Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung 9783787330560, 9783787330553

Dieses Buch rekonstruiert erstmals die faszinierende Geschichte einer Reihe fiktiver Totengespräche, die zwischen 1729 u

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Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung
 9783787330560, 9783787330553

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R ICC A R DA SU I T N E R Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung

S T U DI E N Z U M ACH TZ EH N T E N JA H R H U N DE RT Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Band 37

FELIX MEINER VERL AG · HAMBURG

R ICC A R DA SU I T N E R

Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung

FELIX MEINER VERL AG · HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-3055-3 ISBN E-Book: 978-3-7873-3056-0 Dissertation, gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch den Schwerpunkt Religion der Universität Erfurt. © Felix Meiner Verlag, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Bookfactory, Bad Münder. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

Inhalt Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Flugschriften, Totengespräche, Pamphlete: die anonyme Welt der deutschen Publizistik des frühen 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . 2. Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung (1729–1734): ein unbekanntes Quellenkorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 9 14

Kapitel I

Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Lukian von Samosata (ca. 120–180/92): die Nεκρικοὶ διάλoγοι . . . . . . . 2. Fontenelle: die Nouveaux dialogues des morts (1683) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. David Fassmann: die Gespräche im Reiche der Toten (1718–1739) . . . . . .

23 24 27

Kapitel II

Das EXAMEN RIGOROSUM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

1. Apolls Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Business der ›Piratenausgaben‹: das Totengespräch als Raubdruck 3. Studentische Rivalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 44 50

Kapitel III

Der Krieg der Biographen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die pietistische Front: Christian Gerber und die Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ersten literarischen Darstellungen der Leben von Christian Thomasius und August Hermann Francke . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Welt der Kupferstecher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die harten Gesetze der Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Trauerreden, Totengespräche, (Auto)biographien: die ›Instabilität‹ der literarischen Gattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57 57 59 62 69 78

Inhalt

6

Kapitel IV

Der Wolffsche Leibniz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4.

S. W.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Auseinandersetzung mit Johann Franz Budde . . . . . . . . . . . . . . . . . Eklektik, mathematische Methode, Atheismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie viele Autoren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87 88 92 100 107

Kapitel V

Das doppelte Gesicht von Leibniz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111

1. 1745: Leibniz wieder Protagonist eines Totengesprächs . . . . . . . . . . . . . 2. Die Unterhaltung mit Ludwig Philipp Thümmig . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gottsched, Mylius, Hagedorn, die ›Schweizer‹: die Dispute der 40er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111 113 122

Tafelteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1*

Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30*

Kapitel VI

Der Streit zwischen Descartes und Rüdiger . . . . . . . . . . . . . .

133

1. 2. 3. 4. 5.

133 137 144 150 158

Die Ankunft unter den Sternen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Descartes als Wolffscher Philosoph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pietismus und Materialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Entstehungskontext des Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollenspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel VII

Die Wiederbringung aller Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

1. Vorworte zu Totengesprächen: der Dialog zwischen Johann Friedrich Mayer und Johann Wilhelm Petersen . . . . . . . . . . . . . 2. ’Aποκατάστασις πάντων . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161 173

Inhalt

7

Kapitel VIII

Die Reue Balthasar Bekkers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

1. Der Exorzismus Peter Ottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Cartesianismus und Dämonologie im Deutschland des 18. Jahrhunderts: von der ersten Bekker-Rezeption zum Teufelsstreit . . . 3. Der Pakt mit dem Teufel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nochmals zu den Kupferstechern: die Identität des »M. B.« . . . . . . . . . . 5. Einige Überlegungen zur Entstehung, Verfasserschaft und Verbreitung des Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gespensterbeschwörungen und Unterredungen im Reich der Geister . . .

179

199 204

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209

1. Die ›Unterwelten‹ der Totengespräche: welche Ebene von Klandestinität? 2. Vier Gründe für die Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rolle der ›materiellen‹ Indizien: Namenszeichnungen, Einbände, Paginierung, Unterschiede zwischen den Exemplaren . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Frage der Verfasserschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209 212

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

1. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231 231 246

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . English summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265 266 268

185 190 196

215 219

A Carmen e Franco

Einleitung Einleitung

Diese Studie rekonstruiert die Geschichte einer Gruppe von zwischen 1729 und 1734 in Deutschland erschienenen Totengesprächen. Hinter ihnen verbergen sich verschiedene Autoren, obwohl einige der Texte – in den wenigen Erwähnungen, die man in der Forschung finden kann – dem sächsischen Journalisten David Fassmann (1683–1744) zugeschrieben worden sind. In den fünf Jahren ihrer Veröffentlichung haben sie an mehreren Fronten (philosophischen, theologischen, ökonomischen, persönlichen) einen regelrechten Krieg ausgelöst. Sollte ein moderner Forscher sich auf die Suche nach Spuren dieser Dialoge begeben, würde er diese nahezu ausschließlich in den Bibliothekskatalogen finden. Das Zusammentreffen von Gründen unterschiedlicher Art hat dafür gesorgt, dass die Wechselbeziehungen zwischen allen Texten und in vielen Fällen sogar ihre Existenz bisher völlig unbekannt geblieben sind. Die Dialoge sind über diverse deutsche Bibliotheken verstreut, einzeln oder mit weiteren Texten, oft verschiedener Art und Provenienz, zusammengebunden. Es sind vor allem zwei entscheidende Faktoren, die nicht nur den Forscher, der die Verhältnisse zwischen ihnen rekonstruieren möchte, sondern auch die Zeitgenossen der Verfasser in die Irre leiten konnten: Es handelt sich hierbei um anonyme Texte und um Flugschriften.

1. Flugschriften, Totengespräche, Pamphlete: die anonyme Welt der deutschen Publizistik des frühen 18. Jahrhunderts Ein Autor im Deutschland des frühen 18. Jahrhunderts brauchte keinen besonderen Grund, um etwas anonym zu veröffentlichen. Man tat dies nicht nur aus Furcht, der Heterodoxie angeklagt zu werden; es waren nicht lediglich atheistische Texte, die ohne den Namen des Verfassers veröffentlicht wurden. Anonym erschienen Rezensionen und Zeitschriftenbeiträge; anonym erschienen Pamphlete und Flugschriften zu den heftigsten intellektuellen Kontroversen jener Zeit; anonym erschienen die Gedichtsammlungen der berühmtesten Dichter und die Artikel der wichtigsten Lexika wie Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Ohne Angabe zum Namen des Verfassers erschienen auch David Fassmanns Gespräche im Reiche der Toten, die noch ausführlicher behandelt werden. Die Anonymität war manchmal nur partiell. Pseudonyme, fiktive Verleger und Druckorte waren Anspielungen, sie waren Zeichen der Teilnahme an einer gemein-

Einleitung

10

samen Debatte, einer Gruppe, die sich mit bestimmten mehr oder wenigen impliziten Kommunikationscodes identifizierte. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fingen einige Autoren (unter ihnen Wieland und Lessing, um nur einige Namen zu erwähnen) an, explizit eine bewusste Wahl der Anonymität zu theoretisieren, häufig unter Hervorhebung des positiven Aspektes der Gleichstellung der Stimmen, die dadurch ermöglicht wurde, unabhängig von der sozialen Rolle und von den hierarchischen Unterschieden zwischen den Autoren.1 Anonym veröffentlicht wurde auch die große Anzahl von Flugschriften, welche die Straßen der deutschen Städte jener Zeit überschwemmten.2 Ungebundene Texte in Quart- oder Oktavausgaben, für bestimmte Gelegenheiten verfasst, wurden ununterbrochen gedruckt und verkauft. An der Produktion dieser ›fliegenden Blätter‹, die verschiedenste Themen behandelten, aber alle einen starken Bezug zur Aktualität hatten, beteiligten sich Drucker, Kupferstecher und in ihrer Profession nicht immer klar definierte gelegentliche Mitarbeiter. Der Handel mit diesen Texten war von sehr harten Marktgesetzen bestimmt. Jedes Mittel war recht, wenn es dazu diente, den potentiellen Kunden zum Kauf zu veranlassen: die Verwendung von einnehmenden, symbolischen Titelkupfern; eine Serienproduktion in mehreren ›Folgen‹; Täuschungen bezüglich der verkauften Exemplare; zügellose Konkurrenz, um zu Schleuderpreisen zu verkaufen. Alles war darauf ausgerichtet, beim Verkauf der Texte den höchstmöglichen Gewinn zu erzielen. Die Rivalität zwischen Kupferstechern und Autoren war erbarmungslos und die Druckgeschwindigkeit der Flugschriften erlaubte Repliken bereits nach wenigen Wochen. Man könnte in einem gewissen Sinn in den Flugschriften des 18. Jahrhunderts Vorläufer der modernen Zeitungen sehen; tatsächlich waren die Grenzen zwischen ihnen und der seriellen, wöchentlichen oder monatlichen Publizistik oft sehr fließend.3

Zu dieser »aufklärerischen Programmatik der Anonymität« vgl. Stephan Pabst, »Anonymität und Autorschaft. Ein Problemaufriss«, in: ders. (Hg.), Anonymität und Autorschaft. Zur Literaturund Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit, Berlin/Boston 2011, 1–34. 2 Im Laufe dieser Arbeit werde ich die Ausdrücke Flugschriften, Flugpublizistik sowie Straßenliteratur als Synonyme verwenden. Letzteren hat im Englischen (street literature) Leslie Shepard eingeführt (The History of Street Literature: The Story of Broadside Ballads, Chapbooks, Proclamations, News-Sheets, Election Bills, Tracts, Pamphlets, Cocks, Catch-pennies, and other Ephemera, Newton Abbott 1973). Zum Begriff Flugpublizistik vgl. Daniel Bellingradt, Flugpublizistik und Öffentlichkeit um 1700. Dynamiken, Akteure und Strukturen im urbanen Raum des Alten Reiches, Stuttgart 2011; ders./Michael Schilling, Art. »Flugpublizistik«, in Natalie Binczek/Till Dembeck/Jörgen Schäfer (Hgg.), Handbuch Medien der Literatur, Berlin/Boston 2013, 273–89. Zu Flugschriften und Flugblättern vgl. Anm. 4 u. 5. 3 Das Verhältnis zwischen Flugschriften, Zeitschriften und weiteren literarischen Gattungen (Trauerreden, Biographien) wird eines der Hauptthemen dieser Studie sein. Vgl. dazu insbes. Kap. 3. 1

Flugschriften, Totengespräche, Pamphlete

11

Das Phänomen der ›Straßenpublizistik‹ hat eine europäische Dimension. Viele Studien sind seinen Formen in der Renaissance, vor allem aus der Perspektive der Sozial- und Buchgeschichte sowie bezüglich der italienischen populären Pamphletistik, gewidmet.4 Seit Jahrzehnten wechseln sich die Studien zu den verschiedenen Aspekten ab: Bisher sind vor allem politische und theologische Flugschriften (meistens aus der Reformationszeit) untersucht worden.5 In einer neu erschienenen Monographie hat Daniel Bellingradt die Verbreitung dieser Gattung in der Zeit um 1700 untersucht. Flugpublizistik und Öff entlichkeit (2011) rekonstruiert die Verbreitungs- und Produktionsdynamiken von Flugschriften aus der Perspektive der Kommunikationsgeschichte und die Rolle dieser ›ephemeren Publizistik‹ bei der Verbreitung von Nachrichten, Polemiken und Kontroversen in Hamburg, Köln und im Kurfürstentum Sachsen.6 Im Deutschland des 18. Jahrhunderts sind allerdings die unterschiedlichsten, nahezu noch unerforschten Arten von Flugschriften veröffentlicht worden: wissenschaftliche, magisch-esoterische, medizinische, philosophische, um nur einige von ihnen zu erwähnen. Anonym wurde selbstverständlich auch die sogenannte ›clandestine Literatur‹ veröffentlicht.7 Ihre Entstehungs- und Verbreitungsmodalitäten zu untersuchen, be4 Um nur einige Beispiele zu erwähnen, siehe: Rosa Salzberg, »In the Mouths of Charlatans. Street Performers and the Dissemination of Pamphlets in Renaissance Italy«, in Renaissance Studies, XXIV (2010), 638–53; dies., Ephemeral City: Cheap Print and Urban Culture in Renaissance Venice, Manchester 2014; Ugo Rozzo, La strage ignorata. I fogli volanti a stampa nell’Italia dei secoli XV e XVI, Udine 2008; Paul F. Grendler, »Form and Function in Italian Renaissance Popular Books«, in Renaissance Quarterly, XLVI (1993), 451–85; Raymund Wilhelm, Italienische Flugschriften des Cinquecento (1500–1550), Tübingen 1996; Filippo De Vivo, Information and Communication in Venice: Rethinking Early Modern Politics, Oxford 2007. 5 Vgl. z. B. Hans-Joachim Köhler (Hg.), Flugschriften des späteren 16. Jahrhunderts, Leiden 1990–; ders. (Hg.), Bibliographie der Flugschriften des 16. Jahrhunderts, Tübingen 1991–. Textausgaben: Adolf Laube/Annerose Schneider (Hgg.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518–1524), II Bde., Vaduz 1983; Adolf Laube/Hans W. Seiffert (Hgg.), Flugschriften der Bauernkriegszeit, Berlin 1975; Adolf Laube (Hg.), Flugschriften gegen die Reformation (1518–1524), Berlin 1997; ders. (Hg.), Flugschriften gegen die Reformation (1525–1530), II Bde., Berlin 2000. Zu Flugblättern vgl. etwa Wolfgang Harms/Michael Schilling (Hgg.), Das illustrierte Flugblatt der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2008; Michael Schilling, Art. »Flugblatt«, in Klaus Weimar (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. I, Berlin/New York 1997. 6 Wie Anm. 2. 7 Vgl. dazu insbes.: Miguel Benítez, La Face cachée des Lumières. Recherches sur les manuscrits philosophiques clandestins de l‹âge classique, Paris 1996; Guido Canziani (Hg.), Filosofia e religione nella letteratura clandestina: secoli XVII e XVIII, Mailand 1994; Tullio Gregory (Hg.), Ricerche su letteratura libertina e letteratura clandestina nel Seicento, Florenz 1981; Winfried Schröder, Ursprünge des Atheismus. Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart-Bad Cannstatt 1998; Silvia Berti/Françoise Charles-Daubert/Richard H. Popkin (Hgg.), Heterodoxy, Spinozism, and Free Thought in Early-Eighteenth-Century Europe: Studies on the »Traité des trois imposteurs«, Dordrecht 1996; Silvia Berti, Anticristianesimo e libertà. Studi sul primo Illuminismo europeo, Bologna 2012; Antony McKenna/Alain Mothu (Hgg.), La Philosophie clandestine

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Einleitung

deutet nicht, den Bereich ihrer Inhalte zu verlassen und in eine rein soziale und ökonomische Ebene vorzudringen. Robert Darntons Arbeiten haben exemplarisch das Verhältnis zwischen der kommerziellen und der intellektuellen Komponente in der Verbreitung der clandestinen Literatur, vor allem im französischen und englischen Raum, untersucht; sie haben uns die Verbindungen zwischen den radikalen Autoren und der Verlagswelt jener Zeit, die Rolle von Plagiaten, Zensur und ›Piratenausgaben‹ gezeigt.8 Im deutschen Raum sind in der jüngeren Vergangenheit Forschungen erschienen, die vor allem aus der Perspektive der Geschichte des Buchmarktes den Handel mit der verbotenen Literatur, die Zensur und die europäischen kommerziellen Netzwerke bei der Verbreitung von heterodoxen Texten untersuchen.9 Die akademischen Auseinandersetzungen wurden auch oft durch anonyme Schriften übermittelt. Neben der ›offizielleren‹ Sphäre der an den Universitäten praktizierten Philosophie existierte tatsächlich in denselben akademischen Kontexten eine ›Untergrundebene‹ an Debatten, belebt von abtrünnigen Studenten und Laienjournalisten, die gezwungen waren, wenig konventionelle Mittel zu verwenden, um ihre Ideen zu verbreiten. Die Verflechtung von Philosophie, literarischer Kritik, Anfängen des Journalismus, Satiren (man denke z. B. an Nikolaus Hieronymus Gundlings Werke) und radikaler Religionskritik – oft mit sozinianischen Reminiszenzen – sind typische Merkmale großer Teile dieser Texte.10 Dasselbe gilt auch für die studentischen Schriften, oft Flugschriften, von denen in dieser Studie die Rede sein wird. Sie betrachteten kontroverse Fragen wie die aus Christian Wolffs bzw. Spinozas Philosophie entstandenen Polemiken; sie wurden von ihren Autoren bzw. Druckern in wenigen Exemplaren, oft auf eigene Kosten, gedruckt und in den Universitätsmilieus unter Kollegen und Freunden vertrieben. Erst im Laufe der letzten fünfzehn Jahre sind dem doxographischen Charakter der Rekonstruktionen des 19. und 20. Jahrhunderts Studien gegenübergetreten, die es dank einer starken Interdisziplinarität und einer immer markanteren Tendenz

à l’Âge classique, Oxford/Paris 1997; Gianluca Mori/Alain Mothu (Hgg.), Philosophes sans Dieu. Textes athées clandestins du XVIIIe siècle, Paris 2005; Gianni Paganini, Introduzione alle filosofie clandestine, Rom/Basel 2008; die Zeitschrift La lettre clandestine, 1992–. 8 Robert Darnton, The Literary Underground of the Old Regime, Cambridge, Mass. l982; ders., The Forbidden Best-Sellers of Prerevolutionary France, New York 1995; ders., Die Wissenschaft des Raubdrucks. Ein zentrales Element im Verlagswesen des 18. Jahrhunderts, München 2002. 9 Christine Haug/Franziska Mayer/Winfried Schröder (Hgg.), Geheimliteratur und Geheimbuchhandel in Europa im 18. Jahrhundert, Wiesbaden 2011; Wilhelm Haefs/York-Gothart Mix (Hgg.), Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte – Theorie – Praxis, Göttingen 2007; Martin Mulsow/Dirk Sangmeister (Hgg.), Subversive Literatur. Erfurter Autoren und Verlage im Zeitalter der Französischen Revolution (1780–1806), Göttingen 2014. 10 Zur clandestinen Verbreitung von Texten in den deutschen akademischen Milieus vgl. Martin Mulsow, Moderne aus dem Untergrund. Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680–1720, Hamburg 2002.

Flugschriften, Totengespräche, Pamphlete

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zur Mikrogeschichte erlaubt haben, die Kommunikationsdynamiken zwischen diesen deutschen ›subakademischen‹ Gruppen ans Licht zu bringen, indem sie die Zusammenhänge zwischen Wolffianismus und deutschen Äußerungsformen der clandestinen Literatur aufgeklärt sowie die theologische, historische und soziologische Forschung (zu den heterodoxen studentischen Milieus an den deutschen Universitäten und zur Zensur) miteinander versöhnt haben. So hat man angefangen, eine in den Studien lange bestehende Lücke zu vielen ›zweitrangigen‹ Figuren zu füllen, von denen man aber für ein Verständnis des Ganzen nicht absehen kann. Viele wichtige Persönlichkeiten der ersten Phase der Aufklärung gewinnen so nach und nach die verdiente Aufmerksamkeit der Forscher.11 Aus der neuesten Forschung hat sich eine merkliche Lokalisierung des Untergrundes durch Gruppen herauskristallisiert, die vorwiegend in den Universitätsstädten jener Zeit angesiedelt waren und beständig und intensiv durch anonyme Schriften miteinander interagierten.12 Genau auf dieser subakademischen Ebene, auf der man über kontroverse Fragen debattierte, indem man die Zensur und die Kontrolle der akademischen Behörden umging, ist die Entstehung der in dieser Studie analysierten Totengespräche einzuordnen. Sie haben typische Eigenschaften der oben genannten Texte, aber auch eigene, außerordentlich originelle Merkmale, die ihnen vor allem die von den Autoren verwendete Gattung des Totengesprächs verleiht. Die Verbindung der Gattung der Flugschrift sowie der des Totengesprächs mit philosophischen Elementen hat sehr besondere Texte hervorgebracht und erlaubt dem Forscher, der sie untersuchen will, die Verflechtung von oft voneinander unabhängig gebliebenen Forschungsfeldern. Es handelt sich um ›ephemere‹ und Gelegenheitspublizistik‹; deshalb ist zu untersuchen, welche Stellung sie in den Gesetzen des damaligen Buchmarktes hatte.13 Es handelt sich jedoch um eine ›Straßenliteratur‹ mit philosophischem Charakter, die als idealer Ort für die Inszenierung von Kontroversen um den Wolffianismus, um Descartes’, Spinozas sowie Thomasius’ Philosophie und um Balthasar Bekkers Dämonologie fungierte. In die Ausarbeitung der Dialoge sind Menschen verwickelt, die sich sowohl in der Welt der Flugpublizistik als auch in akademischen Kontexten bewegten: vor allem Studenten, aber auch andere Personengruppen wie

Neben den in den oben genannten Fußnoten erwähnten Arbeiten vgl. auch, insbes. zu den wolffianischen Kreisen: Johannes Bronisch, Der Mäzen der Aufklärung. Ernst Christoph von Manteuffel und das Netzwerk des Wolffianismus, Berlin/New York 2010; Martin Mulsow, Freigeister im Gottsched-Kreis. Wolffianismus, studentische Aktivitäten und Religionskritik in Leipzig 1740–1745, Göttingen 2007. 12 Vgl. insbes. ders., »Die Transmission verbotenen Wissens«, in Ulrich J. Schneider (Hg.), Kulturen des Wissens im 18. Jahrhundert, Berlin 2008, 61–80. 13 Zum Gelegenheitsschrifttum vgl. Klaus Garber (Hg.), Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven, Hildesheim/Zürich/New York 2001 ff. 11

Einleitung

14

z. B. die Kupferstecher. Die Totengespräche betreffen eine Untergrundebene von Diskussionen der kontroversesten Themen im Deutschland der Frühaufklärung: Es geht also um anonyme Texte, die sowohl präzisen Kommunikationsgesetzen zwischen Autoren ›ohne Namen‹ folgen, wie sie typisch für die clandestine Publizistik jener Zeit waren, als auch den Normen der literarischen Gattung, zu der sie gehören.

2. Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung (1729–1734): ein unbekanntes Quellenkorpus In einer Zeitspanne von nur fünf Jahren, zwischen 1729 und 1734, wurde eine Reihe von Totengesprächen veröffentlicht, die als Protagonisten einige der berühmtesten Denker der Frühaufklärung sowie der berühmtesten Philosophen der vorigen Generationen hatten: Christian Thomasius und August Hermann Francke, René Descartes und Andreas Rüdiger, Nikolaus Hieronymus Gundling und Johann Franz Budde (Protagonisten von zwei Dialogen), Johann Friedrich Mayer und Johann Wilhelm Petersen, Balthasar Bekker und Christian Scriver sowie abermals Budde und Gottfried Wilhelm Leibniz.14 Die Dialoge sind alle auf eine analoge Weise strukturiert. Ein die zwei Protagonisten darstellendes Titelkupfer, eine Reihe von Versen und häufig ein kurzes Vorwort an den Leser gehen dem eigentlichen Gespräch voraus. Die Titel erinnern alle sehr an die von 1718 bis 1739 durch den deutschen Journalisten David Fassmann monatlich veröffentlichten Gespräche im Reiche der Toten: Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten…, Gespräche im Reiche der Todten…, Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten…, Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten…. Der Anlass ihres Erscheinens war fast immer der Tod zumindest eines ihrer Protagonisten. Am Ende der 20er Jahre des 18. Jahrhunderts zeigt sich das nahezu gleichzeitige Hinscheiden der intellektuellen Figuren, welche die Debatten der vorigen Jahrzehnte dominiert hatten: Dieser wirklich einmalige Umstand hat die Entstehung der in dieser Studie betrachteten Texte auf eine ausschlaggebende Weise beeinflusst.15 Auch in den Fällen, in denen die Hauptpersonen der Dialoge vorherigen Generationen angehörten, wie in den Fällen Bekkers, Descartes’ oder Leibniz’, ist die Wahl der Autoren nie zufällig. Die ihnen zuge-

Zu den Titeln der Texte vgl. die einzelnen Kapitel. Das Totengespräch zwischen Leibniz u. Thümmig unterscheidet sich in einigen Aspekten von den anderen, die ich untersuchen werde. Vgl. dazu Kap. 5. 15 Christian Thomasius stirbt 1728, Nikolaus Hieronymus Gundling 1729, Andreas Rüdiger 1731, Johann Franz Budde 1729, August Hermann Francke 1727, Johann Wilhelm Petersen 1727. 14

Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung (1729–1734)

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schriebenen Rollen ›aktualisieren‹ – in jedem Dialog auf eine andere Weise – die ›historischen‹ Figuren.16 Der scheinbar absolute Mangel an Hinweisen oder Spuren zum Entstehungskontext der Totengespräche ist vielleicht das Element, das denjenigen, der sich ihnen zum ersten Mal annähert, am meisten irritiert. Alle Texte wurden anonym oder unter Pseudonymen, meist ohne Angaben zum Druckort oder Verlag, veröffentlicht; sie wurden ungebunden in Form von Flugschriften verkauft. Die einzigen uns vorliegenden Hinweise sind das Erscheinungsjahr und bisweilen der Name desjenigen, der das Titelkupfer entworfen hat. Dies wird ein extrem wichtiges Detail für diese Untersuchung sein. Dass die Dialoge als ›fliegende Blätter‹ konzipiert wurden, ist einer der Hauptgründe dafür, dass heute lediglich wenige Exemplare von ihnen vorliegen. Es handelt sich um äußerst seltene Texte, die auf diverse deutsche Bibliotheken (vor allem in Mitteldeutschland) verteilt sind und von denen mitunter nur noch ein einziges Exemplar vorliegt. Kein Element scheint unmissverständlich auf eine Verbindung der Totengespräche untereinander hinzuweisen. Die Definition des Korpus war unter vielen Gesichtspunkten sehr problematisch und ist das Ergebnis des Vergleichs der Texte miteinander, der Rekonstruktion ihrer Entstehungskontexte, der Interpretation der intertextuellen Verweise und der polemischen Anspielungen zwischen den Autoren sowie von stilistischen und formalen Überlegungen. Eines der Hauptziele, die ich mir gesteckt habe, ist es, die Legitimität der Zuschreibung aller Dialoge zu einer einzigen, einheitlichen Strömung von Totengesprächen zu beweisen. Ein erstes, wichtiges Element ist bereits aufgetaucht: die offensichtliche chronologische Übereinstimmung. Zusätzliche Aspekte sind die strikte thematische Affinität der in den einzelnen Dialogen behandelten Themen, die philosophischen Positionen der Autoren, einige formale Elemente, die Typologien des Publikums, an das sich die Texte richteten, und ihr Verbreitungskontext. Wie wir sehen werden, sind dies nur einige der Elemente, die dazu beitragen, diese Dialoge sehr deutlich von den üblicherweise von der Forschung behandelten Totengesprächen, die sich meistens durch eine große Verbreitung auszeichneten, zu unterscheiden und sie darüber hinaus zu einer Typologie von ›gelehrten‹ Flugschriften mit deutlich identifizierbaren Eigenschaften zu machen. In einigen Fällen ist die Affinität der intellektuellen Perspektive, mit der Texte entworfen wurden, die meiner Ansicht nach nicht von demselben Verfasser stammen, recht überraschend.17

Vgl. z. B. die Dialoge zwischen Balthasar Bekker u. Christian Scriver (Kap. 8) sowie zwischen Leibniz u. Thümmig (Kap. 5). 17 Ich beziehe mich insbes. auf die Totengespräche zwischen Descartes u. Rüdiger sowie zwischen Leibniz u. Budde, deren Struktur u. intellektuelle Orientierung fast identisch sind. Für einen ausführlichen Vergleich zwischen den zwei Texten vgl. Kap. 6, § 4. 16

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Um es kurz zu machen: Alle Texte, die ich in dieser Arbeit analysieren werde, bilden in thematischer und stilistischer Hinsicht, aufgrund ihrer Verbreitungsmodalitäten und aus zahlreichen weiteren Gründen, die ich noch ausführlicher erörtern werde, eine Gruppe von Dialogen, deren Merkmale von den klassischen und gewöhnlich von der Forschung erwähnten Strömungen von Totengesprächen abweichen. Obwohl sie offensichtlich einem einheitlichen Textkorpus angehören, werden die Dialoge trotzdem meist als Einzelphänomene zitiert und tauchen lediglich sporadisch in Bibliographien und Sammlungen auf. Nie finden sie in lexikographischen Artikeln, die sich mit der Entwicklung der Gattung des Totengesprächs in Deutschland befassen, und selten in Forschungsarbeiten zur Rezeption ihrer Hauptpersonen Erwähnung. Oft sind sie von falschen Lokalisierungen bzw. zweifelhaften Zuordnungen begleitet. Mir ist nur ein einziger Verweis auf die mögliche Existenz eines Korpus von durch gemeinsame Eigenschaften verbundenen Totengesprächen der Frühaufklärung bekannt. In Moderne aus dem Untergrund (2002) hat Martin Mulsow auf einige Dialoge dieser Gattung hingewiesen, die besonders kontroverse Fragen des frühen 18. Jahrhunderts thematisieren.18 Die Umstände, welche die so gut wie völlige Abwesenheit dieser Dialoge in der Forschung herbeigeführt haben, sind Faktoren, die eine eigene Erklärung erfordern werden: Der noch zu prekäre Status unserer Kenntnisse der Gattung des deutschen Totengesprächs der Aufklärungszeit, die Anonymität der Texte und ihre Natur als Flugschriften sind nur einige von ihnen. Der Aufbau der Gespräche ist gut durchdacht, um eine effektvolle – manchmal extrem gelehrte und komplexe, manchmal ironischere – Inszenierung der kontroversesten Fragen der theologisch-philosophischen Debatte im Deutschland und Europa jener Zeit zu bieten. Die Apokatastasis und der Chiliasmus, die biblische Exegese, spinozistische und ›clandestine‹ Texte, das Verhältnis zwischen Seele und Körper sowie zwischen Mathematik und Philosophie, der Atheismus antiker und moderner Philosophen, die Wolffsche Philosophie in ihrer Verflechtung mit der Rezeption des Cartesianismus und des Leibnizschen Systems sind nur einige der zahlreichen Themen, über die in den Dialogen gesprochen wird. Die Wahl der Gesprächsteilnehmer wird von der dieser Gattung eigenen dualistischen bzw. kontroversen Struktur beeinflusst. Der vielleicht verständlichste Fall ist der des Gesprächs zwischen Leibniz und dem pietistischen Positionen nahestehenden Theologen Johann Franz Budde. Der Verfasser schreibt Leibniz die Ver-

Martin Mulsow, Moderne aus dem Untergrund, 309–10. Mulsow bezieht sich auf Dialoge zwischen Christian Thomasius u. August Hermann Francke und zwischen Leibniz u. Johann Franz Budde sowie auf einen Verweis Carl Friedrich Hempels, des Biographen von Nikolaus Hieronymus Gundling, auf ein Totengespräch zwischen Gundling u. Budde mit dem Titel Examen rigorosum. 18

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teidigung des Wolffschen Systems und Budde die Kritik, welche die ›historische‹ Figur des Theologen an Christian Wolff in den Bedencken über die Wolffianische Philosophie geübt hatte, zu.19 Diese Gegenüberstellungen werden auch auf eine subtilere Weise gebaut. Aus evidenten chronologischen Gründen war Descartes kein Gegner der Pietisten. Der anonyme Autor eines Totengesprächs schreibt ihm aber gegenüber seinem Gesprächspartner, dem Anticartesianer, Antiwolffianer und Pietismus-freundlichen Andreas Rüdiger, über die selbstverständliche Verteidigung seiner eigenen Doktrinen hinaus auch die Rolle des Verteidigers Christian Wolffs zu.20 Die dialogische Struktur der Totengespräche wird auch verwendet, um latentere, in einigen Fällen strikt persönliche Konflikte, die zwischen den Protagonisten der Frühaufklärung herrschten, besonders wirkungsvoll in Szene zu setzen (etwa zwischen Gundling und Budde oder zwischen Thomasius und Francke).21 Wie sind diese Dialoge in die philosophische Debatte ihrer Zeit einzuordnen? Zu den Fürsprechern welcher Ideale machen die Verfasser die Hauptfiguren und was können uns die mehr oder weniger instrumentellen Entstellungen ihrer ›historischen‹ Figuren enthüllen? Welche Rolle verkörpern die Protagonisten dieser Texte wirklich? Wie schon vorweggenommen wurde, sind einige von ihnen außerordentlich berühmt: Die Lektüre der Totengespräche wird uns helfen zu verstehen, welches Bild von ihnen im Deutschland des frühen 18. Jahrhunderts verbreitet war, und Licht auf alles andere als banale und wenig bekannte Aspekte ihrer Rezeption werfen. Diese Arbeit wird außerdem versuchen, vernachlässigte Debatten und Figuren der Frühaufklärung, die aber von ihren Zeitgenossen selbst als absolut erstrangig wahrgenommen wurden und deren Werke lange und heftige Kontroversen ausgelöst haben, wieder zum Vorschein zu bringen: Andreas Rüdiger, Johann Friedrich Mayer, Christian Nicolaus Naumann, Ludwig Philipp Thümmig, um nur einige Namen zu nennen. Weiterer gemeinsamer Nenner aller Totengespräche ist die problematische Natur der Verfasserschaft. In den seltenen Fällen, in denen diese in Bibliographien und Verzeichnissen erwähnt werden, wird die Mehrheit der Texte David Fassmann zugeschrieben. Obwohl in den Dialogen explizite Verweise auf Lukian von Samosata und Fontenelle nicht fehlen, sind tatsächlich die Gespräche im Reiche der Toten des deutschen Journalisten das von diesen Autoren nachgeahmte formale Modell. Auf

Vgl. Kap. 4. Vgl. Kap. 6. 21 Zu den verschiedenen philosophischen Perspektiven Gundlings u. Buddes vgl. Martin Mulsow, Moderne aus dem Untergrund, 309–37 u. 341–53; zum Verhältnis zwischen Thomasius und Francke vgl. Martin Brecht, »August Hermann Francke und der Hallische Pietismus«, in: ders./Klaus Deppermann/Ulrich Gäbler (Hgg.), Geschichte des Pietismus, Bd. I, Das 17. und frühe 18. Jahrhundert, Göttingen 1993, 503–6. 19 20

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dieses Argument werde ich mehrmals, vor allem im Schlussteil, zurückkommen.22 In Wirklichkeit ist Fassmann der Verfasser keines dieser Totengespräche. Es sollen die Gründe untersucht werden, die diese Zuschreibung verursacht haben, und es soll versucht werden zu verstehen, wie viele Autoren sich hinter den Dialogen tatsächlich verbergen. Kleine, aber sehr wichtige Indizien, von denen man ausgehen kann, um etwas Näheres über die Frage der Verfasserschaft zu erfahren, sind die internen Verweise, die einige Dialoge miteinander verbinden. Ihre Natur ist allerdings überhaupt nicht transparent, sondern zweideutig und anspielungsreich. Während der Lektüre der Texte kann man auf Verweise auf Hauptpersonen anderer Totengespräche, auf Polemiken eines Autors gegen andere Autoren, auf Verweise auf Plagiate und auf die Konkurrenz um die verkauften Exemplare sowie auf strikt inhaltliche Polemiken stoßen. Es ist deswegen von vorrangiger Bedeutung, zu versuchen, die Natur und die Funktion dieser Anspielungen sowie die Rollen zu verstehen, die sie in der Klärung der Verhältnisse zwischen den Autoren der Dialoge spielen können. Keine banale Frage ist dabei die folgende: Handelt es sich für die damaligen Leser um verständliche oder sowohl für das Publikum als auch für die anderen Autoren relativ obskure Anspielungen? Die zweite Möglichkeit impliziert eine Reihe von weiteren möglichen Fragen: Wie geschieht die Kommunikation zwischen Personen konkret, welche die Identität des jeweils anderen nicht kennen? Welche sind die Codes, die sie bestimmen? Auf welcher Ebene von Klandestinität sind unsere Texte einzuordnen? Die Totengespräche haben leider nur sehr wenige Spuren hinterlassen. Obwohl die Verfasser in ihren Vorworten oftmals von tausend verkauften Exemplaren schreiben (Erklärungen, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen ist), werden die Texte nie in den Katalogen der damaligen Buchmessen und fast nie in den Quellen erwähnt. Die Zeitgenossen scheinen außerdem – in den wenigen Verweisen, die sie ihnen widmen – die Identität der Autoren nicht zu kennen. Welchen Milieus gehören die Verfasser der Dialoge also an? Ist es möglich, eine ›Topographie‹ der ›Unterwelten‹, in denen diese Totengespräche entstanden sind, zu zeichnen? Warum scheinen sie auch aus den damaligen Publikationen buchstäblich verschwunden zu sein? Da ich von extrem spärlichen Informationen ausgehen muss, ist die Vertiefung der seltenen, oft anscheinend unbedeutenden, verfügbaren Indizien der einzige Weg, um etwas Näheres über die Genese der Texte zu erfahren. Im Verlauf dieser Studie wird dabei immer deutlicher werden, wie viele Elemente ›materieller‹ Art für diese Untersuchung von Bedeutung sind. Jedes einzelne Detail trägt dazu bei, die Anzahl der verfügbaren Indizien zu erhöhen. Ich versuche deswegen, von Bezüglich der Zuschreibungen an David Fassmann vgl. die in den einzelnen Kapiteln dieser Arbeit enthaltenen Informationen und den Schlussteil. 22

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jedem Dialog eine so große Anzahl an Exemplaren wie möglich zu untersuchen, um die Rolle von Details wie die Paginierung, Sigel, Einbindungen und Unterschiede zwischen Exemplaren desselben Textes zu verstehen. Eines dieser kleinen Indizien sind die am Rand des Titelkupfers eingestochenen Initialen oder Sigel. Die Titelkupfer sind wohl eines der bemerkenswertesten Elemente dieser Totengespräche. Ihre formale Struktur folgt klar der der Fassmannschen Gespräche im Reiche der Toten sowie der vieler Totengespräche jener Zeit. Im Vergleich zu den Titelkupfern zu Fassmanns Dialogen (vgl. Beispiel in Abb. 1, Tafelteil S. 1*) sind diese aber akkurater und häufig von einem höheren qualitativen Niveau. Sie enthalten vor allem sehr raffinierte Symbole, die oft auf eine sehr ansprechende Weise auf zeitgenössische Werke oder auf den Inhalt anderer Totengespräche verweisen. Ich habe versucht zu verstehen, welche Gesetze das Verhältnis der Kupferstecher zu den Universitäten, zu den Autoren, zu den Druckern und zu denen, die man ›gelegentliche Mitarbeiter‹ (z. B. Studenten in finanziellen Schwierigkeiten) nennen könnte, regelten, und stelle mich außerdem der Herausforderung, die kryptischen Verweise zwischen Kupferstichen und Totengesprächen und sogar zwischen Kupferstichen und anderen Texten als denen, zu denen die Abbildungen gehören, zu interpretieren. Ich werde versuchen zu klären, wie die Schnelligkeit der Produktion der ›fliegenden Blatter‹ und die Präzision der Abbildungen zusammenpassen, auf wen ihr Entwurf zurückführbar ist, ob die Analyse der Titelkupfer – vor allem aus qualitativer Sicht – zeigen könnte, ob einige der Texte Raubdrucke, d. h. ›Piratenausgaben‹, waren. Die Welt, die sich hinter diesen Totengesprächen verbirgt, ist eine Realität von Plagiaten, extremem Elend und heftiger Konkurrenz, sowohl unter Autoren als auch unter Druckern. Sie in ihren ›alltäglichen‹ Aspekten zu ergründen, ist kein Selbstzweck, sondern eher ein wesentliches Element für unser Verständnis der Texte – und dies gilt nicht nur für die Totengespräche, sondern im Allgemeineren für die Flugschriften jener Zeit und für einen Großteil der literarischen Produktion der Frühaufklärung. Am Ende dieser Arbeit wird nicht eine sichere Identifizierung der Verfasser der betrachteten Texte stehen. Das hat sich als unmöglich erwiesen. Die Studie ermöglicht es aber, dem Entstehungskontext der Texte nachzugehen, die Verkaufsdynamiken zu rekonstruieren sowie ein ziemlich präzises Profil ihrer Leser und des sozialen und geographischen Kontexts zu erstellen, in dem die Dialoge entstanden sind. Wir werden sehen, inwieweit die Schwierigkeit, die präzise Identität der Autoren zu bestimmen, auch dem nahezu absoluten Mangel an Individualität geschuldet ist, der typisch für die Entwurfs- und Verkaufsmodalitäten der Flugpublizistik war. Der Mangel an etwas mit dem modernen Urheberrecht Vergleichbarem im Deutschland jener Zeit ist nur einer der vielen Aspekte, die für unsere Analyse wichtig sind.

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Jeder Dialog veranlasst uns dazu, einen Aspekt zu vertiefen, der oft in allen Texten präsent, jedoch in dem gewählten Beispiel besonders evident ist. Im zweiten Kapitel werde ich über die Verbreitung von Totengesprächen in den deutschen studentischen Milieus des frühen 18. Jahrhunderts, über die Konkurrenz zwischen verschiedenen Autoren (die sich auch in der Publikation von ›Raubdrucken‹ ausdrückte), aber auch über rein theoretische Fragen sprechen, wie die Debatte zum Atheismus und zur Sterblichkeit der Seele. Im dritten Kapitel werde ich die extrem ›experimentelle‹ Natur des deutschen Totengesprächs der Zeit erforschen – ein Phänomen, von dem es in der Geschichte dieser Gattung ganz sicherlich kein zweites gibt. Das Verhältnis des Totendialogs zur Biographik, zu den Trauerreden, zu den pietistischen Sammelbiographien, zu den Pasquille und zur deutschen Rezeption von Traiano Boccalinis Werken wird erörtert werden. Wir werden sehen, inwieweit die Grenzen zwischen den Gattungen in jener Zeit viel ›instabiler‹ waren, als man erwarten würde – vor allem auf der Ebene der Gelegenheits- und Flugschriften –, und ich möchte aufzeigen, wie Forschungen zur Frühaufklärung über diese oft vernachlässigten literarischen Formen unsere Perspektiven zur Publizistik und zur gelehrten Debatte jener Zeit bereichern könnten. Wir werden darüber hinaus mit der Welt der Leipziger Kupferstecher in Kontakt kommen, jener ›Grauzone‹, die von Personen mit einem nicht ganz klar definierten Status und oft mit finanziellen Schwierigkeiten gebildet wurde, die sich oft hinter dem Entwurf der Totengespräche verbargen. Im Mittelpunkt des vierten Kapitels wird die Rolle der Totengespräche in der heftigsten philosophischen Kontroverse der deutschen Frühaufklärung stehen: derjenigen, die Christian Wolffs Ausschluss aus der Universität Halle ausgelöst hat, nachdem der Philosoph von seinen Kollegen des Atheismus angeklagt worden war. Die Lektüre des Totengesprächs zwischen Leibniz und Ludwig Philipp Thümmig (Kapitel 5) wird uns in die Leibniz-freundlichen Milieus Leipzigs der 40er Jahre des 18. Jahrhunderts katapultieren, hinein in die impliziten Kommunikations- und Verstellungscodes ihrer Protagonisten. Es handelt sich dabei um den einzigen Dialog, der nicht in der Zeitspanne zwischen 1728 und 1734 verfasst wurde. Ihn in unsere Untersuchung einzubeziehen, wird aber aus mehreren Gründen sehr vorteilhaft sein. Beim Vergleich von der in diesem Text und im Dialog von 1730 beschriebenen Figur von Leibniz, in dem der Philosoph mit Johann Franz Budde ein fiktives Gespräch führt, wird man sehen, wie instrumentell die Gattung des Totengesprächs verwendet werden kann: in diesem Fall von zwei verschiedenen Autoren, um zwei radikal entgegengesetzte Profile desselben Philosophen zu zeichnen. Das sechste Kapitel wird ein äußerst raffiniertes Beispiel eines strikt gnoseologischen und physiologischen Totengesprächs behandeln, in dem Descartes und Andreas Rüdiger vor allem über das Leib-Seele-Problem diskutieren. Der Text ist ein meisterhaftes Beispiel für die Charakterisierung einer Hauptperson eines To-

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tengesprächs, die vom Verfasser genötigt wird, eine ›multiple‹ Rolle mit komplexen inhaltlichen Implikationen zu ›spielen‹. Im siebten Kapitel werde ich die Auseinandersetzung zwischen zwei Theologen, Johann Friedrich Mayer und Johann Wilhelm Petersen, verfolgen, die ein Beispiel für die Verwendung von Totengesprächen als Diskussionsorgane von eng an die Debatte in pietistischen Milieus gebundenen Fragen bieten wird. Es wird in diesem Kapitel außerdem um die Rolle des Vorworts in den Totengesprächen gehen. Der letzte Dialog, den ich behandeln werde, ist von dem Aufeinandertreffen von Balthasar Bekkers dualistisch-cartesianischem Ansatz und dem pietistisch-influxionistischen Ansatz Christian Scrivers bestimmt. Das Leib-Seele-Problem nimmt hier durch die Debatte zur Beziehung der Engel und Dämonen mit der physikalischen Welt der res extensae eine dämonologische Konnotation an. Doch bevor wir uns der Lektüre der Totengespräche widmen, sollten wir uns aber demjenigen zuwenden, der einmütig als Initiator der Gattung gilt: Lukian von Samosata.

Kapitel I

Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert

1. Lukian von Samosata (ca. 120–180/92 n. Chr.): die »Nεκρικοί διάλoγοι« Über denjenigen, dem die Einführung der Gattung des Totengesprächs zugeschrieben wird, weiß man nahezu nichts. Lukian von Samosata, geboren unter der Herrschaft Kaiser Hadrians und gestorben unter derjenigen Mark Aurels oder des Commodus, wird von keinem seiner Zeitgenossen erwähnt. Das an den Ufern des Euphrat im heutigen Syrien gelegene Samosata befand sich seinerzeit am äußersten östlichen Rand des Römischen Reiches, in einem multiethnischen und vielsprachigen Gebiet, in dem Aramäisch, Persisch und Griechisch gesprochen wurde. Lukian gehörte der aramäischsprachigen Gruppe an. Seine außergewöhnliche Beherrschung des Griechischen ist vor allem auf die Jahre zurückzuführen, in denen er in Ionien eine Ausbildung zum Rhetor absolvierte. Die Rhetorik war zu jener Zeit als Disziplin in Mode und bot darüber hinaus die Möglichkeit, sich ein gutes Einkommen zu sichern. Sein Erfolg als Rhetor führte Lukian auf Reisen von der Ägäis über Gallien und Rom bis nach Athen, wo er eine ›philosophische Bekehrung‹ erlebt haben soll, deren Umstände allerdings gänzlich unbekannt sind.1 Die dreißig Nεκρικοί διάλoγοι sind als kurze Sketche verfasst, die Dialoge darin scharf und ironisch und die Protagonisten entweder Figuren der Mythologie (wie Merkur, Herkules, Teiresias, Minos) oder bekannte Persönlichkeiten der griechischen Kultur.2 Menippos und Diogenes sind zusammen mit Charon die Figuren, die in den Dialogen am häufigsten wiederkehren und somit die offensichtlichsten literarischen und kulturellen Bezüge in Lukians Schriften darstellen. In den kurzen Wortwechseln, der erbarmungslosen und ketzerischen Ironie auf Kosten der Zum biographischen Profil von Lukian von Samosata vgl. Jacques Schwartz, Biographie de Lucien de Samosate, Brüssel 1965. In diesem Kap. stelle ich die wichtigsten Autoren von Totengesprächen bis zum 18. Jh. vor. Die Entwicklung der Gattung hört aber (selbstverständlich) mit der Aufklärung nicht auf, wie z. B. der Fall des sehr gelobten Buches von Vittorio Hösle Das Café der Toten Philosophen zeigt (Nora K./Vittorio Hösle, Das Café der Toten Philosophen. Ein philosophischer Briefwechsel für Kinder und Erwachsene, München 1996). 2 Lukian von Samosata, Nεκρικοί διάλoγοι, in Luciani Opera, hg. von Matthew D. Macleod, Bd. IV, Oxford 1987. Zu seinen Totengesprächen siehe auch: Alexandre M. Desrousseaux, Notes critiques sur les Dialogues des morts de Lucien, Paris 1885. Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, auch auf die Gattung der Jenseitsreise einzugehen, die schon für das Mesopotamien des 3. und 4. Jahrtausends v. Chr. bezeugt ist. Für einen Überblick vgl. zuletzt Jan N. Bremmer, »Descendents to Hell and Ascends to Heaven in Apocalyptic Literature«, in John J. Collins (Hg.), The Oxford Handbook of Apocalyptic Literature, Oxford 2014, 340–57. 1

Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert

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mythologischen Helden kann man in der Tat Einflüsse der Neuen Komödie und des Kynismus erkennen. Die Unterwelt Lukians kommuniziert weder mit der Welt der Götter noch, anders als in den Dialogen, die wir im Folgenden behandeln werden, mit der der Lebenden: Der Hades ist für die Figuren der Nεκρικοί διάλoγοι die einzige bekannte Realität. Die zunehmende Verbreitung der literarischen Gattung des Totengesprächs im Europa der Frühen Neuzeit wird vor allem mit der humanistischen Wiederentdeckung des Korpus’ von Lukians Schriften erklärt. Im 16. und 17. Jahrhundert ist Lukian für die Verfasser von Totengesprächen der Hauptbezugspunkt und Latein die dafür gebräuchlichste Sprache.3 Für den Diskurs, den ich im Folgenden darstellen werde und der uns ins Deutschland des 18. Jahrhunderts führen wird, spielen jedoch die Dialoge anderer Autoren eine grundlegende Rolle, die zu einem regelrechten Wettlauf bei der Abfassung von Totengesprächen führen. Einer der wichtigsten direkten Vorreiter der Totengespräche, über die wir in dieser Arbeit sprechen werden, ist nämlich weder Lukian noch sind es die durch Lukian inspirierten Texte aus dem 16. Jahrhundert, sondern die zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf Französisch verfassten und ins Deutsche übersetzten Texte eines höchst originellen und innovativen Interpreten dieses Genres, Bernard le Bovier de Fontenelle.

2. Fontenelle: die »Nouveaux dialogues des morts« (1683) Als der 26-jährige Fontenelle 1683 anonym seine Nouveaux dialoges des morts veröffentlichte, war die Verwendung dieser Textart zur Behandlung philosophischer Fragen zweifellos als deutliches Zeichen von Exzentrizität zu bewerten.4 Das Totengespräch wurde traditionell keineswegs als besonders geeignete Literaturform für die Behandlung von als ›gehoben‹ betrachteten Themen angesehen. Die Gründe, die Fontenelle dazu bewogen haben, dies dennoch zu wagen, sind bis heute unklar. Zur Rezeption von Lukians Werken in der Frühen Neuzeit vgl. Christopher Robinson, Lucian and his Influence in Europe, London 1979; Christopher Ligota u. Letizia Panizza (Hgg.), Lucian of Samosata Vivus et Redivivus, London/Turin 2007. Die erste Studie enthält einen spezifischen Abschnitt zur Rezeption der Totengespräche, widmet dem deutschsprachigen Raum aber nur wenige Zeilen (S. 146). 4 Bernard Le Bovier de Fontenelle, Nouveaux dialogues des morts, Lyon 1683. Siehe dazu John Cosentini, Fontenelle’s Art of Dialogue, New York 1952; das ausgezeichnete Vorwort Jean Dagens zu seiner Edition des Textes, in Fontenelle, Nouveaux dialogues des morts, édition critique avec une introduction et des notes par Jean Dagen, Paris 1971, 9–100. Zu Fontenelle vgl. Louis Maigron, Fontenelle. L’homme, l’oeuvre, l’influence, Paris 1906; Roger Marchal, Fontenelle à l’aube des Lumières, Paris 1997; Jean R. Carré, La philosophie de Fontenelle ou le Sourire de la raison, Paris 1932; Alain Nirdest (Hg.), Fontenelle. Actes du colloque tenu à Rouen du 6 au 10 octobre 1987, Paris 1989. 3

Fontenelle: die »Nouveaux dialogues des morts« (1683)

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Sein bevorzugter Einsatz von Dialogen ist mit seiner Liebe zum Theater und seiner Ausbildung im Jesuiteninternat von Rouen in Verbindung gebracht worden, in deren Übungsbüchern und Lehrplänen der Dialogkunst eine wichtige Rolle zukam.5 Während dieser Ausbildung spielten Totengespräche wie diejenigen Lukians, deren ketzerischer und widerspenstiger Unterton sicherlich nicht dem Geschmack eines typischen Lesers mit jesuitischer Bildung entsprach, natürlich keine Rolle. Die 36 Dialoge sind in zwei Teile unterteilt, von denen wiederum jeder aus drei Abschnitten besteht: die Dialogues des morts anciens, die Dialogues des morts anciens avec des modernes und die Dialogues des morts modernes. Die Totengespräche Lukians sind Fontenelles erklärtes Vorbild und er erwähnt seinen Vorgänger mehrfach in seinem Werk. Fontenelle erschaff t jedoch eine gänzlich neue Form des Totengesprächs. So plaudern die Protagonisten der Nouveaux dialogues des morts darin in der für die Salons jener Zeit typischen gepflegten, ironischen und geistreichen Sprache über zeitgenössische, philosophische Debatten, besonders derjenigen über das Verhältnis von Alten und Modernen, die zu jener Zeit die Gemüter erhitzte, über Liebe, Ehrgeiz, Ehre und Wahnsinn.6 Die Dialoge Fontenelles sind außerdem kürzer als die Lukians, was ihnen eine besondere Lebendigkeit verleiht. »J’ay suprimé Pluton, Caron, Cerbere & tout ce qui est usé dans les Enfers« – auf diese Weise beschreibt Fontenelle in der Epistre der zweiten Ausgabe der Nouveaux dialogues des morts, die 1683 mit der Widmung »A Lucien, aux champs Elisiens«7 veröffentlicht wurde, eine der Eigenschaften, die seine Dialoge am deutlichsten von denen Lukians unterscheiden. Einer der Hauptunterschiede zu den Gesprächen Lukians ist folglich, dass Fontenelles Charaktere nicht aus der Mythologie, sondern aus der Geschichte stammen. Eine weitere typische Eigenschaft der Protagonisten der Dialogues wird im Vorwort zum zweiten Band der ersten Ausgabe vorgestellt: Einige, wenn auch wenige, wie mir scheint, haben behauptet, dass die Auswahl der Figuren manchmal zu absonderlich ist, wie zum Beispiel im Falle von Augustus und Aretino. Ich gebe zu, dass ich dem nie abgeholfen habe; ich bitte jedoch diejenigen, die mich deshalb kritisiert haben, zu berücksichtigen, dass oft der ganze Reiz eines Dialogs (falls überhaupt vorhanden), in der Extravaganz dieser Auswahl besteht sowie in dem Umstand, dass sie erlaubt, dem Geist Anregungen zu geben,

Jean Dagen, Vorwort zu Fontenelle, Nouveaux dialogues des morts, 13–16. Von der sogenannten Querelle des anciens et des modernes handeln vor allem die Dialoge des zweiten Teils; um die menschlichen Gefühle geht es vor allem im dritten. Zum Verhältnis zwischen galanter Literatur und den Fontenellschen Dialogen vgl. Jörn Steigerwald, »Galante Gespräche: Bernard de Fontenelles Dialogues des morts«, in Gabriele Vickermann-Ribémont/Dietmar Rieger (Hgg.), Dialog und Dialogizität im Zeichen der Aufklärung, Tübingen 2003, 13–30. 7 Bernard Le Bovier de Fontenelle, Nouveaux dialogues des morts, Paris 16832, Epistre, unpag. 5 6

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Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert

die ihm vielleicht nie in den Sinn gekommen wären, und die immer zu irgendeiner moralischen Lehre führen; [außerdem bitte ich diejenigen, die diese Kritik geäußert haben, zu berücksichtigen,] dass ich Lukian als mein Vorbild und meinen Gewährsmann betrachte, und dass letzten Endes alle dazu bestimmt sind, sich auf den Elysischen Feldern wiederzusehen.8

Zu dem Beispiel von Augustus und Pietro Aretino könnte man diejenigen Hadrians und Margarethes von Parma oder Stratons von Lampsakos und Raffaels hinzufügen, um nur einige wenige zu nennen: Die Paarkonstellationen zwischen den Personen sind zweifelsohne ›bizarr‹, und es ist die Unvereinbarkeit ihres Denkens, ihres Charakters und ihrer Mentalität, welche die Anfangssituation zwischen den beiden Gesprächspartnern bestimmt. Der Hagel an Kritik, dem Fontenelle nach der Veröffentlichung seiner Dialogues ausgesetzt war, soll ihn dazu bewogen haben, nur ein Jahr später, 1684, erneut anonym ein Jugement de Pluton, sur les deux parties des nouveaux dialogues des morts zu veröffentlichen, dem eine Widmung an Lukian vorausgeht.9 In diesem Werk inszeniert der Autor eine recht surreale Situation, indem er sich vorstellt, wie seine Dialoge das Elysion erreichen und dort unter den Bewohnern eine hitzige Diskussion auslösen, die mit »Platons Beurteilung« des Textes ihren Höhepunkt erreicht.10 Die Kritik kann als die Kehrseite des eindrucksvollen Erfolges der Nouveaux dialogues des morts gesehen werden, der Fontenelle zum sofortigen Verfassen neuer Ausgaben antrieb und gleichzeitig den Handel mit günstigeren Raubdrucken des Werkes beflügelte. Besonders in Deutschland war der Erfolg durchschlagend, wenn auch nicht unmittelbar und wohl auch stärker der Vermittlung durch deutsche Autoren zu verdanken als der direkten Lektüre der Fontenellschen Dialoge. Es ist

8 »Quelques personnes, mais peu, ce me semble, avoient dit que les assortiments des Personnages estoient quelquefois trop bizarres, celuy d’Auguste & d’Aretin par exemple. J’avouë que je n’ay pas remedié à cela; mais je prie ceux qui ont fait cette critique, de vouloir bien considérer, que souvent tout l’agrément d’un Dialogue, s’il y en a, consiste dans la bizarrerie de cet assortiment; qu’elle donne moyen d’offrir à l’esprit des reports qu’il n’avoit peut-estre pas apperçus, & qui aboutissent toûjours à quelque moralité; que j’ay Lucien pour modele & pour garant, & qu’enfin tout le monde se rencontre dans les Champs Elisées« (ders., Au lecteur, in Nouveaux dialogues des morts, Lyon 1683, Bd. II, unpag. Übersetzung der Verfasserin). 9 Ders., Jugement de Pluton, sur les deux parties des Nouveaux dialogues des morts, Amsterdam 1684. 10 Diese Escamotage wurde von den Autoren der Totengespräche, die in den folgenden Kapiteln betrachtet werden, wieder aufgenommen. Die Autoren dieser Texte ermöglichen ihren Protagonisten die Lektüre anderer Totengespräche oder des ersten Teils eines Dialogs, dessen Protagonisten sie selbst sind und der direkt nach dem Ende des Gesprächs gedruckt worden ist. Dies erlaubt den Autoren, Anspielungen auf andere – auch von ›Rivalen‹ geschriebene – Texte einzufügen oder den zweiten Teil eines bereits publizierten Dialogs mit einem literarisch raffinierten Trick wirkungsvoll zu beginnen.

David Fassmann: die »Gespräche im Reich der Toten« (1718–1739)

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anzunehmen, dass sich das Verständnis der Gattung des Totengesprächs, wie es im Deutschland des 18. Jahrhunderts verbreitet war, endgültig der Mythen Lukians entfremdet hatte und dass gerade der Aspekt der ›bizarren‹ Verbindung historischer Persönlichkeiten verschiedenster Art und Epochen, wie er bereits im französischen Vorbild enthalten war, stärker als andere wahrgenommen und in gewisser Weise übertrieben worden ist. Darüber hinaus wurde dem Totengespräch durch den Einfluss von Monatszeitschriften, Journalismus und Flugschriften ein völlig neuer Charakter gegeben. Einer deutschen Übersetzung von Fontenelles Werk kommt in diesem Prozess eine Schlüsselrolle zu. Daher soll im Folgenden untersucht werden, was in Deutschland geschah, als die von Lukian von Samosata im 2. Jahrhundert nach Christus durch seine Nεκρικοί διάλoγοι inaugurierte Gattung den Höhepunkt ihres Erfolgs und ihrer Verbreitung erreichte.

3. David Fassmann: die »Gespräche im Reich der Toten« (1718–1739) Im Deutschland der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kommt das Verfassen von Totengesprächen einer regelrechten Mode gleich. Vor allem in dieser Zeit wurden hunderte von Dialogen veröffentlicht, und erst in der zweiten Jahrhunderthälfte ebbte diese Flut von Publikationen wieder ab. Die im 18. Jahrhundert herausgegebenen Totengespräche sind in verschiedenen Verzeichnissen zusammengefasst worden, die allerdings nur einen kleinen Teil der tatsächlich veröffentlichten Texte wiedergeben, deren Gesamtzahl bisher noch nicht genau bestimmt werden konnte.11 Sie dürfte wohl in die Tausende gehen. Die Gründe, die zu diesem Phänomen beigetragen haben, sind zahlreich und voneinander sehr verschieden. Eine maßgebliche Voraussetzung war sicherlich die zunehmende Verbreitung von Fontenelles Nouveaux dialogues des morts, die im Jahre 1727 mit der Übersetzung durch Johann Christoph Gottsched ihren Höhepunkt fand. Es war Gottsched, der überhaupt entscheidend zur Bekanntmachung Fontenelles in Deutschland beitrug: Ein Jahr zuvor hatte er die Entretiens sur la pluVgl. John Rutledge, The Dialogue of the Dead in Eighteenth-Century Germany, Bern/Frankfurt a. M. 1974, 133–66; John S. Egilsrud, Le ›Dialogue des Morts‹ dans les littératures française, allemande et anglaise (1644–1789), Paris 1934, 205–07. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, ausführlich auf die Forschungsliteratur zur Theorie des Dialogs hinzuweisen. In der neuen deutschsprachigen Forschung, mit bes. Bezug auf die Frühe Neuzeit, siehe etwa Gabriele VickermannRibémont/Dietmar Rieger (Hgg.), Dialog und Dialogizität im Zeichen der Aufklärung; Klaus W. Hempfer (Hg.), Poetik des Dialogs: aktuelle Theorie und rinascimentales Selbstverständnis, Stuttgart 2004; ders./Anita Traninger (Hg.), Der Dialog im Diskursfeld seiner Zeit: von der Antike bis zur Aufklärung, Stuttgart 2010; dies., Disputation, Deklamation, Dialog: Medien und Gattungen europäischer Wissensverhandlungen zwischen Scholastik und Humanismus, Stuttgart 2012. Zum philosophischen Dialog im Allg. vgl. Vittorio Hösle, Der philosophische Dialog, München 2006. 11

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ralité des mondes und 1730 die Histoire des Oracles übersetzt.12 Weit davon entfernt, eine wörtliche Übersetzung des Fontenellschen Textes abzuliefern, stellte sich die deutsche Ausgabe der Dialogues als eine deutlich ›versittlichtere‹ Instanz dar. Auf einer Linie mit der in den Dialogues des morts Fenelons von 1712–1718 vertretenen Auffassung sollten die fiktiven Gespräche nach Gottsched idealer Weise zur Vermittlung christlicher Werte beitragen.13 Da sie sich von Mal zu Mal verschiedenen Epochen und Kontexten anpasste, neigt die Textform des Totengesprächs dazu, äußerst originelle Ergebnisse hervorzubringen. Die stattliche Anzahl der auf diese Art verfassten Texte, vor allem zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert, ist kein allein auf Deutschland beschränktes, sondern ein europäisches Phänomen, dem in der Tat auch komparatistische Studien gewidmet wurden.14 Allerdings ist vieles noch unerforscht, besonders was die englisch- und italienischsprachige Produktion anbelangt. Zu Letzterer beispielsweise gibt es bis heute keine monographischen Untersuchungen. Obwohl das Totengespräch in Italien im Vergleich zu Mitteleuropa weit weniger Beachtung gefunden

Bernards von Fontenelle Gespräche der Todten und Plutons Urtheil über dieselben, zum erstenmahl ins Teutsche übersetzt, und mit einer Vorrede, von Gesprächen überhaupt, versehen von Joh. Christ. Gottsched, Leipzig 1727; Herrn Bernard’s von Fontenelle Gespräche von mehr als einer Welt zwischen einem Frauenzimmer und einem Gelehrten. Nach der neuesten Französischen Auflage übersetzt, auch mit Figuren und Anmerkungen erläutert von Joh. Chr. Gottscheden. Am Ende findet man noch ein Pastoral, genannt Endimion, aus eben dieses Autors Schäfergedichten in teutsche Versse gebracht, Leipzig 1726; Bernhards von Fontenelle Historie der Heydnischen Orakel, darinn aus dem lateinischen Wercke des berühmten van Dalen ein kurtzer Auszug enthalten ist; aus dem Französichen übersetzt, und mit einem Anhange, darinn auf die Einwürfe eines Straßburgischen Jesuiten geantwortet wird, vermehret von Joh. Christoph Gottscheden, Leipzig 1730. Die drei Übersetzungen wurden in Herrn Bernhards von Fontenelle […] Auserlesene Schriften, nämlich von mehr als einer Welt, Gespräche der Todten, und die Historie der heydnischen Orakel, vormals einzeln herausgegeben, nun aber mit verschiedenen Zugaben und schönen Kupfern vermehrter ans Licht gestellet, von Johann Christoph Gottscheden, Leipzig 1760, gesammelt. Zu Gottsched als Übersetzer von Fontenelles Werken vgl. Roland Krebs, »Gottsched, traducteur et commentateur de Fontenelle«, in Werner Schneiders (Hg.), Aufklärung als Mission/La mission des Lumières. Akzeptanzprobleme und kommunikationsdefizite. Accueil réciproque et difficultés de communication, Marburg 1993, 207–20. 13 François de Salignac de la Mothe Fénelon, Dialogues des morts anciens et modernes avec quelques fables composés pour l’éducation d’un prince (1712–18), in Oeuvres complètes, Bd. XIX, Paris 1830. Vgl. Manuel Baumbach, Lukian in Deutschland. Eine Forschungs- und Rezeptionsgeschichtliche Analyse vom Humanismus bis zur Gegenwart, München 2002, 66–70; Nicola Graap, Fénelon: Dialogues des morts composés pour l’éducation d’un prince. Studien zu Fénelons Totengesprächen im Traditionszusammenhang, Hamburg 2001. Zur deutschen Fénelon-Rezeption vgl. Leo Just, »Fénelons Wirkung in Deutschland«, in Johannes Kraus/Joseph Calvet (Hgg.), Fénelon. Persönlichkeit und Werk. Festschrift zur 300. Wiederkehr seines Geburtstages, Baden-Baden 1953, 35–62. 14 John S. Egilsrud, Le ›Dialogue des Morts‹; Johannes Rentsch, Lucianstudien, Plauen 1895; Christopher Robinson, Lucian and his Influence in Europe. Zu den englischen Totengesprächen vgl. Frederick M. Keener, English Dialogues of the Dead. A Critical History, an Anthology, and a Check List, New York/London 1973. 12

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zu haben scheint, fehlt es auch dort nicht an Schriftstellern von großem Interesse. Man denke etwa an die in Dialogform verfasste Biografie, in der die Seele einer der kontroversesten Figuren der Accademia degli Incogniti, Ferrante Pallavicino, mit »Henrico«15 spricht, und an die fast vergessenen Dialoge in italienischer Sprache des Schweden Lorenzo Ignazio Thjulen. Von dem Ehrgeiz getrieben, vor dem Hintergrund der Denkkategorien der Restauration durch eine neuartige Verbindung des Totengesprächs mit der gegenaufklärerischen Literatur eine Weltgeschichte zu zeichnen, war eine der skrupellosesten Unternehmungen dieses Abtes sicher die, Voltaire die Aufgabe zu erteilen, die gesamte Philosophie des 18. Jahrhunderts zu dämonisieren und einen seine atheistische Vergangenheit bereuenden Philosophen zu erschaffen.16 Es sind jedoch die deutschen Totengespräche, die aufgrund ihrer außergewöhnlich abwechslungsreichen und heterogenen Erscheinungsform im europäischen Panorama besonders auffallen. Dazu tragen sowohl die verschiedenen Profi le ihrer zahlreichen Verfasser als auch das sehr unterschiedliche Zielpublikum bei. Neapolitanische Revolutionäre, berühmte Maler oder auch einfache Krämer konnten zu den Protagonisten von Totengesprächen werden. Im Jahre 1728 wurde gar eine Reihe von Totengesprächen veröffentlicht, die sich mit der Numismatik auseinandersetzten.17 Selbst ein Herrscher wie Friedrich II. von Preußen wollte sich an dieser Textform versuchen und stellte provokanterweise Madame de Pompadour der Jungfrau Maria gegenüber.18 In der Tat wird ein großer Teil der im Deutschland des 18. Jahrhunderts verfassten Totengespräche von einer deutlich ›unengagierten‹ Stimmung begleitet: Als Flugschriften oder Zeitschriften gedruckt, behandelten sie gefragte Themen und garantierten ein sicheres Einkommen. Ein sehr repräsentati[Francesco Loredano], L’anima di Ferrante Pallavicino, divisa in sei Vigilie, Köln 1645. Lorenzo I. Thjulen, Dialogo quarantesimo quinto fra Maria Francesco Arouet de Voltaire ed Onorato Maria Ricchetti, conte di Mirabeau, in: ders., Dialoghi nel regno de’ morti, Bd. XII, Rom 1834–35, 87–88. Den Dialogen des italienisch-schwedischen Abtes ist lediglich ein Kapitel in Alessandro Guerra, Il vile satellite del trono. Lorenzo Ignazio Thjulen: un gesuita svedese per la controrivoluzione, Mailand 2004, 314–32, gewidmet. 17 Vgl. David Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten: hundert sechs und sechtzigste Entrevuë, zwischen dem berühmten Schweitzer Wilhelm Tell […] und dem Neapolitianischen Fischer Masaniello, Leipzig 1732; [Georg W. Knorr], Historische Künstler-Belustigung oder Gespräche in dem Reiche derer Todten, zwischen denen beeden Welt-bekannten Künstlern Albrecht Dürer und Raphael de Urbino […], Nürnberg 1738; [Johann J. Bauer], Gespräch im Reich der Todten zwischen dem Buchhändler Johann Jacob Bauer und dem Kaufmann L*** […], Nürnberg 1770. Ndr. in Der Buchmarkt um die Mitte des 18. Jahrhunderts, München 1981; Gespräche im Reiche der Todten unter den Münzen, s.l. 1728. 18 Friedrich II. König von Preußen, Totengespräch zwischen Madame de Pompadour und der Jungfrau Maria, hg. von Gerhard Knoll, Berlin 2002 (urspr. Dialogue des morts entre Madame de Pompadour et la Vierge Marie, in Oeuvres posthumes de Fréderic II, Roi de Prusse, Bd. V, London 1789). 15 16

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ves Beispiel für diese Tendenz sind die Dialogreihen, die berühmte Kriminelle zu ihren Protagonisten machten: dem bekannten Gaunerpärchen Nicol List und Lips Tullian wurde sogar ein ganzer Zyklus von Totengesprächen gewidmet.19 Doch auch Gelehrte und Universitätsprofessoren schätzten diese Textform, derer sie sich nicht selten mit dem Ziel bedienten, zu einem bestimmten Thema Stellung zu beziehen oder in Kontroversen mitzumischen. Das tat zum Beispiel ein Autor, dessen Name heute nahezu in Vergessenheit geraten ist: Johann Zacharias Gleichmann († 1758), Sekretär der Dynastie Sachsen-Weißenfels und anschließend Jurist am Hof in Gotha. Ihm ist eine enorme Anzahl von Totengesprächen zuzuschreiben, die er unter verschiedenen Pseudonymen verfasste. Er benutzte die Form des Totengesprächs unter anderem dazu, seine Meinung zu der alten geschichtswissenschaftlichen Diskussion um die vermeintliche Existenz der legendären mittelalterlichen Päpstin Johanna zu vertreten, indem er die umstrittene Päpstin direkt zu Wort kommen ließ und ein Treffen zwischen ihr und dem Theologen Friedrich Spanheim inszenierte.20 Darüber hinaus existieren sogar Texte, die man als ›reflexive Totengespräche‹ bezeichnen könnte, da in ihnen fi ktive Figuren über das Totengespräch als literarisches Genre diskutieren.21 Wie man im Laufe der Untersuchung sehen wird, war das deutsche Totengespräch im frühen 18. Jahrhundert ein beliebtes Mittel zur Behandlung gelehrter Streitfragen. So ist die Verbindung der Totengespräche mit Streitgesprächen und aktuellen Ereignissen zu keiner Zeit so stark wie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die berühmtesten Kontroversen der Zeit, etwa jene zwischen Johann Christoph Gottsched und den ›Schweizern‹ Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger oder jene bezüglich der Philosophie Christian Wolffs und der Entlassung des Philosophen von der Universität Halle, schließen in die polemischen Schriften, derer sich die Gegner bedienten, auch Streitschriften dieses literarischen Genres ein.22

Zu dieser Gruppe zählen beispielsweise Besonderes curieuses Gespräch im Vorhofe des Reichs der Todten zwischen zwey grossen beruffenen Dieben, Räubern und Mördern Nicol Listen und Lips Tullianen, Frankfurt a. M. 1722; Besonders-curieuses Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen zweyen im Reiche der Lebendigen weitberuffenen und bekannten Ziegeuner-Spitzbuben Hemperla und Gabriel […], Hamburg 1729. 20 Johann Z. Gleichmann, Curiöses Gespräch im Reiche der Todten, zwischen der Päpstin Johanna, und dem berühmten Friderico Spanhemio […], Frankfurt a. M./Leipzig 1741. Es existieren keine spezifischen Forschungen zur Praktik der Heteronymität in der Frühen Neuzeit, d. h. zur Verwendung verschiedener Pseudonyme durch ein und denselben Autor, oft für Schriften verschiedener Gattungen. 21 Theophilus [i. e. ders.], Gesprache im Reiche der Lebendigen, von denen Gesprachen in Reiche der Todten, welche bisshero unter dem Nahmen, Sperantis und Veramandi, an das Licht gekommen […], Frankfurt a. M./Leipzig 1731. 22 Vgl. dazu insbes. Kap. 4, 5 u. 6. 19

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Trotz der großen thematischen Vielfalt quer durch alle Lebensbereiche ist das Phänomen der deutschen Totengespräche des 18. Jahrhunderts durch eine deutliche Unverhältnismäßigkeit zwischen seiner Verbreitung und den ihm gewidmeten Studien gekennzeichnet. Das einzige monographische Werk, das versucht, einen Gesamtüberblick über die Thematik zu bieten, ist die 1974 von John Rutledge verfasste Arbeit The Dialogue of the Dead in Eighteenth-Century Germany.23 Darüber hinaus existieren kürzere, oftmals in breiter angelegten Studien enthaltene Gesamtdarstellungen, die ihrerseits der allgemeinen Entwicklung des Totengesprächs in der Frühen Neuzeit oder der deutschen Rezeption eines ihrer Vertreter gewidmet sind.24 Einige lexikographische Einträge zeichnen zusätzlich ein Gesamtbild der Entwicklung in Deutschland, von der Antike bis zur heutigen Zeit.25 Einzelne Beiträge befassen sich schließlich mit den großen Autoren, die diese Textform nutzten, wie zum Beispiel Christoph Martin Wieland (Neue Göttergespräche, 1791; Gespräche im Elysium, 1796).26 Einer der wichtigsten Autoren des frühen 18. Jahrhunderts bezüglich dieser Gattung war der 1683 im sächsischen Wiesenthal geborene Journalist David Fassmann, der in dieser Arbeit eine zentrale Stellung einnimmt. Nach einem kurzen Besuch der Universität Altdorf führten ihn seine anschließende Militärausbildung und seine Abenteuerlust nach Polen, Wien, England, Irland, Frankreich und Italien, wo er dreimal zu einer Audienz beim Papst eingeladen wurde. Im Anschluss an einen kurzen Aufenthalt in Halle, wo er die Universität besuchte, lebte er ab 1717 als angehender Schriftsteller und Journalist in Leipzig. Ab 1725 hatte er verschiedene Ämter am preußischen Hof in Berlin inne, von wo er, unter mysteriösen Umständen zur Flucht gezwungen, nach Leipzig zurückkehrte. Er starb während einer Reise 1744 in Lichtenstadt.27 John Rutledge, The Dialogue of the Dead. Vgl. John S. Egilsrud, Le ›Dialogue des Morts‹ dans les littératures française, allemande et anglaise (1644–1789), Paris 1934, 115–44; Manuel Baumbach, Lukian in Deutschland, 65–119. 25 Vgl. den Art. »Totengespräch« von: Hansjörg Schelle, in Klaus Kanzog/Achim Masser (Hgg.), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Berlin 1984; Herbert Jaumann, in JanDirk Müller (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Berlin/New York 2003; Guido Naschert, in: ders./Ralf Klausnitzer/Marina Münkler (Hgg.), Lexikon der literarischen Gattungen, Berlin/New York, im Druck. 26 Vgl. z. B. Herbert Jaumann, »Der deutsche Lukian. Kontinuitätsbruch und Dialogizität, am Beispiel von Wielands Neuen Göttergesprächen«, in Harro Zimmermann (Hg.), Der deutsche Roman der Spätaufklärung. Fiktion und Wirklichkeit, Heidelberg 1990, 61–90. 27 Vgl. Käthe Kaschmieder, David Faßmanns »Gespräche im Reiche der Toten« (1718–1740). Ein Beitrag zur deutschen Geistes- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Breslau, Diss., 1934; Ludwig Lindenberg, Leben und Schriften David Faßmanns (1683–1744) mit besonderer Berücksichtigung seiner Totengespräche, Berlin 1937; Nils Eckhardt, Arzt, Medizin und Tod im Spiegel der von David Faßmann (1683–1744) in den Jahren 1718 bis 1739 herausgegebenen Zeitschrift »Gespräche in dem Reiche derer Todten«‹, Düsseldorf, Diss., 1987; Ulrich Schmid, »Gespräche in dem Reiche derer 23 24

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1721, im selben Jahr, in dem auch die Lettres persanes von Montesquieu erschienen, veröffentlichte Fassmann erstmalig die Zeitschrift Der reisende Chinese, verfasst als die imaginäre Reportage eines Chinesen mit dem unwahrscheinlichen, französisierten griechischen Namen Herophile, der im Auftrag seines Kaisers eine Reise in den Norden Europas unternimmt.28 Den größten Erfolg seiner Karriere erlangte der Journalist allerdings mit einer Publikation anderer Art. In der Tat waren es die von ihm zwischen 1718 und 1739 in Leipzig im Journal Gespräche im Reich der Toten veröffentlichten Dialoge, die das Totengespräch in Deutschland bei einem breiten Publikum populär machten.29 Von dem Erfolg seiner Totengespräche zeugt die Tatsache, dass sie heute in fast jeder deutschen historischen Bibliothek zu finden sind. Dies ist allerdings weniger Fassmann selbst als vielmehr seinen Lesern zu verdanken, welche die über Jahre angesammelten einzelnen Ausgaben der Zeitschrift zu dicken Bänden zusammenbinden ließen. Verweisen wir zum Beispiel auf das ausladende Exemplar, das in der Forschungsbibliothek Gotha aufbewahrt wird und in einem einzigen Band die Dialoge 129 bis 144 versammelt, die Fassmann zwischen 1729 und 1730 (Abb. 2, Tafelteil S. 1*) publizierte. Derjenige, der diesen Sammelband hat binden lassen, ist hier bereits namentlich erwähnt worden: Es handelt sich um Johann Zacharias Gleichmann, seinerseits eifriger Verfasser von Totengesprächen. Fassmann verewigte auf seine Weise jene besondere Verbindung zwischen Journalismus und dialogischem Schreiben, die sich in Deutschland bereits weitgehend gefestigt hatte und deren berühmtester Vorläufer die Monatsgespräche von Christian Thomasius (1688–89) waren – eine Mischung aus literaturkritischen Bulletins nach dem französischen Modell des Journal des Sçavans und philosophischer, häufig antiaristotelischer und antischolastischer Satire in Form von bissigen Dialogen zwischen fiktiven Charakteren.30 Die Wahl der Gesprächspartner fiel fast durchgängig auf historische Persönlichkeiten, ganz so wie in den Nouveaux dialogues des morts. In den Gesprächen im Reich der Toten triff t man vor allem auf sehr berühmte Persönlichkeiten der Antike und der Frühen Neuzeit (Sokrates, Mark Aurel, Theodosius Todten (1718–1739)«, in Heinz-Dietrich Fischer (Hg.), Deutsche Zeitschriften des 17. bis 20. Jahrhunderts, München 1973, 49–59; Wilhelm Damberg, Die politische Aussage in den Totengesprächen David Fassmanns, Münster, Diss., 1952; Johannes Arndt, Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich 1648–1750, Göttingen 2013, 158–66; Stephanie Dreyfürst, Stimmen aus dem Jenseits. David Fassmanns historischpolitisches Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten (1718–1740), Berlin/Boston 2014. 28 David Fassmann, Der auf Ordre und Kosten seines Käysers reisende Chineser. Was er von dem Zustand und denen Begebnissen der Welt, insonderheit aber derer Europäischen Lande, dem Beherrscher des Chinesischen Reichs, vor Bericht erstattet, Leipzig 1721–33. Vgl. Ludwig Lindenberg, Leben und Schriften David Faßmanns, 40–43. 29 David Fassmann, Gespräche im Reiche der Toten, Leipzig 1718–1739. 30 Zu den Monatsgesprächen vgl. Kap. 3.

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der Große, Heinrich VIII. von England) sowie auf Persönlichkeiten der jüngeren Geschichte (Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha, Sultan Süleyman II., Prinz Eugen von Savoyen). Hier enden jedoch bereits die Gemeinsamkeiten zwischen Fontenelle und Fassmann. Weit davon entfernt, sklavisch den Schemata Lukians, Fontenelles oder Thomasius’ zu folgen, entwarf Fassmann sein eigenes Dialog-Modell, das sehr schnell Fuß fasste und zur Basis eines Großteils der in der ersten Jahrhunderthälfte publizierten Totengespräche wurde. Die ›journalistische‹ Prägung seines Werkes unterscheidet Fassmann am deutlichsten von seinen Vorgängern. Jeden Monat erschien eine neue, fiktive Unterhaltung, die er Entrevüe nannte. Der Hauptteil jedes Gesprächs bestand aus der Zusammenfassung der eigenen Lebensgeschichte seitens der Protagonisten, denen der Kontakt zur Welt der Lebenden nicht ganz unmöglich war: Die Figur des Secretarius garantierte die Kommunikation zwischen dem ›Reich der Lebenden‹ und dem ›Reich der Toten‹. Jede Entrevüe wurde von einem Kupferstich eingeleitet, dessen gereimte Begleitverse eine zusammenfassende Präsentation der beiden Hauptfiguren lieferten oder eine Anspielung auf den Inhalt des Gesprächs enthielten. Auf alle diese Elemente, vom Kupferstich über die biographischen Informationen bis zur Escamotage der Kommunikation zwischen Lebenden und Toten, werden wir noch zurückkommen. Sie sind entscheidend für die Frage nach dem Aufgabenbereich der Totengespräche, die im Zentrum dieser Arbeit stehen: Die Analyse dieser Komponenten wird uns dabei helfen, die Grenzen zwischen den hier im Mittelpunkt stehenden Texten, denen Fassmanns und einem Großteil der zeitgleich erschienenen Totengespräche zu ziehen. Fassmann erklärte, dass er, anders als Fontenelle, sein eigenes Journal nicht zur Verbreitung moralischer Werte nutzen, sondern sich in den Grenzen einer streng historisch-biographischen Sicht halten wolle. Es steht außer Zweifel, dass die Einnahme dieser Haltung dazu geführt hat, dass die Gespräche des deutschen Journalisten sich nicht im Entferntesten mit der Spritzigkeit und der Originalität der Charaktere der Fontenellschen Gespräche messen können. Fassmanns Stil besitzt weder die Eleganz noch den Humor oder die mondäne Ader Fontenelles. Seine programmatischen Erklärungen hindern Fassmann allerdings nicht daran, in seine Gespräche komplette Dialoge Fontenelles auf Deutsch einzubauen.31 Eine weitere typische Eigenschaft der Fassmannschen Gespräche ist das Abwägen verschiedenster stilistischer Register, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Während auf der einen Seite die politisch-militärischen Angelegenheiten, von denen erzählt wird, und die Wahl der Protagonisten besonders die Neugier eines bürgerlichen Lesers mittleren Bildungsniveaus ansprachen, wurde durch das Verweilen bei De-

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Vgl. John S. Egilsrud, Le ›Dialogue des Morts‹, 120.

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tails und heiklen Anekdoten auf der anderen Seite auch der Geschmack niedrigen Niveaus befriedigt.32 Der Erfolg der Gespräche im Reiche der Toten war durchschlagend und dauerhaft. Über zwanzig Jahre wurden stattliche 240 Entrevües in den Druck gegeben. Schon von einem einzelnen Totengespräch, dessen Protagonist Karl XII. von Schweden war, wurden 15.000 Exemplare verkauft.33 Es gibt Belege für eine Parallelproduktion von ›Raubdrucken‹ seiner Totengespräche und es war Fassmann selbst, der seine Leser darin ausbildete, die Fälschungen zu erkennen, indem er sie darauf hinwies, besonders auf die Kupferstiche auf dem Titelblatt zu achten, die im Falle der Fälschungen nicht annähernd mit denen der Originale vergleichbar wären.34 Wie so oft, rief auch in diesem Fall ein Erfolg solchen Ausmaßes unmittelbar Neider und Kritiker auf den Plan. So erschien 1721 in Halle eine Abgenötigte critique der sogenannten Gespräche in dem Reiche der Todten, in welcher das Streben nach Originalität der Fassmannschen Gespräche gerügt wurde: In den Gesprächen des Journalisten – bemerkte sarkastisch der anonyme Kritiker – sei alles curieux, remarquable, étrange.35 Zwei Jahre später erschien eine Parodie auf das Werk Fassmanns in Form einer Gegenüberstellung eines Ochsen und eines Schweins ›im Reich der Toten‹, in dem die angebliche Pedanterie des sächsischen Publizisten Anlass zur Satire war.36 1751, sieben Jahre nach seinem Tod, sollte Fassmann schließlich selbst der Protagonist eines Totengesprächs werden, in dem ihm die Ehre zuteil wurde, dass seine Seele mit niemand Geringerem als Thomas Hobbes ins Gespräch kam.37 Das deutsche Totengespräch stellt sich folglich als ein äußerst heterogenes Genre dar. Auch wenn Fassmann in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der unbestrittene Meister dieser Textform war, ist die Zahl jener, die diese Textform gelegentlich zum Eingriff in eine aktuelle Debatte oder einfach zum divertissement nutzten, sehr groß. Die Anzahl der im Laufe des 18. Jahrhunderts und besonders in der ersten Ebd., 121–22. Manuel Baumbach, Lukian in Deutschland, 67. 34 Vgl. dazu ausführlicher Kap. 3, § 4. 35 Abgenötigte critique der sogenannten Gespräche in dem Reiche derer Todten, darin 1.Unterredung einiger Todten, 2. Gründliche Vertheidigung der Geschichten des Reichs der Todten, auch einige Satyren aus Menantes Gedichten, beurtheilt, 3. Anwort auf die 30sten Entreviie, Halle 1721. 36 Der Titel des Dialogs sollte lauten: Gar feines Gespräch im Reiche der Toten zwischen den abgeschiedenen Geistern eines Ochsen und eines Schweines (vgl. Ulrich Schmid, Gespräche in dem Reiche derer Todten, 54). John Rutledge, Ralf G. Bogner u. der Verfasserin ist es nicht gelungen, ein Exemplar des Textes zu lokalisieren (vgl. John Rutledge, The Dialogue of the Dead, 31; Ralf G. Bogner, Der Autor im Nachruf. Formen und Funktionen der literarischen Memorialkultur von der Reformation bis zum Vormärz, Tübingen 2006). 37 Freundschafftliche Unterredung der Seelen David Faßmanns und Thomas Hobbes durch welche beyder Caracter moralisch zergliedert werden, Wiesenthal/Malmesburg 1751 (der Druckort ist fiktiv und mit Fassmanns u. Hobbes’ Geburtsorten identisch). 32 33

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Jahrhunderthälfte anonym oder unter Pseudonym veröffentlichten Totengespräche ist beeindruckend hoch und übertriff t sicherlich die Zahl derer, die unter dem Namen ihres wahren Autors erschienen sind. Eine erschöpfende Darstellung der Gattung des Totengesprächs im Deutschland des 18. Jahrhunderts muss – sofern denn möglich – noch geschrieben werden. In ihr sollten die verschiedenen Strömungen, die in dieser Gattung ihren Ausdruck finden, ihre Untergattungen, die Parodien und Einflüsse anderer Literaturformen, aber auch die verworrenen Autorenkonstellationen, die sich dieser Textform verschrieben hatten, genauer untersucht werden. Es ist durchaus möglich, aus den bestehenden Studien ein zusammengesetztes Bild der Argumente zu erstellen, die als Thema eines Totengesprächs dienen konnten. Allen bisherigen, vorwiegend literaturwissenschaftlichen Studien ist gemein, dass sie weder auf die Rolle des Totengesprächs in den philosophischen Debatten der Frühaufklärung noch in angemessenem Maße auf die ›konkreteren‹ Aspekte der Verbreitung, Produktion und Nutzung der Totengespräche eingehen. Was geschieht, wenn das Totengespräch in Studentenkreise vordringt und dort entschieden wird, es für intellektuelle Zwecke zu nutzen, mit dem Ziel, in die am heftigsten entbrannten philosophischen Debatten einzugreifen? In welcher Weise drückt sich dieser Eifer in der formalen Struktur, im Stil und in der Verbreitungsart der Gespräche aus, und wie entscheidend sind dabei finanzielle Aspekte und der Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Autoren? Diesen Fragen möchte ich im Folgenden nachgehen. Unsere Geschichte beginnt mit einer akademischen Prüfung, die am 6. Februar 1730 stattfand.

Kapitel II

Das »E X A MEN

R IGOROSUM «

1. Apolls Urteil Zwei Jahre nach seinem Tod 1731 wird Nikolaus Hieronymus Gundling, auch er Autor eines Totengesprächs zwischen Archimedes und Montaigne, in dem man unter anderem von der Wirbel-Theorie Descartes’ und der antiwolff schen Polemik spricht,1 zum Gesprächspartner in einer gleichgearteten Konversation. Dem Schüler von Thomasius erging es auf diese Weise so, wie es bereits auch anderen Autoren wie David Fassmann, Christoph Martin Wieland und Friedrich II. von Preußen geschah, die, nachdem sie noch zu Lebzeiten Totengespräche veröffentlicht hatten, wiederum ihrerseits zu Hauptpersonen von denselben wurden.2 Die am Anfang des Titels des eigenartigen Textes, in dem Gundling zusammen mit Johann Franz Budde die Hauptrolle spielt, aufgeführten Worte Examen rigorosum scheinen dem Leser zu suggerieren, dass er es mit dieser Form einer klassischen mündlichen Prüfung zu tun habe, der man sich unterziehen muss, um den Doktortitel zu erlangen. In Wirklichkeit findet man auf den ersten Seiten des Werks einen klaren Bezug zur Tradition der Dialogform, die in Fontenelle einen ihrer wichtigsten Repräsentanten gefunden hatte.3 Eine brillante variatio erlaubt es in der Tat dem Autor, das Examen nach dem Tod der beiden zu prüfenden Philosophen anzusiedeln, womit eine sehr originelle Verbindung zwischen dem sehr populären Genre des Totengesprächs sowie dem universitären Ambiente hergestellt wird. Dies ist offensichtlich das Feld, auf dem sich Gundling und Budde bewegen, die ihr Leben als Professoren beschlossen, der eine als Naturrechtler an der Universität Halle, der andere als Theologe in Jena und – wir werden darauf zurückkommen – es ist auch das Milieu des Autors des Dialogs.

Nikolaus H. Gundling, Gespräch zwischen Michel Montaigne und dem Archimedes, in Gundlingiana, darinnen allerhand zur Jurisprudentz, Philosophie, Historie, Critic, Litteratur und übrigen Gelehrsamkeit gehörige Sachen abgehandelt werden, Bd. II, Halle 1715. 2 Vgl. Freundschafftliche Unterredung der Seelen David Faßmanns und Thomas Hobbes; ***S**, Dramatisches Gespräch im Reiche der Todten, zwischen Schiller, Wieland, Iffland, Kotzebue und Göthe, Quedlinburg/Leipzig 1833; Friedrich der Zweite, Voltaire und Wolf; ein Totengespräch, in Neues deutsches Museum, III (1790), 749–57. 3 AletopHilus, Examen rigorosum, welches Apollo, zwischen […] Nicolao Hyeronimo Gundlingen, […] und Sr. Magnificentz, dem Hoch-Ehrwürdigsten Herrn Joh. Francisco Buddeo, […] nach deren Tode […] angestellet, 11–13. 1

Das »Examen rigorosum«

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Die Gegenüberstellung von Gundling und Budde in einem fi ktiven Dialog dürfte im 18. Jahrhundert einem Leser des Examen rigorosum nicht so sehr überraschend erschienen sein. Die beiden Philosophen, der eine direkter Schüler von Christian Thomasius, der andere von diesem erheblich beeinflusst, waren bis 1705 Kollegen an der Universität Halle gewesen, wo sie bei der Zeitschrift Observationes selectae zusammengearbeitet hatten.4 Obwohl Budde immer die Bezeichnung ›Pietist‹ abgelehnt hatte, war er trotzdem dem Denken von Philipp Jakob Spener und August Hermann Francke eng verbunden und stand außerdem in engem Kontakt mit dem Kreis der Hallenser Pietisten, von deren Ideologie er den pädagogischen Aspekt sowie die Forderung des praktischen Wertes eines moralischen Bewusstseins teilte. Obwohl Theologe, kann er doch vollkommen den Repräsentanten jener Frühaufklärung zugeordnet werden, welche die Methode der antimetaphysischen Eklektik in Alternative zu den dogmatischen und rationalistischen Philosophien eines Descartes, Wolff und Spinoza vertraten.5 Die beiden Denker haben dann allerdings später vollkommen unterschiedliche Wege eingeschlagen, und zwar bis zu dem Punkt, dass sie zwei verschiedene Ausprägungen der beginnenden deutschen Aufklärung vertraten: der eine mehr »konservativ«, der andere »skeptisch-liberal«, womit gleichzeitig klar wird, wie wenig homogen jenes Milieu um Christian Thomasius und seine Schüler war. Ihre unterschiedlichen Sichtweisen bezüglich entscheidender Fragen, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Zentrum der Diskussion in Deutschland standen, wie der Atheismus, die Verbindung zwischen Philosophie und Theologie sowie zwischen Zur Hallenser Zeitschrift vgl. Martin Mulsow, »Ein kontroverses Journal der Frühaufklärung. Die Observationes selectae, Halle 1700–1705«, in Aufklärung, XVII (2005), 79–99. 5 Zu Budde vgl. Arnold F. Stolzenburg, Die Theologie des Jo. Franc. Buddeus und des Chr. Matth. Pfaff. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Deutschland, Berlin 1926; Friederike Nüssel, Bund und Versöhnung. Zur Begrundung der Dogmatik bei Johann Franz Buddeus, Göttingen 1996; Serenella Masi, »Eclettismo e storia della filosofia in Johann Franz Budde«, in Memorie della Accademia delle Scienze di Torino, Classe di Scienze Morali, Storiche e Filologiche, I (1977), 163–212; Walter Sparn, Einleitung zu Johann F. Budde, Elementa philosophiae instrumentalis, seu institutionum philosophiae eclecticae, Bd. I, Halle 1723. Ndr. hg. von dems., Hildesheim/Zürich/New York 2006, V–LIX; Max Wundt, Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 1945. Ndr. Hildesheim/Zürich/New York 1992, 63–75 u. 242–43. Obwohl Gundling einer der bedeutendsten Schüler Christian Thomasius’ gewesen ist, besteht eine starke Diskrepanz zwischen der Relevanz des Philosophen innerhalb der Frühaufklärung und den ihm gewidmeten Studien. Siehe dennoch Notker Hammerstein, Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert, Göttingen 1972, 205–65; Daniela Fischer, Nicolaus Hieronymus Gundling, Der Blick eines frühen Aufklärers auf die Obrigkeit, die Gesellschaft und die Gebildeten seiner Zeit, Diss., Trier 2002; Herbert Jaumann, »Gundling, Nikolaus Hieronymus«, in: ders. (Hg.), Handbuch Gelehrtenkultur der frühen Neuzeit, Bd. I, Berlin/ New York 2004; Martin Mulsow, Moderne aus dem Untergrund, 309–37 u. 341–53; ders., »Nikolaus Hieronymus Gundling«, in Helmut Holzey u. Vilem Mudroch (Hgg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Bd. V/1, Basel 2014, 67–70. 4

Apolls Urteil

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der Kirche und dem säkularen Staat, mündeten nie in eine direkte Auseinandersetzung.6 Es ist dieser Konflikt, den der Autor des Examen rigorosum thematisieren will. Dieser unter vielen Gesichtspunkten sehr enigmatische Text wird in zeitgenössischen Quellen so gut wie nie erwähnt; es gibt dafür zahlreiche Gründe, wie wir später sehen werden. Alle in dieser Arbeit behandelten Dialoge wurden anonym veröffentlicht. Das Examen rigorosum bildet dabei eine (teilweise) Ausnahme von der Regel. Von seiner Lektüre erfährt man nämlich über den Autor, dass er – und dies ist das einzige, was der Text uns über ihn enthüllt – dessen Veröffentlichung aus eigener Tasche bezahlte und mit dem Pseudonym »AletopHilus, des Apollinis geheimbten StaatsSecretarius« unterschrieb.7 Spezifische Forschungen zur Pseudonymität als Form von intertextueller Kommunikation, insbesondere in clandestinen Milieus, fehlen leider. Aber eines ist nicht anzuzweifeln: Die Wahl eines Pseudonyms erfolgte im Deutschland des 18. Jahrhunderts äußerst selten aus ›neutralen‹ Gründen.8 Es diente einerseits dazu sich zu verstecken, aber auch, um etwas von sich selbst zu enthüllen, in einer Welt, in der man mittels Anspielungen und Zwischen-den-Zeilen-Lesen miteinander kommunizierte, was heutigen Lesern kryptisch und entfernt anmutet. Ein Pseudonym ist oft ein Indiz, welches es gestattet, einen ersten Schritt vorzunehmen, wenn nicht schon zur Identifizierung des Autors, dann doch, um zumindest den Zusammenhang seines Umfeldes zu bestimmen. Der Name »Aletophilus« wurde, auch in der latinisierten Variante »Veramandus«, sehr oft von den Mitgliedern der Alethophilen Gesellschaft benutzt, der bekannten Gesellschaft, die sich an den Ideen von Wolff orientierte und 1736 in Ber-

Ders., Moderne aus dem Untergrund, 311–12. Vgl. AletopHilus, Examen rigorosum, 2 u. 78. 8 Das Verhältnis zwischen Pseudonymität und Anonymität hat erst kürzlich eine Debatte hervorgerufen. Robert Griffin und John Mullan tendieren dazu, keine substanziellen Unterschiede zwischen Anonymität und Pseudonymität zu erkennen; Stephan Pabst betont dagegen, wie es die Präsenz eines Pseudonyms oder die Anführung der Initialen eines Autors erlaubt, ihn als »Person« zu erkennen. Vgl. Stephan Pabst, »Anonymität und Autorschaft. Ein Problemaufriss«, in: ders. (Hg.), Anonymität und Autorschaft. Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit, Berlin/ Boston 2011, 1–34; Robert J. Griffin, »Anonymity and Authorship«, in New Literary History XXX (1999), 877–95; ders., The Faces of Anonymity. Anonymous and Pseudoanonymous Publication from the Sixteenth to the Twentieth Century, New York 2003; Anonymity, special issue of New Literary History XXXII (2002); John Mullan, Anonymity. A Secret History of English Literature, London 2007. Zu den zwischen dem Ende des 17. und dem Anfang des 18. Jahrhunderts publizierten Anonymen- und Pseudonymenlexika vgl. Martin Mulsow, »Practices of Unmasking: Polyhistors, Correspondence, and the Birth of Dictionaries of Pseudonymity in Seventeenth-Century Germany«, in Journal of the History of Ideas, LXVII (2006), 219–50. Siehe auch Paul Raabe, »Pseudonyme und anonyme Schriften im 17. und 18. Jahrhundert«, in: ders. (Hg.), Die Zensur zum Trotz. Das gefesselte Wort und die Freiheit in Europa, Wolfenbüttel 1991, 53–66. 6 7

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lin gegründet worden war.9 Es handelte sich allerdings in der Zeit der Abfassung des Examen rigorosum um ein oft auch in anderen Zusammenhängen verwendetes Pseudonym. In unserem Fall besitzen wir ein interessantes Indiz: Das groß geschriebene »H«, welches man auch am Ende des Textes wiederfindet (in der Variante des Namens »AlitopHilus S.«, vgl. Abb. 3, Tafelteil S. 2*), weist mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen Anfangsbuchstaben des Namens des Autors des Dialogs hin, so wie es damals oft vorkam. Der anonyme Schreiber stellt sich vor, dass Apoll selbst Gundling und Budde auf dem Gipfel des Parnass einer Prüfung unterzieht, wobei er sich der Hilfe seines Sekretärs sowie des Gottes Merkur und der Musen bedient. Der Autor nimmt auf diese Weise Anregungen einer anderen literarischen Strömung auf, die im Deutschland des 17. und 18. Jahrhunderts sehr beliebt war und vor allem auf zwei Texte zurückgeführt werden kann, die aus dem libertinischen Kreis der Accademia degli Incogniti in Venedig stammten: La Secretaria di Apollo von Antonio Santacroce (1653 anonym erschienen) sowie De’ Ragguagli di Parnaso von Traiano Boccalini (1612–13). Im letzteren Werk, welches auf dem Gipfel des Parnass stattfindet, spielen sich Szenen ab, in denen als Hauptpersonen außer den Musen und Apoll, dem in allen Zweifelsfällen die endgültige Entscheidung obliegt, Boccalini selbst (der sich im Text unter der Figur des menante verbirgt) sowie zahlreiche weitere Persönlichkeiten auftreten. Hinter diesen satirischen Anspielungen kann man eine überzeugte Verherrlichung der Republik Venedig erkennen, in der Boccalini als Flüchtling lebte, nachdem er bei der römischen Kurie in Ungnade gefallen war und wo er auch 1613 plötzlich verstarb, vielleicht von denselben politischen Gegnern spanischer Herkunft vergiftet, die er in seinen Ragguagli so heftig persifliert hatte.10

9 Die Gesellschaft der Aletophilen wurde von dem kursächsischen (Geheim-) Diplomaten und Kabinettsminister Ernst Christoph von Manteuffel mit dem Ziel gegründet, die Verbreitung und den Erfolg der wolffschen Philosophie zu unterstützen. Vgl. Johannes Bronisch, Der Mäzen der Aufklärung, 124–170; Detlef Döring, »Beiträge zur Geschichte der Alethophilen in Leipzig«, in: ders./Kurt Nowak (Hgg.), Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–1820), Bd. I, Stuttgart 2000, 95–150. 10 [Antonio Santacroce], La secretaria di Apollo. Che segue gli Ragguagli di Parnaso del Boccalini, Amsterdam [i. e. Leiden] 1653; Traiano Boccalini, De’ Ragguagli di Parnaso, Venedig 1612–13. Zur deutschen Boccalini-Rezeption vgl. Paul Stötzner, »Der Satiriker Trajano Boccalini und sein Einfluss auf die deutsche Litteratur«, in Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen, LIII (1899), 107–47; Harald Hendrix, Traiano Boccalini fra erudizione e polemica. Ricerche sulla fortuna e bibliografia critica, Florenz 1995; Luigi Firpo, Traduzioni dei Ragguagli di Traiano Boccalini, Florenz 1965, 23–50; Roberto De Pol, »Der Teufel in Parnasso: Boccalinis Ragguagli in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts«, in Alberto Martino (Hg.), Beiträge zur Aufnahme der italienischen und spanischen Literatur in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert, Amsterdam/Atlanta 1990, 109–31. Zur Accademia degli Incogniti vgl. vor allem Giorgio Spinis Klassiker Ricerca dei libertini. La teoria dell’impostura delle religioni nel Seicento italiano, Florenz 1983.

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Der Erfolg Boccalinis stellt einen nicht unwichtigen Abschnitt im Laufe der Evolution der Gattung des Totengesprächs in Deutschland in der Frühen Neuzeit dar. Wenn das 17. Jahrhundert von der Wiederentdeckung von Lukian von Samosata und einer fast exklusiven Annahme des formalen Modells seiner Nεκρικοὶ διάλoγοι gekennzeichnet war, wird im Zeitalter der Aufklärung das Totengespräch in Deutschland immer mehr zu einer Streitschrift, womit es im weiteren im Fahrwasser des Erfolgs der Dialoge von Fontenelle und Fénelon in Frankreich sowie der Dialogues of the Dead des Engländers George Lyttleton (1760) zum privilegierten Mittel der politischen Polemik mutiert. Eine Zwischenphase dieses Prozesses stellt das 17. Jahrhundert dar, in dem das klassische Schema des Lukian von Samosata beginnt, vom Einfluss Boccalinis überformt zu werden.11 Den Ragguagli wurde in der Tat in Deutschland zahllos und meist anonym nachgeeifert, seitdem im Jahre 1614 ein Auszug aus ihnen in deutscher Übersetzung im Zusammenhang mit dem sogenannten ›Rosenkreuz-Manifest‹ Fama fraternitatis in Kassel veröffentlicht worden war.12 Um das Jahr 1700 herum schwächen sich die Spuren des Einflusses von Boccalini nicht ab, und die Erinnerung an die Ragguagli ist in den gelehrten deutschen Kreisen noch durchaus präsent. Nur drei Jahre vor dem Erscheinen des Examen rigorosum sollte Johann Zacharias Gleichmann unter dem Pseudonym »Johannes Sperantes« ein Totengespräch zwischen Boccalini und Ferrante Pallavicino veröffentlichen (von dem ich allerdings leider kein Exemplar finden konnte).13 Pallavicino hatte auch in gewisser Weise mit der Gattung des Totengesprächs zu tun gehabt, wenn auch indirekt: Seine Seele war in der Tat 1645 Protagonist eines fiktiven Dialogs gewesen, der auch in Deutschland durch eine 1722 erschienene Übersetzung im Umlauf gewesen war.14

Herbert Jaumann, Art. »Totengespräch«. [Johann V. Andreä], Allgemeine und generale Reformation der gantzen, weiten Welt. Beneben der Fama fraternitatis, deß löblichen Ordens des Rosenkreutzes […], Kassel 1614. 13 Der Dialog wird in folgenden Artikeln erwähnt: »Gleichmann, alias Helmond (Iohann Zacharias)«, in Christoph Weidlich (Hg.), Geschichte der jetztlebenden Rechts-Gelehrten in Teutschland, Bd. I, Marseburg 1748, 287; Johann G. Meusel, »Gleichmann, J. Z.«, in Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Bd. IV, Leipzig 1804, 219. 14 Die Seele des Ferrante Pallavicino in drey Nacht-Wachen oder vielmehr Nacht-Gespräche getheilet, in Die Himmliche Ehescheidung welche durch die garstige und liederliche Aufführung der Römischen Braut veranlasset worden. Der Einfalt der zweiffelhafften Christen gewidmet von Ferrante Pallavicino aus dem Italiänischen übersetzet, nebst der Ubersetzung dreyer Vigilien oder Nachtwachen der Seele des Ferrante Pallavicini und einer Vorrede von dem Leben, Fatalitäten und Schrifften dieses berühmten Mannes, Halle 1722, 124–320. Pallavicinos deutsche Rezeption wird von den zahlreichen Übersetzungen seiner Werke dokumentiert, die im Laufe des 18. Jh. angefertigt wurden. Eine Auswahl seiner Werke war bereits im 17. Jh. erschienen: Ferrante Pallavicino, Außerlesene Werke, Freywalde 1663. 11 12

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Eine Erwähnung des Examen rigorosum in zeitgenössischen Quellen finden wir in einer Biographie von Gundling, der 1736 von Carl Friedrich Hempel als Anhang zu seiner posthum veröffentlichten Ausgabe eines Werks des Philosophen aus Kirchensittenbach, der Vollständigen Geschichte der Gelahrtheit. Der Biograph erwähnt nur kurz »ausschweifende und unordentliche Gedancken« in einem Dialog in der Form eines Examen rigorosum. Die Kritik Hempels zeugt von einem gewissen Snobismus gegenüber dem literarischen Genre des Totengesprächs, der auch beim universitären Establishment recht weit verbreitet war, wohl weil diese Art von Veröffentlichungen eher in den halb-intellektuellen, studentischen und subakademischen Kreisen beheimatet war. Dies konnte aber auch bei den Flugschriften nicht anders sein, die, auf billigem Papier gedruckt, bestimmt nicht Gegenstand universitärer Seminare oder gelehrter Monographien werden sollten.15 Dieser Umstand genügt vollkommen, um die Abwesenheit des Examen rigorosum in den gelehrten Schriften der Zeit zu erklären. Hempel erwähnt im selben Zusammenhang auch die Existenz eines zweiten Teils des Dialogs, in welchem dieselben Philosophen die Hauptpersonen seien, allerdings habe er nie davon ein Exemplar in die Hand bekommen und bezweifle, dass es wirklich gedruckt worden sei.16 Er erschien allerdings tatsächlich 1731, im selben Jahr des Examen rigorosum, unter dem Titel Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Gundlingen, […] und Johanne Francisco Buddeo. Dieser Text wird von seinem Autor als Fortsetzung des Examen vorgestellt: Nachdem jüngsthin Apollo unter seinen gelehrten Musen auf dem Parnasso, oder Burg des Apollinis, ein Convent anstellete, und zu solchem ob – und rühmlichst – gedachte beyde grosse Lichter der Hällischen und Jenaischen Universität, dem Herrn Pro-Rector Gundlingen und Hrn. D. Buddeum, durch den Götter-Boten Mercurium, invitiren und einladen ließ, um ihnen beyderseitig nach Verdienst und Würden, mir eigener Hand den Lorber der unverwelcklichen Danckbarkeit, darzureichen, und dero preißwürdige Häupter gleichsam damit zu krönen; fügte sichs Sehr interessant dazu ist eine Stelle in einem Brief Manteuffels an Christian Wolff vom 22. September 1738, in dem der Graf eine ähnliche Meinung äußert: »[…]et que la quantité de mauvais Dialogues, dont nòtre Allemagne est inondée |: témoins tous ces Gespräche im Reich der Todten, et tant d’autres fadaises semblables :| en a rendu le nom si mèprisable, que la pluspart des gens, qui se piquent de quelque bon goût, se mittent a bailler, dès qu’on leur propose la Lecture d’un Dialogue«. Hanns-Peter Neumann, Detlef Döring (†), Jürgen Stolzenberg und Katharina Middel bereiten die Edition der Korrespondenz zwischen Manteuffel und Wolff (UBL, Ms. 0345, Bl. 27v–30v). Die Transkriptionen der Briefe sind als Open-Access-Edition verfügbar unter: http:// nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-106475. 16 Carl F. Hempel, Nicolai Hieronymi Gundlings […] Umständliches Leben und Schriften […], in Nikolaus H. Gundling, Vollständige Geschichte der Gelahrtheit, Bd. V, Frankfurt a. M./Leipzig 1734–36, 7006. Auf Hempels Erwähnung weist Mulsow hin: Moderne aus dem Untergrund, 310, Anm.1. 15

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gantz unvermuthend, daß sie bey solcher Gelegenheit einander rencontrirten oder begegneten, und sich solcher gestalt das erstemahl, in diesem Todten-Reiche, zu sehen und zu sprechen bekamen.17

Im Unterschied zum ersten ist dieser zweite Dialog wie ein ›klassisches‹ Totengespräch aufgebaut: Die Befragung durch Apoll, die Arien und die Beiträge von Merkur lassen einer direkten Auseinandersetzung zwischen den beiden Philosophen den Vortritt. Einige formale Elemente enthüllen, wie das Modell Boccalinis durch das Modell der Dialoge Fassmanns ersetzt wurde, erkennbar in dem abschließenden Wort adieu18 und am Titel Gespräch in dem Reiche derer Todten, der in Deutschland gerade durch den Erfolg der fiktiven Gespräche des Journalisten zur Regel geworden war. Dieser neue Dialog zeigt erneut, wenn auch mit einigen Varianten und in stark vereinfachter, sehr viel ungenauerer und weniger raffinierter Form, das Titelkupfer des Examen rigorosum (vgl. Abb. 4 u. 5, Tafelteil S. 3* u. 4*). Im Dialog werden außerdem wörtlich ganze Teile des Examen zitiert. Dies kann eine weitere Frage aufwerfen, die etwas kurios erscheinen mag: Wie erfolgt genau die Übertragung der Teile aus dem Examen rigorosum in diesen neuen Dialog, wo doch im Examen drei Persönlichkeiten auftreten (Budde, Gundling, Apoll) und im zweiten Dialog nur zwei (Gundling und Budde)? Schauen wir uns einmal die erste Diskussion im Totengespräch zwischen Budde und Gundling an. Die Einwürfe Apolls aus dem Examen werden hier zu Fragen von Budde an Gundling. Das Verschwinden von Apoll erlaubt es deshalb dem Autor, dessen Funktion (d. h. die des Fragestellers) im Examen direkt einem der beiden Gesprächspartner zuzuordnen. Das Examen war jedoch so aufgebaut, dass der Gott, nachdem er Gundling befragt hatte, sich mit seinen Fragen an Budde richtete. Wie löst der Autor dieses zweiten Textes das Problem? Nicht sehr brillant. Nehmen wir dafür als Beispiel die Seite 11 des Textes. Am Ende der Debatte über die Seele der Tiere, in der Budde die Fragen stellt und Gundling antwortet, findet man plötzlich zwei Bemerkungen, die hier Budde zugeordnet werden (Abb. 6, Tafelteil S. 5*).19 Was war geschehen? Die Antwort ist sehr einfach: Im Examen rigorosum befinden wir uns im Zusammenhang mit diesen Bemerkungen am Ende der Befragung Gundlings seitens des Gottes und am Anfang seiner Fragen an Budde (Abb. 7, Tafelteil S. 6*).20 Der Autor des zweiten Dialogs befindet sich jetzt, bei jenen Bemer-

17 Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Gundlingen, […] und Johanne Francisco Buddeo […], Frankfurt a. M. 1731, 6. Ich plane, eine Textanthologie vorzubereiten, welche ausführlichere Abschnitte der Totengespräche, die in dieser Studie behandelt werden, zugänglich machen wird. 18 Ebd., 48. 19 Ebd., 11. 20 Vgl. AletopHilus, Examen rigorosum, 30.

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kungen, die im Examen die von Apoll an Budde waren, in Schwierigkeiten beim Rollenwechsel und ordnet deshalb die Frage, die im Examen die erste von Apoll an Budde gewesen war, dem Letzteren zu, der auf diese Weise in diesem Abschnitt derjenige ist, der sowohl die Fragen stellt als auch sie beantwortet. Als der Autor sich dann auf recht plumpe Weise dieses Problems entledigt hat, fährt er fort und lässt Gundling die Fragen stellen, die im Examen jene des Apolls an Budde gewesen waren.21 Fassen wir nun kurz zusammen, welche Beziehung zwischen den beiden Texten besteht: Sie sind nahezu identisch, auch wenn ihr Aufbau leichte Unterschiede aufweist. Die kleine formale Ungenauigkeit, auf welche ich eben hingewiesen habe, bestätigt, dass der zweite Dialog chronologisch auf das Examen rigorosum folgt. Die Stiche zu den beiden Texten sind identisch, mit Ausnahme eines großen qualitativen Unterschieds bezüglich der Bilder am Anfang des Examen. Bedeutet dies, dass beide Texte aus derselben Feder stammen? Nicht unbedingt: In der deutschen Flugschriften-Produktion des 18. Jahrhunderts wurden dieselben Stiche immer wieder recht wahllos von verschiedenen Autoren und Druckern verwendet. Um etwas mehr zu verstehen, ist es also notwendig, einen genaueren Blick auf die Kupferstiche zu werfen, die am Anfang der beiden Texte abgebildet sind.

2. Das Business der ›Piratenausgaben‹: das Totengespräch als Raubdruck In der Frühen Neuzeit existierte in Deutschland, so wie auch in Frankreich oder in Holland, nichts, was unserem heutigen Autorenrecht entsprechen würde. Ein gewisses Äquivalent stellten lediglich die Privilegien dar, die von Regierungen – Adligen oder örtlichen Machthabern – vergeben wurden, und es existierten Regeln, mit denen man das Phänomen der Piraterie eingrenzen und die Autoren schützen wollte. Diese Gesetze galten jedoch nur regional und waren zudem ziemlich ungenau. Dies bedeutete, dass Plagiaten, Umarbeitungen sowie Textdiebstahl Tür und Tor geöff net waren. Wie aber ging ein ›Pirat‹ des 18. Jahrhunderts vor? Vor allem konzentrierte er sich, im Gegensatz zu jenen, welche die Erstausgabe druckten, ausschließlich auf den finanziellen Aspekt des Unternehmens. Er führte eine regelrechte ›Marktforschung‹ durch, um die möglichen Verkaufszahlen eines Werkes herauszufinden, das Käuferinteresse zu bewerten und derart die Anzahl der zu druckenden Kopien abschätzen zu können. Von diesen Ausgaben wurde aller Flitter entfernt, all das, was daran hinderte, den Text zu einem sehr geringen Preis verkaufen zu können: Das Format wurde verkleinert, billigeres Papier verwendet, der Text Vgl. Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Gundlingen, […] und Johanne Francisco Buddeo […], 12. 21

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verkürzt oder zusammengefasst, um so die Seitenzahl zu verringern.22 Oder man eliminierte oder druckte in sehr vereinfachter Form die Stiche, wie im Falle unseres zweiten Dialogs zwischen Budde und Gundling. Ein Totengespräch war ohne Zweifel ein kommerziell sehr interessanter Text. Gerade die geringere Qualität des Stichs lässt vermuten, dass der zweite Text von einer anderen Person oder einem anderem Herausgeber gedruckt worden ist, der hier ein mögliches Geschäft gewittert hatte, und so veröffentlichte er ein Totengespräch kurz nach dem Tod der beiden berühmten Persönlichkeiten mittels eines Raubdrucks. Die Dinge verlaufen allerdings nicht immer gradlinig. Die Grenze, die zwischen einem Raubdruck und einer ›regulären‹ Ausgabe existiert, ist oft kaum wahrnehmbar. So wurde ein Text oft nicht genau so abgedruckt, wie der Autor ihn abgegeben hatte; die Drucker fühlten sich frei, am Originaltext Veränderungen jeder Art vorzunehmen. Es sind sogar Fälle bekannt, bei denen ein Raubdruck auf Veranlassung des Autors selbst gedruckt wurde. Dieser überraschende Fall betraf Voltaire, aus dessen privatem Briefwechsel eine direkte Einflussnahme auf die Produktion der contrefaçons seiner Questions sur l’Encyclopedie hervorgeht. Man versteht die nicht unbedeutenden Vorteile, die daraus erwachsen können, sehr gut: Einerseits kann die Zahl der gedruckten Exemplare durch einen Raubdruck erhöht werden, und gleichzeitig kann der Autor seinen eigenen Text nach Wunsch verändern.23 Die Frage nach der Autorenschaft unserer Dialoge ist also nicht sehr leicht zu lösen. Schon auf den ersten Seiten des Examen rigorosum erscheinen jedoch einige wichtige Indizien in Bezug auf den Zusammenhang der Entstehung des Textes. Der eigentlichen Prüfung geht das Singen von Arien zu Ehren von Gundling voraus, welche die Universität »Fridericiana« in Halle heraufbeschwören; das Ganze unter musikalischer Begleitung, auf welche das Orchester hinweist, welches im Hintergrund des herrlichen Stichs auf dem Umschlag abgebildet ist. Er stellt Apoll dar, der in seinem »geheimtes Cabinet« auf einem Thron sitzt; dieser wiederum steht auf einem Podium, welches die verschiedenen Grade der Gelehrsamkeit darstellt: die eruditio memorialis, die eruditio ingeniosa, die eruditio iudiciosa, die eruditio practica und schließlich ganz oben die sapientia coelestis. Der Gott, in würdevoller Pose, in der Hand die traditionelle Leier haltend, ist ganz offensichtlich damit beschäftigt, Gundling und Budde, die sich auf der rechten bzw. linken Seite des Raums befinden, zu prüfen (Abb. 5). In den Versen, die der Autor den Gott deklamieren lässt, kann man ein wörtliches Zitat aus der Trauerrede erkennen, die am 29. Januar 1730 in der Schulkirche von Halle anlässlich des Todes von Gundling von einem gewissen Levin Adolph Vgl. Robert Darnton, Die Wissenschaft des Raubdrucks. Ein zentrales Element im Verlagswesen des 18. Jahrhunderts, München 2002. 23 Ebd., 32–45. 22

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von Haken gehalten worden war.24 Über ihn ließ sich nur sehr wenig in Erfahrung bringen. Geboren 1708 in Diedersen, zog Levin Adolph 1728 zusammen mit seinem Bruder Christoph nach Halle, wo er sich in Jura einschrieb, welches auch das letzte Jahr war, in dem Gundling an derselben Universität Naturrecht unterrichtete. Die Verbindungen seiner aus Niedersachsen stammenden adligen Familie müssen ihm von Anfang an zu einer privilegierten Stellung verholfen haben, auch weil die beiden Brüder während ihres Aufenthalts in Halle beim Geheimrat Justus Henning Böhmer gewohnt haben.25 Es überrascht also nicht, dass sein Name unter denen jener Personen auftaucht, die zwei Jahre später zur Totenfeier für Gundling zusammenkamen. Angesichts dieser Umstände ist die Datierung, mit der im Examen Rigorosum die Befragung durch den Gott abschließt, vollkommen glaubhaft: »Parnassus-Berg, den 6 Februar 1730«; die Prüfung ist als eine Art fi ktiver Verlängerung der eine Woche vorher stattgefundenen Zeremonie angelegt.26 Wenn man die genauen Bezugnahmen zu anderen Persönlichkeiten, die zusammen mit von Haken bei der Zeremonie in Halle aktiv auftraten, berücksichtigt, kann deshalb fast zweifellos behauptet werden, dass das Examen rigorosum in enge Verbindung zu jenem Personenkreis – Schüler, Bekannte und Universitätskollegen – gebracht werden kann, der an der Gedenkfeier für den Juristen im Winter 1730 teilgenommen hat.27 Könnte man so weit gehen, zu behaupten, dass sich Levin Adolph von Haken unter dem großgeschriebenen »H« des Pseudonyms »AletopHilus« versteckt, mit dem der Dialog veröffentlicht wurde? Es ist mir leider nicht gelungen, weitere Schriften bzw. Briefe von von Haken aufzufinden, die es erlaubt hätten, den Stil zu vergleichen oder die über ihn vorhandenen biographischen Informationen zu erweitern. Zahlreiche Elemente sprechen aber meiner Meinung nach zu Gunsten seiner Verfasserschaft des Examen Rigorosum: die eben erwähnte Übereinstimmung der großgeschriebenen Buchstaben des Namens »AletopHilus« (AH), das umfassende Zitat aus seiner Leichenpredigt zu Ehren von Gundling – die einzige unter den vielen, die nach dem Tod des Philosophen verfasst worden waren, die ausführlich zitiert wird –, das sehr enge Verhältnis

AletopHilus, Examen rigorosum, 7–10; Levin A. von Haken, Der Unsterbliche Ruhm eines Hochgelahrten Mannes an dem Beyspiel des Weyland Pro-Rectoris Magnifici und Wohlgebohrnen Herrn Herrn Nicolai Hieronymi Gundlings […] nach der den 29. Januarii Anno 1730. in der Schul-Kirchen daselbst Ihm zu Ehren gehaltenen Solennen-Gedächtniß-Predigt in der Standt- und Trauer-Rede, Halle s.a., 8–10, unpag. 25 Vgl. Friedrich A. von Hake, Geschichte der Freiherrlichen Familie von Hake in Niedersachsen (Hannover-Braunschweig), Hameln 1887, 246–47. 26 AletopHilus, Examen rigorosum, 68. 27 Das ist z. B. der Fall beim expliziten Verweis auf Johann J. Rambachs Gedächtniß-Rede von dem Geheimniß der evangelischen Weisheit […], Halle s.a. 24

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zwischen ihm und Gundling und zuletzt sein junges Alter. Levin Adolph war 1730 tatsächlich 22 Jahre alt und ist ohne weiteres in der Rolle des anonymen Verfassers eines Totengesprächs glaubwürdig. Der Dialog ist voller Bezugnahmen und Anspielungen an das akademische und studentische Leben, wofür hier ein Beispiel genügen soll: Auf den ersten Seiten des Textes wird die Vorstellung präsentiert, dass sich im Zusammenhang mit dem Treffen zwischen Apoll und den beiden Kandidaten des Examen eine kleine Gruppe von Studenten aus Halle und Jena getroffen haben soll, die mit Spannung darauf wartete, den Ausgang einer Prüfung zu erfahren, bei der zum ersten Mal nicht sie, sondern ihre Professoren die Kandidaten waren.28 Der Dialog war ganz offensichtlich mit Absichten entworfen worden, die sich nicht wesentlich von denen unterschieden, die Verwandte und Freunde von Gundling sowie zahlreiche Persönlichkeiten aus dem Kulturleben der Stadt Halle dazu gebracht hatten, die Trauerreden zu seinen Ehren abzufassen (außer der ökonomischen Komponente, die in Verbindung mit der Hoffnung auf hohe Verkaufszahlen des Examen rigorosum stand). Das Examen hat also mit großer Wahrscheinlichkeit eine Verbreitung gefunden, die vor allem auf die Universitäten und die intellektuellen Kreise der beiden Philosophen und Hauptpersonen des fi ktiven Gesprächs, d. h. Halle und Jena, begrenzt war, was sicherlich auch Leipzig einschloss, eine der wichtigsten Verlagsstädte der damaligen Zeit. Die Grenzen zwischen Totengespräch und Trauerrede – wie auch die zwischen Totengespräch und Biographie  – waren am Anfang des 18. Jahrhundert äußerst fließend.29 Die sehr originelle Verbindung zwischen Trauerrede, akademischer Prüfung und Totengespräch nach dem Beispiel von Boccalini, die wir im Examen erkennen können, lässt das Werk vor allem aufgrund seiner literarischen Mischform außerordentlich interessant erscheinen. Diese passt gut zu der typischen Tendenz der Totengespräche des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum – Beispiele dafür waren die monatlich veröffentlichten Gespräche von Fassmann –, sich mit anderen literarischen Genres zu Mischformen zu verbinden, wobei sich auch noch andere Modelle neben das lukianische Muster stellten. Wenn wir uns den Inhalt betrachten, besteht das Examen rigorosum allerdings aus einer reinen Zusammenstellung von dem Leben und den Werken der beiden Hauptpersonen entnommenen Daten und Zitaten, und dies macht es zum am wenigsten spekulativen Dialog unter all denen, die in diese Forschungsarbeit aufgenommen wurden; sogar Fußnoten verweisen auf Verbindungen zwischen dem Text und den Werken der beiden geprüften Philosophen. Das Hauptdiskussionsthema des Dialogs ist der Atheismus bei den antiken und modernen Philosophen, eine im damaligen Deutschland oft besprochene Frage, die sich quer durch jene Über28 29

AletopHilus, Examen rigorosum, 14. Vgl. Kap. 3.

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gangsphase zieht, die dann von der historia atheismi zur Geburt der Geschichte der Philosophie als eigenständige Disziplin führen und die eine ihrer ersten Ausdrücke gerade im Werk eines Schülers von Budde, der Historia critica philosophiae (1742– 44) von Jakob Brucker, finden sollte. Im Dialog finden wir Anklänge an Fragen, über die sich Budde und Gundling während ihres Lebens mehrfach uneins waren, wie die des Atheismus von Aristoteles, von Hobbes und vor allem den von Platon, den Gundling als Atheisten bezeichnete und ihn damit Spinoza gleichstellte aufgrund der Theoretisierung einer »materia Deo coeterna«.30 Die knappe Definition, mit der Gundling die Atheisten bezeichnet, ist gleich derjenigen, die wir auf den Seiten der Gundlingiana lesen können: »Nun nenne ich diejenigen Atheisten, welche die Erschaff ung der Welt Gott nicht zueignen, oder die Welt und Gott mit einander vermengen. […] Wer die Erschaff ung der Welt aus nichts nicht statuiret« – ist also der Schluss, den Gundling aus diesen Voraussetzungen zieht –, »der muß […] unter die Atheisten-Rolle gesetzet werden«.31 Eine derartige Auffassung gibt der Entscheidung recht, mit der Gundling dem platonischen Gedankengut atheistischen Charakter zuschreibt als einer Art von Protospinozismus, und in diesem Zusammenhang entbrannte eine heftige Auseinandersetzung mit dem Schweizer Theologen Johann Jakob Zimmermann. Die direkte Verbindung bei Platon zwischen Materie und Weltseele ist für Gundling eine reine Variante der von den Stoikern geforderten Äquivalenz (zu jener Zeit wurden sie oft als Spinozisten ante litteram angesehen) zwischen Gott und Materie; die Emanation selbst wurde vom Philosophen als Verstärkung dieser Identifikation angesehen.32 Es ist offensichtlich Apoll, dem die Ehre zuteil wird, die heidnischen Philosophen gegen die Anklagen der beiden Denker zu verteidigen; dem Gott wird die Apologie eines Schöpfungsmodells emanationistischer Art sowie die Ablehnung der mortalistischen Interpretation von Aristoteles übertragen, die Gundling im Leben so wie auch im Dialog vertrat.33 Außerdem sind die Begründungen, mit denen Apoll sein Plädoyer für die Sache der griechischen Philosophen vorträgt, eigentlich recht eigenartig und von zweifelhaftem argumentativen Wert: Das Bild eines Aristoteles, der die Sterblichkeit der Seele vertritt, wäre für den Gott ein unhaltbarer Widerspruch zu den logischen Folgerungen der Theorie der Ewigkeit der Welt; diese Interpretation ist vor allem einer Lektüre des griechischen Philosophen nicht in fonte seitens Gundling zuzuschreiben.34 AletopHilus, Examen rigorosum, 28. Ebd., 32–33. 32 Martin Mulsow, Moderne aus dem Untergrund, 301–4. 33 AletopHilus, Examen rigorosum, 27–38. 34 Ebd., 27–28. Zu Gundlings und Buddes verschiedenen Stellungnahmen bezüglich des Atheismus antiker und moderner Philosophen vgl. insbes. Nikolaus H. Gundling, Gundlingiana; ders., 30 31

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Bemerkenswert ist zweifellos das fast ausschließliche Interesse an der Thematik der Heterodoxie seitens des Autors, der Fragen des Rechts oder der Ethik höchstens sehr marginal behandelt, die allerdings im Leben der beiden Denker eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben. Auch wenn das Gespräch vom Hauptthema des Atheismus bei Aristoteles oder Hobbes abschweift, sowohl wenn es sich um das Verhältnis von Seele und Körper handelt als auch wenn man über die Möglichkeit debattiert, die Unsterblichkeit der menschlichen Seele »ex ipsa natura« im Lichte der vom Wolff-Anhänger Ludwig Philipp Thümmig in seiner Demonstratio immortalitatis animae ex intima natura deducta aufgestellten Thesen zu beweisen, läuft es immer wieder auf die heterodoxe Einbeziehung derartiger Texte hinaus.35 Die Debatte über die Philosophie bei den Juden mündet in eine Diskussion über den protodeistischen Traktat Origo et fundamenta religionis christianae (hier zitiert als Fundamenta religionis christianae), eine Handschrift, die Martin Seidel zugeschrieben wird, einer Person, über die man nur sehr wenig Informationen besitzt, von denen einige sich ausgerechnet auf den Seiten der Gundlingiana von Gundling selbst befinden, dessen Großvater Georg Vogel in engem Kontakt mit Kryptosozinianern sowie anderen Dissidenten stand.36 Auch wenn dieser Teil des Examen rigorosum keine Neuigkeiten bezüglich der Urheberschaft der Handschrift sowie der Umstände seiner Verbreitung enthält, ist es doch eine der ganz wenigen Quellen im 18. Jahrhundert, in der auf die Urheberschaft des Textes hingewiesen wird. Der anonyme Schreiber hat also die besten Möglichkeiten besessen, aus einer Vielzahl an bibliografischen Quellen zu schöpfen, in denen von den zahlreichen Kontroversen gesprochen wurde, in denen die beiden Philosophen entgegengesetzte Positionen vertreten haben. Doch versucht er andererseits, die Konfrontation zwiObservatio X. Aristoteles atheus et apertus religionis hostis, in Observationum selectarum ad rem litterariam spectantium tomus VII, Halle 1704, 209–56. Johann F. Budde, Exercitatio historico-philosophica de spinozismo ante Spinozam, in: ders., Analecta historiae philosophicae, Halle 1724². Ndr. hg. von Walter Sparn, Hildesheim/Zürich/New York 2006; ders., Theses theologicae de atheismo et superstitione […], Jena 1717. Zur deutschen Atheismus-Debatte in der Frühen Neuzeit vgl. Hans-Martin Barth, Atheismus und Orthodoxie. Analysen und Modelle christlicher Apologetik im 17. Jahrhundert, Göttingen 1971; Winfried Schröder, Ursprünge des Atheismus; Mario Longo, »La storia della filosofia tra eclettismo e pietismo«, in Giovanni Santinello (Hg.), Storia delle storie generali della filosofia, Bd. II, Dall’età cartesiana a Brucker, Brescia 1979, 329–635 (eng. Übers. Models of the History of Philosophy, Bd. II, Dordrecht 2011). 35 AletopHilus, Examen rigorosum, 30–31. In der Demonstratio immortalitatis animae ex intima natura deducta (Halle 1723), verteidigte Thümmig die Wolffsche Psychologie, mittels der Theoretisierung eines strengen Leib-Seele-Dualismus. Zu ihm vgl. Kap. 5. 36 AletopHilus, Examen rigorosum, 56–57. Vgl. auch Winfried Schröder, Ursprünge des Atheismus, 401, Anm. 19. Zur Natur von Seidels Deismus vgl. ders., »Religionsphilosophie im 16. Jahrhundert? Überlegungen im Ausgang von Martin Seidels Protodeismus«, in Martin Mulsow (Hg.), Spätrenaissance-Philosophie in Deutschland 1570–1659. Entwürfe zwischen Humanismus und Konfessionalisierung, okkulten Traditionen und Schulmetaphysik, Tübingen 2009, 161–172.

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schen Gundling und Budde von einem ›neutralen‹ Gesichtspunkt aus zu zeigen. Wenn Aletophilus sich also vorstellt, dass im Dialog Apoll die Kontrahenten wiederholt dazu einlädt, ihre gegensätzlichen Sichtweisen zum Atheismus von Aristoteles und Hobbes direkt zu diskutieren, so scheinen auf der anderen Seite die beiden Philosophen nicht auf ihn zu hören und vielmehr Anekdoten aus ihrem eigenen Erdenleben zum Besten geben zu wollen.37 Das Vorherrschen von biographischen Elementen ist auf jeden Fall das Ergebnis einer bewussten Wahl des anonymen Schreibers, welches auch am Anfang des Examen rigorosum offen erklärt wird in Auseinandersetzung mit anderen Autoren von Totengesprächen. Im Laufe der beiden Jahre, die vor der Veröffentlichung unseres Textes lagen, wurden zwei Dialoge veröffentlicht, deren Autoren (oder Autor) immer in anonymer Form eine fiktive Auseinandersetzung zwischen Budde und Leibniz sowie zwischen Christian Thomasius und der repräsentativsten Figur des Hallenser Pietismus, August Hermann Francke, in Szene gesetzt haben.

3. Studentische Rivalitäten Das Examen rigorosum wird von einer recht enigmatischen und scheinbar nebensächlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem Rest des Dialogs eröffnet. Auf den ersten Seiten erscheint ein außerordentlich irritierter Johann Franz Budde aufgrund der Aussicht, vor Apoll eine Prüfung ablegen zu müssen. Der anonyme Schreiber stellt sich vor, dass das Unbehagen des Philosophen vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen ist: die Gewohnheit, dass Verstorbene, in ihrer Form als non entia, die Wahrheit sagen müssen, sowie die Respektlosigkeit »einiger Gelehrter«, die es sich unmittelbar nach seinem Tod erlaubten, ihn »aufs Theatre« zu führen und in einem fiktiven Dialog eine gänzlich andere Person spielen zu lassen als die, die er zu Lebzeiten gewesen war. Apoll beruhigt den Philosophen jedoch sofort: Das, was man von einem Kandidaten in einem examen rigorosum erwartete, sei nichts anderes, als auf Fragen zu seinem Leben zu antworten. Die Befragungen auf dem Berg Parnass dürfen nicht verwechselt werden mit Dialogen anderer Art, deren Autoren sich die Freiheit nehmen, nach Belieben die Charaktere der Hauptpersonen zu verändern, wobei sie das pädagogische Ziel, welches derartige Texte verfolgen sollten, aus den Augen verlieren.38 Aletophilus, der Sekretär des Gottes, erhält also den Befehl, den gesamten Inhalt des Gesprächs zwischen Apoll, Gundling und Budde niederzuschreiben und sich darum zu kümmern, dass der Text zu Ehren der beiden gebildeten Herren 37 38

AletopHilus, Examen rigorosum, 36–39. Ebd., 10–13.

Studentische Rivalitäten

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in der Welt der Lebenden gedruckt werde, und zwar derart, dass »nicht etwa ein Einfalts-Pinsel Ihr Leben, wie es nur jüngst hin ein Paar vornehmen, gelehrten, Männern ergangen, in einem todten Gespräche, nach Gurcken-Mahler Art, abbilden möchte«.39 Dies scheint eine ausdrückliche Bestätigung dafür zu sein, dass der Autor des 1731 veröffentlichten Totengesprächs zwischen Budde und Gundling, jenes, welches den ›vereinfachten‹ Stich, von dem wir zuvor gesprochen haben, enthält, eine andere Person sein muss. Es scheint mir wenig wahrscheinlich zu sein, auch wenn ich es nicht vollkommen ausschließen kann, dass der Autor des Examen rigorosum, nachdem er von dem Vorhaben von einigen erfahren hat, ein richtiggehendes Totengespräch zwischen Gundling und Budde zu drucken – was aller Wahrscheinlichkeit nach schon allein wegen des Titels für das Publikum von größerem Interesse als sein Text gewesen wäre – dies verhindern und selbst unternehmen wollte. Dasselbe könnte man bezüglich der Hypothese sagen, dass diese Polemiken in Wirklichkeit vollkommen aus der Luft gegriffen sind und ihr wahres Ziel, wie man mit einer modernen Wortwahl sagen könnte, eine reine Eigenwerbung gewesen sei. Der Hinweis auf einen angeblich pädagogischen Zweck der Totengespräche ist natürlich vollkommen vorgeschoben. Die erbauliche Komponente war in einem gewissen Sinn im Genre des französischen Totengesprächs der Frühen Neuzeit enthalten, ich denke da vor allem an Fontenelle, an Fénelon und an die Übersetzung von Fontenelles Dialogues, die Gottsched 1727 veröffentlicht hat. Dieser Aspekt war jedoch in den Dialogen Fassmanns sowie in jenen, die wir auf diesen Seiten behandeln, vollkommen verloren gegangen. Von diesem Gesichtspunkt aus spiegelt unsere Gruppe von Texten die allgemeine Situation des Genres des Totengesprächs im Deutschland des 18. Jahrhunderts perfekt wider: Sie wurden hauptsächlich als Mittel für intellektuelle Polemiken verwendet und als Gelegenheits- und Flugschriften konzipiert. Die scharfe Kritik der Figur Buddes an jenen, die sich die Freiheit genommen hatten, seine Persönlichkeit – und damit praktisch die historische Wahrheit – zu verändern, ist ein polemischer Bezug des Autors auf ein Totengespräch zwischen Leibniz und Budde. In diesem Dialog – auf den ich in Kapitel 4 ausfürlich zu sprechen kommen werde – weichen die zwei Protagonisten (insbesondere Leibniz) tatsächlich recht weit von den Originalpersonen ab. Diese Anspielungen, wie auch der gesamte Wortwechsel zwischen Budde und Apoll, die wir oben in groben Zügen zusammengefasst haben und die recht enigmatisch erscheinen, sollen am Ende des Examen rigorosum noch deutlicher werden. Als nach dem Abschluss der Prüfung Gundling und Budde dabei sind, sich vom Gott zu verabschieden, wird die Vorstellung erweckt, dass durch die Ankunft des Boten Merkur, der aus der realen Welt 39

Ebd., 6.

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kommt, die Diskussion der versammelten Gesellschaft auf die beiden fiktiven Dialoge zwischen Thomasius und Francke sowie zwischen Leibniz und Budde selbst gerichtet wird, die sich im Reich der Toten abgespielt haben, aber von noch lebenden Personen geschrieben wurden.40 Nachdem Budde über das Geschehen informiert worden ist, negiert er, dass ein derartiges Gespräch je wirklich stattgefunden hat: Die Schlussfolgerung von Apoll ist also, dass ein Lebender ohne jegliches Recht versucht habe, Totengespräche abzufassen. Es folgt daher seitens des Gottes – besorgt darum, dass unrechtmäßige Plagiate seinen guten Ruf ruinieren würden – die Verabschiedung eines Dekrets, welches besagt, dass es keinem Philosophen, der dabei sei, ins Reich der Toten einzutreten, unter Androhung der Höchststrafe erlaubt sei, ein Gespräch mit einem anderen Gelehrten zu führen, bevor er sich nicht einem Examen rigorosum unterzogen habe sowie ohne ausdrückliche Erlaubnis von seiner ›Hoheit‹ Apoll. Es lohnt sich, diesen Abschnitt in ganzer Länge wiederzugeben: Bey dieser Anrede erhoben sich die Herren so bald von ihrem Sitze, und wolten hierauf, mit disfals gewöhnlichen Reverentz, ihren Abtritt nehmen. Es hatte aber Mercurius indessen dem Apollini was neues, aus dem Reiche derer Lebendigen, überbracht, und darbey vermeldet, daß es ein Gespräch, zwischen dem Herrn von Leibnitz und dem Herrn Professore, Buddeo, sey, so sie in dem Reiche derer Todten solten gehalten haben. Wannhero sich Apollo, beym Herrn Buddeo, erkundigte, ob und wenn er denn schon, mit dem Herrn von Leibnitz, in dem Reiche derer Todten, gesprochen habe? Weil aber diesem hiervon nichts wissend war, entschuldigte er sich aufs möglichste, und bathe sich allerunterhänigst aus, ihme gedachtes Gespräch, nur auf einen Augenblick, zu communiciren, als welches ihm auch willfähret wurde. Er hatte es aber nur ein wenig durchblättert, so observirte er gleich, daß man ihme, durch die Reden-Arten und Raisonnements, so ihm, in den Mund, geleget worden, einen, seiner sonst bekannten Qualitäten nach, unanständigen Character gegeben. Mannerhero er den Apollinem theuer versicherte, er müste solches Gespräche, von einem seiner Wiedriggesinnten, oder wenigstens von einem ungeschickten Menschen, in dem Reiche derer Lebendigen, seyn fingiret, und verfertiget worden; weswegen er auch Sr. Majestät inständigst wolte ersuchet haben, seine, bey der gelehrten Welt, erlangte Renomme allergnädigst zu mainteniren, und disfals behörige Verfügung zu thun. Indem man dem Apollini noch erinnerlich war, daß dem Herrn Geheimten Rath, Thomasio, und dem Herrn Professori, Francken, ohnlängst ebenfals ein dergleichen Gespräch angedichtet worden, bezeigten sich ihro Majestät deswegen sehr ungnädig, und schickten hierauf sogleich, durch den Mercurium, gewöhnliche Intercessionales in das Reich derer Lebendigen, um allda, wegen derer Es geht um diese Dialoge: Besonders curieuses Gespräch im Reich der Todten, zwischen […] Christian Thomasio, […] und August Hermann Francken und Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo. 40

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Autorum gedachter Gespräche, gebührende Untersuchung vorzunehmen, und solchen Unfug möglichst zu steuern. Damit auch die Lebendigen, umso viel weniger, Gelegenheit, zu dergleichen Beginnen, finden möchten, ließ Sr. Majestät, auf dem Parnasso, ein Patent, dieses summarischen Innhalts, öffentlich affigiren, daß sich hinführo kein, in dem Reiche derer Todten, ankommender Gelehrter, bey Vermeldung willkührlicher Straffe, und Sr. Majest. Höchster Ungnade, unterstehen solte, ehe und bevor er nicht das gewöhnliche Examen rigorosum ausgestanden, und ohne daß er, von Sr. Majestät, dem Apolline, speciale Erlaubniß darzu erhalten, mit einem andern Gelehrten, in besagten Todten-Reiche, eine Unterredung zu halten.41

Hinter diesem ziemlich eigentümlichen Abschnitt des Textes bezüglich der für jeden in das Reich der Toten eintretenden Philosophen geltenden Notwendigkeit, eine Prüfung abzulegen, und in Bezug auf die von einigen geäußerte Vorstellung, eine Vita von Gundling und Budde in der Form eines Totengesprächs zu veröffentlichen, die wir auf den ersten Seiten des Examen gefunden haben, besteht zweifellos eine vor allem finanziell bedingte Konkurrenz zwischen Autoren. Wie problematisch es für die damaligen Autoren war, die Kontrolle über ihre eigenen Werke gegenüber den ›Piraten‹ zu behalten (auch wenn es nicht um Flugschriften ging), haben wir bereits gesehen. Hier müssen wir noch ein weiteres Element betrachten. Die vom Verfasser des Examen rigorosum selbst erklärte Praxis, auf eigene Kosten, schnell und mit geringer Auflage Pamphlete drucken zu lassen (und sie vielleicht an Kollegen zu verkaufen und dabei oft gutes Geld zu verdienen), war im damaligen Deutschland gängige Praxis, vor allem unter den Studenten. Der spezifisch akademische ›Rahmen‹ des Examen rigorosum, der vom anonymen Schreiber mit großer Fähigkeit im Zusammenhang mit einem Totengespräch präsentiert wird – eines der damals populärsten und meist praktizierten Genres – sowie der kryptische Ton der Polemik mit seinen Nachahmern sind beides Elemente, welche die Hypothese bestätigen, dass der Text auf eine semiclandestine Ebene universitärer Publizistik zurückgeführt werden kann. Auch die sehr geringe Anzahl von noch vorhandenen Exemplaren des Dialogs, sei es wegen einer ursprünglich sehr geringen Auflage, sei es aufgrund seines Charakters als Flugschrift, kann in Verbindung mit einer auf ein Publikum von Lesern im akademischen Umfeld begrenzten Verbreitung des Examen rigorosum unmittelbar verstanden werden – ein nicht allzu stark eingegrenzter Einflussbereich, wenn auch sicherlich weniger umfangreich als der jener Personen, die sonst meist die Flugschriften kauften, die täglich die Straßen der Städte überfluteten. Es sind sicherlich die akademischen Kreise, in denen der als Gelegenheitsschrift konzipierte und mit bestimmten Gegebenheiten verbundene Text seine Verbreitung gefunden 41

AletopHilus, Examen rigorosum, 78.

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hat, der also nicht dazu gedacht war, in privaten Bibliotheken für längere Zeit aufbewahrt zu werden. Die Frage nach der Beziehung zwischen der Anzahl der noch existierenden Exemplare und der Originalauflage unserer Texte ist äußerst schwierig zu beantworten, und wir werden darauf genauer bei den abschließenden Bemerkungen zurückkommen.42 Dass das Examen rigorosum wahrscheinlich in relativ wenigen Exemplaren gedruckt worden ist, bedeutet auf jeden Fall nicht, dass sich sein Autor keinen erheblichen finanziellen Gewinn erwarten konnte und dass sein Text nicht denselben Gesetzen und der stark vom Konkurrenzdenken geprägten Realität des Handels mit den Flugschriften unterlegen hätte. Diese ökonomische Komponente steht auch nicht mit der hypothetischen Verfasserschaft von Levin Adolph von Haken im Widerspruch. Dass der junge Mann von adliger Herkunft war und sehr wahrscheinlich keine finanziellen Schwierigkeiten hatte, impliziert nicht, dass er, sollte er (hauptsächlich als divertissement und zu Ehren seines Protektors Gundling) einmal ein Totengespräch geschrieben haben, sich nicht wie jeder andere Autor von Flugpublizistik benommen hat, nämlich indem er versuchte, so viele Exemplare des Textes wie möglich zu verkaufen – wahrscheinlich vor allem an seine Kommilitonen. Eine große Wahrscheinlichkeit besitzt die Hypothese, dass gerade ein Student das Objekt der Polemik gewesen ist, die einen Schatten auf den Abschluss des Examen zu werfen scheint. In diesem Fall könnte auch der recht enigmatische Satz bezüglich der Verpflichtung, die für die Philosophen besteht, im Reich der Toten eine Prüfung ablegen zu müssen, eine zusätzliche Bedeutung annehmen und Teil der Polemik von »AletopHilus« sein, anspielend auf eine angenommene Unrechtmäßigkeit betreffend jener Studenten, die ihr Studium noch nicht abgeschlossen haben. Der Verfasser zeigt sich gesinnt, Versuche von dritter Seite, Totengespräche im akademischen Milieu zu verfassen, sehr ernst zu nehmen. Dies wahrscheinlich aus Gründen sowohl ökonomischer Konkurrenz als auch Vergeltung gegenüber jenen, die eine Idee von ihm ›gestohlen‹ hatten  – und wer weiß, vielleicht auch teilweise, um der Publikation des Examen rigorosum eine noch größere Resonanz zu verschaffen. Dieses Element stellt noch ein weiteres Argument zu Gunsten von Hakens Verfasserschaft des Totengesprächs dar. Der junge Schüler Gundlings war 1731, dem Jahr der Veröffentlichung des Examen rigorosum, sowie 1730, dem am Ende des Textes angegebenen Abfassungsdatum, schon im Fach Jura promoviert. Er hatte den Doktortitel tatsächlich am 24. April 1728 erworben.43 Studenten, Kupferstecher, Verfasser von Trauerreden: es handelt sich bei allen um flüchtige Figuren mit einem nicht klar zu definierenden Status. Diese ›am Vgl. Schluss, § 1. Vgl. Matrikel der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Bd. 1 (1690–1730), hg. von Fritz Juntke, unter Mitwirkung von Franz Zimmermann, Halle 1960, 194. 42 43

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Rande‹ lebenden Personen, die sich an den Grenzen der akademischen Welt bewegten, werden die entscheidenden Hauptpersonen unserer Geschichte sein und insbesondere die des nächsten Kapitels. Einige der Gespräche, die wir dort behandeln werden, wurden vom Konkurrenten des Autors des Examen rigorosum verfasst. Auf den folgenden Seiten werden wir die Möglichkeit haben, uns noch besser mit dem Mischcharakter des literarischen Genres des Totengesprächs zu beschäftigen und vor allem die ›verborgene‹ Ebene des Buchmarktes jener Zeit zu untersuchen, wobei wir in eine Welt eindringen werden, die aus härtester Konkurrenz, häufiger Not und ununterbrochener Produktion und Verkauf von fliegenden Blättern bestand.

Kapitel III

Der Krieg der Biographen

1. Die pietistische Front: Christian Gerber und die »Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen« Nachdem er fast sein gesamtes Leben damit verbracht hatte, Sammlungen traditioneller deutscher Sprichwörter und Sinnsprüche anzulegen, veröffentliche Christian Gerber, Pfarrer im kleinen Städtchen Lockwitz, 1726 in Dresden die Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen. Es handelt sich dabei, mit Ausnahme einiger sporadischer Erwähnungen in Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, um ein heute so gut wie unbekanntes Werk, welches, wie es bereits der Titel erahnen lässt, eine nicht sehr konventionelle Sammlung von Biographien enthält.1 Die Bände wurden von Gerber als die Fortführung eines Textes aus dem 16. Jahrhundert vorgestellt: Disce Mori (oder Sterbekunst) von Bruno Quinos, eine Lehrpublikation, in der Darstellungen eines guten Todes von der Antike bis zu Lebzeiten des Autors aufgeführt werden, ein typisches Beispiel für die protestantische Strömung der ars-moriendiLiteratur.2 Die eigentliche Vorlage der Historia ist ein später erschienenes Werk, was Gerber allerdings seinen Lesern nur kurz in seinem Buch enthüllt. Es handelt sich um eine fast dreißig Jahre zuvor begonnene Reihe von Bänden des pietistischen Predigers Johann Heinrich Reitz mit einem fast identischen Titel Historie der Wiedergebohrnen. Dieser Text wird als eines der wichtigsten Beispiele für die Strömung der sogenannten Pietistischen Sammelbiographien angesehen; dies waren normalerweise mehrbändige Sammlungen erbaulicher Lebensbeschreibungen von Persönlichkeiten mit einer besonders beispielhaften Lebensführung.3 Christian Gerber, Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen, oder Exempel solcher Personen, mit denen sich im Leben, oder im Tode viel merckwürdiges zugetragen; als eine Continuation von M. Bruno Quinos, weil. Pred. in Zittau Disce mori, oder Sterbe-Kunst, Dresden [1725]–1729. Zu Gerber vgl. Franz Blanckmeister, Der Pfarrer von Lockwitz Christian Gerber, Erbauungsschriftsteller und Liederdichter. Lebensbild eines Landpfarrers aus Speners Schule, Leipzig 1893. 2 Bruno Quinos, Disce mori. Oder Sterbe Kunst, das ist, ein sehr schönes und nützliches Handtbüchlein, darinnen etliche außbündige Exempel hoher christlicher Personen zu finden, daraus man Anleitung zu nehmen, und zu lernen, wie man sich zu einem christlichen Ende bereiten und seliglichen von dieser Welt scheiden solle, Busiddin 1577. Zur Gattung der Ars moriendi vgl. den entsprechenden Art. von Rudolf Mohr in TRE, Bd. IV, Berlin/New York 1979, 143–54. 3 Christian Gerber, Vorrede zu Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen, Bd. I, unpag. [4–8]; Johann H. Reitz, Historie der Wiedergebohrnen. Vollständige Ausgabe der Erstdrucke aller sieben Teile der pietistischen Sammelbiographie (1698–1745) mit einem werkgeschichtlichen Anhang der Varianten und Ergänzungen aus den späteren Auflagen, IV Bde., hg. von Hans-Jürgen Schrader, Tübingen 1

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Der Krieg der Biographen

Die Gründe, die Gerber veranlasst hatten, die Bedeutung jenes literarischen Vorbildes, das ihm eigentlich Modell gestanden hatte, zu mindern, sind leicht zu erahnen. Reitz war einen gänzlich anderen Bildungsweg gegangen. Nachdem er in Leiden beim Cartesianer Christoph Wittich Theologie studiert hatte, wurde er Teil des Kreises der ›Schwärmer‹ Balthasar Christoph Klopfer und Heinrich Horche. Die Grundlinie von Reitz’ Historie spiegelt diesen Einfluss deutlich wider. Er widmet den Fragen, die in den radikalsten pietistischen Zirkeln regelmäßig diskutiert wurden, großen Raum, wobei er außerdem Biographien von Persönlichkeiten, deren Orthodoxie zweifelhaft war, einschloss: Enthusiasten, Chiliasten, radikale Mystiker, Papisten und Separatisten. Jahre vor dem Druck der Historie der Wiedergebohrnen hatte man Reitz separatistischer und heterodoxer Neigungen verdächtigt; später wurde er der Häresie angeklagt und gezwungen, von allen seinen Ämtern zurückzutreten. Er war sich vollkommen bewusst gewesen, dass ein Werk, in dem Personen wie Blaise Pascal und Jakob Böhme gehuldigt wurde, von den Oberhäuptern der eigenen Kirche niemals akzeptiert werden würde, und prompt hatte sich der Theologe nach der Veröffentlichung seiner Sammlung von Biographien einer Welle von Polemiken ausgesetzt gesehen. Gerber hingegen wollte sich innerhalb der Grenzen der Rechtgläubigkeit bewegen; verständlicherweise wollte er es auf jeden Fall vermeiden, das Schicksal von Reitz zu teilen, der von seiner Kirche ausgestoßen worden und sowohl bei den Lutheranern als auch bei den Reformierten in Ungnade gefallen war. Bei der Auswahl der Lebensbeschreibungen, die er in seine Publikation aufnehmen wollte, achtete er sehr darauf, jene Grenzen nicht zu überschreiten, die ihm die Besonnenheit vorgab. Nicht nur zur Lebenszeit von Quinos, sondern auch zur späteren von Reitz hatte sich die Situation der literarischen Gattungen in Deutschland grundsätzlich gewandelt. Die gelehrten Auseinandersetzungen und die politisch-philosophischen Dispute der Frühaufklärung fanden nicht lediglich in Zeitschriften wie den Acta eruditorum, sondern auch immer häufiger in den Gelegenheits- und Flugschriften statt; sie erschienen handgeschrieben oder gedruckt, ungebunden, wurden zum großen Teil undatiert, anonym oder unter einem Pseudonym veröffentlicht. Es entstanden immer neue und exzentrischere literarische Moden.4 Am Anfang seiner Historia unterstreicht Gerber seine Distanz vor allem zu einer der aufsehenerregendsten Veröffentlichungen der letzten zwanzig Jahre, indem er von einer Episode erzählt, die ihm kürzlich widerfahren sei. Eine recht elegante und vornehme Dame habe sich ihm genähert und ihn nach seiner Meinung über ein seit Jahren anerkanntes Jour-

1982. Zu Reitz vgl. ADB, Bd. XXVIII, 170–72; Hans-Jürgen Schrader, Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus. Johann Heinrich Reitz, Historie der Wiedergebohrnen und ihr geschichtlicher Kontext, Göttingen 1989. 4 Vgl. dazu Einleitung, § 1.

Darstellungen der Leben von Christian Thomasius und August Hermann Francke

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nal mit dem Titel Gespräche im Reiche der Toten gefragt. Der Pfarrer, der sich bis zu jenem Zeitpunkt immer geweigert hatte, derart oberflächliche Veröffentlichungen zu lesen, habe seiner Gesprächspartnerin kritisch geantwortet, indem er den romanhaften und indifferenten Charakter dieser Texte hervorgehoben habe, in denen die Grenzen zwischen Gut und Böse nicht mit der nötigen Klarheit gezogen würden. Seine Historia derer Wiedergebohrnen verfolge hingegen eine gänzlich andere Linie: Den Titel der bekannten Fassmannschen Zeitschrift paraphrasierend merkte er an, dass seine Biographien vielmehr im »Reich der frommen Todten« einzuordnen seien.5 Was hatten die Biographien von Gerber mit dem literarischen Genre zu tun, das mit den Nεκρικοὶ διάλογοι des Lukian von Samosata entstanden war? Und vor allem: Aus welchen Gründen hat er sich genötigt gesehen, es zu berücksichtigen, um sich dann sogar eindeutig davon zu distanzieren?

2. Die ersten literarischen Darstellungen der Leben von Christian Thomasius und August Hermann Francke Seit im Jahre 1718, ein Jahr nach der Veröffentlichung des letzten Bandes der Historie von Reitz, David Fassmann damit begonnen hatte, in monatlichen Abständen und anonym seine Gespräche im Reiche der Toten zu veröffentlichen, war um diese Literaturform eine allgemeine Manie entstanden.6 Als Gerber das Vorwort zu seiner Historia schrieb, befand sich der Ruhm Fassmanns auf dem Höhepunkt. Bereits seit Jahren äußerte man sich ironisch in Parodien und Pamphleten zur Allgegenwart der Totengespräche in den Plaudereien des durchschnittlich gebildeten bürgerlichen Publikums.7 Einer der vielen Gründe dieses großen Erfolgs ist sicherlich der bemerkenswert ›freie‹ Charakter dieser Dialoge. Im Unterschied zu ihren berühmteren französischen Vorläufern, den Nouveaux dialogues des morts von Fontenelle, herrscht in den Dialogen Fassmanns das biographische Element vor: Der Journalist lässt die Hauptpersonen, meistens Söldnerführer, Soldaten, Generäle und Herrscher, im Jenseits von ihrem persönlichen Werdegang sowie ihren politisch-militärischen Unternehmungen erzählen. Neben den Totengesprächen und den Disce mori von Quinos erwähnt Gerber in seiner Einleitung noch eine andere Kategorie von Texten, die, auch wenn sie keine Biographien im engeren Sinne sind, doch biographische Mitteilungen in sehr kurzer Zeit verbreiteten. Um Informationen zum Leben von August Hermann Francke, einer der Hauptfiguren der Historia, zu erhalten, gab es als einzige Quelle 5 6 7

Christian Gerber, Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen, unpag. [21–25]. Vgl. dazu Kap. 1, § 3. Vgl. Kap. 1, § 2.

Der Krieg der Biographen

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die zu seinen Ehren abgehaltenen Trauerreden, die allerdings in nur sehr wenigen Exemplaren gedruckt worden waren. Gerber selbst hatte dem ständigen Druck von Freunden und Bekannten nachgegeben und die einzige Kopie in seinem Besitz, die ihm vom Sohn des Theologen geschenkt worden war, verliehen; diese Kopie ging dann verloren.8 An den Gedenkfeiern zum Tode Franckes hatte eine ungewöhnlich große Menschenmenge teilgenommen. Am 3. Juli 1727, zwei Jahre, bevor Gerber darüber schrieb, hatten sich Freunde und Kollegen des Theologen in der Paulinerkirche von Leipzig versammelt, um den Trauerreden zu seinen Ehren beizuwohnen; diese kann man noch heute in vielen deutschen Bibliotheken zusammen mit anderen Gedenkschriften, Gedichten und von Professoren der wichtigsten deutschen Universitäten abgefassten Epicedien finden.9 Die Biographie, die Gerber Francke in der Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen widmet, besteht allerdings nur aus wenigen Seiten, obwohl als ihre Quelle die vorher genannten, umfangreichen Reden angegeben werden. Der Autor beschränkt sich darauf, die wichtigsten Städte zu nennen, in denen Francke studiert und dann gelehrt und gepredigt hat, wobei er zahlreiche persönliche Anmerkungen einfließen lässt, wie zum Beispiel die Abschrift eines Briefes in lateinischer Sprache, den ihm Francke geschickt hatte, sowie (und dies war vorhersehbar) Lobpreisungen über seine religiöse Frömmigkeit.10 Diese wenigen Seiten stellen trotzdem die erste uns überlieferte Biographie des Theologen dar. Um eine weitere zu finden, muss man bis 1733 warten, als in Boston eine Handschrift veröffentlicht wird, die den Weg nach Amerika durch einen Verwandten des Theologen gefunden hatte.11 Es handelt sich um einen der vielen Auszüge einer von Francke selbst verfassten autobiographischen Schrift in der Form einer Bekehrungsgeschichte, die damals in Umlauf war und erst 1861 von Gustav Kramer in Deutschland veröffentlicht worden ist.12 Kurz nach Francke war auch Christian Thomasius verstorben. Nur ein Jahr später waren bereits zumindest ebenso viele biographische Schriften über ihn erChristian Gerber, Zweyter Anhang zu der Historie der Wiedergebohrnen in Sachsen, nebst einer nötigen Vertheidigung dieser Historie, wider die unfreundliche Censur derer Herren Sammler […], Leipzig/Dresden 1729, 258–61. 9 Vgl. z. B. das Exemplar der Universitätsbibliothek Erfurt (Sign. 13 – Th. 2º 10841f ). 10 Vgl. Christian Gerber, Zweyter Anhang zu der Historie der Wiedergebohrnen in Sachsen, 257–83. 11 Vita B. Augusti Hermanni Franckii, Boston 1733. 12 »Anfang und Fortgang der Bekehrung A.H. Francke’s von ihm selbst beschrieben«, in Gustav Kramer (Hg.), Beiträge zur Geschichte August Hermann Francke’s enthaltend den Briefwechsel Francke’s und Spener’s, Halle 1861, 28–55. Vgl. dazu Paul Raabe/Almut Pfeiffer (Hgg.), August Hermann Francke 1663–1727. Bibliographie seiner Schriften, Tübingen 2001, 623–26; August Hermann Francke. Werke in Auswahl, hg. von Erhard Peschke, Berlin 1969, 4–5. Die Autobiographie stammt aus den Jahren 1690–91. 8

Darstellungen der Leben von Christian Thomasius und August Hermann Francke

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schienen wie vorher über seinen Kollegen in Halle. Eine erste Biographie über ihn war von Christian Polycarp Leporin noch zu Lebzeiten des Philosophen veröffentlicht und eine erhebliche Zahl von Trauerreden zu seinen Ehren war gelesen und gedruckt worden.13 Stadtrat und Kommunalgerichte, religiöse Gemeinden, kirchliche Kollegien und ›Tischgesellschaften‹ sowie selbstverständlich Freunde und Verwandte des Philosophen hatten dem eben verstorbenen Mitbürger in verschiedenen Kirchen der Stadt gedacht. Noch in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts war es nämlich nach dem Tod einer besonders berühmten Persönlichkeit in der Tat üblich, dass städtische und kirchliche Institutionen pompöse Feiern organisierten, anlässlich derer Epizedien und Trauergedichte vorgelesen wurden. Und selbstverständlich war Christian Thomasius eine sehr wichtige Figur im öffentlichen und kulturellen Leben Halles gewesen.14 Gerber, der trotz allem diesem so berühmten Gelehrten in seiner Historia nicht die ihm gebührende Erwähnung zukommen lässt, rechtfertigt sich im Vorwort zu einem zweiten Anhang des Werkes mit den Worten, er habe dies deshalb nicht gekonnt, weil seine geringen Kenntnisse der exakten Todesursache von Thomasius die Aufnahme seiner Biographie verhindert hätten.15 Vermutlich waren es allerdings andere Gründe, die Gerber von der Veröffentlichung einer Vita von Thomasius abhielten. In den Augen eines Pietisten wie Gerber war Thomasius selbstverständlich eine kontroversere Persönlichkeit als Francke, und er eignete sich viel schlechter dafür, zusammen mit beispielhaften Personen, die mit dem Pietismus verbunden waren, genannt zu werden. Und dies aus ziemlich offensichtlichen Gründen: Thomasius’ progressive Annäherung an Francke und an die Pietistische Bewegung (ca. 1693–1699) während seiner Unterrichtsjahre an der gerade gegründeten Universität Halle und der nachfolgende Abbruch der Beziehungen zwischen Thomasius und Francke sind bekannte Ereignisse, über die bis heute schon viel geschrieben wurde.16

Christian P. Leporin, Germania literata vivens, oder Das jetzt lebende gelehrte Deutschland. Durch ausführliche Lebens-Beschreibungen vieler in Deutschland zu unserer Zeit lebenden gelehrten Männer, Quedlinburg/Aschersleben 1725, 150–350. Zu den Trauerreden zu Ehren von Thomasius vgl. das Exemplar der FB Gotha, Sign. Theol 2º 00373/08 (03–04). Zum biographischen Abschnitt vgl. ebd., Das wolverdiente Lob derjenigen, derer Dienst sich Gott bey Stifftung hoher Schulen gebrauchet […], 41–48. 14 Für eine Rekonstruktion dieser Ereignisse vgl. Ralf G. Bogner, Der Autor im Nachruf, 186– 215. 15 Christian Gerber, Vorrede zu Zweyter Anhang zu der Historie der Wiedergebohrnen in Sachsen, unpag. [6–8]. 16 Vgl. zuletzt Markus Meumann, »Diskursive Formationen zwischen Esoterik, Pietismus und Aufklärung: Halle um 1700«, in Monika Neugebauer-Wölk unter Mitarbeit von Andre Rudolph (Hg.), Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation, Tübingen 2008, 77–83. 13

Der Krieg der Biographen

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Zu diesem Zeitpunkt nahmen die Dinge einen sehr überraschenden Verlauf. Im selben Jahr, in dem Gerber die Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen veröffentlichte und in der er auch die Abwesenheit biographischer Anmerkungen zu Thomasius rechtfertigte, entschloss sich ein unbekannter Leser seines Buches, diesem Umstand Abhilfe zu schaffen. Sein Vorhaben sah die Veröffentlichung einer mehrteiligen Biographie vor; es sollte die jüngsten Tendenzen der zeitgenössischen Publizistik widerspiegeln und so aufgebaut sein, dass es eine Gegenüberstellung der Leben von Thomasius und Francke ermöglichte. Es handelte sich zweifellos um eine besonders glückliche Eingebung sowie um eine zeitlich perfekt lancierte und kluge Idee, mit der es auch wahrscheinlich möglich gewesen wäre, einen stattlichen Gewinn zu erzielen. Gerber hätte aber wohl bei der Abfassung des Vorworts seiner Historia niemals vermuten können, dass der anonyme Autor dieser Art von ›Parallelbiographie‹ sich gerade jener Gattung bedienen würde, die er so sehr verachtete: eines Totengesprächs.

3. Die Welt der Kupferstecher Von den Zusammenhängen, die zur Veröffentlichung dieses Dialogs führten, weiß man sehr wenig. Es wurde weder der Druckort angegeben, noch kennt man den Drucker.17 Die einzige im Text vorhandene Namensangabe ist die eines Kupferstechers. In den aktuell in deutschen Bibliotheken aufbewahrten Exemplaren kann man zwei verschiedene Abbildungen finden. Die erste (nicht unterschrieben) zeigt Francke und Thomasius vor dem Hallenser Waisenhaus und wird von Lobversen über beide Protagonisten des Dialogs begleitet (Abb. 8, Tafelteil S. 7*). Bei der zweiten Variante, deren Qualität zweifellos unterbewertet wird, ist dagegen eine gestochene Unterschrift zu lesen, die es erlaubt, dem so unterschriebenen Exemplar zumindest einen Namen bezüglich des Erstellungskontextes des Textes zu geben (Abb. 9, Tafelteil S. 8*). Als »Brühl«, der den Kupferstich »invenit et sculpsit«, kann Johann Benjamin Brühl identifiziert werden (1691–1763), das Mitglied einer Familie Leipziger Kupferstecher, der in dieser Stadt als armer Mann starb, nachdem er hier sein gesamtes Leben verbracht hatte. Brühl stach Medaillen, Porträts, Frontispizen von Gelegenheitsschriften, gelehrten Rezensionsjournalen, pietistischen und akademischen Traktaten, und von ihm sind zum Beispiel auch das Porträt Christian Wolffs, welches am Anfang von Carl Günther Ludovicis Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie abgebildet ist, sowie die Stiche, die jeden Jahrgang des Journals Besonders curieuses Gespräch im Reich der Todten, zwischen […] Christian Thomasio,[…] und August Hermann Francken […], s.l. 1729. 17

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Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen ankündigen.18 Außerdem blieben noch Spuren seiner Einschreibung an der Universität Leipzig im Jahre 1737; diese Angabe sollte aber nicht notwendigerweise als Nachweis für ein hohes Bildungsniveau des Immatrikulierten interpretiert werden.19 Im Deutschland des 18. Jahrhunderts schrieb man sich – wie manchmal auch heute noch – in der Tat oft aus reiner Zweckmäßigkeit an der Universität ein. Kupferstecher, Drucker und Handwerker immatrikulierten sich manchmal zu dem einzigen Zweck, den Schutz der akademischen Gerichtsbarkeit zu genießen. Die Figur des Kupferstechers verfügte außerdem über keinen besonders definierten Status. Die reiche, von der Stadt gebotene Verlagsszene – und demzufolge auch der ständige Bedarf an Arbeitskräften – war einer der Gründe, warum Leipzig von vielen Studenten anderen deutschen Städten vorgezogen wurde.20 Viele junge Menschen fingen, nachdem sie für das Studium nach Leipzig umgezogen waren, an, einen künstlerischen oder handwerklichen Beruf zu betreiben, wobei sie, soweit möglich, gleichzeitig Kontakte zur Universität hielten. Diese mehrdeutigen Situationen liefen oft auf Konflikte zwischen akademischen und städtischen Behörden hinaus. Ein Beispiel dafür ist Martin Bernigeroth (1670–1733), der auch, genau wie Brühl, einer Familie von Kupferstechern angehörte. Er hatte sich an der Universität Leipzig eingeschrieben, wo er die Vorlesungen des Mathematikers Leonhard Christoph Sturm besuchte. Nach einem mehrjährigen Konflikt mit dem Stadtrat wurde er gezwungen, seinen Namen aus dem Leipziger Matrikelverzeichnis zu streichen, und außerdem musste er eine Geldstrafe von 5 Talern bezahlen; daneben gab es drei weitere Kupferstecher, unter denen sich auch Johann Benjamin Brühls Vater Nikolaus befand, der versucht hatte, die Strafe zu vermeiden, indem er sich als einfacher Formschneider ausgegeben hatte.21 Das Leipziger Umfeld, mit dem die konkrete Realisierung des Dialogs zwischen Thomasius und Francke verbunden ist, ist allerdings weder Beweis dafür, dass der anonyme Autor in Leipzig aktiv gewesen ist, noch dafür, dass Leipziger Drucker Dieselbe Zeitschrift veröffentlichte 1730 eine Rezension des Dialogs, in der die zu idealisierte Vorstellung der Biographie von Thomasius kritisiert wurde. Vgl. Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen, zur geheiligten Übung ertheilet von einigen Dienern des göttlichen Wortes, Leipzig 1730, 338–39. 19 Georg Erler, Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig, Bd. III, Die Immatrikulationen vom Wintersemester 1709 bis zum Sommersemester 1809, Leipzig 1909, 43. Zu Brühl vgl. Thieme-Becker, Bd. V, 1911, 105; Saur, Bd. XIV, 1996, 489. Der Kupferstecher ist in den Leipziger Adressbüchern von 1720, 1721 und 1736 eingetragen. Weitere Informationen werden im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig, in einer ihm und seiner Familie gewidmeten Abteilung des Bestandes 21959, aufbewahrt. Ich danke Frau Dolores Herrmann für die Information. 20 Vgl. dazu Wilhelm Bruchmüller, Der Leipziger Student 1409–1909, Leipzig 1909, 88–89. 21 Gustav Wustmann, Der Leipziger Kupferstich im 16., 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1907, 32–46. 18

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den Text erstellt haben. Leider weiß man sehr wenig über die konkreten Zusammenhänge, die zwischen Kupferstechern, Autoren und Verlegern im Bereich der Publizistik der Frühaufklärung bestanden. Sicher ist hingegen, dass Leipzig eines ihrer Zentren war. Das gilt vor allem für die vorerwähnte Kategorie. In der sächsischen Stadt arbeitete am Anfang des 18. Jahrhunderts ein großer Teil der deutschen Kupferstecher; sie machten die besten Preise, und allgemein wandten sich auch Verleger aus anderen Städten sowie Gelegenheitspublizisten, Studenten oder Professoren zur Herstellung der Titelkupfer ihrer Schriften an sie, wobei sie oft genaue Hinweise bezüglich der darzustellenden Objekte gaben.22 Die kurze Distanz, die Leipzig von den damaligen Hauptuniversitätszentren (vor allem Halle und Jena) trennte, erlaubte es sicher, sogar persönlich viele dieser Geschäfte zwischen Autoren, Verlegern und Kupferstechern abzuschließen. So ist wahrscheinlich auch der Autor dieses Totengesprächs vorgegangen, was der Kunstfertigkeit der dargestellten Symbole zu entnehmen ist, die kaum der Phantasie eines einfachen Kupferstechers entsprungen sein dürften. Oder, um präziser zu sein: Den Kupferstechern der Zeit waren die etablierten ikonographischen Traditionen bekannt. Sie hatten eine bestimmte Vertrautheit bei der Verwendung der zahlreichen, damals im Umlauf befindlichen Emblemata-Sammlungen, welche die Hauptquelle für die Symbole ihrer Abbildungen waren. Man kann sich aber nur schwer vorstellen, dass die Realisierung recht komplexer Illustrationen ohne die Mitarbeit des Autors des Textes erfolgte. Es ist z. B. nachweisbar, wie bei der Anfertigung der Kupferstiche für Nikolaus Ludwig von Zinzendorfs Übersetzung des Neuen Testamentes 1739 der Autor dem Kupferstecher präzise Hinweise gegeben hat. Auch Zinzendorf hat übrigens von Brühls Arbeit oft Gebrauch gemacht.23 Hinter den Figuren von Thomasius und Francke hebt sich ein »Tempel der Weisheit« ab, der einen Kontrapunkt zu den Ruinen der scholastischen Philosophie bildet, die man über eine »Esels-Brücke« (die mittelalterliche logische Figur des pons asinorum) erreicht. Das dargestellte Gebäude ist ein typisches Beispiel für eine Ikonographie im Sinne der Tabula cebetis, die ihren Namen von einem anonymen Dialog herleitet, der Cebes, einem Anhänger von Sokrates, zugeschriebenen wird. Gerade diese ist eines der in der damaligen Traktatistik verbreitetsten Symbole, das Brühl sicher schon bekannt gewesen sein sollte. Im frühen achtzehnten Jahrhundert befinden wir uns noch in einer Phase der erneuten Verbreitung dieses Motivs, die begonnen hatte, als 1638 eine neue Ausgabe des Dialogs in Frankfurt erschienen war, der ein Kupferstich von Matthäus Merian dem Älteren vorange-

Vgl. dazu: Werner Schneiders, Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland, Hamburg 1990, 49–109; Gustav Wustmann, Der Leipziger Kupferstich. 23 Vgl. Kai Dose, »Die Kupferstiche in Zinzendorfs Übersetzung des Neuen Testamentes 1739 und in der Arndt-Ausgabe 1725«, in Pietismus und Neuzeit, XXXVII (2011), 86–128. 22

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stellt war, welcher auch unabhängig vom Text gedruckt und verkauft wurde. Auch zahlreiche Varianten der Versionen befanden sich im Umlauf, die sich nach und nach als mehr oder weniger kanonisch durchgesetzt hatten (z. B. die von Hans Holbein oder später die von Mattheus Merian). Insbesondere ein Grundelement, das man auch in Brühls Kupferstich findet, ist dennoch in allen Darstellungen der Tabula cebetis vorhanden: die Metapher zwischen menschlichem Leben und dem Erhebungs- oder Aufstiegsweg zur Wahrheit, zur Tugend oder auch, wie in diesem Fall, zur Weisheit.24 Die Gegenüberstellung des Tempels der Weisheit und der Überreste des mittelalterlichen Denkens ist eine der vielen Varianten, mit denen hier ein typisches Motiv präsentiert wird, welches zu jener Zeit die Gegenposition der ›alten‹ Philosophie zum ›neuen‹ Denken der Frühaufklärung graphisch darstellt, d. h. als Wahl zwischen zwei Möglichkeiten bzw. zwischen zwei oder noch mehr möglichen Wegen. Gehen wir fast zwei Jahrzehnte zurück und schauen wir uns das Titelblatt der Ausgabe von 1711 von Andreas Rüdigers Institutiones eruditionis (Abb. 10, Tafelteil S. 9*) an. Die Gegenüberstellung eines Geschäfts von »novatores«, was natürlich die Rüdigersche Philosophie symbolisiert, mit dem eines »veterarius« ist eine andere, visuell außerordentlich wirkungsvolle Darstellung eines Begriffs, der identisch ist mit dem, den wir in Brühls Kupferstich gefunden haben. Auch aus anderen Gründen ist die Abbildung im Dialog zwischen Thomasius und Francke repräsentativ für den typischen Charakter der Kupferstiche jener Zeit, eine Phase, in der wir – im Unterschied zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – zahlreiche mit einem gestochenen Frontispiz eröffnete Texte finden. Wie auch in diesem Fall handelte es sich normalerweise um keine fortlaufende Abbildung, sondern um einen einzigen Kupferstich mit einer hohen symbolischen Bedeutung, der eine »graphische Inszenierung«25 des philosophischen Inhaltes des Textes darstellte. Leider existiert keine moderne Monographie, welche die verschiedenen Konstellationen (ob nun in Leipzig oder nicht) von Kupferstechern der Frühaufklärung und das Verhältnis, das sie zu Verlegern, Autoren und der akademischen Welt hatten, betrachtet. Eine mit Hilfe der Quellen der Leipziger Archive und Bibliotheken (Adressbücher, Matrikel-Verzeichnisse, Korrespondenzen, Verträge) geführte Untersuchung ist nicht ausreichend. Unter einem interdisziplinären Gesichtspunkt Vgl. Reinhart Schleier, Tabula cebetis, oder »Spiegel des menschlichen Lebens, darin Tugent und Untugent abgemalet ist«. Studien zur Rezeption einer antiken Bildbeschreibung im 16. und 17. Jahrhundert, Berlin 1973. Siehe auch Lucien Braun, Iconographie et philosophie, Bd. II, Commentaires et Bibliographies, Strasbourg 1996, 157–70. Das Bild des Tempels, wie auch alle Symbole, an denen der Kupferstich außerordentlich reich ist, wurden (mit einer stellenweise großzügigen Interpretation) von Hans-Georg Kemper auf den alchemistischen Bereich zurückgeführt. Vgl. Hans-Georg Kemper, Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. V.I, Aufklärung und Pietismus, Tübingen 1991, 101–3. 25 Werner Schneiders, Hoffnung auf Vernunft, 52. 24

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sollten die ikonologischen, philosophisch-theologischen Gebiete mit der Geschichte des Buchmarkts und der Universität verbunden werden.26 Man sollte die intertextuellen Verweise zwischen Abbildungen und Texten und auch zwischen Abbildungen verschiedenen Texten im Kontext der Kommunikationsmodalitäten unter anonymen Autoren betrachten. Es ist ein ganzer Komplex von Umständen, der Deutschland unter diesem Gesichtspunkt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert zu einem außerordentlich interessanten Raum werden lässt. Erstens begannen die Kupferstiche schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts beliebter als die Holzschnitte zu werden, und im 18. Jahrhundert hatten sie sie fast komplett verdrängt, auch wenn die Buchdrucker natürlich weiter die älteren Instrumente, die sie noch zur Verfügung hatten, benutzen.27 Die Neigung der Autoren jener Zeit (vor allem der Philosophen) zur visuellen Darstellung ihrer Ideen und die Blüte insbesondere des Leipziger Buchmarktes sowie der Flugschriften waren ebenfalls zu entscheidenden Faktoren geworden. Auch wenn die Symbole der Abbildungen der Zeit vor allem den traditionellen Emblemata-Sammlungen entnommen waren, erfuhren die traditionellen Symbole in vielen Fällen Adaptierungen und Erneuerungen. Aus dem Komplex der Kupferstiche der Frühaufklärung kann man eine klare Wahrnehmung des Versuchs der Kupferstecher ablesen, sehr präzise, mehr oder wenige explizite Verweise zwischen Bildern und Texten zu schaffen, um einige Hauptideen dieser Letzteren mitzuteilen. Dieses philosophisch-gelehrte Element konnte problemlos neben dem extrem naiven Charakter bestehen, mit dem die Gesichtszüge der Figuren normalerweise wiedergegeben wurden; um ihre physiognomische Ähnlichkeit sorgten sich die Kupferstecher normalerweise nicht.28 David Fassmann, dem hingegen die Zuverlässigkeit der Gesichtszüge der auf den Titelkupfern seiner Entrevües gestochenen Persönlichkeiten besonders am Herzen lag, stellte eine der wenigen Ausnahmen von der Regel dar.29

Siehe aber dennoch: das dem Bild der Philosophie gewidmete Kapitel in Werner Schneiders Hoffnung auf Vernunft (49–109); Martin Mulsow, »Die Aufklärung der Dreiundzwanzigjährigen. Titelkupfer als Indikatoren für den publizistischen Hintergrund der Frühaufklärung«, in Daniel Fulda/Jörn Steigerwald (Hgg.), Um 1700: Die Formierung der Europäischen Aufklärung. Zwischen Öffnung und neuerlicher Schließung, Berlin/New York, im Druck. Gustav Wustmanns 1707 veröffentlichte Studie Der Leipziger Kupferstich im 16., 17. und 18. Jahrhundert ist eine sehr nützliche Quelle für die biographischen Kurzbeschreibungen einzelner Leipziger Kupferstecher. Ein gutes Beispiel für die Integration ikonologischer Analyse von Titelkupfern und der Forschung zur wissenschaftlichen Debatte der Frühen Neuzeit ist Volker Remmert, Widmung, Welterklärung und Wissenschaftslegitimierung: Titelbilder und ihre Funktionen in der Wissenschaftlichen Revolution, Wiesbaden 2005. 27 Gustav Wustmann, Der Leipziger Kupferstich, 1. 28 Vgl. dazu Werner Schneiders, Hoffnung auf Vernunft, 51–2. 29 Vgl. dazu auch Kap. 8, § 4. 26

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Der Druck der Schriften, deren Publikation aus Anlass eines aktuellen Ereignisses erfolgte, und ganz allgemein der Druck von Flugschriften ging normalerweise extrem rasch vor sich. Bei den Kupferstechern (dies gilt aber nicht nur für sie: in Bezug auf den Textteil auch für in der Klemme sitzende Schriftsteller und für abgebrannte Studenten) wurden sehr schnell zu Ende zu bringende Arbeiten bestellt.30 Die Qualität der Ausführung der Abbildungen war also eher nebensächlich, und mit unserem Totengespräch befinden wir uns zweifellos in einer analogen Situation. In diesem Fall ist dennoch der Reichtum an Details, mit dem Brühl die Abbildung versehen hat, bemerkenswert. Der Kupferstich wurde bestimmt – wie im Fall von Fassmanns Dialogen und im Unterschied zu vielen Flugschriften der Zeit – ad hoc für diesen Text entworfen. Der graphische Aspekt ist allerdings nicht der einzige, der erlaubt, unseren Dialog auf die Stadt Leipzig und auf ihren studentischen Zirkel zurückzuführen. Ebenfalls im Jahr 1729 veröffentlichte der Vertreter der lutherischen Orthodoxie Sebastian Edzard (1672–1736), der für seine polemische Ader bekannt war, unter dem Pseudonym »Jo[hannes] Jeverus« ein kämpferisches, antipietistisches Pamphlet, welches ihn seine Anstellung als Professor für Logik und Metaphysik am Gymnasium in Hamburg kostete. Der Text mit dem vielsagenden Titel Verzeichniß Allerhand Pietistischer Intriguen und Unordnungen, in Litthauen, vielen Städten Teutschlandes, Hungarn und America, war ebenfalls in der Form eines Gesprächs zwischen zwei fi ktiven Personen abgefasst. An einer bestimmten Stelle wird erwähnt, dass ein Diener persönlich eine kleine Schrift brachte, die bereits seit geraumer Zeit unter den Studenten der Universität Leipzig und »einer vornehmen Stadt in Nieder-Sachsen« (vermutlich Göttingen) die Runde machte: Es handelte sich um den Dialog zwischen Thomasius und Francke, über den die beiden Personen zu diskutieren begannen, wobei sie fast jedes Detail kommentierten. Mittels der zwei Gesprächspartner witzelt Edzard über die Qualität von Brühls Kupferstich und die Idee, Thomasius und Francke in einem Totengespräch auftreten zu lassen, und sogar über die geringe stilistische Eleganz des Autors des Textes.31 Neben einem nachvollziehbaren Antipietismus und einem gewissen Snobismus gegenüber einer Art von Publizistik, die er als zu ›populär‹ ansah, verbirgt sich hinter diesen

Vgl. dazu Bruchmüller, Der Leipziger Student, 88–89. Jo[hannes] Jeverus [i. e. Sebastian Edzard], Verzeichniß Allerhand Pietistischer Intriguen und Unordnungen, in Litthauen, vielen Städten Teutschlandes, Hungarn und America, s.l. 1729, 87 ff. Zu Edzard vgl. ADB, Bd. V, 652–53. Es handelt sich um eine auf Edzard zurückzuführende Produktion von Streitschriften, unter denen sich auch eine gegen Christian Thomasius befindet: Vertheidigung der Christlichen Lehre vom Binde-Schlüssel, wider das unchristliche Bedencken D. Christiani Thomasii. Nebst einen gründlichen Beweiß, daß der Abfall zum Papstthum die ewige Verdanis nach sich ziehe, und einigen Anmerckungen Uber die so genannte Friedsame Gespräche zweyer neuangehenden Catholischen, s.l. 1707. 30 31

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Nadelstichen auch eine kleine Rache des Hamburger Professors an dem Autor des Totengesprächs. Der Anonymus fühlte bestimmt keine besondere Sympathie für Edzard, dessen Familie er durch den fiktiven Christian Thomasius im Dialog heftig kritisiert: Der Philosoph kann es nicht fassen, dass Francke 1682, während einer Rückreise nach Gotha, sogar zwei Monate lang in Hamburg Station gemacht hatte, um bei Sebastians Vater Esdras Hebräisch-Unterricht zu nehmen.32 Das Totengespräch ist in der Tat wie ein chronologischer Lebensbericht über August Hermann Francke abgefasst: Es handelt sich um den Theologen selbst, der Thomasius die Sachverhalte schildert. Dieser nimmt die Rolle eines Fragenden ein, der manchmal nachhakt, dann wieder der vorgegebenen Biographie beistimmt, und wenn es notwendig erscheint, Francke dazu einlädt, Genaueres zu einigen besonders interessanten Episoden seines Lebens zu erzählen. Die Besonderheit des verwendeten literarischen Genres öffnet natürlich dem Autor Möglichkeiten, die einer traditionellen Biographie verschlossen sind. So werden den beiden Sprechern Kommentare zu Ereignissen in den Mund gelegt, die erst nach ihrem Tode eingetreten sind, inklusive der zu ihren Ehren abgehaltenen Trauerreden.33 Im Übrigen lassen die Worte, mit denen der Anonymus Francke die Erzählung seines Lebens anfangen lässt, den Text nicht viel anders denn als eine klassische Autobiographie erscheinen: »Mein Geburths Ort war die freye Kayserliche Reichs-Stadt Lübeck, in welcher ich 1663. den 12. Marti das Licht der Welt zum ersten erblickte«.34 Im Vorwort erklärt der Verfasser, wie seine Dialoge sich in eine am Anfang des Jahrhunderts begonnene Tradition einordnen, als man dachte, dem Publikum etwas anderes zu bieten als die traditionelleren literarischen Genres: Als im Ausgang des vorigen Jahrhundert die Gelehrten sich vergnüget an den Geschichts-Calendern hoher Häupter, vornehmer und berühmter Geistlichen von allen drey Religionen; etc. so war man sonderlich im Anfange dieses Seculi bedacht, nach dem bekanten Sprichwort: Varietas delectat, die Leser mit einigen andern Arten Schriff ten zu divertiren. Die kurtz vorher angefangene Monath-Schriff ten kamen nun häuffig unter allerhand Tituln heraus. Bald sahe man Journale, Auszüge der Journale, aufgefangene Briefe, Missiven, Famen, etc. und so einige Dutzend mehr. Unter allen aber haben wohl am längsten gedauert die Acta Eruditorum, Europäische Fama und die Gespräche im Reiche der Todten. Was diese letztere betriff t, so hat man manches Käysers, Könige, Fürsten und Herren, hoch berühmter

Besonders curieuses Gespräch im Reich der Todten, zwischen […] Christian Thomasio, […] und August Hermann Francken […], 12: »Die Hamburgische Edzarde sind wohl, wenn ich die Ebräische Sprache ausnehme, darin Sie vielleicht etwas gethan, rechte Ignoranten gewesen, und haben nichts gewust, als lästern und schmähen, und zwar in Sachen, die sie nicht einmal verstanden«. 33 Ebd., 25. 34 Ebd., 8. 32

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Etats-Männer, vortrefflicher Gelehrten etc. Lebens-Laufe und viele Merckwürdigkeiten, so in ihrem Leben sich begeben, mitgetheilet.35

Er fährt dann fort, dass er mittels Biographien in dialogischer Form den beiden Gelehrten Ehre erweisen wolle, und verspricht, dass, falls dieser Text das Interesse des Publikums finden sollte, er nicht zögern würde, ihm »mit mehrern zu dienen«.36 Offensichtlich befriedigte der erzielte Erfolg vollkommen seine Erwartungen, denn noch im selben Jahr erschien ein zweiter Teil des Dialogs. Wie es der ursprüngliche Plan vorgesehen hatte, sind in diesem zweiten fiktiven Gespräch die Rollen vertauscht: Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht diesmal das Leben von Thomasius, und Francke nimmt eine Nebenrolle ein. Zur großen Enttäuschung des Autors des ersten Dialogs war es allerdings jemand anderes, der ihn schrieb und veröffentlichte.

4. Die harten Gesetze der Konkurrenz In diesem zweiten Dialog ist es Thomasius, der Francke aus seinem Leben erzählt, was bereits aus dem Titelkupfer und der dazugehörigen Inschrift hervorgeht, dessen Qualität beträchtlich minderwertiger im Vergleich zu dem vorigen Dialog ist, wie man klar aus dem Teil erkennen kann, in dem sich die Thomasius gewidmeten Verse befinden und in dem die Linierung deutlich sichtbar ist (Abb. 11, Tafelteil S. 10*). Der anonyme Verfasser erklärt übrigens in seinem Vorwort: Hat man dafür gehalten, man werde dem Geneigten Leser eine Gefälligkeit erweisen, wenn man auch diese hochberühmten und bald nach einander verstorbenen Männer im Reich der Toden redend auff ühren, und eines jenen Lebens-Lauf bekannt machen würde. Es ist auch allbereit ein Anfang darzu gemachet, und das Leben des hochberühmten Francken vor einigen Wochen der gelehrten Welt mitgetheilet worden. Nun folget die Continuation, oder der andere Theil, in welchen Vita Thomasiana unpartheyisch beschrieben wird.37

Wenn wir seinen Worten Glauben schenken wollen, hat es der Autor dieses zweiten Dialogs also geschaff t, ihn nur wenige Wochen nach der Herausgabe des ersten zu verfassen und zu veröffentlichen, womit er, wie im Folgenden deutlicher herauskommen wird, seinem Vorläufer zuvorkam. Besonders curieuses Gespräch im Reich der Todten, zwischen […] Christian Thomasio,[…] und August Hermann Francken, 4. 36 Ebd., 4. 37 Fortsetzung des besonders-curieusen Gesprächs in dem Reiche derer Todten, zwischen […] Christian Thomasio […] und August Hermann Francken […], s.l. 1729, 5–6. 35

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Dieser zweite Verfasser verfolgt die vom Vorgänger eingeschlagene Linie nicht weiter, denn er lässt die biographischen Daten eindeutig in den Hintergrund treten. Den Hauptgesprächsstoff bilden die zahlreichen intellektuellen Auseinandersetzungen, die Thomasius zu seinen Lebzeiten beschäftigt haben: der äußerst bekannte Disput zu den Hexenprozessen, seine Angewohnheit, seine Vorlesungen in deutscher und nicht in lateinischer Sprache abzuhalten, der Streit, der nach der Veröffentlichung des Versuchs vom Wesen des Geistes ausgebrochen war. Im Gegensatz zu dem im Vorwort Gesagten zeigt sich der Verfasser dieser ›dialogischen Biographie‹ nicht besonders neutral. Die Vehemenz, mit der er Thomasius die Möglichkeit gibt, sich von den zu Lebzeiten gegen ihn erhobenen Anklagen freizusprechen (vor allem jener, die dämonologische Fragen betrafen), enthüllen eindeutig seine Solidarität mit dem Philosophen sowie seine Anteilnahme an dessen Schicksal. Als Beispiel dafür kann man den folgenden Austausch zwischen den zwei Figuren lesen, der vermutete Affinitäten zwischen den Lehren von Thomasius und Balthasar Bekker betriff t: FR ANCKE: […] Ja sie sollen auch ihren Auditoribus des Balth. Beckers gottloses Buch von der bezauberten Welt recommendiret haben, und also dadurch groß Aergerniß in der Kirchen Gottes verursachet. Wehe aber, spricht der Heyland, der Welt, um der Aergerniß halber etc. Matth. 18. THOMASIUS: Daß ich keinen Teufel, noch Hexen, noch Gespenster geglaubet, sind alles offenbahre Calumnien, so die schwartzen Engel meinen Feinden in die Feder dictiret. Daß ist keine Kunst, mit einer Schmäh-Karten aufgezogen kommen / und einem ehrlichen Mann seines Gefallens lästern, denn das kan der Teufel auch, und ist, wie Christus sagt, ein Mördter und Lügner von Anfang Joh. 8. Ich habe auf diese Lästerungen meinen Feinden vielmahls dergestalt geantwortet, daß ihnen hören und sehen darüber vergangen: gleichwohl aber kunte ich verwehren, daß immer wieder ein neuer Calumniat mit dieser alten zerschmissenen Bauer-Fiedel angemarchiret kam, und eines daher leyerte, wie der blinde Fiedler. FR ANCKE: Confessio propria est optima probatio: Eigene Bekänntniß ist der beste Beweiß, pflegen die Herren Juristen zu sagen. Es ist aber von vielen Gelehrten ihnen zur Genüge aus ihren Schriff ten gezeiget worden, daß sie eben diese Principia von den Wesen und Gewalt des Teufels geheget, als Balthasar Becker gehabt hat, ja sie haben absonderlich, was die Gewalt des Teufels belanget, ipsissima verba Beckeri gebrauchet. THOMASIUS: Reime dich. Ist denn dieses wahr? Wer mit Balthas. Beckern gleiche Reden führet, dessen Lehr-Sätze sind Beckers Lehr-Sätzen gleich. Wie wenn ich aus dem Leben des Clauß Narren erwiese, daß derselbe eben solche Reden geführet, als viele von meinen Widersachern, würden sie denn diesen Schluß passiren lassen? Eben so ist es beschaffen, wenn sie mich Balth. Beckern vergleichen wollen. Jedoch

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es ist biß diese Stunde noch nicht erwiesen worden, daß ich mit Balth. Beckern einerley Meynung gewesen, noch einerley Reden geführet. Sie müssen wohl meine Lehr-Sätze von dem Laster der Zauberey nicht wohl angesehen haben, sonsten würden sie mit diesen kahlen Einwurffe seyn zurück geblieben.38

Was kann der wirkliche Grund gewesen sein, der den Autor dieses zweiten Dialogs dazu veranlasst sah, dem Verfasser des ersten zuvorzukommen? Erhebliche Unterschiede zum Standpunkt, den der ursprüngliche Autor eingenommen hatte, könnten ein ausreichender Grund gewesen sein, oder haben wir es eventuell mit dem bloßen Wunsch nach Nacheiferung zu tun? Um eine mögliche Erklärung zu finden, müssen wir uns einem dritten Dialog zuwenden, der als Hauptpersonen wiederum Thomasius und Francke hat. Nach nur wenigen Wochen folgte auf das zweite ein drittes Gespräch ›im Reich der Toten‹. Wir haben es hier zweifellos mit einer Antwort des Verfassers des ersten Dialogs zu tun, der verständlicherweise von der ungebührlichen Einmischung eines anderen in sein biographisches Projekt irritiert war. Dieser Text gibt uns endlich einige Anhaltspunkte bezüglich seiner Entstehungsgeschichte. Das Vorwort endet mit den Angaben »Dresden, 18. September 1729«, wobei es sich also um die Stadt handelt, in der schon die Historia der Wiedergebohrnen von Gerber herausgegeben worden war; dieses Werk wurde übrigens vom Anonymus ausdrücklich als seine Hauptquelle angegeben.39 Das Titelkupfer ist identisch mit dem, das bereits den ersten Dialog zierte, obwohl dies kein ausreichender Grund dafür ist, die zwei Texte auf dieselbe Feder zurückzuführen: Gleiche Stiche wurden oft von den Verlegern für Texte verschiedener Autoren wiederverwendet. Im Vorwort erklärt der Autor des ersten Textes die Einmischung des Konkurrenten mit ausschließlich finanziellen Motiven. Vom ersten Dialog, der auf der Michaelis-Messe in Leipzig vorgestellt worden war, seien 6.000 Exemplare verkauft worden und es habe der Plan bestanden, bald eine Fortsetzung zu veröffentlichen, aber offensichtlich habe sich eine andere Person, angezogen von der Möglichkeit eines schnellen Verdienstes, beeilt, ihm zuvorzukommen. Selbstverständlich  – schließt der Anonymus – habe seine Enttäuschung nur mit der großen Unkorrektheit seines Konkurrenten zu tun, da es sicher nicht seine Absicht sei, ein Monopol auf die Veröffentlichung von Totengesprächen einzufordern.40 Dieser dritte Dialog Ebd., 31–32. Der andere Theil, oder die ächte und rechte Continuation des besonders curieusen Gesprächs in dem Reich derer Todten, zwischen denen beyden im Reich der Lebendigen hochberühmten Männern, Christian Thomasio […] und August Hermann Francken […], Frankfurt a. M./Leipzig, in der Michaelis-Messe, 1729, 5–6. 40 »So war Willens gegen die Leipziger Michaelis-Messe in diesem Jahre mit der Fortsetzung oder andern Theile dieses Gesprächs, darinn das Leben des vortrefflichen Thomasii, weiter bekandt zu machen, mein Zweck seyn solte, zu erscheinen. Allein es hat jemand, der dem Verleger dem 38 39

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zwischen Thomasius und Francke erklärt also die Art des Verhältnisses zwischen dem ersten und dem zweiten. Diese sind bisher (sporadisch) in der Aufklärungsforschung erwähnt worden, allerdings ohne irgendeinen Verweis auf den mehrjährigen Disput, zu dem sie führten, sowie auf die Frage der Konkurrenz zwischen ihren Autoren; an keiner Stelle wird übrigens angenommen, dass mehr als ein Autor die Texte verfasst haben könnte.41 Doch die Rivalität zwischen den beiden Autoren war damit noch nicht beendet; ihr Duell in Form von Totengesprächen fand noch über das ganze Jahr 1729 statt. Ab dem dritten Dialog wird es immer schwieriger, die Reihenfolge der Texte und die damit zusammenhängenden Polemiken nachzuverfolgen. Noch im selben Jahr erschien, weiterhin in anonymer Form, eine Fernere Fortsetzung des Gesprächs im Reiche derer Todten zwischen Christian Thomasio […] und August Hermann Francken, die ein interessantes Avertissement gegen eine »falsche Fortsetzung« des Dialogs enthält (mir ist allerdings nicht klar, ob sich dies auf den zweiten oder den dritten bezieht): Dem geneigten Leser dienet zur Nachricht, daß eine falsche Fortsetzung dieses Gespräches schon vor dieser itzigen herausgekommen, selbe ist von einer fremden eigen-nützigen Feder, nicht aber von dem Verfertiger des ersteren geschrieben, hat auch nicht das geringste, so der Mühe werth wäre, in sich, dahero der Leser davor

Abgang des ersten Theils, da mehr als 6000 Exemplaria sind aufgeleget, und den daher erwachsenen Vortheil mißgönnet, so lange nicht warten wollen, sondern ist mit einer Continuation, so ich nicht beurtheile, sondern einem jeden sein Sentiment davon zu fällen, frey lasse, vor wenig Wochen herfür getreten« (ebd., 5–6). 41 Ralf G. Bogner, Der Autor im Nachruf, 207–15, bietet eine synthetische Kontextualisierung der ersten zwei Teile des Dialogs. Er behauptet, dass sich »eine weitere Fortsetzung« nicht nachweisen lässt (ebd., 210). Stephanie Dreyfürst erwähnt die ersten zwei Teile des Totengesprächs und schreibt sie Fassmann zu (Stimmen aus dem Jenseits, 317, Anm. 43). Eine teilweise Ausnahme ist Friedrich Vollhardt, »Normvermittlung bei Christian Thomasius«, in: Rainer Bayreuther (Hg.), Musikalische Norm um 1700, Berlin/New York, 2010, 203–4, der den Anderen Theil des Dialogs kennt. Martin Mulsow weist auf die ersten zwei Dialoge in Bezug auf weitere philosophische Totengespräche hin (vgl. Einleitung, § 2). Siehe auch Riccarda Suitner, »Der Krieg der Biographen. Zu den ersten literarischen Darstellungen der Leben von Christian Thomasius und August Hermann Francke«, in Karl Enenkel/Claus Zittel (Hgg.), Die Vita als Vermittlerin von Wissenschaft und Werk. Form- und Funktionsanalytische Untersuchungen zu frühneuzeitlichen Biographien von Gelehrten, Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern, Berlin/Münster/Wien/Zürich/London 2013, 295– 327. Neben den Dialogen des 18. Jh. ist auch ein Newster Theil zu erwähnen, der 1932 von Hanns Freydank als Lobrede auf seinen Meister, den Thomasius-Forscher Max Fleischmann, geschrieben wurde: vgl. Hanns Freydank, Der newste Theil oder Die ächte und rechte Continuation des besonders curieusen Gesprächs in dem Reich derer Todten zwischen […] Christian Thomasio […] und August Herrmann Francken, Halle 1932. Das dort abgebildete Titelkupfer ist eine Reproduktion desjenigen, das im ersten Teil des Dialogs zwichen Thomasius und Francke zu sehen ist.

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gewarnet, und an diese Fortsetzung so wohl, als die künff tige, gewiesen, als in welcher er alle Particularia, so viel möglich, bemercket finden wird.42

1732 war eine Dritte und letzte Unterredung oder Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen Christian Thomasio […] und August Hermann Francken gefolgt, die exakt denselben Kupferstich und denselben Text wie die Fernere Fortsetzung aufweist, mit Ausnahme einer Hinzufügung in Bezug auf eine bereits veröffentlichte »vorige Unterredung«.43 Identisch ist auch das Titelkupfer, welches, indem es uns Thomasius und Francke auf einer Bühne zeigt, auf topische Weise das menschliche Leben mit einer Theaterauff ührung vergleicht, bei der jeder Schauspieler dazu angehalten ist, seine Rolle bis zum Ende, bis zum Fall des Vorhangs, zu spielen (Abb. 12, Tafelteil S. 11*). Selbstverständlich müssen wir nicht deshalb den 1732 erfolgten Nachdruck demselben Autor oder Drucker der Ferneren Fortsetzung zuschreiben: Das Phänomen der Nachdrucke von anderen Autoren oder von den Verlegern ›gestohlenen‹ Texten ist insbesondere für die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts typisch.44 Oft passierte es, dass dasselbe Modell, nachdem es ein erstes Mal benutzt worden war, mehrere Jahre lang verwendet wurde, sogar Jahrzehnte lang, und dass Texte, die manchmal nichts gemeinsam hatten, dieselben Kupferstiche präsentierten. Manchmal handelte es sich dagegen um eine Variation, gewöhnlich schlechterer Qualität, des ursprünglichen Modells. Dies geschah normalerweise nach einem Auftrag einer Kopie des ersten Modells, und Gründe verschiedener Art – vor allem Geld- oder Zeitmangel beim Druck des Textes – konnten die schlechtere Qualität der Kopien begründen. Dies ist z. B. der Fall bei den Nachdrucken des ersten Teils des Totengesprächs zwischen Thomasius und Francke, die als Erscheinungsdatum 1736 tragen (Abb. 13, Tafelteil S. 12*).45 Es ist sicher auch in diesem Fall schwierig, die Identität der Person zu ermitteln, die diese neue Auflage des Textes druckte, wie auch ihre Gründe, dies zu tun. Fernere Fortsetzung des Gesprächs im Reiche derer Todten zwischen Christian Thomasio […] und August Hermann Francken, s.l. 1729, 92. Der Dialog erschien auch (ohne Avertissement) mit dem Titel Dritter Theil, oder Fernere Fortsetzung des Gesprächs im Reiche derer Todten zwischen Christian Thomasio […] und August Hermann Francken, Frankfurt a. M./Leipzig 1729. Vgl. das Exemplar der Marienbibliothek Halle (Sign.: Zsch A I.7/4 Q). 43 Dritte und letzte Unterredung oder Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Christian Thomasio […] und August Hermann Francken, s.l. 1732, 5: »THOMASIUS: […]. Wissen sie also, daß ich das Licht der Welt im Jahr 1655. den 1. Jan., wie in voriger Unterredung bereits gemeldet, auf der berühmten Universität Leipzig zuerst erblicket«. 44 Zur Thematik der Nach- und Folgedrucke vgl. Albrecht Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, Leipzig 1851, 119–36; Daniel Bellingradt, Flugpublizistik und Öffentlichkeit, 299–301 u. 326–33. 45 Besonders curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Christian Thomasio, […] und August Hermann Francken […], s.l. 1736. 42

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Verweilen wir noch einmal bei dem Titelkupfer des Dialogs. Die Figuren der zwei Protagonisten sind mit denen des Dialogs von 1729 identisch, der Hintergrund ist aber komplett anders. Die raffinierte Szenerie, die im ersten Kupferstich von der tabula cebetis, dem pons asinorum, den Ruinen der scholastischen Philosophie und den zahlreichen symbolischen Objekten im Vordergrund bestimmt wird, wird hier durch ein kahles Hügelland ersetzt. Johann Benjamin Brühls Unterschrift bleibt unverändert. Der Kupferstecher war in jenem Jahr noch am Leben; das bedeutet aber natürlich nicht, dass er auch diesen Kupferstich ausgeführt hat. An wen waren nun vermutlich Texte dieser Art gerichtet? Was die 6.000 Exemplare betriff t, die einer der Autoren verkauft haben will, ist stark anzunehmen, dass die genannte Zahl mehr mit der Eitelkeit des anonymen Verfassers zu tun hat als mit der Realität. Im Unterschied zu heute wurde damals ein Werk nicht von einem einzigen Verleger gedruckt, sondern von vielen und in einer relativ geringen Anzahl von Exemplaren, in der Regel etwa 1.000. Eine höhere Auflage wurde nur von den ›Originalausgaben‹ erreicht, die nach der Ausstellung eines Privilegiums seitens der Behörden gedruckt werden konnten. Kein Drucker war bereit, zu hohe Auflagen zu drucken, vor allem weil es kein ›Monopol‹ auf die Veröffentlichung eines Werkes gab. Man musste sich vor den anderen Druckern hüten, die immer bereit waren, im Fall eines besonders erfolgreichen Werkes den Buchmarkt mit billigeren Exemplaren zu überschwemmen.46 Das heißt aber nicht, dass sich hinter einer derart mächtigen Rivalität, die innerhalb weniger Wochen zur Veröffentlichung von vier Dialogen und in den folgenden Jahren auch zu ›variierten‹ Nachdrucken geführt hat, unbedingt Gründe fast rein finanzieller Art stecken. Die Totengespräche waren in Deutschland Anfang des 18. Jahrhunderts groß in Mode. 1730 – genau ein Jahr nach dem Konflikt zwischen unseren ›rivalisierenden‹ Autoren von Totengesprächen – sah sich David Fassmann gezwungen, der Entrevüe 145 ein polemisches Vorwort voranzustellen. Die Adressaten waren seine zahlreichen Verleumder, die ihn anklagten, zu populäre und zu wenig gelehrte Dialoge zu schreiben, die nur dazu geeignet waren, auf die niedrigsten Vorlieben des Publikums einzugehen; Fassmann nutzte aber auch diese Möglichkeit dazu, um das Problem der zahlreichen zu seinem Schaden abgefassten Plagiate anzugehen. Genau wie der Autor des dritten Totengesprächs zwischen Thomasius und Francke bekräftigte Fassmann, dass es ihm nicht darum ginge, der einzige erfolgreiche Autor von Totengesprächen zu bleiben. Der Journalist konnte aber nicht umhin, sich über die zu vielen in Umlauf befindlichen Fälschungen zu entrüsten, die von Nachahmern niedrigen Niveaus entworfen waren, und er riet seinem Publikum, den Titelkupfern besondere Aufmerksamkeit zu schenken: Bei den Falsifi katen 46

Vgl. dazu Robert Darnton, Die Wissenschaft des Raubdrucks, 30.

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seien diese von eindeutig minderwertigerer Qualität als bei den Originalen. Die Nachahmer waren nicht nur schuldig, die Käufer zu hintergehen, sondern auch, das Andenken der in den Kupferstichen abgebildeten Personen zu beschädigen. Leider – schließt Fassmann – sei es für diese Leute einfacher, einen unfairen Wettbewerb zu betreiben und sich in ein schon gut gehendes Geschäft einzuschleichen, anstatt daran zu denken, ihre Sachen mit Ehrlichkeit zu erledigen.47 Die Dialoge Fassmanns richteten sich jedoch an ein viel breiteres Publikum als das der Dialoge, von denen hier die Rede ist. Dieser Schluss soll nicht aus der geringen Zahl an Exemplaren der Dialoge zwischen Thomasius und Francke, die sich noch heute in deutschen Bibliotheken befinden, gezogen werden; es handelt sich hierbei nicht unbedingt um einen Nachweis für eine ursprünglich sehr geringe Auflage. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Texte im Rahmen der gutbesuchten Leipziger Messen vertrieben wurden. In den zeitgenössischen Messekatalogen findet man keine Spur der Dialoge; dies ist jedoch ein mit den damaligen Flugschriften sowie den Büchern ohne Impressum oder Verlagsort geteiltes Schicksal. Im Unterschied zu den gebundenen Büchern wurde normalerweise diese Art von Texten nicht erwähnt, da sie nicht zum ›offiziellen‹ Vertrieb der städtischen Messen gehörten.48 Die Seltenheit der Kopien, die heutzutage im Umlauf sind, ist auch mit ihrer Natur als Flugschriften zu erklären, mit denen die Dialoge Verbreitung fanden, die ungebunden verkauft wurden und die nicht dazu bestimmt waren, in privaten Bibliotheken sorgsam aufgehoben zu werden. Die Entstehung der Exemplare mit einem zeitgenössischen Einband, auf die man noch heute in vielen Bibliotheken stoßen kann, ist nicht auf die Drucker, sondern auf die Besitzer selbst zurückzuführen: Statt sich der erworbenen Dialoge zu entledigen, entschlossen sich viele dazu, sie unter ihren Büchern aufzubewahren, indem sie sie einzeln oder mit anderen Texten zusammen binden ließen, oder sie gruppierten sie zusammen mit anderen (eventuell auch von anderen Autoren verfassten) Totengesprächen. Die Feinheit der Anspielung, mit der auf die akademischen Dispute insbesondere in Halle und in Jena sowie auch auf sehr seltene Quellen verwiesen wurde, lässt es aber als wahrscheinlich erscheinen, dass die Dialoge zwischen Thomasius und Francke – obwohl sie in jeder Hinsicht auf die Gattung des Flugschriften zurückzuführen sind – ein viel beschränkteres Publikum fanden als die täglich auf den Straßen abgesetzte Publizistik. Die Zielgruppe der Texte befand sich offensichtlich [David Fassmann], Gespräche in dem Reiche derer Todten, hundert fünff und vierzigste Entrevuë, zwischen Christiano I. […] und Carolo XI […], Leipzig 1730, 15. 48 Vgl. hierzu David L. Paisey, »Literatur, die nicht in den Meßkatalogen steht«, in Paul Raabe (Hg.), Bücher und Bibliotheken im 17. Jahrhundert in Deutschland. Vorträge des vierten Jahrestreffen des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Geschichte des Buchwesens in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 22. bis 24. Mai 1979, Hamburg 1980, 115–25. 47

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innerhalb der Universitäten. Ihre hauptsächlichen Leser dürften Kollegen, Studenten und Freunde des intellektuellen Kreises der beiden gewesen sein, ein Publikum, welches im Grunde teilweise das gleiche war, das zwei Jahre zuvor zur Abfassung der Trauerreden zu ihren Ehren beigetragen hatte. Es handelte sich selbstverständlich um keine so eingeschränkte, sondern um eine ziemlich breite Gruppe, die sich in den Räumen der Universitäten und in den intellektuellen Zirkeln von Städten wie Göttingen, Jena, Halle oder Leipzig bewegte. Die Form des Totengespräches war bestens geeignet, eine doppelte Funktion zu erfüllen: erstens das Interesse zu befriedigen, welches den Lebensläufen dieser beiden wichtigen Persönlichkeiten entgegengebracht wurde, und sie zweitens, genau wie bei den Trauerreden, nachträglich zu ehren. Die gegenseitige Abhängigkeit von Trauerreden und Totengesprächen ist selbstverständlich sehr indirekt; es lassen sich viele, nicht nur formale Unterschiede zwischen den zwei Textformen aufweisen. Vielleicht unterscheidet aber ein Element mehr als andere die Trauerreden von den Dialogen ›im Reich der Toten‹: Die Letzteren garantierten all denjenigen, die in ihren Veröffentlichungsweg verwickelt waren – Kupferstechern, Studenten unter Vertrag, Druckern und Autoren – sofortige und oft sehr hohe Gewinne. Die Folgen auf der Ebene der Verkaufsmodalitäten der Texte haben wir schon gesehen. Die Zahl der verkauften Exemplare extrem zu übertreiben, eine Serienproduktion zu entwerfen (auch indem man Fortsetzungen von Texten anderer Autoren oder Repliken seiner Gegner druckte), mit leichten Variationen eigene Texte, Dialoge anderer oder ›Piratenausgaben‹ nachzudrucken: jedes Mittel kam gelegen, um mehr Exemplare als der Konkurrent zu verkaufen. Bei den Modalitäten der Promotion von Flugschriften konnte auch der Begriff Pasquill eine gewisse Rolle spielen. Das Journal Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen, Organ der lutherischen Orthodoxie, veröffentlichte 1730 eine doppelte Rezension der ersten zwei Teile des Dialogs zwischen Thomasius und Francke und eines Totengesprächs zwischen Gottfried Arnold und Gottlieb Wernsdorf, der 1729 gestorben war. Der Rezensent kritisierte, dass die Darstellungen von Thomasius’ und Franckes Leben zu stark idealisiert wären und schrieb die zwei Teile des Totengesprächs derselben Person zu. Er erkläre sich übrigens sehr befriedigt über die Verbannung der Gattung des Totengesprächs seitens der Frankfurter autoritas publica, die sie zur Pasquille erklärt hatte: Diese Texte, bereits seit langer Zeit groß in Mode, wurden sehr oft verwendet, um noch lebende Personen zu verleumden.49 Der Ursprung des vom anonymen Verfasser verwendeten Aus-

Vgl. Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen, zur geheiligten Übung ertheilet von einigen Dienern des göttlichen Wortes, Leipzig 1730, 338–39. Der zweite rezensierte Dialog ist Gespräche im Reiche der Todten zwischen dem hochberühmten wittenbergischen GeneralSuperintendenten und Professore Theologiae D. Gottlieb Wernsdorffen und dem gleichfalls weltkundigen 49

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drucks ist weithin bekannt: die sogenannte »Statue von Pasquin« in Rom (die ›sprechende Statue‹), an der die Römer (noch heute) Satiren gegen Politiker, den Klerus und andere mächtige Persönlichkeiten der Stadt anbringen. Was war genau ein Pasquill im Deutschland des 18. Jahrhunderts? Der Begriff war damals so vage wie willkürlich. Es gab dafür keine rechtliche Grundlage.50 In Hamburg wurden z. B. am Anfang des Jahrhunderts anlässlich von Sitzungen des Stadtssenats Verbrennungen von zu Pasquille erklärten Texten vorgenommen, und es wurden der Versammlung Texte gezeigt mit dem Antrag, sie als Pasquille zu verbannen. Als normal wurde auch angesehen, die Autoren dieser Texte zu verhaften. Viel gewöhnlicher war aber der Fall, dass die Missbilligung auf einer Ebene rein schriftlicher persönlicher Polemik blieb, ohne in ›physische‹ Folgen für die angeklagten Autoren oder Texte zu münden. Auf dieser Ebene konnte potentiell jederman jede Schrift, die nicht ›orthodox‹ genug war oder, allgemeiner gesagt, sich nicht ausreichend mit den eigenen Positionen deckte, zum Pasquill erklären – und ihren Autor als Pasquillant.51 Dies waren zweifellos die Absichten des anonymen Rezensenten unserer Dialoge: Aus seinen Worten erkennt man mit großer Evidenz seine verächtliche Stellungnahme gegen die Gattung des Totengesprächs. Insbesondere in diesen Fällen war aber die Sache nicht so eindeutig. Die meisten beabsichtigten, wenn sie einen Text zum Pasquill erklärten, eine schimpfliche Anklage vorzubringen, mit welcher der Autor der Öffentlichkeit als gefährlich und subversiv angezeigt wurde, oder dass es sich zumindest um eine Schrift handelte, deren Kauf und Lektüre aufmerksam vermieden werden sollte. Diese Erklärungen entfesselten dann aber oft den gegenteiligen Effekt: Sie zogen die Aufmerksamkeit des Publikums bezüglich der genannten Werke auf sich und verschaff ten ihnen, statt den allgemeinen Tadel, eine umfangreiche Werbung.

perlebergischen Inspectore und Pastore Gottfried Arnolden, darinnen beyder Männer merckwürdiger Lebens-Lauff nebst anderer curieusen Particularitäten anzutreffen, Freystadt 1729. 50 Zum juristischen Status der Pasquille in Deutschland vgl. Günter Schmidt, Libelli famosi. Zur Bedeutung der Schmähschriften, Scheltbriefe, Schandgemälde und Pasquille in der deutschen Rechtsgeschichte, Köln, Diss., 1985. Allgemein zur Gattung siehe etwa Dirk Rose, »Pasquille, Pseudonyme, Polemiken. Skandalöse und literarische Öffentlichkeit in Hamburg um 1700«, in Johann A. Steiger/Sandra Richter (Hgg.), Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung, Berlin 2012, 443–459. 51 Vgl. Daniel Bellingradt, Flugpublizistik und Öffentlichkeit, 236–242.

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5. Trauerreden, Totengespräche, (Auto)biographien: die ›Instabilität‹ der literarischen Gattungen Bei fast keiner der frühen biographischen Abhandlungen zu Christian Thomasius und August Hermann Francke handelt es sich um Biographien im eigentlichen Sinne des Wortes. Dies – zusammen mit ihrer Seltenheit – erklärt teilweise, warum sie in den diesen beiden Persönlichkeiten gewidmeten Bibliographien häufig fehlen und warum diese Art von Quellen in den Studien zur deutschen Frühaufklärung nicht genutzt wird. Und doch wurden diese Texte wie Biographien entworfen und veröffentlicht. Am Anfang des 18. Jahrhunderts waren die Grenzen zwischen den Gattungen in Deutschland auf der, wie man sie nennen könnte, ›subliterarischen‹ Ebene, von Gelegenheits- und Flugschriften, äußerst fließend. Dies gilt vor allem für die Totengespräche. Zur Zeit der Frühaufklärung hatten neue, vor allem aus Frankreich und Italien stammende Einflüsse das lukianische Schema ergänzt. Auf der Welle des Erfolgs der Werke von Fénelon, Fontenelle, Traiano Boccalini und Antonio Santacroce in Deutschland verstärkte sich laufend eine literarische Mischform der Totengespräche, die immer mehr den Charakter von Gelegenheitsschriften mit beschränkter Auflage annahmen; sie wurden schnell gedruckt und waren dazu bestimmt, Ereignisse und Polemiken von absoluter Aktualität zu behandeln.52 Eine der Voraussetzungen für diese Entwicklung lag sicherlich in der sehr engen Verbindung zwischen Protojournalismus, gelehrten Rezensionsjournalen und Dialogform, die sich in Deutschland herausgebildet hatte: Man denke nur zum Beispiel an die Monatsgespräche von Christian Thomasius (1688–90), an Wilhelm Ernst Tentzels Monatliche Unterredungen (1689–98), an Gottfried Zenners Novellen aus der gelehrten und curiösen Welt (1692–97), an Nikolaus Hieronymus Gundlings Neue Unterredungen (1702) und natürlich an die Dialoge Fassmanns, die als Monatsschriften erschienen.53 Obwohl die dialogische Form kein entsprechendes Vorbild im Ausland besaß, handelte es sich um Zeitschriften, die dem französischen Modell ähnlicher als die Leipziger Acta eruditorum waren, die auf Latein und im

Vgl. dazu ausführlicher Einleitung, § 1. Vgl. dazu insbes. Herbert Jaumann, »Bücher und Fragen: zur Genrespezifik der Monatsgespräche«, in Friedrich Vollhardt (Hg.), Christian Thomasius (1655–1728). Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung, Tübingen 1997, 395–404; Thomas Habel, »Das Neuste aus der Respublica Litteraria: Zur Genese der deutschen ›Gelehrten Blätter‹ im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert«, in Volker Bauer/Holger Böning (Hgg.), Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert: Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, Bremen 2011, 303–40. Zu den Monatsgesprächen siehe auch Frank Grunert, »Von polylogischer zu monologischer Aufklärung. Die Monatsgespräche von Christian Thomasius«, in Martin Fontius/Werner Schneiders (Hgg.), Die Philosophie und die Belles-Lettres, Berlin 1997, 21–38. 52 53

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klassischen Quartformat gedruckt wurden. Insbesondere waren es die Monatsgespräche gewesen, die ein völlig neues Modell von literarischer Kritik ins Leben gerufen hatten, im Zusammentreffen mit der Expansion des literarischen Marktes und mit einem immer mehr auf aktuelle Themen gerichteten Interesse des Publikums. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, als die Dialoge erschienen, die wir eben betrachtet haben, befinden wir uns in einer Phase, in welcher der ursprünglich innovative Charakter, der das Erscheinen der thomasianischen Monatsgespräche auf dem deutschen Verlagsmarkt begleitet hatte, bereits abgeschwächt war. Die ›alten‹ Gattungen (selbstverständlich in dem Rahmen, in dem man von ›Gattungen‹ in Bezug auf die Frühe Neuzeit sprechen kann) waren natürlich nicht verschwunden, sondern hatten überlebt und sich oft in die neuen Formen integriert, die sich durchgesetzt hatten. In diesem langen Überwindungs- und gleichzeitigen Adaptations- und Erhaltungsprozess der traditionellen Genres ist es möglich, eine besondere Form von Intertextualität zu erkennen: Die neue gelehrte Literatur (insbesondere jene dialogischer Art, oft mit einem starken kompilatorischen Charakter) enthielt regelmäßig Auszüge alter und auf traditionellere Gattungen zurückführbarer Texte.54 In der damaligen Verlagsszene herrschte eine extrem starke Koexistenz und Integration von städtischen Chroniken, politischen Broschüren, Schreibkalendern, handschriftlichen und gedruckten Zeitungen.55 Die fiktiven Dialoge von 1729 zwischen Thomasius und Francke sind für diese Situation beispielgebend. Sie stellen zunächst den paradigmatischen Fall einer Mittelposition zwischen Gelegenheits- und Flugschriften einerseits sowie periodischer Presse andererseits dar.56 Mit den echten Zeitungen teilen sie nicht die langfristige Periodizität, im Unterschied zu David Fassmanns Dialogen, die kontinuierlich zwanzig Jahre lang veröffentlicht wurden (obwohl unsere Texte mehr als die Fassmannschen Gespräche aktuelle Themen aufgriffen, da sie direkt nach dem Tod ihrer Protagonisten geschrieben wurden). Sie besitzen aber in ›schwächerer‹ Form

Zu diesem Phänomen vgl. Herbert Jaumann, »Zur Intertextualität der gelehrten Journale im 17. Jahrhundert«, in Wilhelm Kühlmann/Wolfgang Neuber (Hgg.), Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven, Frankfurt a. M./Berlin/ Bern/New York/Paris/Wien 1994, 443–64; ders., Critica: Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius, Leiden/New York/Köln 1995, 227–303. 55 Vgl. Holger Böning, »Handgeschriebene und gedruckte Zeitung im Spannungsfeld von Abhängigkeit, Koexistenz und Konkurrenz«, in Volker Bauer/Holger Böning (Hgg.), Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert: Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, Bremen 2011, 23–56. 56 Die Interdependenzen zwischen periodischer Presse und Flugschriften in Bezug auf die erste Hälfte des 18. Jh. bedürfen noch einer intensiven Forschung. Vgl. jetzt Daniel Bellingradt, »Periodische Zeitung und akzidentielle Flugpublizistik. Zu den intertextuellen, interdependenten und intermedialen Momenten des frühneuzeitlichen Medienverbundes«, in Volker Bauer/Holger Böning (Hgg.), Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert, 57–78. 54

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das Element der Serialität aufgrund der erbitterten Rivalität zwischen ihren Autoren und durch die zahlreichen Fortsetzungen, die im Lauf eines einzigen Jahres in Druck gegeben wurden. Die Strömung, der die Dialoge am nächsten sind, ist sicherlich die – zumeist kurzlebige – der Unterhaltungsliteratur: die ›Tischgespräche‹, die sogenannte ›Buntschriftstellerei‹, die Texte boccalinianischer Richtung, die thomasianischen Monatsgespräche selbst.57 Übrigens wurde das thomasianische Journal von den Zeitgenossen den Totengesprächen in der Tradition des Lukian von Samosata zugeschrieben.58 Wie die Monatsgespräche enthalten außerdem auch die Dialoge zwischen Thomasius und Francke einige kompilatorische Abschnitte, in die Auszüge traditioneller literarischer Gattungen integriert wurden (Trauerreden, Biographien). Die Rolle der intertextuellen Verweise wird von der Rivalität zwischen den verschiedenen Autoren, von dem hektischen Wechsel der Abfolge der Dialoge und von der Natur des verwendeten Genres selbst noch verstärkt. Die Form des Totengesprächs erlaubt es in der Tat den Autoren, Thomasius und Francke auch Verweise auf auf ihren Tod folgende Texte und Kontroversen zuzuschreiben. Von den Realisierungs- und Verkaufsmodalitäten der ›Straßenliteratur‹ besitzen die Dialoge alle typischen Elemente: sensationalistischer Ton, schnelle Neuauflagen, scharfe (und nicht besonders faire) Konkurrenz zwischen mehreren Autoren, variierte Nachdrucke und wiederverwendete Kupferstiche. Es geht auch in diesem Fall um Gelegenheitspublizistik; die Totengespräche wurden anlässlich des Todes der beiden Philosophen verfasst, um eine kurze Biographie von ihnen darzubieten. Dieses Element haben sie im Übrigen mit den Trauerreden zu Ehren von Thomasius und Francke gemeinsam, obwohl die Dialoge mit ziemlich unterschiedlichen Absichten verfasst wurden: Im zweiten Fall herrscht das Lukrative vor dem Gedenkelement eindeutig vor. Der Umstand, dass es normal war, sowohl Totengespräche als auch Trauerreden als Biographien anzusehen, hat diverse Ursachen. Der markante biographische Charakter von David Fassmanns Totengesprächen war eines der Elemente, die sie von den Dialogen von Fontenelle in hohem Maß unterschieden. Aus diesem Grund war es zweifelsfrei insbesondere in Deutschland nach dem Erfolg der Gespräche im Reiche der Toten normal, mit dieser Gattung ein inneres biographisches Zu den fließenden Grenzen zwischen diesen Textformen vgl. Herbert Jaumann, »Zur Intertextualität der gelehrten Journale im 17. Jahrhundert«, insbes. 443–48 (die Gattung des Totengesprächs wird aber nur kursorisch erwähnt). Zur Buntschriftstellerei vgl. Flemming Schock (Hg.), Polyhistorismus und Buntschriftstellerei. Populäre Wissensformen und Wissenskultur in der Frühen Neuzeit, Berlin 2012. 58 Vgl. z. B. Georg Pasch in De variis modis moralia tradendi liber (1707) und Gottsched in Discurs des Übersetzers von Gesprächen überhaupt als Einleitung zu seiner Übersetzung von Fontenelles Dialogues (1727). Siehe dazu Herbert Jaumann, Critica, 287. 57

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Element zu assoziieren, welches übrigens auch jene neue dialogische Publizistik besaß, deren Archetypus eben Thomasius’ Monatsgespräche gewesen waren. In ihrer doppelten Funktion als Nekrolog und synthetische Biographie könnte man versucht sein, in den Trauerreden den Widerhall einer vorliterarischen Phase zu erkennen, in der Mitteilungen über das Leben von Verstorbenen vor allem in Form von Totenklagen, Elegien und Grabinschriften weitergegeben wurden, bevor im antiken Griechenland das literarische Genre der Biographik in einer Form Verbreitung fand, die in gewisser Weise unserer heutigen ähnelt.59 Dennoch sind, wie in einigen Studien zum Thema deutlich gezeigt worden ist, die protestantischen Leichenpredigten in der Barockzeit eine genau definierte Textform, eine tatsächliche Sonderform der Biographik. Ihre biographischen Teile, die anfangs lediglich geringen Raum einnahmen, wurden im Laufe des 17. Jahrhunderts immer umfangreicher.60 Im Laufe des folgenden Jahrhunderts hatte das ›stille‹ Begräbnis bereits das traditionelle verdrängt. Der Brauch, Leichenpredigten mit biographischen Abschnitten zu drucken, hatte, auch wegen der unerschwinglichen Druckkosten, nur in einigen Milieus überlebt, wie z. B. im akademischen Umfeld oder bei adligen Familien. Wie bereits Christian Gerber bezüglich der Predigten zu Ehren von Francke angemerkt hatte, handelte es sich um Gelegenheitsschriften mit sehr geringer Auflage, die allerdings als eine nützliche Quelle für biographische Texte anderer Art dienen konnten, wie zum Beispiel für die Totengespräche, wie schon erwähnt worden ist, oder – und das ist genau der Fall bei Gerbers Historia – für erbauliche Schriften. Sprechen wir nun von den Berührungspunkten mit einem anderen Genre, der biographischen Exempelliteratur, die bereits am Anfang dieses Kapitels erwähnt worden ist. 1705 hatte Gerber ein ganzes Kapitel der Fortsetzung der unerkannten Sünden der Welt mit dem vielsagenden Titel Von der Eitelkeit so bey den Leich-Predigten vorgehet der Kritik der Trauerreden gewidmet, wobei er insbesondere ihre biographischen Teile tadelte.61 Und doch waren, wie wir gesehen haben, unter den Hauptquellen für die Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen eben die Trauerreden sowie, wenn auch in polemischer Absicht, die Totengespräche von David Fassmann gewesen. Dieser hatte im Übrigen massiv aus Trauerreden kopiert, vor

Zu dieser Interpretation der Ursprünge der Biographik vgl. Jan Romein, Die Biographie. Einführung in ihre Geschichte und ihre Problematik, Bern 1948, 15 f. 60 Vgl. insbes. Cornelia N. Moore, Patterned Lives. The Lutheran Funeral Biography in Early Modern Germany, Wiesbaden 2006, 294–314. Siehe auch: Rudolf Lenz (Hg.), Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, IV Bde., Stuttgart 1974–2004; ders. (Hg.), Studien zur deutschsprachigen Leichenpredigt der frühen Neuzeit, Marburg 1980. 61 Christian Gerber, Fortsetzung der unerkannten Sünden der Welt aus Gottes heiligen Wort der Ruchlosen Bekehrung und derer die den Herrn suchen wollen Bewahrung vorgestellet, Frankfurt a. M. 1705, 195–225. Vgl. dazu Cornelia Moore, Patterned Lives, 278–80. 59

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allem aus jenen aus dem 17. Jahrhundert, um die biographischen Abschnitte seiner Entrevües zu verfassen.62 Wie man gesehen hat, hatte Gerbers Historia den Autor des ersten und dritten Dialogs zwischen Thomasius und Francke inspiriert; der anonyme Verfasser hatte sich wiederum auf die Fassmannschen Gespräche und mehr im Allgemeinen explizit auf die damals am meisten verbreiteten Journale wie die Acta eruditorum berufen und ins Gespräch zwischen Thomasius und Francke sogar Verweise auf die Trauerreden zu ihren Ehren eingefügt. Gelegenheitspublizistik verschiedener Art hatte somit eine literarische Gattung, die der pietistischen Sammelbiographien, beeinflusst, die in der Zwischenzeit weitestgehend ›institutionalisiert‹ war. Es sollte uns jedoch nicht überraschen, dass wir, wenn man die Kataloge vieler Privatbibliotheken von dem Pietismus nahestehender Persönlichkeiten durchblättert, ganze Sammlungen von Totengesprächen darin finden.63 Die pietistischen Sammelbiographien waren vor allem gedacht als Berichte über Erfahrungen zum Empfang göttlicher Gnade, im Falle Gerbers handelte es sich um ›Wiedergeburten‹. Der Pietismus betonte stark den Aspekt des Alltäglichen, den das Religiöse hatte; Berichte von Erlebnissen in Form von Tagebüchern, Bekehrungsgeschichten sowie Autobiographien waren jedoch zu zentralen Literaturformen erhoben worden. In Texten dieser Art waren die Grenzen zwischen Biographie und Autobiographie nicht besonders eindeutig; die Darstellung des Lebens anderer konnte problemlos die Gelegenheit bilden, von persönlichen Erlebnissen zu sprechen. Auf diese Weise handelte zum Beispiel Gerber in seiner Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen, wenn er seine Freundschaft mit August Hermann Francke schilderte. Das biographische Element war in Johann Heinrich Reitz’ Historie der Wiedergebohrnen ebenso zentral gewesen, die übrigens stark von einem strukturellen Gesichtspunkt von Franckes Bekehrungsgeschichte, die wir schon zu erwähnen Gelegenheit hatten, beeinflusst worden war.64 Auch in der Reihe von Totengesprächen zwischen Thomasius und Francke, die von ihren Autoren als wirkliche Biographien entworfen worden waren, findet sich ein autobiographisches Element, allerdings in einer schöpferischen Form: Es sind die fiktiven Charaktere der beiden Philosophen, die aus ihrem eigenen Leben erzählen. Dieses Schwanken zwischen Biographie und Autobiographie, einem Element, das auf ganz verschiedene Weise in den pietistischen Sammelbiographien und in den Totengesprächen vorkommt, ist typisch für die Zeit. Noch am Anfang des 18. Jahrhunderts gab es kein wirkliches Bewusstsein für die Biographik als selbAuch die Biographien von Reitz und die biographischen Abschnitte in vielen Artikeln von Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon haben etliches aus Trauerreden übernommen. Vgl. Cornelia Moore, Patterned Lives, 299 u. 302. 63 Hans-Jürgen Schrader, Literaturproduktion und Büchermarkt, 519, Anm. 306. 64 Vgl. dazu Günter Niggl, Geschichte der deutschen Autobiographie im 18. Jahrhundert. Theoretische Grundlegung und literarische Entfaltung, Stuttgart 1977, 6–14. 62

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ständige literarische Gattung; es gab keinen begrifflichen Unterschied zwischen Biographik und Autobiographik, zwei Textformen, die oft beide als Vita bezeichnet wurden.65 Diese Benennung wurde auch in den eben betrachteten Totengesprächen angewandt. Die Dialoge zwischen Thomasius und Francke arbeiten auch den antiken Topos der ›Parallelleben‹ wieder aus, der doppelten Biographie in der Tradition Plutarchs. Die Βίοι παράλληλοι können jedoch nur als vage Reminiszenz betrachtet werden; es sind die bisher erwähnten textuellen Formen die direkten Muster der Totengespräche. Darunter fehlen nicht Texte, in denen Thomasius’ und Franckes Biographien ›im Parallel‹ geschildert werden. Wenn es zweifellos das erste Mal war, dass die Leben der zwei Gelehrten durch eine Reihe von Totengesprächen verglichen wurden, finden wir aber tatsächlich eine sehr ähnliche Logik in anderen, im Laufe des Jahres 1729 publizierten Schriften. Unter den Trauerreden, die anlässlich Thomasius’ Tod gedruckt wurden, finden wir auch eine Lessus professorum fridericianae in funere illustris viri collegaeque Christiani Thomasii. In dieser Schrift zieht sein Kollege Friedrich Hoffmann einen Vergleich zwischen den Leben und den Persönlichkeiten von Thomasius und Francke.66 Übereinstimmend mit den weiteren Schriften, die zu jener Gelegenheit publiziert wurden und die explizit keine besonders delikate theologische oder philosophische Frage thematisierten, ohne irgendeine kontroverse Schrift des Verstorbenen zu erwähnen,67 überging Hoffmann in seiner Rede die genauen Gründe für den Streit zwischen den zwei Gelehrten. Er beschränkte sich darauf zu bemerken, wie Thomasius sich durch die Untersuchung der weltlichen Gesetze, Francke durch die der göttlichen Gesetze unterschieden hatte. Unsere Totengespräche sind ein ganz anderer Fall. Ihre verschiedenen Autoren erwähnen mit außerordentlicher Detailfülle ›problematische‹ Schriften der Protagonisten der Dialoge, indem sie die intellektuellen Unterschiede zwischen den beiden besonders stark hervorheben. Wie weit die verwickelten Beziehungen zwischen den literarischen Gattungen, die eben erwähnt worden sind, mit der Welt der Flugschriften reichten, wird durch einen weiteren Aspekt bestätigt. Die Kupferstecher, die wir bisher kennengelernt haben und die noch in den folgenden Kapiteln eine Rolle spielen werden (ich denke

Vgl. dazu Karl Enenkel, Die Erfindung des Menschen. Die Autobiographik des frühneuzeitlichen Humanismus von Petrarca bis Lipsius, Berlin/New York 2008, 15–26; Michael Maurer, Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680–1815), Göttingen 1996, 106–10. 66 [Friedrich Hoffmann], Lessus professorum fridericianae in funere illustris viri collegaeque Christiani Thomasii ICti, in Wohlverdientes Denckmahl dem weiland wohlgebohrnen Herrn Herrn Christian Thomasius […]. Aufgerichtet von vornehmen Gönnern, Freunden und Nahen Anverwandten, Halle 1729, unpag. 67 Ralf G. Bogner, Der Autor im Nachruf, 197–98. 65

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z. B. an Martin Bernigeroth), bewegten sich auch in diesen Kreisen. Ihre Arbeit konzentrierte sich vor allem auf die Fertigstellung von Stichen für dieselben Textgattungen: Totengespräche, Trauerreden, periodische Journals, Flugschriften unterschiedlicher Art, mehr oder weniger preiswert und mehr oder weniger mittelmäßig.68 Das Totengespräch war ein schwer einzuordnendes Genre. Die Gruppe von ›philosophischen‹ Dialogen, die Gegenstand dieser Untersuchung ist, bildet nur eine der zahlreichen Strömungen, in welche die Gattung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gegliedert war. Sogar die Theologen wurden von dieser Mode angesteckt. Denn Christian Gerber bediente sich der Gattung, als er sich in den auf die Veröffentlichung seiner Historia der Wiedergebohrnen in Sachsen folgenden Jahren in einer Endlosspirale von Polemiken befand. Vertreter der lutherischen Orthodoxie hatten ihn angeklagt, sich an dem Werk von Johann Heinrich Reitz, eines gefährlichen Fanatikers, orientiert zu haben, beeinflusst von den radikalsten Strömungen des Pietismus. In den ersten Phasen des Konflikts hatte Gerber noch selbst auf die Angriffe seiner Feinde geantwortet. Nach seinem Tod 1731 waren es dann seine sächsischen Freunde, welche die Zügel in die Hand nahmen, wobei sie sich selbstverständlich über einen gewissen Einfluss der Historie von Reitz auf Gerber im Klaren waren, auch wenn sie ihn herunterspielten. Sehr interessant ist eine der Hauptargumentationen, mit denen sie sich vorgenommen hatten, Gerbers Verhältnis zu Reitz’ Historie der Wiedergebohrnen zu erklären. Wie Christian Kortholt ein De tribus impostoribus magnis liber veröffentlicht hatte, bei dem er sich von dem in der clandestinen Literatur des 17. Jahrhunderts sehr verbreiteten Topos der drei Betrüger hatte inspirieren lassen, ohne jedoch dessen Ideologie zu teilen, sondern im Gegenteil mit der Absicht, ein apologetisches Werk zu verfassen, so hatte es der pietistische Theologe mit Reitz’ Biographien gemacht.69 Für ihre Apologie des Theologen brauchten sie einen bestimmten Typus von Streitschrift, der es erlauben würde, gleichzeitig: 1) Gerber gegen den Vorwurf der Häresie zu verteidigen; 2) ihres kürzlich verstorbenen Freundes zu gedenken; 3) eine kurze Biographie über ihn zu veröffentlichen, in der die Darstellung der Fakten seitens seiner Verleumder dementiert würde. Um es kurz zu machen: Was man brauchte, war eine besondere literarische Gattung, welche gleichzeitig die Funktionen einer Streitschrift, einer synthetischen Biographie und einer Trauerrede erfüllte Zu Bernigeroth vgl. Kap. 8, § 4. Curieuse Unterredungen im Reiche der Todten, zwischen dem weltberühmten Pastore in Lockwitz Christian Gerbern, und […] David Schwerdnern, […] Superintendenten in Pirna, darinnen von denen Schrifften des Herrn Pastoris Gerbers überhaupt, insonderheit aber von der Historie der Wiedergebohrnen, und bey der Gelegenheit von der Mariage de conscience, und den Zustande, der Seelen nach dem Todte, auch andern curieusen Materien mehr, pro und contra discouriret wird. Andrer Theil, Frankfurt a. M./Leipzig 1732, 22. 68 69

Trauerreden, Totengespräche, (Auto)biographien

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und die außerdem einen derart einnehmenden Stil aufwies, dass sie die Aufmerksamkeit der Zielgruppen erweckte. Die Wahl fiel selbstverständlich auf ein Totengespräch, in dem Gerber sich persönlich gegen die Angriffe verteidigte.70

Vorrede zu Curieuse Unterredungen im Reiche der Todten, zwischen dem weltberühmten Pastore in Lockwitz Christian Gerbern, und […] David Schwerdnern, […] Superintendenten in Pirna, darinnen der […] Lebens-Lauff des Herrn Pastoris Gerbers […] beschrieben wird. Erster Theil, Frankfurt a. M./Leipzig 1732, 5: »so hat man den Entschluß gefasset, die gantze Controvers in einigen Gesprächen abzufassen, indem doch die Unterredungen sich zu Streit-Schrifften nur gar zu wohl schicken. Man hat ihnen den Titel einer Unterredung im Reiche der Todten beygelegt, weil die Todten-Gespräche bey der curieusen Welt itzo sehr beliebt sind […]. Die Lebens-Beschreibung Hrn. Pastor Gerbers, ist endlich deßwegen, ob sie gleich schon in der Historie der Wiedergebohrnen befindlich, beygefüget worden, weil die meisten Personen, so Todten-Gespräche lesen, die Lebens-Beschreibungen derer sich unterredenden Personen, vornehmlich darinn zu suchen pflegen«. Dieser erste Teil des Dialogs erschien mit zwei verschiedenen Varianten des Titelkupfers: vgl. Abb. 14 u. 15, Tafelteil S. 12* u. 13*. 70

Kapitel IV

Der Wolffsche Leibniz

Die Gespräche zwischen Thomasius und Francke, von denen gerade die Rede war, sind in unserer Textgruppe zweifellos die Totendialoge mit dem stärksten biographischen Einschlag. Diese Komponente spielte ganz sicher auch im Examen rigorosum eine Rolle, obwohl in jenem Text der Charakter der Gelegenheitsschrift wissenschaftlicher Natur überwog: Das Hauptdiskussionsthema waren nicht die Lebensgeschichten Grundlings und Buddes, sondern ihre philosophischen und literarischen Theorien. Es handelte sich darüber hinaus um das einzige von ausführlichen Fußnoten begleitete Gespräch, das ganz im Stil einer Dissertation auf die Werke der beiden Protagonisten verwies. Die Totengespräche zwischen Thomasius und Francke hingegen sind im Grunde genommen als Nachrufe konzipiert. Ihre Autoren hatten sich erklärterweise die Trauerreden zum Vorbild gewählt, die den beiden Philosophen zu Ehren nach ihrem Tod von ihren Kollegen, Freunden und Verwandten in verschiedenen Kirchen der Stadt Halle gehalten und anschließend auch gedruckt worden waren. Wie in den Totengesprächen schwangen auch in jenen Trauerreden teilweise stark vergleichende Töne mit. Dies gilt etwa für die Rede Friedrich Hoffmanns, die einen Vergleich zwischen Thomasius’ Leben und dem Franckes lieferte.1 Natürlich gab es, wie wir gesehen haben, auch bedeutende Unterschiede zwischen den Trauerreden und den Totengesprächen, die nach dem Tode Thomasius’ und Franckes veröffentlicht worden waren. Vor allem finanzielle Gründe hatten den Stil und die Vermarktung der Totengespräche entscheidend beeinflusst: Ihre Autoren waren weit mehr von dem Gedanken an die Verkaufszahlen bestimmt, als von der Trauer über das Dahinscheiden der beiden Professoren aus Halle. Die Gundling und Budde, aber vor allem auch Thomasius und Francke, zugeschriebenen Persönlichkeitsmerkmale wichen insgesamt nicht sehr von ihren realen ab. Den Verfassern der Gesprächsreihe zwischen Thomasius und Francke war es in erster Linie wichtig, die Gegenüberstellung der beiden illustren Persönlichkeiten, deren Lebenswege sich ständig gekreuzt hatten, die im Leben durch Ähnlichkeiten, Unterschiede und auch scharfe Zusammenstöße verbunden gewesen und schließlich im Abstand von nur einem Jahr beide gestorben waren, literarisch ansprechend zu gestalten. Das Totengespräch, das in diesem Kapitel näher analysiert werden soll, ist dagegen etwas anderer Art. In ihm überwiegt das Potential einer Streitschrift

1

Vgl. Kap. 3, § 5.

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über die biographische Komponente. Im Zentrum dieses Dialogs stehen nicht mehr seine Protagonisten, sondern alles dreht sich um eine zum Zeitpunkt seines Verfassens noch lebende Person. Der Autor des Textes inszeniert eine Art intellektuellen Prozess, der eine strenge Rollenverteilung vorsieht, in der die eine Seite als Sprachrohr der Anklage auftritt und die Gegenseite die Verteidigung übernimmt.

1. S. W. Für eine der Persönlichkeiten dieses Textes handelt es sich sogar um das dritte Totengespräch, in dem sie auftritt. In der Tat war Johann Franz Budde schon in zwei weiteren Texten aufgetaucht und in beiden sprach er mit Nikolaus Hieronymus Gundling: im Examen rigorosum und in dem als Totengespräch nach dem Modell des Examen verfassten Besonderen Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Grundlingen, […] und Johanne Francisco Buddeo.2 Diesmal ist der Gesprächspartner des Theologen keiner seiner Zeitgenossen, sondern ein Philosoph der vorangehenden Generation: Gottfried Wilhelm Leibniz. Im Gegensatz zum Examen rigorosum ist dieser Dialog, wie sich von seinem Titel ableiten lässt, als typisches Totengespräch verfasst (Abb. 16a, Tafelteil S. 14*).3 Im Zentrum der Unterhaltung zwischen den beiden Protagonisten steht jedoch eine dritte Figur: Christian Wolff. Budde kommt die Rolle des Gegners Wolffs zu. Eine Rolle, die ihm geradezu auf den Leib geschneidert scheint: Zu Lebzeiten war er den Pietisten zugeneigt und wie sie griff er Wolff in einer Reihe von ihm oder ihm nahe stehenden Personen verfassten Streitschriften an. Leibniz hingegen gab der Autor die Aufgabe, die Philosophie Wolffs gegen die Angriffe Buddes zu verteidigen.4 Zweifellos war Leibniz der Geeignetste, um in einem Gespräch dieser Art die Verteidigung Wolffs zu übernehmen. Zu jener Zeit wurden ihre beiden Philosophien häufig einander gleichgestellt und der Ausdruck »Leibniz-Wolff sche Philosophie«, mit dem nebenbei auch Budde das Wolff sche

Vgl. Kap. 2. Ausserordentliche Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, s.l. 1730. 4 Zur Kontroverse zwischen Wolff und Budde vgl. Heinrich Schröpfer, »Die Polemik zwischen Christian Wolff und Johann Franz Buddeus – ein Orientierungspunkt für die philosophiehistorische Einordnung der Wolffschen Philosophie«, in Hans-Martin Gerlach/Günter Schenk/ Burchard Thaler (Hgg.), Christian Wolff als Philosoph der Aufklärung in Deutschland, Halle 1980, 93–100. Zur Wolffschen Schule im Allg. und seiner Opposition zur Hallenser pietistischen Bewegung vgl. Hans-Martin Gerlach (Hg.), Christian Wolff. Seine Schule und seine Gegner, Hamburg 2001; Jürgen Stolzenberg/Oliver-Pierre Rudolph (Hgg.), Christian Wolff und die europäische Aufklärung, Bd. V, Hildesheim/Zürich/New York 2010. 2 3

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System vorstellte, ist gut bekannt.5 Ein zentrales Thema dieses Gesprächs ist denn auch der berühmte Streit Wolffs mit dem pietistischen Flügel der Universität Halle, der im Jahre 1723, sieben Jahre vor dem Erscheinen des Textes, zur Ausweisung des Philosophen, der des Atheismus angeklagt wurde, aus Preußen per königlichem Erlass geführt hatte. Der Einsatz dieser Textform zur Einmischung in die Kontroversen um Wolff und seine Widersacher war nicht ungewöhnlich. Unter den zahlreichen Streitschriften, die er und seine Schüler mit den Pietisten aus Halle austauschten, findet sich auch ein Dialog, in dem die fi ktiven Gesprächsteilnehmer Buddes Vorwürfe an Wolff bezüglich seines angeblichen Atheismus’ diskutieren.6 1723 hatte die Veröffentlichung des Werkes Prüfung der vernünff tigen Gedancken des Herrn Hofrat Wolff von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt in den intellektuellen Kreisen von Halle für viel Aufsehen gesorgt. Ein Schüler Wolffs, Daniel Strähler (1690–1750), hatte gewagt, öffentlich gegen seinen ehemaligen Meister Position zu beziehen. In demselben Jahr war ein fiktives Gespräch erschienen, in dem einer der drei Protagonisten Wolff verteidigt, während ein anderer für Strähler argumentiert.7 Bevor man in die Lektüre des Totengesprächs einsteigt, möchte ich kurz auf das Titelkupfer des Werkes eingehen, das Leibniz und Budde zeigt (Abb. 16b, Tafelteil S. 15*). Ohne Zweifel liefert diese Illustration uns, nach jener des ersten Gesprächs zwischen Christian Thomasius und August Hermann Francke, ein weiteres Beispiel für einen typischen Kupferstich der Publizistik der Frühaufklärung. Die beiden Philosophen werden hier ohne besondere Rücksicht auf physiognomische Aspekte vor einem Hintergrund dargestellt, der reich an Symbolen und Anspielungen auf die Welt der Wissenschaft, doch zugleich auch topisch und reich an Stereotypen ist: Die zwei Putten im Hintergrund mit einem zum Himmel gerichteten Fernrohr und die Instrumente im Vordergrund sind beispielsweise fast identisch mit jenen, die auf dem Titelkupfer des Werkes Anleitung zur Historie der Leibnitzisch-Wolffischen PhiJohann F. Budde, Bedencken über die Wolffianische Philosophie, 104. Die Ausgabe, aus der ich zitiere, ist die, die 1724 von Wolff mit seinen Anmerkungen versehen in den Druck gegeben wurde. 6 Guter Freunde vertrauliches Gespräch, über Herrn D. Buddei Bedencken, über die Wolffianische Philosophie, und Herrn Professor Wolffens dargegen edirte Anmerckungen gehalten, zwischen dem Lech, Boden-See, Neckar und Donau, s.l., s.a. 7 Prüfung der vernünfftigen Gedancken des Herrn Hofrat Wolff von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, worinnen des Herrn Autoris Schlüsse examiniert, die Unrichtigkeit derselben gezeiget, dessen Irthümer an den Tag gelegt, und die metaphysische, ingleichen die damit verknüpfte moralische Wahrheiten in grösseres Licht gesetzt werden, Leipzig 1723; [Balthasar H. Tilesius], Curieuse Reflexiones einiger guten Freunde über die neuesten Begebenheiten in der gelehrten Welt insonderheit in der Weltweißeit in einigen Gesprächen abgefasset und Herrn M. Strählern in Halle dediciret, Jena 1723. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/Zürich/New York 2000. 5

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losophie des Wolff-Nahen Georg Volkmar Hartmann (Abb. 17, Tafelteil S. 16*) zu sehen sind. Im unteren Teil des Bildes können wir einen uns bereits bekannten Namen lesen. Wie die Abkürzung »Brühl del. et sc. Lips.« uns mitteilt, ist es der Name desjenigen, der den Stich angefertigt hat: und zwar des Leipziger Kupferstechers Johann Benjamin Brühl, der einer ganzen Kupferstecherdynastie angehörte.8 Es ist ein kleines Detail, das dieses Bild von den anderen Titelbildern unterscheidet. Links unten, schräg gegenüber der Unterschrift Brühls, findet man eine zweite Paraphe: »Inv. [= »invenit«] S. W.«. Wer ist »S. W.«? Soweit wir gesehen haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass im Falle rein philosophischer Texte nie allein der Kupferstecher für den Entwurf der Illustration verantwortlich war. Und es hätte auch nicht anders sein können: Es ist schwer vorstellbar, dass solch raffinierte, symbolträchtige Bilder allein das Werk eines Kupferstechers sein sollten. Letzterer arbeitete oft mit den Autoren zusammen, die mit ihm die Verweise auf den Text absprachen, die in der Illustration auftauchen sollten. Man könnte folglich versucht sein zu glauben, dass »S. W.« der Verfasser des Totengesprächs sein könnte. Das heißt jedoch nicht, dass es nach dieser Annahme einfach ist, hinter die Identität des Autors zu gelangen. Eine Möglichkeit wäre, den Verfasser innerhalb jenes – nicht gerade kleinen – Personenkreises zu suchen, dessen Mitglieder in den Streit um Wolff involviert waren. In diesem Fall gilt, was in den vorangehenden Kapiteln bereits gesagt worden ist. Was die Flugpublizistik angeht, ist Individualismus kein besonders relevantes Kriterium, nicht nur wegen des fehlenden Urheberrechts und der Verbreitung von Raubdrucken. Die Druckereien waren oftmals nur daran interessiert, einen Text so früh wie möglich parat zu haben, um ihn zeitnah zu einem bestimmten Ereignis drucken zu können und damit die Attraktivität der Flugschrift für das Publikum zu steigern. Wenn es sich nun um den Verfasser des Dialogs handeln sollte, könnte »S. W.« ein Journalist, irgendein ›freier Mitarbeiter‹, der versuchte, sich durch die gelegentliche Zusammenarbeit mit Verlegern und Zeitschriften über Wasser zu halten, oder aber auch ein obskurer Student sein – ein junger Schreiberling von einem Verleger mit dem Ziel unter Vertrag genommen, ihn einen Text von sicherem kommerziellen Wert schreiben zu lassen, der direkt nach dem Tod eines seiner zwei Protagonisten, Johann Franz Budde, erscheinen konnte. In Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschriff ten wegen der wolffischen Philosophie von Carl Günther Ludovici triff t man auf drei Personen mit den Initialen »S« und »W«. Der erste Name, der auftaucht, ist Siegmund Ferdinand Weißmüller (1700–1748). In dem Totengespräch findet man jedoch keine Spur jener einzigartigen, neupythagoreischen Philosophie, die er vertrat, noch jenes ihm eigenen Leibnizismus, den er sicherlich auf Leibniz’ fiktive Figur übertragen 8

Zu Brühl vgl. Kap. 3, § 3.

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hätte.9 Der zweite Name ist der des Theologen Samuel Werenfels (1657–1740). Seine raffinierte, exegetische Kultur hätte das Gespräch zwischen Leibniz und Budde aber wohl in eine andere Richtung gelenkt. Außerdem war Werenfels zum Erscheinungsdatum des Dialogs bereits ein bekannter Theologieprofessor in Basel.10 Der letzte »S. W.«, den Ludovici aufzählt, und der zweifellos die naheliegendste Möglichkeit darstellt, ist ein gewisser Sigmund Wißhacken, Pädagoge und Verfasser der 1734 erschienenen Heilsame Betrachtungen von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, deren Hauptquelle eben das Werk Buddes ist.11 Es ist jedoch der Vergleich mit anderen deutschen Kupferstichen der Aufklärungszeit, der uns zu der Lösung des Problems um die Identität von »S. W.« führt. Betrachten wir einmal Gottscheds Übersetzung von Fontenelles Entretiens sur la pluralité des mondes. Die Illustrationen, die wir im Tafelteil (S. 17* u. 18*) auf den Abbildungen 18 und 19 (aus einer Ausgabe von 1751) sehen, passen genau zu dem Fall unseres Totengesprächs. Diejenigen, welche sie praktisch ausgeführt haben und deren Unterschriften man unten rechts sehen kann, sind zwei alte Bekannte: Johann Benjamin Brühl und Martin Bernigeroth. Gestaltet jedoch hat sie der berühmteste Kupferstecher der französischen Aufklärung, Bernard Picart (1673–1733). Letzterer hatte die Kupferstiche zum ersten Mal für die zweite französische Ausgabe der Fontenelleschen Œuvres diverses 1728 ausgeführt.12 Die Initialen »S. W.« unseres Totengesprächs stehen also für den Kupferstecher, der den Stich zum ersten Mal ausgeführt hat. Die beiden Figuren auf dem Bild weisen in Carl G. Ludovici, Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften wegen der wolffischen Philosophie, Leipzig 1737–38. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/New York 1976, 152 u. 160. Zu Weißmüller vgl. Karin Hartbecke, »Ein Evangelischer Theologus und Platonischer Philosophe. Sigmund Ferdinand Weißmüller und die pythagoreische Tetraktys«, in Monika Neugebauer-Wölk unter Mitarbeit von Andre Rudolph (Hg.), Auklärung und Esoterik. Rezeption-Integration-Konfrontation, Tübingen 2008, 283–98; Martin Mulsow, »Aufklärung versus Esoterik? Vermessung des intellektuellen Feldes anhand einer Kabale zwischen Weißmüller, Ludovici und den Gottscheds«, ebd., 331–76; ders., »Eine unwahrscheinliche Begegnung. Sigmund Ferdinand Weißmüller trifft Christian Wolff in Marburg«, in Monika Neugebauer-Wölk/Renko Geffarth/Markus Meumann (Hgg.), Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne, Berlin/New York 2013, 183–207. 10 Carl G. Ludovici, Sammlung und Auszüge, 222. 11 Ebd., 365. Sigmund Wißhacken, Heilsame Betrachtungen von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. So wohl aus der heiligen Schrifft, nach reinen evangelischen Glaubens-Aehnlichkeit als nach der gesunden Vernunfft auch nach den Grund-Lehren der neueren Weltweisen aus ihrer geistlichen Natur angestellet und […] verfasset von Sigmund Wißhacken, Præc. Schondorf, Stuttgart 1734. Zu ihm vgl. Zedler, Bd. LVII, 1530. 12 Vgl. Herrn Bernard von Fontenelle […] Auserlesene Schriften, nämlich von mehr als einer Welt, Gespräche der Todten, und die Historie der Heydnischen Orakel; vormals einzeln herausgegeben, nun aber mit verschiedenen Zugaben und schönen Kupfern vermehrter ans Licht gestellet, von Johann Christoph Gottscheden, Leipzig 1751; Œuvres diverses de M. de Fontenelle, de l’Academie Françoise. Tome second. Qui contient L’Entretien sur la Pluralité des Mondes. L’Histoire des Oracles. Nuovelle Edition augmentée par l’Auteur, La Haye 1728. Die erste Ausgabe der Œuvres war 1724 in Paris erschienen. 9

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der Tat so wenige eigene physiognomische Merkmale auf, dass es sehr gut möglich ist, dass der Kupferstich anfänglich für einen anderen Text entworfen worden war. Leider ist es mir weder gelungen, den fraglichen Text zu finden, noch hinter die Identität von »S. W.« zu gelangen. Bei der vertiefenden Lektüre des Dialogs ist es jedoch möglich, die Perspektive des Autors relativ genau zu umreißen, seinen philosophischen Bezugspunkt zu erkennen und vor allem die Verfassung des Textes im Rahmen der Tumulte um den spektakulären Ausschluss Christian Wolffs von seiner Universität zu kontextualisieren.

2. Die Auseinandersetzung mit Johann Franz Budde Anlässlich der Übergabe seines Amtes als Prorektor der Universität Halle an den Theologieprofessor Joachim Lange am 12. Juli 1721 hielt Christian Wolff eine berühmte Rede zur Moralphilosophie der Chinesen, die Oratio de Sinarum philosophia practica. In der Vorlesung wurde die Position vertreten, dass es möglich sei, ausgehend von der bekannten Religion und basierend auf dem Beispiel der Chinesen, wenn auch nicht nur auf Konfuzius, der »non nova invenisse, sed antiqua renovasse«,13 eine rationale Ethik zu begründen. Wolff bekräftigte damit ein zentrales Argument einiger Aufsätze über das China des ausgehenden 17. und des frühen 18. Jahrhunderts, welche die herausragende chinesische Leistung auf den Gebieten der Politik und Ethik lobten. Eines der berühmtesten Werke, in welchem schon früher diese These vertreten worden war, waren die Novissima Sinica von Leibniz (1697), wenn auch nicht sicher ist, dass Wolff von dem Beitrag Leibniz’ zur querelle Kenntnis hatte.14 Der Philosoph hatte sicher nicht den besten Moment gewählt, um seine These zur Überlegenheit der praktischen Philosophie der Chinesen vorzustellen. Die Abschiedsvorlesung wurde von Wolffs pietistisch beeinflussten Kollegen als eine weitere Provokation seitens eines seit langem der Heterodoxie verdächtigten und aufgrund seines zunehmenden akademischen Erfolgs immer unbeliebteren Intellek-

Christian Wolff, Rede über die praktische Philosophie der Chinesen, hg. von Michael Albrecht, Hamburg 1985, 44 (1. Ausg. Oratio de Sinarum philosophia practica, Frankfurt a. M. 1726). Vgl. dazu Michael Albrecht, Einleitung zu Christian Wolff, Rede über die praktische Philosophie der Chinesen, IX–LXXXIX. 14 Gottfried W. Leibniz, Novissima Sinica historiam nostri temporis illustratura in quibus de christianismo publica nunc primum autoritate propagato missa in Europam relatio exhibentur, deque favore scientiarum Europaearum ac moribus gentis & ipsius praesertim monarchae, tum & de bello Sinensium cum Moscis ac pace constituta, multa hactenus ignota explicantur, s.l. [Hannover], 1697. Zum Verhältnis zwischen diesem Text und der Wolffschen Oratio vgl. Michael Albrecht, Einleitung zu Christian Wolff, Rede über die praktische Philosophie der Chinesen, XIX–XXII. 13

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tuellen angesehen. Der in den Reihen seiner zahlreichen Widersacher ausgelöste Skandal war so groß, dass sich der Philosoph aus Breslau sofort mit dem Vorwurf des Atheismus konfrontiert sah. Seine Kollegen zögerten nicht, den König Friedrich Wilhelm I. um sein Einschreiten zu bitten, der dann auch am 8. November 1723 die Anordnung gab, dass Wolff Preußen unter Androhung des Galgens binnen 48 Stunden zu verlassen habe. Der Philosoph war gezwungen, nach Marburg zu fliehen, wo er bis 1740 bleiben sollte, dem Jahr der Aufhebung seines Exils auf den Wunsch Friedrichs II. von Preußen und seiner definitiven Rückkehr nach Halle, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1754 lebte.15 Es war nicht allein der Ausschluss Wolff s, der den Beginn der Feindschaft zwischen den Aufklärern und dem pietistischen Flügel der Universität besiegelte. Wolffs Exil war nur die letzte und aufsehenerregendste Konsequenz einer ganzen Reihe von Spannungen innerhalb des Kreises der Intellektuellen von Halle. Vor allem die Studien jüngerer Zeit haben immer stärker den Plurizentrismus als typisches Merkmal der Frühaufklärung, gegenüber der Konfiguration, welche die Aufklärung in Frankreich und England annahm, betont. Er drückte sich in einer Linie aus, die sich von Hamburg und Königsberg, quer durch Sachsen und Thüringen, bis in den Süden nach Nürnberg und Zürich zog.16 Das treibende Zentrum der deutschen Frühaufklärung lag jedoch in Halle. Deshalb können die unmittelbare Verbreitung der Wolffschen Kontroverse weit über die Hörsäle der Universität Halle hinaus und ihre historische Tragweite auch mit dem Ort erklärt werden, an dem sie stattgefunden hatte. Die zwei Pole des Wolffianismus und des pietistischen Antiwolffianismus hatten in der Tat großen Einfluss auf die nachfolgende Entwicklung der deutschen Philosophie und die spezielle Konfiguration, welche die Aufklärung in Deutschland gegenüber der in anderen europäischen Staaten annahm (man denke etwa allein an die Kantische Philosophie der vorkritischen Phase, die auch von August Friedrich Müller und dem Antiwolffianer Christian August Crusius beeinflusst worden war, die beide Schüler Andreas Rüdigers waren). Was die Geschichte von Wolffs Ausschluss so emblematisch macht, ist der Umstand, dass sie die philosophischen Span-

Zur Rekonstruktion dieser Ereignisse vgl. Carl Hinrichs, Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiös-soziale Reformbewegung, Göttingen 1971, 388–441; Eduard Zeller, »Wolffs Vertreibung aus Halle. Der Kampf des Pietismus mit der Philosophie«, in: ders., Vorträge und Abhandlungen, Bd. I, Leipzig 1875, 117–52; Thomas Müller-Bahlke/Andreas Pečar/Holger Zaunstöck (Hgg.), Die Causa Christian Wolff. Ein epochemachender Skandal und seine Hintergründe, Halle 2015. Zu Wolffs zweiter Hallenser Aufenthalt vgl. Hans-Joachim Kertscher, »Christian Wolffs zweiter Aufenthalt in Halle«, in Christian Wolff und die europäische Aufklärung, Bd. V, 435–59. 16 Hans E. Bödeker, »Strukturen der deutschen Frühaufklärung (1680–1720). Thesen«, in: ders. (Hg.), Strukturen der deutschen Frühaufklärung (1680–1720), Göttingen 2008, 9–20. 15

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nungen einer ganzen Epoche widerspiegelt. Der Fall Christian Wolff ist in der Tat einzigartig, bildet aber zugleich einen von vielen verschiedenen Blickwinkeln, aus dem man die große Atheismus-Debatte im Deutschland des frühen 18. Jahrhunderts betrachten kann. Die Verbannung der Wolff schen Philosophie während des zwanzigjährigen Exils des praeceptor Germaniae ist Teil eines größeren Konfliktes mit teilweise dramatischen Zügen, der bereits seit Jahrzehnten die Welt der Intellektuellen der deutschen Frühaufklärung spaltete. Das Eindringen der ›neuen Philosophie‹, die in primis Cartesianisch war, in die aristotelisch-scholastisch geprägten und eng mit dem Establishment der lutherischen Kirche verbundenen deutschen Universitäten war tatsächlich ein außergewöhnlich schwieriger Prozess, der sich zumindest über die ganze erste Hälfte des 18. Jahrhunderts hinzog. Wenn die Atheismus-Debatte auch in ganz Europa geführt wurde, so nahm sie in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts in Deutschland eine ganz eigene Form an, wovon die äußerst zahlreichen, an deutschen Universitäten produzierten Dissertationen zu dem Thema zeugen. Die akademischen Dispute um die Heterodoxie der antiken Philosophen vermischten sich ständig mit der Spinozismus-Debatte der modernen Denker und es wurde immer wieder versucht, rückblickend Ähnlichkeiten zwischen den antiken Häretikern und den Atheisten des 18. Jahrhunderts zu finden.17 Eines der bekanntesten Opfer des von den lutherischen Hierarchien angetriebenen Kreuzzuges gegen die Keime freien Denkens war Christian Thomasius. Obwohl er ein Freund August Hermann Franckes war und die pietistische Bewegung über viele Etappen hinweg begleitet hatte, zog der Philosoph sehr früh, vor allem wegen seiner Abneigung gegenüber der aristotelisch-scholastischen Tradition, das Misstrauen seiner Kollegen in Halle auf sich und wurde sogar des Atheismus beschuldigt, nachdem er in seiner Dissertation De criminae magiae (1701) Ideen auf dem Gebiet der Dämonologie vertreten hatte, die denen Descartes’ und Balthasar Bekkers gefährlich nah kamen.18 Man warf dem Philosophen vor, sich nicht auf das Unterrichten der eigenen Disziplin, der Rechtswissenschaft, zu beschränken, sondern unrechtmäßig auf das Gebiet der Moralphilosophie auszuschweifen. Mit demselben Misstrauen blickte man auf Wolff, der eine Mathematikausbildung hatte und sich nun immer stärker für die Metaphysik interessierte, der er 1720 die Schrift Vernünff tige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt (bekannter als Deutsche Metaphysik) widmete.19

Vgl. z. B. Johann F. Budde, Exercitatio historico-philosophica de Spinozismo ante Spinozam, Halle 1701. 18 Zur Entstehung des De crimine vgl. Kap. 5, § 2. 19 Im Folgenden wird der Text mit der Abkürzung DM zitiert. 17

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Wie Francke am 17. November 1723 in einem Brief an Budde nüchtern erklärt, sahen die pietistischen Gegner des Philosophen in der Vermischung von Philosophie, Mathematik und Physik, die sich in seinen Werken widerspiegelt, eine große Gefahr für die Moral und die religiöse Orthodoxie.20 Auch wenn ihr Widerstand gegen den Wolffianismus auf zahlreichen gemeinsamen Elementen beruhte, bildeten sich unter den Mitstreitern im Wolffschen Disput zwei Gruppen heraus, deren Grenzen vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts undeutlich waren. Die Antiwolffianer der ersten Phase teilten die Nähe zum Pietismus und zu Christian Thomasius, der in vielen Fällen ihr Lehrmeister war. Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts verschwimmen die Konturen der beiden Gruppen immer mehr und das ohnehin komplexe Bild von Gegenspielern und Unterstützern der Philosophie des praeceptor Germaniae wird durch die Gruppe der »selbständigen Wolffianer«21 erweitert, die weniger angepasst als ihre Vorgängergeneration waren und gegenüber dem System ihres Meisters heterodoxe Ideen vertraten. Eine erste Phase des Konflikts war durch die Beiträge Joachim Langes (1670– 1744), Andreas Rüdigers (1673–1731) und Buddes (1667–1729) bestimmt. Diese drei Persönlichkeiten vereinte ein erbitterter Kampf gegen die rationalistische Wolffsche Philosophie und ein mit Mechanizismus und Fatalismus identifiziertes System, dem sie Spinozismus und Atheismus vorwarfen. Die Kontroverse nahm von Mal zu Mal – abhängig von der spezifischen, philosophischen Orientierung der aktuellen Mitstreiter – verschiedene und interessante Formen an. Den Anfangspunkt der Anfeindungen legte eben gerade der Nachfolger Wolffs im Amt des Prorektors der Universität Halle, Joachim Lange, mit der Schrift Modesta disquisitio novi philosophiae systematis de Deo, mundo et homine, et praesertim de harmonia commercii inter animam et corpus praestabilita (1723). Seine Kritik an Wolff überschneidet sich mit der Buddes in den Bedencken über die Wolffianische Philosophie (1724).22 Natürlich

August H. Francke, Brief an Budde, 17. November 1723 (Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, ms. AFSt/H A 177:117, fol. 1r–2r). 21 Werner Schneiders, »Der Philosophiebegriff des philosophischen Zeitalters. Wandlungen im Selbstverständnis der Philosophie von Leibniz bis Kant«, in Rudolf Vierhaus (Hg.), Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, Göttingen 1985, 78. 22 Die vollständigen Titel der zwei Werke lauten: Joachim Lange, Modesta disquisitio novi philosophiae systematis de Deo, mundo et homine, et praesertim de harmonia commercii inter animam et corpus praestabilita: cum epicrisi in viri cuiusdam clarissimi commentationem de differentia nexus rerum sapientis et fatalis necessitatis, nec non systematis harmoniae praestabilitae et hypothesium Spinosae, Halle 1723. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/Zürich/New York 1986; Johann F. Budde, Bedencken über die Wolffianische Philosophie mit Anmerckungen erläutert von Christian Wolffen […], Frankfurt a. M. 1724. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/New York 1980. Weitere Antiwolffsche Schriften von Budde und Lange sind in dem Band Kleine Kontroversschriften mit Joachim Lange und Johann Franz Budde (Ndr. in Christian Wolff, GW, hg. von Jean École, I Abt., Bd. XVII, Hildesheim/Zürich/New York 1980) gesammelt. 20

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muss es uns nicht überraschen, Lange als Figur in den Totengesprächen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu begegnen.23 Die Anschuldigungen beider Theologen können mit der des Determinismus spinozistischer Prägung zusammengefasst werden, der aus dem Wolffschen System auf doppelter Ebene hervortritt. Auf kosmologischer Ebene führte die Theorie des nexus rerum (ein im Wolffschen Werk auch unter den Bezeichnungen series oder successio rerum wiederkehrendes Konzept), jene nach rein physikalischen Regeln notwendige Aneinanderreihung der Ereignisse, die an das Maschinenparadigma geknüpft ist, zusammen mit der Leibnizschen Theorie der göttlichen Wahl der besten aller möglichen Welten zu der Verneinung der Kontingenz und gestattete es, Gott das Böse zuzuschreiben und ihm gar die Freiheit abzusprechen.24 Auf psychologischer Ebene ist die menschliche Freiheit nach der Wolffschen Vorstellung der Seele als »substantia universi rapraesentativa« und nach der Theoretisierung der prästabilierten Harmonie zum Scheitern verurteilt. Zu seiner Verteidigung gegen diese Vorwürfe hatte Wolff zu beweisen versucht, dass dieser Doktrin in seinem System nur eine Nebenrolle zukommt, ganz im Gegensatz zu ihrer zentralen Rolle bei Leibniz.25 Es waren hauptsächlich diese Elemente, die – zusammen mit dem Gegensatz zwischen der von Budde theoretisierten eklektischen Methode, die stark antidogmatisch und antimetaphysisch geprägt war, und dem Wolffschen Ideal methodischer Strenge und Systematik – die Konfrontation zwischen Wolff und Budde bestimmten. Anders als Lange jedoch hatte Budde die eigene Widerlegung der Wolffschen Philosophie nie öffentlich machen wollen. Die Schrift wurde zuerst ohne sein Einverständnis veröffentlicht und zwang den Theologen nach dem Erscheinen von Wolffs Antwort, der wiederum die Bedencken über die Wolffianische Philosophie mit seinen eigenen polemischen Fußnoten erneut veröffentlicht hatte, zu der Publikation einer ›korrigierten‹ Version desselben Textes.26 Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass die Wolffsche Philosophie gerade nach Wolffs Ausweisung aus Halle erst richtig Fuß fasste. Seine plötzliche VerurGespräch im Reiche der Todten, zwischen Herrn D. Gottlieb Wernsdorffen, […] und Herrn D. Joachim Langen […], Frankfurt a. M./Leipzig 1744. Der Dialog wurde im Todesjahr des Theologen in den Druck gegeben. Zu Langes Rolle innerhalb der Wolffschen Kontroverse vgl. Udo Sträter, »Wolffs Gegner Joachim Lange im Kontext der theologischen Fakultät Halle«, in Jürgen Stolzenberg/Oliver-Pierre Rudolph (Hgg.), Christian Wolff und die europäische Aufklärung, Bd. III, Hildesheim/Zürich/New York 2007, 77–95. 24 Zu Wolffs kosmologischen Theorien vgl. insbes. Christian Wolff, Cosmologia generalis, methodo scientifica pertractata, qua ad solidam, in primis dei atque naturae, cognitionem via sternitur, Frankfurt a. M./Leipzig 1737². Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim 1964; ders., DM, 329–453. 25 Christian Wolff, »Anmerckungen« zu Johann F. Budde, Bedencken, 96–101, Anm. u. 26 Vgl. dazu Jean École, »Préface« zu Christian Wolff, Nöthige Zugabe zu den Anmerckungen über Herrn D. Buddens Bedencken von der Wolffischen Philosophie […], Frankfurt a. M. 1724. Ndr. hg. von dems., Hildesheim/New York 1980. 23

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teilung zum Exil brachte ihm in der Bevölkerung nicht wenig Sympathie ein und verursachte Protestbewegungen vor allem an den Universitäten von Leipzig, Jena und Wittenberg und in versteckterer Form auch an der von Halle. Das Echo, das sein Verweis von der Universität in der Öffentlichkeit ausgelöst hatte, regte viele, die seinem Werk bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten, dazu an, mehr darüber wissen und es besser verstehen zu wollen. Trotz oder wahrscheinlich gerade wegen des Verbots einiger Schriften Wolffs, in primis der Deutschen Metaphysik, seitens der Autoritäten begannen die Studenten, sich mit seinem System vertraut zu machen. Seit dem Ausbruch der lutherischen Reformation waren nicht mehr so viele Flugschriften, deren Interesse einer einzelnen Person galt, gedruckt worden. Die Fronten pro und contra Wolff bildeten sich immer deutlicher heraus und die Polemik um seine Person und sein Werk verschärfte sich. Seine starke Position innerhalb der deutschen Verlagswelt machte Leipzig zum Dreh- und Angelpunkt des Disputs, aber natürlich waren auch alle anderen größeren Universitäten Mitteldeutschlands Produktionsstätten von Pamphleten und Schauplätze hitziger Debatten, an denen Professoren, Studenten und generell jeder Verfechter der einen oder der anderen Position teilnahmen.27 Auch das Totengespräch zwischen Leibniz und Budde kann dem Bereich der Streitschriften zugeordnet werden, welche die beiden Seiten austauschten. Auf jenen Text verweist in der Tat, und das ist für die bisher behandelten Totengespräche einzigartig, die unter dem Eintrag Wolfische Philosophie angeführte Liste in Johann Heinrich Zedlers Grossem vollständigen Universal-Lexicon, die von dem Wolffianer Carl Günther Ludovici verfasst wurde und mehr als vierhundert Streitschriften benennt.28 Dieses Verzeichnis weist diesen Dialog als das Werk eines unbekannten Autors aus, wo hingegen er in Zitaten der Folgezeit des Öfteren David Fassmann zugeschrieben wird.29 Diese Zuordnung ist jedoch alles andere als überzeugend. Auf der einen Seite hatte der berühmte Verfasser von Totengesprächen Philosophie, Rechtswissenschaften und Theologie in Halle studiert. Auf der anderen Seite machen meiner Meinung nach ein Vergleich dieses Totengesprächs mit den seinigen, in denen

Vgl. Günter Mühlpfordt, »Die mitteldeutschen Universitäten als Rückhalt der Lehre Christian Wolffs nach seiner Vertreibung aus Halle«, in Christian Wolff und die europäische Aufklärung, Bd. V, 45–67. 28 Carl G. Ludovici, Art. »Wolfische Philosophie«, in Zedler, Bd. LVIII, 1079. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/Zürich/New York 2001. Weitere Verzeichnisse von Streitschriften, die aber den Dialog zwischen Leibniz und Budde nicht erwähnen, sind Carl G. Ludovici, Sammlung und Auszüge; Georg V. Hartmann, Anleitung zur Historie der leibnitzisch-wolffischen Philosophie […], Frankfurt a. M./Leipzig 1737. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/New York 1973, 835–1079. 29 Vgl. Wilhelm Risse, Bibliographia philosophica vetus, Bd. VII, Doxoscopia, Hildesheim/ Zürich/New York 1998, 141; Albert Heinekamp (Hg.), Leibniz-Bibliographie. Verzeichnis der Literatur über Leibniz bis 1980, Frankfurt a. M. 1984, 334–35. 27

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er niemals philosophische Themen behandelte, und weitere Elemente, auf die ich im Schlussteil dieser Arbeit noch eingehen werde, eine solche Zuordnung unmöglich. Das Totengespräch, das von Anfang an das Gespräch zwischen Leibniz und Budde mit vielen witzigen Bemerkungen wiedergibt, erhält seinen Rhythmus und seine Lebendigkeit schon in dem an den Leser gerichteten Vorwort, in dem der Autor eine kurze Präsentation der zwei Protagonisten und eine Beschreibung des Ortes, an dem sie sich befinden, abgibt. »Müssen alle davon, / Gelehrt, reich, jung, alt oder schön«:30 das Totenreich ist also ein Ort, wo alle einmal hinmüssen, ungeachtet ihrer Bildung, ihres Reichtums oder ihrer Schönheit. Auch Budde hat dieses Schicksal ereilt, obwohl er ein berühmter Philosoph und großer Gelehrter ist, wie uns der Autor in der Bildunterschrift in Versen zu dem das Totengespräch einleitenden Kupferstich erläutert: Verstand, Fleiss, Wissenschaff t, Kunst, alles nachzudencken, kan dir, o Leibnitz, wohl ein ewig Denckmal schencken, Buddeus aber zeigt: Belesenheit und Müh, darum vergehet auch sein Angedencken nie.31

Wie es in Dialogen dieser Art Brauch ist, beginnen auch unsere Totengespräche jedes Mal mit einer anderen Begründung, die den Beginn der Unterhaltung zwischen den Philosophen rechtfertigen soll. Die Gründe reichen von gegenseitiger Bewunderung, über den Wunsch, alte Kollegen wieder zu sehen, bis hin zum Mangel an besseren Gesprächspartnern in nächster Nähe. Letzterer ist der Grund, aus dem sich Andreas Rüdiger, der deutlich lieber mit anderen Denkern diskutiert hätte, auf ein Gespräch mit Descartes einlässt.32 In unserem Fall stellt das Treffen mit Leibniz für Budde, der gezwungen ist, auf seine Lieblingsbeschäftigung – das Lesen – zu verzichten, den einzigen Ausweg aus der Langeweile dar. Im Gegensatz zu Leibniz, der schon seit vierzehn Jahren im Totenreich verweilt, ist Budde ein Neuling und als solcher noch nicht damit vertraut, was erlaubt und was verboten ist.33 Wenn das Lesen von Büchern, die man im Leben zur Verfügung hatte, im Totenreich auch deutlich schwieriger ist, so gibt es dennoch andere, leichter zugängliche, intellektuelle Beschäftigungsmöglichkeiten. Vor allem ist es erlaubt, die ›Gespräche aus dem Reich der Toten‹ zu lesen, die gedruckt und von den Betroffenen 30

Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Bud-

deo. Ebd., 2. Vgl. Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Gundlingen, […] und Johanne Francisco Buddeo […], 6; Besonders curieuses Gespräch im Reich der Todten, zwischen […] Christian Thomasio, […] und August Hermann Francken […], 5; Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Rüdigern, und […] Cartesio, 10. 33 Ebd., 6. 31 32

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selbst gelesen werden: Dieser sehr originelle Einfall sollte dem Autor auch dabei helfen, die Unterteilung seines Totengesprächs in zwei Teile zu rechtfertigen.34 Ein weiterer möglicher Zeitvertreib ist das Briefeschreiben, dem sich Leibniz zu Lebzeiten stets gewidmet hat, und auf das er nicht verzichten will. Auf diese Weise stellt die Tatsache, dass Leibniz schon seit langem nicht mehr im ›Reich der Lebenden‹ verkehrt, kein Problem dar: Er ist von seinen Briefpartnern im Detail über alle aktuellen Kontroversen informiert worden und kennt alle Streitschriften, die Pietisten und Wolffianer bisher ausgetauscht haben.35 Schon in der ersten, hitzigen Phase der Diskussion zwischen den beiden Denkern, in der auch die immer noch kontroverse Frage der Schuld Wolffs gegenüber der Leibnizschen Philosophie angesprochen werden sollte, verteidigt Leibniz den verbannten Philosophen entschieden. Es ist sein stolzer Anspruch, sein ganzes Leben der Schaff ung eines philosophischen Systems gewidmet zu haben, der Budde am heftigsten verärgert. Für Letzteren ist die Systematisierung der Leibnizschen Philosophie wenn überhaupt der Arbeit Wolffs geschuldet, der damit der Mühe entgangen ist, sich eine eigene zu erarbeiten. Wie zu erwarten, beansprucht Leibniz das Verdienst, das Wolffsche System in fast allen seinen Aspekten vorweggenommen zu haben.36 Die Behauptung Buddes ist nach ihm vollkommen unzutreffend, denn »Herr Wolff ist ein Mann von Capacité im meditiren, in der Philosophie übertriff t ihn niemand nicht, und ist er aus seinem Kopffe capabel viele Dinge zu erfinden, an welche ich wohl niemahlen gedacht, und seine Einsicht ist sehr starck«.37 Das Hauptinteresse Leibniz’, wie es der Autor des Totengesprächs vorstellt, ist ganz klar ein einziges: Er möchte mehr über die Kontroverse zwischen Wolff und Budde erfahren und schlägt sich dabei auf die Seite des Ersteren. Sein Gesprächspartner macht seine Hoffnungen jedoch zunichte, indem er ihn trocken dazu auffordert, seine Neugier durch das Lesen der Bedencken über die Wolffianische Philosophie zu befriedigen. An dieser Stelle wird der Schlagabtausch der beiden Figuren über die Wolffsche Philosophie unterbrochen, und es folgt ein Exkurs Leibniz’ über

34 35

Vgl. § 3 dieses Kapitels. Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Bud-

deo, 7. Ebd., 17: »Ich bin Herrn Wolffen in allen Stücken vorgegangen, und wird leichtlich niemand in Abrede seyn, daß ich nicht vor mich in allen meinen Philosophischen Lehr-Sätzen einen Zusammenhang gewust, wenn ich aber denselben andern Leuten weitläufftig vormahlen solte, so fehlet es nur an Gedult, dahero es denn auch geschehen, daß ich mir niemahlen die Mühe geben können, ausführlich, und wie es andere Weltweise gemacht, die Connexion meiner Lehren darzu thun. Herr Wolff aber, der diese Arbeit über sich genommen, hat wohl gefunden, daß alles, was ich gelehret, einander nicht im geringsten wiederspreche, sondern in der schönsten Harmonie durchgehends stehe«. 37 Ebd., 18. 36

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das eigene Leben, nachdem er selbst Budde vorgeworfen hat, zur Vermeidung ihm unliebsamer Gespräche auf andere Themen auszuweichen.38 Das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte ist in der Tat eine wesentliche Eigenschaft der Totengespräche jener Zeit, besonders der David Fassmanns, die zweifellos den größten Erfolg beim Publikum hatten. Auch unsere Autoren erklären in den Überschriften ihrer Texte, dass sie die Lebensgeschichte ihrer Protagonisten erzählen möchten. Wie wir bereits gesehen haben und auch im Folgenden noch bei anderen Gesprächen sehen werden,39 ist die Sache etwas komplexer. Den Verfassern ist es wichtig, über eine einfache chronologische Zusammenfassung hinaus, anspruchsvollere Fragen zu behandeln. Sie beschränken sich aber nicht allein darauf, diese Komponente auszublenden, sondern ›spielen‹ durch Bemerkungen ihrer Figuren mit der mittlerweile ein echtes Klischee gewordenen Gewohnheit, die Protagonisten von ihrem Leben erzählen zu lassen. Die Diskussion über Christian Wolff, die der fi ktive Budde gern vermieden hätte, nimmt in Wirklichkeit viel Raum in dem Gespräch der beiden Denker ein. Zwischen Leibniz und Budde folgt in der Tat eine Debatte über Mathematik, Eklektizismus und vor allem über ein dominantes Thema der aktuellen akademischen Debatten, das im Deutschland jener Zeit in einer überdurchschnittlich großen Zahl von Dissertationen behandelt wird: der Atheismus. Bei der Behandlung dieser Sachverhalte ist es unmöglich, nicht auf das Wolffsche Problem zu sprechen zu kommen, und so sind Leibniz und Budde zu einer direkten Konfrontation über den Gedanken des Philosophen aus Breslau gezwungen. Die Auseinandersetzung der beiden Philosophen über diese Themen wird unvorhergesehen durch eine Diskussion über die Publikumswirksamkeit der Bücher und den ihnen innewohnenden Wert entfacht.

3. Eklektik, mathematische Methode, Atheismus Zu Beginn ihrer Unterhaltung stimmt Leibniz mit Budde vollends darin überein, dass die meistverkauften Bücher nicht immer die besten sind. Zur Unterstützung dieser These bringt er jedoch ein doppeltes Beispiel, indem er einerseits die Mathematikbücher, deren Wert seiner Meinung nach unterschätzt wird, für ihre Großartigkeit lobt und andererseits feststellt, dass die Bücher Buddes aufgrund ihres schönen Stils, der Vermeidung zu komplexer Diskussionen und der Wahl nützlicher und leicht verständlicher Sachverhalte hohen Absatz finden. Budde erkennt sofort die Böswilligkeit hinter diesen Worten: Sein Gegenspieler macht ihm einen sehr 38 39

Ebd., 13–14. Vgl. dazu insbes. Kap. 7, § 1.

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eindeutigen Vorwurf, der stark an den erinnert, den er selbst gegen Christian Wolff zu erheben pflegte. Eine solche Haltung ist zumindest befremdlich, da Leibniz zu Lebzeiten ganz sicher nicht dazu neigte, sich zu solch böswilligen Urteilen hinreißen zu lassen. Leibniz versucht, sich so gut wie möglich zu verteidigen, indem er darauf hinweist, dass denjenigen, die sich im Totenreich aufhalten, die Möglichkeit vorbehalten ist, ohne Heuchelei die Wahrheit zu sagen: Qui non scit dissimulare, nescit regnare: Wer sich nicht verstellen kan, der weiß nicht zu regieren. Sie wissen wohl, was die gelehrte Republique vor ein verwirrtes Wesen ist. So viel Köpffe, so viel Herren und eingebildete Monarchen. Wer nun in derselben einiges Lob behalten will, der muß beständig dahin sehen, daß er es mit Niemanden verderbe, sondern von einem jeden glimpflich und mit Bescheidenheit rede, und wie es bey Hofe in Acht genommen wird, sich auch nicht den Küchen Jungen zum Feinde mache, vielmehr sich um dessen Freundschaff t bewerbe. Dieses ware meine Meinung, die ich in Acht nahme, da ich im gelehrten Reiche lebete, ietzo aber, da wir im Reiche der Todten seynd, und ich nicht mehr praetendire, ein Fürst der Gelehrten zu heissen, kan ich wol meine Meinung von ihren Schriff ten freyer an den Tag legen?40 Buddes Verblüff ung über die Diskrepanz zwischen dem ›historischen‹ Leibniz und der fiktiven Figur seines Gesprächspartners im Totengespräch ist durchaus begründet. Die Leibnizsche Unterscheidung zwischen dem ›Reich der Wissenschaft‹ und dem ›Reich der Toten‹, mit dem jeweils dort am besten anzunehmenden Verhaltenskodex, ist in der Tat eine Escamotage des Autors, um die Rolle Leibniz’ als Fürsprecher Christian Wolffs zu rechtfertigen. So erhebt er tatsächlich genau dieselben Vorwürfe gegen Budde, die Wolff gegenüber dem Theologen in seinen Anmerkungen zu den Bedencken über die Wolffianische Philosophie erhoben hatte. In jenen Anmerkungen hatte Wolff gezeigt, wie Buddes geringe theoretische Substanz und seine ›feine Sprachkunst‹ dem Theologen eine stringente und sachbezogene Argumentation gegen die Wolffsche These unmöglich gemacht hatten.41 Wolffs Vorwürfe an Budde beschränkten sich jedoch nicht darauf, die Oberflächlichkeit des Theologen anzuprangern: […] Herr Budde nichts weniger als die Philosophie verstehet/und seine Schriff ten nichts als den Namen von der Philosophie haben […]. Budde/indem er ein Eclecticus seyn wolte/ein Scepticus würde/massen er nicht wüsste/welcher Meynung er beypflichten.42

40 41 42

Ebd., 10–12. Vgl. insbes. Christian Wolff, Anmerckungen zu Johann F. Budde, Bedencken, 5. Ebd., 1 u. 95.

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»Der [sic] Thaten und Erfindungen Buddei sind wohl nicht viel«: Auch Leibniz formuliert in unserem Totengespräch eine deutliche Kritik an der eklektischen Philosophie Buddes, die ihm dabei hilft, die unterschiedlichen Meinungen der beiden Philosophen aufzuzeigen, während er zögert, seine eigene auszudrücken.43 Im Folgenden vergleicht Leibniz den Eklektizismus mit der Jacke eines Bettlers voller Flicken oder mit einem schwer verdaulichen Getränk, in das zu viele Zutaten gemischt wurden.44 Budde reagiert nüchtern auf diese Kritik: Wie kann Leibniz seine Bücher beurteilen, wenn er sie wahrscheinlich noch nie gelesen hat, so beschäftigt wie er mit seinen mathematischen Spekulationen ist?45 Dieser neue Seitenhieb des Theologen führt eines der Leitmotive des Totengesprächs ein, einen der Hauptkritikpunkte der Gegner Wolffs: das Statut des mathematischen Wissens und sein Verhältnis zur philosophischen Spekulation. Budde sieht den Fehler Wolffs in seinem Ehrgeiz, um jeden Preis Beweise mit dem Anspruch auf Fehlerlosigkeit liefern zu wollen, wobei er die mathematische Methode missbraucht und eine ›labyrinthische‹ Philosophie erschaff t.46 Die Anmerkungen, die der Autor Budde in den Mund legt, spiegeln sehr gut die Abneigung des Theologen gegenüber jeglicher Vermischung der theologischen Sphäre mit dem Bereich der Philosophie wider und sind auch unter dem Aspekt der gegensätzlichen Anschuldigungen zu betrachten, die Wolff ihm in den Anmerkungen zu den Bedencken entgegenbringt: Er ist ein grosser Feind vom Beweisen […]. Wenn man als ein Philosophus disputiren will[,] muß man die Gründe angreiffen damit der andere seine Sätze erweiset […]. Herr Budde zeiget beständig er glaube daß er nur Recht habe zu sagen was er wolle und dörffe nichts beweisen.47

Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 12. Zu Buddes Eklektik vgl. Michael Albrecht, ›Eklektik‹: eine Begriffsgeschichte mit Hinweisen auf die Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, 434–50; Serenella Masi, »Eclettismo e storia della filosofia in Johann Franz Budde«. 44 Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 75. 45 Ebd., 12. 46 Ebd., 33: »Herr Wolff gehet gar zu weit, er raisoniret gar zu viel, und seine Philosophie führet in ein Labyrinthe, aus welchen man sich hernach nicht finden kan. Er will alles so genau bestimmen, und zwar nach mathematischer Art, man weiß aber, was die mathematische Principia offt vor Unglück angerichtet, und sind die Jesuiten die ersten, und letzten, worauf er sich beruffet, sonst wird er wohl wenigen Anhang mehr haben«. Mit extrem ähnlichen Worten wird Andreas Rüdiger, in einem ein Jahr später veröffentlichten Totengespräch mit Descartes, die Wolffsche Methode kritisieren (Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Rüdigern, und […] Cartesio, 17). Vgl. dazu Kap. 6. 47 Christian Wolff, »Anmerckungen« zu Johann F. Budde, Bedencken, 5, 7, 9. 43

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Für Leibniz ist die Trennung der beiden Disziplinen undenkbar, da der Nutzen der Mathematik für die Philosophie unberechenbar ist: Sie könnte sogar gegen das freie Denken – für Budde unbestrittene Gottlosigkeit – desjenigen gerichtet sein, der sie wie John Toland oder der Autor der Voyages et aventures de Jacques Massé falsch eingesetzt hat.48 Die zweifellose Radikalität des Werkes von Simon Tyssot de Patot macht seinen Verkauf überaus riskant und in der Tat müssen die Buchhändler, die diese Verantwortung auf sich nehmen wollen, es hinter einem Titelblatt verstecken, dessen Überschrift kein Misstrauen auslöst. Dasselbe passierte, wie uns Budde versichert, mit den Schriften Spinozas, die hinter dem Titel Opera medica verborgen wurden.49 Natürlich gehen die Meinungen der zwei Gesprächspartner auch über die Philosophie Spinozas auseinander, dem in den deutschen Dissertationen jener Zeit die Rolle des Hauptangeklagten für das atheistische Abdriften der Philosophie zukam. Außerdem wurde ihm regelmäßig, einem Topos der deutschen philosophisch-gelehrten Literatur des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts folgend, der von den legendären Abhandlungen gegen Moses, Jesus und Mohammed inspiriert wurde, vorgeworfen, ein ›Betrüger‹ zu sein.50 Für Budde ist er bloß ein gefährlicher Feind der christlichen Religion, deren Geheimnisse er ins Lächerliche zieht; seine außerordentlichen mathematischen Fähigkeiten verbieten es dagegen Leibniz dem Philosophen aus Amsterdam seine Wertschätzung vorzuenthalten.51 Während aber für Leibniz die authentischsten und unsterblichen Beispiele für Mathematiker-Philosophen Platon und Aristoteles sind, lacht ihn Budde wegen seiner mangelnden prophetischen Fähigkeiten aus: Im Totenreich lösen Aristoteles und die anderen Lieblinge seines Gesprächspartners nur noch Schmunzeln aus. Gerade weil er der Meinung ist, dass mittlerweile »Ceciderunt in profundum / Summus Aristoteles, / Plato & Euripides«, ist Budde untröstlich darüber, dass es für Leibniz nichts Anziehenderes als die Mathematik gibt.52 Vor allem gegenüber Aristoteles zeigt Budde in dem Gespräch mehrfach eine deutliche Feindschaft, was Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 40. 49 Ebd., 78. 50 Vgl. insbes. Friedrich E. Kettner, De duobus impostoribus, Benedicto Spinosa et Balthasare Bekkero dissertatio historica […], Leipzig 1694; Christian Kortholt, De tribus impostoribus magnis liber, Kiel 1680. Diese Texte spielen auf zwei berühmtere ›Betrügertraktate‹ an. Die Entstehung der beiden anonym erschienenen Texte in lateinischer und französischer Sprache wird bekanntermaßen immer noch kontrovers diskutiert. Vgl. Anonymus [Johann Joachim Müller], De imposturis religionum (De tribus impostoribus). Von den Betrügereyen der Religionen, hg. von Winfried Schröder, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999; Traktat von den drei Betrügern. Traité des trois imposteurs, hg. von Winfried Schröder, Hamburg 1994 (siehe auch Trattato dei tre impostori. La vita e lo spirito del signor Benedetto de Spinoza, hg. von Silvia Berti, Turin 1994). 51 Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 39. 52 Ebd., 20–25. 48

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in Anbetracht der zahlreichen Stellen in seinen Werken, in denen er gegen den griechischen Philosophen wettert, indem er dessen Atheismus diskutiert oder dessen Heterodoxie mit einigen Thesen Wolffs vergleicht, nicht verwundert.53 In einem Teil des Gesprächs diskutieren Leibniz und Budde die heikle Frage nach Wolffs Atheismus. Der Verfasser entpuppt sich hier als aufmerksamer Leser der Streitschriften, indem er Budde ganz bewusst die klassischen Argumente der antiwolffschen Schriften des Theologen und seiner Anhänger in den Mund legt. Budde bestreitet, Wolff je des Atheismus beschuldigt zu haben, und versichert, sich darauf beschränkt zu haben, darauf aufmerksam zu machen, dass Wolffs Lehren verdächtig seien und dem Atheismus ›Tür und Tor öffneten‹. Diese Erklärung überzeugt Leibniz nicht, der meint, in diesen Unterstellungen die gewohnte Überheblichkeit der Theologen zu erkennen, die sich von vornherein gegen jeden stellen, der etwas Neues erfindet, wie es schon Voetius mit Descartes getan hatte.54 Mit genau derselben Argumentation, nach der der antiwolffsche Theologe Wolff nie des Atheismus, sondern lediglich der Unterstützung von Doktrinen, die atheistische Konsequenzen haben können, angeklagt hätte, hatte der Schwager Buddes, Johann Georg Walch, seinen Verwandten in einer Schrift verteidigt, die 1724 als Antwort auf die Veröffentlichung der Wolffschen Widerlegung der Bedencken über die Wolffianische Philosophie erschienen war.55 Die endgültige Absage Buddes, persönlich an dem Antiwolffschen Streit teilzunehmen, stimmt also nicht mit dem Ende der Auseinandersetzungen zwischen seinen Befürwortern und Wolff, der Walch noch im selben Jahr mit einer Nöthigen Zugabe zu den Anmerckungen über Herrn D. Buddens Bedencken von der Wolffischen Philosophie antwortete, überein.56 Im zweiten Teil des Gesprächs spielt der Wolffismus eine marginalere Rolle, wie es sich Leibniz durch einen brillanten Trick des Autors selbst wünscht. Der Philosoph hat soeben sein mittlerweile gedrucktes Gespräch mit Budde gelesen: Dies ist nicht das einzige unserer Gespräche, in dem die Situation geschaffen wird, dass die Protagonisten leichten Zugriff auf ihre eigenen und die Totengespräche zwischen

Vgl. z. B. Johann F. Budde, Bedencken, 43–51. Der Atheismus antiker Philosophen, mit besonderem Bezug auf Buddes und Gundlings Schriften, ist zentrales Thema des Examen rigorosum und des Besonderen Gesprächs in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Gundlingen, […] und Johanne Francisco Buddeo […] (vgl. Kap. 2). 54 Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 23–24. Für ähnliche Überlegungen seitens des ›historischen‹ Budde vgl. Johann F. Budde, Bedencken, 5. 55 Johann G. Walch, Bescheidene Antwort auf Herrn Christian Wolffens Anmerckungen über das Buddeische Bedencken dessen Philosophie betreffendt, welches selbst wieder beygefügt worden, Jena 1724. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/Zürich/New York 1990, 5. 56 Christian Wolff, Nöthige Zugabe. Für die Wolffsche Replik auf die Unterstellung, Ideen mit atheistischen Implikationen zu vertreten, vgl. ebd., 2 (unpag.) u. 69. 53

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anderen Philosophen haben.57 Leibniz ist mit dem Gedruckten überhaupt nicht zufrieden und bittet Budde darum, noch ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Im ersten Teil hatte er keine würdevolle Figur abgegeben, da er, dadurch dass er seine Gedanken nicht immer folgerichtig miteinander verbunden hatte und vielen an ihn gerichteten Fragen die Antwort schuldig geblieben war, nicht mehr der Philosoph zu sein schien, der er einmal war. Es ist sehr belustigend, die Gesprächsbeiträge zu lesen, die der Autor Leibniz zuschreibt, den er Budde sogar vorwerfen lässt, den ersten Teil des Gesprächs zu seinem Vorteil manipuliert zu haben: Leibnitz erblickte Buddeum wieder in dem Reiche der Todten, und sagte zu ihm: A propos Herr Buddeus, unser neulich gehaltenes Gespräche ist gedruckt, allein ich bin nicht gar zu wohl damit zufrieden. Denn ich finde, daß Sie eines und das andere, welches ihnen zu hart gedeucht, darinnen haben ändern lassen; ob ich nun alles dieses sonsten wohl vertragen möchte, so scheinet doch bey dieser Veränderung an machen, ob gleich wenigen Stellen die Connexion etwas zu fehlen, welche ich doch, wenn ich mich unterrede, gar zu gerne liebe. Denn sonsten würden die Leute dencken, ich wäre kein Philosophus nicht mehr, weil ich in meinen Unterredungen so schlechte Connexion hätte, und auf Ihre Einwendungen gar nicht antwortete. Wolten Sie also etwas mit mir weiter sprechen, was künff tig dem Druck überliefert werden soll, so bitte ich gar zu sehr, ändern Sie nichts darinn, und flicken nichts hinein, was Sie mir nicht unters Gesicht gesaget, lassen Sie es vielmehr durch einen Ihrer Anhänger, wenn es der Mühe werth ist, refutiren.58

In diesem zweiten Teil verlieren die Bemerkungen Leibniz’ an Schärfe; auch Budde wird vorsichtiger und bringt seinem Gesprächspartner mehr Respekt entgegen. Seine x-te Aufforderung an Leibniz, nicht mehr über Christian Wolff zu sprechen – diesmal in einem bittenden Tonfall –, wird erhört: Der Schlagabtausch über Wolff macht ruhigeren Diskussionen Platz. Sie sprechen unter anderem über Martial, Petrarca, Mersenne und Origenes und diskutieren über den Traduzianismus, die Kabbala und die Gründung der Universität Halle.59 Auch das Problem der Existenz des Bösen, über das Leibniz und Budde bereits in ihrem vorangehenden Gespräch besonders in Bezug auf die Beziehung zwischen Leibniz und Pierre Bayle und die Doktrin der Apokatastasis (»Wiederbringung aller Dinge«) in den drei Varianten von Origenes, Leibniz und Petersen, gesprochen hatten, wird hier wieder aufgegriffen.60 An diesem Punkt kommt Leibniz erneut auf seine Theodizee zu sprechen, Vgl. Kap. 4, § 4. Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 53. 59 Ebd., 62–73. 60 Ebd., 27–32. Leibniz hat 1715 zu diesem Thema insbes. zwei Fragmente verfasst, mit den Titeln ’Aποκατάστασις πάντων und ’Aποκατάστασις, veröffentlicht in Gottfried W. Leibniz, De 57 58

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anfangs aus Neugier auf Buddes Meinung zu diesem Werk. Er zieht es dann jedoch vor, die Diskussion im Keim zu ersticken, und verzichtet so auf die Vertiefung einer Debatte, zu der beide sicherlich viel beizutragen gehabt hätten.61 Auch bei ihrem zweiten Treffen sollten die zwei Intellektuellen allerdings auf die Kontroverse zwischen Christian Wolff und seinen Kollegen aus Halle zurückkommen – jene heikle Frage, die Budde lieber aus seinem neuen Gespräch mit Leibniz ausgeklammert hätte. Genau wegen des alten Streites soll Descartes in dem Totengespräch, in dem er im folgenden Jahr als Protagonist erscheint, seinen ganzen Unwillen gezeigt haben.62 Leibniz hingegen ist in diesem Gespräch vor allem an der Auseinandersetzung zwischen den beiden Seiten interessiert und kehrt aus diesem Grund, trotz seines Versprechens, seiner Neugier folgend zu diesem Thema zurück. Dabei stellt er sicher, dass Budde ihm noch vor dem Ende dieses zweiten Gespräches weitere Informationen über sein Verhältnis zu Wolff liefert. So diskutieren die Beiden erneut über die gefährlichen, spinozistischen Folgen einer Vermischung der mathematischen und der philosophischen Methode im Spinozismus delectus des Antiwolffianers Volkmar Conrad Poppo.63 Auf diese Weise verfallen sie aufs Neue dem Thema, das sie hatten vermeiden wollen und das deshalb Anlass zu diesem Gespräch gewesen war: die Philosophie des ›Atheisten‹ Wolff vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen seinen Anhängern und den Pietisten. Diese Diskussionen machen durch ihre feinen Anspielungen auf die aktuellen Kontroversen und die große Zahl an Zitaten sehr deutlich, dass dieser Dialog für einen überdurchschnittlich gebildeten Leser bestimmt war, der in der Lage sein musste, die Zitate seltener Werke wiederzuerkennen, und sowohl ein Experte der antiken und modernen Philosophie als auch der akademischen Debatten der Frühaufklärung sein musste. Diese Überlegung kann natürlich auf alle bisher hier erwähnten philosophischen Gespräche ausgedehnt werden. Da es sich jedoch immer noch um die literarische Aufarbeitung sehr komplexer Fragen handelt, kommt es zwangsläufig zu einer Stilisierung. Leibniz wird auf eine Weise dargestellt, die in der Tat seinen typischen Charakter widerspiegelt – die perfekte Inkarnation jel’horizon de la doctrine humaine. La restitution universelle, hg. von Michel Fichant, Paris 1991. In einem zeitgenössischen Totengespräch diskutieren auch die Theologen Johann Friedrich Mayer und Johann Wilhelm Petersen über die Apokatastasis. Vgl. dazu Kap. 7. 61 Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 82. Zu Buddes Widerlegung der Leibnizschen Theorie vgl. Stefan Lorenz, De Mundo Optimo. Studien zu Leibniz’ Theodizee und ihrer Rezeption in Deutschland (1710–91), Stuttgart 1997, 105–21; Faustino Fabbianelli, »Leibniz, Budde et Wolff. Trois modèles de théodicée«, in Revue philosophique de la France et de l’étranger, CXXVIII (2003), 298–301. 62 Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Rüdigern, und […] Cartesio, 16. Vgl. Kap. 6, § 2. 63 Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 94.

Wie viele Autoren?

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nes philosophischen Ideals, das die pietistisch orientierten Denker stigmatisierten. Leibniz verteidigt die mathematische Methode, Christian Wolff und Aristoteles, sein Misstrauen für den Eklektizismus, den er einer ›systematischeren‹ Philosophie gegenüberstellt, mit Worten, die aus ihnen Opfer eines vereinfachenden Verfahrens machen, das mit dem aus dem Gespräch Descartes aus dem Folgejahr vergleichbar ist, über das wir im Weiteren noch sprechen werden64. Was Budde betriff t, so lässt der Autor ihn in einem großen Teil seiner Redebeiträge zu der Wolffschen Frage jene Anschuldigungen wiederholen, die der Philosoph ganz real in seinen Bedencken über die Wolffianische Philosophie gegenüber Wolff geäußert hatte und auf die Wolff in seinen Anmerkungen mit Heftigkeit und Sarkasmus geantwortet hatte. Auch der Budde, der als Protagonist des Totengesprächs auftritt, bringt wie der ›historische‹ Budde, Verfasser der Bedencken, seine Überzeugung zum Ausdruck, dass Wolff sein System auf der Theorie der prästabilisierten Harmonie aufgebaut hat, und verteidigt das Modell des physischen Einflusses gegenüber jenen Ideen, die den Grundstein zu einer Philosophie des Fatalismus und der Notwendigkeit legen würden, die dem Menschen seine Freiheit nehmen und Moralität und Religion in Gefahr bringen würde.65 Dies waren in der Tat einige der Grundvorwürfe, die gegen Wolff erhoben worden waren und zu seiner Ausweisung aus Halle geführt hatten; und es war gerade der Atheismus, das dominante Thema der zeitgenössischen, akademischen Debatten, über das der Autor die beiden Philosophen in seinem Totengespräch diskutieren lassen wollte.

4. Wie viele Autoren? Die Antwort auf die Frage, welchem Autor das Gespräch zwischen Leibniz und Budde zugeschrieben werden kann, wird durch die Bezüge auf diesen Text, die wir im Examen rigorosum gefunden haben, sicher nicht leichter. Fassen wir die Situation noch einmal zusammen. Der Verfasser des Examen rigorosum, »AletopHilus«, hatte seine Inszenierung des Urteils Apolls auf dem Berg Parnass über Gundling und Budde mit einem Angriff auf andere Verfasser von Totengesprächen beendet. Dabei schlug er einen anspielungsreichen und sehr kryptischen Ton an. Er nahm Bezug auf einige Regeln, die der Verfasser eines Totengesprächs beachten sollte, und ließ dabei nicht durchblicken, ob er die Identität und die Anzahl seiner Rivalen kannte. Der Autor des Examen hatte zu seiner empörten Kritik an der Konkurrenz, deren Opfer er war, das Gespräch zwischen Budde und Leibniz und jenes zwischen

64 65

Für einen Vergleich zwischen den zwei Dialogen vgl. Kap. 6, § 4. Ebd., 33–36; Johann F. Budde, Bedencken, 5, 83 u. 102.

Der Wolffsche Leibniz

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Thomasius und Francke hinzugefügt.66 Über Letzteren spricht er, als gäbe es einen einzigen Text, während wir gesehen haben, dass es eine Vielzahl von Gesprächen zwischen Thomasius und Francke gibt, die auf verschiedene Autoren zurückgeführt werden können.67 Allerdings ist es möglich, dass der Verfasser des Examen rigorosum dies nicht wusste. Die Tatsache, dass jene Totengespräche in der Kritik von »AletopHilus« zusammen behandelt werden, heißt nicht, dass ihre Verfasser teilweise dieselben sind, dass also das Gespräch zwischen Leibniz und Budde und eines oder mehrere der Gespräche zwischen Thomasius und Francke aus derselben Feder stammen. Zu ermitteln, wie viele Personen tatsächlich hinter der Abfassung dieser Texte stecken (den zwei Gesprächen zwischen Budde und Gundling, dem zwischen Leibniz und Budde und der ganzen Gesprächsreihe zwischen Thomasius und Francke), ist vor dem Hintergrund der großen Anzahl an ›Konkurrenten‹, mit der wir es zu tun haben, sicherlich ein ziemlich utopisches Anliegen. Wir haben vor allem gesehen, dass die verschiedenen Teile des Gesprächs zwischen Thomasius und Francke das Ergebnis des Streits und der Konkurrenz mindestens zweier unterschiedlicher Autoren sind. Es ist nicht auszuschließen, dass einer von ihnen auch der Verfasser des Examen rigorosum ist. Auch das Verhältnis der beiden Gespräche zwischen Leibniz und Budde und zwischen Thomasius und Francke, die im Examen durch Merkurs Kritik zusammengefasst worden sind, ist unklar. Eine Sache jedoch scheint mir sicher zu sein. Der Verfasser des Examen rigorosum stimmt nicht mit dem des Gesprächs zwischen Leibniz und Budde und auch nicht mit einem der Autoren der Reihe von Gesprächen zwischen Thomasius und Francke überein. Tatsächlich scheint in der polemischen Andeutung von »AletopHilus S.« gegen seinen Konkurrenten eine gewisse Ehrlichkeit zu stecken. Obwohl der finanzielle Aspekt in der Welt der ›Straßenliteratur‹ eine zentrale Rolle spielte und die Verfasser auf die verschiedensten Heimlichtuereien verfielen, um die Verkaufszahlen zu steigern, meine ich ausschließen zu können, dass wir es mit einem Fall von ›Eigenförderung‹ zu tun haben, zu deren Zweck eine fiktive Rivalität nur mit dem Ziel inszeniert wird, die Neugier der Leser auf die genannten Texte zu lenken. Darüber hinaus bewegen wir uns auf einem sehr hypothetischen Terrain und die möglichen Szenarien, die sich abzeichnen, sind sehr verschieden. Der Verfasser des Totengesprächs zwischen Leibniz und Budde oder der des Examen rigorosum könnte zweifellos einer der Autoren der Gesprächsserie zwischen Thomasius und Francke sein. Es könnte auch sein, dass wir es mit vier (oder sogar mehr) vollkommen unterschiedlichen Autoren zu tun haben. Nicht einmal der Zusammenhang der zwei Gespräche, deren Protagonisten Budde und Gundling sind, also des 66 67

Vgl. Kap. 2, § 3. Vgl. Kap. 3.

Wie viele Autoren?

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Examen rigorosum und des im selben Jahr erschienenen Totengesprächs Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Gundlingen, […] und Johanne Francisco Buddeo, ist geklärt. Die Tatsache, dass der zweite Text denselben Kupferstich wie das Examen rigorosum auf dem Titel zeigt, wenn auch in einer deutlich vereinfachten Form, und dass er ganze Teile aus dem Examen übernimmt, lassen die Vermutung zu, dass es sich um einen Raubdruck, also einen von einem anderen Autor oder Verleger zusammengebastelten Text, handelt, der unabhängig von seinem wahren Verfasser und Verleger hergestellt wurde.68 Wenn man mit Texten dieser Art zu tun hat, ist es falsch, davon auszugehen, dass der Unsicherheit, mit der es der moderne Wissenschaftler zu tun hat, in der Welt der Protagonisten des 18. Jahrhunderts ein vollkommen transparentes Bild dieser Angelegenheit gegenüberstünde. Ganz im Gegenteil: Unsere Totengespräche waren schon im Moment ihres Erscheinens von einem dunklen Hauch umgeben. Es ist in der Tat sehr wahrscheinlich, dass nicht einmal der Verfasser des Examen rigorosum die Identität und/oder die Anzahl der Autoren kannte, gegen deren Totengespräche seine Kritik gerichtet war. Aus seinen Worten kann außerdem nicht entnommen werden, ob er von der Existenz mehrerer Gespräche zwischen Thomasius und Francke gewusst hat. Über die intellektuelle Sicht des Verfassers des Gesprächs zwischen Leibniz und Budde haben wir bereits gesprochen. Die Art und Weise, wie er das Gespräch aufgebaut hat, spiegelt im Ganzen eine zu jener Zeit weit verbreitete Sichtweise auf die Leibnizsche Philosophie wider. Man könnte den Unbekannten unter den Studenten jener Zeit antreffen oder als einen der zahlreichen Publizisten, die möglicherweise nach Abschluss eines Theologiestudiums begonnen hatten, sich durch Auftragsarbeiten und die Mitarbeit bei diversen Zeitungen und Druckereien zu finanzieren. Es überrascht nicht, dass die Wahl der Person, die Johann Franz Budde widersprechen sollte, gerade auf Leibniz fiel. Angesichts dessen, was Wolff seinem System verdankte, und angesichts des sehr engen Verhältnisses, in dem ihre zwei Philosophien von ihren Zeitgenossen wahrgenommen wurden, war Leibniz zweifellos der Geeignetste, dem in einem fiktiven Gespräch über die Wolffsche Philosophie das Wort erteilt werden konnte. Bei der Lektüre der überzeugten und hitzigen Verteidigung Christian Wolffs seitens des fiktiven Leibniz käme man nicht auf den Gedanken, dass Leibniz in einem viel späteren und stets anonym verfassten Totengespräch die gegenteilige Rolle des Kritikers der Wolffschen Philosophie zuteil werden sollte. Alles, was man in jenem Dialog liest, in dem die Situation konstruiert wird, dass Leibniz mit einem Anhänger Wolffs, Ludwig Philipp Thümming, diskutiert, steht in einem radikalen Gegensatz zu dem, was wir bisher hier behandelt haben. Das Gespräch wird durch 68

Vgl. Kap. 2, § 2.

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Der Wolffsche Leibniz

keinen Kupferstich, sondern lediglich durch ein paar Verse eingeleitet; es wird viel diskutiert – über die Philosophie hinaus auch über die Literaturwissenschaft; die Sprache ist wesentlich eleganter und gehobener als die des Totengesprächs zwischen Leibniz und Budde. Die Lektüre jenes Gesprächs und sein Vergleich mit dem eben behandelten wirft folglich eine Reihe von Fragen auf. Ist seine Andersartigkeit eine Ausnahmeerscheinung oder spiegelt das Gespräch eine bestimmte Entwicklungsstufe des deutschen Totengesprächs wider? Welchen kulturellen Hintergrund hat sein Verfasser? Und vor allem: Ist es letztendlich so voraussehbar, dass die Protagonisten eines Totengesprächs die Rolle spielen müssen, die man von ihnen erwarten würde?

Kapitel V

Das doppelte Gesicht von Leibniz

1. 1745: Leibniz wieder Protagonist eines Totengesprächs Ein Leitstern lichtbedürftger Künste, Ein junger Metaphysicus, Webt ein durchsichtiges Gespinste, Und stellt und heftet Schluß an Schluß.

Die Titelseite eines Totengesprächs, welches 1745 erschien und bei dem zum einen Ludwig Philipp Thümmig und dann erneut Leibniz im Zentrum stehen, unterscheidet sich ein wenig von den Texten, die bislang behandelt worden sind. Auf ihr befindet sich kein Kupferstich mit der Darstellung der beiden Dialogteilnehmer so wie bei den Entrevües von David Fassmann, sondern die oben zitierten Verse (Abb. 20, Tafelteil S. 19*).1 Es handelt sich dabei um ein drei Jahre vorher im ersten Band der Sammlung neuer Oden und Lieder erschienenes Gedicht von Friedrich von Hagedorn mit dem Titel Die Vorzüge der Thorheit. Das Thema war zu einem Klassiker geworden, vor allem nach der Veröffentlichung des Moriae encomium des Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit war eines der verbreitetsten Topoi in der Satire der Aufklärung, und es übernahm typische Akzente des 18. Jahrhunderts.2 Aber eigentlich wollte der Autor des Dialogs nicht die zitierten Verse in den Vordergrund stellen, sondern vielmehr die nicht zitierten. Das Gedicht ging nämlich folgendermaßen weiter: So glaubt er dir, o Wolf, zu gleichen, Und hat dennoch, du großer Mann! Von dir nur die Verbindungszeichen, Und sonst nichts, was dir gleichen kann.3 Gespräche im Reiche der Todten, zwischen dem Freyherrn von Leibnitz und Magister Thümmig, über den gegenwärtigen Zustand der Weltweisheit, Leipzig 1745, Titelblatt. 2 Für einen Überblick über die Entwicklung des Motivs im 18. Jahrhundert siehe Alexander Košenina, Der gelehrte Narr. Gelehrtensatire seit der Aufklärung, Göttingen 2003, 278–96. 3 Friedrich von Hagedorn, Die Vorzüge der Thorheit, in einem Rundgesange, in: ders., Sammlung neuer Oden und Lieder, Hamburg 1742, 50–56 (auch in: ders., Oden und Lieder in fünf Büchern, Hamburg 1747, 58–63). Es handelt sich um die erste Sammlung der vom Dichter veröffentlichten Oden und Lieder; die zweite erschien 1744. Zu Hagedorn (1708–1754) vgl. Reinhold Münster, Friedrich von Hagedorn. Dichter und Philosoph der fröhlichen Aufklärung, München 1999; Steffen Martus, Friedrich von Hagedorn. Konstellationen der Aufklärung, Berlin/New York 1999; 1

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Das doppelte Gesicht von Leibniz

Die Verse bezogen sich in satirischer Weise auf einen Philosophen, dessen Werke Hagedorn, der an der Universität Leipzig bei Johann Franz Budde, Burkhard Gotthelf Struve, Johann Jakob Syrbius und Gottlieb Stolle studiert hatte, sehr gut kannte. Hagedorn hatte immer sehr darauf geachtet, sich bezüglich des heftigen Disputs, bei dem Christian Wolff im Mittelpunkt stand, nicht eindeutig zu äußern, und auch bei den zahlreichen literarischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahrzehnte hat er immer versucht, tendenziell Neutralität zu bewahren. Der unmittelbare Eindruck, den seine Werke auf uns ausüben, ist der eines Dichters, der sich weitab von den heftigsten Polemiken seiner Zeit bewegt. Er genoss die Bewunderung von Literaten der unterschiedlichsten Gruppen, auf der anderen Seite übten auch philosophische und poetische Schulen, die sich stark voneinander unterschieden, auf ihn Einfluss aus. Es ist allgemein bekannt, dass die Figur des Dichters nach Aussage zeitgenössischer Quellen insgesamt eine sehr positive Ausstrahlung besessen zu haben scheint.4 Aus den vielen Hinweisen auf die Wolffsche Philosophie, die wir in den Gedichten aus der ersten Phase seines Schaffens finden, scheint aber mit einer gewissen Deutlichkeit durch, wie stark Hagedorn von Wolff während seiner Studienjahre in Jena beeindruckt war. Im Moment der Veröffentlichung der Vorzüge der Thorheit war seine Haltung gegenüber Wolff jedoch nicht mehr dieselbe wie zu seiner Studentenzeit, und dies bereits seit geraumer Dauer. 1731, nach seiner Rückkehr aus England, hatte sich der Dichter endgültig von den Ideen Wolffs distanziert, von da an vertrat er vielmehr deutlich deistische Positionen, was in seinen damaligen Gedichten klar zum Ausdruck kommt.5 Die Verbindungen, die zwischen Wolff und Ludwig Philipp Thümmig, einem der beiden Hauptfiguren des Totengesprächs, bestanden, waren hingegen von einer direkteren Natur. Thümmig war einer der ›orthodoxen‹ Lieblingsschüler des Philosophen gewesen. Außerdem war seine Rolle bei den Vorgängen, die zur Entfernung Wolffs aus Halle geführt hatten, alles andere als unwichtig gewesen: Ein Teil der Geschichtsschreibung vertritt die Meinung, dass gerade die Möglichkeit seiner Beförderung zum außerordentlichen Professor zu den starken Reibungen geführt

Gottfried Stix, Friedrich von Hagedorn. Menschenbild und Dichtungsauffassung, Rom 1961; Alfons Klein, Die Lust, den Alten nachzustreben. Produktive Rezeption der Antike in der Dichtung Friedrich von Hagedorns, St. Ingbert 1990; Reinhold Münster, Friedrich von Hagedorn. Personalbibliographie. Mit einem Forschungsbericht und einer Biographie des Dichters, Würzburg 2001; Ulrike Bardt, Literarische Wahlverwandtschaften und poetische Metamorphosen. Die Fabel- und Erzähldichtung Friedrich von Hagedorns, Stuttgart/Weimar 1999. 4 Steffen Martus, Friedrich von Hagedorn, 2. 5 Zu Wolff und Hagedorn vgl. ebd., 75; Reinhold Münster, Friedrich von Hagedorn, 81–86.

Die Unterhaltung mit Ludwig Philipp Thümmig

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haben könnte, die zwischen Wolff und Joachim Lange bestanden, der diesen Posten für seinen Sohn beanspruchte.6 Bei der Veröffentlichung des Totengesprächs 1745 waren diese Ereignisse jedoch inzwischen abgeschlossen. Unter anderem handelt es sich dabei unter unseren Texten um den einzigen, der nicht anlässlich des Todes eines seiner Hauptfiguren geschrieben worden war, sondern in sehr viel späterer Zeit: Thümmig war nämlich 1728 gestorben, Leibniz 1716. Was konnte also den Autor dazu bewogen haben, einen fiktiven Dialog zwischen diesen beiden Philosophen in den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts zu verfassen? Welche Rolle besaßen in diesem Zusammenhang Christian Wolff und das Gedicht von Hagedorn? Bevor wir versuchen, darauf eine Antwort zu finden, sollten wir den Dialog von Anfang an lesen, wobei wir mit einem Spaziergang von Leibniz im Reich der Toten anfangen.

2. Die Unterhaltung mit Ludwig Philipp Thümmig Da es für ihn nicht leicht war, eine interessante Beschäftigung zu finden, bemüht sich Leibniz, weitere Verstorbene kennenzulernen, wobei er versucht, Informationen zum Stand der Wissenschaften im Reich der Lebenden zu erhalten. Die ersten Probleme ergeben sich mit den Engländern: Da sie von Metaphysik nichts verstehen, sprechen sie nur von Physik und von Newton. Und nicht einmal die Franzosen scheinen eine klare Idee davon zu besitzen, was Metaphysik bedeutet, während die Italiener nur über Religion diskutieren. Enttäuscht wendet sich der Philosoph an einen »Jesuiten aus Ingolstadt« (gemeint war natürlich Ferdinand Orban, mit dem er zu Lebzeiten einen Briefwechsel betrieben hatte) sowie an einige Dichter; am Ende gelangt er zu dem Entschluss, sich im Bereich der Deutschen aufzuhalten. Bereits die erste Szene, die sich seinen Augen darbietet, beeindruckt ihn tief: Es handelt sich um eine Menschenmenge, die sich um einen Mann versammelt hat, der mit lauter Stimme aus einem Buch vorliest. Dieser Mann ist Thümmig, der seinen Schülern im Reich der Toten die Prinzipien der Wolffschen Philosophie nahebringt.7 Da sie niemand besser als er kennt, akzeptiert er freudig die Aufforderung von Leibniz, ihn über den aktuellen Stand der Metaphysik zu informieren. Wie aus einem der ersten Wortwechsel zwischen

Carl Hinrichs, Preußentum und Pietismus, 405; Eduard Zeller, »Wolffs Vertreibung aus Halle«, 140. Zu Thümmig (1697–1728) vgl. ADB, Bd. XXXVIII, 1894, 177–178; Michael Albrecht, »Ludwig Philipp Thümmig«, in Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Bd. V/1, 161–63. 7 Gespräche im Reiche der Todten, zwischen dem Freyherrn von Leibnitz und Magister Thümmig, 3–5. 6

Das doppelte Gesicht von Leibniz

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den beiden Philosophen deutlich wird, handelt es sich bei dem Lieblingsschüler von Wolff nicht gerade um eine bescheidene Person: Magister Thümmig: Es ist wahr, daß ich mir durch meinen kurzen Auszug der wolffischen Philosophie den Ruhm erworben, daß niemand diese Wissenschaft so wohl verstanden habe wie ich, wenn sie also, mein Herr, von Wolffianern oder von dem Schicksal der Wolffischen Meynungen etwas zu wissen verlangen, so bin ich bereit mit einer genauen Nachricht aufzuwarten. Die Lehrsätze des grossen Weltweisen, und was bey meinem Leben mit denselbigen sich zugetragen weiß niemand so wohl als ich; und was seit meinem Tode vorgegangen weiß ich vollständig von den Purschen, welche sich alle bey mir als dem vornehmsten der Wolffischen Schule anmelden, und mir den Zustand derselbigen erzehlen.8

Leibniz reagiert allerdings nicht so, wie Thümmig es sich erwartet hätte. Und, um ehrlich zu sein, auch nicht so, wie es ein Leser mutmaßen würde, der über die sehr enge Beziehung zwischen den Philosophien von Leibniz und Wolff sowie über das persönliche Verhältnis informiert ist, das den jungen Wolff mit dem inzwischen gealterten Philosoph verbunden hatte. Leibniz negiert in der Tat zuerst, jemals eine Person mit dem Namen Christian Wolff kennengelernt zu haben: Freyherr von Leibnitz: Es befrembdet mich so unbekannte Namen von Wolffianern und Wolffischer Philosophie zu hören. Was verstehen Sie durch die Wolffische Philosophie? […] Ich bekenne daß ich davon noch nichts gehöret habe. Wer ist aber dieser Herr Wolf?9

Doch nachdem er die Erklärungen Thümmigs vernommen hat, erinnert sich Leibniz plötzlich wieder. Wolff sei ein Philosoph gewesen, dessen Ruhm darauf beruht habe, die Ideen anderer auszunutzen – vor allem die seinen: Also ist mir dieser Mann, ohne daß ich es gewußt wohl bekandt. Denn ich erinnere mich, daß ich mit dem Herrn Wolf von Halle in einer zimlich genauen Verbindung gestanden. Weil er aber damals nichts anders gethan, als meine Meynungen anzunehmen, so hätte ich mir niemals einbilden können, daß man seinen Namen einer Secte, der Weltweisen beylegen würde […]. Sollten also diejenigen welche Meynungen annehmen nicht von dem ersten Erfinder derselbigen genennet werden? Warum heißt man denn die heutigen Weltweisen nicht leibnitzianer, und ihre Weltweißheit nicht die leibnitzische?10

8 9 10

Ebd., 5–6. Ebd., 6. Ebd., 6–7.

Die Unterhaltung mit Ludwig Philipp Thümmig

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Thümmig antwortet auf die von Leibniz erhobene Frage mit einer vorhersehbaren Verteidigung seines Meisters, wobei er den gebührenden quantitativen Unterschied zwischen den Publikationen von Leibniz und Wolff hervorhebt: M. Th.: Sie bedenken nicht, mein Herr, wie wenig Sie geschrieben haben. Glauben Sie, daß wir so unvernünftig in Deutschland wie die Griechen seyn, welche einer Secte der Weltweisen den Namen von Socrates beygeleget, einem Manne, welcher Zeit Lebens kein Wort geschrieben hatte?11

Erinnern wir uns an die hitzige Verteidigung von Christian Wolff durch jenen Leibniz, den wir im Totengespräch mit Johann Franz Budde im vorhergehenden Kapitel kennengelernt haben: ein Abbild der sehr engen Verwandtschaft, die man zu jener Zeit zwischen den Systemen der beiden Philosophen erkannte. Dieser Autor nimmt jedoch eine vollkommen andere Position ein, indem er die Besonderheiten der Gattung des Totengesprächs ausnutzt und auf dreiste Weise Leibniz die Rolle dessen zuschreibt, der das Wolffsche System diskreditiert und Wolff selbst im Dialog zurückstutzt auf einen unbedeutenden Plagiator seiner eigenen Philosophie. Aber dies sind noch nicht alle Überraschungen, die uns dieser bislang unbekannte Leibniz vorbehält. Er bekennt, dass er seit seinem Tode auf sein im Leben gezeigtes Ruhmesstreben hat verzichten müssen, daher aber in seiner neuen Erscheinungsform nicht mehr seine tatsächliche Meinung verbergen müsse, die er vorher mit Bedacht kaschiert habe, indem er diverse Theorien als wahr ausgegeben habe, von denen er keinesfalls überzeugt gewesen sei: F. von L.: Der Eyfer, den sie zeigen, mein Herr, ist löblich, und ihre Gedanken über die Mühe die ich auf die Metaphysik gewendet so schön, daß sie würdig gewesen ihren Platz in meiner Leichenrede zu finden. Allein wir befinden uns beyde gegenwärtig in einem Stand, daß wir alles was diese Wissenschaft betrift mit gesetzterm Gemüthe betrachten können. Wir sind todt, und haben alle Ansprüche auf einen grössern Ruhm bey unserm Eintritt in diese Gegend ablegen müssen. Also würde mir alle Verstellung meiner wahren Meynungen, nichts helffen mich groß oder eine frische Secte der Weltweisen zu machen, und weil ich siehe, daß mir meine Hofnung fehl geschlagen, so will ich ihnen mit aller Aufrichtigkeit meine Gedanken eröfnen, welche ich in meinem Leben zu verbergen getrachtet. Glauben sie wohl, daß ich jemals von den Lehren überzeuget gewesen, welche ich als bewiesen ausgegeben, oder dasjenige geglaubet, was ich als mein Systema der Welt vorgeleget? M. Th.: Diese Frage bestürzt mich sehr, und wenn mir selbige nur in die Gedanken würde gekommen seyn, so hätte ich solches für eine Lästerung gehalten. Wie! Ist es 11

Ebd., 7.

Das doppelte Gesicht von Leibniz

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möglich, daß sie mir selbst zu verstehen geben, daß sie die Welt betrogen? Ich kann solches nicht glauben. Sie waren zu einem solchen Betrug viel zu tugendhaft.12

Auf das geäußerte Befremden seines Gesprächspartners reagiert Leibniz, falls überhaupt möglich, noch provokanter, und enthüllt endlich, welche Ziele er im Leben tatsächlich verfolgt habe. Da er in Deutschland so berühmt habe werden wollen wie Newton in England, habe er einfach nur die natürliche menschliche Begierde nach Märchen und Erfindungen befriedigt, welche die Fähigkeiten des menschlichen Geistes bei weitem übersteigen würden – gerade so, wie es die Dichter machten und wie es Jean Hardouin und René Descartes so gut verstanden hätten: F. v. L.: Daß ich meine Meynungen verstellet, ist ohne Verläugnung der Tugend geschehen. […]. Zweifelt jemand an der Aufrichtigkeit eines Harduins, eines Descartes? Und doch pflegen beyde bey ihren guten Freunden ihre vornehmste Werke einen Roman zu nennen, der erste seine Historie der Concilien, der andere sein Systema der Weltweißheit. Harduin wußte wohl, daß die ganze Welt eine Historie, welche man einer Parthey ihre zu widerlegen, geschrieben, für erdichtet ansehen würde, und so konnte er ohne den Ruhm eines ehrlichen Manns zu verlieren alle Fabeln in die Welt hinein schreiben. Dem berühmten Descartes hingegen war bekannt, daß die Menschen eine eben so grosse Neigung zu Erforschung unbegreiflicher und solcher Sachen, welche den menschlichen Verstand übersteigen, als zu den Erdichtungen und Fabeln hegen. Warum sollte ihm denn nicht, so wohl als einem Dichter Erdichtungen zu erfüllen? Eben dieses war auch mein Zweck, und ich hofte noch mir dadurch bey der Welt einen grossen Namen, und einen eben so grossen Anhang, als ich sahe daß Newton in Engelland hatte, zu machen.13

Auch im Dialog zwischen Leibniz und Budde hatte uns der Autor einen Leibniz vorgestellt, der, als er noch am Leben war, meinte, dass man die eigene Meinung besser verheimliche, um dann, zum ersten Mal wirklich frei, im Reich der Toten die reine Wahrheit äußern zu können.14 Dies ist jedoch die einzige Ähnlichkeit zwischen den Charakteren von Leibniz, die in den beiden Dialogen deutlich wird: Dort war das vom Autor dem Philosophen zugeschriebene Argument der plötzlichen Freiheit, sich ungeschminkt ausdrücken zu können, ein Vorwand und nur darauf gerichtet, die Polemik von Budde gegen Leibniz anzuheizen und auf diese Weise auch die fiktive Auseinandersetzung zwischen den beiden Philosophen. In diesem Fall jedoch enthüllt sich uns noch mehr: Beim Vorgang des Verbergens handelt es sich um eine bis dahin vollkommen unbekannte und einzigartige Seite von

12 13 14

Ebd., 8. Ebd., 8–10. Vgl. Kap. 4, § 3.

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Leibniz, dem Wortführer einer starken antiakademischen, antisystemischen und antimetaphysischen Haltung. Schauen wir nun, wie der Philosoph in seinen Aussagen fortfährt, deren Höhepunkt eine ausgesprochen physikotheologische Beweisführung ist, die als Hauptbeweis der Existenz Gottes seine Erscheinung in der natürlichen Welt anführt: Blosse Untersuchungen theoretischer Wahrheiten welche nichts auf unsre Handlungen vermögen sind also von geringer Wichtigkeit, sie mögen dem menschlichen Geiste eine so grosse Bewunderung erwecken als sie wollen. Ich behaupte auch, daß die Erkenntniß von den nöthigen Wahrheiten so einfältig und so leicht sey, daß nicht nöthig ist, daß sich ein Weltweiser darüber den Kopf zerbreche, sondern nur dasjenige lese, was der Schöpfer mit deutlichen Buchstaben in seinen Geist geschrieben. Gott verehren, heißt nicht auf eine unmögliche, und also thörichte, ja ohne Zweifel unerlaubte Weise, sein ganzes Wesen einsehen, und seine anbätenswürdige Eigenschaften untersuchen und bestimmen wollen; sondern ihn als ein unendliches, und also dem menschlichen Geiste unbegreifliches Wesen erkennen, und ihn in demjenigen was ihm uns in der Offenbahrung und dem Reiche der Natur bekannt zu machen beliebet, zu bewundern. Ist es nicht genug, daß wir durch die Offenbahrung von der Unsterblichkeit der Seele überzeuget werden? Was will sich denn ein Weltweiser noch um einen Beweiß, der ihm unmöglich fällt, vergeblich bemühen?15

Der gute Geschmack – so führt der Philosoph weiter aus – sei sicherlich nicht an der Universität zu Hause. Die besten Freunde des Menschen befänden sich unter den Dichtern, Komödianten, Musikern, Schriftstellern und Malern, und die größte Gefahr ginge vom Fanatismus der Philosophen aus. Die Lehrer an den Akademien, schließt Leibniz sarkastisch seine Ausführungen ab, müssten wirklich große Philosophen sein, wenn es ihnen gelungen sei, eine derart innovative Methode zu entwickeln, die ausschließlich auf der Kraft des Gedächtnisses beruhe, die mit wenig Mühe alle ihre Schüler zu Philosophen werden lasse. Deutschland würde sich in einer einzigartigen geschichtlichen Lage befinden, wenn es hier in wenigen Jahren gelungen sei, derartige kulturelle Fortschritte zu machen, für die andere Nationen Jahrhunderte gebraucht hätten. Thümmig ist in der Tat mehr als stolz auf die Anwendung der neuen Methode, die im Wolffschen System vorgestellt und von Intellektuellen unterschiedlichster Couleur übernommen worden sei. Recht, Fremdsprachen, theologische Wahrheiten und sogar die Dichtkunst (der Autor bezieht sich hier auf den Versuch einer critischen Dichtkunst von Gottsched) könnten so unterrichtet und bewiesen werden, als handele es sich um mathematische Formeln; mit wenig Mühe und in kurzer Zeit könne auch ein nur wenig talentierter Deutscher so 15

Ebd., 10–11.

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viel lernen, wofür es bei anderen Völkern Begabung, Fleiß und intensives Studium der Autoren vergangener Jahrhunderte brauche.16 Den spekulativen Kern des Gesprächs bildet der nun folgende Dialog. Das Thema der Diskussion ist kosmologisch: Wird die Welt von Zufälligkeit dominiert oder ist sie Schauplatz von vorherbestimmten Ereignissen und Aktionen? Vorauszusehen ist, dass Thümmig die Hauptargumente der Wolffschen Orthodoxie verteidigen würde: die Existenz von mehr als einer Welt, die Theorie des nexus rerum, die antifatalistische Polemik und zugleich den Charakter des zufälligen Wesens der Welt. Und Leibniz? Lesen wir, welche Worte der Autor des Dialogs dem Philosophen in den Mund legt: M. Th.: […] Ein zufälliges Ding kann seinen Grund nicht in sich selbst haben, sondern es muß ein nothwendiges Ding zu finden seyn, in welchem man den Grund des zufälligen antreffen kann. Nun aber ist die Welt ein zufälliges Ding, und also ein nothwendiges Wesen ausser derselbigen welches sie hervorgebracht, das ist ein Gott. F. v. L.: Ich lasse den ersten Satz, welcher alle Wahrscheinlichkeit hat, dahin gestellet seyn. Wie beweisen sie aber, daß die Welt ein zufälliges Ding sey? M. Th.: Daraus, daß die Begebenheiten in derselbigen ohne einen Widerspruch zu machen sich anders befinden könnten. Wenn die Sonne scheinet, so könnte es zu eben derselbigen Zeit regnen, und anstatt daß es unumgänglich nöthig ist, daß die Sonne scheine, oder ich stehe. F. v. L.: Also kommen alle Veränderungen auf einen blossen Zufall an, und es ist nicht durch das vorgehende und die Ursachen festgestellet, daß das nachfolgende und die Wirkung daraus fliessen werde. M. Th.: Etwas so ungereimtes ist uns niemals in den Sinn gekommen: sondern wir behaupten vielmehr nach allem Vermögen, daß alle Dinge mit einander verknüpfet sind, und durch einander bestimmet werden. In dieser Welt ist es unmöglich, daß nicht zu dieser Zeit die Sonne scheine, und ich nicht stehe. In einem andern könnte das Gegentheil möglich seyn. F. von L.: Ein Fatalist oder Spinosist giebt ihnen dieses gern zu. Er wird nicht so unsinnig seyn, und glauben, daß es an sich selbst ein Widerspruch sey in der nöthigen wirklichen Welt. Wie wollen sie ihn denn überweisen? M. Th.: Weil mehr alse eine Welt möglich ist, und wenn es Gott gefallen hätte, er eine andere zur Wirklichkeit bringen können […]. Wir sagen auch, daß die Veränderungen in dieser Welt nothwendig seyen, aber auf eine bedingte, die Fatalisten hingegen sagen auf eine unbedingte Weise. […] 16

Ebd., 14–19.

Die Unterhaltung mit Ludwig Philipp Thümmig

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F. v. L.: […] Gott hat sich uns in der Natur als ein unendliches weises und gütiges Wesen deutlich geoffenbaret. Dieses ist einem Weltweisen genug, das übrige kann der Gottesgelehrte aus einem andern Licht hinzufügen.17

Thümmigs Beweisführung ist sehr einfach. Der Grund eines zufälligen Wesens kann ihr nicht innewohnen, sondern muss sich an einem anderen Ort befinden; bei der Welt handele es sich um ein zufälliges Wesen, ergo müsse ein Grund gefunden werden, das heißt Gott. Der Umstand, dass es sich bei der Welt um ein zufälliges Wesen handelt, ist nach Meinung Thümmigs aufgrund der Tatsache bewiesen, dass das, was in ihr geschieht, sich auch anders abspielen könnte. Spinozistische und fatalistische Implikationen können vermieden werden, indem dargelegt wird, dass in dieser Welt die Ereignisse miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bestimmen und dass Veränderungen nötig sind, aber nur in dieser Welt, nicht in den anderen Welten, deren Existenz nur eine Möglichkeit darstellt. Genau hier lag die Achillesferse des Wolffschen Systems, es war der schwächste und am leichtesten anzugreifende Aspekt der Philosophie von Wolff. Auch wenn die Worte Thümmigs im Totengespräch den Kern der Dinge beträchtlich vereinfachen, verdeutlichen sie dennoch eine sehr ambivalente Haltung, die zwischen Determinismus, Fatalismus und der Freiheit des menschlichen Handelns schwankt – alles Dinge, die Wolff und seiner Schule beträchtliche Anfeindungen eingebracht hatten. Das Gespräch zwischen Leibniz und Thümmig dreht sich daraufhin um die Essenz der Seele, wobei Leibniz die Fähigkeit der Materie zum Denken verteidigt; die Seele sei aus Materie gemacht, die nach dem Tode von Gott in Ewigkeit am Leben erhalten werde, wobei Leibniz allen jenen Ansätzen polemisch entgegentritt, welche die Unsterblichkeit der Seele beweisen wollten, indem sie von ihrem Wesen ausgingen (hier handelt sich um eine Anspielung auf die Philosophie von Wolff sowie auf die Demonstratio immortalitatis animae ex intima natura deducta von Thümmig).18 An dieser Stelle wiederholt er auch die physikotheologische Grundlage seines Ansatzes: Ich weiß keinen Weltweisen, der bewiesen habe, daß die Seele ein Geist sey, noch viel weniger der zeigen können worinn das Wesen und die Eigenschaften eines Geistes bestehe. Und gesetzt, daß jemand im Stande gewesen wäre solches zu thun, so siehe ich gänzlich die Folge nicht ein: Die Seele ein endlicher Geist hat diese Eigenschaften, deswegen muß Gott ein unendlicher Geist dieselbigen auch besitzen […] Ich bin überzeuget, daß die Unsterblichkeit der Seele eine der stärksten Stützen der Religion ist. Wenn aber jemand die Geistigkeit der Seele läugnen würde, so hätte er dadurch gänzlich noch nicht die Unsterblichkeit derselbigen in Zweifel gezogen. 17 18

Ebd, 25–28. Vgl. dazu Kap. 2, Anm. 35.

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Kann Gott nicht die Materie so wohl als etwas das nicht Materie ist in Ewigkeit erhalten? Ich aber sage nur, daß noch kein Weltweiser die Geistigkeit, die Eigenschaften und die Unsterblichkeit der Seele aus ihrem Wesen bewiesen, noch beweisen können. Es ist genug, daß uns die natürliche Religion Gründe genug an die Hand giebt zu glauben, daß Gott die Seele nach dem Tode wirklich erhalten werde, und die Offenbahrung solches völlig bekräfiget. Seichte Gründe für Beweise wichtiger Wahrheiten ausgeben, macht die Wahrheit selbst bey schwächlichten Geistern verdächtig. […] Dieses habe ich alles gesehen. Allein der ganze Beweiß wider die Möglichkeit, daß die Materie gedenken könne, kommt, wenn man ihn recht zergliedert, auf dieses hinaus: Nicht alle Wirkungen und Eigenschaften der Materie, noch das Wesen der Gedanken ist uns bekannt, deßwegen kann die Materie nicht gedenken. Bündiger Schluß! Aus der Natur der einfachen Dingen aber etwas beweisen heißt aus Hirngespinsten wirkliche Dinge machen. Was ist ein Ding, das keine Theile hat, und keinen Ort einnimmt, anders als ein Nichts, ein leerer Begrif? Oder ist wohl ein Mensch der sich dergleichen etwas vorstellen könne?19

Leibniz ist außerdem ein Befürworter der Macht und Wichtigkeit der Einbildungskraft, deshalb schlägt er Thümmig vor, die Eigenschaften der Seele nicht eindeutig voneinander zu trennen: Alle Seelenkräfte würden von der Einbildungskraft abhängen. Wenn man wie Thümmig allein den Intellekt betrachte und die Einbildungskraft nicht erwäge, handele man wie ein Fanatiker.20 Das abschließende Urteil von Leibniz bezüglich der Wolffschen Philosophie ist schonungslos. Es handele sich dabei um nichts anderes als einen Roman, und wer nicht die Fähigkeit besitze, sich mit nützlicheren und wichtigeren Dingen zu beschäftigen, dem sei es freigestellt, sich damit seine Zeit zu vertreiben.21 Stil und Sprache dieses Dialogs sind sehr viel gewählter als die der bislang betrachteten Texte. Statt der Weitschweifigkeit der anderen Dialoge ist hier die Prosa des Autors elegant, wirkungsvoll und sarkastisch. Bei diesem Dialog handelt es sich nicht um eine Mischform wie jene, die wir vorher betrachtet haben; dort wird oft durch die Vermengung verschiedener Gattungen der den theoretischen Fragen gewidmete Platz geopfert und so der Text belastet, doch zugleich lässt es ihn fesselnd erscheinen, denn es legt Zeugnis ab von der Vitalität der damaligen Streitschriften und der Übergangszeit, die viele literarische Gattungen jener Epoche kennzeichnet. Dieser Ebd., 29–30. Ebd., 30–31: »Die Fanaticker sagen: Hüte dich der Vernunft zu gebrauchen, sondern glaube. Die Wolffischen Lehrer sagen: Hüte dich vor der Einbildungskraft, und bediene dich der Vernunft. Ich habe immerdar geglaubt die Kräfte der Seelen seyen nicht so stark unterschieden, und so fern sey es, daß sie einandern in Untersuchung der Wahrheit schaden, daß selbige vielmehr dabey einander die Hand bieten müssen. Es scheint so gar die Einbildungskraft sey dasjenige wovon alle übrigen Kräfte abhangen«. 21 Ebd., 32–33. 19 20

Die Unterhaltung mit Ludwig Philipp Thümmig

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Autor möchte im Dialog keine Biographie von Leibniz oder Thümmig präsentieren; er will den beiden Philosophen keine Ehre erweisen, so wie es seine Vorgänger aus den 30er Jahren mit den Hauptpersonen ihrer Dialoge getan hatten, die sich intensiver Anregungen aus zeitgenössischen Biographien und Trauerreden bedient hatten; er erwähnt mit keinem Wort die studentische Publizistik, wie es sehr oft in den anderen Texten geschieht. Es ist sicher kein Zufall, dass der Dialog viele Jahre nach dem Tod der beiden Hauptpersonen und Philosophen veröffentlicht wurde. Ein Element, das so gut wie nicht vorhanden ist, betriff t die selbstreflektierende Haltung zur Gattung des Totengesprächs. In diesem Dialog existieren weder Anmerkungen zu anderen Autoren noch zu anderen Dialogen. Im Fall der anderen Totengespräche ist dagegen offensichtlich, dass die Texte mehr oder weniger eindeutig miteinander verbunden sind, auch wenn wir nicht mit ein und demselben Autor zu tun haben. Was hier fehlt, sind Bemerkungen zu Rivalitäten unter Autoren, zu möglichen Fortsetzungen oder zu anderen, mit diesem Text verbundenen Dialogen, es fehlt jenes Element von Semiperiodizität, das vielen anderen Totengesprächen eigen ist. Wir haben es also nicht mit einer deutlichen Mischform zu tun, so wie jene, mit denen wir uns bislang beschäftigt haben, sondern mit einem philosophischen Dialog im wahrsten Sinne des Wortes, begleitet von einer starken Komponente poetologischer Betrachtung. Beginnend beim Drucker tragen zahlreiche Elemente dazu bei, den Text zu einem wirklichen Rätsel zu machen. Wer ist »Johann Gottlieb Radolph«? Dieser Name erscheint in keinem Handbuch deutscher Verleger des 18. Jahrhunderts; es ist mir nicht gelungen, andere in seiner Druckerei entstandene Texte zu finden – immer vorausgesetzt, dass sie tatsächlich existiert hat, was mir sehr unwahrscheinlich erscheint.22 Auch die Frage der Zuschreibung erscheint außerordentlich problematisch. Genauso wie der Dialog zwischen Leibniz und Budde ist dieser Text, der 1745, als Wolff bereits nach Halle zurückgekehrt war, geschrieben wurde, von Wilhelm Risse »secundum autopsiam« David Fassmann zugeschrieben worden.23 In Wirklichkeit lässt der Dialog nichts erkennen (nicht einmal in formaler Sicht), was es ermöglichte, ihn Fassmann zu attribuieren. Die Art und Weise, in der Leibniz sich zur Philosophie von Wolff stellt, ist ein klarer Hinweis auf den Umstand, dass der Text in Kreisen entstanden ist, die Leibniz nahe standen, und ein auch nur ungefährer formaler und stilistischer Vergleich zwischen den beiden Gesprächen lässt mit Sicherheit ausschließen, dass es sich bei den beiden Dialogen um denselben Radolph wird weder bei David L. Paisey in: Deutsche Buchdrucker, Buchhändler und Verleger 1701–1750, Wiesbaden 1988, noch von Emil Weller in: Die falschen und fingierten Druckorte. Repertorium der seit Erfindung der Buchdruckerkunst unter falscher Firma erschienen deutschen, lateinischen und französischen Schriften, Leipzig 1867 (Ndr. Hildesheim 1960–61) erwähnt. 23 Wilhelm Risse, Bibliographia philosophica vetus, 154. Der Dialog wird ebenfalls Fassmann in der Leibniz-Bibliographie. Verzeichnis der Literatur über Leibniz bis 1980, 334–35 zugeschrieben. 22

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Das doppelte Gesicht von Leibniz

Autor handelt. Andererseits wurde das Verhältnis zwischen dem Wolffschen System und dem von Leibniz zu jener Zeit zu kontrovers diskutiert, um die Hypothese zuzulassen, dass ein und derselbe Autor zwei Dialoge geschrieben haben könnte, in denen die von Leibniz gespielte Rolle genau gegensätzlich erscheint. Außerdem war Fassmann 1745 schon seit einem Jahr verstorben. Die beiden Texte entstanden also absolut unabhängig voneinander. Zu dem Umstand, dass keines der in dieser Arbeit behandelten Totengespräche Fassmann zugeschrieben werden kann, werde ich später noch – vor allem in den Schlussbemerkungen – zurückkehren. Fassen wir kurz die Position des Autors des Dialogs zusammen. Seine Haltung ist der von Gottsched und Wolff diametral entgegengesetzt und betriff t antisystematische und deistische Positionen, verbunden mit einem akzentuierten physikotheologischen Einschlag; er ist ein Bewunderer von Leibniz und Friedrich von Hagedorn; er kennt die Wolffsche Philosophie genau, deren Antagonist er allerdings ist, und er macht sich zum Wortführer einer starken antiakademischen Strömung. Genügen diese Eigenschaften, um den Autor des Totengesprächs zu identifizieren? Leider nein. Zahlreiche Intellektuelle jener Jahre vertraten dieselben Ideen. Es ist jedoch möglich, ein idealtypisches Profil des Autors zu zeichnen, eine Art recht präzises Phantombild, um auf diese Weise langsam das Untersuchungsfeld einzugrenzen, bis wir zur Identifikation einiger Umfelder gelangen, in denen er studiert und gearbeitet haben könnte. Dafür sollte man einen Blick auf die deutsche dichterische Szene der 40er Jahre des 18. Jahrhunderts werfen.

3. Gottsched, Mylius, Hagedorn, die ›Schweizer‹: die Dispute der 40er Jahre 1745, im Jahr der Veröffentlichung des Totengesprächs zwischen Leibniz und Thümmig, befinden wir uns in einer Zeit eines immer stärkeren Erfolgs der Wolffschen Philosophie. Wolff war nur wenige Jahre zuvor nach einem Asyl, das 17 Jahre gedauert hatte, nach Halle zurückgekehrt; seine Philosophie fand jedoch eine immer stärker werdende, ungebrochene und erfolgreiche Verbreitung, ein Umstand, der vor allem dadurch erleichtert wurde, dass schon seit den 20er Jahren Kompendien seines philosophischen Systems gedruckt worden waren. Wolffs Werke, vor allem die Deutsche Metaphysik, waren in der Tat schwer zugängliche Werke und vor allem zu lang und weitschweifig, um für den universitären Unterricht wirklich geeignet zu sein. Die Studenten waren es außerdem gewohnt, dass die Vorlesungen auf Latein abgehalten wurden und nicht auf Deutsch. Zahlreiche Schüler Wolffs schrieben daher Kompendien über seine philosophischen Vorstellungen, wobei sie mehr oder weniger umfangreiche Veränderungen am ursprünglichen System ihres Meisters vornahmen.

Gottsched, Mylius, Hagedorn, die ›Schweizer‹: die Dispute der 40er Jahre

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Die wichtigsten dieser Versuche sind zwischen der Deutschen Metaphysik und der Lateinischen Metaphysik anzusiedeln. Der allererste davon war gerade das jeweils der theoretischen und der praktischen Philosophie gewidmete zweibändige Werk Thümmigs Institutiones philosophiae wolfianae (1725–26). Ihnen folgten unter anderem die Delucidationes philosophicae de Deo, anima humana, mundo et generalibus rerum aff ectionibus von Georg Bernhard Bilfinger (1725) sowie die Ersten Gründe der gesamten Weltweisheit von Johann Christoph Gottsched (1733–34), bis man zu einer Phase maximaler ›Popularisierung‹ der Wolffschen Philosophie gelangte, in der auch von Frauen geschriebene Handbücher veröffentlicht wurden, wie der Grundriß einer Weltweißheit für das Frauenzimmer von Johanne Charlotte Unzer (1751). Zweifellos haben Kompendien dieser Art tatsächlich den Zweck erreicht, dessentwegen sie geschrieben worden waren: Sie schilderten das Wolff sche System auf eine leichter verstehbare Weise, die sicherlich besser für ein universitäres Publikum geeignet war, womit sie gleichzeitig auf entscheidende Weise dazu beitrugen, dass die Wolffsche Philosophie in den Fakultäten Deutschlands triumphierte. Als Ergebnis wurde die Deutsche Metaphysik allerdings in ihren innovativsten Elementen stark geschwächt. In den Bearbeitungen der Epigonen nahm dann die an die alte philosophia prima wiederangepasste Ontologie erneut einen herausragenden Platz ein, so wie auch im lateinischen Werk Wolffs, welches von diesen Arbeiten stark beeinflusst wurde.24 Im Wolffschen System wie auch in den Ausführungen seiner Schüler nahm die Dichtkunst sicherlich keinen sehr wichtigen Platz ein. Wolff liebte sie bekanntermaßen nicht besonders und war auch kein großer Kenner. Man kann nicht sagen, ob dies auf seinem schlechten Gedächtnis beruhte, wie Gottsched behauptet,25 oder einfach nur auf persönlichen Vorlieben. Es ist jedoch sicher, dass seine Philosophie unwiderruflich die literarischen Theorien des 18. Jahrhunderts beeinflusst hat, auch wenn seine Auslassungen bezüglich der Dichtkunst ziemlich indirekt ausgefallen sind. Die Auswirkungen seines philosophischen Systems auf den poetologischen Bereich sollte die deutsche dichterische Szene radikal verändern, die ungefähr zwischen 1690 und 1730 noch vor allem von den beiden Strömungen der

Vgl. Ludwig P. Thümmig, Institutiones philosophiae wolfianae. In usus academicos adornatae, Frankfurt a. M./Leipzig 1725–26; Georg B. Bilfinger, Dilucidationes philosophicae de Deo, anima humana, mundo et generalibus rerum affectionibus, Tübingen 1725; Johann C. Gottsched, Erste Gründe der gesamten Weltweisheit, Leipzig 1733–34; Johanne C. Unzer, Grundriß einer Weltweißheit für das Frauenzimmer, mit Anmerkungen und einer Vorrede begleitet, von Hrn. Johann Gottlob Krügern, Halle 1751. Zu diesen Lehrbüchern vgl. Max Wundt, Die deutsche Schulphilosophie, 211–30. 25 Vgl. dazu Gunter E. Grimm, »Christian Wolff und die deutsche Literatur der Frühaufklärung«, in Jürgen Stolzenberg/Oliver-Pierre Rudolph (Hgg.), Christian Wolff und die europäische Aufklärung, Bd. I, Hildesheim/Zürich/New York 2007, 221–45. 24

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›Galanten‹ und der Klassizisten dominiert wurde. Die klare Trennung in seinem System zwischen Dichtkunst und Philosophie bedeutete nicht, dass man die eigentliche philosophische Methode nicht auch im dichterischen Bereich anwenden konnte. Damit begann sich die Vorstellung zu verbreiten, dass die Dichtkunst eine logische und argumentative Struktur besitzen müsse; dass bei ihr, auch wenn sie bezüglich der Wirklichkeit nur nach Wahrscheinlichkeiten und nicht nach exakter Kenntnis streben könne, trotzdem mathematische und logische Beweise Anwendung finden könnten; dass der Stil nicht in Rhetorik und dunkle Konstruktionen ausufern sollte, sondern nach Klarheit und analytischem Charakter der Beschreibungen streben müsse.26 Die Titel der zwischen den 30er und 40er Jahren des 18. Jahrhunderts veröffentlichten Gedichtsammlungen enthüllen unzweideutig ihre Wolffschen Anregungen. Versuch einer, nach demonstrativischer Lehrart entworfenen, Anleitung zur Poesie der Deutschen ist der Titel eines 1741 in Königsberg veröffentlichten Werks des Theologen Daniel Heinrich Arnoldt. Die Rhetorik von Johann Andreas Fabricius, die 1734 einen in gewissem Sinne ziemlich altertümlichen Titel trug, verbunden mit dem Konzept der ›galanten Poesie‹ (Vernünftige Anleitung zur gelehrten und galanten Beredsamkeit), war 1739 Philosophische Redekunst, oder auf die Gründe der Weltweißheit gebauete Anweisung, zur gelehrten und jezo üblichen Beredsamkeit, in unstreitig erwiesenen Regeln geworden.27 Johann Jakob Bodmer (1698–1783) und Johann Jakob Breitinger (1701–1776) hatten eine fünfbändige Poetik mit dem unzweideutigen Titel Vernünff tige Gedancken und Urtheile von der Beredtsamkeit entworfen, die allerdings nie vollendet wurde. Es war dann allerdings Gottsched, dem es mit seinem Versuch einer critischen Dichtkunst (1730) gelang, ein überzeugenderes Beispiel für die Anwendung der von Wolff entwickelten Prinzipien auf die Dichtkunst bereitzustellen. Nach Gottsched sollte die Poesie eine logische und empirische Grundlage besitzen und sich zur Verbreiterin von nützlichen und moralischen Wahrheiten in der Art einer praktischen Philosophie erheben; die Phantasie sollte dabei der Wahrscheinlichkeit unterworfen werden und die Natur einer rationalen Ordnung. In derartigen Vorstellungen fanden natürlich weder Gattungen wie die Oper noch die phantastischen Wesen und die Ungeheuer der Volksmärchen einen Platz. Der Einfluss der Critischen Dichtkunst auf die deutsche Dichterszene war enorm. Es wurden immer mehr Werke

Ebd. Daniel H. Arnoldt, Versuch einer, nach demonstrativischer Lehrart entworfenen, Anleitung zur Poesie der Deutschen, Königsberg 1741; Johann A. Fabricius, Philosophische Redekunst, oder auf die Gründe der Weltweißheit gebauete Anweisung, zur gelehrten und jezo üblichen Beredsamkeit, in unstreitig erwiesenen Regeln, und auserlesenen Exempeln von Briefen, Schul- Lob- Trauer- Hof- StatsLehrreden, Predigten, etc. […], Leipzig 1739. 26 27

Gottsched, Mylius, Hagedorn, die ›Schweizer‹: die Dispute der 40er Jahre

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nach dem Beispiel des von Gottsched festgelegten Kanons veröffentlicht, die oft mit einem Lob Gottes dafür endeten, dass er die beste aller Welten geschaffen hatte.28 Der Autor des Totengesprächs hat tatsächlich eine äußerst wirksame Form gewählt, um seinen Sarkasmus gegen Zustände zu richten, die viele als einen veritablen Verfall des Erfolgs der Wolffschen Philosophie ansahen. Der von Thümmig geschaffene, bis an die Grenze der Lächerlichkeit karikierte Akteur entwirft eine erheiternde und ausgesprochen effektive Parodie des Anspruchs vieler Philosophen und Dichter jener Zeit, das mathematische Modell auf jedes Gebiet menschlichen Wissens auszuweiten, sowie des von vielen Anhängern Wolffs verbreiteten Optimimus bezüglich eines unaufhaltsamen Fortschritts der Wissenschaften. Der Autor des Dialogs war nicht der einzige, der sich so verhalten hat. Die Kritiken gegen die Anwendung der Wolffschen Theorien auf die Literatur waren vielfältig und wurden in jeder Hinsicht eine der vielen Ausdrucksweisen, die das aufklärerische antipedantische Motiv angenommen hatte. Satiren gegen die logisch-demonstrative Methode mit mehr oder wenig starken polemischen Untertönen wurden zu jener Zeit von Gottlieb Wilhelm Rabener und Christian Ludwig Liscow verfasst, den Hauptvertretern dieses Genres, aber auch von Johann Heinrich Gottlob von Justi, Ludwig von Heß sowie Christlob Mylius, um nur einige zu nennen.29 Nicht nur die Ironie des Leibniz im Dialog gegen eine generalisierende Anwendung der mathematischen Methode ist auf bestimmte Debatten zurückzuführen, die in der Zeit seiner Veröffentlichung geführt wurden. Dies war auch der Fall beim impliziten Hintergrund der Andeutungen im Totengespräch an die Einbildungskraft, an ihre Lobpreisung seitens Leibniz’ sowie seine Kritik an jene, die daraus eine ›minderwertigere‹ Fähigkeit machten. Es ging um eine Debatte, die inzwischen seit Jahren in Deutschland geführt wurde – eine der vielen Anwendungen, die Wolffs Theorien im literarischen Milieu gefunden hatten. In der Deutschen Metaphysik war die Einbildungskraft von Wolff als eine der schwächsten Fähigkeiten des Menschen dargestellt worden, womit lediglich ein geringes Maß an Erkenntnis erreicht werden könne. Dies galt selbstverständlich auch für die Ergebnisse der dichterischen Einbildungskraft; diese seien oft das Ergebnis von Assoziationen von Eindrücken, die nichts mit der Realität zu tun hätten und deshalb der natürlichen Ordnung der Dinge widersprechen könnten. Nach Wolff bedeute dies allerdings nicht, dass sie tout court falsch seien.

Johann C. Gottsched, Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen; darinnen erstlich die allgemeinen Regeln der Poesie, hernach alle besondere Gattungen der Gedichte, abgehandelt und mit Exempel erläutert werden […], Leipzig 17514 (1. Ausg. Leipzig 1730). Vgl. dazu Gunter E. Grimm, Christian Wolff und die deutsche Literatur der Frühaufklärung. 29 Vgl. dazu ders., Letternkultur. Wissenschaftskritik und antigelehrtes Dichten in Deutschland von der Renaissance bis zum Sturm und Drang, Tübingen 1998, insbes. 193–222. 28

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Um dieses Konzept zu erklären, hatte der Philosoph seine bekannte Theorie des nexus rerum entwickelt (in seinen Schriften auch series oder successio rerum genannt). Das vom Wolffschen System dargestellte mechanistische Universum wurde von äußerst strengen Kausalverbindungen reguliert. In der Welt seien die Dinge miteinander verbunden, und jedes trage den Grund in sich, weshalb sich das andere neben ihm befinde oder ihm folge. Die Veränderung einer Sache hinge ab vom Zustand der anderen.30 Nach diesem Modell können nicht rationale Vorstellungen in unserer Welt, wenn sie denn wahrscheinlich sind, sehr gut in einem anderen »Kausalzusammenhang von Dingen« gelten, d. h. in einer anderen Welt.31 Vor allem die ›Schweizer‹ haben dann dieses Konzept auf dichterischem Gebiet vollständig entwickelt, und zwar in dem Werk Von dem Einfluß und Gebrauche der Einbildungs-Kraff t (1727), gemeinsam geschrieben von Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger.32 Der literarische Disput zwischen Gottsched und den ›Schweizern‹ war 1738 offen ausgebrochen, also wenige Jahre vor der Veröffentlichung des Totengesprächs. Als Ursache für die Auseinandersetzung wird eine diametral entgegengesetzte Auffassung von der Dichtkunst angeführt: Gottsched verteidigte die Klarheit in der Abfolge der Gedanken, eine stringente logische Verbindung zwischen den Teilen eines Textes; seine Gegner hingegen schrieben der Phantasie eine sehr wichtige Rolle zu.33 Am Anfang des Disputs nahmen die Gegner auch zu einer der zu Beginn des 18. Jahrhunderts am häufigsten benutzten polemischen Waffen Zuflucht, Für eine konzise Darstellung des nexus rerum vgl. Christian Wolff, Der vernünfftigen Gedankken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Anderer Theil, bestehend in ausfürlichen Anmerckungen, Frankfurt a. M. 17404. Ndr. in Gesammelte Werke, Abt. I, Bd. III, hg. von Charles A. Corr, Hildesheim/Zürich/New York 1983, § 176. 31 Vgl. DM, 349–50: »Unterdessen bleibet es wahr, daß dasjenige, was noch fehlet, ehe es würcklich werden kan, ausser dieser Welt zu suchen (§. 14.), nehmlich in einem anderen Zusammenhange der Dinge, das ist, in einer anderen Welt (§. 544.)«. Vgl. dazu ausführlicher Gabriele Dürbeck, Einbildungskraft und Aufklärung. Perspektiven der Philosophie, Anthropologie und Ästhetik um 1750, Tübingen 1998, 36–47. 32 Johann J. Bodmer/Johann J. Breitinger, Von dem Einfluß und Gebrauche der EinbildungsKrafft; zur Ausbesserung des Geschmackes: oder genaue Untersuchung aller Arten Beschreibungen, worinne die außerlesenste Stellen der berühmtesten Poeten dieser Zeit mit gründtlicher Freyheit beurtheilt werden, Frankfurt a. M./Leipzig 1727. 33 Jesko Reiling, Die Genese der idealen Gesellschaft. Studien zum literarischen Werk von Johann Jakob Bodmer (1698–1783), Berlin/New York 2010; Wolfgang Bender, Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger, Stuttgart 1973. Detlef Döring betont hier die Komplexität der Situation: Auch zu jener Zeit wurden die jeweiligen Positionen manchmal als obskur wahrgenommen. Um mehr Klarheit in die ganze Debatte zu bringen, wäre eine Untersuchung hinsichtlich ihrer zeitgenössischen Rezeption nötig. Vgl. Detlef Döring, »Der Literaturstreit zwischen Leipzig und Zürich in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Neue Untersuchungen zu einem alten Thema«, in Anett Lütteken/Barbara Mahlmann-Bauer (Hgg.), Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger im Netzwerk der europäischen Aufklärung, Göttingen 2009, 60–104. 30

Gottsched, Mylius, Hagedorn, die ›Schweizer‹: die Dispute der 40er Jahre

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und zwar dem Totengespräch: Auf diese Weise hatte Johann Wilhelm Steinauer auf den ersten deutlichen Gegner Gottscheds erwidert, den Breslauer Arzt Christoph Ernst Steinbach.34 Mit den Jahren hatten zahlreiche Streiter ihren Beitrag zur Auseinandersetzung geleistet, darunter vor allem Christlob Mylius. Der junge Mann war 1742 als Medizinstudent nach Leipzig gekommen, hatte aber bald damit begonnen, Vorlesungen anderer Fächer zu folgen, vor allem jenen von Abraham Gotthelf Kästner. In demselben Jahr hatte der Tod seines Vaters ihn jedoch dazu gezwungen, die Studien abzubrechen. Von den finanziellen Schwierigkeiten unter Druck gesetzt, fing Mylius an, von einer der vielen Tätigkeiten zu leben, die es den ärmsten Studenten erlaubten, ihre Studien zu vollenden: mittels der Abfassung von Rezensionen und Gelegenheitsschriften für die Leipziger Verlagsszene. Bereits nach kurzer Zeit fand er Aufnahme in den Kreis um Gottsched als Herausgeber und Verteidiger der Positionen jener Person, die inzwischen zu seinem Hauptgeldgeber geworden war. Viele der Gottsched verteidigenden Schriften, die wir in den Belustigungen des Verstandes und des Witzes finden, einer zwischen 1741 und 1745 in Leipzig unter der redaktionellen Leitung von Johann Joachim Schwabe veröffentlichten Zeitschrift, trugen die Unterschrift von Mylius. In seinen Händen und denen eines anderen jungen Studenten, Johann Andreas Cramer, lag die vollständige Verantwortung für eine andere, in Halle statt in Leipzig veröffentlichten Zeitschrift, die Bemühungen zur Beförderung der Kritik und des guten Geschmacks (1743–47), ein ungeschickter Versuch seitens Gottscheds, die wahre Vaterschaft des Projekts zu vertuschen.35 Nicht alle Mitglieder des Kreises um Gottsched zeigten ihm gegenüber eine ähnliche Treue: Johann Arnold Ebert, ein Schüler Hagedorns, vertrat immer, so wie auch Abraham Gotthelf Kästner, eine recht unabhängige Meinung. Mylius selbst entfernte sich zwischen 1743 und 1744 von seinem bisherigen Mentor, um ganz eigene Positionen zu entwickeln. Die Emanzipation von Gottsched war für

[Johann W. Steinauer], Gespräche zwischen Johann Christian Günthern aus Schlesien. In dem Reiche der Todten und einem ungenannten in dem Reiche der Lebendigen: in welchem beyde des ersten 1738 zu Breslau gedruckten Lebenslauf beurtheilen; und bey dieser Gelegenheit ihre Gedanken über einige itzlebende deutsche Dichter und Dichterinnen eröfnen. Nebst einer Zueignungschrift an seine Hochedeln, den Herrn D. Steinbach in Breslau, s.l. 1739. Zu Steinbach (1698–1741) vgl. ADB, Bd. XXXV, 1893, 684–86. 35 Zu diesen Ereignissen vgl. Rudolf Trillmich, Christlob Mylius. Ein Beitrag zum Verständnis seines Lebens und seiner Schriften, Halle 1914, 25–32 u. 35–57. Fast ausschließlich mit dem Verhältnis zwischen Mylius und Gottsched beschäftigt sich das Werk von Erwin Thyssen, Christlob Mylius. Sein Leben und Wirken. Ein Beitrag zur Kenntnis der Entwicklung der deutschen Kultur, besonders aber der deutschen Literatur in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, Diss., Marburg 1912. Die Studie von Martin Mulsow, Freigeister im Gottsched-Kreis, befasst sich mit vielen so gut wie unbekannten Personen, die sich im Umkreis von Gottsched bewegten, etwa Carl August Gebhardi und Johann Heyn. 34

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Mylius der Anfang einer frenetischen Aktivität als unabhängiger Journalist. Auf den Seiten der zahlreichen Zeitschriften, die er zwischen den 40er und 50er Jahren gründete (wobei er im Falle herausgeberischen Pechs eine Zeitschrift aufgab, um sofort danach eine andere ins Leben zu rufen), folgte er einem physikotheologischen Leitmotiv, dem Gedanken, wie die Betrachtung der Wunder der Natur die göttliche Weisheit und Vorhersehung enthüllten. Bei Mylius, so wie auch in denselben Jahren bei anderen Autoren wie Friedrich Hoffmann und Hermann Samuel Reimarus, finden wir eine Vorstellung von der Natur als höchster Ausdruck und Beweis für die Existenz Gottes sowie die Idee, dass unsere Sinne schwach seien und unser Wissen unzureichend.36 In der Leibnizschen Philosophie gab es bereits Andeutungen, die in diese Richtung gingen; aber erst am Anfang des 18. Jahrhunderts wurde diese Betrachtungsweise in all ihrer Wirksamkeit weiterentwickelt.37 Mylius’ Deismus erreichte den Höhepunkt seiner Originalität und Intensität vor allem in den Physikalischen Belustigungen (1751–57) sowie in Der Naturforscher (1747–48), einer Zeitschrift, für die er als Mitarbeiter auch einen Studenten gewinnen konnte, der damals gerade erst nach Leipzig gekommen war und von dem er auch die ersten Gedichte veröffentlichte. Es handelte sich hier um Gotthold Ephraim Lessing, der einige Jahre später eine Sammlung von Vermischten Schriften von Mylius herausgab.38 Stark beeinflusst von den Ideen Mylius’ war ein anderer, heute vollkommen vergessener junger Mann, der 1739 Leipzig für sein Jurastudium gewählt hatte: Christian Nicolaus Naumann. In seinen Werken, die qualitätsmäßig mit denen von Mylius nicht zu vergleichen sind, kann man, vielleicht sogar noch verstärkt, jene Physikotheologie wiederfinden, die seinem Meister so wichtig war.39 In diesen Jahren hat Mylius also eine stark unabhängige und eigene Persönlichkeit Friedrich Hoffmann, Vernünfftige physikalische Theologie und gründlicher Beweis des göttlichen Wesens und dessen vollkommensten Eigenschafften aus reifer Betrachtung aller in der Natur befindlicher Wercke […], Halle 1742; Hermann S. Reimarus, Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, Hamburg 1754. Ndr. der Ausg. Hamburg 1766 hg. von Günter Gawlick, Göttingen 1985. Hauptvertreter der Physikotheologie in Deutschland waren in den vorhergehenden Jahrzehnten u. a. Johann Albert Fabricius und Barthold Heinrich Brockes gewesen. Vgl. hierzu Udo Krolzik, Art. »Physikotheologie«, in TRE, Bd. XXVI, Berlin 1996, 590–96. 37 Vgl. die handschriftliche Note von Leibniz mit dem Titel Demonstrationum catholicarum conspectus, die wahrscheinlich aus den Jahren 1668–1669 stammt, in Gottfried W. Leibniz, Philosophische Schriften, hg. von der Preussischen Akademie der Wissenschaften, Bd. I, Darmstadt 1930, 494–500. 38 Physikalische Belustigungen, Berlin 1751–57; Der Naturforscher, eine physikalische Wochenschrift auf die Jahre 1747 und 1748, Leipzig 1747–48. Vgl. auch Christlob Mylius, Betrachtungen über die Majestät Gottes, insofern sie sich durch fleißige Anschauung und Erforschung der Natur offenbaret, in Vermischte Schriften des Hrn. Christlob Mylius, gesammelt von Gotthold Ephraim Lessing, Berlin 1754. Ndr. Frankfurt a. M. 1971. 39 Christian N. Naumann, Von der Majestät des Schöpfers in den Werken der Natur, ein physikalisches Gedichte, Jena 1750. Zu Naumann (1720–97) vgl. ADB, Bd. XXIII, 1886, 302–5. 36

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im Hinblick auf Gottsched entwickelt, was ihn allerdings nicht daran hinderte, mit seinem vormaligen Meister zusammenzuarbeiten, vor allem an einer Ausgabe der Schriften von Lukian von Samosata (1746). Fast alle Übersetzungen in Lucians von Samosata auserlesene Schriften stammen von ihm.40 Was kann uns die Geschichte von Mylius in Bezug auf die Identifi zierung des Zusammenhangs lehren, in dem das Totengespräch zwischen Leibniz und Thümmig entstanden ist? Ich habe nicht den Eindruck, dass sein Autor für den einen noch den anderen klar Partei ergreift; seine oszillierende Position spiegelt hingegen die vieler anderer Literaten jener Zeit wider, vor allem die von Hagedorn. Der Verfasser des Dialogs kritisiert einerseits die Gruppe der ›Schweizer‹, zeigt sich aber auch weit entfernt von der Poetik eines Gottsched, indem er der Einbildungskraft eine primäre Rolle beim dichterischen Schaffen beimisst und seine stärkste Kritik vor allem gegen die unpassende Anwendung der Philosophie des Christian Wolff bezüglich der Dichtkunst richtet. Dies gilt bezüglich der pars destruens seiner Position. Wenn wir die Ideen nennen wollten, die von ihm positiv vorgeschlagen und verteidigt worden sind, kann man ohne weiteres behaupten, dass das Merkmal, was ihn am stärksten unterscheidet, der physikotheologische Deismus ist, eine Position, die der von Mylius und dessen Schützling Naumann sehr nahe steht. Eine andere Charakteristik, die unser geheimnisvoller Autor mit einigen dichterischen Kreisen jener Zeit gemeinsam hat, ist die starke Anlehnung an Leibniz. In den Gedichtsammlungen Kästners, denen von Johann Peter Uz und auf den Seiten von den Neuen Beiträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, den so genannten Bremer Beiträgen, triff t man fortlaufend auf Lobpreisungen von Leibniz sowie auf Gedichte zu seinen Ehren.41 Es ist nicht immer einfach zu verstehen, ob die Kenntnis von Leibniz direkter oder indirekter Art ist, und insbesondere wie weit sie von den Arbeiten Wolffs gefiltert worden ist. Ein Beispiel dafür ist Hagedorn. Der Dichter veröffentlichte 1728 in der Wochenzeitschrift Die Matrone unter dem Pseudonym »Philaretus« eine Analyse der menschlichen Seele, die sehr stark an das Konzept der Monade von Leibniz erinnert. In der Glückseligkeit aus dem Jahre 1743 finden wir einen starken Einfluss von Leibniz’ Theodizee.42 Für Mylius

Lucians von Samosata auserlesene Schriften von moralischem, satirischem und critischem Inhalte, durch verschiedene Federn verdeutscht, und mit einer Vorrede, vom Werthe und Nutzen der Uebersetzungen, aus Licht gestellt, von Joh. Christoph Gottscheden, Leipzig 1745. 41 Johann P. Uz, Theodicee, in: ders., Poetische Werke, Bd. II, Wien 1805; Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, Bremen 1744–1759. Bekannt ist das Denkspiel von Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799), einem Schüler Kästners: »Rätsel. Er ward in Leipzig geboren; der Stolz eines Königs der Briten, und das Wunder Deutschlands. Wer ist dies? Auflösung. Unter den Toden war es Leibniz, unter den Lebendigen ist es Kästner« (Georg C. Lichtenberg, Sudelbücher, B 407, in: ders., Schriften und Briefe, Bd. I, hg. von Wolfgang Promies, München 1994, 149). 42 Steffen Martus, Friedrich von Hagedorn, 108–18 u. 209. 40

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Das doppelte Gesicht von Leibniz

gilt Ähnliches. In seinen Werken finden wir nur selten Zitate von Leibniz; beim Lesen fallen allerdings von Zeit zu Zeit starke, vielleicht von Kästner oder durch die direkte Lektüre des Philosophen verursachte Anklänge an Leibniz auf, die auf jeden Fall kaum der ausschließlichen Kenntnis von Christian Wolff zuzuschreiben sind. Wir haben also gesehen, dass das Totengespräch zwischen Leibniz und Thümmig sicherlich nicht nur eine gewisse, zur damaligen Zeit weit verbreitete Nähe zu Leibniz widerspiegelt, sondern auch auf recht treue Weise viele Diskussionen, die im Leipzig jener Jahre geführt wurden, vor allem jene bezüglich des guten Geschmacks, der Einbildungskraft und der Methode.43 Der Autor hat allerdings mittels der sehr originellen Idee, uns einen vollkommen anderen, dissimulierenden und antiakademischen Leibniz als den historisch überlieferten vorzustellen, einen ganz persönlichen Beitrag hinzugefügt. Dieser Leibniz ist der Verteidiger eines Deismus mit starken physikotheologischen Anklängen, der einige seiner berühmtesten Theorien verleugnet und Christian Wolff angreift, den Philosophen, der damals allgemein als der Fortsetzer und Vollender der Theorien von Leibniz angesehen wurde. Das Zitat Hagedorns auf der Titelseite, auch wenn es einer Sammlung entnommen wurde, die gleich nach ihrem Erscheinen einen eindrucksvollen Erfolg hatte, ist aufgrund der Annahme, dass der Leser versteht, dass die wirklich wichtige Strophe nicht die zitierte ist, sondern die darauf folgende (und im Text nicht abgedruckte), äußerst raffiniert gewählt. Es handelt sich um eine typische Kommunikationsweise der Dichter jener Zeit, vage und anspielend, eine Art Code, gedacht für eine Verbreitung des Textes innerhalb einer recht kleinen Gruppe. In den damaligen Dichterkreisen verlief ein großer Teil der Kommunikation anonym, und so geschah es auch mit vielen Schriften, die mit den Kontroversen verbunden waren, welche die anderen Totengespräche betrafen, über die wir bislang gesprochen haben, und mit den Dialogen selbst, die in den studentischen und journalistischen Kreisen im Umfeld der damaligen Universitäten entstanden sind. Ein großer Unterschied ist in diesem Fall, dass in den Kreisen, aus denen der Dialog zwischen Leibniz und Thümmig stammt, die Kommunikation vor allem in Form eines Austauschs von Gedichten erfolgte. Die Veröffentlichungen in Zeitschriften wie den Bremer Beiträgen bilden nur die Oberfläche; es handelt sich um den exoterischen

Die Diskussion über den guten Geschmack, in Deutschland eingeführt von Christian Thomasius, war zur Zeit der Abfassung des Dialogs noch sehr aktuell. Vgl. insbes. Johann C. Gottsched, Versuch einer critischen Dichtkunst, 118–41; Johann J. Bodmer, Brief-Wechsel von der Natur des poetischen Geschmackes. Dazu kömmt eine Untersuchung wie ferne das Erhabene im Trauerspiele statt und Platz haben könne; wie auch von der poetischen Gerechtigkeit, Zürich 1736. Ndr. hg. von Wolfgang Bender, Stuttgart 1966; [Johann J. Bodmer, Johann J. Breitinger], Anklagung des verderbten Geschmackes, oder Critische Anmerkungen uber den Hamburgischen Patrioten, und die Hallischen Tadlerinnen, Frankfurt a. M./Leipzig 1728. 43

Gottsched, Mylius, Hagedorn, die ›Schweizer‹: die Dispute der 40er Jahre

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Teil eines Austauschs, der auf einer esoterischen Ebene erfolgte, tiefgreifender und uns deshalb verborgen, verschlüsselt und entfernt.44 Es genügt, einige private Briefwechsel zu lesen, um dies zu verstehen, wie zum Beispiel den zwischen Wilhelm Ludwig Gleim und Johann Peter Uz, zwei anakreontischen Dichtern, die zum sogenannten »Halleschen Dichterkreis« gehörten. Ihre Briefe sind regelmäßig voller Versuche der beiden Dichter zu verstehen, welchem von ihren Bekannten eine eben erschienene Schrift zugeschrieben werden könne oder wer die Autoren der anonym in ihrem Kreis verbreiterter Gedichte gewesen seien.45 Jeder intellektuelle Zirkel besaß also seine eigenen Regeln, Handlungsweisen und Kommunikationsmittel in Bezug auf seine eigenen Anhänger und auf die Öffentlichkeit, ja sogar unterschiedliche Weisen, die Anonymität zu benutzen sowie den gesamten, raffinierten Komplex aus darin eingeschlossenen Anspielungen, Vortäuschungen und Mehrdeutigkeiten. Nach diesen Bemerkungen zu den Dichtern der 40er Jahre des 18. Jahrhunderts werde ich auf den folgenden Seiten zum Kern der Auseinandersetzungen der 30er Jahre sowie zu den Diskussionen zurückkehren, welche in den philosophischen Kreisen jener Zeit geführt wurden. 1731, ein Jahr nach dem Gespräch zwischen Budde und Leibniz, in dem Letzterer die Position von Wolff verteidigt hatte, erschien ein anderes Totengespräch, in dem Wolff einen neuen, sehr glaubwürdigen Verteidiger finden sollte: René Descartes.

Zu den Codes der Dichter der Zeit vgl. Martin Mulsow, Freigeister im Gottsched-Kreis, 106; Ernst Fischer, »Er spielt mit seinen Göttern. Kirchen- und religionskritische Aspekte der anakreontischen Dichtung in Deutschland im 18. Jahrhundert«, in Jean Mondot (Hg.), Les lumières et leur combat/Der Kampf der Aufklärung. Kirchenkritik und Religionskritik zur Aufklärungszeit, Berlin 2004, 85, Anm. 6. 45 Briefwechsel zwischen Gleim und Uz, hg. von Carl Schüddekopf, Tübingen 1899. 44

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Das Bild wurde einem durchschossenen Exemplar entnommen, das eine große Anzahl handschrift­ lich verfasster Anmerkungen von August Friedrich Müller, einem Schüler Rüdigers, enthält. Vgl. dazu Riccarda Suitner, »Jus naturae und natura humana in August Friedrich Müllers handschrift­ lichem Kommentar zu den Institutiones eruditionis«, in: Martin Mulsow / Friedrich Vollhardt (Hgg.), Natur, Hamburg 2014, 113 –132.

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Abb. 1: David Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, hundert und Fünff und Zwantzigste Entrevue zwischen dem letzt-verstorbenen regierenden Hertzog zu Sachsen-Zeitz, Mauritio Wilhelmo, und Ernst Grafen von Metternich […], Leipzig 1728. Titelkupfer u. Titel­ blatt. FB Gotha, Sign. 39-Hist 00238. Abb. 2: David Fassmann, Gespräche im Reiche der Toten, Leipzig 1729-1730, Exemplar von Johann Zacharias Gleichmann, Vorsatzblatt. FB Gotha, Sign. H 8° 06601(09)-141. Abb. 3: AletopHilus, Examen rigorosum, welches Apollo, zwischen […] Nicolao Hyeronimo Gundlingen, […] und Sr. Magnificentz, dem Hoch-Ehrwürdigsten Herrn Joh. Francisco Buddeo, […] nach deren Tode […] angestellet, s.l. 1731, 78. SLUB Dresden, Sign. Biogr. erud. D. 721. Abb. 4: Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Gund­lingen, […] und Johanne Francisco Buddeo […], Frankfurt a. M. 1731, Titelkupfer. Digitalisat der ULB Halle, URL: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-306066. Abb. 5: AletopHilus, Examen rigorosum, welches Apollo, zwischen […] Nicolao Hyeronimo Gundlingen, […] und Sr. Magnificentz, dem Hoch-Ehrwürdigsten Herrn Joh. Francisco B ­ uddeo, […] nach deren Tode […] angestellet, s.l. 1731, Titelkupfer. SLUB Dresden, Sign. Biogr. erud. D. 721. Abb. 6: Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Gundlingen, […] und Johanne Francisco Buddeo […], Frankfurt a. M. 1731, 11. Digitalisat der ULB Halle, URL: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-306066. Abb. 7: AletopHilus, Examen rigorosum, welches Apollo, zwischen […] Nicolao Hyeronimo Gundlingen, […] und Sr. Magnificentz, dem Hoch-Ehrwürdigsten Herrn Joh. Francisco Buddeo, […] nach deren Tode […] angestellet, s.l. 1731, 30. SLUB Dresden, Sign. Biogr. erud. D. 721. Abb. 8: Besonders curieuses Gespräch im Reich der Todten, zwischen […] Christian Thomasio,[…] und August Hermann Francken […], s.l. 1729, Titelkupfer. HAB Wolfenbüttel, Sign. Db 1378 (1). Abb. 9: Besonders curieuses Gespräch im Reich der Todten, zwischen […] Christian Thomasio, […] und August Hermann Francken […], s.l. 1729, Titelkupfer. Stadtbibliothek Wuppertal, Sign. Gym E1 1071. Abb. 10: Andreas Rüdiger, Institutiones eruditionis, seu Philosophia synthetica, tribus libris, de Sapientia, Justitia, et Prudentia, methodo mathematicae aemula, Halle 1711, Titelkupfer. UBL, Sign. Philos.102-mb. Abb. 11: Fortsetzung des besonders-curieusen Gesprächs in dem Reiche derer Todten, zwischen […] Christian Thomasio […] und August Hermann Francken […], s.l. 1729, Titelkupfer. HAB Wolfenbüttel, Sign. Db 1378 (1a).



Verzeichnis der Abbildungen

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Abb. 12: Dritte und letzte Unterredung oder Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen zweyen in Reich der Lebendigen hochberühmten Männern, Christian Thomasio […] und August Hermann Francken, s.l. 1732, Titelkupfer. ULB Halle, Sign. an Nf 757 (20). Abb. 13: Besonders curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Christian Thomasio, […] und August Hermann Francken […], s.l. 1736, Titelkupfer. ULB Halle, Sign. an Nf 757 (18). Abb. 14: Curieuse Unterredungen im Reiche der Todten, zwischen dem weltberühmten Pastore in Lockwitz Christian Gerbern, und […] David Schwerdnern, […] Superintendenten in Pirna, darinnen der […] Lebens-Lauff des Herrn Pastoris Gerbers […] beschrieben wird. Erster Theil, Frankfurt a. M./Leipzig 1732, Titelblatt u. Titelkupfer. HAB Wolfenbüttel, Sign. Db 1523:1. Abb. 15: Curieuse Unterredungen im Reiche der Todten, zwischen dem weltberühmten Pastore in Lockwitz Christian Gerbern, und […] David Schwerdnern, […] Superintendenten in Pirna, darinnen der […] Lebens-Lauff des Herrn Pastoris Gerbers […] beschrieben wird. Erster Theil, Frankfurt a. M./Leipzig 1732, Titelkupfer. SLUB Dresden, Sign. 3.A.6503-1. Abb. 16a/16b: Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, s.l. 1730, Titelblatt u. Titelkupfer. FB Gotha, Sign. H 8° 09378 (03). Abb. 17: Georg V. Hartmann, Anleitung zur Historie der leibnitzisch-wolffischen Philosophie […], Frankfurt a. M./Leipzig 1737, Titelkupfer. SLUB Dresden, Sign. Phil.A.528. Abb. 18: Herrn Bernard von Fontenelle […] Auserlesene Schriften, nämlich von mehr als einer Welt, Gespräche der Todten, und die Historie der Heydnischen Orakel; vormals einzeln herausgegeben, nun aber mit verschiedenen Zugaben und schönen Kupfern vermehrter ans Licht gestellet, von Johann Christoph Gottscheden, Leipzig 1751, Kupferstich von Johann Benjamin Brühl. SLUB Dresden, Sign. Op. var. 557. Abb. 19: Herrn Bernard von Fontenelle […] Auserlesene Schriften, nämlich von mehr als einer Welt, Gespräche der Todten, und die Historie der Heydnischen Orakel; vormals einzeln herausgegeben, nun aber mit verschiedenen Zugaben und schönen Kupfern vermehrter ans Licht gestellet, von Johann Christoph Gottscheden, Leipzig 1751, Kupferstich von Martin Bernigeroth. SLUB Dresden, Sign. Op. var. 557. Abb. 20: Gespräche im Reiche der Todten, zwischen dem Freyherrn von Leibnitz und Magister Thümmig, über den gegenwärtigen Zustand der Weltweisheit, Leipzig 1745, Titelblatt. HAB Wolfenbüttel, Sign. Va 132. Abb. 21: Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Rüdigern und […] Cartesio, s.l. 1731, Titelkupfer. Wittenberg, Evangelisches Predigerseminar Bibliothek, Sign. Diss 119/2. Abb. 22: Andreas Rüdiger, Institutiones eruditionis, seu Philosophia synthetica, tribus libris, de Sapientia, Justitia, et Prudentia, methodo mathematicae aemula, Frankfurt a. M. 1717. Philo­ logische Bibliothek der FU Berlin, Sign. Rarissima 133. Abb. 23: Andreas Rüdiger, Physica divina, recta via, eademque inter superstitionem et atheismum media […], Frankfurt a. M. 1716, Titelkupfer. SUB Göttingen, Sign. 4° Bibl Uff 365.

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Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 24: Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […], s.l. 1731, T. 2, Titelkupfer. HAB Wolfenbüttel, Sign. Schulenb. T 58 (5.1). Abb. 25: Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […], s.l. 1731, T. 1, Titelkupfer. HAB Wolfenbüttel, Sign. Schulenb. T 58 (5.2). Abb. 26: Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern, der einen Menschen zurecht gebracht, so einen Pact mit dem Teufel gemacht […], s.l. 1732–34, T. 1, Titelkupfer. SLUB Dresden, Sign. Biogr. erud. D. 399. Abb. 27: Christian Scriver, Das verlohrne und wieder-gefundene Schäfflein oder historischer christlicher Bericht von einem jungen Menschen der sich vom Satan mit ihm einen Bund zu machen und ihm in allerley gottlosen Wesen sechs Jahr zu dienen verleiten lassen […], MagdeburgHelmstedt 1695, Titelkupfer. HAB Wolfenbüttel, Sign. Hr 379. Abb. 28: Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern, der einen Menschen zurecht gebracht, so einen Pact mit dem Teufel gemacht […], s.l. 1732, T. 1, Titelkupfer. HAAB Weimar, Sign. F 27. Abb. 29: Martin Bernigeroth, Portrait von Christian Thomasius, in Wohlverdientes Denckmahl dem weiland wohlgebohrnen Herrn Herrn Christian Thomasius […]. Aufgerichtet von vornehmen Gönnern, Freunden und Nahen Anverwandten, Halle 1729, unpag. FB Gotha, Sign. Theol 2° 00373/08 (03). Abb. 30: Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern, der einen Menschen zurecht gebracht, so einen Pact mit dem Teufel gemacht […], s.l. 1732, T. 2, Titelkupfer. HAAB Weimar, Sign. F 27. Abb. 31: Martin Bernigeroth, Portrait von Balthasar Bekker. LWL Münster, Porträtarchiv Diepenbroick, Inv. Nr. C-509388 PAD. Abb. 32: Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern, der einen Menschen zurecht gebracht, so einen Pact mit dem Teufel gemacht […], s.l. 1734, T. 3, Titelkupfer. ULB Halle, Sign. AB B 1004 (3).

Kapitel VI

Der Streit zwischen Descartes und Rüdiger

1. Die Ankunft unter den Sternen Man kann sicherlich nicht behaupten, dass der sächsische Mediziner und Philosoph Andreas Rüdiger (1673–1731) besonders viel Glück in seinem Leben gehabt habe. Er wurde in einer sehr armen Familie geboren und musste aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit als knapp 20jähriger seine Anstellung als Privatlehrer im Hause von Christian Thomasius aufgeben, bei dem er auch an der Universität Halle studiert hatte, und nach Gera zurückkehren. Nach einem Aufenthalt in Jena, wo er erneut als Lehrer in einem Privathaushalt tätig war, wurde ihm 1703 in Leipzig der Doktortitel in Medizin verliehen (die Dissertation betraf den Blutkreislauf).1 1702 verschlechterte sich erneut sein Gesundheitszustand aufgrund des Diebstahls seiner gesamten Habe und er musste seine Arzttätigkeit unterbrechen. Nach einigen in Halle verbrachten Jahren nahm er in Leipzig seine Lehrtätigkeit, wenn auch sehr unregelmäßig, wieder auf, doch die Zahl der seinen Vorlesungen folgenden Studenten soll nicht sehr hoch gewesen sein. Allerdings waren es gerade zwei Studenten aus wohlhabenden Familien, die es ihm ermöglichten, den Rest seines Lebens ohne finanzielle Probleme verbringen zu können.2 Was seine Fortüne nach dem Tode betriff t, lief es auch nicht sehr viel besser. Die uns vorliegenden monographischen Werke sind recht alten Datums und betreffen nur einzelne Aspekte seines Denkens.3 Wenn wir uns die Quellen aus jener Zeit anschauen, erscheint das Ganze allerdings in einem anderen Licht. Seine Theorien Andreas Rüdiger, Disputatio inauguralis medica de regressu sanguinis per venas mechanico, Halle 1704. 2 Vgl. ADB, Bd. XXIX, 1889, 467–68; Zedler, Bd. XXXII, 1738–40. Für einen Überblick über das philosophische Milieu im Leipzig des frühen 18. Jh. vgl. Detlef Döring, Die Philosophie Gottfried Wilhelm Leibniz’ und die Leipziger Aufklärung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Stuttgart/Leipzig 1999; ders., »Philosophie«, in: ders./Cecilie Hollberg (Hgg.), Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften, Dresden 2009, 210–17; Wolfgang Martens (Hg.), Zentren der Aufklärung III. Leipzig. Aufklärung und Bürgerlichkeit, Heidelberg 1990. 3 Heinrich Schepers, Andreas Rüdigers Methodologie und ihre Voraussetzungen. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Schulphilosophie im 18. Jahrhundert, Köln 1959; Karel H. de Jong, Rüdiger und ein Anfang! Kant und ein Ende!, Leiden 1931; Wilhelm Carls, Andreas Rüdigers Moralphilosophie, Halle 1894. Ndr. Hildesheim/Zürich/New York 1999. Siehe auch Martin Mulsow, »Idolatry and Science: Against Nature Worship from Boyle to Rüdiger, 1680–1720«, in Journal of the History of Ideas, LVII (2006), 697–711; Stephan Meier-Oeser, »Descartes bei Christian Thomasius und Andreas Rüdiger«, in Jean Ferrari/Pierre Guenancia/Robert Theis/Matthias Vollet (Hgg.), Descartes und Deutschland – Descartes et l’Allemagne, Hildesheim/Zürich/New York 2009, 111–31; Ulrich G. 1

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Der Streit zwischen Descartes und Rüdiger

auf dem Gebiet der Physiologie, der Physik sowie der Erkenntnislehre, die durchaus originell sind, wurden in zeitgenössischen Schriften regelmäßig zitiert, kommentiert und besprochen. Seine Stellungnahmen zu entscheidenden Fragen der philosophischen Debatte in Deutschland am Beginn des 18. Jahrhunderts, wie zum Beispiel das Verhältnis zwischen mathematischer Methode und Philosophie sowie die Wechselbeziehung zwischen Seele und Körper, haben zu langjährigen und harten Auseinandersetzungen Anlass gegeben. Die Aussagen bezüglich seines angeblichen Misserfolgs im akademischen Leben mögen wahr oder falsch sein, sicher ist jedoch, dass Rüdiger eine eigene Schule gegründet hat, der Adolph Friedrich Hoffmann (1703–1741), dessen Schüler Christian August Crusius (1715–1775) sowie August Friedrich Müller (1684–1761) zugeschrieben werden können. Bei der Übernahme einiger Ideen Rüdigers seitens des jungen Kant spielte Crusius eine wichtige Rolle, und auch der Einfluss von Müller auf die Formulierung des kategorischen Imperativs von Kant konnte festgestellt werden.4 Man kann also sehr gut verstehen, dass sofort nach seinem Tod, der in derselben Zeit lag, in der auch Johann Franz Budde, Christian Thomasius, Nikolaus Hieronymus Gundling und August Hermann Francke verstarben, ein anonymes Totengespräch mit Rüdiger als Protagonist verfasst wurde. Überraschend ist, wenn überhaupt, die vom Autor des Textes getroffene Wahl des Gesprächspartners und Antagonisten von Rüdiger: Es handelt sich um einen der berühmtesten Philosophen des gesamten 17. Jahrhunderts.

Leinsle, »Andreas Rüdiger«, in Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Bd. V/1, 83–88. 4 Zu Crusius vgl. Martin Krieger, Geist, Welt und Gott bei Christian August Crusius. Erkenntnistheoretisch-psychologische, kosmologische und religionsphilosophische Perspektiven im Kontrast zum Wolffschen System, Würzburg 1993; Magdalene Benden, Christian August Crusius: Wille und Verstand als Prinzipien des Handelns, Bonn 1972; Raffaele Ciafardone, »Von der Kritik an Wolff zum vorkritischen Kant. Wolff-Kritik bei Rüdiger und Crusius«, in Werner Schneiders (Hg.), Christian Wolff 1679–1754. Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung. Mit einer Bibliographie der Wolff-Literatur, Hamburg 1983, 292–96. Zu Adolph Friedrich Hoffmann, deutlich weniger bekannt als der fast gleichnamige Friedrich Hoffmann (1670–1742), Arzt aus Leipzig, fehlen hingegen spezifische Arbeiten. Für eine kurze Darstellung vgl. dennoch: Max Wundt, Die deutsche Schulphilosophie, 245–54; Robert Theis, »Kurzbiographie: Adolph Friedrich Hoffmann (1703– 1741)«, in: ders. (Hg.), Religion im Zeitalter der Aufklärung, Hamburg 2009, 275–78; ders., »Adolph Friedrich Hoffmann«, in Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Bd. V/1, 93–98. Zu Müller siehe Joachim Hruschka, »Die Person als ein Zweck an sich selbst. Zur Grundlegung von Recht und Ethik bei August Friedrich Müller (1733) und Immanuel Kant (1785)«, in Juristen Zeitung, XLV (1990), 1–15; Riccarda Suitner, »Jus naturae und natura humana«; Kay Zenker, Vorwort zu August Friedrich Müller, Einleitung in die philosophischen Wissenschaften, Bd. I, Hildesheim/Zürich/New York 2008, 5–29 (Ndr. der Ausgabe Leipzig 1733); ders., »August Friedrich Müller«, in Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Bd. V/1, 88–92.

Die Ankunft unter den Sternen

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In seinem schon erwähnten Verzeichnis von Totengesprächen des 18. Jahrhunderts erwähnt John Rutledge einen anonymen Dialog zwischen Rüdiger und René Descartes aus dem Jahre 1731, präsentiert als »actually available« in der Berliner Staatsbibliothek.5 Ich musste jedoch feststellen, dass der Druck in Berlin im Zweiten Weltkrieg verlorenging. Es ist mir jedoch gelungen, ein einziges, komplettes Exemplar des Dialogs ohne Datumsangabe zu finden, welches sich in der Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars von Wittenberg befindet (Abb. 21, Tafelteil S. 20*); ein zweites Exemplar in der Universitätsbibliothek Erlangen enthält nur den ersten Teil, aber zum Ausgleich ist es so wie bei Rutledge angegeben datiert.6 Es war wieder einmal die regelrechte Mode, die am Anfang jenes Jahrhunderts um sich griff, die zusammen mit dem Tode Rüdigers im selben Jahr den anonymen Autor unseres Dialogs dazu inspirierte, das Genre des Totengesprächs zu wählen und ein fiktives Gespräch abzufassen, herausgegeben ohne Angabe des Druckortes oder des Namens des Druckers. Die Möglichkeit, dass der Dialog sehr lange vor dem Tod des Philosophen geschrieben worden ist, kann wohl aufgrund eines eindeutigen Hinweises am Ende des zweiten Teils des Gesprächs ausgeschlossen werden. Es geht um eine 1731 veröffentlichte Parodie des Traktates De tribus impostoribus: Dieser Bezug gestattet es, den terminus post quem für die Abfassung unseres Textes – oder zumindest seines zweiten Teiles – für dieses Jahr festzulegen.7 Wenn Rüdiger zum ersten Mal die Hauptrolle in einem Totengespräch einnahm, war Descartes hingegen fast ein ›Veteran‹. Der französische Philosoph war bereits Hauptakteur einer der Nouveaux dialogues des morts von Fontenelle sowie eines Dialogs derselben Art gewesen, in dem man ihn mit dem Ökonomen John Law (1671–1729) sprechen ließ, 1753 anonym von Charles Étienne Pesselier veröffentlicht. Auf jeden Fall waren beide Texte, die jeweils den Untertitel Qu’on ne se dégoûtera point de chercher la verité, quoy que sans succés e di Sur les systêmes trugen und nur aus wenigen Seiten bestanden, sehr brillant und unbekümmert geschrieben, ganz anders als der Dialog, den wir jetzt betrachten werden.8

John Rutledge, The Dialogue of the Dead, 133 u. 140. Die Titel der zwei Teile sind: Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, s.l. 1731; Besonderes curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio […]. Anderer Theil, s.l., s.a. 7 Vgl. Besonderes curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio […]. Anderer Theil, 57. Es geht um eine Anspielung auf Georg Detharding, Disputatio circularis medica de tribus impostoribus, I. potu theae et coffeae, II. commoda vita, III. officinis domesticis daß viel tausend Menschen durch Trincken des Thee und Coffee, durch Erwählung guter Tage, durch Anschaffung von Haus-Apotheken sich betrieglich umb Leib und Leben bringen, Rostock 1731. Der Katalog der Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars von Wittenberg schlägt jedoch als terminus post das Jahr 1725 vor. 8 Bernard Le Bovier de Fontenelle, Dialogue IV. Le troisième faux Demetrius, Descartes, in 5 6

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Der Streit zwischen Descartes und Rüdiger

Dem eigentlichen Dialog geht eine Einleitung voraus, in welcher der Anonymus uns die Ankunft Rüdigers im ›Totenreich‹ schildert, begleitet von seiner verständlichen Orientierungslosigkeit aufgrund der neuen Situation. Die Unsterblichkeit der Seele persönlich feststellen zu können, das Nicht-Existieren des primus mobilis, den wahren Charakter der Kometen und die tatsächliche Position der Hölle, die lange Betrachtung der Höhe des Sternenhimmels, die Bewegung der Erde um die Sonne – in seinen Augen ähnlich dem eines Huhns, das über dem Feuer gebraten wird – lenken den Philosophen für kurze Zeit davon ab, auf die Bewohner des Ortes zu achten.9 Andererseits ist es oft in Dialogen dieser Art und auch in diesem Totengespräch Aufgabe des Autors, eine Begründung für das Treffen zwischen dem gerade Angekommenen und einem alten Bewohner des Jenseits zu finden, und er löst das Problem, indem er vorgibt, dass es das Fehlen besserer Gesprächspartner in seinem Umfeld ist, was ihn, der viel lieber mit anderen Denkern gesprochen hätte, dazu führt, sich mit Descartes auseinanderzusetzen: Da nun also Herr D. Rüdiger seinen angewiesenen Platz im Todten Reiche eingenommen hatte, fande er zwar eine grosse Neigung vornehmlich mit dem Engelländer Johan Locken zu sprechen, als welchen er in seinem Leben sehr hoch gehalten hatte, oder mit Herrn Thomasio zu reden[,] als welcher sein Patron in Reiche der Lebendigen gewesen. Allein da bekandt, wie weder die Engelländer noch die Deutschen so gesprächig als die Frantzösen sind[,] so fande sich auch so gleich Mr. Cartesius[,] der sonsten so viel von D. Rüdigern durch die in Reich der Todten neuangelangte Passagier gehöret hatte[,] zu ihm ein hieß ihn wilkommen und fienge nachgehends folgenden Discours mit ihm an, welcher aus der im Reich der Todten gewöhnlichen Sprache übersetzet also lautet.10

Natürlich ist es kein Zufall, dass Rüdiger Descartes als Partner gegenübergestellt wird. Ein Treffen des Mediziners mit Christian Thomasius, zu dessen Anhängern er immer noch gehörte, oder mit Locke, dessen Erkenntnislehre von Rüdiger nicht wenig kritisiert worden war, doch mit ihm einig im entschiedenen Antiinnatismus, hätte es nicht möglich gemacht, eine Auseinandersetzung mit einer vergleichbaren polemischen Kraft wie der in Szene zu setzen, die eine Gegenüberstellung von Descartes und einem Philosoph entfesseln konnte, der in den meisten seiner Werke einen radikalen Gegenkurs zu Descartes gesteuert hatte. Die Diskussion war also alles andere als ein maßvoller Meinungsaustausch zwischen zwei Denkern, und das

Nouveaux dialogues des morts, Bd. II, 239–55; [Charles Étienne Pesselier], Dialogue III. Descartes, Law, in Nouveaux dialogues des morts, Bd. I, aux champs Elisées 1753, 101–11. 9 Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, 3– 4. 10 Ebd., 10.

Descartes als Wolffscher Philosoph

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wird bereits aus den ersten Worten Descartes’ klar deutlich, wo er Rüdiger sofort anspricht, indem er Informationen zitiert, die er von anderen Bewohnern des Jenseits erhalten hatte: Sie haben mich beständig wiederleget und in vielen Stücken zeigen wollen, daß ich mich irrig vergangen[;] allein waß mir verständige Leute in unserm Todten Reich aus Ihren Schriff ten erzehlet, habe ich gesehen, daß Sie mehr Geschicklichkeit besassen, die Meynungen anderer Leute herunter zu machen und zu tadeln, als selber etwas besseres und festeres zu erfinden.11

Descartes, der 81 Jahre vor dem fiktiven Treffen mit dem deutschen Philosophen gestorben war, wird also in dem für die Gattung des Totengesprächs typischen Zustand einer Person gezeigt, die auch im Jenseits Möglichkeiten besitzt, an Informationen zu den kulturellen Geschehnissen im ›Reich der Lebenden‹ zu gelangen. Diese Passagen kündigen vor allem eine erste Lesart des Textes an: Die Angriffe auf Descartes, die Rüdiger zu Lebzeiten bei entscheidenden Fragen der Erkenntnislehre, Physik und Psychologie vorgenommen hat, würden sicherlich im Mittelpunkt der Debatte zwischen den beiden Philosophen stehen. Wir können uns aber noch eine weitere Frage stellen: Bis zu welchem Punkt bedient sich der Autor dieser Escamotage, um sich mit philosophischen Kontroversen zu befassen, die zur Zeit der Abfassung des Dialogs aktuell waren? Mit anderen Worten: Bis wohin geht er beim Ausnutzen der Möglichkeiten, die ihm das Genre des Totengesprächs bietet? Der Vergleich mit den Quellen und mit anderen Dialogen derselben Zeit sowie die gründliche Prüfung der Worte der beiden Philosophen (vor allem der von Descartes) erlaubt es uns, hinter der Abfassung dieses Gesprächs etwas mehr als nur ein bloßes divertissement zu erkennen, das der inzwischen sehr weit verbreiteten Mode der Dialoge ›im Totenreich‹ folgt. Der Dialog sollte daher im Licht der kulturellen Szene jener Jahre, der Debatten und Kontroversen vom Anfang des 18. Jahrhunderts gesehen werden, von denen er tief durchdrungen ist. Um diese Diskussionsebene zu erreichen, muss man zu einer Polemik zurückkehren, die einige Jahre vorher stattgefunden hatte und bei der die von Andreas Rüdiger gespielte Rolle alles andere als nebensächlich gewesen war.

2. Descartes als Wolff scher Philosoph 1723 entledigte sich die pietistische Fraktion der Universität Halle einer Person, die sie seit langem als störend empfunden hatte. Wenn der Vortrag über die Moral der Chinesen, den Christian Wolff zwei Jahre vorher gehalten hatte, die endgültige 11

Ebd., 12.

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Möglichkeit geboten hatte, seinen seit Jahren erhoff ten Ausschluss zu erreichen, sollte die Vertreibung des Philosophen nur der Anfang der »intensivsten und spektakulärsten aller Kontroversen der deutschen Aufklärung«12 sein: Eine beeindrukkende Menge an Pamphleten gegen den Harmonismus, Determinismus, ›Spinozismus‹ von Wolff – und genau so zahlreiche Antworten seitens Wolffs und seiner Anhänger – folgten auf Jahre hinaus dem berühmten Rauswurf des Philosophen aus Preußen. Unter seinen Verleumdern finden wir auch Rüdiger, der 1727, vier Jahre vor seinem Tod und der Veröffentlichung des Dialogs, der ihn als Hauptperson sah, den psychologischen Teil der Deutschen Metaphysik, das vierte Kapitel (Von dem Wesen der Seele und eines Geistes überhaupt), erneut in Druck gegeben hatte, bei dem er seine Widerlegungen als Fußnoten anfügte.13 Wolff ließ nie erkennen, ob er die Einwände von Rüdiger ernst nehmen würde, im Gegensatz zu dem, was er in Bezug auf Johann Franz Budde und Joachim Lange getan hatte, denen er bereits 1724 eine erste Antwort mittels zusätzlicher Anmerkungen zu seiner Metaphysik gegeben hatte.14 Der Philosoph wollte nie selbst auf die Angriffe des sächsischen Arztes und auf die Provokationen, die von dessen Schüler Adolph Friedrich Hoffmann von den Seiten einer kleinen Arbeit gegen die Wolffsche Logik lanciert worden waren (Gedancken über Christian Wolffens Logic, 1729), reagieren. Wolff selbst antwortete nie, aber an seiner Stelle erwiderten zwei Studenten aus Jena, die 1729 unter dem Pseudonym »Hieronymus Aletophilus« den exilierten Philosophen verteidigten.15 Unser Dialog wird also mitten in einer unruhigen Phase veröffentlicht, bei der sich alles um den Skandal der ›schändlichen‹ Philosophie von Wolff drehte; Jahrzehnte aufgeregter Publikation polemischer Schriften, studentischer Agitationen, der Geburt von versteckt für die Verbreitung der Ideen Wolffs agierenden Vereinen und der unnachgiebigen Zensur der pietistischen Fraktion, die viele mitteldeutschen Fakultäten wähJonathan Israel, Enlightenment Contested. Philosophy, Modernity, and the Emancipation of Man, 1670–1752, Oxford 2006, 190. 13 Andreas Rüdiger, Herrn Christian Wolffens Meinung von dem Wesen der Seele und eines Geistes überhaupt; und D. Andreas Rüdigers Gegen-Meinung, Leipzig 1727. Ndr. hg. von Michael Albrecht, Hildesheim/Zürich/New York 2008. 14 Christian Wolff, Der vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Anderer Theil. 15 Adolph F. Hoffmann, Gedancken über Christian Wolffens Logic, oder sogenannte Philosophiam rationalem. Nebst einem Anhange, worinnen gedachter Herr Auctor auf die von Andreas Rüdigern wider seine Meinungen von dem Wesen der Seele und eines Geistes überhaupt gemachten Einwürffe zu antworten eingeladen wird, Leipzig 1729. Ndr. hg. von Robert Theis, Hildesheim/Zürich/New York 2008; Hieronymus Aletophilus, Erinnerungen auf die Gegen-Meinung der Meinung Herrn HofRath Wolffens von dem Wesen der Seele und eines Geistes überhaupt […], Frankfurt a. M./Leipzig 1729. Das von Rüdiger nachgedruckte Wolffsche Kapitel findet sich in DM, 453–574. Für weitere Details zu diesen Ereignissen vgl. Michael Albrecht, Vorwort zu Andreas Rüdiger, Gegen-Meinung, 5–7 u. 13–16. 12

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rend des gezwungenen Exils des Philosophen in Marburg unter ihrer Kontrolle hatte.16 Das Echo von derart heiß geführten Auseinandersetzungen erreichte selbstverständlich auch das Totenreich, und Descartes konnte so dem gerade angekommenen Rüdiger seine ganze Unduldsamkeit bezüglich der Streitschriften zeigen, die inzwischen während der langjährigen Kontroverse ausgetauscht worden waren. Das von ihm den Attacken gegen Wolff seitens seiner Gegner entgegengestellte Ideal ist das der »Verknüpfung der Wahrheiten«, ein Begriff, der den Kernpunkt von Wolffs Methode gebildet hatte:17 DESCARTES: Diejenige Weltweisen […] welche ihre gantze Lebens-Zeit in Streitschriff ten zu bringen werden, sich zwar zu ihrer Zeit bekannt, aber nicht bey der Nachwelt unsterblich machen. Wer auf einen beständigen Nachruhm nach dem Tode gedencket, schreibe etwas nützliches und gründliches[,] darinn er die Verknüpff ung der Wahrheiten zeiget […]. Ich bin sehr wohl zufrieden, daß die Streitschriff ten in der Wolfischen Sache nunmehro mehrentheils auch ihr Ende erreichet haben […]. Gewiß seine Philosophie wird wie ein helles Licht am Himmel der Wahrheit stehen bleiben […]. D. RÜDIGER: Sie halten gar viel von Herr Hoff rath Wolffen und habe ich auch einen Disput mit ihm gehabt, indem ich dessen Meinung von der Seele mit meiner Gegen Meinungen in öffentlichen Druck herausgegeben habe. Ich halte daß die Mathematique seiner Weltweißheit viel geschadet, indem er überall eine mathematische Gewißheit suchen wollen, die doch nicht allenthalben, zu fi nden ist […]. DESCARTES: Zum wenigsten schärffet die Mathematique den Verstand, daß derjenige[,] welcher sie wohl gelernet, gleichsam den Faden der Ariadre in der Hand hat, durch welchen er aus den verwirthesten Labrinth wunderlicher Meinungen sich glücklich zu rechte finden, und auf den Weg der Wahrheit gelangen kan.18

Die skrupelloseste Handlung des Anonymus ist die, Descartes das Bekenntnis einer grenzenlosen Bewunderung für jenen anzuvertrauen, der, 29 Jahre nach seinem Zu der in den Jahren des Wolffschen Exils praktizierten Zensur seines Werks vgl. Clemens Schwaiger, »Denkverbote und Denkfaulheit in der Sicht der deutschen Aufklärer«, in Wilhelm Haefs/York-Gothart Mix (Hgg.), Zensur im Jahrhundert der Aufklärung, 124–29. 17 Vgl. dazu etwa Christian Wolff, Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis der Wahrheit, Halle 1713, in: ders., GW, I Abt., Bd. I, hg. von Hans W. Arndt, Hildesheim 1965, 132–33 u. 260, Anm. 14; Michael Albrecht, ›Eklektik‹, 530; Hans-Jürgen Engfer, Philosophie als Analysis. Studien zur Entwicklung philosophischer Analysiskonzeptionen unter dem Einfluß mathematischer Methodenmodelle im 17. und frühen 18. Jahrhundert, Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, 243. 18 Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, 16–17. 16

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Tod geboren, die Polemiken entfacht hatte, die immer noch stattfanden. Der Dialog mündet auf diese Weise vorhersehbar in die Kontroverse über das Verhältnis zwischen Mathematik und philosophischer Spekulation, die, verbunden mit der Debatte zur biblischen Exegese, die in Deutschland über das gesamte 18. Jahrhundert andauern sollte, sich als einer der Punkte erwies, um den sich ein Teil des großen Kampfes gegen Wolff drehte. Eine wichtige Rolle in diesem Disput spielte nämlich Christian Wolff, dessen zu Jugendzeiten geäußerte Überzeugungen zur Notwendigkeit der Anwendung der Strenge der mathematischen Disziplinen auf die Theologie zu der bekannten Übereinstimmung zwischen philosophischer und mathematischer Methode geführt haben. Unter den Protagonisten der querelle befindet sich jedoch auch Christian Thomasius und, 32 Jahre nach der Veröffentlichung unseres Dialogs, der vorkritische Kant der Dissertation über die Deutlichkeit, der sich im Rahmen eines 1761 von der Akademie der Wissenschaften in Berlin ausgeschriebenen Wettbewerbs dazu geäußert hat.19 Die Beziehung zwischen Philosophie und Mathematik ist auch der Leitfaden der Überlegungen Rüdigers, die auf klare Weise gegen Descartes und Wolff gerichtet sind. Um den eindeutigen Unterschied zwischen den beiden vom Philosophen theoretisierten Disziplinen zu erklären, können wir seine eigenen, sehr knappen Worte aus der Physica divina zitieren: Die modi der Mathematiker sind vielfältig, da sie nur mögliche Weisen sind. In der Philosophie gibt es dagegen für eine Ursache einer Sache genau einen modus: z. B. eine adäquate Ursache. Genauso sind alle möglichen modi der Mathematiker einfach bestimmbar, weil sie im Vermögen der Menschen sind und sich ausschließlich auf das menschliche Vermögen beziehen: das gilt nicht für die modi der Philosophen im Bereich der Physik, da sie sich auf das unendliche Vermögen Gottes beziehen. Außerdem sind die Arten und Gegensätze der Mathematiker extrem einfach, sie differieren nur durch die Quantität, z. B. ein spitzer, stumpfer bzw. rechter Winkel: dagegen differieren die Arten und Gegensätze der Philosophen durch die Substan-

Für einen Überblick über diese Debatten siehe vor allem Giorgio Tonelli, »Der Streit über die mathematische Methode in der Philosophie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Entstehung von Kants Schrift über die Deutlichkeit«, in Archiv für Philosophie, IX (1959), 37–66; Carlo Borghero, »L’analisi da Descartes a Kant«, in Giornale Critico della Filosofia Italiana, LXXXIV (2005), 433–69; Raffaele Ciafardone, »Von der Kritik an Wolff zum vorkritischen Kant«; Heinrich Schepers, Andreas Rüdigers Methodologie; Paola Basso, Il secolo geometrico. La questione del metodo matematico in filosofia da Spinoza a Kant, Florenz 2004; Hans-Jürgen Engfer, Philosophie als Analysis. Zur Wolffschen Methode vgl.: ders., »Zur Bedeutung Wolffs für die Methodendiskussion der deutschen Aufklärungsphilosophie: analytische und synthetische Methode bei Wolff und beim vorkritischen Kant«, in Christian Wolff 1679–1754, 48–65; Hans W. Arndt, »Rationalismus und Empirismus in der Erkenntnislehre Christian Wolffs«, ebd., 31–47; Juan I. Gómez Tutor, Die Wissenschaftliche Methode bei Christian Wolff, Hildesheim/Zürich/New York 2004. 19

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zen und Ursachen, die lediglich mit einer größeren Scharfsinnigkeit zu erkennen sind.20

Den Hintergrund für den Dialog bildet gerade die Szenerie, bei der die artikulierte Argumentation Rüdigers zur Nicht-Assimilierbarkeit der philosophischen und mathematischen Methode, reduziert auf wenige, kurze Worte des Philosophen, angedeutet wird. Außer den bereits zitierten Sätzen soll zumindest an die Anklage, »von der Atheisterey nicht viel entfernet« zu sein, erinnert werden, die der deutsche Philosoph gegen einige Mathematiker richtete. Der Ausdruck spiegelt sehr gut die Perspektive Rüdigers wider, der im Übrigen von einer anonymen Gruppe von mathematici und mechanici heftig angegriffen wurde, die sich mit einem Pamphlet gegen den Kreuzzug gegen Descartes, Aristoteles und Gassendi der Physica divina gerichtet hatten, ein Traktat, welches vom Arzt als Alternative zu dem den Theorien zur Physik dieser Philosophen innewohnenden Atheismus entwickelt worden war.21 Im Falle von Descartes beschränkt der Autor sich nicht nur darauf, die Komplexität seiner Auffassung auf wenige Sätze zu reduzieren – darunter der Vergleich zwischen der Mathematik und dem Ariadnefaden, einem Verweis auf den zwischen filum Thesei und der fünften, von Descartes in Regulae ad directionem ingenii unterbreiteten Regel –, aber er entstellt vollkommen die Überlegungen Descartes’ in Bezug auf das Verhältnis zwischen Bibelexegese und mathematischer Methode, indem er ein philosophisches Bild von Descartes entwirft, welches sich nicht sehr von der Tendenz der cartesianischen Scholastik unterschied, die Trennung zwischen theologischer und philosophischer Sphäre anzugreifen.22 Der uns vorgestellte Descartes ist in der Tat ein passionierter Verteidiger einer mathematisierenden Exegese der Heiligen Schrift:

20 »Mathematicorum modi sunt varii, quia possibiles tantum: in philosophia contra unius rei una est causa, unus modus: causam puta adaequatam. Item mathematicorum modi possibiles sunt omnes facile determinabiles, quia sunt in potentia hominis, & ad nullam aliam, quam humanam potentiam referuntur: modi vero philosophorum in physicis non item, quia referuntur ad infinitam Dei potentiam. Porro species & opposita mathematicarum sunt perfacilia, differunt enim solum quantitate, v.g. angulus acutus, obtusus, & rectus: at philosophorum species & opposita substantiis differunt & causis, non nisi acutiore acie cognoscendis« (Andreas Rüdiger, Physica divina, recta via, eademque inter superstitionem et atheismum media […], Frankfurt a. M. 1716, 18. Übersetzung der Verfasserin). 21 Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, 18; Defension-Schrifft derer Mathematicorum und Mechanicorum, wider Herrn D. Andr. Rüdigers in seiner Physica divina ausgestossene Injurien und Unwahrheiten, allen Gelehrten ietziger und zukünfftiger Zeit zur Decision, Frankfurt a. M. 1717. 22 Vgl. René Descartes, Regulae ad directionem ingenii (1701¹), in AT, Bd. X, 379–80. Für eine ausführliche Darstellung der Debatte bezüglich der biblischen Exegese innerhalb des Cartesianismus, besonders lebendig im Holland des 17. Jh., ist das Standardwerk Josef Bohatec, Die cartesianische Scholastik in der Philosophie und reformierten Dogmatik des 17. Jahrhunderts, Leipzig 1912.

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Warum sollte man die mathematische Methode nicht auf die Theologie appliciren können, indem doch diese nichts dadurch an ihrer Vortrefflichkeit verlieret, vielmehr in bessere Ordnung gesetzet wird. In allen Wissenschaff ten wo man gute Definitiones hat […] lässet sich auch die mathematische Methode appliciren […]. Was Sie aber von den Glaubens-Artickeln in der Gottesgelahrtheit anzuführen beliebet, daß man dieselbe nicht beweisen kan, sondern vielmehr glauben muß, so bin ich darin vollkommen Ihrer Meynung, dieses aber hindert nicht, daß man deshalben die mathematische Methode auf dieselbe appliciren solte […]. Wenn ich nehmlich alles dasjemige[,] was die heilige Schriff t von Gott saget[,] zusammennehme, so kan ich eine Definition von Gott machen. Halte ich alles das zusammen, was die Heil. Schriff t von der Wiedergeburth schreibet, so habe ich die Definition von der Wiedergeburth und so weiter habe ich aber einmahl Definitiones[,] so kan ich die mathematischen Methode leicht appliciren, aus denen Definitionen Wahrheiten ziehen[,] dieselbe combinieren und alles in gehörige Ordnung bringen.23

Mit dieser Apologie der Verwendung des mos geometricus bei der Bibelhermeneutik geht der erste Teil unseres Dialogs zu Ende. Der vom Autor genutzte Vorwand, um das Gespräch nicht fortsetzen zu müssen, ist die Müdigkeit Rüdigers, der Descartes bittet, nicht mit weiteren eingehenden Darlegungen zu den Verbindungen zwischen Mathematik und Heiliger Schrift weitermachen zu wollen, sondern damit bei einer anderen Gelegenheit fortzufahren.24 In der vom Anonymus sofort angekündigten Fortsetzung des Dialogs sollte der Leser dann allerdings keine Fortsetzung der Debatte finden, wie es der Schluss dieses ersten Teils hätte erwarten lassen. Die beiden Philosophen machen dort im Zusammenhang mit einer breiten Eröffnungsdiskussion bezüglich der aristotelischen Philosophie und der Wahrscheinlichkeit lediglich einige zufällige Bemerkungen bezüglich der Heiligen Schrift. Zusammen mit einer Reihe von Wortgefechten, denen es nicht an Spannung fehlt und in denen Descartes sich unter anderem gegen eine vehemente Attacke seitens Rüdigers verteidigen muss, der ihn der Skepsis bezichtigt, erklärt jener zum Beispiel, wie man im Falle der Dogmen wie dem der Trinität darauf achtgeben müsse, nicht dem Irrtum jener zu verfallen, die versucht hätten, sie zu beweisen, indem sie sich allein der Mathematik bedienten, ohne vorher ein Glaubensbekenntnis abzulegen.25 Man kann nicht umhin zu bemerken, wie der französische Philosoph in seiner Apologie von Christian Wolff fortfährt, der als Unsichtbarer in beiden BegegnunCurieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, 46–47. 24 Ebd., 48. 25 Besonderes curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio […]. Anderer Theil, 13–14. 23

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gen präsent ist, wobei Descartes sich bis zur Verteidigung des Konzepts von Wolff einer Philosophie als »Wissenschaff t möglicher Dinge in wieweit dieselbe möglich sind« vorwagt. Der Breslauer Philosoph wird darüber hinaus von Descartes aufgrund seiner ergiebigen Forschungen zur angewandten Mathematik als eine Art perfekter Fortsetzer seiner demonstrativen Methode vorgestellt.26 In dieser zweiten Unterhaltung zwischen den beiden Denkern fällt hingegen die fast eklatante Abwesenheit eines Themas von höchster Wichtigkeit bei der philosophischen Produktion sowohl von Rüdiger als auch von Descartes und Wolff auf: das Verhältnis von Seele und Körper. Es handelte sich um ein Problem von größter Aktualität, da in der Tat die Wolffsche querelle die psychologische Diskussionen in Preußen in jenen Jahren dominierte. Bei der damaligen Debatte standen sich zwei prinzipielle Positionen gegenüber: der pietistische Influxionismus, verbunden mit einem starken antiokkasionalistischen und anticartesianischen Komponente, und Leibniz’ Harmonismus in der Version von Christian Wolff, der die eigene Gegnerschaft zum Modell der causae occasionales mit spezifisch physikalischen Argumenten rechtfertigte, wobei er sich auf die Vereinbarkeit von der Theorie der prästabilierten Harmonie und des leibnizschen Gesetzes der Erhaltung der Antriebskraft stützte.27 Die Widerlegungen von Budde und Lange zielten hauptsächlich darauf, die Philosophie Wolffs als extremes, unnatürliches, fatalistisches Ergebnis der Systeme von Leibniz und Spinoza zu präsentieren. Die Gegnerschaft von Rüdiger gegenüber Wolff hat sich, obwohl sie ebenfalls die Deutsche Metaphysik betraf, stärker als bei Lange und Budde der Frage der Art der Interaktion zwischen Seele und Körper zugewandt, wobei sie sich unlösbar mit der anticartesianischen Haltung des Philosophen verstrickte. Dieses Thema stellt einen der Leitfäden des ersten Teils des Dialogs dar, auf den wir deshalb unser Augenmerk richten sollten.

Ebd., 13. Vgl. Christian Wolff, »Principia dynamica«, in Commentarii academiae scientiarum petropolitanae, I (1728), 217–38; ders., Vertheidigung der Meinung von der bewegenden Krafft, welche sich in den Cörpern befindet, gegen Hr. Muys Einwendungen (1739). Ndr. Hildesheim/New York 1981, 128–41; Gottfried W. Leibniz, Brevis demonstratio erroris memorabilis Cartesii et aliorum circa legem naturae, secundum quam volunt a Deo eandem semper quantitatem motus conservari; qua et in re mechanica abuntur, in Acta Eruditorum (1686), 161–63. Zu dieser Debatte vgl. Rainer Specht, Art. »Einfluß«, in HWPh, Bd. II, 1972, 395–96; ders., »L’occasionalismo in Germania nell’età dei Lumi«, in Giornale Critico della Filosofia Italiana, LXVI (1985), 184–214. 26 27

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3. Pietismus und Materialismus Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Philosophen bezüglich des commercium zwischen Seele und Körper wird vom Autor an dem Beispiel einer Reihe von Widerlegungen von Rüdiger gegenüber Descartes skizziert, wie die der Physica divina (1716) oder der Institutiones eruditionis (1707). Viele theoretische Implikationen und Beweisführungen dieser beiden Werke werden vom Autor des Totengesprächs ignoriert: die Trennung des spiritus in mens und anima, die rein physiologischen Aspekte der Beziehung zwischen Seele und Körper (Rolle der Lebensgeister sowie der Zirbeldrüse, Herzfunktion) und die damit verbundene Behandlung von Talismanen, Magie und signaturae, Dämonen, Geistern und Nachtschwärmern – alles Aspekte, die wir nicht im anonymen Dialog zwischen Rüdiger und Descartes finden werden.28 Das Wortgefecht zwischen den beiden betraf nur den essenziellen Kern der Theorie, nachzulesen auch 1727 in der Widerlegung von Wolff, einem originellen und komplexen Ansatz, bei der diverse philosophische Traditionen und Einflüsse zusammenliefen und die feste Grundlagen in der Physik von Rüdiger besaß.29 Die Haltung des fiktiven Descartes’ ist sofort gekennzeichnet von einer eindeutigen Verteidigung des Dualismus der Substanzen; sein Plädoyer schließt jedoch mit einer trockenen Formel ab, die, anstatt die Art des Argumentierens von Descartes heraufzubeschwören, eher die scholastischen Entwicklungen des deutschen Cartesianismus sowie spezielle Versuche von Wolff, das cogito auf eine syllogistische Form zu reduzieren, in Erinnerung ruft.30 Die Doktrin von Descartes ist in

Andreas Rüdiger, Physica divina, 153–56 e 160–90; ders., Institutiones eruditionis, seu Philosophia synthetica, tribus libris, de Sapientia, Justitia, et Prudentia, methodo mathematicae aemula, Frankfurt a. M. 1717³, 241–45. Die ersten beiden Ausgaben des Werkes (1706 u. 1707), die in Leipzig beim Verleger Zschau erschienen, tragen den Titel Philosophia Synthetica, tribus libris, de Sapientia, Justitia, et Prudentia, methodo mathematicae aemula. Ndr. der Ausgabe 1707: hg. von Ulrich G. Leinsle, Hildesheim/Zürich/New York 2010. 29 Zur Interaktion von Seele und Körper bei Rüdiger vgl. Michael Albrechts Vorwort zu Andreas Rüdiger, Gegen-Meinung, 7–13; Martin Krieger, Geist, Welt und Gott bei Christian August Crusius, 101–04 u. 224–25; Wilhelm R. Jaitner, Thomasius, Rüdiger, Hoffmann und Crusius: Studien zur Menschenkunde und Theorie der Lebensfürung im 18. Jahrhundert, Bleicherode am Harz 1939, 15–20; Eric Watkins, »From Pre-Established Harmony to Physical Influx: Leibniz’s Reception in Eighteenth Century Germany«, in Perspectives on Science, VI (1998), 156–167. 30 Vgl. z. B. die Deutsche Metaphysik: »Wenn wir deutlich erkennen wollen, wie wir durch diese Gründe überführet werden, daß wir sind; so werden wir befinden, daß in diesen Gedancken folgender Schluß stecket: Wer sich seiner und anderer Dinge bewust ist, der ist. Wir sind uns unserer und anderer Dinge bewust. Also sind wir« (Christian Wolff, DM, 4). Zur Rezeption des cogito im Deutschland des 18. Jh. vgl. Wolfgang Röd, »Le Cogito ergo sum dans la philosophie universitaire allemande au XVIIIe siècle«, in Jean-Luc Marion (Hg.), La passion de la raison. Hommage a Ferdinand Alquié, Paris 1983, 305–22. Siehe auch Charles A. Corr, »Cartesian Themes in Wolff ’s German 28

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der Tat reduziert auf eine einfache Überlegung, die in der Definition der Seele als »denkendes Wesen« gipfelt: Indessen aber muß ich doch die Seele von dem Cörper unterscheiden, denn die Seele und Cörper ist nicht einerley Ding. Der Cörper nun und sein Wesen, bestehet in der Ausdehnung in die Länge Breite und Dicke. Wäre die Seele ausgedehnet, so wäre sie auch ein Cörper, ist sie ein Cörper[,] so kan sie nicht unsterblich seyn […]. Kein Cörper kan gedencken, die Seele ist kein Cörper[,] die Seele ist im Menschen[,] also kommt das Gedencken der Seele[,] zu folglich ist die Seele ein gedenckendes Wesen.31

Rüdiger hat keine Zweifel bezüglich der größeren Wirksamkeit seiner Lösung und verneint, dass das Wesen der Seele im Denken sitze, womit er als Antwort böswillige Unterstellungen seitens Descartes’ provoziert: D. RÜDIGER: Daß die Seele gedencket, und daß kein Cörper vermöge seines mechanismi gedencken kan, bleibet wohl eine ausgemachte Sache, allein daraus erfolget noch nicht daß das Wesen der Seelen in Gedancken bestehe. Das Gedancken ist[,] wie ich vorher schon einmahl[,] eine Eigenschaff t der Seelen, aber nicht das Wesen derselben. Ich mache nach meiner Weltweißheit einen Unterschied unter der Materie und dem Cörper, und weil doch eine Sache die keine Materie hat gar nicht subsistiren kan, so glaube ich daß man nicht unrecht thue, wenn man der Seele eine Materie beylege. DESCARTES: Kurz vorhero gaben Sie den Mathematicis Schuld, daß sie alles in der Lehre von Gott und der Seele mit einem Circkel und Dreyeck ausmessen wollten, und itzo fangen Sie selbst an, von der Seele zu urtheilen, daß sie materiell wäre, finde dieses statt so könten sie auch die Seele mit Circkel und dreyeck ausmessen, indem doch alle Materie gemessen werden kann.32

Rüdigers Worte nehmen sofort einige Grundlagen seines Ansatzes des sogenannten ›Leib-Seele-Problems‹ vorweg: eine Unterscheidung zwischen Materialität und Körperlichkeit sowie die Bestätigung der materiellen Natur der Seele. Nach Meinung des Philosophen ist nämlich die Ausdehnung eine Eigenschaft nicht nur der Materie, sondern aller geschaffenen Dinge, also auch, obwohl unkörperlich, der menschlichen Seele. Die wahre Eigenschaft, welche die Körper von den geistigen Substanzen unterscheide, sei ihre Elastizität, ein Ergebnis der Bewegung des Äthers Metaphysics«, in Christian Wolff 1679–1754, 115. Zum Verhältnis zwischen Wolffs Philosophie und der Syllogistik des 17. Jh. vgl. Hans W. Arndts Vorwort zu Christian Wolff, Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes, 31–55. 31 Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, 18–19. 32 Ebd., 19.

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(bestehend aus particulae radiantes) und der Luft (verursacht von der Bewegung der bullulae). Jedes Element bestehe aus materia prima, einer von Gott ex nihilo geschaffenen, ausgedehnten Substanz. Rüdiger stellt auf diese Weise eine Äquivalenz zwischen Materie, Ausdehnung und geschaffener Natur her und ordnet der Seele alle diese Eigenschaften zu.33 Diese Identifizierungen erlaubten dem Philosophen ein doppeltes theoretisches Ergebnis, das seinen Absichten nach seine Position zu einer entscheidenden Waffe zur Unterstützung der Orthodoxie machte. Einerseits erlaubte seine Theorie – indem sie nicht die Möglichkeit der Konsubstantialität von Seele und Körper verhinderte – Rüdiger die Theoretisierung des physischen Einflusses. So bekräftigte er Ideen, die schon die pietistischen Gegner von Wolff vertreten hatten, die den von der »Leibniz-Wolffschen« Harmonie implizierten ›Fatalismus‹ verabscheuten. Anderseits erlaubte sie, eine ungebührliche Vermischung zwischen Gott und dem Geschöpf zu vermeiden.34 Die Körperlichkeit ist also das wahre Unterscheidungsmerkmal zwischen Körper und Seele. Diese letzte (oder besser, wie im Folgenden deutlicher wird, die Seele als subjectum betrachtet) muss folglich als unkörperliche, materielle Ausdehnung verstanden werden. Rüdiger konnte somit die Kritik Langes und Buddes an welcher der »Leibniz-Wolffschen« prästabilierten Harmonie auf eine solidere philosophische Basis stellen (die seiner Auffassung nach den ›Fatalismus‹ beinhaltete). Der Ansatz von Rüdiger lag in vielen Punkten an der Grenze zur Inkohärenz. Seine Absicht war trotzdem eindeutig: Er wollte, im Gegensatz zu Descartes und letzten Endes auch zu Wolff, welche die Seele als heterogene und vom Körper getrennte Substanz ansahen, eine engere Einheit zwischen den beiden Komponenten festlegen. Diese untrennbare Verbindung zwischen Seele und Körper implizierte eine Reihe von Konsequenzen auf physiologischem Gebiet, die nicht in der Gegen-Meinung ausgedrückt wurden, sondern nur in den gegen Descartes gerichteten Werken zu lesen sind: Die Uneinigkeit mit Descartes in Bezug auf die Theorie des Blutkreislaufes, die Verurteilung der Theorie Descartes’ der Gleichsetzung von Tieren mit Maschinen und ein entschiedener Antiinnatismus.35 Die Theorie des influxus physicus befreite schließlich Rüdiger davon, wie es Descartes getan hatte, auf den Einfluss der Zirbeldrüse zurückgreifen zu müssen: Da die facultas sentiendi für den deutschen Philosophen nicht im Gehirn angesiedelt 33 Vgl. Rüdigers Vorwort zur Gegen-Meinung, 8 u. 16–18 (unpag.); ders., Physica divina, in der solche Fragen ausführlich dargestellt und in das physikalische System und die antiatheistische Polemik des Philosophen integriert werden. 34 Vgl. Rüdigers Vorwort zur Gegen-Meinung, 9, unpag.; ders., Physica divina, 87. 35 Zum Blutkreislauf und zur Seele der Tiere vgl. insbes. Andreas Rüdiger, Physica divina, 155; zu den Ideen siehe ders., Disputatio philosophica de eo, quod omnes ideae oriantur a sensione, Leipzig 1704.

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ist – so liest man in der Disputatio philosophica de eo, quod omnes ideae oriantur a sensione – »anima sentit, ubicunque afficitur«.36 Rüdiger zählte sich auf diese ganz eigene Weise zu jenen Medizinern, die in engster Verbindung mit dem Pietismus und den Befürwortern einer anticartesianischen und antimechanistischen Physiologie standen, von denen eine der Hauptfiguren Georg Ernst Stahl war.37 Auch wenn man die gebührenden Unterschiede festhält, eine influxionistische, psychologische Orientierung, die Ablehnung der Verflechtung von philosophischer und mathematischer Sphäre, die Forderung der praktischen Spekulation der philosophischen Überlegungen im Gegensatz zu den metaphysischen, dogmatischen, dualistischen und mechanischen Systemen von Descartes, Spinoza und Leibniz, Philosophen, die als Vorgänger des Atheismus von Wolff angesehen wurden, sind alles Charakteristiken, die der ersten Generation von Philosophen zugeschrieben werden können, die am Antiwolffschen Kampf teilgenommen haben. Die Psychologie Rüdigers war allerdings besonders gewagt, nicht nur, weil sie materialistisch orientiert war und eindeutige mortalistische Implikationen besaß. Was die Theorie, die wir gerade allgemein zusammengefasst haben, tatsächlich zu einem Unikum in der philosophischen Szene jener Zeit gemacht hat, war, dass sie von einer Persönlichkeit verteidigt wurde, die sehr stark vom Pietismus beeinflusst worden war. Es handelte sich um einen Philosophen, der mit der Bekräftigung der Präsenz einer materiellen Komponente in der menschlichen Seele und deren Sterblichkeit eine Verteidigung des Modells des physischen Einflusses, ausdrückliche apologetische Absichten sowie eine kategorische Verurteilung der Positionen von Descartes, Leibniz und Wolff verband. Es sollte daher nicht überraschen, dass die Lösung Rüdigers von vielen damals mit Empörung abgelehnt wurde, unter ihnen von zwei Studenten, Anhänger von Wolff, die nicht verstanden, wie eine Eigenschaft wie die der Ausdehnung den influxus erleichtern könne, sowie von einem anderen Adepten Wolffs, Georg Volckmar Hartmann. Dieser Mediziner aus Erfurt, als Student Gasthörer in den Vorlesungen des Philosophen in Halle und, wie Carl Günther Ludovici, unter den ersten Geschichtsschreibern des Wolffianismus, hatte sich auf den Seiten seiner Anleitung zur Historie der leibnitzisch-wolffischen Philosophie (1737) entsetzt darüber gezeigt, den Begriff »Materie« mittels des Konzepts der Schöpfung erklärt zu finden.38 Übrigens ist es immer der Rüdiger der Gegen-Meinung, der die Meinung äußert, dass die Ebd., 7, unpag. Zum Charakter der Medizin pietistischer Einrichtung siehe vor allem Johanna GeyerKordesch, Pietismus, Medizin und Aufklärung in Preußen im 18. Jahrhundert. Das Leben und Werk Georg Ernst Stahls, Tübingen 2000; Jürgen Helm, Krankheit, Bekehrung und Reform. Medizin und Krankenfürsorge im Halleschen Pietismus, Tübingen 2006. 38 Hieronymus Aletophilus, Erinnerungen, 39; Georg V. Hartmann, Anleitung zur Historie der leibnitzisch-wolffischen Philosophie, 932–33, Anm. k. 36 37

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Zuweisung der Ausdehnung als Eigenart des Körpers, verbunden mit dem Glauben an die Materialität der Seele, von vielen als gefährlich angesehen werden könnte, da sie die Mortalität einschlösse. Er versucht daher den unausweichlich mortalistischen Ausgang der eigenen Psychologie zu vermeiden, indem er die Annahme ausspricht, dass die Seele nicht von Natur her unsterblich sei, sondern es durch den Eingriff der göttlichen Gnade werden könne.39 Vom Eingriff der göttlichen Gnade wird in unserem Totengespräch nicht gesprochen. Rüdiger legt hier jedoch in stark verkürzter Form seine Überzeugung dar, dass die Seele »aus einer unsterblichen Materie« bestünde, und die Antwort Descartes’ kann nicht verwundern: »Dieses ist leicht gesaget, aber nicht so bald bewiesen. Wie kan eine Materie unsterblich seyn? Hier fället die Last des Beweises auf sie«. Angesichts einer derartigen Antwort, die ihn dazu zwingt, auf die legitimen Einwände mit genaueren Beweisen einzugehen, bleibt Rüdiger nichts anderes übrig, als seinem Gegenüber folgendes darzulegen: Meine Antwort forderte eine weite Deduction, dasjenige zu erklären, was ich eigentlich durch die Materie verstehe, denn ehe und bevor Sie meinen Concepten der von der Materie nicht völlig inne haben, werden wir auch in dieser Sache nicht einig werden können. Allein, ich sehe daß uns dort jemand zu höret und über unsern Philosophischen Discours zu lachen anfänget, indem er vielleicht vor seine Nase gar zu subtil seyn muß.40

Wenn in der Tat bereits damals zeitgenössische Intellektuelle Schwierigkeiten hatten, den diesbezüglichen Begriff Rüdigers zu verstehen, so erklärt sich dies auch von einem anderen Gesichtspunkt her, und zwar aus der Theoretisierung einer Seele, die zu einem Teil aus einem materiellen Substrat besteht (subjectum), ausgedehnt und nicht-körperlich, jedoch in abstracto, da Form des Körpers, nicht ausgedehnt sowie nicht materiell, etwas Göttliches und gleichzeitig »eine geschaffene Kraft« ist. Als Beweis der Legitimität seiner ganz eigenen Theorie führt der Philosoph die aristotelische Definition von »ψυχή« als »ἄϋλος δύναμις εν ὕλη« an, wobei er mit einem Gutteil an Unverfrorenheit den alles andere als nebensächlichen Aspekt übergeht, dass die Seele nach Aristoteles nicht in einen materiellen und einen nicht materiellen Teil getrennt ist.41 Auch dem Autor des Totengesprächs, obwohl er diese Doktrin nicht erwähnt, waren die vielen Widrigkeiten bei der Psychologie Rüdigers vollkommen klar. Dies erkennen wir, wenn er fast mit Genugtuung erkennen lässt, wie Rüdiger es nicht schaff t, die Einwände von Descartes zu entkräften: Der deut-

Vgl. Rüdigers Vorwort zur Gegen-Meinung, 8 (unpag.). Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, 19–20. 41 Vgl. Rüdigers Vorwort zur Gegen-Meinung, Ebd., 21–23 unpag. 39 40

Pietismus und Materialismus

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sche Philosoph unterbricht die Diskussion über die unsterbliche Materie, indem er seinen Gesprächspartner mit dem Vorwand ablenkt, andere Verblichene würden dreist mithören und sich über ihre Unterhaltung lustig machen. Etwas ganz Ähnliches geschieht auch, als Descartes die Beweisführung zu dem Punkt führt, dass die Bewohner des Totenreichs, obgleich ohne Körper, weiterhin die Fähigkeit zum Denken besäßen: Die Seele aber ist ein Geist und ein gedenckendes Wesen[;] nach Ihren Principiis aber müste folgen[,] daß die Seele nichts gedencken könne als durch den Leib[,] welches doch wieder alle Vernunff t ist, indem die Seele doch ein Wesen an und vor sich selbst oder eine Substanz ist […]. Dahingegen man nach Ihrem Grund-Sätzen den Schluß fassen müste, daß die Seele wenn sie vom Leibe abgesondert wäre, nichts gedencken könte, wir können ja auch noch im Todten Reiche gedencken.42 Der verfängliche Einwand von Descartes zwingt Rüdiger dazu, sich so gut es geht dieser Diskussion zu entziehen, indem er seiner Antwort die Worte voranschickt: »Von dem Zustand der Seelen nach dem Tode mag ich nicht gerne sprechen indem ich kein Gottesgelehrter bin«. Dasselbe Vorgehen zeigt unser Anonymus, als er dem Gegner von Descartes eine sehr wenig nach Rüdiger klingende Terminologie zuspricht und ihn sagen lässt, es gebe den Unterschied zwischen einer Seele, die mit dem Cörper vereinigt sei, und einer an und vor sich selbst, die auch ohne Körper denken könne: DESCARTES: […] die Seele muß doch eine Kraff t in sich selber haben zu gedenkken, weil sie sonst ohne dem Leib nicht bestehen […] könte […]. D. RÜDIGER: Wir werden unsern Streit nicht leicht endigen, wenn wir auf diese Arth zu disputiren fortfahren. Sie reden von der Seelen an und vor sich selbst und daß sie auch ohne den Leib gedencken könne. Dieses aber hab ich mir niemahlen vorgenommen zu leugnen. Es müssen doch nothwendig die Engel auch gedencken können, ob sie gleich keinen Leib haben, und also auch die Seelen an und vor sich selbst […]. Wir müssen also die Seele an und vor sich selbst von der mit dem Cörper vereinigten Seele unterscheiden, um in diesem Dispute keinen Fehl-Schluß zu begehen. Die Seele an und vor sich selbst mag ohne Gelegenheit der Sinnen allerdings gedencken[,] aber nicht die mit dem Cörper vereinigte Seele.43

Was folgt, ist Descartes’ vorhersehbare, kraftvolle Verteidigung der Existenz von eingeborenen Ideen und die anschließende Verwirrung von Rüdiger, der sich dazu Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, 38. 43 Ebd., 38–39. 42

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gezwungen sieht, nicht nur eine entschiedene Negation des Innatismus, zu dem er sich vor allem 1704 in einer gegen Descartes gerichteten wissenschaftlichen Arbeit bekannt hatte,44 zu Hilfe zu rufen, sondern auch die Schwierigkeit für einen Leser ›im Reich der Lebenden‹, einer derart subtilen Diskussion folgen zu können: DESCARTES: Allein wenn die Seele an und vor sich selbst ohne die Gelegenheit von denen Sinnen vor sich zu haben gedencken kan[,] so muß sie ja die Ideen von welchen sie gedencket in sich haben[,] folgends müssen es ideae innatae seyn[,] von denen sie gedencket […]. D. RÜDIGER: Unser Disput gehet zu hoch und kan ich mich nicht wohl von dieser Materie also erklären, daß ein Sterblicher der diese unsre Toden-Gespräche lieset, es vollkommen verstehen sollte. Indessen will ich Ihnen nur dieses antworten. Die Seele kan ohne den Leib an und vor sich selbst gedencken, allein daraus folget noch nicht das die Ideen[,] welche sie als denn überleget[,] ihr eingebohren und in ihr seyn. So lange sie mit dem Cörper verknüpffet ist, fasset sie dieselbe von aussen durch die Sinnen. Wer aber hat Sie versichert, daß eine Seele ohne Cörper nicht auch etwas von aussen erkennen sollte, und zwar auf eine andere Arth als durch die Sinnen[,] also brauchte sie dieselbe nicht eingebohren zu haben.45 Mit diesen Sätzen geht der dem Anonymus gewidmete Raum in Bezug auf eine der meist diskutierten Fragen zur Zeit der Frühaufklärung dem Ende entgegen. Der Gegensatz zwischen einer vom Pietismus beeinflussten Sichtweise des Verhältnisses zwischen Geist und Körper sowie einer deutlicher dualistischen, gleichzeitig aber auch von Descartes entfernten Auffassung war jedoch das Thema eines ein Jahr vorher erschienenen Totengesprächs gewesen und noch stärker mit der Wolffschen Frage verbunden. Es handelt sich um das schon im vierten Kapitel behandelte Gespräch zwischen Leibniz und Budde, zu dem man jetzt im Licht des bezüglich des Dialogs zwischen Descartes und Rüdiger Gesagten zurückkehren sollte.

4. Der Entstehungskontext des Dialogs Wie bereits erwähnt, ist die Zuordnung unserer Texte zu Fassmann recht zweifelhaft, und dies allein wegen der Undurchschaubarkeit, in der sich unser Wissen über die Gattung des Totengesprächs im 18. Jahrhundert bewegt, vor allem, was den ersten Teil des Jahrhunderts betriff t. Vertiefende Quellenstudien lassen keinen Zweifel Andreas Rüdiger, Disputatio philosophica de eo, quod omnes ideae oriantur a sensione. Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, 39–40. 44 45

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an einem wichtigen Punkt, der absolut berücksichtigt werden sollte: Am Anfang des 18. Jahrhunderts waren die Texte von Fassmann die Totengespräche par excellence, wurden laufend kritisiert, gekauft und kommentiert – und vor allem imitiert. Ein mit dem formalen Aufbau Fassmanns geschriebener Dialog muss daher nicht unbedingt von ihm selbst geschrieben worden sein. Der einzige Forscher neben John Rutledge, der sich mit den deutschen Totengesprächen beschäftigt hat und den Dialog zwischen Descartes und Rüdiger erwähnt, ist Johannes Rentsch. Er ordnet aber das Gespräch in eine andere Gruppe als das zwischen Leibniz und Budde ein: diesen letzten unter den »Gelehrtennekrologen«, die Unterhaltung zwischen Descartes und Rüdiger unter den »Streitschriften«, aber ohne den Ausdruck mit Verweisen auf den Wolffschen Disput zu verwenden. In der Gruppe findet in der Tat auch ein Dialog Platz, der eine Gegenüberstellung zwischen Friedrich Spanheim und der Päpstin Johanna beinhaltet.46 Eine Reihe von Überlegungen kann aber die außerordentlich große Anzahl von Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Dialogen verdeutlichen. Dieses Verhältnis ist so eng, dass die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass die zwei Texte demselben Autor zugeschrieben werden können. Das Gespräch zwischen Budde und Leibniz bietet eine beeindruckende Vielfalt von Themen und Motiven, unter denen viele sicherlich von den zeitgenössischen Lesern als gänzlich repräsentative Unterhaltungsthemen der zwei Gesprächsteilnehmer erkannt worden wären: Apokatastasis, chinesische Philosophie, Kabbala, Theodizee sind nur einige darunter. Diverse seiner Leitfäden stimmen aber auch mit dem Dialog zwischen Descartes und Rüdiger überein, der ebenfalls in zwei Teile gegliedert ist. Außerdem ist auch eine außerordentliche Affinität in der Prosa zu erkennen, mit der die Dialoge geschrieben wurden. Budde hatte einerseits eine Widerlegung der Wolffschen Deutschen Metaphysik geschrieben, die Wolff mit seinen eigenen Anmerkungen als Fußnoten versehen erneut herausbrachte; so hatte auch Rüdiger sich entschieden, seinerseits Wolff zu widerlegen, indem er ein Kapitel desselben Werks nachdrucken ließ und dieses mit seinen kritischen Fußnoten versah.47 Beide Dialoge bieten also eine analoge Gegenposition zu einem Gespräch zwischen einem Philosophen, der sich in der Auseinandersetzung gegen Wolff hervorgetan hat, dem Pietismus nahe stand und wie Rüdiger und Budde kürzlich verstorben war (Letzterer 1729), sowie auf der anderen Seite einem der vorhergehenden Generationen (Descartes und Leibniz).48 Die beiden letzten Figuren werden von den Autoren der Dialoge beauftragt, für die Sa-

Johannes Rentsch, Lucianstudien, 43, Anm. 46 u. 48. Johann F. Budde, Bedencken über die Wolffianische Philosophie. 48 Leibniz verteidigt Wolff z. B. in Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 18. 46 47

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che des praeceptor Germaniae einzutreten. Andere den beiden Werken gemeinsame Themen sind natürlich der Atheismus, die Obsession der pietistischen Theologen am Anfang des 18. Jahrhunderts und das polemische Ziel zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten und Traktate der Anhänger des Pietismus Budde und Rüdiger; der Status der Mathematik und ihre Beziehungen zur philosophischen Spekulation; die vexata quaestio der Beziehung zwischen Seele und Körper, das Gebiet der fiktiven Auseinandersetzung zwischen dem Influxionisten Budde und Leibniz sowie zwischen Descartes und Rüdiger, der beim influxus physicus die kontroverse und sehr persönliche Version vertreten hatte, über die wir schon gesprochen haben. Diese Diskussionen werden oft zusammen mit der Debatte über die Wolff sche Frage geführt. Im Fall des Gesprächs zwischen Budde und Leibniz haben wir aber gesehen, wie der Autor schon im Vorwort das Thema des kommenden Dialogs verdeutlicht, indem er uns einen eben im Totenreich angekommenen Budde präsentiert, der sich entschieden hat, die Monotonie des unsterblichen Lebens durch eine Unterhaltung mit Leibniz zu durchbrechen. Dieser hat seinerseits nicht darauf verzichtet, wie in seinem irdischen Leben briefliche Kontakte mit anderen Intellektuellen zu pflegen, und seine Briefpartner hatten inzwischen dafür gesorgt, ihn genauestens über die laufenden Kontroversen zwischen der pietistischen und der Wolffschen Fraktion zu informieren.49 Die in beiden Dialogen fingierte, ständige Kommunikation zwischen der Welt der Lebenden und dem Reich der Toten – typisch für Fassmanns Texte, hingegen abwesend in Fontenelles Totengesprächen50 – ist ein meisterhafter Trick des Autors, um die Schwierigkeit zu überwinden, die historisch-biographische Ebene und die der literarischen Fiktion miteinander kompatibel zu machen. Aus leicht verständlichen, chronologischen Gründen konnte der Autor (oder die Autoren) der zwei Totengespräche nicht über Meinungsäußerungen der beiden Philosophen in erst kurz vorher geführten Disputen, die so eng mit dem kulturellen Leben der vergangenen Jahrzehnte an den mitteldeutschen Universitäten verbunden waren, verfügen. Das gilt insbesondere im Fall von Descartes, aber auch, wenn auch in geringerem Maße, für Leibniz. Dies bedeutet ebenfalls, dass es unvermeidlich die Gesprächspartner, die Christian Wolff verteidigen sollen, sind, die einen höheren Preis für eine Umsetzung in Schriftform von so komplexen Fragen zahlen. Derart von der Feder des Anonymus geformt, dass sie zu möglichen Gesprächspartnern von Denkern werden, von denen sie zumindest eine Generation getrennt waren, wird ihnen zunehmend die mehr oder weniger bewusste Rolle der Vereinfachung und Verzerrung zugeteilt. Der tyAusserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, 6–7. 50 Vgl. Manuel Baumbach, Lukian in Deutschland, 66. 49

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pische Charakter der Figur von Leibniz und von Descartes wird auf den Stichen der Titelseiten sehr gut in Bildform deutlich, die uns zwei recht stereotype, in einer Art abstraktem Zeitraum angeordnete Gesichter zeigen. Wenn die Darstellung von Leibniz auf dem Stich am Anfang des Dialogs, der den Philosophen als Hauptperson sieht, in Bezug auf das Antlitz und die Kleidung mit dem Rüdiger des anderen Textes fast identisch ist, fällt besonders im Falle von Descartes auf, wie wenig die Abbildung seiner Gesichtszüge mit der Ikonographie übereinstimmt, wie sie uns ansonsten überliefert worden ist (Abb. 16b und 21). Wenn also die Beiträge der Hauptpersonen von einer gewissen Naivität gekennzeichnet sind, so erkennt man trotzdem hinter den beiden Dialogen ein außergewöhnliches philosophisches Wissen und die Wahrnehmung des Autors. Vom Leser wird eine gewisse Kenntnis der akademischen Kontroversen jener Zeit sowie eine breit gestreute Sachkenntnis erwartet, ohne die ein hinlängliches Verständnis des Dialogs relativ unmöglich gewesen wäre. Der Vergleich am Anfang des Dialogs zwischen Rüdiger und Descartes, von dem wir ausgegangen sind – jener zwischen der Bewegung der Erde um die Sonne und einem Huhn über dem Feuer –, ist zum Beispiel alles andere als eine naive Metapher, sondern ein Topos der kopernikanischen Literatur, den man auch bei Eusèbe Renaudot, Claude de Chaulnes, Pierre Gassendi und Cyrano de Bergerac wiederfindet.51 Eine der ersten Diskussionen zwischen Descartes und Rüdiger spielt darüber hinaus auf zwei Stiche in zwei unterschiedlichen Ausgaben von Rüdigers Institutiones eruditionis an. Am Anfang konzentrieren sich die beiden Philosophen auf den Stich der Ausgabe von 1711; wir hatten bereits die Gelegenheit, von diesem Bild sowie von seiner symbolischen Bedeutung als Gegenüberstellung von ›alter‹ Philosophie und ›neuem‹ Gedankengut in der Frühaufklärung zu sprechen (Abb. 10).52 Es folgt dann eine Debatte über den Begriff »malim convivis quam placuisse cocis«; dieses Motto erscheint im Hintergrund des gedeckten Tisches, der auf dem Titelblatt der Ausgabe von 1717 der Institutiones dargestellt ist (Abb. 22, Tafelteil S. 21*).53 Es ist ein recht findiges Zitat, mit dem Rüdiger in seinem Hauptwerk polemisch auf die zahlreichen Verleumder seiner Schriften Bezug nehmen wollte. Es handelt sich um den letzten Vers des Epigramms IX, 81 von Martial: »Lector et auditor nostros probat, Aule, libellos, sed quidam exactos esse poeta negat. Non nimium curo: nam cenae fercula nostrae malim convivis quam placuisse cocis« (»Leser und Hörer, Aulus, finden meine Büchlein gut, doch ein bestimmter Dichter behauptet, sie

Vgl. Savinien de Cyrano de Bergerac, L’autre monde ou Les éstats et empires de la lune (1650), édition critique par Madeleine Alcover, Paris 1977, 16. 52 Vgl. Kap. 3, § 3. 53 Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio, 11. 51

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seien nicht sorgfältig ausgearbeitet. Mich kümmert das nicht allzu sehr, denn mir ist es lieber, dass die Gänge meines Menüs den Gästen munden als den Köchen«). Wir haben es mit einer Vielzahl von ineinander verstrickten Verweisen zu tun, mit einer vielfältigen Interaktion zwischen Texten (den Totengesprächen, den Institutiones eruditionis sowie den polemischen Schriften der Gegner Rüdigers) und zwischen Texten und Stichen (das fiktive Gespräch zwischen Rüdiger und Descartes bezüglich des Stichs, auf dem der Vers von Martial zitiert wird, der wiederum eine Anspielung auf die Widerlegung der Verleumder von Rüdiger darstellt). Der Autor des Totengesprächs erwartete sich ganz offensichtlich von seinen Lesern (so wie auch Rüdiger von jenen, die sich den Stich am Anfang seiner Institutiones ansahen) ein sofortiges Verständnis aller polemischen, intertextuellen Anspielungen. Wenn wir uns darüber hinaus den Stich zu Beginn des Totengesprächs anschauen, so erkennen wir im Vordergrund zwischen den beiden Hauptpersonen Otto von Guerickes antlia pneumatica in der speziellen, von Wolferd Senguerd 1680 entworfenen Variante, die jahrzehntelang von der Werkstatt Musschenbroek in Leiden sowie von einigen deutschen Herstellern gebaut wurde.54 Es handelt sich um exakt dieselbe Luftpumpe, wie man sie auf den Anfangsseiten von Rüdigers Physica divina dargestellt findet: Auf dem Stich des Titelblattes erkennt man in der Tat neben Descartes (der die Welt geometrisch ›zeichnet‹) und anderen Philosophen auch Otto von Guericke, der die antlia in der Hand hält (Abb. 23, Tafelteil S. 22*). Wir haben bereits von der Neigung der Autoren der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vor allem der Philosophen, gesprochen, ihre Vorstellungen auch bildlich darzustellen, sowie von dem allmählichen Nachlassen dieser Vorgehensweise in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.55 Die Anhänger wie auch die Gegner Wolffs verwandten Stiche als bevorzugtes Mittel, um die Auseinandersetzung zwischen zwei antithetischen Konzeptionen der Philosophie und des Wissens zu symbolisieren. Insbesondere in den Werken von Christian Thomasius, Nikolaus Hieronymus Gundling und Christian Wolff zeigen die Titelkupfer, zum Beispiel in der Form des Siegs der Sonne über die Wolken, die Metapher des Voranschreitens der beginnenden Aufklärung. Wolff selbst jedoch, obwohl er bei seiner Produktion in deutscher Sprache (1713–25) zum Mittel der metaphorischen Stiche gegriffen hatte, verzichtet darauf, als er seine Werke auf Latein veröffentlicht (1728–54).56 Betrachten wir aber nun die Totengespräche, mit denen wir uns hier beschäftigen. Wir haben die Wichtigkeit gesehen, die den Stichen zu Beginn der Texte zukam, von denen viele

Vgl. Peter de Clercq, At the Sign of the Oriental Lamp. The Musschenbroek Workshop in Leiden 1660–1750, Rotterdam 1997, 105–07. Zur Verwendung Rüdigers der pneumatischen Maschine siehe Andreas Rüdiger, Institutiones eruditionis, 251–53; ders., Physica divina, 245–46. 55 Vgl. Kap. 3, § 3. 56 Vgl. Werner Schneiders, Hoffnung auf Vernunft. 54

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übrigens bei den Debatten um den Wolffianismus eine fundamentale Rolle spielten. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass der zeitlich letzte Dialog, den wir betrachtet haben (der zwischen Leibniz und Thümmig von 1745), keinerlei Abbildung enthält. Aus dem in den letzten Absätzen Gesagten geht hervor, wie die Ausdrucksweise in der Debatte zwischen Descartes und Rüdiger (und dasselbe gilt auch für den Dialog zwischen Leibniz und Budde) die tiefe, vom Autor gezeigte Kenntnis der Kontroversen enthüllt, die sich im Bereich der mitteldeutschen philosophischen Fakultäten abspielten, die er mit Sicherheit aus nächster Nähe kannte. Der höchst gelehrte Charakter des Dialogs zwischen Rüdiger und Descartes macht ihn zu einem einer Dissertation sehr ähnlichen Text, wobei manchmal eindeutig seine eigentliche Konnotation eines literarischen, den Totengesprächen zugeordneten Werks in den Hintergrund tritt. Auch die biographische Komponente, wie sie so stark im Dialog zwischen Christian Thomasius und August Hermann Francke hervortritt, nimmt hier nur eine Nebenrolle ein, obwohl im Gespräch nicht auch Seiten fehlen, auf denen sich Descartes und Rüdiger gegenseitig aus ihrem jeweiligen Leben erzählen. Am Ende des zweiten Teils wird die dialogische Struktur sogar von einem pastiche verdrängt, welches über die Nebeneinanderstellung von umfangreichen, der zeitgenössischen wissenschaftlichen Publizistik entnommenen Zitaten konstruiert wird.57 Der Dialog enthüllt eine sehr genaue Kenntnis der Werke Rüdigers. Der Verfasser spart nicht mit gewissen spöttischen Anspielungen auf die zahlreichen Widersprüche in den Thesen des Philosophen; jedoch will er für Rüdiger und gegen Descartes/Wolff Partei ergreifen. Die von ihm Rüdiger in den Mund gelegten Sätze spiegeln die Ideen des Philosophen auf eine Art und Weise wieder, die nicht einfach aus einer Kompilation aus seinen Werken zu resultieren scheint, sondern aus einer persönlichen Bearbeitung, obwohl Rüdigers Gedanken in beträchtlich vereinfachter Form wiedergegeben werden. Es scheint mir deswegen sehr wahrscheinlich, dass der Text einer Person zugesprochen werden muss, die den Philosophen sehr gut gekannt hat, vielleicht ein direkter Schüler, der gleich nach dessen Tode seinem Meister mit einem Totengespräch eine letzte Ehre erweisen wollte, wobei er allerdings gleichzeitig nicht auf darauf verzichtet, auf die vielen Ungereimtheiten in den Theorien von Rüdiger hinzuweisen. Die Pro-Rüdiger- und Anti-Wolff-Perspektive des Textes erfordert selbstverständlich, als mögliche Kandidaten für die Verfasserschaft die Autoren der Gegen-Meinung – Studenten, die der Kontroverse zwischen Rüdiger und Wolff tatsächlich beigewohnt haben, aber auf der Seite von Wolff – auszuschließen.

Besonderes curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio […]. Anderer Theil, 38–56. 57

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Rüdigers Person bleibt unter mehreren Gesichtspunkten  – vor allem biographisch – ein Rätsel. Sehr wenig weiß man über ihn und seine Schule. Wie bereits erwähnt, tauchen in der Forschung lediglich drei Schüler von ihm auf: August Friedrich Müller, Adolph Friedrich Hoffmann und Christian August Crusius (dieser war aber nur indirekt ein Schüler, da er bei Müller studiert hatte). Ich schließe alle drei als Verfasser des Totengesprächs zwischen Descartes und Rüdiger aus. Crusius war in der Zeit der Publikation des Dialogs erst sechzehn Jahre alt und noch nicht an der Universität eingeschrieben. Müller – obwohl er im Laufe des zweiten Teils des Dialogs oft erwähnt wird – scheint mir ebenfalls (aus gegensätzlichen Gründen zu Crusius) vom Profil des Autors des Textes weit entfernt zu sein: 1731 war er schon siebenundvierzig und seit langer Zeit Professor für Logik an der Universität Leipzig. Seine anagraphische und intellektuelle Reife lässt seine Teilnahme an der antiwolffschen Debatte durch ein Totengespräch, das übrigens seiner Gedankentiefe keinerlei Gerechtigkeit widerfahren lassen würde, unglaubwürdig erscheinen. Außerdem werden juristische, ethische und politische Fragen – um welche sich der Großteil seines Gesamtwerks dreht – im Totengespräch nicht behandelt. Das einzige Zeichen irgendeines Interesses für physiologische Fragen ist seine Rolle als respondens zu Rüdigers Disputatio philosophica de eo, quod omnes ideae oriantur a sensione. Was Hoffmann betriff t, könnte er theoretisch ein guter Kandidat für die Zuschreibung des Textes sein. 1729, nur zwei Jahre vor der Publikation des Totendialogs, hatte der 26jährige eine Widerlegung von Wolff s Logik veröffentlicht, die Gedancken über Christian Wolff ens Logic, die in einem Anhang mit Rüdigers Verteidigung endete. Dieser Teil der Schriften konzentriert sich jedoch bloß auf die Entrüstung von Rüdigers Schüler über die mangelnde Antwort seitens Wolffs auf die schon mehrmals erwähnte Gegen-Meinung. Die Hauptsektion des Textes behandelte die im Mittelpunkt des Totengesprächs stehenden Fragen nicht. Der entscheidende Grund, warum Hoffmann nicht mit dem Verfasser des Totengesprächs identisch sein kann, ist aber stilistischer Natur: Wenn man die Schreibart der Texte vergleicht, fällt ganz eindeutig auf, dass es keinerlei Ähnlichkeit in Bezug auf das Deutsch der beiden Verfasser gibt. Es sollen hier aber auch Personen erwähnt werden, die nicht zur Triade der üblicherweise erwähnten Rüdiger-Schüler gehören. Wenn man einige unter Rüdigers Leitung verteidigte Dissertationen (d. h. von seinen Schülern) betrachtet, tauchen zwei Namen auf: der von Johann Christoph Nörner und der von Christian Adam Gorn. Nörner verteidigte 1704 eine Disputatio philosophica de novis ratiocinandi adminiculis, also eine These logischer Art. Gorn war dagegen Mediziner, hatte 1718 mit einer Dissertation über die Skabies bei Michael Alberti promoviert und im selben Jahr bei Rüdiger eine Dissertation über den Schleim (De pituita) verteidigt. Er pflegte auch literarische Interessen, wie seine Teilnahme am Collegium disputatorium amicum svidnico-jauroviense beweist, einer studentischen Gesellschaft, deren

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Mitglieder jeden Mittwoch über philosophische Fragen mittels Gedichten debattierten. Es ist mir bisher leider nicht gelungen, Werke von ihm zu lokalisieren, und die bisherig gesammelten Elemente scheinen wirklich zu wenig, um ihn mit dem Totengespräch überhaupt in Verbindung bringen zu dürfen. Viel besser zum Profi l des unbekannten Autors des Totengesprächs zwischen Rüdiger und Descartes scheint mir Otto Bernhard von Borcke zu passen, eine bisher obskure Figur, die von sich sehr wenige Spuren hinterlassen hat. Geboren 1699, stammte von Borcke aus einer alten pommerschen Adelsfamilie und wird in den Quellen als »geheimer Kriegsrath« erwähnt.58 Sein einziges bekanntes Buch ist 1785, im Jahre seines Todes, posthum erschienen. Dass der Autor des Werkes sich darin mit dem Leib-Seele-Problem befasst, kann man schon aus dem Titel schließen: Materie und Geist oder Betrachtungen über die Beweise von der Unsterblichkeit der Seele.59 Aus der Einleitung des Herausgebers wird klar, wo von Borcke studiert hat und welche philosophische Strömung ihn tief geprägt hat: »die besondre Liebe zu diesem philosophischen Fache schien sich noch aus seinen academischen Jahren herzuschreiben, in welchen er ein Haus- und Tischgenosse seines Lehrers, des berühmten Professors Andreas Rüdigers zu Leipzig, gewesen war, dessen Denkungsart er angenommen, und mit ihm die genaueste Freundschaft errichtet hatte, für welchen er auch bis an sein Ende die größte Achtung bezeigte«.60 Diese Äußerung ist sehr interessant und wird vom Inhalt des Buches selbst bestätigt, der auf eine genaue Kenntnis der Philosophie Rüdigers schließen lässt, wie eben von einem direkten Schüler zu erwarten ist. Sehr originell ist von Borcke in seinen Thesen nicht. Rüdigers Theorie zur Seele als ausgedehntes und unkörperliches Wesen, dessen subjectum materiell ist, sowie die Verteidigung des influxus physicus wiederholen sich hier in einem anderen Stil als bei seinem Meister, aber dennoch mit wenigen Änderungen.61 Aus Mangel an weiteren biographischen Informationen bzw. bekannten Werken (von einem Glückwunschschreiben an seine Eltern zum 50. Hochzeitstag abgesehen)62 kann ich hier die These einer sicheren Verfasserschaft von Borckes für das Totengespräch nicht vertreten. Ich beschränke mich nur darauf, auf gewisse

Churfürstlicher Sächsischer Hof- und Staats- Calender auf das Jahr 1780, Leipzig 1780, 176. Otto B. von Borcke, Materie und Geist oder Betrachtungen über die Beweise von der Unsterblichkeit der Seele, Dresden 1785. 60 Carl H. Richter, Vorwort zu Otto Bernhard von Borcke, Materie und Geist, 4–5, unpag. 61 Siehe dazu auch die Rezension, die in Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. LXVIII (1786), 487–89, erschienen ist. 62 Bey dem am 2. (13.) Dec. des 1727. Jahres in höchst-vergnügtem Wohlseyn erlebten Funffzigsten Jahre eines geseegneten […] Ehestandes, seiner Hochwerthesten Eltern […] Herrn Ernst Matthias Borcke […] und der […] Frauen Ursula Elisabetha Borcken […]. Wolte bey der allgemeinen Freunde […] an den Tag legen, deroselben gehorsamster Sohn, Otto Bernhard Borcke, Dresden 1727. 58 59

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Elemente hinzuweisen, die von Borcke zu der einzigen Figur unter den von mir identifizierten Rüdiger-Schülern machen, die zum Profil des Autors des Totengesprächs passen könnte. Erstens war von Borcke ein Schüler und enger Freund Rüdigers und zum Erscheinungszeitpunkt des Totengesprächs 32 Jahre alt; es scheint mir aus vielen Gründen, die ich schon mehrmals erörtert habe, vollkommen klar, dass die Verfasserschaft der hier behandelten Totengespräche keinem etablierten Professor zugeschrieben werden kann, sondern eher jüngeren Autoren. Außerdem, kannte sich von Borcke sehr gut in psychologischen Fragen aus und versuchte – nach Rüdigers Muster – seinen eigenen Beitrag zum Leib-Seele-Problem zu leisten. Dass es ihm allerdings nicht wirklich gelungen ist, weil er sich sehr vom Rüdigerschen Werk abhängig zeigt, ist auch ein Argument, das ihn zu einem guten Kandidaten für die Verfasserschaft des Totengesprächs macht: Der Autor des Dialogs zwischen Rüdiger und Descartes ist sicherlich kein Erneuerer der philosophischen Debatte der deutschen Aufklärung. Er zeigt sich aber in der Behandlung von philosophischen Fragen sehr kompetent, in seiner Gegenüberstellung der zwei Gesprächspartner brillant und ironisch und außerdem – was uns im Folgenden vor allem interessieren wird – hinsichtlich jedes kleinen Details der Rolle, die er den Figuren seines Dialogs zuteilen sollte, sehr aufmerksam.

5. Rollenspiele »Halam tendis? Aut pietista aut atheista reversurus!« (»Gehst du nach Halle? Dann wirst du entweder als Pietist oder als Atheist zurückkehren!«): Dieser unter den Studenten zu Beginn des 18. Jahrhunderts ziemlich populäre Spruch zeigt uns deutlich, wie stark zur damaligen Zeit die Existenz zweier, in einem regelrechten Kampf befindlicher Parteien empfunden wurde, die es jedoch nicht daran fehlen ließen, sich miteinander zu verflechten, wie es emblematisch im Falle von Christian Thomasius gezeigt wird, im Übrigen die Hauptperson im bereits erwähnten Totengespräch mit August Hermann Francke.63 Die dialogische Form der zwei Totengespräche, die wir im vorausgegangenen Paragraphen gegenübergestellt haben, eignet sich besonders gut dafür, auf eine vielleicht etwas beschränkte, aber äußerst effektive Weise die Auseinandersetzung zwischen zwei Fraktionen darzustellen: einer ›rationalistischen‹, die in den Totengesprächen in Descartes oder Leibniz ihre ›Verkörperung‹ findet, sowie einer anticartesianischen, antiwolffschen und antispinozianischen, die von Rüdiger und Budde repräsentiert wird, die dem Pietismus nahestanden. Die Descartes zugeteilte Rolle des Verteidigers von Christian Wolff steht übrigens nicht im Gegensatz zu der Weise, wie der französische Philosoph in Deutsch63

Vgl. Kap. 3, § 1.

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land in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts rezipiert worden war, was generell im Schatten der Wolffschen Philosophie erfolgte, wobei Descartes missverstanden und zum Mittel gemacht wurde. In den Kreisen um die mitteldeutschen philosophischen Fakultäten, zu Beginn Orte des persönlichen akademischen Erfolgs von Wolff und bis zu seiner Rückkehr Bollwerke seiner Gegner, war es vor allem seitens der Pietisten üblich, den Namen von Descartes als polemische Waffe zu verwenden, denn sie waren daran interessiert, den Wolff (mit dessen Anhänger sie in fortlaufenden Auseinandersetzungen standen) angelasteten Atheismus auf die Gottlosigkeit Descartes’ sowie auf die von Spinoza und Leibniz ausgehenden Degenerierungen zurückzuführen. Auch wenn dessen Philosophie das Hauptziel der direkten pietistischen Kritik darstellte, wurde Descartes in dem Disput oft als einer der Vorgänger des Determinismus des Philosophen aus Breslau ins Spiel gebracht. Es war bei Wolff-Gegnern üblich, den Namen des Widerparts nicht explizit zu nennen, sondern man verschoss seine polemischen Pfeile versteckt unter Angriffen auf Descartes, Spinoza oder Leibniz.64 Von den vielen möglichen Beispielen möchte ich mich hier nur darauf beschränken, Joachim Lange zu nennen, eine Persönlichkeit, die am Anfang des Kampfes gegen Wolff in vorderster Reihe stand. In seiner Modesta disquisitio novi philosophiae systematis de Deo, mundo et homine, et praesertim de harmonia commercii inter animam et corpus praestabilita (1723) sind alle Angriffe gegen Leibniz gerichtet, und der Name von Wolff, der ganz offensichtlich das polemische Hauptziel des Pietisten war, erscheint nie. Dort, wo ein Bezug zu einer nicht genannten Metaphysik hergestellt wird, handelt es sich um nichts anderes als Wolffs Deusche Metaphysik.65 Die vom Autor der Dialoge zwischen Leibniz und Budde sowie zwischen Descartes und Rüdiger verwendete Perspektive folgt also dem Kielwasser einer verbreiteten, auf Verstellung beruhenden Praxis, die, wenn sie auf das literarische Genre des Totengesprächs triff t, ihre extreme Radikalisierung und Theatralisierung erreicht: In den beiden Texten richten Budde und Rüdiger, beide Wolff-Gegner, ihre Angriffe direkt gegen die fiktiven Personen von Descartes und Leibniz, welche die Verkörperung der von den Gegnern Wolffs stigmatisierten philosophischen Ideale darstellen, also reine ›Masken‹ von Christian Wolff. Die ›Aktualisierung‹ der Figuren der beiden Philosophen wird vervollständigt von der Übernahme der zur Zeit der Abfassung der Dialoge verbreiteten deutschen Terminologie. Dies ist besonders auffallend im Falle von Descartes: seine Verwendung des Ausdrucks Weltweisheit,

Walter Sparn, Einleitung zu Johann F. Budde, Elementa philosophiae instrumentalis, XLV. Joachim Lange, Modesta disquisitio. Vgl. Max Wundt, Die deutsche Schulphilosophie, 236. Zu diesen Aspekten der Descartes-Rezeption siehe auch Lewis W. Beck, Early German Philosophy. Kant and his Predecessors, Cambridge 1969, 179–94; Wolfgang Röd, »Descartes dans la philosophie universitaire allemande du XVIIIe siècle«, in Les études philosophiques, II (1985), 165. 64 65

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Der Streit zwischen Descartes und Rüdiger

in Deutschland seinem Synonym Philosophie ab dem Ende des 17. Jahrhunderts vorgezogen und in unseren Augen sehr stark durchsetzt mit der »Selbstsicht der Philosophie im Zeitalter der deutschen Aufklärung«,66 trägt zu einem gewissen, zeitlich entfremdenden Effekt bei. Das wichtigste Element im Dialog zwischen Rüdiger und Descartes ist vielleicht gerade dieses: die Schaff ung zweier Ebenen, die sich mehr als je zuvor miteinander vermischen, ein raffinierter Rollentausch zwischen Wolff und Descartes, aufgestiegen zum Paladin der viel diskutierten und skandalösen Wolff schen Philosophie. Diese Sichtweise kann selbstverständlich auch auf den Dialog zwischen Leibniz und Johann Franz Budde ausgedehnt werden. Das feststellbare Geflecht in den beiden Totengesprächen zwischen dem Bekenntnis zum Antiwolffianismus von Rüdiger und Budde sowie ihre fiktive Auseinandersetzung mit Descartes und Leibniz ist besonders gelungen, da verbunden mit einer doppelten Polemik, welche die beiden Philosophen zu Lebzeiten geführt haben. Hauptsächliche Gegner der Werke von Rüdiger waren gerade Wolff und Descartes gewesen, während gegen die »LeibnizWolffsche Philosophie« Teile der Schriften von Budde gerichtet waren. Die beiden hier gegenübergestellten Dialoge tragen so dazu bei, uns über fiktive Fehden zwischen Denkern das Bild einer Auseinandersetzung zurückzugeben, welches Studenten und Professoren, Theologen, Mediziner und Philosophen beteiligt gesehen hat: ein intensiver kultureller Kampf, der das Schicksal der Aufklärung gekennzeichnet hat und in dem Leibniz, Budde, Descartes und Rüdiger direkt oder indirekt als Hauptpersonen fungierten.

Werner Schneiders, Deus est philosophus absolute summus. Über Christian Wolffs Philosophie und Philosophiebegriff, in Christian Wolff 1679–1754, 10. Siehe auch Winfried Schröder, Art. »Weltweisheit«, in HWPh, Bd. XII, 2004, 531–34; ders., »Weltweisheit. Marginalien zum Philosophiebegriff der deutschen Aufklärung«, in Heinrich P. Delfosse/Hamid R. Yousefi (Hgg.), »Wer ist weise? Der gute Lehr von jedem annimt«. Festschrift für Michael Albrecht zum 65. Geburtstag, Nordhausen 2005, 17–29. 66

Kapitel VII

Die Wiederbringung aller Dinge

1. Vorworte zu Totengesprächen: der Dialog zwischen Johann Friedrich Mayer und Johann Wilhelm Petersen In vielen deutschen theologischen Zirkeln des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts war ein apokalyptisch anmutendes Klima verbreitet: die Erwartung des Anfangs einer neuen Ära – eines Jahrhunderte lang von utopischen und prophetischen Strömungen verschiedener Art ersehnten tausendjährigen Reiches. Chronologien, die diese Idee bekräftigten, wurden ständig in Form von Flugschriften oder von Zeitschriften wie der Geistlichen Fama gedruckt. Ereignisse wie die Flucht Karls XII. von Schweden ins Osmanische Reich oder Edmond Halleys Forschungen bezüglich der zyklischen Rückkehr des Kometen, der später nach ihm benannt werden sollte, schienen diese Vorhersagen zu bestätigen. In den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts waren zudem in Deutschland Schriften der englischen Philadelphier erschienen, die sich um die Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden »tausendjährigen Reiches« und um die Apokatastasis-Lehre drehten.1 Wenn auch im Laufe seiner Geschichte die Bedeutung des Wortes ἀποκατάστασις ständigen Änderungen unterworfen gewesen ist, bezeichnet dieser Ausdruck doch eine Reihe miteinander eng verbundener Doktrinen. Er ist wahrscheinlich im Peripatos entstanden. In der Antike, vor allem unter Stoikern, Epikureern und Pythagoreern, war die verbreitetste Bedeutung von »Apokatastasis« ein Synonym zu »Palingenese«, der Lehre von der zyklischen Rückkehr bestimmter Phasen in der Weltgeschichte. Vor allem hatte Origenes in De principiis das kosmologische und das soteriologische Motiv vereint, indem er die Apokatastasis als endgültige Reintegration jedes Geschöpfes (folglich auch des Teufels und der Verdammten) in den ursprünglichen Status perfekter Seligkeit interpretiert hatte.2 Die Ideen der Philadelphier wurden sofort von einigen deutschen pietistischen Gruppen übernommen; die Verbreitung der apokalyptischen Chronologien und von Pamphleten der Propheten des »tausendjährigen Reiches« wurde durch Kon-

Hans Schneider, »Der radikale Pietismus im 18. Jh.«, in Martin Brecht/Klaus Deppermann/ Ulrich Gäbler (Hgg.), Geschichte des Pietismus, Bd. II, Der Pietismus im 18. Jahrhundert, Göttingen 1995, 107–15. 2 Vgl. insbes. Origenes, De principiis/Περὶ ἀρχνῶν, III, 6, 3, in Origenes Werke, Bd. V, hg. von Paul Koetschau, Leipzig 1913. Vgl. dazu Günther Bien/Hans Schwabl, Art. »Apokatastasis«, in HWPh, Bd. I, 1971, 440–41. 1

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Die Wiederbringung aller Dinge

ventikel unterstützt, lokale Gruppen ohne eine stabile, offizielle Organisation, aber untereinander gut vernetzt und in ständigem Austausch miteinander. Die bedeutendsten Anhänger und Verbreiter der philadelphischen Ideen in Deutschland, insbesondere des Millenarismus und der Apokatastasis-Lehre, waren das Ehepaar Petersen, Johann Wilhelm (1649–1727) und Johanna Eleonora (1644–1724). Sie wurden zu den wichtigsten Vertretern jener Bewegung, deren Charakter manchmal schwer einzugrenzen ist und die in der Forschung konkordant als »Radikalpietismus« bezeichnet wird.3 Es existiert leider keine vollständige Bibliographie der Werke von Johann Wilhelm Petersen, des Autors zahlreicher Schriften, die freilich in vielen Fällen auf die Mitarbeit seiner Frau zurückgehen. Die beiden traten nie gemeinsam als Autoren eines Werkes auf; eine intellektuelle Symbiose war aber zweifellos vorhanden, so dass sogar Vermutungen darüber angestellt wurden, dass sich hinter dem Namen des Ehemannes in Wirklichkeit Eleonora versteckte und umgekehrt.4 Johann Wilhelm kam durch die Eschatologie der Frankfurter Pietisten um Johann Jacob Schütz mit dem Chiliasmus in Kontakt. Außerdem führte er einen langen Briefwechsel mit Philipp Jakob Spener, welcher sich um 1675 zu chiliastischen Positionen angenähert hatte, denen er in einer späteren Phase sehr kritisch gegenüber stand.5 Bis in die achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts propagierte er aber keine explizit chiliastischen Positionen, wenn ihn auch der Chiliasmus unter exegetischen und historischen Gesichtspunkten sehr interessierte. Obwohl er von dieser Doktrin schon seit langem innerlich überzeugt war, begann Petersen erst ab 1685 den Chiliasmus und ab 1694 – zusammen mit seiner Frau – die Apokatastasis-Lehre offi ziell zu predigen, vor allem durch Vermittlung von Schriften der Philadelphierin und Böhme-Anhängerin Jane Leade. Die Idee einer vollkommenen Überwindung des 3 Der Ausdruck Radikalpietismus wurde bekanntlich von der neuen Forschung eingeführt und existierte im 18. Jahrhundert, als man einen äquivalenten Sachverhalt durch die Worte Groben- bzw. Hyper-Pietisten, Schwärmer, Fanatiker, Enthusiasten ausdrückte, noch nicht. Vgl. Hans Schneider, »Der radikale Pietismus im 18. Jh.«; Martin Brecht, »Der radikale Pietismus – die Problematik einer historischen Kategorie. Ein Plakat«, in Wolfgang Breul/Marcus Meier/Lothar Vogel (Hgg.), Der radikale Pietismus, Göttingen 2011, 11–18. 4 Vgl. Stefan Luft, Leben und Schreiben für den Pietismus. Der Kampf des pietistischen Ehepaares Johanna Eleonora und Johann Wilhelm Petersen gegen die lutherische Orthodoxie, Herzberg 1994; Markus Matthias, Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen. Eine Biographie bis zur Amtsenthebung Petersens im Jahre 1692, Göttingen 1993; Ruth Albrecht, Johanna Eleonora Petersen. Theologische Schriftstellerin des frühen Pietismus, Göttingen 2005, 122–128. 5 Vgl. dazu Johannes Wallmann, »Pietismus und Chiliasmus. Zur Kontroverse um Philipp Jakob Speners Hoffnung besserer Zeiten«, in Zeitschrift für Theologie und Kirche, LXXVIII (1981), 235–66; Martin Brecht, »Philipp Jakob Spener, sein Programm und dessen Auswirkungen«, in Geschichte des Pietismus, Bd. I, 299–301; Udo Sträter, Spener und August Hermann Francke, in Dorothea Wendebourg (Hg.), Philipp Jakob Spener – Leben, Werk, Bedeutung. Bilanz der Forschung nach 300 Jahren, Tübingen 2007, 89–104.

Vorworte zu Totengesprächen

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Bösen durch einen in zahlreiche Phasen gegliederten Erlösungsprozess, der auch für die Verdammten gültig ist, war nach Petersen eine ideale Ergänzung der Chiliasmus-Theorie. In den Schriften des Theologen wird sowohl der griechische Ausdruck ἀποκαταστάσις verwendet als auch dessen übliche deutsche Bezeichnung seit der Reformationszeit: »Wiederbringung aller Dinge«.6 In Petersens Lüneburger Zeit, wo er seit 1688 das Amt des Superintendenten inne hatte und chiliastische Predigten zu halten begann, fiel sein erster großer Konflikt mit den lüneburgischen Behörden. Hauptauslöser der Auseinandersetzung waren zwei Predigten zu Paulus erstem Thessaloniker-Brief, in welcher der Geistliche einige paulinische Verse (4, 13–18) als Unterscheidung zwischen einer ersten und einer zweiten Auferstehung der Toten interpretierte, getrennt durch den Beginn des tausendjährigen Reiches. Dies war nur der Anfang einer langen Reihe von Streitigkeiten, die 1692 zu seiner Amtsenthebung führten.7 Von nun an wurde Petersen ein verbissener Verteidiger des Millenarismus; er hielt in ganz Deutschland Reden und Predigten und wurde zum einflussreichsten Chiliasten seiner Zeit. 1731 wurde ein Totengespräch in zwei Teilen veröffentlicht (Abb. 24 u. 25, Tafelteil S. 23* u. 24*), dessen Protagonisten Petersen und der lutherische Theologe Johann Friedrich Mayer waren (1650–1712).8 Der Dialog setzte eine Kontroverse zwischen zwei diametral entgegengesetzten Figuren in Szene. Mayer war in Straßburg Schüler von Balthasar Bebel gewesen, zwischen 1684 und 1687 Theologieprofessor in Wittenberg, danach Rektor derselben Universität, seit 1687 Prediger in Hamburg und seit 1701 Professor für Theologie in Greifswald.9 Nach seinem Tod Vgl. Johanna C. Janowski, Art. »Wiederbringung«, in HWPh, Bd. XII, 2004, 720–24. Zur Diskussion  um den Chiliasmus im deutschsprachigen Raum vgl. Sigfried Wollgast, »Zum Chiliasmus in der deutschen Frühaufklärung«, in Strukturen der deutschen Frühaufklärung, 165–93; Wolfgang Biesterfeld, Art. »Chiliasmus«, in HWPh, Bd. I, 1971, 1001–1006. 7 Markus Matthias, Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen, 223–33. 8 Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen zweyen hochberühmten Männern, Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […]. Darinnen nechst dieser beyder Hochberühmten Männer Lebens-Particularitäten, von vielen curieusen und zu unserer Zeit strittig gewordenen Glaubens-Lehren, pro & contra gestritten wird. Erster Theil, s.l. 1731; Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem hochberühmten deutschen Theologo Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […]. Darinnen, nebst einer umständlichen Lebens-Beschreibung dieser beyden grossen Männer, von verschiedenen theologischen und curieusen Materien, insonderheit dem Tausendjährigen Reich und Wiederbringung aller Dinge, auf eine angenehme Art discouriret wird. Anderer Theil, s.l. 1731. 9 Es fehlt eine Monographie zu Johann Friedrich Mayer. Vgl. dennoch Dietrich Blaufuß, Der Theologe Johann Friedrich Mayer (1650–1712). Fromme Orthodoxie und Gelehrsamkeit im Luthertum, in Wilhelm Kühlmann/Horst Langer (Hgg.), Pommern in der frühen Neuzeit. Literatur und Kultur in Stadt und Religion, Tübingen 1994; Volker Gummelt, Johann Friedrich Mayer. Seine Auseinandersetzungen mit Philipp Jacob Spener und August Hermann Francke, Habilitationsschrift, Greifswald 1996; ders., »Der Maßlose: Johann Friedrich Mayer. Wächter der Orthodoxie, virtuoser Prediger, Bibliomane«, in Irmfried Garbe/Tilman Beyrich/Thomas Willi (Hgg.), Greifswalder 6

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Die Wiederbringung aller Dinge

hinterließ er eine der damals größten theologischen Bibliotheken Deutschlands, worin auch Johann Joachim Müllers bekannte Handschrift De tribus impostoribus aufbewahrt wurde, die sich jetzt in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien befindet.10 Das um den Nachlass entstandene Aufsehen war enorm und trieb Verwandte des Theologen, Gelehrte von Rang wie Mathurin Veyssière de La Croze und Johann Christoph Wolf, Herrscher wie August II. von Polen und Eugen von Savoyen dazu an, sich aus unterschiedlichen Gründen für das Schicksal der Bücher zu interessieren.11 Als Vertreter der lutherischen Orthodoxie verfasste Mayer etwa 600 Schriften, darunter Predigten, mit seinen zahlreichen akademischen Ämtern verbundene Publikationen, theologische Werke, Streitschriften gegen Synkretisten, Arminianer und Katholiken, aber vor allem gegen Spener und das pietistische Konventikelwesen.12 Das Titelkupfer des zweiten Teils des Totengesprächs (Abb. 24) zeigt die verschiedenen Fronten dieses »theatrum belli mayeriani«: Pietismus, Hobbesianismus, Papismus, Chiliasmus und Apokatastasis. Der Urheber der Abbildung ist uns schon bekannt: Johann Benjamin Brühl, der das Titelkupfer sowohl des ersten Dialogs zwischen Thomasius und Francke als auch des Gesprächs zwischen Leibniz und Budde gestochen hatte.13 Mayer zeigt auf die Erde, Petersen und im Hintergrund seine Frau richten ihren Blick gen Himmel. Über Johanna Eleonoras Haupt steht die Jahreszahl 1684. Dies verweist offenbar auf den Kometen, den Edmond Halley mit einem bereits 1531 und 1607 erschienenen identifiziert hatte und über den zahlreiche Werke, Pamphlete und Flugschriften verfasst wurden, unter anderem von Balthasar Bekker (Ondersoek van de Betekeninge der Kometen, 1683) und Pierre Bayle (Pensées diverses sur la comète, 1683). Die Vorhersage der Wiederkunft des Kometen war noch eines jener Ereignisse gewesen, die damals viele Prediger zu apokalyptischen Erwartungen bezüglich unmittelbar zu erwartender Katastrophen veranlasst hatten: Seit der griechischen Antike und noch bis ins 17. Jahrhundert galten Kometen als Unglücksverkünder.14

theologische Profile. Bausteine zur Geschichte der Theologie an der Universität Greifswald, Frankfurt am M. 2006, 45–56. 10 Auf dieses Exemplar (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 10450* = Eug. Q. 54) stützt sich Winfried Schröders kritische Ausgabe (vgl. Kap. 4, Anm. 50). 11 Friedehilde Krause, »Eine Buchauktion in Berlin im Jahre 1716. Das abenteuerliche Schicksal der Bibliothek von Johann Friedrich Mayer«, in Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliographie, XLV, I (1972), 16–28. 12 Das vollständigste Verzeichnis Mayers Werke (insgesamt 581) ist Hans Schröder, Lexikon der hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart, Bd. V, Hamburg 1870, Art. »Mayer (Joh. Friedrich)«, 102–64. 13 Vgl. Kap. 3, § 3 u. Kap. 4, § 1. 14 Zu diesen Aspekten vgl. Sara J. Schechner, Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern

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Auf dem Titelkupfer richtet Johanna Eleonora Petersen bedeutungsvoll den Blick auf Johannes’ Offenbarung. Das erste große chiliastische Werk der Petersens ist in der Tat der Versuch einer Gesamtauslegung der Offenbarung des Johannes, die Anleitung zu gründlicher Verständniß der Heiligen Off enbahrung Jesu Christi (1696), die unter Johanna Eleonoras Namen erschien, obwohl sie zweifellos, zumindest teilweise, auch ihrem Mann zuzuschreiben ist. Die Forschung geht einmütig davon aus, dass die eschatologischen Vorstellungen und die Version der Apokatastasis-Lehre des Ehepaars Petersen keine besonders originellen Elemente enthalten. Ihr hervorstechendes Merkmal ist die starke biblische und exegetische Grundlage ihrer Werke. Die Petersens waren davon überzeugt, dass viele Stellen der Offenbarung des Johannes, vor allem der Absatz zum tausendjährigen Reich (20, 5 ff.), sich auf Ereignisse bezogen, die sich in Kürze erfüllen würden; sehr wenig Zeit fehlte noch bis zum Anbruch der dritten Epoche und dem Ende der vorletzten, die mit der lutherischen Reformation angefangen hatte.15 Das Vorwort des Dialogs zwischen Mayer und Petersen ist ein wenig anders als jene, die den bisher analysierten Totengesprächen vorausgegangen waren. Hier wird ein Doppelportrait in epischen Tönen präsentiert. Die Komponente der Gegenüberstellung der Protagonisten eines Totengesprächs im Vorwort des Autors war gewiss auch in den anderen Dialogen vorhanden, die wir bisher betrachtet haben, hatte aber noch nie wie hier eine so explizite Thematisierung gefunden. Dem Autor liegt am Herzen, dass der Leser klar die außergewöhnliche Bedeutung der Protagonisten des Dialogs versteht, den er inszenieren wird: zweier Personen, die an den wichtigsten Ereignissen und religiösen Konflikten der vergangenen Jahrzehnte teilgenommen und wie zwei Generäle im Krieg ihre Positionen vertreten hätten, der eine gegen den Pietismus, der andere für den Chiliasmus, Mayer mit Gelehrsamkeit bewaffnet, Petersen mit Fantasie. Beiden habe es weder an Geschick noch an Urteilskraft gemangelt, also an jenen Eigenschaften, die zum Sieg über den Feind nötig waren. Beide hätten über große rhetorische Begabung verfügt und seien durchaus in der Lage gewesen, auf einfache Weise die Herzen der Zuhörer und der Leser zu gewinnen. Der eine habe versucht, die Ohren des Publikums zu treffen, der andere das Herz; der eine habe lieber historische Abhandlungen gelesen, um seine Gelehrsamkeit zu erhöhen, der andere die Bibel als Erbauung. Um ihre Geschichte präzise erzählen zu können, müsse man allerdings auch über die letzten vierzig Jahre religiöser, innerlutherischer Konflikte berichten. Wie der Autor vermutet, erwarte der Leser genau dies von ihm; dabei sei es schon schwierig genug, über die Unterhaltung zu berichten, welche die beiden Theologen Cosmology, Princeton 1997. Das Titelkupfer des Totengesprächs enthält allerdings einen kleinen Fehler: Der Komet war nämlich 1682 und nicht 1684 vom Astronomen beobachtet worden. 15 Markus Matthias, Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen, 183–93.

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im Totenreich halten werden und die Jahre ihrer Pilgerfahrt auf der Erde betreffen wird: Es werden hiemit in dem bekannten und der Ober-Welt gar angenehmen TodtenReich, zweene Männer, aufgeführet, welche an denen grössesten Handlungen und Streitigkeiten der Kirchen, so zu unseren Zeiten vorgegangen, sehr viel Theil genommen haben. Man müßte die Kirchen-Geschichte des Lutherthums seit einigen 40. Jahren her beschreiben, wenn man das Leben derselben in der Vollkommenheit abbilden wolte, als sie es beyderseits verdienen, und es der geneigte Leser vielleicht auch wünschen dürff te. Beyde haben in denen Streitigkeiten, welche unter dem Nahmen des Pietismi, Chiliasmi und der Wiederbringung aller Dinge biß hieher geschrieben worden, als zwey grosse Generals zwey gegen einander liegende Armméen commandiret, und beyden hat es nicht an Geschicklichkeit gefehlet, die Tugenden von sich sehen zu lassen, welche man an denen erfodert, die in FederKriegen ihrem Gegen-Part den Rang abzugewinnen suchen. Die Erfindungs- und Urtheilungs- Kräff te waren bey beyden reich und feurig, ja wie Herr D. Mayer eine grosse Belesenheit und Gelehrsamkeit mit selbigen verbande, so zeigete sich hingegen die Einbildungs-Kraff t in der allerstärcksten Force bey Herren D. Petersen, und was ihm vielleicht an ausschweiffender Vielwissenheit abgienge, entsetzte die durchdringende Gründlichkeit in denen Dingen, worauf er sich applicirete. Beyde Männer waren grosse Redner, und wußten die Gemüther ihrer Zuhörer und Leser leicht zu gewinnen, doch mochte einer mehr das Ohr, der andere das Hertz treffen, der eine einen besser-ausgezierten Verstand, der andere einen schönern Willen haben, der eine mehr Historische Schriff ten zur Gelehrsamkeit, der andere mehr die Bibel zur Erbauung gelesen haben, indessen waren sie beyde groß. Allen beyden hat es auch nicht an Erfahrung gefehlet, indem sie von ihrer Jugend auf zu denen wichtigsten Bedienungen derer Lutherischen Kirchen an verschiedenen Orten gezogen worden, welche sie auch lange Zeit mit Ruhm versehen.16

Wem die Schwierigkeit bewusst sei, zwei sehr unterschiedlichen Personen die geeigneten Worte in den Mund zu legen (wie wir gesehen haben, konnte diese Überlegungen viele Leute betreffen, wenn man die Zahl derjenigen bedenkt, die sich damals in der Abfassung von Totengesprächen versuchten), so der Verfasser, werde bestimmt angesichts der Bedeutung der Protagonisten und des komplexen Gesprächsstoffs mit dem Autor Nachsicht walten lassen. Zumindest eine Stunde müssten die Gesprächspartner zum Austausch über ihre Geschichten und Schicksale auf der Erde miteinander verbringen, wenn sie wirklich vorhätten, sich gegenseitig ihre weltlichen Geschichten und Schicksale zu erzählen. Außerdem sei es natürlich Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […], 5–7, unpag. 16

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nötig, dass der Leser auch über ihre Werke und Taten informiert werde, da sie sehr viel geschrieben hätten.17 Um einerseits übermäßige Weitschweifigkeit sowie andererseits unvermeidliche Unklarheiten und Schwierigkeiten zu vermeiden, versichert der anonyme Autor, sich an eine mittelmäßige Länge gehalten zu haben, die, wie er hoff t, dem Leser nicht missfallen werde. Weiterhin erwartet er, dass diejenigen, die selbst in die Kontroversen mit den zwei Protagonisten des Dialogs verwickelt gewesen seien, aber auch die berühmtesten Gelehrten der Zeit, denen er leider lediglich eine geringe Aufmerksamkeit habe widmen können, sich nicht beleidigt fühlen mögen. Der Leser werde Wohlwollen aufbringen müssen, wenn die Konversation zu historischen und theologischen Themen ihm nur mittelmäßig erscheine. Präzisere Forschungen hätten mehr Zeit und eine umfangreichere Bibliothek als die erfordert, die dem Verfasser zur Verfügung gestanden habe. Außerdem sprächen Mayer und Petersen dieses Mal nicht von ihren Pulten aus, sondern aus dem Reich der Toten. Daher gebrauchten sie im Laufe ihres Gesprächs keine hochtrabende und gekünstelte Sprache, sondern diejenige des Alltagslebens: Wenn man sich dabey der sonst gar angenehmen Kürtze gar zu ängstlich befleißiget, so machet man sich theils undeutlich, theils muß man auch den Vortrag so trocken einrichten, daß er nicht anders, als unangenehm seyn kan. Daher schmeichelt man sich mit der Hoff nung, daß der geneigte Leser in diesen Blättern finden werde, wie man sich zwischen einer ausschweiffenden Weitläuffigkeit und gar zu eingezogenen Kürtze, das Mittel gehalten habe. Es betreffen auch gegenwärtige Gespräche des Herrn D. Mayern und Petersen viel andere Hochberühmte Männer, welche mit ihnen theils Streit-Schriff ten gewechselt, theils sonsten zu ihrer Zeit bekannt gewesen. Und diese werden es nicht übel nehmen können, wenn sie dasjenige, was schon in andern gedruckten Büchern von ihnen erinnert worden, oder sonsten etwas allhier, wiewohl mit Bescheidenheit, angeführet finden sollten. Denn wie man dadurch keinesweges dero Ruhm, und dero bey der gelehrten Welt ausgebreiteten Lobe zu nahe zu treten gesonnen ist, so bleibet es ausgemachet, daß bey der Republicanischen Freyheit, welche, Gott sey Danck! unter denen Gelehrten in Deutschland noch biß itzo statt findet, einen jeden frey stehe, seine Meynung, wiewohl in gehörigen Schrancken, zu entdecken, und von andern abzugehen. Dieses nun, wäre vornehmlich dasjenige, was man in der Vorrede anzuführen vor nöthig gehalten. Doch muß auch zuletzt noch dieser Punct berühret werden, daß diejenige, welche an denen hierinn erzehlten Historischen Nachrichten etwas auszusetzen finden, und davon besser unterrichtet seyn solten, höchlich gebethen werden, nicht böse zu werden, daß sie andere Leute an Wissenschaff ten in der Historie übertref17

Ebd.

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fen. Man glaubet hier, gar nichts Vollkommnes dem Leser in die Hände zu geben, sondern man wird sattsam vergnüget seyn, wenn der Leser das Gespräche vor etwas mittelmäßiges in Historischen und Theologischen Schriff ten halten wird, denn wie zu einer genauen Untersuchung aller Umstände, so diese beyde berühmte Männer betreffen, mehr Zeit und eine grössere Bibliothec gehöret, als man würcklich unter Händen gehabt, so werden doch diejenige, so etwas von denen vielen von ihnen geführten Controversien kurtz, deutlich, und so viel möglich, bündig lesen wollen, etwas finden, woran sie sich vermuthlich dürffen vergnügen können. Es machet also das Leben des Herrn D. Petersens, und eine Untersuchung seiner zwey HauptLehr-Sätze, als nehmlich des Chiliasmi, und der Wiederbringung aller Dinge, den Anfang, und soll hiernechst das Leben Herren D. Mayers erfolgen. Nur wird der geneigte Leser nochmahls schließlich gebethen, sich zu erinnern, daß diese grosse Männer, insonderheit der letztere, nicht mehr prächtige und künstliche Reden von ihren Predigt-Stühlen halten, sondern im Reiche der Todten einfältig, und auf die Arth sprechen, wie man im gemeinen Leben zu reden gewohnet ist.18

Wenn wie bei unseren Totengesprächen keinerlei weitere bibliographische Hinweise vorhanden sind – außer manchmal einem (nicht unbedingt glaubwürdigen) Druckort, kann man sich selbstverständlich nicht erlauben, die Wichtigkeit der kurzen Vorworte, die oft den Unterhaltungen vorangestellt sind, zu unterschätzen. Die Vorreden der Dialoge zwischen Thomasius und Francke hatten die Atmosphäre harter Konkurrenz illustriert, die typisch für den Handel von ›Straßenliteratur‹ in den mitteldeutschen Städten war.19 Das Vorwort des zweiten Teils des Dialogs zwischen Balthasar Bekker und Christian Scriver wird uns Gelegenheit geben, weitere Indizien darüber zu gewinnen, wie die Dialoge verkauft, gelesen und von ihren Käufern aufbewahrt wurden.20 Das Vorwort des Dialogs zwischen Mayer und Petersen ist vor allem für das Bewusstsein, mit dem es das kommende Gespräch einleitet, außerordentlich interessant. Es fasst viele der Eigenschaften zusammen, die man als typisch für unsere Totengespräche ansehen kann. Dazu gehört die Wichtigkeit der biographischen Komponente, die sich in diesem Fall auf eine besonders effiziente Weise ausdrückt, indem der Autor entscheidet, zeitgenössische Persönlichkeiten zu vergleichen, die zu Lebzeiten durch Streitschriften und intellektuelle Kontroversen in eindeutigem Gegensatz zueinander gestanden hatten. Der Autor behandelt sehr komplexe Themen, in diesem Fall die Apokatastasis und den Chiliasmus. Er benutzt aber eine Sprache, die der verwendeten Gattung und den Verbreitungsmodalitäten der Texte entspricht. 18 19 20

Ebd. Vgl. Kap. 3. Vgl. Kap. 8.

Vorworte zu Totengesprächen

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Eine der Haupteigenschaften solcher Totengespräche war sicher ihre Gedenkfunktion: Geboten wurde eine relativ kurze Skizze des Lebens der Protagonisten, die in den unmittelbar davor liegenden Jahren gestorben waren. Der Dialog zwischen Mayer und Petersen bildet keine Ausnahme von dieser Regel. Es ging dennoch um ungebundene Literatur, um ›ephemere Publizistik‹. Auch wenn der Autor zu diesem Punkt schweigt, haben wir schon gesehen, wie wichtig die kommerzielle Seite war. Die Aktualität des Todes der Protagonisten konnte den Verkaufserfolg der Dialoge erhöhen, denn diese Art von Totengesprächen entsprach dem Wunsch der Leserschaft nach Informationen über wichtige Persönlichkeiten. Die Autoren der Totengespräche konnten aus ihren Publikationen einen Gewinn erwarten, wenn auch vielleicht angesichts des behandelten Themas keinen sehr hohen. Dennoch lassen sich anhand der Publikation von Totengesprächen Rivalitäts- und Konkurrenzmechanismen nachweisen, wie sich bereits aus den Anspielungen im Examen rigorosum und aus der Sequenz der diversen ›Folgen‹ des Totengesprächs zwischen Thomasius und Francke verdeutlichen ließ.21 Ein von der kommerziellen Komponente beeinflusster Umstand erlaubte es nicht (selbst wenn der Autor dazu in der Lage gewesen wäre), zu raffinierte theologische Ausdrücke zu verwenden, und auch nicht, die Stellungnahmen Petersens und seiner wichtigsten Vorläufer der Apokatastasis-Lehre, vor allem Origenes und Leibniz, im Detail zu vergleichen. Man darf auch nicht übersehen, dass die Autoren dieser Dialoge zweifellos keine wichtigen Professoren oder herausragende Theologen und nur in einigen Fällen Schüler der in den Texten behandelten Protagonisten waren. Die anonymen Verfasser scheinen sich in einer ›Grauzone‹ zu bewegen, die von Journalisten, Studenten und Figuren verschiedener Art, also von Publizisten im weiterem Sinn des Wortes gebildet wurde, die vielleicht von einem Verleger den Auftrag – eine Art ›Werkvertrag‹ – erhalten hatten, ein Totengespräch zu verfassen. Es ist also wahrscheinlich, dass der im Vorwort enthaltene Hinweis auf den Mangel an einer gut ausgestatteten Bibliothek im wörtlichen Sinn verstanden werden kann. Es gibt noch ein nicht unbedeutendes Element, das der Autor des Totengesprächs in seinem Vorwort behandelt: die Länge der Texte. Der Dialog zwischen Mayer und Petersen ist in der Tat 128 Seiten lang (64 der erste Teil und 64 der zweite). Ein solcher Umfang war für gelehrte Totengespräche besonders geeignet. Eine knappere Form, wie sie von einigen der wichtigsten Vertreter der Gattung verwendet wurde, darunter Lukian von Samosata und Fontenelle, eignete sich besser für Dialoge brillanten Humors und für scharfe, geistreiche Bemerkungen, aber sicher nicht für Schriften, die sich um die Biographien der Protagonisten oder Polemiken unter Literaten, Professoren und Theologen drehten; in vorliegenden Fall ging es um Debatten zum Chiliasmus und zur Apokatastasis, in anderen Fällen 21

Siehe Kap. 3.

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Die Wiederbringung aller Dinge

um physiologische, gnoseologische Fragen oder strikt inneruniversitäre Auseinandersetzungen. Insbesondere anhand der Reihe von Totengesprächen zwischen Thomasius und Francke ließ sich ersehen, wie wichtig die Vorworte waren, die in die Welt der ›fliegenden Blätter‹, in die Perspektiven ihrer Autoren sowie in die Atmosphäre starker gegenseitiger Marktkonkurrenz einführen. Gleichzeitig ist es nötig, der Logik der bei den Flugschriften typischen Übertreibungen die richtige Bedeutung beizumessen. In jenem Fall sind die 6000 Exemplare, die einer der Autoren versichert verkauft zu haben, sicher nicht plausibel. Auch der Dialog zwischen Mayer und Petersen ist voller metatextueller Überlegungen, darunter eine Gegenüberstellung der Unterhaltung der beiden Protagonisten mit den ersten uns überlieferten Totengesprächen, Lukian von Samosatas Nεκρικοὶ διάλoγοι. Im Einklang mit dem Bekenntnis zur Bescheidenheit, das auch das Vorwort kennzeichnet, schreibt der Autor seinen Figuren ein starkes Bewusstsein bezüglich des Unterschieds zwischen dem von ihnen geführten Dialog und dem lukianischen zu: Nach Mayer sind die französischen und die deutschen Totengespräche nur eine schlechte Kopie der griechischen (»Er ist wohl der allererste und älteste Verfertiger der Todten-Gespräche, den wir nur haben, und sind alle diejenige Schriff ten, welche die Frantzosen und Teutschen in Gesprächen unter denen Verstorbenen heraus gegeben, kaum vor Copien von diesen, des Luciani, Originalien zu erkennen«).22 Das inszenierte Treffen zwischen Petersen und Mayer fängt mit einem gewissen fair play zwischen den beiden Gelehrten sowie vielen Wortwechseln dieser Art an; es wird aber bald zu einer offenen Kritik Mayers am ›Radikalismus‹ seines Gesprächspartners. Der Schluss des ersten Teils des Dialogs ist bitter. Von so vielen Angriffen überwältigt, verabschiedet sich Petersen von seinem Gegner, indem er behauptet, er habe seine Lebensbeschreibung nicht für seine Kritiker, sondern zur Erbauung frommer Seelen geschrieben; die Möglichkeit eines künftigen Treffens mit Mayer schließt er aber nicht aus.23 Im Unterschied zu den Versprechungen des Verfassers im Vorwort betrachten die zwei Teile des Dialogs Petersens bzw. Mayers Leben nicht. Der Protagonist ist in beiden Fällen Petersen: Im ersten Teil erzählt er Mayer sein Leben, im zweiten unterhalten sich die beiden ausführlicher über den Chiliasmus und die Apokatastasis, insbesondere mit Bezug auf die zahlreichen Polemiken rund um Petersen. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, dass die Gelegenheit für die Abfassung des Dialogs sicher Petersens Tod 1727 gewesen ist; Mayer war sogar 19 Jahre zuvor gestorben. Alle bisher behandelten Dialoge sind in gewisser Weise mit relativ akCurieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […], 24. 23 Ebd., 64. 22

Vorworte zu Totengesprächen

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tuellen Ereignissen assoziierbar, auch auf Grund der ökonomischen Komponente, die mit ihrer Entstehung verbunden ist. Dies lässt sich übrigens für fast alle Flugschriften der Zeit sagen, die oft eine zeitschriftenähnliche Funktion bekleideten. Wie man im Folgenden genauer sehen wird, zeigt die vom Autor der Biographie und den Werken Petersens gewidmete besondere Aufmerksamkeit, dass der Dialog explizit zu seinen Ehren veröffentlicht worden ist. Der fiktiven Figur des pietistischen Theologen wird in der Tat die Gelegenheit gegeben, sich gegen die Kritiken seiner zahlreichen Verleumder zu verteidigen. Der Autor hatte übrigens hierzu eine große Materialmenge zur Verfügung: die fast 400-seitige Autobiographie, die Petersen 1717 veröffentlicht hatte.24 Ein Aspekt bleibt aber trotzdem unklar. Warum hat der Autor nicht von Anfang an erklärt, dass der Leser die Lebensbeschreibung nur eines der zwei Protagonisten im Dialog finden würde? Warum lässt er uns in seinem Vorwort glauben, dass Mayer und Petersen eine so gut wie gleiche Rolle in seinem Text spielen würden? Diese Frage ist von gewisser Bedeutung, weil die Autoren der Totengespräche vom damals erfolgreichsten Muster stark beeinflusst sind: den Dialogen von David Fassmann, die tatsächlich dem Leser hauptsächlich die Leben der beiden Protagonisten darstellen. Diese werden auf eine genügend einnehmende Weise erzählt, um das Interesse eines möglichst breiten und unterschiedlichen Teils der Öffentlichkeit hervorzurufen. Die Autoren unserer Totengespräche betrachten aber im Vergleich zu Fassmann komplexere Fragen. Gemeinsam mit den fassmannschen Dialogen haben sie den Einfluss des Elements der ökonomischen Konkurrenz auf die Erstellungsund Verkaufsdynamiken der Texte. Ihr Publikum ist aber zahlenmäßig beschränkter und der durchschnittliche Käufer von einem höheren intellektuellen Niveau als bei Fassmann. Auch deswegen ist das in dieser Studie untersuchte Phänomen so interessant. Die Struktur und ›Organisation‹, die sich hinter diesen Totengesprächen verbirgt, ist dieselbe der mehr oder weniger ›populären‹ Flugschriften jener Zeit; was Inhalte und Leser betriff t, ist der Unterschied aber beträchtlich. All dies bedeutet natürlich nicht, dass das Profi l der Käufer von Fassmanns Dialogen und der in dieser Studie betrachteten Dialoge nicht manchmal übereinstimmen konnten. Das gilt insbesondere für Studenten. Anders liegt der Fall der Professoren, die einen gewissen Snobismus gegenüber einer Gattung an den Tag legten, die als ›populär‹ galt und in deren Verbreitung im akademischen Milieu sie zweifellos ein Zeichen von Respektlosigkeit sahen. Aber das kann uns natürlich

Johann W. Petersen, Das Leben Jo. Wilhelmi Petersen, Der Heil. Schrifft Doctoris, Vormahls Professoris zu Rostock, nachgehends Predigers in Hannover an St. Egidii Kirche, darnach des Bischoffs in Lübeck Superintendentis und Hof-Predigers, endlich Superintendentis in Lüneburg, Als Zeugens der Warheit Christi und seines Reiches, nach seiner grossen Oeconomie in der Wiederbringung aller Dinge, s.l. 1717. 24

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nicht verwundern. Bei den Totengesprächen ging es in der Tat um Texte, deren Protagonisten Worte in den Mund gelegt wurden, die keiner von ihnen wirklich verwendet hatte. Es wäre aber nicht überraschend, wenn auch Vertreter des akademischen Lagers manchmal ein Totengespräch wie das zwischen Mayer und Petersen gelesen hätten bzw. sie so weit gingen, ein Exemplar zu kaufen, natürlich ohne es den eigenen Kollegen zu sagen. Kommen wir also zur Antwort auf die Frage bezüglich der Abwesenheit der Erzählung der Leben im Dialog beider Protagonisten. Obwohl Dialoge wie der zwischen Mayer und Petersen ganz anders als die ›einfacheren‹ von Fassmann waren, ist jedoch die Emanzipation von einem etablierten literarischen Modell immer problematisch. Die Mehrheit unserer Dialoge, außer der Reihe von Totengesprächen zwischen Thomasius und Francke, ist deutlich nicht-biographischer Natur. Das biographische Element ist zwar präsent, bildet aber oft den Hintergrund von theoretischen Diskussionen, in diesem Fall vor allem eschatologischer Art. Die Autoren erklären aber fortlaufend in ihren Vorworten und im Titel der Dialoge, eine Lebensbeschreibung der Protagonisten bieten zu wollen. Dies ist auch die fast immer von den Hauptfiguren am Anfang ihrer Unterhaltungen erklärte Absicht: Die Texte beginnen tatsächlich oft mit der Erwähnung der Geburts- und Ausbildungsumstände. Die Gespräche schlagen jedoch meistens bald eine andere Richtung ein, so wie im zweiten Teil des Dialogs zwischen Mayer und Petersen, und den biographischen Details folgen Diskussionen anderer Art. In den Texten stößt man oft auf ironische, manchmal polemische Bemerkungen eines Protagonisten gegenüber dem anderen: Die fiktiven Figuren der Totengespräche bezichtigen sich gegenseitig, nicht so wie ursprünglich beabsichtigt in ihr Leben, sondern in andere Diskussionen eingedrungen zu sein. Dies zeigt sehr gut, wie sich hinter der partiellen Befreiung der Autoren von einem so etablierten Muster wie der des Totengesprächs nach der Art von Fassmann ein bestimmtes Bewusstsein verbirgt. Auch auf der Ebene der Flugpublizistik existierten einige wirkliche Prototypen, wobei es für jeden, der sich am Anfang des 18. Jahrhunderts in Deutschland in dieser Gattung versuchen wollte, schwierig war, sich nicht mit ihnen auseinanderzusetzen – das Totengesprächs biographischer Art war eben eines dieser Prototypen. Auch der zweite Teil des Dialogs zwischen Mayer und Petersen erschien wie schon der erste im Jahr 1731. Vor allem dieser Text illustriert die Bedeutung einiger Überlegungen im Vorwort des Dialogs, wo der Autor sich dafür entschuldigt, dass er sowohl in stilistischer wie auch theoretischer Hinsicht nicht auf der Höhe der betrachteten Themen sein könne. In welchem Maß haben die Gattung des Totengesprächs und die von der ›Straßenliteratur‹ erforderte Schnelligkeit beim Drucken die gebotene Betrachtung theologischer Fragen beeinflusst? Wie weit ist der Autor bereit gewesen, Gelehrsamkeit, historische Belege und terminologische Prä-

’Aποκατάστασις πάντων

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zision für eine effiziente Inszenierung des Dialogs zwischen den beiden Theologen zu opfern?

’Aποκατάστασις πάντων 2. ’Aποκατάστασις πάντων Der zweite Teil des Dialogs wird von Mayers Bitte an Petersen eröff net, ihm eine Stunde seiner Zeit zu widmen, um sich nochmals mit ihm unterhalten zu können. Das Gespräch konzentriert sich erwartungsgemäß auf Petersens monumentales Werk zur Apokatastasis, das Mυστήριον ἀποκαταστάσεως πάντων (1700–1710). Es hatte eine lebhafte Debatte ins Leben gerufen; wenige von jenen, die sich damit auseinandergesetzt hatten, vertraten eine ähnliche Theorie wie der Autor.25 Dieser Teil des Totengesprächs ist als Verteidigung des Theologen nicht nur gegen die Angriffe Mayers, sondern auch gegen die seiner zahlreichen Gegner aufgebaut, die Petersen ankreideten, keine Auslegung des Textes auf der Basis der Bibel vorzuschlagen, die ewige Verdammnis in Frage zu stellen sowie die Theorie des ewigen Reiches den Juden zuzuschreiben. Petersen beschreibt Mayer gegenüber den unmittelbar bevorstehenden Beginn einer Ära ohne Sünde, ohne Sekten, ohne Krieg und Krankheiten, also absoluter Vollkommenheit: D. MAYER: Ja wenn es nur möglich ist, allein fiat Applicatio. Doch mein Herr Doctor, die Vertheidigung des Tausendjährigen Reichs kan ihnen eben nicht viel Ehre bringen, indem dasselbe ursprünglich aus denen Fabeln der Juden stammet. Denn weil dieselbe gar zu sehr an demjenigen hangen, was die Sinnen frappiret, so bildeten Sie sich auch ein, daß das Paradieß ein Zusammenfluß aller irrdischen Ergötzlichkeiten seyn werde, woselbst sie sich nach Hertzens-Wunsch ergötzen, ihren grossen Fisch Leviathan speisen, und auch zugleich den grossen Vogel verzehren würden; und was dergleichen Dinge mehr sind, welche in ihren Fabel-Büchern häuffig anzutreffen sind. Diesem nun gehen die Türcken auf dem Fusse nach, als deren ewiges Leben in nichts als cörperlichen Ergötzlichkeiten bestehen wird, da sie essen und trincken, und wohl leben werden. Daß nun Leute, welche von der Gemeinschaff t Christi weit entfernet, auf dergleichen thörichte Gedancken verfallen, ist eben nicht zu verwundern, allein daß Christen und Gottesgelehrte unter denenselben sich so weit vergehen, daß sie dergleichen Meynungen bey sich einwurtzeln lassen, ist mit Th ränen nicht sattsam zu beklagen. Christi Reich ist ja nicht von dieser Welt, wie soll denn dieser Herr, welcher auf der Erden uns zu gut, nichts als

Johann W. Petersen, Mυστήριον ἀποκαταστάσεως πάντων. Das ist: das Geheimniß der Wiederbringung aller Dinge […], III Bde., Pamphilia [i. e. Offenbach] 1701–[1710]. 25

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Schmertzen ausgestanden, ein irrdisches Reich von 1000. Jahren auf der Welt anrichten. D. PETERSEN: Der Juden und die Türcken Träume wird kein Evangelischer Theologus sich gefallen lassen, denn was gehen uns diejenige an, so nicht zu uns gehören. Es mögen die Juden von ihrem Fisch und Vogel sich so viel einbilden als sie wollen, so hat doch dieses mit dem Tausendjährigen Reich nichts zu thun […]. Wir glauben kein Tausendjährig Reich, daß wir beständige Hochzeit halten, und Feste und Opffer-Tage begehen sollten, wie dieses die Türcken sich einbilden, sondern unsere Gedancken gehen vielmehr dahin, daß unser Heyland die Zeit über des Tausendjährigen Reichs mit der güldenen Ruthe, und nicht mit dem eisernen Scepter regieren werde […]. Wir werden daselbst leben ohne Sünden, als welche das grösseste Unglück und Unheil auf der Welt anrichten; ohne Secten, indem unsere Meynungen in Glaubens-Sachen einig, und unser Hertz von dem Lichte unsers Heylandes bestrahlet seyn wird; ohne Uneinigkeit, weil wir uns als Jünger und Unterthanen Christi, ja so wie Brüder leben werden; ohne Krieg, denn daselbst werden wir alle gute Freunde seyn, und keine Feindschaff t hegen; ohne Kranckheit, als welche sonst die Gemüths-Ruhe und das Wohlseyn der Seelen nicht wenig stöhret; mit einem Wort, ohne eintzige Unvollkommenheit.26

Wenn auch das, was Petersen, obwohl im Vergleich mit der Prosa seiner Werke in vereinfachter Form, in den Mund gelegt wird, in groben Zügen seinem Denken entspricht, entscheidet der Autor des Dialogs, nur an der Oberfläche der Millenarismus-Debatte zu bleiben. Einige persönliche Kontroversen Petersens und viele im Rahmen des großen Chiliasmus-Streits des 17. und 18 Jahrhunderts veröffentlichte Polemiken werden nur kurz erwähnt: Den chiliastischen Schriften von Andreas Stübel (1653–1725) und Ludwig Gerhard (1709–1738)27 oder August Pfeiffers (1640–1698) und Georg Heinrich Häberlins Widerlegungen (1644–1699) werden lediglich wenige Worte gewidmet.28 Weder wird Petersens Stellungnahme detailliert untersucht noch sein mehr oder weniger direktes Verhältnis zu den wichtigsten Vertretern der Apokatastasis-Lehre, Origenes und Leibniz. Der Briefwechsel zwischen Leibniz und dem Helmstedter Theologiestudenten Adolph Theobald Overbeck schließt in der Tat auch zwei Fragmente mit dem Titel ’Aποκατάστασις πάντων und ’Aποκατάστασις ein. Das zweite ist eine ausführliche Version des ersten. Overbeck wurde in Lüneburg geboren, wo Petersen als Superintendent über den Chiliasmus geschrieben hatte. Die millenaristischen Thesen wurden auch an der Universität Helmstedt lebhaft diskutiert, und Overbeck war Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […], 76–77. 27 Ebd., 73 u. 101. 28 Ebd., 87. 26

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einer der vielen gewesen, die an der Debatte teilgenommen hatten, wenngleich mit Ideen, die denen von Petersen diametral entgegengesetzt waren. Leibniz kannte die von Petersen in Mυστήριον ἀποκαταστάσεως πάντων vertretenen millenaristischen Thesen genau; der Philosoph hatte das Werk anonym in einer Zeitschrift rezensiert und auch darüber brieflich mit Johann Fabricius diskutiert.29 Einige Jahre später sollten Leibniz und Petersen einen Briefwechsel beginnen, durch den die beiden sich noch mehr annäherten. Petersens Dichtung Uranias seu opera Dei magna carmine heroico celebrata (1720) ist von seinem Autor selbst als eine Umsetzung Leibnizscher Motive in Versen bezeichnet worden.30 Petersen fasste die Apokatastasis in völlig origenistischem Sinn auf, als endgültige Vernichtung des Bösen, des Leidens und der Sünde (aus welcher der Teufel selbst nicht ausgeschlossen war), als die letztendliche Rückkehr aller geschaffenen Wesen zu einem Zustand von Reinheit und Glück, wie er vor der Schöpfung existiert hatte.31 In den Leibnizschen Fragmenten wird dagegen die Hypothese der zyklischen Rückkehr der Weltgeschichte vorgeschlagen, die bei Origenes und Petersen fehlte und Ergebnis einer Neuinterpretation stoischer Einflüsse und der epikureischen Kosmologie war. Wie geht der Verfasser des Totengesprächs mit diesen Kontroversen um? Für die Lesbarkeit des Textes wäre es nicht sehr sinnvoll gewesen, die fiktiven Figuren von Mayer und Petersen zu solchen Fragen sprechen zu lassen. Der Autor erwähnt oft die Theodizee, um die Leibnizsche Apokatastasis-Lehre zu diskutieren, so wie es übrigens auch der Autor des Totengesprächs zwischen Leibniz und Budde macht.32 Wahrscheinlich kannte er aber nicht Leibniz’ Fragmente, die zu jener Zeit unediert waren, und es ist nicht unbedingt gesagt, dass er Uranias oder Leibniz’ Rezension Adolph T. Overbeck, Chiliasmus profligatus seu exercitatio academica quâ orthodoxa de novissimis doctrina contra vanitates chiliasticas e scripturis roboratur, & â captiosis argutiis D. J. W. Petersen quas illi opposuit in editâ nuper animadversione vindicatur […], Helmstedt 1692; ders., Gründlicher Beweiß, das Hrn. D. J. W. Petersens Lehre vom tausendjährigem Reiche mit den Worten Christi Joh. VI.39 seqq. und Matth. XXV.31 seqq. keines weges könne verglichen werden; zur Beantwortung dessen was dagegen von Hrn. D. Petersen in seiner endlichen Erklährung und andern Schrifften eingeworffen, Helmstedt 1693. Für eine Rekonstruktion dieser Ereignisse und weitere bibliographische Angaben vgl. Michel Fichant, Introduction zu Gottfried W. Leibniz, ’Aποκατάστασις πάντων, in De l’horizon de la doctrine humaine. La restitution universelle, 11–28. 30 Johann W. Petersen, Uranias qua opera Dei magna omnibus retro seculis et oeconomiis transactis usque ad apocatastasin seculorum omnium per spiritum primongeniti gloriosissime consummanda carmine heroico celebrantur. Accedit eiusdem Cyctoixia Christi et Belial regnique lucis et tenebrarum et Carmen in nuptias agni cum indice copioso, Frankfurt a. M./Leipzig 1720. 31 Vgl. ders., Mystische Hall-Jahres-Posaune bey der Antwort auf eines Doctoris Theologiae so genanntes Geminum argumentum, alterum pro, alterum contra origenianam omnium rerum apocatastasin, öffentlich geblasen von Joh. Wilhelm Petersen der H. Schrifft Doct., in Mυστήριον ἀποκαταστάσεως πάντων, Bd. III, unpag. 32 Vgl. dazu Kap. 4. 29

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von Mυστήριον ἀποκαταστάσεως πάντων gelesen hat. Es ist möglich, dass er über eine direkte Kenntnis von Origenes’ De principiis verfügte, und er hatte sicher die im Laufe seines Textes wiederholt erwähnten Streitschriften präsent. Für ihn war es zweifellos viel einfacher, über ein für seine Leser viel fesselnderes Thema sprechen zu können wie etwa über den Wolffschen Disput. »Doch wo muß unser Buddeus im Todten-Reich sich befinden. Ich habe letztens etwas curieuses von ihm gelesen«.33 Eine weitere Diskussion der zwei Gesprächspartner, die im Dialog eine wichtige Rolle spielt, fängt mit einem Verweis auf ein weiteres Totengespräch an: Es handelt sich um das zwischen Budde und Leibniz oder das zwischen Budde und Gundling.34 Die Anspielungen auf Buddes Präsenz »im Todten-Reich« und auf Petersens Lektüre von »etwas curieuses« über den Theologen sind in der Tat Verweise – wenngleich ein wenig kryptisch – auf die Existenz eines Totengesprächs, dessen Protagonist Budde ist. Der Ausdruck »etwas curieuses« ist übrigens eine klare Anspielung auf den Anfang der Titel vieler Totengespräche der Zeit wie auch des Dialogs zwischen Mayer und Petersen. Es ist schon erwähnt worden, dass die hier behandelten Texte oft auf Dialoge ›rivalisierender‹ Autoren verweisen: Dies ist der Fall beim Examen rigorosum, aber auch bei der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Autoren der Dialoge zwischen Thomasius und Francke. In anderen Fällen geht es um einen Einfall des Autors, eine Erwartung zu schaffen und dem Publikum die baldige Publikation eines weiteren Dialogs anzukündigen. Vor welcher Option befinden wir uns in diesem Fall? Vor einer Stichelei oder einem Werbegag? Wahrscheinlich ist es keins von beidem. Der Verweis sieht in diesem Fall wirklich ›neutral‹ aus; der Autor vermittelt den Eindruck der Kenntnis anderer Totengespräche (deren Autoren er vielleicht ebenfalls kennt) und lässt die Figuren seines Textes darauf verweisen. Eines der Themen der Unterhaltungen zwischen Mayer und Petersen ist also die Kontroverse zwischen Budde und Christian Wolff – eine der zahlreichen Auseinandersetzungen, die sich um die Vertreibung des Philosophen aus Halle gedreht hatten. Ein Schüler von Wolff, Jacob Friedrich Müller (ca. 1700–1759), hatte seinen Meister gegen Budde und weitere Gegner verteidigt, bis auch er, inzwischen Professor in Gießen, in die Reihen der Antiwolffianer übergetreten war. Müller wurde dann von einem Anhänger Wolffs, dem Juristen Johann Ulrich von Cramer (1706– 1772), widerlegt, der ihn mit Daniel Strähler verglichen hatte, indem er behauptete, beide hätten sich wie Aristoteles gegenüber Platon verhalten, wobei sie ihren eigenen Meister betrogen hätten. Ein Teil der Unterhaltung zwischen Mayer und Petersen konzentriert sich auf die Besprechung der Widmungsverse in Cramers Schrift: Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […], 81. 34 Vgl. Kap. 4 u. Kap. 2. 33

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Notum est, quam mordus crenâ pugnarit acutâ, Müller, Wolfiacos riceret dum proxus in hortes, Tanquam communis causae defensor haberi. Vellet, & indictum Patri in se vertire Bellum; Sensit eum Sträler, sensit quoque Langius & tu Non pridem infernas lustrans Buddee paludes.35

Nach Petersen ist die dichterische Freiheit des Autors der Verse, des Barons Johann Lazar von Siebenbürgen, übertrieben: stygias paludes lässt den Leser glauben, dass Budde sich in der Hölle befinde, aber er lebe jetzt im Totenreich, am selben Ort wie Petersen und sein Gesprächspartner. Der Schluss, den der Verfasser Petersen in den Mund legt, ist lapidar: »Ich liebe Herrn Wolffen, denn seine Principia so wohl, als des Herrn Leibnizens, sind meiner Apocatastasi, oder Wiederbringung aller Dinge nicht zuwieder«.36 Die Hauptpersonen eines Totengesprächs über eine Kontroverse diskutieren zu lassen, welche die damalige deutsche akademische Welt beschäftigte und den Druck hunderter Streitschriften über mehrere Jahrzehnte verursacht hatte, war zweifellos eine ausgezeichnete Weise, um das Interesse der damaligen Leser zu vermehren. Dies wurde um den Preis der historischen Exaktheit erreicht: Diese Verteidigung Wolffs seitens Petersens, der den aus Preußen vertriebenen Philosophen fast wie Leibniz als Vorläufer der Apokatastasis-Lehre versteht, ist gewiss in den Quellen der Zeit ungewöhnlich. In diesem Fall ist aber die Zuschreibung der Rollen seitens des Autors relativ einfach. Er lässt Petersens Figur nicht ›verdoppeln‹, wofür sich z. B. der Verfasser des Dialogs zwischen Descartes und Rüdiger entschied, indem er ein echtes ›Rollenspiel‹ mit der fiktiven Figur von Descartes inszenierte, welcher als Fürsprecher von Wolffs Ideen die Auseinandersetzung mit Rüdiger führt. In jenem Text werden die von der Gattung des Totengesprächs gebotenen Möglichkeiten bis zu ihren extremsten Konsequenzen geführt. Die Protagonisten des Dialogs, über die wir im nächsten Kapitel sprechen werden, sind erneut zwei Theologen, Balthasar Bekker und Christian Scriver. In diesem Fall ist die Diskrepanz zwischen historischer Realität und literarischer Fiktion noch stärker als beim Totengespräch zwischen Mayer und Petersen. Der Autor dieses Totengesprächs lässt Balthasar Bekker, der von seiner Kirche exkommuniziert wurde und als Häretiker gestorben ist, ohne je irgendeinen Zweifel geäußert bzw. Widerruf geleistet zu haben, seine Reue in Szene setzen. Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […], 81. Vgl. dazu Georg V. Hartmann, Anleitung zur Historie der leibnitzisch-wolffischen Philosophie, 679–87 u. 1063–64. 36 Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […], 82. 35

Kapitel VIII Die Reue Balthasar Bekkers

1. Der Exorzismus Peter Ottes 1666 war Peter Otte ein junger Mann von knapp 20 Jahren, der nach dem Tode seines Vaters damit begonnen hatte, in Europa herumzuvagabundieren, wobei er von Gelegenheitsarbeiten lebte. In Prag, wo er eine Anstellung als Stallbursche in einem Gasthof gefunden hatte, sprach ihn eines Tages ein Reiter an, der von ihm als Gegenleistung für den Erfolg beim Glücksspiel, bei den Frauen und der Unverletzlichkeit bezüglich von Stichwaffen (kurioserweise allerdings nicht bezüglich von Feuerwaffen) forderte, bei ihm in Dienst zu treten, aber nur montags, mittwochs, donnerstags und samstags, die anderen Tage hätte er frei. Es handelte sich um einen Vorschlag, den man kaum zurückweisen konnte, und so schlug Otte ohne zu zögern ein. Als er bereits unterschrieben hatte, stach er sich mit der Schreibfeder durch Zufall in den Finger, doch zu spät hatte er damit erkannt, dass er einen Pakt mit dem Teufel unterschrieben hatte.1 Sieben Jahre später veröffentlichte der lutherische Theologe Christian Scriver (1629–1693), der dem Pietismus über eine enge Freundschaft mit Philipp Jakob Spener nahe stand, Das verlohrne und wieder-gefundene Schäfflein, einen Bericht über den Exorzismus, mit dem er im Jahre zuvor Otte vom Teufel befreit hatte. Scriver musste damals bereits eine umfangreiche Erfahrung in der Teufelsaustreibung besitzen, und der beschriebene Fall war deshalb sicherlich nicht der erste seiner Art. Dass seine Wahl auf Otte als Hauptperson seines Berichts fiel, war keinesfalls zufällig, sondern hatte diverse Gründe, die alle auf irgendeine Weise auf den Militärdienst zurückzuführen waren. Aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind diverse Episoden von Soldaten bekannt, die einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten. Eine beliebte Figur des protestantischen Bibeldramas des 16. Jahrhunderts war außerdem der »Verlorene Sohn«, damals in Deutschland die Bezeichnung für einen erfahrenen Soldaten, aber vor allem berichtet Nikolaus Blume in Der verlohrne und wieder-gefundene Sohn (1605) (diesen Titel zitiert Scriver eindeutig in Das verlohrne und wieder-gefundene Schäfflein) von einem Studenten aus Prag, der Christian Scriver, Historischer Bericht den gantzen Verlauff mit dem Soldaten dessen in denen vorher gesetzten Predigten Meldung geschehen fürstellend, in: ders., Das verlohrne und wieder-gefundene Schäfflein oder historischer christlicher Bericht von einem jungen Menschen der sich vom Satan mit ihm einen Bund zu machen und ihm in allerley gottlosen Wesen sechs Jahr zu dienen verleiten lassen […], Magdeburg/Helmstedt 1673, § 5–10. 1

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vom Teufel besessen ist, womit er das Genre des Bibeldramas des 16. Jahrhunderts mit dem Bericht über den Besitzes durch den Teufel verbindet.2 In Das verlohrne und wieder-gefundene Schäffl ein theoretisiert Scriver über die Realität der Besessenheit durch den Teufel (»Einwohnung des Satans in dem Menschen«), definiert als eine regelrechte »leibliche Besitzung« des menschlichen Körpers seitens des Teufels,3 und beschreibt ausführlich die Geschichte von Otte. Geboren wurde er in Goslar, später siedelte er zusammen mit den Eltern nach Braunschweig über, um dort das Druckereigewerbe zu erlernen, und nach Aufenthalten in Halle, Leipzig, Dresden und Prag, wo er den mysteriösen Reiter getroffen hatte, trat er in 1671 in Magdeburg als Soldat in den Dienst der Kurbrandenburgischen Armee. An einem Tag desselben Jahres, als er mit starken Verletzungen im Gesicht in das Hauptquartier zurückgekehrt war, erzählte Otte, dass der Teufel in der Zwischenzeit vollständigen Besitz von ihm ergriffen und dass sein letztes Stündlein geschlagen habe. Auf Anordnung des Kommandeurs des Hauptquartiers war er von einer Patrouille zum Stockhaus gebracht worden, wo Scriver ihn traf, damals Pastor in der Jakobskirche zu Magdeburg.4 Das Buch von Scriver ist trotz des äußerst fesselnden Inhalts weder besonders glänzend geschrieben noch strukturiert. Nach einer Zusammenfassung der Geschichte beschränkt sich der Text darauf, langatmig die diversen Bibelzitate aufzuführen, welche die These bezüglich des Wesens des Besitzes durch den Teufel belegen sollen. Trotzdem wurde das Buch sofort ein wahrer Bestseller. In den gleich darauf folgenden Jahrzehnten wurde eine erstaunlich große Anzahl von Ausgaben des Verlohrnen und wieder-gefundenen Schäffleins gedruckt, und es gab keinen Traktat zum Thema, der nicht auf diese Schrift Bezug genommen hätte. In den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts, Jahre, in denen die Geschichte der Teufelsbesessenheit von Otte und des Exorzismus von Scriver noch nicht der Vergessenheit anheimgefallen war, gab ein anonymer Autor einen vierteiligen Dialog »im Reich der Toten« in Druck, in dem ein fiktiver Scriver an die traurige Geschichte des jungen Mannes erinnert.5 Die seltenen Studien, in denen der Text Nikolaus Blume, Der Verlohrne und wieder-gefundene Sohn, oder Historische Erzehlung von einem fürnehmen Studenten aus Prage bürtig […], Leipzig, s.a. Vgl. dazu Miriam Rieger, Der Teufel im Pfarrhaus. Gespenster, Geisterglaube und Besessenheit im Luthertum der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2011, 170–71 u. 182–84. 3 Christian Scriver, Vorwort zu Das verlohrne und wieder-gefundene Schäfflein, 10. 4 Ders., Historischer Bericht, § 30 ff. Zu Scriver vgl. Erich Cartens, Art. »Scriver, Christian«, in ADB und den entsprechenden Art. in Zedler. Auch Spener ist in denselben Jahren Protagonist eines anonymen Totengesprächs: vgl. Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Arndten […] und D. Philipp Jacob Spenern […], s.l. 1733. 5 Ich zitiere überwiegend die vollstandigen Titel der vier Teile des Dialogs, weil sich dadurch die in jedem Text betrachtete Materie erklärt: Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, 2

Der Exorzismus Peter Ottes

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Erwähnung findet, zitieren nur die ersten zwei (bisweilen die ersten drei) Teile; auf die Existenz des vierten Gesprächs wird nie hingewiesen.6 Bei der Person, die der Anonymus wählte, um mit Scriver über das merkwürdige Ereignis zu diskutieren, handelte es sich um einen Zeitgenossen, und zwar Balthasar Bekker (1634–1698). Der Autor stellt sich vor, dass die Begegnung zwischen den beiden Theologen von anderen Verstorbenen organisiert worden ist, die, nachdem sie bereits zu Lebzeiten die dämonologischen Theorien von Bekker erfolglos zu widerlegen versucht haben, nun endlich die Möglichkeit zu erkennen glauben, die Argumente des Holländers gegenüber einem besonders würdigen Gegner auf die Probe zu stellen: Balthasar Bekker, welcher mit seinem Buch, die bezauberte Welt genannt, so viel Aufsehens gemachet, gieng in dem Reiche derer Todten, in welches er seit geraumer Zeit versetzet worden, spatzieren. Seine finstere Gedancken, […] seine Irrthümer, die er vom Teufel und dessen gar zu eingeschränckter Macht gehabt, begleiteten ihn noch beständig, und war er von denenselben nicht abzubringen. Alle, die ihn ehemahlen auf der Ober-Welt widerleget, hatten sich vergebene Mühe gemachet, ihm andere Gedancken einzuflössen. Sein Irrthum war bey ihm gar zu fest eingewurtzelt. Endlich betrieff sich auch einer von ihnen auf, den seligen Herrn Theologum Herrn Christian Scrivern, als welcher in seinem Leben mit einer Person würcklich der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern, der einen Menschen zurecht gebracht, so einen Pact mit dem Teufel gemacht; darinnen nebst ihren Lebens-Beschreibungen von allerhand denckwürdigen Sachen, als Engeln, Erscheinungen der Geister, dem Teufel, Zauberern verschiedenen Sprüchen heiliger Schrifft, so davon handeln; vornehmlich aber von der Frage gehandelt wird: ob es Menschen gebe, die einen Pact mit dem Teufel gemacht hätten? Und was dieser sonst anhängig; Zweyte Unterredung oder Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern […]: auf was Art und Weise der Satan von dem besessenen Menschen, Nahmens Peter Otten, ausgetrieben worden; Besonders curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet […]; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern; darinnen nebst ihren Lebens-Beschreibungen von allerhand erdichteten Gespenstern der Jenischen Teufels Beschwerung in der Christ-Nacht, und andern hieher gehörigen curieusen und wichtigen Materien auf eine angenehme Art discuriret wird. Dritter Theil; Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern […]; darinnen von allerhand seltnen Dingen und Meynungen über Erscheinungen, Besessene, Geister, Schatz-Graben, Heckethaler, Springwurtzel, Hexen und dem Blocksberge auff eine angenehme Art difenriret wird. Viertel Theil. Einige Exemplare nennen als Druckort »Franckfurth und Leipzig«. Die ersten Auflagen umfassen den Zeitraum zwischen 1730 und 1734. 6 Vgl. Annemarie Nooijen, »Unserm grossen Bekker ein Denkmal«?, 264–68; Miriam Rieger, Der Teufel im Pfarrhaus, 198; Jonathan Israel, Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Modernity 1650–1750, Oxford 2001, 393.

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zu thun gehabt, welche sich dem Satan ergeben. Sie erzehlten es Beckern, […] und daß sie hoffeten, daß wenn er selbsten mit ihm sprechen solte, er vielleicht durch dessen angenehmen und durchdringenden Vortrag auf eine bessere Meynung geführet werden dürff te, so ließ er sich mit demselben in folgendes Gespräch ein.7

Bekker lernte die Theorien Descartes’ bereits als 16jähriger während seiner Studienjahre in Groningen kennen, wo er Seminare des Cartesianers Tobias Andreae und von Jacobus Alting besuchte. Dessen Anhängerschaft an die Latitudinarier übte dann keinen geringen Einfluss auf den jungen Studenten aus, der seinen Professor in dem bekannten Disput mit dem Vertreter der calvinistischen Orthodoxie Samuel Maresius verteidigte. Aus dem Jahre 1668 stammt De philosophia cartesiana admonitio candida et sincera, ein kleines Werk, in dem er, ausgehend vom Unterschied bei Descartes zwischen dem physisch-spekulativen Bereich und dem Bereich der Theologie, die Gedanken Descartes’ gegen die Angriffe einer angeblichen Gefahr für die reformierte Kirche verteidigt.8 Die Skepsis Bekkers bezüglich der Aktionskraft der übernatürlichen Welt enthüllte sich bereits deutlich anlässlich der Teilnahme am Disput über die Kometen (Ondersoek van de Betekeninge der Kometen, 1683), in dem er sich auf die Seite von Johann Georg Graevius (1632–1703) und Pierre Bayle (1647–1706) schlug, und auch bei seiner Stellungnahme hinsichtlich des berühmten Falles der »Hexe von Beckington«.9 Der Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen ihm und der holländischen reformierten Kirche wurde jedoch nach der Veröffentlichung von De betoverde Weereld (Die bezauberte Welt, 1691–93) erreicht. Das Werk stellt in der Tat ein radikales Ergebnis des cartesianischen Substanzdualismus dar, jedoch auf eine Frage angewendet, zu der Descartes selten Stellung bezogen hatte. In der Tat hatte er sich fast nur in Briefwechseln ab und an zur Frage der Natur der getrennten Substanzen geäußert, darüber hinaus ausschließlich in Bezug auf die Engel.10 Bekker geht aus von der Konsubstantialität von menschlicher Seele und dem Dämon, beides endliche Geister, geschaffen und vollkommen heterogen hinsichtlich der Reali-

Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. I, 3. 8 Für einen Überblick über das Leben und Werk Bekkers vor der Veröffentlichung der Betoverde Weereld vgl. Andrew Fix, Fallen Angels. Balthasar Bekker, Spirit Belief, and Confessionalism in the Seventeenth Century Dutch Republic, Dordrecht/Boston/London 1999, 13–34. 9 Vgl. Andrew Fix, »Comets in the Early Dutch Enlightenment«, in Wiep van Bunge (Hg.), The Early Enlightenment in the Dutch Republic, 1650–1750, Leiden/Boston 2003, 161–67; Anna C. Simoni, »Balthasar Bekker and the Beckington Witch«, in Quaerendo, IX (1979), 135–42. 10 Vgl. z. B. den Brief an Regius vom Januar 1642 (AT, Bd. III, 491–510); den Brief an Henry More vom August 1649 (AT, Bd. V, 402–5); den Brief an Mersenne des 28. Oktober 1640 (AT, Bd. III, 205–16); den Brief an X*** vom März 1637 (AT, Bd. I, 357–54). 7

Der Exorzismus Peter Ottes

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tät der res extensae. Ausgehend von dem Umstand, dass unsere Seele ausschließlich auf den eigenen Körper wirken kann und nicht auf den anderer, schließt Bekker, dass es für den Teufel als getrenntem und körperlosem Geist unmöglich sei, irgendeinen Einfluss auf uns ausüben zu können. Die Absicht des holländischen Theologen war nicht, damit die Existenz unsichtbarer Geister vollkommen zu verneinen, sondern er wollte nur deren Aktionsrahmen einschränken: Der Teufel, nicht gleichzusetzen mit den Engeln, da verdorbener Geist, wird angekettet in die hinterste Ecke der Hölle verbannt.11 Dies reichte allerdings nicht aus, um Bekker von der Anklage des Spinozismus zu befreien, vor allem wegen der in dem Werk enthaltenen Bibelexegese, bei der die Existenz von Bibeltexten negiert wurde, welche die Realität der Aktion des Teufels bestätigen würden.12 Allgemeiner gesagt war allein die klare Trennung zwischen der übernatürlichen Welt und dem Lebensraum der Menschen, die auf den Seiten der Betoverde Weereld vertreten wird, vollkommen ausreichend dafür, dass die reformierte Kirche nicht zögerte, Bekker zu den Atheisten zu zählen. Die Apologien, in die er verwickelt wurde, zwangen ihn deshalb dazu, die Veröffentlichung des dritten und vierten Bandes der Betoverde Weereld auf das Jahr 1693 zu verschieben. Die äußerst intensive Auseinandersetzung, die den ersten Repliken Bekkers auf die Angriffe seiner Gegner folgte, ist bekannt. Im Bereich der gesamten Kontroverse wurden sogar 300 Schriften pro und kontra seine Dämonologie veröffentlicht.13 Obwohl Scriver sich nicht an diesem Disput beteiligt hatte, versteht man doch sehr leicht, dass der Autor unseres Totengesprächs gerade eine Persönlichkeit wie Bekker wählt, um sie über Fragen sprechen zu lassen, die das Verhältnis zwischen dem Teufel und den Menschen betraf. Genau betrachtet gibt es aber noch einen besseren Grund für die Entscheidung des Anonymus: Bekker widmet wichtige Teile des dritten Bandes der Betoverde Weereld gerade dem Thema des Teufelspaktes, wobei er selbstverständlich dessen Existenz verneint.14 Ein problematischerer Aspekt ist der der Chronologie. In den vorigen Kapiteln haben wir gesehen, wie im Laufe Balthasar Bekker, Le monde enchanté ou Examen des communs sentiments touchant les Esprits, leur nature, leur pouvoir, leur administration, et leurs opérations. Et touchant les éfets que les hommes sont capables de produire par leur communication et leur vertu, Amsterdam/Rotterdam 1694, Bd. II, 146 (urspr. ersch. auf Niederländisch unter dem Titel De Betoverde Weereld, Zynde een Grondig Ondersoek Van‹t gemeen gevoelen aangaande de Geesten, derselver Aart en Vermogen, Bewind en Bedryf: als ook ’t gene de Menschen door derselver kraght en gemeenschap doen, Amsterdam 1691–93). 12 Ebd., Abrégé de tout l‹Ouvrage, Bd. I, 41–52 unpag. Zur frühen Rezeption des Werkes vgl. Jonathan Israel, »The Bekker Controversies as a Turning Point in the History of Dutch Culture and Though«, in Dutch Crossing. A Journal of Low Countries Studies, II (1996), 8. 13 Wiep van Bunge, From Stevin to Spinoza. An Essay on Philosophy in the Seventeenth-Century Dutch Republic, Leiden/Boston/Köln 2001, 137–48; Jonathan Israel, »The Bekker Controversies«, 5–21. 14 Vgl. insbes. Balthasar Bekker, Le monde enchanté, Bd. III, 89–258. 11

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der Entwicklungen des Totengesprächs im 17. und 18. Jahrhundert die Grenze zwischen den verschiedenen literarischen Genres sich langsam immer weiter verschoben haben. Das deutsche Totengespräch nahm immer mehr den Charakter einer Streitschrift an, das heißt eines Pamphlets, welches im Zusammenhang stand mit der Diskussion von hochaktuellen Themen und Kontroversen. Es genügt, um sich auf einige vorher bereits erwähnte Beispiele zu beschränken, an die Produktion von David Fassmann zu erinnern, den Journalisten, der seine Gespräche im Reiche der Toten allmonatlich veröffentlichte; an das Examen rigorosum und die Serie von Dialogen zwischen Christian Thomasius und August Hermann Francke, Gelegenheitsschriften, die gedruckt wurden, um an den Tod von vier Intellektuellen zu erinnern, und zwar Gundling, Budde, Thomasius und Francke; oder auch an den fiktiven Dialog zwischen Budde und Leibniz, der das unzweideutige Interesse seines Autors an dem außerordentlichen Disput enthüllte, den die Vertreibung von Christian Wolff aus der Universität Halle entfacht hatte. Im Falle des einzigen Dialogs, welcher scheinbar nicht diesem Muster folgt (dem zwischen René Descartes und Andreas Rüdiger) haben wir es mit einem Descartes in der erstaunlichen Rolle eines Verteidigers von Wolff gegen die Attacken seiner pietistischen Gegner zu tun. Bei dem Dialog zwischen Bekker und Scriver handelt es sich hingegen um ein fi ktives Gespräch, welches zwei Persönlichkeiten führen, die im 17. Jahrhundert lebten, und sie sprechen über augenscheinlich auch für jene Zeit recht ›anachronistische‹ Themen: die Möglichkeit, mit dem Teufel einen Pakt zu schließen, sowie die Art der Beziehungen, die zwischen diesem und der Welt der Menschen bestehen. Ist es also daher nur billig abzuleiten, dass der Dialog einer anderen Logik folgt als der, welche den anderen, bereits untersuchten Texten zugrunde lag? In Wirklichkeit hätte ein Gespräch zwischen zwei Theologen des 17. Jahrhunderts über ein Thema wie das des Teufelspaktes bei einem gebildeten Leser der 30er Jahre des 18. Jahrhunderts kaum für überraschtes Staunen gesorgt. Die Auseinandersetzung bezüglich der besonderen Eigenschaften der getrennten Substanzen und ihrer Handlungsmacht auf die physische Welt war in der Tat eine der vielen Komponenten, mit denen sich die Debatte zum Atheismus innerhalb der Frühaufklärung beschäftigte, die sich zwischen 1720 und 1730 immer noch mit den aufrüttelnden Ergebnissen der radikalen Anwendung der cartesianischen Psychologie auf den Bereich der Dämonologie konfrontiert sah, so wie Bekker es in seiner Betoverde Weereld versucht hatte.

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2. Cartesianismus und Dämonologie im Deutschland des 18. Jahrhunderts: von der ersten Bekker-Rezeption zum Teufelsstreit Die Veröffentlichung der Betoverde Weereld erfolgte sogar fast einhundert Jahre nach dem fast vollständigen Abklingen der Hexenverfolgungen in den Niederlanden.15 Zum Zeitpunkt der Abfassung unseres Dialogs war hingegen die Debatte in Deutschland bezüglich der Eigenschaften des Teufels noch fest in der gängigen Praxis verankert. Während die letzte Verurteilung wegen Hexerei in Holland in das Jahr 1608 fiel, wurde noch am 21. Juni 1749 in Würzburg eine Nonne namens Maria Renata Singer verbrannt, und bei jener Gelegenheit hielt der Jesuit Georg Gaar eine Rede, bei der es um den von der Vorsehung gewollten Charakter der Hexerei ging, einem göttlichen Ausweg, um die Atheisten und die Materialisten von der Existenz Gottes und des Teufels zu überzeugen.16 In jenen Jahren geschah es keineswegs selten, dass man derartige Dinge zu hören bekam oder las, und zwar nicht nur von erzreaktionären Predigern oder in den Protokollen der Hexenprozesse. Auch wenn man sich die Wirkung der cartesianischen und bekkerschen Theorien im streng philosophischen Bereich anschaut, war die Zäsur in der Tat äußerst gewaltsam, aber nicht ausreichend, um in kurzer Zeit die Idee einer Welt, die von übernatürlichen Kräften beseelt ist, die kaum der menschlichen Kontrolle unterliegen können, verschwinden zu lassen. Die sich daraus ergebende Entwicklung war äußerst komplex, und vor allem war in Deutschland und Italien jener Prozess, der am Ende den Triumph der ›neuen Philosophie‹ sowie der wissenschaftlichen Revolution über die traditionelle Dämonologie sah, langsam und beschwerlich.17 In Deutschland war der von der einschlägigen Literatur der beiden vorhergegangenen Jahrhunderte institutionalisierte Begriff »Teufelspakt« in der ersten Hälfte

Andrew Fix, Fallen Angels, 83–124; Jonathan Israel, »The Bekker Controversies«. Wolfgang Behringer, Witchcraft Persecutions in Bavaria. Popular Magic, Religious Zealotry and Reason of State in Early Modern Europe, Cambridge 1997, 357–59. Gaars Rede wurde ins Italienische übersetzt und von Girolamo Tartarotti veröffentlicht, der sie mit seiner Widerlegung versehen hat: vgl. Girolamo Tartarotti, Ragionamento del padre Giorgio Gaar della Compagnia di Gesu fatto avanti al rogo di Maria Renata strega abbruciata in Erbipoli a’ 21. di Giugno del corrente anno 1749. Tradotto dal tedesco nell’italiano dal Dr. F. A.T. con alcune annotazioni critiche dell’Ab. Girolamo Tartarotti, Verona, s.a. 17 Vgl. insbes. Stuart Clark, Thinking With Demons. The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe, Oxford 1997; Brian Easlea, Witch-Hunting, Magic and the New Philosophy: an Introduction to Debates of the Scientific Revolution 1450–1750, Sussex/New Jersey 1980, 196–201; Jonathan Israel, Radical Enlightenment, 375–405. Für einen Überblick über die pre-bekkersche dämonologische Debatte vgl. Hugh R. Trevor-Roper, »The European Witch-Craze of the Sixteenth and Seventeenth Centuries«, Harmondsworth 1969; Hartmut Lehmann/Otto Ulbricht (Hgg.), Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee, Wiesbaden 1992. 15 16

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des 18. Jahrhunderts immer noch ein juristisches Element, auf das sich die Anklage der Hexerei stützte. Aus der Sicht der lutherischen Theologie war jeder Zweifel bezüglich der Existenz des Teufelspaktes dem Atheismus zuzurechnen, weil dadurch ein potentieller Skeptizismus in Bezug auf die Existenz des Teufels und Gottes tout court angezeigt werde.18 Auch Christian Thomasius befand sich also in der Situation, Anklagen der Heterodoxie wegen De criminae magiae entgegentreten zu müssen, der bekannten Dissertation, die er 1701 von einem seiner Schüler, Johann Reiche, verteidigen ließ. Der Text beschäftigt sich gerade mit rechtlichen Aspekten im Falle von Hexerei. Thomasius zerstört hierin mit zahlreichen Argumenten die Theorie bezüglich der Anklage des Verbrechens der Ausübung teuflischer Magie, und damit auch des Paktes mit dem Teufel, des Juristen Benedikt Carpzov, wobei er auch Bekker als Autorität in Bezug auf Fragen der Dämonologie zitiert.19 Für die lutherische Orthodoxie, deren Ideen an den deutschen Universitäten von der aristotelisch-scholastischen Fraktion verfochten wurden und die in Deutschland lebendiger als in den Generalstaaten war (und die außerdem der ›neuen Philosophie‹ von Descartes oder Spinoza als Gegner gegenüberstanden) war es also ein Leichtes, Thomasius von Anfang an mit dem holländischen Theologen gleichzusetzen.20 Mit der Veröffentlichung der Dissertation von Thomasius beginnt eine zweite Rezeptionsphase der bekkerschen Ideen, auf die auch das Totengespräch zwischen Bekker und Scriver zurückgeführt werden kann. In den Jahren unmittelbar nach der Herausgabe der ersten Übersetzung ins Deutsche der Betoverde Weereld (1693) war Bekkers Rezeption in Deutschland fast ausschließlich das Ergebnis der harten Kritiken seitens der protestantischen Kirche und der ihr nahe stehenden Intellektuellen gewesen. 1692 unterstreicht eine in den Acta eruditorum erschienene Rezension die Nähe von Bekker zu Spinoza in Bezug auf Fragen der Exegese sowie der Negierung der Magie und der Macht des Teufels.21 Im Verlauf der folgenden Annemarie Nooijen, »Unserm grossen Bekker ein Denkmal«?, 216. Christian Thomasius, Theses inaugurales, de crimine magiae […], Halle 1701, 10–11. Zu Thomasius und Bekker vgl. Francesco Tomasoni, Christian Thomasius. Spirito e identità culturale alle soglie dell’illuminismo europeo, Brescia 2005; Annemarie Nooijen, »Unserm grossen Bekker ein Denkmal«?, 216–24. Den Kontext der thomasianischen Dissertation behandelt ausführlich, durch Vergleiche mit zahlreichen zeitgenössischen Quellen, Markus Meumann, »Die Geister, die ich rief – oder wie aus ›Geisterphilosophie‹ ›Aufklärung‹ werden kann. Eine diskursgeschichtliche Rekontextualisierung von Christian Thomasius’ De crimine magiae«, in Monika Neugebauer-Wölk/ Renko Geffarth/Markus Meumann (Hgg.), Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne, Berlin/ New York 2013, 645–80. 20 Ebd., 224. 21 Vgl. Jonathan Israel, Radical Enlightenment, 393. Der Autor des Totengesprächs lässt auch den fiktiven Bekker die Rezension von 1692 als entscheidende Episode erwähnen, die seinen Ruf in Scrivers Land gefährdet hat: vgl. Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. I, 22. Für eine klare Unterscheidung der 18 19

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Jahre wurde eine Reihe von Opuskeln herausgegeben, in denen die Autoren, indem sie mit dem inzwischen als Topos existierenden Motiv der ›drei Betrüger‹ spielten, den holländischen Theologen mit den Atheisten par excellence Spinoza und Hobbes gleichsetzten.22 Der ausdrückliche Verweis seitens Thomasius’ auf Bekker verdeutlicht hingegen das plötzliche Auftreten der Frage der Dämonologie in der philosophischen Debatte am Anfang der deutschen Aufklärung. Über das Eindringen der Gedanken des holländischen Pastors in akademische Kreise wird die Diskussion in Bezug auf den Beitrag der bekkerschen Theorien zum Kampf gegen die Vorurteile integrativer Teil der Debatte innerhalb der Frühaufklärung.23 Insbesondere über die eindrückliche Vermittlung seitens Thomasius’ verband sich die querelle zur Dämonologie von Anfang an unlösbar mit der Diskussion über den Substanzdualismus sowie der Debatte über den Atheismus, bei der die Gruppe der Anhänger von Descartes bereits ihren Gegnern gegenüberstand, womit der vexata quaestio bezüglich der besonderen Eigenschaften der Engel und Dämonen eine mehr spekulative Prägung gegeben wurde. Die Veröffentlichung der Dissertation De diaboli potentia in corpora von Friedrich Hoff mann (1703¹) hat dann der Debatte über die Macht der unsichtbaren Geister auf die physische Welt eine noch stärker philosophisch ausgerichtete Form gegeben. Der Philosoph wendet sich hier gegen den Fehler von Bekker »quod nihil daemones in corpora possunt«, dessen theoretische Grundlage er in der »perniciosa sententia« Descartes’ erkennt, die Gott als Grund jeder Bewegung angibt, wobei er allerdings eine andere Lösung als Thomasius’ bezüglich der Frage der Interaktion zwischen menschlichem Körper und geistigen Substanzen vorschlägt.24 Im Versuch von Wesen des Geistes (1699) hatte Thomasius die Dichotomie von ausgedehnter und denkender Substanz geteilt, aber im Gegensatz zu Bekker, der kategorisch jede Art von diabolischem Einfluss auf die menschliche Umwelt ausgeschlossen hatte, spricht er dem Teufel gerade aufgrund seiner Eigenschaft als Geist durchaus die Macht zu, Einfluss zu nehmen auf alle res cogitantes und somit auch auf die menschliche Seele.25 Rezeptionsphasen Bekkers Werke in Deutschland vgl. Wiep van Bunge, Einleitung zu Balthasar Bekker, Die bezauberte Welt (1693), Bd. I, hg. von dems., Stuttgart-Bad Cannstatt 1997, 43–44. 22 Friedrich E. Kettner, De duobus impostoribus; [Johann F. Corvinus], Fürstellung vier neuer Welt-Weiser, nahmentlich I. Renati des Cartes, II. Thomae Hobbes, III. Benedicti Spinosa, IV. Balthasar Beckers, nach ihrem Leben und Fürnehmsten Irrthümern, s.l. 1702. 23 Wiep van Bunge, Einleitung zu Balthasar Bekker, Die bezauberte Welt (1693), 44. 24 Friedrich Hoffmann, De diaboli potentia in corpora, dissertatio physico-medica curiosa, in: ders., Opera omnia, Bd. V, Genf 1761, 94–103. 25 Martin Pott, »Aufklärung und Hexenaberglaube. Philosophische Ansätze zur Überwindung der Teufelspakttheorie in der deutschen Frühaufklärung«, in Sönke Lorenz/Dieter R. Bauer (Hgg.), Das Ende der Hexenverfolgung, Stuttgart 1995, 196–97.

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Hoff mann gesteht in der Tat dem Teufel eine gewisse Handlungsfreiheit in Bezug auf die materielle Welt zu, wenn auch reduziert und nicht physischer, sondern bloß geistiger Art. Nach Hoffmann kann der Dämon selbstverständlich keine festen Körper bewegen, da er nicht über Lebensgeister verfügt; er kann allerdings eine gewisse Macht »in fluidum illum tenuissimum, animantium & corporis humani« ausüben, das heißt auf den Äther, welcher in unserem Körper kreist und zu seinem Funktionieren ähnlich bei einer hydraulischen Maschine beiträgt.26 Sowohl die Aufmerksamkeit, die auf die Schwäche des menschlichen Geistes gelegt wird, als auch das fast vollständige Desinteresse für das ethisch-rechtliche Problem der Legitimität der Hexenprozesse (eine Frage, die jedoch bei Thomasius dazu führte, die Dissertation De criminae magiae verteidigen zu lassen) stimmen perfekt überein mit der medizinisch-wissenschaftlichen Ausbildung von Hoff mann. Thomasius und Hoff mann stehen von einer rechtlichen und medizinischen Sichtweise her für die beiden hauptsächlichen Modelle, wie sich in Deutschland (auf einem rein spekulativen Niveau, welches in direkter Verbindung mit den Entwicklungen der postcartesianischen Debatte zum Verhältnis zwischen Geist und Körper stand) die Neubeurteilung des Glaubens an die physische Interaktion zwischen geschaffenen Geistern und realer Welt und der daraus resultierenden Zerstörung der Teufelspakttheorie, der gesetzlichen Grundlage für das Verbrechen der Hexerei, entwickelte.27 Bis zu welchem Punkt zur Mitte des 18. Jahrhundert die Durchdringung von dämonologischer Debatte und psychologischer Diskussion innerhalb der Aufklärung gelangt war, wird außerdem anhand der Versuche seitens der Persönlichkeiten deutlich, welche dem Kreis der Schule um Christian Wolff zugeschrieben werden können, die Grundlagen der Philosophie des Meisters auf die die Dämonologie betreffenden Fragen ›hinzubiegen‹, obwohl sich in den Wolffschen Schriften keinerlei relevante Hinweise darauf finden lassen. Es handelte sich vor allem um Schüler, die nur indirekt mit Wolff in Verbindung gestanden hatten. Der hallesche Professor Christoph Andreas Büttner versuchte in seiner Diiudicatio Iudicii de non-existentia diaboli (1734), die Verneiner der Realität der Macht des Teufels mittels einer rein logischen und psychologischen ArgumenFriedrich Hoffmann, De diaboli potentia in corpora, 99. Zu Hoffmanns Dämonologie vgl. Martin Pott, Aufklärung und Aberglaube. Die deutsche Frühaufklärung im Spiegel ihrer Aberglaubenskritik, Tübingen 1992, 387–96; Annemarie Nooijen, »Unserm grossen Bekker ein Denkmal«?, 241–45. Allgemeiner zu seiner Physiologie: François Dcuhesneau, La physiologie des Lumières. Empirisme, modèles et théories, The Hague/Boston/London 1982, 32–64; Johanna Geyer-Kordesch, »Holistic Medicine and the Materialistic Sciences in the Enlightenment«, in Strukturen der deutschen Frühaufklärung, 333–56; Jürgen Helm, »Hallesche Medizin zwischen Pietismus und Frühaufklärung«, in Notker Hammerstein (Hg.), Universitäten und Aufklärung, Göttingen 1995, 63–73; Francesco P. De Ceglia, I fari di Halle. Georg Ernst Stahl, Friedrich Hoffmann e la medicina europea del primo Settecento, Bologna 2009. 27 Martin Pott, »Aufklärung und Hexenaberglaube«, 188–89. 26

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tation zu widerlegen, entnommen vor allem aus seinem Cursus philosophicus sowie aus Texten von Wolff.28 Der Schüler von Alexander Gottlieb Baumgarten, Georg Friedrich Meier, bewegte sich hingegen in seinen Philosophischen Gedanken von den Würkungen des Teufels auf dem Erdboden (1760) in eine gänzlich andere Richtung, wobei er zu skeptischen Überzeugungen bezüglich der Möglichkeit gelangte, die Existenz des Teufels philosophisch zu beweisen.29 Die letzte wichtige Disput zur Teufelsmacht auf deutschem Boden, der so genannte Teufelsstreit, fand dann sogar noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts statt, in dessen Rahmen eine zweite Übersetzung der Betoverde Weereld ins Deutsche veröffentlicht wurde.30 Zum Zeitpunkt der Abfassung des Gesprächs zwischen Bekker und Scriver waren diese Debatten also noch weit davon entfernt sich abzuschwächen. Das Echo insbesondere auf Thomasius’ Beitrag sollte noch viele Jahre andauern und zahlreiche Rivalen trugen noch das ihre zum Thema bei, wodurch die Fronten in der dämonologischen Debatte, die in Halle ihr Zentrum hatte, immer klarer hervortraten.31 Fünf Jahre vor der Herausgabe des ersten Teils des Totengesprächs hatte

Christoph A. Büttner, Diiudicatio Iudicii de non-existentia diaboli, Halle 1734. Zu Büttner vgl. Annemarie Nooijen, »Unserm grossen Bekker ein Denkmal«?, 284–89; Riccarda Suitner, »La diffusione clandestina di manuali di magia nella Germania del primo Settecento: il caso della Pneumatologia occulta«, in Historia philosophica, XI (2013), 47–57; dies., »Dämonologie und Zauberliteratur in Halle zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Der Fall der Pneumatologia occulta«, in Renko Geffarth/Markus Meumann/Holger Zaunstöck (Hgg.), Kampf um die Aufklärung? Neue Perspektiven auf Halle im 18. Jahrhundert, Berlin 2016, im Druck; Michael Albrecht, »Christoph Andreas Büttner«, in Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Bd. V/1, 174–76. 29 Georg F. Meier, Philosophische Gedanken von den Würkungen des Teufels auf dem Erdboden, Halle 1760. Noch ein außerordentlich interessantes Beispiel von ›Wolffscher Dämonologie‹ ist auf ein Mitglied der Accademia degli Agiati von Rovereto, Clemente Baroni Cavalcabò (1726–1796), zurückführbar. Im Traktat L’impotenza del demonio di trasportare a talento per l’aria da un luogo all’altro i corpi umani versuchte er tatsächlich, die Machtlosigkeit des Teufels, in Bezug auf den menschlichen Körper, durch die Anwendung auf den dämonologischen Bereich des Leibnizschen Gesetzes der Erhaltung der Antriebskraft und Christian Wolffs Kosmologischer Theorien zu widerlegen. Siehe hierzu Riccarda Suitner, Einleitung zu Clemente Baroni Cavalcabò, L’impotenza del demonio di trasportare a talento per l’aria da un luogo all’altro i corpi umani dimostrata da Clemente Baroni delli Marchesi Cavalcabò accademico di Rovereto, dove anche si dimostra l’impossibilità di volare con artifizio umano, Rovereto 1753. Ndr. hg. von ders., Bologna 2013; dies., »The Powerlessness of the Devil. Scientific Knowledge and Demonology in Clemente Baroni Cavalcabò (1726–1796)«, in Martin Mulsow/Asaph Ben-Tov (Hgg.), Knowledge of Religion as Profanation. Cross-cultural Comparison, Technical Devices and Critical Scholarship, New York/Boston/Berlin, im Druck. 30 Vgl. Wiep van Bunge, Einleitung zu Balthasar Bekker, Die bezauberte Welt (1693), 44. 31 Zur Fortsetzung der Debatte vgl. Markus Meumann, »Die Geister, die ich rief«, 674–676, sowie ders., »Competing Concepts of Magic and Science and the Reception of English Treatises on Witchcraft and Magic in the Debate on Christian Thomasius’ De crimine magiae (1701–1720)«, in Gudrun Gersmann/Katrin Moeller/Jürgen M. Schmidt (Hgg.), Crossing Frontiers – Belief in Magic and Witch-Hunting as Culture Transfer, London 2016 (in Druckvorbereitung). 28

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zum Beispiel die Veröffentlichung einer zweiten Auflage von De diaboli potentia in corpora Michael Alberti (1682–1757) den Anlass dazu gegeben, in die Auseinandersetzung einzugreifen, wobei er eine Position vertrat, die man in Georg Ernst Stahls organizistische Tradition einordnen könnte. Obwohl der Mediziner, der in Halle unter Johann Franz Budde und Georg Ernst Stahl studiert hatte, ebenso wie auch Hoffmann die Möglichkeit eines Einflusses des Teufels auf den mentalen Bereich beschränkte, schrieb er jeder geistigen Substanz eine Fähigkeit zu unabhängiger Bewegung zu, und indem er eine sehr enge Verbindung zwischen Geist und Körper bestimmte, erkannte er dem Teufel die Macht zu, mittels der Vermittlung der menschlichen Seele auf unseren Körper einzuwirken, indem er ihn unter Krankheiten leiden ließ, oder durch Veränderung der Temperamente.32

3. Der Pakt mit dem Teufel Es überrascht also nicht, dass Teile des fiktiven Gesprächs zwischen Bekker und Scriver sich gerade mit der Diskussion über die Theorie des Teufelspaktes beschäftigen.33 Die Realität dieses Paktes wird von Bekker mit einer recht außergewöhnlichen Argumentation bezüglich der Ungleichheit der beiden Gegner im Hinblick auf den Aspekt der Nützlichkeit widerlegt: Der Pakt scheine lediglich für die Menschen, die ihn unterschreiben würden, von Vorteil zu sein, der Teufel habe hingegen sehr wenig davon. Auf vorhersehbare Weise und übereinstimmend mit dem, was in der Betoverde Weereld steht, werden Magie, Hexerei und die teuflischen Künste insgesamt von dem holländischen Pastor auf heidnisches Erbe zurückgeführt.34 Beim Thematisieren dieser Fragen erwähnt der Autor des Dialogs selten Hoffmann, Thomasius oder Alberti. Sehr viel belesener erscheint er hingegen in Bezug auf die dämonologische Literatur des 17. Jahrhunderts: Im Dialog werden in der Tat Gabriel Naudé, Agrippa von Nettesheim, Johann Weyer sowie Antonius van Dale genannt.35 Die entgegengesetzten Positionen der beiden Theologen werden allerdings nur angemessen verständlich, wenn sie in den Zusammenhang der Situation in Deutschland am Anfang des 18. Jahrhunderts gestellt werden, insbesondere angesichts eines veritablen Revivals (im Unterschied zum vorhergehenden, ausschließMichael Alberti, Dissertatio inauguralis medica, De potestate diaboli in corpus humanum […], Halle 1725. Vgl. Annemarie Nooijen, »Unserm grossen Bekker ein Denkmal«?, 245–47. 33 Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. I, 45–50. 34 Ebd., 45–50. Den heidnischen Ursprüngen der Dämonologie ist fast das gesamte erste Buch des bekkerschen Werkes gewidmet. 35 Ebd., 60–61. 32

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lich philosophisch orientierten Jahrhundert), welches das Thema des Teufelspaktes in jenen Jahren erfuhr. Bekker, der Magie und Teufelsmacht negierte, der Symbol war für die gefährlichen Auswirkungen auf religiösem Gebiet, die ein rigoroser Substanzdualismus haben könnte, von seiner Mutterkirche verjagt und Anfang des 18. Jahrhunderts als Häretiker par excellence, wenn nicht sogar als Atheist angesehen, war der ideale Gegenpart für Scriver, einen lutherischen Prediger, der noch ganz verankert im überlieferten Modell einer von dunklen, kaum vom Menschen zu kontrollierenden Mächten belebten Welt war. Das Kriterium, mit dem die Kontrahenten ausgewählt worden waren, unterschied sich also kaum von dem, welches den Dialogen zwischen Leibniz und Budde und zwischen Descartes und Rüdiger zugrunde lag: Auch in diesem Fall passt es perfekt zu dem Versuch, eine literarische Verarbeitung (und nicht frei von Stereotypen) einer der vielen Fronten bereitzustellen, an der sich in Deutschland seit Jahrzehnten der Konflikt zwischen einer lutherisch-pietistischen Weltsicht und den Ideen der ›neuen Philosophie‹ eines Descartes, Leibniz und Wolff abspielte, in Wirklichkeit mit einer sehr viel komplexeren Gestalt und sehr viel weniger geradlinigen Formationen. Es ist gesagt worden, dass Bekker im Dialog als der extremste Verneiner der Macht des Teufels dargestellt werde, in Übereinstimmung mit der in Deutschland damals weitestverbreiteten Interpretation der Betoverde Weereld.36 Dies stimmt nur teilweise. Genau dies ist nämlich der Vorwurf, den der fiktive Scriver Bekker macht; der Autor zeigt aber, dass er sich vollkommen des tatsächlichen Charakters der in der Betoverde Weereld geäußerten Thesen bewusst ist, wenn er Bekker bestreiten lässt, es jemals gewagt zu haben, die Existenz des Teufels in Frage zu stellen.37 Die Argumente, mit denen Scriver versucht, Bekker von der Existenz des Teufels, seiner Macht auf den Menschen sowie seiner Fähigkeit, sich dessen Willen zu bemächtigen, zu überzeugen, sind exakt jene klassischen, welche die reformierte Theologie den Thesen von Bekker in den Jahren unmittelbar nach der Veröffentlichung der Betoverde Weereld entgegengestellt hatte. Für den deutschen Theologen Annemarie Nooijen, »Unserm grossen Bekker ein Denkmal«?, 268; Jonathan Israel, Radical Enlightenment, 393. 37 Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. I, 23–24: »Ich habe niemahls, mein Herr, den Teufel noch die Hölle geleugnet, als welche allerdings von einem jeden vernünfftigen Menschen müssen geglaubet werden, wofern sie anders zugeben, daß Gott gerecht sey, und das Böse auch nach dem Tode bestraffe. Denn dieses haben schon die vernünfftigen Heyden erkannt. Indem sie nehmlich gesehen, daß viele fromme Leute auf der Welt Unglück, viel Gottlose aber Glück haben: Denn deswegen haben sie mit einem festen Schluß ausgemachet, daß nach diesem Leben eine Belohnung des Guten, und eine Bestraffung des Bösen, das ist Himmel und Hölle, seyn müsse, wo man anders sagen wollte, daß Gott ein gerechter Gott wäre«. 36

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stellt sich die unheilvolle Konsequenz der Beschneidung der Macht des Teufels seitens Bekkers folgendermaßen dar: »man fürchtet sich ja ohnedem auf der Welt für dem Teufel gar zu wenig, und warum will man denn anders seine Macht noch geringer machen, als aus der Ursache, daß man die Leute in Sünden einzuschläffern suchet, damit sie ja nicht den geringsten Scrupel wegen der Höllen-Straffe machen mögen«.38 Paradox ist, dass, obwohl Bekker die ernsthafte Intention zugestanden wird, die Existenz Gottes gegenüber den Atheisten nachzuweisen, ihm doch vorgeworfen wird, dass er, indem er behaupte, dass der Teufel auf die physische Welt keinerlei Einfluss ausüben könne, seine Existenz negiere und dazu beitrage, den gefährlichen Samen des Atheismus zu verbreiten. Also, meint Scriver abschließend, »jetzo aber ist er nicht mehr der alte Teufel, er ist ganz gut, er thut oder kan keinem Menschen nichts thun«.39 An Gott muss man weder zu wenig glauben – dies wäre ein klares Zeichen von Atheismus – noch zu viel, denn dies würde zum Aberglauben führen.40 Auch die Position Bekkers, bei der er sich den Teufel in der Hölle angekettet vorstelle, sei extrem gefährlich, da sie die fundamentale Funktion Satans beeinträchtige – wenn auch geschaffener und endlicher Geist – mit Erlaubnis Gottes zu handeln, um die Sünder zu bestrafen.41 Eine entscheidende Beschneidung der Macht des Teufels bedeute allerdings laut Bekker nicht, dass ihm jede Kraft genommen sei. Im Übrigen könne man nicht alles Übel dem Teufel zuschreiben, welcher nur eines von vielen Werkzeugen Gottes sei, um die Sünder zu bestrafen.42 Nach Bekker sei es überhaupt ein Widerspruch, dem Teufel mehr Macht als Christus zuzuschreiben, und es seien gerade jene, die ihn mit außerordentlichen Kräften ausstatteten, die dem Atheismus in die Hände spielten.43 Die bittere Schlussfolgerung Scrivers bezüglich des Ausgangs dieses Gedankenaustauschs mit dem holländischen Pastor ist deshalb, dass »ihr Buch hätte lieber heissen sollen der bezauberte Becker, als die bezauberte Welt, wofern Sie in demselben dergleichen Abendtheuerliche Sachen vorgetragen. Ich sehe, Sie möchten lieber den Teufel gar aus der Heil. Schriff t ausmertzen, so dürff ten Sie endlich gar glauben, daß es keinen gäbe«.44 Der rein spirituelle Charakter des Teufels bedeute hingegen laut Bekker, dass er keinerlei Einfluss auf die natürliche Welt habe. Zum Beispiel sei der Teufel nicht in der Lage, menschliche Körper zu transportieren, denn dies setze den körperli-

38 39 40 41 42 43 44

Ebd., 23. Ebd., 39. Ebd., 58. Ebd., 24. Ebd. Ebd., 38. Ebd., 25.

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chen Kontakt zwischen Teufel und Mensch voraus.45 Die Konsequenzen einer derartigen Theorie waren sehr viel bedeutender, als man vielleicht annehmen könnte. Nicht nur, als Bekker die Betoverde Weereld schrieb, in der er auch das Problem des menschlichen Fluges ansprach, sondern auch in den Jahren, in denen unser Totengespräch veröffentlicht wurde, war die Beschäftigung mit Themen dieser Art eine ziemlich riskante Angelegenheit. Der menschliche Flug war traditionell ein Phänomen, welches der Teufelsmacht zugeschrieben wurde. Im sogenannten Canon episcopi, einem Text unklarer Herkunft, der bekanntlich zum ersten Mal in De Synodalibus causis et disciplinis des Abtes Regino von Prüm (906) erwähnt wird, wird der Glaube an nächtliche Flüge der Anhänger der Göttin Diana als heidnischer Aberglaube gebrandmarkt, was eine Anklage der Apostasie zur Folge haben müsse. Der Hexenflug wird als pure Einbildung bezeichnet; man erkennt dem Teufel auch nur die kleinste Fähigkeit ab, irgendeine physische Macht auf den Menschen ausüben zu können, außer auf seine Sinne, die er, auch im Schlaf, beeinflussen könne. Dies war die Version, die vom kanonischen Recht des Mittelalters überliefert worden war, auch wenn beim Volk der Glaube an den Hexenflug immer vorhanden blieb. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts hatte eine Neuinterpretation des Canon immer mehr zu der Überzeugung geführt, dass der menschliche Flug keine reine Illusion sei, sondern reales Ereignis. Die kontinuierliche Verbreitung des Malleus Maleficarum (1686–87) an den europäischen Fakultäten für Theologie sowie in der davon abhängenden dämonologischen Literatur im 16. und 17. Jahrhundert (vor allem Jean Bodin, Peter Binsfeld und Martin Del Rio) hatten eine wahre ›Kanonisierung‹ des Konzepts der Hexerei als Konsequenz, welches bis zum 18. Jahrhundert die konkrete Möglichkeit vorsah, mit dem Teufel einen Pakt zu schließen, die Realität des Hexenflugs und ihre Verwandlung in Tiere.46 Wenn man dies auf Fragen anwendet, die damals als rein juristisch angesehen wurden, so stellte also die Negation der Macht des Teufels, einen menschlichen Körper zu bewegen, auch seine Fähigkeit in Frage, die Hexen im Fluge zum Sabbat zu bringen – einer der Punkte, auf den sich eine Anklage des Verkehrs mit Satan stützen konnte. Angewendet hingegen als exegetisches Kriterium konnte man mit der Widerlegung der besonderen Eigenschaften des Teufels den direkten Sinn bedeutender Bibelszenen negieren, wie die bezüglich der Beförderung des Propheten Habakuk durch einen Engel (Dn XIV, 31–42) oder von Christus auf den Gipfel des Tempels in Jerusalem durch den Teufel (Mt IV, 1). Der Autor des Dialogs lässt ins-

Ebd., 30. Vgl. Martin Pott, Aufklärung und Aberglaube, 195–96; Werner Tschacher, »Der Flug durch die Luft zwischen Illusionstheorie und Realitätsbeweis«, in Zeitung der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, CXVI, Kanonistische Abteilung (1999), 225–76. 45 46

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gesamt die von ihm erfundene Person nicht sehr viel anders sprechen als den realen Bekker, der in der Betoverde Weereld all diese Aspekte ausführlich behandelt hatte.47 Der fiktive Scriver antwortet seinem jeder Art von teuflischem Einfluss physischer Art skeptisch gegenüberstehendem Gesprächspartner, dass es Gott und unserer Seele, obwohl sie Geister seien, trotzdem nicht unmöglich sei, Einfluss auf uns auszuüben. Bekker antwortet, indem er den unendlichen und allmächtigen Charakter Gottes ins Spiel bringt, und führt in sehr vereinfachter Form sein berühmtes Argument bezüglich der Nicht-Körperlichkeit des Teufels als Beschränkung für etwaige Aktionen in Bezug auf die menschlichen Seelen an: BECKER: An Historien ist wohl kein Mangel, aber an solchen wohl wider die man nichts einwenden könte. Der Geister-Theorie von Erscheinungen hat gar zu viel Widersprechungen; denn so fragt es sich mit Recht: Ob man einem Geist auch Maulschellen geben könne? Und ob ein Geist die Kraff t hat, einen Cörper so zu Boden zu werffen, daß er bald sterben müste. Alles dieses praesupponiret nicht so wohl einen Geist, als vielmehr Fleisch und Bein, denn was ich sehen, greiffen, schlagen, und was mich wiederum zur Erde werffen kan, muß wohl mehr als ein blosser Geist seyn, denn alle diese Handlungen sind cörperlich. SCRIVER: Ihre Welt-Weißheit hat Sie verführet, nach welcher Sie alles so accurat ausgrübeln und auflösen wollen, denn es sind mir wohl die Grund-Sätze der neueren Sonderlinge bekannt, da sie meynen, kein Geist könne auf einen Cörper würcken. Allein alle diese Sätze sind grund-falsch, denn ist nicht unser Herr Gott ein Geist, und würcket doch durch seine Allmacht in die Welt, indem wir in ihm leben, weben und sind; ist nicht unser Seel ein Geist, und würcket doch in unserem Cörper; sehen Sie, wohin man sich die Vorurtheile verleiten lässet. BECKER: Daß ich hierauf ein Wort sage. So ist Gott ein allmächtiger und unendlicher Geist, welcher durch ein eintziges Wort die gantze Welt aus Nichts erschaffen, also kan er auch wohl mit denen Cörpern machen was er will. Unsere Seele würcket als ein Geist in unserm Cörper, weil sie ihm zugegeben, und mit ihm vereiniget ist, sie kan aber in keinen fremden Cörper würcken können?48

Scriver sieht sich so gezwungen, das verfängliche Terrain der Auseinandersetzung zwischen dem Teufel und den anderen getrennten Geistern zu verlassen, wobei er mit Entschiedenheit die geringe Anzahl von genauen Daten bezüglich des Wesens der geistigen Substanzen in unserem Besitz und das täuschende Verhalten des Teu-

Vgl. insbes. Balthasar Bekker, Le monde enchanté, Bd. II, 162–83. Bekker und Scriver besprechen die Episode des Transports von Christus in Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. I, 42–43. 48 Ebd., 30–31. 47

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fels aufzeigt, der in der Lage ist, uns in die Irre zu führen, indem er fortlaufend unter falschen Vorstellungen auftritt.49 Am Ende der Erzählung von Scriver des auf Peter Otte ausgeübten Exorzismus ist Bekker also, wie vorauszusehen war, sicher, erklären zu können, indem er sich auf die seit je vertretenen Thesen bezieht, worauf der feste Glaube des jungen Mannes beruhte, Beziehungen zu Satan unterhalten zu haben: Er war davon überzeugt, dass »so vieles, so vor Hexerey, Zauberey, Teufeley, und dergleichen vorgegeben wird, bloß in dicken, schwerichten melancholischen Geblüte bestehe«. Der von Otte mit dem Teufel geschlossene Pakt war also eine reine Illusion, beruhend auf einer psychischen Pathologie.50 Der fi ktive Bekker äußert derart erneut eine der Hauptdoktrinen in der Betoverde Weereld, welche die Besessenheit durch den Teufel auf eine durch die Melancholie verursachte Krankheit reduziert.51 Die Frage der Temperamente war einer der am meisten diskutierten im Deutschland der Zeitgenossen des Anonymus, bei der die Position Bekkers erneut mit den Überresten der traditionellen Dämonologie rechnen musste.52 Beim Vergleich der realen Figur Bekkers mit der des fiktiven im Dialog erwarten uns allerdings nicht wenige Überraschungen. Wenn die Vorgänge um den realen Bekker im Grunde mit dem stolzen Verharren des Pastors auf seinen Positionen sowie der daraus folgende Entfernung aus allen Ämtern im Bereich der reformierten Kirche in Holland abgeschlossen waren, stellt sich der Anonymus vor, dass Scriver es schaff t, mit vollem Erfolg den Erwartungen jener Feinde von Bekker gerecht zu werden, die auch im ›Reich der Toten‹ nie die Hoffnung verloren hatten, ihren alten Widersacher von den schändlichen Meinungen zu befreien, die er in der Betoverde Weereld vertritt. Bereits im Verlauf des zweiten Teils des Gesprächs mit dem deutschen Theologen erklärt Bekker, obwohl er sich noch unbeweglich in Bezug auf den Wahrheitsgehalt seiner Thesen zeigt, dass sein Gesprächspartner ihm einen »sehr willkommenen« Gefallen getan habe, wenn es ihm gelungen sei, seine Widerstände in Bezug auf einige besonders kontroverse Aspekte der Theorie des Teufelspaktes zu überwinden.53

Ebd., 31–32. Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, 77. Vgl. auch T. I, 41–42 u. T. II, 90. 51 Balthasar Bekker, Le monde enchanté, Bd. II, 455–95. 52 Zu den in der Frühaufklärung theoretisierten Verbindungen zwischen Dämonologie und Temperamentenlehre vgl. Martin Pott, Aufklärung und Aberglaube, 267–377. 53 Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. II, 98. 49 50

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Am Ende desselben Abschnitts des Dialogs erfolgt allerdings eine wahrhaftige Konversion seitens des holländischen Philosophen, der sehr erfreut darüber ist, sich endlich von den in der Betoverde Weereld vertretenen heterodoxen Meinungen befreien zu können. Auf Scriver, der ihn an sein tristes Leben erinnert, was im Ausschluss aus der calvinistischen Kirche durch die Synode gipfelte, antwortet Bekker endlich mit der Reue über seine Radikalität in Bezug auf die von ihm zu Lebzeiten vertretenen Ansichten: »ich mag davon nicht von neuen anfangen zu reden. Es ist vorbey. Ich bin nun im Reiche der Todten, und habe schon bezeuget, daß ich zu weit gegangen«.54

4. Nochmals zu den Kupferstechern: die Identität des »M. B.« Im Übrigen haben wir bereits von Beginn an gesehen, wie der Autor des Totengesprächs eine sehr eindeutige Position eingenommen hat, als er seine Zugehörigkeit zur Gruppe der Vertreter der Teufelsmacht erklärt und uns die »finsteren Gedancken« sowie die »Irrthümer« Bekkers darstellt.55 Unter dem äußerst eleganten Stich am Anfang des ersten Teils des Dialogs kann man unter anderem die folgenden Verse lesen (Abb. 26, Tafelteil S. 25*): Du siehst den Teufel nicht indem er dich verblendet Darumb hast du auch so viel deshalben eingewendet doch wird deß Teufels Macht mit Recht daraus behaupt: weil ers dahin gebracht: daß man ihn nicht mehr glaubt.

Das Titelkupfer zeigt uns den Teufel in dreifacher Form. Er erscheint zunächst auf die Weise, auf die man ihm normalerweise in bildlichen Darstellungen begegnet, und zwar als Satyr, mit langen Ohren und Hörnern, die aus zerrauften Haaren herausragen, sowie Ziegenhufen. Er ist gerade dabei, Bekker, der nicht an seine Existenz glauben wollte, zu binden. Hinter dem Theologen und Exorzisten Scriver finden wir ihn als Reiter, so wie er sich auch Peter Otte in Prag am Tag der Unterzeichnung des Paktes gezeigt hatte. In der Ausgabe von Das verlohrne und wiedergefundene Schäfflein von Scriver aus dem Jahr 1695 befindet sich auch ein Stich, der das Vorgefallene bildlich aufzeigt (Abb. 27, Tafelteil S. 26*). Auch der Löwe, den man am Rande des Zimmers erkennen kann und der eines der vielen Tiere ist, welche der Tradition nach sowohl für Christus als auch für

Ebd., 111. Vgl. auch ebd., 101. Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. I, 3. 54 55

Nochmals zu den Kupferstechern: die Identität des »M. B.«

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Satan stehen, symbolisiert den Teufel. In der Form eines Löwen erscheint er vor allem in einem kleinen Vers im ersten Brief des Petrus, und er verziert auch viele Kirchenportale des Mittelalters, wo er dabei ist, einen Menschen oder ein kleines Tier zu verschlingen.56 So zeigt er sich auch am Markttag Peter Otte in Magdeburg.57 Das Tier ist allerdings vor allem eine Anspielung auf eine Auseinandersetzung, die wir innerhalb des Totengesprächs lesen, in deren Verlauf Bekker, als er gerade über den Vers von Petrus spricht, die These zu vertreten versucht, dass der Ausdruck διάβολος in der Bibel nicht immer mit dem Wort Teufel gleichgesetzt werden könne.58 Im Gegensatz zu den Illustrationen der Totengespräche zwischen Mayer und Petersen, zwischen Leibniz und Budde sowie zwischen Thomasius und Francke, die eingraviert das Sigel von Johann Benjamin Brühl tragen, tragen die Stiche einiger von mir eingesehener Exemplare dieses Textes keinerlei Unterschrift. Es handelt sich um Exemplare, die in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, in der Universitäts- und Landesbibliothek Halle und in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden aufbewahrt werden, datiert 1732, 1730 und 1732. Die Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und die Sächsische Landesbibliothek Dresden besitzen jedoch ein Exemplar des Dialogs, welches das Datum 1730 trägt. Der Stich des Titelblatts ist identisch mit denen der anderen Texte, die ich konsultiert habe, mit Ausnahme eines kleinen Details: Er trägt die Kürzel »M. B.«.59 Dieser Umstand ist sehr interessant. In diesem Fall haben wir es nicht einfach mit einem Unterschied zwischen Erstdruck und nachfolgenden Neuauflagen zu tun, die vielleicht die originalen Stiche mit geringerer Genauigkeit der Einzelheiten widergeben, sondern mit zwei Ausgaben desselben Jahres. Bei den Stichen ohne Unterschrift, die eine ›Vereinfachung‹ hinsichtlich der anderen enthalten, könnte es sich ohne weiteres um einen Raubdruck handeln, so, wie wir es bereits in Bezug auf die beiden Dialoge zwischen Nikolaus Hieronymus Gundling und Johann Franz Budde gesehen haben.60 Der Unterschied, der zum Beispiel zwischen dem Exemplar aus Dresden (Abb. 26) und dem aus Weimar (Abb. 28, Tafelteil S. 27*) zu erkennen ist, ist allerdings im Gegensatz zu jenem Fall wirklich entscheidend, denn Petr. I, 5,8: »Sobrii estote vigilate quia adversarius vester diabolus tamquam leo rugiens circuit quaerens quem devoret«. Die Lexika und Studien zur teuflischen Ikonologie sind zahlreich. Vgl. etwa Gerd Heinz-Mohr (Hg.), Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst, Freiburg/Basel/Wien 1971 (Art. »Löwe« u. »Teufelssymbole«). 57 Vgl. Christian Scriver, Historischer Bericht, § 11. 58 Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. I, 24–25. 59 Die Druckorte des Wolfenbütteler und des Dresdner Exemplars sind in beiden Fällen »Franckfurt und Leipzig«. 60 Vgl. Kap. 2, § 2. 56

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das eine zeigt die Initialen des Kupferstechers, womit er seine Identität preisgibt, das andere nicht. Es genügt also nicht immer, jeweils nur ein Exemplar eines Dialogs in Augenschein zu nehmen. Oft kann ein Exemplar desselben Textes, der denselben Titel trägt sowie dasselbe Erscheinungsjahr hat, neue Indizien hinzufügen. Wer ist also unser Kupferstecher? Bei »M. B.« handelt es sich unzweideutig um die Abkürzung von »Martin Bernigeroth«. Wir haben ihn sowie den Streit bereits erwähnt, in den er mit den Leipziger Autoritäten verwickelt war.61 Er unterschrieb gewöhnlich mit ganzem Namen unter seinen Stichen; in wenigen Fällen allerdings schrieb er nur die Initialen.62 So tat er es zum Beispiel beim Porträt des Christian Thomasius, welches am Anfang der Trauerreden steht, die zu Ehren des Philosophen gedruckt wurden (Abb. 29, Tafelteil S. 28*).63 Die Identifikation des Kupferstechers erlaubt es, einige Elemente zu klären, die vorher wenig eindeutig waren. Vor allem können wir auf diese Weise, so wie auch im Fall der von Johann Benjamin Brühl illustrierten Dialoge, erkennen, dass als Stadt, in welcher der Text herausgegeben wurde, Leipzig in Frage kommt (was allerdings nicht bedeutet, dass er auch dort gedruckt wurde, da die Leipziger Kupferstecher oft Aufträge von Verlegern von außerhalb akzeptierten). Zweitens können die Studien von Bernigeroth, der als Gasthörer die Seminare von Leonhard Christoph Sturm besuchte, die extreme Gelehrsamkeit erklären, mit der die Stiche hergestellt wurden, und zwar nicht nur die, die Bekker und Scriver darstellen, wie sie vom Teufel in seinen diversen Beschaffenheiten umgeben sind, sondern auch jene, die den zweiten Teil des Dialogs eröffnen und Bekker zeigen, der einige der Krankheiten ›siebt‹, die traditionell dem Einfluss des Teufels zugeschrieben werden, wie die Melancholie oder der ›Enthusiasmus‹ (Abb. 30, Tafelteil S. 28*). Bemerkenswert ist auch, wie beide Illustrationen recht getreu die Gesichtszüge Bekkers wiedergeben, im Gegensatz zur Darstellung von Descartes, die dem Dialog vorausgeht, in dem der Philosoph zusammen mit Andreas Rüdiger die Hauptrolle spielt, und allgemein im Gegensatz zu allen Abbildungen in den Stichen unserer Totengespräche. Wenn die Genauigkeit bei der Darstellung der Gesichtszüge nicht immer eine verbreitete Charakteristik der damaligen Kupferstecher gewesen ist, so war Bernigeroth sicher eine Ausnahme von der Regel. Man schaue sich nur ein anderes Vgl. Kap. 3, § 2. Vgl. die in dem Art. »Bernigeroth, Martin« aufgelisteten Kupferstiche, in Die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, bearb. von Peter Mortzfeld, Reihe A, Bd. XLV, München 2007, 31–38. Das Verzeichnis nennt mehr als 800 Beispiele von von Bernigeroth realisierten Stichen. 63 Vgl. das Portrait, das dem Wohlverdienten Denckmahl dem weiland wohlgebohrnen Herrn Herrn Christian Thomasius, unpag., vorausgeht. Zur Zuschreibung an Bernigeroth vgl. Die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Reihe A, Bd. XLV, 37. 61 62

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von ihm entworfenes Abbild von Balthasar Bekker an, welches sich im Museum für Kunst und Kultur von Münster befindet (Abb. 31, Tafelteil S. 29*). In seiner Werkstatt wurde pausenlos gearbeitet, oft ohne allzu sehr auf die Qualität zu achten. Trotzdem gibt es deutliche Unterschiede zwischen Stich und Stich: Jene, die ausschließlich von seiner Hand stammen, zeigen oft bedeutende technische Fertigkeiten.64 Beschränken wir uns auf den des Totengesprächs. Wir wissen nicht, ob Bernigeroth selbst der Stecher war oder nicht (er starb übrigens im Jahr nach der Veröffentlichung des Dialogs). Er ist auf jeden Fall, obwohl es sich um den Stich einer Flugschrift handelt, von hervorragender Qualität, wenn wir die kurze Zeit bedenken, in der er wahrscheinlich geschaffen worden ist.

5. Einige Überlegungen zur Entstehung, Verfasserschaft und Verbreitung des Dialogs Was die Urheberschaft des Dialogs anbelangt, so handelt es sich um einen ähnlichen Fall wie bei einigen von denen, die wir bislang behandelt haben: Die wenigen Male, die er erwähnt wurde, wurde der Text David Fassmann zugesprochen.65 Über die Gründe, aus denen einige unserer Dialoge der Urheberschaft des Journalisten zugeschrieben wurden, haben wir bereits mehrfach gesprochen. Von einem stilistischen Gesichtspunkt her gesehen müsste man zugeben, dass, im Gegensatz zu den in den vorherigen Kapiteln behandelten Gesprächen, tatsächlich eine Reihe formaler Elemente vorhanden sind, die diesen Dialog jenen des Journalisten ähnlich erscheinen lassen. Außer der Verwendung des Ausdrucks adieu, den wir bereits im zweiten der beiden Dialoge gesehen haben, in denen als Hauptpersonen Johann Franz Budde und Nikolaus Hieronymus Gundling auftreten, finden wir auch die klassische Benennung von Fassmann Entrevüe.66 Der Dialog Bekker-Scriver ist im Rahmen derer, die wir in dieser Arbeit behandelt haben, aller Wahrscheinlichkeit nach der Text, der den größten Verkaufserfolg hatte. Der Autor erwähnt im Vorwort des zweiten Teils eine »beständige Nachfrage Vgl. dazu Art. »Bernigeroth, Martin«, in Saur, Bd. IX, 1994, 605. Siehe auch ThiemeBecker, Bd. III, 1909, 459. 65 Vgl. Miriam Rieger, Der Teufel im Pfarrhaus, 198; Annemarie Nooijen, »Unserm grossen Bekker ein Denkmal«?, 264–70. Jonathan Israel erwähnt dagegen den Text ohne Verweise auf den deutschen Journalisten: vgl. Jonathan Israel, Radical Enlightenment, 393. John Rutledge ist der Einzige, der die Frage der Urheberschaft des Textes explizit betrachtet, indem er Fassmann als Autor in Zweifel zieht (ders., The Dialogue of the Dead, 43, Anm. 37: »The full title does not suggest the typical Fassmann method«). 66 Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. II, 63. 64

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nach der Continuation«, die ihn dazu veranlasst gesehen habe, ein weiteres Kapitel des Gesprächs zu veröffentlichen.67 Auch hier handelt es sich um ein Element, welches den Dialog eher mit vielen Gesprächen Fassmanns verbindet als mit den Dialogen, mit denen wir uns in den vorhergehenden Kapiteln beschäftigt haben und bei denen sehr deutlich geworden ist, dass sie nur für einen kleinen Kreis von Lesern gedacht waren. Eine systematische Übertreibung bei der Angabe der verkauften Exemplare sowie ihres Erfolgsumfangs – das haben wir bereits anlässlich des Dialogs zwischen Christian Thomasius und August Hermann Francke gesehen – war jedoch Teil der unausgesprochenen Regeln beim damaligen Vertrieb von Flugschriften. Wenn im Vorwort vieler Texte jener Zeit von tausenden von verkauften Kopien gesprochen wird, handelt es sich um einen von Autoren und Herausgebern erfundenen Bluff.68 In diesem Fall ist es äußerst schwierig zu entscheiden, ob die Erklärung des Anonymus wirklich aus der Luft gegriffen war, wenn man sich die Aktualität des im Dialog behandelten Themas vor Augen führt, das bei den Lesern auf großes Interesse stoßen sollte. Die Möglichkeit einer weiten Verbreitung des Textes wird im Übrigen bestätigt durch die sehr zahlreichen Exemplare des Dialogs, die noch heute in deutschen Bibliotheken vorhanden sind, sowie durch die vielen Nachdrucke. Bis 1737 wurde der Text mehrfach neu veröffentlicht, wobei meistens sowohl das Datum wie auch der Druckort fehlen; manchmal findet man als Ort der Veröffentlichung »Franckfurt und Leipzig« oder »Franckfurt und Braunschweig«. Der zweite Dialog der Serie enthüllt uns ein weiteres Element bezüglich der Frage seiner Verbreitung. Der erste beginnt so traditionell wie möglich, das heißt mit der eindeutigen Erklärung zu seinem biographischen Charakter: Bekker bittet nämlich Scriver ausdrücklich, ihm aus seinem Leben zu berichten.69 Die Aufforderung wird von dem fiktiven pietistischen Theologen vor allem zu Anfang des Gesprächs angenommen; später dann erzählt Bekker aus seinem Leben.70 Der zweite Dialog beginnt mit einem kurzen Vorwort an den Leser, in dem man ihm rät, den ersten und den zweiten Teil gut aufzubewahren, denn ein dritter würde bald folgen: Ich hatte mir vorgenommen, denselben in dieser Leipziger Jubilate-Messe des 1731sten Jahres, mit einem angenehmen Gespräche zwischen zweyen hochberühmten Theologis aufzuwarten. Allein die beständige Nachfrage nach der Continuation des Gesprächs zwischen Balthasar Beckern, und dem Gottseligen Theologo, Christian Scrivern, hat verursachet, daß solches auf eine kurtze Zeit habe aufschieben und solche befördern müssen. Es wird dann solche Continuation des Gesprächs 67 68 69 70

Ebd. Vgl. insbes. Kap. 3, § 3. Ebd., 7. Ebd., 17.

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hiermit dem geneigten Leser mitgetheilet, mit der Bitte, solchen Theil, gleich wie den ersten, auf- und anzunehmen, und bald eine neue Entrevüe im Reiche der Todten zu erwarten. Adieu.71

Wir haben es hier mit dem einzigen expliziten Hinweis zu tun, der deutlich macht, welchen Zweck unsere Dialoge erfüllen sollen. Es handelte sich, wie bereits erwähnt, um reine Wegwerfliteratur, deren Schicksal es war, nach dem Lesen nicht im Bücherregal, sondern im Papierkorb zu landen. Es gab sicherlich auch jene, welche die Dialoge erneut binden ließen, wovon es zahlreiche Exemplare gibt, die noch heute in deutschen Bibliotheken aufbewahrt werden. Kehren wir jedoch zur Frage der Autorschaft zurück. Auch im Falle dieses Textes gilt das, was bereits in Bezug auf die anderen bislang betrachteten Dialoge gesagt wurde. Obwohl diverse formale Ähnlichkeiten mit den Dialogen Fassmanns zu erkennen sind, so existieren doch Elemente, die es nicht ratsam erscheinen lassen, Fassmann als Autor anzusehen, und zwar der Umfang des Phänomens der Nacheiferung der Gespräche im Reiche der Toten des deutschen Journalisten und noch allgemeiner der Erfolg des Genres des Totengesprächs im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Das Fehlen von Auseinandersetzungen zwischen Autoren, wie man es zum Beispiel bei den diversen Fortsetzungen des Dialogs zwischen Christian Thomasius und August Hermann Francke sieht, sowie die erhebliche stilistisch-formale Gleichförmigkeit der verschiedenen Teile des Dialogs zwischen Bekker und Scriver lassen ohne weiteres die Vermutung plausibel erscheinen, dass ein und derselbe Autor die vier Teile verfasst hat. Was das Verhältnis bezüglich des Inhalts zwischen unserem Text und den anderen, vorher behandelten Dialogen anbelangt, die auch alle in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts veröffentlicht wurden, so scheinen die uns zur Verfügung stehenden Elemente manchen Zweifel zuzulassen, was den Umstand betriff t, dass der Autor mit einem jener anonymen Urheber übereinstimmt, welche die anderen Gespräche verfasst haben. Der Dialog, der die größte thematische Ähnlichkeit mit dem in diesem Kapitel behandelten aufweist, ist das Gespräch zwischen Descartes und Andreas Rüdiger. Rüdiger wird zudem des Öfteren von Bekker und Scriver im Laufe ihrer Diskussion erwähnt, und Bekker ist sogar von seiner Präsenz »im Totenreich« informiert.72 Wir haben es hier erneut mit einer Anspielung auf einen anderen unserer Texte zu tun,

71 Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. II, 63. 72 »Der Leipziger Philosophus D. Rüdiger[,] welcher auch nunmehro in dem Todten Reiche sich befindet« (Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. III, 129–32).

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in diesem Fall weder polemisch noch belobigend, sondern in einem absolut ›neutralen‹ Ton, was man erneut nicht als Beweis dafür ansehen sollte, dass es sich bei den Autoren der Texte um ein und dieselbe Person handelt. Die Sache liegt genau so wie in dem Dialog, in dem Johann Wilhelm Petersen eine Hauptrolle spielt, dieser sich zusammen mit Johann Friedrich Mayer über die Präsenz von Johann Franz Budde im »Reich der Toten« informiert zeigt und erklärt, er habe »etwas curieuses« über ihn gelesen.73 Es handelt sich darüber hinaus nicht um den einzigen intertextuellen Verweis im Dialog zwischen Bekker und Scriver. Genauso, wie es in dem zwischen Johann Franz Budde und Leibniz sowie zwischen Descartes und Rüdiger geschieht, stellt man sich eine kontinuierliche Kommunikation zwischen den Personen der Dialoge und den Lesern in der ›Welt der Lebenden‹ vor. In diesem Fall wird diese Taktik vom Autor verwendet, um damit den dritten Teil des Gesprächs zu beginnen. Wie der fiktive Leibniz des Totengesprächs, mit dem wir uns bereits beschäftigt haben, Informationen darüber besaß, dass sein Gespräch mit Budde gerade gedruckt worden war, so wird hier Bekker darüber informiert, dass sein erster Dialog mit Scriver sofort nach seinem Stattfinden veröffentlicht worden war. Und es gibt noch mehr: Kaum ist das zweite Gespräch mit Scriver beendet, da erfährt der fassungslose Theologe, dass auch der zweite Teil sofort in Druck gegangen ist. Da er, gerade so wie Leibniz, nicht sehr befriedigt ist vom vom Autor verfassten Bericht über den Dialog, fühlt sich Bekker dazu veranlasst, ein drittes Gespräch zu beginnen, dem sicherlich auch ein viertes folgen würde: Allein kaum ware dieß Gespräch zu Ende, so brachte man hierauf Continuation deß mit Beckern gehaltenen Gespräches gedrucket, doch er konte sich nicht besinnen daß das eben dasselbe wäre, welches er mit Beckern gehalten und durch denjenigen der das erste Gespräch heraus gegeben der Ober-Welt hätte mittheilen wollen. Denn es hatte Becker über den Peter Otten mit welchem Herr Scriver umgegangen gantz andere Glossen gemachet, als derjenige so dieses Gespräch continuiret ihm zugeschrieben. Indessen dachte doch Herr Scriver dasselbe lieber zurückzubehalten indem die curieuse Welt vielleicht verdrießlich seyn würde von dem genannten Peter Otten so gar verschiedene Sachen zu lesen. Er hielte also mit Herren Beckern das Dritte Gespräch von allerhand Geister und Gespenster Sachen, welches wenn es Zeit und Gelegenheit leiden dürff te künff tig hin mit dem Vierdten noch könte vergesellschaff tet werden.74

Vgl. Kap. 7, § 2. Es ist mir dagegen nicht gelungen klarzustellen, ob dem von Scriver im dritten Teil des Dialogs mit Bekker erwähnten Gespräch zwischen Agrippa von Nettesheim und Urbain Grandier (S. 174) ein tatsächlich existierendes Totengespräch entspricht. 74 Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten 73

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Es gibt jedoch zahlreiche Unterschiede zwischen diesem Dialog und den beiden anderen, die vor allem dann besonders deutlich werden, wenn man die Kriterien berücksichtigt, nach denen die Hauptpersonen gestaltet sind. Die Charaktere von Bekker und Scriver sind den realen Personen ziemlich genau nachgezeichnet, im Gegensatz zu den ›Masken‹ anderer Philosophen wie zum Beispiel die fiktiven Figuren von Leibniz und Descartes in ihrer Rolle als Verteidiger der Wolffschen Philosophie. Dies bedeutet natürlich nicht, dass die historische Wahrheit keinerlei Verzerrung unterliegen würde, wie zum Beispiel die Reue des fiktiven Bekker in Bezug auf einige seiner in der Betoverde Weereld vertretenen Thesen. Wir befinden uns allerdings weit entfernt vom raffinierten Zusammenleben und dem fortlaufenden Wechsel von diversen Ebenen, welche die Person des René Descartes/Christian Wolff kennzeichnen, wie wir sie im sechsten Kapitel kennengelernt haben. Die Feinheit der Argumentation sowie das extreme philosophische Bewusstsein, mit dem der Autor des Dialogs zwischen Descartes und Rüdiger die Fragen der Beziehung zwischen Geist und Körper behandelt, die Reichhaltigkeit und die Präzision der gebildeten Hinweise auf diverse Texte sowie auf kurz vorher veröffentlichte Dissertationen kennzeichnen darüber hinaus einen großen Niveauunterschied vor allem dieser beiden Texte, was es wenig wahrscheinlich erscheinen lässt, dass es sich dabei um denselben Autor handelt. Der philosophische Horizont des Autors des Dialogs zwischen Bekker und Scriver lässt vor allem eine Anlehnung an die Diskussion über die Dämonologie im 17. Jahrhundert und ihrer Rezeption am Anfang des Pietismus erkennen. Obwohl er aus einem regelrechten Arsenal von Diskussionen der damaligen Zeit bezüglich der Natur des Teufelspaktes und der getrennten Geister schöpfen konnte, blieb der Blick des Anonymus vorwiegend begrenzt auf die Zeit vor Thomasius, Hoffman und Wolff. Der dritte Teil des Dialogs ist zum Beispiel zu großen Teilen weniger philosophischen Fragen, sondern mehr der Diskussion gewidmet, ob Feuerwaffen einen irgendwie gearteten Effekt auf Geister haben können, ein Problem, auf das sich auch die identischen Stiche des Titelblatts dritten und vierten Teils beziehen (Abb. 32, Tafelteil S. 29*). Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Deutung des Autors insgesamt vollkommen anachronistisch gewesen wäre. Im Gegenteil: Sie gibt nur eine von vielen Diskussionsebenen im Bereich der Dämonologie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wider.

Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. III, 112–13.

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6. Gespensterbeschwörungen und Unterredungen im Reich der Geister Der Autor des Totengesprächs zwischen Bekker und Scriver besaß ganz offensichtlich eine glückliche Eingebung bei der Wahl der beiden Hauptpersonen des Dialogs, der in einer Zeit herauskam, als die Debatte über die Natur des Teufels und der getrennten Geister sowie über deren Beziehungen zur realen Welt äußerst intensiv geführt wurde. Es war nicht einmal das erste Mal, dass derartige Fragen in dialogischer Form behandelt wurden. Ein wichtiger Vorläufer ging gerade auf die unmittelbar vor der Veröffentlichung des Totengesprächs liegenden Jahre zurück. Zwischen 1729 und 1731 veröffentlichte der adlige Tiroler Otto von Graben zum Stein (1690–1756) anonym die ersten beiden Bände einer Serie von Unterredungen von dem Reiche der Geister, von denen jeder den Titel Monatliche Unterredung von dem Reiche der Geister trägt. Das Gespräch findet zwischen zwei fiktiven Personen statt, Andrenius und Pneumatophilus. Die Dialoge richteten gegen die Anhänger von Balthasar Bekker, Christian Thomasius und all jenen, die Zweifel an der Realität der unsichtbaren Geister äußerten; die fiktiven Personen diskutieren die Erscheinung von Gespenstern, die an den verschiedensten Stellen gesehen worden waren: großen Städten, Adelsburgen, Höfen und Dörfern.75 Die heute vollkommen vergessenen Unterredungen waren ebenso exzentrisch wie ihr Autor. Nachdem er in Sizilien dem Ordo servorum Mariae als Mönch gedient hatte, zwang die Veröffentlichung von antipäpstlichen Schriften von Graben zum Stein 1728 zur Flucht. In Preußen, wo er sich vor der Verfolgung in Italien geschützt sah, begann er, Italienisch zu unterrichten, konvertierte zum Protestantismus, war vielleicht auch Spion, und dank seiner Nähe zum Kreis um den König von Preußen wurde er Vizepräsident der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Der Titel des Werkes Monatliche Unterredungen, erschienen in drei Bänden, die ersten beiden veröffentlicht in Leipzig zwischen 1729 und 1731, der dritte und letzte erst zehn Jahre später in Berlin, war ausdrücklich den Monatlichen Unterredungen von Wilhelm Ernst Tentzel entlehnt, einer Zeitschrift, die der Polyhistor, zur damaligen Zeit ›Inspector des fürstlichen Münzcabinets‹ des Schlosses Friedenstein in Gotha, 1689 ins Leben gerufen hatte. Die Unterredungen von Tentzel waren unter [Otto von Graben zum Stein], Unterredungen von dem Reiche der Geister, worin gehandelt wird: I. Von den Geistern überhaupt. II. Von den geheimen Hauß-Geistern. III. Von den Erscheinungen der Verstorbenen. IV. Von den Erd-und Wasser-Geistern. V. Von den Luft- und Feuer-Geistern. VI. Von den Geistern gewisser Landschaften, Städte und Schlösser. Zwischen Andrenio und Pneumatophilo. Nebst einem Register der vornehmsten Materien, Leipzig 1729–31. Der dritte Band wurde 1741 auf Kosten des Autors veröffentlicht: [ders.], Unterredungen von dem Reiche der Geister, zwischen Andrenio und Pneumatophilo. Dritter Band, in sich haltend das XIII. bis XVIII. Stück […], Berlin 1741. Zu Graben zum Stein (1690–1756) vgl. Will-Erich Peuckert, Vorwort zu Die Sagen der monatlichen Unterredungen Otto von Grabens zum Stein, hg. von dems., Berlin 1961, V–XIII. 75

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anderem einer der ersten Orte, an denen in Deutschland das Werk Bekkers diskutiert wurde: Die Ausgabe vom Februar 1692 beinhaltet in der Tat eine Diskussion zwischen den beiden fiktiven Personen Leonardus und Antonius über die eklatanten Neuigkeiten, die in der Betoverde Weereld enthalten sind, ein Text »mit so vielen seltsamen Meynungen angefüllet«, und auch über den langen Prozess, der gegen Bekker nach dem Erscheinen der ersten beiden Bände des Werks angestrengt worden war.76 Wir haben gesehen, wie sogar in akademischen Kreisen der starke Eindruck der Theorien von Descartes und Bekker nicht ausgereicht hat, in kurzer Zeit die Vorstellungen einer von übernatürlichen Kräften belebten Welt, die vom Menschen kaum zu kontrollieren sind, verschwinden zu lassen, und wie viele auf einer mehr oder weniger rigorosen physiologischen Basis versucht haben, die Rolle des Übernatürlichen zu reduzieren, ohne jedoch die Radikalität eines Bekker zu übernehmen. Es liegen selbstverständlich Welten zwischen den Diskussionen, die in den Sälen der Universitäten stattfanden, und denen im Alltagsleben, mit ihren Büchern zur Magie, den täglichen Praktiken von Exorzismus und der Beschwörung von Geistern und Dämonen.77 Auf dieser niedrigeren Ebene mit ihrer sehr viel langsameren diachronischen Entwicklung war die Unterscheidung zwischen Dämonologie und Magie, zwischen ›weißer‹ und ›schwarzer‹ Magie nicht so eindeutig, und die Rolle der zeitgenössischen philosophischen Diskussionen zum Verhältnis zwischen Geist und Körper hatte keinerlei Bedeutung. Am Anfang des 18. Jahrhunderts beschäftigte die Debatte zum Wesen der Gespenster, der Geister und der Vampire in Deutschland alle sozialen Schichten. Zwischen den Dissertationen an den Universitäten und der mündlichen Überlieferung der Volkskultur gab es sehr viele Zwischenebenen, von der Publizistik, die für ein mittelmäßig gebildetes Publikum wie jenes, das die Totengespräche kaufte, geschrieben wurde, bis zu den Unterhaltungen eines von Graben zum Stein. Es existierte auch jene durch die grimoires verbreitete pseudoagrippeische Publizistik, d. h. Magiehandbücher, welche dem Magie-, Mystik- sowie Astrologiebegriff Heinrich Cornelius Agrippas von Nettesheim nahestanden.78 Auch wenn das Jahrhundert Wilhelm E. Tentzel, Monatliche Unterredungen einiger guten Freunde von allerhand Büchern und andern annemlichen Geschichten allen Liebhabern der Curiositäten zur Ergetzlichkeit und Nachsinnen heraus gegeben, s.l., Februar 1692, 109–31. 77 Vgl. Margarethe Ruff, Zauberpraktiken als Lebenshilfe: Magie im Alltag vom Mittelalter bis heute, Frankfurt a. M. 2003. 78 Vgl. den Gesamtüberblick zur europäischen Verbreitung dieser Art von magischer Literatur von Owen Davies, Grimoires. A History of Magic Books, Oxford, 2009 (zum Zeitalter der Aufklärung: 93–138); Elizabeth M. Butler, Ritual Magic, Cambridge 1949; Karl-Peter Wanderer, Gedruckter Aberglaube. Studien zur volkstümlichen Beschwörungsliteratur, Frankfurt a. M. 1975. Die unveröff. Diss. von Stephan Bachter, Anleitung zum Aberglauben. Zauberbücher und die Verbreitung magischen »Wissens« seit dem 18. Jahrhundert, Hamburg 2005 (online verfügbar unter: http://ediss. 76

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der Aufklärung in den Abhandlungen zur Geschichte der Magie in der Regel nicht sehr ausführlich behandelt wird, so entspann sich doch gerade in dieser Zeit ein sehr weit verbreitetes Interesse an Zauberbüchern (grimoires). Studenten und Wissenschaftler, Pastoren und Bauern, Sammler, Anhänger der Esoterik, Freidenker und Professoren versuchten mit allen Mitteln, in den Besitz von Zauberbüchern zu gelangen. Man kaufte oder transkribierte Ausschnitte, manchmal druckte und verkaufte man sie, wobei mitunter bereits bekannte Texte entscheidend verändert wurden, oder man veröffentlichte andere Inhalte unter dem Titel der bekanntesten Bücher. Studenten versuchten, sich die grimoires zu verschaffen, um Exorzismen zu betreiben; ›aufgeklärte‹ Intellektuelle wie Christian Wolff und Ernst Christoph von Manteuffel diskutierten in ihrem Briefwechsel das Erscheinen der Geister der Toten.79 Eine der emblematischsten Episoden, aus der gut deutlich wird, wie labil die Trennung zwischen der Diskussion an den Universitäten und der Kultur des Volkes war, geschah in der Weihnachtsnacht des Jahres 1715, als der Medizinstudent Johann Gotthard Weber, der Pastor Hans Friedrich Geßner und der Bauer Hans Zenner sich in einen Keller in Jena begaben. Der Pastor hatte den anderen eine besonders interessante Art vorgeschlagen, um den Abend abzuschließen: Sie wollten einen seit Jahrhunderten versteckten Schatz heben. Die drei hatten alles Nötige bei sich, um eine Beschwörung durchzuführen: eine Laterne, ein Stück Pinienholz, glühende Kohle sowie ein Zauberbuch, ein grimoire recht unbekannter Herkunft, die Theosophia pneumatica. Da sie kein Latein lesen konnten, war für Geßner und seinen Freund die Hilfe des jungen Studenten absolut unerlässlich.80 sub.uni-hamburg.de/volltexte/2007/3221/) konzentriert sich vor allem auf den deutschsprachigen Raum. Vgl. auch ders., »Grimoires and the Transmission of Magical Knowledge«, in Owen Davies/Willem de Blécourt (Hgg.), Beyond the Witch Trials. Witchcraft and Magic in Enlightenment Europe, Manchester/New York 2004, 194–206; ders., »Wie man Höllenfürsten handsam macht. Zauberbücher und die Tradierung magischen Wissens«, in Achim Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens, Augsburg 2002, 371–90. Zur Verbreitung von grimoires in deutschen studentischen Kreisen am Anfang des 18. Jh. vgl. Riccarda Suitner, »La diffusione clandestina di manuali di magia nella Germania del primo Settecento«; dies., »Dämonologie und Zauberliteratur in Halle«. Die Etymologie des Wortes grimoire wird kontrovers diskutiert. Vgl. Adolf Jacoby, Art. »Grimoire«, in Hanns Bächtold-Stäubli (Hg., unter Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. III, Berlin/Leipzig 1930–31, 1169–1172. 79 Ich beziehe mich hier insbes. auf einige Briefe der Wolff-Manteuffel-Korrespondenz (UBL, Ms. 0346. Wolff an Manteuffel, Halle, 1. Oktober 1746: Bl. 315r–316v; Wolff an Manteuffel, Halle, 4. Oktober 1746: Bl. 317r–318r; Manteuffel an Wolff: Leipzig, 6. Oktober 1746, Bl. 319r–320v). Die Transkriptionen der Briefe sind als Open-Access-Edition verfügbar unter: http:// nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-106475. 80 Die erste uns überlieferte Ausgabe des Traktats ist Claviculae Salomonis et Theosophia pneu-

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Die Sache verlief allerdings nicht so, wie sie gedacht war: Zwei der drei Akteure, Geßner und Zenner, starben.81 Das tragische Ende der Geschichte führte auf Anhieb zu großer Aufregung. In Jena bildeten sich zwei Fraktionen: Die eine erkannte in den Vorkommnissen das Wirken übernatürlicher Kräfte, die andere hingegen nicht. Auch die Fakultäten der Universität der Stadt wurden angerufen, sich zu den Geschehnissen zu äußern, wie es in Fällen von Exorzismen, zweifelhaften Gespenstererscheinungen und anderen ähnlichen Ereignissen üblich war. Die Theologen erkannten als Todesursache das Einwirken des Teufels; die medizinische Fakultät drückte ihre Meinung in Form eines Gutachtens von Friedrich Hoff mann aus. Am Ende einer umfangreichen Analyse, durchgeführt auf Basis seiner Theorien zum Äther, zu den spiritus animales und dem Blutkreislauf, schrieb der Mediziner die Todesursache der jungen Menschen einer Rauchvergiftung zu, wobei er sich auf die physiologischen Theorien von Christian Thomasius und die Autorität von Balthasar Bekker berief.82 Über dieses Ereignis sprechen im Verlauf der dritten Folge ihres Gesprächs auch ausführlich Scriver und Bekker (der selbstverständlich von dem Vorkommnis informiert ist, obwohl es sich historisch gesehen 17 Jahre nach seinem Tode ereignet hat). Scriver gibt dem Teufel die Schuld, der zweite verteidigt natürlich die Thesen von Hoff mann.83

matica, das ist die wahrhafftige Erkänntnüs Gottes und seiner sichtigen und unsichtigen Geschöpffen die Heil. Geist-Kunst genannt. Darinnen der gründliche einfältige Weg angezeigt wird wie man zu der rechten wahren Erkänntnüß Gottes auch aller sichtigen und unsichtigen Geschöpffen aller Künsten Wissenschafften und Handwercken kommen soll, Wesel/Duisburg/Frankfurt a. M. 1686. In Wirklichkeit enthielt der vom Verleger Lippius veröffentlichte Text nur Auszüge aus dem Arbatel und hatte sehr wenig mit dem pseudo-salomonischen grimoire zu tun, auf das der Titel anspielt. Seit Ende des 17./ Anfang des 18. Jh., auch aufgrund der Verbreitung des Buchdrucks, hatte sich die Praktik intensiviert, magische Texte mit den verschiedensten Inhalten zu drucken, die auf der Titelseite jedoch alle – aus rein kommerziellen Gründen – einen Verweis auf die legendäre Clavicula salomonis enthielten (vgl. Federico Barbierato, Nella stanza dei circoli. Chiave di Salomone e altri libri di magia a Venezia nei secoli XVII e XVIII, Mailand 2002, 66–69). 81 Wahrhafftige Relation dessen was in der Heil. Christ-Nacht zwischen den 24. und 25. Dec. 1715. allhier bey der Stadt Jena in einem dem Galgen nah-gelegenen Weinberge mit einer schändlichen Conjuration und Beschwerung des Satans an einem Studenten und 2. Bauern sich zugetragen hat, Jena 1716. Eine vollständige Sammlung aller im Rahmen dieser Debatte gedruckten Texte liegt in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar vor (Sign.: 31, 4: 383 [a]). 82 [Friedrich Hoffmann], Eines berühmten Medici gründliches Bedencken und physicalische Anmerckungen von dem tödlichen Dampff der Holz-Kohlen auf Veranlassung der in Jena beym Ausgang des 1715. Jahres vorgefallenen traurigen Begebenheit aufgesetzet und nun zum gemeinen Nutzen dem Drucke überlassen, Halle 1716. 83 Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und […] Christian Scrivern, T. III, 152–53.

Schluss

1. Die ›Unterwelten‹ der Totengespräche: welche Ebene von Klandestinität? Die ›Topographie‹ der Heterodoxie des 18. Jahrhunderts ist lokal äußerst differenziert – vor allem in Deutschland. In den einzelnen Regionen Deutschlands gab es, unter anderem auch wegen des sehr zersplitterten politischen Rahmens, nicht nur einen einzigen, sondern eine ganze Reihe von weitgehend voneinander unabhängigen Produktions- und Verbreitungswegen für clandestine Texte. Die Verfasser dieser Literatur bewegten sich auf unsicherem Boden und kannten oftmals nicht die Identität der zeitgenössischen Autoren, mit denen sie sich, wenn auch auf sehr indirekte Weise, austauschten. Die Protagonisten der heterodoxen Szene Deutschlands waren nur sehr schwach miteinander verbunden, was hauptsächlich auf den starken sozialen und geographischen Pluralismus zurückzuführen ist. Jede dieser ›Unterwelten‹ umschloss in ihrem Innern die eigenen Freundschaften und persönlichen Rivalitäten, besaß ihre eigenen Verstellungs- und Propagandastrategien. Bereits die Wahl eines bestimmten Pseudonyms oder fi ktiven Publikationsortes konnte für einige ein vielsagendes Indiz für den Ursprung oder die Verfasserschaft eines Textes sein und für andere wiederum nicht. Die Entschlüsselung dieser äußerst anspielungsreichen Codes ist nicht nur für moderne Wissenschaftler ein schwieriges Unterfangen, sondern war dies auch für geographisch und politisch voneinander unabhängige Gruppen.1 Auf welcher Ebene von Klandestinität bewegen wir uns im Falle unserer Totengespräche? Sicherlich nicht auf der Ebene dessen, was von der Forschung als ›clandestine Literatur‹ im engeren Sinne bezeichnet wird. Diese Arbeit hat, wie mir scheint, verdeutlicht, dass zwischen dem ›öffentlichen‹ (Dissertationen, Bücher, usw.) auf der einen und dem heimlichen der verbotenen Literatur auf der anderen Seite ein weiteres Diskussionsniveau existiert und dass darüber hinaus ein Regionalismus der deutschen ›Untergrundkommunikation‹ des frühen 18. Jahrhunderts ausgemacht werden kann. Bei den Totengesprächen und der mit ihnen verbundenen Publizistik handelt es sich um eine Diskussionsunterstufe, um eine halboffizielle Ebene. Es handelt sich dabei nicht um klar atheistische Schriften, wie etwa die Werke De tribus impostoribus oder Symbolum Sapientiae, die auch unseren Verfassern bekannt sind und von ihnen zitiert werden. Die Gespräche lassen sich verZu den wesentlichen Eigenschaften dieses lokalen Untergrunds vgl. Martin Mulsow, »Die Transmission verbotenen Wissens«. 1

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Schluss

schiedenen Kreisen und lokalen Wirklichkeiten zuordnen: den Bekannten Nikolaus Hieronymus Gundlings und Johann Franz Buddes an der Universität Jena; den durch die pietistischen Sammelbiographien Christian Gerbers und Johann Heinrich Reitz’ beeinflussten Personen; Autoren, welche die Debatte an der Universität Halle (wie jene des Totengesprächs zwischen Christian Thomasius und August Hermann Francke) oder von Leipzig (das Totengespräch zwischen Descartes und Rüdiger, das in seinen Bezügen zu Rüdigers Philosophie so präzise ist, dass es sehr wahrscheinlich von einem seiner Schüler geschrieben worden ist) verfolgt hatten. Die Texte liefern ein beispielhaftes Bild von den Kommunikationsdyamiken zwischen verschiedenen Gruppen, die im deutschen Untergrund der Frühaufklärung agierten. Nicht nur die Teilnehmer an der offi ziellen Diskussion, die an den Universitäten geführt wurde, sondern auch die Protagonisten des Diskussionsniveaus, welches sich in der Publikation der Flugschriften äußerte, wurden trotz einer gewissen Unabhängigkeit untereinander durch ein gemeinsames Band zusammengehalten. Es handelt sich um getrennte Welten, die jedoch manchmal über gemeinsame Codes miteinander kommunizierten. Diese besondere Sprache drückt sich in unseren Texten deutlich in den Verweisen von einem Text zum anderen, in den Anspielungen der Titelkupfer und den zahlreichen Verweisen auf persönliche Konflikte, auf die finanzielle Konkurrenz zwischen den Autoren und auf die Studentenmilieus aus. Dasselbe gilt für das späteste Totengespräch, das wir behandelt haben, das zwischen Leibniz und Thümmig von 1745. Jener Text steht in keiner Verbindung mit den anderen behandelten Texten, besitzt aber dennoch seine mehr oder weniger impliziten Codes, wenn auch anderer Art. Ich beschränke mich an dieser Stelle auf die Nennung eines einzigen Elementes, und zwar auf die einleitende Zitierung des Gedichtes Friedrich von Hagedorns Die Vorzüge der Thorheit. Ziel dieses Zitierens war es, dem Leser unmittelbar die folgende und in diesem Fall fehlende Strophe des Textes ins Gedächtnis zu rufen, in welcher der Protagonist in absentia des Totengespräches, Christian Wolff, genannt wird. Auch jenes Totengespräch hatte eine bestimmte Zielgruppe: dieselben Personen, die in den Leibniz zugetanen, deistischen und antiwolffschen Dichterkreisen jener Zeit verkehrten. Unsere Totengespräche sind reich an intertextuellen Verweisen verschiedenster Art: anspielungsreich, neutral oder deutlich polemisch. Der Verfasser des Examen rigorosum, »AlitopHilus S.«, wendet sich gegen den/die Verfasser der Totengespräche zwischen Christian Thomasius und August Hermann Francke und zwischen Leibniz und Budde: Kann man wirklich sicher sein, dass der Autor dessen/deren Identität kannte oder sie auch nur erahnte? Dass er besser als wir wusste, mit wem er sprach? Das hypothetische Niveau, auf dem er sich befand, wird durch eine Tatsache deutlich bestimmt: er erwähnt die Existenz eines einzigen Gesprächs zwischen

Die ›Unterwelten‹ der Totengespräche: welche Ebene von Klandestinität?

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Thomasius und Francke, ohne auf die Rivalität zwischen den Autoren der verschiedenen Teile Bezug zu nehmen. Auch dass Carl Günther Ludovici oder Carl Friedrich Hempel, die jeweils das Gespräch zwischen Leibniz und Budde und das Examen rigorosum zitieren, ohne das Pseudonym des Autors auch nur zu nennen, wirklich wussten, wer hinter der Verfasserschaft dieser Texte steckte, kann an dieser Stelle stark bezweifelt werden. Dies gilt sowohl für die Annahme, dass sich ihr Verfasser in den Reihen der Studenten oder allgemeiner unter den Personen in engem Kontakt mit der Universität befinde (was im Falle des Examen rigorosum sehr nahe liegt), als umso mehr auch für die, dass der Verfasser ein Publizist sein könnte, der vielleicht von einem Drucker mit dem Schreiben des Textes beauftragt worden war. Wir befinden uns hier in einer Welt, in der viele verdächtigen, aber lediglich wenige oder gar niemand verdächtig ist. Diese ungefähre Ebene, auf der wir uns gezwungenermaßen bewegen, ist daher nicht weit von der Realität entfernt, in der unsere Verfasser agierten. Warum sind von den meisten Totengesprächen nur sehr wenige Exemplare erhalten? Vielleicht weil sie schon zu Beginn nur in einer kleinen Auflage gedruckt wurden oder aber weil sie als Flugschriften als ›Wegwerfliteratur‹ konzipiert waren? Die Lösung liegt zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Denken wir etwa an das Examen rigorosum. Es scheint mir naheliegend, dass von der Schrift damals deutlich mehr Exemplare gedruckt worden sind, als uns heute vorliegen.2 Die Rahmenverweise auf Jena und Halle sowie der Gedenkcharakter zum Tode von Grundling und Budde sind jedoch ein klares Anzeichen dafür, dass die geographische Verbreitung des Textes eher begrenzt gewesen sein muss. Eines der Hauptziele dieser Untersuchung war es, unsere Totengespräche als eine zusammengehörige Gruppe darzustellen und ihre gegenseitigen Verbindungen durch Überlegungen verschiedener Art (z. B. intertextuelle Verweise) aufzuzeigen. Das heißt jedoch nicht, dass ihre Verbreitung jeweils auf exakt dieselbe Weise stattgefunden hat. Geben wir ein konkretes Beispiel. In dem Totengespräch zwischen Balthasar Bekker und Christian Scriver beziehen sich die Gesprächspartner auf das Totengespräch zwischen Rüdiger und Descartes. Von dem ersten Text sind viele Exemplare und zahlreiche Nachdrucke aus den Folgejahren erhalten. Von dem zweiten Text existiert heute lediglich eine einzige vollständige Fassung. Auch in diesem Fall gilt das, was wir für das Examen rigorosum festgehalten haben: Von beiden Texten müssen zu jener Zeit deutlich mehr Exemplare gedruckt worden sein. Trotzdem sollten die Informationen über die aktuelle Verfügbarkeit des Textes nicht unterbewertet werden.

Mir sind 12 Exemplare des Examen rigorosum bekannt, von denen 8 in deutschen Bibliotheken und 4 in Bibliotheken außerhalb Deutschlands aufbewahrt werden. 2

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Schluss

Das Gespräch zwischen Bekker und Scriver behandelt auf verschiedenen sozialen Ebenen damals stark diskutierte Themen wie Geistererscheinungen und dämonische Besessenheit, die an Fälle gebunden sind, die auch über kommunale Grenzen hinaus für Aufsehen gesorgt hatten (wie z. B. der Tod der Studenten aus Jena im Zuge ihres Versuchs, mit Hilfe eines Grimoire einen verlorenen Schatz aufzuspüren). Obwohl die Geschichtsschreibung dazu neigt, das Bild eines mittlerweile ›entzauberten‹ 18. Jahrhunderts zu zeichnen, lebte der Großteil der europäischen Bevölkerung zu Beginn jenes Jahrhunderts noch in einer ›bezauberten‹ Welt, suchte nach Zauberbüchern, um Zauber zu verhängen und die Geister der Toten zu beschwören, und glaubte noch an den Einfluss des Teufels auf das menschliche Leben. Es ist einfach, sich vorzustellen, dass die privilegierten Käufer des Gesprächs zwischen Bekker und Scriver vor allem aus jener mittleren Schicht der Studenten, Bürger und Kleinintellektuellen stammten. Es handelt sich im Grunde um dasselbe Publikum, das die Totengespräche David Fassmanns kaufte. Das Gespräch zwischen Descartes und Rüdiger war hingegen nur für eine Person mit ausgezeichneten philosophischen Kenntnissen annähernd verständlich und nur für jemanden mit einer gewissen Vorstellung von den Doktrinen Rüdigers, sowohl auf gnoseologischem als auch auf psychologischem Gebiet, wirklich zugänglich. In diesem Fall handelt es sich also um sehr wenige Personen. Die aktuelle Verfügbarkeit von Exemplaren unserer Texte kann nicht ohne Weiteres als Beweis für ihren Erfolg oder ihre Auflage im 18. Jahrhundert verwendet werden. Es handelt sich jedoch um einen Faktor, den man im Auge behalten sollte, da er zu der Bestätigung von auf anderen Überlegungen beruhenden Hypothesen, z. B. inhaltlicher Art, auch im Falle der zum Wegwurf bestimmten Flugschriften, beitragen kann.

2. Vier Gründe für die Anonymität Die Anonymität ist zweifellos die Hauptchiffre unserer Texte, der Faktor, der ihren Stil und ihre Verbreitungsart am stärksten beeinflusst hat. Die Tatsache, dass es sich nicht um heterodoxe Literatur im engeren Sinne bzw. um Werke mit radikalem oder subversivem Charakter handelt, bedeutet nicht, dass die Verfasser dieser Texte keine guten Gründe hatten, lieber anonym bleiben zu wollen. Es gibt mehr als einen Grund, der sie dazu bewogen hat, ihren Namen nicht auf den Titel zu setzen. Zuallererst war es im Deutschland der frühen Neuzeit kein Ausnahmefall, einen Text ohne die eigenen Verfassernamen zu veröffentlichen. Anonym wurden Rezensionen, Zeitschriftenbeiträge und jegliche Art von Gelegenheitsdrucken veröffentlich. In unserem Fall hat die Entscheidung, anonym zu publizieren, jedoch noch tiefgreifendere Gründe.

Vier Gründe für die Anonymität

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Die Tatsache, dass die häufig in mehr oder weniger offener Konkurrenz zueinander stehenden Verfasser so verwandter Texte die Identität des jeweils anderen nicht kennen, ist vor allem ein der Publizistik jener Zeit innewohnendes Element. In der Flugpublizistik, zu der auch unsere Totengespräche gehören, ist das Element der Individualität zweitrangig; vorherrschend dagegen ist eine starke Entpersonalisierung. Diese entsteht in erster Linie aus finanziellen Gründen. Die Publizisten jener Zeit waren vor allem an der schnellen Realisierung von Texten, die meistens in Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen standen, interessiert, um damit auf das Interesse des Publikums zählen zu können und sich einen sicheren Verkaufserfolg zu garantieren: in unserem Fall zum Beispiel im direkten Anschluss an den Tod einiger der wichtigsten deutschen Intellektuellen ihrer Epoche. Die Verfasser der Texte waren oft einfache Handlanger: Studenten mit finanziellen Schwierigkeiten, auf der Suche nach einem Mittel, sich das Studium zu finanzieren, Zeitungsmitarbeiter zweiten und dritten Ranges. Wir haben außerdem bereits über die fehlende Existenz von Urheberrechten und über ›Raubdrucke‹ gesprochen. Die Druckereien waren vollkommen frei darin, bereits gedruckte Texte im letzten Moment zu verändern, indem sie Teile herausstrichen oder zusammenfassten, eventuell Ergänzungen einfügten oder einen schon von anderen gedruckten Text auf billigerem Papier oder mit einem ›vereinfachten‹ Titelkupfer erneut druckten, um ihn zu niedrigeren Preisen als die anderen auf den Markt zu bringen. Es gibt aber noch zwei weitere Gründe, die in unserem Fall aus der Anonymität keinen rein äußerlichen Faktor machen. Die Verfasser unserer Totengespräche hatten ein paar Motive mehr dafür, ihre Identität zu verstecken, die mit der speziellen Natur der Textgattung zusammenhängen, die sie für sich gewählt hatten. Die Totengespräche waren in den Hörsälen jener Zeit sicher nicht gern gesehen. Es handelte sich schließlich um Texte, in denen wichtigen Persönlichkeiten der deutschen kulturellen Szene Worte in den Mund gelegt wurden, die diese in Wirklichkeit nie ausgesprochen hatten. Wenn die Autoren der Gespräche, wie es anzunehmen ist, aus den Studenten- oder Bekanntenkreisen der Professoren stammten, die in den Texten die Protagonisten sind, ist es mehr als verständlich, dass sie gute Gründe dafür hatten, anonym bleiben zu wollen. Wir haben gesehen, dass eine Quelle bestätigt, dass die Totengespräche in ihrer Gesamtheit von der autoritas publica Frankfurts zu Pasquille erklärt worden waren, da man in diesen Texten, die teilweise noch lebende Personen zu ihren Protagonisten und damit nicht selten zum Gegenstand von Hohn machten, zu starke persönliche Angriffe erkannt hatte.3 Auch in unseren Texten ist dieses Motiv anzutreffen. Erinnern wir uns etwa an die Worte der Figur Johann Franz Buddes des Examen rigorosum. Jener erbost sich darüber, wie der Autor des Totengespräches, in welchem 3

Vgl. Kap. 3, § 4.

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er sich mit Leibniz austauscht, in jenem Text seinen Charakter dargestellt und welche Worte er ihm zuschreibt.4 Der Verfasser des Examen wählte damit einen sehr speziellen Weg, auf dem er die Polemik gegen seinen ›Rivalen‹ vorantreiben konnte; es handelte sich erneut um eine Bezugnahme ›in Codesprache‹ auf eine mit ihm konkurrierende Gruppe oder Person, um eine Auseinandersetzung, die über den feinen und vorurteilslosen Gebrauch von intertextuellen Verweisen und die speziellen Eigenschaftender Textgattung Totengespräch ausgetragen wurde. Der Autor des Totengespräches zwischen Johann Friedrich Mayer und Johann Wilhelm Petersen entschied sich hingegen, eventueller Kritik zuvorzukommen, und entschuldigte sich im Vorwort für seine einfache Ausdrucksweise, die nicht auf der Höhe der seiner Protagonisten sei.5 Viele unserer Autoren hatten täglich mit der universitären Welt von Leipzig, Halle und Jena zu tun. Wäre es da klug gewesen, unter dem eigenen Namen Totengespräche zu veröffentlichen, deren Protagonisten bekannte Professoren der eigenen Universität waren? Mit Sicherheit nicht. Nehmen wir an, der Verfasser vieler unserer Texte sei ein Student. In diesem Fall hätte das Verfassen von Totengesprächen, die kürzlich verstorbene Professoren der eigenen Universität zu ihren Protagonisten machten, sogar dramatische Folgen haben können. Sie lächerlich zu machen oder ihnen im vielleicht besten Falle eine Ausdrucksweise oder These zuzuschreiben, die nicht ganz den historischen Tatsachen entsprachen, hätte als eine regelrechte Profanierung aufgefasst werden können oder war zumindest nicht die beste Strategie, um das eigene Studium in Ruhe und mit der Unterstützung des Hochschulpersonals fortzuführen. Außerdem soll der kontroverse Charakter der in diesen Dialogen betrachteten Themen angesprochen werden. Sich zur Debatte der 30er Jahre um Christian Wolffs Philosophie – um das eklatanteste Beispiel zu erwähnen – öffentlich zu äußern, war außerordentlich riskant. Wolff befand sich im Exil und zu seinen Thesen wurden ständig (meist anonyme) Pamphlete publiziert. Die akademische Welt Mitteldeutschlands war in regelrechte Fraktionen geteilt und Stellung zu Fragen wie z. B. dem Leib-Seele-Problem oder der prästabilierten Harmonie zu nehmen, bedeutete nicht einfach eine Positionierung in einer gelehrten Debatte, sondern eine politische Äußerung in sehr delikaten Fragen. Ich möchte aber jetzt nicht auf diesen Aspekt weiter eingehen, der schon im Laufe dieser Untersuchung mehrmals angesprochen wurde, sondern mich auf die Darstellung einiger Elemente konzentrieren, die meinen Versuch einer Kontextualisierung dieser Texte erheblich erleichtert haben.

4 5

Vgl. Kap. 2, § 3. Vgl. Kap. 7, § 1.

Die Rolle der ›materiellen‹ Indizien

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3. Die Rolle der ›materiellen‹ Indizien: Namenszeichen, Einbände, Paginierung, Unterschiede zwischen den Exemplaren Wo sollte man in Fällen wie dem unseren anfangen? Also in dem Fall, dass zu einem Text keine bibliographischen Angaben zur Verfügung stehen, kein Publikationsort, Autor oder Verlag? In einem ersten Schritt kann man natürlich vom Inhalt der Texte ausgehen, von den Verweisen auf die Hochschul-, Theologen- und Dichterkreise, die mehr als zahlreich sind. Darüber hinaus sollte das Vorwort sehr gründlich gelesen werden, da es reich an, wenn auch oft vagen, Informationen über den Kontext des Verfassers, sein Zielpublikum und sein Verhältnis zu anderen Autoren von Totengeprächen ist. Anschließend sollte man versuchen, auf jenes tiefer liegende Anspielungsniveau, über das wir bereits gesprochen haben, und zu all den ›codierten‹ Verweisen, die uns etwas über die intellektuelle Einstellung des Autors verraten können, zu gelangen. All das reicht jedoch nicht aus, um das Problem der Anonymität zu lösen, die Texte in ihren historischen Kontext einzuordnen und eine genaue Vorstellung von den Bedingungen ihrer Realisierung und ihres Verkaufs zu bekommen. Eine wichtige Rolle spielen Details, die auf den ersten Blick nicht sonderlich auffallen. Zum Beispiel die Unterschrift eines Kupferstechers, wie die im Falle von »S. W.« (der jedoch nicht identifiziert werden konnte) aus dem Gespräch zwischen Leibniz und Budde oder von »M. B.« aus dem Gespräch zwischen Bekker und Scriver. Die Identität Martin Bernigeroths, wie auch die Johann Benjamin Brühls, dem »Brühl Lips.« vieler unserer Kupferstiche, beweist vor allem die Leipziger Herkunft des Stichs, sagt uns aber dennoch nicht viel darüber, wo konkret der Text verfasst worden ist, da Leipzig zu jener Zeit das Zentrum für die Ausführung von Kupferstichen war. Die Tatsache, dass Bernigeroth an der Universität Leipzig studiert hat, ist in diesem Fall aber sehr interessant und einer der Gründe für die sorgfältige Ausarbeitung der Details und für die physiognomische Genauigkeit der Illustration. Obwohl es sich um eilig und günstig produzierte Flugschriften handelte, ist die Qualität der Stiche in manchen Fällen deutlich besser, als man es erwarten würde. Die Genauigkeit in der Umsetzung der Symbole der Illustrationen, die raffinierten Verweise zwischen zwei Kupferstichen, von einem Stich zu einem Totengespräch und sogar von Totengesprächen und Kupferstichen anderer Texte (wie im Falle des Gesprächs zwischen Descartes und Rüdiger, das sich immer wieder auf die Kupferstiche der Werke des Letzteren bezieht) sind überraschend. Es handelt sich um Elemente, die für die ›Straßenliteratur‹ nicht gerade typisch waren. Diese Totengespräche sind inhaltlich gehoben und liegen, was ihre Raffinesse betriff t, weit über dem Durchschnitt der Publikationen jener Art. Diese Textgruppe behandelt vorwiegend philosophische Themen, was sicherlich nicht auf die zu jener Zeit

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Schluss

vorherrschende Textform der Flugschriften zutraf. Die Sorgfalt, mit der die Darstellungen ausgearbeitet wurden, lässt uns außerdem deutlich erkennen, dass die Autoren der Texte in diesen Prozess miteinbezogen wurden. Andererseits geben auch die Biographien von Persönlichkeiten wie Bernigeroth und Brühl, die sich vor allem dem Verfassen von Flugschriften, Zeitschriften, Trauerreden und vielen anderen Arten von Gelegenheitsschriften widmeten, Auskunft über die Gattung, zu der die Totengespräche gehörten. Es handelte sich um eine jener Textgattungen mit unklaren Grenzen, die auf den Straßen der Stadt verkauft wurden. Diejenigen, die zu ihrer Umsetzung beitrugen – Kupferstecher, Autoren, Studenten – sind schwer erfassbar und ihre Geschichten äußerst schwer zu rekonstruieren, von unklarem Status und verbunden durch die Gemeinsamkeit einer unsicheren Zukunft und finanziellen Situation. Die Rolle kleiner Einzelheiten, wie der Unterschrift des Kupferstechers oder einer Paraphe im Hintergrund einer Abbildung, sind keine zu vernachlässigenden Details, sondern Indizien, die uns auf die Spuren des Ursprungs eines Textes führen können, was nicht wenig ist, wenn man bedenkt, dass man sich hier mit Texten befasst hat, zu denen nahezu keine bibliographischen Angaben existieren. Die Unterschiede zwischen Exemplaren, vor allem zwischen den Kupferstichen, ist ein weiteres interessantes Element. Die Variationen betreffen nicht nur Ausgaben verschiedener Jahre, was man berücksichtigen sollte, um einen Eindruck von dem Erfolg eines Textes zu bekommen. Der Vergleich von Exemplaren desselben Jahres zeigt, dass einige von ihnen ›Raubdrucke‹ mit kostengünstig produzierten Kupferstichen sind und wie ungeniert dieselben Stiche für verschiedene Texte, die vielleicht sogar von verschiedenen Autoren stammten, benutzt wurden. Urteile zum qualitativen Wert der Stiche – weit entfernt davon, nur dem Selbstzweck zu dienen – können dazu beitragen, ›Raubdrucke‹ als solche zu erkennen und zu bestimmen, ob ein Text einem anderen chronologisch vorangeht oder folgt. Die Bestimmung der Identität der Kupferstecher, ausgehend von den winzigen Paraphen am Rand der Stiche, und die Rekonstruktion ihrer Verbindung zu den akademischen und verlegerischen Kreisen kann einiges über die Welt der Frühaufklärung verraten (über die Künstler, Drucker, Studenten), jene wenig definierte Gruppe, die ›am Rand‹ der Universitäten agierte und auf die man die Produktion unserer Totengespräche zurückführen kann. Die Entschlüsselung der Verweise von Kupferstichen auf andere Texte und von Texten auf Kupferstichen zeigt auf, in wie viele verschiedene Richtungen eine ›tiefere‹ Betrachtung der Illustrationen gehen kann. Die Einbeziehung der ikonologischen Forschung in die Studien zur Frühaufklärung kann zahlreiche Perspektiven eröffnen und die Anzahl der einem Wissenschaftler besonders auf dem Gebiet der deutschen Publizistik, des Wolffianismus, des Pietismus und der Universitätsgeschichte zur Verfügung stehenden Quellenarten erhöhen.

Die Rolle der ›materiellen‹ Indizien

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Die Konsequenzen der langen Übergangsphase vom Manuskript zum gedruckten Buch sind bekannter Weise in zahlreichen Studien behandelt worden.6 Besonders heikle Fragen sind das Verhältnis der Verschiedenartigkeit der Manuskripte und der ›Standardisierung‹ des gedruckten Werkes sowie die sozioökonomischen Folgen letzteren Phänomens, mit denen sich vor allem Elisabeth Eisenstein in ihren Arbeiten zur Verbreitung des gedruckten Buchs wiederholt beschäftigt hat.7 Die Frage wird noch interessanter, wenn man das Gebiet der Flugschriften betrachtet. Jeder unserer Texte steht in mehreren Exemplaren zur Verfügung, die jedoch häufig untereinander verschieden sind. Die Unterschiede beschränken sich nicht auf den Ausgabeort, der in manchen Exemplaren angegeben ist und in anderen nicht. Es ist mir gelungen, die Identität von »M. B.« als die des Kupferstechers Martin Bernigeroth zu bestimmen, weil die Ausgaben des Totengesprächs zwischen Balthasar Bekker und Christian Scriver aus Dresden und Wolfenbüttel die Initialen seines Namens enthalten. Dies gilt nicht für die Ausgaben aus Weimar, Halle und für eine zweite Ausgabe des Gesprächs, die in Dresden aufbewahrt wird. Eine der verschiedenen Folgen des Totengesprächs zwischen Thomasius und Francke, der mit Fernere Fortsetzung des Gesprächs im Reiche derer Todten zwischen Christian Thomasio, […] und August Hermann Frankken betitelt ist und von welchem ich das in der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle aufbewahrte Exemplar untersucht habe, enthält ein polemisches Avertissement, das auf die Rivalität zwischen verschiedenen Autoren schließen lässt. Diese Anmerkung fehlt jedoch in der Ausgabe desselben Gesprächs, das man in der Marienbibliothek Halle findet und das trotz eines leicht abgewandelten Titels inhaltlich identisch ist.8 Ganz so als hätten wir es mit Manuskripten zu tun, kann jedes weitere untersuchte Exemplar ein neues Indiz beitragen oder wichtige und interessante Variationen, sowohl inhaltlicher als auch qualitativer Art, aufweisen. Die Thematik der Standardisierung wird für gewöhnlich mit der zunehmenden Verbreitung des Buchdrucks in Verbindung gebracht. Es ist sehr interessant zu untersuchen, auf welche Weise sich dieses Problem in späterer Zeit ausdrückt. In unserem Fall haben wir es in der Tat mit Texten der 30er Jahre des 18. Jahrhunderts

Vgl. etwa David McKitterick, Print, Manuscript and the Search for Order 1450–1830, Cambridge 2003. 7 Elisabeth L. Eisenstein, The Printing Revolution in Early Modern Europe, Cambridge 1983, insbes. 51–64. In diesem Band präsentiert Eisenstein in synthetischer Form die Ergebnisse ihrer umfangreichen Arbeit: The Printing Press as an Agent of Change. Communications and Cultural Transformations in Early Modern Europe, II Bde., Cambridge/London/New York/Melbourne 1979 (vgl. aber auch Adrian Johns, The Nature of the Book: Print and Knowledge in the Making, Chicago 1998). 8 Vgl. Kap. 3, Anm. 42. 6

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Schluss

zu tun. Die in ihnen enthaltenen Variationen verweisen hier nicht, wie oft in früheren Texten, auf eine aktive Teilnahme der Autoren am Druckprozess, indem sie den Druckern immer neue Veränderungen vorlegten.9 In unserem Fall sind die kleinen Unterschiede ausschließlich auf die typischen Eigenschaften der Flugpublizistik zurückzuführen: die Eile beim Druckvorgang, das Phänomen der ›unerlaubten‹ Aneignung eines fremden Textes oder Kupferstiches seitens eines Autors, die Verbreitung von Plagiaten und ›Raubkopien‹, die Angewohnheit, Nachdrucke sofort nach der ersten Auflage zu drucken, sofern diese beim Publikum auf Wohlwollen gestoßen war. Die mangelnde ›Standardisierung‹ dieser Texte liegt also schon in der Art der Publizistik begründet, zu der sie gehören. Sie wird gerade durch die auf dem Druck basierende Möglichkeit geschaffen, eine große Zahl an Exemplaren in kurzer Zeit zu produzieren. In unserem Fall ist es die Ausnutzung der Vorteile, die der Druck bietet – Schnelligkeit, Promptheit, Wiederholbarkeit – welche die Homogenität der Texte untergräbt und ihnen gelegentlich kleine und einmalige Besonderheiten beschert. Ein weiterer Aspekt, den man berücksichtigen sollte, sind die Einbände der noch verbliebenen Exemplare der Totengespräche. Forscht man nach ihrer Herkunft oder untersucht aufmerksam die Machart der Bindungen, so entdeckt man, dass sie fast immer aus dem frühen 18. Jahrhundert stammen. Dieses Element zeigt uns deutlich die Natur der ›Flugschriften‹ unserer Totengespräche, jener Texte, die für einen schnellen Gebrauch konzipiert waren und von denen heute lediglich noch wenige Exemplare erhalten sind. Nur selten entschieden sich die, die sie kauften, dazu, sie binden zu lassen. Leider habe ich aus dem Seitenumbruch der Texte keine besonderen Schlussfolgerungen ziehen können. In vielen Fällen beginnt der zweite Teil eines Totengesprächs auf der Folgeseite der letzten Seite des ersten Teils. Heißt dies zwangsläufig, dass die Fortsetzung von demselben Autor/Drucker stammt? Ich würde diese Frage verneinen. Der Bluff ist Teil der Marktstrategien dieser Textart. Es ist verständlich, dass derjenige, der die Fortsetzung eines Totengesprächs herausbringen möchte, das dem Verfasser des ersten Teils gute Verkaufszahlen beschert hatte, und es vielleicht sogar eilig hat, diesem damit zuvor kommen, ein großes Interesse daran hat, seinen Text als die Fortsetzung des ersten auszugeben. Generell würde ich sagen, dass ein Text, der dort anfängt, wo der ihm vorangehende geendet hat, nicht zwangsläufig denselben Ursprung haben muss (bezogen auf den Verfasser oder Drucker). Bisher haben wir viel über Anonymität, Pseudonyme und Strategien zur Identifi kation des Ursprungs der Texte und derer, die an ihrer Publikation beteiligt waren, gesprochen. Fast alle hier besprochenen Texte sind allerdings schon einem Dies ist z. B. der Fall der Druckexemplare der Werke von Giordano Bruno: vgl. Rita Sturlese, Bibliografia, censimento e storia delle antiche stampe di Giordano Bruno, Florenz 1987. 9

Die Frage der Verfasserschaft

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Verfasser zugeschrieben worden. Wenn sie einzeln und untereinander unverbunden in Bibliographien und Verzeichnissen zitiert werden, werden sie häufig als das Werk David Fassmanns ausgewiesen. Die Verfasserschaft Fassmanns ist nie diskutiert worden. Warum sollten wir uns also weiter mit der Frage der Anonymität befassen, wenn unsere Texte bereits einen Verfasser haben? Es erscheint an dieser Stelle notwendig, genaue Gründe für das zu liefern, was bis jetzt nur implizit zum Vorschein gekommen ist.

4. Die Frage der Verfasserschaft Das Totengespräch ist in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine der erfolgreichsten Formen der Streitschrift. Jede Art von Disput konnte durch ein Totengespräch ausgetragen werden. Philologen, Philosophen, Studenten, Theologen: alle verfassten Totengespräche. Diese Feststellung – sehr einfach, jedoch in der Regel in Forschungsarbeiten zu dieser Textgattung nicht vorgetragen – hat offensichtlich direkte Konsequenzen für die Frage nach der Verfasserschaft unserer Texte. Die Totengespräche, die wir in dieser Arbeit behandelt haben, wurden bisher nicht in Form eines einheitlichen Korpus von Texten mit stark homogenen Eigenschaften, wenn auch von verschiedenen Autoren, zusammengefasst. Dafür gibt es viele Gründe: unser eingeschränktes Wissen über das deutsche Totengespräch des 18. Jahrhunderts, die mangelnde Interdisziplinarität (vergessen wir in der Tat nicht, dass es sich in diesem Fall hauptsächlich um Totengespräche mit philosophisch-theologischer Thematik handelt) und vor allem die Publikation unserer Texte in ungebundener und anonymer Form ohne jegliche Art biographischer Angaben, die über die gelegentliche Nennung des Erscheinungsortes hinausgehen, der nicht einmal zwangsläufig der Realität entspricht. Wir haben uns außerdem schon mit den zahlreichen Gründen dafür beschäftigt, warum von den Texten heute nur noch wenige Exemplare erhalten sind. Alle Voraussetzungen hatten bisher sogar die Lokalisierung vieler der analysierten Texte und ihrer Verbindung untereinander erschwert. Es überrascht daher nicht, dass fast alle unsere Dialoge häufig David Fassmann zugeschrieben worden sind. In der Annahme, dass diese Zuschreibung das Ergebnis einer geschichtlichen Abflachung der Totengespräche des frühen 18. Jahrhunderts in ihrer Gesamtheit auf die Aktivität des sächsischen Journalisten ist, behaupte ich jedoch nicht, dass nicht auch Fassmann theoretisch ein guter Kandidat um die Verfasserschaft der Texte sein kann. Ganz im Gegenteil spricht eine Reihe von Aspekten für diese Hypothese. Mehr als zehn Jahre vor dem Erscheinen der an dieser Stelle behandelten Totengespräche hatte Fassmann exakt in einem der Zentren der philosophischen Debatte

220

Schluss

jener Zeit, der Universität Halle, Philosophie, Rechtswissenschaft, Theologie und Geschichte studiert. Dort war er in Kontakt mit Francke, Wolff, Gundling und Thomasius gekommen.10 Trotz dieses Zufalls ist meine These jedoch, dass Fassmann keines der Totengespräche verfasst haben kann. Betrachten wir daher zu diesem Behufe einmal ihre formalen Eigenschaften. Aus dieser Perspektive ist ihre Ähnlichkeit mit den Texten Fassmanns offensichtlich. Die zahlreichen Variationen ihrer Überschriften (Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten…, Gespräche im Reiche der Todten…, Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten…, Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten…) erinnern deutlich an die zwischen 1718 und 1739 von Fassmann veröffentlichten Gespräche im Reiche der Toten. Auch bei Fassmann gibt es Titelkupfer mit einer Darstellung der Protagonisten und gereimte Verse unter jedem Bild, obwohl die Illustrationen der an dieser Stelle behandelten Texte  unter vielen Gesichtspunkten von denen der Gespräche im Reiche der Toten differieren. Auch in der starken biographischen Komponente, die viele Dialoge dominiert, in denen die zwei Protagonisten sich oft gegenseitig ihre Lebensgeschichte erzählen, folgen die Texte dem Fassmanschen Beispiel. Unsere Totengespräche, mit Ausnahme des Gespräches zwischen Leibniz und Thümmig (welches seltsamerweise ebenfalls Fassmann zugeschrieben worden ist, was ich später noch genauer betrachten werde), sind also nach demselben Muster wie die Gespräche im Reiche der Toten konzipiert. Reicht dies aus, um den sächsischen Journalisten zu ihrem wahrscheinlichen Verfasser zu erklären? Fassmanns Entrevües waren zweifellos ein mögliches Vorbild für diejenigen, die im frühen 18. Jahrhundert ein Totengespräch verfassen wollten. Die Totengespräche, die aufgrund ihres Titels, ihrer Illustrationen und anderer formaler Eigenschaften an sie erinnern, sind zahllos und beschränken sich sicherlich nicht auf die Texte, die wir an dieser Stelle behandelt haben. In Deutschland gab es zahlreiche Nachahmer Fassmanns: eine eng verstrickte Konstellation von Autoren, denen bisher in den Studien zur Gattung des Totengesprächs im Deutschland des 18. Jahrhunderts nur vereinzelt Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Das Ausmaß der Publikation von Totengesprächen muss daher das erste Gegenargument bezüglich der Zuschreibung unserer Totengespräche an den deutschen Journalisten sein. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit bestünde, dass Fassmann der Verfasser wäre, wäre dies immer noch eine Möglichkeit unter vielen. Das soll natürlich nicht heißen, dass die Möglichkeit einer journalistischen Herkunft der Texte, etwa aus den Städten Leipzig, Halle oder Jena, die große typographische Zentren darstellten und in denen sich die Ideen der Frühaufklärung schnell verbreiteten, ausgeschlossen wird. Käthe Kaschmieder, David Faßmanns »Gespräche im Reiche der Toten«, 7; Ludwig Lindenberg, Leben und Schriften David Faßmanns, 14–15; Stephanie Dreyfürst, Stimmen aus dem Jenseits, 17–19. 10

Die Frage der Verfasserschaft

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Fassen wir zusammen: Ein Totengespräch, das nach dem Modell der Gespräche im Reiche der Toten aufgebaut ist, muss nicht zwangsläufig von Fassmann stammen. Gründe unterschiedlicher Art haben mich außerdem dazu geführt, die Verfasserschaft Fassmanns aller Totengespräche zu verneinen. Am Ende dieser Untersuchung ist es deshalb an der Zeit, auf der Grundlage stilistischer Überlegungen und inhaltsbezogener Argumente, die teilweise bereits in den vorangehenden Kapiteln aufgetaucht sind, und bezogen auf die zahlreichen Fragen, die aus dem anonymen Charakter der Totengespräche erwachsen, Bilanz zu ziehen. Es ist vielleicht das Gespräch zwischen René Descartes und Andreas Rüdiger, das sich am deutlichsten von den Entrevües David Fassmanns unterscheidet. Das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte seitens der Protagonisten, eine der Hauptkomponenten der Fassmannschen Totengespräche, die auch in einigen der in dieser Arbeit untersuchten Dialoge deutlich zum Vorschein tritt, wird hier durch eine philosophische Auseinandersetzung zwischen den beiden Philosophen zum Verhältnis von Seele und Körper sowie Philosophie und Mathematik ersetzt, die der Verfasser in äußerst spekulativem Bewusstsein umgesetzt hat. Die darauf folgende ›Aussperrung‹ der Argumentationen verleiht der Art und Weise, auf die der bittere Streit zwischen Rüdiger und Descartes durch den anonymen Autor wiedergegeben wird, eine besonders dramatische Note. Wir haben außerdem gesehen, dass es auch im Falle eines Totengesprächs wie dem zwischen Balthasar Bekker und Christian Scriver, in dem der stilistische Einfluss Fassmanns deutlicher erkennbar ist, viele Elemente gibt, welche die Verfasserschaft des sächsischen Autors entkräften.11 Dem formalen Schema der von Fassmann über gut 20 Jahre veröffentlichten Totengespräche kann darüber hinaus eine fast vollkommene Unveränderlichkeit attestiert werden.12 Es hat sich hingegen gezeigt, wie unsere Totengespräche über das biographische Element hinaus hoch interessante und teilweise auch sehr raffinierte Einschläge anderer literarischer Formen aufweisen. Die Trennlinie zwischen Totengespräch und Trauerrede, philosophischer Streitschrift, wissenschaftlicher Untersuchung, akademischer Arbeit und studentischem Pamphlet ist nicht immer klar zu ziehen. Die Grenzen zwischen den literarischen Genres der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind deutlich verschwommener, als man annehmen würde – nicht nur im literarisch ›niedrigeren‹ Bereich der Gelegenheits- und Flugschriften. Auch gehobenere Genres wie die pietistischen Sammelbiographien wurden entscheidend von Totengesprächen, Trauerreden und Monatszeitschriften beeinflusst und andersherum. Was den Status der literarischen Gattungen angeht, so ist der Beginn des 18. Jahrhunderts mit Sicherheit eine höchst ›experimentelle‹ Phase. Unter den un11 12

Vgl. Kap. 8, § 4. John Rutledge, The Dialogue of the Dead, 30–31.

Schluss

222

terschiedlichen literarischen Formen jener Zeit ist das Totengespräch wahrscheinlich eine der lebendigsten. Diese Eigenschaft sollte sich in der zweiten Jahrhunderthälfte allmählich verlieren. Eine Gesamtstudie zum deutschen Totengespräch des 18. Jahrhunderts scheint mir schwer umsetzbar. Zu stark ist in der Tat der Wandel zwischen der ersten und der zweiten Jahrhunderthälfte, und zu zahlreich und unterschiedlich sind die Totengespräche, die in jener Zeit veröffentlicht worden sind. Eine Studie zu der ersten Jahrhunderthälfte, die sich von der den Texten David Fassmanns zugeschriebenen Vorherrschaft emanzipiert und das Totengespräch in seinen zahllosen Strömungen aus einer interdisziplinären Perspektive untersucht, wäre aber umsetzbar und wünschenswert. Um auf unsere Texte und die Frage nach ihrer Verfasserschaft zurückzukommen, wird das Problem sicherlich nicht dadurch erleichtert, dass die Identität (und die effektive Zahl) der Verfasser der Texte unbekannt ist. Gerade jedoch vor dem Hintergrund der Identifizierung der Verbindungen zwischen den Totengesprächen und ihrer inhaltlichen Analyse sowie den Schlussfolgerungen, die ich bezüglich der Identifizierung des Umfeldes, in dem sich all ihre Verfasser bewegt haben, ziehen konnte, hat sich die Grundlage einer Verfasserschaft Fassmanns als wenig stabil erwiesen. Der beispielhafteste Fall ist der der zwei Totengespräche, als deren Protagonist Leibniz auftritt und die Wilhelm Risse Fassmann zugeschrieben hat. Die philosophische Orientierung, der Stil und die Struktur des Gesprächs des Philosophen mit Johann Franz Budde und die des Gesprächs mit Ludwig Philipp Thümmig sind derart verschieden, dass es sich nur um die Werke zwei verschiedener Autoren handeln kann.13 Die in dieser Arbeit behandelten Totengespräche verweisen nicht nur auf eine genaue Kenntnis der philosophischen Dispute seitens der Autoren, sondern beweisen außerdem eine deutliche Vertrautheit der Verfasser mit der clandestinen Literatur und heterodoxen Texten deutscher Herkunft (Origo et fundamenta religionis christianae, De tribus impostoribus). Sie quellen über vor Anspielungen auf seltene Schriften, akademische Arbeiten und zeitgenössische, gehobene Streitfragen. Diese Elemente sind in keinem Werk Fassmanns anzutreffen. Nimmt man also hier seine Verfasserschaft an, hat man es mit dem einzigartigen Fall einer extravaganten Gruppe von Fassmannschen Texten zu tun. Man müsste von einer parallelen und esoterischen (im etymologischen Sinne des Wortes) Produktion gedruckter Schriften desselben Autors ausgehen, die im Gegensatz zu den Monatsschriften in einer niedrigeren Auflage gedruckt worden sind. Die in einigen Texten, wie besonders dem Examen rigorosum, anzutreffenden expliziten Verweise auf interne Debatten an den Philosophischen Fakultäten in Preußen und auf das studentische Leben an den

13

Vgl. Kap. 5, § 2.

Die Frage der Verfasserschaft

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Universitäten von Halle und Jena sind entscheidende Hinweise darauf, dass diese Texte absichtlich für eine sehr kleine Leserschaft verfasst worden sind. Alle von mir untersuchten Totengespräche, auch jene zwischen Bekker und Scriver und Thomasius und Francke, zeugen trotz ihres deutlich biographischen Charakters von einer extremen Vertrautheit ihrer Verfasser mit Sachverhalten, die in den Texten Fassmanns nie – nicht einmal en passant – behandelt worden sind. In den 240 Gesprächen im Reiche der Toten werden an keiner Stelle philosophische Fragen behandelt. Dies gilt auch für Texte, in denen man einen Verweis auf heterodoxe Literatur und Kreise von einem Autor, der die von unseren Gesprächen aufgezeigte radikale Literatur kannte, erwartet hätte. Das Totengespräch Fassmanns mit dem Protagonisten Eugen von Savoyen beispielsweise verläuft vollkommen auf jener historisch-militärischen Ebene, die der Autor für seine Texte bevorzugt.14 Selbst wenn man die Verfasserschaft Fassmanns für diese anonymen Totengespräche für möglich hielte, wäre der deutsche Journalist jedoch nur einer der Rivalen in einem größeren Disput: Es ist deutlich gezeigt worden, dass sich die Verfasserschaft dieser Gespräche auf mehrere Personen aufteilt. Die äußerst anspielungsreichen Polemiken, die in den Texten gegen die ›Autorenkonkurrenz‹ eingebracht werden, verweisen ebenfalls darauf, dass diese Totengespräche an eine andere Leserschaft als die Fassmanns gerichtet sind: eine von kulturell höherem Niveau, aus dem Umfeld mitteldeutscher Hochschulkreise. Was das Examen rigorosum betriff t, so ist der in »AletopHilus« hervorgehobene Buchstabe »H« mit großer Wahrscheinlichkeit der Anfangsbuchstabe des wahren Namens des anonymen Verfassers (Levin Adolph von Haken?) und stellt ein sicheres Indiz gegen die Verfasserschaft des sächsischen Autors dar. Mir erscheint es als äußerst unwahrscheinlich, dass sich die Polemik des Autors dieses Textes am Ende des Verhörs von Budde und Gundling seitens Apolls gegen den Verfasser des Totengesprächs zwischen Thomasius und Francke sowie des zwischen Leibniz und Budde auf Fassmann bezieht.15 Wir stehen hier vor einer Auseinandersetzung zwischen Studenten oder zumindest zwischen Personen, die sich im universitären Bereich bewegen; etwas, das man nicht von dem damals 46jährigen Fassmann behaupten kann, der zwischen 1725 und 1731 in Berlin am Hofe Friedrich Wilhelms I. arbeitete. Die genaue Identität der Autoren der Totengespräche zu bestimmen, hat sich aber leider als unmöglich erwiesen, und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen. Der erste, und wichtigere, ist die ›Entpersonalisierung‹ der Flugpublizistik der Zeit, worauf ich auf den vorigen Seiten bereits hingewiesen habe. Zweitens, auch in den Fällen von Dialogen, die auf besonders beschränkte Kreise zurückführbar sind (z. B. David Fassmann, Gespräche in dem Reiche derer Todten, zwischen Eugen Francisco und Grafen von Grammont, Leipzig 1736. 15 Vgl. Kap. 2, § 1. 14

224

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das Gespräch zwischen Leibniz und Thümmig), waren leider in den meisten Fällen die verfügbaren Indizien ungenügend, als dass man eine Zuschreibung wagen könnte. Anders ist der Fall bei dem Examen rigorosum und beim Totengespräch zwischen Descartes und Rüdiger. Der Jurastudent Levin Adolph von Haken, Protégé von Nikolaus Hieronymus Gundling und unter den Verfassern der Trauerreden zu Ehre des Professors, könnte aus mehreren Gründen mit dem »Aletophilus« identisch sein, der den ersten Totendialog verfasst hat, obwohl sichere Beweise für eine definitive Zuschreibung fehlen. Dasselbe gilt auch für den Schüler Rüdigers Otto Bernhard von Borcke. Die zahlreichen Lektüreebenen der Texte und die in ihnen anzutreffende andauernde Verstrickung von literarischer Fiktion und historisch-biographischen Elementen, die eine natürliche Konsequenz aus der Überwindung aller zeitlichen Grenzen der Textgattung Totengespräch ist, bestimmt einen Effekt der charakterlichen Veränderung seitens der Philosophen, die als Protagonisten auftreten. Dieses Element sorgt dafür, dass die Persönlichkeiten der Protagonisten unserer Gespräche deutlich facettenreicher dargestellt sind als die der Fassmannschen Figuren. Die Dialoge stehen in der Tat in einem komplexen Verhältnis zu den historischen Figuren der zwei Gesprächsteilnehmer. In einigen Fällen scheinen ihre Redebeiträge ganz einfach das wiederzugeben, was die Philosophen in ihrem Leben tatsächlich vertreten haben. In anderen Fällen haben wir jedoch sehen können, dass es zu einer regelrechten Verfälschung und Verzerrung des ursprünglichen Gedankens der Protagonisten kommt, die alles andere als naiv, sondern aufschlussreich darüber ist, wie zu jener Zeit die philosophischen Systeme des vorangegangenen Jahrhunderts rezipiert wurden. Die Verfasser machen in der Tat einige ihrer Protagonisten zu den ›Sprechern‹ der noch lebenden Philosophen und benutzen die in der Gattung des Totengesprächs zulässige Escamotage einer ständigen Kommunikation zwischen dem ›Reich der Lebenden‹ und dem der Toten. Das interessanteste Beispiel ist zweifellos die Rolle, die René Descartes in dem anonymen Gespräch zugeschrieben wird, in dem er als Protagonist erscheint: Er ist hier Spiegel des Wolffschen ›Filters‹, durch den die Figur des französischen Philosophen in den akademischen Kreisen jener Zeit betrachtet wurde. Eine Überprüfung der Quellen hat gezeigt, dass die Position des Verfassers des Gesprächs der sehr speziellen Konstruktion des Bildes des französischen Philosophen, die in den Philosophischen Fakultäten Preußen im frühen 18. Jahrhundert stattgefunden hatte, geschuldet war. Der anonyme Autor ist mehr oder weniger bewusst durch bestimmte konzeptuelle Schemata beeinflusst worden, mit denen die antiwolffianische, pietistische Publizistik die cartesianische und die Wolffsche Philosophie instrumentell in Kontinuität zueinander stellte, an der Grenze zur Identifikation der beiden Systeme miteinander, um durch einen Angriff auf Descartes Christian Wolff zu treffen – das eigentliche Ziel der deutschen Verfasser von Streitschriften.

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In der Tat diskutiert Rüdiger mit Descartes in dem Totengespräch zum einen über eng an die cartesianische Philosophie gebundene Aspekte, behandelt ihn aber zum anderen als ein Alter-Ego Wolffs.16 Sehr interessant ist auch die Darstellung Leibniz’ in dem Totengespräch von 1745, in dem er mit Thümmig diskutiert. Sie steht ganz im Zeichen eines in den Dichterkreisen jener Zeit sehr verbreiteten physikotheologischen Leibnizianismus.17 Das Anliegen der Autoren ist es, die aktuellsten philosophisch-akademischen Kontroversen der Zeit zu behandeln, zu der sie die Totengespräche verfassen. Die Totengespräche haben es uns gestattet, heute beinahe in Vergessenheit geratene Figuren und ihre große Originalität zu erforschen: Man denke etwa an Ludwig Philipp Thümmig, Christian Scriver oder Andreas Rüdiger, dessen wahrhaft originelle Physik, Gnoseologie und Materialismus es verdient hätten, Thema einer monographischen Studie zu werden. In neueren Studien wird für gewöhnlich betont, wie fein die Grenze zwischen Pietismus und Frühaufklärung ist, dass viele reformatorische Ansprüche von beiden Bewegungen geteilt werden und dass einige Persönlichkeiten auf der Trennlinie dieser beiden Welten verortet sind. Viele unserer Dialoge hingegen basieren auf einem Schema, das sich in Blöcken ausdrückt: dem von Pietismus beeinflussten, im psychologischen Bereich antidualistischen, anticartesianisch oder antiwolffschen (oder beides, wie im Falle von Rüdiger) Philosophen steht ein ›Rationalist‹ gegenüber, der oft ein Verfechter des mos geometricus und des Substanzdualismus ist und von der zeitgenössischen, lutherischen Polemik als Atheist und Verteidiger der cartesianischen, spinozianischen, Wolffschen und leibnizianischen Systeme dargestellt wird. Ich würde die stark dualistische – und in einigen Fällen sogar naive – Struktur der Dialoge mit unterschiedlichen Überlegungen begründen. Erstens spiegeln diese radikalen Gegenüberstellungen oft tatsächlich die Argumentationen der philosophischen Debatte der damaligen Zeit, vor allem der Dissertationen, wider. Diese starken Dichotomien müssen aber auch auf eine bestimmte Mentalität zurückgeführt werden. Wir haben es mit eben der Situation zu tun, welche die studentische Redewendung »Wenn du nach Halle gehst, wirst du als Pietist oder Atheist zurückkehren« beschreibt. Der Aufbau der Totengespräche spiegelt die für jene subakademischen Kreise (Journalisten, Publizisten, Studenten), die sich am Rande des universitären Establishments befanden und auf die bereits hingewiesen worden ist, typische Geisteshaltung wieder. Das gleiche gilt auch für die Titelkupfer der Texte, in denen oft eine klare Trennung zwischen Scholastik und modernem Denken, zwischen alt und neu ausgedrückt wird.18

16 17 18

Vgl. Kap. 6. Vgl. Kap. 5. Vgl. dazu ausführlicher Kap. 3, § 3.

226

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Rudolf Hirzel und Vittorio Hösle haben bemerkt, dass der philosophische Dialog einen besonderen Erfolg in Krisen- und Revolutionszeiten gehabt habe: bei der Sophistik, in der Renaissance und im Zeitalter der Aufklärung.19 Beide Forscher meinen mit Aufklärung eine Zeit nach derjenigen, aus der die in dieser Studie betrachteten Dialoge stammen. Man kann diese Bemerkung nur teilen, auch wenn man sie auf unseren Fall anwendet. Die 20er und 30er Jahre des 18. Jahrhunderts sind für die deutsche Philosophie eine Umbruchszeit, die nicht nur von dem Aufsteigen und der progressiven Konsolidierung neuer Systeme wie dem von Wolff gekennzeichnet war, sondern auch von der mit dem kontroversen Erbe von Philosophen des davorgehenden Jahrhunderts wie Leibniz und Descartes verbundenen Debatte. Kein Mittel war geeigneter, diese Spannungen darzustellen, als die Gattung des Dialogs, und zwar in der spezifischen Variante des Totengesprächs. Wie man gesehen hat, hat diese Form den Autoren die Gelegenheit gegeben, Philosophen aus vorhergehenden Generationen direkt ›ins Spiel‹ zu bringen. Es ist unstrittig, dass wir es mit einem Block von Texten zu tun haben, die durch eine sehr enge thematische Einheit charakterisiert sind. Sie erschaffen ein außerordentlich detailliertes Bild der Debatten, welche die deutschen Universitäten jener Zeit in Beschlag nahmen. Weit davon entfernt, reine akademische Darlegungen zu sein, verstrickten sich diese gelehrten Kontroversen häufig in alte Feindschaften oder persönlichen Hass. Das eklatanteste Beispiel ist der Fall der berühmten Geschichte, die zur Ausweisung Christian Wolffs aus dem preußischen Territorium führte: Man kann durchaus sagen, dass diese Totengespräche ein eigenes Kapitel der Geschichte des Wolffianismus darstellen. Ob über den Wolff schen Atheismus (die Totengespräche Descartes-Rüdiger, Leibniz-Budde und Leibniz-Thümmig), die Häresie der antiken Philosophen (die zwei Gespräche zwischen Gundling und Budde) oder heterodoxe Anwendungen des cartesianischen Dualismus auf dämonologischem Gebiet (das Gespräch zwischen Bekker und Scriver) diskutiert wird – diese Totengespräche inszenieren die philosophischen Debatten ihrer Zeit in ihren zahlreichen Facetten und präsentieren uns einen Querschnitt der Welt der Frühaufklärung in seltener Vollständigkeit. Wir haben es mit einem sehr ephemeren Phänomen zu tun (1729–1734), einer ungewöhnlichen und rätselhaften Geschichte in der literarischen Landschaft des Totengesprächs und der anonymen Publizistik des 18. Jahrhunderts: Eine Gruppe von Autoren, die oft miteinander im Streit lagen, wählte das moderne Genre, um es für die Inszenierung raffinierter Gespräche, in denen Pietisten, Wolffianer und Philosophen vergangener Zeit zusammentraten und über die wichtigsten Streitfragen des frühen 18. Jahrhunderts in Deutschland diskutierten, umzuformen. Damit Siehe Rudolf Hirzel, Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch. Leipzig 1895, 443 ff.; Vittorio Hösle, Der philosophische Dialog, 125. 19

Die Frage der Verfasserschaft

227

haben sie uns ein lebendiges Bild der theologisch-philosophischen Debatte einer für die folgende Entwicklung der deutschen und europäischen Aufklärung entscheidenden Epoche geliefert.

Abkürzungsverzeichnis

ADB

AT

Allgemeine deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, LVI Bde., Berlin/Leipzig 1875–1912 Oeuvres de Descartes, publiées par Charles Adam et Paul Tannery, XI Bde., Paris 1964–74

DM

Christian Wolff, Vernünff tige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Halle 1720. Ndr. der Ausgabe Halle 1751 hg. von Charles A. Corr, Hildesheim/Zürich/New York 1983

FB FU

Forschungsbibliothek Gotha Freie Universität Berlin

GS

Johann Franz Budde, Gesammelte Schriften, Hildesheim/Zürich/New York 1999– Christian Wolff, Gesammelte Werke, Hildesheim/Zürich/New York 1962–

GW HAAB HAB HWPh

Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Historisches Wörterbuch der Philosophie, XII Bde., hg. von Joachim Ritter, Karlfried Gründer u. Gottfried Gabriel, Basel 1971–2005

Jöcher

Christian G. Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexicon, darinne die Gelehrten aller Staende […] in alphabetischer Ordnung beschrieben werden, IV Bde., Leipzig 1750–51. Ndr. Hildesheim 1960–68

LWL

Museum für Kunst und Kultur (Westfälisches Landesmuseum), Münster

NDB

Neue deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1953–

Saur

Saur Allgemeines Künstler-Lexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, begr. und mithg. von Günter Meissner, München/Leipzig 19922 – Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

SLUB SUB

Thieme-Becker Ulrich Thieme/Felix Becker (Hgg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, XXXVII Bde., Leipzig 1907–50 (Ndr. München 1992)

230

Abkürzungsverzeichnis

TRE

Theologische Realenzyklopädie, hg. von Gerhard Krause u. Gerhard Müller, Berlin/New York 1979

UBL ULB

Universitätsbibliothek Leipzig Universitäts- und Landesbibliothek Halle

Zedler

Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon […], Leipzig/Halle 1732–50

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Ungedruckte Quellen Leipzig, Sächsisches Staatsarchiv, Bestand 21959 (zu Johann Benjamin Brühl). De imposturis religionis breve compendium, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 10450* = Eug. Q. 54. Francke, August H.: Brief an Johann Franz Budde, 17. November 1723 (Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, ms. AFSt/H A 177:117).

2. Gedruckte Quellen Anon.: Abgenötigte critique der sogenannten Gespräche in dem Reiche derer Todten, darin 1. Unterredung einiger Todten, 2. Gründliche Vertheidigung der Geschichten des Reichs der Todten, auch einige Satyren aus Menantes Gedichten, beurtheilt, 3. Anwort auf die 30sten Entreviie, Halle 1721. Anon.: Ausserordentliches Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Leibnitzen, und […] Buddeo, s.l. 1730. Anon.: Besonderes curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Andrea Rüdigern, und […] Renato Cartesio […]. Anderer Theil, s.l. s.a. Anon.: Besonders curieuses Gespräch im Reich der Todten, zwischen […] Christian Thomasio,[…] und August Hermann Francken […], s.l. 1729. Anon.: Besonders curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Christian Thomasio, […] und August Hermann Francken […], s.l. 1736. Anon.: Besonderes Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen D. Nicolao Hieronymo Gundlingen, […] und Johanne Francisco Buddeo […], Frankfurt a. M. 1731. Anon.: Besonderes curieuses Gespräch im Vorhofe des Reichs der Todten zwischen zwey grossen beruff enen Dieben, Räubern und Mördern Nicol Listen und Lips Tullianen, Frankfurt a. M. 1722. Anon.: Besonders-curieuses Gespräch in dem Reiche derer Todten, zwischen zweyen im Reiche der Lebendigen weitberuff enen und bekannten Ziegeuner-Spitzbuben Hemperla und Gabriel […], Hamburg 1729. Anon.: Claviculae Salomonis et Theosophia pneumatica, das ist die wahrhaff tige Erkänntnüs Gottes und seiner sichtigen und unsichtigen Geschöpff en die Heil. GeistKunst genannt. Darinnen der gründliche einfältige Weg angezeigt wird wie man zu der rechten wahren Erkänntnüß Gottes auch aller sichtigen und unsichtigen Ge-

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Quellen- und Literaturverzeichnis

schöpff en aller Künsten Wissenschaff ten und Handwercken kommen soll, Wesel/ Duisburg/Frankfurt a. M. 1686. Anon.: Curieuse Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern, der einen Menschen zurecht gebracht, so einen Pact mit dem Teufel gemacht […], s.l. 1732–34. Anon.: Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Friedrich Mayern […] und Johann Wilhelm Petersen […], s.l. 1731. Anon.: Curieuses Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Rüdigern und […] Cartesio, s.l. 1731. Anon.: Curieuse Unterredungen im Reiche der Todten, zwischen dem weltberühmten Pastore in Lockwitz Christian Gerbern, und […] David Schwerdnern, […] Superintendenten in Pirna, darinnen der […] Lebens-Lauff des Herrn Pastoris Gerbers […] beschrieben wird. Erster Theil, Frankfurt a. M./Leipzig 1732. Anon.: De imposturis religionum (De tribus impostoribus). Von den Betrügereyen der Religionen, hg. von Winfried Schröder, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999. Anon.: Defension-Schriff t derer Mathematicorum und Mechanicorum, wider Herrn D. Andr. Rüdigers in seiner Physica divina ausgestossene Injurien und Unwahrheiten, allen Gelehrten ietziger und zukünff tiger Zeit zur Decision, Frankfurt a. M. 1717. Anon.: Der andere Theil, oder die ächte und rechte Continuation des besonders curieusen Gesprächs in dem Reich derer Todten, zwischen denen beyden im Reich der Lebendigen hochberühmten Männern, Christian Thomasio […] und August Hermann Francken […] Frankfurt a. M./Leipzig, in der Michaelis-Messe, 1729. Anon.: Die Seele des Ferrante Pallavicino in drey Nacht-Wachen oder vielmehr NachtGespräche getheilet, in Die Himmlische Ehescheidung welche durch die garstige und liederliche Auff ührung der Römischen Braut veranlasset worden […], Halle 1722, 124–320. Anon.: Dritte und letzte Unterredung oder Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen zweyen in Reich der Lebendigen hochberühmten Männern, Christian Thomasio […] und August Hermann Francken, s.l. 1732. Anon.: Dritter Theil oder Fernere Fortsetzung des Gesprächs in dem Reiche derer Todten zwischen Christian Thomasio,[…] und August Hermann Francken […], Frankfurt a. M./Leipzig, in der Michaelis-Messe 1729. Anon.: Fernere Fortsetzung des Gesprächs im Reiche derer Todten zwischen Christian Thomasio,[…] und August Hermann Francken […], s.l. 1729. Anon.: Fortsetzung des besonders-curieusen Gesprächs in dem Reiche derer Todten, zwischen […] Christian Thomasio […] und August Hermann Francken […], s.l. 1729.

Gedruckte Quellen

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Anon.: Freundschaff tliche Unterredung der Seelen David Faßmanns und Thomas Hobbes durch welche beyder Caracter moralisch zergliedert werden, Wiesenthal/Malmesburg 1751. Anon.: Friedrich der Zweite, Voltaire und Wolf; ein Totengespräch, in Neues deutsches Museum, III (1790), 749–57. Anon.: Gespräch im Reiche der Todten, zwischen Herrn D. Gottlieb Wernsdorff en, […] und Herrn D. Joachim Langen […], Frankfurt a. M./Leipzig 1744. Anon.: Gespräche im Reiche der Todten unter den Münzen, s.l. 1728. Anon.: Gespräche im Reiche der Todten, zwischen dem Freyherrn von Leibnitz und Magister Thümmig, über den gegenwärtigen Zustand der Weltweisheit, Leipzig 1745. Anon.: Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen […] Johann Arndten […] und D. Philipp Jacob Spenern […], s.l. 1733. Anon.: »Gundling, Nicolaus Hieronymus«, in Johann H. Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon […], Leipzig/Halle 1748. Anon.: Guter Freunde vertrauliches Gespräch, über Herrn D. Buddei Bedencken, über die Wolffianische Philosophie, und Herrn Professor Wolff ens dargegen edirte Anmerckungen gehalten, zwischen dem Lech, Boden-See, Neckar und Donau, s.l. s.a. Anon.: Rezension zu Otto Bernhard von Borcke, Materie und Geist oder Betrachtungen über die Beweise von der Unsterblichkeit der Seele, in Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. LXVIII (1786), 487–89. Anon.: Traktat von den drei Betrügern. Traité des trois imposteurs, hg. von Winfried Schröder, Hamburg 1994. Anon.: Trattato dei tre impostori. La vita e lo spirito del signor Benedetto de Spinoza, hg. von Silvia Berti, Turin 1994. Anon.: Vita B. Augusti Hermanni Franckii, Boston 1733. Anon.: Wahrhaff tige Relation dessen was in der Heil. Christ-Nacht zwischen den 24. und 25. Dec. 1715. allhier bey der Stadt Jena in einem dem Galgen nah-gelegenen Weinberge mit einer schändlichen Conjuration und Beschwerung des Satans an einem Studenten und 2. Bauern sich zugetragen hat, Jena 1716. Anon.: Zweyte Unterredung oder Gespräche im Reiche derer Todten, zwischen dem bekandten Auctore der bezauberten Welt, und ehemaligen Prediger in Holland, Balthasar Beckern, der bey nahe wenig vom Teufel geglaubet; und zwischen dem in gantz Teutschland berühmten Theologo Christian Scrivern, der einen Menschen zurecht gebracht, so einen Pact mit dem Teufel gemacht […], s.l. 1732. Alberti, Michael: Dissertatio inauguralis medica, De potestate diaboli in corpus humanum […], Halle 1725. Aletophilus, Hieronymus: Erinnerungen auf die Gegen-Meinung der Meinung Herrn Hof-Rath Wolff ens von dem Wesen der Seele und eines Geistes überhaupt […], Frankfurt a. M./Leipzig 1729. AletopHilus: Examen rigorosum, welches Apollo, zwischen […] Nicolao Hyeronimo

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Gedruckte Quellen

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Gedruckte Quellen

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Quellen- und Literaturverzeichnis

handelt wird: I. Von den Geistern überhaupt. II. Von den geheimen Hauß-Geistern. III. Von den Erscheinungen der Verstorbenen. IV. Von den Erd-und Wasser-Geistern. V. Von den Luft-und Feuer-Geistern. VI. Von den Geistern gewisser Landschaften, Städte und Schlösser. Zwischen Andrenio und Pneumatophilo. Nebst einem Register der vornehmsten Materien, Leipzig 1729–31. [−]: Unterredungen von dem Reiche der Geister, zwischen Andrenio und Pneumatophilo. Dritter Band, in sich haltend das XIII. bis XVIII. Stück […], Berlin 1741. Gundling, Nikolaus Hieronymus: Observatio X. Aristoteles atheus et apertus religionis hostis, in Observationum selectarum ad rem litterariam spectantium tomus VII, Halle 1704, 209–56. – : Gundlingiana, darinnen allerhand zur Jurisprudentz, Philosophie, Historie, Critic, Litteratur und übrigen Gelehrsamkeit gehörige Sachen abgehandelt werden, Halle 1715. – : Vollständige Historie der Gelahrheit […], Frankfurt a. M. 1734–46. Hagedorn, Friedrich von: Sammlung neuer Oden und Lieder, Hamburg 1742. – : Oden und Lieder in fünf Büchern, Hamburg 1747. Haken, Levin A. von: Der Unsterbliche Ruhm eines Hochgelahrten Mannes an dem Beyspiel des Weyland Pro-Rectoris Magnifici und Wohlgebohrnen Herrn Herrn Nicolai Hieronymi Gundlings […] nach der den 29. Januarii Anno 1730. in der Schul-Kirchen daselbst Ihm zu Ehren gehaltenen Solennen-Gedächtniß-Predigt in der Standt- und Trauer-Rede, Halle, s.a. Hartmann, Georg V.: Anleitung zur Historie der leibnitzisch-wolffischen Philosophie […], Frankfurt a. M./Leipzig 1737. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/New York 1973. Hempel, Carl F.: Nicolai Hieronymi Gundlings […] Umständliches Leben und Schriften […], in Gundling, Nikolaus H.: Vollständige Geschichte der Gelahrtheit, Bd. V, Frankfurt a. M./Leipzig 1734–36. Herrn Bernard von Fontenelle […] Auserlesene Schriften, nämlich von mehr als einer Welt, Gespräche der Todten, und die Historie der Heydnischen Orakel; vormals einzeln herausgegeben, nun aber mit verschiedenen Zugaben und schönen Kupfern vermehrter ans Licht gestellet, von Johann Christoph Gottscheden, Leipzig 1751. Herrn Bernard’s von Fontenelle Gespräche von mehr als einer Welt zwischen einem Frauenzimmer und einem Gelehrten. Nach der neuesten Französischen Aufl age übersetzt, auch mit Figuren und Anmerkungen erläutert von Joh. Chr. Gottscheden. Am Ende findet man noch ein Pastoral, genannt Endimion, aus eben dieses Autors Schäfergedichten in teutsche Versse gebracht, Leipzig 1726. Herrn Bernhards von Fontenelle, der königl. pariser Akademie der Wissenschaften beständigen Secretärs, und der französ. Akademie daselbst Mitgliedes, Auserlesene Schriften, nämlich von mehr als einer Welt, Gespräche der Todten, und die Historie der heydnischen Orakel, vormals einzeln herausgegeben, nun aber mit verschiedenen

Gedruckte Quellen

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Zugaben und schönen Kupfern vermehrter ans Licht gestellet, von Johann Christoph Gottscheden, Leipzig 1760 (1. Ausg. 1725). Hoff mann, Adolph F.: Gedancken über Christian Wolff ens Logic, oder sogenannte Philosophiam rationalem. Nebst einem Anhange, worinnen gedachter Herr Auctor auf die von Andreas Rüdigern wider seine Meinungen von dem Wesen der Seele und eines Geistes überhaupt gemachten Einwürff e zu antworten eingeladen wird, Leipzig 1729. Ndr. hg. von Robert Theis, Hildesheim/Zürich/New York 2008. Hoffmann, Friedrich: Eines berühmten Medici gründliches Bedencken und physicalische Anmerckungen von dem tödlichen Dampff der Holz-Kohlen auf Veranlassung der in Jena beym Ausgang des 1715. Jahres vorgefallenen traurigen Begebenheit aufgesetzet und nun zum gemeinen Nutzen dem Drucke überlassen, Halle 1716. [−]: Lessus professorum fridericianae in funere illustris viri collegaeque Christiani Thomasii ICti, in Wohlverdientes Denckmahl dem weiland wohlgebohrnen Herrn Herrn Christian Thomasius […]. Aufgerichtet von vornehmen Gönnern, Freunden und Nahen Anverwandten, Halle 1729, unpag. [−]: Vernünff tige physikalische Theologie und gründlicher Beweis des göttlichen Wesens und dessen vollkommensten Eigenschaff ten aus reifer Betrachtung aller in der Natur befindlicher Wercke […], Halle 1742. [−]: De diaboli potentia in corpora, dissertatio physico-medica curiosa, in Friderici Hoffmanni Opera omnia, Bd. V, Genf 1761, 94–103. Jeverus, Jo[hannes] [i. e. Edzard, Sebastian]: Verzeichniß Allerhand Pietistischer Intriguen und Unordnungen, in Litthauen, vielen Städten Teutschlandes, Hungarn und America, s.l. 1729. Jöcher, Christian G.: Allgemeines Gelehrten-Lexicon, darinne die Gelehrten aller Staende […] in alphabetischer Ordnung beschrieben werden, IV Bde., Leipzig 1750– 51. Ndr. Hildesheim 1960–68. Kettner, Friedrich E.: De duobus impostoribus, Benedicto Spinosa et Balthasare Bekkero dissertatio historica […], Leipzig 1694. Kleine Kontroversschriften mit Joachim Lange und Johann Franz Budde, Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/Zürich/New York 1980. [Knorr, Georg W.]: Historische Künstler-Belustigung oder Gespräche in dem Reiche derer Todten, zwischen denen beeden Welt-bekannten Künstlern Albrecht Dürer und Raphael de Urbino […], Nürnberg 1738. Kortholt, Christian: De tribus impostoribus magnis liber, Kiel 1680. Lange, Joachim: Modesta disquisitio novi philosophiae systematis de Deo, mundo et homine, et praesertim de harmonia commercii inter animam et corpus praestabilita: cum epicrisi in viri cuiusdam clarissimi commentationem de diff erentia nexus

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Quellen- und Literaturverzeichnis

rerum sapientis et fatalis necessitatis, nec non systematis harmoniae praestabilitae et hypothesium Spinosae, Halle 1723. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/Zürich/ New York 1986. – : Caussa dei et religionis naturalis adversus atheismum […], Halle 1727. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/Zürich/New York 1984. Leibniz, Gottfried W.: Brevis demonstratio erroris memorabilis Cartesii et aliorum, circa legem naturae, secundum quam volunt a Deo eandem semper quantitatem motus conservari; qua et in re mechanica abuntur, in Acta Eruditorum (1686), 161–63. – : Novissima Sinica historiam nostri temporis illustratura in quibus de christianismo publica nunc primum autoritate propagato missa in Europam relatio exhibentur, deque favore scientiarum Europaearum ac moribus gentis & ipsius praesertim monarchae, tum & de bello Sinensium cum Moscis ac pace constituta, multa hactenus ignota explicantur, s.l. [Hannover] 1697. – : Essais de théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’ homme, et l’origine du mal, Amsterdam 1710. – : ’Aποκατάστασις (1715), in De l’ horizon de la doctrine humaine. La restitution universelle, hg. von Michel Fichant, Paris 1991. − : ’Aποκατάστασις πάντων (1715), ebd. – : Epistoloae ad diversos […], hg. von Christian Kortholt, Leipzig 1734–35. Leporin, Christian P.: Germania literata vivens, oder Das jetzt lebende gelehrte Deutschland. Durch ausführliche Lebens-Beschreibungen vieler in Deutschland zu unserer Zeit lebenden gelehrten Männer, Quedlinburg/Aschersleben 1725. Lichtenberg, Georg C.: Sudelbücher, in: ders., Schriften und Briefe, Bd. I, hg. von Wolfgang Promies, München 1994. [Loredano, Francesco]: L’anima di Ferrante Pallavicino, divisa in sei Vigilie, Köln 1645. Lukian von Samosata: Nεκρικοὶ διάλoγοι, in Luciani Opera, hg. von Matthew D. Macleod, Bd. IV, Oxford 1987. Ludovici, Carl G.: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Leipzig 1737–1738. Ndr. Hildesheim/New York 1977. – : Neueste Merckwürdigkeiten der leibnitzisch-wolffischen Weltweisheit, Frankfurt a. M./Leipzig 1738. Ndr. Hildesheim/New York 1973. – : Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschriff ten wegen der wolffischen Philosophie, Leipzig 1737–38. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/New York 1976. [−]: »Wolfische Philosophie«, in Johann H. Zedler, Grosses vollständiges UniversalLexicon […], Bd. LVIII, Leipzig/Halle 1748. Ndr. hg. von Jean École, Hildesheim/Zürich/New York 2001. Lucians von Samosata auserlesene Schriften von moralischem, satirischem und critischem Inhalte, durch verschiedene Federn verdeutscht, und mit einer Vorrede, vom

Gedruckte Quellen

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Werthe und Nutzen der Uebersetzungen, aus Licht gestellt, von Joh. Christoph Gottscheden, Leipzig 1745. Manteuffel, Ernst Christoph von: Brief an Christian Wolff, 6. Oktober 1746, Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. 0346, Bl. 319r–320v., http://nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:bsz: 14-qucosa-106475. Meier, Georg F.: Philosophische Gedanken von den Würkungen des Teufels auf dem Erdboden, Halle 1760. Mylius, Christlob: Betrachtungen über die Majestät Gottes, insofern sie sich durch fleißige Anschauung und Erforschung der Natur off enbaret, in Vermischte Schriften des Hrn. Christlob Mylius, gesammelt von Gotthold Ephraim Lessing, Berlin 1754. Ndr. Frankfurt a. M. 1971. Mylius, Johann C.: Bibliotheca anonymorum et pseudonymorum detectorum ultra 4000 scriptores […] complectens, ad supplemendum et continuandum Vincetii Placcii theatrum anonymorum […] et Christoph. August. Heumanni schediasma de anonimis, Hamburg 1740. Nagler, Georg K.: Neues allgemeines Künstler-Lexicon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Formschneider, Lithographen, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter, etc., Bd. II, München 1835. Naumann, Christian N.: Von der Majestät des Schöpfers in den Werken der Natur, ein physikalisches Gedichte, Jena 1750. Nörner, Johann Christian: Disputatio philosophica de novis ratiocinandi adminiculis, Leipzig 1704. Origenes: De principiis/Περὶ ἀρχνῶν, in Origenes Werke, Bd. V, hg. von Paul Koetschau, Leipzig 1913. Overbeck, Adolph T.: Chiliasmus profligatus seu exercitatio academica quâ orthodoxa de novissimis doctrina contra vanitates chiliasticas e scripturis roboratur, & â captiosis argutiis D. J. W. Petersen quas illi opposuit in editâ nuper animadversione vindicatur […], Helmstedt 1692. – : Gründlicher Beweiß, das Hrn. D. J. W. Petersens Lehre vom tausendjährigem Reiche mit den Worten Christi Joh. VI.39 seqq. und Matth. XXV.31 seqq. keines weges könne verglichen werden; zur Beantwortung dessen was dagegen von Hrn. D. Petersen in seiner endlichen Erklährung und andern Schriff ten eingeworff en, Helmstedt 1693. Pallavicino, Ferrante: Außerlesene Werke, Freywalde 1663. [Pesselier, Charles Étienne]: Nouveaux dialogues des morts, II Bde., aux champs Elisées 1753.

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Danksagung

Die vorliegende Monographie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Mai 2014 an der Universität Erfurt verteidigt wurde. Mein größter Dank geht an meinen Betreuer Martin Mulsow, der die Entstehung dieser Arbeit während aller Phasen mit wertvollen Hinweisen begleitet hat und mit seinen Büchern zur deutschen Frühaufklärung den Grundstein meiner Interessen für diese Themen gelegt hat. Für ihre Hinweise danke ich ferner der Zweitbetreuerin Bärbel Frischmann. Besonderen Dank schulde ich all denjenigen, die im Laufe der Forschung zur Lösung spezifischer Fragen beigetragen haben: Daniel Bellingradt (Erlangen-Nürnberg), Asaph Ben-Tov (Gotha), Silvia Berti (Rom), Antonella Del Prete (Viterbo), Philipp Knüpffer (Frankfurt a. M.), Markus Meumann (Gotha), Guido Naschert (Weimar), Hanns-Peter Neumann (Berlin), Reiner Prass (Erfurt), Anne-Simone Rous (Gotha), Sascha Salatowsky (Gotha), Simon Schaffer (Cambridge), Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin), Alexander Schunka (Berlin) und Falk Wunderlich (Halle). Mit Detlef Döring und Klaus Christian Köhnke, die leider schon 2015 bzw. 2013 verstorben sind, konnte ich in Leipzig verschiedene Aspekte der Arbeit diskutieren. Carlo Borghero und Pierluigi Valenza haben die ersten Phasen der Arbeit an der Universität Rom »La Sapienza« betreut. Außerdem danke ich dem Vorstand der deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts für die Aufnahme der Monographie in die Reihe Studien zum 18. Jahrhundert. Die Forschungsarbeit ist durch Stipendien der Studienstiftung des deutschen Volkes, des Forschungszentrums Gotha der Universität Erfurt (Herzog-Ernst-Stipendium) und des ebenfalls in Gotha angesiedelten Graduiertenkollegs Heterodoxie, Dissidenz und Subversion 1600-1800 gefördert worden. Sehr dankbar bin ich der Studienstiftung auch für die Finanzierung eines wichtigen Forschungsaufenthaltes im Frühling 2013 am Warburg Institute in London, der es mir ermöglichte, die Analyse der Titelkupfer der Dialoge zu vertiefen. Dieses Buch ist das Ergebnis der Quellensuche in zahlreichen Bibliotheken; es ist aber besonders mit den großartigen frühneuzeitlichen Beständen der Forschungsbibliothek Gotha und mit dem interdisziplinären Ansatz des Forschungszentrums Gotha verbunden. Schließlich danke ich herzlich Marcel Simon-Gadhof und Jens-Sören Mann vom Felix Meiner Verlag für die sorgfältige und kompetente Begleitung der Drucklegung des Bandes. Riccarda Suitner

English summary

This book reconstructs the history of a set of »dialogues of the dead« published in Germany between 1729 and 1734. The authors of these Totengespräche continued the tradition begun in ancient Greece with Lucian of Samosata’s Nεκρικοὶ διάλoγοι, in the wake of the European circulation of Fontenelle’s Nouveaux dialogues des morts (1683) and the enormous success of the fictional conversations composed by David Fassmann (1683–1744). The Saxon journalist had published his Gespräche im Reiche der Toten (Dialogues in the Kingdom of the Dead) monthly for over twenty years. The protagonists of the dialogues presented in this study, all published anonymously or under pseudonyms, include some of the most famous philosophers of the 17th century (René Descartes, Gottfried W. Leibniz, Balthasar Bekker), alongside German philosophers and theologians of the early 18th century (Christian Thomasius, August Hermann Francke, Johann Franz Budde, Nikolaus Hieronymus Gundling, Andreas Rüdiger, Johann Friedrich Mayer, Johann Wilhelm Petersen), for the most part or strongly influenced by Pietism. During the five years in which the dialogues appeared, the texts triggered a heated debate on several levels: philosophical, theological, economic and personal. For several reasons, the reciprocal connection between these dialogues – and often their mere existence – has remained unknown. The published dialogues are currently scattered among German libraries, often bound together with unrelated contemporary texts. Since their authors sold the texts as Flugschriften (unbound cheap prints), they only survive in few copies until today, as they were not intended for careful preservation in private libraries. Often, the only information available is the date of publication and, sometimes, the name of the engraver responsible for the illustrations. In rare cases the dialogues are mentioned in scholarly studies and bibliographies, and then they are almost always attributed to Fassmann, at the time the most famous German author of dialogues of the dead. Th is book demonstrates that these dialogues form a coherent corpus, reconstructs their composition and interprets the controversies ›staged‹ by the authors using the fictitious protagonists of the texts, often characterized as very different types of thinkers from the ›historical‹ figures passed down to us in their works. The author of this study shows how – despite the lack of research devoted so far to this topic – the dialogue of the dead was in 18th-century Germany one of the media par excellence of philosophical polemics. Secondly, central controversies of the early German Enlightenment (gravitating around Christian Wolff ’s, Spinoza’s and Leibniz’s philosophy, on the relationship between mind and body and between mathe-

English summary

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matical and philosophical knowledge) are analyzed in a greater depth, also through the contribution to these debates of authors who were so far virtually neglected in scholarly studies. Research on the philosophical and theological underground of early 18th-century universities in Central Germany resulted in refuting Fassmann’s authorship of all texts, establishing a relationship between the symbolic illustrations and the content of the texts and shedding some light on the concrete interactions between engravers, university circles, authors, and publishers in the early German Enlightenment. The book shows how the integration of usually separate research fields (clandestine literature, anonymity, book trade, ›street literature‹, philosophical dialogue) and the attention to social groups placed at the fringe of the ›established‹ German academic milieus (students, engravers) could contribute to the telling of several vicissitudes of the German Enlightenment from a new perspective.

Personenregister

Kursive Seitenzahlen verweisen auf Fußnoten, Seitenzahlen mit * auf den Tafelteil. Adam, Charles 229 Agrippa von Nettesheim, Heinrich C. 190, 202, 205 Alberti, Michael 156, 190 Albrecht, Michael 92, 102, 113, 138 – 139, 144, 160, 189 Albrecht, Ruth 162 AletopHilus (Pseudonym) 37, 39 f., 43, 46 – 55, 107 f., 223 f., 30* AlitopHilus S. (s. AletopHilus) Alquié, Ferdinand 144 Alting, Jacobus 182 Andreä, Johann V. 41 Andreae, Tobias 182 Andrenius (Pseudonym) 204 Apoll 5, 37, 39 – 40, 42 – 45, 47 – 48, 50 – 53, 107 Archimedes von Syrakus 37 Aretino, Pietro 25 – 26 Ariadne 139 Aristoteles 48 – 50, 103, 107, 141, 148, 176 Arndt, Hans W. 139, 140, 145 Arndt, Johannes 32, 64, 180 Arnold, Gottfried 76, 77 Arnoldt, Daniel H. 124 August II. (König von Polen) 164 Augustus (römischer Kaiser) 25 – 26 Bachter, Stephan 205 Bächtold-Stäubli, Hanns 206 Barbierato, Federico 207 Bardt, Ulrike 112 Baroni Cavalcabò, Clemente 189

Barth, Hans-Martin 49 Basso, Paola 140 Bauer, Dieter R. 187 Bauer, Johann J. 29 Bauer, Volker 78, 79 Baumbach, Manuel 28, 31, 34, 152 Baumgarten, Alexander G. 189 Bayle, Pierre 105, 164, 182 Bayreuther, Rainer 72 Bebel, Balthasar 163 Beck, Lewis W. 159 Becker, Felix 199, 229 Behringer, Wolfgang 185 Bekker, Balthasar 7, 13 – 14, 15, 21, 70, 94, 103, 164, 168, 177, 179 – 207, 211, 217, 221, 32* Bellingradt, Daniel 11, 73, 77, 79 Benden, Magdalene 134 Bender, Wolfgang 126, 129 Benítez, Miguel 11 Ben-Tov, Asaph 189 Bernigeroth, Martin (Pseudonym: M. B.) 7, 63, 84, 91, 198 – 199, 215 – 217, 31* – 32* Berti, Silvia 11, 103 Beyrich, Tilman 163 Bien, Günther 161 Biesterfeld, Wolfgang 163 Bilfinger, Georg B. 123 Binczek, Natalie 10 Binsfeld, Peter 193 Blanckmeister, Franz 57 Blaufuß, Dietrich 163 Blécourt, Willem de 206

Personenregister

Blume, Nikolaus 179, 180 Boccalini, Traiano 20, 40 – 41, 43, 47, 78, 80 Bödeker, Hans E. 93 Bodin, Jean 193 Bodmer, Johann J. 30, 124, 126, 130 Bogner, Ralf G. 34, 61, 72, 83 Bohatec, Josef 141 Böhme, Jakob 58, 162 Böhmer, Justus H. 46 Böning, Holger 78 – 79 Borcke, Ernst M. von 157 Borcke, Otto B. von 157 – 158, 224 Borcke, Ursula E. von 157 Borghero, Carlo 140 Braun, Lucien 65 Brecht, Martin 17, 161, 162 Breitinger, Johann J. 30, 124, 126, 130 Bremmer, Jan N. 23 Breul, Wolfgang 162 Brockes, Barthold H. 128 Bronisch, Johannes 13, 40 Bruchmüller, Wilhelm 63, 67 Brucker, Jakob 48, 49 Brühl, Johann B. 62 – 67, 74, 90 – 91, 164, 197 – 198, 215 – 216, 31* Brühl, Nikolaus 63 Budde, Johann F. 6, 14, 15, 16 – 17, 20, 37 – 55, 87 – 110, 112, 115 – 116, 121, 131, 134, 138, 143, 146, 150 – 153, 155, 158 – 160, 164, 175 – 177, 184, 190 – 191, 197, 199, 202, 210 – 211, 213, 215, 222 – 223, 226, 229, 30* – 31* Bunge, Wiep van 182, 183, 187, 189 Butler, Elizabeth M. 205 Büttner, Christoph A. 188, 189 Calvet, Joseph 28 Canziani, Guido 11 Carls, Wilhelm 133 Carpzov, Benedikt 186

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Carré, Jean R. 24 Cartens, Erich 180 Cebes 64 Charon 23 Chaulnes, Claude de 153 Ciafardone, Raffaele 134, 140 Clark, Stuart 185 Claus Narr (Hofnarr) 70 Clercq, Peter de 154 Collins, John J. 23 Charles-Daubert, Françoise 11 Commodus 23 Corr, Charles A. 126, 144, 229 Corvinus, Johann F. 187 Cosentini, John 24 Cramer, Johann A. 127 Cramer, Johann U. von 176 Crusius, Christian A. 93, 134, 144, 156 Cyrano de Bergerac, Savinien de 153 Dagen, Jean 24, 25 Dale, Antonius van 28, 190 Damberg, Wilhelm 32 Darnton, Robert 12, 45, 74 Davies, Owen 205, 206 De Ceglia, Francesco P. 188 De Pol, Roberto 40 De Vivo, Filippo 11 Delfosse, Heinrich P. 160 Del Rio, Martin 193 Dembeck, Till 10 Deppermann, Klaus 17, 161 Descartes, René 6 – 7, 13, 15, 16 – 17, 20 – 21, 37 – 38, 49, 58, 94, 98, 102, 104, 106 – 107, 116, 131, 133 – 160, 177, 182, 184 – 186, 191, 198, 201 – 203, 205, 211 – 212, 215, 221, 224 – 226, 31* Desrousseaux, Alexandre M. 23 Detharding, Georg 135 Diana 193 Diogenes von Sinope 23

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Personenregister

Döring, Detlef 40, 42, 126, 133 Dose, Kai 64 Dreyfürst, Stephanie 32, 72, 220 Duchesneau, François 188 Dürbeck, Gabriele 126 Easlea, Brian 185 Ebert, Johann A. 127 Eckhardt, Nils 31 École, Jean 89, 91, 95, 96, 97, 104 Edzard, Esdras 68 Edzard, Sebastian (Pseudonym: Johannes Jeverus) 67 – 68 Egilsrud, John S. 27, 28, 31, 33 Eisenstein, Elisabeth L. 217 Enenkel, Karl 72, 83 Engfer, Hans-Jürgen 139, 140 Erasmus, Desiderius (eigentl. Gerhard Gerhards) 111 Erler, Georg 63 Ernst I. (Herzog zu Sachsen-Gotha) 33 Eugen (Prinz von Savoyen) 33, 164, 223 Euripides 103 Fabbianelli, Faustino 106 Fabricius, Johann Albert 128 Fabricius, Johann Andreas 124 Fassmann, David 5, 9, 14, 17 – 19, 27 – 34, 37, 43, 47, 51, 59, 66 – 67, 72, 74 – 75, 78 – 82, 97, 100, 111, 121 – 122, 150 – 152, 171 – 172, 184, 199 – 201, 212, 219 – 224, 30* Fénelon, François de Salignac de la Mothe 28, 41, 51, 78 Ferrari, Jean 133 Fichant, Michel 106, 175 Firpo, Luigi 40 Fischer, Daniela 38 Fischer, Ernst 131 Fischer, Heinz-Dietrich 32 Fix, Andrew 182, 185

Fleischmann, Max 72 Fontenelle, Bernard Le Bovier de 5, 17, 24 – 28, 33, 37, 41, 51, 59, 78, 80, 91, 135, 152, 169, 31* Fontius, Martin 78 Francke, August H. 5, 14, 17, 38, 50, 52, 57 – 83, 87, 89, 94 – 95, 98, 108 – 110, 134, 155, 158, 162, 163, 164, 168 – 170, 172, 184, 197, 200 – 201, 210 – 211, 217, 220, 223, 30* – 31* Freydank, Hanns 72 Friedrich II. (König von Preußen) 29, 37 Friedrich Wilhelm I. (König von Preußen) 93, 223 Fulda, Daniel 66 Gaar, Georg 185 Gäbler, Ulrich 17, 161 Gabriel, Gottfried 229 Garbe, Irmfried 163 Garber, Klaus 13 Gassendi, Pierre 141, 153 Gawlick, Günter 128 Gebhardi, Carl A. 127 Geffarth, Renko 91, 186, 189 Gerber, Christian 5, 58 – 71, 81 – 85, 31* Gerhard, Ludwig 174 Gerlach, Hans-Martin 88 Gersmann, Gudrun 198 Geßner, Hans F. 206 – 207 Geyer-Kordesch, Johanna 188 Gleichmann, Johann Z. (Pseudonyme: Theophilus, Johannes Sperantes) 30, 32, 41, 30* Gleim, Wilhelm L. 131 Gómez Tutor, Juan I. 140 Gorn, Christian A. 156 Gottsched, Johann C. 6, 13, 27 – 28, 30, 51, 80, 91, 117, 122 – 129, 130, 31* Graap, Nicola 28 Graben zum Stein, Otto von 204 – 205

Personenregister

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Graevius, Johann G. 182 Grandier, Urbain 202 Gregory, Tullio 11 Grendler, Paul F. 11 Griffin, Robert J. 39 Grimm, Gunter E. 123, 125 Gründer, Karlfried 229 Grunert, Frank 78 Guenancia, Pierre 133 Guericke, Otto von 154 Guerra, Alessandro 29 Gummelt, Volker 163 Gundling, Nikolaus H. 12, 14, 16 – 17, 37 – 55, 78, 87 – 88, 104, 107 – 109, 134, 154, 176, 184, 197, 199, 210, 220, 223 – 224, 226, 30*

Herkules 23 Heß, Ludwig von 125 Heyn, Johann 127 Hieronymus Aletophilus (Pseudonym) 138, 147 Hinrichs, Carl 93, 113 Hirzel, Rudolf 226 Hobbes, Thomas 34, 37, 48 – 50, 164, 187 Hoff mann, Adolph F. 134, 138, 156 Hoff mann, Friedrich 134, 187 – 190, 207 Hoff mann-Krayer, Eduard 206 Hollberg, Cecilie 133 Holzey, Helmut 38 Horche, Heinrich 58 Hösle, Vittorio 23, 27, 226 Hruschka, Joachim 134

Habakuk (Prophet) 193 Habel, Thomas 78 Häberlin, Georg H. 174 Hadrian (römischer Kaiser) 23, 26 Haefs, Wilhelm 12, 139 Hagedorn, Friedrich von 6, 111 – 113, 122, 129 Haken, Friedrich von 46 Haken, Levin A. von 223 – 224, 45 – 47, 54 Halley, Edmond 161, 164 Hammerstein, Notker 38, 188 Hardouin, Jean 116 Harms, Wolfgang 11 Hartbecke, Karin 91 Hartmann, Georg V. 90, 97, 147, 177, 31* Haug, Christine 12 Heinekamp, Albert 97 Heinrich VIII. (König von England) 33 Heinz-Mohr, Gerd 197 Helm, Jürgen 147, 188 Hempel, Carl F. 16, 42, 211 Hempfer, Klaus W. 27 Hendrix, Harald 40

Israel, Jonathan 138, 181, 183, 185, 186, 191, 199 Jacoby, Adolf 206 Jaitner, Wilhelm R. 144 Janowski, Johanna C. 163 Jaumann, Herbert 31, 38, 41, 78, 79, 80 Jesus 27, 70, 173 – 174, 175, 192 – 193, 194, 196 Jeverus, Johannes (Pseudonym, s. Edzard, Sebastian) Jöcher, Christian G. 229 Johann Lazar (Baron von Siebenbürgen) 177 Johanna (Päpstin) 30, 151 Johannes (Evangelist) 165 Johannes Sperantes (Pseudonym, s. Gleichmann, Johann Z.) Jong, Karel H. de 133 Juntke, Fritz 54 Just, Leo 28 Justi, Johann H. G. von 125 K., Nora (Pseudonym, s. Hösle, Vittorio)

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Personenregister

Kant, Immanuel 93, 95, 133, 134, 140, 159 Kanzog, Klaus 31 Karl XII. (König von Schweden) 34 Kaschmieder, Käthe 31, 220 Kästner, Abraham G. 127, 129 – 130 Keener, Frederick M. 28 Kemper, Hans-Georg 65 Kertscher, Hans-Joachim 93 Kettner, Friedrich E. 103, 187 Kirchhoff, Albrecht 73 Klausnitzer, Ralf 31 Klein, Alfons 112 Klopfer, Balthasar C. 58 Knoll, Gerhard 29 Knorr, Georg W. 29 Koetschau, Paul 161 Köhler, Hans-Joachim 11 Kortholt, Christian 84, 103 Košenina, Alexander 111 Kramer, Gustav 60 Kraus, Johannes 28 Krause, Friedehilde 164 Krause, Gerhard 230 Krebs, Roland 28 Krieger, Martin 134, 144 Krolzik, Udo 128 Kühlmann, Wilhelm 79, 163 La Croze, Mathurin V. de 164 Landwehr, Achim 206 Lange, Joachim 92, 95 – 96, 113, 138, 143, 146, 159, 177 Langer, Horst 163 Laube, Adolf 11 Law, John 135, 136 Leade, Jane 162 Lehmann, Hartmut 185 Leibniz, Gottfried W. 6, 14 – 16, 20, 50 – 52, 88 – 131, 133, 143, 144, 146 – 147, 150 – 153, 155, 158 – 160,

164, 169, 174 – 177, 184, 189, 191, 197, 202 – 203, 210 – 211, 214 – 215, 220, 222 – 226, 31* Leinsle, Ulrich G. 133, 134, 144 Lenz, Rudolf 81 Leporin, Christian P. 61 Lessing, Gotthold E. 10, 128 Lichtenberg, Georg C. 129 Ligota, Christopher 24 Lindenberg, Ludwig 31, 32, 220 Liscow, Christian L. 125 List, Nicol 30 Locke, John 136 Loredano, Francesco 29 Lorenz, Sönke 187 Lorenz, Stefan 106 Ludovici, Carl G. 62, 90 – 91, 97, 147, 211 Luft, Stefan 162 Lukian von Samosata 5, 17, 21, 23 – 27, 28, 31, 33, 34, 41, 47, 59, 78, 80, 129, 152, 169 – 170 Lütteken, Anett 126 Lyttleton, George 41 M. B. (Pseudonym, s. Bernigeroth, Martin) Macleod, Matthew D. 23 Mahlmann-Bauer, Barbara 126 Maigron, Louis 24 Manteuffel, Ernst C. von 13, 40, 42, 206 Marchal, Roger 24 Maresius, Samuel 182 Margarethe (Herzogin von Parma) 26 Maria 29, 204 Marion, Jean-Luc 144 Mark Aurel 23, 32 Martens, Wolfgang 133 Martial 105, 153 – 154 Martino, Alberto 40 Martus, Steffen 111, 112, 129 Masi, Serenella 38, 102 Masser, Achim 31

Personenregister

Matthias, Markus 162, 163, 165 Maurer, Michael 83 Mayer, Franziska 12 Mayer, Johann F. 6, 14, 17, 21, 106, 161, 163 – 177, 197, 202, 214, 32* McKenna, Antony 11 McKitterick, David 217 Meier, Georg F. 189 Meier, Marcus 162 Meier-Oeser, Stephan 133 Meissner, Günter 229 Menippos von Gadara 23 Merian, Matthäus der Ältere 64 – 65 Merkur 23, 40, 42 – 43, 51 – 52, 108 Mersenne, Marin 105, 182 Meumann, Markus 61, 91, 186, 189 Meusel, Johann G. 41 Middel, Katharina 42 Minos 23 Mix, York-Gothart 12, 139 Moeller, Katrin 189 Mohr, Rudolf 57 Mondot, Jean 131 Montaigne, Michel de 37 Montesquieu, Charles L. de Secondat, Baron de 32 Moore, Cornelia N. 81, 82 More, Henry 182 Mori, Gianluca 12 Mortzfeld, Peter 198 Mothu, Alain 11, 12 Mudroch, Vilem 38 Mühlpfordt, Günter 97 Mullan, John 39 Müller, August F. 93, 134, 156, 9* Müller, Gerhard 230 Müller, Jacob F. 176 – 177 Müller, Jan-Dirk 31 Müller, Johann J. 103, 164 Müller-Bahlke, Thomas 93 Mulsow, Martin 12 – 13, 16, 17, 38 – 39,

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42, 48 – 49, 66, 72, 91, 127, 131, 133, 189, 209, 9* Münkler, Marina 31 Münster, Reinhold 111, 112 Mylius, Christlob 6, 122, 125, 127 – 131 Naschert, Guido 31 Naudé, Gabriel 190 Naumann, Christian N. 17, 128 – 129 Neuber, Wolfgang 79 Neugebauer-Wölk, Monika 61, 91, 186 Neumann, Hanns-Peter 42 Newton, Isaac 113, 116 Niggl, Günter 82 Nirdest, Alain 24 Nooijen, Annemarie 181, 186, 188, 189, 190, 191, 199 Nörner, Johann C. 156 – 157 Nowak, Kurt 40 Nüssel, Friederike 38 Orban, Ferdinand 113 Origenes 105, 161, 169, 174 – 176 Otte, Peter 7, 179 – 180, 181, 195 – 197, 202 Overbeck, Adolph T. 174 – 175 Pabst, Stephan 10, 39 Paganini, Gianni 12 Paisey, David L. 75, 121 Pallavicino, Ferrante 29, 41 Panizza, Letizia 24 Pascal, Blaise 58 Pasch, Georg 80 Pasquin 76 – 77 Paulus (Apostel) 163 Pečar, Andreas 93 Peschke, Erhard 60 Pesselier, Charles É. 135, 136 Petersen, Johann W. 6, 161 – 177, 214, 32* Petersen, Johanna E. 162 – 165

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Personenregister

Petrarca, Francesco 83, 105 Petrus (Apostel) 197 Peuckert, Will-Erich 204 Pfeiffer, Almut 60 Pfeiffer, August 174 Philaretus (Pseudonym) 129 Picart, Bernard 91 Platon 26, 48, 91, 103, 176 Plutarch 83 Pompadour, Madame de 29 Popkin, Richard H. 11 Poppo, Volkmar C. 106 Pott, Martin 187, 188, 193, 195 Pneumatophilus (Pseudonym) 204 Quinos, Bruno 57 – 58 Raabe, Paul 39, 60, 75 Rabener, Gottlieb W. 125 Radolph, Johann G. 121 Raffael (eigentl. Raff aello Sanzio) 29 Rambach, Johann J. 46 Regino von Prüm 193 Regius, Henricus 182 Reiche, Johann 186 Reiling, Jesko 126 Reimarus, Hermann S. 128 Reitz, Johann H. 57 – 59, 82, 84, 210 Remmert, Volker 66 Renaudot, Eusèbe 153 Rentsch, Johannes 28, 151 Richter, Carl H. 157 Richter, Sandra 77 Rieger, Dietmar 25, 27 Rieger, Miriam 180, 181, 199 Risse, Wilhelm 97, 121 – 122, 222 Ritter, Joachim 229 Robinson, Christopher 24, 28 Röd, Wolfgang 144, 159 Romein, Jan 81 Rose, Dirk 77

Rozzo, Ugo 11 Rüdiger, Andreas 6, 14, 15, 17, 20, 65, 93, 95, 98, 102, 106, 133 – 160, 177, 184, 191, 198, 201 – 204, 210 – 212, 215, 221, 224 – 226, 9*, 30*-31* Rudolph, Andre 61, 88, 91, 96, 123 Ruff, Margarethe 205 Rutledge, John 27, 31, 34, 135, 151, 199, 221 Salzberg, Rosa 11 Sangmeister, Dirk 12 Santacroce, Antonio 40, 78 Santinello, Giovanni 49 Schäfer, Jörgen 10 Schechner, Sara J. 164 Schelle, Hansjörg 31 Schenk, Günter 88 Schepers, Heinrich 133, 140 Schilling, Michael 10, 11 Schleier, Reinhart 65 Schmid, Ulrich 31, 32, 34 Schmidt, Günter 77 Schmidt, Jürgen M. 189 Schneider, Annerose 11 Schneider, Hans 161, 162 Schneider, Ulrich J. 13 Schneiders, Werner 28, 64, 65, 66, 78, 95, 134, 154, 160 Schock, Flemming 80 Schrader, Hans-Jürgen 57, 58, 82 Schröder, Hans 164 Schröder, Winfried 11, 12, 49, 103, 160, 164 Schröpfer, Heinrich 88 Schütz, Johann J. 162 Schwabe, Johann J. 127 Schwabl, Hans 161 Schwaiger, Clemens 139 Schwartz, Jacques 23 Scriver, Christian 14, 15, 21, 168, 177,

Personenregister

179 – 207, 211 – 212, 215, 217, 221, 223, 225 – 226, 32* Seidel, Martin 49 Seiffert, Hans W. 11 Senguerd, Wolferd 154 Shepard, Leslie 10 Simoni, Anna C. 182 Singer, Maria R. 185 Sokrates 32, 64 Spanheim, Friedrich 30, 151 Sparn, Walter 38, 49, 159 Specht, Rainer 143 Spener, Philipp J. 38, 57, 60, 162 – 164, 179, 180 Spini, Giorgio 40 Spinoza, Baruch de 12 – 13, 38, 48, 49, 94, 95, 103, 137, 140, 143, 147, 158 – 159, 183, 186 – 187, 225 Stahl, Georg E. 147, 188 Steiger, Johann A. 77 Steigerwald, Jörn 25, 66 Steinauer, Johann W. 127 Steinbach, Christoph E. 127 Stix, Gottfried 112 Stolle, Gottlieb 112 Stolzenberg, Jürgen 42, 88, 96, 123 Stolzenburg, Arnold F. 38 Stötzner, Paul 40 Strähler, Daniel 89, 176 – 177 Sträter, Udo 96, 162 Straton von Lampsakos 26 Struve, Burkhard G. 112 Stübel, Andreas 174 Sturlese, Rita 218 Sturm, Leonhard C. 63, 198 Suitner, Riccarda 72, 134, 189, 206, 9* Süleyman II. (Sultan der Osmanen) 33 Syrbius, Johann J. 112 S. W. (Pseudonym) 6, 88 – 92, 215 Tannery, Paul 229

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Tartarotti, Girolamo 185 Teiresias 23 Tentzel, Wilhelm E. 78, 204 – 205 Thaler, Burchard 88 Theis, Robert 133, 134, 138 Theodosius der Große 33 – 34 Theophilus (Pseudonym, s. Gleichmann, Johann Z.) 30 Th ieme, Ulrich 199, 229 Thjulen, Lorenzo I. 29 Thomasius, Christian 5, 13 – 14, 16, 17, 32 – 33, 38, 50, 52, 59 – 65, 67 – 83, 87 – 89, 94 – 95, 98, 108 – 109, 130, 133 – 134, 136, 140, 144, 154 – 155, 158, 164, 168 – 170, 172, 176, 184, 186 – 191, 197 – 198, 200 – 201, 203 – 204, 207, 210 – 211, 217, 220 – 223, 30*-32* Thümmig, Ludwig P. 6, 222, 31* Thyssen, Erwin 127 Tilesius, Balthasar H. 89 Toland, John 103 Tomasoni, Francesco 186 Tonelli, Giorgio 140 Traninger, Anita 27 Trevor-Roper, Hugh R. 185 Trillmich, Rudolf 127 Tschacher, Werner 193 Tullian, Lips 30 Tyssot de Patot, Simon 103 Ulbricht, Otto 185 Unzer, Johanne C. 123 Uz, Johann Peter 129, 131 Veramandus (Pseudonym) 39 Vickermann-Ribémont, Gabriele 25, 27 Vierhaus, Rudolf 95 Vogel, Georg 49 Vogel, Lothar 162 Vollet, Matthias 133 Vollhardt, Friedrich 72, 78, 9*

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Personenregister

Voltaire (eigentl. François Marie Arouet) 29, 37, 45 Walch, Johann G. 104 Wallmann, Johannes 162 Wanderer, Karl-Peter 205 Watkins, Eric 144 Weber, Johann G. 206 Weidlich, Christoph 41 Weißmüller, Siegmund F. 90, 91 Weller, Emil 121 Wendebourg, Dorothea 162 Werenfels, Samuel 91 Wernsdorf, Gottlieb 76, 96 Weyer, Johann 185, 190 Wieland, Christoph M. 10, 31, 37 Wilhelm, Raymund 11 Willi, Thomas 163 Wißhacken, Sigmund 91 Wittich, Christoph 58 Wolf, Johann C. 164 Wolff, Christian 6, 12 – 13, 17, 20, 30, 42, 62, 87 – 109, 111 – 115, 117 – 126,

129 – 131, 134, 137 – 147, 150 – 160, 176 – 177, 184, 188 – 189, 191, 203, 206, 210, 214, 216, 220, 224 – 226, 229, 31* Wollgast, Sigfried 163 Wundt, Max 38, 123, 134, 159 Wustmann, Gustav 63, 64, 66 Yousefi, Hamid R. 160 Zaunstöck, Holger 93, 189 Zedler, Johann H. 9, 82, 91, 97, 133, 180, 230 Zeller, Eduard 93, 113 Zenker, Kay 134 Zenner, Gottfried 78 Zenner, Hans 206 – 207 Zimmermann, Franz 54 Zimmermann, Harro 31 Zimmermann, Johann J. 48 Zinzendorf, Nikolaus L. von 64 Zittel, Claus 72