hybris, des anmaßenden Stolzes, der so typisch für Herrschende aller Epochen ist und den alle Nichtpolitiker immer wieder beklagen? Möglicherweise. Es kann auch sein, dass Naram-Sîn sich schwierigen Gegnern gegenübersah, unter anderem den alten Göttern der Städte im Süden. Mag sein, dass ihm der Segen der Götter des Nordens nicht ausreichte, obwohl er und seine Vorfahren sich mit Waffengewalt bisher recht gut durchgesetzt hatten. Die Herrscher der Städte behaupteten, dass sie von den alten Götter eingesetzt worden seien, und daher galt es zweifellos als Frevel, sie einfach zu beseitigen. Sargon hatte angestrebt, diese Herrscher nach seiner Übernahme als seine Untergebenen im Amt zu belassen, doch eine oder zwei Generationen später boten sich dem König von Akkad neue Schwierigkeiten: Es konnte vorkommen, dass der Stammbaum der Herrscher einzelner Städte weiter zurückging als der des Herrschers des ganzen Tals – oder dass sie das zumindest glaubten. Aber sie selbst herrschten nicht

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als Götter. Also kann Naram-Sîns durch nackte Gewalt unterstrichene Behauptung durchaus dazu angetan gewesen sein, nicht etwa das Gewissen der Anhänger der alten Stadtstaaten-Hierarchien im Süden zu beruhigen, sondern vielmehr das seiner eigenen Landsleute im Norden. Es ist schwer festzustellen, inwieweit er oder seine Anhänger glaubten, er sei tatsächlich ein Gott, aber immerhin hatte er mit seinem Heer ein großes Gebiet durchquert und viele Völkergruppen unterworfen, von deren Existenz die Mesopotamier zuvor kaum etwas gewusst hatten. Er hatte viel erreicht, und wenn ihm die Behauptung seiner Göttlichkeit dabei half, die Kontrolle über die alten Stadtstaaten zu übernehmen, mag es durchaus sein, dass die Eliten nichts dagegen einzuwenden hatten. Die Einwände kamen erst später, wie wir sehen werden. Das Interessante am religiösen Vermächtnis der altakkadischen Dynastie ist, dass es fortlebte. Die Erinnerung daran entsprach nicht immer den historischen Aufzeichnungen (auch wenn wir diese nur unvollständig rekonstruieren können), aber spätere Bewohner des Flusstals erinnerten sich noch viele Jahrhunderte lang an diese Könige und ihre Leistungen und dachten darüber nach, was sie bedeuten mochten. Später erzählte man Geschichten von Sargons niederer Geburt, auf die es in den Aufzeichnungen aus seiner Zeit oder der seiner Dynastie keinerlei Hinweise gibt. In diesen Geschichten scheint es darum gegangen zu sein, dass er als Waise geradezu erstaunliches Glück hatte, als man ihn fand, nachdem seine in Verruf geratene Mutter ihn im Fluss ausgesetzt hatte (genau wie man es sich später über Moses erzählte), und er von der Göttin Ištar gesegnet wurde, die für seine späteren königlichen Ehren und Erfolge verantwortlich zeichnete (Westenholz 1997: 36–49). Vielleicht war dies die erste, auf jeden Fall aber nicht die letzte Geschichte, in der ein bedeutender Mann unter eher glücklosen Umständen zur Welt kam und es dennoch zu echter Größe brachte. Ein weiteres, etwas längeres Gedicht erzählt von Sargons Sorge um mesopotamische Händler im fernen Anatolien, der heutigen Türkei. Es hieß, er habe eine Armee versammelt und sei ihnen trotz der großen Entfernung – 1270 Kilometer – und den damit verbundenen Strapazen zur Hilfe gekommen. Auch für eine solche Expedition gibt es keine zeitgenössischen Belege, doch immerhin finden sich einige archäologische Spuren des Eroberers unweit von Westanatolien, in Nordsyrien. Es scheint dem Verfasser darum gegangen zu sein, späteren Herrschern zu zeigen, dass einem großen mesopotamischen König die Schicksale seiner Untertanen nahegingen, ganz gleich, wohin sie reisten und wo sie Handel trieben. Wie bereits angedeutet, glaubte man in Mesopotamien, dass die Dynastie wegen der Gottlosigkeit des letzten Königs, Naram-Sîn, zugrunde gegangen sei. Es gibt keinen Hinweis auf irgendwelche gottlosen Handlungen in den Aufzeich-

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nungen, doch war dieser Gedanke bereits in der Ur-III-Zeit verbreitet, etwa hundert Jahre nach dem Ende der Dynastie, und er beinhaltete die Vorstellung, dass sich ein schlechter Herrscher den Zorn der Götter zuziehen konnte, wenn er sich allzu anmaßend und stolz gab und seine Macht missbrauchte, vor allem im religiösen Bereich. Der historische Naram-Sîn schändete sicher nicht den EnlilTempel in Nippur, aber die späteren Geschichten zeigen, dass nur eine außer­ ordentliche Freveltat den Zorn der Götter und den anschließenden Niedergang erklären konnte. Dieser Gedanke, dass politische Macht und Erfolg Gaben der Götter waren und nur denjenigen zufielen, die sie verdienten, wurde unter den Mesopotamiern zu einer festen Überzeugung. Und auch vom Gegenteil war man überzeugt: Politische Katastrophen, vor allem solche, die so groß waren, dass sie zum Fall ganzer Dynastien führten, waren eine Folge der Gottlosigkeit der jeweiligen Könige. Es scheint, als habe man dieses Konzept nicht so sehr verallgemeinert, dass man die Dekadenz einer ganzen Gesellschaft oder ihrer herrschenden Elite anprangerte, aber man war der Meinung (vielleicht von ­einem früheren sumerischen Text mit dem Titel „Fluch über Agade“ ausgehend), das frevelhafte Verhalten dieses Individuums habe über die gesamte Gesellschaft wirtschaftliches und soziales Unglück gebracht. Das Gedicht beklagt, dass Handelswaren die Hauptstadt nicht mehr erreichten, weil es rund um die Stadt zu Unruhen kam, und dass die Menschen hungerten und starben. Dies führte man indes keineswegs (wie wir politisch denkenden Beobachter es täten) auf das Versagen eines oder mehrerer inkompetenter Herrscher zurück oder auf die Tatsache, dass aufgrund klimatischer Veränderungen einige Zeit weniger Regen gefallen war, was die Produktivität der Landwirtschaft beeinträchtigte. Stattdessen gab man einem hochmütigen und ungläubigen Mann die Schuld: Naram-Sîn, der schon ein halbes Jahrhundert, bevor die Dynastie tatsächlich fiel, gestorben war (Cooper 1983b). Was lernten die späteren Herrscher und die Mesopotamier daraus? Wenn man seine eigene Rolle dabei, die Dinge zu beeinflussen, überschätzte, konnte das bei einem Herrscher dazu führen, dass diese Sünde für die gesamte Gesellschaft weitreichende Folgen hatte. Und für alle anderen galt, dass es negative Folgen haben konnte, wenn man versäumte, den Göttern die gebührende Aufmerksamkeit zu zollen – vielleicht nicht sofort, aber irgendwann einmal. Ein König konnte sich einiges erlauben und reiche Leute ebenso; aber das gemeine Volk musste aufpassen, was es tat, da es einer Katastrophe unter Umständen näher war als die begüterteren Menschen. Diese Konzepte präsentieren uns eine Gesellschaft, in der die religiösen Werte bedroht wurden, manchmal sogar von der Spitze der Gesellschaft her, und doch räumten die Denker, die die Texte verfassten, ein, dass die Strafe für einen Verstoß

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gegen Normen nicht unbedingt sofort erfolgte. Irgendwann jedoch würde sie einen ereilen, wenn man sie nicht durch bestimmte fromme Handlungen und vor allem Barmherzigkeit gegenüber den Armen abwendete. Hieraus muss man nun nicht unbedingt den Schluss ziehen, dass die Mesopotamier in einer stark strukturierten und regulierten Gesellschaft lebten, in der die Autoritätspersonen die moralischen Standards diktierten. Vielleicht bedeutete es sogar das Gegenteil: dass viele Menschen die traditionelle Moral ignorierten und man sie daran erinnern musste, dass ihr Handeln Folgen hatte, auch wenn diese Folgen den Übel­ täter nicht notwendigerweise unmittelbar heimsuchten. Der zentralisierte Staat hatte wahrscheinlich versucht, zumindest für die Eliten der Städte ein paar Vorschriften zu erlassen, und die detaillierten Listen der von Zwangsarbeit Betroffenen verzeichnen viele weniger privilegierte Menschen, die das Pech hatten, in der Nähe staatlicher Bauvorhaben zu wohnen. Die Tat­ sache jedoch, dass im Laufe der Geschichte Mesopotamiens so häufig Dörfer aufgegeben wurden, scheint dafür zu sprechen, dass die Bewohner (wie bereits erwähnt) einfach abwanderten, wenn sie sich allzu sehr unterdrückt fühlten. Es kann gut sein, dass die Städte stets um Einwohner buhlen mussten und sich die Herrschenden daher immer wieder gezwungen sahen, Maßnahmen zu ergreifen, die das gemeine Volk besänftigten, auch wenn nicht jedes Mal darüber geschrieben wurde (Stone 2005). Die Schuld an der Katastrophe, aufgrund derer die Regionen, die die AkkadDynastie kontrollierte, schließlich auseinanderbrachen, gab man Königen aus den iranischen Bergen, die man Gutäer nannte. In späteren Texten galten sie als Inbegriff der Gottlosigkeit, zeitgenössische Inschriften von ihnen gibt es nur wenige. Wahrscheinlich kontrollierten sie nicht den gesamten Herrschaftsbereich der sargonischen Könige, und welche religiösen Vorstellungen sie hatten, wissen wir nicht genau (Glassner 1986). Sie waren die dominierende Kraft in den Tagen des Gudea, des Herrschers der Stadt Lagaš im Süden, der eine erstaunliche Menge an Zeugnissen hinterlassen hat – und das längste existierende religiöse Gedicht in sumerischer Sprache. Die Hauptanliegen dieses Stadtfürsten, wie er sich selbst gern darstellte, scheint der Wiederaufbau von Tempeln gewesen zu sein. Das war im Süden des Irak ständig vonnöten, weil die Tempel, wie die meisten Gebäude, aus Lehmziegeln gebaut waren und schon das kleinste bisschen Regen (und manchmal regnete es ja tatsächlich) Reparaturen erforderlich machte. Ungewöhnlich war bei Gudea vor allem, wie viel Mühe er sich gab, überall bekanntzumachen, dass er es war, der diesen Wiederaufbau betrieb: Neben dem langen Hymnus gibt es zahlreiche Statuen sowie Tonkegel und Inschriften, die allesamt auf prahlerische Weise seine Leistungen hervorheben. Der Hymnus selbst ist uns auf eher ungewöhnliche Weise überliefert: auf zwei tönernen Fässern, die even­

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tuell Entwürfe von Texten darstellen, die dann in Stein gehauen wurden. Wir ­haben mehrere Stein-Fragmente, die damit zusammenzuhängen scheinen, aber in Form eines entsprechenden Monument liegt uns das Gedicht nicht vor. Gudea wollte sich in seinen Inschriften und Gedichten als frommer Mann präsentieren, der die Vorzeichen beachtete, die die Götter ihm schickten, aber die Vorzeichen waren ambivalent. Er musste sie auf ihre Richtigkeit prüfen, indem er versuchte, Träume von den Göttern hervorzurufen, die diese Vorzeichen bestätigten. Er achtete genau darauf, dass die Menschen, die die Gebäude errichteten, nicht dazu gezwungen wurden: „Niemand“, so behauptete er im Zusammenhang mit dem Ningirsu-Tempel, „wurde mit der Peitsche zur Arbeit genötigt“ (Statue B, iv, 10–12, Edzard 1997a: 32). Teil dieser Aufgabe war sicherlich, einige Schulden zu erlassen und den Sklaven kurzzeitig das Gefühl zu geben, ihren Besitzern ebenbürtig zu sein (ebd., vii, 29–33, S. 36). Er sah sich selbst als „ehrfürchtiger Sklave“, dessen Ziel es war, zu bauen, was die Götter wollten (Statue E, ii, 1–4, Edzard, 43 und F, ii, 6–11, 47). Gudea wollte klarstellen, dass er den Befehl des Gottes, ihm einen neuen Tempel zu errichten, peinlich genau befolgte; er war in jeder Hinsicht übervorsichtig, überprüfte die Botschaften, von denen er glaubte, sie würden ihm von dem Gott gesandt, wieder und wieder, und führte pünktlich aus, was ihm aufgetragen war. Da diese Inschriften Ende des 19. Jahrhunderts auftauchten, als die Methoden der Archäologie noch nicht so präzise waren, wie es heute der Fall ist, können wir nicht genau rekonstruieren, wo und wie er seine Bautätigkeit entfaltete. Aber seine Sichtweise kommt in seinen Schriften ganz klar zum Ausdruck. Sie zeigt, dass alle Menschen, selbst ganz besondere wie ein Herrscher, das Gefühl hatten, sie bedürften der Führung durch einen Gott, durch Träume und Vorzeichen; und selbst wenn sie eine solche Leitung erfuhren, wollten sie deren Inhalt wiederum anhand anderer Vorzeichen und Träume überprüfen. Nicht alle Omina waren wirklich zuverlässig; um Gewissheit zu erhalten, bedurfte es einer ganzen Reihe von Vorzeichen mit der gleichen Botschaft. Gudea merkte an, dass er „sich weigerte, zufällige (als Vorzeichen zu deutende) Äußerungen (zu hören), und er ließ ‚Speichel‘ (von Zaubersprüchen) von der Straße entfernen“ (A, viii, 4–5, S. 74). Dies scheint zu implizieren, dass es illegitime Mittel gab, die Befehle der Götter zu beeinflussen, und dass man sie vermeiden sollte. Gudea sagte von sich, dies sei ihm gelungen, aber er lebte in einer unsicheren Welt, in der man auch falsche Vorzeichen erhalten konnte und in der man den Willen der Götter systematisch untersuchen musste, um zu erfahren, was sie wirklich wollten. Sich hier nicht allzu sicher zu sein, war an sich nichts Schlechtes, sondern im Gegenteil sogar positiv, und die Götter hatten sicherlich nichts dagegen einzuwenden. Der Gott erschien Gudea im Traum und sprach:

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Als du zu meinem Haus kamst, dem Haus, das in allen Ländern geehrt wird, du, der rechte Arm von Lagaš, der Donnervogel, der am Horizont brüllt, zum Haus der Fünfzig, meinem königlichen Haus, oh gewandter Hirte Gudea, da strecktest du deine Hand nach mir aus, und so rufe ich einen feuchten Wind herbei, der aus der Höhe gute Erträge für dich bringen wird, und die Leute werden ihre Hände auf reichliche Güter legen. Möge mit der Grundsteinlegung meines Hauses der Überfluss einhergehen! … Gudea stand auf, er schlief. Er erzitterte, es war ein Traum. Er gehorchte Ningirsus Befehl. Er griff nach dem weißen Omen-Zicklein, erhielt das Omen, und es war günstig: Ningirsus Wunsch war Gudea nun völlig klar. Er besaß nun großes Wissen und führte seine Aufgabe gut aus … (Zylinder A, xi, 1–21 nach Jacobsen 1987: 401–403)

Obwohl der Herrscher im Traum ein Omen vom Gott erhalten hatte, opferte er ihm sofort ein Zicklein, damit er sicher sein konnte, dass er das Omen richtig verstand und dass er wirklich angewiesen war, das Haus zu bauen.

Ur III – Frömmigkeit und Versorgungsgüter In allen seinen Schriften erkannte Gudea nie seine Beziehungen (so es denn solche gab) mit den Gutäer-Herrschern an, die nach dem Sturz von Akkad auf den Plan getreten waren, aber die nächsten Herrscher Mesopotamiens waren stolz darauf, dass ihre Verwandten die Gutäer vertrieben hatten. Diese Könige regierten von Ur aus, der südlichsten der großen Städte und einem wichtigen Seehafen. Auch sie glaubten, die Hauptgötter hätten sie dazu bestimmt, zu herrschen, aber sie setzten die spätakkadische Sitte fort, sich selbst schon zu Lebzeiten als göttlich zu bezeichnen. Sie bedienten sich sehr gerne der Möglichkeit, die Priesterinnen, vor allem diejenigen, die in Ur und Uruk Dienst taten, aus der Zahl ihrer eigenen Töchter zu rekrutieren. Die Könige von Ur jedoch blickten zurück und beneideten die altakkadischen Könige; stolz behaupteten sie, dass sie mit Gilgamesch von Uruk verwandt seien, der legendären Figur der frühdynastischen Zeit. Die Ur-IIIKönige sammelten wahrscheinlich die Geschichten über ihn und seine Verwandten und führten sie in das Curriculum der Schriftgelehrten ein – als Vorbild menschlichen und vor allem königlichen Verhaltens. Die Könige ließen sich in den Inschriften an ihren Gebäuden auf eine äußerst traditionelle Art und Weise darstellen. Sie traten gerne, genau wie Gudea, als fromme Sanierer auf. Auch traten als Götter auf, zumindest seit dem Tod des ers-

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ten Königs. Ein Gott zu sein, konnte bestimmte Privilegien mit sich bringen, etwa einen eigenen Tempel mit Opfergaben und Priestern, die ihren Dienst an der eigenen Statue versah. Diesen Brauch kennen wir allerdings nur aus einer Provinzstadt der Diyala-Region, und als der Einfluss der Dynastie schwand, benutzte man den betreffenden Tempel wieder zur Verehrung des Anführers des örtlichen ­Pantheons (D. Frayne 1997, Shu-Sin 12, S. 322 f., ist die Weihinschrift des Stadtgouverneurs für „seinen Gott“; Nr. 13 verzeichnet einen solchen Tempel in Girsu, Nr. 14 und 15 in Ur, von verschiedenen Beamten, S. 435). Vielleicht bedeutet dies, dass die Gläubigen den König von Ur als Verkörperung der Macht ihres lokalen Gottes ansahen. Es muss schmeichelhaft für die Herrscher gewesen sein, so gefeiert zu werden, aber die Rückkehr zum lokalen Gott demonstriert wahrscheinlich, dass es in der Bevölkerung eine gewisse Abneigung gegen diese Praxis gab. Hier ist eine solche Weihinschrift: Šu-Sin, der, den man mit dem Namen des Gottes An nennt, geliebt vom Gott Enlil, der König, den Enlil in seinem reinen Herzen für die Pflege des Bodens und der vier Viertel ausgewählt hat, ein mächtiger König, der König von Ur, König der vier Viertel, sein geliebter Gott [sic!], Ituria, Gouverneur von Ešnunna, sein Diener, baute ihm seinen Tempel.

Der Staat Ur war der am besten organisierte in allen Epochen der mesopotamischen Geschichte, wie wir an Tausenden erhaltener Tafeln ablesen können, die wirtschaftliche Transaktionen vor allem innerhalb des Staatsapparats verzeichnen. Ein Schwerpunkt dieser Transaktionen war die Versorgung der Tempel. In der Nähe der religiösen Hauptstadt Nippur in Mittelmesopotamien baute man eigens einen Viehstall, um Opfergaben entgegenzunehmen und um die Tiere an Tempel und Günstlinge des Königs zu verteilen. Die Vielzahl der dokumentierten Aktivitäten macht es schwer einzuschätzen, welchen Grad an Frömmigkeit diese empfangenen und verteilten Gaben widerspiegeln und wie groß das Opfer für den Einzelnen eigentlich war, auch wenn wir manchmal beobachten können, dass die Schreiber des Königs, die die Listen anfertigten, einige Götter von eher geringerer Bedeutung begünstigten. Wir haben keine Hinweise darauf, auf welche Weise die Menschen in ihrer Gesamtheit die Götter verehrten, wenn sie dies denn überhaupt taten. Eine gründliche Studie hat gezeigt, welche Aktivitäten die Frauen der Könige entfalteten, wenn sie sich für ihre Lieblingstempel und -götter einsetzten. Diese Texte zeigen auch eine bemerkenswerte Offenheit für ausländische oder zumindest erst vor kurzem übernommene Götter, und Ausländer zeigten sich als Spender und als Nutznießer. Diese Weltoffenheit rührte daher, dass den Königen sehr viel daran

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lag, das Hinterland zu kontrollieren, das die Stabilität der Zentralregierung bedrohte und diese schließlich ja auch zu Fall brachte (Sigrist 1992: 222–246). Einige Gelehrte sehen in der Rückkehr zur sumerischen Sprache während dieser Epoche einen ethnischen Unterschied im Vergleich mit der Nutzung der akkadischen Sprache in der altakkadischen Epoche. Vielleicht lag dies daran, dass die meisten Texte von weit aus dem Süden her kamen, wo Sumerisch die dominie­ rende Schriftsprache war, auch wenn es als gesprochene Sprache zu dieser Zeit unter Umständen schon ausgestorben war. Unser Eindruck von Weltoffenheit wird durch spätere Texte wieder ein wenig getrübt, die den Gott des Westens, Martu, als einen Barbaren kritisierten, und doch hatte die Dynastie sicherlich verstanden, dass es in ihrem Interesse lag, Ausländer einzustellen und zu unterstützen. Und das tat man sogar mit großem Enthusiasmus, vor allem was die Martu, die „Westler“ betrifft, die man später „Amurriter“ nannte. Es gibt nur wenige literarische Texte aus jener Zeit, aus der darauffolgenden Epoche dagegen umso mehr, von denen viele die Herrscher der Ur-Dynastie nennen; der zweite König, Šulgi, zeigt sich in diesen Königshymnen als egozentrischer Charakter, der sich rühmte, er sei einmal an einem einzigen Tag von Ur nach Nippur und wieder zurückgelaufen – eine Strecke von 140 Kilometern Luftlinie. Der „gerechte Junge“ (das bedeutete Šulgis Name) mag durchaus ein großartiger Athlet gewesen sein, aber zu behaupten, eine solche Strecke gelaufen zu sein, ist absolut lächerlich. Zum Ende der langen seiner Regierungszeit hin wurden mehr und mehr Dokumente angefertigt, die darauf hinweisen könnten, dass der König oder seine Minister die Warenströme kontrollieren wollten, die an die religiösen Organisationen gingen, um sicherzustellen, dass die Waren auch tatsächlich ordnungsgemäß verwendet wurden. Ein solches Motiv wird in den alten Schriften nirgends erwähnt und findet sich auch nicht in seinen Königsinschriften; es ist lediglich klar, welch enormen Aufwand er betrieb, alles aufschreiben zu lassen. Ein interessanter Text, der aus der nachfolgenden altbabylonischen Zeit erhalten ist, wurde als Klagelied über den Tod des Dynastiegründers Ur-Namma verfasst, der in der Schlacht gefallen war. Dieser Text gehört wohl in den Kontext der Trauer um den Prinzen, und die Ungerechtigkeit, die darin lag, dass eine derart kreative Person sterben musste, wird für seine Zeitgenossen die Tatsache unterstrichen haben, wie unsicher das Leben für die Sterblichen doch war. Dieser ­Todesfall erschien überhaupt als unfair – nicht nur für den König, sondern auch für seine Untertanen, die gehofft hatten, von seiner klugen und produktiven Regierung zu profitieren. Die Könige von Ur waren es, die die kleine, aber alte Stadt Eridu wiederherstellten, die zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon 500 Jahre lang verlassen war.

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Sie verschönerten außerdem ihre Hauptstadt Ur und errichteten den Turmbau aus Lehmziegeln – die Zikkurat, die heute noch dort steht, mehr als 12 Meter hoch. Zikkurats, wie wir sie aus verschiedenen Stätten kennen, stellten wahrscheinlich eine Verbesserung gegenüber den älteren Tempelterrassen dar. Sie waren große Plattformen aus Lehmziegeln, auf denen ein Tempel errichtet wurde; vermutlich galten sie als „reine Orte“, wie Inschriften sie häufig nennen, und das Vorhandensein der Terrasse sorgte für die rituelle Reinheit des Bauwerks. Als Grundfläche für einen einzigen Tempel war ein Tempelturm eine viel größere Investition als eine niedrige Terrasse. Keiner dieser Tempel oben auf einer Zikkurat ist erhalten; sie müssen aber dem Tempel, der am Fuße einer Zikkurat stand, ähnlich gewesen sein. Die Inschriften 16 und 17 des Königs Amar-Suena prahlen damit, er habe in der Stadt Karzida ein neues Wohnhaus für Priesterinnen des Mondgottes gebaut, und betonen, eine solche Wohnstatt habe es zuvor nicht gegeben (Frayne 1997: 263–265). Dies markiert eine religiöse Innovation, die man im Allgemeinen und sicherlich auch in späteren Zeiten vermied, aber der König war stolz darauf. Ibbi-Sin, der letzte König der Dynastie, regierte 24 Jahre – eine lange Zeit, während der er allerdings den unaufhaltsamen Schwund seiner Autorität miterleben musste, außer in seiner Hauptstadt. In seinem sechsten Jahr, so scheint es, kamen die schriftlichen Aufzeichnungssysteme in allen Provinzen zum Erliegen. Schließlich wurde er von Fremden aus dem Osten aus dem Amt vertrieben und angeblich ins Exil verbannt, wo er starb. Spätere mesopotamische Autoren waren der Ansicht, dass er aufgrund seines traurigen Schicksals schuld sei am Untergang der ganzen Dynastie, genauso wie man Naram-Sîn nach dessen Tod die Schuld für das Ende seiner Dynastie in die Schuhe geschoben hatte. Im Falle Ibbi-Sins mag dieser Vorwurf eher gerechtfertigt gewesen sein, denn er war tatsächlich der letzte König von Ur und hatte keine Nachfolger. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er es an der traditionellen Frömmigkeit fehlen ließ oder die alteingesessenen Götter Mesopotamiens ignorierte. Zwar sind tatsächlich nur fünf von seinen Inschriften erhalten, viel weniger als bei den anderen Königen von Ur, aber das hat wahrscheinlich eher mit seiner schwindenden Macht zu tun und weniger mit einem Mangel an Frömmigkeit. Zwar wurde der König in der späteren Überlieferung für sein Verhalten gerügt, aber die wenigen gebildeten Schreiber beklagten seinen Fall wahrscheinlich eifriger als den Fall von Akkad. Diese Klagen hielten Einzug in das Curriculum der Schreiber und spiegeln wahrscheinlich weniger persönliche Reaktionen auf den Untergang von Ur wider, sondern beziehen sich vielmehr auf den Wiederaufbau der Städte eine Generation später, zu Beginn der altbabylonischen Zeit. Das Problem, mit dem sich diese Schriften befassen, ist, dass zumindest manche der Lehmziegeltempel zuerst vollständig abgerissen werden mussten, bevor man sie wieder aufbauen konnte.

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Die Zerstörung der Tempel verstieß zwar gegen die Grundwerte der mesopotamischen Eliten, und von daher war man mit Recht erschüttert, sie war aber dennoch notwendig, um neue herrliche Tempel errichten zu können. Weil diese Umbauten eine oder mehrere Generationen nach dem Fall von Ur stattfanden, kann man sie nicht als historisches Porträt des Niedergangs betrachten; sie verkörpern vielmehr die Werte der Eliten und ihre Wertschätzung für die Städte, vor allem für die Tempel, die die Städte so bedeutend machten, für einen Bettler genauso wie für einen König. Tempel waren stets Zentren für die Umverteilung landwirtschaftlicher Überschüsse und Orte, an denen diese Überschüsse aufbewahrt wurden, bevor man sie benötigte. Die Archivtexte aus der Ur-III-Zeit bezeugen außerdem, dass sie Orte waren, wo unerwünschte Personen auftauchten und von den Tempelvorstehern ausgebeutet, aber auch ernährt und eingekleidet wurden. Das Leben der Weberinnen von Umma war brutal und kurz, und ihre Kinder starben wie die Fliegen. Doch zumindest mussten sie nicht auf der Straße betteln, wenigstens dann nicht, wenn sie für den Tempel arbeiteten (Gelb 1972). Die Tempel waren Gebäude aus Lehmziegeln, etwa 10 Meter lang und 10 Meter breit, mit Strebepfeilern, die die Wände stützten. Sie besaßen in der Regel zwei oder drei Kammern, eine hinter der anderen, und in der hintersten stand die Statue eines Gottes. Im Tempel geschah im Großen und Ganzen das Gleiche wie in anderen großen Haushalten. Der Gott wurde geweckt, man gab ihm sein Frühstück, er wurde gebadet, und später am Tag erhielt er sein Abendessen. Zur Statue des Gottes hatte nicht jeder immer Zugang, daher kann es sein, dass gewöhnliche Gläubige sie nicht besonders oft zu sehen bekamen. Die Speisen, die man vor der Gottheit platzierte, wurden regelmäßig von Priestern entfernt und gegessen. Einen Großteil davon stellte die Regierung zur Verfügung, aber es können durchaus auch Spenden von Privatpersonen eine Rolle gespielt haben. Viele Götter waren an jahreszeitlichen Prozessionen beteiligt, in denen ihre Statuen die Tempel verließen und die anderer Götter besuchen durften, und in einigen Fällen zogen sie für ein paar Tage um in ein „Haus des neuen Jahres“, ­einen angegliederten Tempel, der während der Tagundnachtgleiche im Frühjahr genutzt wurde. Bei Prozessionen konnte die Öffentlichkeit unter Umständen einen Blick auf die Statuen erhaschen und dadurch ihren Segen erhalten. Einige reiche Leute ließen Statuen von sich selbst anfertigen, um Gelübde zu erfüllen, die sie abgelegt hatten, und es ist möglich, dass man diese Statuen vor denen der Götter platzierte, in einer Haltung ständigen Gebets. Dabei hielten sie beide Hände vors Gesicht oder – im Fall von steinernen Statuen, bei denen das eventuell schwer umzusetzen war – so nah ans Gesicht wie möglich; manchmal waren die Hände auch einfach gefaltet.

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Der Anbetende schützte sein Gesicht vor Gottes strahlendem Glanz, den man auch von der Gottesstatue ausgehen fühlte. Es mag sein, dass das Innere eines Tempels randvoll mit solchen Votivstatuen oder auch kleineren Votivgaben war, die verschiedene Leute dargebracht hatten, wie die gespenstischen Augen im ­Augentempel von Tell Brak im Zentrum Syriens.

Altbabylonische Dezentralisierung Der Staat Ur zerfiel, und es scheint auch in diesem Falle so gewesen zu sein, dass seine Erben ihn durchaus schätzten, jedoch herrschten sie selbst über Staaten, die kleiner waren und in deren Zentrum neuere Städte standen. Sie waren ganz anders beschaffen als die früheren Stadtstaaten, und sie besaßen viel weniger Macht. In politischer Hinsicht war die Epoche von einem geradezu unerbittlichen Gerangel zwischen den Staaten um die Macht gekennzeichnet, insbesondere im religiösen Zentrum Nippur. Wer als König Nippur kontrollierte, konnte einige der uralten Titel führen (dazu gehörte auch die Vergöttlichung) und die Priesterschaft von Nippur veranlassen, königliche Hymnen für ihn zu verfassen, die um Erfolg und langes Leben baten. Die Ansicht, dass es jeweils nur einen herrschenden König gab konnte, der diese Ehre verdiente, war pure Selbstüberhebung, denn schließlich beanspruchte vielleicht jeder Einzelne von ihnen irgendeine Art der Vergöttlichung für sich, wie es die späten Könige von Ur getan hatten. Welche Ehrfurcht man dieser Dynastie entgegenbrachte, kann man an der Liste ablesen, die die ersten Könige der Stadt Isin als Könige der jeweiligen „Amtszeit“ bezeichnete – so nannte man in Ur die Dynastie. Es kann durchaus zutreffen, dass so gut wie alle Könige ihre Karriere als Beamte der Ur-Dynastie begannen; später kopierte Briefe weisen darauf hin, dass dies zumindest in Isin der Fall war. Wir nennen diese Zeit altbabylonisch, weil Babylon innerhalb von 200 Jahren die Vorherrschaft über die meisten dieser Staaten errang und sie zu einem neuen Reich verschmolz, auch wenn sich dieses nur ein paar Regierungszeiten lang hielt. Weil die Mesopotamier diese Zeit im Rückblick als das Ende einer denkwürdigen Epoche betrachteten, produzierte die altbabylonische Zeit eine Menge Literatur und zahlreiche Gesetze, die man noch in späteren Zeiten las und die wir immer noch lesen können. Eine Entwicklung von potenziell großer religiöser Tragweite war, dass alle Herrscher auf die eine oder andere Weise mit der ethnischen Gruppe der Amurriter in Verbindung standen, die Mesopotamien schon früher infiltriert hatten, vielleicht gleichzeitig aus dem Westen – wie ihr Name nahelegt – und aus dem Osten, gegen den die Könige von Ur Mauern errichtet hatten. Die Amurriter waren nicht

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allesamt gefährliche Invasoren, und viele waren mittlerweile hohe Beamte im Reich Ur; wahrscheinlich gaben sie im Heer bereits den Ton an, schließlich galten sie als wilde und ruppige Barbaren, die man, wie die Chinesen es später formulierten, gut dazu gebrauchen konnte, gegen Barbaren zu kämpfen. Geht man nach ihrer Namensgebung, so scheinen die Götter, die die Amurriter verehrten, nicht ganz dieselben gewesen zu sein wie die früheren Götter. Der Mondgott gewann an Bedeutung, und andere Götter erhielten Beinamen, als seien sie Familienmitglieder – beispielsweise den Beinamen Hammurapi (bzw. Hammurabi), das bedeutet, „der Bruder des Vaters heilt“ (bzw. „ist groß“). Dies ist eine weitere Möglichkeit, die in der Regel positive Beziehung der meisten Götter zu den meisten Menschen zu beschreiben, doch vermittelt diese Praxis eine geradezu „anheimelnde“ Stimmung. Obwohl die Amurriter ihre ausländischen Namen beibehielten und vielleicht auch ihre Großfamilien und Stammesbeziehungen pflegten, errichteten sie ihren Göttern keine Tempel. Vielleicht erkannten sie, wie leicht sie ihre eigenen Götter den mesopotamischen gleichsetzen konnten; die meisten von ihnen verehrten diese Götter und unterstützten die alten Tempel und Priesterschaften. Da auf politischer Ebene meist Uneinigkeit herrschte, könnte es sein, dass die Könige tendenziell ihre lokalen Götter bevorzugten, dennoch erfuhren nach wie vor auch die übergeordneten mesopotamischen Götter Verehrung, mit viel Pomp und Aufwand. So schrieb zum Beispiel Hammurabi: „Für den Gott Enlil, den großen Herrn des Himmels und der Erde, den König der Götter, meinen Herrn, habe ich, Hammurabi, Prinz, Liebling des Gottes Enlil, der geschätzte Hirte der Göttin Ninlil, der Andächtige, der auf den Gott Šamaš achtet, … eine Lagerhalle errichtet, die ihm gefällt, in Babylon, seiner geliebten Stadt“ (Frayne 1990: 337). Der Einfluss der Amurriter auf die mesopotamischen religiösen Überzeugungen scheinen auf ein Minimum reduziert gewesen zu sein. Manche Forscher halten das gestiegene Interesse an persönlichen Göttern für eine weitere wichtige Entwicklung während der altbabylonischen Zeit. Der Gedanke dabei ist, dass die Familienreligion sich vielleicht bereits in einer frühen Epoche auf bestimmte Götter konzentrierte, die dann bald als Teil der Familie galten, da sie sich um das Schicksal und den Fortschritt der Familienmitglieder mehr sorgten als andere Götter. Studien zur früheren Praxis der Namensgebung machen deutlich, dass dies kein Gedanke war, der in der altbabylonischen Zeit neu aufkam; vielmehr kann man ihn zurückverfolgen bis ganz zu den Anfängen dessen, was wir über die mesopotamische Tradition der Namensgebung wissen (di Vito 1993). Offenbar finden sich dabei in den Namen oft Referenzen wie „mein Gott“ und „sein Gott“, ohne dass klar wird, wer genau damit gemeint ist. Die stets so beliebte Präsentationsszene auf Rollsiegeln, die wir bereits aus der Ur-III-Zeit kennen und die bis in die altbabylonische Zeit hinein verbreitet war, zeigt den

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­ igentümer des Siegels, wie er von einer Gottheit vor einen bedeutenderen Gott E gebracht wird, der wie ein König dasitzt; sowohl der Anbetende als auch die ihn begleitende Gottheit schützen dabei ihre Gesichter vor dem strahlenden Licht des Hauptgottes. In dieser Epoche tauchte auch eine neue Art von Namen auf, die man als Hinweis auf eine größere „Innerlichkeit“ beschrieben hat, als sie bei früheren Namen zu beobachten ist. Es tauchten Namen auf, die nicht mehr den bei Namen üblichen fröhlichen Optimismus ausdrückten. Stattdessen zeigten einige Namen, dass ihre Träger (oder vielmehr deren Eltern) sich nicht ganz sicher waren, wo sie in dieser Welt standen, und die Hilfe der Götter brauchten, um innere Zufriedenheit zu erreichen. Für jene Zeit kann man diese Namen vor allem in Elam und in Syrien beobachten, an der Peripherie Mesopotamiens, aber in den folgenden Epochen wurde diese Art von Namen immer häufiger, und zwar vor allem im zentralbabylonischen Nippur, dem religiösen Zentrum. Das könnte darauf hindeuten, dass diese Art von Gefühlen sich immer weiter verbreitete – oder zumindest die Mode, Namen wie „ich seufze“, „nimm die Last von mir, oh Gott“, „der Gott ist meine Hoffnung“, „ich flehe (den Gott um Hilfe an)“ zu verwenden. Es sind nicht gerade revolutionäre Gefühle, aber die Namen demonstrieren einen viel persönlicheren Bezug zur Götterwelt als je zuvor und eine anhaltende Besorgnis über die ­Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens (Oppenheim 1936). Die prägende Figur jener Zeit war Hammurabi – eigentlich wohl Hammurapi, aber die Schreibweise mit „b“ hat sich so stark durchgesetzt, dass sie auch hier verwendet wird. Zwischen 1792 und 1750 v. Chr. einte er das Land, so dass es sich bis fast an die Grenzen ausdehnte, das es in der Ur-III-Zeit gehabt hatte. Aus seinen Briefen wissen wir, dass es ihm äußerst wichtig war, die alten Städte des ­Südens in politischer und religiöser Hinsicht ins Reich einzugliedern. Dank Hammurabi wurde der babylonische Gott Marduk schließlich zum obersten Gott des mesopotamischen Pantheons. Während Hammurabis Herrschaft geschah dies jedoch sicher nicht. Seine Königsinschriften demonstrierten stattdessen gebührenden Respekt für die alten Götter der alten Städte, und selbst in der Namensgebung jener Zeit nahm Marduk keine herausragende Stellung ein (Klengel 1991: 182–183). Obwohl Hammurabi politische Neuerungen einführte, indem er die verschiedenen kleineren Staaten vereinigte, scheint er in Sachen Religion nicht besonders innovativ gewesen zu sein. Hammurabi war der erste Herrscher seit Jahrhunderten, der nicht von sich behauptete, ein Gott zu sein, und der sich keine Tempel errichten und Opfer darbringen ließ, wie es so viele eitle Herrscher seit Naram-Sîn getan hatten. Zu dieser Entscheidung (wenn es denn eine aktive Entscheidung war) passt, dass er das kombinierte Priestertum der Königstöchter in Uruk und Ur nicht weiter fort­

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führte. Mitunter wurde – vielleicht in unzulässig anachronistischer Weise – darüber spekuliert, ob er einer Art Einfachheit anhing, die ihre Wurzeln in einem Leben in der Wüste hatte, genau wie es später die Araber von ihren Dynastien behaupteten; für das Altertum gibt es in dieser Hinsicht aber wenig Belege. Hammurabi war der direkte Nachkomme mehrerer Könige, die in der Stadt Babylon lange regiert hatten; es ist eher unwahrscheinlich, dass er viel mit den Stammestraditionen der Wüstenbewohner zu tun hatte. Frühere Könige mit amurritischen Namen hatten keinerlei Skrupel gezeigt, sich göttlich zu nennen. Die alten Städte waren politisch nicht so stark, wie sie gewesen waren, als NaramSîn sie unterwarf, aber vielleicht erinnerte sich ohnehin niemand mehr daran, warum die Könige einst damit begonnen hatten, zu behaupten, sie seien Götter. Die rechtlichen Implikationen der langen Inschrift von Hammurabi, die ihre Entdecker als „Gesetzestafel“ bezeichnet haben, sind ausgiebig diskutiert worden; es scheint eine Sammlung kluger Entscheidungen zu sein, die der König traf und umsetzte, aber eine Sammlung von Gesetzen oder Vorschriften, die man vor Gericht verwenden konnte, wie es die moderne Bezeichnung nahelegt, war sie sicher nicht, denn offenbar bezog man sich nirgends darauf. Zumindest aber war sie eine Demonstration seiner Führungsstärke und zugleich seiner Frömmigkeit – und der Prolog und der Epilog zeigen, dass es es ihm vor allem darum ging; dazwischen standen (nach moderner Zählweise) 282 Absätze an Klauseln. In religiöser Hinsicht bedeutete das, dass der König sich in die herrschende Tradition einreihte, in soziale und rechtliche Belange einzugreifen oder zumindest auf formalem Weg Entscheidungen zu bestätigen. Er wollte sich selbst als „König der Gerechtigkeit“ stilisieren, der sich um die Armen und Unterdrückten kümmerte – und um alle, die vom Königshof abhängig waren. Er war sich bewusst, dass die Mächtigen und Privilegierten diejenigen, die von ihnen abhängig waren, manchmal schlecht behandelten, und er wollte dies, soweit es ging, verhindern – genauer gesagt: Er wollte als jemand gelten, der das verhinderte. Er wollte als guter Hirte seines Volkes erscheinen. Ein solches Image war für ihn bzw. einen König seiner Zeit eigentlich gar nicht so neu. Wie in früheren Zeiten musste eine Führungspersönlichkeit in Mesopotamien auch den Armen und Unterdrückten gefallen, andernfalls machten sich diese einfach auf und davon; von daher war es geradezu obligatorisch für einen Herrscher, sich um ihr Wohl zu kümmern. Wir kennen schon aus früheren Epochen Geschichten darüber, wie man Omina einholte, doch zeitgenössische Texte über die Ergebnisse solchen Bemühens kennen wir vor allem aus der altbabylonischen Zeit. Die Grundidee war, dass man sich des Willens eines Gottes einer bestimmten Person gegenüber dadurch ver­ gewissern konnte, dass man ein Tier opferte und sich seine Eingeweide ansah.

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Schafe und ihre Leber waren beliebt, aber teuer, und Texte aus jener Zeit zeigen, dass es durchaus billigere Möglichkeiten gab, die dieselbe Wirkung hatten, Wasser und Öl zum Beispiel. Vielleicht waren diese Texte Destillate einer viel älteren mündlichen Überlieferung, die die Bedeutung bestimmter Beobachtungen in diesem Zusammenhang beschrieb. Es gab aber auch detailliertere Erklärungen früherer Omina, und bei diesen finden wir bereits ganz verbreitet etwas, das man eine akademische oder Sekundärinterpretation solcher Beobachtungen nennen könnte. Die Frage ist, was diese überhaupt noch mit den zum Einholen der Omina beobachteten Objekten zu tun hatte. Es gibt Lebermodelle aus der Stadt Mari am mittleren Euphrat und aus einigen anderen Stätten, die moderne Forscher mit einer Betrachtung von Lebern unter besonderen Umständen in Verbindung gebracht haben. Es sind kleine Klumpen aus Ton in einer dem Organ angemessenen ovalen Form, auf denen Schriftzeichen eingeritzt sind. Auf einem liest man: „Das Omen von Naram-Sîn, als das Land rebellierte“, aber höchstwahrscheinlich ist dies kein Abbild des tatsächlich beobachteten Omens, sondern einen Gegenstand, der zur Schulung diente und einem zeigte, was einen erwarten konnte (Snell 1974). Aus der altbabylonischen Zeit gibt es die ältesten Zusammenstellungen von Listen solcher Omina, inklusive technischer Beschreibungen, wie die Leber aussehen konnte, sowie kurzer Erklärungen dessen, was der Person geschehen konnte, die um das Omen gebeten hatte. Dies scheint nicht der Anfang, sondern vielleicht sogar die Blütezeit einer langen Tradition gewesen zu sein, die sich die Welt als eine Tontafel vorstellte, auf die die Götter die Zukunft schrieben (Goetze 1947). Man sollte jedoch daran denken, dass dieses Vorwissen nicht als absolut oder unveränderlich galt. Stattdessen ging man offenbar davon aus, dass man (wie bei Gudea) verschiedene Omina einholen musste, und wenn sie eindeutig Schlechtes voraussagten, konnte man Gegenmaßnahmen einleiten und das Verhalten von Menschen und die Ergebnisse von Omina damit verändern. Durch Omina erfuhr man, was die Weisheit der Götter für einen vorsah, wenn sich die gegenwärtige Tendenz fortsetzte, aber diese Tendenz konnte man ändern (Rochberg-Halton 1982). Priesterinnen waren in der mesopotamischen Religion schon immer von Bedeutung gewesen, und in der altbabylonischen Zeit wissen wir von einer besonders interessanten Gruppe von Priesterinnen in der nördlichen Stadt Sippar, die dort die größten Geldverleiher waren. Ihr Leben, wie wir es aus Archivtexten und auch aus Hammurabis Gesetzessammlung kennen, veranschaulicht die enge ­Verzahnung von Finanzkraft und religiöser Autorität (Harris 1975). Ihr Status basierte im Prinzip darauf, dass reiche Familien mit vielen Töchtern diesen Töchtern eine Mitgift zahlten; das machte die Frauen zu nadītus, Bräuten des Gottes. Sie mussten (wahrscheinlich in relativer Abgeschiedenheit) in einem

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Kloster leben, das eigens für sie gebaut worden war. Angeblich waren sie zur Keuschheit verpflichtet. Der Gedanke dahinter war, ihnen ein ruhiges Leben zu ermöglichen und ihre Brüder davor zu bewahren, das Erbe in zu viele Teile aufteilen zu müssen: Die traditionelle Art, ein Erbe aufzuteilen, war, dass alle Kinder den gleichen Anteil bekamen, nur der erstgeborene Sohn erhielt einen doppelten Anteil. Dies führte zwangsläufig dazu, dass Grundbesitz und andere Besitztümer in immer kleinere Teile aufgeteilt werden mussten. Brüder mussten ihren Grundbesitz mit ihrer Schwester teilen, aber zumindest theoretisch bekam sie als nadītu keine Kinder, die dann wiederum einen Teil des Erbes beanspruchen würden. Häufig kam es aber anders. Die nadītus verwendeten ihr Geld, um in Land und Kredite zu investieren, und bevor sie starben, adoptierten sie nicht selten andere, jüngere nadītus, um sie als Erbinnen einzusetzen; das angesammelte Kapital behielten sie für sich, und ihre Brüder hatten nichts davon. Natürlich stand es den Brüdern frei, ihre Schwestern dafür vor Gericht zu bringen, und das taten sie auch, aber in keinem dieser Prozesse bekamen sie Recht. In Sippar spiegelten die Namen der nadītus ihre Hingabe an den Sonnengott und seine Gattin Ayya wider; vielleicht nahmen die Frauen diese Namen an, wenn sie ins Kloster gingen. Dabei war das Kloster alles andere als eine Wohlfahrtsorganisation, und religiöse Pflichten mussten die Frauen ebenso wenig übernehmen, soweit wir aus den erhaltenen Texten wissen. In gewissem Sinne waren sie vielleicht so etwas wie die Feministinnen des Altertums; sie hatten manchmal ihre eigenen weiblichen Schriftgelehrten, etwas, das es vor ihnen in der mesopotamischen Geschichte kaum jemals gegeben hatte; allerdings kann es auch sein, dass es dabei darum ging, den Kontakt zum anderen Geschlecht zu vermeiden. In Babylon gehörte zu den nadītus von Marduk eine Tochter des Königs, doch leider haben wir über diese Damen nicht so viele Aufzeichnungen wie über die aus Sippar (Harris 1975: 315–323). Die altbabylonische Zeit war keine Epoche der politischen Einheit, außer unter Hammurabi und seinem Sohn, und aus den politischen Spaltungen können sich durchaus auch religiöse Spaltungen ergeben haben. Dennoch hatte im Rahmen ­eines solchen polytheistischen Systems offenbar niemand das Verlangen, Götter, die anderswo verehrt wurden, zu diskreditieren. Einige Götter der Amurriter tauchten in den Namen von Personen auf, zum Beispiel der Gott Lim in Mari am mittleren Euphrat, aber die meisten dieser Götter erreichten nie einen so hohen Status, dass man ihnen Tempeln gebaut hätte; so scheint das mesopotamische Pantheon relativ stabil gewesen zu sein, auch wenn der Stadt-Gott Marduk seinen schließlichen Aufstieg dem Erfolg der Könige seiner Stadt in jener Epoche verdankte. Die Herrscher kamen von außerhalb, aber sie waren sich durchaus der umfangreichen Historie bewusst und der fantastischen landwirtschaftlichen und politi-

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schen Erfolge, die die mesopotamischen Götter dem Land gebracht hatten. Daher unterstützten die Könige auch keine Innovationen. Es war in jener Epoche, als die Gouverneure und Bewohner der Stadt Aššur, ganz im Norden Mesopotamiens, ihre Stimme erhoben und auf Unabhängigkeit zu drängen begannen. Aššur war eine Station des lukrativen Fernhandels mit Anatolien (in der heutigen Türkei). In das erzreiche Anatolien brachten sie mesopotamische Textilien mit – und Zinn, den man benötigte, um Bronze herzustellen, und den sie wahrscheinlich aus dem Iran oder von noch weiter weg bezogen. Bei jeder Reise fuhren sie Gewinne von bis zu 100 Prozent ein. Einige Bewohner Aššurs blieben in Anatolien, heirateten Einheimische und wurden Teil der dortigen Kultur, obgleich wir aus Texten wissen, dass sie sich weiterhin als Assyrer betrachteten. Die religiöse Situation war sicherlich alles andere als statisch, aber die Archivtexte, die diese Kontakte dokumentieren, geben in dieser Hinsicht wenig Aufschluss, auch wenn es sicherlich zweisprachig und multikulturell aufwachsende Kinder gab, die die fünf Generationen, die dieser Kontakt anhielt, überlebten und einen gewissen Einfluss auf spätere Entwicklungen hatten. Aus Aššur selbst kennen wir Inschriften, die zeigen, dass man sich um Frömmigkeit gegenüber dem Gott von Aššur bemühte, der ebenfalls Aššur hieß. Die Inschriften weisen nicht explizit darauf hin, aber wahrscheinlich war dieser Gott ursprünglich ein Felsvorsprung, der bei der Stadt über den Fluss ragte (Lambert 1983). Seine Eigenschaften in dieser frühen Zeit sind nur lückenhaft überliefert, aber wir wissen, dass die Stadtoberen sich selbst nicht als Könige von Aššur ansahen; einer sagte sogar explizit: „Aššur ist König“, er selbst sei indes nur der ensi (Stadtgouverneur, manchmal auch als „Vizeregent“ übersetzt) (Grayson 1987: 12– 13). Es ist schwierig, die Programme dieser Herrscher aus den kurzen Inschriften abzuleiten; Ērišum setzte Richter ein, von denen einige klangvolle Namen hatten (oder erhielten), die zu ihren Aufgaben passten, wie S.e-raggu, das heißt „Fort mit dir, Verbrecher!“, oder Aššur-hablam, das bedeutet „Kümmere dich um die Unter˘ drückten“ (Grayson 1987: 20). Sargon I. von Assyrien war der Einzige, der seinen Namen mit dem göttlichen Determinativ schreiben ließ, und was das in seinem Fall zu bedeuten hat, ist schwer zu ermessen; vielleicht sollte es nur heißen, dass er nach dem großen akkadischen König benannt worden war, der am Ende vergöttlicht worden war. Ein neues, internationales Zeitalter zeichnete sich zu Beginn der altbabylonischen Zeit im Norden ab, als der Amurriterprinz Šamši-Adad an die Macht kam. Er schenkte dem Gott Aššur weniger Aufmerksamkeit, achtete dafür aber mehr die älteren mesopotamischen Götter, darunter auch Enlil. Seine Inschriften sprechen davon, er habe halb verfallene Tempel abreißen und wiederaufbauen lassen. Wir wissen aus anderen altbabylonischen Texten, dass er die Kontrolle über Mari

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übernahm und von einem nordmesopotamischen Imperium träumte, das er zusammen mit seinen Söhnen regierte. In einer späteren Inschrift rühmte sich der ansonsten unbekannte Puzur-Sin jedoch, die Mauer und den Palast von ŠamšiAdad in Aššur abgerissen zu haben, und das lange nach dessen Tod, denn ŠamšiAdad sei nicht aus dem „Fleische Aššurs“ gewesen und habe daher unrechtmäßig geherrscht (Grayson 1987: 77 f.). Die Beziehungen zum südlichen Mesopotamien waren die gesamte Geschichte Assyriens hindurch ambivalent, und das bezog sich auch auf die Akzeptanz der Götter des Südens und manchmal auch auf deren Anpassung an den Gott Aššur. In der altbabylonischen Zeit etablierte sich das, was wir als hethitische Kultur bezeichnen. Die Hethiter erreichten Anatolien zur Zeit der alten assyrischen Handelskolonien und schwangen sich dort zum herrschenden Volk auf. Die alten ­Assyrer gaben zudem ihre Handelstätigkeit auf, wenn auch offenbar nicht wegen der neuen Machthaber. Die Hethiter sprachen die erste bezeugte indogermanische Sprache – eine Sprache, die mit den meisten späteren europäischen Sprachen verwandt ist. Sie waren Herren über ein multikulturelles Amalgam, das in seiner frühesten Epoche, dem Alten Hethiterreich (1700–1500 v.  Chr.), auch das Volk umfasste, das dort vor den Hethitern lebte: die Hattier. Ihre Sprache und Traditionen lebten unter den Hethitern fort, und tatsächlich scheinen viele, wenn nicht sogar die meisten religiösen Überzeugungen der Hethiter von ihrem Vorläufervolk entlehnt gewesen zu sein. Die Hethiter waren immer wieder auf politische Expansion aus, und dabei inkorporierten sie regelmäßig die Götter der Länder, die sie eroberten, in ihre Religion. Dieses Phänomen ­bezeichnete man auch als die „tausend Götter des Landes Hatti“, und es gab bei ˘ ­ihnen sicherlich eine ganze Menge Götter. Eine weitere wichtige ethnische Gruppe, die mindestens seit der altakkadischen Zeit im Norden Syriens lebte, waren die Hurriter, und auch von diesem Volk übernahmen die Hethiter Götter und religiöse Praktiken. Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Daten ist es schwer eine bestimmte Entwicklung für die hethitische Religion zu postulieren; man kann höchstens feststellen, dass Texte aus der Zeit des hethitischen Großreichs (1400–1200 v. Chr.) einen anderen Ton aufweisen, der eine größere emotionale Bindung an bestimmte Götter reflektieren könnte, als Folge des Aufstiegs der Herrscher aus dem Südwesten Anatoliens (Taracha 2009: ix, 81). Eine so eindeutig politische Erklärung für einen religiösen Wandel erscheint ein wenig simpel, aber wie wir sehen werden, ist eine solche Beweisführung in der Geschichte der Religionen alles andere als ungewöhnlich. Es sind sehr viele Texte erhalten, die dem Leser mitteilen, was er tun soll, um die Götter zu besänftigen und seine Probleme und die seiner Mitmenschen zu lösen. Solche rituellen Texte bildeten den Hauptteil der Schriften in der Bibliothek

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der hethitischen Hauptstadt, und viele davon gehen offenbar auf hattische und hurritische Quellen zurück. Obwohl wir solche Texte auch aus der späteren mesopotamischen Tradition kennen, fehlt dort die Vielzahl an Ritualen, die das hethitische Material aus dieser früheren Zeit bietet. Diese Rituale hatten manchmal die Form einer Geschichte, die ein bestimmtes Problem mit einem mythologischen Ursprung versah. Der Telipinu-Text beschreibt eine Dürre und eine Hungersnot, die unter Umständen ein jährlich wiederkehrendes Problem darstellten, auch wenn es in Anatolien, anders als in Mesopotamien, fast das ganze Jahr über zumindest immer wieder ein wenig regnet. Die im Text beschriebenen Probleme sind die Folge des grundlosen Zorns des Gottes Telipinu, der voller Ekel seinen gewohnten Lebensraum in der Stadt verlässt. Die anderen Götter schicken verschiedene Tiere aus, um ihn zu suchen, und schließlich findet ihn die Biene, die ganz unten in der Rangordnung steht. Der Gott muss aufgeweckt und dann besänftigt werden. Dazu benötigt man einen weiteren Gott, der rituelle Handlungen weißer Magie vollführt, um Telipinu zu milde zu stimmen. An einem bestimmten Punkt dieses Textes hält jedoch ein weiteres Ritual mit etwas anderen Anforderungen Einzug in die Erzählung und schließlich noch ein weiteres (Beckman in Hallo und Younger 1997: 151–153; Taracha 2009: 156). Der Gedanke hinter diesem und vielen ähnlichen Texten war, dass schlimme Ereignisse, unter denen die Menschen zu leiden hatten, ihren Ursprung in der Willkür der Götter hatten, aber dass wiederum andere Götter und letztlich auch der Mensch selbst in der Lage waren, den Verursacher eines solchen Unglücks in einer bestimmten Weise zu beeinflussen. Man riet beispielsweise zu Trankopfern und vielen anderen Arten von Opfern. Aber warum empfahl man überhaupt so viele unterschiedliche Dinge? Das mag daran liegen, dass hinsichtlich der rituellen Handlungen die Traditionen verschiedener Orte in einem Text zusammen­ kamen; vielleicht hatte man aber auch dieses oder jenes erfolglos ausprobiert, so dass man wieder andere rituelle Techniken entwickelte. Diese Tatsache gibt den Ritualen allgemein etwas Unverbindliches, das dazu passt, wie man im alten Orient mit Omina und Reaktionen auf Vorzeichen umging; negative Prophezeiungen konnte man umkehren, nach dem Motto: „Diese Methode hat das schon einmal funktioniert, aber diese andere hier könnte genauso wirksam sein.“ Den hethitischen Schriftgelehrten war es wichtig, das alles aufzuschreiben, damit dieses Wissen erhalten blieb – vor allem für den Fall, dass eine oder mehrere solcher rituellen Handlungen keine Wirkung zeigte. Rituale gab es für alle möglichen Probleme und Notlagen, nicht nur für Umweltkatastrophen. So war ein Ritual gebräuchlich, das (buchstäblich) einen Sündenbock bestimmte, nämlich einen Widder, der eine Seuche mit sich fort aus der Stadt schleppte (Gurney 1977: 48), und eines, bei dem jemand als Double für den

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König auserkoren wurde, wenn diesem etwas Böses prophezeit war (Gurney 1977: 50); was dann später mit diesem Tier bzw. Menschen geschah, ist unklar. Ebenfalls wichtig scheinen Geburtsrituale gewesen zu sein, und sie gingen anscheinend auf hattische Vorbilder zurück (Beckman 1983). Beckman schreibt: „Es war nicht von Bedeutung, dass man in ein und derselben Gruppe von Ritualen einander widersprechende Praktiken vorfand; viel wichtiger war, dass die Experten, die die Damen des königlichen Hofs unterstützten, … diesen so viele Informationen zur Verfügung stellen konnten wie möglich“ (1983: 249). Die Pest-Gebete des hethitischen Königs Muršili II. sind wichtig für unser Verständnis der Vorstellungen der Hethiter (und vielleicht auch anderer Völker) darüber, welchen Anteil die Götter am Unglück auf Erden hatten. Eine Epidemie suchte Hatti heim, nachdem man eine Gruppe kranker ägyptischer Gefangener nach Anatolien gebracht hatte. Der König investierte eine ganze Reihe an Gebeten und Opfern, um die Götter zu befragen, was er tun könne, damit die Seuche abklinge. Ja/Nein-Antworten auf seine Fragen fand er in ungewöhnlich geformten oder gemusterten Lebern von Schafen. Das Ergebnis war, dass man es in der Vergangenheit versäumt hatte, dem Euphrat zu opfern, und so beeilte sich der König, dies nachzuholen. Und natürlich fand die Epidemie irgendwann ein Ende (Beckman in Hallo und Younger 1997: 156–160). Der König war sich sicher, dass magische Einflüsse die Seuche hervorgerufen hatten, nicht etwa die vorsätzliche Gottlosigkeit früherer Könige, aber dennoch konnte man die Götter anrufen, damit sie den Menschen halfen, das Unglück zu überwinden. Eine andere Art von Unglück wird in einem Text Hattušilis III. behandelt, den wir seine Apologie nennt. Darin erklärt er, wie seinem Bruder, der König gewesen war, dessen Sohn nachfolgte; dieser jedoch unterschätzte seinen Onkel. Hattušili glaubte, die Göttin Ištar habe ihm befohlen, seinen Neffen zu stürzen; gleichzeitig hatte der Neffe seine eigenen Generäle verprellt, und feindliche Stämme im Norden, die sich zuvor den Hethitern widersetzt hatten, beschlossen Hattušili zu unterstützen. Hattušili wurde König, verbannte seinen Neffen und verkündete, nach ihm sollten seine eigenen Nachkommen regieren. Dieser Text ist einzigartig, da er zeigt, dass allein die Gunst einer Gottheit ausreichte, um eine offenbar legitime Thronfolge zu kippen. Zwar war der Neffe nur der Sohn einer Konkubine, er konnte aber trotzdem rechtmäßig Großkönig der Hethiter werden; was hier zum Tragen kam, waren eher seine Inkompetenz und sein undankbares Verhalten gegenüber seinem Onkel (Beckman in Hallo und Younger 1997: 199–204). Die Blütezeit der Hethiter dauerte bis 1200 v.  Chr. Sie kopierten weiterhin ­Texte, die teilweise bereits Jahrhunderte alt waren. In der Zeit der Romantik, im 19. Jahrhundert, als die Forschung glaubte, der Geist eines Volkes liege in gewisser

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Weise in seiner Sprache begründet, hieß es immer wieder, sie hätten eine indoeuropäische Sprache gesprochen; heute tritt dieser Aspekt eher in den Hintergrund angesichts der Erkenntnis, dass die Hethiter eine starke Bereitschaft zeigten, religiöse Praktiken von eroberten Völkern zu übernehmen – und natürlich auch das System der Keilschrift. Ein Beitrag zum späteren religiösen Denken, an dem sie teilhatten, war die Vertragsform, die sie im Umgang mit kleineren Staaten und mit Ägypten erarbeitet hatten (Beckman 1999). Auch dies fand über Jahrhunderte hinweg sein Echo, aber mit Ausnahme kurzer Erwähnungen in der jüdischen ­Bibel spielte dieses Volk für Europäer und Amerikaner bei ihrem Blick auf die Vergangenheit keine Rolle mehr, bis man zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre Sprache entschlüsselte. Die Hethiter lernten viel von ihren Nachbarn im Süden, in Syrien und in Mesopotamien, aber sie bewahrten auch ältere Denkweisen, die sie in Anatolien entdeckt hatten. Die tausend Götter waren vergessen, aber einige der Konzepte, über die die Hethiter schrieben, sollten auch weiterhin von Interesse sein.

Die Verlockungen Ägyptens, 4000–1400 v. Chr. Wenn die Herrschenden die allgemeinen Umgangsformen und Anstandsregeln befolgen, dann ist das Volk leicht zu regieren. – Konfuzius nach Ralf Moritz (Übers.), 1982, XIV, 41

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an trug den alten Pharao in einer Sänfte herbei. Er sah gebrechlich aus und schien sich nicht dafür zu interessieren, wohin es ging, aber die Träger ­luden die Sänfte vorm kahlköpfigen und von der Hüfte aufwärts nackten Baumeister ab. Dieser näherte sich vorsichtig der Sänfte, und als der König ihn sah, verbeugte sich der Baumeister bis auf den Boden und begrüßte ihn förmlich: „Leben, Wohlstand und Gesundheit dem König!“ Der Pharao hob seinen Kopf, den der Schatten vor der heißen Sonne schützte. Auch er war kahl und trug nur ein leichtes Gewand. Sein Gesicht hellte sich auf, als er den Baumeister erkannte. „Was liegt heute an?“, fragte er. „Euer schöner Bezirk ist bereit für das Fest der Wiedergeburt, das Jubiläum“, antwortete der Jüngere. „Ihr könnt dort hin- und herlaufen, um den Sonnengott anzubeten.“ Der Pharao betrachtete den polierten Stein des Platzes vor ihm und die strahlenden neuen Gebäude, die auf beiden Seiten des Platzes in den Himmel ragten. Die Gebäude waren nur Fassade ohne Innenbauten, aber das konnte er nicht erkennen, und es war ihm auch egal. Wichtig war allein, wie es nach außen wirkte. Ein Schatten huschte über des Königs Gesicht, als er fragte: „Aber werde ich je wieder laufen können? Ich habe ja sogar Schwierigkeiten, diese Sänfte hier zu ­besteigen.“ „Der Sonnengott verjüngt uns täglich, Eure Majestät, und Euch wird er umso mehr verjüngen, wenn dieser Platz und die Gebäude ganz fertiggestellt sind“, verkündete der Baumeister. „Natürlich sagst du das, wo ich für dieses Gebäude und das Drumherum so viel ausgebe“, sagte der Pharao mit einem Lächeln. „Ich führe Euren Willen aus, Majestät“, antwortete er, „wie wir alle.“ „Du gibst dein Bestes, ich weiß“, sagte der alte Mann mit ausladender Geste, „das tut ihr alle.“

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Alle Arbeiter hatten aufgehört zu arbeiten und sich in seiner Richtung zu B ­ oden geworfen. „Es ist alles sehr schön, und wie es seit meiner ersten Idee gewachsen ist!“, sagte der König. „Ursprünglich dachte ich ja nur an ein traditionelles niedriges Grabmal, in dem ich und später meine Beamten ganz friedlich unsere Reise in Richtung Westen beginnen könnten, wenn wir tot wären. Aber jetzt hast du etwas ganz anderes geschaffen.“ Er mühte sich ab, die Sänfte zu verlassen, die Träger und der Baumeister halfen ihm. Er war ein kleiner Mann, der in seiner Jugend offensichtlich einmal mehr Kraft besessen hatte, aber er hatte erst im Alter den Thron bestiegen, und es är­ gerte ihn, dass er inzwischen so schwach war. Nun aber stand er auf und legte den Kopf in den Nacken, um die zahllosen Stufen zu betrachten, von unten bis oben, die das Bauwerk bedeckten, das sein Grab sein würde und das höher war als alles, was je zuvor ein Mensch geschaffen hatte. Er lächelte zufrieden. Er rechnete wohl nicht damit, dass der Sonnengott ihn genügend verjüngen würde, dass er über seinen Jubiläumsplatz laufen könnte, aber die schiere Größe des Grabes würde dafür sorgen, dass es keiner, der nach ihm kam, beseitigen konnte. Es würde die Zeiten überdauern und mit ihm sein Name: Djoser, „der Fromme“, wie seine Eltern ihn genannt hatten, auch wenn er inzwischen andere Namen und Titel trug. Die gewaltige Pyramide war jetzt bereit, seinen Leichnam zu beherbergen. „Ich bin sehr zufrieden“, sagte der König zu seinem Baumeister Imhotep, dessen Name bedeutete: „In ihm wohnt Zufriedenheit.“ Imhotep verbeugte sich und lächelte. *** Die Stufenpyramide des Djoser steht noch heute, südlich von Kairo. Sie war der erste Versuch, den Königen und reichen Leuten Ägyptens mehr zu bieten als die niedrigen bankartigen Grabmale, die man bisher errichtet hatte. Die Djoser-Pyramide begann zwar auch als Bankgrab, aber ihren Erbauern standen genügend Zeit und Ressourcen zur Verfügung, um sie zuerst um ein paar Stockwerke zu erhöhen und dann immer weiter in Richtung der Leben spendenden Sonne auszubauen. Sie ist heute 62 Meter hoch, und der Jubiläumsplatz sieht beinahe noch so elegant aus wie um 2500 v. Chr. Wie bei späteren Pyramiden und vielen anderen Grab­ malen hat man den Leichnam des Pharaos nicht gefunden, wahrscheinlich haben bereits in der Antike habgierige und gottlose Ägypter alle tragbaren Wertgegenstände aus der Pyramide geraubt. Im Kontext des alten Orients scheinen wir heute mit Ägypten und der Denkweise der Ägypter am ehesten etwas anfangen zu können, auch wenn eigentlich

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nicht ganz klar ist, ob wir sie wirklich besser verstehen als andere alte Kulturen. Welche Anziehungskraft von Ägypten ausgeht, kann man an der Ägyptomanie ablesen, die Europa ab dem 18. Jahrhundert immer wieder in ihren Bann zog und im Rahmen derer man sich in Kunst, Architektur, Möbeldesign und Kleidungsstil an Ägypten orientierte. Alles Ägyptische erscheint uns ebenso attraktiv wie zugänglich; auch wenn wir uns nicht vorstellen können, unseren Kopf beim Schlafen auf einem jener anmutigen steinernen Kissen zu betten, so sitzen wir doch bequem in einem Empire-Stuhl, wie sie der Hof Napoleons zu Beginn des 19. Jahrhunderts populär machte. Der Grund für das Interesse an Ägypten war vor allem seine Nähe zu Europa; Reisende kamen ziemlich schnell dorthin, und weil die Pyramiden von Gizeh direkt vor Kairo liegen, waren sie schon früh ein beliebtes touristisches Ziel. Ein weiterer Aspekt, der Ägypten so attraktiv machte, wenn auch vielleicht ein wenig subtiler und weniger unmittelbar, war die Schrift, die aus deutlich erkennbaren Bildern bestand. Das soll nicht heißen, dass Wissenschaftler sie lesen konnten, sondern dass sie zugänglicher schien, als sie es war. Ich erkenne einen Vogel, wenn ich einen sehe – selbst wenn die Entdeckung des Steins von Rosette, einer dreisprachigen Tafel, bei der eine der Sprachen ein relativ gut verständliches Griechisch war, die Geheimnisse der ägyptischen Hieroglyphen nicht sofort enthüllte (Adkins und Adkins 2000). Zurück in die Frühzeit Ägyptens. Der Nil, der durch die Wüste floss und die Ufer ergrünen ließ, muss den ersten Jägern, die sich in der Jungsteinzeit hier niederließen, wie ein Wunder vorgekommen sein. Später waren die Ägypter zutiefst dankbar für den Nil und hielten alle anderen Wassersysteme für Imitationen dieses Stroms. Über das Niltal verließen die frühen Völker Afrika, so dass die Menschen ihn wohl schon immer gekannt hatten. Doch lange Zeit blieben sie nicht dort, um am Nilufer zu leben. Vielleicht träumten sie von Orten mit noch üppigerer Vegetation, vielleicht war es ihnen auch einfach zu heiß im Sommer. Dennoch scheint Ägypten keinen direkten Anteil an der Domestikation von Pflanzen und Tieren gehabt zu haben, auch wenn die Menschen, die schon lange vorher durch Ägypten gezogen waren, sich im übrigen Nahen Ostens als Innovatoren hervortaten. Dank der Archäologie wissen wir heute, dass in den Oasen in der Wüste schon sehr früh Menschen lebten; das Problem Ägyptens ist, dass der Nil mit seinem auf natürliche Weise bewässerten Tal nur einen schmalen Streifen bildet und die Gebiete, wo im Altertum Menschen lebten, heute immer noch bewohnt sind, so dass wir wahrscheinlich noch nicht alle alten Siedlungen gefunden haben. Es scheint aber, dass man in Ägypten erst ab etwa 4000 v. Chr. begann, Häuser zu bauen und sich niederzulassen, lange nachdem der Rest des Nahen Ostens bereits über ein etabliertes Wirtschaftssystem auf Basis von Dörfern verfügte.

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Abbildung 4 – Stufenpyramide. Die früheste ägyptische Pyramide wurde für Djoser errichtet. Sie begann als großes bankartiges Grabmal, aber anscheinend lebte der Pharao lange genug und es standen genügend Ressourcen zur Verfügung, dass man sie in mehreren Stufen erhöhte, bis auf 62 Meter. Rund um das Pyramidengrabmal befanden sich viele weitere Gräber von Menschen, die mit dem Königshof in Verbindung standen; es gab auch ein Dorf, das nur aus Fassaden bestand und zu zeremoniellen Zwecken diente, vielleicht in Zusammenhang mit den Jubiläumsfeierlichkeiten, die das Leben des Königs verlängern sollten. Foto von D. Snell. Bereits in dieser Frühzeit war man der Auffassung, dass der Mensch nach dem Tod weiterlebte. Man bestattete seine Toten zusammen mit Töpfen und Schmuckstücken, und manchmal bargen die Töpfe noch etwas zu essen – der Tote begab sich, so die Vorstellung, offenbar auf eine Reise, für die er ausgerüstet werden musste. Dies scheint der zentrale Gedanke der ägyptischen Religion gewesen zu sein; es war zwar kein exklusiv ägyptisches Konzept, aber in Ägypten wurde es bis zur Vollendung ausgearbeitet. Und die Toten benötigten offenbar so einiges, um sich für ihre zukünftige Existenz auszustatten. Grabbeigaben und Lieblingsspeisen wurden Verstorbenen in vielen altorientalischen Kulturen mit ins Grab gegeben, aber nur in Ägypten wurde eine echte Kulturindustrie daraus. Warum das Leben nach dem Tod so in den Mittelpunkt rückte, ist indes nicht ganz einfach zu erklären.

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Gewiss mag ein Faktor die große Palette von Ressourcen gewesen sein, die der ägyptischen Elite zur Verfügung stand. Weil sich unsere Ausgrabungen größtenteils auf Gräber beschränken, haben wir jedoch nur eine verzerrte Sicht darauf, was den Ägyptern wichtig war. Vielleicht waren ihre materiellen Verhältnisse im Leben noch vielfältiger und beeindruckender als die Ausstattung der Toten. Der wichtigste physikalische Faktor war die Tatsache, dass der Nil, bevor man im vergangenen Jahrhundert Dämme baute, regelmäßig im Juni über die Ufer trat, das gesamte Flusstal überflutete und dabei fruchtbaren Schlamm zurückließ, den er von weiter stromaufwärts in Afrika mitbrachte. Es dauerte eine Weile, bis die Überschwemmung wieder zurückging, und wenn sie es tat, mussten die Bauern neue Felder anlegen, doch immerhin waren diese Felder äußerst fruchtbar (Feeney 2003). Die Dörfer mussten dabei natürlich höher liegen, auf den felsigen Ebenen oberhalb des Flusstals. Den Tod stellte man sich als eine Reise in Richtung Westen vor, ganz ähnlich der täglichen Reise der Sonne. Die Sonne geht unter – und so auch wir. Gräber errichtete man daher im Westen und praktischerweise jenseits der regelmäßig überfluteten Gebiete, im hügeligen Gelände. Auf Altägyptisch war „in den Westen gehen“ ein Synonym für „sterben“, und die Toten nannte man „die im Westen“. Einblicke darin, wie man sich das Leben im „Westen“ vorstellte, bieten uns Grabmalereien: Dort sehen wir die Verstorbenen bei den meisten angenehmen Tätigkeiten, die Ägypten auch den Lebenden zu bieten hatte – beim Jagen, Fischen, auf Banketten, beim Tanzen und auf Reisen, vor allem in Booten. Die ägyptische Schrift entstand etwa zur selben Zeit wie die Keilschrift der Babylonier, und es gibt Anzeichen dafür, dass das Konzept der Schrift durch den ganzen Nahen Osten gewandert ist, auch wenn die Systeme vollkommen unterschiedlich waren. Ein Hinweis darauf ist, dass den Ägyptern zu Beginn des 32. Jahrhunderts v. Chr. einige Rollsiegel in die Hände fielen – das signifikanteste Objekt für Mesopotamien in der Epoche seines größten Einflusses. Die Ägypter bauten wichtige Gebäude aus dem bei ihnen verfügbaren Gestein, aber mit Strebepfeilern, wie sie bei den Backsteinbauten im südlichen Irak notwendig waren; Strebepfeiler sind Teile von Wänden, die aus dem Gebäude herausragen und es so stützen, wie wir das aus mittelalterlichen Kathedralen in Europa kennen. Dies kam bald aus der Mode, aber es zeigt unter Umständen, dass man sich der Entwicklungen am Persischen Golf bewusst war. Tatsächlich kann es gut sein, dass die rasche politische Union ganz Ägyptens dadurch zustande kam, dass die Ägypter um das Gold in ihren Bergen östlich des Nils bangten, da sie sich durch Fremde von jenseits des Meeres bedroht sahen. Die örtlichen Herrscher, die auf diese Bedrohung reagierten, waren die Anführer der Regionen des Nils, die ­diesem Gold am nächsten lagen – flussaufwärts, in einer Gegend, die wir Ober­

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ägypten nennen; dort befindet sich die heutige Stadt Luxor (Brewer 2005: 125– 143; Watrin 2003). Das Konzept der Grabbeigaben, die schon bald immer wertvoller wurden, scheint in den frühen Epochen eng mit der Macht des Herrschers von Ägypten verbunden gewesen zu sein. Seltsamerweise hatte der Herrscher, wie es scheint, niemals nur einen Titel; er war „der vom Riedgras“ und „der von der Biene“ – soll heißen: Er war König von Oberägypten, wo das Riedgras, eine Sumpfpflanze, zuhause war, und von Unterägypten, das für seine Bienen bekannt war. Die Symbole . Man nannte diese Regiofür Riedgras und Biene waren dabei ganz bildlich: nen „die zwei Länder“. Die ägyptische Grammatik kennt neben dem Plural auch den Dual, und das machte es umso leichter, „die zwei Länder“ zu schreiben. Ob es allerdings jemals in diesen zwei Ländern je einen unterschiedlichen Herrscher gab, ist zumindest zweifelhaft. Der Tod des Königs muss ein traumatisches und gefährliches Ereignis gewesen sein, und es gab es zahlreiche Rituale, die mit dem Tod in Verbindung standen – und damit, den Tod zu verhindern. Es entwickelte sich ein Fest, dass wir „Jubiläum“ nennen und bei dem der Pharao seine anhaltende Vitalität durch Hin- und Herlaufen demonstrierte und den Göttern Trankopfer ausgoss. Darstellungen des laufenden Pharaos gab es schon sehr früh und sie hielten sich sehr lange. Es wurde zum Brauch, dass der Pharao dieses Fest im dreißigsten Jahr seiner Herrschaft feierte und es dann drei Jahre später wiederholte. Das Fest könnte seinen Ausgangspunkt in Zeremonien aus den Gegenden südlich der Sahara gehabt haben, im Rahmen derer man tatsächlich den alten Pharao tötete und einen neuen an seine Stelle setzte; die ägyptischen Könige hofften stattdessen auf eine Verjüngung (Frankfort 1948: 33). Wenn der Pharao schließlich starb, wurde er in einem aufwendigen Grab in der Form einer Bank über dem Wüstenboden bestattet, in der man seinen Sarg platzierte. Es kann sein, dass man den König in der frühesten Zeit zusammen mit ­einem Teil seines Gefolges bestattete – zwar in geringerem Umfang, aber es war sicherlich das gleiche Konzept wie bei den frühdynastischen Gräbern von Ur in Mesopotamien (David 2002: 75). Dieser Brauch war nicht weit verbreitet, und man ersetzte ihn wahrscheinlich irgendwann dadurch, dass man zahlreiche kleine Statuen von Dienern mit ins Grab gab, die den Verstorbenen später bedienen würden. Die Elite wollte jedoch in der Nähe des Königsgrabs bestattet werden. Die frühesten Zaubersprüche, bei denen es darum geht, in den Westen zu gelangen, scheinen ausschließlich den Pharao zu betreffen; vielleicht herrschte der Gedanke vor, man könne nur in Gesellschaft eines Königs in den Westen gelangen – daher das Interesse, in seiner Nähe begraben zu werden. Der Pharao bekam kostspielige Grabbeigaben mit ins Grab, beispielsweise wunderschön geschnitzte Kämme aus

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Holz und Armbänder aus Halbedelsteinen. Und doch sind viele Gräber leer, die die moderne Archäologie findet, da sie bereits im Altertum ausgeplündert wurden. Es gab also keine Garantie dafür, dass man die Dinge, die man mit ins Grab bekam, tatsächlich ins nächste Leben mitnahm. Als Altes Reich bezeichnet man die Epoche 2575–2175 v. Chr., in der die Sterblichkeit und der Tod des regierenden Pharaos im Fokus der gesamten Gesellschaft standen. Die Gräber wurden immer größer, und schließlich, unter König Djoser, wurde aus dem Grab eine Pyramide, indem man mehrere Grabbänke übereinanderbaute. Das Grab war nicht nur für den König bestimmt, viele andere bestattete man in seiner Nähe. Die Planer hatten offenbar Zeit und zusätzliche Arbeitskräfte zur Hand, und so vergrößerten sie das pyramidenförmige Grab immer weiter; heute steht die Stufenpyramide als riesiges Denkmal für den Pharao und seine Zeit. Das Monument war noch mit weiteren Gebäuden verbunden. Neben einer ganzen Stadt aus Gebäudefassaden um die Pyramide herum gab es einen Tempel, der als Ort des ständigen Gebets für den Pharao und seine Begleiter gedacht war. Wie spätere Tempel auch stand er mit landwirtschaftlich ausgerichteten Dörfern in Verbindung, die die Priester unterstützten, eine Art religiöse Stiftung, die für alle Zeit aufrechterhalten werden sollte. Doch so wie die Gräber von Menschen ausgeraubt wurden, die für die wertvolle Beute die Gefahr, erwischt zu werden, in Kauf nahmen, so waren auch die Stiftungen nicht von Dauer, auch wenn die Ägypter ihre alten Könige ehrten – zumindest in ihren Schriften. Wie bereits erwähnt, galt der König von Ober- und Unterägypten als Gott. In Ägypten gab es keine besonderen Titel für Götter, sondern man verwendete für übernatürliche Wesen den Begriff net- er. Das Konzept der Unsterblichkeit war darin allerdings nicht enthalten. Der König starb, und tatsächlich konnten auch andere net- er sterben, wie es in diversen Geschichten vorkommt. Sich selbst einen Gott zu nennen, erscheint uns heute als unverhohlener Griff nach der Macht, als der Versuch, unter dem Deckmantel der Religion alle anderen politischen Akteure zu übertrumpfen. Doch Ägypten zusammenzuhalten, wie lose die Verbindung auch sein mochte, war eine Leistung, auf die ein jeder König stolz sein konnte. Der König war ein außergewöhnliches Wesen und glaubte, mehr mit den Kräften der Natur im Einklang zu stehen als andere Menschen. Der Pharao wurde sehr früh mit dem Gott Horus assoziiert, einem Falken des nördlichen Marschlandes rund um das Nildelta. Der Falke scheint jedoch überall verehrt worden zu sein und war ein in ganz Ägypten allgegenwärtiger Himmelsgott. Im Leben war die religiöse Aufgabe des Pharaos, in allen Tempeln Ägyptens als Hauptpriester zu dienen, ganz gleich, welchen Gott man dort verehrte. Da dies natürlich physisch unmöglich war, bestellte der Pharao Priester, die ihn vertraten,

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wenn er nicht anwesend sein konnte; immerhin versuchte er, zumindest an den wichtigsten Ritualen persönlich teilzunehmen. Auf jeden Fall war er der einzige Gott, der andere Götter anbetete, und in dieser Funktion spielte er eine wichtige Rolle dabei, eine Verbindung zwischen seinem Volk und dem Reich der übernatürlichen Wesen, der net- er, herzustellen. Einige sehen in dieser Rolle des Königs ein Überbleibsel von Konzepten des ­Königtums im subsaharischen Afrika, wo der König nicht nur für alle religiösen Handlungen verantwortlich war, sondern auch für das Wetter und andere Aspekte, die mit Glück und Unglück zu tun hatten. Ein Pharao, der zu viel Pech hatte, wurde kritisiert und abgesetzt. In historischer Zeit hören wir nicht mehr viel von solchen Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Königsfolge, auch wenn es innerhalb der Elite ganz eindeutig Ärger gab, wie im Fall von Hatschepsut im Neuen Reich um 1450 v. Chr. Die Vorkehrungen für den Transport in den Westen, wo die Toten lebten, waren keine reinen Akte der Pietät. Die Königsgräber konzipierten die Könige bereits zu Lebzeiten selbst, und wenn sie zum Zeitpunkt ihres Todes noch nicht fertig waren, konnte es vorkommen, dass der Pharao in einem unvollendeten Grab bestattet wurde – oder ganz woanders. Aus der Frühzeit kennen wir gar keine intakten Königsgräber. Binnen einer oder zweier Generationen nach Errichtung der Djoser-Pyramide experimentierten auch andere Pharaonen mit der neuen gigantisch-monumentalen Form. Einem Pharao namens Sneferu („Verbesserung“) schrieb man drei solcher Riesenbauten zu, er wurde aber anscheinend in keinem der drei begraben. Einer davon blieb unvollendet, vielleicht weil der Winkel zu steil war, um Stabilität zu garantieren, ein anderer Bau beschreibt eine Kurve – das heißt, man baute ihn zunächst in einem steileren Winkel und flachte diesen dann allmählich ab. Wieder ein anderer Bau erreichte einen Winkel von etwa 45 Grad, wie er bei späteren Pyramiden zum Standard wurde. Diese grandiosen Grabmale entstanden allesamt innerhalb von drei oder vier Generationen um 2500 v. Chr. und zeugen von den enormen Überschüssen, über die die Könige verfügten. Man kann deren Bau als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die vielen Zwangsarbeiter ansehen, wenn der Nil über die Ufer trat. Die Menschen, die an den Pyramiden arbeiteten, bekamen währenddessen Verpflegung und eine Wohnstätte, und sie scheinen stolz auf ihre Leistungen gewesen zu sein. Vielleicht hatten sie so auch teil an der Macht des Pharaos, die ihnen dabei half, nach ihrem Tod in den Westen zu gelangen. Nach wie vor wurden viele bedeutende Persönlichkeiten in der Nähe der Königsgräber bestattet. Die Pyramiden waren wahrscheinlich keine astronomischen Observatorien oder etwas in der Art, wie man in der Neuzeit manchmal spekuliert hat, aber es kann gut sein,

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dass der Pharao durch sie näher an die Sonne rückte, die auch mit dem Falkengott Horus assoziiert wurde. Die großen Pyramiden wurden von einer einzigen Königsfamilie errichtet, über drei Generationen hinweg, wobei die größte Pyramide die älteste ist. Für ­ihren Bau wurden eininge Jahre lang sämtliche Ressourcen des gesamten Niltals mobilisiert. Der Großteil des verbauten Steins kam aus der Nähe, aber die glatten weißen Steine, die die äußere Schicht bildeten und die heute größtenteils verschwunden sind, stammten von weiter her. Die technische Bewältigung des Pyramidenbaus war stets ein work in progress. Wahrscheinlich schüttete man an den Seiten der Pyramiden, während sie wuchsen, Erdrampen auf und entfernte diese dann wieder, wenn der Bau fertig war. Die Pyramiden waren der Mittelpunkt eines Bestattungskomplexes, zu dem auch diverse Tempel im Flusstal gehörten und in einem Fall vergrabene Holzboote, die den Pharao und seine Grabbeigaben vom Ort seines Ablebens zum Ort seines Begräbnisses gebracht haben könnten. Die Tempel waren ausgestattet wie andere Gräber auch: Es gab Bauernhöfe in ihrer Nähe, die die Priester und sonstigen Bediensteten versorgten, damit dem verstorbenen Pharao auf immer und ewig geopfert würde. Bei einer Pyramide wurde diese Versorgung über tausend Jahre lang aufrechterhalten, und auch heute noch hinterlassen die Pyramiden bei Ägyptern und alle anderen, die sie besuchen, großen Eindruck; sie sind ein Symbol nationaler Einheit und Interessen. Das war sicherlich schon in der Antike ein Grund dafür, dass man so viel Zeit und Geld für sie aufwandte. Nach der Blütezeit des Pyramidenbaus errichtete man zwar immer noch vereinzelt solche Bauwerke, sie waren aber kleiner und weniger geschickt konstruiert als die großen (Trigger u. a. 1983: 87–89). Der Grund dafür war jedoch nicht, dass sich die Ideologie rund um die königlichen Bestattungen geändert hätte – es standen einfach nicht mehr genügend Ressourcen zur Verfügung, um diese Ideologie konkret umzusetzen. Nicht jeder Pharao konnte es sich leisten, eine Pyramide zu bauen; die letzte identifizierbare stammt von einem Pharao der 13. Dynastie, im 18. Jh. v. Chr. Obwohl es nicht den Anschein hat, dass sich die Vorstellungen über den Tod signifikant änderten, so gab es doch Veränderungen hinsichtlich des Zugangs zu Grabbeigaben und der Zaubersprüche, die für einen erfolgreichen Übergang von einem Leben zum anderen Leben, zum Tod im Westen, sorgten. Während es im Alten Reich so schien, als könnten Mitglieder der Elite nur erfolgreich in den Westen gelangen, indem sie sich in der Nähe des Pharaos, dem sie dienten, begraben ließen, ging diese Verbindung in der Ersten Zwischenzeit verloren, als die Einheit Ägyptens zum ersten Mal zerfiel; nun ließen sich örtliche Anführer in ihren eigenen Grabmalen dafür verherrlichen, dass es ihnen gelang, die Menschen in ihrer

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Region zu versorgen und zu beschützen. Als die Erste Zwischenzeit um 1975 v.  Chr. herum durch den Aufstieg einer weiteren zentralistischen Dynastie ihr Ende fand (der 12. Dynastie nach späterer Zählung), verwendete man wieder mehr Grabbeigaben und Zaubersprüche. Diese Entwicklung hat man mitunter als „Demokratisierung des Todes“ bezeichnet, aber die Einstellung der Menschen zum Tod hatte sich nicht geändert; schließlich waren Grabbeigaben für nicht­ königliche Personen schon aus frühen Zeiten bekannt. Die Entwicklung sagt eher etwas über den erneuerten Wohlstand in Ägypten aus und über die integrativen Konzepte, die es Eliten aus vielen verschiedenen Regionen erlaubten, Dinge für sich zu beanspruchen, die zuvor dem Pharao und seinen Begleitern vorbehalten gewesen waren. Selbst eine nichtkönigliche Person konnte mit Osiris, dem König des Totenreichs, identifiziert werden (Scandone Matthiae 2001: 16; Smith 2009). Eine weitere Entwicklung, die zum ersten Mal in der 12. Dynastie auftrat, war die einzige Idee, die außerhalb von Ägypten einen gewissen Einfluss hatte: Zum ersten Mal haben wir hier Darstellungen eines „Abwägens der Herzen“, bei dem das wichtigste Organ des Toten in eine Waagschale gelegt wurde; in der anderen befand sich das Symbol für Ordnung und Gerechtigkeit, auf Ägyptisch ma’at (Brandon 1969). Gerechtigkeit galt schon lange zuvor als wichtiger Aspekt königlichen Verhaltens; der Begriff leitet sich von den Wörtern für Geradlinigkeit und Korrektheit her. Dies war auch die Art und Weise, wie man sich vorstellte, dass die Welt funktionierte. Und doch hatte die Zwischenzeit gezeigt, dass der Pharao nicht unbedingt in der Lage war, das Maß an Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten, das für ein ordnungsgemäßes Funktionieren der ägyptischen Institutionen nötig war. Stattdessen hatten örtliche Anführer in die Bresche springen müssen. Die beim „Abwägen der Herzen“ dargestellten Menschen gehörten nicht zur Königsfamilie und waren nicht mit ihr verwandt, auch wenn sie zweifellos reich waren. Natürlich wog die Gerechtigkeit in keinem Falle schwerer als ihre Herzen; sie verdienten stets eine ehrenvolle Bestattung, und manchmal gab der Gott der Nekropole, der schakalköpfige Inpu, den die Griechen Anubis nannten, der Waage einen Stoß, so dass sie zugunsten des Verstorbenen ausschlug. Anubis galt bei den Ägyptern als hilfreich und gütig. Die Idee dahinter war, dass das Individuum seinen ganz eigenen Beitrag zur Gerechtigkeit und zur Lebensordnung leistete, zugleich aber war impliziert, dass man die Freiheit hatte, sich dagegen zu entscheiden, und es war immerhin vorstellbar, dass ein Mensch gewogen wurde und die Waagschale zu seinen Ungunsten ausschlug. Das „Abwägen der Herzen“ erfolgte, wenn jemand starb, nicht vorher, und man muss sich vorgestellt haben, dass alle Handlungen des Individuums über seine gesamte Lebensdauer miteinbezogen wurden (Brandon 1967: 6–48). Was man im Leben vermeiden sollte, beschreibt detailliert der 125. Spruch des

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Totenbuchs; dieser Abschnitt ist ein negatives Geständnis, bei dem jemand angibt, eine Reihe von Dingen nicht getan zu haben. Das dargestellte Verhalten erscheint uns auch heute noch verwerflich, und so mag dieser Text eine Art Basisszenario ägyptischer Moral gewesen sein. Zu den Dingen, die wir so wohl nicht erwarten würden, gehören die Misshandlung von Vieh und das Verleumden eines Sklaven gegenüber seinem Besitzer. Das Totenbuch betont auch, man dürfe als Händler keine manipulierten Gewichte verwenden und man dürfe Waisen, die nicht über einen Vormund verfügen, kein Leid zufügen. Außerdem durfte man keine Prozession zu Ehren eines Gottes stören oder die Gerätschaften beschädigen, mit denen man Korn für Opfergaben abmaß (Simpson 2003: 269–277). Aus dem Alten Reich und der Zeit danach besitzen wir eine Reihe von Texten, die Einzug ins Curriculum der Schreiberschulen hielten und immer wieder abgeschrieben wurden; sie dienten als Vorbild für gute Sprache und zugleich als Richtschnur für vorbildliches Verhalten, zumindest für die Eliten des Landes. Man nannte sie Anweisungen, und der altägyptische Terminus für sie, sb3yt, bezog sich auf das Lehren und das Lernen. Ihre Adressaten waren in der Regel junge Beamte, in seltenen Fällen sogar Prinzen. Die Ratschläge darin erscheinen praktisch und sinnvoll; vielleicht kann man ein wenig Zynismus aus einer Bemerkung heraus­ lesen, die der einflussreiche Beamte Ptahhotep während der Zeit des Mittleren Reichs machte: Er wies darauf hin, dass es genauso effektiv sei, wenn ein hoher Beamter sich diese Ratschläge verständnisvoll anhörte, wie wenn er tatsächlich eingriff um jemandes Problem zu lösen. Dennoch war das Anliegen der Texte vor allem, möglichen Machtmissbrauch einzudämmen und hochgestellten jungen Männern die Überzeugung näherzubringen, dass sie ihre Position nicht ausnutzen sollten. Die Sorge um die Armen, die Unterdrückten und wiederum für die Waisen weist darauf hin, dass es leicht möglich war, zu straucheln, und dass man die Empathie reicher junger Männer kultivieren musste, damit diese Gestrauchelten nicht auch noch schlecht behandelt wurden (Simpson 2003: 137). Der Begriff für Gerechtigkeit und Balance, ma’at, taucht in solchen Anweisungen nicht häufig auf, aber der Gedanke selbst scheint für die Verfasser ein zentrales Anliegen gewesen zu sein (Assmann 1990). Die späteren Bürokraten müssen sich dieses Konzepts bewusst und darüber im Klaren gewesen sein, dass sich ihr eigenes Verhalten positiv oder auch negativ auf diese Balance auswirkte. Der Text „Beschwerde des sprachgewandten Bauern“ aus dem Mittleren Reich ist ein humorvoller Kommentar dazu, wie schwer es einigen Beamten fiel, sich dieses Konzept zu Herzen nehmen. Darin beschwert sich ein Bauer von westlich des Nildeltas, der weder lesen noch schreiben kann, dass Beamte ihn ausgeraubt und auf seine Beschwerde hin keine Wiedergutmachung geleistet hätten. Die Beamten lassen ihn reden und

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r­ eden – nicht etwa, um seine Forderungen zu hören und dann abzulehnen, sondern weil sie seine eloquente Rede aufzeichnen wollen, zur Belustigung des Pharaos. Uns erscheint das ziemlich ungerecht, doch am Ende wird alles gut; der Bauer erhält sein Hab und Gut zurück und kann sogar ein wenig Rache üben: Der Beamte, der ihn beleidigt hatte, wird bestraft, seine Besitztümer werden beschlagnahmt und dem Bauern geschenkt (Simpson 2003: 25–44). Die Geschichte vom „sprachgewandten Bauern“ impliziert, dass jeder, der Macht besaß, das Gleichgewicht, die „Waage“ der Gerechtigkeit stören konnte. Die Armen und Unterdrückten hatten ein ganz konkretes Gespür dafür, was rechtens war und wann sie missbraucht wurden. Sie konnten sich auf die grundlegenden Prinzipien der ägyptischen Zivilisation berufen, und sie hatten Recht, auch wenn sie vielleicht nicht sofort Recht bekamen. Der junge, aufstrebende Schreiber in der Ausbildung konnte auf seine Leistungen stolz sein und wusste, dass er bald ein nicht allzu aufreibendes und wichtiges Amt bekleiden würde. Doch musste er mehr als andere das Gleichgewicht im Auge behalten, auf dem die ägyptische ­Gesellschaft basierte – das ma’at, das vom König gewollt war, zu dessen Aufrecht­ erhaltung aber alle beitragen mussten, Herrscher wie Beherrschte. Manche meinen, dass das ma’at ein solch wichtiges Grundprinzip in der ägyptischen Zivilisation war, dass man es nicht nur mit „Gerechtigkeit“ übersetzen sollte, sondern auch mit „traditionelle Religion“. Für die Zeit vor dem Fall des Alten Reichs kann es als wesentliches Merkmal des ägyptischen Lebens gelten, das durch die in ritueller wie auch in juristischer Hinsicht korrekten Handlungen des Pharaos intakt blieb. Als der Staat zerfiel, erlebte jedoch auch das Konzept des ma’at eine Krise; der Pharao konnte dessen Aufrechterhaltung nicht mehr zweifelsfrei garantieren, und doch war es nach wie vor nötig. Praktischerweise übernahmen vereinzelte lokale Herrscher die Verantwortung, und obwohl sie das ma’at in ihren Inschriften nicht allzu oft erwähnten, kann man im Nachhinein feststellen, dass sie einige Funktionen des Pharaos übernahmen, was die Umverteilung von Ressourcen und den Schutz der Armen vor Ausbeutung angeht. Diese Ereignisse mögen dazu geführt haben, dass spätere Denker das ma’at eher als eine Privatangelegenheit ansahen, als Haltung, zu der sich jeder Einzelne ganz bewusst bekennen musste. Für sie mochte der Begriff zu einem Synonym für „persönliche Frömmigkeit“ werden, statt Ausdruck eines traditionellen religiösen Prinzips zu sein. Man musste das ma’at ausüben, selbst wenn es niemand sonst tat, auch wenn man nicht zur Elite zählte. Die Könige konnten einem dabei helfen, aber verlassen konnte man sich darauf nicht mehr. Die Götter urteilten über jede Person allein danach, ob sie die Balance einhielten, die ein zivilisiertes Leben überhaupt erst möglich machte (Assmann 1990). Offenbar besaß der Staat selbst eine religiös-moralische Funktion. Er sollte die Schwachen vor den Starken schützen, Ressourcen umverteilen und sicherstellen,

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dass Balance und Gerechtigkeit aufrechterhalten wurden. Im Alten Reich scheint ein einzelner vergöttlichter Mensch dafür zuständig gewesen zu sein, diese Aufgaben zu bewältigen, aber später, als das Alte Reich aufgehört hatte, diese Funktion zu erfüllen, und die regionalen Beamten einige der königlichen Pflichten übernommen hatten, musste offensichtlich jeder Einzelne dazu beitragen, dass diese Prinzipien aufrechterhalten wurden. Ein weiterer Aspekt, der sich im ägyptischen Denken immer klarer abzeich­ nete, war das, was das Individuum ausmachte und was wir heute als „Seele“ bezeichnen würden. Wir dürfen jedoch nicht davon ausgehen, dass diese Art und Weise, einen Menschen (üblicherweise einen Toten) zu definieren, in jedem einzelnen Fall als wichtig galt oder dass man überhaupt glaubte, dass es bei jedem existierte. Je mehr Texte wir untersuchen können, desto mehr können wir indes beobachten, dass die Ägypter diesbezüglich über verschiedene Aspekte schrieben. 3h oder ech war ein Wort für Geist, das eine aktive Suche implizierte und eventuell ˘ in Konzepte wie Temperament und Vitalität überging. Der Begriff hing zusammen mit Wörtern, die so viel wie „nützlich“ bedeuteten, und im Plural konnte er die Macht magischer Handlungen bezeichnen, das Ergebnis, das man erzielte, wenn man die richtigen Zaubersprüche zu sagen wusste. Am bekanntesten ist die Reform desjenigen Pharaos, der sich selbst als 3h, aktiver Geist, des Aton bezeichnete, des ˘ Gottes, dessen Macht er fördern wollte: Echnaton. Der aktive Geist konnte den Tod überdauern und wurde mit Zaubersprüchen angerufen, in denen es darum ging, dass jemand der Reise in den Westen würdig war (Shaw und Nicholson 1995: 20). Ein anderer Begriff, b3 oder ba, wurde durch einen Vogel auf dem Kopf eines Verstorbenen dargestellt, obwohl das, was er beschrieb, ebenfalls sowohl im Leben als auch im Tod existierte. Dieser kleine Vogel war auf Bildern zumeist beim Abwägen der Seele anwesend, die Vogelgestalt stammte wohl daher, dass man sich vorstellte, dieser Teil des menschlichen Wesens könne den Körper verlassen und umherreisen, im Traum nämlich. Er konnte auch nach dem Tod aus dem Westen zurückzukehren, und so kam er vielleicht den Vorstellungen am nächsten, die man in anderen Kulturen von Gespenstern hatte. Auch Götter besaßen solche Geister, die ihnen erlaubten, sich frei zu bewegen (Zabkar 1968). Vielleicht am meisten verbreitet war der Begriff k3 oder ka, möglicherweise ein eher allgemeiner Begriff für Persönlichkeit und Lebenskraft, aber ebenfalls ein Aspekt, der nach dem Tod weiterlebte. Er stand in Beziehung zu Begriffen wie Arbeit und Macht, und diese „Arbeit“ beinhaltete unter Umständen wiederum magische Künste wie Zaubersprüche, die Heilung und Erfolg anderer Art herbeiführen sollten. Es war das k3 einer Person, dem man nach dem Tod opfern sollte. Und wahrscheinlich sah man im k3 die diversen wahrgenommenen Aspekte einer Person vereint; dennoch darf man nicht annehmen, dass die Ägypter sich selbst nicht als

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einheitliche Persönlichkeit betrachteten. Das taten sie durchaus, aber sie wussten zugleich, dass es einzelne Aspekte ihrer Persönlichkeit gab, die verschiedene Dinge erleben konnten, vor allem nach dem Tod (Shaw und Nicholson 1995: 146). *** Zusammenfassend kann man feststellen, dass die frühen Entwicklungen in Ägypten die Voraussetzungen für die spätere ägyptische Religion und Philosophie bildeten und dass die Normen für das Handeln von Königen und Eliten innerhalb moralischer Grenzen lagen, die unseren entsprechen. Die Vorstellungen über den Tod unterschieden sich von den meisten anderen im alten Orient, obgleich Ägypten zeitweise politisch sehr großen Einfluss hatte. Vielleicht verstehen wir Ägypten aber auch falsch, wenn wir annehmen, dass man dort vom Tod und dem „Leben im Westen“ besessen war, weil wir vor allem Gräber gefunden haben, die dort errichtet wurden, wo die Fluten des Nils sie nicht erreichen konnten. Vielleicht stand hinter der Rhetorik der korrekten Bestattung der Toten auch eine Reihe nuancierter Konzepte, die sich mit der Sterblichkeit des Menschen auseinandersetzten. Obwohl jeder hoffte, dass seine Angehörigen nach dem Tod ihr leistungsorientiertes materialistisches Leben erfolgreich fortsetzen konnten, zeigen doch zahlreiche Klagen, dass man die Toten sehr vermisste. Dass man darauf hoffen durfte, die Verstorbenen später im Westen wiederzusehen, galt keinesfalls als Grund, nicht um sie zu trauern, auch wenn man tote und lebende Mitglieder ein und derselben Familie auf Grabmälern zusammen darstellte (Sweeney 2001). Die Gedanken und Konzepte, die mit dem Tod zu tun hatten (so rosig und ungewöhnlich man sie auch malte), waren vielleicht gar nicht so einzigartig, wie sie uns zunächst erscheinen. Überall, nicht nur in Ägypten, stellte man Grabbeigaben her, und überall hofften die Menschen, wenn nicht auf Unsterblichkeit, so doch zumindest auf einen möglichst reibungslosen Übergang von einem Leben zum anderen – auch wenn dieses andere Leben unter Umständen düsterer und weniger befriedigend war.

Die Götter Ägyptens Als Sterbliche haben wir vor allem Angst, aber wir wollen alles haben, so als wären wir unsterblich. – La Rochefoucauld (1613–1680), Maximen, 1959, 100, Maxime 511

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er Prinz war ganz allein auf seinem Wagen über den harten Wüstensand gefahren, und in der nachmittäglichen Hitze näherte er sich wieder dem Fluss. Er hatte vor, einen Bauern um etwas zu trinken zu bitten. Als er vom Wagen abstieg, sah er niemanden; er schirrte seine zwei Pferde ab und ließ sie auf den Stoppeln grasen, während er sich in den Schatten der riesigen alten Skulptur begab, die zum großen Teil mit Sand bedeckt war. Nur der Kopf, die Ohren und die Kopfbedeckung waren zu sehen. Er legte sich nieder und schlummerte ein. Doch im Schlaf hatte er einen Traum. Im Traum erwachte die Skulptur zum Leben und demonstrierte die Kraft des Löwen, der den unteren Teil ihres Körpers bildete, und die Weisheit ihres Gesichts. „Ich bin vollkommen mit Sand bedeckt!“, beschwerte sich die Skulptur. „Niemand kann meine Schönheit und meine Kraft sehen, und man erinnert sich an mich nur noch schemenhaft. Die Menschen wissen nicht einmal mehr, welcher König ich genau bin, und sie nennen mich bei allen möglichen falschen Namen. Aber sieh, Prinz, du bist noch am Leben, und du bist weise. Du könntest mich reinigen lassen und meinen alten Ruhm wiederherstellen. Du könntest meinen Namen verkünden, so dass ganz Ägypten ihn kennte – Khafra, das heißt: ‚Der Sonnengott ist tatsächlich erschienen!‘“ Der Prinz erwachte und starrte der Statue in die Augen. Er schwor: „Ich werde versuchen, zu tun, um was du mich bittest, damit alle wieder die Herrlichkeit der früheren Könige erkennen.“ *** Als der Vater des Prinzen starb und er selbst Pharao wurde, ließ Thutmosis IV. (1427–1400 v.  Chr.) den Sand wegräumen und eine Gedenktafel an der Sphinx anbringen, damit jeder, der lesen konnte, sich an die früheren Könige erinnerte – wie Amenophis II. und seine glorreichen Vorgänger. Dort stand:

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Er verbrachte dort seine Zeit, führte [seine Pferde] herum und bewunderte die großartige Ruhestätte der Pharaonen Cheops und Chephren, der Gerechten. Sein Herz wollte ihre Namen leben lassen. Aber er behielt es für sich, bis [er König wurde] … Dann erinnerte sich Seine Majestät an den Ort, wo er sich wohlgefühlt hatte, in der Nähe der Pyramiden.

Dieser Text ist die erste zahlreicher Reaktionen auf die Sphinx (Lichtheim II 1976: 39–42). Zu den bekanntesten zählt das Gedicht Ozymandias von Percy Bysshe Shelley (1792–1822 n. Chr.) über eine Statue Ramses’ II.: … Das Haupt daneben, halb verdeckt vom Sand. Der Züge Trotz belehrt uns: wohl verstand Der Bildner, jenes eitlen Hohnes Schein Zu lesen, der in todten Stoff hinein Geprägt den Stempel seiner ehrnen Hand. Und auf dem Sockel steht die Schrift: ‚Mein Name Ist Osymandias, aller Kön’ge König: – Seht meine Werke, Mächt’ge, und erbebt!‘ Nichts weiter blieb. Ein Bild von düstrem Grame, Dehnt um die Trümmer endlos, kahl, eintönig Die Wüste sich, die den Koloß begräbt. (Übersetzung Adolf Strodtmann, 1819)

Figuren ägyptischer Götter haben Außenstehende schon immer fasziniert. Einige wurden regelmäßig als Menschen dargestellt, andere erschienen fast immer als Tiere, aber mit einigen menschlichen Eigenschaften. Sie konnten gehen, sprechen, zeigen und segnen. Dann gab es auch einige (manchmal waren es sogar genau die gleichen Götter), die in der Darstellung Merkmale von Menschen und von Tieren zeigten, manche auch von Menschen und Symbolen. Das großartigste Beispiel der Vermischung menschlicher und tierischer Züge war die Sphinx in Gizeh, eine massive Skulptur, die in einen natürlichen Felsvorsprung gehauen wurde und die den König Chephren mit einem Löwenkörper zeigt. Die Sphinx erschien bereits frühen Besuchern als rätselhaft, und das ist sie immer noch, ein Teil des großen Puzzles um die ägyptischen Götterbilder. Die Sphinx nannte man „Horus am Horizont“, obwohl der König mit dem Löwenkörper augenscheinlich nicht viel mit dem Falkengott gemein hatte. Andere Sphingen hießen šsp-cnh, „lebendes Bild“, und diesen Begriff übernahmen angeblich die ˘ Griechen und machten das Wort sphinx daraus; so nannten sie das rätselhafte Tier aus ihren Geschichten. Forscher versuchen schon seit Langem, diese figürlichen Darstellungen in eine chronologische Ordnung zu bringen, um zu postulieren, dass die Tierfiguren

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f­ rüher da waren als die menschlichen, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Die Tierfiguren gab es bereits in der ägyptischen Frühzeit, und tatsächlich scheinen sie in späteren Epochen der ägyptischen Geschichte noch an Popularität gewonnen zu haben. Sigmund Freud popularisierte den Gedanken, dass die Identifikation des Menschen mit bestimmten Tieren eine Art religiöses Gefühl hervorgerufen habe, und dass es in der Folge verboten wurde, diese Tiere zu töten; dies ist eine Kombination aus dem Tabu-Konzept der Südsee und dem Totem-Konzept der nordamerikanischen Ureinwohner (Freud 1938: 807–930), aber tatsächlich hilft die Idee des Totems nicht dabei, die Entwicklungen in Ägypten zu erklären (David 2002: 314–315). Die Vorstellungen über die Eigenschaften der Götter in Ägypten scheinen denen zu ähneln, die wir im frühen Mesopotamien beobachten können, und auf Grundlage der Arbeiten von Ägyptologen hat man allgemeine Thesen hinsichtlich der Einschränkungen aufgestellt, denen die Götter in beiden Kulturen unterlagen. Ägyptische Götter waren nicht allmächtig, allwissend und nicht notwendiger­ weise unsterblich, und doch waren sie auf jeden Fall außergewöhnlich, und das nicht nur in ihrem Aussehen. Wie dies manchmal auch in Mesopotamien vorkam, war der König zu Lebzeiten selbst ein Gott, und das bedeutete nicht etwa, dass er nicht sterben konnte; es bedeutete, dass er über außergewöhnliche Kräfte verfügte und das Leben anderer Sterblicher auf grundlegende Art und Weise beeinflussen konnte. Mindestens ab der 4. Dynastie erhielt der König einige der Ehren, die einem Gott gebührten, und in späteren Epochen ließ sich der Pharao eigene Tempel bauen. Diese Tempel waren, wie die anderer Götter auch, fromme Stiftungen, zu denen neben Grundbesitz auch der Dienst von Menschen gehörte, die für die ­Pflege und Nutzung der Tempel eingesetzt wurden. Viele Götter waren zuerst lokal angesiedelt, als kommunale Götter oder, wie die Ägypter sie nannten, niwty, „Städtisch[e]“, und einige waren eventuell eng mit ihrem lokalen Umfeld verbunden. Der Falkengott Horus wurde im Nildelta verehrt, ebenso allerdings weit flussaufwärts; er galt als „Herr des Himmels“, der in seiner Eigenschaft als Raubvogel andere Kreaturen kontrollieren konnte. Sehr früh wurde er mit dem Pharao assoziiert und wurde so zu einem Gott, den man den ganzen Nil entlang verehrte. Später brachte man den Herrn des Himmels auch mit der Sonne in Verbindung. Es gibt eine beeindruckende Skulptur von Chephren, dem Erbauer der zweiten großen Pyramide, bei der der Horus-Falke hinter dem König sitzt, um ihn zu schützen. Ein ganzes Stück flussaufwärts gab es den Gott Chnum, als Widder mit Menschenkörper dargestellt, ein Gott des ersten Wasserfalls, der den Schiffsverkehr auf dem Nil unterbrach, bei Assuan. Er wurde schließlich auch anderswo verehrt, und auch ihn assoziierte man mit dem Sonnengott. Er stand mit der Nilflut in

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Verbindung, da die Flut immer zuerst nach Assuan kam, bevor sie sich weiter flussabwärts bewegte; die sogenannte „Hungersnotstele“ zählt seine Erfolge bei der Bewältigung einer Phase niedriger Nilüberschwemmungen während der ­ptolemäischen Zeit auf (Simpson 2003: 386–391). Man verehrte Götter zuerst an bestimmten Orten, aber viele verließen bald ihren lokalen Rahmen und wurden Teil einer größeren Götterfamilie, die teilweise in verschiedenen Epochen in ganz verschiedenen Gegenden Ägyptens verehrt wurde (David 2002: 57). Dabei ist nicht ganz klar, welche Rolle politische Entwicklungen spielten. Assuan zum Beispiel war strategisch immer wichtig, aber nie eine politische Hauptstadt. Die Pharaonen genossen es, mit dem Herrn des Himmels assoziiert zu werden, als Falke wie auch als Sonne, und die betreffenden Götter blieben die ganze altägyptische Geschichte hindurch wichtig. Weniger verständlich ist der Aufstieg des Amun, des „Verborgenen“, aus der mittelägyptischen Stadt, die die Griechen Theben nannten (ägyptisch: W3st, „Zepter-Stadt“). Amun wurde als Mensch dargestellt und von Herrschern verehrt, die die riesige Tempelanlage von Karnak nördlich von Theben ausbauten und in einen landesweiten Schrein verwandelten, wo sie mit ihren jeweiligen Vorgängern darin wetteiferten, ihren Beitrag zu Reichtum und Größe der Gebäude und der Priesterschaften zu leisten. Vielleicht hat Amun den Kriegsgott Month als Hauptgott Thebens abgelöst, auch wenn Month selbst nicht verschwand. Theben wurde im Laufe der Zeit immer wichtiger. Die Pharaonen stammten zumeist aus solchen flussaufwärts gelegenen Orten, auch wenn sie von Memphis aus regierten, dort, wo der Nil sich zum Delta verzweigt, nahe dem heutigen Kairo. Amun, dessen Name uns zuerst in Namen im Mittleren Reich begegnet, wurde mit dem Sonnengott zu Amun-Re verbunden, und er wurde zum königlichen Gott von ganz Ägypten – das genaue Gegenteil eines „verborgenen“ Gottes. Man pries ihn als Schöpfer der Welt und, durch sein Auftreten als Sonne, auch als ihren Erhalter (Wilkinson 2003: 92–97). Auch andere Götter erschienen niemals in Tiergestalt, so der wichtigste der Totengötter, Wsr, „der Starke“, dessen Namen die Griechen als „Osiris“ verstanden. Dieser Gott wurde als Mensch dargestellt, aber als Toter, in Bandagen gewickelt und bereit zur Beerdigung, und dennoch, wundersamerweise, noch immer am Leben, denn seine Farbe war grün, die Farbe der Vegetation. Er war der Vater des lebenden Königs, und wenn der König starb, wurde aus ihm, wie man glaubte, Osiris, der ewig über die Toten im Westen herrschte, die man euphemistisch „die Lebenden“ nannte. Der lebende König war stark in die Vorbereitungen der Reise seines Vaters gen Westen involviert und führte die entsprechenden Rituale durch, die es ihm erlaubten, dort auch tatsächlich anzukommen (Scandone ­Matthiae 2001).

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Die Götter Ägyptens waren den (angeblich) tausend Göttern der Hethiter in Anatolien zahlenmäßig wahrscheinlich weit unterlegen, aber zahlreich waren sie sicherlich. Außerdem veränderten sich mit ihren verschiedenen Formen auch ihre Charakteristika; immerhin behielten sie ihr Geschlecht üblicherweise bei. Eine Hauptgöttin zumindest der 5. Dynastie war Isis, „der [heilige] Ort“, die Mutter von Horus und zugleich Ehefrau und Schwester von Osiris. Sie wurde nicht mit einem bestimmten Ort oder einer Stadt identifiziert. Ihre Popularität, die am Ende sogar die griechische und römische Welt erfasste, liegt zweifellos darin begründet, dass sie die Rolle der nährenden Mutter einnahm. Sie besaß die Gabe der Magie und konnte sich erfolgreich gegen Zauberei wehren. Zudem trauerte sie um Pharaonen und andere Sterbliche. In ihrer mütterlichen Rolle wurde sie an Hathor angepasst, die Göttin der Mutterschaft, die häufig als Kuh oder als Mensch mit bestimmten Elementen einer Kuh (wie den Ohren) dargestellt wurde (Wilkinson 2003: 130–145). Eine weitere Göttin ist von Interesse, gerade weil sie so wenig Persönlichkeit zeigte und nicht in Geschichten oder Mythen erschien, aus denen man ihren Charakter herauslesen könnte: Ma’at, die personifizierte Balance und Gerechtigkeit. Sie wurde nicht in eigenen Tempeln verehrt, tauchte aber hin und wieder in den Schreinen anderer Götter auf. Und doch kann es durchaus sein, dass sie (wie gezeigt) die Essenz der ägyptischen Zivilisation verkörperte – den Gedanken, dass der Staat dazu da war, ein Gleichgewicht zwischen den Mächtigen und den Machtlosen herzustellen. Manchmal wurde sie lediglich als Feder dargestellt, was eventuell bedeuten sollte, dass selbst etwas so Leichtes wie eine Feder auf der Waagschale den Ausschlag geben konnte und anzeigen, ob jemand ein gutes Leben gelebt hatte oder nicht; sie taucht in Szenen des Urteils über die Toten auf, bei denen das Herz eines Verstorben gewogen wurde. Obwohl sie in der Regel als schöne Frau dargestellt war, manchmal auch mit Flügeln, war sie mitunter auch als Frau zu sehen, die anstatt des Kopfes eine Feder trug. Sie war ein personifizierter Gedanke, ein wichtiger noch dazu, aber sie tauchte in keiner göttlichen Familienchronik auf (Assmann 1990). In einem Papyrus aus der Zeit des Neuen Reichs wird das Herz der verstorbenen Person beim Urteil der Toten gegen eine winzige Gestalt abgewogen, die das ma’at symbolisiert. Die Göttin selbst steht rechts davon, mit einer Feder als Kopf. Ganz links sieht man Osiris, den König der Toten, auf einem Thron sitzen, und hinter ihm steht Isis, vermutlich als Anführerin der Trauernden; das Symbol auf ihrem Kopf ist das Zeichen für „Ort“ und zugleich ihr Name: 3st. Dem Problem, dass das Böse weiterhin existierte, begegneten die Götter auf zweierlei Weise. Der Sonnengott, so glaubte man, fuhr im Laufe des Tages in ­einem Boot über den Himmel, und nachdem er ins Land des Westens gekommen

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Abbildung 5 – Die Sphinx. Diese Statue des Chephren war Teil des ­Tempelkomplexes im Tal, der für die Pyramide gebaut wurde. Hier setzte der Herrscher Priester und Hilfskräfte ein, die sein Leben in alle Ewigkeit verherrlichen sollten, finanziert durch fromme Stiftungen, die er in Form landwirtschaftlicher Betriebe hinterlassen hatte, und in Form von Menschen, die alle ihren Teil zur ­Aufrechterhaltung dieser Zeremonien beitragen sollten. Foto von D. Snell. war, wurde er von einer Schlange mit Namen Apopis angegriffen, gegen die er die ganze Nacht lang kämpfen musste. Und doch gewann er am Ende jedes Mal. Die andere Verkörperung des Bösen war ambivalenter: der Gott Seth, mit menschlichem Körper und nicht ganz eindeutig zu identifizierenden Tierkopf; dass es der Kopf eines Tieres sein muss, ist jedoch klar. Seth war in einigen Geschichten ­Horus’ Bruder, galt aber auch als sein Mörder. Man assoziierte ihn mit der Wüste und anderen von den Ägyptern als gefährlich eingestuften Lebenswelten, und doch ließ er sich manchmal dazu herab, sich wieder seiner Familie anzuschließen. Einige Könige des Neuen Reichs verwendeten seinen Namen als göttliches Element in ihrem eigenen Namen, und einmal segnete er tatsächlich den neuen ­Pharao, Ramses III., zusammen mit Horus, seinem falkenköpfigen Bruder. Man betete in Ägypten auch ausländische Götter an. Amenophis II., der Prinz, der so gerne die Pyramiden und die Sphinx besuchte, fühlte sich insbesondere mit dem syrischen Gott Rešef verbunden, der in seinem Herkunftsland eigentlich eine Gottheit der Pest und der Unterwelt war; eventuell setzte man ihn in Ägypten ­jedoch mit dem Kriegsgott Month gleich (Fulco 1976: 30–32). Der Nil wurde nicht vergöttlicht, auch wenn jemand namens Hapi als menschliche Verkörperung der Überschwemmung galt, der wichtigsten Funktion des

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Flusses. Im Allgemeinen scheint sich die Art und Weise, wie die Ägypter mit i­ hren Göttern umgingen, im Laufe der Jahrhunderte nicht wesentlich verändert zu ­haben. Dass sie ihre Götter mit menschlichen Attributen versahen, kann kaum als Zeichen des Fortschritts gelten, und viele blieben stets Mischwesen oder wurden durch Tiere symbolisiert (David 2002: 2, 35, 51). Ähnlich wie die ägyptischen Hieroglyphen erscheinen uns diese Götter zugänglich und verständlich. Einige erscheinen uns unheimlich, wie Anubis, der Gott der Friedhöfe und der Einbalsamierung, der Schakalköpfige, der beim Abwägen half; dabei war er für die Menschen des Altertums ganz positiv besetzt. Alte Städte hatten komplexe Pantheons, die versuchten, viele, viele Götter zu integrieren, und Tempel wurden manchmal für ganze Götterfamilien errichtet. Die wichtigsten Götter verehrte man an den meisten Orten, und innerhalb eines so vielfältigen Polytheismus fanden die meisten Menschen irgendetwas, das sie ­verehren und um etwas bitten konnten (Wilkinson 2003).

Der Traum des Echnaton, 1350–1300 v. Chr. Von Natur aus sind die Menschen einander ähnlich. Durch die Erziehung entfernen sie sich voneinander. – Konfuzius nach Ralf Moritz (Übers.), 1982, XVII, 2

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ie Priester waren irritiert. Ihnen hatte noch niemand erklärt, was sie hier eigentlich sollten – in der neuen Stadt, die der Pharao so schnell hatte errichten lassen. Sie waren aus ihren Häusern in den umliegenden Dörfern geholt worden, wo sie bislang gewohnt hatten, und waren zusammen hierhermarschiert, unter ­Aufsicht von kräftigen Schlägertypen, die der König angeheuert hatte, zu ihren neuen Wohnstätten in der neuen Stadt. Man hatte sie angewiesen, nur ihre reguläre Priesterkleidung mitzunehmen, keine der aufwendigeren Gewänder, die sie für bestimmte Feste benötigten. Und vor allem hatten sie ihre Leopardenfelle daheim lassen müssen, denn durch diese Symbole der alten Ordnung fühlte sich der König offenbar beleidigt. Die Männer – die meisten von ihnen alt, gebeugt und nicht in der Lage, die Hieroglyphen an den Wänden um sie herum zu lesen – waren schon vor Sonnenaufgang auf dem Platz zusammengetrieben worden und standen nun erwartungsvoll da, unsicher, ob ihnen auf einmal bestimmte Rollen in einem neuen Ritual zugewiesen würden oder sie nur hierhergebracht worden waren, um sich anzusehen, was geschehen würde. Oder würden sie vielleicht allesamt abgeschlachtet? Immerhin munkelte man, dass sich einige der Priester Befehlen des Königs widersetzt hatten. Während sie einander im Flüsterton solche Fragen stellten, hellte sich im Osten der Himmel auf. Sie waren Hunderte, wie sie da entlang der Straße standen, die von den Häusern zu einem großen neuen Tempel führte. Aber was war das für ein Tempel! Es war keiner der üblichen dunklen, höhlenartigen Tempel, in denen man Amun anbetete, den verborgenen Gott, der alles erschaffen hatte. Er ähnelte genauso wenig den riesigen Hallen, dem man dem Gott der Sonne geweiht hatte. Stattdessen handelte es sich, wie sie durch das Tor sehen konnten, um einen großen Innenhof ohne Dach, zur Sonne hin offen und

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frei von jeglichen Opfertischen oder Altären. Es sah so aus, als ob an seinem Ende noch nicht einmal eine Götterstatue stand. Was wollte der König also von ihnen? Was sollten sie hier tun? Ein paar der anderen Götter mit ihren Hymnen preisen, die sie seit ihrer Kindheit gelernt hatten? Oder wollte er etwas völlig anderes? Mit einem Mal verstummten die Fragen, als am Ende der Straße der König in seinem Wagen erschien; er fuhr langsam und nahm die Menschen zur Kenntnis, die sich verneigten. Er war ein seltsam aussehender Kerl, mit hängenden Wangen und Lippen; obendrein war sein nicht allzu attraktiver Torso nackt, bis auf eine aufwendige goldene Halskette. Auf seinem Kopf saß eine alte Doppelkrone, das Symbol dafür, dass er über Ober- wie Unterägypten herrschte. Er lächelte, als sich die Priester und die anderen Zuschauer bäuchlings hinwarfen, wenn er sich ihnen näherte; er hob seine linke Hand, ganz offenbar, um sie zu segnen, während er langsam an ihnen entlangfuhr, in Richtung des Tempeltors. Das war aber noch gar nicht das Merkwürdigste am König und seinem Wagen, wie die Priester bemerkten, wenn sie einen kurzen Blick auf ihn riskierten, als er vorbeifuhr. Das Merkwürdigste war, dass er seine komische Frau und anscheinend alle sechs kleinen Töchter dabei hatte, die in dem engen Wagen ausgelassen herumalberten. Warum hatte er die bloß mitgebracht? War das hier denn überhaupt eine religiöse Feier? Die Priester verstanden die Welt nicht mehr. Natürlich hatten die Könige schon immer Frauen und Kinder gehabt, aber sie hatten sie nie mit in die Öffentlichkeit genommen; das galt als unschicklich. Es hätte durchaus das Bild vom König als Gottheit mit absoluter Macht untergraben können. Dieser König scherte sich ganz offensichtlich nicht darum. Er schien sein Leben als durchaus menschlicher Vater sogar zu genießen! Kurz bevor er in den Tempel einfuhr, hob er sogar eines der kleinen Mädchen empor und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Alle konnten zusehen, und es sah aus, als sei er sehr mit sich zufrieden. Nachdem der Wagen vorübergefahren war, erhoben sich die Priester und sahen einander verwirrt an. Und dann, gerade als die ersten Sonnenstrahlen das Flusstal berührten, hörten sie aus dem Inneren des Tempels eine Hymne – laut und deutlich gesungen, in einer Sprache, die so sehr der Volkssprache ähnelte, dass man beinahe verstehen konnte, was gesungen wurde – im Gegensatz zu den ebenso alten wie unverständlichen Hymnen, die sie in ihrer Jugend hatten auswendig lernen müssen. Die Sänger intonierten: „Du steigst auf in Vollendung, am Horizont des Himmels, lebendige Sonnenscheibe, die du das Leben bestimmst …“ Und in der Tat: Die Sonne stieg auf, schnell, und begann, auf den Tag und die Menschen, die noch immer entlang der Straße warteten, herunterzubrennen. ***

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Nach Jahrhunderten kaum ereignisreicher religiöser Entwicklungen in Ägypten kam ein Pharao auf den Thron, der sich vorgenommen hatte, fast alles zu ändern. Er wollte einen Gott über alle anderen stellen, und tatsächlich verbot er, andere Götter zu ehren, mit Ausnahme seiner selbst in seiner Rolle als Mittler zwischen den Menschen und diesem einen Gott, die er für sich reserviert hatte, Er regierte im Neuen Reich, einer Epoche, in der Ägypten in Asien und Afrika erfolgreich militärisch interveniert hatte und seinen Einflussbereich in Form von Garnisonen und Handelsposten weiter ausgedehnt hatte als je zuvor. Die Pharaonen des Neuen Reichs waren in jeder Hinsicht erfolgreich darin, Ägyptens Infrastruktur zu sichern – und seine Land- und Seestreitkräfte. Soviel wir wissen, war die Reform keine Reaktion auf einen wahrgenommenen Verlust von Macht und Einfluss. Der Reformer übernahm den Thron seines Vaters und nahm den Namen Amenophis an, „Amun ist zufrieden“ (ägyptisch: Amenhotep); er war der Vierte mit diesem Namen. Amun war im Neuen Reich der Anführer des Pantheons. Mit dem Status quo der Religion war der Reformer indes alles andere als zufrieden. Seine Motive für die Veränderungen leiteten sich von den Erfahrungen der früheren Könige her. Als fromme Männer hatten sie, wenn sie militärische oder andere Erfolge zu verzeichnen hatten, den Tempeln Ländereien gestiftet und Menschen, die diese bewirtschafteten, sowie Versorgungsgüter, und natürlich hatten die ägyptischen Tempel diese Dinge behalten. Die Tempel waren Umverteilungszentren, an die sich Menschen in Not wenden konnten. Und es gab wahrscheinlich immer mehr Bedarf als Ressourcen. Diese Praxis hatte jedoch dazu geführt, dass mehr und mehr Land in Ägypten und auch im Ausland von den Tempeln kontrolliert wurde. Wenn der König vorhatte, irgendeine Initiative zu verfolgen, musste er die Priester darum bitten, ihm Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Theoretisch waren die Priester zwar seine Stellvertreter und Beauftragten, aber es gab in den Priesterschaften die Tendenz, die Posten innerhalb der Familie zu vererben, und dort, wo dies Sitte war, wich man nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen davon ab. Natürlich schränkte das die Macht des Königs empfindlich ein. Das also war die wirtschaftliche Motivation für den Versuch, die Tempel des Amun zu schließen und ihre Priester zu entlassen. Wir wissen zum Beispiel, dass der Tempel in Karnak mehr Menschen beschäftigte als der Pharao selbst (David 2002: 202). Es gab aber wohl noch andere Gründe. Einer mag ästhetischer Natur gewesen sein, auch wenn wir dies heute nur schwer beurteilen können. Soll heißen: Vielleicht nahm man die alten Götter als schwerfällig wahr, als langweilig und unfähig, sich zu ändern. Der König konzentrierte seine religiösen Bemühungen nicht auf die Sonne selbst, denn diese war schon lange ein wichtiges Mitglied des Pantheons, sondern auf den Gott der Sonnenstrahlen – jener Teile der Sonne, die die

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Erde berührten und den Menschen und allem anderen das Leben schenkten. Dies war der Gott Aton, dessen Name „Sonnenscheibe“ bedeutete; man hatte ihn bereits in früherer Zeit verehrt, aber nur als eher unbedeutenden Aspekt der Sonne selbst. Die Ästhetik des Königs rückte die Allgegenwart des Lichts in den Vordergrund und betonte die Offenheit seiner Schreine und anscheinend sogar diejenige menschlicher Emotionen. Diesen Ansatz hat man die „Religion des Lichts“ genannt, und die Darstellungen des Königs, seiner Familie und seiner Höflinge und Nachfolger unterscheidet sich stark von frühen Bildern (Hornung 1999). Anstatt bloße Stärke zu demonstrieren, ließ sich der König mitsamt seinem dicken Bauch abbilden, mit einigen weiblichen wie auch männlichen Charakteristika, und – anders als allen bisherigen Pharaonen – als Familienmensch, der seine Kinder liebte. Am auffälligsten sind die Skulpturen, von denen man mehrere unvollständige in einem Bild­hauer­ atelier gefunden hat: Sie stellen den Pharao dar, wie er einem Kind einen Kuss gibt. Dies war ein ganz neuer Ansatz, der sicherlich bei den Zeitgenossen für Empörung sorgte; schließlich sahen die bisherigen Normen in der Kunst vor, dass man das menschliche Leben des Königs und seine diesbezüglichen Verstrickungen ignorierte. Sicherlich hatten die Könige ihre Kinder und ihre Familien geliebt, aber warum hätte man das zeigen sollen? Vielleicht sollte diese neue, intimere Art der Kunst die Segnungen der Sonnenscheibe aufzeigen. Heute erscheinen uns die Skulpturen und Reliefs aus jener Zeit naturalistischer, aber sie folgen genau wie die frühere Kunst einer bestimmten Formel. Die neue Formel offenbarte ein Interesse an menschlichen Details; alte Menschen waren nun faltig und alt, und wo man früher in der Kunst jegliche Bewegung oder Instabilität vermieden hatte, war man nun der Auffassung, dass Bewegung viel interessanter sei. Die Ansicht, dass Unbeweglichkeit Stärke symbolisiere, wich zumindest teilweise dem Gedanken, dass Veränderungen nicht von vorneherein etwas Schlechtes seien (Groenewegen-Frankfort 1987). Auch in der Sprache gab es einige Innovationen. Die Normen der Grammatik und des Schreibens waren im Mittleren Reich festgelegt worden, nach 2000 v. Chr., und die Schriftgelehrten mussten eine lange und schwierige Lehrzeit absolvieren, bis sie in der Lage waren, die alten Vorbilder zu imitieren. Die gesprochene Sprache veränderte sich jedoch ständig, und im Rahmen der Reform wurde es statthaft, einige der neuen umgangssprachlichen Elemente auch schriftlich festzuhalten. Ein solches neues Element war die Verwendung des Infinitivs anstelle von konjugierten Verben. Besonders interessant ist, dass das Wort für die Zahl Eins als unbestimmter Artikel verwendet wurde und das Wort mit der Bedeutung „dieser eine“ als vorangestellter bestimmter Artikel. Andere nichttraditionelle Schreibweisen zeigen, dass man den Schreibern ein paar (wenn auch nicht allzu viele)

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Freiheiten dabei ließ, von früheren Normen der Schriftsprache abzuweichen. Die sprachliche Entwicklung scheint, genau wie die in der Kunst, in Richtung eines gewissen Realismus gegangen zu sein. Ein paar Jahre, nachdem er an die Macht gekommen war, nahm der König einen neuen Namen an, und dieser Name war Echnaton, „der (aktive) Geist des Aton“. Außerdem ließ er in aller Eile und mit minderwertigen Materialien eine neue Hauptstadt bauen, in Mittelägypten, aber ein Stück entfernt von Theben, von wo aus die früheren Könige des Neuen Reichs regiert hatten. Er nannte die Stadt Achet-Aton, „Horizont des Aton“. Von den wenigen ägyptischen Städten, die wir haben untersuchen können, scheint Achet-Aton die am besten geplante zu sein, jedoch mit einigen neuen Elementen. Wie in anderen Städten auch standen in ihrer Mitte die Tempel, aber im Vergleich zu früheren Bauten sahen diese Tempel ziemlich seltsam aus. Echnatons Hauptstadt besaß diverse Tempel, was an sich schon ein wenig sonderbar war, wenn es darum ging, die Macht und Vorherrschaft eines bestimmten Gottes zu betonen. Die Tempel waren keine riesigen, dunklen Gebäude wie der Tempel in Karnak, der in der Antike ein düsterer Ort zu Ehren des Amun war. In Echnatons Tempel schien die Sonne hinein und wahrscheinlich ebenso in seine Häuser. Der König wollte sichergehen, dass er die Macht des Aton anerkannte, aber er hatte auch einen Tempel für Ma’at, die personifizierte Gerechtigkeit, vielleicht weil sie für das Konzept der Vormachtstellung des Aton keine wirkliche Gefahr darstellte. Dass das alles so schlampig konstruiert war, lag an der Geschwindigkeit, mit der gebaut wurde, mit leichten und einfach zu transportierenden Steinen, die man schnell aufeinandertürmte, um Mauern zu errichten. Es gab auch große zeremonielle Boulevards, wo der König und seine Familie paradierten, um die Treue ­ihrer Untertanen zu würdigen. Die Einwohner dieser Stadt waren wahrscheinlich handverlesene Bürokraten, von denen nicht anzunehmen war, dass sie sich über irgendetwas, das der König tat, beschwerten oder dagegen protestierten. Anderswo war man nicht so fügsam. In der Tat gab es erheblichen Unmut unter den Eliten gegen den König, auch wenn man ihn zu seinen Lebzeiten nicht direkt angriff. Erst nach seinem Tod gab es Bemühungen, seine Denkmäler zu vernichten, die nur teilweise erfolgreich waren. Man tilgte seinen Namen aus der Liste der Herrscher, und dies zweifellos deshalb, weil die starke Hervorhebung Atons für die späteren Ägypter als Gipfel der Gottlosigkeit erscheinen musste, denn schließlich leugnete er dadurch die Existenz der anderen Götter. War Echnaton aber wirklich ein Innovator? Schon früher hatten einzelne Denker bestimmte Götter besonders gepriesen, manchmal unter Ausschluss anderer Götter, aber niemals hatte jemand behauptet, es gebe keine anderen Götter. Man erzählte, dass in der Zweiten Zwischenzeit (1750–1600 v. Chr.) einer der Herrscher

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der Hyksos, der „Könige der fremden Länder“, die mindestens das Delta kontrollierten, den Gott Seth zum Hauptgott des Staates bestimmt habe; diese Geschichte fußt aber wahrscheinlich auf späteren Reflexionen über Echnaton. Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass die Hyksos einem bestimmten Gott den Vorzug gaben (Assmann 2002: 228). Die Königin Hatschepsut beschwerte sich zwar, dass Fremde Ägypten in die Irre geleitet hätten und das Land beherrschten, ohne den Sonnengott zu kennen, aber direkte Vorstufen der Reform Echnatons scheint es nicht gegeben zu haben. Den Gott Aton hatte man schon zuvor angebetet, und insbesondere Echnatons Vater scheint diesen Gott verehrt zu haben. Einige moderne Forscher haben die Meinung vertreten, dass Echnaton Monotheist gewesen sei, und natürlich haben sie in der Folge versucht, einen Zusammenhang mit Moses herzustellen, dem israelitischen Führer, der wahrscheinlich eininige Generationen später lebte. Die Verbindung zu Moses scheint ziemlich weit hergeholt, aber die Antwort auf die Frage, ob Echnaton einen Monotheismus vertrat, hängt ganz davon ab, was man unter Monotheismus versteht. Wenn es nur darum geht, einen einzigen Gott zu verehren, dann entspricht Echnatons ­Ansatz dem nicht wirklich, denn immerhin reservierte er für sich selbst den göttlichen Status des Vermittlers. Diese Rolle entsprach viel eher derjenigen der früheren ägyptischen Könige, die selbst Götter waren (Allen 2006). Dennoch bemühte sich Echnaton, das frühere religiöse Establishment aufzulösen, nicht nur in seiner eigenen Hauptstadt, sondern im ganzen Land. Dabei müssen viele ihr Amt und ihre Lebensgrundlage verloren haben, und die Macht, die zuvor in lokalen Händen gelegen hatte, ging nun auf den König über. Da für Echnatons Lebenszeit keine abweichenden Meinungen verzeichnet sind, muss er bei seinen Vorhaben die Unterstützung des Militärs gehabt haben. Der Unmut gegenüber seiner Politik blieb indes bestehen, und sobald es in seiner Dynastie Prob­ leme mit der Thronfolge gab, wurde die alte Ordnung wiederhergestellt. Selbst unter Leuten, die es nicht störte, dass der König nun mehr Macht besaß, gab es Ressentiments gegen das, was ein Forscher als Echnatons „Fundamentalismus“ bezeichnet hat. Unter seinem Regime war jeder gezwungen, einen bestimmten Gott in einer bestimmten Art und Weise anzubeten; in der Theorie sollten die alten, örtlich unterschiedlichen Gebräuche verschwinden. Wie jede Reform, die von oben herab verordnet wird und versucht, direkt in das Leben der Menschen einzugreifen, stieß auch diese vermutlich auf wenig Akzeptanz, und für alle, die nicht in der Hauptstadt wohnten, waren die Vorteile, die es brachte, sich an die neuen Vorschriften zu halten, nicht ganz klar. Vielleicht gab es neue Priesterschaften, denen man sich anschließen konnte, wenn man Karriere machen wollte, doch waren sie, weil der König eine stärkere wirtschaftliche Kontrolle wollte, per definitionem nicht so mächtig und allgegenwärtig wie die alten Amun-Priesterschaften (Hornung 1999).

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Besonders innovativ waren Echnatons Ansichten über den Tod. Die große Hymne auf Aton, die im Grab eines seiner Anhänger gefunden wurde, spricht davon, dass der Tod dem Einschlafen gleiche. Es war keine Rede mehr davon, dass die Sonne auf einem Schiff durch die Nacht fuhr, um am nächsten Morgen wieder aufzutauchen, wie es in früheren Texten hieß. Die nächtliche Welt ohne Sonne wurde als finster und gefährlich dargestellt, eine Art täglicher Einübung in den Tod. Auch bei den Bestattungen änderte sich einiges: Der Verstorbene versuchte nicht mehr, sich auf eine Reise in den Westen vorzubereiten, sondern sich am helllichten Tag wieder mit der Sonne zu vereinigen. Unser Verständnis dessen, wie man sich dem Tod annäherte, ist begrenzt, aber offensichtlich versuchte der Innovator Echnaton in gewisser Weise, bestimmte Konzepte in das Gegenteil dessen zu verkehren, was man vorher praktiziert hatte. Dieser Ansatz kann für niemanden besonders tröstlich gewesen sein, und ein solcher Trost scheint eine Grundvoraussetzung dafür zu sein, dass religiöser Wandel auf größere Zustimmung trifft (David 2002: 245). Besonders in diesem Punkt empfand man die neue Religion als gefährlich – gefährlich für das künftige Wohlergehen ihrer Anhänger im Jenseits; wenn man sich so begraben ließ, wie der König es einem riet, dann konnte man kaum sicher sein, den Westen zu erreichen, um glücklich und in alle Ewigkeit bei den alten Göttern zu leben. Man hat diese Bewegung mit der Perestroika des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow verglichen, der „Umstrukturierung“ der sowjetischen Staatsorgane, die letztendlich zur Auflösung der gesamten Sowjetunion führte (Hornung 1999). Bei Gorbatschows Programm gab es jedoch keine spezielle neue Ideologie, auch wenn die alte sicherlich abgelehnt wurde. Der Sowjetführer mag sich dabei durchaus wie Echnaton vorgekommen sein: Er wollte ein allgegen­ wärtiges System vereinfachen und verständlicher machen. Allerdings hoffte ­Gorbatschow, Aspekte westlicher Marktwirtschaft und Meinungsfreiheit einzuführen und darin die Länder, die er anführte, zu einen. Mag sein, dass es auch jetzt noch zu früh ist, ein Urteil darüber zu wagen, ob Gorbatschow erfolgreich war oder nicht, aber Echnaton scheint sich mit seinen Reformen in die entgegengesetzte Richtung bewegt zu haben: Er schränkte ein, was die Ägypter tun durften, und verbot ihnen einige liebgewonnene Gewohnheiten. James Breasted hat Echnaton in einem bekannten Text als den „ersten Menschen in der Geschichte“ bezeichnet – das soll heißen, dass er, zumindest in seiner Selbstdarstellung, jemand war, der selbst entschied, was er tat, ohne sich allzu sehr um die Tradition zu kümmern. Er war ein Selfmademan, und dies gefiel den antiken Historikern ebenso wie der Öffentlichkeit der 1930er Jahre (Breasted 1934). Breasteds Behauptung setzt jedoch voraus, dass die Menschen früher gänzlich in ihren Traditionen gefangen waren, und das ist eher unwahrscheinlich.

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Echnaton lehnte sich gegen frühere Normen auf, und weil er der König war, konnte er seine Ideen – oder die seiner engen Vertrauten – dem Rest des Landes aufoktroyieren. Dennoch bleibt seine Persönlichkeit so schwer zu fassen wie die anderer Personen der Antike, und eine umfassende Untersuchung seiner Denkmäler, Texte und Kunst hat zu keinem Konsens darüber geführt, was Echnaton letztlich vorhatte und was er eigentlich geleistet hat. So bleibt er eine interessante Figur, aber sein Konzept einer radikalen Vereinfachung des Pantheons und einer radikalen Beschneidung der Befugnisse der Priester scheint letztlich nirgendwo hingeführt zu haben, auch wenn es für Monotheisten wie uns attraktiv erscheint. Für einen Gläubigen, der nicht auf seiner Seite war, bedeutete es eine ziemliche Einschränkung. Echnatons Vermächtnis rief in Ägypten zwiespältige Reaktionen hervor. An seinen obskuren Nachfolgern, insbesondere seinem Sohn oder Schwiegersohn ­Tutanchamun, können wir erkennen, dass Echnatons Herrschaft mit großer materieller Pracht einhergegangen sein muss, die man auch aufrechterhielt. Bald nachdem er gestorben war, wurden jedoch schon wieder die alten Götter verehrt – darauf weist auch der Name Tutanchamun hin, der „lebendiges Abbild des Amun“ bedeutet. Wer letztlich sein Erbe antrat, war ein General namens Haremhab („Horus im Fest“; wieder wurde hier der Name eines alten Gottes verwendet), der viele Aspekte der traditionellen Religion wiederherstellte. Und auch spätere Pharaonen bemühten sich dafür zu sorgen, dass dieses Zwischenspiel möglichst völlig in Vergessenheit geriet; der „Ketzerkönig“ wurde aus Königslisten getilgt und einige seiner Denkmäler vernichtet. Immerhin hinterließen Echnatons Neuerungen in den Bereichen Kunst und Sprache bedeutende Spuren. Die Pharaonen wurden zwar wieder als ideale Wesen dargestellt und das Familienleben war für die Künstler kein Thema mehr, aber hin und wieder gab es etwas naturalistischere Darstellungen, wie Echnaton sie bevorzugt hatte. Manchmal sahen alte Menschen in den Darstellungen tatsächlich alt aus, und in der Grabmalerei sah man Tanz und Bewegung. Im späteren Neuen Reich war die bildende Kunst mitunter so lebendig wie nie zuvor. In der Sprache wurde die zuvor erlaubte Verwendung der Umgangssprache ein wenig eingeschränkt, aber einige Merkmale dieser neuägyptischen Sprache setzten sich mehr und mehr durch. Texte aus dem Bereich weiblicher Totenklagen offenbaren, wie die Ägypter tatsächlich sprachen (Sweeney 2001). Es mag sein, dass sich Kunst und Sprache auch ohne Echnatons Reformen weiterentwickelt hätten, und wir können kaum ermessen, welche ideologischen Verbindungen ­zwischen all diesen Aspekten bestanden. Nach ihm stellte sich Ägypten jedoch definitiv anders dar, und es klang auch ganz anders.

Die Praxis in Ägypten Heute hat das Alter für dich begonnen, und deine Potenz hat dich verlassen. Denke an den Tag deiner Beerdigung, an den Übergang in einen ehrwürdigen Zustand. – Die Geschichte von Sinuhe (nach Simpson 2003: 62)

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lle waren sie irritiert, dass man sie aus dem Klassenraum holte, und sie dachten, dass sie ihre Lieder noch nicht so gut kannten, dass sie sie öffentlich aufführen könnten. Und doch war es genau das, wofür sie geübt hatten, einige von ihnen schon seit Jahren. Die kleinen Mädchen trugen ihre formellen langen weißen Roben, und jede von ihnen hatte Blumen im Haar. Sie sollten ein Klagelied singen, wenn der hochgestellte Beamte in ihr Blickfeld kam; ihr Haar waren heruntergelassen, so dass es aussah, als trauerten sie. Aber traurig waren sie nicht. Der König war schon vor Jahren gestorben. Man hatte ihnen einfach beigebracht, die Trauerrituale weiter fortzuführen, damit seine Seele im Westen glücklich sein konnte. Dazu mussten die Mädchen mindestens einmal am Tag singen. Es war eine einfache Aufgabe, wie man ihnen immer wieder versicherte; sie mussten weder Korn mahlen noch irgendeiner anderen Tätigkeit nachgehen, wie sie Frauen in der Regel auszuüben hatten. Das Einzige, was sie tun mussten, war, beim Singen der Lieder keinen Fehler zu machen. So warteten sie geduldig in ihren feinen Kleidern und gingen die ersten Zeilen im Kopf noch einmal durch. Der Auftritt war ein Probelauf, um den in einem Schreiben gebeten worden war, das der Verwalter des Totentempels erst an jenem Morgen erhalten hatte. Ein hoher Beamter kam, und man hatte ihn angewiesen, all die hübschen Mädchen „als jubelnde Menge“ zu versammeln, wenn der Beamte einträfe. *** Wir wissen über dieses Ereignis Bescheid, weil der erwähnte Brief erhalten ist (Wente 1990: 77). Leichenhäuser wie dieses wurden in ganz Ägypten errichtet, um die Seelen aller möglichen Leute zu ehren, ab der 12. Dynastie um 1800 v. Chr. herum, als auch dieser Brief verfasst wurde. Die finanziellen Arrangements, die man getroffen hatte, überdauerten nur einige Generationen, aber eigentlich waren

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sie dazu gedacht, die Fortführung der Riten bis in alle Ewigkeit zu ermöglichen. Die ägyptische Landwirtschaft war so erfolgreich, dass man durchaus annehmen durfte, dass dies gelingen könne, auch wenn spätere Generationen andere Prioritäten hinsichtlich der Verwendung des Landes und der für die Stiftungen abgestellten Menschen setzen würden. Weil die Menschen in ganz Ägypten heute im Großen und Ganzen noch an den gleichen Orten leben wie in der Antike, findet man kaum Stätten, die keine Gräber waren und an denen man ablesen könnte, wie die Menschen im Alltag mit der Religion umgingen. Einer der wenigen solchen ausgegrabenen Orte ist Lahun im Norden Ägyptens. Lahun war vermutlich ein Arbeiterdorf für Leute, die auf der nahegelegenen Baustelle der Pyramide Sesostris’ II. tätig waren, in der Nähe des Eingangs des Fayyum-Beckens. Sesostris II. regierte etwa 1877–1870 v. Chr., im Mittleren Reich, und die neu gründete Stadt überdauerte ihn um weitere hundert Jahre; natürlich war die Pyramide da längst fertiggestellt, aber dem vergöttlichten toten König wurde noch immer geopfert. Warum genau man das Dorf aufgab, wissen wir nicht (Szpakowska 2008: 14, 144). Lahun zeigt uns, dass man vielerorts religiöse Handlungen vornahm; in den Häusern hat man Ritualständer gefunden, mit deren Hilfe man kleine Mengen von Brot oder andere Dinge als Opfer darbrachte. Es gab sie in zahlreichen Haushalten, und vielleicht standen sie mit Riten im Familienkreis in Zusammenhang, die für Fruchtbarkeit sorgen und ganz allgemein das Böse abwenden sollten (Szpakowska 2008: 135). Zu den Gottheiten, die man hier verehrte, zählten die Göttin Hathor, die für Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit stand, und Sobek, ein Krokodilgott, der in der Lage war, die Menschen gegen Naturgewalten zu schützen. Außerdem verehrte man Anubis, den Gott der Friedhöfe, und natürlich den verstorbenen Sesostris II. (Szpakowska 2008: 138). Da der Totentempel des Königs für die Stadt ein wichtiges Zentrum darstellte, gab es Aufzeichnungen darüber, mit wie vielen Priestern der Tempel besetzt war. Es gab vier Gruppen oder Wachtposten, die aus Priestern bestanden, die jeweils nacheinander einen Monat lang Dienst taten. Wahrscheinlich erwartete man von ihnen, dass sie sich in der übrigen Zeit in der Landwirtschaft betätigten. Auch gab es Tänzer und Sänger, die man für besondere Anlässe verpflichtete. Die Sänger waren gebürtige Ägypter, die Tänzer stammten aus Asien oder Nubien. Im ­Großen und Ganzen arbeiteten im Tempel weniger als fünfzig Menschen zur gleichen Zeit, und die dortigen Aktivitäten fanden zumeist im Verborgenen statt; nur die allerhöchsten Priester hatten dabei tatsächlich Zugang zur Statue des Gottes ­(Szpakowska 2008: 139, 141, 144). Die Einwohner von Lahun führten daneben aber auch eine Wallfahrt durch, bei der ganz normale Menschen einen flüchtigen Blick auf das Göttliche erha-

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schen konnten. Die Wallfahrt führte viele Meilen flussabwärts den Nil entlang, bis zum Friedhof von Abydos aus dem Alten Reich, wo man das Grab des frühen Königs Djer mit dem Grab des Osiris gleichsetzte, des Gottes der Toten. Zu den dort abgehaltenen Festlichkeiten gehörten eventuell auch rituelle Schlachten, und ihr Finale könnte die freudige Wiederauferstehung des Gottes gewesen sein ­(Szpakowska 2008: 145–146). Wie sehr die Religion den Alltag bestimmen konnte, können wir vor allem an einer äußerst seltsamen Dorfgemeinschaft ablesen, die viel länger bestand, und zwar fast das ganze Neue Reich hindurch, von 1550 bis etwa 1100 v.  Chr. Deir ­el-Medina („das Kloster der Stadt“) heißt dieser Ort heute; damals war es ein Künstlerdorf, dessen Einwohner dafür bezahlt wurden, dass sie an den Gräbern im Tal der Könige arbeiteten, gegenüber von Theben in Mittelägypten. Diese Künstler mussten sich nicht nebenbei als Landwirte betätigen wie die meisten anderen Ägypter. Der Staat versorgte sie mit Lebensmitteln und allem anderen, und sie genossen aufgrund ihrer künstlerischen Fähigkeiten hohes Ansehen – und auch deshalb, weil sie die Elite in ein gutes Licht rückten und in die Lage versetzten, nach dem Tod in den Westen zu reisen. Zumindest einige der Künstler waren des Lesens und Schreibens kundig; sie arbeiteten an den Grabinschriften, und wir besitzen aus diesem seltsamen Dorf eine große Anzahl von Objekten, die uns einen Einblick darin gewähren, was ­diese ungewöhnlichen Leute über religiöse Fragen dachten. Sie sind vielleicht nicht repräsentativ für ihre Epoche, doch besitzen wir solche oder ähnliche Informa­tionen aus keinen anderen Zeit und keinem anderen Ort. Tod und Grabbeigaben waren für die Einwohner von Deir zentrale Themen. Sie brachten viel Zeit und Geld auf für ihre eigenen Gräber, und sie waren echte ­Experten darin. Sie bildeten Familienfeiern und Feste ab und stellten so das Leben dar, wie sie es sich für ihre Zeit im Westen erhofften. Die Künstler hatten auch genügend Zeit für ihre zahlreichen eigenen Projekte, denn ihr Arbeitsplan sah vor, dass sie etwa die Hälfte des Jahres Urlaub hatten – anders als die meisten ägyptischen Bauern, wobei auch diese durch die alljährliche Flut im Sommer eine Zwangspause von etwa vier Monaten einlegen mussten. Die Häuser in Deir besaßen Empfangsräume, in denen man Besucher begrüßte und in denen die Hausbesitzer auch schliefen; einige verfügten über Wandmalereien des Gottes Bes, des hässlichen, den Menschen wohlgesonnenen Nilpferdgottes. Ein zweiter, viel größerer Raum barg manchmal Statuen und Scheintüren mit Inschriften zu Ehren der Vorfahren. Selbst in der Küche gab es manchmal noch eine Nische für eine Götterfigur (James 1984: 231–234). In Gräbern hat man Schalen mit eingeritzten Briefen an die toten Verwandten gefunden. Obwohl man die Technik der Einbalsamierung im Neuen Reich perfek-

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tioniert hatte, ließen nicht alle Bewohner von Deir ihren Leichnam einbalsamieren – es mag sein, dass dies zu kostspielig war. Im Zuge einer Beerdigung, die Tage dauern konnte, wurde den Toten feierlich der Mund geöffnet, damit sie wieder sprechen konnten und an der menschlichen Interaktion teilhaben konnten. Man hoffte, dass Frauen wie Männer im Westen zu Osiris werden würden, das bedeutet, dass sie, genau wie die alten Könige, im Jenseits einen Ehrenplatz bekämen. Manchmal versorgte man die Toten mit echten Speisen und Getränken, daneben erhielten sie aber auch Abbildungen solcher Dinge, und zwar im Überfluss. Opulentere Gräber bargen kleine Kapellen wie diejenigen der Eliten in früheren Epochen, in denen die Lebenden den Toten ihre Gaben darbrachten und mit ihnen kommunizierten. Die Gräber wurden gepflegt und unterhalten, denn immerhin galten die Verstorbenen weiterhin als Teil der Gemeinschaft der Lebenden, die noch immer in der Lage waren, dieser Gemeinschaft zu helfen oder ihre Entwicklung zu behindern (Meskell 2002: 182–187). In Texten aus Deir el-Medina sind für viele Artefakte Preise überliefert, unter ihnen hatten aber nur die Grabbeigaben eine konkrete religiöse Funktion. Särge wurden möglicherweise zunächst ohne Dekoration separat berechnet, und die Preise rangierten zwischen 10 und 200 dbn („Gewichten“). Die Dekoration war billiger, 8–65 dbn. Die kleinen Puppen, die anstelle von Sklaven mit ins Grab gegeben wurden, kosteten nur 1 dbn. Eine Kopie des Totenbuchs dagegen kam auf bis zu 100 dbn (Janssen 1975: 216, 224, 243, 246). 1 dbn bestand aus 90 Gramm Kupfer; dies war eine von drei Währungen, die man im Neuen Reich verwendete. Zum Vergleich: Ein Ochse kostete 44–141 dbn, insofern scheinen die Kosten für ein Begräbnis überschaubar. Neben anderen Waren wurden ziemlich viele Särge gekauft, und auch wenn das nicht bedeutet, dass sie billig genug für einen einfachen Arbeiter waren, waren sie doch auch nicht unerschwinglich (Janssen 1975: 524, 537). Es ist schwer zu ermessen, wie religiös die Bewohner dieses Dorfs waren, aber in ihren Namen finden wir eine Reihe der Hauptgötter wieder, von Amun über Month, den Kriegsgott, Horus und Chnum, den Gott von Assuan am ersten Katarakt, bis hin zu Osiris, den König des Landes im Westen (Janssen 1975: 594–601). Die populäre religiöse Tradition, die wir in diesen Namen wiederfinden, war derjenigen der Elite, an deren Gräbern die Künstler arbeiteten, offenbar ganz ähnlich – vielleicht führt uns hier aber auch der langjährige Kontakt der Dorfbewohner mit den Menschen aus dem Umfeld des Pharaos in die Irre, deren Geschmack sie möglicherweise übernahmen. Künstler (mit mir befreundete Künstler werden nicht müde, mich immer wieder daran zu erinnern) leben immer im Konflikt mit der Gesellschaft und versuchen, den Massengeschmack in eine Richtung zu lenken, die die Dinge in einem

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neuen Licht zeugt. Die Innovationen der Künstler von Deir sind schwerer zu erkennen als die unserer Zeitgenossen, aber wir wissen, dass sie ausgewählt wurden, um in Deir zu arbeiten, weil sie zu den besten und kreativsten in ihrem Bereich zählten. Jedoch gab es auch dort, wie überall, eine Tendenz zur Vetternwirtschaft, und die mag das Potenzial für Innovationen ein wenig gedämpft haben, genau wie wir es heute in institutionellen Strukturen beobachten können. Wenn die Künstler starben, hofften sie, den Westen zu erreichen und dort zusammen mit ihren königlichen Auftraggebern das Leben im Jenseits genießen zu können. Ihr physisch und wirtschaftlich einzigartiges Dorf macht uns zu Zeugen ihrer Erfolge bei der Vorbereitung auf das Ende ihres Lebens.

Das internationale Zeitalter, 1400–1000 v. Chr. Wenn man Religion kaufen könnte, würden die Reichen leben und die Armen sterben. – Wolfgang Mieder (Hrsg.), A Dictionary of American Proverbs, 1992: 503, Nr. 5

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ie Prinzessin hatte mehrere Monate gebraucht, um aus dem südlichen Babylonien anzureisen, den Großteil der Strecke auf einem Karren, mitunter auch auf einer Flussbarke. In Byblos schließlich hatte sie per Schiff weiterreisen können, und da sie noch nie auf dem Meer gewesen war, entschied sie sich für die Seereise. Doch nun erschien ihr das doch als die schlechtere Wahl. Durch das Geschaukel auf dem Meer war ihr übel; eine ihrer Sklavinnen war gestorben, und man hatte sie einfach über Bord geworfen. Tagelang hatte sie geweint, dazwischen war ihr immer wieder übel geworden. Ihre Anstandsdame, eine Greisin, die einst mit einem Ägypter verheiratet ­gewesen und und der fremden Sprache mächtig war, zeigte sich besorgt. Jetzt, wo sie auf dem ruhigen Nil der Hauptstadt entgegenfuhren, rief sie den Sklaven ihre Befehle zu, damit sie die Prinzessin vorzeigbar machten. Sie fühlte sich alles an­ dere als ansehnlich. Sie hatte fast alles hinter sich gelassen, nur weil ihr Vater ein Bündnis mit diesem seltsamen fernen Land eingegangen war, und sie war das Unterpfand dieses Bündnisses. Ihre Schwestern hatten Männer geheiratet, die näher an ihrem Zuhause lebten, aber sie war die hübscheste von ihnen, und natürlich wollte ihr Vater Eindruck schinden. Im Moment fand sie sich gar nicht hübsch, aber sie legte das Augen-Make-up auf, von dem es hieß, dass die Ägypter es mochten, und zog ihr schönstes Kleid an. Eine ägyptische Anstandsdame hatte sich der Gruppe angeschlossen, als sie auf den Fluss eingebogen waren, und sie plapperte mit ihrer babylonischen Kollegin darüber, was sie mit dem Haar des Mädchens machen sollten. Der Prinzessin war das ganz egal. Sie wollte nichts weiter als ein Bett, das nicht hin- und herschaukelte, und vielleicht auch etwas zu essen, das man auch als Essen erkennen konnte, Zwiebeln mit Fisch vielleicht. In diesem vermeintlich reichen Land würde es doch wohl Zwiebeln mit Fisch geben!

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Als sie endlich die Hauptstadt erreichten, ging es ihr schon etwas besser. Das Boot erreichte seinen Ankerplatz, und die Prinzessin freute sich, als sie sah, dass der ganze Hofstaat zum Anleger gekommen war, um sie zu begrüßen. Da waren Musiker und Soldaten, nur seltsamerweise standen dort alle Männer mit blanker Brust. Dann sah sie den Mann sich dem Boot nähern, der der König sein musste. Er war älter als sie, aber noch nicht alt, und überrascht bemerkte sie, dass es sie bei ihm gar nicht störte, dass er seine Brust nicht bedeckte. Sie lächelte bescheiden und verbeugte sich tief vor ihm, als er an Bord kam. Dann führte er sie an Land; er schien begeistert von ihr zu sein. Vater würde sich freuen. *** Echnatons Innovationen fallen in die denkwürdige Phase der Geschichte des alten Orients, in der es zu einem noch nie dagewesenen Kontakt zwischen den Zivilisationen der Region kam, die eine Schrift besaßen. Dieser Kontakt erstreckte sich von Ägypten über Syrien und die Türkei bis in den südlichen Irak, also etwa ein Dreieck mit 1500 Kilometern Seitenlänge. Das konkrete Kennzeichen dieser Interaktion sind die zahlreichen Synchronismen, die sich zwischen Ägypten und anderen Ländern feststellen lassen, darunter die der Region der Hethiter, das ­Königreich Mitanni im nördlichen Syrien, Assyrien und sogar Babylonien. Wie deren Herrscher miteinander umgingen, kann man anhand der erstaunlichen Sammlung von mehr als dreihundert Briefen nachvollziehen, die man in Echnatons Hauptstadt gefunden hat und heute Amarna-Briefe nennt, nach dem modernen Namen der Stadt. Wie die meisten Briefe aus der Antike sind sie nicht datiert, und mitunter sind auch der Kontext und die Reihenfolge unklar. Sie zeigen, wie die Könige auf vermeintlich freundliche Art und Weise Geschenke hin- und herschoben, und ein besonders beliebtes „Geschenk“ war die eigene Tochter, die man dann in ein fernes Land schickte, um den dortigen König zu heiraten. Der ägyptische König scheint seine Töchter zwar nicht ins Ausland verheiratet zu haben, aber die meisten anderen Könige fanden offenbar nichts dabei. Diese internationalen Ehen waren jedoch nur eines der Zeichen dafür, dass sich die Kontakte zwischen den Kulturen in dieser Epoche intensivierten, und zu den Interaktionen gehörten auch Diskussionen über die verschiedenen religiösen Vorstellungen. Es scheint eine bewusste Vermischung religiöser Ansichten gegeben zu haben, die in der Regel auch einleuchtend erschien, beispielsweise wenn man die hethitischen Sonnengötter mit dem ägyptischen Sonnengott gleichsetzte. In einem Brief verleiht der König von Mitanni zum Beispiel seiner Hoffnung Ausdruck, der ägyptische König werde seine Tochter schön finden und als seiner

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würdig erachten; dabei ruft er sowohl Šawuška, die einheimische Göttin der ­Liebe, als auch Aman, den ägyptischen Gott Amun, an, die dafür sorgen sollen, dass das Mädchen „das Abbild der Wünsche meines Bruders sei“ (Moran 1992: Text 19: 24, S. 44). Besonders interessant ist ein Brief des Königs von Mitanni, den er einem ­Abbild der Göttin Šawuška beilegte, das er Amenophis III. sandte. Der syrische König schrieb, die Göttin, Šawuška von Ninive, habe darum gebeten, auf einer Rundreise Station in Ägypten machen zu dürfen, vielleicht um die Tochter des Königs von Mitanni zu besuchen, die inzwischen eine der Ehefrauen des ägyptischen Pharaos war. Das König aus Obermesopotamien erzählte, wie in früheren Zeiten Ägypter und Mitannier gemeinsam diese Göttin verehrt hätten, und zweifellos würden sie dies bald wieder tun. In der letzten Zeile des Briefs schrieb der König: „Ist Šawuška für mich allein meine Göttin und für meinen Bruder nicht die seine?“ Diese erstaunliche Behauptung impliziert eine gewisse Universalität der obermesopotamischen Göttin, zumindest in den Augen des Königs, der über ihr Gebiet herrschte. Eine Notiz auf der Tafel in ägyptischer hieratischer Schrift ist unklar, zeigt aber zumindest an, dass der König den Brief erhielt (Moran 1992: Text 23, S. 62). Die hieratische Schrift verrät uns nicht, wie der ägyptische König auf diesen Brief ­reagierte, aber sein mesopotamischer Kollege ging offenbar davon aus, dass sie positiv aufgenommen würde, und er hielt die theologische These, die er aufstellte – dass die Göttin sowohl in Obersyrien wie auch in Ägypten verehrt würde – für eine Selbstverständlichkeit. Über die Hintergründe dieser Leihgabe wissen wir ebenso wenig wie über den Ausgang dieser Mission, aber der Brief ist ganz eindeutig ein Akt internationalen Vertrauens und eine Beteuerung brüderlicher Hingabe an die gleichen oder ähnliche Götter. Zwar erkannte man auch die Unterschiede zwischen den Göttern in den Briefen an, immerhin aber wurden sie angerufen, um Schutz sowohl für Mitanni wie für Ägypten zu erbitten. Der König von Mitanni schrieb in seiner eigenen Sprache, auf Hurritisch: „Mögen die Götter uns beide zusammenführen … Wir wollen einander auf brüderliche Weise lieben und eine enge Bindung pflegen. So wie der Mensch Šimige [den hurritischen Sonnengott] liebt, wenn er ihn erblickt, so wollen wir einander lieben … und all die Länder, die auf Erden existieren, auf die Šimige hinunterscheint“ (Moran 1992: Text 24: iv, 117–125, S. 71). Andere Könige baten ihre eigenen lokalen Götter, den ägyptischen König zu schützen; zu diesem Zweck rief der König von Byblos beispielsweise die Göttin Ba‘alat Gebal an (Moran 1992: Text 68, S.  137). In diesem Fall setzte er Ba‘alat ­Gebal mit der ägyptischen Muttergöttin Hathor gleich (Stadelmann 1977: 630). Es ist jedoch wohl weniger signifikant, dass die interessantesten Beispiele dafür, dass man Götter miteinander teilte, aus dem syrischen Raum kamen. Dies mag unter

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sachkundigen Diplomaten, Höflingen und Schriftgelehrten eine ganz generelle Annahme gewesen zu sein (Helck 1977: 643). Übrigens gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die ausländischen Könige irgendetwas von den religiösen Neuerungen Echnatons gewusst hätten oder irgendwie darauf reagiert hätten. Tatsächlich schrieb der König von Mitanni, zweifellos mit Bezug zur internationalen Lage: „Überhaupt nichts wird sich ändern gegenüber dem, wie es vorher war“ (Moran 1992: Text 29: 68, S. 95). Die ägyptischen Pharaonen kümmerten sich in keiner Epoche sonderlich darum, was das Ausland von ihnen hielt, und das mag erklären, warum sich ausländische Könige offenbar von ihnen vernachlässigt fühlten; auch das kann man den Briefen entnehmen (Murnane 2000: 107). Wir neigen dazu zu glauben, dass die alten Polytheismen jeweils an einem bestimmten Ort verwurzelt waren und dass ihre Götter eng mit der Fruchtbarkeit und dem Erfolg ihrer jeweiligen Region verbunden waren. Allerdings hatten die Könige zumindest manchmal eine breiter angelegte Vision, die nicht in Richtung einer Exklusivität im Sinne Echnatons ging, sondern stattdessen die Ansicht vertrat, dass eine Göttin, die an einem bestimmten Ort als Hauptgöttin angebetet wurde, auch anderswo mächtig sein musste. Dieser Gedanke erscheint als durchaus sinnvolle Erweiterung der Größe eines bestimmten Gottes. Während das geographische Bewusstsein der Eliten im gleichen Maße wuchs, wie sich die Technologie des Schreibens entwickelte und eine internationale Interessengemeinschaft entstand, gab es wahrscheinlich kaum theologische Reflexionen über die Macht eines Gottes in anderen Kulturen, aber es gab durchaus Anzeichen eines aufkeimenden Universalismus. Dieser Gedanke wurde später, im 1. Jt. v. Chr., wichtiger. Wir wissen, dass es bei den Hethitern einen persönlichen Austausch zwischen Intellektuellen gab, denn aus Babylonien kamen Gastprofessoren für Keilschriftliteratur nach Hattuša. Auf diesem Wege mögen die lexikalischen Listen in die hethitische Hauptstadt gelangt sein, unter denen sich allerdings keine Listen mit Göttern fanden; es scheint, als sei die systematische Gleichsetzung der hethitischen Götter mit anderen Göttern keines der Nebenprodukte dieses Austauschs gewesen (G. Beckman, persönliches Gespräch, Frühjahr 2008). Ein weiterer Aspekt der Internationalität, die diese Epoche auszeichnete, findet sich in den assyrischen Archiven im Nordirak. Die Babylonier hielten die Assyrer für Emporkömmlinge, aber dank seiner militärischen Fähigkeiten gelang es Assyrien, Mitanni in Obersyrien zunächst zu verdrängen und dann komplett zu ersetzen und so selbst zu einem wichtigen Akteur auf der internationalen Bühne zu werden. Der Staat beutete die Fremden aus, indem er landwirtschaftliche Tribute von ihnen erpresste und Gefangene deportierte, aber die Personennamen, die sich in den Dokumenten finden, lassen eine zunehmende Vielfalt erkennen. Das kann

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bedeuten, dass Assyrer als Soldaten oder Verwalter im Westen Götter kennenlernten, die sich von den ihnen bekannten assyrischen Göttern unterschieden (Fine 1952–1953, 1954: 116–134). In dieser Zeit, Ende des 2. Jahrtausends, wurden auch Personennamen gebräuchlicher, die eine größere Innerlichkeit oder ein größeres Selbstbewusstsein zeigten, und zwar nicht nur an den Grenzen Mesopotamiens, sondern auch im Landesinneren. Leute, die in ihren Namen Akkadisch verwendeten, bevorzugten in einigen Fällen Namen, die enge eine Beziehung zu den Göttern demonstrierten, und sie erwarteten von den Göttern, dass sie sie von einem Gefühl der Unzulänglichkeit befreiten. Einer dieser Namen lautete zum Beispiel Ana-ilia-atkal, „ich vertraute meinem Gott“ (Clay 1912: 203). Manche Namen waren kleine, in sich geschlossene Gebete, die ihre Träger repräsentierten, wenn sie der Führung und des Schutzes der Götter bedurften (Oppenheim 1936). Eine Inschrift auf ­einem Siegel lautet: „Oh, Sonnengott, Richter … von Himmel und Erde, der du mein Verhalten gut kennst, hab Mitleid!“ Eine andere riet: „Verlasse dich nicht auf die Menschen! Sie sind voll des Überschwangs, aber sie sind nachlässig, die Menschen. Verlasse dich auf Marduk, dann wird dir Gutes widerfahren“ (Limet 1971: 70, 118).

Gilgamesch für alle Die Geschichten über Gilgamesch, den frühdynastischen König von Uruk, der im Osten und im Westen Abenteuer erlebte und den Helden der Sintflut traf, fanden in jener Zeit Eingang in den internationalen Sagenschatz. Wir finden Kopien des Epos ganz im Süden Mesopotamiens, bei den Hethitern und sogar in Israel. Das Interesse an dem Gedicht im Westen mag davon herrühren, dass der Held für sein erstes Abenteuer in Richtung Westen aufbrach, zu den Zedernwäldern des Libanon. Schon lange erzählte man sich die Geschichten, sie waren Teil eines Zyklus von Legenden über die frühdynastischen Könige von Uruk, die vielleicht bis 2700 v. Chr. zurückgehen. Über Gilgamesch gab es mehr Geschichten als über die anderen Könige, und er tauchte schon früh als ein Gott der Unterwelt auf (Vanstiphout 2003). Nach der altbabylonischen Zeit gab es sowohl auf Sumerisch als auch auf Akkadisch Geschichten über ihn, und in der mittelbabylonischen Zeit überarbeitete und kombinierte man diese zu einer Serie aus mehreren Tafeln. Dies geschah auch mit anderen längeren Texten, unter anderem Sammlungen von Omina: Die Schriftgelehrten sammelten ähnliches Material, werteten es aus und passten die einzelnen Teile einander an, wodurch große Sammlungen entstanden, die dann im Ganzen abgeschrieben wurden. Diese langen Texte sprengten den Rahmen einer einzelnen Ton-

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Karte 2 – Orte mit Kopien des Gilgamesch-Epos tafel, dazu waren sie viel zu komplex. Eine solche Reihe zusammenhängender Tafeln scheint eine echte Innovation dieser Epoche zu sein, und dabei müssen erhebliche redaktionelle Eingriffe stattgefunden haben, auch wenn die Qualität der klassischen Texte aus dieser Zeit im Gegensatz zu dem, was ihnen vorausging und was ihnen im 1. Jahrtausend noch folgen sollte, eher dürftig war. Der alte König aus dem langen Gedicht trug zu Lebzeiten wohl nicht den Namen Gilgamesch. Der Name bedeutet wahrscheinlich so viel wie „der Alte (ist) jung (geworden)“, ein Gedanke, der im Einklang mit dem Thema der ganzen ­Geschichte steht, vielleicht bedeutet er aber auch nicht mehr als „heldenhafter Vorfahr“ – mehr ein Epitheton als ein Name. Die Geschichte selbst war eine Kritik

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am ungezügelten Königtum, und dieses Thema mag dafür gesorgt haben, dass sie so populär wurde. Zu Beginn des Epos ist der frühdynastische König jung und lebhaft, aber zugleich unmoralisch und ohne Selbstbeherrschung, er schläft mit frisch verheirateten jungen Frauen vor den Augen ihrer Ehemänner. Die Ältesten von Uruk flehen die Götter um Hilfe an, und die Götter erschaffen einen Rivalen und Begleiter in Form eines ungezähmten, wilden Mannes, der durch die Steppe läuft, also die Gegenden zwischen den Städten, und Tiere vor den zivilisierten ­Jägern schützt, indem er deren Fallen zuschnappen lässt. Sein Name Enkidu, „Herr des reinen Ortes“, verriet jedem Zuhörer in Mesopotamien, dass er irgendwann sterben und sich in das schreckliche Reich des Todes begeben würde, den man euphemistisch als „reinen Ort“ bezeichnete (George 1999: 223). Die Jäger tun sich mit Gilgamesch zusammen, um den lästigen wilden Mann selbst in eine Falle zu locken – mit einer Prostituierten, die Enkidu seine Unschuld nimmt. Danach muss Enkidu feststellen, dass ihn die Tiere nicht mehr akzeptieren, und so ist er gezwungen, sich zivilisieren zu lassen und zu lernen, wie man Brot isst und Bier trinkt. Die Prostituierte lädt ihn nach Uruk ein. Dort trifft Enkidu auf den König und fordert ihn zum Ringkampf heraus – das Ergebnis: unentschieden. Die beiden werden Freunde, da sie erkennen, wie gut sich ihre jeweiligen Fähigkeiten ergänzen. Sie begeben sich, gegen den Rat der Alten von Uruk, auf eine lange Reise in die Berge, um Zedernholz zu besorgen. Als sie am Ziel eintreffen, begegnen sie Humbaba, dem furchteinflößenden Hüter des Waldes; sie töten ihn, nehmen sein Holz und kehren nach Uruk zurück. Frisch gebadet trifft Gilgamesch die Göttin Ištar, die ihn darum bittet, sie zu heiraten. Seltsamerweise lehnt er ab, mit der Begründung, sie habe ihre früheren Liebhaber nicht gut behandelt. Sie bietet ihm das ewige Leben, doch er gibt ihr einen Korb; sie verlässt ihn wütend und verlangt von ihrem göttlichen Vater den Tod eines der beiden Helden. Während die vorangegangenen Teile des Gedichts königlichen Machtmissbrauch zu tadeln scheinen, geht es übt diese Episode Kritik an der Idee, dass ­Götter und Menschen sexuell miteinander verkehren und heiraten könnten oder sollten, um Fruchtbarkeit zu gewährleisten. Dieses Konzept nennen moderne Forscher Hierogamie, „heilige Hochzeit“, und es mag zur frühdynastischen Metaphorik des ­Königtums gehört haben. Die Hierogamie taucht in der frühen altbabylonischen Zeit in Gedichten auf, die den Namen eines Königs von Isin um 1900 v. Chr. enthalten, und sie mag auch in bestimmten Liebesliedern impliziert sein, die man mit Inanna assoziiert, der sumerischen Göttin, die mit Ištar identifiziert wurde. Solche Gedichte kennen wir aus der altbabylonischen Zeit in sumerischer Sprache, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass die „heilige Hochzeit“ als symbolisch vollzogenes Ritual eine weit verbreitete Praxis war (Renger 1972–1975).

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Gilgameschs Reaktion impliziert, dass eine Verweigerung der Hierogamie nicht die Fruchtbarkeit beeinträchtigte und dass man sich auf das Versprechen der Göttin nicht verlassen konnte. Es gibt ein ähnliches Motiv in einem Gedicht in ugaritischer Sprache aus dem Norden Syriens aus der Zeit um 1300 v. Chr., auch hier werden die Avancen einer Göttin abgelehnt, aber auch für diese Region wissen wir nichts von praktizierter Hierogamie (Pardee 1997: 346–347; ­Pardee 2002; Wyatt 2007: 66–68). Gilgameschs Weigerung erhält durch die weitere Handlung der Geschichte eine ironische Note: Die Götter beschließen, dass Enkidu sterben muss, und er stirbt auch, nachdem er im Traum eine Vorwarnung erhalten. Ihm ist das vergönnt, was man traditionell einen „guten Tod“ nannte, er darf seine Freunde und Bekannten um sich herum versammeln und sie segnen oder, im Fall der Prostituierten, verfluchen. Enkidu nimmt diesen Fluch jedoch zurück, als man ihn daran erinnert, dass sie es gewesen ist, die ihn mit Gilgamesch bekannt gemacht hat, dass er ohne sie also nicht seine späteren Abenteuer erlebt hätte (Ariès 1982: 5–92, 590–591). Als Enkidu stirbt, ist Gilgamesch erschüttert. Er erlaubt nicht, dass die Leiche begraben wird, bis sie zu verwesen beginnt. Nachdem man sie entfernt hat, benimmt er sich wie ein Wahnsinniger, läuft durch die Steppe, genau wie der wilde Enkidu, bevor er die Zivilisation kennenlernte. Gilgamesch setzt sich mit der Tatsache auseinander, dass auch er irgendwann sterben muss, so wie Enkidu, und er beschließt zu versuchen, das „Leben“ – oder vielmehr Unsterblichkeit – zu finden. Er reist in ferne Länder, besessen von der Idee, den Helden der mesopotamischen Sintflut aufzuspüren. Diesem und seiner Frau war verdientermaßen die Unsterblichkeit verliehen worden, als Belohnung dafür, dass sie die Flut überlebten, indem sie dem Gott der Weisheit und des Süßwassers gehorchten, der sich der Vernichtung des Menschen durch die anderen Göttern widersetzt hatte. Nun möchte Gilgamesch von diesem Held lernen, wie man das ewige Leben erlangt. Auf seinen Wanderungen trifft Gilgamesch auf eine Wirtin. Sie erkundigt sich danach, was er vorhat, und hält dann eine Rede, die für uns Heutigen die „Moral der Geschichte“ zu beinhalten scheint. Sie sagt, die Götter hätten das ewige Leben für sich allein reserviert, doch die Menschen könnten trotzdem das Beste aus dem machen, was sie besäßen, zu ihren Verwandten freundlich sein, leben und fröhlich sein. Wirte zählten in der mesopotamischen Gesellschaft zu den weisen Menschen, und als Ratgeber (und Kreditgeber) hatten sie in der Gemeinde eine wichtige Funktion. Wir können davon ausgehen, dass jeder, der das Gedicht hörte, der Wirtin zugestimmt hätte; aber die eigenen Grenzen einfach zu akzeptieren, das war nicht sehr heldenhaft. Gilgamesch folgt dem Rat der Frau natürlich nicht. In späteren Sammlungen wurde ihr Monolog sogar aus dem Text getilgt, was uns heute erstaunen mag, aber

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zum Stil der mesopotamischen Kultur passt, in der man nicht gerne verallgemeinerte. Zum Beispiel kannten die Mesopotamier bereits den Satz des Pythagoras, dass die Summe der Kathetenquadrate in einem rechtwinkligen Dreieck gleich dem Hypotenusenquadrat ist, aber nirgends wurde dies als Regel verallgemeinert. Stattdessen führten sie zahlreiche Beispiele an, aus denen ein Schüler selbst ableiten konnte, wie ein solches Problem zu lösen sei. Vielleicht erschien der Monolog der Wirtin den Redaktoren einfach zu explizit und zu simpel, insbesondere auch deshalb, weil er im Text schon lange vor dem Ende von Gilgameschs Abenteuern auftauchte. Gilgamesch gelangt schließlich zur Insel des Helden der Flut und bittet ihn, zu erzählen, wie er die Flut überlebt hat. Als er mit seiner Erzählung zu Ende ist, wird klar, dass es ein Glücksfall gewesen ist, dass ihm die Götter das ewige Leben geschenkt haben, und dass nach ihm kein anderer Mensch mehr diese Gunst wird erlangen können, ganz gleich, wie bedächtig und fromm er auch sei. Immerhin bietet der Held der Flut Gilgamesch an, ihm einige Hinweise zu geben, wenn er sieben Tage lang wach bleiben könne. Doch Gilgamesch schläft schon kurz darauf ein und wacht erst nach sieben Tagen wieder auf, was zeigt, dass er trotz seiner göttlichen Mutter letztlich eben auch nur ein Mensch ist. Die Frau des Helden der Flut erbarmt sich seiner und überredet ihren Mann, Gilgamesch zu verraten, wo eine bestimmte Pflanze wächst, die einem zwar nicht das ewige Leben schenken kann, aber einem alten Mann seine Jugend zurückgibt, so dass er noch einmal alt werden kann und so immerhin das Leben verlängert wird. Gilgamesch findet die Pflanze, und er beschließt, sie nicht selbst zu benutzen, sondern sie den alten Menschen von Uruk mitzubringen – ein interessantes Detail, bedenkt man seinen früheren Egoismus; es könnte anzeigen, wie sehr er als König und als Mensch gereift ist. Als er auf dem Weg zurück nach Uruk ist, gibt er jedoch nicht genügend acht auf die Pflanze; eine Schlange stiehlt sie und häutet sich, so dass sie wieder jung wird. Diese Geschichte ist eine triviale Erklärung für die scheinbare Fähigkeit der Schlange, sich zu verjüngen, aber der Diebstahl unterstreicht die Bedeutungslosigkeit solcher Interventionen durch Drogen: Eine Verjüngung verhindert nicht den Tod, sondern verzögert ihn nur. Also kehrt der Held ohne konkrete Erfolge in seine Stadt zurück, auch wenn er, wie der Anfang des Gedichts verheißt, „Wissen aus der Zeit vor der Flut erworben“ hat. Zurück in seiner altehrwürdigen Stadt bittet Gilgamesch einen Besucher, die schön gefertigten Mauern zu bestaunen und sich anzusehen, wie kunstvoll die Stadt angelegt ist. Er zitiert dabei wortwörtlich einige Zeilen vom Anfang der Geschichte – eine Ringkomposition bzw. Wiederholung von Motiven, die unterstreicht, was Gilgamesch und andere Menschen aus Sicht des Verfassers erreichen können: Sie können herrliche Bauten errichten, zum Schutz und Wohle anderer, aber ewiges Leben können sie nicht erringen.

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Es hat viele Diskussionen darüber gegeben, ob man das Gilgamesch-Gedicht überhaupt als Epos ansehen darf, als langes, facettenreiches Gedicht über wichtige Themen wie das Verhältnis zwischen Menschen und Göttern. Die Götter sind hier im Allgemeinen nicht so eng in die Geschichte eingebunden wie in den griechischen Epen, die das Genre für die westliche Literatur definiert haben. Und doch scheinen die Themen des Gilgamesch-Gedichts erhabener und wichtiger als der Zorn des Achilleus oder die Irrfahrt des Odysseus. Das Gilgamesch-Epos muss in der mittelbabylonischen Zeit zusammengestellt worden sein, vielleicht bereits 1300 v. Chr. Wir kennen es am besten aus der späteren Bibliothek des assyrischen Königs Aššur-bāni-apli vom Anfang des 7. Jhs. v. Chr. Es gab in jener Epoche nicht allzu viele Exemplare; vielleicht war es bei den Schriftgelehrten einfach nicht so beliebt wie andere Werke. Doch dass man es im Laufe mehrerer Jahrtausende in der gesamten der Schrift kundigen Welt gelesen hat, lässt vermuten, dass es in jeder Epoche ein paar Menschen gab, die sich dafür begeistern konnten. Für uns verkörpert es das Streben der Mesopotamier nach Gewissheit, welche Position der Mensch in der Welt innehatte – in seinen Möglichkeiten beschränkt, wie er nun einmal war, unfähig, Unsterblichkeit zu erlangen, und dennoch in der Lage, Dauerhaftes zu schaffen. Die Mauern von Uruk kann man noch immer in der irakischen Landschaft ausmachen, auch wenn der Fluss, der das städtische Leben dort möglich machte, inzwischen woanders fließt. Die Stätte liegt 68 Kilometer nordwestlich der modernen Stadt Nasiriya. Die Eliten hatten Kontakt untereinander, aber die internationalen Strukturen und die Staaten, von denen sie abhingen, waren ziemlich fragil, wie sich später zeigte. Es mag auch eine ideologische Schwäche gegeben haben, die sich erst im Nachhinein offenbarte. In der ihnen eigenen Rhetorik hatten die früheren Herrscher sich als gute Hirten bezeichnet, denen das Wohlergehen ihrer Untertanen am Herzen lag und die bereit waren, zu ihren Gunsten in wirtschaftliche und rechtliche Angelegenheiten einzugreifen. Die Könige der altbabylonischen Zeit mögen keine einheitliche Wirtschaftspolitik verfolgt haben, aber ihre sogenannten „Freiheitsedikte“ hatten für bestimmte Arten von Schulden Moratorien erlassen und allgemeinere Aussagen über gute und faire Verwaltung getroffen. Das juristische Material, das wir Codizes nennen, hatte wohl zumeist die Darstellung solch königlicher Fürsorge zum Inhalt. Die Staaten des späten 2. Jahrtausends zeigen kein solches Interesse mehr für die Unterprivilegierten. In den Amarna-Briefen und anderswo wurden die städtischen Dissidenten, die in die Steppe und in die Berge zogen, als Banditen bezeichnet, auch wenn man sie im Notfall noch als Söldner verwenden konnte (Bottéro 1972–1975). In vielen Gegenden des alten Orients scheint der Sinn für Gerechtigkeit bei den Königen größtenteils verschwunden zu sein. Man las in Ägypten und

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anderswo immer noch Texte, die zum sozialen Ausgleich rieten, aber vielleicht taten das nur die Schreiber, die die Texte kopierten. Die Könige wohl weniger. Natürlich gab und gibt es stets einen Unterschied zwischen Ideologie und ­Praxis, und was Könige sagten, spiegelte ihre Ideologie wider, musste aber nicht unbedingt mit ihren Taten übereinstimmen. Dieser Unterschied könnte zumindest teilweise erklären, warum sich die Staaten des alten Orients als so fragil erwiesen, wenn sie bedroht wurden. Der Zusammenbruch kann mit einem Klimawandel zusammenhängen, der zu einer Periode geringerer Niederschläge führte, und mit Invasionen fremder Mächte, die diese Staaten um ihren Reichtum beneideten. Für eine Dürrezeit gibt es nur Belege mit anekdotischem Charakter, aber sie liegt sicherlich im Bereich des Möglichen. Worüber sich Inschriften konkret beklagten, waren die Bewegungen fremder Völker (Redford 1992: 244–245). Die Ägypter nannten sie „Seevölker“ und klagten darüber, dass sie „ihre Inseln“ verlassen hätten, vielleicht die Inseln der Ägäis, und das ägyptische Delta angriffen, und zwar nicht nur einmal, sondern gleich zweimal innerhalb einer Generation, zu Beginn des 12. Jhs. v. Chr. Ägypten gelang es, die Fremden abzuwehren, verwendete aber später einige von ihnen als Söldner in Palästina, wie Särge beweisen. Einige wurden im 1. Jt. v. Chr. unter dem Namen Philister bekannt. Andere Gruppen waren später möglicherweise über den ganzen Mittelmeerraum verstreut. Geographische Namen zeigen an, dass Leute aus Sardinien beteiligt ­waren und vielleicht sogar die Achaier, die späteren Griechen (Stadelmann 1984: 814–822). Die homerischen Epen, die erst im 8. Jh. v. Chr. entstanden, mögen entfernte Erinnerungen an diese Angriffe enthalten, aus Sicht der Angreifer, aber sie sind auch von Erinnerungen an spätere Zeiten gefärbt. Palästina veränderte sich durch diese Ereignisse, und weiter nördlich wurde die Stadt Ugarit vom Meer aus angegriffen, vielleicht ebenfalls durch die Seevölker oder zumindest durch ähnliche Gruppen. Der Stadtstaat und seine Schrift verschwanden um 1200 v. Chr., seine Sprache und Kultur bestanden indes weiter fort, auch ohne den Staat. Bei den Hethitern erwähnt ein Brief, dass die Ahhiyawa die ˘˘ Küste bedrohten; wiederum könnte dies auf die Achaier bzw. Griechen hinweisen. Näheres ist nicht bekannt, sicher ist jedoch, dass der Staat der Hethiter zusammenbrach. Immerhin sprachen im Süden Anatoliens noch immer einige Leute einen hethitischen Dialekt und verwendeten die hethitische Hieroglyphenschrift, die neben der importierten Keilschrift gebräuchlich war. Weiter östlich blieben die Staaten bestehen, aber es gab ethnische Bewegungen, die die Herrscher beunruhigten, vor allem die Ankunft der Aramäer sorgte für Unmut. Diese werden zunächst als nomadische Wüstenbewohner bezeichnet, die mit den Mesopotamiern Handel trieben. Vielleicht waren ihre angestammten Weiden verdorrt, und so suchten viele von ihnen entlang der Flüsse und zwischen

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den dort lebenden Menschen Zuflucht. Der assyrische Staat war großem Druck ausgesetzt, blieb aber bestehen, unter einer ganzen Reihe stolzer, aber schwacher Könige. Auch Babylonien wurde von eher schwächeren Königen regiert, und vielleicht stellten sie den Neuankömmlingen Unterkünfte bereit. Ein König ist für die Geschichte der Religion von besonderer Bedeutung: Nebukadnezar I., der 1124–1104 v. Chr. König von Babylon war. Ihm gelang es, in Elam einzumarschieren, einem Staat östlich von Babylon im heutigen Iran, und von dort eine Statue des Marduk, des Gottes von Babylon, zurückzuholen, die die Elamiter zuvor geraubt hatten. Er war zu Recht stolz auf diese Leistung, und vielleicht hat er das Gedicht in Auftrag gegeben, das die Rückkehr dieser Statue feiert und als Schöpfungsepos bekannt wurde: Enūma eliš, akkadisch für „Als oben“. Die Kopien dieses Gedichts stammen alle aus späterer Zeit, und wir werden seinen Platz in der religiösen ­Praxis Mesopotamiens später untersuchen; aber es entstand hier, in einer Zeit der Schwäche und des Chaos, als das internationale Zeitalter zu Ende ging.

Götter und Menschen Wir nehmen bereits durch Moral, Wissenschaft und Kunst an dem noch recht unvollkommenen Leben des Universums teil. Religionen sind die verkürzten und populären Formen dieser Beteiligung; darin liegt ihre Heiligkeit. – Ernest Renan, Dialoge 126–127 (in H. Peyre, Sagesse de Renan, 1968: 38)

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r war früh aufgewacht, genau wie er es geplant hatte. Er kletterte auf das Dach. Das geduldige Lamm war noch immer dort, wo er es am Abend zuvor festgemacht hatte, es döste nahe der spärlichen Grashalme, die auf dem Dach wuchsen. Es sah gesund aus; das war den Göttern wichtig. Er blickte noch einmal über die Stadt, alles war ruhig und dunkel. Nur weil er so scharfe Augen hatte, konnte er das zweistöckige Gebäude in der Nähe der größeren Tempel erkennen und die Straßen, die hinunter zum Fluss mäanderten. Doch die Stadt war groß, und man sah bereits ein paar Leute, die ihr Tagewerk begannen, einige mit kleinen Öllampen, die den Weg vor ihnen beleuchteten. Er brauchte keine Lampe. Er brauchte nur sein Messer. Er zog das Lamm zum Rand des Dachs; es schien wieder einzuschlafen, als er es hinlegte. Dann richtete er sich auf und nahm die Haltung des Betenden ein, beide Hände vor dem Gesicht, das er den über ihm funkelnden Sternen zuwandte. Er war im Voraus bezahlt worden, der Minister des Königs persönlich hatte das erledigt; der Beamte musste unbedingt wissen, ob der Zeitpunkt günstig war, um Friedensverhandlungen mit dem benachbarten Königreich aufzunehmen, und er wollte, dass die Antwort aus einer noch pulsierenden Schafsleber gelesen würde. Natürlich schlief der Beamte zu dieser Zeit noch; der Leber-Experte bereitete sich darauf vor, die Frage zu stellen. Nach dem entsprechenden Gebet bückte er sich, tötete das Lamm und schnitt die Leber heraus. Ja, nach den überlieferten Regeln, die er einst gelernt hatte, schien die Leber anzuzeigen, dass man beginnen durfte. ***

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Ein Gedicht ist überliefert, das diese Ereignisse darstellt; es beginnt mit der Beschreibung der stillen und dunklen Stadt, es heißt dort, selbst die großen Götter seien die Nacht über fortgegangen. Auch der als Richter angerufene Sonnengott ist nicht verfügbar. So ruft der Wahrsager die Sterne an und die Götter, deren Stellvertreter sie sind, und er bittet sie: „Steht mir bei! Legt in die Eingeweideschau, die ich nun durchführe, die Wahrheit!“ (Foster 2005: 207–208). Eine zentrale Frage ist, wie die Menschen in der mesopotamischen Gesellschaft, ganz gleich welchen Status sie hatten, mit den Göttern kommunizierten und wie es ihnen ganz allgemein gelang, mit ihnen zu interagieren. Ihre Ansichten darüber zu kennen, auf welche Weise man Götter anrufen konnte und was diese tun würden, wenn man sie anrief, hilft bei der Definition dessen, was wir heute unter Religion verstehen. Die Völker Mesopotamiens waren der Meinung, dass die Götter in ihrem Leben auf verschiedenste Weise präsent waren. Unser Gebet hier scheint in eine eher allgemeine, grundlegende Kategorie zu gehören. Viele verschiedene Schriftstücke gelten als Gebete – Anrufungen der Götter durch Könige ebenso wie durch ungebildete Bauern (auch wenn es weniger wahrscheinlich ist, dass ein Analphabet ein Gebet aufschreiben ließ). Dazu kommt das Problem, dass es, wie es so häufig in Mesopotamien der Fall ist, kein allgemeines Wort für „Gebet“ gegeben zu haben scheint. Auf Akkadisch heißt es ikribu (Oppenheim 1960: I, 66), aber im Sumerischen gibt es mehrere Wörter, die bestimmte Genres von Gebeten bezeichnen und uns helfen, die Bandbreite der Emotionen und Motive zu verstehen (Falkenstein und von Soden 1953: 20–26). Dem akkadischen Wort entspricht sizkur, und dies könnte ein allgemeinerer Begriff sein. Das Zeichen für sizkur besteht aus dem Zeichen für „Kalb“, das das Zeichen für „Getreide“ enthält; man setzte es auch mit niqu, „(Trank-)Opfer“, gleich. Dies scheint ziemlich konkret anzuzeigen, was dabei geschah, zumindest im Schriftsystem: Das sizkur war eine Opfergabe, die man einem Gott darbrachte; welches Wort von den überlieferten man dafür benutzte, ist dabei vielleicht gar nicht so wichtig – das Opfer selbst war es wohl umso mehr. Immerhin zeigen die verschieden Wörter, dass die Menschen, die in Mesopotamien beteten, glaubten, dass die Götter mächtig waren und in der Lage, ihnen in verschiedenen Situationen zu helfen, und dass sie der Ansicht waren, die Götter seien empfänglich für Schmeicheleien und erfreut, wenn man ihre große Macht anerkannte. Ungeachtet dessen, was bereits über die mögliche Rolle persönlicher Götter aufgeführt wurde, scheint es, als habe man diese nicht als Vermittler benötigt, um zu den Hauptgöttern zu sprechen. Gleichwohl war die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein Gebet erhört wurde, wenn man weiter oben auf der sozialen Leiter stand – als König zum Beispiel.

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Diese Art der Kommunikation mit den Göttern, die auf materiellen Geschenken basierte, lässt vermuten, dass die mesopotamische Religion auf dem Grundsatz do ut des, wie die Lateiner sagen, beruhte: „Ich gebe, damit du gibst.“ Mitunter gibt es Hinweise darauf, dass man sich genau ausrechnete, was eine spezielle Gunst eines Gottes wert sein könnte. Wenn hin und wieder darauf hingewiesen wird, wie egoistisch die mesopotamischen Gebete heute gelegentlich auf uns wirken, so lässt das unsere eigenen Gebete oft selbstloser erscheinen, als sie sind; Menschen sind nicht religiös, weil sie sich keine Vorteile davon versprechen. Im Buch Hiob wird gefragt: „Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet?“ Der Punkt war, dass er genau das tun sollte: Gott dienen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Und manche Intellektuellen Mesopotamiens hatten durchaus ähn­ liche Ansichten.

Schicksal und Dekrete Der wohl wichtigste Aspekt des mesopotamischen Weltbilds im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Göttern und Menschen ist das Konzept des göttlichen ­Dekrets. Wir übersetzen manchmal nam-tar (sumerisch: „Geschnittenes“) und šimtu (akkadisch: „Hingestelltes“) als „Schicksal“, aber beides bedeutete nicht, dass alles von den Göttern vorherbestimmt war. Vielmehr bedeutete es, dass die Normen vorherbestimmt waren – die Strukturen, die ganz allgemein festlegten, wie die Welt funktionierte. Die Größe und Macht der Götter zeigte sich darin, dass sie die Systeme eingerichtet hatten, in denen die Menschen lebten; auf individuelle Ereignisse und Schicksale bestimmter Personen bezog sich dies nicht (Rochberg-Halton 1982). Interessanterweise scheint es nicht die Vorstellung gegeben zu haben, dass das, was einer Person passierte, von Glück oder Zufall bestimmt war. Alles geschah auf Basis der Interaktion zwischen Göttern und Menschen, und die Menschen waren eifrig dabei, ihre Zukunft zu gestalten. Diese Zukunft war nicht vorherbestimmt. Die Götter konnten eingreifen, um etwas zu verändern. Etwaige negative Folgen früherer Handlungen konnten durch Ereignisse beeinflusst werden, die die Menschen selbst herbeiführten. Es scheint auch kein Konzept davon gegeben zu haben, dass alles, was geschah, unvermeidbar war. Die Götter lenkten zwar alles, aber die Menschen waren durchaus in der Lage, die Handlungen der Götter zu beeinflussen. Dies ist ein geradezu erfrischender Unterschied zum Weltbild der alten Griechen, die glaubten, dass das Schicksal ab der Geburt vorherbestimmt sei und alles diesem Schicksal gemäß geschah; die Menschen hatten gar keine andere Wahl, als auf diesem vorherbestimm-

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ten Weg zu wandeln. Der Mensch konnte höchstens seine eigene Einstellung zu den Dingen ändern, aber nicht das, was geschah. Vielleicht brauchten die Griechen deshalb die Tragödie – sie bot Vorbilder dafür, wie man ein grausames Schicksal ertrug (Dodd 1951: 6–8). Die Griechen fragten sich, ob menschliche Handlungen überhaupt einen Sinn ergaben, da der Mensch doch augenscheinlich keinerlei Macht besaß. Die Babylonier jedoch gingen davon aus, dass ihre Handlungen Folgen hatten, und sie waren durchaus in der Lage, etwas, das die Götter beschlossen, abzuwenden.

Weissagungen Um die Zukunft zu verändern, musste man zweierlei tun, und das war nicht jedem Menschen möglich: Erstens musste man die Zukunft kennen, und zweitens ­musste man sie beeinflussen können (Veldhuis 2006). Ersteres erreichten die Meso­ potamier mithilfe von Vorzeichen. Wie früh man in der mesopotamischen Geschichte systematisch Vorzeichen studierte, ist nicht bekannt. Wir besitzen Hinweise aus dem späten 3. Jt. v. Chr., dass Herrscher sich Omina erstellen ließen, aber regelrechte Sammlungen solcher Vorzeichen kennen wir erst vom Beginn des 2. Jts. v. Chr. Die Blütezeit der Vorzeichen, in der sie umfangreich gesammelt und dargestellt wurden, war das 1. Jt. v. Chr.; aus jener Zeit stammt auch die Bibliothek des Aššur-bāni-apli, die viele Omina enthält. Die Verbindungen zwischen Vorzeichen und Erfahrung bzw. zwischen dem, was man als Vorzeichen ansah, und dem, was danach geschah, war nicht immer offensichtlich. Früher nahm die Forschung an, man habe solche Omina verzeichnet und empirisch ausgewertet. Wie bereits erwähnt, hat man am Fundort Mari in Syrien mehrere Tonmodelle von Schafslebern aus dem frühen 2. Jt. v. Chr. gefunden. Sie sind unterschiedlich geformt, was auch bei echten Schafslebern vorkommt, und es sind erläuternde Kommentare in sie eingeritzt. Einige erwähnen Könige und geben Hinweise wie: „Als es zum Aufstand im Lande von Ibbi-Sin kam, sah dies hier so aus“ (Rutten 1938: Omen 7). Ibbi-Sin hatte zwar viele Jahre früher gelebt, aber es kann gut sein, dass die tatsächlichen Daten der damaligen Beobachtungen mündlich überliefert wurden. Vielleicht aber auch nicht, denn es gab ganz eindeutig auch Klischees bei solchen Eingeweideschauen, die man wiederholte. Die Sammlungen von Omina aus späteren Epochen, die nicht in Objekte eingeritzt sind, sondern als Prosatext auf Tontafeln geschrieben wurden, offenbaren eine gewisse Logik und eine Tendenz zum Formelhaften. Links steht das Gute, rechts das Schlechte; möglicherweise widersprach diese Anordnung der in vielen Kulturen verbreiteten, von der Dominanz der rechten Hand im Alltagsleben abgeleiteten Auffassung, dass sie rechte Seite die „richtige“, die „gute“ Seite sei, aber bei

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den Omina war dies das übliche Schema. Die Funktion der Modelle war, Neulingen beizubringen, worauf sie achten mussten, und die Sammlungen von Omina könnten als eine Art Nachschlagewerk für ungewöhnliche Fälle fungiert haben und ebenfalls als Lehrmittel. Ein einziges Omen reichte jedoch oft nicht aus. Wir wissen, dass Könige sich so lange Omina erstellen ließen, bis sie die Antwort erhielten, die ihnen genehm war. Ein Vorzeichen konnte durch alles Mögliche entwertet werden; vielleicht war einer der Anwesenden rituell unrein gewesen oder jemand hatte die falsche Zauberformel aufgesagt. Es war ein riskantes Unternehmen, und es konnte durchaus sein, dass nicht das herauskam, was man eigentlich wissen wollte. Es war eine Wissenschaft für sich, aber eher im Sinne eines überlieferten Wissensschatzes und weniger im Sinne einer Reihe empirisch abgeleiteter Schlussfolgerungen. Und das Einholen solcher Omina konnte durchaus teuer werden. Wenn man jedes Mal, wenn Zweifel auftauchten, ein Schaf opfern musste, so konnte ein Neurotiker eine ganze Menge Geld und Schafe verbrauchen, um Antworten zu erhalten. Zum Glück gab es aber noch andere Mittel und Wege für die Götter, den Menschen die Zukunft zu offenbaren. Bei Omina nehmen wir heute gewisse Unterscheidungen vor, die man in der Antike unter Umständen nicht traf – zum Beispiel zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich und zwischen dem, was aktiv herbeigeführt wurde und was man lediglich beobachtete. Es scheint keinen prinzipiellen Grund für die Meso­ potamier gegeben zu haben, mithilfe der Omina bestimmte Bereiche intensiver zu beobachten als andere, doch gab es Kostenunterschiede, und so war hier wohl entscheidend, wie ernst die persönliche Situation war und wie umfangreich die eigenen Ressourcen. Mit dem Begriff „öffentlich“ sind Probleme gemeint, die den König oder den Staat und das Land betrafen – Probleme wie Aufstände, Hungersnöte und Seuchen. Diesen Problemen begegnete man in der Regel mit aufwendigen Maßnahmen, indem man zum Beispiel ein Schaf opferte und sich seine Leber ansah. Der Begriff „privat“ soll Probleme bezeichnen, die ausschließlich das Individuum betrafen, unabhängig von gesellschaftlichem oder wirtschaftlichem Status. Diese Unterscheidung mag nicht immer greifen, dennoch lassen sich so die verschiedenen Omina recht gut klassifizieren. Die andere Dimension der Vorzeichen ist, ob sie nur beobachtet oder induziert wurden – ob man einfach nur zusah, wie etwas Ungewöhnliches passierte, oder ob man aktiv etwas in Gang setzte, das ein auswertbares Ergebnis zeitigen sollte. Die bloße Beobachtung der Umwelt war in der Regel nicht mit Kosten verbunden, das bedeutet aber nicht jedem Fall, dass die daraus abgelesenen Vorzeichen nur für den privaten Bereich galten.

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Auf besonders günstige Weise erhielt man ein Omen, wenn man Öl in Wasser goss, und die meisten für dieses Vorgehen katalogisierten Ergebnisse waren für private Probleme einfacher Leute relevant; dennoch gibt es einen Fall, bei dem ein ebensolches Omen für einen König erstellt wurde. Der dazugehörige Text lautet: „Wenn ich Öl ins Wasser gieße und das Öl sich in zwei Teile teilt, dann wird der Kranke sterben; für einen Feldzug: die Armee wird nicht zurückkehren“ (Guinan 1997: 423). Dies zeigt: Das hier beschriebene Ergebnis des Omens war in jedem Fall negativ zu deuten, unabhängig davon, ob man wissen wollte, ob ein einzelner Kranker genesen würde, oder ob man in staatlichem Auftrag nach dem Wohl und Wehe der Streitkräfte fragte. Ein Schaf aufzuschneiden war eine wesentlich teurere Angelegenheit, und so kam diese Methode vor allem bei Angelegenheiten des Königs und des Staates in Anwendung. Ein Beispiel: „Wenn es ein H AL-Zeichen am ‚Ort des Wohlergehens‘ ˘ [ein bestimmter Teil der Leber] gibt, dann ist die Herrschaft von Akkad beendet“ (Guinan 1997: 423). Das Keilschriftzeichen H AL war ein ziemlich simples Zei˘ chen, zwei Keile auf einer Linie, aber es stand auch für das Wort „Geheimnis“ und den „Seher“ geheimer Dinge, den Interpreten der Omina. Der Fall von Akkad war ein bedeutendes Ereignis in der mesopotamischen Geschichte und gehörte auf jeden Fall in den Bereich des Öffentlichen. Wie man kostengünstig an ein Omen kam, war das Thema der umfangreichen Serie „Wenn eine Stadt …“. Ein Beispiel daraus: „Wenn im Haus eines Mannes schwarzer Schimmel wächst, dann wird es im Haus des Mannes regen Handel geben, er wird reich sein“ (Guinan 1997: 424). Und dabei hätten wir glatt gewettet, dass schwarzer Schimmel etwas Schlechtes bedeutet … Sich die Sterne anzusehen war natürlich gratis, sich die Konstellationen interpretieren zu lassen scheint aber eine teure Angelegenheit und somit den Königen vorbehalten gewesen zu sein, und das, worum es bei diesen Interpretationen ging, waren öffentliche Angelegenheiten. In der Serie „Als Anu und Enlil …“, einer Reihe von Tafeln über die Bedeutung von Vorzeichen am Himmel, geht es zum Beispiel um Dinge, die den ganzen Staat betrafen: „Wenn es im April eine Mondfinsternis gibt und diese rot ist, werden die Menschen im Wohlstand leben“ (Guinan 1997: 423–424). Über die Haltung der Empfänger gegenüber diesen Omina ist wenig bekannt, nur einige assyrische Gelehrte diskutierten Vorzeichen, die sie zu deuten versuchten, in ihren Briefen an Könige (Oppenheim 1967: 160–169). Darin heißt es zum Beispiel: „Majestät, Ihr fragtet mich: ‚Gibt es etwas Ungewöhnliches am Himmel, das du beobachtet hast?‘ Ich bin ein aufmerksamer Mensch, und wer wäre ich, dass ich dem König nicht darüber berichtet hätte, hätte ich etwas gesehen? Aber es ist nichts Ungewöhnliches aufgetaucht …“ Der König, in diesem Fall

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Aššur-ahhe-iddina, 680–669 v. Chr. König von Assyrien, beschäftigte sich sehr ˘˘ eingehend mit Vorzeichen, so sehr, dass er in der modernen Forschung manchmal geradezu als besessen gilt, aber vielleicht besitzen wir von ihm auch nur ­diejenigen Briefe, die die Besorgnis des Königs zeigen. Immerhin hatte Aššurahhe-iddina guten Grund, wachsam zu sein, war doch sein Vater, der alte König, ˘˘ ermordet worden. Die Astrologie war in der mesopotamischen Tradition für öffentliche Zwecke reserviert, für alles, was den König und den Staat anging, und sie offenbarte, was die Götter für eine bestimmte Situation entschieden hatten. Irgendwann vor 410 v. Chr. wurde der Gedanke, dass die Sterne den Willen der Götter zeigten, erstmals auch auf Einzelpersonen bezogen; zum ersten Mal fertigte man Horoskope an, die sich damit beschäftigten, was Privatpersonen in der Zukunft erwartete. Anders als griechische Horoskope versuchen diese Texte jedoch nicht festzustellen, welches unabänderliche Schicksal einem Menschen durch die Konstellation der Gestirne bei seiner Geburt vorherbestimmt war. Die Grundidee mag dennoch dieselbe gewesen sein: dass man die Astrologie auch auf das Leben Einzelner anwenden konnte (Rochberg 2004: 202–207). Die vorläufig letzte Stufe in dieser Entwicklung sind die heutigen albernen Zeitungshoroskope.

Exorzismus Wenn es einer Person gelungen war, ein drohendes Übel zu identifizieren, war der nächste Schritt die sogenannte „Beherrschung der Zukunft“; das bedeutet, man musste ein Ritual durchführen, das das Schlechte abwenden würde und durch etwas Besseres ersetzen. Die überlieferten Rituale sind wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs dessen, was man in diesem Bereich tatsächlich tat, und vielleicht sind sie auch alles andere als repräsentativ, gerade weil man sie niedergeschrieben hat. Dennoch können wir annehmen, dass man durch diese Rituale sicherzustellen versuchte, dass das Schlechte nicht eintrat; man kann sie als stabilisierenden Faktor für das Seelenleben der Mesopotamier ansehen. Aššurbāni-apli, der letzte mächtige assyrische König, versuchte wahrscheinlich, so viele Rituale wie möglich dokumentieren zu lassen, damit man sie in Zukunft nutzten konnte (Maul 1994: 225–226). In einem Beispiel geht es um den Sonnengott; dabei betet jemand: „Wegen des Bösen des Schlechtes [verheißenden] Schimmelpilzes [gesehen] unter einem Stein, schaue [gnädig auf mich herab!] Ich knie zu deinen Füßen, … wende den bösen Sack der [Intrigen] von mir ab! Möge sich das Böse mir nicht nähern!“ (Caplice 1974: 347). Wie im oben zitierten Beispiel war der Schimmelpilz nur der Vorbote

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zukünftiger, in diesem Fall allerdings negativer Ereignisse. Aber es gab auf jeden Fall die Hoffnung, dass man die Bedrohung mit den richtigen Worten beseitigen konnte – wenn nicht gar den Pilz. Diese Worte wurden von einer Reihe ritueller Handlungen („ihren Taten“) begleitet, bei denen Pfannen, Fackeln und geweihtes Wasser eine Rolle spielten und Brot, Datteln mit Mehl, Honig und Ghee, eine butterähnliche Substanz, dargeboten wurden. Für ein Trankopfer benutzte man Bier. Brauchte man all das, damit die Worte ihre Wirkung taten? Vielleicht nicht, aber man ging wohl auf Nummer sicher, indem man eher zu viel als zu wenig tat. Bei anderen Gelegenheiten waren die Gebete für eine göttliche Intervention eher allgemeiner Art. Eine altbabylonische Beschwörungsformel bittet darum, dass Rinder von einer Krankheit geheilt werden: „Lass die Gesichter meiner Rinder sich wieder aufhellen, lass Šakkan [einen Rindergott] sich freuen, lass die Kräuter sich freuen, lass die Herde fröhlich blöken“ (Edzard 1997b). Der Bittsteller versprach den Hauptgöttern „viele kleine Sonnenscheiben“, wenn es ihnen ge­ länge, das Vieh zu heilen. Diese Beschwörung betraf etwas, das bereits geschehen war, und dass hier das Böse abgewehrt werden musste, hätte jedem Hirten oder Viehbesitzer eingeleuchtet, auch wenn wir die Krankheit als solche nicht leicht identifizieren können. Eines der Wörter für „beschwören“ bedeutete so viel wie „lösen“ oder „loslassen“, und das zeigt an, dass ein Omen tatsächlich rückgängig gemacht werden konnte (Rochberg 2004: 201). Man konnte sich nicht darauf verlassen, dass man die richtige Zauberformel besaß, um den Verlauf des Vorhergesagten zu ändern, auch wenn sich das unter Umständen von ganz allein änderte. Vor allem Könige waren daran interessiert, zahlreiche Beschwörungsformeln zu kennen, damit man notfalls zufällig die richtige traf. Wie vor einiger Zeit ein Forscher angemerkt hat, war für einen mesopotamischen König „alles, was ihn umgab, eine Falle“; wie leicht konnte man einer Vergiftung zu Opfer fallen, und es war immer möglich, dass man einfach so ins Böse hineinstolperte (Dhorme 1949: 262). Ein Mesopotamier, der ein Problem hatte, hatte vermutlich sehr häufig auch einen Plan, Abhilfe zu schaffen, denn es gab stets die Hoffnung, dass sich das Problem lösen ließe – durch das Eingreifen der Götter oder indem es sich von selbst auflöste. Nichts war vorherbestimmt, und alles Mögliche konnte geschehen, aber die Menschen waren vielen Wechselfällen, Krankheiten und Unglücken unterworfen. Es mochte sein, dass einem die Götter in Wirklichkeit nicht immer gnädig waren, aber möglich war es immerhin. Es scheint auch, dass im Laufe der Zeit einige Götter aus dem Pantheon verschwanden und man ihnen nicht mehr viel Aufmerksamkeit schenkte. Tatsächlich gab es in jeder Epoche nur etwa dreißig Götter, an die Hymnen gerichtet ­w urden, und in etwa die gleiche Zahl an aktiven Tempeln, in denen Menschen

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beschäftigt waren, die sich darum kümmerten, die Götter zu hegen und zu pflegen, mit Nahrung zu versorgen und auf Reisen zu schicken. Das neubabylonische Babylon besaß etwa fünfzig Tempel und vielleicht tausend kleinere Schreine. Wenn wir uns also die Götterlisten ansehen, von denen es viele verschiedene Versionen gibt, müssen wir sie als wissenschaftliche Ausarbeitungen darüber an­ sehen, wie die Welt aufgebaut war, und nicht unbedingt als Darstellungen von Gottheiten, die einer breiteren Öffentlichkeit tatsächlich wichtig waren (Foster 2007: 169, 200; Lambert 1957–1971). Es mag sein, dass die Götter im Laufe der Zeit an Größe und Bedeutung ge­ wannen, doch ihre Zahl nahm, jedenfalls unserer Wahrnehmung nach, ab. Das bedeutet nicht, dass wir im alten Mesopotamien bereits einen monotheistischen Ansatz beobachten können, aber wir finden in Hymnen immer wieder die Behauptung, dass die Macht eines einzelnen Hauptgottes exklusiv diesem gehörte.

„Der Herr ist einzig“ – Israel und sein Umfeld Indem sie das Schicksal der Menschheit nicht trennten von dem ihres kleinen Volkes, waren die jüdischen Denker die ersten, die Sorge getragen haben für eine allgemeine Theorie vom Gange des Menschengeschlechts. – Ernest Renan, Das Leben Jesu (Übers. Hans Helling)

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s begann alles ganz harmlos. Der junge Jude mit dem ernsten Blick, in Babylon geboren, aber aufgewachsen innerhalb der Traditionen und Sprachen seines eigenen Volks, hatte unter den Babyloniern noch nie jemanden kennengelernt, mit dem er sich wirklich verstanden hätte. Aber dann ging er auf dieses Fest, ein großes Picknick im Freien mit Hunderten Gästen, bei dem alle ihr eigenes Essen mitbrachten und in einer feierlichen Stimmung waren, um bei der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche die Ankunft des neuen Jahres zu begehen. Juden feierten die Tagundnachtgleiche nicht, aber auf Feste gingen sie. Er hatte viel Bier getrunken, und als er nach einem Ort suchte, um seine Blase zu entleeren, da sah er einen großen Mann mit einem vorzeitig ergrauten Bart, genau wie er selbst ihn trug, und einem befremdeten Blick, als ob ihm die Menschen mit ihren Traditionen ein wenig auf die Nerven gingen. Aus einem Impuls heraus näherte der Jude sich ihm und fragte ihn, was er so machte. Der Mann konnte ihm nicht antworten, denn er sprach kein Aramäisch und, natürlich, auch kein Hebräisch. Aber er hatte ein paar Freunde dabei, die Aramäisch konnten, und so begannen die beiden ein Gespräch von eher begrenztem Gehalt, mit der Hilfe der Freunde, die übersetzten. Es schien, als sei dieser Babylonier ebenfalls ein Gelehrter, durchdrungen von der Tradition, aber da er keine Möglichkeit fand, mit dem Anfertigen von Keilschrifttafeln Geld zu verdienen, studierte er Texte, die sich mit den Sternen beschäftigten. Er war sich nicht sicher, auf welche Weise die Sterne das Leben der Menschen beeinflussten – wie sich herausstellte, zweifelte er manchmal daran – oder ob sie das überhaupt taten. Aber ihre Bewegungen faszinierten ihn, und er suchte die Regelmäßigkeiten darin. Später, als der Jude der babylonischen Sprache mächtig war und der Babylonier des Aramäischen, stellte sich heraus, dass der Sterngucker ein absolutes Ass in Mathematik war und an Gleichungen arbeitete, die vielleicht die Bewegungen der

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Himmelskörper erklären konnten. Sie verstanden sich prächtig, und sie besuchten einander zuhause im Kreis ihrer Familien. Irgendwann begannen sie damit, sich über ihre religiösen Traditionen zu unterhalten. Der Jude staunte über die Ernsthaftigkeit, mit der der Babylonier über seine Götter redete, und war verblüfft, welche Strafen über Unschuldige verhängt zu werden schienen. Der Jude zweifelte keinen Moment lang daran, dass die Götter des Babyloniers lächerlich und falsch waren, aber wenn sein Freund dabei war, wagte er nicht, sie zu kritisieren, auch wenn er immer wieder darauf hinwies, sein Gott sei der Herr über das gesamte Universum, das er selbst geschaffen habe. „Wenn das stimmt“, konterte der Babylonier, „was denkt dein Gott dann über mich und meine Götter? Was sind unsere Aufgaben?“ Ratlos ging der Jude nach Hause. Das war keine Frage, auf die seine Tradition eine Antwort wusste. Später, als er eine Antwort formuliert hatte, nämlich dass die Juden Zeugen sein sollten, „ein Licht für die Völker“, zeigte sein Freund wenig Interesse. Sie lebten sich auseinander. Den Juden aber beschäftigte dieses Problem noch weiter – wie jeden, der den Monotheismus ernst nahm. *** Eine weitere Gruppe, die von den Ereignissen um 1200 v.  Chr. betroffen war, waren die späteren Israeliten. Woher sie kamen, ist in der Bibel dargestellt, einer Sammlung von Büchern, von denen Juden und Christen glauben, eine göttliche Macht habe sie ihnen offenbart. Die Offenbarung an sich ist ein historisch bedingtes Konzept, dessen Ursprünge erforscht werden müssen – es genügt nicht, einfach zu behaupten, dass es so war. Was wir abgesehen von dem, was in der Bibel steht, über das frühe Israel wissen, ist schnell erzählt. Zunächst einmal ist archäologisch bezeugt, dass die ­Anzahl und Größe der Dörfer im zentralen Bergland Israels und in Palästina westlich des Jordans nach 1200 v. Chr. geradezu explosionsartig wuchs. Das Bevölkerungswachstum war viel zu groß, als dass man es auf Basis natürlicher Faktoren erklären könnte. Tatsächlich ist es nicht ganz einfach zu erklären, wo all diese Menschen herkamen. Ihre Töpfe, ihre Techniken, die Hügel zu terrassieren, damit man darauf etwas anbauen konnte, und ihre Zisternen, die sie gruben, um das spärliche Regenwasser aufzufangen – all das kannte man in der Region schon früher. Die Bibel spricht davon, das Volk sei aus Ägypten eingewandert, aber für eine solche Wanderung besitzen wir aus Ägypten keinerlei Belege. Allerdings war die Zeit vor 1200 v. Chr. eine Epoche des regen Austauschs zwischen Ägypten und Palästina, und es ist

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nicht unwahrscheinlich, dass Volksgruppen aus Westasien nach Ägypten kamen und es später wieder verließen. Wenn es aber ehemalige Bewohner Ägyptens im Bergland gab, dann sicherlich auch Menschen, die in den Städten Palästinas gelebt hatten, aber dem allzu zentralisierten und kontrollierten Leben dort den Rücken gekehrt hatten. Die Bibel (Josua 24) weist darauf hin, dass einige Orte sich dem Verband der Israeliten anschlossen, ohne dass sie unterworfen worden waren, aber es gab auch Geschichten von gewalttätigen Konflikten, gleich zu Beginn und auch im folgenden Jahrhundert, wobei die Bibel darauf hinweist, dass den Menschen, die man zu den Israeliten zählte, eine zentrale Autorität fehlte. Dass es einen Austausch mit Ägypten gab, belegen jene Israeliten, die priesterlichen Status besaßen und ägyptische Namen trugen, wie Moses (kurz für zum Beispiel Thutmosis, „Thot hat geboren“), Aaron („sein [eines Gottes] Name ist groß“), und Pinchas („Nubier“ oder „Südländer“). Diese Namen helfen uns heute kaum dabei, die Geschichten über ihre Träger zu datieren, aber sie unterstützen die ­Annahme, dass dauerhafte und enge Verbindungen mit Ägypten bestanden. Die früheste Erwähnung des Namens Israel findet sich auf der Sieges-Stele des ägyptischen Königs Merenptah zum Gedenken an Ereignisse um 1209 v. Chr. Dabei verwendete der Schreiber nicht das Zeichen für „fremdes Land“, sondern das Zeichen für „fremdes Volk“; die Israeliten sah man als eigenständiges Volk an, aber noch nicht als organisierten Staat. Der ägyptische Pharao behauptete in diesem Zusammenhang, er habe Israel (wie auch viele andere Volksgruppen) vernichtet. Nach 1200 v. Chr. begann in Ägypten die lange und wechselhafte Dritte Zwischenzeit; die Einheit des Landes stand auf dem Spiel, und Ägyptens Möglichkeiten, in Palästina einzugreifen, waren gering. Die Nachkommen eines der See­völker, die Philister, hatten indes an der Küste eigene Städte gegründet und tauchten später in Geschichten der Bibel auf, wo sie dem noch jungen israelitischen Volk übel mitspielten. Dennoch bildete sich bei den Israeliten eine politische Ordnung heraus; man musste sich nicht allzu sehr darum sorgen, dass die Ägypter angriffen, und die Hethiter im Norden hatten jegliche Bedeutung verloren. Die Bibel ist ein einzigartiges Zeugnis für einen Teil dieser Prozesse, aber leider eines, das nicht ganz einfach zu verwenden ist. Sie enthält zwar viele alte Texte, doch der Großteil stammt aus späterer Zeit und ist stark beeinflusst durch die Entwicklung der zentralisierten Monarchien. Außerdem haben wir keinerlei frühe Kopien der Bibel oder einzelner Teile; in den Schriftrollen vom Toten Meer aus dem 1. Jh. v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. finden sich Kopien von Fragmenten aller Bücher außer dem Buch Ester, daneben aber auch andere Texte, die nicht ihren Weg in die Bibel gefunden haben. Eine komplette Abschrift der jüdischen Bibel, des Alten Testaments, besitzen wir erst aus dem 10. Jh. n. Chr. Man kopierte Texte, weil man das Gefühl hatte, Altes bewahren zu müssen, wenn es zu verfallen drohte;

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aber diese Ehrfurcht vor der alten Überlieferung war keine Garantie dafür, dass im Prozess des Abschreibens keine Interessen und Gedanken späterer Zeitgenossen Einzug in den Text hielten. Bibelforscher sind sich uneins darüber, wie viele dieser späteren Gedanken die früheren Schriften verändert haben, aber letztlich kann man wohl in jeder Geschichte Hinweise auf spätere Eingriffe finden. Erzählungen von der Entwicklung des israelitischen Staats und seiner Religion bleiben spekulativ, aber sich in einem solchen Fall allein auf die Lehren heutiger Glaubensgemeinschaften zu verlassen, ist meiner Meinung nach ein Verrat an der Aufgabe des Historikers. Wir wollen im Folgenden weiterhin Theorien und Be­ weise so abwägen, wie es am plausibelsten erscheint; sicherlich gibt es einige, die da anderer Meinung sind. Die religiöse Welt der Menschen im Bergland war dominiert von einem Pantheon von Göttern, an dessen Spitze wahrscheinlich ein Gott stand, der den Regen brachte und der in der Bibel und in früheren ugaritischen Texten Baal („Herr“) hieß. Man verband ihn mit anderen Symbolen der Fruchtbarkeit, insbesondere dem Stier, der Zugmaschine des Altertums, der das Pflügen so viel einfacher ­machte, als wenn man es von Hand erledigte. Baal hatte einen Hofstaat und eine Familie, vor allem eine Schwester, die in Ugarit nach ihm suchte, wenn er während der langen, trockenen Sommer verschwand. Es gab noch eine weitere weibliche Figur namens Ašerā, „die Glückliche“ oder vielleicht auch „der [heilige] Ort“, die man mit der Fruchtbarkeit assoziierte und die durch einen Baum dargestellt wurde oder einfach nur durch einen im Boden steckenden Stock. Man konnte diese Gottheiten überall verehren, und sie bevorzugten Blutopfer; möglicherweise gab es sogar Menschenopfer, häufig werden aber wohl Schafe und andere Tiere ausgereicht haben. Die Tiere wurden getötet, ihr Fett auf einem Altar verbrannt, der Großteil des Fleischs aber unter den Gläubigen verteilt. Jedes Opfer war, wie auch anderswo im alten Orient, ein Anlass zum Feiern. Spätere Kritiker der israelitischen Religion behaupteten, dass zu solchen Riten auch sexuelle Exzesse und Saufgelage gehörten, aber Belege dafür gibt es kaum. Wir vermuten heute, dass sie die meisten dieser Götter und Konzepte von einem früheren Volk übernahmen, das die Israeliten später als Kanaaniter bezeichneten. Die Kanaaniter lebten in den Niederungen entlang der Küste und in den Tälern und waren den Israeliten völlig fremd. Es ist schwierig nachzuvollziehen, wie sich das ethnische Bewusstsein der Israeliten und ihres Staates entwickelt hat. Ein ganz frühes Gedicht, das in Richter 5 überliefert ist, erzählt von einem Konflikt mit den Königen von Kanaan über bestimmte Handelswege. Vielleicht hatten die Könige versucht, für Durchreisende im Hügelland hohe Zölle einzuführen. Als Reaktion darauf rief man Stammes­ führer an, um gegen die Könige vorzugehen. Ein wiederkehrendes Motiv in dem

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Gedicht ist, dass einige Stammesgruppen positiv auf diese Bitten reagieren, andere jedoch nicht. Richter 5 zeigt, dass einige Israeliten den Wunsch nach ethnischer Einheit hatten, die es aber nicht gab. Ein signifikantes Details könnte sein, dass die in dem Gedicht kritisierten „Stämme des Ruben“ ab einem gewissen Punkt in der Geschichte Israels nicht mehr existierten; mag sein, dass sie abwanderten, vielleicht gingen sie aber auch im größeren Stamm Juda auf. Im Laufe der nächsten 200 Jahre sah sich dieser lockere Zusammenschluss von Stämmen immer wieder Bedrohungen ausgesetzt, vor allem aus dem Westen, seitens der Philister, und es war genau dieser Druck, der dazu führte, dass der Ruf nach einem gemeinsamen König lauter wurde, der den Widerstand gegen fremde Mächte auf systematischere Art und Weise organisieren konnte als die Stammesführer, die man „Richter“ nannte. Aus den Geschichten über die Könige lassen sich deren religiöse Präferenzen nicht eindeutig ableiten. Für ein ethnisches Selbstbewusstsein gibt es ebenfalls kaum Hinweise, denn in ihren Armeen dienten diverse kanaanitische Gruppen, zu denen auch Hethiter zählten, die möglicherweise aus Anatolien geflüchtet waren. In religiöser Hinsicht könnten sich einige israelitische Intellektuelle bereits vom Polytheismus in Richtung eines Henotheismus bewegt haben; der Henotheismus erkennt die Existenz vieler Götter an, betont aber die herausragende Bedeutung eines einzelnen Gottes innerhalb der Götterwelt. Diese Entwicklung scheint mit dem Konzept des persönlichen Gottes in Verbindung zu stehen, das wir von früher her aus Mesopotamien kennen, und mit den Hymnen, die die Macht bestimmter einzelner Götter über die anderen herausstellten. Der Gott hieß Jahwe, „er, der Sein schafft“, auch wenn er vielleicht zunächst nicht in erster Linie ein Schöpfer war. Als Gott identifizierte man ihn mit den Gebirgen im Süden, unter anderem dem Seïr im heutigen Jordanien und dem Sinai auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel. In späteren Zeiten war es tabu, den Namen Jahwe auszusprechen, und in der Aussprache fügte man den Konsonanten die Vokale des hebräischen Wortes für „Herr“ hinzu, dem Begriff, den die meisten modernen Übersetzungen der Bibel statt „Jahwe“ verwenden. Wenn man die Konsonanten von „Jahwe“ mit den Vokalen für „Herr“ ausspricht, dann kommt „Jehova“ heraus, was für uns heute gut klingt, als unabhängiges Wort auf Hebräisch aber nicht existiert. Spuren des Henotheismus des frühen Israel finden sich noch im ersten der Zehn Gebote, wo es (wörtlich übersetzt) heißt: „Du sollst keine anderen Götter über mir haben“, was impliziert, dass es durchaus andere Götter gab. Spätere Geschichten deuten an, dass es zumindest zwischen Teilen der Israeliten und der Kanaaniter Spannungen gab, und auch wenn sie ähnliche Opferpraktiken gehabt haben mögen, so schreckte man doch davor zurück, Kinder zu opfern. Dies findet ein Echo in der Geschichte in Genesis 1 Mose 22, wo Jahwe als Ersatz für den jungen Isaak

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einen Widder schickt. Später prangerten Propheten die Tendenz der Israeliten an, ihre erstgeborenen Kinder zu opfern. Den späteren Juden und den Christen erschien diese Sitte geradezu absurd, aber in einer Zeit, in der die Säuglingssterblichkeit ohnehin extrem hoch war, scheint es eine sichere Bank gewesen zu sein, dem Gott seinen Erstgeborenen zu überantworten; es kamen ja noch mehr Nachkommen, deren Überlebenschance allerdings ebenfalls gering war (siehe Kapitel 14). Ein besonders interessanter Gedanke dazu, wie sich der Monotheismus entwickelte, stammt vom israelischen Forscher Jeheskel Kaufmann, der sich dafür aussprach, dass diese Entwicklung bereits mit dem Beginn der biblischen Geschichte um Abraham einsetzte, etwa gegen 2000 v. Chr. Kaufmann war aufgefallen, dass in den anderen Religionen des alten Orients ein Reich der Magie existierte, das jenseits der Götterwelt zu liegen schien. Die Menschen waren in der Lage, sich magischer Kräfte zu bedienen, nicht etwa weil sie besonders fromm oder moralisch integer waren, sondern allein weil sie die richtigen Zaubersprüche kannten. In manchen Geschichten bedienten sich sogar bedeutende Götter solcher Zaubersprüche, um sich der Macht des magischen Reichs zu versichern. In Israel wollten allein diejenigen, die Jahwe verehrten, dem Einsatz magischer Praktiken ein Ende setzen – wobei sie die offensichtliche Kraft solcher Zaubersprüche keineswegs bestritten. Kaufmann stellte die These auf, dass der Grund für diese Abneigung gegen die Magie der war, dass Jahwe selbst diese magische Kraft verkörperte, der alle anderen Götter unterstanden. Seine Handlungen ließen sich nicht durch den Einsatz von Opfern steuern; er brauchte nichts, was die Menschen ihm geben konnten. Wenn er tatsächlich die Magie verkörperte, erklärt das nicht nur die Abneigung gegen magische Praktiken unter Jahwes Anhängern, sondern auch die manchmal irrationalen oder sogar dämonischen Handlungen, die man Jahwe zuschrieb, beispielsweise dass er einen Priester tötete, nur weil dieser die Bundeslade berührt hatte, damit sie nicht vom Karren fiel (2 Samuel 6). Der arme Kerl war einfach zu eng mit der unkontrollierten Macht Jahwes in Berührung gekommen, und dafür musste er sterben (Kaufmann 1960: 79–80). Zunächst hatte Jahwe sicherlich nur wenige Anhänger, und als das soziale Gefüge komplexer wurde, mag es zu Spaltungen aufgrund religiöser Unterschiede gekommen sein. So stellen zumindest spätere biblische Texte die Situation dar. In Israel schwangen sich Könige als ständige militärische Führer auf, und zur staat­ lichen Organisation, die sie schufen, gehörten auch Priester. Einer möglicherweise sehr alten Liste gemäß hieß der zweite König David, und er ernannte einige seiner Söhne zu Priestern; später waren die Priester wohl nicht mehr direkt mit dem ­König verwandt, auch wenn sie sicherlich als Diener des Königs fungierten (die Söhne sind in 2 Samuel 8,17–18 genannt, nicht aber in 2 Samuel 20,25–26 und auch nicht in Salomos Liste in 1 Könige 4,4–5).

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In der ersten Hälfte des 1. Jts. v. Chr. stieg offenbar das Interesse an der Idee, nur noch einen Gott anzubeten, aber spätere Texte zeigen, dass die Könige für diese Bewegung weitgehend irrelevant waren. Andere Götter existierten, waren aber dem einen Gott unterlegen; und dieser eine war ein „eifersüchtiger Gott“, der verbot, dass man die anderen Götter ebenfalls verehrte. In diesem Streben nach ­Exklusivität mag sich Echnatons Verehrung des Aton widerspiegeln, aber immerhin gab es im frühen Israel keine systematischen Versuche, anderen Göttern gewid­mete Schreine zu schließen. Durch die Eroberung Jerusalems, einer zuvor fremden Stadt im Herzen des Hügellandes, die er zu seiner Hauptstadt machte, konnte König David die frühere Praxis modernisieren und vielleicht auch eine Priesterschaft einsetzen, die tat, was er wollte. Jene Priester, die Söhne des Zadok, scheinen schon seit unvordenklichen Zeiten dort gewesen zu sein. Vielleicht nahmen Sie erst allmählich eine israelitische Identität an, weil diese Identität sich gerade erst langsam zu ent­ wickeln begann. Dank Davids militärischen Erfolgen war es bald durchaus erstrebenswert, ein Israelit zu sein, und dass sein Sohn einen auffälligen Tempel errichten ließ, sorgte dafür, dass man sich schon aus ökonomischen Erwähnungen heraus – wenn überhaupt – für die religiösen Präferenzen des Königshofs entschied. Es gibt allerdings fast keine archäologischen Belege für diese Könige, und um 925 v. Chr. zerfiel das Reich in zwei Teile; der Norden war größer und wohlhabender, hatte aber nur eine eher instabile dynastische Tradition; der Süden wurde noch immer von Königen regiert, die Nachfahren Davids waren. Am interessantesten für die spätere Entwicklung waren aber jene Figuren, die wir „Propheten“ nennen. Diejenigen, über die wir Geschichten kennen und denen wir bestimmte Schriften zuweisen, waren scharfe Kritiker des Status quo und der königlichen Regierung. Einige kamen aus dem nördlichen, einige aus dem südlichen Königreich, und sie hatten zu Lebzeiten vielleicht nicht viel Einfluss, aber ihre Anhänger schrieben ihre Worte auf und kopierten sie immer wieder, so dass sie bis heute erhalten sind. Sie vertraten den uralten Gedanken, den wir aus dem altbabylonischen Mari im Westen Mesopotamiens her kennen, dass göttliche Kräfte in der Lage waren, durch fast jeden Menschen als Medium zu den Mächtigen zu sprechen. In Mari warnten die Ekstatiker den König zumeist, er möge einen bestimmten Tempel nicht vernachlässigen. Wenn die Überbringer dieser Botschaften in irgendeiner Weise dem betreffenden Tempel angehörten, liegt die Vermutung eines gewissen Eigennutzes durchaus nahe (Nissinen 2003). Auch in Israel waren einige der Propheten Mitarbeiter von Tempeln, aber ihre Botschaften kritisierten den Status quo weitaus stärker als jene in Mari. In Israel waren Jesaja und Jeremia Priester und Amos ausdrücklich nicht.

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Einige Propheten wie Amos und Micha lehnten die alten Formen des Opferns ab – dies aber nicht etwa zugunsten neuer Formen, sondern sie betonten, dass sie Jahwe um Unterstützung für arme und vernachlässigte Menschen anriefen. Die Propheten machten Stimmung gegen die Reichen, die ihre Mitmenschen ignorierten und im Luxus schwelgten. Manchmal kritisierten sie dabei auch den König, aber zumeist richtete sich ihre Botschaft an die politische Klasse, reiche Leute, die auf die Entscheidungen des Staates Einfluss nahmen. Mitunter sieht man die Propheten als Reaktion auf eine soziale Krise, im Zuge derer reiche Leute mit Grundbesitz spekulierten und „einen Acker zum andern“ hinzufügten (Jesaja 5,8, Dearman 1988: 39–42). Da es im Grunde keine ökonomischen Daten aus jener Zeit gibt, ist es schwer zu beurteilen, ob das zutrifft; die spätere Tradition nahm einfach an, dass die Propheten Jahwes Sprachrohr waren und ihren Zeitgenossen Moralpredigten hielten, damit sie ihr Verhalten änderten. Viele Propheten drohten damit, wenn es keine Reformen gebe, werde der Herr zulasten der Reichen und ihres Staates eingreifen. Aus späteren Texten wissen wir, dass es im Norden von offizieller Seite keine Impulse für einen religiösen Wandel gab, und doch stammt aus dem Norden ein Buch, aus dem eine hohe Achtung vor den Propheten spricht: das 5. Buch Mose, das auch als Deuteronomium bezeichnet wird. Es ist möglich, dass es einige Lehren der Propheten widerspiegelt. Es kommen praktisch keine Könige darin vor, dennoch kann man das Buch im Norden verorten, aufgrund seiner geographischen Hinweise (5 Mose 27). Es ist eine Nacherzählung der frühen Geschichte Israels, die die Sichtweise der zeitgenössischen Israeliten auf diese Geschichte betont. Die Propheten drohten mit Unheil und Zerstörung, genau wie das 5. Buch Mose, und im Licht der internationalen Lage hatten sie mit ihrer Sorge auch gar nicht so Unrecht. Assyrien hatte nach 883 v. Chr. begonnen, den ihm tributpflichtigen Bereich auf Gebiete im Westen zu erweitern, und keine der Koalitionen kleiner Staaten, zu denen auch das nördliche Königreich Israel gehörte, konnte sie aufhalten. Im Jahr 722 v. Chr. griff Assyrien als Reaktion auf Rebellionen gegen die drückende Steuerlast das nördliche Königreich Israel an und zerschlug es. Tausende seiner führenden Persönlichkeiten wurden nach Nordsyrien deportiert und dort als Bauern angesiedelt; von hier an hörte man nichts mehr von ihnen, zumindest nicht als ­Israeliten. Dies waren die zehn verlorenen Stämme; natürlich gingen sie nicht wirklich „verloren“, sondern die Assyrer hatten ihnen genug Angst eingejagt, dass sie sich ihren Plänen nicht mehr widersetzten. Obwohl die Assyrer in eroberten Gebieten keine spezielle religiöse Politik verfolgten, erreichten sie, dass die Deportierten ihre früheren Traditionen vergaßen – zumindest auf lange Sicht (Cogan 1974). Dieses Exil der Bewohner des Königreichs im Norden hatte auf das Reich im Süden weitreichende Auswirkungen. Die Könige wurden mit Gewalt dazu ge-

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bracht, den assyrischen Steuereintreibern zu gehorchen, und die Intellektuellen unterzogen die alten Traditionen und die Aussagen früherer Propheten einer Prüfung, um zu verstehen, warum das nördliche Königreich gefallen war. Die Antwort war eindeutig: Man hatte die Warnungen der Propheten ignoriert und war so schließlich dem Zorn des Herrn zum Opfer gefallen. Das 5. Buch Mose hatten möglicherweise Flüchtlinge aus dem Norden mitgebracht, und rund hundert Jahre später entdeckte man im Tempel von Jerusalem das „Buch des Gesetzes Gottes“, als der Tempel gerade renoviert wurde (2 Könige 22,3–13). Schon bevor das Buch auftauchte, hatte König Hiskija versucht, den Gottesdienst von fremdländischen Elementen zu befreien, und König Joschija zerriss im Jahr 622 v. Chr. seine Kleider, als er sich das Buch vorlesen ließ. Er war erschüttert, weil niemand tat, was das Buch Deuteronomium vorschrieb, und er ging tatsächlich davon aus, dass es den Willen des Herrn widerspiegelte. Im Rahmen seiner Reformen bemühte sehr stark darum, den Gottesdienst rein zu halten und verderbte Traditionen zu eliminieren, beispielsweise dass die Menschen die Bronzestatue einer Schlange anbeteten, die auf dem Dach des Tempels stand und die man mit den Geschichten über Moses und den „Wagen und die Pferde des Sonnengottes“ in Verbindung brachte (2 Könige 22,14–23,27). Der andere Aspekt der Reformen war eine zentralisierte Ausübung der Religion: Man schaffte die lokalen Schreine ab und zerstörte sie gründlich. Die Priester, die dort Dienst getan hatten, wurden nach Jerusalem versetzt und taten fortan Dienst im einzig legitimen religiösen Zentrum, dem Tempel von Jerusalem. Diese geradezu weltfremd erscheinende Exklusivität bedeutete, dass der König von nun an die vollständige Kontrolle über die Religion besaß – und über die Opfergaben, die die Menschen brachten und von denen die Priester lebten (Claburn 1973). Diese Maßnahmen werden die meisten Menschen im südlichen Reich als äußerst störend empfunden haben, und sie hatten auch nicht lange Bestand, nämlich nur bis zu Joschijas frühem Tod auf dem Schlachtfeld. Immerhin erinnerte man sich an ihn als einen beherzten Reformer, der den Willen des Herrn ausgeführt hatte. Dennoch setzen die späteren Könige diese Bemühungen nicht weiter fort, wahrscheinlich vor allem deshalb, weil die Bevölkerung die Reformen nicht unterstützte, aber religiöse Intellektuelle nahmen Joschijas Bemühungen ernst, und wahrscheinlich sammelten, kopierten und bearbeiteten sie alte Texte, auch die der Propheten. Die zeitgenössischen Propheten waren den Eliten gegenüber noch immer kritisch eingestellt, und ganz konkret sagten sie voraus, dass die Assyrer oder andere Völker zurückkehren würden, um auch die Bewohner des Südens ins Exil zu schicken. Zwischen 630 und 612 v.  Chr. zerfiel Assyrien. Das südlich gelegene Babylon verleibte sich die Überreste des Reichs ein und bestrafte jegliche Rebellion mit Deportation, genau wie es die Assyrer getan hatten. Um 598 wurden einige Bewohner

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des südlichen Königreichs Juda nach Babylonien ins Exil geschickt, und nach einem weiteren vergeblichen Aufstand im Jahre 587 verbannte man weitere führende Köpfe aus Juda in den Osten. Geschichtlich ist dies das wichtigere Exil, auch wenn wahrscheinlich weniger Menschen verschleppt wurden als zuvor aus dem nörd­ lichen Königreich. Es waren Könige, Propheten und Priester darunter – und auch viele andere, die die alten Traditionen aus Israel mitgebracht haben müssen, sei es in mündlicher oder mitunter auch in schriftlicher Form. Alle versuchten sie, einen Sinn darin zu finden, dass sie ihr Land verloren hatten, aber die Überlegungen, die uns überliefert sind, kamen nicht zu der in früherer Zeit üblichen polytheistischen Schlussfolgerung, dass Jahwe von den Göttern Babylons besiegt worden sei. Stattdessen waren die Überlebenden der Meinung, sie würden vom Gott Israels für ihr seit Generationen gezeigtes Fehlverhalten bestraft. Im Gegensatz zum Exil der Bewohner des Nordens wurden die Exilanten aus dem Süden wahrscheinlich nahe beieinander angesiedelt, vielleicht weil sie so wenige waren. Der Prophet Hesekiel lässt durchblicken, dass er sie allesamt vor sich versammeln und mit ihnen diskutieren konnte. Seine Konzepte waren umstritten und gefielen durchaus nicht allen, die ihn hörten (Hesekiel 18). Ein Exilant, dessen Namen wir nicht kennen, dessen Texte aber an die des Propheten Jesaja angehängt wurden, begann konsequent monotheistische Thesen aufzustellen – das heißt, er leugnete jegliche Existenz anderer Götter. Die Motive dahinter erscheinen geradezu kontraintuitiv. Dieser „zweite Jesaja“, wie wir ihn nennen, lebte in einer Gemeinschaft, die sich in hohem Maße ihrer Vergangenheit bewusst war, wahrscheinlich weil die Traditionalisten sehr geschickt darin waren, Babylon ihre Erinnerungen und ihre Bücher nahezubringen. Das nördliche Exil hatte sie darauf vorbereitet, und jetzt waren sie bereit. Der zweite Jesaja wies all die attraktiven Aspekte des babylonischen Polytheismus zurück, machte sich aber zugleich Gedanken darüber, welche Rolle die Nichtisraeliten in einer konsequent monotheistischen Welt spielen könnten. Das war ein Problem, das die Anwesenheit von Ausländern bereits früher aufgeworfen hatte, mit dem man sich aber nie systematisch auseinandergesetzt hatte. Vielleicht ließ sich der Prophet durch Freundschaften mit Nichtjudahiten (oder Nichtjuden, um die moderne Bezeichnung zu verwenden) inspirieren – auf jeden Fall war er der Meinung, da andere Götter nicht existierten, müsse sich der Gott Israels um alle Völker der Welt kümmern. Israel sollte ein „Licht für die Völker“ sein, es würde ihnen in religiöser Hinsicht ihre Fehler aufzeigen und sie sozusagen als „Juniorpartner“ dem einen, wahren Gott zuführen (Jesaja 40–55). Er ließ sich nicht detailliert darüber aus, wie man andere bekehren sollte oder was das eigentlich bedeutete, und es wurde auch erst später zum Problem. Dennoch legte er das Fundament für alle späteren Monotheisten. Um mit christlicher Terminologie zu sprechen:

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Schwarze Babys in Afrika verdienen es, dass man sie missioniert und von ihrer Rolle im großen Plan des einen Gottes überzeugt. Die Reaktion der Juden auf dieses Konzept zur Zeit des Propheten kennen wir nicht, später wurde seine Relevanz um einiges deutlicher. Bedenken erwuchsen möglicherweise aus Freundschaften zwischen Gelehrten, wie wir sie zu Beginn dieses Kapitels vorgestellt haben. Im Jahre 539 v. Chr. fielen die Perser in Babylon ein und betrieben eine neue Religionspolitik, dank der jeder selbst bestimmen durfte, an was er glaubte. Unter früheren Machthabern Verbannte durften zurückzukehren. Die Juden hatten sich in Babylon recht gut eingerichtet, und viele hatten gar kein Interesse daran, in eine Heimat zurückzukehren, die die meisten von ihnen noch nie gesehen hatten. Einige waren jedoch der Ansicht, dass die Erneuerung von Gottes Segen im Lande bedeutete, dass sie sich dazu im Lande Israel befinden mussten, und um 520 v. Chr. war eine kleine Fraktion zurück nach Jerusalem gegangen und hatte damit begonnen, seine Mauern wiederaufzubauen. In der folgenden Generation kamen weitere Juden hinzu, und unter dem Priester Esra und dem jüdischen Gouverneur Nehemia, der zuvor ein hochrangiger persischer Beamter war, gründeten sie ihre kleine Gemeinschaft innerhalb eines (wie sie es sahen) Meeres aus fremden Völkern, von denen einige von den Assyrern umgesiedelt worden waren. Andere behaupteten, Juden zu sein, die im Land geblieben und nicht verbannt worden waren, aber vor allem Esra fand, ein solcher Stammbaum reiche nicht aus, um als Anhänger des einen Gottes zu gelten. Jüdische Anführer stellten klar, dass nur aus dem Exil Zurückgekehrte der wahren Gemeinschaft angehörten. Sie hatten Angst vor Religionen, die andere Götter assimilieren konnten, wie sie es in Babylon gesehen hatten. Die Ablehnung der Juden, die im Lande Israel geblieben waren, führte im Endeffekt dazu, dass sich die Samaritaner als wahre Erben der alten Traditionen ansahen; für sie galt nur das, was später die ersten fünf Bücher der Bibel umfassen würde. Ihre schriftlichen Überlieferungen sind für die Wissenschaft noch immer von Interesse, und sie existieren heute noch als Religionsgemeinschaft im Westjordanland. Die Spannungen mit den aus dem Exil zurückgekehrten Juden blieben bestehen. Der umstrittenste Beschluss der jüdischen Anführer war, keine Mischehen zu erlauben, das heißt Ehen zwischen Männern, die zu den Exilanten gehörten, und Frauen, die dies nicht taten. Man war der Ansicht, dass solche Ehen die kulturelle Einheit der Juden untergraben würden und die Religion bedrohten (daraus hervorgehende Kinder würden „die Sprache von Aschdod“ sprechen, einer Küstenstadt). Esras weitreichende Bemühungen, solche Eheleute zur Scheidung zu zwingen, waren äußerst kontrovers; das von ihm eingerichtete Untersuchungsgericht hatte schwierige Entscheidungen zu treffen, und es könnte sogar den Grad der Assimilation unter den Frauen in Frage gestellt haben. Einige Juden lehnten diese

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Bemühungen kategorisch ab und verließen anscheinend die Gemeinschaft (Esra 9,15; Nehemia 13,28). Dabei waren die Versuche, die Reinheit der jüdischen Tradition zu sichern, durchaus verständlich, denn die Gemeinde sah sich selbst als klein und bedroht an, und jeder, der sich von ihr abwandte, war ein deutlicher Verlust. Die Führungspersönlichkeiten waren der Ansicht, dass die Tradition nur dann eine Zukunft habe, wenn man sich mit aller Konsequenz an diese Tradition hielt, und so sehen wir hier vielleicht zum ersten Mal die Exklusivität, die die jüdische Gemeinschaft im Laufe der Jahrhunderte vor allen Innovationen bewahrt hat. Auch wenn eine solche ­Exklusivität einer Gesellschaft, die Wert auf Multikulturalismus und Assimilation von Minderheiten legt, nicht besonders attraktiv erscheint, so ist sie doch etwas, was wir selbst nur allzu gut kennen – zum Beispiel von einem Familienvater, der zu seiner Tochter sagt: „Warum lässt du dich bloß mit diesem ______ ein, Kind?“ (Setzen Sie eine beliebige Volks- oder Randgruppe ein.) Solche Väter halten es im Grunde genommen mit Esra, wenn sie sagen: Der fremde Partner wird im Falle einer Heirat unsere Traditionen nicht verstehen. Und was ist erst mit den Kindern? Die Betonung der Ausgrenzung lief parallel zum Universalismus, den der zweite Jesaja predigte, wenn er beispielsweise behauptete: „Ich habe dich zum Bund unter das Volk gegeben“ (Jesaja 42,6b). Esra war jedoch der Meinung, dass man die wahre religiöse Erkenntnis nur dann im Rest der Welt verbreiten könne, wenn sie möglichst zuverlässig weitergegeben würde. Das Konzept der Bekehrung stammt aus der Zeit nach dem Exil, auch wenn wir nicht keine detaillierten Belege dazu haben, wann und wie es formuliert wurde. Das Buch Rut gilt gelegentlich als Argument gegen die starke Betonung der Exklusivität: Darin wird eine Schwiegertochter aus dem Volk der Moabiter zur Mutter der Familie König Davids und sagt: „Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott“ (Rut 1,16b). Aus Listen in den Büchern Esra und Nehemia kennen wir die Namen zurückgekehrter Exilanten, die in ihrer großen Mehrheit „Jahwe“ als göttliches Element beinhalteten. Dies steht im Gegensatz zu Mustern der israelitischen Namensgebung in früheren Epochen und könnte aufzeigen, dass das Konzept des Monotheismus unter den Juden im Exil eine breitere Akzeptanz gefunden hatte (Snell 2000). Ein weiterer wiederkehrender Gedanke, von dem sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Spuren finden, war die Hoffnung, dass Gott die Könige, die Nachfahren Davids waren, wieder an die Macht bringen würde. Dieser Gedanke ging auf die sogenannte dynastische Verheißung an David seitens eines der frühen Propheten zurück („Aber dein Haus und dein Königreich soll beständig sein ewiglich vor dir, und dein Stuhl soll ewiglich bestehen“ [2 Samuel 7,16]). Diese Verheißung könnte mehrere Generationen von Juden nach dem Exil inspiriert haben. Viele Propheten behaupteten, obwohl sie sich von den Königen, die zu ihrer Zeit regier-

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ten, entfremdet fühlten, Gott werde später für bessere Könige sorgen, die der Herr eigens ernennen würde (mashiah, daher stammt das Wort Messias). Ein paar sche˘ menhafte Gestalten tauchen in Geschichten von Zurückgekehrten auf, aber keine von ihnen begründete eine Dynastie von Königen oder Gouverneuren, und so blieb die Verheißung unerfüllt. Als Israel unter der Makkabäern 164/163 v. Chr. seine Unabhängigkeit erlangte, galten diese priesterlichen Herrscher wahrscheinlich nicht als Könige in der Tradition Davids, und so konnte man weiterhin all seine Wünsche und Hoffnungen auf eine messianische Gestalt projizieren. Hier können wir zum ersten Mal in der Geschichte des alten Orients einen Bruch mit dem Polytheismus beobachten und eine systematische Ablehnung seiner Prinzipien, wenn auch nicht seiner Praktiken. Das spätere Judentum, wie wir es nennen können, opferte dem Herrn noch immer auf die alte Art und Weise, aber es bestritt die Existenz aller anderen Götter, und auch wenn seine Anführer einräumten, dass magische Kräfte existierten, durften die Juden sie nicht benutzen. Der herrschende Partikularismus befremdete die Polytheisten, und der Monotheismus schien das Nachdenken über die gött­ lichen Kräften deutlich einzuschränken. Was den Monotheismus so attraktiv machte, war seine Einfachheit. Die Juden mussten sich keine Sorgen mehr machen, Götter gegen sich aufzubringen, von deren Existenz sie bislang gar nicht gewusst hatten. Gesundheit wie Krankheit kamen aus einer einzigen Quelle: Jahwe. Diese Überzeugung schuf auch neue Ansichten über das Problem des Bösen: Im Polytheismus entstand das Böse daraus, dass sich ein Individuum gegenüber Göttern und anderen Mächten schuldig machte, die unter Umständen noch unbekannt waren. In Reaktion darauf musste man durch Zaubersprüche, Rituale, Gebete und persönliche Frömmigkeit die jeweils beleidigten Götter bzw. Mächte zu besänftigen suchen. Im Monotheismus war die Reaktion durchaus eine ähnliche (wenn auch ohne die Zaubersprüche), aber die Quelle des Bösen konnte nichts und niemand anderes sein als der eine Gott. Die Frage, warum der Herr Unglück unter die Menschen bringt, kann man in einem monotheistischen System nicht beantworten; dennoch hat sie diverse Schriften hervorgebracht, deren Echo durch die Jahrhunderte nachklingt. Einige dieser Texte wurden in die Bibel aufgenommen, so dass diese Textsammlung heute als viel subtiler und klüger erscheint, als es sonst der Fall gewesen wäre – manchmal sterben die Besten tatsächlich viel zu früh. Erst im 2. Jh. v. Chr. versuchte das Judentum, eine Antwort auf die Frage nach dem Unglück in dieser Welt zu geben, indem es behauptete, dass man nach dem Tod belohnt oder bestraft würde.

Die Wende … so haben auch die historischen Erklärungen stets etwas Ungenügendes, gilt es unsere schüchterne Untersuchung auf Umwälzungen der Schöpfungsepochen anzuwenden, die das Schicksal der Menschheit entschieden haben. – Ernest Renan, Das Leben Jesu (Übers. Hans Helling)

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eder weiß, wie unmöglich sich diese Leute benehmen – sie schreien, ja, sie schreien tatsächlich den Priester an! Wie können sie es sich erlauben, solch eine Szene zu machen? Und zu behaupten, dass die alten Opfer nicht funktionierten – das war doch an sich bereits fast eine Sünde, oder? Wer kann behaupten, dass die alten Opfer nicht vollkommen ausreichend sind? Unsere Vorfahren haben doch von alters her all unsere Angelegenheiten auf diese Weise gehandhabt. Die großen Zeremonien, hatten wir nicht das Gefühl, dass sie uns mit den Bedürfnissen und dem Willen des Göttlichen verbanden? Früher glaubten wir das. Sicherlich, wir leben in seltsamen Zeiten – in Zeiten, in denen die verdammten Assyrer immer wieder über den Hügel kommen und Leute mitnehmen. Wohin, weiß niemand. Aber zu sagen, dass Gott keine Opfer will, ist durch nichts gerechtfertigt. Was sonst würde Gott wollen als das, was er schon immer gewollt hat? Und was soll überhaupt das ganze Gerede über Gerechtigkeit? Die Armen sind immer um uns herum, und dagegen kann man nicht viel ausrichten, oder? Und dann die Frechheit von diesem Kerl, der behauptet, dass er gar kein echter Prophet ist! Den König zu beleidigen, indem er in aller Öffentlichkeit sagt, dass seine Frauen geschändet werden würden und er selbst ins Exil getrieben! Von solch gottlosen Exzessen hat wirklich noch niemals jemand gehört. *** So kann man sich die Reaktion der israelitischen Oberschicht auf die in Amos 5–7 beschriebenen Ereignisse vorstellen. Amos war ein Prophet, der die Praktiken der alten Religion ablehnte und sich stattdessen für individuelles Handeln aussprach. Die Propheten Israels waren Teil einer internationalen Entwicklung, die für die spätere Geschichte der Schriftkultur tiefgreifende Folgen hatte. Sie waren bedeutende Gestalten in der sogenannten Achsenzeit, einer Epoche Mitte des 1. Jts.

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v. Chr., in der religiöse Konzepte um auf den Kopf gestellt wurden eine neue Richtung einschlugen. Die Dynamik dieser Wende ist heute noch immer spürbar. Die deutsche Philosoph Karl Jaspers war nicht der Erste, der die Parallelen in der historischen Entwicklung bemerkte, aber er war der Erste, der formulierte, welche Auswirkungen diese Veränderungen hatten. Die Fakten sind schnell erzählt (Jaspers 1953: 1–60). Konfuzius lebte etwa 551–479 v. Chr. in Zentralchina. Als junger Mann engagierte er sich in der Politik und zog über Land, auf der Suche nach Königen, die Philosophen werden wollten; schon bald gab er auf. Danach lehrte er, wie jedermann (oder zumindest jeder, der lesen konnte) in philosophischer Hinsicht glücklich werden konnte. Dazu studierte er alte Gedichte und rückte die Tugenden der Familie in den Mittelpunkt. Als Lehrer wollte er nicht über Götter oder den Himmel spekulieren, denn er war der Ansicht, dass der Mensch nicht dazu in der Lage war, solche Dinge zu verstehen. Buddha („der Erleuchtete“) kam um 566 v. Chr. herum in Nordindien als Prinz Gautama zur Welt und starb etwa 486 v. Chr. Er stellte fest, wie ungerecht es war, dass manche Menschen arm waren, und begab sich auf eine spirituelle Suche, die ihn zur Überzeugung führte, das Konzept ewiger Wiedergeburt aufgrund von vergangenen Sünden abzulehnen; man konnte daraus ausbrechen, indem man Erleuchtung fand. Die vorsokratischen griechischen Philosophen waren etwa in der Zeit von 550 bis 400 v. Chr. tätig und lehrten vielfältige Dinge; das Innovative an ihren Lehren war, dass sie die traditionellen Erklärungen für die wahrgenommene Welt als unzureichend ansahen. Obwohl sie nicht im modernen Sinne empirisch arbeiteten und keinesfalls eine gemeinsame Lehrmeinung vertraten, betonten sie die Rolle der menschlichen Vernunft bei der Entscheidungsfindung. Nicht alle lehnten die Götter ab oder die Art und Weise, wie man früher die Welt früher beschrieben hatte, aber alle waren bereit, landläufige Ansichten infrage zu stellen. Zarathustra lebte etwa 1000 v. Chr. im Iran; er war die wohl früheste Figur der Achsenzeit. Bücher, die seine Weisheiten enthalten, sind erst aus viel späterer Zeit bekannt, und seine genaue Lebenszeit bleibt genauso umstritten wie das, was er eigentlich lehrte. Offenbar lehnte er die frühere indoeuropäische Religion ab (die möglicherweise heute noch im traditionellen Hinduismus Indiens ihren Nachhall findet) und behauptete, dass sich die Menschen in einer in Gut und Böse aufgeteilten Welt für eine Seite entscheiden müssten. Die Blütezeit der hebräischen Propheten begann vor 750 v. Chr., und vielleicht gab es Propheten noch bis ins 5. Jh. v. Chr. hinein. Die Bücher von einigen dieser Propheten sind heute noch erhalten. Wie die griechischen Denker bildeten sie keine einheitliche Schule und hatten keinen gemeinsamen Ansatz, aber sie kamen

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alle aus Gruppen, die nur Jahwe verehrten, und sprachen sich dafür aus, die Religion zu „reinigen“. Die meisten von ihnen betonten die Verantwortung nicht unbedingt des Königs, aber doch der reichen und einflussreichen Leute und die Strafe, die der eine Gott über jene verhängen würde, die sich durch ihr Verhalten über die Armen und Schwachen der Gesellschaft erhoben. Einige lehnten ausdrücklich das Opfern als Möglichkeit, Gott zu gefallen, ab; ihrer Meinung nach war es in den Augen des Herrn wichtiger, den Schwachen zu helfen, als irgendwelche religiösen Praktiken auszuüben. Diese Intellektuellen und Philosophen waren Zeitgenossen, wussten aber nichts voneinander. Einige scheinen auf chaotische Zustände in ihrer Gesellschaft reagiert zu haben. Auch in dieser Zeit könnte es entlang der gemäßigten Zonen, in denen die Schriftkultur blühte, zu Dürreperioden gekommen sein. Konfuzius lebte innerhalb des Zeitraums, der in den Frühlings- und Herbstannalen beschrieben wird (722–481 v. Chr.), in dem die frühere chinesische politische Einheit zusammengebrochen war. Seine Lehren strahlten eine tief empfundene Sehnsucht nach einer Zeit friedlicher Einheit aus. Buddha gehörte zur Elite der nordindischen Gesellschaft, war aber über die soziale Ungerechtigkeit betroffen, die andere Menschen zum Betteln zwang. Über Zarathustras soziale Stellung wissen wir wenig, ebenso über seine Lebenszeit. Die Dimensionen der Krise, der sich die hebräischen Propheten gegenübersahen, sind schwer nachzuvollziehen, aber es ist offensichtlich, dass für die Propheten Grund zur Sorge bestand. Die Vorsokratiker stammten aus verschiedenen Städten und mögen unterschiedliche Bedrohungen für ihre jeweilige Gesellschaft wahrgenommen haben; viele dieser Städte lagen an der ionischen Küste der Türkei und waren einer konkreten Bedrohung durch das Perserreich ausgesetzt. Die Reaktionen auf diese Krisen waren ganz unterschiedlich. Konfuzius scheint der am wenigsten politische und zugleich konservativste Kopf gewesen zu sein. Er weigerte sich, über Götter zu spekulieren, und behauptete, dass die Menschen früherer Zeiten durch das Studium und Erlernen alter Gedichte Tugend erlangt hätten, und das war es, was er auch seinen Zeitgenossen empfahl. Buddha war der Innovativste: Er verwarf das alte Konzept der ewigen Wiedergeburt in immer neuen Zuständen und Wesen aufgrund früherer Sünden. Buddha glaubte, dass man allein dadurch dem Kreislauf der Wiedergeburten entkommen konnte, dass man erkannte, dass dies möglich war; und anstatt die Vorteile seiner eigenen Erleuchtung auszukosten, lehrte er andere, ihrerseits den Kreislauf der Wieder­ geburten zu verlassen. Wir können versuchen, die Lehren all dieser Personen zu verallgemeinern, auch wenn das der Vielfalt ihres Denkens nicht wirklich gerecht wird. Alle betonten die maßgebliche Bedeutung des Individuums und seiner Handlungen für das

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Wohl in dieser Welt. Gemeinschaften konnten fehlgeleitet werden, und Staaten waren kurzlebig und für das individuelle Wohlbefinden ihrer Ansicht nach nicht notwendig. Eine logische Folge dieser Hervorhebung des Individuums war, dass diese ­Intellektuellen ihre Zuhörer dazu aufriefen, ihr Leben zu ändern und sich in ihrem Handeln der Botschaft der Denker anzunähern. Wie dieses Handeln aussehen sollte, war ganz unterschiedlich, manchmal ging es auch gar nicht darum, etwas Bestimmtes zu tun, wie im Fall der griechischen Philosophen. Dennoch wurde das Individuum dadurch gezwungen, sich von der Gruppe abzusondern oder vielleicht sogar zuvor sanktionierte religiöse Verhaltensweisen abzulehnen. Versuchte man, den Denkern der Achsenzeit zu folgen, war dies unter Umständen eine schwierige und auch schmerzhafte Erfahrung; richtete sich man nach ihren Empfehlungen, hatte man kein leichtes Leben, aber dafür ein besseres. Die Konzepte dieser Vordenker schworen der traditionellen Religion ab, wie sie aus früherer Zeit überliefert war. Mitunter hat man hierin die Entstehung sekundärer Religionen sehen wollen, im Lichte der bedeutenden Traditionen, die dabei entstanden und seitdem immer weitergegeben wurden. Sekundär sind sie in dem Sinne, dass jede dieser neuen Richtungen auf eine ältere reagierte, sie kritisierte und an die Gegenwart anzupassen versuchte, wobei Wahlmöglichkeiten und Verhalten des Individuums in den Vordergrund rückten (Wagner 2006). Zusammenfassend könnte man sagen, diese Männer vertraten die Meinung, dass der Mensch nur für sich allein das Richtige erkennen und tun konnte, unabhängig davon, was die Gemeinschaft tat, und unabhängig vom Erfolg oder Misserfolg des jeweiligen Staates. Dies steht in ausdrücklichem Gegensatz zu den früheren Konzepten in Ägypten und Mesopotamien, wo der Staat (oder in der frühen Zeit vielleicht auch nur der König) dafür verantwortlich war, dass geordnete und gerechte Verhältnisse herrschten, das Problem der Armut gelöst und tugendhaftes Verhalten gestärkt wurden. In Ägypten hielt man genau dies für die Aufgabe des Staates, nur dafür war er da, und auch wenn sich die Situation für Mesopotamien weniger klar darstellt und es dort natürlich mehrere Staaten gab, war die Umverteilung von Ressourcen wohl stets eine wichtige Funktion auch der dortigen Herrscher. Die Denker der Achsenzeit vertraten dagegen die Ansicht, man könne sich in dieser Hinsicht nicht auf den Staat verlassen, denn die meisten von ihnen lebten in einer Zeit, in der Stabilität und Macht der Staaten ihrer Region wankten. Sicherlich liegt eine gewisse Ironie darin, dass im Falle der meisten dieser Denker nach ihrem Tod Staaten gegründet wurden, die auf der Basis ihrer Konzepte eine Staatsreligion aufbauten. Außer den griechischen Vorsokratikern wurden alle erwähnten Gestalten selbst Teil staatlich sanktionierter religiöser Praktiken. Die Ironie dabei ist, dass diese Männer in keinster Weise an einer solchen Autori-

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tät interessiert waren, und viele hätten argumentiert, dass die Tugend, die sie suchten, niemanden aufoktroyiert werden konnte, sondern nur aus individuellen Entscheidungen unabhängig denkender Menschen (wie sie es waren) entstand. Sie waren allesamt Außenseiter, und wie unabhängig sie in ihrem Denken waren, ist noch heute ganz offensichtlich. Allerdings haben staatliche Strukturen ihre eigene Logik, und es hat sich für Herrscher, die nach Legitimität streben, schon immer als gute Strategie erwiesen, ihren Staat in das Gewand religiöser Sanktionierung zu hüllen – selbst wenn es Querdenker gab, die darin einen grundlegenden logischen Fehler sahen. Logische Konsequenz ist eher ein Anliegen von Philosophen als von Staatenlenkern. Zu den Staaten, die sich diese neuen Religionen zu eigen machten, zählten alle nachfolgenden chinesischen Staaten, die den Konfuzianismus übernahmen, vor allem das Reich Han, das von 202 v. Chr. bis 220 n. Chr. existierte und hier einen Präzedenzfall schuf. Der erste buddhistische Staat war wohl der von König ­Ashoka in Nordindien, 274–236 v. Chr., und viele weitere folgten, als sich die Religion in Südostasien und Japan ausbreitete. Zarathustras Einfluss auf das Persische Reich, das 539–330 v. Chr. den Nahen Osten beherrschte, ist umstritten, aber das spätere Parther- oder Arsakidenreich, das von 171 v. Chr. bis 223 n. Chr. die Vorherrschaft besaß, und die Sassaniden, die 223–651 n. Chr. herrschten, zeigten beide eine Nähe zum Zarathustrismus, und das Streben nach religiöser Reinheit könnte Teil der Propaganda gewesen sein, mithilfe derer die Sassaniden ihre Vorgänger stürzten. Bei den Religionen der Achsenzeit war es relativ einfach, zu behaupten, dass der Gegner dem wahren Glauben nur oberflächlich anhing und deshalb gestürzt werden müsse. Dieser Prozess führte manchmal zu einer Verknöcherung von Traditionen und ihrer Anpassung an Konzepte, die den Machterhalt sichern sollten; das war natürlich nicht das eigentliche Ziel der Denker gewesen, die ja gerade den repressiven Charakter politischer Autorität beklagt hatten. Der hebräischen Propheten wurden von späteren jüdischen Traditionalisten in Anspruch genommen, um ihre staatlichen Strukturen ideologisch zu stützen, dennoch blieben die Worte der Propheten eine tickende Zeitbombe, auch wenn sich die Priester noch so sehr bemühten, nach der Rückkehr aus dem Exil in den 520er Jahren v. Chr. alles unter Kontrolle zu halten. Es konnte gut sein, dass Gott auch noch zu anderen sprach, und auch wenn er dabei keine völlig neuen Forderungen an die Menschen stellte, galten religiöse Enthusiasten doch zumeist nicht gerade als die größten Stützen der Mächtigen. Später versuchte das Judentum, die Menge neuer Prophezeiungen zu begrenzen und die Mystiker im Zaum zu halten, die man vielleicht mit den Propheten in Verbindung bringen konnte. Tatsächlich bot nur der Staat der Makkabäer (Blütezeit: 164/163 v. Chr.) den Juden einen Weg

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in die Eigenständigkeit, und das mit begrenztem Erfolg, vor allem in den Augen religiöser Zeitgenossen. Als die Makkabäer schließlich Könige wurden, waren sie schon zu sehr durch die griechische Politik „verdorben“, als dass religiöse Intellektuelle sie eindeutig als Könige akzeptiert hätten. Man kann davon ausgehen, dass es auch in anderen Traditionen und Epochen kritische Köpfe gab, die geltende Annahmen infrage stellten, wie die „Dorf­ atheisten“, die manche Anthropologen identifiziert haben (auch wenn dieser Begriff nicht bedeuten muss, dass sie buchstäblich Atheisten waren). Die Vordenker der Achsenzeit waren insofern erfolgreich, als man sich an ihre Ideen erinnerte und sie bis zu einem gewissen Grad erneuerte. Das wohl wichtigste Element dabei war, dass sie die gängigen gesellschaftlichen Strukturen hinterfragten. Die Denker der Achsenzeit reagierten auf das, was viele Menschen zu jener Zeit wahrnahmen – eine Vertrauenskrise gegenüber Institutionen und Denkweisen der jeweiligen Gesellschaft. Sie formulierten Antworten, mit denen sich wiederum die führenden Köpfe jenseits der damaligen Regierungen beschäftigten. Alle predigten sie eine Botschaft, die das Individuum unabhängig von irgendwelchen Institutionen dazu aufrief, seine eigenen Wertvorstellungen zu entwickeln – ein Konzept, das unzufriedenen Menschen besonders vielversprechend erscheint, ganz gleich in welcher Epoche. Nicht bei allen dieser Vordenker kann man die Existenz von Anhängern oder Jüngern nachweisen, die die entsprechenden Botschaften verbreiten halfen, auch wenn es ziemlich wahrscheinlich ist, dass ein solcher Personenkreis bei der Bewahrung und Weitergabe der neuen Konzepte der Achsenzeit eine entscheidende Rolle spielte. Erwartungsgemaß ist der Nachweis der Existenz und der Rolle ­solcher Anhänger bei Zarathustra unmöglich. Konfuzius und Buddha indes hatten berühmte Schüler, und der hebräische Prophet Jeremia besaß einen Sekretär, der sein Werk verewigte. Andere hatten Freunde, die ihnen halfen und ohne die wir ihre Schriften nicht besäßen. Besonders auffallend ist, dass Ägypten und Mesopotamien in der Liste der Gesellschaften, in denen in der Achsenzeit solche neuen Vorstellungen aufkamen, fehlen. Das kann mehrere Gründe haben. Einer dieser Gründe ist, dass beide Regionen weiterhin erfolgreich waren und über großes Prestige verfügten, selbst noch im 1. Jt. v. Chr., als einige der alten Machtzentren bereits an Bedeutung verloren hatten. Und auch wenn die ägyptischen Pharaonen nicht mehr wie früher in weit entfernte Konflikte eingriffen, betreuten doch immer noch Priester die traditionellen Schreine und erfreute man sich an der für jeden sichtbaren Herrlichkeit der Pyramiden und der vielen anderen Denkmäler der Vergangenheit. So waren es gerade die früheren Erfolge, die die ägyptischen Eliten davon abgehalten haben mögen, an Reformen zu denken. Sicher, sie wurden von ausländischen Königen

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beherrscht, aber so etwas war auch früher schon vorgekommen, und die ägyptische Zivilisation hatte sie noch immer am Ende entweder aufgenommen oder aus dem Land gejagt. Die alten Götter würden wieder die Oberhand gewinnen, wenn man ihnen genügend Zeit ließ und die Bevölkerung sie in religiöser Hinsicht genügend unterstützte. In Mesopotamien war der Norden weiterhin stark und besaß auch in der ersten Hälfte des neuen Jahrtausends erfolgreiche Könige in Assyrien; danach erblühte die Zivilisation der Babylonier, Mitte des 5. Jhs. v. Chr., zu einer Zeit, als in anderen Regionen das Gedankengut der Achsenzeit ihre größte Wirkung entfaltete. Die politischen Erfolge könnten den Gedanken an die Notwendigkeit von Reformen in den Hintergrund gedrängt und dafür gesorgt haben, dass in Mesopota­ mien Abweichler gar nicht erst ein Forum erhielten – geschweige denn Anhänger, die ihre Worte weitertrugen. Eine interessante Ausnahme könnte der letzte unabhängige König von Babylon gewesen sein – Nabonid, der von 556 bis 539 v. Chr. regierte und von den Persern entmachtet wurde. In Babylon galt er unter den Priestern als geisteskrank, weil er nicht an ihren Zeremonien teilnahm, wie es die Tradition verlangte. Stattdessen schien er in ungewöhnlichem Maße den Gott des Mondes anzubeten; seine bemerkenswerte Mutter war Priesterin des Mondgottes gewesen, in der Stadt Harran, ganz im Nordwesten des Reichs, in der heutigen Türkei. Er ließ den dortigen Tempel mit großem Tamtam wiederaufbauen, scheint sich aber um die alten Götter nicht in dem Maße gekümmert zu haben, wie es die Priester von ihm erwarteten. Zudem verließ Nabonid Babylonien für mehrere Jahre und lebte mitten in Arabien; er eroberte die Oase Tayma und errichtete dort eine babylonische Stadt. Dieses Verhalten hat man auf verschiedene Weise zu erklären versucht; für verrückt muss man ihn angesichts dieser Erklärungen sicher nicht halten. Vielleicht suchte er in Tayma, einem alten Zentrum für die Verehrung des Mondes, die Nähe des Mondgottes; aber wenn dem so war, warum unterdrückte er dann auf so brutale Weise die einheimische Bevölkerung? Vielleicht suchte er aber auch nur nach einer südlichen Handelsstraße für Kamelkarawanen, um die Zölle zu umgehen, die die Perser im Norden des Nahen Ostens erhoben. Er interessierte sich für den Aufbau der Stadt Ur, weit im Süden, die zu jener Zeit vielleicht noch am Persischen Golf lag. Nabonid selbst schrieb, er sei der Hungersnot in Babylon aus dem Weg gegangen, indem er mit seinem gesamten Hofstaat die Stadt verlassen habe; aber zieht man in die Wüste, um einer Hungersnot zu entgehen? Vielleicht war er auf der Suche nach einem neuen Konzept für die mesopotamische Religion. Wie dem auch sei: Weil viele der Texte, die wir über ihn besitzen, von seinen Feinden (den babylonischen Priestern und den Persern) verfasst wurden, hielt sich das Gerücht, er sei wahnsinnig gewesen.

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Das Buch Daniel in der Bibel projizierte Nabonids Geisteszustand auf seinen berühmteren Vorgänger, Nebukadnezar. Dort wird behauptet, der babylonische König sei geheilt worden, indem er zum jahwistischen Monotheismus konver­ tierte – ein äußerst unwahrscheinliches Vorgang, der aber immerhin einen Wunsch nach neuen Denkweisen widerspiegeln mag. In den Schriftrollen vom Toten Meer gibt es ein Gebet von Nabonid, das beweist, dass jüdische Schreiber das Motiv des Wahnsinns durchaus auch mit richtigen babylonischen König in Verbindung brachten. Da Nabonid weder erfolgreiche Jünger hatte noch Schriften hinterlassen hat (von den kaum verständlichen Königsinschriften abgesehen), hatte sein Denken keinen Einfluss auf spätere Zeiten, geschweige denn, dass es an den Ansichten der Mesopotamier über ihre Gesellschaft oder ihre Götter irgendetwas geändert hätte (Beaulieu 1989; Vermes 1987: 274). Echnaton war da schon ein besserer Kandidat für die Reihe der Vordenker der Achsenzeit; immerhin versuchte er die Religion zu reformieren, und das bereits 850 Jahre vor den anderen Reformern. Allerdings teilte er nicht deren Sorge um das Individuum als unabhängigen Akteur, sich selbst natürlich ausgenommen. Diese Unterscheidung scheint wichtig, weil er die Ansicht vertrat, dass die traditionelle ägyptische Religion nicht ausreichte, um auf angemessene Weise in dieser Welt zu leben, ganz ähnlich den späteren Intellektuellen. Wie im Falle Nabonids gilt, dass seine Schüler, falls er welche hatte, in der Verbreitung seiner Ideen nicht gerade erfolgreich waren. Einige moderne Forscher haben vorgeschlagen, dass man auch andere, spätere Reformer zu den herausragenden Persönlichkeiten der Achsenzeit hinzuzählen sollte, beispielsweise Jochanan ben Sakkai, den geistigen Führer des Judentums nach der Zeit des zweiten Tempels, sowie Jesus und auch Mohammed. Von ihrer Originalität her könnte man dem durchaus zustimmen, und alle drei betonten hartnäckig die Bedeutung des Individuums und individueller Entscheidungen im gottgefälligen Handeln; ebenso deutlich erkannten sie, dass frühere religiöse Vorstellungen unvollkommen waren und reformbedürftig. Und doch war keiner von ihnen in seiner Lehre so innovativ wie die früheren Denker; sie führten lediglich die Grundlagen weiter aus, die in der Achsenzeit geschaffen worden waren und deren Folgen heute noch spürbar sind. Ein Aspekt, der all diese Denker außer Echnaton und Nabonid eint, war die Überzeugung, dass das richtige Denken und Handeln nicht von den Regierungen abhing, ja dass es tatsächlich sogar besser ohne die Einmischung von Autoritäten verwirklicht werden konnte. Daher waren die daraus resultierenden Traditionen allesamt beweglich und leicht adaptierbar; vor allem waren sie nicht auf bestimmte Dynastien beschränkt. Sie reisten mit ihren Adepten mit, die sich frei von weltlichen Bindungen fühlten und freimütig weltliche Angelegenheiten kritisierten.

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Auf Grundlage dieser Traditionen wurden später autoritäre Strukturen errichtet, vor allem im Christentum, wo der Bischof von Rom, dem Zentrum des Römischen Reichs, die dominante Rolle spielte; in den anderen Traditionen war dies kein so prominentes Merkmal. Und selbst das Christentum war in der Lage, politische Strukturen aufzubrechen, und zwar schon bevor die Reformation die päpstlichen Bande sprengte. Das Denken der Achsenzeit machte sich nicht überall breit, nicht einmal überall dort, wo schon eine Schriftkultur bestand. Die meisten Ägypter und Babylonier sahen keine Notwendigkeit, an ihrer Religion etwas zu ändern. Doch ab dieser Zeit traten immer wieder Anhänger der verschiedenen Vordenker der Achsenzeit auf den Plan und wussten bestimmte Ereignisse wie auch das menschliche Dasein überhaupt auf eine Art und Weise zu erklären, die ihre Mitmenschen zunehmend plausibel fanden. Es sind ihre Gedanken, die bis heute unser Denken prägen. Als er den Begriff „Achsenzeit“ aus der Taufe hob, glaubte Jaspers, dass in jener Epoche das moderne Bewusstsein bzw. das moderne Individuum entstanden sei. Dies erscheint uns heute eher unwahrscheinlich, denn sicherlich gab es schon immer und in jeder Tradition abweichende Meinungen. Was indes neu war, war ein systematischer Dissens, der breite Akzeptanz fand und der im Herzen dieser Traditionen gedankliche Zeitbomben platzierte, die jeden Moment explodieren und neue Reformwellen auslösen konnten (Armstrong 2006).

Das Problem des Individuums: gerechtes Leiden Das große Interesse am Individuum in der Achsenzeit gemahnt an das vieldiskutierte Problem der Person, die den Wünschen der Götter gemäß zu handeln schien, aber für ihr gutes Verhalten keine Belohnung erhielt. Einige der Texte, die sich mit diesem Problem auseinandersetzen, stammten von vor der Achsenzeit und könnten währenddessen an Relevanz gewonnen haben, denn sie untergruben die Grundidee menschlicher Weisheit, dass man erntet, was man sät, und dass jede Handlung eine Folge hat. Diese Sicht der Dinge gilt im Prinzip heute noch, doch vor allem behaupten die Texte, dass Lohn und Strafe für einen Menschen keine physikalischen Gesetze waren, sondern eher so etwas wie biologische Wahrscheinlichkeiten. Der früheste dieser Texte stammt aus der späten altbabylonischen Zeit. Er heißt „Dialog zwischen einem Mann und seinem Gott“ (Foster 2005: 148–150) und beginnt mit der Zeile: „Ein junger Mann flehte seinen Gott als Freund an.“ Darin beklagt sich jemand darüber, dass er leiden muss, und er vermutet, er habe einen Fehler begangen, weiß aber nicht, was dieser Fehler gewesen sein könne. Der Gott

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greift ein, er „erfreute sein Herz und ordnete an, dass ihm seine Gesundheit ­wiedergegeben würde“. Die Moral der Geschichte war, dass man seinen Gott nie vergessen dürfe. Der Gott wird nicht mit Namen genannt, und es scheint ein persönlicher Gott zu sein, aber in dieser Frömmigkeit steckt auch ein soziales Element, denn der Mann wird angewiesen, „die Vertrockneten zu salben, die Hungrigen zu speisen, den Dürstenden Wasser zu geben“ (Zeilen 62–63). Sicherlich untergrub dieser Text nicht den Gedanken, dass schlechte Taten bestraft wurden, aber vielleicht besaß er Vorbildcharakter in hinsichtlich des korrekten religiösen Verhaltens, und er betonte die Rolle des Individuums. Einer hat gesündigt und liefert sich der Gnade seines Gottes aus; darauf wird er geheilt. Ein späterer Text, „Ich will den Herrn der Weisheit preisen“, birgt ein Akrostichon, das den Namen des Verfassers offenbart, Šubši-mešre-Šakkan („O Šakkan, lass Reichtum existieren!“), von dem wir wissen, dass er zu Beginn des 13. Jhs. v. Chr. ein hoher Beamter am kassitischen Hof war. Obwohl keine Handschriften aus dieser Zeit erhalten sind, könnte der Text selbst dennoch aus dieser frühen Zeit stammen (Foster 2005: 392–409). Šakkan war ein Gott der in der Wildnis lebenden Tiere. Es ist ein langes Gedicht, das Marduk preist, den Gott von Babylon, der im 13. Jh. v. Chr. ein prominentes Mitglied des Pantheons war. Marduk konnte die Gedanken der anderen Götter lesen, sie aber nicht seine (i, 30). Als königlicher Höfling muss der Autor erleben, dass er von anderen beschimpft wird und auch der König ihn nicht begünstigt. Er fürchtet, dass sein Unglück vielleicht daher kommt, dass er nicht versteht, was der Gott wirklich will; vielleicht hat er etwas getan, das Marduk missfallen hat, ohne es zu wissen (ii, 34–35). Bald sind seine Leiden nicht nur sozial, sondern auch physisch spürbar; auch sein eigener Körper scheint ihn abzulehnen, und keine Weissagung kann erklären, woher die Krankheit kommt (ii, 109–111). Schließlich sieht der Leidende im Traum einen jungen Mann, der ihn mit einer wirkungsvollen Beschwörungsformel zu reinigen verspricht (iii). Später taucht im Traum noch eine junge Heilerin auf. Schließlich wird er durch Marduk höchstpersönlich, den Gott, der ihn ins Unheil gestürzt hat, von seinen Leiden befreit. Der genesene Höfling gibt an seinem eigenen Grab ein Fest für die Babylonier, und er betont, dass Marduk einem Menschen das Leben zurückgeben kann und ebenso Marduks Gemahlin, S.arpanitum (iv). Wie schon im vorangegangen Text gibt der Autor nicht dem Gott die Schuld für die üble Bestrafung, sondern ist einfach froh, dass Krankheit und Verzweiflung verschwunden sind. Es gibt einen etwas früheren Text aus Ugarit in Nordsyrien, in dem einige der Klischees aus „Ich will den Herrn der Weisheit preisen“ ebenfalls zu finden sind (Foster 2005: 410–411), was darauf hinweist, dass diese Art Texte zumindest unter Schriftgelehrten eine bestimmte Verbreitung erfuhren.

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Ein Hymnus auf Akkadisch und Sumerisch bat um Hilfe für jemanden, der für eine unbeschreiblich schlimme Sünde bestraft worden war (Foster 2005: 723–724). Auf ähnliche Weise räumt ein weiteres Bittgebet in Form eines Hymnus ein: ­„Jeder Mensch ist ein Hort der Sünde“ (Foster 2005: 724–725, Zeile 14). Ein Gedicht aus dem 1. Jt. v. Chr., die sogenannte „babylonische Theodizee“, beschäftigte sich mit diesen Fragen auf philosophische Weise und versuchte sich an einer verallgemeinernden Aussage über die Rolle des Menschen. Eine verwaister Mann, das jüngste Kind seiner Familie, beklagt sich bei einem Freund, dass er keinen Erfolg hat; der Freund jedoch antwortet: „Ein demütiger Mann, der seine Göttin verehrt, wird Reichtum ernten“ (Foster 2005: 914–922, Zeile 22). Der Leidende behauptet, fromm zu sein, was ihm aber keinen Reichtum eingebracht habe (916). Der Freund sagt, er dürfe sich nicht beschweren, und stellt fest, dass „der Wille der Götter so fern liegt wie das Jenseits“ (Zeile 58). Der Leidende kontert, Belohnung bzw. Bestrafung folgten nicht so auf Frömmigkeit bzw. Frevel, wie sie sollten (917, Zeile 75). Die Diskussion geht weiter, bis der Freund am Ende noch einmal bekräftigt, Frömmigkeit werde belohnt und Gottlosigkeit bestraft, doch der Leidende bestreitet das und schließt mit einem Gebet, in dem er den Gott und die Göttin um „Mitleid“ bittet, vor allem „den Hirten Šamaš“, den Sonnengott, der für Gerechtigkeit zuständig war (922, Zeile 297). In diesem Text akzeptiert der Leidende nicht, dass er für sein Fehlverhalten bestraft wird, auch wenn er nicht ausschließt, dass er gesündigt hat. Der einzige Ausweg ist, die Götter um Mitleid anzuflehen. In dem späten „Dialog des Pessimismus“ untersucht jemand die Vorteile verschiedener Handlungsoptionen, und sein unterwürfiger Sklave stimmt ihm die ganze Zeit zu. Immer wenn der Herr seine Meinung ändert, bestätigt der Sklave diese neue Ansicht sofort (Foster 2005: 923–926). Ein gewisser Relativismus geht von diesem Muster aus, selbst wenn es um religiöse Opfer geht, denn immerhin könnten diese den Gott allzu abhängig von seinem Anbeter machen (925, vii). Und sogar Patriotismus wird abgelehnt, weil er keinen dauerhaften Lohn einbringt (ix). Solche Texte bildeten sicherlich die Grundlage der biblischen Bücher Hiob und Kohelet. Das Buch Hiob stammt eventuell aus der Zeit nach dem babylonischen Exil der Juden, auch wenn es in einer undefinierten Periode vor dem Exil spielt; hier versuchte der Autor möglicherweise, seine Zweifel in der Frage nach Belohnung und Bestrafung durch ein Happy End zu verschleiern (Tsevat 1966). Der Ton des Textes ähnelt auf jeden Fall den mesopotamischen Schriften; auch hier wird die Frage aufgeworfen, ob die Götter automatisch eingreifen oder nicht. Was auch immer das Ende bei Hiob uns sagen soll: Der Gott Israels hatte, genau wie die Götter Mesopotamiens, nichts dagegen, wenn seine Anhänger die Dinge infrage

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stellten. Im Epilog werden Hiobs Freunde ganz eindeutig dafür getadelt und verurteilt, dass sie nicht die Wahrheit gesagt haben; Hiob hingegen hat versucht, die Wahrheit zu sagen. Einen ähnlichen Ton schlägt der ägyptische Text „Gespräch eines Lebens­ müden mit seiner Seele“ an, den man als Dialog zwischen einem Mann und seinem ba, seinem fortdauernden Geist, verstanden hat (Simpson 2003: 178–187). Der poetische Text stammt aus dem Mittleren Reich (1975–1640 v. Chr.) Gewiss ist der Mann deshalb seines Lebens müde, weil es in der Welt so viel Ungerechtigkeit gibt. Am Ende jedoch kommt es nicht zu einer Versöhnung mit den Göttern, vielmehr rät der Text dazu, das Leben und seine Möglichkeiten zu genießen, auch wenn die Dinge noch nicht so perfekt sind, wie es sich die Ägypter für die Zeit nach dem Tod vorstellten. Diese Texte erinnern uns daran, dass in den Gedankengebäuden des alten Orients schon sehr früh die Bedeutung des Individuums betont wurde; in den Vordergrund trat sie aber wohl erst im 1. Jt. v.  Chr., als ungünstige politische und klimatische Bedingungen es wichtiger erscheinen ließen, die Frage nach der Gerechtigkeit aufzuwerfen. Zu Beginn der Geschichte von Hiob spricht Satan aus, was viele Intellektuelle dachten: „Ist Hiob umsonst gottesfürchtig?“ (Hiob 1,9). Ganz gleich, ob jemand, der Widrigkeiten erlitt, selbstgerecht war und sicher, dass er nichts falsch gemacht hatte, wie Hiob, oder ob er ein erbärmlicher Sünder war, wie in den mesopotamischen Texten – er sollte den Göttern gegenüber ehrfürchtig sein (auf Akkadisch: „voll Angst“), selbst wenn er dafür niemals belohnt würde. Dies wurde zur bevorzugten Rolle des Menschen in der Achsenzeit; der Schwerpunkt lag nun und in der Folgezeit auf dem Individuum und seinem Verhalten. Zuvor war die Verantwortung der gesamten Gemeinschaft von größerer Wichtigkeit gewesen, doch obwohl die Menschen in den alten Städte stolz auf ihre kommunalen Rechte waren und froh darüber, der Steuern und Arbeitspflichten enthoben zu sein, wurde das Individuum zum wichtigsten Faktor in den Gedankengebäuden des 1. Jts. v. Chr. (Snell 2005b). Diese Texte verkörpern an sich zwar nicht die Entwicklungen der Achsenzeit, aber sie scheinen eine Voraussetzung für sie gewesen zu sein, auch wenn die meisten aus Mesopotamien stammten, wo es in der Achsenzeit in dieser Hinsicht gar keine einflussreiche Persönlichkeit gab. Sie stellten das Leben und das Denken des Individuums in den Vordergrund, und sie vertraten die Annahme, es sei das individuelle Leiden, das den Göttern und allem anderen gegenüber zählte. Besonders im 1. Jt. v. Chr. sah sich die sonnige Gewissheit der früheren Traditionen scharfen Angriffen ausgesetzt, aber es hat sicherlich schon immer Intellektuelle gegeben, die die optimistischen Lesarten der Realität anzweifelten, so attraktiv sie auch schienen. Durch die (zumindest vorübergehende) Absage an die

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Macht und den Erfolg von Zaubersprüchen, Beschwörungen und anderen traditionellen Mitteln, mit denen man den Willen der Götter in Erfahrung brachte, stellten diese Texte zwar nicht direkt die Götter und ihre Macht infrage, aber sie unterminierten zumindest bei einigen andersdenkenden Schriftgelehrten das Vertrauen in die Tradition. Frühere Denker bezogen die Gemeinschaft nicht notwendigerweise in ihre Gedanken mit ein. In Hammurabis Gesetzen zog man zwar eine ganze Stadt, in deren Nähe ein Raub begangen worden war, zur Verantwortung (Roth 1997: 23, 83), aber es ist kaum wahrscheinlich, dass dies implizierte, die Verantwortlichen hätten sich nicht selbst als Individuen wahrgenommen, mit ihrem eigenen Leben, für das sie selbst verantwortlich waren. Dennoch ging es bei den Entwicklungen der Achsenzeit expliziter um die Grenzen dessen, was der Mensch mit seinem Verstand zu erfassen vermochte, und darum, für die empirische Beobachtung offen zu sein, dass das Gute nicht immer belohnt wurde und das Böse nicht immer bestraft. Diese Erkenntnisse machten den Weg frei für eine neue Feinsinnigkeit in der altorientalischen Tradition; sie sorgten dafür, dass sich diese Tradition in der Zukunft nicht mehr nur darin manifestierte, dass jemand einem versicherte, wie erstrebenswert es sei, den menschlichen Vertretern der Götter und des Staates zu gehorchen. Die versprengten Beispiele nonkonformistischer Literatur werden kaum bedeuten, dass Könige und Priester an Macht und Legitimität verloren hatten, aber sie zeigen, dass es auch andere Möglichkeiten gab, die Welt zu sehen. Es sprach sich herum, dass die traditionelle Religion mit ihren Opfern vielleicht nicht ausreichte, um das Individuum von Sünde und Krankheit zu befreien.

Der gute und der böse Gott Nur Religionen wissen, wie man mit dem Tod umgeht. Dazu wurden sie zweifellos erfunden. – André Malraux, Lazarus, 1977: 114

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ine einfache Idee, dachte der alte Mann, ist eine gefährliche Sache. Die Leute mögen mich nicht, und sie mögen es nicht, wenn man ihre alten Götter kritisiert. Sie wollen, dass alles genauso weitergeht wie bisher, aber wenn man genau über die Welt nachdenkt, ist das unmöglich. Die vielfältigen Probleme, die die albern große Zahl der Götter mit sich bringt, sind so deutlich, dass sie nur ein Narr zu beschönigen in der Lage wäre. Doch wie es schien, lebte er nun einmal unter Narren, und seine Rolle als Priester machte die Sache nicht einfacher. Noch immer kamen die einfachen Menschen zu ihm und baten ihn, sie zu heilen und die Omen zu befragen. Er hatte keine Lust mehr, ihnen zu erklären, wie begrenzt und ärmlich seine eigene Macht wirklich war. Natürlich war es verlockend, sie anzulügen, aber das war das Gegenteil der Wahrheit, und der alte Mann hatte sein Leben lang für die Wahrheit und gegen die Lüge gekämpft. In Wahrheit gab es das Böse und das Gute, und beides fand sich überall und konkurrierte miteinander um den Geist der Menschen. Dessen war er vor vielen Jahren zum ersten Mal Zeuge geworden, und er war der vielen Wiederholungen überdrüssig. Er betrat das Heiligtum des Feuers, in dem die heilige Flamme brannte, verbeugte sich, bis er den Boden berührte, und begann sein altes Gebet an den mächtigen Herrn, der die Menschen zur Wahrheit führen konnte. Dabei hielt er sich seinen Mantel vor den Mund, damit er das reine Feuer nicht verschmutzte. Von draußen drangen Geräusche herein, wie von einem Tumult. Er hatte sie erst gar nicht bemerkt, nun aber vernahm er ganz deutlich das Klirren von Schwertern und die Laute sterbender Pferde. Er wandte sich um und sah zur Tür hinüber. Ein seltsamer, ein wenig asiatisch aussehender Mann stürmte herein, sein Schwert blutig. Er ging zum betenden Propheten und schlug ihm in einer einzigen Bewegung den Kopf ab. Dann sah er sich um, bemerkte, dass hier nicht viel zu holen war, wandte sich um und stürmte wieder hinaus. ***

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So lautet die traditionelle Erzählung vom Tod des Zarathustra, der im Alter von 77 Jahren starb (Yamauchi 1990: 419). Es bringt wenig, sich darüber zu beklagen, wie wenig wir über Zarathustra wissen. Zwar war seine Situation für den alten Orient nicht allzu ungewöhnlich, aber die spätere Bedeutung von Ideen, die ihm zugeschrieben werden, lässt uns dennoch wünschen, wir hätten wenigstens ein paar Hinweise darauf, unter welchem Herrscher er lebte, so wie in den Schriften der biblischen Propheten. Auch jene Daten laden dazu ein, sie anzuzweifeln, aber zumindest sind sie eine Diskussionsgrundlage. Für Zarathustra haben wir nicht einmal das. Mag sein, dass Zarathustra bereits um 1000 v. Chr. lebte, vielleicht aber auch erst um 500 v. Chr.; seine Äußerungen wurden mündlich tradiert und erst viel später aufgeschrieben, ähnlich dem christlichen Neuen Testament. Wie bei jedem Kanonisierungsprozess kann es durchaus ein, dass dabei auch spätere Gedanken interpoliert wurden, und erst nach 520 v. Chr. erwähnten persische Könige Ahura Mazda in ihren Inschriften. Ahura Mazda war der „weise Herr“, eine der beiden schöpferischen Gottheiten im zarathustrischen System (Kent 1953: 116–157). ­Dieses war nicht monotheistisch, denn ein zweiter Herr, Ahriman, war stets präsent; ihm unterstanden alle bösen Geister. Ahura Mazda war der Herr über an­dere Geister, solche, die den Menschen Gutes taten. Das zarathustrische Gedankengebäude griff das grundlegende Logikproblem des Monotheismus an: die Existenz des Bösen in einem System, in dem es nur einen einzigen schöpferischen Gott gibt. Das Judentum postulierte, von seinem Gott gingen das Gute wie das Böse aus; anders der Zarathustrismus, der einen ewigen Kampf zwischen den Gegensätzen postulierte – Wahrheit und Lüge, Licht und Dunkelheit, Ordnung und Unordnung. Die Rolle des Individuums war demnach, sich dem guten Gott anzuschließen und auf seinen Schutz zu vertrauen. Das Böse war spürbar und bedrohlich, und die Anhänger des Zarathustrismus glaubten nicht, dass gute Menschen immer den Schutz fanden, den sie benötigten, aber sie waren der Ansicht, dass es stets das Beste für den Einzelnen war, das Gute zu erstreben. Tatsächlich bringen die zarathustrischen Texte zum Ausdruck, dass gute Menschen nicht reich werden (Skjaervo 2005: 20). Unklar ist, welche Verbindungen zwischen dieser Tradition und der früheren iranischen Religion bestehen. Die Letztere war vermutlich ein Polytheismus ähnlich dem später unter den Sprechern anderer indoeuropäischer Sprachen auf dem indischen Subkontinent verbreiteten Hinduismus. Im frühen Iran gehörten Tieropfer zu den zentralen Aufgaben der Haushaltsvorstände, und ein Ziel war die rituelle Reinheit; die Götter nahmen keine Opfer von Menschen an, die nicht rituell rein waren. Rituelle Reinheit darf man dabei nicht mit persönlicher Hygiene verwechseln; sie bedeutete wahrscheinlich Enthaltsamkeit von einigen üblichen Gepflogenheiten.

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Es scheint, als habe Zarathustra die meisten dieser Konzepte abgelehnt, aber er behielt den rituellen Gebrauch berauschender Getränke bei, der ein wichtiges ­Element der früheren Tradition gewesen war. Er duldete die Priesterschaft, die wahrscheinlich schon vor ihm existiert hatte und deren Vertreter die spätere ­Tradition als Magier bezeichnete, die aber wenig Magisches besaßen. Den Propheten stellte man dennoch als Reformer dar, der versuchte, die Religion zu ordnen und so zu vereinfachen, dass sie nicht nur denjenigen zugänglich war, die sie aktiv praktizierten, sondern allen. Der Prophet sah seine Feinde als Verkörperungen des bösen Gottes an, und seine Vision der Zukunft war, dass sich der Konflikt zwischen Gut und Böse immer weiter verschärfen würde, bis am Ende der gute Gott den Sieg davontrüge. Sein Glaube war keiner der Kontemplation im stillen Kämmerlein, sondern ein Aufruf, aktiv zu werden und an sich zu arbeiten. Wie die früheren indoeuropäischen Traditionen sah Zarathustra das Feuer als reinigendes Element an, und die ihm nachfolgenden Gläubigen verehrten das ­Feuer. Seine Anhänger glaubten, dass sie es nicht durch Leichname verunreinigen dürften – ebenso wenig allerdings den Erdboden; daher legten sie ihre Toten einfach in die Sonne und ließen der Natur (und aasfressenden Tieren) ihren Lauf, bis nur noch die Knochen übrig waren, die man dann begrub. Zum Zeitpunkt, als die persischen Könige seine Tradition zu ihrer Staatsreligion machten, war der Prophet wahrscheinlich bereits tot. In einem polytheistischen Kontext ist sein Ansatz höchst ungewöhnlich, und die persischen Könige scheinen diesen Aspekt in ihrer Staatsreligion nicht besonders betont zu haben, wenn sie überhaupt tatsächlich Anhänger des Zarathustrismus waren (Jacobs 2006: 214, 219). Die persischen Könige beherrschten nach 539 v. Chr., als sie Babylon einnahmen, beinahe den gesamten Nahen Osten – ihr Reich war multikulturell geprägt, und ihre öffentliche Haltung gegenüber anderen Religionen war eine sehr tolerante. Wahrscheinlich hatten sie sich schon ausgerechnet, dass sie für den Zarathustrismus nicht allzu viele Menschen würden begeistern können, und entschieden daher, sämtliche existierenden Religionen zu unterstützen, zumindest per Lippenbekenntnis. Geschichten über den Wiederaufbau des jüdischen Tempels haben wir lediglich aus jüdischen Quellen, aber sie scheinen im Großen und Ganzen mit anderen Befunden über die persische Religionspolitik übereinzustimmen. Mag sein, dass die persischen Könige dem jüdischen religiösen Establishment nicht wirklich große Summen aus ihren Steuereinnahmen zur Verfügung stellten, wie Esra 6,8 zum Ausdruck bringt; es ist aber durchaus vorstellbar, dass ihnen daran gelegen war, so viel von der assyrischen und neubabylonischen Abschiebepolitik zurückzunehmen, wie praktikabel war und wie es die Völker sich wünschten, die über Jahrhunderte

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­ inweg verdrängt und vertrieben worden waren. Die meisten Menschen, die in den h neuen Ländern geboren worden waren, wollten sie sicher nicht verlassen, und es kostete die Perser nicht viel, die allgemeine Bewegungsfreiheit zu unterstützen. Im Falle der Juden blieb wahrscheinlich eine viel größere Zahl von ihnen in Babylonien als in das Land Israel zurückkehrten; Babylon blieb über Jahrtausende ein Zentrum jüdischen Lebens und Wissens – bis zur Gründung des Staates Israel im Jahre 1948, als die Juden den Irak in großer Zahl verließen. Auch wenn seine Orthodoxie umstritten war, blieb der Zarathustrismus bis zur Ankunft des Islam in der 650er Jahren n. Chr. die dominierende Religion im Iran; danach verlor er nach und nach an Bedeutung. Wir wissen durch spätere Texte und auch durch die dynastische Geschichte der persischen Könige der Spätantike von Auseinandersetzungen über die Bedeutung des Zarathustrismus. Nachdem die Perser in den 330er Jahren v. Chr. durch Alexander den Großen besiegt worden waren, regierten griechische Könige die Region, die um 247 v. Chr. wiederum durch lokale Dynasten ersetzt wurden – die Parther, die von Arsakes I. abstammten und deren Dynastie man daher die Arsakiden, „Söhne des Arsakes“, nennt. Eventuell sahen sich die Arsakiden als Bewahrer des zarathustrischen Glaubens, wenngleich unter ihnen auch andere iranische Traditionen weiter ausgeübt wurden. Diese Fürsten waren Gegner des Römischen Reichs an dessen Ostgrenze. Die Arsakiden wurden etwa 224 n. Chr. von einer Dynastie abgelöst, die aus dem Südwesten des Irans kam, den Sassaniden, die sich als Verteidiger des wahren Zarathustrismus verstanden. Auch zu dieser Zeit wurden noch weitere Götter angebetet, wichtig blieb vor allem die alte Göttin Anahita. Keine der beiden Dynastien hinterließ viele Inschriften, was es uns heute erschwert, in den Traditionen der Dynastien unterschiedliche Schwerpunkte auszumachen (Schippmann 1990: 92–97). Interessant ist der Ratschlag, den ein sassanidischer König seinem Sohn mit auf den Weg gab und der in einem Manuskript in arabischer Sprache überliefert ist. Darin geht es um die Vermischung von staatlichen und religiösen Instanzen: Wisse, mein Sohn, dass Kirche und Staat Zwillinge sind und dass die eine nicht ohne den anderen existieren kann. Denn die Religion ist die Grundlage des Staates, und der König ist der Hüter der Religion. Beachte die Bedürfnisse religiöser Menschen. Wenn du sie vernachlässigst und unterdrückst, wird sich aus den Reihen der religiösen Menschen, die du tyrannisiert, ihrer Rechte beraubt und gedemütigt hast, ein geheimer Führer hervortun (Frye 2000: 22, zitiert Grignaschi 1966: 49).

Dies scheint eine Spannung zwischen weltlichen und religiösen Autoritäten anzuzeigen; eine ironische Note erhält die Passage dadurch, dass sie die iranische Revolution 1979 vorwegzunehmen scheint.

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Als die Muslime auf den Plan traten, sahen sie den Zarathustrismus als heidnische Anbetung des Feuers an und beschäftigten sich nicht weiter mit den Einzelheiten. In demographischer Hinsicht konvertierte der Iran schneller zum Islam als beispielsweise Syrien, der Irak oder Ägypten, falls die späteren biographischen Wörterbücher hier Aussagekraft besitzen (Bulliet 1979). Der Zarathustrismus hörte jedoch nicht auf zu existieren. Heute lebt im Iran noch immer eine zarathustrische Minderheit und ebenso in Indien, die sogenannten Parsen (wörtlich: „Perser“). Spätere Entwicklungen und Kontakte mit dem Islam und dem Christentum haben den indischen Zarathustrismus zunehmend monotheistisch geprägt, und einige heutige Parsen behaupten, dass diese Neigung seit jeher bestanden habe (Yamauchi 1990: 395–466). Der entscheidende Beitrag des Konzepts Zarathustras war der Dualismus, die Behauptung, es gebe einen guten Gott und einen bösen Gott; dies war auch für expliziter monotheistische Traditionen ein attraktiver Aspekt. Im Bestreben, seine eigene religiöse Tradition zu vereinfachen, postulierte der iranische Prophet zwei große Gruppen göttlicher Wesen und schob die Existenz des Bösen auf das Fortbestehen beider Gruppen. Die Mechanismen, mit deren Hilfe dieses Konzept auf die monotheistischen Traditionen ausstrahlte, sind nicht bekannt, aber es scheint, dass gegen Ende des 1. Jts. v. Chr. der Kontakt mit den zarathustrischen Überzeugungen zur Entstehung des Manichäismus führte, einer zunächst jüdischen und dann christlichen Irrlehre, die im Irak blühte und die Macht eines bösen Gegners des monotheistischen Gottes als viel größer ansah als frühere Denker. Seinen Namen hatte der Manichäismus von einem seiner frühen Lehrer, Mani, den man angeblich den „Lebendigen“ nannte, auf Aramäisch: h.ayya’. Nach 240 n. Chr. wurde er unter einem sassanidischen König zum Märtyrer (Asmussen 1969). Im Buch Hiob gehörte „Satan“ zu Gottes Gericht und galt wahrscheinlich als gegnerischer Anwalt oder Vertreter der Anklage; an anderen Stellen der Bibel ist er einfach ein „Feind“. In Schriften, die nach dem jüdischen Bibelkanon entstanden, wurde diese Figur mächtiger, und wenngleich man weiterhin glaubte, dass Gott alles erschaffen hatte, sprach man dem Bösen doch große Macht zu. Das Lukasevangelium zeigt sich besorgt: „Die aber an dem Wege sind, das sind, die es hören; darnach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf daß sie nicht glauben und selig werden“ (8,12). Spätere monotheistische Intellektuelle hielten diesen Dualismus für falsch, da er Gott eines Teils seiner Macht beraubte; dennoch hatte es etwas Beruhigendes zu glauben, dass ein Teil des Bösen, das einen umgab, Ursachen hatte, die bis zum Beginn der Welt zurückgingen. Im Neuen Testament sieht die frühchristliche ­Gemeinde den Teufel als listigen Gegner der Absichten Gottes, dem man nur schwer beikommen konnte. Und das dachten nicht nur die Christen: Bereits bei

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den Gemeinden am Toten Meer und anderen jüdischen Denkern war die Welt aufgeteilt zwischen Gut und Böse, und die Wahl des Individuums war entscheidend dafür, dass sich das Gute durchsetzte – nicht nur in dieser Welt, sondern auch im Jenseits (Bianchi und Stoyanov 2005). Ein weiterer Aspekt zarathustrischen Denkens war das Jüngste Gericht, das man sich als eine Art Feuerprobe am Ende der Zeit vorstellte. Es wäre der ultimative Triumph des guten Gottes und sein Sieg über den bösen Gott. Der Prophet rief jeden einzelnen Menschen dazu auf, selbst zum Erlöser zu werden und in der finalen Schlacht auf der Seite des Guten zu kämpfen (Boyce 1992). Die ultimative Belohnung war die Auferstehung der Toten, ein Konzept, das sich für spätere Traditionen als attraktiv erwies (Boyce 1979: 29). Die dualistischen Konzepte galten für die Orthodoxien des Judentums, des Christentums und des Islam als ketzerische Verzerrungen der tatsächlichen Position des Bösen, das zwar als real akzeptiert wurde, dessen Macht aber keinesfalls als so groß anzusehen war wie die des einen Gottes. Dennoch fasziniert diese Sichtweise die Menschen seit Jahrtausenden, vor allem solche, die das Gefühl ­haben, sie seien das Opfer einer Kraft, die so groß ist, dass sie ihr kaum etwas entgegenzusetzen haben. In einigen Fällen führte dies zu einer quietistischen Resignation, die Leidenden Trost schenkte. Orthodoxien haben per Definition eine gewisse Macht, und das war der Grund, warum sie das zarathustrische Konzept ablehnten. Stattdessen zogen sie den Gedanken vor, dass jeder Einzelne gegen das Böse in der Welt eine ganze Menge tun konnte.

Die Länder des Baal Selbst alle fernen Fremdländer erhältst du am Leben, hast du doch einen Nil an den Himmel gesetzt, dass er zu ihnen herabkomme und Wellen schlage auf den Bergen, wie das Meer, um ihre Felder zu befeuchten mit dem, was sie brauchen. – Aton-Hymnus, in Hermann A. Schlögl, Das Alte Ägypten, 2006: 231

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ie Mütter waren aufgewühlt wie immer, aber was zu tun war, musste getan werden. Die weiß gekleideten Priester nahmen dem unwilligen jungen Vater den Neugeborenen aus den Armen. Der Säugling wachte auf, als der Priester ihn emporhielt und sich zur Gemeinde umdrehte. Nackt, wie er war, konnten alle sehen, dass es ein gesunder Junge war. Der Säugling fing an zu weinen, und die alten Frauen, die der junge Vater, noch keine zwanzig, mitgebracht hatte, taten es ihm nach. Der Priester trug den Säugling schnell zum hohen Altar, wo die Flammen bereits am Holz zu züngeln begannen. Früher hatte man die Säuglinge einfach so, lebendig, auf den Scheiterhaufen gelegt, aber dieser Priester war geschickt und wusste, wie er es anstellen musste, damit es nicht zu schrecklich für die Anwesenden werde. Er hatte ein kleines Messer in seinem Ärmel versteckt, und als er nahe ans ­Feuer trat, schnitt er dem Kind gekonnt und ohne ein Geräusch die Kehle durch, bevor er es aufs Feuer legte. Binnen Minuten war das Fleisch weggebrannt. Später sammelte man seine Gebeine auf und begrub sie in aller Stille, zusammen mit denen der anderen. Der Priester mochte diese Tage nicht besonders, an denen die Opfer stattfanden, aber er verstand, warum sich die jungen Paare zu diesem Schritt entschlossen. Die Hälfte der Kinder, die zur Welt kamen, starb im ersten Jahr, warum sollte man sich also nicht des Schutzes des Gottes, der über die Stadt herrschte, vergewissern, indem man seinen Erstgeborenen gab? Es war ein relativ kleines Opfer, und auch wenn viele Leute es nicht mochten und sich auch nicht alle Paare dazu durchrangen, hatte der Priester das Gefühl, dass es ein Akt war, der ihnen den Segen jenes Gottes einbringen würde, wenn nicht bereits mit dem nächsten Kind, dann doch zumindest auf lange Sicht. ***

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So muss es zugegangen sein, an der Küste des heutigen Libanon und rund um das Mittelmeer, wo die Städte im 1. v. Chr. Kolonien errichteten. Ihre Feinde verspotteten sie deshalb, und die Propheten Israels regten sich sehr darüber auf, als sie dieser Sitte gewahr wurden, aber allein das musste bedeuten, dass irgendetwas, das für eine erfolgreiche Geburt und Kindheit sorgte, für Väter und Mütter ­äußerst attraktiv war in einer Zeit, in der die Säuglingssterblichkeit wesentlich höher war als heute, ganz gleich wohin in der Welt wir schauen. In der Antike war der westliche semitischsprachige Kulturraum die meiste Zeit über Teil des größeren mesopotamischen Raums. Ebla in Westsyrien war der ­erste Ort, an dem man eine semitische Sprache mit Keilschrift niederschrieb, und auch wenn sich diese Sprache beim Übergang ins 2. Jahrtausend verändert haben mag, blieben in der Region ähnliche Sprachen und, noch wichtiger, kulturelle Traditionen bestehen. Wie einzigartig Ebla kulturell war, wurde im Laufe des 2. Jts. v. Chr. immer deutlicher; hier experimentierte man mit Schriftsystemen und möglicherweise auch mit anderen Arten von Institutionen. In dieser Region – dem heutigen Syrien, Libanon, Israel und Jordanien – waren die Menschen für ihre Landwirtschaft auf Regen angewiesen, und der Regengott, den man einfach Baal, „Herr“ oder „Besitzer“, nannte, war der Anführer des Pantheons. In den mythischen Geschichten lebte er in den Bergen, an denen die vom Mittelmeer kommenden Wolken abregneten und dafür sorgten, dass das Land um sie herum ein wenig vom lebensspendenden Nass erhielt. Die religiöse Situation in Ebla scheint sich damals, in der späten frühdynastischen Zeit um 2400 v. Chr., von der in Südmesopotamien deutlich unterschieden zu haben. Die Bewohner Eblas lebten von intensiver Schafzucht und der Verarbeitung der daraus gewonnenen Textilien. In den umfangreichen Texten aus Ebla werden (zumindest aus unserer Perspektive) drei Arten von Göttern erwähnt. Es waren Götter, die man aus dem südlichen Mesopotamien kannte, wie Enki, der „Erdenherr“, und Aštar, die südmesopotamische Version von Ištar, der Göttin der Liebe und des Kriegs. Es gab auch Götter, die später in den Vordergrund rückten, damals im Süden des Irak aber nicht so prominent waren, wie die vielen „Herren“ verschiedener Orte, die später zu einem „Herrn“ zusammengefasst wurden, sowie den Gott Rašap oder Rešef, einen Gott der Wüste, der Dürre und der Zerstörung, ein Krieger, der mit dem Tod assoziiert wurde. Dann gab es Götter, die in keine dieser Kategorien passten, obgleich sie die Mehrheit der erwähnten Götter ausmachten (Pomponio und Xella 1997: 313–315, 527–538). Der wichtigste Gott in Ebla, sowohl was die Menge an Material betrifft, das mit seiner Anbetung zu tun hat, als auch hinsichtlich der Spuren in Personennamen, war der bis dato unbekannte Gott Kura, der offenbar insbesondere für den König und seine Familie zuständig war. Weil er der einzige Gott in Ebla war, den man in

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Namen als „Vater“ bezeichnete, waren seine väterlichen Merkmale von besonderer Relevanz. Seine Gattin, Barama, kannte man ebenfalls nur hier. Als Nächste in der Rangliste scheinen Adda (später Adad oder Hadad), der Gott der Stürme, ­sowie der Gott Nidabal gekommen zu sein, der zwar gut belegt ist, für dessen ­Namen wir aber keine gesichere Lesart besitzen (deshalb schreibt man das zweideutige Element in Großbuchstaben). Beschwörungsformeln aus Ebla implizieren diverse nichtsumerische Götter, die eher die lokale Tradition widerzuspiegeln scheinen als die mesopotamische (Pomponio und Xella 1997: 52–54, 83–88, 247, 285–288; Xella 1988: 352; Younger 2009). Obwohl die Texte aus Ebla auf das 25. Jh. v Chr. datiert werden müssen und in den meisten syrischen Stätten erst wieder tausend Jahre später schriftliche Zeugnisse auftauchen, scheint es dennoch einige Kontinuitäten gegeben zu haben, vor allem mit der Stadt Ugarit. Man betete nicht nur immer noch einige derselben Götter an, sondern es gab an beiden Orten die Sitte, königliche Vorfahren mit Opfern zu ehren (Xella 1988: 354–358). Ugarit war ein Handelszentrum nahe der syrischen Küste; man hat dort Keilschrifttexte aus der Zeit von 1400 bis 1200 v. Chr. gefunden. Die Stadt gehörte zum politischen Einflussbereich der Hethiter, aber in religiöser Hinsicht ging es nicht besonders hethitisch zu. Die Stadt ist vor allem wichtig aufgrund der Vielzahl an Schriftsystemen, die dort verwendet wurden, und diese Vielfalt ermöglicht uns einen Einblick in die religiösen Traditionen verschiedener Kulturen. Neben hethitischen Texten gab es in Ugarit auch solche auf Sumerisch und Akkadisch, die meisten davon waren Kopien, die im Rahmen der Schreiberausbildung angefertigt wurden, aber Akkadisch war auch die offizielle Sprache für die Aufzeichnung von Rechtsgeschäften. Es gab auch Texte auf Hurritisch, was vielleicht daran lag, dass es in früherer Zeit in der Gegend viele Menschen gab, die Hurritisch sprachen. Es gibt auch Texte in einer Schrift aus Zypern, offenbar knappe wirtschaftliche Aufzeichnungen, doch leider ist diese Schrift noch nicht entziffert worden. Besonders interessant ist die Schrift, die man verwendete, um die örtliche Sprache zu schreiben, eine Abart des Westsemitischen, die wir Ugaritisch nennen. Diese Sprache hatte linguistische Affinitäten sowohl zum später im Süden gesprochenen Hebräisch als auch zum Aramäischen, der dominierenden Sprache des 1. Jts. v. Chr. Die dazugehörige Schrift war eine vereinfachte Form der Keilschrift, aber mit neuen Zeichen, und sie stellte die Konsonanten zusammen mit jedem einzelnen Vokal dar. Es war kein Alphabet mit einem einzelnen Zeichen für jeden spezifischen Laut, aber es war immerhin ein System, das jeden einzelnen Konsonanten verzeichnete, und deshalb gilt dieses System als wichtigster geistiger Durchbruch hin zu einem einfachen Alphabet (Daniels 1990: 729–730).

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Die ugaritische Schrift hatte drei Zeichen, die Vokale unterschieden, wenn sie auf einen Glottalschlag folgten – jenes Geräusch, das wir machen, wenn wir einen Satz mit einem Wort beginnen, das wiederum mit einem Vokal beginnt; ein Geräusch, das im Ugaritischen als gesondertes Phonem galt, im Englischen oder Deutschen aber nicht. Ein weiteres Element der ugaritischen Schrift, das auf spätere Entwicklungen verweist, ist die Tatsache, dass wir über erhaltene Lerntafeln die Reihenfolge der Zeichen kennen; es ist die Reihenfolge, die wir aus dem späteren Hebräisch kennen, und es ist im Prinzip die gleiche, die wir heute noch in unseren europäischen Alphabeten benutzen. Es gibt noch einige weitere wichtige Kontinuitäten zwischen Ugarit und der Gegenwart, und diese haben zahlreiche moderne Forscher auf den Plan gerufen. Die erhaltenen Texte in ugaritischer Schrift beinhalten Rituale, Briefe und auch lange Gedichte, die ebenfalls in den Bereich des Rituals gehören könnten, aber es ist schwer, einen genauen Kontext dieser mythologischen Werke auszumachen. Sie zeigen, dass man in Ugarit ein geordnetes Pantheon verehrte, darunter El, einen väterlichen Schöpfergott, der in den Texten indes keine aktive Rolle gespielt zu haben scheint. Der Anführer der Götter von Ugarit war Baal, der Herr des Regens, und doch war er alles andere als allmächtig. Ihm standen zwei ­Gestalten gegenüber, das personifizierte Meer und der personifizierte Tod, und obwohl er im Mythos am Ende beide bezwingt, ist es ein schwieriger Kampf, in dem seine Schwester Anat, die um ihn trauert und ihn wiederbelebt, eine Schlüsselrolle innehat. In den Geschichten stirbt Baal im Kampf gegen das Meer, aber er steht wieder auf und kämpft weiter. Am Ende hat die Schlacht kein eindeutiges Ergebnis, aber immerhin wird das Meer in seine Schranken verwiesen. Es scheint, dass wir mit Baal einem sterbenden und wiederauferstehenden Gott begegnen, der den Wechsel der Jahreszeiten widerspiegelt; nur hier allerdings ist die negative Jahreszeit der Winter mit seinem aufbrausenden Meer und nicht der Sommer mit seiner sengenden Hitze. Baal ist auch der einzige sterbende Gott, der in altorientalischen Texten als „Erlöser“ bezeichnet wird und so Entwicklungen im Judentum vorwegzunehmen scheint, auch wenn in der Bibel der Gott Israels und Baal mit seiner Religion als Gegner auftreten. Der sterbende und wiederauferstehende Gott lebte im ­phönizischen Glauben weiter (Xella 2001b). Die Sterblichen, die in den von ugaritischen Schriftgelehrten kopierten Texten auftauchen, waren Könige, die eigentlich keine Söhne hatten, aber am Ende auf wundersame Weise dennoch welche bekamen. Im Aqht-Gedicht verweigert der Held der Göttin der Liebe und des Krieges seinen Bogen und sagt ihr, der Gott des Handwerks könne ihr doch ganz einfach einen anfertigen. Die Weigerung, mit der

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Göttin zu kooperieren, erinnert an Gilgameschs Haltung, und auch die Folgen sind genauso schwerwiegend. Für den alten Orient wissen wir größtenteils nicht, welche Stilmittel die Lyrik definierten, aber im Ugaritischen scheinen Parallelismen und Wiederholungen wichtige poetische Elemente gewesen zu sein, wie in diesem Beispiel: „El lachte und streckte die Zunge heraus und sprach und sagte …“ Solche Parallelismen waren auch ein Merkmal der späteren hebräischen Dichtung, und sogar einige auf diese Weise parallel verwendeten Wörter erscheinen in Ugarit und in der Bibel, was wieder für eine gewisse kulturelle Kontinuität spricht. In Personennamen scheinen in Ugarit weniger Götter aufzutauchen als in Ebla, aber das könnte eine Funktion des Umfangs der Texte sein. Der Meeresgott erschien im Namen, ebenso sein Gegner Baal und der Schöpfer El (Gröndahl 1967: 78–85). Was von Ebla bis Ugarit ebenfalls weiter fortbestand, war die Anbetung der Vorfahren der Könige (Xella 1988: 354–358). Die Hurriter scheinen in Ugarit großen Einfluss gehabt zu haben, und dies mag auf einige Praktiken abgefärbt haben. Die zentrale Bedeutung des Königs als religiöser Akteur verdunkelte die Erinnerung an die Taten anderer Menschen; über den Vorfahren-Kult wissen wir das meiste, soweit er von Königen praktiziert wurde, und weit weniger, was das gemeine Volk angeht, obgleich er wahrscheinlich auch dort existierte (Wyatt 2007: 62–66). Die Stadt Ugarit ging im Zuge der Übergriffe der Seevölker unter, die das internationale Zeitalter um 1200 v.  Chr. beendeten, aber sicherlich gab es kulturelle Kontinuitäten in Syrien und im Libanon. Die ugaritische Schrift wurde bald nicht mehr verwendet, dennoch überlebten auf irgendeine Weise ihr Grundkonzept und die Reihenfolge der Zeichen, die nach 1000 v. Chr. in einer neuen Schrift wiederbegegneten, der phönizischen. Diese Schrift war eine Variation ägyptischer Zeichen, wie sie Arbeiter auf der SinaiHalbinsel im 2. Jahrtausend verwendet hatten, stark vereinfacht und nur noch mit phonetischem, nicht mehr logographischem Wert: Die Zeichen standen nur für Töne, nicht für ganze Wörter oder Ideen. Einige der Zeichen erinnerten ein wenig an die klassische Keilschrift und an die ugaritische Keilschrift, aber mit ihnen konnte man jede Sprache schreiben, bei der die Bedeutung vor allem in den Konsonanten lag, wie es bei den semitischen Sprachen der Fall war. Der Begriff „phönizisch“ stammt von den Griechen, die mit ihm die Küstenvölker bezeichneten; diese selbst bezeichneten sich stattdessen als Bürger bestimmter Städte wie Tyros, Sidon oder Byblos – einen phönizischen Staat gab es nicht. Die Griechen kannten die Phönizier vor allem als Lieferanten des hochgeschätzten Purpurs, den diese aus Schnecken gewannen, die an ihren Küsten lebten; die purpurne Farbe hieß bei den Griechen phoinix, und diesen Begriff übertrug man auf

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ATLANTIK Schwarzes Meer



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Mittelmeer

• P H Ö N I Z I S C H E



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S T Ä T T E N

Karte 3 – Phönizische Stätten am Mittelmeer. die, die damit handelten. Darin mag auch die ägyptische Bezeichnung für ein Volk in jener Region mitschwingen, die Fnh w. Die Sprache der Phönizier war mit ˘ dem Ugaritischen verwandt, und wie ihre Vorfahren betätigten sich die Phönizier erfolgreich im Seehandel und verschifften Güter rund ums Mittelmeer, vom Osten bis ganz in den Westen. Und sie hatten mehr im Gepäck als nur den teuren Farbstoff. Sie brachten auch neue Ideen und Konzepte mit, die sich auf ihre Handelspartner übertrugen. Dazu gehörte das vereinfachte Schriftsystem, und das borgten sich die Griechen aus. Einige Zeichen, die sie nicht brauchten, benutzten sie für ihre Vokale, die in ihrer Sprache durchaus wichtig waren; so schufen die Griechen ein System, das versuchte, jeden bedeutungstragenden Ton als Zeichen darzustellen – das erste ­echte Alphabet. Einige Forscher meinen, dass die Phönizier auch komplexe wirtschaftliche Neuerungen verbreiteten, beispielsweise indem sie Preise für ihre Produkte in Gold und Silber festlegten. Da in den Gebieten, die sie besuchten, zuvor niemand lesen und schreiben konnte, ist es schwer zu beurteilen, ob dies wirklich eine ­Innovation war, aber es ist durchaus möglich. Ob sie etwas von den Weisheiten des alten Orients in die Welt trugen, ist ebenfalls fraglich (Brown 1981). Durch Schiffswracks wissen wir, dass sie auf ihren Reisen neben Wein und Öl auch Zinnbarren transportierten; mithilfe von Zinn konnte man aus Kupfer den härteren Werkstoff Bronze herstellen. In einigen Regionen wurde nach 1000 v. Chr. die Eisenverhüttung wichtiger, vielleicht weil Zinn schwerer zu bekommen war.

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Ein weiterer Aspekt der vielen Reisen der Phönizier war das Ziel, Kolonien zu errichten. Einige waren nur als vorübergehende Handelsposten gedacht, auf ­Inseln vor der Küste oder auf leicht zu verteidigenden Halbinseln, wie Cádiz in Südspanien, eine der entlegeneren phönizischen Siedlungen. Anderswo waren Phönizier weniger besorgt, dass sie angegriffen würden; dort stellten sie eventuell lokale Produkte her, die wiederum für den Nahen Osten von Interesse gewesen sein könnten. Im Rahmen dieser kolonialen Expansion, ganz gleich ob in Form langfristiger Siedlungen oder vorübergehender Handelsposten, exportierten sie auch bestimmte Aspekte der phönizischen Religion, und weil auch die Landwirtschaft jener Gebiete von Niederschlägen abhängig war, schienen die phönizischen Götter dort ebenfalls relevant zu sein. Die zuvor verehrten Götter blieben weiterhin wichtig, vielleicht vor allem eine Abart des Baal mit Namen Melkart, „Stadtkönig“. Die Bezeichnung „König“ für einen Gott findet sich in der Region bereits in Quellen aus Ebla (Pomponio und Xella 1997: 458–465). Es ist schwierig nur anhand von Inschriften zu ermessen, wie populär ein bestimmter Gott war, aber wir wissen, dass Melkart beliebt war, zusammen mit anderen Göttern, die sonst nicht bekannt sind. Ešmun war ein Gott der Heilung an der phönizischen Küste; ein Gott wie Pmy (wir kennen die dazugehörigen Vokale nicht, das alte Problem der phönizischen Schrift) könnte aus einer fremden Kultur stammen, die die Phönizier besuchten, denn er kommt nur im westlichen Mittelmeer vor (Benz 1972: 233–235, 391–392). Die Tempelarchitektur des 1. Jts. v. Chr. scheint sich in Richtung größerer öffentlicher Zugänglichkeit entwickelt zu haben, als es bis dato der Fall war. Dies mag an einen Trend angeknüpft haben, die Religionsausübung für das gemeine Volk verständlicher und zugänglicher zu machen (Oggiano 2006), ein Trend, den wir definitiv in den deuteronomistischen Schriften in Israel wiederfinden. Der bereits in der Antike und auch später umstrittenste Aspekt der phönizischen Religion war der Brauch, Kinder zu opfern. Hebräische Intellektuelle fanden diesen Brauch abstoßend, und doch blieb er so verbreitet, dass die Propheten jahrhundertelang dagegen wetterten; sie prägten sogar die Phrase „Melkart ein Kind übergeben“ als Synonym für etwas besonders Böses, dabei tat man dies sogar im Tal neben dem Hügel von Jerusalem (3 Mose 18,21, Jeremia 32,35, 2 Könige 23,10, Micha 6,7). Die Ideologie hinter dem Opfern von Kindern in einer Zeit hoher Kindersterblichkeit war, dass die Eltern glaubten, wenn sie freiwillig das erste Kind den Göttern gäben, könnten sie sicherstellen, dass zumindest einige der übrigen Kinder das Erwachsenenalter erreichten. Die Phönizier haben über solche Dinge nichts Schriftliches hinterlassen, und so können wir nur Vermutungen darüber anstel-

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len, was ihre Haltung dazu war. Doch die anhaltende Kritik von Nachbarvölkern und archäologische Zeugnisse aus ihrer berühmtesten Kolonie Karthago (der „neuen Stadt“ im heutigen Tunesien) zeigen, dass dies bis in die Spätzeit der phönizischen Kultur gängige Praxis war – mindestens bis Karthago im Jahre 146 v. Chr. durch die Römer zerstört wurde. Die phönizische Kultur und Sprache lebten auch danach noch weiter (Harden 1962: 74–75; Tubb 1998: 140–146). Offenbar hatte aber nicht jede Familie den Drang, eines ihrer Mitglieder zu opfern, andernfalls gäbe es in phönizischen Stätten viel mehr Säuglingsgräber bzw. -urnen. Aus der Spätzeit, als Karthago als großer Feind Roms auftrat, gibt es wenig Informationen aus Karthago selbst, und die phönizische Literatur wurde auf vergänglichem Material verfasst, das natürlich längst verschwunden ist; nur einige wenig aussagekräftige Königsinschriften sind erhalten sowie eine große Zahl an kurzen Grabinschriften. Letztere sprechen aufgrund ihrer großen Zahl dafür, dass relativ viele Phönizier lesen und schreiben konnten. Detailliertere Beschreibungen der Taten der Phönizier besitzen wir von ihren Feinden, den Römern, bei denen sie geradezu als Antithese alles Guten und Gerechten und Römischen galten, wie wir in Livius 21–30 über die ersten beiden Punischen (= phönizischen) Kriege nachlesen können (Radice 1965: 16). Ein weiterer wichtiger Aspekt des phönizischen Denkens ist, dass sie nicht der Ansicht waren, ihre Götter seien ausschließlich mit einem bestimmten Ort verbunden. Der „Stadtkönig“ war überall dort, wo es eine Stadt gab, und die Göttin Tanit, die man im Westen kannte, hielt man für dieselbe Göttin wie Astarte im Osten (Harden 1962: 87–89). Astarte entsprach wiederum Ištar aus Mesopotamien; die Göttin hatte auch eine himmlische Erscheinungsform und wurde mit dem Planeten Venus gleichgesetzt (Wyatt 1999: 111–112). Die Mobilität und Anpassungsfähigkeit der Phönizier kam ihnen auf ihren Reisen zugute, und sie könnte durchaus ein Novum gegenüber früheren Denkweisen gewesen sein, in denen die Götter jeweils mit einem bestimmten Ort in Verbindung standen und auch nur dort wichtig waren, wie in der Geschichte von den nach Nordisrael Deportierten, die sich Sorgen machten, weil sie ihrem lokalen Gott nicht mehr dienen konnten (2 Könige 17,24–28).

Griechenland, Etrurien, Rom und die weitergegebenen Traditionen Religion war eines von [Napoleons] Lieblingsthemen. Es war seine vage Religiosität, vielleicht nicht mehr als eine Erinnerung an den Glauben der Kindheit, die ihn vor dem kalten Materialismus eines Berthollet zurückschrecken ließ und den aufgeschlosseneren Monge attraktiver machte. Außerdem war die Religion von ganz offensichtlichem politischen Nutzen! – J. Christopher Herold, Bonaparte in Egypt, 1962: 53

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ie sprachen ein Kauderwelsch, aus dem man keine Nuancen heraushören konnte, aber die Männer, die hier an der italischen Küste auf dem Boden hockten, waren fasziniert davon, was die Fremden dort taten. Sie hatten unter anderem ein Schaf gekauft, und sie hatten eindeutig vor, es zu braten, zu essen und das Mahl mit ihren Handelspartnern zu teilen, zur Feier der bislang so erfolgreichen Reise. Das hölzerne Schiff der Fremden war gekonnt an einem großen Felsen festgemacht, und auch den Wein, den sie gekauft hatten, teilten sie großzügig. Sie schlachteten die Schafe in der Nähe des Feuers, aber dann schnitt einer von ihnen auf einmal eine klaffende Wunde in den Bauch des Tieres, steckte seine Hand hinein und zog die Leber heraus, die er dann näher untersuchte. Die Italier fragten ihn, was er tat, und er schien zu behaupten, er suche dort den Willen der Götter. Die Italier sahen einander an, als ob jener den Verstand verloren hätte, aber sie blieben still und versuchten sich respektvoll zu verhalten. Der Fremde wandte sich an seine Gefährten und sagte etwas, das die Italier einigermaßen verstanden: Am nächsten Tag werde es günstige Winde geben, so dass sie weitersegeln könnten. Später, beim Mahl, fragte einer von ihnen den Mann mit der Leber, wie er aus dem Organ etwas habe herauslesen können; der Mann holte aus seinem Rucksack ein kleines Tonmodell einer Schafsleber, auf das dies und das geschrieben war, und er versuchte zu erklären, welche Vielfalt an Antworten man so auf seine Fragen erhielt. Der Italier war beeindruckt und wollte mehr Details erfahren, aber so gut konnte er die Sprache der Fremden nicht. Am nächsten Morgen war schönes Wetter, und die Fremden verabschiedeten sich. Der Mann mit der Leber schenkte dem Italier, der vergangene Nacht so neugierig gewesen war, das tönerne Modell. Der Italier versuchte ihm zu verstehen zu

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geben, dass dieses Geschenk viel zu kostbar sei. Doch der Fremde nahm es nicht zurück, er hatte noch mehr davon; und dann sagte er etwas, das die Italier folgendermaßen verstanden: Alle Menschen sollten in der Lage sein, den Göttern Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. *** So mag es begonnen haben, dass die Etrusker in Lebern nach Vorzeichen suchten und Lehrmodelle im Stile derer anfertigten, die wir aus dem alten Orient kennen (Falchetti und Romualdi 2001: 34). Die Welt der altorientalischen Religionen und die Menschen, die sich um sie kümmerten, wurde immer größer, und diese Menschen drückten ihr ihren Stempel auf, mit Handel, Waffen und der Macht ihrer Ideen. Von diesen dreien ist das Letztere natürlich am schwersten zu dokumentieren und nachzuvollziehen, denn selbst dort, wo ein physischer Kontakt mit fremden Kulturen nachgewiesen ist, kann man nicht unbedingt den Grad solcher Interaktionen feststellen oder wie genau sie abliefen. Das beste Beispiel für eine solche Interaktion, die einen tiefgreifenden und lang anhaltenden Einfluss auf den alten Orient hatte, ist der Einfluss des Hellenismus. Unter Hellenismus verstehen wir die Kultur der Griechen, wie sie durch die Makedonier vermittelt wurde, vor und nach den Eroberungen Alexanders des Großen in der 330er Jahren v. Chr. Es gab auch schon frühere Interaktionen, wie uns der Fall der Philister zeigt, die zu den bedeutendsten Gegnern der Israeliten in deren früher Geschichte zählten, die aber, wie die Archäologie weiß, Verbindungen zu den Völkern der Ägäis hatten. Der Hafen von Dor an der israelitischen Küste war ein solcher Ort, in dem Griechen und Westasiaten aufeinandertrafen. Dass sich in der Antike Ideen und Konzepte vom Nahen Osten aus verbreiteten, wissen wir zumindest in Bezug auf die Schreibtechniken und dies gilt wohl auch für die zunehmende Komplexität einer auf Waren- oder Nutzgeld basierenden Wirtschaft, die die Phönizier eingeführt haben könnten (Brown 1981). Manche Forscher sind der Meinung, dass es die Griechen waren, die infolge der Erfindung des Münzgelds sowohl in monetärer als auch intellektueller Hinsicht weitere komplexe Entwicklungen in die Wege leiteten (Seaford 2004). Hinsichtlich der Religion taten sich die Griechen später schwer, die Einflüsse aus dem Osten auszumachen, auch wenn sie ziemlich rasch mit Vorschlägen kamen, wie ihre traditionellen Götter denen des alten Orients gleichzusetzen wären. Die zugrundeliegende ­Annahme war möglicherweise (wie vielleicht bei allen Polytheismen), dass das Wesen der Götter im Grunde genommen überall ähnlich war, verschiedene Kulturen diesen Göttern jedoch unterschiedliche Namen gaben und die göttlichen

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Attribute unter Umständen anders aufteilten – das musste jedoch nichts an der grundlegenden Art und Weise ändern, wie die Menschen mit den Göttern interagierten. In den Jahrhunderten nach dem Tod Alexanders im Jahr 323 v. Chr. wurde fast der gesamte Nahe Osten von Griechisch sprechenden Herrschern regiert, und wenn nicht direkt von ihnen, dann von lokalen Despoten, die auf all die schönen Dinge versessen waren, die die griechische Kultur zu bieten hatte. Dazu gehörten beispielsweise das gymnasion, in dem die Elite Sport trieb, und die Theater, die fast allen offenstanden und wo man sich öffentlich geförderte Dramen ansah, die auf dem griechischen Festland bereits zu Klassikern geworden waren. Im Hellenismus verbreiteten sich eventuell sogar die Strukturen (wenn auch nie die Substanz) der demokratischen Versammlungen Griechenlands. Letztere verschmolzen manchmal mit traditionellen Formen einer repräsentativen Lokalregierung, aber deren Macht war zumeist rein ortsgebunden. Die Könige hielten solche Regierungen an der kurzen Leine und ließen ihnen wenig Spielraum. Alexander und seine Nachfolger gründeten hin und wieder auch neue Städte in der Nähe älterer, und diese neuen Siedlungen traten dann als wirtschaftliche Konkurrenten der älteren Städte auf. Oft waren sie schachbrettartig angelegt, mit eigens vorgesehenen Flächen für Märkte, Bäder und manchmal auch Theater, und ihre Bewohner waren häufig Griechisch sprechende Veteranen. Diese Städte blieben aber zumeist nicht lange Fremdkörper, denn viele Veteranen heirateten Mädchen aus der Gegend, und so war die Kultur der Städte im Osten mehr und mehr eine zweisprachige. Im südlichen Irak können wir diese Art der Hellenisierung mittels Keilschrifttafeln verfolgen, die weiterhin hergestellt wurden, sowohl auf Sumerisch, auch wenn diese Sprache bereits seit Jahrtausenden tot war, als auch auf Akkadisch, das sicherlich ebenfalls niemandes Muttersprache mehr war, aber immer noch Gegenstand des Studiums. Wir erfahren aus diesen Aufzeichnungen, dass Eltern ihren Kindern manchmal griechische Namen gaben, vielleicht um sich bei den Griechisch sprechenden Herrschern beliebt zu machen, die Enkel dann aber nicht unbedingt ebenfalls wieder griechische Namen trugen (Doty 1988). Es gab einiges Hin und Her, wenn es darum ging, was denn nun genau griechisch war, und der Einfluss griechischer Konzepte könnte eher oberflächlich gewesen sein (Momigliano 1975). In praktischer Hinsicht könnte die Assimilation griechischer Ideen sogar die in Keilschriftaufzeichnungen im Bereich der Astronomie beeinflusst haben. Die intellektuellen Traditionen des alten Orients verschwanden dadurch jedoch keinesfalls (Scurlock und Al-Rawi 2006). Andererseits können wir sehr wohl beobachten, wie stark der alte Orient die Griechen beeinflusste. Das Konzept einer Genealogie der Götter, das bereits zur

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Zeit des Hesiod, der im 8. Jh. v. Chr. in Zentralgriechenland lebte, von Bedeutung war, könnte genauso aus dem Osten stammen wie die Idee, dass das Wasser die Essenz der frühesten Wesen sei. Der höchste Gott, Zeus, ein Donnergott, entsprach dem Gott Baal an der syrischen Küste. Die Praxis, Gesetze zu kodifizieren, könnte ebenfalls aus dem alten Orient stammen, auch wenn die kodifizierten Praktiken selbst vor Ort verwurzelt waren. Ein ziemlich früher solcher Gesetzestext findet sich in einer Inschrift in Gortyn auf Kreta von etwa 450 v. Chr.; der theologische Kontext ist dabei weniger komplex, als wir es aus dem alten Orient kennen – lediglich am Anfang steht die Anrufung: „Götter!“ (Willetts 1967: 39). Konkreter war da schon die Untersuchung der Bewegungen von Planeten und Sternen, die tief im griechischen Denken verwurzelt war, und dem auf Griechisch schreibenden Gelehrten Ptolemaios, der wahrscheinlich ägyptischer Herkunft war, standen Aufzeichnungen zur Verfügung, die bis in Jahr 747 v. Chr. zurückreichten (Barker 1996). Es ist durchaus möglich, dass die Konzepte vom Jenseits vom alten Orient beeinflusst waren, aber über welche Art von Kontakt, ist unklar – wahrscheinlich weniger durch reisende Gelehrte (Röllig 2001: 314). Die griechischen Helden gehen eventuell zumindest teilweise auf die Verehrung wohltätiger Vorfahren zurück, die man im westlichen Teil des Nahen Ostens schon früh (und auch noch sehr spät) kultivierte (Merlo und Xella 2001: 287–288). Die Verwendung des Griechischen als Literatursprache im ganzen Orient war das Vehikel, mittels dessen sich die Ideen verschiedener Kulturen in alle Richtungen ausbreiten konnten. Wir haben mehrere zumindest teilweise auf Griechisch erhaltene Texte, die die Bemühungen von Menschen im Nahen Osten widerspiegeln, griechische Leser davon zu überzeugen, dass ihre altorientalischen Kulturen einen eigenen Wert hatten und für sich untersucht und studiert werden sollten. Der Erste, der solche Texte auf Griechisch schrieb, könnte der phönizische Priester Sanchuniathon gewesen sein, von dessen Schriften Bruchstücke innerhalb des Werks des Kirchenhistorikers Eusebius überliefert sind. Diese zeigen, dass die Phönizier den Regengott verehrten und den Berg, auf dem er wohnte. Manetho schrieb seine Geschichte Ägyptens im 3. Jh. v. Chr. und gab dem Ganzen einen chronologischen Rahmen (Waddell 1940). Etwas später schrieb Berossos von Babylon, angeblich ebenfalls ein Priester, dessen Texte durch christliche Autoren überliefert sind. Er betonte, wie alt seine Kultur und ihre Baudenkmäler seien (Verbrugghe und Wickersham 1996). Der bekannteste dieser Autoren aber war Josephus, ein Jude aus dem 1. Jh. n. Chr., der für die Römer schrieb, allerdings auf Griechisch. Er versuchte zu zeigen, wie viel philosophische Tiefe die jüdische Tradition besaß und wie viel die Welt noch von ihr lernen konnte. Er gibt einen Überblick über viele der Geschich-

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ten über Abraham und spätere israelitische Führer, die wir aus der Bibel kennen, und hatte Zugang zu heute verlorenen Quellen über die Zeit um 200 v. Chr., als der Kanon abgeschlossen wurde. Der alte Orient hatte guten Grund zu versuchen, sich der von den Griechen dominierten Welt auf Griechisch verständlich zu machen. Die Bewohner des Ostens konnten sich stets des höheren Alters ihrer Kultur brüsten und vielleicht auch ihrer größeren Weisheit, aber sie stellten beides so dar, dass es dem entsprach, was sich die Griechen unter alten Traditionen vorstellten. Schon früher hatte es einen Austausch im Bereich der Religion gegeben, aber wann genau und wie dieser erfolgte, ist schwer zu fassen. Aphrodite, die weibliche Verkörperung sexuellen Genusses, hatte einiges mit Ištar und Astarte gemein; vielleicht brachten die Phönizier die Göttin nach Griechenland mit. Aspekte wie der, dass sie meistens als Frau, manchmal aber auch als Mann dargestellt wurde, sowie ihre Eigenschaft als Kriegsgöttin könnten aus der älteren Tradition stammen (Burkert 1985: 152–156). Im Falle von Athene, der mit der Stadt Athen assoziierten Göttin, hat man angenommen, dass sie aus Ägypten stamme und ihr Name von Neith abgeleitet sei, einer dortigen Göttin der Nacht (Bernal 1987), aber Belege dafür gibt es kaum. Interessanter ist, dass ihr bislang nicht erklärbares Epitheton Pallas, das stets vor ihrem Namen steht, dem semitischen ba῾alat, „Dame von …“ entspricht. Über das Detail des Bogenschießens lässt sich der „griechischste“ aller Götter, Apollon, mit Rašap oder Rešef in Verbindung bringen, dem westsemitischen Gott der Pest, der ebenfalls Pfeile abschoss (Burkert 1985: 139 n. 4, siehe aber auch 140, Pallas als männlicher Name; 143, 145). Demeter, die Göttin der Fruchtbarkeit der Erde und des Getreides, spielte in Griechenland schon sehr früh eine Rolle. Die Verbindung mit ihrer Tochter, der Fruchtbarkeitsgottheit Persephone, die starb und auf die Erde zurückgebracht werden musste, gemahnt jedoch an vorderasiatische Geschichten über ster­ bende und wiederauferstehende Götter, wie die hethitische Geschichte von Telipinu und den Mythos von Ištars Besuch in der Unterwelt. Weder Telipinu noch Ištar mussten im Jenseits bleiben, Persephone wurde jedoch eine Göttin der Unterwelt und blieb mit ihrem Vergewaltiger verheiratet – Hades, der die Unterwelt verkörperte. Die Vorstellung, dass Götter sterben und dann wieder zum Leben erweckt werden, bereitete den Weg für zentrale Glaubensansätze des Christentums. Der Demetermythos stand auch im Mittelpunkt geheimer Kulte mit eigenen Initiationsriten, den Mysterienkulten, die direkt von altorientalischen Quellen abzuhängen scheinen (Burkert 1985: 159–161). Es gab aber auch den offenbar völlig eigenständigen Mysterienkult von „Mund und Zunge“, den wir aus einem

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mittelbabylonischen Text kennen; man stellte sich dabei vor, dass die genannten Körperteile eines Gottes in den Besitz eines Initiierten übergingen (Oppenheim 1966). Woher Dionysos, der Gott des Weins und der Ekstase, kam, war schon damals unklar. Obwohl er vermutlich einige seiner Merkmale aus Anatolien mitgebracht hat, speziell aus Phrygien im Südosten der Türkei, könnte er durchaus auch andere Einflüsse aufweisen. Auch sein Alternativname Bacchus bleibt ohne Erklärung, er könnte etwas mit der semitischen Wurzel für „weinen“, bky, zu tun haben; man weinte um den abwesenden Dionysos, was auf Praktiken zurückgehen könnte wie diejenige der Frauen in Israel, die der Prophet Hesekiel kritisiert, weil sie um Tammuz trauern (8,14). Der Prophet muss dies um 600 v. Chr. beobachtet haben; das rituelle Weinen erinnerte an den Tod des Ehemanns der Göttin Ištar, der in der Unterwelt ihren Platz einnehmen musste, um so im Süden des Irak eine fruchtbare Periode im Jahr zu ermöglichen. Alternativ könnte auch das große Interesse der Griechen an Osiris, dem ägyptischen Gott der Unterwelt, Dionysos seinen Wohnsitz in der Unterwelt eingebracht haben (Burkert 1985: 161–167). Osiris hatte zwar keine Verbindung zu Wein und Rausch, doch vielleicht stammt dieses Merkmal daher, dass man sich in Syrien bei der Totenwache zu betrinken pflegte (Lewis 1989: 93–94). Der Gott des Handwerks und der Schmiedekunst, Hephaistos, war ebenfalls nicht griechischen Ursprungs, sondern stammte von der Insel Lemnos vor der türkischen Küste, und die dortigen Einwohner wurden von den Griechen mit den Etruskern assoziiert, den vorrömischen Bewohnern Italiens nördlich von Rom. Schmiede waren in Zeiten, als das nützlichste Metall Bronze war, sehr wichtig, und das blieb auch so, als das leichter zu verarbeitende Eisen die Bronze ablöste (Burkert 1985: 167–168). Der ugaritische Gott Kot-ar-Hasis, „bereit und schlau“, könnte für einige seiner Eigenschaf˘ ten das Vorbild gewesen sein. Es gab noch mehr griechische Götter mit nahöstlichen Wurzeln, wie Hekate, Göttin der Straßen und Kreuzungen; sie stammte wahrscheinlich aus Kleinasien. Prometheus, der trickreiche Menschenfreund, der die anderen Götter austrickste, um den Menschen das Feuer zu bringen, könnte etwas von Enki haben, der die Menschen vor der Sintflut retten wollte. Die Idee, dass die Sonne in einem Wagen fuhr, kennen wir aus Ägypten, gab es aber parallel dazu auch in anderen indoeuropäischen Traditionen. Die Trauer um Adonis glich der um Tammuz, aber man verwendete den Namen des Gottes (der vom semitischen Adon, „Herr“, abgeleitet ist) nicht in ähnlichen kultischen Handlungen (Burkert 1985: 171, 175, 177). Die alten Griechen waren nie eine politische Einheit gewesen, bis Alexanders Vater Philipp sie in eine solche zwang; aber sie stellten eine kulturelle Einheit dar,

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auch wenn ihre Geographie und ihre Organisation als Stadtstaaten in religiöser Hinsicht dazu führte, dass in verschiedenen Städten verschiedene Götter und Göttergruppen in den Vordergrund rückten. Die Hauptgötter indes wurden überall verehrt, und einige von ihnen waren durch Entwicklungen östlich von Griechenland beeinflusst. Wir können aufgrund dessen zwar nicht unbedingt behaupten, dass die Religionen des alten Orients in Griechenland weiterlebten, aber einige spezielle Facetten bestimmter Götter und einige Praktiken könnten durch die Übertragung in die griechische Religion durchaus ihr Leben verlängert haben (Ribichini, Rocchi und Xella 2001).

Die Etrusker: Lehrmeister beim Versteckspiel Die Griechen nahmen an, dass das italische Volk nördlich von Rom von den anatolischen Lydern abstamme. Obwohl die etruskische Sprache mit keiner anderen verwandt war, hat man mögliche Zeugnisse dieser Sprache in Anatolien entdeckt, die die Hypothese eines troischen Ursprungs untermauern könnten. Der Hauptfaktor in der Entstehung einer eigenen etruskischen Kunst und des etruskischen Alphabets war der Einfluss der Griechen, die im 8. Jh. v. Chr. in Italien Kolonien einrichteten; von Bedeutung war hier vor allem die Inselkolonie Pithekoussai, eine wichtige Quelle für griechische Konzepte. Wahrscheinlich borgten die Etrusker von hier auch die griechischen Buchstaben aus; dadurch können wir immerhin ihre Schrift lesen, aber abgesehen von kurzen formelhaften Inschriften können wir sie leider nur sehr unzureichend übersetzen. Die Etrusker hatten auch Kontakt mit den Phöniziern, vor allem mit den Karthagern, die im Süden auf der anderen Seite des Mittelmeers lebten (Bonfante 1986: 66–70, 76–84). Der etruskisch-phönizische zweisprachige Text auf goldenen Tafeln aus Pyrgi scheint im Zusammenhang mit einem Begräbnis gestanden zu haben, bei dem man annahm, dass der Verstorbene zum Gott würde – ein klarer Fall von religiöser Verehrung der Vorfahren (Knoppers 1992: 106, 114–120). Die Etrusker waren berühmt für ihre Omina, und dieser Aspekt ihres Wissens könnte mit dem alten Orient in Verbindung stehen. Sie interpretierten den Vogelflug – eine Praxis, die man später in Rom auch als „etruskische Lehre“ bezeichnete; außerdem lasen sie in den Innereien geopferter Tiere (Bonfante 1986: 233, 247–248). Ein Lebermodell zeigt, dass sie dieses flexible kleine Organ besonders studierten, genau wie die Babylonier. Und ebenfalls wie die Bewohner des alten Orients machten sich die Etrusker Sorgen, dass alles und jedes ein Zeichen des Willens der Götter sein könnte; anders als die Griechen glaubten sie aber nicht an ein übergreifendes Schicksal, das das, was sie aus den Vorzeichen lasen, absolut

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und unveränderlich machte (Pallottino 1955: 162, 166–167). Die Götter, die sie verehrten, kann man in aller Regel mit denen des griechischen und später dann des römischen Pantheons gleichsetzen (Falchetti und Romualdi 2001: 30–31, 33–34), und doch weisen Darstellungen dieser Götter in der Kunst manchmal Eigenschaften auf, die sie nur bei den Etruskern hatten. Die Etrusker lehrten die Römer einiges über die Kultur des alten Orients, und zwar in Form des Alphabets und wahrscheinlich auch der Annahme, dass die Welt voll von Vorzeichen war, die von weisen Menschen interpretiert werden konnten. Weil uns ihre Sprache so unklar ist und aufgrund der Zufälle der Archäologie, die bisher nur etruskische Gräber und keine Wohnhäuser entdeckt hat, bleibt uns ein Teil ihres Einflusses verborgen. Mag sein, dass einige der Unterschiede in der etruskischen Darstellung der Götter aus dem Wunsch herrührt, nicht alles, was sie über die Götter wussten, auch darzulegen. Das verleiht ihrem religiösen Ansatz etwas von einem Mysterium, einer Religion, deren Bedeutung nur Eingeweihte voll erfassen konnten. Ihre aufwendigen Gräber und Skulpturen zeigen, dass sich die Etrusker große Mühe gaben sicherzustellen, dass ihre Angehörigen nach dem Tod sicher ins Jenseits geleitet wurden. Dieses Jenseits war vom Konzept her eine Fortsetzung der Annehmlichkeiten des Diesseits, ganz ähnlich den Vorstellungen der Ägypter über den „Westen“.

Vom Osten fasziniert: Rom Der Dichter Horaz war der Ansicht, dass Rom in den ersten zwei Jahrhunderten v. Chr. den Osten zwar in politischer Hinsicht erobert, sich ihm auf kultureller Ebene aber unterworfen habe, vor allem den Griechen: „Das eroberte Griechenland“, schrieb er, „hat den ungestümen Sieger besiegt und Künste und Wissenschaft ins bäuerliche Latium gebracht“ (Briefe 2.1.156). Auch wenn Rom mithilfe seines Heers die vorderasiatischen Königreiche der Antike seinem imperialen System einverleibte, nahmen sich die römischen Intellektuellen in vielerlei Hinsicht den Osten zum Vorbild. Die meisten Führungspersönlichkeiten sprachen sogar zuhause Griechisch, weil es gegenüber dem Lateinischen als vornehmere Sprache galt. Der Einfluss Griechenlands brachte auch religiöse Vorstellungen aus dem Osten nach Rom. Im gleichen Maße, wie sich der römische Einflussbereich bereits im 5. Jh. v. Chr. vergrößerte, erhöhte sich das Interesse an allem Östlichen. Ein wichtiges Ereignis in diesem Zusammenhang war, dass die Römer aus Phrygien im Süden der Türkei im Jahr 205 v. Chr. den Stein, der die Große Mutter repräsentierte, in ihre Hauptstadt holten. Dieser Stein war so klein, dass ihn eine einzelne Person

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tragen konnte; mit der Überführung beauftragte man niemand Geringeren als den führenden Feldherr jener Tage (Lewis und Reinhold 1966, I: 475–476; siehe Livius 24.10–14). Als das Reich sich sogar bis Ägypten erstreckte, wuchs das Interesse an der Göttin Isis und anderen ägyptischen Göttern, sehr zum Missfallen konserva­ tiver Römer (Lewis und Reinhold 1966, II: 574 mit Texten aus dem 3. Jh. v. Chr.). Allerdings ist es oft schwer zu beurteilen, ob die Römer im Rahmen dessen wirklich Bestandteile der Religion aus dem alten Orient übernahmen. Dieser Mangel an Klarheit wird manchmal der Vermittlung durch die Griechen zugeschrieben. Ein Beispiel dafür ist die Vergöttlichung von Königen; für den alten Orient ist dies größtenteils eine undurchsichtige Angelegenheit – außer für Ägypten. In Ägypten jedoch scheint der Respekt vor dem jeweiligen König im 1. Jt. v. Chr. geschwunden zu sein, auch wenn es weiterhin Könige gab, die sich durchaus auch als göttlich darstellen ließen. Alexander, der von den Sitten und Gebräuchen fremder Völker fasziniert war und die griechischen Traditionen immer weiter vernachlässigte, ließ sich als Gott abbilden, und viele hellenistische Herrscher taten es ihm gleich. Nach den Bürgerkriegen, als sich in Rom infolge des Siegs des Octavian um 27 v. Chr. die Macht auf eine einzige Person konzentrierte, war der Weg frei, um gewisse Insignien des Gottkönigtums zu übernehmen (Chaniotis 2003). Das Christentum war lediglich einer unter vielen Mysterienkulten, die vom Osten her den Markt der Religionen in Rom überschwemmten. Mithras, ein indoiranischer Kriegsgott, der vor allem unter Soldaten Ansehen genoss, besaß eine große Gefolgschaft, ebenso Isis, die ägyptische Muttergottheit. Römische Traditionalisten lehnten diese fremden Einflüsse ab, und sie verfolgten nicht nur Christen, sondern auch die Anhänger anderer fremder Kulte, die sie als gefährlich empfanden. Dabei akzeptierte Rom eine Veränderung in seinem Polytheismus-Konzept, nämlich die Vorstellung, es gebe richtige und falsche Götter und richtige und falsche Möglichkeiten, diese Götter anzubeten, ein Ansatz, den man im alten Orient vor der Ausbreitung des Monotheismus nicht gekannt hatte. Es gab wohl kaum eine Gesellschaft, die sich so vielen äußeren Einflüssen ausgesetzt sah wie Rom, nachdem es den Mittelmeerraum erobert hatte. Für die Konser­ vativen war die Erosion der überlieferten Religion gleichbedeutend mit einer Unterminierung römischer Werte, ein Argument, das alle Monotheisten seit Esra vorgebracht hatten. Schon in der Spätzeit der Republik gegen Ende des 1. Jhs. v. Chr. hatte man definitiv das Gefühl, dass die alten Werte an Bedeutung verloren ­(Lewis und Reinhold 1966, I: 477–478). Der Einflüsse des Ostens gerieten im Zuge der Zersetzung der lebendigen Traditionen des alten Orients jedoch in Vergessenheit. Nur in der Astronomie und Astrologie erinnerten sich die Griechen und die Römer daran, dass es die Chaldä-

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er gewesen waren (ein prominenter Stamm, dessen Namen sie synonym für die Babylonier verwendeten), die die vielen verfügbaren Daten über die Bewegungen von Sternen und Planeten angehäuft hatten. Wann die schriftlichen Traditionen des alten Orients ihr Ende fanden, kann man nicht genau datieren, aber die jüngste erhaltene Keilschrifttafel ist ein astronomischer Text aus dem Jahr 74 n. Chr. Damals gab es nur noch ein paar Familien in der alten Stadt Uruk im Süden Mesopotamiens, die die Keilschrifttradition noch am Leben erhielten – von dort stammen auch die ältesten Keilschrifttexte. Aus Ägypten gibt es Belege aus noch späterer Zeit, aber diese sind um einiges diffuser. Die koptische Schrift, die griechische und andere Buchstaben verwendete, um die spätägyptische Sprache wiederzugeben, tauchte zum ersten Mal um 400 n. Chr. auf, auch wenn es auch zu dieser Zeit noch einige Priester gegeben haben mag, die Hieroglyphen lesen konnten. Das Ende der schriftlichen Traditionen bedeutete jedoch nicht unbedingt, dass auch religiöse Praktiken abrupt zu existieren aufhörten. Die Städte, in denen die mesopotamischen Traditionen aus der Taufe gehoben worden waren, könnten mit einigen Unterbrechungen auch noch nach der muslimischen Eroberung Mitte des 7. Jhs. n. Chr. bestanden haben; dennoch wurde der Irak, wie auch Ägypten und Syrien, nach und nach islamisch. Spätere Zeitzeugen beschrieben (in den neuen gebräuchlichen Sprachen), wie noch im 9. Jh. n. Chr. sabäische Frauen nahe der syrischen Stadt Harran durch die Hügel streiften und um den sterbenden und wiederauferstehenden Gott Tammuz trauerten; manche muslimische Herrscher tolerierten den Kult der Sabäer, schließlich wurde er dann aber doch verboten (Carra de Vaux 1974). Spuren des Namens Tammuz finden sich noch heute in der Bezeichnung für den Monat Juli in einigen Sprachen des Mittleren Ostens, aber ein solches sprachliches Überbleibsel kann nicht als Beleg dafür gewertet werden, dass hier noch irgendwelche Erinnerungen an frühere religiöse Konzepte bestünden.

Die tote Hand der Vergangenheit und der lebendige Gott Um die Geschichte einer Religion schreiben zu können, muß man vor allem an sie geglaubt haben, sonst könnte man nicht fassen, womit sie das menschliche Gewissen entzückt und befriedigt hat. Aber man darf auch nicht mehr unbedingt an sie glauben, denn der unbedingte Glaube ist mit der aufrichtigen Historie unvereinbar. – Ernest Renan, Das Leben Jesu (Übers. Hans Helling)

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er ernsthaft aussehende junge Mann mit den schönen Wimpern beugte sich über die Abschriften altägyptischer Texte und spielte mit verschiedenen Zeichenkombinationen herum. Nur ein paar kannte er bereits, von Königsnamen auf dem Stein von Rosette. Der Stein von Rosette erklärte aber nicht allzu viel, und er hatte noch viel vor sich, wenn er verstehen wollte, was all die Zeichen und die vielen Inschriften bedeuteten, die ihn hier in seinem ländlichen Refugium erreichten. Er hatte sich hierher zurückgezogen, weil er der neuen Regierung nicht traute; er selbst hatte die Revolution unterstützt und, was noch schlimmer war, Napoleon, in der Hoffnung darauf, wie er seinen Freunde erzählt hatte, eines Tages die schrecklichen Zwänge des veralteten katholischen Glaubens mit seinen unzähligen Regeln los zu sein. Er war jung und seine Ansichten waren modern. Er glaubte, dass sich die Menschen neu erfinden könnten, sich verbessern, indem sie die Tradition abschüttelten und gemeinsam die Errungenschaften der modernen Zeit nutzten. Vor allem aber hoffte er darauf, dass man die Priester abschaffte und ihren Einfluss auf das französische Bildungswesen beendete. Die Nation wurde schon so lange vom geistlosen Diktat der Priester unterdrückt, dass nur ein radikaler Republikanismus und dann das Kaisertum einen Ausweg zu bieten schienen. Jetzt aber hatten die Briten und die Deutschen seine Hoffnungen zerstört, den Kaiser abgesetzt und die Bourbonen – diese Idioten! – wieder an die Macht gebracht. Er hatte ihretwegen seine Arbeitsstelle verloren, weil er als politisch unzuverlässig galt. Wenigstens hielt sein Bruder noch zu ihm.

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Aber Moment mal, musste man diese neue Inschrift nicht so lesen: „Der Gott Thot hat zur Welt gebracht“? Und nahm man nicht an, dass dies die Bedeutung des Namens Thutmosis sei? Einen Versuch war es wert. *** 1822 entdeckte Jean-François Champollion eine neue Götterwelt, von der man bislang nur vage, durch die alten Griechen vermittelte Vorstellungen gehabt hatte. Mit ihm begann die Ära der Entzifferung der alten Sprachen, die es Hunderten von Wissenschaftlern ermöglichte, sich mit den Ideen und Gedanken der Bewohner des alten Orients zu beschäftigen (Adkins und Adkins 2000). Unsere Haltung gegenüber den Religionen des alten Orients wird von unserer Einstellung zu unseren zeitgenössischen Traditionen beeinflusst. Für einige unserer Zeitgenossen zeigen solche Denkweisen und Praktiken von Aberglauben und einem Mangel an rationalem Denken, wie sie manche Menschen noch immer in unseren eigenen Traditionen ausmachen. Falls von den antiken Traditionen des Nahen Ostens noch mehr übrig wäre als nur vage Reminiszenzen, dann würden wir vielleicht täglich gegen sie rebellieren. Die Vorstellung von Glücks- und Pechtagen würde uns eher albern erscheinen, auch wenn einige von uns zugegebenermaßen noch immer ihr Horoskop lesen (allerdings zumeist eher zur Unterhaltung denn aus religiösen Gründen). Die altorientalischen Traditionen boten einen konkreten Blick auf das Universum und sahen es als Kraft, die sich aktiv auf das tägliche Leben auswirkte und Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen beinflusste. Unsere heutigen Traditionen schieben diese Rolle einem einzigen Gott zu, und doch besteht das Problem des Bösen noch immer und ist nie auf zufriedenstellende Weise gelöst worden. Die alten Traditionen leben weiter – in der Art und Weise, wie die Menschen über höhere Mächte nachdenken, die unser Leben bestimmen, ob nun im Judentum, im Christentum, im Islam oder später entstandenen Konzepten. Auch die in der heutigen Welt vorherrschende Idee des Monotheismus hat sicherlich ihren Ursprung in diesen alten Quellen. In unserer modernen Gesellschaft sind religiöse Überzeugungen mehr im Wandel begriffen als je zuvor in den letzten 500 Jahren, seit der Entdeckung der Neuen Welt und der protestantischen Reformation. Alte Traditionen aus dem Fernen Osten und von anderswo werden auf dem Marktplatz der Ideen feilgeboten, und viele Bewohner des Westens entdecken darin neue Möglichkeiten, sich mit Religion zu beschäftigen, die weniger repressiv erscheinen als unsere eigenen Traditionen. Heute, wo es so einfach ist, mit anderen zu kommunizieren, sind sie viel leichter zugänglich, genau wie alternative, erst in jüngerer Zeit gegründete Religionen, die sich Facetten verschiedener anderer Kulturen ausborgen.

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Manche verwenden die Religionen des alten Orients – zumindest die spätägyptische Religion in ihrer gnostischen Form – dazu, um den dominanten christ­ lichen Traditionen den Spiegel vorzuhalten (Pagels 1979). Aber auch wenn ein Ansatz im Sinne eines „Was wäre wenn …“ durchaus attraktiv ist, bietet ein alternativer Geschichtsverlauf in unserer aktuellen Situation aus meiner Sicht nur begrenzten Nutzen. Ich könnte nicht behaupten, dass irgendeine der altorienta­ lischen Traditionen für Menschen, die sich heute auf einer spirituellen Suche befinden, besonders hilfreich wäre. Sie können eher als Wegweiser für wichtige Veränderungen im menschlichen Denken dienen, die wir zwangsläufig aus unserer eigenen Perspektive wahrnehmen. Man kann aber nicht von ihnen erwarten, dass sie uns in jeder Hinsicht gefallen, denn immerhin ist unsere heutige Lebenswelt eine komplett andere als die der Antike. In diesem Buch haben wir eine Welt kennengelernt, die uns in großen Teilen sehr fremd erscheint. Doch auch wenn wir über die Unterschiede staunen, so sind die Kontinuitäten dessen, was die Menschen fühlen und tun, unter Umständen größer als diese Unterschiede. Trotz allen technischen Fortschritts trauern wir noch immer um unsere Verstorbenen, und wir wissen noch immer, dass wir alle eines Tages sterben müssen, auch wenn unsere Konsumkultur sich weigert dies anzuerkennen. Die erste Tatsache, die wir in diesem Zusammenhang hervorheben müssen, ist, dass die altorientalischen Kulturen kein Wort für Religion kannten. All das, was wir hier untersucht haben, fiel für die Menschen damals nicht in eine bestimme Kategorie. Wir haben uns lediglich Dinge angesehen, die für uns heute unter den Oberbegriff „Religion“ fallen. Das lateinische Wort religio stammt vielleicht von religāre, was so viel wie „anbinden“ bedeutet – damit wäre also eine Tradition gemeint, die die Menschen verpflichtet, ihr zu folgen; es könnte aber auch von relegĕre kommen, „überdenken, erneut durchgehen“, so dass es bedeuten könnte: „etwas, das man überdenken muss“. Auf jeden Fall wurde religio erst im 1.  Jt. n. Chr. zu einem allgemeinen Wort für religiöses Verhalten, und seine moderne Bedeutung, im Sinne einer bestimmten Tradition neben anderen solchen Traditionen, ist sogar noch jünger (Smith 1964: 23–26). Es gibt in den Sprachen des alten Orients aber durchaus Wörter, die einige wichtige Aspekte dessen ausdrücken, was wir heute unter Religion verstehen. Das sumerische šu-luh h-h-a bedeutete „Hände waschen“, meinte aber später viel ˘ ˘ mehr als das, nämlich Riten, die die Menschen für ihre Götter durchführten. Die Akkader liehen sich dieses Wort aus, bezeichneten aber noch immer etwas sehr Spezifisches damit (Oppenheim 1992, Š II: 260–261). Das nicht damit verwandte hebräische Wort ῾avoda, „Arbeit“, kann in einigen Zusammenhängen so viel wie „anbeten“ bedeuten, scheint aber ebenfalls keine solch allgemeine Bedeutung zu

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haben wie unser Begriff. Tatsächlich stammt das heutige hebräische Wort für Religion, dāt, aus dem Persischen, wo es wohl „Gesetz“ bedeutete und dann in Erweiterung dieser Bedeutung „Tradition“ (Koehler und Baumgartner 1994– 2000, I: 234). Für ein bestimmtes Betätigungsfeld braucht man so lange keine Bezeichnung, bis man seine Korrektheit infrage stellen muss; im späten Hebräisch gab es einen Begriff für Ketzerei: ῾avoda sara, „seltsame oder fremdländische Arbeit“, eine Formulierung, mit der ein Traktat in der Mischna überschrieben ist, einem religiösen jüdischen Buch aus dem 3. Jh. „Seltsame Arbeit“ war das, was andere taten; die Rabbiner hingegen gaben Ratschläge, die die Arbeit Gottes bzw. den Gottesdienst betrafen. Ein weiterer Punkt, der noch um einiges wichtiger erscheint als ein fehlendes Wort für Religion, ist die Frage des Glaubens. Natürlich gab es in den altorientalischen Sprachen Begriffe, die ausdrückten bzw. bestätigten, dass etwas wahr sei. Diese Begriffe übersetzt man häufig mit „glauben“ oder Ähnlichem, und doch hat das Wort „Glauben“ eine ganz andere Kraft als jene Wörter. Der Gedanke, dass korrektes religiöses Verhalten beinhaltete, dass man etwas glaubte, war dem alten Orient fremd. Das sieht man gut am akkadischen Wort für „glauben“, qâpu. Es bedeutet genau genommen „einer Sache Glauben schenken“, aber auf religiöse Angelegenheiten scheint man es nicht angewendet haben. Es waren eher einfache Aussagen wie: „Sie glauben nicht, dass der König kommen wird“, in einem neuassyrischen Brief. Der Begriff bedeutete auch, dass man jemandem etwas anvertraute; Götter konnten das Königen gegenüber tun. Es bedeutete auch, dass jemand ein Darlehen vergab oder einen Kredit absicherte (Oppenheim 1982 Q: 93–98). Im Hebräischen wird die Wurzel ᾿mn mit „glauben“ übersetzt, aber genau genommen bedeutet sie in den meisten Fällen, wie es scheint, so viel wie „der Meinung sein, dass jemand oder etwas zuverlässig ist“, und das bezieht sich nicht unbedingt auf Gott. Abraham zum Beispiel „glaubte dem Herrn“, nachdem Jahwe ihm versprochen hatte, er werde noch ein Kind zeugen (1 Mose 15,6) – vermutlich „glaubte“ er, dass die Vorhersage in Erfüllung gehen würde. In 2 Mose 14,31 heißt es vom Volk Israel, nachdem es Zeuge der Wohltaten Jahwes geworden ist, der sie aus Ägypten geführt hat: „Und das Volk fürchtete den Herrn, und sie glaubten ihm und seinem Knecht Mose“; sie waren also der Meinung, diese beiden seien vertrauenswürdig. Selbst in dem relativ späten Text Jona 3,5 heißt es zwar: „Da glaubten die Leute zu Ninive an Gott“, aber das heißt an dieser Stelle lediglich, dass sie der Meinung waren, die Vorhersage, ihre Stadt würde zerstört, werde eintreffen. Näher am späteren Sinn des Wortes ist 2 Chronik 20,20, vielleicht auf um 300 v.  Chr. datierbar, als die Normen des Monotheismus in Israel definitiv bereits

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e­ inen festen Platz hatten. Im Zusammenhang mit den Reformen des Joschafat sagt der Sprecher, der priesterliche Stamm der Leviten sei vom König ermahnt worden: „Glaubet an den Herrn, euren Gott, so werdet ihr sicher sein; und glaubt an seine Propheten, so werdet ihr Glück haben.“ Jesaja, der Prophet aus dem 8. Jh. v. Chr., sagt in 7,9b, nach einem Orakel über die bevorstehende Niederlage eines Feindes: „Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht!“ Das klingt schon ziemlich genau nach der späteren Verwendung von „Glauben“. Gott will, dass der König ihm glaubt, das Vorausgesagte werde geschehen, und dann werde es auch geschehen; aber dies geht bereits in die Richtung, dass die Existenz Gottes beteuert wird. Auf jeden Fall wird der Begriff in der jüdischen Bibel kaum verwendet, und obwohl wir beobachten können, dass das Konzept des Glaubens in späteren Texten wichtiger wurde, stand es sicherlich nie im Mittelpunkt (Gladigow 1995: 22; Wildberger 1971: 192–193). Der Gedanke, dass der Mensch allein aufgrund des Glaubens tat, was Gott wollte, war außergewöhnlich. Es kam gegen Ende dieser Periode auf, vielleicht im Zuge von Behauptungen in Schriften wie dem Buch Daniel, von dem man Teile in die Zeit des Makkabäeraufstands um 164 v. Chr. datieren kann. Der Autor vertrat den Standpunkt, dass für die, die abwarteten und ihre Traditionen pflegten, alles gut werden würde. Dies war die Reaktion politisch entrechteter Menschen, die das Gefühl hatten, nicht einmal beeinflussen zu können, wie sich ihre eigene Kultur entwickelte; was sie tun konnten, war, sich treu zu bleiben und zu versichern: „Die Verständigen werden’s achten“ (Daniel 12,10b). Man musste eigentlich überhaupt nichts tun, denn am Ende würde Gott Erlösung bringen: „Du aber, Daniel, gehe hin, bis das Ende komme; und ruhe, daß du aufstehst zu deinem Erbteil am Ende der Tage!“ (12,13). Dieses Gefühl, dass man als Mensch nur noch Zeuge sein konnte, war ein Motiv in den etwas späteren Büchern der Makkabäer und stand in Verbindung mit der Wertschätzung des Martyriums. Sich für den rechten Glauben töten zu lassen war erst erlaubt, nachdem die jüdische Tradition das Konzept aufgriffen hatte, dass man nach dem Tod belohnt oder bestraft würde (Shepkaru 2006). Diese neue Vorstellung vom Tod wurde zwischen 250 v. Chr. (das Buch Kohelet lehnt sie noch entschieden ab und sagt, einen Klugen und einen Narren erwarte das gleiche Schicksal) und 100 v. Chr. (in der Weisheit Salomos begegnet sie als allgemeingültiger Grundsatz), zu einer weit verbreiteten Überzeugung. Diesen Gedanken favorisierte die jüdische Gruppe der Pharisäer; die Sadduzäer lehnten ihn ab, wurden jedoch im Zuge der Zerstörung des Zweiten Tempels durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. als intellektuelle Kraft eliminiert. Politische Machtlosigkeit war für die Juden an der Tagesordnung, und religiöse Menschen erkannten, dass sie ihre religiösen Bräuche möglicherweise nicht mehr praktizieren

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könnten, wenn der Staat intervenierte. Auf jeden Fall konnten sie aber glauben, und so interpretierten sie Aussagen zu Jahwes Macht in der jüdischen Bibel als Aussagen des Glaubens – oder als Glaubensbekenntnisse, um den christlichen Terminus zu bemühen. Eine findet sich in 5 Mose 6,4: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Herr. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen.“ Diese Entwicklung in der Auseinandersetzung mit der Religion erfolgte teilweise deshalb, weil der Monotheismus die Frage aufwarf, ob man sich in Sachen Religion auch wirklich richtig verhielt, obgleich auch Polytheismen sich durchaus strikter geben konnten, wenn sie sich bedroht fühlten (Gladigow 1995: 25). Ende des 1. Jahrtausends hatte sich die Möglichkeit, in religiöser Hinsicht falsch zu liegen, als Alternative zum eher beliebigen Polytheismus etabliert, der in früherer Zeit das Denken dominiert hatte und bei dem das Ende des Einzelnen stets offen war. Die Juden vertraten die Ansicht, dass die meisten Leute falsch lagen und an die falschen Götter glaubten – Götter, die nicht einmal existierten. Der Gott der Juden war der wahre Gott, und so konnten sie sicher sein, dass er ihres Vertrauens würdig war. Der Monotheismus brachte auch die Möglichkeit mit sich, Menschen, die an das Falsche glaubten, zu verfolgen, zu ihrem eigenen Besten. Als die Juden selbst eine verfolgte Minderheit waren, war dies nur eine theoretische Option, mit Ausnahme der erzwungenen Bekehrung der Idumäer aus dem Südosten Israels im 1. Jh. v. Chr. durch die Anführer der Makkabäer (Josephus, Jüdische Altertümer 13.9.1). Als das Christentum in Rom zunächst ein tolerierter Glaube wurde und dann zur römischen Staatsreligion, da war die Verfolgung Andersgläubiger mehr als nur eine Möglichkeit: Sie wurde geradezu zu einer theologischen Notwendigkeit, denn die fortgesetzte Existenz eines falschen Glaubens konnte das Seelenheil auch der Rechtgläubigen bedrohen. All dies hatte seinen Ursprung in den Religionen des alten Orients. Jetzt wollen wir versuchen festzustellen, welche Bezüge wir zwischen unseren Kenntnissen über den Nahen Osten und Gedanken über die Religion im Allgemeinen herstellen können. Innerhalb der Religionswissenschaft ist die vorherrschende Denkweise, was die Geschichte der Religionen betrifft, immer noch diejenige von Thorkild Jacobsen, der bereits 1946 formulierte, dass die zur religiösen Verehrung verwendeten Gegenstände ursprünglich im wirtschaftlichen Leben wichtige Handelsgüter gewesen seien (1946, 1976). Er verband diese Sichtweise mit Rudolf Ottos Ansicht, dass Religion aus der numinosen Erfahrung der Begegnung mit dem Unheimlichen oder Heiligen entstanden sei (1923). Was die organisierte Religion Ottos Meinung nach versuchte, war, dieses Gefühl zu konkretisieren oder nachzuahmen. Otto ging von seinen Betrachtungen der römischen Religion aus, und sein zentraler Begriff dabei war

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numen, was jede Art von „Geist“ bezeichnen kann. Für Otto war das numen die Hauptinspirationsquelle für religiöse Gefühle. Einige Forscher, die sich speziell mit der römischen Religion beschäftigen, bezweifeln inzwischen aber, dass man wie Otto den Begriff des „Heiligen“ tatsächlich mit dem römischen sacer gleichsetzen kann, vor allem im Hinblick auf das Konzept einer Unterscheidung zwischen „heilig“ und „profan“. Es kann gut sein, dass diese Unterscheidung keine universelle Gültigkeit hat und nicht einmal bis in die Römerzeit zurückreicht; wenn sie aber eine neuere Denkweise ist, dann ist sie für eine Untersuchung des Altertums, und somit auch des alten Orients, natürlich vollkommen irrelevant (Sabbatucci 1994). Auch unser heutiges Empfinden sieht religiöse Handlungen nicht als den Versuch an, Gefühle des Unheimlichen zu wecken. In religiösen Kontexten können außergewöhnliche Erfahrungen gemacht und mit religiöser Bedeutung aufgeladen werden – oder auch nicht. Können wir aber darüber hinaus wirklich sagen, dass alle, die meisten oder zumindest die wichtigsten religiösen Handlungen dazu angetan sind, solche Gefühle zu induzieren oder zu reproduzieren? In vormodernen Gesellschaften gehörten religiöse Handlungen zum Alltag, und man erwartete gar kein außergewöhnliches oder besonders starkes Gefühl; man kommunizierte mittels Opfern und Omina nun einmal mit den Göttern, und diese Handlungen konnten dem Individuum von Nutzen sein. Der Einzelne erwartete dabei aber nicht notwendigerweise mehr als die ganz allgemeine Bestätigung, dass er so handelte, wie die Götter es sich wünschten. Zumindest in historischen Zeiten reduzierte man die Hauptgötter nicht auf ein einzelnes Phänomen als ihren Machtbereich (Ringgren 1973: 5). Im Westen des alten Orients gab es Ekstatiker und Propheten, von denen man glaubte, dass sie einen engeren Kontakt zu einem oder mehreren Göttern hatten als gewöhnliche Menschen, aber es ist mitnichten so, dass gewöhnliche Menschen ihnen nacheiferten oder eine Disziplin ausüben wollten, die vielleicht zu einer ähnlichen Erfahrung führte. In allen Gesellschaften mag es Mystiker gegeben ­haben, Menschen, die in direkterem Kontakt mit dem Göttlichen standen, aber daraus folgt nicht, dass man ihre Erfahrungen als nachahmenswert ansah oder dass sie eine Art kulturellen Stil diktierten. Eine Ausnahme mag das alte Israel gewesen sein; nicht, dass wir viel darüber wüssten, wie genau man damals zum Propheten wurde, aber es ist vielfach angemerkt worden, dass die Propheten Israels Religion revolutionierten. Ihre Worte waren für die, die an der Macht waren, unbequem und wurden von denen, die nicht an der Macht waren, in Ehren gehalten und abgeschrieben, und wenn sich herausstellte, dass die Propheten die prekäre politische Lage der Königreiche von Israel korrekt vorausgesagt hatten, wuchs die Bedeutung, die

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man ihren Worten beimaß. Zur Zeit, als das Deuteronomium, das 5. Buch Mose, entstand, vor 622 v. Chr., galten die Propheten bei frommen Intellektuellen als wesentlich wichtigere Instanz für die Vermittlung des göttlichen Willens als alle anderen Institutionen, einschließlich der Priester. Aber auch die Deuteronomisten wollten offenbar nicht, dass ihre Zeitgenossen Propheten würden, um die früheren Propheten nachzueifern. Das Wort des Herrn war bereits verkündet, und für die Deuteronomisten ging es darum, es in die Tat umzusetzen. Daher sehen wir einen gewissen augenscheinlichen Legalismus in ihren umfangreichen Vorgaben. Die Grundlage für Jacobsens Definition von Religion könnte man also infrage stellen, aber das bedeutet nicht, dass seine Lesart der antiken Texte falsch war. Jacobsen war der Ansicht, die besten Denker und Schriftsteller in Mesopotamien hätten sich stetig weiterentwickelt ab dem 4. Jt. v. Chr., als man die Götter als Verkörperung der ökonomisch wichtigsten Produkte ansah. Für Jacobsen stellte Tammuz die Dattel bzw. die Dattelpalme dar und Inanna, die akkadische Ištar, war das Lagerhaus, das es möglich machte, Datteln zu lagern. Sicherlich hatte Jacobsen insofern Recht, als Datteln und Lagerhäuser von entscheidender Bedeutung für das Leben in den Sümpfen des südlichen Irak waren, aber das waren sie auch noch nach dem 4. Jt. v. Chr. Im nächsten Schritt hob Jacobsen die Tatsache hervor, dass man die Götter als königliche Gestalten ansah. Laut Jacobsen schuf der Aufstieg der von Königen geführten Stadtstaaten den Kontext, in dem die Vordenker ihre Götter nicht mehr als elementare natürliche oder wirtschaftliche Kräfte ansahen, sondern als mächtige Könige mit eigenem Hofstaat, die das Universum regierten. Seiner Meinung nach musste diese Art der Organisation im 3. Jt. v. Chr. entstanden sein, als die Stadtstaaten wichtig wurden. Als Nächstes wurden aus den Göttern dann aufmerksame Hirten, die sich um ihre menschliche Herde kümmerten. Dies sah Jacobsen als ein Kennzeichen des 2. Jts. v. Chr. an; die Gesetze Hammurabis waren für ihn eine Ausprägung dessen, was man für den Willen der Götter hielt: Die menschlichen Könige imitierten die Götter, indem sie sich um ihre Untertanen sorgten. Am 1. Jt. v. Chr. war Jacobsen nicht besonders interessiert, er war der Ansicht, dass die vorherrschenden Vorstellungen von den Göttern durch die Babylonier nicht sonderlich weiterentwickelt worden seien. Die Ereignisse der Achsenzeit interessierten ihn noch weniger, da die Babylonier an den Veränderungen jener Epoche kaum Anteil hatten. Jacobsens Formulierungen basierten auf seiner Entwicklungstheorie und gründeten auf Texten, die in der altbabylonischen Zeit kopiert wurden. Selbst seine Texte über Tammuz und Inanna, die Personifizierungen von Dattel und Lager­halle,

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stammten aus dieser Zeit, doch laut Jacobsen reflektierten sie frühere Gegebenheiten. Er gab aber auch zu, dass all diese Vorstellungen lange Zeit fortbestanden. So einflussreich Jacobsens Perspektive auch war, sie erscheint nicht sonderlich informativ. Sie zeugt auch von einem Glauben an Fortschritt und Entwicklung, den man eigentlich eher beweisen müsste als voraussetzen. Jeder, der sich das antike Material ansieht, merkt, dass es im Laufe der Zeit Veränderungen gab, aber diese Veränderungen gingen nicht notwendigerweise so vonstatten, wie Jacobsen es vorschlug – es ist nicht einmal klar, dass sich diese Veränderungen immer in eine Richtung bewegten. Früher nahm man an, dass der Animismus (die Vorstellung, dass alles einen Geist besitzt, den man beleidigen und auch wieder beschwichtigen kann) die Grundlage des Polytheismus war, wobei einige Details mehr in den Vordergrund rückten als andere, und zwar aus eigentlich ganz willkürlichen Gründen, die manchmal etwas mit dem jeweiligen Umfeld zu tun hatten. Und doch können wir nicht mit Sicherheit behaupten, dass jede Kultur zwangsläufig diese Phase durchmachte oder dass wir solche Entwicklungen in den Keilschrifttexten des frühen 2. Jts. v. Chr. finden. Zum Beispiel bin ich mir nicht sicher, ob dieses Konzept die Prominenz des Gottes Aššur im Nordirak zu erklären hilft. Wie wir festgestellt haben, wurde dort ein großer Felsen als Gott verehrt; dann wurde dieser Gott, vielleicht aus politischen Gründen, zum Gott der Stadt, der er seinen Namen gab, und er nahm die charakteristischen (menschlichen) Merkmale des regierenden Königs an (Lambert 1983). Man könnte zwar argumentieren, dass Regen im Nordirak für den Erfolg der Landwirtschaft stets wichtiger war als irgendein Felsen, trotzdem hatten weder der akkadische Gott Adad noch der hurritische Wettergott Teššup, auch wenn beide eine herausragende Position innehatten, eine ähnliche Bedeutung für die Region rund um Aššur wie der gleichnamige Gott. Aššurs langfristiger Erfolg war kaum vorhersehbar, und politische Faktoren spielten dabei eine große Rolle. Neben Otto und Jacobsen gab es noch weitere einflussreiche Religionstheoretiker, aber alle wirkten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Einer der ganz frühen war der französische Soziologe Émile Durkheim, der Gesellschaften als Manifestationen dessen ansah, dass die Menschen bestimmter Funktionen bedürften. Religionen gaben den Menschen, so Durkheim, die Möglichkeit, Solidarität aufzubauen und Motive dafür zu entwickeln, ihre Ressourcen zu organisieren. In dieselbe Kerbe schlug der polnische Ethnologe Bronisław Malinowski, der vorschlug, dass Mythen, Geschichten über Götter, dafür entwickelt wurden, um Autoritätspersonen das Recht zu verleihen, ihren Untergebenen die Überschüsse wegzunehmen, und im allgemeineren Sinne, um die Weichen für die Gesellschaft zu stellen (1948: 52–53). Dabei sahen die Theoretiker solcherlei Motive gar nicht unbedingt als negativ an.

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Ganz anders Marx und Engels; für sie war Religion nach einem berühmten Zitat „Opium fürs Volk“, was heißen sollte, dass die Religion lediglich eine Reihe ausgedachter Geschichten darstellte, die die Menschen zum Gehorsam erziehen sollten (Niebuhr 1964: 42). Dabei ist der Kontext vielleicht nicht so negativ, wie er zunächst erscheinen mag: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks“ (Hervorhebung im Original). Marx’ grundlegende Einsicht „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen“ wird heute weithin akzeptiert und erscheint kaum noch so radikal wie im Jahr 1844 (Niebuhr 1964: 40). Zeugnisse aus dem alten Orient, die das Argument einer solchermaßen funktionellen Religion stützen würden, sind zumindest strittig. In der südmesopotamischen Stätte Eridu kann man beobachten, dass man einem Gott schon früh Fisch opferte, wodurch Priester und Gläubige eine Gelegenheit erhielten, zu einem Festmahl zusammenzukommen. In Siedlungen wurden Lagerhäuser gebaut, damit man die Ernteüberschüsse lagern und nach Bedarf verteilen konnte, und auf diese folgten große kommunale Gebäude, die als Tempel fungierten und mittels derer die Gemeinden ihren Göttern ihre Hingabe und Macht demonstrierten. Zweifellos beinhaltete diese Art der Organisation einige Zwangsmaßnahmen (Liverani 1986: 141–150), aber im Süden des Irak konnten die Menschen eine Gemeinde ganz einfach verlassen, wenn die Zwänge für sie zu groß wurden, denn es gab keine Grenzen zwischen den Gemeinden, denen es vorrangig um Wasser zur Bewässerung ging. Dadurch hielt sich die Unterdrückung wahrscheinlich in Grenzen. In Ägypten waren das Niltal und die umliegende Wüste deutlicher voneinander abgegrenzt, und so war die Bewegungsfreiheit entlang des Flusses unter Umständen eher eingeschränkt als in Mesopotamien. Die Religion hatte eine bedeutende Funktion dabei, Ressourcen anzuhäufen, zu segnen und an Bedürftige zu verteilen. Zu diesen Empfängern gehörten die Organisatoren bzw. „Kopfarbeiter“ (wie Marx sie verächtlich nannte, weil er sie als Parasiten der Menschen ansah, die die Nahrung tatsächlich produzierten), aber ebenso Mittellose und Witwen und Waisen. Die Gemeinden hatten ein gemeinsames Interesse daran, potenzielle Aussteiger aus der Gesellschaft an sich zu binden und durch deren Arbeitskraft das Gemeinwohl zu fördern. Dies trug zu der sozialen Funktion der Religion bei, auch die besonders verzweifelten Menschen in der Gemeinde zu halten. Doch längst nicht in allen Geschichten, die religiös erscheinen, zeigen bestimmte Götter oder ihre Vertreter Mitleid mit den Unterdrückten. Bei Muttergottheiten war das schon eher der Fall, bei Kriegsgöttern und -göttinnen kaum. Dem Soziologen Max Weber ging es nicht um Herkunft oder Zweck der Religion, sondern um ihre Tendenz, Institutionen zu schaffen. Er sah ein sich wiederho-

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lendes Muster mit charismatischen Führern, die innerhalb einer Gesellschaft an Einfluss gewannen und ihre Anhänger zum Umdenken anregten. Innerhalb einer oder zweier Generationen erhielten die Gruppen, die diese Anführer um sich geschart hatten, eine starre Struktur mit einer eigenen Logik; die Antriebsfeder hierfür waren Selbsterhaltung und Ausweitung der persönlichen Macht. In der Geschichte des alten Orients ist es manchmal schwierig, charismatische Persönlichkeiten auszumachen, aber immerhin kennen wir einige Details über die Einrichtung und Erhaltung von Institutionen. Weber dachte bei charismatischen Personen wahrscheinlich eher an die Propheten Israels, aber gerade bei diesen ist unklar, welche Institutionen es bei ihren Anhängern gab (Weber 1968). Unter den Königen, die Nachkommen Davids waren, ist das Bemühen, Institutionen aufzubauen, genauso evident wie die langfristigen Auswirkungen der durch diese Institutionen entstehenden Überzeugung, dass die Anführer der Juden aus dem Geschlecht Davids stammen sollten. Dass wir Webers Erkenntnisse kaum auf die Ursprünge von Institutionen im alten Orient anwenden können, liegt an einem Mangel an persönlichen Schriften von dort. Im Spektrum, das vom biederen Klischee bis zur persönlichen Kreativität reicht, bevorzugte der alte Orient in der Regel das Klischee, außer vielleicht in der Kunst. Diese Zurückhaltung mag daher stammen, dass kulturelle Führer in all diesen Regionen der Ansicht waren, dass die Institutionen, die sie schufen, fragil seien und bei der geringsten Erschütterung in sich zusammenfallen könnten. Damit hatten sie auch meistens Recht, denn in der altorientalischen Geschichte begegnet Uneinigkeit viel häufiger als Einigkeit, auch wenn es natürlich gerade die Zeiten der Einigkeit waren, die in der jeweiligen Kultur (und in unserer) gefeiert wurden (Brinkman 1984). Studien zum alten Orient scheinen keine der großen klassischen Erklärungen religiösen Verhaltens deutlich zu illustrieren, auch wenn die detaillierteren Beschreibungen von Institutionen ganz plausibel sind. Aus der Hirnforschung wissen wir mittlerweile, dass einige Formen religiöser Handlungen die Aktivität in jenen Hirnarealen zu reduzieren imstande sind, die das Individuelle betonen; stattdessen erzeugen sie das Gefühl, in einer Gruppe und im Universum insgesamt gut aufgehoben zu sein (Begley 2001). Diese Tatsache mag den Argumenten für die Funktionalität von Religion eine weitere Dimension hinzufügen; Menschen geht es nach einigen dieser Handlungen (zum Beispiel Beten) besser, und dieses Gefühl wird den Menschen der Antike genauso gefallen wie vielen von uns noch heute. Einiges erklärt diese Tatsache aber nicht: Warum dieses Gebet und nicht ein anderes? Warum in dieser Sprache und nicht in jener? Warum ein großes gemeinsames Happening und nicht eine kleine persönliche Bitte im Stillen?

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Der verstorbene italienische Religionshistoriker Angelo Brelich hat in der Nachfolge von Raffaele Pettazzoni ein Argument präsentiert, das einige Aspekte der altorientalischen Religionen zu erklären scheint. Dabei geht es um die Kategorie des Polytheismus. In der Moderne griff als Erster Jean Bodin im Jahr 1580 den Begriff auf (Sabbatucci 1998: 9), den bereits Philo von Alexandria in einer abwertenden Beschreibung nichtjüdischer religiöser Praktiken verwendet hatte (Marcus 1961: 240). Brelich vertrat die Ansicht, dass Polytheismen sich nicht automatisch und universell aus einfacheren Formen der Religiosität entwickelten, sondern stattdessen selten bezeugte Ideologien darstellten, die in der Regel mit komplexen gesellschaftlichen Formationen einhergingen. Er behauptete, dass es keinen perfekten Polytheismus gebe, so dass einzelne Instanzen zwangsläufig Aspekte früherer religiöser Denkweisen weitertrugen. Er war der Meinung, dass sich die vom evolutionären Denken beeinflusste Forschung früher allzu sehr darauf konzentriert hatte, bestimmte Phasen zu definieren, um zu ihren Ursprüngen zu gelangen, und dass diese Taktik dazu führte, dass man bestimmte religiöse Traditionen mit veralteten Methoden und Konzepten untersuchte (Brelich 2007: 24). Nicht jede religiöse Tradition, die kein Monotheismus ist, ist ein Polytheismus, aber das ist eine spezialisierte Entwicklung in nur einigen Gesellschaften, und sie ist im Gegensatz zu früheren Formen relativ neu (Brelich 1960: 132–133). Insbesondere kontrastiert Brelich die Polytheismen mit der Verehrung von Ahnen und Geistern (1960: 126). Eine solche Praxis war weit verbreitet, und davon könnten die in Polytheismen manchmal vergötterten Helden zeugen. Allerdings entstanden Polytheismen nur in Kulturen, die über eine Schrift verfügten, über eine ausgedehnte und produktive Landwirtschaft und über eine Differenzierung im Sektor Arbeit, so dass nicht jeder Bauer sein musste. Ausnahmen von dieser Regel sind lediglich die Religionen an der Küste von Guinea sowie diejenigen der Yoruba, der Dahomey und der Polynesier. Auf der anderen Seite ist China eine komplexe Kultur, die nie einen Polytheismus gekannt hat; landwirtschaftliche Komplexität ist also durchaus ohne Polytheismus möglich (Brelich 1960: 133; Shaughnessy 2007: 511–516). Polytheismen können übrigens auch ohne Mythologie existieren, wie Rom demonstriert; dort waren alle guten Geschichten von den Griechen entlehnt (2007: 79). Brelich besteht darauf, dass jeder Versuch, bestimmte Götter eines Polytheismus auf landwirtschaftliche oder andere Phänomene zurückzuführen, zum Scheitern verurteilt ist, weil die Götter komplexer Polytheismen immer eine Persönlichkeit und eigene Charaktereigenschaften haben. Er hat zahlreiche Götter untersucht, die eindeutig mit bestimmten Phänomenen in Verbindung gebracht wurden; im Falle des indischen Feuergottes Agni beispielsweise, dessen Name sogar „Feuer“ bedeutet, konnte er beweisen, dass die Assoziation mit Feuer kulturell

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bedingt war und man daraus keinesfalls ableiten konnte, was Agni im Einzelnen tat (Brelich 2007: 29, 43–44). Er stellte auch die ganz allgemeine Behauptung auf, dass Götter mit allzu transparenten Namen weniger persönliche Eigenschaften aufwiesen und dass es weniger Geschichten über sie gab; im Zuge dessen erwähnt er die besonders blasse ägyptische Ma’at (2007: 72). Diese Götter könnten Relikte früherer Zeiten sein, und die Existenz zahlreicher kleinerer Götter zeigt, dass komplexe Polytheismen nicht unbedingt gründlich dabei vorgehen, wenn sie Götter mit Persönlichkeiten ausstatten. Fluss- und Quellgottheiten könnten zeigen, dass auch in Polytheismen ein gewisser Animismus oder auch „prädeistische“ ­Ideen weiterexistierten (2007: 102–103, 109). Aus diesen Studien kann man schlussfolgern, dass die altorientalischen Religionen mehr mit anderen Polytheismen gemeinsam hatten als vielleicht mit benachbarten Traditionen, die im Hinblick auf die Eigenschaften ihrer Götter weniger entwickelt gewesen zu sein scheinen. Ein Einwand, den ich gegen Brelichs Formulierungen vorzubringen hätte, hat mit seiner Definition der Götter zu tun. Er schreibt, ein Gott müsse ein Wesen sein, das in menschlichen Angelegenheiten eingreift, über eine dauerhafte Existenz verfügt, verehrt wird und nichtmensch­ lichen Ursprungs ist (2007: 29). Mit dauerhafter Existenz meint er Unsterblichkeit, aber wie ich schon früher gezeigt habe, gab es im alten Orient durchaus Götter, die starben, und auch wenn sie „für immer“ existierten, indem man sie über lange Zeit hinweg verehrte und dachte, sie hätten für menschliche Belange eine gewisse Bedeutung, starb ein Gott wie Osiris tatsächlich – und er war nicht der einzige. Die Götter waren sicherlich größer und mächtiger als alle Menschen, aber nicht alle Götter waren unsterblich. Zweifellos beeinflusst uns hier das Epitheton der griechischen Götter, athanatoi („Unsterbliche“), aber dennoch ist Unsterblichkeit keine universelle Eigenschaft der Götter in Polytheismen. Wenn dem so wäre, würden einige der Kämpfe, die diese Götter untereinander ausfechten, weit weniger heroisch erscheinen – und sie wären weniger wichtig für die menschliche Erfahrung, wie wir sogar noch im Christentum beobachten können. Laut Burkhard Gladigow können wir Polytheismen noch immer nicht wirklich kategorisieren, aber er wagt immerhin eine Definition: „Als Polytheismus wird eine Religionsform bezeichnet, in der ein Handeln einer Mehrzahl persönlich vorgestellter Götter konzipiert ist.“ Gladigow verzichtet darauf, Polytheismen und den Aufbau der dazugehörigen Gesellschaften miteinander in Beziehung zu setzen (Gladigow 1983: 294, 297, 303; Sabbatucci 1998: 16, 121). Karl-Heinz Golzio versuchte, mesopotamische und indische Tempel miteinander zu vergleichen, und das durchaus mit Erfolg. Er fand heraus, dass es in den beiden Kulturen Ähnlichkeiten hinsichtlich der kosmischen Vorstellungen über die Häuser der Götter gab. In beiden galten Tempel als „Bühne für die großen

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Tempelfeste“ (Golzio 1983: 175). Doch untersucht Golzio leider nicht die aktuellen Traditionen in Indien, sondern nur die klassischen Schriftkulturen. Dabei könnte ein solcher Vergleich durchaus aufschlussreich sein, wie Lawrence Babb gezeigt hat (1975). Man darf durchaus fragen, ob wir, abgesehen von den Ideen und Weisheiten des Monotheismus, auf dem unsere westliche Kultur aufgebaut ist, in der Beschäftigung mit dem alten Orient irgendetwas Göttliches entdecken können, das uns möglicherweise heute noch etwas mitzuteilen hat. In einem ganz wunderbaren Buch hat der kürzlich verstorbene walisische Assyriologe H.  W.  F. Saggs auf­ gezeigt, dass das Material aus dem alten Mesopotamien viele Annahmen und ­Aspekte aufweist, die später in den hebräischen Traditionen wichtig wurden. Saggs argumentiert, seit der Reformation liege der Schwerpunkt zunehmend bei der Religion als Glaube anstatt bei der Religion als Ritual, was aber unhistorisch sei. Er weigerte sich ausdrücklich, die Ursprünge der Religion zu untersuchen, denn diese Ursprünge seien zu kompliziert und ohnehin in der Vergangenheit verloren, vor allem wenn man versuche, sumerische und semitische religiöse Denkweisen voneinander abzugrenzen (Saggs 1978: 26–28). Saggs untersucht Konzepte von Schöpfergottheiten in der Bibel und in mesopotamischen Schriften, wobei der Gott der Israeliten am Anfang gar kein Schöpfergott war. Er stellt klar, dass Jahwe in den Geschichten um Moses nicht allwissend ist, denn er ist nicht in der Lage, zwischen israelitischen und ägyptischen Häusern zu unterscheiden. Vielleicht wurde Israels Gott durch den Einfluss des Bildes, das man sich von Marduk machte, zum Schöpfer. Der kanaanäische Gott El war ein Schöpfergott gewesen, aber Saggs zeigt, dass er erst recht spät mit Jahwe assoziiert wurde (Saggs 1978: 36, 42, 45, 49). Saggs behauptet, dass der Gedanke, Gott bzw. Götter könnten sich in den Lauf der Geschichte einschalten, im ganzen alten Orient verbreitet war. Man konnte sich dem losen Verband anschließen, aus dem Israel bestand, und man konnte diese Gemeinschaft wieder verlassen, und die Kriterien, die dabei eine Rolle spielten, hatten nichts mit dem Glauben zu tun. Wenn die Mesopotamier erklären wollten, warum die Dämonin Lamaštu Säuglinge tötete, hatten sie zwei Antworten parat: Eine war, dass sie sich gegen den gütigen Plan der großen Götter auflehne, die andere, dass sie Teil eines Plans sei, der eine Überbevölkerung verhinderte. In Mesopotamien blieb das Problem des Bösen genauso ungelöst wie in Israel (Saggs 1978: 67–68, 98, 104, 124). Zu den Mechanismen der Kommunikation mit dem Göttlichen gehörten in Teilen Mesopotamiens und in Israel auch Wahrsagerei und Prophetie. Die Propheten der altbabylonischen Stadt Mari behandelten eher spezielle Probleme zum Wohle der Machthaber. Die Propheten in Israel, deren Schriften uns überliefert

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sind, taten dies nicht; sie scheinen das ganze Volk angesprochen zu haben, und auch wenn sie bestimmte Handlungsweisen empfahlen, so stellten sie diese doch immer in einen größeren Kontext. Sie sprengten die Grenzen der traditionellen altorientalischen Religion, auch die des früheren Jahwismus, vor allem indem sie dem Kult seine Wirksamkeit absprachen und damit all jenen Dingen, derer sich die Menschen bislang bedient hatten, um den Gott zu besänftigen (Saggs 1978: 125, 150–152). Was die Frage des Universalismus betrifft, beginnt Saggs mit einer Gegenüberstellung von populärer und elitärer Religion; sein Fazit ist, dass der populären schwer beizukommen sei. Und er behauptet: Die „manchmal geäußerte Annahme, dass das Leben der Menschen in der Antike von der Religion beherrscht wurde, entbehrt jeglicher Grundlage“. Beim zweiten Jesaja findet sich ein expliziter Universalismus, der zum Ausdruck bringt, dass der Gott Israels für alle Menschen zuständig sei; in Mesopotamien tritt der Universalismus zwar nicht explizit hervor, doch zeigen assyrische Königsinschriften, dass die Assyrer glaubten, der Sonnengott wache über ihre Feinde, und die mesopotamische Hymne auf den Sonnengott bringt zum Ausdruck, dass auch er für alle da war (Saggs 1978: 159, 178–180). Nachdem er festgestellt hat, dass die israelitische Religion größtenteils als altorientalische Religion zu gelten hat und dass sich die wichtigsten Konzepte Israels auch in mesopotamischen Texten finden, versucht Saggs als Nächstes festzustellen, welche Unterschiede es tatsächlich gibt. Er kommt zum Schluss, es liege vor allem daran, dass sie erst so spät in der altorientalischen Geschichte auftauchte, dass die israelitische Tradition sich kritischer gegenüber Institutionen zeigte. Israel hatte einfach weniger Ehrfurcht vor der Tradition, weil diese gar nicht so alt war, und Israels religiöse Vordenker waren weniger tolerant gegenüber Abweichungen von ihren eigenen Konzepten als die polytheistischen Mesopotamier. Dies ist zeigt sich besonders deutlich in der Zeit nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil, wo israelitische Führer mit mesopotamischen Praktiken und Gedanken in Berührung gekommen waren (Saggs 1978: 183, 185–186). An einigen Stellen verleiht Saggs seiner Überzeugung Ausdruck, dass die ­Mesopotamier wie auch die Israeliten darum gerungen hätten, dem wahren Göttlichen zu begegnen. Das war natürlich ein Ausdruck des Glaubens, und ob wir dies nun nachvollziehen können oder nicht: Es unterstreicht die grundlegende Tatsache, dass die Religionen des alten Orients noch heute lebendig sind – ganz gleich, ob wir sie in all ihrer Vielfalt, mit all ihren Licht- und Schattenseiten würdigen oder nicht. Einige Traditionen des alten Orients erscheinen uns heute seltsam und fremd, beispielsweise der ägyptische Totenkult oder die mesopotamischen Omina. Es gibt aber einen Aspekt dieser Traditionen, der noch immer besonders lebendig

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und zugänglich erscheint, und das ist die sogenannte Weisheitsliteratur der hebräischen Bibel. Wie bereits erwähnt, gibt es keinen so klaren Begriff dafür in ­Mesopotamien, und in Ägypten kommen wahrscheinlich die Instruktionsschriften dem, was wir als Weisheit bezeichnen, am nächsten. Das waren praxisorientierte Texte, die privilegierte junge Männer über die notwendigen Fähigkeiten unterrichten sollten, mittels derer sie in ihrer Gesellschaft vorankommen konnten. Zu einem großen Teil sind uns diese Texte heute noch zugänglich, und die Werte, die sie vermitteln, erscheinen uns immer noch relevant, auch wenn sie in ihrer eigenen speziellen Tradition verwurzelt sind. Die Ägypter wiesen ihre jungen Männer an, das ma’at zu praktizieren, die Fairness und Balance, die die Ordnung aufrechterhielt und Untergebenen das Gefühl gab, dass man ihnen zuhörte, auch wenn ihnen das letztendliche Ergebnis nicht gefallen würde. Für die Ägypter hatte auch das Schweigen einen großen Wert, und in einer schwierigen Situation galt es als besser, einfach still zu bleiben als zu viel zu reden und etwas zu sagen, das einen in Schwierigkeiten brachte. Diese vornehme Zurückhaltung stand auch bei den Mesopotamiern hoch im Kurs, auch wenn sie sie nicht als Stille bezeichneten. In der hebräischen Weisheitsliteratur liegt die Emphase darauf, zu lernen und den Platz einzunehmen, der einem zugedacht war, seinen Status nicht zu überschreiten, zumindest nicht, ohne vom Herrn des Hauses dazu aufgefordert worden zu sein. Die weitergegebenen Werte scheinen im Allgemeinen Werte zu sein, die in vielen späteren Gesellschaften ebenfalls von Nutzen waren, und natürlich sind einige der Verhaltensweisen, die man zur Nachahmung empfahl, in der Bibel überliefert, die wiederum späteren monotheistischen Traditionen als Grundlage diente. Die Weisheitsliteratur scheint die Grundeinstellungen der Eliten dieser Gesellschaften zu vermitteln, und sie beeinflusst auch unsere eigenen. Sie zeigt außerdem die Tiefgründigkeit unserer Traditionen, auch was das Verhalten betrifft. Moderne Bewegungen wie die Anonymen Alkoholiker berufen sich darauf und unterstützen die Ansicht, dass „der Mensch denkt und Gott lenkt“ (so sinngemäß in Sprüche 16,9: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr ­a llein gibt, daß er fortgehe“). Die Idee dahinter ist, dass es vernünftig sei, eine höhere Macht anzuerkennen, um die Enttäuschung darüber zu vermeiden, wie die Dinge laufen bzw. nicht laufen.

Religiöse Erfahrung im alten Orient Das wäre eine Art Rückkehr zum Polytheismus – einem Polytheismus, den ich bei dieser Gelegenheit nicht verteidigen möchte, denn im Moment ist mein einziges Ziel, das Zeugnis religiöser Erfahrung in seinen angemessenen Grenzen zu halten. Verteidiger monistischer Ansichten werden gegen einen solchen Polytheismus (der, nebenbei bemerkt, seit jeher die eigentliche Religion des gemeinen Volkes ist, auch heute noch) einwenden, dass unsere Garantie für Sicherheit dabei unvollkommen bleibt, es sei denn, es gibt eine Art Pauschal-Gott, der für alles und jeden zuständig ist. – William James, Varieties of Religious Experience, 1912: 525–526

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uerst waren da nur die Geräusche. Das laute, wummernde Dröhnen einer Trommel, durch die Enge der Gassen und die Höhe der Gebäude über jedes normale Maß verstärkt, ein entferntes Scheppern, begleitet von den viel weniger dominanten Töne entfernter Harfenmusik und klingender Zimbeln. Dann wurde die Menge unruhig und drängte voran, um den Anfang der Prozession zu sehen, der aber noch mehrere Blocks entfernt war. Die Straßenhändler und Klatsch­ tanten wurden leiser, als in der Ferne die Fanfaren erschollen, und die Geräusche wurden lauter, als die Prozession näher kam. Menschen schrien, dass sie die Prozession schon sehen könnten, obwohl das gar nicht der Fall war. Als Erstes kamen nur Soldaten, die als Streckenposten eingesetzt waren und die Menschen in der schmalen Straße wieder an die Seiten drückten, und dann kamen Reihen um Reihen von Priestern in altmodischen weißen Gewändern, die mit hoher Stimme in einer archaischen Sprache sangen, die niemand verstand, einer Sprache, die vielleicht von den Göttern selbst stammte. Immer mehr Priester kamen mit ihren Dienern und Knaben und dann der ­König persönlich, in einem Wagen, dicht gedrängt um ihn seine Offiziere, weitere folgen zu Pferd, vielleicht waren sie auch Leibwachen. Alle trugen sie glänzende Zeremonienschwerter. Sie sangen nicht, aber das hörten die Leute nicht, denn die riesigen Trommeln folgten dem König, unmittelbar vor der hoch aufragenden Statue der Ehefrau des Gottes, getragen von nackten Priestern in einer mit Blumen geschmückten Sänfte; unter den Blumen glitzerten die kostbaren Metalle. Sie war sehr groß und aus Gold und Silber, aber das Auffälligste waren ihre tiefschwarzen Augen aus Halbedelstein, die weit in die fernste Zukunft zu blicken

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schienen, die Straße hinauf und hinaus in die Natur, wohin die ganze Prozession unterwegs war. Natürlich funkelte sie in der heißen Sonne, denn das war ihr Name, oder etwa nicht? „Die Funkelnde“, S.arpanitum, Helferin des großen Gottes und Vorsteherin seines Hofstaats. Andere Statuen geringerer Götter folgten, Höflinge und Boten des großen Gottes, Diener und Sklaven, alle mit ähnlich bunten Kleidern über ihren goldenen und silbernen Körpern mit den durchdringenden Augen. Die Trommeln waren inzwischen weit vorangeschritten, und man hörte, wie die Schaulustigen in Erwartung der Ankunft des obersten Gottes verstummten. Als er erschien, kam er deutlich prächtiger daher als alle anderen, größer, mit mehreren Köpfen und noch mehr schwarzen, durchdringenden Augen, die in alle Richtungen schauten und in der Sonne funkelten, während die Priester, die ihn trugen, mit federndem Gang die Straße entlangschritten und dabei mit leisem Singsang die alte Geschichte seiner Triumphe erzählten, in einer unglaublich fernen Vergangenheit. Erst als sie seinen Namen sagten, langsam und mit großem Nachdruck, begann die Menge wieder zu jubeln, wie sie es den ganzen Weg von seinem Tempel aus getan hatte, von dem er gerade kam. „Herr“, riefen sie. „Sohn des Sonnengottes“, schrien sie. Allen war klar, dass im folgenden Jahr alles gut werden würde, da dieses Mal, anders als in den weniger glücklichen Jahren zuvor, der Herrscher der Welt die Hand des Herrn nehmen und ihn in das Haus des Neuen Jahres führen würde; dort würde er die notwendigen Riten durchführen und alle seine Sprüche so aufsagen, wie er es sollte. Der Herr und alle anderen Götter wären zufrieden mit ihrem Volk, würden ihm eine gute Ernte verschaffen und jeden Erfolg, den es sich wünschte. Als der Herr vorübergetragen worden war, schlossen sich die Menschen der Prozession an und rissen Straßenhändler und fremde Besucher mit sich. Durch enge Straßen ging es hinaus in die Landschaft, alle waren glücklich und hoffnungsfroh. Sie erwarteten, dass die Segnungen der Götter unmittelbar bevorstanden und von Dauer waren. *** So muss es für die Zuschauer der Neujahrsprozession gewesen sein, vor vielen, vielen Jahren in Babylon am Tag der Tagundnachtgleiche im Frühling. Wir können auch aus diesem großen Abstand heraus nachvollziehen, was damals ­geschah, denn es ist ein Text mit Vorschriften zu diesem Ritual überliefert, aber leider nur für den Beginn des Rituals, da der Text abbricht und das Ende nicht erhalten ist.

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Wir haben bereits betont, wie emotional alle, die dabei waren, solche Riten erlebt haben müssen, aber Zeugnisse gibt es wenige. In gewissem Sinne versuchen wir uns mit diesen Augenzeugen auf eine Stufe zu stellen, zu fühlen, was sie gefühlt haben mögen, wenn sie diesen riesigen Spektakeln beiwohnten, die so ganz anders waren als das, was wir aus unseren eigenen Traditionen kennen. Dennoch können wir aus diesem Geschehen ablesen, wie zumindest einige der Teilnehmer die Welt sahen. Der Text selbst stammt aus der Spätzeit der mesopotamischen Geschichte, aus der Seleukidenzeit 330–100 v.  Chr. Er enthält Vorschriften für ein Ritual, also keine Beschreibung tatsächlicher Ereignisse, sondern vielmehr eine Reihe von Anweisungen dafür, was zu geschehen hat. Was wir lesen, ist also die Idealvorstellung davon, wie die Zeremonie ablaufen sollte, und nicht unbedingt, wie sie tatsächlich ablief. Weil dieser Text erst so spät im Laufe einer sehr langen Geschichte auftaucht, muss man hinterfragen, ob er tatsächlich Dinge widerspiegelt, die weiter in die Vergangenheit zurückreichen. Doch das „Neue Jahr“ und das „Haus des Neuen Jahrs“ kennen wir schon aus einer viel früheren Zeit, und so könnte einiges von dem, was wir in solchen Texten finden, durchaus eine große Kontinuität gegenüber lange vergangenen Zeiten aufweisen. Religiöse Texte sind notorisch konservativ, auch wenn klar ist, dass sie sich unter neuen Bedingungen verändern – wenn auch nur langsam. Der Text beginnt mit dem zweiten Tag des Monats Nisannu (April). Mitten in der Nacht steht ein Priester auf, um Marduk, den „Herrn der Länder“ und Sohn des Sonnengottes, zu preisen. Der Text betont die Augen mit ihrem durchdringenden Blick, aber auch die Gnade, die in diesem Blick liegen konnte. Der Priester bittet ihn: „Gewähre deiner Stadt, Babylon, deine Gnade! … Schaffe ‚Freiheit‘ für die Menschen in Babylon, deine Untergebenen!“ Mit „Freiheit“ war gemeint, dass man für eine bestimmte Zeit eine Reihe von Abgaben in Form von Naturalien, Geld und Arbeit nicht entrichten musste. Die antiken Städte hatten diesen Brauch den Königen abgerungen; er war für alle in Babylon wichtig, und doch lief er oft Gefahr, missachtet zu werden, vor allem von Königen, die nicht viel von alten Traditionen hielten, wie beispielsweise die griechisch sprechenden Seleukidenkönige (Bottéro 2001: 58–64; Sachs 1969; Thureau-Dangin 1921: 127–154). Das Ideal der Befreiung von Diensten und Abgaben war jedoch geradezu legendär. Der Kolophon, die redaktionelle Nachschrift am Ende des Textes, besagt, dies alles seien „Geheimnisse des Tempels … [Wer] den Gott Belus [‚Herr‘] verehrt, darf sie niemandem zeigen, außer dem … Priester“. Als heutige Leser betreten wir also gleichsam verbotenes Gelände.

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Nach der nächtlichen Rezitation öffnete der Priester das Tor, und viele andere Priester kamen dazu, um „auf traditionelle Weise ihre Riten“ vor dem Herrn und seiner Frau zu praktizieren. Der Text ist leider nur fragmentarisch erhalten, aber zu diesen Riten gehörten Exorzismus und Flüche gegen Feinde und Verbrecher. Es wird auch eine Krone des alten Himmelsgottes erwähnt; vielleicht übernahm der „Herr“ einige von dessen Eigenschaften. Am nächsten Tag kam der Priester drei Stunden nach Sonnenaufgang zum Tempel und versammelte ein paar Handwerker um sich. Diese beauftragte er damit, ca. 15 cm große, mit Steinen und Metall besetzte Holzfiguren anzufertigen, und gab ihnen das entsprechende Material. Die Handwerker wurden mit Fleisch von einem Schaf bezahlt, das man schlachtete und dem Herrn opferte. Die fertigen Figuren wurden dabehalten, und man bot ihnen Nahrung an, sechs Tage lang, bis der Schlachter ihnen die Köpfe abschlug; dann warf man sie ins Feuer. Offenbar verkörperten sie böse Mächte, die man überwinden musste. Am vierten Tag musste der Priester noch früher aufstehen, mitten in der Nacht, und den Herrn mit einem anderen Gebet anrufen. Der Priester lobte den Herrn vor allem dafür, dass er „dem König, der ihn verehrt“, das Zepter in die Hand gegeben hatte. Der Priester rezitierte außerdem ein Gebet für die Gemahlin des Herrn. Sie nannte man „die, die Beschwerden vorbringt, die verteidigt, die die Reichen arm macht und die Armen reich, die den Feind, der ihre Göttlichkeit nicht fürchtet, zur Strecke bringt, die die Eingekerkerten befreit, die die Hand des Gefallenen ergreift“. Dann sollte der Priester in den Hof gehen und die diversen Offizianten einlassen, die ihre traditionellen Riten durchführten, die im Text nicht weiter beschrieben werden. Nach der Mahlzeit am späten Nachmittag sollte der Priester das Schöpfungsepos rezitieren, dessen Titel meist mit seinen ersten Wörtern angegeben wird: Enūma eliš, „Als oben“. Es ist die Geschichte vom Aufstieg des Herrn Marduk, der die Kräfte des Chaos zerstört, und von der Organisation der Welt, wie wir sie kennen. Der Text merkt an: „Während er dem Gott Belus ‚Als oben‘ rezitiert, muss die Vorderseite der Tiara des Gottes Anu [des Himmelsgottes] bedeckt sein“ – mag sein, das der Himmelsgott sonst beleidigt gewesen wäre, weil die Geschichte von Marduks Erfolgen handelte und nicht von seinen. Dies ist eine wichtige Passage, da sie die Verwendung eines literarischen Textes zeigt, den wir schon aus anderen Zusammenhängen kennen. Natürlich wissen wir nicht, ob „Als oben“ eigens zur Aufführung bei diesem Fest verfasst wurde; vielleicht war das Epos auch viel älter und eigentlich für einen ganz anderen Zweck gedacht, so dass man es für den Einsatz hier modifizierte und anpasste. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es wahrscheinlich anlässlich

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der erfolgreichen Überführung der von den Elamitern geraubten Marduk-­ Statue durch Nebukadnezar I. um 1200 v. Chr. gedichtet wurde (Lambert 1964). Aber verwendete man hier den ganzen Text, der sieben Tafeln umfasste und dessen Rezitation Stunden gedauert haben muss, oder eine kürzere Fassung (Foster 2005: 439–486)? Am nächsten Tag kam der Priester und badete und rief den Herrn wiederum mit einem anderen Gebet an. Darin bat er darum, dass der Herr und insbesondere alle astralen Gottheiten ruhig und gelassen sein möchten. Ähnliche Worte sprach er zur Gemahlin des Herrn, nur dass diesmal die weiblichen Gottheiten im Vordergrund standen. Später am selben Tag wurde der Tempel gereinigt und böse Geister ausgetrieben, und dann schlachtete man einen Widder und warf ihn in den Fluss. Die beiden an diesem Ritual beteiligten Männer mussten daraufhin die Stadt verlassen und durften erst am zwölften Tag des Monats zurückkehren; vermutlich waren die Zeremonien dann vorüber. Dies mag ein Versuch gewesen sein, alles Böse, das an einem Ort wohnte, einem Sündenbock (!) aufzuladen und sich dann des Bösen zu entledigen, indem man das Tier beseitigte und nebenbei auch alle, die direkt am Ritual beteiligt waren, des Ortes verwies – zumindest vorübergehend. Dieser Ritus wirft die Frage auf, ob man sich das Böse und Unreine als etwas Physisches vorstellte, das man entsorgen konnte. Auf jeden Fall hoffte man, das Böse mittels Magie auf etwas anderes zu übertragen und es so zu vernichten. Der Hauptpriester, der die Zeremonie anführte, durfte bei solchen Reinigungsriten nicht einmal zusehen; vielleicht glaubte man, er könne ebenfalls unrein werden, wenn er beobachtete, wie man etwas Unreines beseitigte. Danach kam er wieder und betete zum Herrn. Er sprach über die Läuterung des Tempels und opferte Nahrungsmittel und Wein. Später betrat der regierende König den Tempel. Als er sich noch nicht ganz in Gegenwart des Herrn (in Form einer Statue des Herrn in einer Vorkammer) befand, nahm ihm der Priester „Zepter, Kreis und Schwert“ ab. Das Zepter war ein schmuckloser Stab, ein uraltes Symbol der Herrschaft, und das Schwert stand vermutlich für die militärischen Fähigkeiten des Königs. Der Kreis (auf Akkadisch kippatu) ist ein wenig obskur, vielleicht war er ein Symbol der Totalität, passend zum Herrn aller Länder. Der Priester brachte die Objekte vor den Herrn und legte sie im Heiligtum auf einem Stuhl ab. Dann wandte sich der Priester an den König, gab ihm eine Ohrfeige, zog ihn an den Ohren vor den Herrn und befahl ihm, vorm Herrn niederzuknien. Daraufhin hielt der König eine Rede, in der er bestritt, schlecht gehandelt zu haben: „Ich habe nicht gesündigt, Herr der Länder. Ich habe deine Göttlichkeit nicht

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vernachlässigt. Ich habe Babylon nicht zerstört, nicht gutgeheißen, dass man es zu Fall bringt … Ich habe keinen Untergebenen auf die Wange geschlagen.“ (Dabei war ihm selbst ja genau das gerade passiert!) Der Priester sagte dem König, er solle keine Angst zu haben, der Herr werde sein Gebet hören und sein Königtum fördern. Dann erhielt der König die Symbole seiner Herrschaft zurück. Vielleicht ohrfeigte der Priester den König noch einmal, und der Text merkt an, dass es ein gutes Omen sei, wenn der König dann weinte; wenn er nicht weinte, könnten die Menschen daraus ableiten, dass der Herr zornig war. Es folgten noch einige andere Riten, an denen der König teilnahm, aber der Rest der Tafel ist leider nicht erhalten. Diese außergewöhnliche Szene zeigt, dass die Herrschaft des Königs dem Wohlgefallen des Herrn unterlag, und für kurze Zeit triumphierte die religiöse Autorität über die des Königs. Das impliziert, dass es allgemeingültige Standards königlichen Verhaltens gab, die über die Fähigkeit, auf Befehl zu weinen, hinausgingen und die der mächtige König überschreiten konnte. Übertretungen dieser Verhaltensrichtlinien wurden sicherlich seitens der Vertreter der Religion kritisiert. Aus anderen Texten wissen wir, dass Priester und Theologen den Königen misstrauten und sie insbesondere kritisierten, wenn sie diesen Zeremonien fernblieben, denn in ihren Augen trug die Teilnahme des Königs dazu bei, dass die Erde fruchtbar war und alles im Universum im kommenden Jahr in geordneten Bahnen verlief. Die Priester verwendeten die Formulierung: „Der König nahm die Hand des Herrn“, was vermutlich darauf hindeutet, auch wenn dies im vorliegenden Text nicht explizit erwähnt wird, dass der König die Statue des Herrn aus der Stadt brachte und kurzzeitig mit ihr zusammen im Haus des Neuen Jahres vor den Toren der Stadt lebte. Die Szene vom Beginn dieses Kapitels unterscheidet sich vom Ritualtext darin, wer anwesend war, wer zusehen konnte und wer zuhören konnte. Das Ritual war praktisch ein Geheimnis, und vielleicht sollte es wirklich vollkommen geheim gehalten werden. Aber die Prozession war öffentlich. Dieser Unterschied spiegelt das Problem der offiziellen Religion und der Volksreligion wider. Über Erstere wissen wir viel mehr als über Letztere, da wir nur wenige schriftliche Zeugnisse aus der Mitte der Gesellschaft besitzen. Der König und seine Priester konnten aufschreiben, was sie, zumindest der Tradition gemäß, zu tun hatten. Die Rolle und die Gedanken des gemeinen Volkes blieben verborgen. ***

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An der Religion scheiden sich die Geister – auf eine Art und Weise, wie wir sie noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten hätten. Und doch gab es Differenzen aufgrund religiöser Ansichten schon lange vor dem Beginn der Neuzeit im 15. Jahrhundert. Die Ursprünge solcher Differenzen werden noch lange Anlass für intensive Studien sein. Wenn wir uns mit Religion beschäftigen, sehen wir uns stets der Versuchung ausgesetzt, uns selbst darin erklären zu wollen und wie wir so großartige Menschen wurden, wie wir es heute sind. Bei jeder Untersuchung der Vergangenheit gehen wir von uns selbst aus, und es gibt eine Tendenz, jene Stränge einer Tradi­ tion, die nicht ganz offensichtlich zu späteren Entwicklungen geführt haben, zu ­ignorieren. Doch wenn man dies tut, verstellt man sich den Blick dafür, das auch alles ganz anders hätte kommen können. Wir können die Religion des alten Orient nicht mehr erleben. Wir können sie uns höchstens vorstellen. Aber das sollten wir auch tun.

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Register Abzu 31–33 Achsenzeit  137–149, 181, Adonis 169 Akkad  12f., 28–29, 34, 47f., 51, 53, 56, 120 Akkader  12, 15, 176, akkadisch  11f., 14. 22, 27, 30, 34–37, 39–41, 44, 46f., 49, 53, 55, 64f., 107, 114, 116f., 147f., 158, 166, 177, 181f., 194 Alexander der Große  11, 153, 165f., 169, 172 Alphabet  158f., 161, 170f. Amarna  104, 112, Amurriter, amurritisch 14, 29f., 55, 58f., 61, 63f. Amun  86, 90, 92, 94f., 97, 101, 105 Anat 159 Anubis  78, 89, 99 Aphrodite 168 Aramäer  14, 113 aramäisch  124, 154, 158, Aššur  12, 64f., 182 Aššur-ahhe-iddina 121 ˘˘ Assyrer  12, 14, 64f., 106f., 131f., 134, 137, 188 Aštar siehe Ištar Astarte  163, 168 Astrologie  121, 172 Athene 168 Aton  81, 93–96, 130 Baal  127, 156f., 159f., 162, 167 Babylon  13f., 32, 37, 41, 58f., 61, 63, 73, 103f., 106, 114, 118, 123, 124, 132–134, 143, 146, 152f., 167, 191f., 195 Bacchus  siehe Dionysos Berossos 167 Bes 100 Bibel  10, 68, 125–128, 134, 136, 144, 154, 159f., 168, 178f., 187, 189 Buddha  138f., 142 Çatal Höyük  18f. Chnum  85, 101 Christentum  23, 145, 154f., 168, 172, 175, 179, 186

Dämonen 40 Deir el-Medina  100f. Demeter 168 Dionysos 169 Diyala 54 Djer 100 Djoser  70, 72, 75f. Dualismus 154 Dumuzi  27, 36f. Ebla  157f., 160, 162 Echnaton  81, 90, 94–97, 104, 106, 130, 144 Elam  60, 114 En-hedu-anna 47f. Enki  22, 28, 31–33, 46f., 157, 169 Enkidu 109f. Enlil  28, 31f., 46f., 50, 54, 59, 64, 120 Enūma eliš (Schöpfungsepos)  41, 114, 193 Eridu  22, 32–34, 55, 183 Ešmun 162 Etrusker  165, 169–171 Exorzismus  121, 193 Fluch über Agade  50 Flut  27f., 82, 85–86, 100, 107, 110f. Gebete  31, 67, 107, 116f., 122, 136 Genesis (1. Buch Mose)  128 Gilgamesch  28, 42, 53, 107–112, 160 Glaube  141, 152f., 159, 164, 174, 177–179, 182, 187f. Gnostisch 176 Gortyn 167 Göttinnen  34, 183 Gottlosigkeit  49–51, 67, 94, 147 Grieche(n)  14, 78, 84, 86, 113, 117f., 160f., 165f., 168–172, 175, 185 Griechenland  36, 164, 166–168, 170f. Gudea  39, 51–53, 62 Hadad 158 Hammurabi  29f., 59–63, 149, 181 Hapi 88

207

Register

Haremhab 97 Hathor  87, 99, 105 Heilige Hochzeit  35, 109f. Hekate 169 Hellenismus 165f. Henotheismus 128 Hephaistos 169 Hethiter  16, 65, 67f., 87, 104, 106f., 113, 126, 128, 158 Hinduismus  14f., 138, 151 Hiob  117, 147f., 154 Hiskija 132 Horus  75,77, 84f., 87f., 97, 101 Hurriter, hurritisch  65f., 105, 158, 160, 182 Hyksos 95

Kolonien  65, 157, 162, 170 Konfuzius  69, 90, 138f., 142 Kura 157 Kurdistan 21 Lagaš  20, 38f., 45–47, 51, 53 Lahun 99 Lapislazuli  42, 44 Leben nach dem Tod  19, 72 Libanon  11, 107, 157, 160

Jahwe  128f., 131, 133, 135f., 139, 177, 179, 187 Joschija 132 Josephus  167, 179 Jubiläum  69, 74 Juden, jüdisch  68, 124–126, 129, 133–136, 141, 144, 147, 152–155, 167, 177–179, 184f. Judentum  136, 141, 144, 151, 155, 159, 175 Jungsteinzeit  15, 18, 71

ma’at  78–80, 87, 94, 186, 189 Magie  32, 40f., 66, 87, 129, 152, 194 Mahan, Alfred  11 Manichäismus 154 Marduk  32, 60, 63, 107, 114, 146, 187, 192–194 Mari  62–64, 118, 130, 187 Martyrium 178 Marx, Karl  24, 42, 183 marxistisch 20 Melkart 162 Mesopotamien  10–12, 14–16, 20, 25, 27, 32, 35, 37f., 41, 44, 46, 49, 51, 53, 54, 56, 58, 60f., 64–66, 68, 73f., 85, 105, 107, 109, 114, 116f., 123, 128, 130, 140, 142f., 147f., 157, 163, 173, 181, 183, 187f. Messias 136 Mitanni 104–106 Mithra 172 Monotheismus  15, 95, 125, 129, 135f., 144, 151, 172, 175, 177, 179, 185, 187 Month  86, 88, 101 Moses  49, 95, 126, 132, 187 Mystiker  141, 180

Kapellen 101 Karnak  86, 92, 94 Karthago 163 Keilschrift  10f., 32, 43, 48, 68, 73, 106, 113, 120, 124, 157f., 160, 166, 173, 182 Kinder 17–19, 28f., 34, 38f., 57, 63f., 91, 93, 128f., 134f., 156, 162, 166 Könige  20, 28–30, 32–35, 37, 39, 45, 48–51, 53– 56, 58f., 61, 63f., 67, 70, 74–76, 80, 82f., 88, 91–95, 100f., 104–107, 112–114, 116, 118–120, 122, 127–133, 135–136, 138, 142f., 149, 151– 153, 159f., 166, 172, 177, 181, 184, 192, 195 Kohelet  147, 178

Nabonid 143f. nadītus  62f. Naher und Mittlerer Osten  10–12, 21, 71, 73, 141, 143, 152, 162, 165–167, 173, 175, 179 Namensgebung  39, 59f., 135 Naram-Sîn  28f., 48–50, 56, 60–62 Nebukadnezar I.  114, 194 Nebukadnezar II.  144 Neujahr, neues Jahr  57, 124, 191 Ningirsu  38f., 45–47, 52f. Nippur  29, 32f., 38, 50, 54f., 58, 60 Nomaden 21 numen 180

Imhotep  28, 70 Inanna  25f., 34–38, 44, 46–48, 109, 181 Iran  11, 64, 114, 138, 151, 153f. Isis  87, 172 Islam  14, 32, 153–155, 175 Israel 11, 16, 36, 107, 124–137, 147, 153, 157, 159, 162f., 169, 177, 179f., 184, 187f. Ištar  27, 34f., 38f., 47, 49, 67, 109, 157, 163, 168f., 181

208 Obsidian  17, 19 Omen  18, 53, 62, 119f., 122, 150, 195 Opfer  19, 29, 54, 60, 66f., 74, 79, 99, 116, 122, 127, 129, 131f., 137, 139, 147, 149, 151, 155f., 158, 180 Osiris  78, 86f., 100f., 169, 186 Palästina  11, 15f., 113, 125f. Pantheon  23, 25, 38, 40, 45, 54, 60, 63, 89, 92, 97, 122, 127, 146, 157, 159, 171 Persephone 168 Perser  134, 139, 143, 153f. persönliche Götter  39, 59, 116 Philister  113, 126, 128, 165 Philosophen 138–141 Phönizier  160–163, 165, 167f., 170 Polytheismus 14f., 23, 89, 128, 133, 136, 151, 172, 179, 182, 185f., 190 Prophet(en)  32, , 129–135, 137–139, 141f., 150– 152, 154f., 157, 162, 169, 178, 180f., 184, 187 Ptolemaios 167 Pyramide(n)  70–72, 75–77, 84f., 88, 99, 142 Re 86 Reich 13–16, 40, 46, 58f., 60, 75–77, 79–81, 86–88, 92–94, 97, 99–101, 109, 129–132, 141, 143, 145, 148, 152f., 172 Religion  14f., 19–23, 25, 34, 39, 41f., 46, 60, 62, 65, 72, 75, 80, 82, 92f., 96–97, 99f., 103, 114– 117, 127, 129, 132, 134, 137–141, 143–145, 149–153, 159, 162, 164f., 168, 170–172, 174– 177, 179–88, 190, 195f. Rešef  88, 157, 168 Rom  32, 145, 163f., 169–172, 179, 185 Šakkan  122, 146 Šamaš  37, 46f., 59, 147 Šamši-Adad 64f. Sargon  46–49, 64 S.arpanitum  146, 191 Satan  148, 154 Šawuška  , 105 Schicksal  37, 40, 49, 56, 59, 117f., 121, 124, 137, 170, 178 Schriftrollen vom Toten Meer  126, 144

Register

Seth  88, 95 Sippar  37, 62f. Sonnengott  37, , 46, 63, 69f., 83, 85–87, 95, 104f., 107, 116, 121, 132, 147, 188, 191f. Sphinx  83f., 88 Stamm, Stämme  67, 128, 131, 173, 178 Stein von Rosette  71, 175 Steppe  36, 109f., 112 Suen 46 Sumer 12 Sumerer 11 Sumerische Königsliste  22, 44 Syrien  10f., 14–16, 27, 35, 37, 58, 60, 65, 68, 104, 110, 118, 154, 157, 160, 169, 173 Tammuz  27, 169, 173, 181 Tanit 163 Telipinu  66, 168 Tell Brak  58 Tempel  20, 22, 24f., 28f., 31, 44f., 47, 50–52, 54, 56–60, 63f., 75, 77, 85–92, 94, 99, 115, 122f., 130, 132, 143f., 152, 178, 182, 186, 191–194 Theben  86, 94, 100 Tiere  15, 17–19, 36, 45, 54, 66, 71, 84f., 88f., 109, 127, 146, 152, 164, 170 Träume 52 Türkei  11, 14–16, 18, 49, 64, 104, 139, 143, 169, 171 Tutanchamun 97 Ugarit  16, 113, 127, 146, 158–160 Umma  45–47, 57 Universalismus  106, 135, 188 Ur  15, 42f., 47f., 50, 53–60, 74, 143 Uruk  14, 25f., 35f., 38, 44f., 48, 53, 60, 107, 109, 111f., 173 Venus  34f., 163 Vorfahren  17, 19, 43, 48, 100, 137, 158, 160f., 167, 170 Weber, Max  183f. Zarathustra  138f., 141f., 151f., 154 Zikkurat 56