Die Quellenangaben bei Herodot. Studien zur Erzählkunst Herodots 3110036347

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Die Quellenangaben bei Herodot. Studien zur Erzählkunst Herodots
 3110036347

Table of contents :
Vorwort
Einführung
1. Kapitel: Nachweis der Fiktion an einzelnen Stellen
2. Kapitel: Die InterpretationHerodoteischer Quellenangaben
3. Kapitel: Zur Rolle der eigenen Erfindung bei Herodot
4. Kapitel: Typische Zahlen und ihre Verwendung bei Herodot
Ausblick
Zusammenfassung
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Register
Index locorum
Sachregister
Methodisches
Nachträge und Berichtigungen

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Detlev Fehling Die Quellenangaben bei Herodot

Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte

Herausgegeben von Heinrich Dörrie und Paul Moraux

Band 9

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1971

Die Quellenangaben bei Herodot Studien zur Erzählkunst Herodots

von Detlev Fehling

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1971

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

ISBN 3 11 003634 7 © 1971 by Walter de Gruyter & OD., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13 (Printed in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Walter de Gruyter, Berlin 30

F Ü R LUTZ

Vorwort Wenn ich ein Buch vorlege, das versucht, sich dem Trend der Herodotforschung der letzten Jahrzehnte entgegenzustellen, so mag ein historischer Hinweis die Aufgabe einer captatio benevolentiae erfüllen. Das Buch ist nicht so entstanden, daß zuerst aus irgendwelchen allgemeinen Erwägungen heraus die Meinung vorhanden war, die es vertritt, und dann nach Argumenten gesucht wurde, sie zu beweisen, „konsequent durchzuführen", wie eine beliebte Phrase heißt. Vielmehr veranlaßten mich einzelne auffallende Beobachtungen, das ganze Material zu überprüfen, entschlossen, nur sicheren Beweisen zu vertrauen, absolut nicht erwartend, daß solche in Fülle zur Verfügung stehen würden (was ich jetzt daraus erkläre, daß die Beweisführung keine unsicheren äußeren Tatbestände benötigt, sondern ganz weitgehend mit inneren Feststellungen am Werk Herodots auskommt, also mit einem vollständig erhaltenen Material arbeitet), und auf manches eher gefaßt als auf die, gemessen an den herrschenden Anschauungen, radikalen Folgerungen, die das fertige Buch vertritt. Zu diesen führte ein sehr langer Weg, und manche Behauptungen, die ich jetzt ohne den mindesten Zweifel vertrete, hätte ich am Anfang mit derselben Skepsis zur Kenntnis genommen, wie ich sie beim Leser, auch noch nach einer ersten Lektüre, ohne weiteres erwarte. Mein Wunschtraum wäre, die Überlegungen könnten in der zeitlichen Folge, wie sie angestellt wurden, vorgelegt werden. Die Zwangsläufigkeit jedes einzelnen Schrittes würde dann klarer, als es ein Buch, in dem inhaltlich Zusammengehöriges nicht beliebig getrennt werden kann, zum Ausdruck bringen kann. Immerhin habe ich mich aufs äußerste bemüht, die Beweisführung durchsichtig zu machen, vor allem klar zu machen, welche Beweise ich als selbständig ansehe und wo die Entscheidung von den Parallelfällen abhing. Doch lassen sich solche Hinweise nicht beliebig wiederholen, und so müssen dem, der das Buch wegen einzelner Stellen konsultiert, oft wichtige Elemente der Beweisführung entgehen, besonders in Kap. 2, das in seiner ganzen Diktion auf Leser abgestellt ist, die sich von der Richtigkeit des ersten Kapitels bereits weitgehend überzeugt haben, und deshalb ζ. T. nur noch aufzählt und nicht mehr argumentiert. Diese Aufzählungen und mit ihnen die zahlreichen Verweise zwischen den beiden Kapiteln sind aber ein sehr wesentlicher Teil der Beweisführung, da sie die

Vili

Vorwort

Kumulierung der Argumente zeigen, die allein, da es absolute Sicherheit des einzelnen Arguments in unserer Wissenschaft fast überhaupt nicht gibt, letzte Sicherheit gewähren kann. Die Bedeutung, die ich den Fragen der Beweisführung beimesse, hat mich zu dem unvollkommenen Versuch eines methodischen Registers veranlaßt. Dem f l ü c h t i g e n L e s e r , der sich rasch ein Urteil bilden will, ob an der Argumentation des Buches „etwas dran" ist, empfehle ich nach Überfliegen der Einleitung die Lektüre der §§ 1, 1; 2; 5; 11; 2,6 (2—3); 2, 22 (zu 2, 106 und 5,59—61). Wenn man ein anfangs für unwahrscheinlich gehaltenes Ergebnis unter dem Zwang der Beweise anzuerkennen genötigt ist, dann muß man sich nachträglich die Frage vorlegen, welche allgemeinen Vorstellungen das anfängliche Fehlurteil verursacht haben und revidiert werden müssen. Diesem und keinem anderen Zweck dienen einige allgemeine Ausführungen, namentlich im „Ausblick". Kein MißVerständnis schiene mir verhängnisvoller, als wenn man sie mit den Beweisen verwechselte, auf denen die These des Buches ruht. Sie sind unvollständig; u. a. hätte ich mich auf manche aktuellen Tendenzen der Literaturwissenschaft berufen können, und weggeblieben ist eine Skizze über gleichgerichtete Ergebnisse anderswo in unserm Fach (z. B. Fiktionen der Proömientopik, Revision der Vorlagensuche bei Dichtern). Der Kürze wegen habe ich mich strikt auf das Thema konzentriert; so konnte ich mich an manchen viel behandelten Stellen mit wenigen Sätzen begnügen, obwohl eine ganz neue Interpretation zu geben war. Ganz beiseite blieben eigentlich historische Fragen und solche der späteren Parallelüberlieferung. Ihre Beurteilung ist so gut wie immer von der Beurteilung dessen, was Herodot sagt, abhängig, nicht umgekehrt. Von dem, was zum eigentlichen Thema gehören könnte, habe ich die Frage der Orakel gänzlich ausgelassen. Die Literaturangaben sind in den beiden ersten Kapiteln vollständiger als im dritten. Ich hoffe, daß die für das Thema relevanten Ansichten ausreichend zitiert sind, jedenfalls nicht schlechter als in irgendeiner einschlägigen Arbeit seit Jacoby. Um Vollständigkeit habe ich mich bei der Zitierung derjenigen bemüht, die von mir vertretene Ansichten früher geäußert haben. Was auf diesem Gebiet heute gewöhnlich ist, zeigen etwa unten S. 15 Anm. 2 und S. 39 Anm. 1. Für eine Äußerlichkeit decke ich mich mit der Autorität Eduard Meyers: „Eine unlösbare Schwierigkeit hat mir die Transkription der griechischen Namen geboten. Am liebsten würde ich zu den lateinischen Formen zurückgekehrt sein ; da dies nicht möglich ist und mir die volle Durchführung der griechischen Orthographie barbarisch erscheint, habe ich keinen anderen Ausweg gesehen, als ganz prinzipienlos zu verfahren . . . " (3, XV).

Vorwort

IX

Zu danken habe ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für eine Druckbeihilfe, Peter Lebrecht Schmidt für förderliche Kritik und Mitlesen der Korrekturen, Hans Diller für Lektüre und Kommentierung zweier Fassungen des Manuskripts, manchen anderen Kollegen für gelegentliche Hilfe, endlich Herausgebern und Verlag dafür, daß sich zwölf Monate nach der ersten Fühlungnahme das Manuskript in ein äußerlich ansprechendes fertiges Buch verwandelt haben wird. Das Manuskript wurde im Februar 1970 abgeschlossen, einige Ergänzungen im Sommer eingearbeitet, die Nachträge im Dezember hinzugefügt. Kiel, im Januar 1971

Detlev Fehling

Inhalt

Vorwort Einführung 1. Kapitel : Nachweis der Fiktion an einzelnen Stellen

VII 1

11

1. Ein Wunder im Kampf um Delphi (8, 38—39, 1), Hamilkars Tod (7, 166 bis 167, 1) 11 — 2. Kolcher und Ägypter (2, 104) 15 — 3. Zwei Doppelzitate (Arion 1, 23 sq. und Aristeas 4, 14) 17 — 4. Schlangenskelette (2, 76) 20 — 6. Schädelhaufen (3, 12) 23 — 6. Erdgeschichtliche Theorien über das Nilland (2, 10, 1) und Thessalien (7, 128—30) 25 — 7. Ursprungssagen 28 — 8. Karer (1, 171) und Phryger (7, 73; 8, 138, 2—3) 32 — 9. Skythen (4, fr—13) 33 — 10. Griechischer Mythos im Munde von Nichtgriechen 38 — 1 1 . Die Eingangskapitel (1, 1—5) 39 — 12. Der Überleitungssatz 1,5,3 45 — 13. Helena und Proteus (2, 112—20) 46 — 14. Orakelgründungen vom ägyptischen Theben aus (2, 54—7) 50 — 15. Die Geschichtserzählung der ägyptischen Priester (2, 99—142) 54 — 16. Hekataios und die 345 Generationen der ägyptischen Geschichte (2, 100, 1; 142, 1; 143) 59

2. Kapitel: Die InterpretationHerodoteischerQuellenangaben. . 1. Einführung 67 — 2. Die Wahl der nächstliegenden Quellenangabe 68 — 3. Genaue Überlegungen, was die Quellen wissen können bzw. müssen 71 — 4. Verfahren, wenn die Erzählung keine geeignete Quelle hergibt 72 — 5. Reichweite des Prinzips der nächstliegenden Quellenangabe und Ausnahmen davon 73 — 6. Wahrung der Glaubwürdigkeit 74 — 7. relata refero 79 — 8. Ausnahmen vom Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe wegen der Wahrung der Parteistandpunkte 79 — 9. Wahrung der Parteistandpunkte allgemein, besonders bei Angabe verschiedener Versionen 80 — 10. Anführung mehrerer Versionen 82 — 11. Original und Rationalisierung als zwei Versionen 83 — 12. 'Zerteilung' 85 — 13. Übereinstimmung mehrerer Quellen, verstärkte Beglaubigung 86 — 14. Gespräche mit bestimmten Personen 87 — 15. Herodots Stellungnahme in der Quellenangabe ausgedrückt: „Alle Menschen" 89 — 16. 'Griechenzitate' 89 — 17. Die Tricks der Lügenliteratur 90 — 18. Wahrheitsbeteuerung und Kommentierung der Glaubwürdigkeit 92 — 19. Vergebliche Erkundung, Eingeständnis des Nichtwissens 94 — 20. Beweisstücke 96 — 21. Ähnlichkeit als Beweisstück 98 — 22. Denkmäler mit Inschriften 100 — 23. Unsichtbare Beweisstücke 104 — 24. Die restlichen Stellen. Regeln

67

XII

Inhalt

für die Setzung von Zitaten überhaupt 106 — 25. Ausnahmslosigkeit der Regeln für die Wahl der Quellenangabe 109 — 26. Gibt es einwandfrei echte Zitate oder echte Information bei falschem Zitat ? 110 — 27. Gibt es Völkerzitate, die schriftliche Quellen anzeigen ? 111 — 28. Die Quellenfiktion des ganzen Werks 112 — 29. Zur literaturgeschichtlichen Einordnung der Quellenfiktionen Herodots 114 — 30. Belege 118

3. Kapitel : Zur Rolle der eigenen Erfindung bei Herodot. . . . 126 1. Vorbemerkung 126 — 2. Notwendigkeit des Variierens 127 — 3. Pseudohistorie 128 — 4. Erfindung mit kompositorischer Funktion 132 — 5. Ökonomie der Erzählung 135 — 6. Umsetzen von gegenwärtigen Zuständen in historische Handlung 136 — 7. Weiterspinnen von Früherem 140 — 8. Motivwiederholungen 142 — 9. Der Warner und die Ratgeber 145 — 1 0 . Geschichten bekannter Herkunft 149 — 11. Folgerung 153

4. Kapitel : Typische Zahlen und ihre Verwendung bei Herodot. 155 1. Allgemeines 155 — 2. Die einzelnen Zahlen 158 — 3. Zahlen mit gleichviel Einheiten verschiedener Ordnung 165 — 4. Typische Zahlen von Herodot eingesetzt oder aus den Quellen ? 167

Ausblick

168

1. Die Reisen 168 — 2. Soziale Stellung Herodots 170 — 3. Glaubwürdigkeit 171 — 4. Tatsächliche Quellen 173 — 5. Entstehung des Werks 174 — 6. Einordnung in die Geschichte der Wissenschaft 176 — 7. Nachleben Herodots 177

Zusammenfassung

179

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

183

Register

189

. . . .

Index locorum

189

Sachregister

192

Methodisches

195

Nachträge und Berichtigungen

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Einführung Bekanntlich gibt es bei Herodot Quellenangaben1, an deren Wahrheit zu glauben nicht ganz leicht fällt. Generationen von Forschern haben sich bemüht zu erklären, warum wir Ausländern Erzählungen zugeschrieben finden, die sich auf den ersten Blick als Produkte griechischer Denkweisen zu erkennen geben und insbesondere den Geist der jonischen Historiographie und Geographie verraten. An objektive Richtigkeit der Quellenangaben — in dem Sinn, daß sie echte einheimische Überlieferung darstellten — ist in diesen Fällen nicht zu denken. Eine zweite, weit weniger beachtete2 Schwierigkeit ist, daß Herodot häufig an voneinander entfernten Orten ineinanderpassende Erzählungen gehört zu haben angibt, d. h. daß eine an einem Ort gehörte Erzählung andernorts ihre genaue Bestätigung, Fortsetzung oder — in einem wohldefinierten Punkt — Berichtigung erhalten haben soll. Dabei ist oft schwer zu sehen, wie die verschiedenen Ortsüberlieferungen im Zusammenhang stehen können. Die Schwierigkeiten haben noch im vorigen Jahrhundert3 zwei Kritiker fast gleichzeitig dazu veranlaßt, die Wahrheit dieser Zitate zu bezweifeln: Sayce (1883)4 und Panofsky (1885). Letzterer kam zu dem Ergebnis, daß die meisten Quellenangaben Herodots nichts mit der Wirklichkeit zu tun hätten, sondern passend zum Inhalt seiner Eine vollständige Liste aller Äußerungen Herodots, die als Quellenangaben verstanden werden können, gibt der Index fontium v. Gutschmids; eine Liste der έπιχώριοι-Zitate auch bei Jacoby 398f. (einige Versehen; unter ΤΤέρσαι fehlt 6,54); wegen Panofsky s. etwas weiter unten. — Von den zahlreichen Erörterungen über die Natur der Quellen im ganzen erwähne ich hier nur Jacoby 392—419, Legrand introd. 57 ff., v. Fritz 407ff. Zusammenfassung bei Schmid 626ff. Detaillierte Quellenanalysen des ganzen Werks haben, im Verfahren ähnlich, Jacoby 419—67 und Legrand (verstreut in den ,notice' genannten Einleitungen zu jedem Teil des Werks) unternommen. 2 Genauer: Von Fall zu Fall wird das Problem gelegentlich berücksichtigt; einen generellen Hinweis habe ich vergeblich gesucht. 3 Trotz einiger Zeitbestimmungen gebe ich keine .Geschichte' des Problems (eine in sinnvollen großen Linien darstellbare Forschungsgeschichte haben so partikuläre Themen meist gar nicht), sondern eher eine systematische Übersicht über die versuchten Lösungen; das mehr zufällige Detail geben die Anmerkungen. Über etwa 1880 gehe ich im allgemeinen nicht zurück. Ein Referat über die Geschichte der Herodotkritik gibt Myres (1953) 20ff. Für die neueste Zeit vgl. die Literaturberichte: Krause (etwa 1945—58), Bergson (1937—60) und (knapp) MacKendrick I u. I I (1944—63). Für Ägypten vgl. auch Oertel (1970). * X X V f f . , ferner Season and extent (1885). Sayce begnügte sich damit, den Vorwurf falscher Angaben zu begründen, ohne eigene Ansicht zur Quellenfrage.

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Fehling, Herodot

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Einführung

Erzählung gewählt worden seien. Als tatsächliche Quellen nahm er, einer seinerzeit verbreiteten Ansicht folgend, größtenteils Schriftquellen an. In einigen Fällen habe Herodot aber auch bloß eigene Vermutungen den zitierten Quellen zugeschrieben®. Die Thesen von Sayce und Panofsky erfuhren überwiegend Widerspruch und fanden wenig Nachfolge6. Nur die Ansicht, daß den betreffenden Passagen Herodots zum Teil Schriftquellen zugrunde lägen, hielt sich längere Zeit und wurde erst jüngst ganz eliminiert; doch war fast nur noch von Hekataios die Rede7. Dabei wurde aber meist die subjektive Richtigkeit der Quellenangaben aufrechterhalten. Man nahm an, Herodot habe sie aus den schriftlichen Quellen mitübernommen8 und womöglich selbst noch einmal nachgefragt9, vereinzelt auch, er habe die Autoren mit Völkernamen zitiert, insbesondere griechische Autoren von Geschichtsbüchern über barbarische Völker als einheimische Quellen angeführt10. 6

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Panofskys Arbeit ist die einzige Monographie, die jemals dem Thema der Quellenangaben Herodots gewidmet worden ist und alle Stellen umfaßt. Wegen ihrer Wichtigkeit gebe ich die Hauptteile an (Inhaltsverzeichnis und Register fehlen leider): Von Herodot erwähnte oder mögliche Schriftquellen (1—11), unbestimmte Zitate auf Schriftquellen gedeutet (11—17), Vermutungen Quellen zugeschrieben (17—26), Zitate für überlieferte Nachrichten frei gewählt ( = Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe u. §§ 1,1 und 2,2; 26—39), Parteistandpunkt (u. § 2,9; 39—40), in größerer Erzählung Verteilung auf mehrere Quellen nach dem erwähnten Prinzip (40—48) sowie Zitat nur f ü r Einzelheiten (48—51), Sonstiges (61—5), Parallelen bei anderen Autoren (55—8), indirekte Auskünfte (68—61), echte Zitate (61—9). Zur Würdigung s. etwas weiter unten. Widerspruch: Heath 1886 und Croiset 1888 (gegen Sayce, die Reisen betreffend), Hauvette 1894, 158—76 (gegen Sayce, Diels, Panofsky). Für Panofskys Thesen war das vernichtende Urteil in der einflußreichsten aller Arbeiten über Herodot, dem RE-Artikel Jacobys (403), ein tödlicher Schlag. An sein Verdikt, Panofsky verdiene keine Erwähnung, h a t man sich seitdem meist wörtlich gehalten. Nachfolge: Wenigstens für die Eingangskapitel und Helena in Ägypten (u. § 1,11—3) wurde von Wipprecht 1902 (ohne Bezug auf Panofsky) Erfindung angenommen; wegen Howald und Dornseiff s. u. S. 9. Vgl. ferner zu Malten u. S. 71 Anm. 7. Teilweise Zustimmung: Wiedemann (bes. 261). Hier wirkte vor allem die Autorität von Diels' Aufsatz über .Herodot und Hekataios' 1887. Uber Sayce und Panofsky geht Diels kurz hinweg. Heidel (1935, aber auf Erinnerungen an eine Studienzeit unter Diels' Auspizien fußend) trieb die Sache ins Extrem: fast das ganze 2. Buch wird Eigentum des Hekataios. In beschränktem Maße blieben Jacoby (402,37ff.; einige „ganz sichere Fälle" 250,28), Legrand (noch weniger, introd. 59f. u. a.) und viele andere bei der Annahme von Schriftquellen. So gut wie ganz eliminiert sie v. Fritz; Jacobys „ganz sichere Fälle" fallen dabei unter den Tisch. So Diels 433ff. ; „der griechische Vermittler fällt als gleichgültig fort", Jacoby, Hekataios 2676; Legrand a. O.; Heidel 113ff. Diels 434f. ; Jacoby 402,46 (ausdrücklich eingeschränkt) ; Legrand a. O. ; v. Fritz 409. Vgl. Herzog 158, der das ήκουσα Paus. 8,24,13 (u. §2,30(3)), das durch literarische Parallelen Lügen gestraft wird, so retten will. Altheim 2, 165 (mit der sprachlich nicht haltbaren Deutung von Περσέων ol λόγιοι als ,der persischen Geschichte Kundige', die also Griechen sein können). Panofsky

Einführung

3

Die These von den Schriftquellen gab eine einfache und geradlinige Erklärung für den griechischen Charakter der betreffenden Passagen. Dennoch hat sie sich nicht durchgesetzt. Nicht daß die Schwierigkeiten der Zitate seitdem durch eine neue Erklärung überzeugend beseitigt worden wären. Aber der unternommene Versuch hat sich als verfehlt erwiesen, wie man heute schon auf Grund einiger allgemeiner Überlegungen sagen kann. Man rechnet bei Autoren vom Range Herodots überhaupt nicht mehr mit so starker Abhängigkeit von Vorbildern, man sagt sich, daß er schwerlich aus einem zu seiner Zeit noch gelesenen Autor wie Hekataios ganze Partien entnehmen konnte11, daß von letzterem abgesehen eine große Literatur, aus der er schöpfen konnte, gar nicht vorhanden war12, und schließlich, daß die Annahme, die Zitate seien übernommen, die Frage der Fälschung nur auf den Quellenautor verschiebt. Die konkreten Anhaltspunkte aber, die für schriftliche Quellen zu sprechen schienen, erkannte man als dürftig und trügerisch13. So richtig diese Überlegungen sind, so war es entschieden leichtfertig, damit das ganze Problem als erledigt anzusehen. Denn mit der Schwierigkeit, Herodots Angaben zu glauben, die der wahre Anlaß für jene Thesen war14, ist man nur oberflächlich fertig geworden. Man gibt zu, daß an manchen Stellen die Quellenangaben objektiv falsch sein müssen, verfügt aber über ein ganzes Arsenal von Möglichkeiten, Herodots Angaben als gutgläubig zu retten 15 . Er habe es mit Auslandsgriechen oder hellenisierten Einheimischen zu tun gehabt 16 (man braucht zu diesem Zweck übrigens hellenisierte Ägypter, Libyer, Meder, Perser, Phönizier, Taurer, um von den Sigynnern nördlich der Donau, u. S. 29, zu schweigen). Ägyptische Priester und Fremdenführer sollen auf die Fragen griechischer .Touristen' (die alle eine ver-

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deutete viele unbestimmte Zitate so (12—7); für .Griechenzitate' hat sich die Ansicht durchgesetzt (u. § 2,16). v. Fritz 409. Vgl. a. u. S. 127 Anm. 1. Man ist ganz davon abgekommen, Autoren wie Akusilaos, Xanthos, Pherekydes, Hellanikos als Quelle Herodots anzusetzen, man rechnet nicht mehr mit einer ausgedehnten ώροι-Literatur noch mit Schriften über die Perserkriege vor Herodot. So bleibt von der langen Liste bei Panofsky 6—20 so gut wie nichts übrig. Jacobys Kritik war in diesem Punkte völlig berechtigt. Widerlegung betreffs einiger Hauptpassagen bei v. Fritz, Anm.-Bd. 10232 und 117ff. Weiterführende Überlegungen dazu u. § 3,2. So richtig v. Fritz, Anm.-Bd. 120. Vgl. etwa Heidel 102a 20 mit dem Schlußsatz: "This Statement (seil, όμολογέοντε; σφίσι Hdt. 2,4,1), more t h a n any other, convinced me many years ago that we are here dealing with fiction". Diese Rechtfertigungen sind übrigens teilweise (s. die folgenden Zitate) älter als die Hekataios-These und werden auch von deren Anhängern neben den schon oben erwähnten Argumenten der Verteidigung nicht verschmäht. Hauvette 175; Sourdille, ζ. B. 176—8; Jacoby 432 (für alle έτη/ώριοι) ; Legrand, ζ. B. 2,30; Pohlenz 6; v. Fritz 167 und viele andere. 1·

4

Einführung

zweifelte Ähnlichkeit mit Herodot gehabt zu haben scheinen) eingestellt gewesen sein17, während ihre Unkenntnis der heimischen Überlieferung auf ihren niederen Rang und Bildungsgrad zurückgeführt wird18. Und schließlich gibt es, wenn diese Mittel nicht helfen, noch die radikaleren Annahmen, Herodot habe sich berechtigt gefühlt, eine indidirekte Kunde (d. h. man erzählte ihm, was anderswo erzählt werde)19 oder gar eigene Vermutungen20 über das, was vermutlich an bestimmten Orten gedacht werde, als Erzählungen der Quelle wiederzugeben, und besonders häufig wird vermutet, er habe seinen Gesprächspartnern mehr oder weniger in den Mund gelegt, was er hören wollte21, wobei staunend festgestellt werden muß, „wie schnell die erfinderischen Orientalen imstande waren, sei es eine ganze Geschichte zu erfinden, sei es eine schon bekannte Geschichte zu erweitern und auszuschmücken, um die Fragelust eines Ausländers zu befriedigen"22. Ein Teil dieser Hypothesen 23 schiebt einfach die Irrtümer auf die unbekannten und unkontrollierbaren Quellen ab24, und allen ist gemeinsam, daß sie geeignet sind, denselben empirischen Befund zu erklären wie die These, Herodot habe die Quellenangaben frei erfunden. Sie sind also insoweit dieser These gleichwertig. Damit setzen sie sich aber dem Vorwurf des ούκ εχει ελεγχον aus, den Herodot einmal erhoben hat (2,23), d. h. daß sie prinzipiell nicht widerlegbar, aber eben deswegen keiner Bestätigung fähig sind25: Sie können jeden Befund erklären. Die These des Hineinfragens ist sogar faktisch so gut 17

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v. Fritz Anm.-Bd. 121; vgl. die Kritik Heidel 106b 126 . „Gab es damals Touristen ?" fragt mit Recht Regenbogen, Rezension Legrand 491. Sehr häufig wiederholt: Maspero, Annuaire 1878, 137 (als erster ?) ; Sayce 138® u. o f t ; Wiedemann 28ff.; How-Wells 1,413; Spiegelberg 17f.; Legrand 2,30; v. Fritz, Anm.-Bd. 106 44 und andere. Hiervon macht Legrand öfter Gebrauch (introd. 60 u. a.). .inference'; dies ist die spezielle Methode Macans; der Gedanke aber schon bei Panofsky: ,,ut primum huius rei auctorem" 27. Z. B. „leading questions" Sayce 158 7 ; Bestätigung der von ihm vorgetragenen Ansichten erbeten Diels 434; Aly 36; Pohlenz 6, 513, 1172, 196; Erbse 114; v. Fritz, Anm.-Bd. 121 (erst die Kombination zweier Hypothesen ermöglicht, mit der Passage über Dodona fertig zu werden). Den π ρ ώ τ ο ς εύρετής weiß ich nicht. Energisch zurückgewiesen h a t die fadenscheinige Hypothese schon Heidel 106b 125 . v. Fritz 423. Ich vermute, daß die Landsleute des lügnerischen Odysseus diese Wendung des Asien-Europa-Gegensatzes als beleidigend empfunden hätten. Eine weitere Hypothese ähnlicher Art ist außer Kurs gekommen, nämlich die Annahme, daß griechische Geschichten gewandert seien (Polemik dagegen in einem Einzelfall Pisani 490). Es kommen noch viele Einzelfälle hinzu, wo vermutet worden ist, daß Herodot auf Flunkereien hereingefallen sei. Dasselbe sagt später das σφζειν τ ά φαινόμενα und die moderne Verifikationsregel, die besagt, daß z. B. der Satz: „A ist schwarz" nicht in Zweifel gezogen werden kann durch die Behauptung: „A ist weiß, nur von einer Art Weiß, die aussieht wie Schwarz", weil beide Sätze sich nur verbal unterscheiden.

Einführung

5

wie, in einigen Fällen völlig26, identisch mit Erfindung durch Herodot 27 , da sie den eigentlichen schöpferischen Vorgang bei ihm beläßt und ihn nur nachträglich das sinn- und folgenlose Zeremoniell der suggerierenden Befragung einhalten läßt 28 . Dabei scheint sich niemand klarzumachen, in welchem Ausmaß man zu solchen Erklärungen seine Zuflucht nehmen muß. Denn (1) sind die rechtfertigenden Auffassungen nur an wenigen Hauptstellen ausführlich erörtert worden; viele früher längst gesehene Schwierigkeiten sind unter den Tisch gefallen. (2) Man sieht nur einen Ausschnitt des Problems, wenn man nur die Stellen beachtet, wo griechische mythologische Vorstellungen im Munde von Nichtgriechen erscheinen. Es handelt sich viel allgemeiner (und zugleich spezieller) darum, daß Vorstellungen, die aus der genealogisch-mythistorischen Literatur stammen, epichorischen Quellen zugeschrieben werden. Neben den mythologischen Gedanken sind auch naturwissenschaftliche29 zu beachten, neben ausländischen Quellenangaben auch griechische. Man kann ζ. B. an den Ursprungssagen (u. §§ 1,7—9) deutlich sehen, daß das Phänomen völlig einheitlich ist, einerlei ob die genannte Quelle griechisch oder ausländisch ist. Dagegen handelt es sich nie um landläufige, allgemein griechische Gedanken, sondern immer um die spezifischen Interessen des einen Literaturzweiges. Das ist der Ansicht von den griechischen Touristen nicht günstig, die doch auch einmal andere Dinge im Kopf gehabt haben müssen. (3) Weitgehend unbeachtet ist der Block der Stellen geblieben, wo die ineinanderpassenden Quellenberichte das Problem sind. Bei ihnen ist die Theorie des ,Hineinfragens' die einzige Möglichkeit30. (4) Hierzu gibt es noch ein Analogon, das abermals neue Schwierigkeiten hinzufügt. In einigen Fällen führt Herodot als Beweisstück für eine Erzählung ein Denkmal an, das aber nach übereinstimmender Ansicht aller in Wirklichkeit mit dieser Erzählung nichts zu tun haben kann. Auch dieses Ineinanderpassen ist ein Problem. Darüber hat noch niemand etwas 26

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Nämlich dann, wenn Herodot sagt, daß eine Vermutung von ihm durch nachträgliche Befragung bestätigt wurde (Stellen u. § 2,12). Vollends Macans Ansicht ^inference', s. o.) ist ebensogut zur Kritik wie zur Verteidigung zu gebrauchen und tatsächlich mit dem weitestgehenden Angriff Panofskys identisch (17—26; u. S. 9), wenn es sich nicht nur um die Quellenwahl, sondern auch um den Stoff handelt. Das wird auch praktisch von vielen dadurch anerkannt, daß sie (außerhalb von Erörterungen über die Quellenfrage) einschlägige Stellen völlig als Eigentum Herodots behandeln, z. B. wo literarische Beziehungen Herodots zu anderen Autoren behandelt werden. Wenn man solche Stellen liest, könnte man die folgenden Untersuchungen fast für überflüssig halten. Solche werden Ägyptern (zweimal, vgl. § 1,5 und § 1,6 zu 2,10,1), Skythen (vgl. § 2,2 (1) zu 1,105,4), Libyern (vgl. ebenda zu 4,187,3) und Thessalern (§ 1,6) in den Mund gelegt; vgl. auch 2,104,1 (§ 2,21; Kolcher und noch einmal Ägypter). Zusammenfassende Übersicht s. u. § 2,12 mit den dortigen Verweisen.

6

Einführung

bemerkt (die Belege u. §§ 2,20—2). (5) Da die Verteidiger der Zitate glauben, das Aufweisen einer Möglichkeit genüge zum Beweis, vermißt man vollständig eine eigentlich kritische Prüfung ihrer Theorien. Sie müßten zeigen, daß die Phänomene, die durch die betreffende Theorie erklärt werden sollen, tatsächlich nur in Fällen auftauchen, wo die Theorie anwendbar ist 31 . Statt dessen wird autoschediastisch verfahren und beliebig in den Vorrat der Hypothesen gegriffen, um den Einzelfall zu erklären. Man macht sich ferner nicht klar, daß nicht nur das Vorkommen falscher Auskünfte das Problem ist, sondern in ganz enormem Umfang die Abwesenheit richtiger. Das weitgehende Fehlen nachprüfbar echter einheimischer Überlieferung in den ägyptischen Geschichten hat man ad hoc mit der These von der Unbildung der Priester und Fremdenführer zu erklären versucht32. Aber auch hier ist das Phänomen viel allgemeiner. Wie ist es ζ. B. zu erklären, daß Herodot, der sich offenbar über die Beschneidung bei verschiedenen Völkern mühsam in Ägypten und Kolchis falsche Auskünfte verschafft hat, nicht in Griechenland von den vielen Phöniziern, die sich dort aufhielten (2,104,4), eine bessere erhalten hat (u. S. 17) ? Solcher Beispiele gibt es mehr. Sie zeigen, daß das Fehlen echter Nachrichten mindestens bei fremdländischen Quellenangaben eine allgemein gültige Regel ist 33 . Aber auch diese Erscheinung ist nicht auf das Ausland beschränkt. Wieder sind die Urgeschichten das beste Beispiel, denen — ob griechisch oder ausländisch — jedes echte Lokalkolorit fehlt (u. S. 31). Also auch 31

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Trotz der oben erwähnten empirischen Gleichwertigkeit gibt es zur Unterscheidung geeignete Fälle. Vgl. das Register unter .kritische Fälle'. Es ist, bei Lichte besehen, ein ziemlich starkes Stück, wie der sprichwörtliche philologische Scharfsinn durch zwei einander ergänzende reine Ad-hoc-Thesen — deren eine das Ägyptische subtrahiert, die andere das Griechische addiert — nach der Formel a — a + b = b Ägypter gewonnen hat, die for all practical purposes, wie die Engländer sagen, reine Griechen, ja lauter Herodotte sind. Schade nur, daß sie als Wesen von Fleisch und Blut nicht leicht vorzustellen sind. Sie horchen eifrig, was die Griechen erzählen, und jonglieren mit griechischen Mythen, sind aber dabei so ungebildet, daß sie von aller heimischen Überlieferung nicht die allergeringste Ahnung haben, das wiederum, obwohl es zu ihren Aufgaben gehört, Fremden die heimischen Baudenkmäler zu erklären. Bei solchen Leuten müßte schon das ,Hineinfragen' ein schwieriger Dressurakt gewesen sein. Denkt man die Sache zu Ende, können sie eigentlich nur Herodots Worte langsam nachgesprochen haben. — Um das totale Fehlen von Anklängen an ägyptische Literatur zu erklären, beruft man sich allgemein auf ,Volksüberlieferung'. Aber wo gibt es eine Volksüberlieferung, die mit der Literatur überhaupt keinen Kontakt hat (vgl. u. S. 150 Anm. 1) ? Säve-Söderbergh hat gegenüber v. Fritz, Anm.-Bd. 104 12 völlig recht (besser schon Lüddekens 345, der wenigstens eine literarische Parallele sucht). Und 330 Königsnamen vorlesen müssen die Priester doch wieder können. Die wenigen nachweislich richtigen Angaben in dem Priesterbericht über die ägyptische Geschichte haben schon den Charakter einer Ausnahme, die besonders erklärt werden muß.

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in diesem Punkt haben wir nicht einzelne, aus dem Rahmen fallende Ausfallerscheinungen (solche wäre man berechtigt, durch Ad-hocAushilfen zu erklären), sondern — innerhalb bestimmter Grenzen — eine Regel. Diese Beobachtung macht aber viel radikalere Erklärungen notwendig als diejenigen, die üblich sind. Sie ist m. E. nur verständlich, wenn Herodot sich gar nicht bemüht hat, echte Auskünfte zu erlangen. Er war nicht so dumm, nicht zu wissen, daß andere Völker ihre eigenen Überlieferungen hatten, die mit den griechischen nichts zu tun hatten, und hätte Mittel und Wege gefunden, darüber etwas zu erfahren, wenn er gewollt hätte. Eine gewisse Verschärfung des Dilemmas tritt noch ein, wenn man sich klar macht, daß Herodots Formel λέγουσι oí . . . grundsätzlich nicht eine beliebige, sondern eher die maßgebliche Überlieferung der Betreffenden meint. So ist, wie u. § 1, 15 zu zeigen, in der Partie 2,99 sqq. oi Αιγύπτιοι und οί ίρέες gleichbedeutend, vgl. besonders λογιώτατοι 2,3,1. Am instruktivsten ist aber ΤΤερσέων oí λόγιοι 1,1,1 neben oí ΤΤέρσαι 1,5,1. Daß die ausführlichere Form beim ersten Zitat des ganzen Werks steht und nie wieder, ist kein Zufall, sondern definiert ein für alle Mal, wie das einfache Zitat aufzufassen ist. Unsereins würde schreiben: „Die Gelehrten unter den Persern — ich werde von nun an kurz ,die Perser' sagen . . .". Für Ägypten ist es seit Maspero überwiegende Meinung, daß Herodot Küster für Erzbischöfe hielt ; diesen Mangel an Weltkenntnis muß er auch anderswo gezeigt haben. Die unter den vorstehenden Gesichtspunkten problematischen Stellen machen bereits über die Hälfte der Gesamtheit aus. Nun darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß es eine Reihe von prima facie zwingenden Argumenten gibt, die die Echtheit oft gerade der allerunwahrscheinlichsten Auskünfte zu sichern scheinen. Manche der Berichte verraten deutlich eine Tendenz, die zu den Zitierten paßt; andere sind an Denkmäler geknüpft, die Herodot erwähnt. Vor allem aber nimmt Herodot oft selbst überlegend, zweifelnd, bestätigend zu den Berichten Stellung. Das alles scheint Erfindung auszuschließen. Dennoch würde man zweifellos gesehen haben, daß diese Hindernisse nur scheinbar sind, weil reichliche Beweise zeigen, daß die genannten Dinge zur literarischen Technik gehören, wenn nicht eine verständliche psychologische Hemmung — wie a priori bezogene Positionen in der Wissenschaft so oft tun — die Bereitschaft, überhaupt aus empirischen Daten zu lernen, verringert hätte: Man glaubt, ein Eingeständnis der Fiktivität der Zitate würde zu der Folgerung führen, daß Herodot, dieser unstreitig bedeutende Autor, ein verdammenswerter Lügner und Fälscher sei. Zwar muß man Legionen von Gesprächspartnern des Autors dafür zu Lügnern stempeln, um

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all die falschen Angaben zu erklären. Doch wie der Romanleser bekanntlich über dem Glück des Helden leicht das Unglück vieler Ungenannter vergißt, so opfert auch der Kenner der antiken Literatur gerne Hekatomben von Unbekannten auf dem Altar des einen, der noch zu uns spricht. Trotzdem ist (um zum Ernst zurückzukehren) die erwähnte Hemmung nicht ohne jede Berechtigung; wünschenswert wäre nur, man betonte deutlicher, daß hier höchst sonderbare Dinge hingenommen werden, weil man sich keinen besseren Rat weiß. Oder mit anderen Worten: Das Problem der Quellenangaben ist von ihren Verteidigern nicht gelöst worden, weil sie die Unwahrscheinlichkeiten nicht überzeugend beseitigt haben; es ist aber auch von den Zweiflern nicht gelöst worden, weil sie kein verständliches und überzeugendes Bild von Herodot zeichnen konnten, in das falsche Quellenangaben gepaßt hätten. Dazu kommt die Verquickung mit der falschen Ansicht von den Schrift quellen. Hier setzen die folgenden Überlegungen ein. Sie wollen zuerst (Kapitel 1) an einer größeren Anzahl von Stellen durch verschiedenartige, jedes Mal selbständige und ζ. T. voneinander unabhängige Beweisführungen zeigen, daß an der Unrichtigkeit der Quellenangaben vernünftigerweise nicht zu zweifeln ist. Gleichzeitig ergibt sich zweierlei: erstens, daß die Zitate weder mündliche Auskünfte noch Schriftquellen, sondern eher eigene Schöpfungen des Autors anzeigen; zweitens, daß sie bestimmten offenkundigen Regeln folgen, deren konsequente Einhaltung nur erklärbar ist, wenn man annimmt, daß Herodot die Quellenangaben ohne irgendeinen Einfluß des realen Hintergrundes in Befolgung dieser Regeln frei gewählt hat. Daraus ergibt sich (Kapitel 2) die Aufgabe, die Zitate im Lichte dieser Regeln als freie literarische Schöpfungen zu interpretieren. Es zeigt sich, daß diese Deutungsweise so gut wie vollständig alles erklärt. Da die Untersuchungen der ersten beiden Kapitel eine bedeutende Rolle der Erfindung ergeben, muß (Kapitel 3) auf die Frage eingegangen werden, welche Rolle Herodots eigenes Schaffen in seinem Werk spielt. Hierzu wiederum leistet (Kapitel 4) die Betrachtung der typischen Zahlen einen Beitrag. Ein ,Ausblick' weist kurz auf weitere Folgerungen hin. Die oben skizzierten bisherigen Auffassungen34 verhalten sich zu diesen Ergebnissen wie folgt. Die These von den Schriftquellen hat den Tatbestand im Grunde völlig richtig beurteilt: Sie hat den Regelcharakter der rätselhaften Erscheinungen erkannt, die geistige Herkunft der betreffenden Passagen richtig bestimmt und nur in dem einen, fast geringfügigen Punkt geirrt, daß sie Hekataios und andere 34

Eine eigenständige, bemerkenswerte Auffassung vertritt Schmid, bes. 647 f. (Wahrheit und Fiktion unlösbar gemischt; durchgehende Stilisierung).

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ältere Autoren für die Quelle hielt statt — Herodot selbst35. Demgegenüber ist die neuere Auffassung (v. Fritz), auch wenn sie zu Recht die Schrift quellen ausgeschaltet hat, ein bedenklicher Rückschritt. Eine entscheidende Erkenntnis findet sich nur bei Panofsky und sonst niemandem: daß die Quellenangaben nach bestimmten Prinzipien von Herodot gesetzt sind. Zwei von den drei Grundregeln hat er gesehen: das Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe und das der Wahrung der Parteistandpunkte 36 . Ferner hat Panofsky wenigstens für einige Stellen die völlig richtige Erklärung gegeben: daß Herodot eigene Vermutungen den Quellen zuschreibe37. Einmal aber ist die Ansicht, daß Herodot eigene Erfindungen mit Quellenzitat versieht, auch schon in aller Konsequenz ausgesprochen worden: von Ernst Howald in seinem Aufsatz über ,Die ionische Geschichtsschreibung' (1923). Der Aufsatz ist auf fast einhellige Ablehnung gestoßen, und Howalds Ansicht über die Quellenangaben ist praktisch nicht diskutiert worden38. Howald hat nur eine kurze Skizze ohne detaillierte Begründung und ohne Eingehen auf Literatur gegeben, noch dazu im Anhang zu einer waghalsigen Gesamtdeutung des Autors, die nicht nach jedermanns Geschmack sein kann; daraus nehme ich den Mut, mich vom Schicksal des Vorgängers nicht abschrecken zu lassen. Was zu dem moralischen Vorwurf der Fälschung zu sagen ist, ergibt sich aus den oben angedeuteten Überlegungen fast von selbst: Herodots Verfahren ist literarische Übung; er hat sich nicht individuell gegen einen anerkannten Verhaltenskodex vergangen, sondern ist gültigen Normen einer Gattung gefolgt39. Nach den Parallelen — diese Frage ist rätselhaft vernachlässigt worden40 — braucht man 35

Wenn Jacoby von „ganz sicheren" Belegen für Schriftquellen spricht (o. S. 2 Anm. 7), meint er ja praktisch nur, daß es nachweislich keine echten Auskünfte sind, also genau das, was in dieser Arbeit vertreten wird. 36 27—58, besonders 27 und 29. Schuld an der allgemeinen Verkennung dieser Entdeckung ist wohl z. T. Jacobys o. S. 2 Anm. 6 erwähntes Verdikt. Merkwürdigerweise hat aber Jacoby selbst durch eine beiläufige Erwähnung der ersten Regel anerkannt, daß etwas daran ist („Deutlich ist, daß die Zitierten immer solche sind, die das Faktum aus irgend welchen Gründen genau wissen müssen", 401,36). Damit aber konnte weder er selbst noch jemand anders etwas anfangen, und so ist die Entdeckung seitdem völlig in Vergessenheit geraten. — Unabhängig ist Malten (1911) 98f. in einem Einzelfall darauf gekommen, das Nähere u. S. 71 Anm. 7. Eine Andeutung der zweiten Regel finde ich bei Immerwahr 81 mit Anm. 8. Gesehen, wenn auch falsch gedeutet, ist sie übrigens schon an mehreren Stellen bei Plut. mal. Her. (11; 12; 39; 40), wo es heißt, Herodot habe Zeugnisse gefälscht, 37 um zu verleumden. 17—26. 38 v. Fritz erwähnt sie überhaupt nicht mehr. Ähnlich, in der Ausführung aber viel weniger treffend, noch einmal Dornseiff (1933) 82 ff. Howald selbst ist bei seiner Meinung geblieben: Kallimachos 80ff. ; Herodot 34ff. 39 Bemerkenswert ist, daß weder Panofsky noch Howald Herodotomastiges sind. 40 Wieder nur Panofsky ist 55—8 darauf eingegangen.

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nicht lange zu suchen. Sie finden sich überall in der durch alle Jahrhunderte hin blühenden Pseudohistorie und in verschiedenen verwandten Literaturzweigen41. Um Herodots Anschluß an diese Tradition erkennen zu können, muß freilich ein nach Ansicht des Verfassers grundfalsches Dogma umgestürzt werden, das erst in den letzten Jahrzehnten aufgerichtet worden ist: daß Herodot, den Jahrtausende als Erzähler gewürdigt haben 42 , doch im modernen Sinn als ,Vater der Geschichte', d. h. als Begründer einer noch unvollkommenen, aber doch im Kern wissenschaftlichen Historiographie anzusehen ist. Wir werden dieses Thema nur gelegentlich kurz streifen. Aber auch so wird es dem Leser klar sein, daß diese Doktrin und die hier vorgetragenen Thesen über die Quellenzitate nicht nebeneinander bestehen können. Man wird zwischen beidem wählen müssen. 41

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In Kürze wird das u. §§ 2,29—30 belegt. Vielleicht liegt hier und u. § 2,29 das Mißverständnis nahe, es werde doch wieder eine große verlorene Literatur vorausgesetzt, von der Herodot abhängt. Doch kann die Gattungsnorm aus mündlicher Erzählkunst stammen, und wieviel davon Herodots eigene Schöpfung ist, muß ganz offenbleiben. Pohlenz 1 behauptet das Umgekehrte. Der Widerspruch ließe sich wohl aufklären.

1. Kapitel Nachweis der Fiktion an einzelnen Stellen

Ich bespreche nunmehr einzeln Stellen, an denen nachgewiesen werden kann, daß die Quellenangaben fingiert sind. Oft, aber nicht immer ist zu zeigen, daß auch der Inhalt von Herodot stammt, eine hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung für die Fiktion auch des Zitats (vgl. u. §§ 2,25 Ende u. 2,26). Gleichzeitig wird positiv die literarische Interpretation der Quellenangaben in Angriff genommen, die das zweite Kapitel systematisch behandelt. Ich ordne die Stellen so, daß die verwandten Argumentationsweisen möglichst im Zusammenhang bleiben, was aber nur teilweise möglich ist, da meist mehreres zusammenkommt. Es ist also nicht nach dem Grade der Evidenz des Ergebnisses gegliedert (vgl. das Vorwort). Die großen, berühmten Passagen stehen am Ende (11—16). 1,1

Ein Wunder im Kampf um Delphi (8,38—39,1), Hamilkars Tod (7,166—167,1). Wie etwas weiter oben bemerkt wurde, hat Panofsky in den Quellenzitaten Herodots eine Regel entdeckt, die wir im folgenden d a s Prinzip der nächstliegenden Q u e l l e n a n g a b e nennen wollen. Es werden nämlich durchgehende diejenigen als Quelle zitiert, die, wenn man die erzählte Geschichte als F a k t u m und die E r z ä h l u n g als echte Erinnerung an die vergangenen Ereignisse nimmt, die nächstliegenden Erzähler sind, d.h. die Einwohner von Orten, die in die Handlung verwickelt oder Schauplatz der Ereignisse waren, aus denen einzelne handelnde Personen stammten u. dgl. Das ist zunächst nur eine Beobachtung am Text, von deren Richtigkeit sich jeder, der nur auf eine gewisse Strecke hin darauf achtet, leicht überzeugen wird1. Ihre Bedeutung gewinnt sie durch die Überlegung, daß das durchaus nicht das ist, was zu erwarten wäre, wenn ein Forscher schlicht sachlich seine Quellen angäbe. Er müßte doch hin und wieder interessante Informationen auch an unerwartetem Orte erhalten, insbesondere an zentralen Orten Dinge er1

Überdies wird das Prinzip an einer Stelle, den Ägyptern in den Mund gelegt, ausdrücklich formuliert: τά δέ παρ' έωυτοϊσι γενόμενα άτρεκέως έπιστάμενοι λέγειν (seil, εφασαν) 2,119,3, vgl. u. § 2,3 Ende.

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1,1 Wunder im Kampf um Delphi

fahren, die irgendwo im weiteren Bereich stattgefunden haben2. Kurz, die durchsichtige Rationalität der Quellenangaben ist, banal ausgedrückt, zu schön, um wahr zu sein3. Das ist aber nur der kleinste Einwand. Viel schlimmer ist, daß sie oft in dem Augenblick nicht Stich hält, wo wir aus der Welt der Erzählung in die wirkliche Welt übergehen und daran denken, daß nicht wahre Ereignisse berichtet werden, sondern Märchen oder Sagen. Die eben noch so durchsichtige Kausalität wird plötzlich zu einem sonderbaren Zufall oder sogar zur Unmöglichkeit. Denn nicht immer hat eine fiktive Erzählung da ihre Quelle, wo sie zu suchen sein müßte, wenn sie wahr wäre. Vom Turmbau zu Babel hat man in Babylon nie etwas gewußt, von Joseph und Potiphar nie in Ägypten. Die vielleicht schlagendsten Beispiele hierfür liefern die beiden in der Überschrift genannten, einander sehr ähnlichen Passagen4. Wie er erfahren habe, sagt Herodot an der ersten Stelle, hätten diejenigen Barbaren, die aus der Schlacht bei Delphi entkommen seien, erzählt, daß zwei Männer von übermenschlicher Größe den Griechen zu Hilfe gekommen seien. Die Delpher aber sagen, dies seien zwei einheimische Heroen, Phylakos und Autonoos, gewesen. Die Verteilung der Erzählung auf zwei Quellen ist unmittelbar verständlich: Die Perser können nicht wissen, wer die beiden Helfer waren ; diese Aufklärung war nur in Delphi zu erhalten. Aber gerade diese Verständlichkeit ist ein unlösbares Problem, wenn man glaubt, daß Herodot tatsächlich Gehörtes wiedergibt. Sie ruht ja auf der unmöglichen Voraussetzung, daß der Vorgang tatsächlich stattgefunden hat und von beiden Seiten unabhängig voneinander beobachtet werden konnte. In Wirklichkeit kann die Erzählung nur eine primäre Quelle haben. Die Möglichkeit, die dem Autor am wenigsten nahetritt, wäre, daß er die Geschichte tatsächlich zweimal gehört hätte, ohne zu erkennen, daß sie aus ein und derselben Quelle stammte, wofür nur Delphi in Frage käme. Dieser Weg erweist sich rasch als nicht gangbar. Es ist schon an sich nicht leicht vorzustellen, wie sie überhaupt auf die persische Seite gelangt sein und Herodot das unwahrscheinliche Glück gehabt haben soll, auf jemanden zu treffen, der sie kannte. Nun sagt er nicht, daß er mit Persern gesprochen habe, sondern läßt mit der Phrase ,wie ich erfahre' den Vermittler offen. Aber ganz gleich, wer es gewesen sein sollte, seine Existenz an sich ist das Problem. Denn 2

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Tatsächlich haben Jacoby und Legrand (o. S. 1 Anm. 1) viele Vermutungen über Quellen im Einzelfall aufgestellt, die sich nicht an die Regel halten. Genau dasselbe Argument verwendet Housman, Journ. Philos. 1920, S. 316 (zitiert bei L. P. Wilkinson, Ovid recalled, Cambridge 1955, S. 355f.), um die Fiktivität von Ovids Feind im Ibis zu erweisen. Panofsky 41—4 hat beide Stellen richtig beurteilt, aber niemand hat ihn beachtet.

1,1 Wunder im Kampf um Delphi

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wer sollte die aus Delphi stammende Geschichte für einen Bericht der Perser ausgegeben und — offensichtlich im Zusammenhang damit — die beiden Namen weggelassen haben ? Denn man wird nicht glauben, daß ein so sinnvoller Zug der Erzählung durch reinen Zufall entstanden sei. Überhaupt ist die Aufklärung, wer die Gestalten waren, für eine befriedigende Erzählung, die hätte kursieren können, psychologisch notwendig; sie ist ohnedem ein Rumpf ohne Kopf, der nie hätte für sich existieren können. Nein, dieser Rumpf ist nur dazu da, daß ihm der Kopf sogleich aufgesetzt wird, das Rätsel nur geschaffen, um es sogleich zu lösen; die beiden Quellenberichte sind ein unteilbares Ganzes. Der gewöhnlich begangene Ausweg6 ist die Annahme, daß die Verbindung schon bei der Quelle existiert habe, d. h. daß die Delpher sich auf die Berichte von Persern, etwa zu späterer Zeit gefangenen, berufen hätten. Es macht Mühe, diese Deutung mit dem Wortlaut zu vereinbaren6, und niemand, der glaubt, es zu können, wird bestreiten, daß die Formulierung darauf angelegt ist, vom Leser im Sinne von zwei Quellen mißverstanden zu werden. Diese Manipulation erstreckt sich aber nicht etwa nur auf die Quellenangaben, sondern Herodot muß ganz massiv auch in den Inhalt dessen, was die Delpher ihm erzählt haben, eingegriffen haben. Herodot erzählt die Ereignisse wirkungsvoll aus der Sicht der Perser. Das können die Delpher nicht getan haben. Sie müssen sie doch primär als eigenes Erlebnis erzählt haben! Sie können die Perser nicht einmal als bestätigende Zeugen, sondern höchstens zur ergänzenden Illustration angeführt haben. Nicht einmal das ist besonders sinnvoll, da ja die Panik auf der anderen Seite ebensogut als eigene Beobachtung berichtet werden konnte. Alles, was den oben erwähnten Eindruck des sinnvollen Sich-Ergänzens der beiden Quellen hervorruft, ist also doch Herodots Werk. Der Bericht der Delpher hat höchstens Vorwände dazu geliefert. Bis hierher ist Zweifel ausgeschlossen. Ein weiterer Schritt wird aber kaum zu vermeiden sein. Hat es Sinn, die Quelle der Berufung auf die Perser da zu suchen, wo sie keine Funktion hat, statt da, wo sie ihren vollen Sinn entfaltet, also bei Herodot? Es wäre doch ein seltsamer Glücksfall und eine eigenartige Prädestination, wenn 6

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„viri docti omnes" Panofsky 44; in Varianten bei Macan zu c. 38,4 und How-Wells zu 39; wohl ebenso gedacht Jacoby 459. Legrand 8,32f. und Parke (1939; jetzt Parke-Wormell 1,171—3), auf den er sich beruft, sehen das Problem nicht, v. Fritz nichts. Die herrschende Ansicht steht in Verbindung mit der Vermutung, daß Xerxes in Wirklichkeit Delphi verschonte (How-Wells mit älterer Literatur, Legrand und andere). Ich halte es für unmöglich, brauche das aber nicht zum Beweis. Zwar folgen 2,75,3—4 und 7,129,3—4 ähnlich unbestimmte und bestimmte Quellenangabe aufeinander, aber beide Male ist es besonders motiviert, u. § 2,12 Ende.

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1,1 Wunder im Kampf um Delphi

die Quelle Herodot einen Zug geliefert hätte, der erst in seinem Bericht Zweck bekommt 7 . Und schließlich, was wäre mit der Annahme gewonnen? Um Herodot nicht für einen Lügner halten zu müssen, machte man einen Heuchler aus ihm, schriebe man ihm eine Jesuitenmoral zu, die Täuschung für erlaubt hält, wenn die buchstäbliche Lüge vermieden wird! Ich betrachte also als sicher, daß die persische Quelle bei Herodot reine Fiktion ist8. Nur so fallen die Schwierigkeiten, die die Annahme einer zugrundehegenden Realität macht, weg. Allgemein sollte die Lehre gezogen werden, daß ein sinnvoller, aber in der Wirklichkeit nicht möglicher Zusammenhang nicht dadurch zerstört werden darf, daß man sich weigert, ihn als Fiktion anzuerkennen, sondern versucht, ihn durch mühevolle Ausdeutung mit den realen Möglichkeiten zu vereinbaren. Man kann sich darauf verlassen, daß Rücksichtnahme des Autors auf die Realität sich in jenem Zusammenhang irgendwie störend auswirken müßte. Der Beweis hört hier auf. Aber es muß doch gesagt werden, daß, wenn eine Quelle erfunden ist, auch die andere, Delphi, keine Gewähr mehr hat 9 . Freilich würden viele auch a priori Delphi als die gegebene Quelle ansehen. Mir scheint das nicht so selbstverständlich. Ich würde eine solche Erzählung lieber als Legende, wie sie beim gläubigen Volk überall in Griechenland entstehen konnte, deuten denn als apologetische Erfindung einer zynischen Priesterschaft. Doch dies wird vielleicht erst einleuchten, wenn Uberblick über das ganze Problem gewonnen ist.

Die zweite hier zu besprechende Passage ist so genau parallel, daß wir uns ganz kurz fassen können. 7,166—167,1 sagen die Sizilier, daß Hamilkar nach der Schlacht bei Himera verschwand. Die Karthager aber wissen10, daß er sich ins Feuer warf. Auch dies ist eine offensichtlich sinnvolle, aber wenig realistische Verteilung: Mit Recht sagt Panofsky, daß Herodot schwerlich als erster Grieche ein halbes Jahrhundert später diese Aufklärung erhielt, während sich die Sizilier noch immer wunderten, wo Hamilkar bloß geblieben war. Gewiß ist es hier etwas leichter, die Auskünfte irgendwie zu konstruieren, aber doch nur so, daß die sinnvolle Verteilung durch blinden Zufall entstanden wäre. Im übrigen stützen sich die beiden Parallelen gegenseitig; die Rechtfertigung aber muß die so ähnlichen Stellen ganz verschieden behandeln, was sehr mißlich ist. Unten § 2,3 (mit Verweisen) ist noch eine ganze Reihe weiterer Stellen notiert, wo in Herodots Text in verschiedener Weise genaue Überlegungen, was wer wissen muß, 7 8

8 10

Zur Beurteilung derartiger Zufälle s. den folgenden Abschnitt. Man wird noch fragen, warum dann die indirekte Form des Zitats (cos έ γ ώ πυνθάνομαι) gewählt ist. Das gehört in die u. § 2,6 besprochene Wahrung der Glaubwürdigkeit, s. besonders Nr. (1). Wegen der angeblich gezeigten Steine (c. 39,2) vgl. u. § 2,20. Wegen οΐκότι χρεωμένων vgl. § 2,18 (3).

1,2 Kolcher und Ägypter

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zum Ausdruck kommen. Am ähnlichsten ist 1,2,1 (εϊησαν 5'cxv ούτοι Κρήτες, u. S. 42) und 4,95,1, wo die, die den Betrug nicht gemerkt haben, nicht Quelle sein können. Vgl. auch die Übereinstimmung zweier Zeugen u. § 1,3. Zum Prinzip der .Zerteilung' s. u. § 2,12. Kolcher und Ägypter (2,104). Diese Stelle1 gibt die beste Illustration für das, was in der Einleitung das Problem der ineinanderpassenden Quellenberichte genannt wurde. Herodot sagt, er habe sich aus eigener Anschauung die Meinung gebildet, die Kolcher seien Ägypter. Anschließend habe er beide darüber befragt 2 . Beide haben seine Vermutung bestätigt 3 , und die Ägypter erklärten die Kolcher für ein Absprengsei von dem Heere des Sesostris. Die besagte Vermutung habe zum Teil auf der äußeren Ähnlichkeit beider beruht; daran, daß Herodot beide als negroid — dunkelhäutig und kraushaarig — schildert, stört sich heute niemand mehr, obwohl die Behauptung selbst für die Ägypter sonderbar, für die kaukasischen Kolcher ganz abwegig ist4. Herodots Hauptgrund aber ist, daß nur diese beiden Völker von Anfang an die Beschneidung gekannt hätten. Die übrigen Völker, die sie üben — er zählt sie auf — sagen alle selbst (vier Zitate; nur in betreff der Äthiopier weiß er nicht Bescheid6), daß sie es von den einen oder den anderen gelernt haben. Das Richtige auch hier bei Panofsky (23). Niemand hat m. W. versucht, ihn zu widerlegen; es herrscht allgemeines Schweigen. 2 Um der unangenehmen Konsequenz hieraus zu entgehen, daß Herodot an einem der beiden Orte zweimal gewesen sein müßte, hat man längst den Ausweg ersonnen, daß er Ägypter außerhalb Ägyptens habe kennenlernen können: Stein z. St. ; von Sourdille 22—4 und Jacoby 262 gegen Hachez und wieder (ohne Bezug auf die Vorgänger) von v. Fritz, Anm.-Bd. 90", gegen Powell verteidigt. 3 Wegen der Differenzierung Kai μάλλον κτλ. vgl. u. § 2,3. 4 Jacoby, Legrand und Myres erwähnen den Punkt bei Besprechung der Frage, ob Herodot in Kolchis war, nicht einmal mehr; Pohlenz 196 akzeptiert die Nachricht ausdrücklich, schwächt sie aber ab (,,ein Volkssplitter"), damit sie unkontrollierbar wird — ein typisches Beispiel für apologetische Verbiegung des Wortlauts; „oberflächlich" v. Fritz. Ältere Überlegungen Wiedemann 408—10 und How-Wells z. St. Wiedemann versucht, die Bedeutung von μελάγχροες abzuschwächen, das Od. π 175 und τ 246 auf Griechen angewendet wird. Der Hinweis ist richtig, zumal an letzterer Stelle beide Adjektive stehen (μελανόχροες, ούλοκάρηνοι), Herodot also sprachlich auf dieser Stelle fußt. Aber .kraushaarig' ist nicht wegzuinterpretieren, und die Verbindung muß wenigstens negroiden Einschlag meinen, bei einem einzelnen Griechen (man kann τ 246 gut an einen seltenen, auffallenden Typ denken) denkbar, bei den Ägyptern mehr als sonderbar (Verwechslung mit Negersklaven in Memphis, How-Wells z. St. und andere, ist eine lächerliche Idee. Wichtig dagegen der Hinweis auf Aesch. suppl. 719, woraus zu schließen ist, daß auch hier Literatur und nicht Anschauung zugrunde liegt), bei den Kolchern, die doch vom normalen mediterranen Typ höchstens durch nördliche Einflüsse abgewichen haben können, so abwegig wie nur möglich. Meine Deutung s. u. § 2,21. 8 Dazu s. u. § 2,6 (3). 1

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1,2 Kolcher und Ägypter

Wir haben also insgesamt sechs Quellenberichte, und alle sechs bestätigen einhellig eine völlig falsche Vermutung Herodots. Hier wiederholt sich nun die Argumentation des vorigen Abschnitts. In der Welt der Erzählung ist wieder alles vortrefflich in Ordnung. Die Erzählung nimmt an, daß der Inhalt wahr, vom Forscher richtig vermutet und bei den Einheimischen jeweils verläßlich überliefert ist. Dann ist es ganz natürlich, daß Herodot auf seine Fragen hin sechs zueinander und zu seiner Vermutung stimmende Auskünfte erhält. Aber in Wirklichkeit gibt es, da diese drei Bedingungen ohne jeden Zweifel nicht erfüllt sind, keine denkbare Ursache, die dieses Zusammentreffen veranlaßt haben könnte. Schon einzeln ist jede der fünf Auskünfte, nach denen die Sitte der Beschneidung importiert sein soll, fast unmöglich vorzustellen. Denn selbstverständlich nahm jedes Volk an, daß die Beschneidung bei ihm selbst durch Götter oder anfängliche Gesetzgeber eingeführt worden sei, wie wir es von den Juden wissen6. Aber nicht das ist das Problem, nicht einmal das, daß dieser Fall gleich fünfmal eingetreten sein soll, sondern daß fünf voneinander unabhängige, faktisch unzutreffende Auskünfte ein einheitliches Bild ergeben haben sollen. Dasselbe gilt von den Angaben der Kolcher und der Ägypter über die Herkunft der ersteren. Das Argument des unerklärlichen Zusammenpassens läßt rein logisch grundsätzlich die Möglichkeit offen, daß wenigstens einer der Berichte jeweils auf echter Auskunft7 beruht. In unserem Fall ist aber selbst das nicht möglich, weil dieser Platz durch Herodots eigene Vermutung bereits besetzt ist, die er sich ja, wie er ausdrücklich sagt, vorher selbst gebildet hatte. Wir können nicht glauben, daß ein glücklicher Zufall dafür gesorgt haben soll, daß tatsächlich bei Kolchern oder Ägyptern eine Überlieferung vorhanden war, die sich mit Herodots Vermutung deckte. Diese Überlegung ist rätselhafter Weise niemals angestellt worden. Man hat kein Problem gesehen, weil eine solche Überlieferung mit unseren Kenntnissen kaum strikt als unmöglich erwiesen werden kann. Aber darauf kommt es auch hier nicht an. Wenn jemand behauptet, er habe aus dem Horoskop entnommen, daß eine bestimmte Person an dem und dem Tage sterben würde, und dies sei tatsächlich eingetreten, dann werden unsere Zweifel nicht durch die Überlegung tangiert, daß doch täglich viele Leute sterben! Man kann einräumen, daß ein solcher Zufall nicht völlig ausgeschlossen ist, und man wird auf einen noch so sonderbaren Einzelfall nicht sein Urteil über einen Autor gründen wollen. Aber es wäre gegen jede wissenschaftliche Vernunft, bei einer solchen Häufung von wunderbaren Zusammentreffen, wie sie unsere Stelle 1. Moys. 17,10; Μωϋσηζ δ ' εδωκεν ύμΐν τήν ττερντομήυ ev. loa. 7,22. ' Unter echter Auskunft verstehe ich hier und im folgenden tatsächliche Mitteilungen unter Ausschluß von .Hineingefragtem'. 6

1,3 Arion und Aristeas

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bietet, willkürlich einen Fall vom Zweifel auszunehmen und hier den Zufall zu akzeptieren. Im übrigen werden wir sehen, daß die merkwürdigen Zufälle bei Herodot massenhaft auftreten: Er ist ein Glückspilz, der immer wieder das findet, was er aus durchaus unzutreffenden Gründen zu finden erwartet. Ich werde in Zukunft die Möglichkeit unwahrscheinlicher Zufälle nicht mehr in Betracht ziehen. Das ganze Kapitel enthält also nicht das leiseste bißchen von einer echten Auskunft. So ist der Verteidiger8 in groteskem Ausmaß auf die Theorie des .Hineinfragens' angewiesen, und da er sich nicht einmal diese Zeremonie sechsmal vorstellen mag, wird er annehmen, daß Herodot nur mit den Ägyptern und den Kolchern gesprochen hat und die übrigen Auskünfte auch bei seinen dortigen Gesprächspartnern ,hineingefragt' sind. Selbst diese fadenscheinige Konstruktion setzt eine so strikte Regie der Gespräche durch Herodot voraus — er muß seinen Gesprächspartnern immer ins Wort gefallen sein, wenn sie von sich aus etwas sagen wollten — daß die ganze Annahme einfach zu einer Lächerlichkeit wird. Und wer Lächerlichkeit nicht scheut, muß immer noch erklären, wie es kommt, daß Herodot, der um einer ähnlichen Sache willen eigens nach Tyros gereist sein will, niemals einen Phönizier gefragt haben soll, deren er doch, sozusagen ohne den Fuß vor die Haustür zu setzen, in Griechenland genügend hätte finden können (vgl. c. 104,4). Abermals bestätigt sich, daß das Deuteln an Herodots Angaben, in dem alle Verteidigungen zwangsläufig bestehen, zu keiner möglichen, geschweige befriedigenden Lösung führt und deshalb ganz und gar unterlassen werden muß. Unten § 1,16 (s. besonders S. 65) wird an einem womöglich noch krasseren Fall unerklärlichen Zusammenpassens gezeigt werden, daß man Herodot falsch versteht, wenn man seine Angaben durch .gutwillige Interpretation' glaubwürdiger zu machen versucht. Sie sind vielmehr ganz wörtlich gemeint, weil sie nicht der Wirklichkeit angehören, sondern einer vom Erzähler geschaffenen Welt, in der eine Einfachheit und Selbstverständlichkeit der kausalen Zusammenhänge herrscht, wie sie in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Zur Klärung noch übrigbleibender Fragen vgl. u. §§2,3; 2,6(3) und 2,21, worauf in den Anmerkungen schon hingewiesen wurde. 1,3 Zwei Doppelzitate (Arion 1,23 sq. und Aristeas 4,14). Eine weitere vorzügliche Illustration für das Prinzip der dem Inhalt angepaßten Quellenangabe bieten zwei Stellen, wo in einander sehr ähnlicher Weise eine Wundergeschichte durch Übereinstimmung zweier Quellen 8

Mangels klarer Stellungnahmen bei anderen Autoren halte ich mich an die Andeutung bei Pohlenz 196. 2 Fehling, Herodot

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1,3 Arion und Aristeas

beglaubigt wird, während der Kausalzusammenhang zwischen Erzählung und Zitat von phantastischer Simplizität ist, entschieden ,,zu schön, um wahr zu sein". Gleichzeitig sind sie neue Belege für das Problem der ineinanderpassenden Quellenberichte, denn man kann sie nur wörtlich nehmen, wenn man akzeptiert, daß sich Erzählungen an zwei verschiedenen Orten über längere Zeiträume hinweg ohne die bei mündlicher Tradition im allgemeinen ganz selbstverständlichen mit der Zeit eintretenden Umgestaltungen im wesentlichen unverändert erhalten haben und (auch das ist nicht selbstverständlich) Herodot zu Ohren gekommen sind. Es handelt sich um die Geschichte von Arions Rettung durch den Delphin, die Herodot in Korinth und Lesbos gehört zu haben angibt, und um die Erzählung, wie Aristeas nach seinem Tode einem Manne, der auf dem Heimweg nach Kyzikos war, begegnet. Diese Geschichte will Herodot in Prokonnesos und Kyzikos gehört haben. Die Beziehung zwischen den Zitaten und dem Inhalt der Geschichten ist offenkundig: Arion ist Lesbier aus Mytilene, Korinth aber ist Schauplatz der die Geschichte krönenden Schlußszene. Aristeas stammt aus Kyzikos, und ein Kyzikener ist es, der ihm begegnet, in Prokonnesos aber war er gestorben und sein Leichnam verschwunden. Es sind also beidemal die Bewohner der Orte, die mit der Geschichte zu tun haben, als Zeugen genannt 1 . Offensichtlich steckt darin der Gedanke, daß die Erinnerung an die wunderbaren Ereignisse jeweils an den betroffenen Orten fortlebt 2 . Nun sind Herodots Angaben beileibe nicht in der Weise zu widerlegen, daß etwa begründet werden könnte, weshalb er die Geschichten gerade an diesen Orten etwa nicht gehört haben könnte. Er kann sie dort so gut wie an jedem anderen Ort gehört haben. Aber wir müssen den uns suggerierten und vom Autor ganz offenkundig unterstellten Kausalzusammenhang für irrig erklären und es für mehr oder weniger zufällig halten, wenn er tatsächlich viermal ohne Fehler eine Geschichte jeweils an den .richtigen' Orten gehört haben soll. Denn auch wenn man die Vorstellung strenger Ortstreue einer Erzählung zugrunde legt, die doch wohl unrealistisch ist3, ist die Erzählung 1

3

Diese Erklärung ist von Panofsky (43) gefunden worden. Später ist (außer insoweit der o. S. 9 Anm. 36 zitierte Satz Jacoby 401,36 gerade hierauf gemünzt ist) niemand 2 mehr darauf zurückgekommen. Einen Detailpunkt ergänze ich u. § 2,13. Ich weiß nicht, ob es einen einwandfreien Beleg dafür gibt, daß eine Erzählung, die eine gewisse Anzahl unabhängiger Details enthält, sich am selben Ort nach sagen wir hundert Jahren wiederfand (unser Fall schlösse, auch wenn man Außerachtlassung von Details durch Herodot zuläßt, unveränderte Überlieferung u. a. aller Namen und Orte an zwei Stellen ein). Es scheint im Gegenteil, daß spätere Sammlungen am gleichen Ort immer wieder Neues ergeben, daß ständiges Wandern, Umgestaltung und modischer Wechsel herrscht. Man glaubt nur immer wieder, die entsprechenden Befunde auf die besonderen Bedingungen .unserer schnellebigen

1,3 Arion und Aristeas

19

entweder nur an einem Orte zu erwarten, oder sie ist über ein größeres Gebiet verbreitet. Da die Helden der beiden Geschichten aber Personen von überlokaler Bedeutung sind, besteht nicht einmal die Notwendigkeit, daß die Geschichten wirklich an einem der speziell mit ihnen verbundenen Orte entstanden sind4. Man ist also in jedem Fall wieder auf Erklärungen angewiesen, die der Vermutung der Erfindung nahekommen, weil sie einen Teil der Kausalität beim Autor lassen. Etwa, daß er nur nachgefragt hat, wo er meinte, Auskunft erwarten zu können, oder daß er am zweiten Ort .hineingefragt' hat. Aber befriedigend ist das nicht, weil man von Fall zu Fall wechselnde Erklärungen (ζ. B. an den oben im ersten Abschnitt, im zweiten und hier behandelten Stellen jedesmal anders) für ein durchaus einheitliches Phänomen, nämlich das Prinzip der dem Inhalt angepaßten Quellenangaben, verwenden muß. Aber auch wer meint, sich mit leichtem Sprung über diese Schwierigkeit hinwegsetzen zu können, ist damit noch nicht gerettet, denn sogleich türmt sich ein neues Hindernis auf. Zu der Ariongeschichte gibt Herodot ja noch eine dritte Bestätigung. Auf dem Tainaron, also da, wo nach der Erzählung Arion landete, gebe es eine Weihgabe von ihm, ein Bronzebild von einem Menschen auf einem Delphin (c. 24,8). Das ist zwar ein bekannter Bildtypus6, aber dennoch muß es verwundern, daß ein solches Bild passend zu der gehörten Geschichte an der .richtigen' Stelle vorhanden war®. Wieder läßt sich der in der Erzählung natürliche Kausalnexus nur schwer in die Wirklichkeit übersetzen, nachdem wir die Möglichkeit bloßen Zufalls (d. h. das Bild war da, hatte aber mit der Geschichte gar nichts zu tun) o. § 1,2 ein für allemal abgewiesen haben. Hat ein Mytilener das Bronzebild, auf Arions Namen gefälscht, gestiftet? Keine sehr verlockende Annahme, zumal dann die Inschrift das Wunder auch erwähnt haben müßte (s. u.). Hat das Bild (ohne Inschrift oder nur mit dem Namen des Arion) die Erzählung hervorgerufen? Dann ist sie am Tainaron entstanden, und die Quellenangaben sind überhaupt

4

6 6

Zeit' schieben zu müssen. Heutzutage wird oft in ganz Deutschland einige Wochen lang derselbe Witz erzählt (ohne daß vermutlich das Radio die Quelle ist), an den sich nach zwei Jahren niemand mehr erinnert. Vielleicht ist es früher nicht gar so anders gewesen. Der gewohnheitsmäßige, gar berufsmäßige Erzähler hat natürlich ein längeres Gedächtnis als die Masse, aber im Lauf der Jahre wandelt sich auch sein Repertoire, und er wird schon deshalb nicht total starre Traditionen weitergeben, weil er fähig ist, selbst zu gestalten. Die Aristeasgeschichte ist ja ein bekanntes Wandermotiv, vgl. die Jünger auf dem Wege nach Emmaus, Iulius Proculus, dem Romulus erschien (Liv. 1,16,5 sqq. u. a.), Pindars Begegnung mit dem Heros Alkmaion Pyth. 8,58 sq., schließlich die Begegnung eines Atheners mit Pan vor Marathon, u. § 2,30 (6). Auf Münzen, vgl. How-Wells zu c. 24,6 und u. § 2,23. M. W. hat noch niemand das Problem gesehen, vgl. Bowra, der nicht an Zweifel denkt. 2»

20

1,4 Schlangenskelette

nicht mehr zu verstehen. Oder verlegt man einen Teil der Zusammenhänge in den Verfasser, etwa daß er das Bild (ohne Inschrift) kannte und die Landung danach selbst lokalisierte oder den Ort in seiner übergroßen Gewissenhaftigkeit zweimal den Erzählern .suggerierte' ? Je mehr man sich die Sache überlegt, desto kritischer wird die Frage nach der Inschrift. Hatte das Bild keine, woher wußte Herodot dann, daß es von Arion stammte? Wenn das am Ort bekannt war, warum hat er dann diese dritte Quelle nicht genannt ? Eine Inschrift aber, die das Ereignis erwähnte (wie sie sich Älian ausgedacht hat, nat. an. 12,45), hätte er natürlich nicht verschwiegen, da ihm doch an der Beglaubigung lag. Tatsächlich deutet der Wortlaut (Άρίονος εστι ανάθημα) auf ein Drittes: eine Inschrift des Arion ohne Hinweis auf das Ereignis. Was aber sollte ein solches Weihgeschenk veranlaßt haben ? Und dann ist man ganz darauf festgelegt, daß die Geschichte am Tainaron entstanden ist. Nimmt man hingegen das Beweisstück als erfunden, so ist alles genau so, wie es zu erwarten ist, wenn man weiß, daß Herodot es stets vermeidet, sich zu eindeutig für etwas Wunderbares zu verbürgen, vgl. u. § 2,6(1). Zwei weitere Fälle von Bestätigung durch fiktive Gegenstände s. in den nächsten beiden Abschnitten7. 1,4 Schlangenskelette (2,75). Diese Stelle ist insofern eine genaue Parallele zur Arionerzählung, als auch hier eine Wundergeschichte durch eine doppelte Quellenangabe beglaubigt und zusätzlich durch etwas Gegenständliches bestätigt wird. Herodot erzählt, er sei bei der Nachforschung nach ,den' geflügelten Schlangen — sie werden also als bekannt behandelt; man denkt sich am besten 3,107, wo mehr von ihnen erzählt wird, vorausgesetzt — an einen Ort ,in der Nähe von Buto in Arabien' gekommen. Nach dem Zusammenhang muß man sich diesen unbekannten Ort nicht weit von Ägypten, aber doch nicht in unmittelbarer Nähe des Nils bzw. seines östlichen Deltaarmes vorstellen. Dort habe er riesige Haufen von Schlangenskeletten gefunden. Es gebe eine Erzählung, daß jährlich die geflügelten Schlangen dort massenhaft in Ägypten einfallen, aber von den Ibissen vertilgt werden. Die Araber versicherten, daß aus diesem Grund der Ibis den Ägyptern so heilig sei, und die Ägypter bestätigen das. Die Beglaubigungen haben die übliche Durchsichtigkeit. Die Quellenangabe taucht zwar erst am Schluß für einen speziellen Punkt auf. Aber offensichtlich soll die ganze Geschichte von den Arabern, in deren Gebiet sie sich abspielt, erzählt worden sein. Die Ägypter können 7

Die engste Parallele ist jedoch 2,141,6 (Statue des Sethon mit der Maus), u. § 2,22 (1).

1,4 Schlangenskelette

21

den Punkt bestätigen, der sie selbst betrifft 1 (natürlich ist dafür Voraussetzung, daß sie auch die ganze Geschichte kennen). Aber wieder entstehen formidable Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeiten, wenn wir versuchen, diesen schlichten Zusammenhang in der Wirklichkeit anzusiedeln2. Von märchenhafter Simplizität ist zunächst das Finderglück Herodots. Er hat etwas von geflügelten Schlangen in Arabien gehört, und ein Abstecher ins Grenzgebiet genügt, ihn auf ihre sichtbaren Überreste stoßen zu lassen. So zieht im Märchen einer in die weite Welt, etwa seinen Bruder zu suchen, und findet ihn auch. Doch da vielleicht andere glauben werden, den Text anders deuten zu können, lasse ich diesen Punkt beiseite3. Setzen wir nun einstweilen voraus, daß die Knochenhaufen tatsächlich existierten. Dann ist klar, daß die von Ägyptern und Arabern dem Herodot erzählte Geschichte wirklich auf ihnen beruht (der Gedanke, daß die gegenständliche Bestätigung rein zufällig da war, bei dem bronzenen Delphin vom Tainaron (§ 1,3) eben noch denkbar, wäre hier vollends absurd). Diese triviale Überlegung offenbart aber eine erhebliche Schwierigkeit, denn man muß sich klarmachen, daß die Erzählung als lokale ätiologische Sage nicht geeignet ist. Denn da das Geschehen nicht, wie in echten ätiologischen Erzählungen üblich, in die ferne Vergangenheit verlegt ist, wird sie ja für die Einheimischen durch den Augenschein permanent widerlegt. Das geht also nicht. Höchstens sehr, sehr weit weg vom Ort könnte sie entstanden sein — beispielsweise im Buch eines Griechen aus Halikarnass. Sonst bliebe allenfalls die beliebte Deutungsweise, daß es sich um eine Geschichte handelt, die speziell dazu da ist, Fremden einen Bären aufzubinden, die ich nicht für sehr attraktiv halte. 1

2

3

Parallelen für solche genauen Überlegungen u. § 2,13 Abs. 2. Vgl. auch § 2,3. Wegen u. § 2,12 Ende fasse ich die Ägypter nicht als zweite Erzähler der ganzen Geschichte auf. Praktisch ist der Unterschied belanglos. Eingegangen ist auf die Schwierigkeiten über das hinaus, was unten bemerkt ist, von seiten der Apologetik niemand. Panofsky 31 notiert kurz, daß die Zitate nach der üblichen Regel gewählt sind, und Sayce 166 1 glaubt, daß Herodot sich ein Lügenmärchen zugeeignet hat. Real wäre natürlich die einzige Möglichkeit, daß er vorher von den Skeletten hörte und hingeschickt wurde. Aber das läßt sich m. E. nicht herauslesen. Herodot sagt nicht wie anderswo, daß der Augenschein vorher Gehörtes bestätigte; dagegen liegt in ήλθον (seil, nach Buto) ττυυθανόμένος mpì των τττερωτων όφίων, daß er nur allgemein von geflügelten Schlangen weiß. Auch λέγουσι Άράβιοι schließt aus, daß er meint, er habe die Sache schon vorher in Ägypten gehört. Vage werden seine Angaben nur dadurch, daß er vermeidet, von den έτπχώριοι zu reden. Das geschieht aber vermutlich der Glaubwürdigkeit zuliebe (§ 2,6), denn die Ortsansässigen müßten ja jährlich direkte Augenzeugen des unglaublichen Ereignisses sein. — Heidel 67f. versteht den Text ebenso (er folgert Schriftquelle); sonst finde ich keine Diskussion.

22

1,4 Schlangenskelette

Es kommt nun hinzu, daß noch niemand eine einleuchtende Erklärung für die Knochenhaufen hat angeben können, wie einmütig eingestanden wird4. Ich wage zu behaupten, daß das ein zwingender Beweis ist, daß sie nicht existiert haben. Daß solche riesigen Haufen von Schlangenskeletten nicht denkbar sind, wird allgemein als selbstverständlich unterstellt. Man denkt also, daß Herodot irgend etwas verwechselt hat. Nun ist es aber überaus schwierig, Schlangenskelette mit irgend etwas anderem zu verwechseln. Beispielsweise die gelegentlich geäußerte Vermutung (die einzige, die versucht worden ist)5, es seien Fischgräten gewesen, ist absolut lächerlich. Abgesehen davon, daß Fische in der Arabischen Wüste nicht häufig sind, konnte Herodot das vermutlich unterscheiden. Der Herodot der Herodot-Apologeten ist seltsam. Er unternimmt weite Reisen um eines einzigen Details willen, aber wenn er am Ziel angekommen ist, hat er das Interesse verloren und sieht nicht mehr richtig hin. Übrigens muß ja nicht nur Herodots Beobachtung erklärt werden, die sich auf gewöhnliche Schlangenskelette bezieht, sondern auch die Tatsache, daß die Einheimischen die Knochenhaufen mit der Sage von den geflügelten Schlangen in Verbindung bringen konnten®. Aber selbst, wenn man bereit ist, jede beliebige Ansammlung von Knochen, und seien es Elefantenskelette, als ausreichende Grundlage anzusehen, gibt es keine Möglichkeit. Man kann ja wohl nicht annehmen, daß die Anhäufung von Menschenhand stammt, denn dann könnte sie kaum den Anlaß zu einer so merkwürdigen märchenhaften Deutung gegeben haben. Handelt es sich aber um ein in jenen Gegenden vorkommendes biologisches Phänomen, so müßte es in neuerer Zeit von Reisenden beschrieben worden sein7. Für die Folge eines einmaligen Ereignisses ist die Schilderung Herodots zu gewaltig. Wenn ich nun schließe, daß alle Beglaubigungen erfunden sein müssen, so wird man erwarten, daß die Entstehung der höchst sonder4

Stein zu c. 75,3; Heidel 67b (s. aber folgende Anm.). Meist durch Schweigen: Wiedemann 319; Jacoby 427,11; How-Wells z. St. 6 Keller 2,302. Ich vergaß die Nummuliten Heideis (104" nachgetragen). • Daß die gesamte Vorstellung von den fliegenden Schlangen von den Knochenhaufen ausgeht, nimmt niemand an. Deshalb brauchen uns die mancherlei Versuche, nach der altehrwürdigen Rationalisierungs-Methode des Hekataios (Lesky, Aithiopika, hat sich mit Recht nachdrücklich dagegen gewandt) der Sage eine Realität unterzulegen, nicht zu kümmern. Man hat an hinterindische (!) Flugechsen gedacht (Wiedemann a. O. ; Keller a. O. ; s. a. folgende Anm.) oder an Heuschrecken (Zitate bei Wiedemann; nach Sourdille 744 zuerst Miot 1823; neuerdings wieder aufgewärmt von Hutchinson 1958). 7 Sourdille 75 glaubt, daß die Flugechsen einst dort vorgekommen sein können. Das ist zoologischer Unsinn, da gleitfliegende Tiere stets Waldbewohner sind; nur dort besteht ja Verwendung für diese Fähigkeit und ist ihre Evolution möglich. Somit bleibt Sourdilles Ablehnung aller übrigen Hypothesen als Bestätigung zu buchen.

1,5 Schädelhaufen

23

baren Erzählung irgendwie plausibel gemacht wird. Man muß bisweilen bei Herodot nachträglich angeknüpfte Überlegungen für den wahren Anlaß einer Erzählung halten, also das scheinbare logische Verhältnis umdrehen. Ein sehr klares Beispiel dafür folgt gleich im nächsten Abschnitt. Da der unbefangene Leser nicht leicht an so etwas denkt, ist das ein höchst wirkungsvolles Mittel der Verschleierung der Erfindung, die für den Erzähler wichtig ist. Es ist Herodot (hierbei setze ich allerdings meine Auffassung über Herodot als Erzähler voraus) wohl zuzutrauen, daß er diesen Trick beherrscht hat. Ich suche deshalb die Lösung in dem oben erwähnten auffallenden Punkt, daß die Quellen nur für einen Zusatz — dies sei der Grund, weshalb der Ibis so geehrt werde — zitiert werden. Wie, wenn sich Herodot diese Frage vorgelegt hätte ? Denn selbst angesichts der Verehrung so vieler Tierarten konnte man fragen, warum dieser Vogel vor anderen so heilig war. Dann aber lag die Antwort, daß er einen besonderen Schädling vertilge, nicht fern, und da hat Herodot die ihm vorgegebenen geflügelten Schlangen der Araber herangezogen8. 1,5 Schädelhaufen (3,12). Die angekündigte Parallele ist die sehr ähnliche Autopsie-Behauptung 3,12. Von Einheimischen aufmerksam gemacht, will Herodot an den Toten der Schlacht von Pelusium, die säuberlich getrennt nach Parteien lagen (damit wird einem naheliegenden Einwand vorgebeugt) die Beobachtung gemacht haben, daß die Schädel der Perser mürbe und brüchig waren, die der Ägypter aber fest. Dasselbe will er noch einmal auf dem Schlachtfeld von Papremis bemerkt haben. Es wird eine mit dem Klima zusammenhängende Erklärung gegeben, deren die Ägypter betreffende Hälfte von den Ägyptern erzählt sein soll, während für die Perser Herodot die Erklärung im eigenen Namen hinzufügt. Klar ist, daß die angeblich zweimal gemachte Beobachtung nicht richtig sein kann1. Es wären also von vornherein wieder Hilfsannahmen nötig, um den Irrtum zu erklären. Glücklicherweise bedarf es keiner weiteren Erörterungen, da sich niemand der undankbaren Aufgabe 8

Aus meiner Darstellung geht hervor, daß ich die fliegenden Schlangen Isai. 30,6, die oft als Bestätigung zitiert werden, nicht als spezielle Hilfe für 2,75, sondern nur als Parallele zu dieser vorgegebenen Vorstellung (d. h. 3,107) ansehe. Wegen der vielen Berührungen zwischen dem Alten Testament und griechischer Literatur ist die Stelle aber auch da kein Beweis für Erkundigung am Ort. — Der Ortsname Buto ist vielleicht nur eine willkürliche Dublette zu dem bekannten Buto im Delta. Vgl. u. § 2,30 (9), Ktesias, über Troja und Babylon am Nil, und bei Herodot die Dublette der ägyptischen und der babylonischen Nitokris.

1

Die entgegengesetzte Behauptung von Wilkinson (1878) bei How-Wells z. St. ist wohl nicht ernst zu nehmen.

24

1,5 Schädelhaufen

unterzogen hat, solche zu erfinden2. Um so leichter ist die für das Phänomen gegebene Erklärung zu verstehen: Sie ist griechische Theorie3 in enger Nachbarschaft zur hippokratischen Schrift ,De aeribus aquis locis'4, mit der Herodot mehrere bekannte Berührungen hat 5 . Diese Feststellung hat nichts Überraschendes; es ist einer der vielen Fälle, wo griechische Gedanken bei Herodot im Munde seiner zitierten Quellen erscheinen. In der neueren Literatur über die Quellen Herodots ist dieser Fall des bekannten Phänomens indessen nicht beachtet worden, und das ist vielleicht kein Zufall, denn er ist für die Rechtfertigungsversuche der Forschung so desaströs wie kein zweiter, den im folgenden Abschnitt zu besprechenden Fall vielleicht ausgenommen. Niemand wird glauben, daß die Ägypter, die die griechische Theorie nicht kannten, rein zufällig eine falsche Beobachtung gemacht haben, die in sie hineinpaßte, während Herodot, dem sie geläufig war (wie durch den von ihm im eigenen Namen gegebenen Teil der Erklärung ganz speziell bewiesen wird), passiver Empfänger der Mitteilung war. Denn wenn überhaupt, ließe sich ein Beobachtungsirrtum nur aus der falschen Erwartung eines bestimmten Ergebnisses erklären. Ist so ein absurder Zufall auszuschließen, scheitern auch die sonst üblichen Hypothesen vollständig. Herodots Darstellung läßt, da die Einheimischen ihn hinführen, absolut nicht die Interpretation zu, daß die Initiative irgendwie bei ihm lag, wie es die Theorie des ,Hineinfragens' erfordert. Auch der Annahme der Vertrautheit der Ägypter mit griechischem Gedankengut sind an dem abgelegenen Ort und bei dem abgelegenen Gedanken die Umstände denkbar ungünstig. Das P h ä n o men g r i e c h i s c h e r T h e o r i e im Munde von H e r o d o t s Quellen t a u c h t also an einer S t e l l e auf, wo es nach den derzeit herrschenden Ansichten nicht auftauchen dürfte. Die notwendige Folgerung ist klar. Wenn die Beobachtung an den Schädeln nicht von den Ägyptern gemacht worden ist, wie Herodot erzählt, dann selbstverständlich auch nicht von ihm selbst, wie er nicht erzählt. Vielmehr ist offenbar die griechische Vermutung, daß die Knochen nördlicher Menschen weicher sein müssen als die südlicher, der Ausgangspunkt des Ganzen und die sie bestätigende Beobachtung erfunden. 2

3

4 5

Man scheint allgemein keine Schwierigkeiten zu sehen: Sourdille 96; v. Fritz 125 u. Anm.-Bd. 90ββ usw. So ohne weiteres betrachtet Nestle 13 (nur kurze Erwähnung; die Sache wird ohne weiteres als Beobachtung Herodots behandelt). Vgl. c. 20 über Feuchtigkeit und Weichheit des Körpers der Skythen. Nestle a. O. und Hermes 73, 1938, S. 25f. glaubt, daß die Schrift Herodot vorgelegen hat; andere glauben an gemeinsame Quelle (vgl. die bei Nestle und Schmid 554 10 aufgeführte Literatur, ferner Heinimann 172—80, der allerdings sowohl unsere Stelle als auch 1,105,4, vgl. u. § 2,2 (1), übersehen hat).

1,6 Erdgeschichtliche Theorien

25

Das Gesagte reicht zum Beweis vollkommen aus. Es kommt aber noch ein entlarvendes Detail hinzu, nämlich die Verteilung der Erklärung auf die Ägypter und Herodot selber. Man ist spontan nicht geneigt, diesem Punkt viel Beachtung zu schenken, zumal der Übergang vom a. c. i. auf den Indikativ als bloßer Wechsel der Ausdrucksweise aufgefaßt werden kann. Aber überlegt man sich die Sache näher, so kann es schwerlich Zufall sein, daß sich nach dem uns nun schon wohlbekannten Prinzip der dem Inhalt angepaßten Quellenangabe zwanglos eine Deutungsmöglichkeit ergibt: Die Ägypter geben Auskunft nur über den Teil der Beobachtung, der sie selbst betrifft. Es steckt also die naive Vorstellung dahinter, daß die Ägypter wissen müssen, warum bei ihnen die Menschen harte Schädel haben, aber nicht wissen, warum das Gegenteil bei den Persern der Fall ist. Natürlich ist das unrealistisch. Die beiden Teile der Erläuterung sind ein Ganzes, das aus einer Quelle stammt und so wenig teilbar ist wie die Erzählung vom Wunder in Delphi o. § 1,1. Weitere Parallelen dafür, daß der Erzählung detaillierte Überlegungen dieser Art zugrunde Hegen, u. § 2,3. Man kann gegen vorstehende Deutung der Passage einwenden, daß Herodot selbst 3,12,1 von einem θώμα μέγα spricht. Bei genauer Überlegung wird das eher zur Bestätigung. Die angebliche Verwunderung ist notwendige Folge davon, daß er vermeidet, sich auf ,De aeribus' zu beziehen. Da er diese Schrift6 nachweislich gekannt hat, gehört beides in die Fiktion: er spielt konsequent die Rolle dessen, dem die Ägypter überraschend Neues zeigen. Der Fall gehört in die u. §§ 2,17—9 besprochene Technik, vgl. besonders § 2,18 (2). Wir haben im Vorstehenden drei Fälle kennengelernt, in denen einzeln der Beweis geführt werden konnte (mindestens in den beiden letzten Fällen m. E. völlig strikt), daß der Beglaubigung dienende gegenständliche Beobachtungen Herodots fingiert sind. Ich betrachte damit als etabliert, daß solche Fiktionen vorkommen, so daß in Zukunft stets mit dieser Möglichkeit gerechnet werden muß. Wir kommen auf das Thema u. §§ 2,20—2 und, für Fiktionen von Selbsterlebtem, § 2,14 zurück. Eng verwandt mit der Bestätigung einer eigenen Vermutung Herodots durch eine fingierte Beobachtung, wie wir sie an den zuletzt besprochenen beiden Stellen fanden, ist die Bestätigung durch eine fingierte Aussage von Einheimischen (3,12 enthält ja streng genommen beides) ; die Belege s. u. § 2,12. 1,6

Erdgeschichtliche Theorien über das Nilland (2,10,1) und Thessalien (7,128—30). Auch diese beiden Stellen sind lehrreich für 6

bzw. die gemeinsame Quelle, s. vorige Anm.

26

1,6 Erdgeschichtliche Theorien

die Beurteilung der Theorie des .Hineinfragens'. An der ersten sagt Herodot, er habe vermutet, daß Ägypten Schwemmland sei, und die Priester hätten ihm das bestätigt. Jedem ist klar, daß dies ein typisches Beispiel der häufigen Erscheinung ist, daß Herodot jonische Theorie aus lokalen Quellen referiert; aber mit ,Hineinfragen' ist man hier das Problem leicht los. An der zweiten Stelle erzählt Herodot folgendes: Xerxes hatte den Wunsch, die Mündung des Peneios zu sehen. Er fuhr von Therme aus mit seiner ganzen Flotte (!) dort hin und erörterte mit den einheimischen Wegführern, ob man durch Aufstauen des Peneios Thessalien unter Wasser setzen könne. Dann fuhr er wieder zurück. Diese völlig folgenlose Expedition ist nach allgemeiner Meinung vom Erzähler inszeniert zu dem alleinigen Zweck, den Gedanken über Thessalien anzubringen, s. u. § 3,4(1). Auch die Form des Gesprächs mit den griechischen Führern, worüber ja schwerlich eine authentische Nachricht vorliegen konnte, wird man Herodot selbst zuschreiben, der sich durch Szenen wie die zwischen Gyges und Kandaules, Solon und Krösus gewiß für eine solche Leistung ausreichend legitimiert hat. Der erste Eindruck ist also, daß diese Erzählung lediglich auf dem Gerücht aufgebaut ist, Xerxes habe Thessalien unter Wasser setzen wollen. Nun ist in diese Erzählung noch folgendes eingelegt: Es gebe eine alte Sage, daß Thessalien einst ein See gewesen sei. Nachdem Herodot dies ausführlich erläutert hat, sagt er, die Thessalier selbst 1 seien der Ansicht, daß Poseidon diesen Zustand beendet hätte; sehr natürlich, setzt Herodot hinzu, wenn man in Poseidon den Erderschütterer sieht. „Denn auch mir schien", sagt er, das Auseinandertreten der Berge durch ein Erdbeben verursacht zu sein. Das Imperfekt εφαίνετο ist, wie mir scheint, im Sinne eines Plusquamperfekts zu deuten (ebenso auch έδόκεε 2,10,1). Wie 2,104,1 (o. § 1,2) will Herodot andeuten, daß er die Vermutung schon vorher hatte. Doch kann allenfalls die Zeit, wo er die Auskunft bekam, gemeint sein, und diese für meine Argumentation ungünstigere Deutung will ich zugrunde legen. Man wird zugeben müssen, daß Herodots Deutung des Mythos richtig ist: Dieser ist tatsächlich eine durchsichtige Verkleidung der Ansicht, daß Thessalien dem Grunde eines riesigen Sees gleicht. Das Gerücht über Xerxes beruht auf fast dem gleichen Gedanken. Wenn man sich dies Zusammentreffen überlegt, ergibt sich eine unbehagliche Assoziation. Wir erinnern uns, daß der Gedanke vorzüglich in die geologischen Hypothesen der jonischen Geographie paßt, wie sie uns von Demokies von Phygela (Strab. 1,3,17), Xanthos dem 1

Sie sind damit wohl als Quelle für die .alte Sage' überhaupt bezeichnet, vgl. den letzten Absatz u. § 2,12. (Die Annahme von zwei Quellen wäre für meine Argumentation natürlich noch günstiger.)

1,6 Erdgeschichtliche Theorien

27

Lyder 2 und Herodot selbst (siehe sogleich) bekannt sind3. Das vorige Beispiel und andere Fälle mahnen dringend, die Assoziation ernst zu nehmen. Wir hätten dann einen komplizierteren Fall derselben Erscheinung vor uns, die 2,10,1 in einfachster Form vorliegt. Aber während dort leicht mit .Hineinfragen' operiert werden kann, schließt im Fall der Thessalier die mythische Verkleidung das aus, von Xerxes ganz zu schweigen. Man kann auf das Problem 4 reagieren, indem man sich blind stellt und jeden Zusammenhang der beiden Erzählungen untereinander und mit der jonischen Geographie leugnet. Aber erkennt man ihn an, dann gibt es keine andere Möglichkeit, als daß Herodot selbst den Gedanken zweifach variiert und verschiedenen Zeugen in den Mund gelegt hat. Denn man wird nicht glauben, daß eine Theorie des Hekataios sich weit verbreitete, in Thessalien zum Mythos wandelte und Xerxes zu einem kühnen Plan inspirierte — und daß Herodot schließlich alles wieder einsammelte! Natürlich ist von dieser Passage dann auch auf 2,10,1 zu schließen. Leichter, als es vielleicht im ersten Augenblick scheinen mag, kann man sich vorstellen, wie aus dem einfachen Grundgedanken die verschlungene Erzählung Herodots geworden ist. Die thessalische Sage ist eine Variante der Form der oben verglichenen Stelle 2,10,1, wo die Ägypter eine Vermutung Herodots bestätigen. Es ist nur an die Stelle der direkten Bestätigung die mythische Verkleidung getreten, die erst durch eine rationalisierende Überlegung in die direkte Bestätigung zurückverwandelt wird. Wir werden u. § 1,14 denselben Kunstgriff in womöglich noch reinerer Form wiederfinden. Hiermit hat Herodot eine zweite Verwertungsmöglichkeit desselben Gedankens kombiniert, nämlich ihn als militärische Möglichkeit für Xerxes darzustellen. Das lag nahe, weil er ohnehin geneigt war, alles Material über den Norden Griechenlands, das er hatte, an den Xerxeszug anzuknüpfen, und vom Athosdurchstich her konnte er schon auf den Gedanken verfallen. Jedenfalls ist das viel plausibler als die Annahme, die Griechen hätten tatsächlich eine solche Maßnahme des Xerxes befürchtet. Denn dazu war der Gedanke hinsichtlich der Möglichkeit und der Zweckmäßigkeit seiner Ausführung viel zu unrealistisch; dagegen paßt er bestens zu dem kühnen Gedankenflug des jonischen Gelehrten, der die Vorstellung zu denken wagt, ein Fluß könnte „binnen 20 000 oder gar 10 000 Jahren" das Rote Meer in Festland verwandeln. 2 3

Vgl. die Darstellung bei v. Fritz 87 ff. Das ist verschiedentlich bemerkt worden (Jacoby 450,44; Schmid 633 Ende der Anm.; Legrand 7,54f.; angedeutet Macan zu c. 129,22). Jacoby und Legrand 7,552 nehmen deshalb für die Einlage eine Schriftquelle an. Die Probleme des Ineinander4 passens werden dadurch nicht geringer. das niemand gesehen hat.

28

1,7 Ursprungssagen

Es sind also einfache und Herodot geläufige Handgriffe, mit denen der Grundgedanke in die lebendige, vielfältige Erörterung verwandelt wird, die wir lesen. Gerade dies muß dem Erzähler zum Ruhm gereichen, dessen Leistung erst richtig gewürdigt werden kann, wenn man die Quellenangaben als fingiert erkannt hat. 1,7 Ursprungssagen. Ursprungssagen1 werden sehr häufig als von den Betreffenden selbst stammend beglaubigt. Eduard Norden hat an ihnen in erster Linie seinen Nachweis von Wandermotiven in der ethnographischen Literatur geführt 2 und unter anderem auch eine traditionelle Form der Gegenüberstellung mehrerer Quellen nachgewiesen3, die von Herodot den Ausgang nimmt. Es ist also von vornherein zu erwarten, daß wir hier einen ergiebigen Jagdgrund finden. Bei kleineren Ursprungsangaben Herodots wiederholt sich am häufigsten, wenn auch nicht ohne Abweichung, folgendes bekannte Schema: Das Volk hat ursprünglich einen anderen Namen; dann kommt der eponyme Heros und gibt ihm den neuen Namen. Oft kommt ein Wechsel des Wohnsitzes hinzu. Die häufige Wiederholung des Schemas verbietet, den alten Namen und den alten Wohnsitz als .Nachricht' zu werten, wie es heute noch vielfach geschieht. Da der Autor beides einfach brauchte, mußte er es oft leichthin konstruieren. Seltener kommt das anderwärts sattsam bekannte Schema der Gründung im Anschluß an den trojanischen Krieg vor und als dritte Form, suggeriert durch die Erfahrung der griechischen Kolonisation, die bloße Bezeichnung eines Volkes als άττοικοι eines anderen. Einige Male gibt es ähnliche Nachrichten bei anderen Autoren des fünften Jahrhunderts, aber, im Einklang mit der u. § 3,2 erläuterten Regel, nie volle Übereinstimmung. Der Zusatz „wie sie selbst sagen" fehlt teilweise. Das hat offenbar gar nichts zu bedeuten: Ζ. B. sind 7,73—4 und 91 sq. im Gegen1 3

2 42 ff. Panofsky 26 ff. ähnlich wie im folgenden. Seltsamerweise hat er aus den a. O. 47 vorgelegten Belegen nicht den einzig möglichen Schluß gezogen, daß die Quellenangaben fingiert sind. Denn wenn wir reihenweise Darstellungen haben, wo bis zu fünf verschiedene Ansichten (die wegen Ausdrücken wie .plurimi consentiunt' womöglich noch mehr Quellen voraussetzen) referiert werden, während der Autor selbst keine Entscheidung trifft (dies die von Norden nachgewiesene Form), und wenn dagegen nicht ein einziges Mal eine der zahlreichen Quellen mit einseitiger Stellungnahme, aus denen das Referat zusammengesetzt ist, erhalten ist, dann muß doch wohl geschlossen werden, daß es diese gar nicht gegeben hat. Man entgeht der Schwierigkeit auch nicht, wenn man sich die Quellen ausschließlich als mündlich vorstellt (nicht Nordens Ansicht, vgl. 217). Auch hier wäre es ein sinnloses Zeremoniell gewesen, wenn der Autor so lange herumgefragt hätte, bis er die benötigten Meinungen beisammen hatte.

1,7 Ursprungssagen

29

satz zu den Nachbarkapiteln (s. u.) die Zitate offensichtlich nur weggelassen, weil sich die Angaben so häufen, daß die ständige Wiederholung lästig wäre. Sodann steht dieselbe Angabe 7,61,2—3 ohne, 7,150,2 mit Zitat (in besonderer Form, s. u.). Also zählen Stellen ohne ausdrückliches Zitat voll mit4. Der Kontrolle halber trenne ich jedoch in der folgenden Übersicht die beiden Gruppen. Innerhalb dieser Gruppen zähle ich die Stellen der Reihe nach auf und gebe einige Hinweise für die Deutung der Konstruktion. Die meisten Notizen sind im Katalog des Perserheeres im siebenten Buch an die Erwähnung einzelner Kontingente angehängt. S. den Nachtrag. (1) Stellen mit ausdrücklichem Zitat. 1,172,1 Die Kaunier leiten sich von Kreta her. Herodot hält sie für autochthon. — 4,78,3: Die Borystheniten erklären sich für Milesier. Hier hindert nichts, eine echte historische Nachricht zu vermuten. Aber die Quellenangabe ist von der üblichen Form bestimmt. — 4,191,1 leiten sich die Maxyer in Libyen von den von Troja Kommenden her. — 5,9,3 ist ausHerodots eigenen Worten klar, daß er mit keinem Angehörigen des Stammes der Sigynnai gesprochen hat, die sich selbst als Abkömmlinge der Meder bezeichnen. Zur Kommentierung der Fiktion durch den Autor selbst vgl. § 2,18, eine Vermutung über ihre Entstehung § 2,21. — 7,62,1: Die Meder sagen selbst, sie hätten Arier geheißen und ihren neuen Namen von Medea bekommen, als diese zu ihnen kam. Ein typisches Fabrikat; statt des erfundenen Eponymen kann, wenn der Zufall es ermöglicht, ein ähnlich klingender Name genommen werden ; vgl. weiter unten zu Perseus. Um den früheren Namen zu erhalten, den das Schema verlangt, ist der Name ,Arier' genommen, den sich die Perser als Ehrennamen gaben und der den Griechen als überflüssiges Synonym vorkommen mochte. — 7,75,2: Als die Thraker (gemeint ist: ein Teil von ihnen) nach Asien hinübergingen, nannten sie sich Bithynier, während sie vorher nach eigener Aussage Strymonier hießen. Dieser Name war leicht erfunden. Die Angabe ist mit der über die Päonier, u. Nr. (3), abgestimmt. — 7,89,2: Die Phönizier sind, wie sie selbst (und 1,1,1 die Perser) sagen, von Ursitzen am indischen Ozean in ihre jetzige Heimat gelangt. Dieser Wohnplatzwechsel dürfte nichts als eine Erfindung nach dem üblichen Schema sein, wenn auch die Umbenennung fehlt. — 7,90: Die Angabe über die gemischte Herkunft der Zyprier dagegen, an der Griechen und Phönizier beteiligt sind, ist insoweit nichts als eine Umsetzung gegenwärtiger Verhältnisse in eine PseudoUrgeschichte. Für das Detail (außer Phöniziern sind Salamis, Athen, Arkadien, Kythnos, Äthiopien genannt) sind dann doch wahrscheinlich

4

Auch bei anderen Autoren macht es nicht den geringsten Unterschied, ob urgeschichtliche Angaben als einheimisch bezeichnet werden oder nicht. Das hat Bickermann in seinem materialreichen Aufsatz gründlich verkannt.

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1,7 Ursprungssagen

die sagengeschichtlichen Konstruktionen maßgeblich (einschließlich der Namensgleichheit der beiden Salamis) ; der Treffer Arkadien ist Zufall5. Am Rande zu erwähnen ist noch 4,45,3: Die Lyder beanspruchen den Namen Asien für einen asiatischen Eponymen. Die Fälle, wo nicht oder nicht nur die Betreffenden selbst zitiert sind, s. u. §§ 1,8—9 (Karer, Phryger, Skythen). 1,94,2—3 (Etrusker) werden der Erzählung wegen die Lyder als Muttervolk zitiert, u. §3,6(2). ,Die Griechen' werden 7,94-95,1 zitiert; dazu s. u. § 2,16. (2) Ohne Zitat, (s. den Nachtrag zu S. 29). 2,42,4: Die Ammonier άποικοι der Ägypter und Äthiopier. Die Sprache μεταξύ; dazu u. § 2,21. — 4,147 wird Thera, vorher Kailiste (eine sehr simple Erfindung), nach einem Theras benannt. — 7,61,2—3 (dazu 150,2 und 6,54, beide mit Zitat): Die Perser ursprünglich Artaioi bei sich selbst, bei den Griechen Kephenes; Eponym Perses, Sohn des Perseus. Letzterer ist wie oben Medea herangezogen, aber der normal gebildete Eponym dazwischen geschaltet. Interessanterweise ist auch diese Form für die Meder belegt: Steph. Byz. s. ν. Μηδία hat Medos, Sohn der Medea ( = Hecat. frg. 286; die Genealogie nicht notwendig von Hekataios). Kephenes von Kepheus, Großvater des Perseus, also rückwärts der Volksname vom Personennamen gebildet. Artaioi wie Arier? 8 Die Bildung von zwei alten Namen, sinnvoll Griechen und Persern zugeschrieben, ist eine verständliche Ausgestaltung der üblichen Form. — 7,73: Armenier Φρυγών άποικοι, sonst nichts. — 7,74,1 (dasselbe 1,7,3): Lyder nach Lydos, Sohn des Atys; vorher Maionier; da war tatsächlich ein alter Name bei Homer vorhanden. Von solchen Fällen gingen die Fiktionen aus. — 7,74,2: Myser Λυδων άποικοι, heißen auch Olympienoi. — 7,91: Kiliker nach Kilix, ursprünglich Hypachaioi 7 . — ibid.: Pamphyler unter Amphilochos und Kalchas im Anschluß an den trojanischen Krieg begründet. — 7,92: Lykier nach Lykos, davor Termilai aus Kreta. Dieser Name, von lykischen Inschriften bekannt, ähnlich wie oben die Arioi8. Dazu ausführlicher 1,173: Lykien habe Milyas geheißen, die Milyer Solymoi. — Einiges für uns Unergiebige lasse ich weg9. (3) An zwei Stellen erwähnt in der Erzählung eine redende Person die Urgeschichte ihres Volkes. Das ist natürlich so gut wie ein Zitat. 7,150,2 (Xerxes über die Perser) wurde oben schon erwähnt. 5,13,2 geben die beiden Päonier dem Xerxes über ihr Volk Auskunft und 5

Agapenor von Xegea hat Paphos gegründet Strab. 14,6,3 (p. 683). Zu den übrigen Angaben genügt es, auf How-Wells z. St. zu verweisen. β Vgl. die Angaben bei Schwabl 263». ' Die mit der Ahhiväj ä-Frage verknüpfte neuere Diskussion findet man über Bengtson 48 f. 8 R E s. v. Termilai (W. Ruge). Hekataios hatte Τρεμ\λ«$ (frg. 10). » 7,93 (Dorer; für die Karer ein Verweis auf 1,171, u. § 1,8) ; 8,43—8 (griechische Orte).

1,7 Ursprungssagen

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erwähnen dabei auch seine Urgeschichte: Es stamme von den Teukrern ab. Diese sind nämlich nach 7,20,2 und 75,2 (s. o.) mit den Mysern nach Europa gezogen10 und haben die Strymonier, nachmals Phryger, verdrängt. Es ist, wenn man die vorstehenden Stellen in ihrer Gesamtheit überblickt, schwer verständlich, wie irgend jemand sollte meinen können, daß diese nach festem Schema in Serie fabrizierten Ursprungsangaben auf Erkundung an Ort und Stelle beruhen 11 . Daß sie letzten Endes aus der Küche der jonischen Pseudohistorie kommen, ist — von einigen unauffälligeren Beispielen abgesehen — jedem klar. Kann man aber annehmen, daß sie jeweils in den betreffenden Gegenden volkstümlich oder auch nur bekannt wurden? Das wäre eine sehr gewagte Unterstellung. Aber selbst wenn jemand die absurde Behauptung aufstellen würde, daß jedes einzelne dieser Fabrikate seinen Weg an die betreffenden Orte gefunden hätte, bzw. im gleichen Geiste dort geschaffen worden wäre, wäre es immer noch völlig ausgeschlossen, daß Herodot i m m e r n u r diese Dinge vorgesetzt bekam. Er müßte dann selbst aus allem, was er gehört hat, eine rigorose Auswahl getroffen haben, bei der alles, was echtes Lokalkolorit hatte, wegblieb, und übrig blieb, was er sich zu Hause am Schreibtisch hätte ausdenken können. Man tut Herodot aber keine Ehre an, wenn man ihn für einen hält, der aus vielem wenig macht statt umgekehrt. Für sich allein ein ausreichender Beweis ist, daß zwei Angaben für nicht benachbarte Völker aufeinander abgestimmt sind (Päonier und Bithynier). Bei den nichtgriechischen Völkern ist man wieder auf die berühmten hellenisierten Einheimischen angewiesen (Bithynier, Karer, Lyker, Päonier). Bei drei fernen Völkern hilft auch diese Medizin nicht (Meder, Sigynnai, Maxyes). Man kann sich dann noch auf die Theorie der indirekten Auskünfte zurückziehen. Aber das wäre letzten Endes nicht wesentlich verschieden von der Annahme einer schriftlichen Quelle: Quelle wäre dann nicht Lokalüberlieferung, sondern überregionale Sammelstellen für derartige Konstruktionen, und das hieße praktisch Autoren wie Hekataios oder Herodot selber. Die Fiktion wäre nur auf eine unbekannte, gleichartige Quelle verschoben12. 10

Soweit es die Myser betrifft, ist es klar, daß der Zug, der 7,20,2 vor den trojanischen Krieg gesetzt ist, auf Grund derselben Überlegung, die Strabo 7,3,2 vorbringt, aus II. Ν 5 entwickelt ist. Daß in so etwas ein .historischer Kern' stecken muß, ist Aberglaube. 11 Tatsächlich hat auch kaum jemand gewagt, eine so abwegige Behauptung aufzustellen (immerhin vgl. How-Wells zu 7,20,2, Nr. 1 u. 3, und die folgende Anm.). Jacoby 402 und Legrand 7.601 blieben folgerichtig bei der Annahme von Schriftquellen. 12 So z.B., wenn an die .Perser' von 1,1,1 gedacht wird, Matzat, Hermes 6, 1872, 462; v. Fritz 412.

32

1,8 Karer und Phryger

1,8 Karer (1,171) und Phryger (7,73; 8,138,2—3). Für zwei Urgeschichten ist eine andere Quelle angegeben als das betreffende Volk selbst. Nach 1,171 haben die Karer einst Leleger geheißen, auf den Inseln gewohnt und sind dem Minos unterworfen gewesen. Dies sagen die Kreter. Die Karer selbst erklären sich für autochthon. Die Erzählung ist inhaltlich typische Konstruktion der Pseudohistorie, die nicht nur die Topoi der Umbenennung und Umsiedlung, sondern auch die Rolle des Minos und den Gedanken der Autochthonie kennt, wie u. a. Thuc. 1,2,5 und 1,4 lehren. Wenn nun die erste Version den Kretern zugeschrieben wird, so offensichtlich nach dem Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe deswegen, weil die Karer dem König Minos unterworfen waren. Die Stelle suggeriert, daß man in Kreta aus echter Erinnerung Auskunft über jene Zeit bekommen konnte. Dazu gehört auch, daß Herodot nicht wie sonst einen bestimmten Ort nennt (7,171,1: ΤΤραίσιοι), sondern allgemein ,die Kreter'. Da der suggerierte Kausalzusammenhang falsch ist, muß, wer die Angabe verteidigen will, wieder einmal an einen rätselhaften Zufall glauben. Zur Wahrung der Parteistandpunkte in den beiden Versionen s. u. § 2,9 Ende, zu den drei Brüdern Kar, Lydos und Mysos den folgenden Abschnitt. Die zweite Stelle ist die Urgeschichte der Phryger 7,73. Diese hätten, sagen die Mazedonier, einst mit ihnen zusammengewohnt und Briger geheißen. Es gilt zwar heute noch für wahrscheinlich, daß die Phryger aus Europa gekommen sind, aber das ist um etwa 1200 v. Chr. gewesen1. Unmöglich konnten die illiteraten Mazedonier davon noch wissen. Β ρίγες ist eine unter mehreren verwandten Namensformen, die verschiedentlich für Stammesnamen in Mazedonien und Illyrien bezeugt sind (Bpúyoi, BpOyoi, Bpùysç usw.2). Es ist sehr natürlich, diesen Namen mit Φρύγες zu identifizieren, da der Lautwandel im Anfang Parallelen hat (Βίλπτττος, Βερενίκη)3. Das eröffnet mehrere Möglichkeiten, wie die Nachricht zustande gekommen sein kann: Folgerung aus noch erkennbarer Verwandtschaft zwischen Phrygern und europäischen Stämmen oder bloß Schluß aus dem Gleichklang (bzw. im Mazedonischen der Identität) der Namen. Danach könnte man eine zwar nicht historisch authentische, aber doch echt lokale Nachricht für möglich halten. Es liegt aber auch hier näher, eine literarische Konstruktion zu vermuten, da (1) die Be1

2 3

Vgl. besonders Friedrich, Phrygia; Goetze 201; Bengtson 72. Die neueste Darstellung von Barnett (1967; dort Literatur) legt sich in keiner Weise fest (3f.; 20f.). Die Nachricht Herodots spielt leider in den modernen Darstellungen noch eine bedenkliche Rolle (Goetze a. O.; Friedrich a. O. 883Í.). Die Stellen bei Detschew 91—3. Darauf verweist schon Stein.

1,9 Skythen

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hauptung, Bpiyeç sei der ehemalige Name, auf jeden Fall auf das Konto Herodots kommt, (2) die Pseudohistorie auch sonst einen regen Verkehr zwischen Asien und den benachbarten Teilen Europas annimmt4, und (3) möchte ich hier die Analogie der anderen Stellen ausnahmsweise als Argument heranziehen. Noch einmal wird auf die Mazedonier eine mit der phrygischen Urgeschichte eng zusammenhängende Nachricht zurückgeführt: Bei Aigai liegen die sogenannten Gärten des Midas, und hier soll Midas, Sohn des Gordias, den Silen gefangen haben (8,138,3). Hier sind offensichtlich die Namen Midas und Gordias — letzterer ist nur Eponym der Stadt Gordion5 — aus dem kleinasiatischen Phrygien sekundär übertragen, eben weil Herodot die Phryger aus Europa herleitet. An eine echte lokale Nachricht ist nicht zu denken®. 1,9 Skythen (4,5—13). Die ausführlichste Urgeschichte bei Herodot ist die der Skythen. Er gibt drei Versionen, deren erste von den Skythen selbst stammen soll, die zweite von den Griechen des Pontusgebietes, während die dritte Griechen und Barbaren gemeinsam sein soll. (1) In der skythischen Version unterscheide ich drei Elemente, das eigentliche Erzählmotiv (drei Gegenstände aus Gold fallen vom Himmel und geben ein Zeichen zugunsten des jüngsten Bruders), das genealogische Schema mit drei Brüdern in der dritten Generation (Zeus < Targitaos < Lipoxais, Harpoxais, Kolaxais) und die Angabe, daß die Tochter des Borysthenes Mutter des Targitaos sei. Von diesen gibt das erste mangels Parallelen keine Hilfe1; das dritte spricht sehr 4

5

β

1

S. o. § 1,7 (1) bzw. (3) zu den Thraziern und den Päoniern. Mit überlegt werden muß, daß auch Xanthos FGrHist 766 frg. 14 ( = Strab. 14,5,29) die Phryger aus Europa kommen läßt. Nach dem trojanischen Krieg habe sie ein Skamandrios aus Askania und dem Gebiet der Berekynthier geholt (was beides sonst in Asien liegt). Das schließt an II. Β 862 sq. (Phorkys und Askanios Führer der Phryger aus dem fernen Askanien) an und kann eigentlich nur bedeuten, daß nach Xanthos Homer die Phryger in Europa lokalisiert. Vielleicht ist das aus τηλε, das auf das tatsächliche Phrygien nicht paßt, erschlossen. Das scheint mir unbedingt die natürlichste Annahme. Friedrich, Phrygia 886 ist im Zweifel. — Vgl. RE s. v. Gordios 1—4 (Swoboda). Das beste Argument ist das Vorkommen des Namens Midas (Mi-ta-as) in vorphrygischer Zeit in Kleinasien (in einer hethitischen Urkunde, Friedrich a. O. 886). Er kann also nicht von den Einwanderern mitgebracht worden sein, es sei denn, der Anklang wäre zufällig. Nur Kondakoff-Tolstoi 160 führen folgendes an: ,,Le récit d'Hérodote sur l'or enflammé concorde d'une manière bien curieuse avec des croyances populaires de la Russie contemporaine; on y parle de trésors enfouis, qui se transforment en charbons ardents entre les mains du malheureux qui les découvre" (keine weiteren Angaben). Moderne Parallelen können aber nie etwas beweisen, da, wenn überhaupt 3 Fehling, Herodot

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1,9 Skythen

gegen echte, einheimische Überlieferung, denn die wilde Verwendung geographischer Namen in genealogischen Konstruktionen ist, teilweise auf epische Vorbilder zurückgehend, für die griechische Pseudohistorie kennzeichnend2. Auch die Wahl des Dnjepr ist von seiner zentralen Stellung bei Herodot her besonders gut verständlich (wäre es allerdings vielleicht auch sonst). S. den Nachtrag. Auf das Schema mit drei Brüdern in der dritten Generation in Götter- und Völkerstammbäumen hat zuerst Müllenhoff3 aufmerksam gemacht und folgende Beispiele angeführt: Uranos < Kronos < Hades, Poseidon, Zeus ; Deukalion < Hellen < Doros, Xuthos, Aiolos ; die germanischen Stammesväter Tac. Germ. 2; die Verwandtschaft Odins aus der jüngeren Edda Snorris (etwa 1220) und die gotländische Stammsage (etwa 1350). Ein bisher übersehenes Beispiel: Amphiaraus < Catillus < Tiburtus, Coras, Catillus Solin. 2,8. Hinzu kommen weitere Beispiele für drei Brüder in Völkerstammbäumen: Sem, Ham, Japhet; Kar, Lydos, Mysos (Hdt. 1,171,6); Agathyrsos, Gelonos, Skythes (in unserer Partie c. 10,l) 4 ; Thomos, Antias, Ardeas Xenagoras FGrHist 240 frg. 29 u. a. Von den ungezählten nachantiken Belegen5 nenne ich nur die drei Brüder der russischen Urgeschichte6. Wie ist der Traditionszusammenhang zu beurteilen? Man hat sich offenbar allgemein mündliche Verbreitung weit über Europa und den nahen Orient hin vorgestellt7. Nur so kann man an der Echtheit der skythischen Quelle festhalten. Ich bin nicht allen Einzelein Zusammenhang besteht, indirekte Abhängigkeit von Herodot nie ausgeschlossen werden kann. Geographische Kontinuität eines solchen Gedankens über zweieinhalb Jahrtausende voller Völkerbewegungen ist gegen alle Erfahrung und Wahrscheinlichkeit. Vgl. die Rolle, die das Trinken aus den Schädeln erschlagener Feinde in der russischen Folklore spielt (Hdt. 4,65). — Beliebt ist die Deutung der Geräte auf soziale Schichten (Andreas bei Christensen 66 und die Russen). Ich würde sie nur als die bezeichnendsten Kulturgaben deuten, was mit jeder Quelle zu verein2 baren ist. Bei Herodot gibt es zwei nahe Parallelen, 4,180,5 (u. § 1,10) und 9,61,2. An der ersten Stelle ist die griechische Konstruktion besonders klar. Ich halte alle drei Angaben für Erfindungen Herodots. 8 Deutsche Altertumskunde 4, 2. Abdruck, Berlin 1920, S. 115, referiert und ergänzt Much 52 f. Bei Norden 48f. kein Hinweis. 4 Vgl. a. die Brüder Pronoos, Orestheus, Marathonios Hecat. frg. 13 ; Gauanes, Aerops, Perdikkas H d t . 8,137,1. 6 Schütte 118ff. (nur germanisch); Christensen; Stender-Petersen 61—61 (und ff., mit Literatur). — Much a. O. führt aus ungenannter Quelle Cech, Lech, Mech an. 6 Nestorchronik S. 19 Tschiiewskij, vgl. ibid. 8 (der Eponym von Kiew ist ältester von drei Brüdern). 7 Christensen 65—7 sagt das ausdrücklich. Dagegen findet sich bei Schütte 146 (der die antiken Parallelen nicht kennt) die Bemerkung, „ a t Opnaevner-Vaetterne er en laerd digterisk Manér til a t indordne etnisk-geografisk og aettehistorisk Stof" (,,daß die eponymen Heroen eine gelehrte dichterische Manier sind, ethnisch-geographisches und genealogisches Material einzufügen"). Mythologisch seien sie Nieten und würden maschinell fabriziert.

1,9 Skythen

35

heiten außerhalb des griechisch-römischen Bereichs nachgegangen, doch scheint auch so ausreichend klar, daß alles aus viel engeren literarischen Zusammenhängen zu erklären ist. Die griechischen Beispiele stammen aus der genealogischen Literatur (einschließlich Hesiod). In denselben Kreis gehört Solin. 2,8. Das ist ausgesprochen genealogische Dutzendware, die gewollte Ausfüllung des Schemas wegen der Namensdublette so deutlich wie nirgend sonst. Für Tacitus hat Norden gezeigt, wie eng er sich gerade an die skythische Urgeschichte bei Herodot anschließt und wie fast jeder Punkt durch die Topik dieser Urgeschichten erklärt wird; vgl. besonders das angebliche Odysseus-Denkmal mit der fiktiven Inschrift, s. u. §§ 2,22 und 2,30 (10). Angesichts dessen scheint es mir denkbar abwegig, bei ihm eine authentische germanische Genealogie zu vermuten. Soll denn die enge Beziehung zu Herodot auf zwei grundverschiedenen Wegen entstanden sein, für Odysseus-Inschrift, Autochthoniefrage, Namenssatz u. a. aus der ethnographischen Literatur, für die Genealogie aber aus mündlicher germanischer Überlieferung?8 Bei den mittelalterlichen Stellen ist antiker Einfluß nie auszuschließen und liegt in der Masse der Fälle wegen einer Fülle von Motivparallelen auf der Hand 9 . Das jüdische Beispiel zeigt, daß auch dieses Element der genealogischen Technik von den Griechen aus orientalischer Quelle entlehnt wurde (u. § 3,3). Müllenhoff a. O. operiert mit dem Argument, der Verfasser der fränkischen .Generatio regum et gentium* (6. Jh.) hätte die Namen Erminus, Istio, Inguo aus Tacitus oder Plinius (h. nat. 4,99; die Hermiones schon Mela 3,3,32), die nur die Stammesnamen bieten, nicht rekonstruieren können. Ich übersehe das Sprachliche nicht, aber schwerlich schlägt das Argument durch. Erst recht nicht das Argument der verschiedenen Einteilung der Stämme bei Franken und Lateinern. — Man beachte, daß die Verwendung echt germanischer Namen den fremd klingenden Namen Hdt. 4,5,1—2 entspricht. • Nur für Snorris Götter-Genealogie habe ich keine Argumente. Sonst genügen eigentlich schon die echt antiken Eponymen, die Wanderungen, Umbenennungen, etymologischen Deutungen; auch gibt es Anknüpfungen an Troja u. dgl. in ganz gleichartigen Quellen oder sogar in enger Nachbarschaft. Einiges Spezielle: Sehr oft, u.a. in der gotländischen Stammsage, findet sich das Motiv der Auswanderung wegen Hungersnot (Stender-Petersen 59f. mit einer byzantinischen Parallele; weitere Beispiele Schütte 202,d) wie Hdt. 1,94. Die Varister-Wanderung (Acta Sanctorum VII, 25. Sept., Schütte 141) hat das sehr spezielle Motiv des Ehebruchs der Frauen mit den Sklaven, während die Männer fortgezogen sind, wie Hdt. 4,1,3 (andere SklavenMotive Schütte 202,j). Das Motiv der Berufung eines fremden Herrschergeschlechts Hdt. 1,7,4 kehrt in der russischen Urgeschichte wieder: Die Slaven werden mit inneren Zwistigkeiten nicht fertig und rufen die Rurikiden ins Land (Stender-Petersen 67—76 mit z. T. ferner stehenden Parallelen aus England und Irland. — Die drei Brüder der Nestorchronik können direkt von Sem, Ham und Japhet abgeleitet werden, mit denen die Chronik anfängt). Zum Motiv der Kette sich vertreibender Völker s. S. 37 Anm. 15. Alle diese Zusammenhänge scheinen nicht bekannt zu sein; in der mir bekannten Literatur wird Herodot nicht erwähnt (vgl. aber StenderPetersen 27 u. 40 zur byzantinischen Wurzel). 8

3*

36

1,9 Skythen

Es ist also zu vermuten, daß auch an unserer Stelle das Schema keine Quelle außerhalb des Bereichs der genealogischen Literatur hat, und das kann nach Lage der Dinge nicht gut etwas anderes heißen, als daß es Herodot selbst, von den Gepflogenheiten dieser Literatur angeregt, geschaffen hat. Das paßt gleichzeitig in das Gesamtbild, das wir von den Urgeschichten bei Herodot gewonnen haben, so daß umgekehrt unsere Deutung der Traditionszusammenhänge auch von Herodot her bestätigt wird. Wo die drei Namen herkommen, ist ungewiß. Der Schlußbestandteil -ξαϊς ist iranisch (es steckt darin das Wort, das wir als , Schah' und .Schach' kennen). Da an der iranischen Herkunft der Skythen kaum Zweifel bestehen, können die Namen echt skythisch sein; es bleiben aber verschiedene Möglichkeiten offen10. Klar ist, daß Herodot, wie immer sorgfältig bedacht, Quellenangabe und Erzählung zueinander passend zu gestalten, an dieser einzigen Stelle, wo eine fremde Erzählung einer griechischen gegenübersteht, in der ersteren alles auffällig Griechische vermeiden mußte. (2) Zur zweiten Version habe ich wenig zu sagen. Daß wesentliche Elemente aus dem Epos stammen, ist klar, da Echidna schon Hes. th. 295 sqq. in den Zusammenhängen der Heraklessage erscheint, durch Orthos sogar speziell mit Geryones verbunden. Die Lokalisierung im Norden ist durch die (primäre oder sekundäre) Verbindung zwischen den Arimaspen und dem unverstandenen είν Άρίμοισιν th. 304 gegeben11, die Grotte stammt aus v. 297. Noch einmal kommen die drei Brüder (diesmal als Eponyme Agathyrsos, Gelonos, Skythes) vor. Die ganze Erzählung ist also so vollständig wie nur eine aus griechischer Literatur erklärt. Das gibt zwar keinen selbständigen Beweis für die Nicht-Authentizität, da Herodot wohl mit einem Kenner Hesiods gesprochen haben kann. Aber für eine mündlich verbreitete Sage ist der Anschluß an Hesiod zu genau. Und da der Befund mit unseren bisherigen Ergebnissen hervorragend im Einklang steht, wird man die Deutung nach den sonstigen Erfahrungen richten12. Damit wäre die Sache erledigt, wenn nicht hier der seltene Fall einträte, daß sich bei einer bestens vom Griechischen her erklärten Passage dennoch ein archäologischer Befund als Parallele aufdrängt. Es gibt eine Reihe von skythischen Darstellungen einer Göttin, die bei erheblicher Variation im einzelnen stets nach auswärts ge10

Vgl. Vasmer. Κολαξαΐος (ίππος) Alemán 1,59 zeigt, daß dieser Name schon in Griechenland bekannt war. Targitaos ist unerklärt, Vasmer 240. Tirgatao Polyaen. 8,55 hilft nicht weiter. 11 Es paßt, daß sich für die Arimaspen keine iranische Etymologie anbietet, Vasmer 239. 12 wie im entgegengesetzten Sinn auch How-Wells z. St., Legrand 4,363 und andere tun.

1,9 Skythen

37

schwungene, schlangenartige oder -förmige Beine hat 13 . Da die Parallele jedoch alles andere als schlagend ist, ist es nicht abwegig, sie für rein zufällig zu halten und den Zusammenhang mit Herodot zu bezweifeln14. Andernfalls müßte Herodot die Geschichte völlig nach Hesiod umstilisiert haben. (3) Die dritte Version (c. 11) ist keine typische Urgeschichte, sondern pragmatisch-historisch: Die Skythen seien, bedrängt von den Massageten, ins Land der Kimmerier eingefallen und hätten wiederum diese zur Auswanderung gezwungen. Immerhin entspricht der Wohnplatzwechsel und die Angabe des Vertreibers 15 der Topik; die Umbiegung der Urgeschichte ins Historisch-Plausible fanden wir schon einmal16. Daß diese Version „Griechen und Barbaren" zugeschrieben wird, heißt nichts anderes, als daß Herodot ihr, weil sie nicht märchenhaft ist, den Vorzug geben will, ist also synonym mit τω μάλιστα λεγομέυω αυτός πρόσκειμαι (c. 11,1), vgl. § 2,15. Die Beweisstücke c. 12,1 sind nicht ernst zu nehmen. Nun wird das Motiv der Kette sich fortschiebender Völker (Arimaspen, Issedonen, Skythen, Kimmerier) gleich anschließend auf Aristeas zurückgeführt, und man wird nur eine Quelle des Motivs annehmen 17 . Danach scheint klar, daß die dritte Version in Wirklich13

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15

16 17

Rostovzeff 73 (und Verweise) ; Genaueres bei Petrov-Makarevic 23—8 (mit weiterer russischer Literatur, die aber für die Beurteilung Herodots wenig ausgibt). Ebenda 24 eine Reihe von Abbildungen, die die Varianten veranschaulichen. So Selov 65 im Gegensatz zu Rostovzeff a. O. und Petrov-Makarevic. Für diese Entscheidung spricht, daß der Bildtypus griechischer Herkunft ist (das erwähnt Rostovzeff 108). Wendungen wie άναστάντες ύπό Λιγύων Thuc. 6,2,2 gibt es so massenhaft in urgeschichtlichen Notizen, daß sich Zitate erübrigen; eine ganze Serie mittelalterlicher Belege finden sich in den von Schütte 167 f. zusammengestellten Stellen (die Fundorte S. V I I I — X ) . Auch die Kette der sich gegenseitig fortschiebenden Völker ist topisch geworden. Seit langem assoziiert sich mir die Passage Herodots mit dem, was ich im ersten Geschichtsunterricht über die Völkerwanderung gehört habe; aus Norden 21 f. sehe ich, daß das guten Grund hat (Priskos in Exc. de leg. l,122ff. B . über die Völkerwanderung an Herodot angelehnt; von Gustav Frey tag übersetzt). Andere Beispiele für dasselbe Motiv: Suidas s. ν. "Aßccpis (Bolton 171) und Mon. Germ. Hist. SS. 24, 222 (Schütte a. O.). Ich habe das unbestimmte Gefühl, daß das Motiv noch bei heutigen Historikern manchmal topisch ist, d. h. ohne speziellen Anlaß z. B . gesagt wird, daß die einwandernden Dorer von andern Völkern geschoben wurden u. dgl. Ich kann nicht beurteilen, wie realistisch solche Vermutungen a priori sind; z. B. die überblickbare Mongolenzeit gibt schwerlich Beispiele. Generell werden Expansionen von der Möglichkeit, nicht von der Notwendigkeit diktiert. Z. B . ist es Unsinn, die griechische Kolonisation damit zu begründen, daß das arme Land die wachsende Bevölkerung nicht ernähren konnte. Umgekehrt: Die Bevölkerung konnte wachsen, weil sich die Möglichkeit der Kolonisation auftat. Warum das gerade damals, müssen die Historiker erklären. Darwin hat gelehrt, daß ein potentieller Bevölkerungs-tJberdruck immer vorhanden ist. S. o. § 1,7 (3) zu 7,90 (Zypern). v. Fritz 147 f. scheint anderer Meinung zu sein.

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1,10 Griechischer Mythos

keit eine Übernahme aus Aristeas ist. Dabei hätte Herodot für die sagenhaften Issedonen die realen, ihm als Gegner der Perser bekannten Massageten eingesetzt. Aber ganz sicher ist das nicht. Denn das Motiv kontrastiert gar zu seltsam mit der Erzählung von den Arimaspen und den goldhütenden Greifen, widerspricht ihm sogar, denn Aristeas hat die Arimaspen doch schwerlich von ihrer Goldquelle wegziehen oder auch nur -streben lassen. Auch daß hinter den Greifen noch die Hyperboreer kommen und Herodot ausdrücklich sagen muß, daß die Kette erst mit den Arimaspen anfängt, ist ein wenig sonderbar. Natürlich wäre eine Fiktion bei einer schriftlichen Quelle ein ganz neues Phänomen, für das keine weiteren Belege beigebracht werden können, und so lasse ich das auf sich beruhen18. 1,10

Griechischer Mythos im Munde von Nichtgriechen. In diese Kategorie gehören auch die Urgeschichten (s. die letzten drei Abschnitte) und die drei großen Exkurse, die in den folgenden Abschnitten besprochen werden. Hier folgen nur einige weitere Stellen, die auf Anhieb verdächtig sind und nur kurz besprochen zu werden brauchen. Über die Ausweich-Theorien in jedem einzelnen Fall zu diskutieren, lohnt nicht. 3,111: Das Jägerlatein der Araber über den Zimt enthält die Behauptung, er wachse da, wo Dionysos aufwuchs. — 4,177: Die Lotosesser Homers lokalisiert. — 4,184,3 heißt es, daß die Einheimischen der Atlasgegend den Atlas ,Säule des Himmels' nennen. Das stammt aus α 53 sq.1 — 6,54: Die Perser sagen, daß Perseus vom Assyrer zum Griechen wurde, s. u. § 2,9 Ende. Die folgenden drei Stellen haben gemeinsam, daß nicht nur eine griechische mythologische Vorstellung im Ausland vorgefunden, sondern auch von einem dazu passenden Kultbrauch berichtet wird2. 2,91: Die Einwohner von Chemmis in Oberägypten betrachten Perseus als Landsmann, denn Dañaos und Lynkeus stammten aus Chemmis. Wie stets ist sorglich motiviert, woher sie von ihm wissen: Er hat auf der Suche nach der Gorgo einen Abstecher in die Heimat seiner Väter gemacht. Dann haben sie ihm einen Tempel gebaut und bringen ihm in griechischer Weise Wettkämpfe dar. Die ägyptische Herkunft des Perseus war in der griechischen Sage vorgegeben, vgl. besonders 6,53,2—54. — 4,103: Die Taurer opfern einer Göttin, die sie ,die 18

Vgl. noch u. §§ 2,27 (2) und 2,6 (2) zu 4,27. Auch Damastes FGrHist 5 frg. 1, der bekanntlich auch auf Aristeas fußt (Westberg 191; Jacoby zu Hecat. frg. 193—4; Legrand 4,43 4 ; Bolton 39f.) hat die Kette nicht.

1

How-Wells z. St. erinnern noch an Pind. Pyth. 1,19 (Ätna) und. Acsch. Prom. 349. Vgl. a. die Fabelei 4,108,2 über den Kult der griechischen Gelonoi.

2

1,11 Die Eingangskapitel

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Jungfrau' nennen, Menschen, insbesondere Griechen, die dorthin verschlagen werden. Sie sagen selbst, daß diese Göttin mit Iphigenie, der Tochter Agamemnons, identisch sei. — 4,180: Zum Fest der Athene lassen die Ausees am Tritonissee in Libyen ihre Jungfrauen in zwei Gruppen kämpfen. Athene sei Tochter des Poseidon und des Tritonissees. Letzteres ist ganz typische griechische Konstruktion; vgl. o. S. 34 mit Anm. 2. S. den Nachtrag zu S. 97. Wenn man sich die gleichförmige Struktur dieser drei Stellen überlegt, kann man m. E. schwer darin gutgläubig gesammelte Nachrichten erblicken. Auch sollte man wegen des offensichtlich phantastischen Charakters der Gebräuche an der ersten3 und dritten Stelle gewarnt sein, das Menschenopfer an der zweiten für wahr zu halten. Die jungfräuliche Göttin ist dagegen inschriftlich bekannt, freilich erst aus dem 1. Jh. Ich verzichte auf nähere Erörterung4. 1,11

Die Eingangskapitel (1,1—5). Immer wieder haben sich vereinzelt Stimmen erhoben, die die merkwürdige Serie von Frauenrauben, mit der Herodot sein Werk eröffnet, für Herodots eigene Erfindung erklärt haben1. Einige andere haben die Ansicht von den Schriftquellen auch auf diese Kapitel angewandt2. Diese Ansichten haben sich jedoch nicht durchsetzen können, und wie überall, ist man zu dem vollen Glauben an Herodots Worte zurückgekehrt und glaubt, mit der Erklärung, Herodot habe mit griechisch gebildeten Einheimischen gesprochen, mit den Schwierigkeiten fertig werden zu können3. Auf die Schwierigkeit, wie es möglich ist, daß er dieselbe Geschichte an zwei sehr verschiedenen Stellen der damaligen Welt gehört haben will — mit einer einzigen Variation — ist niemand 3

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Trotz Sourdille 151—61 (an nichts Ägyptisches anknüpfbar, Kult ansässiger Griechen) und noch optimistischerer Versuche, Lüddekens 338a8, Castiglione, M. Kaiser Anm. 93 und bei diesen zitierte Literatur. Das Problem erledigt sich zusammen mit der oberägyptischen Reise, u. § 5,1. Insbesondere die Iphigenie-Sage bietet überaus komplizierte Probleme (ausführlich Kjellberg in der R E ; mangelhaft Platnauer in der Einleitung zu seinem Kommentar der Taurischen Iphigenie VII ff.). Mir scheint klar, daß Herodots auffällige Erwähnung von schiffbrüchigen Griechen als Opfern den Schiffbruch des Orest und Pylades voraussetzt, obwohl die Annahme, daß das erst Euripides erfunden hat, sonst vielleicht leichter ist. Panofsky 20 f. ; Wipprecht 30; Howald 143 und Herodot 35—7; Dornseiff 87 (keiner erwähnt Vorgänger). Für den Hintergrund vgl. hier und im folgenden die Einführung. Vgl. v. Fritz Anm.-Bd. 117 ff. mit einer gründlichen und treffenden Widerlegung. Das Problem wird nur verschoben, bzw. außer Herodot auch noch Hekataios mit einer Fälschung belastet. Bezeichnend ist aber, daß v. Fritz die Ansicht der Erfindung überhaupt nicht erwähnt. Mit Varianten Sayce l 1 (hier im anderen Lager); Legrand 1,10; Pohlenz 6; v. Fritz 167; Bornitz 164r—79. bes. 176f.

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1,11 Die Eingangskapitel

eingegangen. Nach Analogie anderer Fälle ist zu vermuten, daß die meisten Forscher die phantastische Annahme einer echten Verbreitung der Geschichte scheuen und die Theorie des .Hineinfragens' heranziehen würden. Ehe wir eine neue Antwort versuchen, schicken wir einige deskriptive Feststellungen voraus. Den Inhalt setze ich als bekannt voraus. Zunächst ist festzustellen, daß die ganze Erzählung ohne Zwischenstufen direkt aus den zugrundeliegenden Sagen in ihrer gewöhnlichsten Form herausentwickelt ist. Kein Anzeichen spricht dafür, daß etwa besondere Sagenvarianten benutzt sind. Es gibt eine feste Regel, die bestimmt, was verändert werden darf und was nicht. Unverändert bleibt ein gewisses äußeres Gerippe der Fakten, namentlich die Namen von Personen und örtlichkeiten. So ist gleich zu Anfang beibehalten, daß Io von Argos nach Ägypten gelangt, und wenn die Phönizier die Io nicht nach der Analogie der anderen Geschichten zu sich nach Hause bringen, so Hegt das natürlich daran, daß sich der Erzähler an die Sage gebunden fühlt, wie c. 2,1 auch ausdrücklich angedeutet ist. Dasselbe Prinzip bedingt beim zweiten Paar der Übergriffe, daß der Raub der Helena durch Paris nicht als Racheakt für den im fernen Kolchis ausgeführten Raub der Medea durch die Griechen dargestellt werden kann, wenn auch Paris von ihm weiß und ihn in anderer Weise in seine Überlegungen einbezieht. Über das Nötigste hinaus geht es, wenn mit διαπρηξαμένους καΐ τδλλα των εΐνεκευ όσπκατο angedeutet wird, daß die Argonauten nicht Medeas wegen gekommen sind. Die unbestimmte Formulierung erspart dem Autor, sich eine Rationalisierung der Geschichte vom goldenen Vließ auszudenken. Auf eine merkwürdige Ausnahme von dem Prinzip komme ich gleich zurück. Im Gegensatz dazu steht die völlige Freiheit, mit der der Charakter der Ereignisse verändert wird, so daß vom Motivkern der ursprünglichen Sage nichts übrigbleibt. Die Umgestaltungen sollen nicht nur das Wunderbare und Unglaubwürdige eliminieren, sondern vor allem die Geschichten in die Gesamtkonzeption einpassen. Sie sind übrigens den Veränderungen, die bei echter Sagenwanderung eintreten, genau entgegengesetzt: Da werden Namen und Orte verändert, weil man die Sage an bekannten Stellen ansiedelt und mit heimischen Namen verknüpft ; erhalten bleibt dagegen die Substanz der Erzählung, denn ihretwegen werden Sagen entlehnt. Es ist ferner klar, daß die ganze Erzählung der Perserquelle Herodots nicht etwas stückweise Gewachsenes, sondern eine einmalige, geschlossene Erfindung ist. Ausgangspunkt der ganzen Konzeption ist natürlich der Raub Helenas. Nach diesem Modell sind die übrigen Geschichten umgebogen, wobei der Erfinder nur einige Erzählungen, in denen eine Frau von Griechenland in die Fremde gelangt oder um-

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gekehrt, heranzuziehen brauchte. Folgendes Detail zeigt die Verzahnung des Ganzen besonders deutlich: Wir fanden oben, daß der Sage wegen Io nach Ägypten kommen mußte. Warum aber ließ der Autor sie dann nicht von Ägyptern entführt sein ? Die Antwort ist einfach: Es liegt an dem Zusammenhang mit der folgenden Sage. Europa gehört nach Tyros, also muß sich die Gegenaktion gegen die Phönizier richten, und Aktion und Gegenaktion sollten sich genau entsprechen 4 . Beim zweiten Paar ist zwar diese Entsprechung auch nicht vorhanden, aber dafür ist sorgfältig motiviert, wie Paris zu dem Entschluß kam, sich eine Frau aus Griechenland zu holen, und der Rachezug ist durch eine Gesandtschaft ersetzt, die vergeblich Schadenersatz verlangt. Niemand verkennt, daß die hier geübte Art der Zurechtbiegung von Mythen eine durch und durch griechische Angelegenheit ist6. Also nicht nur der Stoff, sondern auch die Art, wie er verarbeitet ist, ist griechisch. Das wird noch dadurch unterstrichen, daß bei dieser Verarbeitung homerische Motive benutzt werden6. Griechisch ist schließlich auch die Verwendung des Mythos zur aktuellen politischen Polemik, wofür es eine Fülle wohlbekannter Parallelen gibt. Und alle diese Dinge (den letzten Punkt ausgenommen) sind nicht nur schlechthin griechisch, sondern speziell in der Literaturgattung der Mythenhistorie zu Hause, der auch Herodot teilweise angehört. Wir haben es also — um alles zusammenzufassen — mit einer Schöpfung aus einem Guß nach den Verfahrensweisen der griechischen Mythenhistorie zu tun. An sich sollte (um nun zur Deutung überzugehen) das allein ausreichen, den Gedanken, daß Herodot diese Geschichte an zwei Stellen (oder auch nur an einer) der damaligen Welt von noch so hellenisierten Nichtgriechen gehört haben soll, als unrealistisch erscheinen zu lassen. Denn dies ist keine umlaufende Geschichte; dazu stimmt jedes Detail zu gut. Herodot muß sie direkt von ihrem Erfinder haben. Ja, man kann sich ihre Schöpfung nicht gut als mündlich vorstellen, da sie auf einer guten Kenntnis griechischer Literatur beruht. Und so läuft die herrschende Ansicht praktisch auf den absurden Gedanken hinaus, eine gräko-persische Literatur zu postulieren, von der wir sonst nichts wissen. 4

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Man mag dieses Argument für nicht ganz durchschlagend halten, weil die Phönizier als Seeräuber an sich geeigneter sind als die Ägypter und schon in der Odyssee Gefangene an fremden Märkten verkaufen. Aber das Motiv des typischen Seeräubers war keineswegs vorgegeben; auch Paris ist kein Phönizier und auch die beteiligten Griechen keine Seeräuber. So zeigt der Einwand nur, daß alle Notwendigkeiten berücksichtigt sind. Reinhardt 190—3 ist die rätselhafte Ausnahme; was er sich denkt, bleibt aber ganz unklar. Vgl. die vorvorige Anmerkung. Legrand 1.161 notiert die Verwandtschaft von c. 5 mit o 417 sqq. (ein Mädchen läßt sich mit einem Phönizier ein).

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1,11 Die Eingangskapitel

Definitiv wird die Sache durch zwei oder drei Überlegungen entschieden, die zeigen, daß der den Asiaten zugeschriebene Bericht mit Herodots eigenem Text in einer Weise verzahnt ist, die nicht möglich wäre, wenn jener echt und dieser darum herumgeschrieben wäre7. Zuerst ein Detail8. Eine höchst merkwürdige Ausnahme von dem erwähnten Prinzip der Treue zu Namen und Orten ist, daß Herodots Perser nicht wissen, welche Griechen Europa geraubt haben (c. 2,1), obwohl doch in der Sage vorgegeben war, daß sie nach Kreta kommt. Diese Lücke wird aber von Herodot aus eigener Vermutung ergänzt: εϊησαν δ ' αν ούτοι Κρήτες. Hier wiederholt sich nun Punkt für Punkt die Argumentation, die wir schon an der ersten von uns besprochenen Stelle (§ 1,1) anwandten. In der Fiktion stimmt der Kausalzusammenhang genau: Die Phönizier können wirklich nicht gut wissen, wer die Räuber waren, und da kann die Lücke in der sonst besseren Überlieferung der Perser aus der schlechteren griechischen Sagenüberlieferung vom Autor, der beides zur Verfügung hat, ergänzt werden. Aber in die Wirklichkeit paßt das nicht. Da die Erzählung, auch wenn Herodot sie von einem leibhaftigen Perser hat, nun einmal nicht wirkliche Ereignisse wiedergibt, sondern aus der Sage konstruiert ist, hat ihr Urheber auch gewußt, daß Europa nach Kreta gebracht wird, ebenso wie er gewußt hat, daß Io nach Ägypten gekommen ist. Oder will man an den seltsamen Zufall glauben, daß dem Erzähler zufällig gerade das Detail entfallen ist, dessen Fehlen bei Herodot einen so hübschen passenden Zug ergibt ? Das kann nicht sein ; vielmehr geht der Zug auf Herodot selbst zurück, der sich genau überlegt hat, was die Perser wissen müssen und was nicht. Noch durchschlagender ist folgender Punkt. In c. 5 sagt Herodot, die Phönizier stimmten mit den Persern überein, nur daß sie behaupten, Io wäre freiwillig mitgegangen, um, nachdem sie sich mit dem Kapitän des Schiffes eingelassen hätte, der Schande zu entgehen. Natürlich ist diese Variante tendenzbestimmt: Die Phönizier wollen sich von dem Odium, als allererste mit einer Untat den Stein ins Rollen gebracht zu haben, befreien. Hat hier also ein „erfinderischer Orientale" usw. (o. S. 4) geistesgegenwärtig im Jasagen innegehalten, um an einer entscheidenden Stelle die Ehre seiner Nation zu wahren? Offensichtlich nicht. Denn wir haben oben gesehen, wie es dazu gekommen ist, daß die Phönizier diejenigen sind, die die erste Untat begangen haben, nämlich letzten Endes daher, daß in der zweiten Sage die Europa aus Tyros stammt. Es ist also erst eine Folge der 7

8

Verzahnung mit anderen Stellen des Werkes kommt dazu, s. etwas weiter unten (Anm. 11). Das folgende Argument stellt schon Howald 143. Daß so etwas zweimal gesagt werden muß, ist erstaunlich.

1,11 Die Eingangskapitel

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Konstruktion der ganzen Erzählung, daß es im fünften Kapitel die Phönizier sein müssen, die eine Variante vorbringen; die Quellenangabe ist gegenüber der Erzählung sekundär. Die Theorie des ,Hineinfragens' hätte hier die Konsequenz, daß Herodot eben deswegen, weil die Erzählung der Perser die Phönizier belastete, gerade bei ihnen nachgefragt hat. Das glaube, wer will. Genau dasselbe gilt von den Persern. Sie sind deshalb die Erzähler, weil nach der Konzeption Herodots der trojanische Krieg ein Vorläufer der Perserkriege ist, der Gegensatz zwischen Persern und Griechen in ferne mythische Vergangenheit zurückgeht9. Dieser Gedanke bestimmt sowohl die Quellenangabe selbst als auch den Inhalt der Erzählung und beeinflußt gleichzeitig die Disposition des Werkes im großen. Welch ein Wunder, daß dem Autor nicht nur geliefert wurde, was er brauchte, sondern das auch genau von der Quelle, die er brauchte! Merkwürdigerweise hat noch niemand von denen, die die Quellenangaben für echt halten, die Folgerung gezogen, daß dieser Grundgedanke der Komposition nicht originell ist, sondern der Quelle angehört. Vielmehr hat Pohlenz sogar Herodots Ruhm als historischer Denker auf eben diesen Gedanken gegründet10. Es ergibt sich also, daß die Quellenangaben Teil der Erzählung sind und daß beides aus dem Werk Herodots nicht zu lösen ist, der postulierte Erfinder mithin niemand anders sein kann als er selbst. Diese Folgerung schließt ein, daß die erwähnte sinnvolle Tendenz der phönizischen Variante von Herodot selbst hineingebracht worden ist, der sich überlegt hat, welchen Standpunkt seine erdachten Gewährsleute einnehmen müßten. Obwohl sich die kindliche Rechtfertigung wahrhaftig besser in einer erdichteten Erzählung ausnimmt denn als ernsthaft vorgetragenes Argument, mag manchem dieser Schluß kühn erscheinen. Glücklicherweise läßt er sich noch einem weiteren Test unterwerfen, dessen Ergebnis eindeutig ist. Ebenso wie die Erzählung der Phönizier hat ja auch die der Perser eine Tendenz. Sie machen die Sache Asiens zu der ihrigen (οίκηιεΰυται • Dies hat beiläufig (m. W. als einziger) Immerwahr gesagt (81) : " B u t whatever the actual source, there ist no doubt why Herodotus calls it a Persian account" und was folgt. 1 0 J e nach der Ansicht über die Disposition des Werks könnte dieser Absatz verschieden formuliert werden, ohne daß sich etwas Wesentliches änderte. M. E. hat Jacoby richtiger als Spätere gesehen, daß δι* ήν αΐτίην Ιπολέμησαν άλλήλοισι nur überleitet, wie ich unten § 1,12 auch für den Uberleitungssatz 1,5,3 behaupte. Der Inhalt des Werks ist am besten mit τά γενόμενα έξ άνθρώττων bezeichnet; als geeignetes Gliederungsprinzip, das ermöglichte, alles unterzubringen, der Ablauf der persischen Geschichte gewählt. Aber weil das Ganze doch in den Perserkriegen kulminieren sollte, hat Herodot das noch einmal überbaut mit dem Gedanken des Hellenen-Barbaren-Gegensatzes. Dieser ist aber nicht ein ernsthaft verfolgter historisch-spekulativer, sondern ein kompositorischer Gedanke.

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1,11 Die Eingangskapitel

c. 4,4) u . Während ein Parteigänger der Griechen betont hätte, daß die allererste Untat von den Asiaten begangen wurde, sagen sie, daß beide Parteien mit Raub und Gegenraub quitt gewesen seien, und legen dann das ganze Gewicht darauf, daß die Griechen als erste wegen dieser Bagatelle den Krieg begonnen haben. Man hat sich allgemein hierdurch in der Ansicht bestärkt gefühlt, daß hier tatsächlich Parteigänger der Perser reden. Aber dabei wurde übersehen, daß das Stück trotz der vorhandenen Tendenz doch alles andere als tendenziöse Erfindung einer politischen Apologetik ist. Denn dann müßte die Konstruktion viel eindeutiger auf diesen Zweck zugeschnitten sein. Ganz gewiß würde nicht der Raub der Io am Anfang stehen. So fein pflegt politische Propaganda nicht gesponnen zu sein. Hingegen ist das, was für wirkliche Perser nicht recht erklärlich ist, für fiktive, von Herodot geschaffene Perser natürlich und notwendig. Denn diese sollen ja nach seiner Intention nicht eine eigene, wertlose Erfindung vortragen, sondern dieselbe uralte Überlieferung, die entstellt auch in den griechischen Mythen fortlebt. An den Tatbestand sind sie gebunden, und nur in der Beurteilung kann ihre Tendenz zum Ausdruck kommen. Herodot hatte keine Veranlassung, auch diesen Tatbestand für die Perser sprechen zu lassen. In dieser Beziehung war er frei, und er hat ihn bewußt ambivalent gestaltet und den ersten Raub und den ersten Krieg gegeneinander ausbalanciert, übrigens in dieser Beziehung in genauer Übereinstimmung mit der epischen Überlieferung über den trojanischen Krieg. Die Folgerung, daß die Tendenzen der angeblichen Erzähler von Herodot selbst in die Erzählung gebracht sind, bestätigt sich also schlagend. Dieses Verfahren gehört zu seinem schriftstellerischen Repertoire. Wir werden das Prinzip, das uns noch öfter begegnen wird, das P r i n z i p der Wahrung der P a r t e i s t a n d p u n k t e nennen12. Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, daß es mit feiner Berechnung der Wirkung seiner Erzählung geschehen ist, wenn Herodot gerade den allerersten Anfang offenließ, indem er zwei Versionen brachte, zwischen denen er sich nicht entschied, und dadurch die Schuldfrage in ein anfängliches Dunkel gehüllt sein ließ. Er, der seinen staunenden Hörern aus den Barbarenländern Kunde aus fernen Vergangenheiten mitgebracht hatte, von denen zu Hause niemand mehr etwas Gewisses wußte, tat seiner Reputation gewiß keinen Abbruch, wenn er das Unwißbare nicht wußte. Im Gegenteil, die letzte Ungewißheit mußte die Ehrfurcht vor der Sache steigern, 11

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Dieser Gedanke bestimmt noch zwei weitere Stellen des Werks, 4,4,1 (s. u. § 3,7) und 6,54 (u. § 2,9 Ende). Also weitere Verzahnungen. Vgl. die Zusammenfassung u. §§ 2,8—9.

1,12 Der Überleitungssatz 1,5,3

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und er selbst wahrte die Bescheidenheit13. Wir werden auch dies u. § 2,6 (3) in einen größeren Zusammenhang einzuordnen versuchen. Wie Herodot es vermocht hat, die beiden widersprüchlichen Erfordernisse, Offenlassen des Anfangs und Wahrung des Parteistandpunktes der Quellen, zu vereinigen, ist eine seiner großartigsten Leistungen als Erzähler. 1,12

Der Überleitungssatz 1,5,3. Ein Einwand ist mit Sicherheit zu erwarten. Jeder Philologe glaubt zu wissen, daß sich Herodot 1,5,3 von der mythistorischen Konstruktion distanziert, um ihr die eigentlich historische Erzählung gegenüberzustellen1. Wovon er sich aber distanziert, kann nicht seine eigene Schöpfung sein. Ich behaupte dagegen, (1) daß das — fast — nicht wahr und (2), soweit doch wahr, kein Hindernis für unsere Deutung ist. Es ist dies einer jener Fälle, wo eine Stelle so bekannt ist, daß man sie sich nicht mehr ansieht und glaubt, dort stünde etwas, was in Wirklichkeit nur Interpretation ist. Herodot sagt nur: „Ich werde nicht hierzu Stellung nehmen und behaupten, daß es so oder anders gewesen ist, sondern werde von demjenigen berichten, von dem ich selbst weiß, daß er mit Unrecht gegen die Griechen angefangen hat". Es wäre vielleicht zuviel behauptet, wenn man sagte, die erwähnte Interpretation sei dem Wortlaut strikt zuwider. Man kann den Satz als logisch scharfe Antithese deuten, was er wörtlich nicht ist, indem man von der zweiten Hälfte aus in die erste etwas mehr hineinlegt als tatsächlich gesagt ist (,Es wäre müßig, Stellung nehmen zu wollen'). Aber notwendig ist es keineswegs. Die erste Hälfte ist ja nur eine Variante der häufigen Formel, daß der Verfasser zwischen verschiedenen Versionen keine Entscheidung suchen will, das Ganze aber keine scharfe Antithese, sondern eine der üblichen Übergangsformeln. Insbesondere drückt οίδα αυτός nicht den Gegensatz zwischen verläßlichem Wissen und zweifelhaften Erzählungen aus, sondern markiert den Übergang von einer Quelle zu (quasi) einer anderen2. Freilich wird im Übergang zwischen dem alten und dem neuen Thema wie oft eine gewisse Verbindung hergestellt. Das ist aber kein Platz, wo man 13

Ich habe hier meine Ausdrucksweise auf den gläubigen Hörer abgestellt. Das heißt natürlich nicht, daß ich mir nur solche vorstelle. Der Normaltyp ist wohl der, der skeptisch, aber doch fasziniert sich nicht traut, alles für erlogen zu halten.

1

v. Fritz 167; ,,. . . über das sich alle Interpretationsversuche . . . wohl einig sind" Bornitz 169 f. Teilweise vergleichbar ist ταύτα μέν αί ττόλιες αύται λέγουσι, τάδε δέ οίδα Μεταττοντίνοισι . . . συγκυρήσαντα 4,15,1. Im nächsten Satz werden für das mit οίδα eingeführte Ereignis die Metapontiner als Quelle bezeichnet. Diese und andere Stellen mit οίδα diskutiert Wardman 136 ff.

2

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1,13 Helena und Proteus

grundsätzliche Bekenntnisse des Autors erwarten darf, da solche kompositorische Verbindungen primär dem überleitenden Zweck dienen und oft spielerisch sind3. Eine grundsätzliche Ablehnung kann es aber auch deshalb kaum ausdrücken, weil Herodot in den folgenden Büchern ja noch mehreres dieser Art bringt, ohne es je etwa wie Thukydides als μυθώδες zu brandmarken. Bei einer wirklichen Distanzierung gebraucht er starke Worte wie γελώ und ουδένα νόον εχόντως (4,36,2). Ich will aber gar nicht widersprechen, wenn man trotzdem eine leise Ironie heraushören will, und dafür selbst eine andere Überleitungsformel als Parallele beibringen: και την μέν 'Ιώνων γνώμη ν εαπεμεν 2,17,1. Aber meine obige Darstellung ist ja weit entfernt anzunehmen, daß sich Herodot mit dieser seiner Schöpfung im Ernst identifiziert. Und Scheingefechte mit den Kindern seiner eigenen Phantasie gehören zu seinem literarischen Formenschatz, vgl. u. § 2, 18.

1,13 Helena und Proteus (2,112—20). Dieser Partie liegt bekanntermaßen die Erzählung von Menelaos und Proteus δ 351 sqq. zugrunde, nach der Menelaos während der Rückkehr von Troja, also in Begleitung Helenas, in Ägypten gewesen war, kombiniert mit der kurz vorhergehenden Stelle δ 227 sqq., wo es heißt, daß Helena von der Ägypterin Polydamna, der Frau des Thon, Zaubermittel bekommen hat, natürlich bei Gelegenheit dieses Aufenthaltes. Diese Erzählung ist schon vor Herodot weitergebildet worden, und auch das hat auf ihn eingewirkt. Mit der Vorstellung, daß Helena in Ägypten war und von Menelaos auf jener Reise nur abgeholt wurde, ist die Palinodie des Stesichoros rationalisierend umgebildet. Hekataios hat Beweisstücke für die Anwesenheit des Menelaos in Ägypten angeführt. Diese wiederholt Herodot indessen nicht. Einige Punkte sind unklar. Die Frage, ob Helena bei Stesichoros in Ägypten gewesen ist, hält Page durch das neue Zeugnis P. Ox. 29, 2506, fr. 26 definitiv im positiven Sinn für entschieden, vgl. daselbst S. 35 f. Aber Herodot hätte sich sicher auf Stesichoros berufen1, und da in dem Papyrus ζ. T. mehr als merkwürdige Dinge stehen, bleibt vielleicht doch Zweifeln Raum. Auch was bei Hekataios stand, steht nicht fest 2 . Die drei Fragmente sagen nur, daß Kanobos und Pharos nach Leuten des Menelaos heißen und daß es eine Stelle gibt, die Heleneion heißt, eines der typischen fiktiven Beweisstücke (u. §2,20). Daß Herodot nichts davon erwähnt, ist ein bemerkenswertes Beispiel für die u. § 3,2 dar8

„ausgerechnet in jenem belanglosen Sätzchen" Focke 6.

1

M. Beckei, Helena, Stiaßbuxg 1939, S. 84. Das Material zum Folgenden s. FGrHist 1 F 307—9 mit Kommentar und 4 F 153.

2

1,13 Helena und Proteus

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gelegte Regel, daß die verschiedenen Autoren vermeiden, einander zu wiederholen. Deshalb besteht kein Grund anzunehmen, daß bei Hekataios Helena nicht in Troja war 3 . Sie war dort auch nicht nach einer weiteren Version, die wir kennen, Hellan. frg. 153. Dort kehren Menelaos und Helena zusammen von Troja zurück, König Thonos will Helena Gewalt antun und wird von Menelaos getötet, die Stadt dann Thonis genannt 4 . Allerdings wird auch diese Version keineswegs einfach mit Hekataios übereinstimmen 6 , denn auch hier gibt es keine spezielle Berührung. Antikleides FGrHist 140 frg. 18 erzählt noch eine ganz andere Geschichte aus denselben Elementen; kurz, es wird immer wieder neu variiert. Die nächstliegende Annahme scheint mir zu sein, daß bei Hekataios gar nichts weiter stand als was wir haben®.

Herodots Erzählung ist nun fast in allen Einzelheiten ohne Mühe direkt aus dem Grundgedanken, der Verbindung der Homerstelle mit der Rationalisierung des Stesichoros, abzuleiten. Aus der Heranziehung des Stesichoros folgte, daß Helena vor dem Krieg, also von Paris, nach Ägypten gebracht werden mußte (falls das nicht schon so bei Stesichoros stand, s. o.) und daß des Menelaos Reise den Zweck hatte, sie abzuholen. Aus Proteus ist der König gemacht, wobei vielleicht Πρωτεύς Aiyúrrnos δ 385 als .König von Ägypten' gedeutet wurde. Dann blieb für Thonis7, von dem die Odyssee nur den Namen nennt, die Stelle des Befehlshabers an der Mündung von Canopus, wo Paris mit Helena ankommt, übrig. Der die Geschichte ungemein belebende Austausch von Botschaften zwischen ihm und dem König ergab sich wie von selbst. Obwohl im Prinzip hieran niemand zweifelt, wird der ägyptische Ursprung neuerdings von einigen Forschern mit großer Zuversicht behauptet8; v. Fritz glaubt sogar sagen zu dürfen, „jeder Satz" zeuge 8

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Das h a t Jacoby a. O. erkannt und gegen Diels vertreten, der Hekataios' und Herodots Darstellung identifizierte. Merkwürdigerweise wird an die Existenz der Stadt Thonis, soviel ich sehe, allgemein geglaubt (Diels 442: „daß die alte aegyptische Stadt Thonis mit dem Thon zusammengebracht wurde"). Da die Verlegung der Geschichte nach Ägypten eine andere Ursache hat, nämlich die Erzählung der Odyssee, ist es unwahrscheinlich, daß der Zufall eine Stadt mit passendem Namen in die Gegend gepflanzt hat. Die Erwähnung bei Strabo beweist natürlich nichts. Vgl. o. S. 23 Anm. 8. Das n i m m t nach Diels 441f., der sich wiederum auf v. Gutschmid beruft, Jacoby a. O. an, einer der vielen Irrtümer, die darauf beruhen, daß man die erwähnte Regel nicht erkannt hat. Die Beweisstücke bilden nämlich ein sinnvolles Ganzes. Ein echter Beweis wäre die Identifizierung eines bekannten griechischen mit einem bekannten ägyptischen Namen. Da Hekataios das nicht hat, bietet er etwas scheinbar Ähnliches: die Identifizierung eines bekannten griechischen Namens mit einem erfundenen ägyptischen plus dem Umgekehrten. So kann man den flüchtigen Eindruck gewinnen, daß auf beiden Seiten der Gleichung etwas Bekanntes steht. Die variierende Namensform erklärt sich wohl aus dem Bestreben, das Wort (bei Homer nur im Akkusativ) in eine häufigere Deklinations-Klasse zu überführen. Herter R E s. ν. Proteus, Sp. 954; ν. Fritz 166; M. Kaiser 257f. Vorher hatte Diels' Ansicht, daß Hekataios zugrunde liege, viel Anklang gefunden (Wiedemann 436;

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1,13 Helena und Proteus

davon, daß es eine „genuin ägyptische Geschichte" sei, wenn auch aus griechischen Elementen zusammengesetzt. Hiermit ist nichts anderes gemeint als die in der Tat augenfällige pro-ägyptische Tendenz. Sie zeigt sich darin, daß die Ägypter dem Menelaos gegenüber, mit Jacoby zu reden, „vor Edelmut triefen", negativ aber auch in dem auf den ersten Blick merkwürdigen und unmotivierten Zug, Menelaos habe, um günstigen Fahrtwind zu erhalten, zwei ägyptische Kinder geopfert. Als deskriptive Formel genommen, ist also v. Fritz' Diagnose — griechischer Stoff, aber ägyptische Tendenz — völlig richtig. Ja, sie ist sogar noch um einiges richtiger, als v. Fritz selbst annimmt, der einer traditionellen Ansicht über die Quelle des Knabenopfers folgt, die nicht zutrifft. Man glaubt nämlich, die Ägypter hätten sich dies als Revanche für die Geschichte vom bösen König Busiris, der Fremde schlachtet, ausgedacht 9 . Aber es gibt eine viel engere Parallele. Wenn ein Grieche δ 478 las, daß Menelaos noch ein Opfer für die günstige Heimfahrt bringen mußte, dann mußte ihm — vorausgesetzt, daß Menelaos schlecht gemacht werden sollte — zwangsläufig einfallen, daß der Bruder des Menelaos in der gleichen Situation ein schweres Verbrechen begangen hatte: die Opferung der Iphigenie. Es wäre ein Wunder, wenn angesichts der unbegrenzten Möglichkeiten, dem Menelaos etwas anzudichten, ein Ägypter genau auf den Gedanken verfallen sein sollte, der sich so exakt an eine griechische Parallele anschließt. Im übrigen entspricht es aller sonstigen Erfahrung in dieser und anderen Partien, daß eine griechische Parallele auch eine griechische Quelle anzeigt10. Wie ist nun der Tatbestand, über den man sich einig ist, zu deuten ? Seit wir an Hand der Eingangskapitel festgestellt haben, daß eine

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Sourdille 36 2 ; Heidel 77). Ganz vorsichtig Pearson 88. Wie Jacobys Worte FGrHist 1, S. 369, 40f. gemeint sind, ist mir nicht klar. Panofsky 21f. und Wipprecht 30f. nehmen auch hier wie o. S. 39 Anm. 1 eigene Erfindung Herodots an. Die Quellen für diese Geschichte, die Hdt. 2,45 offenbar verwertet ist, s. im REAxtikel Busiris (Hiller v. Gaertringen). Die allgemeine Ansicht, daß sie hier zugrunde liege (How-Wells zu c. 119; Legrand 2,33; v. Fritz a. O. usw.) stammt aus Plutarch (mal. Her. 12). How-Wells erwähnen Iphigenie wenigstens als Parallele. Man hat willkürlich noch etwas Ägyptisches hineingebracht durch die Behauptung, im Namen Proteus fließe ein (hypothetischer, Erbse 1134e) ägyptischer Titel .proutî' mit dem Meergreis der Odyssee zusammen (Maspero, fragments 345; oft wiederholt: How-Wells zu c. 112,1; Legrand 2,41; von v. Fritz 165 irrtümlich = Pharaoh gesetzt). Diese Behauptung hat nicht den geringsten Erklärungswert, da die Lokalisierung der Geschichte in Ägypten schon in der Odyssee festliegt. Diesen logischen Fehler, Erklärtes zu erklären, könnte man (analog zu .overkill') als ,overexplaining' bezeichnen; richtig Herter a. O. 941; vgl. o. S. 47 Anm. 4 zu Thonis. Denkt man, Herodot hätte erst dann sein Gewissen über die bei Hekataios gegebene Lokalisierung beruhigt, als er einen ähnlich klingenden Namen zu hören glaubte ? Überdies bezeichnet er selbst ja den Namen als griechisch.

1,13 Helena und Proteus

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Tendenz auch von Herodot hineingebracht worden sein kann, darf nicht mehr wie bisher mit gutem Gewissen von der Tendenz auf die Herkunft geschlossen werden. Doch soll hier selbständig argumentiert werden. Schon in sich hat die Idee, die Geschichte sei von Griechen geschaffen und von Ägyptern tendenziös umgebogen, etwas leicht Absurdes. Man denkt entweder, daß Herodot ihnen eine mitgebrachte Version unter die Nase hielt, worauf die „erfinderischen Orientalen" blitzschnell mit Gegenbehauptungen reagierten, oder daß dauernd Griechen kamen und sich mit unfreundlichen Geschichten mausig machten, so daß die aufs Blut gereizten Ägypter schließlich dem Griechen, der sie ins Gespräch zog, sofort ihre Gegenversion an den Kopf warfen 11 . Ich verzichte indessen auf die Frage, ob diese wendigen Leute auch für andere, z. B. persische oder phönizische Besucher entsprechende, deren nationalen Vorstellungen angepaßte Erzählungen bereit hatten, denn es gibt ein spezielles Argument. Nicht nur ist der Anschluß an Homer und andere griechische Literatur viel zu genau, um durch Kenntnis vom Hörensagen erklärbar zu sein. Da müßten die Griechen schon quasi ein exaktes Negativ geliefert haben, damit die Ägypter, diese völlig ungebildeten Leute, etwas daraus machen konnten 12 . Sondern es ist auch die säuberliche Trennung von Erfindung und Tendenz unmöglich, das Negativ nicht konstruierbar. Das zeigt am schlagendsten der Gebrauch des IphigenieMotivs, bei dem beides unlöslich miteinander verknüpft ist, so daß es nicht möglich ist, diesen Zug von den Griechen suggeriert sein zu lassen13. Aber auch im Hauptteil der Geschichte ist durch den griechischen Grundgedanken alles so weit festgelegt, daß für die Ägypter nur unbedeutende Retuschen übrigbleiben. Es ist also nichts anderes möglich, als daß die ganze Geschichte von Herodot selbst stammt. Daß er c. 120 eine eigene kritische Überlegung anknüpft, darf nach den Beispielen, die wir für diese Technik schon kennengelernt haben, niemanden irreführen (vgl. u. § 2,18). Im übrigen ist aus der jetzt zum zweitenmal bestätigten Erkenntnis, daß die Tendenz eine Schöpfung der erzählerischen Phantasie des Autors ist, eine wichtige Lehre zu ziehen. Herodot ist viel erwachsener als man ihn heute einschätzt. Er nimmt nichts von diesem 11

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Jacoby a. O. sagt (wenn es wörtlich gemeint ist), daß Herodot ihnen die Geschichte des Hekataios vorgelegt hat. Legrand 2,32 meint kühn, die Geschichte sei in Memphis wohlbekannt gewesen. Erbse 114 und v. Fritz 423 und 167 müssen beide im Text genannten Formen kombinieren, um die Sache verständlich zu machen. Es ist z. B. nicht denkbar, daß die Ägypter, wie Erbse will, den Aufenthalt der Helena in Ägypten erfunden haben. Dann müssen sie Stesichoros und das δ der Odyssee gut gekannt haben. Das würde übrigens unverändert auch dann gelten, wenn man an der Busiris-Theorie festhalten wollte. Denn auch dann ginge die Sache von S 478 aus. 4 Fehling, Herodot

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1,14 Orakelgründungen

oft so kindlich wirkenden Fechten und Rechten mit Erzählungen ernst. Er steht vielmehr völlig darüber, und diese Dinge sind für ihn ein Teil seiner illusionslosen Darstellung menschlichen Verhaltens. Er ist nicht der leichtgläubige, oberflächliche, übereifrige Stoffsammler, zu dem ihn seine Verteidiger machen müssen, sondern ein gelassener und welterfahrener Skeptiker. In aller Kürze noch zu den Beweisstücken. Man ist sich einig, daß das Asyl c. 113,2 ohne ägyptische Parallele ist 14 , und Sourdille hat erkannt, daß es, da es die Geschichte in Gang setzt, von deren Quelle stammt. Da es nun speziell mit der ägyptischen Tendenz verknüpft ist, müßte diese Parallele zu den fiktiven Beweisstücken des Hekataios und Hellanikos (s. o.) von den Ägyptern stammen! Und nun die „Fremde Aphrodite" in einem Temenos des Proteus im phönizischen Quartier in Memphis, c. 112. Laut Wiedemann soll es Astarte-Heiligtümer in Ägypten geben, aber hieß Astarte „Fremde Hathor" ?15 Und der „Temenos des Proteus" (so c. 112,2) ist selbst dann dunkel, wenn man den Genitiv (von der Person zu schweigen) wirklich als Stifter deuten kann. Denn schließlich sind es die umwohnenden Phönizier, die uns an Astarte denken lassen. War das Heiligtum nicht ihrs ? Also wieder eine Serie von Mißverständnissen ? Da sie passend sind, muß Herodot (die Ägypter scheiden als Quelle natürlich aus, vgl. auch συμβάλλομαι c. 112,2) mit der Geschichte hingekommen sein. Aber hatte er einen Anlaß, überhaupt hinzugehen bzw. einen Tempel der Astarte mit der Geschichte zu assoziieren ? Die Entstehung letzterer in den Tempel zu verlegen, geht ohne prästabilierte Harmonie auch nicht. Schließlich erleichtert die Einführung von Hekataios für einen Teil oder das Ganze auch nichts. Der rationalisierend ·— vgl. u. § 2,18 (4) — auf Helena deutbare Tempel in Verbindung mit Proteus ist so genau das, was Herodot braucht, daß die Annahme einer Realität keinen Erklärungswert hat. Unten § 2,23 zeige ich, daß das so vertrauenerweckende phönizische Quartier tatsächlich ein schweres Problem schafft.

1,14 Orakelgründungen vom ägyptischen Theben aus (2,54—7). Herodot will von den Priestern in Theben gehört haben, daß Phönizier ihnen zwei Priesterinnen entführt hätten, von denen die eine in Libyen das Ammonsorakel, die andere das von Dodona gegründet habe. In Dodona erhielt er fast dieselbe Auskunft, nur daß an Stelle der Priesterinnen zwei aus Theben fortgeflogene Tauben stehen. Diese Tauben deutet Herodot dann auf die menschlichen Priesterinnen und stellt so die totale Übereinstimmung der Berichte her. Die Mantik soll an beiden Orten in ähnlicher Weise geübt werden. So viel über diese Partie gemutmaßt worden ist, so ist man doch bemerkenswert wenig in die Schwierigkeiten eingedrungen. Folgende offenkundigen Tatsachen müssen bei jeder Überlegung berücksichtigt " Wiedemann 436 und Sourdille 36. 15 Bezeichnend, daß Waddell nach Flinders Petrie meint, daß „fremd" vom griechischen Standpunkt aus gesagt war, ein bei einem griechischen Gesprächspartner kaum zu konstruierendes Mißverständnis.

1,14 Orakelgründungen

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werden: (1) Der Passage liegen zwei Theorien zugrunde: die Annahme, daß die griechische Religion ihren Ursprung in Ägypten hat, und die Identifizierung des Ammon von Theben und der Oase mit dem griechischen Zeus. Beide Quellenangaben hängen mit der letzteren zusammen: Weil diese Identifizierung eine Rolle spielt, müssen Dodona und Theben die Quellen sein (wegen der Oase s. u. S. 53) und passende Berichte liefern. (2) Beide Theorien sind unbedingte Voraussetzung für das Entstehen beider Versionen. (3) Herodots Deutung des Verhältnisses der beiden Versionen ist unbestreitbar richtig. Die Erzählung von Dodona ist nur als eine durchsichtig mythifizierte (wenn es erlaubt ist, dieses Wort für den der Rationalisierung entgegengesetzten Vorgang zu bilden) Einkleidung der anderen Version zu verstehen. Diese harmlos erscheinende Feststellung macht tatsächlich die größten Schwierigkeiten. Übrigens fanden wir o. § 1,6 schon eine Theorie der jonischen Wissenschaft in ,mythifizierter' Form. (4) Schließlich ist das Zusammenstimmen der beiden Versionen ein eklatanter Fall des Problems der ineinanderpassenden Quellenberichte. Nur den letzten dieser Punkte hat niemand übersehen1. Fast alle Forscher haben dieses Problem so gelöst, daß sie den Bericht von Dodona akzeptierten, den von Theben aber in irgendeiner Weise als griechisches, von ihm abhängiges Produkt deuteten. Dabei bleibt es sich ziemlich gleich, welcher der möglichen Wege gewählt wurde2. Motiv war die Überlegung, daß die Taube vielleicht authentisch ist und daß die Rationalisierung in der ägyptischen Version steckt. Aber die übrigen oben erwähnten Tatsachen widerlegen diese These auf Anhieb. Denn unmöglich haben die Priesterinnen in Dodona Herodot eine Gründungsgeschichte erzählt, die zwei seiner speziellen Theorien als Voraussetzung enthielt und sie in ein durchsichtiges mythisches Gewand kleidete. Man kann nicht ernstlich glauben, daß die pragmatische Grundfassung (1) in Dodona bestand, (2) dort sekundär ,mythifiziert' wurde, (3) durch die .ägyptische' Quelle und (4) durch Herodot selbst mittels Re-Rationalisierung wieder hergestellt wurde3. Nur v. Fritz hat dies offenbar erkannt und ist einen anderen Weg gegangen, der jedoch einerseits fast identisch mit der Behauptung der Erfindung durch Herodot ist, andererseits für den winzigen Rest unverändert große Schwierigkeiten übrigläßt. Nach einer ausführlichen und treffenden Polemik gegen eine Ansicht, die soviel ich weiß nie1

2

3

Außer ausgerechnet Wipprecht 31, der zu den beiden zuvor besprochenen Passagen so kühne Ansichten geäußert hat. Als einziger erklärt Panofsky 22f. ihn für Erfindung, Sayce 158' glaubt an .Hineinfragen', Wiedemann 242 f. und Heidel 66 f. an eine literarische Quelle, Sourdille 175—89 und Legrand 2,31 f. lassen das Orakel eine Einrichtung von Auslandsgriechen sein (dazu unten), How-Wells zu 2,54 kombinieren griechische Quelle (,,H. may have heard it in Greece") mit .Hineinfragen'. Bei Annahme von .Hineinfragen' fallen die letzten beiden Punkte zusammen. 4«

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1,14 Orakelgründungen

mand vertreten hat4, nimmt v. Fritz umgekehrt wie die anderen den Bericht von Dodona als sekundär und räumt ein, daß er nur in dem einen Punkt, in dem er von dem ägyptischen abweicht (Gründung durch Taube veranlaßt), authentisch sein könne. Der Rest muß durch .Hineinfragen' erklärt werden. Aber auch der ägyptische Bericht kann nicht wirklich von den Ägyptern stammen. Hätten diese über Gründungen fremder Orakel von Oberägypten aus Gedanken entwickelt, so wären sie schwerlich gerade auf das entlegene, ihnen tatsächlich sicher nicht einmal dem Namen nach bekannte Dodona verfallen, sondern hätten eher auf die vorderasiatische Kulturwelt geblickt. Daß es Dodona sein muß, ist vielmehr dadurch gegeben, daß Herodot Zeus und Ammon gleichsetzt. Nicht ,,um den Ursprung der berühmtesten Orakel" handelt es sich, sondern von vornherein um zwei vorgegebene. Auch hier muß also die Theorie des ,Hineinfragens' herangezogen werden. Daß v. Fritz teilweise mit griechischen .Touristen' rechnet, auf deren typische Fragen die Ägypter eingestellt gewesen seien, ist nur eine belanglose Variante dieser Theorie, die die Sache unnötig kompliziert, weil Touristen mit durchaus herodoteischen Interessen (präziser: mit den o. S. 51 genannten Theorien) vorausgesetzt werden. Fragen wir andersherum, ob die Ägypter wenigstens irgendeine Kleinigkeit beigesteuert haben können (geschweige müssen), so könnte es a priori nur das sein, was unwesentliche Einkleidung des gegebenen Grundgedankens ist, die zwei geraubten Priesterinnen. Ich würde gerne großzügig sein und dieses kleine Schlupfloch offenlassen. Leider geht es nicht. Denn wer würde mir verzeihen, wenn ich behauptete oder auch nur zugäbe, es sei möglich zu behaupten, diese Untat phönizischer Seeräuber in Theben, über 600 km Luftlinie vom Meer entfernt, entstamme dem Hirn eines ungebildeten, wenn auch erfinderischen thebanischen Fremdenführers, der so gut wie sicher das Meer nie gesehen hat, und nicht dem eines Griechen5 ? Und in Dodona schafft die Annahme, daß wenigstens die Taube auf echter Auskunft beruhe6, nur ein neues Problem. Denn dann hat M. W. hat niemand behauptet, daß beide Versionen aus Hekataios stammen. Andere Ansichten erwähnt v. Fritz nicht. 6 Dieses Problem ist von einigen Vertretern der anderen Ansicht gesehen worden: Wiedemann a. O.; How-Wells a. O.; Legrand 2,31 (vgl. 29). Das Argument gilt auch gegen Sourdilles ansässige Griechen. Auch die wußten, daß nicht sehr oft Seeräuber nach Theben kamen. Selbst beim .Hineinfragen' hätte der Thebaner, fürchte ich, geantwortet: „Phönizier? Was ist das ?" • Das ist nicht identisch mit der Frage, ob sie authentisch ist, denn wohl könnte Herodot gewußt und für seine Erfindung benutzt haben, daß die Taube in Dodona eine Rolle spielt. Zu der umstrittenen Frage s. Nilsson l 2 , 424f. und Franke. Nilsson hält die Taube für eine Erfindung Herodots, Franke für authentisch. Die früheste Erwähnung der Taube von Dodona ist bei Soph, trach. 172; dann erst wieder D. Hal. ant. Rom. 1,14 (weitere Stellen bei Franke 62 21 ).

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1,14 Orakelgründungen

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Herodot nicht nur hineingefragt, wo gar nichts war, sondern auch hinausgefragt, wo etwas anderes war, eine echte Gründungsgeschichte, die doch zweifellos irgendwie direkt von dem Gott ausgegangen sein muß. Deren Existenz wäre ihm verborgen geblieben, obwohl er mehrere Gespräche mit verschiedenen Personen führte. Di immortales, praeclaram defensionem! Da ist er nun am Ziel seiner Reise und kann seine Frage vorbringen. Aber er ist in Gedanken (vielleicht schon beim nächsten Projekt?) und hört nicht zu, und als er abreist, hat er nur die vage Erinnerung, als sei von einer Taube die Rede gewesen. Wenige Beispiele illustrieren so gut wie dieses, warum wir oben (S. 5) diese Art der Befragung ein sinn- und folgenloses Zeremoniell nannten. Der Grundgedanke stammt von Herodot ; die Quellenangaben sind ihm gegenüber sekundär; die Ausführung enthält keine echte Zutat von den Gesprächspartnern. Es ist, als wenn ein ειδώλου Herodots ihm ständig vorausgereist sei, das ihm überall für seinen Auftritt die Szene aufbaute, die seinen Erwartungen entsprach. Sicher hätte man all dies weniger verkannt, wenn nicht zwei unüberwindlich scheinende Schwierigkeiten bestünden, die ganze Erzählung für frei erfunden zu halten: die Tatsache, daß Herodot nicht nur einfach zwei Berichte erzählt, sondern anschließend darüber philosophiert, wie sie zusammenpassen, und die detaillierten Angaben über die Gesprächspartner. Aber in beiden Punkten folgt Herodot nur Gewohnheiten, die auch an anderer Stelle sicher nachzuweisen sind, wie u. §§ 2,13—4 und 18 gezeigt wird. Auf zwei Einzelheiten der Interpretation sei noch aufmerksam gemacht. Die detaillierten Angaben über die Gesprächspartner dienen der besonderen Beglaubigung der wunderbaren Übereinstimmung. Deshalb hat Herodot drei Priesterinnen als Zeugen namentlich genannt und noch hinzugefügt, daß die Umwohner ebenfalls alles bestätigen. Diese Variante der üblichen Form der Doppelbestätigung durch zwei Völkerzitate war erforderlich, weil außer Dodona an diesem Teil der Erzählung kein anderer Ort beteiligt war, vgl. u. § 2,4. Herodots Gewohnheit entspricht es auch, wenn er sorglich motiviert, wie die Ägypter die fernen Ereignisse wissen konnten; sie geben auf einen skeptischen Einwurf Herodots Antwort, und zwar, wie v. Fritz richtig (freilich in anderem Sinne!) bemerkt, die nächstliegende beste. Daß Herodot nur Thebaner und Dodonäer als Quelle nennt, liegt daran, daß er nicht prätendiert, in der Ammonsoase gewesen zu sein7. Das brachte das Problem mit sich, wie die Dodonäer die Ereignisse im fernen Libyen wissen konnten. Herodot gibt die Antwort in Form einer eigenen Überlegung: er vermute, daß die Priesterin, die nach Dodona gelangte, später erzählte, daß ihre Schwester nach Libyen verkauft war. Nicht ohne Grund hat er unterlassen, die Priesterinnen zu fragen: Sie hätten nicht antworten können, denn aus der mythischen Fassung war die Erklärung nicht zu entnehmen. Welch hellseherische zarte Rücksicht auf die Verlegenheit der würdigen Damen! ' Vgl. u. § 2,6 (2).

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1,15 Die ägyptischen Priester

Das totale Zusammenstimmen der Quellenangaben und Berichte mit Herodots Theorie über griechische und ägyptische Götter wird durch ein Beweisstück gekrönt: Die Orakelpraxis von Dodona und Theben sei ähnlich. Sourdille a. O. hat gründlich dargelegt, daß diese Bemerkung totale Unkenntnis ägyptischer Gebräuche voraussetzt, und sich mit der extremen These zu helfen gesucht, daß es sich um ein Orakel von Auslandsgriechen gehandelt habe. Als ob Herodot das nicht gemerkt haben würde! Vielmehr muß gesagt werden, daß gar nichts anderes zu erwarten ist, als daß die Behauptung nicht stimmt oder doch nur so stimmt, wie sie für zwei beliebige andere Orte auch stimmen würde. Denn da die Beziehung zwischen Theben und Dodona a priori durch eine falsche Theorie hergestellt wurde, wäre es wieder einmal ein sonderbarer Zufall, wenn sich eine Beobachtung einstellte, die die falsche Theorie bestätigt. Wie an anderen Stellen handelt es sich um eine völlig leichthin aufgestellte Behauptung ohne jeden Anhalt an der Wirklichkeit8. Enge Parallelen s. u. § 2,21. Wir überblicken nun das Ganze und können resumieren, daß es in außerordentlich einfacher Weise aus zwei uns bekannten Formen zusammengesetzt ist. Die erste ist die Nebeneinanderstellung einer Wundergeschichte und ihrer Rationalisierung als zwei verschiedene Versionen, wofür die Belege u. § 2,11 notiert sind. Nun gleichen sich aber diese Versionen total bis auf einen einzigen Punkt, die Tauben anstelle der Priesterinnen. Da eben dieser Punkt dann durch die rationalistische Deutung überbrückt wird, besteht letzten Endes vollständige Übereinstimmung, so daß die beiden Versionen gleichzeitig die Funktion der gegenseitigen Bestätigung durch zwei Quellen, die nach dem Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe gewählt sind, erfüllen. Für diese Form s. die Parallelen u. § 2,13. Da noch ein Beweisstück hinzukommt, ist die genaueste Formparaüele die ArionGeschichte 1,23 sq. (o. § 1,3), wo ebenfalls die Übereinstimmung zweier Zeugen durch ein Beweisstück ergänzt wird. Einen so klaren und einfachen Baugedanken ganz straff durchzuführen und doch eine scheinbar locker gefügte, reizvolle Erzählung darzubieten, das ist eins der Geheimnisse der Erzählungskunst Herodots. 1,15 Die Geschichtserzählung der ägyptischen Priester (2,99—142). Die Folge der ägyptischen Könige vor der Saitendynastie sieht bei Herodot bekanntlich so aus: Min ist der erste König; ihm folgen 330 unberühmte Könige, deren letzter Moiris ist. Danach kommen noch zehn namentlich genannte Könige, deren Anordnung, soweit sie über8

S. u. § 6,1 darüber, daß Herodot gar nicht in Theben war. Zwecks möglichster Häufung der Beweise wollte ich hier davon keinen Gebrauch machen.

1,15 Die ägyptischen Priester

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haupt historisch sind, wenig Beziehung zur wahren Chronologie hat. Die Verteidiger der Quellenangaben können sich diese Verhältnisse nur so erklären, daß er die Liste der 330 getrennt von den übrigen Namen aufgenommen, die Erzählungen über die einzelnen Könige aber außerhalb einer chronologischen Folge aus der „Volksüberlieferung" geschöpft hat, wobei er womöglich nicht merkte, daß ein Teil von ihnen in der Liste der 330 bereits vorgekommen war1. Es ist nun zu zeigen, daß (1) bereits diese Annahmen, mit denen man Herodot so weit wie möglich retten will, in entschiedenem Widerspruch zu seinen Angaben stehen, da er die Partie als im ganzen einheitlichen Bericht seiner Quelle darstellt, (2) daß sein Bericht in der Tat eine Einheit ist, in der einzelne Teile auf die Redaktion des Ganzen berechnet sind, was den modernen Erklärungsversuch hinfällig macht, (3) daß wiederum diese Gesamtredaktion Elemente enthält, die auf die Quellenangabe berechnet sind, wodurch sich letztere wieder einmal als sekundär gegenüber dem Inhalt erweist2. Wir müssen zunächst prüfen, wie die Quellenangaben genau gemeint sind. An sich bieten sie gar keine Schwierigkeiten. Diese entstehen erst dann, wenn man die Frage, was Herodot meint, und diejenige, wie es wirklich war, von vornherein vermischt. Ganz zu Anfang des Buches (c. 3—4) geht aus einer ersten Angabe hervor, daß Herodot vieles von den Ptahpriestern in Memphis gehört hat. Er habe ihren Bericht in Theben und Heliopolis (wo die gelehrtesten Priester seien) bestätigt gefunden. Hier wird bereits erwähnt, daß Min der erste König war. Aber erst c. 99 setzt die Geschichtserzählung mit einer stark markierten Einleitung ein: Was folge, seien Berichte der Ägypter, ergänzt durch eigene Anschauung (dies bezieht sich natürlich auf Angaben 1

So mit Abweichungen, auf die ich nicht einzugehen brauche: How-Wells zu 100,1 und 142; Spiegelberg 19f.; Legrand 2,47ff.; Erbse 109ff.; v. Fritz wohl ebenso gemeint (bes. 178f.). — Daneben haben einzelne versucht, die gröbste Schwierigkeit, das späte Erscheinen der Pyramidenbauer, durch Umstellung zu beseitigen (Flinders Petrie 1908, akzeptiert von Myres 4, und Wallinga 1959; dagegen v. Fritz, Anm.Bd. 173—6 und W. Kaiser 9510) oder auf andere Weise spezifische Gründe für die Anordnung zu finden (einiges referieren Wiedemann 462f. und Wallinga 205ff.). 2 Während Punkt 2 und 3 neu sind, kann ich für Punkt 1 fast Übereinstimmung der wichtigsten Darstellungen feststellen: Die Einheit der Partie betonen in Kürze Sourdille 1991 und mit besonderem Nachdruck Heidel (86b und 1048e), dessen Hekataios-These sie zu Paß kam. Aber auch Jacoby, in dessen Bild sie nicht passen konnte (leider erklärt er sich nicht näher), übersah sie nicht („im ganzen . . . eine einheitliche Tradition" 427,29). v. Fritz würde sein ganzes Herodotbild umwerfen müssen, wenn er sie nicht bestritte. Er tut es in einer Weise, die eine Bestätigung ist: Er gibt zu (178), daß man „den Eindruck gewinnt", daß alles aus einer Quelle stammen muß, und eins von zwei Gegenargumenten ist, daß es nicht wahr sein kann (wegen des anderen s. die nächste Anm.). Ganz ähnlich Legrand 2,48 („on pourrait croire"). Diese Äußerungen nehme ich natürlich mit Vergnügen zur Kenntnis. Falsch W. Kaiser 99.

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1,15 Die ägyptischen Priester

über Bauwerke u. dgl.). Dann beginnt die Erzählung: Min, der erste König, habe, sagten die Priester, Memphis eingedeicht und die Stadt gegründet. Aus diesen Formulierungen geht zweierlei hervor. Erstens bezieht sich oi ίρέες mit dem Artikel eindeutig auf c. 3—4 zurück; es ist klar, daß diese Nachricht primär aus Memphis stammen soll (mit Bestätigung in Theben und Heliopolis). Zweitens wird zwischen οι Αιγύπτιοι und οί ίρέες offenbar kein Unterschied gemacht, was sich später wiederholt (s. u.). Auf die Übereinstimmung der drei Priesterschaften paßt oi Αιγύπτιοι natürlich ebensogut wie oi ίρέες. Was Herodot an diesen drei Stellen gehört hat, ist er berechtigt, als maßgebliche Überlieferung der Ägypter anzusehen. Etwaige andere Quellen könnten daneben nur mindere Autorität beanspruchen, und Herodot hält es mindestens nicht für nötig, solche zu erwähnen. Was gegen diese selbstverständliche Interpretation spricht, ist nur ihr offenkundiger Mangel an Realismus; darauf gehe ich unten noch ein. Das folgende Kapitel beginnt: „Nach diesem (d. h. Min) zählten die Priester mir aus einem Buch weitere 330 Namen von Königen auf". Niemand zweifelt daran, daß sich auch dies primär auf Memphis bezieht. Aber auch der ganze folgende Bericht wird, von Einschüben abgesehen, derselben Quelle zugeschrieben, wie eine sorgfältige Lektüre ohne weiteres ergibt. Immer, wenn ein neuer König genannt wird, und noch einige Male mehr, leitet Herodot die Erzählung mit den Worten „sagten die Priester" o. ä. (102,2; 107,1; 118,1; 120,1; 136,1) oder einfach „sagten sie" o. ä. (101,1; 109,1; 111,1; 112,1; 121,1; 122,1; 2; 124,1; 126,1; 2; 127,3; 129,1; 136,2) ein, bei unregelmäßigem Wechsel der beiden Ausdrücke, die offensichtlich nur stilistische Varianten sind. Man kann nicht umhin, sie immer weiter auf die Priester von Memphis zu beziehen. Diese Feststellung wird nicht dadurch gestört, daß 125,6 für ein Detail ein Dolmetscher zitiert wird oder 130,2 die Priester von Sais. Das sind deutlich eingeschobene Details, die nicht anders zu beurteilen sind als die nichtägyptischen Quellenangaben in c. 104. Ebenso kann man λέγουσι, φασί 110,3; 111,2 u. a. und ο! δέ τίνες λέγουσι 131,1 bewerten. Soweit die Zitate an Erwähnungen von Denkmälern angeschlossen sind, kann man sie auch unter όψΐζ subsumieren. Alles das ist unwichtig; es kommt nur darauf an, daß sich die Haupterzählung unverändert auf die gleiche Quelle beruft. Zweimal steht s t a t t Priester wieder „Ägypter" (123,1; 127,1). Nur wer die erste Stelle übersieht, kann glauben, daß an der zweiten diese ohne jede Betonung eingeführte Variante eine Änderung der Autoritäten ausdrücken soll. Tatsächlich sind genau wie c. 99 Αίγύπτιοι und ίρέε$ gleichwertig und fassen die drei Priesterschaften zusammen. E s wäre offensichtlich unvernünftig, Wert darauf zu legen, daß zwei nun folgende „sagten sie" (127,3; 129,1) formal auf Αίγύττποι gehen. Sie sind den früheren und den folgenden Ιλεγον (136,2; einfacher a. c. i.: 137,1; 141,1) gleichwertig. Und so ist es auch kein Wunder, daß 136,1 wieder einmal „sagten die Priester" steht. Herodot setzt seine Praxis, zwischen den beiden Ausdrücken zu variieren, unverändert fort 3 . 8

Die abgewiesenen Auffassungen bei v. Fritz, Anm.-Bd. 105 43 . Legrand ist nicht, wie v. Fritz meint, einer fixen Idee erlegen, wenn er zweimal Ιλεγον mit „au dire

1,15 Die ägyptischen Priester

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Wir hätten uns gar nicht so viel Mühe zu geben brauchen, denn die Zusammenfassung 142,1 beseitigt ohnehin jeden Zweifel: „Bis hierher erzählten (Ιλεγου) die Ägypter und die Priester und wiesen darauf hin, daß es vom ersten bis zum letzten König (warum der letzte, ist noch zu fragen) 341 Generationen, ebensoviel Könige und Erzpriester, gegeben habe". Hier wird eindeutig klar, daß die Gesamtzahl und Reihenfolge der Könige Herodot ausdrücklich mitgeteilt worden sein soll, selbstverständlich von der Grundquelle, d. h. dem übereinstimmenden Bericht der drei Priesterschaften. Dazu stimmt auch, daß im Text der Erzählung das Zitat immer gerade an die Folge anknüpft: μετά δέ τούτου ελεγου . . . u. ä., wodurch gerade sie auf die Hauptquelle zurückgeführt wird. Nach dieser Erkenntnis muß sich die Auffassung von Αιγύπτιοι τε και oí ΐρέες richten: Das καί kann man explikativ4 (die Ägypter, d. h. die Priester) oder spezialisierend6 (die Ägypter, und zwar in erster Linie die Priester) nehmen. Motiviert ist der Ausdruck eben dadurch, daß er dem Wechsel von Αιγύπτιοι und ίρέες in der Einleitung und in der Erzählung entspricht6. Es nützt also nichts, wenn man noch so großzügig Nebenquellen als mit dem Wortlaut vereinbar einräumt; der eigentliche Stein des Anstoßes ist das Gerüst, und gerade dieses wird einwandfrei auf die Hauptquelle zurückgeführt. Unser erster Punkt ist damit erledigt. Herodot stellt den Bericht als Einheit dar. Nun ist gar nicht zu verkennen, daß er das in der Tat auch ist. Man hat bisher m. W. ganz übersehen, daß er einen symmetrischen Bau hat, der mit der Quellenangabe offenkundig harmoniert. Min, der erste König, hat Memphis gegründet und den Ptahtempel erbaut. Der letzte König dagegen ist Priester des Ptah gewesen, was keine Grundlage in der Wirklichkeit oder in echter ägyptischer Überlieferung hat 7 . Dazwischen aber hat es in ununterbrochener Generationenfolge gleichviel Könige und Erzpriester gegeben. Das ist deutliche Komposition: Memphis und der Ptahtempel markieren Anfang,

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5 6

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des prêtres" wiedergab, sondern hat die Sache durch eine interpretierende Übersetzung klarstellen wollen. Richtig setzt W. Kaiser 99 Aiyúrrnoi = ipées. καί Synonyme verbindend s. Denniston, Particles 291,5; bei Herodot ζ. B. in Formeln wie πρός μεσαμβρίης τε καί νότου 2,8,1. Bei Denniston a. O. in Nr. (6) enthalten, ζ. Β. Aesch. Pers. 750. Erbse 112 (der im übrigen auf die hier erörterte Frage nicht eingeht) versteht den Ausdruck als Hinweis auf verschiedene Quellen. Dabei nimmt άποδεικνύντες den Sinn an: „aus der Kombination dieser Mitteilungen geht hervor", was schwerlich erlaubt ist. Wiedemann ζ. St. — Min (ägyptisch Meni) ist erster König auch in den ägyptischen Königslisten (die Frage nach der historischen Wirklichkeit ist für uns gleichgültig) ; hier hat Herodot also echte Nachricht. Für die Gründung von Memphis ist das unsicher, für die des Tempels steht es völlig dahin. Diesen Schluß würde ich aus der Darstellung der Neuauflage der Cambridge Ancient History, Bd. 1, Kap. 11 (I. E. S. Edwards) ziehen.

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1,15 Die ägyptischen Priester

Verlauf und Ende der Reihe. Da all dies aus dem Munde der Ptahpriester kommt, passen Konstruktion und Quellenangabe genau zusammen. Hierdurch erklärt sich auch die an sich verwunderliche Tatsache, daß an dieser Stelle ein so tiefer Einschnitt gemacht wird. An sich wäre die kurzfristige Unterbrechung der Königsfolge durch die Teilung in zwölf Teilreiche c. 147,2 kein Grund dafür 8 . Aber aus dem Prinzip der Entsprechung von Quellenangabe und Inhalt folgt es logisch. Gemeint ist offensichtlich, daß alle bisherigen Könige aus Memphis kamen. Man vergleiche, daß König Proteus ausdrücklich als ,,Mann aus Memphis" bezeichnet wird (c. 112,1). Daß das nur bei ihm ausdrücklich gesagt wird, liegt natürlich daran, daß er in Wirklichkeit aus der Odyssee stammt! Bis hierher war unsere Untersuchung rein deskriptiv. Aber wenn wir jetzt nach der Erklärung fragen, ist die Arbeit bereits getan. Wir haben ein längst vertrautes Bild vor uns: Quellenangabe und Inhalt sind nach den Prinzipien der nächstliegenden Quellenangabe und der Wahrung der Parteistandpunkte (hier eher: des lokalen Horizontes) aufeinander abgestimmt. Die Übereinstimmung der Priester von zwei weiteren Städten mit Memphis hat nur den Sinn einer stärkeren Beglaubigung. Da Memphis der Hauptort ist, ist das kein Widerspruch gegen die Wahrung des Parteistandpunktes. Ebenso vertraut ist uns, daß alle diese Dinge nicht in die Wirklichkeit passen. Die Unmöglichkeit, die Erzählung als Ganzes auf die Priester von Memphis zurückzuführen, ist so vollständig anerkannt, daß es genügt, die Hauptpunkte zu erwähnen9. Daß Ägypter Herodot eine Liste von 330 Namen vorgelesen haben sollen, ist schon an sich merkwürdig, aber ganz undenkbar ist es, daß diese Liste fünfzehn Generationen vor der Gegenwart abbrach und daß man dazu sagte, diese Könige wären allesamt unbedeutend gewesen. Kein Ägypter hatte von der Geschichte seiner Heimat die Vorstellung, daß sich alles, was es an bedeutenden Taten und näher bekannten Königen gab, in die letzten Jahrhunderte zusammendrängte. Vielmehr ist diese Bemerkung offensichtlich aus jener erzählerischen Ökonomie zu erklären, die u. § 3,5 mit einigen weiteren Beispielen belegt werden soll. Sie erfüllt eine Funktion im Texte Herodots. Statt zwischen die bekannten Könige Lücken zu setzen (dieses Verfahren hat Diodor gewählt), hat Herodot sie lieber direkt aufeinanderfolgen lassen und die der bloßen zeitlichen Auffüllung dienenden 330 Könige geschlossen an den Anfang gesetzt, vielleicht auch in der Erwägung, daß es glaubhaft ist, wenn die jüngeren Ereignisse besser bekannt sind als die älteren. 8

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An Ereignisse wie die assyrische Eroberung, die bei Herodot nicht entsprechend dargestellt sind, darf man nicht denken. Maßgeblich ist nur, was Herodot erzählt. Etwas mehr Detail bei W. Kaiser 101.

1,16 Die 345 Generationen der ägyptischen Geschichte

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Dies ist leicht verständlich. Aber es ist schwer zu sehen, wie die Bemerkung aus ägyptischem Munde hätte kommen sollen. Allenfalls könnte man denken (und hat es wohl auch getan), daß die Priester, die Herodot die Liste vorlasen, ihre Unwissenheit dahinter verbergen wollten. Aber das ist nur möglich, wenn Herodot nur die Liste und nichts anderes von ihnen erfuhr. Aber eben das ist mit der Darstellung Herodots absolut nicht zu vereinbaren, der ihnen alle 341 Könige gibt. Außerdem wäre wieder einmal etwas kompositioneil Sinnvolles durch Zufall entstanden10. Da ferner Priester, die ihm komplette Königslisten vorlegen konnten, nicht ganz ungebildet und ohne Kontakt zur Literatur ihres Volkes sein konnten, ist der beliebte Ausweg, alle Schwierigkeiten auf die unkontrollierbaren Auskünfte ganz ungebildeter Leute zu schieben, der jeden beliebigen Befund zu erklären erlaubt, nicht gangbar. Und schließlich ist die Art, wie sich die memphitische Tendenz in der Darstellung Herodots ausdrückt, nicht so, daß man sie einer Quelle zuschreiben könnte. Unmöglich konnten schriftkundige Ägypter zur Zeit Herodots glauben, Memphis sei eh und je Hauptstadt Ägyptens gewesen, was doch seit anderhalb Jahrtausenden nicht der Fall war. Und das kompositorische Arrangement, das den Ptahtempel mit Anfang und Ende verknüpft, ist viel zu literarisch, um aus gesprächsweisen Auskünften zu stammen. 1,16 Hekataios und die 345 Generationen der ägyptischen Geschichte (2,100,1; 142,1; 143). Der Nachweis freier Gestaltung des Hauptteils der ägyptischen Geschichte durch Herodot, der im vorigen Abschnitt geführt wurde, bedeutet natürlich nicht, daß keinerlei authentische Nachrichten darin enthalten sind. In diesem Sinne müssen wir uns noch weiter mit den für die Dauer der ägyptischen Geschichte angegebenen Zahlen befassen. Es ist anerkannt, daß die elf Könige, von denen Herodot ausführlich erzählt, ihm unmöglich als Reihe vorgetragen worden sein können. Befindet sich doch unter ihnen ein reinblütiger Grieche und eine Hypostase des Wortes .Pharao'. Daraus folgt ohne weiteres, daß von den Zahlen 330 und 341 eine bloß durch Berechnung aus der anderen gewonnen ist. Das a priori Natürlichste ist selbstverständlich die Annahme, daß die 330 die Grundlage ist, die 341 daraus errechnet1. Für sie spricht besonders (übrigens unabhängig davon, welche Quelle man 10

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v. Fritz Anm.-Bd. 101 9 will die Äußerung als Folgerung Herodots aus dem Schweigen der Priester verstehen. Das scheint mir, wie immer der problematische Satz c. 101,1 zu verstehen ist, durch den Infinitiv der indirekten Rede (elvai) ausgeschlossen. So Sayce 177 1 , 205 2 ; Sourdüle 199f.; How-WeUs zu c. 100,1 und 142. Sayce nennt die 330 runde Zahl.

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1,16 Die 345 Generationen der ägyptischen Geschichte

annimmt) die unten § 4,3 zu belegende Beobachtung, daß Zahlen von der Art der 330, d. h. solche mit gleichviel Elementen verschiedener Ordnung, zu den .runden' gehören, die gerne gewählt werden, wenn eine Zahlenangabe frei erfunden wird. Diese natürliche Annahme hat aber für den, der Herodots Angaben verteidigen will, unangenehme Folgen. Zunächst sind ja, wie wir gesehen haben (o. S. 58), die 330 Unberühmten als solche keinesfalls echte Auskunft der Ägypter; es käme also von vornherein nur eine komplizierte Umformung der tatsächlichen Auskünfte in Frage. Sodann aber mündet die Frage in ein weit größeres Problem, das völlig unabhängig von unseren bisherigen Überlegungen existiert. Unmittelbar nach dem Resumé, in dem die 341 genannt wurde, macht Herodot (c. 143) eine weitere auf diese Zahl bezogene Angabe. Es ist die berühmte Erzählung, daß Hekataios bei den Priestern des Ammon in Theben gewesen sei und seine Abkunft in der sechzehnten Generation auf einen Gott zurückgeführt habe. Da hätten ihm die Priester 345 Statuen gezeigt, die die Erzpriester darstellten, welche in ununterbrochener Folge einer Sohn des anderen gewesen seien. Herodot sei ebenfalls dorthin gekommen, man habe ihm dasselbe gezeigt und dasselbe erzählt 2 . Dieser Bericht nun, in Verbindung mit den Angaben aus Memphis, ist ein neuer, erstaunlicher Fall ineinanderpassender Quellenberichte, der selbst noch das Kolcher-Beispiel übertrumpft. Die 345 steht ja offensichtlich in einem genauen Zusammenhang mit der 341 aus dem Kapitel davor, indem noch vier Generationen für die Saiten-Dynastie hinzugezählt sind, um auf die Zeit des Hekataios zu kommen (hierzu ist unten noch etwas zu sagen). Nach Herodots Erzählung ist das freilich kein Problem; danach liegt jene authentische ägyptische Überlieferung zugrunde, die übereinstimmend in Memphis, Theben und Heliopolis bewahrt wurde. Aber das ist wieder nur jene uns längst wohlbekannte Rationalität einer fiktiven Welt. Denn tatsächlich wissen wir einwandfrei, daß es eine verbreitet Ansehen genießende Überlieferung dieses Inhalts nicht gab. Unmöglich können Besuchern in Memphis und Theben übereinstimmend diese Zahlen genannt worden sein. Was also ist die tatsächliche gemeinsame Quelle, auf die die zusammenpassenden Zahlen notwendig zurückgehen müssen? Die einzige einfache Antwort wäre, daß es Herodot selbst ist, daß die Übereinstimmung der Zahlen in seiner Phantasie entstanden ist. Der Verteidiger der Authentizität der Angaben Herodots aber muß wiederum höchst schwierige Konstruktionen versuchen, um einen so ein2

ôoous περ είττον c. 143,2, das formal auf die 341 von c. 142,1 geht, erklärt Stein richtig: Herodot vernachlässigt hier den kleinen Unterschied der Zahlen. Anders Sayce XXVII und 2067 sowie "W. Kaiser 102; ohne Unterschied für meine Argumentation.

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fachen Tatbestand zu erklären, und kommt doch nur scheinbar zu einem anderen Ergebnis3. Zunächst kann er nicht bei der natürlichen Annahme bleiben, daß von den beiden Zahlen aus Memphis die 330 die primäre sei. Denn ist die 341 errechnet, dann auch die 345, die Angabe über Hekataios kann nicht stimmen4, und die thebanischen Erlebnisse müssen ins Reich der Fabel verwiesen werden. So ist die schwierigere Annahme, daß die höhere Zahl die Grundlage ist5, tatsächlich die einzige Möglichkeit, Herodot teilweise zu retten. Nur so kann die gewöhnliche Meinung, daß Herodot das Erlebnis des Hekataios aus dessen Schriften kannte6, aufrechterhalten werden. Freilich ist natürlich umgekehrt die Konsequenz, daß aus der 345 die 341 errechnet ist, Herodot also in Memphis überhaupt keine Zahl gehört hat. Aber das Problem des Zusammenpassens verschärft sich noch weiter, wenn man die beiden thebanischen Erlebnisse ins Auge faßt. Hier ergibt sich ganz unabhängig ein neuer Zweifel: Unmöglich kann Herodot Jahrzehnte nach Hekataios dieselbe bzw. eine passend höhere7 Zahl gehört bzw. überhaupt dasselbe Erlebnis gehabt haben wie dieser. Der Grund ist folgender: Es ist über jeden Zweifel hinaus klar, daß die Angabe über die lange Reihe von Erzpriestern objektiv falsch sein muß. Es waren zwar massenhaft Statuen vorhanden, aber sie bildeten keine Serie, waren ganz überwiegend nicht aus Holz, und es waren im allgemeinen nicht die der Erzpriester; das Amt war nicht generell erblich, und außerdem bestand der Tempel erst seit der 12. Dynastie8. Man ist also auf jeden Fall wieder auf die übliche Annahme In aller Schärfe ist das Problem nur von Wiedemann, de Sanctis und W. Kaiser gesehen worden (s. die übernächste Anm.). Die Lösung der beiden ersten hat sich nicht durchgesetzt; dem dritten, jüngsten Versuch (1967) kann man, da er wieder stark auf Hekataios führt, ein ähnliches Schicksal voraussagen (s. u. S. 63 Anm. 12). Es ist also, nur durch das Schweigen anderer (u. a. Jacoby und v. Fritz) verdunkelt, ein völlig offenes Problem vorhanden. 4 Die o. Anm. 1 Genannten müßten dies folgern. 6 Wiedemann 508f. ; de Sanctis; W. Kaiser 110. • Ich zitiere nur: Wiedemann 25; Jacoby, der die Passage als Hecat. frg. 300 zählt und keinen Zweifel äußert; „non c'é il minimo dubbio" Momigliano 138; Heidel 93b, wenigstens als Schluß formuliert, „admitted by everyone", wie er glaubt. Doch stimmt das nicht ganz, vgl. unten Anm. 9 zu Sourdille und anderen. Vorsichtig v. Fritz 183f.: „in dessen Werk stand oder sonst bekannt war". Swain, Class. Phil. 36, 1941, S. 90, erwägt Erfindung durch Herodot (zu Pearson irreführend). ' Herodots Angabe ist gutwillig so zu interpretieren, daß er die seit Hekataios verflossene Zeit stillschweigend berücksichtigt hat, v. Fritz, Anm.-Bd. 10971 gegen Heidel. 8 Zur Kritik an Herodots Angaben vgl. Wiedemann ζ. St., Sourdille 190—8 und W. Kaiser (der Sourdille nicht kennt) 105—7. Das Ergebnis ist eindeutig („eine fast unglaubliche Häufung eindeutig unzutreffender oder doch zumindest höchst eigenartiger Angaben" W. Kaiser 105). Sourdille versucht Herodot teilweise zu retten, aber hinsichtlich der hier diskutierten Frage ist sein Ergebnis ganz negativ. 3

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des phantasievollen Fremdenführers angewiesen. Aber das hat diesmal leider einen Haken: Wenn Herodot nach Jahrzehnten dieselbe Angabe hörte, kann es sich nicht um eine momentane Erfindung handeln, sondern muß eine feste Tradition mit hoher Autorität gewesen sein. Aber das ist nicht möglich, wenn es nicht auch wahr war, denn schließlich mußte der dümmste Fremdenführer wissen, wie man es mit den Statuen hielt. Also muß man zum soundsovielsten Mal zum .Hineinfragen' greifen. Und da nicht wirklich pro Generation eine Statue hinzukam, ist nicht daran zu denken, daß die Zahl stimmte9. Endlich bietet die Hekataios-Erzählung in sich ein Problem. Mit welchem Recht nimmt man eigentlich an, daß die Anekdote aus einer Schrift des Hekataios stammt ? Man kann nicht sagen, daß das aus Herodots Text zu entnehmen ist, eher im Gegenteil. Denn die Art, in der er redet, ist durchaus diejenige, in der er Anekdoten erzählt, nicht die, wie er Autoren zitiert. Man braucht nur die anderen Erwähnungen des Hekataios danebenzuhalten — das Zitat 6,137,1 (εφησε εν τοΤσι λόγοισι) und die Anekdoten 5,36,2 ('Εκαταίος 5 ' ò λογοτΓοιός . . . ουκ εα) und 5,125 (ähnlich) — um zu sehen, daß unsere Stelle zu den Anekdoten gehört. Nur weil bei ihr nicht wie bei den beiden anderen der Inhalt ausschließt, daß sie in den Schriften standen10, hat man die drei verschieden behandeln können. Aber hier fragen wir nach der Bezeugung. Dafür ist der Wortlaut maßgebend, und der ist eindeutig: Herodot jedenfalls beruft sich nicht auf die Schriften des Hekataios. Daß die Geschichte dort gestanden habe, ist eine moderne Hypothese. Nun wird aber niemand behaupten können, daß diese Hypothese, einmal als solche betrachtet, irgend etwas für sich hätte. Die Geschichte diskreditiert des Hekataios ganze genealogische Forschung und ist ein offenbarer Fremdkörper unter seinen Fragmenten, wo sich

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Zur Erblichkeit noch Kees 60 f. und 290 ff. Insgesamt ergibt sich, daß die Geschichte selbst einmal kaum vorzustellen ist. Sourdille (dem Legrand 2,22 mit Anm. 1 wie gewöhnlich folgt), Powell, Class. Quart. 29, 1935, S. 78 (wie meist ohne Kenntnis der Vorgänger) und Waddell lassen Herodot die Geschichte in Theben hören, ein eigenartiger und ganz unmöglicher Ausweg (mit leichter Ironie schon von de Sanctis behandelt und auch von SäveSöderbergh abgelehnt). In Herodots naiver Vor- oder vielmehr Darstellungs weise ist die Welt eine Familie, in der jeder jeden kennt. So ist den Ägyptern der den Kambyses begleitende Krösus wie selbstverständlich ein Begriff (3,14,11), so kennt Paris die Affäre, die sich eine Generation vorher in Kolchis zugetragen hat (1,3,1) usw. Dies läßt sich suggerieren, wer glaubt, daß man sich in Theben nach mindestens fünfzig Jahren allgemein des Hekataios erinnerte und sozusagen nur darauf wartete, seinen berühmten Nachfolger zu begrüßen, wie, einem bekannten Lied zufolge, die Indianer den Kolumbus. Bleibt zu notieren, daß Sourdille und Legrand erkannt haben, daß die Zahl nicht von Hekataios stammen und daß dieser sich nicht selbst so desavouiert haben kann. Momigliano 138f. läßt sich nicht abschrecken.

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nichts über die Vergangenheit fremder Völker findet 11 . Vielleicht würde das nicht ausreichen, sie gegen ein ausdrückliches Zitat zu athetieren; sie aber ohne Bezeugung, ja, wenn man das argumentum e silentio gelten läßt, gegen das Zeugnis des Herodot für Hekataios zu vindizieren, besteht wahrhaftig kein Grund. Die ganze Frage hat durch vorstehende Überlegungen ein neues Gesicht gewonnen. Statt nur drei unerklärbar zusammenstimmende Angaben haben wir jetzt deren vier: die 330 Unberühmten, die 341 Könige und ebensoviel Erzpriester von Memphis, die 345 dem Hekataios gezeigten Statuen und die gleiche Beobachtung des Herodot selbst. Das Ineinanderpassen kann in keinem Fall darauf beruhen, daß die Angaben einfach wahr sind oder aus derselben Quelle stammen; also müssen mindestens drei der Angaben fingiert sein. Unabhängig war gesichert, daß die erste Angabe, so wie sie steht, keine echte Auskunft sein kann und daß die ersten beiden Zahlen durch Rechnung Herodots zusammenhängen. Und nun hat sich herausgestellt, daß die Erzählung über Hekataios eine Anekdote ungewisser Herkunft ist. Hat es in dieser Lage irgendeinen Sinn, ausgerechnet sie für echte Erkundung Herodots und für die Grundlage des Ganzen zu halten, obwohl (1) das parallele Erlebnis Herodots, wie gesagt, gleichzeitig als fingiert angesehen werden muß, (2) wahrhaftig niemand besser als Quelle der Anekdote in Frage kommt als Herodot selbst, dessen Lieblingsgedanken (für Hekataios nicht bezeugt) vom hohen Alter der ägyptischen Kultur sie ausdrückt, und (3) schreibt man sie Herodot zu, der Weg frei wird, zu der natürlichen Annahme zurückzukehren, daß von den drei Zahlen die 330, die kleinste und ,runde' Zahl, die primäre ist, die anderen aus ihr errechnet? 12 Man wird sich vielleicht trotzdem nicht dazu verstehen mögen, die Anekdote für eine Erfindung Herodots zu halten, solange man nicht 11

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Wie in der vorvorigen Anmerkung erwähnt, ist dies Argument schon von Sourdille und Legrand vorgebracht worden. — Momigliano a. O. läßt Hekataios sich selbst ironisieren. Abschließend noch ein Wort zu W. Kaiser. Sein Ergebnis läßt sich auf die Formel bringen: „ W e n n nicht alles erfunden ist, muß das meiste von Hekataios sein" (Grundlage die Königsliste; komplizierte Mißverständnisse erklären die falschen Angaben; sie können sich nicht wiederholt haben). Kaiser hat sich alles sehr genau überlegt; gerade deswegen sieht man die enormen Unmöglichkeiten: Herodot müßte alles (u. a. die Königsliste, Min, daß um Memphis ursprünglich Sumpfland war) sekundär von Theben nach Memphis übertragen haben, wo die letzten beiden Fakten doch viel besser hinpassen (an den Urhügel, Kaiser Anm. 67, glaube ich nicht). Dazu soll ihn die eigene Erkundung veranlaßt haben; aber unerklärlicherweise verzichtet er auf Polemik und macht bei einer Erzählung eine Ausnahme: Sie bleibt in Theben, und Hekataios wird zitiert. Und jeder Leser des Hekataios konnte diese groteske Umfälschung, ohne jede Rechtfertigung, entdecken. Zu Min, Moiris, Nitokris soll Herodots eigene Erkundung Hekataios passend ergänzen. Kurz, Kaisers oben erwähnte Formel ist gleichbedeutend damit, d a ß alles erfunden ist.

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sieht, wie diese kühne Phantasie zustande gekommen sein soll. Doch darauf läßt sich ganz gut Auskunft geben. Ein Punkt der Anekdote mag echt sein, nämlich daß sich Hekataios in der sechzehnten Generation auf einen Gott zurückführte. Dies ironisiert Herodot (εμοί ou γευεηλογήσαντι εμεοουτόν), und man möchte schon meinen, daß dieser Stoß nicht ins Leere ging13. Nun werden wir unten § 3,6 (3) wahrscheinlich zu machen suchen, daß Herodot öfter Konfrontationen verschiedener Denkweisen in die Form einer Anekdote gekleidet hat. In diese Gruppe paßt unser Fall vorzüglich. Ebenso wie ζ. B. 3,38 Inder und Griechen einander gegenübertreten, könnnte Hekataios als Repräsentant der griechischen Genealogen mit den Ägyptern konfrontiert worden sein. Die 345 Statuen brauchen uns nicht zu beunruhigen. Wir haben bereits genügend sichere Beispiele für die Fiktion materieller Beweisstücke, und bei einer solchen Häufung der Beglaubigungen wie hier wäre es geradezu verwunderlich, wenn das materielle Beweisstück fehlte. Ein weiterer Einwand wäre folgender: Wenn wir nacheinander alle Stellen für fiktiv erklärt haben, die das hohe Alter der ägyptischen Kultur zeigen, so bleibt zu fragen, woher denn Herodot diesen Grundgedanken seiner ägyptischen Erzählungen gewonnen hat, der ja einer der wenigen zweifellos richtigen Punkte seiner Darstellung ist. Nun, unsere Ansicht über die Zitate schließt natürlich nicht aus, daß echte Informationen, woher immer sie gekommen sein mögen, in die Darstellung eingehen. Wenn es gegen Herodots Ägyptenaufenthalt keine Bedenken gibt (vgl. u. § 5,1), dann kann man ruhig annehmen, daß ihm (und nach unseren Ergebnissen ihm zuerst und nicht erst Hekataios) bei seinem Aufenthalt im Lande und bei allem, was er hörte, diese Erkenntnis auf Grund von mancherlei Eindrücken aufgegangen ist. Aber er hat diese verstreuten Informationen nicht nach Art der Wissenschaft wiedergegeben, nicht so wiedergeben können, weil das Stilgesetz seiner Darstellung klare, abgerundete Erzählung verlangte und nicht das Zusammenstücken von Fragmenten, das bei wissenschaftlicher Form der Darstellung zwangsläufig wäre — wie in einer modernen Darstellung der Geschichte Ägyptens. Sondern er hat sie eher dichterisch gestaltet, hat für die Zeitdauer, die er nicht wußte und deren genaue Länge ihn nicht besonders interessiert haben würde, eine runde Zahl von Generationen angenommen, die ihm in der Größenordnung glaublich schien14, und hat dann durch eine Serie ineinandergreifender 13

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Ich kann nicht verschweigen, daß ich für ganz sicher nicht einmal das halten würde. Ein solcher belebender Zug, einfach aus der üblichen Länge der Genealogien herausentwickelt, läge nicht außerhalb von Herodots Fähigkeiten. Denkbar sind auch Zwischenstufen: Hekataios könnte irgendeinen Anhaltspunkt geboten haben, die Behauptung aus ihm herauszulesen. Nach u. § 4,3 würde die 330 sogar ganz gut nach Ägypten passen, und so wäre allenfalls denkbar, daß ex dort etwas von ,330 Königen' (nur nicht unberühmten) gehört hätte.

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Beglaubigungen deutlich gemacht, daß es sich um einen zentralen Punkt handelte. Über das Wesen dieser Beglaubigungen sei zum Abschluß erinnernd und ergänzend noch ein Wort gesagt. Wir haben oben S. 55f. Herodots Angabe über die doppelte Bestätigung des Berichts der Priester aus Memphis wörtlich genommen und gezeigt, daß unter dieser Voraussetzung Herodots Angaben über die Quellen in sich widerspruchsfrei sind. Das ist nicht die übliche Auffassung. Denn da es offensichtlich eine unvernünftige Annahme ist, Herodot habe den kompletten Bericht der Kapitel 99—142 an drei verschiedenen Stellen übereinstimmend gehört, läßt man sich leicht verführen, durch gutwillige Interpretation etwas anderes in seine Worte hineinzulegen, etwa nur Nachfragen in einzelnen Punkten oder Kombinieren aus den verschiedenen leidlich zusammenpassenden Berichten. Tatsächlich aber haben wir nur wieder die uns wohlbekannte schüchte Rationalität aller Quellenangaben vor uns, die auf der Voraussetzung beruht, daß tatsächliche Ereignisse authentisch überliefert sind. Die Realität, in der sich der Sammler von Berichten normalerweise verwirrenden Befunden in Abweichung und Zusammenstimmen gegenübersieht (man denke an die entsetzlich konfusen Verhältnisse, die die Märchenforschung zutage zu fördern pflegt), diese Realität hat in der Erzählwelt Herodots keinen Platz. Da gibt es nur den Widerspruch aus durchsichtigen Gründen oder die volle Übereinstimmung (vgl. § 2,5 und Verweise). Und so finden wir auch in unserem Falle ein naives, totales, irreales, ja märchenhaftes Zusammenstimmen aller Zeugnisse und Beweisstücke, das aber in der Welt des Erzählers natürlich und vor allem ökonomisch ist. Es ist nicht erlaubt, daraus durch Herumdeuten jene partiellen Bestätigungen zu machen, die allenfalls gestatten würden, Herodots Angaben in der Wirklichkeit anzusiedeln. Ein skurriles Detail mag noch verdeutlichen, wie irreal und dabei wohlüberlegt jede Einzelheit ist: Wie erwähnt, sind in Theben vier Oberpriester mehr als in Memphis angesetzt, weil die Saitenzeit zu berücksichtigen war. Nun gab es sechs Saitenkönige. Mit Recht sieht man 16 die Erklärung darin, daß diese sechs Könige zusammen nur 145 (139) Jahre, also am ehesten vier Generationen, regiert haben. Es paßt genau zu dieser Erklärung, daß c. 143 zu Theben nicht wie vorher zu Memphis gesagt wird, daß die Zahl der Könige und der Erzpriester gleich sei. So ist oberflächlich alles in Ordnung, und man kann gut verstehen, daß Herodot bei den Saiten mit ihren genau bekannten, sehr divergierenden Regierungszahlen das Motiv nicht wiederholen mochte, weil da das Unrealistische daran grell in Erscheinung getreten wäre. Lieber nahm er in Kauf, daß nach 341 Generationen die Regel außer Kraft gesetzt wurde. Aber wie in aller Welt will man diese ausgeklügelte Übereinstimmung aus realen Auskünften erwachsen lassen ?

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v. Fritz Anm.-Bd. 108" und andere. Etwas anders W. Kaiser 104 mit Anm. 43. 5 Fehling, Herodot

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1,16 Die 345 Generationen der ägyptischen Geschichte

Mit c. 147 tritt Herodot aus dieser imaginären Welt in die einer — teilweise — echt historischen Erinnerung. Er drückt das mit den Worten aus, er werde nun berichten, was die Ägypter in Übereinstimmung mit allen anderen Menschen sagen. Diese Quellenangabe bedeutet einfach, daß er jetzt Wahrheit anzubieten hat. Erzählungen der Ägypter dagegen — das bedeutet Erzählungen, die sich auf eine nicht nachprüfbare Autorität berufen, Erzählungen, von denen „alle anderen Menschen" nichts wissen.

2. Kapitel Die Interpretation Herodoteischer Quellenangaben

2,1 Einführung. Aus der Erkenntnis, daß Herodots Quellenangaben gewissen Regeln folgen, die nur als literarische Formen gedeutet werden können, hat sich uns die neue Aufgabe ergeben, die Quellenangaben zu interpretieren, d. h. in jedem einzelnen Falle zu fragen, warum die Quellenangabe so steht, wie sie steht. Darauf soll das folgende Kapitel im ganzen Antwort geben. Ist man erst einmal darauf gekommen, so zu fragen, macht man alsbald mit Leichtigkeit eine Reihe von Entdeckungen. Die Gründe für die Wahl der Angaben sind fast immer durchsichtig ; wenige Regeln genügen, alles zu verstehen. Nur selten muß an einer einzelnen Stelle eine spezielle Erklärung gesucht werden und stellt sich stets leicht ein; ungeklärt bleibt so gut wie nichts. Die Einfachheit der Regeln garantiert einen hohen Grad von Objektivität und Nachprüfbarkeit in der Serie. Nachdem im ersten Kapitel für eine beträchtliche Zahl von Stellen, darunter fast alle der bedeutendsten, gezeigt worden ist, daß die Quellenangaben Fiktion sind, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, daß eine noch nicht untersuchte Angabe solange als authentisch zu gelten hat, als nicht absolut sichere Beweise für die Fiktion geliefert worden sind. Danach verfahren, hieße glauben, daß wir notwendig in jedem Falle der Fiktion das Wissen besitzen müßten, sie sicher nachzuweisen1. Wir können uns deshalb im folgenden sehr viel kürzer fassen und zeigen für viele Stellen nur, daß die Interpretation als Fiktion nach den bisherigen Erfahrungen die nächstliegende ist. Gleichwohl werden für viele andere Stellen in aller Kürze auch spezielle Beweise angeführt, die nicht schlechter sind als diejenigen des ersten 1

Viele Philologen glauben, daß jede Überlieferung bis zum strikten Gegenbeweis als wahr gelten muß. Als ob ein Naturgesetz verböte, daß falsche Uberlieferung da entsteht, wo die Nachfahren sie nicht kontrollieren können I Der Grundsatz muß eine generell zu vertrauensvolle Einstellung erzeugen, desto mehr, je weniger man weiß. Er ist gewissermaßen parteiisch, weil alle unentschiedenen Fälle auf eine Seite geschlagen werden, als gelte ,in dubio pro reo' in der Wissenschaft. Vielmehr kehrt sich die Beweislast um, sobald für eine Kategorie etabliert ist, daß a) eine hinreichend große Zahl von Fällen nicht authentisch, b) kein Fall nachweislich authentisch ist. 5»

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2,2 Die nächstliegenden Quellenangabe

Kapitels. Die Frage der Verallgemeinerung wird anschließend im ganzen besprochen. Neben der dem Beweis dienenden Funktion sind die folgenden Seiten aber auch Selbstzweck. Sie wollen ein Kapitel der Erzähltechnik Herodots nachliefern, das bisher nicht geschrieben werden konnte, weil man nicht wußte, daß die Wahl der Quellenangaben und einiges, was damit zusammenhängt, seinem freien Ermessen unterliegt. Von den folgenden Paragraphen behandeln Nr. 2—9 die drei Grundregeln (die Prinzipien der nächstliegenden Quellenangabe, der Wahrung der Glaubwürdigkeit und der Wahrung der Parteistandpunkte). 10—16 behandeln speziellere Punkte, 17—23 Dinge, die nicht im engen Sinn zu den Quellenangaben gehören, 24—28 Fragen, die im Zusammenhang mit der erwähnten Verallgemeinerung stehen, und schließlich 29—30 die literarhistorische Einordnung, d. h. praktisch Parallelen bei anderen Autoren. Alles, was im ersten Kapitel behandelt wurde, ist durch kurze Erwähnung oder Verweis mit aufgenommen. 2,2

Die Wahl der nächstliegenden Quellenangabe1. Für dieses o. §1,1 einleitend erläuterte Prinzip gibt es praktisch so viele Beispiele wie Zitate. Es ist die Grundregel, auf der alles übrige aufbaut. Ich führe hier nur noch eine Reihe von neuen Stellen an, wo es Argumente für die Fiktion gibt. (1) Stellen mit einfachen Quellenangaben, an denen die Fiktion zu beweisen ist (am frappantesten ist 2,28,1). 1,105,4: Den Skythen ist sicher nicht im Traum eingefallen, weder sich eine Neigung zur Impotenz zuzuschreiben, noch über deren Ursachen zu grübeln, noch gar sie auf die Plünderung des Astartetempels in Askalon zurückzuführen. Die Theorie stammt aus griechischer Quelle (wieder hat sie eine Parallele in De aeribus, c. 21; vgl. o. § 1,5), die Erklärung aus dem Geiste Herodots. Daß die Mantik der Enareis 4,67,2 von Aphrodite kommt, ist eine logische Folgerung daraus. Auch das dortige Zitat ist also erfunden. — 2,28,1: Der „Verwalter der heiligen Gegenstände der Athene in Sais" berichtet von dem fehlgeschlagenen Versuch des Psammetich, die Tiefe des Flusses an der Stelle zu messen, wo man die Quelle vermutete. Daß die Auskunft aus Sais kommt, liegt natürlich an Psammetich. Ist man so weit, bietet sich auch für die spezielle Person fast automatisch eine Gedankenverbindung: Es entspräche antiker Mentalität, wenn Psammetich das gewaltige Tau, das zu dem wunderbaren Experiment benutzt wurde, anschließend der Göttin geweiht hätte (wobei Athene gegeben oder passend gewählt sein kann). Manche der folgenden Stellen sind von Panofsky in ähnlichem Sinne zitiert.

2,2 Die nächstliegende Quellenangabe

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Dann muß der Verwalter der heiligen Gegenstände natürlich davon wissen. Da die Erzählung nicht wahr ist (der Versuch konnte nicht mißlingen2; Psammetich scheint für Experimente zuständig zu sein, vgl. u. § 2,8 zu 2,2), entspricht die Gedankenverbindung nicht der Wahrheit, sondern ist ausgedacht3. Die Erklärung klingt im ersten Moment kühn, zumal es keine engeren Parallelen gibt, da eine so konkrete Angabe über den Gesprächspartner singulär ist (vgl. u. § 2,14). Dennoch ist der Schluß unvermeidlich, wenn nicht wieder (zum wievielten Male ?) ein absurder Zufall gewaltet haben soll. Man fragt sich, warum Herodot sich das Tau nicht zeigen ließ, dazu vgl. u. § 2,6 (1). Die rationalisierende Kommentierung c. 28,5 ist ein neuer, guter Beleg für Kommentierung erfundener Berichte, u. §2,18(4). — 2,52,1: Herodot hat in Dodona gehört, daß die Pelasger keine Götternamen kannten. Wird von o. § 1,14 mitgezogen. Dodona ist geeignete Quelle nach II. TT 233. — 3,108,1: Was die Araber über die fliegenden Schlangen mitteilen, hat Herodot über andere Schlangen schon früher gehört und paßt in die griechischen Spekulationen über die Zweckmäßigkeit in der Natur, die uns u. a. aus PI. Prot. 320e bekannt sind. Darüber läßt sich Herodot im eigenen Namen aus. Das Zusammentreffen von eigener Vermutung mit den Berichten der Quellen ist auch hier sicheres Indiz der Erfindung, die Parallelen s. u. § 2,12. Auch wird die Stelle von den Nachweisen für 2,75,4 (o. § 1,4) und 3,111,1 (§ 1,10) mitgezogen. — 4,2,1: Die Skythen geben eine Erklärung für einen Gebrauch, der der Phantasie entstammt, und zwar nicht ihrer eigenen. — Zu 4,81,4 (die Einheimischen, d. h. die Skythen) vgl. u. §§ 2,20 und 3,8 (1). — 4,187,3: Die Libyer glauben, wegen des Kauterisierens die gesündesten aller Menschen zu sein. Griechische Theorie4. — 4,191,4: Libyer berichten von Fabelvölkern, die in Wirklichkeit aus Aesch. frg. 603f. M. (Strab. 1,2,35) stammen. — 7,171,1 sind es die Einwohner von Praisos auf Kreta, die erzählen, daß das entvölkerte Land neu von außerhalb besiedelt wurde. Entvölkert war es dadurch, daß alle Kreter außer den Praisiern und Polichniten von einem Feldzug nicht zurückgekehrt waren. Also erzählen die Übriggebliebenen. Das gilt, 2 8

4

Wiedemann 117. Die Ansicht Masperos, fragments ζ. St., daß eine ägyptische mythologische Vorstellung zugrunde liege, hat viel Beifall gefunden (How-Wells z. St.; Spiegelberg 18; v. Fritz 137, der irrtümlich von vielen bildlichen Darstellungen redet; es gibt nur die eine römische, abgebildet u. a. Spiegelberg 19, die natürlich nichts beweist) ; ein Gegenargument Wainwright 104. Schlagend ist sie kaum; äußerstenfalls wäre sie mit meiner Deutung vereinbar, s. u. § 2,26. Über eine Gegenströmung oberhalb des ersten Katarakts s. Boussac, comptes rendues de l'Acad. des Inscr. 1914, S. 29 f. und zweifelnd Wainwright 105. Verschiedene Ansichten bei Wiedemann 114—7 und How-Wells z. St. Man glaubte an Schädigung durch vom Kopf abfließenden Schleim, de aeribus c. 3; 10 u. a. (Heinimann 179f.)·

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2,2 Die nächstliegende Quellenangabe

obwohl c. 171,2 pragmatische Schwierigkeiten macht (erneute Neubesiedelung). Die Polichniten sind nicht auch noch genannt; Herodot ist kein Pedant, vermeidet auch, das Prinzip zu eklatant hervortreten zu lassen. Nicht so stark sind die Argumente an folgenden Stellen. 1,94,2: Zur Erfindung von Spielzeugen durch die Lyder vgl. u. § 3,6 (2) Ende. — 4,30,1: In Elis werden keine Maultiere geboren. Die Eleer selbst führen das auf irgendeinen Fluch zurück. Die Allgemeinheit der Formulierung legt nahe, daß Herodot gar nichts wußte. Vor allem aber mußten die Eleer am besten wissen, daß es nicht stimmt. — 8,120: Die Abderiten sagen, in Abdera hätte Xerxes zum erstenmal auf der Flucht den Gürtel abgelegt. Es ist zwar denkbar, daß eine solche Behauptung gerade in der Stadt erzählt wird, die sie betrifft. Aber es ist durchaus nicht das Natürlichste. (2) Drei Stellen haben die Form, daß Einheimische die Einmaligkeit eines Naturereignisses betonen. 3,10,3: Unter Psammenit regnete es in Theben ein wenig. Das ist von der falschen Annahme Herodots, daß es in Ägypten nie regnet, aus erdacht ; sie trifft auch für Theben nicht zu5. Zur Interpretation vgl. u. S. 139 mit Anm. 12. — 6,98,1: Einmaligkeit des Erdbebens auf Delos6. — 8,129,2: Ungewöhnliche Überschwemmung in Potidäa. — Diese Bestätigungen brauchte sich Herodot sicher nicht zu besorgen, zumal wenn sie so notwendig in die Erzählung gehört wie an der letzten Stelle. Natürlich ist die falsche erste Aussage auch ein Argument für die übrigen Stellen. (3) Besonders deutlich sind einige Fälle, die nach dem Argument der ineinanderpassenden Quellenberichte verdächtig sind. Hierher gehören aus Kap. 1 folgende Aussagen: Kolcher und Ägypter (§ 1,2), Arion und Aristeas (§ 1,3), Eingangskapitel (bes. S. 39f.), Orakelgründungen (§ 1,14), die 345 Generationen der ägyptischen Geschichte (§ 1,16 Ende). Weitere Beispiele. 1,20: Die Delpher erzählen, daß das Orakel dem Alyattes auferlegt habe, den zerstörten Tempel der Athene bei Milet aufzubauen. Die Milesier ergänzen einen sich hieran anknüpfenden Ratschlag des Periander, kennen die Geschichte also auch. — 4,145—56: Geschichte und Vorgeschichte der Besiedlung von Kyrene durch die Theräer wird, solange der Schauplatz Sparta ist, von Spartanern und Theräern erzählt (c. 150,1), dann, weil sich der 6

β

Tatsächlich regnet es dort mehrmals im Jahr ein wenig, und in Abständen von etwa 8—10 Jahren gibt es gewaltige Wolkenbrüche. So, im Einklang mit den Angaben der Encyclopaedia Britannica s. v. Egypt, Sourdille 163f., der ein überaus gezwungenes Mißverständnis konstruiert, um den Irrtum zu erklären. Im übrigen vgl. u. § 6,1 wegen Argumenten gegen Herodots oberägyptische Reise. Die seltsame Wiederholung dieser Behauptung für einen späteren Zeitpunkt Thuc. 2,8,3 ist nicht befriedigend zu erklären, vgl. die Kommentare. Ein interessanter Versuch: A. Momigliano, Stud. It., Ν. S. 8, 1930, S. 87—9.

2,3 Überlegung, was die Quellen wissen müssen

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Schauplatz nach Thera verlagert, von letzteren allein. Mit Beginn der Fahrt, die zur Gründung von Kyrene führt, kommen die Kyrenäer hinzu ; außerdem haben sie eine zweite Version über die Abstammung des Battos (154,1). Die Quellenangaben sind in der üblichen Weise nach der Überlegung verteilt, was wer wissen muß7. Das verriete sich, weil es nicht in die Realität zu übersetzen ist, auch dann selbst, wenn wir nicht durch Pindars vierte pythische Ode wüßten, daß die Geschichte schon vorher als Einheit existiert hat, also offenbar bei Herodot nachträglich zerstückelt ist. — Ebenso wird der Bericht der Ägineten 5,86 sq. von den Argivern nur für den Teil der Erzählung ergänzt, der sie mit betrifft. Zur Wahrung der Parteistandpunkte und zur Rationalisierung s. u. §§ 2,9 und 2,11. — 6,75,3: Athener und Argiver führen je eine gegen sie gerichtete Untat des Kleomenes als Grund für seinen Wahnsinn an; wegen der zwei weiteren Versionen s. u. §§ 2,16 und 3,7. (4) Striktes Prinzip ist, daß die Beziehung zwischen Quellenangabe und Erzählung niemals ausdrücklich erwähnt wird. Das fällt besonders in einem Fall wie 2,28 (der Verwalter der heiligen Gegenstände in Sais) auf, gilt aber ebenso für sämtliche anderen Quellenzitate. Vgl. o. unter (1) zu 7,171,1. 2,3

Genaue Überlegungen, was die Quellen wissen können bzw. müssen. Herodot überlegt sich stets sehr genau, was — unter der oft irrealen Voraussetzung, daß das Erzählte wahr ist — die von ihm genannten Quellen wissen können bzw. müssen und was nicht. Im allgemeinen geschieht das einfach durch die Wahl der Quelle, wofür die Beispiele im vorigen Abschnitt enthalten sind; aus dem ersten Kapitel vgl. besonders §§ 1,3 und 1,8. Besonders deutlich ist das in den Fällen, wo eine Erzählung passend auf mehrere Quellen verteilt wird, vgl. Nr. (3) des vorigen Abschnitts. S. den Nachtrag. Eine besondere Form innerhalb der letztgenannten Gruppe sind die drei Stellen, wo die eine von zwei Quellen von einem Vorgang nur unvollkommene Kunde haben kann, die die zweite (einmal Herodot 7

Dies haben schon gesehen Panofsky 47f. und Malten 98f. (unabhängig von Panofsky und weniger konsequent; nachher nimmt er doch wieder reale Quellen an). Die Einwände von Jacoby 434 gegen Malten beruhen nur darauf, daß sich dieser nicht ganz exakt ausgedrückt hat. Panofsky (von Jacoby a. O. genannt, aber nicht zur Kenntnis genommen; ist „steht hier auch S. 47f." späterer Einschub ?) hatte dabei alles genau auseinandergesetzt: Natürlich wissen die Theräer auch über die Vorgeschichte, die in Sparta spielt, Bescheid; es handelt sich ja um ihre Vorfahren. Dagegen verlieren die Spartaner die Sache aus den Augen, sobald sich die Fremden nach Thera verzogen haben. Die Kyrenäer wissen alles, was mit Battos zusammenhängt; vor allem auch das Private. — Legrand 4,151—4 ignoriert diese Diskussion und sieht das Problem nicht.

72

2,4 Wenn keine geeignete Quelle vorhanden

selbst) ergänzt: 8 , 3 8 - 3 9 , 1 (Perser und Delpher); 7,166—167,1 (Hamilkars Tod) und 1,2,1 (die Räuber der Europa sind Kreter). Vgl. dazu o. § 1,1 und S. 42. Aus demselben Grund wird einmal eine ganze Erzählung auf eine andere Quelle als die Nächstbetroffenen zurückgeführt: Wie Salmoxis den Thraziern Unsterblichkeit vortäuschte, kann natürlich nicht von den Betrogenen selbst, die ihn für einen Gott halten, erzählt werden. Also wählt Herodot die benachbarten Griechen als Quelle (4,95,1), vgl. u. § 2,8. Ähnlich ist es 3,18, vgl. § 2,11 (zweimal). Details. 3,12,2—4 wissen die Ägypter, warum ägyptische Knochen hart, nicht aber, warum persische weich sind (S. 25). — 2,104,1 (o. § 1,2) wird zwischen den beiden Quellen ein Unterschied gemacht: και μάλλον oí Κόλχοι έμεμνέατο των Αιγυπτίων ή οί Αιγύπτιοι των Κόλχων. Naturgemäß wissen die Kolcher besser, wer ihre Ahnen sind, als sich die Ägypter an eine versprengte Abteilung ihres Heeres erinnern. Daß das so gut paßt, ist ein neues, starkes Argument für die Fiktion. — 2,119,3: Die Ägypter sagen, sie wüßten nicht, wohin sich Menelaos nach seiner Abfahrt begab; natürlich, denn damit entschwindet er ihrem Blickfeld, s. u. Besonders aufschlußreich sind einige wenige Stellen, wo Herodot aus besonderen Gründen genötigt ist, eine Quelle etwas wissen zu lassen, was an entferntem Ort geschehen ist. Hier kommt es zu ausdrücklichen Erörterungen der Frage: 2,56,3 (Dodona; o. § 1,14) geht Herodot in seinem Kommentar darauf ein; zweimal gibt er an, gefragt zu haben (2,54,2 in derselben Passage: Die Ägypter haben nach den Geraubten geforscht; 2,118,1: Die Ägypter haben Helenas wegen über den trojanischen Krieg nachgeforscht). Die letztgenannte Stelle zusammen mit c. 119,3 ist am interessantesten, weil hier nicht nur die gewöhnliche stillschweigende Überlegung (o. zu c. 119,3) und die ausdrückliche Auskunft auf Befragen nebeneinander vorkommen, sondern in einer dritten Angabe Herodots allgemeines Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe geradezu ausdrücklich den Ägyptern in den Mund gelegt wird: τά δε παρ' έωυτοισι γενόμενα άτρεκέα^ επιστάμενοι λέγειν (seil, εφασαν). Entsprechende Überlegungen wendet Herodot auch auf seine eigene Person an. Das ist unten § 2,6 als .Wahrung der Glaubwürdigkeit' besprochen.

2,4

Verfahren, wenn die Erzählung keine geeignete Quelle hergibt.

Wenn eine Erzählung nur einen Ort (Stadt, Land, Volk) betrifft, aber zwei Varianten gegeben werden oder eine verstärkte Beglaubigung erwünscht ist, entsteht die Schwierigkeit, daß nach dem Prinzip

2,5 Reichweite und Ausnahmen der Grundregel

73

der nächstliegenden Quellenangabe keine zwei Möglichkeiten der Quellenwahl zur Verfügung stehen. Es ist bemerkenswert, daß dieser Fall nie zu einer Durchbrechung des Prinzips führt. Gewiß hat es in vielen Fällen nichts Auffallendes, wenn die Varianten einfach mit „die einen . . . die andern . . ." gegeben werden, wie 3,30,3 zwei Varianten über die Ermordung des Smerdis. Da sind sowieso ,die Perser' als Quelle zu unterstellen, und da gibt es eben zwei Versionen wie 3,87, wo die Quelle genannt ist (vgl. u. § 2,28). Aber nicht immer ist das so selbstverständlich. Ζ. B. 1,27,2 (Bias oder Pittakos in Sardes) hätte eine wahrheitsgetreue Nennung der natürlich griechischen Quellen zweifellos zu einer Durchbrechung des Prinzips geführt. Ganz klar ist die Absicht an den Stellen, wo Herodot eine Quelle praktisch in zwei gespalten hat, weil er eine verstärkte Beglaubigung haben wollte, s. u. § 2,13.

2,5

Reichweite des Prinzips der nächstliegenden Quellenangabe und Ausnahmen davon. Das Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe erstreckt sich auf alle Völker- und die meisten Personenzitate (zu diesen u. § 2,14). Zitate der .Griechen' allgemein (also nicht einzelner Stämme oder Städte) sind in der Regel dem Prinzip nicht unterworfen (das Nähere u. § 2,16). Ich rechne sie deshalb nicht zu den Völkerzitaten, g e b r a u c h e also , V ö l k e r z i t a t ' und .Griechenz i t a t ' im angegebenen Sinn für zwei einander ausschließende K a t e g o r i e n . Im so bezeichneten Rahmen wird das Prinzip in 95% der etwa 120 Fälle befolgt, ohne daß es ernsthafte Zweifelsfälle gibt. Die etwa 6 Ausnahmen könnten, selbst wenn sie unerklärt blieben, die Regel kaum in Frage stellen. Tatsächlich aber gibt es zwei Gründe, nämlich (1) die Wahrung der Parteistandpunkte, wenn die nächstliegende Quellenangabe bedeuten würde, daß die Betreffenden Ungünstiges über sich selbst sagen würden, (2) die Wahrung der Glaubwürdigkeit, wenn es sich um entfernte Völker handelt, mit denen Herodot keinen Kontakt gehabt zu haben ¡beansprucht. Beide Prinzipien sind anderwärts hinreichend belegt. Daß sie alle Ausnahmen e r k l ä r e n , die Gegenprobe an über 100 regulären S t e l l e n aber keinen F a l l l i e f e r t , wo sie anwendbar wären, ist eine der frappantesten Tatsachen. Die Stellen s. u. §§ 2,6 (2) und 2,8*. Gesteht man zu, daß die Ίωνες 2,15—17,1 zu den .Griechenzitaten' gehören, § 2,27(1), bleibt keine einzige Stelle unerklärt. 1

4,95,1, o. § 2,3, kann als dritte Gruppe gezählt werden: Da sind die Nächstbetroffenen nicht richtig informiert.

74

2,6 Wahrung der Glaubwürdigkeit

2,6

Wahrung der Glaubwürdigkeit. Herodot ist stets peinlich darauf bedacht, in dem, was er im eigenen Namen berichtet, die Grenzen des Glaublichen nicht zu überschreiten. Das ist seinem Kredit sehr zugute gekommen; manche der folgenden Stellen sind häufig angeführt worden, um seine Gewissenhaftigkeit zu demonstrieren. Tatsächlich handelt es sich auch hierbei um eine literarische Form, wie an einer ganzen Reihe von Stellen eindeutig nachgewiesen werden kann1. (1) Daß Wundergeschichten stets eine Beglaubigung haben, die Herodot gleichzeitig salviert, ist uns bereits bekannt. In der behaupteten Übereinstimmung mehrerer Zeugen ist er dabei allerdings beliebig kühn. Es ist nun weiter zu beobachten, daß die gerade bei wunderbaren Ereignissen häufigen Beweisstücke stets einer harmlosen Deutung fähig sind. Ein gutes Beispiel dafür ist, daß Herodot 2,75 nur gewöhnliche Schlangenskelette gesehen zu haben erklärt. Oben S. 21 Anm. 3 wurde vermutet, daß aus demselben Grund dort vermieden ist, die έτπχώριοι zu nennen, die regelmäßige Augenzeugen des unglaublichen Ereignisses sein müßten. Die Weihgabe des Arion 1,24,8 (o. § 1,3) bezeichnet Herodot nur als Bronzebild eines Menschen auf einem Delphin, während Älian die Inschrift zu kennen behauptet, die das wunderbare Ereignis schwarz auf weiß erwähnt. 2,28 hat Herodot vermieden, das gewaltige Tau, mit dem der Nil ausgelotet werden sollte, als Beweisstück zu zitieren, o. § 2,2 (1). S. a. u. unter (4) zum Phönix. Nach diesen Vorbildern wird auch das Dementi 2,156,2 (schwimmende Insel) und 4,195,1—2 zu deuten sein: Die Karthager berichten, daß aus einem See bei den Gyzantes mit pechbestrichenen Federn Goldkörner geholt werden. Wären hier nach der sonst geltenden Regel die Gyzantes selbst zitiert worden, wäre Herodot Augenzeuge. So sind die Karthager als nächstgelegenes Handelszentrum gewählt2; vgl. u. zu 3,105. Bemerkenswert ist, daß sich Herodots Maßstäbe des Glaublichen und Unglaublichen offenbar nicht wesentlich von denen des 20. Jahrhunderts unterscheiden. (2) Eine eigentümliche Regel, die noch niemand bemerkt hat, ist, daß Herodot gewisse ferne Völker (und nur diese) niemals in der gewöhnlichen Form des Völkerzitats zitiert, sondern in variierender Form stets die Auskunft als indirekt kennzeichnet. Nach der üblichen Regel müßten 3,105,1 u. 2 (goldhütende Ameisen in Indien) die Inder Erzähler sein. Herodot setzt ausnahmsweise ein anderes Volk, die Perser, ein, offenbar deswegen, weil die 1 2

Nr. (1) enthält jedoch keine selbständigen neuen Beweise. Freilich steht in einem ähnl. Fall „die Libyer" (c. 187,3. Anders aber 187,3 u. 191,4).

2,6 Wahrung der Glaubwürdigkeit

75

Inder außerhalb des Bereichs seiner Erkundung sind. Die Geschichte selbst ist schwerlich authentisch orientalisch. Sie beruht auf Herodots Vorstellung, daß bei allen Randvölkern das Gold reichlich sei. Vielleicht hat er sie kurzerhand selbst in Anlehnung an die sehr ähnliche Geschichte von den Greifen und Arimaspen (3,116,1 u. 4,13,1) erfunden3. Die übrigen Stellen4 betreffen entweder den Süden oder den Norden. Zwischen ihnen macht sich eine eigenartige Parallelität bemerkbar, die sich übrigens sachlich ganz ähnlich in De aeribus findet und dort wohlbekannt ist. Die Beobachtungen fügen sich in einen großen Zusammenhang, der auf Herodots ganzes Weltbild — oder besser auch hier: seine Darstellung der Welt — Licht wirft. Sehr auffallend ist zunächst 2,32,1—3, wo die Erzählung von der Erforschung des Oberlaufs des Nils Herodot aus vierter Hand erreicht: Er hat mit Kyrenäern gesprochen, die von Ammoniern wissen, daß deren König mit einigen Nasamonen gesprochen hat, die wiederum von der Expedition Kunde hatten, die Angehörige ihres Volkes unternommen hatten. Das ist so dick aufgetragen und das Motiv so offenkundig, daß nicht daran zu denken ist, daß Herodot die Kunde wirklich mit dieser Wegangabe erhalten hat6. — Ganz ähnlich 4,27 im Norden: Was wir über die Einäugigen und die Greifen wissen, ist von den Issedonen über die Skythen zu uns gelangt. Hier ist die Fiktion dadurch offenbar, daß diese Dinge nach 4,16,1 aus Aristeas 3

4

5

Vgl. die Motiv-Wiederholungen u. § 3,8. Goldreichtum in Äthiopien 3,23,4 u. 114, insgesamt also drei Himmelsrichtungen. Vgl. das Register unter .Austausch' wegen paralleler Angaben über Randvölker. Auch die Erzählung von Arimaspen und Greifen ist nicht echt skythisch, sondern völlig griechisch zu erklären. Zu einer gräko-skythischen Darstellung vgl. Bolton 5—7 und 89—93 mit Taf. 1. Nach Boitons eigenem Nachweis, daß diese griechisch und der Bildtypus älter (phönizisch bekannt) ist, ist seine Ansicht, daß eine parallele skythische Erzählung vorhanden war, aus der L u f t gegriffen. — Herodots Etymologie der Arimaspen (die doch wohl zu dem epischen είν Άρίμοισιν gehören, s. o. S. 36) erinnert lebhaft an jenen Unteroffizier, der den preußischen Wahlspruch erklärte: ,,,Suum cuique' heißt .Jedem das Seine': .Suum' heißt .jedem' und .cuique' .das Seine'" — und ist quellenkritisch ebenso zu beurteilen I Nur der Vollständigkeit halber erwähne ich 4,105,2: Die Neurer verwandeln sich jährlich einmal in Wölfe, wie Skythen und dortige Griechen sagen. Hier könnte es ohnehin nicht gut anders sein. Obwohl es allgemein geglaubt wird. Wie u. §§ 2,25—6 allgemein besprochen, wäre deshalb nicht ausgeschlossen, daß echte Nachrichten verwertet wären. Dazu gehört aber ganz gewiß nicht der Strom mit Krokodilen. So leicht sich das auf verschiedene afrikanische Ströme deuten läßt, so spricht doch alle Erfahrung dafür, daß hier nur für eine jonische geographische Theorie (Symmetrie von Nil und Donau) ein Beweisstück gegeben werden soll. Vgl. 4,44,1 die falsche Angabe, daß es im Indus Krokodile gebe. Man h a t zwar gedacht, daß sie vielleicht seitdem ausgestorben seien, aber in Wirklichkeit liegt der von Schwanbeck (2—5, die Anm.) beobachtete Austausch von Angaben zwischen Indien und Nordafrika vor; s. den Nachtrag.

76

2,6 Wahrung der Glaubwürdigkeit

stammen. Dazu paßt auch Herodots Formulierung: Nicht wie die Nachricht zu ihm, sondern wie sie zu den Griechen, und das heißt real zu Aristeas, gelangt ist, wird von ihm beschrieben6. Eine etwas andere Form derselben Erscheinung ist es, wenn 3,18 der Bericht über den Sonnentisch der Äthiopier7 unbestimmt mit λέγεται eingeleitet wird und die Einheimischen darin indirekt zitiert werden (φάναι τους έττιχωρίουξ). Auch diese Form des Zitats kommt nur hier vor, da wo sie offenkundig sinnvoll ist. Unmittelbar darauf folgt noch etwas, was hierher gehört : Kambyses schickt Kundschafter zu den Äthiopiern (c. 19,1), aber nicht, wie man meinen sollte, Perser, sondern Ichthyophagen aus Elephantine 8 (auf die Bedeutung dieses Ortes komme ich gleich zurück). Liegt es nicht beim Vergleich mit den vorhergehenden Stellen auf der Hand, daß Herodot auch hier zwischen die bekannte Welt und die märchenhaften Äthiopier einen Vermittler schalten will? Er gibt zwar eine pragmatische Erklärung: Die Ichthyophagen verstehen die Sprache der Äthiopier. Aber ungleich natürlicher wäre es gewesen, sie nur als Begleiter zum Dolmetschen mitzunehmen. Eine Parallele aus dem Norden, die auch hier zur Stelle ist, klärt das Verständnis: 4,24 heißt es, daß die Skythen, die zu den Kahlköpfigen kommen, über sieben Dolmetscher und sieben Sprachen mit ihnen verkehren. Dieser formelartige Satz 9 deutet darauf hin, daß das Motiv der Sprachschwierigkeit nicht so rein pragmatisch gemeint ist, sondern sinnfällig den Grenzübergang aus der bekannten Welt hinaus bezeichnet. Es kommt auch sonst bei Herodot nicht vor. — Um Äthiopien handelt es sich auch 2,104,4, s. unter (3)10. Unvermeidlich gerät noch eine ganz andersartige Stelle in den Kreis dieser Interpretation: Herodots Versicherung — die einzige dieser Art — er sei bis Elephantine selbst gekommen ; darüber hinaus hätte er nur durch Hörensagen erfahren (2,29,1). Gegen Herodots Aufenthalt in Oberägypten haben stets schwerwiegende Argumente gesprochen. Man hat jedoch gemeint, sich darüber hinwegsetzen zu können und, wegen der ausdrücklichen Versicherung Herodots, zu müssen11. Unsere Ergebnisse o. § 1,16 dürften dieser Ansicht den Rest geben. Richtig ist aber, daß der Satz dann erklärungsbedürftig wird. 6

Das ist verkannt worden, ήμεϊς oí άλλοι νενομίκαμεν kommt einem .Griechenzitat' gleich, das, wie u. § 2,16 dargelegt, dem üblichen Völkerzitat insofern entgegengesetzt ist, als es auf vor Herodot Bekanntes hinweist. Herodot ist sich im klaren darüber, daß Aristeas nie bei den Issedonen war, ποιέων c. 13,1 u. 16,1. — Ansichten zu Herodot und Aristeas (ich brauche auf nichts mehr einzugehen) : Bolton 7; 44; 110 u.a.; v. Fritz 146f. 7 Über seine griechische Herkunft s. u. § 3,6 (2). 8 Ich habe diesen Punkt immer als sonderbar und erklärungsbedürftig empfunden. • Zu den Zahlen s. u. § 4,2 (4). 10 Vgl. femer u. § 2,24 (8) zu 4,196,1. 11 Vgl. u. § 5,1.

2,6 Wahrung der Glaubwürdigkeit

77

Dieses Erfordernis kann erfüllt werden, wenn man daran denkt, daß ganz ähnlich Aristeas im Norden bis zu den Issedonen gelangt ist (4,16,1): Auch von ihm heißt es ausdrücklich, daß er über das Weitere nur noch indirekte Kunde hat. Man kann die Beziehung als literarische Parallele auffassen, als eines der zahlreichen Beispiele, wo sich Herodot an das Epos anlehnt. Aber unsere obigen Betrachtungen sprechen (ohne das auszuschließen) dafür, die beiden Stellen noch präziser als Gegenstücke im Werk Herodots selbst anzusehen, als ein weiteres Beispiel der festgestellten Parallelität zwischen Süden und Norden. Der Endpunkt Elephantine ist nicht zufällig; schon oben fanden wir Elephantine als Grenzpunkt der bekannten Welt. Zusammengefaßt ergibt sich, daß Herodot die Welt in drei Ringen darstellt: in der Mitte die bekannte Welt, innerhalb derer man direkte Kunde haben kann, wie sie sich in den Völkerzitaten ausdrückt, dann die sagenhafte, die nur durch indirekte Kunde zu erreichen ist, nnd schließlich die unbekannte Welt (worüber gleich)12. Zum Schluß noch zwei Stellen, deren Deutung ohne den Vorgang der anderen vielleicht nicht so klar wäre. Die Ammonier, die schon '2,32,1 für Herodot nicht direkt erreichbar waren (s. o.), werden 3,26,2—3 noch einmal zitiert: αύτοί Άμμώ νιοι και oí τούτων άκούσαντες. Wieder einmal ist also das Zitat durch einen Zusatz, der sonst nirgends vorkommt, als indirekt gekennzeichnet. Daß der Zusatz bei der Wiederholung (zweimal) wegfällt, ist eine verständliche Verkürzung und hat nichts zu bedeuten; vgl. o. S. 7 zu 1,1,1 und 1,5,1 und die folgende Stelle. Oben S. 53 war uns das Fehlen der Ammonier als dritte Quelle über den Ursprung der Orakel aufgefallen; auch das ist überlegt und gehört hierher. Die Ammonier werden also konsequent in den zweiten Gürtel gerechnet12*. — Eingeleitet durch μούνους δέ δύυαμαι πυθέσθαι . . . 5,9,1, wird der Bericht über die Sigynner nördlich der Donau indirekt gegeben (also etwa mit 3,18, s. o., vergleichbar). Auch hier fasse ich das direkte λέγουσι c. 9,3 als Verkürzung auf. Die Regel, daß Völker des zweiten Gürtels nie direkt, solche des ersten (die entferntesten sind Meder, Kolcher, Maxyes in Libyen) nie indirekt zitiert werden, gilt ohne jede Ausnahme. (3) Zur Wahrung der Glaubwürdigkeit gehört auch, daß Herodot im rechten Augenblick sagt, daß er über etwas nichts habe erfahren 12

Es geht jedoch nicht alles so exakt auf, daß man eine dreifarbige Karte danach zeichnen könnte. Nach unserer Interpretation von 4,24 gehören die Kahlköpfigen in den zweiten Gürtel. Aber Aristeas ist zu den Issedonen gelangt, die mit den Kahlköpfigen auf einer Höhe sind (4,25,2). Danach müßten beide in den ersten Gürtel gehören. Immerhin hat Herodot den Darius nicht so weit gelangen lassen. — Eine Stelle paßt ganz und gar nicht in unsere Deutung: die Umseglung Afrikas 4,42,2—4. Da diese Nachricht unzweifelhaft historisch ist, u. § 2,18 (2), ist das nur eine Bestätigung und Illustration dafür, daß echte Nachrichten nie ein so ab12a gerundetes Bild ergeben könnten. S. den Nachtrag.

78

2,6 Wahrung der Glaubwürdigkeit

können. Regelmäßig wiederholt sich die Versicherung: „Niemand weiß etwas" für die fernsten Fernen in jeder Himmelsrichtung: 4,16,1 und 25,1 nördlich der Skythen; 40,2 Osten; 45,1 u. 4 Norden und Westen; 185,1 Libyen; 25,2: „Was nördlich von den Glatzköpfigen ist, wird weder von diesen noch von den Issedonen gesagt". Vgl. § 1,11 Ende (das Pendant in der Zeit.) Dies scheint ganz unverdächtig, aber zwei Stellen zeigen sehr deutlich, daß auch diese Äußerungen rein fiktiv sind und mit Überlegung passend zum Inhalt gesetzt werden. Während Herodot 2,104 kühn von fünf Völkern Information zu haben behauptet, wie die Sitte der Beschneidung gewandert ist (§ 1,2), erklärt er nicht zu wissen, wie die Äthiopier zu dieser Sitte gekommen sind. Das ist offenbar durch die von uns oben festgestellte Überlegung bedingt, daß Äthiopien außerhalb des Bereiches der wohlbekannten Erde liegt. Es wäre sonst schlechterdings nicht einzusehen, warum er nicht auf die für die anderen Auskünfte von den Forschern angenommene Weise (etwa durch indirekte von den Ägyptern gegebene Auskunft, die überdies .hineingefragt' sein muß) auch hier zu einer Pseudo-Information hätte gelangen können. Aus dem gleichen Grunde weist Herodot 2,73,1 auf fehlende Autopsie hin und sagt, er habe den Vogel Phönix nur auf Abbildungen gesehen. Denn da er ein Wundertier ist und überdies nur alle fünfhundert Jahre kommt, wäre die Behauptung der Autopsie sehr unglaubwürdig. In Wirklichkeit ist für Herodot der Phönix ein rein griechisches Sagentier13, und von dem ägyptischen bennu hat Herodot auch keine Abbildung gesehen, denn seine Beschreibung ist in allen Punkten (goldene und rote Farbe, Aussehen wie Adler) falsch14. Die vorstehenden Beobachtungen ergeben ein zwingendes Argument gegen diejenigen Theorien, die unmögliche Quellenangaben (etwa die von 2,104, o. § 1,2) als gutgläubige Wiedergabe indirekter Auskunft, eigener Vermutung oder von .Hineingefragtem' deuten. Denn dann wäre nicht zu erklären, daß Herodot mit absoluter Regel18

14

Vgl. den RE-Artikel von A. Rusch (39. Hbb., 1941, 414—23). Der ja schon epische Phönix ist erst sekundär mit dem bennu identifiziert worden. Rusch meint, die Priester hätten die Idee von Herodot. Das ist ziemlich absurd; die Identifizierung wird jünger sein. Vgl. Wiedemann 313—6 (unerklärlich die entgegengesetzte Behauptung Waddells). Der ägyptische bennu wird wie ein Reiher abgebildet. Die rote Farbe ist natürlich, wie Wiedemann bemerkt, aus dem Namen entnommen. Und auf den Adler zu raten, liegt auch nicht gerade fern. Vgl. Keller 2,146—8 zur Identifizierung mit dem Goldfasan (mit Plin. 10,2,2 ist es etwas anders) ; Sourdille scheint an einen unbekannten Sagenvogel zu denken; Legrand 2,114® weiß keine Lösung; How-Wells sagen, daß Irren menschlich ist. Nur Sayce 1668 bestreitet ausdrücklich die Autopsie.

2,7 relata refero — 2,8 Ausnahmen wegen der Parteistandpunkte

79

mäßigkeit Auskünfte über Völker des ,zweiten Gürtels', niemals aber andere, sorgfältig indirekt wiedergibt bzw. nichts zu wissen behauptet. Unmöglich kann reiner Zufall ein so evident sinnvolles Bild indirekter Auskünfte oder vergeblicher Erkundung erzeugt haben. Tatsächlich ist dies nur ein neues Beispiel jener durchsichtigen Rationalität, die zu schön ist, um wahr zu sein. 2.7

relata refero. Das mehrfach bei salvatorischen Beglaubigungen wiederholte λέγω τά λεγόμενα hat einen etwas anderen Sinn als gewöhnlich angenommen wird. Die überlegte Vermeidung, sich für etwas Wunderbares zu verbürgen, die o. § 2,6 (1) festgestellt wurde, läßt keinen Zweifel, daß Herodot dem Glauben an solche Dinge völlig fern steht. Außerdem sind die Berichte, an die diese Formel geknüpft wird, nicht weniger fiktiv als andere. Also ist die Formel selbst Teil der Fiktion und zeigt nicht an, daß Herodot keine Meinung über die Tradition hat, sondern daß er sich entschuldigt, weil er Dinge erzählt, an die ein vernünftiger Mensch nicht glaubt. 2.8

Ausnahmen vom Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe wegen der Wahrung der Parteistandpunkte. Hierfür gibt es wenige, aber schlagende Beispiele, wo die Überlegung sehr durchsichtig ist. An drei der fünf Stellen sind die Griechen die Ausweichquelle, vgl. o. § 2,3 zu 4,95,1. 2,2,2u. 5: Herodot bringt zwei naheliegende Varianten über die Art, wie Psammetich das Aufwachsen der Kinder ohne Sprache sicherstellt: er hat sie durch Ziegen nähren oder den Frauen, die sie nährten, die Zunge herausschneiden lassen. Wegen der Grausamkeit des letzteren Mittels hält er es für unpassend, davon die Ägypter erzählen zu lassen. Also gibt er die erste Variante als Grunderzählung und die zweite als Abweichung ,,der Griechen". — 2,45: Die Heldentat des Herakles und seinen Sieg als einzelner über die Ägypter dürfen natürlich nur die Griechen erzählen. Es gab zwar schon vor Herodot bei den Griechen die Geschichte vom König Busiris1 ; aber das hat ihn im Fall der Helena auch nicht gehindert, die Ägypter als Quelle anzugeben. Unverändert wird er auch hier die Geschichte nicht wiedergegeben haben ; also kann nur die Rücksicht auf den Parteistandpunkt die unterschiedliche Quellenangabe erklären. — 3,14,11: Gerührt von der Antwort des gequälten Psammenit brechen, wie die Ägypter erzählen, Krösus und die anwesenden Perser in Tränen aus. Das ent1

Näheres o. S. 48 Anm. 9.

80

2,9 Wahrung der Parteistandpunkte

spricht natürlich ihrem Parteistandpunkt. Da Krösus bei den Persern unhistorisch ist und nur die Stelle der typischen Warner- und Beraterfigur ausfüllt, u. § 3,9 (2), ist seine Erwähnung ein sicheres Indiz für die Unechtheit der Quellenangabe. Selbst wenn er historisch wäre, hätten die Ägypter schwerlich von ihm gewußt2. — 3,30,1: Die Ägypter läßt Herodot erzählen, daß Kambyses wahnsinnig wurde, und zwar wegen seines Unrechts am Apisstier. — 3,32: Von den zwei Versionen über den Mord des Kambyses an seiner Schwester erzählen eine die Griechen, die andere die Ägypter. Offenbar will Herodot die Perser nicht das für sie Nachteilige erzählen lassen ; allerdings werden auch Schandtaten des Kambyses ohne Quellenzitat erzählt. Ägypter und Griechen sind in zweiter Linie die nächstliegenden Zeugen: erstere als Gegner, letztere als Teilnehmer des Feldzuges.

2,9

Wahrung der Parteistandpunkte allgemein, besonders bei Angabe verschiedener Versionen1. Wir haben dieses Prinzip zuerst o. S. 44 erläutert. Im vorigen Abschnitt sind die Fälle vorweggenommen, wo es ein die Grundregel verletzendes Quellenzitat erklärt. Viel häufiger kommt es dadurch zur Geltung, daß zwei Kontrahenten je eine sie selbst begünstigende Version einer Sache erzählen ; manchmal handelt es sich auch um die tendenziöse Erzählung nur einer Quelle. Wir lernten schon folgende Beispiele kennen: die pro-asiatische Tendenz der Eingangskapitel nebst der phönizischen Tendenz der Variante 1,5 (§ 1,11), die ägyptische Tendenz der Helena-Erzählung (§ 1,13) und die memphitische Perspektive der ägyptischen Geschichte (§1,15). Ich lasse nun noch eine Reihe von Stellen folgen, wo das Prinzip des Parteistandpunktes unrealistisch gehandhabt wird und dadurch nicht glaubhaft wirkt. Vor allem durch die ineinanderpassenden Berichte mehrerer Quellen wird die Fiktion entlarvt. 1,70: Version der Spartaner und der Samier (plus ausgleichender Vermutung Herodots, u. § 2,18) über den Verlust eines an Krösus geschickten Kraters. Es ist m. E. nicht daran zu denken, daß über eine so nebensächliche Angelegenheit, selbst wenn sie historisch sein sollte, zwei ineinanderpassende , Lokaltraditionen' existierten und prompt an Herodot gelangt sind. Der Parteistandpunkt ist auf ganz kindliche Weise gewahrt. — 3,1—2: Die Perser erzählen, daß Amasis dem Kambyses die falsche Prinzessin zuschickte, die Ägypter, Kambyses sei Sohn der Ägypterin. Vgl. u. §2,18(2). — 3,47,1: Samier 2

Legrand 3,25 3 hat die Schwierigkeit gesehen und nimmt an, daß nur das eine Detail von Herodot stammt.

1

Das Prinzip und die meisten Stellen bei Panofsky 39f. Vgl. o. S. 9 mit Anm. 36.

2,9 Wahrung der Parteistandpunkte

81

und Spartaner geben verschiedene Gründe an, weswegen die Spartaner in den samischen Bürgerzwist eingriffen. In der Begründung der Spartaner taucht der gestohlene Krater wieder auf (vorletzte Stelle; vgl. u. §3,7). — 5,85—7: In dem angeblich wegen zweier Götterbilder geführten Krieg der Athener gegen Ägineten und Argiver gibt es, der Parteiung entsprechend, eine Version der ersteren und eine der beiden letzteren. Die Berichte passen ineinander; der Parteistandpunkt bestimmt die Abweichung (nicht ganz deutlich; es kommt Rationalisierung hinzu, vgl. § 2,11). Über diese lange zurückliegenden Ereignisse konnten kaum an drei Orten noch ineinanderpassende Erinnerungen vorhanden sein2. — 6,84: Nachdem c. 75,3 drei Versionen über den Grund, weswegen Kleomenes wahnsinnig wurde, genannt waren, entlasten sich hier die Spartaner und sagen, skythische Gesandte hätten ihn zu übertriebenem Alkoholgenuß verführt, vgl. u. § 3,7. — Ganz sicher erfunden ist auch 6,137. Hier stellt Herodot einer aus Hekataios referierten Erzählung über ein Unrecht der Athener an den Pelasgern eine Version „der Athener" gegenüber, die diese salviert. Es ist kaum vorstellbar, daß neben der Erzählung des Hekataios, die ja nicht auf Erkundung beruht, sondern auf fiktiven Annahmen, eine attische Lokaltradition existierte3. Es gibt natürlich auch Stellen, die nichts Unwahrscheinliches an sich haben. Man würde sie nicht verdächtigen, wenn nicht an einer so großen Zahl anderer Stellen die Fiktion klar wäre. So aber werden sie hineingezogen und zeigen immerhin, daß es von der Regel keine Ausnahme gibt, was nicht erklärlich wäre, wenn sie alle echt wären. Man müßte ja glauben, Herodot, dieser unchauvinistischste aller Autoren, hätte es in seinen Gesprächen stets mit engherzigen Chauvinisten zu tun gehabt. Hier nenne ich nur noch4: 4,77: Von den Peloponnesiern will Herodot ein schmeichelhaftes Wort des Anacharsis über die Spartaner gehört haben. Es ist keineswegs die einzige Möglichkeit, daß ein solches Wort bei denen kursiert, die es begünstigt, zumal bei der verbreiteten Spartaromantik der Zeit. — 5,44: In Kroton bestreitet man die Behauptung der Sybariten, sie hätten erst mit Hilfe des Dorieus besiegt werden können. Verdächtig wegen der Nichtigkeit des Streitpunktes wie 1,70 (s. o.). 2

3

4

Die umfangreiche Literatur zum Konflikt zwischen Athen und Ägina (Bengtson 167 3 ) kann hier außer Betracht bleiben. Meyer, Forschungen l,8f. gibt ausgezeichnete Gründe dafür, daß die athenische Version erst aus Hekataios herausentwickelt ist (wir müßten sonst aus der reichlichen attischen Sagenüberlieferung davon wissen; die jede Sage beherrschende Persönlichkeit fehle; das Motiv sei aus der Sage von Oreithyia und Boreas entlehnt). Freilich denkt er an eine junge attische Quelle. Verbindung mit Miltiades sucht Legrand 6,51; v. Fritz Anm.-Bd. 203 3e denkt anscheinend an .Hineinfragen' (vgl. auch 204—6 e0 ). Die restlichen Stellen s. u. § 2,24 (4). 6 Fehling. Herodot

82

2,10 Anführung mehrerer Versionen

Als Parteistandpunkte sind auch gewisse m y t h i s t o r i s c h e Ansprüche zu rechnen. 1,171: Die Karer wollen autochthon sein, die Kreter aber ihre Herren gewesen sein (o. § 1,8). — 4,45,3: Die Lyder leiten den Namen Asien von einem asiatischen Eponymen her6. — 6,54: Die Perser sagen, daß Perseus ursprünglich kein Grieche war, sondern Assyrer. Zum Perser machen sie ihn nicht, weil die Perser kein altes Volk sind; trotzdem sind sie die passende Quelle, weil Perseus ihr Ahn ist (s. o. § 1,7 (2) zu 7,61) und weil sie την Άσίην . . . οϊκηιεϋνται 1,4,4 (s. o. S. 43f.), wie einst natürlich die Assyrer als erste Herren Asiens auch getan haben. Da diese Überlegung unteilbar ist, ist es völlig sicher, daß Herodot die Behauptung selbst erfunden hat. 2,10 Anführung mehrerer Versionen. Hier sind drei Gruppen zu unterscheiden. Am häufigsten ist (1), daß die Abweichungen aus dem Parteistandpunkt hervorgehen. (2) Bisweilen ist die eine Version eine Rationalisierung der anderen. Schließlich kann (3) ohne erkennbares Motiv in einem Einzelzug eine Abweichung gebracht werden. In der zweiten Gruppe (die Stellen im folgenden Abschnitt) ist die Fiktion eindeutig. In der ersten Gruppe (s. die beiden vorigen Abschnitte) ist, wie wir gesehen haben, für die bei weitem überwiegende Zahl der Stellen ebenfalls Fiktion nachzuweisen oder wahrscheinlich zu machen. Nachdem so etabliert ist, daß die freie Erfindung abweichender Versionen zum festen Repertoire Herodots gehört, ist auch bei der dritten, an sich unverdächtigen Gruppe der Gedanke an ein bloßes Spiel nicht abwegig. Stellen der dritten Gruppe. Wegen der Nebensächlichkeit auffallend ist 6,134,2: Miltiades hat sich nach einer Version den Oberschenkel gezerrt, nach der anderen am Knie verletzt. Da es sich um ein wunderbares Ereignis handelt1, soll das wohl der zusätzlichen Beglaubigung dienen: Die geringe Abweichung ist so gut wie Übereinstimmung zweier Quellen, und zugleich wird die penible Genauigkeit des Erzählers demonstriert, vgl. u. § 2,13. — 3,45,1 sind zwei nach der Natur der Sache gegebene logische Möglichkeiten als zwei Versionen gegeben: Die mit einem Uriasbrief zu Kambyses geschickten Samier sind nach den einen auf halbem Wege umgekehrt, nach den anderen aus Ägypten heimlich entflohen. Ganz ähnlich 9,73,2 (Leute aus Dekelea, nach andern der Eponym Dekelos selbst). Vgl. § 2,22 (1) 5

Die Phyle Asias in Sardes scheint, da Steph. Byz. eine Stadt Asia am Tmolos nennt, eins der üblichen Beweisstücke ohne tatsächliche Grundlage (u. § 2,20) zu sein, bei denen die Autoren variieren (u. § 3,2).

1

Der Gott verteidigt sein Heiligtum; vgl. die entsprechenden Wunder mit Götterbildern Nilsson 81 f.

2,11 Original und Rationalisierung

83

zu 2,106,5. — Weitere Stellen2: 1,27,2 (Bias oder Pittakos nach Sardes) ; 3,30,3 (Ermordung des Smerdis) ; 3,86—7 (die Stute oder nur ihr mitgebrachter Duft bringen den Hengst des Darius zum Wiehern) ; з,120,1 und 121,1 (Anlaß der Ermordung des Polykrates); 9,120,4 (Platz, wo Artayktes hingerichtet wurde). Eng verwandt sind Stellen, wo Herodot bei gleichgültigen Alternativen sagt, er wisse nicht, ob die Sache so oder so gewesen sei, и. §2,19 (2). 2,11 Original und Rationalisierung als zwei Versionen. Hiervon wurden zwei Fälle im ersten Kapitel sicher als fiktiv nachgewiesen: 2,54 sq. (Dodona durch Taube bzw. ägyptische Priesterin gegründet, § 1,14) und 7,129,4 (Thessalien durch Poseidon oder natürlich zu Land geworden, § 1,6. Hier steht an Stelle der einen Version Herodots Vermutung, die, seiner Angabe nach und tatsächlich, gegenüber der Sagenversion primär ist). Eng dazu stellt sich 3,9 (eine Wasserleitung aus Kamelhäuten durch die Wüste gebaut1 bzw. Wasser in Kamelschläuchen und mit einer Kamelkarawane transportiert). Die Parallele der drei Stellen erhärtet die Fiktion m. E. über jede Möglichkeit des Irrtums hinaus. Nach diesen Fällen ist offenbar auch die Geburtsgeschichte des Kyros zu beurteilen2. Man ist sich einig, daß die von Herodot erzählte Version eine Rationalisierung der 1,122,3 andeutungsweise erwähnten Form ist, wonach Kyros von einer Hündin genährt wurde. Er führt sie auf die Wahrheitsliebenderen unter den Persern zurück (c. 95,1), aber man wird von vornherein geneigt sein, die so typisch griechische Rationalisierung3 ihm selbst zuzuschreiben, da sich die Annahme von pseudo-epichorischen Quellen nun schon oft als irrig erwiesen hat. Tatsächlich kann nicht einmal die Grunderzählung persisch sein. Sie beruht ja auf der griechischen Etymologie Κΰρος/κύων (c. 122,3). Nach allem, was wir bisher erlebt haben, darf man es nicht für einen glücklichen Zufall halten, daß die Geschichte diese Etymologie hergab. In der Rationalisierung wird der Hund durch die Amme ersetzt. Das muß Herodot natürlich für Übersetzung aus dem Persischen 2

Hier übergangene Stellen s. bei v. Gutschmid 168f., dazu ζ. T. 167f.

1

A. Mende und Myres versuchen Class. Rev. 60, 1946, 19, die Nachricht ernst zu nehmen, stellen also neben Herodots Rationalisierung eine eigene. An Literatur erwähne ich nur: v. Fritz 282ff. und die Interpretation von Immerwahr 161—5; zuletzt Schwabl 268f. (griechische Motive). Legrands Überlegungen zu den Quellen 1,107—9; ältere Literatur bei Krappe 153 2 ; die antiken Quellen bei Weißbach. Binder gibt für Herodot fast nichts aus. Wipprecht 33 macht darauf aufmerksam, daß es der erste Fall einer häufigeren Form ist: Ersetzung des Tiers der Sage durch einen Menschen.

2

3



84

2,11 Original und Rationalisierung

erklären; er bildet Σττακώ mit griechischer Endung (!) aus dem persischen Wort für Hund, das er natürlich leicht erfahren konnte 4 . Die Geschichte muß also von Herodot selbst geschaffen sein. Die Einzelheiten sind dunkel; Widersprüche sind aus der Verarbeitung verschiedener Motive entstanden 6 . Wenn Herodot c. 95,1 sagt, daß er sich an die Vernünftigeren unter den Persern hält, so heißt das nach aller Analogie, daß er vorhandenen Erzählungen (und .vorhanden' ist nur, was literarisch fixiert ist6) eine durchaus neue gegenüberstellt; Motive aus jenen können natürlich benutzt sein. Die Betonung der Vernünftigkeit richtet sich aber nicht gegen jene anderen Erzählungen, sondern bezieht sich nur auf die Rationalisierung, setzt sich also von der fingierten Grunderzählung ab7. Wieder einmal — in ganz neuer Weise — ist die Quellenangabe von der Erzählung abhängig: Weil die Geschichte eine Rationalisierung ist, heißen ihre Erzähler vernünftig und nicht umgekehrt 8 . 3,18: Die anonyme Quelle (λέγεται) erzählt den Mythos vom Sonnentisch rationalisiert und schreibt die Grundversion den Einheimischen zu. Die Erfindung ist klar, weil schon die Grundversion aus griechischen Elementen besteht, s. u. § 3,6 (2), und die Quelle nach dem Prinzip der Wahrung der Glaubwürdigkeit konstruiert ist, o. §2,6(2). Minder deutlich ist 5,85—7: Jede der beiden Versionen enthält ein Wunder, das in der anderen fehlt bzw. rationalisiert ist; im übrigen vgl. o. § 2,9. — Ich rechne noch 3,56 hierher, wo nur eine vernünftige Version gegen eine anekdotische steht: Die Spartaner zogen von Samos ab, weil die Belagerung keine Fortschritte machte; eine törichtere Version sagt, Polykrates habe sie mit vergoldeten Bleimünzen bestochen und betrogen. — Vgl. den Betrug des Salmoxis 4,95, o. § 2,3. An zwei Stellen wird einer sagenhaften Version eine pragmatische entgegengestellt, ohne daß letztere im Verhältnis der Rationalisierung zur ersteren steht. 1,65,4: Einige berichten, die Pythia habe dem 4

8 β

7 8

Völlig zu Unrecht hat man hierin einen Beweis für die Authentizität gesehen, Legrand a. O. und andere. Das Gegenteil ist der Fall. v. Fritz a. O. Vgl. u. § 3,8 (1). Ich schließe das daraus, daß die Völkerzitate, die die mündliche Erkundung (bzw. deren Fiktion) repräsentieren, immer wieder die Funktion haben, das Neue, Unbekannte zu signalisieren (u. § 2,16, vgl. a. § 1,16 Ende). Den Beweis dieser Behauptung sehe ich in den Parallelen unten im letzten Absatz. Auf die spätere Parallelüberlieferung habe ich keinen Grund einzugehen; wo die Grunderzählung erwähnt wird, kann es aus Herodot stammen (lust. 1,4,10; Ael. v. h. 12,42). Erst recht können die viel späteren persischen Parallelen (Binder 175—95), unter denen die Erzählung Firdusis von Kai Chosrau die wichtigste ist, nicht als Beweis für uralte Bodenständigkeit der Sage in Persien gelten, vgl. die Hesiodreminiszenz (opp. 181) Binder 179. Das Motiv der Hündin als Amme findet sich übrigens dort nicht.

2,12 .Zerteilung'

85

Lykurg die Verfassung verkündet; die Spartaner selbst sagen, er habe sie aus Kreta mitgebracht. Das ist wohl vermutet, weil das urdorische Kreta gut in Frage kommt. Die pragmatische Version erhält das Zitat, das Authentizität ausdrückt. — 4,5—11: Zum Ursprung der Skythen, s. o. § 1,9. Zur Fiktion gehört, daß Herodot in der Regel die rationalisierte Fassung für die bessere erklärt: 1,95,1; 3,9,2; 56,2; 4,11,1; implizite auch 2,56 sq. und 7,129,4; implizite durch die Wahl der Quelle 1,65,4 und 4,11,1 u. 12,3 (verbunden mit ausdrücklicher Billigung), s. u. § 2,15. 3,18 und 4,95 werden die Nächstbetroffenen, die sich im Irrtum befinden, durch eine aufgeklärtere Quelle korrigiert, o. § 2,3. Nur 5,85—7 fehlt die Bevorzugung der pragmatischen Version aus verständlichen Gründen ganz. Diese Kommentierung gehört in den Rahmen der u. § 2,18 angeführten Erscheinungen. 2,12 jZerteilung'. Besonders sichere Schlüsse auf Fiktion erlaubte uns immer wieder Herodots Verfahren, einen einheitlichen Gedanken oder Stoff auf mehrere Quellen zu verteilen. Hierdurch wird das Phänomen der ineinanderpassenden Quellenberichte erzeugt. Wegen der enormen Bedeutung dieses Tatbestandes für unsere Nachweise sei das hier noch einmal zusammengefaßt. Ganz allgemein gehört hierher die behauptete Übereinstimmung mehrerer Quellen (folgender Abschnitt) und die Anführung verschiedener Versionen, wobei es sich ja regelmäßig um Übereinstimmung im ganzen bei Abweichung in einem Punkt aus besonderen Gründen handelt (§§ 2,9—11). Am auffallendsten sind aber die Fälle, in denen ein Bericht auf mehrere Quellen aufgeteilt wird. Da die Verteilung stets durch die Überlegung diktiert wird, was welche Quelle weiß, sind diese Stellen o. § 2,3 zusammengestellt. Ein besonderer Fall ist die zweifache Abwandlung eines Grundmotivs 7,128—30 (Thessalien, § 1,6). In allen Fällen kann an Stelle einer der Quellen Herodot selbst stehen. Es gibt das Zusammentreffen seiner Vermutung mit dem Bericht der Quelle (2,10,1 u. a. über das Nilland, vgl. § 1,6; 104, 1 Kolcher und Ägypter, § 1 , 2 ; 3,108 die fliegenden Schlangen, vgl. o. S. 69), sodann den merkwürdigen Fall, daß Herodot eine mythische Erzählung findet, die auf eine eigene Vermutung paßt (7,129,4), und schließlich, daß ein Bericht auf eine Quelle und eigene Darlegung verteilt wird (1,2,1, o. S. 42; 3 , 1 2 , 2 - 4 , o. S. 25). Der Sinn des Verfahrens ist klar. Es erzeugt wirksam die Illusion einer Vielfalt von referierten Berichten, die in mannigfaltiger Weise miteinander in Beziehung stehen und durch die unermüdliche, ausgedehnte Erkundung des Autors zu einem Gesamtbild zusammengesetzt worden sind.

86

2,13 Verstärkte Beglaubigung

Zweimal findet sich die bei vielen Autoren wohlbekannte Q u e l l e n a n g a b e n u r zu e i n e m P u n k t der Erzählung, die als Ganzes kein Zitat hat oder nur mit einem unbestimmten λέγεται o. ä. eingeleitet worden ist: 2 , 7 5 , 3 - 4 (o. § 1,4) und 7,129,3—4 (§ 1,6). Ursache ist, daß der betreffende Punkt eine zusätzliche Bestätigung erhält (2,75) bzw. daß der Autor eine abweichende Vermutung vorbringt (7,129). 3,18 gehört das indirekte Zitat in den Bericht, § 2,6 (2). 2,13

Übereinstimmung mehrerer Quellen, verstärkte Beglaubigung.

Die Übereinstimmung mehrerer Zeugen hat fast immer den Sinn der verstärkten Beglaubigung aus durchsichtigen, mit dem Inhalt der Geschichte gegebenen Gründen. Die Zeugen werden nach dem Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe gewählt (Arion 1,23 sq., Aristeas 4,14, beide o. § 1 , 3 ; fliegende Schlangen 2,75,4, § 1 , 4 ; Werwölfe 4,105,2). Die Zeugen können in einem unwichtigen (Miltiades auf Paros 6,134,2, § 2,10) oder durch Rationalisierung übereinstimmend gemachten (Orakelgründungen 2,54—7, § 1,14) Detail abweichen oder sich gegenseitig ergänzen (Wunder bei Delphi 8,38—9 und Hamilkars Tod 7,166—167,1, beide o. § 1,1), ohne daß das hinsichtlich der Beglaubigung einen Unterschied macht. Gibt der Inhalt nicht zwei Quellen her, so können auf verschiedene Art aus einer Quelle künstlich zwei gemacht werden (drei Priesterinnen von Dodona und Umwohner 2,55,3, § 1,14; Übereinstimmung von Memphis, Theben und Heliopolis 2,3—4, § 1,15; Skythen und dortige Griechen 4,105,2; anders 4,12,3, s. § 2,15). Es gibt übrigens einen Unterschied zwischen der Übereinstimmung gleichrangiger Zeugen (so im Fall des Aristeas) und derjenigen zwischen Haupt- und bestätigendem Zeugen (mit όμολογέουσι oí δείνα o. ä. ; Arion, fliegende Schlangen, ägyptische Geschichte; alle Stellen s. o.). Herodot überlegt sorgfältig, welche Form er wählt. Die Erzählung von Aristeas hat zwei Schauplätze, daher die erste Form. Bei Arion sind die Einwohner des Ortes der Handlung Hauptzeugen, die seines Geburtsortes bestätigende Zeugen; ähnlich verhält es sich im dritten Fall (s. o. S. 21f.). An der letzten Stelle ist Memphis Hauptzeuge, weil es Hauptort und die Tendenz memphitisch ist. Ausnahmsweise kann die Übereinstimmung zweier Zeugen andere Gründe haben: weil die Überlegung, wer was wissen muß, maßgeblich ist (Sparta und Thera 4,150,1 und Thera und Kyrene 4,154,1, § 2,2 (3), vgl. §2,3) oder weil weitere Gedankengänge darauf aufgebaut werden (Kolcher und Ägypter 2,104,1, § 1,2). Der verstärkten Beglaubigung dienen ferner zusätzliche Beweisstücke (das Bronzebild 1,24,8, o. S. 19; die Steine 8,39,2 usw., u. § 2.20). Analog zur Übereinstimmung zweier Zeugen wird 3,12 die

2,14 Gespräche mit bestimmten Personen

87

Beobachtung an den Schädeln doppelt gemacht. Komplizierter 2,143 (o. § 1,16), wo das Beweisstück (die 345 Statuen) von zwei Zeugen gesehen wird. Sodann werden Beglaubigungen durch nachdrückliche Beteuerung seitens der zitierten Zeugen verstärkt: 2,28,2 der Tempelbeamte in Sais, o. § 2,2 (1); 4, 105,2 (όμνϋσι). — Vereinzelt: „Wie ich mich wohl erinnere" 1 2,125,6. Endlich sind die Formen des folgenden Abschnitts ζ. T. als verstärkte Beglaubigungen aufzufassen. In der Regel sind es Wundergeschichten, die verstärkt beglaubigt werden, wie sie noch öfter einfach beglaubigt werden. Im Falle der Orakel (2,54—7) und der ägyptischen Geschichte (2,3—4) handelt es sich nicht um Wunder, sondern um Nachricht aus grauer Vorzeit. 2,14 Gespräche mit bestimmten Personen1. Natürlicherweise hat man weit größere Hemmungen, Stellen, wo es heißt: „Ich habe mit dem oder den X in Y selbst gesprochen", für Fiktion zu erklären als einfache Angaben von der Form: „Die X sagen". Aber schon eine flüchtige Bekanntschaft mit dem Material zeigt, daß zwischen Stellen beider Form kein grundsätzlicher Unterschied besteht, es sei denn der, daß es sich gerade bei den Angaben der ersten Form um besonders unwahrscheinliche Dinge handelt. Das ist, bei Lichte betrachtet, gar nicht so unerwartet — jedenfalls wenn man den Erzähler und nicht den Historiker im Auge hat — denn für den Erzähler gilt die verständliche Regel, daß die Beglaubigung um so stärker sein muß, je unwahrscheinlicher die Geschichte ist2. Im übrigen gehen die beiden Formen nahtlos ineinander über. Daß die Formen λέγουσι oí und ήκουον εν ohne Unterschied gebraucht werden, zeigen die Zwillingsstellen 1,23 und 4,14,1. Nichts besonderes zu bedeuten haben die Formulierungen, die die persönliche Anwesenheit Herodots andeuten, an Stellen wie 1,20; 183,1 (ώς ελεγον oi Χαλδαϊοι) ; 2,32,1; 63,3 (εφασαν); 4,77,1; 95,l 3 . ελεγον 2,10,1 und εΐρόμην άμφοτέρους 2,104,1 sind notwendig, weil sich Herodot die eigene Vermutung bestätigen läßt. Mehrmals ist der Zusammenhang mit dem Beweisstück oder Denkmal maßgeblich: 2,125,6 (Dolmetscher an der Pyramide); 130,2 (Priester in Sais); 3,12 (Schädel, §1,5); 1

So zu übersetzen.

1

Zusammenstellung bei Panofsky 3f. Nicht unbedingt, um den Hörer glauben zu machen, sondern auch, weil die Entschuldigung des Autors dafür, daß er Unglaubliches erzählt (o. § 2,7), stärker ausfallen muß. Stellen mit ήκουσα u. dgl. ohne Zitat bei Panofsky 66 f.

2

3

88

2,14 Gespräche mit bestimmten Personen

4,81,4 u. 6 (Exampaios, § 2,20). οϊδα άκουσας 2,52,1 betont aber die zuverlässige Information. Ich erwähne nur noch die Stellen mit mehr Detail. Hauptsächlich sind es die Priester von Memphis, die wegen der Rolle, die der Ptahtempel in Herodots Konzeption spielt, auftreten müssen (o. § 1,15); dazu die bestätigenden Priesterschaften (2,3,1; Theben noch 2,54 und 143). Dabei wird sogar ein Gespräch mit Frage und Antwort dargestellt. In dieser Form werden kritische Überlegungen angebracht (2,54; 91,5; 118; von diesen nachweislich fiktiven Fällen würde ich auf 2,150,1—2 schließen). — 2,44 will Herodot eigens nach Tyros gefahren sein, um sich bei den dortigen Priestern nach Herakles zu erkundigen. Das kann angesichts der übrigen Erfindungen nicht geglaubt werden, zumal es in sich merkwürdig ist4. Man könnte für die Echtheit anführen, daß die Antwort mit der der Ägypter gar nicht gut zu harmonieren scheint: Die Ägypter sagen, daß Herakles vor 17 000 Jahren gelebt hat; die Phönizier geben das Alter des Tempels auf 2300 Jahre an. Die Erklärung liegt, glaube ich, auf der Hand: Herodot hält die Phönizier für ein altes Volk, älter als die Griechen, aber doch lange nicht so alt wie die Ägypter. Zu dieser Vorstellung passend hat er die Zahlen gewählt. Bezeichnend ist, daß er den strikten Widerspruch vermieden hat, indem er die Phönizier nur von der Gründung des Tempels reden läßt. Näher bezeichnet ist der Verwalter der heiligen Gegenstände 2,28,1; den Grund sahen wir o. S. 68f. Namentlich genannt sind dreimal griechische Gesprächspartner, die Priesterinnen in Dodona (2,55,3), Thrasybulos aus Orchomenos (9,16,1), der Spartaner Archias (3,55,2); einmal ein Ausländer, Thymnes, επίτροπος des Skythenkönigs Ariapeithes (4,76,6). Von diesen vier Stellen sind die ersten beiden ohne weiteres als Fiktion zu erkennen: Die drei Priesterinnen verstärken die Beglaubigung der nachweislich fiktiven Auskunft von Dodona (o. § 1,14) ; Thrasybulos verbürgt Herodot eine prophetische Äußerung eines Persers vor Platää. Solche Äußerungen gehören fast zum notwendigen Inventar vor großen Ereignissen. Das im Detail geschilderte Gastmahl darf uns nicht irre machen. Die Technik dieser Stelle erinnert deutlich an Rahmenerzählungen Platonischer Dialoge; vgl. a. Call, frg. 178, u. § 2,29 (7). Eng verwandt mit ihr sind drei andere Stellen, wo ebenfalls ein wunderbares Ereignis von namentlich genannten Personen erzählt wird, Herodot aber nicht behauptet, mit ihnen persönlich gesprochen zu haben: Philippides 6,105,1; Epizelos 117,3; Dikaios 8,65,1 u. 6 (u. §3,5 folgt ein sehr sicherer Beweis für Erfindung an dieser Stelle). Vgl. 8,55, wo eine anonyme Gruppe dieselbe Funktion hat. 4

Die Nachricht wird allgemein geglaubt.

2,15 Quellenangabe als Stellungnahme — 2,16 .Griechenzitate'

89

Die letzten beiden von den vier oben genannten Stellen passen nicht in das einheitliche Bild der übrigen. Sie geben in sich keinen Anlaß zu Zweifeln und wenig Handhabe zur Interpretation als Fiktion: Archias bestätigt nur, daß sein Großvater auf Samos fiel; Thymnes klärt, daß Saulios, der Mörder des Anacharsis, dessen Bruder war. Immerhin ist die Auffassung als Beweisstück an der ersten Stelle nicht unmöglich, und an der zweiten kann der Erzähler als passend gewählt aufgefaßt werden. Nachdem sich fast alle Stellen deutlich als Fiktionen herausgestellt haben, halte ich es a priori für höchst unwahrscheinlich, daß diese zwei Stellen eine Ausnahme machen. 2.15 Herodots Stellungnahme in der Quellenangabe ausgedrückt: „Alle Menschen". An ein paar Stellen enthält die Quellenangabe ein Urteil Herodots über die Erzählung. Am deutlichsten ist das im Vergleich von 2,99,1 (Ägypter) mit 2,147,1 (die Ägypter in Übereinstimmung mit den anderen Menschen) : An letzterer Stelle beginnt der im ganzen historische Bericht. Ähnlich „Griechen und Barbaren" 4,12,3 (§ 2,11 Ende, zweimal) und wahrscheinlich zwei Griechenzitate (s. den folgenden Abschnitt). 1,65,4 (§ 2,11 wie 4,12,3) sind die Spartaner die authentische lokale Quelle, „einige" berichten Märchen. Möglich ist diese Deutung auch 5,22,1; 63,1, beide u. § 2,24 (8). Eine Stellungnahme ist vermutlich auch nur, wenn 3,120,1 die bessere Version „den Mehreren" zugeschrieben wird; vgl. μάλιστα λεγομένω 4,11,1 neben 4,12,3 (eben angeführt). 1,95,1 bringen „die Vernünftigeren unter den Persern" eine rationalisierte Version (o. § 2,11).

2.16 ,Griechenzitate'. Praktisch haben Völker- und Personenzitate die Funktion, dadurch, daß sie sich auf eine unkontrollierbare Autorität berufen, etwas Neues, bisher nicht Gehörtes anzuzeigen. Das gilt keineswegs nur für die fremdländischen Zitate, sondern auch für diejenigen griechischer Städte und Länder. Der diametrale Gegensatz dazu sind die meisten Zitate der „Griechen" allgemein, denn sie weisen auf Bekanntes hin und sind deshalb auch oft einer SpezialÜberlieferung gegenübergestellt1. So steht ώσττερ oí "Ελληνες o. ä. häufig, wenn allbekannte mythologische Fakten erwähnt werden: 1,1,3 u. 1,2,1 (Io); 2,41,2 (Io); 79,2 (Linos); 91,6 (Perseus); 118,1 (Troja); 146,2 (Dionysos); 6,53,1 u. 54 1

Die Stellen sind schon von v. Gutschmid 169—71 zusammengestellt. Ich habe 3,80,1 und 6,43,3 weggelassen, wozu u. § 2,18, ferner, als nicht hierhergehörig, 2,28,1; 154,4; 7,61,2.

90

2,17 Tricks der Lügenliteratur

(Familie des Perseus). Erst wenn es sich um speziellere Dinge handelt, ist es berechtigt zu sagen, daß der Ausdruck „eine Schriftquelle deckt" 2 : 2,145,4 u. 146,2 (Pan) ; 4,45,3 (Libyen und Asien nach Frauen benannt); 7,94—95,1 (Jonier und Äolier ursprünglich Pelasger); 189,1 (Oreithyia Frau des Boreas). Diese Unterscheidung ist aber nicht im Sinne Herodots. Wenn eine Schriftquelle so genannt wird, ist das eine ähnliche Verallgemeinerung, wie sie das allgemein übliche οι άμφί του δείνα enthält ; der zitierte Autor gilt als maßgeblich auch und gerade dann, wenn er etwas Spezielles hat, was sonst niemand erwähnt (vgl. ζ. B. o. S. 76 mit Anm. 6 zu den Arimaspen). Bei historischen, geographischen und ethnographischen Angaben überwiegt die zweite Gruppe; ich teile die Stellen nicht auf: 1,7,2 (Kandaules Myrsilos genannt); 75,3 (Thaies; vielleicht Fiktion); 216,1 (Sitte fälschlich den Skythen zugeschrieben) ; 2,16,1 u. 17,2 (die Erdteile) ; 134,1 (Rhodopis) ; 4,8,2 (Okeanos); 85,1 (Plankten lokalisiert); 6,134,1 (Belagerung von Paros); 7,150,1 u. 151 (Verrat der Argiver); 201 (Name der Thermopylen); 9,20 (Masistios Makistios genannt). Ob einfach "Ελληνες steht wie meist oder τιυές 'Ελλήνων o. ä. (2,134,1; 7,151) oder oi πολλοί των 'Ελλήνων o. ä. (1,75,3; 4,45,3), macht wohl kaum einen Unterschied. Vereinzelt scheint eine kleine Verschiebung von .allgemein bekannt' zu ,von Herodot gebilligt' stattgefunden zu haben, so daß das Zitat wenig mehr als Herodots Urteil ausdrückt. So heißt μαρτυρέει δέ σφι (d. h. den Korinthern) και ή άλλη 'Ελλάς 8,94,4 wohl nur, daß Herodot den Korinthern wohlgesonnen ist und ihnen Recht geben will. Ebenso 6,75,3 (Kleomenes' Wahnsinn). Ein paar Mal wird "Ελληνες jedoch auch als gewöhnliches Völkerzitat verwendet und ist dann den üblichen, oben dargelegten Regeln unterworfen. Schon der Form nach ist das klar bei 'Ελλήνων oí τον Πόντον οίκέοντες 4,8,1 (ο. §1,9), ähnlich 4,24; 95,1; 105,2. Dreimal war ein Griechenzitat aus der Wahrung des Parteistandpunktes zu erklären (2,2,5; 45,1; 3,32,1; o. § 2,8); auch hier soll der Leser wohl nicht an die Gesamtheit der Griechen denken, sondern an die, die als Partei in Frage kommen. 'Ελλήνων τινές επίσημοι βουλόμενοι γενέσθαι σοφίην 2,20,1 ist natürlich ein offenes Schriftzitat, in der Ausdrucksweise auf das übliche Völkerzitat hin stilisiert (u. § 2,27). 2,17 Die Tricks der Lügenliteratur. „Die Lügendichtung . . . ist von einer Fülle von Lügensignalen durchsetzt, die sich übrigens mit großer 2

Jacoby 398 sieht das als Normalform an; seine Einteilung der Stellen weicht auch sonst ζ. T. ab.

2,17 Tricks der Lügenliteratur

91

Beständigkeit durch die Jahrhunderte vererben. Es sind formale und inhaltliche Topoi, die nicht einmal durch bewußtes Lernen weitergegeben zu werden brauchen, sondern die sich wie von selbst einstellen, wenn man eine Lügengeschichte zu schreiben versucht". Mit dieser Charakteristik macht H. Weinrich 1 auf ein Phänomen aufmerksam, das für das Verständnis einiger Erscheinungen bei Herodot von großer Bedeutung ist, obwohl die Ausdrücke .Lügensignal' und ,Lügendichtung' für ihn zu eng sind. Gemeint sind eine Reihe von Tricks, die durchweg den Sinn haben, für den harmlosen Leser die Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Zum ,Lügensignal' werden sie erst, wenn sie so dick aufgetragen werden, daß sich ihr erster Sinn umkehrt; dann wird der Leser zum Eingeweihten und Komplizen des Autors. Der einfachste, direkteste Topos dieser Art ist die Wahrheitsbeteuerung. Aber neben ihr gibt es raffiniertere Tricks, von denen Weinrich zwei nennt. Den ersten von ihnen kann man geradezu als die goldene Regel des (gewöhnlichen oder literarischen) Lügens bezeichnen: D e t a i l m a c h t g l a u b w ü r d i g . Alles, was direkt dem Zweck der Lüge dient, ist dem Zweifel ausgesetzt; bei gleichgültigem Detail dagegen sieht man nicht, warum es erlogen sein sollte, und traut dem Mitmenschen so viel kriminelle Energie nicht zu, und so kann es zu dem speziellen Zweck erlogen werden, diese Überlegung hervorzurufen 2 . „Zur Präzision des Details gehört vor allem die Genauigkeit von Namen und Zahlen"; hierauf kommen wir in Kap. 4 zurück. Ein zweiter Trick ist, an einem Punkte zu gestehen, daß man etwas nicht wisse. „Wer hundert Details gibt und dann beim hundertundersten sagt, hier sei er nun nicht mehr ganz sicher, der beglaubigt damit die hundert anderen erlogenen Details in einer Weise, die nicht mehr zu überbieten ist". Herodot verfolgt mit solchen Eingeständnissen, wie wir sehen werden, speziellere Zwecke (§ 2,19). Man kann den letztgenannten Trick als eine Vorgabe bezeichnen, die dem Zweifel den Wind aus den Segeln nimmt. In diesem Sinne gibt es speziell für den Fall des erlogenen Quellenzitats eine weitere Möglichkeit. Der Autor kann die Glaubwürdigkeit der Erzählung distanziert kommentieren, sei es daß er versichert, sie selbst nicht zu glauben, sei es daß er irgendwelche Überlegungen über ihre Glaublichkeit anstellt, gleich ob das Ergebnis positiv oder negativ ist. Dazu s. den nächsten Abschnitt. 1 2

Alle zitierten Passagen finden sich S. 66—71. „Goldonis Lügner fordert die besten Journalisten Europas heraus, einen so wohldetaillierten Sachverhalt (un fatto cosi bene circostanziato) zu erfinden" zitiert Weinrich aus II Bugiardo 11,2. Die Geschichte der Herodotphilologie liefert manche Illustration für die Wirksamkeit dieser Methode. Immer wieder ist die Detailliertheit von Angaben Herodots als Beweis für seine Wahrheitsliebe genommen worden (notiert habe ich mir nur Sourdille 177f., Herminghausen 57f., M. Kaiser Anm. 49).

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2,18 Kommentierung der Glaubwürdigkeit

2,18 Wahrheitsbeteuerung und Kommentierung der Glaubwürdigkeit. Aus der kurzen Skizze des vorigen Abschnitts geht hervor, daß man vor dem Gedanken, daß Herodot selbsterfundene Geschichten einer Scheinkritik unterwirft, nicht zu erschrecken braucht. Es würde auch nichts helfen, denn eine Reihe von Beispielen ist über jeden Zweifel hinaus nachzuweisen1. Gewiß, ein Historiker, der das Ergebnis seiner Forschung wissenschaftlich darstellt, könnte das nicht tun. Aber Herodot ist eben ein Erzähler, der sein Metier beherrscht, und wenn überhaupt ein Historiker, dann ein solcher, dessen Darstellungsform Dichtung ist. (1) Die Wahrheitsbeteuerung findet sich wohl nur einmal, nämlich jenes berühmte ελέχθησαν μέυ ώυ 3,80,1, dem Inhalt nach wiederholt 6,43,3, mit dem die Debatte der Sieben über die beste Regierungsform beglaubigt wird. Die engen Beziehungen dieser Passage zu griechischem Denken sind anerkannt. Dennoch haben manche geglaubt, sich über die Beteuerung nicht hinwegsetzen zu dürfen, und einen Kern echter persischer Überlieferung postuliert. Das gipfelte in dem m. E. völlig verfehlten und gescheiterten Versuch, Berührungen mit den beiden großen Darius-Inschriften nachzuweisen. Darius rühmt sich als guten Herrscher; das ist eine alte orientalische Tradition. Wollte man jede entsprechende Äußerung in eine Stellungnahme für die Monarchie umdeuten, würde es von Verfassungsdebatten wimmeln2. (2) Die häufigste Form ist die Versicherung des Autors, daß er selbst das Erzählte nicht glaube. Sie ist durchweg salvatorisch wie die Beglaubigung selbst und das relata refero (§ 2,7). In folgenden Fällen halte ich den bezweifelten Bericht für fiktiv: 2,73,3 bezweifelt Herodot den Bericht der Heliopoliten über den Phönix, vgl. o. § 2,6 (3). — 2,121, ε 1 erklärt er, nicht zu glauben, daß sich die Königstochter prostituierte, u. §3,10(1). — 4,5,1: Der Gottheiten einbeziehende Teil der skythischen Ur-Genealogie wird bezweifelt, o. § 1,9. — 4,25,1: Die Kahlköpfigen berichten von Wundervölkern jenseits ihres Gebietes. — 4,105,2: Die Neurer verwandeln sich in Wölfe. Die Beglaubigung ist durch doppeltes Zitat und den Eid der Zitierten verstärkt (§ 2,13). — 5,86,3: Ein Götterbild fällt auf die Knie, o. §§ 2,9 und 2,11. 8,120: Xerxes hat in Abdera zum ersten Mal den Gürtel abgelegt, o. §2,2(1). 1

2

Folgende hebe ich besonders hervor. Unter (1): 3,80,1. Unter (2): 2,73,3. Unter (3): 2,120,1. Unter (4): 2,56; 7,129,4; 2,130—1. Unter (5): 1,2,1. Ich brauche auf die sehr ausgedehnte Literatur nicht näher einzugehen; am weitgehendsten Authentizität vermutet Struve (referiert Apffel 19—22) ; freie Erfindung Schwabl 264. Sonst kann ich auf die gründliche Arbeit von Apffel (1957) verweisen. Text und englische Übersetzung der Inschriften bei Kern.

2,18 Kommentierung der Glaubwürdigkeit

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Eine eigene Kategorie ist Unglaube wegen Parteilichkeit einer Geschichte: 2,2,5 (verleumderische Version der Griechen über das Experiment des Psammetich, o. § 2,8); 45,2 — 3 (Herakles besiegt alle Ägypter, o. § 2,8),; 3,2,2 (Kambyses kann nicht Sohn der Ägypterin sein. Der Zweifel c. 3,1 ist notwendige Folge); 16,7 (der Leichnam des Amasis). Daß auch hier literarische Haltung vorliegt, laßt sich nicht speziell beweisen. Doch würde es zu Herodots Art, die Parteistandpunkte zu berücksichtigen, sehr gut passen, und die ersten beiden Stellen können m. E. kaum aus den Deutungen o. §§ 2,8—9 herausgenommen werden. Vgl. 6,14,1. Andere Versicherungen des Unglaubens: 1,75,3 (Thaies kann als typische Person verwendet sein); 182,1 (Herodot glaubt nicht, daß der Gott zu der für ihn bestimmten Frau kommt. Das Zitat der Chaldäer ist natürlich Fiktion, auch wenn an der Nachricht etwas sein sollte). Es gibt jedoch eine Stelle, wo die Echtheit der Nachricht mit ungewöhnlicher Sicherheit feststeht: die Mitteilung der AfrikaUmsegler, 4,42,4, daß sie im Süden die Sonne zur Rechten hatten. Nicht wesentlich verschieden sind Fälle, wo der Zweifel in gemilderter Form ausgedrückt wird: 2,123,1 (Wölfe treten bei einem Fest auf); 125,7 (Verbrauch von Zwiebeln usw. beim Pyramidenbau); 8,8,2 (Ein Froschmann legt 80 Stadien unter dem Meer zurück). — Vgl. θώμα μέγα 3,12,1, o. § 1,5. Kritik an griechischen Vorstellungen gehört dagegen nicht hierher: 3,115,1 (Eridanos und Zinninseln); 116,2 (die Einäugigen); vgl. 4,32 (Hyperboreer). (3) Ebenso kommt das Gegenteil, die ausdrückliche Zustimmung, bei fiktiven Berichten vor: 7,167,1 (οΐκότι χρεωμένων, seil, λόγω; zur Passage s. o. § 1,1). Besonders bei pragmatisierten Erzählungen: 2,120,1 (Zustimmung zu der angeblich ägyptischen Erzählung über Helena, o. § 1,13); 4,11,1 (die pragmatische Version der skythischen Urgeschichte). Vgl. o. §§ 2,15 u. 2,11 Ende. (4) Unter den ausführlicheren kommentierenden Erörterungen sind die Fälle am interessantesten, wo passend erfundene (d. h. durch .Mythifizierung', o. S. 51, entstandene) Berichte rationalisierend gedeutet werden. Man hat hier ζ. T. erhebliche Hemmungen, an soviel Raffinesse zu glauben; jedoch ist die Erfindung an jeder einzelnen Stelle (außer der ersten) gut, ζ. T. hervorragend, nachgewiesen, und die Wiederholung des Phänomens schließt vollends jeden Irrtum aus. Ich brauche hier nur die Stellen aufzuzählen und auf die früheren Nachweise zu verweisen. Vgl. a. o. § 2,11. 2,112,2: Tempel der „Fremden Aphrodite" auf Helena gedeutet, o. S. 50 u. u. § 2,23. — 2,56 sq. (Dodona und Theben, § 1,14) wird eine Diskrepanz durch Rationalisierung ausgeglichen. — 7, 129,4: Dasselbe Verhältnis besteht zwischen der Erzählung der Thessalier und einer Vermutung Herodots,

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2,19 Vergebliche Erkundung

§ 1,6. — 2,28,5, § 2,2 (1), wird die unglaubhafte Erzählung über Psammetichs vergeblichen Versuch, die Tiefe des Nils auszuloten, rationalisierend gedeutet. — Zu den armlosen Statuen 2,130—1, der daran geknüpften Erzählung und Herodots Kritik daran vgl. § 2,20 (1). Ich vermute, daß 4,31 (mit c. 7,3) ebenso zu beurteilen ist. Die Skythen sagen, daß weiter im Norden die Luft voller Federn sei; Herodot deutet das auf Schnee, unbestreitbar richtig, was, wie immer, schon verdächtig ist. Die ,Mythifizierung' entlarvt sich dadurch, daß sie nicht ganz richtig überlegt ist: Von Federn im fernen Norden zu fabeln, wäre Sache eines südlichen Volks, das den Schnee nicht kennt, nicht aber der Bewohner des Nordens selbst3. Ist das richtig, so wird die Zwillingsstelle 5,10 nachgezogen: Die Thraker sagen, daß der Norden von Bienen bewohnt sei. Hier folgt nicht Rationalisierung, sondern einfach zweifelnde Kritik: Das sei unwahrscheinlich, da Bienen kälteempfindlich sind. Auch hier ist offenbar an den Schnee gedacht, der sticht, weil er kalt ist. Der Hörer kann das assoziieren und darin einen Beweis der Glaubwürdigkeit sehen (§ 2,17 Ende). Diese Vermutungen mögen sehr gewagt klingen. Hat man aber die vorher besprochenen Fälle als nachgewiesen akzeptiert, ist schwer zu sehen, wo man Halt machen könnte. Der Zwillingscharakter der beiden Stellen ist schwer abzustreiten. Er macht aus einer Unwahrscheinlichkeit zwei und macht es schwer, die Beziehung von 5,10 auf den Schnee zu leugnen, was die unbedingte Voraussetzung für eine Bestreitung unserer Deutung wäre. (5) An anderen Stellen handelt es sich nicht um Rationalisierung. 1,70,3 (der von den Samiern geraubte Krater, § 2,9) werden die durch den Parteistandpunkt bedingten Versionen in naheliegender Weise ausgeglichen. — 2,45,2—3 ; 3,2,2: s. oben Nr. (2), zweiter Absatz. — 5,9,3 überlegt Herodot zweifelnd, ob die Sigynner wirklich von den Medern abstammen können, §§ 1,7 und 2,20 (1). Auch das εΐησαν δ ' α ν ούτοι Κρήτες (1,2,1, O.S. 42) ist eine an einen fiktiven Bericht angehängte Vermutung. 2,19 Vergebliche Erkundung, Eingeständnis des Nichtwissens. Nichts ist dem vertrauensvollen Leser unverdächtiger als das Eingeständnis des Autors, daß er etwas nicht wisse, „weil von keinen Menschen etwas darüber berichtet wird". Ja, man könnte darin einen Beweis gegen die Annahme fiktiver Quellenangaben sehen. Denn wer seine Quellen erfindet, braucht nicht an anderen Stellen sein Nichtwissen 3

Die von Alföldi, Gnomon 9, 1933, 566 angeführten Parallelen aus fernöstlichen Quellen scheinen mir nicht eng genug, u m meine Schlußfolgerungen zu erschüttern. Bolton 101 schließt von ihnen auf Aristeas.

2,19 Vergebliche Erkundung

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einzugestehen. Doch wir haben längst gelernt, daß man mit solchen Überlegungen hineinfallen kann, und so gibt sich auch dieses Motiv als literarische Technik dadurch zu erkennen, daß wie bei den Quellenangaben Regeln befolgt werden und durchsichtige Gründe festzustellen sind. Es gibt hauptsächlich drei Gruppen: 1. Vergebliche Erkundung wegen Wahrung der Glaubwürdigkeit, 2. bei gleichgültigen Alternativen, 3. aus Gründen der Ökonomie der Erzählung. Die Stellen der ersten Gruppe wurden schon o. § 2,6 (3) genannt und gezeigt, warum sie als fiktiv aufzufassen sind. Vielleicht rechnet noch 2,126,1 dazu (die Ägypter sagen nicht, wieviel Geld die sich prostituierende Königstochter nahm; die märchenhafte Erzählung blieb besser ohne dies nüchterne Detail1). Die zweite Gruppe ist an sich völlig unverdächtig. Nur weil wir generell schon an die Fiktivität der Quellenangaben glauben, deuten wir auch sie als Technik, und zwar ohne Unwahrscheinlichkeit. Ich nenne nur ein Beispiel aus einer schon besprochenen Passage (§1,2): 2,103,2 erklärt Herodot, nicht zu wissen, ob die Vorfahren der Kolcher von Sesostris dort zurückgelassen oder aus eigenem Antrieb dageblieben sind. Ein Pendant dazu ist die o. § 2,10 (3) belegte Form, vgl. besonders zu 3,45,1. Besonders interessant ist die dritte Gruppe. Ganz offensichtlich tritt das Motiv öfter da auf, wo es dem Erzähler erspart, lästige, für die Erzählung unwichtige Details auszuführen. 1,47,2 weiß Herodot nicht, was sechs von den sieben Orakeln geantwortet haben, zu denen Krösus geschickt hat. Es kommt hier nur auf das siebente an. Zwei Kapitel weiter heißt es, daß Krösus außer der Antwort Delphis noch die des Amphiaraos in Theben zutreffend fand; was das Orakel geantwortet hat, ist trotzdem nicht bekannt. Anscheinend wollte Herodot dem Amphiaraos wohl, sparte sich aber die Erfindung des Details, die nach den Umständen (man lese nach) sehr schwierig wäre. Von der Quelle der märchenhaften Erzählung her ist das nicht zu verstehen, es sei denn unter demselben Gesichtspunkt. — Ebenso werden 3,121,1 unnötige Einzelheiten ausgespart. — So wird auch 7,60,1 der Verzicht darauf, Zahlen für die einzelnen Kontingente des Perserheeres anzugeben, den gleichen Grund haben. Das wäre bei der Riesenzahl der Kontingente einfach zu langweilig gewesen. Sonst weiß Herodot immer alle Zahlen, die er braucht 2 . — 8,128,1: „Timoxeinos übte Verrat. Wie er es am Anfang machte, weiß ich nicht, denn es wird nicht berichtet, am Ende aber machte er folgendes . . .". Herodot 1

2

Nicht ganz unmöglich wäre auch eine Deutung nach o. § 2,3: Da die Geschichte keine wahre Überlieferung ist, konnten die Erzähler keine Zahl angeben. Auch bei den Schiffen hat Herodot nur die Gesamtzahl gehabt und nach Gutdünken auf die Kontingente verteilt, s. u. S. 165 Anm. 2.

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2,20 Beweisstücke

empfand es als Lücke, daß er die erste Kontaktaufnahme überging, ersparte sich aber die Ausführung, weil er kein passendes Motiv hatte. — Wegen der folgenden Vermutung anders 8,133. Folgende Stellen passen nicht in diese Gruppen. 2,19: Herodot hat nichts über die Ursachen der Nilschwelle erfahren können. Er möchte c. 24—6 eine eigene Theorie vortragen. — 2,43,1: An dieser Stelle ist die Vergeblichkeit der Erkundung für Herodot eine notwendige Bestätigung einer eigenen Theorie, nämlich der über den ägyptischen Herakles: Er sagt, über Herakles, den Sohn der Alkmene, habe er in Ägypten nichts in Erfahrung bringen können. Natürlich ist das wahr, aber wenn es ihm gepaßt hätte, hätte er genau so gut über Herakles etwas ,erfahren' wie über Helena, Perseus und andere. Diese Stelle ist nicht vereinbar mit der Theorie griechischer Gesprächspartner in Ägypten. Eine ähnliche Form, die nur als zweckmäßige Floskel zu betrachten ist, ist: „Von den anderen kann ich nichts sagen, aber von X wird folgendes erzählt . . .". Sie findet sich u. a. 8,87,1 (Artemisia bei Salamis) und 9,81,2 (Ehrengaben für Pausanias). Verwandt kann auch das erklärte Verschweigen sein, ζ. B. wenn Herodot 7,224,1 erklärt, er wisse die Namen aller Dreihundert, die bei den Thermopylen fielen. Ich glaube, daß es törichte Romantik ist, zu denken, Herodot hätte es weniger langweilig gefunden als wir an seiner Stelle, dreihundert Namen zu memorieren. Der Satz ist nur eine Huldigung, die besagt, daß sie dessen wert wären3. 2,20 Beweisstücke. Unter dieser von Aly gebrauchten Bezeichnung fasse ich alle Fälle zusammen, wo physische Gegenstände oder gegenwärtige Tatsachen, oft mit der Versicherung, sie seien νΰυ ετι oder ες έμέ vorhanden, als Bestätigung der Erzählung angeführt werden1. Nicht wenige von diesen Beweisstücken haben schon immer Verdacht erregt, aber der sprichwörtliche philologische Scharfsinn ist um Mittel und Wege nie verlegen, und man hat noch immer mindestens Herodots Gutgläubigkeit retten zu können geglaubt. Verständlicherweise hat man manchmal geglaubt, gerade in den erwähnten materiellen Gegenständen einen festen Anhaltspunkt zu besitzen, um den Ursprung einer Erzählung zu ermitteln. Die besonders von Spiegelberg2 vertretene, a priori plausible, Theorie von der Denkmalsnovelle hat 3

Trotzdem wird meist daran geglaubt: Macan ζ. St.; How-Wells ζ. St.; Hignett 148 3 (mündlich aufgenommen!). Vgl. jedoch zu Beloch u. S. 195 Anm. 5. Wegen Paus. 3,14,1 s. u. § 2,30 (10).

1

Das meiste Material bei v. Gutschmid 147—57. 21—7.

2

2,20 Beweisstücke

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großen Anklang gefunden. Ich begnüge mich hier, die Fälle fiktiver Beweisstücke, auf die wir im ersten Kapitel nebenbei gestoßen sind, zusammenzustellen und einige besonders offenkundige Ergänzungen anzuführen. Übrigens ist gerade für die hier behandelten Erscheinungen ein unübersehbares Material an Parallelen bei anderen Autoren vorhanden, s. u. § 2,30 (9—11). — S. den Nachtrag. Als fiktiv wurden nachgewiesen: das Bronzebild von dem Menschen auf dem Delphin 1,24,8 (§ 1,3), die Schlangenskelette 2,75,1 (§ 1,4), die Schädelhaufen 3,12,1 u. 4 (§ 1,5), der Tempel der „Fremden Aphrodite" 2,112 und das Sklavenasyl 113,2 (§1,13) und die 345 Statuen 2,143 (§ 1,16). Die Steine in Delphi 8,39,2 werden wohl mitgezogen (o. S. 14). Auch die o. § 1,10 aufgeführten, nur in der Phantasie des Autors existierenden Kultbräuche sind Beweisstücke. Vgl. o. S. 82 Anm. 5 (Phyle Asias). Ich füge noch drei neue Beispiele hinzu. 2,130—1 wird von zwanzig hölzernen Statuen nackter Mädchen ohne Hände berichtet. Nach einer Version sind es Dienerinnen, denen zur Strafe die Hände abgeschlagen worden waren. Herodot sah aber, daß die Hände nur abgefallen waren. Die Beschreibung ist verdächtig, weil die Ägypter keine nackten Statuen kannten und weil es wenig realistisch klingt, daß zwanzig Statuen gleichmäßig die Hände verloren haben sollen. Zur Kritik an erfundenem Bericht s. o. § 2,18 (4—5). Da die Erfindung ausgezeichnet ins Gesamtbild paßt, ist es überflüssig, nach Ausflüchten zu suchen3. Ein sicher fiktives Beweisstück ist das riesige Bronzegefäß 4,81, zu dem jeder Skythe eine Pfeilspitze beigetragen hat und das Herodot selbst gesehen haben will. Das wird widerlegt durch den Salzwasserbach, der dort sein soll und Phantasie sein muß 4 . 4,124,1 ist klar, daß weder Darius noch Herodot am Oaros war, wo sich Reste von acht Kastellen des Darius befinden sollten. Es ist natürlich und gehört zur Topik, daß am entferntesten Punkt ein Beweisstück gegeben wird6. Und wo dieser Punkt lag, das bestimmte hier, wie wir u. § 3,6 (1) sehen werden, nicht der Gang der Geschichte, sondern die geographische Darstellung Herodots 6 . 3

Wiedemann ζ. St. (dem How-Wells folgen; Sourdille 60f. nichts), der an die Möglichkeit einer erfundenen Beobachtung nicht dachte, nimmt betreffs der Nacktheit einen Beobachtungsfehler an, was nach unseren Erfahrungen mit solchen Aushilfen wenig glaubwürdig ist. Für das Abfallen der Hände zitiert er Holzstatuetten mit angestückten Armen; bei Herodot sind es aber große Statuen (έστδσι. . . κολοσσοί) und χεϊρε; doch wohl nur die Hände; jedenfalls habe ich von Armabhacken als Strafe noch nie etwas gehört. 4 Vgl. u. S. 142 Anm. 4. 6 Vgl. Norden 183 f. • Legrand, guerre scythique 222 f. und Hérodote 4,27—9 glaubt umgekehrt, das Vorhandensein der Überbleibsel, die Herodots Informanten auf Darius deuteten, 7 Fehling, Herodot

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2,21 Ähnlichkeit als Beweisstück

In den beiden nächsten Abschnitten wird noch für zwei spezielle Formen von Beweisstücken eine Serie von Nachweisen gegeben. Insgesamt ist das bereits eine so stattliche Anzahl von Stellen, daß man die Fiktion nicht als seltene Ausnahme betrachten darf, sondern immer mit ihr rechnen muß, wenn nicht spezifische Beweise für die Echtheit vorhanden sind. Andererseits reichen die Belege nicht zu einer allgemeinen Aussage aus. Ob die Fiktivität Regel ist oder ob etwa gewisse Kategorien, ζ. B. Weihgaben in griechischen Tempeln, doch Vertrauen verdienen, bedarf weiterer Untersuchung. Bei ihnen erhebt sich nämlich der schwerwiegende Einwand, daß die Angaben leicht nachgeprüft werden konnten. Doch wird die Frage nicht durch eine allgemeine Überlegung, sondern nur durch die Häufung von Nachweisen im Einzelfall sicher entschieden werden können 7 . Wagen möchte ich die Behauptung, daß die Formel ês έμέ immer Fiktion bedeutet. Da sie ja einen gewissen Hinweis auf die Vergänglichkeit der Dinge enthält, ist sie nicht ungeeignet, den Leser darauf vorzubereiten, daß er den betreffenden Gegenstand nicht mehr finden wird, sollte er so töricht sein, die Angabe nachprüfen zu wollen. 2,21 Ähnlichkeit als Beweisstück. Eine besondere Form des Beweisstücks ist die Behauptung, zwei Dinge, die im Zusammenhang stehen sollen, seien sich ähnlich. Solche Behauptungen werden ohne jeden Anhaltspunkt in der Wirklichkeit aus den Fingern gesogen. Herodots Behauptung über die Ähnlichkeit der Orakelpraxis in Theben und Dodona wurde durch ihr Zusammenpassen mit einer falschen Theorie, deren Anlaß sie nicht gewesen sein kann, durch den Widerspruch zu unserer Kenntnis ägyptischer Orakel und dadurch, daß Herodot nicht in Theben war, schon o. S. 54 als fiktiv entlarvt. — Zu 5,59 („den jonischen Buchstaben ähnlich") s. u. § 2,22 (2). Wir begründeten o. § 1,2, daß die seltsame Behauptung 2,104,2 von der Ähnlichkeit und dem negroiden Aussehen der Ägypter und der Kolcher nicht zu rechtfertigen ist. Wie aber ist sie zustande gekommen ? Hierfür bietet sich eine Erklärung aus jonischer Theorie an, wie wir es ähnlich schon mehrfach erlebt haben. Es ist kaum Zufall, daß Ägypter und Kolcher als Anwohner des südlichen und östlichen Grenzflusses in der Vorstellung der jonischen Geographie einen Wohnort besonderer Art innehaben. Sollte die merkwürdige Behauptung einfach habe die Darstellung bestimmt. Doch angesichts seiner eigenen einschneidenden Thesen über Erfindung in dieser Partie (u. § 3,6 (1) ; den Widerstand der Agathyrsen c. 125,4—5 deutet er ganz entsprechend) würde er das schwerlich aufrechterhalten haben, wenn er Fiktionen von Beweisstücken überhaupt für denkbar gehalten hätte. 7 Ein Argument zu 6,88 s. u. S. 132 Anm. 2.

2,21 Ähnlichkeit als Beweisstück

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eine Parallelschöpfung zu den östlichen und südlichen Äthiopiern sein und damit in das weite Feld der Identifizierung in Randgegenden gehören1 ? Die pragmatische Herleitung von einem Heereszug des Sesostris (immerhin mythische Zeit) hindert diese Deutung nicht. Solche Pragmatisierung ist typische Pseudohistorie, der Rationalisierung verwandt. — Akzeptiert man diese Deutung, so zieht das die Stelle 5,9,3 nach sich, wonach die Sigynner nördlich der Donau (dem nördlichen Gegenstück des Nil) Abkömmlinge der Meder sein sollen. Auch hier sind zwei entfernte Völker aus verschiedener Himmelsrichtung identifiziert. Die Donau entspricht Nil und Phasis im Norden; zur Wahl der Meder ist vielleicht nicht mehr zu sagen, als daß die Kolcher durch die andere Stelle besetzt sind. Da es keinen medischen Sesostris gibt, sagt Herodot, er wisse nicht, wie das gekommen sei, aber „in so langer Zeit kann alles geschehen".S. den Nachtrag zu S. 97. 2,105 heißt es dann noch pauschal, „die ganze Lebensweise und die Sprache" der Kolcher und Ägypter sei ähnlich. Nach dem Vorhergehenden ist klar, daß auch diese Behauptung nur sekundäre Folge der falschen Theorie ist. Daß sie völlig falsch ist, kann hinsichtlich der Sprache glücklicherweise mit unseren Kenntnissen mit aller Sicherheit gesagt werden, und es besteht kein Grund, hinsichtlich der Lebensweise etwas anderes anzunehmen. Die Ähnlichkeit der Sprache wird auch an anderen Stellen als Beweisstück gebraucht. 2,42,4: Die Sprache der Ammonier steht zwischen der der Ägypter und der der Äthiopier, ihrer Stammvölker. Nach dem, was o. § 2,6 (2—3), besonders zu 3,19,1, gesagt worden ist, ist klar, daß Herodot über die Sprache der Äthiopier und der Ammonier nichts wußte, nichts zu wissen glaubte, ja kaum glauben konnte, daß ihm jemand darüber Auskunft geben konnte. — 4,117: Die Sarmaten reden ein verdorbenes Skythisch. Das ist genau auf den Inhalt abgestimmt 2 . — Belege außerhalb Herodots (Xanthos, Euhemeros, Tacitus) s. u. § 2,30 (9). 1

Vgl. das Sachregister unter .Austausch'. — Vielleicht muß, so wenig man es erwartet, κελατνώπεσσι Κόλχοισιυ P. Pyth. 4,212 als Beweis genommen werden, daß Herodot einen Vorläufer (aber nur so wie o. § 1,13) hatte (Pindarkommentare sagen nichts). 2 Verwandt sind die Sprachen tatsächlich, wenn man das Sarmatische zu Recht iranisch deutet, Vasmer 241—6. — Die ganze Partie 4,110—7 ist reine griechische Konstruktion. Die Amazonensage ist stets ein Lieblingsthema der Pseudo-Historie gewesen. Die Notiz c. 117 über die kriegerischen Gewohnheiten der sarmatischen Frauen ist eher Folge als Ursache der Erzählung, also auch Beweisstück. Die gewöhnliche Meinung (How-Wells zu c. 110,1; Rostovzeff 33f.; Legrand 4,36 3 ; Bolton 61) ist anders. Rostovzeff sagt, die Griechen hätten die Amazonen stets da angesiedelt, wo sie Matriarchat fanden, v. Fritz, Anm.-Bd. 97' s , meint sogar (und schreibt es irrtümlich Rostovzeff zu), die Amazonensage sei einheimische Tradition. Das ist nicht vereinbar damit, daß die Sage verschieden lokalisiert wurde, u. a. in Libyen. Im Gegensatz zu den anderen sagt Rice 60, daß die Funde gegen Matriarchat sprechen, und führt die diesbezüglichen Nachrichten auf die Amazonensage zurück. 7»

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2,22 Inschriften

2,22 Denkmäler mit Inschriften. Diese Kategorie von Beweisstücken ist offensichtlich besonders häufig fiktiv. Jacoby 1 hat gesehen, daß die Tradition der Pseudohistorie, „sich auf scheinbar ganz authentische, aber für niemanden nachprüfbare Dokumente zu berufen", in historischem Zusammenhang mit Herodot steht. Er hat aber den letzten Schritt nicht getan, Herodot im Sinne dieser Tradition zu interpretieren, sondern glaubt, daß diese nur eine Entartung der „ernsthaften Berufung auf mündliche oder schriftliche Tradition" sei. Das ist aber eine willkürliche Verschiedenheit der Bewertung, die nur zulässig wäre, wenn sie begründbar wäre, d. h. wenn Herodots Angaben ganz unverkennbar den Stempel der Wahrheit an sich trügen. Das wird indes niemand behaupten wollen. (1) Die fremdsprachlichen Inschriften2. Zunächst sind die Lesungen stets Phantasieprodukte (2,106,4; 125,6; 136,4; 141,6; 3,88,3; 4,91; nur 4,87,1 ist die Angabe nicht von vornherein unmöglich)3. Hieran pflegt sich niemand zu stören, weil man immer annehmen kann, daß man dem Fragenden etwas vorgeflunkert hat. Und doch ist diese Erklärung, da nicht eine Ausnahme, sondern eine Regel zu erklären ist, völlig unglaubwürdig. Soll Herodot wirklich nie mißtrauisch geworden sein und bei jemand anders nachgefragt haben, der ihn über die Lügenhaftigkeit der ersten Auskunft aufklärte? Fehlte es ihm so vollständig an Lebenserfahrung und Menschenkenntnis ? Es gibt aber keinen Fall, daß Herodot so etwas berichtet oder sagt, er wisse nicht, was auf einer Inschrift stand. Wir sind aber auf diese Überlegung nicht angewiesen, denn in mindestens drei der Fälle gibt es spezielle Argumente. 2,106 erwähnt Herodot zwei Felsbilder in Kleinasien, die noch heute vorhanden sind. Aber seine Angaben darüber sind offenbar in mehreren Punkten falsch4. Insbesondere behauptet er zu Unrecht, daß die In1 2

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4

Ktesias 2048. Eine Übersicht über sämtliche Inschriften enthält der Aufsatz von Volkmann. Zweifel sind ihm indessen fremd, und so gibt er wenig für unser Thema aus. In zwei Fällen hat man authentische Floskeln erkannt: 1,187,2 (Inschrift am Grab der Nitokris; oben ausgelassen, weil Bestandteil der Erzählung, nicht Beweisstück) „Wenn einer von den zukünftigen Königen . . . " (Lehmann-Haupt, Klio 1, 1900, S. 258s) sowie 4,91,2 die Titulatur (nur ungefähr und nicht am Anfang, wie üblich, Friedrich, Glaubwürdigkeit 108). Orientalische Quelle beweist das nicht; das Unübliche im zweiten Fall zeigt sogar positiv, daß Herodot die Floskel kannte und frei verwendete. Wiedemann 415; Legrand 2,56 mit Anm. 8; Friedrich, Felsrelief; Volkmann 44 mit Anm. 10; Bittel 185—90. Ich unterstelle, daß beide gefundenen Reliefs identisch mit den von Herodot genannten sind, gehe aber auf die verschiedenen zweifelhaften Punkte nicht ein.

2,22 Inschriften

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schrift von Schulter zu Schulter laufe 5 . Auch daß Herodot von ägyptischen Hieroglyphen spricht, kann man nicht ohne weiteres als Verwechslung erklären. Denn ägyptische Hieroglyphen sind, wenn man sie nur ein paar Mal gesehen hat, absolut unverwechselbar6. Und hier kommt ja noch die ebenso falsche, dazu passende Behauptung hinzu, der Dargestellte trage eine ägyptische und äthiopische Ausrüstung. Man braucht sich nicht den Kopf zu zerbrechen, woran bei letzterer zu denken sei, denn auch Herodot hat es nicht getan, sondern alles so angegeben, wie es zu Sesostris paßte, der μοϋυος Αιγύπτιος ΑΙΘιοττίης ήρξε c. 110, 1. Herodot ist an dem abgelegenen Ort sicher nie gewesen ; was sollte er dort 7 ? — Wegen der Ausrüstung s. den Nachtrag zu S. 97. Auch der Inhalt der Inschrift ist insofern auf Herodots Theorie abgestimmt, als er den Dargestellten als Eroberer ausweist. Jedoch kann man sich nicht genug darüber wundern, daß der Name nicht genannt wird. Eine Königsinschrift ohne Namen ist eine Absurdität, und für eine fiktive Inschrift sollte das nicht weniger gelten als für eine echte. Man wird schwerlich eine Parallele finden. Diodor, der 1,55,7 einen neuen Text erschwindelt, liest prompt auch den Namen. Man kann sich kaum den Einheimischen vorstellen, der Herodot eine so unvollständige Phantasie angeboten hätte. Noch schlimmer: Herodot sagt, daß andere die Inschrift auf Memnon deuteten (c. 106,5). Auch diese andern haben also keinen Namen gelesen (Herodot scheint zu meinen, daß sie überhaupt denselben Text lasen). Damit potenziert sich die Schwierigkeit ; wir haben eine neue rätselhafte Variante des unerklärlichen Ineinanderpassens vor uns. Soll man da auf die alte Theorie von den schriftlichen Quellen zurückgreifen und annehmen, daß alles aus einer Quelle stammt, die den Dargestellten für Memnon hielt? Man könnte sich darauf berufen, daß Memnon in der Pseudohistorie auch sonst, u. a. bei Ktesias, eine Rolle spielt. Aber auch für diese Quelle bleibt der fehlende Name ein Rätsel. In Wahrheit führt eben die Verdopplung des Problems auf seine Lösung: Herodot hat die Deutung auf Memnon für eine theoretische Alternative angesehen und dies, wie an anderen Stellen, in Form der fingierten Aussage anderer ausgedrückt, vgl. § 2,10 zu 3,45,1. Daß er, um beide Deutungen anbringen zu können, keinen Namen in der Inschrift gebrauchen konnte, ist wahrscheinlich die einzige denkbare Erklärung für dessen Fehlen. 2,141,6 beglaubigt Herodot die Geschichte, daß Mäuse dem König Sethon die Schlacht gewinnen halfen, durch eine Statue des Königs s

Die mehrfach geäußerte Annahme, die Inschriften seien inzwischen verwittert, ist abwegig, da doch an anderer Stelle (zwischen Kopf und Stab) Inschriften da sind (Bittel 185 hat Reste auch bei Bild Β festgestellt und betont, daß die Stelle die übliche ist). • Ich lasse hier die u. § 5,1 Ende zu äußernden Zweifel außer Acht. 7 Diese Meinung vertritt energisch auch Bittel 189 f. mit einem Zitat von Ramsay.

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2,22 Inschriften

mit einer Maus in der Hand und einer Inschrift. Die Existenz einer solchen Statue, für die es keine Parallelen gibt8, ist von vornherein nur mit dem Argument des γένοιτο αν παν zu rechtfertigen. Unter diesen Umständen ist es ein tödliches Argument gegen ihre Echtheit, daß es zu der Geschichte griechische Parallelen gibt9, die Geschichte also nicht zur Erklärung der Statue geschaffen sein kann10. Denn nach aller Erfahrung müssen griechische Parallelen bei Herodot als Anzeichen für griechische Quellen genommen werden. Wieder einmal hat das Glückskind Herodot zufällig gefunden, was er auf Grund falscher Annahmen suchte. Auch 3,88,3 ist der Bildtypus verdächtig 11 und das Verhältnis der Erzählung (das Pferd des Darius) zu dem Bild und der Phantasieinschrift ein wenig problematisch12. An den vier anderen Stellen (2,125,6 Verbrauch von Rettich, Zwiebeln und Knoblauch beim Pyramidenbau; 136,3—4 zur Ziegelpyramide; 4,87,1 Heereskatalog griechisch und in Keilschrift 13 ; 91 Stele am Tearos) habe ich keine spezifischen Argumente, doch ist u. a. an der ersten Stelle die Beglaubigungs-Topik durchsichtig. (2) Von den griechischen Beispielen bespreche ich nur 5,59—61. Herodot will in Theben drei hexametrische Inschriften in ,kadmeischer 8

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Daß die Spitzmaus dem Horus heilig war (Wiedemann 504), genügt nicht. Sourdille 190 erklärt die Angabe lakonisch für einen Irrtum. Strabo 13,1,48; Ael. h. anim. 12,5; Polemo 31 M.; Eust. zu II. I 39 (vgl. Wiedemann a. O.). Daß die späten Stellen auf Herodot zurückgehen, ist diesmal unwahrscheinlich. — I I . reg. 19,35 sq. und Isai. 37,36 sq. haben vielleicht gar keinen Zusammenhang mit Herodots Erzählung. Wiedemann 505 und How-Wells z. St. haben das gesehen und nehmen sekundäre Verbindung an. Dagegen glauben Aly 691; Spiegelberg 26; Legrand 2,46; Volkmann 48; v. Fritz 176f. an eine .Monumentnovelle'. D. h. es gibt keine achämenidischen Darstellungen reitender Könige, wenn auch gelegentlich assyrische. Friedrich, Glaubwürdigkeit 111, der dies mitteilt, hält bloßen Zufall der Uberlieferung für unwahrscheinlich. Es gibt eine seltsame Parallele, wo ein Bild ähnlicher Art mit einer sehr ähnlichen Inschrift ebenfalls literarisch erwähnt wird und zu den archäologischen Tatsachen nicht paßt: Sargon II. von Akkad (721—705) will aus Urartu ein Bild des Königs Rusa „mit zweien seiner Reitpferde (und) seinem Wagenlenker nebst ihrem Sockel ( ?), aus Erz gegossen" mit der Inschrift ,Mit meinen zwei Pferden und meinem einen Wagenlenker hat meine Hand das Königtum Urartu erobert' entführt haben (Friedrich, Glaubwürdigkeit 114 mit weiterer Literatur; dazu Volkmann 50). Ich wage kein Urteil. Meyer 4,1,26 hat seine Behauptung (ohne neues Material wiederholt von Friedrich, Glaubwürdigkeit 108, Volkmann 51 und anderen), diese Zweisprachigkeit sei persische Gepflogenheit, nicht genügend nachgewiesen. Die Verwendung der altehrwürdigen Hieroglyphen auf den Stelen des Darius in der Landenge von Suez hatte sicher Prestigegründe und ist nicht zu vergleichen mit einer griechischen Ubersetzung, die reines Kommunikationsmittel gewesen wäre, wozu die kaum noch verstandenen Hieroglyphen ungeeignet waren. — Wegen in der Gegend gefundener Reste vgl. Volkmann 50 („has been found" MacKendrick II 273a stark übertrieben).

2,22 Inschriften

103

Schrift' aus der Zeit des ödipus gelesen haben. Hier liegt der Fall so klar wie nirgends sonst: Es handelt sich um griechische Schrift („größtenteils den jonischen Buchstaben ähnlich"), die Herodot selbst lesen konnte; der phantasierende Führer entfällt also. Aber auch an gefälschte Inschriften kann man nicht glauben, es sei denn, sie wären in einer Phantasieschrift geschrieben. Früher mochte man sich vage irgendeine altertümliche Form des griechischen Alphabets vorstellen. Heute wissen wir jedoch mit Sicherheit, daß die griechische Schrift über das, was uns erhalten ist, hinaus keine lange unbekannte Vorgeschichte gehabt hat 14 . Die Mantiklos-Weihung aus dem frühen siebenten Jahrhundert 15 verkörpert etwa die älteste Form der Schrift, die Böotien seit der mykenischen Zeit gekannt hat. In keinem Punkt hat sie eine spezielle Ähnlichkeit mit jonischer Schrift 16 . Herodot konnte sie mühelos lesen. Vollends den öfter gemachten Versuch (s. übernächste Anm.), in krassem Widerspruch zu Herodots klaren Worten an Denkmäler in fremder Schrift zu denken, kann man nur als bizarr bezeichnen. Diese Überlegungen sind eindeutig. Und doch sind nicht sie das Hauptargument, sondern daß wir es wieder einmal mit dem Ineinanderpassen von Beweisstück und apriorischer falscher Theorie zu tun haben. Denn nicht die Inschriften haben die Ansicht hervorgerufen, daß in Theben Phönizier geherrscht hatten, sondern weil umgekehrt ein sagengeschichtlicher Zufall Kadmos zum Phönizier gemacht hatte, mußte Herodot die Inschriften in Theben finden. Denn Phönix, der Vater des Kadmos, ist erst sekundär wegen des gleichlautenden Namens als Eponym der Phönizier aufgefaßt worden17. Auf ein zweites Ineinanderpassen führt die behauptete Ähnlichkeit mit jonischer Schrift. Es wäre naiv, sie nicht im Zusammenhang mit 5,58,2 zu sehen, wo es heißt, daß die Jonier das Alphabet unmittelbar 14

Jeffery 12—21, basierend auf den beiden glänzenden Aufsätzen von Rhys Carpenter im Amer. Journ. Arch. 1933 und 1938. Herodot hätte auch die phönizische Stammform des griechischen Alphabets gut buchstabieren können. Gegenüber Carpenter (der auch sonst nicht nur Zustimmung erfahren hat) und Jeffery ist Guarducci 70—3 ein Rückschritt. Vage Wahrscheinlichkeits-Uberlegungen kommen gegen das Fehlen von Inschriften lange vor 700 nicht an. Und es geht nicht an, als entscheidenden Beleg eine Inschrift — die des Nestorbechers — zu verwenden, die günstigstenfalls einen paradoxen Befund liefert (Gefäß Mitte 8. Jh. ; der Schriftcharakter spricht für viel spätere Zeit; vgl. Carpenter, Amer. Journ. Phil. 84, 1963, S. 83—5. Metzger, Rev. Et. Anc. 67, 1965, S. 301—5, der Carpenters Argumentation falsch versteht und referiert, kommt dagegen nicht an. Mehr Äußerungen zu finden über Rev. Et. Gr. 80, 1967, S. 567). Sie fast in dieselbe Zeit zu datieren wie das Carpenter noch unbekannte Bruchstück Guarducci 225, Nr. 5 (vom selben Ort, mit dem zweiten Exemplar eines liegenden A, das wir kennen lernen), schreit gen Himmel. « Jeffery S. 94 Nr. 1.

16 17

Das kann man an Hand der Tafel Jeffery fin. mit einem Blick übersehen. Auf diesen wichtigen Umstand macht Guarducci 44f. aufmerksam. Vgl. o. S. 29 und 30 zu Medea und Perseus.

104

2,23 Unsichtbare Beweisstücke

von den Phöniziern übernahmen. Dies ist wohl einfach aus der Geographie plus der jonischen kulturellen Führungsrolle vermutet. War es so, dann mußte die jonische Schrift dem Ursprung am nächsten sein. Danach hat Herodot seine Behauptung eingerichtet; vgl. o. § 2,21. Daß er nicht ausdrücklich auf die Beziehung aufmerksam macht, ist nach § 2,23 zu erklären. Wäre umgekehrt die Hypothese aus der Beobachtung erschlossen, hätte Herodot das nicht zu verschweigen brauchen18. 2,23 Unsichtbare Beweisstücke. 0 . § 2,2 (4) wurde auf das Prinzip hingewiesen, daß die Beziehung zwischen Quellenangabe und Erzählung niemals ausdrücklich erwähnt wird. Dies kann man als eine Art latentes Beweisstück (in weitestem Sinn) auffassen, gewissermaßen eine Eingreifreserve der Glaubwürdigkeit; der etwa kritische Hörer kann die Beziehung entdecken und einen Beweis darin sehen. Das wird nirgends so deutlich wie an dem Beispiel von dem „Verwalter der heiligen Gegenstände der Athene in Sais" 2,28, o. § 2,2 (1), wo die gedankliche Verbindung zwischen Quelle und Bericht spezieller ist als sonst. Ein ähnlicher Fall auf anderem Gebiet liegt 5,10 vor, wenn unsere Erklärung o. § 2,18 (4) richtig ist. Hier wird dem Leser überlassen, eine Angabe durch Rationalisierung auf ihren wahren Kern zurückzuführen: Die angeblichen Bienen sind auf Schnee zu deuten. — Einen weiteren Fall fanden wir soeben § 2,22 Ende. — S. den Nachtrag. Bis hierher habe ich keine Zweifel. Weil es sich um Ergänzungen zu schon behandelten Stellen handelt, schließe ich noch eine Überlegung an, die ich selbst für gewagt halte und erst ernstlich glauben würde, wenn zwei bis drei weitere, überzeugende Belege gefunden würden. How-Wells bemerken zu 1,24,6 (im Zusammenhang der o. § 1,3 besprochenen Geschichte von Arion), daß aus Tarent und Korinth 18

Jüngst (1963) wurden in Theben über dreißig zylindrische Steine des 15.—13. Jhs. v. Chr. aus Mesopotamien mit Keilschrift-Inschriften gefunden. Trotz der völligen Unmöglichkeit, einen verständlichen Kausalnexus herzustellen, wurde das prompt mit Herodots Nachricht in Verbindung gebracht. Vgl. das Referat bei Guarducci 45f. (auch der vage Hinweis v. Fritz, Anm.-Bd. 212114: „durch die neuesten Funde . . . bestätigt" bezieht sich darauf). Obwohl sie selbst die sekundäre Verknüpfung von Kadmos mit Phönizien erläutert, weist sie den Gedanken an eine auf jene Zeit zurückgehende Tradition über Schrift in Theben nicht vollständig ab. Damit wird aber ein Tatbestand durch zwei voneinander unabhängige Kausalketten erklärt. Besonders sinnlos ist der Gedanke auch deshalb, weil jene Steine im Zeitalter der mykeni sehen Schrift keine Sensation waren. An letztere ist natürlich auch gedacht worden, und zwar von Persson, vgl. Volkmann 61. Es scheint ein Gesetz der Philologie zu sein, daß stets jeder mögliche Irrtum seinen Vertreter findet.

2,23 Unsichtbare Beweisstücke

105

Münzen bekannt sind, die das Bild eines Delphin-Reiters zeigen1. Es könne kaum Zufall sein, daß dies gerade die Orte sind, die in Herodots Geschichte vorkommen. Über die kausale Verbindung aber äußern sie keine Vermutung. Da in Tarent der Eponym Taras, in Korinth Melikertes dargestellt ist, können die Münzen nicht von der Lokalisierung der Arion-Geschichte abhängen. Also müssen (immer vorausgesetzt, daß nicht doch Zufall waltet) die Orte der Geschichte mit Rücksicht auf die Rolle des Delphins daselbst gewählt sein, d. h. Herodot (für eine Quelle gälte dasselbe) hat seinen Hörern nahegelegt, die sicher leidlich bekannten Fakten zu assoziieren und als Beweis zu nehmen. Man könnte auch meinen, daß er selbst sie als Grundlage einer ernsthaften Vermutung genommen hat; aber das ist wegen 2,28 (s. o.) nicht empfehlenswert, auch wenn man o. § 2,6 (1) nicht heranzieht. Der zweite Fall geht nicht ganz auf. Unserer Deutung des Tempels der „Fremden Aphrodite" (2,112) o. § 1,13 Ende als fiktives Beweisstück stand im Wege, daß laut Herodot ringsherum Phönizier wohnten, was so notwendig an Astarte denken läßt, daß man darin stets einen Beweis der Realität gesehen hat. Die Sache ist aber nicht so einfach. Herodot kannte Astarte schließlich auch (unnötig, auf 1,105,2 zu verweisen), und da die Erwähnung des phönizischen Quartiers nicht notwendig war (jedenfalls ist diese Art der Lokalangabe singulär), ist es eine skurrile Vorstellung, zu denken, er hätte den Satz niedergeschrieben, unschuldig und ohne Absicht, nur dem modernen Philologen ungewollt zu nutze, und hätte dabei an Helena gedacht, Astarte aber wäre ihm nicht eingefallen, nicht in diesem Augenblick und nicht in all den Jahren, seit er vor dem Tempel gestanden hatte! Der Schluß, daß der Leser an Astarte denken soll, um die Erzählung glaubwürdiger zu finden, wäre unvermeidlich, wenn hier nicht der anscheinend zwingende Einwand bestünde, daß zwar der Tempel glaubwürdiger, aber der Schluß auf Helena direkt widerlegt wird. Mir scheint in diesem Dilemma den Ausschlag zu geben, daß die o. § 1,13 zur Erzählung im ganzen angestellten Überlegungen dazu zwingen, auch den Tempel für fiktiv zu nehmen. Man muß also versuchen zu verstehen, welche Absicht Herodot geleitet hat. Ist die Bemerkung dazu bestimmt, ein Patt zwischen natürlicher und wunderbarer Deutung herzustellen ? Wurde ein Hörer hellhörig und fragte, so konnte Herodot erwidern, er habe sich auf die Auskunft der Ägypter, der Temenos gehöre Proteus, verlassen und leider versäumt, die Phönizier zu fragen 2 . *

1

2

Den dritten Beleg (spätere Münzen aus Methymna, die Arion darstellen) ziehe ich nicht heran, da die Abhängigkeit von der Geschichte klar ist. Vgl. o. § 1,11 den letzten Absatz.

106

2,24 Die restlichen Stellen

Wir haben die Theorie von der Fiktivität der Zitate zuerst an einzelnen Stellen bewiesen und dann gezeigt, daß sie auf einen beträchtlichen Teil aller Zitate anwendbar ist. Es ist nun an der Zeit, den Blick auf die Gesamtheit zu richten und zu fragen, ob bzw. wie weit unsere Theorie zu verallgemeinern ist. Zuerst muß dazu ein Überblick über alle Stellen gegeben werden. 2,24 Die restlichen Stellen. Regeln für die Setzung von Zitaten überhaupt. Die bereits betrachteten Stellen mit Völker- und Personenzitaten machen bereits über die Hälfte der Gesamtheit aus (über drei Fünftel, wenn man Zitate, nicht Stellen zählt). Es bleiben noch etwa sechzig Stellen übrig, fast alles kurze Notizen. Ich gebe eine Übersicht in Gruppen, die geeignet sind, Schlußfolgerungen über die Gründe, die für die Setzung von Zitaten überhaupt maßgeblich sind, vorzubereiten. Die schon behandelten Stellen gliedere ich jeweils am Ende mit ein. (1) Wiederum etwa drei Fünftel des Restes entfallen auf lokale Kulttatbestände, Kultaitia und Mythologika, zum Teil wunderbaren Charakters, ferner Mirakel und Vorzeichen, dazu ein Beispiel eines natürlichen, aber erstaunlichen Ereignisses. Das Zitat ist in allen diesen Fällen Beglaubigung, oft salvatorisch. Es handelt sich um folgende Stellen: 1,105,3 (die zyprische Aphrodite phönizisch) ; 174,5 (ein Orakel an die Knidier in der Erzählung) ; 181,5—182 (Chaldäer und Ägypter glauben, daß der Gott im Tempel mit einer menschlichen Frau verkehrt); 191,6 (Babylon so groß, daß man in der Stadtmitte nicht merkte, daß die Perser eingedrungen waren); 2,42,3 u. 47,2 u. 63,4 (ägyptische Kultaitia; an der ersten Stelle spielen erkennbar griechische Vorstellungen eine Rolle1) ; 43,4 u. 46,1 u. 50,2 u. 145,1—3 (ägyptische Angaben über die Götter, interpretado Graeca) ; 60,3 (700 000 Menschen kommen zum Götterfest, vgl. u. §4,2(5)); 63,3 (Herodots Vermutung, daß bei dem rituellen Kampf Menschen umkommen, bestritten); 73,1 (Phönix alle 500 Jahre); 74 (Schlangen im Tempel des Zeus in Theben); 79,3 (Linos = Mañeros Sohn des ersten Königs); 156,2 (schwimmende Insel, u. § 2,27 (3)) ; 3,16,3 die Perser und Ägypter über das Feuer) ; 28,2 (wie der Apis empfangen wird); 79,3 (Magophonia; kein eigentliches Zitat); 4,15,1 (Prokonnesos undMetapont zur Datierung des Aristeas, s. Nachtrag zu S. 71); 15,2—3 (Aristeas in Metapont); 33,1 (die Delier über die Hyperboreer) ; 6,52,1 u. 53,1 (Ursprung der Zweikönigsherrschaft in Sparta; Version der Spartaner im Gegensatz zu allen Dichtern); 74,2 1 2

How-Wells z. St. verweisen auf Porph., vita Pyth. (c. 17). Zugleich Gruppe 4, vgl. § 2,9 Ende.

2,24 Die restlichen Stellen

107

(Styx in Arkadien lokalisiert); 127,3 (Arkader nimmt die Dioskuren gastlich auf); 7,26,3 (Schlauch des Marsyas bei den Phrygern); 137,1 (Spartaner erzählen von später Rache der Götter wegen unterbliebener Sühne des Gesandtenmords) ; 189,3 (Boreas hilft den Athenern) ; 197 (dem Xerxes wird ein ετπχώριος λόγος von Athamas und Phrixos erzählt, vgl. u. § 3,4 (1)) ; 8,41,2 (Schlange bewacht Akropolis) ; 55 (Ölbaum der Athene sprießt nach dem Brand neu) ; 135 (Orakel in Theben antwortet karisch); 9,51,2 (die Einheimischen erklären die Flußinsel für die Tochter des Flusses. Typische mythistorische Konstruktion 3 ); 73,1 (nach den Athenern verrieten die Dekeleer oder Dekelos4, wo Helena versteckt worden war) ; 120,1 (Mirakel kündigt Ende des Frevlers an, Chersonnes). Von den früher besprochenen Stellen gehören die meisten in diese Gruppe: o. §§ 1,1; 3; 4; 10 (einiges kann zur nächsten Gruppe gerechnet werden); 2,6 (1); 13; fast alle Stellen von § 2,2 (1) und schließlich was u. §§ 2,27 (2) und 2,28 noch zu nennen ist. (2) Auch wo es sich um räumlich oder zeitlich weit Entlegenes handelt, dient das Zitat der notwendigen Beglaubigung. Alle Stellen wurden schon besprochen, weil hier immer deutlich erkennbare griechische Konstruktionen zugrunde hegen: o. §§1,2; 6—9; 11; 14; 15—6; 2,6 (2). Ausnahmsweise handelt es sich 3,12 (o. § 1,5) bei einer solchen Konstruktion nicht um etwas Entlegenes. (3) An ganz wenigen Stellen haben die lokalen Angaben nichts mit dem Kult zu tun und auch nichts Wunderbares an sich: 1,51,3 (Delpher geben Hersteller eines Mischkrugs an); 51,5 (Weihgabe des Krösus in Delphi soll dessen Bäckerin darstellen); 93,5 (See beim Grab des Alyattes nach den Lydern άένναος5) ; 4,90,1 (der Tearos von seinen Anwohnern als bester aller Flüsse und heilkräftig bezeichnet); 7,176,3 u. 201 (die Einheimischen nennen die Bäder an den Thermopylen Chytroi, letztere selbst Pylai). Vgl. 3,89,3 und 4,187,3 aus Gruppe 7. Von besprochenen Stellen kann man diejenigen von o. § 2,2 (2) hierher oder zur ersten Gruppe rechnen. (4) Eine ganz selbständige Gruppe sind die Stellen, an denen der Parteistandpunkt eine Rolle spielt: 3,16,5 (Leichnam des Amasis von den Ägyptern heimlich vertauscht; vgl. § 2,18 (2)); 4, 76,5 (die Skythen verleugnen den Anacharsis) ; 6,14,1 (wer von den Joniern feige oder tapfer war, weiß Herodot nicht ; sie beschuldigen sich gegenseitig) ; 7,148,2 (die Argiver rechtfertigen sich wegen ihres Beiseitestehens; Orakel und Streit um Oberbefehl, beides Gedanken, die Herodot geläufig sind) ; 165 (eine entsprechende Rechtfertigung der Sizilier) ; 8,84,2 (Athener und Ägineten nehmen für sich in Anspruch, die 3 4 6

Die nächsten Parallelen bei Herodot s. o. S. 34 mit Anm. 2. Zu dieser Variante vgl. o. § 2,10. Die Bedeutung des Epithetons bei einem See ist mir nicht klar.

108

2,24 Die restlichen Stellen

Schlacht bei Salamis begonnen zu haben); 94 (die Athener erzählen und die Korinther bestreiten, daß letztere geflüchtet und durch eine Wundererscheinung zurückgeholt worden seien6). Vgl. a. 2,63,3 aus Gruppe (1). Die schon besprochenen Stellen o. §§ 2,8—9. (5) Oben § 2,10 (2—3) wurden weitere Gründe genannt, wegen derer zwei Versionen angeführt werden können. (6) „Zerteilung" (o. § 2,12) ist der maßgebliche Grund für die Zitate an den o. § 2,2 (3) genannten Stellen. Die Stellen gehören ζ. T. gleichzeitig zur ersten Gruppe. (7) Eine kleine Gruppe von Stellen enthält Meinungsäußerungen: 1,133,2 (Bonmot der Perser über die Armut der Griechen); 3,89,3 (Diktum der Perser über Kyros, Darius, Xerxes); 4,79,3 (die Skythen kritisieren den griechischen Dionysoskult). Schon genannt wurde 4,187,3, o. § 2,2 (1). Zur ersten und dritten Stelle vgl. u. § 3,6 (3). (8) Für die restlichen acht Stellen will ich auf den Versuch einer Gliederung verzichten. 1,183,3: „Ich habe das goldene Bild nicht gesehen, sondern berichte, was die Chaldäer sagen". Das Zitat ist notwendig, weil Herodot berichtet, daß das Bild von Xerxes entführt wurde 7 . — 2,130,2: Vor der o. § 2,20 besprochenen Version über die zwanzig Statuen läßt Herodot die Priester sagen, daß die Statuen die Kebsen des Mykerinos darstellten. Das Zitat steht, weil an die Autopsie des Monuments angeknüpft wird. — 4,43,1: Eine in sich dunkle Stelle. Es ist nicht klar, was die Karthager sagen. — 4,196,1: Die Karthager erzählen, daß sie an einer bestimmten Stelle außerhalb der Säulen des Herkules Tauschhandel treiben, der ohne direkten Kontakt vor sich geht. Diese Art Tausch verkehr wird heute noch in jedem ethnologischen Lehrbuch erwähnt. Es könnte aber doch sein, daß Herodot die Kunde nach Willkür lokalisiert hat: Die Stelle paßt glänzend zu der Regel, nach der es zu den entferntesten Völkern nur indirekten Kontakt gibt, s. o. § 2,6 (2). — 5,22,1: Die Familie des Perdikkas glaubt, griechischer Abstammung zu sein. Das trifft mit Herodots Meinung zusammen. — 5,57,1: Nach eigener Aussage stammen die Gephyräer aus Eretria, nach Herodots eigenen Forschungen sind sie Phönizier. — 5,63,1: Die Athener sagen, daß die Alkmäoniden die Pythia bestachen. — 7,153,4: Die mutige Tat des Telines ist um so erstaunlicher, als die Sizilianer angeben, er sei weich und weibisch gewesen. Die Übersicht zeigt, daß fast an allen Stellen begründet werden kann, warum ein Zitat angegeben wird. Bei den Gruppen 1; 2; 4—6 6 7

Das wird schon Plut., mal. Her. 39 als böswillige Erfindung bezeichnet. Nach Strab. 16,1,5; Arr. anab. 3,16,4; 7,17,2 und anderen (Behr, Hermes 26, 1891, 316) hat Xerxes den Tempel zerstört. Danach wäre vollends klar, daß Herodot nicht dort war (Sayce 1051), doch will ich die späte Nachricht nicht verwenden.

2,25 Ausnahmslosigkeit der Regeln

109

ist das nach allem Früheren klar. Die paar Stellen der Gruppe 3 fasse ich als Anhängsel der Gruppe 1 auf. Bei Gruppe 7 ist das Zitat höchst natürlich, auch wenn es sich um Erfindungen oder aus ganz anderer Quelle stammende Worte handelt. Von den Stellen der Restgruppe 8 bleiben nur vier (die letzten) übrig, die ganz unerklärt bleiben, aber selbst hiervon sind 5,22,1 und 5,63,1 nach o. § 2,15 deutbar. 2,25 Ausnahmslosigkeit der Regeln für die Wahl der Quellenangabe. Wenn auch für den größeren Teil der im vorigen Abschnitt ergänzten restlichen Stellen keine speziellen Argumente für Fiktion mehr anzuführen sind, so läßt sich doch eine Feststellung ohne weiteres treffen: Die von uns für die Quellenangaben angegebenen Regeln gelten ausnahmslos1; vgl. o. § 2,5, wo wir dies Ergebnis schon vorweggenommen haben. Es ist jedes Mal die Quelle angegeben, die nach dem Inhalt der Erzählung auf Grund dieser Regeln zu erwarten ist. Als rein deskriptive Formulierung genommen, ist das, wie die o. § 2,5 gemachten Angaben zeigen, eine absolut unanfechtbare Feststellung, übrigens — wie o. S. 11 Anm. 1 schon erwähnt — durch die ausdrückliche Formulierung 2,119,3 unterstrichen. Diese total starre Relation zwischen Inhalt und Zitaten wäre nun selbst dann ein einschneidender Befund, wenn an jeder einzelnen Stelle die Authentizität der Angabe bewiesen werden könnte, statt in so vielen Fällen das Gegenteil. Denn es ist ganz ausgeschlossen, daß sich bei ausgedehnten Erkundigungen die Wirklichkeit in jedem einzelnen Fall diesen Regeln gebeugt hätte. Wir erwähnten schon o. S. 12 mit Anm. 2, daß sich das sozusagen experimentell dadurch erhärten läßt, daß die Vermutungen, die Neuere über die mündlichen Quellen aller Teile des Werks angestellt haben, sich keineswegs immer an die bei Herodot konsequent durchgeführten Regeln halten. Würden nun diese Gelehrten, auf den Widerspruch hingewiesen, an ihren Vermutungen festhalten (die einzig vernünftige Reaktion), so wäre damit als mindestes zugegeben, daß Herodot unter allen möglichen Quellenangaben eine rigorose Auswahl getroffen und nur solche zugelassen hat, die seinen Regeln entsprechen2. Aber selbst diese extreme und absurde Ausflucht würde daran scheitern, daß auch die Setzung von Zitaten an sich nicht willkürlich ist. Es genügt, dies an der zahlenmäßig bedeutenden Gruppe der Wundererzählungen zu demonstrieren. Hier ist die Beglaubigung obligatorisch3; Herodot hätte also, wenn er sich an die Wahrheit gebunden 1 2

3

O. § 2,24 genügte deshalb jeweils eine Angabe für Ort und zitierte Quelle. Bei den Erklärungen des Nichtwissens (o. § 2,19), die ja natürlich immer der Wahrheit entsprechen, ist ein solcher Fall tatsächlich gegeben. Ich habe das nicht bis ins letzte nachgeprüft, doch würden vereinzelte Ausnahmen nichts ändern. Ein kleines Loch in diesem Argument sind die anonymen Zitate.

110

2,26 Gibt es echte Zitate ?

gefühlt hätte, gar nicht vermeiden können, auch solche Quellen anzuführen, die der Regel nicht entsprechen. Ohne auf ein einziges unserer früheren Argumente für Fiktion angewiesen zu sein, können wir also allein auf Grund der Beobachtung, daß die konstatierten Regeln keine Ausnahme haben4, feststellen, (1) daß keine der bisherigen Ansichten zu der Frage der Quellenangaben mit diesem einfachen, mühelos nachprüfbaren Tatbestand vereinbar ist, (2) daß tatsächlich die Setzung der Quellenangaben allein nach literarischen Gesichtspunkten erfolgt, ohne daß die Wirklichkeit den geringsten Einfluß hat. Die letztere Formulierung läßt (a) die Möglichkeit offen, daß gelegentlich Zitate mit der Wirklichkeit übereinstimmen können, nur daß das dann zufällig ist, weil die wirkliche Quelle der nach den Regeln zu erwartenden entspricht. Da wir aber faktisch für eine beträchtüche Anzahl von Stellen, darunter so gut wie alle bedeutenderen, nachgewiesen oder wahrscheinlich gemacht haben, daß die Zitate fiktiv sind, ist der verbleibende Spielraum eng. Etwas mehr Raum bleibt (b) für die Möglichkeit echter Information aus beliebiger anderer Quelle bei falschem Zitat. Damit haben wir bereits einige Male gerechnet und überhaupt freie Erfindung des Inhalts nicht ganz so oft nachgewiesen wie Fiktivität der Zitate. Die folgenden beiden Abschnitte sollen als eine Art Gegenprobe den verbleibenden Spielraum von der anderen Seite abstecken, und zwar in Form der Frage, welche Stellen die bisher herrschenden Ansichten (echte Auskünfte bzw. Schriftquellen) unterstützen. Im ersten (§ 2,26) beziehe ich die Frage nach Echtheit nur der Information mit ein, um die es auch im zweiten (s. den letzten Absatz) hauptsächlich geht. 2,26 Gibt es einwandfrei echte Zitate oder echte Information bei falschem Zitat ? Klar sein sollte nach dem Bisherigen, daß ein Zitat an sich niemals mehr ein Argument, geschweige eine Gewähr für Echtheit der Nachricht und bzw. oder der Quelle sein kann. Die Beweislast liegt bei dem, der die Echtheit vermutet. Es interesssieren uns deshalb hier nur noch die Fälle, wo es positive Argumente gibt. Solche, wo bloß Abwesenheit eines Verdachts gegeben ist, taugen zum Beweis in beiden Richtungen nicht, da sie durch beide Hypothesen gleich gut erklärbar sind. Für nachweisliche Echtheit der Quelle weiß ich nur eine Stelle zu nennen: 7,201 heißt es, daß die Thermopylen von den Einheimischen 1

Da dies noch niemals festgestellt worden ist, ist tatsächlich eine ganz neue Situation entstanden.

2,27 Zeigen Zitate schriftliche Quellen an ?

111

,Pylai' genannt werden. Das trägt den Stempel der Wahrheit, denn solcher Verzicht auf die unterscheidende Benennung zugunsten des Appellativums ist ja überaus gewöhnlich (ζ. B. Istanbul = εις την πόλιυ statt Konstantinopel). Daß Herodot sich das überlegt hätte, ist kaum denkbar. Die ähnliche Notiz c. 176,3 (einheimischer Name Chytroi) wird hiervon nachgezogen. Wie weit man aus dem Inhalt bestimmter Stellen auf die Notwendigkeit echter Information schließen zu können glaubt, hängt besonders davon ab, was man der Phantasie des Autors zutraut. Vorsicht ist aber angebracht, weil,Erfindung' nicht heißen muß ,aus den Fingern gesogen', vgl. ζ. B. o. § 2,24 (8) zu 4,196,1, wo gesagt wurde, daß ein echtes ethnologisches Datum vom Autor frei angesiedelt worden sein kann; vgl. a. u. § 3,10. Auch sonst gibt es manche Möglichkeiten zwischen Nachricht und Erfindung, ζ. B. Variation von Details, Beteiligung von Hypothesen und Schlußfolgerungen des Autors usw. Dies alles berücksichtigt, bleiben doch noch Stellen übrig, wo man an echte Information glauben möchte, wenn auch ein strikter Beweis kaum je zu führen sein wird. In einigen Fällen haben wir bereits damit gerechnet1. Ferner nenne ich 1,51,5 (Weihgabe des Krösus soll dessen Bäckerin darstellen; als Erfindung absurd2) und andere Stellen von o. § 2,24 (3) ; 105,3 (die zyprische Aphrodite phönizisch) ; 3,89,3 (Vergleich der persischen Könige ; daß Darius ein Krämer genannt wird, ist von Herodot aus nicht zu erklären) ; 5,63,1 (Bestechung der Pythia durch die Alkmäoniden) ; schließlich die § 2,10 zuletzt genannten Stellen. Ein Problem für die Annahme der Fiktion waren die beiden letzten Stellen o. § 2,14. Über echte Information bei Schriftquellen vgl. den folgenden Abschnitt. 2,27 Gibt es Völkerzitate, die schriftliche Quellen anzeigen ? Dies hat man, wie in der Einleitung gesagt wurde, in drei Formen vermutet: (1) daß die Quelle mit Völkernamen bezeichnet ist, (2) daß ein Zitat aus der Quelle übernommen ist, (3) daß ein aus schriftlicher Quelle stammender Stoff aus freier Phantasie ein Zitat erhält. Es trifft sich, daß im wesentlichen je ein Fall zu erwägen ist. (1) Die übliche Deutung der "Ιωνες 2,15—17,1 auf Hekataios unterliegt keinem Zweifel. Es paßt glänzend dazu, daß dieses Zitat, wie o. § 2,5 gesagt, sich als einziges den Regeln der Völkerzitate nicht fügt. Es ist also schon im Text als Ausnahmefall zu erkennen und praktisch zu den ,Griechenzitaten' (o. § 2,16) zu rechnen, gestattet also keinen Schluß auf die eigentlichen ,Völkerzitate'. 1 2

O. S. 52 Anm. 6; § ],16 erster Satz; S. 69 Anm. 3; S. 75 Anm. 5. Oder das vorhandene Bild hat durch irgendeine Eigentümlichkeit Herodot auf den Gedanken gebracht.

112

2,28 Quellenfiktion des ganzen Werks

(2) 4,16,1 sagt Herodot selbst, daß Aristeas sich auf die Issedonen berufen habe. Danach müßten die Issedonenzitate aus Aristeas stammen. Man kann leicht annehmen, daß dieser einen Teil seines Epos als Bericht eines Issedonen gegeben hat. Allerdings hat man 4,32 („Höchstens die Issedonen sagen etwas über die Hyperboreer; ich glaube aber, auch sie nicht") den Eindruck, als ob Herodot sich nicht scheut, die Issedonen sagen zu lassen, was ihm paßt. Läßt er doch auch c. 25,1 die Glatzköpfigen ein Märchen über ihre Nachbarn erzählen. Dieses Zitat wird Aristeas kaum auch noch hergegeben haben. Vgl. auch unsere o. § 1,9 Ende geäußerten Zweifel. Wie der Fall zu bewerten ist, s. im nächsten Absatz. (3) 2,156,2 heißt es, daß die Ägypter die Insel Chemmis als schwimmend bezeichnen. Hier wissen wir unabhängig, daß die Behauptung aus Hekataios stammt (frg. 305). Anders als bei der o. unter (1) behandelten Stelle weist dieses Zitat nach inneren Kriterien keine Besonderheit auf. Deshalb muß angenommen werden, daß es weitere, ähnliche Fälle gibt, wo wir nicht das Glück haben, aus unabhängiger Kenntnis die Quelle zu kennen. Nach der bekannten Mitteilung des Porphyrios1 wäre 2,73,1 (Heliopolis über das Alter des Phönix) ein zweiter Fall. Ebenso stammt 4,191,4 aus Äschylus (frg. 603f. M. = Strab. 1,2,35). Freilich dürften nur kurze Notizen auf diese Weise übernommen werden. Das aber läßt sich ohne Schwierigkeit als Grenzfall der uns wohlbekannten Verarbeitung griechischer Vorstellungen auffassen (etwa im Fall der Helena in Ägypten, o. § 1,13), wenn man zugibt, daß bei kurzen Notizen wenig Gelegenheit zur Weiterbildung besteht2. Ganz in dieser Weise würde ich auch die unter (2) genannten Übernahmen aus Aristeas deuten. Falls Herodot Aristeas benutzt, aber abgewandelt hat, hätten wir sogar genau das übliche Bild. Unter dem Gesichtspunkt von o. § 2,25 gehört also Fall (1) nicht zum Thema, die Gruppe (3) zu den Fällen von echter Information unter falschem Zitat (b). Ebenso Fall (2), nur daß (vielleicht) eine besondere Rechtfertigung des Zitats vorliegt, die ihn den Fällen des wahrheitsgemäßen und zugleich in die Regeln passenden Zitats (a) nähert. 2,28 Die Quellenfiktion des ganzen Werks1. Aus unseren Nachweisen ging hervor, daß die Quellenangaben nicht einfach Wirklichkeit wiedergeben, aus unserer Interpretation, daß an deren Stelle eine erdachte, 1 2

1

Hecat. frg. 324a. Panofsky 28 hat einige weitere Parallelen zu Herodot aus den Logographen zusammengestellt. Vgl. die Anklänge an De aeribus. Vgl. hierzu Schmid 627 6 : ,,Die Fiktion der Mündlichkeit, die auch das Epos des Firdausi festhält . . . hat dem H. Pausanias nachgemacht . . .".

2,28 Quellenfiktion des ganzen Werks

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wohlüberlegte Konzeption des Autors über das steht, was Erkundung ergeben müßte. Daraus folgt, daß neben die alte Frage nach der Natur der von Herodot benutzten Quellen, ob schriftlich oder mündlich, die neue, nur scheinbar ähnliche Frage tritt, welchen Eindruck Herodot insgesamt von seinen Quellen vermittelt. Die Frage ist leicht, einfach und widerspruchsfrei zu beantworten: Herodot stellt sein Werk dem Leser als ganz und gar auf mündlicher Erkundung und Autopsie beruhend hin; schriftliche Quellen gibt es für ihn nicht 2 . Zuerst die negative Seite. Herodot erwähnt zwar eine Reihe von Autoren, meist Dichtern, und zitiert Einzelheiten, und diese Erwähnungen werden bisweilen als .schriftliche Quellen' bezeichnet, was sie natürlich faktisch auch sind. Aber für Herodot selbst sind sie nicht »Quellen', sondern nur in Erinnerung gerufene, bekannte Äußerungen, die er entweder auf Grund seiner Erkundung korrigiert oder zur Bestätigung heranzieht. Diese Regel ist völlig streng eingehalten3. Daraus muß geschlossen werden, daß wir es nicht mit einem einfachen Abbild der Wirklichkeit zu tun haben, sondern mit einem Stilgesetz von eherner Gültigkeit. Wir wissen ja von einigen kleineren Passagen des zweiten Buches, daß sie aus Hekataios stammen. Es wäre undenkbar, sie sich mit ' Εκαταίος τάδε λέγει eingeleitet zu denken. Hierin, nicht in der gewöhnlich behaupteten Gleichgültigkeit der Zeit gegen das Plagiat 4 , liegt die wahre Rechtfertigung dieser Unterlassung. Schriftzitate müssen also unterdrückt oder umstilisiert werden, wie wir es an einigen Stellen finden, vgl. §§ 2,27 und 2,16 Ende. Und nun positiv. Jacoby 6 hat Wert auf die Feststellung gelegt, daß die Quellenzitate Herodots, auf das ganze Werk gesehen, nur einen sehr kleinen Teil des Textes decken und daß sie im allgemeinen über die weitere Umgebung nichts aussagen. Das ist auf unsere Fragestellung nicht zu übertragen. Vielmehr gibt es einige Stellen, die eindeutig darauf hinweisen, daß Herodot selbst jedenfalls die Geltung seiner Zitate auf die Umgebung ausgedehnt wissen will, und zwar, versteht sich, nach Maßgabe der auch für die Zitate selbst geltenden Regeln. Die hierfür beweiskräftigen Stellen sind vor allem folgende: In der libyschen Geographie ist zweimal bei Gelegenheit der Erzählung von etwas Wunderbarem (4,173 und 187,3) die salvatorische Beglaubigung: „Ich sage, was die Libyer selbst sagen" in der Weise 2

Noch einmal Schmid (627): „Das Vermeiden von Berufungen auf Literatur gehört zum Stil des Herodotos". 3 Am ehesten könnte man das Hekataioszitat 6,137,1 als Ausnahme bezeichnen, weil immerhin eine ganze Erzählung auf ihn zurückgeführt wird. Aber auch sie läßt sich, da die Gegenversion folgt, leidlich unter die gegebene Definition subsumieren, und da der Fall vereinzelt ist, entspricht das zweifellos der Intention des Autors. 4 v. Fritz 408; vgl. aber Speyer, Pseudepigraphie 90f. (mit Literatur). « 400—2. 8 Fehling, Herodot

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2,29 Zur literaturgeschichtlichen Einordnung

beiläufig eingeschoben, als sei ein Notabene hinzugefügt: „Wohlgemerkt, ich sage — hier wie immer — nur das, was die Libyer selbst sagen"6. Ähnlich auch 1,183,3. — Verwandt ist eine Gruppe von Fällen, wo ein ebenfalls salvatorisches Zitat unvermittelt einem einzelnen Detail innerhalb einer einheitlichen, größeren Erzählung beigegeben wird. So ist es ζ. B. bei dem höchst auffälligen Zitat der Perser, das 7,12,1 die Erzählung vom Traum des Xerxes beglaubigt. Auch konnte vielleicht bei dem Traum besonders leicht gefragt werden, woher Herodot das denn wisse, unbeschadet dessen, daß das streng genommen für die ganze Umgebung genau so gilt. Wie dem auch sei, das Zitat impliziert, wenn auch nicht dem Wortlaut nach, doch ganz offensichtlich, daß der ganze Bericht, aus dem der Traum gar nicht herausgelöst werden kann, von den Persern gegeben wird. „Von wem denn sonst ?" würde Herodot vermutlich erstaunt fragen. — Genau parallel ist 1,87,1: Für die wunderbare Errettung des Krösus durch den von Apoll gesandten Sturzregen werden die Lyder zitiert. — Ähnlich 4,191,4 in enger Nachbarschaft der o. zuerst genannten Stellen. Vgl. o. § 2,12 Ende (Quellenangabe nur zu einem Punkt). — Ein auch im Wortlaut unzweideutiges Indiz enthalten zwei Stellen (3,108,1; 7,165) mit der Formulierung: „Es wird aber auch Folgendes von den X erzählt", ohne daß vorher die Quelle genannt ist 7 . Es wird also als selbstverständlich unterstellt, daß immer jeweils die Hauptbeteiligten die Erzähler sind. — Ganz gleicher Art, und im Gegensatz zu den beiden letzten Stellen wieder Rückschlüsse auf eine große Partie erlaubend, ist 3,87. Dort wird in der Erzählung über die Verschwörung der Sieben für einen kleinen Zug (wie der Stallmeister das Pferd zum Wiehern brachte) nachträglich eine zweite Version gegeben und in Parenthese bemerkt: „Denn auch dieses sagen die Perser". Das ,auch' macht wieder klar, daß der ganze vorhergehende Bericht von den Persern stammen soll. Es folgt aus alledem, daß Herodot die Gültigkeit seiner Quellenangaben im Prinzip auf die ganze Erzählung ausgedehnt wissen will. Dazu stimmen auch, wie ohne weiteres klar, seine allgemeinen Äußerungen, in denen nur von ίστορίη die Rede ist und Lektüre nicht vorkommt. Auch diese Äußerungen sind der literarischen Fiktion untergeordnet. *

2,29 Zur literaturgeschichtlichen Einordnung der Quellenfiktionen Herodots. Kein Gemeinplatz wird in unserer Wissenschaft häufiger 6

7

Ich buche als Bestätigung, daß Jacoby 438,1 meint, daß die Zitate aus der Quelle stammen. Völlig zu Recht, da Herodot selbst die Quelle ist. 3,26,3 dagegen ist das καί sinnwidrig und fehlt in (oder wird eliminiert von) der römischen Handschriftengruppe.

2,29 Zur literaturgeschichtlichen Einordnung

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wiederholt als die Mahnung, nicht naiv moderne Verhältnisse in antike hineinzutragen. Sie ist auch von denen, die Herodot in den letzten Jahrzehnten wieder als großen Historiker proklamiert haben, insofern aufs Panier geschrieben worden, als sie warnten, ihn an der entwickelten Wissenschaftlichkeit des Thukydides zu messen. Sie ist aber meines Erachtens in einem ganz entscheidenden Punkt außer acht gelassen worden. Man fragt wohl, was ein Historiker zu Herodots Zeit leisten konnte, und ist in dieser Beziehung sehr milde gestimmt. Aber den Begriff des Historikers entnimmt man doch aus der nachthukydideischen Geschichtsschreibung oder vielmehr aus dem modernen an Thukydides entwickelten Ideal1. D. h. man nimmt naiv an, die Gesetze der Gattung wissenschaftliche Geschichtsschreibung' hätten im Prinzip — wenigstens als angestrebtes Ziel — für Herodot schon Geltung gehabt, statt sich klar zu machen, daß es für Herodot durchaus Konventionen geben kann, die den Forderungen dieser Gattung sehr zuwiderlaufen. Ein großer Teil des heutigen HerodotVerständnisses ruht auf dem Zirkelschluß, daß man Erscheinungen, wie sie vorstehend behandelt worden sind, für unmöglich erklärt, weil Herodot als Historiker so etwas nicht getan haben kann, und dann auf Grund dieses .Ergebnisses' versichert, er habe sich wieder als gewissenhafter Forscher bewährt. Daß die ganze Frage nur unter dem Gesichtspunkt der Alternative Forscher oder Schwindler gesehen wird statt Forscher oder Dichter, hat den gleichen Grund. Das Verhalten der Forschung ist um so erstaunlicher, als die Forderungen der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung im Altertum ohnehin stets nur begrenzte Gültigkeit gehabt haben 2 . Sonderbarerweise ist das sehr reiche Material an Parallelen bei anderen Autoren zur Beurteilung Herodots fast überhaupt nicht herangezogen worden3. Im Interesse der möglichsten Häufung der Beweise und da unsere ganze These darauf hinausläuft, die Quellenfiktionen als literarische Tradition zu sehen, können wir an diesem Thema nicht vorübergehen. Andererseits würden ausreichende Nachweise eine eigene Untersuchung erfordern. Ich gebe deshalb nur eine Liste von einschlägigen Stellen, ohne nähere Erörterung und ohne Eingehen auf die Literatur. Meist sprechen die Stellen auch, zumal nach unseren früheren Erörterungen, für sich selbst. — Vgl. o. S. 10 Anm. 41. 1

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Ganz vereinzelt Regenbogen, Rezension Legrand 491: „von dem erst nachzuweisen wäre, daß er Historiker in unserem Sinne überhaupt sein wollte". Daß Thukydides in Wirklichkeit sehr isoliert in der antiken Geschichtsschreibung steht, von der sich große Teile viel mehr nach Herodot orientieren, ist in jüngerer Zeit manchmal gesagt worden. Die Ausnahme ist wieder Panofsky, der 55—8 Belege zusammenstellt (alle Stellen sind im folgenden Abschnitt enthalten); Howald, Kallimachos 82f., hat Kallimachos und Herodot in Beziehung gesetzt; für Jacoby vgl. § 2,22 Anfang. 8*

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2,29 Zur literaturgeschichtlichen Einordnung

Was fast gar nicht geboten werden kann, sind Parallelen vor Herodot4. Nur zwei etwas entferntere Vergleiche können gezogen werden. Aus orientalischen Literaturen haben die Griechen die Gewohnheit übernommen, moralische Lehren durch fiktive Autoritäten zu decken. Zweitens kann man die Quellenfiktionen Herodots als Pragmatisierung des epischen Musenanrufs verstehen5. Jedenfalls erfüllt dieser dieselbe Funktion: Er erlaubt dem Sänger, mit Autorität auf zutreten, befreit ihn aber gleichzeitig von dem Anspruch, klüger sein zu wollen als andere6, und ermöglicht ihm schließlich, die Verantwortung abzulehnen, wenn er etwas Anstößiges oder Unglaubliches erzählt. Vor Herodot hegt noch ein Beleg bei Hekataios für fiktive Beweisstücke. Auch andere Logographen bieten einiges, aber keine Parallelen für fiktive mündliche Quellen. Danach wird das Material reichlicher. Selbst bei Thukydides finden sich ein paar vereinzelte mythistorische Stellen mit fiktiven Quellenangaben; fast nichts jedoch bei Xenophon 7 ; Xanthos und Ktesias beriefen sich auf fiktive offizielle Dokumente. Ephoros hat das fiktive Völkerzitat gekannt. Sehr viele Belege, zum Teil vielleicht aus den Quellenautoren stammend, finden sich in den mythistorischen Teilen von Diodors Werk, vereinzelte bei lateinischen Historikern wie Sallust, Cäsar, Livius, Tacitus. S. d. Nachtr. Mit der historischen Literatur hängt eng die antiquarische zusammen. Pausanias ahmt wie in allen anderen Dingen, so auch hier eng, aber plump Herodot nach. Die antiquarische Dichtung folgt den Gebräuchen der Prosa. Wenn sich Kallimachos auf fiktive Autoritäten beruft, so ist das also keineswegs poetische Freiheit, sondern gehört in die von Herodot ausgehende Traditionslinie hinein. Ovid in den Fasten hat sich wiederum an Kallimachos angeschlossen. Unter den Buntschriftstellern hebt es Gellius, seine Lesefrüchte als selbsterlebte Gespräche darzustellen, während sich Älian ebenso eng an die Formen Herodots anschließt wie Pausanias. Ein anderer Ableger der historischen Literatur ist hinsichtlich vieler Formen bekanntlich der Roman. Hier ist die Form des Rahmens, der die Erzählung auf ein Dokument zurückführt, gang und gäbe. Die Belege für alle folgenden Angaben s. u. § 2,30. Frei nach mündlicher Anregung von Hans Diller. ' Vielleicht ist dieses Motiv der entscheidende tiefere psychologische Faktor. Der Literat hat oft keinen sehr hohen sozialen Rang und verstößt gegen die Hackordnung, wenn er Autorität beansprucht. Die gleiche Höflichkeit den Gleichrangigen gegenüber führt ζ. B. dazu, daß, wie mir Peter Lebrecht Schmidt mitteilt, Humanisten eigene Konjekturen einem ,vetus codex' zuschrieben. Das schließt nicht aus, daß umgekehrt manch partieller prekärer Führungsrang (als Vates oder gar als Sektenführer, z. B. Empedokles) durch Imponiergesten behauptet werden darf. 4 6

' I m m e r h i n s t e h t in der Kyrupädie prompt λέγεται, wo ein Vorzeichen erzählt -wird (1,6,1; 4,2,15); salvatorisch auch 1,4,27. Sicher gibt es mehr der Art.

2,29 Zur literaturgeschichtlichen Einordnung

117

Eins der frühesten Beispiele dürfte Euhemeros sein. Dieselbe Form ist in religiöser Literatur häufig 8 . Gelegentliche Beispiele finden sich noch bei manchen anderen Autoren, deren Werk an irgendeiner Stelle Beziehungen zu den erwähnten Literaturkreisen hat, Lukian, Plutarch, Seneca u. a. Eine gewisse Verwandtschaft mit der pseudohistorischen Quellenfiktion hat übrigens die Form des fiktiven Dialograhmens, wenn auch dort die Fiktion meist leichter erkennbar ist. Immerhin ist es erst ganz wenige Jahre her, daß ein glänzender Aufsatz ganz neu gezeigt hat, daß Arrians Behauptung, authentische Gespräche Epiktets aufgezeichnet zu haben, weitgehend Fiktion ist9. Schließlich führen ein paar Stellen aus der klassischen italienischen Literatur über die Antike hinaus10. Es ist etwas beunruhigend zu sehen, daß hier eine naive Auffassung der antiken Literatur vor vielen Jahrhunderten ein Verständnis hatte, das die stolze Wissenschaft unseres Jahrhunderts noch nicht wieder erreicht hat. Mit Recht macht übrigens Panofsky darauf aufmerksam, daß noch unsere klassischen Märchensammler gerne Phrasen gebrauchen wie: „In Thüringen geht die Sage, daß . . .", „In Thüringen erzählt man sich, daß . . .", die auch bloß aus dem Inhalt abstrahiert sind und nicht der Wahrheit zu entsprechen brauchen. Howald 11 erinnert: „Der Kenner der Wissenschaftsgeschichte weiß, daß die Zeiten gar nicht weit zurückliegen, wo solcher Brauch (d. h. die Erfindung von Quellen oder Gewährsleuten) von Gelehrten geübt wurde, die sich im übrigen Verdienste um geschichtliche Forschung erworben haben". Für die Form des fiktiven Dokuments hat Speyer12 einiges aus Mittelalter und Neuzeit zusammengestellt, und wenn noch heute der angebliche Fund von Inschriften, Papyri und dgl. eine überaus beliebte Form der Einkleidung ist, so ist das nicht aus der Erfahrung der modernen Wissenschaft erwachsen (obwohl im Detail oft davon beeinflußt), sondern Fortsetzung jener alten Tradition. Vieles, was in dieser Skizze erwähnt worden ist, ist mehr als bloße literarische Parallele zu Herodot, nämlich Teil seiner Wirkungsgeschichte. Wie ζ. T. schon bemerkt, sind vor allem Diodor, Pausanias, 8

Vgl. Speyer, Bücherfunde, und ders., Reali, f. Ant. u. Christent. s. v. Fälschung, literarische (1969). • "Wurth (1967). Zwei kleine Randnotizen: „Addidi et carmen ad te nuper conscriptum; quod, cum publice jam legatur, excusare serum est" (Opitz, Trostgedichte in der Widerwärtigkeit des Krieges, Vorrede an Prinz Ulrich von Dänemark; zum Topos der vorzeitigen Veröffentlichung Wirth 154f. u. 159). — Cicero läßt sich de leg. 1,1 sqq. fragen, ob die .Eiche des Marius' in Arpinum seine Erfindung sei, und gibt eine Antwort, die kaum verhüllt die Frage bejaht. 10 Vgl. ferner Schmids Bemerkung über Firdusi o. § 2,28 Anm. 1. 11 Herodot 34. 12 95ff.

118

2,30 Belege bei anderen Autoren

Älian und Lukian engstens an Herodot orientiert. Namentlich bei den ersten beiden finden sich fiktive Zitate, Inschriften u. dgl. besonders an Stellen, die sich in Wirklichkeit stofflich an Herodot anlehnen13. Diese Nachahmungen zeigen zugleich, daß die Fiktivität der Quellenzitate Herodots in der Antike wohlbekannt war. 2,30 Belege1. Die folgende Belegsammlung ist weitgehend in Anlehnung an die o. §§ 2,2—23 befolgte Einteilung geordnet, ohne jedoch für jeden Punkt Parallelen zu bieten2. Ich gebe nur eine ganz knappe Angabe über die Form des Zitats und den Inhalt3 ; einige auffallend an Herodot angelehnte Ausdrücke sind griechisch zitiert. (1) Moralische Lehren einer f i k t i v e n A u t o r i t ä t zugeschrieben. Ein Rahmen für gnomische Schriften ist im Orient gebräuchlich, vgl. das berühmte Buch des Ahiqar, aber auch die Gesetze Mosis. Über einen ähnlichen Rahmen in der Prophetie hat Norden gehandelt4. Bei den Griechen hat die Gestalt des Chiron mehrmals diesen Rahmen abgegeben, von den Hesiod zugeschriebenen Praecepta Chironis6 bis hin zur vulgärlateinischen Mulomedicina Chironis. Einzelne Stellen: Theog. 15—8 (ein einzelnes Wort den Musen und Charitinnen zugeschrieben ; streng stilisierte ,gnomische Antithese'6) ; Pind. Pyth 6,19 sqq. (Lehre, die einst Chiron dem Achill gab, zitiert) ; Hör. epod. 13,11—8 (nobilis ut grandi cecinit Centaurus alumno . . .); id. carm. 1,7,21—31 (Teukros in ähnlicher Funktion; jedoch ist die Rede nicht zeitlos formuliert). (2) Musenanruf. Es ist nicht nötig, hier Belege für den Musenanruf oder andere Berufungen auf göttliche Quellen (Parmenides 13

Uberhaupt wird bei den späteren Autoren die Fiktion sehr häufig dadurch entlarvt, daß wir die literarische Quelle kennen.

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Die Liste ist nicht das Ergebnis systematischer Suche. Einige Stellen stammen aus Panofsky 56—8 und 68—9 sowie Schmid, Atticismus 8,323 (Völkerzitate Älians; beide vollständig ausgezogen). Für einzelne Hinweise habe ich Erich Burck, Burkhart Cardauns und Robert Schröter zu danken. E k δ—26 findet man ähnliche Stellen aus den Antiquitates Romanae des Dionys, die ich nicht angeführt habe, weil der Fall vielleicht besonders liegt (έτηχώριοι = römische Autoren u. a.). Übergangen ist hier wie sonst in diesem Buch die Form des anonymen Zitats, ζ. B . das häufig rein fiktive ferunt u. ä. in der lateinischen Dichtung. Eine lehrreiche Zusammenstellung von Stellen mit εκλυον u. ä. bei Norden zu Verg. Aen. 6,264 sqq. (audita). Oft nenne ich nur kurz vor dem Semikolon die angebliche Quelle, danach das Thema, ζ. B. „Libyer; Dionysos". Die Geburt des Kindes, Leipzig u. Berlin 1924, 53f. frg. 283—5 Merkelbach-West. Dort (S. 143—5) auch Angaben über die Parallelen. Verf., Wiederholungsfiguren 296—8.

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2,30 Belege bei anderen Autoren

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und Empedokles) zusammenzustellen7. Ich erwähne nur eine Stelle, wo der Musenanruf salvatorisch ist: Μουσάων δδε μύθος, εγώ δ' υπάκουος άείδω ΤΤιερίδων καί τήνδε πανατρεκές εκλυον όμφήν Αρ. Rhod. 4,1381 sq. Erzählt wird das Wunder, daß die Argonauten das Schiff zwölf Tage und zwölf Nächte durch die Wüste getragen haben. (3) V ö l k e r z i t a t e . Thuc. 1,9,2: Die besten Kenner alter Überlieferung im Peloponnes erzählen u. a., wie Pelops dem Land den Namen gab. — 4,120,1: Aus Namensgleichheit (Pallene) konstruierte Urgeschichte von Skione, im Zusammenhang mit dem trojanischen Krieg. — 6,2,2: Die Sikanier erklären sich selbst für autochthon, in Wahrheit seien sie Iberer. — Ephorus frg. 149, p. 87,28 ( = Strab. 10,4,19): Kreter; Lykurg in Kreta, vgl. Hdt. 1,65,4. — Arist. polit. 13291)8: Die λόγιοι der Einheimischen; Italos. — Megasth. frg. 13 ( = Arr. Ind. 8,4; 6; 8): Die Inder selbst (zweimal), dann μετεξέτεροι der Inder über Herakles, Methode wie Hdt. 2,43 sq. — Call. iamb. 4 ( = frg. 194), 7 sq.: Die alten Lyder erzählen eine Fabel, die am Tmolos spielt. — Diod. 1,10 sqq.: Der Bericht über Ägypten, von dem vieles variierter und erweiterter Herodot ist, ist in indirekter Rede als Aussage der Ägypter gegeben. Ab und zu werden auch die Priester genannt (1,15,28; 37,7; „einige der Philosophen in Memphis" 40,1). — 1,37,8: Die Troglodyten über Spiegelungen. — 1,50,1: Die ägyptischen Thebaner halten sich für die ältesten Menschen. Diodor setzt Theben statt, wie Herodot, Memphis ins Zentrum. — 2,22,4: Die ägyptischen Äthiopier beanspruchen Memnon für sich, mit Beweisstück, s. unter (9). Dies ist der übliche willkürliche Austausch von Lokalisierungen zwischen Asien und Afrika, s. Sachreg. unter .Austausch'. — 2,38—9: Inder; Dionysos und Herakles, παρά τοις Ί. oi λογιότατοι c. 38,3. — 3,66,1—2: Verschiedene griechische Plätze beanspruchen Dionysos für sich, mit Beweisstücken. — 3,66,5: Libyer; Dionysos. — 3,67,5: Einheimische; Dionysos in Nysa aufgewachsen. — 5,52,1: Naxier; Dionysos. — 5,83,4—5: Tenedos; Eponym Tennes. — lb. 9 (aus Exc. de virt. et vit.): Priene; Bias. — Dio Chrys. 11,37 sq.: Ein ägyptischer Priester erzählt die Vorgeschichte des trojanischen Krieges nach Tempelarchiven und (verlorengegangenen) Stelen. Erzählung und bestätigende Überlegung wie in der themengleichen Partie Hdt. 2,112—20 (o. § 1,13). — Plut. Lyc. 4: Ägypter; Lykurg bei ihnen. — Luc. Timo 6: ,,. . . was die Kreter über dich (seil. Zeus) und dein Grab sagen" (vgl. Call. h. 1,9). — Icaromen. 19: „die alten Sagen der Thessalier", d. h. Herkunft der Myrmidonen von Ameisen, eine etymologisierende Spielerei. — philopseud. 3: Unglaubliche Mythen der Kreter 7 8

Literatur bei Speyer, Pseudepigraphie 91, Anm. 24. Hier und an anderen der genannten Stellen spricht Diodor zugleich von genau parallelen Nachrichten bei Schriftstellern.

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2,30 Belege bei anderen Autoren

(Zeusgrab, s. o.), Athener (Erechtheus aus der Erde gestiegen), Thebaner (Sparten). — Paus. 1,1,4: Athener über Phaleros. — 1,2,1: Athener (zwei Schriftzitaten gegenübergestellt) ; Theseus und Amazonen. — 1,4,1: Galater; am Eridanos Phaeton von seinen Schwestern beweint. — 1,8,2: Die meisten Athener; Kalliasfriede. — 1,23,3: Athener; Unternehmen des Diitrephes gegen Mykalessos. Außer dem Namen des Anführers stammt alles aus Thuc. 7,29 sq. Bestätigende Überlegung des Pausanias. — 2,25,2: Argos; Oineus. — 3,24,3—4: Brasiai; Semele und Ino. Ersteres „mit keinen anderen Griechen übereinstimmend" nach Hdt. 6,52,1. — 4,32,2—6: Messene und Theben zu Aristomenes' Rolle in Epaminondas' Krieg gegen Sparta. — 4,35,1: Mothone; Ursache der Namensänderung. — 4,35,9: Einheimische bei Joppe; Perseus. — 5,25,12: „Ich habe in Thasos gehört, sie verehrten denselben Herakles wie die Tyrier". Aus Hdt. 2,44,4. — 7,2,5: Milesier ; typische Urgeschichte mit Namenswechsel, Eponyme beider Namen. — 8,10,9: Die Athener singen davon, daß die Götter ihnen bei Marathon und Salamis geholfen haben. — 8,24,13: In Psophis über Agíaos gehört, der die Rolle des Tellos Hdt. 1,30 spielt. Aus literarischer Quelle, vgl. Val. Max. 7,1 und Plin, h. nat. 7,151. - 9,28,1: Am Helikon glaubt man, daß es dort kaum Giftpflanzen gibt. — Ael. var. hist. 1,15: Ägypter; Tauben brüten dort zwölfmal. — ibid.: Inder; quittenfarbene Tauben. — ibid.: Achaier; Zeus und Phthia. — 1,32: persische Anekdote. — 2,32: Delphi; Herakles erhält hier seinen Namen. — 3,35: Athener; Lachen in der Akademie verboten. — 12,45: Phryger über Midas. — 13,33: Ägypter über Rhodopis, die aus Hdt. 2,134,1 stammt. — Philostr. vit. soph. 2,29,1: Athener; Aristides. — Athen. 15, p. 680b: Ägypter ; Äthiopier unter Tithonos nach Troja. — certam. 1. 9 sqq. Allen und Cie. p. Arch. 8,19: Smyrnäer, Chier usw. streiten sich um Homer. — Sali. lug. 17,7: Über Afrika aus punischen Büchern und nach der Ansicht der Einheimischen. — Mela 1,11,3: accolae affirmant, s. unter (10). — Amm. Marc. 15,9,6: Die Einheimischen (Gallier) ; Urgeschichte. (4) r e l a t a refero. Häufig bei Diodor, Pausanias, Ovid u. a. Ich begnüge mich hier, auf Boccaccio, Decamerone 7,1 (u. Nr. 5 Ende) hinzuweisen. (5) Mehrere Versionen. Diod. 1,48,1: Bild stellt zahmen Löwen dar, der für den König einen Kampf entschied, oder es soll nur den Mut des Königs symbolisieren. Wunderbare neben glaublicher Version. — 1,53,1: „Da nicht nur die griechischen Schriftsteller, sondern auch die Priester und die ihn in Liedern verherrlichen, über Sesoosis auseinandergehen . . .". Was folgt, ist z. T. willkürlich variierter Herodot. — Paus. 1,4,4 u. 10,23,2: An beiden Stellen wird mit geringen Abweichungen vom Angriff der Galater auf Delphi erzählt.

2,30 Belege bei anderen Autoren

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Neben andern Wundern erschienen Heroen den Griechen zu Hilfe: Hyperochos, Laodikos (od. -dokos), Pyrrhos, nach andern Phylakos. Nach Hdt. 8,37—9; Hyperochos und Laodikos sind die maskulinisierten Namen der Hyperboreerinnen Hdt. 4,33,3 und 35,l 9 . — 2,5,2: Phliasier und Thebaner streiten, welcher Asopos Thebe zur Tochter hatte. — 9,31,7—8: Neben die Narzißsage eine frostige Rationalisierung gestellt (letztere sei weniger bekannt, werde aber auch erzählt). — Varrò 1. L. 10,3—5: Manche unterscheiden außer ähnlich und unähnlich noch ein neutrum, wenn die Hälfte der Merkmale übereinstimmt ; dieses nennen manche non simile, andere non dissimile ; die meisten rechnen es aber unter die Unähnlichkeit. Ich habe an anderer Stelle10 gezeigt, daß der Grundgedanke, Ähnlichkeit nach gezählten Merkmalen zu bestimmen, ein Autoschediasma Varros ist; also ist das Ganze Erfindung. Überhaupt sind Varros Zitate der Anomalisten und Analogisten meist Fiktion (ebda). — Boccaccio, Decamerone 2,3 Anf. : Der Held der Erzählung stammt nach den einen aus dem Geschlecht der Lamberti, nach den andern aus dem der Agolanti. Das ist nichts als eine kleine Verzierung. — 7,1: Zu einer Geschichte wird eine Variante gebracht (alcuni dicono). Von einer alten Nachbarin hat der Erzähler gehört, beide Varianten seien wahr und verschiedenen Personen zugestoßen. „Und so, liebe Damen, könnt ihr nach Belieben wählen, welche Version euch besser gefällt, oder wenn ihr wollt, beide". Die Lösung der Widersprüche angeblicher Quellen durch Verdoppelung und das Anheimstellen der Auswahl sind ganz der Stil der Pseudohistorie. (6) Übereinstimmung mehrerer Quellen. Paus. 2,5,3: Die beiden Anliegerorte über den zweiten Asopos. — 3,19,11: Kroton und Himera; Helena. — 8,54,6 (vgl. 1,28,4): Athener und Tegeaten; Begegnung des Atheners Philippides mit Pan bei Tegea. Die Form des Zitats lehnt sich eng an dasjenige in der motivähnlichen Geschichte Hdt. 4,14 (o. § 1,3) an. — Philostr. vit. Apoll. 3,49: Ägypter und Inder; Phönix. Angelehnt an Hdt. 2,73. 9

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Für diese Art, einen neuen Namen zu erfinden, gibt es Parallelen: Hekaerge Call, h. 4,292 u. a. neben Hekaergos Axioch. 371a, wo A trotz ol θεοί nach Herodot ins Femininum korrigiert hat, und Serv. Aen. 11,532 u. 858 (beide Namen ebenfalls im Zusammenhang mit der Gesandtschaft der Hyperboreer) ; Aristarche Strab. 4,1,4 und Aristarchos Suidas s. v. (beidemal Ephesus; Wilamowitz, Über die ionische Wanderung, Sber. Beri. Akad. 1906, Nr. 4, S. 81). Zwei weitere Beispiele, aus genealogischen Reihen, s. u. S. 129 Anm. 6. Radermacher 327 f. führt (außer dem oben zuerst genannten Beispiel) noch Upis bzw. Opis (derselbe Name in beiden Geschlechtern), Aphroditos und Loxo neben Loxias an, die ich hier fernhalte, und glaubt sehr zu Unrecht, daß es sich in allen Fällen um uralte zweigeschlechtige Gottheiten handele. Glotta 36, 1957, S. 96f.

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2,30 Belege bei anderen Autoren

(7) V e r s i c h e r u n g p e r s ö n l i c h e n E r l e b e n s . Auch hier, wie o. § 2,14, nehme ich bloßes ήκουον εν . . . u. dgl. nur als Variante von λέγουσι oi . . . (Paus. 5,25,12; 8,24,13, s. o. unter Nr. 2 und 5). Megasth. FGrHist 715 frg. 5: will bei dem indischen König Sandrokottos gewesen sein. — Call. frg. 178: läßt sich von einem Mitgast Geschichten erzählen. Die Einkleidung erinnert an Hdt. 9,16. — Apion FGrHist 616 frg. 5 ( = Gell. 5,14; vgl. Ael. nat. an. 7,48): will als Augenzeuge erlebt haben, wie Androclus von dem Löwen wiedererkannt wurde. — Aristid. 48 (Aeg.): In diesem Essay über die Frage der Nilschwelle (vgl. Hdt. 2,20—9) behauptet Aristides mehrmals, Gespräche mit geeigneten Personen im Lande geführt zu haben. Besonders ausführlich p. 339,8 sqq. J., ferner 337,2; 338,22; 346,3; 353,2; 359,22; 364,18. Priester: 331,10; 364,18. Besichtigung des ersten Katarakts ausführlich 343,19 sqq. Besonders interessant ist, daß Aristides Herodots Angaben 2,28—29,1 (Gespräch in Sais und Autopsie bis Elephantine) bezweifelt, selbst aber ihnen nachempfundene Behauptungen aufstellt (Autopsie bis zur äthiopischen Grenze 331,5). — Paus. 9,28,2: Hat von einem Phönizier gehört, wie eine Schlange durch ihren Hauch einen Menschen tötete. — Ael. nat. an. 5,47: Will selbst erlebt haben, wie eine geblendete Eidechse wieder sehend gemacht wurde. Die Verwandtschaft mit Plin. h. nat. 29,129f. deutet auf schriftliche Quelle. — Ovid hat in den Fasten sechs Beispiele: 2,584; 4,377 (am Tage von Thapsus trifft Ovid prompt einen Veteranen der Schlacht. Derselbe Tag ist jedes Jahr ein Regentag; also läßt Ovid das Gespräch durch einen Guß unterbrochen werden); 687; 905; 6,226; 395; vgl. a. 1,657 und 6,295, wo Ovid einen Irrtum fingiert, der sich aufklärt. — Sen. benef. 2,19,1: will etwas Ähnliches erlebt haben wie oben Apion. — Gellius kleidet sehr oft seine Lesefrüchte in die Form eines Gespräches mit Freunden oder auf andere Weise ein. Ein krasser Fall: Die Namen der sechs Paradoxographen, die er (9,4) beim Antiquar (natürlich bemerkenswert billig) gekauft haben will, stehen zufällig im anschließend erwähnten siebenten Buch des Plinius zusammen. Kroll 290 gibt einige Belege dafür, daß Nachschlagen mit Floskeln wie si rede meminerimus verkleidet wird. So auch Aristid. 2,341,13 J. (8) K o m m e n t i e r u n g der G l a u b w ü r d i g k e i t . Paus. 1,23,3, s. unter (3). — Boccaccio, Decamerone 10,3 Anf.: „Es steht fest, wenn man einigen Genuesen und anderen, die in jenen Gegenden gewesen sind, glauben kann, daß in China ein vornehmer und überaus reicher Mann namens Nathan gelebt hat". (9) B e w e i s s t ü c k e . Hecat. frg. 308—9: Beweisstücke für Helena in Ägypten, s. o. S. 46f. — Hellan.frg. 153: Stadt Thonis, s. o. S. 47 mit Anm. 4. — Ctes. frg. l k ( = Diod. 1,56,5): Städte Troja und Babylon am Nil. Diodor (c. 56,3—4) übernimmt sie, erzählt aber eine andere

2,30 Belege bei anderen Autoren

123

Geschichte dazu. — Chronica Lindiana FGrHist 532, D 1: Rhodos durch ein Wunder vor Belagerung durch Datis gerettet. Angebliche Weihgeschenke des Datis bei einem Tempelbrand verlorengegangen. Die Geschichte ist in Anlehnung an Hdt. 6,97 fabriziert11. — Diod. 1,59,4: Aus Herodot (2,111) übernommene Geschichte durch Weihgeschenke bestätigt (ohne είς εμέ). — 2,22,4: Die Äthiopier zeigen ein altes Schloß als das des Memnon, vgl. o. unter (3). — 3,63,5: In Indien noch heute Platz der Geburt des Dionysos gezeigt, Städte tragen seinen Namen und viele andere Zeichen, die aufzuführen zu lang wäre. — 3,66,2: Aus demselben Anlaß Weinquelle in Teos. — Plut., mal. Her. 12: Vage Behauptung über noch fortlebende Ehrungen für Helena und Menelaos in Ägypten. Zu Her. 2,112—20, o. § 1,13. — Paus. 10,31,7: Die Phryger zeigen den Weg, den Memnon nahm. Ähnlichkeit von Sprache oder Sitten. Xanthus frg. 15: Mysisch aus Phrygisch und Lydisch gemischt. — 16: Sprache der Lyder und Torrheber ähnlich. — Euhem. ap. Diod. 5,46,3: Sprache vonPanchaia und Kreta ähnlich. — Tac. Germ. 28,3: Sprache und Sitten zweier entfernter Stämme ähnlich. (10) Inschriften 1 2 . Axioch. 371a: Bronzetafeln der Hyperboreer über die Unsterblichkeit. — Onesicritus FGrHist 134 frg. 34 u. 35 ( = Strab. 15,3,7-8) und Aristobulus FGrHist 139 frg. 51 ( = Arr. anab. 6,29,8 und Strab. 15,3,7): Inschriften auf den Gräbern des Kyros und des Darius. — Timaeus ap. Polyb. 12,9,2—4: Die Lokrer zeigen einen Vertrag mit ihrer sizilischen Kolonie vor (folgt Kritik des Polybios). — Diod. Ib. 1 hat eine ganze Serie: c. 47,4; 49,3; 55,7; 56,2; 57,5. In c. 55 ist Herodot 2,106 weiter ausgeschmückt, vgl. o. § 2,22 (1). Strab. 16,4,4 (p. 769) und 17,1,5 (p. 790) setzt das fort. — 2,47,4: griechische Weihgaben bei den Hyperboreern. — 4,56,6: Die Argonauten schenken König Triton einen Dreifuß mit Aufschrift. — 11,14: Rettung von Delphi nach Hdt. 8,38 sq. (o. § 1,1), zusätzlich durch Inschrift beglaubigt. — Dio Chrys. 11,44: Bild der Dioskuren und der Helena in der Kypseloslade mit Inschrift „in altertümlicher Schrift". — Plut. gen. Socr. 5: In Haliartos gefundene Inschrift nach Ägypten zur Entzifferung gesandt, die Schrift dort auf die Zeit des Proteus datiert; Herakles lernte sie in Theben. Mit Proteus und Herakles schließt die Fiktion an Hdt. 2,112,1 (o. § 1,13) und 2,45 (o. § 2,8) an13. — Ps.-Arist. mirab. 133: In Hypata gefundene Säule 11 12

13

Schon Jacoby 507 meint, daß sie möglicherweise reine Fabel ist. Einige weitere Beispiele bei W. Larfeld, Handbuch der griechischen Epigraphik, 1. Bd., Lpz. 1907, S. 173 (nach Böckh). Vor allem aber vgl. Norden 183f. (die dort genannten einschlägigen Stellen sind im Text vollständig aufgeführt). Diese und die folgende Inschrift meint Volkmann 61 ernsthaft als Zeugnisse anführen zu können (nicht als einziger, vgl. die von ihm genannte Literatur). Ebenda 41 die übrigen Erwähnungen von Inschriften bei Plutarch.

124

2,30 Belege bei anderen Autoren

durch Vergleich mit der Schrift von Weihinschriften im Ismeneion in Theben entziffert. Anschluß an Hdt. 5,59-61, o. §2,22(2). Vgl. c. 110 derselben Schrift. — Paus. 3,14,1: Eine Stele mit den Namen der dreihundert Thermopylenkämpfer. Das sieht nach einer der üblichen Herodot-Erweiterungen aus, da Herodot 7,224,1 sagt, er kenne alle Namen der Dreihundert (o. § 2,19 Ende) ; vgl. besonders die nachträglich hinzuerfundenen Beweisstücke Diod. 11,14 u. Ael. nat. an. 12,45 (beide in diesem Absatz). Denn daß die Inschrift Herodots Quelle war14, ist, glaube ich, mit seinen Worten nicht zu vereinbaren. Wegen der genauen Ortsangabe bei Pausanias wird man aber Bedenken haben ; und so kommt hier vielleicht doch am ehesten eine reale, nach Herodots Angabe nachträglich gefälschte Inschrift in Frage. — 8,14,6: Anweisungen des Odysseus an seine Hirten. — 9,10,4: Dreifuß des Amphitryon. Nach derselben Stelle wie o. Ps.-Arist. — Luc. ver. hist. 1,7: „Bis hierher sind Herakles und Dionysos gekommen". Parodie. Dazu D. Per. 623 u. Eust. — Ael. nat. an. 12,45: Das Denkmal Hdt. 1,24,8 mit dem Delphin hat jetzt auch eine Inschrift. — Liv. 4,20: Livius will von Augustus über die Weihinschrift des Cossus auf dem Leinenpanzer des Königs von Veji im Tempel des Jupiter Feretrius gehört haben. — Mela 1,11,3: Kepheus und Phineus in Joppe. — Plin. h. nat. 6,16,18: Altäre von Herakles, Dionysos, Kyros, Semiramis, Alexander. — Ders. bei Suet. Calig. 8: Eine Altarinschrift fixiert den Geburtsort des Caligula. — Tac. Germ. 3: Ein Altar des Odysseus und andere Denkmäler mit griechischen Inschriften. — ann. 2,60: Germanicus läßt sich im ägyptischen Theben eine Inschrift über die Eroberungen des Ramses u. a. vorlesen. — Solin. 22,1: Ulixem Calidoniae appulsum manifestai ara Graecis litteris scripta. — Amm. Marc. 15,9,6: Gallische Urgeschichte mit Herakles durch vage Angabe über Inschriften unterstützt. Norden führt a. O. auch eine Reihe solcher Stellen auf, wo eine Inschrift nicht ausdrücklich erwähnt, aber ohne weiteres zu unterstellen ist, z. B. der Altar des Odysseus bei den Lotophagen Strab. 17,3,17. (11) Dokumente. Die Berufung auf umfangreiche Schriftstücke (zu den Inschriften kann verschieden abgegrenzt werden) kommt in zwei Formen vor, Berufung auf Listen und auf Schriften, die als Quelle für größere Zusammenhänge genannt werden. Nur die erste Form ist einmal (die 330 Könige 2,100,1) bei Herodot vertreten. Ich beschränke mich auf einige ältere, der Historie wenigstens nahestehende Beispiele. Ctes. ap. Diod. 2,32,4 und (ohne ausdrückliches Zitat) 22,5: Die Barbaren berufen sich auf die „königlichen Aufzeichnungen" 14

Das glauben Macan ζ. St. und Beloch 2,2,96.

2,30 Belege bei anderen Autoren

125

der Perser für ganz unhistorische Erzählungen. — Theophr. ap. Plin. hist. nat. 37,5,19: in Aegyptiorum commentants. — Euhem. ap. Diod. 5,46,3 u. 8: Aufzeichnungen des Zeus über die Urgeschichte von Panchaia und eine goldene Stele mit Hieroglyphen über die Taten der von den Griechen für Götter gehaltenen Menschen. — Nicol. Dam. frg. 44,7 (Xanthos?): Spermes in der königlichen Chronik (εν τοις βασιλείοις) nicht genannt. Die Stelle fällt aus den üblichen Fiktionen heraus. — Diod. 1,44,4 und 46,7: Die ägyptischen Priester lesen aus Aufzeichnungen vor. — Dio Chrys. 11,38: s. o. unter (3). — Licin. Macer berief sich für die Magistratslisten auf die libri lintei (SchanzHosius 1,28). — Caes. b. G. 1,29: Im Lager der Helvetier werden namentliche Listen aller Auswanderer gefunden und ergeben 368 000 Menschen, davon 92 000 waffenfähig. Übriggeblieben sind, wie ein Zensus ergibt, 110 000. Tatsächlich hat Cäsar die letzte Zahl als runde Zahl angenommen oder geschätzt (vgl. u. § 4,8), dann auf Grund der Annahme, daß 2/3 umkamen, 330 000 errechnet. Mit 32 000 Bojern und 6000 vom Gau Verbigenus, deren Reste nicht zurückkehrten (c. 1,27,4 u. 28,5) ergaben sich 368 000 (sicher sollte die runde Rechnung auch nicht zu deutlich hervortreten), wovon wieder 1/4 als waffenfähig zählten16. — Sali. lug. 17,7: Urgeschichte Afrikas nach punischen Büchern, die von König Hiempsal sein sollten. (12) I n h a l t l i c h e A b h ä n g i g k e i t von Herodot. Darauf wurde bei einer ganzen Anzahl der vorstehenden Stellen aufmerksam gemacht. Ich brauche hier nur die Stellen noch einmal aufzuzählen. Oben unter Nr. (3): Ephor. frg. 149; Paus. 2,25,12; 8,24,13; Ael. var. hist. 13,33. Unter (5) : Diod. 1,53 sqq. (vgl. a. unter Inschriften) ; Paus. 1,4,4 u. 10,23,2. Unter (6): Paus. 8,54,6; Philostr. vit. Apoll. 3,49. Unter (9): Hellan. frg. 153; Diod. 1,59,4. Unter (10): Chronica Lindiana; Paus. 3,14,1; 9,10,4; Ael. nat. an. 12,45. Im Einklang mit der Regel, die unten § 3,2 besprochen werden soll, handelt es sich niemals um bloßes Abschreiben, sondern stets um kleinere oder größere Variierungen des Vorbilds. Das gleiche gilt für die anderen Abhängigkeiten, z. B. Herodot von Hekataios, o. Nr. (9), Diodor von Ktesias, Nr. (9), Pausanias von Thukydides, Nr. (3). 16

Da Cäsar sich einer verbreiteten Lizenz bediente, ist die Stelle nur beschränkt geeignet, in der Diskussion über seine Glaubwürdigkeit eine Rolle zu spielen.

3. Kapitel Zur Rolle der eigenen Erfindung bei Herodot Herodotus says: Very few things happen at the right time, and the rest do not happen at all: the conscientious historian will correct these defects. Mark Twain

3,1

Vorbemerkung. Es ist hier nicht beabsichtigt, die Frage nach der Rolle der freien Erfindung bei Herodot so ausführlich zu besprechen wie die Quellenangaben, die unser eigentliches Thema sind1. Aber beide Themen stehen in so engem Zusammenhang, daß nicht ganz daran vorübergegangen werden kann. Das ergibt sich daraus, daß Herodot nicht, wie die ältere Ansicht war, statt der richtigen Quellen falsche angibt, sondern eigene Schöpfungen mit falschen Zitaten versieht. Es ist ja bereits im ersten Kapitel einige Male die Fiktivität der Zitate dadurch bewiesen worden, daß die Entstehung der Geschichte verfolgt und auf Herodot zurückgeführt werden konnte. Dies kann erst dann ohne Bedenken akzeptiert werden, wenn klar ist, daß das in Herodots ganze Arbeitsweise paßt. Noch direkter ist der Zusammenhang beider Themen insofern, als o. § 2,28 gezeigt wurde, daß die Quellenangaben im Prinzip auf das ganze Werk ausgedehnt werden müssen. So ist der Nachweis freier Erfindung an beliebiger Stelle von unmittelbarer Bedeutung für die Beurteilung der Quellenzitate. 1

Merkwürdigerweise gibt es keine eingehende Erörterung dieser Frage. Die Gesamtdarstellungen stellen sie entweder überhaupt nicht (Jacoby; Schmid; Myres; v. Fritz) oder berühren sie nur ganz kurz (Legrand, introd. 61 ff. ; Pohlenz 212—5). Im einzelnen ist jedoch manches beobachtet worden. Besonders Jacoby und Legrand bieten einschlägige Feststellungen. Aly hat einige Beobachtungen (242f.), schreibt jedoch, wo er sich klar ausdrückt, die Erfindung den Quellen zu. An wenigen Stellen Herodots wird die Frage allgemein diskutiert. Allgemein anerkannt ist die Fiktivität der Reden, Macan 2,1, S. L X X V I I — L X X X I , Hignett 34 u. v. a. Weitergehend über das übliche hinaus ist die Feststellung Erbses (Gymn. 68, 1961, S. 256) über die Selbständigkeit Herodots in der Gygesgeschichte, vgl. u. § 3,9. Wieder ist jedoch Howald als derjenige zu nennen, der das Thema in derselben Weise angefaßt hat wie diese Arbeit. Auch er geht unmittelbar von der Besprechung der Zitate auf das Thema der Erfindung über, und Vas o. S. 9 gesagt worden ist, gilt auch hier. — Über Erfindung bei Ktesias vgl. Jacoby, Ktesias 2047—63; abzuschwächen versucht von Momigliano, Ctesia (bes. 25f.).

3,2 Notwendigkeit des Variierens

127

Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei klargestellt, daß unter Erfindung hier alles verstanden wird, was im Gegensatz zur Treue zur Überlieferung steht. D. h. ich spreche auch von Erfindung, wenn eine anderwärts bekannte Geschichte von Herodot an einem bestimmten historischen Ort eingesetzt worden ist. Herodot hat so wenig wie andere aus dem Nichts geschöpft; allerdings ist es meist so, daß nur Elemente anderwärts nachzuweisen sind. Die folgende Darstellung geht von § 3 ab vom Spezielleren zum Allgemeineren. Die §§3—5 beziehen sich auf Einzelheiten; die folgenden Abschnitte betreffen die Schöpfung ganzer Geschichten.

3,2 Notwendigkeit des Variierens. Statt daß ein Autor wie Herodot ausgedehnte Partien aus älteren Werken abschreiben konnte, wie früher vermutet wurde1, gilt das genaue Gegenteil: In der älteren Historiographie ist es strikte Regel, daß verschiedene Autoren nicht dasselbe berichten. Das kommt zwar zum großen Teil einfach dadurch zustande, daß man vermied, über Dinge zu schreiben, die .andere' (das heißt in aller Regel ein anderer) schon behandelt hatten, wie Herodot an einer Stelle ausdrücklich sagt (6,55)2. Aber die Regel gilt auch, wenn über den gleichen Gegenstand geschrieben wird, bzw. umgekehrt: Man schrieb nur über den gleichen Gegenstand, wenn man eine andere Darstellung geben wollte. Und zwar gilt dies in einem Maße, wie es für eine sachbezogene Arbeit ganz unmöglich ist und in einem neuzeitlichen Geschichtswerk unter keinen Umständen erwartet wird. Die Regelmäßigkeit dieses Phänomens ist meines Wissens bisher nicht erkannt worden, und das hat zu massenhaften falschen Rekonstruktionen nicht erhaltener Autoren geführt. Zu belegen ist die Regel mit zahlreichen Fällen, wo wir parallele Berichte haben. So hat Ktesias nach Diod. 2,32 eine ganz andere Reihe der medischen Könige gegeben als Herodot. Die lydischen Geschichten, die bei Nikolaos von Damaskus überliefert sind und deren 1

Den in der Einleitung (o. S. 3) angedeuteten Argumenten gegen diese frühere Ansicht füge ich noch hinzu, daß m. E . eben die Notiz des Porphyrios, aus der wir wissen, daß einige Passagen des zweiten Buches aus Hekataios stammen, den weitergehenden Vermutungen den Boden entzieht. Denn hier ist doch wohl das argumentum e silentio unbedenklich anzuwenden; selbstverständlich hat Porphyrios die eklatantesten Fälle genannt; wenn lange Passagen aus Hekataios stammten, wären die kleinen Stücke kaum erwähnenswert gewesen. Weder auf das πολλά noch die angeblich wörtliche Übernahme ist allzuviel zu geben, da bei solchen Angaben anscheinend öfter übertrieben wird, vgl. lotus hic locus de Naeviano belli Punici libro translatus est schol. Verg. Dan. zu Aen. 1,198 (Klingner, Virgil, Zürich und Stuttgart 1967, S. 393 1 dazu); hi autem omnes versus Galli sunt etc. Serv. ecl. 10,46; id. Aen. 8,631.

2

Mit Recht von Jacoby 403 gegen Panofsky verwendet.

128

3,3 Pseudohistorie

Herkunft von Xanthos dem Lyder umstritten ist3, haben mit Herodot nur geringfügige Berührungen; nur die Gygesgeschichte hat ihr Pendant, ist aber hinreichend verschieden erzählt. Über die Geburt und Jugend des Kyros geben Herodot, Ktesias, Xenophon ganz verschiedene Berichte. Über Helena in Ägypten haben wir verschiedene Versionen von Herodot, Hellanikos und dem späteren Antikleides, und bei keinem von ihnen finden sich die Details, die aus Hekataios zu dem Thema erhalten sind, wieder (o. S. 46f.). Hellanikos frg. 59 und 60 spricht wie Hdt. 7,61,2—3 von Κηφήνες und ΆρταΤοι. Was er aber sagt, ist verschieden. Die Regel gilt natürlich erst recht, wenn Dichter zu vergleichen sind, vgl. ζ. B. Bakchylides' und Herodots Bericht über Krösus' Schicksal nach seiner Niederlage. Die Liste könnte leicht erheblich verlängert werden4. Es ist naiv zu denken, daß sich alle diese Unterschiede aus der Verschiedenheit der Quellen oder verschiedener Bewertung derselben natürlich ergaben ; sie sind vielmehr literarisch gewollt und zum großen Teil bei den erhaltenen Autoren entstanden. Bereits aus diesem allgemeinen Befund ergibt sich, daß stets mit einem erheblichen Maß an freier Erfindung zu rechnen ist. 3,3

Pseudohistorie1. Es gibt keine eindringlichere Schilderung der Willkürlichkeit, mit der die Griechen genealogisierten, als diejenige, die vor über hundert Jahren Jakob Burckhardt im ersten Kapitel seiner .Kulturgeschichte Griechenlands' gegeben hat. Wie massenhaft Eponyme produziert wurden — von Völkern, Örtlichkeiten und Flüssen, gar von irgendwelchen Landeseigentümlichkeiten — und wie sie willkürlich in genealogische Schemata eingeordnet wurden (bis hin zu Monstrositäten wie der arkadischen Stammtafel Paus. 8,3,1), hat er an wenigen treffenden Beispielen gezeigt. Zu Recht hat er auch behauptet, daß dieses sorglose Erfinden nicht der späteren Zeit allein angehört, sondern hält eine Genealogie wie die der Danaiden Aesch. suppl. 314 sqq. (Epaphos, Libye, Belos, Dañaos u. Aigyptos) für eine ebenso momentane Schöpfung. Schließlich hat er richtig das Ganze mit dem Epos in Verbindung gebracht, wo die frei erfundene Namensliste ja eine offenkundige Form ist. 8

4

1

H. Diller, Zwei Erzählungen des Lyders Xanthos, in: Navícula Chiloniensis, Leiden 1956, S. 66ff. ; v. Fritz, Anm.-Bd. 348ff. „Ktesias weicht durchweg von Herodot ab", sagt Meyer 3,129. Legrand l,112f. notiert eine Serie kleiner Abweichungen Strabos von Herodot bei den im ganzen eng verwandten Angaben über Perser, Babylonier, Massageten. Vgl. ferner die vielen Abwandlungen Herodoteischer Erzählungen in Diodors Ägyptenbuch, endlich die o. § 2,30 (12) aufgezählten Stellen. Dieser Abschnitt steht in engem Zusammenhang mit o. §§ 1,7—9.

3,3 Pseudohistorie

129

Allerdings muß noch eine zweite Quelle in Betracht gezogen werden. Auch Burckhardt verglich mit den griechischen Genealogien die Völkereponymen im Buche Genesis. Auch diese stehen wie die griechischen in einer deutlichen Verbindung einerseits mit der Geographie (die vom Garten Eden ausgehenden vier Flüsse gen. 2,10 gehören in denselben Zusammenhang wie die babylonische Weltkarte und die schematische Weltdarstellung der Jonier), andererseits mit der Urgeschichte der Welt, wie aus der Vereinigung dieser drei Elemente im Buch Genesis zu sehen ist. Bei den Griechen ist dieser Zusammenhang durch die Querverbindungen bei Autoren wie Anaximander (Kosmogonie und Geographie), Hekataios (Geographie und Genealogie), Akusilaos (Theogonie und Genealogie in einem Werk) gegeben. Die Parallele macht es wahrscheinlich, daß auch das pseudohistorische Verfahren orientalischer Import etwa des sechsten Jahrhunderts ist2. Freilich gibt es auf dieser Grundlage genügend spezifisch griechische Formen, die es ermöglichen, auch Notizen, die von Herodot fremdländischen Quellen zugeschrieben werden, als griechisch zu diagnostizieren. Einiges wurde o. § 1,7 schon genannt: die Namensänderung des Volkes, meist nach dem Eponymen 3 , der Ortswechsel und natürlich die Anknüpfung an den trojanischen Krieg und die Heraklessage4. Besonders eigenartig ist das Auftreten von Namen, die Landesprodukte oder Kulturgüter bezeichnen6. Des weiteren wird genealogisches Material durch mehrfache Verwendung desselben Namens gewonnen6. Dazu gehört die ausdrückliche Unterscheidung verschiedener Namensträger 7 . 2

Mir ist nicht bekannt, ob auf diese Zusammenhänge hingewiesen worden ist. Nachdem der grundsätzliche Widerstand gegen die Annahme von Verbindungen zwischen Orient und Griechenland wohl allgemein aufgegeben ist, liegen sie auf der Hand. 3 Dieses Motiv ist offenbar daraus entstanden, daß man den ursprünglichen eponymen Stammvater rationalisierend in einen König umdeutete, der dem Volk seinen Namen gibt. 4 Vgl. auch die spezielleren Motive o. S. 3 5 Anm. 9, ferner die Ähnlichkeit von Sprache und Sitten als Beweisstücke urgeschichtlicher Zusammenhänge, o. §§ 2,21 und 2,30 (9). 6 Phytios und Oineus (von oïvos; die Ableitung von οίνη ist nicht von Hekataios, vgl. Jacoby z. St.) Hecat. 15; Physkos von φύσκη id. 16; Oinopion, Melas (der .schwarze' Wein, v. Fritz), Agelos Io Chius FGrHist 392 frg. 1 = Paus. 7,4,8 (v. Fritz 94f.). Wegen Agron Hdt. 1,7,2 s. unten. ® In geradezu gigantischem Ausmaß bei Nikolaus von Damaskus in den lydischen Geschichten: Adyattes drei oder vier Mal, Ardys, Daskylos, Gyges, Meies je zweimal, nicht immer in derselben Familie, dazu Torrhebia neben Torrhebos. Ähnlich wie im letztgenannten Beispiel ist Hecat. 13 Pronoos, Sohn des Deukalion, nach seiner Großmutter Pronoe genannt (vgl. Jacoby z. St.). Wegen Alkaios Hdt. 1,7,2 s. unten. ' Hdt. 2,43 sq. (Herakles), häufig bei Hellanikos (v. Fritz 482) sowie Diodor; vgl. die Listen homonymer Gottheiten bei Cie. nat. deor. 3,42 und 53—60 und anderen 9 Fehling, Herodot

130

3,3 Pseudohistorie

Es ist ausgeschlossen, daß die genealogischen Systeme oder diejenigen ihrer Bestandteile, die auf solchen Methoden basieren, jemals etwas wirklich Volkstümliches gewesen sind; das Verfahren pflanzt sich vielmehr durchaus literarisch fort. Mündliche Überlieferung zwischen die schriftliche, uns faßbare Überlieferung dazwischenzuschalten, ist ganz überflüssig oder sogar abwegig8. Dafür bürgt allein der panhellenische Charakter dieser Schöpfungen (ich denke vor allem an Hekataios, Akusilaos und Hellanikos, unbeschadet dessen, daß Akusilaos seine engere Heimat in den Vordergrund geschoben hat, frg. 23—8). Eine Sammlung von Lokaltraditionen würde niemals eine solche Überschau über das Ganze ergeben. Vollends klar liegt die Sache, wenn außergriechische Gegenden einbezogen werden. Aber auch die lokale Urgeschichte wird nach demselben Schema gemacht, wie z. B. frg. 1 des Io von Chios (vgl. o. Anm. 5) zeigt. Ebenso kann in der Regel angenommen werden, daß die betreffende Genealogie jeweils bei dem Autor entstanden ist, bei dem wir sie finden. Abgesehen von den in der ganzen Tradition feststehenden Grundlagen hat nicht einer vom anderen abgeschrieben (o. § 3,2). Bei Herodot nun spielen die pseudohistorischen Konstruktionen keine große, aber doch eine gewisse Rolle. Die wichtigsten Beispiele sind die lydischen Genealogien 1,7, die Genealogien der Spartanerkönige 7,204 u. 8,131,2 und die o. §§ 1,7—9 behandelten verstreuten urgeschichtlichen Angaben. Es besteht nicht der allergeringste Grund, Herodot eine Sonderstellung einzuräumen und bei ihm allein zu glauben, er hätte sich an seine Quellen gehalten — es sei denn die traditionelle Scheu, den Ursprung von Neuerungen bei erhaltenen Autoren zu suchen. (Material und Literatur bei Pease zu diesen Cicero-Kapiteln, bes. S. 1092f.). Einiges Weitere: Die Sapphobiographie erfand eine Hetäre Sappho, auf die alle nachteiligen Nachrichten abgeschoben werden konnten (Ael. var. hist. 12,19; Ath. 13, p. 596e). Vgl. o. § 2,30 (5) zu Boccaccio, Decam. 7,1. Wenn moderne Philologen z. B. Dubletten wie den .jüngeren Probus', den .jüngeren Hygin' u. a. als Verfasser von Schriften, die den berühmten Gelehrten unterschoben waren, erfunden haben, dürfte das in direktem traditionsgeschichtlichem Zusammenhang mit der antiken Methode stehen. 8

Es ist nicht immer leicht festzustellen, wie die modernen Forscher darüber denken, da selten etwas Klares gesagt wird. Jacoby nimmt für Herodot konsequent Schriftquellen an; das Literarische ist ihm also klar. Eine Bemerkung von Pearson 99 ("The device of inserting an extra generation . . . is a favourite one with Hellanicus and it is interesting to note that Hecataeus used it before him") deutet wohl Erfindung an, ist aber alles, was ich finden kann. Diels scheint hingegen an Quellen zu glauben (Hekataios „durchschaut nicht die etymologische Legende" 437), und das müssen auch die vagen Ausdrücke „ziemlich junge Konstruktion" u. ä. bei v. Fritz (95 und 98) bedeuten; erst bei Hellanikos redet er, immer noch zweifelnd, von „erfunden". Hellanikos wird auch sonst seit Jacoby Erfindung zugetraut (Schmid 684 und 690) ; es besteht aber gar kein Grund, die Autoren prinzipiell verschieden zu beurteilen.

3,3 Pseudohistorie

131

Ich füge den o. §§ 1,7—9 besprochenen Stellen nur noch ein Beispiel hinzu. 1,7,2 wird folgende Abstammungslinie von Herakles bis zum ersten Herakliden auf dem lydischen Thron gegeben: Herakles, Alkaios, Belos, Ninos, Agron. Alkaios heißt schon scut. 26 der Vater des Amphitryon. Da ist also einfach der Name eines Aszendenten (in diesem Falle des Urgroßvaters) wieder verwertet. Belos, der semitische Gott, und Ninos, der Eponym der Stadt Niniveh, sind in jeder den Orient betreffenden Genealogie gerne verwendete Namen 9 . Agron ist natürlich nichts als Ableitung von àypôç, also einer jener von Kulturgütern abgeleiteten Namen10. Es ist nicht einzusehen, was uns veranlassen sollte, diese ganz einfache Erfindung im zeitüblichen Stil jemand anders als Herodot selbst zuzuschreiben. Es hieße ja geradezu, ihn eines erheblichen Stumpfsinns zeihen, wenn man meinte, er hätte dergleichen so ernst genommen, daß er es aus einer Quelle abschrieb. Selbstverständlich war er sich klar darüber, wie Genealogien bei seinen Zunftgenossen zustande kamen. Dagegen würde ich als Kommentator Herodots Wert darauf legen, daß er die Langeweile einer langen Liste vermieden 11 und auch in der kurzen Reihe Abwechslung gesucht hat, indem er drei verschiedene Methoden verwendet hat, Namen zu gewinnen. Statt weitere Namen zu nennen, hat Herodot nur eine runde Zahl (22) für die lydischen Könige aus der Herakliden-Dynastie mit einer ebenfalls runden Gesamtzahl für deren gesamte Regierungsdauer angegeben (505). Die Zahlen sind in der Größenordnung passend, aber sonst unabhängig voneinander ihrer besonderen Form wegen (s. u. § 4,3) gewählt und erfüllen deshalb nicht die Erwartung der Philologen auf eine Generationenrechnung. Eine enge Parallele zu der Stelle sind die 330 unberühmten Könige 2,100 (o. § 1,16), wo ebenfalls eine runde Zahl derselben Form zur Überbrückung eines längeren Zeitraums benutzt wird12. 9

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11

12

Aesch. suppl. 319 (s.o.) hat Belos als Vater des Dañaos, Pherec. Att. 21 als Großvater seiner Frau, Herodot selbst 7,61,3 als Vater des Schwiegervaters des Perseus, also unter den Ahnen des Herakles; Virgil läßt Aen. 1,621 den Vater der Dido so heißen. Ninos hat Hdt. 2,150,3 da, wo er hingehört, als Vater des Sardanapal. Unwahrscheinlich, daß dieser Ninos mit dem von 1,7,2 zu identifizieren ist (der chronologisch als assyrischer Reichsgründer paßt, Meyer, Forschungen l,161f.). Ganz andere Deutungen der Reihe bei How-Wells z. St. (bezeichnenderweise nichts über Agron, von dem auch sonst niemand etwas sagt). Lang sind bei Herodot nur die Listen der Ahnen der Spartanerkönige 7,204 und 8,131,2. Da soll offenbar die imponierende Reihe die Genannten erhöhen bzw. ihren Adelsstolz charakterisieren. Ich komme u. § 4,2 (7) darauf zurück. Auf die Deutung der Chronologie Herodots im ganzen hat die obige Beobachtung wenig Einfluß (außer insoweit Quellen angenommen werden), da er eine ungefähr passende Zahl wählen konnte (die nächsten Nachbarn wären 440 bzw. 444 und 550 gewesen). Ich brauche deshalb auf die in letzter Zeit lebhafte Debatte nicht einzugehen (v. Fritz 364ff. ; seitdem noch W. den Boer, Mnemos. ser. 4,20,1967, S. 30—60). 9«

132

3,4 Erfindung mit kompositorischer Funktion

Die Regierungszeiten der fünf Mermnadenkönige sind einzeln angegeben und ergeben zusammen 170 Jahre. Diese Zahl ist sonderbar sinnvoll. Nach 1,13,2 soll den fünften das Unglück treffen, nach 1,91,3 hat Apoll dem Krösus drei Jahre über die bestimmte Zeit hinaus erwirkt. 170 Jahre sind aber gerade fünf Generationen plus drei (die Generation nach 2,142,2 zu 33J/3 Jahre gerechnet und auf das volle Jahr aufgerundet). Wenn das nicht Zufall ist, was unwahrscheinlich ist, hat Herodot die Summe so errechnet und willkürlich auf die einzelnen Könige verteilt13. 3,4

Erfindung mit kompositorischer Funktion. Bisweilen erfüllen Handlungselemente, die für die Haupthandlung bedeutungslos sind, so deutlich eine kompositorische Funktion, meist die der Anknüpfung, daß man sie deswegen für Erfindungen Herodots halten muß, dessen Urheberschaft für die Zusammenfügung des Ganzen niemand bezweifelt1. (1) 4,85—7 und 7, 128—30: An diesen Stellen läßt Herodot einen Herrscher einen Ausflug machen, lediglich um sich etwas anzusehen, worüber Herodot berichten will. Darius fährt aufs Schwarze Meer hinaus, dessen Maße dann angegeben werden, Xerxes zum Peneios, s. o. § 1,6. Die Annahme, Herodot hätte entsprechende Nachrichten gehabt, wäre ziemlich absurd2. — 4,167,3: cbs έμοί δοκέειν, επί Λιβύ13

Das Verhältnis der Zahlen hat A. Schoene, Hermes 9, 1875, S. 496ff. entdeckt. E r läßt 1,91,3 aus der Differenz zwischen errechneter 167 und tradierter 170 herausgesponnen sein. Gebilligt von Meyer, Forschungen Ι,ΐββ 1 und anderen, gegen neueste Angriffe von v. Fritz, Anm.-Bd. 178—80 verteidigt. Darauf sei verwiesen; meine Deutung wird von der Debatte kaum betroffen. D a die 170 auch nichts anderes sein kann als dieselbe Rechnung abgerundet (so auch v. Fritz), bleibt die Dublette (die jüngere Quelle wiederholt unwissentlich die ältere Rechnung) mißlich. Meiner Deutung nahe ist die Notiz How-Wells 1,375; merkwürdig nur, daß sie die Einheit sehen, aber an dem dann völlig überflüssigen Vorgänger festhalten. Nach o. § 1,16 ist auch 2,142,2 nicht mehr Hekataios. •— Mitchels Einwand gegen die Rechnung, Krösus' Weiterleben, ist an sich berechtigt, zumal 1,13,2 nichts von abgelaufenen fünf Generationen steht, aber mit v. Fritz halte ich das für überwindbar. — Zur willkürlichen Aufteilung vgl. u. S. 166 Anm. 6.

1

Dieses Phänomen ist bekannt, vgl. ζ. B. Jacoby 390; Legrand introd. 64f. ; Schmid 603 mit Anm. 2; Howald, Herodot 28. Auch die meisten Fälle sind schon genannt worden; ich nenne alle Belege, die ich erwähnt gefunden habe. Beide Fälle sind von vielen anerkannt: Jacoby 446; Macan zu 7,128,1; Legrand a. O. und 7,54; Pohlenz 213 (der jedoch auf das 5,88 erwähnte Gemälde verweist; tatsächlich kann umgekehrt die Stelle als Argument gebraucht werden, daß Herodot auch griechische Tempel mit fingierten Beweisstücken bevölkert, vgl. o. § 2,20 Ende). How-Wells zu 7,128,1 und Burn 339 (Burn ist extrem überlieferungsgläubig) nehmen den zweiten Ausflug als Tatsache.

2

3,4 Erfindung mit kompositorischer Funktion

133

ων καταστροφή. Anknüpfung des libyschen Logos3. — 5,67,1: Kleisthenes ahmt seinen Großvater nach, ein minder evidenter Fall4. — 6,75,3 und 84: Erzählungen an die Frage geknüpft, warum Kleomenes wahnsinnig wurde5. — 7,26—31: Das Perserheer kommt an allen Sehenswürdigkeiten Kleinasiens vorbei6. — 7,59 sq.: Die Übersicht über das Heer des Xerxes wird durch eine Musterung eingeleitet. Das liegt so nahe, und die Form des Katalogs ist durch die Ilias vorgegeben, daß man es als kompositorischen Kunstgriff ansehen muß. Zum Katalog selbst vgl. u. § 3,6(1). — 7,197: Xerxes hört von seinen Wegführern die Geschichte von Athamas und Phrixos. Er verschont und ehrt daraufhin den Hain und das Haus der Nachkommen des Athamas. Wer will, mag annehmen, daß Herodot wußte, daß die geheiligten Orte heil durch den Krieg gekommen waren ; aber daß ein König mit Lohn oder Strafe reagiert, ist eine typische Form des Abschlusses7. (2) Spezielle Formen. Vereinzelt wird 5,92 eine Rede benutzt, um Geschichten einzuflechten. Sokleas redet gegen die Tyrannis und erzählt mehrere Anekdoten von Kypselos und Periander, von denen ein Teil jedoch seiner Absicht wenig dient. Man vergißt im Lesen ganz die direkte Rede, so genau ist der übliche Erzählstil gewahrt 8 . An anderen Stellen, ζ. B. 6,86, ist die Einflechtung zweckentsprechend9. Gelegentlich wird zur Verbindung eine kausale Beziehung zwischen aufeinanderfolgenden Teilen künstlich hergestellt10. 1,46,1: Die wachsende Macht der Perser flößte Krösus Sorge ein und machte seiner Trauer um seinen Sohn nach zwei Jahren ein Ende. Die zwei Jahre sind natürlich als lange, aber doch angemessene Frist frei erfunden; denn für die Novelle von Adrast gab es selbstverständlich keine Chronologie. — 3,30,1: „Wegen dieser Untat (d.h. gegen den Apisstier) wurde Kambyses sogleich wahnsinnig". Das ist des Parteistandpunktes wegen den Ägyptern in den Mund gelegt. — Etwas anderes ist es, wenn die künstliche kausale Verbindung gleichzeitig die Plazierung bestimmt: Die 3,48 erzählte Geschichte von der Befreiung der 300 nach Sardes zum Verschneiden geschickten Knaben durch die Samier war schwerlich Herodot als Grund für die Beteiligung der Korinther an dem eine Generation späteren Krieg gegen Polykrates überliefert11. 3 4 6 7 8

8

10 11

Stein z. St. (nach Dahlmann) ; Legrand a. O. Etwas anders Immerwahr 113106. Von Legrand a. O. genannt. 8 Jacoby 443,37 ff. Howald 130. Howald, Herodot 28. Dieses Beispiel ist allgemein anerkannt, Panofsky 24—6; Meyer, Forschungen 2,237; Jacoby 390,64; Legrand introd. 64; Schmid 6032 und andere. Jacoby 390,62—6 nennt noch 9,26 sq. Die Bemerkung zu 3,21 sqq. verstehe ich nicht; s. u. § 3,6 (2). Diesen Typ hat Kroll 290 bei lateinischen Autoren nachgewiesen. Panofsky 25.

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3,4 Erfindung mit kompositorischer Funktion

Mehrmals sind Aussendungen von Kundschaftern oder Gesandtschaften benutzt und auch erfunden, um Exkurse unterzubringen. Das einschneidendste Beispiel ist die Anknüpfung der Exkurse über Sparta und Athen an den Bündniswunsch des Krösus 1,56 sqq.12, parallel zur Reise des Aristagoras nach Sparta und Athen im fünften Buch, an die sich parallele Exkurse schließen13. — 3,17,2—25,1 wird alles, was über die Äthiopier zu erzählen ist, an die Erlebnisse der Kundschafter des Kambyses geknüpft14. Sie forschen nach dem Tisch der Sonne (c. 17,2), besichtigen das Gefängnis, wo die Gefangenen in goldenen Ketten liegen (23,4), die Gräber (24,1) usw. Das Ganze besteht aus separaten Elementen griechischer Erfindung, vgl. u. § 3,6 (2). — 4,102: Hilfsgesuch der Skythen an ihre Nachbarn, vgl. u. § 3,6 (1). — 6,84: Skythische Gesandte bei Kleomenes, vgl. u. § 3,7. — 7,148—69 wird alles Mögliche an die Hilfsgesuche der Griechen vor Salamis geknüpft15. Man könnte die Kundschafterberichte des vorigen Absatzes, die Einflechtungen in Reden und die Erzählung 7,197 (beides s. o.) als Belege für das geläufigste Mittel solcher Verknüpfung, die erzählte Erzählung oder Rahmenerzählung, zusammenfassen. (3) Zum Abschluß zwei untypische Einzelfälle. 4,81,1 hebt Herodot an, er habe über die Zahl der Skythen nichts Genaues erfahren können, sondern verschiedene Nachrichten gehört: Sie seien viele oder — wenigstens echte Skythen1® — wenige. Diese Einleitung muß den Leser verwundern, denn abgesehen von den Angaben, daß die Inder das größte, die Thrazier das zweitgrößte Volk seien (3,94,2; 5,3,1), ist es nicht Herodots Art, über Bevölkerungszahlen zu reden17. Die Aufklärung gibt das Folgende: Der Satz dient nur als Einleitung zu der Geschichte von dem Gefäß, zu dem jeder Skythe eine Pfeilspitze beitrug. Soll man annehmen, Herodot habe eigens bei den Skythen wegen ihrer Zahl nachgefragt, um sein Gewissen über diesen Einleitungssatz zu beruhigen ? Die differenzierte Angabe über die Zahl 12

13

14 15 16 17

Panofsky 25; Wilamowitz, Aristoteles und Athen 1,33 8 ; Jacoby 382f. (mit genauerer Darlegung. 383,36 ist auch gesagt, daß das Motiv häufiger vorkommt). Die Erfindung bestreitet Wardman 149. 7,133,1 erscheint die Parallelität zwischen Athen und Sparta noch einmal in verdächtiger Form. Xerxes schickt seine Boten nicht nach Athen und Sparta, weil die früheren dort umgebracht worden waren: Die einen hatten sie in eine Grube geworfen, die anderen in einen Brunnen; dort könnten sie sich Erde und Wasser holen. Das läßt sich nicht in zwei Lokaltraditionen aufspalten. Der Erfinder hat sehr in Herodots Sinne gehandelt. Erfindung in verschiedenem Ausmaß vermuten Pohlenz 62 u. 213 1 ; Säve-Söderbergh 80; Legrand 3,31 ; Herminghausen 74 f. bestreitet sie. So Meyer, Forschungen, 2,219. So m. E. trotz Powell, Niltal 124, zu übersetzen. Vgl. 3,21,3 wegen der Äthiopier. — Vgl. den Nachtrag.

3,5 Ökonomie

135

läßt sich als a priori gemacht deuten: Faßt man die Skythen eng (in dieser Prämisse wird die echte Erkundung stecken), sind sie kein Randvolk mehr, folglich nicht so viele. — 5,51,3: ουδέ oí έξεγένετο erri πλέον Iti σημήναι ττερί της ανόδου της παρά βασιλέα. So wird die Beschreibung der persischen Königsstraße eingeleitet18. 3,5

Ökonomie der Erzählung. Bei dieser Kategorie handelt es sich nicht um Einleitungen, sondern um Details innerhalb der Erzählung. Solche erfüllen nämlich manchmal so offensichtlich in der Erzählung die Funktion, Überflüssiges fernzuhalten, daß man sie aus diesem Grunde für frei erfunden halten muß. Ganz von der Ökonomie bestimmt ist vor allem Herodots Verfahren im Fall von Übereinstimmung oder Widerspruch verschiedener Quellen. Das hat sich oben immer wieder gezeigt. Hier nur noch ein paar Kleinigkeiten. Abstimmungsergebnisse nehmen immer die einfachst mögliche Form an. Das ist am auffallendsten 3,83,1: Nachdem drei der Sieben die Reden über die drei Verfassungsformen gehalten haben, stimmen die übrigen vier dem Darius zu. Darius mußte siegen; also war es am einfachsten, diejenigen, deren Meinung noch offen war, sich auf seine Seite stellen zu lassen. — 1,206,3 steht Krösus im Kriegsrat allein; so immer, wenn der kluge Ratgeber nicht durchdringt. Viel eindeutiger noch ist folgender Fall: 8,65 schreibt Herodot einem Athener Dikaios die Erzählung von der wunderbaren Erscheinung des eleusinischen Festzuges vor der Schlacht bei Salamis zu (wegen der Beglaubigung durch eine Person s. o. § 2,14). Er läßt ihn mit Demarat Zusammensein und darüber sprechen. Nun waren sehr, sehr viele Griechen im Heer des Xerxes. Es wäre ein Wunder, nicht viel geringer als die Erscheinung selbst, wenn Dikaios gerade mit demjenigen gesprochen haben sollte, der später in Herodots Darstellung als einziger eine so prominente Rolle spielen sollte. Vielmehr ist es reine Erzählökonomie, wenn Herodot den dem Leser schon bekannten Demarat auftreten läßt. Dieser Fall ist deshalb besonders interessant, weil er auf keinen Fall der Quelle zugeschrieben werden kann1. Über den Fall, daß Herodot aus Gründen der Ökonomie sagt, er habe sich vergeblich erkundigt, wurde o. § 2,19 gesprochen. Ähnlich ist es, wenn 2,101 von den 330 Königen summarisch gesagt wird, sie hätten nichts besonderes geleistet, und wenn es 1,14,4 in entschiedenem 18 1

Howald, Herodot 28. An die „Dikaiosquelle" Trautweins glaubt man ohnehin nicht mehr, Bengtson 153.

136

3,6 Umsetzen

Widerspruch zur Wahrheit2 heißt, es sei von Gyges nichts Bedeutendes mehr zu berichten. Zur Ökonomie gehört auch teilweise die S y m m e t r i e in geographischen u. a. Angaben. Hier nur ein besonderer Fall: 2,149,4 steht, daß das Wasser sechs Monate vom Nil in den Moiris-See fließe und sechs Monate wieder zurück. An Stellen wie der letzten kann man nachfühlen, daß ein wesentlicher Grund für das ökonomische Verhalten des Erzählers auch die Scheu vor der ganz willkürlichen Erfindung ist. Er möchte doch immer einen Grund haben, und sei es ein Scheingrund, warum er so und nicht anders erfindet. Vgl. u. § 4,1. 3,6

Umsetzen von gegenwärtigen Zuständen in historische Handlung. Die folgenden Überlegungen betreffen zum erstenmal die Entstehung ganzer Erzählungen. Ich erwähne auch Stellen, wo ein strikter Beweis nicht zu liefern ist, aber doch gezeigt werden kann, daß die Annahme freier Gestaltung nicht die geringste Unwahrscheinlichkeit hat. (1) Herodot scheint öfter geographisches Wissen in historische Handlung umgesetzt zu haben. Dies ist mit gutem Grund für große Teile des Xerxeszuges — den Marsch durch Asien und durch Europa bis Therme — vermutet worden1, besonders aber auch für den Katalog des Perserheeres2. Der klassische Nachweis Delbrücks, daß das Perserheer gar nicht so riesig war, macht es unmöglich zu glauben, daß es so viele Kontingente enthielt, wie Herodot glaubt. Eine so zusammengewürfelte Truppe wäre so wenig zu gebrauchen gewesen wie weiland die deutsche Reichsarmee3. Herodot dagegen konnte sich (auch das Homers wegen) gar nichts anderes vorstellen, als daß der Großkönig alle seine Völker mit sich führte, vgl. 7,21,1 und vor allem ήγε δέ πάντα των ήρχε 4,87,1, wo er sicher keine Nachricht hat. Heißt es doch 9,72,5 selbst von Marathon, wo man es erst recht nicht glauben kann, daß die Athener 46 Völker besiegt hätten. — 7,130 ist, wie o. § 1,6 zu zeigen versucht, der Plan des Xerxes, Thessalien unter Wasser zu setzen, aus einer geographischen Lehre entwickelt. — Zu 9,27,5 (s. o.) s. Nachtrag. Legrand4 hat glänzend gezeigt, daß einige Details des Skythenzuges des Darius in einfacher Weise aus der Geographie heraus entwickelt 2 1 2

3 4

Legrand 1,25. Jacoby 446—8 und ders., Hekataios 2714; Howald 130 (Lydien); Zähmt (Thrazien). Jacoby 450—1 (mit den älteren Ansichten) und 491. Dagegen glauben Legrand 7,57—60 und v. Fritz 412f., m. E. unrealistisch, daß die Kontingente des Heeres (nach v. Fritz auch die Namen der Anführer!) von Kundschaftern ermittelt wurden und daß Herodot davon authentische Nachricht hat. Das ist öfter gesagt worden; die Gegenargumente Burn 325f. überzeugen mieli nicht. guerre scythique und Hérodote 4,31 f.

3,6 Umsetzen

137

sind. 4,102 kommen die Nachbarvölker der Skythen auf deren Bitten zusammen; ethnographische Angaben schließen sich an. Darius zieht dann bis zu den Budinera im äußersten Nordosten ; wegen der angeblichen Befestigungen c. 124,1 s. o. § 2,20. Dann zieht er nach Westen die ganze Reihe der nördlichen Nachbarvölker entlang (c. 125,2—3), die Skythen immer vor ihm her. Widerstand der Agathyrsen, der letzten in der Reihe, erzwingt die nötige Richtungsänderung (c. 125,4—6). Ein besonderer, aber mit 7,130 (Thessalien, s. o.) verwandter Fall ist 2,18. Hier hat Herodot zur Bestätigung seiner Ansicht, daß nicht nur das Delta Ägypten sei, eine Geschichte erfunden. Der Gedanke ist einfach: Das Nächstliegende ist immer ein Orakel, und den Anlaß der Befragung hat sich Herodot sehr hübsch ausgedacht: Die Einwohner von Marea und Apis nahe Libyen wollen keine Ägpyter sein und Kuhfleisch essen dürfen. Der Gott aber sagt, daß das ganze Nilland Ägypten ist. Herodot kannte zwei geeignete Ortsnamen, wußte aber nicht, daß gerade dort Zentren des Kults der Isis und Hathor waren, denen die Kuh heilig ist5. Dieser Umstand zusammen damit, daß das Responsum Herodot so passend kommt, zeigt die Erfindung. (2) An anderen Stellen handelt es sich um ethnographisches Wissen. Hierzu kann die Beobachtung an den Schädeln der Gefallenen 3,12 (o. § 1,5) gerechnet werden. Sehr einfach ist die Erfindung in der längeren Erzählung von der Gesandtschaft zu den Äthiopiern 3,20—25,1, und hier ist der Nachweis, daß sie von Herodot stammt, gut zu führen 6 . Erstens ist der Sonnentisch (3,17,2—18 und 23,4), der als Hauptanlaß der Gesandtschaft genannt ist, offenbar, wie Lesky erkannt hat, eine griechische Schöpfung, die aus den Mählern der Götter im Äthiopierlande bei Homer und der Beziehung der Äthiopier zur Sonne (Mimn. 10,9—11 D. und Aesch. frg. 323 M.) entwickelt ist. Die bekannten Parallelen können zwar nicht so restlos alle Einzelheiten erklären wie im Falle der Eingangskapitel und der Helena in Ägypten (o. §§ 1,11 u. 13), reichen aber doch aus, eine Deutung nach Analogie dieser und ähnlicher (o. § 1,10) Fälle zu empfehlen. Griechisch ist natürlich auch die rationalisierte 5

4

Das hat Wiedemann geklärt. Trotzdem hat er sich eine phantastische Geschichte ausgedacht: Die wahre Frage war, ob man sich Inaros anschließen solle (3,12,4); mit Herodots Version haben sie sich ungeschickt (!) vor den Persern herausgeredet. Auf dem Weg über How-Wells zu Waddell avanciert die Vermutung (vereinfacht, weil man vergaß, warum Wiedemann so kompliziert sein mußte) zur Tatsache. So schreitet die Wissenschaft voran. Die griechische Herkunft der meisten Details ist anerkannt: Hadas 113ff. ; SäveSöderbergh 79; vor allem Legrand 3,27—32 und Lesky; Resume Herminghausen 31—3. — Lesenswert Herminghausen 61—80. Wie jeder, der sich alle Konsequenzen genau uberlegt, ist er gezwungen, der Quelle praktisch den ganzen Text zu geben; aber er sieht auch, daß die Darstellungsweise ganz herodoteisch ist. Die Erkenntnis, daß Herodot selbst die Quelle ist, ist also nur um Haaresbreite verfehlt.

138

3,6 Umsetzen

Variante; daß das Nebeneinander von Grundversion und Rationalisierung nicht zwei Quellenschichten bedeutet, haben die Belege o. §2,11 gezeigt; beides wird vielmehr zusammen konzipiert. Sodann ist die Mitteilung, die die Äthiopier dem Kambyses ausrichten lassen, aus zwei typisch griechischen Vorstellungen über Randvölker entwickelt, ihrer Gerechtigkeit und ihrer großen Zahl7: Kambyses solle sich freuen, daß den Äthiopiern nicht ihrerseits in den Sinn komme, Eroberungen zu machen8. Es ist schwierig, sich diese Anekdote als ägyptischer Herkunft vorzustellen. Im zweiten Teil kommentieren die Äthiopier die gebrachten Geschenke. Da sind sie die schlichten Naturmenschen, die die Gegenstände der Zivilisation mißverstehen und dadurch ihre Nichtigkeit entlarven. Griechische Parallelen für diesen Topos vor Herodot haben wir nicht9, aber es mag sie gegeben haben. Das Prinzip gegeben, sind die einzelnen Gedanken sehr einfach ausgedacht. So etwas kann ohne jede fremde Anregung geschrieben worden sein. Als drittes besichtigen die Gesandten die Gräber, was nur dazu dient, eine Bemerkung über die Begräbnisweise anzuknüpfen, und das Gefängnis. Hier illustriert das Kuriosum, daß die Gefangenen goldene Ketten tragen (c. 23,4), den Goldreichtum der Äthiopier (3,114), der wiederum typisch für Randvölker ist10. Mindestens der erste und der dritte Teil sind also keinesfalls authentisch. Ferner hat das Ganze zwar die übliche Dreiheit der Erzählung, aber die Teile sind disparat und geben kein abgeschlossenes Ganzes. Im größeren Rahmen bei Herodot ist das absolut kein Fehler, aber daß die Geschichte in dieser Form für sich existiert hat, ist völlig ausgeschlossen. Damit scheidet auch die Möglichkeit einer griechischen Quelle aus. Wenn man annimmt, daß hinter der Angabe, die Lyder hätten alles mögliche Spielzeug erfunden, nur das Wissen steckt, daß es solche Dinge bei ihnen besonders reichlich gab, kann man auch die sehr reizvolle Erzählung 1,94 als Umsetzen, kombiniert mit einer der typischen Ursprungsgeschichten, deuten: Zu Anfang einer Hungersnot lenken sich die Lyder durch neu erfundenes Spielzeug ab und kommen jeden zweiten Tag ohne Essen aus; schüeßlich aber wandert die Hälfte unter Prinz Tyrsenos aus, woraus die Etrusker werden. Diese einfach zu analysierende Kombination aus zwei Elementen braucht nicht auf eine Quelle zurückgeführt werden. Wegen der Ursprungsgeschichte hat die Stelle ein Zitat, o. § 1,7(1). 7

8 8

10

Gerechtigkeit: II. Ν 6; Aesch. frg. 329 M.; Hdt. 4,23,5 (auch Friedlichkeit); 26,2. Zur großen Zahl o. § 3,4 (3). Wegen der Wiederholung des Motivs 1,71,4 s. u. § 3,8 (2). Das Hauptfragment des Aristeas (bei Ps.-Longin. 10,4) ist von manchen so gedeutet worden; vgl. die Diskussion Bolton 9f. Vgl. o. S. 75 mit Anm. 3.

3,6 Umsetzen

139

(3) Eine besondere Gruppe innerhalb der ethnographischen Stellen sind Anekdoten, die von der Verschiedenheit der Sitten bei verschiedenen Völkern handeln. Ihre Grundform ist, daß jeweils Vertreter der verschiedenen Vorstellungen miteinander konfrontiert werden. Sie konnten leicht von Herodot erfunden werden. Da bekannt ist, daß das Thema die Literatur der Zeit beschäftigte, ist er jedenfalls immer die nächstliegende Quelle. 3,38,3—4: Der Grieche hört mit Abscheu, daß es in Indien Menschen gibt, bei denen die Kinder ihre gestorbenen Väter aufessen müssen. Die relativistische Denkweise vermutet, daß die Inder mit demselben Abscheu hören würden, daß man in Griechenland die Toten verbrennt. Wie leicht ist daraus die Anekdote entwickelt! Ihr ganzer Inhalt ist ja, daß König Darius durch Befragen von Indern und Griechen diese entgegengesetzten Ansichten feststellt. Niemand anders als der persische König konnte Menschen von beiden Enden der Welt zusammenbringen ; die spezielle Wahl des Darius erinnert lebhaft daran, wie zweimal eine an keine bestimmte historische Situation gebundene Anekdote an Psammetich angeknüpft wird (2,2 und 2,28): Der große König in glaubhafter Vergangenheit ist die geeignete Person. So ist alles erklärt. Braucht es da eine Quelle? Die Erfindung ist einfach und geradlinig. Das Genie Herodots besteht oft darin, daß er so gerade Wege geht 11 . — 1,153,1—2: Kyros sagt zu den spartanischen Gesandten, er fürchte Leute nicht, die sich auf der Agora gegenseitig betrügen. Das ist nur scheinbar von der persischen Seite gesehen. Die Griechen stellten das Fehlen der Agora bei den Persern fest und kombinierten die Ursache, indem sie an die schlichte Ehrlichkeit dachten, die sie wie bei anderen fremden Völkern so besonders bei den Persern vermuteten. Der Gedanke mag bei ihnen verbreitet gewesen sein, aber sicher hat ihn Herodot selbst an diesen bestimmten historischen Ort gesetzt. — 8,26: Die Perser staunen, daß die Griechen bei Wettkämpfen nur um einen Ölzweig kämpfen. — Zwei ähnliche Fälle haben eine vage Quellenangabe: 1,133,2 sagen die Perser, daß die Griechen hungrig vom Essen aufstehen, 2,13,2—3 haben die Ägypter einmal gesagt, die Griechen seien in Gefahr zu verdursten, da sie auf den Regen angewiesen seien. Sie können sich eher den Regen ausbleibend denken als die Nilschwelle12. 11

12

Die griechische Herkunft ist anerkannt; eine Erörterung und Literatur bei Heinimann 80—2. Aly, Philol. Suppl. 21,3,1929, S. 133 und Heinimann selbst 81 raten auf Protagoras, Legrand 3,32f. auf Hippias. Es bedarf geringer Phantasie sich vorzustellen, daß man, wären diese Autoren erhalten und stünde die Anekdote dort, allgemein nach deren Quelle fragen — und nicht zuletzt auf Herodot raten würde, wäre dieser nicht erhalten! Pohlenz 1852 und Stier (von P. zitiert) betonen den Unterschied zur Sophistik. Vgl. hierzu auch 3,10,3, o. §2,2(2): Regen, in Griechenland natürlich, ist in Ägypten ein Mirakel.

140

3,7 Weiterspinnen

In allen diesen Fällen kehrt Herodot das Staunen der Griechen über fremde Verhältnisse um, indem er die Reaktion der anderen auf die griechischen Verhältnisse ausmalt und so dieses Staunen als naiv entlarvt. Nur 8,26 spielt Nationalstolz eine Rolle. Vom ersten Beispiel unterscheiden sich die folgenden nur dadurch, daß nicht beide Seiten zu Wort kommen. In die vorstehende Serie paßt die Anekdote 2,143 über Hekataios so glänzend hinein, daß die Vermutung, auch sie sei von Herodot geschaffen, die schon o. § 1,16 geäußert wurde, keine Schwierigkeit macht. — S. den Nachtrag (über 1,27). (4) In ähnlicher Weise wie ein spezifisches Wissen kann auch eine allgemeine menschliche Wahrheit in eine Geschichte umgesetzt werden. So erscheint 3,14 die Wahrheit, daß ein Mensch bei übergroßem Leid keine Tränen findet, in einfachster Weise unter Benutzung der typischen Dreiheit des Märchens in die Anekdote übersetzt, wie Kambyses dem Psammenit dreifaches Leid zufügt und dieser erst bei dem geringsten Unglück, das nach Sohn und Tochter nur den Gefährten betrifft, zu schluchzen anfängt. Natürlich ist in diesem wie in andern der genannten Fälle nicht zu widerlegen, daß auch jemand anders das erfinden konnte. Die Quellenangabe wurde o. § 2,9 gedeutet. 3,7 Weiterspinnen von Früherem. Gelegentlich findet man, daß Herodots Erzählung Mitteilungen verwertet oder weiterführt, die in anderen Erzählungen enthalten sind. Die Verzahnung verschiedener Partien macht, wenn es sich nicht einfach um ein historisches Faktum handelt, bei der Annahme von Quellen Schwierigkeiten, da man für auseinanderliegende Partien die gleiche Quelle annehmen muß. Doch verzichte ich darauf, im einzelnen zu erörtern, welche neuen Beweise jeder Fall erbringt, und gebe nur die Beispiele. 1,1,1: Was 7,89,2 über die Urgeschichte der Phönizier gesagt ist, ist hier in die Erzählung der Perser hinein verwoben. — 2,110: Die Anekdote, in ihrer Art den Konfrontierungen von o. § 3,6 (3) verwandt, ist aus der Gedankenverbindung zwischen dem erfolgreichen Sesostris und dem an den Skythen gescheiterten Darius gewonnen. Schwerlich kann man diese Verknüpfung einem anderen Menschen der damaligen Zeit zuschreiben als Herodot selbst 1 . — 3,30,1: Smerdis kann als einziger den Bogen des Äthiopiers (3,21,3 — 22,1) ein wenig spannen. Gleiche Quelle beider Stellen wäre kaum zu konstruieren. Vgl. § 3,6 (2). — 3,47,1 taucht der 1,70 von den Samiern gestohlene Krater (vgl. o. 1

"plainly a Greek author" Sayce 183 2 , seitdem meist vergessen (ζ. Β. How-Wells ζ. St.). v. Fritz Anm.-Bd. 102 1β hat es richtig gesehen und iührt die Geschichte auf Herodot zurück, natürlich in Form des (modifizierten) .Hineinfragens'.

3,7 Weiterspinnen

141

§ 2,9 zu beiden Stellen) als Kriegsgrund wieder auf2. — 4,4: Auch hier handelt es sich um einen Kriegsgrund. Darius soll mit dem Skythenzug Rache für das frühere Eindringen der Skythen im Mederreich haben üben wollen. Da, wie Stein bemerkt, beide Kontrahenten nicht dieselben sind wie damals, ist nicht daran zu denken, daß das historisch ist, noch wahrscheinlich, daß es überliefert war. Vielmehr hat Herodot, da es zu seinen stehenden Gewohnheiten gehört, zu Kriegen die Anlässe mitzuteilen (1,73,1; 3,1 etc.), unter Benutzung der Erzählung 1,103,3 sqq. das Motiv auf die einfachst mögliche Weise ausgedacht3. Der Gedanke setzt außerdem die Denkweise des οίκηιεϋνται 1,4,4 voraus, auf dem Herodot die Perser-Erzählung der Eingangskapitel aufgebaut hat 4 . Das so gewonnene Motiv für den Skythenfeldzug wird nun innerhalb der anschließenden Erzählung noch einmal verwertet in der Debatte der Skythen mit ihren Bundesgenossen (4,118,4—5 und 119,2—3). Da es sich um Reden handelt, wird die Behauptung, daß dies von Herodot stammt, wenig Widerspruch erregen. Hätte Herodot aber eine Quellenangabe gegeben, so hätte sie nach seiner ausnahmslosen Praxis auf die Skythen gelautet. — 6,84: Die Anekdote, daß Kleomenes von Skythen zum Trunk verführt wurde, muß von dem zitierten Ausdruck ετπσκύθισον ausgegangen sein6. Dann lag es nahe, auf Grund der beiderseitigen Feindschaft mit Persien diese Skythen konkret als Gesandtschaft, die ein Bündnis gegen Darius sucht, darzustellen. Hierher gehört auch die Verwendung des Krösus als Ratgeber nach seiner Errettung vom Scheiterhaufen; doch bespreche ich das erst u. § 3,9 (2). Hier nur ein Detail: 3,36,3 will Kambyses einem Rat des Krösus nicht folgen und argumentiert mit zwei Fällen, wo sich dessen Rat nicht als gut erwiesen hatte. Er habe sein eigenes Reich zugrunde gerichtet und mit dem 1,207 erzählten Rat den Tod des Kyros verschuldet. So sind geschickt zwei zufällig vorhandene Daten verwendet, der Weigerung des Kambyses Farbe zu geben. Ich sage zufällig, weil ich nicht glaube, daß die früheren Passagen nach dieser Stelle zu interpretieren sind; sie sind hier ad hoc ausgenutzt. — Ganz ähnlich argumentiert 7,18,2 der Warner Artabanos mit den von Herodot erzählten früheren Fehlschlägen der Perser seit Kyros. Den Übergang zum folgenden Abschnitt bilden Fälle, wo Herodot gewisse Vorstellungen über historische Zustände, die ich deshalb S t a n d a r d v o r s t e l l u n g e n nennen möchte, wiederholt als Motiv verwertet. So bildet zweimal, bei Histiaios und bei Demokedes, die Vorstellung, daß der Perserkönig Fremde, auf die er Wert legt, an Auf diesen Fall macht Panofsky 18 aufmerksam. Panofsky a. O. ; Schmid 603. * S. o. S. 44 Anm. 11. 5 Wie How-Wells ζ. St. bemerken. Vgl. Wipprecht 15. 2 3

142

3,8 Motivwiederholungen

seinem Hof festhält, die Grundlage der Erzählung. Man darf nicht einfach als selbstverständlich unterstellen, daß sich diese Wiederholungen bei getreuer Berichterstattung von selbst eingestellt haben, sondern es ist damit zu rechnen, daß Herodot solche Vorstellungen selbständig verwertet hat. Weitere Beispiele im folgenden Abschnitt. 3,8

Motivwiederholungen1. Ziemlich häufig findet sich dasselbe Motiv in geringer Abwandlung zweimal bei Herodot, darunter auffallend oft in geringer Entfernung. Das ist mindestens am einfachsten damit erklärt, daß Herodot selbst mit diesen Motiven frei umgeht, besonders wenn die Quellen, die man annehmen müßte, sich keineswegs so nahe stehen würden wie der engen räumlichen Nachbarschaft im Werk entspricht. Auffallend ist, daß neben der Serie von zweifachen Wiederholungen drei- und mehrfache so gut wie völlig fehlen2, ein Zeichen, daß Herodot sorgfältig aufgepaßt hat, sich nicht zu oft zu wiederholen. (1) Fälle mit enger Nachbarschaft: 1,27,2 und 29,1: Einer der Sieben Weisen in Sardes2®. — Das Motiv der ,Thyestischen Mähler' begegnet 1,73 (Kyaxares und die Skythen) und 1,119 (Astyages und Harpagos). Es ist gewiß griechisch und nicht authentisch3. — Zweimal ganz dicht hintereinander begegnet das Motiv der sich prostituierenden Königstochter: 2,121,ε (Rhampsinit) und 126 (Cheops). — An der letztgenannten Stelle muß ferner jeder Freier einen Stein zu einer kleinen Pyramide beitragen. Dieses Motiv wiederum wiederholt sich ähnlich c. 135,3—4 bei Rhodopis, vgl. auch 134,1. Allerdings ist von den einzelnen Freiern nicht die Rede, und die Geschichte hat, sinnvoll bei der Griechin, nichts Märchenhaftes. — Ein ähnliches Motiv kommt noch an anderer Stelle des Werks zweimal ganz dicht hintereinander vor: 4,81,5—6 (alle Skythen tragen eine Pfeilspitze zu einem riesigen Gefäß bei, das Herodot fälschlich4 gesehen zu haben behauptet) und 1

2

3 4

Einiges bei Aly 42 (wovon ich nur zwei schwache Beispiele auslasse) ; Jacoby s. im Text. Der Traum, der Weltherrschaft ankündigt, begegnet zwar viermal, doch variiert eine Stelle das Motiv, und 1,107 sq. kann man als eins zählen. So stimmt die Regel auch hier zur Not. Auch 7,229—32 zähle ich für diese Regel als eins, und sinnvolle Variation kommt hinzu. Am ehesten würde ich die dreimalige heimliche Botschaft als Ausnahme ansehen; aber die Listen sind auch hier hinreichend verschieden. Fälle mit stärkerer Abwandlung mag es noch mehr geben, vgl. das vierte und fünfte 2 a S. den Nachtrag zu S. 140. Beispiel im Text. — Alle Stellen s. u. So meinen auch How-Wells z. St. Doch wird es meist geglaubt (Jacoby 252 und 257; v. Fritz 1291). Doch beweist die falsche Angabe über eine salzige Quelle hinreichend, daß Herodot nicht dort war. Legrand 4,35 (die Anm. 3 versprochene Note fehlt) räumt ein, daß sie problematisch ist; Herodot brauche sie nicht selbst gesehen zu haben. Es ist aber wenig plausibel,

3,8 Motivwiederholungen

143

4,92 (jeder Soldat trägt einen Stein zu einem großen Mal bei). — Geringer ist die Übereinstimmung 1,75,4—6 und 189 (Fluß überschreitbar gemacht). In den letzten drei Fällen ist Gleichheit der Quelle ausgeschlossen. Es wäre einer der vielen sonderbaren Zufälle, die die herrschende Meinung anzunehmen zwingt, wenn jeweils der Zufall dafür gesorgt hätte, daß die Parallelen einander so in die Nähe gerieten (nur im Fall der Rhodopis ist die Assoziation selbst Ursache für die Nachbarschaft). Einen kleinen Katalog ähnlicher Wiederholungen speziell aus den Perserkriegen stellt, freilich mit anderen Schlußfolgerungen, Jacoby 409 zusammen: „Und auch in der Erfindung zeigt sich da kein großer Reichtum. Bei Mykale verwendet der spartanische Nauarch die gleiche List, wie Themistokles bei Artemision (was H. IX 98,3 selbst anmerkt 6 ) und die ionischen Tyrannen bei Lade. Die bei Plataiai zu spät gekommenen Mantineer σύμφορη ν Ιποιεϋντο μεγάλη υ (IX 77,1), wie die Spartaner beim Sturze des Kroisos und bei Marathon. Die τειχομαχίαι werden immer durch Athener entschieden (Plataiai, Mykale) ; wenn die Spartaner zaudern, sind immer Götterfeste schuld u. a. m." Bei der Erwähnung der Mantineer hat Jacoby vergessen zu erwähnen, daß unmittelbar anschließend (9,77,3) dasselbe von den Eleern erzählt wird, einschließlich des Zuges, daß beide Male die schuldigen Strategen zur Strafe verbannt werden. Solche unmittelbare Wiederholung findet sich noch zweimal. Die erste Passage, 7,229,2—232, s. unter (2). Zweitens werden 1,107,1 und 108,1 zwei ganz ähnliche Träume der Mandane erzählt, die darauf deuten, daß ihr Sohn ganz Asien beherrschen wird. Aly 49 sieht hierin ein Anzeichen für den Reichtum der Überlieferung. Vorsicht ist aber angebracht, da Herodot beide Träume zur Motivierung nötig braucht. Der erste begründet, daß Mandane mit einem Perser verheiratet wird, der zweite, daß Astyages das Kind los sein will. Ich gebe zu, daß eine Sonderbarkeit entsteht, die auf die Verarbeitung verschiedener Überlieferungen gedeutet werden kann. Es ist ja seltsam, daß Astyages gegen seinen legitimen Nachfolger so mißgünstig ist; das Motiv der versuchten Vereitelung der vorbestimmten Herrschaft paßt besser auf jemand aus fremder Familie. Erst nachdem Astyages' erste Maßnahme aus Kyros einen Perser gemacht hat, ist seine Besorgnis motiviert. Das Traummotiv noch einmal 1,209,1 und, ins Negative variiert, 7,19,1. daß man ihm am Ort darüber vorlog. — Stein, dem How-Wells folgen, glaubt, daß die Quelle salziges Wasser im Unterlauf des Flusses, in Wahrheit Gezeitenwasser vom Meer, erklären soll. Das hört sich leidlich an, aber die modernen Rationalisierungen taugen grundsätzlich wenig. Sie sind offenbar immer möglich, denn mit tödlicher Sicherheit gibt es an jeder Stelle ein paar davon. 5

Dies kann nach o. §§ 2,17—8 interpretiert werden.

144

3,8 Motivwiederholungen

(2) Die Liste Jacobys schließt auch Beispiele ein, wo entfernte Stellen ähnlich sind; dafür noch weitere Beispiele. 1,71,4 und 3,21,3 wird dem Angreifer vorgehalten, er solle froh sein, daß der viel stärkere Gegner nicht seinerseits angreift 6 . — 1,123,3—4; 5,35 und 7,239,2—4: Die vor Entdeckung durch die Häscher, die die Wege bewachen, geschützte heimliche Botschaft, je mit verschiedener List. In den beiden ersten Fällen ist die Situation dieselbe (Aufforderung zur Rebellion). Da das durch das Motiv nicht gefordert ist, folgt daraus, daß die eine Erzählung die andere nach sich gezogen hat, und das wird bei Herodot selbst geschehen sein. Denn die Übereinstimmung ist zu speziell, als daß man sie auf die diffuse Motivwanderung in mündlicher Überlieferung zurückführen könnte. An der dritten Stelle macht die Person Demarats wahrscheinlich, daß Herodot der Autor ist, vgl. u. § 3,9 (1) Ende. Man könnte einwenden, daß die Anekdote im Verhältnis zu der sonstigen Rolle Demarats überraschend und beinahe ein Widerspruch ist. Aber Herodot hat, um eine gute Geschichte anzubringen, öfter kleine Opfer im größeren Zusammenhang gebracht 7 . — 1,127,2 und 2,162,4 wiederholt sich der Sarkasmus: ,Ich werde eher kommen, als dir lieb ist'. — 3,105 und 116,1 mit 4,13,1: goldhütende Fabeltiere, vgl. o. § 2,6 (2) Anfang. — 4,204 und 6,119,4: Deportierte Bevölkerung noch zu Herodots Zeit vorhanden, vgl. o. § 2,20 Ende. — 7,229,2-231; 232; 1,82,8; 5,87,2: Schande des einzigen Überlebenden in drei Variationen: spätere Wiedergutmachung, Selbstmord (zweimal), Lynchung. Daß die drei Varianten, wo der Betreffende selbst sühnt, von Spartanern handeln, ist schwerlich Zufall, aber eher Spartaromantik, die gerade anderswo zu Hause ist, als Lokalüberlieferung8. Vgl. u. § 4,2 (2) zur Wiederholung der Dreihundert. Speziell gibt es eine Anzahl von Parallelen zwischen dem Skythenzug des Darius und dem Zug des Xerxes gegen Griechenland9. β

7

8

8

Ich gebe die Inhaltsangaben im folgenden nach Möglichkeit so, daß klar wird, wie weit die Übereinstimmung reicht. So p a ß t die zwar kluge, aber charakterlose Antwort des Krösus 3,34,5 schlecht in das von ihm sonst gezeichnete Bild. Xerxes erscheint 7,197 als gerechter Herrscher (s. o. § 3,4 (1)), 7,38 sq. und 8,118 als grausamer und willkürlicher Despot. Beide füllen nach Bedarf verschiedene Varianten der typischen Rolle aus, für die sie in Frage kommen. Die berühmte Anekdote 3,46, u. § 3,10 (3), paßt nicht ideal in den Zusammenhang, da die Spartaner am Ende doch positiv reagieren. — S. d. Nachtr. Tac. Germ. 6,4, von Aly 44 l zitiert, ist eins der vielen Beispiele für die Nachwirkung Herodots in der Ethnographie. Parallelen für die Form „alle außer einem" bei Herodot, Homer und anderen Autoren sammelt Blom 2216. Überhaupt liebt es Herodot, von einer allgemeinen Aussage eine einzelne Ausnahme zu machen, ζ. Β. ττλήν πεσσών 1,94,3. Notiert Jacoby 434,19; Listen bei Legrand, guerre scythique 224—6 und (ohne Kenntnis Legrands, nur teilweise übereinstimmend) Bornitz 125—34. Ich kompiliere beide; einiges von Bornitz Genannte ist weggelassen. Vgl. Immerwahr 109.

3,9 Der Warner

145

Hier besteht besonders wenig Anlaß, an eine andere Quelle zu denken als Herodot selbst. In der Regel dürften die die Skythen betreffenden Stellen die sekundären sein. 4,1; 4,4; 118,4 u. 6,44,1; 94,1; 7,138,1: Krieg als Straf expedition motiviert (vgl. §3,7); dies aber nur Vorwand, alles zu unterwerfen. — 4,119,3 u. 8,142,2: „Ihr seid der Anlaß des Krieges gewesen". — 4,83 u. 7,10: Artabanos als Warner (s. den folgenden Abschnitt). — 4,84 u. 7,38 sq.: Einer bittet den König, einen Sohn vom Heerdienst freizustellen. Daraufhin alle getötet. — 4,85,1 u. 7,44: Der König sitzt und schaut, Schauplatz Hellespont. — 4,87,1 u. 7,59—100: ήγε δε πάντα των ήρχε, ο. § 3,6 (1). - 4,127 sq. u. 7,133; 136: Stolz und Zorn dem persischen Herrschaftsanspruch gegenüber. — 4,134 u. 8,26: Die Bedrohten beschäftigen sich seelenruhig mit etwas anderem (ziemlich verschieden). — 4,118,2 u. 8,62; 9,11,1—2: Drohung an säumige Bundesgenossen mit Auswanderung bzw. Kapitulation vor den Persern. — Brücke als Einfalls- und Rückzugsweg. Diskussion um ihre Zerstörung. Perser durch unnötigen Verzicht darauf gerettet. Eine besondere, im vorstehenden übergangene Kategorie sind Übereinstimmungen in ethnographischen Daten, die natürlich nur unter besonderen Umständen Argumente für Erfindung sein können. Das auffallendste Beispiel ist die Patrophagie bei Massageten (1,216, 2—3), zwei verschiedenen indischen Stämmen (3,38; 99) und Issedonen (4,26). Wenn auch einzelne der in diesem Abschnitt genannten Fälle unverdächtig sein könnnen und auch im Fall gewissenhafter Quellenwiedergabe mit Motivwiederholungen zu rechnen wäre, kann man m. E. beim Überblick über das ganze Material nur schwer der Folgerung entgehen, daß Herodot selbständig Motive mehrfach verwendete. Am beweiskräftigsten scheinen mir die Fälle mit der heimlichen Botschaft, der Verfertigung eines Gegenstandes aus vielen kleinen Beiträgen und (als Ganzes genommen) die Parallelen zwischen Skythenzug und Salamis zu sein10. 3,9

Der Warner und der Ratgeber. Die viel besprochene1 Figur des Warners hängt mit den Motivwiederholungen des vorigen Abschnitts zusammen, führt aber weit darüber hinaus, da sie in vielerlei Abwandlungen sehr häufig auftritt. Lattimores Liste umfaßt 21 Beispiele für den .tragischen Warner' und 37 für den praktischen Ratgeber. Offen10 1

Vgl. zu diesem Abschnitt noch u. § 5,5. Die entscheidenden Gedanken stehen in dem Aufsatz von Lattimore, der, anspruchslos geschrieben, viel zu wenig beachtet worden ist. Vgl. jetzt auch Immerwahr 72—5 (mehr Literatur 73") und Schwabl 267—71. Wenig brauchbar H. Bischoff, Der Warner bei Herodot, Diss. Marburg, Borna und Leipzig 1932. 10 Fehling, Herodot

146

3,9 Der Warner

kundig ist der Zusammenhang der Gestalt des Warners mit dem Gedanken von Hybris und Strafe, der für Herodot eine so große Rolle spielt. Gegenüber dem Warner, der aus besserer Einsicht oder besserem Instinkt von einem übermütigen Beginnen abrät, hebt sich der Irrtum seines Gegenspielers um so deutlicher ab. Es ist wahrscheinlich wenig übertrieben, wenn man sagt, daß der Warner bei Herodot an dafür geeigneter Stelle i m m e r auftritt. Diese Feststellung allein genügt, die Meinung zu widerlegen, daß die Figur dem Autor immer, wenn er sie brauchte, von seinen Quellen geliefert wurde. Höchstens ausnahmsweise könnte das geschehen sein, und so muß die erste Vermutung stets sein, daß die Figur von Herodot stammt, sei es, daß er die Person als solche erfunden hat, sei es, daß er einer gegebenen Person die Rolle zugewiesen hat. In den Worten Lattimores (34): ,,The warner, as such, is a motif, a mode of understanding 2 history, in the mind of Herodotus ; it is not that the stories and situations adhere to the great names, it is the names that adhere to them. If the famous sage were the primary concept, we should hear more of Solon, Bias etc., than we do, for Herodotus' history would more frequently go out of its way to include them. A certain situation calls for, it may even create, a sage ; an impending catastrophe produces a tragic warner, a problem or a proposed stratagem, a practical adviser. Any available wise man will serve, if tradition does not already record one." Es sollen aber doch einige der wichtigsten Fälle auf spezielle Argumente für Erfindung hin untersucht werden. (1) Beginnen wir mit dem berühmtesten Beispiel. Bekanntlich hat Herodot die Vorstellung, im Geschick des Xerxes Hybris und Fall zu sehen, von Äschylus übernommen. Insbesondere lieferte dieser den berühmten Gedanken: άλλ' όταν σπεύδη τις αυτός, χ ώ θεός συνάπτεται, der in der Erzählung von dem Traum, an dem trotz Xerxes' gutem Willen die Warnung des Artabanos zerbrach, konkrete Gestalt angenommen hat. Niemand kann behaupten, daß die Teile der Erzählung, die auf dieser Vorstellung basieren, persischen Ursprungs sind. Demnach hat auch Jacoby wenigstens die Kapitel 7,8—21 als freie Komposition Herodots bezeichnet3, nimmt dies aber praktisch gleich darauf 2 3

Hier würde ich lieber lesen: depicting. Die Kapitel davor enthielten aber gute authentische Nachrichten. Hier möchte ich einen Punkt nicht übergehen. Zum Zuverlässigen sollen gehören „die Parteien am Hofe, Kriegspartei unter Mardonios, was sehr glaubwürdig". Rätselhaft, woran das gemessen ist, da wir mangels unabhängiger Nachrichten nichts wissen und nichts vermuten können. Parallelen aus Herodot (Legrand 7,21® zieht 8,26 heran) zeigen nur, daß dessen Darstellung konsequent ist. Dagegen ist klar, daß für das Motiv eine zwingende literarische Notwendigkeit bestand. Der Warner braucht einen Gegenspieler (s. Lattimores Beobachtung u. S. 149), und da ist der nachmalige

3,9 Der Warner

147

wieder zurück und meint, daß eine persische Quelle die Grundlage bilde. Dies eigentlich nur deshalb, weil er sich nicht entschließen kann, das Quellenzitat 7,12,1 — das, wie er klar sieht, auch für die Umgebung maßgeblich sein muß (o. § 2,28) — als fingiert anzusehen. Zur Rechtfertigung sagt er: „Die ,Perser' hatten ja auch am ehesten ein Interesse an dieser apologetischen Formulierung des Kriegsbeschlusses". Aber kann man sich ζ. B. (um unsere gräkozentrische Perspektive loszuwerden) vorstellen, die Römer (meinetwegen .Römer') hätten ihren Angriff auf Britannien mit einem Traum Casars zu rechtfertigen versucht? Nein, diesen Gedanken haben weder Perser noch .Perser', sondern Griechen ausgedacht, und zwar solche, die Äschylus und Homer kannten. Denn daß ein so großer Krieg non sine dis beginnen kann, darin hat sich der Autor an Homer orientiert, und den Traum demjenigen Agamemnons im Β der Ilias nachgebildet4. Übrigens ist die ganze Erzählung, wie sie Herodot erzählt, natürlich keineswegs apologetisch ; nur wenn man das Motiv des Traums isoliert und annimmt, daß der Perser letzteren einfach als „Trug eines bösen Geistes" (Jacoby) deutete, läßt sich diese Deutung aufrechterhalten. Aber dann hat man wieder den Glückspilz Herodot, dem seine Quellen immer zufällig das liefern, was er braucht. Natürlich sind diese Bemerkungen im Grunde überflüssig, wenn man anerkannt hat, daß Zitate fingiert sein können; dann ist dies einer der evidentesten Fälle 6 . Artabanos hat 4,83 schon den Darius vor dem Skythenzuge gewarnt, s. o. § 3,8 (2), und eine weitere Warnerrolle fällt dem Demarat zu. Wie man in den Gesprächen des Xerxes mit Demarat 7,101—4 und 234—7 (zu dieser Stelle s. unten Nr. 3) etwas anderes sehen kann als ganz freie Schöpfungen, ist mir unbegreiflich ; ich verzichte auf spezielle Argumente®. Zu den Fragen des Xerxes an der ersten Stelle läßt sich der Dialog zwischen Atossa und dem Chor Aesch. Pers. 230 sqq. vergleichen. Heerführer die geeignetste Person. Ich fürchte, hier hat Herodot dieselbe Überlegung angestellt wie Jacobyl In Kyros' Kriegsrat vor dem Massagetenkrieg, der sonst gut zu vergleichen ist, ist der Gegenspieler zwar anonym, aber das geht nur, weil keine längere Rede gehalten wird; ist das der Fall, wird ein Name gebraucht. Die Annahme einer echten Nachricht ist also .Ubererklärung' (o. S. 48 Anm. 10) von etwas, was bereits ohnedem völlig erklärt ist. 1 Das ist öfter angemerkt worden, z. B. How-Wells z. St. 6 Legrand 7,17—20 ähnlich wie Jacoby (für die Apologetik Verweis auf die Eingangskapitel; entfällt nach o. § 1,11). Die Beratungsszene, auch die Unterhaltung von Xerxes und Artabanos 7,46—52, hält auch er für erfunden. Die Darstellung auf der Dariusvase (nach 350) ist natürlich von Herodot beeinflußt (gesten Latte 12). * Interpretation aus griechischer Denkweise bei Heinimann 29—-36 und Dihle. Legrand 7,63f. glaubt an unhistorische Überlieferung. 10»

148

3,9 Der Warner

(2) Der Rolle des Demarat bei Xerxes (7,3) ist die des Krösus bei Kyros und Kambyses sehr ähnlich. Kann, was hierüber berichtet wird, Überlieferung sein ? Beginnen wir mit der Frage der historischen Wirklichkeit. Über die Niederlage des Krösus besitzen wir ein orientalisches Zeugnis, die sogenannte Chronik Nabonids, Col. 2, 1. 16—87. Man hat hier zu lesen geglaubt, daß Kyros den Krösus .tötete', womit die Frage erledigt wäre. Aber Lehmann-Haupt 8 hat darauf hingewiesen, daß das betreffende Verb ebenso gut .besiegte' heißen könne, und glaubt sogar, daß der in der letzten Zeile genannte König, von dem es heißt, daß er „darin" (seil, in Sardes) blieb, Krösus sei. Damit wäre die Deutung .tötete' sogar ausgeschlossen. Kann man sich somit auf diese Nachricht gegen Herodots Erzählung nicht mehr berufen, so bleibt es natürlich an sich ein denkbar unwahrscheinlicher Vorgang, daß ein besiegter König sein Reich zwar verloren haben, aber dennoch beim Sieger zum vertrauten Berater aufgestiegen sein soll9. Ihn trotzdem anzunehmen, widerrät die Überlegung, daß von den zwei Hauptelementen der Erzählung Herodots — Krösus auf dem Scheiterhaufen und Krösus bei Kyros — ohnehin maximal nur eines wahr sein kann 10 . Denn es hat keine Vernunft, eine höchst unwahrscheinliche Geschichte zu akzeptieren auf Grund eines Berichtes, der unmittelbar vorher eine Phantasiegeschichte gebracht hat. Und der Befriedigung, Herodot wieder einmal von einer falschen Mitteilung entlastet zu haben, um deretwillen schon so viele sacrificia intellectus gebracht worden sind, würde eine solche Annahme auch nicht dienen, da man ja dafür das Scheiterhaufen-Motiv opfern muß. Und schließlich ist schwer zu erklären, wie es zu der Geschichte von der Verbrennung gekommen sein soll, wenn bekannt war, daß Krösus gerettet war. Umgekehrt dagegen ist nichts häufiger, als daß das Ende eines großen Mannes nicht akzeptiert wird und man an sein Weiterleben glaubt. Deshalb hat Bakchylides carm. 3 seine Ent7

8

9

10

Text und Übersetzung bei Lehmann-Haupt 124 f. — Obwohl Krösus' Name nicht genannt ist und vom Namen des Landes nur die erste Silbe {Lu-) erhalten ist, ist die Beziehung nicht zweifelhaft. (Meyer 3,1831 unvollständig informiert?) S. 123—5 (auch Meyer a. O. übersetzt so); übersehen in der oberflächlichen Miszelle von Cornelius, der die Feststellung über das Verb neu trifft. Ich verzichte darauf, mit dem Widerspruch zur Chronik Nabonids nach LehmannHaupts Übersetzung zu argumentieren, da ich ihre Richtigkeit nicht beurteilen kann. Danach blieb Krösus als Vasall im Land, was den Gepflogenheiten besser entspricht. Davon geht auch v. Fritz, Anm.-Bd. 126f. aus (er verteidigt die Möglichkeit der Verbrennung trotz Hdt. 3,16,2—3). Lehmann-Haupt scheint sich einen nachträglichen Selbstmord vorzustellen, Legrand 1,26 denkt an einen gescheiterten Selbstverbrennungs-Versuch. Beides scheint mir unglaubwürdig. Die von LehmannHaupt nach Meyer 1 1 ,503 angeführten Parallelen für Selbstverbrennung besagen wenig, da neben der Wirklichkeit das literarische Motiv steht (mehr Material und Literatur bei Pease zu Verg. Aen. 4,661). Ältere Ansichten bei How-Wells zu 1,86.

3,10 Geschichten bekannter Herkunft

149

rückung erzählt, und das kann als starkes Zeugnis für seinen Tod angesehen werden. Leicht aber konnte dies für Herodot der Anlaß sein, Bakchylides zu rationalisieren 11 und aus der Entrückung ein echtes Weiterleben zu machen. Er hat ihn dann aus den Mahnungen Solons und seinem Unglück lernen lassen und so zum Warner geeignet gemacht. Dieser innere Zusammenhang zwischen entfernten Teilen macht getrennte Quellen unmöglich, und niemand wird eine praktisch mit Herodot identische Gesamtquelle annehmen. Überdies kann das Gespräch mit Solon ganz für sich als Schöpfung Herodots erwiesen werden, s. u. § 3,10(2). — Ein zusätzliches Argument bietet 3,14,11, wo eine Geschichte, in der Krösus vorkommt, den Ägyptern in den Mund gelegt wird, was keinesfalls eine echte Nachricht sein kann (vgl. o. § 2,8).

(3) Zum typischen Kriegsrat 12 bei Herodot gehören drei Rollen: die beiden Vertreter der entgegengesetzten Ansichten und der Oberbefehlshaber, der die Entscheidung trifft. Überall, wo man diese Konstellation findet, muß angenommen werden, daß Herodot von sich aus den Ratgebern ihre Funktion zugewiesen hat. So ist es in der Darstellung der Beratung vor Marathon, wo Miltiades, die andern Strategen und der Polemarch Kallimachos diese Rollen ausfüllen. So lösen sich die bekannten Probleme dieser Erzählung. Nach demselben Schema ist 7,234—7 die Diskussion zwischen Demarat, Achaimenes und Xerxes aufgebaut. Aus demselben Grund ist bei Salamis der Korinther Adeimantos Gegenspieler des Themistokles, nicht Eurybiades, der vielmehr die Entscheidung trifft. Schließlich ist auch die Einführung der Gestalt des Atheners Mnesiphilos 8,57 sq. dieser Trennung von Rat und Entscheidung zu verdanken und nicht einer gegen Themistokles gerichteten Tendenz des Informanten. Erfunden sind höchstwahrscheinlich13 die Anekdoten über Hekataios als Ratgeber im jonischen Aufstand (5,36,2—3; 125). So wie Aristagoras den Spartanern die Weltkarte vorzeigt (diesen Zug hält jeder für erfunden), so weist Hekataios die Milesier auf die Größe des persischen Reiches hin, eine Belehrung, die sie kaum nötig hatten. Der Perieget kam passend Herodots Neigung entgegen, eine Überlegung lieber einer handelnden Person zuzuweisen als sie als eigenen Kommentar zu geben. 3,10 Geschichten bekannter Herkunft. Wie schon erwähnt wurde, meinen wir, wenn wir von Erfindung sprechen, nicht Erfindung aus 11 12

So schon Meyer, Forschungen 2,239. Dieser ganze Absatz nach Lattimore. Uber Beratungsszenen (Belege, Nachahmungen, 13 Literatur) Schmid 108 mit Anm. 2. Nach Schwabl 267 f.

150

3,10 Geschichten bekannter Herkunft

dem Nichts, und nur von einer Minderheit von Erzählmotiven kann angenommen werden, daß sie ganz und gar eigene Erfindungen Herodots darstellen (ζ. B. einiges von o. § 3,6). Viele seiner Anekdoten werden darauf beruhen, daß er Motive, die ihm anderwärts bekannt waren, verwendet hat, wie etwa o. § 1,13 vom Iphigeniemotiv gezeigt worden ist. Wir können das nicht allzu oft sicher nachweisen. Das ist aber ganz natürlich, weil wir von der Literatur vor Herodot (von nichtliterarischen Anregungen zu schweigen) so wenig haben, und weil das, was wir haben, meist Bücher sind, die schon zu Herodots Zeit so berühmt waren, daß augenfällige Entlehnungen ausgeschlossen waren. Indessen gibt es doch einige Fälle, wo Motiventlehnung außerhalb des Werkes (innerhalb vgl. § 3,8) nachzuweisen ist. (1) Bekanntlich haben wir für das Motiv des ersten Teils der Erzählung vom Schatzhaus des Rhampsinit (zwei Brüder bestehlen das Schatzhaus auf einem beim Bau eingerichteten Wege; einer gerät in eine Falle ; der andere schneidet ihm den Kopf ab, um die Erkennung zu verhindern) eine griechische Parallelüberlieferung in zwei Versionen, Paus. 9,37,5—6 und Charax FGrHist 103 frg. 5. In ihnen wird die Geschichte mit den berühmten Baumeistern Trophonios und Agamedes verbunden. Die Inhaltsangabe der Telegonie bei Proklos macht klar, daß die Geschichte etwa so, wie sie Charax berichtet hat, dort gestanden hat. Pausanias hat sie von Elis nach Böotien verlegt und den König Augias durch Hyrieus ersetzt, sonst aber fast nichts geändert. Man hat nun früher angenommen, daß Herodot ein ägyptisches Volksmärchen aufgezeichnet hat, das vor ihm schon einmal verstümmelt nach Griechenland gelangt war, und Kern 1 hat vermutet, daß Eugammon von Kyrene, der als Verfasser der Telegonie genannt wird, es aus seiner Heimat mitgebracht hat. In der Neuzeit aufgezeichnete Fassungen 2 sollten das alte Märchen fortsetzen. Diese Ansicht sollte als überholt gelten. In der Anfangszeit der Märchenforschung hat man nur an mündliche Tradition gedacht und paradoxerweise das schriftlich Festgelegte als toten Seitenzweig der Tradition angesehen, der nicht in die Zukunft wirke. Aber alle Erfahrung spricht dafür, daß die Literatur für die Traditionsgeschichte eine große, wenn nicht maßgebliche Rolle spielt3. Das ist natürlich, 1 2 3

RE s. v. Agamedes Sp. 719f., zustimmend Aly 67. Bolte-Polivka 3,95ff. Ich erlaube mir hier, nur kurz meine Meinung zu statuieren, statt einen Überblick über die zur Zeit lebhaft geführte Diskussion zu geben, was ich schwer könnte. Meine Erfahrung aus mehr zufälliger Lektüre ist, daß erstaunliche Verkennungen auf Grund des Vorurteils für mündliche Tradition häufig sind. (Um wenigstens ein Beispiel anzuführen: Röhrichs Versuch, sie beim Polyphem-Märchen nachzuweisen. Fabula 5, 1962, S. 48—-71, ist durchaus nicht gelungen. Ein Beispiel auf anderem Feld Philol. 113, 1969, S. 217—24). Zum Problem etwa Dorson in: Volksleben, Festschrift K. Ranke, Göttingen 1968, und Ranke selbst.

3,10 Geschichten bekannter Herkunft

151

denn der Literat steht im sozialen Ansehen über dem Volkserzähler, und eine Grundregel menschlichen Verhaltens ist, daß sich der Rangniedere eher nach dem Ranghöheren richtet als umgekehrt4. Niemals vor der deutschen Romantik haben Literaten geglaubt, von Analphabeten lernen zu können6. Ich vermute also ohne nähere Prüfung, daß die Parallelen der Märchenforschung zum Rhampsinit-Märchen letztlich auf Herodot zurückgehen®. Damit ist der Weg frei für die Möglichkeit, daß Herodot die Erzählung selbst gestaltet hat. Und da sich bisher stets gezeigt hat, daß griechische Parallelen bei Herodot wirklich griechischen Ursprung anzeigen, muß auch hier der gerade Weg von der Telegonie zu Herodot der wahrscheinliche bleiben. Es kommt hinzu, daß sich das Motiv von der prostituierten Königstochter c. 126 wiederholt und dort eine so schlagende Pointe hat, daß es wahrscheinlich dort primär (aus welcher Quelle immer) und von Herodot nach seiner o. § 3,8 belegten Gewohnheit, Motive wiederholt zu verwenden, nach c. 121 übertragen worden ist. Herodot hat also anscheinend die Geschichte aus drei einzelnen Motiven (die Quelle des zweiten kennen wir nicht) selbst zusammengefügt7. (2) Noch deutlicher ist Herodots Selbständigkeit in der Erzählung von Krösus und Solon zu sehen, wird auch, soweit ich sehe, heute allgemein angenommen8. Ausgangspunkt ist das geläufige Schema der 4

Das amüsante Ergebnis eines Versuches, von dem ich mich erinnere gelesen zu haben, zeigt, daß das altes Erbe ist. Eine ganze Affenhorde lernte in fünf Minuten einen Bananen-spendenden Mechanismus, den man dem ranghöchsten Tier separat beigebracht hatte. Dem Rangniedersten hatten die andern vorher beim selben Versuch bloß die Bananen weggenommen. 5 Man h a t oft vom .aristokratischen' Zug in der griechischen Literatur gesprochen, aber hier keine Konsequenzen gezogen. O. S. 7 wurde begründet, daß die Formel λέγουσι ol maßgebliche Überlieferung meint. E s ist also ganz irrig, wenn man sich Herodot als Pendant zu den Gebrüdern Grimm vorstellt, die von Volkserzählern Märchen sammeln. Eher ist er selbst der Volkserzähler, unter seinen Zunftgenossen der prominenteste, der mit der Zeit gegangen ist und sich das Medium der Schrift angeeignet hat. Erst wenn die wachsende Komplizierung der Zivilisation bewirkt, daß der Kontakt zwischen den sozialen Schichten reißt, kann sich im Volk eine selbständige Tradition bilden. Wenn in unserer Zeit auf andere Weise die Schranken wieder gefallen sind und die Volkskultur ausstirbt, wird nur der natürliche Zustand wiederhergestellt. Zum sozialen Status Herodots s. u. § 5,2. 6 Es dürfte kein Zufall sein, daß Charax und Pausanias neben Herodot keine Spuren hinterlassen haben (wie ich trotz vereinzelter Notizen bei Bolte-Polivka a. O. glaube). 7 Diese Ansicht vertrat H a r t m u t Erbse 1955 im Oberseminar (vgl. o. § 3,1 Anm.) und gab mir damit die erste Anregung für die in diesem Abschnitt vorgetragenen Überlegungen. 8 Zuerst angedeutet Meyer, Forschungen 2,234 (Zustimmung Jacoby 423,10) ; Legrand 1,28—30. Meine Darstellung folgt in wesentlichen Punkten Regenbogen, dessen Aufsatz viel Beifall gefunden hat. Auf derselben Grundlage weitere Überlegungen

152

3,10 Geschichten bekannter Herkunft

Superlativfrage 9 , in diesem Fall: Wer ist der Glücklichste? Herodot siedelt sie an einem historischen Ort an; die Situation des Weisen im Gespräch mit Krösus könnte ihm als typische Form schon vorgegeben sein10. Ein Mensch von der Art des Atheners Tellos ist eine mögliche Antwort. Eine ,Quelle' für ihn braucht es kaum 11 : Es wird ja kaum eine Geschichte erzählt, sondern nur die Attribute eines bürgerlichen Lebensideals auf eine Person gehäuft. Die Vollständigkeit führt fast zum Widerspruch: Gesegnetes Alter und ehrenvoller Tod in der Schlacht werden so gut es geht vereint. Diesen Kern hat Herodot erweitert, indem er ein Motiv herbeizog, das auf einer verwandten Superlativfrage beruht: Der Gott sendet, um das Beste gebeten, den Tod, wie es Pindar frg. 2—3 von Trophonios und Agamedes erzählt. Zu der Lebensbejahung des Tellos paßte das wenig, wurde aber von Herodot dadurch passend gemacht, daß er es auf ein Subjekt übertrug, das gut neben Tellos gestellt werden konnte, nämlich Kleobis und Biton, deren Tat (aber nicht ihr Tod) in Delphi durch ihre Statuen mit Inschrift verherrlicht war12. Für diesen zweiten Teil der Erzählung gibt es also zwei Quellen. Die übliche Dreiheit der Episoden wird durch die erläuternde Rede des Solon, eine freie Schöpfung, hergestellt. Daß die Glieder einer solchen Dreiheit heterogen sind, hat bei Herodot Parallelen, vgl. o. § 1,9 (3) wegen der skythischen Urgeschichte und die o. § 3,6 (2) besprochene Gesandtschaft zu den Äthiopiern. (3) 2,141,2—5: Griechische Erzählung auf ägyptischen König übertragen, s. o. § 2,22 (1). — 3,46: Daß die Erzählung, wie die samischen Gesandten zu lakonischer Ausdrucksweise angehalten werden, hier sekundär eingefügt ist, sieht man an ihrer Folgenlosigkeit für die Handlung und dem wenig passenden Gleichnis. So mag tatsächlich Sext. Emp. adv. math. 2,23 die ältere Form der Anekdote, auf eine Hungersnot in Chios bezüglich, bewahrt haben. — 3,64,3—4: Die Homonymie, durch die das Orakel über Kambyses' Tod in Ekbatana

9 10 11 12

Pohlenz 112 s ; ν. Fritz 216ff. (Anklänge an Solon betont). Mehr Literatur Immerwahr 15619. Der Kürze halber verzichte ich auf jede Diskussion. Hinsichtlich des Tellos vertrete ich eine neue Ansicht. Belege bei Herzog 146 ff. Regenbogen 118ff. S. aber o. § 3,8 (1). was immer es mit dem Namen auf sich hat, Immerwahr 156 21 . Es wird allgemein angenommen, daß wir die Basen mit einem Rest der Inschriften besitzen (Jeffery S. 168 Nr. 4), doch ist mir nach der Darstellung Jeffery 154f. (die zur Korrektur falscher Angaben in der Literatur zu vergleichen ist) nicht mehr klar, ob mit Recht. Der Künstler ist tatsächlich Argiver, drei Buchstaben können auf die zweite Silbe des Namens Biton gedeutet werden ; dazu kommt das rätselhafte ε αγαγοντοιδυιοι in einer Zeile für sich. Das ist alles. Oder beruht die Geschichte, die ja doch recht seltsam ist, auf einer Mißdeutung der irgendwie anders gemeinten Inschrift ? Für die obige Deutung ist die Frage nicht sehr wichtig.

3,11 Folgerung aus Kapitel 3

153

erfüllt wird, mutet griechisch an. Ebenso die angebliche Gleichnamigkeit des Magiers Smerdis mit dem Bruder des Kambyses. Wir wissen ja, daß der Magier in Wahrheit Gaumata, der Bruder Bardija hieß13. 3,11 Folgerung. Im vorstehenden sind immer nur die ersten besten Belege für Erfindung, die sich leicht begründen ließen, zusammengestellt worden, so daß das Thema bei weitem nicht erschöpft sein dürfte. Trotzdem ist bereits so viel zusammengekommen, daß man ahnen kann, wohin der Weg führt, wenn er zu Ende gegangen wird. Howald hat in seinem anfangs (o. S. 9) gewürdigten Aufsatz das Ziel schon völlig klar gesehen und nur so viele Zwischenstufen mit wenigen Sätzen übersprungen, daß ihm niemand hat folgen können. Er bezeichnet die Leistung Herodots als „diesen . . . Vorgang der Füllung des ganz, ganz dürftigen historischen Gerippes". Prüft man einmal längere Partien von Herodots Werk nicht mit der Entschlossenheit, Erfindung nur zuzugeben, wenn es gar nicht anders geht, sondern eher umgekehrt mit der Frage, welches Maß an echter historischer Überlieferung Herodot mindestens gehabt haben muß, um mit den bei ihm zu beobachtenden Methoden sein Buch zu schreiben, so stellt man betroffen fest, daß dieses Minimum tatsächlich nur ein dürftiges Gerippe ist. Die Geschichte des Krösus, der Skythenfeldzug des Darius, der Feldzug des Xerxes mindestens bis zu den Thermopylen reduzieren sich auf ganz wenige Daten, andere auf nicht sehr viel mehr1. Jacoby hat eine Feststellung getroffen2, die fast dasselbe sagt, wenn sie auch ganz anders gemeint ist: „Die Einzelanalyse z.B. einer Partie, wie VII 138—178, zeigt überall, daß eine Vulgata — eine allgemeine verbreitete Kenntnis — vorhanden war von ein paar Hauptsachen, wie daß Xerxes durch Thrakien marschiert und von Norden her in Griechenland eingedrungen war; daß die Griechen in ihrem Verhalten geteilt waren" usw. Mir scheint, daß man mit der Annahme, daß Herodot als echte historische Quelle nur diese .Vulgata' gehabt hat, ziemlich weit kommt3. Eben aus dieser Armut dessen, was er wußte, dürfte sich die wahre Rechtfertigung seines Verfahrens ergeben. Auch der heutige Historiker, der eine historische Erzählung schreibt, hält sich nicht total von Fiktionen frei. Er wird z. B. leicht einen König resigniert abdanken oder frohlockend in die feindliche Hauptstadt einziehen 18 1

2 8

Zu den letzten beiden Stellen nach Legrand 3,20 2 ; 25 6 ; 4.34 1 . Vgl. z. B. Legrand 6,16: „Dégagé de ces anecdotes, le récit des actes de Mégabazos et Otanès se réduit à peu de chose". 408. Daß damit über Herodots Quellenwert im ganzen nicht alles gesagt ist, versteht sich von selbst.

154

3,11 Folgerung aus Kapitel 3

lassen, auch wenn über seine Gemütsbewegungen in diesem Augenblick strenggenommen keine authentische Nachricht vorliegt. Es gehört ferner durchaus zum üblichen Stil, daß der Historiograph da, wo es Zweifel gibt, die ihm wahrscheinlich erscheinende Auffassung in apodiktische Erzählung umsetzt, auch wenn er keineswegs felsenfest überzeugt ist, das einzig Richtige getroffen zu haben (vgl. ζ. B. Meyer, 4,1,3571). Dies Verfahren ist möglich, weil klar ist, daß man die volle Wahrheit nie wissen wird, und nötig, weil eine lesbare Erzählung nicht anders zu schaffen ist. Diese für den Modernen sehr eng gezogene Grenze mußte nun für Herodot unvergleichlich viel weiter sein. Er konnte sich ja nicht vorstellen, daß man über längstvergangene Dinge jemals mehr wissen konnte als er wußte, ein paar magere Daten — nicht wesentlich mehr, als die Rhapsoden über den trojanischen Krieg wußten. Und so schien es ihm erlaubt und unumgänglich, diese Daten in derselben Weise durch Dichtung auszufüllen, wie es jene taten. Thukydides war bekanntlich der Auffassung, daß Geschichte nur als Zeitgeschichte geschrieben werden könne. Herodot dachte darüber sicher nicht anders. Nur die Konsequenzen waren verschieden: Der eine unterließ es; der andere schrieb eine Dichtung, die soviel Geschichte enthielt als ihm möglich war. Vielleicht läßt sich von hier aus zu der Frage, ob Herodot ein Fälscher genannt werden muß, noch etwas mehr sagen als bisher. Herodot konnte ein gutes Gewissen haben, wenn er eine künstlerisch abgerundete Darstellung gab, die im ganzen die Wirklichkeit traf, wie er sie sich vorstellte, wenn er sich also in der Erzählung die Freiheit nahm, die Thukydides nur noch für die Reden gelten ließ4. Er erfand also, weil es nicht anders ging, aber nicht wie ein Schwindler, sondern sozusagen nach bestem Wissen und Gewissen. Daß er sich streng an gewisse Regeln der Wahrscheinlichkeit hielt, dürfte dazu gehören. Die Quellenfiktionen stehen mit den inhaltlichen Erfindungen nicht ganz auf einer Stufe; sie sind vielmehr der direkte Ausdruck eben jenes ungelösten Konflikts zwischen Anspruch und Absicht, Wahrheit zu berichten, und der unvollkommenen Möglichkeit. Sie beugen der Frage, wieso so detailliert erzählt werden kann, vor. Kein Erzähler läßt sich hierüber mit seinem Publikum auf eine Debatte ein, und deshalb war der Hinweis ,relata refero' und damit die Fiktion von Quellen für Herodot eine natürliche und fast notwendige Antwort.

4

„wie es der gegebenen Situation nach geschehen sein müßte, in möglichst enger Anlehnung an das Gesamtresultat der tatsächlichen Ereignisse", das wäre etwa die sinngemäße Abwandlung von Thuc. 1,22,1. — Übrigens verträgt sich gut erzählen und strikt wahrheitsgemäß erzählen nie ganz, und jeder, der in Gesellschaft gut zu erzählen versteht, lügt bisweilen. Deshalb das vor das Kapitel gesetzte Motto.

4. Kapitel Typische Zahlen und ihre Verwendung bei Herodot Daß das Auftreten von typischen Zahlen1 möglicherweise Schlüsse auf freie Erfindung zulassen kann, ist klar. Deshalb soll dieses Thema, das freilich auch für sich reizvoll ist, hier im Überblick besprochen werden. Da a priori ebenso gut möglich ist, daß die Zahlen aus den Quellen stammen2, bespreche ich das Thema erst allgemein und gehe erst am Schluß auf die Frage der Erfindung durch Herodot kurz ein. 4,1 Allgemeines. Die Vorliebe der erzählenden Literatur für genaue Zahlenangaben leitet sich aus dem o. § 2,17 besprochenen Grundsatz her, daß Detail glaubwürdig macht bzw. die Illusion fördert. Hier greift nun die weitere Regel ein, daß der Mensch völlig willkürliche Erfindung scheut (aus dem Unbehagen heraus, das die Situation des Buridanschen Esels verursacht), und erzeugt die bekannte Erscheinung der .typischen' Zahlen3. Sie spielt bei Herodot eine offenkundige Rolle. 1

2

3

Das folgende Kapitel brauchte kaum geschrieben zu werden, wenn die gründliche und vortreffliche Arbeit von Blom (1936), die die Drei, Sieben und Neun bei Homer und Herodot erschöpfend untersucht, bekannter wäre. Indessen habe ich sie nirgends in der Herodotliteratur benutzt gefunden, wohl weil eine holländisch geschriebene Dissertation es schwer hat, international Beachtung zu finden. Eine verkürzte Bearbeitung in einer verbreiteteren Sprache würde den Druck lohnen. Blom diskutiert für alle Stellen, wo die Zahl vorkommt (ausdrücklich oder implizit), ob sie real oder typisch ist. Da ich die Drei nur streife und die Neun auslasse, ist die Überschneidung begrenzt; ich picke nur die Rosinen heraus und konzentriere mich auf den Beweis, daß die betreffenden Zahlen typisch im engen Sinn (s. übernächste Anm.) gebraucht werden. — Weitere Literatur bei Blom 8f. F ü r Herodot ist nur noch Aly 240f. und passim (Register unter .Zahlen, ,Dreizahl', .Zeitangaben') zu nennen; von den Kommentaren machen Sayce und Macan zuweilen auf typische Zahlen aufmerksam. Zahlen im historischen Bereich sind von Historikern wie Meyer, Beloch und anderen besprochen worden. Auf diese Vorstellung ist Aly ganz festgelegt; Blom denkt manchmal an freie Erfindung. In der älteren Literatur (Roscher) und noch bei Blom steht für mein Gefühl die Erklärung aus dem Brauchtum (z. B. Kultzahlen, Zehntagewoche u. dgl.) s t a t t der aus literarischer (schriftlicher oder mündlicher) Tradition zu sehr im Vordergrund. Ich diskutiere das jedoch nirgends. Für Blom ist ,real' und .typisch' eine ausschließende Alternative, jede als nicht real erwiesene Zahl also ohne weiteres typisch. Ich nenne nur gewohnheitsmäßig

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4,1 Allgemeines zu Kapitel 4

Am deutlichsten treten als Formelzahlen die Drei, die Sieben und die Zehn auf, seltener die Zwölf und in einem ganz spezifischen engen Rahmen die Fünf. Hinzu kommt, nicht häufig, die Gruppe der Zahlen mit gleichviel Einheiten verschiedener Ordnung (wie 22, 505, 330 u. dgl.). Ehe das im einzelnen belegt wird, sind noch einige allgemeine Gesichtspunkte zu erwähnen. Mit der Neigung zu stereotypen Zahlen steht in einem umfangreichen Werk mit vielen Zahlenangaben die Notwendigkeit im Konflikt, nicht eintönig oft dieselben Zahlen wiederkehren zu lassen. Das geschieht auf folgende Weisen: (1) Es werden ziemlich viele typische Zahlen verwendet, (2) durch Multiplikation werden weitere Zahlen gewonnen, (3) die Ordnungszahl wird bald um eins erhöht, bald nicht, wie unten erläutert, (4) auch dann wird keine feste Regel eingehalten, sondern vereinzelt ganz beliebige Zahlen genommen. Zu Punkt (4) ist nichts zu sagen, Punkt (1) geht aus dem folgenden Abschnitt hervor. Das Prinzip der Multiplikation (2) belegen am deutlichsten Stellen, wo mehrere Zahlen eine Reihe von Vielfachen bilden4: Zweimal wird von der Zehn auf die Zwanzig gesteigert, einmal von 1000 über 2000 auf 4000. Mehrmals sind die Zahlen 3, 6, 12 in verschiedener Weise eng verbunden. Dreimal begegnet die Zahlenangabe 2 x 7 bzw. 7 x 2 . Nachweislich sind 30, 300, 3000, 30 000 als runde Zahlen gebraucht, seltener entsprechende Vielfache der Sieben. Schließlich kommen verschiedene Zehnerpotenzen nebeneinander vor. Mit Punkt (3), dem Fehlen einer Regel hinsichtlich der Erhöhung der Ordnungszahl um eins, ist folgendes gemeint5: Wenn es heißt, etwas sei „am elften Tage" geschehen, kann man es als Verkürzung der häufigen Formel „zehn Tage lang . . ., am elften aber . . . " auffassen. Die Angabe ist also Beleg für die typische Zehntagesfrist. Ebenso ist „am vierten Tage" 3,52,3 Beleg für die Dreitagesfrist; die vollständige Formel findet sich 7,191,2—192,1 u. a. Andererseits ist schon bei Homer Troja im zehnten Jahre erobert worden und Odysseus im zwanzigsten heimgekehrt; bei Herodot finden wir: „am zehnten Tage" 3,14,1; „im zwanzigsten Monat" 153,1; „im dreißigsten Monat" 4,44,2. Unmittelbar nebeneinander steht „der elfte Tag" 9,86,2 und „der zwanzigste Tag" 87,1. Wahrscheinlich ist .einundzwanzigste' für literarischen Gebrauch schon eine zu schwierige Zahl ; auch kommt verwendete Zahlen typisch, brauche also den Nachweis ausreichender Parallelen. Deshalb habe ich die spärlich belegte Neun ausgelassen. Blom 2 unterscheidet .runde' ( = geschätzte) von typischen Zahlen. Da ich mit geschätzten Zahlen nur zu tun habe, wenn sie zugleich typisch sind, gebrauche ich beide Ausdrücke synonym. 4

6

Alle Belege u. § 4,2, und zwar zu Vielfachen der Drei Nr. (2) und (9—10), der Sieben Nr. (5), der Zehn (7—8). Ähnlich wie im folgenden Blom 14 und 50.

4,1 Allgemeines zu Kapitel 4

157

die Vervielfachung der Frist nur heraus, wenn die Erhöhung unterbleibt. Das Schema dreimal plus einmal 3,155,5—6 ist eine Variante der üblichen Dreistufigkeit der Erzählung; vgl. 7,191 sq. (s. o.) und das häufige τρίς μέυ . . ., τό δε τέτρατον u. ä. im Epos. Schließlich kann in der vollständigen Formel umgekehrt die erste Zahl um eins gesenkt sein. So steht „sechs Tage (Jahre) . . . am (im) siebenten . . ." 2,133,1; 4,158,1; 6,101,2 neben „sieben Tage . . ., am folgenden T a g . . . " 6,12,2; entsprechend mit der Drei 5,72,2 neben 7,191 sq. u. a. Nun erlauben diese Variationsprinzipien, praktisch jede Zahl mit einigen Tricks zur Formelzahl zu erklären6. Das kann die Prüfbarkeit der Theorie gefährden. Wir entgehen dem Problem, indem wir darauf verzichten, den genauen Umfang der Erscheinung abzustecken, und nns auf die eklatanten Fälle beschränken. Eine gewisse Erleichterung bedeutet es, daß in einigen Fällen die Zahl für bestimmte Inhalte bevorzugt wird. Damit ist eine weitere Regel in der Willkür gegeben, die eine sichere Diagnose ermöglicht. Die klarsten Fälle sind die Dreizahl von Brüdern, die Fünf für Wasserläufe und die Zehnerpotenzen für Scharen von Dienern, Trabanten und Truppen, vgl. §§ 1,9 (1) ; 4,2 (3 u. 8)«». Auch die 120 wird für Menschenmengen gebraucht; ferner s. u. zur Sieben und zur Zehn, § 4,2 (4,6,10). Diese Regeln geben in gewissen Grenzen die Möglichkeit, die Wahl einer bestimmten Zahl zu interpretieren. Auch sie selbst können ζ. T. interpretiert werden. So passen die Zehnerpotenzen auf Scharen von Trabanten, weil der Herrscher nach seinem Willen eine runde Zahl festsetzt; die Rationalität zeigt seine Macht. Hingegen werden die Vielfachen der Zwölf oder die Zahlen wie 330 oder 505 gewählt, wenn die genaue Angabe einer natürlicherweise nicht runden Zahl, etwa Gefallene in der Schlacht, prätendiert werden soll. Ein sehr eindeutiger Hinweis auf freie Wahl ist das Vorkommen einer Zahl in Serie, wovon ich zwei Fälle weiß: die Häufung von Achten nebst Vielfachen in der Geschichte von Kyrene (4,147,5; 157,1 + 158,1; 159,1 zweimal; 163,2)7 und die Zehntagesfristen um Platää, u. § 4,2 (6). Nicht immer ist die Zahl ganz außerhalb der Realität. Erstens muß ab und zu der Zufall die Möglichkeit geben, eine typische Zahl völlig richtig anzuwenden. Der Siebenjährige Krieg dauerte wirklich sieben Jahre, aber sechs- oder achtjährige Kriege benennt man nicht nach ihrer Dauer. Sehr häufig ist aber auch die Realität nicht eindeutig; man kann verschieden zählen, so oft in der Geographie. Es gibt dann eine ganze Skala der Berechtigung für die typische Zahl. Die 6

Blom 2 (nach Waltz) rechnet, durchaus mit Grund, auch mit Kombinationen wie ea 17 = 10 + 7. Vgl. u. § 4,3 Anf. Ferner die stereotypen 300 Spartaner, S. 159. ' Blom 226 mit Anm. 3.

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4,2 Die einzelnen Zahlen

typische Neun in Ένυέα όδοί Hdt. 7,114,1, έννέα πύλοα, ενυεάκρουυος8 wird in je verschiedenem Grade hergeholt sein. Im Extremfall ist die Zahl einwandfrei falsch9. — Ein besonderer Fall sind typische Zahlen in der vom Menschen geschaffenen Realität, ζ. B. die sieben Wochentage. Typische Zahlen im historischen Bereich — vor allem Truppenund Verlustzahlen — sind natürlich in der Größenordnung passend gewählt. Ich glaube aber nicht, daß ihnen damit noch ein eingeschränkter historischer Wert zukommt ; vielmehr spiegeln sie lediglich Herodots eigene Vorstellung wider. Zum Schluß noch ein formaler Punkt. Die typische Zahl braucht nicht ausdrücklich genannt zu sein, sondern ergibt sich oft erst durch Nachzählen. So erhält man ζ. B. Hdt. 1,46,2 und 4,59,1 die Sieben10. 4,2

Die einzelnen Zahlen. (1) Daß die Drei bei Herodot typische Zahl für Zeitabschnitte, Personen und Dinge sowie für die Abschnitte und Stufen von Erzählungen ist, kann keinem Leser entgehen. Es ist deshalb nicht nötig, hier Belege anzuführen1. Daß Herodot die zuletzt genannte Dreiheit oft selbst hergestellt hat, ist o. §§1,9; 3,6(2); 3,10 (1—2) an Beispielen gezeigt worden. O. § 1,9 s. a. wegen der Dreiheit von Brüdern in Urgeschichten. (2) Vielfache der Drei (außer Zwölf). 1,104,1: Dreißig Tagereisen vom Asowschen Meer zum Phasis. — 3,128,1: Dreißig Freiwillige. — 4,38,2: Dreißig Völker in der einen der beiden onerai Asiens. Die Kommentare bemerken, daß sowohl die Nomenliste des Darius (3,90 sqq. und 97) als auch die Heeresliste des Xerxes (7,72—80; 91—5) dreißig Namen geben. Aber die Namen stimmen nicht völlig überein. Also hat Herodot beide Listen mit einer gewissen Willkürlichkeit auf die Summe hin manipuliert, ein Fingerzeig für seine Selbständigkeit auch in geographischen Dingen, den man nicht übersehen sollte. — 4,44,2: Skylax kam im dreißigsten Monat von seiner Expedition zurück, sicher eine abgerundete Zahl. — 4,108,1: Die Seiten der Stadtmauer der Phantasie-Stadt Gelonos im Gebiet der Budiner sind je dreißig Stadien lang2. Das ergäbe ein größeres Areal als das, ' Nach Blom 267. • Ein frappantes Beispiel erzählt Ludwig Curtius, Deutsche und antike Welt, Stuttgart 1950, S. 63: Die sechs Putten auf einem in eine Wand eingemauerten römischen Kindersarkophag in Augsburg hießen im Volksmund ,die sieben Kindlein'! 10 Blom 4 nennt solche Zahlen .latent*. Ich sage auch .implizit*. 1

2

Ich verweise auf die sehr gründliche Sammlung Bloms. Auch Aly 240 gibt eine Zusammenstellung. Die Budinoi liefern noch eine Märchenzahl c. 123,2; vgl. 1,98,5 und 1,178,2 für Märchenzahl im Zusammenhang mit Stadtanlage ; die ersten beiden Stellen s. unter Nr. (4), die letzte Nr. (10).

4,2 Die einzelnen Zahlen

159

das die Aureliansmauer in Rom einschließt. — 4,183,2: Dreißig Tagereisen von den Lotophagen bis zur Oase der Garamanten. Die Größenordnung stimmt (genaues Nachrechnen ist nicht möglich), aber die Zahl ist natürlich abgerundet 3 . Die D r e i h u n d e r t ist für eine mittelgroße Schar von Menschen beliebt. Fast immer sind es Gruppen, die durch menschliche Willkür, nicht zufällig, entstanden sind. 3,48,2: Knaben sollen verschnitten werden. — 6,23,6: Zankleer ausgeliefert. — 6,44,3: Am Athos gestrandete Schiffe. Die Historiker halten die Zahl für unglaubwürdig. — 7,235,1: Detachement der Flotte in einem Vorschlag Demarats, besonders beweiskräftig, weil nur in der Rede. — 9,21,3: Athenischer Lochos bei Platää. An drei Stellen wird eine spartanische Truppe von dreihundert Mann völlig vernichtet. Die beiden ersten Stellen sind zusätzlich durch das Motiv vom einzigen Überlebenden miteinander verknüpft (dazu o. § 3,8 (2) zu 7,229)4. 1,82,3: Spartaner und Argiver lassen nur eine ausgewählte Schar kämpfen. Novellistisch. — 7,202: Thermopylenkämpfer. Die Parallelen, besonders die vorige Stelle, zeigen, daß die Zahl unhistorisch ist6. — 9,64,2: Truppe des Arimnestos von den Messeniern vernichtet. 1,50,10: D r e i t a u s e n d Opfertiere. — 7,97: Dreitausend kleine Fahrzeuge der persischen Flotte frei erfunden, s. u. S. 165 Anm. 2. — 8,65,1: Staub wie von d r e i ß i g t a u s e n d Menschen in der Gespenstererscheinung des eleusinischen Feldzugs. Das ist die angenommene Zahl der Einwohner von Athen, vgl. 5,97,2; Aristoph. eccl. 1132; PL symp. 175 e®. Zur Erzählung s. o. § 3,5. Die Zahl noch 2,163,1 und öfter. — 7,165; 185,2; 9,32,2: D r e i h u n d e r t t a u s e n d Mann (griechisch dreißig Myriaden). 8,36,2: S e c h z i g Mann bleiben in Delphi zurück. — 8,138,2: Rosen mit sechzig Blättern in den Gärten des Midas. — 4,87,1; 6,9,1; 95,2: „Die üblichen s e c h s h u n d e r t Schiffe" 7 . - 7,148,2: S e c h s t a u s e n d Gefallene. (3) Die F ü n f ist in merkwürdiger Weise auf Wasserläufe spezialisiert8. 2,10,2; 17,3—5: Der Nil πεντάστομος. Er hat zwar nur drei Deltaarme, aber da sich der mittlere dreifach verzweigt, gibt es fünf Mündungen mit Namen. Zwei Kanäle bringen die Zahl auf sieben, die 3

Stein liefert eine Angabe, die einen ungefähren Anhalt gibt; im gleichen Sinne Carpenter 234a. 4 Eine offensichtliche Nachahmung ist der Untergang der Fabier: sex et trecenti Liv. 2,49,4; 50,11; unum . . . relictum ibid. (wegen der Erhöhung um sechs s.u. § 4,3 Ani.). S. den Nachtrag 6 Diesen Schluß aus dem Vergleich der drei Stellen hat Beloch 2,2,96—8 gezogen. « Nach How-Wells zu 5,97,2. 7 Jacoby 440,36. 8 In der Literatur habe ich keinen Hinweis hierauf gefunden.

160

4,2 Die einzelnen Zahlen

später gewöhnlich genannte Zahl9. Man beachte die totale Symmetrie. — 3,117,2: Der Phantasie-Fluß Akis fließt aus einem Hochtalbecken durch fünf Spalten ab und bewässert das Gebiet von fünf Stämmen. — 4,47,2: Fünf Mündungen der Donau, nach Strabo (7,3,15) sieben. — 4,48,2: Fünf skythische Flüsse fließen in die Donau. — 4,51—7: Fünf von den aufgezählten Strömen Skythiens entspringen aus einem See. — 7,129,2: Fünf Flüsse Thessaliens. Die Zahl ist ziemlich willkürlich. Man kann nicht umhin, an den indischen Pandschab zu denken (im o. S. 157 am Siebenjährigen Krieg exemplifizierten Sinn). Da die Bezeichnung aber schon im Sanskrit vorhanden ist, ist an eine Verbindung wohl kaum zu denken. (4) Die Sieben 1 0 kommt besonders oft in märchenhaften und novellistischen Zusammenhängen vor, besonders in Zeitangaben. 2,133,1: Orakel verkündet dem König sechs Jahre Regierung und Tod im siebenten Jahr. — 3,129,3: Darius sieben Tage und sieben Nächte krank, bis Demokedes geholt wird. — 4,14,3: Aristeas erscheint im siebenten Jahre nach seinem Tode wieder. — 4,151,1: Sieben Jahre regnet es auf Thera nicht, weil ein Orakel nicht befolgt wurde. — 4,158,1: Die Griechen leben sechs Jahre auf der Insel und siedeln im siebenten auf das libysche Festland über (eine dritte Sieben in derselben Erzählung s. etwas weiter unten). — 6,12,2: Sieben Tage lassen sich die Jonier das Exerzieren gefallen und meutern am Tage danach. Märchenhaft sind noch: 1,46,2 sieben Orakel, die Krösus befragt (implizit) und 1,68,3 der sieben Ellen lange Sarg des Orestes. Weiter kommt die Zahl oft im geographisch-ethnographischen Bereich vor, meist offenkundig als Formelzahl. 1,98,5: Sieben Mauerkränze, die Zinnen immer in einer anderen Farbe, in Ekbatana. Märchenhaft. — 2,164,1: Sieben Stände in Ägypten. — 4,24: Sieben Dolmetscher und sieben Sprachen vermitteln zwischen Skythen und dem Märchenvolk der Phalakroi. Zur Stelle s. o. § 2,6 (2). Die Zahl ist mit Herodots sonstiger Schilderung gar nicht zu vereinbaren11. Auch sind bei sieben Dolmetschern genau genommen acht Sprachen im Spiel, man zähle denn die Endsprache mit, die Ausgangssprache aber nicht, was allerdings nicht ganz unnatürlich ist. — 4,59,1: Sieben Götter der Skythen aufgezählt. — 4,123,2: Sieben Tagereisen erstreckt sich die Wüste jenseits der Budinoi (s. o. S. 158 Anm. 2) am Rande der bekannten Welt. — 8,73,1: Sieben Stämme im Peloponnes. 9

Auch sie ist typisch, s. die übernächste Stelle und Blom 252. Ohne unbedingt anderer Meinung zu sein, übergehe ich von den von Blom als typisch genannten Fällen 1,50,3; 2,4,3; 3,8,1; 66,2; 67,2; 152; 4,152.4; 6,57,2; 69,5; (7,154,1 u. 155,1). 11 Blom 226 f. gegen verschiedene Erklärungsversuche.

10

4,2 Die einzelnen Zahlen

161

Aber auch von den Beispielen im historischen Bereich sind manche verdächtig. 4,153: Sieben Distrikte von Thera. — 5,17,1: Sieben Gesandte, historisch zweifelhaft12. — 6,115: Sieben Schiffe erobern die Athener bei Marathon. — 7,56,1: In sieben Tagen und sieben Nächten überschritt das Heer des Xerxes den Hellespont. Die epische Formel noch 3,129,3 (s. o.). Die Zahl ist ähnlich formelhaft, wie o. § 2,6(2) von den sieben Dolmetschern und sieben Sprachen 4,24 gesagt wurde. — 8,132,2: Sieben Verschwörer, wahrscheinlich nach dem Vorbild von 3,70 sq.13, wo wider alles Erwarten die Sieben durch die BehistunInschrift bestätigt wird. — 8,137,1: Daß Perdikkas als siebenter Ahn des Alexandros bezeichnet wird, geht wohl auf die Redensart von .sieben Ahnen' als Kennzeichen adliger Herkunft zurück14. — 9,10,1: Sieben Heloten pro Spartiaten. (5) Zweimal s i e b e n : 5ts επτά 1,86,2; 7,114,2; επτά ζεύγεα (also eigentlich 7 x 2 ) 3,76,3. — S i e b e n t a u s e n d Gefallene 4,160,3. - 7,28,2 u. 29,2: 7000 fehlten an 4 000 000. (6) Eine sehr bedeutende Rolle spielt bei Herodot die Zehn. An einigen Stellen wird sie wie die Sieben für Zeiträume in märchenhaften Erzählungen gebraucht. 2,111,2: Pheron zehn Jahre blind. — 2,124,3—4: Zwei Zehnjahresperioden im Zusammenhang mit dem Bau der Cheopspyramide. — 3,14,1: Am zehnten Tage nach der Einnahme von Memphis spielt die Anekdote von dem Leid des Psammenit. Hat Herodot sie selbst geschaffen, vgl. o. § 3,6 (4), so ist klar, daß die Zahl willkürlich gewählt ist. — 3,155,5: Zopyros trifft seine Verabredung zuerst auf den zehnten Tag. Diese Stellen zwingen dazu, auch solche Zeitangaben mit der Zahl Zehn für willkürlich gewählt zu halten, die sich in den historischen Partien finden. 1,62,1: Im elften Jahr kehrt Peisistratos aus der zweiten Verbannung zurück. Es besteht keine Veranlassung, diese Zahl für historisch zu nehmen15. Zu vergleichen sind die zehn Jahre Abwesenheit des Solon. — Eine ganze Serie von Zehntagesfristen, die längst aufgefallen ist 16 , gibt es im Zusammenhang mit Platää: Zehn Tage halten die Ephoren die Athener hin (9,8,1), stehen sich die Heere gegenüber (41,1), am elften Tage nach der Schlacht verlassen die Griechen das Schlachtfeld (86,2), am zwanzigsten Tage der Belagerung wird Theben eingenommen (87,1). 12 14 15

16

1 3 Macan z. St.; Blom 227. Macan z. St. und App. I V § 7; Blom 227. PI. Theaet. ] 14e; Hes. s. ν. ένδοιΐτιναι; vgl. έπτάδουλο; (nach Blom 231 6 ). Irgendwie nachprüfbar ist sie nicht. Auf die Literatur zur Chronologie der Pisistratiden (Bengtson 133 4 ) brauche ich nicht einzugehen. Busolt 2 2 , 726 Anm. (mit Zustimmung von Meyer 4,1,391, Anm. 3 zu S. 390) sagt, dies sei die griechische Zehntagewoche. Da die Zahl auch für Jahre verwendet wird, halte ich das nicht für plausibel. Allerdings ist die Zehntagewoche auch ein Beleg für die typische Zehn wie unsere Woche für die Sieben.

11 Fehling, Herodot

162

4,2 Die einzelnen Zahlen

Es gibt ferner einige geographische Angaben, wo Herodot die Zahl Zehn offenbar selbst eingesetzt hat. 2,140,2: Zehn Stadien lang ist die Insel Elbo, auf die sich der blinde Pharaoh Anysis flüchtete17. — 4,101,2: Von der Donaumündung bis zur Dnjeprmündung sind zehn Tagereisen, von dort zum Asowschen Meer weitere zehn, ins Innere zwanzig. Herodot stellt sich das Skythenland also als Quadrat mit der Seitenlänge von zwanzig Tagereisen vor. In der Mitte der Südseite liegt die Mündung des Dnjepr. Die erste der Angaben stimmt ungefähr, die zweite ist völlig falsch, der dritten entspricht keine Wirklichkeit, an der zu messen wäre. Nach dem o. § 3,2 dargelegten Prinzip glaube ich nicht, daß Herodot diese ganze Konstruktion aus einer Quelle übernommen hat. Der eindeutigste Fall ist jedoch die 4,181—5 geschilderte Wüstenroute vom ägyptischen Theben nach Westen. Würde man Herodot glauben, so hätte die Natur für die Karawanen, die diese Route zogen, in völlig gleichmäßigen Abständen von zehn Tagereisen sechs Oasen hintereinander in die Wüste gelegt. Man braucht die Lokalisierung dieser Route nicht geklärt zu haben, um das als Phantasie zu erkennen. In der Größenordnung ist sie an die wirklichen Entfernungen der ersten drei Stationen angelehnt. Von diesen allein hat Herodot nämlich echte Kenntnis gehabt ; von der übrigen Route wußte er höchstens einige markante Tatsachen, vielleicht die Gesamtlänge von zwei Monaten. Dies genügte als Grundlage seiner Darstellung18. (7) Verbindung von Zehn und Zwanzig. 2,124,3—5 dauert der Pyramidenbau zehn plus zwanzig Jahre. — 3,155,5—6: Zopyros 17

18

Die Geschichte als solche scheint einen historischen Kern zu haben, denn etwa 720 v. Chr. flüchtete Pharaoh Tefnechte vor dem nubischen Eroberer Pianchi „zu den Inseln des Meeres" (Pianchi-Stele, Z. 129 sq. = Breasted 4,880) und erhob sich später wieder (ebenda 810). Dies etwa ist das Fazit, das ich aus den in der Literatur angestellten Überlegungen ziehen würde. Die ersten drei Stationen sind sicher lokalisiert (Oase Siwa, Audschila, Fezzan). Nur die zweite Entfernung stimmt; die erste wird etwa passend gemacht, wenn man annimmt, daß Herodot irrtümlich Theben für allgemein .Ägypten' eingesetzt h a t (Formulierung nach Carpenter; die Ansicht ist alt, How-Wells 1,361, (4) ; Legrand 4,149). Das ist plausibel, weil Herodots Ost-West-Richtung erhalten bleibt, eröffnet aber so viele Möglichkeiten der Manipulation, daß keine beweiskräftige Koinzidenz herauskommt (Carpenter bekommt die richtige Entfernung, indem er von der Oase Baharije, der .Kleinen Oase', ausgeht). Die dritte Strecke ist länger. Für den Rest gibt Carpenter erstmals eine verständliche Deutung, indem er die Route nach Süden durch die Sahara zur Bodele-Senke abbiegen läßt. I h m bin ich oben gefolgt. Die einzelnen Stationen bleiben ungenau lokalisierbar, ja sogar als Individualitäten zweifelhaft, wie einige Beobachtungen Carpenters lehren: Die Namen der vierten und fünften Station (Atarantes, Atlas) sind Dubletten und passen auf jeden isolierten Bergkegel; für die letzte weiß Herodot selbst keinen Namen. Auch die Beschreibungen enthalten Stereotypien. Die sechsmal gleichen Entfernungsangaben nennt Carpenter (235a und 232a) „sweeping generalisations".

4,2 Die einzelnen Zahlen

163

trifft seine Verabredung mit Darius auf den zehnten, den siebenten, den zwanzigsten und nochmals den zwanzigsten Tag. Das persische Kontingent, das jedesmal geopfert werden soll, soll zuerst tausend, dann zweitausend, dann viertausend Mann stark sein. — Vgl. o. Nr. 6 zu 4,101,2 und zu der Zwanzig 9,87,1 unter den Zehntagesfristen um Platää. Die Zwanzig sonst. 3,65,1: Zwanzig Tage nach seinem Unfall ruft Kambyses die Perser zusammen. — 3,153,1: Im zwanzigsten Monat der Belagerung von Babylon faßt Zopyros den entscheidenden Entschluß. — Die beiden zusammengehörigen genealogischen Listen des spartanischen Königshauses, die o. S. 131 Anm. 11 schon gestreift wurden, enthalten jeweils zwanzig Vorfahren (das Endglied also nicht mitgerechnet). Wenn diese Zahl typisch ist, kann die Liste nur von Herodot selbst stammen. Eine Liste des Hekataios mußte er den Tatsachen entsprechend verlängern, und bei lokaler Überlieferung kann keine typische Zahl festgehalten werden, da der Bezugspunkt sich ändert 19 . — 3,56,1: V i e r z i g Tage Belagerung von Samos. (8) Die einfachen Zehnerpotenzen, manchmal runde Vielfache davon, werden gerne für Scharen von Dienern, Leibgarden und Truppen verwendet, weil sie, wie o. § 4,1 gesagt, die rationale Organisation sinnfällig machen20. In diesem Sinne gibt Herodot 6,56 den spartanischen Königen h u n d e r t Leibwächter, dem Polykrates 3,39,3 hundert Pentekonteren und t a u s e n d Bogenschützen, dem Oroites 3,127,1 tausend Leibwächter, und hier sind die tausend, z w e i t a u s e n d und v i e r t a u s e n d Mann starken Kontingente 3,155,5—6 (s. o. Nr. 7) noch einmal zu erwähnen. Schließlich bauen 2,124,3 h u n d e r t t a u s e n d Mann (griechisch zehn Myriaden) die Cheopspyramide. Das eklatanteste Beispiel aber sind die Truppen, die die unmittelbare Begleitung des Xerxes bilden, 7,40 sq.: tausend, tausend, zehn, tausend, tausend, z e h n t a u s e n d aus tausend plus neuntausend, zehntausend. Vergleichbar sind die hundert Tore einer Stadt. Hunderttorig ist II. I 383 das ägyptische Theben, und Herodot hat das 1,179,3 auf Babylon übertragen. (9) Die Zwölf ist im allgemeinen als Vielfache der Drei zu interpretieren. So werden 1,142 zwölf jonische Städte in der Gruppierung 19

20

An typische Zahl denkt Blom 230f.; Herleitung von Hekataios Meyer, Forschungen l,170ff. ; vgl. Beloch 1,2,172. Ich will nichts Festes behaupten. Jedenfalls braucht die im epischen Stil gehaltene, d. h. aus redenden (plus Dubletten historischer) Namen bestehende Liste nicht lokale Überlieferung zu sein. Vgl. u. § 5,2. Häufig auch in 1001 Nacht, auch, wenn ich mich recht erinnere, in unsern Märchen. Jacoby, Ktesias 2060, notiert, daß bei Ktesias „die Zahlen 200 000, 400 000, 800 000 . . . beständig wiederkehren".

164

4,2 Die einzelnen Zahlen

3 + 6 + 3 aufgezählt und 4,168—80 in den drei Zonen Libyens 1 2 + 6 + 3 Völkerstämme21. Zu der jonischen Dodekapolisstellen sich 1,145 sq. zwölf achäische, 1,149,1 zwölf äolische Städte auf dem Festland. 8,33 zählt man zwölf phokische Orte, die die Perser verwüsten. Schließlich gehören die unhistorischen zwölf Fürstentümer, in die Ägypten 2,147,2 geteilt wird, in diese Serie. Den Zwölfteilungen liegt letztlich ein verbreiteter realer Brauch zugrunde 22 ; trotzdem sind alle Beispiele außer dem ersten fiktiv: Die achäische Zwölf begründet eine historische Konstruktion, die äolische ist durch den Zusatz „auf dem Festland" rein geographisch determiniert; bei den Phokern behauptet Herodot nicht einmal, daß die Zwölf eine Gruppe bilden ; und in Ägypten ist er sicher nach dem gewohnten Schema verfahren. Von anderen Stellen nenne ich nur noch 3,35,5: Zwölf Perser lebendig begraben. (10) Vielfache. Für h u n d e r t z w a n z i g Jahre als hohe Lebensspanne (1,163,2 u. 3,23,1) hat Aly 84 Parallelen genannt (genes. 6,3; deuteron. 34,7; Treb. Pollio Claud. 2). - 1,178,2: 120 Stadien im Geviert soll Babylon groß sein23, vgl. o. Nr. 2 zu Gelonos 4,108,1. Das dortige Areal ist also noch versechzehnfacht. — 6,27,2: 120 Kinder kommen beim Einsturz einer Schule um. — Die z w e i h u n d e r t v i e r zig Jahre (v. 1.: 340) zwischen Aristeas' Tod und seinem Auftauchen in Metapont 4,15,1 will Herodot aus den beiderseitigen Angaben errechnet haben. Die runde Zahl spricht dafür, daß das eine der üblichen Quellenfiktionen ist. Kontrollierbar ist die Angabe kaum 24 . — Offensichtlich märchenhaft sind die d r e i h u n d e r t s e c h z i g ( = 2 χ 180) Wasserläufe, in die 1,189,3 Kyros den Gyndes aufspaltet. — Daß die h u n d e r t z w a n z i g t a u s e n d beim Kanalbau Umgekommenen 2,158,5 und die z w e i h u n d e r t v i e r z i g t a u s e n d nach Äthiopien Desertierenden 2,30,2 willkürlich angenommene runde Zahlen sind, hat Wiedemann 564 und 129 gesagt, an letzterer Stelle los. contra Ap. 1,14 als Parallele genannt und vor allem die hochwichtige Feststellung getroffen, daß dies nicht die ägyptische Art ist, runde Zahlen zu bilden, „da hier bei runden Zahlen stets der Drei der Vorzug gegeben wird, es also etwa 333 000 heißen würde". Also stammen die Zahlen von Herodot selbst. 21

Beide Beobachtungen bei Blom, 139 f. und 129. Man vergleicht u. a. die zwölf Stämme Israels und die Amphiktyonie. — Zu den Joniem vgl. II. Λ 692 (zwölf Söhne des Neleus, des traditionellen Gründers von Milet). 23 Wegen der richtigen Maße vgl. Legrand Ι,ΙΙδ 1 . Legrand führt 116 die runden Zahlen auf babylonische mündliche Quellen zurück. D a die hundert Tore (o. unter Nr. 8) doch wohl aus der Ilias stammen, ist das unwahrscheinlich. 24 S. Nachtr. z. S. 71 — Zu Person u. Chronologie des Aristeas ausführl. Bolton 124ff. 22

4,3 Zahlen wie 55, 330

165

Es ließen sich noch mehr Zahlen als typisch auffassen, und auch bei den belegten Zahlen sind nicht alle Stellen genannt. Aber es ist in etwa die Grenze dessen erreicht, was eindeutig ist. Im ganzen kommen bei Herodot so viele und so verschiedene Zahlenangaben vor, daß es auch bei völliger Willkür oder völliger Richtigkeit möglich sein müßte, Parallelen zusammenzustellen. Wir haben jetzt bereits ζ. B. von den ersten zwölf Zehnern die 10, 20, 30, 40, 70, 120, also die Hälfte, einbezogen. Das könnte schon bedenklich scheinen, obwohl es rechtfertigende Umstände gibt. Also breche ich hier ab. 4,3

Zahlen mit gleichviel Einheiten verschiedener Ordnung. Werden krumme Zahlen gebraucht, so setzt man gerne der runden Zahl ein paar Einheiten zu bzw. rechnet sie ab. So sagen die Spanier 1003 (uns aus dem Libretto von Mozarts Don Giovanni bekannt), die heutigen Griechen 1002 für eine behebige hohe Zahl. Von dieser Art 1 ist die Zahl 1207, die Äschylus Pers. 339—41 für die Flotte des Xerxes angibt2. Denn sie beruht, wie Beloch 2,2,67—9 gesehen hat, auf der Annahme, daß Xerxes soviel Schiffe hatte wie Agamemnon in der Ilias. Letztere Zahl ließ sich aus dem Schiffskatalog auf rund 1200 bestimmen3. Für die Sieben vgl. Hdt. 7,28,2 (sieben Tausender fehlen an vier Millionen). Ein Beispiel dieser Art sind auch die 1001 Nächte. Sie belegen die speziellere Form, daß die hinzugefügte Zahl kleinerer Ordnung ebensoviel Einheiten hat wie die Hauptzahl4. Ältere griechische Beispiele hierfür gibt es nicht sehr viele. Od. ι 142: ούκ äv τόν ye δύω και είκοσ ' αμαξαι . . . όχλίσσειαν, beweiskräftig, weil gedachte Zahl; die 22 noch Β 748; Κ 208. — Soph, epigr. frg. 2 Diehl: 55 Jahre. — Diod. 1,55,9: 4 Ellen und vier Handbreit5. — Zwei weitere Beispiele s. o. S. 159 Anm. 4 mit Nachtrag. Ich verstehe mit Beloch und van Groningen gegen Wecklein und Meyer, Forschungen 2,231 2 so, daß 207 zu den 1000 zu addieren sind. — Von Äschylus hat Herodot 7,89,1 die Zahl übernommen und nachträglich die Summe auf die Kontingente verteilt (Parallelen u. S. 166 mit Anm. 6). Damit die Zahl, die bei Äschylus für Salamis gilt, für die Musterung in Thrazien paßt, läßt er unrealistisch 8,66 Verluste und Neuzuzüge sich ausgleichen. Erstere müßten viel größer sein als letztere. Es folgt, daß die 3000 kleineren Fahrzeuge 7,97 frei hinzugefügt sind. Alles dies hat Meyer a. O. (231) dargelegt. 3 So gibt Thuc. 1,10,4 die Zahl. In unserem Text ergeben sich 1186; Beloch zeigt, daß einige Zahlen verschieden überliefert waren. Ich vermute trotzdem, daß Äschylus nicht genau gezählt, sondern die runde Zahl frei um sieben erhöht hat. 4 Einiges habe ich Wiederholungsfiguren 249 mit Nachtrag 357 schon zusammengestellt. Da ich zugelernt habe, gebe ich eine neue Darstellung, die alles wiederholt. 6 Solche Fälle mit verschiedener Benennung sind gerade für die Griechen nicht wesentlich verschieden von den reinen Zahlen. Denn auch ζ. B. Theokrit zählt έκατοντάδεζ, χιλιάδες usw. zusammen, hat also Zahl und Benennung. 1 2

166

4,3 Zahlen wie 55, 330

Speziell mit Dreien: Thcr. 17,82—5 (33 333 Städte Ägyptens, die 33 ist spielerisch versteckt als 2 χ 3 + 3 χ 9 gegeben); vgl. Liv. 22,10,7 (Spiele von 333 333 1/3 As), ähnlich Plut. Fab. Max. 4. S.a. den folgenden Absatz. Einiges andere. Aus der o. § 4,2 (10) zitierten Äußerung Wiedemanns geht hervor, daß ihm die Erscheinung ägyptisch bekannt ist, und zwar gerade mit der Drei; danach könnte Thcr. 17,82—5 eine echt ägyptische Zahl sein. Welches unabhängige ägyptische Material vorhanden ist, weiß ich nicht; zufällig finde ich „die 110 Jahre" Kees 291 ; s. d. Nachtrag. Ich habe noch einige gräko-ägyptische Belege (nicht mit Drei): 55 Jahre soll ein gütiger König regieren (Töpferorakel, Hermes 40, 1905, S. 548) ; ein Zeitraum von 990 Jahren kommt in der Weissagung des Lamms unter Bokchoris vor, der selbst 44 Jahre regiert (Manetho frg. 64 u. 65, vgl. die Loebausgabe von Waddell). — 55 Wahrsager in der Erzählung von Barlaam und Josaphat bei Johannes von Damaskus. — Caes. b. G. 1,29: 110 000 von 330 000 Helvetiern übrig gebheben (die letzte Zahl latent), vgl. o. § 2,30 (7). — Verg. Aen. 1,265-74: 3 + 30 + 300 Jahre. — 110 Jahre als Periode der Säkularfeiern von Augustus vorgesehen. — L. Arbusow, Colores rhetorici, Göttingen 1963, S. 103 f. belegt die 22 und 33 in abendländischer Literatur. Bei Herodot. 1,7,4: 22 Könige regieren zusammen 505 Jahre. Zu dieser Stelle s. o. § 3,3 Ende; für die 22 vgl. die Homerstellen oben. — 1,86,1: Vierzehn Jahre und vierzehn Tage. — 2,100,1: Die 330 unberühmten Könige füllen einen leeren Zeitraum aus wie 1,7,4 die 22. Zur Stelle o. § 1,16. — 9,30: Die Griechen bei Platää zählen 110 000 Mann (elf Myriaden). Die Summe ist nachträglich auf die einzelnen Kontingente verteilt 6 . Eine letzte Stelle ist problematisch. 4,85,2 wird die Länge des Schwarzen Meeres auf 11 100, die Breite auf 3300 Stadien angegeben. Diese Maße sind objektiv erheblich falsch7. Das ist genau das, was zu erwarten ist, wenn die Zahlen frei gewählt sind. Aber die Sache hat hier einen dicken Haken. Die Zahlen sind nach c. 86 nicht im ganzen gemessen, sondern errechnet: 3300 ergibt sich aus 3 χ 700 + 2 χ 600 (drei Tage und zwei Nächte), die 11 100 aus 9 χ 700 + 8 χ 600. Auch das mutet überlegt an, daß man morgens abfährt und abends ankommt. Nun brauchte das kein Hindernis zu sein; die Rechnung könnte passend manipuliert sein. Aber das setzt, da gleichzeitig zwei 6

7

S. Beloch 2,2,74—9. Das Verfahren wie bei der Flotte des Xerxes, s. o. Anm. 2. Ebenso bei der griechischen Flotte, Beloch a. O. 65. S. ferner o. § 3,3 Ende. Nach Steins Angaben ist die Querfahrt fast 60%, die Längsfahrt sogar 100% zu hoch angegeben. Nimmt man für die letztere gegen den Wortlaut Küstenfahrt an, bleibt die Zahl 40% zu hoch. Ausgleichsversuche, wie Stein und andere (s. HowWells z. St.) unternommen haben, kämen nur in Frage, wenn beide Zahlen im gleichen Verhältnis falsch wären.

4,4 Zahlen von Herodot eingesetzt ?

167

geeignete Summen erzielt werden müssen, eine komplizierte Überlegung voraus, die man dem zwar gerne, aber nicht gut rechnenden Herodot nicht zutraut. Darüber hinaus ergibt eine genauere Überprüfung der mathematischen Möglichkeiten, daß selbst die Summen glücklich gewählt sein müssen, um überhaupt eine Lösung der Aufgabe zu ermöglichen. Es widerstrebt mir sehr zu glauben, daß sich zwei Zahlen der Form zufällig ergeben haben; aber ein anderer Weg ist schwer zu sehen.

4,4

Typische Zahlen von Herodot eingesetzt oder aus den Quellen ? In einigen Fällen geht aus unsern früheren Nachweisen hervor, daß Zahlen von Herodot selbst stammen. Er hat Dreiheiten von Brüdern erfunden und die Dreiheit der Erzählung selbst hergestellt, o. Nr. (I) 1 ; von ihm sind die sieben Dolmetscher und Sprachen 4,24, o. § 2,6 (2) ; die 22 und die 505 1,7,4 und die 330 Unberühmten, o. §§ 4,3 und 1,16. An anderen Stellen ergaben unsere Überlegungen zu den Zahlen selbständige Argumente: bei den Zehnen in der Geographie, o. Nr. (6) ; den 120 000 und 240 000 Nr. (10) ; den manipulierten Heeres- und Flottenzahlen, o. § 4,3 zu 9,30 mit den Verweisen der dortigen Anm. Wichtiger als solche Details ist, daß das ganze Werk in Bezug auf die Zahlen so einheitlich im Gesamteindruck ist ; die Quellen müßten mehr Vielfalt zeigen. Unmöglich kann ζ. B. die Serie von Fünfen im Zusammenhang mit Wasserläufen o. Nr. (3) aus verbreiteter .Volksüberlieferung' erklärt werden. Dann müßte es zahlreiche Belege außerhalb Herodots geben. Leichter wäre eine solche Annahme bei der Serie der Zehnerpotenzen Nr. (8). Aber auch dort ist, vor allem wegen des ägyptischen Beispiels, wahrscheinlicher, daß die Serie im Werk selbst entstanden ist. Ebenso die Zwölfergruppen Nr. (9). Während die Belege in märchenhaften und novellistischen Passagen den Hinweis geben, daß entsprechende Zahlen in den historischen Partien auch typisch sind, zeigen letztere umgekehrt, daß wir überall mit Herodot als Urheber rechnen müssen. Denn da nicht so leicht unterstellt werden kann, daß es eine mündliche Kunstform der historischen Erzählung mit den Mitteln des Epos oder des Märchens (eins von beidem sind die typischen Zahlen) gegeben hat, ist für sie Herodot stets der wahrscheinlichste Urheber. Nach diesen Erwägungen kann die Vermutung, daß die typischen Zahlen in der Regel von Herodot selbst stammen, nicht mehr abwegig scheinen. Sie ruht freilich nur zum kleineren Teil auf den speziellen Beobachtungen dieses Kapitels, sondern ist von den Deutungen namentlich des dritten Kapitels abhängig. 1

Verweise dieser Art beziehen sich jeweils auf § 4,2.

Ausblick Es ist klar, daß die Ergebnisse dieses Buches über das engere Thema hinaus mancherlei Folgerungen erzwingen. Bliebe das hier ganz unbeachtet, so könnte das Unsicherheit hervorrufen und vielleicht sogar für manchen eine Versuchung sein, von irgendeiner für festes Wissen gehaltenen Vorstellung über unseren Autor aus diese Ergebnisse ungeprüft zu verwerfen. Doch möchte ich zwischen dem Hauptteil des Buches und den folgenden Bemerkungen einen deutlichen Trennungsstrich ziehen. Sollte ersterer eine konkrete These mit möglichst endgültiger Sicherheit und leidlich vollständig beweisen, so skizzieren letztere in Kürze mögliche Antworten auf Fragen, die teils viel gründlicher untersucht werden müssen, teils überhaupt nicht sicher zu beantworten sind, teils subjektive Wertung enthalten. In manchen Punkten soll nur Nichtwissen an die Stelle der bisherigen Ansicht gesetzt werden. 5,1

Die Reisen. Um mit einem einigermaßen an der Oberfläche liegenden Punkt zu beginnen: Über die Reisen Herodots konnte man bisher im groben Bescheid zu wissen glauben. Dadurch, daß sich entgegen der natürlichen Vermutung die ausdrücklichen Autopsieangaben, die Eckpfeiler der jetzigen Ansicht, fast samt und sonders als Fiktionen herausgestellt haben1, ist völlige Unsicherheit eingetreten, jedenfalls im Positiven. Wir sehen, daß es einfach nicht Herodots Gewohnheit ist, Dinge, die man tatsächlich sehen konnte, durch die Versicherung der Autopsie zu beglaubigen, und so gibt es vielleicht keine einzige (sicher keine außergriechische) Stelle, die wir als Nachricht über einen Aufenthalt Herodots an irgendeinem Ort werten können. Eine neue Untersuchung des Themas muß sich ausschließlich auf seine Beschreibungen von Denkmälern stützen, die archäologisch nachgeprüft werden können, wobei nur nachweislich richtige Angaben herangezogen werden dürfen (darüber unten § 5,3 mehr). Freilich ist es möglich, daß sich hierzu kein wirklich sicheres Material findet. Negativ kann einiges gesagt werden. Zu streichen ist Kolchis 2,1042, der Abstecher zum Exampaios 4,81 und der nach Tyros 2,44. Die Fiktion scheint mir einen Aufenthalt im Lande sogar auszu1 2

S. o. §§ 2,14 und 20—2 mit Verweisen. Das Stellenregister macht Verweise auf die frühere Behandlung der Stellen unnötig.

5,1 Die Reisen

169

schließen. Unbedingt entfällt die Reise nach Oberägypten. Hier bestanden schon immer wegen einiger erstaunlicher falscher Angaben Bedenken3, so daß unsere Erkenntnisse über die 345 Statuen in Theben und über Herodots Behauptung 2,29,1, er sei bis Elephantine gekommen, die Sache definitiv entscheiden dürften. Und hier ist wirklich nicht leicht zu verstehen, wie so viele Herodots Angaben haben glauben können. Der Grundfehler liegt hier in der falschen Methode, jeden Fehler isoliert daraufhin zu betrachten, ob es möglich ist, ihn als Irrtum zu verstehen. Da die theoretischen Möglichkeiten des Irrtums vielfältig sind und die Phantasie der Gelehrten unerschöpflich, gelingt der Versuch so gut wie immer. Aber daraus folgt, daß mit der Angabe irgendeiner Möglichkeit wenig zu beweisen ist. Man kann getrost davon ausgehen, daß Irrtümer oder Mißverständnisse immer zu konstruieren sind. Worauf man das Augenmerk richten muß, ist das Gesamtbild. Es ist völlig richtig, daß man sich selbst mit einer bedenklichen Erklärung oder sogar (beinahe besser) mit gar keiner begnügen kann, wenn es sich um einen einzelnen Punkt handelt, der in schwerem Konflikt zu den übrigen Indizien steht4. Aber abwegig ist das, wenn eine ganze Serie von Beobachtungen in dieselbe Richtung weist. Wer die Fahrtdauer auf der Hauptreisestrecke grob falsch angibt, wer behauptet, daß Ägypten vier Tagereisen unterhalb von Heliopolis an Breite wieder zunehme6, wer als größte Enge des Tals eine Größe angibt, die über weite Strecken hin um mehr als fünfzig Prozent unterschritten wird, wer Elephantine für eine Stadt und nicht für eine Insel hält, Syene aber weiter entfernt vermutet, wer demgegenüber keine einzige zutreffende Detailangabe über irgendeine Lokalität macht, insbesondere von den Denkmälern Thebens völlig schweigt — der ist eben nicht in Oberägypten gewesen, mag es auch für jede einzelne Angabe eine denkbare Erklärung geben. Gewiß kann man verstehen, daß Herodots ausdrückliche Versicherung 2,29,1 eine schwere Barriere gewesen ist, aber hätte man nicht wenigstens zugeben können, daß man vor einem unlösbaren Dilemma stand ? Vielleicht ist die Abneigung, Konsequenzen zu ziehen, auch deshalb verständlich, weil es unausweichlich werden könnte, die Zweifel auf die Ägyptenreise überhaupt auszudehnen. Dem Problem, daß Herodot behauptet, es regne in Ägypten nie, ist man knapp entronnen 3

4 6

Sayce, Season and extent; Heidel 55a und 6 1 b ; Schwartz 149; W. Kaiser 108 (vollständigere Angaben Oertel 9). Aber die meisten anderen und besonders die maßgeblichen Gesamtdarstellungen (Jacoby, Legrand; v. Fritz) akzeptieren die Reise. An ganz wenigen Stellen bin ich auch so verfahren (o. S. 89 und S. 105). Um dieser Behauptung willen (2,8,3) möchte ich fast zurücknehmen, daß immer eine Möglichkeit des Irrtums sei. Die älteren Versuche (vor allem die Konjektur (καί δέκα), die gegen den übrigen Wortlaut den Punkt außerhalb Ägyptens verlegen will) hat Sourdille 120—8 glänzend widerlegt, sein eigener ist von monumentaler Unmöglichkeit. Verfehlt auch Powell, Niltal.

170

5,2 Soziale Stellung

durch die Annahme, daß er gerade in den wenigen Monaten dort war, wo das zutrifft. Auch über die Fehler in der Beschreibung des Krokodils und des Nilpferds (auch beim Ibis braucht man eine Verwechslung) mag man sich noch hinwegsetzen können, obwohl jemand, der dem Nilpferd eine Pferdemähne zuschreibt, ein solches auch nicht aus der Ferne gesehen haben kann. Aber daß Herodot in Ägypten keine Ägypter gesehen hat, kann man nicht annehmen (obwohl How-Wells nahe daran sind, es zu behaupten), und so bleibt ihre Beschreibung als schwarzhäutig und wollhaarig (2,104,2, s. o. S. 15 Anm. 4) ein Rätsel. Vielleicht der krassesste Fall ist aber die Äußerung Herodots (2,126,2), daß sich „in der Mitte der drei Pyramiden, vor der großen Pyramide" noch eine weitere, kleine Pyramide befinde. Hier hat man sich nur mit einer falschen Übersetzung helfen können®. Wie gesagt, will ich die Frage der Reisen nicht endgültig entscheiden, sondern nur zeigen, daß alte Bedenken neu auftauchen7. Die extreme Möglichkeit wäre, daß Herodot seine griechische Heimat nicht verlassen hat. Wäre er also ein Stubengelehrter ? Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit. 5,2

Soziale Stellung Herodots. Man ist sich allgemein darüber im klaren, daß wir hierüber nichts Sicheres wissen können. Immerhin schienen die antiken Nachrichten, die Herodot politische Aktivität hinsichtlich seiner Heimatstadt zuschreiben, die großen Reisen und Möglichkeiten der Information und die aus dem Werk erkennbare Bildung übereinstimmend auf eine gehobene Abstammung zu deuten1. Mir scheint ein Indiz in andere Richtung zu weisen. Man hat bei der Lektüre des Werkes nicht den Eindruck, daß Herodot mit den Großen seiner Zeit auf Du und Du stand. Mancher Mangel an Information, mancher legendäre Zug auch seiner griechischen Helden scheint 6

7

1

την êv μέσω των τριών εστηκυίαν, εμπροσθε της μεγάλης πυραμίδος. Das heißt nicht: „die mittlere von den dreien, die vor der großen Pyramide stehen". Die drei sind die bekannten großen Pyramiden, die sich Herodot anscheinend im Dreieck stehend vorstellt. Die kleine vierte zählt nicht richtig mit. ( τ ω ν ) εμπροσθε wäre naheliegend, aber ergäbe eine nicht akzeptable Wortstellung. Lattimore, Names of gods, legt den Finger auf eine weitere Wunde, nämlich daß Herodot viele griechische Götternamen für ägyptisch hält (auch dabei kommen erstaunliche Verbiegungen des Wortlauts zu Tage). E r vermutet, die Namen könnten in Ägypten durch griechischen Einfluß schon gebräuchlich gewesen sein. Aber der Ägyptologe Säve-Söderbergh lehnt das entschieden ab (71). — Allgemein sei neben Wiedemann ausdrücklich auf Sourdille verwiesen. Obwohl er die Reise als Gegebenheit voraussetzt, hat er Dutzende von Legenden zerstört und, da er keine Schwierigkeit verschweigt, sich oft genug selbst widerlegt. Jacoby 216ff. (auf den für alle Einzelheiten verwiesen sei); How-Wells zu 2,44,1; A. Körte, Hermes 59, 1924, 119—21 (nicht adlig); Hignett 30f.

5,3 Glaubwürdigkeit

171

mir darauf zu deuten, daß er sie aus großem Abstand betrachtete. Wenn 6,131,2 die Geburt des Perikles durch einen Traum angekündigt wird, so glaube ich nicht, daß Herodot quasi als Hofdichter der Alkmäoniden spricht, sondern eher, daß er die Bewunderung des Volkes ausdrückt. Hat Herodot den Spartanerkönigen eine Genealogie frei zugeschrieben, o. § 4,2 (7), so kann er nicht in ihren Kreisen verkehrt haben. Ferner ist er, trotz mancher diesbezüglicher Vermutungen, nicht in partikuläre politische Interessen verflochten; etwas, was der Abneigung des Thukydides gegen Kleon zu vergleichen ist, findet sich bei ihm nicht. Hängt er seinen Helden, etwa dem Themistokles, negative Züge an, so entspricht das nur seiner generellen Vorstellung davon, wie es in der Welt zugeht2. Wenn nun die antike Biographie die Vorstellung hat, daß Herodot Vorträge hielt oder vorlas, so frage ich mich, ob man ihn sich nicht eher als wandernden Intellektuellen vorstellen muß, der teils mit den Sophisten, teils mit den Rhapsoden, teils mit den Berufserzählern des Orients zu vergleichen ist. Daß er von Reisen erzählte, die er nicht gemacht hatte, scheint mir in diesem Rahmen leichter vorstellbar als wenn er ein vornehmer Herr gewesen wäre, zu dessen Publikum Standesgenossen gehörten. Nur ein einigermaßen obskurer Lebenslauf konnte ihm die Freiheit dazu geben. Die antiken Nachrichten über Herodots Verbannung, seine Rolle beim Sturz der Tyrannis in Halikarnass u. a. empfehlen freilich nicht, die vorstehende Annahme ins Extrem zu treiben. Es würde indessen in müßige Spekulationen führen, wenn ich die Möglichkeiten näher erörtern wollte. 5,3

Glaubwürdigkeit. Zu diesem Thema ist in den letzten Jahrzehnten eine umfangreiche Literatur erschienen, von der ich leider nur einen kleinen Teil kenne und einen noch kleineren wirklich beurteilen kann, da ich namentlich von der Archäologie so wenig wie möglich verstehe. Die überwiegende Zahl dieser Arbeiten ist dem Ziel gewidmet, Aussagen Herodots zu bestätigen, und so ergibt sich ein sehr positives Gesamtbild1. Leider muß gesagt werden, daß man wenig Vertrauen in diese Übereinstimmung setzen kann. Es gibt zwar ohne Zweifel einzelne frappante Bestätigungen für Aussagen Herodots2, aber sie gehen 2

1

2

Hierüber hat Howald zu Anfang seines Aufsatzes ausgezeichnete, leider viel zu wenig beachtete Ausführungen gemacht. Vgl. die Literaturberichte: „immer wieder glänzend rehabilitiert" Bergson 129; „the tendency to rehabilitate him continues" MacKendrick II, 272 a. Von dieser Euphorie sehr abweichend jetzt jedoch Oertel. Z. B. Zahl und Namen der Mitverschwörer des Darius, manche Angaben über die Sitten der Skythen, die Afrika-Umseglung 4,42,2—4, s. o. § 2,18 (2) usw.

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5,3 Glaubwürdigkeit

in der Literatur unter in der Masse der weniger schlüssigen, zweifelhaften, vagen, unwahrscheinlichen und ganz haltlosen Vermutungen. Vor allem — und um dies festzustellen, bedarf es keiner Sachkenntnis — werden immer wieder negative Feststellungen für positive Beweise ausgegeben. Hierfür nur ein markantes Beispiel. Wenige Arbeiten werden in diesem Zusammenhang so häufig zitiert wie der Aufsatz von Spiegelberg über die Glaubwürdigkeit (speziell der historischen Angaben) Herodots im Lichte der ägyptischen Denkmäler. Immer wieder heißt es, Spiegelberg hätte „festgestellt", „nachgewiesen" usw., daß Herodots Angaben glaubwürdig seien. In der Tat behauptet Spiegelberg das selbst, aber in Wirklichkeit enthält der Aufsatz — auch wenn man jedes Argument so gelten läßt, wie der Autor es will — fast nur Argumente, die Irrtümer und Widersprüche zu den ägyptischen Quellen als erklärlich hinstellen, weil Herodot aus der Volksüberlieferung schöpfe, weil ägyptisches Material nur für andere Zeiten und nicht für das Delta vorhanden sei usw. Gesetzt, das alles sei wahr, so folgt daraus nur, daß die ägyptischen Denkmäler zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit Herodots nichts beitragen können. Eine einzige Deutung dieses Aufsatzes kann man als hinreichend frappant bezeichnen, um ihr einen gewissen positiven Wert zuzusprechen3. Ich will mit diesen Bemerkungen durchaus nicht sagen, daß ich mir ein völlig negatives Urteil gebildet hätte, sondern nur, daß man die Frage noch weit mehr als offen betrachten muß, als die durchschnittliche Beurteilung heute nahelegt. In einer Hinsicht können die Ergebnisse dieser Arbeit das Urteil über Herodots Glaubwürdigkeit sogar positiv beeinflussen. Denn wenn ein gewisser Kreis von Aussagen, die ihn stets kompromittierten und nur mühsam verteidigt werden konnten, literarische Lizenzen sind, können die übrigen an Glaubwürdigkeit gewinnen, sofern es gelingt, die Grenzen abzustecken. Insbesondere wird man darauf verzichten können, Herodot alle möglichen Irrtümer, Beobachtungsfehler, Mißverständnisse, hastige Schlußfolgerungen, Leichtgläubigkeit gegenüber Flunkereien und Hineinfallen auf Scheinbestätigungen in die Schuhe zu schieben, um seine Wahrheitshebe zu retten. Er soll die Negersklaven in Memphis für Ägypter gehalten haben (How-Wells), Fischgräten für Schlangenskelette (Keller), ein griechisches Heiligtum für den Haupttempel von Theben (Sourdille und Legrand), mykenische oder Keilschrift für ein dem jonischen ähnliches griechisches Alphabet (o. S. 104 Anm. 18), er soll auf der Kanalfahrt den Bahr-el-Jussuf hinauf nicht gemerkt haben, 3

Die Deutung von 2,107 aus Monumenten, wo der König über die Leiber der besiegten Feinde hinwegschreitet. Dazu kommen freilich noch, zwei vortreffliche Bestätigungen für Angaben über aktuelle Gebräuche (2,14,2 und 85; S. 32—4).

5,4 Tatsächliche Quellen

173

daß die Fahrt nur eine kurze Strecke nach Westen, dann aber nach Norden ging (Sourdille; schade, daß man nicht sagen kann, es hätte geregnet) und so fort. Ich habe einige Male diejenigen, die Herodots Zitate zu retten versuchen, Apologeten genannt. Aber es kommt mir immer mehr vor, als sei ich derjenige, der in Wahrheit Herodot verteidigt, indem ich die Notwendigkeit beseitige, in ihm einen hastigen, übereifrigen und oberflächlichen Rundreisenden zu sehen, der von Ort zu Ort eilt, um sich Scheinbestätigungen vorgefaßter Ansichten zu holen, mit den Leuten Selbstgespräche zu führen und Spiegelbilder seiner eigenen Phantasie zu besichtigen. Freilich überblickt wohl niemand, in welchem Ausmaß man bisher solche Aushilfen brauchte, da sich niemand die Mühe gemacht hat, alles vollständig zusammenzustellen. Und in die allgemeinen Würdigungen gelangen diese Dinge immer nur in abgeschwächter Form. 5,4 Tatsächliche Quellen. Wir sagten o. § 2,28, daß die einzelnen Quellenfiktionen Teile einer großen Gesamtfiktion sind, nach der alles, was Herodot berichtet, aus mündlichen, auf Reisen gesammelten Nachrichten beruht. Wir sagten auch schon, daß Herodots Aussage über seine ίστορίη, die natürlich in engem Zusammenhang mit den Quellenangaben steht, zwangsläufig mit betroffen wird. Dieses Wort faßt die Gesamtfiktion zusammen. Es ist ebenso literarisch zu interpretieren wie die Quellenangaben und kann deshalb kein Führer sein, wenn man sich über Herodots tatsächliches Verfahren klar zu werden versucht. Die Skizze des dritten Kapitels hat ergeben, daß Herodot in erheblichem Maße die wenigen Fakten, die er wußte, ausgefüllt und ergänzt hat, um eine plastische, lebensvolle Darstellung geben zu können. Nur für diesen Rest (den man vielleicht auf dreißig bis fünfzig Druckseiten unterbringen könnte) bleibt die Frage nach den tatsächlichen Quellen. Sie bekommt dadurch ein anderes Gesicht. Zwar bleibt in gewisser Weise die alte Frage, ob mündlich oder schriftlich, bestehen, aber die früheren Argumente besitzen nicht mehr dieselbe Gültigkeit wie zuvor. Die Beziehung auf das Schrifttum ist nicht mehr mit dem Hinweis zu erledigen, daß wenig davon vorlag. Denken wir ζ. B. daran, daß Herodots Angaben über die Größe der Flotte des Xerxes als echte Grundlage nur einen Vers des Äschylus haben. Anderseits ist die Annahme mündlicher Quellen nicht mehr so sehr von der Beurteilung der Reisen abhängig. Mir scheint, die Frage hebt sich in zwei Sätzen auf. Erstens ist wohl unmittelbar einleuchtend, daß Herodot alles, was er wußte, in seine Erzählung verarbeitet hat. Eine Beschränkung auf einen Typ von Quellen ist nicht zu erwarten. Zweitens, da er nicht ganze Berichte

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5,5 Entstehung des Werks

wiedergegeben, sondern eher einzelne Daten zur Gestaltung verwendet hat, ist der Weg von der Information zur fertigen Darstellung so weit, daß man als unmittelbare Quelle Herodots stets nur Herodot selbst ansehen kann. Was nicht ganz von ihm selbst stammt, hat er aus dem Vorrat seines Gedächtnisses geschöpft, ohne vermutlich selbst stets zu wissen, woher er ein bestimmtes Detail hatte. Ich glaube nicht, daß er Notizen brauchte. Er hatte alles tadellos im Kopf. Das sieht man an den Fällen, wo er Details an weit entfernter Stelle wieder verwertet, vgl. o. § 3,7 oder Fälle wie 2,77,3 und 4,187,2 (Gesundheit der Libyer). Die Fehlleistungen sind dagegen unbedeutend. 5,5 Entstehung des Werks. Mit den letzten Überlegungen sind wir in die Nähe der Frage nach der Entstehung des Werks geraten. Viele Hypothesen darüber sind denkbar, in die die Ergebnisse dieser Arbeit passen würden. Eins aber kann, glaube ich, gesagt werden: Die Frage ist nicht, wie Jacoby und v. Fritz sie sehen, die nach dem Werden einer wissenschaftlichen und denkerischen Leistung, sondern eines Stücks Literatur. Ich glaube nicht, wie v. Fritz ausführlich zu begründen versucht hat, daß Herodot eine lange geistige Entwicklung durchmachen mußte, um zum Historiker zu werden. Denn nicht die Perserkriege zu erforschen, war sein Gedanke, sondern sie zu erzählen, wie Homer den trojanischen Krieg erzählt hatte; nicht die Kenntnis zu vermehren, sondern dem Vergessen zu steuern. Diesen Plan kann er in ganz jungen Jahren gefaßt und sich als Lebenswerk vorgenommen haben. Jedenfalls gibt es im Werk keine eindeutigen Spuren für eine Entwicklung ; im Gegenteil, es macht einen überaus einheitlichen Eindruck. Insbesondere haben die einzelnen kompositioneilen Teile als separate Schöpfungen wenig Sinn. Hekataios hatte die ganze Geographie dargestellt. Was hatte es für Sinn, diese Leistung ganz oder in Teilen zu wiederholen ? Hier täuscht das Denken in kontinuierlichen historischen Entwicklungen, dem es plausibel scheint, daß Herodot da anfing, wo er Vorgänger hatte. Wenn er sich etwas vornahm, mußte es — natürlich im Rahmen dessen, was er sich vorstellen konnte — etwas Neues sein. Der einzige Teil, den man sich ohne Bedenken als selbständiges Werk vorstellen kann, ist die Darstellung des Xerxeszuges bzw. der Perserkriege überhaupt (mit verschiedenen Möglichkeiten des Anfangs). Ob aber dies der ursprüngliche Plan war oder ob Herodot von Anfang an vorhatte, „das, was sich unter den Menschen ereignet hat", locker an das Werden des Perserreiches geknüpft, insgesamt darzustellen, können wir kaum wissen. Die komplizierte Komposition des Werks allein ist kein Grund, ersteres anzunehmen. Das Werk hat genau die Gestalt, die Herodot ihm geben wollte, und keine durch Zufälligkeiten

5,5 Entstehung des Werks

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bedingte. Wir Modernen sind anscheinend zu primitiv, um die Vorliebe jener Zeit für komplizierte Komposition zu verstehen. Deshalb glauben wir immer wieder mechanische Störungen, ein unentdecktes einfaches Prinzip oder einen mystischen Sinn suchen zu müssen1. Lattimore hat daran erinnert 2 , daß wir uns Herodot noch in einem Übergangsstadium zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit vorstellen müssen. Dies möchte ich besonders auf das Stadium der allmählichen Ausführung beziehen. Die antiken Nachrichten über die ,Vorträge' 3 Herodots sagen, daß er aus seinem Werk vortrug. Ich glaube, daß das ganz richtig ist, nur daß er nicht aus dem fertigen Werk vorlas, sondern es im Erzählen schuf. D. h. was er vortrug, war von vornherein als Teil seines großen Werks konzipiert, auch hier nach dem Vorbild des Epos, denn auch die Rhapsoden trugen ja Teile großer Epen vor. Dies allmähliche Wachsen des Werks im Kopf läßt manchen Raum für Experimente, für Modifizierungen im großen und im kleinen. Etwa die Eingangskapitel, in denen, wie wir gesehen haben, viele verschiedene Überlegungen meisterhaft zur Deckung gebracht worden sind (und die isoliert ganz besonders wenig Sinn haben), kann ich mir nur als Ergebnis manchen Grübelns und mancher unvollkommener Versuche vorstellen. Ferner ist Raum für beliebig verschlungene Beziehungen zwischen den Teilen; Früheres kann so gut von Späterem abhängen wie Späteres von Früherem. So ist die Gesandtschaft des Aristagoras nach Sparta und Athen sicher Vorbild derjenigen der Lyder im ersten Buch, o. § 3,4 (2), Motive aus dem Xerxeszug Vorbild ihrer Parallelen im Skythenzug des Darius, o. § 3,8 (2), ohne daß sich daraus eine generelle Aussage über das relative Alter ganzer Hauptteile ergibt. Endlich bleibt Raum für das Wegbleiben von Teilen, die vorhanden waren, in der Niederschrift, z. B. der assyrischen Geschichten (1,184). Ein Indiz für die Mündlichkeit ist vielleicht die erstaunliche Rolle, die die Zahl in Aufzählungen von Namen u. dgl. spielt, vgl. z. B. o. § 4,2 (9)4. Da Künsteleien dieser Art zu Herodot gar nicht zu passen scheinen, haben sie vielleicht mnemotechnische Bedeutung. Viele Erzähler der Zeit dürften in diesem Stadium stehengeblieben sein, aber Herodot krönte seine Arbeit durch die Niederschrift. Ob dies ein lange verfolgtes Ziel oder ein später Gedanke war, können wir nicht wissen ; vielleicht hat er sich die materielle Möglichkeit erst allmählich schaffen müssen. Für diese Niederschrift gilt nun das, was 1

2 3

4

Die beste Darstellung der Kompositionstechnik Herodots scheint mir die von Howald, Herodot 22ff. zu sein. Composition 15. Der Ausdruck ist nach heutigem Sprachgebrauch mißverständlich, da es nicht akademische Vorträge sind, sondern Erzählen. Vgl. o. S. 151 Anm. 5. Die Tatsache ist mir erst an Hand des reichen Materials bei Blom aufgegangen.

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5,6 Einordnung

Lattimore in seinem glänzenden Aufsatz über die Abfassung des Werks gesagt hat: Herodot fing auf der ersten Seite an und hörte auf der letzten auf. Es ist allerdings, glaube ich, wichtig, die Niederschrift nur als das allerletzte Stadium einer langen Entstehungsgeschichte aufzufassen5. Ein Livius und andere, die nach festem Jahresschema und stark nach Quellen arbeiteten, mögen tatsächlich das eine Buch geschrieben haben, während sie ans nächste noch nicht dachten; bei Herodot ist es aber kaum denkbar, daß er beispielsweise eines Abends bis 2,120 gelangt war und sich in der Nacht die Geschichte von Rhampsinit einfallen ließ. Auch ein Herodot dürfte darauf angewiesen gewesen sein, daß Ideen wuchsen und reiften oder sich unvermutet zu irgendeiner Zeit einstellten. Freilich sind die MotivWiederholungen in enger Nachbarschaft, o. § 3,8 (1), ein Indiz dafür, daß auch bei der Niederschrift noch manches entstand. 5,6

Einordnung in die Geschichte der Wissenschaft. Hierzu nur noch eine ganz kurze Bemerkung. Ein negatives und ein positives Faktum gehen aus unsern Ergebnissen hervor. Negativ, daß Herodot nicht der systematische und kritische Sammler zahlreicher Daten ist, als der er gegolten hat, positiv, daß er weit mehr über der Sache steht, als man annehmen konnte. Es ist nicht die Rede davon, daß er zwischen Glauben und Zweifeln hinsichtlich des Wunderbaren schwankt; vielmehr setzt er die nie vollständige Bestätigung zielbewußt als Mittel seiner Kunst ein. Nicht vorschnelle Begeisterung über neuerworbene Möglichkeiten der Forschung, sondern welterfahrene Skepsis beherrschen ihn. Die Methoden der kritischen Forschung — das Vergleichen mehrerer Zeugen, das Prüfen materieller Relikte der Vergangenheit, der Vergleich von Sprachen und Sitten — alles dies ist eher Forschungsroman als Forschung. Ist das ein plausibles Ergebnis ? Kann jemand, der die ernsthafte historische Forschung nicht kennt, schon ein Spiel mit ihr treiben? Mir scheint, ja. Erstens soll man nicht denken, ein Mensch in dem Stadium, das man vorwissenschaftlich nennt, wüßte nicht, was man machen müßte, um über irgend etwas möglichst genaue Informationen einzusammeln. Das ist ja eine Aufgabe, die sich auch für ganz praktische Zwecke stellt, etwa für einen Kundschafter. Wissenschaftliche und praktische Problemlösung unterscheiden sich nicht grundsätzlich in der Methode, sondern nur im Ziel. Aber auch das Ziel der 6

Lattimore ist auf die früheren Phasen nicht eingegangen, mag es sich aber ähnlich gedacht haben (vgl. 17 b zum Gedächtnis Herodots). Wenn man jedoch Niederschrift und Schöpfung gleichsetzt, muß man entweder jene Jahrzehnte dauern (das war Kirchhoffs Ansicht) oder diese eine kurze Episode im Leben Herodots sein lassen. Beides ist mißlich.

5,7 Nachleben

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Wissenschaft, das Wissen um seiner selbst willen, ist dem Menschen zu keiner Zeit fremd gewesen. Die Ansicht, daß der Mensch zu irgendeiner Zeit seine Denkfähigkeit nur für praktische Zwecke eingesetzt hätte — sie setzt Epikurs Meinung über Not und praktisches Bedürfnis als Motor der kulturellen Entwicklung fort — ist grundfalsch, wie man (spätestens) wissen kann, seit die Verhaltensforscher uns gelehrt haben, daß die zweckfreie Neugier zu unserem tierischen Erbe gehört. Darüber hinaus dürfte es ein durchaus typischer Vorgang sein, daß die Phantasie Möglichkeiten der Wissenschaft vorwegnimmt, die erst später in die Wirklichkeit umgesetzt werden. So hat Herodots Phantasie Möglichkeiten vorweggenommen — Quellenkritik, Epigraphik, vergleichende Sprachwissenschaft und Ethnologie —, die erst die moderne Wissenschaft verwirklicht hat.

5,7 Nachleben Herodots. Ganz nebenbei sind manche Belege für Einwirkung Herodots auf spätere Literatur abgefallen. Zunächst hat sich bei Autoren wie Diodor, Strabo, Pausanias öfter gezeigt, daß Parallelen zu Herodot nicht auf Quellengemeinschaft, sondern auf alleiniger Abhängigkeit von Herodot beruhen, trotz der Abweichungen von ihm. Das entspricht durchaus dem heutigen Trend zur Revision der in der Quellenforschung so oft gezeigten Abneigung, den Ursprung von Änderungen bei erhaltenen Autoren zu suchen (vgl. o. § 3,2). Einige unserer Ergebnisse eröffneten weitere Perspektiven. Wenn die Geschichte vom Meisterdieb nicht ein ägyptisches Volksmärchen, die Ursprungsgeschichte der Skythen nicht skythisch ist, dann sind die Parallelen in antiker und mittelalterlicher Literatur, sind die in der Neuzeit gesammelten Varianten Zeugen der Nachwirkung Herodots. Es ist nicht zu viel gesagt, daß Herodot von allen antiken Autoren den ausgedehntesten Einfluß auf die Literaturen des Orients und Okzidents ausgeübt hat. Nur weil der Einfluß meistens anonym ist, tritt uns das nicht ins Bewußtsein. Beispiele brauche ich nicht aufzuführen. Das Buch Alys, das die Einwirkung zeitlos volkstümlicher Motive auf Herodot belegen will, ist in Wirklichkeit (cum grano salis) eine Materialsammlung zum Nachleben Herodots. Freilich, wo es sich um einzelne Motive handelt, kann man argumentieren, daß Herodot nur ein Glied in der Kette der Überlieferung ist. Aber es gibt doch wohl kaum einen Autor, der in der Überlieferung eine so beherrschende Rolle spielt wie er, denn die historische, pseudohistorische, antiquarische und erzählende Literatur des Altertums, an die die nachantiken Literaturen bis hin zum in der Neuzeit aufgezeichneten Volksmärchen anknüpfen, steht aufs stärkste unter seinem direkten Einfluß, und wo immer griechische Literatur bekannt war, war Herodot einer der gelesensten Autoren. 12 Fehling, Herodot

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5,7 Nachleben

Einige Male glaubten wir sogar, von Herodot ausgehende Topik noch in der heutigen Wissenschaft wirksam zu sehen1. Und hier drängt sich die Frage auf, mit der ich schließen möchte, ob nicht Herodots fiktive Völkerzitate mit beteiligt sind am Entstehen der die moderne Wissenschaft beherrschenden, durch die Erfahrung so wenig unterstützten Vorstellung von der jahrhundertelangen Ortstreue mündlicher Überlieferung. Das von Herodot suggerierte allgemeine Bild der Dinge hätte dann, in diesem und vielleicht auch in anderen Punkten, mitgewirkt, diejenigen Überzeugungen hervorzurufen, die so lange verhindert haben, es als Schöpfung der Phantasie zu erkennen. 1

S. das Register unter ,Topik'.

Zusammenfassung Zwar hat sich die Ansicht, die durch ,Völkerzitate' gekennzeichneten Passagen Herodots stammten in der Regel gerade aus griechischen Schriftquellen, als verfehlt erwiesen. Doch beruhte sie auf einer besseren Würdigung der Unmöglichkeiten, die diese Zitate bieten, als die jüngere Tendenz, die tatsächliche Befragung zu akzeptieren. Letztere Ansicht konnte nur durch Hilfshypothesen aufrechterhalten werden, die denselben Textbefund erfordern wie freie Erfindung, also nicht eigentlich verifizierbar sind (griechische, hellenisierte oder auf Fragen griechischer .Touristen' eingestellte, die heimische Überlieferung nicht kennende Informanten im Ausland, .Hineinfragen' u. a.). Diese Hypothesen werden unglaubwürdig, wenn man sich besser als bisher klarmacht, in welch riesigem Ausmaß sie gebraucht werden, um alle Befunde zu erklären, und wenn man auf die wenigen geeigneten Testfälle achtet, die die Alternative Erfindung oder Hilfshypothesen entscheiden können. In Wirklichkeit sind die Zitate ganz frei erfunden, die betreffenden Passagen in der Regel Neuschöpfungen des Autors. Herodot ist aber kein .Fälscher', sondern folgt den Regeln der Gattung, die freilich nicht die wissenschaftliche Historiographie ist (Einf.). Zuerst ist die Unrichtigkeit der Zitate an einer größeren Zahl einzelner Stellen nachzuweisen. Der Beweis wird jedesmal unabhängig geführt, außer daß dieselben Argumente öfter wiederkehren: das Ineinanderpassen unabhängiger Berichte über erdichtete Vorgänge, aus der Realität nicht verständliche Regeln, denen die Zitate folgen (s. u. zu Kap. 2,2—9), das Passen der Berichte in die schriftstellerischen Intentionen des Autors, die Konstruktionen der jonischen (Pseudo-)Wissenschaft im Munde der epichorischen Quellen (Kap. 1). Daß die Perser von zwei übernatürlichen Helfern ihrer Gegner erzählen, die Delpher aber wissen, wer es war, ist eine offensichtlich sinnvolle Verteilung, die aber in die Realität nicht paßt. Dasselbe 7,166—7 (1). Sechs Auskünfte können nicht unabhängig zu einer falschen Vermutung Herodots passen (2). Zwei Erzählungen werden durch je zwei Zeugen, dazu das eine Mal ein Monument, beglaubigt. Das Zusammenpassen der Zeugnisse und das Sinnvolle aller vier Quellenangaben ist nur als Fiktion verständlich (3). Die Beobachtung riesiger Haufen von Schlangenskeletten war nicht möglich ; die Erläuterung der Quellen dazu ist als ätiologische Erklärung nicht denkbar. Die Fiktion beglaubigt eine Hypothese des Autors (4). Daß nördliche Menschen harte, südliche weiche Knochen haben, ist griechische Theorie. Ägypter in entlegener Gegend können nicht eine darauf beruhende falsche Beobachtung gemacht haben. Besonders 12*

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Zusammenfassung

entlarvend ist, daß sie von der Erklärung, die unteilbar ist, nur den Teil geben, der sie selbst betrifft (5). Der Vergleich Thessaliens mit einem ausgetrockneten See ist jonische Wissenschaft. Wenn er einem epichorischen Mythos und einem Plan des Xerxes zugrunde liegt, muß beides Fiktion sein (6). Angaben über den Ursprung einzelner Völker werden regelmäßig diesen selbst zugeschrieben, ausnahmsweise früheren Nachbarn. Sie enthalten aber nie etwas anderes als die einförmigen Konstruktionen der Mythistorie (7—9). Kleinere Beispiele für griechische Mythologie im Mund epichorischer Quellen (10). Die Eingangskapitel sind eine einmalige Schöpfung, die Zitate sekundär gegenüber der Konstruktion (Phönizier) und der Disposition des Gesamtwerks (Perser), die phönizische bzw. persische Tendenz nur als literarische Erfindung verständlich. Ein Detail (1,2,1), das Herodot aus durchsichtigem Grund in eigenem Namen bringt, ist unlöslicher Teil der Konstruktion. Die angebliche Distanzierung 1,5,3 hindert diese Deutung nicht (11—2). In der Erzählung von Helena in Ägypten ist die griechische Konstruktion (mit einer bisher verkannten Benutzung des Iphigenie-Motivs) von der ägyptischen Tendenz nicht zu trennen, wie die Rechtfertigungsversuche voraussetzen (13). Krasse Unmöglichkeiten zeichnen alle modernen Versuche aus, die Zitate in der Erzählung über die Orakel des Zeus und Ammon zu rechtfertigen; letztere ist leicht aus zwei Konstruktions-Gedanken abzuleiten (14). Die Geschichtserzählung der memphitischen Priester ist als Einheit konzipiert, was anerkannt war, aber von den neueren Rechtfertigungs-Versuchen her wegdisputiert werden mußte. Ihr Aufbau ist auf die Quelle berechnet: Anfang und Ende sind mit dem Ptahtempel verknüpft (15). Die Angaben über die Zahl der Generationen ägyptischer Könige und Priester sind ein krasser Fall f ü r unmögliches Ineinanderpassen. Die Anekdote 2,143 über Hekataios ist von Herodot erfunden (15-6).

Die Erkenntnisse des ersten Kapitels erzeugen die neue Aufgabe, die Quellenangaben als literarische Schöpfungen zu interpretieren (Kap. 2,1). Fast alles ist aus drei Grundregeln erklärbar: dem Prinzip der nächstliegenden Quellenangabe, der Wahrung der Glaubwürdigkeit und der Wahrung der Parteistandpunkte, und zwar so, daß Ausnahmen von der ersten Regel durch die beiden anderen erklärt werden. Zu den besprochenen Stellen kommen zahlreiche neue hinzu. U. a. hat Herodot den „Verwalter der heiligen Gegenstände der Athene in Sais" genannt, weil er sich überlegte, daß das von Psammetich für ein Experiment benutzte riesige Tau der Göttin geweiht worden sein könnte. Manche Details verraten genaue Überlegung, was die angeführten Quellen wissen können und was nicht (2—9). Einzelheiten und Benachbartes (10—23). Auch das Anführen mehrerer Versionen ist durch schriftstellerische Absichten bestimmt: Wahrung der Parteistandpunkte, Grundform und Rationalisierung, Alternative in gleichgültigem Detail (10—1). Ein häufig angewendeter Trick ist die Aufteilung eines einheitlichen Stoffes auf mehrere Quellen. E r gibt die Argumente wegen unmöglichen Ineinanderpassens an die Hand (12). Übereinstimmung mehrerer Zeugen und Nennung von Personen als Zeugen dient meist der verstärkten Beglaubigung (13—4). ,Griechenzitate' sind selten .Völkerzitaten' gleichwertig; meist kennzeichnen sie im Gegensatz dazu Bekanntes. Ähnlich ,alle Menschen' u. ä. (15—6). Kritik und Zweifel an der selbsterfundenen Erzählung ist ein aus der Lügenliteratur bekannter

Zusammenfassung

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Trick, die Glaubwürdigkeit zu erhöhen (17—8). Auch ob Herodot Nichtwissen einräumt, richtet sich nur nach schriftstellerischen Gesichtspunkten (19). Wie andere Autoren fingiert Herodot häufig .Beweisstücke' (20—3).

Die Fiktion erstreckt sich auf alle Zitate; die literarischen Regeln gelten ohne Ausnahme. Wenn es paßt, können sie in einigen Fällen trotzdem stimmen, noch öfter echte Informationen aus irgendeiner Quelle enthalten, u. a. auch aus Schriftquellen (24—7). Herodot will seine Zitate als typisch für seine ganze Erkundung aufgefaßt wissen (28). — Quellenfiktionen in der Art Herodots finden sich bei vielen antiken Autoren, oft in direkter Nachahmung Herodots (29—30). Da wir viele angebliche Quellenberichte als eigene Schöpfungen Herodots deuten, muß über Erfindung im ganzen gesprochen werden. Verschiedene Arten können unterschieden werden. Im ganzen kann für so große Teile des Werks freie Erfindung als sicher, wahrscheinlich oder möglich erwiesen werden, daß der Schluß berechtigt ist, Herodot habe nur ein ganz grobes Gerüst echter historischer Nachrichten gehabt und durch eigenes Schaffen ausgefüllt, wie Howald schon behauptet hat (Kap. 3, bes. 1 u. 12). Viel Erfindung war schon deshalb notwendig, weil grundsätzlich nie zwei Autoren dasselbe über dasselbe berichten. Die Unkenntnis dieser Regel hat viele falsche Rekonstruktionen zur Folge gehabt (2). In der Pseudohistorie bietet Herodot dieselben Motive wie andere Logographen, die offenkundig frei erfunden haben. Herodot dürfte nicht als einziger Quellen ausgeschrieben haben (3). Details werden aus Gründen der Komposition oder der Ökonomie erfunden (4—5). Häufig ist Umsetzen bekannter Zustände in historische Handlung; u. a. konfrontiert Herodot verschiedene Sitten in Anekdotenform (6). Durch das Festhalten von Vorstellungen aus einer Erzählung gewinnt er oft Stoff für andere (7). Die häufigen Motiv-Wiederholungen, meist nur zweifach, oft räumlich eng benachbart, sprechen dafür, daß Herodot solche Motive nach Gutdünken verwertete (8). Die Figur des Warners ist so stereotyp, daß Herodot sie unmöglich stets in seinen Quellen vorgefunden haben kann. U. a. für Artabanos, Demarat und Krösus gibt es spezielle Beweise (9). Von einigen Geschichten (Rhampsinit, Krösus und Solon u. a.) können in etwa noch die Elemente angegeben werden, aus denen Herodot sie schuf (10).

Mit dem Thema der Erfindung hängt eng das der typischen Zahlen zusammen (Kap. 4). Sie spielen bei Herodot offensichtlich eine Rolle. Er sorgt aber auf verschiedene Weise für Variation, so daß die Erscheinung schwer abzugrenzen ist. Einige Zahlen sind auf bestimmte Gebrauchsweisen festgelegt. Verschiedene Möglichkeiten des Verhältnisses zur Realität (1). Als Formelzahlen begegnen vor allem die Drei, Fünf, Sieben, Zehn, Zwölf und abgeleitete Zahlen (2), ferner Zahlen mit gleichviel Einheiten verschiedener Ordnung (3). Zwar ist die Möglichkeit, daß typische Zahlen aus den Quellen stammen, nie ganz auszuschließen, aber verschiedene Argumente sprechen dafür, daß in der Regel Herodot selbst der Urheber ist (4).

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Zusammenfassung

In einem Ausblick wird skizziert, welche Folgerungen der Nachweis der Quellenfiktionen für die Herodot-Philologie im ganzen erzwingt (Kap. 5). Die direkten Zeugnisse für die Reisen fallen (fast ?) sämtlich als Fiktionen weg; einige der ihretwegen bisher angenommenen Reisen haben bestimmt nicht stattgefunden (1). Herodot scheint nicht in höchsten Kreisen verkehrt zu haben; vielleicht muß man ihn sich eher als wandernden Intellektuellen vorstellen, der von seinem Geist lebte (2). Die heute meist wieder positive Beurteilung der Glaubwürdigkeit seiner Nachrichten ruht zum großen Teil auf bloß negativen Argumenten (3). Alles, was Herodot von irgendwoher wußte, ging völlig verarbeitet in sein Werk ein. Nur für einzelne Daten, nicht für ganze Berichte gibt es andere Quellen als Herodot selbst (4). Das Werk ist, vielleicht in jungen Jahren konzipiert, in langer Zeit im Kopf entstanden. Von vornherein für das Werk bestimmte Teile bildeten den Stoff für Vorträge. Das im Prinzip fertige Werk wurde in einem Zuge niedergeschrieben (5). Eher als wissenschaftliche Forschung ist Herodots ΐστορ{η eine Vorwegnahme solcher Forschung in der Phantasie (6). Zahllose Motivparallelen in Literaturen des Orients und Okzidents bezeugen nicht die Einwirkung zeitlos volkstümlicher Erzählstoffe auf Herodot, sondern eher umgekehrt Herodots Einfluß auf die Nachwelt.

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Von mehreren Arbeiten des gleichen Verfassers ist die mit einem Sternchen bezeichnete im Text mit bloßem Namen des Verfassers zitiert. F.: Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum. 2 Bde., Halle 1948. ALY, W. : Volksmärchen, Sage und Novelle bei Herodot und seinen Zeitgenossen. Göttingen 1921. A P F F E L , H.: Die Verfassungsdebatte bei Herodot. Diss. Erlangen 1957. ALTHEIM,

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EXCERPTA DE LEGATIONIBUS 1, 122ss : 3715 HECATAEUS (FGrHist 1) 13: 129· 15; 1 6 : 1 2 9 s 286: 30 308; 3 0 9 : 1 2 2 HELLANICUS (FGrHist) 59; 60: 128 153: 47, 122, 125 HERODOTUS 1,1—5: 39—46, 70, 80 1,1: 7, 77,¡ 29, 140 ,3 : 89 2,1: 42, 72, 85, 921, 94,¡ 89 3,1: 62a 4,4: 44, 82, 141 5,1—2: 4P, 42s ,1: 7, 77 ,3: 45s 7,2: 90, 129b~«, 130s ,3: 30 ,4: 35\ 131, 166,167 8—13: 1261 13,2: 132 14,4: 135 20: 70, 87 23—4: 17—20, 54, 70, 86, 87, 104s 24,8: 19s, 74, 97, 124 27: 140a ,2: 73, 83, 140a, 142 29—33: 120, 151s 29,1: 142 46,1: 133 ,2: 160 50,1: 159 51,3: 107 ,5: 107, 111 56—68: 134, 175 62,1: 161 65,4: 84s, 85, 89,119 68,3:160 70: 80, 140 ,3: 94 71,4: 144 73: 142 75,3: 90 (bis) ,93 ,4—6: 143 82,3: 159 ,8: 144+a 8 3 : 1 4 3 8 6 - 8 : 1 4 8 s 86,1:166 ,2: 161 87,1: 114 91,3: 132 93,5: 107 94: 30, 35», 70, 138 95,1: 83s, 85, 89 98,5: 1582, 160 104,1: 158 105,3: 106, 111 105,4: 5 29 , 68 107,1; 108,1: 142*, 143 119: 142 122,3: 83s 123,3—4: 144 127,2: 144 133,2: 108, 139 142,3—4; 145; 149,1: 163s 153,1—2: 139 163,2: 164 171: 32, 82 171,6: 34 172,1: 29 173,1—3: 30 174,5: 106 178,2: 158*, 164 179,3: 163 181,5: 106 182: 93, 106 183,1: 87, (106) 183,3: 108,114 187,2: 1003 1 8 9 : 1 4 3 ,3: 164 191,6:106 206,3: 135 207: 141 209,1: 143 216,1: 90 ,2—3: 145

190

Register

2,2: 79, 90, 93, 104a, 139 3—4: 314, 7, 55, 65, 86s, 88 8,3:169 10,1: 52B, 25—7, 85, 87 ,2: 159 13,2—3: 139 15—17,1: 73, 111 16,1; 17,2: 90 17,3—6: 159 18: 137 19: 96 20,1: 90 28: 69s, 74,122,139 ,1: 68s, 71, 88, 104 ,2: 87, 93a ,5: 69, 94 29,1: 76s, 122, 169 30,2: 164 32, 1—3: 75, 77, 87 41,2: