Die Religion der Ägypter: Ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden [2. Aufl. Reprint 2010] 9783110864847, 9783110170405

• Umfassende Darstellung der Religion Ägyptens von Cheops zu Kleopatra • Eindringliche Darstellung aller Aspekte des T

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Die Religion der Ägypter: Ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden [2. Aufl. Reprint 2010]
 9783110864847, 9783110170405

Table of contents :
1. Kapitel. Allgemeines
2. Kapitel. Die Welt und ihre Götter
3. Kapitel. Die großen Götter des Landes
4. Kapitel. Die weitere Entwicklung der älteren Religion
5. Kapitel. Die Göttersagen
6. Kapitel. Die Theologie
7. Kapitel. Geschichtliche Vorgänge und ihr Einfluß
8. Kapitel. Die Ketzerzeit
9. Kapitel. Triumph der alten Religion
10. Kapitel. Frömmigkeit, Volksgötter und Orakel
11. Kapitel. Ethik
12. Kapitel. Der Kultus in älterer Zeit
13. Kapitel. Der Kultus im neuen Reich
14. Kapitel. Der Totenglaube
15. Kapitel. Fürsorge für die Toten
16. Kapitel. Die Toten in der Spätzeit
17. Kapitel. Magie und Zauberei
18. Kapitel. Die Zeit des Verfalls und die Saïtenzeit
19. Kapitel. Die Perserzeit
20. Kapitel. Die ägyptische Religion in den Nachbarländern
21. Kapitel. Aus griechisch-römischer Zeit
22. Kapitel. Die ägyptische Religion in Europa

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Adolf Erman Die Religion der Ägypter

W DE G

Adolf Erman

Die Religion ·· der Ägypter Ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden 2. Auflage mit einem Vorwort von

Jan Assmann

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001

Um ein Vorwort von Jan Assmann ergänzte Neuauflage der Ausgabe von 1978 mit dem Nachwort von Eberhard Otto. Die i. Auflage erschien 1934.

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Erman, Adolf: Die Religion der Ägypter : ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden / Adolf Erman. - 2. Aufl. / mit einem Vorw. von Jan Assman. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2001 ISBN 3- - 7040-

© Copyright 2001 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhcberrechtsgesetzcs ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: +malsy, Bremen Umschlagmotiv: Echnaton (Amenophis IV.) 1365-1348 v. Chr., 18. Dynastie. Die königliche Familie Echnaton, Nofretete und drei Töchter. Altarrelief, um 1345 v.Chr., Kalkstein, 32,5 39 cm. Original: Staatliche Museen zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz. Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / 14145. Foto Margarete Busing, bpk Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

Vorwort. So ist denn die Religion das Schmerzenskind der Ägyptologie. Adolf Erman 1 )

Seit Adolf Erman im Jahre 1934 seine Religion der Ägypter veröffentlichte, hat diese Forschungsrichtung einen ungeahnten Aufschwung genommen. Kein anderes Gebiet der Ägyptologie kann als so intensiv erforscht gelten, keines hat in solchem Umfang neue Quellen erschlossen, keines so tiefgreifende Paradigmenwechsel durchgemacht und keines so starke außerfachliche Resonanz gefunden.2) Dennoch ist Ermans Religion ein Klassiker geblieben, der auch deswegen in seiner Substanz nie überholt wurde, weil dazu kein Bedarf bestand und alle weiteren Studien zum Thema von hier ihren Ausgang nehmen und ergänzende Aspekte erschließen oder vertiefen konnten. Deshalb ist es richtig, dieses grundlegende Werk in einer unveränderten Neuausgabe herauszubringen, aber zugleich auch wichtig, sich über die ebenso grundlegenden Entwicklungen in der ägyptologischen Religionsforschung der letzten 60 Jahre Rechenschaft abzulegen. Ermans Religion der Ägypter ist ein Alterswerk. Es zieht die Summe aus einer lebenslangen Beschäftigung mit der ägyptischen Kultur und steht am Ende einer Forschung, die das Fach Ägyptologie, darin nur der Entzifferung der Hieroglyphen durch Francois Champollion im Jahre 1822 vergleichbar, von Grund auf revolutioniert und auf eine vollkommen neue Basis gestellt hat. Der Grund dieses Durchbruchs liegt in der Arbeit am Wörterbuch der ägyptischen Sprache, bei der über viele Jahrzehnte hin unter Ermans Leitung mehr als fünfzig Fachgelehrte aus aller Welt zusammenarbeite1

) Adolf Erman, Mein Werden und mein Wirken. Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten, Leipzig 1929, 279. 2 ) Zum Stand bis 1989 s. Klaus Koch, Das Wesen altägyptischer Religion im Spiegel ägyptologischer Forschung, Hamburg 1989.

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ten. Sämtliche damals erreichbaren veröffentlichten und unveröffentlichten Texte wurden für dieses Projekt kopiert, übersetzt, verzettelt und ausgewertet, ein gigantisches Unternehmen, in dessen Verlauf die Ägyptologie zu einer Philologie und Berlin zu ihrem Zentrum wurde. So erklärt sich die einzigartige Materialfülle, die Ermans Religion der Ägypter vor allen anderen Büchern zum Thema auszeichnet, sowie der ausgewogene Überblick, mit dem dieses Material dargeboten wird. Erman wandte sich seinem Stoff nicht als Religionswissenschaftler, ja noch nicht einmal als ein an Religion sonderlich interessierter Mensch zu, sondern als ein großer Philologe und Historiker, den die altägyptische Kultur in der ganzen Fülle ihrer Ausdrucksformen interessierte; und da die Religion nun einmal die alles beherrschende Mitte der ägyptischen Kultur bildet, musste sich ihm dieses Thema für ein großes zusammenfassendes Werk anbieten. Vielleicht ist es eine Stärke seines Werkes, dass er ohne besondere Fragen, Erwartungen und Voreingenommenheiten an seinen Stoff heranging und auf die Möglichkeit einer geistigen Durchdringung von vorn herein verzichtete. Jeder, der später das Thema mit dem Anspruch auf Verstehen und Einfühlung in Angriff nahm, musste sich auf einen Ausschnitt des von Erman ins Auge gefassten Themenkreises und Materials beschränken. Bis zum Jahre 1993 bleibt Ermans Religion die einzige Gesamtdarstellung der ägyptischen Religion in ihrem historischen Ablauf. Alle folgenden Darstellungen werden die historische Dimension weitgehend ausklammern und den Stoff nach systematischen und phänomenologischen Gesichtspunkten gliedern. Auf der anderen Seite liegen hier natürlich auch die entscheidenden Defizite von Ermans Werk. Was ihn an der ägyptischen Religion anzog, waren nach eigener Aussage zwei Dinge: die poetische Kraft der Bilder oder »das Wirken der dichterischen Phantasie«, und die sich immer wieder bietenden Chancen, hinter der »offiziellen Religion, wie sie uns in den prächtigen Tempeln entgegentritt« die »wirkliche Religion des Volkes« auszumachen. Das heißt, das ihm die Religion als ein unverbindliches Spiel der Phantasie oder als eine bloße Fassade erschien, hinter der die »wirkliche Religion« nur in seltenen Ausnahmefällen einmal sichtbar wurde. Die »offizielle Religion« ließ ihn kalt.3) Erman konnte 3

) S. Erman, Mein Werden und mein Wirken 280, s. auch Eberhard Ottos Nachwort zum Nachdruck 1967, 466 f.

Vorwort.

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mit den theoretischen Aspekten der ägyptischen Religion, dem, was er die »Theologie« der alten Ägypter nannte, nicht nur nichts anfangen, sie war ihm regelrecht zuwider, und er hat dieser seiner Aversion auch deutlichen Ausdruck verliehen. Für ihn waren das müßige und abwegige Spekulationen einer ungebildeten, barbarischen Priesterschicht, von denen er sich keinerlei Einsichten versprach und die in seinen Augen keine Bemühung um eingehenderes Verständnis lohnten. Vielleicht war es gut, dass Erman dieses Defizit seiner Darstellung so plakativ herausstellte, auch wenn es natürlich von einer heutzutage unvorstellbaren Arroganz zeugte, diese Beschränkungen als Defizit seines Gegenstandes anstatt seines eigenen Ansatzes darzustellen. Doch wird sich Erman dieser Arroganz kaum bewusst gewesen sein; er teilte sie mit dem Forschungsparadigma des historistischen Positivismus, das allen Bemühungen um Sinnverstehen mißtrauisch gegenüberstand und sich auf die »Fakten« konzentrierte, sowie mit dem »Orientalismus« des Kolonialzeitalters, der von der Höhe der europäischen Macht und Bildung aus auf den Orient als eine vergleichsweise rückständige, barbarische oder auch geradezu »heidnische« Welt herabsah.4) Der Positivismus war ein notwendiges Stadium der Ägyptologie, wodurch das vorangegangene romantische Stadium mit seiner archäologischen Schatzgräberei, seiner Sammelwut und seinem intuitiven und spekulativen Umgang mit Texten abgelöst wurde. Dem Positivismus verdankt das Fach das Wörterbuch der ägyptischen Sprache, die maßgeblichen Grammatiken und die verlässliche Edition der meisten seiner Quellen, die noch heute die unverzichtbare Grundlage jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem alten Ägypten darstellen und in keiner Bibliothek fehlen dürfen. Zu diesen Klassikern zählt auch Ermans Religion der Ägypter. Allerdings war es auch gerade dieses Buch, das zur Überwindung des Positivismus herausforderte. Das 6. Kapitel seines Werkes, überschrieben »Die Theologie«, leitet Erman mit den Worten ein: »... so kommen wir jetzt zu dem trübsten Teile der ägyptischen Religion, zu den Deutungen und Phantasien, denen die Priester ihren Glauben unterworfen haben. Sie haben dies von jeher mit Vorliebe getan, und der Ruf tiefsinniger Weisheit, in dem die Ägypter 4

) S. Edward Said, Orientalism, New York 1978.

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Vorwort.

bis auf unsere Zeit gestanden haben, gründet sich vor allem auf diese Art ihrer Wissenschaft.« Mit diesem Ruf räumt Erman auf und zeigt, dass von »Wissenschaft« hier keine Rede sein kann. In der Tat stand die romantische und spätromantische Ägyptologie noch im Banne des Bildes, das die Griechen sich von der ägyptischen Religion und Wissenschaft gemacht haben und konnte die Fülle der so vollkommen anderen und oft genug reichlich bizarren Informationen, die sich ihr durch die nun lesbar gewordenen Hieroglyphentexte erschlossen, damit nur in Einklang bringen, dass sie dahinter eine tiefere Bedeutung, einen verborgenen Hintersinn voraussetzte.5) Damit machte Erman Schluss, ging dabei aber soweit, der ägyptischen Theologie jeden Sinn überhaupt abzusprechen. Ironisch lobt er den »Fleiß und Scharfsinn der Ägyptologen«, der uns »diese krausen Gedankengänge einigermaßen verständlich« gemacht habe, »soweit man überhaupt bei all diesem Widersinn von Verständlichkeit sprechen kann« und denkt dabei an seinen Schüler Kurt Sethe, der auf die Erschließung der ältesten religiösen Texte in der Tat ein stupendes Maß an Scharfsinn, freilich in genau dem gleichen positivistischen Geist, verwandt hatte.6) »Es ist kein erfreuliches Bild«, schreibt Erman dann resümierend, »das wir hier von der ägyptischen Theologie entworfen haben«, und meint sogar in bezug auf zwei ätiologische Legenden im 175. Kapitel des Totenbuchs, sie ließen »nichts an Albernheit zu wünschen übrig«. »Für dieses Barbarentum sich zu erwärmen, kann man von niemandem verlangen«. So wies er selbst überdeutlich auf den blinden Fleck seiner Sicht der ägyptischen Religion hin und zeichnete damit der künftigen Forschung den Weg vor. Nach Erman nahm die ägyptologische Religionsforschung eine »theologische Wende«. Gerade die von ihm offen gelassene Frage nach dem ägyptischen Gottesbegriff und der Struktur des Polytheismus bestimmt bis heute die Diskussion. Schon Hermann Kees setzt mit seinem Werk »Der Götterglaube im Alten Ägypten« von 1941 »dort an, wo A. Ermans jüngste Schilderung der ägyptischen Religion sich bewußt versagt, bei 5

) Diese Phase der ägyptologischen Religionsforschung vertritt am eindrucksvollsten Heinrich Brugsch, Religion und Mythologie der alten Ägypter, 2.Aufl. Leipzig 1891. 6 ) Kurt Sethc, Urgeschichte und älteste Religion der Ägypter, Leipzig 1930.

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der Erklärung des gedanklichen Aufbaus der ägyptischen Göttersysteme«.7) Bei diesem Versuch bleibt Kees dann aber vollkommen im »bunten Mosaik der Ortskulte« stecken. Für Kees war Theologie nichts anderes als rivalisierende Religionspolitik, in deren Medium die ägyptischen Zentren sich gegenseitig den Rang streitig zu machen versuchten. Der Durchbruch zu einem völlig neuen interpretativen Ansatz kam erst nach dem zweiten Weltkrieg, und er kam von außen, von Seiten einer wissenschaftlichen Tradition, an die die Ägyptologie bis dahin keinen Anschluss gefunden hatte. Gemeint ist die kulturwissenschaftliche Forschung der Warburg-Schule. Der Kunsthistoriker Aby Warburg, Sproß einer jüdischen Bankiersfamilie in Hamburg, hatte eine Bibliothek aufgebaut, die zum Zentrum einer neuen Forschungsrichtung geworden war. Orientalisten, Philologen, Religions- und Kunstwissenschaftler sowie Philosophen wie Ernst Cassirer wirkten hier zusammen am Aufbau einer neuen Form von Kulturwissenschaft, in der einmal auch die Ägyptologie einen inspirierenden Kontext hätte finden können. Bevor es dazu kam, machte die nationalsozialistische Diktatur diesen Ansätzen ein Ende und zwang die jüdischen Träger dieser Forschungsrichtung zur Emigration nach England und USA. Im Zusammenhang dieser Tradition muss man den Anstoß sehen, der gleich nach dem Krieg von Chicago ausging. 1946 brachten Henri Frankfort und andere den Sammelband The Intellectual Adventure of Ancient Man. An Essay on Speculative Thought in the Ancient Near East heraus, der 1954 in Deutschland unter dem schönen Titel Frühlicht des Geistes erschien.8) Dieser Band, maßgeblich von jüdischen Emigranten konzipiert und fest in den philosophischen Perspektiven der kulturwissenschaftlichen Tradition verankert, stellt die eigentliche Antwort auf Ermans Verdikt dar, an geistiger Tragweite allenfalls Bruno Snells Entdeckung des Geistes vergleichbar.9) 1948 erschienen dann Kingship and the Go£/su)), eine vergleichende »politische Theologie« Ägyptens und Mesopota7

) Hermann Kees, Der Götterglaube im Alten Ägypten, Leipzig 1941, S. III. ) Henri Frankfort (Hg.), Frühlicht des Geistes, Stuttgart 1954, Band 9 der Urban-Bücherei. Eine gekürzte Fassung der Originalausgabe erschien unter dem Titel Before Philosophy als Penguin Taschenbuch. 9 ) Bruno Snell, Entdeckung des Geistes, Hamburg 1955. l() ) Kingship and the Gods. A Study of Ancient Near Eastern Religion as the Integration of Society and Nature, Chicago 1948. s

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miens, und Ancient Egyptian Religion, ein schmales Taschenbuch von kaum 180 Seiten, beide von Henri Frankfort. Hier wurde nun erstmals der Versuch gemacht, die ägyptische Religion zu verstehen, und zwar auf der Grundlage der ihr eigenen Denkformen. Das mythische Denken, so die These, stellt sich die Welt nicht als ein Es, als Objekt des Erkennens gegenüber, sondern als ein Du, als Partner in einem symbiotischen Dialog. Im Rahmen dieses Denkens gilt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht. Einer Vielfalt der Zugänge entspricht eine Vielfalt der Antworten, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Eberhard Otto hat in seinem Nachwort zur letzten Neuauflage von Ermans Religion der Ägypter aus dem Jahre 1967 den Neuansatz nach dem Krieg als Versuch charakterisiert, »über eine Beschreibung der nur >von äußern sichtbaren Erscheinungen der ägyptischen Religion vorzudringen in das Innere ihres Wesens« und dabei die überragende Bedeutung der Bücher Henri Frankforts klar herausgestellt.") Seitdem hat es keine Darstellung der ägyptischen Religion gegeben, die sie in ihren auch noch so bizarren Ausdrucksformen nicht sehr ernst genommen und sich nicht um ein Verstehen von innen, aus ihrer Eigenbegrifflichkeit heraus, bemüht hätte. Ottos eigenes Verdienst liegt dabei vor allem in der Herausarbeitung »monotheistischer Tendenzen«, die im Kontext des ägyptischen Polytheismus einen impliziten Monotheismus darstellen. Neben seinem Beitrag zum Handbuch der Orientalistik12) erschienen in den frühen 60 er Jahren einige gewichtige Aufsätze wie »Altägyptischer Polytheismus«13) und »Monotheistische Tendenzen in der ägyptischen Religion«14), die sich um Struktur und Systematik der ägyptischen Gottes Vorstellung bemühten. Einen ganz anderen Weg ging die 1960 erschienene Ägyptische Religion von Siegfried Morenz.15) Dies war die erste Darstellung aus der Sicht eines Ägyptologen, der sich in seinem ganzen Lebenswerk auf die Erforschung der ägyptischen Religion spezialisiert und sich diesem Thema aus ureigenstem Interesse an der Religion her") S. 478: »Hier wären vor allem die Bücher von Henri Frankfort zu nennen, besonders seine sehr konzise, scharf formulierte Darstellung Egyptian Religion«. l2 ) Eberhard Otto, Die Religion der alten Ägypter, HdO I 8, 1,1, Leiden 1964. n ) Saeculum 14, 1963, 249-285. 14 ) Welt des Orients 2, 1954-59, 99 -II0 15 ) Siegfried Morenz, Die Religionen der Menschheit, Stuttgart 1960, Bd. 8.

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aus zugewandt hatte. Bei Morenz spielte die historische Dimension des Phänomens überhaupt keine Rolle mehr, er gliederte seine Darstellung strikt nach systematischen Gesichtspunkten, wobei die von ihm als »Glaubensdenken« bezeichnete Theologie einen wichtigen Platz einnahm16). Der Begriff »Glaube« trat hier an die Stelle dessen, was Erman als »Hirngespinste« und widersinnige Spekulationen priesterlichen Müßiggangs abgetan hatte. Allerdings fragt man sich, was diesem Begriff ägyptisch entsprochen haben mochte; hier zeigte sich die Standortgebundenheit eines im Protestantismus verwurzelten und engagierten Forschers. Bei Otto und vor allem bei Hellmut Brunner, der 1983 seine Grundzüge der ägyptischen Religion veröffentlichte, garantierte die Kategorie des »Erlebnisses« die Echtheit der religiösen Phänomene.'7) Der Mensch erlebte die Gegenwart und das Handeln göttlicher Mächte und bearbeitete dieses Erlebnis in der Form rituellen Handelns und theologischer Begriffsund Systembildung. Auch Morenz betonte immer wieder, dass Kult Antwort ist auf das vorgängige Handeln »Gottes«. Damit war das Problem des Verstehens zu einem guten Teil in die Transzendenz verschoben. Die Formenwelt der ägyptischen Religion war zwar von dem Verdikt freigesprochen, Hirngespinste eines barbarischen Volkes zu sein und erschien jetzt als Verarbeitung religiöser Erfahrungen, Erlebnisse und Glaubensweisen, war aber damit wissenschaftlicher Analyse nur umso mehr entzogen. Besonders der Verzicht auf eine geschichtliche Darstellung der ägyptischen Religion im Laufe ihrer dreitausendjährigen Entwicklung erschwerte das Verstehen. Verstehen heißt Beziehungen herstellen und zwar auf drei Ebenen: zwischen Erscheinungen im Rahmen derselben Kultur (geschichtliches Verstehen), zwischen vergleichbaren Erscheinungen verschiedener Kulturen (komparatistisches bzw. phänomenologisches Verstehen) und zwischen Erscheinungen einer Kultur und einer theoretisch fundierten eigenen Sicht der Dinge (systematisches Verstehen). Dabei muß das geschichtliche Verstehen immer den ersten Schritt bilden. Darin liegt ja gerade, wie Erman nicht müde wurde zu betonen, das einzigartige, herausragende Interesse der ägyptischen Religion, daß sie über mehr als drei Jahrtausende hin in ihrer geschichtlichen Entwicklung verfolgt 16 17

) Ebenda, Kap. VII, S. 144-166. ) Hellmut Brunner, Grundzüge der altägyptischen Religion, Darmstadt 1983.

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werden konnte. Dabei sah sich der Forscher allerdings mit einem Problem konfrontiert, das Erman und Kees noch in aller Schärfe herausstellten, weil sie auf geschichtliches Verstehen aus waren, während es später nicht mehr so klar problematisiert wurde. Allen Religionen ist gemeinsam, schreibt Erman, »daß sie nicht leicht das Überlebte abstoßen; auch die höchsten unter ihnen schleppen Vorstellungen und Gebräuche weiter, die längst nicht mehr zur geistigen Stufe ihrer Bekenner passen. Die Zeit hat diese Reste der Vorzeit geheiligt, und da empfindet man sie kaum als störend. In der ägyptischen Religion ist nun freilich dieses Beharren beim Überlieferten doch noch weiter getrieben als in anderen, und wir sehen immer wieder mit Staunen, wie dieses Volk neues und altes und uraltes nebeneinander pflegt, auch wenn eines das andere geradezu ausschließt. (...) Gewiß hielten die Ägypter als Bauernvolk gern an dem Bestehenden fest, aber dieses widersinnige Bewahren aller Einzelheiten der Religion und des Kultus war doch so nur einem Stande schriftgelehrter Priester möglich. Und auch sie konnten es nur, weil ihnen eines zur Seite stand, was wie ein Fluch auf ihrem Volk lastete: das ägyptische Volk konnte nichts ganz vergessen. Es hatte einst in unvordenklichen Zeiten sich eine Schrift erfunden und hatte damit einen Vorrang vor anderen Völkern erworben, aber es mußte auch das Unglück eines solchen Besitzes auskosten. Jede neue Epoche seines langen Lebens brachte ihm neue Vorstellungen aber die alten Vorstellungen verschwanden darum noch nicht, sie traten vielleicht zeitweise zurück, aber irgendwie blieben sie doch in Inschriften und Büchern als heilige Besitztümer aufbewahrt und traten dann in einer anderen Zeit wieder hervor. Auch das, was in den Tempelbibliotheken nur noch ein papiernes Dasein führte, konnte so wieder lebendig werden und Einfluß gewinnen. Jede Epoche vergrößerte so die Menge des religiösen Details, das die ägyptischen Theologen erfreute und uns ein Greuel ist.«18) Die Schrift als Fluch eines Volkes, das nicht vergessen kann, und die dreitausendjährige Geschichte als eine bloße Akkumulation von in sich widersprüchlichen Details, die »uns ein Greuel ist«: was für eine geradezu tragische Sicht der ägyptischen Religion, tragisch sowohl für ihre Anhänger als auch für ihren heutigen Betrachter. Der »Fluch der Schrift« verhindert unser verstehendes Eindringen l8

) Erman, Die Religion der Ägypter, 11-12.

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in diese Welt, weil er die geschichtliche Entwicklung verschleiert. Hier kommt offenbar nie wirklich Neues hinzu, denn neu ist das Neue nur, wenn es das Alte verdrängt. Einer zwar »räumte ja endlich mit dem Wust auf, der sich seit Jahrtausenden in der Religion aufgehäuft hatte« (127): Echnaton, der die traditionelle Religion abgeschafft und den neuen Kult des Lichtgottes Aton eingeführt hatte, der »von den Besten als eine Erlösung hätte begrüßt werden müssen«. Aber er scheiterte an der »großen Menge, der mit einem verstandesgemäßen Glauben nicht gedient war«. Erman wußte, wovon er sprach, denn ihm stand dieser »Wust« wie keinem anderen in Gestalt von 1,5 Mill. Zetteln mit Textexzerpten vor Augen. Gerade seine philologische Arbeit am Wörterbuch, der er diesen stupenden Überblick verdankte, hielt ihn davon ab, sich näher mit der Geschichte einer bestimmten theologischen Textgattung zu befassen. In gewissem Sinne hatte Erman Recht. Noch in den Tempelinschriften der griechisch-römischen Zeit finden sich eine Fülle von Texten, die bereits zweitausend Jahre vorher in den Pyramiden des Alten Reichs vorkommen. Auch die Grabinschriften und das Totenbuch enthalten noch in spätester Zeit solche Texte. Ein Papyrus im Berliner Museum aus dem 4. Jh.v. Chr. enthält Dutzende von Pyramidentexten. Noch die römischen Kaiser lassen sich auf Tempelwänden in der Bildformel des »Erschlagens der Feinde« darstellen, die zuerst auf der spätvorgeschichtlichen Palette des Königs Narmer vorkommt, der um 3000 v. Chr. das Reich geeinigt hatte. Das Geheimnis solcher Konstanz ist aber ganz unzureichend erfaßt, wenn man es als einen Fluch und die Unfähigkeit zu Vergessen beschreibt. Hier ist eine positive Kraft der Bewahrung am Werk, die im Ritual ihre Mitte hat. Der Ritus verbietet seinem Wesen nach die Veränderung, denn hier geht es um den präzisen Vollzug einer Vorlage mit dem Ziel, jede Durchführung mit allen vorhergehenden zur Deckung zu bringen, um dadurch die Zeit selbst in ihrem Ablauf zu erneuern. Die Dynamik des Rituals besteht in der Herstellung von Statik, die kein dumpfes Beharren, keine Unfähigkeit zur Erneuerung, sondern im Gegenteil eine bewunderungswürdige, der unvermeidlichen und auch in Ägypten dramatisch genug in Erscheinung tretenden Veränderung abgerungene kulturelle Leistung darstellt. Im Zentrum der ägyptischen Kultur arbeiten die Rituale an der Zyklisierung der Zeit, der Erzeugung von Konstanz,

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nicht im Sinne des Beharrens, sondern der Erneuerung, und bedienen sich dazu soweit irgend möglich altbewährter, immer wieder abgeschriebener und dabei behutsam modernisierter Rezitationstexte. Diese Texte verdanken ihr Fortwirken also nicht etwa ihrer bloßen Schriftlichkeit, sondern ihrem fortwährenden Gebrauch im Kontext der Rituale. Allerdings sind uns die wenigsten dieser Texte in einer Form erhalten, die mit ihrem eigentlichen Gebrauchskontext in unmittelbarer Verbindung steht, also z. B. auf Schriftrollen, wie sie der »Vorlesepriester« im Kult verwendete. Fast alle stammen aus Gräbern und sind zu Totenliteratur umfunktioniert worden, um den Verstorbenen im Jenseits als Wissensvorrat zu dienen. Dadurch erst ergibt sich der Eindruck einer Akkumulation heterogener Materialien, die auf den heutigen Forscher den Eindruck des Widersprüchlichen und Widersinnigen macht. Die entscheidenden Durchbrüche der neueren ägyptologischen Religionsforschung gingen denn auch von Versuchen aus, die unüberschaubare Fülle der Texte durch genaue gattungsgeschichtliche Analysen geschichtlich zu verorten. Kees hatte so etwas in der zweiten Auflage seines Buchs Totenglauben und Jenseitsvorstellungen der alten Ägypter^) versucht und eine klare historische Entwicklungslinie vom Alten zum Mittleren Reich anhand der Pyramiden- und Sargtexte aufzeigen können. Otto widmete sich dem Mundöffnungsritual20), einem erst vom Neuen Reich an überlieferten Ritual, das aber in Teilen bis in die Frühzeit Ägyptens zurückgehen muß, und entwickelte an der Analyse dieses Rituals die Theorie vom Primat des Rituals, das erst sekundär vom Mythos überformt und ausgedeutet wurde. 21 ) Sein 1964 erschienenes Buch Gott und Mensch beruht auf einer minutiösen phraseologischen Analyse der Tempelinschriften der griechisch-römischen Zeit.22) Vor allem muß hier Erik Hornung erwähnt werden, der sein Lebenswerk der Erschließung eines bis dahin als vollkommen unzugänglich geltenden Materials gewidmet hat: den Unterweltsbü19

) Hermann Kees, Totenglauben und Jenseitsvorstellungen der alten Ägypter, die erste Auflage erschien 1925 in Leipzig. 20 ) Eberhard Otto, Das altägyptische Mundöffnungsritual, Äg. Abh. 3, Wiesbaden 1960. 21 ) Eberhard Otto, Das Verhältnis von Rite und Mythus im Ägyptischen, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 1958, i. 22 ) Eberhard Otto, Gott und Mensch nach den Tempelinschriften der griechischrömischen Zeit, Abh. der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 1964.

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ehern in den Königsgräbern des Neuen Reichs.23) Auch meine eigenen Beiträge zur Erforschung der ägyptischen Religion beruhen auf der Erschließung neuer Materialien wie Götterhymnen24) und Totenliturgien.25) Diese philologische Basisarbeit fehlt Morenz' Buch. Wie im Falle Ermans der Bearbeiter, so steht hinter Morenz' Buch ein Benutzer des Wörterbuchs und seiner gewaltigen Zettelsammlung, in der sich alle historischen Linien verwischen. Morenz hat diese Schwäche seines Buches selbst deutlich gespürt und ihm daher vier Jahre später eine Skizze folgen lassen, die eine große, ja geradezu grandiose Entwicklungslinie in sein geschichtsloses Bild der ägyptischen Religion einträgt: die Heraufkunft des transzendenten Gottes.26) Die These ist, daß sich der auch als Reichsgott verehrte oberste Schöpfer- und Sonnengott der Ägypter immer stärker der Immanenz seiner irdischen Verkörperung im König und Verfügbarkeit in magischen Ritualen entzieht und in einen weltenfernen Abstand zu seinen Verehrern tritt, in gleichem Maße wie umgekehrt der König von seinem Range als »Großer Gott« und Verkörperung des Höchsten zum Sohn, Erwählten, Bild des Reichsgottes, dem er in diesen Rollen verantwortlich untergeordnet war. »Die Gottheit rückt in die Transzendenz, der Herrscher wird ihr verantwortlich.«27) Dabei hat Morenz kurzerhand drei Phänomene kombiniert und gewissermaßen kurzgeschlossen, die sich in der ägyptischen Geschichte auf zwei Jahrtausende verteilen: die Einführung des Königstitels »Sohn des Re« im Alten Reich, zwischen der vierten und fünften Dynastie (um 2500 v. Chr.), die Heraufkunft der Idee eines allgemeinen Totengerichts im Mittleren Reich (um 2000-1750 v. Chr.) und der Gottesbegriff der ramessidischen Amun-Theologie mit seiner eigentümlichen Verbindung des allumfassenden Weltgottes und des persönlichen Nothelfers (um 1300-1100). Dieser Hauptlinie der ägyptischen Religi23

) Für einen einführenden Forschungsüberblick mit einschlägiger Bibliographie s. Erik Hornung, Altägyptische Jenseitsbücher, Darmstadt 1997. Die wichtigsten Texte sind übersetzt in Ders., Ägyptische Unterweltsbücher, Zürich 1972. 24 ) Verf., Ägyptische Hymnen und Gebete, Zürich 1975; erweiterte Neuausgabe Fribourg 1999. 25 ) Verf., Tod und Jenseits im Alten Ägypten, München 2001. 26 ) Siegfried Morenz, Die Heraufkunft des transzendenten Gottes in Ägypten, Sitzungsberichte der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Bd. 109.2, Berlin 1964. 27 ) Morenz, Heraufkunft, 15.

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onsgeschichte hat Morenz eine Fülle von Einzelphänomenen einschreiben wollen, u. a. auch den Prozeß der Professionalisierung des Priestertums im Neuen Reich: »ein transzendenter Gott braucht eine Kirche«. In dem monotheistischen Umsturz des Echnaton erblickte er den »offenen Machtkampf zwischen Staat und Kirche«.28) Das Neue in Morenz' Sicht der Dinge war das theologische Engagement. Er ließ keinen Zweifel daran, wer dieser »transzendente Gott« war, dessen Heraufkunft in Ägypten er beschrieb. Mehrfach betonte er, »daß mit >dem transzendenten Gott< nicht eine bestimmte Gottheit, sondern die ägyptische Gottesvorstellung als solche gemeint ist«.29) In dieser Gottesvorstellung aber kündigte sich kein anderer Gott an als der, an den Morenz selbst glaubte. Es gibt nur einen Gott, dieser Gott hat eine Geschichte, und die Anfänge dieser Geschichte treten uns in den ägyptischen Quellen entgegen. Wie schon für die Ägyptologen des 19. Jahrhunderts, gliederte sich auch für Morenz die ägyptische Religion wieder in Vorder- und Hintergrund. Der Wandel der ägyptischen Gottesvorstellung, d. h. »Gottes«, spielte sich im Hintergrund der vielgestaltigen Götterwelt ab, die den Vordergrund darstellte. Und sogar zu der noch viel älteren wissenssoziologischen Verortung dieser theologischen Perspektive kehrte Morenz zurück. Der vordergründige Polytheismus, Ritualismus und Magismus war eine Sache des »breiten Volkes«, die Verehrung des transzendenten Gottes dagegen die Sache einer schmalen »Glaubenselite«. »So zauberten vier, indes der fünfte demütig vor den allmächtigen Gott trat«.30) Mit der ihm eigenen Produktivität und Sprachgewalt hat Morenz dann seine Theorie kurz darauf noch einmal in einem für ein breiteres Publikum bestimmten Buch als den »Lauf Gottes im geschichtlichen Horizont des Ägypters« dargestellt.31) Mit dieser These war der äußerste Gegenpol zu Ermans Sicht der ägyptischen Religion erreicht. Hatte Erman auf jeden Versuch eines Verstehens dieser ihm nicht nur fremden, sondern geradezu 28

) Auf diese griffigen Formulierungen brachte Morenz seine Thesen in einem großen Artikel, den er in der Neuen Zürcher Zeitung vom 18.10.1964 unter dem Titel Die Geschichte Gottes im Alten Ägypten veröffentlichte. 29 ) Morenz, Heraufkunft, 8. 30 ) Vgl. FN. 28. 31 ) Siegfried Morenz, Gott und Mensch im alten Ägypten, Leipzig 1965.

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abstoßenden Gottesvorstellungen verzichtet, so ging Morenz in seinem Bemühen um einfühlendes Verstehen so weit, darin nicht nur nichts Fremdes, sondern geradezu das Eigene zu erkennen. Man konnte sich an den »Babel-Bibel-Streit« der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erinnert fühlen. Damals hatten Assyriologen eine Fülle von Parallelen zwischen mesopotamischen und biblischen Texten nachgewiesen und behauptet, daß die biblische Religion eine jüngere Variante der mesopotamischen ist. Morenz ging aber noch einen Schritt weiter. Er sagte nicht, die Bibel hätte den Begriff des transzendenten Gottes aus Ägypten übernommen, sondern die Geschichte des biblischen Gottes habe in Ägypten ihren Anfang genommen, was man dahin verallgemeinern darf, daß die Geschichte jeder Religion bzw. die Religionsgeschichte ganz allgemein die Geschichte Gottes widerspiegelt. Er verstand seinen Entwurf als einen »Anti-Barth«, d. h. eine Gegenposition zum exklusiven Wahrheitsanspruch des Christentums.32) So wie Erman mit der Theologie, so konnte Morenz, darin ganz Protestant, mit dem Ritual nichts anfangen. Das Ritual erschien ihm als bloße Magie und als die verstiegene Idee, über das Göttliche verfügen zu können. Je höher er den Gottesbegriff der Ägypter einstufte, desto niedriger und primitiver mußten ihm Kult, Ritual und Magie erscheinen. Mit der Geschichte Gottes hatten diese Phänomene für ihn nichts zu schaffen; sie stellten vielmehr die Gegenwelt dar, aus der sich Gott emporzuarbeiten und zu emanzipieren hatte. Mit dieser Schrift nahm die Erforschung der ägyptischen Religion eine theologische Wende. Es ging nicht mehr um den Kult, sondern um den Gottesbegriff der Ägypter. Dabei meldete sich der Widerspruch nicht etwa von Seiten der christlichen Theologie, die Morenz mit seinen Thesen herausfordern wollte, sondern von Seiten der Ägyptologie. In einer Rezension schrieb Erik Hornung, man wünsche sich nun »eine phänomenologische wie historische Untersuchung des ägyptischen Gottesbegriffs, welche die Voraussetzungen erarbeiten müßte, unter denen von »Gott« in der altägyptischen Religion gesprochen werden darf. So fördernd die Abkehr von dem 32

) Seinen Aufsatz in der NZZ schickte mir Morenz mit der handschriftlichen Widmung »ein Anti-Barth, kein Super-Echnaton«. Das heißt, es ging ihm nicht darum, die ägyptische Religion insgesamt als einen Monotheismus darzustellen (das wäre ein »Super-Echnaton«), sondern sie in die Wahrheit der eigenen Glaubenswelt einzugemeinden. Zur Kritik an Barth s. Morenz, Gott und Mensch, 15.

XVIII

Vorwort.

>geographic atomizing< der ägyptischen Religion [das war gegen Kees gerichtet] für die Forschung gewesen ist, so nahe liegt die Gefahr, der kennzeichnenden Vielgestalt ihrer Götterwelt Gewalt anzutun, indem man nach dem >einen Göttlichem hinter den wordergründigem Göttergestalten fragt.«33) Diese Untersuchung hat dann Hornung selbst einige Jahre später unter dem Titel Der Eine und die Vielen: ägyptische Gottesvorstellungen vorgelegt.34) Sein inzwischen international zu einem Klassiker der ägyptologischen Religionsforschung gewordenes Buch liest sich als eine Antwort und Gegendarstellung zu Morenz' Ansatz. Hornung besteht auf der unhintergehbaren Vielheit und Differenziertheit der ägyptischen Götterwelt. Mit Recht macht er auf den Eurozentrismus einer Deutung aufmerksam, die den eigenen Gottesbegriff als Hintergrund der ägyptischen Götterwelt postuliert. »Das ist großartig perspektivisch gedacht und abendländisch - doch mit ägyptischem Anschauen und Denken hat es wenig zu tun! Der Ägypter kennt keine Kulissen und keine Raumtiefe, hinter einem Gott stehen allenfalls seine Gefolgsleute, und der Grund der Welt mag ihm göttlich sein aber kein Gott. Es ist faszinierend, das ägyptische Pantheon dreidimensional zu ordnen und den Einen als Fluchtpunkt zu setzen - aber steht dahinter nicht das alte apologetische Bemühen, die ägyptischen Götter für uns glaubhafter zu machen?«35) Demgegenüber versucht Hornung, den ägyptischen Polytheismus aus den ihm eigenen Denkvoraussetzungen her begreiflich zu machen. Die ägyptischen Götter sind für ihn endlich in Raum und Zeit, sie altern und sterben, sind in ihrer Macht begrenzt und ragen in keiner Hinsicht über den Horizont des Geschaffenen hinaus. Das Sein, so versteht -«) OLZ 60, 1965, 563. 34 ) Erik Hornung, Der Eine und die Vielen: ägyptische Gottesvorstellungen, i. Aufl. Darmstadt 1971. Das Werk ist inzwischen in vielen Neuauflagen und auch in englischer, französischer und italienischer Übersetzung erschienen. Zum äg. Gottesbegriff s. auch Philippe Derchain, Divinite sehn l'Egypte ancienne, in: Yves Bonnefoy (Hg.), Diclionnaire des mythologies et des religions des societes traditionnelles et du monde antique, Paris 1981 ; Verf., Gott, in: Lexikon der Ägyptologie II, 1976, 756-786 und vor allem Dimitri Meeks, Christine Favard-Meeks, La vie quotidienne des dieux egyptiens, Paris 1993. Auch Frangoise Dunand, Christiane Zivie-Coche, Dieux et hommes en Egyple 3000 av, J. €.-395 apr. J.-C., Paris 1991, beginnen ihre »religiöse Anthropologie« Ägyptens mit einer Erörterung des ägyptischen Gottesbegriffs (»Qu'est-ce qu'un dieu?«, S. 15-51). Zu den wichtigsten Göttern s. Claude Traunecker, Les dieux d'Egypte, Que sais-je 1194, Paris 1992. 35 ) Hornung, Der Eine, i6f.

Vorwort.

XIX

Hornung die »ontologischen Grundlagen« des ägyptischen Weltbilds, »ist eine Insel oder eine >Episode< (Thomas Mann) >zwischen Nichts und NichtsMonotheismus< — >Polytheismus. Grenzen und Möglichkeiten einer Klassifikation von Gottesvorstellungen, in: Manfried Dietrich (Hg.), Mesopotamica - Ugaritica - Biblica. Festschrift für Kurt Bergerhof, KevelacrNeukirchen 1993, 1-24, spcz. 5-12. 55 ) Reinhold Hülsewiesche, Monotheismus, in: Karlfried Gründer, Joachim Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie 6 (1984), 142-146; Francis Schmidt, Naissance des polytheismes (1624-1757), in: Archives des Sciences Sociales des Religions 59, 1985, 77-90. 56 ) Zu Webers Begriff des »Polytheismus der Werte« vgl. Wolfgang Schluchter, Religion und Lebensführung, Frankfurt/Main 1988, Bd. I, 281-288; Julien Freund, Le polytheisme chez Max Weber, in: Archives des Sciences Sociales des Religions 61, 1986, 51-61. 57 ) Vgl. z. B. Lob des Polytheismus. Über Monomythie und Polymythie, in: Hans Poser (Hg.), Philosophie und Mythos. Ein Kolloquium, Berlin 1979, 40-58. Vgl. hierzu Jacob Taubes, Zur Konjunktur des Polytheismus, in: Karl Heinz Bohrer (Hg.), Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion, Frankfurt 1983, 457-470.

XXVI

Vorwort.

eines Zusammenwirkens vieler verschiedenartiger Mächte vorgibt und der dritte ist die politische Organisation des Gemeinwesens, die auch den Göttern in ihren Tempeln und Städten irdische Herrschaft zuweist und die alle von Menschen ausgeübte Herrschaft als Repräsentation dieser göttlichen Herrschaft auslegt. Politische Gemeinschaft wird in dieser Dimension als Kultgemeinschaft realisiert. In diesen drei Ordnungsparametern oder Dimensionen einer polytheistischen Götterwelt erkennt man unschwer die theologia tripartita des Varro wieder, von der Augustinus berichtet und die ihrerseits auf älteren stoischen Traditionen beruht. Varro unterscheidet bekanntlich eine theologia mythike, physike und politike oder fabularis, naturalis und civilis.58) Aber auch in ägyptischen Texten läßt sich eine entsprechende Dreiteilung aufzeigen, z. B. wenn Hymnen zwischen Name, Kultgestalt und kosmischer Erscheinungsform von Gottheiten unterscheiden. Die ägyptische Götterwelt ist die spezifisch ägyptische Artikulation der Welt, in der sie ansprechbar wird, im Sinne einer Ich-Du-Beziehung, wie Frankfort meinte, und durchaus auch im Sinne der Immanenz, Einwirkung und »Verfügung«, wie es für Morenz so schwer nachzuvollziehen war (weil er dabei an »Manipulation« und nicht an Inganghaltung dachte), vor allem aber auch im Sinne einer hieroglyphischen »Metasprache«, wie Hornung gezeigt hat.59) Die ägyptische Götterwelt war gewiß kein Gegenstand des »Glaubens«. Dieser Begriff erscheint in diesem Zusammenhang ganz besonders eurozentrisch, anachronistisch und unangemessen. Es handelt sich um ein Weltbild, ein Modell der Wirklichkeit, an das die Ägypter nicht »glaubten«, sondern das für sie ein Gegenstand des Wissens war. Allenfalls könnte man an die 58

) Zur antiken Begriffsgeschichte s. Ernst Feil, Von der >Politischen Theologie< zur >Theologie der Revolution?, in: Ernst Feil (Hg.), Diskussion zur Theologie der Revolution, München/Mainz 1969, 113 ff. Zur theologia tripartita vgl. Godo Lieberg, Die theologia tripartita als Formprinzip antiken Denkens, in: Rheinisches Museum 125, 1982, 25-53; Wilhelm Geerlings, Die theologia mythica des M. Terentius Varro, in: Gerhard Binder (Hg.), Mythos. Erzählende Weltdeutung im Spannungsfeld von Ritual, Geschichte und Rationalität, Bochumer Altertumswiss. Coll. 2, Trier 1990, 205-222. Zur theologia civilis im besonderen vgl. Hubert Cancik, Augustinus als constantinischer Theologe, in: Jacob Taubes (Hg.), Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, Religionstheorie und politische Theologie I, München 1983, 136-152; Albrecht Dihle, Die Theologia tripertita bei Augustin, in: Hubert Cancik et alii (Hg.), Geschichte - Tradition - Reflexion (Fs. Martin Hengel), Tübingen 1996, 183-202. 59 ) Hornung, Der Eine, 113.

Vorwort.

XXVII

»Persönliche Frömmigkeit« denken, eine Bewegung, in der Erman die »wirkliche Religion des Volkes« erblickte60) und die sich mit einem ägyptischen Begriff als »Gottesbeherzigung« kennzeichnen läßt, denn die Wendung »sich eine bestimmte Gottheit ins Herz geben« ist für die hierher gehörenden Texte charakteristisch. »Sich eine Gottheit ins Herz geben«, damit könnte so etwas wie »Glauben« im hebräischen Sinne von Vertrauen und Gottesfurcht gemeint sein.61) Aber das ist ein sehr besonderer Aspekt der ägyptischen Religion, der erst im Neuen Reich stärker hervortritt und gerade in seiner Besonderheit auf das ganz anders geartete Typische verweist. Im Grunde gehört auch der Begriff des Glaubens zu den Eigentümlichkeiten einer Offenbarungsreligion. Glauben kann man nur an etwas, was einem nicht schon in überwältigender Evidenz vor Augen steht. Der Israelit glaubt an die Verheißungen des Bundes, der Christ an die Messianität Jesu. In Ägypten steht an der Stelle, die in unserer Tradition der Glaube einnimmt, die natürliche Evidenz eines Weltbilds. Seine Mitte hat dieses Weltbild in den Riten, die bislang noch in keiner ägyptischen Religionsgeschichte einen angemessenen Platz gefunden haben.62) Im Grunde war hier Erman, der diesem Thema immerhin zwei Kapitel widmete, noch am weitesten gegangen. So bleibt auch hier, auf einem Gebiet, von dem Koch feststellte, es gäbe »keinen Bereich der Altertumswissenschaft, der so eingehend untersucht wurde«, noch sehr viel zu tun. Keine der künftigen Behandlungen aber wird an Ermans Religion der Ägypter vorbeigehen können, die aufgrund der einmaligen Materialkenntnis des Autors aber auch wegen seiner Distanz zum Gegenstand ein Klassiker bleibt. Januar 2001 W)

Jan Assmann

) Erman war der erste, der eine Sammlung einschlägiger Quellen publizierte: Denksteine aus der thebanischen Gräberstadt, Sitzungsberichte der Preussischcn Akademie der Wissenschaften 1911. 61 ) S. hierzu Verf., Ägypten: eine Sinngeschichte, München 1996, 259-301, Die »Persönliche Frömmigkeit« darf nicht mit »Volksreligion« verwechselt werden; sie findet ihren Ausdruck auch in Königsinschriften. 62 ) Hier ist vor allem der Name Philippe Derchains als rühmliche Ausnahme zu nennen, der in zahlreichen Büchern und Aufsätzen ägyptische Riten behandelt und auf die Bedeutung des Ritus als Medium der Weltinganghaltung hingewiesen hat.

SEINEM LIEBEN FREUNDE

H. O. L A N G E IN E R I N N E R U N G AN GEMEINSAMES STREBEN UND GEMEINSAME ARBEIT

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Vorrede. Ich will in diesem Buche das Wesen der ägyptischen Religion schildern und ihr langes Leben erzählen; dazu greife ich aus dem ungeheuren Stoffe heraus, was mir dienlich erscheint — ist es doch das Recht und die Pflicht des Historikers, das Unwesentliche und Verwirrende fortzulassen. Ein vollständiges Buch, in dem auch der Fachgelehrte nichts vermißt, will ich nicht geben. Wenn der Leser sieht, daß es hier doch noch sehr andere Dinge gegeben hat, als heilige Katzen und Mumien und wenn er sieht, daß in diesem Glauben doch zuweilen Gedanken und Empfindungen sichtbar werden, deren sich auch hochstehende Religionen nicht zu schämen brauchen, so hat mein Buch seinen Zweck erfüllt. — Schon im Jahre 1904 habe ich mich an dem gleichen Stoffe versucht. Das Buch erschien damals unter dem Titel »Die ägyptische Religion« in einer Sammlung von »Handbüchern der Königlichen Museen«. Es war Richard Schöne, der diese ins Leben gerufen hatte; nach der hohen Auffassung, die er von seinem Amte hegte, galten ihm die Museen vor allem als eine Stätte der Bildung und so sollten auch diese Bücher jeden Besucher der Museen, der nach Verständnis des Geschauten strebte, unschwer in die alten und fremden Kulturen einführen. Mein kleines Buch entsprach offenbar dieser Bestimmung, denn schon 1909 wurde eine zweite Auflage nötig. Jetzt erscheint es zum dritten Mal in neuer Form außerhalb jener Sammlung, für die es zu umfangreich geworden wäre. Auch im Ausland fand das Buch Anklang und wurde schon bald nach seinem Erscheinen von Griffith ins Englische, von Vidal ins Französische, und von Pellegrini ins Italienische übertragen. Seitdem habe ich diese Aufgabe nie aus den Augen verloren und habe in dem Vierteljahrhundert, das inzwischen verflossen ist, bei meinen lexikalischen und grammatischen Arbeiten auch vieles gesammelt, was für die Religion Aufschluß versprach.

XXXII

Vorrede.

So hat denn auch das jetzige Buch — von bestimmten Abschnitten abgesehen — nicht viel mit seinen Vorläufern von 1904 u. 1909 gemein; aber ich hoffe, daß es sich doch den Charakter leichter Verständlichkeit bewahrt hat. Von Büchern, die mir für diese Arbeit Belehrung und Anregung gegeben haben, nenne ich vor allem die zweite Auflage von Eduard Meyers Geschichte des Altertums; er hat mit dem klaren Blick und dem gesunden Urteil, die ihm eigen waren, auch die Probleme der ägyptischen Religion behandelt. Ich nenne ferner das geistvolle Buch von Breasted development of religion and religions thought in Ancient Egypt und die sich mit diesem berührenden Arbeiten von Kees und Rusch, Breasteds Dawn of conscience konnte ich leider nicht mehr benutzen. Vieles in meinem Buche fußt auf den kritischen Untersuchungen Sethes und auf den wichtigen Arbeiten Junkers. Was alles ich für die Verhältnisse der Priesterschaft den Arbeiten von Lefebvre, Otto und vor allem auch denen von Schubart verdanke, bedarf keiner Erwähnung. Den Namen der Götter und Könige habe ich die üblichen Formen belassen, die meisten von ihnen können wir ja doch nicht sicher herstellen und da ist es immer noch besser, wir behalten die gewohnten falschen Formen bei wie Sokaris, Nut oder Schu, Issi oder Pepi, als daß wir sie durch neue zu ersetzen versuchen, die doch vermutlich ebenso unrichtig sein werden wie jene. Eine noch größere Schwierigkeit boten die Namen der Städte. Neben ihren griechischen Formen, die wir heute gern verwenden, benutzen wir auch die ägyptischen Namen, über deren genaue Aussprache wir kaum etwas wissen, sodann auch koptische Formen und überdies noch die Namen, die das arabische Volk heute gebraucht — die letzteren freilich in sehr willkürlichen Schreibungen. Der Leser wundere sich also nicht, wenn ich bald von Hermopolis und bald von Schmun, bald von Dedu und bald von Busiris spreche und wenn sich auch moderne Namen wie Ehnas oder Luksor unter die alten mischen. Das alles ist wenig schön, aber ein konsequentes Verfahren würde nur zu Mißverständnissen führen. In den chronologischen Angaben meines Buches bitte ich nicht mehr zu sehen als was sie sein können. Einzelne Punkte der ägyptischen Geschichte sind ja heute festgelegt, aber zwischen diesen bleibt ja natürlich noch vieles unsicher. Zum Glück ist

Vorrede.

XXXIII

es ja auch für unsere Aufgabe zumeist einerlei, ob irgend ein Vorgang einige Jahrzehnte früher oder später anzusetzen ist. — Die übliche Einteilung in Reiche und Dynastien ist auf S. XV besprochen. — Leser, die sich eine genauere Kenntnis der ägyptischen Geschichte verschaffen wollen, verweise ich auf Breasted's History of Egypt, die Hermann Ranke 1910 übersetzt hat. (Berlin, Curtius, 1910.) Was ich aus den ägyptischen Texten in wörtlicher Übersetzung anführe, habe ich durch kursiven Druck bezeichnet. Vieles von dem, was ich so nur im Auszuge gegeben habe, wird man vollständig in meiner Literatur der Aegypter (Leipzig, Hinrichs, 1923) finden. — Wer aber auch von der Schrift der Ägypter etwas wissen möchte — und auf dieser Schrift beruht doch das ganze geistige Leben Ägyptens —, den verweise ich auf mein kleines Buch »Die Hieroglyphen«, das im Verlage von Göschen 1912 und 1917 erschienen ist. Bei der Redaktion des Buches hat mir meine Frau zur Seite gestanden und die Herren Grapow und Erichsen haben sich der bösen Arbeit unterzogen, die sämtlichen Zitate nachzuprüfen. Auch bei der Korrektur haben sie uns unermüdlich beigestanden. Für diese Liebesdienste danke ich ihnen von Herzen. Berlin-Dahlem Pfingsten 1934.

Adolf Erman.

Inhalt. Sehe

i. Kapitel. Allgemeines

4

Wurzel und Entwicklung der Religion 4. — Einfluß des Landes 5. — Die großen Mächte des Himmels 5. — Kleinere Gottheiten, die dem Menschen näherstehen 6. — Verbreitung und Vermischung der Vorstellungen 7. — Die Gaue und ihre Götter 7. — Die beiden Reiche 8. — Heilige Tiere 8. — Haus und Bild des Gottes 9. — Halbmenschliche Gestaltung 9. — Besondere Aufgaben der einzelnen Götter 10. — Friedlicher Charakter des Volkes 10. — Art des Kultus 10. — Umgestaltung durch die Phantasie u. — Beibehalten des Überlieferten n. — Besitz der Schrift als ein Verhängnis 12. — Kein „heiliges Buch" 12. — Methode der Erforschung 13.

2. Kapitel. Die Welt und ihre Götter

14

Poetische Anschauung der Welt; des Himmels 14. — Die Erde und die Luft 15. — Der Himmel als Gewässer u. ä. 16. — Ozean und Nil 16. — Unterwelt 17. — Sonne und ihre Gestalten 17. — Die Fahrt der Sonne 18. — Wohnort der Sonne 2i. — Sonnenauge; Uräusschlange usw. 21. — Mond, das Horusauge 22. — Sterne, Sothis, Orion 23.

3. Kapitel. Die großen Götter des Landes

25

Götter von Memphis 25. — Götter von Heliopolis 27. — Horusgötter; geflügelte Sonne 28. — Himmelsgöttinnen 30. — Löwengöttinnen 33. — Andere große Götter (Min, Amon, Seth) 35. — Thoth 39. — Osiris 40. — Totengötter (Anubis, Up-uat) 42. — Widder und Böcke; Chnum 43. — Krokodilgott: Sobk 44. — Schlangen u. ä. 45. — Gehilfen der großen Götter 46.

4. Kapitel. Die weitere E n t w i c k l u n g der Religion

älteren

Götterfamilien und Zusammenfließen von Göttern 49. — Verschmelzung mit Re 49. — Die beiden Reiche 50. — Horusdiener 51. — Horus als Urbild der Könige 51. — König als Gott und Sohn des Gottes 51. — Erzeugung des Königs 52. — Sein Tod und Wiedervereinigung mit dem Gotte 55. — Verhältnis des Königs zu den Göttern 56. — Thoth und die Schreiber;

48

XXXVI

Inhalt. die Maat 57. — Patrone der Ärzte und Künstler 57. — Gott als allgemeine Bezeichnung 59.

5. Kapitel.

Die Göttersagen

Seite

60

Wesen der Sagen 61. — Entstehung der Welt: Sage von Schmun 61; andere Sagen 62. — Trennung von Himmel und Erde 62. — Keb als Fürst der Götter 63. — Sieg des Sonnengottes über die Rebellen und aufrührerischen Menschen 63. — Entstehung des Mondes 65. — Sage vom Sonnenauge 65; von Tefnet-Hathor 66. Osirissage, Bedeutung und Ursprung 68; ältere Formen 69; jüngere Formen 72. — Märchen von Horus und Seth 75. — Jüngste Formen der Osirissage 83.

6. Kapitel.

Die Theologie

88

Wesen der ägyptischen Theologie 88. — Systeme der verschiedenen Städte 8g. — Das von Heliopolis; die Neunheit 8g. — „Die memphitische Theologie" und ähnliche Systeme 91. — Auseinandersetzung mit Osiris 93. — Systeme von Schmun und Theben 94. — Entstehung der Dinge aus den Göttern 95. — Seelen der Götter; heilige Tiere 96. — Seelen des Königs 97 u. a.; Götterlisten 98. — Bearbeitung der Göttersagen 98. — Kommentierung heiliger Bücher 100.

7. Kapitel. G e s c h i c h t l i c h e Vorgänge und ihr Einfluß 102 Vereinigung der beiden Reiche 102. — Die Sonnenverehrung der 5. Dynastie und ihre Folgen 102. — König als Sohn des Re 103. — Amon Re von Theben 103. — Die Hyksos 104. — Amon Re auf dem Gipfel der Macht 105. — Umgestaltung seines Wesens 105. — Amon Re als reiner Sonnengott, auch schon als Aton gepriesen 107.

8. Kapitel. Die K e t z e r z e i t

109

Die Zeit Amenophis III. 109. — Anfänge des neuen Glaubens u o. — Lieder an die Sonne i n . — Erstes Stadium der Lehre 114. — Feindschaft gegen Amon und andere Götter 115. — Gründung von Teil Amarna 117. — Änderung von Kunst und Sprache 119. — Weitere Änderungen der Lehre 123. — Vorstellungen über die Toten 124. — Die schöne Welt von Teil Amarna und ihr Zusammenbruch 126. Tutanchaton und die Wiederherstellung des alten Glaubens 128. — Eje und Haremheb 129. — Zerstörung der Bauten der Ketzerzeit 130. — Rückblick 131.

9. Kapitel. T r i u m p h der alten Religion Übermacht des Amon über alle Götter 131. — Das neue Wesen des Amon nach dem Leydener Amonshymnus 132. — Amon, Re und Ptah zur höchsten Gottheit vereinigt 134. —

131

Inhalt.

XXXVII Seite

Übergewicht des Amon und dessen Verherrlichung 135. — Erneutes Hervortreten der alten Götter 136. — Osiris 137. — Theben nur noch die heilige Stadt 138.

io. Kapitel. Frömmigkeit, Volksgötter und Orakel 139 Persönliches Verhältnis zum Gott, Gebete 139. — Gebete an Thoth 140. — Denksteine aus der thebanischen Totenstadt 141. — Verehrung alter Denkmäler, große Sphinx, Sachmet des Sahure 144. — Schutzpatrone der Nekropolen 145. — Volksgötter: Toeris, Bes, Patäke u. a. 146. — Fremde Götter 148. — Heilige Tiere und Bäume 152. — Orakel (für den König) 154.

n. Kapitel. E t h i k

157

Wahrheit und Recht als Ideal des Volkes 157. — Auch das Schicksal des Toten durch seinen Lebenswandel bedingt 158. — Das Totengericht und die Sünden 158. — Tugenden der höheren Stände nach ihren Grabschriften 159. — Die Lehre des Ptahhotep 159. — Lehre für Merikare 160. — Lehre des 6 . — Lehre des Amenemope und Verwandtes 162.

is. Kapitel. Der K u l t u s in ä l t e r e r Zeit

165

Primitive Anfänge 165. — Grundform der Tempel 166. — Dekoration der Tempel 169. — Obelisken, Statuen, Altar 170. — Sonnentempel 171. — Das Götterbild und die Kapelle 172. — Der tägliche Kultus und sein Ritual 173. — Einwirkung des Totenwesens auf den Kultus 175. — Die Opfer und ihre Benennungen 176. — Räuchern 177. — Lieder zum Preise des Gottes, das Morgenlied; Musik und Tanz 177. Die Festtage 179. — Prozessionen 180. — Einfaches Fest in Theben 181. — Osirisfest in Abydos 182. — Dramatischer Charakter von Festen und Opfern 184. —Jubiläum des Königs 185. — Der König im Kultus 185. Arten der Priester und ihre Organisation 187. — Weihung der Priester, Priesterinncn, Hohepriester 189. — Reinheit im Kultus und Speiseverbot 190. — Verwendung der Opfer 191.

13. Kapitel. Der K u l t u s im n e u e n Reich

193

Die Tempelbauten in Theben 193. — Innere Pracht der Tempel 195. — Götterbilder 196. — Gartenanlagen 197. — Üppigkeit der Feste 198. — Das Opetfest 198. Priesterschaft als besonderer Stand 200. — Priesterinnen; Gottesweiber 201. — Laufbahn eines Hohenpriesters 202. — Das Vermögen des Amon und seine Verwaltung 203. — Macht der Hohenpriester des Amon 204.

14. Kapitel. Der Totenglaube Die alte Totenliteratur: Pyramidentexte und ihre Vorstellungen 208. — Der „Ka" des Menschen 209. — Die Seele (Ba) 2i o. — Das Totenreich im Westen 211. — Das Totenreich im Himmel 212. — Lehre vom Totengott Osiris 217.

207

XXXVIII

Inhalt. Seite

Vorstellungen der jüngeren Texte 221. — Das „Herausgehen am Tage" 223. — Rechtfertigung des Toten 224. — Das Totengericht 226. —Strafen der Sünder 226. —Schicksal des Gerechten 229. — Wünsche der Toten im neuen Reich 229. — Die Bücher von der Fahrt durch die Unterwelt (Amduat) 233. Wirkliche Gedanken über den Tod 238. — Briefe an die Toten 239.

15. Kapitel. Fürsorge für die Toten

242

Älteste Gräber 242. — Älteste Königsgräber 245. — Die Pyramiden 246. — Mastaba 250. — Opferspeisen 253. — Totenpriester 254. — Geschenke des Königs für das Grab 255. — Anreden an die Besucher des Grabes 256. — Aufhören von Stiftungen und Verfall der Gräber 257. — Plünderung der Gräber 258. Mumie und Sarg 260. — Eingeweidekrüge 261. — Dienerfiguren u. a. 261. — Schiffe 262. — Vermeidung bestimmter Schriftzeichen 263. — Beigaben 264. — Statue des Toten 264. — Felsengräber 264. — Ziegelpyramide 265. — Gebräuche bei der Bestattung 267. — Mundöffnung 267. — Opferritual 268. — Spenden für die Toten im Tempel 268. — Abydos und die Toten 269. Totengebräuche des neuen Reiches 270. — Königsgräber des neuen Reiches 270. — Scheingräber in Abydos 271. — Gärten in der Totenstadt 272. — Gräber der Privaten im neuen Reich und ihr veränderter Charakter 272. — Festliches Totenmahl 273. — Massengräber 274. — Mumieniormige Särge 216. — Fabrikmäßige Herstellung der Grabausstattung 276. — Uschebtifiguren 277. — Herzskarabäen u. ä. 279. — Eingeweidekrüge 282. — Totenpapyrus 283.

16. Kapitel. Die Toten in der S p ä t z e i t

285

Fortwuchern der Totenliteratur 285. — Große Grabanlagen der Vornehmen 285. — Altertümelei der Epoche 287. — Pracht der Särge 287. — Amulette u. a. 289. — Armengräber 291. — Geschäftsmäßiger Betrieb der Totenpriester 291. — Totenklage und Trauer 292. — Die Seelenwanderung 293.

17. Kapitel. Magie und Z a u b e r e i

295

Allgemeines 294. — Zaubersprüche und ihre Formen 296; nach Göttersagen 297. — Bedrohung der Götter 300. — Geheimer Name des Gottes 301. — Zauberworte 303. — Zeremonien beim Zauber; Zauber gegen Krankheit, spukende Tote 305. — Zauber für den König 306. — Für die Götter 307. — Zauberei als Wissenschaft 308. — Zaubernguren und ä. in den Häusern 309, böser Blick 311. — Traumbuch 312. — Tagewählerei 312.

18. Kapitel. Die Zeit des Verfalls und die Saitenzeit 314 Der Priesterkönig Hrihor 314. — Bau des Chonstcmpels;

Inhalt.

XXXIX Seite

Reise des Unamun 315. — Orakel als ständige Einrichtung 316. — Verfehmung des Seth 318. — Beraubung der Königsgräber 318. Könige von Bubastis und ihr Verhältnis zu Theben 319. — Gottesweiber 319. — Äthiopische Herrscher 320. — Könige von Sais 321. Archaisierende Bestrebungen und ihre Folgen für die Religion 321. — Die Theologie der Spätzeit 324. — Verehrung der alten Weisen 326. — Fälschungen von Inschriften zum Besten eines Tempels 327.

19. Kapitel. Die Perserzeit

331

Kambyses und Darius in ihrem Verhältnis zur ägyptischen Religion 331. — Herodots Bericht über Religion und Kultus, heilige Tiere 333. — Feste und Opfer 335. — Orakel u. a. 337. — Reinheitsvorschriften, Sitten der Priester 337. — Gegenkönige der Perser 338. Das Grab des Petosiris als Denkmal zweier Zeiten 339; seine Lebensauffassung 343. — Papyrus Insinger 344.

20. Kapitel. Die ägyptische Religion in den Nachbarländern 346 Kreta 346. — Bestattungsgebräuche in Europa 347. — Palästina und Phönizien 348. — Byblos 349. — Die Oasen 350. — Jupiter Amon 350. — Nubien 351. — Amon als Hauptgott 351. — Könige als Mitgötter 352. — Die Felsentcmpel 352. — Die Theokratie im späteren Nubien 353. — Das Reich von Merofc 354. — Philae als letzte Zufluchtsstätte der ägyptischen Religion 356.

21. Kapitel. Aus g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e r Zeit

358

Eindringen der Griechen 358. — Verhältnisse des griechischen Staates zu den Priestern 359. — Asylrecht 359. — Beschränkung der Einkünfte der Tempel 360. — Könige und Kaiser zu Göttern erhoben 360. — Neubau der Tempel 361. — Mendesstele 362. — Dekret von Kanopus 364. — Die Tempel und ihre Darstellungen und Inschriften 366. — Der Tempel vonDenderah, seine Anlage 368. — Feste, ihre Gebräuche und Lieder 371. — Fest von Edfu 375. — Osirisfeste 377. — Abaton 378. — Osirismysterien 382. Einführung des Serapis 384. — Serapeum von Alexandrien 385. — Grab und Bestattung des Apis 385. — Serapeum von Memphis und seine Bewohner 387. — Weitere Vermischnung der beiden Religionen 389. — Isis als Hauptgöttin 390. — Das Horuskind u. ä. 392. — Strabos Bericht 396. — Das Vermögen der Tempel 399. — Die Verhältnisse der Priester 400. — Orakel 402. — Wallfahrtsorte 404. — Zauberer 404. — Amulette 405. Neue Ansichten über das Leben nach dem Tode 407. — Bestattung, Pracht der Mumien 41 o.—Beisetzung in der Heimat 413. Mumien von Christen 413. — Allmählicher Abfall vorn Heidentum 415. — Stilles Fortleben heidnischer Vorstellungen 417.

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Inhalt. Seite

22. Kapitel. Die ägyptische Religion in Europa ... 419 Eindringen in die Hafenstädte des Mittelmeeres 418. — Mischung mit griechischen Göttern 420. — Eindringen in Rom 420. — Isis und Serapis als anerkannte Gottheiten 423. — Hadrian und Antinous 423. — Lucians Spott 424. — Plutarchs philosophische Auslegung 425. — Frömmigkeit der gläubigen Isisverehrer 426. — Weihung von Tempeln 428. — Isistempel von Pompeji 429. — Import alter ägyptischer Skulpturen 431. — Form des ägyptischen Kultus in Europa und seine Feste 431. — Die Eingeweihten 434. — Isis als einzige Göttin der Welt 435. — Verbreitung des Isisglaubens durch ganz Europa 439. — Die mystischen Philosophen als letzte Gläubige 439.

Einteilung der ägyptischen Geschichte. Bei dem Mangel genauerer Daten teilen wir die ägyptische Geschichte in Perioden ein, die wir als Reiche oder Dynastien bezeichnen. Hier eine Übersicht der wesentlichen: I. Vorhistorische Zeit (schon eine Zeit höherer Kultur). II. Altes Reich — etwa 3200—2250 v. Chr. 1) Die drei ersten Dynastien. (Zuerst König Mcnes, der Gründer von Memphis; — um 3200 v. Chr. — Am Schluß Kg. Zoser (der Erbauer der Stufenpyramide)). 2) Dyn. 4: 2720—2560. (Kg. Cheops, Chephren und Mykerinos, die Erbauer der großen Pyramiden). 3) Dyn. 5: 2560—2420. (Kg. Sahure, Ne-user-se u. a., eine Zeit der Blüte). 4) Dyn. 6: Kg. Teti, Pepi u. a. ·— Danach um 2250 der völlige Zusammenbruch des Staates. III. Mittleres Reich. 1) Nach einer Zeit der Wirren neue Königtümer, so in Herakleopolis (Kg. Merikare) und in Theben Dyn. n. 2) Dyn. 12: 2000—1790. Könige namens Amenemhet und Sesostris; die klassische Epoche des Landes. 3) Dyn. 13: etwa bis 1700, wo das Barbarenvolk der Hyksos Ägypten erobert. IV. Neues Reich. 1) Befreiung durch die Fürsten von Theben (Dyn. 17; König Amosis). 2) Dyn 18: 1555—1350. Ägypten als Großmacht. Könige Amenophis und Thutmosis. Wichtig Königin Hatschepsut und König Thutmosis III. Am Ende der Dynastie die Ketzerzeit. 3) Dyn. 19: 1350—1200. Kge. Sethos, Ramses u. a., dabei Ramses II 1292—1225.

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Einteilung der ägyptischen Geschichte.

4) Dyn. 20: 1200—1090, dabei Kg. Ramses III (1198—1167) und seine gleichnamigen Nachfolger. V. Zeit des Verfalls. 1) Dyn. a t : (Priesterkönig Hrihor in Theben und Kge. in Tanis), 2) Dyn. 22: — 950—740, libysche Kge. (Scheschonk u. a.). 3) Eroberung durch Äthiopen (Schabako) und Assyrer. 4) Dyn. 26: — 663—525 die Könige von Sais, Psametich und seine Nachfolger. 5) Persische Eroberung — 525—332. Dabei die ägyptischen Gegenkönige. VI. Griechische Zeit. 332—30 v. Chr. Alexander und die ptolemäischen Könige. VII. Römische Zeit, seit 30 v. Chr.

Zur Einleitung. Was der ägyptischen Religion für uns das Interesse verleiht, das ist nicht nur ihr hohes Alter, denn in der langen Geschichte der Menschheit kommt es ja auf ein Jahrtausend mehr oder weniger nicht an. Wohl aber bietet sie uns etwas, was wir sonst nicht so leicht beobachten können; wir können ihre Entwicklung ohne Unterbrechung verfolgen. Wir kennen sie von der Urzeit an, wo der Gott dem Menschen noch ein unheimliches Wesen ist, bis hin zu der Zeit, wo der Gläubige zu dem Gotte in einem persönlichen Verhältnis steht, wo er ihm vertraut und auf ihn hofft, wo er ihn liebt und fürchtet. Wir kennen sie in der Zeit ihres höchsten Glanzes und ebenso in der Zeit, wo der Versuch gemacht wird, sie neu zu gestalten. Wir sehen wie dieser Versuch mißlingt, und nun folgt auf ihn die lange Periode des Niedergangs, die trotz alles Aufflackerns doch zum Ende führt. Dieses Ende aber ist Schwärmerei und Mystizismus. Als das Christentum den ägyptischen Glauben verdrängt, ist er längst zum Untergange reif. Es erschwert die Würdigung der ägyptischen Religion, daß sie wenigstens in ihrer offiziellen Gestalt alle die Torheiten aus ihren Anfangen mit sich schleppt; für dieses Barbarentum sich zu erwärmen, kann man von niemandem verlangen. Es drängt sich ja für uns heute in den Vordergrund, aber in Wirklichkeit hat es für die Ägypter der höher entwickelten Zeit auch nur den überlieferten Hintergrund gebildet, der für ihr wirkliches religiöses Leben so wenig bedeutete als die überlieferten Dogmen für andere Religionen. Eine Darstellung der ägyptischen Religion kann man nun in sehr verschiedener Weise geben. Wer sich auf den Standpunkt der strengen Forschung stellt, der wird sich verpflichtet fühlen, allen den Einzelheiten nachzugehen, die sich uns im Glauben E r m a n , Religion der Ägypter.

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Zur Einleitung.

und im Kultus der Ägypter zeigen, obskuren Göttern und Geistern, Gebräuchen und Festen — damit kann man Bände über Bände füllen und ein ägyptischer Priester würde seine Freude an diesem gottgefälligen Werke haben. Wen aber nicht ein gelehrtes Spezialstudium zu der ägyptischen Religion führt, der wird lieber auf anderes in ihrer Geschichte achtgeben. Wie das Volk einst seine Götter naiv lebendig schaute und sie in schlichter Weise verehrte; wie es dann später, als seine Gottheiten ihm in ihren Riesentempeln fremd geworden waren, sich bescheidenere Helfer erdachte, die ihm näher standen; wie einmal ein Herrscher den kühnen Versuch gemacht hat, sich und sein Volk von dem Banne des alten Glaubens zu erlösen, wie inmitten all der äußerlichen Vorstellungen vom Leben nach dem Tode, das Gefühl durchdringt, daß dabei die Rechtlichkeit des Menschen doch mehr bedeute als Formeln und Zeremonien — das zu sehen, erscheint uns wichtiger, als wenn wir alle Namen und Abzeichen und Festtage der Götter und Göttinnen kennten. Eines noch bitte ich den Leser dieses Buches zu bedenken: wir werden immer wieder auf das Verworrene und Widerspruchsvolle in den Vorstellungen der Ägypter hinzuweisen haben; diese Widersprüche sind ja in der Tat befremdend groß, aber sie stören uns moderne Menschen doch mehr als eigentlich richtig ist. Denn Unklarheiten und Widersprüche gehören nun einmal zum Wesen einer jeden Religion und wer diese als einen klaren Gedankenbau hinstellen will *), der nimmt ihr das, was eigentlich doch ihre Lebensluft ist: Das Mystische, das Übersinnliche. Das allein macht sie dem Menschen teuer, sie ist nicht aus seinem Verstande entsprossen, sondern aus seinem Gefühl. Und so ist denn auch jede Erforschung und jede Darstellung einer Religion eigentlich »ein Versuch mit untauglichen Mitteln«. Man kann ja alle Götter eines Volkes beschreiben und die Einzelheiten ihrer Kulte, man kann ihren Sagen nachgehen und den Spekulationen ihrer Priester und doch haftet man mit aller dieser Forschung immer an der Außenseite der Religion. Ob diese Außenseite so gestaltet ist oder so, das erklärt noch nicht ihre Bedeutung für den Menschen; erst die Empfindungen und Ge*) Wer die Religion, wie das so oft geschieht, systematisch wie ein Anatom seziert, der kommt zu schiefen und platten Ergebnissen: »Leben und Geist entweicht unter dem groben Skalpell«.

Zur Einleitung.

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fühle, die er selbst an diese heiligen Dinge knüpft, sind das Wesentliche für ihn. Nur sie können ihn über das Alltägliche und seine Nöte hinaus heben und nur sie machen die Religion zu dem großen Faktor im Leben der Menschheit. Es ist daher im Grunde gleichgültig, ob der Mensch sich seine Götter so denkt oder so, das hängt nur von der Stufe seiner Kultur ab. Nur wenn wir einmal ausnahmsweise erfahren, was der Gläubige seinem Gotte gegenüber empfindet, stoßen wir wirklich auf den Kern der Religion und das geschieht nur allzu selten. Ich bitte also den Leser, sich dieser Lücke unseres Wissens bewußt zu bleiben und sich diese innere Seite der Religion zu meiner Darstellung hinzu zu denken. Auch das seltsamste Götterbild und der seltsamste Gebrauch gewinnen doch ein anderes Aussehen, wenn man an die Gefühle denkt, die die Gläubigen einst an sie geknüpft haben.

Erstes Kapitel. Allgemeines. Was der Mensch an höherem Besitz vor dem Tiere voraus hat, das hat sich ihm aus dessen Trieben entwickelt; das Schreien und Rufen des Tieres ist dem Menschen zur Sprache geworden, das herdenweise Zusammenhalten hat ihm die Familie und den Staat ergeben und aus dem dunklen Triebe zur Fortpflanzung sind ihm Liebe und Ehe entstanden. So hat sich denn auch die Angst und die Scheu, die das Tier vor allem Unbekannten empfindet zu einem reineren Gefühl verklärt, zu der scheuen Ehrfurcht, mit der ei^ auf die Gewalten blickt, die in seinem Leben schalten und die er doch nicht begreifen kann. Aus dieser Wurzel ist die Religion entstanden, der Glaube, daß es neben dem Menschen noch Mächte gibt, die gewaltiger sind als er selbst. Wenn er diese Mächte auch nicht zu sehen vermag, allmählich glaubt er sie doch zu kennen, denn unablässig spielt seine Einbildungskraft um sie her und verleiht ihnen Gestalt und Namen. Er denkt sie sich als mächtige Freunde und Feinde nach Menschenart. Er weiß, wie sie aussehen und wo sie wohnen, er ahnt, was sie freuen muß und was sie erzürnen wird, und er ist bemüht danach zu handeln. Freilich gilt das, was wir hier als den Urgrund der Religion bezeichnet haben nur für eine niedrige Stufe der Menschheit. Kommt ein Volk über diese hinaus, so stellt sich auch das unklare Streben nach etwas Höherem ein, das jenseits des Alltäglichen und Gewöhnlichen liegt. Der Mensch will nicht nur einen Helfer haben, der ihn schützt in seinen Nöten, er bedarf auch einer Gottheit, an die zu denken, ihn erhebt, die von dem wirren Getreibe des Lebens nicht berührt wird. Es ist das ein Bedürfnis der menschlichen Natur und in irgend einer Form wird der Mensch sich immer eine Gottheit schaffen — selbst wider seinen Willen.

Allgemeines.

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Wie er diese Gottheit dann sich denkt, ob es e i n Gott ist, oder ob es viele sind, ob sie ein körperliches Wesen ist oder ein geistiges, das ist Sache des Zufalls. Meist ist ihre Gestalt aus älterer Zeit überkommen und entspricht dann scheinbar nicht mehr dem geistigen Standpunkt des Volkes. Auch in unseren heutigen Religionen ist dem nicht anders. Auch wir empfinden beispielsweise Ehrfurcht vor einer Gestalt, die uns eigentlich nur mit Schauder erfüllen sollte. Aber das Herkommen hat sie geheiligt und so ist sie das Symbol unseres Glaubens geworden. In der Religion sind eben alle äußeren Formen nur Symbole, Dinge, an die sich die Empfindungen der Gläubigen knüpfen. Es war nötig, dies voraus zu bemerken, denn immer wieder macht man den Ägyptern einen Vorwurf daraus, daß sie die seltsamen Gestalten ihrer Götter, die durch uraltes Herkommen geheiligt waren, treu beibehalten haben — gewiß nicht weil sie sie als die schönsten und richtigsten erkannt hatten, aber es waren nun einmal die geheiligten Formen. Je nach dem Lande, in dem ein Volk wohnt und je nach dem Leben, das es zu führen hat, wird sich dann auch seine Religion gestalten. An der Küste des Meeres sieht sich die Welt doch anders an, als in einem Urwald oder in einer Steppe und ein Volk, das in festen Sitzen auf guten Äckern lebt, wird sich andere Götter erdenken, als jene armen Stämme, deren Leben nutzlos in Wandern und Kämpfen verrinnt. So hat denn auch die ägyptische Religion ihren eigenen Charakter; er hat etwas ruhiges und entspricht dem friedlichen, arbeitsamen Leben, das die Bewohner des Niltals führen durften. Sie bauten ihr Korn und zogen ihre Rinder und der Strom, an dem sie wohnten, trat alljährlich auf ihre Äcker und ließ Saaten und Krauter in seinem Schlamme gedeihen. Daneben aber gab es in ihrem Lande auch anderes, was ihr einfaches Gemüt erregen mußte. Da war die Sonne, die in Ägypten so plötzlich hinter den Bergen der Wüste aufsteigt; sie war dem Menschen eine Freundin an den kalten Tagen des Winters, aber sie war es auch, die die sengende Glut des Sommers brachte. Nachts aber zogen über ihn die Sterne hin in der unendlichen Pracht des südlichen Himmels und zwischen ihnen der Mond, der so wunderbar dahinschwand, unveben so wunderbar sich wieder zu füllen. Und dann und wann

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Erstes Kapitel.

brach auch ein Unwetter herein, eines der schweren Gewitter wie sie Ägypten eigen sind; dann rollte der Donner und die Wolken jagten vor die Sonne, als kämpften schreckliche Wesen miteinander am Himmel. Wie sollte das alles nicht die Phantasie einfacher Menschen beschäftigen? Gewiß waren alle diese Wesen große Götter, die größten in der Welt. Aber — und hier tritt ein Bedenken hervor, das wir auch in anderen Religionen antreffen — konnten diese großen Götter, die oben am Himmel die Welt beherrschten, sich auch um das Leben des einzelnen Menschen kümmern? Wenn ein Feind ihn bedrohte oder eine Kuh ihm erkrankte, sollte er sich da an den Sonnengott wenden oder an die Göttin des Himmels? Die standen doch zu hoch und zu fern; da war es besser sich an geringere göttliche Helfer zu wenden, und an denen fehlte es ja glücklicherweise nicht. Denn die Phantasie hatte solche Wesen überall und überall entdeckt und rings um ihn her gab es Dinge, die dem einfachen Menschen schrecklich waren oder doch verwunderlich. Da waren die Tiere, die seinen Strom bewohnten, sein Land und seine Wüste, vor allem die Krokodile, die Schlangen und die Löwen. Da standen am Wüstenrande einzelne uralte Bäume, von denen niemand wußte, wo sie hergekommen waren, da waren Steine absonderlicher Form, in dem allen mochte ja etwas spukhaftes, übernatürliches stecken. An solche Wesen, die der eignen Wohnung des Menschen nah waren, war es gut sich zu wenden, sie waren die rechten Helfer in der Not und die konnten sich auch am ersten rächen, wenn man sie etwa gekränkt hatte. So bevölkerte sich denn die Umwelt des Menschen mit allerlei Göttern, die zwar nicht jenen großen Gewalten des Himmels gleichstanden, die aber für sein Leben wichtiger waren als jene. Und wo man sie einmal in ihrer Güte oder in ihrer Bosheit erkannt hatte, da behielt man sie auch in Erinnerung, in der Familie, im Dorfe, im Gaue. Jeder Glaube aber wirkt ansteckend und so verbreitete sich auch die Verehrung dieser kleineren Götter oft weit über ihre ursprüngliche Heimat hinaus. Selbst über weite Strecken hinweg in entfernte Teile des Landes, denn Ägypten ist ja so, wie kaum ein anderes Land, von einem Schiffahrtswege durchzogen, auf dem der Verkehr niemals abbricht. Und wenn nicht der Gott selbst so wanderte, so verbreiteten sich doch Gebräuche und Vorstellungen, die sich in seiner Heimat an ihn knüpften, auch in andere Gegenden. — So

Allgemeines.

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entstand ein Götterglaube von unendlicher Mannigfaltigkeit; manche Götter wurden nur an einem einzigen Orte verehrt, andere an vielen, manche hatten die gleiche Gestalt aber verschiedene Namen, während in anderen Fällen der gleiche Name verschiedenen Gestalten entsprach. Wie das im Einzelnen so gekommen ist, entzieht sich natürlich der Vermutung. Aber auch die großen Götter der Welt konnten der Verwirrung nicht entgehen. Gewiß hatte man in Sonne, Mond und Himmel überall wo Ägypter wohnten auch große Gottheiten gesehen, aber in einem Land von so großer Ausdehnung konnten die Vorstellungen, die man von ihnen hegte, nicht überall ganz die gleichen sein. Wir werden unten z. B. sehen, daß nach der einen Auffassung ein großer Falke am Himmel hauste, der Sonne und Mond als Augen hatte, nach einer anderen Auffassung fuhren diese Gestirne in Schiffen am Himmel. Auch solche Vorstellungen und Gedanken verbreiteten sich über das Land und man darf sich denken, daß gerade auch Lieder und Bilder zu ihrer Verbreitung beitrugen. So wurzelten solche Auffassungen in Gegenden ein, wo man eigentlich anders dachte; sie traten ruhig neben die älteren Gedanken und man empfand das kaum als Widerspruch. Schließlich bildete sich über das ganze Land ein Glaube, den man als den Durchschnittsglauben der Ägypter bezeichnen könnte, denn in ihm standen die verschiedensten Vorstellungen friedlich nebeneinander, wenn auch natürlich diese oder jene Gegend an der einen oder anderen altgewohnten festhalten mochte. Geschichtliche Ereignisse werden es gewesen sein, die dann diesem fließenden Ghaos eine festere Gestalt gegeben haben. So hat es gewiß auf die Religion gewirkt, daß sich einzelne kleinere Teile des Landes zu Staaten ausbildeten, es waren dies die sogenannten Gaue, die in der Regel eine größere Stadt und deren umliegendes Gebiet umschlossen. Es war natürlich, daß der Gott einer solchen Stadt dann auch der Hauptgott für den ganzen Gau wurde und ebenso natürlich war es für seine Gläubigen, daß er gegenüber den Göttern anderer Gaue einen Vorrang beanspruchte. So entstand eine Art großer Götter, die man als Gaugötter bezeichnen kann; sie unterscheiden sich auch dadurch von den anderen, daß sie oft nur nach ihrer Stadt benannt werden, so heißt

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Erstes Kapitel.

Seth z. B. der Herr von Ombos oder auch schlechtweg der von Ombos. Es ist eine Aristokratie von Göttern, die so entsteht. Später ist die staatliche Festigung Ägyptens weiter fortgeschritten und aus den vielen Gauen haben sich zwei Reiche gebildet, das eine im Delta, das andere in Oberägypten. Das mag etwa im vierten Jahrtausend vor Christus gewesen sein. Die Ägypter hatten selbst nur schattenhafte Vorstellungen von dieser Zeit der beiden Reiche, aber ihr politisches Erbe bewahrten sie pietätvoll weiter; nie haben sie vergessen, daß ihr Land eigentlich die beiden Länder heißen sollte und, daß ihr König eigentlich zwei Königs würden in seiner Person vereinigte. Daß diese beiden Reiche einander bekämpft haben, ist ja an und für sich wahrscheinlich und über dies wird in einem alten Texte auf ihre Kriege angespielt. Und so tritt uns denn auch in dem, was die Religion aus diesen Zeiten bewahrt hat, die alte Gegnerschaft der beiden Reiche durchweg entgegen. Jeder der beiden Teile Ägyptens hat seine eigenen Schutzpatrone, die einander bekämpft haben; jetzt haben sie zwar Frieden miteinander gemacht, aber ein Gegensatz ist doch zwischen ihnen geblieben. — Irgendwie wird es auch mit diesen Kriegen der beiden Reiche zusammenhängen, daß gerade der Schutzgott von Unterägypten, Horus, durch das ganze Land hin als der Vertreter des Königtums gilt. Aber alles dieses liegt jenseits unserer Kunde und wir tun gut, nicht mehr davon wissen zu wollen als das, was sich ohne gewagte Vermutungen ergibt; was das etwa ist, mag man aus den folgenden Kapiteln ersehen. Ehe wir aber zu diesen Einzelheiten übergehen, müssen wir hier noch einiges besprechen, was zum Verständnis der älteren Religion von Wichtigkeit ist. Wir haben schon oben der Tiere gedacht, in deren Gestalt der älteste Ägypter sich gern seine Götter dachte. Es konnten das schreckliche Wesen sein, wie die Krokodile und die Schlangen, oder gute, nützliche wie die Böcke, Stiere und Kühe seiner Herden und es konnten auch andere sein, deren Treiben dem einfachen Menschen zu denken gab. So der Schakal, der so unheimlich abends auf dem Wüstenrande umherhuschte, gerade da, wo man die Toten im Sande bestattete. Solche Tiere hatten nach der Meinung ihrer Verehrer etwas Göttliches in sich, und wenn ein Gott sich einmal den

Allgemeines.

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Menschen zeigen wollte, so würde er es gewiß in einer solchen Gestalt tun, die seinem Wesen entsprach. Aber natürlich sitzt der Gott nun nicht in jeder Kuh oder in jedem Krododil und bei aller Ehrfurcht, mit der ein Gläubiger diese Tiere betrachten mag, das Bedürfnis und die Not sind doch mächtiger als der Glaube, und wenn es eines Tages sein muß, so wird er die Kuh schlachten und das Krokodil töten: und das wird kein Frevel sein. Manchmal hält sich eine Stadt wohl auch ein einzelnes Exemplar dieses Tieres, und man nimmt dann an, daß etwas von dem Wesen des Gottes dauernd auf ihm ruhe; für gewöhnlich freilich hat der Gott sich einen anderen Sitz erwählt. Er wohnt in seinem Hause, seinem Tempel; in dem bewahrt man das heilige Bild, auf dem die Seele des Gottes ruht, und das ihn als ein Tier oder als einen Menschen darstellt. Auch das kommt vor, daß man nicht ein Bild von ihm verehrt, sondern irgend einen Gegenstand, der in den Geruch der Heiligkeit gekommen ist. Diese Bilder in den Kapellen der Tempel haben ihre rohe Gestalt zu allen Zeiten bewahrt; sie waren ja etwas Heiliges und an dem darf man nichts ändern. Aber bei anderen Darstellungen der Götter greift doch allmählich eine andere Art durch, sie zu gestalten und an die Stelle der rein tierischen Bilder treten solche, die halbmenschlich sind. Und das mußte ja auch so kommen. Sagte man doch von dem Gotte, er liebe und hasse, er schütze und strafe, er gebe und empfange, dann mußte er doch, denen, die so von ihm sprachen, auch wie ein Mensch vorschweben; zu einem Krokodil, einem Widder, einem Falken wollten solche Ausdrücke doch nicht passen. Nun war man freilich durch tausend Bande der Überlieferung an die alte tierische Vorstellung gebunden und es ging nicht an, mit diesem Herkommen ganz zu brechen. Da half ein Mittelweg; der Gott erhielt zwar dem Körper eines Menschen — er konnte nun umarmen, geben, schützen — aber als sein Antlitz trug er den Kopf eines Tieres. So blieben nun Horus und Chnum zwar der Falke und der Widder, aber sie konnten doch auch alle die menschlichen Handlungen ausüben, die ihnen der Glaube ihrer Verehrer zuschrieb. Es ist bewundernswert, mit welchem Geschick die Ägypter diese Verquickung von Mensch und Tier ausgeführt haben, so gut, daß selbst wir sie kaum als störend empfinden. Wichtiger noch als diese Änderung im äußeren Bilde der

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Erstes Kapitel.

Götter war eine andere, die sich allmählich in der Auffassung ihres Wesens vollzog. Seit manche Götter weit über ihre Heimathinausgewachsen waren, konnten sie auch nicht mehr die beschränkte Aufgabe behalten, die nur für ihren eigenen Gau gepaßt hatte. Sie mußten einen allgemeineren Wirkungskreis erhalten, den Ackerbau, das Handwerk, den Krieg, die Erschaffung der Kinder oder die Bestattung der Toten. Und was noch wichtiger war: ein jeder dieser Götter sollte jetzt womöglich auch seinen Anteil haben an dem Walten der Natur, an Himmel und Erde und Wasser, an Sonne und Mond. Das ging dann so weit, daß schließlich kaum noch ein Gott war, dem seine Gläubigen nicht auch irgend eine solche Rolle zuschrieben. Eine weibliche Gottheit dachte man sich mit Vorliebe als eine Göttin des Himmels, eine männliche als einen Gott der Sonne oder des Mondes, unbekümmert darum, daß auch schon andere Götter mit den gleichen Ämtern betraut waren, und ebenso wenig störte es, daß dieselbe Gottheit daneben oft auch ganz andere Funktionen hatte, daß der Chnum nicht nur der Bildner und Schöpfer war, sondern nun auch der Gott des kühlen Wassers, d. h. der Nilquellen, das alles mußte sich miteinander vertragen. Die geschützte Lage ihres Landes hat den Ägyptern ein Leben gewährt, das im Ganzen friedlich war; es gab zwar natürlich auch bei ihnen Kriege und Kämpfe, aber die waren ein Unglück wie andere auch und das Volk nahm wenig Anteil daran*). Das was andere Völker so furchtbar erregt, das Begehren nach blutiger Rache ist dem Ägypter immer fremd gewesen **), und damit fehlen auch seiner Religion die schrecklichen Gebräuche, die andere entstellen. Es gibt hier keine blutdürstigen Götter und für ekstatische und orgiastische Kulte ist hier vollends kein Boden***). Ruhig und vernünftig spielt sich der Kultus ab. Man behandelt den Gott ganz so wie man einen mächtigen Mann behandeln würde, dessen freundliche Gesinnung man sich sichern will. Man reicht ihm Speise und Trank und Blumen, man gibt ihm Kleidung und Schmuck und er erhält eine Wohnung, die man sorgsam rein*) Es ist charakteristisch, daß in den unzähligen ägyptischen Inschriften der Ausdruck unsere Soldaten nur einmal vorkommt, und das auch nur in der Grabschrift eines Offiziers. (Urk. IV 7). **) Er hat nicht einmal ein rechtes Wort dafür. ***) Ausnahmen mag es ja gegeben haben vgl. Ed. Meyer I *, · 68, aber jedenfalls haben sie im ägypt. Kultus keine Rolle gespielt.

Allgemeines.

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hält und mit Weihrauch durchduftet. Daran hat der Gott seine Freude und das vergilt er dem Menschen mit seinem Segen. Diese schlichte, gesunde Verehrung hat sich dann freilich im Laufe der Zeit gesteigert, zuletzt bis ins Unermeßliche, und endlich hat der Kultus mit seinen Festen, und all seinen Gebräuchen auch allerlei Neues in die Religion hineingebracht und sie vielfach umgestaltet. Er hat dabei mit einer Kraft zusammen gewirkt, die unablässig auch an der Umgestaltung der Religion arbeitet. Das ist die Phantasie. Ihr Wirken entzieht sich zwar unserm Auge, aber es ist keine Göttergestalt und wäre sie noch so einfach und noch so trocken, die sie mit der Zeit nicht umgestaltete, sie zieht ihr Rankenwerk um sie her und aus dem Ibis wird ein Mondgott und aus dem Mondgotte der gelehrte Schreiber der Götter. Was wir hier skizziert haben, ist ein Entwicklungsgang, wie ihn mutatis mutandis jede Religion eines großen Volkes durchmacht; unaufhörlich gestaltet sie sich um, solange überhaupt noch Leben in ihr ist. Und auch das ist allen Religionen gemeinsam, daß sie bei dieser Umwandlung nicht leicht das Überlebte abstoßen; auch die höchsten unter ihnen schleppen Vorstellungen und Gebräuche weiter, die längst nicht mehr zu der geistigen Stufe ihrer Bekenner passen. Die Zeit hat diese Reste der Vorzeit geheiligt und da empfindet man sie kaum als störend. In der ägyptischen Religion ist nun freilich dieses Beharren beim Überlieferten doch noch weiter getrieben als in anderen, und wir sehen immer wieder mit Staunen, wie dieses Volk neues und altes und uraltes nebeneinander pflegt, auch wenn eines das andere geradezu ausschließt. Das verschlägt nichts, da ist eben das Eine richtig und das Andere ist es auch; in das, was das Herkommen geheiligt hat, hat die Vernunft nicht hineinzureden. Die so dachten und danach handelten, waren vor allem die gelehrten Priester, deren Theologie alles wußte und alles verstand. Sie haben den Glauben ihres Volkes durch Jahrtausende gehütet und dafür gesorgt, daß von der Überlieferung der Väter nichts verloren ging. Gewiß hielten ja die Ägypter als ein Bauernvolk gern an dem Bestehenden fest, aber dieses widersinnige Bewahren aller Einzelheiten der Religion und des Kultus war doch so nur in einem

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Erstes Kapitel.

Stande schriftgelehrter Priester möglich. Und auch sie konnten es nur, weil ihnen eines zur Seite stand, was wie ein Fluch auf ihrem Volke lastete: das ägyptische Volk konnte nichts ganz vergessen. Es hatte einst in unvordenklichen Zeiten sich eine Schrift erfunden und hatte damit einen Vorrang vor anderen Völkern erworben, aber es mußte auch das Unglück eines solchen Besitzes auskosten. Jede neue Epoche seines langen Lebens brachte ihm neue Vorstellungen aber die alten Vorstellungen verschwanden darum noch nicht, sie traten vielleicht zeitweise zurück, aber irgendwie blieben sie doch in Inschriften und Büchern als heilige Besitztümer aufbewahrt und traten dann in einer anderen Zeit wieder hervor. Auch das, was in den Tempelbibliotheken nur noch ein papiernes Dasein führte, konnte so wieder lebendig werden und Einfluß gewinnen. Jede Epoche vergrößerte so die Menge des religiösen Details, das die ägyptischen Theologen erfreute und uns ein Greuel ist. So besitzen denn die Ägypter ein religiöses Schrifttum, das so umfangreich ist wie das weniger Völker. Es reicht in die älteste Zeit hinauf und jede Periode seiner langen Geschichte hat es vermehrt, bis in die römische Zeit hinein. Manches davon galt als besonders ehrwürdig, als Gottesworte, die Thoth der Gott der Weisheit selbst verfaßt hatte; es waren das also »heilige Schriften«. Aber — und das ist bemerkenswert — zu einer »heiligen Schrift« in unserem Sinne haben es die Ägypter nicht gebracht; sie haben sich nie ein Buch geschaffen, das wie die Bibel oder der Koran als Glaubensnorm galt und das das Leben der Menschen leitete. Und damit hat denn auch ihre Religion immer der Einheitlichkeit entbehrt, sie ist nie ein Glaube mit festen Lehrsätzen geworden, und so weit als unsere Kenntnis reicht, hat niemals ein Weiser oder Prophet versucht, ihre Verworrenheit zu lösen. Ich habe oben (Seite 7) von einem »Durchschnittsglauben« gesprochen, der sich in Ägypten bildete, als die religiösen Vorstellungen der einzelnen Gegenden sich durch den Verkehr über das Land verbreiteten. Bei aller ihrer Verschiedenheit vertrugen sie sich mit einander und als die staatlichen Verhältnisse Ägyptens festere geworden waren, da nahm auch dieser Glaube festere Formen an; es entstand etwas, was man als eine gemeinsame Religion Ägyptens bezeichnen kann. Dogmatisch war sie nicht fixiert und ihre Widersprüche waren nicht ausgeglichen, aber

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ihre einzelnen Teile standen friedlich nebeneinander und wer etwa aus dem Delta nach Oberägypten kam, der fand auch dort Gottheiten, die ihm bekannt waren, oder die doch den seinen ähnlich waren. Wenn wir der weiteren Entwicklung der ägyptischen Religion nachgehen wollen, so müssen wir uns erst mit dieser ihrer älteren Stufe bekannt machen und das ist es, was wir in den folgenden Kapiteln versuchen wollen. Freilich ist diese Aufgabe nicht eben leicht, denn in dem ungeheuren Stoffe, den uns die Ägypter in Tempeln, Gräbern und Papyrus aller Zeiten hinterlassen haben, ist es oft sehr schwer, das wirklich Alte zu erkennen. Selbst Inschriften aus griechischer Zeit haben oft Altes bewahrt, was uns sonst nirgends überliefert ist, und wir würden ein sehr schiefes und nur unvollständiges Bild der Religion erhalten, wenn wir ängstlich auf alle späten Quellen verzichten wollten. Auch die müssen wir benutzen, wenn auch natürlich mit Vorsicht. Was wir so gewinnen, ist ja gewiß nicht der reine Glaube einer bestimmten alten Epoche etwa der der ersten historischen Zeit; vielmehr wird das, was wir hier zusammenstellen, etwa dem entsprechen, was ein Ägypter des mittleren Reichs um 2000 v. Chr. geglaubt haben wird. Der würde, könnten wir ihn befragen, wohl finden, daß manches in unserer Darstellung nur ein alter Glaube der Vorfahren sei, den man aber doch nicht verwerfen dürfe; er würde gewiß vieles darin vermissen und zu manchem den Kopf schütteln, aber im Großen und Ganzen würde er doch wohl seinen eigenen Glauben darin erkennen.

Zweites Kapitel. Die Welt und ihre Götter. Wenn der einfache Mensch über etwas nachsinnt, was er doch mit seinem Verstande nicht recht begreifen kann, so nimmt er nicht die Überlegung zu Hilfe, sondern die Phantasie. Er grübelt nicht darüber nach, wie Himmel und Erde gestaltet sein können; in seinem frischen poetischen Empfinden vergleicht er sie mit irgend etwas, was ihm vertraut ist und fragt dabei natürlich nicht, ob der Vergleich in allen Einzelheiten paßt. Er nennt dichterisch den H i m m e l eine Kuh, aber es fällt ihm zunächst nicht ein, dieses Bild nun pedantisch genau zu nehmen und in dem runden Himmelsgewölbe wirklich den haarigen Bauch der Kuh mit ihrem Euter zu sehen oder nach ihren Beinen zu suchen. Mit der Zeit wird dem allerdings dann anders; das Bild setzt sich in der poetischen Sprache fest und wird dem Volke immer vertrauter. Zuletzt nimmt es auch die bildende Kunst an; wenn der Maler den Himmel darstellen will, so malt er ihn lieber als eine hübsche Kuh, als daß er das Unmögliche versucht, das Gewölbe als solches zu zeichnen. Damit ist dann das Bild festgelegt und man sagt dann wirklich, daß der Himmel die Gestalt einer Kuh hat. Wer naiv ist, nimmt dieses ruhig hin und denkt nicht erst darüber nach, wo die Haare des Kuhbauches sind und wo sein Euter ist. Wozu über etwas nachdenken, was hübsch und poetisch ist, und eine schöne Kuh ist doch etwas, was jedem Ägypter gefällt. So wie hier durch Poesie und Kunst mögen sich auch die anderen Vorstellungen gebildet haben, die man über die Welt und ihre Götter hegte. Wie fest sie im Volke wurzelten, zeigt schon das eben angeführte Beispiel. Als dann eine andere Zeit es vorzog, sich den Himmel als eine Frau zu denken, die sich ,er die Erde beugt, da erhielt diese, die Himmesgöttin Hathor, entweder einen Kuhkopf oder die Hörner der Kuh. Während der Himmel in beiden Fällen als ein weibliches

Die Welt und ihre Götter.

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Der Himmel als Kuh, von dem Luftgott Schu und ändern Göttern gehalten. Am Bauch die Sterne und die Schiffe der Sonne. (Grab Sethos' I)

Wesen gedacht wird, gilt die E r d e als ein männliches — beides entspricht dem Geschlechte, das die beiden Worte in der Sprache haben. Der Erdgott Keb liegt auf dem Bauche, es ist sein Rücken, auf dem die Pflanzen wachsen, das Weib, das sich über ihn beugt, ist seine Gattin, die Himmelsgöttin Nut. x Was zwischen beiden sich befindet, ist ein Raum, der ägyptisch Schu, d. h. die Leere, heißt; auch aus ihm haben Dichtung und Kunst nun eine Gottesgestalt gemacht, er ist ein Mann, der auf der Erde steht und die Himmelsgöttin oder die Himmelskuh mit seinen Armen stützt. 2 Da fast aller Verkehr in Ägypten zu Schiffe stattfindet, so hat man auch gedacht, daß Sonne, Mond und Sterne ihre Wege

3. Der Himmel als Frau, von Schu getragen, daran die Sonne als Käfer oder Scheibe. (Grab Ramses' IV.)

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Zweites Kapitel.

am Himmel zu Schiffe zurücklegen; dann aber muß der Himmel doch auch ein Gewässer sein; es ist das kühle Wasser oder das Meer, das unter dem Leibe der Nut ist.l Man sieht, wie diese Vorstellungen sich mit einander vertragen müssen; mag es auch ein Meer sein, es bleibt doch immer auch der Bauch der Kuh oder der Göttin. Auch der Regen kommt natürlich aus diesem lebenden Wasser, das im Himmel ist. 2 Jünger als alles dieses mögen die rationalistischen Vorstellungen sein, die den Himmel auf vier Bergen ruhen lassen, die in den vier Himmelsgegenden liegen. Oder er ruht auch auf Säulens oder auf vier Stützen, während die Erde auf ihren Balken fest liegt. * Die Erde selbst, die von einem Ozean, dem großen Kreise 5, umflossen ist, zerfällt in zwei Teile; auf den einen, das unfruchtbare rote Land, wo Barbaren vom Regen leben müssen, sieht man verächtlich herab; für den Ägypter gibt es eigentlich nur sein schwarzes Land, dem die Götter, die ja selbst dort wohnen, den Nil gegeben haben, um die Menschen zu ernähren. Sie lassen sein Überschwemmungswasser aus der Unterwelt emporsteigen; es kommt aus dem lebenden Wasser, das in der Erde iste, und quillt aus zwei Quellöchern, die in den Strudeln des ersten Kataraktes liegen. Daß dieses alljährliche Wunder, von dem all ihr Leben abhing, die Phantasie der Ägypter beschäftigt hat, ist begreiflich, und so sollte man denken, daß sie im Nil auch einen ihrer größten Götter gesehen hätten. Dem ist aber nicht so, man opfert ihm zwar und feiert ihn im Liede 7, ihn, der zu seinen Reiten geht und zu seinen Reiten kommt; der Speise und Nahrung bringt, der im Jubel herbeikommt, süß geliebt, der Herr des Wassers, der das Grünende bringt. Ihm dienen die Menschen und die Götter verehren ihn. Er ist ein junger Gott, den Re aus seinem Besten geschaffen hat. Oder auch wie es in einem uralten Liede heißt, das auf Osiris übertragen ist: 8 Es zittern, die den Nil sehen, wenn er strömt. Es lachen die Felder, es grünen die Ufer. Die Gaben des Gottes steigen hernieder, das Gesicht der Menschen wird hell, und das Herz der Götter jubelt, aber einer der großen Götter ist der Nil nicht und wenn man ihn gelegentlich auch den Vater der Götter nennt, so hat er diesen Namen doch nur von Nun dem Urwasser entlehnt, dem er nach den alten Schöpfungssagen (S. 62) wirklich zukommt. Der Nil hat im Kreise

Die Welt und ihre Götter.

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der Götter eigentlich nur eine dienende Stellung; in den Tempeln steht er in der Tracht der Schiffer und Fischer als ein halbweibliches Wesen vor den großen Göttern und überreicht ihnen die Erzeugnisse seiner Flut. Zu Himmel und Erde gehört als der dritte Teil der Welt2, die U n t e r w e l t das dunkle Reich, wo die Toten hausen. Wie die Phantasie des Volkes dieses Totenreich allmählich ausgestaltet hat, werden wir in Kap. 14 erörtern; hier sei nur darauf hingewiesen, daß es in der Welt der Ägypter noch eine andere Aufgabe gehabt hat, als die, die Verstorbenen zu beherbergen. Denn die Unterwelt ist das Land, in welches 4. Der Nil. abends die Sonne versinkt und das sie nachts durchfährt, um am Morgen im Osten wiederaufzugehen. Daher muß dort unten auch ein Fluß sein, auf dem die Sonne, so wie am Himmel fahren kann. Schließlich denkt man sich, daß die Unterwelt nichts weiter sei als ein zweiter Himmel, freilich ein umgekehrter und dunkler; zum Himmel steigst du herauf, zum Unterhimmel steigst du herab, heißt es von der Sonne. 3 Von allem, was der Ägypter an seinem Himmel erblickt, war das Gewaltigeste das große Gestirn des Tages, dessen Segen und dessen Schrecken ja im Süden ungleich fühlbarer ist, als in unsern Breiten. So tritt denn auch die Sonne, der Re in den Gedanken der Ägypter überall und überall hervor. Bald ist sie die rote, glühende Scheibe, die in einem Schiffe den Himmel befährt und bald haben Phantasie und Kunst ihr andere seltsame Gestalten gegeben. Da ist der Sonnengott ein großer Käfer, der Chepre, der Skarabäus, d. h. das ägyptische Seitenstück unseres heimischen Mistkäfers; dann wälzt der die Sonnenscheibe vor sich her über den Himmel, so wie seine irdischen Kollegen ihre Mistkugeln über den Boden 5. Das Sonncnschiff, das Vorderteil ist mit einem Teppich behängt. E r m a n , Religion der Ägypter.

... Wälzen.

2

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Zweites Kapitel.

Weiter ist die Sonne ein goldenes Kalb, das morgens von der Himmelskuh geboren wird *; am Tage wächst es heran und wird ein Stier; der heißt Kamephis der Stier seiner Mutter, denn er begattet die Kuh, daß sie am nächsten Tage eine neue Sonne gebäre. Denkt man sich aber den Himmel als eine Frau, so gebiert diese die Sonne als ein Kind und auch das wächst am Tage heran, um dann abends als ein alter Mann in die Unterwelt einzugehen. Diese greise Gestalt der Sonne hat man dann als einen Gott in Menschengestalt, den Atum, in Heliopolis verehrt, während man den Käfer Ghepre sich gern als die Morgensonne dachte; nun unterscheidet man die Sonne als Chepre am Morgen, Re am Mittag und Atum am Abend2, freilich auch das ohne Konsequenz 3.

6. Das Sonnenschiff als Sitz der Weltregierung, Vor dem Gott, der in einer Kapelle thront, steht Thoth als sein Vezier und hält ihm Vortrag. Der Gott ist widderköpfig wie auf seiner nächtlichen Fahrt durch die Unterwelt. (Aus dem Tempel von Wadi Sebua, LD. III 181.)

Über diese verschiedenen Vorstellungen von der Sonne hat sich denn noch ein andere geschoben, die Sonne ist auch ein Falke oder ein falkenköpfiger Gott, der Horus. Der Name bedeutet wohl eigentlich den Fernen, weil der Sonnengott fern ist von den Göttern 4; er sieht auf die Götter hernieder und kein Gott sieht auf ihn hernieder6. Ursprünglich wird man ihn als einen Herrscher des Himmels gedacht haben, der zwei glühende Augen hatte, die Sonne und den Mond. Wenn der Käfer über den Himmel kroch und der Falke über ihn hinflog, so mußte der Sonnengott, wenn man ihn sich als Menschen dachte, ein Fahrzeug haben, mit dem er den Himmelsozean befahren konnte e. Er hat ein herrliches Schiff; das ist aus Gold7 und ist 770 Ellen lang und Götter selbst haben es ihm gebaut 8. Sterne sind seine Mannschaft9 und alle großen Götter

Die Welt und ihre Götter.

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fahren zusammen mit ihm l , dem großen Gölte, dem Herrn des Himmels, der von diesem Schiffe aus die Welt regiert. Denn der Sonnengott ist der Höchste aller Götter 2. Um die Sonnenscheibe, die der Gott auf dem Haupte trägt, ringelt sich seine furchtbare Dienerin, die Schlange, die seine Feinde mit ihrem feurigen Atem verbrennt. Es ist dieselbe Schlange, die auch der irdische König an seiner Stirn trägt, der sogenannte Uraeus, der dann auch als das Abzeichen der höchsten Macht gilt. Die feindlichen Wesen, die den Gott auf seiner Fahrt bedrohen, sind natürlich die Wolken, aber Re vertreibt das Unwetter, verscheucht den Regen und zerbricht den Hagel3. Das Schlimmste von diesen Feinden der Sonne ist die Schlange Apophis, die als der Inbegriff alles Scheußlichen gilt4. Aber die Feinde können dem Gotte nichts anhaben, y denn die Götter verteidigen ihn, und neben dem Schiffe schwimmt der weissagende Abdufisch, der meldet, wenn ein Feind sich naht 6 . Glücklich gelangt die Sonne abends zum Westen und dort an der Bergwand, die die Welt des Ägypters begrenzt, empfängt den Sonnengott die Göttin des Westens 6. Er verläßt nun seine Tagesbarke, in der er bisher gefahren war 7, und in verdunkelter Gestalt besteigt er die Abendbarke, um seine ' gott. nächtliche Fahrt durch die Unterwelt anzutreten. Dort leuchtet er für den großen Gott, der dieses finstere Reich beherrscht, und für die armen Toten in ihren Höhlen. Die begrüßen ihn freudig, sie erheben ihre Arme und preisen ihn und sagen ihm alle ihre Wünsche

ihre Augen öffnen

sich wieder

bei seinem Anblick und ihr Herz jauchzt, wenn sie ihn sehen. Er hört die Bitten dessen, der im Sarge liegt und vertreibt ihr Leid und verjagt ihr Übles. Er gibt wieder Atem in ihre Nasen. Und da die frischen Winde der Oberwelt keinen Zugang in diesen Hades finden, so fassen die Toten den Strick am Vorderteile des Schiffes und ziehen es fort, ganz so wie man auf Erden die Nilschiffe bei schlechtem Winde zieht 8. Verläßt er dann am Morgen die Unterwelt, so wäscht er sich in dem See laru 8 die dunkle Farbe der Nacht ab 10 und tritt dann in seinen roten Gewändern u in das Tor des Himmels ein 12; nun zeigt er sich in dem sagenhaften Berge Bech und bringt allen 2*

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Zweiets Kapitel.

Wesen Leben und Freude. Wenn die Fische am Morgen springen, wenn die Vögel beim Erwachen mit den Flügeln schlagen, so tun sie dies, um dem Gotte zu huldigen und wenn die Paviane beim Aufgang der Sonne kreischen, so gilt auch das als ein Loblied, mit dem sie die Sonne begrüßen*). Auch die Menschen erheben ihre Hände und preisen die Sonne *: Preis Dir, der im Himmelsozean aufgeht und Ägypten erleuchtet, wenn er hervorkommt. Lob dir, sagen die Götter insgesamt . . . . du schönes, liebes Kind. Wenn tr aufgeht, leben die Menschen und die Götter der beiden Hauptstädte erheben ihn. Die Paviane preisen ihn: Preis dir! sagen alle Tiere zusammen. Deine Schlange fällt deine Feinde, du jauchzt in deinem Schiffe, deine Mannschaft ist zufrieden. Du freust dich Herr der Götter, sie preisen dich und die Himmelsgöttin blaut neben dir 2.

8. Affen beten die aufgehende Sonne an.

(Nach Berlin 7315.)

So wie hier geschildert, dachte man sich in der Regel die täglichen Schicksale der Sonne. Aber daneben standen dann auch noch andere Vorstellungen aus uralter Zeit, die gar nicht zu jenen paßten. Da ist der Gedanke von der Geburt der Sonne, den wir schon oben erwähnten. Abendlich geht sie in den Mund der Himmelsgöttin ein, in der Nacht hat sie deren Leib durchlaufen und am Morgen 8 wird sie neugeboren. Oder eine andere Vorstellung: die Sonne, die im Westen versunken war, will am Morgen im Osten neu erscheinen. Aber um zum Osten zu gelangen, muß der Sonnengott, ebenso wie alle Menschen in Ägypten, über den Fluß, und dazu braucht er gerade, so wie diese zwei Schilfbündel, die ihn beim Schwimmen unterstützen *. Wenn die Sonne auch so bei Tag und Nacht bei ihrer Fahrt begriffen ist, so wohnt sie doch wider*) Die Deutung des Treibens der Fische und Vögel kennen wir wohl zufällig nur aus späterer Zeit, dagegen ist die Vorstellung von dem Gruße der Affen alt belegt; wie alt sie sein muß, sieht man schon daraus, daß die Paviane damals noch ein allen vertrautes Tier sein mußten, während sie in historischer Zeit in Ägypten nicht mehr vorkommen.

Die Welt und ihre Götter.

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sinnig genug in einem besonderen Teile des Himmels. Das ist die Achet, die man sich ursprünglich wohl als eine Insel in den himmlischen Fluten dachte, später aber wird sie zu einem Worte für die Stellen, wo die Sonne auf und untergeht und so pflegen wir denn auch das Wort mißbräuchlich mit Horizont zu übersetzen. Nach diesem seinen Wohnorte heißt der Sonnengott denn auch Harachte, der horizontische Horus, und gerade unter diesem Namen ist er denn einer der Hauptgötter geworden, der große falkenköpfige Gott, den man in Heliopolis verehrte. Nicht selten schreibt man der Sonne auch einen besonderen Palast im Himmel zu; der steht im Felde laru l oder im Kühlen * und heißt die Halle des Atum 3 oder das Haus des Horus 4. Es ist der Palast des Herrschers der Welt; die Götter gehen dorthin, um Befehle zu empfangen und sie werden dort gespeist — gerade so wie die Vornehmen am Hofe des irdischen Königs. Zu allen diesen Wirnissen kommen dann noch die Vorstellungen, die sich an jenen alten Gedanken eines Himmelsgottes mit leuchtenden Augen knüpfen 6 . Seiner selbst, des Horus, der die Augen vorn haty wird selten gedacht, aber Sonne und Mond gelten zu allen Zeiten gern als dessen Augen, die Sonne als das Sonnenauge, der Mond als das Horusauge '; an beide hat sich nun allerlei geknüpft, was vernünftigerweise nichts damit zu tun hat, dem aber die Ägypter mit Behagen nachgehangen haben. Zunächst spricht man von dem Sonnenauge gern da, wo man sich das Gestirn als ein furchtbares Wesen denkt, das seine Feinde verbrennt. Da man nun aber das Gleiche von jener Schlange denkt, die am Scheitel des Re ist8, so fließen beide früh zu einem Wesen zusammen 9. Und weiter wächst die Verwirrung und da der Augen doch zwei sind, so müssen es auch zwei Schlangen sein und der Gott hat seine beiden Augen als seine beiden Schlangen1**). Die Schlange ist ja aber auch das Diadem des Königs, und da der König außer ihr noch eine Krone für Oberägypten und eine für Unterägypten trägt, so können denn auch diese beiden zauberreichen Kronen als die beiden Schlangen und die beiden Augen gelten u. Und selbst damit ist es noch nicht genug, denn wie wir unten sehen werden, entsprechen den beiden Kronen auch zwei Schutzgöttinnen des Königs, ein Geier und eine Schlange, die *) Auch die beiden Schiffe der Sonne werden gelegentlich damit verglichen Pyr. 198 A.

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Zweites Kapitel.

man sich dann auch beide als zwei Schlangen denkt. Da kann es denn nicht ausbleiben, daß auch eine solche Schutzgöttin zum Sonnenauge wird, und dieses Beiwort führen dann auch andere große Göttinnen. Auch die große Himmelsgöttin Hathor wird ständig so benannt, doch mag hier auch eine andere Verwirrung vorliegen. Bei dieser Zusammenwerfung von Augen, Schlangen, Kronen und Göttinnen entsteht dann oft der seltsamste Widersinn. Da schickt Re z. B. sein Auge aus und es geht und tötet seine Feinde *. Oder die Schlange, die Re auf dem Haupte trägt, säugt den toten König an ihrer Brust 2. Oder die Schutzgöttin von Oberägypten ist auch die Krone und das Kopftuch des Königs, sie, die eigentlich Geiergestalt hat, vergleicht man mit einer Wildkuh und denkt sie doch zugleich als eine Frau mit strotzenden Brüsten, an denen der König saugt 3. Solche Stellen, die es in Menge gibt, darf man freilich nicht zu tragisch nehmen; das Alles gehört nun einmal zu den hergebrachten Phrasen, bei denen man sich nicht viel dachte, und auch nicht viel denken sollte. Wie alle einfachen Völker hat auch das ägyptische an dem Monde ein besonderes Interesse genommen. Dieses Horusauge nimmt so wunderbar ab und wächst dann wieder zu voller Schönheit — das kann die einfache Phantasie sich nur so erklären, daß ein böses Wesen das Auge verwundet hat und daß ein gutes Wesen es wieder heilt. Der feindliche Gott ist Seth, der ständige Gegner (S. 37) des Horus, der gute ist der Ibisgestaltige Gott Thoth; der wird darüber dann schließlich selbst zum Gotte des Mondes, zu dem nächtlichen Vertreter des Re, dem Stier unter den Sternen 4. Dieses Horusauge, das Gesunde, wie man es nennt, wird uns noch oft in diesem Buche begegnen, denn es spielt in den Vorstellungen der Ägypter eine große Rolle, ohne daß wir recht ermessen können, woher diese Wertschätzung rührt. Es ist geradezu ein heiliges Zeichen geworden, das man auch als Amulett benutzt ^^. Unsere Museen wimmeln ja von solchen Uzataugen. Und weiter hat es auch eine Verwendung gefunden, die so seltsam ist, daß wir sie nicht übergehen können. Da das gesunde, d. h. vollständige Auge den vollen Mond darstellt, so sind die Beamten, die das Korn zu vermessen hatten, auf den schönen Gedanken gekommen, auch einen vollen Scheffel, an dem nichts mehr fehlte so als Uzatauge 5 zu betrachten. Und da dachte man sich weiter,

Die Welt und ihre Götter.

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daß die einzelnen Bruchteile des Scheffels, sein Halbes, Viertel, Achtel usw. den einzelnen Teilen des Auges entsprechen müßten, und benützte diese einzelnen Striche und Haken mit denen man das Auge schrieb, als Zeichen für diese Teile des Scheffels. Da ist also die Religion sogar in die trockenste Prosa des Lebens eingedrungen. Von den S t e r n e n wußte man, daß auch sie über das Meer fuhren, das am Leibe der Nut war *, diese Himmelsgöttin war es auch, die sie abends neu gebar und in deren Mund sie am Morgen wieder hineingingen 2. Sie waren von verschiedener Art; die Besten waren die Vernichtungslosen, d. h. diejenigen, die immer sichtbar blieben, unsere Circumpolarsterne. Und auch die Ruhelosen waren vornehme Sterne, beide hatten die Ehre, den Sonnengott in seinem Schiffe zu begleiten 3; ebenfalls dem Sonnengotte nah steht der Morgenstern, der den Gott morgens begrüßt, der Stern, hinter dem Re aufgeht 4. Dem fällt es zu, dtr Sonne morgens ihr Antlitz zu waschen 6, und gewiß ist er auch jener einzelne Stern, der der Sonne ihre Speise bringt e, der Weitschreitende, der täglich dem Re die Wegzehrung bringt7. Freilich nicht alle Sterne hatten es so gut wie die erwähnten, es gab auch arme, die verfaulten und die vom Himmel auf die Erde fielen 8. Daß das oft geschah, sah man ja jede Nacht an dem klaren Himmel Ägyptens. Daher rühmt man es denn auch an manchen Sternen als etwas Besonderes, daß sie ein Scepter haben, auf das sie sich stützen 9. Aus der großen Menge der Sterne und Sternbilder, die uns genannt werden — nur die Wenigsten können wir mit den Unsrigen identifizieren — seien hier nur zwei genannt, die dem Volke etwas bedeuteten und die daher auch einen Platz in seiner Religion erhielten. Das eine war die Sothis, unser Sirius oder Hundsstern. Wenn dieser Stern sich Ende Juli am Morgenhimmel zeigte, so war das das Zeichen, daß die Überschwemmung kam, und so war er es, der das neue Jahr brachte und die neuen Pflanzen10. Eine ähnliche Rolle spielte dann auch die große, schreitende Gestalt des Gestirnes Sah, in der wir den Orion zu erblicken pflegen. Der brachte die Weinlese n mit sich, die in Ägypten etwa in den Juni und Juli fallt, und damit auch das neue Jahr12. Beide waren heilige Wesen und schließlich wurden sie auch zwei großen Göttern gleichgesetzt. Das geschah in jener Zeit, wo man, wie wir im Kapitel 14 erzählen werden,

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Zweites Kapitel.

sich ein neues Totenreich am Himmel erdachte. Da sah man in dem Heer der Sterne die Menge der seeligen Toten, die nachts bei ihren Lampen wachten. Der Orion aber wurde der Totengott Osiris \ die Sothis, die ja neben dem Osiris steht, wurde dessen Gattin Isis, und auch dessen Enkel, die Horussöhne, bekamen einen Platz am Himmel a. Auf all das Viele, was sonst noch am Himmel erwähnt wird, auf seine Steuerruder 8, auf seine Kühe * und den Himmelsstier und auf alle seine Gewässer und Inseln können wir hier nicht eingehen; manches davon wird bei der Himmelfahrt des Toten zur Sprache kommen.

Drittes Kapitel. Die großen Götter des Landes. Was ich im Vorstehenden über die Welt und ihre göttlichen Mächte ausgeführt habe, bildet nur den äußeren Rahmen der Religion; erst mit den Göttern, denen man im Tempel dient, denen man opfert und deren Feste man feiert, kommen wir zu der eigentlichen Religion. Die Zahl dieser wirklichen Götter ist Legion, und wenn auch der »vollkommene Widerspruch« hier nicht so groß ist wie bei dem Himmel oder der Sonne, so sind dafür die einzelnen Götter oft in hoffnungsloser Weise zusammengemischt. Nur zu oft weiß man kaum, welcher Gott denn eigentlich gemeint ist, ob der Sokaris oder der Osiris, die Sachmet oder die Bastet, die Isis oder die Hathor — es sind das eben kaum mehr als verschiedene Namen und Bilder derselben Wesen l. Götter von Memphis und Heliopolis. Beginnen wir mit den Göttern, die in dem Teile Ägyptens verehrt wurden, der zu allen Zeiten sein natürlicher Mittelpunkt gewesen ist und der denn auch für die Entwicklung der älteren Religion bedeutsam war. Es ist das die Gegend des heutigen Kairo, wo die alte Königstadt Memphis lag und die heilige Stadt Heliopolis. Der Gott, den man in Memphis am meisten verehrte, war Ptah oder wie man ihn auch nannte, der Ta-tenen (S. 89). Sein Bild, das gewiß aus uralter Zeit stammte, stellte ihn als eine rohe, menschliche Figur dar ohne Schmuck auf dem kahlen Kopfe; die Hände sind auf der Brust zu sehen und halten ein Scepter. Nichts an ihm läßt sein ursprüngliches Wesen ahnen. Er gilt als Bildner der Bildner, der Töpfer der Töpfer 2, und ist das Vorbild der irdischen Künstler und ihr Patron; auch die Griechen nennen ihn noch den Hephaistos. So schreibt man ihm denn auch die Schöpfung der Welt zu und denkt ihn sich, wenigstens später,

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Drittes Kapitel.

als jenen Ozean Nun, aus dem alles entstanden sein sollte. Er ist der Vater aller Götter, der große Gott des Uranfangs, der zuerst existierte als erster Urgott *. So hat er denn auch unendliche Zeiträume oder, wie man ägyptisch sagt, Jubiläen durchlebt, und ist damit auch das Vorbild eines lange regierenden Herrschers. Neben dem Ptah steht in Memphis noch ein Gott mit Falkenkopf, der Sokaris. Er galt als ein Gott der Toten, und wenn sein Heiligtum Ro-setau, das Tor der Gänge heißt so, sollte das wohl bedeuten, daß es hier 9. Ptah in die Unterwelt hineinging. Aber es ist dem Sokaris ^ * erganSen> sem großer Nachbar, der Ptah hat ihn sich so angegliedert, daß vom Ptah-Sokaris häufiger die Rede ist als vom Sokaris allein 2. Und dann kam das Schlimmste, als Osiris der allgemeine Totengott wurde, da wurde Sokaris zum Osiris-Sokaris oder zum Ptah-Sokaris-Osiris. Von der Göttin, die man in Memphis verehrte, der Sachmet wird unten zu reden sein. Aber eines alten heiligen Wesens müssen wir hier doch gedenken, wenn es auch keinen Anspruch darauf hatte, zu den großen Göttern zu gehören. Das ist Apis, der heilige Stier, den man 10t Sokaris (Berlin 7299). im Tempel des Ptah hielt, ohne daß wenigstens in älterer Zeit irgend ein Zusammenhang zwischen beiden bestände 3. Eine solche Verbindung eines Gottes und eines heiligen Tieres braucht ja nicht immer einen inneren Grund zu haben, sie kann auch rein zufällig entstanden und nachher dann durch Zeit und Gewohnheit gefestigt sein. So hat denn auch der Apis in älterer Zeit noch keinen rechten Kultus 4 und keine rechten Priester5; dazu hat er es erst in der späten Zeit gebracht, die für die heiligen Tiere schwärmte. Noch ungleich wichtiger als Memphis für die Religion war die heilige Stadt On, ii. Apis (Berlin 2574). oder wie wir sie zu nennen pflegen, Helio-

Die großen Götter des Landes.

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polis. Von altersher hatte man in ihr den allem Volke gemeinsamen Sonnengott Re besonders verehrt, und zwar in einem Heiligtume eigener Art. Nicht in einem Tempel mit einem Bilde, sondern an dem heiligen Steine Benben, der stand frei unter dem Himmel; auf ihm sollte einst die Sonne zuerst erschienen sein. Heut ist diese heilige Stätte längst verschwunden, aber wir können uns einen Begriff von ihr machen aus den Sonnentempeln, die die Könige der fünften Dynastie nach ihrem Vorbilde errichteten. Aber auch in gewöhnlicher Göttergestalt verehrte man dort den Sonnengott. Einmal rein menschlich gebildet als den Gott Atum, in dem man, wie wir oben gesehen haben, gern die Abendsonne sah x. Sodann aber besonders als den Horus vom Horizonte, den Harachte oder Re-Harachte, den großen Gott mit dem Falkenkopfe und der Sonnenscheibe. Und hier geschieht es dann wieder, daß die beiden Götter bald als einer gelten und bald als zwei; im Gebete redet man von ihm als von dem Gotte 12. Denkstein, dem Mnevis von dem unten dargestellten Tempeldiener Ken geweiht. A t u m-Re-Harachte, auf dem Oben räuchert der Hohepriester Prinz Amosis (Berlin 14200). dazu gehörigen Bilde steht aber Re-Harachte als ein besonderer Gott vor dem Atum 2 . Daß dieser Doppelgott dann auch die anderen Namen des Sonnengottes Re und Chepre führt, versteht sich von selbst. Auf die Götter, die daneben noch in Heliopolis verehrt wurden, wie die Jusaas und andere brauchen wir hier nicht einzugehen; wohl aber müssen wir auch hier zweier heiliger Wesen geringerer Ordnung gedenken, eines Stieres und eines Reihers; der Stier ist der Mnevis und der Reiher ist der Benu, der als der Phönix sogar noch bei uns weiter lebt. Beide waren not-

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Drittes Kapitel.

wendige Inventarstücke des Tempels von Heliopolis, der Mnevis so sehr, daß der Reformator Amenophis IV ihn in seinem Sonnentempel von Teil Amarna nicht auslassen konnte, so wenig er auch zu seiner gereinigten Religion passen mochte. Im Übrigen gilt von diesem Stiere alles, was ich oben vom Apis gesagt habe. Den Phönix haben die priesterlichen Gelehrten als den Osiris l oder als die Seele des Re gedeutet 2, was wir wirklich über ihn erfahren, ist, daß er im Tempel von Heliopolis auf einem Baume geboren wird 3. Vielleicht war das derselbe alte, heilige Baum, auf dessen Blätter die Götter die Namen der Könige schrieben. Der Phönix ist weiter der Herr der Jubiläen*, d. h. der langen Zeiträume und das geht offenbar auf die uns auch von den Griechen überlieferte Vorstellung, daß der Phönix nur nach langen Zeiträumen wiederkehrte, nach fünfhundert oder gar erst nach 1461 Jahren. Er war also gewiß eine Sehenswürdigkeit des Tempels, die nicht immer zu sehen war und so ist man wirklich versucht, für die ganze Sache einen sehr einfachen Ursprung an13. Phönix. zunehmen. Hatten Reiher nicht vielleicht in der Urzeit einmal ahnungslos ihr Nest an so heiliger Stätte gebaut, und war dieses Nest nicht vielleicht für die naiven Besucher des Tempels eine Sehenswürdigkeit gewesen? Lange Zeit mochte es alljährlich bewohnt gewesen sein, dann waren seine Bewohner doch einmal fortgeblieben und die Freude mußte daher groß sein, wenn nach vielen Jahren sich ein solcher Phönix wieder dort einfand; das war dann ein großes Ereignis für die Leute von Heliopolis. Auch sonst mag so manches heilige Stück in den Tempeln aus einer Sehenswürdigkeit entstanden sein; man kannte ihre Bedeutung nicht mehr und ersann sich nun wie überall in der Welt einen übernatürlichen Grund dafür. Horusgötter. Der falkenköpfige Sonnengott Horus, den wir als den Harachte5 in Heliopolis angetroffen haben, mag dort ebenso wenig zu Hause sein wie an den meisten Orten, wo wir ihn in Ägypten antreffen.

Die großen Götter des Landes.

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Die eigentliche Heimat des Horus wird im Delta gelegen haben; das möchte man schon daraus schließen, daß er gleichsam als der Nationalgott dieses Landes gilt, im Gegensatz zu dem Gotte Seth, dem Oberägypten zusteht. In beiden Göttern zusammen sieht man dann den Herrscher Ägyptens, aber in der Regel hat Horus allein diese Rolle übernommen; vielleicht spiegelt sich da eine Zeit ab, in der Unterägypten über Oberägypten herrschte. Als nunmehriger Gott der beiden Landesteile mußte Horus aber auch in Oberägypten eine Stadt haben; sie lag unweit der dortigen Hauptstadt und hieß Nechen oder, wie die Griechen sie nennen, Hierakonpolis, die Stadt der Falken. Das älteste Heiligtum des Horus wird sich in der Stadt Behedet, dem heutigen Damanhur im Delta befunden haben, und

14. Der Sonnengott von Edfu.

nach ihr führt er den Namen Behedeli, d. h. der von Behedet. Dann aber hat er auch eine oberägyptische Stadt, das heutige Edfu für sich gewonnen, die nimmt dann auch den Namen Behedet an, und ihr Gott, die geflügelte Sonne, heißt nun ebenso wie der Horus Behedeti, der von Behedet, d. h. der von Edfu. Mit dem wirklichen Horus hat er keine Ähnlichkeit, es ist eine Sonnenscheibe mit zwei großen bunten Flügeln die als der Buntgefiederte über den Himmel flog. Sein Tempel ist uns noch heute in voller Pracht erhalten, wenigstens so, wie ihn die Könige der griechischen Zeit wiederhergestellt haben. Uns ist dieses Bild des Gottes von Edfu besonders vertraut, denn wir begegnen ihm über den Türen aller Tempel Ägyptens; da sollte er den Bösen das Betreten des Heiligtums verwehren. Neben den wirklichen Horusgöttern gibt es nun noch eine Menge von Göttern, die auch diesen Namen tragen. Einige, die die Sonne *, oder ein Gestirn bezeichnen 2, werden mit Recht so heißen, bei anderen wird der berühmte Name auf einen Gott übertragen sein, der eigentlich mit Horus nichts zu tun hatte. Im einzelnen können wir natürlich hier schwer entscheiden.

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Drittes Kapitel.

Besonders volkstümlich wurde Horus, als man ihn in die Osirissage hineinzog, wo er als ein armes Waisenkind, Horus der Sohn der Isis, Harsiesis das Mitgefühl erregte. Im Gegensatz zu diesem Säugling nannte man dann den Horus, wie man ihn als Krieger in Letopolis und an anderen Orten verehrte, den großen Horus, den Harueris l. Gewiß nicht ursprünglich wird es sein, wenn man den Kentechthai, den Gott der Deltastadt Atribis als Horus bezeichnet und ebenso wenig ist es richtig, wenn der Gott Sopdu meist HorusSopdu heißt. Diesen letzteren verehrte man im Osten des Delta, da wo die Straße nach Palästina abging und so wurde er der Schutzherr der dortigen Wüste. Im ganzen kann man sagen, daß es nicht viele große Götter gegeben haben wird, die nicht die Ehre gehabt haben werden einmal auch Horus zu heißen. Himmelsgöttinnen. Ganz ähnlich, wie mit den Horusgöttern, steht es nun auch mit der Göttin des Himmels. Zwar in ihrem alten Namen Nut war ihre Verehrung eine beschränkte geblieben 2, desto größere Verehrung genoß sie aber unter dem Namen Hathor, dieser Name, das Haus des Horus 3 gehörte zu der alten Vorstellung von dem himmlichen Falken Horus, während ihr Bild mit den Kuhhörnern und Kuhohren *, zuweilen ist es auch ein ganzer Kuhkopf 5 , von der Himmelskuh herstammt. Ihren ursprünglichen Charakter einer Himmelsgöttin hat Hathor dann mehr und mehr aufgegeben. Daß sie einst, wie es ja der Himmelskuh zukam, die Sonne, oder wie die Ägypter sagten, das Sonnenauge e, zwischen ihren Hörnern getragen hatte, verstand man nicht mehr recht, und nannte nun die Hathor selbst das Sonnenauge. Es wird dies geradezu ihr gewöhnliches Beiwort. Nur weniges behielt sie von ihrer alten Rolle, vor allem den Anspruch, die Oberste aller Göttinnen zu sein, und ebenso die Vorstellung, daß die Sonne nachts irgendwie in ihr verschwinde; daraufhin gilt sie dann als eine Göttin des Westens, die an der Bergwand steht und die Sonne und die Toten in die Unterwelt einläßt. Auch zur Liebesgöttin 7 wurde sie, die heitere Göttin der Frauen, die sie zärtlich das Gold nennen; wenn die Griechen sie später als Aphrodite ansehen, so ist das nicht unrichtig. So dienen ihr denn die Frauen 8 und feiern sie mit Tanz, Gesang, dem

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Klappern ihrer Sistren, dem Rasseln ihrer Halsketten und dem Trommeln ihrer Handpauken. Wenn die Hathor daneben auch einmal als Kriegerin auftritt, so geschieht dies wegen ihres Namens Sonnenauge; sie bekämpft dann wie dieses die Feinde des Re. Da Hathor eine Göttin geworden ist, die den Frauen nahe steht, so muß sie auch wie diese ihr Kind haben, und da gibt man ihr einen göttlichen Knaben, den Ihi auf ihren Schooßl, vielleicht, daß die Isis (vgl. S. 33) mit dem Horuskinde dafür als Vorbild diente. Aber dieser kleine Ihi ist nie so volkstümlich geworden wie der kleine Horus, dafür hat Hathor aber dem Volke andere Wesen gegeben, die wenigstens in späterer Zeit ihm vertraut waren. Das waren die sieben Hathoren, sieben Göttinnen, die ebenso wie der Ihi, die große Hathor durch Musik und Tanz erfreuen 2. Die schützen die Menschen3 und sagen den Neugeborenen ihr Schicksal voraus 4. Die eigentliche Heimat der Hathor scheint Ober15. Hathor. ägypten zu sein. Dort in 16. Hathorkopf. (Nach einem Kapitell aus Atfih hieß sie noch die Erste Bubastis.) der Kühe, sie hatte also noch einen Namen, der sich auf ihre alte tierische Gestalt bezog. — Eine andere Hathor, die die Herrin der Sykomore hieß, wurde südlich vom Tempel des Ptah bei Memphis verehrt. Sie mag eigentlich nur ein alter heiliger Baum gewesen sein, wie das Volk sie heute noch in Ägypten verehrt, und in der Tat war gerade diese Herrin der Sykomore* eine volkstümliche Göttin, auf die die Frauen vertrauten e . Aber der Sitz ihres Kultus, an den wir heute vor allem denken, wenn wir von der Hathor sprechen, ist die Stadt Denderah, wo noch jetzt ihr Tempel steht; freilich ist er ebenso wie Edfu und andere Tempel ein Neubau aus griechischer Zeit. Wie volkstümlich die Hathor war, sieht man auch daraus, daß man sich auch die Göttinnen fremder Länder als eine Hathor denkt 7 . Ebenfalls eine Herrin des Himmels ist die Göttin Mut,

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Drittes Kapitel.

die man in Theben verehrte, ihr Name bedeutet Mutter und wenn ein später Text dies als die Mutter der Sonne, in der diese aufgeht, erklärt, so liegt darin gewiß eine richtige Überlieferung1. Für gewöhnlich ist Mut freilich zu einer Göttin des Kampfes wie die Sachmet geworden und wird wie diese daher auch löwenköpfig gebildet. In späterer Zeit, als Theben zur Hauptstadt geworden war, genoß sie als Gattin des Reichsgottes Amon des höchsten Ruhmes; da wird sie dann Die Schutzgöttinnen Buto und Nechbet. als eine Königin dargestellt und trägt die Krone, die sie den Herrschern ihrer Stadt erworben hat (vgl. auch das Titelbild). Auch als Geier2 fliegt sie am Himmel und gewiß ist ihr die Göttin Nechbet, die auch als Geier gebildet wird, gleichgesetzt; die ist eigentlich namenlos, denn ihr Name besagt nur, daß sie zu der Stadt Necheb, der alten Hauptstadt von Oberägypten, gehört. Als Göttin der Residenz ist sie denn auch die Patronin des dortigen Herrschers, die schützend über ihm schwebt 3. Ebenso hat der König von Unterägypten in seiner Residenz eine solche Patronin, die Uto oder, wie wir sie nach einer griechischen Verwechslung nennen, die Buto. Sie hat die Gestalt einer Schlange, und man liebt es nun, diese beiden Schützerinnen des Königs zusammen als zwei Schlangen oder als zwei Geier darzustellen. Wir haben oben (S. 21) gesehen, wie diese beiden Göttinnen in die große Vermischung der Schlangen und Augen hineingezogen wurden und auch die %auberreichen, d. h. die Kronen des Königs werden mit diesen Göttinnen 4 zusammengeworfen. Die berühmteste aller Göttinnnen, die Isis, stammte aus dem Delta 5 und scheint wieder aus einer Göttin des Himmels entstanden zu sein e. Sie ist l8· Isis> auf dem K°Pfc , . .. _ . . ,. , sie das Schriftzeichcn ihres aber in die Osinssage hineingezogen und Namens.

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hat darüber ihren eigenen Charakter verloren; sie ist nur noch die treue Gattin des Osiris und die sorgsame Mutter des Horus. Daß aber ihr Kind gerade diesen Namen des Sonnengottes führt, spricht dafür, daß auch Isis ursprünglich einmal die Himmelsgöttin gewesen ist, die ja den Sonnengott täglich gebiert. In einer vielgestaltigen Rolle tritt uns die große Neith von Sais entgegen. Deutlich ist, daß sie eine Kriegsgöttin ist, denn 2 Pfeile oder Pfeile und Bogen sind ihr Abzeichen. Und wenn man von ihr sagt, daß sie den Weg bahne, so bedeutet das auch, nach den ägyptischen Phrasen, daß sie vor dem Könige in der Schlacht einherschreitetl. Dabei trägt sie die Krone von Unterägypten und ist also eine Vertreterin dieses Landes. Aber sie muß auch eine Göttin der Überschwemmung sein, der die Ufer gehören, während die Krokodile auf den Schlammbänken liegen 2. Und da man sich, wie wir sehen werden, eine Flut als das Chaos denkt, aus dem die Himmelskuh und alles entstanden ist, so heißt die Neith nun auch die Kuh, die die Sonne gebar* oder die Mütter, die die Sonne gebar, die zuerst gebar, ehe denn geboren wurde *. Merkwürdig ist, daß sie dann gerade in alter Zeit nach Art der Hathor von den Frauen besonders verehrt wird; sie dienen ihr und werden nach ihr genannt 5. Löwengöttinnen. Die mancherlei Göttinnen, die uns als Löwinnen oder doch löwenköpfig entgegentreten, waren wohl alle ursprünglich schreckliche Wesen, die die Feinde vernichteten. Aber unter den friedlichen Verhältnissen Ägyptens hat sich dieser Zug allmählich verloren; die Pachet von Benihassan, die Mehit von This sind in der Hauptsache nur Göttinnnen ihrer Landschaft wie Andere auch. Die Pachet haust auch in der östlichen Wüste und durchzieht deren Täler. Sie ist es, die nach den Gewittern die verheerenden Regenbäche aus der Wüste strömen läßt. Die Löwin Tefnet hat sich in der Sage zwar noch ihre Furchtbarkeit bewahrt, aber in der Verbindung mit ihrem Gatten, dem Gotte Schu, hat auch sie ein anderes Wesen erhalten. Schu war, wie wir oben gesehen haben, ein Gott der Luft, der den Himmel trug 7 (S. 15); wie es kam, daß man ihn der Tefnet beigesellte und ihn wie diese gestaltete, ahnen wir nicht. Genug, die Beiden bilden das Löwenpaar, das E r m a n , Religion der Ägypter.

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man in Leontopolis im Delta verehrte, und in diesem Paare nimmt nun auch die Tefnet an der friedlichen Aufgabe ihres Gatten teil, beide zusammen tragen den Horizont. Übrigens hat Schu dann, wie wir unten sehen werden, in der Göttersage einen besonderen Zug erhalten und der hat ihm den Beinamen Onuris eingetragen, unter dem er besonders im neuen Reiche ein volkstümlicher Gott geworden ist. Deutlich hat nur die große Sachmet die Mächtige, die in Memphis verehrt wurde 1 ihre Schrecklichig. Sachmet. keit bewahrt. Sie ist die Göttin der Schlachten; daß sie dabei auch, wie die Uräusschlange des Königs, Feuer speit 2, paßt zwar nach unserem Gefühl nicht recht zu einer Löwin, gehört aber zu den ägyptischen Phrasen. Merkwürdig ist es nun, daß diese Sachmet ein Seitenstück in der Göttin Bastet hat; die ist ihr äußerlich zum Verwechseln ähnlich, denn Katzenkopf und Löwenkopf sind in der ägyptischen Kunst schwer zu unterscheiden, aber ihr Wesen ist dem der Sachmet gerade entgegengesetzt. Auch die Ägypter selbst haben dies empfunden und sprechen von beiden auch als von 20. Bastet. einer Person, die freundlich ist als (Berlin 11354). Bastet 3 und schrecklich ist als Sachmet. Bastet ist wie Hathor eine Göttin der Fröhlichkeit, die man mit Tanz und Musik erfreut. Katzenköpfig, die Sistrumklapper der Tänzerinnen in der Hand, am Arm einen Korb, das ist ihr gewöhnliches Bild, auch den Löwenkopf der Sachmet hält sie in der Hand, als wollte sie zeigen, daß auch ihr solch ein schrecklicher Kopf zustehe. Einen rechten Namen hat sie nicht, denn das Bastet be^T , , deutet nur, daß sie die Göttin der Stadt Bast ist 4. 2i. Nephthys; ^»^· j· j c . auf dem Kopfe Eine Gottin, die zwar in der Sage oit als trägt sie die Schwester der Isis genannt wird, von derem urSchriftzeichen °. ihres Namens, sprunglichen Wesen wir aber gar nichts wissen, ist

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die Nephthys; ihr Name bedeutet die Herrin des Hauses; einmal begegnen wir ihr als einer Göttin des Schreibens (S. 54). Nicht besser steht es mit der Skorpiongöttin Selket. Erwähnen wir dann noch, daß auf den Inseln des Kataraktes zwei Göttinnen hausen, die Satis und die Anukis, so haben wir zwar nicht alle, aber doch die wesentlichsten dieser göttlichen Damen aufgeführt. Wir können uns nun wieder den Göttern zuwenden, von denen bei der oben gegebenen Aufzählung einige Wichtige zurückgeblieben waren. Andere große Götter. Da mag Min den Anfang machen, der in mancher Hinsicht unser besonderes Interesse verdient. Der ist der große Gott, den man in dem breiten Landstriche von Achmim und Koptos, von Theben und Hermonthis verehrt hat. Er wird ithyphallisch gebildet mit zwei hohen Federn auf dem Haupt, den rechten Arm, der eine Geißel hält, reckt er empor, er ist eine Art Priap, ein Gott der Zeugung, der die Weiber raubt, und Herr der Mädchen l. Wenn er so auch seine eigene Mutter begattet 2, so ist das ja eine Vorstellung, die ursprünglich dem Sonnengotte eignet; wir sehen eben 22. Min. immer wieder, wie all diese Götter aufein(Nach Berlin 2439.) ander einwirken und einander umgestalten. Aber dieser Gott der Zeugung, der Pan, wie ihn die Griechen nennen, ist auch ein Gott der Fruchtbarkeit und sein großes Fest erscheint uns in einem Zuge geradezu als ein Dankfest nach vollendeter Ernte. Zu dieser Rolle des Min trat dann noch eine ganz andere, er wurde der Herr der östlichen Fremdländer. Man verehrte ihn ja an jener Stelle Oberägyptens, wo Nil und Rotes Meer sich einander nähern und wo daher zu allen Zeiten die Karawanenstraße zu der Welt des Ostens und zu den Wüsten des Südens hinführte. Wer diese Straße betrat und sich damit in das unsichere Gebiet der räuberischen Trogodyten begab, der empfahl sich in Koptos, ehe er das Niltal verließ, dem dortigen

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Gotte, dem Min. So wird dieser zum Gotte der östlichen Wüste, zum Herrn des Lapis lazuli und des Malachits und zum Herrn der Fremdländer. Er ist reich an Wohlgeruch, wenn er aus dem Matoilande herabsteigt, und angesehen in Nubien 1. Noch die Griechen verehrten ihn hier als den Pan euhodos, den Gott, der eine gute Reise gibt. Wie alt diese Auffassung des Min ist, sehen wir an den uralten Statuen desselben, die Petrie in den Fundamenten des Tempels von Koptos gefunden hat; selbst diese rohen Bilder der Urzeit zeigen schon an ihren Gürteln Muscheln, Elefanten und Berge, also die Dinge, zu denen die Straße von Koptos hinführte. Übrigens wird ein uraltes Heiligtum des Min am Eingange des Gebirges selbst gelegen haben, denn hinter seinem Bilde pflegt man eine Kapelle darzustellen, die in einen spitzen Felsen gehauen ist. Bemerkenswert ist auch, daß bei seinem Feste ein Barbar auftritt, während andere an einem Gerüste klettern. Man möchte glauben, daß die Stämme der benachbarten Wüste auf ihre Art an dem Feste teilge- nommen haben 2 . S fcSZ* Daß der Min einstmals auch in ein Mast, der Stierhörner und eine Sonne trägt JNa^Denkmälern

Theben verehrt worden ist, Steht ZU denn ^ treffen hier oft

Vermuten5

auf einen Gott, der ebenso aussieht wie er und der auch als ein zeugender Gott, der Stier seiner Mutter, der Kamephis, gilt. Seinen alten Namen hat er freilich abgelegt, denn, wie wir unten sehen werden, ist seine Stadt zu der gewaltigen Hauptstadt geworden und da mußte er einem neuen Gotte Platz machen, dem großen Amon. Der hat zwar einzelne Züge von seinem Vorgänger bewahrt, aber im ganzen ist er doch ein anderer Gott von dezentem Aussehen geworden und es ist nur eine schwache Erinnerung an sein ursprüngliches Wesen, wenn er noch Armerheber heißt und wenn man von ihm rühmt, daß die Pflanzen frohlocken über ihn auf allen seinen schönen Feldern 3. Wir werden im Verfolg des Buches noch oft auf ihn zurückzukommen haben. Auch den weißen Stier, der zu dem Min gehörte, hält man seinem Nachfolger in Theben nicht mehr

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und nur in den Nachbarorten Medamot und Hermonthis wird ein solcher, der heilige Stier Buchis, auch in später Zeit noch verehrt. Von einem anderen Gotte der thebanischen Landschaft, dem Month, würden wir mehr zu sagen wissen, wenn nicht die Barbaren des neunzehnten Jahrhunderts seinen Tempel zum Bau einer Zuckerfabrik abgerissen hätten. So wissen wir fast nur 1 , daß es ein alter falkenköpfiger Gott war, ein Gott des Krieges, das Vorbild der siegreichen Könige. Der große Gott Seth, dessen wir oben als des Vertreters von Oberägypten gedachten, erscheint uns im ganzen als ein Wesen, das 24. Amon. (vgl. auch das Titelbild.) man mehr fürchtet als liebt. Wenn er auch nicht so wie in später Zeit geradezu ein böser Gott geworden ist, (dazu hat ihn erst die Osirissage gemacht) 2, so ist er doch ein Gott des Unwetters 3, er brüllt am Himmel 4, der Donner ist seine Stimme 5 und durch ihn bebt die Erde". Und so ist er es denn auch, der den Mond, das arme Auge des Horus (S. 22) immer wieder beschädigt. Wenn Seth auch sonst als Gegner des Horus erscheint, so spiegeln sich darin gewiß Erinnerungen wieder an eine Zeit, wo die Könige von Unterägypten unter dem Schütze ihres Gottes Horus gegen die von Oberägypten kämpften, denen ihr Seth beistand. Dann haben sich die beiden alten Reiche einmal vereinigt, und so denkt man sich, daß ihre beiden Götter nun auch Frieden geschlossen haben, und denkt sie als ein Götterpaar', das zusammen als die beiden Herren Ägypten besitzt. Dem Seth gehört nach der Theorie Oberägypten8, die Sethischen Stättene, dem Horus das Delta, die Horischen Stätten. Aber in Wirklichkeit hat Horus das bessere Los gezogen, denn er ist der allbekannte Gott des Königstums geworden, während sein Bruder10 Seth sehr zurücktritt. (Berlin 13186.) Während man den König ständig dem Horus

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gleichsetzt, geschieht dies bei Seth nur ausnahmsweisel. Am häufigsten noch im Titel der Königinnen, die sich rühmen Horus und Seth geschaut zu haben; da sollen die beiden Götter zusammen ihren königlichen Gatten bezeichnen. Und noch mehr. In den Titeln des Königs spricht man sogar aus, daß Seth eigentlich dem Horus unterlegen ist, denn wenn man den König als Besieger der Feinde rühmt, so schreibt man dies in alter Schrift mit einem Falken, der auf dem Goldzeichen steht,

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26. Das Tier des Seth (a nach einem Grabstein der ersten Dynastie Berlin 15484, b aus dem alten, c aus dem neuen Reiche).

dieses Goldzeichen aber bezeichnet den Gott von Ombos, das heißt den Seth. Horus steht also triumphierend auf seinem Gegner 2. Sonst treffen wir den Seth als das Vorbild der Kraft 3; als einen Krieger, der den König das Bogenschießen lehrt; wie der Sonnengott hat auch er eine Schlange, die ihm im Kampfe beisteht. Merkwürdig ist auch das Tier, unter dessen Bilde man den Seth ursprünglich verehrte und dessen Kopf er auch trägt. So wie es dargestellt wird, wird man es in der Fauna Afrikas vergebens suchen. Die späteren Ägypter haben es als einen Esel gefaßt, und in der Tat gleicht es in seinem ältesten Bilde immer noch am ersten

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einem solchen. Vielleicht hat man dieses Tier einmal absichtlich als einen Gott der Feinde so karikiert, steckt doch zuweilen statt des Schwanzes in ihm ein Pfeil. Und noch eines bleibt bei diesem seltsamen Gotte zu erwähnen: als seine Farbe gilt das Rot, das sonst den Ägyptern verhaßt ist. Er hatte rote Augen \ und war selbst rotfarbig2. Was er Böses tat, waren rote Dinge *\ wenn man statt derer ihn auch einmal grüne Dinge, d. h. Segensreiches tun läßt4, so ist das nur ein Euphemismus, wie er in den alten Gräbern so oft vorkommt; man mag eben dem toten Könige nicht mit unangenehmen Zeichen und Worten auch in seinem Grabe beschwerlich fallen. Wenn Seth im Laufe der Zeiten immer mehr zu einem Feinde des Guten wurde, so wurde ein anderer Gott zu einem treuen Freunde für Götter und Menschen. Das war Toth, den man einst als Ibis im Delta verehrt hatte, der dann aber in Schmun in Mittelägypten eine neue Heimat gefunden hatte. Seine Gläubigen hielten ihn für den Gott des Mondes und dachten, daß er sein Gestirn nach dessen Schwinden allmonatlich wiederherstelle. Er macht es aber wieder zu dem »unverletzten Horusauge«, dem vollen Mond. So regelt er denn auch die Zeiten und ist der Vertreter der Ordnung in der Welt. Er 27. Thoth. ist der Rechner und Schreiber der Götter und damit auch, wie wir das unten sehen werden, der Patron aller derer, die in dem schreibseligen Ägypten schreiben. Auch in die Sage von der Weltentstehung und in die des Osiris ist er hineingezogen. Wie es kommt, daß man ihn neben seiner Ibisgestalt auch als einen sinnenden Pavian bildet, wissen wir nicht; möglich daß das einmal ein anderer Gott war, der mit dem Thoth zusammengeflossen ist. Jedenfalls war Thoth nicht der einzige Gott des Mondes, und in Theben verehrte man einen solchen unter dem Namen des Chons (vgl. das Titelbild), d. h. des Durchwandelers5 des Himmels. Den dachte man sich rein menschlich, als ein Kind, wohl weil man ihm die dortige Himmelsgöttin die Mut, zur Mutter gab. Die Bedeutung des Thoth hat er aber nie erlangt.

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Und hier, wo wir am Ende der vornehmen Götter stehen, müssen wir doch noch kurz desjenigen Gottes gedenken, in dem man früher den Mittelpunkt der ägyptischen Religion zu sehen pflegte, des Osiris. Das war er nicht, aber durch den großen Einfluß, den seine Sage auf die Religion und auf die Vorstellungen vom Leben nach dem Tode ausübte, hat sich freilich sein Bild so in den Vordergrund geschoben, daß er uns als eine der wichtigsten Personen in der ägyptischen Götterwelt erscheint. Wir werden das in Kapitel 5 u. a. besprechen. Hier sei nur auf einige Züge hingewiesen, die uns heute als besonders charakteristisch in dieser mannigfaltigen Gestalt erscheinen; in wie weit sie ursprünglich sind, oder ob sie erst aus seiner Sage herausgesponnen sind, stehe dahin. Osiris ist ein Gott, dem man die jährlichen Schicksale des Erdbodens zuschreibt x. Wenn die Überschwemmung kommt, so ist Osiris das neue Wasser 2, das die Felder grünen läßt. Wenn die Pflanzen dann aber welken und absterben, so heißt es, daß Osiris auch gestorben ist. Aber er ist nicht ganz 0( 0000 tot, denn im neuen Jahre kommen die Krauter wieder Aus der Leiche des Osiris 28. Osiris. aus seinem Leibe 29. sprießen Pflanzen auf. hervor und zeigen, daß er lebt. Jedes Jahr wird er neugeboren und läßt alle Krauter auf der Erde wachsen und ernährt das Land 3. Daß Osiris einmal ein solches Wesen gehabt hat, zeigt sich auch noch in der Feier eines seiner Feste, wo man sein Aufleben durch keimende Pflanzen darstellte. Da wurde ein Bild des toten Gottes aus Erde hergestellt, und mit Getreidekörnern gefüllt; wurde es dann befeuchtet und sproßten die Körner auf, so war der Gott wieder aufgelebt. Dieses Sterbens und Auflebens wegen gilt der Osiris dann als das Vorbild der Toten und ihr Beherrscher und dieses Amt hat dann schließlich alle anderen Züge seiner Gestalt zurücktreten lassen; für den Ägypter der historischen Zeit ist Osiris vor allem der Totengott. Übrigens hat man Osiris auch dem Monde * gleichgesetzt, denn auch dieser schwindet und erneuert sich wieder. Sogar die untergehende und aufgehende Sonne ist mit ihm verglichen worden.

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Aber neben diesen späten Auffassungen tritt doch noch überall die ursprüngliche hervor. Ihr gilt der Gott bald als das neue Korn \ die Speise der Menschen2, und bald gilt er auch als das neue Wasser 3 das den Boden fruchtbar macht. Er kommt verjüngt in seinem jungen Wasser. Das Wasser kommt aus ihm hervor * und selbst die verschiedenen Meere und der Ozean gelten als sein Bereich 6. Er heißt groß und grün, weil der Ägypter das Meer das große Grüne nennt, und schwarz und groß, weil man die Bitterseen das große Schwarze nennt. Und wieder denkt man ihn sich als den Acker, der beim Sinken der Überschwemmung aus dem Wasser emportaucht und in ihm zu schwimmen scheint. Auch die ganze Erde setzte man dem Osiris gleich und denkt sich, daß sein Feind Seth unter ihm läge und ihn trage. Jünger wird die Vorstellung sein, daß Osiris, der ja im Totenreich herrscht, selbst unter der Erde hege und sie trage und daß das Wasser aus seinen Füßen herausquelle 7. Hübsch verwertet dann ein Dichter des n. R. einzelne dieser alten Vorstellungen in seinem Liede. Da liegt die ganze Erde auf dem toten Osiris und, wenn er sich regt, so bebt sie. Aus dem Schweiße seiner Hände kommt der Nil und er gibt dem Menschen von seinem Atem. Auf ihm wachsen Bäume, Krauter, Gerste und Weizen und alle Früchte. Alles, was die Menschen schaffen, die Kanäle, die Häuser, die Tempel, die Denkmäler und Gräber, alle diese Dinge, deren so viele sind, daß sie niemand niederschreiben kann, lasten auf ihm, und doch klagt er nicht, daß er zu schwer zu tragen habe 8. Als Heimat des Osiris erscheint uns heute die Stadt Dedu, die wir mit den Griechen Busiris, das Osiris Haus nennen. Von hier aus hat sich der Kultus des Gottes über das ganze Land verbreitet und zum Teil andere Götter aus ihren alten Sitzen vertrieben. So in Memphis, wo er den Sokaris in sich aufnimmt, und vor allem in Abydos, wo er sich an die Stelle des dortigen alten Totengottes, des Ersten der Westlichen, setzt 9, der in der Gestalt eines Schakals verehrt wurde. Das wird etwa im alten Reich (d. h. im Anfang des 3. Jahrtausends) geschehen sein, und seitdem ist Abydos die Stadt geworden, die mehr als jede andere für den Sitz des Osiris gilt. Daß man den Osiris, seit man ihn als den König der Toten denkt, auch dementsprechend dar-

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stellt, ist begreiflich. Da er tot ist, ist er wie eine Mumie eingehüllt; da er aber auch lebt und wieder grünt, hat sein Gesicht auch grüne Farbe. Auf dem Haupte trägt er eine Krone, und seine Hände halten Herrscherstab und Wedel. Ein ganz anderes nicht menschliches Bild hatte er aber in seiner Deltastadt Dedu. Was es eigentlich darstellte, wissen wir nicht; es erscheint uns wie ein schwerer Pfeiler, dessen oberes Ende eigentümlich gegliedert ist1. Am Feste des Gottes richtet man ihn feierlich auf, vielleicht, um anzuzeigen, daß der Gott wieder lebt. Dieser Dedpfeiler, wie wir ihn nennen, ist dann auch eines der heiligsten Zeichen der Ägypter geworden und in der Schrift gilt er als Zeichen für dauern, vielleicht weil der Gott trotz seines Todes weiter dauert. Übrigens hat man dann zu diesem Zeichen des Osiris auch noch zwei andere erdacht, die seine Genossen darstellen, das Eine, seine Gattin Isis, das Andere, seinen Freund Anubis. Die Freude an solchen Spielereien, a b c ist ja eine Eigentümlichkeit des 30. Die Zeichen für Osiris ( ), Ägyptertums. Isis (6) und Anubis (c). Totengötter. Ein allgemeiner Totengott des ganzen Landes, wie er in Osiris auftritt, wird schwerlich aus der Urzeit der Religion herstammen; denn die Toten einer jeden Stadt ruhen ja bei dieser als eine Gemeinschaft für sich und so werden sie denn auch unter dem Schütze eines Gottes stehen, der an dieser Bebräbnisstätte waltete 2. Ein solcher örtlicher Totengott hat nun in mehreren Fällen die Gestalt des Schakals, also des Tieres, das nächtlich am Wüstenrande, wo die Gräber liegen, umherhuscht; so sah der Erste der Westlichen * aus, den Osiris in Abydos verdrängte, und dieselbe Gestalt hat auch Anubis, der schon im alten Reiche* der allgemeine Patron der Bestattung geworden war. Vermutlich dankte er diese Volkstümlichkeit der Osirissage, in die auch er hineingezogen wurde. Und in diesem Kreise menschlich gebildeter Götter hat Anubis dann auch eine menschliche Gestalt angenommen, an der nur

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noch der Kopf an den Schakal erinnert. Seine eigentliche Heimat scheint Mittelägypten gewesen zu sein. Dieselbe Gegend ist dann auch die Heimat eines ändern Schakalgottes, des U p - u at, oder vielmehr der beiden Up-uat, denn sie treten meist als ein Paar auf, äußerlich scheinen sie dem Anubis zu gleichen, nur mit dem einen Unterschiede, daß der Anubis als Tier liegend dargestellt wird — er heißt auch der, der auf seinem Bauche liegt — während die Up-uat-Schakale laufen. Vielleicht sollte aber doch ein Unterschied zwischen ihnen bestehen, da die Griechen, die doch 31. Anubis. gewiß die Auffassung der Ägypter ihrer Zeit wiedergeben, das, was wir Schakal nennen, für zwei verschiedene Tiere erklären; der Anubis ist ein Hund, die Up-uats sind Wölfe. Übrigens sind auch die Upuat-Götter in die Osirissage eingezogen worden. Sie sind, wie das auch der Name Weg-Öffner besagt, Kampfgenossen des Osiris geworden, die ihm in der \\MMUf Schlacht vorangeschritten sind; daher trägt ihr Bild zuweilen Kriegskeule und Bogen und darum heißen sie mit Pfeilen gerüstet . . . . siegreicher und kräftiger als die Götter, sie haben Ägypten im Triumphe erobert. * So trägt man denn auch später noch vor u a 3*· P-" * . dem Könige eine Standarte mit dem Bilde des Up6 (Berlm, Relief . ^ ausAbuGurab). uat; der bahnt ihm den Weg durch die Feinde. Widder und Böcke. Eine ähnliche Verwirrung, wie wir sie bei den Schakalsgöttern angetroffen haben, besteht nun auch bei den Göttern, denen wir die Gestalt eines Widders zuschreiben. Wir würden unsererseits nur zwei Arten von ihnen unterscheiden, die heiligen Tiere des Amon von Theben, deren Hörner herabhängen und dem Kopfe anliegen, und die anderen Tiere mit den wagerechten, gedrehten Hörnern, die weit über den Kopf hinwegragen. Die Griechen aber unterschieden bei den Letzteren Böcke und Widder, und wir werden gut tun, diesen Unterschied beizubehalten. Zu den Wid-

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dem gehört einmal Harsaphes, der Gott der großen Stadt Herakleopolis — heut Ehnas, den seine Gläubigen wenigstens später als einen Gott der Welt denken; seine Augen sind Sonne und Mond und aus seiner Nase kommt die Luft. 1 Sein Name, der über seinem See ist, besagt wohl nur, daß sein Heiligtum am Eingange des Seelandes des Faijums liegt. Bei den anderen Widdergöttern, die den Namen C h n u m tragen, stehen verschiedene Vorstellungen nebeneinander. Einerseits denkt man sich den Chnum als einen Gott, der bildet und schafft, ähnlich wie der Ptah von Memphis; auch er arbeitet als Töpfer an seiner Scheibe 2 und jedes neugeborene Kind gilt als sein Werk und dankt ihm seine gesunden Glieder 3, andererseits haust der Ghnum und hausen die Ghnume (denn man nimmt auch mehrere 4 von ihnen an) auf der Insel Elephantine; dort sind sie die Herren des kühlen Wassers5, das ja nach dem alten Glauben an dieser Stelle emporsprudelte. Man möchte glauben, daß Verehrer des Chnum, die einmal aus ihrer alten Heimat an diese äußerste Grenze Ägyptens verpflanzt waren, ihrem angestammten Gölte dieses Wesen beigelegt haben. Soweit die Widder. Ihre Genossen, die Böcke, 33. Chnum. treffen wir im nördlichen Ägypten an; der Bock von Mendes war ein hochheiliges Wesen, selbst noch für die Könige der griechischen Zeit. Aber bei diesen holden Geschöpfen fällt uns doch etwas auf; sie haben nie wie andere heilige Tiere einen besonderen Namen erhalten, sondern heißen einfach der Bock und nie werden sie mit menschlichem Körper gebildet. Es ist als sei das Volk bei ihnen nie über die primitivste Auffassung hinausgegangen. Daß die Theologen desto tiefsinniger über sie dachten, werden wir in Kapitel 6 sehen. Krokodilgötter. Noch haben wir eines Gottes zu gedenken, den wir unter dem gleichen Namen S ob k und unter der gleichen Gestalt des Krokodils an Orten antreffen, die weit voneinander liegen. Er wird im Delta in Sais verehrt, wo er das Kraut auf den Ufern grünen läßt7. Hier gilt er als der Sohn der großen Wassergöttin Neith 8

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und als ihr Kind lacht * er, wenn die Überschwemmung kommt; so scheut man sich denn auch nicht, diese Göttin darzustellen, wie sie mütterlich an jeder Brust ein Krokodil säugt. Vor allem aber verehrt man den Sobk im Seelande des Fajum, und weiter ganz im Süden in Ombos in derselben Gegend, wo man auch alljährlich den Eintritt des Überschwemmungswassers zu feiern pflegt. Er ist eben ein Gott des Wassers und so liegt er denn auch auf einem alten Bilde, das gar keine bestimmte Gegend darstellt, auf einer Sandbank in einer kleinen Kapelle 2, als das heilige Wesen, das man überall auf dem Nile verehren soll. Wenn man nun auch die Verehrung dieses Untiers so weit trieb, daß man ihm sogar ein schönes Antlitz 3 zuschrieb, so wird doch der eigentliche Grund dieser Anbetung die Furcht oder der Schrecken gewesen _^_____________ sein, die man vor die34.

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Sobk.

sem unheimlichen Tiere empiand.

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f aus 35. Sobk (Berlin 16953 seinem Tempel im Faijum).

Schlangen und andere kleine Götter. Und so wird es auch die Angst gewesen sein, die dazu führte, noch greulichere Geschöpfe anzubeten, den Skorpion, den großen giftigen Tausendfuß und die schlimmste aller Giftschlangen, die Aspis. Der Skorpion war die große Göttin Selket, der Tausendfuß wurde in Heliopolis als ein Gott Sepa verehrt und zu jenen Schlangen gehörten ja, wie wir gesehen haben, zwei der vornehmsten Wesen, Buto, die Patronin des ägyptischen Königtumes, und die Uraeusschlange, die Schützerin und Genossin des Sonnengottes. Neben ihnen gab es dann in Ägypten noch genug andere heilige Schlangen, so viele, daß man schon in alter Zeit hinter das Wort für Göttin ebenso eine Schlange schreibt, wie einen Falken hinter das Wort für Gott — beides sind eben deren

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gewöhnlichste Gestalten. Auch gerade kleinere gütige Göttinnen, wie die Renen-Utet, die Göttin der Ernte, hatten Schlangengestalt *; später, wo man ja alle diese Dinge in ein System gebracht hat, muß jedes große Heiligtum auch ein solches Reptil besitzen. Überhaupt fehlt es in keinem Gaue an allerlei Tieren und Dingen, die zwar nicht Götter sind, denen aber doch etwas Göttliches innewohnen soll. Die von Heliopolis haben wir schon oben aufgeführt; zu ihnen gehört auch noch die Ichneumonratte, in die sich Atum im Kampf gegen den Apophis verwandelt haben sollte 2. Auch in den anderen Städten war es nicht anders; Fische und Vögel, Mäuse und Bäume und allerlei anderes wurde verehrt. In der älteren Religion, wie sie uns in den Tempeln entgegentritt, merkt man freilich nicht viel von diesem Kleinkram, trotzdem mag Uraltes darunter sein, das still im Volke lebte. Einzelne dieser kleinen Götter, dem Bes, der Toeris u. a. werden wir als volkstümliche Götter im neuen Reiche antreffen. Und je länger die ägyptische Religion bestand, desto mehr fanden diese Winkelgötter Einlaß in die Tempel und in die offizielle Religion. Oft gelten solche kleinen Götter als Gehilfen der großen. So der Apis und der Mnewis (S. 26, 27) und die schreckliche Mafedet 3, die der ältesten Zeit angehört .und so auch wohl ursprünglich die Up-uat Schakale, von denen wir gesprochen haben. Auch Osiris hat als Totengott seine Boten 4, die er aus der Unterwelt zu den Menschen sendet, ihnen den Tod zu künden. Die lange Aufzählung von allerlei Gottheiten, an deren Ende wir hier stehen, wird bei dem Leser den Eindruck maßloser Verwirrung hinterlassen haben. Diese Verwirrung ist in der Tat übergroß; sie erklärt sich daraus, daß schon in der älteren Gestalt der Religion, die wir hier zu schildern versucht haben, die Vorstellungen von Jahrtausenden aufgestapelt sind. Es sind Vorstellungen aus Epochen verschiedener Kultur und aus verschiedenen Landstrichen, die da neben einander stehen. Manche sind ungeändert geblieben, andere hat man miteinander zu vereinigen gesucht und sie sind dadurch nur noch unklarer geworden, wenigstens für uns, die wir keine gläubigen Ägypter sind. Wie und wann das alles vor sich gegangen ist, können wir im

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Einzelnen nicht erraten, wohl aber können wir die großen Kräfte erkennen, die zu allen Zeiten die Religion umgestaltet haben; wir sehen sie in der geschichtlichen Zeit am Werke, und auch in der Vorzeit werden sie ebenso gewirkt haben. Diesen Kräften — dem Einfluß der äußeren Geschichte, der Sagenbildung der theologischen Spekulation — wollen wir uns in den folgenden Kapiteln zuwenden.

Viertes Kapitel. Die weitere Entwicklung der älteren Religion. Das ägyptische Volk hat in seiner langen Geschichte so manches erlebt, was auch auf seine Religion Einfluß haben mußte. Es ist ein einheitlicher starker Staat geworden und es ist dann auch wieder in Kleinstaaten zerfallen; Königshäuser haben anderen Platz gemacht und mit ihnen haben auch die Hauptstädte gewechselt; eine Revolution hat es einmal erschüttert und zerrüttet; fremde Barbaren haben das Land erobert und dann hat es selbst wieder über fremde Völker geherrscht — alle solche Ereignisse werden die Religion auch umgestaltet haben, in ihrem äußerlichen Wesen sowohl, als auch in dem, was die Einzelnen fühlten. Aber leider ahnen wir das alles mehr, als daß wir es wirklich erblickten, und eigentlich nur an einer Stelle, bei der Reform des vierten Amenophis, treten uns die Dinge lebendig entgegen. So wollen wir uns denn auch begnügen, auf diese geschichtlichen Ereignisse nur an den betreffenden Stellen hinzuweisen. Dafür wollen wir hier auf die Wandlungen eingehen, die sich auch ohne äußeren Anlaß allmählich in der Religion vollzogen haben. Wo man in einer Stadt mehrere Götter neben einander verehrte, da lag dem Volke der Gedanke nah, daß diese doch irgendwie zusammengehören müßten. War der eine eine große Göttin und der andere ein geringeres Wesen, so dachte man beide gern als Mutter und Kind. So wird in Theben der Chons zum Kinde der Mut, in Dendera wird ein Gott Ihi zum Kind der Hathor, das sie auf dem Schöße hält1, und in Sais muß es sich die Neith sogar gefallen lassen, daß der Krokodilgott Sobk als ihr Sohn gilt. Wird dann noch ein großer Gott in der gleichen Stadt verehrt, so tritt dieser dann als Gatte und Vater dazu. So wird Amon

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der Gemahl der Mut und der Vater des Ghons, Ptah von Memphis erhält die löwenköpfige Sachmet zur Geliebten, und ein kleiner Gott Nefertem, der eigentlich eine Blume ist, wird zu seinem Sohne. Beispiele solcher Götterfamilien finden sich überall, das Berühmteste, die Familie des Osiris, werden wir in dessen Sage kennen lernen. Wenn hier Götter so mit solchen verbunden werden, die ihnen eigentlich ganz fremd sind, so werden andere durch einen berühmten Nachbargott vollends um ihre selbständige Existenz gebracht. Sokaris, der Totengott von Memphis, gilt schon im alten Reiche nur noch als eine Form und ein Name des Ptah; er ist Ptah-Sokaris, und, wie oben gesagt, ist es nur ein schlechter Trost für ihn, daß dann ein noch beliebterer Gott, der Osiris, hineingemengt wird: Sokaris, Osiris und Ptah Sokaris Osiris sind das Resultat dieser Vermischung. Wie man aus diesem Beispiele ersieht, ist es nicht immer ein Nachbar, der zu dem alten Gotte hinzutritt; es kann auch, und so wird es in den meisten Fällen gewesen sein, ein beliebiger anderer Gott sein, der aus irgendwelchen Gründen volkstümlich geworden 36. Gott Nefer-tem. war. Oft genug muß dann der alte Gott (Berlin n ooi.) auch seinen eigenen Namen aufgeben, und ein guter Teil der Götter gleichen Namens, wie die vielen Horus und Hathoren, mag so entstanden sein, wenn wir das auch zumeist nicht nachweisen können. Ein solcher Eindringling ist z. B. der Gott Onuris, der, wie sein Name, der die Ferne herbeigebracht hat zeigt, aus der Sage vom Sonnenauge (S. 66) herstammt und der sich an verschiedenen Orten an die Stelle des alten Luftgottes Schu gesetzt hat. Ein anderer Fall ist Isis, die Gattin des Osiris; die setzt man schon in früher Zeit anderen Göttinen gleich, so daß sie z. B. die Herrin von Buto heißt, als wäre sie diese Schlangengöttin *. Besonders folgenschwer war es, daß der Sonnengott selbst mit anderen Göttern vermischt wurde. Den ältesten Fall, wo er in E r m a n, Religion der Ägypter.

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Viertes Kapitel.

Hcliopolis den alten Atum ganz in sich aufnahm, haben wir schon oben erwähnt, und wir werden noch genug Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen. Aber erst seit dem alten Reiche hat sich die Verehrung des Sonnengottes mehr und mehr verbreitet, vielleicht weil die Könige der 5. Dynastie (2560—2420 v. Chr.), die von einem Sonnenpriester herstammten, diesen Gott mehr als jeden anderen ehrten. Jedenfalls treffen wir in dem darauf folgenden Jahrtausend überall auf alte Götter, deren Namen man das Wort Re, die Sonne, beigefügt hat; damit zeigt man, daß der Sobk-Re, der Month-Re, der Chnum-Re und so weiter zwar ein Krokodil, ein Falke oder ein Widder sind, aber im Grunde doch ihren Teil haben an dem mächtigen Tagesgestirn, das die Geschicke der Welt lenkt. Auch Amon, der seit der elften Dynastie (etwa 2100 v. Chr.) in Theben eine Stätte hatte, wird hier zu einem Amon-Re, und in dieser Gestalt, als der Götterkönig *, erlebt nun der Sonnengott die höchste Stufe seines Ansehens; denn der Amon-Re wird mit der achtzehnten Dynastie d. h. seit dem sechzehnten Jahrhundert vor Chr. der Gott des ägyptischen Weltreiches. Wie das Königtum die große Verbreitung des Sonnengottes bewirkt hat, so hat es auch sonst den größten Einfluß auf die Ausgestaltung der Religion gehabt. Wie schon erwähnt, hatten einst in Ägypten zwei Reiche bestanden, ein unterägyptisches mit der Hauptstadt Buto und ein oberägyptisches mit der Hauptstadt Nechen. Aus diesen vorhistorischen Reichen stammten auch die Vertreter der beiden Länder, Horus und Seth, aus ihnen stammten die Schutzgöttinnen der beiden Könige, die Schlange Buto und der Geier Nechbet, und aus ihnen stammten die Kronen der beiden Länder, die Rote von Unterägypten und die Weiße von Oberägypten, auch diese sind göttliche Wesen. Im vierten Jahrtausend sind dann diese beiden Reiche durch einen oberägyptischen Herrscher vereinigt worden, und damit beginnt auch für die Religion eine neue Zeit. In ihr vermischen sich die alten Vorstellungen mehr und mehr und gleichen sich einander an. Zwar nichts von ihnen wird gänzlich aufgegeben, und wo die neue Zeit Neues schafft, bleibt doch das Alte als ein ehrwürdiges Stück aus der Vorzeit daneben in Kraft. Längst bauen sich die Könige ihre Residenzen im Mittelpunkt ihres Reiches, in der Gegend von Memphis und Heliopolis und des heuti-

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gen Kairo, aber in den Tempeln spricht man nach wie vor von den Hauptstädten Buto und Nechen und nach wie vor sind es deren Göttinnen, die den König beschützen. Freilich werden auch diese nun vermischt, und mit Vorliebe denkt man sie sich jetzt beide als zwei Schlangen; auch sonst bleiben die beiden alten Reiche für die Theorie weiter bestehen; der König ist der Herr der beiden Länder, und nach seinem Titel besteht er aus zwei Personen, aus dem König von Oberägypten und dem Könige von Unterägypten. Je nach dem er so oder so gedacht wird, trägt er auch die entsprechende Krone, wenn man es nicht vorzieht, die beiden Kronen als Doppel kröne ineinander zu fugen. Mit den Göttern der beiden Landesteile steht es freilich anders, denn bei diesen tritt der Seth von Oberägypten fortan weit hinter seinem Genossen dem Horus von Unterägypten zurück. Das muß sich durch irgend einen historischen Vorgang erklären und es liegt nahe daran zu denken, daß nach der ägyptischen Überlieferung einmal ein Reich ältester Könige bestanden hat, die die Horusdiener hießen. Das mag ein Königsgeschlecht gewesen sein, das den Horus vor anderen Göttern verehrte, und daher mag die einseitige Bevorzugung dieses Gottes herrühren, die wir in historischer Zeit antreffen; gilt sein Falke doch in der alten Schrift geradezu als ein Zeichen für »Gott« und »König«. Vor allem ist Horus jetzt das göttliche Vorbild aller Könige; er gilt als der Gott, der zuerst über die Menschen geherrscht hat und alle späteren Herrscher sind seine Nachfolger, seine Vertreter. Der König heißt in seinen Titeln geradezu der Horus*), oder, wenn man ihn von dem himmlischen Gotte unterscheiden will, der Horus im Palaste. Ebenso spricht man von dem Schrecken, den der Horus in die Fremdländer sendet *; und in einem Liede des mittleren Reiches nennt man den König sogar unsern Horus2. Freilich brauchen wir darum noch nicht zu denken, daß der König ebenso als ein Gott gilt wie all die Götter, denen man Tempel errichtet und Opfer darbringt; so weit geht seine Göttlichkeit noch nicht. Wenn man ihn Horus nennt oder den guten Gott3, oder wenn man von ihm schlechtweg als von dem Gotte spricht *, sowar das doch immer zum guten Teile nur eine der schönen Phrasen, mit denen die Menschen ihre Ergebenheit auszudrücken pflegen; haben solche *) Von allen seinen Titeln ist Horus der höchste; König von Oberägypten und König von Unterägyptrn sind nur die Titel seines irdischen Amtes. 4*

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Redensarten sich dann einmal eingebürgert, so denkt niemand mehr an ihre eigentliche Bedeutung. Gerade dem König gegenüber haben sich die Ägypter in solchen Phrasen gefallen. Man nennt ihn die lebende Sonne, und wenn er redet, so redet Afum durch seinen Mund. Oder er heißt das auf Erden lebende Abbild des Gottes. Auch die Bezeichnungen als Horus und Gott werden eigentlich nicht viel mehr sein als solche Redensarten. Merkwürdig ist dann ein weiterer Titel des Königs, der auch von seiner göttlichen Natur spricht; seit der vierten Dynastie heißt er auch der Sohn des Re, oder dessen leiblicher Sohn und dies wird bald ein fester Bestandteil seiner Titulatur 1. Hier glauben wir noch zu sehen, was ursprünglich damit gemeint war. Der Ausdruck geht auf die Vorstellung zurück, die wir auch anderswo und zu anderen Zeiten antreffen, daß der König zwar äußerlich ein Sohn seines Vaters sei, daß er aber zugleich doch ein Sohn des höchsten Gottes ist — wie das möglich sein kann, müssen wir natürlich mit unserm beschränkten Verstand nicht ergründen wollen. Wir selien noch aus einem Märchen etwa des 17"° Jahrhunderts v. Chr., wie das Volk zu diesem Gedanken stand; es erzählt uns den göttlichen Ursprung der fünften Dynastie. Da ist Re offenbar unzufrieden mit dem Könige Gheops, dem Erbauer der großen Pyramide, und wenn er ihm auch noch einen Sohn und einen Enkel (die Erbauer der 2. und 3. Pyramide) gewähren will, so soll nach diesen doch ein neues Geschlecht auf den Thron kommen, ein Geschlecht, das mehr an die Götter denken wird als an ihre eigenen Riesengräber; die werden die Tempel bauen, die werden die Altäre mit Speisen versehen, die werden die Schenktische gedeihen lassen und werden die Opfer groß machen2. So erzeugt denn Re mit der Gattin eines seiner Priester, der Rud-dedet, ein neues Geschlecht, und die gebiert unter der Beihilfe von Göttinnen drei Kinder. Chnum, der die Menschen bildet, verleiht ihnen gesunde Glieder, Isis gibt ihnen ihre Namen und Mesechenet, die Geburtsgöttin, erkennt, daß es richtige Könige sind, die das Königtum in diesem ganzen Landefähren werden. Es sind die Könige Userkaf, Sahure und Kakai, die ersten drei Herrscher der fünften Dynastie; daß sie als Drillinge auf die Welt kamen, stimmt freilich nicht, aber daß der Sonnengott ihnen besonders nahe gestanden hat, ist in der Tat richtig, denn eia

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jeder dieser Könige hat ihm, wie wir in Kapitel 7, S. 102, sehen werden, einen besonderen Tempel neben seiner Residenz errichtet und dient ihm mit allen seinen Großen. Was hier märchenhaft erzählt ist, das hat der loyale Verehrer irgend eines ändern alten Königs dann zu einer Erzählung gestaltet, die den vollen Beifall des Herrschers und seines Hofes gefunden haben muß; hat man doch mit ihr und ihren Bildern die Wände eines Tempels geschmücktl. Was ich daraus mitteile, entstammt thebanischen Tempeln des neuen Reichs, und der Gott ist deshalb hier der Amon; im Faijum, wo derselbe Text auch im Tempel stand, mag es der Sobk gewesen sein. So wie oben in dem Märchen wird auch hier erzählt, daß Amon einen König erzeugen will, der den Göttern ihre Häuser erbauen und ihre Opfer vermehren wird. Das verkündet er den großen Göttern, und sie versprechen ihm, den künftigen König zu schützen. Anscheinend hat Amon schon ein Mädchen gesehen, das seinen Wünschen entspricht, und er entsendet Thoth, um Näheres über sie zu erkunden. Was Thoth ihm meldet, ist: dieses Mädchen, von dem du gesprochen hast, die heißt Akmes, sie ist schöner als jede Frau in diesem ganzen Lande, und sie ist die Frau des Königs Thutmosis. Da verwandelt sich Amon in ihren Gatten, den König Thutmosis, und Thoth führt ihn zu der Königin, die sie in der Schönheit ihres Palastes ruhend finden. Von dem Dufte des Gottes erwachte sie und lachte seine Majestät an. Sogleich ging er zu ihr, und entbrannte in Liebe zu ihr, er richtete seinen Wunsch auf sie. Da zeigte er sich ihr in seiner göttlichen Gestalt und sie freute sich, als sie seine Schönheit sah, und die Liebe zu ihm kam in ihren Leib. Der Palast war erfüllt von dem Dufte des Gottes und all sein Wohlgeruch war aus dem Weihrauchlande. Da tat der Gott mit ihr alles, was er gewollt hatte, und sie ließ ihn Freude an sich haben und küßte ihn, Dann sprach die Königin Akmes zu der Majestät dieses Gottes Amon: o mein Herr, wie groß ist doch deine Gewalt, es ist herrlich, dein Antlitz & sehen, du hast meine Majestät mit deiner Trefflichkeit versehen, indem dein Tau durch alle meine Glieder gegangen ist. Nachdem nun so die Majestät dieses Gottes alles, was er gewollt hatte, mit ihr zusammen getan hatte, da sagte Amon zu ihr: Ckenemt-amon Hatschepsut ist der Name dieser Tochter, die ich in deinen Leib gelegt habe, gemäß dieser Rede, die aus deinem Munde gekommen ist; die Königin hat nämlich in dem, was sie zu dem Gotte

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sagte, die Worte Chenem »versehen«, hat »Antlitz« schepes »herrlich« gebraucht, und daraus schließt der Gott, welcher Name dem Kinde zu geben sein wird. Er verkündet dann weiter, daß seine Tochter dieses treffliche Amt in diesem ganzen Lande führen wird. Sie wird seine Seele haben und seine Kraft, sein Ansehen und seine Krone, sie wird die beiden Länder beherrschen und alle Menschen leiten. Nun nach der Erzeugung muß das Kind auch erschaffen werden, und Ammon beauftragt damit Chnum, den göttlichen Töpfer; der bildet auf seiner Scheibe ein Königskind und gleich dazu noch eine zweite diesem gleiche Gestalt, den Ka, die Seele des Kindes. Es wird ein

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Chnum formt auf der Töpferscheibe den König und dessen Ka. Daneben Hathor, die das Zeichen des Lebens reicht. (Gayet Luxor pl. 63.)

Kind mit Glück und Freude und Gesundheit, dem alle Länder und alles Volk gehorchen, und das Nahrung und Speise besitzt. So soll das Kind auf dem Throne des Horus erscheinen gleich dem Re, als ein König, wie es sein Vater Amon Re, der es liebt, befohlen hat. Zusammen mit der Heket, der entbindenden Göttin, führt dann Chnum die schwangere Königin zu dem Orte der Entbindung, dem die Göttin Mesechenet vorsteht. Da kommt das Kind zur Welt, ausgestattet mit allem Guten, was ein Ägypter seinenKönigen. wünscht, es erscheint als ein König von Ober- und Unterägypten, der viele Jubiläen feiern wird. Wie einem irdischen Vater der neugeborene Sohn gezeigt wird, so holt jetzt Hathor als die höchste Göttin den Amon herbei, damit er seine liebe Tochter, die Königin Hatschepsut besehe, nachdem sie geboren ist. Da freut sich sein Herz sehr, und er bestätigt, daß dies die Tochter ist, die er erzeugt hat. Er küßt sie und umarmt sie und

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wartet sie und liebt sie über alles. Willkommen, willkommen sagt er zu ihr, du meine leibliche, liebe Tochter. Wie Amon dann weiter seinem Kinde allerlei Göttinnen zu Ammen bestellt, wie göttliche Kühe es säugen, wie es dann heranwächst und von den Göttern des Landes begrüßt wird, und wie es dann schließlich unter dem Beifall des Volkes den Thron besteigt, das gehört nicht mehr zu dem, was uns hier beschäftigt. In diesem Abschnitte, wo es sich um die irdischen Verhältnisse handelt, tritt dann auch der irdische Vater wieder in den Vordergrund. Wie gesagt, steht das alles in den Tempeln als ein offizielles

38. Geburt des Königskindes unter den Göttern, die der Königin beistehen, der widderköpfige Chnum und die froschköpfige Heket. (Bild im Tempel von Luxor nach Gayet Luxor pl. 66.)

Schriftstück, und so kann man gewiß sein, daß weder der König noch die Königin Mutter daran Anstoß genommen haben. Und der Gedanke ist auch nicht etwa nur auf diesen einen Text beschränkt, sondern begegnet uns noch anderswo in noch krasserer Form. In dem herrlichen Tempel von Abu Simbelx, den Ramses II. im 13"" Jahrhundert erbaute, versichert ihm Ptah Ta-Tenen er habe vorausgesehen, wie Großes der König für ihn tun werde, und darum, sagt er, verwandelte ich mich in den Bock oon Mendes und schlief bei Deiner herrlichen Mutter, damit sie dein Wesen gebäre, darum sind alle deine Glieder nun Götter 2. Man wird zugeben, daß diese Fassung, in der der Gott auch noch den Bock bemüht, nicht gerade schöner ist. Daß der König, der als Sohn eines Gottes geboren wird, auch nicht so sterben kann wie ein anderer Mensch, versteht sich von selbst. Wenn er sein Leben glücklich vollendet hat, so steigt er auf

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zum Himmel, vereinigt sich mit der Sonnenscheibe und vermischt sich mit dem, aus dem er hervorgegangen war1. Die göttliche Herkunft und die göttliche Natur, die dem Könige so zugesprochen werden, zeigen sich nun auch in ändern Dingen. Äußerlich darin, daß er ebenso wie der Sonnengott den Uraeus trägt, jene Schlange, deren wir oben gedachten, die verbrennt seine Feinde mit ihrem feurigen Atem. Der Uraeus ist geradezu das Diadem des ägyptischen Königs; er ringelt sich um seine Stirn oder seine Kronen. Wichtiger aber ist, daß der König nun nach der offiziellen Anschauung in einem besonderen Verhältnis zu den Göttern steht. Er gehört zu ihnen, sie sind seine Väter und er ist ihr Sohn. Natürlich wird dieses Sohnesverhältnis nicht allzu streng genommen und jeder Gott und jede Göttin, mit denen er im Tempel zu tun hat, redet ihn mit mein Sohn an, ebenso wie er, sie mein Vater und meine Mutter nennt. Selbst das kommt vor und zwar schon in sehr alter Zeit, daß die ganze Götterschaft von neun Personen ihn geboren haben will; wir sind hier eben in jenen glücklichen Regionen, in denen die Vernunft nichts mehr zu sagen hat. *) Aber das Ganze hat doch auch eine ernste Folge für die Religion gehabt. Gerade diese Auffassung des Königs als eines halben Gottes hat dazu beigetragen, daß die Religion, wie sie in den Tempeln gepflegt wurde, sich immer mehr dem Volke entfremdete. Die Götter sind nicht mehr die Götter für alle, sie sind die Götter ihres Sohnes, des Königs; er baut ihre Tempel, er bringt ihnen Opfer, er hat das Recht sie zu schauen, und wenn die Priester dies alles tun, so tun sie das nur als seine Vertreter. Und wenn die Götter ihrerseits Ägypten Gutes tun, so tun sie das nicht dem Volke zu liebe, sondern ihrem Sohne. Wir kommen auf diese trübe Seite der ägyptischen Religion noch im XII. Kapitel zurück. Wenn das allmächtige Königstum so auf die Religion einwirkte und selbst fast zu einem Bestandteile von ihr wurde, so hatten doch auch andere Teile des Volkes ihre besonderen Beziehungen zu ihr und brachten Neues in sie hinein Vor allem *) Gelegendich kommt es auch vor, daß ein nicht königlicher Gaufürst sich erlaubt, sich den wirklichen Sohn des Thoth zu nennen, geboren von der Neunheit, dem Samen des Re. Blackden-Frazer. XI.

TAFEL 2

Atum, Seschat und Thoth schreiben die Namen Ramses' II auf den heiligen Baum in Heliopolis. (Aus dem Ramesseum LD. III 169.)

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der Stand, der im alten Ägypten mehr bedeutete als jeder andere, der Stand der Schreiber, d. h. der Beamten. Das waren, wie wir sagen würden, die Gebildeten. Sie, die schreiben und rechnen und richten, haben ihren Gott in Thoth, dem Gotte des Mondes, gefunden. Er ist es, der die Zeit in die Monate einteilt und sie ordnet, und so gilt er auch als der Ordner des Weltlaufes. Wenn der Sonnengott der Herrscher der Welt ist, so ist Thoth sein höchster Beamter, sein Vezier, der auch in seinem Schiffe bei ihm steht, um ihm Vortrag zu halten.l Er ist der Richter, der im Himmel ist 2, und schlichtet den Zwist der Götter. Götter und Menschen läßt er wissen, was ihnen zukommt; er gründet die Städte und setzt die Grenzen fest3. Aber er ist auch der Gelehrte, der Herrscher der Bächer *, der Herr der Gottesworte, d. h. der heiligen Schriften; Worte und Schrift hat er den Menschen gegeben, und wer ihm treu anhängt, dem gibt er seine Belohnung; er verleiht ihm das Wissen und leitet die Schreiber zum richtigen Rechnen, So ist er der Vertreter des Höchsten, was der Ägypter kennt, seiner Weisheit. Als solcher hat er, wie wir in Kapitel 2i sehen werden, unter dem Namen des Hermes Trismegistos alle Götter Ägyptens 39. Seschat. Aus dem Tempel des Sahure überdauert. (Dyn. 5). Für seine Tätigkeit als Schreiber und Gelehrter hat Thoth nun auch noch eine Genossin, Seschat, d. h. wohl die Schreiberin; sie ist die Herrin des Bücherhauses*, d. h. der Bibliothek und war die erste Göttin, die zuerst einritzte, d. h. die geschrieben hat 7 . Ursprünglich war sie die Göttin Nephthys gewesen 8. Ihr Geschäft ist es, die Taten der Könige aufzuschreiben 9; sie verzeichnet ihre Namen auf einem Baume im Tempel zu Heliopolis 10 während Thoth an einem Kerbholz deren Jahre abzählt (vgl. das Bild Tafel 2). Weit wichtiger aber als diese Gehilfin des Thoth ist die andere Göttin, die die gebildeten Stände ihrem Gotte beigegeben haben, Maat, die Göttin der Wahrheit. Die ist, und das ist für die Geschichte der Religion von Interesse, keine alte Göttin von Fleisch und Blut, sondern sie ist nichts weiter als eine leere Abstraktion, das Recht, die Wahrheit. Man bildet sie als eine Göttin n, der man, *·*

.,

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Gott weiß aus welchem Grunde eine Geierfeder1 zum Abzeichen gibt. Zu einem rechten Kultus mit Tempeln und Opfern hat sie es in alter Zeit wohl nicht gebracht, aber im Kreise der Gebildeten ist ihr Ansehen von jeher ein hohes, gilt die Wahrheit doch als das Höchste in der sittlichen Welt. Sagt doch ein ägyptischer König von ihr: »sie sei sein Brot und er trinke ihren Tau« 2. Der erste Richter, der Vezier, nennt sich ihren Priester und trägt ihr Bild als Abzeichen seines Amtes auf der Brust. Schließlich aber wird sie dann doch in den großen Kreis der Hathor hineingezogen und heißt dann ebenso wie diese die Tochter des Re, die Herrin des Himmels, die Beherrscherin der beiden Länder, das Auge des Re, die ihres Gleichen nicht hats. Und doch ist sie, um das noch einmal zu sagen, ursprünglich nur ein künstliches Erzeugnis, eine Personifikation wie etwa die Viktoria der Römer gewesen ist. Neben den Beamten haben denn auch andere Angehörige der gebildeten Stände sich besondere Patrone aus der Menge der Götter erwählt, so die Ärzte, deren Kunst in Ägypten in hoher Blüte stand. Die lassen sich zwar auch von Thoth leiten, er gibt ihnen Sprache und Schrift und macht die Rezept(Nach Berlin 9468.) bücker und gibt Erfolg den Gelehrten und Ärzten, die ihm folgen 4, aber sie haben sich daneben eine eigene Patronin gewählt und das ist Sachmet, die Löwengöttin von Memphis5. Später, wo ein alter Weiser, der Imhotep, zum Gotte der Ärzte wird, muß die Sachmet wenigstens dessen Mutter gewesen sein. Auch die Künstler und Handwerker, deren Werke uns heute noch mit Bewunderung erfüllen, stehen unter göttlichem Schutz. Über ihnen waltet Ptah, der Gott von Memphis; der wird darüber selbst zum Künstler unter den Göttern. Sein Hoherpriester heißt der oberste Leiter der Künstler, und er leitet sie wirklich, wenigstens im alten Reiche bei einem Werke, auf das der König besonderes Gewicht legt6. Wenn wir nicht bei allen Teilen des Volkes solche enge Beziehungen zu bestimmten großen Göttern bemerken, so hat das wohl auch seine Gründe. Die Krieger spielten ja in alter Zeit als solche keine Rolle in Ägypten, die Ackerbauer, die die breite Masse

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des Volkes bildeten, werden ihren einzelnen kleinen Göttern gedient haben und haben uns keine Bauwerke und Steindenkmäler hinterlassen. Erst im neuen Reiche wird das anders und da sehen wir denn auch in das religiöse Leben dieser Stände hinein. Merkwürdig ist nun, daß man neben den einzelnen bestimmten Göttern nicht selten auch von Gott im allgemeinen spricht. Es geschieht dies besonders in der Literatur und zwar da, wo man an den Leiter der menschlichen Geschicke denkt. Was geschieht, ist der Befehl Gottes l; der Vogelfänger bemüht sich zwar, aber Gott gibt keinen Erfolg 2; was du ackerst und was auf dem Felde wächst, das gibt Gott 8; wen Gott liebt, der wird gehorsam 4; und Gott kennt den Frevler 5. Und wenn Erfreuliches geschieht, so preist man Gott dafür e. Natürlich kann im einzelnen Falle unter »Gott« auch einmal ein bestimmter Gott gemeint sein, der Sonnengott7, oder der König 8 oder auch der Ka von dem wir Kapitel XIV sprechen werden. Aber im ganzen denken die Verfasser dieser Bücher gewiß nur unklar an die Gottheit, an das göttliche Walten und die göttliche Macht. Und wenn wir die Stelle eines alten Weisheitsbuches 10 recht verstehen, so wird darin gesagt, daß »Gott«sich verborgen hält und, daß man deshalb sein Bild als einen Ersatz für ihn verehren soll. Die Leute, die so fühlten und sprachen, standen im Grunde schon einem reineren Glauben nicht mehr fern, aber natürlich hielten sie trotzdem an der überlieferten Religion fest und blieben treue Verehrer ihrer Götter.

Fünftes Kapitel. Die Göttersagen. Wir haben schon oben der Sagen gedacht, die die einfachen Gestalten umkleideten und umgestalteten. Wie viel solcher Sagen es einmal gegeben hat, das sehen wir noch aus tausend Anspielungen; sie knüpfen sich an jeden Tempel und für jeden Gebrauch seiner Feste und für jede Eigenart seines Bildes weiß man eine Geschichte, die sie erklärt. Und da das ägyptische Volk von jeher seine Freude an Märchen gehabt hat, so haben sich ihm denn auch alle diese Geschichten zu Sagen verwebt. Wenn die Götter dann in diesen Erzählungen ihre Unnahbarkeit ablegen und wie Menschen handeln und fühlen mit Leidenschaften und Schwächen, so macht sie das dem Volke natürlich nur vertrauter. Auch haben die Erzähler zur Genüge für dieses Bedürfnis der Menge gesorgt, und wir sehen mit Staunen, daß auch burleske Züge nicht fehlen, die schlecht zu der Majestät der Götter passen. Mochten nun auch die einzelnen Sagen ursprünglich nur in der einen Gegend erzählt werden, an deren Gott sie sich knüpften, so haben sie sich doch oft genug im Lande weiter verbreitet. Dabei vermischen sie sich dann mit Sagen anderer Gegenden und anderer Götter und manche werden geradezu Gemeingut des ägyptischen Volkes. Schließlich kann sich auch die offizielle Religion der Priester und Tempel ihnen nicht mehr verschließen, und eine nach der ändern wird in sie aufgenommen. Dabei mußten sie dann freilich vieles von dem aufgeben, womit die Phantasie sie ausgestaltet hatte, aber ganz konnten die Götter die Züge, die sie in der Sage angenommen hatten, doch auch dort nicht verleugnen. Seth galt auch im Tempel immer noch als der Mörder des Osiris, nur daß dies ihn nicht daran hinderte, doch ein gewaltiger Gott zu sein. Dieses Aufnehmen der Göttersagen hat schon in ältester Zeit begonnen und hat nie aufgehört; das Volk hat immer neue

Die Göttersagen.

(ft

Sagen geschaffen, und waren diese erst populär geworden, so mochten auch die Gläubigen sie im Tempel nicht mehr missen. Die Sagen sind uns nun in sehr verschiedener Gestalt überliefert. Da ist die eine Gestalt, die rezipierte der offiziellen Religion, einfach aber verkürzt und daher nicht immer klar. Eine andere Gestalt hat ihr volkstümliches Aussehen bewahrt, doch ist uns gerade diese meist nur aus späterer Zeit erhalten. Zuletzt haben dann einige Sagen im Munde der Erzähler ihren religiösen Charakter ganz verloren und wer das hübsche Märchen von den zwei Brüdern liest, wird nie auf den Gedanken kommen, daß die beiden Bauern Anubis und Bata eigentlich zwei Götter sind, denn nur ihre Namen deuten noch darauf hin. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, daß diese Sagen die ägyptischen Götter erst zu lebendigen Gestalten mit charakteristischen Zügen gemacht haben. Und weiter beruht es auch auf ihnen, daß man zu dem einen Gölte Liebe empfindet und vor dem ändern Abscheu. Nur durch die Sage ist Isis zu der gütigen Göttin geworden und Thoth zu dem gerechtesten aller Richter und nur durch sie ist Seth schließlich zu einem Gotte des Bösen geworden. Wenn das Volk sich fragte, wie denn die Welt entstanden sein möchte, so lag es nahe, an den Vorgang zu denken, der sich in jedem Jahre vor aller Augen abspielte. Alljährlich lag ja der Acker Ägyptens unter dem Wasser verborgen, um dann allmählich aus ihm wiederemporzutauchen. So dachte man denn, daß auch die Erde einst so aus einem Wasser aufgetaucht sein werde. In einem Urwasser, das man Nun nannte, wurde zuerst eine höhere Stelle des Erdbodens sichtbar, und diese war gleichsam der Anfang der Welt, der Urhügel, der henliche Hügel der Urzeit; ihn zeigte man noch in verschiedenen Orten Ägyptens. Auf diesem Urhügel waren dann einst auch die ersten Spuren des Lebens sichtbar gewesen, denn auf ihm saßen Frösche und Schlangen, eine Bewohnerschaft, die für diesen feuchten und dunklen Ort paßte. Auch die Namen, die sie trugen, waren ihm angemessen, denn sie hießen Nacht, Dunkelheit, Verborgenheit, Ewigkeit u. a. Es waren ihrer acht an der Zahl und nach ihnen sollte die Stadt Schmun ihren Namen haben, der ja »die acht« bedeutete. Und noch etwas anderes sollte auf jenem Schlamm-

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hügel gelegen haben, und das war etwas, was auch in diese öde Schlammwelt hineingehörte, das Ei eines Wasservogels1. Aus ihm aber kam eine Gans aus, und mit ihr wurde es hell, denn die war die Sonne. Laut schnatternd flog dieser große Schnatterer über das Wasser. Das war das erste Licht und der erste Laut in der Stille und der Finsternis, die bis dahin über der Welt gelegen hatten. Eine andere Sage ließ aus dem Urwasser eine Lotusblume2 aufsprießen, und in ihr saß das Sonnenkind und wieder anderswo wußte man, daß eine Kuh auf dem Wasser schwamm, und auf sie setzte sich der junge Sonnengott. Auch dieses Bilder, die dem Ägypter von seiner Überschwem41. Der junge mung her vertraut waren. Und wieder eine andere Sonnengott in Sage, die in Heliopolis zu Hause war, wollte wissen, der Blume. daß die Sonne dort auf einem Steine, dem Benbenstein erschienen wäre. — Wie diese Sage dann weiter ausgebildet wurde,· wie der Sonnengott sich selbst begattete und die ersten Götter erzeugte und wie die sich dann weiter fortpflanzten und wie auch die Menschen aus seinem Auge entstanden, das werden wir im folgenden Kapitel bei der Theologie zu besprechen haben, sind das doch Fragen, über die weniger das Volk als die priesterlichen Gelehrten nachgesonnen haben. In der Welt, die aus dem Urwasser entstanden war, sah es freilich noch verworren genug aus, denn noch waren Himmel und Erde nicht getrennt und die Himmelsgöttin Nut lag noch auf ihrem Gatten, dem Erdgotte Keb. Da schob sich ihr Vater Schu, der Gott der Luft, unter sie und hob sie in die Höhe, und mit ihr hob er alles in die Höhe, was bis dahin geschaffen war, jeden Gott mit seinem Schiff, und Nut bemächtigte sich ihrer, zählte sie und machte sie zu den Sternen4. Und 4*· Schu hebt Nut hoch, unten liegt , ,. _ ,, , Keb. Auf der Nut die Schiffe der auch die Sonne selbst war davon Sonne. (Berlin 8.)

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nicht ausgenommen, und sie alle fahren nun in ihren Schiffen auf den Leibe der Nut. Das war die eigentliche Entstehung unserer jetzigen Welt; seit Himmel und Erde so voneinander getrennt sind, haben alle Dinge ihre heutige Ordnung erhalten, und nur die Knochen des Schu1 dessen herrliche Arme die Nut tragen 2, verbinden noch die obere und die untere Welt. Als der Sonnengott so von der Erde geschieden war, da setzte er den Erdgott zu seinem Statthalter ein. Er übergab dem Keb sein Erbe und übergab ihm die gesamte Neunheit (d. h. die großen Götter), nun ist der, sagen die Götter unser Fürst, der Fürst der Götter-, ruft er uns, so kommen wir und sind zu ihm gesellt. Er richtet an der Spitze der neun Götter, seiner Väter und Mütter und ist mächtiger als jeder Gott3. So regiert nun Keb auf Erden über die Götter, während Nut im Himmel die Macht hat über die Götter und über ihre Kos und ihr Erbe und über ihre Speisen und über alle ihre Habe*. Merkwürdig ist, daß man sich die Herrschaft des Sonnengottes, der doch der Herrscher der Welt war, nicht als eine unbestrittene vorgestellt hat. Schon in der Urzeit haben Kinder der Schwachen sich gegen ihn empört 5. Sie suchten ihn im Osten, am Morgen wo er ja noch ein Kind ist, zu vernichten. Da entstand ein Kampf in der ganzen Welt, im Himmel und auf der Erde, aber der Sonnengott siegte, und die Feinde wurden ihm auf der Flammeninsel in Schmun überliefert. Und hier hatte die alte Sage noch einen wunderlichen Zug ', dessen Sinn wir nicht recht verstehen: Als Re hier so über die Feinde triumphierte und das Recht an die Stelle des Unrechts setzte, da hielt er eine Lotosblume an seine Nase, diese Blume aber war Nefertem (8.49) ein kleiner Gott aus dem Tempel von Memphis. Auch in Heliopolis wußte man, daß Re die Rebellen dort getötet hatte; dabei hatte er die Gestalt eines großen Katers gehabt, und es war das neben einem Baume geschehen, den man gewiß auch später noch im Tempel zeigte '. Jünger und dabei lebendiger und menschlischer ist die Sage von einer anderen Empörung, die sich im weiteren Verlauf der Regierung des Re ereignet hatte *. Einst hatte Re über Götter und Menschen zusammen geherrscht: Mit der Zeit aber wurde er alt, seine Knocken waren Silber, seine Glieder Gold, sein Haar echtes Lapislazuli. Das merkten die Menschen und dachten sich Böses gegen ihn aus, aber dem Gott blieben ihre Gedanken nicht verborgen und er

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sagte zu einem aus seinem Gefolge: »Rufe mir doch mein Auge und Schu und Tefnet, Keb und Nut, sowie die Väter und Mütter, die mit mir zusammen gewesen sind, als ich im Gewässer Nun war, sowie auch den Gott Nun . . . Du wirst sie aber leise herführen, daß die Menschen es nicht sehen, damit ihr Herz nicht fliehe. Du wirst mit diesen Göttern zum Palaste kommen, daß sie ihre Ansicht sagen ...« Man führte diese Götter herbei und sie warfen sich zu Boden vor seiner Majestät und sagten: »Rede zu uns, daß wir es hören.« Da sagte Re zu dem Nun: »Du ältester Gott, aus dem ich entstanden bin, und ihr Götter Vorfahren, seht die Menschen, die aus meinem Auge entstanden sind, die planen etwas gegen mich. Sagt mir, was ihr dagegen tun würdet; ich wollte sie nicht töten, bis ich gehört hätte, was ihr dazu sagtet.« Die Majestät des Nun sagte: »Mein Sohn Re, du Gott, der größer ist als sein Vater und seine Schöpfer! Bleibe du nur auf deinem Throne sitzen; die Furcht vor dir ist schon groß, wenn nur dein Auge sich gegen deine Verschwörer richtet.« Und als Re nun sein Auge auf sie richtete, da flohen sie in die Wüste, denn ihre Herzen fürchteten sich wegen dessen, was sie gesagt hatten. Die Götter aber rieten ihm weiter, er solle sein Auge den Verschwörern nachsenden, damit es sie schlage, und Re entsandte sein Auge, und es stieg herab als die Göttin Hathor. Diese Göttin aber kehrte zurück, nachdem sie die Menschen in der Wüste getötet hatte. Da sagte die Majestät dieses Gottes: »Sei willkommen Hathor . . .« Diese Göttin antwortete: »Bei deinem ^en, ich bin mächtig unter den Menschen gewesen; das freut mein Herz.« Da fürchtete Re, daß Hathor am nächsten Tage die Menschen ganz vernichten würde, und sprach: »Ruft mir dock schnell eilende Boten, die wie ein Schatten laufen«. Augenblicklich brachte man ihm solche Boten, und die Majestät dieses Gottes sagte zu ihnen: »Eilt nach Elephantine und bringt mir sehr viel Didi«. Dies Didi aber (es muß das irgendeine rotfärbende Substanz sein) übergab der Gott dem mit der Flechte zu Heliopolis, und dieser Geist mahlte es, während Dienerinnen Bier aus Gerste bereiteten. Dann schüttete man das Didi in das Gebräu, und es war wie Menschenblut. Man machte yooo Krüge Bier, und die Majestät des Königs Re kam mit diesen Göttern, um dieses Bier zu besehen. Als der Morgen anbrach, wo diese Göttin die Menschen töten wollte, sagte er: »Ich werde die Menschen vor ihr schützen . . . tragt es doch zu dem Orte, wo sie die Menschen töten will.« Das tat man und goß das Bier dort aus, bis die Felder vier Spannen hoch überflutet waren. Am Morgen zog diese Göttin aus und fand es überflutet;

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da spiegelte sich ihr Gesicht schön darin. Da trank sie davon und es schmeckte ihr und betrunken kehrte sie heim und erkannte die Menschen nicht. Aber wenn der greise Gott auch so seine Menschen vor der gänzlichen Ausrottung bewahrte, er mochte doch nicht mehr weiter über diese undankbaren Geschöpfe herrschen; »bei meinem Leben«., klagte er, »mein Herz ist es müde, mit ihnen zu sein«. Da legte sich wieder der alte Nun ins Mittel und rief seine Tochter, die kuhgestaltige Nut, herbei; auf deren Rücken setzte sich Re, und sie hob ihn in die Höhe und bildet nun den Himmel. Aber als die Nut herniederblickte, da zitterte sie wegen der Höhe. Da rief Re den Schu herbei und sagte: »Mein Sohn Scku, stelle dick unter meine Tochter Nut, nimm sie auf deinen Kopf«. Und Schu tat, wie ihm geheißen, und stützt seitdem die Himmelskuh, an deren Bauch die Sterne glänzen und die Sonne in ihrem Schiffe dahinfährt. Dasselbe Zauberbuch, dem diese Sage entnommen ist, berichtet uns dann auch in seiner Weise, wie der Mond entstanden ist. Als Re am Himmel weilte, sagte er einmal: »Ruft mir doch den Tkotk«> und man führte ihn sogleich herbei. Die Majestät dieses Gottes sagte zu Thoth: '»Sei du am Himmel an meiner Stelle, dieweil ich für die Verklärten leuchte in der Unterwelt Du bist an meiner Stelle, mein Stellvertreter, so nenne man dich: Thoth, den Stellvertreter des Re.« Und nun entstanden weiter allerlei Dinge durch spielende Reden des Re. Er sagte zu Thoth: »Ich will dich beide Himmel mit deiner Schönheit und deinen Strahlen umarmen (ionk) lassen« — da entstand der Mond (jooh). Und weiter mit Bezug darauf, daß Thoth für einen Vertreter des Re einen etwas niedrigen Rang einnimmt: »Ich will dich Größere als du bist aussenden (hob) lassen«, da entstand der Ibis (hib), der Vogel des Thoth. Daß die Dinge so durch Wortspiele entstanden sind, ist ein Gedanke, der sich in vielen ägyptischen Sagen findet. Er erklärt sich aus der Wichtigkeit, die der Ägypter den Namen der Dinge beimißt, sie enthalten eben etwas von deren Wesen, und der Sonnengott wird zum Beispiel auch dadurch als sein eigener Schöpfer bezeichnet, daß er seinen Namen geschaffen hat *. Die Geschichte, die wir hier erzählt haben, gehört zu den Sagen vom Sonnenauge. Dieses Auge der Sonne war ja, wie wir gesehen haben, eigentlich das Gestirn selbst; man dachte es sich E r m a n , Religion der Ägypter.

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aber auch als ein schreckliches Wesen im Dienste des Re und dachte es dann weiter auch als eine der großen Göttinnen. Wie wir schon oben sahen und weiter sehen werden, gilt es dabei als eigenmächtig und so erscheint es auch in einer Erzählung, die wir leider nur zur Hälfte verstehen 1. Da hat Re einmal sein Auge ausgesendet (wohl um irgend welche Feinde zu bekämpfen), aber es ist nicht zurückgekommen. Da schickte Re den Schu und die Tefnet aus, um es wiederzuholen. Darüber wurde es wütend und aus seinen Tränen entstanden die Menschen — auch das wieder ein Wortspiel zwischen remjet »Träne« und romet »Mensch«. Das Auge aber war wütend, als es wiederkam und fand, daß ein anderes an seiner Stelle gewachsen war. Da nahm, wenn ich recht verstehe, der Gott das Auge und setzte es als Schlange vorn an seine Stirn. Und nun beherrscht das Sonnenauge die ganze Welt, denn diese Schlange, die Re an seiner Stirn trägt, ist ja das Zeichen seiner Macht. Schu aber wird seitdem Onuris genannt, d. H. der das Ferne herbeigebracht hat 2. Hübscher ist eine Fassung der Sage, in der das Sonnenauge die Tochter des Gottes ist. Die nannte er aus Liebe bald sein Diadem und bald sein Auge. Die starb 3 und bat im Tode ihren Vater, wenigstens ihr Bild alljährlich einmal die Sonne schauen zu lassen. Diese Tochter aber war die Hathor, die ja auch Sonnenauge heißt, und in deren Tempel zu Dendera trug man ja alljährlich das Bild der Göttin auf das Dach, damit sie ihren Vater schaue. Aus der eben erzählten Sage von dem Sonnenauge, das ausgesandt war und zurückgeholt wurde, ist gewiß eine Geschichte erwachsen, die sehr verbreitet gewesen sein muß, aber sich uns erst neuerdings aus Tempeln griechischer Zeit erschlossen hat 4. Die Göttin Tefnet hauste als eine wilde Löwin in der nubischen Wüste, sie zerriß ihre Feinde und Feuer sprühte aus ihren Augen und ihrem Rachen. Ihr Vater Re aber wünschte sie bei sich zu haben, damit sie ihn schütze, denn er war in Bedrängnis und hatte sich vor den Feinden verbergen müssen, die ihn zu suchen kamen. Da entsandte er zwei Götter, um die Tefnet zu holen, ihren Bruder Schu, der auch ein gewaltiger Löwe war, und Thoth, den Gott der Weisheit und der geheimen Künste. Die verwandelten sich in zwei Affen und zogen nach Nubien, wo sie die Löwin in der Wüste trafen. Und Thoth trat als kleiner Affe vor das gewaltige Tier; wie das ein Bild im Tempel von Dakke noch darstellt und redete

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ihr freundlich zu, wie schön es in Ägypten sei, wie man ihr dort allerlei Wild darbringen werde und Wein dazu. Und die Göttin ließ sich bewegen und zog mit den beiden nach Ägypten. In Philae, an der Südgrenze Ägyptens, kühlte sie ihre Glut * in dem Wasser des heiligen Ortes, und aus einer Löwin wurde sie zu einer schönen Göttin. Alles jubelte ihr zu und empfing sie festlich, und dann fuhr sie zu Schiffe herab und landete noch an neun Stellen, überall mit Jubel begrüßt, so in Ombos, in Edfu, in Elkab, in Esneh und am meisten in Denderah, wo seitdem ihr Lieblingssitz ist, denn sie ist ja keine andere als die Göttin Hathor, dieselbe die man auch als die furchtbare Sachmet und als die freundliche Bastet feiert. Wie beliebt im späteren Ägypten diese Geschichte gewesen ist, sehen wir auch daraus, daß man sie als Rahmen für eine volkstümliche Sammlung von Tierfabeln benutzt hat, die uns in einem Papyrus römischer Zeit erhalten ist 2. Auch hier haust die Göttin, die Tochter des Re, die große Sonnenscheibe, in Nubien, aber ihre Löwengestalt nimmt sie nur an, wenn sie wütend ist, sonst erscheint sie wie die Bastet als eine Katze. Thoth aber, der wieder als Affe auftritt, was ihm ja ohnehin zusteht, (S. 39), hat dort eine bedenkliche Aufgabe, denn die Göttin, die aus Ärger über ihren Vater einst Ägypten verlassen hatte, kommt auch jetzt trotz ihrer Katzengestalt nicht aus dem Zorne heraus und droht dem armen Boten den Tod. Wiederholt hält er ihr vor, daß es töricht sei, einen Schwächeren zu töten, denn man wisse nie, ob der nicht einem einmal Hilfe bringen könne — als Beleg dafür erzählt er ihr u. a. die Fabel vom Löwen und der Maus — und daß jedes Unrecht eine Strafe finde. Dann aber erinnert er sie auch an Ägypten, an ihre Heimat, wo sie es einst so schön gehabt habe als eine allverehrte Göttin und wo jetzt, seit sie fort sei, Trauer herrsche und Freude und Musik verschwunden sei. Da fing die Katze an zu weinen wie ein Wolkenbruch, aber bald geriet sie wieder in Wut und wurde zur Löwin: ihre Mähne rauchte von Feuer, ihr Rücken hatte die Farbe von Blut, ihr Antlitz glänzte wie die Sonne, ihr Auge glühte von Feuer . . . die Wüste war in Staub gehüllt, als sie mit ihrem Schweif schlug. Der Affe aber weiß ihr mit Schmeichelei beizukommen, sie wird wieder zur Katze, die er durch weitere Fabeln dann vollends umstimmt, so daß sie sich entschließt, mit ihm nach Ägypten zu ziehen. Als sie dorthin kamen, nahm die Göttin in der Heimat 5·

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wieder ihre alte Gestalt an, in el Kab (Necheb) wurde sie zum Geier Nechbet (S. 50), in Theben zur Göttin Mut (S. 32) und schließlich wurde sie zur Tefnet und versöhnte sich mit ihrem Vater Re. Dazwischen droht ihr aber in Ägypten noch eine Gefahr, denn, als sie schlief, nahte sich ihr der Apophisdrache, aber der Affe, der zu ihren Häupten wachte, rettete sie und machte damit die Lehre wahr, die er ihr in der Fabel vom Löwen und der Maus gegeben hatte. Es sind wie gesagt späte Inschriften und ein später Papyrus, denen diese Sage entnommen ist, aber mindestens im neuen Reich muß sie schon bestanden haben, denn auf einer Tonscherbe der Berliner Sammlung hat ein Maler die Katze dargestellt, der der Affe Vernunft predigt. Ungleich wichtiger als alle die Sagen, die wir bisher besprochen haben, ist nun aber die vom Gotte Osiris. Sie hat in sehr früher Zeit*) die Religion durchdrungen und in mancher Hinsicht umgestaltet. Und doch ist sie in ihrem Kerne wohl nur ein schlichtes Marqhen, ein Märchen von einen guten Könige, den sein böser Bruder ermordet. Seine Gattin bringt seinen Leib und ruft ihn halb ins Leben zurück. Dann erzieht sie im Geheimen seinen nachgeborenen Sohn, bis der heranwächst, er besiegt den Mörder seines Vaters und besteigt selbst den Thron. Alles in allem eine hübsche Geschichte, deren reine Menschlichkeit dem Volke verständlich war. Durch Märchenerzähler mag sie dann aus ihrer ursprünglichen Heimat, dem nördlichen Delta 1, über Ägypten verbreitet worden sein und sie ist dann in ähnlicher Weise ein Gemeingut des ägyptischen Volkes geworden, wie die Sagen vom Trojanischen Krieg bei den Griechen. Und ebenso wie in Griechenland hat nun auch in Ägypten diese Sage den größten Einfluß auf die Religion gewonnen, so sehr daß man sich die ägyptische Religion kaum noch ohne die Osirissage denken kann. Was ist es nun, was der Osirissage diese Macht verliehen *) Wie früh dies geschehen ist, dafür haben wir einen merkwürdigen Beleg. Bei der Regelung des ägyptischen Kalenders, die sicher 4241 v. Chr. erfolgt ist, hat man die damals eingeführten 5 Schalttage nach den 5 Göttern der Osirissage benannt. Und das ist, wie die Rechnung ergibt, in Heliopolis geschehen. In der Tat sind ja auch die Götter der Osirissage in dieser Stadt besonders früh heimisch geworden, denn die dortige große Neunheit ist ja nur dadurch entstanden, daß man die Götter der Osirissage den eigenen angereiht hat. Vgl. zu dem allem Ed. Meyer, Chronologie. S. 9.

TAFEL .",

Thoih als Affe redet der Tefnet. die als Katze dargestellt ist. zu. naeh Ägypten zurürkzukehren'. (Ostrakon des neuen Reiches. Berlin 21443)

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hat? Es ist einmal der Gedanke, daß nicht Gewalt und Schrecken das Höchste in der Welt sind, sondern das Recht und die Treue. Und weiter ist es der Glaube, daß der ermordete Gott doch über den Tod triumphiert hat. Er ist zwar gestorben, aber doch wieder zum Leben erwacht und wenn er auch die Herrschaft über die Lebenden seinem Sohne Horus übergeben hat, so regiert er dafür über die Toten, wenigstens über die, die gleich ihm einer weiteren Existenz würdig sind. Natürlich werden solche Gedanken auch schon früher im Volke gelebt haben, aber die Sage war ein Beispiel gewesen, daß sie dem Volke immer wieder vor Augen führte und insofern ist sie wirklich eine sittliche Macht gewesen. An dem Vorbild des Osiris und der Isis konnte sich ein jeder erbauen. — Früh sind dann in die Geschichte des Osiris auch Dinge hineingemischt, die eigentlich nichts mit ihr zu tun haben. Wenn in der Sage der böse Bruder Seth heißt und der siegreiche Sohn Horus, so liegt es auf der Hand, daß diese beiden Personen ihre Namen den beiden alten Göttern verdanken, dem Seth von Ombos und dem Horus von Behedet; die waren doch einst kriegerische Götter, und da lag es nahe, sie in dieses Märchen einzuflechten. Ebenso stammt das Auge, das Horus, wie wir sehen werden, seinem Vater reicht, gewiß von dem Horusauge her, d. h. von dem Monde, den man sich einmal als Auge des Himmelsgottes Horus gedacht hatte. Man sieht, es ist dem Osirismärchen so gegangen, wie es allen rechten Volksmärchen geht; je mehr sie sich verbreiten und festsetzen, um so mehr schließt sich allerlei an sie an, was sonst dem Volke vertraut ist. Daß das Dinge sind, die eigentlich in einen ändern Kreis gehören, macht dabei nichts aus, denn die Menschen, die sich an Märchen freuen, sind ja keine Philister. Hätte die Osirissage noch länger unbeeinflußt im Volke gelebt, so würde sie vielleicht noch eine ganz andere Gestalt angenommen haben; aber sie ist früh in die offizielle Religion aufgenommen worden und damit ist dann ihre Entwicklung zum Stillstand gekommen. Seitdem stehen ihre Grundzüge fest, wie sehr sich die Sage auch im Laufe der Jahrtausende im Einzelnen verändert hat. Nach dem was einem Märchen zugrunde liegt, sollte man ja eigentlich nicht fragen, und so wollen auch wir nicht fragen, ob es wirklich einmal einen irdischen König dieses Namens gegeben

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habe. Und ebensowenig wollen wir fragen, in wie weit dies Märchen etwa mit den Vorgängen in der Natur zusammenhängt, mit dem alljährlichen Absterben des Ackers und seiner Wiederbelebung durch die Überschwemmung. Wie man den Osiris dann, als er ein Gott geworden war, aufgefasst hat, wo er bald als das Wasser der Überschwemmung gilt und bald als der Erdboden und dann wieder als Totengott, das haben wir S. 40 gesehen. Hier wollen wir von solchen Deutungen des Gottes absehen und seine Sage so darstellen, wie sie uns in den verschiedensten Zeiten entgegentritt*). Schon in der ältesten religiösen Literatur fehlt es nicht an Anspielungen auf die Sage, die freilich nicht immer zu der uns vertrauten Gestalt derselben passen. Osiris, der Sohn des Keb und der Nut, hatte einen feindlichen Bruder, den Seth, der stellte ihm nach, und Thoth, der auch ein Bruder des Osiris war, nahm an der Verschwörung teil J . Seth band2 den Osiris, tötete ihn 3 und warf ihn ins Wasser; in dem schwamm seine Leiche umher und sah grün und schwarz aus — davon] heißen die Meere das »große Grün«, und das »große Schwarz«.4. Als Osiris so verschwunden war, trauerten alle Götter, Isis weinte und Nephthys schrie; die Götter von Buto aber, wo Osiris ja zu Hause war, schlugen sich das Fleisch und schlugen sich die Arme und rauften ihre Haare; nur Seth und Thoth weinten nicht 5 . Die Leiche zerfiel, aber Nut, die Mutter des Osiris, neigte sich über sie; sie fügte seine Knochen zusammen, setzte das Herz wieder in den Leib und setzte ihm den Kopf an***). Isis und Nephthys durchsuchten das Land und kamen an die Stelle, wo Osiris im Wasser lag, und Isis faßte ihn und zog ihn heraus 7. Und die Götter nahmen sich seiner an, Re hob ihm das Haupt 8 hoch, und man befahl ihm, zu erwachen, und Osiris, der das Schlafen verabscheute und das Müdesein haßte', tat so und erwachte zu einem neuen Leben; er faulte nicht und verweste nicht10. Die Erzeugung des Horus, des nachgebornen Sohnes, dachte man sich so. In Gestalt eines Falken hatte sich Isis auf die Leiche ihres Gatten gesetzt und war von ihm schwanger geworden n. Sie gebar den Horus und zusammen mit Nephthys zog sie ihn *) Einzelnes aus der in Memphis üblichen Form dar Sage siehe in Kap. VI (S- 93)· **) Eigentlich gehört diese Zusammenfügung des Leibes ebenso wie das »Abstäuben «des Mundes durch Keb in eine Fassung, bei der die Leiche in der Erde verwest war.

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auf. Das kleine Horuskind, das Kind mit dem Finger im Munde 1, wuchs dann heran und kämpfte mit dem Mörder seines Vaters. Der riß ihm das Auge aus—es ist damit, wie oben bemerkt, auf den Mond angespielt — und Horus riß dem Seth die Hoden ab 2. Aber als Horus gesiegt hatte, da nahm er dem Seth das Auge wieder ab3; er heftete es seinem Vater Osiris an, und öffnete es ihm, damit er mit ihm sähe*. Und dieses Opfer kindlicher Liebe, das er nach anderer Meinung dem Vater sogar zu essen gab 5, machte den Osiris beseelt und mächtig 6, so daß jeder Feind vor ihm erschrak 7. Als dann Keb die Götter im Fürstenhause zu Heliopolis zum Gericht versammelt hatte, da leugnete Seth vergebens8; die beiden Wahrheitsgöttinnen hielten Verhör ab, und Schu war Zeuge, und die beiden Wahrheitsgöttinnen befahlen: »ihm stehen die Throne des Keb £ta9. Horus beugte den Seth unter den Osiris10, daß er ihn nun immer trage11. Osiris nahm sich jede Krone und Keb setzte ihn auf seinen Thron 12. Da herrscht er nun als der Gott, der keinen Feind hat l3 — und die Trauer ist zu Ende, 43. Die Horussöhne auf der das Lachen ist wiedergekommen 14. Blume im See, an dem Osiris Von all dem Beiwerk, das einst um die sitzt. (Nach Totenb. ed. Nav. I 136.) Osirissage wucherte, seien hier nur noch zwei Geschichten erwähnt. Die eine erzählte, daß Isis dem Horus einst die Hände abgehauen und sie ins Wasser geworfen habe 15. Als man dann die Hände wiederhaben wollte, rief man den Krokodilgott Sobk herbei, aber auch der konnte sie zuerst nicht finden, bis er sie dann mit einer Reuse auffischte. Diese Reuse aber ward noch als ein geheimer Schatz im Tempel von Hierakonpolis bewahrt. Wichtiger ist die Geschichte von den vier Horussöhnen, dem Amset, Hapi, Duamutef und Kebehsenuf. Die sollte Horus mit seiner eigenen Mutter gezeugt haben 16. Anubis hatte ihnen die Bestattung des Osiris anvertraut, sie wuschen den Osiris, sie beweinten ihn und öffneten seinen Mund mit ihren ehernen Fingern, daß er wieder essen und sprechen konnte 17. Diese Horussöhne, unter deren Schutz, wie wir unten (Kap. 15) sehen werden, die Eingeweide der Mumien stehen, haben auch sonst die Phantasie des Volkes

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beschäftigt, und man glaubte sie auch am Himmel als Sternbilder wiederzufinden1. Übrigens muß es auch, wie manche Bilder zeigen, eine Sage gegeben haben, nach der sie in einer Lotusblume aufgeblüht waren. Reicher und frischer als alle diese wirren Bruchstücke ältester Sagen lautet dann das, was wir aus der späteren Zeit von den Schicksalen des Osiris hören. Der Erdgott Keb und die Himmelsgöttin Nut hatten vier Kinder, zwei Söhne, den Osiris und den Seth, und zwei Töchter, die Isis und die Nephthys. Isis war das Weib des Osiris, Nephthys das des Seth. Osiris aber beherrschte die Erde als König und lehrte die Menschen alles Gute. Keb gab ihm sein Erbe 2, das Königtum beider Ägypten . . ., er übermachte ihm die Leitung der Länder zum Glücke und gab dieses Land in seine Hand; sein Wasser, seine Luft, seine Krauter, alle seine Herden, alles was fliegt und alles was schwebt, seine Würmer und sein Wild wurden dem Sohne der Nut gegeben, und die beiden Länder waren damit zufrieden. Denn Osiris war ein vortrefflicher Herrscher, er war auf dem Throne seines Vaters erschienen wie die Sonne, wenn sie im Horizont aufgeht, damit sie Licht spende dem, der im Dunkel war. Er war gerecht und befestigte die Wahrheit in Ägypten, und dort wird er auch Kämpfen ein Ende gemacht haben, denn er führte als König den Titel, der das Gemetzel geschlichtet hat *. Daneben war er aber ein Kriegsheld, ruhmreich, wenn er den Feind fällte, und kräftig, wenn er seinen Gegner tötete', die Furcht vor ihm war seinen Feinden eingeflößt, und er erweiterte die Grenzen. Und ebenso trefflich herrschte er über die Götter, als der Leiter jedes Gottes, mit trefflichen Befehlen', die große Neunheit (der Götter) lobte ihn und die kleine liebte ihn. Weshalb ihm Seth dann feindlich wurde, gibt auch dieser Bericht nicht an; vielleicht hielt man den Grund für selbstverständlich, denn, wenn in orientalischen Herrscherhäusern von zwei Brüdern der eine die Herrschaft angetreten hat, so kann der andere als sein natürlicher Gegner gelten. Wir hören nur, daß Seth dem Osiris nachstellte. Er vermochte aber lange ihm nichts Böses anzutun, denn Isis war seine treue Hüterin: sie war sein Schutz und wehrte die Feinde ab, denn sie war klug mit trefflicher Zunge, ihr Wort fehlte nicht, und sie war vorzüglich im Befehlen. Da versuchte Seth es mit List, und es glückte ihm, den Osiris zu töten; wenn wir Plutarchs Bericht glauben dürfen, verlockte er ihn, sich aus Scherz in einen Kasten zu legen, verschloß diesen und warf ihn ins Meer.

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So blieb Isis verlassen und der Herrschaft beraubt zurück und wußte nicht einmal, wo ihres Gatten Leiche sich befand. Sie suchte ihn, ohne zu ermüden; kummervoll durchzog sie das Land und ließ sich nicht nieder, ehe sie ihn gefunden hatte. Dann setzte sie sich mit ihrer Schwester Nephthys bei der Leiche nieder und stimmte jene Klage an J, die das Vorbild aller Totenklagen geworden ist: »Komm zu deinem Hause, komm zu deinem Hausey o Gott On\ Komm zu deinem Hause, du der du keine Feinde hast. 0 schöner Jüngling, komm zu deinem Hause, daß du mich sehest. Ich bin deine Schwester, die du liebst: du sollst nicht von mir weichen. 0 schöner Knabe, komm zu deinem Hause . . . Ich sehe dich nicht und doch bangt mein Herz nach dir und meine Augen begehren dich. . . Komm zu der, die dich liebt, die dich liebt, Uennofre, du seligerl Komm zu deiner Schwester, komm zu deinem Weibe, zu deinem Weibe, du dessen Herz stille steht. Komm zu deiner Hausfrau. Ich bin deine Schwester von der gleichen Mutter, du sollst nicht fern von mir sein. Die Götter und die Menschen haben ihr Gesicht zu dir gewandt und beweinen dich zusammen . . . Ich 44. Isis schützt Osiris mit ihren Flügeln. (Berlin 13778.) rufe nach dir und weine, daß man es bis zum Himmel hört, aber du hörst meine Stimme nicht, und ich bin doch deine Schwester, die du auf Erden liebtest; du liebtest keine außer mir, mein Bruder, mein Bruder\ die hier versammelt waren, freudig: bei willkommen, du Sohn des Osiris Horusl Mutiger, Gerechtfertigter, Sohn der Isis und Erbe des Osirisl Aber Seth verklagte ihn und focht, wie der griechische Bericht es will, die Rechtmäßigkeit seiner Geburt und damit auch sein Erbrecht an. Da hielten die großen Götter Gericht ab, sie setzten sich in die Halle des Keb und prüften die Anklage und wandten dem Unrecht den Rücken zu. Man fand, daß das Wort des Horus wahr war, man gab ihm die Würde seines Vaters und er ging hervor gekrönt nach dem Befehle des Keb. Er ergriff" die Herrschaft beider Länder und die Krone blieb auf seinem Haupte. Bei diesem Rechtsstreite, als dessen Stätte gewöhnlich die große Halle zu Heliopolis bezeichnet wird, ist dann, wie das die ägyptischen Texte immer wieder erwähnen, auch Osiris, von Seth und anderen Feinden irgendwie verklagt worden, aber der Gott der Weisheit, Thoth, hat sich auch seiner angenommen und hat auch das Wort des Osisis wahr gemacht; die Götter haben den Seth für besiegt erklärt und Osiris hat den Fuß auf ihn gesetzt. Dann ist Osiris zum Himmel aufgestiegen und herrscht nun dort oben oder — wenn man ein unterirdisches Totenreich annimmt — unten

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in der Tiefe über die Toten, als der, zu dem alles kommt, was da existiert, der geliebte Erbe des Keb, der König von Ober- und Unterägypten Uennofre*}, der gerechtfertigte*. Er ist der Erste derer im Westen, d. h. der Verstorbenen, während sein Sohn Horus als Erster der Lebenden die Herrschaft der Erde übernommen hat. Mit Horus hat die jetzige Zeit der Welt begonnen, denn auf seinem Throne sitzen als Nachfolger die Könige von Ägypten. Auch bei dieser kurzen Skizze der Osirissage, wird es dem Leser nicht entgehen, was diese Sage von den anderen unterscheidet, und was sie dem ägyptischen Volke so lieb gemacht hat. Es ist das Menschliche in ihr, die Gerechtigkeit des Osiris, die Gattentreue und Mutterliebe der Isis, die kindliche Pietät des Horus. Den letzten Akt der Sage, den Streit zwischen Horus und Seth, schildert uns dann ausführlich ein Märchen des späteren neuen Reichs**). Dabei handelt es sich nicht um den ursprünglichen Kampf, in dem sich die beiden Götter verwundeten, von dem ist hier gar nicht die Rede. Hier ist es vielmehr, was ja auch schon in den älteren Sage vorkam, ein Rechtsstreit. Es ist ein Prozeß, der in allen Formen geführt wird, also ein Verfahren, das dem zivilisierten 46. Horus als König. Ägypter verständlicher war als die rohe Gewalt. Freilich geht es in diesem Gerichte dann auch sehr zivilisiert und sehr menschlich zu. Die Götter sind eben selbst als Menschen gedacht***). Horus ist ein armer vaterloser Knabe, und wäre seine Mutter nicht so schlau, so würde es übel um ihn stehen. Seth ist ein roher gemeiner Kerl, vor dem alle Götter *) Dieses Uennofre ist der Name, den Osiris als der König des Totenreiches trägt. Er ist dann auch zu einem Personennamen geworden und der Zufall hat es gewollt, daß er sogar als der Name eines Heiligen (San Onofrio) weiterlebt. **) Erhalten in Pap. Beatty (Geschichte von Horus u. Seth) der von Gardiner bearbeitet und herausgegeben ist. — Daß dieses Märchen, wie man nach seinem Tone vermuten könnte, nicht erst in so später Zeit entstanden ist, werden wir unten (S. 83) sehen. ***) So besitzt Seth außer einen Hause auch einen Garten, den ein Gärtner bestellt und den Seth täglich besucht.

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Furcht haben. Auch Re Harachte, der Herr des Alls, der den Vorsitz im Gerichte hat, ist nicht unparteiisch, denn er wünscht dem Seth den Sieg, ist der doch sein Beistand im Sonnenschiff, der bei der Fahrt die Feinde tötet. Das Gericht besteht aus den beiden Neunheiten, also aus den »höchsten Göttern« (S. 90); Schu Onuris leitet ihre Verhandlung und Thoth ist natürlich ihr Schreiber. Den Atum von Heliopolis, den wir auch noch neben dem Re Harachte treffen, haben wir uns wohl als eine höchste Instanz zu denken, die außerhalb des Gerichtes steht, etwa wie der König neben dem Vezier. Achtzig Jahre tagt das Gericht schon und es kann sich nicht zu einem Urteil entschließen. Und in der Tat ist ja die Frage auch heikel, es fragt sich ja, ob Horus, der nach dem Tode seines Vaters erzeugt ist, auch wirklich dessen Sohn sei1. Einmal ist Schu Onuris, der Sohn des Re, so von dem Rechte des Horus überzeugt, daß er ausruft, man solle ihm das Amt seines Vaters geben, und Thoth erklärt dies für millionenfach richtig. Isis aber schreit in ihrer Freude laut auf und ruft dem Nordwinde zu: tgehe zürn Westen, und erfreue den Unennofre (d. h. Osiris) mit dieser Nachricht«. Aber Re ist als Vorsitzender wieder anderer Meinung, er schweigt und ist wütend auf die Neunheit. Seth aber ruft, man solle nur ihn und den Horus hinauswerfen, da werde er ihm schon zeigen, was er vermöge. Und wirklich packt er ihn schon an der Hand. Aber Thoth widerspricht, man dürfe doch das Amt des Osiris nicht dessen Bruder vermachen, wenn noch ein leiblicher Sohn vorhanden sei. Re Harachte aber wurde sehr wütend, denn er wünschte, das Amt dem Seth zu geben. Was sollen wir tun? rief Onuris, Atum aber schlug vor, doch den Bock von Mendes zu holen, der solle entscheiden, — gewiß weil dieser Gott der Zeugung doch am besten wissen muß, wie es um die Legitimität des Horus steht. Aber auch der Bock von Mendes will sich mit dieser Sache nicht befassen und meint, man solle doch die beiden Querulanten herauswerfen, und dann einen Brief an die große Neith, die Gottesmutter, schreiben und dann tun, was sie sagen werde. Dem stimmten die Götter bei, und Thoth wurde beauftragt, im Namen des Atum an die Neith zu schreiben. Und Thoth setzt sich hin und schreibt einen Brief im ägyptischen Kurialstil, und er schließt mit der Frage: »was sollen wir

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mit den beiden Männern tun, die jetzt seit achtzig Jahren im Gericht stehen?« Das Schreiben, das Neith darauf an die Götter richtet, ist deutlich genug: »gebt das Amt des Osiris an seinen Sohn Horus und tut nicht das große Unrecht, oder ich werde wütend und der Himmel fallt auf die Erde.« Und weiter schlägt sie vor, daß Seth eine Entschädigung erhalten solle, die Anat und die Astarte, die beiden ausländischen Töchter des Re. Als der Brief der Neith ankam, las ihn Thoth den Göttern vor und alle erklärten einstimmig: »diese Göttin hat Recht«. Der Herr des Alls aber wurde wütend auf Horus und sagte zu ihm: »du hast einen zu schwächlichen Leib; dieses Amt ist doch zu schwer für dich, du übler Junge!« Da wurde Onuris unendlich wütend und ebenso die gesamte Neunheit in ihren beiden Kollegien. So steht Re Harachte allein da und Baba, ein geringer Gott, erlaubt sich sogar, ihn zu verspotten: »deine Kapelle steht leer« sagt er zu ihm. Dieser Spott erzürnt freilich die ändern Göttern, sie sagen »mach, daß du.herauskommst«, und dann verließen sie das Gericht und gingen zu ihren Zelten. Re aber war voll Trauer und warf sich hin, und so lag der große Gott einen Tag lang in seiner Halle auf dem Rücken, sehr traurig und allein. Danach aber kam Hathor, die Herrin der südlichen Sykomore, und blieb bei ihrem Vater, dem Herrn des Alls stehen; sie entblößte ihre Scham vor ihm und da lachte der große Gott über sie. Er richtete sich auf und setzte sich wieder zu der großen Neunheit. Er sagte zu Horus und Seth: »sprecht!« Seth aber der Kraftreiche, der Sohn der Nut, sagte: »bin ich denn nicht der Stärkste unter der Neunheit? Täglich töte ich doch den Feind des Re Harachte und stehe vorn im Schiff der Millionen. Kein anderer Gott kann das tun und darum werde ich das Amt des Osiris bekommen«. Da sagten die Götter: »Seth hat Recht«, aber Osiris und Thoth schrien laut auf: »soll man das Amt dem Bruder der Mutter geben, wenn doch ein leiblicher Sohn vorhanden ist?« Dagegen sagte aber der Bock von Mendes, der große lebende Gott: »soll man das Amt dem Jungen geben, da doch Seth, sein großer Bruder, da ist?« Die Neunheit rief laut angesichts des Herrn des Alls: »was hast du da für Worte gesagt, die nicht wert sind, daß man sie anhört?« Und Horus

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sagte: »es ist keineswegs gut, daß du mich so gering machst vor der Neunheit, und daß man mir das Amt meines Vaters wegnimmt.« Und Isis wurde wütend gegen die Neunheit und schwur vor ihr: »so wahr meine Mutter Neith lebt und so wahr PtahTatenen mit den hohen Federn lebt, diese Worte wird man vor Atum den großen zu Heliopolis, so legen und auch vor Chepre, der in seinem Schiffe ist!« Da sagte die Neunheit: »ärgere dich nicht, man wird das Recht dem geben, der Recht hat und wird alles tun was du sagst«. Seth aber wurde wütend gegen die Neunheit, weil sie diese Worte zu der Isis gesagt hatte, und er sagte zu ihnen: »ich nehme mein Szepter von 4500 Nemes und schlage täglich einen von euch tot.« Und Seth tat einen Schwur bei dem Herrn des Alls, daß er nicht im Gerichte bleiben werde, solange als Isis darin sei. Auf diesen Schwur hin entschließt sich Re Harachte dann, das Gericht zu verlegen und zwar auf die innere Insel, und dem Fährmann dieser Insel wird befohlen, daß er kein Weib, das der Isis ähnlich sehe, übersetze. Die Neunheit fuhr denn auch zu der Insel über, und da setzten sie sich und hielten ihre Mahlzeit. Isis aber verwandelte sich in eine alte Frau, die gebückt ging und die einen goldenen Ring am Finger trug. So trat sie zu dem Fährmann und sagte zu ihm: »ich komme zu dir mit einem Topf Mehl für einen kleinen Jungen, der hütet auf der Insel Vieh seit fünf Tagen und er hat Hunger.« Der Fährmann wollte es nicht tun, da er keine Frau übersetzen solle. Isis aber sagte: »das ist wohl wegen der Isis? ich werde dir aber dieses Brot geben.« Als der Fährmann auch das zurückweist, bietet sie ihm dann ihren goldenen Ring an und er fährt sie trotz des Verbotes über. Als Isis unter den Bäumen auf der Insel ging, sah sie, wie die Neunheit mit dem Herrn des Alls in seiner Halle die Mahlzeit hielt. Seth aber erblickte sie von fern. Da sagte sie ihren Zauber und verwandelte sich in ein schönes junges Mädchen, das so schöne Glieder hatte, wie keine andere im ganzen Lande. Da verliebte er sich in sie; er stand von der Mahlzeit auf und ging zu ihr hin, und keiner außer ihm hatte sie gesehen. Er trat hinter einen Baum und rief: »hier bin ich, schönes Mädchen.« Sie aber antwortete: »Mein großer Herr, ich bin die Frau eines Rinderhirten gewesen, ich hatte ihm einen Sohn geboren, und mein

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Mann ist gestorben, und mein Junge hütet seines Vaters Vieh. Aber ein fremder Mann ist gekommen und hat sich in meine Hürde gesetzt und hat so zu meinem Sohn gesagt: »ich werde dich prügeln und dir die Rinder deines Vaters wegnehmen und dich herauswerfen« — so hat er gesagt, aber ich möchte, daß du ihm ein Beistand werdest.« Da sagte Seth zu ihr: »wird man denn dem fremden Mann das Vieh geben, solange noch ein Sohn des Mannes da ist?« Isis aber verwandelte sich in einen Vogel, flog auf und setzte sich oben auf eine Akazie und rief ihm zu: »Schäme dich! dein eigener Mund hat es gesagt, und deine eigene Klugheit hat dich gerichtet. Was willst du nun wieder?« Da stand Seth beschämt da und ging beschämt zu Re Harachte. Der aber sagte: »was hast du nun wieder?«, und Seth sagte: »die böse Frau ist wieder gekommen, daß sie wieder Böses an mir tue.« Und nun erzählt er sein Erlebnis und er beichtet auch, daß er gesagt habe: »man gibt das Vieh*) doch nicht einem fremden Mann, solange ein Sohn da ist. Man soll dem Fremden mit dem Stock ins Gesicht schlagen und ihn herauswerfen«. Da sagte Re Harachte: »ja, du bist es, der sich selbst verurteilt hat. Was willst du nun wieder?« Auf Seths Drängen wird nun auch der Fährmann, der ein kleiner Gott ist, vor die Neunheit geholt und bestraft, und bis heute noch ist wegen des goldenen Ringes das Gold in der Stadt dieses Gottes verrufen. Nun verließen die Götter die Insel und setzten sich auf den Berg des Westufers. Re Harachte aber und Atum — die hier deutlich als zwei Personen bezeichnet werden — schrieben zusammen einen Brief an die Neunheit und sagten: »was sitzt ihr hier und tut ihr hier? ihr laßt die beiden Jünglinge ihr Leben im Gericht verbringen. Wenn mein Brief zu euch kommen wird, so sollt ihr dem Horus die weiße Krone geben und ihn an die Stelle seines Vaters setzen«. Seth wurde wütend, die Neunheit aber sagte zu ihm: »warum bist du wütend? Soll man denn nicht tun was Atum und Re Harachte sagen?« Da setzte man die weiße Krone auf das Haupt des Horus, des Sohnes der Isis. Seth schrie laut auf und sagte ärgerlich: »will man denn das Amt meinem kleinen Bruder geben, solange ich, sein großer Bruder, da bin?« Er schwur und sagte: »man wird ihm die weiße Krone vom Haupte *) Das hier gebrauchte Wort für Vieh ist doppelsinnig und kann auch Amt bezeichnen. So faßt es auch Isis auf.

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nehmen und ihn ins Wasser werfen, damit ich mit ihm wegen der Herrschaft streite«. Auch diesesmal stimmt Re Harachte dem Vorschlage zu, und so verwandeln sich denn beide in zwei Nilpferde, die sollen mitten im Meere untertauchen, und wer nicht länger als drei Monate unten bleiben kann, der soll verloren haben. Isis aber weinte und sagte: tSeth tötet meinen Sohn«. Sie machte sich eine Harpune und warf sie ins Wasser, die Harpune aber faßte den Horus. Der schrie und bat die Isis, daß sie der Harpune befehlen solle, ihn loszulassen. Das tat sie und warf die Harpune noch einmal ins Wasser, und da faßte sie den Seth. Der schrie: »was habe ich dir getan, meine Schwester Isis?« und er bat sie, auch ihn von der Harpune zu befreien, sei er doch ihr Bruder von derselben Mutter und da solle sie doch den fremden Mann (er meint wohl: den mutmaßlichen Bastard) nicht mehr lieben als ihn. Isis hatte Mitleid mit ihm und befahl der Harpune, auch ihn loszulassen. Horus aber ergrimmte über seine Mutter, er kam heraus und blickte so wild wie ein Panther. Mit seiner Waffe schlug er der Isis den Kopf ab, den nahm er in den Arm und stieg auf den Berg. Isis aber verwandelte sich in die Figur einer Königin aus Feuerstein ohne Kopf. *) Das sah Re'Har achte und frug den Thoth: »was ist denn das, was da gekommen ist und keinen Kopf hat?« Thoth aber sagte: »das ist die große Isis, die Gottesmutter; ihr Sohn hat ihr den Kopf abgeschlagen.« Da schrie Re Harachte der Neunheit zu: »laßt uns gehen, und ihn schwer bestrafen!« Sie stiegen auf den Berg und suchten den Horus; der hatte sich aber im Lande der Oase unter einen Baum schlafen gelegt. Seth aber fand ihn, schlug ihn und riß ihm die Augen aus. Die vergrub er dann auf dem Berge, und sie wuchsen als zwei Blumen auf. Und Seth meldete dem Re Harachte, er habe den Horus nicht gefunden, und doch hatte er ihn gefunden. Hathor aber ging und fand den Horus, wie er in der Wüste lag und weinte. Sie griff eine Gazelle und melkte sie, die Milch aber tat sie in das rechte Auge und in das linke Auge, und er wurde geheilt. Als Hathor dies dem Re Harachte meldete, ließ die Neunheit den Horus und *) Das wird auf irgend einen Felsen gehen, der so wie »eine Isis ohne Kopf« aussah. — Hier fehlt übrigens ein wesentlicher Teil der Geschichte, den wir aus Sail. IV 2,6—3,6 und aus Plutarch kennen. Thoth gab der Isis einen neuen Kopf, den Kuhkopf, den sie als nun Isis Hathor zu tragen pflegt.

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den Seth zum Gericht rufen. Und Re Harachte sagte zu den Beiden: »gehet fort! man hat ja gehört, was ihr zu sagen hattet! Eßt und trinkt, wir sind zufrieden und hört mit eurem Gezänk auf, das ihr an jedem Tage hier macht!« Da lud Seth den Horus in sein Haus ein, und dort bereitete man ihnen Abends ein Lager. Seth aber vergriff sich an dem Knaben. Diese Schandtat des Seth und die Schlauheit, mit der Isis das Odium von ihrem Sohne abzuwenden weiß, wird dann mit einer Ausführlichkeit erzählt, die sich jeder Wiedergabe entzieht.*) Dann macht Seth wieder einen neuen Vorschlag, man solle den Streit doch dadurch entscheiden, daß man zwei Schiffe aus Stein mache und sie beide darin fahren lasse. Wem diese Fahrt gelinge, der solle das Amt des Osiris haben. Horus zimmert sich nun ein Schiff aus Cedernholz und tüncht es mit Gips; abends warf er es dann in das Wasser, und kein Mensch hatte das gesehen. Seth aber glaubte, daß es aus Stein sein und so ging er zu dem Berge und schnitt dessen Spitze ab und machte sich ein Schiff daraus, das 130 Ellen lang war. Als sie dann vor der Neunheit in die Schiffe stiegen, sank das des Seth unter, er aber verwandelte sich in ein Nilpferd und beschädigte das Schiff des Horus, und der verwundete ihn mit einer Harpune, so sehr, daß die Neunheit für ihn bat. Dann fuhr Horus in seinem Schiffe herab nach Sais zu der großen Neith, der Gottesmutter, und bat die um ihren Beistand. Denn achtzig Jahre währe ja schon der Prozeß und tausendmal sei seine Sache schon als gerecht befunden, aber Seth kümmere sich nicht um das Urteil der Neunheit. Was Neith auf diese Beschwerde antwortet, erfahren wir nicht. Schließlich schlägt Thoth dann vor, einen Brief an Osiris zu /ichten, damit der zwischen den Beiden entscheide. Alles stimmt dem zu, und so schreibt denn Thoth einen Brief an Osiris, der mit allen Floskeln eines ägyptischen Königsbriefes geziert ist und den Gott befragt, was mit Horus und Seth zu tun sei. Als dieser Brief nun zum Osiris kam, schrie der laut auf, und schleunigst gab er den Göttern folgende Antwort: »warum kränkt man meinen Sohn Horus? Ich bin es doch, der euch stark macht, der Weizen und Gerste schafft, um die *) Übrigens kommt die Paederastie abgesehen von dieser Sage kaum je in alten Ägypten vor. Seth soll eben auch hierdurch als besonders gemein charakterisiert werden. Er m i n , Religion der Ägypter.

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Götter zu ernähren, und ebenso das Vieh nach den Göttern. Und kein Gott und keine Göttin hat erfunden, das zu machen.« Als diese Antwort des Osiris zu Re und der Neunheit kam, ließ der dem Osiris schleunigst so antworten: *Ach wärest du doch nie geworden! ach wärest du doch nie geboren! Weizen und Gerste wären doch geworden.« Auf diese Grobheit des Re Harachte antwortet dann Osiris seinerseits ironisch, alles was Re tue und alles was die Neunheit ausdenke, sei sehr schön. Aber — hier spielt er wohl auf sein eigenes Schicksal an—wenn die Wahrheit auch in der Unterwelt ertränkt sei, so möge Re doch auch bedenken, wie es um ihn selbst stehe. Gäbe es doch in dem Lande, in welchem Osiris hause, wildblickende Boten, die sich vor keinem Gott und keiner Göttin fürchten. tLasse ich sie herausgehen, sagt er, so holen sie das Herz eines jeden, der Böses tut und dann müssen die hier mit mir sein. Wahrlich, was soll es, daß ich hier bin und im Westen ruhe, während ihr allesamt draußen seid? Wer unter euch ist stärker als ich? aber sie denken sich Lügen aus. Als Ptah einst den Himmel gemacht hat, hat er da nicht zu den Sternen am Himmel gesagt: ihr sollt in jeder Nacht im Westen ruhn, da wo der König Osiris ist, und außer den Göttern sollen auch die Leute und das Volk da ruhen wo du bist, hat er zu mir gesagt.« Als nun dieser Brief des Osiris beim Herrn des Alls und der Neunheit ankam, las Thoth ihn ihnen vor und sie sagten: »Alles was er sagt, ist ganz richtig, er, der Herr der Speisen.« Und nun erklärte das Gericht endlich, daß Horus im Recht sei. Atum aber beauftragte die Isis, den Seth gefesselt vorzuführen, und wirft dem vor, daß er sich nicht den Beschlüssen des Gerichtes gefügt habe. Und Seth fügt sich und überläßt dem Horus das Amt seines Vaters. Man setzte den Horus auf den Thron des Osiris und krönte ihn mit der weißen Krone. Isis begrüßte ihren Sohn als den guten König des Landes. Endlich wirft dann noch Ptah die Frage auf, was nun mit Seth geschehen solle, da doch Horus den Thron erhalten habe. Re Harachte aber erklärt, man solle den Seth ihm zuteilen, daß er mit ihm wie ein Sohn sei; man solle seine Stimme im Himmel hören und alles sich vor ihm fürchten*). Und so ist nun alles geregelt und alles in Freude, der Himmel und das ganze Land. *) In einer ändern Version (Sail. IV, 9,4 —6) bekommt Seth seinerseits das rote Land, d. h. die Wüstenländer zu seinem Besitz.

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Wer diese lange Geschichte mit ihren Scherzen und Zoten liest, der mag sich wohl fragen, ob wir sie überhaupt zur Osirissage ziehen dürfen, zu jener Sage, die soviel für das ägyptische Volk bedeutet hat. Wir kennen diese Geschichte ja nur aus einer Handschrift des 12 ten Jahrhunderts, und da könnte der Verdacht nahe liegen, daß sie nichts ist als die Schwanksammlung eines Einzelnen, der die Personen seiner Götter dabei verwendete. Aber dieses Bedenken wäre schwerlich richtig, denn einzelne Teile der Erzählung sind uns auch aus anderen Schriften in ganz ähnlicher Gestalt erhalten. So die Geschichte von den Nilpferden und der Köpfung der Isis 1, und weiter ist ein längeres Stück der Geschichte auch in einem Papyrus erhalten, der um mehr als sechs Jahrhunderte älter ist 2. Und dieses Bruchstück enthält gerade den Teil der Geschichte, den wir als zu ekelhaft hier fortgelassen haben. Wir werden also schon glauben müssen, daß auch diese Erzählungen zu dem alt überkommenen Gute der Sage gehört haben. Eine Sage, die lange in einem Volke lebt, von Mund zu Mund überliefert wird, paßt sich ja den Bedürfnissen der Zuhörer an, und das niedre Volk hat an anderen Zügen seine Freude als die höherstehenden Kreise. So wird die Sage Ernstes und Törichtes, Reines und Unreines enthalten, und eines wird so gut zu ihr gehören, wie das andere. Gerade die Osirissage zeigt uns in ihrer jüngsten Fassung, sie stammt schon aus griechischer Zeit, wie sich die verschiedenen Kreise des Volkes zu ihren verschiedenen Bestandteilen gestellt haben. In dem Buche das Plutarch ihr gewidmet hat, lehnt er 3, der wenn einer doch ein gläubiger Bekenner der Isis war, manches davon als zu widerwärtig ab; wenn man solches für wirklich geschehen und vorgefallen halte, so müsse man mit Aeschylos zu reden, ausspeien und den Mund reinigen. Was Plutarch an der Sage lieb ist, sind die Züge, die er sich philosophisch ausdeuten kann. Wie die Osirissage in dieser höheren Deutung aussah, das werden wir unten (Kap. 22, S. ooo) besprechen, wo wir von ihrem Weiterleben in Europa reden werden. Hier sei zum Schluß dieses langen Kapitels die Geschichte des Osiris noch einmal kurz so erzählt, wie Plutarch sie in dem Buche gelesen hat, das ihm die Grundlage für seine Darstellung der Isislehre abgegeben hat*). *) Wir lassen hier dem Seth und dem Thot die Namen Typhon und Hermes, die Plutarch fur sie gebraucht. 6·

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Re hatte die Nut verflucht, daß sie in keinem Monat gebären solle, aber Hermes erschuf aus Liebe zu ihr die fünf Schalttage *), die zu keinem Monat gehören und an diesen gebar sie nun ihre fünf Kinder: den Osiris, den Harueris S. 30, den Seth, die Isis und die Nephthys. Als Osiris geboren wurde, ertönte eine Stimme aus dem Tempel zu Theben, daß jetzt der große wohltätige König geboren sei. Als er dann zur Regierung gekommen war, nahm er sich der Menschen an und änderte ihre bisherige rohe Lebensweise, er führte den Bau der Feldfrüchte ein, gab ihnen Gesetze und lehrte sie die Götter ehren. Das ganze Land durchzog er ohne Kampf und gewann die Menschen nur durch Überredung und Musik**). Während seiner Abwesenheit geschah nichts Böses, denn Isis seine Gattin, war auf der Hut, aber im Geheimen verschwor sich der neidische Typhon mit 72 Genossen gegen Osiris und brachte nach dessen Rückkehr seinen Anschlag zur Ausführung. Er machte eine herrliche Lade, die genau die Größe des Osiris hatte. Bei einem Gastmahl zeigte er sie und versprach sie scherzend dem, der in sie hinein paßte. Sie paßte keinem, bis sich Osiris in sie hineinlegte und da liefen die Verschworenen hinzu, warfen den Deckel darauf und vernagelten sie. Sie warfen die Lade in den Nil, und aus dem geriet sie ins Meer. Als Osiris so verschwunden war, legte Isis Trauer an und durchirrte suchend das Land. Kinder zeigten ihr, wohin die Lade geschwommen sei, denn zufällig hatten sie gesehen, wie die Genossen des Typhon sie ins Meer gestoßen hatten. Weiter hörte sie dann, daß die Lade in Byblos an der phoenizischen Küste ans Land getrieben sei, wo sie an einer Erika abgesetzt war. Diese schoß in kurzer Zeit dann empor und schloß die Lade in sich ein. Der König von Byblos aber bewunderte die Größe des Baumes und nahm einen Teil desselben, in dem auch die Lade war, als Säule unter sein Dach. Als Isis dies durch ein Gerücht vernommen hatte, begab sie sich nach Byblos, und dort setzte sie sich verweint *) Daß die fünf Götter des Osiriskreises an den fünf Schalttagen geboren sind, ist eine alte Vorstellung, z. B. Pyr. 1961. Hierin liegt auch ein merkwürdiger Beweis für das hohe Alter der Osirissage. Als der Kalender 4241 v. Chr. reguliert wurde, waren diese Götter in Heliopolis schon anerkannt. Vgl. Ed. Meyer I * § 197. **) Plutarch de Is. cap. 13; eine andere griechische Quelle weiß aber auch von Kriegszügen des Osiris.

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und in dürftiger Gestalt an eine Quelle. Sie sprach mit keinem Menschen, nur den Mägden der Königin begegnete sie freundlich. Sie flocht ihnen das Haar und hauchte ihnen den wunderbaren Wohlgeruch ein, der ihr eigen war. Als die Königin diesen Wohlgeruch ihrer Mägde wahrnahm, ließ sie die Fremde holen; sie wurde mit ihr vertraut und nahm sie zur Amme ihres Kindes. Isis aber nährte das Kind nur mit ihrem Finger, und in der Nacht verbrannte sie die sterblichen Teile seines Körpers. Sie selbst aber verwandelte sich in eine Schwalbe und umflog klagend die Säule, die die Leiche des Osiris in sich barg. Einmal aber entdeckte die Königin*), daß ihr Kind nachts in der Flamme lag; sie schrie auf und damit büßte das Kind die Unsterblichkeit ein. Die Göttin offenbarte sich dann, sie zog die Säule unter dem Dach fort und löste den Baum von der Lade. Den Baum hüllte sie in Leinen und salbte ihn und noch heute zeigt man ihn im Tempel von Byblos als das »Holz der Isis«. Isis warf sich über den Sarg und schluchzte so heftig, daß der jüngere Sohn des Königs starb, den älteren nahm sie zu sich und fuhr mit ihm und der Lade nach Ägypten. Dort in der Einsamkeit öffnete sie die Lade; sie legte ihr Gesicht an das des Toten und küßte es weinend. Dabei überraschte sie der Knabe und Isis warf ihm voller Zorn einen so fürchterlichen Blick zu, daß er vor Schreck starb. Als Isis sich dann zu ihrem Sohne Horus begab, der in Buto aufgezogen wurde, verbarg sie das Gefäß mit dem Osirisleibe. Aber Typhon, der nachts jagte, fand es auf; er zerriß den Körper des Osiris in vierzehn Teile und streute sie umher. Isis aber fuhr in einem Nachen aus Papyrusschilf durch die Sümpfe und suchte die Teile der Leiche zusammen, nur den Phallus fand sie nicht, denn den hatten gewisse Fische gefressen und diese sind daher den Ägyptern ein Abscheu. Alle ändern Teile der Leiche setzte sie einzeln da wo sie sie fand bei und daher gibt es soviele Osisrigräber, in Ägypten. Osiris kam dann aus der Unterwelt hervor, um den Horus zum Kampfe zu bereiten. Als er ihn frug, was das Schönste sei, antwortete der Knabe, das sei es, daß man das Unrecht vergelte, *) Sie hieß Astarte, wie die phönizische Göttin, die ja auch nach Ägypten übernommen war.

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das dem Vater widerfahren sei*). Als nun Horus zum Kampfe bereit war, verließen den Typhon auch manche seiner Genossen und unter diesen war auch die Toeris sein Kebsweib, jenes Nilpferd, von dem wir im Kapitel 10 S. oo noch sprechen werden. Nach einem Kampfe von vielen Tagen überwand Horus dann den Typhon; Isis aber, der Horus den gefesselten Typhon übergeben hatte, begnadigte ihn und löste seine Fesseln. Das ertrug Horus nicht und er schlug seiner Mutter die Krone vom Haupt, doch Hermes setzte ihr dafür eine kuhköpfige Maske auf. Danach verklagte Typhon noch den Horus, den er als einen unehelichen Sohn bezeichnete, Hermes aber stand dem Horus bei und die Götter erkannten ihn als einen echten Sohn des Osiris. In zwei weiteren Schlachten wurde Typhon dann völlig bezwungen. So weit Plutarch. Wer seine Erzählung mit den älteren Darstellungen vergleicht, die wir oben gegeben haben, wird finden, daß diese jüngste Gestalt der uralten Sage sich im Tone dem griechischen Leserkreise angepaßt hat. Und weiter fällt es uns auf, wie sehr hier von allen den Seiten, die Osiris der Phantasie bot, die eine hervorgekehrt ist: Osiris ist das Vorbild des verstorbenen Menschen und seiner Bestattung. Die Lade, in die er gelegt wird, deutet auf den Sarg, und die ganze Episode von Byblos weist ja auch darauf hin, da ja alles, was man zu der Bestattung brauchte, Holz und Cedernöl aus diesem Hafen kam. Es war ja wirklich so, wie ein altes Weisheitsbuch es besagte1: Wenn man nicht nach Byblos fahrt, so fehlen die Zedern für die Mumien und das Zedernöl, um sie zu balsamieren. Dabei ist es dann freilich auffallig, daß von dem Gotte, der den Osiris doch bestattete, hier kaum die Rede ist, Anubis wird nur einmal genannt und auch das nur nebenbei. Er ist ein Kind, das Osiris versehentlich mit Nephthys erzeugt hatte. Nephthys hatte es aus Angst vor dem Typhon ausgesetzt, aber Isis, die von Hunden geleitet wurde, fand es auf. Sie zog es auf, und dieses Kind ward ihr Wächter und Gefährte. Es heißt Anubis, der wacht nun ebenso für die Götter, wie die Hunde es für die Menschen tun. Auch eine noch wichtigere Gestalt, das Horuskind, wird nur nebenbei erwähnt und noch dazu so, als wäre es ein besonderer *) Dabei pries Hoius auch das Pferd, mit dem man die Fliehenden verfolge, höher als den Löwen.

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kleiner Gott. Es ist der Harpokrates der Griechen, d. h. Hatpe-chrod »Horus das Kind«. Den sollte Osiris nach seinem Tode mit Isis erzeugt haben und deshalb sollte er schwächlich geblieben sein. Fast könnte man von einer noch jüngeren, ja allerjüngsten Form der Osirissage reden, denn in unserm achtzehnten Jahrhundert ist auch diese Sage wieder aufgelebt, wenigstens bei uns, und die Zauberflöte hat sie dann so volkstümlich gemacht, daß Goethe im begreiflichen Unmut ausrief: o Isis und Osiris, o war ich euch doch los. Wir aber, die wir diese älteste Sage der Welt aus reineren Quellen kennen, sehen sie anders an als jener und können uns unbefangen an ihr freuen.

Sechstes Kapitel. Die Theologie. Wenn wir es im vorigen Kapitel mit Vorstellungen und Sagen zu tun hatten, die im ganzen menschlich und verständlich waren, so kommen wir jetzt zu dem trübsten Teile der ägyptischen Religion, zu den Deutungen und Phantasien, denen die Priester ihren Glauben unterworfen haben. Sie haben dies von jeher mit Vorliebe getan und der Ruf tiefsinniger Weisheit, in dem die Ägypter bis auf unsere Zeit gestanden haben, gründet sich vor allem auf diese Art ihrer Wissenschaft. Wie überall in der Welt sind die Dinge, über die man so in der Religion grübelt, meist solche, die für ihr eigentliches Wesen nur wenig bedeuten; es ist, um ein naheliegendes Beispiel anzuführen, für unsern eigenen Glauben sehr gleichgültig, wie wir uns zu der Lehre von den drei Personen in Gott stellen. Gewiß kann dann auch einmal das Ergebnis solcher Spekulation durch irgendwelche Umstände zu allgemeiner Anerkennung kommen; aber wirklich volkstümlich wird es nur selten werden — auch wir haben zwar eine Dreifaltigkeitskirche und kennen im Liede den »heiligen Geist«; aber er ist uns doch immer ein künstliches Wesen, von dem der natürliche Glaube nichts weiß. So wird auch von alledem, was die ägyptischen Gottesgelehrten ausgeklügelt haben, nur weniges wirklich ins Volk gedrungen sein. Wir finden es in den Tempeln und in den religiösen Liedern und Schriften, und es gilt als etwas Heiliges und Geheimnisvolles, aber für das Leben des Volkes bedeutet es nichts. Nach dem großen Gotte Ptah wird man seine Kinder nennen und ihn in der Not anrufen, aber an den von den Priestern erdachten Urgott Ta-tenen, der doch auch der Ptah sein sollte, wird sich niemand wenden, wenn man auch diesen Namen gern in feierlicher Rede gebraucht und ihn als Gott der ewigen Zeit und des langen Lebens rühmt.

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Wie sehr diese Lehren als etwas Geheimes galten, das man hüten mußte, sieht man schon daraus, daß in den Inschriften der älteren Tempel auf sie kaum hingedeutet wird; erst in denen der spätesten Zeit wird offen von ihnen geredet. Wer zum Beispiel den kleinen Tempel von Medinet Habu besucht, der ahnt nicht, weshalb er schon früh als eine heilige Stätte der Urzeit galt *. Erst aus den Inschriften der griechischen Zeit erfahren wir, daß die Forschungen der Priester an diese Stelle die Grabstätte der Urgötter gelegt hatten. Natürlich wird ein jedes der Heiligtümer seine eigene Lehre gehabt haben und wären uns alle Tempel Ägyptens erhalten — es fehlen uns ja aber fast alle des Deltas und viele in Oberägypten —, so würden wir eine ägyptische Dogmatik nach ihren verschiedenen Schulen entwerfen können. Immerhin ist uns auch so noch genug von dieser Theologie erhalten und der Fleiß und Scharfsinn der Ägyptologen hat es erreicht, daß uns diese krausen Gedankengänge einigermaßen verständlich geworden sind, soweit man überhaupt bei all diesem Widersinn von Verständlichkeit sprechen kann. Hier seien nur die Systeme einiger großer Tempel besprochen, die in der Religion eine besondere Rolle gespielt haben und zwar zum Teil deshalb, weil ihre Städte zeitweise Hauptstadt des Reiches gewesen waren. Zweierlei ist dabei allen Systemen gemeinsam. Diese Gelehrten wollen gerade das ergründen, was dem naiven Menschen gleichgültig ist; sie wollen auch im einzelnen wissen, wie die Welt entstanden ist und begnügen sich nicht mit der populären Vorstellung, daß die Erde einmal aus einem Wasser aufgetaucht sei. So denken sie sich zum Beispiel in Memphis, daß die sich erhebende Erde (Ta-ienen) nichts anderes gewesen sei als der Gott Ptah selbst, den man deshalb auch Ta-tenen nennt. Und weiter bestreben sich die Priester, den Hauptgott ihrer Stadt immer möglichst in den Vordergrund zu stellen und wo dies nicht angeht, weil eine andere Lehre schon gar zu verbreitet ist, da wird diese dann so umgestaltet, daß sie sich mit den eigenen Ansprüchen verträgt*. Zuerst die Lehre der alten heiligen Stadt Heliopolis. Auch für *) So wird, um ein besonders krasses Beispiel anzuführen, im Fayum der Kampf von Horus und Seth so umgedeutet, daß die Götter Sobk u. Thoth als Gegner erscheinen, Fayum Pap II, 38.

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Sechstes Kapitel.

sie bildet die Schöpfungsgeschichte die Grundlage. Als der Sonnengott, oder wie man in Heliopolis sagt: der Atum, im Urwasser Nun entstanden war, ehe noch der Himmel und die Erde entstanden und ehe ein Wurm oder Gewürm erschaffen wart fand er keinen Ort, wo er stehen konnte *. Dann erhob er sich auf einem Hügel und ging auf auf dem Benbenstein in Heliopolis2. Danach fand er, daß er allein war und so gedachte er, sich Genossen zu schaffen. Er begattete sich selbst 3. Nach dieser Begattung spie er aus, und was er ausspie 4, waren der Gott Schu und die Göttin Tefnet. Daß diese beiden Götter auf solche Weise entstanden waren, ging für die Gelehrten aus ihren Namen hervor, die an zwei alte Worte für »speien« ischesch und tef erinnerten. Schu und Tefnet aber erzeugten Keb und Nut, den Erdgott und die Himmelsgöttin und diese wieder erzeugten den Osiris und den Seth, die Isis und die Nephthys — deren Kinder aber sind viele auf Erden. Diese alle hatten dann einst über die Welt geherrscht, noch ehe mit Horus die jetzige Ordnung der Dinge begonnen hatte. Sie waren die großen Götter und, da sie neun an der Zahl waren, nannte man sie die Neunheit oder genauer die proße Neunheit von Heliopolis. Aber diese Bezeichnung hatte doch auch ihr Bedenkliches, denn es gab ja neben diesen Kindern, Enkeln und Urenkeln des Atum noch genug andere und allverehrte Götter. Da fühlte man denn die Verpflichtung, den anderen bedeutenden Göttern auch einen solchen Rahmen zu geben, eine kleine Neunheit, die Horus den Sohn der Isis, Thoth, Maat, Anubis umfaßte, dazu dann noch, um die Zahl voll zu machen, einige weniger bekannte Wesen. Dieser Gedanke der Priester von Heliopolis hat dann Anklang gefunden und auch andere große Städte wollen ihrerseits ebenfalls eine Neunheit haben; sie stellen ihren Hauptgott an die Spitze der Neunheit oder fügen ihr auch noch andere ihrer Götter hinzu, unbekümmert darum, daß die Zahl nun nicht mehr stimmt, zählt doch die Neunheit von Theben 5 schließlich nicht weniger als fünfzehn Götter. Oder man bildet auch eine eigene Neunheit, die überhaupt keinen der Götter von Heliopolis enthält, wie z. B. in Abydos, wo die Neunheit aus zwei Chnum, einem Thoth, zwei Horus und zwei Up-uat besteht e. Merkwürdig ist nun, daß man frühzeitig von dieser künstlichen Bildung der Neunheit wie von einer

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Gottheit spricht, die Neunheit gebiert einen Gott * oder er kommt sogar hervor zwischen den Schenkeln der beiden Neunheiten 2. Das klingt wirklich so, als habe man diese Vielheit der Götter als ein einziges göttliches Wesen angesehen: freilich kann auch dieses, wie so manches in den ägyptischen Texten, nur eine Phrase sein. Man beachte übrigens, daß diese Theologie von Heliopolis, wie alt sie uns auch erscheint, doch erst aus einer Zeit stammt, in der die Osirissage schon fest in dem dortigen Glauben wurzelte vgl. S. 68. Als die Lehre von Heliopolis den Atum so an die Spitze aller Götter stellte, konnte man dies in der Nachbarstadt Memphis doch nicht ruhig hinnehmen, hatte doch auch diese Stadt in ihrem Ptah einen Gott von hohem Ansehen und war sie doch überdies die Residenz der Könige. Damals, es wird im Anfang des alten Reiches gewesen sein, verfaßter die dortigen Priester eine kleine Schrift, die darlegen sollte, daß Ptah und Memphis doch mehr bedeuteten als Atum und Heliopolis. Über diesem Schriftstück, das wir heute die »memphitische Theologie« nennen, hat nun ein merkwürdiges Schicksal gewaltet. Viele Jahrhunderte hindurch hatte man es als einen besonderen Schatz im Tempel bewahrt, aber schließlich hatte es doch auch dem Alter seinen Tribut zahlen müssen. Es war von Würmern zerfressen, sein Anfang und wohl auch sein Schluß waren verloren. Als nun um 710 v. Chr. der fromme Äthiopienkönig Schabako in Ägypten herrschte, da baten ihn die Priester von Memphis, daß er ihnen dieses Werk der Vorfahren vor weiterem Verfall retten möge — war es doch gewißermaßen ein Adelsbrief ihres Heiligtums. Und so ließ denn Schabako das, was von dem Buche noch übrig war, auf eine Platte von schwarzem Granit einmeißeln. Dabei haben dann die Schreiber des Schabako in ihrem frommen Eifer auch noch den Rest einer 2. Handschrift auf demselben Steine mitverewigt, und in dieser seltsamen Gestalt ist das Buch auf uns gekommen*). Die Weisheit dieses Buches lautet nun dahin, daß aus dem großen Ptah 8 weitere Ptahs entstanden sind. Die Menschen *) Freilich hat gerade der harte Stein dem Buche neues Verderben gebracht, denn spätere Bewohner von Memphis fanden, daß er eine gute Unterlage für einen Mühlstein gäbe, und so ist denn ein gutes Teil der Inschrift in der Mühle abgeschliffen worden. Seit 1805 befindet sich das merkwürdige Dokument im British Museum.

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haben für sie freilich meist andere Namen, denn sie sind die großen Götter Ägyptens oder doch deren Erzeuger. So geht denn die ganze ägyptische Götterwelt auf Ptah zurück, und selbst der kleine Gott Nefertem, die Blume, die den Sonnengott täglich erfreut, ist ein solcher Ptah. Daß man gerade 8 solche Formen des Ptah annimmt, rührt gewiß davon her, daß man so mit dem Ur-Ptah zusammen eine Neunheit herausbekommt, die nun ein Seitenstück zur Neunheit von Heliopolis bildet. Die zweite und die dritte dieser Formen des Ptah sind dann aber Ptah-Nun, das Urwasser, und die Göttin Ptah-Naunet; die aber sind es, die den Atum erzeugt haben. Demnach steht denn dieser höchste Gott von Heliopolis auf einer niedrigeren Stufe als der Ptah von Memphis und auch alles, was man dem Atum nachrühmt, schuldet er dem Ptah und selbst die Lippen und die Zähne, mit denen er die Götter Schu und Tefnet ausgespien hat, sind Glieder des Ptah. Auch seine Schöpferkraft und all sein Wirken wird dem Atum hinweginterpretiert, denn sowohl sein Herz als auch seine Zunge sind Ptah. Herz und Zunge aber sind es, die, wie dieser Weise ausführt, alles bewirken: Wenn die Augen seheny und die Ohren hören, und die Nase Luft atmet, so führen JzV,was sie aufgenommen haben zum Herzen und das faßt dann seine Beschlüsse. Die %unge aber spricht sie dann aus. Dies Herz und diese Zunge des Atum sind dann wieder zwei Formen des Ptah, die als Götter die Namen Thoth und Horus führen. Die Zunge hat alles durch ihr Wort erschaffen l, alle Lebenskräfte und alle Speisen, alles was man liebt und alles was man haßt. Auch die Gesetze hat sie gegeben, denn sie gab dem Friedfertigen das Leben und dem Verbrecher den Tod. Auch alle Künste sind durch sie entstanden. Jedes Werk und alle Kunst, die die Hände machen. Die Füße gingen und alle Glieder bewegten sich, wenn sie befahl. Alles in allem muß man demnach sagen, daß es Ptah war, der den Atum gemacht hatte und alle Götter geschaffen hatte. Und Ptah war zufrieden, nachdem er so alle Dinge und Gottesworte geschaffen hatte. Ptah aber wirkte noch weiter auf Erden. Er bildete die Götter und machte die Städte und gründete die Gaue. Er setzte die Götter in deren Tempel und ließ ihre Opferbrote gedeihen und stattete ihr Allerheiligstes aus. Er bildete ihren Leib nach, so daß ihre Herzen zufrieden waren und dann gingen die Götter in ihren Leib ein, der aus allerlei Holz und allerlei

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Stein und allerlei Metall bestand. Und allerlei Frucht wuchs und wurde gesammelt in die Scheune des Ptah »Ta-tenen, die große Stätte, die die Götter des Ptahtempels erfreut. So klingt denn die tiefe Weisheit der Priester von Memphis reichlich prosaisch aus, denn dieser ihr Schluß besagt ja in Wirklichkeit nur, daß auch ihre Einkünfte in der Welt, die Ptah geschaffen hat, gesichert stehen. Diese Lehre von Memphis hat dann auch die Lehre anderer Tempel beeinflußt. Auch an anderen Orten erklärt man die einzelnen Götter für Glieder des dortigen Hauptgottes, sei es nun Ptah, Amon oder Re 1. Dabei gilt dann wieder Thoth als dessen Herz, das alles erdacht hat, und die Zunge hat dann wieder ausgesprochen was geschaffen wurde. Sogar noch in einem späten griechischen Skribenten, dem Horapollo, findet sich dies als Lehre der ägyptischen Weisen: das Herz ist das Leitende des L·ibes und die %unge nennen sie den Erzeuger des Seins z. Man übersehe nicht, wie merkwürdig diese Lehre von Memphis im Grunde gestaltet ist. Für sie gibt es nur ein göttliches Wesen, aus dem alle ändern entsprossen sind und das, was in diesem göttlichen Wesen wirkt, ist das Herz, oder wie wir sagen würden der Geist. In demselben Buche nun, in dem sich die Priesterschaft von Memphis auf diese Weise des Atum erwehrte, setzte sie sich auch noch mit einem anderen Gölte auseinander, mit dem Osiris. Zwar ist hier nicht ausdrücklich gesagt, daß auch er eine Form des Ptah sei, aber er gehört doch zum Hofstaate des Ptah und hat sich mit den Göttern des Ta-tenen verbrüdert3. Wichtige Ereignisse seiner Geschichte haben sich, wie unser Buch behauptet, gerade in Memphis abgespielt. Als Isis und Nephthys ihn aus dem Wasser gezogen hatten, ist er hier in die Unterwelt eingegangen. In Memphis ist es auch gewesen, wo Keb, der Vater des Osiris, den Streit zwischen Seth und Horus schlichtete. In Memphis gab er dem Horus das untere Land und dem Seth das obere, und in Memphis war es, wo er dem Horus als dem Sohne seines Erstgeborenen die Herrschaft über das ganze Land gab. Zu der Lehre von Memphis gehören nun auch noch andere Gedankengänge, die nicht in jenem Buche enthalten sind und die auf die Lehre der Stadt Schmun hinweisen. Nach ihnen ist Ta-tenen auch der Schöpfer der acht Urgöttcr * gewesen und

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er hat auch jenes Ei geschaffen, dem der Sonnengott entschlüpft war. Und auch so ist er der Vater der Väter aller Götter 1, der Anfang der Anfänglichen. Er hat gemacht was existiert. Schon im vorigen Kapitel hatten wir der Sage gedacht, die die Anfange der Welt an die Stadt Schmun in Mittelägypten knüpfte. Hier sollte zuerst ein Schlammhügel aus dem Wasser aufgetaucht sein und auf ihm sollten die ersten Wesen als Frösche und Schlangen gesessen haben. Es waren acht an der Zahl und die Stadt selbst hieß nach ihnen die Stadt der Acht, d. h. Schmun. Wie die Priester von Schmun diesen Glauben im einzelnen ausgestaltet haben, ist uns nicht bekannt, da nur wenig von den Tempeln dieser Stadt erhalten ist. Dafür ist uns ein Ableger wohl bekannt, den diese Lehre in einer um vieles jüngeren Stadt getrieben hat, in Theben. Etwa am Ausgang des dritten Jahrtausends wird einzelnes, was man in Schmun verehrte, hier eingedrungen sein. Vor allen der eine der Urgötter, der Amon, der es dann später in Theben zum höchsten Ansehen bringen sollte. Daneben 'wird denn auch die übrige Weisheit der Priester von Schmun hier aufgenommen worden sein, und so kommt es, daß wir die Lehre von Schmun gerade in den späten Tempeln von Theben kennen lernen. Das Wesentliche an ihr in dieser Zurechtmachung ist nun, daß man sich nicht an den acht Urgöttern genügen läßt, sondern — ähnlich wie in Memphis — noch ein Wesen vor sie setzt, aus dem sie entstanden sein sollen. Dieses Wesen ist dann nun freilich selbst einer der Urgötter, es ist der Amon, dessen Name wohl den Verborgenen bedeutet. In diesem System hat er selbst dann nicht mehr viel zu bedeuten und er ist eine Schlange Namens Kem-atef, und dieser Name bedeutet, einer der seine %eit vollendet hat. Er war also ein Gott, der für die Welt nichts mehr bedeutete und daher verschied. Indessen hatte Kem-atef einen Sohn, die Schlange Ir-ta »Erdschöpfer« und dieser schuf nun endlich die acht Urgötter, mit deren Schöpfung dann die jetzige Welt begann. Wer aber nicht dieser tiefsten Weisheit kundig ist, für den ist Kematef nur der große Amon des Tempels von Karnak und der Erdschöpfer ist der ithyphallische Amon von Luxor. Als die Acht geschaffen waren, hatte die Welt noch im Dunkeln gelegen. Die Acht aber werden von der Flut des Urwassers nach Schmun getrieben — oder wie man auch sagte, nach Mem-

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phis oder auch nach Heliopolis — und an dieser Stelle schufen sie dann die Sonne. Danach kehrten sie nach Theben zurück und da sie ihre Aufgabe in der Welt erfüllt hatten, sind auch sie verschieden. Nun ruhen sie ebenso wie die Kem-atef Schlange auf dem Totenfelde von Theben, da, wo der kleine Tempel von Medinet Habu steht, und alle zehn Tage fährt der Amon von Luxor zu ihnen herüber und opfert ihnen. Sie sind eben auf Erden nur noch Verstorbene, die man mit Opfern ehrt; unten aber in der Unterwelt sind sie noch mächtige Wesen, denn sie führen den Nil und die Sonne herauf. Uns erscheint der Gedanke, daß ein Gott sterben kann, widersinnig, für den Ägypter war er dies nicht*), war er doch mit der Vorstellung vertraut, daß sein großer Gott Osiris einmal ebenso wie die Menschen gestorben war. Übrigens haben die Gelehrten von Theben diese Gedanken dann auch so ausgebaut, daß sie den Osiris dem Kem-atef gleichgesetzt haben. In der Tat paßte ja dessen Name »der seine Zeit vollendet hat« auch auf Osiris; nun grübelte man weiter und/and, daß Amon die Seele des Osiris sei. Die Leiche des Amon aber ruht in der Unterwelt und, wenn er in seiner Rolle als Sonnengott nachts dorthin kommt, so besucht er diese 1. Für alle diese hier aufgeführten Feinheiten fehlt uns Profanen natürlich das richtige Verständnis; aber auch die gelehrtesten Priester selbst werden in der Praxis ihres Lebens sich nicht durch sie haben bestimmen lassen. Den Amon von Karnak werden sie nie als verstorben und abgetan angesehen haben, sondern immer als den großen, gewaltigen Götterkönig, der die Welt lenkt, und bei dem Osiris werden sie gewiß nie an die Seele des Amon gedacht haben, sondern nur an den Gott, der allen Toten gebietet. Einer Theologie, die darauf hinausging, daß alle Götter aus einer Urgottheit entsprossen wären, lag nun auch der Gedanke nahe, daß Dinge, die die Götter erschaffen hätten, etwas von dem göttlichen Wesen enthielten. Sie waren, wie man es ausdrückte, aus ihren Gliedern hervorgegangen. Zum Teil besteht dabei ein innerer Zusammenhang zwischen dem Wesen des Gottes und dem, was aus ihm entstanden sein soll. So nennt man das Wasser häufig die Glieder des Osiris, und das ist ja verständ*) So sind auch in Edfu neun Kinder des Re bestattet; die haben ein besonderes Fest, und täglich wird ihrem Ka geopfert. Edfu, Rochem. I 173. 382. 289; II 51.

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lieh, denn Osiris gilt doch nach alter Vorstellung geradezu als der Gott der neuen Überschwemmung. Daß man dann das Wassei auch weiter für die Feuchtigkeit erklärt, die aus der Leiche des toten Osiris rinnt, liegt weniger nah. Wenn die Luft als die Glieder des Amon bezeichnet wird *, so rührt dies wohl davon her, daß man sich diesen großen Gott, als er noch ein einfacher Urgott gewesen war, als Luft und Wind gedacht hatte 2, wie auch seine damalige Gattin die Amaunet den Nordwind darstellte 3. Verständlich ist es auch, daß die Milch aus der Hathor 4 gekommen war, denn die war einst die Himmelskuh gewesen. Aber daß auch das Bier 5 aus der Hathor gekommen ist, die Blumen aus Osiris und der Feuerstein aus dem Seth 7 ist uns weniger begreiflich. Im allgemeinen liebt man es, Dingen, die man beim Kultus verwendet, auch einen göttlichen Ursprung zuzuschreiben, durch den sie eine gewisse Weihe erhalten. So kommen die Myrrhen und die Wohlgerüche aus den Gliedern der Hathor oder des Horus, wenn man sie diesen Göttern darbringt 8, und der Weihrauch wird mit Vorliebe der Gottesschweiß° genannt. Auch noch etwas anderes hat dieser Schweiß * der Welt gegeben; als er zur Erde rann, entstand aus ihm der Flachs. Der verdiente ja auch einen göttlichen Ursprung; denn die leinenen Binden, die man aus ihm herstellte, wurden ja als Hülle der Götterbilder und als Binden der Mumien verwendet10. Auch anderes, was man für die Balsamierung brauchte, öl, Honig und Asphalt, sollte von Göttern stammen n. Wenn wir oben erwähnt haben, daß die Seele des Osiris als Amon weiterleben sollte, so haben wir damit ein anderes Lieblingsgebiet der ägyptischen Theologie berührt, über das die Ansichten gewiß nicht weniger auseinandergegangen sein werden als über die Entstehung der Welt. Wie der Mensch eine Seele Ba hat, die im Leibe weilt, so lange er lebt, und die man außerhalb des Leibes sich in Vogelgestalt denkt, und wie er außer diesem Ba noch ein ähnliches Wesen, den Ka, besitzt, das werden wir im 14. Kapitel besprechen. Und was man vom Menschen glaubt, gilt natürlich auch von den Göttern. Auch sie haben einen Ba und einen Ka; *) Überhaupt geht es bei dieser göttlichen Herkunft nicht immer zart zu; Keb blutet die Nase und es erwächst die Geder; Re erbricht sich und es entsteht der Papyrus (Pap. Salt. 825 II 7).

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nur daß bei ihrem göttlichen Wesen die Dinge nicht so einfach liegen wie bei den Menschen. Zunächst hat jeder Gott seinen einen Ba und der haust nach der gewöhnlichen Vorstellung in seinem Bilde, im Tempel. Aber er haust nicht nur da, sondern er haust auch an anderen Orten, vor allem im Himmel. So schildern uns z. B. die späten Inschriften von Denderah, wie die Seele der Hathor vom Himmel herabfliegt, um sich an ihrem schönen Tempel zu erfreuen (S. 172). Auch das denkt man, daß die Seele des Gottes in dem heiligen Tiere seines Tempels wohne. Und hier bot sich nun den Theologen eine Gelegenheit, auch die heiligen Tiere in ihrer Lehre unterzubringen. Denn diese Ochsen, Böcke, Kühe, Falken, Krokodile, Schlangen waren zwar von unzweifelhafter Heiligkeit, aber dieser volkstümliche Glaube war doch für die entwickeltere Zeit »ein Erdenrest zu überwinden peinlich«. Anders war es nun, wenn man annahm, daß diese Tiere vom Gotte beseelt waren, göttliche Seelen, wie man sie nannte. Nun war beispielsweise der Apis die Seele des Ptah 1 — oder nach später Lehre auch die des Osiris 2 —; der Phönix war die Seele des Re 3. Die Krokodile waren die Seelen der Sobkgötter *, und in dem Bocke von Mendes steckt nicht nur die Seele eines Gottes, sondern gleich eine Vierzahl, die des Re, des Osiris, des Keb und des Schu. So mag es gekommen sein, daß man dem Gotte nicht nur eine Seele sondern deren mehrere zuschrieb *). So hat z. B. Re nicht weniger als sieben Seelen und besitzt dazu noch vierzehn Ka 5. Was diese sieben Seelen sind, wissen wir nicht; wohl aber sind wir über seine Ka's unterrichtet. Diese vierzehn Ka, zu denen dann auch ebenso viel weibliche Wesen von gleicher Bedeutung gehören, sind Zauberkraft, Glanz, Sieg, Stärke, Gedeihen, Speise, Dauer, Sehen, Hören, Sättigung u. a. m. Auch sonst gelten die Ka's und ihre weiblichen Formen, die Hemuset, als segenspendende Wesen, nicht anders, als es der Nil und das Feld sind 7. Da der König ja auch ein göttliches Wesen besitzt, so nimmt man an, daß auch er ebenso wie die Götter mehrere Seelen und *) Welch ein Unsinn sich bei diesen Spekulationen einstellte, mag ein Beispiel zeigen. Nach dem sogenannten Neuen Urgötterlied von Hibe hat der Sonnengott 4 Widderköpfe auf einem Nacken. Er besitzt außerdem 777Ohren und hunderttausende von Hörnern — dabei vertreten die 4 Widderköpfe die 4 Windgötter. (Unveröff. Urgötterlied aus Hibis nach Roeder). E r m a n, Religion der Ägypter.

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mehrere Ka's besitzt *); freilich ist das bei ihm zur Phrase herabgesunken und wenn man von seinen Seelen spricht, so bedeutet das nicht viel mehr als sein machtvolles Ansehen. Etwas ganz anderes meint man übrigens, wenn man so wie oft von den Seelen einer alten heiligen Stadt oder einer Gegend spricht. Da hat man unter den Seelen von Buto oder den Seelen von Heliopolis nichts anderes zu verstehen als die einzelnen Götter dieser Orte1. Wir wollen hier nicht auf alles eingehen, was man sonst noch über die Seele der Götter phantasiert hat; nur das sei bemerkt, daß der eine Gott auch die Seele des ändern sein kann. So ist Amon die Seele des Schuh 2 oder auch die Seele des Osiris, und als Osiris den Bock von Mendes umarmte, entstand aus beiden die Doppelseele **)s. Es ist kein erfreuliches Bild, das wir hier von der ägyptischen Theologie entworfen haben und auch das, was wir sonst von ihr und ihren Erzeugnissen sehen, erweckt keinen besseren Eindruck. Den einfachen Gedanken, daß die Sonne nachts durch die Unterwelt und das Totenreich fährt, haben sie zu ganzen Büchern ausgearbeitet, in denen ausführlich berichtet und dargestellt ist, was der Sonnengott bei seiner nächtlichen Wanderung zu sehen bekommt. (Vgl. unten Kap. 14.) Auch in den Wirrwarr der überlieferten Religion werden sie versucht haben, Ordnung zu bringen und wenn uns von ein und derselben Gottheit viele Exemplare nebeneinander vorgeführt werden, die sich durch besondere Beinamen scheiden, so setzt das Listen voraus, die die Gelehrten angelegt hatten. So saßen einst im Mut-Tempel von Karnak lange Reihen der Kriegsgöttin Sachmet, die durch Beinamen wie die von Ptah geliebte Sachmet, Sachmet die Herrin der westlichen Wüste, Sackmet im Hause der Bastei, die Große Sachmet, die von Sobk geliebte Sachmet u. a. m. 4 als besondere Wesen geschieden waren und im Tempel zu Denderah wußte man, daß die Göttin Hathor zu Hunderten von Malen in Ägypten existierte. Mit derselben Sorgsamkeit hat man denn auch die Göttersagen behandelt, natürlich nicht zu ihrem Vorteil. Was volks*) Ausnahmsweise hat auch ein Nicht-König mehrere Ka's, s. Mär. Mast. F a — RougeJH 38. * *) In Edfu nimmt man sogar an, daß d. Seele des Osiris aus vier Seelen besteht. Es sind die des Re von Edfu, des Schu, des Keb und seine eigene. Mammisi d'Edfou ed. Chassinat 96.

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tümlich in ihnen war, ist durch törichte Einfalle und Spekulationen zurückgedrängt. Besonders sucht man dabei zu wissen, wie dieses oder jenes, was den Priestern wichtig erschien, entstanden war und woher es seinen Namen erhalten hatte. Den Grund fand man immer in irgend etwas, was der Gott getan oder gesagt haben sollte. Wenn z. B. einmal erzählt wird, daß Re dem Osiris seine Königswürde übergeben habe, so knüpfen sich daran zwei Geschichten, die an Albernheit nichts zu wünschen übrig lassen 1. Seth erschrak so sehr über diese Herrlichkeit seines Gegners, daß ihm die Nase blutete. Dieses Blut aber vergrub er und daraus entstand das Erdhacken, ein Fest, das man in Herakleopolis (Ehnas) und anderswo zu feiern pflegte. Und als Re dem Osiris dann seine Krone aufgesetzt hatte, da erkrankte dessen Kopf von der Glut dieser Krone. Re aber ließ Blut und Eiter aus dem erkrankten Kopfe ab und Osiris wurde wieder gesund. Aus Blut und Eiter entstand dann der See beim Tempel von Herakleopolis. Hier sei noch ein Beispiel angeführt, das so recht zeigt, wie sehr diese Gelehrten die alten Sagen mißhandelten. Die Leute von Edfu hatten sich einst erzählt, daß ihr Gott, die geflügelte Sonnenscheibe, die sie Horus nannten, die Feinde der Sonne bekriegt habe. Als man dann bei jedem Horus an Horus, den Sohn der Isis, dachte, hatte man dann auch die Kämpfe dieses Horus mit dem Seth hineingezogen. Die Feinde wurden nun auch als der Seth und dessen Bundesgenossen gedacht, die die Gestalt von Krokodilen und Nilpferden hatten; während Horus zu Mitkämpfern außer der fremden Göttin Astarte eine Schar göttlicher Harpunierer hatte. Auf Grund dieser Geschichte hat dann im neuen Reiche*) ein Priester von Edfu eine eingehende Erzählung der Kämpfe verfaßt folgenden Inhalts. Re, Horus von Edfu und Thoth fahren in einem Schiffe durch ganz Ägypten, von der nubischen Grenze an bis zum Meere, und überall, wo sie auf böse Feinde treffen, besiegt und tötet sie der Horus. Bei jedem Siege aber und bei jedem Orte macht dann Thoth eine Bemerkung zu Re und von dieser Bemerkung rührt dann auch der Name her, den dieses oder jenes trägt: Städte und Kanäle, Tempel und Feste, Bäume und Schiffe, Priester und Sängerinnen -— alles hat seinen *) Daß diese Gestalt der Sage etwa in das neue Reich gehört, sieht man daraus, daß auch die fremde Göttin Astarte darin vorkommt. 7*

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Namen durch diese Kämpfe erhalten. Es sind sechzig bis siebzig Namen, die dieser fleißige Mann so gedeutet hat. Aber so töricht uns diese Art von Gelehrsamkeit auch erscheint, sie hat doch auch ihre Bewunderer gehabt; im ersten Jahrhundert v. Chr. hat man diese Schrift auf die Innenseite der Umfassungsmauer des Tempels von Edfu geschrieben als ein wertvolles Dokument für den Ruhm des dortigen Gottes J. Man hat dann aus all diesen Sagen und Geschichten in übel angebrachter Gelehrsamkeit eine Urgeschichte der Welt konstruiert. In ihr sind die Götter als Könige von Ober- und Unterägypten gedacht und von einem jeden kennt man die Zahl der Jahrhunderte und Jahre, die er regiert hat. So folgen sich nach dem Turiner Königspapyrus Keb, Osiris, Seth und Horus, denen dann Thoth und Maat und andere geringere Götter folgen; zuletzt kommen die Horusdiener, d. h. die menschlichen Könige der Urzeit. In dieser Plattheit ist man dann so weit gegangen, daß man für einzelne Götter förmliche Titulaturen erfunden hat, die denen der menschlichen Könige nachgebildet sind und schon im Anfang des milderen Reichs führt Osiris auf einem Grabstein 2 zwei korrekt gebildete Königsnamen: der Horus: »der das Gemetzel der beiden Ägypten schlichtete« der König von Ober- und Unterägypten: »Osiris Unennofre«. Und ebenso heißt Seth in einer Inschrift des neuen Reiches: der König von Ober- und Unterägypten: »Seih, der Kraßreiche«, der Sohn des Re, der von ihm geliebt wird: »Nubti«, der von Harachte geliebt wird3. Eine weitere Aufgabe der Theologen war das Erklären und Deuten alter religiöser Texte. Wir besitzen noch einen solchen Kommentar zu dem sogenannten siebzehnten Kapitel des Totenbuches. In diesem uralten Texte erklärt der Tote, daß er ein göttliches Wesen habe und rühmt sich, dieser oder jener Gott zu sein. So sagt er denn unter anderm: ich bin Min bei seinem Herauskommen, ich habe meine beiden Federn an mein Haupt getan. Dabei wird gewiß an eine Prozession gedacht sein, bei der das Götterbild im Schmuck der hohen Federn prangt, die das Abzeichen dieses Gottes bilden. Der ältere Kommentar aber will, daß mit Min hier Horus, der Sohn des Osiris gemeint sei und da dessen Bild keine solchen Federn besitzt, so werden nun diese Federn als die beiden großen Uräusschlangen gedeutet, die an der Stirn seines Vaters

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Atum sind. Ein späterer Kommentator aber aus dem neuen Reiche, der auch an der Gleichsetzung mit Horus festhält, sucht diese Schwierigkeit auf andere Weise zu beheben. Er erklärt das Herauskommen für die Geburt des Horus und erinnert dann an eine Geschichte, wonach Isis und Nephthys sich einst als zwei Geier an das Haupt des Horus gesetzt hätten; davon sollen dann diese Federn herstammen. Aber auch diese Deutung hat ihm nicht genügt: und so gibt er uns dann noch eine andere zur Auswahl, unter den beiden Federn seien die Augen des Horus zu verstehen. An anderer Stelle sagt der Tote von sich: ich war gestern, ich kenne morgen und meint gewiß, daß es für ihn als Gott keine Zeit gibt. Aber die Kommentatoren wissen es besser: mit gestern ist Osiris gemeint; mit morgen aber ist Re gemeint, an jenem Tage, wo die Feinde des Osiris vernichtet wurden und sein Sohn Horus die Herrschaft erhielt. Man sieht schon aus diesen Proben, wes Geistes Kinder diese Theologen waren.

Siebentes Kapitel. Geschichtliche Vorgänge und ihr Einfluß. Wir haben bisher von den stillen Kräften gesprochen, die unablässig in der Religion wirken und sie umgestalten. Aber auch äußere Ereignisse haben in sie eingegriffen und ihr ruhiges Leben unterbrochen. Selbst bei unserer unvollkommenen Kenntnis der ägyptischen Geschichte glauben wir noch solche Vorgänge zu erkern,, n, unu von solchen soll im Folgenden die Rede sein. Schon im Anfang unserer Überlieferung steht ein solches Ereignis, das die Religion aufs Stärkste beeinflußte. Die beiden Reiche von Ober- und Unterägypten wurden zu einem Staate vereinigt, der fortan von Memphis aus regiert wurde. Welche Folgen diese Vereinigung für die Religion hatte, davon haben wir schon an verschiedenen Stellen gesprochen und brauchen hier nicht noch einmal darauf einzugehen. Man darf wohl sagen, daß erst von dieser Zeit an ebenso wie der Staat auch die ägyptische Religion eine gewisse Einheit gewonnen hat, bei welcher der Glaube von Heliopolis und der Glaube von Memphis den Kern bilden. Etwa um 2560 v. Chr. hatte dann dasjenige Königshaus sein Ende gefunden, das sich die großen Pyramiden erbaut hatte, und an seine Stelle war ein neues getreten, das der sogenannten fünften Dynastie. Diese Könige, die von einem Priester des Sonnengottes herstammten, verehrten keinen Gott so sehr wie diesen und ein jeder errichtete sich in seiner Residenz einen eigenen Tempel des Re, der wohl das große Heiligtum von Heliopolis nachahmte. An diesem Tempel des Königs dem Re dienen zu dürfen, war eine hohe Ehre J, und so wurde der Re zum bevorzugten Gotte der höheren Stände. Auch in anderen Städten wünschte man dann diesem vornehmen Gotte zu huldigen, und wenn es in ihnen keinen Sonnengott gab, so gab es doch gewiß dort einen ändern großen Gott, der manches vom Wesen des Re besaß.

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Und wenn ein gelehrter Priester ihn recht betrachtete, so konnte er nicht zweifeln, daß dieser Gott im Grunde doch auch der Sonnengott sei. So kam es denn, daß viele der großen Götter — eigentlich bleibt nur Ptah ausgenommen l — sich im Laufe der Zeit in einen Sonnengott wandeln mußten. Man erkennt diesen Wandel äußerlich daran, daß sie ihrem alten Namen ein Re zufügen: MonthRe^ SobkRe, ChnumRe, AmonRe. So steuerte denn in diesem Stadium ihres Lebens die ägyptische Religion auf einen allgemeinen Sonnenkultus hin, bei dem durch viele der alten Göttergestalten der Sonnengott durchschimmerte. Schließlich hat man dieser Tendenz zu Liebe selbst den guten Totengott Osiris dem Sonnengotte angeglichen. Auch lag dieser Gedanke ja nicht so fern, denn die Sonne weilte ja allnächtlich in der Unterwelt und Re und Osiris bildeten dann, wie die Theologen meinten, die vereinigte Seele 2. Später deutet man auch in der Schrift dieses Verhältnis der beiden Götter dadurch an, daß man den Namen des Osiris nicht Usire schreibt, sondern Usi-Re, als enthielte sein Name auch den des Sonnengottes. Und noch einem anderen hohen Wesen kommt diese Schwärmerei für den Sonnengott zu gute: dem Könige. Der gilt, wie wir in Kap. 4 gesehen haben, seit der fünften Dynastie als Sohn des Re und bei der Thronbesteigung nimmt ein jeder einen Namen an, der sich auf Re bezieht. Er gilt als ein Teil des Re, und wenn er stirbt, so fährt er zum Himmel und vereinigt sich mit seinem Vater; er kehrt eben in das göttliche Wesen zurück, zu dem er gehört. Als um 2250 v. Chr. das alte Reich zusammenbrach, war unter den kleinen Königreichen, die in den folgenden Jahrhunderten in die Höhe kamen, auch eines, das in Oberägypten, in Theben, seinen Sitz hatte. Es war dies die Gegend, die eigentlich den Month und den Min verehrte, aber neben diesen Göttern war, wie wir S. 94 gesehen haben, ein anderer Gott in die Höhe gekommen, der Amon, der eigentlich zu den acht Urwesen von Schmun gehört hatte. Ein volkstümlicher Gott war er wohl nie gewesen, denn wir kennen keine alte Sage, die sich an ihn knüpfte. Er war in Theben nichts als ein Doppelgänger des Min geworden, wie diesen stellte man ihn ithyphallisch dar, mit erhobenem Arm, er trug wie er eine Kappe mit zwei hohen

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Federn und eine Geißel; seine Hautfarbe war blau. Daß der Amon zu einem der großen Götter wurde, verdankte er wohl nur dem Umstände, daß das Geschlecht, aus dem die zwölfte Dynastie erwachsen war, ihn als seinen Familiengott ehrte. Schon der erste dieser Herrscher um 2000 v. Chr. trägt den bezeichnenden Namen Amen-em-het, d. h. »Amon war am Anfang«1. Für die Rolle, die Amon als Gott des Königtums spielte, war es wichtig, daß auch er inzwischen zu einem Sonnengotte AmonRe geworden war. Damit war er aus der Schar der kleineren provinzialen Götter herausgehoben. Als Amon Re erhielt er nun auch eine andere dezentere Gestalt: Fortan sitzt er thronend wie ein König, und nur die Kappe mit den Federn und die blaue Hautfarbe hat er von dem ursprünglichen Bilde beibehalten. Aber die Laufbahn des Amon Re, die ihn schließlich zum höchsten aller Götter machen sollte, wurde noch einmal jäh unterbrochen. Etwa um 1700 v. Chr. wurde Ägypten von einem fremden Volke, den sogenannten Hyksos, erobert. Wir wissen nicht sicher, welchem Volksstamm diese Eroberer angehorten und nicht welchen Göttern sie dienten — jedenfalls nicht denen Ägyptens. Wenn unter dem Hyksoskönige Ghian der Tempel von Bubastis ausgeschmückt wird, so nennt man den Herrscher dabei nicht, wie es sonst der Brauch ist, »geliebt von der Göttin dieses Tempels«, der Bastet, und noch weniger nennt man dabei den Namen seines barbarischen Gottes, sondern man nennt ihn von seinem Ka geliebt. Eine solche Benennung war für einen Ägypter ohne Anstoß, denn einen solchen Geist hatte ja ein jeder, und der Hyksoskönig konnte sich dabei ja auch seinen eigenen Gott denken. Als dann die Hyksoskönige im östlichen Delta ihre Hauptstadt*) hatten, dienten sie dem dortigen Gotte Sutech. Und die Überlieferung will, daß König Apophis keinem anderen Gotte diente, der im ganzen Lande war 2. Kehren wir wieder zu dem Amon Re zurück, der nun nach der Vertreibung der Hyksos den Gipfel seines Ansehens erreichen sollte. Es waren die Fürsten von Theben gewesen, denen die Befreiung von der Fremdherrschaft gelungen war, und als dieses *) Auaris, das spätere Tanis. Der Gott Sutech ist derselbe wie der Gott Seth von Oberägypten, nur in barbarischer Schreibung.

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Geschlecht dann auch die Herrschaft über ganz Ägypten erwarb und dennoch Theben als Residenzstadt beibehielt, da konnte es nicht fehlen, daß AmonRe der Gott des Königtumes und der höchste Gott des Landes wurde. Von hier an heißt er der König der Götter. Und das Schicksal wollte weiter, daß diesen Königen der achtzehnten Dynastie, den Thutmosis und Amenophis, die den Amon so erhoben hatten, eine Macht zuteil wurde, wie sie Ägypten bis dahin nicht gekannt hatte. Vom Euphrat an bis hin in den Sudan zinste ihnen alles Land, und über dieses ganze ungeheure Gebiet verbreitete sich der Ruhm ihres Gottes. Aus dem Reichtum aber, der nach Ägypten strömte, errichteten diese Pharaonen des sechzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts und die der folgenden Geschlechter dem Amon Re die Riesentempel von Theben, zum Dank für die Siege, zu denen er sie geführt hatte. Und sie erbauten ihm weiter in den ändern Städten ihres Reiches neue Heiligtümer, damit man überall dem Gotte ihrer Herrschaft diene. So wurde denn Amon Re den Ägyptern wirklich für lange Zeit ihr höchster Gott. Und doch war er keiner , _ , -,. , 4 7 · Amon-Re reicht dem Könige der großen alten Gotter gewesen und das Sichelschwert und übergibt hatte fast sein ganzes Wesen von ändern 4Aus 1'hm fr«nde Völker. .~„ « TT ( dem Tempel von Medinet Göttern entlehnt. Wer den großen HymHabu). nus liest, in dem dieser Gott mit den vielen Namen ohne Zjahl gefeiert wird 1, der sieht bald, daß außer seinem Namen und außer der Erwähnung Karnaks nicht viel darin ist, was sich gerade auf den Amon bezieht. Eigentlich sind es nur einige Wortspiele mit seinem Namen, wie Oberhaupt der Menschen, dessen Namen seinen Kindern verborgen (amon} ist', auch das Beiwort der in allen Dingen bleibt, mag sich noch aus der ursprünglichen Natur des alten Urgottes Amon, der als Luft gedeutet 2 wurde, erklären. Was sonst von ihm gesagt wird, gebührt ausschließlich zwei anderen Göttern, .deren Namen ihm auch beigelegt werden, dem Min und dem Re. Wie den Min rühmt man ihn, daß er zwei hohe Federn trägt, und wie Min ist er auch der Schützer

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der Wüstenstraßen, obgleich doch Theben gar nicht an der Straße zum roten Meere lag. So heißt es vom Amon, daß die Götter seinen Geruck lieben, wenn er aus Punt (dem Weihrauchlande) kommt. Er ist reich an Wohlgeruck, wenn er aus dem Lande der Matoi herabsteigt. Er ist der Horus des Ostens, dem die Wüste Silber und Gold schafft und Lapislazuli ihm zu Liebe, allerlei Weihrauch im Lande der Matoi und frische Myrrhen für seine Nase. Das alles sind Dinge, die man sonst seinem Nachbar, dem Min, nachrühmt. Ungleich mehr aber tritt die Gleichsetzung mit dem Re hervor. Der Gott wird schlechtweg Re, Cheprie oder Atum genannt; er heißt der Stier zu Heliopolis oder der Glanzreiche im Hause des Benbensteines (S. 62). Er befährt den Himmel in Frieden und ist der Herr der Abendund der Morgenbarke. Auch er bekämpft den Apophisdrachen, und ebenso wie bei Re ist es sein Auge, das die Feinde fällt. Seine Mannschaft jauchzt, wenn sie sehen, wie der Feind (Apophis) gefällt ist, wie seine Glieder mit dem Messer zerfleischt sind, wie das Feuer ihn gefressen hat, und wie seine Seele noch mehr gestraft wird als sein Leib. Diese Schlange — ihrem Kommen wird gewehrt. Die Götter jauchzen, die Mannschaft des Re ist zufrieden, die Feinde des Atum sind gefällt. Theben ist zufrieden und Heliopolis jauchzt. Auch was man in den Sagen vom Sonnengott erzählte, wird auf Amon übertragen; er hat in der großen Halle zwischen Horus und Seth gerichtet als das Oberhaupt der großen Neunheit. Wie der Sonnengott gilt nun auch Amon Re als der Schöpfer aller Dinge. Er ist es, der dies alles gemacht hat, der Einzige mit den vielen Händen. Er ist der Vater der Götter, der die Menschen machte und die Tiere schuf. Er schied die Menschen, einen vom ändern, nach ihrer Farbe, die Menschen kamen aus seinen Augen und die Götter aus seinem Mund. Aber Amon Re ist auch der Erhalter und der Ernährer aller Wesen und gerade diese Seite seines Wesens wird in dem Liede besonders verherrlicht. Er wacht in der Nacht, wenn alle Menschen schlafen, und wie ein guter Hirt sucht er das Beste für sein Vieh. Er schafft das Kraut für die Herden und den Fruchtbaumfür die Menschen. Er schafft das wovon die Fische im Strom leben und die Vögel unter dem Himmel. Er gibt dem, der noch im Ei ist, den Atem und ernährt den Sohn des Wurmes. Er macht wovon die Mücken leben und ebenso die Würmer und die Flöhe. Er macht, was die Mäuse in ihren Löchern brauchen, und ernährt die Vögel auf allen Bäumen. Um seinetwillen kommt der Nil, der süße, vielgeliebte, und wenn er kommt, so leben die Menschen.

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Und dieses allmächtige Oberhaupt aller Götter, an dessen Füße sich die Götter wie Hunde schmiegen, ist doch auch für die Menschen von freundlichem Herren, wenn man zu ihm ruft. Er errettet den Furchtsamen vor dem Frechen und erhört die Bitte dessen, der in Bedrängnis ist. Daher Hebt und verehrt ihn auch alles, so hoch der Himmel und so weit die Erde und so tief das Meer ist. Die Götter neigen sich vor deiner Majestät und erheben ihren Schöpfer, sie jauchzen, wenn sich ihr Erzeuger naht, »Preis dir« sagt jedes Wild, itLob dir!« sagt jede Wüste. Deine Schönheit erobert die Herzen. Die Liebe zu dir lahmt die Arme, und deine schöne Gestalt macht die Hände schlaff. Das Herz vergißt, weil man nach dir schaut. Wie Amon so als der Helfer und Wohltäter der Menschen volkstümlich geworden ist, das werden wir im neunten Kapitel im Einzelnen sehen. Aber zunächst ist jene Seite seines Wesens für uns weniger wichtig als jene andere, die ihn zu einem Sonnengott gemacht hat, denn diese ist es, die zu jener großen Umwälzung geführt hat, die wir heute die Ketzerzeit nennen. Wie der Glaube des Amon Re allmählich sich in einen reinen Sonnenglauben wandelte, das spiegelt sich deutlich in einem Liede ab, das aus der Zeit Amenophis' III. 1416—1375 stammt, also aus der Zeit, die der großen Umwälzung unmittelbar vorhergeht. In ihm wird der Amon Re eigentlich nur noch als die Sonne gefeiert, und von allem anderen, was jener große Amonshymnus noch erwähnte, ist hier nicht mehr die Rede. Und doch waren die Zwillingsbrüder Hör und Suti, auf deren Grabstein dieses Lied steht, gewiß rechtgläubige Verehrer des Amon; denn beide dienten ihm als seine obersten Baumeister, der eine auf der Ostseite Thebens, der andere auf dessen Westufer. Dieser Lobgesang auf Amon, wenn er als Harachte aufgeht, lautet im Wesentlichen so: Preis dir, du schöner Re jedes Tages, der morgens aufgeht, ohne Unterlaß! Chepre, der sich an Arbeit abmüht! Man hat deine Strahlen vor Augen und weiß es nicht. Gold — das gleicht nicht deinem Glänze. Ptah bist du und bildetest deine Glieder, du Gebärer, der nicht geboren ist. Einzigartiger, der die Ewigkeit durchlebt dein Glanz gleicht dem der Himmelsgöttin und deine Farbe funkelt mehr als ihre Haut. Du fährst über den Himmel und alle Menschen schauen dich, und doch ist dein Gang vor ihnen verborgen.

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Siebentes Kapitel.

Dann wird gesagt, wie schnell und weit die Sonne täglich fährt, einen Weg von Millionen und Hunderttausenden von Meilen im Augenblick. Und wenn sie zur Ruhe geht, so vollendet sie ebenso die Stunden der Nacht und regelt sie unablässig. Dann heißt es weiter: Alle Augen sehen durch dich, und sie vollenden nichts, wenn deine Majestät untergegangen ist. Früh bist du auf, um morgens aufzugehen. Dein Licht, das öffnet die Augen, aber gehst du unter im Berge Manun, dann schlafen sie, als wären sie tot. Wandte sich diese erste Strophe an den »schönen Re jedes Tages«, so preist nun eine zweite Strophe die Sonne mit dem Ausdruck Aton, mit demselben Worte, das dann nicht lange nachher der charakteristische Name für den Gott der Umwälzung werden sollte. Sie lautet: Preis dir, du Sonne des Tages, der alle Wesen geschaffen hat und ihren Lebensunterhalt gemacht hat! Du großer Falke mit den bunten Federn, der entstanden ist, um sich selbst zu erheben, der von selbst entstanden ist, ohne geboren zu werden. Altester Horus inmitten der Himmelsgöttin! dem man zujubelt bei seinem Aufgang und ebenso bei seinem Untergang! Der Bildner dessen, was der Erdboden hervorbringt, Chnum und Amon der Menschen! Er hat die beiden Länder in Besitz genommen vom Größten bis zum Kleinsten. Treffliche Mutter der Götter und Menschen, gütiger Bildner, der so sehr sich bemüht an seinen zahllosen Geschöpfen. Starker Hirt, der seine Tiere treibt, ihre Zufluchtsstätte, die sie am Leben erhält. Eilender, laufender, kreisender! Chepre mit erhabener Geburt; der seine Schönheit erhebt am Leibe der Nut. Der die beiden Länder erleuchtet mit seiner Sonne. Der Urgott, der sich selbst gemacht hat. Der jeden Tag die Enden der Länder erreicht und schaut, die darauf wandeln. Der aufgeht am Himmel Er macht die Jahreszeiten in Monaten, die Glut wenn er will und die Kühlung wenn er will; er macht die Glieder schlaff und er umarmt sie. Jedes Land betet ihn an bei seinem Auf gang, täglich, um ihn zu verehren. Soweit unser Hymnus. Wie sich die große Umwälzung, auf die er schon hindeutet, dann im Einzelnen vollzogen hat, vermögen wir nicht zu sagen, aber das Eine sehen wir, daß die Zeit reif für sie war.

Achtes Kapitel.

Die Ketzerzeit. Wenn wir uns fragen, in welcher Zeit das Ägypten des neuen Reiches den höchsten Glanz erreicht habe, so werden wir heute vor allem an die Regierung des dritten Amenophis (1411—1375) denken. Unter ihm genoß Ägypten nach außen hin noch sein volles Ansehen, es war die führende Macht der damaligen Welt; im Innern erfreute es sich des Reichtums und der hohen Kultur, die der Reichtum mit sich bringt. Es ist dies die Zeit, in der die ägyptische Kunst ihre feinsten Blüten entfaltet; weder vorher noch nachher hat sie einen Bau erschaffen, der an einfacher Schönheit dem Tempel von Luxor gliche, und nie wieder haben die Bildhauer die Anmut und Feinheit der guten Werke dieser Zeit erreicht. Aber eine solche Zeit der Blüte und des Glanzes bringt dem Volke auch eine Gefahr, die Gefahr der Übersättigung; man ist des Bisherigen müde und fühlt den unruhigen Wunsch, neue Bahnen einzuschlagen. Und so treffen wir denn auch schon unter Amenophis III. auf einzelne Dinge, die gar nicht mehr recht zu dem alten Ägyptertume passen. Wenn der König in den Tempeln auch noch immer der Halbgott bleibt, der er bisher gewesen war, so kehrt er dafür an anderer Stelle ohne Scheu die menschliche Seite seiner Existenz hervor. Auf großen Skarabäen, mit denen er die denkwürdigen Ereignisse seiner Regierung feiert, erzählt er uns, daß er 110 Löwen geschossen oder eine Herde von Wildstieren gejagt habe. Einen großen See hat er für die Königin angelegt und ihn feierlich eingeweiht; der König von Mitäni hat ihm eine Tochter gesendet mit 317 ihrer Mädchen. Vor allem aber berichtet er der Nachwelt, daß er, der allmächtige König, die Teje, die Tochter des Juia und der Tuia, d. h. ein Mädchen nicht königlicher Geburt, zu seiner Gattin gemacht habe. — Wer das liest und bedenkt, wie wenig derartiges zu dem ägyptischen Königtume paßt, der kann

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Achtes Kapitel.

nicht zweifeln, daß der Herrscher, der es liebte so aufzutreten, auf dem Wege war, ein weltlicher König zu werden, wie es seine Nachbarn in Babylonien und Mitani waren. Und auch sonst mußte es damals schon im ägyptischen Volke mannigfach gären, denn nur so läßt sich die große Umwälzung verstehen, die sich dann unter seinem Nachfolger vollzog. Man hatte es satt, in Verhältnissen weiter zu leben, die aus früherer Zeit ererbt waren, und den Besseren nun als Unwahrheit erschienen. Man wollte nicht mehr eine Sprache schreiben, die längst veraltet war; man wollte nicht mehr die Menschen in anmutigen Gestalten mit freundlich lächelndem Antlitz darstellen, da man es doch vermochte in den Bildnissen ihre wahren Züge wiederzugeben, und

48. Von einem Bau Amcnophis' III. in Theben. Rechts der König betend, über ihm die Sonne; links der Sonnengott noch in alter Gestalt, aber schon mit den neuen Namen. (Berlin 2072.)

vor allem: man war es satt, eine Religion weiter zu pflegen, die so vieles mit sich herum schleppte, was für keinen Einsichtigen mehr etwas bedeutete*). Die Gottheit wollte man verehren und lieben, deren segensreiches Wirken man sah und fühlte: die Sonne. — Wahrheit war es also in allem, wonach diese neue Generation strebte. Daß diese neue Richtung bereits unter Amenophis III. geherrscht hat, zeigt schon die eine Tatsache, daß gegen Ende seiner Regierung in Karnak selbst ein Sonnentempel gebaut wurde *. Und gewiß war diese Bewegung eine allgemeine**), wenn sie auch, wie wir gleich sehen werden, schon in die Hände der Gelehr*) Auch Ed. Meyer, Geschichte d. Altertums Bd. II* S. 326, sieht in der ganzen Bewegung eine solche der gebildeten Klassen. **) Mit Recht bemerkt Ed. Meyer (Geschichte I a §80), daß solche großen Bewegungen nie von den Priestern selbst ihren Ausgang nehmen.

Die Ketzerzeit.

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ten geraten war. Alle Gebildeten werden daher dem jugendlichen Kronprinzen zugejubelt haben, als er sich vermaß, mit seiner Regierung die neue Zeit heraufzuführen. Welchen Abgrund er mit diesem Beginnen aufriß, konnte man ja nicht ahnen. Worin bestand nun dieser neue Glaube? Wir kennen eine Formel, die seinen Inhalt jedenfalls klar aussprechen will, das ist der seltsame Name, den man dem Sonnengotte jetzt verleiht. Er lautet: Es lebt Harachte, der im Horizonte jauchzt, in seinem Namen als Schu, welcher Aton (Sonne) ist! Dieser Name ist so gefaßt, als sei er ein Glaubensbekenntnis, freilich ein solches, bei dem sich ein naiver Mensch nicht viel denken konnte. Verständlicher mußte es dem Volke sein, daß man den Sonnengott nicht mehr wie früher in Menschengestalt und mit Falkenkopf darstellte, sondern einfach als das Gestirn selbst. Von der Sonne laufen dabei Strahlen aus, sie endigen in Hände und diese Hände bedeuten, daß die Sonne dem Menschen das Leben und alles Gute gibt. Nur zuweilen hängt dann am unteren Rande der Sonne noch ihr altes Abzeichen, die Schlange, als der letzte Rest der alten Vor- 49. Das neue Bild des Sonnengottes. stellungen. Den wirklichen Inhalt des neuen Glaubens lernen wir dann aus den mancherlei Liedern und Gebeten kennen, die wir in den Gräbern von TellAmarna lesen. In ihnen ist nichts Dogmatisches und Theologisches zu finden und für sie ist der Sonnengott nur der freundliche Schöpfer und Erhalter aller Wesen. Das schönste dieser Lieder entstammt dem Grabe des Priesters Eje, desselben Mannes dessen wir noch öfter zu gedenken haben werden. Dies Lied lautet so: wie schön erscheinst du im Horizonte des Himmels, du lebende Sonne, die zuerst gelebt hat. Du bist im östlichen Horizonte aufgegangen und erleuchtest jedes Land mit deiner Schönheit. Du bist schön und groß und funkelst und bist über jedem Lande. Deine Sirahlen umfassen die Länder, so viel du ihrer gemacht hast', du bist Re und dringst bis an ihr Ende*) und bezwingst sie mit deiner Liebe für deinen Sohn (d. h. den König). *) Ein Wortspiel mit Re.

Achtes Kapitel.

Du bist fern und deine Strahlen sind auf Erden, man hat dich vor Augen und doch weiß man dein Gehen nicht. Gehst du unter im westlichen Horizonte, so ist die Erde im Dunkel als wäre sie tot. Sie schlafen in ihrer Kammer mit verhülltem Haupt und kein Auge sieht das andere. Würden alle ihre Sachen gestohlen, die sie unter ihrem Kopfe haben, sie würden es nicht merken. Jeder Löwe kommt aus seiner Höhle heraus und alle die Würmer beißen Die Erde schweigt, denn der, der sie geschaffen hat, ruht in seinem Horizonte. Wenn es tagt und du aufgehst im Horizonte und als Sonne am Tage leuchtest, so vertreibst du das Dunkel und schenkst deine Strahlen. Die beiden Länder*} sind fröhlich. Sie erwachen und stehen auf ihren Füßen, wenn du sie erhoben hast. Sie waschen ihren Leib und nehmen ihre Kleider. Ihre Hände preisen dein Erscheinen und das ganze Land tut seine Arbeit. Alles Vieh ist zufrieden mit seinem Kraute. Die Bäume und Krauter grünen. Die Vögel fliegen aus ihrem Neste und ihre Flügel preisen dich. Alles Wild hüpft auf den Füßen, alles was fliegt und flattert das lebt, wenn du'für sie aufgegangen bist. Die Schiffe fahren herab und fahren herauf und jeder Weg ist offen, weil du aufgehst. Die Fische im Strom springen vor deinem Antlitz und deine Strahlen sind innen im Meer. Der du die Frucht werden läßt in den Weibern, der du den Samen schaffst in den Männern, der du den Sohn ernährst im Leibe seiner Mutter und ihn beruhigst, daß er nicht weine, die Amme im Mutterleib. Der da Luft gibt, um alles was er geschaffen leben zu machen. Kommt es aus dem Mutterleibe am Tage seiner Geburt so öffnest du seinen Mund zum reden und du machst was es bedarf. Das Vögelchen im Ei redet schon in der Schale und du gibst ihm Luft darin, um es am Leben zu erJialten. Hast du ihm Kraft gegeben, sie zu Zerbrechen, . . . so kommt es heraus . . . . and es geht auf seinen Füßen fort, wenn es herausgekommen ist. Wie vieles gibt es, das du gemacht hast, du einziger Gott, neben dem kein anderer ist. Du hast die Erde nach deinem Wunsche geschaffen, du allein, mit Menschen, Herden und allen Tieren. Alle die auf der Erde sind, gehen auf ihren Füßen und alle die in der Luft sind, fliegen mit ihren Flügeln. Die Fremdländer Syrien und Nubien und das Land Ägypten — du setzt einenjeden an seine Stelle und machst was sie brauchen', ein jeder hat seine Nahrung und seine Lebenszeit ist berechnet. Ihre jungen sind durch die *) d. h. deren Bewohner.

Die Ketzerzeit.

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Sprache geschieden und ebenso ist es ihre Gestalt. Ihre Haut ist unterschieden, du hast die Völker unterschieden. Du machst den Nil in der Unterwelt und führst ihn herbei nach deinem Belieben, um die Menschen zu ernähren. Du bist ihrer aller Herr, der sich an ihnen abmüht, der Herr aller Länder, der für sie aufgeht, die gewaltige Sonne des Tages. Alle fernen Länder für deren Leben sorgst du. Du hast einen Nil an den Himmel gesetzt, daß er zu ihnen herabfalle. Er schlägt Wellen auf den Bergen wie ein Meer, um ihre Äcker zu befeuchten. Wie vortrefflich sind deine Gedanken, du Herr der Ewigkeit: den Nil am Himmel, den übergibst du den fremden Völkern, und dem Wild jeder Wüste, das auf Füßen geht. Der Nil, der kommt aus der Unterwelt für Ägypten. Deine Strahlen . . . säugen alle Felder; wenn du leuchtest, so leben sie und wachsen für dich. Du machst die Jahreszeiten um alles zu erhalten, was du geschaffen hast, den Winter um sie zu kühlen und die Glut, damit sie dich kosten. Du hast den Himmel fern gemacht, um an ihm aufzugehen und alles zu sehen was du gemacht hast. Du bist allein und gehst auf in deiner Gestalt als lebende Sonne wenn du erscheinst und leuchtest und dich entfernst und wiederkehrst. Du machst Millionen von Gestalten aus dir allein. Städte, Ortschaften, Äcker, Weg und Strom — jedes Auge schaut dich sich gegenüber, wenn du die Tagessonne über der Erde bist.... Du bist in meinem Herzen und keiner kennt dich als dein Sohn der König. Du ließest ihn dein Wesen und deine Kraft begreifen. Der Welt ergeht es nach deinem Wink, denn du hast sie erschaffen. Bist du aufgegangen, so leben sie, gehst du unter, so sind sie tot. Du selbst bist die Lebenszeit und man lebt durch dich. Die Augen schauen auf deine Schönheit bis du untergehst und man legt alle Arbeit nieder, wenn du zur Rechten untergehst*). Wenn du aufgehst, so läßt du wachsen für deinen Sohn, der aus deinen Gliedern hervorgegangen ist. Wer diesen schönen Hymnus mit älteren Liedern auf den Sonnengott vergleicht oder mit dem großen Hymnus auf Amon Re (S. 105), dem wird der grundsätzliche Unterschied nicht entgehen. Allen gemeinsam ist zwar, daß sie den Gott als Schöpfer und Erhalter alles Lebens feiern. Aber der neue Hymnus weiß nichts von den alten Namen des Sonnengottes, von seinen Kronen, *) Dem Ägypter gilt der Westen als zur Rechten gelegen. E r m a n , Religion der Ägypter.

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Achtes Kapitel.

Szeptern und heiligen Städten. Er weiß nichts von seinen Schiffen und Matrosen und vom Drachen Apophis, nichts von der Fahrt durch das Totenreich und der Freude von dessen Insassen. Überhaupt ist wenig darin aus dem herkömmlichen Vorstellungskreis der Ägypter, es ist wirklich ein Lied, das ebenso gut auch ein Syrer oder Äthiope zum Preise der Sonne anstimmen könnte. Und in der Tat werden diese Länder und ihre Bewohner so in diesem Hymnus erwähnt, als sei auch der Hochmut mit dem der Ägypter vordem auf die elenden Barbaren herabgesehen hatte, etwas Überlebtes. Alle Menschen sind des Gottes Kinder. Er hat ihnen verschiedene Farben und verschiedene Sprachen gegeben und hat sie in verschiedene Länder gesetzt, aber für alles sorgt er in gleicher Weise und wenn er dem einen seinen Nil gibt, so gibt er dem ändern dafür seinen Regen. Vielleicht hätte dieser Glaube, der uns heute so zusagt, sich eher behaupten können, wenn man ihm nur Zeit gelassen hätte, sich in Ruhe im Volke zu verbreiten. Das ist aber nicht geschehen, denn der junge König, der auch körperlich wie seine Bilder zeigen, krankhaft war, war gewiß ein unruhiger Geist und vom Anfang an betrieb er seine Reform mit einem Übereifer, der ihr nur schaden konnte. Im Anfang seiner Regierung nennt er sich selbst den Hohenpriester seines Gottes und den Einzigen des Re 1 und betreibt vor allem den Bau jenes Sonnentempels in Karnak, der schon, wie wir oben gesehen haben, zur Zeit seines Vaters begonnen war. In seinem ersten Stadium erscheint uns der neue Glaube fast nur als eine Fortsetzung der Lehre von Heliopolis. Der Gott ist noch der alte Re Harachte und wird auch noch in Menschengestalt mit Falkenkopf dargestellt. Im neuen Sonnentempel zu Karnak ist das Hauptstück ebenso wie dort der Benbenstein die Nachbildung jenes Felsens, auf dem einst die Sonne erschienen war. Auch der Hohepriester führt den gleichen Titel («r—maa) wie der von Heliopolis und auch der dortige heilige Stier, der Mnevis, darf in dem neuen Heiligtume nicht fehlen*). Selbst die Paviane, die die Sonne beim Aufgang verehren (S. 20) sind in dem neuen Tempel durch Statuen vertreten 2. So etwa sah der Glaube aus, den der König im Anfang seiner *) So noch sicher im Jahre 4 bei der Gründung von Teil Amarna.

Die Ketzerzeit.

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Regierung verkündete als höchster Priester des Harachte der im Horizonte jauchzt1. Daß sich aber hinter diesem schlichten Äußeren schon Absonderliches verbarg, zeigt der Name seines Gottes, den wir oben besprochen haben. In ihm ist das alte Harachte, der im Horizonte jauchzt2 erklärt durch einen Zusatz: in seinem Namen als Schu, welcher Aton ist und dabei sind doch Schu und Aton beides Worte für Sonne — gewiß ist das sehr tiefsinnig aber freilich auch schwer verständlich. Wie wenig man übrigens in diesem ersten Stadium der neuen Religion noch an dem falkenköpfigen Bilde des Gottes Anstoß nahm, zeigt eine Äußerlichkeit. Jahrtausende lang hatte man den Re in den Königsnamen nur mit dem einfachen Zeichen der Sonne O geschrieben; gerade jetzt fängt man an, hier auch das Zeichen »H zu gebrauchen3. Noch aber liegt in dem allen nichts Feindliches gegen den Amon, auch nicht in dem Bau des großen Tempels, den man seinem Heiligtume anfügt. Man eröffnet feierlich einen Steinbruch zur Herstellung des Benbensteines und auf dem Denkmal das diese Tat verewigt, stellt man ruhig dar, wie der König dem Amon huldigt und nennt ihn dessen Liebling 4. In der Tat brauchte ja auch in der Verehrung des neuen Sonnengottes nichts Feindliches gegen den Amon zu liegen, denn seit man diesen einst zum Amon Re gemacht hatte, war er ja im Grunde nichts anderes als eine neue Form des alten Sonnengottes und fast alles, was die Menschen an ihm verehrten, hatte er ja von diesem übernommen. So glaubte denn der König gewiß nichts Unrechtes gegen den Gott seiner Väter zu tun, wenn er seine Verehrung für den reinen Sonnengott hervorkehrte. Aber dieser Frieden ist nicht von Dauer gewesen. Was ihn gestört hat, wissen wir nicht*), man wird aber nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß die Priester des Amon in dem neuen Glauben doch eine unerträgliche Ketzerei entdeckt haben, und versucht haben, diese zu unterdrücken. Und nun bricht eine Bewegung aus, die sich mit wahrer Wut gegen den Amon wendet und deren Spuren noch heute nach 3300 Jahren, sich überall in Ägypten finden. Wo immer der Name *) Auf der Grenzstele des Jahres 4 wird auf »Böses« hingedeutet, was geschehen sei und was auch unter Thutmosis IV. vorgekommen sei, aber die Stelle ist zerstört und die Ausdrücke sind so unbestimmt, daß von allem Möglichen die Rede sein kann. 8*

Achtes Kapitel.

des Amon stand, wurde er ausgekratzt. Man möchte nicht glauben, daß diese Verfolgung des Amon von dem Könige allein ausgegangen sei, vielmehr wird es eine fanatische Menge gewesen sein, die in dieser Weise alle Tempel und Gräber durchstöbert hat, um den verhaßten Namen des Amon auszutilgen, unbekümmert darum, daß die schönsten Denkmäler so geschändet wurden. Wie immer bei solchen Torheiten fehlt dann auch die lächerliche Seite nicht. Es berührt uns komisch, wenn wir sehen, daß der gelehrte Schreiber des Königs in seinem Archiv auch in den keilschriftlichen Briefen der asiatischen Könige nachgesehen hat, ob irgendwo das Wort Amon zu tilgen wäre, obgleich dies doch gewiß niemand außer ihm selbst lesen konnte. Und nicht minder komisch wirkt es, wenn in einer Inschrift irgend ein harmloses Wort, das dem Namen des Amon ähnlich sieht, dem Fanatismus zum Opfer gefallen ist. Schlimmer was es, daß auch die Göttin Mut, die Gemahlin des Amon, verpönt war, denn das Unglück wollte ja, daß ihr Name genau so geschrieben wurde, wie das gewöhnliche Wort für Mutter. Da blieb denn nichts anderes übrig, als daß wer seinen Haß gegen die Göttin von Theben beweisen wollte, das Wort »Mutter« von jetzt ab in anderer Weise schrieb. Noch schlimmer war dann freilich das, was den König selbst betraf; er hieß ja Amenhotep d. h. »Amon ist zufrieden« und ein solcher Name war natürlich fortan eine Unmöglichkeit. So blieb nichts übrig, als daß er seinen eigenen Namen ablegte und sich fortan Echenaton »der Sonne gefällig« nannte*). Man sieht, wie völlig der junge König zum Schwärmer geworden war, denn mit dieser Namensänderung verleugnete er nicht nur den Amon, sondern seine eigenen ruhmvollen Vorfahren. Hatte sich die Schwärmerei für den Sonnengott zunächst darauf beschränkt, daß man den Amon verabscheute, so ging sie, wie das in solchen Fällen geschieht, bald weiter. Wenn man im Sonnengott im Aton wie man jetzt schlechtweg sagte, den alleinigen Schöpfer aller Dinge sah, so war es eigentlich ein Widersinn, daß es neben ihm noch andere Götter geben sollte. Er mußte der einzig wirkliche Gott sein und es war eigentlich ein Frevel noch an andere Götter neben ihm zu glauben. *) Auch seinen alten Titel: der mit d. hohen Federn (Gekrönte) legt er dann ab, da dieser von den Göttern Min und Amon hergenommen war.

Die Ketzerzeit.

Und so sehen wir denn, daß man nicht nur den Namen des Amon austilgt, sondern vielfach auch den anderer Götter. Im Ptahtempel von Karnak sind Ptah und Hathor ausgekratzt*, in der Säulenhalle Thutmosis' III. zu Karnak hat dieses Schicksal alle Götter ereilt, den Osiris, die Isis, den Horus, den Atum, den Month, den Keb u. a. m. Selbst der Geier Nechbet, der schützend über dem Könige schwebt wird nicht verschont2. Auch der Name des heiligen Bockes wird getilgt 2, und bei dem Worte Gott gilt dessen Mehrheit »die Götter« als anstößig und nicht zu dulden *. Diese Austilgung der anderen Götter geschieht freilich nicht so konsequent wie die des Amon und so werden wir annehmen dürfen, daß sie nicht geradezu im Auftrage des Königs geschah. Jedenfalls war man offiziell noch nicht so weit vorgeschritten und wir sehen noch, daß man im Jahre 5 des Königs ihm amtlich aus Memphis berichtet, daß der Tempel des Ptah in gutem Zustande ist, daß die Opfer für alle Götter und Göttinnnen regelmäßig dargebracht und gnädig aufgenommen werden 5. Und dieser Bericht ist durchaus so gehalten, als hätte sich in der Religion noch gar nichts geändert. Hier ist also von einer Feindschaft gegen die ändern Götter noch nicht die Rede. Dann aber erfolgte ein Schritt, durch den der König mit allem brach, was vordem gegolten hatte. Er gab Ägypten einen neuen Mittelpunkt, ein Gottesreich, in dem es keinen Gott mehr geben sollte als den Sonnengott allein. Zwar hat der König die Stadt seiner Väter nicht zerstört. Aber er ertrug es nicht, selbst noch länger in dieser Stadt des Amon zu leben. Er wählte für sich und seinen Gott eine neue Stätte an jener Stelle, die wir heute Teil Amarna nennen, und die gerade in der Mitte des langgestreckten Ägyptens liegt. Da war auf dem Ostufer des Nils eine breite wüste Ebene, die einen guten Baugrund abgab für die Riesenstadt, die der König bauen wollte. Achet-Aton Horizont der Sonne sollte sie heißen. Dorthin begab er sich mit seinem Hofe (wohl im Jahre 6) brachte ein Opfer und ließ die Freunde des Königs, die Großen des Palastes und die Generäle vor sich kommen. Denen erklärte er feierlich, daß dieses der Ort sei an dem er bauen werde. Das habe ihm keiner seiner Räte eingegeben, sondern der Gott selbst wolle es so, und er der Pharao habe auch gefunden, daß diese Stätte keinem Gott gehöre und keiner Göttin, keinem Herrscher und keiner Herrscherin, noch habe irgend ein Mensch einen Anspruch auf sie.

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Achtes Kapitel.

Dem allen stimmten die Großen bei, der König aber hob die Hand zum Himmel zu seinem Vater dem Gotte und schwur bei ihm: Ich mache Achet-Aton für den Aton, meinen Vater an dieser Stelle und mache ihm Achet-Aton weder südlich davon, noch nördlich noch westlich, noch östlich. Weder nach Süden, noch nach Norden will ich über die Grenzsteine hinausgehen, und will auch nicht auf der westlichen Seite bauen sondern auf der Seite des Sonnenaufgangs, an der Stelle, die er sich selbst mit dem Gebirge umgeben hat . . . Sollte mir aber die Königin sagen, es gäbe doch anderswo eine schönere Stelle für Achet-Aton, so werde ich nicht auf sie hören! Und wenn mir die Räte oder irgend welche anderen Leute, ein gleiches sagen, so werde ick nicht auf sie hören. Mag es sich um eine Stelle im Norden oder im Süden, im Westen oder im Osten handeln, ich werde niemals sagen, daß ich Achet-Aton verlasse und gehe, um ein anderes Achet-Aton an jenem ändern schönen Orte zu errichten . . . sondern dieses ist das Achet-Aton für den Aton; er hat es selbst gewollt, daß er sich darauf erfreue immer und ewiglich.« Und nun zählt der König alle die großen Gebäude auf, die er in seiner Stadt errichten will, für den Gott, für sich und die Königin und unterläßt es auch nicht zu bestimmen, daß wo auch immer er und die Königin einmal sterben mögen, sie in Achet-Aton begraben werden sollen. Und an einem ändern Tage schwur der König einen zweiten Eid, daß das gesamte Land, das zwischen den Grenzsteinen von Achet-Aton liege — d. h. ein Gebiet von etwa 13 km Länge und 20 km Breite — dem Aton gehören solle: Berge, Wüsten und Felder aller Art, Wasser, Dörfer, Ufer, Menschen, Herden und alles, was sonst der Aton mein Vater geschaffen hat1. Dann aber begann der Bau, bei dem eine große Stadt mit Tempeln *) Palästen und langen Straßen mit Häusern und Gärten aus dem Nichts geschaffen wurde und an dem gewiß alle Baumeister und Bildhauer teil hatten. Und hier konnte nun auch die Kunst sich so frei entfalten, wie sie es wollte, sie konnte sich über das Herkommen hinwegsetzen und nach Wahrheit streben. *) Von dem großen Tempel, der 800 m in der Länge und 300 m in der Breite maß, ist heute so gut wie nichts mehr erhalten, und wir können uns fast nur nach den Wandbildern aus den Gräbern in Teil Amarna einen Begriff davon machen. Sein Hauptstück war ein großer Altar, zu dem eine Treppe hinaufführte. Der sowohl wie die kleinen Altäre waren reich mit Speisen bedeckt. Der gesamte Kultus scheint im Freien vor sich gegangen zu sein. Vgl. Davies £1 Amarna I u. II.

Die Ketzerzeit.

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Daß diese »Wahrheit« bei den verschiedenen Künstlern sehr verschieden aussah, daß neben den herrlichen Porträts, die Borchardt in der Werkstatt eines Bildhauers gefunden hat, damals auch wahre Karikaturen entstanden, das war freilich die natürliche Folge einer solchen Entfesselung der Kunst. Wir können diese Dinge hier nicht weiter verfolgen*). Und ebenso wenig können wir darauf eingehen, daß jetzt auch die gewöhnliche Umgangssprache an die Stelle der veralteten Schriftsprache trat. Aber das müssen wir hervorheben, daß mit diesser Änderung der Kunst und mit der Änderung der Sprache auch der Inhalt der Bilder und Inschriften ein anderer wird und zwar gerade auch da, wo es

50. Amenophis IV auf dem Altar opfert dem Aton.

(Davies, Amarna II, 18.)

sich um den König und das Königtum handelt. Der herkömmliche feierliche Ton ist verbannt. Man wünscht dem Könige, daß er in Teil Amarna leben soll, bis der Schwan schwarz wird und der Rabe weiß wird, bis die Berge aufstehen und fortgehen und bis das Wasser stromauf'fließtl. So viel Schätze soll der König haben als Sand am Ufer ist, als die Fische Schuppen haben und die Rinder Haare 2 und so viel Jubiläen soll er feiern wie Federn auf den Vögeln sind und *) Vgl. die Abhandlung von Schäfer, Die Religion und Kunst von el Amarna, Berlin 1923. — Die irrige Vorstellung, daß vor dieser Kunst noch eine gemäßigte bestanden, die sich weniger vom Herkömmlichen entfernte, ist nur dadurch entstanden, daß bei den Bildern Amenophis' III. öfters dessen Name durch den des neuen Königs ersetzt ist. (Borchardt, Mitteil, der DOG.57). Derartiges ist zwar auch sonst oft genug in Ägypten vorgekommen; daß aber der Name des eigenen Vaters dem des Sohnes Platz machen muß, ist doch arg und paßt wenig zu dem Streben nach Wahrheit.

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Achtes Kapitel.

Blätter auf den Bäumen 1. Solch ein Wunsch ist gewiß frischer und hübscher als es die alte Phrase von den vielen Jubiläen des Ptah Ta-tenen war, aber wer noch an die frühere Welt gewöhnt war, der mußte solche Ausdrucksweise doch als einen Mangel an Ehrfurcht empfinden. Und erst recht mußte er dieses Gefühl bei den Bildern des Königs haben. Wir hatten oben gesehen, wie schon unter Amenophis III., dem Vater des Königs, dessen Privatleben mehr hervorgekehrt

51. Amenophis IV. mit Frau und Kindern.

(Berlin 14145).

wurde als es sonst in Ägypten bei den Herrschern üblich war, jetzt unter dem Sohne geschieht dies noch ungleich mehr und seine glückliche Ehe ist der Lieblingsgegenstand der Kunst. Überall steht seine hübsche junge Frau Nofret-ete an seiner Seite, sie spielen mit ihren Töchterchen, sie kredenzt ihm den Wein oder er hält sie auf dem Schöße und küßt sie. Selbst ein feierlicher Eid, den der König schwört, lautet: so wahr mein Herz sich an der Königin freut und an ihren Kindern 2. Das alles ist hübsch und wir freuen uns an der reinen Menschlichkeit und dem guten Sinn, die sich hier aussprechen. Aber war dies auch der rechte Sinn für den König eines großen Reiches? Was mußten die alten

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Räte und Generäle denken, wenn sie sahen, wie harmlos der junge Herrscher mit Frau und Kindern in Glück und Olanz dahin lebte, während er Ägypten mit seinen Reformen erschütterte. Wie sie gesinnt waren, das sehen wir daran, daß sie sich offenbar dem Hofe von Teil Amarna fern hielten. Denn in den Gräbern dieser Stadt ruhen nicht die Großen, die auch dem alten Könige gedient haben, sondern es sind so weit wir sehen können Geschöpfe des neuen Herrschers. Der ist es, der sie gebaut, (d. h. geschaffen) hat und der sie hat werden lassen. Sie nennen ihren König den Gott, der die Menschen baut der Große macht und Geringe baut1 und rühmen, daß er sie reich gemacht habe. Er ist ihnen der Nil für alle Menschen, durch dessen Speise man satt wird*; er ist die Mutter, die alle gebiert und er ernährt Millionen mit seiner Speise. Wer den König liebt, für den gibt es keine Armut und er braucht nicht zu sagen: hätte ich doch! 3. Manche dieser sonderbaren Vornehmen reden noch offener. Der eine sagt, der König habe ihn zum Menschen gemacht und habe gemacht, daß er sich unter die Gelobten und die Räte mischen durfte. Er hatte nie gedacht, daß er sich unter die Räte mischen würde und nun war er sogar ein Vertrauter des Königs geworden und der machte ihn reich, da er doch arm gewesen war 4. Und noch naiver vertraut uns ein anderer an, er sei von Vater und Mutter her gering gewesen, einer der nichts hatte. Er war aus dem Ende des Volkes und er bat um Brot. Und aus diesem Bettler hat der König etwas gemacht; er hat ihn gebaut und mit seiner Nahrung ernährt; er hat ihn sich unter die Räte und Hofleuie mischen lassen und alle seine Leute (d. h. wohl seine Mitbürger) blicken nach ihm, der jetzt der Herr der Ortschaß geworden ist5. Wenn sich die Großen so rühmen, Emporkömmlinge zu sein, so zeigt das zum Mindesten, daß es am Hofe von Teil Amarna zum guten Tone gehörte, ein Geschöpf des Königs zu sein. Und das zeigt uns wie es um den König aussah; die Großen seines Vaters hatten sich von ihm losgesagt und er mußte sich neue Leute suchen*). Und die nahm er natürlich unter seinen Anhängern, unter denen, die am lautesten seiner Lehre zustimmten. Denn der König wendet sich gegen den, der von seiner Lehre nichts *) In der oben gedachten Bildhauerwerkstätte sind uns mancherlei Porträts erhalten, die gewiß die Großen vom Hofe darstellen. Wenn diese so derbe und grobe Züge tragen, so ist man versucht, das aus deren geringer Herkunft zu erklären.

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weiß aber er belohnt den, der sie kennt1. Darum rühmen sich alle, daß sie seine Lehre gehört haben 2, seine schöne Lebenslehre 3, die Lehre des Pharao 4 oder wie man auch im Enthusiasmus sagt: die Lehrey ja die Lehre5*}. Sie haben seine Lehre gehört und nach seinen Gesetzen getan oder haben auch die Lehre getan 7. Den einen hat der König unterrichtet und er tat seine Lehre und ein anderer erzählt, daß der Herrscher sich an jedem Morgen damit beschäftigt habe, ihn zu unterweisen, weil er so sehr nach seiner Lehre handelte 8. Daß es nicht bloße Phrase ist, wenn die »Lehre« durchweg als das Werk des Königs gilt, wollen wir nicht bezweifeln. Ihre Grundgedanken stammten ja gewiß von anderen, aber sein Verdienst war es, daß er sie verkündete und verfocht. So nennt er sich denn auch seit dem fünften Jahre in seiner Titulatur den, der von der Wahrheit lebt9, und ein Jahr später noch deutlicher den, der den Namen desAton verkündet10, er ist, wie wir sagen würden, der Prophet des Gottes. Das ist seine Aufgabe, daß er die Schönheit des Aton verkündet und seinen Namen groß macht, er läßt das Land seinen Schöpfer kennen und macht dessen Namen hell für die Menschen. Denn ihm hat sein Vater der Gott sich offenbart: ihm allein hat er es gegeben, seine Gedanken und seine Kraft zu verstehen u. Die Lehre, die der König so verkündete, hat sich dann auch nach der Übersiedlung nach Teil Amarna noch weiter entwickelt. Es war doch noch ein Rest des alten Aberglaubens in ihr, wenn man noch den alten Sonnengott Harachte mit seiner Menschengestalt und seinem Falkenkopfe weiter ehrte. Und dessen uraltes Schriftzeichen vv kam noch in dem Namen des Gottes vor! Das mußte beseitigt werden und zwar in derselben Weise, in der man auch den anstößigen Geier \\ im Worte für Mutter _0*tf beseitigt hatte. Man schrieb also statt des Falken zwei alphabetische Zeichen, h und r12, dagegen konnte auch der eifrigste Anhänger der Lehre nichts einwenden; leicht zu lesen war das freilich nicht **). Aber diese Änderung des Horuszeichens im Namen des Gottes war doch nur ein Notbehelf und im Jahre 8 geht der König entschiedener vor und der ganze Namen des Gottes wird neu gestaltet. *) Das einfache Wort genügt nicht für so Herrliches. **) Andere Änderungen der Schrift erscheinen uns vollends schrullenhaft. Das Zeichen meri »geliebt« schreibt man in manchen Gräbern wie seh und bei dem Zeichen hetep fügt man dem Brote noch zwei Kuchen bei.

Die Kctzcrzeit.

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Zunächst wird der Harachte durch ein Herrscher der beiden Horizonte farblos ersetzt und dann fügt man dem Namen noch eine neue Erkenntnis bei, die dem Könige geworden war. Fortan heißt der Gott so: Es lebt Re, der Herrscher der beiden Horizonte, der im Horizonte jauchzt, in seinem Namen als Vater des Re, der gekommen ist als Aton. Ob wir diese dunkeln Worte im Einzelnen richtig übersetzen, steht freilich dahin; auch einem Ägypter, der in die Lehre nicht eingeweiht war, dürfte ihre Deutung schwer gefallen sein; jedenfalls enthielten sie noch tiefere Gedanken wie bisher. Versuchen wir uns nun klar zu machen, worin diese Lehre in ihrer schließlichen Fassung bestand, so sehen wir, daß sie im Unterschied von ihren Anfangen jetzt wirklich ein monotheistischer Glaube sein will. Es gibt nur den einen Gott und keinen ändern neben ihm; was sonst die Menge der ändern Götter gewirkt hatte, das wirkt er jetzt allein, denn Millionen von Leben sind in ihm. Er hat sich selbst geschaffen und jeden Morgen schafft er sich aufs neue. Am Tage zieht er über den Himmel aber wie dies geschieht, erfahren wir nicht, denn wenn es auch nach alter Ausdrucksweise heißt, die Sonne »fahre«, so ist doch nirgends von ihrem Schiffe die Rede und nirgends von all den ändern Vorstellungen, die sich sonst an diese Fahrt geknüpft hatten. Auch das bleibt unklar, wo die Sonne in der Nacht weilt vermutlich in der Unterwelt, doch werden diese Dinge wie wir unten sehen werden, nicht gern berührt. Mit den alten Gestalten des Sonnengottes, dem Atum, dem Chepre und dem Harachte, hat der Gott nichts mehr zu tun und zulässig sind für ihn nur noch die Namen Aton und Re, die die Sonne selbst bezeichnen; er ist eben das Gestirn selbst und nicht ein Gott von der alten Art. Dieses Gestirn aber denkt man sich vor allem als den großen Segenspender für alles, was lebt. So weit ist der neue Glaube verständlich und auch folgerichtig. Er steht nach unserm Empfinden hoch über der alten verworrenen Vielgötterei, mit der er reinen Tisch macht. Von unserm Standpunkt aus erscheint uns dieses Vorgehen des Königs gerechtfertigt, wenn wir dabei auch an all die einfachen Menschen denken werden, denen diese Umwälzung ihr Heiligstes raubte. Aber leider zeigt sich dann in der neuen Lehre, die so rein und vernünftig sein wollte, auch gleich die menschliche Schwäche und der menschliche Unverstand, denn der eine einzige Gott tritt in ihr doch

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gleich in drei Gestalten auf 1 . Da ist der allgemeine Sonnengott der Welt, der gute Gott, der sich an der Wahrheit freut, der Herr von Himmel und Erde, der große lebende Aton, der die beiden Länder erleuchtet. Aber neben ihm steht als eine besondere Gestalt der Sonnengott wie er in Teil Amarna verehrt wird, der lebende Aton im Atonhause zu Teil Amarna. Der wird wie ein König aufgefaßt, sein Name wird nach Art der Königsnamen geschrieben und er trägt wie ein König das Beiwort mit Leben ewiglich beschenkt. Man mußte eben nach alter Sitte doch einen besonderen Stadtgott für die Residenz haben. Die dritte Gestalt, in der sich die Gottheit offenbart, ist dann der König selbst, er, der die ändern Götter beseitigt hat, hält es nicht für Unrecht, sich selbst als einen Gott verehren zu lassen. Daß der König als Gott bezeichnet wurde, war ja auch in frühereren Zeiten schon üblich gewesen, es war aber nie über die herkömmlichen Titel und Formeln hinausgegangen. Jetzt wo alles Herkömmliche fortgeräumt ist, kann sich der König ungescheut als einen Gott verehren lassen, und selbst in dem herkömmlichen Totengebet wird er so als ein Gott genannt 2 . Man preist ihn nicht nur als die Sonne und als deren Sohn, deren guten Sohn, den Sohn der Ewigkeit, der aus der Sonne gekommen ist, sondern man weiß auch, wie diese Göttlichkeil des Königs zu denken ist. Wie die Sonne selbst an jedem Morgen sich neu gebiert, so gebiert sie auch täglich ihren Sohn, den König 3, unaufhörlich gebiert sie ihren herrlichen Sohn *. Die Sonne verleiht ihm eben immer wieder ihr göttliches Wesen. Daß man es, wenigstens äußerlich ernst nimmt mit dieser Göttlichkeit des Königs, sieht man, wie gesagt, auch daraus, daß das Totengebet, das man noch immer in alter Form in manchen Gräbern anbringt, nicht nur an den Sonnengott, sondern auch an König und Königin gerichtet ist 5 . Bei allem was wir hier über den neuen Glauben dargelegt haben, wird man das Eine vermissen, dem doch die Ägypter sonst die größte Wichtigkeit beigemesssen hatten, das Totenreich. In der Tat ist in all den Inschriften von Teil Amarna, die doch fast sämtlich aus Gräbern stammen, kaum davon die Rede, denn dem neuen heiteren Glauben sind Tod und Grab im Grunde unangenehme Dinge. Man kann sie ja nicht umgehen, aber man heuchelt auch nicht, sich daran zu freuen. Man legt zwar große Felsengräber an, aber doch eben nur, weil das nun einmal hergebracht ist und die Verstorbenen doch eine würdige Ruhestätte haben

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müssen. Es fehlt dabei der religiöse Eifer, der einst die Pyramiden aufgetürmt hatte und selbst das Grab der Königlichen Familie ist keine große Anlage. So ist denn auch in fast allen Gräbern nur der erste Raum vollendet, den man für die Feiern an Festtagen brauchte. Man denkt eben auch in den Gräbern lieber an das Leben als an den Tod, gerade so, wie man in den Sonnenhymnen auch vom Tage spricht und über die Nacht hinweg geht. Auch das ist charakteristisch, daß der König selbst von der Anlage seines Grabes ohne die üblichen Phrasen und Euphemismen spricht 1 . Er spricht nicht »vom zum Himmel fliegen« oder vom »landen« sondern einfach vom »begraben werden« und sein eigenes Grab bezeichnet er mit dem einfachen,geschäftsmäßigen Ausdruck. Die alte Vorstellung, daß die Toten in der Unterwelt hausen, ist nicht verschwun- 52- König und Königin an der Leiche ihrer kleinen Tochter. den 2 . Aber für gewöhnlich spricht man so von ihnen, als wohnten sie in ihrem Grabe. Hier, im Berge, verwandelt sich der Verstorbene in eine lebende Seele 3, die man nach alter Weise als einen Vogel darstellt. Für gewöhnlich ruht sie auf der Leiche, die der Sonnengott zusammengeknolet hat 4. Sie kann aber auch aus- und eingehen aus dem Grabe, denn sie will sich an der Sonne und der Welt erfreuen. Auch Speisen empfängt der Tote und man ruft ihn 3 zu dem Mahle, das seine Angehörigen oder der König ihm gewähren; auch von dem, was im Tempel übrig bleibt, erhält er seinen Anteil e. Sind dies alles auch im Wesentlichen alte Vorstellungen, so malt man sich daneben das Leben des Verstorbenen auch in der Weise aus, die einem Vornehmen von Teil Amarna behagt haben würde 7 . Wenn die Sonne aufgeht, erweckt sie den Toten, er richtet sich auf und ist voller Wonne. Er wäscht sich, und greift

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nach seinen Kleidern. In der Tür des Grabes betet er zum Gotte und geht dann in die Halle des Tempels, um dort der Sonne zu dienen. Er ergeht sich in dem Parke, den er selbst gepflanzt hat, und trinkt Wasser an den Ufern seines Teiches. Eins noch befremdet uns in diesen Inschriften der Gräber von Teil Amarna; es ist in ihnen mit keiner Silbe von dem die Rede, was doch bisher die große Sorge der Ägypter gewesen war, wenigstens, solange sie an den Osiris und sein Reich geglaubt hatten. Nirgends wird das Gericht erwähnt, das über die Menschen nach dem Tode abgehalten wird und aus dem sie hoffen gerechtfertigt hervorzugehen. Zwar kommt dieses Wort »gerechtfertigt« gelegentlich noch vor x, aber wir brauchen dabei nicht an das Gericht zu denken; es ist wie früher schon nur eine herkömmliche Phrase, bei der man sich nicht mehr denkt als bei unserem »der Selige«. Auch sonst trifft man ja in den Gräbern noch mancherlei Gebräuche an, die von Alters her ererbt sind (vgl. Kap 15), aber nicht mehr in die Vorstellungen der neuen Zeit hineinpassen. Es gibt keinen Osiris mehr und kein Totengericht, aber den großen Skarabaeus, der bei diesem helfen sollte, legt man doch noch der Mumie bei und beschreibt ihn mit einem Gebete an den Aton 2. Auch die kleinen Figuren, die in der Unterwelt für den Toten arbeiten sollten, mochte man nicht missen und selbst das Grab des Herrschers hat solche enthalten 3 und auf ihnen steht, unpassend genug, eine Anrufung des Aton. Auch die kleine Pyramide ist noch nicht vergessen und sie trägt jetzt das Bild und den Namen des neuen Gottes 4. Auch der große Steinsarg hat die in dieser Epoche übliche Gestalt behalten und an seinen Ecken stehen so wie bisher vier Göttinnen, die ihre Arme schützend um ihn breiten, aber es sind nicht mehr Isis und Nephthys, die hier dargestellt sind, sondern an ihre Stelle setzt man die neue Göttin, die Königin 5. Wenn wir heute über die Jahrtausende hinweg auf das Reich von Teil Amarna blicken, so sind wir geneigt, nichts darin zu sehen,, als eine heitere Welt voller Sonnenschein. Ein junges Königspaar mit niedlichen Töchtern, eine glänzende Stadt mit heiteren Tempeln, mit Palästen und Villen, mit Gärten und Teichen, und das Ganze überstrahlt von einem fröhlichen Glauben, der nichts kennt, als Dank gegen den gütigen Schöpfer und Gerechtigkeit gegen die Mitmenschen, auch wenn sie einem fremden

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Volke angehören. Das war doch etwas so herrliches, wie es die Welt selten gesehen hat. Aber leider wird auch hier nur die Außenseite eine glänzende gewesen sein und an Nöten und Sorgen wird es auch am Hofe von Teil Amarna nicht gefehlt haben. Trotz allen Eifers des Königs wurde der neue Glaube gewiß von der Mehrheit des Volkes abgelehnt und diese hing im Stillen weiter an ihren alten Göttern *). Uns erscheint es heute schwer begreiflich, daß der neue Glaube so gänzlich scheiterte, hätte er doch in dieser Zeit höchster Blüte von den Besten als eine Erlösung begrüßt werden müssen. Er räumte ja endlich mit dem Wust auf, der sich seit Jahrtausenden in der Religion aufgehäuft hatte. Aber neben der gebildeten Schicht des Volkes stand ja die große Menge, der mit einem verstandesgemäßen Glauben nicht gedient war. Ihr fehlte in ihm das Eine, dessen auch die beste Religion nicht entraten kann: das Mystische und Übersinnliche und so blieb sie lieber bei ihrem alten Glauben**), in dem dies Element so überreich vorhanden war. So wird die Gährung im ägyptischen Volke nicht zur Ruhe gekommen sein, und es hatte gewiß seinen guten Grund, daß die Leibgarde von Teil Amarna aus Asiaten und Negern bestand l. Aber das Schlimmste war doch, daß auch die äußere Macht des Reiches erschüttert war. Zwar in den Inschriften von Teil Amarna hören wir nichts davon und nach ihnen liegen die Fürsten der Völker noch immer unter den Sohlen des Königs 2 und der Gott übergibt dem Könige alle Länder, daß er seinen Mut in ihnen kühle*. Auch ein fremder Vasall des Königs rühmt ihn noch im Briefe als den, der dem ganzen Lande die Ruhe gibt durch die Macht seiner Hand und vergleicht ihn mit dem Baal, vor dessen Stimme das ganze Land zittert *. Aber dieses alles sind hergebrachte Phrasen und wie die Dinge in Wirklichkeit aussahen, lernen wir aus anderen Quellen. Wenn man ein Heer nach Phönizien sandte, um die Grenzen zu erweitern, so erreichte es nichts 5. Und selbst wenn wir dieser Stimme, als einer, die aus dem gegnerischen Lager stammt, keinen Glauben schenken wollten, so zeigen uns die Briefe der *) Selbst in Teil Amarna, wo sich ein Mann Namens Ptah-mose (Ptah gab das Kind) in einen Ramose (Re gab das Kind) umtaufte, hat sich in einem Hause noch ein Denkstein gefunden, der dem Gotte Ptah geweiht war. **) Daß dem so war, sieht man schon aus der Art, wie nach dem Tode des Königs seine Schöpfung zusammenbrach.

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palästinensischen Fürsten aus dem Archive von Teil Amarna nur zu deutlich wie es stand. So war denn das Reich des neuen Glaubens dem Untergange geweiht und man konnte sich nur fragen, ob es an seiner eigenen Schwäche zugrunde gehen, oder ob es ein gewaltsames Ende finden würde. So weit wir heute noch sehen können, ist es nicht einer einmaligen plötzlichen Empörung erlegen, sondern es ist allmählich beseitigt worden. Den ersten Stoß mußte es durch den Tod des Königs erleiden, der, als er nach neunzehnjähriger Regierung starb, keinen Sohn hinterließ. So fiel denn die Herrschaft dem Gatten seiner ältesten Tochter zu und ihm folgte nach kurzer Zeit ein anderer jugendlicher Schwiegersohn, der König, der sich Tutanchaton, das lebende Bild des Aton, nannte. Aber schon werden die Leute, die diesen Knaben auf den Thron setzten, gefühlt haben, daß die Sache des neuen Glaubens verloren war; eine Reaktion war nicht mehr zu vermeiden. So zeigt uns denn auch ein kleiner Denkstein *, daß es unter Tutanchaton wieder erlaubt war, den Amon und die Mut zu verehren. So wurde denn auch der Friede mit dem Amon geschlossen und zum Zeichen dieses Friedens legten der junge König und seine Gemahlin ihre ketzerischen Namen ab, und aus dem Tutanchaton wurde ein rechtgläubiger Tutanchamon. Er kehrte nach Theben zurück und weihte seine Regierung mit einem Erlasse ein, in dem er zunächst das Umglück des Landes schildert: durch das ganze Land hin waren die Heiligtümer zugrunde gegangen und ihre Gebäude waren zum Fußweg geworden. Darum hatten die Götter dem Lande auch den Rücken gewendet, das Heer erreichte nichts mehr und wenn man einen Gott oder eine Göttin anrief, sie um Rat zu befragen, so kamen sie nicht. Nun aber haben die Götter einen neuen König auf den Thron seiner Väter gesetzt und die Sünde ist aus dem Lande vertrieben; die Wahrheit dauert und die Lüge ist ein Ekel. Das Land ist wieder so, wie es in der Urzeit gewesen war. Und so stellt nun der König alle Tempel wieder her und verschönert sie. Dem Amon und dem Ptah macht er Götterbilder aus lauterem Gold, die so groß sind, daß man die Zahl der Tragstangen bei den Prozessionen vermehren muß. Auch die Schiffe der Götter werden neu aus Zedernholz gezimmert, und so mit Gold verziert, daß sie den Strom erhellen. Alle Opfer werden vermehrt und überdies weiht der König Sklaven und Skla-

TAFEL 4

(ioldmasko von der Mumie des Königs TnlaiH hamon. (Nach Carlcr)

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vinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen die im Hause des Königs gewesen waren den Tempeln. Und dann führte er niedere und höhere Priester ein, die er den Kindern der angesehensten Familien entnahm, Söhne gelehrter Leute, deren Namen bekannt waren. Und er besoldete sie reichlich. Man sieht, wie die Wiederherstellung des alten Glaubens aussah, zu der der junge König seinen Namen hergeben mußte. Auch Tutanchamon ist eines frühen Todes gestorben, und wir haben noch den Brief, in dem seine junge Witwe den König des großen Chattireiches bat, ihr doch einen Prinzen seines Hauses zu senden, der ihr Gemahl werden solle. Ihr Wunsch hat sich nicht erfüllt *) und den Thron bestieg vielmehr der Mann, den wir schon seit dem Beginn der Ketzerzeit in höchsten Stellungen sehen, und den man auch in Verdacht haben wird, den jungen König auf den Thron gebracht zu haben. Es war das der »Priester« Eje, dessen Gattin Teje einst die Amme des Ketzerkönigs gewesen war. Der wurde nun selbst König und usurpierte die Bauten und Denkmäler, die unter dem jungen König für den Amon errichtet waren. Dem armen Tutanchamon beließ er zwar all die unermeßlichen Kostbarkeiten, die dieser bei Lebzeiten für sein Grab vorbereitet hatte, aber das große Felsengrab, für das diese gewiß bestimmt waren, gab er ihm nicht. Er ließ ihn in einem engen Grabe, das in der Eile um ein weniges erweitert wurde, notdürftig und hastig beisetzen. Über dieser bescheidenen Gruft freilich sollte ein merkwüdirges Schicksal walten. Sie ist als einziges von allen Königsgräbern Jahrtausende lang allen Nachstellungen entgangen. Und als das Grab des Tutanchamon 1922 entdeckt wurde, da hat es den Namen des armen jungen Königs durch alle Welt getragen. — Das große Grab aber, das für Tutanchamon vorbereitet war, wird sich Eje selbst genommen haben, und das hat ihm nicht zum Segen gereicht: das Grab ist zerstört und ausgeraubt**). Aber auch die Herrschaft des Eje hat nur wenige Jahre gewährt. Und dann kam ein anderer über ihn, der mächtiger und kräftiger war, Haremheb, der als Befehlshaber des Heeres zu Memphis saß. Auch er war ein Günstling des Ketzerkönigs gewesen und war jetzt offenbar der wirkliche Herrscher von Unterägypten; *) Der Prinz scheint auf der Reise ermordet zu sein. **) Teile seines Sarges befinden sich im Berliner Museum. E r m a n, Religion der Ägypter.

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in dem Grabe, das er sich in Memphis errichtete*), läßt er darstellen, wie er die Gesandten der fremden Völker empfangt. Der zog nun nach Theben, und Amon krönte ihn zum Könige. Was dann weiter geschehen ist, wissen wir nicht, aber als Haremheb den Thron bestieg, hatte die Ketzerzeit auch in ihren Ausläufern ein Ende genommen. Es wird dies die Zeit sein, wo alle Bauten, die in Theben an die Ketzerzeit erinnerten, abgebrochen und als Baumaterial verwendet wurden. Auch Teil Amarna ist damals zerstört worden. Von seinem großen Tempel hat man buchstäblich nichts übriggelassen, und selbst die Stelle, wo er gestanden hatte, ist künstlich zu einem unfruchtbaren Boden gemacht worden. Auf dieser verfluchten Stätte sollte auch in Zukunft nichts Lebendes mehr gedeihen. Auch die Gräber von Teil Amarna sind damals geschändet worden, und auch die der königlichen Familie sind diesem Schicksal nicht entgangen. Aber irgend einem Getreuen des Echenaton muß es zur Zeit des Tutanchamon gelungen sein, einiges aus ihnen zu retten, und es in einem alten Grabe in Theben zu verstecken. Zwar der Sarkophag des Königs selbst ist verschwunden, und nur in einem Holzsarge**) ruht der Mann, der einst versucht hatte, seinem Volke einen neuen Glauben zu geben. Und so hatte denn auch diese Umwälzung das Ende genommen, das alle Revolutionen nehmen. Sie hinterlassen wohl ein oder das andere Gute, wenn es auch nur wenig ist von alle dem, was man von ihnen erhofft hatte, und nach all dem Jammer, den sie über das Volk gebracht haben, kehren die meisten der alten Übel in anderer Weise zurück. Auch von den drei Fortschritten der Teil Amarnazeit ist nur der eine, die Zulassung der Volkssprache, geblieben. In der Kunst hatten nur kleine Besserungen Bestand, die große Umwälzung der Religion aber führte zu nichts als zu der Reaktion, die den geistigen Verfall Ägyptens einleitete. *) Seine schönen Bilder sind heute durch die Museen Europas zerstreut. **) Jetzt im Museum zu Kairo. — Man kann natürlich zweifeln, ob die Mumie nicht etwa bei »dieser Rettung« vertauscht ist. Nach der Aussage der Anatomen soll sie die eines 3ojährigen Mannes sein, und dies Alter wäre wohl für den wirklichen Echenaton zu niedrig.

Neuntes Kapitel. Das Ende des neuen Reiches. So hatte denn die große Bewegung das Ende gefunden, dem sie nicht entgehen konnte. Die Rache zerstörte alles, was an die Ketzerei erinnern konnte; noch viele Jahrzehnte später vermeidet man es sogar in den Akten eines Zivilprozesses den Namen des längst verstorbenen vierten Amenophis zu nennen, und spricht nur von jenem Verbrecher von Teil Amarna l. Triumphierend sangen die Anhänger des Amon in einem Liede: Weh dem, der dich antastet! Deine Stadt besteht, aber der dich antastete ist gefällt. Pfui über den, der gegen dich frevelt in irgend einem Lande. . . Die Sonne dessen, der dich nicht kannte, ist untergegangen, aber wer dich kennt, der leuchtet. Das Heiligtum dessen, der dich antastete, liegt im Dunkel, und die ganze Erde ist im Lichte 2. Und es war wirklich ein Dunkel, das sich über den schrecklichen Frevler von Teil Amarna ausbreitete. Jede Kunde von ihm schwand, und erst in unseren Tagen war es Lepsius beschieden, seinen Namen und sein Wirken nach mehr als dreitausendjähriger Vergessenheit wieder an das Licht zu ziehen 8. Freilich, die Religion, die so wiederhergestellt war, glich nicht mehr recht dem alten Glauben der Vorfahren. Zwar die Götter der einzelnen Städte waren wieder zu ihrem Recht gekommen, und der Aton, der sie unterdrückt hatte, war vernichtet, aber im Grunde war nur ein anderer Unterdrücker an die Stelle getreten, der Amon Re. Daß dem so war, ist begreiflich; war doch ihm und seiner Stadt im Kampfe gegen das Ketzertum der Sieg geblieben. Durch ihn war der Feind des Re zu Asche gebrannt ·, und durch seine Siege hatte Theben dem Lande einen einzigen Herrn gegeben. Dieser einzige Herr war aber eben Amon Re selbst, denn er ist der Besitzer des ganzen Landes, ihm gehören alle Äcker, Ufer und Grundstücke; die Kataster und die Vermessungen werden nur für ihn geführt, und ihm bringen alle Schiffe, die vom Ausland kommen, ihre Schätze. Die federn wachsen für ihn, und seine herr9*

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liehe Barke wird aus ihnen gezimmert. Auch die Berge liefern ihm die Steine für seine Riesenbauten J. So leben denn die ändern Götter eigentlich nur von seiner Güte; sie erbitten ihren Unterhalt von ihm, und er ist es, der ihnen Brot gibt aus seinem Besitze 2. Durch ihn auch erhalten sie einen Anteil an dem, was in Ägypten an Bauten und Tempeln 3 errichtet wird. Er selbst hat überall seine Tempel, und in jeder Stadt kann er weilen, wie er will *. Die ganze Welt gehört ihm ja, und selbst die Länder der Feinde, Euphrat und Ocean stehen unter seiner Furcht5. Wie einem Könige dieser Zeit rühmt man ihm nach, daß er ein Schrecken für seine Gegner ist, er wirft sie auf ihr Antlitz, und niemand kann ihn angreifen, ihn, den grimmigen Löwen mit schrecklichen Klauen, den Stier mit schweren Hufen, den Raubvogel, der dem Angreifer die Glieder und die Knochen bricht. Unter ihm beben die Berge, und die Menschen fürchten sich vor ihm e. Im Grunde freilich ist diese Macht und Schrecklichkeit nicht das Wesentliche in der Natur des Amon, und trotz aller Stürme dieser Zeiten ist er derselbe gütige Gott geblieben, der er früher gewesen war, der Wohltäter der Menschen und aller anderen Wesen. Wie man sich das Wesen des Amon in der Nachketzerzeit dachte, das zeigt uns derselbe Hymnus der Leidener Sammlung, dem wir auch im Vorstehenden schon einzelnes entnommen haben.In diesem sieht der Gott freilich sehr anders aus als der Amon, von dem wir in Kapitel 7 gesprochen haben. Wenn dieser aus den beiden Göttern Min und Re bestand, so ist Amon jetzt nur noch der Sonnengott, und alles, was er mit Min gemeinsam hatte, ist von ihm abgefallen. Als Sonnengott fährt er so, wie einst im Schiffe, über den Himmel, besiegt den Wolkendrachen, und fährt durch die Unterwelt, in der er seiner eigenen Mumie begegnet7. Er macht die Jahre und knotet die Monate zusammen', Tage, Nächte und Stunden sind nach seinem Gange 8. Aber von vielem, was sonst in solchen Schilderungen der Sonnenfahrt erwähnt wird, ist in unserm Liede nicht die Rede; weder begrüßen ihn morgens die Affen, noch begleiten ihn die Götter im Schiffe, und sogar des Osiris und der armen Toten geschieht keine Erwähnung. Und ebenso fehlt in diesem Hymnus der ganze Apparat von Kronen und Kapellen, der sonst zum Amon Re gehört hatte, und man hat den Eindruck, daß dieses Schweigen kein Zufall ist — der

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Verfasser dieses Liedes hielt eben diese Dinge für etwas Nebensächliches und, wenn man will, Überlebtes, mochten sie auch im offiziellen Kultus noch ihre Geltung haben. Der Dichter steht eben noch unter dem Einfluß der Ketzerzeit, und jedenfalls liegt ihm die Güte seines Gottes mehr am Herzen als jene Äußerlichkeiten. Diese Güte schildert er nun in ähnlicher Weise, wie das in dem alten Hymnus geschah, oder in dem Hymnus von Teil Amarna. So heißt es denn von Amon: wenn alle Menschen schlafen, so wachen seine Augen l. Wenn dann die, die geschlafen haben, aufwachen, so leuchtet er ihnen in einer neuen Gestalt entgegen 2; sie wenden ihr Antlitz zu ihm, und Menschen und Götter sagen ihm: Willkommen { Und ebenso wie die Götter und Menschen freut sich auch die ganze Natur 3. Alle Bäume regen sich vor seinem Antlitz, sie wenden sich zu seinem Auge, und ihre Blätter sind entfaltet. Die Schuppigen springen im Wasser, und alle Tiere hüpfen vor seinem Antlitz- Alle Vögel tanzen für ihn mit ihren Flügeln. Der Himmel glänzt, als wäre er aus Gold, und sein Ozean sieht aus wie Lapislazuli, die Felder grünen, als wären sie mit Malachit bestreut. Die Menschen lieben ihn: 4 ihm singt man an jeder Stätte, am Festtag braut man Bier für ihn, und auf den Dächern der Häuser wird ihm gesungen. Und auch dem einzelnen Menschen ist Amon ein Helfer 5: denn er löst das Böse und vertreibt die Krankheit*}. Er ist der Arzt, der das Auge heilt ohne Heilmittel, der die Augen öffnet und das Schielen vertreibt. Er errettet den, den er will, auch wenn er schon in der Unterwelt ist. Er befreit vom Geschicke, so weit er mag', er verlängert das Leben und vermindert es auch. Überall hat Amon seine Augen und seine Ohren, er hört die Bitten dessen, der zu ihm ruft. Wer seinen Rücken an ihn lehnt, der ist geschützt, und er ist mehr wert als Millionen von Helfern für den, der ihm vertraut. Auch auf dem Wasser hat der Name des Amon Macht: er vertreibt das Krokodil und gibt dem Schiffer richtigen Wind e. Freilich ist es nicht immer ein Segen, den Namen des Amon zu nennen, denn er hat auch einen geheimen Namen, den man nicht kennt 7 , und der ist so furchtbar, daß man auf der Stelle tot hinstürzen würde, wenn man ihn ausspräche. Kein Gott kann ihn damit anrufen. Nicht umsonst heißt Amon Der »Verborgene«, denn er ist *) Die Schwangere gebiert, wenn sie seinen Namen nennt. Mammisi Edfu 25.

Chassinat,

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ein so geheimnisvolles Wesen, daß selbst die Götter seine wahre Gestalt nicht kennen. Sein Bild ist nicht in Büchern ausgebreitet', er ist zu geheimnisvoll, als daß man seine Herrlichkeit entblößen könnte, er ist zu groß, als daß man über ihn beraten könnte, und zu stark, als daß man ihn kennen könnte. Wie man sieht, ist unser Dichter auch ein gelehrter Mann, für den das Wesen der Götter in Büchern und Diskussionen erörtert wird, nur daß eben bei diesem größten aller Götter die menschliche Weisheit ein Ende hat. Was wir dennoch von dieser poetischen Theologie verstehen, ist etwa Folgendes: Amon ist der Uranfang aller Dinge 1, er ist am Anfang entstanden, und kein Gott entstand vor ihm, und kein Gott war mit ihm, der ihm seine Gestalt gesagt hätte. Er hatte keine Mutter, die ihm seinen Namen gab, und keinen Vater, der ihn erzeugte, und der zu ihm sagte: »das bin ich«. Alles andere hat sich aus ihm entwickelt2: die Neunheit und jeder Gott waren mit seinem Leibe verbunden, als er als Ptah-Ta-Tenen die Urgötter schuf. Es gibt also im Grunde nur ein göttliches Wesen, den Amon 3. Daß neben dieser großartigen Auffassung des Gottes dann auch einzelne gröbere Vorstellungen*) alter Zeit noch erwähnt werden, kann nicht Wunder nehmen. Man könnte den Glauben, wie er sich z. B. in diesem Liede ausspricht, wohl als eine Religion des Amon Re bezeichnen. Freilich müßte man sich unter dem Amon nicht eine geschlossene Gestalt denken, sondern eher eine Dreieinigkeit von Göttern. Denn Re selbst ist mit seinem Leibe vereinigt, und man nennt den Amon auch Ptah Ta-tenen. Verborgen ist sein Name als Amon, Re gehört ihm als Antlitz (?), und Ptah ist sein Leib *. Daß der Re so mit dem Amon verbunden wurde, ist ja bei dessen Auffassung als Sonne nur natürlich; daß aber auch der Ptah ein Glied dieses höchsten Götterwesens wurde, wird er wohl nur einem äußeren Umstände verdankt haben, der Rücksicht, die man auch in Theben auf den König Haremheb zu nehmen hatte; war doch dieser Wiederhersteller der Ordnung aus Memphis, der Stadt des Ptah, ausgegangen. So sind es denn diese drei Götter Amon, Re und Ptah, die man in der Nachketzerzeit vor allen ändern verehrt, und diese sind nun die offiziellen Götter des ganzen Reichs, und ihre Städte *) So das Ei des Urgottes, seine Selbstbegattung, und sein Ausspeien von Schu und Tefnet.

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und Tempel sind die großen Heiligtümer des Staates. Vor allem gilt dies natürlich von Theben, das jetzt zum heiligsten Orte wird, trotzdem es nicht mehr der Sitz des Königs ist. (S. 138). Alle anderen Götter, die daneben noch im Lande verehrt werden, treten hinter der Dreiheit Amon, Re und Ptah zurück, und innerhalb dieser Dreiheit steht der Amon natürlich voran. Und diesem selben Verhältnis begegnen wir noch ein Jahrhundert später in einem offiziellen Dokument, dem Papyrus Harris, der uns noch in Kapitel 13 beschäftigen wird. In ihm ist jedem der drei großen Götter ein besonderer Abschnitt gewidmet, während alle übrigen Götter Ägyptens — und es sind so große darunter wie Hathor, Thoth, Osiris usw. — sich in einem einzigen Abschnitt zusammendrängen müssen. Auch das ist dabei charakteristisch, daß das Vermögen des Amon in keinem Verhältnis zu dem seiner beiden Mitgötter steht, besitzt er doch fünfmal so viel Äcker, wie der Re, und sogar sechsundachtzigmal so viel wie der Ptah, der doch einst auch der große Gott des Reiches gewesen war. Und nicht nur, daß der arme Ptah so von Amon äußerlich in Schatten gestellt wurde, auch sein eigenes Wesen mußte sich jetzt immer mehr dem seiner Genossen angleichen, auch er wurde fast zum Sonnengotte. Das zeigt uns das Lied, das man morgens in Theben zu seinem Preise anstimmte. Zwar ist er auch hier noch der Urgott, der alle Wesen geschaffen hat, aber vor allem rühmt man ihn um der Sonne willen. Die hat er geschaffen, und Re ist sein Sohn, für den er den Himmel geschaffen hat, und der Hauch seines Mundes ist es, der die Schiffe der Sonne fahren läßt. Aber noch mehr: Ptah ist auch die Sonne selbst, das Kind, das täglich geboren wird, und er geht unter am Westberge, um die Toten in der Unterwelt zu erfreuen. König Haremheb und seine Nachfolger — wir nennen sie die igte Dynastie — haben sich in großartigster Weise bestrebt, alle Verluste wieder gut zu machen, die Amon und seine Stadt in der Ketzerzeit erlitten hatten*). Sie sind es, die zu Ehren des Amon jene Riesenbauten errichtet haben, denen kein Land und keine Zeit etwas gleiches an die Seite zu setzen hat. *) Auch die ausgekratzten Götternamen (Kap. 8), hat man damals wiederhergestellt, was freilich nicht zur Verschönerung der Denkmäler beigetragen hat. Dies ist besonders unter Sethos I. und Ramses II. geschehen, vgl. Bissing, Ä. Z. 41, 126.

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Die Pracht, die in diesen Tempeln herrschte, und die großartigen Feste, die sich in ihnen abspielten, werden wir in Kap. 13 im einzelnen schildern. Freilich muß man sich fragen, ob all diese Herrlichkeit der Religion zum Segen gereichte, denn sie verlor dabei mehr und mehr dasjenige, was doch eigentlich ihre Lebensluft war. Trotz allen Glanzes, oder vielmehr wegen desselben, wurde sie der Mehrheit des Volkes fremd. Sie war eine Religion des Königs, oder wie wir sagen würden: des Staates, und nicht eine solche des Volkes. Denn zu diesen Tempeln, die noch heute so gewaltig auf uns wirken, hatte der gemeine Mann keinen Zutritt, und nicht umsonst verehrt man an den Toren der Tempel die Götter, die die Bitten erhören*); die waren eben die Stätten, an denen der einfache Mann seine Bitten dem Gotte vortrug. So ist denn Amon trotz seiner Herrlichkeit im Grunde kein volkstümlicher Gott, und jedenfalls denkt man im gewöhnlichen Leben mehr an den Sonnengott als an ihn. Wo in den Märchen dieser Zeit von einem Gotte die Rede ist, nennt man mit Vorliebe den Re Härachte, und wenn man in einem Briefe die Götter bittet, dem Adressaten gnädig zu sein, so ist es wieder dieser, auf den man hofft. Auch in einer allgemeinen Ermahnung zur Frömmigkeit heißt es schlechtweg: der Gott dieses Landes ist die Sonne im Horizonte x. Natürlich tat dabei diese volkstümliche Verehrung des Sonnengottes auch der der ändern alten Götter keinen Abbruch. Die Leute von Bubastis wenden sich nach wie vor an ihre Göttin Bastet, und die von Elephantine an ihren Chnum; für die Schreiber und Gelehrten ist der Thoth der Patron, der ihnen das richtige Verständnis der Schriften verleiht und sie in ihrem Amte unterstützt; im Kriege aber ist es Month, der den König zum Siege leitet. So erwacht denn die ganze Schar der ägyptischen Götter zu neuem Leben, und die Könige tragen dieser Anhänglichkeit des Volkes auch Rechnung. Überall werden die Tempel der alten Götter hergestellt oder ausgebaut und besonders Ramses II. hat in dieser Hinsicht unendlich viel getan; man kann wirklich sagen, daß es kaum ein Heiligtum in Ägypten gibt, das nicht auch seinen Namen trüge. Es ist wirklich so, als habe er den ändern Göttern einen Entgelt geben wollen für das, was er für *) Auf dem Berliner Denkstein Nr. 20377 ist hinter dem Amon, der die Bitten erhört, das Tor dargestellt (vgl. S. 142).

Das Ende des neuen Reiches.

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Amon und seine beiden Genossen getan hatte. Und gewiß spricht sich das gleiche Bestreben, den anderen Göttern wieder mehr gerecht zu werden, auch in einem Denkmal aus, das Ramses IV. etwa ein Jahrhundert später in Abydos * errichtet hat. Es ist nicht zufällig, daß auf ihm weder der Götter von Theben noch des Ptah von Memphis gedacht wird. Dafür erzählt uns der König, daß er in den Büchern des Lebenshauses unablässig geforscht habe, und aus ihnen habe er erkannt, daß Osiris der geheimnisvollste von allen Göttern sei. Er ist der Mond, er ist der Nil, und er ist der, der in der Unterwelt herrscht. Allabendlich steigt der Sonnengott zu ihm hernieder und bildet mit ihm die vereinigte Seele; die regiert die Welt, und Thoth ist es, der deren Befehle aufschreibt. Und dann berichtet der König, wie er die Feste des Osiris mitgefeiert habe, und wie er auch allen Göttern der Neunheit von Abydos gedient habe. Aber dieser Sohn des dritten Ramses erwähnt mit keiner Silbe des Amon Re und des Ptah, und die hatte doch sein Vater vor allen ändern geehrt; von den 3 Reichsgöttern ist überhaupt nur Re Harachte genannt, und auch der nur als der tägliche Genösse des Osiris. Wenn dann im neuen Reiche, und zwar in der Zeit der 19. Dynastie, ein Gott noch in auffallender Weise hervortritt, der bis dahin wenig volkstümlich gewesen war, so hat dies seinen eigenen Grund. Es ist das der Seth. Man huldigt ihm nicht als dem alten Schutzgott von Oberägypten, und erst recht nicht als dem Mörder des Osiris, sondern er ist der Gott, den dieses kriegerische Königsgeschlecht von Haus aus verehrt hatte. Und da dieses aus dem östlichen Delta stammte, wo einst die Hyksoskönige residiert hatten, so hat sein Seth auch oft die Gestalt, unter der ihm diese Halbbarbaren gedient hatten, er ist der Gott Sutech, dem etwas Unägyptisches anhaftet. Wie hoch die Könige dieses Hauses diesen Gott schätzen, sieht man schon daraus, daß die Heere Ramses II. nicht nur nach Amon, Re und Ptah genannt sind, sondern auch nach Seth, er steht also völlig den .drei Reichsgöttern gleich. Und ebenso ist in der neuen großen Stadt, die Ramses II. im Delta erbaute, zwar der eine Bezirk dem Amon geweiht, der andere aber dem Sutech. Diese neue Königsstadt (die gleiche, an der nach der Sage die Juden beschäftigt waren), lag in Unterägypten, denn Theben

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Neuntes Kapitel.

hatte seine Rolle ausgespielt, es mußte einer neuen Hauptstadt Platz machen, die nicht in einem so entlegenen Teile des Landes lag. Alle die großen Bauten, mit denen die Könige dieser Epoche es noch ausstatteten, konnten über diese Wendung seines Schicksals nicht hinwegtäuschen. Es war zwar noch die heiligste aller Städte — die Stadt des Amon, wie man es schlechthin benennt*) —, aber weiter war es auch nichts, und nie wieder ist es zur Hauptstadt geworden. Wohl erbauen sich die Könige noch auf seinem Westufer ihre Tempel und Paläste, und wenn sie sterben, so wollen sie in dieser heiligen Stadt ruhen, in den großen Gräbern, die sie sich dort geschaffen haben. Fortan ist Theben eine Stadt der Tempel und der hohen Feste, die gelten überall als etwas Großes, und so berühmt sind diese Feste; daß man schließlich im ganzen Lande die Monate nach ihnen benennt1. *) Auch die Hebräer kennen es noch unter diesem Namen.

Zehntes Kapitel. Frömmigkeit, Volksgötter und Orakel. Die Religion, die wir bisher besprochen haben, war im Wesentlichen eine solche der Tempel und Priester, ein Glaube, der selbst im Umsturz dieser ihn tragenden Mächte nicht entbehren konnte. Vollends nach dem Umsturz geriet die Religion erst recht unter die Gewalt des Staates, und der stattete sie mit einem Glänze aus, den wir noch heut bewundern. Wer aber in der Religion mehr sieht als die Lehren der Priester und die Gebräuche des Kultus, der wird mit größerer Freude das betrachten, was uns daneben hier und da von einem freieren Glauben des Volkes sichtbar wird. Was wir so sehen, sind vielfach wilde Schößlinge, aber sie wurzeln doch alle in dem, was der Mutterboden jeder höheren Religion ist. Es ist das persönliche Verhältnis, in das sich der Einzelne zu seiner Gottheit stellt; die scheue Ehrfurcht, in der er sie in der Urzeit verehrt hatte, hat sich in ein Gefühl des Vertrauens und der Zuneigung gewandelt, in eine Liebe zu dem Gott, dem man wie einem Vater gegenüber steht. Solchen Empfindungen sind wir ja schon oben in dem Sonnenhymnus der Ketzerzeit und in dem großen Liede auf Amon Re begegnet, aber am deutlichsten treten sie uns jetzt in den kleinen Lieder und Gebeten entgegen, die uns etwa aus dem dreizehnten und zwölften Jahrhundert erhalten sind. Da heißt Amon der Hirt, der die Kühe früh austreibt, der die Elende zur Weide treibt. Er ist der Mastbaum, der den Winden trotzt, er ist der Pilot, der die Untiefen kennt, und man sehnt sich nach ihm auf dem Wasser 1. Ein Verhältnis von kindlicher Liebe und Vertrauen hat man zu dem Gölte: Amon Re, ich liebe dich und habe dich in mein Herz geschlossen. Ick folge nicht der Sorge in meinem Herzen, was Amon gesagt hat, gedeiht 2. Und so legt man dem Gotte unbekümmert alle seine Sorgen ans Herz: du wirst mich erretten aus dem Munde des Menschen am Tage,

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wo er Läge redetl. Der Verleumdete, den ein Nebenbuhler um sein Amt gebracht hat, bittet den Sonnengott oder den Osiris ihm beizustehen 2. Und wieder ein anderer betet so: Amon leihe dein Ohr einem, der allein steht im Gericht, der arm ist und sein Gegner ist mächtig. Das Gericht bedrückt ihn: »Silber und Gold für die Schreiber! und Kleider für die Diener!« Doch er findet, daß Amon sich in den Verier verwandelt, damit der Arme hervorgehe 3. Auch sonst wird es in dieser Poesie gern ausgesprochen, daß der Gott sich gerade der Armen annimmt. Er ist ihr Vezier 4. Wenn alles gegen sie ist, so bleibt doch er ihr Beistand, der Richter, der keine Geschenke nimmt, und der die Zeugen nicht beeinflußt 5. Vor allem sind es auch die Schreiber, d. h. die Beamten und Gelehrten, die so in einem vertrauten Verhältnis zu ihrem Gotte, dem Thoth, stehen. Da betet der eine: Komm zu mir, Thoth, du herrlicher Ibis! du Gott, welchen Schnun liebt, du Briefschreiber der neun Götter. Komm zu mir, daß du mich leitest und mich erfahren machest in deinem Amte — schöner ist ja dein Amt als alle Ämter. Wer in ihm geschickt ist, da findet man, daß er ein Fürst wird. Viele Taten sind es, die du für sie tust, wenn sie im Kollegium der Dreißig sind. Du bist es, der den Ungeleiteten leitet, Glück und Segen sind bei dir. Komm zu mir und leite mich, ich bin ein Diener deines Hauses. Laß mich reden von deinen Taten, in welchem Lande ich auch bin. Dann sagt die Menge der Menschen: groß ist es, was Thoth tut. Dann kommen sie mit ihren Kindern, um sie zu stempeln auf dein Amt, das schöne Amt, du starker Retter(?). Es freue sich, wer es hat6. Und ein anderer betet so: Thoth setze mich nach Schnun, deiner Stadt, wo man angenehm lebt, und gib mir, was ich brauche, an Brot und Bier und behüte meinen Mund beim Reden 7. Im Bureau aber steht eine Statue des Thoth, die ihn als sinnenden Pavian darstellt8, und stolz verkündet ein Schreiber, daß auch er sich ein Bild seines Gottes aufgestellt habe: Freude ist meinem Tore geworden, seit der Gott in es eingetreten ist. Freuet euch, ihr Leute meines Stadtviertels und seid froh, alle ihr meine Angehörigen. Siehe, mein Herr, der ist es, der mich macht, ja nach ihm sehnt sich mein Herz. 0 Thoth, du wirst mir ein Starker sein, und so fürchte ich mich nicht*). Hübscher noch als diese Gebete mit ihren etwas materiellen *) Anast. III 4, 12; scheinbar am Schluß: »wegen des Auges«, ob wegen des bösen Blickes ? Vgl. Litt. S. 379, Anm. 2.

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Wünschen ist dann ein anderes, das den Gott so feiert: du großer Fruchtbaum von sechzig Ellen, du, an dem Früchte sind mit Kernen und Wasser ist in den Kernen. Der du Wasser bringst an ferne Orte, komm, rette mich den Schweigenden. Thoth, du süßer Brunnen für einen Mann, der in der Wüste verdurstet. Er ist verschlossen für den, der da erdet, er ist offen für den, der schweigt. Kommt der Schweigende, so findet er den Brunnen. Aber wenn der Heiße kommt, so hilfst du ihm nicht J . Was dieser letzte Satz des schönen Gebetes besagen will, kann nicht zweifelhaft sein: der Mensch soll schweigend, der Hilfe seines Gottes harren: in silentio et spe. Dieser Glaube der Gebildeten, dem der »Schweigende« mehr gilt als der »Heiße«, ist es dann, auf dem jene höhere Sittenlehre beruht, die uns im nächsten Kapitel beschäftigen wird. Die gleiche Stimmung wie in jenen Liedern und Gebeten tritt uns dann auf den Denksteinen entgegen, die sich in einem kleinen Heiligtume des thebanischen Westufers gefunden haben 2. Auch auf ihnen ist der Gott kein unnahbares Wesen, und wenn er den Sünder mit Erblindung und Krankheit bestraft, so kann er auch verzeihen und die Krankheit wieder von ihm nehmen. Da hat Nefer-abu, ein Beamter der Nekropole, sich irgendwie gegen die dortige Göttin, die Bergspitze, vergangen, als ein unwissender, törichter Mann, der nicht wußte, was gut und böse ist. Da bestrafte sie ihn: bei Nacht und bei Tage war er in ihrer Hand', er rief nach der Luft, aber sie kam nicht zu ihm. Doch als er der Göttin gelobte, vor allem Volke ihre Macht zu bekennen, da verzieh sie ihm. Sie wandte sich zu ihm mit Gnade und ließ ihn die Krankheit vergessen 3. Denn, wie das ein anderer Denkstein ausdrückt 4 , reicht diese Göttin demjenigen die Hand, der sie liebt und sie verleiht Schutz dem, der sie ins Herz geschlossen hat. Ein andermal hat einer dieser Leute einen falschen Eid bei Ptah geschworen und dieser Gott, der Herr der Wahrheit, hat ihn am Tage Finsternis schauen lassen. Er ließ ihn wie die Tiere der Straße sein und machte, daß Götter und Menschen nach ihm sahen, wie nach einem Manne, der Abscheuliches gegen seinen Herrn tut. In seiner Reue aber sprach er: gerecht ist Ptah, der Herr der Wahrheit, gegen mich . . . Sei mir gnädig, damit ich sehe wie gnädig du bist5. Auch sonst haben die Götter nach der Anschauung dieser Denksteine, ihren Gefallen daran daß man ihre Macht verkündet

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und vor ihrem Zorne warnt. So gelobt der Maler Neb-re, der in schwerer Sorge um seinen kranken Sohn ist: ich will dem Amon Lieder machen auf seinen Namen und ihn preisen, so hoch, wie der Himmel ist und so weit, wie die Erde ist. Ich will seine Gewalt dem erzählen, der hinauffahrt und dem der hinabfährt: Hütet euch vor ihm! erzählet es Sohn und Tochter und Großen und Kleinen. Saget es Generationen und Generationen, die noch nicht entstanden sind. Saget es den Fischen, die im Wasser sind und den Vögeln unter dem Himmel. Erzählet es dem, der es weiß und dem, der es nicht weiß: Hütet euch vor ihm! Und weiter bekennt Neb-re dann vor seinem Gotte: du Amon bist der Herr für den Schweigenden, der da kommt auf die Stimme des Armen. Rufe ick zu dir, wenn ich betrübt bin, so kommst du, daß du mich rettest. Gewiß hatte der Sohn des Neb-re seine Krankheit verschuldet, denn er hatte irgendwie gefrevelt gegen eine Kuh, die dem Amon gehörte, aber auf die Bitte des Vaters hin, kam der Gott doch als Nordwind und süße Luft, ging vor ihm her und rettete den Kranken. So kann der Vater denn dankbar sagen: war der Diener bereit, Sünde Zu begehen, so ist der Herr bereit gnädig zu sein. Der Herr von Theben verbringt nicht einen ganzen Tag im Björne; wenn er zürnt, so ist es nur im Augenblick und es bleibt nichts zurück l. Der Gott, an den sich dieser arme Vater in seiner Sorge wendet, ist zwar der höchste aller Götter, der Amon Re, aber freilich nicht ganz in der Gestalt in der man ihn im Tempel von Karnak verehrt. Er ist vielmehr der Amon, der die Bitten erhört und auf dem Bilde, das diesen Denkstein schmückt, thront er in ungewöhnlicher Weise außen vor dem Tore des Tempels. Diese Darstellung ist gewiß nicht zufallig, denn der gewöhnliche Mensch bekommt ja den großen Gott kaum bei dessen Festen zu sehen und so scheut er sich denn auch, ihn mit seinen Sorgen zu behelligen. Lieber denkt man sich einen den Menschen näherstehenden Amon aus, der auch die Bitten der Armen an der Türe des Tempels entgegennimmt. Auch andere Götter, an die man sich wendet, werden als solche bezeichnet, die die Bitten erhören *) 2. Auf ein besonderes vertrauliches Verhältnis zum Gotte geht es dann auch, wenn sich der Bittende darauf beruft, daß er dem Gotte nahe stehe, als sein Diener 3. *) Ebenso begegnet uns ein Ptah vom großen Tore (Berlin 8440), und auf eine solche Verehrungsstätte des Amon wird es auch gehen, wenn sein Hoherpriester Bekenchons erzählt, daß er dem Gotte eine Kapelle »Ramses der die Bitte erhörtt im oberen Tore d« Tempels des Amon errichtet habe.

TAFEL >

Vor Amon. der vor dem Pylon seines Tempels erseheint, belet der Maler Xeb-re um Genesung seines kranken Sohnes. (Berlin 20377. A US dem volkslümliehen Tempel auf der \\estseile von Theben":

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Das Bild, das wir aus den hier besprochenen Denksteinen von dem Glauben des Volkes gewinnen, wäre aber nicht vollständig, wenn wir nicht auch der Stätte gedächten, an der diese aufgestellt waren. Es war das ein kleines unscheinbares Heiligtum auf dem Westufer von Theben, das ursprünglich unter Thutmosis IV. erbaut war und das dann später durch mehrere kleine Gebäude ersetzt wurde *). Es diente den Arbeitern und Beamten der Nekropole als Tempel und der mag ursprünglich den Schutzgöttern der Nekropole geweiht gewesen sein, dem heiligen Königspaar, von dem wir unten sprechen werden. Aber, wie diese Denksteine zeigen, hat es sich einem jeden geöffnet, der seine eigenen Götter dort verehren wollte. In ihm betete man zum großen Amon Re sowohl wie zu dem kleinen Amon am Tore, zum Chons und dem Monde, zum Ptah, zu den Göttern von Elephantine, zu den fremden Göttern Rescheph und Kedesch, zur Katze und zur Schwalbe. Hier konnte eben jeder nach seiner Fa$on beten und weihen; die großen Tempel werden exclusiver gewesen sein und in ihnen wird die ungeregelte Frömmigkeit vor der Türe haben Halt machen müssen. Unablässig schafft sich dann die Phantasie des Volkes zu den herkömmlichen Göttern noch andere hinzu, von denen es Hilfe im Leben erhofft. Dabei greift es zunächst nach Dingen, die ihnen im Kultus als etwas Heiliges vorgeführt werden. Wer z. B. die Namen durchsieht, die die Leute von Abydos im mittleren Reiche ihren Kindern geben, der trifft dabei auf solche wie Geschenk der Neschmetbarke oder Neschmetbarke gab einen Sohn; man dankt also der Tempelbarke des Osiris für die Geburt der Kinder und nicht dem Gotte selbst. Und erst recht geht es im neuen Reiche so zu. Wer in einem Briefe aus Theben den Adressaten dem Schütze der Götter empfiehlt, der nennt nicht nur die dortigen großen Götter Amon, Mut und Chons, sondern auch allerlei geringere Wesen als die Götter und Göttinnen dieser Stadt. So einen Baum auf der Widderstraße und den Perseabaum des Amon von Karnak, die acht Paviane, die im Heiligtume der Hathor stehen und das große Tor des Bakix. Und in einem anderen Briefe soll sich die Bitte um die Rückkehr eines Abwesenden nicht an den Ptah von Memphis richten, sondern auch an eine *) Es lag unweit des deutschen Hauses, vgl. Sitz. Ber. Berlin 1911, 1088 und 1105.

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Statue Thutmosis III., die gewiß im dortigen Tempel gestanden hat 1 . Natürlich ruht ein solcher Abglanz von Göttlichkeit besonders auf Denkmälern, die dem Volke durch ihre Größe oder ihr Alter Eindruck machen. So ist denn auch die große Sphinx von Gizeh am Ende des neuen Reiches in den Ruf der Heiligkeit gekommen. Die war ursprünglich nur ein natürlicher Fels gewesen, dem König Chefren einen Königskopf gegeben hatte. Jetzt aber wurde sie ein heiliges Wesen für die Leute der Nachbarorte und man verehrte sie als Harmachis, d. h. als den Horus im Horizonte 2. Einen anderen derartigen Kultus der Gegend von Memphis haben uns Borchardts Ausgrabungen auf dem Totenfelde von Abusir kennen gelehrt. Da stand vor der Pyramide des alten Königs Sahure (um 2550 v. Chr.) der prächtige Tempel, in dem diesem Herrscher geopfert werden sollte. Nach der Sitte dieser Zeit war er übereich mit Reliefs ausgestattet, die das Leben und die Taten des Königs verherrlichen oder die ihn auch vor den verschiedenen Göttern betend darstellten. So stand er denn auch auf einem dieser Reliefs vor der löwenköpfigen Göttin Sachmet, und dieses Bild mochte aus irgend einem Grunde im Volke besondere Beachtung gefunden haben. .Denn zu einer Zeit, wo niemand mehr an den alten König dachte und wo sein Tempel schon zerfiel, war diese Sachmet des Sahure zu einem Gnadenbilde geworden und aus dem verfallenen Tempel des Königs wurde ein kleiner Tempel der Sachmet. Wir tun wohl kein Unrecht, wenn wir uns die Nachkommen der alten Totenpriester des Königs, die noch bei dem Tempel wohnten, als die Förderer und Nutznießer dieses Wallfahrtsortes denken. Mindestens seit dem Anfange des neuen Reiches ist er in Aufnahme gekommen und es ist nicht nur das niedere Volk, das ihn in seinen Nöten aufsucht, sondern auch sehr vornehme Leute verschmähen es nicht, dieser Sachmet ihre Weihgaben darzubringen. Selbst ein Hoherpriester von Memphis, der die rechte Sachmet doch in seiner eigenen Stadt besitzt, huldigt dieser neuen Gottheit. Als Zeichen ihrer Andacht stiften dann die Pilger Denksteine, die oft barbarisch genug in die Reliefs des alten Tempels eingelassen werden. Viele dieser Denksteine tragen Bilder von Ohren, die in üblicher Weise andeuten, daß die Göttin die Bitten erhören soll und andere, einfache, aus glasiertem Ton sind in solcher

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Menge uns erhalten, als seien sie geschäftsmäßig für solche Wallfahrtsorte angefertigt worden. Daneben weiht man dann auch kleine Statuen der Göttin oder solche anderer volkstümlicher Gottheiten. Merkwürdig ist dann weiter, daß sich in diesen neuen Tempel auch heilige Tiere — Eidechsen und Schafe — einschleichen; das entspricht zwar der Vorliebe, die die spätere Zeit für die heiligen Tiere hat; was aber diese grimmige Göttin gerade mit diesen friedlichsten Geschöpfen zu tun hat, das bleibt uns ein Rätsel. So hat denn dieser Tempel der Sachmet mehr als ein Jahrtausend hindurch bestanden und wenigstens uns hat er einen Segen gebracht, ihm allein verdanken wir es, daß der Totentempel des Sahure mit seinen herrlichen Reliefs erhalten geblieben ist, während die anderen Tempel, die neben ihm lagen, so gut wie vernichtet sind. Auf den weiten Totfnfeldern von Mrmnhis tememern von iviempnis

53. Denkstein, dem Amon-Re geweiht von einem n« Ncb-mehit. Die Ohren deuten an> daß der Gott dn Gebet crhört hat

Manne name

und Theben, wo eine (Berlin 7354.) Bevölkerung von Steinmetzen, Malern, Beamten usw. beschäftigt war, hatte sich diese besondere Schutzpatrone erwählt und zwar waren dies die alten Könige, deren Gräber sie zu pflegen hatten. In Memphis waren es die großen Könige des alten Reichesx in Theben die des neuen Reiches vor allem die Stammmutter der achzehnten Dynastie das Gottesweib Ahmose-Nofretere und ihr Sohn Amenophis I. *). Diese beiden gelten gerade zu als *) Aus Champ. Not. I 855 a könnte man schließen, daß dieser König E r m a n , Religion der Ägypter.

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Götter, man trägt ihre Bilder in Prozession umher und man schwört bei ihnen. In das kleine Heiligtum aber, dem wir oben (S. 141,143) die Denksteine der Betenden entnommen haben, hatte der Maler Pai eine hübsche kleine Statue dieser Königin geweiht1 und ebenda hat sich der folgende kleine Denkstein gefunden. Ein Verehrer des Amenophis preist ihn so: wer zu dir eintrat mit betrübtem Herzen, geht jauchzend und jubelnd heraus. Große und Kleine kommen zu dir wegen deines Namens, weil man hört wie stark dein Name ist. Worin die Macht des heiligen Königs besonders besteht, sieht man dann, wenn es weiter so heißt: stecke ich nicht meine Hand in eine Höhle, in der eine große Schlange ist? Da seht ihr die Kraft des Amenophis, wie er Wunder tut für seine Stadt2. Aber die Leute der thebanischen Nekropole haben an diesen Schutzpatronen nicht genug und sie glauben, daß über ihrem Bezirke noch eine besondere Gottheit waltet. Die wohnt auf einem der Berge der Totenstadt und man nennt sie daher schlechtweg die Bergspitze. Und da sie über diesem Lande des Totengottes herrscht, der die Menschen zum Schweigen bringt, so nennt man sie auch Merit-seger, die vom Schweigenmacher geliebte und denkt sie sich geradezu auch als dessen Gattin, die Isis 3. Wie auch sie straft und verzeiht, 54. Toeris. (Berlin 10710.) haben wir schon oben gesehen. Andere dieser kleinen Götter hat man gewiß im ganzen Lande verehrt, als Helfer in den Nöten des Lebens. Es sind volkstümliche Figuren und so haben sie auch nichts von der vornehmen Gestalt der großen Götter, im Gegenteil, die Phantasie hat sie als Karikaturen gestaltet. Da ist vor allem die Toeris — der Name bedeutet nur »die Große«*), die ist ein Scheusal, das sich aus Nilpferd und Krokodil zusammensetzt, mit Menschenhänden und Löwentatzen. Sie steht auf den Hinterfüßen und pflegt das Zeichen Schutz zu halten, und »Schutz« ist das, was sie den Menschen gewährt. Sie wird dargestellt als sei sie schwanger und ihre ernstlich als Sohn des Amon und des Gottesweibes galt. — Weshalb sie auf dem großen Bilde Berlin 2060 schwarze Hautfarbe hat, wissen wir nicht. *) Der Name ist jung.

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kleinen Figuren, die man in die Tempel weiht, lassen vermuten, daß sie den Gebärenden und Stillenden beistehen sollte1. Übrigens ist die Toeris später auch in die höhere Gesellschaft der Götter gegekommen und sie wird zu einer Stadtgöttin Opet von Theben 2. Ein anderes allbeliebtes Wesen ist nicht minder seltsam: der Bes, eine Gestalt, der man es noch ansieht, daß sie ursprünglich die Heiterkeit erregen sollte. Es ist ein zwerghaftes Wesen, krummbeinig, mit großem Kopf und wildem Bart, und überdies noch wie ein Tier geschwänzt. Man könnte ihn 55. Bes, der die Laute etwa den Satyrn der griechischen Götter- schlägt. (Berlin 5666.) welt vergleichen und auch wie diese — erscheinen die Besgötter in größerer Zahl. Man denkt sich, daß sie den großen Göttern zu dienen haben; sie erheitern sie durch Tanz und Musik und sie warten auch die Götterkinder. Aber diese niedere Stellung hindert nicht, daß der Bes für das Volk ein wirklicher Gott geworden ist und man nennt ein Kind ebensogut »das des Bes«, wie man es »das des Amon« oder »das der Toeris« nennt. Im übrigen verwendet man die komische Figur des Bes gern als SpiegelgrifFe oder Schminkbüchsen und man bringt sie auch an den Kopfstützen der Betten an. Da ist denn Bes mit Bogen und Messern ausgestattet und soll natürlich die Schlafenden vor allerlei Unheil schützen.

56. Kopfstütze, wie man sie statt des Kopfkissens benutzte, von zwei Bes getragen; unten zwei andere Bes bewaffnet, um den Schlafenden zu schützen. (Berlin 11625.)

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Eine andere Sippe solcher zwerghaften Götter ist zwar rein menschlich gestaltet, aber darum noch nicht schöner. Denn sie haben das Aussehen krankhaft verkrüppelter Kinder *. Auch sie sollen gewiß dem Menschen helfen, aber wir wissen nichts weiter über sie, als daß sie als Ptah oder Söhne des Ptah gelten, das wird wohl auch der Name Patake bedeuten, den uns Herodot für sie überliefert hat 2 . Auch sie werden den Menschen beistehen und schützen ihn, ebenso wie der Bes, z. B. auch vor Schlangen 3. Nicht als abstoßende oder lächerliche Wesen Patake werden wir uns die sieben Halhoren zu denken haben. (Berlin 11055.) Diese sieben Liebesgöttinnen sind uns aus den Märchen des neuen Reiches bekannt, wo sie den Neugebornen ihr Schicksal weissagen, aber wir wissen auch, daß sie einem Priester des Thoth Nachkommen gewähren wollten, wenn er ihnen ihr Bild weihte und zu ihnen betete 4. Schließlich sei hier noch der Gott Onuris (S. 66) erwähnt, den man sich als einen Prinzen denkt, der auf einem Streitwagen fährt und wilde Tiere erlegt. Er heißt der Erretter, und gewiß schützt er auch die Menschen, die sein Bildchen als Amulett tragen gegen Tiere 58. Amulett mit Gott Schu-Onuris. (Berlin und Feinde. 8920.) Zu all diesen kleinen Göttern des Volkes gesellen sich dann noch solche, die von fremden Völkern übernommen sind. Denn schon lange stand Ägypten in regem Verkehr mit den Ländern des Nordens und des Ostens, und nicht nur die Umgangssprache hatte sich mit semitischen Worten bereichert, sondern auch in die Religion waren fremde Gottheiten eingedrungen. Es waren Kaufleute und Soldaten, die aus Dank für ihre Errettung auf dem Meere oder in der Schlacht, diese Götter auch zu Hause verehrten, und da bei dem Volke das Fremde immer einen gewissen Nimbus hat, so fanden sich bald auch andere hinzu, die ihre Hoffnung auf diese neuen Götter setzten. Manche dieser fremden Götter schließen sich dann auch an

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ägyptische von ähnlichem Wesen an. So reiht sich die Astarte an die Kriegsgöttin Sachmet von Memphis und die Kedesch an die Hathor, und der syrische Gott Rescheph wird mit dem Sutech des östlichen Delta verquickt l . Dieser Rescheph, der Herr der Stärke unter der Neunheit, ist ein Gott des Krieges mit Lanze und Schild. Er trägt zwar die Krone von Oberägypten, aber daß er aus der Fremde stammt, zeigt noch seine barbarische Kleidung, denn am Schurze hängen Bänder, an der Krone flattert ein langes Band, und an der Stirn ist sie mit zwei Hörnchen oder einem Gazellenkopf geziert. Übrigens muß es mehrere Rescheph's gegeben haben, denn in einem Gedichte heißt es von Ramses III., die Offiziere seiner Soldaten seien stark wie die Reschephgötter. Die Leute, die diesen kriegerischen Gott verehrten, sind aber gewiß nicht alle Krieger gewesen — der Stifter des Berliner Denksteins war ein Mann der thebanischen Totenstadt —, und auch die Göttin, die zuweilen neben ihm steht, die Kedesch, ist ein freundliches Wesen wie die Hathor, wie diese heißt sie das Sonnenauge und die Tochter des Re. Wenn sie auf Löwen steht und neben den Blumen auch 59. Sutech, die HörnSchlangen hält, so zeigt das wohl nur an, chen und der Behang der 2 daß sie gegen böse Tiere schützen sollte . Krone sowie die Bänder am Schurz charakteriWenn Rescheph und die Kedesch wohl sieren ihn als fremden nur von ihren Anhängern verehrt wurGott. (Berlin 8440.) den, so genießen Baal und die Göttinnen Anat und Astarte eines desto allgemeineren Ansehens. Baal ist ein fürchterliches Wesen, und man setzt ihm, wie schon die Schreibung seines Namens zeigt, dem Seth gleich. Er ist der Gott des Sturmes und des Gewitters, er steht auf den Bergen und brüllt am Himmel, und in der Schlacht vergleicht man den König mit Baal zu der Zeit, wo er wütet 3. So bekannt ist er im Volke, daß man das Wort Baal kaum noch als einen Namen empfindet, und man gibt ihm zuweilen den Artikel: der Baal, als handele es sich um ein allgemeines Wort für Gott. Wie es in Kanaan selbst viele Baals gibt, so wird man auch in Ägypten

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nicht nur einen verehrt haben. So kennen wir einen Baal Kadesch und einen Baal Zephon *, der ein Gott der Seeleute gewesen sein wird. Übrigens hat auch ein Tempel des Baal in Memphis bestanden, und wir kennen noch einen Priester dieses Heiligtumes, der dort dem Baal und der Astarte dient. Er trägt einen fremdländischen Namen, ist aber zur Zeit Amenophis IV. wie ein guter Ägypter bestattet worden 2. Ebenso allbekannt wie der Baal sind in Ägypten des neuen Reiches die beiden Göttinnen Anat und Astarte. Beide sind kriegerische Gottheiten, und die eine von ihnen sehen wir auf einem Bilde hoch zu Roß mit Kriegsbeil und Schild3. Später hat dann freilich die Anat, als sie ganz zur ägyptischen Göttin geworden war, solchem barbarischen Wesen entsagen müssen, und wenn wir sie, viele Jahrhunderte später, im Tempel von Philae wiedersehen, so ist sie zu einer Isis geworden und hat den Horus zum Sohne4. Augustus aber spendet ihr als passende Gabe zwei Spiegel. Von dieser späteren fried60. Astarte zu Roß. (Von einer Inschrift in der Wüste bei Redesie, lichen Natur ist im neuen Reiche von einem Offizier geweiht.) bei diesen Göttinnen freilich noch nichts zu spüren. Sie sind des Königs Schild in der Schlacht5, und sie gehören zu seinem Streitwagen e. Und wenn Thutmosis IV. auf dem Wagen in die Feinde dringt, so ist er stark zu Roß wie Astarte7. So werden sie auch in der Geschichte von Horus und Seth beide dem Kriegsgotte Seth zugedacht, als eine Entschädigung für die ihm zugefügte Unbill (S. 77). Und in einer anderen Sage sind sie offenbar die Weiber des Seth, denn dessen Gegner, Horus, hindert sie am gebären 8. Und wieder in einem Märchen wird erzählt, wie die Götter, als sie vom Meere bedrängt wurden, die Astarte aus Syrien nach Ägypten holten. Sie nahmen sie feierlich in ihre Mitte auf, man gab ihr einen Sessel, und sie setzte sich, die Großen standen vor ihr auf, und die Kleinen lagen auf dem Bauche e.

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Hierbei gilt sie als Tochter des Ptah, und das hängt offenbar damit zusammen, daß sie in Memphis früh heimisch geworden war. Hier hatte sie schon wie wir gesehen haben unter Amenophis IV. einen Tempel und einen besonderen Priester 1. Auch die Könige der neunzehnten Dynastie ehren diese beiden Kriegsgöttinnen. Unter Ramses II. ist das östliche Viertel der neuen Hauptstadt der Astarte geweiht, gerade so wie das westliche der ägyptischen Buto. Und nicht nur seine Rosse heißen nach der Anat, sondern auch seine eigene Tochter trägt den semitischen Namen Bent-Anat, die Tochter der Anat. Nichts mit der Astarte zu tun hat eine andere fremde Göttin, die man auch in Memphis verehrte, die syrische Istar. Wir treffen sie einmal zusammen mit der Kedesch, wo sie beide einem Diener des Hohenpriesters des Ptah Gesundheit gewähren sollen. Und ein andermal wissen wir noch genauer, um welches Leidens willen sie angerufen wird. Ein Türhüter des Ptahtempels hat, wie das Bild seines Denksteines zeigt, ein verkrüppeltes Bein, und er wird um so mehr Hilfe von der Göttin erhofft haben, als sowohl er wie seine Frau syrischer Herkunft waren. Merkwürdig ist nun, daß wir bei dieser Istar sogar noch zu sehen glauben, wie sie nach Ägypten gekommen ist. Als König Amenophis III. in seiner letzten Krankheit lag, wird er seinen Schwiegersohn Duschratta, den König von Mitani, gebeten haben, ihm das Bild der Ischtar von Ninive zu leihen. Denn dieses hatte sich schon einmal, vermutlich bei ähnlicher Gelegenheit, in Ägypten bewährt. Duschratta erfüllte diese Bitte und sandte die Göttin dorthin, die in Erinnerung an die ihr dort erwiesenen Ehren dieses Land noch liebte. Dabei bittet er, Amenophis möge auch jetzt die Göttin wieder ehren, damit sie ihnen beiden Schutz und langes Leben gewähre. Dann aber möge er sie fröhlich wieder zurückschicken und schreibt er: Ischtar ist ja mein Gott, und nicht der Gott meines Bruders', offenbar befurchtet Duschratta, daß man das wundertätige Bild in Ägypten zurückbehalten könne 2. Ist die Istar sicher aus den Euphratländern entlehnt, so dürfen wir wohl auch annehmen, daß die Göttin Neker oder Nekel, die in einem Zaubertexte als die Gemahlin des oberen Gottes vorkommt, keine andere sein wird, als die babylonische Göttin Ningal, die Gemahlin des Mondgottes Sin 3.

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So, wie wir es hier gesehen haben, sucht das Volk, dem seine ererbten Götter nicht mehr nahe stehen, sein Heil bald bei den Göttern anderer Völker, und bald auch bei neuen Wesen, denen es erst selbst ihre Göttlichkeit verleiht. Da ist es denn auch kein Wunder, daß das Volk bei diesem Suchen auch nach dem greift, was eigentlich längst überlebt war, nach der Verehrung der Tiere. Freilich war dieses Überbleibsel allerältester Religion nie ganz verschwunden, und so wie einst hält man noch in den Tempeln von Memphis und Heliopolis die heiligen Stiere Apis und Mnevis, und des Bockes von Mendes und des Falken des Hbrus hatte man nie vergessen. Aber diese Tiere waren doch nur noch ein interessantes Beiwerk der Religion, und wer den Ptah oder den Harachte im Liede pries, der dachte dabei mit keiner Silbe der heiligen Stiere Apis und Mnevis, die man nach dem Herkommen in ihren Tempeln hielt *). Jetzt aber, im neuen Reiche, mehren sich die Anzeichen, daß das Volk sich wieder den heiligen Tieren zuwendet, den Wesen, in denen sich doch die Gottheit lebendig zeigte. Sie waren ja dem einfachen Menschen verständlicher als das Götterbild des Tempels, das er ohnehin kaum je zu sehen bekam. Zwar sind wir noch weit von jener Zeit entfernt, wo schließlich jede Katze und jede Giftschlange als etwas Göttliches gilt, aber der Weg zu dieser Tollheit ist beschritten. Schon aus der achtzehnten Dynastie stammt ein Denkstein, den ein Tempeldiener aufgestellt hat, um seine Andacht vor dem Mnevis zu verewigen 1. Wie groß der Respekt vor diesem heiligen Tiere war, sehen wir auch aus einer Denunziation aus der Zeit Ramses' IV.; da gehörte es auch zu den vielen Missetaten eines Angeschuldigten, daß er einen kleinen Mnevisstier, den seine Kuh geworfen hatte, verkauft hatte2. Und weiter stoßen wir auf den Denksteinen auf allerlei Tiere, die man verehrt, obgleich sie der offiziellen Religion der Tempel fremd sind, und deren Beziehungen zu den wirklichen Göttern uns oft ein Rätsel bleiben. Zwar, daß dem Amon ein Widder heilig war, können wir noch verstehen, trug doch die eine Form dieses Gottes einen Widderkopf (S. 43). Aber was soll es dann, wenn hinter dem Amon *) Wenn man in Teil Amarna, wenigstens im ersten Stadium der Umwälzung, auch Gräber für die Mnevisstiere plante, so bedeutet das nur, daß man die neue Sonnenstadt der alten auch äußerlich gleich machen wollte.

Frömmigkeit, Volksgötter und Orakel.

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eine Gans steht? Wer nach tieferen Gründen für solche Wunderlichkeiten sucht, könnte dabei allenfalls an den großen Schnatterer denken, der bei der Entstehung der Welt über die dunkle Tiefe geflogen war (S. 62). Aber auch die kühnste Vermutung versagt, wenn auf einem anderen Denkstein neben der schönen Katze auch die schöne Schwalbe, die da bleibet und bleibet ewiglich, angerufen wird *. Und was sollen nun erst die sieben Fische sein, die wir neben dem 61. Amon-Re mit einer Sonnengotte antreffen; anscheinend in Gans. (Berlin 7295.) einem besonderen Tempelchen 2. So stark war diese Strömung, daß auch die offizielle Religion nicht umhin konnte, ihr Rechnung zu tragen. So legte Prinz Chaemueset, ein Sohn Ramses' II., der Hoherpriester von Memphis war, die gemeinsame Gruft für die Apisstiere an, und schon treibt man die Ehrfurcht vor dem toten Ochsen soweit, daß man ihm, wie einem Menschen, Totenfiguren (Kp. 15) beigibt, die ihm die Arbeit im Jenseits abnehmen sollen 3. Und ein Prinz Thutmosis hat schon in der achtzehnten Dynastie eine heilige Katze ganz nach Menschenart bestatten lassen. Sie hat einen schönen Steinsarg, an dessen Enden Isis und Nephthys um sie klagen. Und sie, die beim Osiris Erhrwürdige, sitzt gleich einer verstorbenen Dame vor dem Speisetisch, auf dem ein Gänsebraten nicht fehlt 4. Eine andere Hinterlassenschaft uralter Zeit, die Verehrung einzelner Bäume, lebt auch im neuen Reiche noch fort. Wir sahen schon oben in einem Briefe aus Theben (S. 143), daß das dortige Volk zu solchen betete. Und vollends in Memphis hatte man nie vergessen, jene Sykomere zu ?L2· G°ttin> die die Toten von ',,' , -n ihrem Baum aus speist. (Nach verehren, die südlich von Ptahtempel Berlin 7391.)

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Zehntes Kapitel.

stand (S. 31). Auf ihr wohnte ja nach alter Vorstellung die Göttin Hathor, und da diese ja auch die Liebesgöttin war, so gibt man den Mädchen auch Namen, wie Enuchai, wie die von der Sykomore*}. Auch von anderen Bäumen, die am Wüstenrande stehen, heißt es, daß eine Göttin auf ihnen wohnt, Nut oder Hathor, und man hofft, daß sie den Toten, die dort bestattet sind, Wasser und Speise spenden werde. Auch die offizielle Religion des neuen Reiches hat, wie wir später sehen werden, einzelnen Bäumen der Tempel ein göttliches Wesen zugeschrieben. Wenn der Mensch glaubt, daß die Gottheit an seinem Schicksal Anteil nimmt und es im einzelnen bestimmt, so stellt sich auch der Wunsch ein, von ihr zu erfahren, was sie über ihn beschlossen hat und was sie ihm zu tun rät. Das mag auch in Ägypten immer so gewesen sein, aber klar treten uns solche göttlichen Entscheidungen erst im neuen Reiche entgegen. Als Thutmosis I. seiner Tochter Hatschepsut gegen alles Herkommen die Nachfolge sichern will, da erläßt Amon einen Befehl, der dem Wunsche des Königs entspricht. Und als Hatschepsut selbst eine Expedition nach dem Weihrauchlande entsenden will, da betet sie an der Treppe des Herrn der Götter, und da hört man einen Befehl aus der großen Stätte und einen Ratschluß des Gottes selbst: suche die Wege nach Punt und eröffne die Pfade zu den Myrrhengebirgen 1. Auch wenn Thutmosis III. und seine Nachfolger ihre Heere nach Asien führen, so geschieht das, weil ihr Vater Amon ihnen dort Siege befohlen hat. Wenn Amon, wie wir eben sahen, dazu half, daß die Prinzessin Hatschepsut den Thron bestieg, so hatte er doch ihren Halbbruder, der sie später entthronte, schon vorher zum Könige erkoren — wenigstens erzählt dies Thutmosis III. selbst. Als junger Prinz war er im Tempel aufgezogen worden — vielleicht daß ihn sein Vater dereinst zum Hohenpriester machen wollte —, und damals, ehe er noch Prophet geworden war (S. 154), hatte er einem Feste beigewohnt, bei dem der König ein großes Opfer darbrachte. Aber der Gott blieb nicht vor dem Opfer stehen, sondern zum Staunen aller zog er durch die Säulenhalle, als suche er *) Die wilde Schreibung dieser Namen zeigt, daß sie aus der Volkssprache stammen.

Frömmigkeit, Volksgötter und Orakel.

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jemand. Dann blieb er vor dem jungen Prinzen stehen, der gewiß in der Reihe der Priester stand. Der warf sich vor ihm nieder, der Gott aber führte ihn dahin, wo sonst der König im Tempel steht, und er eröffnete ihm das All erheiligste. Und wie Thutmosis III. weiter erzählt, setzte er schon damals ihm die Krone auf und verlieh ihm seinen königlichen Namen1. Als dann später Ramses III. den Thron besteigt, verkündet ihm der Gott, daß er zweihundert Jahre regieren werde, und gewiß hat man diesen Ausspruch des Gottes wörtlich genommen, denn bei dem Tode des Königs erinnert man daran, und bittet den Gott, doch dieses Versprechen nun wenigstens an seinem Nachfolger wahr zu machen 2. Ist es in diesen Fällen der König, dem der Gott seinen Willen offenbart, so kann doch auch gewöhnlichen Menschen ein Gleiches geschehen. Unter Ramses II. sah ein Großer der Afaioi, d. h. ein Oberster der nubischen Polizeitruppe, in Koptos einer Prozession der Isis zu, und das heilige Bild in seiner Barke nickte ihm zu. Damit verkündete ihm die Göttin, daß er es noch weit bringen würde, und in der Tat wurde er ein hoher Offizier und ein Gesandter des Königs, wie er das auf einem Denkstein erzählt 3 . Auch das geschieht, daß man die Götter um Auskunft bittet, selbst da, wo es sich nur um mein und dein handelt. In der Totenstadt von Theben sind dem Graveur Kaha seine Kleider gestohlen worden, und niemand weiß, wer der Dieb ist. Da ruft er zu dem heiligen König Amenophis (S. 46) und bittet diesen, seinen Herrn, ihm heute zu Hilfe zu kommen. Als dann dessen Bild bei dem Hause des Amennecht vorbeigetragen wird, da nickt es und verkündet damit, daß die Tochter dieses Mannes die Kleider hat 4 . Oder ein anderer Fall: Chaemueset, Arbeiter in dem gleichen Orte, streitet sich mit einem ändern Arbeiter um den Besitz seines väterlichen Hauses. Das zeigt er dem heiligen Könige an und sagt: komme mir zu Hilfe, du meine große Sonne. Als man den König frug, ob man das Haus dem Chaemueset geben sollte, da nickte er sehr, in Gegenwart der beiden Oberarbeiter, und aller, die sein Bild trugen 5 . Daß es nicht nur das niedere Volk war, das an solche göttlichen Entscheidungen glaubte, sehen wir aus einer Streitschrift, die aus dem Kreise der Schulen und Gelehrten stammt. In ihr wendet sich der Verfasser gegen die Behauptung seines Gegners,

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Zehntes Kapitel.

daß er kein rechter Schreiber sei, und schlägt schließlich vor, man solle die Briefe seines Gegners dem Onuris vorlegen, damit der zwischen ihnen entscheide, wer im Rechte sei x. Wie sich dann dieses Verfahren, den Gott zu befragen, zu einer festen Form entwickelt hat, und wie es zu einem wesentlichen Faktor des Lebens geworden ist, das werden wir in Kap. 18 sehen.

Elftes Kapitel. Die Ethik. Wo Menschen in dauernder Gemeinschaft zusammenleben, da stellen sich im Laufe der Zeit auch allerlei stillschweigende Vereinbarungen ein, die das Tun der einzelnen beschränken, wo es die Allgemeinheit schädigen würde. Der Einzelne soll nicht morden, er soll nicht rauben und dergleichen mehr, wie das die Verhältnisse des betreffenden Volkes erfordern. Je nachdem seine Kultur sich dann hebt, verfeinern sich auch die Anforderungen dieser Ethik, und es geschieht wohl, daß sie dann auch über das hinausgehen, was sich eigentlich noch von den Menschen verlangen läßt. Mit der Religion hat die Ethik im Grunde nichts zu tun 1, aber es bleibt nicht aus, daß sie gleichsam unter deren Schutz gestellt wird. So gutes denn auch in Ägypten zu allen Zeiten, daß das Unrecht, das die Menschen begehen, den Göttern ein Abscheu ist. Und schon in den Pyramidentexten lesen wir, daß der himmlische Fährmann nur den Gerechten übersetzt 2 . Es ist insbesondere der Sonnengott, der als Vertreter der Gerechtigkeit gilt, und man denkt sich dann auch die Wahrheit oder das Recht — das Wort maat bedeutet beides — als seine Tochter, und er selbst hat den Menschen gesagt: sage die Wahrheit, handele nach der Wahrheit, dieweil sie groß ist und gewaltig 3. Diese Wahrheit, dieses Recht ist das Ideal der Ägypter. Es ist das die Ordnung, wie sie in einem gesitteten Staate besteht; und in der Tat, soweit wir die Ägypter verfolgen können, leben sie in geordneten staatlichen Verhältnissen. Jede Störung desselben empfinden sie als Verbrechen. Die Neigung zum Kämpfen und »Heldentum« geht ihnen ab, und in den zahllosen Grabschriften, die uns aus allen Epochen erhalten sind, begegnet es uns nur selten, daß sich ein Verstorbener kriegerischer Taten rühmt. Und nicht zufällig ist es, daß auch die Lieblingssage der Ägypter einen friedlichen Charakter

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Elftes Kapitel.

trägt. Osiris ist, wie in Kapitel fünf erzählt ist, ein Fürst des Friedens, ein Gott, der keinen Feind hat, der das Gemetzel geschlichtet hat (S. 72). Daß er daneben auch als Krieger gefeiert wird und als Eroberer gilt, rührt davon her, daß man gewöhnt ist, sich den irdischen König so zu denken. Es ist charakteristisch, daß in der späten Fassung der Sage Osiris seine Eroberungen nur durch Überredung der fremden Völker macht. Und wenn sein Sohn Horus den Mörder seines Vaters zur Rechenschaft zieht, so geschieht auch das weniger in Kämpfen als auf dem Wege des Rechtes. Die Kriege und Kämpfe, in denen die Phantasie anderer Völker zu schwelgen pflegt — man denke nur an die Ilias — sind dem ruhigen Bauernvolke des Niltals im Grunde ein Greuel, mögen auch die Könige sich in den Phrasen vom Zertreten der Fremdvölker und vom Erweitern der Grenzen gefallen. Früh hat sich dann der Gedanke eingestellt, daß auch das Schicksal des Verstorbenen davon abhänge, ob er im Leben richtig gehandelt habe. Die Götter, die sich des Toten annehmen, gewähren ja nicht jedem ihren Beistand (S. 157). Und als dann der Osirisglaube zur Herrschaft gelangt ist, da gewinnt diese Vorstellung vollends die Herrschaft. In das Reich dieses schuldlosen Gottes findet ja nur der Schuldlose Aufnahme, und ein jeder muß vor den 42 Totenrichtern erklären, daß er ohne Sünde gewesen ist. Wir werden in Kap. 14 im einzelnen sehen, was bei diesen Bekenntnissen als Sünde gilt. Es sind zunächst die groben Vergehungen, die in jeder menschlichen Gemeinschaft verpönt sind, als morden und morden lassen, rauben, betrügen und fälschen, die Unzucht und der Ehebruch. Aber daneben werden auch schon höhere Anforderungen gestellt, der Mensch soll nicht lügen, nicht verleumden und soll nicht lauschen, er soll nicht sein Herz essen*), d. h. er soll sich nicht in unnützer Reue verzehren. Man soll auch den Kindern nicht die Milch vom Munde nehmen, nicht hungern und nicht weinen machen. Anderes wieder entspricht den besonderen ägyptischen Verhältnissen: man soll das Wasser der Überschwemmung nicht in seinem Laufe hindern, man soll die Tiere, Fische und Vögel der Götter schonen und weder den Tempeln noch den Gräbern ihre Speisen rauben. Lebendiger noch tritt uns das, was in Ägypten als Tugend *) Daß die Deutung richtig ist, erhellt aus dem Koptischen.

Die Ethik.

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galt, in den älteren Grabschriften und in der Literatur des mittleren Reiches entgegen. Da ist es vor allem das Wohltun, dessen man sich unablässig rühmt. Man gibt dem Hungrigen Brot und dem Durstigen Wasser, dem Nackten reicht man ein Kleid *. Den, der nicht über den Fluß kann, setzt man auf der eigenen Fähre über 2 , und den Verirrten bringt man auf den richtigen Weg 3. Ein guter Mann ist ein Sohn für den Alten 4, ein Bruder für die Verstoßene, ein Gatte für die Witwe und dem Waisenkinde ein Vater. Für das Kind, das keine Mutter hat, ist er das Kleid und für den Frierenden ein Windschirm 5. Für den, der krank ankam, ist er Amme und Wärterin. Anderes, dessen sich ein Vornehmer rühmt, ist, daß er nie eine Witwe bedrückt oder die Tochter eines Bürgers geschändet hat. Nie hat er einem Ackersmann oder einem Hirten Hindernisse bereitet. In Jahren der Not hat er das Volk unterstützt, und dabei hat er keinen Unterschied zwischen Großen und Kleinen gemachte. Als Richter hat er danach gestrebt, daß beide Parteien zufrieden aus dem Gericht gingen 7. Und auch dafür hat er Sorge getragen, daß dem Sohne im Prozesse der Besitz des Vaters erhalten blieb 8 — gehört es doch auch sonst zu den Pflichten eines vornehmen Mannes, daß er dem Sohne das Amt seines Vaters erhält. Wie ein wackerer Mann und guter Beamter sein Leben führen soll, das lehrt uns der weise Ptahhotep, der Vezier des Königs Issi*) (um 2500 v. Chr.) war. Gut ist es zu heiraten und einen Hausstand zu gründen. Im übrigen aber soll er sich vor den Frauen in einem fremden Hause hüten, denn tausend Menschen gehen ihretwegen ins Verderben. Er soll freundlich sein gegen alle Menschen, und vor allem auch gegen Bittende; denen soll er durch zustimmendes Nicken Mut machen, daß sie ihre Klagen aussprechen. Immer soll er sich eines zurückhaltenden, bescheidenen Benehmens befleißigen. Auch hüte er sich davor, leichtfertige Reden zu wiederholen. Auf sein Wissen sei er nicht stolz und mißachte nicht einen Geringen, wenn ihn der König erhoben hat. Habgier ist ^in böses Laster, ein böses Leiden, das alle menschlichen Verhältnisse zerrüttet. Man sieht, diese Moral hat etwas Nüchternes, und das tritt *) In wie weit die Zuteilung der alten Literaturwerke an bestimmte Personen berechtigt ist, stehe dahin, "jedenfalls ist dieses Buch älter als das mittlere Reich. — Alles Folgende nach Literatur Seite 87 — bis S. 99.

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*« Kapitd.

umso mehr hervor, wenn der Weise betont, wie sehr seine Lehren dem Menschen zum Nutzen gereichen. Man soll seine Frau lieben und ihr alles Gute erweisen, aber das lohnt sich auch, denn sie ist ein guter Acker, der Frucht bringt. Dem Vorgesetzten sollst du ein rechter Diener sein, denn so wird dein Haus mit deiner Habe dauern, und deine Bezahlung wird in Richtigkeit sein. Sei freigebig gegen deine Vertrauten, denn wer weiß, ob nicht einst eine Zeit kommt, wo diese dich unterstützen müssen. Eine andere Luft weht dann schon in jener merkwürdigen Lehre, die ein König aus der Zeit vor dem mittleren Reich für seinen Sohn Merikare verfaßt haben soll1. Zwar heißt es auch da, daß man die Weinenden beruhigen soll, die Witwe nicht bedrücken und niemand der Habe seines Vaters berauben. Auch auf vornehme Herkunft soll ein König nichts geben. Aber vor allem soll er die Hitze, d. h. die Leidenschaft in seinen Reden vermeiden. Es ist das übrigens ein Gedanke, der uns auch sonst im mittleren Reiche begegnet, und ist offenbar eine leitende Idee der damaligen Ethik. So heißt es einmal von einem Fürsten, er habe die Leidenschaft gebändigt, habe ein ruhiges Herz gehabt und sei frei von Unüberlegtheit gewesen 2. Weiter lehrt dann der alte König, er solle freundlich reden, denn reden sei kräftiger als alles kämpfen. Zur Verehrung der Götter bemerkt er, daß dem Gotte die Tugend eines recht Gesinnten lieber sei als der Ochse, den ihm ein Frevler opfere. Doch soll der Mann auch das tun, was seiner Seele nützt, er soll den Priesterdienst verrichten und seine Opfer darbringen. Gott kennt den, der etwas für ihn tut. Aus dem neuen Reiche haben wir dann ein Buch, das zu dem Hübschesten gehört, was die ägyptische Literatur besitzt. Es wird einem Schreiber Anii zugeschrieben. Hier seien nur einzelne Proben aus ihm gegeben. Sei mildtätig und iß nicht Brot, wenn ein anderer Mangel leidet 3. Hüte dich vor einer Frau von draußen, die in ihrer Stadt nicht bekannt ist. Blinzle ihr nicht zu und erkenne sie nicht. Das wäre ein großes todeswürdiges Verbrechen, auch wenn sie es draußen nicht erzählt 4. Gut ist es, früh zu heiraten und viele Kinder zu zeugen 5. Behandele du deine Frau mit Rücksicht, wenn du weißt, daß sie tüchtig ist', sage

Die Ethik.

nicht zu ihr. »wo ist das, bringe es uns«, wenn sie es dock an die richtige Stelle getan hatl. Deiner Mutter vergilt du alles, was sie für dich getan hat. Gib ihr reichlich Brot und trage sie so, wie sie dich getragen hat. Sie hatte viele Last mit dir, als du geboren wurdest nach deinen Monaten, trug sie dich wieder auf dem Nacken und drei Jahre war ihre Brust in deinem Munde. Sie hatte nicht Ekel vor deinem Kot. . . Sie setzte dich in die Schule, als dir das Schreiben gelehrt wurde und täglich stand sie da mit Brot und Bier aus ihrem Hause 2. — Sei mäßig im Essen, übernimm dich auch beim Biere nicht, sonst weißt du nicht, was du sagst, und wenn du hinfällst, liegst du auf dem Boden, wie ein kleines Kind. Deine Trinkgenossen aber lassen dich liegen und sagen: weg mit diesem Säufer 8. — In deinem Umgange sei wählerisch und verbrüdere dich nicht mit dem Diener eines anderen *. — In einem fremden Hause sieh nicht auf das, was darin unrichtig ist; dein Auge sehe es, aber du schweigst und redest davon draußen ZU keinem anderen 5. — Hüte dich auch davor, über geheime Angelegenheiten zu reden: spricht man von solchen in deinem Hause, so mache dich taub e. Rede nicht viel . . ., und sei vorsichtig im Sprechen, denn die Zunge bringt Umglück über den Menschen 7. Die Haupttugend für jeden aber ist Bescheidenheit und Zurückhaltung: Sitze nicht, wenn ein anderer sieht, der älter ist als du, oder der es in seinem Amte weiter gebracht hat8. — Gehe nicht uneingeladen in ein fremdes Haus9. — Einem wütenden Vorgesetzten antworte gar nicht, oder suche ihn zu beruhigen 10. — Gehe auch nicht ein und aus beim Gericht, damit dein Name nicht stinke ". Vertraue auch nicht auf den Reichtum und hoffe auch nicht auf ein Erbe; sage nicht: der Vater meiner Mutter besitzt ein Haus . . .; denn wenn es zum Teilen mit deinen Brüdern kommt, fällt auf dich nur ein Speicher 12. Besonders aber betont dieser Weise die Pflichten gegen Gott: feiere das Fest deines Gottes . ., Gott zürnt gegen den, der dagegen fehlt13. Dränge dich aber auch nicht vor bei seinem Feste, um ihn zu tragen, und frage nicht nach seiner Gestalt. Und wohltuend berührt es uns, wie Ami überhaupt das äußere Gebahren der Frömmigkeit verwirft: Die Wohnung Gottes, E r m a n , Religion der Ägypter.

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deren Abscheu ist Geschrei. Bete du mit einem wünschenden Herzen, dessen Worte alle verborgen bleiben. Da tut er, was du brauchst', er erhört deine Worte und nimmt dein Opfer anl. Das neue Reich ist eben doch eine Zeit feineren Empfindens, und so befremdet es uns auch nicht, wenn an anderen Stellen 2 von dem Gotte die Rede ist, der in dem Menschen wohnt*); es macht das Glück des Menschen aus, wenn dieser mit ihm zufrieden ist. Dieser Gott im Menschen, ist, wie anderswo ausdrücklich bemerkt wird3, sein Herz, auch an seinen Ka (von dem wir noch in Kapitel 14 sprechen werden), dürfen wir hier denken. Die ganze Vorstellung entspricht natürlich dem, was wir das Gewissen nennen. Etwa drei oder vier Jahrhunderte später hat dann der Kornschreiber und Katasterbeamte Amenemope seinem Sohne dreißig Spräche zur Richtschnur seines Lebens gegeben. Ein Buch, das uns auch dadurch merkwürdig ist, daß Teile davon in die Sprüche Salomonis und damit auch in unsere Bibel gekommen sind 4. Was in diesem Buche über das Verhältnis des Menschen zu Gott gesagt wird, steht unserm eigenen Empfinden besonders nahe. Da heißt es: der Mensch ist Lehm und Stroh und Gott ist sein Baumeister 5. — Vor ihm gibt es keine Vollkommenheit e. Sage nicht, ich habe keine Sünde; was Sünde ist, ist Gottes Sache und von ihm besiegelt'. — Bei allem Streit und Hader mit deinen Feinden vertraue nicht auf dich selbst, sondern setze dich in die Arme Gottes, so wird dein Schweigen (d. h. deine Zurückhaltung) die Gegner schon zu Falle bringen 8. Und ein andermal heißt es ähnlich: laß dich in keinen Zank mit einem Hitzigen ein; Gott wird ihm zu antworten wissen9. Im übrigen legt der Weise, wie das seinem Berufe entspricht, besonderes Gewicht auf Ehrlichkeit und Rechtlichkeit des Beamten. Über beides wacht der Ibis und der Pavian, d. h. der Thoth, der Gott der Schreiber. So tauche denn nicht deine Feder ein, um einen ändern zu schädigen 10. — Verrücke keinen Grenzstein n, fälsche nicht Maß und Gewicht12, laß dich nicht bestechen 13. Richte gerecht, unterdrücke nicht den Schwachen zugunsten des Reichen 14, und weise den nicht ab, der schlecht gekleidet ist15. Betrüge auch nicht beim Einziehen der Steuern, aber sei vor.

*) Daß ein Gott im Menschen wohnt, kommt schon in einem alten Texte Vgl. Lacau T. R. XLIV Seite 91).

Die Ethik.

auch nicht hart. Findest du in der Liste einen großen Rückstand bei einem Armen, so teile den in drei Teile, wirf zwei dämm fort und lasse nur einen stehen x. Alles was du unrechtmäßig erwirbst, würde dir doch keinen Segen bringen, denn besser ist ein Scheffel, den Gott dir gibt, als 5000 in Unrecht z. Und werden dir Reichtümer auf räuberische Weise gebracht, so bleiben sie nicht eine Nacht über bei dir. Wenn es tagt, sind sie nicht mehr in deinem Hause, man sieht noch ihre Stelle, aber sie sind nicht mehr da; der Boden hat seinen Mund geöffnet . . und sie verschlungen. Sie sind in die Unterwelt untergetaucht, sie haben sich ein Loch gemacht, das groß genug ist für sie, und sie sind im Speicher untergetaucht. Sie haben sich Flügel wie Gänse gemacht und sind zum Himmel geflogen 3. — Besser sind Brote, wenn das Herz froh ist, als Reichtum mit Kummer *. Zu einem vollkommenen Manne gehört dann weiter auch wieder, daß er sich bescheiden zurückhält. Der Hitzige ist wie ein Baum, der als Brennholz endet, während der wahre Bescheidene ein Baum ist, der im Garten seine Frucht trägt 5. — Geselle dich nicht zu dem Hitzigen, und mache dich nicht an ihn, um dich mit ihm zu unterhalten 6. Einem hitzigen Vorgesetzten sollst Du dich beugen, auch wenn er dich schmäht, das wird er dir morgen vergelten 7. Hüte dich auch vor Sorgen, der Mensch weiß ja nicht, was morgen sein wird8. — Übles Gerede sollst du nicht verbreiten 9. Sei nicht habgierig, denn die unrechtmäßige Habe ist kein Genuß für dich 10. So mache dir auch keine Fähre auf dem Fluß, um dir damit Fährlohn zu erwerben, oder nimm doch den Fährlohn nur von dem, der etwas besitzt, und verschone den, der nichts hat n. Fahre jeden über, so lange du noch Platz in der Fähre hast 12 . Auch sonst sollst du menschlich sein: lache nicht über einen Blinden und verhöhne nicht einen %werg. Schädige auch keinen Verstümmelten und verhöhne nicht einen Mann, der in der Hand Gottes ist und sei nicht grimmig gegen ihn, wenn er fällt13. Das Buch des Amenemope stammt etwa aus der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends*). Es ist das eine Zeit, die wir uns als eine Periode des Verfalls denken, aber solche Perioden staatlichen Verfalls sind ja nicht immer auch solche geistigen Niedergangs, *) Daß es etwa so alt ist, lehrt uns eine Schreibtafel des Turiner Museums, auf der ein Schüler dieser Zeit einzelne Verse abgeschrieben hat. 11*

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Hftes Kapitel.

und so begegnet uns denn gerade auch in den Inschriften dieser Zeit manches, was auf ein feineres, sittliches Empfinden deutet. Hier sei nur auf eine Stelle hingewiesen, die doch noch über das hinausgeht, was uns Anii und Amenemope lehren. Chnum, sagt ein Mann dieser Zeit, hat mich als Vortrefflichen gebildet, er hat meine %unge zum Guten gelenkt und ich hielt meinen Mund rein davon, den zu verletzen, der mich verletzt hatte. Ich schuf mir Wohlwollen und meine Feinde wurden meine Anhänger 1. Eine Beleidigung mit einem Streite zu erwidern, gilt dieser verfeinerten Gesittung schon als nicht richtig.

Zwölftes Kapitel.

Der Kultus in älterer Zeit. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, an dieser Stelle all den Gebräuchen des Kultus nachzugehen, die verschiedene Anlage der Tempel zu erörtern oder die Unterschiede der einzelnen Priesterschaften darzulegen; das verbietet schon die unendliche Mannigfaltigkeit dieser Dinge. Aber ein kurzer Überblick, der das Charakteristische in diesen äußeren Formen der ägyptischen Religion hervorhebt, sei uns hier doch gestattet. Wer von der ägyptischen Religion spricht, der denkt dabei unwillkürlich an jene Zeit, wo die Götter in ihren Riesentempeln thronten und ihre glanzvollen Feste begingen. Aber diese großartige Gestalt des Kultus ist etwas Junges und um ihn zu verstehen, muß man auf die früheren Jahrtausende zurückgehen — eigentlich bis in jene unvordenkliche Zeit, in der die Ägypter noch ein primitives Volk waren. Rohe Götterfiguren von menschlicher oder tierischer Gestalt verstanden sie schon zu schnitzen und sie gefielen sich darin, diese durch verschiedene Kronen zu unterscheiden. Aber ihre Phantasie ging dabei nicht über Diademe aus Schilfbündeln, Schaf- und Kuhhörnern und Straußenfedern hinaus. Ihre Götter trugen als Szepter einen Stab, wie ihn noch heute jeder Beduine sich schneidet und ihre Göttinnen begnügten sich sogar mit einem Schilfstengel. Die Tempel waren Hütten mit geflochtenen Wänden, aus ihrem Dache ragten vorn Stäbe hervor; auch eine Umzäunung und zwei hohe Masten standen vor dem Eingang. Als Altar diente eine Schilfmatte und zu der Feier der Feste wurden Lauben errichtet. Wenn der Ägypter auch später noch seinen Tempel als das Schloß des Gottes bezeichnet, so ist dieser Ausdruck einmal wörtlichgemeint gewesen. 63. Kronen.

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Zwölftes Kapitel.

Denn der Gott war als ein König gedacht, der in einem Schlosse wohnte, der Kronen trug und dem seine Untertanen Abgaben — die Opfer — entrichteten. Auch ein Gesinde hat er, das ihn pflegt und speist; es sind das die Priester, die daher die Diener des Gottes heißen. Auch das Zeremoniell des täglichen Kultus entspricht dieser Auffassung und auch die Anordnung der Tempelräume gleicht der eines vornehmen Hauses. 64. Szepter Ursprünglich war jeder Tempel nur dem (a der Götter, b der einen Gotte geweiht, der als sein Herr galt, Göttinnen). aber im Laufe der Zeit haben sich dann diesem noch andere Götter hinzugesellt, die auch Anhänger in der Stadt besaßen und denen man deshalb eine Nebenstelle im Tempel nicht verweigern konnte. Wie man manche dieser Nebengötter dann als die Familie des großen Gottes dachte, haben wir im vierten Kapitel gesehen. An seinen Opfern und Festen nahmen auch sie teil, wenn auch nur in bescheidenem Maße. Von den Tempeln der Urzeit ist uns begreiflicher Weise nichts erhalten und wir kennen sie nur aus kleinen Bildern, die in alten Inschriften vorkommen. Aber auch von den großen Bauten der älteren historischen Zeit ist nur sehr weniges auf uns gekommen, denn in der langen Reihe der Jahrhunderte ist so viel an ihnen umgebaut, erneuert und erweitert worden, daß in der Regel nur noch einzelne Mauern von dem ursprünglichen Bauwerk Kunde geben. Indessen schon die geringen Reste, die sich von den größeren alten Tempeln hier und da erhalten haben genügen, um einen richtigen Begriff von ihnen zu gewinnen: sie sahen im wesentlichen schon ebenso aus wie die großen Bauten, die später an ihre Stelle getreten sind. Die Form, die die alte Zeit dem Tempel gegeben hatte, ist eben für alle Zeit vorbildlich geblieben; galt sie doch als etwas Heiliges, von den Göttern selbst Geschaffenes. Ptah und die Seschat hatten ja einst selbst die Pflöcke eingeschlagen und den Strick gespannt, um den Grundriß des 65. Tempel der Urzeit.

Der Kultus in älterer Zeit.

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Heiligtumes anzugeben. Wenn wir daher im folgenden einen Tempel des neuen Reiches schildern, so schildern wir damit gewiß auch einen der älteren Zeit. Wir sind heute gewöhnt, die schönsten Ruinen ägyptischer Tempel in Feldern und Gärten liegen zu sehen und nehmen danach unwillkürlich auch für das Altertum eine gleiche Lage an. In Wirklichkeit lagen die Tempel aber gerade im Innern der Städte, mitten in dem Häusergewirr und den engen schmutzigen Gassen einer südlichen Stadt. Gegen das lärmende Treiben, das sie rings umgab, schloß eine hohe Ziegelmauer ihren Bezirk ab, als eine stille, reine Stätte in der unreinlichen und lauten Welt. Auch der Weg zum Tempel hatte einst durch die Gassen der Stadt geführt, dann aber hat man überall einen freieren Zugang zu ihm geschaffen, der den Festzügen eine bessere Entfaltung erlaubte. Man hat einen geraden breiten Gottesweg durch die Häuserviertel gebrochen und hat ihn auf beiden Seiten mit Statuen von Widdern, Löwen oder anderen heiligen Tieren besetzt, die als eine steinerne Wache den Weg des Gottes hüten sollen. Wo diese Straße auf die Umwallung des Heiligtums stößt, ragt aus dieser der sogenannte Pylon auf, ein großes Tor, das von zwei hohen Türmen mit schrägen Wänden flankiert 66. Grundriß des Tempels wird. Hinter diesem Tore liegt der Ramses' III. in Karnak. erste Hauptraum, ein von Säulengängen umschlossener offener Hof; in ihm spielen sich diejenigen Feierlichkeiten ab, an denen ein größerer Kreis von Bürgern der Stadt teilzunehmen berechtigt ist. Auf den Hof folgt dann ein von Säulen getragener Saal, das sogenannte Hypostyl, der Raum für allerlei Zeremonien, und dahinter liegt endlich das Allerheiligste, die Kammer, in der das Götterbild seine Wohnung hat. Andere Kammern daneben pflegen die Bilder seiner Nebengötter, etwa seiner Gattin und seines Sohnes, zu enthalten. Das sind die wesentlichen Räume eines Tempels; natürlich kann er außer

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Zwölftes Kapitel.

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ihnen noch allerlei Nebenräume enthalten, zur Aufbewahrung von heiligem Gerät oder zu besonderen Zwecken des Kultus. Charakteristisch ist dann weiter für den Tempel, daß seine einzelnen Teile von vorn nach hinten allmählich an Höhe abnehmen und ebenso auch an Helligkeit: im Hofe strahlt die ägyptische

Der Kultus in älterer Zeit.

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Pylon mit seinen Masten und wehenden Wimpeln (nach einer ägyptischen Zeichnung).

Sonne in ungehinderter Glut, der Saal empfangt ein gemildertes Licht durch sein Tor und durch Fenster am Dach, im Allerheiligsten herrscht tiefes Dunkel. Auch die Ausschmückung der Tempel ist im Ganzen immer die gleiche. Auf den Außenmauern stellt man — wenigstens seit der 19. Dynastie, die Taten des regierenden Königs dar. Im Innern dagegen beziehen sich alle Bilder auf den Kultus und zeigen, was sich in diesen Räumen alltäglich abzuspielen pflegt. Diese Bilder müssen aus sehr alter Zeit überliefert sein; darauf deutet die Art, wie allerlei Schriftzeichen in ihnen symbolisch verwendet werden. Wenn der König zum Gotte eilt, so hält er

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Zwölftes Kapitel.

das Zeichen hep »eilen« in der Hand und wenn er dem Gotte die Zeichen Maat »Wahrheit« und neb »jeder« überreicht, so heißt das gewiß, daß er »alles Echte, Wahre« ihm darbringt. Auch die Ornamente des Tempels sind nicht gleichgültig gewählt; unten an den Wänden erinnern sie an, Erde und Nil während die Decke durch Sterne und fliegende Geier als Himmel gestaltet ist. Des Weiteren stehen dann vor dem Pylon die Obelisken, zwei Steinpfeiler, wie man sie auch bei anderen Bauten vor das Tor zu setzen pflegt, ursprünglich vielleicht mit dem Namen des Hausherrn. An der Wand des Pylons ragen dann Masten auf, von deren Spitzen bunte Wimpel flattern. Vor dem Torgebäude oder innen im Hofe sitzen gewaltige Kolosse des Königs, gleichsam als Hüter des Heüigtumes, das er erbaut hat. Kleinere Statuen des Königs, die in den verschiedenen Räumen des Tempels verteilt sind, zeigen ihn, wie er betend oder opfernd den Gott verehrt. Auch Statuen anderer Götter stehen zuweüen im Tempel, U als wollten auch sie dem großen Gotte desselben dienen, so Nilgötter, die ihm die Erzeugnisse ihres Stromes darbringen, oder Bilder der löwenköpfigen Sachmet, die seine Feinde abwehren. Der große Altar, eine einfache Erhöhung auf die von hinten Stufen führten *), stand für gewöhnlich inmitten des Säulenhofes; kleinere Tische zum Obelisk Aufstellen von Speisen und Getränken fehlten auch 6 Sesostris l. in in den ändern Räumen des Tempels nicht. Im (LDdm°!ii8) Allerheiligsten vor dem Gotte stand eine Lampe1. Was wir hier geschildert haben, ist der gewöhnliche Typus des ägyptischen Tempels, der sich fast überall heut noch herauserkennen läßt, auch wenn die Anlage im einzelnen Falle durch Anbauten oder durch die besondere Lage des Bauterrains oder durch andere ungewöhnliche Verhältnisse noch so sehr verwirrt sein mag. Eine kleine Reihe von Tempeln gab es freilich, *) Erhalten in Der el Bahri.

Der Kultus in älterer Zeit.

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die völlig von diesem Typus abwichen. Das waren die Sonnentempel der fünften Dynastie (S. 102), die, wie man wohl mit recht vermutet hat, Nachbildungen des berühmten Sonnentempels von Heliopolis waren, der für uns verloren ist. Diese Tempel, die Namen wie Lieblingssitz des Re führten, waren offene große Höfe, in deren Hintergrund sich auf einem pyramidenartigen Unterbau ein gewaltiger Obelisk erhob; er war der Haupteil des Tempels und galt gewiß als der Sitz des Gottes; vermutlich war er eine Nachahmung des berühmten Steines Benben in Helio-

70.

Der Sonnentempel von Abu Gurab, rekonstruiert.

polis, der eine ähnliche Gestalt hatte. Vor dem Obelisken lag dann der große Altar des Gottes; sonst war der Hof nur mit wenigen Wirtschaftsgebäuden besetzt und der Gottesdienst ging unter freiem Himmel vor sich. Die Dekoration eines solchen Tempels wird im allgemeinen nicht allzu sehr von der sonst üblichen abgewichen sein, aber in einem Seitengange, der in den Unterbau des Obelisken führte, war ganz Ungewöhnliches dargestellt: wie die Jahreszeiten dem Könige alles das darbringen, was in ihnen auf dem Lande und auf dem Wasser vor sich geht, das Wachsen der Pflanzen, die Vermehrung der Tiere, die Arbeiten der Menschen; vielleicht hatten diese heiteren Bilder einen Platz im Tempel erhalten, weil es ja der Sonnengott war, der alles leben und gedeihen ließ. Wenn diese Heiligtümer des Re vielleicht ohne ein eigentliches

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Zwölftes Kapitel.

Kultbild auskamen, weil sie eben jenen Stein als einen Sitz des Gottes verehrten, so war dies jedenfalls nach ägyptischen Begriffen eine seltsame Abweichung von dem Üblichen, denn in jedem anderen Tempel war das Götterbild das Wichtigste. Auf ihm läßt sich — wie das späte Inschriften oft aussprechen — die Seele des Gottes nieder, wenn sie aus dem Himmel kommt, als auf ihrem Leibe 1. So oft diese Kultbilder nun aber auch erwähnt werden, und so oft uns auch kleine und große Nachahmungen davon erhalten sind, so ist doch kaum eines von ihnen selbst auf uns gekommen*) sie sind wohl alle bei dem Untergang der ägyptischen Religion dem Haß der Christen zum Opfer gefallen. Indessen besitzen wir in späten Tempeln wenigstens Beschreibungen und Darstellungen, nach denen wir uns ein Bild von ihnen machen können. So besaß der Tempel der Hathor von Dendera unter anderem folgende heilige Wesen: Hathor, farbiges Holz, Kupfer, eingelegte Augen, Höhe 3 Ellen, 4 Spannen und 2 Finger. Isis, farbiges Akazienholz, Augen eingelegt, Höhe i Elle. Horus, farbiges Holz, eingelegte Augen, Höhe i Elle und i Finger. Buto, farbiges Holz, goldene Augen, Höhe i Eilt. Usw 2. Diese alten heiligen Bilder hatten also nur geringe Größe (weitaus die meisten waren nur eine Elle, d. h. nur einen halben Meter hoch) und bestanden in der Regel aus Holz; schwere Steinbilder hätte man ja auch nicht umhertragen können, wie das doch bei den Festen erforderlich war. Natürlich schließt dies nicht aus, daß auch einmal eine steinerne Statue im Allerheiligsten als Kultbild stand 3 . Übrigens waren die meisten Götterbilder, so weit sie nicht Tiergestalt hatten, nach demselben Schema gebildet und unterschieden sich, wie die in den ersten Kapiteln gegebenen Bilder der Gottheiten zeigen, nur durch die verschiedenen Köpfe, Kronen und Attribute. Ihr Bart war eine geflochtene Strähne mit gekrümmter Spitze, ähnlich dem, den noch heute innerafrikanische Stämme tragen. War das Kleid angegeben, so war es bei den Göttern meist ein besonderes kurzes Gewand, das an Tragbändern über den Schultern hing, während die Göttinnen die allgemeine alte Frauentracht trugen. Bei manchen besonders altertümlichen Bildern (z. B. dem des Ptah, S. 26) *) Ein Kultbild wird der alte kupferne Falke mit goldenem Kopf sein, den Quibell in Hieraconpolis fand.

Der Kultus in älterer Zeit.

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waren auch Beine, Arme und Tracht gar nicht angedeutet und die Figuren sahen etwa so aus, wie man später die Mumien gestaltete. Ebenso unvollkommene uralte Bilder gab es für die heiligen Falken, auch die mußten sich mit einem Klotz anstatt der Beine begnügen. Zuweilen erforderten diese alten Götterbilder Reparaturen und oft auch läßt ein frommer Herrscher sie durch neuen Schmuck aus Gold und Edelsteinen verschönern. So läßt Thutmosis I. die Götterbilder von Abydos samt den für die Feste nötigen Tragstangen aus Gold herstellen, herrlicher als sie waren. Und sie sind nun prächtiger als was im Himmel ist, geheimnisvoller, als was in der Unterwelt ist *. Für diese verantwortlichen Arbeiten bestanden besondere Werkstätten, die Goldhäuser\ man versteht es, daß die Goldschmiede, denen es vergönnt war, darin zu arbeiten, sich mit Stolz rühmten, das Geheime in den Goldhäusern (d. h. die Götterbilder) kennen gelernt zu haben 2. Die gewöhnliche Behausung des Götterbildes ist seine Kapelle, im letzten alierheiligsten Räume des Tempels. Gern stellt man diese Kapelle aus einem einzigen Blocke harten Granites her, der das heilige Bild dann als eine undurch- 71. Späte Kapelle aus dem dringliche Mauer umgibt. Vorn ist sie Tempel von Philae. (Paris.) durch einen ehernen Einsatz mit einer zweiflügeligen Tür verschlossen. Die Stelle, wo diese Kapelle steht, die große Stätte, wie man zu sagen pflegt, ist nun der Ort, wo sich der tägliche Kultus abspielt, er ist einfach genug.

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Frühmorgens tritt der diensttuende Priester vor das Alierheiligste, räuchert und erfüllt es mit dem Duft des Weihrauchs, er tritt an die Kapelle und öffnet sie. Er begrüßt den Gott durch wiederholtes Niederwerfen und durch Absingen oder Hersagen von Liedern. Er nimmt dann seine Geräte, die er in einem Kasten bei sich hat, und beginnt damit die tägliche Toilette des Gottes. Er besprengt sein Bild aus zweimal vier Krügen mit Wasser, er

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Zwölftes Kapitel.

bekleidet es mit Leinenbinden, die weiß, grün, rot und rötlich sind, er salbt es mit öl, legt ihm grüne und schwarze Schminke auf und was dieser Dinge mehr sind. Zuletzt speist er den Gott, indem er allerlei Essen und Trinken vor ihn setzt, Brote, Gänse, Stierschenkel, Wein und Wasser und Blumen, die auf einem ägyptischen Speisetische nicht fehlen dürfen. Das alles wäre wohl in einer halben Stunde zu erledigen: es wird aber sehr viel länger gewährt haben, denn jede einzelne Handlung wird ihrerseits wieder in verschiedene Manipulationen zerlegt, und bei jeder derselben hat der Priester einen Spruch herzusagen — das Ganze endlos und geistlos. Denn nirgends in diesen Sprüchen ist eine Empfindung für die Heiligkeit des Ortes und die Majestät des Gottes zu spüren; alles persönliche Gefühl ist aus diesem, jüngeren, Ritual geschwunden und in einer Weise wie sie nicht leicht törichter sein kann, wird in ihm mit mythologischen Hindeutungen gespielt, als bestände die ganze Religion nur aus der Geschichte von Horus und Seth und aus der des Osiris. Ob man 72. Der König als Priester den Harachte verehrt oder den Ptah, die öffnet die Tür der Kapelle. Isis oder die Mut, immer wird das Dar(Aus dem Tempel von gebrachte dem Horusauge verglichen, das Abydos.) Seth beschädigte und Horus seinem Vater gab, immer wird Horus auf den Thron seines Vaters gesetzt und die Leiche des Osiris wieder zusammengefügt1. Wenn der Priester z. B. die Schnur und das Siegel löst, mit dem die Behausung des Gottes nachts verschlossen war, so hat er zu sagen: das Band wird zerrissen, das Siegel gelöst, um durch diese Tare zu schreiten. Alles Schlechte, das an mir war, ist beseitigt. Ich komme und bringe dir das Horusauge; das Horusauge ist dein. Ich bin Thoth wie er das Auge ordnete. Das soll heißen: gewaschen naht sich der Priester und bringt dem Gotte das, was er braucht, so wie einst Thoth das am Mondauge Fehlende gebracht hat. Wenn er dann das Tonsiegel der Kapelle zerbricht, so versichert er dem Gott: ich komme nickt um den Gott von seinem Sitze zu verjagen, ich komme, um ihn auf seinen Sitz zu setzen. Ich bin der, der die Götter einführte und du bleibst auf deinem großen Sitze. Er steckt den Schlüssel

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in das Schloß und zieht den Riegel zurück und sagt: Der Finger des Seth ward aus dem Horusauge gezogen, da war es gesund; der Finger des Seth ward aus dem Horusauge gelöst, da war es gesund. — Der Finger ist natürlich der Schlüssel. Dann versichert er dem Gott, daß er befugt sei, ihn zu sehen: ich bin ein Priester', der König ist es, der mir befiehlt, den Gott zu schauen. Ich bin der große Phoenix, der in Heliopolis ist. Ich habe den, der im See der Unterwelt war, beruhigt. Dann öffnet er die Türflügel und schaut den Gott: Gesicht hüte dich vor dem Gölte! Gott hüte dich vor dem Gesichte! Gott, ich habe deine Tür geöffnet, laß mich eintreten. Er wirft sich nieder und sagt: ich küsse die Erde, mit dem Gesicht nach unten. Ich habe die Wahrheit ihrem Herrn gebracht und die Speise dem, der sie gemacht hat, d. h. er kommt, um dem Gotte schönes Essen zu bringen. Wenn der Priester dann weiter die Kapelle mit einem Lappen abstaubt, so denkt er sich dabei als Horus und das Wischtuch als dessen Auge: ich bin Horus. Ich komme und suche mein Auge. Ich lasse es nicht fern von dir sein. Siehe ich halte es indem es glücklich kommt und es vertreibt all dein Böses. Wischt der Priester dem Götterbild die Salbe des vorigen Tages ab, um sie durch neue zu ersetzen, so sagt er: ich komme und fülle dich mit der Salbe, die aus dem Horusauge gekommen ist. Ich fülle dich mit ihr, daß sie deine Knochen verknüpfe, deine Glieder vereinige, dein Fleisch zusammenfüge, daß sie all deine böse Feuchtigkeit ablöse. Nimm sie dir, sie riecht wohl an dir, so wohl wie Re, wenn er aus dem Horizonte kommt — es ist natürlich die Leiche des Osiris mit der das Götterbild verglichen wird. Dieser letztere Spruch, den ich eben aus dem Ritual der Tempel anführte, ist uns nun wörtlich ebenso aus einem ändern Kreise von Sprüchen bekannt; er steht in den alten Pyramidentexten als etwas, was man beim Salben einer Leiche zu sagen hat *. Und ähnliche Fälle gibt es auch sonst genug; wenn man z. B. beim Waschen des Götterbildes rezitiert: dein Auge wird dir angefügt, dein Kopf wird dir angefügt, deine Knochen werden dir angefügt, dein Kopf wird dir von Keb fest angefügt. Thoth wasche ihn, daß aufhöre, was an ihm ist*, so ist es ja klar, daß das, was gewaschen wird, einfach die Leiche des Osiris ist; es ist ein Spruch, den man beim Waschen eines Toten hersagt, den man ja immer seinem göttlichen Vorbilde Osiris gleich setzt. Das zeigt uns, woher unsere Rituale ihre merkwürdige Gestalt erhalten haben; als das Totenund Gräberweseh, wie wir das im fünfzehnten Kapitel sehen

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Zwölftes Kapitel.

werden, das Leben des Volkes mehr und mehr erfüllte, da hat es schließlich auch die Formen der Gottesverehrung in seinen Bann gezogen. Das sehen wir auch sonst im Kultus. Die ständige Formel ein Opfer, das der König gibt, die die Gebete für die Toten eröffnet, wird auch in den Tempeln bei den Göttern verwendet1 und wenn wir später im Tempel von Denderah der Sitte begegnen, daß das Götterbild von Zeit zu Zeit die Sonne sehen muß, so denkt man daran, daß es auch für die Toten ein Hauptwunsch ist, die Sonne zu sehen. Ob auch all die abenteuerlichen Benennungen der Spenden und Speisen aus der Verehrung des Osiris und dem Dienste der Toten herstammen, stehe dahin. Da heißt zunächst alles, was man darbringt ein Horusauge, jede Speise, jedes Getränk, die Kleider, die Salben, die Schminke müssen sich so nennen lassen und man erlaubt sich auch den Wein als das grüne Horusauge und die Milch als das weiße Horusauge zu bezeichnen. Die Salben aber, der Weihrauch und alles was wohlriecht, heißen der Schweiß der Götter, und man salbt den Gott mit seinem Gerüche, dem Schweiß, der aus seinem Fleische kam 2. Und endlich gelten alle Tiere, die auf dem Schlachthofe des Tempels geschlachtet werden, als Feinde des Gottes, die man ihm zu Gefallen umbringt — selbst die armen kleinen Gazellen werden so als böse Ungeheuer umgebracht. Wer dem Gotte Fleisch darbietet, bringt ihm immer die Schenkel seiner Feinde 3 oder sagt: ich habe dir den geschlagen, der dich schlug4. Übrigens wird dabei einmal schon in alter Zeit ein rotes Rind& als ein Opfer für Osiris erwähnt, offenbar in Hinblick auf eine Glauben, den wir aus griechischer Zeit kennen e, Seth selbst sei rotfarbig gewesen und daher müsse man rote Rinder opfern. Auch sonst gilt ja rot den Ägyptern als eine Unglücksfarbe 7. Die Fleischstücke werden teils roh, teils gebraten dargebracht; im letzteren Falle bietet man sie dem Gotte auf kleinen Kohlenbecken dar 8 . Diese Kohlenbecken dienen zum Braten des Fleisches und nicht zum Verbrennen, denn das wirkliche Brandopfer scheint dem regelmäßigen Kultus der älteren Zeit fremd zu sein. Nur wo man einem fernen Gotte, dem man die Speise nicht vorlegen kann, ein Opfer bringt, läßt man es im Feuer schwinden9. So tat es ein Mann in der Wüste mit einer Gazelle, die ihm den Weg gewiesen hatte, und die er dankbar dem Min darbrachte10.

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Und wenn der Schiffbrüchige des Märchens nach seiner Rückkehr der Schlange opfert, so verbrennt er dies Opfer; denn nur so kann die Luft das Opfer in die Ferne tragen. Erst im neuen Reiche treffen wir auch im Kultus auf einzelne sichere Erwähnungen von Brandopfernx und in noch späterer Zeit sind sie dann eine gewöhnliche Form des Opfers geworden. Zu den Opfern, die man so kunstgemäß, gemäß den Schriften der Gottesworte 2 dem Gotte darbot, traten dann für ihn noch Genüsse feinerer Art. Zunächst das Räuchern, ohne das sich der Ägypter einen Kultus überhaupt nicht denken konnte, denn der

•Mr

73. Opfernder mit einem Kohlenbecken. (Mission V, tombeau d'Apoui pl. 2.)

74. Opfernder, der zwei Kohlen· becken mit Enten darbringt, (L D III9.)

Duft des Weihrauches reinigte und heiligte den Raum; nennt man doch den Weihrauch einfach den GötÜichmacher. Alle Innenräume der Tempel muß man sich daher von seinem Dufte erfüllt denken, und die rechte Zubereitung des reinen angenehmen Weihrauchs war eine Wissenschaft, über die es Bücher in den Bibliotheken gab, die Gott Thoth selbst verfaßt haben sollte3. Erhalten ist uns zwar nichts von diesen Büchern, aber wir greifen wohl nicht fehl, wenn wir sie uns so denken wie die Weisheit eines späten Tempels. Die setzt das Darbringen von Wohlgerüchen den fünfzehn Tagen des zunehmenden Mondes gleich. Dabei vereint sich dann das Horusauge — der Wohlgeruch — mit dem Osirisauge — dem Monde 4. Des weiteren gebührte es sich, den Gott durch Lieder zu feiern. Ob die Priester diese Lieder wirklich sangen oder sie nur rezitierten, wissen wir nicht, schwerlich wird man aber irren, wenn man sich ihr Hersagen sehr .geschäftsmäßig denkt. Denn auch der Inhalt dieser Lieder zeigt in der Regel nicht eben viel Poesie, mit wenigen E r m a n , Religion der Ägypter.

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Ausnahmen sind sie alle nach dem gleichen Schema verfertigt; sie zählen die Namen des Gottes auf, seine Kronen und seine Tempel und sie erinnern hier und da an sein Wesen und an seine Sagen: Gelobt seist du, Osiris, Sohn der Nut, der du Hörner trägst und an einem hohen Pfeiler lehnst. Dem die Krone gegeben wurde und die Freude vor den neun Göttern; dessen Macht Atum geschaffen hat in den Herzen def Menschen, der Götter und der Verklärten. Dem die Herrschaft gegeben wurde in Heliopolis', groß an Wesen in Busiris, gefürchtet in den beiden heiligen Stätten. Groß an Kraft in Rosetau ein Herr der Macht in Ehnas, ein Herr der Kraft in Tenent. Sehr geliebt auf der Erde, mit gutem Andenken im Gottespalaste. Groß erscheinend in Abydos', dem Rechtfertigung gegeben wurde vor den neun Göttern zusammen, für den das Gemetzel gemacht wurde in der großen Halle, die zu Her-uer ist. Vor dem die großen Mächtigen sich fürchteten', vor dem die Großen aufstanden auf ihren Matten. Für den Schu die Furcht erregt hat und dessen Macht Tefnet erschaffen hat. %u dem Oberägypten und Unterägypten sich verneigend kommen weil seine Furcht so groß ist und seine Macht so gewaltig 1. Weiter weiß dieser priesterliche Poet auch von dem menschlichsten aller Götter nichts zu sagen. Ein Lied aber müssen wir hier noch besonders hervorheben, das uralte Morgenlied, mit dem die ägyptischen Götter allmorgens in ihren Tempeln erweckt worden sind, so lange es überhaupt noch ägyptische Götter gegeben hat 2. Man darf sich denken, daß es ursprünglich das Lied gewesen ist, mit dem der König am Morgen erweckt wurde. Auf eine Göttin angewendet lautet es z. B. so: erwache in Frieden große Königin, erwache in Frieden', dein Erwachen ist friedlich Erwache in Frieden, Renenutet in Frieden. Dein Erwachen ist friedlich usw. Das »erwache in Frieden« und »dein Erwachen ist friedlich«, wird der Chor gesungen haben, die Namen ein Vorsänger. Nicht sowohl im Anstimmen eines Liedes, als in einem ekstatischen Jauchzen scheint eine oft erwähnte Art der Verehrung — henu — bestanden zu haben; bei der schlug man sich knieend mit geballten Fäusten die Brust. Die Musik hat im Kultus keine große Rolle gespielt, wenn auch im Tempel des Amon eine große Harfe war, mit der man die Schönheit des Gottes bei seinem Erscheinen pries. Die eine, die der König Amosis stiftete, war aus Ebenholz, Gold und Silber, eine andere die Thutmosis III dem Gotte schenkte, war mit Silber,

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Gold, Lapislazuli, Malachit und allen herrlichen Edelsteinen verziert l . Das Musizieren war im Wesentlichen Sache der Priesterinnen, die vor Hathor oder einer anderen Gottheit mit ihren Sistren, Klappern und großen Halsketten ebenso klirrten und klimperten, wie es die Damen des Harems beim Tanze vor ihrem Herrn zu tun pflegten. Auch das Ballspiel, das man vor Hathor vollführte, hatte gewiß einst nichts anderes sein sollen als ein fröhliches Spiel zur Belustigung der Göttin. Dieser einfache Gebrauch entging dann freilich nicht der tieferen Deutung; der Ball mußte die Pupille des Apophis oder eines anderen Gottesfeindes darstellen und der Stock mit dem man ihn schlug, galt als ein Sproß aus dem Sonnenauge 2. Erst recht wird es nur ein einfacher Ausdruck der Freude sein, wenn man vor der Hathor tanzt und springt. Der einfache Gang des täglichen Kultus wird dann durch Festtage unterbrochen, an denen es in keinem Tempel fehlt. Sie waren die großen Ereignisse, auch für die Stadt, die dann im Feste war, griechischer Zeit. wie man sagte. Auch aus der Nachbar- 75. Sistrum (Berlin 2768.) schaft kamen die Diener des Gottes, die seiner Feste nicht vergessen herbei zu denen, die den Gott verehren3. Ein solcher Tag ist auch ein Volksfest 4. Man braut Bier zu Ehren des Gottes; man sitzt auf den Häusern in der Kühle der Nacht und der Name des Gottes kreist auf den Dächern 5. Alles Volk ist dann gesalbt und betrunken 6. Gern betont man, daß diese Feste uralt sind, etwa von Re selbst, in der Urzeit eingesetzt"1. In der Regel gab es in jeder Stadt ein oder mehrere Hauptfeste, die an bestimmten Tagen gefeiert wurden, an denen wichtige Ereignisse der Göttersage stattgefunden hatten, etwa am Tage, wo der Gott geboren war 8, oder an dem, wo er seinen Feind besiegt hatte. Daneben beging man dann noch die Anfänge der Zeitabschnitte, wie den Neujahrstag oder die Ersten der Monate. An solchen Festtagen nimmt der Kultus reichere Formen an. Das Ritual wird durch besondere Lieder erweitert, der Tempel wird geschmückt und es wird wohl eine Illumination, 12*

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ein Lampenanzünden, in ihm und in der Stadt veranstaltet. Die Opfer werden so reich vermehrt, daß auch die große Menge von Festgasten, die im Tempel zu der Feier zusammenströmt, daran genug hat. Die Hauptsache aber ist, daß das Volk an einem solchen Tage die Schönheit seines Herrn schaut: das Götterbild wird ihm gezeigt. Es wird aus seiner Kapelle genommen und in einem leichten Schrein aus dem Allerheiligsten getragen, nachdem es für diesen Tag mit Amuletten behängt und mit goldenen Halskragen geschmückt ist *. Diesem tragbaren Schreine gibt man übrigens gern die Form einer Barke, denn dem Ägypter, dessen Land ja

76. Schrein und Trage in Form eines Schiffes; darunter der steinerne Untersatz. (Aus dem Tempel von Abydos.)

fast nur den Verkehr zu Wasser kennt, ist das Schiff das natürliche Beförderungsmittel. Daneben besitzt jeder große Gott auch wirkliche Schiffe, die er auf seinen Fahrten auf dem Strom benutzt; mit welcher Verschwendung auch diese ausgestattet waren, werden wir unten sehen. Wenn man den Gott so aus dem Tempel herausführt, so trägt man Standarten mit göttlichen Bildern vor ihm her; besonders sind das solche der Up-uatschakale (S. 43), die sollen dem Gotte den Weg frei machen, wie das ja auch ihr Name Wegöffner bedeutet 2 . Auch Bilder seiner Mitgötter und solche des Königs begleiten den Gott3. Dann stellt man den Schrein hier und da in den Vorderräumen des Tempels oder in der Stadt zur Schau aus, auf steinernen Postamenten und opfert, räuchert und betet vor ihm. Und dann kommt der feierliche Moment, wo die Priester die Vorhänge zu-

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rückziehen, die die Seiten des Schreines noch schließen und wo die Menge begeistert dem kleinen Bilde zujauchzt, das für sie das Heiligste in der Welt ist. Wir werden im nächsten Kapitel (S. 198) sehen, mit welchem Pompe ein großes Fest im neuen Reiche gefeiert wurde. Sehr viel einfacher spiegelt sich ein solches Fest in Ausgabebüchern wieder, die uns ein Zufall VOm königlichen Hofe be- „. Tragbarer Schrein aus Bronze und Holz, Wahrt hat. Sie Stammen freilich von Amasis in einen Tempel zu Theben rw '. · j · geweiht. Die Wände waren durch Vor-

aus einer Zeit, m der es m hänge geschlossen. (Berlin 8708.) Theben kümmerlich zuging, etwa aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. Da kommen das eine Mal die Götter des benachbarten Medamot, Month und »Horus, der seinen Vater schützt«, zum Besuch nach Theben, wo sie in der Säulenhalle des Palastes aufgestellt werden. Dabei werden sie durch Opfer erfreut und insbesondere bringen die Bauern vier Rinder, zwei für jeden Gott. Beamte und eine Schwester des Königs stiften allerlei andere Gaben, so fünf Tauben und elf andere Vögel und der höchste Beamte, der Vezier, spendet Weihrauch. Übrigens hat der Month auch Frauen in seinem Gefolge, diese werden ebenso wie wir das beim Amon sehen werden, als sein Harem bezeichnet. Ein Beamter geleitet den Zug hin und zurück auf dem Wege. Bei einem anderen Feste des Month erfahren wir dann auch, welche Personen das Glück hatten, an der Opfermahlzeit teilzunehmen. Es sind im Ganzen siebzig Personen, die so wieder in der Säulenhalle des Palastes gespeist werden, hohe Staatsund Hof beamte und neben diesen auch Leute geringeren Ranges, so der Vorsteher der Hundewärter, der Unteraufseher der Vogelhäuser, Sänger, Harfenspieler und — wenn wir recht verstehen — auch ein Spaßmacher. Freilich zu üppig ging es bei dieser Festmahlzeit nicht zu, denn selbst die höheren Beamten erhielten

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nur zehn Brote, die geringeren deren fünf, Getränke fehlten ganz und nur der Vezier und der General wurden mit Süßigkeiten bedacht. Aber alle solche Veranstaltungen bilden doch nur die Außenseite der Feste und ihr wahrer Kern, der uns nur zu oft verschwiegen wird, ist etwas anderes. Es ist, wie schon oben gesagt, die Erinnerung an Erlebnisse des Gottes und die veranschaulicht man dem Volke durch die Zeremonien des Festes. Zuweilen werden diese sogar zu dramatischen Vorstellungen. Verhältnismäßig leicht erschließt sich uns, die wir die Osirisage in ihren Grundzügen kennen, worauf die Feste von Abydos gehen J . Auf dem Denkstein des Fürsten Ichernofret, eines der höchsten Schatzbeamten, erzählt uns dieser, wie ihn König Sesostris III. (etwa 1860 v. Chr.) aus besonderem Vertrauen nach Abydos geschickt habe, damit er dort die Götterbilder und Geräte des Tempels mit dem Golde schmücke, das der König in Nubien erbeutet hatte. Er vollzieht diesen Auftrag mit reiner Hand und mit reinen Fingern und schmückt das Bild des Gottes mit Lapislazuli, Malachit, Silbergold und Edelsteinen. In der Zeit nun, die Ichernofret mit seinen Gefährten*) in Abydos zubringt, erlebt er auch die Feste des Gottes und hat das Glück selbst bei ihnen mitzuwirken. Das erste dieser Feste ist der Auszug des Up-uat, wenn er geht, um seinem Vater (Osiris) beizustehen. Dabei verteidigt Ichernofret das Schiff des Gottes und schlägt die Feinde des Osiris. Es sind gewiß die Kriegstaten, die Osiris bei seiner Eroberung des Landes ausführte. Als ein zweites Fest folgt dann der große Auszug', wie wir aus ändern Quellen wissen, war dieser das Hauptfest und zu ihm gehörte auch die Trauer um Osiris. Wir müssen also annehmen, daß bei dieser Feier auch der Ermordung des Gottes gedacht wurde; dargestellt wird man sie freilich nicht haben, denn zu allen Zeiten haben es die Ägypter vermieden, von diesem schrecklichsten Ereignis ihrer Religion zu sprechen. Nur das erzählt Ichernofret dabei, daß er das Schiff des Gottes mit einer Kajüte versehen und ihm seinen schönen Schmuck angelegt habe, damit er sich zu seinem Grabe in Peker begebe. Dann leitet Ichernofret die Wege *) Auch diese haben uns kleinere Denksteine in Abydos hinterlassen. Vgl. Schäfer, Untersuchungen IV, 39.

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des Gottes zu seinem Grabe in Peker. Gewiß in einer großen Prozession, und dann folgt bei einem anderen Feste die Erinnerung an den Triumph des Gottes, das ist dann jener Tag des großen Kampfes, wo die Feinde des Osiris besiegt werden und wo man sie auf dem Gewässer von Nedit niederwirft. Nun aber läßt Ichernofret den Osiris von dem wir denken müssen, daß er zu neuem Leben erwacht ist, in die große Barke einsteigen und sie trägt seine Schönheit und alles Volk frohlockt, wenn es die Schönheit der Neschmetbarke sieht, wie sie in Abydos landet und den Osiris wieder zu seinem Palaste bringt. Auch aus dem Ende des neuen Reiches haben wir einen Bericht über die Feste von Abydos, der sich freilich auch nur in Andeutungen bewegt. König Ramses IV. (etwa 1160 v. Chr.) erzählt uns wie er in Abydos dem Osiris Licht angezündet habe, am Tage, wo man seine Mumie balsamierte. Den Seth wehrte er von ihm ab, als er seine Glieder rauben wollte. Seinen Sohn Horus setzte er als seinen Thronerben ein. Bei dem Feste aber, das man dem Horus in Abydos feierte, spie der König auf das Horusauge, das von seinem Bezwinger geraubt worden war. Er gab dem Horus den Thron seines Vaters und sein Erbe im ganzen Land. Er machte sein Wort wahr, am Tage, wo man richtet', er ließ ihn Ägypten und das rote Land durchziehen als Vertreter des Harachte *. Bei einer anderen Feier, dem Feste der Aufrichtung des Osirispfeilers (S. 42) das ursprünglich in Memphis gefeiert wurde, \vurde ein solcher Pfeiler an Stricken in die Höhe gezogen, bis er aufrecht stand; es war der Osiris, den man so erhob, nachdem man an den Tagen vorher sein Begräbnis dargestellt hatte. Daran schlössen sich dann Vorführungen, deren Sinn uns entgeht. Ein Teil der Menge tanzte und sprang; andere gingen aufeinander los und der eine rief: ich habe den Horus ergriffen; wieder andere Haufen prügelten sich mit Stöcken und Fäusten, sie stellten Leute der beiden Städte Pe und Dep vor, aus denen die alte Hauptstadt Buto bestand. Und endlich wurden vier Herden von Ochsen und Eseln viermal um die Stadt getrieben. Wir kennen diese Sagen zu wenig, um das alles zu verstehen; vermutlich waren es Vorgänge, die die Thronbesteigung des Horus betrafen, denn die feierte man am folgenden Tage 2. Die Aufführungen, von denen wir hier gesprochen haben, gehen so weit wir sehen können, nicht wesentlich über die volks-

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tümlichen Schaustellungen hinaus, die in unserer eigenen Religion zur Erinnerung an die Geburt und den Tod Christi im Brauche sind. Ob sich an diese Darstellungen der jedem Ägypter vertrauten Vorgänge etwa auch noch besondere Offenbarungen für Bevorzugte schlössen, ahnen wir nicht; erst in sehr viel späterer Zeit, als Herodot Ägypten bereiste, erhalten wir Kunde von solchen »Mysterien«. Bei allen den hier gedachten Festen hatten die Personen nun auch kurze Reden zu sprechen, die dann auch zuweilen als Beischriften auf den Bildern der Feste angegeben werden. Oder man hat sie auch zusammengestellt und wer z. B. das alte Buch der memphistischen Theologie (S. 91) vergleicht, der sieht, daß der Abschnitt, der vom Osiris handelt, die Reden eines solchen Festspieles wiedergibt. Da sagt Keb zu Seth: Gehe dahin, wo du geboren bist. — Keb zu Horus: gehe dahin, wo dein Vater ertrunken ist. — Keb zu Horus und Seth: ich habe euch auseinandergebracht — Keb zur Neunheit: ich habe mein Erbe diesem Erben überantwortet, dem Sohne meines erstgeborenen Sohnes. Er ist mein Sohn, mein Kind. — Horus zu Isis und Nephthys: gehe und fasse ihn. — Isis und Nephthys zu Osiris: Wir kommen und nehmen dich fortl. Auch die Worte, die der Priester beim Vollziehen seiner Opfer' zu sagen hat, haben vielfach dramatischen Charakter. Wenn er z. B. einen Stier schlachtet, so gebärdet er sich, als ob er die Feinde des Gottes töte. So sagt er z. B. indem er an Seth denkt, du hast meinen Vater geschlagen, du hast den, der größer ist als du, geschlachtet. Im Hinblick auf Osiris: Ich habe dir den geschlagen, der dich schlug — als ein Rind. Ich habe dir den geschlachtet, der dich schlachtete — als ein Schlachttier 2. Bei der engen Beziehung, in der der König zum Kultus steht, berühren sich nun auch manchmal Feste des Königtumes mit solchen der Götter. So vor allem das bekannteste aller Feste, das heb-sed. Wir pflegen diesen Ausdruck mit Jubiläum wiederzugeben und in der Tat handelt es sich um die Feier des Tages, an dem der König vor dreißig Jahren den Thron bestiegen hat oder zum Thronerben erklärt worden ist. Der König, der einst auf dem Throne aufgegangen war, erscheint jetzt aufs Neue auf dem Jubiläumsthrone 3, und natürlich denkt man auch dabei an den König Osiris, dessen Regierung durch seinen Sohn Horus fortgesetzt wurde 4.

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Nicht jedem Könige wurde das Glück zuteil, ein solches Jubiläum zu begehen, gleich jenen Göttern, dem Ptah Tatenen, dem Re oder dem Osiris, die es nach der ägyptischen Vorstellung unendlich oft begangen hatten. Um so glänzender wurde dann dieses Fest des Königs gefeiert. Da wurden die Jubiläumshäuser der Tempel neu ausgebaut, ihre Götterbilder, die Herren des Jubiläums, wurden mit Gold, Silber und edlen Steinen hergestellt, in feine Gewänder gekleidet und gesalbt und durch dauernde neue Opfer erfreut x . Die Einzelheiten dieses großen Festes waren einst in langen Bilderreihen in verschiedenen Tempeln dargestellt. Da sehen wir Opfer, Räucherungen und Umzüge, wir sehen, welche Götterbilder in ihren Schreinen stehen und welche herumgetragen werden, welche Priester und welche Großen des Reiches daran teilnehmen und wie schließlich der König sich in ?8„ u j TL Ln · j i»r>* · König Pepil. um 2500 v. Chr.) einer besonderen Thronhalle niederlaßt, jn der jubüäumshaile links als erst auf dem einen Throne und dann Köni« von Oberägypten, rechts _ . als König von Unterägypten auf dem anderen. (aus Hammamat.) Und dürfen wir den Bildern der Tempel Glauben schenken, so wären alle diese Zeremonien doppelt vollzogen worden, das eine Mal für den König von Oberägypten, das andere Mal für den des unteren Landes, so wie das ja auch der herkömmlichen Auffassung entspricht, daß das ägyptische Reich nach seiner Vereinigung noch aus zwei Ländern besteht. Daß die großen Feste des Königtumes ein religiöses Gepräge hatten, verstand sich für den Ägypter von selbst. Beruht doch der Staat auf der Fiktion, daß der König ein Gott ist. Und auf derselben Fiktion beruht nun auch der gesamte Kultus; auch er setzt voraus, daß der König in unmittelbarem Verkehr mit den Göttern steht 2. So erklärt sich die Ungeheuerlichkeit, daß in allen Tempeln der König allein an die Stelle des Volkes tritt. Der König baut den Göttern ihre Tempel, und er opfert ihnen, und sie vergelten ihrem lieben Sohne diese fromme Gesinnung durch

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ein täen von Millionen von Jahren, durch den Sieg über seine Feinde und durch ewigen Nachruhm. Die Götter sind nicht mehr die des ägyptischen Volkes, es sind die Götter des Pharao, ihres Sohnes. Und selbst dieses Verhältnis des Königs zu den Göttern wird noch weiter verkehrt: wenn der König einen Tempel baut, so tut er dies nach der offiziellen Anschauung nicht so sehr aus Liebe zu dem Gott als aus Sorge für den eigenen Nachruhm. Er hat dieses gemacht als sein Denkmal, so beginnt von alters her jede Weihinschrift und nennt erst dann den 79. König Apries, dargestellt, Tempel, den der Herrscher seinem Vater, wie er den Göttern von Memphis opfert; die Inschrift verewigt dem Gotte, erbaut hat. Es sind das eben aber nur ein Geschenk, das von feste Phrasen, aber darin, daß solche einem Türhüter des Ptahtempels Phrasen und Sitten schon in der Jugend geweiht ist. (Berlin 2111.) des Volkes ausgeprägt werden konnten, zeigt sich das Elend dieser offiziellen Religion. Gewiß haben viele Könige Großes für die Tempel getan, aber auch die frommen Bürger der Stadt werden es nicht an Gaben und Stiftungen haben fehlen lassen und alles dieses verschweigen die Inschriften der Tempel. Das ist zu allen Zeiten so gewesen, und noch die griechischen Könige und die römischen Kaiser gelten als die alleinigen Erbauer aller Tempel, die unter ihrer Regierung fertig gestellt sind. Es ist dann nur eine natürliche Folge dieser Anschauung, daß man auch in den Bildern der Tempel die Priester als nicht vorhanden annimmt und durch den König ersetzt. Auf allen Wänden sind die Opfer und Zeremonien dargestellt, wie sie vor den Göttern hier stattfinden, aber der, der sie ausführt, ist immer der König selbst. Und wenn man nun auch annehmen kann, daß der Der König Pharao dann und wann einmal selbst priesterliche °Pfert WeinFunktionen ausgeübt haben mag, so kann doch

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seine Teilnahme an dem Kultus der unzähligen Tempel des Landes nie mehr als eine theoretische Möglichkeit gewesen sein. Die wirklichen Träger des Kultus waren auch in Ägypten die Priester, mochten sie sich auch selbst im Rituale nur als Beauftragte des Königs bezeichnen 1. Das natürliche Verhältnis, daß die Pflege eines Heiligtums den angesehenen Familien obliegt, die seit Menschengedenken in der Stadt angesessen sind, hat auch in der älteren Zeit Ägyptens bestanden. Noch im mittleren Reiche ist auch bei den größeren Tempeln das Priestertum in bestimmten Familien erblich, deren Angehörige es meist als Nebenamt ausüben. Wer ein Priester, der Sohn von Priestern dieses Tempels 2 ist, der kann im Gotteshause alle Opfer und Zeremonien vollziehen. Daneben treffen wir früh auf ein anderes Verhältnis: bestimmte Priestertümer sind mit bestimmten Ämtern verbunden. So sind die hohen richterlichen Beamten des alten Reichs zugleich Priester der Wahrheitsgöttin, die Ärzte sind Priester der Sachmet, die höchsten Künstler solche des Ptah. Was wir hier als Priester bezeichnen, ist freilich von sehr verschiedener Art. Zunächst ist ein Unterschied zwischen solchen, die dieses Amt ständig ausüben, und solchen, die nur zeitweise im Tempel dienen. Und weiter werden bei beiden Klassen noch Priester unterschieden, die bestimmte Funktionen ausüben. Da sind zuerst die Diener des Gottes oder wie wir sie nach griechischem Vorbilde nennen, die Propheten. Die sind die eigentlichen Träger des Kultus. Da sind die Cherheb, die Gelehrten3, die Schreiber des Gottesbuckes. Die ruft man z. B., um einem Königskinde seinen Namen zu geben 4. Sie sind es auch, die bei den Zeremonien die alten Sprüche rezitieren und sie sind es, die der Zauberei kundig sind. Es sind die Magier, und wenn du einen Zauber vor einem jeden geheim halten sollst, dem Cherheb darfst du ihn doch offenbaren 5. Auch in der Kunst des Salbens sind sie erfahren und sie verwenden diese auch als Ärzte c. Was die Uab genannten Priester ursprünglich für Funktionen hatten, zeigt schon deren Name, der von dem Worte für rein entlehnt ist, und in der Tat begutachten sie auf den Bildern des alten Reiches die geschlachteten Tiere. Sie prüfen ihr Blut und erklären: es ist rein '.

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Zwölftes Kapitel.

Später gelten die Uabpriester als untere Stufe der Geistlichkeitl, oder man gebraucht das Wort auch nur allgemein für Priester. Ein anderer häufiger Ausdruck, Gottesvater oder Gottgeliebtery ist uns seiner Entstehung nach ein Rätsel; und vielleicht ist es auch nur ein allgemeiner Ausdruck fiir die höhere Geistlichkeit 2. Je bedeutender ein Tempel war, um so größer war natürlich auch die Priesterschaft, die an ihm wirkte. Wir besitzen noch die Akten eines größeren Tempels aus dem mittleren Reich, die uns einen guten Einblick in diese Verhältnisse gewähren. In der Stadt, die neben der Pyramide des zweiten Sesostris, am Eingange des Faijum gelegen war, befand sich auch ein Tempel des Totengottes Anubis 3. Der hatte ein Personal von mehr als fünfzig Köpfen, von denen freilich nur sechs in ständigem Dienst waren. Das waren der Fürst und Vorsteher des Tempels, d. h. der oberste Leiter des Ganzen; es war der erste Cherheb, der Leiter des Kultus, und auch die 4 Türhüter, die Unterbeamten, gehörten zu dem ständigen Personal. Alle anderen Priester aber und Beamte des Tempels wechselten sich im Dienste ab und waren nur in ihrem Monat tätig. Dabei waren sie in 4 Klassen*) geteilt, und jedes mal, wenn die eine Klasse ihren Dienst antrat, übernahm sie von inrer Vorgängerin das Heiligtum mit allem seinem Inventar. Daß darüber zu beiderseitiger Entlastung ein Protokoll aufgenommen wird, versteht sich in dem wohlgeordneten Ägypten von selbst. Bei einem anderen Tempel4 der gleichen Epoche, dem des Up-uat von Siut, besteht die ständige Priesterschaft aus dem Fürsten des Gaues, der auch Hoherpriester ist, und neun Priestern; diese zehn bilden das Kollegium des Tempels und sind Priester von Geburt. Auch hier steht neben ihnen eine wechselnde Priesterschaft, die sogenannten Stundenpriester. Gewiß haben wir bei diesen Stundenpriestern hauptsächlich an Beamte des Königs oder des Gaues zu denken, die sich ja oft in ihren Inschriften rühmen, auch bei diesem oder jenem Gölte Priester zu sein. Aber auch Personen niederen Standes können einer Priesterschaft angehören, und so treffen wir einmal, allerdings bei einem verfallenden Tempel, auf einen Vorsteher der Fischer und Vogelfänger, der doch zugleich auch Vorsteher der Priester seines Tempels war 5 . *) Wir nennen diese Pricsterklassen Phylen.

nach griechischem Vorbild

die

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Schwerlich wird übrigens die Herkunft aus einem Priestergeschlecht allein schon zu einem priesterlichen Amte befähigt haben. Vielmehr dürfen wir uns denken, daß — wenigstens für die höheren Stellungen — auch eine besondere Vorbildung und vielleicht auch besondere Weihen erforderlich gewesen sind. Wenigstens erfahren wir aus späteren Texten von solchen Weihungen und Reinigungen. Wir hören, daß ein neuer Priester im heiligen See von Karnak gebadet und mit Natron gereinigt wird 1, und noch ausführlicher erzählt uns ein anderer Priester: Ich trat vor den Gott als trefflicher Jüngling, indem ick eingeführt wurde in den Horizont des Himmels . . . Ich kam heraus aus dem Nun und beseitigte das Schlechte an mir und legte die Kleider ab und die Salbe so wie Horus und Seth reinigen. Ich trat vor den Gott in das Allerheiligste, indem ich mich vor seiner Macht fürchtete**}. Wenn sich manche Priester der Kunde geheimer Dinge rühmen wenn sie z. B. die Geheimnisse von Himmel, Erde und Unterwelt kennen, so dürfte es sich selbst dabei um nicht viel anderes handeln als um die Kenntnis von Götterbildern und Gebräuchen3. Denn als geheim galten ja auch diese Gebräuche, und schon im alten Reiche hören wir, daß das Buch von der Kunst des Cherheb, nach dem man sich beim Opfer zu richten hat, etwas geheimes ist 4. Auch Frauen sind zu keiner Zeit von der geistlichen Tätigkeit ausgeschlossen gewesen. Im alten Reiche rühmen sich die Damen, daß sie Priesterinnen (Gottesdienerinnen) der Nuth oder der Hathor seien, eine, die Hathor alle Tage verehrt6. Daß die Frauen gern der Hathor dienen, die ja auch die Liebesgöttin ist, ist verständlich. Wie sich das Priestertum der Frauen dann später entwickelt hat, werden wir unten S. 201 sehen. Bei dieser Schilderung des ägyptischen Klerus haben wir noch die höchsten geistlichen Würdenträger übergangen, die wir die Hohenpriester nennen. Es gibt im Ägyptischen kein eigenes Wort für dieses Amt, und in den großen Heiligtümern fuhren sie zum Teil altertümliche Titel. So heißt der Hohepriester von Heliopolis der Große der *) das heißt also, wenn man sich der ägyptischen Phrasen enthält, er erhielt eine Vorbildung im Tempel, wurde bei Aufnahme in die Priesterschaft gebadet und gekleidet und durfte dann das Allerheiligste betreten. — Vgl. auch Legrain-Naville l'aile nord taf. 11 B, wo eine solche Reinigung vornehmer Priester und Priesterinnen dargestellt ist.

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Schauenden, und der von Schmun heißt der Große der Fünf; der von Memphis aber, der dem Gotte der Künstler Ptah dient, heißt der Große im Leiten der Künstler. In der Tat übte er auch eine solche weltliche Funktion aus, und noch im alten Reiche galt er als der natürliche Leiter für alle Bildhauerarbeiten und ähnliche Werke. Ursprünglich scheinen sich zwei Personen dieses geistlich-weltliche Amt geteilt zu haben, aber gegen Ende des alten Reiches übertrug ein König jede Gottessache und jede Pßicht, die die beiden Hohenpriester verrichteten, auf den Teti Sabu, dem er besonders vertraute *. Überhaupt sind diese Leiter der großen Heiligtümer Leute von höchstem Range, im alten Reiche sind es oft die Söhne des Königs, und wo immer später die Gaue unter eigenen Fürsten stehen, sind diese Fürsten auch Vorsteher der Propheten des Gottes, d. h. die Hohenpriester. Ein solcher ist der Leiter aller göttlichen Ämter, eingeweiht in die Gottesworte und Gottesdinge, und er gibt den Priestern die Vorschrift als Leitung der Feste. Er hat eine laute Stimme, wenn 80. Hoherpriester von Memphis er den Gott preist, und eine reine Hand, mit Brustschmuck und Seitenlocke. wenn er Blumen herbeibringt, und Wasser (Berlin 12410.) und Speisen darbringt auf dem Altare -. Der hohen Stellung der Hohenpriester entspricht es denn auch, daß sie zuweilen einen besonderen Ornat tragen, dessen Formen offenbar aus ältester Zeit stammen. Eines was man von jedem Priester verlangt und überhaupt von jedem, der heiligen Dingen sich naht, ist die Reinheit. Schon in einem Grabe des alten Reiches steht zu lesen: wer hier eintritt, soll rein sein, und er soll sich reinigen, wie er sich reinigt für den Tempel des großen Gottes 3. Und immer wieder wird es betont, daß die Priester reine Hände haben. So werden denn auch im neuen Reiche Wasserbecken von frommen Leuten in die Tempel gestiftet, die gewiß zur Reinigung dienen sollten 4 . Und wie so oft in der Welt, hat dann das Streben nach Reinheit auch seltsame Formen an-

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genommen. Und wer einen Zauber hersagen will, der soll nicht nur sich waschen und soll kein Weib berühren, sondern er soll auch weder Kleinvieh noch Fisch essen1. Und in Wasserbecken von einem Privatmanne Hui in jenem alten Grabe, 81. den Tempel der Sachmet zu Abusir geweiht. in dem die Besucher aufgefordert werden, auf ihre Reinlichkeit zu achten, wird auch wirklich gefordert, daß sie keinen Fisch gegessen haben sollen. Wir werden übrigens unten im Kapitel 18 sehen, daß ein König, der ein frommer Anhänger der ägyptischen Götter war, sich in der Tat von Leuten fern hielt, die Fische aßen. Freilich wird dieser Abscheu vor den Fischen, der das Volk einer Hauptnahrung beraubt haben würde, schwerlich allgemeine Geltung gehabt haben. Schon oben sahen wir, daß zum regelmäßigen Verlaufe des Kultus tägliche Opfer gehören, sie sind natürlich geringer als die der Festtage, aber da sie das Jahr hindurch gehen, stellen sie doch eine große Menge an Brot und Fleisch dar. Da fragt man sich denn unwillkürlich, was aus allen diesen Speisen wurde, wenn sich — es ist das der offizielle Ausdruck — der Gott daran befriedigt hatte. Eine klare Antwort auf diese Frage erhalten wir begreiflicher Weise nicht, denn das sind Dinge, die sich für den Ägypter von selbst verstehen, und nur das eine ist an ihnen wichtig, daß sich der Gott an den Opfern erfreut hat. Wir tun aber gewiß kein Unrecht, wenn wir annehmen, daß die Priester diese Speisen selbst verzehrt haben, und daß überhaupt alles, was dem Gölte dargebracht wurde, als ihr Einkommen galt. Auch von allem, was der Gott dauernd besaß — man nennt dieses Vermögen das Gottesopfer —, hatten sie den Nießbrauch. Bei den Stiftungen, die Könige oder Private für die Opfer gemacht haben, gibt es dann noch einen besonderen Fall: einzelne Opfer sollen nicht nur den Gott selbst, sondern auch andere verehrte Wesen erfreuen. Da steht z. B. im Tempel die Statue eines verdienten Mannes, die der König dorthin gestiftet hat, damit auch sie an den Opfern des Gottes teilhabe. Da wird auch dieser

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Statue etwas von den Opfern vorgelegt, und auch hier werden wir uns zu denken haben, daß der Priester, dem diese Statue anvertraut ist, die ihr vorgelegten Speisen genießt. Auch die Statue eines Mannes, die in seinem Grabe steht, kann so mit einem Anteil an dem Opfer des Gottes bedacht werden; da wird es dann der Totenpriester des Grabes sein, dem die Speise anheimfallt, wenn sich der Verstorbene an ihr befriedigt hat. Der Anteil, den die Priester so ständig an den Opfern erhielten, kann geradezu als ihr Gehalt gelten. Es war daher nicht nur das ideale Interesse für die Speisung des Gottes, das die königlichen Stiftungen mit Freude begrüßen ließ, sondern auch das sehr reale für ihren eigenen Unterhalt. Sie rühmen an den Königen, daß sie du Altäre mit Speisen versehen, die Getränktische gedeihen lassen und die Opfer groß machen 1. Und welches Gewicht man auf die Opfer legte, zeigen auch die Namen der Tempeltüren; die besagen gern, daß der König durch sie die Speisen bringt2. Übrigens waren es nicht nur die Speisen des Gottes, die so den'Menschen Nutzen brachten; er legte ja auch Kleider ab, und es war schön, wenn man für die Bestattung einer Leiche solche Leinenbinden erhielt, die der Gott abgelegt hatte 3. Hier dachte man natürlich, daß auch etwas göttlicher Segen an den Binden haften müßte, die das heilige Bild berührt hatten. Und doch, so sehr die Priester auch danach strebten, Opfer zu erhalten, es gab doch Fälle, wo man sie zurückwies — wenigstens in der Theorie. Denn unter den Formeln der Verfluchung ist auch die, daß die Götter ihre Opfer nicht annehmen werden4.

Dreizehntes Kapitel. Der Kultus im neuen Reiche. Was wir bisher von dem Kultus der ägyptischen Götter berichtet haben, wird dem Leser im ganzen ein ungefähres Bild desselben gegeben haben — freilich nur in so weit, als es sich um normale Zeiten und normale Verhältnisse handelt. Aber für die Zeit des neuen Reiches hat vieles keine Gültigkeit. Hier ist alles so ins Großartige gesteigert, daß es sich nicht mit den früheren und späteren Verhältnissen des Kultus vergleichen läßt. Am meisten gilt dies vom Kultus des Amon, der nicht umsonst als der König der Götter gepriesen wird. Seine thebanischen Tempel sind ebenso das Sinnbild des neuen Reiches, wie die Pyramiden das Sinnbild des alten Reiches sind. Um zu zeigen, um welche ungeheuerlichen Bauten es sich hier handelt, genüge es, den Tempel von Karnak anzuführen. Allein sein Säulensaal bedeckt eine Fläche von 5000 qm und auf ihr erheben sich nicht weniger als 134 Säulen, von denen die 12 des Mittelschiffes mehr als 21 m hoch sind und einen Durchmesser von 3,37 m haben. Die Seitenschiffe sind zwar niedriger, aber ihre Säulen messen auch noch 13 m in der Höhe. Dieses Hypostyl und der davor liegende Pylon gelten nach ihren Inschriften als Bauten der neunzehnten Dynastie, insbesondere Ramses' II., und man nimmt für gewöhnlich an, daß sie ein vollendeter Bau sind. Da aber bei dieser Annahme der Tempel gegen die Regel mit dem Hypostyle beginnen würde, darf man vermuten, daß auch der ungeheure Hof, den spätere Zeiten davor errichtet haben, schon in dem ursprünglichen Projekte vorgesehen war. Da liegt denn weiter der Gedanke nahe, daß dieser maßlose Plan jener Zeit entstammt, der nach dem Sturze der Ketzerzeit nichts zu groß erschien, was den Amon ehren konnte. Nach der Zeit Ramses' II. wird man dann freilich die Ausführung des ganzen Projektes zunächst als hoffnungslos aufE r m a n , Religion der Ägypter.

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Dreizehntes Kapitel.

gegeben haben, denn Sethos II. setzt einen kleineren Tempel in den projektierten Hof hinein, und Ramses III. erbaut sogar einen besonderen großen Tempel der thebanischen Götter und stellt diesen so, daß er in den geplanten Hof einschneidet. Erst die libyschen und äthiopischen Herrscher sind dann auch an die Vollendung des Hofes gegangen und noch heute steht an dem Pylon, mit dem der Hof beginnt, die beim Bau benutzte Ziegelrampe, zum deutlichen Zeichen, daß auch damals dieser Bau nicht ganz vollendet worden ist. Aber diese gewaltigen Bauten von etwa 180 m Länge bilden doch nur die Einleitung zu dem eigentlichen Tempel des Amon, der sich in der gleichen Länge dahinter ausdehnt, mit all seinen Pylonen, Höfen, Gängen und Sälen, die die Könige der achtzehnten Dynastie errichtet hatten. Neben dem großen Tempel des Amon liegen dann die Tempel seiner beiden Mitgötter, der Mut, den Amenophis III. errichtet hatte, und der des Ghons. Auch der Ptah von Memphis hat hier noch ein größeres Heiligtum. Alle diese Bauten sind durch Straßen und Tore mit einander verbunden und bilden so eine Stadt heiliger Gebäude, die mehr als einen Kilometer in der Länge mißt. Was alles dann noch an profanen Gebäuden in diesem Bezirke gelegen hat, können wir nur ahnen, denn die Wohnhäuser, Speicher, Ställe und Werkstätten waren wie immer nur aus Ziegeln gebaut und sind uns daher nicht erhalten. Gewiß aber haben hunderte von Menschen in diesem Bezirke gelebt, die im Dienste des Amon standen. In einer Entfernung von nicht viel mehr als zwei Kilometer lag dann stromauf der zweite gewaltige Tempel des Amon, der von Luksor; den hatte Amenophis III. erbaut, Tutanchamon erweitert, und Ramses II. hatte auch hier wieder einen großen Bau vor die älteren Gebäude gesetzt, einen Hof mit einem gewaltigen Pylon, mit Obelisken und Kolossen. Aber auch diese Riesentempel von Karnak und Luksor genügten noch nicht, um der Verehrung Ausdruck zu geben, die die Könige des neuen Reiches für ihren Gott empfanden, sie, die frommen Könige, die nicht schliefen wegen der Tempel1. Drüben jenseits des Nils erheben sich noch andere große Tempel, in denen auch der Amon verehrt wurde, allerdings wohl nicht er allein, denn wie es sich für diese Totenstadt geziemt, ward ihm zuweilen auch noch einer oder der andere Totengott zu-

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gesellt*). Da ist Der el bahri der Wunderbau der Königin Hatschepsut, der zugleich auch als ihr Totentempel diente. Da ist der Riesenbau Amenophis' III., der heute zwar fast verschwunden ist, von dessen Größe aber die Memnonskolosse noch Zeugnis ablegen. Da ist ein Tempel des Eje, der heute ebenfalls verschwunden ist, und da ist jenes berühmte Heiligtum, das Ramses II. erbaute, das wir heute das Ramesseum nennen. Ein Jahrhundert später aber erbaut dann Ramses III. ,der doch schon in Karnak dem Amon einen großen Tempel gewidmet hatte, den Tempel von Medinet Habu, das herrliche Haus, das Millionen von Jahren auf dem Berge Nebanch dauern wird1. Es hatte wirklich seinen guten Grund, wenn man Theben die Stadt des Amon, hebräisch No-Amon, nannte. Auch in den ändern Städten des Reiches fehlte es natürlich nicht an Tempeln des Amon, trotz all der großen Bauten, die diese Könige des neuen Reiches überall auch für die alten Götter errichteten. Es ist wirklich keine Übertreibung, wenn man sagt, daß zu keiner Zeit und in keinem Lande ein König eine so ungeheure Bautätigkeit entfaltet hat wie Ramses IL, der größte Bauherr dieser Epoche2. Und keiner von diesen Bauten des neuen Reiches begnügt sich mit dem Notwendigen; durch ihre Größe und Herrlichkeit wollen sie dartun, wie gewaltig der Gott ist, der in ihnen wohnt. Und diesem gleichen Bestreben entspricht denn auch die verschwenderische Pracht im Innern der Tempel. Vor den Pylonen, die heute nur als gewaltige Steinmassen erscheinen, ragten einst Flaggenmaste auf mit bunten Wimpeln und goldenen Spitzen. Die Türe selbst aber war aus syrischem Kupfer und mit goldenen Bildern verziert3. Und vollends im Innern der Tempel läßt man sich nicht an den bunten Farben der Bilder genügen, sondern läßt die Säulen und die Laibungen der Türen von Gold strahlen 4, und selbst der Fußboden ist an besonders heiligen Stellen mit Gold oder Silber beschlagen 5. Auch große steinerne Stelen werden so mit Gold beschlagen und erhalten dazu noch Zierate aus syrischem Gold; sie ruhen auf Basen, die mit Silber eingelegt sind und mit geraten aus Gold. So schwer sind sie, daß sich die Erde unter ihnen beugte. *) Das Obige nach freundlicher Mitteilung von Ludwig Borchardt. Ina Einzelnen sind diese Dinge noch ungeklärt. Auffeilig ist es, wie in diesen Tempeln gerade auch die Könige selbst verherrlicht werden. 13*

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Auch innen im Tempel glänzt es von allerlei goldenen und silbernen Geräten, die mit ihrem Lichte Ägypten überschwemmen, so wie die Sterne am Bauche der Himmelsgöttin1. Es sind das Geschenke der Könige. So schenkt Thutmosis III. eine goldene Vase von sieben Ellen Höhe (3,50 m) 2 , und Ramses III. stiftet in den Vorhof des Amontempels einen großen Flaschenständer, der mit Gold und Edelsteinen verziert ist. Die Flaschen sind aus Gold und enthalten Wein und Bier für die allmorgendlichen Opfer 8. Derselbe König schenkt dann auch eine Opfertafel aus Silber * und ein großes Kaherkagefäß aus Silber mit silbernem Deckel und goldenem Rand 6. Auch für die Urkunden des Tempels genügen nicht mehr Papyrusblätter oder einfache Tafeln, auch sie müssen jetzt auf Tafeln von edlem Metalle stehen. So schenkt Ramses III. demAmon goldne Täfelchen, die seine Gebete enthalten, silberne, die Erlasse für den Tempel tragen, und weiter große Silbertafeln mit den Erlassen und Inventaren der Tempel, die er während seiner Regierung gegeben hat *. Auch Geräte, die einen mehr prosaischen Charakter tragen, werden in kostbarer Ausführung den Tempeln vom Könige geweiht. So schenkt Ramses III. dem Tempel von Heliopolis eine herrliche Wage aus Gold, deren gleichen seit der %eit des Gottes nicht gesehen worden ist. Thoth sitzt auf ihr in Gold getrieben, als großer herrlicher Affe, als wäre er der Wagemeister 7. So ist denn ein Tempel dieser Zeit wirklich ein Wunder von Pracht und Glanz, und man versteht es, wenn die Ägypter ihn immer wieder mit dem himmlichen Palaste des Sonnengottes vergleichen. Vollends wird das Götterbild und alles, was zu ihm gehört, mit verschwenderischer Pracht ausgestattet, dazu hatten ja die Tempel ihre Goldhäuser, die Werkstätten, in denen auch an den geheimsten aller Dinge gearbeitet werden konnte. So ist unter den Bildern, die Ramses III. in die thebanischen Tempel weiht, zunächst das des Amon zu Medinet Habu; das ist verziert mit echten Steinen und glänzt wie die beiden Horizonte', erscheint es, so freut man sich bei seinem Anblick 8. Und ebenda stehen in der Kapelle Bilder der memphitischen Götter und der neun Götter von Himmel und Erde, die sind aus gutem Golde getrieben und mit Edelsteinen

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verziert l . Auch ein goldenes Bild des Königs selbst ist den Göttern beigesellt 2. Die Bilder der Mut und des Chons waren dagegen nicht neu zu schaffen, aber sie wurden erneuert in den Goldhäusern und mit gutem Golde überzogen, sie wurden mit Edelteinen ausgelegt und bekamen goldene Halskragen, die vorn und hinten herabhingen, mit Troddeln aus syrischem Gold. Nun, sagt der König, ruhen sie und sind zufrieden 3. Auch Amon erhält einen solchen Halskragen vom Könige und Troddeln aus Gold, und die werden nebst den ehrwürdigen Amuletten an seinen Leib gebunden, wenn er sich zeigt 4. Und nicht minder herrlich war das Schiff des Amon, die Barke Userhet. Auch sie war aus Zedernholz und maß 130 Ellen; sie war mit gutem Golde beschlagen, so schwer, daß sie den Ozean beugte, als wäre sie das Schiff des Re. Alle Augen belebten sich, wenn sie sie sahen, die große Kapelle in ihr war aus gutem Gold und mit allerlei Edelsteinen verziert 5. Auch die anderen Schiffe der Götter, die sie auf dem Nile benutzen, werden mit größter Pracht ausgestattet. So gehört dem Osiris von Abydos die berühmte Neschmetbarke; die hat ihm Thutmosis I. neu erbaut, aus echtem Zedernholz vom Libanon. Vorn und hinten war sie mit Gold beschlagen, und wenn sie auf der Flut fuhr, so ließ sie sie festlich erglänzen e. Wenn es uns heute schwer fällt, an diesem sinnlosen Luxus, der im Innern der Tempel herrschte, Geschmack zu gewinnen, so ist uns eine andere Ausschmückung derselben desto verständlicher: die Gartenanlagen. So rühmt sich Ramses III., daß er Theben mit grünen Bäumen, mit Rohr, Blumen und Papyrus bepflanzt habe, an deren Wohlgeruch sich Amon freuen soll 7. Und derselbe König hat in der Ramsesstadt des Delta den Gottesweg funkeln lassen von Blumen aller Länder, von Rohr und Papyrus 8. Auch der Hohepriester Bekenchons, der unter Ramses II. im Amte war, legte Gärten in Theben an. Eine besondere Liebhaberei war es dabei, den Göttern, die ja ihre Freude an Myrrhen und Weihrauch hatten, derartige Bäume in die Gärten der Tempel zu pflanzen 9. Damit ist dann ein neues Punt (das Weihrauchland) nach Theben verpflanzt, und Himmel und Erde sind von Duft überflutet.

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Trotz aller Herrlichkeit der Tempel des neuen Reiches, die wir hier geschildert haben, hat der Kultus auch in dieser Zeit sein altes Gepräge behalten. Das Ritual des täglichen Dienstes war immer noch das Gleiche. Auch an den Festen mit ihren Umzügen und Schaustellungen war im Grunde nichts geändert, nur daß jetzt alles reicher und üppiger gestaltet war als vordem. Wer im vorigen Kapitel gesehen hat, daß in älterer Zeit bei dem Feste des Month auch die höchsten Festgäste nur zehn Brote erhielten statt der fünf der gewöhnlichen Teilnehmer, der vergleiche damit was unter Ramses III. den Teilnehmern der Amonfeste gegeben worden ist 1 . Was dem Gotte dargebracht und von den Festteilnehmern verzehrt wurde, das waren fertig zusammengestellte Mahlzeiten aus gutem Brot, Fleisch, Kuchen und Kringeln. Die waren in Körben zusammengestellt und zwar in solchen verschiedener Art, die offenbar dem Range der Gäste entsprachen. Da waren alljährlich 15 Schaukörbe für das Fest benötigt, mehr als 35 Goldkörbe und etwa 365 Speisekörbe, dazu noch 120 Schüsseln für die Fürsten, d. h. die hohen Beamten. Die Menge der Brote, die für die einzelnen Festgäste bestimmt war, ist nicht mehr sicher zu errechnen, ging aber augenscheinlich in die vielen Tausende. Wie sich aber in dieser Epoche eines der großen Feste abspielte, und wie mannigfaltig es sich gestaltete, das lehrt uns der Bilderzyklus, mit dem König Tutanchamon die sogenannte Kolonade des Luksortempels geschmückt hat. Der stellt uns dar, wie sich Amon Re aus Karnak nach Luksor begibt, um das berühmte Fest von Opet zu begehen, das Fest nach dem der Monat Baabe noch heute genannt wird. Was der Anlaß dieses Festes ist, dafür geben uns die Bilder freilich keinen Anhalt; die zeigen uns nur, daß der Gott nach Luksor zieht und wieder nach Karnak zurückkehrt. Nur aus dem Namen Opet, den der Luksortempel führt und der auch Frauenhaus bezeichnet, hat man vermutet, daß der Gott dort alljährlich seine Hochzeit feiert. Die Feier beginnt mit einem Opfer, das der König vor der Barke des Amon, d. h. seiner tragbaren Kapelle, darbringt, ehe diese den Tempel von Karnak verläßt. Auch vor den Barken seiner Mitgötter, der Mut und des Ghons, und vor einer solchen des Königs wird noch geopfert. Dann bewegt sich der Zug aus dem Pylon des Tempels, die

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Barken auf den Schultern der Priester, wobei die des Amon nicht weniger als dreißig Träger erfordert. Der König selbst schreitet hinter der Barke des Amon einher. Auch Gesang und Paukenschlagen fehlen nicht im Zuge und dem Ganzen voran schreitet ein Soldat, der die Trompete bläst. Am Nile werden dann die Barken und ihre Begleiter in Schiffe verladen; dem des Amon folgen Boote mit Opferspeisen. Auch König und Königin begleiten die Götter in ihren eigenen prächtigen Schiffen. Am Ufer sehen wir dann einen langen Zug, der diese heiligen Fahrzeuge jubelnd begleitet. Es ist das die Mannschaft, die die Schiffe stromauf zu schleppen hat — aber so schwer diese Arbeit auch ist, so sind die Leute, wie das das Bild und seine Beischriften uns zeigen, doch voller Freude, ihrem Gotte an seinem Feste dienen zu dürfen. Es sind weiter Soldaten mit ihren Offizieren; auch Libyer und Neger gehören dem Zuge an, und gerade die letzteren geben ihre Begeisterung in heimatlicher Weise durch Springen und Tanzen kund. Zu dem Lärm, den diese Barbaren verüben, gesellt sich dann das Klirren der Sistren und der Gesang eines alten Liedes, das eine Gruppe von Sängerinnen und Priestern anstimmt. Auch zwei Wagen des Königs fehlen nicht im Zuge. Wenn die Schiffe dann in Luksor landen, so bildet sich ein ähnlicher Zug zum Tempel. Voran die Priester mit der Amonsbarke, hinter der der König mit seinem Gefolge schreitet. Auch die Barken von Mut und Chons werden heraufgetragen. Zwischen die soldatische Begleitung mischt sich hier auch ein fröhliches Element, Musikantinnen und leichtbekleidete Tänzerinnen, die sich in den gewagtesten Stellungen ergehen. Am Wege aber sind Lauben errichtet und in jeder von ihnen bringen Priester Opfer dar. Im Tempel vollzieht der König dann selbst das Opfer, sein Gefolge freilich, Priester und Hofleute, bleiben dabei vor der Tür des Allerheiligsten stehen. Die Rückkehr nach Karnak verläuft dann in gleicher Weise, nur daß die Schiffe, wo es stromab geht, nicht geschleppt werden müssen. Am Ufer, wo der Weg jetzt übrigens mit Milch besprengt wird, zieht wieder derselbe Zug von ägyptischen. Soldaten, Libyern und Negern daher, und alle singen das Lob seiner Majestät, der den Amon gefahren hat. Sind die Götter dann wieder nach Karnak zurückgeführt, so wird das ganze Fest mit einem großen Opfer beschlossen.

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Wer diese Beschreibung des Festes liest, wie wir sie nach den Bildern hier gegeben haben, würde denken, daß sich das Ganze an ein und demselben Tage abgespielt hätte. In Wirklichkeit war es ein Fest von langer Dauer und wir erfahren, daß es unter Thutmosis III. elf Tage währte und daß es unter Ramses III. sogar auf 24 Tage angewachsen war 1. Wir haben oben gesehen, daß -die Priesterschaft in älterer Zeit wesentlich aus Bürgern der Stadt bestand und so darf man annehmen, daß sie damals nicht allzuscharf vom Volke geschieden war. Im neuen Reiche wird auch das anders, denn schon in seinem Äußeren erkennt man jetzt den Priester. Er enthält sich der modernen Kleidung der Zeit. Er vermeidet es, die weiten faltigen Gewänder zu tragen, die auch den Oberkörper bedecken und die die Mode den höheren Ständen vorschreibt. Statt ihrer trägt er nur einen kürzeren oder längeren Schurz, wie er im alten oder mittleren Reiche gebräuchlich war, als wollte er so seine Herkunft aus der ehrwürdigen Vergangenheit kennzeichnen. Und ebenso vermeiden es alle Priester, ihr Haupt durch die kunstvollen Frisuren zu verzieren, die 82. Priester des neuen die Mode des neuen Reiches liebt; sie gehen kahl Reiches, kahl, auf dem geschoren und der Barbier des Tempels ist Rücken cm Panterfell. , , . . , · *. . ^ /j (Berlin 7278.) daher em wichtiger Unterbeamter. Den Grund für diese eigentümliche Sitte wird man wohl da suchen müssen, wo ihn die späteren Ägypter suchten, in dem Streben nach größter Reinlichkeit. So sind denn die Priester jetzt ein besonderer Stand geworden und je größer ihre Zahl an den großen Tempeln war, um so mehr mußten sie sich auch als ein solcher fühlen. Bei dem größten aller Götter, dem Amon 2 , unterscheiden wir drei Arten von Priestern. Die niedrigste Stufe bilden die Uab, die den Gott bei seinen Prozessionen begleiten und seine Barke tragen; auch andere niedere Dienste werden ihnen obliegen. Am eigentlichen Kultus nahmen sie aber wohl nicht teil, wenn es auch Einzelne von höherem Range gab, die das Allerheiligste betreten durften. Neben und über ihnen stehen auch beim Amon

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die gelehrten Priester, die Cherheb; auch von ihnen gibt es verschiedene Rangstufen. An der Spitze der Priesterschaft aber stehen wieder die Gottesdiener oder Gottesväter, die wir die Propheten nennen; sie sind es, die die Tore des Himmels öffnen, d. h. sie haben den Zutritt zum Allerheiligsten und zu allen Geheimnissen des Gottes. Man unterscheidet unter ihnen neben den einfachen Gottesvätern vier höhere Stufen. Der erste Prophet ist der Hohepriester, der im Unterschied von denen der alten großen Götter (S. 189) keinen besonderen Titel führt; der zweite Prophet ist sein Stellvertreter in den weltlichen Geschäften. Neben den Priestern besaßen die Götter auch im neuen Reiche einen Stab von Priesterinnen, die freilich im Kultus nur eine Nebenrolle gespielt haben werden. Es sind das die Sängerinnen des Gottes. Gerade beim Amon ist ihre Zahl sehr groß und die Damen der guten Familien rühmen sich zu dieser Schar zu gehören. Da nun die Künste mit denen sie den Gott erfreuten, dieselben waren, mit denen die Mädchen des Harems ihren Herrn unterhielten, so lag es nahe, daß man auch in diesen Damen des Gottes gleichsam den Harem des Gottes sah. Schon am Ausgang des mittleren Reiches finden wir diesen Ausdruck bei dem Gotte Month (S. 181) und im neuen Reiche ist dann diese Anschauung gerade beim Amon völlig herrschend geworden. Wie nun aber in dem Harem eines irdischen Fürsten nicht alle Frauen des gleichen Ranges sind, so unterscheidet man auch im Harem des Amon verschiedene Würden. An der Spitze steht die Größte unter den Kebsweibern und es ist zumeist die Gattin des jeweiligen Hohenpriesters, der diese Ehre zuteil wird. Über allen Frauen aber steht eine Dame aus der königlichen Familie, das Gottesweib oder die Gottesverehrerin, d. h. die eigentliche Gemahlin des Gottes, die Vertreterin der Göttin Mut *). Die erste Dame in dieser Stellung, die wir kennen, ist die Ahmose Nofretere, die Mutter des Königs Amenophis I., dieselbe, die dann später auch als Schutzpatronin der thebanischen Totenstadt gegolten hat (S. 145). Auch die Königin Hatscheput ist vor ihrer Thronbesteigung ein Gottesweib gewesen; als sie dann den Thron bestieg, übertrug sie die Würde des Gottes*) Das geht so weit, daß man auch die Bezeichnung die Gotteshand, die aus der Sage von der Selbstbegattung des Sonnengottes (S. 90) entstanden und auf die Mut übertragen war, auch als Titel des irdischen Gottesweibes benutzte.

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weibes auf ein Kind, ihr Töchterchen Nef-rure. Man sieht, das Amt des Gottesweibes kann keine großen Anforderungen an seine Trägerinnen gestellt haben. — Wie eigentümlich sich dann dieses Amt in späterer Zeit entwickelt hat, und zu welchen Folgen es geführt hat, das werden wir in Kap. 18 besprechen. Wie die Laufbahn eines Priesters des Amon verlief, das lehrt uns die Biographie des Bekenchons, der unter Ramses II. (1292— 1225 v. Chr.) Hoherpriester war1. Er war der Sohn eines zweiten Propheten und hatte den ersten Unterricht in der Schule des Muttempels empfangen. Dann war ihm etwa von seinem zehnten bis zu seinem einundzwanzigsten Jahre eine andere Art der Ausbildung zuteil geworden, die wir uns als eine militärische denken müssen; er gehörte dem Stalle des Königs an und wer da weiß, was die Wagen und die Pferde des Königs damals bedeuteten, der sieht, daß er einer Elitetruppe angehörte. Nach dieser weltlichen und höfischen Vorbildung trat er in den Dienst des Amon ein und zwar als Uab. Aber schon nach vier Jahren trat er in die höhere Priesterschaft ein, in der er dann zwölf Jahre lang Gottesvater war. Dann mit 37 Jahren wurde er dritter und mit 52 Jahren zweiter. Prophet. Und nun in seinem vierundsechzigsten Jahre erhob ihn Amon zu seinem ersten Propheten, dem Hohenpriester. Als solcher war es ihm beschieden, noch 27 Jahre zu wirken. Er war ein treuer und ehrfürchtiger Diener seines Gottes, der ihn wie einen Sohn erzogen hatte, und er konnte ihm diese Wohltat erwidern durch die großen Bauten, die er im Namen des Königs aufführte. Und auch das rühmt er von sich: er war ein Vater seiner Untergebenen; er reichte dem Unglücklichen die Hand und der Arme galt ihm ebensoviel wie der Reiche. Jedem gab er was ihm zustand. Er sorgte für das Begräbnis derer, die keinen Sohn hatten, er beschützte die Witwen und Waisen und dem Sohne sicherte er die Nachfolge seines Vaters. Wer die Wahrheit sprach, dem gab er Gehör und die Übelberüchtigten hielt er von sich fern. Das alles sind Tugenden, deren sich von jeher die Fürsten der Gaue zu rühmen pflegten und wie ein solcher mußte ein Hoherpriester des Amon sich auch fühlen. War ihm doch eine ungeheure Verwaltung unterstellt. So lückenhaft auch unser Material ist, so kennen wir doch weit mehr als hundert Titel von Beamten und Bediensteten des Amon 2.

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Da sind Leute von höchstem Range, die das Vermögen des Amon verwalteten, seine Äcker, seine Herden und seine Schätze, und sie alle haben auch ihrerseits ihre Schreiber und Beamten. Da sind die Baumeister, Maler und Bildhauer. Da ist der General der Truppen des Amon mit seinen Offizieren. Da ist das ganze Personal, das für die Opfer und die Speisen zu sorgen hat, die Bäcker, die Köche, die Konditoren, die Brauer, die Winzer und die Imker, die öl- und Weihrauchbereiter. Da sind die Weber, Spinner und Färber, die Barbiere und die Ärzte. Und vor allem dürfen wir nicht alle die Beamten vergessen, die den Grundbesitz des Amon zu beaufsichtigen haben: Katasterbeamte, Vorsteher der Scheunen und der Bauern, Müller, Jäger und Fischer. Kurzum, es muß ein wahres Herr von Menschen gewesen sein, das im Dienste des Amon stand. Einen richtigen Begriff von dem Vermögen des Amon bekommen wir dann aus den Zahlen jeres merkwürdigen Dokumentes, das man dem dritten Ramses (1198—1167 · Chr.) mit ins Grab gegeben hat x . Danach besitzt Amon unter anderem: 81 322 Leibeigene, 421 362 Stück Vieh, 65 Ortschaften, 433 Gärten, 868 168 Aruren Acker, 83 Schiffe, 46 Werften. Dazu noch 5164 Götterbilder, die seltsamer Weise mit als Personal verrechnet sind. Zu diesem festen Vermögen kommen dann noch die jährlichen Abgaben seiner Untertanen hinzu, die in den 31 Jahren der Regierung sich auf 51 kg Gold 997 kg Silber und 2395 kg Kupfer, 3722 Stück Kleider u. a. belaufen haben. Freilich ist es nicht leicht, diese Zahlen zu beurteilen, denn wir wissen z. B. nicht, ob bei den Leibeigenen die ganzen Familien gerechnet sind oder nur die Männer. Und ebenso wenig wissen wir, was unter Ortschaften zu verstehen ist, und auch bei den Äckern und dem Vieh bestehen ähnliche Schwierigkeiten. Indessen sieht man doch, daß es sich um sehr große Vermögensstücke handelt, die Äcker entsprechen etwa 2393 qkm *) und wenn man neben das Besitztum des Amon die entsprechenden Angaben *) Welche Zeit es gewesen ist, in der die Könige das Grundvermögen des Amon so ungeheuerlich vermehrt haben, wissen wir nicht.. Nur das eine sieht man, daß am Anfang der XIX. Dynastie anscheinend in Ägypten nicht mehr viel Land an Götter zu verschenken war. Als Sethos I. (um 1300 v. Chr.) seinen großartigen Tempel in Abydos errichtete, mußte er ihn mit einem Landbesitz in Nubien dotieren. Vgl. Kap. 20.

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über die anderen großen Tempel stellt, so tritt dies noch mehr hervor. Besitzt doch Hcliopolis nur 12 963 Untertanen und 160 084 Aruren Acker, Memphis aber hat sogar nur 3079 Untertanen und 10047 Aruren. Amon besitzt also sechsmal so viel Untertanen wie Heliopolis und mehr als sechsundzwanzigmal so viel wie Memphis. Und bei den Äckern besitzt Amon das Fünffache von Heliopolis und das sechsundachtzigfache von Memphis. So groß wie es nach dem hier gegebenen scheinen kann, ist dieses Vermögen freilich nicht immer gewesen und manches, was dem Amon geschenkt worden war, ist ihm auch wieder verloren gegangen, so die drei syrischen Städte, die ihm Thutmosis III. aus seinen Eroberungen geschenkt hatte, und auch die Machtfülle des Hohenpriesters ist offenbar zuweilen vom Staate beschränkt worden. Man darf denken, daß die weltliche Macht stets in einem Gegensatz zu diesem Priestertume gestanden hat; von einer starken Regierung wurde es in Schranken gehalten, unter einer schwachen wuchs auch die Macht des Hohenpriesters x. So ist es gewiß kein Zufall, daß wir in der Zeit der Thronstreitigkeiten nach dem Tode Thutmosis I. (1501 v. Chr.) einen Hohenpriester antreffen, der nicht nur der erste Prophet des Amon und Vorsteher aller Ämter des Amon und seines ganzen Besitzes ist, er ist vielmehr auch das Oberhaupt der Tempel und aller Propheten des ganzen Landes, also das Oberhaupt der gesamten ägyptischen Kirche. Und überdies hat dieser Hepuseneb daneben noch höchste weltliche Ämter, denn er ist Vezier und Oberhaupt des ganzen Südens. Auch hohe Hoftitel zeigen an, welche Persönlichkeit er ist. Nicht alle Hohenpriester haben freilich diese übergroße Macht besessen. Die Verfügung über den Besitz des Amon war wohl zeitweise beschränkt und auch die Oberhoheit über den gesamten Klerus werden nicht alle gehabt *) haben. Daß der König in die Wahl des Hohenpriesters eingreifen konnte, die offiziell doch durch den Gott selbst erfolgte, zeigt uns eine Inschrift aus der Zeit Ramses' II. Im ersten Jahre seiner Regierung war das Hohepriestertum vakant, der König selbst trat als Hoher*) In der Ketzerzeit war sie auf den Vezier übertragen. Vgl. Lefebvre, Grandspretres S. 114.

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priester ein1 und leitete als erster Prophet das Opetfest. Dann aber schreitet er zur Wahl eines neuen Hohenpriesters und nennt dem Amon den ganzen Hofstaat, die Propheten aller Götter, und die großen seines Hauses, das Oberhaupt der Truppen, alle die vor seinem Angesicht versammelt waren. Aber Amon war mit keinem von diesen zufrieden und nur als der König ihm den Neb-unnenef nannte, summte Amon zu. Neb-unnenef war damals erster Prophet des Onuris von This und erster Prophet der Hathor von Denderah. Auf der Rückfahrt vom Feste landete der König dann in This und teilte dem Neb-unnenef seine Erhebung mit. Er solle fortan der erste Prophet des Amon sein, und die gesamte Verwaltung des Amon solle ihm unterstehen. Durch einen besonderen Boten wurde diese Nachricht durch das ganze Land verbreitet. Dem Sohn des Neb-unnenef aber gab er die Stellung seines Vaters, das Hohepriestertum von Denderah 2. Man sieht, der König hatte die Wahl des Amon gut geleitet; sie war wirklich auf einen Mann gefallen, dem der König besonderes Vertrauen schenkte. Aber auch solche Erwählten des Königs wußten doch, daß ihre Stellung sie höher erhob als jeden ändern Untertan und daß sie Anspruch auf Ehren hatten wie kein anderer. Schon am Ende der neunzehnten Dynastie tritt der Hohepriester Rom, genannt Roi, in ungewöhnlicher Weise hervor. Die alte Wohnung des Hohenpriesters unweit des heiligen Sees, die von Sesostris I. (1950 v. Chr.) erbaut war, hat er ausbauen lassen; und in diesem Teile des Tempels läßt er sich selbst darstellen, während doch sonst nur Bilder des Königs im Tempel statthaft waren. Und etwa ein halbes Jahrhundert später unter Ramses IX. treffen wir im gleichen Teile des Tempels auf Bilder eines Hohenpriesters, die noch überheblicher sind als jene. Sie stellen den Hohenpriester Amenhotep dar, wie er vom Könige überschwenglich geehrt wird*); dabei wird er, gegen alle ägyptische Sitte in gleicher Größe gebildet wie der König, während doch die Nebenfiguren des Bildes klein gehalten sind. Auch das wird hier dargestellt, daß er, der Hohepriester, dem Amon opfert und nicht der König. In den Inschriften aber rühmt sich Amenhotep eines großen Baus den er ausgeführt hat; er hat die Hohepriesterwohnung auf das Herrlichste neu erbaut. Und noch etwas anderes *) Auch Geschenke von höchstem Werte werden ihm vom Könige gegeben.

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erzählt er uns was noch schwerer wiegt: alle Abgaben, die sonst dem Amon durch den König zuflössen, erhält der Gott jetzt ohne Vermittlung des Königs. Das deutet, wenn anders wir es richtig verstehen, auf ein Übergreifen der priesterlichen Macht, das dem Staate bedrohlich werden mußte. Und in der Tat hat schon sein Nachfolger, der Hohepriester Hrihor dieser Doppelregierung ein Ende gemacht und hat selbst den Thron bestiegen, wie wir das im Kapitel 18 sehen werden.

Vierzehntes Kapitel. Der Totenglaube. Wenn es eine Seite gibt, in der sich das ägyptische Volk von anderen unterscheidet, so ist es die Fürsorge, die es seinen Toten zuwendet*). Während die Hebräer oder die Griechen nicht viel und nicht gern von dem Schicksal ihrer Abgeschiedenen sprechen, denkt der Ägypter unablässig an sie; er bemüht sich, sie zu pflegen und für ihr Ergehen zu sorgen, und möchte auch die Erinnerung an sie nicht untergehen lassen**). Anfangs hat diese Totenpflege gewiß keinen anderen Grund gehabt als den natürlichen allgemein menschlichen, die Liebe zu den Angehörigen. Wie man die Alten und die Kinder erhält, die nicht selbst für sich sorgen können, so muß man sich ebenso der armen hilflosen Verstorbenen annehmen. Man kann ihnen zwar nur eine schlichte Grube zur Wohnung geben, aber man kann ihnen doch allerlei hineinlegen, was sie ernähren und erfreuen kann, wie wir das in den Gräbern der vorhistorischen Zeit Ägyptens finden.

Aber bei dieser einfachen Pflege der Toten ist es in Ägypten nicht geblieben, und mit dem Aufblühen seiner Kultur steigert sie sich bis ins Übertriebene und Sinnlose. Zur Verehrung der Götter oder zu praktischen Zwecken haben auch andere Völker Bauten errichtet, die sich den Riesenbauten Ägyptens an die Seite stellen lassen, aber Gräber wie die großen Pyramiden oder wie die Felsengräber Thebens gibt es nicht noch einmal in der Welt. Und nirgends hat man so vieles und so kostbares den Verstorbenen ins Grab gelegt. Solchen Anstrengungen würde sich *) Diese Fürsorge konnte sich dadurch ausbilden, daß die Ägypter von l'eher ruhig auf festen Sitzen saßen. **) Diese Pflege der Erinnerung darf man nicht dem Stolz auf bedeutende Vorfahren gleichsetzen, der auch andere Völker kennzeichnet. Denn seit in Ägypten die Schrift verbreitet ist, bestrebt sich dort auch der geringste Mann, den Namen seiner nicht minder obskuren Angehörigen »leben zu machen«.

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das ägyptische Volk nicht während dreier Jahrtausende unterzogen haben, wenn sich nicht jenem ursprünglichen Motive der Pietät allmählich noch andere Beweggründe beigesellt hätten. Es waren das die Vorstellungen über das Jenseits und über das Weiterleben der Toten, Vorstellungen, denen wir in jener alten Totenliteratur noch nachgehen können, die in fast unübersehbarer Menge auf uns gekommen ist. Freilich eine Literatur in gewöhnlichem Sinne ist sie nicht, oder sie ist es doch nur zum kleinsten Teile; es sind zumeist nur kürzere oder längere Sprüche, wie man sie herzusagen pflegte, wenn man die Leiche besorgte und bestattete, wenn man den Toten speiste und beschenkte, und wenn man durch Gebet und Zauber ihn vor Unheil bewahrte. Wir sondern diese Sprüche heute in drei große Gruppen, je nach der Zeit und der Art ihrer Niederschrift, in die »Pyramidentexte« 1) die in Königsgräbern der fünften und sechsten Dynastie stehen, in die »Sargtexte« 2, die man im mittleren Reiche auf die Innenwände vieler Särge schrieb, und in das »Totenbuch« *, d. h. die Sprüche, die man vom neuen Reiche an den Toten auf einer Papyrusrolle beigab. Wenn nun auch in den Sargtexten und im Totenbuche gewiß mancher Spruch von höchstem Alter steht, so haben doch die Pyramidentexte am reinsten und treuesten den ursprünglichen Charakter bewahrt; an sie haben wir uns daher vor allem zu wenden, wenn wir erfahren wollen, was die Ägypter der ältesten Zeit über die Toten und deren Schicksale gedacht haben. Eine klare und eindeutige Antwort auf alle unsere Fragen werden wir auch aus den Pyramidentexten nicht gewinnen, denn die mehr als siebenhundert Sprüche, aus denen sie bestehen, stammen aus verschiedenen Gegenden * und gewiß auch aus sehr verschiedenen Zeiten5. Und auch innerhalb ein und desselben Spruches kann ungleichartiges neben einander stehen, denn die Priester, die am Grabe ihre »Worte sagten«6, werden dabei ebenso verfahren sein, wie das überall in der Welt geschieht; sie sagten sie aus dem Gedächtnis her und reihten dabei gern Verse und Stellen aneinander, die ihnen besonders geläufig waren, so etwa wie unsere Geistlichen Bibelstellen und Gesangbuchverse an einander reihen. Ob diese Verse inhaltlich immer ganz

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zu einander passen, darauf kommt dabei nicht viel an, sie reden ja doch im ganzen alle von den gleichen Dingen und die Hauptsache wird immer sein, daß das Hergesagte schön und voll zusammenklingt. Und auch das stört sie nicht, daß manche der aufgenommenen Sprüche gewiß ursprünglich nicht für Tote bestimmt gewesen sind; so gilt ein Spruch augenscheinlich einem lebenden König und seiner Macht 1 und ein anderer feiert vielleicht eine Stadt, die der König erbaut hat*) Auch unter die Zaubersprüche gegen Schlangen, die im Grabe ja vielleicht zu fürchten waren, haben sich Sprüche gegen Löwen verirrt, von denen der Tote doch gewiß nichts zu fürchten hatte 2. Im Ganzen gelten die Sprüche der Pyramidentexte dem toten Könige, dessen halbgöttlicher Person sich die Götter im Tode annehmen sollen, indessen sind auch manche darunter, die ursprünglich eine bescheidenere Bestimmung gehabt haben. Wird doch in manchen vorausgesetzt, daß der Tote in Erde und Staub oder im Sande begraben liegt 3, er hat also nicht ein Grab mit Ziegelmauern, wie es die alten Könige und andere Vornehme hatten *. Und in einem anderen Spruche wird dem Toten nachgerühmt, daß er nie auf den König geschmäht habe, er kann also wohl nicht selbst dieser gewesen sein 5. Übrigens sind die Pyramidentexte zum Teil auch tendenziös überarbeitet. Man hat die alten Patrone der Toten, den Sonnengott und die Himmelsgöttin, durch deren neuen Beschützer, den Osiris, ersetzt. Was sich trotz aller dieser Schwierigkeiten aus den alten Totensprüchen als früheste Vorstellungen erkennen läßt, ist nicht viel und dem kam ja auch nicht anders sein, denn selbst die ältesten Sprüche, die wir kennen, stammen ja schon aus einer Zeit her, die eine gewisse Kultur besaß. Die Toten hausen in ihrem Grabe oder auch in einem Totenreiche; daß sie gestorben sind, erklärt man sich so, daß eine besondere Kraft, die sie im Leben hatten, sie verlassen hat. Diese Kraft nennt man den »Ka«. Einen solchen Ka erhält jeder Mensch bei seiner Geburt, wenn Re es befiehlte, und solange er ihn hat, solange er der Herr eines Ka ist und mit seinem Ka geht, so lange ist er auch am Leben 7. Sehen kann ihn niemand, aber man *) Pyr. Spruch 587, ob etwa die zur Pyramide gehörige Stadt damit gemeint ist? E r m a n , Religion der Ägypter.

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denkt sich, daß er so aussehen werde, wie der Mensch gerade selbst aussieht. Schon damals, als der neuerstandene Sonnengott die beiden ersten Götter durch Ausspeien erschaffen hatte (S. 90), legte er seine Arme hinter sie, und damit ging sein Ka auf sie über und sie lebten1. Dieses Hinhalten der Arme mußte überhaupt zur Verleihung eines Ka gehören, denn zwei ausgestreckte Arme sind von alters her sein Zeichen. Stirbt dann der Mensch, so weicht sein Ka freilich von ihm, aber zu hoffen steht doch, daß er sich auch 83. König Amenophis III. weiter noch um den Leib kümmern werde, als Kind und hinter ihm den er so lange bewohnt hat, und daß er sein Ka. (Aus d. Tempel . .° . . . v. Luxor.) wenigstens zeitweise bei ihm weilt oder ihm doch zu Hilfe kommt, wenn er nach ihm 2 ruft . Du durchlebst, wie das eine spätere Inschrift 3 ausspricht, die Ewigkeit im Glück, indem dein Ka bei dir ist, und nie verläßt er dich. So kommt auch, daß man das Grab als das Haus des Ka bezeichnet und daß man nach der üblichen Opferformel (S. 176) die Speisen dem Ka des Toten darbringt. Diese vage Vorstellung vom Ka hat sich dann weiter ausgebildet. Bald gilt der Ka als ein göttliches Wesen, wie das schon die Schreibung zeigt, bald ist er gleichsam der Genius des Menschen, auf den er Rücksicht nehmen muß, bald ist es der Ka, der den Sohn erzeugt *, bald sind die lebenden Ka's ein gewählter Ausdruck für die Menschen 5. Bald auch sind die Ka's die Lebenskräfte, d. h. die Speisene, oder es ist auch all der Segen, über den der Sonnengott gebietet S. 97. Und zudem braucht man den Ka auch pleonastisch in allerlei Phrasen. Neben diesem Ka, der immer ein unklares und unbestimmtes Wesen blieb, so oft man ihn auch im Munde führte, träumte man dann auch von einer Seele — Ba genannt —, die man in allerlei Gestalten sehen konnte. Im Tode verließ sie den Leib und entflog ihm; daher war sie wohl wie ein Vogel gestaltet und vielleicht saß

84. Die Seele. (Berlin 4679.)

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der Verstorbene, um den man klagte, jetzt dort unter den Vögeln auf den Bäumen, die er selbst einst gepflanzt hatte. Andere dachten an die Lotusblume, die über Nacht aus dem Teiche aufgeblüht war und frugen sich, ob der Tote sich nicht in dieser zeige. Oder auch an die Schlange, die so geheimnisvoll als ein Sohn der Erde aus ihrem Loche hervorschoß, oder an das Krokodil, das aus dem Strome an das Ufer kroch, als gehöre es eigentlich in das Reich des Landes. Und wer weiß, ob die Seele nicht alle diese Gestalten annehmen konnte und noch so manche andere welche sie wollte, und ob sie nicht heute hier und morgen dort weilte, an jedem Orte, wo sie wollte*). Wer aber weiter bei sich bedachte, ob es nicht gar neben unserer Welt der Lebenden eine ähnliche Welt der Toten geben möge, der kam auch bald auf den Gedanken, wo ein solches Totenreich belegen sein müßte. Allabendlich sah er die Sonne im Westen versinken, um morgens im Osten wieder zu erscheinen; sie mußte also in der Nacht eine Unterwelt durchwandert haben, einen zweiten unterirdischen Himmel. Da lag es nahe, diese Welt, die den Lebenden unzugänglich war, für das Reich der Toten in Anspruch zu nehmen. Wie die Sonne stiegen auch sie im Westen hernieder und lebten fortan in einem dunklen Lande, das sich ihnen nur dann erhellte, wenn die Sonne auf ihrem nächtlichen Laufe bei ihnen vorüberkam. Diese Vorstellung ist früh volkstümlich geworden und hat dazu geführt, daß man das Totenreich geradezu als den Westen und die Verstorbenen als die Westlichen bezeichnet. Als den Herrscher dieses Westens dachte man sich einen der alten Totengötter, den Ersten der Westlichen (S. 42), oder den Sokaris von Memphis (S. 26). Keine von diesen Arten des Fortlebens konnte freilich als ein Glück gelten. Mochte man unter der Erde sein Dasein fristen oder auf der Erde in allerlei Gestalt erscheinen, immer blieb es eine traurige Existenz und war kein rechtes Leben. Da hat sich denn bei anspruchsvolleren Gemütern frühzeitig der Gedanke eingestellt, ob denn wirklich auch jeder dieses Los teilen müsse. Gab es auf Erden neben den vielen Geringen und Armen auch Mächtige und Reiche, so konnte wohl auch im Tode nicht alles *) An dem hohen Alter dieser volkstümlichen Vorstellungen wird man nicht wohl zweifeln können, wenn sie uns auch erst aus dem Totenbuche (Kap. 77—88) bekannt sind. 14*

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gleich sein; es gab gewiß eine bessere Existenz und eine bessere Stätte für auserlesene Seelen, die nach dem Befehle der Götter leben sollenJ, vor allem für die Könige, die ja schon im Leben fast als Götter gelten. Und diese Stätte lag am Himmel; dort oben gab es noch ein zweites Totenreich, die Duat, ein Name, der dann freilich später auch auf das untere Totenreich übertragen wurde. Allnächtlich sah der Ägypter über sich die Sterne wandeln in jener ungetrübten Pracht, die der glückliche Himmel seines Landes zeigt. Er kannte einzelne unter ihnen, die besonders auffielen, den Hundsstern, den Orion, den Morgenstern und dachte wohl, daß dieses Götter sein möchten, die gleich dem Sonnengotte die Erde verlassen hätten. Wer aber war die unendliche Zahl namenloser Sterne, die jene wenigen umgab? Ohne Zweifel waren das Tote, glückliche Seelen, die ihren Weg zum Himmel gefunden hatten und nun dort im ewigen Glänze bei den Göttern weilten. Der große Gott, der Herr des Himmels (d. h. der Sonnengott) hatte ihnen die Hand gereicht oder die Himmelsgöttin2 hatte sie zu sich genommen und sie unter die unvergänglichen Sterne ihres Leibes eingereiht. Nun zeigt sich uns der Verstorbene vielleicht als jene r einzelne Stern, der an der Ostseite des Himmels aufsteigt*, der zusammen mit dem Orion und der Sothis (dem Hundsstern) über den Hiirjmel wandelt 4. Lebhaft ist dann die Phantasie des Volkes beschäftigt gewesen, diese Vorstellung von der himmlichen Existenz der bevorzugten Toten auszugestalten; wie bunt und widersprechend das Bild war, das so entstand, soll im folgenden an der Hand der Pyramidentexte geschildert werden. Als ein Vogel fliegt der Tote zum Himmel empor: er geht zum Himmel wie die Falken, und seine Federn sind wie die der Gänse 5, er stürmt zum Himmel wie der Kranich, er küßt den Himmel wie der Falke, er springt zum Himmel wie die Heuschrecke e. So fliegt er von euch fort, ihr Menschen', er ist nicht mehr auf Erden, er ist am Himmel7, bei seinen Brüdern den Göttern, wo ihm die Himmelsgöttin ihre Hände reicht. Aufsteigt er zum Himmel zu dir, o Re, mit einem Falkenkopf und Gänseflügeln . ... er bewegt die Arme als Gans und schlägt die Flügel als Vogel. Es fliegt wer da fliegt, ihr Menschen, und dieser fliegt von euch fort6. Am Himmel aber setzt ihn dessen Göttin, die Nut, hin als einen unvergänglichen Stern, der an ihr ist9; sie ist es, die sein ^en macht, sie ist es, die ihn gebiert. In der Macht wird er erzeugt, in der Nacht wird

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er geboren; er gehört au denen hinter dem Re, zu denen vor dem Morgenstern l. Erfährt zu der Ostseite des Himmels, zu dem Ort, wo die Götter geboren worden und wo er mit ihnen geboren wird, erneut, verjüngt*. Wohl begegnet er allerlei Göttern und Sternen, die seinen Weg hindern könnten, aber keiner vermag ihn aufzuhalten: es gibt keinen Gott, der ihn festhielte, es gibt keinen Widersacher, der sich ihm auf seinem Wege widersetzte 3. »Wohin geht er denn?«, fragt ein großer Stier, der ihn mit seinem Hörne bedroht. Aber die Antwort lautet: »Er geht zum Himmel voll Lebenskraft, daß er seinen Vater schaue, daß er den Re schaue«, und das schreckliche Wesen läßt ihn vorbeigehen *. Und der Sonnengott nimmt sich des neuen Himmelsbewohners freundlich an; ich gebe dir, sagt er zu ihm, deine Sprache und deinen Leib und du empfängst die Gestalt eines Gottes5; er läßt seinen Leib leuchten wie den der Himmlischen e. Er nimmt ihn als Ruderer in sein eigenes Schiff 7 oder gewährt ihm einen Platz am Vorderteile, und die Steuerleute, die den Re fahren, die fahren auch ihn8. Oder er macht ihn gar zum Befehlshaber seiner Ruderer 9; ja er setzt seinen eigenen himmlischen Schreiber ab und setzt den Toten an seine Stelle 10, so daß er richtet und Schiedsrichter ist und Befehle gibt einem, der größer ist als ern. So fährt er als Genösse des Sonnengottes über den Himmel, und jeder Gott freut sich, wenn er sich naht12. Auch Thoth, der Mondgott, nimmt sich in gleicher Weise des Toten an, er nimmt ihn des Nachts in sein Schiff auf, und so durchkreist er den Himmel wie Re und durchkreist den Himmel wie Thoth13. Die überschwengliche Auffassung von der Macht des verklärten Toten im Himmel, die sich schon in manchen der angeführten Stellen findet, tritt uns dann in anderen dieser Sprüche noch weit schärfer entgegen. Der tote Herrscher ist kein Mensch, seine Väter sind keine Menschen und seine Mütter sind keine Menschen l4, er heißt schlechtweg ein Gott; er ist Thoth, der stärkste der Götter1 , oder er ist Ueneg (d. h. Schu), der Sohn des Re, der den Himmel trägt, die Erde leitet, die Götter richtet16. Wohl denen, die ihn sehen, wie er gekrönt ist mit dem Kopfschmuck des Re, mit seinem Schurze an wie Hathor11. Er geht zum Himmel und findet den Re dort stehen; . . . er setzt sich an seine Seite und Re läßt nicht zu, daß er sich zu Boden werfe, denn er weiß ja, daß er größer ist als er1 . Er weiß, daß dieser unvergängliche Verklärte sein Sohn ist und sendet göttliche Boten aus, um den Himmelsbewohnern zu melden, daß ein neuer Herrscher für sie erschienen

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sei: Seth und Nephthys eilet! verkündet den südlichen Göttern und ihren Verklärten: %Er kommt, ein vernichtungsloser Verklärter! Wenn er will, daß ihr sterbt, so sterbt ihr; wenn er will, daß ihr lebt, so lebt ihr«. Ebenso müssen Osiris und Isis sich nach Norden, Thoth nach Westen und Horus sich nach Osten begeben. Dann heißt es: 0 Re Atum, dein Sohn kommt zu dir, er kommt zu dir', du läßt ihn bei dir wohnen, du schließt ihn in deine Arme, ihn deinen leiblichen Sohn ewiglich 1. Voll Schreck fahren die Götter aus dem Schlafe auf, vor dem großen Vogel, der aus dem Ml kommt, dem Schakalsgotte, der aus den Tamarisken kommt2, denn plötzlich wie der Vogel aus dem Wasser aufflattert und wie der Schakal aus dem Busch hervorhuscht, ist der Tote in ihrer Mitte erschienen. Am weitesten treibt diese Überschwenglichkeit der folgende Texta, dessen wilde Phantasie den Verstorbenen als einen Jäger schildert, der die Sterne des Himmels fängt und die Götter und Verklärten auffrißt: Der Himmel regnet, die Sterne kämpfen, die Bogen irren umher und die Knochen des Akeru zittern . . . . wenn sie ihn gesehen haben, wie er aufgeht und eine Seele hat als Gott, der von seinen Vätern lebt und von seinen Müttern ißt . . . Seine Herrlichkeit ist am Himmel, seine Kraft ist im Horizont, wie die des Atum seines Vaters, der ihn erzeugte; er erzeugte ihn als einen, der stärker ist als er selbst.... Er ist es, der Menschen ißt und von Göttern lebt. Der Scheitelfasser und der Emikehau sind es, die sie für ihn fangen; der Prachtkopf hütet sie für ihn und treibt sie ihm zu, der Heri- Terut fesselt sie ihm, der Läufer mit allen Messern sticht sie ihm ab und nimmt ihren Bauch aus . . . der Schesmu zerlegt sie ihm und kocht davon in seinen Abendkesseln. Er ist es, der ihren Räuber ißt und ihren Geist verschluckt. Die Großen von ihnen sind seine Morgenspeise, die Mittleren sind sein Abendbrot und die Kleinen von ihnen sind sein Nachtmahl. Die Greise und Greisinnen von ihnen kommen in seinen Ofen. Die Großen am nördlichen Himmel werfen Feuer unter die Kessel, die die Schenkel ihrer Ältesten enthalten. Und diese scheußliche Kost bringt ihm Nutzen, denn er verzehrt ihre satten Gedärme und genießt damit Sättigung; er ißt ihre Herzen und ihre Kronen und gewinnt damit deren Kräfte, so daß ihr Räuber in seinem Leibe ist; er verschluckt den Verstand jedes Gottes — Anschauungen die ja auch sonst bei Kannibalen sich finden. Natürlich bilden aber derartige Phantasien nur die Ausnahme und selbst der Glaube, daß der tote König im Sonnenschiffe den Re begleite, kann, so häufig er auch vorkommt, schwerlich als

Der Totenglaube.

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der eigentlich volkstümliche gelten. Nach diesem haben vielmehr die Verklärten einen festen Wohnort auf der Ostseite des Himmels auf seinem nördlichen Teile unter den Unvergänglichen 1 oder bei den Verklärten, den Unvergänglichen, die im Norden des Himmels sind 2 oder im Osten des Himmels*. Vielleicht dachte man an die im Nordosten gelegene Stelle der Zirkumpolarsterne, die ja wirklich als »Unvergängliche« gelten können, da sie nie gleich den anderen vom Himmel verschwinden *. Diesen Wohnort der Seligen malte sich das Volk dann weiter aus als eine Reihe von Inseln, die von allerhand Gewässern umschlossen werden; es liegt nahe, zu denken, daß der matte Streifen der Milchstraße, dessen Verästelungen dunkle Flecke umschließen, zu dieser Vorstellung angeregt hat. Die eine dieser Inseln heißt das Speisenfeld und zeigt schon durch diesen Namen, daß es auf ihr nicht an Nahrung fehlt; auf ihr lassen sich die Götter und die Unvergänglichen nieder. Noch bekannter ist das Feld laru, eigentlich wohl das Binsenfeld, das auch den späteren Ägyptern noch als das Land der Verklärten gilt. Daß man sich diese Paradiese nach der Art des eigenen Landes dachte, versteht sich von selbst; sie werden überschwemmt und grünen, um den Toten ihre Nahrung zu gewähren. Denn ohne Nahrung können auch die Götter und die Verklärten des Himmels nicht bestehen; im Osten des Himmels steht jene hohe Sykomore, auf der die Götter sitzen 6, der Lebensbaum, von dem sie leben*; dessen Früchte ernähren auch die Seligen. Und die Göttinnen, die am Himmel sind, gewähren dem Toten noch unschuldigere Kost. Kommt er zur Nut oder zu der Schlange, die die Sonne hütet, so begrüßt ihn jede als ihren Sohn; sie hat Mitleid mit ihm und reicht ihm ihre Brust, daß er sie sauge und so lebt er und ist wieder ein Kind7. Er kommt zu jenen seinen beiden Müttern, den Geiern mit langem Haar und strotzenden (?) Brüsten, die auf dem Berge Sehseh sitzen; sie reichen ihre Brust seinem Munde und niemals entwöhnen sie ihn6. Aber auch auf andere Speisen und auf ein Leben gewöhnlicherer Art darf hoffen, wer den irdischen Gewohnheiten nicht entsagen mag. Er empfängt seinen Anteil von dem, was in der Scheune des großen Gottes ist, er wird gekleidet von den Unvergänglichen und hat Brot und Bier, die ewig dauern 9 : er ißt dies sein Brot ganz allein und braucht keinem, der hinter ihm steht, etwas davon abzugeben 10. Seine Nahrung ist unter den Göttern und sein Wasser ist Wein wie das des Re11. Wenn Re ißt, so gibt er ihm,

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Vierzehntes Kapitel.

wenn Re trinkt, so gibt er ihm. Er schläft gesund alle Tage . . . es geht ihm heute besser als gestern *. So wohl ergeht es den Verklärten mit ihrem ausgestatteten Munde z, sie brauchen nicht Hunger zu essen und v

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•JtfJJJ^nJ^nJUUJJJjj^J^^"*''^^^ vV^ y*l das ich dem Seth fortgenommen habe, oder ich bringe dir das Horusauge, nachdem du es gezählt hast und so fort; ob von dem Auge dieses oder jenes ausgesagt wird, hängt dabei einzig von dem Namen der betreffenden Gabe ab, denn mit diesem muß der Zusatz ein Wortspiel bilden. Neben dem Grabe gibt es übrigens noch eine andere Stätte, an der für die Speisung eines vornehmen Toten gesorgt wird. Wie er im Leben an den Festtagen dabei gewesen war, wenn die Opfer vom Altare des Gottes verteilt wurden (S. 180), so wünscht er auch im Tode noch seinen Anteil an diesen Mahlzeiten zu haben. Und wie er auch von den Blumen, die dem Grotte dargebracht werden, seinen Teil empfing, so möchte er auch im Grabe noch einen Strauß seines Gottes aus dem Tempel erhalten 2. Daher stellt man seit dem mittleren Reiche gern eine Statue des Toten im Tempel auf und erbittet für sie alles, was auf dem Altar des Gottes geliefert wird. Vorsichtige verlassen sich dabei nicht auf dieses Gebet allein, sondern erkaufen sich von der Priesterschaft die ewige Lieferung einer bestimmten Anzahl Brote für die Feste. Die werden dann vor ihre Statue hingelegt und fallen nachher gewiß ihrem Totenpriester zu. Übrigens hat diese Sitte oft den Königen als Gelegenheit gedient, treue Dienste anzuerkennen, und auf so mancher Statue eines Privatmannes, die wir in einem Tempel gefunden haben, lesen wir, daß sie als eine Belohnung seitens des Königs dahin gestiftet ist*). Und noch an eine dritte Stelle konnten die Ägypter die *) Wie diese oft verwickelten Verhältnisse geordnet waren, zeigt gut eine Inschrift aus der Zeit Amenophis III. Petrie, Tarhan.

Die Fürsorge fur die Toten.

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Hoffnung für ihr zukünftiges Leben knüpfen, an die heilige Stadt Abydos. Seit die Könige der ersten Dynastie in Abydos residiert hatten und dort bestattet waren, hatte sich die Ansicht herausgebildet, daß der Osiris, der Erste der Westbewohner, den man dort verehrte, ein besonders gnadenvoller und heiliger Gott sei. Dort war auch die höchste seiner Reliquien, sein Haupt, in einem Kästchen beigesetzt und an seinem Grabe wurden die großen Feste des Gottes gefeiert. Wohl daher den Toten, die dort bestattet waren, unweit der Treppe des großen Gottes. Sie bildeten die Umgebung des Königs der Toten, sie waren die Großen von Abydos und seine Hqfleute. Sie erhielten einen Platz im Schiffe des Gottes, ihnen wurde »Willkommen« gesagt von den Großen von Abydos und sie empfingen die reinen Speisen, die dem großen Gölte dargebracht werden, nachdem er sich daran erfreut hatte *. Es mußte daher der höchste Wunsch jedes frommen Ägypters sein, in Abydos begraben zu werden, und in der Tat haben seit dem Ende des alten Reiches so manche Leute aus allen Ständen ein Grab an dieser heiligen Stätte einem Grabe am Hofe oder in der Heimat vorgezogen. Wer es aber nicht vermochte, sich in Abydos sein Grab zu bauen, der tat wenigstens gut daran, den Gott in Abydos zu besuchen und dort einen Stein an der Treppe des großen Gottes aufzustellen, seinen Namen am Wohnort des Gottes einzuschreiben2; damit sicherte er sich doch einen Platz zwischen diesen Bevorzugten unter den Toten. Wie verbreitet diese Sitte war, zeigen noch unsere Sammlungen; die große Menge der kleinen Grabsteine und Denksteine des mittleren Reiches stammt aus Abydos. Manche dieser Pilger sind, wie sie uns berichten, durch Geschäfte in die heilige Stadt geführt worden, andere haben sie nur als Wallfahrer besucht und wieder andere haben diese Pilgerfahrt erst im Tode unternommen. Wer das Grab des Fürsten Chnemhotep in Benihassan betrachtet, der erblickt darin ein großes Bild, das nach der Überschrift uns darstellt, wie er hinauffährt, um die Dinge von Abydos kennen zu lernen. Auf dem Schiffe liegt seine Mumie unter einem Baldachin, und der Sempriester und der Cherheb weichen auch während der Fahrt nicht von ihrer Seite. In der heiligen Stadt stellt er sich dann dem Totengotte gleichsam als neuer Untertan vor und nimmt an dessen festlichen Handlungen teil; er sieht, der wie Upuat schön herauszieht und wie Osiris gerechtfertigt wird vor den neun Göttern 3.

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Fünfeehntcs Kapitel.

Dann fahrt er, von seinen Weibern und Kindern begleitet, in die Heimat zurück und bezieht sein herrliches Grab in der Felswand von Benihassan. Im neuen Reiche haben die meisten der Totengebräuche, die wir bisher geschildert haben, auch noch weiter bestanden und wenn einige der älteren Sitten in dieser Epoche verschwinden oder zurücktreten, so entfalten sich andere dafür um so reicher und neue Künste werden entdeckt, die ebenfalls voll Segen für die Toten sind. Bei der Anlage der Gräber bleibt man bei den beiden Formen, die schon das mittlere Reich bevorzugt hatte, einfachen Leuten genügt die kleine Ziegelpyramide, vornehme legen sich ein Felsengrab an. Auch die Könige erbauen sich jetzt ein solches, aber die Gestalt, die sie ihm geben, ist eine neue: ein langer schmaler Gang, an den sich Nebenräume anschließen können, führt zu einem Saale, dem Gold/lause, in dessen Mitte der Steinsarg mit der Leiche des Herrschers ruht. Alle Wände sind mit religiösen Texten und Bildern bedeckt, und da diese hauptsächlich den im vorigen Kapitel besprochenen Beschreibungen des Totenreiches entnommen sind, so hat man nicht ohne Wahrscheinlichkeit vermutet, daß es die Unterwelt selbst war, die den Erbauern dieser seltsamen Gräber vorschwebte; ein langer Gang, der immer dunkler wird, bis er dahin führt, wo Osiris, der König, weilt. Inwieweit diese Königsgräber, die in dem öden Wüstentale von Biban el moluk liegen, zum Totenkultus gedient haben, stehe dahin; weder ihre Räume noch ihre entfernte Lage sprechen dafür. Wahrscheinlich hat man die Opfer und Zeremonien für die verstorbenen Könige in Der el bahri, Gurna und all jenen Tempeln vollzogen, die sie sich auf dem Westufer Thebens erbauten und in denen sie als Mitgötter der thebanischen Gottheiten verehrt wurden. Über dem Grabe selbst sollte ein tiefes Geheimnis walten und nicht umsonst rühmt sich Ineni*, ein hoher Beamter Thutmosis L, daß er die Anlage des Königsgrabes geleitet habe in Einsamkeit und niemand sah oder hörte es. Daß man die Ruhestätte des Königs so als tiefstes Geheimnis behandelte, hat freilich nicht nur einen mystischen Grund, sondern einen sehr materiellen: das Grab mußte vor Einbrechern gesichert sein. Seit wir aus dem einzigen Königsgrabe, das uns intakt erhalten

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Die Fürsorge für die Toten.

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erblickt man reiche Darstellungen aus dem irdischen Leben und zwar solche, die auf die persönlichen Schicksale des Toten eingehen. Sie schildern den ruhmvollen Lebenslauf des hier Bestatteten, wie er sein Amt ausübte und wie ihn der König auszeichnete und belohnte. Selbst die Bilder des Begräbnisses und der Totenfeier nehmen jetzt einen persönlichen Charakter an, den sie früher nicht hatten. Wie in der religiösen Poesie dieser Zeit das eigene Empfinden sich frei zu geben wagt, so tritt es auch in diesen Gräbern offen hervor; der Tote ist in ihnen nicht mehr der Verklärte, den man anteillos ehrt und speist, er ist der geliebte Vater und Gatte, der Freund und Herr, der den Seinen entrissen ist und um den sie weinen und klagen. Zwar öffnet ihm so wie immer der Sem den Mund und der Cherheb betet seine Formeln vor ihm her, denn das ist nun einmal zum Heile des Toten nötig. Aber in diese trocknen Reden mischt sich die Klage der Gattin, die die Mumie umfaßt, ehe man sie für immer in das Grab versenkt: ich bin doch deine Schwester, du Großer; verlasse mich nicht . . . Was soll es, daß du fern von mir bist? Der du so gern mit mir scherztest, du schweigst und redest nickt. Und hinter ihr und hinter den Priestern klagen die Angehörigen des Toten um ihn und die armen Frauen und Kinder, denen er wohlgetan hat: wehe, wehe . . . . ach, dieser Verlust! Der gute Hirte ist zum Lande der Ewigkeit gegangen. Der du so viele Leute hattest, du bist nun im Lande, das das Alleinsein liebt! Der so gern die Füße öffnete zum Gehen, der ist nun eingeschlossen, eingewickelt und beengt. Der so viel feines Leinen hatte und so gern es anlegte, der schläft jetzt im abgelegten Kleide von gestern. Und wenn auch die vornehmen Herren, die dem Leichenzuge ihres Kollegen folgen, nicht in diese Klagen einstimmen, so freuen sie sich doch der allgemeinen Teilnahme: wie schön ist dies, was ihm geschieht . . . ; er hatte seinen Gott so sehr geliebt, drum ließ der ihn auch den Westen erreichen, begleitet von Geschlecht auf Geschlecht seiner Diener 1. Inzwischen hat man Tische voll Speisen und Gestelle mit Krügen herbeigebracht, denn an das Begräbnis schließt sich das Totenmahl an, das im Grabe selbst oder in Lauben aus Blumen und Zweigen stattfindet. Wie es sich am Tage der Beerdigung abspielte (und ebenso gewiß an den großen Festen, wo man den Toten opferte), das stellen uns die Gräber des neuen Reiches oft genug dar. Da sitzen die Verwandten und Freunde des Toten, festlich gekleidet und mit Blumen geschmückt; sie essen und E r m an. Religion drr Ägypter.

18

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Fünfzehntes Kapitel.

trinken, sie sehen den Tänzerinnen zu und hören auf das Lied des Harfenspielers 1: wie ruhig liegt dieser gereckte Fürst; das schöne Geschick ist eingetreten. Die Leiber gehen dahin seit der £eif der Götter und der Nachwuchs tritt an ihre Stelle. So lange Re sich am Morgen zeigt und Atum am Westberge untergeht, so lange zeugen die Männer und die Weiber empfangen und alle Nasen atmen Luft. Aber alles, was sie gebären, in der Frühe geht es an die Stätte, die ihm bestimmt ist. Und nun redet der Sänger den Toten selbst an, als säße er noch mit unter den Schmausenden und ruft ihm zu, des kurzen Lebens mit seiner Gattin zu genießen: Feiere den schönen Tag\ Stelle dir Salben hin und feines öl für deine Nase und Kränze und Lotusblumen für den Leib deiner lieben Schwester, die dir zur Seite sitzt. Laß Gesang und Musik vor dir sein. Wirf alles Traurige hinter dich, denke an die Freude, bis daß kommt jener Tag, an dem man landet im Lande, das die Leute schweigen läßt. Immer wilder und lasziver springen die Tänzerinnen, und immer eifriger bieten die Diener die Weinschalen an: trink, bis du trunken bistl Und schon ruft die eine Dame nach mehr Wein, denn alles in ihr sei Stroh 2.und ach, bei einer anderen ist die Trunkenheit noch weiter vorgeschritten; kläglich hockt sie auf dem Boden, ihr Kleid gleitet von der Schulter, welk hängt ihr die Lotusblume über den Arm und die Dienerin, die eiligst das ominöse Gefäß geholt hat, kommt zu spät. — Während man die Personen höheren Standes in so üppiger Weise im Tode feierte, machte man mit geringeren Leuten natürlich nicht viel Umstände. Indessen eine Gelegenheit, sich ein leidlich anständiges Begräbnis zu schaffen, war auch diesen gegeben. Denn seit der Wunsch nach einer rituell richtigen Bestattung auch in die unteren Schichten des Volkes eindrang, hatten spekulative Leute es unternommen, diesem Bedürfnisse Befriedigung zu verschaffen. Sie erwarben ein altes leerstehendes Felsengrab, erweiterten es und vermieteten Stellen darin. Schön war eine solche Stelle ja nicht, denn bis an die Decke der Räume hinauf wurde Sarg über Sarg darin geschichtet, aber es war doch ein richtiges Grab, das sich so dem Fischer, dem Bauern, dem Handwerker oder der Tänzerin öffnete 3. Sie ruhten in richtigen Särgen, und ihre Hinterbliebenen konnten ihnen ihre Geräte und die anderen Beigaben dazu legen, wie das bei den reichen Leuten geschah. Aber es gab noch Ärmere, solche, die nicht einmal in einem

Die Fürsorge für die Toten.

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Massengrab einen Platz fanden. Wo deren Leichen im Sande verscharrt sind, wissen wir nicht, aber noch glauben wir zu sehen, wie auch sie versucht haben, sich etwas von dem Segen eines Grabes zu verschaffen. Sie machten kleine Holzpuppen *, die entfernt einer Mumie ähnlich sahen, ließen sie mit ihrem Namen beschreiben, wickelten sie in einen Fetzen Leinen und legten sie in einen kleinen Sarg; ward dann dieser vor dem Eingange eines großen Grabes verscharrt, so war zu hoffen, daß der Tote durch diesen seinen hölzernen Vertreter an dem Wohlergehen der dort Bestatteten teilhaben werde. So seltsam uns dieser Kunstgriff armer Leute dünkt, für den Ägypter war er es gewiß nicht, sehen wir doch, daß ein Mann von

105. Kasten mit Holzpuppen als Ersatz für ein Begräbnis. (Berlin 9506.)

höchstem Range einmal einen ähnlichen Gedanken gehabt hat. Als die Königin Hatschepsut ihren Totentempel von Der el bahri erbaute, legte ihr allmächtiger Günstling Senmut, der doch schon ein Grab besaß, sich noch ein zweites unweit dieses Tempels an. Es ist unvollendet geblieben, aber wir sehen noch, daß ein langer Gang unter den Tempel führen sollte. So konnte Senmut ja auch an dem Segen, der der Königin gebührte, seinen Anteil haben 2. Der Wert, den man im neuen Reiche auf die äußeren Formen der Bestattung legte, zeigt sich nun auch in der Form der Särge. War der Sarg bis dahin nichts gewesen, als was er seiner Bestimmung nach sein sollte: ein starker Kasten, der die Leiche vor 18*

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Fünfzehntes Kapitel.

Zerstörung schützte. So muß er jetzt im neuen Reiche, unnatürlich genug, selbst die Gestalt einer Mumie annehmen, denn die Gestalt der Mumie gilt diesem Geschlechte schon als etwas Wunderbares und Geheiligtes; selbst wo die Mumie des besseren Schutzes wegen in mehrere Särge gelegt ist, wie das seit dem mittleren Reiche gern geschieht, muß schon dem äußersten Granitsarge anzusehen sein, was er umschließt. Am Anfang dieser Epoche erscheint der mumienförmige Sarg oft auch in Flügel gehüllt; man muß Ägypter sein, um das zu verstehen: wie die Göttin Isis einst die Leiche des Osiris schützend zwischen ihre Flügel genommen hatte (S. 73), so tut sie dies auch bei dem neuen Osiris, den diese Mumie darstellt. Gegen Ende des neuen Reiches sucht man die Heiligkeit der Mumie auch dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß man den Sarg mit unzähligen religiösen Bildern bemalt; Götter und heilige Tiere und heilige Zeichen müssen dafür herhalten und deutlich sieht man, wie gedankenlos und mechanisch dabei die Fabrikanten verfahren. Ich sage absichtlich die Fabrikanten, denn gerade das ist für das Totenwesen des neuen Reiches charakteristisch, daß seine Requisiten fabrikmäßig hergestellt und zum Verkaufe gebracht werden. Daß dem so ist, ist leicht zu beweisen. Wo in den Aufschriften solcher Gegenstände der Name des Toten vorkommen mußte, ließen die Fabrikanten eine Lücke, damit der Käufer in sie den betreffenden Namen einsetzen könnte. In der Regel ist dies auch geschehen, aber oft genug ist es auch vergessen worden und diese Unterlassung verrät uns dann, wie geschäftsmäßig die alten Pflichten jetzt erledigt wurden. Selbst die eine Beigabe, die eigentlich jede geschäftsmäßige Herstellung ausschloß, die Porträtstatue des Toten, wußte man in diesen Betrieb aufzunehmen. Man stellte sie fertig her bis auf die feineren Züge des Gesichtes, bis auf das Detail der Kleidung und bis auf die Inschriften; das alles konnte dann der Käufer sich seinen Wünschen entsprechend ausführen lassen. Doch auch dies ist zuweilen unterblieben, wie das eine Statue der Berliner Sammlung zeigt1. Weitaus die häufigste Beigabe in den Gräbern des neuen Reiches sind aber die sogenannten Uschebtis, die kleinen mumienförmigen Figuren, die heute unsere Museen bevölkern. Im mittleren Reiche, wo sie erst vereinzelt vorkommen, kann man noch zweifeln, zu welchem Zwecke sie in das Grab gelegt

Die Fürsorge für die Toten.

b

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c

106. Uschebtis des neuen Reiches: des Schreibers Hui, in der Tracht der Lebenden; b der Frau Tamit; c einer Königin. (Berlin 4652; 4406; 8528.)

werden*); sie tragen nur den Namen des Toten. Was sie aber im neuen Reiche für den Toten besorgen sollen, das zeigen schon die Geräte, die sie in den Händen halten, die Hacke zum Bebauen des Feldes und ein Sack. Und weiter lehrt es die Aufschrift, die sie zu tragen pflegen: o du Uschebti. wenn ich gerufen werde und wenn ich abgezählt werde, um allerhand Arbeiten zu verrichten, die in der Unterwelt verrichtet werden . . . . und werde abgezählt zu irgendeiner %eit, um die Felder wachsen zu lassen, um die Ufer zu bewässern, um den Sand des Ostens nach Westen zufahren, so sage du dann: hier bin ick. Was die einzelnen Arbeiten dabei zu bedeuten haben, bleibe dahingestellt; klar aber ist, daß der Tote befürchtet, im Totenreiche zu allerhand grober Feldarbeit herangezogen zu werden. Es ist eine uralte Vorstellung, die hier wieder hervortritt. Einst in einer Zeit, als das Volk noch ein Volk von Bauern war, erträumte es ein Paradies für seine Toten, in dem die Gerste sieben Ellen hoch wurde und zwei Ellen lange Ähren hatte; in solch *) Ursprünglich waren es wohl Bilder des Toten selbst, die von Verwandten geweiht wurden. Vgl. Borchardt, Ä. Z. 32, i u ff., Andrerseits heißt eine solche Figur im n. R. auch schon geradezu Diener ihres Herrn. Vgl. Boeser, Ä. Z. 42, 8r.

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Fünfzehntes Kapitel.

einem Gefilde Bauer zu sein, das war das denkbar schönste Los. Diese Vorstellung war lebendig geblieben und als man anfing, Osiris als den König eines Totenreiches zu denken, da dachte man dann weiter, daß dieser es mit seinen Toten ebenso machen werde, wie es der irdische König mit seinen Untertanen machte. Er werde Listen über sie führen und auf Grund dieser Register werde er bald diesen und bald jenen Verstorbenen zu den Ackerarbeiten, zur Bewässerung und zum Aufwerfen der Dämme heranziehen. Für einen Bauern hatte auch diese Aussicht nichts Unangenehmes, sie stellte ihm einfach die Fortdauer seines irdischen Lebens in Aussicht, aber ganz anders mußten die höheren Stände darüber denken. Der Beamte, der Priester, der Handwerker, der Soldat, die Dame — für sie alle war die Aussicht auf solche grobe Arbeit im Jenseits etwas Böses. Und in dieser Besorgnis kam nun ein erfinderischer Kopf auf den seltsamen Einfall: man gibt dem Toten solche Puppen als Ersatzmänner mit und die übernehmen dann anstatt seiner die Arbeit. Selbst die Könige können ihrer nicht entraten und wer die Menge von Totenfiguren Sethos' I. in unseren Museen sieht, muß annehmen, daß sie zu Tausenden und aber Tausenden für ihn angefertigt worden sind. Bei den Uschebtis der Privaten trifft man zuweilen auf einzelne sorgsam gearbeitete Figuren, die fast wie Porträts des Toten behandelt sind; die wurden dann in einem kleinen Sarge besonders beigesetzt, während die gewöhnlicheren roheren sich zu vielen mit einem Holzkasten begnügen mußten. Und wie der Aberglaube immer weiter wuchert, so haben sich auch an diese Figuren neue Befürchtungen geknüpft. Wie wenn es den Uschebtis einfallen sollte, sich nach Art irdischer Diener darum zu zanken, ob der eine heute Dienst habe oder morgen? Da tut man gut auf einem jeden den Tag des Jahres aufzuschreiben, an dem er zu arbeiten hat 1 . Und wie wenn der Tote im Jenseits einem Feinde begegnete, der ihm, so wie einst im Leben die Diener, so jetzt die Uschebtis abspenstig machte? Daher schreibt ein besonders vorsichtiger Mann auf seine Totenfigur hinter die gewöhnliche Formel noch die Worte: gehorche nur dem, der dich machte) gehorche nicht seinem Feinde z. Wie man es mit der Beigabe dieser Figuren im Grunde unternimmt, die Bestimmungen des Totenreiches zu umgehen, so wagt man ein Gleiches mit der Beigabe der sogenannten Herzskarabäen.

Die Fürsorge für die Toten.

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Wir haben oben (S. 226) gesehen, wie die Vorstellung vom Totenkönige Osiris dazu führte, die sittliche Reinheit von dem Verstorbenen zu fordern und wie man ein Totengericht annahm, bei dem das Herz des Toten durch Wägen geprüft wurde. Daß auch diese Aussicht nicht allzu verlockend war, ist uns wohl verständlich, aber die Art, wie man der drohenden Gefahr zu entgehen suchte, ist desto schwerer mit unseren Begriffen zu vereinigen: man versucht es, den unbequemen Zeugen zu beeinflussen. Auf die Brust der Leiche, auf die Stelle des Herzens, legt man einen großen steinernen Käfer (der ja als Bild des Sonnen-

107. Herzskarabäcn. gewöhnliche Form, i> mit den Bildern des Re Osiris und des Mondes, c mit einem Menschenkopf. (Berlin 3901; 3456; 10709.)

gottes ein heiliges Zeichen ist) und schreibt auf ihn die Worte: o Herz, das ich von meiner Mutter habe! o Herz, das zu meinem Wesen gehört! tritt nicht gegen mich als %euge auf, bereite mir keinen Widerstand vor den Richtern, widersetze dich mir nicht vor dem Wagemeister. Du bist mein Geist, der in meinem Leibe ist, . . . . laß unsern Namen nicht stinken . . . sage keine Lügen gegen mich bei dem Gölte. An den ändern Freund des Toten, an den Sonnengott, wenden sich die steinernen kleinen Pyramiden, denen man vielfach in den Totenstädten begegnet; zum Teil sind sie gewiß nur die steinernen Spitzen der kleinen Ziegelpyramiden, deren wir oben gedachten. Auf der hier abgebildeten kniet Ptahmose, der unter Thutnosis III. Hoherpriester zu Memphis war, zweimal im Gebet vor der Sonne, auf der Seite, die nach Osten gekehrt war zur Morgensonne, auf der ändern zur Abendsonne. Offenbar hofft man,

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Fünfzehntes Kapitel.

108. Pyramide für Ptahmose Hohenpriester von Memphis.

(Berlin 2276.)

daß diese Bilder dem Toten verhelfen werden, morgens und abends in die Tür seines Grabes zu treten, um dort die Sonne zu schauen. Übrigens stehen auch in den wirklichen Grabeingängen oft Gebete an die Sonne oder an Sonne und Mond, die der Verstorbene an dieser Stelle sprechen soll. Was die sogenannten Brusttafeln der Mumien bezwecken, ist uns unklar; es sind Täfelchen in Tempelform, wie sie die Götter und Könige zu tragen pflegen. Aber während sie dort den eigenen Namen ihres Trägers enthalten, zeigen sie hier den Toten im Gebete zu dem Sonnengotte oder auch die Bilder der Totengötter. Vielleicht sollten sie irgendwie ausdrücken, daß der Tote unter dem Schütze dieser Götter stehe. Nicht viel besser steht es mit unserer Kenntnis der vielen Dinge, 109. Brusttafcl, darauf die Sonnenbarke, in die man als Amulette den der der Gott als Käfer von Isis und Nephthys Mumien umhängt, derAugen, verehrt wird. (Berlin 1983.)

Die Fürsorge für die Toten.

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Käfer, Herzen, Szepter, Kronen usw. Zwar berichten uns Sprüche des Totenbuches, daß wer das Zeichen Ded des Osiris trägt, frei in das Totenreich eingehen darf, die Speisen des Osiris ißt und gerechtfertigt wird oder daß, wer sich das analoge Zeichen der Isis umhängt, von Isis und Horus geschützt und mit Freude begrüßt wird. Aber diese vagen und schwankenden Angaben stammen erst aus einer Zeit, die sich selbst nicht mehr über die ursprüngliche Bedeutung der Amulette klar war, und so sind wir denn auf

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*

. Amulette von Mumien, aufgehende Sonne; b Auge; c—d Kronen; « Federn; / Papyrusstab der Göttinnen; g Herz; h Kopfstütze; i Winkelmaß; A Setzwaage; / Treppe.

das Raten angewiesen. Daß der Käfer, den man auch in den Bauch der Mumien legte, als Bild des Sonnengottes Segen bringen mußte, ist klar und daß die alten Zeichen des Osiris und der Isis (vgl. S. 42), die man den Mumien auch gern in die Hände gab, dem Toten im Osirisreiche zur Empfehlung dienen mußten, sieht man auch. Die aufgehende Sonne bewirkte gewiß, daß der Tote diese schauen durfte. Aber schon bei dem häufigsten aller Amulette, dem Auge, versagt jede Deutung;

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Fünfzehntes Kapitel.

ist es das Horusauge, das Vorbild aller guten Gaben? Das kleine Herz mag ähnlich wirken wie der oben besprochene Herzskarabäus und die abgeschnittenen Schlangenköpfe konnten dem Gewürm, das die Toten in den Gräbern bedrohte, zum Schrekken dienen. — Bei anderen Amuletten hat es sich neuerdings sogar herausgestellt, daß sie ursprünglich gar nicht als solche gedacht gewesen sind1; sie waren nichts als kleine Nachbildungen all der Dinge, die man in alter Zeit den in. Frau auf dem Bett; am Fußende ihr Kind und Toten ins Grab gelegt ihre Sandalen. (Berlin 12661.) hatte (S. 243). Im mittleren Reiche hatte man sich damit begnügt, diese Geräte innen in den Sarg zu malen, und dann kam man auf den Gedanken, sie den Toten in kleinen Nachbildungen beizugeben. Die kleine Kopfstütze aus Eisenstein vertritt die große aus Holz, auf der der Tote schlafen sollte; Winkelmaß und Setzwage gehören zu dem Handwerkzeug, das man ihm beigab, die Kronen und Szepter zu seinem königlichen Ornate. Manches ist dabei auch mißverstanden, so ist die Treppe aus einer Tragbahre entstellt und die beiden Federn waren sogar einmal eine Art Steinmesser gewesen. Während dem Toten in den Gräbern des neuen Reiches noch immer genug an Hausrat und Ge- na. Eingeweidekrügc. (Berlin 7193; 7191; 7189; 7188.) rät, an Kleidung und Schmuck beigelegt wurde und während man sich nicht scheute, ihm noch nach uralter Sitte ein nacktes Weib, die jetzt auf einem Bette zu liegen pflegt, mitzugeben, trat die Sorge für seine Ernährung, die früher doch die hauptsächlichste gewesen war, jetzt mehr

Die Fürsorge für die Toten.

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in den Hintergrund. Hölzerne Gefäße, die Steinkrüge nachbilden, hölzerne Gänsebraten und hölzerne Datteln werden hier und da ins Grab gelegt, aber im ganzen verläßt man sich auf die Wunderkraft der Eingeweidekrüge, von denen wir oben schon gesprochen haben und die jetzt zu den notwendigsten Requisiten der Gräber gehören. Man fertigt in der Regel vier derselben aus Alabaster an und gibt einem jeden den Kopf eines der vier Horussöhne, so daß sich ein Mensch, eine Affe, ein Schakal und ein Falke in die Obhut des Toten teilen. Faßt man alles hier Dargelegte zusammen, so kann man wohl sagen, daß im neuen Reiche das Totenwesen seinen alten naiven Charakter einbüßt, während seine religiöse Seite und das magische Element mehr in den Vordergrund treten. Das zeigt sich auch in der Verwendung der alten Totenliteratur. Wir haben gesehen, wie gegen Ende des alten Reiches die Könige sich in den Inschriften ihrer Pyramiden eine Sammlung dieser Literatur mitnahmen und wie dann später auch Privatleute sich ihre Särge mit solchen alten Sprüchen beschreiben ließen. Im neuen Reiche bedeckt man nicht nur die Wände der Gräber zum großen Teil mit solchen Texten, sondern gibt auch dem Toten lange Papyrusrollen mit, die solche Sprüche enthalten, deren Kenntnis als besonders ersprießlich für ihn gilt, solche, an deren Schluß zu lesen steht: wer diesen Spruch kennty der genießt dieses Segens oder jenes. Es sind das die sogenannten »Totenbücher«, denen wir im 14. Kapitel so vieles über die jüngeren Vorstellungen vom Totenreiche entnommen haben. Zu ihnen treten dann am Ende des neuen Reiches noch andere Papyrus, die jenes Amduatbuch enthalten, das man zuerst für die Königsgräber als einen nützlichen Schutz hervorgesucht hatte (S. 233). Übrigens werden alle diese Totenpapyrus ebenso wie die anderen Requisiten der Gräber fabrikmäßig hergestellt; was dabei herauskommt, kann man sich leicht denken. Mit ihren zierlichen und oft kolorierten Bildern sehen diese Handschriften äußerlich sauber und ordentlich aus, aber sie wimmeln von Schreibfehlern und Auslassungen; oft genug sind zu einem Texte falsche Bilder gesetzt oder ein halb schlummernder Schreiber hat gar die Zeilen seiner Vorlage in verkehrter Reihenfolge kopiert. Das hindert freilich nicht, daß man diese Totenbücher, da sie so alte heilige Worte enthalten, in den nächsten Jahrhunderten selbst als etwas Heiliges ansieht

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Fünfzehntes Kapitel.

und dementsprechend behandelt. So wird immer Neues in das ägyptische Totenwesen hineingeheimnißt und man sollte meinen, daß es schon im neuen Reiche in seinem eigenen Widersinn hätte ersticken müssen. Und doch ist das nicht geschehen und wir werden sehen, wie es noch fast ein Jahrtausend lang sich weiter in seiner Weise entwickeln konnte.

Sechzehntes Kapitel. Die Toten in der Spätzeit. Wie sich das sinkende Ägyptertum in der Religion an das alte Herkommen klammerte, als läge in dessen Beobachtung das alleinige Heil, so hat es sich auch in dem Totenwcsen bestrebt, alles nachzuahmen und zu erhalten, was nur irgend ein früheres Jahrhundert zum Heile der Verstorbenen erdacht hatte. Alle Arten der Totenliteratur, die je existiert haben, werden jetzt hervorgesucht und dem Toten beigegeben, auf Papyrus oder in den endlosen Inschriften der Särge und Gräber. Die Pyramidentexte (S. 208), die seit dem alten Reiche fast vergessen waren, treten wieder auf; die Totenbuchtexte (S. 208) werden zu einem Buche vereinigt, das eine Papyrusrolle von fast zwanzig Meter Länge erfordert; die Bücher von der Fahrt der Sonne werden mit all ihren Bildern auf den großen Steinsärgen angebracht (S. 233). Und zu dieser alten Literatur treten nun noch andere kleinere Bücher, die auch alle alt sein wollen, wenn auch gewiß manches junge Fabrikat darunter ist. Da sind die Klagen der Isis und Nephthys um ihren Bruder Osiris, aus denen wir oben ein Stück mitgeteilt haben (S. 73); da ist das Buch vom Atmen, das besonders in Theben beliebt war; da ist die Klage um den Sokaris, das Ritual der Balsamierung, das Buch von der Besiegung des Apophis und so manches andere. Viel wird man freilich von dieser alten Literatur nicht verstanden haben; denn die Texte sind oft bis zur Sinnlosigkeit entstellt. Immerhin hat man sich bemüht, manche von ihnen auch in jüngere Sprache zu übertragen *. Doch gerade dieses Schwerverständliche ließ die Texte um so geheimnisvoller erscheinen, und das Geheimnisvolle, Unverständliche gilt dieser Epoche ja schon als das Kennzeichen des Heiligen und Ehrwürdigen. Die Königsgräber der Spätzeit sind für uns verloren, aber schon die Gräber der reichen Privatleute zeigen uns zur Genüge, wie diese Epoche ihre Pflichten gegen die Toten auffaßte: sie über-

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Sechzehntes Kapitel.

treffen an Großartigkeit alle Gräber der früheren Perioden. Keines der thebanischen Königsgräber kann sich an gewaltiger Ausdehnung mit dem Grabe eines Petamenope messen, der zur saitischen Zeit in Theben lebte und sich nach alter Weise einen obersten Cherheb (S. 187) nannte. Zuerst durchschreitet man wie bei einem Tempel zwei Vorhöfe mit großen Torgebäuden, danach zwei Säle, die von Pfeilern getragen werden und schon im Felsen liegen, und dann kommt man in eine doppelte Flucht von Gängen, Sälen und Kammern. Am Ende der einen trifft man auf eine Felsenmasse von 15 m Länge und 10 m Breite, die wie ein ungeheurer Sarg gestaltet ist. Sie bezeichnet die Stelle, unter der der Tote ruht; um zu dieser selbst zu gelangen, muß man in einem der früheren Säle in einen Schacht hinabsteigen, unten drei Räume durchschreiten und dann noch einmal sich in einen Schacht hinablassen. Der führt dann in einen Saal, und hinter diesem liegt die große Halle, in der einst der Sarg gestanden hat. Ebenso seltsam ausgeklügelt sind die Gräber, die diese Zeit uns in Memphis hinterlassen hat. Ihre Oberbauten sind heute verschwunden, aber die Hauptsache ist erhalten, der weite, tiefe Schacht, auf dessen Grund wie ein selbständiges Gebäude sich die Sargkammer erhebt. Gewiß stecken in der Anlage dieser Gräber tiefe Geheimnisse; jene mögen Abbilder der Unterwelt sein, und diese mögen das Osirisgrab im Schachte von Rosetau darstellen. Auch die Dekoration dieser Gräber ist natürlich religiöser Natur und der Totenliteratur entnommen. Daneben treten aber in manchen Gräbern auch Bilderreihen weltlichen Inhalts auf, die wir mit Freude begrüßen, da uns ja diese späte Zeit sonst keinerlei Darstellungen hinterlassen hat, die uns ihr Leben und Treiben vorführen könnten. Aber diese Freude ist von kurzer Dauer; denn die schönen Bilder des Schlachtens der Opferstiere oder des Darbringens des Geflügels sind samt ihren Beischriften genau kopiert aus irgend einem Grabe des alten Reichs, und der Künstler des Mentemhetgrabes in Theben hat einfach aus dem daneben liegenden Tempel von Der el bahri ganze Bilderreihen kopiert1. Für die merkwürdigen Bilder aber, die im Grabe des Ibi zu Theben die Handwerker darstellen, können wir sogar noch nachweisen, daß ihr Künstler eine weitabliegende Quelle benutzt hat. Er hat sie aus einem alten Grabe Mittelägyptens kopiert, das sich ein Mann mit

Die Toten in der Spätzeit.

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einem ähnlichen Namen angelegt hatte — vermutlich glaubte der späte Ibi in diesem alten Namensvetter einen Vorfahren entdeckt zu haben und ließ deshalb dessen Grab in dem seinen kopieren *. Es ist die Altertümelei der Epoche (vgl. Kap. 18), die diese Bilder geschaffen hat, dieselbe Tendenz, die ihre Kunst und ihre Religion beherrscht. Der Pracht der saitischen Gräber entspricht auch die ihrer Särge; bei Vornehmen müssen sie jetzt aus dunklem Granit oder aus schwarzem Basalt sein, und oft sind sie wahre Wunder von technischer Vollendung. Die einen haben die Mumienform, wie sie seit dem neuen Reiche üblich ist, und die anderen ahmen

113. Später Sarg mit Pfosten. (Berlin 8497.)

kastenförmige Särge der älteren Epochen nach, alle allerdings mit einem charakteristischen Unterschiede. Während auf jenen alten Steinsärgen nicht viel zu lesen steht, halten es ihre späten Nachahmer für nötig, ganze Bücher der Totenliteratur mit ihren Bildern darauf anzubringen. Daß das den vornehmen Eindruck dieser kostbaren Stücke schädigt, wird auch ihren Augen nicht entgangen sein, aber es war doch gar zu wichtig, daß der Tote diese heiligen Texte auf unvergänglichem Material bei sich hatte. Wie groß das Bedürfnis nach solchen Steinsärgen war, zeigt sich darin, daß man sie auch für Leute zu beschaffen wußte, die sie eigentlich nicht bezahlen konnten. Für sie raubte man aus irgend einem Grabe der Vorzeit einen alten Sarg, arbeitete seine Inschriften ab und setzte dafür diejenigen hin, die die neue Zeit verlangte. Ein Sarg der Berliner Sammlung zeigt, daß man dabei auch beschädigte Stücke benutzte, und daß man es nicht

Sechzehntes Kapitel.

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als störend empfand, wenn der Deckel eigentlich nicht zu dem Unterteil gehörte1. Auch wer seinen äußeren Sarg nicht aus Stein herstellen kann, gestaltet ihn in dieser späteren Zeit 114. Falke von einem Sarg. (Berlin 4687.)

8ern

als

Kasten, und zwar

in der eigentümlichen Form, die einst der Sarg des Osiris gehabt haben sollte: ein Kasten mit vier Eckpfosten, die sich bis über den gewölbten Deckel erheben. Auf diese Pfosten setzt man vier altertümlich gestaltete Falken, und auf den Deckel setzt man einen Schakal, dessen Schwanz über den Sarg herab hängen muß; diese bunten Holzfiguren stellen die Götter dar, die , _. . . . 115. Schakal von einem Sarg. den Osinssarg geschützt (Berlin 1081.) haben. Zu Häupten und zu Füßen des Sarges stehen Figuren von Isis und Nephthys, die den toten Gatten beklagen; auch Anubis steht dabei und hält das Zeichen des Osiris oder wischt sich weinend seine Schakalsaugen 2. Im inneren Sarge auf der Mumie liegen Figuren eines fliegenden Käfers, der vier Horussöhne (S. 71), der Himmelsgöttin und alles was je an kleinen Amuletten in Ägypten ausgedacht war; nicht weniger als 104 verschiedene Amulette waren nötig, wenn anders eine Leiche so gut geschützt sein sollte, wie es einst die des Osiris gewesen war3. Je mehr der Tote von diesen Dingen an sich hatte, desto besser war es für ihn, und doch stellte man sie jetzt als heilige Dinge auf das zierlichste und kostbarste her. Unter den Kopf der Mumie legt „ man eine runde Scheibe aus LeiIio. Die Horussöhne, von einer Mumie.

(Berlin 12631—34.)

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Figuren

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Die Toten in der Spätzeit.

bemalt wird; die gibt dem Toten Wärme unter den Kopf, damit er im Schlafe nicht frieren muß — ist doch der Kopf noch

117. Kopftafel.

In der Mitte Amon Re von Affen angebetet, unten Hathor als Kuh u. a. (Berlin 7792.)

heute derjenige Körperteil, den der Ägypter nachts am Sorgsamsten einhüllt. Zwischen den Beinen der Mumie liegt zuweilen eine Osirisfigur aus Schlamm; sie ist mit Getreidekörnern gefüllt, deren Keimen auf das Wiederaufleben des Gottes hindeuten (S. 40). Weiter gibt man dem Toten zwei Finger aus schwarzem Stein bei und ein großes Bild eines rechten Auges aus Wachs oder Blech und Wachsfiguren eines Reihers oder Ibis und was dieser Dinge mehr sind. Da es aber dem Toten begegnen könnte, daß er nicht genug von diesen Kostbarkeiten bei sich hätte, so nehmen vorsichtige Leute steinerne Formen mit ins Grab *, damit sie sich im Notfall mehr davon anfertigen können. Die Eingeweide setzt man in einem Kasten bei oder lieber noch, wie schon im neuen Reiche (S. 282), in vier Steinkrügen, deren Deckel die Köpfe der vier Horussöhne tragen und die überdies unter den Schutz von Isis, Nephthys, Neith und Selkis gestellt werden. (Berlin 3417.) E r m a n , Religion der Ägypter.

19

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Sechzehntes Kapitel.

Auch von dem übrigen Apparat des Grabes ist nichts vergessen oder vielmehr, er hat sich noch vermehrt. So enthalten manche Gräber jetzt eine Leiter, die es vielleicht der Seele erleichtern soll, den Schacht ihres Grabes zu verlassen, falls sie nicht gar im Anschluß an die uralten Texte von der Himmelsleiter (S. 219) zur Erklimmung des Firmamentes bestimmt ist. In einem Grabe steht die Statue einer Sphinx, des menschenköpfigen Löwen, der sonst als Bild des Königs die Straße zum Tempel bewacht, und schützt das Graby indem sie die Feinde davon abhält *. In ändern Gräbern trifft man hölzerne Standarten mit den Figuren der Göttertiere an, wie man sie in den Prozessionen voranträgt, um den Weg zu bereiten 2. Die Papyrus aber, die man dem Toten beigibt, legt man jetzt in das Fußbrett einer hölzernen Osirisfigur und den Deckel, die diese Höhlung verschließt, gestaltet man zum Sarge des Gottes. So ist das Buch gebettet, wie es seiner Heiligkeit entspricht, im Sarge des Totengottes selbst. Das Auffälligste unter allen Requisiten der Gräber sind aber die Uschebtifiguren, die, wie wir oben gesehen haben (S. 277), dem Toten die Fronarbeiten abnehmen. Wie heilig sie sind, zeigt schon ein äußerer Umstand: sie tragen jetzt den eigentümlichen Bart der Götter (vgl. das Bild S. 292). Die ein"9· Die Seele steigt auf der Leiter fachen, die aus hell blauer Fayence ins Grab hinab. hergestellt wurden, legte man scheffelweis ins Grab, und so zahlreich haben sie sich erhalten, daß es heute kaum eine kleine Sammlung geben dürfte, in die sich nicht die eine oder andere dieser späten Figuren verirrt hätte. Auch die besseren, die so vollendet in Kalkstein gearbeitet sind, wie das eben nur ein ägyptischer Handwerker dieser Zeit vermag, hat man in größerer Anzahl verfertigt; diese stellt man dann in den Wänden der Sargkammer in vermauerten Nischen auf, als die besten Gehilfen ihres Herrn. Auch das kommt vor, daß dem Toten gerade 365 Uschebtis beigegeben werden,

Die, Toten in der Spätzeit.

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so daß jedes dieser Männchen einmal im Jahre Dienst zu tun hat1. Was die Reichen und Vornehmen für das Heil ihrer Seele taten, das haben nach Möglichkeit auch die geringeren Leute nachgeahmt, und in den großen Begräbnisstätten dieser Epoche findet man Särge und Ausstattungen jeder Art, bis herab zu den elendesten. Die Unternehmer, die für die Bestattung der Armen sorgten, haben diese meist in älteren Gräbern in rohester Weise untergebracht. Da werden z. B. in einer Kammer, die nur für einen Sarg Platz hatte, deren vier hineingezwängt. Auch steckt man Särge senkrecht in die Mündung eines Schachtes hinein, oder man begräbt die Mumien auch in einem Schachte, und wenn dieser zu schmal ist, so wird die Mumie einfach geknickt. Die Ärmsten der Armen aber werden im Sande verscharrt, notdürftig balsamiert, werden sie mit einigen Lumpen an eine Palmrippe angebunden 2. Auch die Arten der Mumifizierung unterscheiden sich durch ihren Preis, und Herodot berichtet anschaulich, wie der Balsamierer ehe er die Besorgung einer Leiche übernahm, den Bestellern drei hölzerne Modelle von Mumien vorlegte, die deren Herrichtung in den verschiedenen Preislagen zeigten 3. Denselben geschäftsmäßigen Zug finden wir dann auch bei den Leuten, denen die Obhut der Gräber anvertraut war, den Nachfolgern der alten Totenpriester, die wir mit ihrem griechischen Namen Choachyten zu nennen pflegen. Aus den Jahrhunderten der griechischen Herrschaft liegen uns zahlreiche Urkunden vor, die uns die geschäftlichen Transaktionen in den Familien dieser Leute kennen lehren. Da sehen wir denn, daß für diese Leichenbesorger jeder Tote einfach ein Kapital ist, das ihnen eine bestimmte Rente abwirft. Der eine hat es übernommen, für den Psenasychis, dessen Frau und seine Kinder die Gebote und Opfer regelmäßig abzuhalten, und bezieht dafür in irgend einer Weise eine dauernde Bezahlung; diese Pflicht und ihr Entgelt ist ein Vermögensobjekt wie jedes andere, er vermacht es seinen Kindern oder verkauft es an einen anderen aus der Gilde *. Auch Geld konnte er sich darauf leihen, und vielleicht sind es diese Verhältnisse, die zu der sonderbaren Nachricht Anlaß gegeben haben, die sich bei Herodot findet, der oft 19*

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Sechzehnte* Kapitel.

wiederholten Geschichte, daß die Ägypter die Leichen ihrer Väter versetzen konnten. Wie dem nun auch sei, jedenfalls wollen wir uns hüten, aus einer solchen Sitte und aus dem geschäftsmäßigen Betriebe der Choachyten irgendwie auf die wirklichen Gefühle des Volkes seinen Toten gegenüber zu schließen. Wir, die wir diese Dinge nur aus der Ferne sehen, über mehr als zwei Jahrtausende hinweg, laufen stets Gefahr, nach den Äußerlichkeiten zu urteilen, die wir aus der Entfernung noch erblicken. Wir sehen die Gräber und ihren Apparat und sehen ihre professionellen Hüter bei ihrer Arbeit und ihrem Geschäft; aber wer dies richtig auffassen will, muß dabei auch an anderes denken, was uns keine Inschrift lehrt und kein Bild. An das, was Herodot in Ägypten gesehen hat, an den lauten Jammer des Todestages, wo die Weiber sich den Kopf mit Erde beschmieren und wo sie heulend und sich schlagend durch die Stadt laufen, und an die stille Trauerzeit, wo man Haar und Bart wachsen läßt *, als wolle man sich scheiden von den fröhlichen Menschen, und dann an das, wovon auch Herodot nichts meldet, die lange wehmütige Erinnerung. Und noch in einem anderen Punkte wollen wir uns bewußt sein, daß wir unser Urteil über diese späte Zeit nicht auf das allein gründen dürfen, was sie uns in den Gräbern hinterlassen hat. Wir haben oben gesehen, wie die Ägypter dieser Epoche die alte Totenliteratur und die Totengebräuche ihrer Vorfahren hochhielten und pflegten. Aber wenn sie das taten, teilten sie darum auch noch alle Anschauungen, auf denen diese Gebräuche beruhten? Waren in den vielen Jahrhunderten, die seit der Abfassung der Totenbuchtexte oder des Amduatbuches verflossen waren, die Ansichten über das Schicksal der Seele wirklich die gleichen geblieben? Gewiß nicht, aber da man bestrebt war, in allem genau nach dem Herkommen zu verfahren, so vermögen wir auch nicht die Änderungen im Glauben des Volkes zu bemerken. Wir können daher auch nicht beurteilen, ob Herodot recht be120. Uschebti i htet ist,' wenn er uns erzählt 2 ,' die Ägypter, 6 saitischer Zeit. r c 7F > (Berlin 4513.) die zuerst von allen Menschen die Unsterblich-

Die Toten in der SpäUeit.

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keit der Seele gelehrt hätten, glaubten auch an eine Wanderung der Seele, denn beim Tode gehe sie in ein anderes lebendes Wesen über, das gerade entstände. Habe sie dann in drei Jahrtausenden alle Wesen, die es auf dem Lande, im Wasser und in der Luft gebe, durchlaufen, so gehe sie wieder in einen Menschen zurück. Hatte die uralte Vorstellung, wonach die Seele sich als Vogel oder als Blume oder in jeder Gestalt, welche sie wollte, zeigen konnte, schließlich etwa wirklich im Glauben des Volkes eine derartige Fassung angenommen? Etwas anders als Herodot es angibt, müßte diese Vorstellung denn freilich doch gewesen sein, denn wenn man einen solchen unendlichen Kreislauf der Seele angenommen hätte, so hätte diese des Osiris und seines Reiches überhaupt nicht mehr bedurft. Und doch hat dieser Schützer der Toten für die Seelen zu sorgen gehabt, solange es überhaupt eine i2i. Grabstein der Syrerin Achct-abu aus ägyptische Religion gegeben Memphis vom Jahre 482 v. Chr. (Berlin 7707.) hat. Ein weniges von den volkstümlichen Vorstellungen der Spätzeit lernen wir aus den Grabsteinen jener Fremden kennen, die in Ägypten lebten und sich nach ägyptischer Sitte bestatten ließen. Im fünften Jahrhundert haben sich Syrer in Memphis beisetzen lassen, deren Grabsteine augenscheinlich von fremden Handwerkern hergestellt sind, und deren Bilder daher nicht von dem alten Herkommen der Ägypter bestimmt sind. Da sehen wir, wie der Tote vor Osiris betet, wie Anubis seine Mumie besorgt und wie seine Angehörigen um ihn klagen; in der syrischen Inschrift

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Sechzehntes Kapitel.

bittet der Sohn den Osiris um Segen für seinen Vater. Was Bild und Inschrift besagen, wird in der Hauptsache das sein, was der gemeine Mann damals vom Tode dachte. Die unzähligen Befürchtungen und Hoffnungen und all die Geister und Götter, von denen die alte Totenliteratur voll war, waren dem niederen Volke wohl längst Verschollen und vergessen.

Siebzehntes Kapitel. Magie und Zauberei. Die Zauberei ist ein wilder Seitentrieb der Religion; die Gewalten, die mit des Menschen Schicksal schalten, unternimmt sie zu zwingen. Wie der Glaube an die Möglichkeit eines solchen Unterfangens entstehen kann, ist wohl zu ersehen. Ein Gebet scheint das eine Mal von der Gottheit erhört zu sein, das andere Mal nicht; da stellt sich unwillkürlich der Gedanke ein, daß die Worte, in die es das erste Mal gekleidet war, der Gottheit besonders genehm gewesen sind. Nun gilt diese Fassung als die beste, sie wird zur Formel, von der man bald annimmt, daß sie immer wirkt, daß sie das Schicksal zwingt. Und derselbe unrichtige Schluß führt dann weiter zu bestimmten Handlungen und Unterlassungen. Heute ist etwas gelungen, was neulich mißglückt war; offenbar hattest du die Gottheit oder irgend ein unbekanntes Wesen damals durch etwas gekränkt und heute durch etwas erfreut, und wenn es dir gelingt, dies zu ergründen, so wirst du auch in Zukunft dieses Mißgeschick vermeiden oder dieses Glück hervorrufen können. Und wer dann über diese Dinge grübelt und das Wesen der Götter kennt, der wird auch bald ersehen, was es gewesen sein kann. Wer daher am meisten von den Göttern weiß, der wird auch der beste Zauberer sein, und auch bei den Ägyptern gilt der »oberste Cherheb« (S. 187), der Priester, der die alten heiligen Bücher in- und auswendig kennt, als solcher. Hat das Denken eines Volkes erst einmal diese Richtung eingeschlagen — und gerade jugendliche naive Völker müssen ihr am ersten verfallen — so ist kein Halten mehr und neben der edlen Pflanze der Religion wuchert das tolle Unkraut der Zauberei empor. Bei Völkern mit beschränkter Begabung erstickt es sie schließlich ganz, und es entsteht jenes Barbarentum, das an keine feste Ordnung der Welt glaubt, dessen Höchstes der

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Siebzehntes Kapitel.

zauberkräftige Fetisch ist und dem der Hexenmeister mit seinem Hokuspokus den Priester ersetzt. Einen solchen Zustand wird man einem jugendlichen Volke wie den alten Ägyptern nicht zuschreiben wollen — es wäre das ebenso, als wollte man den Blödsinn eines kindischen Greises der Torheit eines hoffnungsvollen Knaben gleichsetzen. Aber sein reichliches Teil an diesen Verirrungen hat das ägyptische Volk auch gehabt und hat es früh gehabt. Zwar ist die Grenze da schwer zu ziehen, und nicht jeder Gebrauch, der auf Übersinnliches hindeutet, darf schlechtweg als Zauber gelten*). Wer dem Toten Speisen beigibt oder ihm Bilder eines wohlversorgten Lebens an die Grabeswände malt, der begeht damit noch keinen Zauber, und selbst wer ihm das Totengebet im Grabe hersagt der spricht im Grunde immer noch ein Gebet, wenn es auch abgestorben ist und schon wie ein Zauber wirken soll. Sehen wir daher von solchen Fällen, die sich mit dem Kultus der Götter und Toten berühren, ab; es" bleibt auch so noch genug und übergenug. Denn zu all dem Zauberwesen, das aus ältester Zeit überliefert war, haben auch die späteren Epochen das ihre hinzugefügt. Das darf nicht auffallen; gewiß stand die Bildung des Volkes in diesen Zeiten höher als in der Urzeit, aber der Trieb zur Magie schlummert in jedem Menschen, und wo die Hemmung der Vernunft einmal nachläßt, treten auch in den höchsten Schichten eines gebildeten Volkes die größten Albernheiten wieder auf. Mannigfach sind die Formen der Zaubersprüche. Die einfachste ist die, in der der Magier selbst das Übel anredet, das er bannen will. So lautet einer der uralten Sprüche gegen die Schlangen, die uns in den Pyramiden erhalten sind: Die Schlange fällt, die aus der Erde kommt, die Flamme fällt, die aus dem Meere kommt. Falle! 1 Oder der Zauberer stellt den Toten, die spukend Krankheit ins Haus gebracht haben, vor, daß er ihnen Böses antun könnte; er könnte ihre Gräber zerstören und ihre Opfer fortnehmen 2. Er setzt einer Krankheit auseinander, daß es gefahrlich für sie sei, diesen Patienten heimzusuchen, denn bei keinem seiner Körperteile sei es geheuer: die Zunge im Munde ist eine Schlange in ihrer *) Über meine Stellung zu diesen Fragen vgl. S. 252 Anm. u. 256 Anm. 2.

Magie und Zauberei.

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Höhle, der After ist der Abscheu der Götter, die Zähne werden die Krankheit stoßen, der Fuß sie zertreten und im Munde kann sie verschwinden *. Und wo Befehlen, Drohen und Zureden nichts nutzt, da verlegt sich der Zauberer auch auf ein sanfteres Verfahren und sagt der Krankheit, wie viel besser sie es doch daheim in ihrem Harem haben würde als hier bei dem armen Kinde: komm, gehe schlafen und gehe dahin, wo deine schönen Weiber sind, die, in deren Haar Myrrhen getan sind und an deren Achseln frischer Weihrauch gelegt istz. In der Regel aber nimmt der Zauberer die Hilfe der Götter in Anspruch. Er betet zu Re, der alles sieht, daß er auf die bösen Gespenster acht habe3, oder er verklagt die Schlange bei Re wegen ihrer Missetaten, denn sie hat die Erde gebissen, sie hat den Keb gebissen 4, oder er zählt auch der Krankheit auf, wie ein jedes Glied des Menschen unter dem Schütze eines Gottes stehe. Oft spricht er auch, als sei er selbst der Gott: Laufe aus, Gift, komm, fließe zu Boden! Horus bespricht dich, er vernichtet dich, er bespeit dich. Du steigst nicht auf und fällst herab, du bist matt und bist nicht stark, du bist elend und kämpfst nicht, du bist blind und siehst nicht, dein Kopf hängt herab und du erhebst nicht dein Antlitz · · · durch das, was Horus sagt, der %aubermäcktige 5. Oder: Du hast nickt die Oberhand über mich, ich bin Amon. Ick bin Onuris, der gute Kämpfer. Ich bin der Große, der Herr der Kraft6. Ob in solchen Sprüchen der Magier diesen Gott nennt oder jenen, das hat meist seinen Grund in den Göttersagen; ein Gott, der selbst einmal über Schlangen triumphiert hat, wird auch den besten Schutz gegen diese gewähren, und eine Göttin, die selbst einen Säugling großgezogen hat, wird auch die beste Hilfe für sterbliche Mütter sein. Und da es ratsam ist, sich direkt auf dieses Vorbild zu berufen, so bildet sich nun eine Art der Zaubersprüche heraus, die uns ein Ereignis aus der Göttergeschichte vorträgt, um daraus dann ihre Nutzanwendung zu ziehen. So handelt es sich bei einem Spruche, der Skorpionenstiche heilt, um die heilige Katze, d. h. die Göttin Bastet (S. 34): 0 Re! komme zu deiner Tochter, die ein Skorpion gebissen hat auf einem einsamen Wege! Ihr Geschrei dringt bis zum Himmel . . . Gift drang in ihre Glieder und durchläuft ihr Fleisch, und sie wendet ihren Mund gegen es, d. h. sie sucht die schmerzende Stelle zu lecken. Re aber antwortet ihr: Fürchte dich nicht, fürchte dich nicht, meine herrliche Tochter;

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siehe, ich stehe hinter dir. Ich bin es, ich fälle das Gift, das in allen Gliedern dieser Katze ist1. Am liebsten zieht man aber natürlich diejenigen Götter heran, die überhaupt das göttliche Vorbild für alles menschliche Leben bilden, den Osiris und die Seinen'. Die Krokodile weichen erschreckt zurück, wenn man daran erinnert, wie einst die Leiche des Osiris im Wasser gelegen hat und von den Göttern geschützt worden ist: Osiris liegt im Wasser, und das Horusauge ist bei ihm, der große Käfer breitet sich über ihn .... Der im Wasser liegt, kommt heil hervor; wer sich dem im Wasser naht, der naht dem Horusauge. %urück, ihr Wassertiere! . . . . erhebt euer Gesicht nicht, ihr Wassertiere, wenn Osiris bei euch vorbeikommt 0 ihr Wasserbewohner,

euer Mund wird von Re verschlossen, eure Kehle wird von Sachmet verstopft, eure %unge wird von Thoth abgeschnitten, eure Augen werden von dem Zjaubergotte geblendet. Das sind diese vier Götter, die den Osiris schützen, das sind die, die den, der im Wasser liegt, schützen, alle Menschen und alle Tiere, die im Wasser liegen. Heute! 2 Gegen die Skorpionstiche hilft es, wenn man an die arme Mutter denkt, die sich mit ihrem Kindchen in den Sümpfen des Delta verstecken mußte. Ich, Isis, gebar den Horus, den Sohn des Osiris, im Dellisumpfe und freute mich sehr darüber, . . . . ich versteckte ihn und verbarg ihn aus Furcht. . . Einmal aber da fand ich ihn, den schönen goldenen Horus, das vaterlose Kind, wie er die Erde benetzte mit dem Wasser seiner Augen und dem Naß seiner Lippen, sein Leib war müde, sein Herz pochte . . Ich schrie und klagte: »Mein Vater ist in der Unterwelt und meine Mutter im Totenreich, mein älterer Bruder liegt im aarge . . . . Ich will irgend jemand von den Menschen rufen, ob sich ihr Herz mir zuwende«. Ich rief die Sumpfbewohner und sie wandten mir gleich ihr Herz zu', die Leute kamen zu mir aus ihren Häusern und eilten auf meinen Ruf zu mir. Sie klagten über die Größe meines Unglücks, aber keiner von diesen vermochte mir zu helfen. Eine Frau kam zu mir, die die erfahrenste ihrer Stadt war . . . . die sagte mir, Seth könne es nicht getan haben, denn Seth kommt nicht in diesen Gau, er irrt nicht durch Chemmts . . . . Vielleicht hat ihn ein Skorpion gestochen . . . . Da legte Isis ihre Nase an seinen Mund und merkte den Geruch davon . . . . sie erkannte das Leiden des göttlichen Erben und fand, daß er vergiftet war. Da nahm sie ihn schnell in ihre Arme . . . . »Horus ist gebissen, o Re; dein Sohn ist gebissen, Horus ist gebissen, der Erbe deines Erben« . . . . Da kam Nephthys weinend und ihre Klage durchtönte die Sümpfe. Selkis schrie: »Was gibt

Magie und Zauberei.

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es? was gibt es? was ist denn dem Horus, dem Sohn der Isis? Bete zum Himmel, so wird die Mannschaft des Re Halt machen und das Sonnenschiff geht nicht bei Horus vorbei.« Da stieß Isis ihren Ruf aus zum Himmel und ihren Schrei zur Barke der Ewigkeit. Da stand die Sonne still und bewegte sich nicht von ihrem Platze. Thoth kam, versehen mit seinem Räuber, mit einem großen Befehle vom Re, und sagte: »Was gibt es? was gibt es? Isis, du herrliche Göttin mit dem kundigen Munde. Es ist doch dem Sohn Horus nichts Böses geschehen? . ... Ich komme her aus dem Schiffe der Sonne von ihrem gestrigen Platze, und Finsternis ist entstanden und das Licht verjagt, bis Horus für seine Mutter Isis geheilt ist und ebenso jeder (andere) ödende Der Schutz des Horus ist der, der in seiner Sonne ist, der beide Länder mit seinen strahlenden Augen erhellt — und ebenso ist er der Schutz des L·idenden. Der Schutz des Horus ist der Alte im unteren Himmel, der Befehle gibt allem, was da ist und nicht ist — und ebenso ist er der Schutz des ödenden. . . . Das Sonnenschiff steht still und die Sonne fährt nicht von ihrer gestrigen Stelle fort, bis daß Horus für seine Mutter geheilt ist und bis der I22 ^ . . . /·.. · i«· r -i · -i1 · «Der in seiner Sonne ist". Leidende ebensofür setne Mutter geheilt ist.« (Aus dem Tempel von Esne.) Ein andermal hatte Horus unter einem Brande zu leiden, der vielleicht die Hütte verzehrte, in der er lag. Das sagte man der Isis: »Dein Sohn Horus brennt auf dem Lande.« — Ist Wasser da? — »Es ist kein Wasser da.« — Wasser ist in meinem Munde, und ein Nil ist zwischen meinen Beinen, und ich komme, um das Feuer zu löschen. Diesen naiven Spruch gegen Brandwunden hat übrigens eine spätere Zeit geglaubt etwas zarter gestalten zu müssen und läßt die Isis nur sagen: Wasser ist in meinem Munde, und meine Lippen haben eine Flut. 2 Und wieder ein anderes Mal hütete Horus sein Vieh auf dem Felde und es wollte nicht weiter gehen; denn es waren wilde Tiere da. Da machten ihm Isis und Nephthys Amulette: verschlossen wird der Mund der Löwen und Hyänen und aller langschwänzigen Tiere, die sich von Fleisch nähren und Blut trinken, um sie zu bannen und ihnen die Ohren zu rauben, ihnen Dunkel zu geben und ihnen nicht Licht zu geben, ihnen Blindheit zu geben und ihnen nicht Sehen zu geben, in

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jeder Gegend in dieser Nacht. Stehe, du böser Wolf.... ziel·? nach Süden, Norden, Westen, Osten; das ganze Feld ist dein, und du wirst nicht von ihm abgehalten. Wende dein Gesicht nicht auf mich, wende dein Gesicht auf das Wild der Wüste. Wende dein Gesicht nicht auf meinen Weg, wende dein Gesicht auf einen ändern 1. Bei diesem letzteren Spruche kann man sich übrigens des Verdachtes nicht erwehren, daß der Zauberer sich dieses Hirtenleben des Horus, auf das sonst nirgends angespielt wird, erst selbst ersonnen habe; Horus war nun einmal der Götterknabe vor anderen, da konnte man ihm alles zuschreiben, was die irdischen Knaben in Ägypten tun mußten. Auch sonst mag es um die Echtheit der in diesen Sprüchen mitgeteilten Sagen nicht immer zum besten stehen. Während in allem, was wir bisher angeführt haben, die Hilfe der Götter als ein Geschenk erscheint, das sie gewähren, wenn der Zauberer sie in den richtigen Worten dazu auffordert, zeigen andere eine merkwürdige Übertreibung des natürlichen Verhältnisses: der Magier bedroht die Himmlischen, damit sie ihm seinen Willen tun. Derartige Drohungen finden sich gerade in der alten Totenliteratur: 0, ihr Götter vom Horizont! heißt es in einem Spruche, der uns in den Pyramidentexten erhalten ist, so wahr ihr wollt, daß Atum (euer Herr) lebt, daß ihr euch mit öl salbt, daß ihr Kleider anzieht, daß ihr eure Speisen empfangt, so nehmt seine Hand und setzt ihn in das Speisenfeld 2. Oder noch drastischer heißt es ebenda: Wenn ihr aber nicht die Fähre zu ihm fahrt, so wird er die Locken auf euren Köpfen ausreißen wie Knospen an den Seeufern 3. Wenn ihr den Toten nicht mit seiner Familie zusammenführt, so hat es mit der Verehrung der Götter ein Ende; dann raubt man die erlesenen Fleischstücke von den Altären der Götter, man opfert keine Brote mehr, man mischt kein Weißbrot mehr, und kein Fleischstück wird mehr vom Schlachtblock dem Gotte dargebracht *. Ja die ganze Welt wird der Zauberer umdrehen; wenn er nicht gerechtfertigt herausgehen soll: so steigt Re nicht zum Himmel empor, sondern der Nil steigt Zum Himmel empor und lebt von der Wahrheit, und Re steigt zum Wasser hinab und lebt von den Fischen 5. Und wird dem Toten nicht seine Würde gegeben, so soll es blitzen und regnen, und die Arme des Schu, die den Himmel tragen, werden geschlagen e. Wie diese Drohungen ausgeführt werden sollen, wird nicht gesagt. In anderen Fällen beruft sich der Magier darauf, daß er den Namen des Gottes kenne, seinen Namen, auf dem seine Macht beruht.

Magic und Zauberei.

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So heißt es in der oben angeführten Bedrohung der Lockigen, daß er ihren Namen den Menschen sagen werde. Haben doch diese Namen der Götter eine furchtbare Macht. Wenn man den einen am Ufer des Flusses ausspricht., so verlöscht (d.h. versiegt) der Fluß, und wenn man ihn auf dem Lande ausspricht., so wird es Funken sprühen. Wenn ein Krokodil den Magier angreift, der diesen Namen kennt, so wird er Kraft desselben die Erde in die Flut fallen lassen und der Süden wird zum Norden werden und die Erde sich umwenden l. Woher wissen nun aber die Zauberer diese geheimen Namen, auf deren Kenntnis sie sich stützen? Die Frage muß oft aufgeworfen sein, denn ein Zauberspruch des neuen Reichs unternimmt es, sie ausführlich zu beantworten; er erzählt uns, wie der geheime Name des Re einst verraten worden ist. Einst, als Re noch auf Erden herrschte üler Götter und Menschen zusammen, da war Isis die klügste aller Weiber, klüger als Menschen, Götter und Verklärte. Es gab nichts im Himmel und auf Erden, was sie nicht gewußt hätte, nur den wahren Namen des Re, der so viele Namen hat, wußte sie nicht; sie gedachte aber auch den zu erfahren. Und der Gott war alt geworden, sein Mund zitterte und sein Speichel fiel zu Boden. Den knetete Isis mit der Hand zusammen mit der Erde, die daran war und machte einen herrlichen Wurm daraus. . . . Den legte sie auf den Weg, auf dem der große Gott ging, wenn er seine beiden Länder zu besuchen wünschte. Als nun Re, gefolgt von den Göttern, sich wie alle Tage erging, da stach ihn der Wurm. Die Stimme seiner Majestät drang bis zum Himmel. Seine Götter sagten: *Was gibt es?« und die (ändern) Götter sagten: *Was ist denn?«· Aber er konnte nicht antworten. Seine Lippen bebten, und alle seine Glieder zitterten und das Gift ergriff seinen Leib, wie der Nil das Land ergreift. Als er sich etwas beruhigt hatte, rief er sein Gefolge: »Kommt ihr, die ihr aus meinem Leibe entstanden seid, ihr Götter, die ihr aus mir hervorgegangen seid, damit ich euch mitteile, was mir geschehen ist. Etwas Krankhaftes hat mich verletzt', ich fühle es, aber meine Augen sehen es nicht. . . . Ich habe nie ein Leid gleich ihm gekostet Ich bin der Fürst, der Sohn eines Fürsten, der Gottessame, der zum Gölte wurde. Ich bin der Große, der Sohn eines Großen. Mein Vater und meine Mutter haben meinen Namen erdacht. Ich bin der Vielnamige und Vielgestaltige. Meine Gestalt ist in jedem Gotte. Man nennt mich Atum und Hör us Heken. Mein Vater und meine Mutter haben mir meinen Namen gesagt', er ist in

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meinem Leibe verborgen *) seit meiner Geburt, damit nickt Zauberkraft gegeben werde einem, der gegen mich zaubern will. Als ich ausging, um zu besehen, was ich gemacht habe, und mich in den beiden Ländern erging, die ich geschaffen habe, da verletzte mich etwas, was ich nicht weiß. Es ist nicht Feuer und ist nicht Wasser, aber mein Herz ist in Glut, mein Leib zittert, und alle meine Glieder frieren.« So klagte Re und ließ die Götterkinder rufen, die mit der trefflichen Rede und dem wissenden Munde, und alle kamen trauernd herbei. Und auch Isis kam mit ihrer Trefflichkeit, deren Mund voll Lebensatem ist, deren Spruch die Krankheit vertreibt und deren Reden den Luftlosen belebt. Sie sagte: »Was gibt es? was gibt es, göttlicher Vater? Siehe, hat dick ein Wurm verletzt, hat eines deiner Kinder sein Haupt gegen dich erhoben, so werde ich es durch einen trefflichen Räuber fällen Der herrliche Gott öffnete seinen Mund: »Als ich auf dem Wege ging und mich erging in Ägypten und der Wüste, denn mein Herz wünschte zu sehen, was ich geschaffen habe, da ward ich verwundet von einem Wurm, den. ich nicht sah. Es ist nicht Feuer, es ist nicht Wasser, und doch bin ich kälter als Wasser und heißer als Feuer. Alle meine Glieder sind voll Schweiß«. Da sprach Isis zu Re: »Sage mir deinen Namen, mein göttlicher Vater; der Mann, dessen Name genannt wird, bleibt leben.« Der greise Gott antwortete: »Ich bin der, der Himmel und Erde machte, die Berge knotete und schuf, was darauf ist. Ich bin der, der das Wasser machte und die Himmehßut schuf. . . Ich bin der, der den Himmel machte und seinen Horizont geheim machte', ich habe die Seelen der Götter in ihn gesetzt. Ich bin der, der die Augen öffnet, und es wird hell, und wenn er die Augen schließt, so wird es ßnster; der, auf dessen Befehl das Wasser des Nils strömt — aber die Götter kennen seinen Namen nicht. Ich bin der, der die Stunden machte und die Tage schuf. Ich bin der, der das Jahr eröffnet und den Strom schafft. Ich bin Chepre am Morgen und Atum, der am Abend ist.« Aber das Gift wich nicht und Isis sagte: »Dein Name ist nicht bei dem, was du mir gesagt hast. Sage ihn mir, so geht das Gift heraus', der Mann, dessen Name genannt wird bleibt leben.« Das Gift aber brannte mehr als Feuer, so daß der Gott nicht länger widerstehen konnte. Er sagte zu Isis: »Mein Name soll aus meinem Leib in deinen *) Vgl. auch das S. 133 über den Namen des Amon Bemerkte und S. 65, wo bei der Schöpfung auch die Namen der Dinge geschaffen werden.

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Leib übergehen.« Und, fügte er hinzu, du sollst ihn verbergen, aber deinem Sohne Horus magst du ihn mitteilen als einen kräftigen Zauber gegen jedes Gift *. Wie man sieht, behält auch hier der Zauberer schließlich den geheimen Namen für sich und teilt ihn uns nicht mit. Anders verfährt vielleicht ein uralter Spruch, der dem Toten die Benutzung der Himmelsleiter (S. 219) sichern soll: Komme Leiter (moket), komme poke t, komme dein Name, den die Götter sagten:, 2 hier könnte gemeint sein, daß die Götter die Leiter nicht moket nennen, wie die Menschen, sondern poket. Und auch die seltsamen Worte, von denen besonders die Zaubersprüche der späteren Zeit wimmeln, sind zum großen Teil sicher als geheime Namen des Gottes gedacht. Anderes freilich in diesem Gallimathias soll als fremde Sprache gelten; so soll der Löwenzauber eder edesen edergeh edesen, vereinigt merem edesen, vereinigt emej edesen usw. gewiß phönizisch sein, denn . . 1 . . . . 123. Zaubernguren aut eine Leinenbinde zu malen. er enthält weiterhin den (Totb. ed. Leps. 164.) 3 Namen des Gottes Baal . Damit die Zaubersprüche aber richtig wirken können, ist es nötig, noch allerlei bei ihrem Hersagen zu beobachten. So muß, wer über sich selbst einen besonders glückbringenden Spruch rezitieren will, sich erst neun Tage lang »reinigen«. Dann muß er sich mit zweierlei ölen salben, er muß sich räuchern, indem er das Räuchergefäß hinter die Ohren hält, er muß sich den Mund mit Natron reinigen, er muß sich mit Überschwemmungswasser waschen, er muß Sandalen aus weißem Leder anziehen und zwei neue Schurze, und schließlich muß er sich noch das Zeichen der Wahrheit mit grüner Tusche auf die Zunge malen. Dann tritt er, wenn ich recht verstehe, in einen Kreis, den er während der Dauer der Zeremonie nicht verlassen darf. Um einen anderen Spruch wirksam herzusagen, muß man ein ganzes Bild auf den Boden malen: eine Frauenfigur, eine Göttin, die auf ihr in ihrer Mitte sich befindet, eine Schlange, die auf dem Schwänze steht, einen Himmel u. a. m. 4 Oder man malt sich ein Auge auf die Hand, das ein Bild des Gottes Onuris umschließt, offenbar mit Bezug auf den Teil des Spruches, in dem der Magier sich

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124. Zettel mit Zauberspruch und Zauberfiguren (Leiden).

als den Gott Schu, das Bild des Re, das innen im Auge seines Vaters ist, bezeichnet *. Und wieder bei einem Zauber, den man auf dem Wasser gegen böse Tiere hersagt, und der den Sonnengott, der ja einst im Ei aus der Flut auftauchte (S. 62), als das Ei des Wassers bezeichnet, ist es nötig, daß der Mann, der vorn im Schiff steht, ein Ei aus Ton in der Hand hält; dann glauben die Wasserbewohner, den Gott selbst zu sehen, und wenn sie auftauchen, fallen sie erschreckt ins Wasser zurück 2. Gut ist es weiter, wenn man die Sprüche nicht einmal hersagt, sondern gleich viermal 3, wie man das von alters her auch bei manchen Gebeten zu tun pflegt, und wenn man ihnen ein heute! anhängt, zum Zeichen, daß sie sofort wirken sollen. Oder man füge auch noch die Worte: Schutz hinten, Schutz der kommt, Schutz! * an sie an. Daß es weiter nötig war, die Zaubersprüche in feierlichem Tone herzusagen, versteht sich von selbst und wird auch schon dadurch belegt, daß sie in der Regel in Versen abgefaßt sind. Auch gesungen muß man sie haben; denn eine Handschrift, die Zaubersprüche des neuen Reiches enthält, bezeichnet diese als schöne, singbare Sprüche 5. Mannigfach wie die Nöte des Lebens sind auch die Zwecke, bei denen man sich des Zaubers bedient. Er bannt Sturm und Gewitter6. Er muß in der Wüste gegen die Löwen schützen, im Wasser gegen die Krokodile und überall gegen die unheimlichste

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Gefahr Ägyptens, gegen Schlangen und Skorpione; hat man doch selbst die Pyramiden der alten Könige reichlich mit Sprüchen gegen dies Gewürm versehen. Mit dem Zauber steht man ferner der Gebärenden bei*), ihn spricht man, wenn man Heilmittel bereitet, und mit ihm bekämpft man alles Gift, alle Wunden und alle Krankheiten, sie selbst sowohl als die unheimlichen Wesen, die sie bringen: die Toten. Denn, wie wir schon S. 239 gesehen haben, ist es ein alter Glaube1 des ägyptischen Volkes, daß böse Tote ihre Gräber verlassen und den Menschen nachstellen, und die Götter sollen daher den Schatten des Toten und der Toten, die Böses gegen uns tun, einschließen 2. Da sieht die besorgte Mutter, wie im Dunkeln sich ein gespenstiges Weib ins Haus schleicht mit abgewandtem Gesicht, und wie es sich wie eine Wärterin mit ihrem Säugling zu schaffen machen will. Da sagt sie: Kamst du, dies Kind zu küssen? Ich lasse es dich nicht küssen. Kamst du, dies Kind zu beruhigen? Ich lasse es dich nicht beruhigen. Kamst du, es zu schädigen? Ich lasse es dich nicht schädigen. Kamst du, es fortzuholen? Ich lasse es dich nicht von mir fortholen. Und der Toten entgeht das, weswegen sie gekommen ist3. Darum spricht die Mutter auch morgens und abends so über das Amulett, das sie ihrem Kindchen anhängt: Du gehst auf, o Re, du gehst auf. Wenn du diesen Toten gesehen hast,

wie er zu JVJV. hingeht und die Tote, das Weib

nicht soll sie mein

Kind in ihren Arm nehmen. Mich rettet Re, mein Herr. Ich gebe dich nicht her, ich gebe meine Last nicht dem Räuber und der Räuberin aus dem Totenreiche 4.

Auch den Erwachsenen stellten der Tote und die Tote nach und auch die medizinische Literatur erkennt sie als eine Ursache von Krankheiten an 5. Des weiteren gibt es Zauberbücher, die Kraft und Stärke gegen die Feinde verleihen und Entsetzen verbreiten; wenn man nach ihren Angaben Götter- und Menschenßguren aus Wachs verfertigt und diese in die Wohnung des Gegners hineinschmuggelt, so lahmen sie dort die Hand der Menschen '. Diese letzteren Angaben verdanken wir übrigens dem Protokolle eines Staatsprozesses, und schon diese offizielle Angabe zeigt, wie völlig ernst man diese Dinge nahm. Auch zum Schütze des Königs wird allmorgendlich (wenn anders wir den Angaben eines späteren Buches trauen dürfen) ein Zauber *) Auch der kalbenden Kuh stehen Hirten bei, die des Zaubers kundig sind (Grab des Petosiris 46, vgl. S. 342). E r m a n , Religion der Ägypter.

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vorgenommen, der ihn gegen seine Feinde schützt. Dasselbe lehrt uns ein merkwürdiger Fund, der uns zeigt, wie sehr man in den Nöten, die den König und den Staat bedrängten, auch die Kunst des Zauberers zu Hilfe nahm. Schon in den Pyramidentexten hören wir von dem Zerstampfen der Töpfe *, und wie man diesen Zauber ausgeübt hat, zeigt uns jetzt ein Haufen Scherben 2, der in Theben gefunden ist und den das Berliner Museum bewahrt. Er stammt vermutlich aus der Zeit, wo die Könige der elften Dynastie über Ägypten regierten; bis Amenemhet I. (um 2000 v. Chr.) ihrer Herrschaft ein Ende machte. Für einen dieser Könige wird man den Zauber vollzogen haben. Auf eine Menge von Töpfen und Näpfen hat man eine Liste aller der Personen geschrieben, die dem Könige gefährlich werden konnten, mit genauer Bezeichnung der einzelnen und sorgsam nach ihren Ländern geordnet, so daß die Götter und Geister, die den Zauber ausführen sollten, sie leicht auffinden konnten. Da stehen zuerst Fürsten der südlichen Nachbarländer, wie etwa: der Herrscher von Ubates, Bakuai, der £ai zubenannt ist, geboren von Ihaasi, sein Vater ist Unkat, nebst allen Vertrauten, die bei ihm sind. Und um ja keinen Bösen auszulassen, werden noch aufgeführt: alle Neger von Kosch, von Meger, von Schaat und vieler anderer Länder, ihre Starken, ihre Läufer, ihre Verbündeten, ihre Genossen, die Feind sein werden, die sich verschwören werden, die kämpfen werden, und die, die sagen, daß sie kämpfen werden, und die, die sagen, daß sie Feind sein werden, in diesem ganzen Lande. In gleicher Weise werden all die feindlichen Fürsten von Palästina aufgeführt; dann werden die Libyer in einem kurzen Abschnitt erledigt und nun folgen die schlimmsten aller Feinde: die Ägypter selbst, Männer und Weiber und die hohen Räte, welche feind sein werden, welche sich verschwören werden usw. in diesem ganzen Lande. Acht von ihnen werden mit Namen genannt, und vier von diesen werden als Erzieher vornehmer Mädchen bezeichnet; man möchte glauben, daß sie dem Frauenhause angehörten und daß sie in Intriguen des Harem verwickelt waren. Diese acht Ägypter sollen sterben; das wird bei ihnen ausdrücklich bemerkt, während man bei den auswärtigen Feinden nur durch Beifügung eines Schriftzeichens andeutet, daß man sie als dem Tode verfallen ansieht. Dieses Schicksal wird sie nach dem Glauben des Zauberers ereilen, wenn er die Töpfe, auf denen ihre Namen stehen, zerschlägt,

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und das hat er denn, wie unsere Scherben zeigen, gründlich besorgt. Übrigens hat er bei dieser Gelegenheit dann auch zugleich noch anderes Böses zu vertilgen gesucht, denn hinter die Listen der Feinde hat er noch geschrieben: alle schlechten Worte, alle schlechten Reden, alle schlechten Lästerungen, alle schlechten Gedanken, alle schlechten Ränke, alles schlechte Kämpfen, alles schlechte Streiten, alle schlechten Pläne, alle schlechten Dinge, alle schlechten Träume, alles schlechte Schlafen. So war, wenn das vertilgt war, auch alles vertilgt, was den König im Wachen oder im Schlafen quälen konnte. Übrigens kennen wir noch eine andere Kunst, die den König schirmt und den Mund der Feinde versiegelt, die gegen den Herrscher Übles reden. Da macht man eine Figur aus Ton oder Wachs und gibt ihr ein Papyrusblatt bei, das auch den Namen des Lästerers und den seiner Eltern trägt. Mit dieser Figur wird dann allerlei vorgenommen, sie wird auf die Richtstätte gebracht, und alle ihre Glieder werden besiegelt, so wie Thoth den Mund des Bösen versiegelt hat, oder so wie Horus den Mund des Verbrechers versiegelte i. Diese Anweisung stammt aus alter Zeit; daß sie aber auch später noch hochgeschätzt wurde, sieht man daraus, daß sie auch in die spätere Sprache übersetzt ist. Ein viele Male erprobt dient dann noch zu ihrer Empfehlung. Aber nicht genug, daß die Könige sich so durch Zauber schützen müssen, auch die Götter können seiner nicht entraten, um sich ihrer Widersacher zu erwehren. Man weiß, daß Thoth zum Schütze des Re über diesen das Zauberbuch von der Himmelskuh liest2, und auch die Menschen können dem Sonnengotte beistehen, wenn sie zu gewissen Zeiten die Sprüche von der Besiegung des Apophisdrachens hersagen 3. Auch in den Kultus haben sich diese Anschauungen eingedrängt, und die Götterbilder der Tempel werden durch Amulette (S. 180), durch Räuber und treffliche Worte geschützt und alles Böse aus ihrem Leib vertrieben*. Wie sehr vollends der Zauber zum Schütze der Toten herhalten muß, haben wir schon in früheren Abschnitten zur Genüge besprochen. Die Dienerinnen, die Schiffe, die Küchen und Speicher, die Elfenbeinstäbe, die Uschebtifiguren, die Herzskarabäen, die Kopfplatten — alle diese Gebräuche und so manche andere gehören zur Zauberei oder grenzen doch an sie an. Auch die Totenliteratur nimmt ja, wie wir oben gesehen haben, mit der Zeit immer mehr einen magi20·

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sehen Charakter an und ihre Sprüche gelten im neuen Reiche schon geradezu als Zaubersprüche, deren Hersagen dem Toten oder Lebenden Glück bringt. Dasselbe gilt übrigens auch von der medizinischen Literatur; zwar in ihren alten großen Werken spielen die Zaubersprüche noch kaum eine Rolle, während sie im neuen Reiche immer mehr an die Stelle der ärztlichen Verordnungen treten. Der allgemeinen Wertschätzung der Zauberei entspricht es denn auch, daß ihre Pflege nicht Sache des einzelnen ist, sondern von altersher ihre berufenen Vertreter hat. Das sind die Cherhebpriester, die Schreiber des Gottesbuches, deren höchste Stellen im alten Reiche von den eigenen Söhnen des Königs bekleidet werden; wie sie ihre Kunst auch zu profanen Kunststücken zu verwenden wußten, wie der eine ein Krokodilfigürchen aus Wachs machte, das einen Ehebrecher im Wasser verschlang und wie der andere einen See aufklappte, um einer Dame ihren verlorenen Schmuck herauszuholen, das erzählt uns eine Märchensammlung des mittleren Reiches voll Behagen. Auch das alte Testament kennt sie ja in der entstellten Form chartum noch als Traumdeuter und Beschwörer am ägyptischen Hofe 1. — Die Pflege der Zauberei ist weiter eine Aufgabe des Lebenshauses 2, der gelehrten Schule Ägyptens, und die Zauberbücher sind systematisch angelegte Werke, die auch in den Bibliotheken der Könige aufbewahrt werden 3; sie gehören offenbar ebenso gut zur Literatur wie die medizinischen Schriften oder die Weisheitsbücher. Natürlich wollen sie alle uralt sein; das eine hat der Erdgott verfaßt 4 , das andere der Gott der Weisheit 5; ein drittes will ein Priester der saitischen Zeit in einem Grabe der Mnevisstiere gefunden haben e; andere der gleichen Zeit sind angeblich in einem Gefäße gefunden, das einer Mumie beigegeben war, und dabei war eines, das Amenophis, der Sohn des Hapu, der weise Vezier Amenophis' III., sich zu seinem Privatgebrauche als Schutz erfunden haben sollte7. In Wirklichkeit stand es mit der Echtheit der meisten Zauber übel; sie waren eine gesuchte und gut bezahlte Ware, und so hat man sie beschafft, wie man eben konnte. Sehr oft sind sie ungeniert aus beliebigen alten Sprüchen und Liedern hergestellt8. Aus einem uralten Liede an die Göttin Nut nimmt man zwei beliebige Verse, setzt anstatt des Namens der Nut den der Geburtsgöttin Mesechenet ein, fügt noch einige andere Worte hinzu, und der

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Zauber zur Erleichtung der Geburt ist fertig l. Der Erzählung von der Vertilgung der Menschen durch Re, die wir oben (S. 63) mitgeteilt haben, fügt man einige Reden der Götter über Schlangen ein, und nun ist dieses Buch ein wunderbarer Zauber gegen dieses Gewürm geworden und der Ehre würdig, im Königsgrabe als ein solches niedergeschrieben zu werden 2. Manchmal wird auch einem wirklichen alten Zauberspruche, wenn das Bedürfnis es verlangt, eine neue Bestimmung gegeben. Da war ein Spruch, der von der Schwangerschaft der Isis und von der Geburt des Horus redete, weil er den Müttern helfen sollte; ein Mann des mittleren Reiches aber, der Zaubersprüche für Tote brauchte, verwendete ihn ohne weiteres als einen Spruch, um sich in einen Falken zu verwandeln, nur weil Horus darin, wie so oft, ein Falke genannt war 3. Sehr viele Sprüche sind auch einfach in späterer Zeit frei erfunden worden, und gerade im neuen Reiche hat man viele verfaßt, die ihre junge Sprache und ihre späten religiösen Anschauungen ungeniert zur Schau tragen. Überhaupt scheint das neue Reich eine Blütezeit dieser wilden Wissenschaft gewesen zu sein. Charakteristisch für den spekulativen Sinn der Zauberer ist auch, was sie ihren Fabrikaten als deren Wirkung nachrühmen. Beispiele solcher Anpreisungen haben wir schon oben bei den Zauberbüchern der Totenliteratur angeführt, (S. 236); hier sei noch eine besonders vielseitige aus einem späten Buche nachgetragen. Wer den Apophiszauber besitzt, der ist nicht nur imstande, diesen Drachen vom SonnenschirTe abzuwehren, die Wolken zu vertreiben und das Gewitter zu verjagen, sondern er hat davon auch Nutzen auf der Erde und Nutzen im Totenreiche, er hat weiter Kraft dadurch zum Amte seines Vorgesetzten, und endlich befreit es ihn wirklich von allem Bösen. Und das alles kann der Magier seinen Kunden mit gutem Gewissen versprechen; denn er hat es selbst gesehen *. Eine Spezialität der späteren Magie ist die Herstellung von Figuren und kleinen Stelen, die man in den Häusern aufstellt oder am Halse trägt, als Schutz gegen böse Tiere aller Art. Bestimmte heilige Wesen stehen im Rufe, besonders gut gegen diese Gefahr zu helfen. Da ist der alte Gott Schu, der Sohn des Re, der den Himmel trägt und den man in Abydos den Onuris nennt; ihn denkt man sich jetzt als den schönen Kämpfer G, den Erretter (Sched)

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und stellt ihn als einen jungen Prinzen dar, der vom Wagen aus die Löwen tötet1. Die gleiche Rolle übernehmen der wunderliche Halbgott Bes (S. 147), das krüppelhafte Kind, das wir Patäke nennen, und vor allem das Horuskind selbst, dem ja kein böses Tier etwas hatte anhaben können. Oft mischt man auch des besseren Schutzes halber mehrere dieser Götter zusammen 2; man gibt dem kleinen Horus den tierischen Kopf des Bes, man setzt aus Ghnum, Re, Min und Horus oder gar aus Chepre, Chnum, Thoth, Min, Anubis, Osiris, Mut und Bastet eine Mischgestalt zusammen, die zwar gräulich aussieht, die aber gewiß desto wunderkräftiger gewesen sein wird. In einem Falle wird ein solches Wesen, das kaum etwas von 126. Kleine Stele zum Amon enthält, als Schütze gegen böse Tiere: 125. Mischgestalt aus Bes, Isis, Horus mit dem Kopfe des Horus, Bastet u. a. als Bezwinger Amon Re bezeich- Bes, neben ihm ein Sonnenvon Löwen, Krokodilen und net; man möchte gott und die Blume des Schlangen. (Berlin 8677.) glauben, daß die Nefer-tem. (Berlin 4434.) Theologie des neuen Reiches, die alle Götter zusammenwirft, bei dieser Benennung mitspielt. Diese Figuren, die, wie gesagt, eine Schöpfung des neuen Reiches sind, gesellen sich zu den zahlreichen Amuletten hinzu, durch die man von alters her sich zu schützen suchte. Als ein guter Schutz galt schon eine Schnur, in die bestimmte Knoten geknüpft sind, z. B. je einer abends, einer morgens, bis es sieben Knoten sind 3. Man kann auch weiter sieben Ringe aus Stein und sieben aus Gold auf sieben Leinenfäden ziehen und sieben Knoten darein machen4. Dazu kann man dann noch irgendein besonderes Mittel fügen etwa ein Beutelchen mit Mäuseknochen 5, oder auch ein Siegel, auf dem eine Hand und ein Krokodil dargestellt sind e, oder ein Blatt mit Götterfiguren oder sonst irgendein glückbringendes Zeichen. Diese letzteren kennen wir heute besonders aus

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den Amuletten, die man, wie wir oben (S. 288) gesehen haben, den Mumien umhing, und von denen unsere Sammlungen wimmeln. Welche Kräfte man diesen einzelnen Amuletten zuschrieb, und welchen Grund ihre Wirksamkeit haben sollte, wissen wir kaum, und schwerlich würden uns auch die späteren Ägypter selbst noch klaren Bescheid haben geben können. Sie würden uns wohl nur gesagt haben, daß in dem allen heka stecke, jene übernatürliche Kraft, die die Götter besitzen, die in ihren geheimen Namen ruht, und die auch bestimmten irdischen heiligen Dingen wie den zauberreichen Kronen des Königs innewohnen kann 1. Einen Anteil an dieser Kraft wird den Menschen eben durch die Amulette

127. Amulette. (Berlin 11389, 13173.)

128. Schnur mit sieben Knoten, daran zwei Zettel mit Zaubersprüchen, (Berlin 10826.)

und die Zauberformeln vermittelt werden, und auf ihr beruht die Kunst des Magiers. Auf den mancherlei Aberglauben anderer Art, der in Ägypten neben der Zauberei bestand, können wir an dieser Stelle nicht eingehen1; nur sei ausdrücklich erwähnt, daß zwei Formen desselben, die im spätesten Ägypten grassierten, das Horoskop und die Alchemic, im neuen Reiche noch nirgends vorkommen. Auch der Glaube an den bösen Blick, dem noch heute der ganze Süden huldigt, ist erst in später Zeit unzweifelhaft nachzuweisen. Auf einem Holztäfelchen,. das einst am Halse eines Petemostus gehangen hat, lesen wir, daß alle Menschen, die einen bösen Blick auf dieses Kind der Frau Mehit werfen werden, von den Göttern so gefallt werden sollen wie der Drache Apophis 2. Gern gibt man den Kindern in später Zeit auch Namen, die sie vor dem bösen Auge schützen sollen 3. Und sogar in der Bibliothek des

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Tempels von Edfu l gab es Sprüche, die das böse Auge abwehren*. Eine weitere Form des Aberglaubens, das Traumbuch, das sogar heute noch in unserm eigenen Volke das „wahre ägyptische Traumbuch" heißt, hat sich neuerdings wirklich vorgefunden **). Es ist genau so angelegt wie die heutigen, und einzelne seiner Deutungen gleichen sogar solchen, die noch heute bei uns im Schwange sind. Wer sich selbst als Toten sieht, der wird ein langes Leben haben, wer träumt, daß ihm die Zähne ausfallen, dem stirbt ein Verwandter, und wer sich selbst im Spiegel sieht, das ist schlecht, das bedeutet eine zweite Frau. Wer von einer großen Katze träumt, der wird eine große Ernte haben, wer auf den Mast klettert, den wird sein Gott erheben, wer aber träumt, daß er Gurken ißt, der bekommt Streit; träumt er, daß er Feigen und Weintrauben ißt, so bedeutet das Krankheit. Das Buch stammt übrigens aus dem neuen Reiche und bewegt sich in einer einfachen, bäuerlichen Gedankenwelt. Im Ganzen spielen übrigens die Träume bei den Ägyptern keine große Rolle***), und erst in griechischer Zeit wird die Deutung der Träume eifrig betrieben (S. 388). Anders steht es dagegen wohl mit der Tagewählerei, der Vorstellung, daß bestimmte Tage des Jahres glückliche oder unglückliche seien. So haben wir aus dem mittleren Reiche den Kalender eines Monats, der 18 Tage als gut, neun als schlecht und drei als halbgut bezeichnet 2. Aus dem neuen Reiche aber haben wir ein umfangreiches Buch, das uns für einen großen Teil des Jahres die gleichen Angaben liefert, und das sie oft auch zu begründen sucht; ein Tag ist glücklich oder unglücklich, je nachdem dieses oder jenes Ereignis der Göttergeschichte sich an ihm abgespielt hat. So lesen wir z. B. beim zwölften Tage des ersten Wintermonats, daß er sehr schlecht sei, und daß man es vermeiden müsse, an diesem Tage eine Maus zu sehen, denn es ist der Tag, wo er Sachmet den Befehl gab, d.h. wohl wo Re die Menschen töten ließ. (S. 63). Und der erste des vierten Wintermonats, der ganz *) Ob die beiden bösen Augen, mit denen eine verschlossene Tür versiegelt werden soll, Pyr. 1266, auch schon hierher gehören, stehe dahin. * *) Ich verdanke seine Kenntnis der freundlichen Mitteilung von A. H. Gardiner. ***) In der Lehre für Merikare werden neben dem Zauber auch Träume bei Tag und bei Nacht genannt als ein Segen, die Gott dem Menschen gegeben hat. Lit. S. 119.

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gut ist, und an dem ein großes Fest im Himmel und auf Erden ist, verdankt diese Güte dem Umstände, daß die Feinde des Sobk an diesem Tage auf ihrem Wege gefallen sind1. Übrigens dürften diese Deutungen erst damals entstanden sein, als man den volkstümlichen Aberglauben an einzelne gute und böse Tage in ein System zu bringen suchte, als man auch aus der Tagewählerei eine Wissenschaft machte. Denn daß man sie als solche auffaßte, ist leicht zu ersehen; ist doch der Papyrus, der diese Schrift uns erhalten hat, das Schulbuch eines Knaben. Er hat das Buch, von dem er augenscheinlich wenig verstand, als Schreibübung kopiert, aber gewiß würde man ihm nicht diese Vorlage gegeben haben, wenn man nicht auch ihren Inhalt für nützlich und ersprießlich gehalten hätte. So sieht man immer wieder, wie in dieser Zeit des neuen Reiches der Aberglaube gepflegt wurde und gedieh; es ist kein Wunder, daß dieses Unkraut zuletzt in Ägypten alles überwuchert hat.

Achtzehntes Kapitel. Die Zeit des Verfalls und die Saitenzeit. Als die Priester von Theben den dritten Ramses in seinem herrlichen Grabe beisetzten, gaben sie ihm jenes große Dokument (S. 203) mit, das alle die Verdienste verzeichnete, die sich der König um die Tempel Ägyptens erworben hatte; die Götter sollten sich auch im Tode seiner annehmen und sollten sein Reich weiter behüten. Aber es ist, als ob die Götter diesen Wunsch nicht erhörthätten; denn—wie wir heute die Dinge ansehen — erscheint uns gerade der Tod Ramses' III. als der Wendepunkt in'der Geschichte Ägyptens. Unter seinen Nachfolgern bereitet sich ja schon die lange Leidenszeit des Landes vor. Freilich den ersten Abschnitt dieser Leidenszeit mögen die Priester Thebens selbst noch als etwas Großes angesehen haben; denn in ihm verwirklichte sich etwas, was ihnen gewiß seit lange als höchstes Ideal vorgeschwebt hatte. Die geistliche Macht übernahm selbst das Königtum und Hrihor (um iioo v. Chr.), der Hohepriester des Amon, bestieg den Thron. Und wenn nun auch dieses Königtum des Hohenpriesters und seiner Familie ein weltliches blieb, so wird der Gedanke, auf dem es beruhte, doch der einer Gottesherrschaft gewesen sein. Amon regierte das Land durch seinen Hohenpriester und durch das Gottesweib, von dem wir unten (S. 319) sprechen werden. Wie diese Theokratie dann an einer anderen Stelle, an die sie verpflanzt wurde, sich weiter entwickelt hat, werden wir besprechen, wenn wir dem Schicksal der ägyptischen Religion im Auslande nachgehen (S. 354). Freilich eine Herrschaft über das ganze Land ist dieses Königtum des Hohenpriesters schwerlich je gewesen; es hat neben ihm auch andre Machthaber gegeben. Der mächtigste unter ihnen, Smendes, saß in Tanis, an der nordöstlichen Grenze Ägyptens, wo die Welt sich doch anders ansah, als hinten in der heiligen Stadt Theben. Wie diese Umwälzungen vor sich gegangen sind,

Die Zeit des Verfalls und die Saitenzeit.

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wissen wir nicht; das aber sehen wir, daß die neue Zeit, so wie es in Ägypten Sitte war, auch in einem großen Bauwerk ihren Ausdruck finden sollte. Noch entbehrte ja der dritte der thebanischen Götter, der Mondgott Chons, eines würdigen Heiligtumes. Zwar hatte Ramses III. den Bau eines solchen begonnen, aber er war unvollendet geblieben. Jetzt führte Hrihor diesen Bau aus, und gewiß haben seine Zeitgenossen gedacht, daß dieses Werk sich den Tempeln zur Seite stellen ließe, die die Amenophis und Ramses in den früheren Jahrhunderten gebaut hatten. Aber ein Unterschied besteht doch zwischen jenen Bauten und diesem Werke des Hrihor, und der ist zu charakteristisch, als daß wir ihn hier übergehen dürften. Hatten die alten Pharaonen, wenn sie einen Tempel erbauen wollten, zunächst einen Steinbruch eröffnet, der das Material für den Bau hergeben sollte, so machte sich Hrihor*) die Sache leichter: er brach ältere Tempel ab und verwendete ihre Blöcke als Material für seinen Bau. Die Blöcke wurden so gestellt, daß ihre Reliefs in dem Mauerwerk verschwanden, und wo dies nicht anging, wurden die Bilder abgemeißelt oder mit Stuck verschmiert *. Es war besonders der große Tempel von Köm el Hetan, den Amenophis III. auf dem Westufer erbaut hatte (S. 195), der so in dem Neubau des Hrihor aufgehen mußte. Aber auch andere Bauten haben damals in der gleichen tragischen Weise als Steinbrüche gedient. Derartiges war ja freilich auch früher schon vorgekommen, und besonders Haremheb hatte in dieser Weise mit den Bauten der Ketzerzeit aufgeräumt. Hier aber war es der priesterliche König, der so einen Tempel seines eigenen Gottes demolierte. Auch uns erscheint die Zeit der letzten Ramsessiden und die Zeit des Hrihor als eine neue Zeit, aber das Neue in ihr ist der Verfall. Und als ob es nicht genug sei an dem, was uns der Chonstempel über die Zeit des Hrihor lehrt, so besitzen wir aus der Zeit seiner Regierung noch ein anderes Dokument, das uns deren ganze Kläglichkeit vor Augen führt. Es ist der Reisebericht des Unamun, er zeigt uns, daß die *) Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß nicht auch Ramses III., als er den Chonstempel begann, ebenso verfahren ist.

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Achtzehntes Kapitel.

Macht und das Ansehen Ägyptens dahin waren, und dahin war auch der Reichtum des Amon. Wenn Unamun Holz in Phönizien kaufen soll, so muß das Geld dazu erst durch Spenden der verschiedenen Großen Ägyptens beschafft werden, für die Seereise selbst aber muß Smendes sorgen1. Die einzige Unterstützung, die man dem Unamun auf seiner Mission mitgibt, ist ein Bild des Amon, und seinen Auftrag erhält er durch ein Orakel des Gottes — beides hat ihm freilich bei seiner unangenehmen Mission wenig genutzt. Solche Orakel (S. 154) haben wir ja schon seit dem Anfange des neuen Reiches vielfach angetroffen, aber erst jetzt in dieser Epoche des Niedergangs werden sie zu einer ständigen Einrichtung. Will ein vornehmer Mann über seine Hinterlassenschaft verfügen, so erteilt der Gott ihm zu Liebe einen Befehl: So spricht Amon Re, der große Gotty das große Urwesen: dieser Landbesitz, der dem N. N. gehört, so und so erworben ist und da und da belegen ist — es wird das alles geschäftsmäßig aufgeführt — ich setze ihnfest seinem Sohne... Und wer diesen Erlaß, der im Tempel aufgestellt ist, fortbringt, der ist ein Tor und fern davon, meine Worte abzuwenden. Ich werde sogleich gegen ihn wüten . ... Ich werde ihn ins Elend stürzen', sein Erbe wird einem anderen gehören, und seine Augen werden es sehen. Er wird auf den Knieen liegen vor seinem Feind (?), sein Weib wird man fortschleppen, wenn er dabei ist — und das alles wird ihm geschehen, weil er übertreten hat diesen Befehl, dem ich zugenickt habe 2. Handelt es sich darum, nach einer politischen Umwälzung Verbannte zurückzurufen, so führt man an einem Festtage die Majestät dieses herrlichen Gottes, des Götterherrn, Amon Re des Götterkönigs hervor; er kommt in die großen Höfe des Amonstempels und läßt sich nieder . . . Dann opfert man ihm und begrüßt ihn und der Hohepriester trägt ihm vor, daß jene Armen in die Oase verbannt sind, und daß der Gott weitere Verbannungen in die Oase verbieten möge, und daß dieser Beschluß auf einen Denkstein geschrieben werden möge, und bei jeder Bitte nickte der große Gott sehr, sehr s. Und wieder, in einem anderen Falle steht Thutmosis, einer der eigenen Priester des Amon, im dringenden Verdacht, bei den Scheunen des Gottes Unterschleife begangen zu haben. Als nun an einem Festtage morgens der Gott in seiner Barke herausgetragen wird auf den silbernen Boden des Amonshauses, so schreibt man zwei Schriftstücke in seiner Gegenwart auf. Auf

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dem einen steht zu lesen: »o Amon Re, Götterkönig, mein guter Hen! man sagt, Thutmosis, dieser Gütervorsteher besitze etwas, was man vermißt«. Und das andere lautet: w Amon Re, Götterkönig, mein guter Herr! man sagt, Thstmosis, dieser Gütervorsteher besitze nichts, was man vermißt«. Der Hohepriester fragt dann den Gott, ob er richten wolle. Der große Gott stimmt völlig bei, und die beiden Schriftstücke werden vor den großen Gott gelegt. Der große Gott nimmt das eine, welches lautet: w Amon Re, Götterkönig, mein guter Herr! man sagt, Thutmosis, dieser GüterVorsteher besitzt nichts, was man vermißt«. Noch einmal wird dies wiederholt, und wieder wählt der Gott das freisprechende Schriftstück. Und an einem späteren Tage trägt der Hohepriester dem Gotte mündlich noch anderes vor, dessen man den Thutmosis beschuldigt, und bei jeder Anklage stimmt der Gott, wenn ich recht verstehe, der Freisprechung bei. Zuletzt wird dem Thutmosis auf diese Weise noch ein Generalpardon erteilt, und schließlich wird dem Gotte vorgeschlagen, den Thutmosis einzusetzen in das Amt eines Gottesvaters des Amon, Gutsvorstehers, Vorstehers der Scheunen, Oberschreibers der Befehle des Amon und Obersten des Schreibwesens der Scheunen des Amonsgutes. Und auch diesem Vorschlage stimmte der große Gott bei — hoffen wir, daß er seine Zustimmung nie zu bereuen hatte *. Auch andere Götter als Amon müssen auf diese Art die Streitigkeiten der Menschen entscheiden. Da ist in der Oase Dachel ein alter Streit über das Eigentum eines Brunnens. Unter König Scheschonk wird er endlich beigelegt; denn als man den dortigen Gott Sutech bei seinem Feste herausführt, entscheidet dieser vor Zeugen, daß die Angaben der Listen zu Recht beständen; der Brunnen gehört dem A. und nicht dem B. Übrigens beruht es gewiß auf örtlichen Verhältnissen, daß der Sutech hier, in der Oase, eine so gebietende Rolle spielt; denn im übrigen wird er in dieser Epoche schon verfehmt. Jahrtausende hindurch hatte man es ruhig hingenommen, daß Seth den Osiris ermordet und ungerecht verklagt hatte, und führte ihn trotzdem weiter unter den großen Göttern. Aber der böse Ruf, den die Göttersage an ihn geheftet hatte, machte sich doch fühlbar, und als König Sethos (um 1300 v. Chr.) sein großes Felsengrab anlegte, da galt es schon nicht mehr als passend, in diesen Räumen, wo der Totengott Osiris herrscht, den Namen seines Mörders zu nennen. Der König mußte es sich daher gefallen lassen,

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in seinem eigenen Grabe nicht Sethos »der Sethische«, sondern der Osirische zu heißen. Mit der Zeit wurde der volkstümliche Abscheu gegen den Seth dann so groß, daß, wer seinen Namen schrieb, ihn auch selbst wieder auslöschte1. War unter den Statuen eines Tempels die eines Seth, so wurde ihr Kopf2 in den ähnlichen eines Anubis verwandelt. Schließlich tilgte man sogar sein Bild auf den Reliefs der Tempel aus; denn der alte Gott war zum Teufel geworden, dem Feinde aller Götter; er hatte die Rolle übernommen, die sonst der Gewitterdrache Apophis gespielt hatte. Die Regierung, die Amon in Theben führte, hat seiner Stadt nicht viel Segen gebracht. Das sehen wir auch an Vorgängen, die selbst von unserem Standpunkt aus nur als unwürdig zu bezeichnen sind. Schon unter den Nachfolgern Ramses' III. hatte ein Kampf mit Dieben begonnen, die es gerade auf die Mumien der Könige und deren Kostbarkeiten abgesehen hatten. Wir besitzen noch die Akten einer Untersuchung, die unter Ramses IX. in dieser Sache geführt wurde. Jetzt zur Zeit der Priesterkönige gesteht man sich ein, daß dieser Kampf ein aussichtsloser ist: Man versteckt die Mumien der Könige an Stellen, von denen man hofft, daß sie dort noch sicher sind, und bringt beispielsweise die Mumie Ramses' II. vorübergehend in das Grab Sethos' I. und dann in das Grab Amenophis' I. Schließlich aber versteckt man die noch geretteten Königsmumien in einen Felsspalt unweit des Tempels von Der el bachri. In demselben Felsspalt verbirgt man dann auch die Mumien des herrschenden Königsgeschlechtes. Bedenkt man, was es nach den Vorstellungen des ägyptischen Volkes bedeutete, wenn die toten Könige so aller Spenden und Ehrungen beraubt wurden, so muß man sagen, daß dies zu dem Ärgsten gehörte, was in Theben geschehen konnte. Während dieser Jahrhunderte war dann neben der Macht der Priester noch eine andere herangereift, die der fremden Soldaten. Seit dem Ende des neuen Reiches waren libysche Krieger an verschiedenen Stellen des Landes angesiedelt. Um 950 v. Chr. hat dann ein solcher Häuptling, Scheschonk, sich in Bubastis zum Herrscher aufgeworfen, und seine Familie ist langezeit in der Macht geblieben. Damit wird dann auch die Göttin von Bubastis, die katzen-

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köpfige Bastet, zur Gottheit des Königtums, und auch den anderen Göttern des Delta wird es nicht an der Gunst dieser Herrscher gefehlt haben. Aber auf der anderen Seite war doch der Nimbus der alten oberägyptischen Hauptstadt und ihres Gottes nicht geschwunden, und so haben denn auch die bubastitischen Herrscher dem Amon ihre Verehrung erwiesen; sie haben die Riesenbauten in Karnak wieder aufgenommen und haben damit bekundet, daß auch sie Anhänger des Amon seien. Auch materielle Gesichtspunkte werden dabei maßgebend gewesen sein; denn Theben war ein Besitz, der der Mühe verlohnte. Allerdings hat keines der Königshäuser der späteren Zeit Theben förmlich in Besitz genommen; denn alle mußten hier mit einer merkwürdigen Fiktion rechnen, die in diesen Jahrhunderten aufgekommen war. Theben konnte keinem menschlichen Fürsten mehr angehören; denn es hatte einen göttlichen Herrn, den Amon; und der ihn im Regimente auf Erden vertrat, war nicht, wie man denken sollte, sein Hoherpriester, es war das Gottesweib, die irdische Gemahlin des Gottes (S. 201). So war Theben eine Art geistlichen Fürstentums geworden, in dem eine vornehme Dame die Regierung führte, und jedes Königshaus mußte danach trachten, einer Ia9 DasGottcs _ _, • · n · · -r L L o» n ' seiner eigenen Prinzessinnen diese hohe Stellung weib Anch-nesund das damit verbundene Vermögen zuzuwen- , nefer-eb-re. . (Berlin 2112.) den. Und da von Rechts wegen das Gottesweib seine Würde auf die eigene Tochter vererben sollte, so blieb gegebenen Falles nichts übrig, als daß man die regierende Dame nötigte, diejenige Nachfolgerin zu adoptieren, die die Politik verlangte. Das ist wiederholt in diesen und den folgenden Jahrhunderten geschehen, und nicht ohne Heiterkeit liest man auf einer Inschrift des ersten Psammetich, wie er einen solchen Akt begründet. Weil er dem Amon so dankbar ist, fühlt er sich gedrungen, seine Tochter Nitokris dem Gotte zu schenken. Und so gibt er sie dem Gottesweibe Schep-en-upet zu ihrer großen Tochter und sendet sie im Jahre 655 feierlich nach Theben hinauf, wo die ganze Bevölkerung sie empfängt. Als sie nun zu dem Gottesweibe Schepen-upet kam, so sah diese sie an, war zufrieden mit ihr und liebte sie1. Daß

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die jungen und alten Damen, die diesem geistlichen Fürstentume vorstanden, es nicht selbst verwalteten, kann man sich denken. Sie hatten dafür ihren Vorsteher des Hauses der Gottesverehrerin, einen vornehmen Mann, der sich in der Priesterschaft des Amon als vierten Propheten führen ließ. Wie reich diese Leute waren, zeigen noch ihre gewaltigen Gräber, die an Größe und Pracht mit denen der früheren Könige wetteifern, und welche Stellung sie einnahmen, sieht man daraus, daß der Assyrerkönig den einen von ihnen, den Mentemhet, geradezu als den Fürsten von Theben aufführt. Von dem Gottesweibe selbst sagt er dabei nichts und ebenso wenig von dem Hohenpriester; die galten dem Eroberer nicht viel. Für Ägypten selbst freilich aber war die Stelle des Hohenpriesters immer ein erstrebenswerter Besitz. Um 800 v. Chr. benutzte Osorkon, ein jüngerer Prinz des bubastitischen Hauses, der als General in Tehne saß, Zwistigkeiten in der Verwaltung des Amontempels, um mit einem Heere nach Theben zu ziehen, wo Amon ihn dann wohl oder übel als Hohenpriester anerkennen mußte. Die gegnerische Partei in der Tempelverwaltung, die angeblich das Herkommen der Vorfahren übertreten hatte, rottete er aus; ein jeder von ihnen wurde mit Feuer verbrannt an der Stätte seines Frevels, so daß es aussah wie die Feuerbecken am Feste des Sothisaufganges. Dann setzte er neue Beamten im Tempel ein aus den Kindern der Vornehmen, und das alles tat er aus liebevollem Herzen, damit er den Tempel besser herstellte als vordem *. Wie tief mußte doch Ägypten gesunken sein, wenn das höchste geistliche Amt so erbeutet werden konnte, und wenn überdies der Eroberer so seiner Grausamkeit an den Wänden des Tempels gedenken durfte. Im achten Jahrhundert v. Chr. hat Ägypten dann unter der Eroberung äthiopischer Könige zu leiden. Die betrachten sich als Wiederhersteller des wahren ägyptischen Glaubens, und vor allem ist Theben ihnen der heiligste Ort. Das befindet sich auch meist in ihrer Macht, und äthiopische Prinzessinnen bekleiden das Amt des Gottesweibes. Aber auch der Ptah von Memphis hatte sich, wie wir oben (S. 91) gesehen haben, der Gunst des frommen Äthiopen zu erfreuen. Die Gegner dieser Äthiopenkönige sind in der Regel nur kleine Dynasten libyscher Herkunft, aber hinter ihnen stehen die Assyrerkönige, die Ägypten auch zweimal erobern. Ruhe und Wohlstand, kehren dann erst

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wieder ein als es (um 645 v. Chr.) einem Fürsten von Sais Psammetich gelingt, mit seinen griechischen und karischen Söldnern Ägypten von jeder Fremdherrschaft zu befreien. Gegen Ende des achten Jahrhunderts treffen wir auch auf merkwürdige Symptome eines Umschwunges in den Anschauungen des Volkes. Hatte bis dahin die Epoche Ramses, II. als die große Zeit Ägyptens gegolten, der man auch im Äußerlichen nachahmte, so trat jetzt ein anderes Ideal hervor, das alte Reich *). Überall, sowohl bei den äthiopischen Königen, die in Oberägypten gebieten, als bei ihren Gegnern, den Fürsten von Sais, treffen wir auf das gleiche Bestreben. Und als dann dieses Haus des Psammetich Ägypten noch einmal in einen blühenden Staat verwandelt, da ist diese Tendenz schon so allmächtig, daß, wer die Denkmäler dieser Zeit anschaut, sich in die Zeit des Cheops zurückversetzt glaubt. Es ist, als sehne sich das alte Volk nach der verlorenen Jugend zurück, wo es ungestört von allen fremden Einflüssen sich selbst lebte, jener Zeit, für deren Größe die Pyramiden noch Zeugnis abzulegen schienen. Freilich, wie rührend uns dieses Suchen nach dem erträumten Paradiese erscheint, die Art, in der es sich äußert, hat doch etwas ungesundes. Denn die Nachahmung trägt von vornherein den Charakter gelehrter Altertümelei, man schreibt in der Sprache des alten Reiches und in seiner Orthographie, die doch volle zwei Jahrtausende zurückliegen; man stellt die modernen Menschen in der antiken Tracht dar, und man gibt den Zeitgenossen des Psammetich die Titel und Namen der Hofleute des Cheops. Aus dieser Rückkehr zu dem alten Ägyptertume gewinnt auch die Religion neue Kraft, und sie durchdringt das ganze Leben des Volkes in einer Weise wie nie zuvor, als sein einziger Inhalt; es bilden sich jene Ägypter heraus, die die allerfrömmsten von allen Menschen 1 sind und die das Staunen ihrer griechischen *) Man hat diese geistige Bewegung als die »Renaissance« des ägyptischen Volkes bezeichnet. Üas ist ein Ausdruck, der irreführen kann; denn es handelt sich ja nicht um ein Zurückgreifen auf eine höhere Kultur, sondern im Gegenteil um das gewollte Zurückkehren zu einer längst überholten Stufe der Bildung. Es ist das eine traurige Erscheinung, die ja auch bei ändern Völkern in Unglückszeiten zuweilen eintritt. Man träumt, daß es einst besser um das Volk .gestanden habe, und mancher würde am liebsten die ererbte Zivilisation von sich abstreifen, denkt er die sich doch als etwas fremdes. E r m a n , Religion der Ägypter.

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Zeitgenossen bilden. Ängstlich beobachten sie alle alten Gebräuche, die sie als reine Diener der alten Götter kennzeichnen 130. Heiliger Ichneumon. Bronze. und die sie von den Fremden (Berlin 13783.) scheiden; denn auf diese sehen sie jetzt mit Verachtung herab. Gern bauen sie ihr Haus neben den Tempel, damit sie das Lobpreisen aus dem Munde der Priester hörenl. 0 Ptah, sagt ein Bürger von Memphis, ich habe dich in mein Herz geschlossen, und mein Herz ist so voll von deiner Liebe wie ein Feld voll ist von Blumenknospen. Ich habe mein Haus neben deinen Tempel gestellt, wie ein Diener, der seinen Herrn verehrt2. Mit welchem Eifer alle Gottheiten jetzt vom Volke verehrt werden, zeigen die unzähligen bronzenen Götterbildchen und Tempelgeräte, die von den kleinen Leuten dieser Zeit in die Tempel geweiht wurden, und von denen unsere Sammlungen voll sind. Und gerade die seltsamen Seiten des ägyptischen Glaubens, wie die Verehrung der Tiere, entwickeln sich in dieser Stimmung des Volkes am üppigsten. Für

131. Heilige Katze mit ihren Jungen. Bronze. (Berlin 131122.)

132. Heilige Fische. Bronze. (Berlin 2570.)

alle heiligen Schlangen, Vögel, Widder und Katzen ist jetzt die große Zeit gekommen; sie werden die Lieblinge des Volkes, und es ist ein verdienstvolles Werk, für ihre Bestattung zu sorgen. Ich schenkte was die lebenden Seelen (d. h. die der verstorbenen Tiere) brauchten, damit sie treffliche Salben und Kleider hätten, wenn ihre Seelen zum Himmel stiegen, sagt eine fromme Dame mit Stolz von sich 3. Am populärsten ist der Apis *) (S. 26) Man feierte ihm alljährlich *) Nach Plinius Hist. nat. VIII 185; jedes Jahr wurde ihm einmal eine Kuh zugeführt, die diese Ehre freilich mit dem Leben büßen mußte; auch er selbst durfte nur ein bestimmtes Alter erreichen und wurde dann ertränkt. — Es ist schwer zu sagen, was von dem allen richtig ist.

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ein siebentägiges GeRWftUWKHU asayVaJUSA burtstagsfest, und t>\\\\\\\\^ um////n wenn er gestorben f *T war, trugen die Frommen Trauerkleider, und nichts kommt in ihren Mund außer Wasser und Krautern, volle siebzig Tage lang, bis seine Beisetzung erfolgt ist *. Man 133· Der tote Apis in einem Schiffe aufgebahrt, von wallfahrtet zu seinem Isis und Nephthys beklagt. (Berlin 7494·) Grabe und setzt ihm einen Grabstein, auf dem der interessante Lebenslauf dieses Ochsen geschrieben steht: wann er geboren ist, wann man ihn in den Tempel des Ptah geführt hat, wann er aus dem Leben geschieden und was die Gesamtdauer seines Lebens gewesen ist. Auch welches Dorf die Ehre hatte, seine Heimat zu sein, und wie seine Mutter hieß, wird uns zuweilen gemeldet. Seine Bestattung erfolgt mit allem Luxus; denn der Staat selbst sorgt für sie. Als man Psammetich I. im Jahre 612 meldete: 134. Sarg einer Schlange und im Tempel deines Vaters Apis . . . hat Eidechse (?) (Berlin 8846.) das Alter seine Särge ergriffen, so befahl seine Majestät, seinen Tempel zu erneuern, damit er schöner werde als er früher gewesen war. Seine Majestät ließ ihm alles machen, was für einen Gott am Tage der Beerdigung zu machen ist, und alle Beamten taten ihre Pflicht. Der Leib ward mit öl balsamiert, mit Binden aus feinstem Leinen und den Kleidern jedes Gottes. Seine Särge waren aus Kedholz,Merholz 'SS- Holzsarg eines Ibis. Vor ihm räuchert der Mann, der ihn hat bestatten lassen. (Berlin 6938.) und Zedernholz k/Ul. lu l>UKuAVsO

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und den erlesensten aller Hölzer*. Und im Jahre 547 ging König Amasis, der leichtgesinnte Gönner der Griechen, noch über alles hinaus, was bisher für den Apis geleistet war, weil er den Apis mehr liebte als jeder König. Er machte ihm einen großen Sarg aus rotem Granit, da seine Majestät gefunden hatte, daß noch nie einer aus Stein gemacht war, von keinem König und zu keiner %eit. Und er stattete ihn aus mit Binden und Amuletten und allen Schmucksachen aus Gold und allerlei prächtigen Steinen', die waren schöner als alles, was früher je gemacht war 2. Es war das der erste jener Riesensärge, die wir heute noch in den Apisgräbern zu Sakkara bewundern, Kasten aus einem einzigen Granitblocke von vier Meter Länge und mehr als drei Meter Höhe. Auch sonst wetteifern die saitischen Könige miteinander in der Fürsorge für die Götter, und wieder beginnen verschwenderische Bauten und Stiftungen für die Heiligtümer, vor allem in der neuen Residenz Sais, deren Göttin Neith (S. 33) zu höchstem Ansehen gelangt, und alle Herrscher dieser altertümelnden Zeit — Äthiopen sowohl wie Saiten — haben das gemeinsame 136. Zwei sich um- Bestreben, die Denkmäler der Vorzeit wiederarmend CF die i ^Fuße 'AArme herzustellen und Ältestes neu zu beleben,.' von anstatt der haben. (Berlin 11405.) den Pyramiden an bis zu dem Buche m der Arbeit der Vorfahren, das die Würmer zerfressen hatten und das der Äthiope Schabako durch eine Tafel aus schwarzem Granit ersetzte3. Priestertümer, die längst verschollen waren, werden wieder eingerichtet, und wer in einer Inschrift der Spätzeit die endlosen Titulaturen der Priester liesty der sieht mit Staunen, was alles da wieder aufgelebt ist. Auch die alte religiöse Literatur, die in den Tempelbibliotheken geschlummert hatte, sucht man wieder hervor und verhilft damit allerlei Gedanken, die längst vergessen waren, wieder an& Licht. Und wenn auch das meiste von dieser neu entdeckten Weisheit nicht eigentlich in das Volk gedrungen sein wird, den Wirrwarr der offiziellen Religion hat es doch vergrößert, und der war doch auch ohnedies schon groß genug. Indessen für die Theologie der Spätzeit war diese Vermehrung des religiösen Besitzes nur eine Freude; denn diese konnte nicht genug von all den heiligen Dingen haben. Wie schön ließ sich das alles sammeln

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und ordnen, und das war doch gewiß die Hauptfreude dieser Gelehrten. Ich sage: gewiß, denn ihre eigenen Werke sind uns verloren, und nur aus dem, was uns ihre Nachfolger, die Priester der griechischen Zeit hinterlassen haben, können wir uns noch ein Bild von dieser Wissenschaft des sterbenden Ägyptertumes machen. In diesen Büchern und Tempelinschriften der folgenden Jahrhunderte finden wir Listen, die die Namen und Beinamen aller Götter verzeichnen: sie lehren z. B., was man unter der Geburtsgöttin Mesechenet zu verstehen habe: die große Mesechenet nennt man die Tefnet, die gewaltige Mesechenet die JV«f, die schöne Mesechenet die Isis usw 1. Wir treffen an den Tempelwänden auf Verzeichnisse, die da nachweisen, wie in jedem Gaue alle heiligen Dinge geregelt sind. Unterägypten zerfallt trotz seiner so verschiedenen Gestalt in etwa die gleiche Zahl Gaue wie Oberägypten, und in allen diesen Gauen gibt es merkwürdiger Weise ganz das Gleiche: einen Gott und eine Reliquie des Osiris, einen Hohenpriester und eine Hohepriesterin, ein heiliges Schiff, einen heiligen Baum und eine heilige Schlange, ein überschwemmbares Land und einen Sumpf. Und das alles hat bestimmte alte Namen, die man kennen muß, und weiter muß man das Datum seines großen Festes kennen, und was in ihm verboten ist — welch eine Freude, das alles zu ermitteln und zusammenzustellen und welch eine nützliche Wissenschaft! Und wären es nur Dinge aus der wirklichen alten Religion und dem wirklichen alten Kultus, die man so sammelte und wieder belebte! Aber man nahm offenbar alles, was nur alt und seltsam war, und frug nicht erst lange danach, wo es herstammte, und ob es jemals ernstlich Geltung gehabt hatte. Ausgeburten der Zauberer, wie die seltsamen Mischgestalten aus verschiedenen Göttern, erhielten so das Bürgerrecht in der Religion 2; und auch willkürliche Spielereien wurden nicht verschmäht. Weil manche Götter oft als (Tempel"vJDenderah.) Vögel dargestellt werden — derHorus als Falke, die Nechbet als Geier, der Thoth als Ibis —, so kann man nun auch den großen Göttern aller Gaue einen Vogelleib verleihen. Dann ist Chnum ein Falke mit Widderkopf, Up-uat ein Falke mit Schakalkopf, die Bastet ein Falke mit Katzenkopf und so

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fort, und jeder dieser Köpfe hat überdies noch seine bestimmte Krone. Diese Beispiele zeigen schon zur Genüge, wie beschaffen diese späte Theologie der Ägypter war. Alles Alte war ihr ehrwürdig und des Aufhebens wert, sie selbst wird nicht mehr viel Neues geschaffen haben. Aus dieser Wertschätzung der alten Weisheit entspringt nun auch die Verehrung, die man in dieser Epoche denjenigen zollt, die deren Träger in der Vorzeit gewesen sein sollten. Auch früher schon hatten sie als ehrwürdige Personen gegolten; jetzt werden einige von ihnen fast zu Göttern. Da ist vor allem Imhotep, ein Mann, der zum Hofe des alten Königs Zoser gehört hatte. Er war dessen Baumeister gewesen und das Volk hatte es nicht vergessen, daß er der Erste gewesen war, der eine Pyramide aus behauenen Steinen errichtet hatte. Daneben kennt man ihn auch als Gelehrten, und schon in einem Liede des mittleren Reiches heißt es von ihm, daß jeder seine Sprüche im Munde führe 1. Allmählich wird er zum Patron aller derer, die sich mit Gelehrsamkeit befassen. Ehe der Schreiber seine Binse in das Wasser138. Der weise Imhotep; er, liest „r, . . . . ,. in seinem Buche. (Berlin 7505.) napfchen taucht, sprengt er die ersten Tropfen dem Imhotepa. Auch die Ärzte verehren [ihn als den Schöpfer ihrer Kunst, und zuletzt gilt er dem Volke, wie wir unten sehen werden (S. 395), geradezu als ein Heilgott! Man weiß auch, daß er keines Menschen Sohn war, sondern ein Sohn des Ptah von Memphis, den er mit einer Frau Chrotionch gezeugt hatte. Freilich stellt man diesen neuen Gott auch später noch rein menschlich dar, ohne Krone, Szepter und Götterbart, und der Kultus, den man ihm weiht, hat noch die Formen, die man im Grabe ehrwürdiger Verstorbener vollzieht*. Ähnlich hat sich die göttliche Verehrung bei einer berühmten Persönlichkeit des neuen Reiches entwickelt. Zur Zeit der höchsten Blüte Ägyptens nahm an dem reichen Hofe des

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dritten Amenophis der Vezier Amenophis', Sohn des Hapu, die erste Stelle ein. Daß er ein Gelehrter war, erzählt er uns selbst in einer Inschrift: er ward in das Gottesbuch eingeführt und schaute die Trefflichkeiten des Thoth; er verstand ihre Geheimnisse und man frug ihn ihretwegen um Rat1. Und er war nicht nur gelehrt, sondern leistete auch in seinem hohen Amte Großes und erwarb den Dank seines Herrn. Noch heute besitzen wir drei Statuen, die der König ihm bei seinen Lebzeiten errichtet 7 hatte. Auch der gilt wie der Imhotep den späteren Ge- 139. Porträt des Amenophis, Sohnes des schlechtern als ein Weiser, dessen Hapu. Von seiner Statue in Kairo. Sprüche nicht vergehen2. Man schreibt ihm ein Zauberbuch zu, und sein Grab, das auf dem Westufer von Theben lag, wird eine heilige Stätte, deren Ansehen auch in griechischer Zeit noch weiter wächst, bis dann Ptolemäus IV. sie in den Tempel von Der el medineh verwandelt. In dem sind er und sein Schicksalsgenosse Imhotep dann den großen Göttern beigesellt. Dieses Grab hatte lange Zeit gut bestehen können; denn König Amenophis hatte es einst reich mit Äckern und Leibeigenen ausgestattet. Aber gerade der Reichtum dieses Besitzes barg eine Gefahr in sich; denn die Beamten späterer Jahrhunderte fanden begreiflicherweise, daß man die Leibeigenen anderswo nützlicher verwenden könnte als auf den Äckern eines längst verstorbenen Veziers. In dieser Bedrängnis greift der Priester des Grabes zu einem eigenartigen Mittel: er verfertigte eine Urkunde, die angeblich noch aus der Zeit Amenophis' III. stammen sollte. Der sollte im 31 ten Jahre seiner Regierung in Gegenwart aller hohen Beamten eine Verfügung erlassen haben, die diese Stiftung für ewige Zeiten sichern sollte. In dieser Urkunde

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wird die Grabkapelle dem höchsten anvertraut, was es damals auf Erden gab, dem Amon Re, dem Götterkönig, denn er ist der Konig der Ewigkeit und der Schützer der Begrabenen*). Dann aber heißt es weiter: jeder hohe Beamte künftiger Zeit, der sich der Stiftung und ihrer Leibeigenen nicht annehmen wird und der einen Mann von ihnen fortnehmen wird, um ihn irgend einem Besitze des Pharao zuzueignen oder einem Geschäfte von sich selbst, oder der, wenn andere sie schädigen, nicht für sie eintritt, der wird der Richtstätte des Amon Re, des Herrn von Karnak, verfallen sein. Der wird sie nicht satt werden lassen in ihrem Amte . ... er wird sie in die Flamme des Königs setzen am Tage seiner Wut, und sein Diadem wird Feuer auf ihre Scheitel speien . . . . Sie werden im Meere untergehen, und es wird ihren Leib verbergen. Auch im Tode werden sie nicht geehrt werden, und sie werden im Grabe ohne Speise und Wasser bleiben. Ihre Söhne wird man nicht auf ihre Stellen setzen, und ihre Frauen wird man vor ihren Augen schänden. So geht es weiter, während auf der ändern Seite aller Segen denen verheißen wird, die für das Grab und seine Stiftung sorgen. Daß diese Fälschung ihren Zweck erfüllt hat und dem Grabe Schutz gewährt hat, dürfen wir ja wohl annehmen, hat es doch noch viele Jahrhunderte weiter bestanden. Die Beamten, die diese Inschrift täuschen sollte, müssen freilich naiv gewesen sein; denn alles an diesem Stück hätte ihnen verdächtig sein müssen. Es steht nicht einmal auf einem zubehauenen Stein, sondern auf einer rohen Platte, vielleicht einem alten Pflastersteine; es ist in roher Schrift in diese Platte eingekratzt, und es wimmelt von barbarischen Schreibungen und Sprachformen, alles Dinge, die bei einer offiziellen Inschrift aus der Zeit Amenophis' III. undenkbar gewesen wären *. Und auch die Verfluchungen würden den Gebildeten dieser Zeit schwerlich behagt haben; die sind vielmehr ein Produkt der späten Zeit. An Fälschungen, die der hier erwähnten gleichen, hat es auch sonst nicht im späten Ägypten gefehlt. Berühmt ist die eine, die die Priester von Elephantine herstellten, um das Recht ihres Gottes Chnum auf das Gebiet zwischen Elephantine und Philae zu beweisen. Sie verfertigten — etwa in griechischer Zeit — eine Inschrift, die die traurige Geschichte von einer schrecklichen Hungersnot erzählte. Unter *) Das klingt, als habe man in der Zeit, der diese Fälschung entstammt, in Amon ähnlich wie in Osiris einen Patron der Toten gesehen.

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dem alten Könige Zoser (um 2700 v. Chr.) war sieben Jahre hindurch die Überschwemmung ausgeblieben. Da wandte sich der König an seinen weisen Vezier, denselben Imhotep, den wir oben kennen gelernt haben, und fragte ihn um Rat. Der forschte in den alten Büchern nach und ersah aus ihnen, daß es der Gott Chnum von Elephantine sei, der die Überschwemmung sende. Im Traume erschien dann der Gott dem Herrscher und versprach ihm, daß die Überschwemmung nicht wieder ausbleiben werde. Da beschenkte der König den Chnum und die Götter von Elephantine mit dem ganzen Landstriche am ersten Katarakt, mit dem ganzen Ertrage der Felder und allerlei Steuern und Abgaben x. Nicht weniger merkwürdig ist eine andere Fälschung aus etwas älterer Zeit. Die erzählt, daß König Ramses II. (1292— 1225 v. Chr.) die Tochter eines asiatischen Fürsten gehei- I4°· Bari« des kleinen Chons, der die Dämonen , j vertreibt, vor ihr der räuchernde Priester. (Von ratet

hatte,

dessen

der Bentreschstcle.)

Land, Bechten, sehr weit von Ägypten entfernt lag. Aber dieser Fürst hatte noch eine jüngere Tochter, und die war von einem bösen Geiste besessen. Da bat der Fürst, daß der König ihm einen Gott schicken möge, der die Prinzessin heile. Ramses trug diese Bitte dem großen Gotte Chons Neferhotep vor und bat ihn, den kleinen Chons, der in Theben regiert, zu entsenden und dem auch seine Kraft zu verleihen. Zu beiden Vorschlägen nickte der große Chons sehr, sehr. Wie nun der kleine Chons in Bechten angekommen war, wo man ihn mit großen Ehren empfing, gelang es ihm, die Prinzessin von dem bösen Geiste zu befreien. Aber der Fürst von Bechten wünschte diesen wundertätigen Gott zu behalten; drei Jahre und neun Monate hielt er ihn zurück, und erst durch ein Traumgesicht wurde er bewogen, ihn wieder nach Ägypten ziehen zu lassen. Man

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Achtzehntes Kapitel.

gab ihm reiche Geschenke mit, und der kleine Chons zeigte sich uneigennützig, denn er gab alles dem großen Chons und behielt nichts für sich *). Diese Inschrift ist in einem kleinen späten Gebäude in Karnak gefunden worden unweit des Chonstempels, und gewiß ist dies eine Kapelle des kleinen Chons gewesen. Sein Priester wird diese Inschrift verfertigt haben, um seinen obskuren Gott als einen Heilgott **) zu empfehlen. Auf gebildete Leser war diese Fälschung kaum berechnet, denn ihr Verfertiger hat sich nicht einmal die Mühe gegeben, die Namen Ramses' II., die doch überall in Theben zu lesen standen, richtig abzuschreiben. Fälschungen dieser Art gehören zu dem Bilde des späten Ägyptertums und erinnern an die ähnlichen Fälschungen unseres Mittelalters. Und hier wie da wird man sagen können, daß ihre Verfertiger kaum etwas Unrechtes in ihnen gesehen haben werden. Denn mochte auch Einzelnes anders gewesen sein als diese Inschriften es darstellten, in höherem Sinne waren sie doch nicht unwahr. War es doch wirklich so, daß Chnum die Überschwemmung spendete und daß Chons die Besessenen heilte; da mußte man doch solche Götter feiern und mußte ihnen geben, was sie brauchten, damit ihr Segen den Menschen zuteil werde. *) Die Geschichte beruht offenbar auf einem Märchen aus dem Ende des neuen Reichs. Bei dem Lande Bechten hat man an Baktrien gedacht, das die Ägypter in der Perserzeit kennengelernt hatten. Daß man wirklich Götterbilder so von Land zu Land schickte und besorgt war, sie möchten nicht zurückgegeben Werden, haben wir oben S. 151 gesehen. **) In der Tat galt er wirklich als solcher. In Inschriften aus der Zeit Ptolemaeus' II. wird diesem kleinen Chons nachgerühmt, daß er die Krankheiten vertreibe und Geister und Tote verscheuche. Auch errette er den König aus der Unterwelt und bewahre ihn vor der Seuche (Sethe, Urk. II 108 und Theben, Bab el Amara).

Neunzehntes Kapitel. Die Perserzeit. Die Schilderung, die wir im vorigen Kapitel von der Religion des späteren Ägyptens gegeben haben, kann im Wesentlichen auch noch für die Zeit der Perserherrschaft gelten. Freilich war es eine furchtbare Katastrophe, als Kambyses Ägypten eroberte (525 v. Chr.), gerade auch für die Religion; denn dieser Perser stand Ägypten und seinen Göttern mit Hohn und Verachtung gegenüber. Auch wenn er die Götterbilder und Bücher aus den Tempeln entführte, so geschah dies gewiß nicht, weil er sie für etwas Heiliges hielt, es waren für ihn nur Beutestücke, die seinen Persern zeigen sollten, welch ein wunderliches Land er erobert hatte. Hatte er doch in seiner Raserei den Apis höhnend getötet und die Tempel Ägyptens alle niedergeworfen*}. Immerhin konnte auch Kambyses sich, wie wir aus einer merkwürdigen Inschrift wissen *, nicht ganz der Rücksicht auf die Geistlichkeit entziehen. Freilich besaß diese auch einen besonders geschickten Vertreter in seiner Umgebung; es war der Leibarzt Uza-hor-resnet. Der hatte ihn wenigstens für Sais zu interessieren gewußt; er hatte seiner Majestät gezeigt, wie groß Sais ist . . . . und wie groß der Tempel der Neith ist, und hatte ihn alle Heiligtümer von Sais kennen gelehrt. So brachte er es dahin, daß der Perserkönig in Sais selbst in den Neithtempel einging und sich vor seiner Herrin niederwarf, so wie es jeder König getan hat', er brachte auch ein großes Opfer an allem Guten der großen Neith, der Gottesmutter, und den großen Göttern von Sais, so wie es jeder treffliche König getan hatte. Und als Uza-hor-resnet dem Kambyses vorstellte, daß auf dem Grund und Boden des Tempels allerlei Fremde wohnten, deren Anwesenheit dem from*) Dies schreibt im Jahre 408 die jüdische Gemeinde von Elephantine an den damaligen persischen Statthalter, und betont dabei, daß ihr eigener Tempel verschont geblieben sei. Die Verfolgung ging also wohl wirklich gerade gegen die ägyptische Religion. — Daß Kambyses Abydos zerstört hat, war auch den Kopten noch bekannt Vgl. Lemm. Kleine kopt. Studien, S. 64.

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Neunzehntes Kapitel.

men Ägypter ein Greuel sein mochte, da tat der Perserkönig, was die einheimischen Könige nicht getan hatten; er befahl, die Häuser der Fremden abzubrechen, und zwang sie, sich außerhalb der Ringmauer des Tempelbezirkes anzusiedeln. Auch unter Darius setzte der Leibarzt diese Vermittlerrolle fort; er überzeugte ihn als Arzt, wie trefflich diese Kunst der ägyptischen Medizin sei, um jeden Leidenden am Leben zu erkalten', der König sandte ihn nach Ägypten, damit er in Sais, der alten Stätte der priesterlichen Heilkunst, das Lebenshaus, das heißt die Priesterschule, wieder emporbringe. Das tat er und stattete die Schule mit all den Büchern und Geräten aus, die sie nach den alten Schriften einst besessen hatte. So förderte Uza-hor-resnet mitten in dem sehr großen Unglück, das im ganzen Lande eingetreten war, doch noch die Interessen des Ägyptertumes, und wenn er es verstand, dabei auch seinen Verwandten Priesterämter zu verschaffen und sie mit Grundbesitz durch die Gunst der Perserkönige zu bereichern, so werden ihm dies seine Landsleute gern verziehen haben. Auch sonst haben Darius und seine Nachfolger sich um Ägypten und seine Götter bemüht, und gerade von Darius wollte die Sage, die uns bei Diodor erhalten l ist, wissen, er sei bestrebt gewesen, das Unrecht des Kambyses, wieder gut zu machen. Sollte er sich doch auch gern mit den ägyptischen Priestern unterhalten haben, um sich mit ihrer Götterlehre vertraut zu machen. In der Tat hat Darius wirklich in der Oase Chargeh dem Amon einen Tempel erbaut, und dessen Inschriften und Darstellungen entsprechen gerade der späteren ägyptischen Theologie. Und wenn Diodor dann weiter erzählt, die Ägypter hätten ihn schon bei seinen Lebzeiten als Gott verehrt, so mag auch das richtig sein; denn ein kleiner Denkstein des Berliner Museums zeigt uns, wie man Darius als Falken verehrte 2. Auch später, unter Darius II., bemühte sich die persische Regierung, den Priestern gefällig zu sein. Den Priestern des Chnum von Elephantine war der Jahwehtempel der dortigen Juden ein Dorn im Auge. Da ließ ihn der persische Statthalter auf ihre Beschwerde hin von Grund aus zerstören und verbrennen, unbekümmert um den Jammer der Juden, die fortan samt ihren Frauen und Kindern Trauerkleider trugen und fasteten 8. Es ist nicht viel, was wir aus Ägypten selbst über den Glauben der Perserzeit erfahren; dafür aber hat uns ein glückliches Schick-

Die Perserzeit.

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sal gerade aus dieser Zeit den lebendigen Bericht eines Griechen bewahrt. Um das Jahr 450 v. Chr. hat Herodot Ägypten bereist, als ein aufmerksamer und unermüdlicher Beobachter. Und gerade auf die Dinge, die uns hier interessieren, hat auch er besonders geachtet; denn es stand ihm fest, daß diese ägyptischen Götter keine anderen seien als seine eigenen. Osiris und Isis sind ihm Dionysos und Demeter, Horus ist ihm Apollo, der Götterfeind Seth ist der Gigant Typhon, die Neith von Sais ist die Athene, Min ist Pan und Amon Zeus und selbst die katzenköpfige Bastet muß sich bequemen, Artemis zu sein. Osiris und Isis stehen für ihn, \vie das in dieser Zeit zu erwarten ist, schon im Mittelpunkte der Religion; sie sind die Götter, die alle Ägypter verehren 1. Daß ihm ein Einblick in ihre Geheimnisse von den Priestern gewährt worden ist, ist ihm ein stolzes Bewußtsein; denn er erwähnt es ausdrücklich, obgleich er seinem Gelübde getreu nichts daraus mitteilen mag 2. Sehr auffällig waren ihm die heiligen Tiere, deren überschwengliches Ansehen uns auch in seinen Mitteilungen entgegentritt. Vom Apis, den er in einem Hofe vor dem Südtor des Ptahtempels gesehen hat, weiß er, daß er durch einen Strahl vom Himmel erzeugt wird; er ist schwarz und hat einen viereckigen Fleck auf der Stirn, auf dem Rücken das Bild eines Adlers und was der Kennzeichen mehr sind. Wird ein neuer Apis gefunden, so feiert ihn ganz Ägypten mit Festkleidern und Festtagen 3. Den heiligen Vogel im Tempel von Heliopolis, den Phönix, hat er nicht gesehen; denn er erscheint, wie die dortigen Priester ihm erzählt haben, nur alle 500 Jahre, um die Leiche seines Vaters in einem Ei aus Myrrhen in den Tempel zu bringen 4. Am Moerissee und in Oberägypten hat man ihm ein heiliges Krokodil gezeigt, das an den Ohren und den Vorderfüßen mit Gold und Edelsteinen geschmückt war 6 . Aber nicht nur diese einzelnen Exemplare, die in den Tempeln gepflegt von Wärtern bedient und von den Frommen gefüttert werden, gelten als Götter; ihre Heiligkeit hat sich längst auf alle ihre Genossen erstreckt, auf Kühe und Böcke, Hunde und Katzen, Nilpferd und Krokodile, Ratten und Mäuse, Falken und Ibisse, Barsche und Aale. Bei einer Feuersbrunst denkt man mehr an die Rettung der Katzen als ans Löschen e. Wer von einem Krokodil gefressen wird, gilt als ein besonders glücklicher Toter7;

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Neunzehntes Kapitel.

wer aber ein heiliges Tier absichtlich tötet, der hat selbst das Leben verwirkt, und bei einem Ibis oder einem Falken gilt sogar die zufallige Tötung als ein Kapitalverbrechenx. Für jedes dieser Tiere gibt es eine Ortschaft, nach der man, wenn es irgend angeht, ihre Leichen hinschaffen soll; die Katzenknochen bringt man nach Bubastis, die Leichen der Mäuse und Sperber nach Buto und die der Ibisse nach Schmun 2. Fällt ein Ochse, so begräbt man ihn vor der Stadt, doch so, daß eines seiner Hörner als Kennzeichen noch aus der Erde hervorsieht; denn es gibt fromme Leute aus Atarbechis im Delta, die bereisen das Land und sammeln die Gebeine der Ochsen, um sie in ihrer Heimat beizusetzen. Aber die Kühe, die als die heiligsten aller Tiere gelten, werden nicht so bestattet; die wirft man in den Nil3. Und diese Schilderung Herodots, die man geneigt sein könnte, für übertrieben zu halten, ist sicher eine treue; denn überall auf ägyptischem Boden treffen wir auf derartige späte Massengräber der heiligen Tiere, auf Gruben, in denen die Katzen zu Hunderttausenden beigesetzt sind, auf 141. Katzen(Berlin Grüfte, in denen mumie. 6942.) Krokodile, ihre Eier und die eben ausgekrochenen Jungen bestattet sind, auf Ibisgräber und Falkengräber, auf Gräber von Schlangen und Fischen *. Und diese Tiere sind nicht immer kurzerhand verscharrt, sondern man hat sie oft auf das zierlichste mumifiziert und sie in Särgen und Krügen und Bronzefiguren bestattet. Und in so ungeheuren Mengen liegen sie in manchen dieser Gräber, daß die moderne Industrie von den heiligen Leichen _ einen profanen Gebrauch gemacht 142. v Katzensarg aus Bronze. (Berlin . . , ,. __ ° , 2055) hat: sie hat die Katzengräber

Die Perserzeit.

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von Beni Hasan zur Herstellung künsüichen Düngers verwendet. In den großen Tempeln des Delta, die für uns heute verschwunden sind, und deren Pracht und Schönheit er rühmt, hat Herodot auch den Festen beigewohnt. Seine Erzählungen zeigen, daß sie auch damals noch in Darstellungen aus der Göttersage gipfelten. So liegt in Sais, im Bezirk des Neithtempels, ein Grab des Osiris, das von einem Haine mit Obelisken umgeben ist; neben ihm liegt ein runder See, und auf diesem stellen sie die Leiden des Gottes dar 1. Bei einem anderen Feste bringt man einen Priester, dem die Augen verbunden sind, und der ein besonders dazu gewebtes Gewand trägt, auf den Weg, der nach dem Isistempel führt. Dann leiten ihn zwei Wölfe — offenbar die Up-uatgötter — dorthin und geleiten ihn wieder zurück 2. Hier und wo sonst es sich um Osiris und Isis handelt, mag Herodot in seiner Scheu die Gründe dieser Aufführung nicht angeben. Aber bei ändern Göttern redet er freier. Als der Gott, den er Herakles nennt, einst den Amon zu schauen begehrte, hatte sich dieser ihm nur unter einem Widderkopfe versteckt gezeigt; daher schlachten die Thebaner am Amonsfeste einen Widder, bekleiden das Götterbild des Amon mit dem Fell dieses Tieres und stellen das Bild des Herakles davor. Dabei schlagen sie sich und begraben dann den Widder 3. In Papremis im Delta war der Gott, den Herodot Ares nennt, einst mit Gewalt in das Heiligtum seiner Mutter gedrungen, um sie zu seiner Gattin zu machen. Daher führt man das Bild des Gottes am Vorabend des Festes aus dem Tempel heraus. Bei Sonnenuntergang bringen die Priester es auf einem vierrädrigen Wagen zurück, finden aber mehr als tausend Mann, die mit Knütteln bewaffnet sind, am Tore aufgestellt, um dem Gotte den Eingang in den Tempel zu verwehren. In einer furchtbaren Schlägerei müssen die Begleiter des Gottes diesem den Eintritt erkämpfen 4 . So wie in diesem Falle, so nimmt auch sonst das Volk an den Festen teil, noch mehr, als wir es nach den Inschriften der Tempel denken würden. In der einen Nacht begeht man in Sais, ja in ganz Ägypten, eine allgemeine Illumination, bei der um die Häuser herum Lampen aufgestellt werden 6. Am Feste des Osiris ziehen die Weiber umher, singen, von einer Flöte begleitet, Lieder auf den Gott und tragen Bilder desselben umher, deren Phallus sich bewegt *. Bei der Trauer, die man in Busiris für denselben Gott

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Neunzehntes Kapitel.

veranstaltet, schlägt sich alles Volk aus Schmerz; auch die Karer, die dort ansässig sind, beteiligen sich an dieser Feier — nur daß sie als Barbaren es nicht beim Schlagen lassen, sondern sich mit Messern zerfleischen *. Bei dem großen Feste von Bubastis strömen 700 ooo Menschen von überall her in dieser Stadt zusammen: Männer und Weiber fahren zusammen, und auf jedem Schiff ist eine große Menge von ihnen. Manche Frauen haben Kastagnetten, die sie spielen, manche Männer spielen die ganze Fahrt hindurch die Flöte, und die übrigen Weiber und Männer singen und klatschen in die Hände. Kommen sie an

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Aus griechisch-römischer Zeit.

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an ihm geändert haben, als man es auf göttliche Verhältnisse übertrug. So gute Lieder sind indessen die Ausnahme, die meisten bestehen nur aus den seit Jahrtausenden immer wiederholten Lobpreisungen, Phrasen, in die sich selten ein neuer Gedanke oder ein neues Bild mischt. So lautet ein Lied auf den Ihi, den kleinen Sohn der Hathor von Denderah, das ihn als die aufgehende Sonne feiert a , Preis dir, Preis deinem Ka, du großer Ihi, Sohn der Hathor. Der du aufgegangen bist auf dem Throne deines Vaters Re, und die beiden Länder haben deine Schönheit. Du schönes Kind, geboren von der Herrlichen, Starken, der Großen, der Herrin von Denderah. Du Abbild des Harachte, du Kind des Atum. Du schöner Knabe, zärtlich geliebter', alle Menschen freuen sich, wenn sie dich sehen. Die beiden Länder jubeln deinem schönen Antlitz zu. Die beiden Kronen sind auf deinem Haupte vereinigt. Die Länder und Fremdländer neigen sich vor deiner Majestät, wie vor Re, wenn er im Horizonte aufgeht. Die Männer und Weiber zusammen sind dir ergeben, und das Land liegt hingestreckt vor deiner Seele. Du herrliches Kind mit leuchtender Gestalt . . . . du bleibst in deinem Gemache in Denderah gleich wie die Sonne, wenn sie auf- und untergeht', deine Kraft geht umher, um Licht zu spenden, und du gibst Luft in die Nase der Menschen. Du großer Ihi, Sohn der Hathor, neige dein schönes Antlitz dem Könige / Der Name des Königs ist dabei in der Inschrift nicht genannt; in den verworrenen Zeiten der späteren Ptolemäer war es ja ratsam, nicht einen Herrscher zu verewigen, der vielleicht nur zu bald als ein Feind verabscheut werden mußte. Lebhafter als dieses Lied auf den Ihi klingt das folgende auf die Hathor von Denderah, das wohl ein Chor angestimmt haben wird, wenn die Göttin aus ihrem Tempel feierlich ausgeführt wurde. Nach dem Refrain möchte man glauben, daß dieser Auszug statthatte, wenn die Pflanzen nach der Überschwemmung wieder grünten: laßt uns der Goldenen jauchzen, wenn sie in ihrem Hause erstrahlt! Laßt uns die Herrin der Götter preisen, laßt uns diese Göttin erfreuen! . . . 0, die Wege werden dir aufgetan', o, die Pfade werden dir geöffnet in Schönheit. Der Himmel verehrt dich im Glück und Länder und Ufer zusammen vereint. Dir läßt man alle süßen Bäume Könijplieder im Tempel zum Lobe eines Gottes benutzte, ist übrigens nicht erst eine Erfindung der griechischen Zeit, vgl. oben S. 132.

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Einundzwamigrtes Kapitel.

wachsen, und für dich grünen die Pflanzen. Dein Gesicht strahlt von Schönem, der Himmel ist klar und schaut mit deinen beiden Augen. Die Wüste ist hell von deinem Anblick. Das Land wird groß gemacht durch deine beiden Augen. Dein Gesicht funkelt. 0 schone grünende, Herrin des Grünens, Herrin mit leuchtendem Grün. Dir musiziert der Himmel mit seinen Göttern, dich preisen Sonne und Mond. Dich verehren die Götter und die Götünen. O schön grünende, Herrin des Grünens, Herrin mit leuchtendem Grün. Dir musiziert die ganze Erde, dir tanzt der Himmel voll Freude, dich verehren die Länder und Fremdländer bis hin zum Himmel an seinen vier Ecken. 0 schon Grünende, Herrin des Grünens, Herrin mit leuchtendem Grün1. Daß das Fest, zu dem man so auszog, ein fröhliches war, hört man noch aus dem Liede heraus, und auch sonst waren es Musik und Tanz, mit denen man die Hathor erfreute. So heißt es: a wir musizieren deinem Ka, wir tanzen deiner Majestät. Wir erheben dich bis zur Hohe des Himmels. Du bist die Herrin der Klappern, der Halsketten*) und Sistren, . . . ." wir verehren deine Majestät täglich, vom Abend an bis zum Tage. Wir jubeln vor deinem Antlitz, du Herrscherin zu Denderah . . . Du bist die Herrin des Jauchzens, die Herrscherin des Tanzes', die Herrin des Musizierens, die Herrscherin des Singens; die Herrin des Springens, die Herrscherin des Kränzeflechtens . . . Kommet mit Jauchzen und pauket Tag und Nacht! Die Männer trommeln, die Frauen sind in Fröhlichkeit. . . Es fällt nicht schwer, sich ein solches Fest der Hathor vorzustellen, das Tanzen und Jauchzen der erregten Menge, das Kreischen der Weiber, das Dröhnen der Trommeln, das Rasseln der Klappern, das Klirren der Sistren und zwischen all dem wilden Lärm der monotone Gesang der Priesterschaft. Es ist das rechte Bild eines Festes im Süden, wo die religiöse Erregung sich im Lärmen Luft macht. Bei anderen Festen wird es freilich weniger tumultuarisch zugegangen sein, und wenn das Essen, Trinken und Jubeln auch nicht ganz fehlt, so bildet es doch nur ein angenehmes Inter*) Mit den großen Halsketten klirrten die Frauen beim Singen.

Aus griechisch-römischer Zeit.

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mezzo in der langen Reihe heiliger Gebräuche, die die Priester Tage lang vorzunehmen hatten. Wenn der Horus von Edfu sein großes Fest feiern will *), bei dem ihn die Götter der befreundeten Tempel von Denderah und el Kab besuchen, so verläßt er am Vortage seinen Tempel, begleitet von seinem Mitgotte Chons und von den vier Speeren, mit denen die Götter den Seth bekämpft haben, und zieht den beiden heiligen Wesen entgegen, die von ändern Städten gekommen sind, ihn zu besuchen, dem Horus von el Kab und der Hathor von Denderah. Was diese Götter zusammen in vieltägiger Feier wieder durchleben sollen, ist ihr Triumph über Seth und Seths Genossen und die Thronbesteigung des Horus. Aber daß es sich nur um diese Dinge handelt, ist nicht so leicht zu ersehen; denn es ist eine schier unendliche Reihe von Zeremonien, die das Herkommen für diese Tage erfordert. Wenn z. B. die Götter von Edfu zu den Ankömmlingen in die Schiffe steigen wollen, um feierlich in die Stadt einzuziehen, so liest man erst die Sprüche, die das Schiff schützen, man opfert, man J54- i>» Speer macht die Weinspende und die Landspende, man läßt Kleine NachGänse als Boten fliegen, bringt Blumensträuße dar Mdung, die ab , , , i, , , . , , . , Amulett diente. und tut so manches andere. Endlich beginnt dann (Berlin 15125.) die Fahrt, aber nur, um sogleich wieder unterbrochen zu werden. Denn man kommt an der Stätte des Keb vorbei, und bei der muß man anlegen und ein großes Brandopfer vor diesem herrlichen Gölte errichten. Wieder vollzieht man den Gebrauch vom Einsteigen ins Schiff und den Gebrauch, mit dem man das Schiff schätzt, sendet die Schiffe ab und dann erst fährt man hinauf nach Edfu. Genau ist des weiteren vorgeschrieben, welche der hohen Beamten Oberägyptens als Vertreter des Königs teilnehmen, und welches die Reihenfolge der Schiffe sein soll. Die Musik fährt im Schiffe des Fürsten von Edfu; bei der Landung am Tempel steht es dem Fürsten von el Kab zu, die Götterschiffe am Vorderteile zu fassen, während ein anderer Stadtfürst an ihrem Hinterteile ziehen darf. Der Fürst von Dendera hat mit seinen Leuten Geschenke zu bringen. Zwei der Fürsten liefern einen Opferstier, ein anderer liefert 500 Brote, loo Krug Bier, eine Rinderkeule und dreißig Ziegen als Bekö*) Das Folgende nach Brugsch's Festkalender von Edfu, die wie man aus ihrer Sprache sieht, eine Festordnung des neuen Reiches wiedergeben.

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Einundzwanzigstes Kapitel.

stigung für die Leute der fremden Städte, die ihre Götter zum Feste begleitet haben. Denn wenn diese angekommen sind, so setzen sie sich und trinken und feiern einen Festtag vor diesem ehrwürdigen Gölte; sie trinken und salben sich und jubeln sehr laut, zusammen mit den Einwohnern der Stadt. Am ersten Tage des eigentlichen Festes führt man dann die Götterschar mit ihrer Begleitung, die neben dem Tempel genächtigt hat, hinauf zu einem oberen Tempel, der irgendwo am Wüstenrande liegt. Hier läßt sich alles auf der Erde nieder und verrichtet Opfer und Zeremonien. Auch die Götter werden ausgestellt, und der Schreiber des Gottesbuches feiert den Sieg des Horus. Viermal ruft er aus: »Horus ist im Triumph gekommen, und alles, was ihm aufgetragen war, ist vollzogen. Seine Mutter Isis freut sich, weil er dieses sein Amt frohen Herzens ergriffen hat. Die Götter von Edfu, die lebenden Seelen, sitzen auf ihren Thronen und schauen auf den Herrn der Götter, und Freude durchzieht Edfu.« Die Priester aber sagen als Antwort sehr oft: »Freut euch, ihr lebenden Seelen! Horus triumphiert. Alles, was ihm aufgetragen war, ist vollzogen.« So rufend bricht der Zug auf und geht zu der Halle der Schule. Hier bringt man zuerst eine rote %iege und einen roten Ochsen herbei, nimmt die Eingeweide heraus und vollzieht ein großes Brandopfer, indem man den Bauch mit allerlei wohlriechenden Krautern füllt und Most und Wein darauf gießt. Dann liest der Schreiber des Gottesbuches die Verehrung des Horus, dessen Erbe befestigt ist, und vier andere Bücher vor; man opfert dem Re, indem man ihn in allen seinen Namen anruft, und bringt ihm hundert Brote, hundert Weißbrote, fünf Krüge Bier, Kuchen, Datteln, Milch, Gänse und Wein dar. Dazu sprechen die Priester: »Gelobt seist du, Re, gelobt seist du, Chepre, in all diesen deinen schönen Namen! Du kommst stark und mächtig herbei und bist schön aufgegangen und hast den Drachen geschlagen. Neige dein schönes Antlitz dem Könige!« Dann läßt man wieder vier Gänse nach allen vier Winden fliegen, die sollen den Göttern verkünden, daß Konig Horus von Edfu, der große Gott, der Herr des Himmels, die weiße Krone genommen hat und die rote dazugefügt. Ein Mann aber, der bei der Feier als der geliebte Sohn fungiert, schießt mit dem Bogen nach den vier Himmelsgegenden und tötet damit die Feinde des Gottes. Blumensträuße werden dem Gotte gebracht, ein Ochse wird geschlachtet, und sein rechter Schenkel wird unter die Menge geworfen, wo ihn ein Mann, der Horus heißt, empfängt. Dazu schlägt

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die Mannschaft des Horus die Pauke. Weitere Zeremonien werden mit einem Nilpferd aus Wachs vollzogen, auf das die Namen der Feinde aller Gaue geschrieben sind, und mit tönernen Krokodilen, und dann werden Fische auf die Erde geworfen, und alle Priester zertreten sie und schlagen sie mit Messern. Dazu singen sie: ^Schlagt euch Wunden an eurem Leib, tötet euch untereinander; Re triumphiert über seine Feinde, und Horus von Edfu triumphiert über alle Bösen.« Und dann verkünden sie die Deutung dieser letzten Gebräuche: es ist die Vernichtung der Feinde des Gottes und des Königs, die sie so vollzogen haben. Damit ist dann die Feier an der Schule für diesen Tag zu Ende; die Teilnehmer können sich ausruhen, und man trinkt am Abend vor diesem Gotte und verbringt die Nacht schön an dieser Stelle. So geht es dreizehn Tage hindurch, bis endlich die fremden Götter wieder in ihre Heimat zurückkehren und die von Edfu in ihren Tempel und Ruhe wieder über die Stadt kommt. Viel wird die Menge, die das Fest mitmachte, nicht von den einzelnen Vorgängen verstanden haben trotz der gelegentlichen Deutung, und was die Priester in uralter Sprache dabei sangen und beteten, mußte ihr vollends unverständlich bleiben. Aber gerade diese Unverständlichkeit wird den Eindruck des Ganzen nur noch gesteigert haben. Der Kontrast zwischen dem Altheiligen, Ehrwürdigen und der profanen modernen Welt, zwischen den Priestern in ihrem alten Ornat und zwischen den griechischen Polizisten und römischen Beamten konnte das Volk nur in der Ehrfurcht vor dem alten Glauben bestärken. Einen besonderen geheimnisvollen Charakter trug der Kultus des Osiris. Dieser Gott hatte sich in jedem größeren Heiligtume Ägyptens einen Platz erworben, vor allem natürlich in den 16 Städten, die sich rühmten, daß eines seiner Glieder in ihnen bestattet sei: Wir haben schon oben der kleinen Tempel gedacht, die man bei den Neubauten von Edfu, Denderah und Philae auf dem Dach des Tempels für die Osirisfeste errichtete. Über eines dieser Feste, das in dem Monat Choiakh gefeiert wurde, wissen wir genau Bescheid; denn eine lange Inschrift in Denderah belehrt uns, wie man es nach der Sitte der verschiedenen Städte zu feiern pflegt, in Busiris, in Abydos, in Sais und anderswo. Man sieht aus dem Ganzen, daß die Priester es bis in das kleinste hinein genau nahmen: der Grundstock der Feier war in allen Städten

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Einundzwanzigstcs Kapitel.

der gleiche. Man möchte vermuten, daß der Kultus des einen Heiligtumes dem der anderen Tempel zum Vorbild gedient habe. Der Gebrauch, in dem diese Feier gipfelt, ist für uns noch leicht verständlich. Da Osiris ja der Spender der Fruchtbarkeit ist, so gehört die Erde und das Wasser, das sie befruchtet, in sein Bereich. Da formt man nun bei diesen Feiern aus Sand und Gerste eine Gestalt des toten Gottes und bewässert sie. Wenn dann die Gerste keimt und der Leib des Gottes sich mit frischem Grün bedeckt, so zeigt das dem Gläubigen, daß die Wiederbelebung des Gottes sich vollzieht, mag er auch tot und unfruchtbar erscheinen, er lebt doch wieder auf zum Segen für die Menschen. Das ist, wie gesagt, der Kern dieser Feier, des Mysteriums, wie wir sie nach dem Vorgange der Griechen nennen. Aber da es ägyptische Priester sind, die sie abhalten, so ist dieser Kern mit einem Beiwerk umgeben. Neben diesen allverbreiteten Feierlichkeiten des Osiris gab es. natürlich noch andere Kulte des Gottes, die aus besonderen Örtlichen Verhältnissen erwachsen waren, und ein solcher, den wir genauer kennen, sei hier noch zum Schluß geschildert. Oben an der Grenze Nubiens, wo der Nil die letzte Barre harten Gesteines durchbricht, die ihn noch von Ägypten trennt, liegt hart an den Stromschnellen eine Reihe felsiger Inseln. Eine von diesen trägt den herrlichen Tempel von Philae, der in griechischer Zeit durch die ganze Welt berühmt war als das höchste Heiligtum der Isis, und der bis auf unsere Zeit völlig erhalten war, bis man ihn in unseren Tagen dem Untergange geweiht hat. Neben dieser Insel von Philae liegt nun ein anderes Eiland, das heutige Bigeh, das auch zu den heiligen Stätten der ägyptischen Religion gehörte. Einmal war es die Stelle, wo die wilde Göttin Tefnet nach der alten Sage (S. 67) wieder den heimischen Boden betreten hatte und zu der freundlichen Hathor geworden war. Und dann lag auf Bigeh auch ein Grab des Ösiris und zwar eines, das der griechischen Zeit vor anderen als heilig galt, gab es doch damals keinen größeren Eid in Oberägypten, als wenn man bei dem Osiris, der in Philae liegt, schwur J. Es war diese Stelle des Osirisgrabes, die man das Abaton »das Unbetretbare« nannte, da an diesem Orte niemand die Ruhe des Gottes stören sollte. War er ja doch schon gleichsam von der Natur zu seinem Heiligtume bestimmt; denn hier, in den Strudeln des Nils, sollte ja auch

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eine der beiden Quellen liegen, aus denen das Wasser der Überschwemmung fruchtbringend emporquoll, das reine Wasser in Bigeh, wie man es nannte1. Und da Osiris ja über allem waltete, was die Fruchtbarkeit förderte, so konnte er selbst ja auch als die Überschwemmung gelten, er war, wie die Priester von Philae es sagten, der große Ml, der das Korn schafft, mit dem Wasser, das in ihm ist, und der die Bäume und Blumen durch seinen Schweiß hervorsprießen läßt. Wie konnte also Osiris ein besseres Grab haben

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Osiris als Nil in der Höhle von Bigch, seine Seele sitzt auf den Bäumen des heiligen Haines, Isis spendet ihr Milch. (Champ. Mon. 93.)

als auf dem Abaton, an der Stelle, wo er als neue Überschwemmung wieder erscheinen würde? Denn als Nil wird er zu seiner £eit neu geboren, und seine Glieder erneuern sich alljährlich. Und wenn nach der Sage eigentlich nur ein Teil des Osiris, sein linkes Bein, im Abaton beigesetzt war, so war auch das in Ordnung; denn bei diesem einen Beine dachten die Priester, daß es die eine jener beiden Quellen sein werde, und sie stellten dar, wie das Wasser in Strahlen aus ihm hervorkommt. Das ganze Abaton selbst aber stellten sie als einen Berg dar mit einer Höhle, in der Osiris als Nil sitzt, von einer Schlange behütet. Wie das Grab in Wirklichkeit gestaltet war, wissen wir nicht; wir erfahren nur, daß es ebenso wie andere Osirisgräber von einem Baume beschattet wurde — der sollte vielleicht der Baum sein, der nach der späten Sage einst in

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Byblos um den Sarg des Osiris herumgewachsen sein sollte (S. 84), Daneben lag denn — und auch das war ebenso in Busiris und in Abydos — ein Hain, auf dessen Zweigen die Seele des Osiris als menschenköpfiger Vogel sitzen sollte. Es liegt auf der Hand, woher diese Vorstellung stammte: es war ja im neuen Reiche der Wunsch der Vornehmen gewesen, daß ihre Seele einst auf den Bäumen ihres Gartens sitzen möge; da hat man denn auch dem Osiris einen Garten für seine Seele angelegt*). In diesem Haine liegen dann 365 Opfertafeln, auf denen der große Priester, der den Monatsdienst hat, täglich eine Opferspende darbringt mit Wasser und Milch. Aber nicht er allein ist es, der diese Opfer bringt; alle zehn Tage fährt das Bild der Isis von Philae herüber und bringt dem toten Gatten und seiner Seele selbst die Spenden dar, die Milch, daß sie ihn wieder jung mache. Solche Tage, wo Isis im Abaton auf dem großen Sitze thront, bedeuten eine besonders heilige Zeit für das Abaton, und niemand darf dann laut auf ihm reden. Auch an anderen Tagen weilt die Göttin auf dem Abaton, so wenn das Begräbnis des Osiris gefeiert wird; dann geben ihr die ändern Götter das Geleite, und die Bilder des Amon**), des Chnum, des Ptah u.a.m. begleiten sie in ihrem Schiffe. Und ebenso geschieht es an dem Tage, wo Isis die Seele des Osiris nach dem Abaton hinüberführt, auch da fahren die Seelen der anderen Götter mit zu dem Abaton und werden ebenso wie die des Osiris in dem Haine aufgestellt. Diese Sitte, daß man dem toten Gotte auch noch ein Bild seiner Seele beigesellt, ist ja leicht verständlich; er soll ja auf leben, und da muß er seine Seele bei sich haben. Aber man hat diesen Gebrauch noch durch eine besondere Sage begründet. Als Isis die Leiche ihres Gatten gefunden hatte, ging sie nach Heliopolis zu dem Sonnengotte, der sich auch sonst des Osiris angenommen hatte. Und der half auch jetzt. Er sandte alle Götter zu dem Abaton, um dort die Leiche des Gottes (oder vielmehr nur dessen Bein) zu bestatten, nachdem Horus sie in Gestalt eines Krokodiles dorthin getragen hatte. Und die Götter taten noch mehr für das Grab des Gottes und erließen ein Dekret zu seinem Schütze; Re und Schu und Keb, also die Vorfahren des Osiris, unterschrieben *) Die Seele hatte Re nach Philae gebracht, als die Leiche aufgefunden war. Vorher war sie im Himmel im Monde gewesen. ** Also stammt diese Feier wohl aus dem neuen Reich.

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es, und Thoth als Schrei- | ber der Götter zeichnete ' es selbst auf. In diesem Dekrete, das im Tempel von Philae zweimal zu i . ··+. i IÄ__._ j:_. 156. Krokodil, das die Leiche des Osiris ans lesen steht, erklaren die ^ bringt; (philac> Junker Abaton s ^ Götter, daß das Abaton immerdar dem Osiris und der Isis gehören soll; sie setzen die Gebräuche fest, die auf ihm zu vollziehen sind, und sorgen vor allem auch für die Ruhe des heiligen Ortes. Auf ihm darf man nicht die Trommel schlagen oder nur Harfe oder Flöte singen. Kein Mensch darf es jemals betreten. Rund um es her darf niemand Vögel oder Fische fangen. In der heiligen Zeit aber, wo Isis auf dem Abaton weilt, darf niemand dort laut reden. Auch sonst entspricht es ja dem Gefühl des Menschen, daß er Ruhe beobachtet, wo man um einen Toten weint, und so begreift man es, daß man von jeher für die Stätten des Osiris Ruhe gefordert hat. Aber wenn die Priester von Philae diese Selbstverständlichkeit so besonders feierlich durch ein Dekret der Götter einschärften, so sieht das doch aus, als hätten sie dazu noch besondere Gründe gehabt. Und da denkt man daran, daß das Osirisgrab eine Nachbarschaft hatte, in der es schwerlich immer so geräuschlos zuging, wie sich das für dieses gebührte. Denn wie wir sahen, war ja die Insel Bigeh auch die Stätte, wo einst die Göttin Tefnet sich bei ihrer Heimkehr aus Nubien gebadet hatte und wieder zu der heiteren freundlichen Hathor geworden war, die man ja gerade mit Trommeln, Singen, Tanzen feierte, also mit alledem, was sich in der Nähe des Osiris nicht schickte. Für diese Vermutung, daß die beiden Kulte sich hier störten, spricht nun auch ein merkwürdiges Schriftstück 1 aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr., das auf Elephantine gefunden ist. Es ist ein Schreiben, das eine fromme Gemeinschaft an einen bisherigen Genossen richtet, dem sie eine letzte Warnung erteilt und zwar, im Namen ihres Gottes, des Espemeti, des in Elephantine geborenen Knaben, also irgend eines lokalen Heiligen, der seine Verehrer in guter Zucht zu halten wußte. Der Sünder, den er hier verwarnt, ist ein reicher Mann, der sich unter anderem auch hohe Häuser gebaut hat, die er nun wieder abbrechen soll. Aber nicht das ist sein hauptsächliches Vergehen; das besteht in dem, was er

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gegen den Osiris getan hat. Er hat getan, was Isis verabscheut, und hat Wein getrunken in der Nacht, wo die Göttinnen des Trauergewand trugen. Er hat Wein getrunken im Hain und Garten, die dem Könige Osiris geweiht sind. Er hat dort singen lassen und hat damit die Seele des Osiris aus ihrem Schlafe geweckt. In seiner Betrunkenheit ist er sogar mit seinen Gästen — und das waren noch dazu barbarische Blemmyer — zum Abaton herübergefahren. Und als seine Frau ihn ermahnte, doch von diesen Freveln abzulassen, da hat er ihr zugerufen: »die Tefnet, gegen die kann keine Göttin an«; er wollte sich also wohl mit der Tefnetfeier entschuldigen wegen der Kränkung, die er der Isis zur Zeit der Trauer antat. Aber der heilige Espemeti ist nicht so leicht zu täuschen; er hat sein Herz kennen gelernt und verkündigt ihm nun zunächst, daß er ihm fortan nicht mehr mit dem Namen nennen werde, den er bisher von Kindheit an geführt hatte; denn Petosiris, die »Gabe des Osiris«, zu heißen, ist er nicht mehr wert. Es scheint, wie gesagt, eine religiöse Gemeinschaft*) zu sein, in der diese kleine Geschichte spielt und es wird nicht zufällig sein, daß wir eine solche gerade bei dem Osiris antreffen; denn sein Kult war von jeher mit einem besonderen Nimbus umgeben. Nicht jeder durfte an ihm teilnehmen, und die Auserwählten, die es durften, werden damit in ein näheres Verhältnis zu dem Gotte getreten sein. Jedenfalls mußten sie ein unverbrüchliches Stillschweigen bewahren über alles, was sie bei den Osirisfesten erfahren hatten. Wir haben oben (S. 333) gesehen, wie Herodot, der dieses Glück gehabt hatte, es ängstlich vermeidet, näher auf Osiris einzugehen; er wisse es wohl, aber er dürfe es nicht sagen. War nun das, was so vorsichtig von den Priestern gehütet wurde, auch wirklich ein Geheimnis, das solche Sorge verdiente? Wir können nur sagen, daß in dem Vielen, was wir über die Feier der Osirisfeste in den Inschriften erfahren, kaum etwas ist, was nicht jeder Ägypter wissen mußte, falls er sich überhaupt um seine Götter kümmerte; denn was bei diesen Feiern den Teilnehmern gezeigt wurde, war einfach, eben so wie in alter und älterer Zeit (S. 182), Darstellungen aus der Sage des Gottes, sein Tod, das Suchen nach seiner Leiche, ihre Auffindung und ihre Belebung *) Solche Gemeinschaften frommer Laien, die einem Gotte dienen (sogenannte Kultvereine) finden sich in dieser Zeit auch sonst in Ägypten. (Vgl. tto, Priester und Tempel, S. 125 ff.

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und die neue Ordnung der Welt, wo Osiris über die Toten herrscht und Horus über die Lebenden. In den Einzelheiten waren nun in jedem Tempel diese Dinge etwas anders gestaltet, und es versteht sich von selbst, daß die Priester gerade auf diese Einzelheiten Gewicht legten, die nur in ihrem Heiligtume üblich waren. Und da sie es liebten, in allem, was im Tempel vor sich ging, ein »Geheimnis« zu sehen, so wußten sie natürlich auch, daß diese besonderen Gebräuche einen geheimen Grund hatten; irgend etwas war einstmals bei den Göttern geschehen, wodurch sie entstanden waren. Solche Gründe werden sie den Gläubigen anvertraut haben, wenn sie ihnen die einzelnen Riten erklärten, in jenen »Deutungen«, die wir oben beim Horusfeste kennen lernten. Dabei mag ja dann wohl noch dieser oder jener Gedanke hineingeheimnisst worden sein, der etwas über die Göttergeschichten hinausging, aber von den Geheimlehren der späten griechischen Mystik über Gott, Welt und Menschen, die man auf die »ägyptischen Mysterien« zurückführen möchte, ist hier nichts zu sehen. Die geheimen Feiern des Osiris waren auch in der späten Zeit schwerlich etwas Besseres, als sie vordem gewesen waren, und wenn die Gläubigen sie als tiefe Geheimnisse ehrten, so geschah dies nur, weil man sie ihnen als solche vortrug. Es ist das ja eine Selbsttäuschung, die sich immer und überall in der Welt findet. So wie es hier geschildert ist, hätte die ägyptische Religion noch lange weiter leben können, in den gleichen Formen und in •dem gleichen engen Kreise von Vorstellungen; sie hätte sich weiter um Einzelheiten vermehrt und weiter verwirrt, aber wirklich Neues hätte sie nicht mehr hervorgebracht. Aber bei aller Zähigkeit ihrer Priester und aller Anhänglichkeit ihrer Gläubigen, auf die Dauer wirkte es doch auf sie ein, daß Ägypten von Griechen beherrscht wurde, und daß seine einheitliche Bevölkerung sich allmählich in eine gemischte verwandelte. Die erste Beeinflussung, die die ägyptische Religion von griechischer Seite erfahren hat, erscheint uns heute als das Werk eines gewandten Mannes, der den Vermittler zwischen dem Könige und dem Klerus spielte. Am Hofe der ersten beiden Ptolemäer lebte der Priester Manetho aus Sebennytus im Delta, einer der Leute, die ihre Bildung in zwei entgegengesetzten Lagern gewonnen

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haben, eine Gestalt gleich dem modernen Effendi, der in Paris studiert hat. Damit seine Herren die Geschichte ihres neuen Landes kennen lernten, schrieb er ihnen eine griechische Geschichte Ägyptens zusammen, ein trauriges Machwerk, dem er aber durch die billige Polemik gegen Herodot ein Ansehen zu geben wußte. Und als der Herrscher im Traume den finsteren Gott Serapis von Sinope gesehen hatte, der ihn bat, sein Bild nach Ägypten zu holen, da war es Manetho, der den Sinn des Traumes verstand, er und ein anderer in religiösen Dingen erfahrener Mann, der Grieche Timotheus, der aus einem Priestergeschlechte von Eleusis stammte. Beide erkannten, daß der Gott, der nach Ägypten wollte, dort auch zu Hause war, wenn er auch am Nile ganz anders aussah als am schwarzen Meere. Der bärtige kraushaarige 157. Grabstein eines Imhotep. Oben betet er Serapis von Sinope war vor Osirisd. h. Serapis. (Berlin 7304.) kein anderer als Oserhap, der Osiris-Apis, der verstorbene heilige Apisstier, dessen Grabstätte so sehr von allem Volke geehrt wurde. So weit die priesterlichen Gelehrten. Die Nutzanwendung wird der König selbst gezogen haben: dieser Gott, der Griechen und Ägyptern gleich heilig sein mußte, war der rechte Gott für seinen neuen Staat, in dem beide Völker wohnten; von nun an ist Serapis der Hauptgott für das Reich der Ptolemäer. So lautet denn von da ab der offizielle Eid des Reiches: »bei Serapis, Isis und ^en ändern Göttern«1, auch wenn außerhalb Ägyptens ein Serapistempel erbaut wird, ist dies dem Könige wohlgefällig 2.

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Daß die kühne Deutung Manethos bei seinen priesterlichen Kollegen keinen Widerspruch fand, läßt sich denken; der Wunsch des Königs wird genügt haben, um sie zu überzeugen, daß der Serapis nichts anderes sei als der Osiris-Apis, ja, als der Osiris selbst. Von jetzt an gilt Serapis als die griechische Bezeichnung des Osiris. In den ägyptischen Inschriften der Tempel und auf ihren Bildern läßt man es natürlich bei dem altgeheiligten Namen bewenden, aber im Volke ist Serapis fortan der Gott der Toten und der Gatte der Isis, er tritt ganz in die Stelle des Osiris ein. Das größte Heiligtum des neugewonnenen Gottes stand natürlich in der Hauptstadt selbst, in Alexandrien, ein gewaltiges Bauwerk, in dem der Gott in der Gestalt thronte, in der ihn der König im Traum gesehen hatte. So hatte ihn der Bildhauer Bryaxis gebildet, mit wirrem Haar und Bart, den Modius auf dem Scheitel und neben ihm den Cerberus. Auch sonst wird dieses Serapeum Alexandriens griechisch ausgesehen haben, wenn auch allerlei Zugaben dabei an ägyptisches Wesen erinner158. Serapis; mit den Widderten; hielt man doch sogar einen hörnern des Amon als Zeus-Serapis. heiligen Stier darin. In dem halben (Berlin 11479.) Jahrtausend, in dem Alexandrien die große Weltstadt war, ist Serapis der höchste Gott seiner halbgriechischen Bevölkerung. Seine Gläubigen stehen zu ihm in enger Gemeinschaft; sie laden ihn als Tischgast ein1, wenn sie ein Opfer bringen, und eine Gesandschaft, die unter Trajan nach Rom geschickt wird, nimmt auch ihr wundertätiges Serapisbild mit sich 2. Aber neben diesem Serapeum der Griechen stand nun noch ein anderes, das vielleicht weniger glänzend sein mochte als dieses, das ihm aber an Alter und Heiligkeit voranstand. Das war die Stätte in der Wüste von Memphis, wo die heiligen Stiere bestattet wurden. Von ihr war die Verehrung des Osiris Apis ausgegangen, und so blieb sie ein Wallfahrtsort für seine Verehrer. E r m a n , Religion der Ägypter.

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Wir haben oben gesehen, wie die Fürsorge für die verstorbenen Apisstiere in der saitisch-persischen Zeit aufgeblüht war (S. 323); aber jetzt unter den griechischen Königen wird sie vollends ins Maßlose gesteigert. Wir haben noch die ausführlichen Vorschriften für die Bestattung der Apisstiere l und wissen genau, was die fünf damit betrauten Priester während der langen Dauer der Mumifizierung zu tun hatten. Wir wissen, wie die einzelnen Glieder umwickelt oder ausgestopft werden müssen: der Kopf, das Maul, die Augen, die Nase, und wie man die Hörner überziehen soll. Die Beine werden ausgestreckt, die Bauchhöhle wird ausgewaschen und ausgestopft, und mittels eines Gerüstes wird der Apis aufgestellt. Eine letzte Umwicklung bringt dann auch den Kopf in die richtige Lage. Und dann folgt der eigentliche Totendienst; die Leiche wird aufgebahrt und eingesargt, die Trauerklage wird angestimmt, und unter Verlesung heiliger Texte wird die Leiche in einer Barke über einen See gefahren. Zuletzt wird an diesem toten Ochsen ebenso wie bei den menschlichen Toten die Zeremonie der Mundöffnung vorgenommen. Das Ganze währte 70 Tage und diese Monate waren für ganz Ägypten eine Zeit der Trauer und des Fastens. Wir haben noch im Berliner Museum den Grabstein 2 eines ägyptisch-phönizischen Polizeibeamten, auf dem er sich rühmt, daß es ihm obgelegen habe, in dieser kritischen Zeit die Nekropole zu überwachen. Selbst aus dieser Schilderung würde man nicht ahnen, wie hoch sich die Kosten eines solchen Begräbnisses beliefen*: hundert Talente waren dazu nötig und die Könige bestritten diese selbst oder schössen sie doch dem Tempel vor. Die Kaiser bestritten dann freilich diese Kosten nicht mehr selbst, sondern legten sie den Tempeln auf3, und die halfen sich dann durch Kollekten. Insbesondere war es die Menge der feinsten Leinwand, die so beschafft werden mußte, und wir haben noch die Quittung über eine solche freiwillige Spende, der der kleine Soknopaiostempel (8.399) zu leisten hatte*. Und noch mehr: die römische Regierung bestraft sogar einen Priester, der sich dieser Spende entzogen hat 6. Und doch war es mit allen diesen Ausgaben für die Bestattung des Apis noch nicht genug; denn Regierung und Tempel mußten auch in ähnlicher Weise für den heiligen Stier Mnevis sorgen, der in Heliopolis gehalten wurde. Und ebenfalls hundert Talente brauchte

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man unter Ptolemäus Philadelphus für die Bestattung der heiligen Kuh der Isis im Aphroditopolitischen Gau 1. Denn auch die heiligen Kühe werden nicht geringer geachtet als jene berühmten Stiere. Und wenn die Kuh der Isis gestorben ist, so meldet der Wärter ihres Stalles trauervoll dem Hohenpriester, dass die Seele der Isis zum Himmel geflogen ist 2. Auch von ihnen gilt eben dasselbe, was auch vom Apis gilt 3 und vom Stiere Buchos von Hermonthis und von dem heiligen Krokodil4, daß sie ihre volle Göttlichkeit erst im Tode erlangen; erst da werden sie der Osiris Apis, der Osiris Buchos, der Osiris Suchos. Über der gemeinsamen Gruft, in der die Stiere in ihren Steinsärgen schlummerten, hatte man längst einen Tempel errichtet, in dem man sie ganz so w»e menschliche Verstorbene mit Speisen bedachte. Es fehlte dort auch nicht an ändern Gebäuden. Da war ein Heiligtum des Anubis, der ja als Beschützer der Toten an diese Stelle gehörte, und sogar die Astarte (S. 150) hatte hier einen Tempel; vermutlich hatten die Phönizier, die ja ein eigenes Quartier in Memphis besaßen, auch im Serapeum ihre Lieblingsgöttin nicht missen wollen. Vom Tempel des Anubis führte dann zwischen zwei Reihen von Sphinxen ein heiliger Weg westwärts in die Wüste hinein, und auf ihm wird sich der prächtige Leichenzug bewegt haben, wenn man den toten Stier zum Tempel und zur Gruft führte. In dem Bezirke um den Tempel her hatte sich dann allerlei angesiedelt und angebaut, Heiliges und Weltliches, wie das an einem vielbesuchten Wallfahrtsort zu geschehen pflegt. Da waren Herbergen für die Pilger der verschiedenen Gegenden, da wohnten allerlei Handwerker, Bäcker und Kleiderhändler, auch Ärzte und Traumdeuter, und der heilige Weg zum Serapeum glich einem Markte B. Im Ganzen wird dieses Serapeum von Memphis ägyptischen Charakter bewahrt haben, auch nachdem sein Osiris Apis zum großen Serapis geworden war. Als dann freilich dessen Ruhm sich weithin über die hellenistische Welt verbreitete, da drang auch hier griechisches Wesen ein. Auf dem heiligen Wege mit seinen Sphinxen gesellte man diesen ägyptischen Fabelwesen auch griechische bei, wie die Sirene und an einer anderen Stelle .standen sogar Statuen des Plato, des Protagoras und des Pindar ·. 25*

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Gott weiß, was diese in der gemischten Gesellschaft der Apisgräber zu suchen hatten. Einen Einblick in das Leben dieses merkwürdigen Bezirkes gewähren uns nun private Schriftstücke aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. Da treten uns zunächst zwei arme Mädchen entgegen, die einmal in bitterer Not in das Serapeum geflüchtet waren, wo ein alter Freund ihres verstorbenen Vaters hauste. Die hatten die Priester als »Zwillinge« angestellt, d. h. sie hatten unten in der Gruft des Apis die Rolle von Isis und Nephthys zu spielen, die um den toten Osiris klagten. Das taten sie denn auch und weiter vollzogen sie »die Gebräuche im Tempel«1. Dafür bezogen sie anfangs ein kleines Einkommen, leider aber ließen die Priester dies ihnen nicht immer zukommen 2 und nun hungern sie und schreiben klägliche Eingaben und bitten den König um Beistand, damit sie nicht gezwungen seien, das Heiligtum aus Not zu verlassen 3. Auch der Mann, der die Mädchen einst im Tempel aufgenommen hatte und der sich väterlich ihrer annahm, konnte nichts ernstlich für sie tun, war er doch kein Priester, sondern nur einer der Katochoi, der »Festgehaltenen«, die im Serapeum hausten *. Die leben Jahr auf Jahr im Tempel und dürfen seinen Bezirk des Serapis wegen nicht verlassen 8, ehe der Gott, der sie »festgehalten« hat, es ihnen nicht erlaubt. Wie dieses Festhalten erfolgt war und womit sie dem Gotte im Tempel dienten, wissen wir nicht. Der Gott sendet ihnen Träume und sie wissen sie zu deuten; sie stehen eben in Verkehr mit ihm, wie sie denn auch von den Behörden und dem Könige selbst mit gottesfürchtiger Gesinnung behandelt werden 6. Das hindert denn freilich nicht, daß diese Katochoi daneben Bettler sind 7, die die Besucher des Tempels brandschatzen, der eine hat sogar ein kleines Mädchen bei sich, das ihm bei diesem Geschäfte beisteht. Ihre Wohnung haben sie im Heiligtum der Astarte und sie haben auch ein kleines Einkommen vom Tempel 8, aber wer die Eingaben liest, mit denen der alte Katochos Ptolemäus, Sohn des Glaukias, den König und die Beamten heimsucht, der sieht, daß die Leute dieser Zunft kein glänzendes Los hatten. Alle mißhandelten ihn 9, die Tempeldiener, der Arzt, der Kleiderhändler; alle wollten sie in seine Wohnung eindringen und ihn pfänden; die Polizei, die einen Posten beim Anubistempel hatte, raubte ihn aus und, behauptet er, das alles würde von den Priestern geduldet, weil er ein Grieche sei

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und kein Ägypter. Uns liegt freilich der Verdacht näher, daß die Geistlichen des Tempels wenig Freude hatten an dem frommen Gesindel, das sich unter dem Schütze des Gottes bei ihnen eingenistet hatte. Das Aufkommen des Serapis bezeichnet den Beginn eines neuen Glaubens, den man den griechisch-ägyptischen nennen darf. Es war eine Mischreligion, wie sie nur da sich bilden kann, wo Leute zweier Nationen so eng zusammen leben, daß viele kaum noch wissen, ob sie zu dieser gehören oder zu jener. Sie heiraten untereinander, sie sprechen in beiden Sprachen und wenn sie in Not sind, so wenden sie sich an diejenige Gottheit, die in ihrer Gegend als die beste Helferin gilt, mag sie nun auch ursprünglich dem anderen Volke angehören. In Ägypten hat sich diese Verschmelzung verhältnismäßig schnell vollzogen und auch das barocke Äußere der ägyptischen Gottheiten hat sie nicht gehindert. Vielmehr wird gerade dieses auch gebildete Griechen angezogen haben, denn diese suchten im Mystizismus einen Ersatz für den eigenen Glauben, der ihnen nichts mehr bedeutete. Seit der römischen Zeit gibt es vollends nur eine Religion. Wohl bemerkt, aber nur in so weit als es sich um den Glauben der Menge handelt; in den Tempeln besteht auch jetzt noch der alte ägyptische Götterglaube unverändert weiter und die neue Zeit hat auf diesen kaum einen Einfluß. Die Religion hatte also zwei Formen, eine moderne für das gewöhnliche Leben und eine alte für den Gottesdienst in den Tempeln. Und an Unterschieden und Widersprüchen zwischen beiden fehlte es nicht, aber schwerlich werden diese die Gläubigen gestört haben: es war ja doch eben alles im Tempel so altertümlich und so anders als in der Welt da draußen, warum sollte der Serapis da nicht auch Osiris heißen? Und warum sollte er im Tempel nicht auch eine so ganz andere Gestalt haben? Im Tempel war er eine Mumiengestalt mit hoher Krone und geflochtenem Bart, draußen aber war er schön griechisch gebildet als ein kräftiger Mann mit krausem Haar und wirrem Bart, mit dem Modius auf dem Kopfe. Und so wird ihn sich das Volk auch gedacht haben, wenn es zu ihm betete. Mit der Zeit büßten die alten Götter, die das Volk noch verehrte, immer mehr ihre Eigenheit ein. Schon in der vorgriechischen Zeit waren ja manche der ägyptischen Götter verschwom-

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men genug gewesen, jetzt wurden sie es noch mehr. Die verschiedenen Gottheiten fließen jetzt zusammen, miteinander und mit solchen der griechischen Religion. War die Isis mit ihrer Gattentreue und ihrer Mutterliebe sonst eine klare Gestalt geblieben, trotzdem man schon gewohnt war, Hathor und andere Göttinnen mit ihr zu vermischen, so wird sie jetzt ein ganz unklares Wesen,· man kann fast sagen: die Göttin im allgemeinen, heißt sie doch einmal geradezu »das schöne Wesen aller Götter«1. In einem Hymnus aus römischer Zeit gilt sie eigentlich als die Göttin jeder Stadt (S. 336) und selbst Neith und Bastet und Buto müssen sich jetzt damit begnügen, eine Isis zu sein. Daneben bekommt Isis dann eine neue Rolle; als Hafengöttin von Alexandrien wird sie die Patronin der Schiffahrt. Als solche stellt man sie mit dem Steuer160. Isis Hathor ruder und dem 159. Isis mit Steuer und Füllhorn. Aphrodite. Füllhorn dar; ihr (Berlin 13791.) Kleid ist etwa einem Frauenkleide des neuen Reiches nachgebildet, mit reichen Falten und einem Knoten auf der Brust; wo sie aber die Rolle der Hathor-Aphrodite spielt, muß sie dieser griechischen Genossin zu Liebe unbekleidet auftreten, so wenig auch ihr ägyptischer Kopfschmuck zu diesem Kostüme passen will. Auch in ihren vielen anderen Rollen als Isis-Tyche, IsisAthene, Isis-Artemis, Isis-Hekate, Isis-Astarte 2 wird sie besondere Gestalten gehabt haben, wenn wir sie auch nicht herausfinden können. Allerlei Isisfiguren begegnen uns auch unter den tönernen Götterbildchen, die wir in den Häusern der römischen Zeit finden. es waren das die Heiligenbilder der kleinen Leute und oft genug sind sie mit einer Lampe versehen, die man am Feste des Gottes

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diesem zu Ehren anzünden soll. Wir sehen aus diesen Bildchen, daß man bei Isis gern auch die menschliche Seite betonte, denn man liebt es, sie mit ihrem Säugling darzustellen, dem sie die

161. Isis.

(Berlin 8704, 9956, 11487.)

Brust reicht, zuweilen in einer Haltung, die auffallend an unsere Madonnen erinnert. Von alters her hatte man in dem Sothisstern, dessen Erscheinen am Morgenhimmel die Überschwemmung verkündete, die Isis gesehen*) da die Griechen diesen Stern den Hundsstern nannten, so reitet die Göttin jetzt als Isis-Sothis auf einem Hunde, an dessen Kopf der Stern prangt. Auch als Schlange — die alte Verteidigerin des Re (S. 66) — stellt man die Isis dar, und ihr zum Gefallen nimmt dann auch Osiris Schlangengestalt an. Was sie dabei als Isis kennzeichnet, ist das Sistrum, das alte Musikinstrument der Frauen (S. 179) und der Krug, aus dem man ihr im Tempel Wasser spendet; den Osiris aber soll der Mohnkopf wohl nach griechischer Symbolik als den Totengott bezeichnen, der die Menschen schlummern läßt. Sonst erscheint Osiris als eine bekrönte Mumie, die freilich mit der Zeit immer mehr das Aussehen eines Gefäßes erhält. mie. (Berlin 9368.) *) In griechischer Zeit warf man übrigens die Isis-Sothis zuweilen auch mit der Satis v. Elephantine zusammen. Reeder, A.Z. 45, 22.

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Lieber aber noch stellt man ihn als Serapis dar, thronend als Herrscher der Unterwelt, mit dem Cerberus neben sich. Kein Gott muß dem niederen Volke mehr am Herzen gelegen haben als Horus das Kindy Harpe-chrot oder wie man griechisch sagt: Harpokrates. Man stellt ihn als dickes 163. Isis und Osiris in einer Kapelle. (Berlin 8164.) lutschendes Kind dar, oder auch kindisch spielend, und man sieht daraus, was die Leute an diesem Bambino so besonders freute. Aber daneben zeigt er sich doch auch als göttliches Wesen. Er thront als Nachfolger des Sonnengottes im Schiffe (S. 17) oder in der Blume (S. 62) und reitet auf dem Widder, den sonst Amon gehabt hatte. Auch die Gans, die man seit dem neuen Reiche als ein dem Amon heiliges Tier in Theben verehrte (S. 153), ist jetzt auf Harpokrates übergegangen, er reitet auf ihr oder füttert sie freundlich mit einer Rübe. Wenn der kleine Gott ithyphallisch dargestellt wird, so mag er darin dem Min nachfolgen; warum er sich aber auch als alten, Mann maskiert und einen Korb am Arme trägt, können wir nicht erraten. Zuweilen trägt Harpokrates nach griechischer Sitte das Füllhorn, aus dem er seine Gaben verteilt; in der Regel aber ist dieses poetische Gerät durch einen Topf ersetzt, der vielleicht die Nahrung enthält, die der Gott den Menschen spendet. Mit diesen drei Hauptgottheiten wetteifert !64. Harpokrates an Beliebtheit ein Gott, der früher die unbe- «* dcr. Kronc i t Tk 11 . 1 1 » / \ beider Ägypten. deutendste Rolle gespielt hatte, der Bes (S. 147). (Berlin 2410.)

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165. Harpokrates.

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(Berlin 9109, 8794, 9106, 9181.)

Seine Gestalt ist noch ebenso komisch wie zuvor, aber er tritt jetzt gern als Krieger auf mit Schwert und Schild (vgl. Abb. 170). Auch andere Götter alter Herkunft erscheinen als Soldaten, so der Anubis und der alte Schakalgott Up-Uat, den eine Figur in der Berliner Sammlung als einen bärtigen Soldaten zu Pferde darstellt. Den falkenköpfigen Horus sehen wir als Krieger zu Fuß oder zu Roß; mit der Lanze stößt er nach seinem Feinde, der zuweilen als Krokodil unter ihm liegt, — ganz ähnlich dem heiligen Georg der christlichen Kunst. Auch der Apis und die heiligen Kühe, Affen, Katzen, Krokodile und Falken sind noch nicht vergessen. Zu diesen alten Gottheiten gesellen sich dann noch Zeus und Helios, Artemis und Aphrodite, Dionysos, Herakles, und Priap, freilich sind auch diese oft ägyptisiert, und selbst Helios muß ein Krokodil auf der Hand tragen. Aber wer sind all die anderen Gestalten, die uns daneben begegnen? wer ist die „„ ,„ . , geflügelte Sphinx, die die Tatze auf 166. Kleiner Tempel, darin 6. & * Harpokrates.

(Berlin 12460.) ein Rad legt*)? wer ist das nackte Weib

*) Sie begegnet uns auch auf einem großen Relief des Berliner Museums, wo ihr Leib aus Teilen aller möglichen Götter zusammengesetzt ist. (Berliner Museum Nr. 20840.)

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mit dem großen Kranz? wer ist die ähnliche Schöne mit den verkrüppelten Armen? und wer ist die dritte im Bunde, das fette Scheusal, das mit gespreizten Beinen auf dem Boden hockt? Wir können nur sagen, daß diese Religion der grichischrömischen Zeit sich immer weiter von der alten entfernt, sie vereinfacht sich, indem sie die ver^^jj^^^^pSF^. schiedenen alten Gottheiten zu'*^JW' *%$&^ sammenwirft, dafür bringt sie . f fc^VX A-fluäfeÄ immer neue hi^^ u^ Wesen> die vielleicht niemand außer ihrer Gegend kennt, die aber in dieser doch eine Rolle spielen. Wir wissen in der Regel nichts von ihnen als eben ihren Namen und wir fragen uns vergebens, wer die Thripis ist oder der Gott Phemnoer im Fayum x , und wer ist der Kolanthes in Achmim? Und wer ist der große Gott Antaios, nach dem sogar eine Stadt in Oberägypten heißt? er wird als ein bärtiger Mann dargestellt, gestiefelt, gepanzert und mit Schwert und Lanze bewehrt; eine Gazelle hält er in der Hand, die gewiß so wie in alter Zeit (S. 176) die bösen Wesen bezeichnen wird, die er bekämpft und neben ihm steht Nephthys als seine Ge167. Horus als Krieger. (Berlin 17549.) nossin 2. Ausnahmsweise können wir sagen, woher der neue Gott Pramarres herkam, den man im zweiten Jahrhundert im Fayum verehrte 3. Dort lag als eine der großen Sehenswürdigkeiten Ägyptens, das sogenannte Labyrinth, d. h. der Grabtempel des alten Königs Amenemhet III., des Lamarres, wie man ihn in griechischer Zeit nannte*). Diesen König verehrt man nun als den Gott »Pramarres«, er ist wie der Krokodilgott gestaltet.

f

*) Die ältere Form dieses Namens lautete etwa Lamuria und sie hat wohl die Griechen dazu gebracht, diesen Tempel Labyrinth zu nennen.

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Diese Verehrung des alten Königs hat dann noch weiter gefuhrt; wenn man diesen als einen Gott feierte, so mußte man das nicht minder mit demjenigen tun, der diesen Riesenbau ausgeführt hatte und irgend eine späte Sage erzählte, daß das ein Baumeister Petesuchos gewesen sei*). So wird denn auch dieser Petesuchos ein Gott und er wird so beliebt, daß man ihn sogar mit dem großen alten Krokodilgotte dieser Gegend, dem Suchos-Sobk zusammenwirft und auch diesen Petesuchos nennt J .

168. Horus als Kämpfer. (Berlin 9685.)

169. Anubis als Krieger. Bronze. (Berlin 14418.)

170. Bes als schützender Krieger. (Berlin 8442.)

Auch jene alten Weisen, die man, wie wir (8.326) gesehen haben, als Heilige verehrt hatte, werden jetzt geradezu zu Göttern**), die sich an einzelnen Orten auch eines offiziellen Kultus erfreuen. So vor allem der alte Baumeister Imhotep, oder wie man ihn griechisch nennt, Imuthes; der gilt als Sohn des Ptah und ist jetzt ein Heilgott, der Hen des Lebens, das er dem gibt, den er liebt, der Herr der Gesundheit***} und die Griechen setzen ihn geradezu dem Asklepios gleich. Wir kommen unten noch auf ihn und auf das Buch das er verfaßt haben sollte, zu sprechen (S. 402). Zu dem allen kommen dann noch allerlei fremde Götter, denn die religiöse Propaganda hat ebenso wie im übrigen römischen Reich auch in Ägypten ihr Wesen getrieben, und auch *) Die Sage muß sehr jung gewesen sein, das zeigt die Form des Namens Petesuchos. **) So auch Amenophis, Sohn des Hapu, der in einer demotischen Weihinschrift angerufen ward (Spiegelberg, A.Z. 50, 47.) ***) So in Philae, wo er auch einen eigenen Tempel hat.

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Einundzwanzigrtes Kapitel.

hier hat es Anhänger des Adonis, solche der »großen Mutter« und solche des Mithras J gegeben. Man sieht, der Wirrwarr dieser späten Religion war groß, es gab wirklich Götter genug, und es hat etwas Komisches, daß nun auch der römische Staat noch das Land mit seinem Jupiter Capitolinus und seiner Roma beglückte. Viel Anhänger wird diese amtliche Religion ja wohl nicht gewonnen haben; sie vermehrte nur die Zahl der Festtage und die Kosten, die die Gemeinden dafür zu tragen hatten. Mußten sie doch zu allem ändern nun auch den Geburtstag der Roma feiern und den des Kaisers. Wie wir für die vorgriechische Zeit die Schilderung Herodots haben, die uns Dinge lehrt, von denen keine Inschrift und kein Papyrus etwas weiß, so haben wir nun für die griechisch-römische Zeit den Bericht des Strabo, der etwa zur Zeit des Augustus Ägypten bereist hat. Schon war es damals für die römische Welt das geworden, was es heute wieder für uns geworden ist, das Land der großen Sehenswürdigkeiten, in dem man die Pyramiden, die Memnonskolosse und die thebanischen Königsgräber zu besehen hatte und in dem der Tourist seinen Namen an die Denkmäler des Altertumes schrieb. Was Strabo an diesen Sehenswürdigkeiten zu bewundern fand, interessiert uns hier nicht, aber an anderem in seinem Bericht dürfen wir nicht vorbeigehen. Da ist zunächst das, was er über die Verehrung der Tiere erzählt, sie spielen bei ihm eine noch größere Rolle als bei Herodot, und er glaubt, sogar zu wissen, daß es in ägyptischen Tempeln überhaupt keine Götterbilder gebe, sondern nur Bilder heiliger Tiere2. Mag dabei nun auch mitspielen, daß der Fremde eben auf diese seltsamste Seite des ägyptischen Glaubens am meisten achtete — daß die Verehrung der Tiere sich wirklich seit Herodot noch weiter gesteigert hatte, wird man nicht bezweifeln können. Es ist dies ja auch die Zeit, in der man einer erschlagenen Giftschlange eine gefühlvolle Grabschrift in griechischen Versen setzt: laut jammernd beklage mich die geheiligte, langlebende Schlange, die durch schändliche Hände zu den Unteren voranging 3. Es ist die Zeit, in der der Pöbel einen Römer umbrachte, der aus Versehen eine Katze getötet hatte 4 und in der die Leute zweier Nachbargaue sich totschlugen, weil die einen einen Fisch verehrten und die anderen einen Hund 5. In diese Verehrung der Tiere mischte sich aber

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schon manches hinein, was nicht mehr naiv war. Wenn die Leute von Denderah die Krokodile bekämpfen, so ist das gut, solange es aus religiösem Herkommen geschieht. Aber sie wissen schon, daß man damit auch Geld verdienen kann und treten in Rom als Krokodilbändiger auf1. Und die heiligen Tiere der Tempel werden offenbar schon als Sehenswürdigkeiten verwertet. So wohnen der Apis und seine Mutter in kleinen Heiligtümern, die an einem Hofe liegen. Man darf sich den Apis durch die Tür ansehen; für die Fremden läßt man ihn aber auch eine Weile im Hofe herumspringen, gewiß gegen genügendes Entgelt2. Dann darf man ihm auch Futter anbieten, und es ist ein böses Vorzeichen für dich, wenn der heilige Ochse es von dir nicht annimmt3. An manchen Tagen wird der Apis übrigens auch herausgeführt und dem Volke gezeigt; Polizisten machen ihm Platz und um ihn her laufen Scharen von Knaben, die sein Lob singen, bis sie zu rasen anfangen und weissagen4 — ein merkwürdiger Zug, denn alles Ekstatische ist ja sonst dem nüchternen Ägypter fremd. Wie er das heilige Krokodil Suchos in Arsinoe besichtigt hat, mag Strabo selbst erzählen: Man füttert es mit Brot, Fleisch und Wein, wie die Fremden es immer bringen, wenn sie es sich ansehen kommen. Unser Gastfreund, der zu den Honoratioren gehorte und uns dort umherfährte, ging mit uns an.den See und hatte vom Mittagessen einen kleinen Kuchen und Braten und einen kleinen Krug mit einem Honigtrank mitgebracht. Wir trafen das Tier, wie es auf dem Ufer lag. Die Priester gingen an es heran, die einen machten ihm den Rachen auf und einer schob ihm das Gebäck hinein und das Fleisch und goß ihm danach den Honigtrank ein. Dann sprang es in den See und schwamm zum anderen Ufer. Als ein anderer Fremder kam, der auch eine Gabe brachte, liefen die Priester mit dieser schnell um den See herum und gaben sie ihm ebenso. Auch dieses Füttern des Krokodils gehörte zu dem, was man auf einer Ägyptenreise gesehen haben mußte; auf einem Mosaik des Kapitolinischen Museums ist es als Staffage einer ägyptischen Landschaft dargestellt und wenn, die Kosten eines amtlichen Besuches veranschlagt werden, so wird auch der Bissen*) für das heilige Krokodil in Rechnung gestellt. Eine weitere Merkwürdigkeit, die ein gebildeter Mann in Ägyp*) Schubart, Ägyten S. 222; es handelt sich um den Besuch eines römischen Gesandten im zweiten Jahrhundert v. Chr.

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ten zu sehen hoffte, waren die weisen Priester, von denen die Griechen so vieles gelernt haben sollten. In Heliopolis hat man Strabo noch ihre Häuser gezeigt, aber die Philosophen und Astronomen selbst existierten nicht mehr; was er noch antraf, waren nur Opferer und Erklärer für Fremde x. Die thebanischen Priester galten dagegen noch als Gelehrte, die jene Fächer beherrschten 2. Auch Priesterinnen kennt er in Theben, und was er von diesen erzählt3, ist zu auffällig, als daß wir es übergehen könnten. Die schönste und vornehmste Jungfrau soll dort angeblich dem Amon geweiht werden und darf sich dann einen Monat lang hingeben, wem sie will. Dann trauert man um sie und verehelicht sie. Unwillkürlich denkt man bei dieser Erzählung an die Gottesweiber*), die obersten Kebsweiber und die Sängerinnen, die einst im neuen Reiche das Frauenhaus des Amon bildeten, und man fragt sich, ob etwa diese seltsame Fiktion einen derartigen Hintergrund gehabt haben mag. Aber wer weiß, ob Strabo die alten Einrichtungen nicht eben nur mißverstanden hat, weiß doch sonst keine unserer Quellen etwas von dieser angeblichen Institution. Und wir kennen doch gerade die Verhältnisse dieser spätesten Priesterschaft so gut wie kaum die einer anderen. Periode. Denn zu all den Inschriften, die diese Priester selbst hinterlassen haben, treten hier noch die griechischen Papyrus, die auch diese Seite des ägyptischen Lebens illustrierten. Aus den ägyptischen Grabsteinen, Särgen und Weihinschriften dieser Priester erfahren wir, welchen Göttern des eigenen Tempels sie dienen und welchen in der Umgegend, wir lesen, daß sie Priester sind bei diesem Könige und bei jener Königin, daß sie das Götterkind ihres Tempels warten und sein heiliges Tier pflegen. Und mit all ihren Priestertümern verbinden sie noch die höchsten Titel des alten Pharaonenreiches und rechnen uns stolz vor, daß Vater und Großvater und alle die Ahnen väterlicher- und mütterlicherseits ebenfalls vornehme Priester gewesen sind**). Dazu kam, daß diese vornehme und geachtete Stellung wohl oft genug mit einem guten Einkommen verknüpft war, denn *) Noch unter Ptolemäus Philadelphia sind Damen des kgl. Hauses Gottesweiber des Amon. Brugsch Thesaurus 907. * *) So ist das Amt des Hohenpriesters von Memphis fast 300 Jahre lang in derselben Familie geblieben, vom ersten Ptolemäus an bis zur letzten Kleopatra. (Otto, Priester u. Tempel I 204 ff.)

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ein großer Tempel dieser Epoche war in der Lage, seine Angehörigen reichlich zu versorgen. Wie reich ein solcher Tempel griechischerZeit sein konnte, zeigt uns z. B. eine Inschrift von Edfu, die in größter Ausführlichkeit alle die Äcker aufzählt, die dieser Tempel im ersten Jahrhundert v. Chr. besaß. Vieles darin bleibt uns unklar, aber das sieht man, daß es zum mindesten 33 Quadratkilometer Äcker waren, die der Horus von Edfu sein eigen nannte; sie lagen in großen und kleinen Parzellen durch Oberägypten zerstreut. Und man muß bedenken, daß das, was hier aufgezählt wird, eben doch nur der Grundbesitz ist, wie hoch sich das übrige Vermögen an baarem Geld, an Renten und Zinsen*) belaufen hat, ahnen wir nicht. Auch das ist nicht zu übersehen, daß die Tempel nicht nur für ihren eigenen Bedarf, sondern auch des Gewinnes wegen allerlei von ihren Handwerkern herstellen ließen. So vor allem feines Leinen und öle. Auch Bäder, Bäckereien und Brauereien wurden von ihnen betrieben l. Jedenfalls war es kein schlechtes Los, in griechischer Zeit zu der Geistlichkeit eines großen Tempels zu gehören. Aber wer in die Papyrus hineinsieht, der lernt auch andere Heiligtümer kennen, in denen es sehr viel knapper zuging**). Da liegt am Westrande des Faijum, am Moerissee das Heiligtum des Sobk von der Insel, des Soknopaios, wie die Griechen sagen. Dieser Tempel besitzt einen höheren Priester, der ein kleines Gehalt von 344 Drachmen bezieht und alle seine anderen Priester beziehen zusammen täglich etwa 30 Liter Weizen als Entgelt für ihre Mühe. Nicht einmal von den Fronarbeiten an den Dämmen sind sie befreit und es ist nur eine Gefälligkeit ihrer Mitbürger, wenn sie ihnen diese abnehmen. Im übrigen geht das, was im Tempel einkommt, für den Kultus drauf. Bei jedem Feste muß ja feines Leinen beschafft werden, um die drei Götterbilder zu bekleiden, das kostet jedesmal schon 100 Drachmen; 20 Drachmen kostet es jedesmal die Götterstatuen mit Salbe und Myrrhenöl zu salben, 50 Drachmen gehen auf das Räucherwerk zu den *) Der Tempel des Jupiter Capitolinus, der ganz zu den ägyptischen Tempeln gehörte, hat z. B. einmal an 21 verschiedene Personen größere und kleinere Summen ausgeliehen. Vgl. Otto, Priester u. Tempel I 322. **) Der griechische Staat unterschied drei Klassen von Tempeln.

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Festen, und die Geburtstage der Kaiser erfordern dann noch 40 Drachmen für Opfer und Räucherungen*). Und trotz der kümmerlichen Verhältnisse dieses Tempels halten diese bäuerlichen und kleinbürgerlichen Priester darauf, daß ihrem Stande kein Abbruch an seiner alten Heiligkeit geschieht. Ihre Kinder lassen sie schon in zartem Alter als Nachwuchs bei ihrer Priesterklasse einschreiben, und auch ihre Töchter bleiben nach der Verheiratung bei der Klasse ihres Vaters. Wer unter diesen Priestern sich gegen das Standesherkommen vergeht und wollene Kleider trägt oder sich das Haar wachsen läßt, gegen den ruft man die Obrigkeit zu Hilfe, denn leinenes Kleid und kahles Haupt (S. 200) sind ja längst das besondere Kennzeichen der Priester geworden**). Auch der Gebrauch der Beschneidung, der einst allen Ägyptern gemein war, ohne daß man freilich irgendwie Gewicht auf ihn legte, ist jetzt eine Sitte der Priester geworden; nur mit Erlaubnis des Hohenpriesters darf sie noch an den Kindern ihrer Familien vollzogen werden und nur, wenn die Ältesten der Priesterschaft festgestellt haben, daß der Knabe kein Mal hat, das ihn zum Priester ungeeignet machen würde. Dieser Hohepriester ist übrigens der höchste Kultusbeamte für einen größeren Bezirk; er ist dabei der Vertreter des hohen römischen Beamten, der als Hoherpnester von Alexandrien und ganz Ägypten die staatliche Aufsicht über die Tempel des Niltals ausübt. Nach dem allen, was hier aufgeführt ist, wird man den Eindruck haben, daß in dieser Epoche mehr für den Dienst der Götter geschehen ist als je zuvor. Hat man doch, um eines anzuführen, in einem kleinen Orte des Faijum, der nur wenig tausend Einwohner zählt, im Jahre 115 v. Chr. nicht weniger als zwei große und 15 kleine Tempel1; die mußten doch alle von Priestern gepflegt werden, und da ein einziger Tempel, der von Tebtynis 2, nicht weniger als 50 vom Staate anerkannte Priester hatte, so mag es wirklich nicht zu hoch gerechnet sein, wenn man die Anzahl der Priester und Laienpriester in ganz Ägypten auf minde*) Wie beschränkt die Verhältnisse mancher kleiner Tempel waren, sieht man auch daraus, daß in Tebtynis der große Neujahrsumzug einmal ausfallen muß, weil die Gewänder des Ibis und des Falken beim Waschen gestohlen sind. (Schubart, Äg. S. 285.) **) Die Strafe für solche Vergehen beträgt nicht weniger als 1000 Drachmen. Schubart, Ä..Z. 56, 89.

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stens 000 Köpfe geschätzt hat. Hätte diese Menge unter einer einheitlichen Leitung gestanden, so wäre sie eine gewaltige Macht gewesen, aber sie war es nicht, und nur gelegentlich vereinigte sich der Klerus und der beschäftigte sich im wesentlichen nur damit, für das Königshaus neue Ehren ausfindig zu machen*). Auch wenn man von dem natürlichen Unterschiede absieht, der zwischen den Priestern großer und kleiner Tempel bestand, so stufte sich doch auch die Geistlichkeit eines und desselben Heiligtumes in mannigfacher Weise ab. Da waren zunächst die vornehmen Priester, die Oberpriester und die Propheten, die, die eigentlichen Herren des Tempels waren; sie hatten auch das Glück, bei der Prozession das Götterbild im Arme zu tragen. Neben ihnen standen vor allem die Stolisten, die für die Kleidung des Gottes und andere Äußerlichkeiten des Kultus zu sorgen hatten. Die niedere Priesterschaft bestand aus Laienpriestern; ihre oberste Klasse waren die Pastophoren, die die Kapelle des Gottes tragen durften, denen die römische Behörde aber nicht gestattete, sich Priester zu nennen *. Eine andere Unterscheidung lag auch darin, daß man die Priesterschaft nach alter Sitte in vier Phylen teilte; allem Anschein nach rührte 171. Priester, die ein des Harpokrates dies davon her, daß einst die alte Stunden- Bild tragen. (Berlin 12417.) priesterschaft (S. 188) in vier Klassen geteilt war, von denen eine jede den Tempel während dreier Monate verwaltete. Aber wie wenig man sich dieser Bedeutung noch bewußt war, sieht man schon daraus, daß man im Jahre 238 v. Chr. ruhig noch eine fünfte Phyle einführte (S. 364), die für die Verehrung des Königshauses sorgen sollte. Aus welcher Quelle das Einkommen der Priester in den verschiedenen Zeiten geflossen ist, kann hier nicht erörtert werden. Interessant ist aber, daß bei einem Heiligtume, das nur einen höheren Priester besaß, dieser nicht weniger als ein Fünftel der gesamten Einkünfte des Tempels erhielt 2. Und auch das ist bemerkenswert, daß die Priester Gebühren für bestimmte *) Beschlüsse solcher Synoden liegen uns in den Dekreten von Kanopus und Rosette vor. E r m a n, Religion der Ägypter. 26

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Verrichtungen erhielten, und die standen so fest, daß man sie wie eine Rente vermachen und zu einer Zahlung benutzen konnte1. Aber weder die ererbte Würde noch die besondere altertümliche Tracht machen den rechten Priester aus, und es sind andere Dinge, die man von dem verlangt, der in einer Sitzung der fünf Phylen in Gegenwart des Gottes zum Priester zugelassen ist2. Er muß die drei ägyptischen Schriftarten beherrschen und in den heiligen Büchern erfahren sein3. Er muß die Tage und Stunden kennen, die für die heiligen Handlungen festgesetzt sind, und vor allem muß er sich würdig zu benehmen wissen. Beim Opfern habe er einen richtigen Mund und süße Lippen *, damit seine Lobpreisungen schön klingen. Er soll nicht eilen mit den Sohlen und soll nicht laut zu einem ändern reden 6. Wer die ägyptische Religion der griechisch-römischen Zeit nur nach dem beurteilen wollte, was uns ihre Tempel in Bild und Schrift verkünden, der würde ein sehr unvollständiges Bild von ihr haben. Denn um sie her wuchern allerlei Formen des Aberglaubens, die jetzt üppiger emporschießen als je zuvor. Auch in ändern Ländern blüht ja in dieser Epoche die Mystik und der Aberglaube; aber in Ägypten war doch der Boden dafür besonders geeignet. So befassen sich die Götter mehr denn je zuvor mit dem Erteilen von Orakeln und dem Heilen von Krankheiten. Da schläft der Hilfsbedürftige im Tempel und durch einen Traum, den der Priester ihm deutet, teilt ihm der Gott mit, was sein Wille und seine Entscheidung ist. Zwar kommt es vor, daß eine solche Deutung den Bittenden irre führt und ihm Schaden bringt, und daß der in seiner Wut dem Deuter sagt, er löge ebenso wie seine Götter und er sei irre geführt von den Göttern mit seinem Glauben an die Träume e. Aber die anderen glauben um so fester daran und sammeln die Heilungsgeschichten des Serapis und anderer Götter in Büchern, zu Ehren des Gottes und zum Nutzen der Frommen. Von einem solchen Buche, das die Wundertaten des Gottes Imuthes feierte, des alten Gott gewordenen Weisen (S. 395), den die Griechen dem Asklepios gleich setzten, ist uns noch die Einleitung erhalten. Der Verfasser erzählt darin, daß es eine alte ägyptische Schrift gäbe, in der zu lesen sei, wie schon der König Mencheres, der Erbauer der dritten Pyramide, den Imuthes geehrt habe.

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Diese Schrift sei unter König Nektanebus, dem letzten der einheimischen Herrscher, wieder bekannt geworden, aber sie sei ja ägyptisch geschrieben und darum nur für Götter verständlich. Nun sei er, der Verfasser unseres Buches, dem Imuthes Dank schuldig gewesen, weil er ihm seine Mutter geheilt habe und er habe daher dem Gotte versprochen, die alte Schrift ins Griechische zu übersetzen. Aber die Aufgabe war schwer, und so schob er sie hinaus. Da sandte ihm der Gott eine Krankheit. In der Nacht, wo alles schläft, außer den Kranken, ergriff ihn Fieber, Atemnot und Husten. Seine Mutter saß betrübt neben seinem Bette, und plötzlich, es war kein Traum, kam eine göttliche und schreckliche Erscheinung. Eine Gestalt von mehr als menschlicher Größe, in glänzenden Kleidern, mit einem Buche in der Linken, besah den Kranken zwei- oder dreimal vom Kopf bis zu den Füßen, und verschwand alsdann . . . Als die Mutter wieder zu sich gekommen war, weckte sie den Sohn, und er war fieberfrei und in Schweiß gebadet. Und wunderbar: alles was sie gesehen hatte, das hatte auch er im Traume geschaut. Dankbar opferte er dem heilenden Gotte, aber der Priester, der das Opfer besorgte, wies ihn darauf hin, daß dem Gotte die Erfüllung des Versprechens lieber sein werde als das Opfer. Und somit schrieb der Geheilte nun sein Buch, um den Ruhm des Gottes zu erhöhen: jede griechische J^unge wird fortan die Geschichte des Imuthes trzählen und jeder Grieche wird ihn verehrenl. Man tut dem Buche, das so begann, schwerlich ein Unrecht, wenn man es sich als eine Reklameschrift für das Imuthesorakel von Memphis denkt. Wie es in solchen Orakelstätten zuging, erfahren wir ja, wenn wir es sonst nicht wüßten, aus Lucians erbaulicher Schrift über den Propheten Alexander von Abonuteichos. Dem Orakelbetriebe mit Fragezetteln, mit dem dieser Wundermann so glänzende Geschäfte machte, begegnen wir ebenfalls in Ägypten. In jenem kleinen Tempel, der am Westrande des Faijum, schon jenseits des Karunsees belegen war, dem Heiligtume des Soknopaios, das uns so vieles Merkwürdige erhalten hat, haben sich auch solche Fragezettel gefunden. Sie stammen von den Bauern und Kleinbürgern der Gegend und zeigen uns deren Nöte und Sorgen. Dem einen soll der Gott sagen, ob der Dorfschulze eine Kuh verkauft habe, ein anderer will wissen, ob der Nomarch die Akten prüfen werde und eine Frau Nike bittet um Bescheid, ob sie den Sklaven einer anderen Frau kaufen 26*

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solle. Und ein anderer schreibt sogar auf seinen Zettel: ist es mir gewährt, die Tapetheus syt heiraten und wird sie nicht eines ändern Frau? Zeige es mir und erfülle mir diese schriftliche Bitte. Früher war Tapetheus die Frau des Horion *. Die letzten Worte fügte der Fragende offenbar hinzu, damit der Gott im klaren darüber sei, um welche Frau dieses Namens es sich handelte. Aber auch in größeren Tempeln blühte dieses Geschäft, so in Abydos, wo Bes Fragezettel beantwortete 2, und in Heliopolis; hier reichte man dem Gotte versiegelte Schriftstücke ein und er antwortete schriftlich darauf8. Auch ein Wallfahrtsort war der Tempel des Soknopaios, eine jener Stätten, die man auch von fernher besuchte, weil dort der Gott dem Menschen besonders nahe war. Hier erhörte er besser die Gebete als anderswo. Solche Stellen waren z. B. das Serapeum von Memphis, der Tempel von Abydos und in römischer Zeit besonders auch das Heiligtum der Isis von Philae; unzählige Inschriften tun uns in ihm kund, daß diese oder jene hier zu der Isis gebetet und dabei fromm ihrer Angehörigen gedacht haben — ganz so wie es eine Inschrift in Nubien von dem Frommen verlangt: besuche ein jedes Heiligtum, um zu beten 4. Übrigens war das, was man den Göttern vortrug, nicht immer Wünsche für das Heil eines ändern. Auch weniger freundliche Gesinnungen wurden ihnen vorgetragen. So hat eine Frau Artemisia einen Zettel vor den Serapis gelegt mit einer Anklage gegen ihren Mann. Sie beschuldigt ihn, daß er die Grabbeigaben ihrer Tochter entwendet habe. Erkenne der Gott ihn nun für schuldig, so soll er ihm und seinen Eltern kein Begräbnis geben und so lange diese Anklage vor dem Gotte liegt, soll der Mann elend zugrunde gerichtet werden, er selbst und das Seinige. Und, fügt sie vorsichtig hinzu, wer diesen Zettel fortnimmt, den soll der Gott*) auch bestrafen 5. Lieber freilich als an die großen Götter und ihre Priester wendet man sich bei verfänglichen Anliegen an den Zauberer, dem ja auch Götter und Dämonen zu Gebote stehen. Wer z. B. einen Feind lahmen will, der nimmt den Kopf eines Esels und beschmiert seine Füße mit Ton; er setzt sich der Sonne gegenüber und nimmt den Eselskopf zwischen die Füße. Er salbt sich *) Der Gott heißt noch Oserapis, das Schriftstück ist also sehr alt.

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die Hände und den Mund mit Eselsblut und streckt die eine Hand nach vorn, die andere nach hinten. Dann spricht er also: ich rufe dich an, der au in der leeren Luft haust, dich, den Schrecklichen, Unsichtbaren, Allmächtigen, den Gott der Götter, den Verderbenbringer und Verwüster, der ein wohlgeordnetes Haus haßt. Ww du aus Ägypten herausgeworfen wurdest, wurdest du zubenamt: *der alles ^erbrechende und nie Besiegte*. Ich rufe dich an, Typhon Seih; ich vollziehe deine Beschwörung, denn ich rufe deinen wahren Namen an, in dem du dich nicht weigern kannst, zu hören: Jo-erbeth, Jo-pak-erbeth, Jo-bolchoseth, Jo-jo-patathnas, Jo-soro, Jo-nebutosualeth, Aktiophi, Ereschigal, Neb-oposualeth, Abe-ramenthon, Lerthex-anax, Ethrelyoth, Nemareba, Aeminalf Komme zu mir und schreite herbei, und schlage den und den oder die und die mit Kälte und Fieber. Er hat mir Böses getan und hat das Blut des Typhon vergossen . . . . deswegen tue ich dieses1}. Der Gott, den der Zauberer so anruft, ist der alte Seth, den die Griechen dem Giganten Typhon gleichgesetzt hatten: Sein heiliges Tier hatte man schon früh als einen Esel gedeutet (S. 38), und darauf fußt dieser Zauber, und darauf geht auch in der Anrufung das wiederholte Jo, denn Jo ist ja der ägyptische Name für den Esel. Griechisch sieht das Anax aus, aber aus welcher Ferne andere dieser Namen gekommen sein mögen, das zeigt das ereschigal, denn das ist nichts anderes als der alte sumerische Name der Unterweltgöttin 2, den Magier Babylons nach Ägypten gebracht haben müssen. Auch sonst begegnet uns in der Magie dieser Zeit allerlei, was weder ägyptisch noch griechisch ist. Mit Vorliebe sind es Reminiszenzen aus der jüdischen Religion; in einem Atem nennt der Zauberer den Osiris und den Sabaoth (d. h. Zebaoth) und die Erzengel und die Götter der Griechen. Eben noch hat der Zauberer, dem der Gott im Traume erscheinen soll, sich auf Moses berufen, dem du dich auf dem Berge offenbartest und sogleich versichert er ihm auch, daß er ihn in Abydos preisen wolle und im Himmel vor Re3. Auch auf den geschnittenen Steinen, die man als Amulette zu tragen pflegt, kehren solche fremden Namen und Worte vielfach wieder. Auf ihnen müssen Götter dargestellt sein, ägyptische; griechische oder wunderlich gemischte, und daneben stehen Worte wie Jao*} abrasax, Jao Sabaoth oder Semes ilam (d. h. die junge Sonne) oder bai n chooch (Seele der Finsternis) 4. *) Jao, d. h. Jawc.

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Auch neue Arten des Aberglaubens werden in dieser Epoche nach Ägypten gekommen sein, die auf dem dortigen Boden üppig aufschössen, so wohl das Horoskop, die Alchemic und anderes, was in der alten Magie der Ägypter keine Wurzel zu haben scheint. Die Hauptsache bleiben die alten Künste, das Heilen von Krankheiten und Wunden, die Liebeszauber, die Zauber, die Macht und Ansehen bringen, und all die unheimlichen Sprüche, die Wahnsinn und Krankheit erregen. Auch die Sprache der Vögel und Würmer konnte ein Zauberer dieser Zeit verstehen, Himmel, Erde und Unterwelt konnte er öffnen, und Tote aus der Unterwelt herbeirufen. So sehr war all dieses Zauberwesen in Ägypten verbreitet, daß der populären Vorstellung der römischen Zeit der gelehrte Ägypter auch schlechthin als Zauberer gilt. Wie sich der Halbgebildete damals einen ägyptischen Weisen dachte,

172. Amulettsteine, sogenannte Abraxasgemmen. (Berlin 9865, 9799, 98.)

zeigt uns eine ergötzliche Geschichte Lucians. Ein junger Mann, den sein Vater zu seiner Ausbildung reisen läßt, besucht auch Ägypten und fahrt dabei den Nil herauf, da er ja doch den Memnonskoloß bewundert haben muß. Auf der Rückreise lernt er nun auf dem Schiffe einen älteren Mann kennen, der den griechischen Namen Pankrates führt und gutes Griechisch spricht, dabei aber ein Ägypter aus Memphis ist. Es ist ein langer nachdenklicher Mann mit dünnen Beinen, stumpfer Nase und vorstehenden Lippen. Daß er ein Priester ist, zeigt sein geschorener Kopf und sein leinenes Hemd; er ist einer der heiligen Schreiber, und zwar einer von bewundernswerter Weisheit^ der in der ganzen ägyptischen Bildung erfahren ist. Dreiundzwanzig Jahre lang hat er in geheimen Räumen unter der Erde gelebt und dort hat ihn Isis selbst in der Zauberei unterrichtet. So verrichtet er nun zum Staunen seines Mitreisenden täglich Wunder; wenn das Schiff hält, so reitet er auf Krokodilen und schwimmt zwischen den Tieren umher, demütig wedelnd kommen sie zu ihm, so daß alle Welt erkennt, daß er ein heiliger Mann ist. Eine Dienerschaft braucht

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er nicht mit sich zu führen, denn wenn er abends Bedienung nötig hat, so nimmt er irgend ein Gerät und spricht drei Silben eines Zaubers darüber; dann verwandelt es sich sogleich in einen Diener, der ihm Wasser holt und andere Dienste verrichtet. Trotz aller Freundlichkeit, die er dem jungen Manne erweist, hält er diesen Zauber vor ihm geheim, aber durch einen Zufall erfahrt der ihn doch und kann es nun nicht lassen, ihn auch einmal zu versuchen. Wie übel ihm dieser Versuch bekommt, brauche ich nicht zu erörtern, denn Goethes Zauberlehrling hat uns ja alle mit dieser Geschichte vertraut gemacht*). Mit diesem Zauberwesen steht nun auch diejenige Literatur in Zusammenhang, die wir die hermetischen Bücher nennen, weil sie die Lehren des dreimal großen Hermes, d. h. des alten Weisheitsgottes Thot, des Hermes Trismegistos enthalten wollen. Daß sich um diese mystischen Schriften und die ähnlichen des Poimandres große Gemeinden schaarten, ist bezeichnend für jene Epoche, wo die Gebildeten kaum noch an die alten Götter glaubten, und wo sie nun angstvoll nach einer Offenbarung suchten. In diesen Schriften wird ja noch hier und da etwas von alter Überlieferung stecken (vgl. S. 345), aber das Ganze mutet uns fremdartig an; es sind wohl zumeist willkürliche Träumereien mystischer Philosophen. In dieser Epoche, wo sich alle religiösen Vorstellungen mehr oder weniger verschieben, bleiben auch die nicht unbeeinflußt, die man gerade in Ägypten für unverrückbar halten sollte, die Vorstellungen von dem Leben nach dem Tode. Zwar äußerlich bleiben, wie wir sehen werden, die Gebräuche im ganzen die gleichen, aber daß man über die Schicksale der Toten jetzt doch in manchem anders dachte wie vordem, zeigt uns ein Märchen aus dieser Zeit: Osiris hatte dem Hohenpriester Chamoes, der um einen Sohn gebetet hatte, einen zauberkundigen Toten gesandt und der wurde ihm als sein Sohn geboren. Dieser Sohn, namens Si-usire, stand seinem Vater durch seine Künste bei und nahm ihn auch einmal in die Unterwelt hinein. Was der Hohepriester bei dieser Fahrt erblickte, das ist zu merkwürdig, als daß wir es hier übergehen dürften. *) Lucian, Philopseudes. — Auch wenn der Großkophtha seine Weisheit »in den Tiefen ägyptischer Grüfte« gelernt hat, wird das hierauf zurückgehen.

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Ehe Vater und Sohn in der Totenstadt von Memphis die Unterwelt betraten, trafen sie dort auf zwei Leichenbegängnisse; bei dem einen wurde ein reicher Mann von einem großen klagenden Gefolge, herrlich geschmückt, hinausgetragen, bei dem ändern trug man einen Armen zu Grabe, der nur in eine Matte gehüllt war und dem niemand das Geleit gab. Als sie nun durch die verschiedenen Hallen der Unterwelt schritten, sahen sie in der fünften die herrlichen Verklärten, und in der sechsten saß Osiris selbst auf seinem goldenen Throne, und Anubis und Thot standen zu seiner Seite nebst seinen Räten. Und vor ihm stand die Wage, auf der man die Taten der Menschen wiegt (S. 226); wessen böse Taten zahlreicher sind als die guten, den gibt man der Verschlingerin der Unterwelt', seine Seele und sein Leib werden vernichtet, und er darf nickt länger leben. Wessen gute Taten zahlreicher sind als die bösen, den nimmt man unter die göttlichen Räte des Herrn der Unterwelt auf, während seine Seele mit den herrlichen Verklärten zum Himmel geht. Und Chamoes sah auch allerlei Verdammte; die einen standen in der vierten Halle und über ihnen hing Brot und Wasser, und sie griffen danach, aber man grub die Erde vor ihren Füßen fort, und so konnten sie die Speise nicht erreichen. Und in der Tür zur fünften Halle war ein Mann, in dessen rechtem Auge drehte sich die Angel der Tür und er betete und jammerte. Und Si-usire sagte seinem Vater, daß dieser »Verdammte eben jener reiche Mann sei, dessen herrliche Bestattung sie gesehen hatten; seiner bösen Taten waren mehr gewesen als seiner guten. Am Throne des Osiris aber stand ein vornehmer Mann, der prächtig in Königsleinen gekleidet war; das war jener Arme, den man in einer Matte zu Grabe getragen hatte. Seine guten Taten waren zahlreicher gewesen als seine bösen; daher hatte man ihm die Ausstattung des Reichen gegeben und ihn unter die herrlichen Verklärten gesetzt, als einen Mann Gottes, der den Sokaris begleitet. Denn wer gut ist auf Erden, zu dem ist man auch in der Unterwelt gut", aber wer schlecht ist, zu dem ist man auch schlecht*}. Noch anderes erklärte Si-usire seinem Vater, doch leider reichen unsere Kenntnisse nicht aus, um seine Worte sicher zu verstehen. Doch auch so sieht man *) Dahin wird es auch gehören, daß jemand auf einem Grabstein dem Osiris klagt: er sei getötet und in einen Kanal geworfen worden, ohne daß er ein Verbrechen begangen hätte. Da soll gewiß Osiris den unbekannten Täter bestrafen. Spiegelberg, Ä. Z. 45, 97.

Axis griechisch-römischer Zeit.

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schon, daß die Unterwelt dieser spätesten Zeit eine andere ist als die der älteren. Noch residiert Osiris darin mit seinen Göttern und Geistern; aber jetzt sind es allein die Taten des Menschen, die über sein Schicksal entscheiden; wer ein Sünder ist, dem nützen alle Särge und Amulette und Uschebtis nichts; man nimmt sie ihm fort und gibt sie einem Armen, der ein guter Mann gewesen ist. Noch waltet das Ungeheuer in der Unterwelt, das die Seelen verschlingt, und noch heißt es, es vernichte sie; aber schon hat sich die Phantasie des Volkes auch Strafen für die Bösen erdacht, die diese trotz ihrer Vernichtjung erdulden müssen.

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Grabstein axis römischer Zeit; die Toten vor Osiris beten schon nach griechischer Art. (Berlin 2123.)

Zu dieser Umwandlung des Totenreiches, die eigentlich nur eine natürliche Entwicklung war, trat dann noch die Umbildung, die es durch den Einfluß der griechischen Vorstellungen erfuhr: Osiris-Serapis ward zum Pluto, und Thoth, der das Herz wägt, galt fortan als der Hermes, der die Seelen der Menschen zum Hades führt, und trug wie dieser einen Schlüssell. Auch Bes schützt jetzt die Toten, wie er sonst die Lebenden schützte und trägt dann ebenfalls einen Schlüssel 2; Hathor aber, die ja früh als Göttin des Westens galt (S. 30), wurde jetzt geradezu ein weibliches Seitenstück zum Osiris und während man bisher alle Toten als Osiris bezeichnet hatte, nannte man jetzt die toten Frauen lieber Hathor. Anderes bleibt uns ganz unverständlich, so z. B. der Gott, der auf einem Bilde unserer Sammlung3

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Einundzwanzigstcs Kapitel.

einen Kessel herabläßt; schafft er etwa den Verstorbenen das »kühle Wasser«, das jetzt als die wesentlichste Spende des Osiris gut? Auch in griechisch-römischer Zeit bleiben die äußeren Formen der Bestattung im wesentlichen die gleichen; ja sie sind sogar noch geschäftsmäßiger geworden. Da sind zunächst die gewerbsmäßigen Balsamierer, die sogenannten Taricheuten, deren gute und schlechte Arbeit wir ja noch heute an den Mumien sehen. Die Kosten einer Bestattung waren gewiß nicht gering und verschlangen etwa das Einkommen eines Jahres x, dauerte doch auch schon die Mumifizierung eines Kindes, über die wir noch einen Vertrag besitzen, 72 Tage 2. Auch der Staat besteuerte noch die zur Mumifizierung nötigen Binden und erhob überdies Gebühren vom Transport der Leiche, nur die Überfahrt über den Nil blieb frei3. Neben den unreinen Taricheuten besteht dann die halboriesterliche Gilde derChoachyten, der »Wasserspender« und diese sind 174. Sarg der Kinder Sensaos und Tkauthi mit CS, die VOH den Hintergriechischer Aufschrift. 2. Jahrh. n. Chr. (Berlin bliebcnen vertraglich ver5 5 393· 8 Über ein solches Massengrab aus der Zeit Ramses U. vgl. Berlin, ausführl. Verzeichnis S. 190 ff. — 276. l ibd. S. 184. 2 Vgl. Metropolitan Museum of Art, the Egyptian Expedition 1930—31. S, 22. — 276. l Ausführl. Verzeichnis S. 141. — 278. l Erman, Ä. Z. 44, 131. 2 Ausführl. Vcrz. S. 182 (i08 ff.). — 282. l Schäfer, Ä. Z. 43, 66 ff.

Anmerkungen.

453

16. Kapitel. 285. l Vgl. Schott, Urk. VII, S. 60 folg.; auch Totb. Kap. 135 (der Text vom Totengericht) ist ins Demotische übersetzt (Lexa, Das demotische Totenbuch, Leipzig 1910). — 286. l Erman, Ä. Z. 52, 90 folg. — 287. l Davies, Der el Gebrawi I, 36 ff. — 288. l Berl. 49 (Ausführl. Verzeichnis S. 270). 2 ebda S. 308. 8 Brugsch Thesaurus S. 1402. — 289. l Berl. ausführt. Verzeichnis S. 280 (Formen f. d. Gebrauch der Toten). — 290. l Bergmann, Ä. Z. 18, 50. 2 Mär. Denderah I, 9; IV, 16; ursprünglich trug man sie so vor den Königen her, vgl. Quibell, Hierakonpolis Taf. 29. — 291. l Rubensohn, Ä. Z. 41, 8; vgl. den oben S. 278 besprochenen Gebrauch. 2 Rubensohn u. Knatz, Ä. Z. 41, 14. 8 Herodot II 86. 4 Eine Probe solcher Urkunden ist in dem Handbuch »Aus den Papyrus der Königl. Museen« S. 103 ff. mitgeteilt. 5 Herodot II 136. — 292. l Herodot II 85. 2 Herodot II 123.

17. Kapitel. 296. l Pyr. 237. 2 Zaubersprüche f. M. u. K. S. 33; die richtige Auffassung verdanke ich Graf Schack. — 297. l ib. S. 19 ff. 2 ib. S. 19. 8 ib. S. 40 ff. 4 Pyr. 231; der Schreiber hat, wie so ölt, irrig den Königsnamen eingesetzt. Gemeint wird das Loch der Schlange sein, das als in die Erde hineingebissen gedacht ist. 6 Mettcrnichst. 3 ff. 6 Pap. mag. Harris 8, 5. — 298. l Metternichst. 9 ff. 2 Metternichst. 38 ff. — 299. l ib. 168 ff. 2 Schäfer, Ägypt. Zeitschr. 36, 129. — 800. l Vgl. Lange, Pap. Mag. Harris, S. 86 folg. 2 Pyr. 879—880. 8 Pyr. 1223. 4 Lacau Textes religieux Nr. 2; vgl. Grapow, Ä. Z. 49, 48 folg. 6 Totb. ed Nav. 65, 12. Pyr. Spr. 255. — 801. l Vgl. Lange, Pap. Mag. Harris, S. 58. — 808. l Lefebvre, Ägypt. Zeitschrift. 21, 27 ff. 2 Pyr. 995. 8 Pap. Mag. Harris XII; wie diese Zauberworte zu sprechen sind, läßt sich bei der vokallosen ägyptischen Schrift nicht ersehen. 4 Beides nach der »Destruction des homines« Z. 74; 80. — 804. l Lange Pap. Mag. Harris S. 58. 2 ib. S. 54. 8 Z. f. M. u. K. S. 52; Lange Pap. Mag. Harris S. 60 folg. 4 Z. f. M. u. K. S. 33, 35. Lange Pap. Mag. Harris S. 12. 6 Budge, Nesiamsu 121 ff. — 806. l Er kommt wohl schon in den Pyramidentexten vor, vgl. Pyr. 290—293. 2 Totb. ed. Nav. 92, 10. 8 Z. f. M. u. K. S. 12. 4 Z. f. M. u. K. S. 43 ff. 5 so z. B. Ebers i, 4. Pap. Lee I, 4; Pap. Rollin i. — 806. l Pyr. 249. 2 Sethe, Ächtungstexte (Abh. Berl. Akademie 1926). — 807. l Schott, Ä. Z. 65, 35 ff. 2 Destruction des hommes 78. 8 Budge, Nesiamsu S. 146. 4 Stele Ramses IV. (Mar. Abydos II 54—55. 25 folg.). — 808. l Der späte Verfasser des Buches Daniel, der das Wort auch von den babylonischen Zauberkundigen braucht, hat es natürlich aus dem Pentateuch abgeschrieben. 2 Pap. Mag. Harris 6. 10. 8 Pap. Amherst I, 3. 4 Destruction des hommes 58. 6 Griffith, Stories of the high priests p. 20. Metternichst. 87. 7 Pleyte, Chap, suppllm., ch. 167—174. pi. 126-127. 8 Gerade so wie unsere »Zauberer« willkürlich Bibelsprüche benutzen und wie der arabische Zauberer Koransprüche verwendet. — 809. l Z. f. M. u. K. S. 26. 2 Destruction des hommes, 56 ff. 8 Lacau, Textes religieux in Recueil 27, 56—58. 4 Budge, Nesiamsu S. 122. 5 Pap. Mag. Harris 8, 5. — 810. l Berlin, Ausführl. Verz. S. 205. 2 Vgl. für das folgende ebenda S. 299. 8 Z. f. M. u. K. S. 41. 4 ib. S. 52. 5 ib. S. 30. 6 Schäfer, ägypt. Zeitschr. 39» 87» vgl· auch Erman, Z. f. M. u. K. S. 39. — 811. l Brit. Mus. 574. 2 Schott, Ä. Z. 67, 106. 8 Spiegelberg, Ä. Z. 59, 149 folg. — 812. l ib. S. 153. 2 Kahunpap. pl. 25; Text S. 62. — 818. l Sallier IV, 14, 2; 21, 2.

454

Anmerkungen.

18. Kapitel. 815. l Borchardt, Ä. Z. 61, 37 ff. — 816. l Reisebericht des Unamun Litt. S. 226 ff. 2 Erman, Ä. Z. 35, 12 ff. 8 Brugsch, Reise nach d. großen Oase, Tafel 22. — 817. l Naville, Inscr. histor. de Pinodjem III. — 818. l so in den Berl. Pap. aus Dyn. 22. 2 Statue im Louvre aus Sammlung Posno; Statue in Kopenhagen. — 819. l Erman, Ä. Z. 35, 24 folg. — 820. l Erman, Ä. Z. 45, i folg. — 821. l Herodot II 373. — 822. l Berlin 17 272. Diese schwärmerische Frömmigkeit mag auf jene Richtung zurückgehen, der wir am Ende des n. R. begegneten (vgl. S. 139 ff.). 2 Louvre Nr. 33. 8 Stele in der Sammlung der Lady Meux, schon aus ptolemaischer Zeit. — 828. l Vgl. die Inschriften Rec. trav. 21,63; 22, 176. — 824. l ib. 22, 166. 2 ib. 22, 20. 8 Breasted Ä. Z. 39, Tafel i—2, es ist das oben S. 91 besprochene Buch. — 825. l Pap. Berlin 7809, aus römischer Zeit, aber natürlich Kopie eines älteren Textes. 2 in el Charge: Hoskins, Visit to the great oasis pi. 8. — 826. l Litt. S. 178. 2 Schäfer, Ä. Z. 36, 147. 8 Vgl. zu Imhotep: Sethe Untersuchungen II, 95 ff. — 827. l Mariette, Kam. 36, 28; vgl. Brugsch, Ä. Z. 14, 96 folg, und Sethe, Ebersfestschrift, S. 107 folg. 2 Brugsch, Ä. Z. 13, 125, Erman Ä. Z. *5» I47- — 828· * Vgl. zu dieser Inschrift: Möller, Sitz. Ber. Berl. Akad. 1910, 941 ff. — 829. l Brugsch, sieben Jahre der Hungersnot; Sethe, Untersuchungen II, 75 ff.

19. Kapitel. 881. l Statue im Vatikan, für den Schluß vgl. Schäfer, Ä. Z. 37, 72. — 882. l Diodor I 95. 2 Berlin 7493. 8 Vgl. Ed. Meyer, Der Papyrusfund von Elephantine, Lpzg. 1912, S. 78 ff. — 888. l Herodot II, 42. 2 Herodot II, 61. 8 ib. 153; III 27, 28. 4 ib. II, 73. 5 ib. 69. 6 ib. 66. 7 ib. 90. — 884. l ib. 65. 2 ib. 67. 8 ib. 41. 4 Vgl. über die Mumien der heiligen Tiere jetzt das Werk von Lortet und Gaillard, la faune momifie'e (Lyon). — 885. l Herodot II 170, 171. 2 ib. 122. 8 ib. 42. 4 ib. 63. 5 ib. 62. 6 ib. 48. — 886. l ib. 61. 2 ib. 60. 8 ib. 38. 4 ib. 39. — 887. l ib. 40. 2 ib. 83, 133, 155. 8 ib. 82. 4 ib. 82, vgl. oben S. 312. 5 ib. 37. ib. 36, 37. 7 ib. 47. 8 vgl. die Sage aus Totb. Kap. 112. 9 ib. 41. 10 ib. 37. 11 ib. 37; den Grund für diese, gewiß erst späten Verbote können wir nicht erraten. 12 Schon in Dyn. 22 wird der neu eingeführte Priester im reinen Teich des Tempels gebadet und dann mit Natron gereinigt (Prugsch, Thesaurus 1072). Vgl. auch Kap. 12 Seite 189. 18 Herod. II 81; der Grund liegt wohl nur darin, daß die fromme Urzeit, der die Priestertracht entsprechen soll, nur Leinenkleider kannte. — 889. l Berlin 14 399; vgl. Burchardt, Ägypt. Zeitschrift 44, 55. 2 Erman, Ägypt. Zeitschrift 38, 133. — 840. l Lefebvre, le tombeau de Petosiris Inschr. Nr. 81, 22—47. 2 ib. 81, 50. — 841. l ib. 81, 70 ff.; 6ic 3. 2 ib. 8r, 83 ff. — 842. l ib. taf. 13. 2 ib. taf. 8. — 848. l ib. 43. 2 ib. 52. — 844. l herausgegeben v. P. A. Boeser, Leyden 1922.

20. Kapitel. 848. l Harris I 9, i ff. 2 Ein Bruchstück eines solchen Grabbildes in der Sammlung Kennard in London. — 849. l Vgl. S. 84. 2 Anastasi I. Litt. 288. 8 Lacau, Textes religieux Nr. 20. 4 Pseudolucian de Dea Syra. — 850. l Erman, Litt. S. 233 ff. 2 Royal tombs II 22, 179, 178; 23, 199, 200. 8 Sethe, Sahure II 74; Israelinschr. n (Litt. S. 343); Rougi, Inscr. 144.

Anmerkungen.

466

4 Sutech vgl. 8.37; 104. — 851. l Steindorff, Ä. Z. 69, 17 ff. 2 Steindorff, Ä. Z. 61, 94 folg. 8 Dedun schon in den Pyr. als Weihrauchbringer: Pyr. 994; 1017. 4 Reißner Ä. Z. 69, 35. — 852. l So verehren sie schon im neuen Reiche in Debot einen iLeibwächter Oi«, der ein Offizier des mittleren Reiches gewesen sein könnte, und ähnliches kehrt in später Zeit wieder. Vgl. Brugsch, Thesaurus 1425. — 868. l Stele von Nauri; vgl. Griffith, Journ. Egypt. Arch. XIII. 2 Erman Ä. Z. 35, 15. 8 Diodor 3, 6. 4 Pianchistele 150. — 854. l Diodor 3, 6. 2 Schäfer, Die äthiopische Königsinschrift des Berl. Museum, Leipzig 1901. — 865. l Diodor 3, 3. — 856. l Juvenal, 6, 527.

2i. Kapitel. 858. l P. Dieb, Ztschr. f. vergl. Sprachwissenschaft 47, 193 ff. — 860. l Vgl. die Ausführungen von Schubart, Ägypten S. 301 ff. 2 Schubart, Papyruskunde S. 346, 347. — 866. l Dümichen, Resultate 38—41. — 867. l Marietta Denderah II, 16. — 868. l Mär. Denderah II 74 b. 2 ib. 45, 4. 8 Mammisi d' Edfou. 87. 4 Düm. Baugesch. 39. — 869. l Alles Folgende nach freundlicher Mitteilung von H. Junker. — 871. l Dümichen, Resultate 36. 2 Mär. Dend. IV, 3 = Düm. Kai. Inschr. 76; Edfu I 563. — 872. l Edfou, ed. Rochem I 442, i ff. — 878. l Düm. Resultate 22, 5 ff. — 874. l Dümichen Resultate 46, 7 folg.; vgl. Junker Ä. Z. 43, folg. 2 Düm. Resultate 45, 3 ff. — 878. l Diodor I 22, 3. — 879. l Junker, das Götterdekret über das Abaton. (Denkschr. der Wiener Akademie 1913), S. 39. — Auch das Folgende, soweit ich nichts anderes bemerke, beruht auf Junkers Arbeit. — 881. l Griffith, Proceedings 31, loo ff., 289 ff. — 884. l Wilcken, Urk. I, 84. 2 ebenda. — 885. l Schubart, Ägypten usw. S. 83. 2 Schubart ebda S. 82. — 886. l das Folgende nach Spiegelberg Ä. Z. 56, i ff. 2 Stern Ä. Z. 22, ; Schäfer ebda 40, 31. 8 Schubart, Ägypten S. 258. 4 Otto, Priester u. Tempel S. 392. 5 Schubart, Ä. Z. 56, 94. — 887. l Pap. greci e latini della societä italiana 4, 328. 2 Spiegelberg, Ä. Z. 43, 129. 8 Schubart, Ägypten S. 258 folg. 4 Wilcken, Urk. I, 19. 6 Otto, Priester u. Tempel S. 283 folg. 6 Wilcken, Urk. d. Ptolem. , 11 folg. — 888. l Wilcken, Urk. d. Ptolem. I 194, 241. 253. 2 ebenda 200. 8 ebenda 260. 4 Über die Katochoi im Serapeum und anderswo vgl. jetzt Wilcken, Urk. d. Ptol. I, soff.; solche in Priene S. 68, in Abydos S. 59; als Asketen S. 71. 6 ebenda S. 55. Wilcken, Urk. d. Ptol. I 53; 173. 7 ebenda 118. 8 Wilcken, Urk. d. Ptol. I 67. 9 ebenda 130. 138. — 890. l Oxyr. Pap. XI, 1380 Zeile 126. 2 Schubart, Papyruskunde S. 340, 341. — 8JB4. l Berl. Griech. Urk. Nz. 471: Scharff, Ä. Z. 62, 90. 2 Golenischeff Äg. Zeitschr. 20, 135; 32, i. 8 Rubensohn Ägyp. Ztschr. 42, in. — 896. l Vgl. Schubart, Papyruskunde S. 351. — 896. l ein rohes Mithrasrelief aus Ägypten in Berlin; vgl. auch Schubart Pypyruskunde S. 353. 2 Strabo 17, 28. 8 Berl. Ausf. Verz. S. 339. 4 Diodor I 84. 5 Plut. Is. et Os. 72. — 897. l Strabo 17, 44. 2 ib. 17, 31. 8 Plin. H. Nat. VIII 185. 4 Plin. H. Nat. VIII 185. 5 ib. 17, 38. — 898. l Strabo 17, 28. 2 ib. 17, 46. 8 1.1. — 899. l Otto, Priester u. Tempel I 291 ff. — 400. l Schubart, Papyruskunde S. 348. 2 Schubart, Ägypten S. 296. — 401. l Schubart, Ä. Z. 56, 92. 2 Schubart, Ä. Z. 56, 90 (§ 79). — 402. l Schubart, Papyruskunde S. 355. 2 Glanville Journal of eg. Arch. 19, 34 ff. 8 Clemens Alexandrinus Stromata V, 4. 4 Edfu 1134. 6 Morgan Ombos II, 245, 878. Wilcken, Urk.I 333. — 408. l Oxyrhynchus Pap. XI 1381, Zeile 200. — 404. l Schubart, Papyruskunde S. 357. 2 Schubart, Ä. Z. 67, 114 nach Ammianus Marc. 19. 12, 3. 8 ib. nach Macrobius Saturn, i, 23. 4 Schubart, Ägypt. 8.312. 6 Wilcken,Urk.I

456

Anmerkungen.

102. —405. l Thompson, Demot, Magical Papyrus S. 145. 2 Thompson Demot. Mag. Papyrus S. 61. 8 Thompson, Dem. Mag. Pap. S. 47. 4 Vgl. Berl. Museum Ausf. Verz. S. 378 ff. — 409. l Berlin, Ausf. Verz. S. 356 Nr. 11651; die Wage, die der Gott trägt, macht es wahrscheinlich, daß es Thoth sein soll. 2 ib. S. 345 Nr. 14291. 8 ib. S. 356 Nr. 11651. — 410. l Schubart, Ägyp. S. 307. 2 Spiegelberg Ä. Z. 54, 112. 8 Schubart, Ägypten S. 304. — 418. l Spiegelberg Ä. Z. 51, 89 ff. 2 Carl Schmidt, Ä. Z. 34, 79. 8 Krebs, Ä. Z. 32, 36 ff. 4 Spiegelberg Ä. Z. 50, 42. 6 Vgl. den oben aufgeführten Aufsatz v. Carl Schmidt. — 414. l Nach Schubart, Ägypten S. 284. — 416. l Amm. Marc. XXXII, 14, 7. 2 ib. XVIII, 12, 3. 8 Leipoldt, Schenute S. 176.— 416.1 Leipoldt, Schenute S. 178 ff. 2 Mem. de la Mission IV 112 ff. 8 Zoega, s - 533· — 417· l Erman, Ä. Z. 33, 48 ff.

22. Kapitel. 428. l Friedländer, Sittengeschichte I 502. 2 Minucius Felix 22, 2. 8 C.I.G. 6007. 4 Griffith Ä. Z. 46, 132. Erman, Römische Obelisken (Abh. Berl. Akad. 1917; Mitt. d. Deutsch. Arch. Inst. Rom. Abt. XI 113). — 424. l Origenes, c. Gels. III 36. — 425. l Lucian, Deorum Concilium . 2 Plut. Isis et Osir. 33, 38, 39, 49, 53. 8 ib. 64. 4 ib. 2. — 426. l ib. 3. 2 ib. 63. — 427. l GIG. XII, 5, i p. 217. 2 Diod. I, 27. 8 GIG. 3724. — 428. l Lucan. Pharsal VIII 832. 2 Juvenal 12, 28. 8 Tibull I, 3, 23. 4 Juvenal 13, 92. 6 Juvenal 6, 526 ff. 6 GIL. II, 3386. 7 GIL. V, I, 4007. — 429. l Erman, Ägypt. Zeitschr. 34, 149 ff. 2 Für das Folgende vgl. Lafaye, Hist, du culte des dieux d' Alexandrie, S. 173 ff. — 481. l Porphyrius de abstinentia IV 9. — 482. l Apulejus Metam. XI, 17. 2 Ovid, Metam, IX, 693. 8 Juvenal VIII, 29. 4 Lucan, Pharsal. VIII, 832. 5 Apulejus, de deo Socratis XIV. 6 Apulejus Metamorph. XI 8—17. — 485. l Apulejus Metamorph. XI, 19 ff. 2 Apulejus Metamorph. XI, 5. — 8 Oxyrh. Pap. XI, 190 ff. — 487. l Apulejus, Metam. XI, 29. 2 ib. XI, 27. Übrigens heißt auch Isis »die Unbesiegte«, vgl. ib. XI, 7 und die Kölner Statue unten S. 439. 8 So auf dem Amulett Berlin, Äg. Museum 9834 (Ausf. Verf. S. 377); Oxyrhynchus Pap. XI, 235. 4 Apulejus XI, 6. — 488. l Apulejus XI 24. 2 Tertullian, ad, nat. 2, 8. 8 Acta S.S. XIX Mai S. 44. 4 CIL III 4806 ff. 5 CIL XIII 7610. 6 Schaaffhausen, Bonn Jahrb. 76, 38 = GIL XIII 8190; vgl. ib. 8191. — 489. l Ross, Arch. Aufs. I 37 ff. 2 Erman, Ä. Z. 42, 110 nach Amm. Marc. XVI, 12, 35. — 440. l Descr. totius mundi (ed. Lumbroso, Accad. dei Lincei 1898) p. 144 ff. 2 Suidas s. v. Heraiskus. 8 Pseudoapulejus Asclepius XXIV.

REGISTER. Ein Stern vor einer Seitenzahl weist auf eine Abbildung hin. Abaton 378 Abdufisch ig Abendsonne 19 Abraxas 406 Abusimbel »352 Abydos 41; 269; 271 Achet 2i Achet-aton 118 Aethiopen 320; 353; »355 Ahmose Nofretere 145 Alchemic u 311; 406 Alemannenfurst (verehrt Serapis) 439 Allerheiligstes 167; 173; 369 Altar *iig; 170 Amduat 233; »235 Amenemope 162 Amenophis (Amenhotep) — I als Gott 145; 155 - III 109; — IV (vgl. Echenaton) 114; *i2O — Sohn des Hapu *327; 395 Anm. Amon »37; 94; 96 — Re 50; 103; "105; 107; 115; 131; 142; 310; vgl. Titelbild — in Phoenizien 348; 349 — in den Oasen 350 — in Nubien 352; 353 Hoherpriester des A. u. ä. 202; 203; 205 Amonshymus 105; 132 Amulette 263; 280; 282; 288; 311; 45 Anat 77; 150; 348 Anii 160 Antaios 394 Antinoc 424 Antinous ^423 Anubis 42; »43; 73; 86 — ab Soldat »395; »439 Anukis 35

Aphrodite (vgl. Hathor 30) Apis »26; 333; 386; 397; 439; vgl. Serapis Apisgräber s. Serapeum Apollo (Hores) 333 Apophis 19; 68; 234 Apulejus 432 Ares 335 Arsnuphis 356 Artemis (Bastet) 333 Asch 350 Asklepiades 440 Asklepios (Imuthes) 402 Astarte 77; 85 Anm.; 99; »150; 387 Asylrecht 359 Atfih 31 Athene (Neith) 333 Athnbis 30 Aton 108; *m; 115 Atum 18; 27; 76; 90; 92; vgl. Tafel 2 Auaris 104; Anm. Auferstehung der Toten 218 Auge als Amulett 281 — am Sarg 260 Vermischung mit Schlangen 21; 22; vgl. Sonnenauge, Horusauge Ba (Seele) »210 Baal 149 Babai 229 Balsamierung 260; 267; 410 Ballspiel 179 Barke (tragbarer Schrein) *i8o Bart der Götter 172 Bastet *34; 67; 297; Baum, heiliger 143; 153 Bech 19 (Berg) Bechten 329 Behbet 339; 361

458

Register.

Behedeti 29 Beigaben der Toten 243; 264 Bekenchons 202 Benbenstein 27; 62; 90; 114 Benevent 431 Bentreschstele 329 Benu s. Phoenix Bergspitze 141; 146 Bes »147; 310; 392; »395; 404; 409; 4'5 Beschneidung 337; 400 Bethschean 348 Bigeh 378 Blemyer 357 Blick, böser 311; 312 Bock 43 — von Mendcs 55; 76; 97; 362 Brandopfer 177; 337; 370; 375 Brusttafel *28o Bubastis 318; 336 Busiris 41; v. Dedu. Buto (Göttin) 32; 45 Buto (Stadt) 361 Byblos 84; 349 Chabbasch 361 Ghamoös 407 Charakter der Aegypter 5; 10 Chargen 332; 350 Chemmis 74 Cheops 247 Chephren 247 Chepre 17; 18; 27 Cherheb 187 — als Zauberer 308 Chnum »44; »54; 356 Choachyten 291; 410 Chons 39; *32g; vgl. Titelbild — tempel 315 — Herakles 359 Christentum, erste Spuren 413; sein Sieg 416 Clemens Alexandrinus 414 Dachel 317 Darius 332 Darstellungen in den Tempeln 169; 171; 366 Dedpfeiler 42; 183 Dedu (Busiris) 41 Dedun 351 Demeter (Isis) 333

Denderah 31; 361; 362; 366; 368; vgl. Tafel 9 Grundriß 369 Der el bahn 195; 275 Der el medineh 327 Dekrete für den König 364 Dionysos (Osiris 333) Drohungen gegen Götter 300 Duat 212 Durchschnittsglaube 7; 12 Echenaton 116 Edfu 29; »168; 361; »366 Ehnas 44 Ei des Sonnengottes 62; 94; 134 Anm.; 340 Eidechse 145 Eje 129 Eingeweidekrüge s. Kanopen Ekstase 178; 336; 397 Elephantine 16; 44; 329; 381 el Kab (Necheb) 68 Entstehung der Welt 63 Entstehung der Dinge aus Göttern 95 Entstehung durch Wortspiele 65; 99 Erde, ihre Teile 16 Erdgott s. Keb Erdhacken 99 Ergamenes 354; 356 Eros Harpokrates 420 Erzeugung des Königs durch den Gott S»; 53; 55

Esel des Seth *38; 405 Espemeti 381 Etrurien 347 Fabrikbetrieb der Tempel 399 Fährmann des Himmels 217 Faijum 45 Falke vgl. Horus 18; 334 Fälschung von Inschriften 327; 328; 330 Felsengrab 264; 270 Felsentempel 352 Feste 179 — von Opet 198 — von Abydos 182; 183 — von Efdu 375 — bei Herodot 335 — des europäischen Isisglaubens 432 — des Orisis 377 Figuren als Grabbeigaben, Frauen ; ^262;

Register.

Figuren von Dienerinnen und des Haushalts 261; *a6a — von Mumien 275 — zum Zauber 305; 307 Fische, heilige 153; 396 — verboten 191; 337; 353 Flaggenmaste 195 Flammeninsel 63 Formen zu Amuletten 289 Fremdenhaß 339 Gans 153; 392 Garten an Tempeln 197 — am Grabe *2?2; 380 Gaue u. deren Götter 7 Gebel Barkai 352 Geburt des Königs *55 Geburtszauber 305; 309 Geier 50 Gewissen 162 Glieder der Götter 95

Goldhäuser 173; 196 Gott als allgemeiner Ausdruck 59 — als König 51 — im Menschen 162 Gottesreich 353 Gottesvater 188 Gottesweg 167 Gottesweib 201; 319; 354; 398 Gottesworte 12 Götter der Welt 6 Götter, die den Menschen näher stehen 6; 142 Götterbild 9; 59; 92; 162; 172; 180; 196; 248; 431 Götterfamilien 49 Göttersagen 98; 100 Gräber, älteste 242; 243 — Verfall der 259 — beraubt 258; 318

— Bilder in 252; 272; 286 — der Armen 291; 274 — Massen- 275; 410 Grabstein 265; *266 Grab einer Syrerin 292 Griechisch 409

Hadrian 423 Harachte 21; 27; 114 Harem des Month 181 — des Amon 198; 201 Haremheb 129

459

Harmachis 144 Harfe 178 Harpokrates 87; 392 Harris, Papyrus 203; vgl. Titelbild Harsaphes 44 Harsiesis 30 Harueris 30 Hathor 14; 22; 30; '31; 66; 67; — von Byblos *349 — als Seitenstück zu Osiris 409 Hathoren, die sieben 31 Heiße, der H., d. h. leidenschaftliche 141 Heket (Urgöttin) 341 Heliopolis 27; 89; 114 Helios 393 Hephaistos 25 Heraiskus 440 »Herausgehen am Tage« 223 Herakles 335 Herkommen, nicht geändert 11 Hermes 83; 409 — Trismegistus 345; 407 Hermonthis 35, 37 Hermopolis s. Schemen Herodot 333 Herz für Gewissen 162 — und Zunge 92 Herzskarabäcn 126; 278; *279 Hierakonpolis 29 Himmel als Frau *I5 — als Kuh "15 — als Gewässer 16 — Stützen des 16 Himmelfahrt des Toten 220 Himmelsgöttin s. Nut Himmelsleiter 219 Hiobstein 348 Hirt (guter) 413 Hohepriester 189; Ornat *igo — des Amon als Oberster des Klerus 204 — von Alexandrien 400 Horoskop 311; 337; 406 Horus 18; 28; 29; 69 — der König 8; 50; 51; »75 — als Schützer gegen Tiere *3io — von Edfu 29 — Prozeß gegen Seth 75 — zu Roß *394 — als Zunge 92 Horusauge 21; 22; 69; 268; *28ib

460

Register.

Horusauge im Ritual 176 Honudiener 100; 151; 229 Horusgötter 28; 30 Horussöhne 24; *ji; *2&2; 283 Hrihor 206; 314 Hund 43 Hundsstern 391; vgl. Sothis Hyksoe 104 Hymnus, auf Amon 105; 133 — auf Aton 1 1 1 ; vgl. Lieder Hypostyl 167

lao 405 laru, See 19; Feld 21; 215 Ibis 39; 334 Ichneumon 46 Ihi 3»; 373 Imhotep 246; »326; 356; 366; 395; 402; 415 Imuthes s. Imhotep Inschriften der Tempel griech. Zeit 367 Insinger, Papyrus 344 Irtar (als Amon) 94 Isiaci 432 Isis *32; 49; *73; »74; 356; 417 Isis als Sothis 24; 391 — mit griech. Göttinnen vermischt — als Göttin der Schiffahrt »390; 428; 432 — mit Säugling *3gi; — als Schlange *3gi — in Griechenland 419 — als Hauptgöttin der Welt 428, 435 Isis Statue aus Köln +439 Isisfeste 432 Isisglaube, spätester 426 Istar 151 Jubiläum (hebsed) 26; 28; 184 Juden, ihr Tempel in Elephantine 332 Jüdisches in Magie 405 Julian 439 Jupiter Amon 350 Jusaas 27 Ka *54; 209; *2io — des Königs 98 — des Re 97 Käfer s. Chepre; vgl. Skarabäus Kahl 337 Kalender 68 Anm.; 84; 365

Kambyses 331 Kamephis 18; 36 Kandake 356 Kanopen 261 Anm. *282; 289 Kapelle »173 Karnak als Bau 193; 319; vgl. Tafel 6 Karer 336 Katochoi 388 Katze 34; 333 —sarg 153 *334 —mumien *334 Keb 15; »62; 63; 72 Kedesch 143; 149 Kematef (Amon) 94 Kentehthai 30 Knoten beim Zauber '311 Kleid der Götter 172 — der Priester 337 — des Gottes bei Toten 192 Kommentar 100 Köln 438; *439 König als Gott 124; 185 — sein Sterben 56 — als Götter verehrt 352; 360 — als Priester 186 — als Schenker und Erbauer der Tempel 186 — sorgt für die Toten 255 Königsgräber 245; 246; 270 — Mumien 259; 318 Kopftafel »289 Kopfstütze 260 Koptos 35 Kothos 416 Kreta 346 Krokodilgott s. Sobk 397 Kronen mit Augen und Schlangen vermischt 21 — der Götter 165; 326 — des Königs 50; 51 Kronos 415 Krypten 371 Kuh als Himmel 14 — heilige 9; 337; 387 Kultus, seine Grundlage 10 (vgl. Kap. 12; 13) Kultvereine 382 Labyrinth 394 Lamarres 394 Lampe 170

Register.

Lampenanzünder 180; 415 Land, schwarzes und rotes 16 Lebenshaus 137; 308; 332 Lehre vgl. Theologie (Kap. 6) — der Ketzerzeit 122 Leichenbesorger (spät) 291 Leichentuch (bemalt) 412 Leichenzug 273; vgl. Tafel 8 Leiter im Grabe 290 Lepsius 131 Leschone 340 Liebesgöttin 30 (vgl. Hathor) Lieder 177, 372, 373; 374; vgl. auch Hymnen und Morgenlied Literatur, alte 324; vgl. auch 208 Lotusblume *62 Luftgott s. Schu. Lucian, über die ägyptischen Götter 424 Luksor (als Bau) 194 Maat 57; »58; 157 Mafedet 46 Makarius 416 Malcesine 428 Mandulis 357 Manetho 383 Massengräber 274; 410 Mastaba ^250 Medamot 37; 181 Medinet Habu 195; kleiner Tempel 89 Mehit 33 Memphis 25; Lehre von M. 91 Mendes 44; M. Stele 362 Menschen, aus Tränen entstanden 66, 106 Empörung 63 — gegen Re. 114; 152 Merikare, Lehre für 160 Merit-seger 146 Meroe 354; 356 Mesechenet 52; 308 Milchstraße 215 Min *355 *3Ö; vgl. auch S. 103 Mischgestalten von Göttern *3io; 325 Mithras 396 Mnevis »27; 114; 152; 386 Mitgötter 351; 360 Mond 22 Month 37; 181 Morgenlied 178; 431 Morgenstern 23

461

Moses 405 Mumien *26o; 276 291; *4ii; 412; Mumienbild 411 Mumienetikette 413 Mundöffnung 267 Musik 178; 374 Mut 31; 32; vgl. Titelbild Mysterien d. Osiris 371 Napata 353 Nastesen 354 Naukratis 339 Nechbet *32; 50 Nechen 29; 50 Nebengötter 166; vgl. Mitgötter Nectanebus 338 Nefertem *4g; 63 Neith 33; 76; 333 Nekropole 143; 146 Nephthys »34; 72; 73; 417 — für Sechat 57 Nechmetbarke 143; 183; 197 Neujahrsfest 371 Neunheit 90,; 91; u. o. (der Götter) Nil 16; "17 Nilquelle 379 Ningal 151 Nitokris 319 Nubien 351 Nun 61 — als Ptah 92 Nut 15; 30; *62j 65; *2ig Oase 317; 350 Obelisk »170; 358 Ohren als Zeichen des Er hör ens ^145 Ombos 8; 45 On (Heliopolis) 26 Onuris 34; 49; 66; 148 Opet, Luksor 198 Opetfest 198 Opfer u. ihre Benennungen 176 — für Götter 10; 191; 192 — -mahlzeit 181; 198 — -speisen, wie verwendet: 191; 192 — formel 210; 255 — für Tote siehe Totenopfer — -ritual 176; 268 tiere 176; 336 Orakel 154; 155; 316; 337; 403 Orion 23 Osiris »40; 81; 93; 137

462

Register.

Osirislehre, ihr Alter 220 — als Vorbild d. Toten u. Totengott 40; 75; 217; 218; 224 — als Orion 24 — als Sonnengott 103 — -seele 95; 380 — -feiern 335; 377; 378 — -figuren 289; »379 — -gefäß *39i; »433 grab 378; «379; 380 — Leiche *4o; »381 — -mysterien 378; 382 — -reliquien 377 schlänge »391; »392 — -sage; 68 Anm. 72; 78; 83; 84; 9» —, Boten d. 82 tempel auf d. Dach 370 Osorkon 320 Ozean 16 Fachet 33 Pan 35; 333 Paederastie 81 Anm. Pastophoren *4Oi; 432 Patäke *i48; 310 Pavian (Thoth) 39 Pavian beim Sonnenaufgang *2O Peker 182

Pctbe 415 Petesuchos 395 Petosiris 339 Pfortenbuch 237 Phüae 356; 357; 361; 362; 404 Phoenix *28; 97; 333 Phylen 188 Anm.; 364; 401 Plutarch und d. Osirissage 83; 425 Pluto-Osiris-Serapis 409 Poimandres 345; [.07 Pompeji »429; *43o Pramarres 394 Priester 166; 187; 188; 398; 399 — als Angestellte des Staates 360 —, ihre Kleidung 400 —, ihre Laufbahn 202 —, ihre Einkünfte 401 —, ihre Zahl 400 —, ihre Wahl und ihr Wissen 402 Priesterinnen 181; 189; 201 Priestertum 187; 324; 337 Propheten 187; 401 Prozession 180; 369

Psammetich 319 Ptah 25; *26; 58; vgl. Ta-tenen — in d. Theologie 91 — als Sonnengott 135 Ptahotep 159 Pylon 167; »169 Pyramiden 246; 247; '248 —, kleine in Gräbern 126; 279; *28o — in Nubien 355 Pyramidentexte 208; 209; 249 Quellöcher 16 Ramses II. 136 —, Stadt 137 Räuchern 177 Re 17; 27; vgl. Harachte —, Zusammensetzung mit anderen Göttern 50; 103; Sohn des Re als Kg. 52 Rechtfertigung d. Toten 224 Reiche, die beiden 8; 50 Reichsgötter Amon, Re, Ptah 134 Reinheit der Priester 190 Renen-utet 46 Rescheph 143; 149; 348 Rhea 415 Ritual des täglichen Kultus 173 Rom 420 Römische Götter 396 Rosetau 26 Rote Farbe 39 Sabaoth 405 Sachmet *34; 58 — des Sahure 144 Sahure, 257 — Totentempel 144 Sais 33; 331 Sarg 260; 274; 287 — außerhalb Ägyptens 347 Sargtexte 208; 221 Satis 35 Schabako 91 Schafe 145 Schakalgötter 43 Schalttage 84 Schatten des Menschen 231 Scheintür »251 Schenute 416 Schiffe als Beigabe der Toten 243; 262 — der Götter 180 Schilfbündel zum Übersetzen 20

Register.

Schlangen 45 Schlange des Re 66, siehe Uraeus Schlangenzauber 297 Schmun (Hermopolis) 39; 61; 94 — Lehre von 93

— Tempel von 340; 424 Anm. Schnatterer, der große 62 Schnur mit Knoten * 311 Schöpfungssagen 6l Schrein als Barke *i8o Schrift der griechischen Tempel 368 Schriftzeichen

von Schlangen usw.

getilgt 263 Schu 15; 33; *6a; 65; 66; 90 Schule s. Lebenshaus Schutzgöttinnen d. beiden. Reiche 2i; *32 Schwalbe 153 Schweigende, der 141 Schweine 337 Schweiß des Gottes 96; 176 Seele 125; 210; vgl. Ba u. Ka Seelen d. Götter 96; 172 — des Re 97 — des Königs 97

Seele, vereinigte (Doppelseele) 98; 103; 137 — des Gottes im Tiere 97 Seelen der Stadt-Götter 98 Seelenwanderung 293 Selket 35; 45 Sempriester 267 Senmut, sein Grab usw. 275 Sepa (Tausendfuß) 45 Serapeum in Alexandrien 385; 416 — in Memphis 385 Serapis (Osiris Apis) 384; 385; 389 — in Europa 419 — in Indien 419 Serdab 264

Seschat 57 vgl. Tafel 2 Seth (vgl. auch Sutech) 8; 22; *37; 69; 137 —, Patron des Königs 50 —, Gott der Wüsten, Anm. 82 —, verfehmt 317 — als Schwein 337 — -Sutech in Oasen 350 — in Verfluchung 405

— tier »38 Sistrum »179 Siwa 350

463

Skarabaeus 17; 126; vgl. auch Herzskarabaeus Skorpion 45

zauber 297; 298; 305 Sobk (Suchte) 44; *45; 89 Anm.; vgl. auch Soknopaios u. Suchos Sokaris *26

— als Name des Ptah 49 Soknopaios 399; 404 Sohn des Gottes 56 — auch bei Nichtkönigen 56 Anm. Sonne, Käfer, verschiedenes 17 — als Falke 18 — ab Gans 62 — als Greis 18

— als Kalb 18 — als Kind 17 Sonne, geflügelte *2g; 99 —, ihr Wohnort 20 Sonnenaufgang 19 Sonnenauge 21; 30; 64; 65; 66 — Hathor 22 Sonne schauen 176 — beim Kultus 372 Sonnengott 27; 63 — Selbstbegattung 90 Sonnenkind in der Blume *62 Sonnenschiffe 17; *i8; 19; 299 Sonnentempel d. 5. Dynastie 102 — unter Amenophis III. *no — in der Ketzerzeit 114

— v. Teil Amarna 118; *ug Sopdu 30 Sothis siehe Hundstern 23 Speiseverbot 191; 337 Sphinx, große 144 -— im Grab 290

— geflügelt 393 Sprache d. griechischen Tempelinschriften 368 Sprüche Salomonis 162 Spukende Tote 239; 241; 296; 305 Spukende Götter 416 Staatsreligion 136; 139 Stadtgötter 7 Standarten im Grab 290 Statue d. Toten im Tempel 264; 268; 276 Sterne 23; 212 Stolisten 401 Strabo 396 Strafe der Sünder 229; 408

464

Register.

Stundenpriester 188 Suchos Osiris 387 Suchos heiliges Krokodil 397; vgl. Sobk Sumerischer Name im Zauber 405 Sündenbekenntnis 226 Sutech 104; 137; *i49; 317 (siehe Seth) Sykomore in Memphis 154 — am Himmel 315 Tagewählerei 312 Tania 104 Anm. Taricheuten 410 Ta-Tenen 25; 89 Temet 33; 66; 90 Teil Amarna Gründung 117 — Kunst 119 — Tote u. Gräber 124; 125 — Zerstörung 130 Tempel der Urzeit 165; *i66 — normaler Form '167 — innere Pracht 195 — griechischer Zeit 369 — -Verwaltung als Fabrikant 399 Theben 35 —, heilige Stadt 138 Götter v. Theben Lehre v. Theben 94 Theologie 91; 184; 324 Totenglaube vgl. Kpt. 14 — griechischer Zeit 407 Thoth vgl. Hermes — 22; *39J 57; 65; 66; 70 vgl. Tafel 2 — als Herz 92 —, Gemeinde des 344 Thripis 394 Tiere, heilige 8; 145; 152; 322; 333; 396 Tierfabeln 67 Tiergräber 334 Toeris 86; »146 Töpfe, zerschlagen 306 Totenbuch, Totenfiguren siehe Uschebti Totengericht 224; *225; 231; 408 Totengötter 211 Totenklage 73; 273 Totenliteratur 208; 283; 285 Totenmahl »244; 245; 253; 273; 274; 347 Totenpflege 207

Totenpriester 254 Totenreich im Westen 211 — am Himmel 212 — im Westen in d. Unterwelt 19; 2ii; 212; 213; 214; 220 —, Schicksal d. Seligen 229; 230; 231 — in griechischer Zeit 407 Totenrichter 226 Totentempel Dyn 5; 247; 248 — des neuen Reiches 270 Totenwesen in Nubien 355 Träume und Traumdeutung 312; 312 Anm.; 388; 402 Traumbuch 312 Tutanchaton — Tutanchamon 128; vgl. Tafel 4 Typhon 83 — Seth 333; 405 Uabpriester 187 Uennofre 75 Umgebung des Ketzerkönigs 121 Unamun 315; 349 Unterhimmel 17 Unterwelt 17 Unterwelt 17; siehe Totenreich Up-uat *43; 180 — als Soldat 393 Uraeus 19; 56 Urgötter 61; 94 — die acht 94 — in Theben 95 Urhügel 61; 94 Uschebti 126; 276; *277; 290; '292 Userhetbarke 197 Uto (siehe Buto) 32 Uzaauge 22 Verfolgung der Götter in der Ketzerzeit 115; 116; 117 Verklärter 267; 440 Vermögen des Gottes 191; 203; 360; 399 Vertilgung der Menschen 63 Verwandlung der Toten 223 Vogelgestalt des Gottes 325 Wahrheiten, die beiden, siehe Maat 71 —, Halle d. 226 Walfahrtsort 404 Waschung 337 Weihung d. Priester 189

Register.

Weihrauch 177 Weisen, die alten *3a6; '327; siehe auch Imhotep Westen als Gegend der Toten 19 Westlichen, die = die Toten 211 Widder des Amon 152; 335; 353 Widdergötter 43; 44 Wiederherstellung von Denkmälern

324

Wolken ig Wortspiele 65 Xerxes 361 Zauber, seine Entstehung 295 — -schütz 295 — für Götter u. Götterbilder 306; 307 — für Krankheit 305

E r m a n , Religion der Ägypter.

465

Zauber fur Krokodil 298 — für Schlangen 297 — zum Schutz für Tote 222; 307; — vielseitige Anpreisung 309 — zur Verwünschung 403 Zauberbücher 308 — -figuren »303; »304 kraft (Heka) 311 — -lehrling 407 — sprüche, ihre Formen 296; 297 — christliche 417 — -worte, fremde 303; 405 Zeremonien bei Bestattung 267 Zeus-Amon 333; *38§ Zepter der Götter 165; 166 Ziegelpyramide *2Ö5; 270 Zoser 246; 329; 356 Zweiwegebuch 232

30

Nachwort Wenn nach mehr als 30 Jahren der Neudruck eines Werkes erscheint, dessen Gegenstand eine Darstellung der ägyptischen Religion ist, so dürfte es angebracht sein, sich den Standort seines Verfassers und das Ziel seiner Arbeit erneut zu vergegenwärtigen und ein Wort darüber zu sagen, inwiefern sich seitdem unser Verständnis dieses Gegenstandes verändert hat. Sich darüber Rechenschaft abzulegen, erscheint umso berechtigter, als es sich ja bei der Ägyptologie immer noch um eine „junge" Wissenschaft handelt, in deren Leben 30 Jahre ihre Bedeutung haben. Und auch dies bedarf der Erwähnung, daß Adolf Erman ja eigentlich noch in die „Gründerzeit" unserer Wissenschaft gehört, daß wir ihm die Konsolidierung nicht weniger Fachrichtungen in ihr verdanken, daß seine „Religion" das mehrfach von Grund aus neugeformte Ergebnis seiner Studien ist, das dann schließlich wenige Jahre vor seinem Tode diese nun wieder erschienene Gestalt angenommen hatte. Erman selbst hat in seiner Autobiographie1 recht deutlich davon gesprochen, wie er seine Stellung zu seinem Gegenstand selbst auffaßte und was er mit seiner Darstellung bezweckte; nachdem er kurz und ein wenig ironisch jene Versuche gestreift hat, das Phänomen „ägyptische Religion" aus irgendeiner einzigen Begrifflichkeit heraus erklären zu wollen, bekennt er sich zu dem Reiz, den das Betrachten „von außen" dieses in der Geschichte lebendig wirkenden Gegenstandes gewährt; und er fährt dann fort: „Zwei Dinge sind es dann, denen ich in der ägyptischen Religion am liebsten nachgegangen bin. Das eine ist das Wirken der dichterischen Phantasie, denn die Spielt, und gerade in den früheren Epochen, eine viel größere Rolle, als wir in unserer philiströsen Auffassung es uns denken, und vieles, was uns im Glauben der Ägypter so widersinnig scheint, geht gewiß nur auf Bilder seiner poetischen Sprache zurück. Wollen wir wirklich glauben, daß die Ägypter jemals im Ernst den Himmel für den Bauch einer Kuh gehalten haben? Oder die Sonne im Ernst für das Auge eines 1

Adolf Erman, Mein Werden und mein Wirken, Leipzig 1929, S. 280.

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großen Falken, der am Himmel fliegt? Da und in so vielen ähnlichen Fällen sind Bilder aus der Poesie in der Sprache festgewurzelt, und man braucht sie gewohnheitsgemäß, ohne daß man sie darum für bare Münze nimmt. Auch wir sprechen ja von Gottes Hand und Gottes Auge und stellen sie auch dar, ohne ihm darum den Besitz dieser Körperteile zuzuschreiben. — Ein anderer Punkt, um den ich mich immer bemühe, ist es, zu zeigen, daß wir die offizielle Religion, wie sie uns in den prächtigen Tempeln entgegentritt, nicht ohne weiteres für die wirkliche Religion des Volkes halten dürfen, für jenen Glauben, der den einzelnen im Leben aufrecht erhält. Für dessen Nöte hat er sich schlichtere Helfer erdacht, an die er sich mit mehr Vertrauen wenden kann, als an die gewaltigen Götter seines Königs. Es ist mir immer eine Freude gewesen, daß ich Gebete und Weihungen nachweisen konnte, die diesen wahren Glauben des einzelnen Menschen zeigten." Damit ist vieles gesagt. Nicht zufällig steht hier „das Wirken der dichterischen Phantasie" an erster Stelle. Sie ist für den „vernünftigen" Gelehrten des ig.Jhdts., der Erman im Grunde war, der legitime Zugang zu vielen uns schwer verständlichen Erscheinungen in Wort und Bild; und zweifellos besteht diese Bewertung zu recht gegenüber nicht wenigen sprachlichen und bildlichen Formungen. Ebenso kennzeichnend ist seine Scheidung in „die offizielle Religion" und „die wirkliche Religion des Volkes". Aus seiner Bewertung dieser beiden Seiten macht er keinen Hehl. Zu Beginn des 6. Kapitels bezeichnet er — gleichsam mit einem heute noch hörbaren Stoßseufzer — die Theologie als den „trübsten Teil der ägyptischen Religion", welche Einschätzung er allerdings ehrlicherweise auch der christlichen Theologie gegenüber zum Ausdruck bringt. Dem stellt er die „wirkliche Religion" gegenüber, den undogmatischen Glauben, das „Gefühl Schlechthinniger Abhängigkeit" als Erscheinung des religiösen Lebens, die auch uns unmittelbar verständlich scheint. Man sieht: Der Meister, der den Stoff beherrscht und ihm hier wie immer mit größter Unmittelbarkeit (fast möchte man sagen: Naivität) gegenübersteht, formt ihn nach seinem Bilde; aber — und das unterscheidet ihn von manch anderem Darsteller — er legt vor sich und seinem Leser klar und deutlich darüber Rechenschaft ab. Haben wir also in Ermans Buch nur ein durch die Person des Verfassers und durch seine Zeit bestimmtes Werk vor uns, das mehr über diese beiden aussagt als

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über den Gegenstand, von dem es handelt? Nun, ich glaube, wenn wir uns einen Überblick über das seither Erarbeitete zu verschaffen versucht haben, wird eine Antwort auf diese Frage leichter zu geben sein. Selbstverständlich kann es sich dabei nicht darum handeln, eine Bibliographie der ägyptischen Religionsgeschichte seit 1934 zu geben. Zunächst ist zu unterscheiden, was seitdem an neuem Quellenmaterial gefunden oder erschlossen worden ist und was an neuen Fragestellungen oder Ergebnissen die wissenschaftliche Forschung erarbeitet hat. Natürlich kann, um mit dem ersten Gebiet zu beginnen, nicht alles aufgezählt werden, was mittelbar oder unmittelbar als Quelle zur Religionsgeschichte gewertet werden kann, sondern es sei nur auf große Gebiete hingewiesen. Zweifellos ist da f. erster Stelle die große Sammlung der Sargtexte zu nennen, die m^i in 7 Bänden vorliegt, und von denen vorher nur Einzeltexte und eine begrenzte Sammlung durch Lacau bekannt waren2. Dieses Spruchgut ist auf Särgen der i. Zwischenzeit und des Mittleren Reiches aufgezeichnet (zuzüglich weniger Papyri). Obwohl es in der vorbildlichen Textausgabe allgemein zugänglich ist, fehlt noch eine systematische Bearbeitung. Diese müßte zunächst die Quellen zu scheiden versuchen, aus denen die Sammlungen zusammengeflossen sind, und daran anschließend eine Datierung sowohl der Quellen wie der einzelnen Sprüche. Mit Sicherheit läßt sich sagen, daß die Sargtexte Spruchgut der königlichen Pyramidentexte verwenden (aber in welchem Umfang? Nach welchen Auswahlprinzipien?), daß sie ferner auf Literaturwerke (wohl verlorene Texte der sogenannten Auseinandersetzungsliteratur und Traktate) zurückgreifen, daß sie Ritualsprüche zürn Beispiel zur Mumifizierung bewahrt haben, aber auch Sprüche aus dem Tempelkult (z. B. der Hathor), in großer Menge natürlich Sprüche für den Gebrauch des Toten im Jenseits (gegen Feinde und Gefährdungen, zur Erlangung der Opfer usw.), in denen vielleicht unterscheidbares lokales Traditionsgut steckt, Zaubersprüche, aber auch 1

The Egyptian Coffin texts, ed. by Adriaan de Buck and Alan H. Gardiner,

Einordnung gibt Hermann.Kees, Sargtexte und Totenbuch, in: Handbuch der Orientalistik, i. Band Ägyptologie, 2. Abschnitt Literatur, Leiden 1952, S. 39 ff-

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mythologisches Traditionsgut, zum Teil in Gesprächsform. Dieser auf den ersten Blick erkennbare thematische Reichtum macht sie unbedingt zu einer der wichtigsten Quellen, zumal sie offensichtlich wenig veränderte Texte aus der geistig entscheidenden Phase zwischen dem Alten und dem Mittleren Reich enthalten. Andererseits stellen sie das Bindeglied zwischen den Pyramidentextcn des Alten und den Totenbüchern des Neuen Reiches dar. An zweiter Stelle würde ich die begonnenen und erst zum Teil abgeschlossenen Veröffentlichungen der großen Tempel der Ptolemäer- und Römerzeit nennen (Edfu8, Dendara4, Philae5, Esna', Tempel der Opet7). Hier lag freilich schon mancherlei in den auswählenden Publikationen von Mariette, Dümichen, Bonedite, Piehl, Brugsch u. a. vor. Doch außer daß es diesen älteren Publikationen vielfach an Genauigkeit fehlte, ließen sie zudem wegen ihres Auswahlcharakters den Zusammenhang des Ganzen und das Verhältnis von Text und Bild zum Raum, in dem es angebracht war, nur schwer oder ungenügend erkennen. Zwar war Erman ein gut Teil mehr als das damals Veröffentlichte bekannt, da ihm ja die Zettelsammlungen des Berliner Wörterbuchunternehmens vorlagen. Doch riß gerade diese Verzettlung die Dinge aus ihrem jeweiligen Zusammenhang. Nun ist es freilich auch hier so (wie bei den Sargtexten), daß die Textmengen eine systematische Durchdringung und sozusagen Aufschlüsselung unendlich erschweren (NB! Vielleicht ist das Problem der Mengenbewältigung in der Ägyptologie der Punkt, wo am ehesten und nützlichsten moderne Aufbereitungsmethoden eingesetzt werden können). Alter und Herkunft der in diesen Tempeln aufgezeichneten Rituale, mythologischen Stücke, Bildreihen usw. festzustellen, ist eine Aufgabe, die zum guten Teil noch vor uns liegt8. Umso erstaunlicher ist es, wie Erman im 21. Ka* De Rochemonteix (ab Band 3: fimile Chassinat), Le temple d'Edfou, Me"moire de la Mission archeblogique Frangaise, I—XIV, Kairo 1897—1934. 4 Emile Chassinat, Le temple de Dendara, I—V, Publications de FInstitut Francais d'Archeologie Oriental, Kairo 1934—1947. Frangois Daumas, Le Mammisi de Dendara, ebenda 1959. * Hermann Junker, Der große Pylon des Tempels der Isis in Philae, österr. Akad. der Wissenschaften, phil. hist. Klasse, Sonderband, 1958. — Ders. und Erich Winter, Das Geburtshaus des Tempels der Isis in Philae, ebenda 1965. * Serge Sauneron, Le temple d'Esna, Publications de l'Institut Francais d'Archeologie Oriental, I, II, V, Kairo 1959—1963. 7 Constant de Wit, Les inscriptions du temple d'Opet a Karnak, Bibliotheca Aegyptiaca XI, Brüssel 1958. ' Ein Beispiel stellt die Monographie von Fra^ois Daumas dar: Les Mammisis des temples egyptiens, Annales de l'Universiti de Lyon, 3, 32, Paris 1958.

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pitel seines Buches mit dem ihm eigenen Verständnis für das Entscheidende die Bedeutung dieser Tempel und ihre Stellung in der Tradition der Überlieferungen charakterisiert. Weiterhin wären einzelne gewichtige religiöse Texte zu nennen, die neuerdings gesammelt oder überhaupt erst entdeckt worden sind. Zu den letzteren gehört der Papyrus Jumilhac* im Louvre, eine wohlerhaltene Handschrift der Spätzeit, der die Kulttraditionen und ihre mythologische Begründung für das Gebiet des 18. oberägyptischen Gaues enthält. Solche Dokumente hat es sicher mehrere gegeben und das erhaltene Beispiel erweist ihre Wichtigkeit für das Verständnis der Lokaltraditionen (s. u. S. 472). Wesentliche Beiträge zur Mythologie enthalten die ebenfalls der späteren Zeit zugehörigen „Mythological Papyri", die Alexander Piankoff ediert hat10, und der Papyru's Salt 825 im Britischen Museum11, ein eigenartiges, reich mit mythologischen Anspielungen durchsetztes Ritual für die Bewahrung des Lebenshauses. Zu nennen wäre auch eine neue und eindringliche Veröffentlichung des Buches, das die Fahrt der Sonne durch die Unterwelt schildert, des sogenannten Amduat12, das Erman zwar im 14. Kapitel bespricht, über das er aber im Zusammenhang den, geschichtlichen Entwicklung des Vorstellungskreises und thematisch angrenzender Literaturwerke heute vielleicht anders urteilen würde. Und schließlich darf nicht vergessen werden, was die Archäologie, das heißt die Ausgrabungen besonders in Nekropolengebieten und die Freilegung und Aufnahme von Tempeln in den letzten Jahrzehnten Neues gebracht hat. Vielleicht darf man da an erster Stelle die i2-bändige Veröffentlichung Hermann Junkers über seine Ausgrabungen auf dem Westfriedhof von Giza nennen13. ' Jacques Vandicr, Le papyrus Jumilhac, Centre National de la Recherche scientifique, Paris o. J. 10 Alexander Piankoff und N. Rambova, Mythological Papyri, Bollingen Series 40, 3, New York 1957. 11 Philippe Derchain, Le papyrus Salt 825 (B. M. 10051), Academic Royale Belgique, Ntemoires, t. LVIII, Brüssel 1965. — Hier könnten natürlich noch zahlreiche Veröffentlichungen genannt werden, z. B. Siegfried Schott, Bücher und Sprüche gegen den Gott Seth, Urkunden des Ägyptischen Altertums VI i/2, Leipzig 1929—1939; Hieratic Papyri in the British Museum, 4th Series, hg. von 1. E. S. Edwards, London 1960 u. a. m. 12 Erik Hornung, Das Amduat, I/II, Ägyptologische Abhandlungen 7, Wiesbaden 1963; III, ebenda 13, 1967. " Hermann Junker, Giza I—XII, Denkschriften der Akademie der Wissenschaften in Wien (später: österreichische Akademie der Wissenschaften), 1929—1955.

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Zwar war die Feldarbeit selbst längst abgeschlossen und durch Vorberichte bekannt gegeben. Aber die ausführliche Publikation bietet ja nicht nur das reiche Material in allen Einzelheiten, sondern enthält zugleich abhandlungsähnliche Ausführungen zu grundlegenden Fragen des Totenkultes und der Grabarchitektur (etwa über Totenstatuen, die sogenannten Ersatzköpfe, über Opferkult und Totenstiftungen usw.). Für die älteste Zeit haben die Ausgrabungen Walter B. Emerys14 in Saqqara mit der Auffindung des archaischen Friedhofes mit seinen Riesengräbern der ersten beiden Dynastien völlig neue Fragen aufgeworfen, so etwa die nach der Funktion des „Hausgrabes" und des „Hügelgrabes" in der Frühzeit oder die nach der Bedeutung der Grabarchitektur für den Totenglauben. Thematisch stehen damit im Zusammenhang die Forschungen des Service des AntiquiteV6 auf den frühen Friedhöfen bei Helwan, durch die für den Totenglauben so wichtigen Fragen wie di nach dir Herkunft der Scheintür und des Bildes des Toten vor dem Opfertisch ganz neues Material erhalten haben. Erwähnt werden muß schließlich noch die gegenwärtige rege Arbeit in Nubien und dem Sudan, die der Rettung oder wenigstens wissenschaftlichen Aufnahme der Denkmäler gilt, die der neue Stausee überfluten wird. Die großen Tempel dieses Gebietes freilich waren natürlich schon längst bekannt und durch die Veröffentlichungen der Temples Immergees de la Nubie (1909—1938) zugänglich. Aber was in den letzten 10 Jahren an Privatgräbern, Inschriften, Stadtanlagen, aufgenommen und veröffentlicht worden ist, stellt unsere Kenntnisse auch der ägyptischen Religion in diesem Gebiet auf eine neue Grundlage. Sowohl die Ägyptisierung der Kolonie wie ihre allmähliche kulturelle Verselbständigung, auch bezüglich der religiösen Erscheinungen, läßt sich heute ungleich schärfer und vielseitiger fassen. Auch die Fragen nach der räumlichen und zeitlichen Fernwirkung der ägyptischen Religion 14

Walter B. Emery, The tomb of Hemaka, Kairo 1938; ders. Hör-Aha, Kairo 1939; ders. The great tombs of the First Dynasty, I Kairo 1949, II/III London '954. '958Zur Problematik s. Herbert Ricke, Bemerkungen zur ägyptischen Baukunst I, Beiträge zur ägyptischen Bauforschung und Altertumskunde, Zürich 1944; Alexander Scharff, Das Grab als Wohnhaus in der ägyptischen Frühzeit, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil. hist. Klasse 1944/46, Heft 6. 16 Zaki Youssef Saad, The royal excavations at Saqqara and Helwan, (1941—45), Suppl. aux Annales du Service des Antiquites 3, Kairo 1947; ders. The royal excavations at Helwan (1954—47), ebenda 14, Kairo 1951.

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nach Süden dürfen heute an ein unendlich reicheres und aussagefahigeres Material gestellt werden16. Wie gesagt, kann hier in diesem Zusammenhang nur auf einiges neue Material hingewiesen werden; die Auswahl versuchte im besonderen zu zeigen, wo durch neues Material neue Fragestellungen oder neue Aspekte eröffnet werden können. Ganz anders verhält es sich, wenn wir uns dem zweiten Gebiet zuwenden, der Frage nämlich, welche neue Forschungen das Bild der ägyptischen Religion seither verändert haben. Hier freilich ist eine Auswahl noch schwieriger und wohl auch undankbarer. Gegenstand von Untersuchungen und Darstellungen jst die Religion oder ihre Teilgebiete seit je gewesen; dabei kann eine beschränkte Einzeluntersuchung oft mehr „Neues" enthalten als eine umfangreiche Darstellung. Auch läßt sich eine subjektive Wertung dessen, was denn nun „neu" sei und dabei zugleich zuverlässig begründet und ein tieferes Verständnis ermöglichend, bei diesem Gegenstand nicht vermeiden. So kann das Nachstehende nur als ein Versuch gelten, methodisch neue Forschungen zu skizzieren, ein Versuch,· von dessen Unvollständigkeit und Anfechtbarkeit ich voll und ganz überzeugt bin. Um nicht ins Uferlose und Ungeordnete zu gleiten, möchte ich das Folgende in drei Fragenkreise zusammenfassen: 1. Arbeiten, die eine historisch-kulttopographische Methode befolgen. 2. Untersuchungen des Zusammenhanges zwischen Kultbauten, Ritual und Mythen. 3. Versuche, die Eigenbegrifflichkeit der ägyptischen Religion zu erhellen. Im Anschluß daran wäre auf einige zusammenfassende Darstellungen hinzuweisen, die in verschiedenem Grade die vorher besprochenen Methoden und ihre Ergebnisse benutzen. Daß ägyptische Götter und mythische Vorstellungen in vielen Fällen besondere Beziehungen zu einzelnen Orten hatten und daß die Ägypter selbst den Begriff des Ortsgottes (wörtlich „Stadt" Die Ergebnisse der jährlichen Grabungen und Aufnahmen werden mit vorbildlicher Regelmäßigkeit veröffentlicht in der Zeitschrift Kush, Khartoum 1953 ff. s. ferner Fritz Hintze, Die Inschriften des Löwentempels von Musawwarat es Sufra, Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst, Berlin 1962. Zusammenfassende Darstellungen: A. J. Arkell, A history of the Sudan, 2.Aufl. London 1961; P. L. Shinnie, Meroe, Ancient Peoples and Places 55, London 1967.

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gottes") kannten und in Darstellungen ihrer Götterwelt vielfach eine topographische Ordnung verwendeten, war seit langem bekannt. Es bot sich hier ein sehr reichhaltiges Feld der Untersuchung, die ursprüngliche Heimat eines Gottes, seinen ursprünglichen Kultbereich festzustellen und die sich hieraus möglicherweise ergebenden Fakten über seine religiöse Geltung zu sammeln. Da nachweisbar (durch Übernahme sekundärer Kultnamen, Übertragung von Götternamen auf Götter anderer Benennung oder anderer Kultnamen, Verpflanzung von Göttern und ihren Kulten an andere Stätten) diese Kulttopographie dauernde Veränderungen unterworfen war, ergab sich die Aufgabe, den ursprünglichen Kultbestand (soweit erkennbar) von späteren Änderungen abzuheben und nach den Gründen derartiger Veränderungen zu fragen. Damit kam ein durchaus historisches Element in Frage und es ergab sich sozusagen von selbst eine Verbindung zwischen Religion und Politik. Vor allem erschien es möglich, mit mehr oder weniger großer Sicherheit auf diesem Wege und unter Zuhilfenahme mythischer Erzählungen ein Stück der Urgeschichte Ägyptens zu erschließen. Ein auf diesem Wege gewonnenes Bild hatte Kurt Sethe bereits in seinem 1930 erschienenen Buche „Urgeschichte und Älteste Religion der Ägypter" gegeben17, das er selbst freilich im Vorwort einschränkt mit den Worten „Wer es nicht glauben will, mag es nicht glauben"; trotz aller aufgewandten Akribie und Scharfsinn wird man heute diesem Bilde den Glauben versagen müssen, zumal es in wesentlichen Punkten weder von der historischen Überlieferung, noch von der archäologischen Forschung bestätigt wird. Doch erweist sich die historisch-kulttopographische Methode grundsätzlich als außerordentlich fruchtbar, um überhaupt Kultbestände in ihrem historischen Gewordensein zu begreifen und einen guten Teil (keineswegs alle) Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten zu verstehen, an denen ja auch Erman so nachdrücklich Anstoß genommen hatte. An erster Stelle ist hier Hermann Kees zu nennen, der wohl diese Methode am vollendetsten dargestellt und durchgeführt hat. Als Zusammenfassung zahlreicher Einzeluntersuchungen entstand sein Werk „Der Götter17

Kurt Sethe, Urgeschichte und älteste Religion der Ägypter, Abhandlungen zur Kunde des Morgenlandes 18, Leipzig 1930. In verwandtem Sinne ist auch sein großer, nach seinem Tode erschienener Kommentar zu den Pyramidentexten geschrieben: Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten, i—6, Glückstadt-Hamburg, bis 1962.

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glaube im alten Ägypten" (2. Auflage Berlin 1956). Das überreiche Material, das nach dieser Methode aufzuarbeiten und zu deuten ist, konnte natürlich nicht in einem zusammenfassenden Werk dargestellt werden; und so sind hier nicht wenige Arbeiten einzuordnen, wobei vor allem auch die Forschungen französischer Ägyptologen Wertvolles beigetragen haben. Als besonders ergiebig erweist sich dabei immer das Material der Spätzeit in Inschriften aus der Provinz und das in den Ptolemäertempeln überlieferte Textgut (Gauprozessionen, Götterprozessionen u. ä.)18. Es steht ganz außer Frage, daß Forschungen dieser Art unsere Kenntnis der ägyptischen Götterwelt und der Kulte unendlich bereichert und konkretisiert haben. Zugleich führen sie dadurch, daß sie auch nach dem Wie dieser Götterübertragungen, Verschmelzungen, Trennungen fragen, an das Verständnis spezifisch ägyptischen Denkens heran. Auf der anderen Seite muß man sich natürlich auch der Grenzen bewußt bleiben: Es kann hier nur eint Seite des großen Phänomens „Religion" erhellt werden; auch von hier aus bleibt es doch ein Betrachten „von außen". Die grundsätzliche Gefahr, die mit dieser Methode verbunden ist, liegt ebenfalls offen: Sie kann leicht zu einer Überbewertung des historischen und politischen Geschehens als eigentlichen Agens vor einer a priori zu erwartenden Eigengesetzlichkeit des religiösen Lebens führen. Verhältnismäßig neuen Datums sind Untersuchungen, die das gegenseitige Bedingen und Beeinflussen verschiedener Manifestationen des religiösen Lebens zum Gegenstand haben. Die hier aufgeworfenen Fragestellungen und ins Blickfeld gerückten Materialgruppen haben noch keineswegs eine systematische Geschlossenheit erreicht und die Ergebnisse, die auf diesen Wegen erzielt sind, bedeuten deshalb noch keinen Abschluß. Unbezweifelbar ist es aber meines Erachtens, daß sich hier neue Wege zum Verständnis des Phänomens ägyptische Religion auftun. 18

Etwa die Artikelreihe über den Ort Sachcbu und seinen Gott (wichtig wegen der Rolle des Re von Sachebu im Pap. Westcar): Serge Sauneron, Kemi XI, .1950, S. 63ft.; Janine Monnet, ebenda XIII, 1954, S. 28ff.; Jean Yoyptte, ebenda XV, 1959, S. 75ff. Ferner wären auswahlweise zu nennen: Philippe Derchain, Bebon, le dieu et les mythes, Revue d' Ägyptologie 9, 1952, S. 23 ff. Den. Un manuel de geographic liturgique ä Edfou, Cnronique d'ßgypte XXXVII Nr. 73, 1962, S. 31 ff. Herman de Meulenaere, Cultes et sacerdoces ä Imaou, Bulletin de l'Institut Francais d'Archeologie Oriental 62, 1964, S. 151 ff. Jacques Vandier, lousaas et (Hathor)-Nebet-Hitepet. Revue d'figyptologie 16, 1964, S. ssff.; 17, 1965, S. 89«".; 18, 1966, S. b7ff. u.a.m.

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Um diese Untersuchungen an Beispielen zu verdeutlichen, wird man am besten von den Ritualen ausgehen. Das überlieferte religiöse Textgut besteht ja zu einem überwiegenden Teil aus Ritualtexten (auch innerhalb der Textsammlungen wie Pyramidentexten und Sargtexten), das heißt aus Sprüchen, die zu bestimmten und bestimmbaren rituellen Handlungen gehören; hinzu kommen Ritualbücher, das heißt Aufzeichnungen, die zugleich die Bezeichnungen (oder Beschreibungen) ritueller Handlungen, das dazu gesprochene Wort und szenische Vermerke enthalten (auch als „Dramatische Texte" bezeichnet). Dieses rituelle Spruchgut steht einmal in einem bestimmten Verhältnis zu mythischen Überlieferungen und zwar in dem Sinne, als die Rezitationen zu Handlungen zahlreiche Anspielungen auf Vergleichbares in der mythischen Welt enthalten. Es ist nun dabei so, daß die Rezitationen nicht Erzählungen mythischer Vorgänge darstellen, sondern Einzelheiten der rituellen Handlung durch Wortspiel, Vergleich, Ähnlichkeiten der Konstellation mit mythischen Namen oder Konstellationen gleichsetzen. Auf diese Weise werden nicht nur eine Fülle mythischer Einzelzüge bewahrt, sondern diese Methode, Rituale mit mythischen Stoffen zu durchtränken, hat offensichtlich befruchtend und formend auf die Mythen selbst eingewirkt. In Einzelheiten umstritten, durch seine Fragestellung aber tief in Neuland vorstoßend, ist als Hauptwerk hier das Buch von Siegfried Schott, Mythe und Mythenbildung zu nennen19. Zum anderen besteht zweifellos auch ein Verhältnis zwischen Ritualen und dem Ort, an dem sie vollzogen werden. A priori ist anzunehmen, daß Bauten für die Durchführung szenenreicher Ritualhandlungen auf die Erfordernisse dieser Rücksicht nehmen, ja, vielleicht sogar als „Bühne" für das verstanden werden dürfen, was in ihnen sich „abspielt". Es sind hier zwei Untersuchungen zu nennen, die von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen und verschiedene Ziele verfolgen, beide aber dem Zusammenhang zwischen Ritualvollzug und Kultbauten nachgehen: Von der Erkenntnis ausgehend, daß auch die Pyramidentexte weitgehend Ritualsprüche enthalten und diese das königliche Begräbnis betreffen, haben Herbert Ricke und Siegfried Schott versucht, die Entwicklung der Pyramidentempel des Alten Reiches in Einklang zu bringen mit dem in den 19

Siegfried Schott, Mythe und Mythenbildung im Alten Ägypten, Untersuchungen zur Geschichte und Altertumskunde Ägyptens XV, Leipzig 1945·

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Pyramidentexten enthaltenen Begräbnisritualen20. Die baulichen Veränderungen der Tempel erscheinen dann als notwendige Veränderungen der Bühne, auf der sich das ebenfalls sich ändernde Begräbnisritual abspielt; dieses Aufeinander-Abgestimmt-Sein von Raum und Text wird bis in formale Einzelheiten hinein verfolgt. Methodisch anders und anderes Material behandelnd ist eine Arbeit von Dieter Arnold angelegt21: Ihr Gegenstand sind die Göttertempel vor allem des Neuen Reiches und ihre Voraussetzung ist die Überlegung, daß die in einem Raum angebrachten Kultreliefs (und natürlich auch die zugehörigen Ritualsprüche) eine innerliche Beziehung zu dem Raum haben, das heißt auf kultische Handlungen hinweisen, die in den betreffenden Räumen vollzogen worden sind. Der Gewinn dieser Arbeit liegt vor allem in einem besseren Verständnis der Tempel als Bauten. Das Kultprogramm stellt damit einen bestimmenden Faktor für die architektonische Gestaltung des Tempels dar und die Funktion seiner Räume wird von hier aus gedeutet. Daß dieses Kultprogramm natürlich niemals zu einer einzigen Verwirklichungsmöglichkeit zwingt, ist selbstverständlich. Doch ergibt sich meines Erachtens von hier aus eine neue Basis zur künstlerischen Bewertung ägyptischer Tempel, in der Betrachtung der Frage nämlich, wie die bauliche Verwirklichung des kultisch Erforderlichen erreicht worden ist; daß dabei natürlich auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen, versteht sich von selbst (technische Möglichkeiten, bauliche Traditionen usw.). Es war oben (S. 475) gesagt, daß wir einige als Dramatische Texte bezeichnete Ritualbücher haben, die Handlungen, Texte und szenische Vermerke für zusammenhängende Ritualhandlungen umfassen (Ramesseums-Papyrus, Teile des Denkmals memphitischer Theologie, des Mundöffnungsrituals u. a. m.). Es lag nun die Frage nahe, ob sich im erhaltenen Schrifttum nicht Texte fänden, die mit ähnlichen formalen Kennzeichen versehen wie die ^Dramatischen Texte" als Textbücher für szenische Aufführungen so Beiträge zur ägyptischen Bauforschung und Altertumskunde Heft 5, Kairo

1355: Herbert Ricke, Bemerkungen zur ägyptischen Baukunst II; Siegfried Schott, Bemerkungen zum ägyptischen Pyramidenkult. Als Versuch eines grundsätzlichen Verständnisses: Eberhard Otto, Das Verhältnis von Rite und Mythus im Ägyptischen, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil. hist. Klasse 1958, i. 11 Dieter Arnold, Wandrelief und Raumfunktion in ägyptischen Tempeln des Neuen Reiches, Münchener Ägyptologische Studien 2, Berlin 1962.

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verstanden werden dürften. Besonders Etienne Drioton22 ist dieser Frage nachgegangen. Nach ihm haben wir tatsächlich derartige Texte teils in Textsammlungen wie den Sargtexten, teils stärker verarbeitet in Sammlungen von Zaubertexten u. ä. Im Unterschied zu den durch Einzelelemente auf mythische Gegenstände hinweisenden Ritualtexten würden diese dramatischen Texte in Dialogform umgesetzte mythische Stoffe enthalten. Freilich sind trotz allem Hinweise auf ein „ägyptisches Theater" gering und unsicher. Schließlich darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß mancherlei Untersuchungen zu einzelnen Kulthandlungen unser Wissen von der ägyptischen Religion nicht unerheblich vermehrt haben. Dadurch, daß in ihnen die Geschichte, die Verbreitung und gegebenenfalls auch die Deutung und Umdeutung einer Handlung untersucht wird, löst sich die scheinbare Stereotypie der Kultreliefs in den Tempeln auf und sie werden zum lebendigen Zeugnis für das sich im kultischen Handeln niederschlagende religiöse Denken23. Natürlich fehlt es nicht an Versuchen, über eine Beschreibung der nur „von außen" sichtbaren Erscheinungen der ägyptischen Religion vorzudringen in das Innere ihres Wesens. Zweifellos sind solche Versuche legitim und Ermans wohlüberlegte Beschränkung auf die Außenseite mag ebenso mit der von ihm so stark empfundenen Fremdheit ihr gegenüber wie mit dem damaligen Fehlen so mancher Vorarbeiten erklärt werden. Daß Versuche, in das innere Wesen der ägyptischen Religion einzudringen, in besonderem Maße vom Vorverständnis des Betrachters abhängen und erzielte Ergebnisse immer und immer wieder überprüft und durch" ßtienne Drioton, Le theatre egyptien, Kairo 1942; derselbe, Le theatre dans l'ancienne ßgypte, Revue d'Histoire du Theatre, 1954, I/II. 13 Hier kann natürlich wiederum nur Einiges, möglichst Unterschiedliches genannt werden: Ernesta Bacchi, II rituale di Amenhotpe I, Publicazioni eggittplogichi del R. Museo di Torino VI, Turin 1942; Harold H. Nelson, Certain reliefs at Karnak and Medinet Habu and the ritual of Amenophis I., Journal of Near Eastern Studies VIII, 1949, S. 201 ff. ßioff. A. M. Blackman and H. W. Fairman, The significance of the ceremony HWT BHSW in the temple of Horus at Edfou, Journal of Egyptian Archeology 35, 1949, S. gSff.; 36, 1950, S. 63 ff. Eberhard Otto, An ancient egyptian hunting ritual, Journal of Near Eastern Studies IX, 1950, S. i6>4ff. Siegfried Schott, Das schöne Fest vom Wüstentale, Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, Abh. der geistes- und sozialwissenschaftl. KI. 1952, u. Maurice Alliot, Le culte d'Horus ä Edfou I/II, Bibliotheque d'£tudes de FInstitut Francais d "Archäologie Oriental XX, Kairo 1949—1954. Philippe Derchain, La couronne de la justification, Chronique d'figypte XXX Nr. 60, 1955, S. 225ff. Derselbe, Rites figyptiens I: Le sacrifice de l'oryx, Brüssel 1962.

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dacht werden müssen, versteht sich von selbst. Aufs Ga'nze gesehen vermögen sie aber doch, uns der untersuchten Erscheinung näher zu bringen und ihr neue Aspekte abzugewinnen, und sie tun dies meines Erachtens fruchtbarer als monographische Behandlungen einzelner Götter. Hier wären vor allem die Bücher von Henri Frankfort zu nennen, besonders seine sehr konzise, scharf formulierte Darstellungen „Egyptian Religion"24. Es erleichtert zweifellos das Verständnis der vielen „Widersprüchlichkeiten" und „Ungereimtheiten" der ägyptischen Religion, wenn man seinen Gedanken nachvollzieht, daß einer „multiplicity of questions", die an die Unerklärlichkeit der Erscheinungen der Welt gestellt werden, eine „multiplicity of answers" entspricht und daß daher zu den in ihrem Wesen so schwer festzulegenden ägyptischen Göttern eine „multiplicity of approaches" führt. Andererseits wird man das Ausschalten aller historischen Momente (auch im Sinne einer Entwicklung des Denkens und Glaubens innerhalb der Religion) und den Hinweis auf das Statische der Naturerscheinungen als Motiv ihrer Göttlichkeit (z. B. Tierkulte) als eine das Verständnis hemmende Einschränkung betrachten müssen. Doch ist damit das Problem des ägyptischen Gottesbegriffes aufgeworfen. Natürlich wird mehr oder weniger deutlich die Fragwürdigkeit des Begriffes und die Berechtigung der Übersetzung „Gott" vielerorts zur Sprache gebracht26. Man kann hier an die Ubersetzungsschwierigkeiten des undeterminiert gebrauchten ntr in der sogenannten Weisheitsliteratur anknüpfen, ob man es nun nur mit „der Gott", „ein Gott" oder nur „Gott" übersetzen soll; die Frage taucht auf, bei den schwer voneinander zu trennenden Ausdrücken „Seelen", „Mächte", „Götter"26; sie stellt sich in dem Nebeneinander der Bezeichnungen „guter Gott" und „großer Gott"27 und bei den Interpretationsversuchen der Gottesqualifikation „der 14

Henri Frankfort, Ancient egyptian religion, an interpretation, New York 1948 (Neudruck: Harper Torchbooks, The Cloister Library, New York 1961); derselbe. Kingship and the gods, Chicago 1948. n Mit meist älterer Literatur: Friedrich Wilhelm von Bissing, Versuch einer Bestimmung der Grundbedeutung des Wortes NUTR für Gott im Altägyptischen, Sitzungsber. Bayerische Akademie der Wissenschaften, phil. hist. Kl. 1951, a. Gegenstand ist freilich weniger der Gottesbegriff als die Gottesbezeichnung. *· Eberhard Otto, Altägyptischer Polytheismus, Saeculum XIV, 1963, S. 249 ff. 17 Hanns Stock, NTR NFR = Der gute Gott? Vorträge der orientalistischen Tagung in Marburg, Hildesheim 1951.

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Große"28. Zum Verständnis der ägyptischen Gottesbegrifles ist natürlich auch das Verhältnis zwischen „Welt" und „Gott" zu erhellen. Wie unterschiedlich bei unterschiedlicher Ausgangsstellung Überlegungen hierüber ausfallen können, zeigen zwei gleichzeitig erschienene Untersuchungen89. Während Siegfried Morenz zu zeigen versucht, wie „Gott" transzendent wird und sich aus der Welt zurückzieht, wobei unter „,Welt" wesentlich die geschichtliche und gesellschaftliche Welt verstanden wird, glaubte ich zu sehen, daß das Aufeinanderangewiesensein und Ineinanderwirken von Gott, Mensch und Welt (= Kosmos) gerade in den letzten Phasen der ägyptischen Geschichte sich intensiviert; dabei ist es bezeichnend, daß beide Verfasser im Titel ihrer Arbeiten nur das Wort „Gott", nicht „Götter" verwenden. Eine wissenschaftsgeschichtlich höchst eindringliche Analyse der Frage, ob man den Ägyptern als „frühgeschichtlichen" Menschen eine grundsätzlich andere Denkart zubilligen müsse (prälogisch, mythisch, magisch), gibt Hermann Junker30. Seine BegrirTserklärungen und seine sorgfältigen Bewertungen der sprachlichen Quellen dürften manches Vorurteil beiseite räumen und einen direkteren Zugang zum Material erleichtern. Im übrigen berührt er sich in dem Verständnis der sprachlichen Metaphern eng mit Erman. Als Schlüsselfigur für das Wesen und die Entwicklung der ägyptischen Religion gilt mit Recht der König, das heißt seine teils der Götterwelt, teils dem Irdischen zugehörigen Natur. Das Schwergewicht verschiebt sich dabei zweifellos vom erstgenannten Aspekt in Richtung auf den zweiten; es ist ferner bei ihm zu scheiden zwischen der Rolle und dem Dogma des Amtes und der Geltung der Person. Davon wieder zu trennen ist die sich offensichtlich 88

Das Wort wird als Bezeichnung eines „Allgottes" am nachdrücklichsten interpretiert bei Hermann Junker, Die Götterlehre von Memphis, Abh. preußische Akademie der Wissenschaften, ph-1. hist. Kl. 1939, 23. M Siegfried Morenz, Gott und Mensch im Alten Ägypten, Leipzig 1964; derselbe, Die Heraufkunft des transzendenten Gottes in Ägypten, Sitzungsber. Sächsische Akademie der Wissenschaften phil. hist. Kl. 109, 2, Berlin 1964. Eberhard Otto, Gott und Mensch nach den ägyptischen Tempelinschriften der griechisch-römischen Zeit, Abh. Heidelberger Akademie der Wissenschaften phil. hist. Kl. 1964, i. ao Hermann Junker, Die Geisteshaltung der Ägypter in der Frühzeit, Sitzungsber. österreichische Akademie der Wissenschaften, phil. hist. Kl. 237, i, 1961. Ähnliche Gedanken und zugleich eine Kritik an Frankfort (Anm. 24) entwickelt Rudolf Anthes, Mythologie und gesunder Menschenverstand, Mitteilungen der Deutschen Orientgesellschaft 96, Berlin 1965, S. 5 ff.

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gleichbleibende Funktion des Königs als Ritualist, das heißt als des Priesters schlechthin, der durch das Vollziehen des Rituals die Weltordnung aufrecht erhält31. Untersuchungen, die in diesem Sinne die Rolle des Königtums oder auch eines einzelnen Königs zum Gegenstand haben, berühren notwendig wesentliche Seiten der Religion. Mancherlei Forschungen sind noch zu nennen, die wie die über den Gottesbegriff oder das Königtum sich bemühen, spezifische Eigenbegriffe der ägyptischen Religion zu verdeutlichen. Sie stehen gewissermaßen im genauen Gegensatz zu den Untersuchungen und Darstellungen, die von den Göttern und Kulten als gegebenen Größen ausgehen, indem sie diese den gesuchten und untersuchten Begrifflichkeiten unterordnen, bzw. sie als deren Produkt erkennen. Immer wieder ist der Begriff Maat untersucht worden, jener Ordnungsbegriff, der ebenso für die Ethik wie für das staatliche und gesellschaftliche Leben konstitutiv ist. Seine Bedeutung in den „Lehren", wie in einer historisch konkreten Situation, wie seine Funktion im Kult sind neuerdings dargestellt worden; und wenn diese Bemühungen auch nicht zu einer handlichen allgemeingültigen Definition führten (was weder zu erwarten war, noch erstrebt wurde), so tritt die Vielseitigkeit seiner Wirkungen und seine Beweglichkeit auf den verschiedenen Lebensgebieten deutlich hervor32. — Ähnlich steht es mit dem Begriff des Ka, der „Seele", „Lebenskraft", der für die Vorstellung vom Lebendigen und im besonderen für die religiöse Anthropologie wichtig ist33. Von anderen im religiösen wirkenden Begriffen, die nicht durch ein Wort wiedergegeben werden können, aber zum Verständnis ägyptischen Glaubens und Denkens gleich wichtig sind, sei noch das „Schicksal" genannt, die Vorstellungen von dem Bestimmtsein 31

Um nur eine Auswahl neuerer Arbeiten zu nennen: Philippe Derchain, Le role du roi d'Egypte dans le maintien de l'ordre cosmique, „Le Pouvoir et le Sacre", Universite de Bruxelles, Institut de Sociolpgie, o. J. S. 61 ff. Georges Posener, De la divinite du Pharaon, Cahiers de la Societe" Asiatique XV, Paris 1960 (mit sehr reichen Literaturangaben). Hans Goedicke, Die Stellung des Königs im Alten Reich, Ägyptologische Abhandlungen 2, Wiesbaden 1960. " Rudolf An thes, The original meaning of M^'HRW, Journal of Near Eastern Studies XIII, 1954, S. 21 ff. Derselbe, Die Maat des Echnaton von Amarna, Suppl. to Journal of American Oriental Studies 14, 1952. Gerhard Fecht, Der Habgierige und die Maat in der Lehre des Ptahhotep, Abh. des Deutschen Archäologischen Institutes Kairo i, Glückstadt-Hamburg 1958. M Ursula Schweitzer, Das Wesen des Ka im Diesseits und Jenseits der Alten Ägypter, Ägyptologische Forschungen 19, Glückstadt-Hamburg 1956.

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des Kommenden34. In anderen Bereichen ist die Wirkung eines bestimmten Dualitätsbegriffes als Ordnungsprinzip aufzuweisen, eines Begriffes, der auf der Vorstellung beruht, daß alles Ganze in dem Zueinandergeordnetsein zweier einander entgegengesetzter Begriffe besteht; auf ihm beruht ein guter Teil der Zueinanderordnung von Begriffen und Göttern, aber auch von Götterspaltungen und Verdoppelungen, wie er sich ebenso als sprachliches Ausdrucksmittel nachweisen läßt36. Dies mag als Beispiel genügen. Man wird kaum eine größere Abhandlung aus dem Gebiet der ägyptischen Religion finden, indem sich nicht Bemerkungen zu ihrer Eigenbegrifflichkeit finden, da sich eben noch ein jeder mit dieser Problematik auseinanderzusetzen hat. Schließlich sollen einige Gesamtdarstellungen genannt werden, wobei die Auswahl sich bemüht, Werke möglichst unterschiedlicher Methodik und Standpunkte zu nennen. Hierher gehören natürlich zunächst die oben kurz charakterisierten Darstellungen von Hermann Kees und Henri Frankfort. Unerläßlich für alle Arbeit auf dem Gebiet der ägyptischen Religion ist Hans Bonnets Reallexikon3*, wobei dieser Titel allerdings eigentlich ein „understatement" ist. Gewiß findet man in ihm auch die „Realien" stichwortartig verzeichnet einschließlich der für die Religionsgeschichte wichtigen Ortsnamen; besonders sorgfältig und reichhaltig sind auch jene auf ägyptische Wörter und Wortzusammensetzungen zurückgehende.) Namen und Bezeichnungen der griechisch-römischen Welt aufgeführt, die sonst kaum zu finden sind und deren Etymologisierung nicht immer feststeht. Darüber hinaus aber enthält das Buch unter den Stichwörtern, wo dies angebracht ist, eine Darstellung des Glaubens und des inneren religiösen Lebens, die weit die Erwartungen übertrifft, die man an ein Reallexikon stellt (etwa bei Frömmigkeit, Gebet, Gott, Götterglaube, Sünde u. a. m.). 84

Siegfried Morenz, Untersuchungen zur Rolle des Schicksals in der ägyptischen Religion, Abh. Sächsische Akademie der Wissenschaften, phil. hist. Kl.52, i, Berlin 1960. 85 Eberhard Otto, Die Lehre von den beiden Ländern Ägyptens in der ägyptischen Religionsgeschichte, Analecta Orientalia 17, S'tudia Aegyptiaca I, Rom 1938, S. loff. Ders. und Wolfgang Helck, Kleines Wörterbuch der Ägyptologie, Wiesbaden 1958, S. 86. Adhemar Massart, The Leiden magical papyrus I 343 u. I 345, Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden, Suppl. op Nieuwc Reeks XXXIV, Leiden 1954, S. 108. '· Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, Berlin 1952.

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Zu gleicher Zeit erschienen zwei zusammenfassende Darstellungen von Samuel A. B. Mercer37 und Jaques Vandier38. Mercers Buch kann man als eine extreme Durchführung jener Methode bezeichnen, die eine enge Verbindung zwischen religiösgeschichtlichen Tatbeständen und politisch-historischen herzustellen sucht. Freilich wird damit die Eigenständigkeit religiösen Lebens weit in den Hintergrund gerückt und ein Bild der Frühzeit entworfen, das mit historischen und archäologischen Methoden nicht zu rechtfertigen ist. Demgegenüber stellt Vandiers Werk mit seiner ausgezeichneten Bibliographie, seiner präzisen Referierung über den damaligen Stand einzelner Probleme und seiner umfassenden Dokumentation ein wahres Handbuch dar, das nichteine Meinung vertritt, sondern den Gegenstand von allen Seiten darstellt. Diesen beiden voneinander in jeder Beziehung so verschiedenen Gesamtdarstellungen sei als dritte eine wiederum in ihrer Anlage und ihrer Zielsetzung ganz andere Behandlung des Themas hinzugefügt, nämlich die „Ägyptische Religion" von Siegfried Morenz39. Hier steht nicht die verwirrende Vielfältigkeit der religiösen Erscheinungsformen und ihre theologische Bewältigung im Vordergrund; auch will das Buch den Leser nicht in die Vielfalt der Probleme und Verständnismöglichkeiten einführen. Vielmehr wird hier der Versuch gewagt, den Glaubensgehalt, die Frömmigkeit, das Gott-Mensch-Verhältnis, also das im eigentlichen Sinne religiöse Gewicht Altägyptens, aus der Vielheit der Quellen zu erarbeiten und darzustellen und die Religion Ägyptens als Ganzes zu charakterisieren. Stärker als in anderen Darstellungen wird hier — und das hat dieses Buch gemeinsam mit dem Erman'schen — in einem abschließenden Kapitel „Wirkungen von außen und nach außen" die Frage des Nachlebens von Gedanken und Erscheinungen der ägyptischen Religion behandelt, eine Frage, die zum Verständnis welthistorischer Zusammenhänge noch mancherlei Vorarbeiten und behutsamer Behandlung bedarf. So reich wie die Erscheinungen des Religiösen innerhalb der ägyptischen Kultur sind — umfassen sie doch das Göttliche König>7

Samuel A. B. Mercer, The religion of ancient Egypt, London 1949. *"* Jacques Vandier, La religion figyptienne, „Mana" Introduction a 1'Histoire des Religions I, Paris 1949. ** Siegfried Morenz, Ägyptische Religion, Die Religionen der Menschheit 8, Stuttgart 1960.

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turn wie den Totenglauben, Ethik und Frömmigkeit wie Kult und Tempelwirtschaft — so zahlreich sind die Zugangsmöglichkeiten und Verstehungsversuche des Gesamtphänomens. Man kann Frankforts Formulierung von der Multiplicity of approaches sowohl auf den ägyptischen Gottesbegriff anwenden wie auf den Wissenschaftsgegenstand „ägyptische Religion". Der auswählende Überblick über das Schrifttum der vergangenen 30 Jahre legt, so hoffe ich, davon Zeugnis ab. Und so ist denn am Schluß die Frage wieder aufzugreifen, ob es gerechtfertigt sei, heute nochmals eine Darstellung der ägyptischen Religion vorzulegen, die vor mehr als einem Menschenalter neu war? Ich glaube, man kann sie uneingeschränkt bejahen. Der Überblick über das seither Erarbeitete wird gezeigt haben, daß im einzelnen mancherlei Neues zutage kam, daß auch neue Methoden entwickelt und angewandt wurden; aber es ist keineswegs so, daß damit das Ziel von Ermans Arbeit überholt sei. Der wissenschaftliche Instinkt (wenn eine solche Formulierung statthaft ist) ließ ihn das Wesentliche und Charakteristische der Erscheinungen erfassen und seine unübertroffene Darstellungskunst, hinter der die mühselige Gelehrtenarbeit völlig zurückgetreten ist, haben uns eine Schilderung geschenkt, die in ihrer Gesamtheit und Geschlossenheit noch lange lebendig bleiben wird. Heidelberg, am 20. 10. 1967

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