Die Partikeln der deutschen Sprache 9783110863574, 9783110078336

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Die Partikeln der deutschen Sprache
 9783110863574, 9783110078336

Table of contents :
Vorwort
I. PARTIKELN und INTERAKTION
Abtönungspartikel und Interaktionsmanagement. Tendenziöse Fragen
Zur konversationellen Funktion von ja aber. Am Beispiel universitärer Diskurse
Die Rolle der Partikeln doch, eben und ja als Konsensus-Konstitutiva in gesprochener Sprache
Verzögerungsphänomene, Verknüpfungs- und Gliederungssignale in Alltagsargumentationen und Alltagserzählungen
Sprechhandlungsaugmente. Zur Organisation der Hörersteuerung
Partikeln als gruppendynamische Regulative
Beschreibung des Gebrauchs von Abtönungspartikeln im Dialog
Zur pragmatischen Funktion von Adversativ- und Konzessivsätzen in Dialogen
II. SYNTAX
Einige regelmäßigkeiten der Verwendung von freilich und jedoch und deren beschreibung im rahmen einer teilsyntax der deutschen Standardsprache
Syntaktische Funktionen der Partikeln eben, eigentlich, einfach, nämlich, ruhig, vielleicht und wohl. Zur Grundlegung einer diachronischen Untersuchung von Satzpartikeln im Deutschen
Zur Klassifizierung von Partikeln
Syntaxregeln für Ausdrücke der deutschen Standardsprache mit der Partikel ja
III. ZEIT und RAUM
Automatische Disambiguierung von Präpositionen am Beispiel der Präposition in
Direkte und indirekte Bewertung von Zeitintervallen durch Satzadverbien und Gradpartikeln im Deutschen und Englischen
Zur pragmatischen Funktion der Demonstrativadverbien hier, da und dort
Zur Interaktion sprachlicher und nichtsprachlicher Strategien im Erwerb der lokalen Präpositionen in, auf, unter
Die Temporalleistung der Konjunktionen im Deutschen
Zeitpartikeln bei Kindern als Ausdruck kognitiver Fähigkeiten
IV. EINZELNE PARTIKEL
Außer
Partikelgebrauch und Identität am Beispiel des Deutschen Ja
Zur Affinität von selbst und auch
Abschweifungen
Wieder und komplexe Verbbedeutungen
Bairisch eh – halt – fei
„Männer sind eben so“: Eine linguistische Beschreibung von Modalpartikeln aufgezeigt an der Analyse von dt. eben und engl. just
„Immerhin“
V. BEDEUTUNGSPROBLEME
Funktionsambiguitäten und disambiguierende Faktoren bei polyfunktionalen Partikeln
Die Unterscheidung zwischen Wahrheitsbedingungen und anderen Gebrauchsbedingungen in einer Bedeutungstheorie für Partikeln
Bedeutungsmaximalismus und Bedeutungsminimalismus in der Beschreibung von Satzverknüpfern
Partikelanalyse und Wortfeldmethode: doch, immerhin, jedenfalls, schließlich, wenigstens
VI. ARGUMENTATION
Argumente mit ‚wenn‘
Zur logiksprachlichen Repräsentation gewisser Bedingungssätze des Deutschen
Partikeln in einem pragmatischen Sprachmodell
VII. KONTRASTIV
Die adversativen Konnektoren aber, sondern und but nach negierten Sätzen
Kontrastive Übungen zur Funktion der deutschen Abtönungspartikeln (Für englische Studenten)
Ein Diskussionsbeitrag zu mal, eben, auch, doch aus kontrastiver Sicht (Deutsch-Schwedisch)
Zur Syntax und Pragmatik der Partikel im Bereich der Bibel
VIII. GRENZFÄLLE
Formen und Funktionen von ,HM‘. Eine phonologisch-pragmatische Analyse
Syntax und Semantik der denominalen Präpositionen des Deutschen
Personenmarkierte Einleitung von Nebensätzen in deutschen Mundarten und als umgangssprachliches Randphänomen
Schlagwortregister
Partikelregister

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Die Partikeln der deutschen Sprache

Die Partikeln der deutschen Sprache Herausgegeben von Harald Weydt

W DE

_G Walter de Gruyter · Berlin • New York 1979

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Die Partikeln der deutschen Sprache / hrsg. von Harald Weydt. - Berlin, New York: de Gruyter, 1979. ISBN 3-11-007833-3 NE: Weydt, Harald [Hrsg.]

Copyright 1979 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. — Printed in Germany Alle Rechte des Nachdrucks einschließlich des Rechts der Herstellung von Photokopien - auch auszugsweise - vorbehalten. Satz und Druck: Hubert 8c Co., Göttingen Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Vorwort Vor einigen Jahren hätte es sicher noch erstaunt, wenn ein Sammelband mit vierzig Beiträgen herausgekommen wäre, die einzig und allein den Partikeln (hier in einem sehr umfassenden Sinne als „unflektierte Wörter" verstanden) des Deutschen gelten. Das Erstaunen über die Beschäftigung mit den Partikeln hat aber stark nachgelassen, seit mehr und mehr Linguisten deren interessante Kommunikationsfunktionen erkannt haben, und seitdem die Erkenntnis wächst, daß wir noch zu wenig über die verwickelten Strukturen der Partikeln und ihr Zusammenwirken mit dem Kontext wissen. Vorliegender Band bietet die überarbeiteten Ergebnisse des Kolloquiums Deutsche Sprachpartikeln, das vom 6. 9. bis zum 10.9. 1977 unter Beteiligung von etwa 120 Teilnehmern aus neun Ländern am Fachbereich Germanistik der Freien Universität in Berlin stattfand. Dieses Kolloquium war gekennzeichnet durch eine alle überraschende Vielzahl an fruchtbaren Gesichtspunkten, Fragestellungen und Forschungsansätzen und durch außergewöhnlich kooperativ engagierte und fachkundige Diskussionen. Ergebnisse und Reflexe dieser Diskussionen sind in die Bearbeitung der Beiträge eingeflossen. Es war mein Bestreben, die Form der Beiträge so zu organisieren, daß es dem Leser leicht gemacht wird, dem Band die Informationen zu entnehmen, auf die er aus ist. Ich hoffe, daß die Benutzung durch dreierlei erleichtert wird. Zunächst durch eine Grobgliederung der Beiträge in acht Gruppen, die eine Vororientierung ermöglichen sollen. In der ersten Gruppe „Partikeln und Interaktion" werden acht Beiträge zusammengefaßt, die die dialogsteuernden und auf den Gesprächspartner einwirkenden Funktionen von Partikeln untersuchen. Dies Kapitel dürfte für sprechakttheoretisch und gesprächsanalytisch Interessierte besonders nützlich sein. Die zweite Gruppe enthält vier vor allem syntaktisch ausgerichtete Studien: Sechs Autoren haben sich mit den spatialen und temporalen Partikeln beschäftigt: unter dem Gesichtspunkt, wie sie vom Kind erworben werden, wie sie in einer automatischen Sprachanalyse erfaßt werden können, auf ihre Beziehung zu den bezeichneten Zeitintervallen im Deutschen und im Englischen und auf ihre temporalen und demonstrativen Funktionen. Die vierte

VI

Vorwort

Gruppe enthält Einzeluntersucbungen zu einer oder mehreren Partikeln der deutschen Sprache (einschließlich des bairischen Dialektes), allerdings unter unterschiedlichsten Fragestellungen und mit verschiedenen Methoden. Die Gruppe Bedeutungsprobleme umfaßt vier methodisch orientierte Artikel, die zu Problemen der Bedeutung von Partikeln Stellung nehmen. Der Titel des folgenden Kapitels könnte ohne Erläuterung in die Irre leiten. Mit Argumentation ist nicht gemeint, daß die Rolle der Partikeln innerhalb einer Argumentationskette thematisiert werden sollte. Vielmehr handelt es sich um semantische Analysen von Sätzen mit Partikeln in logisch unterscheidbare Bedeutungselemente und mit mehr oder weniger der Logik entlehnten formalen Darstellungen. Vier Autoren haben kontrastive Analysen (Deutsch zu: Englisch, Schwedisch, Hebräisch und Altgriechisch) erarbeitet. Unter Grenzfälle schließlich wurden drei Artikel subsumiert, deren Objekt auf der Grenze des Bereichs ,Partikel' liegen: man kann sich fragen, ob das multifunktionale [hm] noch als sprachliches Zeichen und als Partikel aufgefaßt werden kann; außerdem werden Partikeln untersucht, die schon Spuren einer Flexion aufweisen („wennste") und Partikeln, deren Ableitung aus Nomina noch allzu deutlich erkennbar sind. Zweitens sind allen Beiträgen kurze Resumes in englischer Sprache vorausgestellt. Sie sollen dem Leser eine Kurz- und Vorinformation über die Beiträge erlauben und diese Informationen auch denen zugänglich machen, die nicht primär an den Partikeln des Deutschen und an der deutschen Sprache interessiert sind. Die strenge thematische Begrenzung des Kolloquiums hat sich nämlich positiv auf die Behandlung genereller Probleme der Linguistik ausgewirkt: in den Beiträgen findet sich eine Vielzahl interessanter und weiterführender Beobachtungen und Aussagen zur Pragmatik, die gerade deshalb zustande kamen, weil der Zwang bestand, primär Daten aus dem Bereich der Partikeln zu interpretieren. Drittens wurde ein Partikelregister erstellt. Damit hat jeder Interessierte - zum Beispiel ein Deutschlehrer im Ausland - die Gelegenheit, schnell festzustellen, wo die Partikel, über die er etwas in Erfahrung bringen will, behandelt wird. Außerdem wurde ein Schlagwortregister erarbeitet, das eine zusätzliche inhaltliche Erschließung des Bandes leisten soll. Für sachkundige und sorgfältige Arbeit bei der Redaktion und bei der Registererstellung danke ich Gertrud Milz; die englischen Resumes hat dankenswerterweise Valerie Bevan betreut. Dank schulden wir der Freien Universität Berlin, die uns großzügig bei der Organisation des Kolloquiums und bei den Redaktionsarbeiten unterstützt hat. Berlin, April 1978

H. Weydt

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V I. PARTIKELN und INTERAKTION

(Amsterdam) Abtönungspartikel und Interaktionsmanagement. Fragen

FRANCK, D O R O T H E A

Tendenziöse 3

(Berlin) Zur konversationeilen Funktion von ja aber. Am Beispiel universitärer Diskurse

14

(Münster) Die Rolle der Partikeln doch, eben und 7'aalsKonsensus-Konstitutiva in gesprochener Sprache

30

(Berlin) Verzögerungsphänomene, Verknüpfungs- und Gliederungssignale in Alltagsargumentationen und Alltagserzählungen

39

(Düsseldorf) Sprechhandlungsaugmente. Zur Organisation der Hörersteuerung

58

(Berlin) Partikeln als gruppendynamische Regulative

75

(Heidelberg) Beschreibung des Gebrauchs von Abtönungspartikeln im Dialog

84

(Jesteburg) Zur pragmatischen Funktion von Adversativ- und Konzessivsätzen in Dialogen

95

KOERFER, ARMIN

LÜTTEN, JUTTA

Q U A S T H O F F , UTA

REHBEIN, JOCHEN

REITER, NORBERT

SANDIG, BARBARA

VOGEL, BODO

II. SYNTAX

(Wuppertal) Einige regelmäßigkeiten der Verwendung von freilich und jedoch und deren beschreibung im rahmen einer teilsyntax der deutschen Standardsprache

CLEMENT, DANIELE

109

VIII

Inhaltsverzeichnis

HARTMANN, DIETRICH ( H a n n o v e r )

Syntaktische Funktionen der Partikeln eben, eigentlich, einfach, nämlich, ruhig, vielleicht und wohl. Zur Grundlegung einer diachronischen Untersuchung von Satzpartikeln im Deutschen . . . .

121

R U D O L P H , ELISABETH ( H a m b u r g )

Zur Klassifizierung von Partikeln

139

THÜMMEL, W O L F ( G ö t t i n g e n )

Syntaxregeln für Ausdrücke der deutschen Standardsprache mit der Partikel ja

152

III. ZEIT und RAUM GLAS, REINHOLD ( S a a r b r ü c k e n )

Automatische Disambiguierung von Präpositionen am Beispiel der Präposition in

167

KÖNIG, EKKEHARD ( H a n n o v e r )

Direkte und indirekte Bewertung von Zeitintervallen durch Satzadverbien und Gradpartikeln im Deutschen und Englischen ...

175

MOILANEN, MARKKU ( H e l s i n k i )

Zur pragmatischen Funktion der Demonstrativadverbien hier, da und dort

187

PAPROTTE, W O L F ( M ü n s t e r )

Zur Interaktion sprachlicher und nichtsprachlicher Strategien im Erwerb der lokalen Präpositionen in, auf, unter

201

PETKOV, PAVEL ( S o f i a )

Die Temporalleistung der Konjunktionen im Deutschen

215

SZAGUN, GISELA ( B e r l i n )

Zeitpartikeln bei Kindern als Ausdruck kognitiver Fähigkeiten . .

223

IV. EINZELNE PARTIKEL ABRAHAM, W E R N E R ( G r o n i n g e n )

Außer

239

HINRICHS, UWE (Berlin)

Partikelgebrauch und Identität am Beispiel des Deutschen Ja

.. .

256

PLANK, FRANS ( H a n n o v e r )

Zur Affinität von selbst und auch

269

IX

Inhaltsverzeichnis

R O N C A D O R , M A N F R E D VON ( A u g s b u r g ) u n d BUBLITZ, W O L F R A M ( T r i e r )

Abschweifungen

285

ROTHKEGEL, ANNELY ( S a a r b r ü c k e n )

Wieder und komplexe Verbbedeutungen

299

SCHLIEBEN-LANGE, BRIGITTE ( F r a n k f u r t / M a i n )

Bairisch eh - halt - fei

307

TRÖMEL-PLÖTZ, SENTA ( K o n s t a n z )

„ M ä n n e r sind eben so": Eine linguistische Beschreibung von M o dalpartikeln aufgezeigt an der Analyse von dt. eben und engl, just

318

WEYDT, HARALD (Berlin)

„Immerhin"

335

V. BEDEUTUNGSPROBLEME ALTMANN, H A N S ( M ü n c h e n )

Funktionsambiguitäten und disambiguierende Faktoren bei polyfunktionalen Partikeln

351

BARTSCH, RENATE ( A m s t e r d a m )

Die Unterscheidung zwischen Wahrheitsbedingungen und anderen Gebrauchsbedingungen in einer Bedeutungstheorie für Partikeln

365

POSNER, R O L A N D ( B e r l i n )

Bedeutungsmaximalismus und Bedeutungsminimalismus in der Beschreibung von Satzverknüpfern

378

WEYDT, HARALD (Berlin)

Partikelanalyse und Wortfeldmethode: doch, immerhin, schließlich, wenigstens

jedenfalls, 395

VI. ARGUMENTATION

EGGS, EKKEHARD ( B e r l i n )

Argumente mit , w e n n . . . '

417

FISCHER, BERND-JÜRGEN ( B e r l i n )

Z u r logiksprachlichen Repräsentation gewisser Bedingungssätze des Deutschen

434

GERSTENKORN, ALFRED ( D a r m s t a d t )

Partikeln in einem pragmatischen Sprachmodell

444

χ

Inhaltsverzeichnis VII. KONTRASTIV

ASBACH-SCHNITTKER, BRIGITTE ( R e g e n s b u r g )

Die adversativen Konnektoren aber, sondern und but nach negierten Sätzen

457

PANETH, EVA (London)

Kontrastive Übungen zur Funktion der deutschen Abtönungspartikeln (Für englische Studenten)

469

STOLT, BRIGITTE ( S t o c k h o l m )

Ein Diskussionsbeitrag zu mal, eben, auch, doch aus kontrastiver Sicht (Deutsch-Schwedisch)

479

WONNEBERGER, REINHARD ( H a m b u r g )

Zur Syntax und Pragmatik der Partikel im Bereich der Bibel

. . .

488

Formen und Funktionen von ,HM'. Eine phonologisch-pragmatische Analyse

503

VIII. GRENZFÄLLE EHLICH, KONRAD ( D ü s s e l d o r f )

EISENBERG, PETER ( H a n n o v e r )

Syntax und Semantik der denominalen Präpositionen des Deutschen

518

RICHTER, HELMUT ( B o n n )

Personenmarkierte Einleitung von Nebensätzen in deutschen Mundarten und als umgangssprachliches Randphänomen . . . .

528

Schlagwortregister

541

Partikelregister

543

I. PARTIKELN und

INTERAKTION

Abtönungspartikel und Interaktionsmanagement Tendenziöse Fragen D o r o t h e a FRANCK (Amsterdam)

SUMMARY Some German modal particles, when inserted into questions, express a bias of the speaker towards a preference for one of the possible answers. The analysis of these particles (auch, etwa, doch, nicht) shows the necessity to develop linguistic theory, especially in the domain of illocutionary force indicating devices, in several respects. Utterances must not only be analyzed into speech act potential but also as possible conversational moves. Global and local interaction conditions have to be distinguished, the local ones pertaining to the internal interaction management at the given state of the conversation. The above mentioned particles contribute to the local prestructuring of the continuation of the conversation by limiting the range of acceptable answers. Questions and other initiative moves establish a frame for continuation which assigns different degrees of acceptability to reactionoptions; every answer will be evaluated against the background of this frame. Besides these issues raised by the linguistics of conversation some other problems are discussed: The role of negation in questions, and the general problem of vagueness in the meaning of modal particles, which is here redefined as a necessary kind of flexibility and adjustability in context, typical of many expressions in natural language. As to the related problem of whether meaning variants of modal particles are to be described as implicature or as separate lexical items, a rather practical, application-oriented attitude is proposed.

1.

Beobachtungsbefund Etliche Abtönungspartikeln des Deutschen können in Fragen

stehen

und erhalten in dieser V e r w e n d u n g eine besondere Bedeutung oder Bedeutungsnuance. Auch, doch

etwa

sowie nicht

k o m m e n in Fragesätzen

Fragebedeutung kontextuell einwandfrei abgesichert ist. Auch, doch

vor,

in Deklarativsätzen mit Fragebetonung oder in Sätzen, bei denen die etwa

und

können als Abtönungspartikel auch in anderen Satzarten gebraucht

werden. H i e r soll uns zunächst nur die F r a g e - L e s a r t interessieren. trachten w i r die folgenden Beispiele:

Be-

4 (1) (2) (3) (4) (5)

Dorothea Franck

Hast du zugeschlossen? Hast du auch zugeschlossen? (Zustimmung) Hast du etwa zugeschlossen? (Ablehnung) Du hast doch zugeschlossen? (Zustimmung) Hab ich das Ding nicht phantastisch verriegelt? (Zustimmung)

Die Satzfragen (2)-(5) sind „tendenziös": d.h. sie lassen erkennen, daß der Sprecher nicht neutral eingestellt ist hinsichtlich einer zustimmenden oder ablehnenden Antwort. Diese Einstellung des Sprechers ist jedoch nicht die der Erwartung bzw. des Für-wahrscheinlich-Haltens, zumindest nicht ausschließlich. Als Haupteffekt wird man den Partikeln eher zuschreiben, daß, vorgreifend auf die Reaktion des Hörers, ein Urteil ausgesprochen wird über die Antworten; ein Urteil, das die Präferenz des Sprechers für eine zustimmende oder eine ablehnende Antwort zum Ausdruck bringt. Aus (2), (4) und (5) spricht die Präferenz für eine positive, aus (3) die für eine negative Antwort. (4) und (5) lassen zusätzlich erkennen, daß man den positiven Sachverhalt für wahrscheinlicher hält.

2. Theoretischer Rahmen: Thesen zur Sprechaktund Konversationstheorie In welche Richtung muß die Linguistik weiterentwickelt werden, um einen adäquaten Erklärungsrahmen für die in 1. genannten Phänomene bieten zu können? Hierzu aus Platzgründen nur ein paar Thesen. Die Abtönungspartikeln haben keine oder nur eine sekundäre propositionale Bedeutung. Die Alternative, in ihnen lllokutionsindikatoren zu sehen, bietet sich also an. Für etliche Partikeln ergibt sich daraus eine recht plausible Bedeutungszuschreibung. In anderen Fällen lassen sie sich nur dann unter die lllokutionsindikatoren einreihen, wenn man den Begriff der Illokution ganz erheblich über das hinaus ausdehnt, was man bisher darunter verstanden hat, denn sie sind nicht immer Anzeiger einer der gängigen Sprechaktklassen oder -subklassen. Sie dienen eher dazu, die Äußerung im konversationellen oder argumentativen Kontext zu verankern und verleihen auch der emotiven Seite des Beziehungsstandes zwischen den Interaktanten Ausdruck. Dieser Bedeutungsaspekt vieler Ausdrucksmittel, — nicht nur der Abtönungspartikeln —, wurde bisher auch in der pragmatisch orientierten Linguistik weitgehend vernachlässigt; wohl nicht zuletzt deshalb, weil für diesen Bereich kaum Erklärungsmodelle vorlagen. Um ein solches zu entwickeln, ist es notwendig, den Kategorieribestand der pragmatischen Linguistik zu erweitern, u. a. dadurch, daß man

Abtönungspartikel und Interaktionsmanagement

5

die herkömmlichen sprechakttheoretischen Kategorien verbindet mit Kategorien aus der Konversations- und Interaktionsanalyse. Zu diesem Vorhaben sollen hier ein paar Vorschläge gemacht werden. Weder die herkömmliche Linguistik noch die Sprechtaktanalyse haben sich bisher gründlich darum bekümmert, wie Sprecher im alltäglichen sprachlichen Verkehr die Organisation und gemeinschaftliche Abstimmung des Gesprächsverlaufs an Ort und Stelle, d.h. im jeweils aktuellen Gesprächsbeitrag bewältigen. Um die Leistung bestimmter Ausdrucksmittel im Geschäft des sprachlichen Interaktionsmanagements beschreiben zu können, müssen wir im Bereich der Illokution unterscheiden zwischen globalen und lokalen Interaktionsbedingungen. Unter die globalen Bedingungen fallen die meisten herkömmlichen Bedingungen, wie das Etablieren von Obligationen, Wahrheitsansprüchen usw., die über den aktuellen Stand der Konversation hinaus gültig bleiben. Die lokalen Bedingungen, die uns hier mehr interessieren, sind diejenigen, die die Anschluß- und Fortsetzungsbedingungen der Äußerung beeinflussen und damit die konversationelle Verwendbarkeit der Äußerung im Gesprächskontext regeln. Die Äußerung wird also nicht nur auf ihr Potential als Sprechakttyp, sondern auch als konversationeller Zug hin analysiert. Die konversationelle Klassifikation kann mit der Sprechaktklassifikation weitgehend zusammenfallen, - wie im Fall der Frage, oder weitgehend unabhängig davon sein, - wie im Fall der Kategorie ,Antwort'. Die Abhängigkeit von Sprechaktpotential und Zugpotential muß also von Fall zu Fall näher untersucht werden. 2,1 Mittel des lokalen

Interaktionsmanagements

Ein konversationeller Zug ist definiert durch seine lokalen Eigenschaften: durch seine Voraussetzungen über den vorangegangenen Stand der Konversation und durch die Art und Weise, wie er den weiteren Gang der Konversation vorstrukturiert. Abtönungspartikeln können beide dieser Arten von Bedingungen modifizieren. Im Zusammenhang mit den obengenannten Beispielen interessiert uns hier vor allem die zweite: die Vorstrukturierung der Fortsetzung. Sie wird vor allem bei initiativen Zügen relevant. Fragen sind initiative Züge par excellence. Bei reaktiven Zügen, wie z.B. Antworten, steht die erste Art von Bedingungen im Mittelpunkt: auf welche Voraussetzungen über den Stand der Interaktion läßt die Äußerung schließen, oder anders ausgedrückt: welche Situationsdefinition vermittelt sie. Das Problem bei der Vorstrukturierung in initiativen Zügen ist nun folgendes: Wie kann ein Sprecher die zukünftige Gesprächsentwicklung beeinflussen, wenn er seinem Partner keine bestimmte Reaktion auf-

6

Dorothea Franck

zwingen kann, geschweige denn die Reaktion im voraus kennt? Er hat im Normalfall keine Gewalt darüber, was der andere faktisch sagen wird: wohl aber Einfluß darauf, wie die Äußerung des anderen interpretiert werden wird. Jeder Zug in der Konversation etabliert ein mehr oder weniger deutliches Muster für die Fortsetzungsmöglichkeiten und wirft damit über alle möglichen Fortsetzungen im voraus ein Netz der Evaluation, das die Fortsetzungen in mehr oder weniger relevante oder präferierte einteilt. Dieses Muster nenne ich im folgenden Fortsetzungskonstellation. Jeder folgende Zug wird dann im Licht dieser Fortsetzungskonstellation interpretiert, d.h. er wird daran gemessen, wieweit und in welcher Weise er dem gegebenen Stand der Konversation entspricht. Wenn ζ. B. Sprecher A an seinen Partner Β eine Frage richtet, so steht es Β natürlich frei, die Frage zu beantworten, etwas ganz anderes zu sagen oder auch zu schweigen. Aber Β kann sich nicht der Evaluation entziehen, die von der Vorgängeräußerung auf seinen Beitrag übergeht, so daß ein Schweigen nun auch interpretierbar wird, beispielsweise als Weigerung zu antworten. Diese allgemeine Evaluation, d.h. die Voraus-Klassifikation verschiedener Antwortoptionen, ist gekoppelt an eine soziale Evaluation der Optionen, die als Zeichen größerer oder geringerer Kooperativität gewertet werden. Die Fortsetzungskonstellation eines initiativen Zuges zeigt eine bestimmte Option bzw. Klasse von Optionen an als diejenige Option, der die höchste Akzeptabilität zukommt: die sog. ausgezeichnete Fortsetzung. Die ausgezeichnete Fortsetzung ist die Reaktion, die die Setzungen und Voraussetzungen des Vorgängerzuges maximal akzeptiert und im Sinne der angezeigten Präferenz hinsichtlich der Fortsetzungen kooperiert. Die ausgezeichnete Fortsetzung von einer Frage ist eine direkte Antwort, die ausgezeichnete Fortsetzung einer Aufforderung die Erfüllung der Aufforderung bzw. die Zustimmung zur späteren Ausführung. Vgl.: A: Was ist deine

Lieblingsfarbe?

B: Blau (rot, grün, gelb

...).

A: Wiederholen

Sie die folgenden

B: Ich schwöre

...

Worte: Ich schwöre

...

Genauso wie Illokutionsindikatoren nicht der eigentlichen Sprechaktbedeutung entsprechen müssen, so kann auch eine Fortsetzungskonstellation uneigentlich gebraucht werden, z.B. im Fall von „fishing-for-compliments". Außerdem etablieren nicht nur Frage- und Aufforderungssätze ein deutliches Fortsetzungsmuster, auch viele Deklarativsätze sind im konversationellen Kontext initiativ. Vgl.:

Abtönungspartikel und Interaktionsmanagement

7

A: Ich bin viel zu dick geworden. B: Aber nein! Sie sind schöner denn je! Die weiteren Fortsetzungsoptionen lassen sich — ganz grob — in zwei Klassen einteilen: in zurückweisende Reaktionen und neutrale Reaktionen. Ein Beispiel für eine zurückweisende Reaktion: A: Wo warst du gestern abend? Β: Das geht dich nichts an. Für eine neutrale bzw. verzögernde Reaktion: A: Wo warst du gestern abend? Β: Wann genau? Vor oder nach zehn? In Wirklichkeit muß man sich anstelle der stark vergröbernden Dreiteilung in ausgezeichnete, neutrale und zurückweisende Fortsetzungen (AF, NF und ZF) eine ganze Skala von Fortsetzungsklassen mit abnehmendem Kooperativitätsgrad vorstellen. 2.2 Modifikation

der Fortsetzungskonstellation

in Fragen

Fragen unterscheiden sich z.B. von Aufforderungen dadurch, daß der AF-Bereich relativ offen ist: jede direkte Antwort gilt als AF; die Auswahl aus der Menge der direkten Antworten ist ins Belieben des Antwortenden gestellt. Anders bei Aufforderungen: dort wird eine ganz bestimmte Handlung als die einzig präferierte angegeben. Die Offenheit des AF-Bereiches gilt natürlich nur für echte Informationsfragen; sehr häufig ist kontextuell der AF-Bereich auch bei Fragen auf eine Möglichkeit eingeschränkt: so z.B. bei Examensfragen, Fragen, bei denen die Präferenz für eine bestimmte Antwort auch unangezeigt evident ist usw. Die Offenheit des AF-Bereichs in der Fortsetzungskonstellation bei Fragen ist der Grund dafür, daß in Höflichkeitskontexten häufig Fragen für Aufforderungen gebraucht werden. Diese konversationeile Eigenschaft von Fragen bleibt offensichtlich zumindest oberflächlich wirksam, auch wenn der Aufforderungscharakter deutlich ist. Eine Aufforderung bringt den Angesprochenen in die Situation, daß jede andere als die geforderte Handlung als Mangel an Kooperativität ausgelegt werden kann; wird die Aufforderung als Frage formuliert, so bleibt zumindest auf der Ebene der Konversation der Schein erhalten, daß der Angesprochene eine freie Wahl trifft unter den direkten Antworten. Die Verwendung der Frageform für Aufforderungen ist also ein Mittel der Modifikation der Fortsetzungskonstellation, und zwar in der Hinsicht, daß der Bereich der ausgezeichneten Fortsetzung erweitert wird.

8

Dorothea Franck

Modifikationen in umgekehrter Richtung sind auch möglich; damit sind wir wieder beim Thema der Abtönungspartikeln angelangt. Die relativ offene Fortsetzungskonstellation von Beispiel (1), die beide direkten Antworten, „ja" und „nein", gleichstellt, wird in den Sätzen (2)—(5) in jeweils unterschiedlicher Richtung eingeschränkt. Die ausgezeichnete Fortsetzung wird auf die in Klammer angegebene Art der Reaktion reduziert: nach Fragen mit auch, fragenden Deklarativsätzen mit doch und Fragen mit abtönendem nicht wird Zustimmung zur AF deklariert, nach Fragen mit etwa gilt Ablehnung als AF. Andere Reaktionen rücken dadurch automatisch mehr in die Nähe der ZF. Diese durch die Partikeln erzeugte Einschränkung des AF-Bereichs kann verschiedene kommunikative Effekte erzeugen, u. a. in bezug auf den Grad an Kooperativität in der Interaktion. Dabei spielen auch noch weitere Bedeutungskomponenten der hier besprochenen Partikeln eine Rolle, die hier aus Platzgründen fast völlig übergangen werden müssen. Lediglich in bezug auf auch soll kurz erwähnt werden, daß es nicht nur vorwärtsgerichtet Tendenz in die Frage bringt, sondern auch rückwärtsgerichtet spezifische Voraussetzungen macht über den Argumentations- oder Interaktionszusammenhang, in dem die Frage eine Rolle spielt: die positive Bestätigung der Frage ist eine Vorbedingung für eine weitere Handlung bzw. einen Entschluß,der auch im Interesse des Hörers liegt. So z.B. wenn eine Tante die Kinder fragt, ob sie auch artig waren, bevor sie ihre Mitbringsel verteilt. Fragen mit etwa erscheinen im allgeminen unfreundlicher, weniger kooperativ als die mit den anderen Partikeln. Die wertende Einstellung zu den Fortsetzungsalternativen ist hier am stärksten. Dies kommt daher, daß der Sprecher die Ablehnung der Satzproposition ,du hast zugeschlossen' als AF hervorhebt, dieser Antwort jedoch keine größere Wahrscheinlichkeit zuordnet als der entgegengesetzten, ja sogar eher Anhaltspunkte für die nicht-präferierte Antwort zu haben scheint. Er unterstellt also dem Hörer keine Kooperativität, während in den Fragen mit auch, doch und nicht die bevorzugte Antwort auch als die am meisten erwartete angezeigt wird, also die Frage so gestellt ist, daß der Angesprochene kooperativ fortfahren kann. Solche Operationen sind in GOFFMANS Terminologie „protektiv", d.h. sie sorgen nicht nur dafür, daß die eigene Äußerung sozial akzeptabel ist, sondern daß dem anderen eine akzeptable Fortsetzung ermöglicht wird. Eine genauere Beschreibung solcher Mechanismen des Interaktionsmanagements setzt eine systematische Miteinbeziehung von Interaktionspostulaten und Kontexttypen voraus (z.B. eine Analyse von Höflichkeit), die hier nicht möglich ist 1 .

Abtönungspartikel und Interaktionsmanagement

3. Allerlei Komplikationen

mit der

9

Negation

Im Zusammenhang mit nicht, sowohl in abtönender wie in negierender Funktion, ergeben sich verschiedene Probleme, die hier in aller Kürze angedeutet werden sollen. 3.1 Negation in Fragen Rein propositional-semantisch gesehen erscheint Negation in Satzfragen überhaupt sinnlos. Da die Wahrheit der in der Frage genannten Proposition nicht bekannt ist, läuft es semantisch zwar auf das gleiche hinaus, ob man die positive oder die negierte Proposition erfragt; aufgrund des größeren lexikalischen Aufwands im negierten Fall erscheint das Einfügen der Negation überflüssig. Da wir jedoch sehr häufig Fragen mit Negation beobachten können, verwundert es nicht, wenn das Negationswort weitere Funktionen übernimmt, so daß sein Vorkommen nicht redundant ist. Vgl.: (6) Hat er nicht gut gespielt? Das nicht kann zweierlei Bedeutungsvarianten produzieren. Im einen Fall hat das nicht abtönende Funktion; dann wird der positive Sachverhalt suggeriert und um Bestätigung der Sprechermeinung gebeten, paraphrasierbar mit: ,er hat gut gespielt. Das meint ihr doch auch?'. In dieser Funktion ist nicht, wie andere Abtönungspartikel auch, nicht betonbar. Im anderen Fall, in dem nicht betont sein kann, deutet das Negationswort auf etwas anderes: nicht gehört dann zur erfragten Proposition. Es ist dennoch nicht redundant, obwohl es negiert. Es handelt sich dann um eine offene Frage, der Sprecher will eine echte Information. Der Sprecher deutet an, daß er eigentlich den positiven Sachverhalt für wahrscheinlich gehalten hat, aber daß es nun Hinweise für das Gegenteil gibt. Die beiden Lesarten von (6) setzen also zwei verschiedene Kontexte voraus. Passend für die erste wäre z.B.: Mehrere Fans eines Pianisten kommen zusammen aus dem Konzert, dann äußert einer, — der auch mit im Konzert war —, den Satz (6). Die zweite Lesart wäre angemessen, wenn die Konzertbesucher mit enttäuschter Miene vom Konzert zurückkehren und ein Zuhausegebliebener daraufhin (6) äußert. Deutlicher wird das vielleicht noch im folgenden Beispiel: Ein Polizist führt einen Verhafteten dem Untersuchungsrichter vor. Dieser sagt: „Lassen Sie den Mann sofort frei!" Darauf erwidert der Polizist: (7) Wieso? Ist das nicht der gesuchte Terrorist

Maier?

10

Dorothea Franck

Ein Hinweis auf die Verschiedenheit der beiden Varianten liegt auch in den Konsequenzen für die Antwort. Fragen mit der Abtönungsbedeutung können, wenn der positive Sachverhalt bestätigt werden soll, mit ja beantwortet werden; bei der Negationsvariante muß dann mit doch geantwortet werden. (8) Ist das nicht dein Ja.

Onkel?

(9) Ist das nicht der Maier? Doch. In beiden Fällen hat das nicht etwas mit der eingangs erwähnten Verankerung der Äußerung im Kontext zu tun. Im ersten Fall ist die Funktion des nicht wie bei allen Tendenz-Partikeln eher vorwärts gerichtet auf die Fortsetzungskonstellation für den nächsten Sprecher, im zweiten Fall eher auf die konversationellen Kontextvoraussetzungen der Äußerung selbst. In manchen Fällen wird die Abtönungslesart allein durch den satzinternen Kontext schon sichergestellt, wie z.B. in (5). Hier fällt zweierlei auf: sowohl ein betontes nicht erzeugt eine wenig akzeptable Äußerung (es sei denn man liest es als Echo-Frage) wie auch die Frage ohne nicht: (5') 7 (10) 7 (5") ? (10') ?

Hab ich das nicht phantastisch verriegelt? Ist das nicht toll? Hab ich das phantastisch verriegelt? Ist das toll?

Der Grund liegt in der Kookkurrenz mit dem emphatischen phantastisch bzw. toll. Es entsteht ein ähnlicher Effekt wie beim Gebrauch markierter Formen in Ergänzungsfragen: (11) Wie klein bist du? (12) Wie phantastisch war der Film? Hier wird jeweils vorausgesetzt, daß bereits die Rede davon war, daß der Angesprochene klein bzw. der Film phantastisch ist. Der Gebrauch der markierten Form bzw. der emphatischen Qualifikation in der Frage wäre sinnlos, wenn nicht durch einen spezifischen Kontext motiviert. Der Echoeffekt aktualisiert diesen Kontext. 3.2 Antworten auf Tendenzfragen

mit

Negation

In die Tendenzfrage kann eine Negation eingeschoben werden: (2') Hast du auch nicht zugeschlossen? (AF: Zustimmung: nein) (3') Hast du etwa nicht zugeschlossen? (AF: Zustimmung: doch) (4') Du hast doch nicht zugeschlossen? (AF: Zustimmung: nein)

Abtönungspartikel und Interaktionsmanagement

11

Die Negation steht dann immer hinter der Tendenzpartikel. Dieses nicht wird immer prepositional verstanden in dieser Position, es hat nur negierende, keine abtönende Funktion. In diesem Fall ist die propositionale Negation in der Frage jedoch sinnvoll, da sie die Proposition, auf die sich dann die Tendenz der Frage bezieht, verändert. Wenn vorher z.B. die positive Proposition ,ich habe zugeschlossen' als präferierte Fortsetzung angegeben ist, wie in (2) und (4), so ist es in (2') und (4') die Satzproposition inklusive der Negation ,ich habe nicht zugeschlossen'. In (3') ist entsprechend jetzt die positive Proposition ,ich habe zugeschlossen' die der AF entsprechende Proposition; die doppelte Negation hebt sich auf (Ablehnung der negierten Proposition); - ein Hinweis mehr, daß es sich hier um eine propositionale Negation handelt. Da die Antwortpartikeln ja, nein und doch im Deutschen eine negationssensitive Distribution haben, müßten wir uns die Frage-AntwortRelationen eigentlich genauer ansehen. Aus Platzgründen kann ich wiederum nur auf FRANCK 1978 verweisen, wo u.a. der „switch" der Antwortpartikeln nach negierten Fragen und Behauptungen behandelt wird.

4. Implikatur

oder

Bedeutung

Die plötzliche Blüte der Partikelforschung in jüngster Zeit läßt sich einerseits daraus erklären, daß in dem Bereich eine deutliche Lücke in der Grammatik und im Lexikon vorlag, die sich vor allem im Fremdsprachenunterricht und in der Übersetzungsproblematik bemerkbar machte. Vor allem aber ist dafür verantwortlich, daß erst eine in die Pragmatik hinein entwickelte Linguistik den Erklärungsrahmen für viele Partikeln, insbesondere die Abtönungspartikeln bieten konnte. Die Widerspenstigkeit dieser Wörtchen, sich in den Rahmen herkömmlicher linguistischer Beschreibungen einpassen zu lassen, macht sie geradezu zum Prüfstein für eine der Empirie verpflichtete linguistische Theorie, und zwar nicht nur deshalb, weil sie „pragmatische", d.h. illokutionsbezogene Bedeutungskomponenten haben. Typisch für sie ist eine Art Vagheit in der Bedeutung; und Vagheit wurde bisher in der Linguistik mehr verdrängt als erklärt. In der Partikelforschung kann verdeutlicht werden, was es mit dieser für natürliche Sprachen so wichtigen, ja essentiellen Vagheit auf sich hat. Die Vagheit der Partikeln ist weniger eine prinzipielle Undeutlichkeit, sondern eine Flexibilität der Bedeutung, die es ermöglicht, die Äußerung in den jeweiligen Kontext genau einzupassen, diesen Kontext gezielt in die Gesamtbedeutung mit einzubeziehen und damit auch eine Definition des

12

Dorothea Franck

Kontextes, so wie er aktuell relevant ist, zu (re-) konstruieren und, ohne dies zu thematisieren, zu vermitteln. In der Erklärung der Partikelbedeutung müssen sonst säuberlich getrennte Bereiche wie semantische Merkmale, Kontextmerkmale, Interpretationsmaximen und Interaktionsnormen miteinander verbunden und aufeinander zu modelliert werden. Immer wieder steht man vor der Alternative, eine Partikelbedeutung entweder als Implikatur aus Kontext und einer allgemeineren Bedeutung der gleichen Form zu erklären, oder als eigenständige Bedeutung, so daß man dann von genuiner Homonymie bzw. Ambiguität sprechen kann. Diese Dichothomie erweist sich in der Untersuchung der Abtönungspartikeln als zu simpel. Die Frage - Implikatur oder Bedeutung - stellt sich in zweierlei Hinsicht: Zum einen gibt es bei fast allen Abtönungspartikeln ein gleichlautendes Adverb mit propositionaler Bedeutung. Fast immer hat man auch die Intuition, daß die Adverb- und die Abtönungsbedeutung irgend etwas miteinander zu tun haben, eine Intuition, die jedoch meist sehr schwer zu explizieren ist. Dasselbe gilt noch stärker für Bedeutungsvarianten der gleichen (ist es die gleiche?) Partikel in verschiedenen Kontexten. Die Partikelbedeutung kovariiert häufig mit Illokutionsindikatoren. ist also z.B. in einer Frage anders als in einem Deklarativsatz bzw. kann nur im einen oder anderen überhaupt vorkommen. Dies spricht dafür, bei den verschiedenen Abtönungsnuancen nach Implikaturbeziehungen zu suchen. Bei der Adverb-Partikel-Unterscheidung erscheint es trotz Bedeutungsverwandtschaft richtig, gesonderte Lexikoneinträge vorzunehmen. Selbst wenn sich deutliche Beziehungen zwischen der Adverb- und der Partikelbedeutung herstellen lassen, so ist doch die Partikelbedeutung deutlich konventionalisiert und die Herleitung aus der Adverbbedeutung für einen normalen Sprecher kaum nachvollziehbar. Dafür, daß in der Partikelbedeutung konventionelle bzw. arbiträre Momente stecken, spricht auch die Tatsache, daß andere Sprachen oft ein dem Adverb genau entsprechendes Wort kennen, ohne daß dies auch als Partikel verwendbar wäre. Die Adverb-Partikel-Unterscheidung läßt sich auch mit anderen Argumenten weiter absichern (Intonation, Syntax, insbes. Kombinationsbeschränkungen unter Partikeln). Bei der Unterscheidung von Partikelnuancen ist es schwieriger, eine generelle Lösung anzugeben. Hier geht es oft um die praktische Frage der Machbarkeit: ist es einem Sprecher, der die eine Nuance in einem bestimmten Kontexttyp beherrscht, möglich, die andere(n) Nuance(n) in einem anderen Kontext zu erschließen? Gibt es eine allgemeine Bedeutung, aus der sich alle Nuancen produktiv als Implikatur ableiten lassen? Ist die eine Bedeutungsnuance ,grundlegender' als

13

Abtönungspartikel und Interaktionsmanagement die a n d e r e ? W i r sollten hier die A n n a h m e ,

d a ß sich die

verschiedenen

B e d e u t u n g s v a r i a n t e n h i s t o r i s c h a u s ein und d e m s e l b e n W o r t

entwickelt

h a b e n , n i c h t der p r a k t i s c h e n V e r w e n d b a r k e i t einer G r a m m a t i k , z . B . i m Fremdsprachenunterricht,

so

weit

überordnen,

daß

die E r k l ä r u n g

der

heutigen G e b r a u c h s b e d i n g u n g e n d e r s c h ö n e n E i n f a c h h e i t d e r T h e o r i e g e opfert würde.

ANMERKUNG 1 Die in diesem Kapitel nur flüchtig gestreifte Theorie der Konversation wird ausführlicher behandelt in FRANCK (1978), sowohl im allgemeinen wie im besonderen, als Rahmen der Analyse von u. a. Abtönungspartikeln. Auch das Prinzip ,Höflichkeit' in sprachlicher Interaktion wird dort näher erläutert sowie die in Kapitel 4. kurz andiskutierten allgemeinen Schlußfolgerungen aus der Partikeldiskussion.

LITERATURVERZEICHNIS ( 1 9 7 8 ) , Grammatik und Konversation. Kronberg/Taunus: Scriptor (in Vorbereitung). GOFFMAN, E. ( 1 9 6 7 ) , Interaction Ritual. New York: Anchor Books. GRICE, P. ( 1 9 6 8 ) , Logic and Conversation. (Unpublished notes from William James Lectures). SEARLE, J . ( 1 9 6 9 ) , Speech Acts. London: Cambridge University Press. FRANCK, D .

SACKS, H . / E . A . S C H E G L O F F / G . JEFFERSON ( 1 9 7 4 ) , A S i m p l e s t S y s t e m a t i c s f o r t h e O r g a n i z a -

tion of Turn-Taking for Conversation. In: Language Vol. 50, No. 4, pp. 696 - 7 3 5 . Abtönungspartikel. Die deutschen Modalwörter und ihre französischen Entsprechungen. Bad Homburg v. d. H. usw.: Gehlen ( = Linguistica et Litteraria 4). WUNDERLICH, D . ( 1 9 7 6 ) , Studien zur Sprechakttheorie. Frankfurt a . M . : Suhrkamp ( = suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 172). WEYDT, H . ( 1 9 6 9 ) ,

Zur konversationellen Funktion von ja aber Am Beispiel universitärer Diskurse * ARMIN KOERFER (Berlin)

SUMMARY This paper is about the function of ja aber in the initial position of contributions to a conversation. To begin with, ja and aber when contained in the complex ja aber can be used as the expressions of affirmation and objection respectively. However, a thorough analysis of the different functions of ja aber would presuppose that the occurrences of ja aber had been investigated to a large extent. Tentative analyses seem to confirm the hypothesis that the use of ja aber is specific to certain types of text. Ja aber typically occurs in oral communication, i.e. dialogues, and functions exclusively as an introduction for a reactive contribution. It would be a mistake, however, to reduce (university) communication to a rationally controlled exchange of contributions and to abstract it from those personally involved, the bearers of communication. They master techniques of piloting a dialogue, in order to keep a situation of communication alive, even if, for instance, the 'red thread' has got lost or is being questioned. Ja aber will be treated as an example of such a technique, especially with respect to its function of bringing about a change of speakers. Finally this will be done from the points of view of connection, progression of subjects and group dynamics.

1 . 1 Z u n ä c h s t soll k u r z e r l ä u t e r t w e r d e n , w i e sich ja aber s u c h u n g s g e g e n s t a n d ü b e r h a u p t herauskristallisierte. M e i n e keit auf d a s P h ä n o m e n ja aber

als U n t e r -

Aufmerksam-

w u r d e im R a h m e n v o n T r a n s k r i p t i o n e n zu

e i n e m P r o j e k t z u r H o c h s c h u l k o m m u n i k a t i o n 1 erst d a d u r c h g e l e n k t , d a ß es in einer b e s t i m m t e n S e q u e n z g e h ä u f t a u f t r a t , u n d z w a r bei e i n e m m e h r f a c h m i ß g l ü c k e n d e n V e r s u c h eines s p o n t a n e n Sprecherwechsels wahl2.

D e r aktuelle S p r e c h e r A w a r jeweils s c h n e l l e r u n d

per

Selbst-

hartnäckiger

m i t d e r F o r t f ü h r u n g seines R e d e b e i t r a g s , w ä h r e n d d e r S p r e c h e r Β seinen b e a b s i c h t i g t e n R e d e b e i t r a g w i e d e r h o l t m i t ja aber

einleitete u n d d a n n ab-

b r a c h — weil e r eben n i c h t z u m Z u g e k a m . I c h e r w ä h n e diesen b e s o n d e r e n U m s t a n d , d u r c h den ich d a n n z u r w e i t e r e n U n t e r s u c h u n g z u n ä c h s t des V o r k o m m e n s v o n ja aber

in Redeeinleitungsposition3

motiviert wurde,

als

Zur konversationellen Funktion von ja aber

15

eines der Argumente für eine Analyse natürlicher, mündlicher Kommunikation. Zwar wird der Rekurs auf die Intuition für eine Reihe von Fragestellungen und Zielsetzungen ausreichen, jedoch darf er nicht zur einzigen Datenquelle der Linguistik insgesamt werden. Dies zeigt etwa die Beispielsatzlinguistik, in der die vom Wissenschaftler konstruierten (isolierten) Beispielsätze und auch konstruierte Beispieldialoge gegenüber der faktischen Kommunikation erheblich defizitär sind. Denn die konstruierten Beispiele können der Kommunikationsdynamik mündlicher Dialoge nicht gerecht werden. Aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften können solche Dialoge nicht hinreichend imaginiert, sondern nur spontan produziert werden. Dies gilt z.B. für Phänomene der Selbstkorrektur und nicht zuletzt für die dialogspezifische Verwendung von Partikeln, die insgesamt nicht von ungefähr lange Zeit durch das allgemeine Aufmerksamkeitsraster gefallen sind. Im Vergleich zur spontanen Dialogproduktion bleiben die auch mit Partikeln angereicherten, konstruierten Beispiele steril. Denn die Beispiele der Linguisten unterliegen mehr oder weniger einer Orientierung am Modell schriftlicher Kommunikation, so wie etwa auch die fiktiven Dialoge in literarischer Kommunikation von bestimmten Phänomenen spontan gesprochener Dialoge bereits ,gereinigt' sind. Von daher ist z.B. der folgende Dialog - unter dem Aspekt der Verwendung von Partikeln — kaum in einem Drama zu erwarten.

(1) Α ja nee, jede Theorie müßte nach Popper so aussehen . Β ja okay, ne, äh also deswegen wollt ich eben sagen, da seh ich keinen Unterschied, also also da is es eben jetzt einfach nur wissenschaftshistorisch/also das (...) 1.2 Genau diese Unterschiede zwischen fiktiven und spontan gesprochenen Dialogen können jedoch in kontrastiven Analysen systematisch ausgenutzt werden, wie u. a. im folgenden an der Untersuchung des Vorkommens von ja aber in Einleitungsposition von Redebeiträgen aufgezeigt werden soll. Perspektivisch ist hier die Frage nach seiner eventuell texttypischen Verwendung zu klären, wozu die bisherigen Befunde durchaus beitragen können. Die Erwartung, daß ja aber in monologischen Texten schriftlicher Kommunikation nicht vorkommt, konnte relativ schnell bestätigt werden, so etwa in Zeitungsartikeln und wissenschaftlichen Texten. Wider Erwarten konnte in Texten literarischer Kommunikation, die wie Theaterstücke fiktive Dialoge beinhalten, kein ja aber ermittelt werden. Um eventuell vorhandene Besonderheiten literarisch absichtsvoll gereinigter Kom-

16

Armin Koerfer

munikation zu eliminieren, wurde die Untersuchung auf Drehbücher von Filmen ausgedehnt, die auf eine Realistische' Sprache in realistischen' Dialogen Wert legten, d.h. eine Annäherung an Alltagskommunikation anstrebten. In beiden untersuchten Drehbüchern kam jedoch insgesamt nur ein ja aber vor 4 . Dagegen konnte in universitärer Kommunikation über das eingangs geschilderte Beispiel hinaus eine relativ häufige Verwendung von ja aber in Einleitungsposition von Redebeiträgen festgestellt werden s . Diesen mit ja aber eingeleiteten Redebeiträgen ging jeweils mindestens ein Redebeitrag voraus, d. h. mit ihnen können keine Dialoge eröffnet werden. Weiterhin ergaben die bisherigen Untersuchungen, daß Redebeiträge nur dann mit ja aber eingeleitet werden, wenn sie unmittelbar auf die Redebeiträge folgen, auf die sie sich beziehen. Diese Unmittelbarkeit ist offenbar schon dann nicht mehr gegeben, wenn z.B. in Seminaren das ,turn'-Vergaberecht von vornherein bei einem Diskussionsleiter liegt. Jedenfalls konnte in solchen Fällen, in denen durch das Melde- und Abrufsystem der direkte, spontane Sprecherwechsel zwischen den Diskutanten strikt verhindert wurde, kein ja aber beobachtet werden. Einen ähnlichen Effekt in Hinblick auf die Unmittelbarkeit scheinen Gesprächspausen zu haben. Hier läßt sich aufgrund der Beobachtungen festhalten, daß mit zunehmender Pausenlänge die Wahrscheinlichkeit abnimmt, daß der folgende Redebeitrag mit ja aber eingeleitet wird. Trotz der mangelnden Repräsentativität der bisherigen Materialbasis lassen sich vorläufig erste Schlußfolgerungen für eine texttypenspezifische Verwendung von ja aber ziehen. Die bisherigen Befunde lassen insgesamt folgende Thesen als gerechtfertigt erscheinen: ja aber ist besonders oder gar ausschließlich ein Phänomen mündlicher, dialogischer Kommunikation. Mit ja aber können keine initiativen, sondern nur reaktive Redebeiträge eingeleitet werden. Die mögliche Einleitungsposition markiert zugleich die in mündlicher, dialogischer Kommunikation besonders ausgezeichnete Schaltposition beim Sprecherwechsel. Mit ja aber eingeleitete Redebeiträge verlangen einen unmittelbaren Anschluß an die jeweiligen Redebeiträge, auf die sie sich beziehen, d.h. einen direkten, spontanen Sprecherwechsel. 2.1 In vielen Fällen könnte eine erste Reaktion auf das Phänomen ja aber sein: entweder ja oder aber, aber ja aber} Diese Paradoxie läßt sich jedoch als vermeintliche auflösen. Zunächst kann davon ausgegangen werden, daß ja bzw. aber in dem Komplex ja aber zur Realisierung von (Teil-)Zustimmungen bzw. (Teil-)Einwendungen gebraucht werden. Dem Komplex ja aber könnte deshalb vorläufig eine affirmativ-

Zur konversationeilen Funktion von ja aber

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adversative Doppelfunktion zugeschrieben werden. Ohne hier annähernd auf Vollständigkeit abzuzielen, soll im folgenden gezeigt werden, daß der Komplex ja aber noch weitere Funktionen im mündlichen Diskurs haben kann (2.) und daß die Diskursteilnehmer diese Polyfunktionalität systematisch ausnutzen (3.). Innerhalb von (2.) wird zunächst die isolierte Behandlung von ja einen Schwerpunkt der Untersuchung bilden (2.2), deren Ergebnisse dann in komprimierter Form in die Ausdifferenzierung der Funktionen von ja aber eingebracht werden können (2.3). 2.2.1 Unter dem Aspekt der Intentionalität von Sprechakten kann nicht allein davon ausgegangen werden, daß mit Behauptungen beim Hörer Überzeugungen und mit Aufforderungen Handlungen bewirkt werden sollen, sondern in beiden Fällen geht es zunächst um eine Veränderung sog. propositionaler Einstellungen des Hörers, die dieser dem Sprecher wiederum zu erkennen geben kann 6 . So wird nach Wunderlich in den folgenden beiden Dialogen (2) Die Maschine hat angehalten. - Ja. (3) Halt die Maschine an! — Ja. jeweils mit ja das Akzeptieren der vom Sprecher intendierten Veränderung der propositionalen Einstellung des Hörers vom Hörer signalisiert, im ersten Fall ein Glaube, im zweiten eine Absicht. Wunderlich unterscheidet dieses Akzeptieren als eine von drei Arten des Erfolgreichseins von Sprechakten. Die beiden anderen Arten sind das Verstehen und das Erfüllen. Während das Verstehen und das Akzeptieren zur unmittelbaren Interaktionssituation gehören, werden die durch Sprechakte eingeführten Interaktionsbedingungen erst in der Nachgeschichte erfüllt. Wenn man das Erfüllen ausklammert, lassen sich die für die unmittelbare Situation relevanten Momente wie folgt festhalten: Der Hörer (a) erkennt, daß der Sprecher eine bestimmte propositionale Einstellung hat, und (b) nimmt eine dieser Einstellung korrespondierende Einstellung ein, wobei sich (a) als Verstehen und (b) als Akzeptieren umschreiben läßt. Mit dieser Unterscheidung können vorerst zwei Funktionen von ja differenziert werden, die auch für das ja in ja aber gelten. Mit ja kann entweder nur das Verstehen oder das Verstehen und Akzeptieren signalisiert werden. In faktischen Dialogen wird das ja normalerweise unspezifisch verwendet und die Interpretation dem Hörer überlassen, der sich am Gesamtverlauf des Dialogs orientieren und evtl. weitere Entwicklungen abwarten muß. Dieses Interpretationsproblem, dem sich der natürliche' Hörer wie der Analysator gleichermaßen nicht entziehen können, betrifft

18

Armin Koerfer

nicht nur die Unterscheidung von Verstehen und Akzeptieren und erstreckt sich über ja hinaus auch auf andere Kurzäußerungen im Dialog. 2.2.2 Diese für die Gesprächsorganisation zentralen Kurzäußerungen unterliegen einer gewissen Vagheit. Das gilt für sprecherseitige Kurzäußerungen wie ja, ne, nech etc. und hörerseitige wie ja, mhm etc. Neben ihrer Gliederungsfunktion im einzelnen Redebeitrag haben die sprecherseitigen Kurzäußerungen eine reaktionsprovozierende Funktion in bezug auf den Hörer. Als Pendant zu den sprecherseitigen Kurzäußerungen können die hörerseitigen im Anschluß an diese auftreten, und zwar mit einer gewissen Reaktionsverzögerung, wie das folgende Beispiel zeigt: (4) A

also nur wegen der Reibenfolge, das ist der dritte Begriff ralso , jetzt haben wir das mit (...) Β L ja

. nich

Neben der Anwendung eines solchen Schemas (nech/ne/ja — ja/mhm) können allerdings auch - was im Vergleich häufiger geschieht - Reaktionen auf solche Kurzäußerungen ausbleiben, wie auf das ne in Beispiel (1), oder die hörerseitigen Kurzäußerungen ,unprovoziert' erfolgen. In vielen Fällen, wie auch in (4), ist eine Interpretation selbst unter Berücksichtigung des Kontextes und der Intonationsstruktur schwierig7. Weder auf der Hörerseite noch auf der Sprecherseite läßt sich dann eindeutig ausmachen, ob der (Primär-)Hörer Verstehen oder Akzeptieren signalisiert bzw. der (Primär-) Sprecher das eine oder das andere provozieren möchte. Für das hörerseitige ja werden in 2.2.3 einige klare Fälle behandelt. Das Interpretationsproblem stellt sich jedoch nicht nur auf der Ebene der Unterscheidung von Verstehen (a) und Akzeptieren (b). Das ja hat (c) mindestens noch eine weitere Funktion, die ausschließlich im mündlichen Dialog relevant wird. Die genannten Kurzäußerungen wie ja, mhm, ne etc. sind insgesamt unter dem gesprächsorganisatorischen Aspekt unverzichtbar, um den Fortgang des Gesprächs unter den aktuellen Bedingungen sichern zu können. Hörerseitig gehört dazu konstitutiv die Signalisierung des Verstehens und weiterhin (ci) die Signalisierung der Zuhörbereitschaft, d. h. des Akzeptierens des Gesprächspartners in seiner Sprecherrolle, was vom Akzeptieren im Sinne von (b) zu unterscheiden ist. Das ja dient jedoch nicht nur zur Stabilisierung bereits ausgeübter Dialogrollen, sondern auch zu deren Aufkündigung beim Sprecherwechsel. Häufig wird der beabsichtigte Sprecherwechsel — gerade auch gegenüber der Konkurrenz anderer aktueller Hörer und potentieller Sprecher — bereits präventiv angekündigt, indem sich der noch aktuelle Hörer vorbeugt oder sich räuspert oder mhm oder ja äußert etc. Die Verwendung von ja im Dialog unterliegt also

Zur konversationellen Funktion von ja aber

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kommunikationsdynamisch der gegenläufigen Bewegung von Zuhör- und Sprechbereitschaft. Mit ja wird zunächst ta) die Zuhörbereitschaft, dann (c 2 ) die Sprechbereitschaft als Option auf die Redeübernahme signalisiert und schließlich wird mit ja in Einleitungsposition von Redebeiträgen (c 3 ) die (endgültige) Redeübernahme vollzogen 8 . 2.2.3 Gerade weil die eben beschriebenen Funktionen (a), (b) und (c) von ja in faktischen Dialogen nicht immer unterschieden werden können, halten die Sprecher eine genauere Qualifizierung mitunter für angebracht, so wie etwa der Sprecher Β in Beispiel (1): das okay läßt sich hier als explizierende Paraphrasierung des ja auffassen, dessen Potential als Akzeptierens-;« nachträglich verstärkt realisiert wird. Auch in den beiden folgenden Beispielen machen die Sprecher von solchen explizierenden Paraphrasen Gebrauch:

(5) Α j- ich hab nicht gesagt, daß mich das nicht interessiert Β entschuldige, nehm ich r zurück . eh du willst - . Α ich hab gesagt, das kann ne ungeheure wichr tige Rolle spielen ( ) Β ja, richtig, ja, hab ich schon zurückgenommen, ne . In (5) hatte Β zuvor u.a. behauptet: „ . . . und da hast du gesagt, das interessiert dich gar nicht so sehr". Β akzeptiert nun beidemal die Behauptungen, mit denen Α in zwei Varianten auf einer Korrektur insistiert. Der zweimalige Durchlauf markiert allein schon die Relevanz des Vorgangs, der Β mit explizitem Akzeptieren entspricht, indem er das ja durch Paraphrasierung (,richtig') und Wiederholung des ja verstärkt. Am Beispiel (6) läßt sich die Relevanz des Unterschieds von Verstehen und Akzeptieren im Hinblick auf die Entwicklung von explizierenden und problematisierenden Dialogen demonstrieren, die WUNDERLICH (1972 b: 23) wie folgt charakterisiert: Wenn der Hörer für den Sprecher erkennbar nicht versteht, ist der Sprecher in explizierenden Dialogen zur paraphrasierenden Wiederholung seiner Sprechhandlungen aufgefordert. Wenn dagegen der Hörer nicht akzeptiert, entwickeln sich problematisierende Dialoge, in denen der Sprecher zur Begründung, Rechtfertigung etc. seiner Sprechhandlungen angehalten ist. In (6) hatte Β zuvor schon einen längeren Redebeitrag von Α mehrfach zu unterbrechen versucht und kommt auch jetzt mit einem Einwand (,jaja, nur ich meine - ' ) nicht zum Zuge. Simultan zum fortgeführten Beitrag von Α signalisiert Β nun explizit sein Verstehen, indem er das zweifache ja mit ,ich versteh was du meinst - ' paraphrasiert:

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Armin Koerfer

(6) Α r (...) das war jetzt sozusagen . Β C Λ

Α

nur eh en jaja, nur ich meine ((stöhnt))

Prototyp, ja . eh . ich will und (zwar's) jaja, ich versteh was du meinst die Studentenbewegung aus der ehemaligen philosophischen tät, kommt aus den geisteswissenschaftlichen (...)

Fakul-

Hier sind m . E . zwei Interpretationen möglich. M i t ,jaja, ich . . . ' gibt Β einerseits Α zu erkennen, daß zumindest ein explizierender Dialog nicht notwendig ist. Andererseits beugt er jedem Mißverständnis vor, er hätte akzeptiert. Eine andere Interpretation könnte unter Berücksichtigung weiterer Kontextinformationen wie folgt aussehen: Β will nicht nur einen explizierenden Dialog verhindern, sondern - wie schon seine vorausgegangenen Einwandsversuche zeigen — selbst einen problematisierenden Dialog einleiten. Hinzu kommt, daß Α bei einigen Teilnehmern als ,Langredner' gilt und zuvor schon längere Beiträge gemacht hatte. Man beachte die Reaktion von C, der stöhnt. Unter diesen Kontextvoraussetzungen könnte Β mit ,jaja, ich versteh was du meinst' zugleich seine Redeübernahme ,endgültig' sichern wollen, wozu ihm Α formal auch Gelegenheit verschafft, und zwar nach einer syntaktisch abgeschlossenen Einheit und einem reaktionsprovozierenden ja mit anschließender Pause. Trifft diese Interpretation zu, könnte die vollständige Paraphrase im Anschluß an das jaja von Β etwa lauten: ,ich versteh was du meinst und will sprechen bzw. spreche jetzt'. Durch die faktische Paraphrase von Β kann das jaja, mit dem das in 2.2.2 besprochene Schema vervollständigt wird (A: ja B: jaja), in keinem Fall als Akzeptierenssignal mißverstanden werden 9 . 2.3.1 Die Differenzierung verschiedener Funktionen von ja im mündlichen Dialog erfordert nun eine Revision der in 2.1 gemachten Annahme, daß dem Komplex ja aber einheitlich eine affirmativ-adversative Doppelfunktion zugeschrieben werden kann. Daß diese Annahme nicht aufrechterhalten werden kann, kann bereits mit wenigen Differenzierungsversuchen punktuell an einer Reihe von Beispielen demonstriert werden, ohne daß es einer systematischen und vollständigen Analyse bedarf. U.a. aus darstellungsökonomischen Gründen mußte hier auf die notorisch langatmigen Beispiele aus der Hochschulkommunikation verzichtet werden (vgl. jedoch 2.3.2 und 3.); auch konnten nicht immer ,passende Belege' gefunden werden. Vorläufig werden hier einige Beispiele mit , + ' oder ,?' gekennzeichnet. Die Frage der Akzeptabilität soll jedoch gerade hinsichtlich der Dialogfähigkeit erneut gestellt werden:

Zur konversationellen Funktion von ja aber

21

( 7) Α Ist der Zug schon durch? — B: Ja./Neirt. ( 8) Α Hast du Lorenzer gelesen? Β Ja, aber der bringt uns nicht voran. ( 9) Α Du unterscheidest hier nicht zwischen ,Klischee' und , Zeichen. Β Ja, aber das hat gute Gründe. (10) Α Bring mir deine Fußballschuhe mit! Β + Ja, aber ich hab keine Fußballschuhe. (11) Α Hat dir das Kino gefallen? Β + Ja, aber ich war nicht im Kino. (11') Α Hat dir das Kino gestern gefallen ? Β ? Ja, aber ich war schon vorgestern drin. (12) Α Lorenzer stützt sich hier auf diese These. Β + Ja, aber das stimmt nicht. (12') Α Lorenzer stützt sich hier auf diese These von Habermas. Β ? Ja, aber diese These ist nicht das von Habermas. (13) Α Der frühe Wittgenstein war ein Positivist und der späte Wittgenstein ein Hermeneut. Β ? Ja, aber der frühe Wittgenstein war kein Positivist. Als ein Sonderfall soll hier das Beispiel (7) angeführt werden. Auf Entscheidungsfragen werden in der Regel Antworten mit Ja oder Nein erwartet und gegeben. Im Gegensatz zu Behauptungen und Aufforderungen werden Fragen dieser Art auch dann akzeptiert, wenn auf sie mit Nein reagiert wird. Auf das Problem von Aufforderungen, die indirekt mit Fragen realisiert werden, kann hier nicht eingegangen werden. Die Beispiele (8) und (9) sind zunächst Beispiele für die affirmativ-adversative Doppelfunktion von ja aber. In (8) wird mit Ja der propositionale Gehalt der Frage affirmiert, daß Β Lorenzer schon gelesen hat, und mit ,aber...' die pragmatische Präsupposition zurückgewiesen, daß Lorenzer A und Β voranbringt. Ebenso wird in (9) mit Ja der propositionale Gehalt der Behauptung affirmiert, daß Β hier nicht zwischen ,Klischee' und ,Zeichen' unterscheidet, und mit ,aber...' die pragmatische Präsupposition zurückgewiesen, daß das nicht gute Gründe hat. In diesen Beispielen bezieht sich Ja affirmativ auf proportionale Gehalte und ,aber...' adversativ auf pragmatische Präsuppositionen. Für die Beispiele (10) und (11) gilt diese affirmativ-adversative Doppelfunktion von ja aber nicht. Hier werden jeweils die semantischen Präsuppositionen zurückgewiesen, (10) daß Β Fußballschuhe hat und (11) daß Β im Kino war. In solchen Fällen, in denen mit ,aber...' semantische Präsuppositionen zurückgewiesen werden, kann Ja offensichtlich keine affirmative Funktion haben.

22

Armin Koerfer

Ebensowenig in Beispiel (12), in dem mit ,aber...' die behauptete Proposition zurückgewiesen wird, daß sich Lorenzer auf diese These stützt. Dagegen kann in den Varianten (11') und (12') eine affirmative Funktion von Ja angenommen werden, wenn man folgende Interpretation zuläßt: In (11') wird der ,Kern' des propositionalen Gehalts der Frage affirmiert, daß Β das Kino gefallen hat, und mit ,aber...' eine der semantischen Präsuppositionen zurückgewiesen, die mit der Gesamtfrage, d.h. einschließlich der Modifikation gestern gemacht werden. Entsprechendes gilt für (12'); die Modifikation ist hier von Habermas. Weiterhin können auch Teile von Propositionen zurückgewiesen werden. So wird in (13) mit ,aber...' der Teil der behaupteten Proposition zurückgewiesen, daß der frühe Wittgenstein ein Positivist war. Offen bleibt, ob mit Ja der Teil der Proposition affirmiert wird, daß der späte Wittgenstein ein Hermeneut war. Diese insbesondere für die Analyse von mit aber eingeleiteten (Teil-) Sätzen unbefriedigenden Differenzierungsversuche dienen hier im wesentlichen dem Zweck, Fälle von nicht-affirmativem ja herauszukristallisieren. Zumindest in den Fällen, die m i t , + ' gekennzeichnet sind, liegt kein affirmatives ja vor. Weiterhin bleibt auch für die mit ,?' gekennzeichneten Fälle die affirmative Lesart strittig. Gemeinsam ist ihnen, daß sie (graduell) unakzeptabel sind, solange man an der affirmativen Lesart des ja festhält. Unter den in 2.2 beschriebenen Verwendungsbedingungen in mündlichen Dialogen sind sie akzeptabel, wenn das ja z.B. als Verstehens-7'tf gelesen wird. Weiterhin ist trotz der in 1.1 problem atisierten Sterilität dieser Art von Beispielen der von Α zumindest bei den Fragen und Aufforderungen jeweils intendierte Sprecherwechsel evident. Α adressiert jeweils seine Fragen und Aufforderungen an B, d.h. der nächste Sprecher wird durch Fremdwahl bestimmt und Β signalisiert möglicherweise mit ja jeweils die (Option auf die) Redeübernahme. 2.3.2 An einem für die Hochschulkommunikation charakteristischen Beispiel soll eine weitere Differenzierung der Verwendung von ja aber und die Relevanz von solchen reaktiven Redebeiträgen ansatzweise demonstriert werden, mit denen die Sprecher sich der drohenden Übernahme von Verpflichtungen für den weiteren Diskursverlauf zu entziehen versuchen. W U N D E R L I C H hat mehrfach (z.B. 1976a: 445ff., 1976b: 95f., 145) auf die Konformitätsbedingungen hingewiesen, die für alle Sprechakte gelten, also nicht nur für das Versprechen, bei dem dies offensichtlich ist. Auch z.B. bei den (für die Hochschulkommunikation charakteristischen) repräsentativen Sprechakten geht der Sprecher etwa die Verpflichtungen ein, sich im folgenden zu behaupteten Propositionen und gemach-

Zur konversationellen Funktion von ja aber

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ten Präsuppositionen konform zu verhalten und ihnen nicht zu widersprechen. Ebenso unterliegt der Hörer denselben Konformitätsbedingungen, wenn er etwa eine Behauptung des Sprechers akzeptiert hat. Auch hier ist wiederum mit WUNDERLICH ( 1 9 7 6 b : 177) die Ergänzung zu machen, daß der Sprecher im Prinzip davon ausgehen kann, daß der Hörer verstanden und akzeptiert hat, wenn Signale des Nicht-Verstehens bzw. Nicht-Akzeptierens ausbleiben und diese nicht aus Gründen mangelnder Redegelegenheit u.ä. verhindert werden. Will der Hörer also bestimmte Verpflichtungen für den weiteren Diskursverlauf nicht eingehen, muß er dies rechtzeitig und präventiv signalisieren, wie am Beispiel (14) verdeutlicht werden kann:

(14) A

(...) sich so darstellt, wie ihn quasi die anderen r warten . ( ) sogenannt generelized other . Β äh ja ja . aber ja, vorläufig würd ich hier ja sagen, ne . . nur ist das meiner Meinung nach dann nicht alles, ne . weil (...)

er./

Β ist der Referent für diese Sitzung. Α gibt zu einem von Β zur Illustration seines Ansatzes referierten Beispiel eine eigene (hier im Schlußteil wiedergegebene) Interpretation, zu der sich Β nun offensichtlich zu einer Reaktion angehalten sieht. In Analogie zu (9) könnte man zunächst davon ausgehen, daß Β die von Α behaupteten Propositionen mit den ja's affirmiert und mit ,aber . . . ' bzw. ,nur . . . ' die pragmatische Präsupposition zurückweist, daß das alles ist. Gegenüber (9) ist hier jedoch die Modifikation angebracht, daß Β die Behauptungen von Α nur bedingt akzeptiert. Diese Relativierung des ja wird insbesondere auch durch die Korrektur von Β selbst motiviert: ,vorläufig würd icn hier ja sagen'. Der gesamte Prozeß der Modifikation eines zunächst unqualifizierten ja setzt erst ein, nachdem Α den Terminus ,generelized other' gebraucht hat. Daß Β sich hier nicht auf eine in Begriffen der Theorie von Mead mögliche Interpretation verpflichten will, wird durch den weiteren Diskursverlauf und endgültig erhellt, wenn Β neun Minuten später in expliziter Form Gründe für die Nicht-Übernahme von Begriffen dei Theorie Meads angibt. Die relativierende Reaktion von Β in der ursprünglichen Sequenz (14) muß hier aus der speziellen Perspektive des Referenten gesehen werden, dessen exponierte Stellung ihn im gesamten Diskursverlauf einem besonders hohen Verpflichtungsgrad unterwirft. Die Reaktion von Β erscheint in dieser Sequenz als relativ aufwendig oder umständlich erarbeitet, wie z.B. die Selbstkorrekturen und die Pausen andeuten. Im folgenden soll u.a. gezeigt

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Armin Koerfer

werden, daß die Diskursteilnehmer über eine Reihe von routinisiert beherrschten Kommunikationspraktiken verfügen, die u. a. zur Entpflichtung und Entlastung der Kommunikation dienen. 3. In vielen Sequenzen faktischer Diskurse bleibt die Vagheit des Komplexes ja aber, die auf die Polyfunktionalität des ja zurückzuführen ist, bestehen und wird von den Diskursteilnehmern mehr oder weniger genutzt, um den verschiedensten Kommunikationserfordernissen genügen zu können. Hierzu sollen einige kurze und vorläufige Überlegungen angestellt werden, und zwar unter den Aspekten der Dialogverknüpfung und Themenpro-

gression (3.1) und Gruppendynamik (3.2). 3.1 In Gruppen wie ζ. B. Hochschulseminaren — jedoch nicht nur dort — wird häufig mit redekommentierenden Äußerungen wie der, daß jemand hinter einen Diskussionsstand zurückfällt, daran appelliert, Redebeiträge wieder am aktuellen Stand zu orientieren und den Diskurs in einer gegenseitig akzeptierten Richtung fortzusetzen. Dieser Zusammenhang ist von G R I C E (1975: 45ff.) mit seinem allgemeinen Kooperationsprinzip und den Maximen des Redewechsels formuliert worden. Grice selbst hat auch Möglichkeiten der Verletzung dieser Maximen diskutiert. So verletze ich die von ihm unter der Kategorie der Relation behandelte Maxime ,Be relevant', wenn ich einen mir thematisch unangenehmen Beitrag geflissentlich übergehe und vom Wetter zu reden beginne. In diesem Beispiel von G R I C E (1975: 54), das ihm hier zur Demonstration seines Konzepts der konversationeilen Implikatur dient, ist der thematische Bruch vom Sprecher intendiert und ist für alle Beteiligten die Implikatur evident, daß der vorangegangene Beitrag nicht diskutiert werden soll. Hier ist anzumerken, daß der Redebeitrag zum Wetter auch nicht mit ja aber eingeleitet werden könnte, da aufgrund des rigiden Themenwechsels der Bezug zum vorangegangenen Beitrag fehlt (vgl. 1.2.). Unter dem Aspekt der Relation bzw. Relevanz wird der Themenwechsel von Grice lediglich als Problem benannt und nicht weiter ausgeführt. Das Problem des Bezugs von Redebeiträgen bzw. der thematischen Kohärenz von Dialogen stellt sich jedoch gerade in solchen Fällen, in denen die Evidenz einer Maximenverletzung durch rigide vollzogene Themenwechsel nicht gegeben ist. In solchen Fällen erweist sich ja aber unter den

Aspekten der Dialogverknüpfung

und Themenprogression

als eine All-

round-Formel. Mit ja aber eingeleitete Redebeiträge stellen einerseits zumindest formal den Anschluß an den vorangegangenen Redebeitrag her und erlauben andererseits eine Themenprogression in verschiedene Richtungen: sie können einen drohenden Themen Wechsel verhindern oder ein

Zur konversationeilen Funktion von ja aber

25

neues Subthema oder Generalthema konstituieren. Untersuchungen zur Verwendung von ja aber

unter diesen Aspekten der Dialogverknüpfung

und Themenprogression können sinnvoll letztlich nur an längeren Diskurssequenzen angestellt werden, was hier nicht möglich ist. Dennoch sollen mit diesem Vorbehalt einige aus dem Diskurszusammenhang isolierte Beispiele angeführt werden, deren Isolierung insofern berechtigt erscheint, als es sich um stereotype' Wendungen handelt; diese sind zumindest in der Hochschulkommunikation relativ häufig zu beobachten:

(15) (16) (17) (18)

ja ja ja ja

aber aber aber aber

das ist nur ein Aspekt (...) das mein ich jetzt nicht (...) das ist jetzt die vorige Sache wieder (...) es geht darum, daß (...)

Trotz des fehlenden Kontextes kann hier leicht imaginiert werden, daß z.B. mit (16) ein drohender Themenwechsel abgewehrt und mit (18) ein neues Thema konstituiert werden kann. In allen Beispielen (15—18) wird der Anschluß an den vorangegangenen Redebeitrag formal hergestellt, wenn auch der Rückbezug häufig vage bleibt. Dies gilt sowohl für das ja wie auch für die mit aber

eingeleiteten (Teil-)Sätze, die analog zu (9)

oder (14) interpretiert werden können, d.h. es werden jeweils pragmatische Präsuppositionen zurückgewiesen, wie z.B. in (17), daß das jetzt nicht die vorige Sache wieder ist. Auch wenn der Hörer für das ja bereits ausschließt, daß es lediglich die (Option auf die) Redeübernahme signalisiert, bleibt ihm häufig weiterhin die Interpretation überlassen, auf welchen Teil des vorangegangenen Redebeitrags sich ein Verstehens-/'^ oder Akzeptierens-7'Λ bezieht. Entsprechendes gilt für die Pro-Formen in den adversativen (Teil-)Sätzen, wie z.B. für die häufige Pro-Form das,

die ebenfalls

bereits in (14) vorkam. Im allgemeinen wird sich hier das Interpretationsproblem hinsichtlich des Rückbezugs mit zunehmender Länge der jeweils vorangegangenen Redebeiträge verschärfen. Besonders die Hochschulkommunikation ist durch sehr lange Redebeiträge ausgezeichnet. Jedoch nicht nur die Länge von Redebeiträgen läßt die Diskursteilnehmer gegenüber dem uneingeschränkten Anspruch einer rationalen Kontrolle des Diskursverlaufs nicht selten ins Hintertreffen geraten. Denn sie müssen oder wollen ihre Redebeiträge auch dann an bestimmten Diskursstellen piazieren, wenn die Relation bzw. Relevanz ihrer Beiträge im Diskursverlauf nicht im vollen Umfang eingeschätzt werden kann oder diskrepante Einschätzungen vorliegen, was z . T . auf die Begrenzung kognitiver Kapazitäten und unterschiedliche Interessen- und Relevanzsysteme zurückgeführt werden muß. Auch wenn der ,rote Faden' abhanden oder strittig geworden ist, verfügen die Gesprächspartner noch

26

Armin Koerfer

über entlastende, routinisiert beherrschte Techniken zur Fortsetzung der Kommunikation, die eine strategisch vage gehaltene Orientierung erlauben. Ein hervorragendes Beispiel für eine solche Technik ist die Verwendung von ja aber in der Eröffnungsposition von Redebeiträgen. Trotz möglichen Themenwechsels10 wird durch mit ja aber eingeleitete Redebeiträge formal ein Anschluß an die jeweils vorangegangenen Beiträge hergestellt und kann die Einhaltung der Maxime der Relation bzw. Relevanz zumindest suggeriert werden. Daß diese Kommunikationstechniken routinisiert beherrscht werden, zeigen nicht nur stereotype Wendungen wie (15)—(18). Häufig wird ja aber als Dialogverknüpfer selbst formelhaft vorweggenommen - u. a. um die Redegelegenheit zu sichern und durch Pausen und Selbstkorrekturen vom nachfolgenden Redeteil abgesetzt, der sich offensichtlich erst noch in der,Planung' befindet: (19) ja aber . das ist also äh ... das ist (...) (20) jaja aber . wa/was ihn eilim Grunde will er doch

(...)

3.2 Unter dem Aspekt der Dialogverknüpfung interessierte bisher lediglich der Bezug von Redebeiträgen. Abschließend soll hier kurz der Aspekt behandelt werden, daß sich Redner nicht nur auf Redebeiträge, sondern auch auf Sprecherpersonen beziehen, d.h. nicht nur themenorientiert, sondern auch personenorientiert interagieren. In vielen Fällen erscheint hier ja aber als eine Kompromißformel zur Vermeidung von Konflikten zwischen den Interagierenden auf der Beziehungsebene. Zum einen wird durch mit ja aber eingeleitete Beiträge zugleich ein Partnerbezug hergestellt, und zwar zum unmittelbaren Vorredner, dessen Redebeitrag zumindest nicht ignoriert wird. Dies ist in (Lern-)Gruppen wie Hochschulseminaren, in denen Identität ausschließlich kommunikativ ausgehandelt werden kann, von besonderer Relevanz. Zum anderen kann die mit dem adversativen Moment möglicherweise verbundene Verletzung der Integrität des Vorredners durch ja entschärft werden, sofern seine affirmative Lesart nicht ausgeschlossen ist (vgl. 2.3.1). Auch hier müßten im Einzelfall längere Diskurssequenzen untersucht werden. Für solche Untersuchungen zur Verwendung von ja aber unter dem Aspekt von Konfliktvermeidungssträtegien erweist es sich mitunter als nützlich bzw. unumgänglich, die Interaktanten zum .Originaltext' (Ton- bzw. Videoband) zu befragen und an der Interpretation zu beteiligen, wie am folgenden Beispiel verdeutlicht werden kann: (21) A Β

(...) der Beck bezieht sich ja auch permanent auf rden . und referiert die ja auch zum Teil, das stimmt L ja

Zur konversationellen Funktion von ja aber

A

r also nicht, auch nicht zu dem Zeitpunkt,

Β

1

A Β

r(zitiert) .

27

wo er's

ja gut aber e:r geht jedenfalls also von . da nichts/von nichts aus praktisch . nech (...)

Nach den bisherigen Ausführungen (vgl. 2.2.3) wäre das zweifache ja jeweils als Akzeptierens-/'^ und das gut als explizierende Paraphrase bzw. als verstärkendes Akzeptierenssignal aufzufassen 1 1 . Eine spätere Stellungnahme von Β zu dieser Sequenz läßt sich nun etwa so zusammenfassen: er habe sich durch Α inhaltlich inadäquat unterbrochen gefühlt und auf Möglichkeiten zur Fortsetzung seines Redebeitrags gewartet. A's Kommentar zu ,ja . . . ja . . . gut' lautet wörtlich: „ungeduldige Abwehr". Hätte Β dies so oder ähnlich in der damaligen Situation explizit gemacht, hätte sich Α möglicherweise diskreditiert gefühlt. Dagegen ist dem faktischen Diskursverlauf ein solcher möglicher Konfliktanlaß kaum zu entnehmen bzw. hätte Α einen solchen nicht fixieren können. Denn die Interpretation einer Reihung von Akzeptierenssignalen läßt sich aufrechterhalten und im Problematisierungsfalle rechtfertigen. Im folgenden, abschließenden Beispiel ist die Konfliktvermeidungsstrategie offensichtlich weniger erfolgreich. Die Besonderheit des Beispiels liegt darin, daß die Interaktanten von selbst und spontan in einen Metadiskurs eintreten: (22) A

(...) die sind offenbar

verpönt,

verboten

sind die .

Β

ja is ja schön und gut . aber das Sprachr liehe eh sagen wir mal ( ) Α ja wieso sagst du schön und gut . C nee laß ihn mal jetzt also- . Β ja eh weil weil du das so dazwischen schießt und undehm . Α ja aber schön und gut is ja also . ja das ist für mich zum Beispiel sehr relevant.. weil (...) Hier kann das ,is ja schön und gut' offensichtlich nicht mehr als explizierende Paraphrase eines Akzeptierens-/'^ aufgefaßt werden. B's Akzeptieren wird hier bestenfalls formal suggeriert. Daß hier auch nach dem Verständnis der Interaktanten selbst eine Art Pseudo-Akzeptieren vorliegt, wird durch A's Problematisierung und B's Replik darauf nahegelegt. Nach einer späteren Auskunft von Α zu dieser Sequenz hätte er eigentlich (in der vorletzten Zeile) nach: ,(...) is ja also' mit: ,ne Unverschämtheit' oder ähnlichem fortfahren wollen. Dagegen war die faktische Fortsetzung: ,ja

28

Armin Koerfer

das (rtach Auskunft von B: ,was ich zuvor ausgeführt habe') ist für mich zum Beispiel sehr relevant 4 . Daß Α diese Fortsetzung favorisiert, macht deutlich, daß er seinerseits den Konflikt zu minimieren sucht.

ANMERKUNGEN * Ich danke den Teilnehmern des Colloquiums und besonders Berliner Kollegen, die mir aufgrund einer kritischen Diskussion der Vortragsfassung Anregungen für die überarbeitete Fassung gaben. 1 Sofern nicht konstruiert, stammen die folgenden Beispiele aus einem Sprachkorpus eines Projekts zur Hochschulkommunikation, vgl. den Bericht von GOSAU/KOERFER/ ZECK < 1 9 7 7 ) .

2 Vgl. auch im folgenden zur Organisation des Sprecherwechsels SACKS/SCHEGLOFF/ JEFFERSON

(1974)

und

allgemein

zur

Gesprächsorganisation

KALLMEYER/SCHÜTZE

(1976).

3 ja aber wird hier als Konjunktionalkomplex behandelt. In Abgrenzung gegen eine ausschließlich logisch-semantische Analyse von Konjunktionen erwähnt auch DITTMANN ( 1 9 7 6 : 1 7 1 ) kurz den Komplex ja aber und merkt an, daß er die Funktion hat, „eine Art Verbindlichkeit des Sprechers auszudrücken." Ohne nachfolgenden Kontext untersucht STICKEL ( 1 9 7 2 ) Ja und Nein besonders als Kontroll- und Korrektursignale. Auf die verschiedenen möglichen Positionen von aber im Satz und den Zusammenhang von Position und ,Gewicht' gehen KOCH-KANZ/PUSCH (1977: 9 3 - 9 7 ) ein. Dagegen wurde hier die Untersuchung von ja aber als Komplex und in dieser direkten Folge besonders dadurch motiviert, daß ja aber im mündlichen Dialog häufig als jaaber geäußert und/oder vom nachfolgenden Redeteil durch Pause abgesetzt wird, z.B.: „jaaber .. das ist (...)", „ja . aber .. wir hatten (...)", „ja aber .. äh (...)" etc. Beispiele wie das folgende werden hier also nicht berücksichtigt: „ja . das ist aber (.·.)". 4 Uberprüft wurden die Theaterstücke von Brecht: ,Mutter Courage und ihre Kinder' und Dürrenmatt: ,Der Besuch der alten Dame' und die Drehbücher von ,Nordsee ist Mordsee' und ,Kein Heimspiel' (13. Folge von,Direktion City'). 5 Die folgenden Befunde resultieren aus intensivem Abhören von Tonbändern (von ca. 15 Seminarsitzungen) und Transkriptionen von kürzeren Sequenzen (insgesamt ca. 100 S.) In einer längeren Sequenz (ca. 15 Min.) wurde im Hinblick auf Redeanfänge folgende Verteilung ermittelt (ein Redebeitrag umfaßt - relativ willkürlich festgesetzt! mindestens drei Wörter: wenn überhaupt ein aber folgte, folgte dieses bei ja in der ersten Spalte und bei ich, nee etc. nicht in der zweiten Position): ja / ja aber / ich / nee / und / aber / das / Sonst. / Ges. 19/

14

/

6 /

6

/

5

/

4

/

3 /

3 5 / 9 2

6 Vgl. auch im folgenden WUNDERLICH (1974: 329f.) und (1976b: 115ff.), der sich wiederum auf GRICE und eigene Vorarbeiten (1972b: 286ff. u. 1972a: 22f.) bezieht. 7 Dies kann hier nur konstatiert und nicht weiter ausgeführt werden. Vgl. zur Intonation von Ja und Nein als Antworten auf Alternativfragen R I C H T E R ( 1 9 6 7 ) . 8 Vgl. auch die Beispiele (6), (14), (21). Sofern für das Einleitungs-;^ konkurrierende Lesarten möglich sind (vgl. 2.3.1), dürfte sich die primäre Lesart nach dieser Rangfolge ergeben: Akzeptieren, Verstehen, (Option auf) Redeübernahme.

29

Zur konversationeilen Funktion von ja aber

9 Für die Sprecher- und hörerseitigen fa's lassen sich insgesamt folgende Paraphrasen angeben, wobei es in C2/3 nicht nur um Kurzäußerungen von H, sondern um eigenständige' Redebeiträge geht, zu denen S dem Η nicht immer (wie in (6)) nach einem ja auch Gelegenheit gibt. CI

S: hörst du zu?

C2/3

(du sollst

sprechen)

a b

verstehst du? akzeptierst du?

H: ich höre zu ich will sprechen bzw. ich spreche jetzt ich verstehe ich akzeptiere

10 Dieser mögliche Themenwechsel darf natürlich nicht ,aus dem Rahmen fallen' wie im Beispiel von GRICE (vgl. 3.1). 11 Die Lesart: ,(Option auf) Redeübernahme' dürfte hier sekundär bleiben, vgl. Anm. 8.

LITERATURVERZEICHNIS DITTMANN, J. (1976), „,Grammatische Bedeutung' und der handlungswissenschaftliche Regelbegriff". In: SCHECKER, M. (Hrsg.) (1976), Methodologie der Sprachwissenschaft. Hamburg: Hoffmann und Campe: 1 6 3 - 1 8 4 . GÖSAU, Β . , A . K O E R F E R

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halten in Lerngruppen". In: BIELEFELD, H.-U., E. HESS-LÜTTICH und A. LUNDT (Hrsg.) (1977), Soziolinguistik und Empirie. Wiesbaden: Athenaion: 2 0 8 - 2 1 6 . GRICE, Η. P. (1975), "Logic and Conversation". In: COLE, P. und J. L. MORGAN (Hrsg.) (1975), Speech Acts. New York usw.: Academic Press: 4 1 - 5 8 (Teilabdruck aus: GRICE, Η. P. (1968), "Logic and Conversation". Vervielf.). KALLMEYER, W. und F.SCHÜTZE (1976), "Konversationsanalyse". Studium Linguistik 1: 1-28. KOCH-KANZ, S. u n d L . F . PUSCH ( 1 9 7 7 ) , „ , A l l e r d i n g s ' ( u n d , a b e r ' ) " . I n : W E Y D T , H . ( H r s g . ) ( 1 9 7 7 ) , Aspecte der Modalpartikeln. Tübingen: Niemeyer: 7 3 - 1 0 0 . RICHTER, H. (1967), „Zur Intonation der Bejahung und Verneinung im Hochdeutschen". In: M O S E R , H . u.a. (Hrsg.) ( 1 9 6 7 ) , Satz und Wort im heutigen Deutsch. Düsseldorf: Schwann: 3 2 9 - 3 6 2 . SACKS, Η . ,

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Die Rolle der Partikeln doch, eben und ja als Konsensus-Konstitutiva in gesprochener Sprache J u t t a LÜTTEN

(Münster)

SUMMARY The history of the technical term 'particle' shows that particles have often been found to have a function specific to spoken language. The analysis of a concrete material of spoken language which is based on a statistical analysis and a theoretical analysis that bears on the typology of text types and of speech acts and on pragmatical characteristics shows that the particles doch, eben and ja have a specific function as to spoken language. This function of doch, eben and ja consists in a linguistically indicated 'recourse' to facts mentioned before or assumed to be known to the hearers and becomes clear from the structure of the text type 'discussion' primarily dealing with the utterance (assertion, statement) of propositions. It is further evidenced by the recurrence of lexeme coincidences, in particular with respect to modal verbs and various pronouns. Three main types of utterances are given: 'Existenz-Aussage', 'Soll-Aussage' and 'Aussage über allgemeines Wissen'. The function of 'recourse', which shows at least three different types, consists in preparing the consensus by means of an indication of well knows facts or facts known to the speakers on a given occasion,—or in considering the consensus beyond all question. With respect to the main features of the recourse we can suppose a relation to so-called linguistical universals.

Ausgehend von der Untersuchung des Terminus ,Partikel' in der Sprachwissenschaft - sowohl in der griechisch-römischen Antike als auch in der deutschen Sprachwissenschaft primär der letzten beiden Jahrhunderte - ergibt sich immer wieder ein Hinweis darauf, daß Partikeln Wörter sind, die ihren Ort in einem bestimmten Teilbereich von Sprache haben, oder, anders ausgedrückt, daß es für einen Bereich von Sprache, nämlich den der spontanen gesprochenen Äußerung, charakteristische sprachliche Mittel gibt, die mit den Konstitutiva der sogenannten gesprochenen Sprache' in engem Zusammenhang stehen. Mit dieser Feststellung wird schon deutlich, daß unter Partikeln hier Wörter spezifischer oder typi-

Die Rolle der Partikeln doch, eben und ja als Konsensus-Konstitutiva

31

scher Funktion verstanden werden sollen, während das formal-morphologische Merkmal der Inflexibilität als ein weiteres Differenzierungskriterium für eine eigene Gruppe oder gar Wortart Partikeln hier nicht weiter behandelt werden soll. Es handelt sich also um Wörter, denen in einem sprachlichen Teilbereich, nämlich in gesprochener Sprache, eine mit den Merkmalen dieses Teilbereichs aufs engste verbundene Funktion zugesprochen werden kann. Der Hinweis auf diesen Zusammenhang findet sich zwar auch schon des öfteren in der neueren Forschung, ohne daß jedoch daraus die Konsequenz gezogen worden wäre, nun in gesprochener Sprache selbst Partikelfunktionen zu untersuchen. Dies lag nicht zuletzt daran, daß, nachdem gesprochene Sprache Gegenstand der Forschung geworden war, die Untersuchungen sich auf syntaktische Erscheinungen spezifizierten und stets in Kontrast zu den Merkmalen geschriebener Sprache die gesprochene Sprache zu charakterisieren versuchten. Demgegenüber wird hier die Relation Partikel — gesprochene Sprache in den Vordergrund gestellt. Die Funktionen einer Gruppe verschiedener Partikeln wurden an einem umfangreichen Corpus unter Einsatz verschiedener Analysemethoden untersucht; im folgenden sollen a) die Textbasis und b) die methodolögischen Ansätze kurz erläutert werden. Zu a): Als Grundlage der Untersuchung dienten die Bände 1 und 2 der „Texte gesprochener deutscher Standardsprache" (Texte ... 1971/ 1974), in denen textsortenspezifisch getrennt eine Reihe der wichtigsten Gebrauchsformen von Texten, sprich Textsorten, in Transkription der ursprünglichen Tonbandprotokolle veröffentlicht sind. Band 2 der „Texte" ist ausschließlich der Textsorte ,Diskussion' gewidmet; diese Textsorte steht im Hinblick auf die Partikeln doch, eben und ja im Mittelpunkt des Interesses. Zu b): Als Verfahren wurden angewendet zum einen eine rein statistische Analyse der Häufigkeit der Partikeln in den einzelnen Textsorten, zum anderen eine logisch-pragmatische Analyse unter Einbeziehung sprechakttypologischer Merkmale, die primär in Abstraktion vom authentischen Text anhand von exemplarischen Sätzen ein Raster von Verwendungsweisen entwickelte und schon auf die in gesprochener Sprache relevanten Gesichtspunkte aufmerksam machte. Der Versuch der Übertragung dieses Rasters auf die Texte der gesprochenen Sprache ermöglichte es, charakteristische Übereinstimmungen, aber auch Abweichungen zu registrieren und vor allem in bezug auf gesprochene Sprache zu interpretieren. Bei dieser Untersuchung der Texte anhand der zuvor

32

Jutta Lütten

erarbeiteten Mittel wurden gleichzeitig distributionelle Merkmale festgehalten, insbesondere, was die Rekurrenz von Lexemkoinzidenzen betrifft. Die Liste der zu untersuchenden Partikeln ergab sich bei Sichtung der in der einschlägigen Literatur als ,Partikeln' bezeichneten Lexeme, wobei zum einen die ihnen zugesprochenen Eigenschaften mit den Charakteristika der gesprochenen Sprache verglichen wurden, zum anderen in der statistischen Untersuchung der frequentielle Faktor überprüft wurde. Nun ließen sich bei dieser Untersuchung eine Reihe von ganz typischen Verwendungsweisen einiger Partikeln feststellen, die mit dem Ablauf einer Äußerung aufs engste verknüpft sind, ohne daß jedoch der Aspekt der gesprochenen Sprache in Diskussionen dabei besonders zum Tragen käme. Als Charakteristikum der Diskussion sei hier genannt, daß es sich in erster Linie um Behauptungs- und Feststellungshandlungen in einem Argumentationsgefüge handelt, in dem es den Gesprächspartnern darum geht, Stimmen für die eigene Meinung zu gewinnen. Mit dieser textsortenspezifischen Intention zu überzeugen, die als hauptsächliches Kennzeichen einer Diskussion gelten soll, sind hingegen in dem untersuchten Corpus nur drei Partikeln ganz besonders verbunden, und zwar doch, eben und ja, denen die folgenden Ausführungen gelten. Den Partikeln doch, eben und ja wurde anfangs die Funktion zugesprochen, sie seien konsensus-konstitutiv, das heißt sie trügen dazu bei, daß in Argumentationszusammenhängen ein Konsensus zustande kommt. Auf welche Weise soll dies nun geschehen? Um dies zu verdeutlichen, sei der Begriff der Rekursivität respektive des Rekurses auf die gemeinsame Basis eingeführt. (Als Beispiele mögen Typisierungen der in den Texten der gesprochenen Sprache außerordentlich frequenten Äußerungsformen mit doch, eben und ja dienen, da aus Platzgründen kein authentisches Material verwendet werden kann.) Gehen wir davon aus, ein Sprecher Si macht S 2 den Vorwurf, er habe vergessen, etwas bestimmtes zu tun, und sagt dann: (A) S a : „Ich habe dir das doch extra gesagt!" Oder: Ein Redner in einer Versammlung beginnt seine Darstellung mit den Worten: (B) Si: „Wir haben ja alle schon einmal die Erfahrung gemacht, daß..." Oder ein drittes Beispiel: Der Sprecher schließt eine Äußerung mit den Worten: (C) Si·· „Wir müssen eben jetzt ganz besonders vorsichtig sein." Was ist diesen Äußerungsfragmenten gemeinsam?

Die Rolle der Partikeln doch, eben und ja als Konsensus-Konstitutiva

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(A) richtet sich an eine Einzelperson, (B) und (C) hingegen an einen größeren Kreis von Zuhörern; dieser Unterschied fällt jedoch, wie sich zeigen wird, nicht weiter ins Gewicht. Gemeinsam ist allen drei Äußerungen die Tatsache, daß der Sprecher in (A) an einen Sachverhalt erinnert, der beiden Sprechern zuvor bewußt war, in (B) auf eine Erfahrung hinweist, die die Hörer (respektive Sprecher) im Grunde teilen, in (C) einen Sachverhalt in der Weise hinstellt, als sei er unumgänglich und für die Gesamtheit der Betroffenen nun Handlungsgrundlage. Worauf also Si jeweils abzielt, ist, einen Sachverhalt als bekannt, generell gültig oder allgemein unumgänglich darzustellen, um, von dieser gemeinsamen Basis ausgehend, den Hörer in eine bestimmte Richtung zu lenken. Die Mittel, mit denen S! dies Ergebnis erreichen kann, liegen auf verschiedener Ebene: Doch, eben und ja sind in der oben beschriebenen Funktion an den sogenannten Aussagesatz gebunden, d.h. sprechakttypologisch handelt es sich primär um Behauptungen und Feststellungen u.ä. Auf dieser Grundlage lassen sich weitere Merkmale aufstellen: In distributioneller Hinsicht zeigt sich die Rekurrenz bestimmter Pronomina (vor allem Personal- und Indefinitpronomina), Verben (vor allem Modalverben) und Tempusformen. Auf Grund dieser Verhältnisse, die im folgenden beschrieben werden, lassen sich drei Aussage-Typen aufstellen, deren jeder eine charakteristische Eigenheit aufweist. Einmal treten doch, eben und ja auf in der Existenz-Aussage, in der der Sprecher das Vorhandensein eines Sachverhalts als evident und unbezweifelbar hinstellt, und zwar durch folgende sprachliche Mittel: a) b) c) d) e)

,es ist', ,es ist heute', ,es ist so', ,es wird gemacht' ,es scheint', ,es heißt' ,es liegt auf der Hand', ,das liegt an', ,das zeigt' ,jeder',,viele', ,alle',,mancher',,keiner', ,man', ,wir', ,die Menschen' ,immer',,schon immer'u.ä.

In den Typen a)—c) verweisen Ausdrücke für Existenz, Evidenz, Augenschein auf die zugrundeliegende gemeinsame Basis, in d) und e) bringen generalisierende Pronomia und Adverbien die Konsensus verbürgende Autorität der Mehrheit zum Ausdruck. Indem der Sprecher äußert, daß eine Mehrheit von Menschen das nämliche tut, sagt oder denkt, wobei er sich selbst und die anderen Sprecher implizite einschließt, macht er seine eigene Aussage plausibel und gibt ihr eine Legitimation, der sich die Hörer so schnell nicht entziehen können.

34

Jutta Lütten

Ein zweiter Aussage-Typus läßt sich als Soll-Aussage bezeichnen. Hier verbinden sich doch, eben und ja in erster Linie mit den Modalverben ,dürfen', ,können', .brauchen', ,sollen', ferner mit Ausdrücken wie ,ist ... üblich'. Der Sprecher rekurriert hier auf eine Norm, eine Handlungsmaxime, die unpersönlich oder auch in bezug auf eine Allgemeinheit ausgesagt werden kann (,man muß doch', ,wir müssen doch'). Die Notwendigkeit, die hier behauptet wird, soll dazu führen, daß der Hörer in der Behauptung des Sprechers den Zwang, auf eine bestimmte Weise zu handeln, akzeptiert. Den dritten Typus bildet die Aussage über allgemeines Wissen, die sich für doch und ja feststellen läßt. Hierbei tritt zu doch oder ja neben charakteristischen Personalpronomina (hauptsächlich ,man' und ,wir') eine Reihe von Verben oder komplexeren Ausdrücken, die darauf abzielen, daß sich bestimmte Sachverhalte aufweisen lassen oder sozusagen zum Allgemeinwissen gehören, nämlich: ,wissen', ,kennen', ,sehen', ,zeigen', feststellen, daß',, die Sache i s t . . . die' u. ä. Zwei weitere Aussage-Typen lassen sich noch feststellen, sind jedoch auf doch und ja beschränkt. Doch tritt sehr häufig in der sogenannten Aussage über die individuelle Situation auf, d.h. der Sprecher bezieht sich auf sich selbst (,ich') und setzt dann ein Verb, das sich unmittelbar auf seine eigene Meinung, sein Denken bezieht, und zwar: ,halten für', ,glauben', ,meinen', ,finden', .denken', ,muß sagen',,annehmen'. Man wird sich fragen, inwieweit hier der Grundtypus des Rekurses auf die gemeinsame Basis verwirklicht sein soll; kann man jedoch doch diese illokutive Kraft zusprechen, dann kann ein Sprecher, indem er die Form dieses Aussage-Typus auf individuelle, nur für ihn geltende Aussagen überträgt, für diese Aussagen ebenfalls eine Art gemeinsamer Geltung beanspruchen. Seine eigene Meinung soll plausibel und einleuchtend sein; wie könnte er es eher erreichen, als wenn er sich zwar explizit nur auf sich selbst, implizit jedoch unter Benutzung eines Aussage-Typus, der die Allgemeinheit anzielt, seine Äußerung diesem Aussage-Typus unterstellt? Eine letzte und für die Gesprächssituation typische Art der Verwendung von doch und ja ist der Rekurs auf die gemeinsame Gesprächssituation. Hierbei richtet sich der Sprecher an die Diskussionsteilnehmer (,wirl) und macht ihnen bewußt, was bereits im Laufe der Diskussion an Meinungen geäußert worden ist, und zwar mittels der Verben ,wollen', ,können', ,müssen', ,sagen, daß', »gesagt haben, daß', jeweils in Verbindung mit der Partikel doch und ja. Dieser Rekurs auf die gemeinsamen Absichten und Vorhaben bei der Durchführung der Diskussion respektive auf das, was als

Die Rolle der Partikeln doch, eben und ja als Konsensus-Konstitutive

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Äußerung oder Diskussionsbeitrag bereits akzeptiert worden ist und somit die Grundlage weiteren Diskutierens bildet, ergibt sich meist nur aus der Analyse des Äußerungsfragments selbst; andererseits machen die Verben des Sagens und Meinens diesen Äußerungs-Typus natürlich besonders explizit. In welcher Weise lassen sich nun doch, eben und ja in der Funktion des Rekurses auf eine gemeinsame Basis unterscheiden? Um dies zu verdeutlichen, soll in einem Beispiel die entsprechende Leerstelle durch jeweils eine der drei Partikeln ausgefüllt werden: (A) (B) (C) (D)

Du bist in der Stadt gewesen. Du bist doch in der Stadt gewesen. (doch unbetont) Du bist eben in der Stadt gewesen. (eben unbetont) Du bist ja in der Stadt gewesen.

(A), als Aussage geäußert, läßt ohne Kontext und Situationsbeschreibung keine Vermutung über die Bedingungen zu, unter denen diese Äußerung zustande gekommen ist. (A) kann daher als neutral bezeichnet werden. Äußert ein Sprecher (B), so ist ,es möglich, daß dieser Äußerung ein Einwand seitens S 2 vorausging, derart, daß S 2 ratlos ist, wie er sein Fehlen entschuldigen soll, oder nicht erklären kann, weshalb er etwas, was man in der Stadt kaufen kann, nicht mitgebracht hat, obwohl es erwünscht gewesen wäre. Es liegt also eine Situation vor, in der S t an S 2 appelliert, sich ins Gedächtnis zu rufen, wessen er sich durchaus bewußt ist. Ein solcher Appell kann sich auf individuelle oder überindividuelle Verhältnisse beziehen. Äußert ein Sprecher (C), so gibt er eine Art Kommentar zu bestimmten Verhältnissen ab, indem er nämlich konstatierend die Faktizität eines Ereignisses S 2 bewußt macht, S 2 damit gleichzeitig auffordert, diese Faktizität als notwendig und unumgänglich anzuerkennen und daraus Konsequenzen zu ziehen. In dem Maße, wie diese Äußerung sich auf allgemeine Aussagen bezieht, versucht Si, eine Überzeugung von der Faktizität zu vermitteln, die nicht darauf abzielt, den Zusammenhang durch Nachfragen zu problematisieren. Äußert ein Sprecher (D), so stellt er eine Tatsache oder Meinung S 2 gegenüber als gewiß und sicher hin, er assertiert etwas, was fraglos Gültigkeit zu haben scheint. Hier wird S 2 wohl am wenigsten Anlaß haben, etwas in Frage zu stellen, da die Gewißheit eines Ereignisses oder die Gewißheit der Gültigkeit, ,Wahrheit' einer Meinung durch die Äußerung von Si garantiert ist. Durch die Verwendung von ja wird also am deutlichsten auf die gemeinsame Argumentations- und Handlungsbasis rekurriert.

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Jutta Lütten

Es ergibt sich also folgende Strukturierung: doch:

eben: ja:

appelliert an das Vorhandensein einer gemeinsamen Kommunikationsbasis (— für zwei oder mehrere Kommunikationspartner geltende gleiche, d.h. übereinstimmend rezipierte Sachverhalte): appellativer Rekurs konstatiert die Faktizität einer gemeinsamen Kommunikationsbasis: konstativer Rekurs assertiert die Gewißheit einer gemeinsamen Kommunikationsbasis: assertativer Rekurs.

In allen drei Fällen liegt ein sich Berufen auf eine (kommunikative) Gemeinsamkeit vor. Die Gemeinsamkeit besteht darin, daß zwei oder mehrere Personen ,gleiche' Auffassungen vertreten, »gleiche' Erfahrungen gemacht haben oder ,gleiche' Tatsachen, Ereignisse gesehen, gehört haben usw. Wichtig ist dabei, daß die Bildung dieser Gemeinsamkeit notwendig ist für den Fortgang der Argumentation bzw. des Handlungszusammenhanges, auf den die Argumentation vorbereitet. Worin besteht nun die angesprochene Gemeinsamkeit, die gemeinsame Argumentationsbasis? Der Sprecher kann mittels der oben beschriebenen Formen des sprachlichen Ausdrucks auf die verschiedensten Lebensbereiche verweisen. Dabei kann er sich auf allgemeine, für jeden Menschen zutreffende Erfahrungen oder Meinungen beziehen oder auch auf die Erfahrung, die S x mit S 2 , S 3 gemeinsam hat, d.h. etwa gemeinsame Erlebnisse der jüngeren Vergangenheit. Wichtig ist nur, daß ein bestimmter Bereich als gemeinsam hingestellt wird und auf Grund dieser Beziehung zum Ausgangspunkt weiterer Überlegungen wird. Die rekursive Vorwegnahme der Gemeinsamkeit, die nicht erst als Frage (u.U. auch rhetorische Frage) gestellt, sondern unmittelbar behauptet wird, bedeutet zugleich die Konstituierung von Bedingungen, die überhaupt erst soziales, d.h. gemeinsames Handeln ermöglichen. Die Verfolgung gemeinsamer Zwecke ergibt sich aus der Annahme gemeinsamer Erlebnisse und gemeinsamer Auffassungen. Die sprachlich konstituierte Gemeinsamkeit ermöglicht, daß verschiedene Individuen sich dazu entschließen können, gemeinsame Handlungen auszuführen, weil sie auf eine übereinstimmende und damit gemeinsame Erlebnis- und Argumentationsbasis zurückgreifen können. Dieser Rekurs auf eine zugrunde liegende oder zumindest als zugrunde liegend hingestellte gemeinsame Basis liegt vielleicht auf gleicher Ebene wie die bei jeder Art von Interaktion, insbesondere sprachlicher Interaktion, zu unterstellende Idealisierung (HABERMAS/LUHMANN 1971: 127 ff.), ohne die sprachliche Interaktion nicht möglich wäre. Während

Die Rolle der Partikeln doch, eben und ja als Konsensus-Konstitutiva

37

jedoch hier bestimmte Voraussetzungen unausgesprochen in die Interaktion eingehen, wird bei der oben beschriebenen Art des Rekurses auf die gemeinsame Basis ständig sprachlich verwiesen. In der Tat greift jedes Sprechen, nicht nur in Diskussionssituationen, sondern auch in der Vielfalt typischer oder individuell sich konstituierender Sprechsituationen, so oft dies möglich ist, auf schon Bekanntes zurück, ohne dies erst exemplarisch einzuführen. Es ließe sich wohl keine Form des Sprechens denken, bei der die verwendeten Elemente einzeln, eindeutig und exemplarisch eingeführt würden, insofern jedes Sprechen ständig Elemente gebraucht, die als bekannt vorausgesetzt werden können. Sobald ein Element einer Sprache, ein Wort, ein Syntagma, in einem Kommunikationszusammenhang geäußert wird, setzt der Sprecher Si voraus, daß zumindest eine hinreichende Menge von Elementen seiner Äußerung von S 2 verstanden wird. Ist dies nicht der Fall, wird S 2 auf zusätzliche Elemente zurückgreifen, die durch ihren Kontakt zu den bereits genannten Elementen dazu beitragen, jene bedeutungsmäßig zu erweitern und bezüglich der von S t intendierten Bedeutung einzugrenzen. Es ließe sich nun denken, daß S j auf einen Gegenstand X verweist, verbunden mit einer entsprechenden Geste, und dabei diesem Gegenstand zuspricht, ρ zu sein. S 2 , der in diesem Beispiel eine andere Sprache spricht als Si, wird, auf diese Weise motiviert, dem Gegenstand X nun p' prädizieren, und Si und S 2 können jetzt davon ausgehen, daß die Äußerung X ist ρ der Äußerung X ist p' entspricht. Natürlich kann diese Entsprechung falsch sein; dies kann zum Beispiel dann geschehen, wenn S 2 den von Si benannten Gegenstand X nicht kennt oder ihn in anderer Weise verwendet, so daß er ihn einer anderen Kategorie zuordnet. In diesem Fall wird sich die nicht vorhandene Entsprechung in einem auf die oben vorgenommene Gegenüberstellung sprachlicher Art folgenden Handlungszusammenhang erweisen, und es ergibt sich dann die Notwendigkeit, in einem weiteren Schritt einen Rekurs auf eine von einem anderen Aspekt ausgehende Gemeinsamkeit zu leisten, etwa: Si behauptet: X ist ρ, ρ dient dem Zweck Z ; S 2 behauptet: X ist p', p' dient dem Z w e c k Z . Die Übereinstimmung wäre hier durch die Zweckbestimmung gegeben. Es ergibt sich daher die Möglichkeit, die Gemeinsamkeit, die vielleicht anfangs nur eine optische oder akustische, eine visuelle war, auf eine pragmatische zurückzuführen, was wiederum Gemeinsamkeit konstituiert. Der Rekurs auf eine gemeinsame Basis, dargestellt am Beispiel eines abstrakten, konstruierten Sprach- und Handlungszusammenhangs, verweist auf eine menschliche Kommunikation überhaupt kennzeichnende Struktur. Insofern wird durch die Verwendung bestimmter Partikeln -

38

Jutta Lütten

primär doch, eben und ja - zur Erzeugung einer gemeinsamen Argumentationsbasis nur die an sich schon vorhandene Kommunikationsstruktur als eines Gemeinsamkeit erzeugenden Prozesses potenziert, unter Umständen aber auch pervertiert, denn: wie ließe sich Übereinstimmung leichter erreichen als dann, wenn man andeutet, daß die geäußerte Meinung im Grunde allgemein akzeptiert wird?

LITERATURVERZEICHNIS HABERMAS, J./N.LUHMANN (1977), Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Frankf. a.M.: Suhrkamp. LÜTTEN, J. (1977), Untersuchungen zur Leistung der Partikeln in der gesprochenen deutschen Sprache. Göppingen: Kümmerle. ( = Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 218.) Texte gesprochener deutscher Standardsprache. 1. 2. (1971/1974). Erarbeitet im Institut für deutsche Sprache. Forschungsstelle Freiburg i.Br. ( = Heutiges Deutsch. Reihe 2. Bd. 1.2.) München: Hueber.

Verzögerungsphänomene, Verknüpfungs- und Gliederungssignale in Alltagsargumentationen und Alltagserzählungen UTA QUASTHOFF

(Berlin)

SUMMARY In the following article, three different ways of structuring a spontaneously spoken conversational discourse are distinguished: (1) Hesitation phenomena as indicators of the structured process of cognitive and verbal planning. (2) Connecting signals, which on the one hand belong-to the structural indicators as they also have to be explained in terms of planning diffuculties; and which are, on the othe· band, "lexically filled pauses", thereby governing at the same time the ongoing interaction by preventing the hearer from taking the floor. (3) Discourse markers, which are primarily used to structure and govern the understanding and the interactive moves of the hearer. It turns out that lexical items which normally express a temporal relation (like then), or a call for agreement (like right), can be used as connecting signals in conversational narratives or argumentations respectively. Discourse markers are found to be not only words but also sentences. The interactionstructuring force of these sentences is in itself indicated by expressions like German na ja (well in English) in the case of narrative signals and the German particles eben, halt, ja, and doch in the case of argumentative sentential discourse markers.

0

Vorbemerkungen

Die folgenden Überlegungen sind Teil einer längerfristigen Arbeit innerhalb von zwei aufeinander aufbauenden Projektgruppen. Diese Projekte beschäftigen sich mit der Erforschung der Textproduktion und -rezeption in alltäglicher Interaktion am Beispiel spontaner Erzählungen in Gesprächen. Zumindest einige kurze Bemerkungen zu den Grundkategorien und der empirischen Basis dieses Ansatzes sind an dieser Stelle notwendig; vieles wird aus Raumgründen ohnehin auf Verweise beschränkt bleiben müssen.

40

Uta Quasthoff

Die Überlegungen gründen sich empirisch auf Gesprächsmaterial aus vier verschiedenen Corpora: — Erzählungen in Einzel- oder Gruppengesprächen, die von mir selbst oder studentischen Teilnehmern der Projektgruppe „Konversationelle Erzählung: Theorie und Empirie" erhoben wurden; (vgl. DAVIDS et al. 1 9 7 5 , QUASTHOFF 1 9 7 7 a ) ;

— Erzählungen innerhalb von Beratungsgesprächen in der Sozialbehörde. Dieses Gesprächsmaterial wurde von dem psychologischen Forschungsprojekt „Bürgernahes Verhalten in der Sozialhilfe" (Technische Universität Berlin) unter Leitung von Rainer Silbereisen erhoben; - Diskussionsmaterial aus der „Gruppenstudie", Institut für Sozialforschung, Frankfurt/M. (Zur näheren Beschreibung dieses Corpus vgl. POLLOCK 1 9 5 5 u n d Q U A S T H O F F 1 9 7 3 ) ;

- ein Eheberatungsgespräch aus dem Projekt „Elternhaus und Schule" des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin, erhoben von einer Arbeitsgruppe zur Familienbeobachtung unter Leitung von Ulrich Oevermann, abgedruckt bei Frankenberg 1976. Erzählen und Argumentieren werden als Formen interaktiven sprachlichen Handelns angesehen. Eine grundliegende, wenn auch weiter teilbare Einheit sprachlicher wie nichtsprachlicher Interaktion ist das Handlungsschema. Ich verwende den Begriff im Sinne von K A L L M E Y E R / SCHÜTZE ( 1 9 7 6 ) . Allerdings trifft der Ausdruck Schema das Prozeßhafte und die Dynamik interaktiven Handelns nur unzureichendDie inhaltlichlogische Einheit einer Argumentation2 in einer Diskussion oder eine Er3 zählung- innerhalb eines Gesprächs sind Beispiele für Handlungsschemata. Der Begriff der Struktur oder Strukturierung, der im folgenden eine Rolle spielen wird, steht zunächst im Widerspruch zu der interaktiv bestimmten Kategorie des Handlungsschemas. Faßt man den Strukturbegriff jedoch nicht im klassischen sprach- bzw. texttheoretischen Sinne auf, so verschwindet dieser Widerspruch. Struktur in unserem Sinne heißt ,Struktur kommunikativen Verhaltens', das situations- und damit hörerbezogen, also auch im Monologischen interaktiv ist. Aus Raumgründen muß hier eine Explikation dieses Begriffs von Textstruktur unterbleiben (s. dazu KRAFT/NIKOLAUS/QUASTHOFF 1 9 7 8 ) . Als

Andeutung mag eine schematische Darstellung des Konstitutionsprozesses von Argumentationen und Erzählungen genügen (s. Abb. 1 und 2 unten):

Verzögerungsphänomene, Verknüpfungs- und Gliederungssignale Abb. 1 DER K O N S T I T U T I O N S P R O Z E S S DER K O N V E R S A T I O N E L L E N ERZÄHLUNG

42

Uta Quasthoff Abb. 2 DER KONSTITUTIONSPROZESS VON

ARGUMENTATIONEN

Verzögerungsphänomene, Verknüpfungs- und Gliederungssignale

43

Die Kategorie, die unserem Ansatz zur Strukturbeschreibung von verbalen Handlungsschemata zugrundeliegt, ist der aus der Kognitionspsychologie (vgl. MILLER/GALANTER/PRIBRAM 1960) entlehnte Begriff des Plans (vgl. dazu auch VAN D I J K 1 9 7 7 und R E H B E I N 1 9 7 6 ) . Die Diagramme sind zu verstehen als der Versuch, mit notwendigerweise unzureichenden graphischen Mitteln den komplexen Prozeß der verbalen Planung und Realisierung vereinfachend darzustellen. Die abstrakte hierarchische, relational geordnete semantische Struktur (,Relationsstruktur') eines zu produzierenden Textes wird in Abhängigkeit von Stimuli aus der »Situation', dem ,kommunikativen Ziel' und der ,Intention zur Realisierung' stufenweise gebildet. Die einzelnen Stufen beinhalten somit jeweils eine „Nachfrage" bei den konstituierenden Faktoren Situation, Ziel und Intention. Sie konkretisieren sich ebenso stufenweise im spezifischen Inhalt eines jeweils zu äußernden Textes (,Informationspyramide') und führen dann zur linearisierten sprachlichen Realisierung. Dieses Modell erhebt zunächst keinen Anspruch auf psychische Realität, sondern stellt den Versuch einer linguistischen Modellierung des Textproduktionsprozesses dar. Textstrukturbeschreibung heißt also ,Modellierung des strukturierten Textkonstitutionsprozesses als interaktives Handlungsschema'. 1 Indikatoren

für die kognitive

Strukturierung

Im folgenden wird grob zwischen Indikatoren der makrostrukturellen Planung im kognitiven Bereich (s. Abb. 1 und 2, S. „Stufen" 1-5) und den Strukturierungssignalen auf der Realisationsebene („Stufe" 6 und 7) unterschieden. Ich nehme dabei an, daß Gliederungssignale eher interaktiv motiviert sind und steuernd eingesetzt werden, während Strukturierungsindikatoren vornehmlich als unwillkürliche Begleiterscheinungen des Planungsprozesses ohne semantische oder interaktive Relevanz angesehen werden. In dieser vereinfachten Formulierung liegt jedoch die Gefahr eines methodisch folgenreichen Mißverständnisses: Zwar ist erwiesen, daß „Verzögerungsphänomene" — Strukturierungsindikatoren in unserem Sinne - bei der Perzeption weitgehend ausgefiltert werden (vgl. z.B. Voss 1977), also i.a. semantisch nicht relevant sind; zwar kann man Gliederungssignalen bis zum gewissen Grade eine textsemantische Funktion zuschreiben (vgl. GÜLICH/RAIBLE 1 9 7 4 und QUASTHOFF 1 9 7 6 ) ; es w ä r e

aber ganz falsch, wenn man versuchen wollte, eine Eins-zu-Eins-Zuordnung zwischen je einer dieser beiden Funktionen - der Indikations- und

44

Uta Quasthoff

der Signalfunktion - und beobachtbaren sprachlichen Strukturierungsmitteln vorzunehmen. Die sprachlichen Elemente, die als Diskursstrukturierungsmittel eingesetzt werden, gehören ganz sicher gerade zu den funktionell vieldeutigsten sprachlichen Ausdrücken. Daß eine unifunktionale Zuordnung von bestimmten Diskursstrukturierungsmitteln zum Bereich der kognitiven Planung oder der interaktiven Steuerung unmöglich ist, zeigt sich nicht zuletzt bereits in den , V e r k n ü p fungssignalen', die systematisch beide Funktionen in sich vereinigen. Daß weiterhin auch der Indikationscharakter von Verzögerungsphänomenen und Verknüpfungssignalen interaktive, d.h. bedeutungsmäßige Relevanz hat, läßt sich z.B. durch ihre partielle Verwendung in literarisch geformter Sprache veranschaulichen. Der Charakter von Gliederungssignalen auch als Indikatoren der Struktur kognitiver Planung ist andererseits dadurch nahegelegt, daß der Einsatz dieser Mittel sich der bewußten Kontrolle weitgehend entzieht. Außerdem sind Schaltstellen der kognitiven Planung in vielen Fällen identisch mit den Stellen in der sprachlichen Realisierung, an denen Markierungen zur Strukturierung des Hörerverständnisses angebracht werden müssen. Die folgenden Analysen werden noch weitere funktionelle Verbindungen zwischen Indikatoren und Signalen erweisen. Allerdings scheint es dennoch dominante Funktionen bzw. primäre Motivierungen für den Einsatz dieser vielfältigen sprachlichen Mittel zu geben. Auf jenen basiert die vorgenommene Klassifikation.

1.1 Verzögerungsphänom

ene

MACLAY und OSGOOD (1959: 24) unterscheiden die folgenden vier Typen von Verzögerungsphänomenen: - (semantisch nicht relevante) Wiederholungen (auch Stammeln, Stottern etc.), - „Fehlstarts", d.h. „alle unvollständigen oder selbstunterbrochenen Äußerungen", -

„gefüllte

Pausen"

- „ungefüllte

(alle öhs ehms etc.),

Pausen",

d.h. ungewöhnlich lange Unterbrechungen des

Redeflusses bzw. „nicht-phonemische Verlängerung von Phonemen". Eine Konzeption von Textstruktur, die den Textplanungsprozeß mit seinen verschiedenen Subroutines abzubilden versucht, hat es leicht, eine Hypothese über das Auftauchen von Verzögerungsphänomenen in spontaner Rede aufzustellen: An allen Stellen innerhalb der voraus- und zurückgreifenden Tätigkeit des Planes, die aufgrund der Struktur des Plans beson-

Verzögerungsphänomene, Verknüpfungs- und Gliederungssignale

45

ders störanfällig sind, ist mit Verzögerungsphänomenen zu rechnen. Solche Stellen sind am Beispiel von Erzählungen -

die Übergänge zwischen verschiedenen Elementen der Relationsstruktur, also etwa der Übergang zur,Komplikation' (LABOV/WALETZKY),

- die Übergänge zwischen verschiedenen Detailliertheitsgraden Ausgestaltung

der Erzählung

(,Ebenen

der

in der

Informationspyramide',

vgl. KRAFT/NIKOLAUS/QUASTHOFF ( 1 9 7 8 : 42ff.))>

- die ein- und ausleitenden Grenzen von Subroutines in Form von Exkursen, nicht-narrativen Einschüben, die einen kurzfristigen Frame-Wechsel (GOFFMAN) zur Folge haben (also etwa Erklärungen und Kommentare an den Zuhörer), - jeder Bruch eines Verbalisierungsplans durch (verbale und nicht-verbale) interaktive Züge des Partners, die nicht zu den antizipierenden Teilen des Plans gehörten, den Sprecher also „aus dem Konzept (!) bringen". Eine systematische Überprüfung dieser Hypothesen muß der empirischen Psycholinguistik überlassen bleiben 4 . Ich kann in diesem Rahmen lediglich versuchen, durch eine grobe quantitative Analyse in kleinem Rahmen eine argumentative Stützung bereitzustellen. Anhand von zufällig ausgewählten 13 Erzählungen (von 13 Sprechern) aus dem Sozialbehörde-Corpus wurde das Auftreten von Verzögerungsphänomenen ausschließlich am Satzanfang beobachtet, weil es nur um die Korrelation

mit

makrostrukturellen

Planungsschwierigkeiten

gehen

sollte. Die häufig vorkommenden gefüllten oder ungefüllten Pausen bei der Suche nach einem Wort (meistens einem Eigennamen) mitten im Satz z.B. wurden also nicht miterhoben. Da der Beginn jeden Satzes bzw. jeder „Sinneinheit" der gesprochenen Rede (die nicht notwendigerweise ein vollständiger Satz im grammatischen Sinne sein muß) als Möglichkeit für das Auftauchen eines Verzögerungsphänomens und/oder einer Erzählplanzäsur betrachtet wurde, ergaben sich die folgenden vier Möglichkeiten für die Verteilung: - Verzögerungsphänomen

und Erzählplanzäsur

am

Satzanfang

treten

zusammen auf ( + V / + E); - Satzanfang ohne Verzögerüngsphänomen

und ohne

Erzählplanzäsur

(-V/-E); -

Satzanfang

mit

Verzögerungsphänomen

und

ohne

Erzählplanzäsur

mit

Erzählplanzäsur

( + V/-E); -

Satzanfang (-V/+E).

ohne

Verzögerungsphänomen

und

46

Uta Quasthoff

Die Hypothese war, daß (-V/-E) der am häufigsten vorkommende „Normalfall" sein würde, daß aber bei auftretendem Verzögerungsphänomen in den allermeisten Fällen gleichzeitig eine Erzählplanzäsur auftritt. Die Kombination - V / + Ε wurde nur in geringer Häufigkeit erwartet. Es ergaben sich die folgenden Häufigkeitsrelationen: Abb. 3 In % : + V

-V

23,39

16,95

12,20

47,46

Dieses Ergebnis ist nach dem Chi-Quadrat-Test signifikant. Die Hypothesen zu - V / - E , + V / + E und + V / - E werden also tendenziell durch die beobachteten Daten unterstützt: Die meisten Satzanfänge weisen weder ein Verzögerungsphänomen noch eine Erzählplanzäsur auf. Wenn

allerdings ein Verzögerungsphänomen am Satzanfang vorkommt, s