Die Organisation der Betriebsverfassung durch Tarifvertrag [1 ed.] 9783428524013, 9783428124015

Betriebsverfassungsrecht ist in Deutschland traditionell Gesetzesrecht. Aufbau und Struktur der Betriebsverfassung sind

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Die Organisation der Betriebsverfassung durch Tarifvertrag [1 ed.]
 9783428524013, 9783428124015

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 260

Die Organisation der Betriebsverfassung durch Tarifvertrag Von

Jan L. Teusch

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JAN L. TEUSCH

Die Organisation der Betriebsverfassung durch Tarifvertrag

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 260

Die Organisation der Betriebsverfassung durch Tarifvertrag

Von

Jan L. Teusch

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Sommersemester 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-12401-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2006 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung konnten Rechtsprechung und Literatur bis Ende 2006 berücksichtigt werden. Danken möchte ich an dieser Stelle meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Detlev W. Belling, M.C.L., der die Entstehung der Arbeit von Beginn an mit großem Wohlwollen begleitet und mir neben meiner Assistententätigkeit an seinem Lehrstuhl den nötigen Freiraum gelassen hat. Frau Hochschuldozentin Dr. Eva Hein gebührt mein Dank für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus danke ich meinen Familienangehörigen, Freunden und Kollegen, die durch ihre vielfältige Unterstützung, Diskussionsbereitschaft und Kritik maßgeblich zu einer erfolgreichen Vollendung der Arbeit beigetragen haben. Die Dissertation wurde im November 2006 mit dem Wolf-Rüdiger-Bub-Preis der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam ausgezeichnet. Düsseldorf, im Februar 2007

Jan L. Teusch

Inhaltsübersicht Einführung in die Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Erster Teil Die rechtlichen Grundlagen

23

§ 1 Einfachgesetzlicher Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

§ 2 Verfassungsrechtliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

Zweiter Teil Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

104

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten, Gremien und Vertretungen nach § 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 § 4 Weitere Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz . . . . . . . . . . . 147 § 5 Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . 157

Dritter Teil Tarifrechtliche Besonderheiten

165

§ 6 Die Parteien des Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 § 7 Die Auflösung von Tarifkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 § 8 Beginn und Ende der Tarifwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 § 9 Die Erzwingbarkeit des Tarifabschlusses durch Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

10

Inhaltsübersicht Vierter Teil Rechtsschutzfragen

205

§ 10 Möglichkeiten der gerichtlichen Kontrolle von Organisationstarifverträgen . . . . . . . 205 § 11 Umfang der gerichtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Inhaltsverzeichnis Einführung in die Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Erster Teil Die rechtlichen Grundlagen

23

§ 1 Einfachgesetzlicher Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

I. Das Tarifvertragsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

II. Das Betriebsverfassungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

III. Das Verhältnis von Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsgesetz . . . . . . . . . . . . .

27

1. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

a) Keine eigenständige Bedeutung des Tarifvertragsgesetzes . . . . . . . . . . . . . .

27

b) Das Betriebsverfassungsgesetz als zwingendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

c) Das Betriebsverfassungsgesetz als dispositives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

a) Auslegung des Tarifvertragsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

b) Auslegung des Betriebsverfassungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

d) Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

§ 2 Verfassungsrechtliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

I. Gesetzliche Regelung und kollektive Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) . . .

43

1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der kollektiven Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

a) Der Schutz der Koalitionen und ihrer Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

12

Inhaltsverzeichnis b) Der Schutz der Tarifautonomie als funktionstypisches Mittel der Koalitionsbetätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

c) Keine Beschränkung der Gewährleistung auf einen „Kernbereich“ . . . . .

47

2. Die Betriebsverfassung als Gegenstand kollektiver Koalitionsbetätigung . .

49

a) Die Betriebsverfassung als Arbeits- und Wirtschaftsbedingung . . . . . . . . .

50

aa) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . .

50

bb) Die Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

b) Betriebsverfassung und „personelle Reichweite“ der Tarifautonomie . . .

60

3. Der Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit durch das Betriebsverfassungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

4. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

a) Die Schranken der kollektiven Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

b) Die verfassungskonforme Ausfüllung der Schranken durch das Betriebsverfassungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

aa) Die Betriebsverfassung als Verfassungsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

bb) Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

II. Gesetzliche Regelung und individuelle (negative) Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

2. Der Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

aa) Die negative Koalitionsfreiheit als Fernbleiberecht . . . . . . . . . . . . . . . .

80

bb) Die negative Koalitionsfreiheit als Freiheit von Tarifnormgeltung

80

b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

3. Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit durch § 3 Abs. 2 TVG? . . . . . . . . .

83

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

III. Gesetzliche Regelung und allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

Inhaltsverzeichnis

13

2. Der Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit durch § 3 Abs. 2 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

3. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

a) Die „verfassungsmäßige Ordnung“ als Schranke der allgemeinen Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

b) Die Wahrung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . .

89

aa) Die Notwendigkeit rechtsstaatlich-demokratischer Legitimation . . .

89

bb) Die Anforderungen an die rechtsstaatlich-demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

cc) Die Erfüllung der Legitimationsanforderungen durch § 3 Abs. 2 TVG i.V.m. den Zulassungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

c) Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 IV. Gesetzliche Regelung und allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) . . . . 101

Zweiter Teil Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

104

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten, Gremien und Vertretungen nach § 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats und die Zusammenfassung von Betrieben (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Die Regelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Zusammenfassung von Betrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Die Regelungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Unternehmen mit mehreren Betrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Erleichterung der Bildung von Betriebsräten oder sachgerechte Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Die Bildung von Spartenbetriebsräten (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Die Regelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Bildung von Betriebsräten in den Sparten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

14

Inhaltsverzeichnis b) Bildung von „Spartengesamtbetriebsräten“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Ergänzung oder Ersetzung gesetzlich vorgesehener Betriebsräte? . . . . . . 114 2. Die Regelungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Unternehmen oder Konzern mit Spartenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Entscheidungen der Spartenleitung in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . 128 III. Andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) . . . . . . . . 129 1. Die Regelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Die Regelungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 IV. Arbeitsgemeinschaften (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Die Regelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Die Regelungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 V. Zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Die Regelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Die Regelungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

§ 4 Weitere Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz . . . . . . . . . . 147 I. Verlängerung des Übergangsmandats des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 II. Anderweitige Regelung über die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern . . . . 149 III. Änderung von Mitgliederzahl und Stimmgewichtung in überbetrieblichen Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 IV. Errichtung einer tariflichen Schlichtungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 V. Regelung des Beschwerdeverfahrens und Errichtung einer betrieblichen Beschwerdestelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 VI. Errichtung einer Vertretung für Flugbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 § 5 Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes . . . . . . . . . . . . 157 I. Kleinbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Inhaltsverzeichnis

15

II. Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Tendenzbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 IV. „Ausbildungsbetriebe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Dritter Teil Tarifrechtliche Besonderheiten

165

§ 6 Die Parteien des Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Besonderheiten bei Organisationstarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Parteien auf Arbeitgeberseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Arbeitgeberverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Einzelne Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Parteien auf Arbeitnehmerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 § 7 Die Auflösung von Tarifkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Tarifkollisionen bei Organisationstarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Tarifkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Auftreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Lösungsvorschläge in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Auftreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 § 8 Beginn und Ende der Tarifwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 II. Besonderheiten bei Organisationstarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Beginn der Tarifwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

16

Inhaltsverzeichnis 2. Beendigung des Tarifvertrags und Nachwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

§ 9 Die Erzwingbarkeit des Tarifabschlusses durch Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Grundlage, Umfang und Grenzen des Arbeitskampfrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Der Organisationstarifvertrag als zulässiges Arbeitskampfziel . . . . . . . . . . . . . 201 a) Tarifierbarkeit und Erkämpfbarkeit betriebsverfassungsrechtlicher Organisationsregelungen als Ausfluß der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Kein genereller Ausschluß des Streikrechts durch Art. 2, 12, 14 GG . . . . 202 c) Kein Ausschluß des Arbeitskampfs durch § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG . . . . . 202 3. Grenzen der Erkämpfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Vierter Teil Rechtsschutzfragen

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§ 10 Möglichkeiten der gerichtlichen Kontrolle von Organisationstarifverträgen . . . . . . . 205 I. Die Wahlanfechtung nach § 19 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 II. Das Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 III. Das Verfahren nach § 9 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 IV. Inzidentkontrolle in anderen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 § 11 Umfang der gerichtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Einführung in die Thematik Grundanliegen der Betriebsverfassung ist die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Gestaltung des betrieblichen Geschehens und den sie betreffenden Entscheidungen des Arbeitgebers1. Der Erreichung dieses Ziels dienen die Mitwirkungsund Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Die Ausübung dieser Rechte steht allerdings nicht dem einzelnen Arbeitnehmer als Individuum zu2. Kennzeichnend für die gesetzliche Betriebsverfassung ist vielmehr die kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmerrechte gegenüber dem Arbeitgeber durch eine die Belegschaft repräsentierende Institution, in erster Linie den Betriebsrat. Neben den materiellen Beteiligungsrechten normiert das Betriebsverfassungsgesetz deshalb ein umfassendes Organisationsstatut, das die Errichtung und Ausgestaltung der institutionalisierten Arbeitnehmervertretung regelt. Die gesetzlichen Organisationsvorschriften sollen die Bildung handlungsfähiger Betriebsverfassungsorgane ermöglichen, die zu einer sinnvollen und effektiven Ausübung der Beteiligungsrechte in der Lage sind. Sie bilden gleichsam das „Fundament“, auf welchem das komplexe System der Beteiligung an den betrieblichen Abläufen und Entscheidungsprozessen ruht. Anknüpfungspunkt des gesetzlichen Organisationsrechts3 ist die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers4. Das Gesetz will die unternehmerische Organisationsfreiheit nicht antasten, sondern auf vorhandene Strukturen zurückgreifen5. Es geht dabei von einem potentiell dreistufig angelegten Organisationsmodell aus, das an den herkömmlichen Organisationseinheiten Betrieb, Unternehmen und Konzern ausgerichtet ist: Organisatorische Grundeinheit ist der Betrieb. Dort werden Betriebsräte gewählt, dort findet die Mitbestimmung statt6. Besteht ein Unternehmen aus 1 Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Lehrbuch II / 2, § 51 A I 1, S. 1060; Richardi in: Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 1; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 1 III 1, S. 6. 2 Eine Ausnahme bildet das Mitwirkungs- und Beschwerderecht nach §§ 81 ff. BetrVG, das als Individualrecht des Arbeitnehmers ausgestaltet ist. 3 Zu den gesetzlichen Organisationsvorschriften zählen – in Abgrenzung zu den Vorschriften über die Beteiligungsrechte – alle Bestimmungen über die Errichtung, Zusammensetzung, Amtszeit und Geschäftsführung der Betriebsverfassungsorgane und die Kompetenzabgrenzung zwischen diesen sowie die betriebsverfassungsrechtlichen Begriffs- und Verfahrensbestimmungen, vgl. BAG AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 596; Spilger, Tarifvertragliches Betriebsverfassungsrecht, S. 33. 4 Richardi in: Richardi, BetrVG, § 1 Rn. 8. 5 Konzen, Unternehmensaufspaltungen, S. 13; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 86. 6 Vgl. §§ 1, 74 ff. BetrVG.

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nur einem Betrieb, hat es damit sein Bewenden. Bestehen in mehreren Betrieben desselben Unternehmens Betriebsräte, ist (obligatorisch) auf einer zweiten Stufe ein Gesamtbetriebsrat zu bilden, in dessen Zuständigkeit betriebsübergreifende Aufgaben fallen, die von den einzelnen Betriebsräten nicht geregelt werden können7. Sind schließlich mehrere Unternehmen zu einem (Unterordnungs-)Konzern verbunden, kann (fakultativ) auf einer dritten Stufe ein Konzernbetriebsrat errichtet werden, der für unternehmensübergreifende Angelegenheiten zuständig ist8. Diesem mehrstufigen gesetzlichen Organisationsmodell liegen vor allem zwei Erwägungen zugrunde. Zum einen soll eine möglichst arbeitnehmernahe Organisation der Mitbestimmungsorgane geschaffen werden, um deren Erreichbarkeit und Akzeptanz zu sichern. Zum anderen soll eine sinnvolle und effektive Interessenwahrnehmung durch möglichst große Entscheidungsträgernähe erreicht werden. Beide Ziele sind nur realisierbar, wenn der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsstruktur auch eine entsprechende Struktur auf Arbeitgeberseite gegenübersteht. Das Gesetz trägt dem Rechnung, indem es von praxistypischen Betriebs-, Unternehmens- und Konzernstrukturen ausgeht und die Betriebsverfassungsorgane dort installiert, wo sie im Normalfall optimal wirken können. Es stellt damit ein einheitliches, in seinen Teilelementen aufeinander abgestimmtes betriebsverfassungsrechtliches Organisationsmodell zur Verfügung, das für eine Vielzahl von Betrieben, Unternehmen und Konzernen paßt. Probleme treten auf, wenn die real bestehenden Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernstrukturen vom gesetzlich vorausgesetzten „Normalfall“ abweichen. Derartige Organisationsformen sind im modernen Wirtschaftsleben zunehmend zu beobachten. Beispiele bilden die Unternehmens- oder Konzernorganisationen nach Geschäftsbereichen (Produktgruppen, Sparten, Divisionen) oder die häufig mit der Ausgliederung von Betrieben oder Betriebsteilen verbundene Verlagerung von Aufgaben auf Dritte (sog. Outsourcing)9. Sie führen vielfach zur einer Verdrängung der klassischen Strukturen durch andere Organisationseinheiten, die nicht mit den im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen korrespondieren und denen das organisatorische „Einheitsmodell“ des Betriebsverfassungsgesetzes deshalb nicht (mehr) gerecht wird. Das hat Auswirkungen auf die betriebliche Mitbestimmung: Die Beteiligungsrechte können nicht sinnvoll wahrgenommen werden, wenn den Betriebsverfassungsorganen auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Ebenen keine Entscheidungsträger auf Arbeitgeberseite gegenüberstehen. Der Betriebsleiter ist für den Betriebsrat kein kompetenter Ansprechpartner, wenn die maßgeblichen Entscheidungen anderswo von einer „Spartenleitung“ getroffen werden. In der Arbeitnehmerschaft sinken Plausibilität und Akzeptanz solcher Entscheidungen. Ineffektive Mitbestimmungsverfahren verhindern die Vgl. §§ 47 ff. BetrVG. Vgl. §§ 54 ff. BetrVG. 9 Zu weiteren Organisationskonzepten und ihren Auswirkungen auf die Organisation der Betriebsverfassung Nagel / Riess / Theis, Konzernstrukturen, S. 60 ff.; Wiedenfels, Wirtschaftlicher Wandel, S. 52 ff. 7 8

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zügige Umsetzung unternehmerischer Maßnahmen und verursachen zusätzliche finanzielle Belastungen. In der Praxis besteht daher oftmals ein großes Bedürfnis, die Organisation der Betriebsverfassung durch individuelle Regelungen an die Betriebs-, Unternehmens- und Konzernstrukturen anzupassen10. Das bis Juli 2001 geltende Betriebsverfassungsgesetz 1972 stand derartigen Regelungen indessen sehr zurückhaltend gegenüber. Der Gesetzgeber zeigte sich, wie Hanau11 treffend anmerkte, „richtiggehend ängstlich, daß sein Einheitsmodell durch den Gegebenheiten einzelner Betriebe und Unternehmen besser entsprechende vertragliche Regelungen in seiner Alleinstellung beeinträchtigt werden könnte“. § 3 BetrVG a.F. erlaubte nur in wenigen Ausnahmefällen grundlegend vom gesetzlichen Modell abweichende Organisationsregelungen durch Tarifvertrag und machte deren Wirksamkeit außerdem von der Zustimmung durch die oberste Arbeitsbehörde abhängig. In sonstigen Vorschriften vereinzelt zugelassene, zustimmungsfreie Vereinbarungen betrafen lediglich punktuelle Modifikationen der gesetzlichen Organisation wie etwa Regelungen über die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern12. Darüber hinausgehende kollektivvertragliche Abmachungen wurden in Rechtsprechung und Schrifttum nahezu einhellig als unzulässig angesehen13. Die Realität sah freilich anders aus. Bereits 1982 stellte Rancke14 im Rahmen einer breit angelegten empirischen Untersuchung über die Realstrukturen der Betriebsverfassung in der Unternehmenswirklichkeit fest, daß die Betriebspartner ihren Mitbestimmungsprozeß vielfach „in Formen und Institutionen austragen, die vom Betriebsverfassungsgesetz entweder so nicht angelegt oder überhaupt nicht vorgesehen sind“. Die gemeinsam von der Bertelsmann Stiftung und der HansBöckler-Stiftung eingesetzte Kommission Mitbestimmung15 konstatierte 1998 eine verbreitete und zunehmende Praxis „informeller Modifizierung der gesetzlichen Regelungen“, mittels derer die betriebliche Mitbestimmung den „veränderten organisatorischen Gegebenheiten durch Einrichtung neuer, oft improvisierter Verfahren“ angepaßt worden sei. Auch im arbeitsrechtlichen Schrifttum wurde immer wieder auf zahlreiche „Organisationstarifverträge“ hingewiesen, die nicht nach § 3 BetrVG a.F. genehmigt und wohl auch nicht genehmigungsfähig waren16. In fast allen Diskussionsbeiträgen zur Reform des BetriebsverfassungsVgl. Bachner, NZA 1996, 400; Löwisch, DB 1999, 2209, 2210. In: FS Kissel, S. 346. 12 Vgl. § 38 Abs. 1 S. 3 BetrVG a.F. Eine Ausnahme bildete § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG a.F., der die Errichtung einer Vertretung für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen durch Tarifvertrag ohne behördliche Zustimmung vorsah. 13 Vgl. nur Fitting, BetrVG, (20. Aufl.), § 3 Rn. 1 m. w. N. 14 Betriebsverfassung und Unternehmenswirklichkeit, S. 336. 15 Bericht, Kap. 3 Nr. 21, Kap. 6 Nr. 17. 16 Vgl. Bachner, NZA 1996, 400, 405; Blank et al., Arbeitnehmerschutz, S. 146 f.; Bösche, AiB 2001, 110; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1035; Franzen, ZfA 2000, 285, 295; Konzen, Unternehmensaufspaltungen, S. 65 f.; Plander, NZA 2002, 483, 484; Schwark, ZHR 142, 10 11

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gesetzes wurden deshalb mehr Gestaltungsspielräume für die Kollektivvertragparteien in Fragen der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation gefordert17. Mit dem Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001 (BetrVerf-Reformgesetz 2001)18 hat der Gesetzgeber reagiert. Erklärtes Ziel der Reform war es, „moderne und anpassungsfähige Betriebsratsstrukturen zu schaffen“, um die betriebliche Mitbestimmung dort zu sichern, „wo sie durch Umstrukturierungen und neue Organisationsformen in der Wirtschaft an Effizienz verloren hat“19. Auf Grundlage des weitgehend unveränderten gesetzlichen Organisationsmodells soll eine „Kombination aus gesetzlicher und vertraglicher Lösung“ in erster Linie den Tarifpartnern die Möglichkeit geben, individuelle und flexible Regelungsstrukturen zu vereinbaren20. Zu diesem Zweck hat vor allem § 3 BetrVG eine völlig neue Fassung erhalten. Die Möglichkeiten zur tarifvertraglichen Gestaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation wurden erweitert, das bisher geltende Zustimmungserfordernis der Aufsichtsbehörde ersatzlos gestrichen. Damit haben sich die Probleme jedoch nicht erledigt, im Gegenteil: Mit der Neuregelung hat der Gesetzgeber „in ein Wespennest gestoßen“21. Die in der Wissenschaft jahrzehntelang vernachlässigte Frage nach den Einflußmöglichkeiten der Tarifpartner auf die Organisation der Betriebsverfassung steht plötzlich im Mittelpunkt einer kontroversen Auseinandersetzung22. Der im Zusammenhang mit der Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats seit langem schwelende Streit23 um die Legitimation der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung auch gegenüber nicht und anders organisierten Arbeitnehmern ist unter anderen Vorzeichen neu entflammt. Nach der Streichung des Zustimmungserfordernisses für Tarifverträge nach § 3 BetrVG kann die Berechtigung der Tarifpartner, die betriebs203, 211 f.; Tödtmann, Mitbestimmungsregelungen, S. 92 ff., 102; Trümner, JbArbR, Bd. 36 (1999), S. 59, 79; Pauli, AuR 2000, 411, 413. 17 Vgl. etwa Löwisch, DB 1999, 2209, 2211; Reichold, NZA 1999, 561, 570; WendelingSchröder, NZA 1999, 1065, 1070; weitere Nachweise bei Franzen, ZfA 2000, 285, 295, Fn. 46. 18 BGBl. I, 1852. 19 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 25 f. 20 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 26; darüber hinaus läßt § 3 Abs. 2 BetrVG nunmehr erstmals auch die Betriebsvereinbarung als Gestaltungsinstrument zu, allerdings nur unter extrem engen Voraussetzungen. § 3 Abs. 3 BetrVG sieht zudem vor, daß in Unternehmen mit mehreren Betrieben unter bestimmten Voraussetzungen die Arbeitnehmer unmittelbar mit Stimmenmehrheit die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates beschließen können. 21 So treffend Annuß, NZA 2002, 290. 22 Vgl. neben der Kommentarliteratur etwa die Beiträge von Annuß, NZA 2002, 290; Buchner, NZA 2001, 633; Däubler, AuR 2001, 1; Friese, ZfA 2003, 237; Hanau, NJW 2001, 2513; Konzen, RdA 2001, 76; Löwisch, BB 2001, 1734; Pauli, AuR 2000, 411; Picker, RdA 2001, 258; Plander, NZA 2002, 483; Reichold, NZA 2001, 857; Richardi, NZA 2001, 346; Rieble, ZIP 2001, 133; Thüsing, ZIP 2003, 693. 23 Übersicht über den Meinungsstand bei Richardi in: Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 144 ff.

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verfassungsrechtliche Organisation mit Wirkung für alle Arbeitnehmer des Betriebs ohne Rücksicht auf ihre Gewerkschaftszugehörigkeit zu regeln, jedenfalls nicht mehr mit der Einbindung einer staatlichen Stelle in das tarifliche Normsetzungsverfahren begründet werden24. Ob die Neuregelung deshalb – wie teilweise postuliert wird25 – mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, bedarf der Untersuchung. Für Rechtsunsicherheit ist allemal gesorgt; denn solange die Frage nicht befriedigend beantwortet ist, schwebt über jedem neu abgeschlossenen Organisationstarifvertrag „das Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit“26. Darüber hinaus bringt das neue Recht mannigfaltige Auslegungs- und Anwendungsprobleme mit sich. Der Gesetzeswortlaut des § 3 BetrVG wirft zahlreiche Fragen auf. Was sind eigentlich „Spartenbetriebsräte“ 27, „andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen“28 und „zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremien“29? An welche Voraussetzungen ist ihre Bildung geknüpft? Wie fügen sie sich in das System der gesetzlichen Betriebsverfassung ein? Den vagen Formulierungen des Gesetzes allein läßt sich eine Antwort darauf kaum entnehmen. Gänzlich ungeregelt geblieben sind zudem spezifisch tarifrechtliche Probleme, die im Zusammenhang mit Organisationstarifverträgen auftreten. Wer ist beispielsweise für den Abschluß unternehmens- oder gar konzernübergreifender Vereinbarungen zuständig? Wie sind etwaige Tarifkonkurrenzen zwischen mehreren Organisationstarifverträgen aufzulösen? Sind Tarifverträge zu Organisation der Betriebsverfassung nur im gegenseitigen Einvernehmen möglich oder auch mit den Mitteln des Arbeitskampfes durchsetzbar? Der Fragenkatalog läßt sich weiter fortführen. Rechtlich überzeugende Antworten, die auch den Anforderungen der Praxis gerecht werden, sind bislang Mangelware. Auch wenn das mancherorts erwartete „programmierte Chaos“30 bisher ausgeblieben ist, könnte sich so doch die – je nach Standpunkt begrüßens- oder beklagenswerte – Prophezeiung Pickers bestätigen, die Neuregelung werde in Zukunft „ganze Anwaltskanzleien ernähren“31. 24 So zum bisherigen Recht etwa Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 279 f.; Reuter in: FS Schaub, S. 605, 619; Rieble, RdA 1993, 140, 144; Spinner, Betriebsverfassung, S. 114 ff.; vgl. auch Löwisch, DB 1999, 2209, 2211; Löwisch / Rieble, TVG (1. Aufl.), § 3 Rn. 10; im Hinblick auf die übrigen Öffnungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes, die keinen Zustimmungsvorbehalt enthielten, erwies sich diese Begründung freilich schon unter Geltung des alten Rechts als nicht tragfähig. 25 Vgl. Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 303 ff.; Picker, RdA 2001, 258, 282 ff.; Richardi in: Richardi, BetrVG (8. Aufl.), § 3 Rn. 5 f., 39; zurückhaltender ders. in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 12 – 14; unentschieden Löwisch, BB 2001, 1734, 1736. 26 Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 4. 27 § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. 28 § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. 29 § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. 30 Reichold, Sonderbeilage zu NZA Heft 24 / 2001, 32, 34.; vgl. auch Richardi, NZA 2001, 346, 349. 31 Picker, RdA 2001, 258, 278. Nach der Erwartung des langjährigen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, Hellmut Wißman, NZA 2003, 1, 6, wird sich auch die Rechtsprechung

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Einführung in die Thematik

Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Klärung der zahlreichen Zweifelsfragen leisten. Im ersten Teil der Untersuchung werden dazu zunächst die einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für tarifvertragliche Regelungen zur Organisation der Betriebsverfassung abgesteckt. Auf Grundlage der dabei gewonnenen Erkenntnisse werden im zweiten Teil die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner im einzelnen herausgearbeitet. Der dritte Teil der Arbeit widmet sich tarifrechtlichen Besonderheiten, die im Zusammenhang mit Organisationstarifverträgen auftreten. Abschließend werden im vierten Teil Fragen des Rechtsschutzes behandelt.

„mit den vielfältigen Fragen zu beschäftigen haben, die durch die Novellierung des Jahres 2001 aufgeworfen wurden. Beispielhaft sei nur die nach § 3 BetrVG vereinbarte Arbeitnehmervertretung genannt ( . . . )“.

Erster Teil

Die rechtlichen Grundlagen § 1 Einfachgesetzlicher Befund Der Gesetzgeber hat an verschiedenen Stellen Regelungen getroffen, die tarifvertragliche Vereinbarungen über die Organisation der Betriebsverfassung betreffen. Im Tarifvertragsgesetz als zentraler Kodifikation des Tarifrechts ist die Regelungsmacht der Tarifpartner allgemein festgelegt. Daneben enthält das Betriebsverfassungsgesetz zahlreiche Vorschriften, die tarifvertragliche Regelungen einzelner betriebsverfassungsrechtlicher Sachverhalte vorsehen. Die Bedeutung der verschiedenen einfachgesetzlichen Normierungen und ihr Verhältnis zueinander sind teilweise unklar und umstritten.

I. Das Tarifvertragsgesetz Das Tarifvertragsgesetz erwähnt in mehreren Vorschriften ausdrücklich tarifvertragliche Vereinbarungen über „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“1. Die Vorschriften regeln unterschiedliche tarifrechtliche Sachverhalte, die nicht immer richtig auseinandergehalten werden. § 1 Abs. 1 TVG betrifft den Inhalt des Tarifvertrags. Danach regelt der Tarifvertrag „die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können“. Die Vorschrift bestimmt also, daß „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ Bestandteil des normativen Teils2 von Tarifverträgen sein können. Eine Definition oder eine nähere Umschreibung der damit bezeichneten Regelungsgegenstände enthält das Gesetz allerdings nicht3. § 4 TVG Abs. 1 TVG regelt die Wirkung der Tarifnormen. § 4 Abs. 1 S. 1 TVG bestimmt, daß die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß Vgl. § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 S. 2 TVG. Zur Unterscheidung von schuldrechtlichem und normativem Teil des Tarifvertrags siehe nur Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 490. 3 Auch aus den gleichlautenden Formulierungen in §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 TVG ergeben sich insoweit keine weiterführenden Anhaltspunkte. 1 2

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen gelten. Damit wird die gesetzesgleiche, verbindliche Wirkung der Tarifnormen für die Tarifgebundenen angeordnet4. Die Vorschrift bezieht sich zwar unmittelbar nur auf Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen. Sie gilt aber nach § 4 Abs. 1 S. 2 TVG für Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen „entsprechend“. Nach § 3 Abs. 2 TVG schließlich gelten Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen „für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist“. Die Gesetzesformulierung ist ungenau, weil ein Betrieb nicht Adressat von Tarifnormen sein kann. Gemeint ist vielmehr die einheitliche Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Normen im Betrieb. Das bedeutet, daß alle im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers beschäftigten Arbeitnehmer von den Tarifnormen erfaßt werden, gleichgültig ob sie Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft sind oder nicht. Die dogmatische Einordnung der Vorschrift ist umstritten. Teilweise wird angenommen, § 3 Abs. 2 TVG bewirke eine Erweiterung der Tarifgebundenheit5. Diese werde abweichend vom Grundsatz des § 3 Abs. 1 TVG auf die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer ausgedehnt. § 3 Abs. 2 TVG entfalte damit die Wirkung einer Allgemeinverbindlicherklärung „bezogen auf den Mikroorganismus Betrieb“6. Die Gegenansicht sieht in § 3 Abs. 2 TVG hingegen lediglich einen gesetzlichen Verzicht auf das Erfordernis der Tarifgebundenheit auf Arbeitnehmerseite. Die Vorschrift erweitere nicht die Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer, sondern lasse schlicht die des Arbeitgebers für den Eintritt der Tarifwirkungen genügen7. Für diese Ansicht spricht neben dem Wortlaut von § 3 Abs. 2 TVG auch ein systematisches Argument: Die Anordnung der (nur) „entsprechenden“ Geltung von § 4 Abs. 1 S. 1 TVG durch § 4 Abs. 1 S. 2 TVG wäre überflüssig, wenn betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen ohnehin schon nach Satz 1 „zwischen den beiderseits Tarifgebundenen“ gelten würden. Praktische Bedeutung kommt dem Meinungsstreit freilich nicht zu. Denn ungeachtet der unterschiedlichen dogmatischen Begründung besteht jedenfalls im Ergebnis Einigkeit darüber, daß § 3 Abs. 2 TVG die Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen für alle Arbeitnehmer des Betriebs ohne Rücksicht auf ihre Gewerkschaftszugehörigkeit anordnet8. 4 Daß die Tarifnormen in diesem Sinne „objektives Recht“ sind, ist heute weitgehend unbestritten, vgl. statt vieler Belling, ZfA 1999, 547, 558 mit umfangreichen Nachweisen. 5 So etwa E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. II, S. 437; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 21. 6 Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 135. 7 So etwa Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 86; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 128; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Lehrbuch II / 1, § 23 II, S. 482 f.; vgl. auch BAG AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 8 Einschränkend nur Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 103 (dies. in: MünchArbR, § 267 Rn. 34) und Schaub / Franzen in: ErfK, TVG, § 3 Rn. 25, die entgegen dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 2 TVG den Eintritt der Tarifwirkungen davon abhängig machen

§ 1 Einfachgesetzlicher Befund

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Zusammenfassend kann somit zunächst festgehalten werden, daß nach den Vorschriften des Tarifvertragsgesetzes betriebsverfassungsrechtliche Fragen Inhalt des normativen Teils von Tarifverträgen sein können (§ 1 Abs. 1 TVG), entsprechende Tarifnormen unmittelbare und zwingende Wirkung haben (§ 4 Abs. 1 S. 2 TVG) und für alle Arbeitnehmer von Betrieben gelten, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist (§ 3 Abs. 2 TVG). Über die Bedeutung des Begriffs „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ gibt das Gesetz hingegen keine nähere Auskunft.

II. Das Betriebsverfassungsgesetz Das Betriebsverfassungsgesetz enthält keine allgemeine Bestimmung über die betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsetzungsbefugnisse der Tarifpartner. Es läßt allerdings in zahlreichen Einzelvorschriften ausdrücklich vom Gesetz abweichende Regelungen durch Tarifvertrag zu9: § 3 BetrVG erlaubt den Tarifpartnern die Schaffung neuer betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten, Gremien und Vertretungen. Nach § 3 Abs. 1 BetrVG können durch Tarifvertrag die Bildung unternehmenseinheitlicher Betriebsräte und die Zusammenfassung mehrerer Betriebe10, die Errichtung von Spartenbetriebsräten11, andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen12, Arbeitsgemeinschaften13 sowie zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmervertretungen14 bestimmt werden. Die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten gelten als Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes; auf die dort gebildeten Arbeitnehmervertretungen finden die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und die Rechtsstellung seiner Mitglieder Anwendung15. wollen, daß mindestens einer der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist. 9 Eine einheitliche Terminologie für diese Vorschriften hat sich noch nicht herausgebildet. Sie werden u. a. als „Zulassungs-„ oder „Öffnungsklauseln“, „Ausnahmetatbestände“ und „Tarifierungsermächtigungen“ bezeichnet. Diese Bezeichnungen sind vielfach Ausdruck eines bestimmten Systemverständnisses im Hinblick auf den grundsätzlichen Umfang tariflicher Regelungsbefugnis im Bereich der Betriebsverfassung. Sie intendieren die Umschreibung einer Sachmaterie, deren Regelung den Tarifpartnern grundsätzlich verschlossen und nur ausnahmsweise – im Rahmen der gesetzlichen „Öffnung“ oder „Ermächtigung“ – erlaubt ist. Ob die Rechtslage damit zutreffend wiedergegeben wird, ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen und kann an dieser Stelle noch nicht gesagt werden. Soweit die genannten Begriffe im folgenden verwendet werden, soll damit deshalb keine rechtliche Bewertung im o.g. Sinne zum Ausdruck gebracht werden. 10 § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. 11 § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. 12 § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. 13 § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. 14 § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG. 15 § 3 Abs. 5 BetrVG.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

§ 21a Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BetrVG ermöglicht es, das gesetzlich auf maximal sechs Monate16 begrenzte Übergangsmandat des Betriebsrats nach einer Betriebsspaltung oder einer Zusammenfassung mehrerer Betriebe oder Betriebsteile durch Tarifvertrag um weitere sechs Monate zu verlängern. § 38 Abs. 1 S. 5 BetrVG sieht vor, daß die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern von ihrer beruflichen Tätigkeit, die laut Gesetz pauschal nach der Betriebsgröße gestaffelt ist17, durch Tarifvertrag anderweitig geregelt werden kann. § 47 Abs. 4 BetrVG räumt den Tarifvertragsparteien das Recht ein, die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats abweichend vom Gesetz zu regeln. Nach § 47 Abs. 9 BetrVG kann außerdem die Stimmengewichtung im Gesamtbetriebsrat für solche Gesamtbetriebsratsmitglieder geändert werden, die aus einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen entsandt worden sind. Entsprechende Regelungen enthalten §§ 55 Abs. 4, 72 Abs. 4, Abs. 8, 73a Abs. 4 BetrVG für den Konzernbetriebsrat sowie für die Gesamt- und Konzern- Jugend- und Auszubildendenvertretung. § 76 Abs. 8 BetrVG bestimmt, daß die zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, Gesamt- oder Konzernbetriebsrat zu bildende Einigungsstelle18 mittels Tarifvertrag durch eine tarifliche Schlichtungsstelle ersetzt werden kann. Nach § 76a Abs. 5 BetrVG ist auch eine vom Gesetz abweichende tarifvertragliche Regelung über die Vergütung der Einigungsstellenmitglieder möglich19. § 86 BetrVG überläßt es den Tarifpartnern, Einzelheiten über das Verfahren zur Behandlung von Beschwerden von Arbeitnehmern tarifvertraglich zu regeln und eine betriebliche Beschwerdestelle einzurichten. § 117 Abs. 2 BetrVG schließlich sieht vor, daß für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen, auf die das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung findet20, durch Tarifvertrag eine Vertretung errichtet werden kann. Der Tarifvertrag kann auch vom Gesetz abweichende Regelungen über die Zusammenarbeit der Flugbetriebsvertretung mit den Vertretungen der Landbetriebe nach dem Betriebsverfassungsgesetz vorsehen. All diese gesetzlichen Öffnungsklauseln betreffen die Organisation der Betriebsverfassung21. Sie knüpfen systematisch zumeist an die jeweilige gesetzliche Orga§ 21a Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BetrVG. § 38 Abs. 1 S. 1 – 4 BetrVG. 18 § 76 Abs. 1 BetrVG. 19 Vorgesehen ist auch die tarifvertragliche Abweichung von einer nach § 76a Abs. 4 BetrVG erlassenen Rechtsverordnung über die Vergütung der Einigungsstellenmitglieder. Insoweit hat die Regelung jedoch keine Bedeutung, da das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit von der Verordnungsermächtigung bislang keinen Gebrauch gemacht hat. 20 Umkehrschluß aus § 117 Abs. 1 BetrVG. 21 Zum Begriff der Organisationsvorschriften siehe oben Einführung, Fn. 3. 16 17

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nisationsnorm an und enthalten – mehr oder weniger konkrete – inhaltliche Vorgaben für abweichende Regelungen durch Tarifvertrag. Wirkung und personelle Reichweite der abweichenden Tarifregelungen werden durch das Betriebsverfassungsgesetz nicht festgelegt22.

III. Das Verhältnis von Tarifvertragsund Betriebsverfassungsgesetz Die Gegenüberstellung der einschlägigen Vorschriften des Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsgesetzes macht deutlich, daß beide Gesetze nicht isoliert betrachtet werden können. Das Tarifvertragsgesetz bildet zwar eine in sich geschlossene Konzeption, berücksichtigt aber nicht die Wertungen des Betriebsverfassungsgesetzes. Auf der anderen Seite lassen sich dem Betriebsverfassungsgesetz zwar Vorgaben für den Inhalt tarifvertraglicher Vereinbarungen entnehmen, aber keine Hinweise auf deren Wirkung und personelle Reichweite. Eine Aussage über die betriebsverfassungsrechtliche Regelungsbefugnis der Tarifpartner kann deshalb sinnvoll nur unter Berücksichtigung sowohl des Tarifvertrags- als auch des Betriebsverfassungsgesetzes getroffen werden. Es kommt mit anderen Worten darauf an, in welchem Verhältnis beide Gesetze zueinander stehen.

1. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur In Rechtsprechung und Literatur finden sich dazu unterschiedliche Ansichten, die sowohl im dogmatischen Ausgangspunkt als auch im Ergebnis zum Teil erheblich voneinander abweichen.

a) Keine eigenständige Bedeutung des Tarifvertragsgesetzes Nach einer vereinzelt im Schrifttum vertretenen Auffassung kommt dem Tarifvertragsgesetz bei der Bestimmung der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsbefugnis der Tarifpartner keine eigenständige Bedeutung zu. Tarifvertragliche Vereinbarungen über die Betriebsverfassung sollen vielmehr nur nach den Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes möglich sein. Richardi23 führt dafür vor allem ein historisch-teleologisches Argument an: Die Ermächtigung der Tarifpartner zur Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen 22 Zumindest mißverständlich daher Annuß, NZA 2002, 290, 291: „§ 3 I Nr. 3 BetrVG regelt die Befugnis der Tarifparteien zur Ausnutzung eines Gestaltungsspielraums mit direkter Wirkung auch gegenüber nicht einschlägig koalitionszugehörigen Arbeitnehmern.“. 23 Kollektivgewalt, S. 242 ff.

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durch das Tarifvertragsgesetz vom 9. April 1949 habe den Zweck gehabt, in Ermangelung einer einheitlichen gesetzlichen Regelung der Betriebsverfassung eine auf Tarifvertrag beruhende Ordnung von gesetzesgleicher Wirkung zu schaffen24. Sie könne in diesem Sinne nicht mehr aufrechterhalten werden, seitdem das Grundgesetz eine staatliche Ordnung geschaffen habe, die die Ausübung hoheitlicher Gewalt dem Staat vorbehalte und durch die Grundrechte dem Individualbereich des einzelnen einen weitgehenden Schutz zusichere25. Die umfassende Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien zur Regelung der Betriebsverfassung sei deshalb bereits mit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 entfallen, jedenfalls aber mit Inkrafttreten des bundesweit geltenden Betriebsverfassungsgesetzes am 11. Oktober 1952, das eine abschließende gesetzliche Regelung des Betriebsverfassungsrechts gebracht habe. Tarifvertragliche Vereinbarungen seien danach nicht mehr im Rahmen allgemeiner tarifautonomer Zuständigkeit, sondern nur noch aufgrund besonderer, durch das Betriebsverfassungsgesetz begründeter Ermächtigung möglich26. Der Gestaltungsspielraum der Tarifpartner könne deshalb nicht über die im Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich vorgesehenen Regelungsmöglichkeiten hinausgehen. Zu demselben Ergebnis gelangt Giesen27 durch eine einschränkende Auslegung des Begriffs „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ in §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 TVG: Mangels eigener Definitionsnorm oder sonstiger Anhaltspunkte für eine Begriffsumschreibung im Tarifvertragsgesetz selbst könne dessen Auslegung nur hinausweisen auf das Regelwerk des Betriebsverfassungsgesetzes28. Die arbeitsrechtliche Erfassung des Begriffs „betriebsverfassungsrechtlich“ im Tarifvertragsgesetz könne vernünftigerweise nur an der Betriebsverfassung anknüpfen, wie sie im Betriebsverfassungsgesetz geregelt sei. Nur die dort vorgesehenen Tarifnormen könnten deshalb als „betriebsverfassungsrechtlich“ im Sinne des Tarifvertragsgesetzes eingeordnet werden29. Gegen eine Bezeichnung weiterer Bereiche als „betriebsverfassungsrechtlich“ spreche auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit30. b) Das Betriebsverfassungsgesetz als zwingendes Recht Die Rechtsprechung und das überwiegende Schrifttum sehen im Tarifvertragsgesetz hingegen eine eigenständige Grundlage für Vereinbarungen über die Betriebsverfassung, die unabhängig von der Kodifikation des Betriebsverfassungs24 25 26 27 28 29 30

Richardi, Kollektivgewalt, S. 242 f. Richardi, Kollektivgewalt, S. 243, auch zum folgenden. Richardi, Kollektivgewalt, S. 250 f.; ders. in: Richardi, BetrVG, Einleitung Rn. 143. Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 360 f. Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 360. Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 361. Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 361.

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gesetzes (fort-)besteht. Nach dieser Ansicht sind „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ im Sinne des Tarifvertragsgesetzes alle Regelungen über die Rechtsstellung der Arbeitnehmerschaft und ihrer Organe im Betrieb31. Darunter fallen Regelungen über die Einrichtung und Organisation der Betriebsverfassung ebenso wie solche über die Rechte der Arbeitnehmervertretung32. Die Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien ist danach nicht von vornherein auf die Zulassungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes beschränkt, sondern erstreckt sich grundsätzlich auf den gesamten Bereich der Betriebsverfassung. Gleichwohl erfährt die Regelungsmacht der Tarifparteien nach herrschender Meinung Einschränkungen durch das Betriebsverfassungsgesetz. Dabei wird nach dem Regelungsgegenstand unterschieden: Die gesetzliche Organisation der Betriebsverfassung wird grundsätzlich als zweiseitig zwingend angesehen. Tarifvertragliche Abweichungen von den Organisationsnormen des Betriebsverfassungsgesetzes sollen deshalb nur zulässig sein, soweit das Gesetz selbst sie ausdrücklich vorsieht33. Zur Begründung – sofern eine solche erfolgt34 – wird auf die Notwen31 Vgl. BAG AP Nr. 46 zu § 2 KSchG 1969 (unter II 2 a); BAG AP Nr. 17 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; Dälken, Rationalisierungsmaßnahmen, S. 25 f.; Fabricius, ZgStW 111 (1955), S. 354, 356; Feichtinger, Regelungsbefugnis, S. 3; Gitter / Michalski, Arbeitsrecht, S. 227; Hueck, BB 1949, 530, 531; Jacobs, Tarifeinheit, S. 116; Kraft, ZfA 1973, 243, 247; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Lehrbuch II / 1, § 15 V, S. 293; Konzen, Unternehmensaufspaltungen, S. 122; G. Müller, Tarifautonomie, S. 133; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 202 Rn. 20; Schwarze, Betriebsrat, S. 50; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 9; Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 587; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 29. 32 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 595; Gitter / Michalski, Arbeitsrecht, S. 227; Heither in: FS Schaub, S. 295, 297 f.; Jahnke, Tarifautonomie, S. 191; Löwisch / Kaiser, BetrVG, Einl. Rn. 3; Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 137; dies. in: MünchArbR, § 261 Rn. 25; Schaub / Franzen in: ErfK, TVG § 1 Rn. 30; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 566; Tödtmann, Mitbestimmungsregelungen, S. 107; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 29; Beuthien, ZfA 1984, 1, 18, sieht in § 1 Abs. 1 TVG „eine Generalermächtigung zur Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Angelegenheiten“. 33 BAG AP Nr. 4 zu § 3 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 66 zu § 40 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972 (unter II 2 b); LAG Köln, LAGE Nr. 6 zu § 3 BetrVG 1972; LAG Brandenburg, LAGE Nr. 2 zu § 3 BetrVG 1972; LAG Hamburg, LAGE Nr. 1 zu § 3 BetrVG 1972; Buchner, AR-Blattei SD, Tarifvertrag V, Rn. 61, 224; Brockschmidt, Unternehmensorganisation, S. 113 f.; Eisemann in: ErfK, BetrVG § 3 Rn. 1; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, vor § 1 Rn. 42, § 3 Rn. 7; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 2 IV a; ders. in: MünchArbR, § 297 Rn. 93; Jahnke, Tarifautonomie, S. 192; Kempen in: FS Schaub, S. 357, 367; Konzen, Unternehmensaufspaltungen, S. 123; Kraft / Franzen in: GK-BetrVG § 1 Rn. 69, § 3 Rn. 3; Löwisch / Kaiser, BetrVG, Einl. Rn. 3, § 3 Rn. 1; Natter, AR-Blattei SD, Betriebsverfassung XIII, Rn. 122; Richardi in: Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 134 ff., 143; ders. in: MünchArbR, § 241 Rn. 57; Rolf, Betriebsratsstruktur, S. 14; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 197; Wendeling-Schröder, Divisionalisierung, S. 156; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 596; Wiese in: GK-BetrVG, Einl Rn. 103; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 52. 34 Zumeist wird die These vom zwingenden Charakter des gesetzlichen Organisationsrechts ohne nähere Begründung postuliert und lediglich auf die „herrschende Meinung“ verwiesen. 35 Vgl. BAG AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972 (unter II 2 b).

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

digkeit eines einheitlichen organisatorischen Aufbaus der Betriebsverfassung35 und auf den Willen des historischen Gesetzgebers36 verwiesen. Außerdem wird aus der ausdrücklichen Zulassung tarifvertraglicher Abweichungen in einigen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes37 im Umkehrschluß gefolgert, daß die gesetzliche Organisation außerhalb dieser Modifikationsregelungen keiner Abänderung zugänglich sei38. Demgegenüber sind die gesetzlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach überwiegender Ansicht lediglich einseitig zwingend normiert. Als gesetzliche Mindestbedingungen sollen sie deshalb durch Tarifvertrag nicht eingeschränkt39, wohl aber erweitert und verstärkt werden können40. Die herrschende Meinung gelangt damit vor allem im Hinblick auf die Erweiterung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte durch Tarifvertrag zu anderen Ergebnissen als Richardi und Giesen, die eine solche Erweiterung wegen Fehlens einer originären betriebsverfassungsrechtlichen Regelungskompetenz der Tarifpartner nach dem Tarifvertragsgesetz ablehnen41. Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansichten ergeben sich aber auch für den Bereich der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation: Zwar besteht Übereinstimmung darin, daß Veränderungen des gesetzlichen Organisationsrechts wegen dessen grundsätzlich zwingenden Charakters nur im Rahmen der explizit normierten Zulassungstatbestände möglich sind. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes sieht die herrschende Meinung die Tarifpartner aber – im Gegensatz zu Richardi und Giesen – nicht daran gehindert, Fragen der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation auf Grundlage des Tarifvertragsgesetzes zu regeln. So sollen beispielsweise für nach § 1 BetrVG nicht betriebsratsfähige Kleinbetriebe42 oder für nach § 118 Abs. 2 BetrVG vom Anwendungsbereich des Betriebsverfas-

36 Wendeling-Schröder, Divisionalisierung, S. 156 f; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 47 ff. 37 Vgl. oben § 1 II. 38 Brockschmidt, Unternehmensorganisation, S. 113; Jahnke, Tarifautonomie, S. 192; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 566; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 49. 39 Allgemeine Ansicht, vgl. nur BAG AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972 (unter B II 2 b) sowie Fitting, BetrVG, § 1 Rn. 247, jeweils m. w. N. 40 Grundlegend BAG AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972; vgl. auch BAG AP Nr. 56 zu § 118 BetrVG 1972 (unter B II 4); LAG Hamm EzA § 76 BetrVG 1972 Nr. 19; aus dem Schriftum Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 749; Eisemann in: ErfK, § 1 BetrVG Rn. 19; Fitting, BetrVG, § 1 Rn. 249; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 87 Rn. 11; Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 143; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 601; Wiese in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 11; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 567; a.A. Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, vor § 1 Rn. 68; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 2 IV, S. 23. 41 Vgl. oben § 1 III. 1. a). 42 Eisemann in: ErfK, BetrVG (2. Aufl.), § 3 Rn. 1; Heither in: FS Schaub, S. 295, 309; Jahnke, Tarifautonomie, S. 192; Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 1 Rn. 25, § 3 Rn. 17; Rolf, Betriebsratsstruktur, S. 13 f.; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 140; a.A. Buchner, AR-Blattei SD, Tarifvertrag V Rn. 244.

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sungsgesetzes ausgenommene Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen43 betriebliche Interessenvertretungen durch Tarifvertrag errichtet werden können. Auch die Schaffung von Sondervertretungen für Tendenzbetriebe im Sinne von § 118 Abs. 1 BetrVG44 und von besonderen Auszubildendenvertretungen für sogenannte „Ausbildungsbetriebe“45 wird als zulässig angesehen.

c) Das Betriebsverfassungsgesetz als dispositives Recht Zu einer anderen Beurteilung des Verhältnisses von Tarifvertragsgesetz und Betriebsverfassungsgesetz gelangt eine Auffassung, die sich im neueren Schrifttum herausgebildet hat46. Auch diese Ansicht geht von einer grundsätzlich umfassenden Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien nach § 1 Abs. 1 TVG aus und stimmt insoweit mit der herrschenden Meinung überein. Anders als diese lehnt sie jedoch eine Begrenzung der Regelungsbefugnis durch die Organisationsvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes grundsätzlich ab. Regelfall sei nicht die Unabdingbarkeit, sondern die Veränderlichkeit des gesetzlichen Organisationsrechts, soweit nicht ausnahmsweise „politische Grundentscheidungen“ betroffen seien47. Zur Begründung wird angeführt, daß § 1 Abs. 1 TVG keine Einschränkung in dem Sinne enthalte, daß die Tarifierungsbefugnis von der Beachtung durch das Betriebsverfassungsgesetz gesetzter Grenzen abhängig sei48. Vielmehr habe der Gesetzgeber § 1 Abs. 1 TVG auch nach Erlaß des Betriebsverfassungsgesetzes unverändert bestehen lassen49. Auch aus der Existenz der verschiedenen Zulassungsklauseln könne nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß die gesetzliche Organisation im übrigen zwingend sei. Das Betriebsverfassungsgesetz enthalte gerade keine §§ 3, 97 BPersVG entsprechende generelle Untersagung tariflicher Regelungen, sondern lasse in § 2 Abs. 3 BetrVG die Aufgaben der Gewerkschaften 43 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1087; ders. in: Grundrecht, S. 383; Fitting, BetrVG, § 117 Rn. 8; Jahnke, Tarifautonomie, S. 192; i.E. ebenso Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 14, der allerdings die Vorschriften des BetrVG grundsätzlich für dispositiv hält (dazu sogleich). 44 Vgl. BAG AP Nr. 3 zu § 3 BetrVG; Fitting, BetrVG, § 118 Rn. 52; Fabricius / Weber in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 40; Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 5; Rolf, Betriebsratsstruktur, S. 13 f.; Schwerdtner, JR 1972, 357, 360; Tödtmann, Mitbestimmungsregelungen, S. 120, 125 f., 158. 45 Vgl. BAG NZA 2005, 371, 372. 46 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 595 ff.; ders. in: FS Molitor, S. 133 ff.; Pauli, AuR 2000, 411; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 19, 12 f.; ders. in: JbArbR, Bd. 36 (1999), S. 59 ff. 47 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 596 f., S. 607; Pauli, AuR 2000, 411, 412; ähnlich Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 13. 48 Trümer in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 10, 65. 49 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 595; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 9.

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und Arbeitgebervereinigungen ausdrücklich unberührt. Darüber hinaus sei eine zwingende Normierung der gesetzlichen Organisation auch mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG vorbehaltlos gewährleisteten Tarifautonomie unvereinbar, so daß insoweit eine „koalitionsgrundrechtsoptimierende Auslegung“50 geboten sei.

2. Eigener Ansatz Der Gesetzgeber hat das Verhältnis von Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsgesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es muß deshalb durch Auslegung ermittelt werden. Dabei ist zunächst die Frage nach Bestehen und Umfang einer allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Regelungskompetenz der Sozialpartner nach dem Tarifvertragsgesetz zu beantworten. Nur wenn und soweit eine solche allgemeine Kompetenz existiert, ergibt sich das Problem ihrer möglichen Einschränkung durch die Organisationsnormen des Betriebsverfassungsgesetzes.

a) Auslegung des Tarifvertragsgesetzes Geht man vom Wortlaut des Tarifvertragsgesetzes aus, spricht viel für eine allgemeine und umfassende betriebsverfassungsrechtliche Regelungsbefugnis der Tarifpartner. Die in § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 S. 2 TVG verwandte Formulierung „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ ist denkbar weit. Sie umfaßt – anders gewendet – alle Rechtsfragen, welche die Betriebsverfassung betreffen. Dabei mag man aus heutiger Sicht zunächst an eine Betriebsverfassung denken, wie sie im Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist. Der Gesetzeswortlaut geht aber darüber hinaus. Er knüpft gerade nicht an das jeweils geltende gesetzliche Betriebsverfassungsrecht an, sondern läßt Raum für eine eigenständige, materielle Bestimmung des Begriffs Betriebsverfassung51. Die Existenz einer gesetzlichen Regelung ist kein notwendiger Bestandteil dieses Begriffs52. Entscheidender Anknüpfungspunkt ist vielmehr die kollektive Rechtsstellung der Arbeitnehmer innerhalb der Betriebsorganisation53. Demgemäß definierte Alfred Hueck schon 1949 – lange vor Inkrafttreten des ersten bundesdeutschen Betriebsverfassungsgesetzes – die Betriebsverfassung als „Gesamtheit der Regeln über die Rechtsstellung der Arbeitnehmerschaft im Betriebe einschließlich ihrer Organe, ihre Rechte und Pflichten und ihre Stellung zum Arbeitgeber“54. Diese an materiellen Kriterien ausgerichtete Definition kann unabhängig von bestehenden gesetzlichen Regelungen der Betriebsverfassung Geltung beanspruchen – und sie tut es in der Recht50 51 52 53 54

Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, Rn. 10. So i.E. auch Beuthien, ZfA 1984, 1, 18 f. Vgl. Nikisch, Arbeitsrecht III, § 90 S. 3. Vgl. Beuthien, ZfA 1984, 1, 18 f.; Schwarze, Betriebsrat, S. 50 f. Hueck, BB 1949, 530, 531.

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sprechung und im ganz überwiegenden Schrifttum nahezu unverändert bis heute55. Das schließt nicht aus, bei der Begriffsbestimmung auch auf das durch gesetzliche Normen, namentlich solche des Betriebsverfassungsgesetzes, geprägte Verständnis von Betriebsverfassung zurückzugreifen. Es wäre jedoch eine unzulässige Verkürzung, die Regelungsbefugnis der Tarifparteien schon vom Wortlaut des Tarifvertragsgesetzes her auf die durch das Betriebsverfassungsgesetz vorgegebenen Materien zu beschränken56. Erst recht abzulehnen ist die noch weitergehende Auffassung von Giesen57, nur die im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Tarifnormen könnten als „betriebsverfassungsrechtlich“ im Sinne des Tarifvertragsgesetzes eingeordnet werden. Sie ist schon dem Wortsinn nach schwerlich haltbar: Das Tarifvertragsgesetz spricht von „Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen“. Verstünde man unter „betriebsverfassungsrechtlich“ lediglich die im Betriebsverfassungsgesetz zugelassenen tarifvertraglichen Vereinbarungen58, blieben als Gegenstand des Tarifvertrags „Rechtsnormen über (im Betriebsverfassungsgesetz zugelassene) Tarifnormen“ übrig – ein offenbar sinnwidriges Auslegungsergebnis. Darüber hinaus hätte die von Giesen befürwortete Reduzierung des Begriffs „betriebsverfassungsrechtlich“ auf die in den gesetzlichen Zulassungsklauseln vorgesehenen Regelungsgegenstände die seltsame Konsequenz, daß nicht einmal die sonstigen im Betriebsverfassungsgesetz geregelten Materien „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ wären. Warum aber beispielsweise die (nach § 47 Abs. 4 BetrVG tarifvertraglicher Abänderung zugängliche) Anzahl der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats eine „betriebsverfassungsrechtliche Frage“ sein soll, die (nach § 9 BetrVG nicht dispositive) Anzahl der Betriebsratsmitglieder hingegen nicht, ist kaum nachvollziehbar. Deutliche Anhaltspunkte für eine eigenständige, von anderen gesetzlichen Regelungen unabhängige Bedeutung des Begriffs „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ liefert auch die Entstehungsgeschichte des Tarifvertragsgesetzes. Es trat bereits 194959 und damit zeitlich vor dem ersten bundesweit geltenden Betriebsverfassungsgesetz (1952) in Kraft. Zwar existierten zu diesem Zeitpunkt mit dem als Kontrollratsgesetz Nr. 2260 erlassenen Betriebsrätegesetz und einigen landesrechtlichen Gesetzen und „Verordnungen betreffend die Betriebsräte“ Kodifikationen, die als Vorbild oder Anknüpfungspunkt für die Formulierung des Tarifvertragsgesetzes hätten dienen können. An diese Regelungen wollte der Gesetzgeber aber Vgl. die Nachweise oben § 1 III. 1. b) Fn. 31, 32. So zutreffend Schwarze, Betriebsrat, S. 49 f. 57 Vgl. oben § 1 III. 1. a). 58 Über deren – von Giesen unterstellten – Normcharakter das Betriebsverfassungsgesetz im übrigen keine Aussage trifft. 59 Das Tarifvertragsgesetz vom 9. 4. 1949 trat mit seiner Verkündigung am 22. 4. 1949 als Gesetz des vereinigten Wirtschaftsgebietes der amerikanisch-britischen Bizone in Kraft und wurde mit Inkrafttreten des Grundgesetzes nach Art. 125 Nr. 1, 74 Nr. 12 GG innerhalb seines Geltungsbereichs Bundesrecht. 60 Amtsbl. des Kontrollrates 1946, Nr. 6, S. 133. 55 56

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gerade nicht anknüpfen61. Die lückenhaften und uneinheitlichen gesetzlichen Vorschriften waren vielmehr ein wesentlicher Grund dafür, den Sozialpartnern durch eine umfassende Ermächtigung einen möglichst großen Gestaltungsspielraum zu überlassen62. Die Aufnahme „betriebsverfassungsrechtlicher Fragen“ in den Katalog der Tarifnormen des Tarifvertragsgesetzes sollte die Tarifparteien in die Lage versetzen, eine Betriebsverfassung nach ihren Vorstellungen und in eigener Verantwortung erschöpfend zu regeln63. Eine Beschränkung auf bereits gesetzlich geregelte Gegenstände war mit dieser Zielsetzung von vornherein unvereinbar. Entgegen Richardi64 ist die durch das Tarifvertragsgesetz geschaffene Ermächtigung der Tarifpartner zur Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen auch nach wie vor geltendes Recht. Auslegungsmethodisch mag es zwar denkbar sein, daß ein Wandel der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse zu einer vom ursprünglichen Gesetzeszweck abweichenden Auslegung einer Norm bis hin zu deren Nichtanwendbarkeit führt (cessante ratione legis cessat ipsa lex)65. Ein solcher „Wandel der Normsituation“ ist im Hinblick auf die betriebsverfassungsrechtliche Regelungsbefugnis nach dem Tarifvertragsgesetz aber weder mit Inkrafttreten des Grundgesetzes noch mit Erlaß des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 eingetreten. Daß mit dem Grundgesetz eine neue staatliche (Rechts-)Ordnung geschaffen wurde, hat an dem Bedürfnis nach kollektivvertraglicher Regelung der privatrechtlichen Arbeitsbedingungen nichts geändert, und zwar weder allgemein noch speziell betreffend die Betriebsverfassung. Mit der grundrechtlichen Verankerung der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG hat der Verfassungsgeber im Gegenteil deutlich gemacht, daß er auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gerade kein Regelungsmonopol beansprucht. Die Legitimation einer gesetzlichen Ermächtigung der Koalitionen zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist deshalb mit Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht entfallen, sondern eher noch verstärkt worden. Ebensowenig ist der legislative Zweck der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsbefugnis nach dem Tarifvertragsgesetz durch Erlaß des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 in Wegfall geraten. In tatsächlicher Hinsicht hat sich das Bedürfnis nach tarifvertraglichen Regelungen der Betriebsverfassung angesichts der bundeseinheitlich geltenden und in ihrem Anwendungsbereich durchaus weitreichenden – wenn auch keineswegs allumfassenden – gesetzlichen 61 Auch von der Konzeption des Betriebsrätegesetzes von 1920 wollte sich der Gesetzgeber des Tarifvertragsgesetzes bewußt absetzen, vgl. dazu Herschel, ZfA 1973, 183, 187. 62 Herschel, ZfA 1973, 183, 187; Hueck, BB 1949, 530, 531; Nipperdey, RdA 1949, 81, 86 63 Herschel, ZfA 1973, 183, 187; auch Nipperdey, RdA 1949, 81, 86, sah der Tarifautonomie durch die Aufnahme der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsbefugnis in das Tarifvertragsgesetz „ein bedeutsames Feld für fruchtbare Arbeit eröffnet“. 64 Vgl. oben § 1 III. 1. a). 65 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 350 f.; ausführlich zur Herkunft des Satzes cessante ratione legis cessat ipsa lex und seiner Anwendung und Ablehnung Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 421 ff.; Krause, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 77 (1960), Kanonistische Abteilung XLVI, S. 81 ff.

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Kodifikation zwar stark gemindert. Rechtlich überflüssig geworden sind die §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 und 4 Abs. 1 S. 2 TVG damit jedoch schon deshalb nicht, weil das Betriebsverfassungsgesetz selbst bereits damals in einzelnen Vorschriften Abweichungen durch Tarifvertrag ausdrücklich vorsah, aber keinerlei Regelungen über Zustandekommen, Wirkungen und Reichweite solcher Vereinbarungen enthielt. Die Ausfüllung der im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Gestaltungsspielräume war deshalb nur unter Rückgriff auf die entsprechenden Regelungen des Tarifvertragsgesetzes überhaupt sinnvoll möglich. An diesem Rechtszustand hat sich bis heute nichts geändert66. Schon deshalb ist für eine Anwendung des Satzes cessante ratione legis cessat ipsa lex kein Raum67. Daß der Gesetzgeber weiterhin von einer Kompetenz der Tarifpartner zur Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen auf Grundlage des Tarifvertragsgesetzes ausgeht, zeigt sich im übrigen daran, daß die betreffenden Vorschriften des Tarifvertragsgesetzes weder bei Bekanntmachung der Neufassung im Jahre 196968 noch anläßlich weiterer Gesetzesänderungen69 modifiziert oder aufgehoben worden sind70. Auch das ausdrückliche Verbot einer von den Personalvertretungsgesetzen abweichenden Regelung des Personalvertretungsrechts durch Tarifvertrag in §§ 3, 97 BPersVG spricht dafür, daß die Regelungsbefugnis der Sozialpartner grundsätzlich die Betriebsverfassung einschließlich des Personalvertretungsrechts umfaßt71. Das Tarifvertragsgesetz kommt demnach prinzipiell als Grundlage für tarifvertragliche Vereinbarungen über die Betriebsverfassung in Betracht. Die Gesetzesformulierung „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ ist nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck des Gesetzes in einem umfassenden Sinn zu verstehen und schließt die Organisation der Betriebsverfassung ein. Wie weit die Regelungsbefugnis der Tarifpartner reicht, ist damit freilich noch nicht gesagt. Denn Tarifverträge müssen nicht nur nach dem Tarifvertragsgesetz zulässig, sondern auch mit sonstigem Gesetzesrecht vereinbar sein72. Einschränkungen der Tarifmacht ergeben sich namentlich aus zwingendem Gesetzesrecht: Soweit ein Gesetz zwingende Wirkung entfaltet, schließt es die Tarifpartner von der Regelung aus73. Der Umfang der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien Vgl. oben § 1 II. Grundsätzlich ablehnend unter Hinweis auf die originäre Kompetenz des Normgebers zur Geltungsbeendigung von Rechtsnormen Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 417 ff., 475 m. w. N. 68 BGBl. I, S. 1323. 69 Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, Rn. 65 ff. 70 Vgl. BAG AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972 (unter II 2 a); Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 264; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 595; dens. in: FS Molitor, S. 133, 134. 71 Vgl. BAG AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972; Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 264. 72 Ausführlich dazu Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 170 ff. 73 Vgl. nur Söllner, NZA 1996, 897, 899; zur Begrenzung der Tarifmacht durch Verbotsgesetze und zivilrechtliche Generalklauseln Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 206 ff. 66 67

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

hängt deshalb maßgeblich davon ab, welche Wirkung den Organisationsnormen des Betriebsverfassungsgesetzes zukommt. Sind sie dispositiv, lassen sie den nach dem Tarifvertragsgesetz bestehenden Gestaltungsspielraum unberührt; sind sie zwingend, beschränken sie ihn. Ob ein Gesetz dispositiv oder zwingend ausgestaltet ist, muß durch Auslegung ermittelt werden74. b) Auslegung des Betriebsverfassungsgesetzes Das Betriebsverfassungsgesetz enthält, wie bereits dargelegt wurde75, keine allgemeine Bestimmung über die betriebsverfassungsrechtliche Rechtssetzungsbefugnis der Tarifpartner. Dem Gesetzeswortlaut läßt sich deshalb weder der dispositive noch der zwingende Charakter des gesetzlichen Organisationsrechts unmittelbar entnehmen. Daran ändert auch die Vorschrift des § 2 Abs. 3 BetrVG nichts, nach der „die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, durch dieses Gesetz nicht berührt“ werden. Selbst wenn man zu den „Aufgaben“ im Sinne des § 2 Abs. 3 BetrVG auch den Abschluß von Tarifverträgen über die Betriebsverfassung zählt76, folgt daraus noch nicht, daß die gesetzliche Betriebsverfassung tarifdispositiv ist. Aus der Formulierung „die Aufgaben werden nicht berührt“ läßt sich allenfalls ableiten, daß die prinzipielle Zuständigkeit der Tarifpartner zum Abschluß betriebsverfassungsrechtlicher Tarifverträge durch das Betriebsverfassungsgesetz nicht angetastet wird. Nicht ausgeschlossen wird jedoch, daß sich aus zwingendem Gesetzesrecht, namentlich aus den übrigen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes, Beschränkungen der Tarifmacht ergeben. Dieses Verständnis erfährt Bestätigung durch einen Vergleich mit dem Personalvertretungsrecht: Auch § 2 Abs. 3 BPersVG sieht vor, daß die Aufgaben der Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen unberührt bleiben. Die Gesetzesformulierung stimmt mit der des § 2 Abs. 3 BetrVG wörtlich überein. Gleichwohl wird wegen §§ 3, 97 BPersVG allgemein angenommen, daß das gesetzliche Personalvertretungsrecht de lege lata nicht tarifdispositiv ist77. Der Wortlaut des § 2 Abs. 3 BPersVG allein läßt also keine tragfähigen Rückschlüsse auf den Umfang der Rechtssetzungsmacht der Tarifpartner im Bereich des Personalvertretungsrechts zu. Für den gleichlautenden § 2 Abs. 3 BetrVG kann im Hinblick auf die betriebsverfassungsrechtliche Regelungsbefugnis nichts anderes gelten. Dem Text des Betriebsverfassungsgesetzes ist danach keine eindeutige Aussage zum Charakter der gesetzlichen Organisationsnormen zu entnehmen. Vgl. BAGE 56, 155, 161 ff.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 359. Vgl. oben § 1 II. 76 Wohl bejahend Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 2 Rn. 81; zweifelnd Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 274 ff. 77 Vgl. nur Richardi in: Dietz / Richardi, BPersVG, § 3 Rn. 2; B. Müller, Arbeitsrecht im Öffentlichen Dienst, Rn. 120. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1093, hält die gegenwärtige Gesetzeslage allerdings für verfassungsrechtlich bedenklich. 74 75

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Aussagekräftige Ergebnisse liefert demgegenüber die systematische Auslegung. Wichtigster Aspekt ist dabei der Bedeutungszusammenhang zwischen den gesetzlichen Organisationsnormen einerseits und den Öffnungsklauseln zugunsten der Tarifvertragsparteien78 andererseits. Das Betriebsverfassungsgesetz stellt ein vollständiges, in seinen Einzelvorschriften systematisch aufeinander abgestimmtes Organisationsmodell zur Verfügung. Tarifvertragliche Organisationsregelungen läßt es hingegen nur in bestimmten, tatbestandlich näher umschriebenen Fällen zu. Die konkrete Normierung einzelner Abweichungsbefugnisse und das Fehlen von ihre bloße Beispielhaftigkeit andeutenden Hinweisen („insbesondere“) lassen erkennen, daß es sich insoweit um einen erschöpfenden Katalog handelt (enumeratio ergo limitatio). Wenn etwa § 3 Abs. 1 BetrVG enumerativ auflistet, unter welchen Voraussetzungen durch Tarifvertrag bestimmte, vom Gesetz abweichende „betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten“ 79 gebildet werden können, so kann daraus unter dem Gesichtspunkt der systematischen Auslegung nur der Schluß gezogen werden, daß die gesetzlich vorgegebenen „Organisationseinheiten“ im übrigen tariffest sind. Diese Argumentation ist nicht nur auf die einzelnen Regelungsbereiche der anderen Zulassungsklauseln übertragbar, sondern läßt auch die systematische Gesamtkonzeption des gesetzlichen Organisationsrechts deutlich werden: Ein legislatives Bedürfnis zur Normierung von Öffnungsklauseln besteht nur dort, wo eine gesetzliche Regelung der Abänderung durch Tarifvertrag ansonsten nicht zugänglich ist. Die Zulassungstatbestände des Betriebsverfassungsgesetzes wären überflüssig, wenn das gesetzliche Organisationsrecht ohnehin zur Disposition der Tarifpartner stünde. Es kommt zwar mitunter vor, daß der Gesetzgeber rein deklaratorische Vorschriften ohne konstitutiven Regelungsgehalt erläßt, die lediglich der Klarstellung des bestehenden Rechtszustands dienen. Dafür findet sich jedoch im vorliegenden Zusammenhang kein Anhaltspunkt, im Gegenteil: Zur Klarstellung, daß die betriebsverfassungsrechtliche Regelungsbefugnis der Tarifpartner durch das Betriebsverfassungsgesetz keine Einschränkungen erfährt, hätte ein kurzer, allgemeiner Hinweis genügt80. Der Gesetzgeber hat demgegenüber einzelne, differenziert ausgestaltete Öffnungsklauseln normiert und so gerade deren Vgl. oben § 1 II. Vgl. § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG. 80 Im Hinblick auf die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte ist eine entsprechende gesetzgeberische Klarstellung durchaus diskutiert worden: Die SPD-Bundestagsfraktion brachte bereits während der Beratungen des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 einen (erfolglosen) Antrag auf Einfügung eines § 89a BetrVG mit dem Wortlaut ein: „Das Recht der Tarifvertragsparteien zur Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen durch Tarifvertrag bleibt unberührt.“ (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, I. Wahlperriode 1949, Stenogr. Berichte Band 12, 225. Sitzung vom 17. Juli 1952, S. 10090). Eine solche Formulierung hätte – eingefügt in die allgemeinen Vorschriften des Gesetzes – ausgereicht, um den tarifdispositiven Charakter (auch) des gesetzlichen Organisationsrechts klarzustellen. Vgl. auch die Formulierung von § 3 S. 1 des DGB-Entwurfs zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes in: DGB, Novellierungsvorschläge, S. 12: „Durch Tarifvertrag kann von den Vorschriften dieses Gesetzes zugunsten der Arbeitnehmerschaft oder ihrer nach diesem Gesetz zu bildenden Vertretungen abgewichen werden.“ 78 79

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Ausnahmecharakter hervorgehoben. Daß er damit lediglich (mehrfach!) klargestellt hat, was nach dem Tarifvertragsgesetz ohnehin gilt, kann ihm redlicherweise nicht unterstellt werden. Die Existenz der zahlreichen Öffnungsklauseln rechtfertigt vielmehr den Umkehrschluß, daß die gesetzliche Organisation der Betriebsverfassung im übrigen zwingend ausgestaltet ist (argumentum e contrario)81. Dem läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß das Betriebsverfassungsgesetz kein ausdrückliches Verbot tarifvertraglicher Abweichungen nach dem Vorbild der §§ 3, 97 BPersVG enthält. Denn gerade weil sich die grundsätzliche Unabänderlichkeit des gesetzlichen Organisationsrechts systematisch schon aus der Zulassung einzelner Abweichungen ergibt, bedarf es eines ausdrücklichen Verbots im Betriebsverfassungsgesetz – anders als im Personalvertretungsrecht, dem solche Zulassungsklauseln fremd sind – nicht. Von einem grundsätzlich zwingenden Charakter der gesetzlichen Organisationsvorschriften ist auch der historische Gesetzgeber ausgegangen. Bereits in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 3 BetrVG 197282 heißt es: „Die organisatorischen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes sind ihrer Natur nach zwingend. Der Gesetzgeber hat es jedoch in der Hand, im Hinblick auf notwendige Anpassungen an besondere Verhältnisse Abweichungsmöglichkeiten zuzulassen, wie dies z. B. in § 20 Abs. 3 des geltenden Rechts83 bereits geschehen ist. Im Hinblick auf die grundsätzlich zwingende Natur von Organisationsvorschriften müssen jedoch solche Abweichungsmöglichkeiten ausdrücklich festgelegt und klar umschrieben werden“84. Über diesen Punkt ist während des Gesetzgebungsverfahrens seinerzeit nicht gestritten worden85. Er bildete – anknüpfend an das BetrVG 1952 – die Grundlage der gesetzgeberischen Konzeption, die ausgehend von einem grundsätzlich zwingenden Organisationsrecht in Einzelvorschriften Abweichungsoptionen zugunsten der Tarifpartner vorsah. An dieser Grundkonzeption hat der Gesetzgeber bei Erlaß des BetrVerf-Reformgesetz 2001 ersichtlich festhalten wollen. Allgemeine Ausführungen über den Charakter der gesetzlichen Organisationsvorschriften finden sich in den Gesetzesmaterialien zwar nicht (mehr). Es war jedoch der erklärte Wille der Gesetzesverfasser, das Reformziel „moderner und anpassungsfähiger Betriebsratsstrukturen“ durch eine „Kombination aus gesetz81 Zutreffend Brockschmidt, Unternehmensorganisation, S. 113; Jahnke, Tarifautonomie, S. 192; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 566; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 49. 82 Regierungsentwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes, BT-Drucks. VI / 1786, S. 36. 83 Gemeint ist § 20 Abs. 3 BetrVG 1952 (Anm. d. Verf.). 84 Vgl. auch den Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den Regierungsentwurf und den CDU / CSU-Fraktionsentwurf zum Thema Betriebsverfassungsgesetz, BT-Drucks. VI / 2729, Besonderer Teil, zu § 3 – Zustimmungsbedürftige Tarifverträge. 85 Auch der Gesetzentwurf der CDU / CSU-Bundestagsfraktion ging von einem grundsätzlich zwingenden Charakter der gesetzlichen Organisationsvorschriften aus und sah dementsprechend an verschiedenen Stellen des Gesetzes ausdrückliche Öffnungsklauseln zugunsten der Tarifpartner vor, vgl. den Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Betrieb und Unternehmen, BT-Drucks. VI / 1806.

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licher und vertraglicher Lösung“ weiterhin auf der Grundlage gesetzlicher Öffnungsklauseln zu erreichen86. Diesem Ziel sollte namentlich die Neufassung und Erweiterung „des bewährten § 3 BetrVG“87 Rechnung tragen. Der prinzipiell zwingende Charakter des gesetzlichen Organisationsrechts wurde dabei nicht in Frage gestellt, sondern vorausgesetzt88. Den Vorschlag des DGB, die Betriebsverfassung generell tarifdispositiv auszugestalten89, hat der Gesetzgeber gerade nicht aufgegriffen. Die Annahme einer grundsätzlich zwingenden Ausgestaltung des gesetzlichen Organisationsrechts steht schließlich in Einklang mit objektiv-teleologischen Überlegungen. Zweck der gesetzlichen Organisationsvorschriften ist es, die Voraussetzungen für eine effektive Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte zu schaffen. Zur Erreichung dieses Zwecks ist ein in seinen wesentlichen Grundstrukturen gesetzlich fixiertes Organisationsmodell sinnvoll, um – wie es das Bundesarbeitsgericht 90 formuliert – „insgesamt einen einheitlichen Aufbau der Betriebsverfassung zu gewährleisten“. Ein gesetzliches Organisationsmodell, das vollständig zur Disposition der Tarifvertragsparteien stünde, wäre nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bedenklich. Es wäre auch der Gefahr ausgesetzt, zum Spielball einer vom Ringen um Macht und Einfluß geprägten, nicht unbedingt in erster Linie an sachlichen Kriterien ausgerichteten Tarifpolitik der Koalitionen zu werden91. Die Funktionsfähigkeit des gesetzlichen Organisationsstatuts wäre nicht gesichert, die Unabhängigkeit der auf seiner Grundlage gebildeten Arbeitnehmervertretungen bedroht. Diesen Gefahren beugt ein vom Willen der Tarifparteien grundsätzlich unabhängiges gesetzliches Organisationsrecht vor. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Tarifpartner regelmäßig über eine wesentlich größere Sachnähe als der Gesetzgeber verfügen. Sie sind im Einzelfall oft besser und schneller in der Lage, Probleme bei der Anwendung des gesetzlichen Organisationsrechts zu erkennen und paßgenaue Lösungen zu entwickeln. Auf ihre Kompetenz kann deshalb im Interesse einer möglichst optimal gestalteten betrieblichen Mitbestimmungsordnung nicht verzichtet werden. Die Normierung eines grundsätzlich zwingenden Organisationsrechts bei gleichzeitiger Zulassung gesetzVgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 26. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 27. 88 Vgl. auch die Begründung zu § 3 Abs. 1 BetrVG: „Absatz 1 läßt Vereinbarungen durch Tarifvertrag zu ( . . . )“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 33, Hervorhebung d. Verf.); vgl. auch die Begründungen zu den einzelnen Zulassungstatbeständen: „Nummer 2 regelt die Voraussetzungen ( . . . )“, „Nummer 3 eröffnet die Möglichkeit ( . . . )“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34, Hervorhebung d. Verf.). 89 Vgl. § 3 S. 1 des DGB-Entwurfs zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes in: DGB, Novellierungsvorschläge, S. 12: „Durch Tarifvertrag kann von den Vorschriften dieses Gesetzes zugunsten der Arbeitnehmerschaft oder ihrer nach diesem Gesetz zu bildenden Vertretungen abgewichen werden.“ 90 BAG AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972 (unter II 2 b). 91 Däubler, AuR 2001, 1, 2, weist zu Recht auf die Gefahr hin, daß die Betriebsverfassung zum „Handelsobjekt“ wird. 86 87

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

lich begrenzter Abänderungsmöglichkeiten schafft einen sinnvollen Ausgleich zwischen dem Interesse an der Bereitstellung eines funktionsfähigen gesetzlichen Organisationsmodells und dem Bedürfnis nach Flexibilität im Einzelfall. Sie dient dem Zweck, in möglichst vielen Fällen eine effektive betriebliche Mitbestimmung zu ermöglichen. Für eine entsprechende Interpretation des Betriebsverfassungsgesetzes sprechen deshalb neben Systematik und Entstehungsgeschichte auch teleologische Erwägungen92. Die zwingende Wirkung der gesetzlichen Organisationsvorschriften kann freilich nicht weiter reichen als der Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes. Das folgt bereits aus dem Gesetzeszweck: Wo das Betriebsverfassungsgesetz gar nicht eingreift, besteht auch keine Gefahr für die Funktionsfähigkeit und Ausgewogenheit des gesetzlichen Organisationsrechts. Auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes bietet keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber das Betriebsverfassungsgesetz als „die schlechthin angemessene Gestaltung des Mitbestimmungsrechts“93 verstanden wissen und tarifvertragliche Vereinbarungen auch dort ausschließen wollte, wo er selbst keine Regelung getroffen hat. Außerhalb seines Anwendungsbereichs entfaltet das Betriebverfassungsgesetz deshalb keine Sperrwirkung gegenüber tarifvertraglichen Regelungen94. c) Zwischenergebnis Auf Grund der bisherigen Untersuchungen95 ergibt sich danach zusammengefaßt folgendes Bild: Die Zuständigkeit der Tarifpartner zur Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen nach § 1 Abs. 1 TVG ist nach wie vor Bestandteil des geltenden Rechts. Sie erstreckt sich auch auf die Organisation der Betriebsverfassung. Einschränkungen der Tarifmacht ergeben sich jedoch aus den grundsätzlich 92 Damit ist nicht gesagt, daß ein in diesem Sinne verstandenes Betriebsverfassungsgesetz den beschriebenen Zweck auf die einzig denkbare oder gar bestmögliche Weise verwirklicht. Angesichts des erklärten und in der Gesetzessystematik eindeutig zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers würde ein anderes Verständnis aber jedenfalls die Grenze zulässiger Gesetzesauslegung überschreiten. Denn auch die objektiv-teleologische Auslegung erlaubt es dem Rechtsanwender nicht, seine Vorstellungen – mögen sie auch sinnvoll und vernünftig sein – an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen, vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 334. 93 So aber Richardi, Kollektivgewalt, S. 253. 94 Vgl. BAG NZA 2005, 371, 372; BAG AP Nr. 69 zu § 118 BetrVG 1972; Heither in: FS Schaub, S. 295, 309; ders., JbArbR Bd. 36 (1999), S. 37, 48; Jahnke, Tarifautonomie, S. 192; Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 1 Rn. 25, § 3 Rn. 17; Rolf, Betriebsratsstruktur, S. 13 f.; Schwerdtner, JR 1972, 357, 360; Tödtmann, Mitbestimmungsregelungen, S. 115; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 14; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 139 f.; a.A. ohne Begründung Buchner, AR-Blattei SD, Tarifvertrag V Rn. 244. 95 Diese beschränkten sich zunächst bewußt darauf, Bedeutung und Zusammenhang der einschlägigen Vorschriften in Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsgesetz anhand der traditionellen Auslegungsmethoden zu ermitteln. Verfassungsrechtliche Aspekte wurden dabei noch nicht berücksichtigt; zu ihnen sogleich.

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zwingenden Organisationsvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes. Von ihnen kann durch Tarifvertrag nur abgewichen werden, soweit das Gesetz es ausdrücklich zuläßt. Wirkungen und personelle Reichweite betriebsverfassungsrechtlicher Tarifregelungen bestimmen sich mangels anderweitiger gesetzlicher Vorschriften nach §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 2 TVG96.

d) Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Analyse Das soeben dargelegte, auf der Auswertung des einfachen Gesetzesrechts beruhende Ergebnis kann freilich zunächst nur vorläufiger Natur sein. Denn der Gesetzgeber ist bei der Schaffung, die Rechtsprechung bei der Anwendung der Gesetze an die Verfassung, insbesondere an die Grundrechte gebunden (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Jede gesetzliche Regelung und ihre Anwendung durch die Gerichte steht deshalb unter dem Vorbehalt der Verfassungskonformität. Das einfache Gesetz muß auch nach dem Ergebnis des Auslegungsvorgangs mit dem Grundgesetz vereinbar sein97. Fehlt es daran, ist das Gesetz unter Berücksichtigung der grundgesetzlichen Vorgaben nach Möglichkeit verfassungskonform auszulegen98. Ist eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich, ist das Gesetz unwirksam und darf nicht angewendet werden99. Diese Grundsätze gelten auch für die gesetzliche Normierung tarifvertraglicher Regelungsbefugnisse zur Organisation der Betriebsverfassung. Die Ausgestaltung dieser Regelungsbefugnisse durch Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsgesetz muß mit dem Grundgesetz verträglich sein. Das betrifft sowohl die möglichen Inhalte als auch die Wirkungen und Reichweite der tarifvertraglichen Vereinbarungen. Erst eine Überprüfung am Maßstab des Grundgesetzes kann deshalb abschließend klären, ob die gesetzlichen Regelungen in der oben100 dargelegten Bedeutung Geltung beanspruchen können oder ob sie von Verfassungs wegen einschränkend oder erweiternd interpretiert werden müssen. In Wissenschaft und Rechtspraxis wurde die Frage nach der Verfassungskonformität der gesetzlichen Regelungen über die Befugnisse der Tarifpartner zur Organisation der Betriebsverfassung bislang kaum gestellt. Literatur und Rechtspre96 Im Ergebnis decken sich die bislang gewonnenen Erkenntnisse danach mit der in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung, vgl. dazu oben § 1 III. 1. b). 97 Vgl. BVerfGE 66, 313, 319; Herzog in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, VI Rn. 27. 98 Vgl. BVerfGE 95, 64, 93; 90, 263, 274 f.; 88, 145, 166; 69, 1, 55; 66, 311, 319; Stern, Staatsrecht I, S. 135 ff.; ders., Staatsrecht III / 1, S. 1316 ff., jeweils m. w. N.; zu den Grenzen verfassungskonformer Auslegung Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 14 ff.; Dawin in: Einwirkung, S. 9 ff. 99 Vgl. BVerfGE 84, 9, 20; Herzog in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, VI Rn. 12; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaatsprinzip) Rn. 84. 100 § 1 III. 2. c).

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

chung beschränkten sich fast durchweg auf die Darstellung und Anwendung des einfachen Rechts; verfassungsrechtliche Aspekte blieben dabei ausgeblendet101. Erst mit der Neufassung des § 3 BetrVG durch das BetrVerf-Reformgesetz im Jahr 2001 haben verfassungsrechtliche Erwägungen vermehrt Eingang in die Diskussion gefunden. Die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung wird dabei zwar überwiegend bejaht. Es sind aber auch kritische Stimmen laut geworden. Bezweifelt wird vor allem die Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, wobei die Standpunkte freilich gegensätzlicher kaum sein könnten: Während einige Autoren die Beschränkung der tariflichen Regelungsmacht durch das Betriebsverfassungsgesetz für unvereinbar mit der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie halten, sehen andere schon in der beschränkten Zulassung tarifvertraglicher Organisationsregelungen einen verfassungswidrigen Eingriff in die Rechte der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer. Unterschiedlich werden auch die Konsequenzen einer fehlenden Übereinstimmung mit dem Grundgesetz beurteilt: Teils wird die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung postuliert, teils eine Korrektur im Wege verfassungskonformer Auslegung gefordert. Auffallend ist, daß sich die Darstellungen meist auf einen – die jeweils vertretene Ansicht stützenden – verfassungsrechtlichen Aspekt beschränken. Eine umfassende verfassungsrechtliche Analyse, die alle in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Positionen beleuchtet, fehlt bislang. Sie soll im folgenden vorgenommen werden.

§ 2 Verfassungsrechtliche Analyse Die Arbeitsrechtsverfassung der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt durch die Pluralität ihrer Ordnungs- und Gestaltungsfaktoren102: Das Grundgesetz weist in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 GG dem staatlichen Gesetzgeber die Regelungskompetenz für „das Recht der Wirtschaft“ und „das Arbeitsrecht“ zu. Zugleich gewährleistet es die Beteiligung Privater an der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ (Art. 9 Abs. 3 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und die individuelle Handlungs- und Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Bindung an die Verfassung103 verpflichtet den Gesetzgeber, bei der Wahrnehmung seiner Kompetenz diese unterschiedlichen Grundrechtspositionen 101 Vgl. etwa BAG AP Nr. 1 zu § 3 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972 (unter II 2); LAG Köln, LAGE Nr. 6 zu § 3 BetrVG 1972 sowie die Darstellungen in der Kommentarliteratur zu § 3 BetrVG a.F., z. B. Eisemann in: ErfK (2. Aufl.), BetrVG, § 3 Rn. 1 ff.; Fitting, BetrVG (20. Aufl.), § 3 Rn. 1 ff.; Kraft in: GK-BetrVG (5. Aufl.), § 3 Rn. 8; zur Vereinbarkeit von § 3 BetrVG a.F. mit Art. 9 Abs. 3 GG im Hinblick auf die Tarifautonomie siehe aber auch Kittner in: Wassermann, AK-GG, (2. Aufl.), Art. 9 Abs. 3 Rn. 68 (verneinend) sowie T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 52 ff. (bejahend). 102 Näher Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 165 m. w. N. 103 Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG, vgl. oben § 1 III. 2. d).

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und andere Verfassungsprinzipien zu beachten und im Konfliktfall angemessen zum Ausgleich zu bringen. Im Betriebsverfassungs- und Tarifvertragsgesetz hat der Gesetzgeber die Organisation der Betriebsverfassung, die Regelungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien in diesem Bereich und die rechtlichen Auswirkungen solcher Regelungen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer normiert104. Die gesetzliche Regelung berührt damit – in unterschiedlicher Weise und Intensität – die Schnittstellen von staatlicher Ordnungskompetenz, kollektiver Gestaltungsmacht und individueller Freiheit. Sie kann nur Bestand haben, wenn und soweit sie den Vorgaben des Grundgesetzes ausreichend Rechnung trägt.

I. Gesetzliche Regelung und kollektive Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) Nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes ist der Regelungsspielraum der Tarifvertragsparteien im Bereich der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation begrenzt: Von den gesetzlichen Organisationsvorschriften kann nur abgewichen werden, soweit das Gesetz es ausdrücklich zuläßt105. Diese Begrenzung tarifvertraglicher Regelungsmacht muß mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar sein. Schließt die Gewährleistung der kollektiven Koalitionsfreiheit tarifautonome Betätigungen auf dem Gebiet der Betriebsverfassung ein, bedarf ein gesetzlicher Eingriff in den Schutzbereich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung.

1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der kollektiven Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG a) Der Schutz der Koalitionen und ihrer Betätigung Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet für jedermann und alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Damit ist zunächst ganz offensichtlich ein individuelles Freiheitsrecht des einzelnen verbürgt, sich mit anderen zwecks Erreichung der genannten Ziele zu – gemeinhin als Koalitionen bezeichneten106 – Vereinigungen zusammenzuschließen. Der Begriff der Bildung ist dabei, ebenso wie in Art. 9 Abs. 1 GG107, 104 105 106 107

Vgl. oben § 1 I., II. Vgl. oben § 1 III. 2. c). Vgl. statt aller Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 33. Dazu Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 16 m. w. N.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

in einem weiten Sinne zu verstehen: Er umfaßt neben der Gründung auch den Beitritt und Verbleib sowie die Betätigung innerhalb der Koalition108. Auf den ersten Blick weit weniger klar ist demgegenüber der kollektive Gehalt des Grundrechts. Eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Anerkennung der Koalitionen selbst fehlt. Auch ein Recht zum Abschluß von Tarifverträgen oder deren Anerkennung ist dem Verfassungstext jedenfalls nicht unmittelbar zu entnehmen. Bei näherer Betrachtung liefert allerdings schon der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 GG Anhaltspunkte dafür, daß sich die Garantie nicht in der Gewährleistung eines individuellen Rechts zur Koalitionsbildung erschöpft. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG hebt die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ als besonderen Vereinigungszweck hervor. Da die Gründungsfreiheit für Vereinigungen bereits durch Art. 9 Abs. 1 GG umfassend abgedeckt ist, ergibt diese Hervorhebung nur dann einen Sinn, wenn der Gewährleistungsbereich der Koalitionsfreiheit über die allgemeine Vereinigungsfreiheit hinausgeht109. Einen weiteren Hinweis auf die kollektive Dimension der Koalitionsfreiheit enthält Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG, der mit dem Arbeitskampf ausdrücklich eine spezifisch kollektive Ausübungsform nennt110. Vor allem aber sprechen Funktion und Zweck der Koalitionsfreiheit entscheidend für die Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf die Koalitionen selbst. Das Recht zur Koalitionsbildung wäre für den einzelnen nutzlos, bliebe es dem Staat erlaubt, die Koalitionen in ihrem Bestand zu gefährden oder ihnen die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen notwendigen Betätigungen zu untersagen111. Die effektive Wahrnehmung der spezifischen Interessen der koalitionsmäßig verbundenen Individuen setzt deshalb voraus, daß auch die von ihnen gebildete Koalition selbst an der verfassungsrechtlichen Gewährleistung teilhat112. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Koalitionsfreiheit ist nur sinnvoll, wenn auch den Koalitionen die Möglichkeit garantiert ist, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 genannten Zwecke zu verfolgen, nämlich die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern113. 108 Allg. Ansicht, vgl. nur Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 36 m. w. N.; nach h. M. gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG darüber hinaus auch eine individuelle negative Koalitionsfreiheit; näher dazu unten § 2 II 1. 109 So auch die Auffassung des Parlamentarischen Rates, vgl. die Erläuterungen des Abgeordneten Zinn, Wortprotokoll der 6. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen v. 5. 10. 1948, in: Der Parlamentarische Rat, S. 123; siehe auch Matz, JöR 1 (1951), S. 117. 110 Vgl. Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 70. 111 Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 160; Misera, Tarifmacht, S. 26 f. 112 Vgl. Belling in: 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 477, 479; Bleckmann, Staatsrecht II, § 30 Rn. 53; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 188 Rn. 13. 113 BVerfGE 18, 18, 26; 17, 319, 333; Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Lehrbuch II / 1, § 9 I, S. 134.; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 137.

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Dieses Verständnis entspricht der historisch gewachsenen Bedeutung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit 114. Entstehungsgeschichtlich ist das Koalitionsrecht, das in Art. 159 und 165 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) seine maßgebende verfassungsrechtliche Grundlegung erfuhr115, mit der Existenz und Betätigung der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände untrennbar verbunden116. Durch Art. 165 Abs. 1 S. 2 WRV wurden „die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen“ ausdrücklich anerkannt. Für das Grundgesetz kann, wie das Bundesverfassungsgericht bereits frühzeitig klargestellt hat, nichts anders gelten117. Zwar fehlt dort eine Art. 165 Abs. 1 WRVentsprechende Bestimmung. Das ändert jedoch nichts an der prinzipiellen Kontinuität118. Eine ausdrückliche Regelung im Grundgesetz war entbehrlich, weil der Verfassungsgeber unter Berücksichtigung des bestehenden verfassungs- und arbeitsrechtlichen Zustandes in den Ländern von der rechtlichen Anerkennung der Sozialpartner als selbstverständlich ausgehen konnte119. Zu Recht wird in Rechtsprechung und Lehre deshalb heute einhellig angenommen, daß nicht nur die Freiheit des einzelnen zur Koalitionsbildung, sondern auch Bestand und spezifische Betätigung der Koalition selbst verfassungsrechtlichen Schutz genießen120. Unterschiedliche Auffassungen bestehen lediglich in der dogmatischen Herleitung der kollektivrechtlichen Gewährleistung. Die Rechtsprechung und der ganz überwiegende Teil der Literatur gehen davon aus, daß schon Art. 9 Abs. 3 GG selbst als „Doppelgrundrecht“ sowohl die individuelle als auch die kollektive Koalitionsfreiheit umfaßt121. Nach einer teilweise im Schrifttum ver114 Vgl. schon RGZ 111, 199, 202: „Ihrem Wesen und Zweck nach muß aber diese Vereinigungsfreiheit der zum Verband zusammengeschlossenen Teilnehmer die weitere Befugnis in sich begreifen, sie wirksam auszugestalten und zur rechtlichen Geltung zu bringen. Auch das fällt begrifflich in den Rahmen des der Organisation als solcher gewährleisteten Freiheitsrechts. Ihre Koalitionsfreiheit würde in Wahrheit unvollkommen und ein Schattenbild sein, wenn nicht auch das Recht der Gesamtheit der Teilnehmer geschützt wäre, die zur Durchführung des Koalitionszwecks erforderlichen Maßnahmen und Abmachungen zu treffen ( . . . )“. 115 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9, Rn. 155. 116 Näher dazu Waltermann, ZfA 2000, 53, 69 ff. 117 BVerfGE 4, 96, 101. 118 BVerfGE 4, 96, 101 f.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 155. 119 BVerfGE 19, 303, 319; 4, 96, 101 f.; Nikisch, Arbeitsrecht II, § 60 II 2, S. 54. 120 BVerfGE 103, 293, 304; 100, 271, 282; 94, 268, 283; 93, 352, 357; 92, 365, 393; 92, 26, 38; 88, 103, 114; 84, 212, 224; 55, 7, 21; 50, 290, 367; 28, 295, 304; 19, 303, 312; 18, 18, 26; 17, 319, 333; 4, 96, 101 f., st. Rspr.; BAG (GS) AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; BAG AP Nr 89 zu Art. 9 GG; BAG AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abmahnung; BAG AP Nr. 45 zu Art. 9 GG; st. Rspr.; Belling, Günstigkeitsprinzip, S. 67; Dieterich in: ErfK, GG, Art. 9 Rn. 38; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 70; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 27; Kittner / Schiek in: Wassermann, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 84; Löwer in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 57; Löwisch / Rieble in: MünchArbR, § 244 Rn. 9; dies. in: TVG, Grundl. Rn. 12; Richardi in: Staudinger, BGB, vor §§ 611 ff, Rn. 518, 539; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 188 Rn. 13; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 239; ders. in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151, Rn. 88; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 88 ff. 121 Vgl. statt vieler Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, § 4 II 2, S. 181 f. m. w. N.

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tretenen Ansicht soll sich die Grundrechtssubjektivität der Koalition demgegenüber erst aus Art. 19 Abs. 3 GG ergeben122. Auf den Umfang des Grundrechtsschutzes der Koalition haben die unterschiedlichen Begründungen allerdings, wie auch die Vertreter der letztgenannten Auffassung betonen, keine Auswirkungen123.

b) Der Schutz der Tarifautonomie als funktionstypisches Mittel der Koalitionsbetätigung Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der kollektiven Koalitionsfreiheit schließt die „aus jener entspringende Tarifautonomie“124 ein. Sie eröffnet den Sozialpartnern die rechtliche Möglichkeit, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler in eigener Verantwortung zu regeln125. Der Abschluß von Tarifverträgen ist zwar nicht die einzig denkbare Möglichkeit zur Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch koalitionsspezifische Betätigung126. Er bildet jedoch ohne Zweifel die klassische und bis heute praktisch wichtigste Form koalitionsmäßiger Tätigkeit. Der Tarifvertrag ist das historisch gewachsene, funktionstypische Mittel, um der Regelungsbefugnis („Wahrung und Förderung“) der Koalitionen hinsichtlich der im Verfassungstext genannten Ziele („Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“) Geltungsmacht zu verschaffen127. In Rechtsprechung und Lehre ist deshalb zu Recht anerkannt, daß die Garantie der Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG auch die Tarifautonomie umfaßt128. 122 So insbesondere Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 135 ff.; 283; ders. in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151 Rn. 73 ff.; ders. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 23, 170, 239; ebenso Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 70; Zöllner in: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 8 IV 4, S. 116 ff. 123 Vgl. nur Scholz in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151 Rn. 75. 124 BVerfGE 18, 18, 28. 125 Vgl. BVerfGE 18, 18, 19; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 211; Kamanabrou, RdA 1997, 22, 29; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, Einf. Rn. 78; Waltermann, ZFA 2000, 53, 57; vielfach wird der Begriff der Tarifautonomie mit der Befugnis der Tarifpartner zur Rechtsnormsetzung gleichgesetzt. Tarifautonomie und Normsetzungsbefugnis müssen jedoch begrifflich unterschieden werden, näher dazu unten § 2 I 2 b). 126 Zutreffend weist BVerfGE 50, 290, 371 deshalb darauf hin, daß Art. 9 Abs. 3 GG sich nicht dahin auslegen läßt, daß er ein Tarifvertragssystem als ausschließliche Form der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gewährleiste. 127 Belling, ZevKR 48 (2003), 407, 417; Höfling in: FS Friauf, S. 377, 386. 128 Vgl. BVerfGE 103, 293, 304; 50, 290, 369; 20, 312, 317; 18, 18, 28; 4, 96, 106 ff.; st. Rspr.; aus dem Schrifttum Belling in: 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 477, 479; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 102; Bleckmann, Staatsrecht II, § 30 Rn. 92; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 157 f.; Löwer in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 71; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 299; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 92.; abweichend in der Begründung Rupp, JZ 1998, 919, 924, der die Tarifautonomie als „verfassungsgewohnheitsrechtlich geltendes Institut der Arbeitsrechtsordnung“ ansieht. Die umstrittene Frage, ob Art. 9 Abs. 3 GG auch eine Befugnis der Tarifparteien zur Rechtsnormsetzung begründet, soll

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c) Keine Beschränkung der Gewährleistung auf einen „Kernbereich“ Der weitgehende Konsens darüber, daß die verfassungsrechtliche Garantie der Koalitionsfreiheit eine kollektive Dimension aufweist und neben dem Individualrecht auch Bestand und Betätigung der Koalitionen einschließlich der Tarifautonomie umfaßt, wird allerdings überlagert von erheblichen Differenzen über den Umfang der Gewährleistung. Maßgeblichen Anteil an der teilweise „diffusen Bereichsdogmatik“129 zu Art. 9 Abs. 3 GG hat dabei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Sie war lange Zeit geprägt durch die Verwendung der sogenannten „Kernbereichsformel“. Schon in seiner ersten Entscheidung zur Frage der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie nahm das Gericht ohne nähere Begründung an, der verfassungsrechtliche Schutz der Tarifautonomie beschränke sich auf einen „Kernbereich“130. Diese Einschränkung hat das Gericht in weiteren Entscheidungen – ebenfalls ohne Begründung – zunächst auf andere Formen der Koalitionsbetätigung 131 und schließlich auf die Koalitionsfreiheit insgesamt132 übertragen. Zur Bestimmung des „Kernbereichs“ hat das Bundesverfassungsgericht zwei unterschiedliche Ansätze verfolgt: Teilweise ging es davon aus, daß verfassungsrechtlich nur diejenigen Betätigungen gewährleistet seien, die zur Erhaltung und Sicherung der Existenz der Koalition bzw. zur Erreichung des in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecks unerläßlich seien („Unerläßlichkeitsformel“)133. In anderen Entscheidungen stellte das Gericht entscheidend darauf ab, ob und inwieweit der jeweiligen Koalitionsbetätigung zum Schutz von Rechten Dritter Schranken gezogen sind („Abwägungsformel“)134. Teilweise hat es auch beide Ansätze kombiniert angewandt135. Das Bundesarbeitsgericht136 und große Teile der Literatur137 haben die „Kernbereichsformel“ des Bundesverfassungsgerichts zunächst weitgehend unkritisch an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Prüfung der Vereinbarkeit von Gesetzen mit Art. 9 Abs. 3 GG stets zu Recht allein auf die Tarifautonomie abgestellt und nicht auf eine etwaige Normsetzungsbefugnis. Ebensowenig kommt es deshalb im vorliegenden Zusammenhang auf den rechtstheoretischen Ursprung einer solchen Normsetzungsbefugnis an. 129 Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 71. 130 BVerfGE 4, 96, 106. 131 BVerfGE 38, 281, 305; 28, 295, 304; 19, 303, 321; 17, 319, 333 f. 132 BVerfGE 57, 220, 245 f.; 50, 290, 368; zurückhaltender BVerfGE 84, 212, 228: „Der Fall gibt keinen Anlaß, die Grenze eines unantastbaren ,Kernbereichs‘ der Koalitionsfreiheit näher zu bestimmen.“ 133 So BVerfGE 57, 220, 246; 38, 281, 305; 28, 295, 304; 17, 319, 333 f. 134 So BVerfGE 50, 290, 368; 28, 295, 306. 135 Vgl. BVerfGE 28, 295, 304 bzw. 306, siehe auch BVerfGE 84, 212, 225 bzw. 229. 136 Vgl. BAG AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abmahnung; BAG AP Nr. 13, 28, 29, 30, 45 zu Art. 9 GG; BAG AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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übernommen. Zahlreiche Autoren waren zwar um ihre dogmatische Durchdringung und Präzisierung bemüht138, ohne aber ihre Existenzberechtigung generell in Frage zu stellen. Vor allem in jüngerer Zeit hat die „Kernbereichsformel“ jedoch auch zunehmend grundsätzliche Kritik erfahren, und zwar zu Recht. Denn die Begrenzung der Koalitionsfreiheit auf einen „Kernbereich“ findet weder im Verfassungstext noch in der Systematik oder Genese des Art. 9 Abs. 3 GG eine Stütze und ist auch in der zu anderen Grundrechten entwickelten Verfassungsdogmatik ohne Vorbild. In ihrer Unbestimmtheit widersetzt sich die „Kernbereichsformel“ zudem allen Versuchen, den Garantiegehalt der Koalitionsfreiheit auch nur einigermaßen verläßlich zu bestimmen. Unklar bleibt nicht nur, was im einzelnen geschützt ist, sondern auch, wie der Kernbereich allgemein konturiert werden kann139: Während die „Unerläßlichkeitsformel“ auf einen von vornherein verengten Schutzbereich hindeutet140, legt die „Abwägungsformel“ eher ein Verständnis im Sinne eines effektiven Garantiebereichs nahe141. Vor allem die Unerläßlichkeitsformel verwischt damit die Elementarkategorien von Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranke. Das zeigt sich beispielhaft an der Diskussion um das Verhältnis von Tarifautonomie und staatlicher Gesetzgebung, die unter der Überschrift „Normsetzungsprärogative oder Normsetzungsmonopol“ vielfach gänzlich losgelöst von allgemeiner Grundrechtsdogmatik geführt wurde. Wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck schärfer werdender Kritik aus dem Schrifttum hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 3 GG nach seiner eigenen Einschätzung „nicht mehr auf die Kernbereichsformel gestützt“.142 Darüber hinaus sah es sich „wegen der – nicht fernliegenden – Mißverständnisse, zu denen die früheren Entscheidungen geführt hatten“143 zu einer „Klarstellung“ veranlaßt. Darin räumt das Gericht ein, seine Ausführungen zur „Kernbereichsformel“ in früheren Entscheidungen „können in der Tat den Eindruck erwecken, als schütze Art. 9 Abs. 3 GG jedenfalls die koalitionsmäßige Betätigung von vornherein nur in einem inhaltlich eng begrenzten Umfang“144. Damit werde das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Verständnis 137 Vgl. etwa Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 17; Feichtinger, Regelungsbefugnis, S. 87; Kissel, NZA 1995, 1; Konzen, Anm. zu BVerfG v. 26. 6. 1991 – 1 BvR 779 / 85, SAE 1991, 335, 338; Weber, Beurteilung, S. 18 f. 138 Vgl. etwa Säcker, Grundprobleme, S. 33 ff., 89 ff., mit zahlreichen Kernbereichsunterscheidungen; kritisch gegenüber solcher „Kernbereichs-Spaltung“ Isensee, in: Veröffentlichungen der Walter-Raymond-Stiftung, Band 24 (1986), 174; vgl. auch Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 143 ff., 158 ff.; Meik, Kernbereich, S. 71 ff. 139 Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 72; Schwarze, Betriebsrat, S. 72. 140 Treffend Isensee (a.a.O), S. 172: „Ein verfassungsrechtlicher Kern also ohne verfassungsrechtliche Schale“. 141 Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 72. 142 So BVerfGE 93, 352, 359 f. 143 BVerfGE 93, 352, 360. 144 BVerfGE 93, 352, 358.

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der Koalitionsfreiheit jedoch nur unvollständig wiedergegeben. Die Kernbereichsformel sei lediglich Ausdruck der „Überzeugung, daß das Grundgesetz die Betätigungsfreiheit der Koalitionen nicht schrankenlos gewährleistet“145. Das Gericht habe damit nicht den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG von vornherein auf den Bereich des Unerläßlichen beschränken wollen. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, die das Gericht inzwischen in weiteren Entscheidungen146 bestätigt hat, sind zu begrüßen. In der Sache dürfte es sich freilich weniger um eine „Klarstellung“ als vielmehr um die Aufgabe der „Kernbereichsformel“ handeln. Denn daß Grundrechte – auch solche ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt – nicht schrankenlos gewährleistet sind, entspricht seit langem gefestigter Verfassungsdogmatik. Ein weitergehender Sinngehalt kommt aber auch der „Kernbereichsformel“ zu Art. 9 Abs. 3 GG nach der (neuen) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht (mehr) zu. Festzuhalten bleibt danach: Der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährte Schutz beschränkt sich nicht auf diejenigen Tätigkeiten, die für die Erhaltung und die Sicherung des Bestandes der Koalitionen unerläßlich sind, sondern umfaßt alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen147. Das gilt auch, soweit Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionen einen spezifischen Wirkungsbereich für den Abschluß von Tarifverträgen gewährleistet148. Die Koalitionsfreiheit ist mithin durch Art. 9 Abs. 3 GG umfassend geschützt149. Das bedeutet nicht, daß den Koalitionen eine unbegrenzte Betätigungsfreiheit und Regelungsmacht zusteht. Wo die verfassungsrechtlichen Grenzen der Koalitionsfreiheit verlaufen, ist jedoch keine Frage ihres Schutzbereichs, sondern ihrer Schranken. 2. Die Betriebsverfassung als Gegenstand kollektiver Koalitionsbetätigung Die prinzipielle Feststellung, daß die kollektive Koalitionsfreiheit einschließlich der Tarifautonomie durch Art. 9 Abs. 3 GG umfassend geschützt ist, besagt noch nichts darüber, auf welche Gegenstände sie sich im einzelnen erstreckt. Gerade im Hinblick auf die Betriebsverfassung, namentlich ihre Organisation, herrscht insoweit keine Klarheit150. Übereinstimmung besteht lediglich darin, daß die verfasBVerfGE 93, 352, 359. BVerfGE 103, 293, 304; 100, 271, 282; 100, 214, 222; 94, 268, 283. 147 So jetzt auch ganz überwiegend die neuere Literatur, vgl. etwa Birger, Standortsicherung, S. 37 f.; Dieterich in: ErfK, GG, Art. 9 Rn. 38, 40; Heilmann, AuR 1996, 121, 122; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 38; Kreiling, Erstreckung, S. 89; Waltermann, ZfA 2000, 53, 59. 148 BVerfGE 94, 268, 284. 149 Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 81; Wank, NJW 1996, 2273, 2274. 150 Das Tarifvertragsgesetz hilft hier nicht weiter, denn es betrifft lediglich die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Tarifautonomie. Über deren verfassungsrechtliche Reichweite 145 146

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sungsrechtliche Garantie inhaltlich durch den in Art. 9 Abs. 3 GG vorgegebenen Koalitionszweck begrenzt ist: Die Gewährleistung der Betätigungsfreiheit („Wahrung und Förderung“) der Koalitionen beschränkt sich jedenfalls auf solche Materien, die zu den „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ gehören151. Auch die Betriebsverfassung kann deshalb nur dann Gegenstand der verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsgarantie sein, wenn sie zu den „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG zählt (a). Darüber hinaus ist zu klären, ob für die Bestimmung des gegenständlichen Umfangs der Koalitionsbetätigung im allgemeinen oder der Tarifautonomie im besonderen noch andere Kriterien maßgeblich sind (b).

a) Die Betriebsverfassung als Arbeits- und Wirtschaftsbedingung Das in Art. 9 Abs. 3 GG verwandte Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ ist, mit den Worten Nikischs gesprochen, gewiß keine „besonders klare Wendung“152. Um seine inhaltliche Aufschlüsselung haben sich Rechtsprechung und Lehre bisher nur mit sehr mageren Ergebnissen bemüht153. Welche Materien im einzelnen darunter fallen, ist bis heute zweifelhaft und umstritten. aa) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Auslegung des Begriffspaars der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ bislang nur sehr allgemein geäußert154. sagt es nichts aus. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, daß das Grundgesetz erst nach Erlaß des Tarifvertragsgesetzes in Kraft getreten ist. Die Materialien zur Entstehung des Grundgesetzes enthalten keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Verfassungsgeber sich bei der Formulierung von Art. 9 Abs. 3 GG von der Aufzählung in § 1 Abs. 1 TVG hat leiten lassen. Art. 125 GG regelt lediglich die Fortgeltung des Gesetzes als einfaches Bundesrecht. Es kann deshalb nicht angenommen werden, daß der Verfassungsgeber das Tarifvertragsgesetz mit Verfassungsschutz nach Art. 9 Abs. 3 GG ausstatten wollte; vgl. auch Schwarze, Betriebsrat, S. 61. 151 BVerfGE 103, 293, 304; 44, 322, 349; BAGE 64, 284, 290; Badura, ArbRdGegw Bd. 15 (1977), S. 17, 27; Belling, ZfA 1999, 547, 553; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 175a; Dieterich in: FS Schaub, S. 117, 126; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 87; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 38; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 105; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 24; G. Müller, Tarifautonomie, S. 61 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 180; Rüthers, Tarifmacht, S. 14, 16; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 255, 281; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 34 f.; Söllner, ArbRdGegw Bd. 16 (1979), S. 19, 27; Söllner / Waltermann, Grundriss, Rn. 180; Stark, Verfassungsfragen, S. 29; Waltermann, NZA 1991, 754, 756; Weyand, AuR 1991, 65, 67; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl. Rn 95. 152 Nikisch, Arbeitsrecht II, § 57 II, S. 4; Wiedemann in: FS Riesenfeld, S. 301, hält sie für eine „verwaschene Formel“, die „keine klare Abgrenzung vorgibt“. 153 Scholz, Maunz / Dürig, GG, Art. 9, Rn. 258

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Dabei hat es vor allem die historische Entwicklung und den Zweck von Art. 9 Abs. 3 GG als Richtschnur für die Deutung der Verfassungsgarantie hervorgehoben: Zu berücksichtigen sei, daß die Koalitionsfreiheit nicht zu den „klassischen Grundrechten“ gehört, sondern erst unter den Bedingungen moderner Industriearbeit im 19. Jahrhundert entstanden ist155. Bei der Auslegung könne deshalb nur bedingt auf einen traditionell feststehenden Inhalt zurückgegriffen werden156. Anhaltspunkte für eine Konkretisierung biete namentlich die geschichtliche Entwicklung, die auf den nahezu wortgleichen Art. 159 WRV zurückführe157. Zweck der Koalitionsfreiheit sei die „sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens“158; der den Koalitionen überlassene Regelungsbereich beziehe sich „auf solche Materien, die sie in eigener Verantwortung zu ordnen vermögen“159. Ausgehend von diesen Prämissen hat das Bundesverfassungsgericht verschiedene Materien dem Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ zugeordnet. Im Hinblick auf die Tarifautonomie gehören dazu „insbesondere das Arbeitsentgelt und die anderen materiellen Arbeitsbedingungen“160 sowie „nach Maßgabe von Herkommen und Üblichkeit weitere Bereiche des Arbeitsverhältnisses“ und „darauf bezogene soziale Leistungen und Einrichtungen“161. Die Aufzählung der verschiedenen Bereiche hat allerdings nur beispielhaften Charakter („insbesondere“). Zudem hat das Gericht ausdrücklich offengelassen, „wieweit damit die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie in jeder Hinsicht zutreffend umschrieben ist und wo ihr grundrechtlicher Schutz endet“162. Eine umfassende oder abschließende Wiedergabe der den Koalitionen zugewiesenen Sachmaterien läßt sich der verfassungsgerichtlichen Judikatur mithin nicht entnehmen. Die ergangenen Entscheidungen betreffen vor allem tradierte, in der sozialen Wirklichkeit fest verwurzelte Bereiche der Koalitionsbetätigung, deren Zuordnung zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen schon zuvor kaum zweifelhaft war. So hat das Gericht etwa tarifvertragliche Regelungen über die Befristung von Arbeitsverträgen163 und über die Dauer von Arbeitszeit und Urlaub164 dem Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG unterstellt. 154 Säcker, Grundprobleme, S. 41, sieht in den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts lediglich „vage, tautologische, paraphrasierende Formulierungen ( . . . ), die keinen näheren Aufschluß über die den Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG zugewiesene Regelungsthematik geben.“. 155 BVerfGE 50, 290, 366 f. 156 BVerfGE 50, 290, 367. 157 BVerfGE 50, 290, 367. 158 BVerfGE 50, 290, 371; BVerfGE 44, 322, 342; 20, 312, 318; 18, 18, 28; 4, 96, 107. 159 BVerfGE 94, 268, 283. 160 BVerfGE 103, 293, 304; 100, 271, 282; 94, 268, 283. 161 BVerfGE 94, 268, 283. 162 BVerfGE 94, 268, 283. 163 BVerfGE 94, 268, 283. 164 BVerfGE 103, 293, 304.

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Für den Bereich der Betriebsverfassung fehlt es hingegen bislang an einer eindeutigen Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts. Zwar hat das Gericht wiederholt ausgeführt, Art. 9 Abs. 3 GG schütze auch Koalitionsbetätigungen „im Personalvertretungswesen“165 und „im Bereich des Betriebsverfassungsrechts“166. Dabei ging es allerdings nicht um tarifvertragliche Vereinbarungen mit betriebsverfassungsrechtlichem Inhalt, sondern um Betätigungen der Koalitionen, die auf andere Weise als durch den Abschluß von Tarifverträgen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wahren und fördern sollten167. Gegenstand der Entscheidungen war auch nicht die Einordnung der Betriebsverfassung oder Personalvertretung als Arbeits- und Wirtschaftsbedingung168. Es ging vielmehr um die – vom Bundesverfassungsgericht bejahte – Frage, ob Art. 9 Abs. 3 GG auch Koalitionsbetätigungen (vor allem gewerkschaftliche Werbetätigkeit) im Rahmen der Betriebsverfassung und Personalvertretung schützt169. Nicht über die Arbeits- und Wirtschaftsbedingung „Betriebsverfassung“ wurde damit entschieden, sondern über die Wahrung und Förderung von (sonstigen) Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Betätigung in der Betriebsverfassung170. Das schließt nicht aus, daß auch die Betriebsverfassung selbst zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zählt. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bietet dafür aber keine hinreichenden Anhaltspunkte171. Deshalb können aus ihr auch keine Schlußfolgerungen für eine verfassungsrechtliche Garantie tarifvertraglicher Betätigung auf dem Gebiet der Betriebsverfassung gezogen werden172. Vielmehr sprechen gerade die

165 BVerfGE 19, 303, 313 f.; daran anknüpfend BVerfGE 28, 295, 306 ff.; in BVerfGE 17, 319, 333 wurde die Frage noch ausdrücklich offengelassen. 166 BVerfGE 50, 290, 372; in der Sache ebenso BVerfGE 100, 214, 223. 167 BVerfGE 19, 303, 312 ff.: gewerkschaftliche Werbetätigkeit vor Personalratswahlen; BVerfGE 28, 295, 305 ff.: gewerkschaftliche Mitgliederwerbung im Betrieb; BVerfGE 50, 290, 370 f: Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz; BVerfGE 100, 214, 221 ff.: gewerkschaftlicher Wahlvorschlag bei Betriebsratswahl. 168 So zutreffend Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 233; Schwarze, Betriebsrat, S. 89. 169 Vgl. BVerfGE 100, 214, 223: „Auch im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung fördern die Gewerkschaften die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder und nehmen damit eine verfassungsrechtlich geschützte Funktion wahr“. 170 Zutreffend Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 233. 171 A.A. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1032, der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Koalitionsbetätigung im Bereich der Personalvertretung und der Betriebsverfassung deren „Zugehörigkeit zum Gegenstandsbereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bestätigt“ sieht; ferner Säcker, Grundprobleme, S. 59 f., der die Wahlwerbeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 19, 303) so versteht, daß auch „die Art und Weise der Gestaltung der Betriebs- und Personalverfassung ( . . . ) als Bestandteil der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG gewertet werden muß.“; dagegen zutreffend Schwarze, Betriebsrat, S. 89. 172 So aber Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 79, die aus der Zuordnung der Koalitionsbeteiligung in der Betriebsverfassung zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ein Recht zur tarifvertraglichen Modifizierung der Betriebsverfassung ableiten. An einer solchen Zuordnung zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fehlt es jedoch gerade. Wie hier des-

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Entscheidungen zum Personalvertretungsrecht – an welche die Rechtsprechung zur Koalitionsbetätigung in der Betriebsverfassung ausdrücklich anknüpft173 – eher dagegen, daß das Bundesverfassungsgericht mit der Anerkennung koalitionsmäßiger Betätigung in diesem Bereich auch den Abschluß von Tarifverträgen darüber gemeint haben könnte174. Denn die Bejahung einer verfassungsrechtlich garantierten Befugnis zur tarifvertraglichen Regelung der Personalvertretung stünde offensichtlich in Widerspruch zu §§ 3, 97 BPersVG, die solche Regelungen explizit ausschließen. Mit diesen Ausschlußklauseln175 hat sich das Gericht aber in keiner seiner Entscheidungen auseinandergesetzt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist mithin für die vorliegende Fragestellung wenig ergiebig. Sie enthält lediglich sehr allgemeine Leitlinien für die Auslegung des Begriffspaars der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“. Daß die Betriebsverfassung darunter fällt und damit auch als Gegenstand der Tarifautonomie in Betracht kommt, läßt sich der verfassungsgerichtlichen Judikatur hingegen nicht entnehmen. bb) Die Ansichten in der Literatur Auch in der Literatur ist nicht geklärt, wie die Formulierung „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ in Art. 9 Abs. 3 GG zu verstehen ist. Es lassen sich im wesentlichen drei Interpretationsansätze ausmachen, die sowohl in den Prämissen als auch in den konkreten Ergebnissen teils erheblich voneinander abweichen. Nach einer von Zöllner176 vertretenen restriktiven Ansicht, der sich neuerdings Kissel177 angeschlossen hat, ist das verfassungsrechtlich geschützte Betätigungsfeld der Koalitionen auf den Bereich der „Arbeitsbedingungen“ begrenzt. Die Erwähnung der „Wirtschaftsbedingungen“ in Art. 9 Abs. 3 GG soll danach keine eigenständige Bedeutung haben, sondern „nur zum Ausdruck bringen, daß aus der Sicht der Unternehmen die Arbeitsbedingungen (gleichsam als Kehrseite) Wirtschaftsbedingungen sind“178. Damit wird der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 GG offenbar so verstanden, daß die Gewerkschaften als Arbeitnehmerkoalitionen „Arbeitsbedingungen“ ihrer Mitglieder zu „fördern“ versuchen, während die Arbeitgeberkoalitionen durch die Abwehr der gewerkschaftlichen Forderungen die „Wirtschaftsbedingungen“ der Arbeitgeber zu „wahren“ trachten179. Der Begriff der „Wirtschaftshalb zu Recht Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 234, Fn. 315; ebenso Reuter, RdA 1994, 152, 163. 173 Vgl. BVerfGE 50, 290, 372. 174 Ebenso Schwarze, Betriebsrat, S. 89; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 27. 175 Bzw. den insoweit inhaltsgleichen §§ 78 Abs. 1, 92 BPersVG 1955. 176 In: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 8 III 1, S. 112. 177 Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 30. 178 Zöllner in: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 8 III 1, S. 112. 179 Vgl. Söllner, ArbRdGegw Bd. 16 (1979), S. 19.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

bedingungen“ soll deshalb inhaltlich nicht über den der „Arbeitsbedingungen“ hinausgehen180. Im Ergebnis wird damit der Formulierung „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ in Art. 9 Abs. 3 GG dieselbe Bedeutung beigemessen wie dem Begriffspaar der „Lohn- und Arbeitsbedingungen“ in § 152 der – seit 1872 als Reichsgewerbeordnung fortgeltenden – Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund aus dem Jahre 1869181. Der Aufgabenkreis der Koalitionen war nach damaligem Verständnis beschränkt auf Arbeitsbedingungen, deren Regelung geeignet ist, den Inhalt von Einzelarbeitsverträgen zu bilden182. Betriebsverfassungsrechtliche Fragen lassen sich indessen kaum sinnvoll einzelvertraglich regeln. Bei einem an § 152 GewO orientierten Verständnis fiele die Betriebsverfassung deshalb wohl aus dem Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ heraus183. Schon im Ausgangspunkt konträr dazu steht ein namentlich von Däubler184 vertretener extensiver Interpretationsansatz. Er beruht auf der Prämisse eines unter anderem in Art. 9 Abs. 3 GG konkretisierten „Grundrechts auf Mitbestimmung“ und führt zu einer weitgehenden Abstrahierung des Begriffs der „Wirtschaftsbedingungen“ von dem der „Arbeitsbedingungen“. Die verfassungsrechtlich garantierte Regelungsbefugnis der Tarifpartner soll sich danach „auf alle im Produktionsprozeß fallenden Entscheidungen“ erstrecken185. Diese weite Umschreibung schließt Tarifverträge zur Steuerung unternehmerischen Handelns186 ebenso ein wie Regelungen über die Betriebsverfassung187. Nach herrschender Meinung im Schrifttum188 ist das Begriffspaar der „Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen“ nicht alternativ, sondern kumulativ im Sinne einer 180 Zöllner in: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 8 III 1, S. 112; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 30. 181 In diesem Sinne schon Forsthoff, BB 1965, 381, 386 sowie Weber, BB 1964, 764, 766. § 152 Abs. 1 der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. 6. 1869, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1869, S. 245, lautete: „Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben.“ (Hervorhebung d. Verf.). 182 Vgl. Nipperdey in: Nipperdey, Reichsverfassung, Art. 159, S. 397. 183 Vgl. auch Schwarze, Betriebsrat, S. 90; Zöllner und Kissel äußern sich zu dieser Problematik nicht. 184 Grundrecht, S. 185 ff.; ders., Tarifvertragsrecht, Rn. 175b f.; vgl. auch Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 211 ff. sowie Berg / Wendeling-Schröder / Wolter, RdA 1980, 299, 307. 185 Däubler, Grundrecht, S. 187. 186 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1096, nennt als Beispiele tarifvertragliche Regelungen über Investitionen und Absatzstrategien. 187 Däubler, Grundrecht, S. 382; ders., Tarifvertragsrecht, 1032. 188 Badura, ArbRdGegw Bd. 15 (1977), S. 17, 27; Beuthien, ZfA 1984, 1, 11; Dieterich in: ErfK, GG, Art. 9 Rn. 23; Kempen, TVG, Grundlagen Rn. 99; Löwer in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 69 f.; Löwisch / Rieble in: MünchArbR, § 243 Rn. 13 ff.; dies., TVG, Grundl. Rn. 14; Meier-Krenz, Erweiterung, S. 34; G. Müller, Tarifautonomie, S. 38; Säcker / Oetker,

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funktionalen Einheit zu verstehen. Eine Beschränkung des Koalitionszwecks auf die „Arbeitsbedingungen“ wird deshalb ebenso abgelehnt wie eine davon losgelöste begriffliche Verselbständigung der „Wirtschaftsbedingungen“. Vielmehr wird gerade die Kombination beider Begriffe als Ausdruck eines Art. 9 Abs. 3 GG zugrunde liegenden Sinnkonzepts angesehen, das als wechselseitig ergänzender wie begrenzender Zusammenhang verstanden werden muß: Der verfassungsrechtlich geschützte Betätigungsraum der Koalitionen soll sich einerseits über die Regelung von Arbeitsbedingungen hinaus auch in den Bereich der Wirtschaftsordnung hinein erstrecken, andererseits aber nur solche Wirtschaftsbedingungen einschließen, die im Zusammenhang mit Arbeitsbedingungen stehen189. Ausgehend von diesem kumulativen Begriffsverständnis werden zu den „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ alle Bedingungen gezählt, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird190. Zu diesen Bedingungen gehört zweifellos auch die betriebliche Ordnung und Organisation. Folgerichtig wird deshalb in der Literatur überwiegend – wenn auch meist ohne Begründung – angenommen, daß die Betriebsverfassung Teil der „Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen“ ist191.

cc) Stellungnahme Alle Ansätze, den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG in sachlich-gegenständlicher Hinsicht zu konkretisieren, sehen sich seit jeher mit dem Problem konfrontiert, daß der Verfassungstext dafür nur wenig Anhaltspunkte bietet. Das darf freilich nicht dazu verleiten, die bei der Deutung der Verfassungsgarantie auftretenden Zweifelsfragen anstatt durch logisch determinierten Erkenntnisakt „durch rechtsTarifautonomie, S. 50 ff.; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46; ders. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 256; Söllner, ArbRdGegw Bd. 16 (1979), S. 19, 26.; ders., NZA 1996, 897; Waltermann, NZA 1991, 745, 757; Wiedemann in: FS Riesenfeld, S. 301, 302. 189 G. Müller, Tarifautonomie, S. 38 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 180; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 257; Wiedemann in: FS Riesenfeld, S. 301, 302. 190 Henssler, ZfA 1998, 1, 21; Löwisch / Rieble in: MünchArbR, § 243 Rn. 13 ff.; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 72; Söllner, ArbRdGegw Bd. 16 (1979), S. 19, 20. 191 Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 241; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 596; G. Müller, Tarifautonomie, S. 39; Richardi in: MünchArbR, § 241 Rn. 56; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 79 f.; Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9 Rn. 263; Schwendy, Abänderbarkeit, S. 37, 76; Söllner, NZA 1996, 897, 899; Schwarze, Betriebsrat, S. 94; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 29; darüber hinaus nehmen zahlreiche Autoren ohne ausdrückliche Zuordnung der Betriebsverfassung zu den „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ an, daß die Gewährleistung der Tarifautonomie durch Art. 9 Abs. 3 GG auch betriebsverfassungsrechtliche Regelungen umfaßt. Es ist davon auszugehen, daß diese Autoren damit stillschweigend auch eine entsprechende Auslegung der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ für richtig halten, vgl. etwa Franzen, ZfA 2000, 285, 306; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 87 f.; Jahnke, Tarifautonomie, S. 31; Kempen, RdA 1994, 140, 147; ders. in: FS Schaub, S. 357, 360; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 216 Rn. 7; Spilger, Tarifvertragliches Betriebsverfassungsrecht, S. 71; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 10.

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politischen Willensakt“ zu beseitigen192. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG vorgegebene Beschränkung der kollektiven Koalitionsfreiheit auf den Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ enthält vielmehr eine zwingende, auch für den Norminterpreten verbindliche Wertentscheidung des Verfassungsgebers zu Lasten einer thematisch unbeschränkten Koalitionsbetätigung193. Nur eine am Kanon der traditionellen Methodenlehre orientierte Auslegung194 kann sicherstellen, daß diese Wertentscheidung respektiert und der vom Verfassungsgeber vorgegebene Interpretationsrahmen eingehalten wird195. Auszugehen ist vom Wortlaut der Verfassungsbestimmung. Die Formulierung „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ trägt zwar wegen ihrer inhaltlichen Offenheit nur wenig zur gegenständlichen Konturierung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG bei. Sie läßt aber zumindest erkennen, daß der Verfassungsgeber die Koalitionsfreiheit thematisch nicht auf den Bereich der „Arbeitsbedingungen“ beschränken wollte196. Andernfalls wäre die zusätzliche Aufnahme der „Wirtschaftsbedingungen“ in den Verfassungstext offensichtlich überflüssig gewesen. Die Bedeutung des Begriffs der „Wirtschaftsbedingungen“ in Art. 9 Abs. 3 GG läßt sich entgegen Zöllner und Kissel197 auch nicht auf eine „Umschreibung der Arbeitsbedingungen aus Unternehmersicht“ reduzieren. Denn darin läge eine Tautologie, die dem Verfassungsgeber nicht unterstellt werden kann198. Vielmehr beseitigt gerade die zusätzliche Erwähnung der „Wirtschaftsbedingungen“ die durch den Terminus der „Arbeitsbedingungen“ grammatikalisch gezogene Grenze199. Seinem Wortlaut nach umfaßt Art. 9 Abs. 3 GG damit ohne weiteres auch solche Bereiche, die sowohl Arbeits- als auch Wirtschaftsbedingungen betreffen200. Die Einordnung der Betriebsverfassung als „Arbeits- und Wirtschaftsbedingung“ scheitert deshalb 192 So aber Säcker, Grundprobleme, S. 40; dagegen zu Recht Söllner, ArbRdGegw Bd. 16 (1979), S. 19, 22. 193 Zutreffend jetzt Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 49; in diesem Sinne auch Runggaldier, Mitbestimmung, S. 123; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 163; Söllner, ArbRdGegw Bd. 16 (1979), S. 19, 22; Stark, Verfassungsfragen, S. 34. 194 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 428 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 312 ff.; zur Anwendung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze bei der Verfassungsinterpretation Jarass in Jarass / Pieroth, GG, Einl. Rn. 10; v. Münch in: v. Münch / Kunig, GG, Vorb. Art. 1 – 19, Rn. 50; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 230; Sachs in: Sachs, GG, Einf. Rn. 37 ff.; Starck in: Isensee / Kirchhof, HbStR VII, S. 200 f. 195 Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 49; Weiß / Weyand, BB 1990, 2109, 2110. 196 Vgl. Badura, ArbRdGegw Bd. 15 (1977), S. 17, 27; Löwer in: v.Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 69. 197 Vgl. oben § 2 I. 2. a) bb) Fn. 176, 177. 198 Söllner, ArbRdGegw Bd. 16 (1979), S. 19, 23; ihm folgend Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 260; Stark, Verfassungsfragen, S. 43; Weiß / Weyand, BB 1990, 2109, 2110; Weyand, AuR 1991, 65, 68. 199 Vgl. Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 50. 200 Beuthien, ZfA 1984, 1, 14; G. Müller, Tarifautonomie, S. 39; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 257.

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jedenfalls nicht daran, daß die betriebliche Mitbestimmung auch wirtschaftliche Belange berührt201. Dieses Verständnis wird durch verfassungssystematische Überlegungen gestützt. Das Grundgesetz weist dem (Bundes-)Gesetzgeber in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 GG die (konkurrierende) Zuständigkeit für das „Recht der Wirtschaft“ und für das „Arbeitsrecht“ zu. In diesem Zusammenhang haben die Begriffe „Arbeit“ und „Wirtschaft“ offensichtlich eigenständige Bedeutung. Das erlaubt zwar keine unmittelbaren Rückschlüsse für den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG; denn in Art. 74 GG geht es nicht um die Normierung grundrechtlicher Gewährleistungen, sondern um die kompetenzielle Abgrenzung von Bundes- und Landesgesetzgebung. Es ist aber kein Grund dafür ersichtlich, warum der Verfassungsgeber mit dem „Recht der Wirtschaft“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG eine eigenständige Gesetzgebungskompetenz begründen, die „Wirtschaftsbedingungen“ in Art. 9 Abs. 3 GG hingegen lediglich als „Kehrseite der Arbeitsbedingungen“ verstanden wissen wollte. Eine Begrenzung der Koalitionsfreiheit auf den Bereich des Arbeitsrechts bzw. der Arbeitsbedingungen hätte sich ohne weiteres durch Verwendung einer Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG entsprechenden Formulierung zum Ausdruck bringen lassen. Auch aus systematischen Gründen spricht die ausdrückliche Erwähnung der „Wirtschaftsbedingungen“ in Art. 9 Abs. 3 GG deshalb für eine über den Bereich der Arbeitsbedingungen hinausgehende Gewährleistung202. Die Zusammenfassung von „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ deutet allerdings zugleich darauf hin, daß nicht zwei voneinander getrennte Bereiche für „Arbeit“ einerseits und „Wirtschaft“ andererseits garantiert sein sollen, sondern (nur) ein „Kombinationssektor, in dem sich beide Begriffe in der gesellschaftlichen Realität überschneiden“203. Daß sich die Betriebsverfassung zumindest in diese Schnittmenge einordnen läßt, wird – soweit ersichtlich – nirgends bezweifelt204. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, der ausdrücklich das „Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung“205 erwähnt, intendiert sogar eine primäre Zuordnung zum Bereich der Arbeitsbedingungen. Wichtige Anhaltspunkte für die Interpretation von Art. 9 Abs. 3 GG liefert auch die Entstehungsgeschichte der Garantie206. Die Formulierung „Arbeits- und Wirt201 Zutreffend Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 243 f.; Schwarze, Betriebsrat, S. 90 ff; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 29. 202 So i.E. auch Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 53 f.; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 29 f.; a.A. ohne nähere Begründung Waltermann, NZA 1991, 754, 758: „Der systematische Zusammenhang, in dem Art. 9 III GG zu anderen Grundrechtsvorschriften und zur übrigen Rechtsordnung steht, ist ( . . . ) für die Konkretisierung der Begriffe ,Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen‘ nicht ergiebig.“ 203 Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 108; Weiß / Weyand, BB 1990, 2109, 2111; ähnlich Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 53 f. 204 Vgl. nur v. Hoyningen-Huene in: MünchArbR, § 297 Rn. 4. 205 Hervorhebung d. Verf. 206 Zur Bedeutung der historischen Entwicklung für die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 GG allgemein BVerfGE 50, 290, 367; 19, 303, 314; 18, 18, 28; 4, 96, 101 f., 106, 108.

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schaftsbedingungen“ ist wortgleich aus Art. 159 WRV207 in das Grundgesetz übernommen worden. Damit hat der Grundgesetzgeber die schon zur Weimarer Zeit vollzogene Abkehr von der deutlich engeren Fassung des § 152 GewO bestätigt. Das Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ ist an die Stelle der älteren Formel von den „Lohn- und Arbeitsbedingungen“ gesetzt worden, um zweifelsfrei festzulegen, daß nicht nur arbeitsrechtliche Rechte und Interessen gemeint sind208. Die damit verbundene Erweiterung gegenüber § 152 GewO entsprach schon unter Geltung des Art. 159 WRV allgemeiner Ansicht209. Sie spiegelte sich seinerzeit nicht zuletzt auch in der Anerkennung einer Regelungszuständigkeit der Tarifpartner für die Betriebsverfassung wieder. Das Betriebsrätegesetz vom 4. 2. 1920 sah in verschiedenen Vorschriften ausdrücklich die Möglichkeit vom Gesetz abweichender tarifvertraglicher Vereinbarungen vor210. Darüber hinaus wurden Tarifverträge mit betriebsverfassungsrechtlichem Inhalt allgemein auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung211 für zulässig gehalten212. Das galt für die Erweiterung der nach dem Betriebsrätegesetz bestehenden Beteiligungsrechte213 ebenso wie für die Schaffung von „Vertretungen anderer Art und für andere Betriebe, als das Gesetz vorschreibt“214. Die Errichtung von Beleg-

207 Art. 159 der Verfassung des Deutschen Reichs v. 11. 8. 1919 (RGBl. 1919, Nr. 152, S. 1383 ff.) lautete: „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.“. 208 Badura, ArbRdGegw Bd. 15 (1977), S. 17, 27. 209 Anschütz, WRV, Art. 159 Anm. 2, S. 731 f.; Giese, WRV, Art. 159 Anm. 2; Nipperdey in: Nipperdey, Reichsverfassung, Art. 159, S. 397 f.; vgl. auch Gusy, Reichsverfassung, S. 357. 210 Vgl. §§ 36 S. 1, 62 – 65 BRG . 211 § 1 Abs. 1 S. 1 TVVO sah lediglich tarifvertragliche Vereinbarungen über „die Bedingungen für den Abschluß von Arbeitsverträgen“ vor und kam deshalb nach h. M. als Rechtsgrundlage für Tarifverträge mit betriebsverfassungsrechtlichem Inhalt nicht in Frage, vgl. Kahn-Freund, Wirkung des Tarifvertrages, S. 30 ff.; Neumann, Tarifrecht, S. 43 ff. 212 Vgl. statt vieler Flatow, Betriebsrätegesetz, Allgemeine Bestimmungen, Anm. 5, S. 23; Sinzheimer, Grundzüge, S. 221. Umstritten war nur die – für die inhaltliche Reichweite der Tarifautonomie irrelevante – Frage, ob solchen Vereinbarungen normative Wirkung zukam. Die h. M. verneinte dies mangels einer entsprechenden Regelung in der TVVO. Dagegen wurde Vereinbarungen über die Organisation der Betriebsverfassung nach §§ 62 – 65 Betriebsrätegesetz überwiegend normative Wirkung beigemessen (Flatow, Betriebrätegesetz, § 62 Anm. 1; Mansfeld, Betriebsrätegesetz, § 62 Anm. 1). 213 So schon die Gesetzesbegründung zum Betriebsrätegesetz in: Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Drucks. Nr. 928 v. 16. 8. 1919, S. 22: „Es lassen sich für die Betriebsräte auch noch weitere Aufgaben und weitere Befugnisse denken als die im Gesetzesentwurf angeführten. Es steht denn auch nichts im Wege, daß solche vom Arbeitgeber freiwillig eingeräumt oder durch Tarifvertrag begründet werden.“. 214 Flatow, Betriebsrätegesetz, Allgemeine Bestimmungen, Anm. 5, S. 23; ebenso Jacobi, Grundlehren, S. 209: „Einführung gesetzlich nicht vorgesehener Betriebsvertretungen“; Sinzheimer, Grundzüge, S. 221.

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schaftsvertretungen und die Regelung ihrer Beteiligungsrechte durch Tarifvertrag gehörten zu den aktiv in Anspruch genommenen, typischen Funktionen der Gewerkschaften und Arbeitgeber zur Weimarer Zeit215. Vor diesem Hintergrund kann die Betriebsverfassung auch bei der Interpretation von Art. 9 Abs. 3 GG nicht aus dem Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ ausgeblendet werden216. Schließlich gibt der Zweck der Koalitionsfreiheit Aufschluß über ihre sachlichgegenständliche Reichweite. Die Koalitionsfreiheit ist ein „Grundrecht des Arbeitsrechts“217. Aufgabe der Koalitionen ist die aktive Wahrnehmung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen218, die sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens219. Diese Aufgabe kann nur in einem über das Individualarbeitsrecht hinausgehenden, größeren Zusammenhang sinnvoll wahrgenommen werden220. Das Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ muß sich deshalb nach Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG auf alle Bedingungen erstrecken, unter denen der Arbeitnehmer abhängige Arbeit leistet und der Arbeitgeber Arbeitnehmer beschäftigen darf221. Dazu zählt auch die Betriebsverfassung als arbeitsrechtliche Grundordnung222 des Betriebs. Denn sie regelt das Zusammenwirken von Arbeitgeber und Belegschaft und schafft für beide Seiten einen verbindlichen Rahmen für die Arbeit im Betrieb. Durch die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Entscheidungen des Arbeitgebers in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten werden die Umstände für die Arbeitsleistung des einzelnen Arbeitnehmers maßgeblich beeinflußt223. Unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Beteiligung ist das Bestehen eines Organisationsstatuts, das Errichtung und Ausgestaltung der Arbeitnehmervertretung festlegt. Zusammenfassend kann danach festgehalten werden, daß die Betriebsverfassung einschließlich ihrer Organisation zu den „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG gehört. Dafür sprechen neben dem Wortlaut der 215 Spilger, Tarifvertragliches Betriebsverfassungsrecht, S. 69 ff. m. w. N. auch zur Entwicklung vor Erlaß der Weimarer Reichsverfassung; vgl. ferner Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1032; Dreschers, Entwicklung, S. 321 f.; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 80. 216 Ebenso Jahnke, Tarifautonomie, S. 32; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 80; Schwarze, Betriebsrat, S. 91; Spilger, Tarifvertragliches Betriebsverfassungsrecht, S. 71; die Materialien zur Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG selbst enthalten keine weiterführenden Anhaltspunkte für die Interpretation der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“. 217 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46; Söllner, NZA 1996, 897, 899. 218 BVerfGE 4, 96, 106. 219 BVerfGE 50, 290, 371; 44, 322, 342; 20, 312, 318; 18, 18, 28; 4, 96, 107. 220 Vgl. Waltermann, NZA 1991, 754, 758 f. 221 Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 65; vgl. auch Söllner, ArbRdGegw Bd. 16 (1979), S. 19, 24. 222 V. Hoyningen-Huene in: MünchArbR, § 297 Rn. 4. 223 So auch Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 240; Meier-Krenz, Erweiterung, S. 34; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 80; Schwarze, Betriebsrat, S. 90 f.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

Verfassungsnorm sowohl systematische und historische als auch teleologische Argumente. Der durch Art. 9 Abs. 3 GG vorgegebene Koalitionszweck steht damit einer gegenständlichen Erstreckung auch der Tarifautonomie auf die Betriebsverfassung nicht entgegen.

b) Betriebsverfassung und „personelle Reichweite“ der Tarifautonomie Dessen ungeachtet wird in der Literatur teilweise die Ansicht geäußert, jedenfalls tarifvertragliche Vereinbarungen über die Betriebsverfassung seien durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht geschützt224. Zur Begründung wird dabei nicht die Einordnung der Betriebsverfassung als „Arbeits- und Wirtschaftsbedingung“ in Frage gestellt225 sondern auf die „personelle Begrenztheit“ der Tarifautonomie und das Erfordernis mitgliedschaftlicher Legitimation verwiesen. Ausgangspunkt der Argumentation ist die These, daß die Tarifvertragsparteien aufgrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung in Art. 9 Abs. 3 GG nur zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder berechtigt sind226. Jede Regelungstätigkeit, die auch für nicht oder anders organisierte Arbeitnehmer verbindlich sein soll, sei ihnen rechtlich versagt227. Denn dafür fehle den Tarifparteien die Legitimation228. Tarifvertragliche Regelungen über die Betriebsverfassung, namentlich ihre Organisation, könnten aber nur für alle Angehörigen des betreffenden Betriebes oder Unternehmens einheitlich gelten. Denn die Betriebsverfassung und ihre Mitbestimmung ließen sich nicht personell spalten. Gremien, die nur für die gewerkschaftlich organisierten Belegschaftsmitglieder tätig würden, seien „wegen offenkundiger Sinn- und Funktionswidrigkeit nicht im Ernst zu erwägen“229. Eine „Zuständigkeit zur Organisation des Betriebs“ mit der Folge der Unterwerfung aller, auch der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer, fehle jedoch den Tarifvertragsparteien230. Deshalb könne die Betriebsverfassung nicht Gegenstand der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie sein. 224 Grundlegend Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 298 f.; 307, 310 f.; ders., Vereinbarungsbefugnis, S. 153; Picker, RdA 2001, 258, 279 ff., 283; ders., NZA 2002, 761, 769; vgl. auch Püttner, BB 1987, 1122, 1125; im Ergebnis ebenso, aber ohne Begründung Eich in: FS Weinspach, S. 17, 24; Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2501; Kraft, ZfA 1973, 243, 247; Reichold, NZA 2001, 857; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 13. 225 Ausdrücklich für eine Zuordnung der Betriebsverfassung zum Bereich der „Arbeitsund Wirtschaftsdingungen Kraft, ZfA 1973, 243, 247, Fn. 18. 226 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 47 ff., 293 ff., 307; Picker, RdA 2001, 258, 283; Püttner, BB 1987, 1122, 1125. 227 Picker, RdA 2001, 258, 283; Püttner, BB 1987, 1122, 1125. 228 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 307. 229 Picker, RdA 2001, 258, 282. 230 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 298.

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Diese Ansicht überzeugt nicht. Dabei kann im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die ihr zugrunde liegenden Prämissen zutreffen. Das gilt sowohl für die These, die Koalitionen seien bei der Ausübung ihrer grundgesetzlich geschützten Betätigungsfreiheit von vornherein auf die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder beschränkt231, als auch für die Annahme, betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen müßten notwendig für alle Arbeitnehmer des Betriebs einheitlich gelten232. Denn beide Prämissen tragen jedenfalls nicht die aus ihnen gezogene Schlußfolgerung, daß die Betriebsverfassung nicht Gegenstand der Tarifautonomie sein kann. Der Schwachpunkt in der Argumentation liegt darin, daß von einer notwendig einheitlichen Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Regelungen für alle Arbeitnehmer des Betriebs auf eine notwendige Geltung gegenüber Tarifaußenseitern geschlossen wird. Diese Schlußfolgerung ist unzutreffend, weil sie die Möglichkeit einer ausschließlich Koalitionsmitglieder betreffenden Geltung außer acht läßt. Einheitliche Geltung im Betrieb bedeutet nicht denknotwendig Geltung gegenüber Außenseitern. Zwar werden betriebsverfassungsrechtliche Regelungen – ihre notwendig einheitliche Geltung unterstellt – angesichts des gewerkschaftlichen Organisationsgrads in der Bundesrepublik zur gegenwärtigen Zeit rein tatsächlich in aller Regel auch oder sogar überwiegend Arbeitnehmer betreffen, die nicht der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft angehören. Das begründet jedoch keine rechtliche Notwendigkeit einer Außenseitergeltung mit der Folge, daß die Gewerkschaft eine „Gestaltungsbefugnis auch für die Nichtorganisierten, also für die Arbeitnehmerschaft als solche“ besitzen müßte233. Denn ungeachtet der statistischen Häufigkeit solcher Fälle in der Praxis ist es jedenfalls theoretisch ohne weiteres denkbar, daß alle Arbeitnehmer eines Betriebs der tarifschließenden Gewerkschaft angehören, eine Vereinbarung über die Betriebsverfassung mithin ausschließlich Koalitionsmitglieder beträfe. Eine mitgliedschaftliche Legitimation betriebsverfassungsrechtlicher Regelungen ist also durchaus möglich, will man sie nicht schon an der bloßen Möglichkeit des späteren Eintritts eines nicht oder anders organisierten Arbeitnehmers in den Betrieb scheitern lassen234. Dennoch soll nach der dargestellten Literaturansicht die Betriebsverfassung generell als Gegenstand der Tarifautonomie ausgeschlossen sein – also auch dann, wenn der Tarifvertrag nur Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft betrifft. Dieses Ergebnis ist mit der Prämisse mitgliedschaftlich determinierter Tarifmacht ersichtlich nicht in Einklang zu bringen. Die Ursachen für diese Inkonsequenz der Literaturmeinung liegen nicht nur in der Verquickung tatsächlicher und rechtlicher Erwägungen, sondern auch darin, daß der Begriff der Tarifautonomie verengt und mit der Befugnis zur Rechtsnorm231 232 233 234

Ausführlich zu dieser Frage Waltermann, ZfA 2000, 53, 66 ff. Näher dazu unten § 2 III. 3. b) cc) Fn. 452. So aber Picker, RdA 2001, 258, 282. Darauf stellen aber auch die genannten Autoren nicht ab.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

setzung im Autonomiebereich gleichgesetzt wird. Tarifautonomie und Normsetzungsbefugnis müssen aber begrifflich unterschieden werden235. Der Begriff der Tarifautonomie bezeichnet allgemein den Bereich, der den Koalitionen zur Regelung ihrer Angelegenheiten frei gelassen ist236. Die Befugnis zur Rechtsetzung ist hingegen keine notwendige Bedingung der Autonomie, sondern lediglich eine ihrer möglichen Erscheinungsformen237. Was als Gegenstand der Tarifautonomie in Betracht kommt, kann deshalb nicht von den möglichen Wirkungen der in ihrem Rahmen getroffenen Vereinbarungen abhängen. Vielmehr können allenfalls umgekehrt die Wirkungen beschränkt sein. Mit anderen Worten: Auch wenn sich die Normsetzungsbefugnis der Tarifpartner allein auf die Koalitionsmitglieder beschränkt, läßt sich daraus allenfalls der Schluß ziehen, daß Tarifnormen gegenüber Außenseitern keine Geltung beanspruchen können. An der inhaltlichen Reichweite der Tarifautonomie ändert sich dadurch aber nichts. Die Befugnis zur Normsetzung gegenüber den Mitgliedern bleibt im Hinblick auf die möglichen Regelungsgegenstände gleich238. Das ist auch bei betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen prinzipiell nicht anders. Selbst wenn man davon ausgeht, daß solche Regelungen im Betrieb zwingend einheitlich gelten müssen, folgt daraus lediglich, daß gegebenenfalls die Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen (auch gegenüber den Koalitionsmitgliedern) in Frage gestellt sein kann. Mit der sachlich-gegenständlichen Reichweite der Tarifautonomie hat das jedoch nichts zu tun. Der den Tarifpartnern durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungskräftig verbürgte Freiraum erstreckt sich vielmehr allgemein auch auf die Betriebsverfassung als Teil der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“. Ob die Koalitionen zur Normsetzung mit Wirkung für Außenseiter legitimiert sind, ist eine andere Frage239.

235 Grundlegend Schnorr, JR 1966, 327, 328; Söllner, AuR 1966, 257, 260; Waltermann, ZfA 2000, 53, 56 ff.; ders. in: FS Söllner, S. 1251, 1258 ff.; ders., Rechtsetzung, S. 54 ff.; vgl. auch Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 155; Lieb, Allgemeinverbindlichkeitserklärung, S. 58 ff. 236 Schnorr, JR 1966, 327, 328; Waltermann, ZfA 2000, 53, 56; vgl. auch BVerfGE 44, 322, 340 f. 237 Die autonome Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die Koalitionen kann nicht nur durch Setzung objektiven Rechts, sondern auch auf andere Weise, namentlich durch Regelung der Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien in einer schuldrechtlichen Vereinbarung geschehen. Näher dazu Waltermann, ZfA 2000, 53, 57 f. 238 Das entspricht der Systematik des Tarifvertragsgesetzes: Die Beschränkung der Normgeltung auf die beiderseits Tarifgebundenen gem. § 4 Abs. 1 TVG ändert nichts daran, daß die Tarifvertragsparteien alle in § 1 Abs. 1 TVG genannten Gegenstände regeln können. 239 Dazu unten § 2 II, III.

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3. Der Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit durch das Betriebsverfassungsgesetz Fallen tarifvertragliche Regelungen über die Betriebsverfassung danach in den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG, stellt jede Verkürzung dieses Schutzbereichs durch staatliche Regelungen einen Eingriff dar240. Als eingreifende staatliche Regelungen kommen die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes in Betracht. Dabei sind unterschiedliche Eingriffswirkungen denkbar: Eine Beeinträchtigung kann bereits darin liegen, daß der Gesetzgeber im Betriebsverfassungsgesetz einen der Tarifautonomie zugänglichen Gegenstand selbst normiert und damit tarifvertragliche Regelungen überflüssig gemacht hat. Zudem kann die Koalitionsfreiheit durch die zwingende Wirkung der gesetzlichen Organisationsvorschriften eingeschränkt sein. Ein verfassungsrechtlich relevanter Eingriff in die Koalitionsfreiheit setzt nicht voraus, daß der Gesetzgeber sie durch direkten Gesetzesbefehl gezielt beschränkt241. Es genügen auch unbeabsichtigte, mittelbare oder faktische Beeinträchtigungen242. So kann es zu einer Aushöhlung der Tarifautonomie kommen, wenn der Gesetzgeber Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen trifft, die auch Gegenstand von Tarifverträgen sein können243. Denn jede gesetzliche Regelung macht eine entsprechende Regelung durch Tarifvertrag grundsätzlich obsolet. Die autonome Regelung bleibt aus, weil bereits eine staatlich gesetzte Ordnung vorhanden ist244. Es droht eine „Umarmung“ durch die staatliche Gesetzgebung, die den Spielraum effektiver Tarifgestaltung beschränkt, ohne ihn formell anzutasten245. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht deshalb die gesetzliche Normierung eines tariflich regelbaren Gegenstandes als Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG qualifiziert, weil sie einer möglichen tarifvertraglichen Regelung vorgreift246. Diese Erwägung ist auf den Bereich der Betriebsverfassung übertragbar. Die umfassende gesetzliche Normierung des Betriebsverfassungsrechts im Betriebsverfas240 Vgl. nur Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 115; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 45; darüber hinaus ist die Koalitionsfreiheit aufgrund der Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG auch gegen private Übergriffe geschützt. 241 Vgl. BVerfGE 100, 271, 283. 242 Vgl. Gneitting in: Umbach / Clemens, GG, Art. 9 Rn. 132; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 240; siehe auch BVerfGE 38, 281, 303; allgemein zum grundrechtlichen Eingriffsbegriff Bethge, VVDStrRL 57 (1998), S. 7, 10 ff. 243 Kemper in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 242; Söllner, NZA 1996, 897, 900; Schwarze, Betriebsrat, S. 103. 244 Schwarze, Betriebsrat, S. 103. 245 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 220; ihm folgend Kemper in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 242; Säcker, Grundprobleme, S. 48. 246 BVerfGE 94, 268, 284 (Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen); zustimmend Gneitting in: Umbach / Clemens, GG, Art. 9 Rn. 131; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 86; Hufen, Anm. zu BVerfG v. 24. 4. 1996 – 1 BvR 712 / 86, SAE 1997, 129, 137 ff.; Wiedemann in Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 133.

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sungsgesetz macht tarifautonome Regelungen auf diesem Gebiet weitgehend entbehrlich. Sie stellt deshalb einen Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG dar247. Die Organisationsvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes sollen darüber hinaus zwingend gelten, soweit nicht das Gesetz selbst Abweichungen ausdrücklich zuläßt248. Tarifvertragliche Regelungen zur Organisation der Betriebsverfassung werden also nicht lediglich durch den Staat „vorweggenommen“, sondern sogar rechtlich untersagt. Vom Gesetz abweichende Regelungen dürfen die Koalitionen grundsätzlich nicht (mehr) treffen. Dadurch erhält der Eingriff eine besondere Qualität, die über eine bloße Aushöhlungswirkung hinausgeht249. Denn eine vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG umfaßte Betätigung wird nicht nur erschwert, sondern in einem Teilbereich unmöglich gemacht. Das zwingende Gesetz bildet eine Tarifsperre für die Zukunft und schmälert so den Zuständigkeitsbereich der Tarifvertragsparteien250. Die verfassungsrechtlich garantierte Regelungsbefugnis der Koalitionen wird in gegenständlicher Hinsicht verkürzt. Darin liegt ein rechtfertigungsbedürftiger Grundrechtseingriff251.

4. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Ein Grundrechtseingriff ist nur gerechtfertigt, wenn die Verfassung selbst ihn legitimiert252. Die eingreifende staatliche Regelung muß von einer verfassungsrechtlichen Grundrechtsschranke gedeckt sein. Das setzt voraus, daß eine entsprechende Schranke besteht und die staatliche Regelung sie in verfassungskonformer Weise ausfüllt. a) Die Schranken der kollektiven Koalitionsfreiheit Art. 9 Abs. 3 GG ist ausweislich seines Wortlauts ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt gewährleistet. Dennoch fehlt es nicht an Versuchen, für die Koalitionsfreiheit allgemein oder jedenfalls für die Tarifautonomie als deren Teilgewährleistung die Geltung eines einfachen oder qualifizierten Gesetzesvorbehalts zu begründen. Die Bandbreite der vertretenen Ansichten reicht von einer Begrenzung der Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 2 GG253 über eine Anwendung der Ebenso Schwarze, Betriebsrat, S. 103; Söllner, NZA 1996, 897, 899, Fn. 17. Vgl. oben § 1 III. 2. c). 249 Vgl. BVerfGE 94, 268, 284; Hufen, Anm. zu BVerfG v. 24. 4. 1996 – 1 BvR 712 / 86, SAE 1997, 137 f. 250 Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 133; ebenso Gneitting in: Umbach / Clemens, GG, Art. 9 Rn. 131; Kamanabrou, RdA 1997, 22, 31; vgl. auch Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 123a; Kemper in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 242. 251 So i.E. auch Schwarze, Betriebsrat, S. 103; Söllner, NZA 1996, 897, 899, Fn. 17; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 52. 252 Vgl. nur Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 75. 247 248

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Schrankenregelungen in Art. 5 Abs. 2254, Art. 12 Abs. 1 S. 2255, Art. 14 Abs. 1 S. 2256, Art. 14 Abs. 2 S. 2257, Art. 2 Abs. 1 GG258 bis hin zur Annahme eines allgemeinen (ungeschriebenen) Gesetzesvorbehalts259. All diese Ansichten sind abzulehnen. Die Übertragung von Schrankenregelungen anderer Grundrechte auf die Koalitionsfreiheit ist systematisch verfehlt. Entsprechende Ansätze im Zusammenhang mit sonstigen vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten haben sich zu Recht nicht durchgesetzt260. Sie würden eine Nivellierung der unterschiedlich gestalteten Beschränkungsmöglichkeiten bedeuten, bei der die bewußt differenzierende Lösung der Verfassung unberücksichtigt bliebe261. Vorbehaltlose Grundrechte sollen gerade stärker vor Eingriffen geschützt sein als Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt262. Sie dürfen nicht unter Berufung auf die allgemeine Rechtsordnung oder sonstige Belange ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt relativiert werden263. In der Vorbehaltlosigkeit eines Grundrechts kommt vielmehr zum Ausdruck, daß die Grenzen der Garantie nur von der Verfassung selbst zu bestimmen sind264. Die Annahme eines ungeschriebenen Gesetzesvorbehalts der kollektiven Koalitionsfreiheit läßt sich auch nicht damit begründen, daß Art. 9 Abs. 3 GG seinem Wortlaut nach nur ein Recht des einzelnen zur Koalitionsbildung vorbehaltlos garantiert und die Koalitionen selbst sich deshalb auf eine vorbehaltlose Gewährleistung nicht berufen können265. Denn die kollektive 253 Löwer in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 89; wohl auch Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 93; praktische Bedeutung dürfte der Regelung des Art. 9 Abs. 2 GG allerdings auch im Fall ihrer Anwendung auf die Koalitionsfreiheit nicht zukommen. Denn eine Vereinigung, die sich die Zwecke des Art. 9 Abs. 2 GG setzen würde, wäre schon keine Koalition i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG; so zutreffend Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 755. 254 Scholz in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151 Rn. 121; ders., Koalitionsfreiheit, S. 335, 351. 255 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 329. 256 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 329. 257 Butzer, RdA 1994, 375, 381. 258 Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 188 Rn. 18. 259 Wank, Anm. zu BVerfG AP Nr. 76 zu Art. 9 GG; nach Kamanabrou, RdA 1997, 22, 33, steht die Tarifautonomie „unter dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt, daß gesetzgeberische Regelungen zum Schutz von Gemeinschaftsinteressen möglich sind.“. 260 Vgl. BVerfGE 30, 173, 191 f. für die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG); BVerfGE 47, 327, 368 für die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG); BVerfGE 32, 98, 107 f. für die Religionsfreiheit (Art. 4 GG); Kloepfer in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 143 Rn. 47 für die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). 261 Sachs in: Sachs, GG, vor Art. 1 Rn. 119. 262 Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 81 f. 263 BVerfGE 32, 98, 107 f. 264 BVerfGE 30, 173, 193. 265 So aber Wank, Anm. zu BVerfG AP Nr. 76 zu Art. 9 GG; Kamanabrou, RdA 1997, 22, 32; ähnlich Rupp, JZ 1998, 919, 922, der daraus allerdings keine eindeutigen Schlußfolgerungen im Hinblick auf das Bestehen eines Gesetzesvorbehaltes zieht.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

Koalitionsfreiheit ist eine notwendige Ergänzung der individuellen Garantie: Die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete individuelle Koalitionsfreiheit ist nur sinnvoll, wenn auch den Koalitionen selbst die Möglichkeit garantiert ist, sich spezifisch koalitionsmäßig zu betätigen266. Ist die kollektive Garantie aber unabdingbare Ergänzung des individuellen Freiheitsrechts, muß sich auch die Vorbehaltlosigkeit auf sie erstrecken. Andernfalls könnte der gebotene Grundrechtsschutz auf der Schrankenebene unterlaufen werden. Rechtsprechung267 und herrschende Lehre268 gehen deshalb in Übereinstimmung mit dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 GG zu Recht davon aus, daß die – individuelle wie kollektive – Koalitionsfreiheit ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht ist. Das bedeutet freilich nicht, daß dem Gesetzgeber damit jede Regelung im Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG verwehrt wäre. Auch vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte gelten nicht schrankenlos, sondern finden mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte Wertordnung Beschränkungen in kollidierendem Verfassungsrecht269. Solchen verfassungsimmanenten Schranken unterliegt auch die Koalitionsfreiheit. Das Fehlen eines Gesetzesvorbehalts in Art. 9 Abs. 3 GG hindert den Gesetzgeber deshalb nicht daran, tariflich regelbare Gegenstände selbst zu normieren270. Damit verbundene Beeinträchtigungen der Tarifautonomie sind verfassungsgemäß, wenn der Gesetzgeber mit ihnen den Schutz der Grundrechte Dritter oder anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Belange bezweckt und wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren271.

Dazu ausführlich oben § 2 I. 1. BVerfGE 94, 268, 284; 84, 212, 228; BAG NJW 2002, 1819, 1820. 268 Belling, ZevKR 48 (2003), 407, 435 f.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 351; Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 231; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 127; ders. in: FS Friauf, S. 377, 387; Hufen, Anm. zu BVerfG v. 24. 4. 1996 – 1 BvR 712 / 86, SAE 1997, 137, 139; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 49; Kempen, RdA 1994, 140, 147; ders. in: Kempen / Zachert, TVG, Grundl. Rn. 137; Kittner / Schiek in: Wassermann, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 94 f.; Müller / Thüsing, Anm. zu BVerfG EzA Art. 9 GG Nr. 61; Otto in: FS Zeuner, 122, 137; Pieroth in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 293, 303; Pieroth / Schlink, Grundrechte, 755; Schwarze, Betriebsrat, S. 102; Söllner, NZA 1996, 897, 899, Fn. 17; Stern, Staatsrecht III / 2, S. 653, 659; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 10; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 44 f. 269 Grundlegend BVerfGE 28, 243, 261; 30, 173; seitdem st. Rspr.; aus dem Schrifttum vgl. nur Hesse, Grundzüge, Rn. 312; v. Münch in: v. Münch / Kunig, GG, Vorb. Art. 1 – 19 Rn. 57. 270 BVerfGE 103, 293, 306; 100, 271, 283; 94, 268, 284. 271 BVerfGE 103, 293, 306; 94, 268, 284; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 128 f. 266 267

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b) Die verfassungskonforme Ausfüllung der Schranken durch das Betriebsverfassungsgesetz aa) Die Betriebsverfassung als Verfassungsgut Erforderlich ist demnach zunächst, daß die Normierung der Betriebsverfassung durch das Betriebsverfassungsgesetz den Schutz von Grundrechten oder anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Belangen bezweckt. Ausdrückliche Erwähnung im Grundgesetz findet die Betriebsverfassung nur an einer Stelle: Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG benennt sie als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Damit ist klargestellt, daß (auch) der staatliche Gesetzgeber für die Betriebsverfassung zuständig ist, die Tarifvertragsparteien insoweit also jedenfalls keine Alleinzuständigkeit beanspruchen können272. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG betrifft allerdings lediglich die formelle, kompetenzielle Seite273. Er regelt die Frage, in welchen Angelegenheiten der Bundesgesetzgeber unter den Voraussetzungen des Art. 72 GG anstelle des grundsätzlich zuständigen Landesgesetzgebers tätig werden darf. Ein Verfassungsauftrag zur Schaffung und Sicherung einer gesetzlichen Betriebsverfassung läßt sich der Vorschrift nicht entnehmen274. Als bloße Kompetenzbestimmung entfaltet Art. 74 GG auch keine grundrechtsbegrenzende Wirkung275. Denn ob der Bund oder die Länder die Kompetenz für bestimmte Bereiche des Staatshandelns besitzen, sagt über die Bindung an die Grundrechte, die beide gleichermaßen trifft, nichts aus276. Die Kompetenzzuweisung spricht zwar dafür, daß der Verfassungsgeber das Betriebsverfassungsrecht als mögliches Betätigungsfeld des Gesetzgebers angesehen hat. Aus der Existenz einer Gesetzgebungskompetenz folgt jedoch noch nicht der Verfassungsrang des jeweiligen Gesetzgebungsgegenstands277. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG kann den Erlaß des Betriebs272 Vgl. BVerfGE 103, 293, 306: „Art. 9 Abs. 3 GG verleiht den Tarifvertragsparteien in dem für tarifvertragliche Regelungen offen stehenden Bereich zwar ein Normsetzungsrecht, aber kein Normsetzungsmonopol. Der Gesetzgeber bleibt befugt, das Arbeitsrecht zu regeln (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG)“. 273 Butzer, RdA 1994, 375, 376; ebenso T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 43. 274 Vgl. BVerfGE 50, 290, 349; Däubler, Grundrecht, S. 163; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 176 f.; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 8, Fn. 45. 275 Ausführlich Selk, JuS 1990, 895 ff.; Stern, Staatsrecht III / 2, S. 582 ff., 683 ff.; das Bundesverfassungsgericht hat zwar in anderem Zusammenhang vereinzelt auch Kompetenznormen grundrechtsbegrenzende Wirkung zuerkannt oder sie als „verfassungsrechtliche Grundentscheidung“ qualifiziert, vgl. BVerfGE 28, 243, 261; 69, 1, 21 ff. mit abweichendem Votum der Richter Mahrenholz und Böckenförde, S. 57 ff.; zur Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG hat das Gericht Kompetenzvorschriften aber nicht ausreichen lassen, vgl. zuletzt BVerfGE 103, 293, 306; i.E. ebenso Butzer, RdA 1994, 375, 376; Pieroth in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 293, 308 f.; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 43; einschränkend Höfling in Sachs, GG, Art. 9 Rn. 137; a.A. Löwisch, Anm. zu BVerfG AR-Blattei-ES 1650 Nr. 17, S. 6. 276 Sachs in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 132. 277 Zutreffend Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 267; Sachs in: GG, Art. 20 Rn. 156.

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verfassungsgesetzes daher nur formell stützen278. Eine materielle verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage für die gesetzliche Normierung der Betriebsverfassung stellt er nicht dar. Verfassungsrang hätte die Betriebsverfassung, wenn sie ebenso wie die Tarifautonomie durch Art. 9 Abs. 3 GG garantiert wäre. Diese Ansicht wird vereinzelt im Schrifttum vertreten279. Ihr steht nicht schon entgegen, daß Art. 9 Abs. 3 GG die Betriebsverfassung nicht ausdrücklich erwähnt – denn das trifft auch auf die Tarifautonomie zu. Es dürfte auch kaum zweifelhaft sein, daß die betriebliche Mitbestimmung ebenso wie die Tarifautonomie der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ dient280. Als Legitimationsgrundlage für das Betriebsverfassungsgesetz käme das Koalitionsgrundrecht allerdings nur in Betracht, wenn der Träger der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse – sei es die Belegschaft, sei es der Betriebsrat281 – eine Vereinigung im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG wäre282. Das ist jedoch nicht der Fall. Der verfassungsrechtliche Vereinigungsbegriff umfaßt nach allgemeiner Ansicht283 nur freiwillige Zusammenschlüsse mehrerer Personen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks284. Diese Voraussetzungen erfüllen weder der Betriebsrat noch die Belegschaft. Auf beide trifft bereits das für die Vereinigung konstitutive Merkmal des freiwilligen Zusammenschlusses nicht zu. Für den Betriebsrat ergibt sich das schon daraus, daß er nicht durch autonome Entscheidung seiner Mitglieder gebildet, sondern von den Arbeit278 Die formelle Verfassungsmäßigkeit des Betriebsverfassungsgesetzes unterliegt keinem Zweifel. 279 Sodan, JZ 1998, 421, 428 f.; ebenso schon Säcker, ArbRdGegw Bd. 12 (1975), S. 17, 66; wohl auch Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 350; ähnlich Meik, Kernbereich, S. 107, Fn. 18: „Eigentlich müßten sowohl die Tarif- als auch die Betriebsautonomie verfassungsrechtlich garantiert sein. ( . . . ) Es gibt keinen ethischen oder funktionalen Vorrang der Tarifvor der Betriebsautonomie. Deshalb ist zu vermuten, daß aus rein machtpolitischen Gründen nur die Tarifautonomie ausdrücklich in Art. 9 Abs. 3 GG garantiert wird. Daß die Betriebsautonomie dort nicht aufgeführt ist, ist eine rechtspolitische Lücke des Grundgesetzes“. 280 Vgl. nur Richardi in MünchArbR, § 240 Rn. 40. Zu der davon zu unterscheidenden Frage, ob Art. 9 Abs. 3 GG auch die Wahrung und Förderung der Betriebsverfassung (als Arbeits- und Wirtschaftsbedingung) durch die Tarifvertragsparteien schützt, vgl. oben § 2 I. 2. a) cc). 281 Auf die umstrittene Frage, wer Träger der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse ist, kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Zum Meinungsstand vgl. Kraft in: GK-BetrVG (7 Aufl.), § 1 Rn. 48 ff. m. w. N. 282 So auch Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 350; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 178. 283 BVerfGE 85, 360, 370; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 8; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 3; Löwer in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 30; Merten in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 144 Rn. 35; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 720 f. 284 Diese für die allgemeine Vereinigung nach Art. 9 Abs. 1 GG konstitutiven Merkmale müssen nach einhelliger Ansicht auch die Koalitionen i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG erfüllen, vgl. nur Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 33; Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9 Rn. 196.

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nehmern des Betriebs gewählt wird285. Aber auch die Belegschaft läßt sich weder für sich genommen noch unter Einbeziehung des Arbeitgebers286 als freiwilliger Zusammenschluß zu einer Vereinigung qualifizieren. Der Eintritt des Arbeitnehmers in den Betrieb ist nicht Ausdruck eines Vereinigungswillens, sondern Erfüllung des mit dem Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrags. Dessen Abschluß beruht zwar auf einer – zumindest rechtlich – freien Entscheidung des Arbeitnehmers. Der Arbeitsvertrag kann aber nicht als „Beitrittserklärung“ zu einem „Belegschaftsverband“ oder einem zwischen den Arbeitnehmern des Betriebs und dem Arbeitgeber bestehenden „Produktionsverbund“287 angesehen werden288. Der übereinstimmende Wille der Arbeitsvertragsparteien ist allein darauf gerichtet, daß der Arbeitnehmer sich gegenüber dem Arbeitgeber zur Leistung abhängiger Arbeit gegen Entgelt verpflichtet. Der Arbeitsvertrag ist und bleibt damit ein schuldrechtlicher Austauschvertrag289. Auch das gemeinsame Zusammenwirken im Betrieb gestaltetet ihn nicht in ein kollektivrechtliches Gemeinschaftsverhältnis um. Denn die arbeitsorganisatorische Verbundenheit der Arbeitnehmer im Betrieb ist rein tatsächlicher Natur290. Sie ist nicht das Ergebnis eines willentlichen Zusammenschlusses, sondern beruht allein auf der Organisationsgewalt des Arbeitgebers. Der einzelne Arbeitnehmer kann sich ihr nicht entziehen. Er gliedert sich nicht „privatautonom in die betriebliche Ordnung ein“291, sondern wird ihr zwangsweise eingegliedert292. Mit „freier sozialer Gruppenbildung“, wie sie Art. 9 GG schützt293, hat das nichts zu tun. Die Betriebsverfassung findet daher weder in Art. 9 Abs. 3 GG 285 Vgl. Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 268; im Ergebnis ebenso Veit, Funktionelle Zuständigkeit, S. 165, mit der Begründung, dem Betriebsrat fehle das für einen Verein maßgebliche Merkmal der Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel. 286 A.A. Ramm, JZ 1991, 1, 12; dagegen zutreffend Veit, Funktionelle Zuständigkeit, S. 191. 287 Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 183. 288 So im Ergebnis auch Kreutz, Betriebsautonomie, S. 71 f.; Reichold, Betriebsverfassung, S. 540 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 313 f.; Schwarze, Betriebsrat, S. 142 f.; Waltermann, Rechtsetzung, S. 89; a.A. Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 351; ebenso Reuter, RdA 1994, 152, 157, der die Betriebsverfassung als „Verfassung des Arbeitsverbandes Betrieb“ begreift, „in den die Arbeitnehmer durch vertragliche Übernahme einer mehr oder weniger eng definierten Rolle im Arbeitsprozeß eintreten“. 289 Reichold, Betriebsverfassung, S. 541. 290 Rieble, RdA 1996, 151, 152; Waltermann, Rechtsetzung, S. 89 f. 291 So aber Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 351. 292 Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 54; Richardi, Kollektivgewalt, S. 313 f.; Wank, NJW 1996, 2273, 2274. Der Eintritt in den Betrieb läßt sich entgegen Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 351, auch nicht mit dem Beitritt zu einer Gewerkschaft vergleichen. Denn während der Gewerkschaftsbeitritt unmittelbar darauf abzielt, sich von der Gewerkschaft vertreten zu lassen, ist der Abschluß eines Arbeitsvertrags nicht darauf gerichtet, sich durch einen – vorhandenen oder zukünftigen – Betriebsrat repräsentieren zu lassen. Die Repräsentation erfolgt im Gegenteil auch ohne und sogar gegen den Willen des Arbeitnehmers allein aufgrund von dessen Betriebszugehörigkeit, vgl. Belling, a. a. O., S. 55. 293 Siehe nur BVerfGE 50, 290, 353; Hesse, Grundzüge, Rn. 410.

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noch in Art. 9 Abs. 1 GG verfassungsrechtlichen Rückhalt. Aus denselben rechtlichen Erwägungen scheitert auch ihre Rückführung auf die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Privatautonomie294. Auf den Schutz dieser Grundrechte kann sich der Gesetzgeber bei der gesetzlichen Normierung der Betriebsverfassung deshalb nicht berufen. Als verfassungsrechtlicher Legitimationsgrund für das Betriebsverfassungsgesetz kommt aber die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Arbeitnehmer in Betracht. Das Grundrecht der Berufsfreiheit gewährleistet die freie Wahl und Ausübung von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte. Es versteht sich als Garantie selbstverantwortlicher Existenzgestaltung, individueller Persönlichkeitsbildung und sozialer Statusbestimmung295. Der Beruf wird dabei in seiner Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen im ganzen verstanden, die sich erst in der Berufstätigkeit voll ausformt und vollendet296. Art. 12 Abs. 1 GG erweist sich mithin als spezielle Ausprägung der allgemeinen Gewährleistungen der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG und der freien Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG297. Er enthält nicht nur ein individuelles Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern darüber hinaus eine „materielle Wertentscheidung“298 der Verfassung zugunsten von Menschenwürde und freier Persönlichkeitsentfaltung im Berufsleben. Dadurch wird der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die grundrechtlich verbürgte Freiheitssphäre zu schützen und zu sichern299. Der Gesetzgeber muß vor allem durch die Ausgestaltung des Arbeitsrechts verhindern, daß die Berufsfreiheit der Unselbständigen notleidend wird300. Diesem Zweck dient auch die Schaffung gesetzlicher Voraussetzungen für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb. Durch sie erhalten die Arbeitnehmer die Möglichkeit, auf die betrieblichen Entscheidungsprozesse Einfluß zu nehmen, die ihre Berufsausübung nachhaltig betreffen. Die Beteiligung der Arbeitnehmer soll verhindern, daß der Arbeitgeber seine Entscheidungen allein am Betriebszweck ausrichtet und die Interessen der ihm ansonsten kraft seiner Organisationsgewalt ausgelieferten Beschäftigten im Betrieb nicht hinreichend berücksich294 Kreutz, Betriebsautonomie, S. 71 f.; Schwarze, Betriebsrat, S. 140 ff.; Waltermann, Rechtsetzung, S. 92; a.A. Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 351 f.; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 182 ff. 295 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 12 Rn. 9. 296 Grundlegend BVerfGE 7, 377, 397; ebenso BVerfGE 50, 290, 362; vgl. zum „personalen Bezug“ der Berufsfreiheit ferner Gubelt in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 12 Rn. 2 m. w. N.; Hesse, Grundzüge, Rn. 419. 297 Vgl. BVerfGE 103, 293, 307; 97, 12, 25; 75, 284, 292; 54, 301, 313; Gubelt in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 12 Rn. 2; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 12 Rn. 9. 298 BVerfGE 7, 377, 404; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 2; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 12 Rn. 5. 299 BVerfGE 92, 26, 46; Gubelt in: v. Münch / Kunig, Art. 12 Rn. 2a; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 17; Tettinger in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 14. 300 Breuer in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 147 Rn. 65.

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tigt301. Betriebliche Mitbestimmung beeinflußt damit „zu einem nicht unwesentlichen Teil die Bedingungen, unter denen die Arbeitnehmer namentlich ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit wahrnehmen“302. Art. 12 Abs. 1 GG bildet deshalb eine taugliche verfassungsrechtliche Legitimationsbasis für eine gesetzliche Normierung der Betriebsverfassung303. Sie wird zusätzlich durch das Sozialstaatsprinzip verstärkt304. bb) Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit Allein die verfassungsrechtliche Fundierung der Betriebsverfassung rechtfertigt indessen noch keinen Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Vielmehr sind beide Rechtspositionen mit dem Ziel praktischer Konkordanz zum Ausgleich zu bringen305. Dazu ist eine verhältnismäßige Zuordnung von Grundrecht und grundrechtsbegrenzendem Verfassungsgut erforderlich306. Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es maßgeblich auf den Gegenstand der eingreifenden gesetzlichen Regelung an. Denn der Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht für alle koalitionsmäßigen Betätigungen gleich intensiv: Die Wirkkraft Söllner, RdA 1968, 437 f.; ebenso Kreutz, Betriebsautonomie, S. 190. So BVerfGE 50, 290, 349 für die Unternehmensmitbestimmung, die aber insoweit mit der betrieblichen Mitbestimmung vergleichbar ist, vgl. nur Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 117 f.; Richardi in: Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 44. 303 In diesem Sinne auch Breuer in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 147 Rn. 65; Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 272 f.; Kempen, RdA 1994, 140, 150; ders., AuR 1988, 336, 343; Richardi in: Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 44; Waltermann, Rechtsetzung, S. 83, 86; vgl. auch Löwisch, ZfA 1996, 293, 295 ff. Das gilt auch im Hinblick auf die durch das Betriebsverfassungsgesetz mit umfaßten ausländischen Arbeitnehmer. Für sie entfaltet Art. 12 Abs. 1 GG als Abwehrrecht zwar wegen seiner tatbestandlichen Beschränkung auf Deutsche keine unmittelbare Wirkung. Die in ihm zum Ausdruck kommende objektive Wertentscheidung zugunsten von Menschenwürde und freier Persönlichkeitsentfaltung im Berufsleben gilt jedoch unterschiedslos für alle Berufstätigen. Eine einheitliche Regelung des Betriebsverfassungsrechts für alle Arbeitnehmer kann deshalb insgesamt auf Art. 12 Abs. 1 GG gestützt werden, ohne daß hinsichtlich der ausländischen Betriebsangehörigen Art. 2 Abs. 1 GG herangezogen werden müßte. 304 Das in Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Gesetzgeber allgemein, für einen Ausgleich sozialer Gegensätze und für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen (vgl. BVerfGE 97, 169, 185; 94, 241, 263; 69, 272, 314; 35, 202, 235 f.; 22, 180, 204; 22, 180, 204). Es deckt daher auch die gesetzliche Normierung des Betriebsverfassungsrechts (insoweit zutreffend Waltermann, Rechtsetzung, S. 59 f.; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 55). Wegen seiner inhaltlichen Unbestimmtheit und Konturenlosigkeit kann es jedoch allein nicht als verfassungsimmanente Grundrechtsschranke herangezogen werden (zutreffend Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 50; Stern, Staatsrecht III / 2, S. 577 f., jeweils m. w. N. auch aus der Rspr.; ebenso speziell für die hier behandelte Problematik Richardi in: Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 45; unklar Schwarze, Betriebsrat, S. 104 f.; a.A. T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 54 ff.). 305 Grundlegend Hesse, Grundzüge, Rn. 317 f. 306 Allgemein BVerfGE 81, 278, 292; Bleckmann, JuS 1994, 177, 178; Hesse, Grundzüge, Rn. 318. 301 302

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des Grundrechts nimmt in dem Maße zu, in dem eine Materie aus Sachgründen am besten von den Tarifvertragsparteien geregelt werden kann, weil diese die gegenseitigen Interessen angemessener zum Ausgleich bringen können als der Staat307. Dementsprechend variieren auch die Anforderungen, die an die Rechtfertigung von Eingriffen zu stellen sind: Je gewichtiger der Schutz, den Art. 9 Abs. 3 GG verleiht, desto schwerwiegender müssen die Gründe sein, die einen Eingriff rechtfertigen sollen308. Im einzelnen verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, daß das eingreifende Gesetz zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) ist309. Geeignet ist eine gesetzliche Regelung, wenn mit ihr der gewünschte Erfolg gefördert werden kann310. Dabei genügt bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung311. Die gesetzliche Regelung muß weder die bestmögliche oder geeignetste sein noch in jedem Einzelfall zum Tragen kommen; ausreichend ist, daß sie die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts erhöht312. Diese Anforderungen erfüllt das Betriebsverfassungsgesetz. Denn es leistet einen Beitrag zur Erreichung des Ziels, die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer im Betrieb zu schützen. Das Betriebsverfassungsgesetz schreibt betriebliche Mitbestimmung zwar nicht zwingend vor und installiert auch nicht etwa kraft Gesetzes eine Arbeitnehmervertretung, sondern setzt insoweit eine Eigeninitiative der Belegschaft voraus. Es schafft aber die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen, damit sich diese Eigeninitiative wirksam entfalten kann. Damit sichert das Gesetz den Arbeitnehmern in einer grundsätzlich fremdbestimmten Ordnung die Chance der Selbstbestimmung im Hinblick auf ihre Arbeitsbedingungen313. Um diese Chance allen Arbeitnehmern im Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes gleichermaßen zu erhalten und ein störungsfreies Funktionieren des gesetzlichen Systems zu gewährleisten, ist auch der (partielle) Ausschluß der Tarifvertragsparteien von der Regelung des Betriebsverfassungsrechts ein geeignetes Mittel. Erforderlich ist die gesetzliche Regelung aber nur, wenn sie auch das mildeste Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks ist. Daran fehlt es, wenn das angestrebte Ziel durch ein anderes, gleich wirksames Mittel erreicht werden kann, das 307 BVerfGE 100, 271, 283 f.; 94, 268, 284 f.; zustimmend Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 144. 308 BVerfGE 100, 271, 284; 94, 268, 285; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 139 f.; Löwer in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 9, Rn. 62; Pieroth in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 293, 309. 309 Vgl. nur Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 83 m. w. N. 310 BVerfGE 103, 293, 307; 67, 157, 173; 33, 171, 187; 30, 292, 316; Stern, Staatsrecht III / 2, S. 776. 311 BVerfGE 103, 293, 307; 100, 313, 373; 96, 10, 23; 67, 157, 175. 312 BVerfGE 67, 157, 175; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 84; Sachs in: Sachs, GG, Art. 20, Rn. 150 313 Ähnlich auch Schwarze, Betriebsrat, S. 104.

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die grundrechtliche Sphäre nicht oder in geringerem Maße einschränkt314. Im vorliegenden Zusammenhang ist dabei zunächst an einen völligen Regelungsverzicht des Gesetzgebers zu denken: Die Tarifautonomie bliebe unberührt, wenn der Staat sich einer Regelung der Betriebsverfassung enthalten und sie statt dessen den Koalitionen überlassen würde. Ein „Aushöhlungseffekt“315 durch die gesetzliche Regelung könnte dann nicht eintreten, die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien für die Betriebsverfassung käme voll zur Geltung. Als milderes Mittel gleicher Wirksamkeit käme ein staatlicher Regelungsverzicht allerdings nur in Betracht, wenn die Koalitionen den durch das Betriebsverfassungsgesetz gewährleisteten Arbeitnehmerschutz ebenso effektiv sicherstellen könnten wie der Gesetzgeber. Daran bestehen indessen erhebliche Zweifel. Die Koalitionen verfügen zwar regelmäßig über eine größere Sachnähe als der Gesetzgeber und können deshalb betriebsverfassungsrechtliche Regelungen präziser auf die Bedürfnisse einzelner Branchen oder Unternehmen abstimmen. Dieser Vorteil kann jedoch nicht das funktionelle Defizit des Tarifvertrags gegenüber dem Gesetz aufwiegen. Anders als das Gesetz entfaltet der Tarifvertrag normative Wirkung grundsätzlich nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen316. Auch die Geltung von Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen setzt nach Maßgabe von § 3 Abs. 2 TVG jedenfalls die Tarifbindung des Arbeitgebers voraus317. Diese könnte bei fehlender Bereitschaft der Arbeitgeberseite letztlich nur durch im Wege des Arbeitskampfes erzwungene Haustarifverträge mit jedem einzelnen Arbeitgeber herbeigeführt werden. Eine umfassende und flächendeckende Ermöglichung betrieblicher Mitbestimmung, wie sie das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht, wäre so kaum denkbar. Zumindest würde sie eine ganz erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Das – zumindest bis dahin – bestehende Regelungsdefizit hätte erhebliche Auswirkungen für die Arbeitnehmer. Denn mangels sinnvoller Regelbarkeit betriebsverfassungsrechtlicher Fragen im Individualarbeitsvertrag blieben sie ohne entsprechenden Schutz. Ihre Berufsausübungsfreiheit wäre nicht in einer Art. 12 Abs. 1 GG genügenden Weise gewährleistet. Deshalb darf der Gesetzgeber die Regelung der Betriebsverfassung nicht den Koalitionen überlassen, sondern muß selbst die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, wie er es mit dem Betriebsverfassungsgesetz getan hat318. Die damit verbundene Beeinträchtigung der Tarifautonomie ist zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich. 314 BVerfGE 92, 262, 273; 68, 193, 218 f.; 67, 157, 176; 53, 135, 145; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 85; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 285; Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 152; Stern, Staatsrecht III / 2, S. 779 f. 315 Dazu oben § 2 I. 3. 316 Vgl. § 4 Abs. 1 TVG. 317 Zur dogmatischen Einordnung von § 3 Abs. 2 TVG vgl. oben § 1 I. Ob die in § 3 Abs. 2 TVG angeordnete Erstreckung der Rechtsnormgeltung auf alle Arbeitnehmer einschließlich der Außenseiter verfassungsrechtlich haltbar ist, soll an dieser Stelle offenbleiben. Näher dazu unten § 2 II., III. 318 In diesem Sinne auch Schwarze, Betriebsrat, S. 104 f.; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 57.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

Nicht erforderlich könnte allerdings die zwingende Ausgestaltung der gesetzlichen Organisationsvorschriften sein. Ließe sich der Zweck des Betriebsverfassungsgesetzes ebensogut durch eine tarifdispositive Gestaltung der Organisation erreichen, läge darin ein milderes Mittel, weil den Tarifpartnern Spielraum für eigene Regelungen verbliebe. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Zweck des Arbeitnehmerschutzes im allgemeinen keine zweiseitig zwingenden Gesetze verlangt. Es genügt, daß der Gesetzgeber Abweichungen zu Ungunsten der Arbeitnehmer ausschließt. Hingegen wäre es geradezu widersinnig, wenn im Interesse des Arbeitnehmerschutzes auch dessen Verbesserung untersagt wäre. Entsprechende gesetzliche Regelungen, die in die Tarifautonomie eingreifen, sind grundsätzlich nicht erforderlich. Das kann allerdings nur für solche Regelungen gelten, die einer Verbesserung durch Tarifvertrag überhaupt zugänglich sind. Insoweit steht dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu319. Er kommt vor allem dann zum Tragen, wenn die möglichen Auswirkungen tarifvertraglicher Einflußnahme auf die gesetzliche Regelung unklar sind, weil sich Verbesserung und Verschlechterung nicht ohne weiteres unterscheiden lassen. In solchen Fällen kann es erforderlich sein, daß der Gesetzgeber im Interesse des Arbeitnehmerschutzes abweichende Regelungen ganz oder teilweise ausschließt, um mögliche negative Auswirkungen zu verhindern. Diese drohten auch bei einer unbeschränkten Zulassung tarifvertraglicher Einflußnahme auf die gesetzliche Organisation der Betriebsverfassung. Die gesetzlichen Organisationsvorschriften schaffen die Voraussetzungen für die Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte und sind damit notwendige Funktionsbedingung der betrieblichen Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Sie bilden ein in sich geschlossenes, komplexes System, dessen einzelne Elemente nicht beliebig verändert werden können, ohne die gesetzliche Betriebsverfassung insgesamt zu beeinflussen. Schon geringfügige Veränderungen der gesetzlichen Organisation können weitreichende Folgen für die betriebliche Mitbestimmung haben. Ob diese dadurch insgesamt verbessert oder verschlechtert wird, läßt sich im Einzelfall kaum beantworten. So könnten beispielsweise tarifvertragliche Modifikationen der Wahlvorschriften für die Betriebsratswahlen oder Veränderungen der Zuständigkeiten der Betriebsverfassungsorgane durchaus zu einer „Effektivierung und Optimierung“320 des gesetzlichen Modells beitragen. Sie könnten aber ebenso zu einer von eigennützigen Erwägungen der Tarifvertragsparteien geleiteten Einflußnahme auf die Zusammensetzung der Betriebsverfassungsorgane oder Manipulation der gesetzlichen Beteiligungsrechte durch Verlagerung von Zuständigkeiten genutzt werden. Das Risiko derartiger „Verschlimmbesserungen“, die das Erreichen des gesetzgeberischen Ziels gefährden, muß und darf der Gesetzgeber nicht eingehen. Die im Betriebsverfassungsgesetz getroffene Regelung hält sich insoweit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungsprärogative321. Wo der Gesetzgeber die Möglichkeit sinnvoller Modifizierungen und Er319 320

Vgl. Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 143. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 13.

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gänzungen des gesetzlichen Organisationsmodells gesehen hat, hat er sie durch entsprechende Öffnungsklauseln ausdrücklich zugelassen. Der Ausschluß weitergehender Einwirkungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien auf die gesetzliche Betriebsverfassung ist unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden322. Das Gebot der Angemessenheit verlangt schließlich, daß der Eingriff durch die gesetzliche Regelung nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht323. Bei einer Gesamtbewertung zwischen der Schwere des Eingriffs und der Bedeutung der ihn rechtfertigenden Gründe muß die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt sein324. Die Schwere eines Eingriffs in die Tarifautonomie hängt – wie bereits ausgeführt – wesentlich vom Gegenstand der gesetzlichen Regelung ab. Je mehr die Regelung in Bereiche vordringt, die üblicherweise von den Tarifvertragsparteien geregelt werden, desto intensiver ist die mit ihr verbundene Beeinträchtigung der Tarifautonomie. Daran gemessen ist die Eingriffsintensität des Betriebsverfassungsgesetzes eher gering. Tarifverträge über betriebsverfassungsrechtliche Fragen hat es zwar schon zur Weimarer Zeit und auch unter Geltung des Grundgesetzes gegeben325. Sie bildeten aber nie einen Schwerpunkt der Tarifpolitik. Namentlich die Organisation der Betriebsverfassung war immer eine Domäne des Gesetzgebers326. Tarifverträge in diesem Bereich hatten in erster Linie akzessorischen, gesetzesergänzenden Charakter. Substantielle Veränderungen des gesetzlichen Modells standen unter staatlichem Zustimmungsvorbehalt. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die gesetzliche Regelung der Betriebsverfassung die Tarifautonomie in gegenständlicher Hinsicht lediglich in ihrem Randbereich betrifft und deshalb insoweit nur eine minder schwere Beeinträchtigung darstellt. Demgegenüber ist die mit dem Gesetz bezweckte Sicherung der Berufsausübungsfreiheit der Arbeitnehmer im Betrieb ein verfassungsrechtlich hoch zu gewichtendes Ziel. Gerade in einer modernen, durch zunehmende Technisierung und Arbeitsteilung geprägten Wirtschaft kommt der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Arbeitnehmers herausgehobene Bedeutung zu. Art. 12 Abs. 1 GG stellt die Menschenwürde und freie Persönlichkeitsentfaltung im Berufsleben unter besonderen Schutz und verpflichtet den Gesetzgeber, die notwendigen Maß321 Allgemein zur Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei der Errichtung einer Tarifsperre BVerfGE 94, 268, 293. 322 Keine negativen Einwirkungen der Tarifpartner auf die gesetzliche Betriebsverfassung sind hingegen dort zu befürchten, wo das Betriebsverfassungsgesetz überhaupt nicht gilt. Eine Auslegung der gesetzlichen Organisationsvorschriften in dem Sinne, daß tarifvertragliche Regelungen generell auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes ausgeschlossen sein sollen, wäre deshalb mit Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbar. 323 Vgl. BVerfGE 99, 202, 212; 80, 103, 107; 50, 217, 227; Lerche, Übermaß, S. 19; Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 154. 324 Stern, Staatsrecht III / 2, S. 783 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rspr. 325 Vgl. oben § 2 I. 2. a) cc). 326 Franzen, ZfA 2000, 285, 297.

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nahmen zur Sicherung des grundrechtlichen Freiheitsraums zu treffen327. Mit dem Erlaß des Betriebsverfassungsgesetzes hat der Gesetzgeber eine geeignete und erforderliche Regelung zur Erfüllung seines Verfassungsauftrags getroffen. Der damit verbundene Eingriff in die Tarifautonomie trifft die Koalitionen nicht unzumutbar schwer. Das gilt auch im Hinblick auf die zwingende Ausgestaltung der gesetzlichen Organisationsvorschriften. Denn sie betrifft nur einen kleinen – für die Funktionsfähigkeit der betrieblichen Mitbestimmung allerdings wesentlichen – Teilbereich der gesetzlichen Betriebsverfassung. Das Gesetz schließt die Tarifvertragsparteien zudem nicht völlig von der Gestaltung der Organisation aus, sondern eröffnet ihnen an zahlreichen Stellen ausdrücklich die Möglichkeit abweichender Regelungen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß mit dem BetrVerf-Reformgesetz 2001 der Spielraum der Tarifvertragsparteien für Abweichungen vom gesetzlichen Organisationsmodell insgesamt erweitert und zugleich der staatliche Zustimmungsvorbehalt ersatzlos gestrichen wurde. Dadurch wurde die Schwere des Eingriffs im Vergleich zur früheren Rechtslage nochmals deutlich gemindert. Insgesamt kann danach ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht festgestellt werden.

5. Ergebnis Die gesetzliche Regelung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation durch das Betriebsverfassungsgesetz verstößt nicht gegen die verfassungsrechtlich geschützte kollektive Koalitionsfreiheit. Sie greift zwar in den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG ein, der auch tarifvertragliche Vereinbarungen zur Organisation der Betriebsverfassung umfaßt. Der Eingriff ist aber zum Schutz der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Das gilt sowohl für die gesetzliche Normierung der Organisation als solche als auch für ihre tariffeste Ausgestaltung. Einer verfassungskonformen Auslegung der gesetzlichen Vorschriften bedarf es insoweit nicht.

II. Gesetzliche Regelung und individuelle (negative) Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) Tarifvertragliche Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten nach § 3 Abs. 2 TVG für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Die dort beschäftigten Arbeitnehmer werden ohne Rücksicht auf ihre Koalitionszugehörigkeit erfaßt328. Das wirft die Frage nach der Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit der individuellen Koalitionsfreiheit derjenigen Arbeitnehmer 327 328

Vgl. oben § 2 I. 4. b) aa). Vgl. oben § 1 I.

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auf, die nicht der tarifschließenden Gewerkschaft angehören. Konkret geht es um die negative Koalitionsfreiheit der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer, die ohne oder sogar gegen ihren Willen betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen unterworfen werden. Sie wird in der Literatur teilweise als beeinträchtigt, vereinzelt sogar als verletzt angesehen329. Bei der Auswertung des einschlägigen Schrifttums fällt allerdings auf, daß eine Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen und dem Schutzumfang der negativen Koalitionsfreiheit in der Regel unterbleibt. Eine Beeinträchtigung durch die gesetzliche Regelung wird meist ohne nähere Begründung angenommen, allenfalls die Frage ihrer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung diskutiert330. Diese Vorgehensweise suggeriert, daß über die dogmatische Herleitung und den Inhalt der negativen Koalitionsfreiheit Klarheit besteht und sich deshalb ein Eingriff der gesetzlichen Regelung in ihren Schutzbereich ohne weiteres feststellen läßt. Dies ist jedoch, wie die nachfolgenden Untersuchungen zeigen werden, keineswegs der Fall.

1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG Eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit durch die gesetzliche Regelung kommt nur in Betracht, wenn das Grundgesetz eine solche Freiheit überhaupt gewährleistet. Ihre Befürworter scheinen davon zumeist wie selbstverständlich auszugehen. Die negative Koalitionsfreiheit wird wie ein feststehender, eindeutig definierter Terminus behandelt, der keiner weiteren Erläuterung bedarf331. Bei unbefangener Lektüre des Verfassungstextes ist das durchaus bemerkenswert, denn Art. 9 Abs. 3 GG erwähnt eine wie auch immer geartete „negative Freiheit“ mit keinem Wort. Der Verfassungsgeber hat sie – anders als die kollektive Koalitionsfreiheit332 – auch keineswegs als selbstverständlich angesehen und deshalb auf 329 Explizit für Verfassungswidrigkeit von Tarifnormen betreffend die Organisation der Betriebsverfassung nach § 3 BetrVG n.F. Picker, RdA 2001, 258, 284; Richardi in: Richardi, BetrVG (8. Aufl.), § 3 Rn. 5 f.; 23 (unklar aber ders. in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 12 – 14); ders., Betriebsverfassung, S. 33; ebenso Biedenkopf in: Bundesrat, Plenarprotokoll der 761. Sitzung v. 30. März 2001, S. 127; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 27 (für § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Eine Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit durch Außenseiterwirkung von Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen wird allgemein bejaht von Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit, S. 265 ff.; Schwarze, Betriebsrat, S. 194 f. Gelegentlich wird darüber hinaus ein Eingriff in die individuelle positive Koalitionsfreiheit geltend gemacht, vgl. Richardi a. a. O., Rn. 23; damit werden jedoch nur unterschiedliche Sichtweisen eines identischen Sachverhalts umschrieben. Das sachliche Substrat, auf das sich die Kritik bezieht, ist identisch, vgl. Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 119 f. 330 Vgl. exemplarisch Picker, RdA 2001, 258, 284. 331 So auch die Bewertung von Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 155. 332 Zur verfassungsrechtlichen Verankerung der kollektiven Koalitionsfreiheit vgl. oben § 2 I. 1.

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eine ausdrückliche Normierung verzichtet. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift liefert im Gegenteil deutliche Hinweise darauf, daß die Verankerung einer negativen Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG vom Verfassungsgeber ursprünglich nicht beabsichtigt war: Der Vorschlag, Art. 9 Abs. 3 GG um den Zusatz „Ein Zwang zum Beitritt darf nicht ausgeübt werden“ zu ergänzen, wurde im Parlamentarischen Rat ausführlich diskutiert333, fand jedoch keine Mehrheit334. Man war sich vielmehr weitgehend darüber einig, daß im Organisationsinteresse der Koalitionen „ein gewisser ,erlaubter‘ Zwang nicht zu entbehren sei“335. Vor diesem Hintergrund wird teilweise auch heute noch die Auffassung vertreten, daß Art. 9 Abs. 3 GG lediglich die positive, nicht hingegen die negative Koalitionsfreiheit garantiert. Der einzelne soll danach lediglich im Rahmen seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG davor geschützt sein, „von anderen ( . . . ) behelligt zu werden“336. Das Bundesarbeitsgericht ist dieser Auffassung nicht gefolgt. In einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 1967 erkannte der Große Senat337 die negative Koalitionsfreiheit ausdrücklich als durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt an. Zur Begründung stützte er sich vor allem auf das für den Begriff der Koalition konstitutive Merkmal des freiwilligen Zusammenschlusses338. Die Freiwilligkeit sei nur gewährleistet, wenn dem einzelnen neben dem Beitrittsrecht auch das Recht zustehe, aus der Koalition wieder auszutreten oder ihr gänzlich fernzubleiben. Deshalb entspreche dem Individualgrundrecht der positiven Koalitionsfreiheit notwendig das Individualgrundrecht der negativen Koalitionsfreiheit. Beide genössen den vollen Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG. Dieser Auffassung hat sich – nach einigem Zögern – auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen339. Sie entspricht heute der weit überwiegenden Ansicht im Schrifttum340. 333 Vgl. Wortprotokoll der 25. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen v. 24. 11. 1948, in: Der Parlamentarische Rat, S. 685 ff. sowie die Protokolle der Verhandlungen des Hauptausschusses, 17. Sitzung v. 3. 12. 1948, S. 210 f. und 44. Sitzung v. 19. 1. 1949, S. 569 ff. Einen zusammenfassenden Überblick über die Entstehungsgeschichte von Art. 9 GG gibt Matz, JÖR 1 (1951) S. 116 ff.; vgl. auch Nipperdey in: Hueck / Nipperdey, Lehrbuch II / 1, § 10 II 2, S. 157. 334 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 44. Sitzung v. 19. 1. 1949, S. 572. 335 So der Vorsitzende des Ausschusses für Grundsatzfragen, v. Mangoldt (CDU), in seiner zusammenfassenden Würdigung der Beratungen zu Art. 9 Abs. 3 GG, AöR 75 (1949), 273, 287. 336 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 385 m. w. N. 337 BAG (GS) AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. 338 Vgl. dazu schon oben § 2 I. 4. b) aa). 339 Vgl. zuletzt BVerfG NZA 2000, 948 (Kammerbeschluß); zuvor schon BVerfGE 64, 208, 231 f.; 55, 7, 21 f.; 50, 290, 367; unentschieden noch BVerfGE 44, 322, 352: „Ein Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit, sofern es sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben sollte ( . . . )“ und BVerfGE 31, 297, 302: „Es bedarf hier keiner Erörterung, ob die negative Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt ist und ob sich ein solcher Schutz aus Art. 9 Abs. 3 GG oder aus Art. 2 Abs. 1 GG ergibt.“.

§ 2 Verfassungsrechtliche Analyse

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Die herrschende Meinung verdient Zustimmung. Positive und negative Koalitionsfreiheit bedingen einander. Denn eine umfassend gewährleistete positive Koalitionsfreiheit kann ohne ihre freiheitsrechtliche Kehrseite nicht bestehen341. Insoweit gilt für die Koalitionsfreiheit dasselbe wie für andere Freiheitsgrundrechte. Positive Freiheit im grundrechtlichen Sinne ist die Freiheit des einzelnen zu einem bestimmten Verhalten. Negative Freiheit hingegen ist die Freiheit des einzelnen zu wählen, ob er die durch die positive Freiheit geschützte Handlung vollzieht. Ohne negative Freiheit hat die positive Freiheit keine echte Chance342. Denn erst die Möglichkeit, von einer Freiheit auch keinen Gebrauch zu machen, ermöglicht dem Grundrechtsträger die Wahl zwischen verschiedenen Handlungsalternativen343. Wäre allein die „Freiheit“ zu einer bestimmten Handlung geschützt, könnte der Staat alle anderen Handlungsalternativen verbieten, ohne das Grundrecht anzutasten. Das Ziel der Grundrechte, eine freiheitliche Ordnung des Gemeinwesens zu schaffen und zu sichern, würde in sein Gegenteil verkehrt. Deshalb schützen die Grundrechte nicht nur die positive Freiheit, etwa einen Glauben zu bekennen, eine Meinung zu äußern oder eine Vereinigung zu bilden, sondern ebenso die negative Freiheit, keinen Glauben zu bekennen, keine Meinung zu äußern und keiner Vereinigung beizutreten344. Aus diesem Grund kann auch die negative Koalitionsfreiheit nicht aus dem Tatbestand des Art. 9 Abs. 3 GG eliminiert und statt dessen lediglich der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG zugeordnet werden345. Es ist zwar vor allem in Anbetracht der historischen Entwicklung des Koalitionsgrundrechts nicht zu bestreiten, daß der Schutzzweck des Art. 9 Abs. 1 GG in erster Linie in der Gewährleistung der positiven Koalitionsfreiheit liegt346. Gerade wenn aber das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, im Sinne einer umfassenden Freiheit gewährleistet sein soll, muß auch die negative Koalitionsfreiheit in gleichem Rang garantiert sein. Denn zwischen positiver und negativer Freiheit kann es keine Rangunterschiede geben, soll das Prinzip der Freiheit als solches gewahrt bleiben347. 340 Bleckmann, Staatsrecht II, § 30 Rn. 90; Hesse, Grundzüge, Rn. 415; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 65; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 36; Löwer in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 79 a.E.; Scholz in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151, Rn. 82. 341 Schlüter in: FS Lukes, S. 559, 568; Scholz in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151, Rn. 82. 342 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 226. 343 Ausführlich Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 198 ff.; vgl. auch Bethge, NJW 1982, 2145, 2147; Hesse, Grundzüge, Rn. 288; Stern, Staatsrecht III / 1, S. 629. 344 Hesse, Grundzüge, Rn. 288. 345 Scholz in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151, Rn. 83. 346 Prägnant formulierte schon zur Weimarer Zeit Sinzheimer, Grundzüge, S. 81: „Der Begriff der Koalitionsfreiheit ist geschichtlich in den Kämpfen um die Erlangung der Koalitionsfreiheit erwachsen, in denen nicht um das Recht gestritten wurde, sich nicht koalieren zu müssen, sondern um das Recht, sich koalieren zu dürfen.“. 347 Vgl. Scholz in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151, Rn. 83.

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2. Der Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit Die Feststellung, daß die negative Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verankert ist, beantwortet noch nicht die Frage nach ihrem Inhalt. Klar ist lediglich der personelle Umfang der Gewährleistung. Eine mögliche Beeinträchtigung durch § 3 Abs. 2 TVG kann aber erst untersucht werden, wenn auch der sachliche Schutzbereich feststeht.

a) Meinungsstand Eine breite juristische Diskussion über die Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs der negativen Koalitionsfreiheit hat – erstaunlicherweise – bislang nicht stattgefunden. In Rechtsprechung und Schrifttum lassen sich lediglich zwei mehr oder weniger apodiktisch vertretene Standpunkte ausmachen. aa) Die negative Koalitionsfreiheit als Fernbleiberecht Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts348 und des Bundesarbeitsgerichts349, der sich ein Großteil des Schrifttums350 angeschlossen hat, ist die negative Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG als Fernbleiberecht zu verstehen. Der einzelne soll frei darüber entscheiden können, einer Koalition fernzubleiben oder aus ihr auszutreten. Er ist danach durch Art. 9 Abs. 3 GG davor geschützt, unmittelbar oder mittelbar zum Beitritt gezwungen oder am Austritt gehindert zu werden. bb) Die negative Koalitionsfreiheit als Freiheit von Tarifnormgeltung Eine in der Literatur verbreitete Ansicht351 will den Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG hingegen weiter fassen. Ihre Vertreter BVerfGE 73, 261, 270; 64, 208, 213; 55, 7, 21; 50, 290, 367. BAG AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen; BAG AP Nr. 47 zu Art. 9 GG; BAG AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; BAGE 20, 175, 213 ff. 350 Bleckmann, Staatsrecht II, § 30 Rn. 90; Dieterich in: FS Däubler, S. 451, 456; Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 474; Hesse, Grundzüge, Rn. 415; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 65; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 36; Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 9 Rn. 23; Löwer in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 79 a.E.; Löwisch, Arbeitsrecht, Rn. 114; Löwisch / Rieble, TVG, Grundl. Rn. 16; dies. in: MünchArbR, § 244 Rn. 3, § 259 Rn. 20; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 736, 727; Söllner / Waltermann, Grundriss, Rn. 191; Scholz in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151 Rn. 84; unentschieden Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 25, 138. 351 Buchner, Tarifvertragsgesetz, S. 60; Schleusener, ZTR 1998, 100, 101; Schüren, RdA 1988, 138, 139, 142; Schwarze, Betriebsrat, S. 195; Wagenitz, Grenzen der Tarifmacht, S. 44; Zöllner, RdA 1962, 453, 458. 348 349

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wenden ein, das Fernbleiberecht betreffe lediglich den formellen Gesichtspunkt der Mitgliedschaft. Der Außenseiter müsse aber darüber hinaus auch vor deren wesentlichen Wirkungen geschützt sein. Zu diesen zähle vor allem die Bindung an das von den Koalitionen gesetzte Recht. Die negative Koalitionsfreiheit des Außenseiters erstrecke sich deshalb generell darauf, nicht von tarifvertraglicher Rechtsetzung erfaßt zu werden, auch wenn durch diese kein Beitrittsdruck ausgeübt wird. b) Stellungnahme Bei der Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs der negativen Koalitionsfreiheit kommt in Ermangelung entsprechender Anhaltspunkte im Verfassungstext und in der Genese des Art. 9 Abs. 3 GG dem Zweck der Gewährleistung entscheidende Bedeutung zu. Er besteht – wie dargelegt – darin, dem einzelnen die Option zur Wahrnehmung der positiven Koalitionsfreiheit zu erhalten. Die negative Koalitionsfreiheit bildet mithin das „freiheitsrechtlich notwendige Korrelat“352, die „Kehrseite“353 der positiven Koalitionsfreiheit und ist mit ihr untrennbar verbunden. Dieser funktionale Zusammenhang ist auch für die Schutzbereichsbestimmung maßgeblich. Denn stellt sich die negative Koalitionsfreiheit funktional als „Spiegelbild“ der positiven Koalitionsfreiheit dar, muß sich auch die Bestimmung ihres Inhalts daran orientieren354. Als „spiegelbildlicher“ Anknüpfungspunkt der individuellen negativen Koalitionsfreiheit kommt zunächst die individuelle positive Koalitionsfreiheit in Betracht. Sie gewährleistet dem einzelnen das Recht, sich mit anderen zu einer Koalition zusammenzuschließen, einer Koalition beizutreten und in ihr zu verbleiben355. Daraus läßt sich im Umkehrschluß die negative Freiheit ableiten, den Zusammenschluß oder den Beitritt zu einer Koalition zu unterlassen oder eine bestehende Mitgliedschaft wieder zu beenden. Das entspricht dem in Rechtsprechung und Literatur überwiegend angenommenen Fernbleiberecht. Es wird beeinträchtigt, wenn der einzelne zur Mitgliedschaft gezwungen oder am Austritt gehindert wird. Eine darüber hinausgehende Freiheit, generell von tariflicher Normsetzung unberührt zu bleiben, ist bei „spiegelbildlicher“ Bestimmung des Schutzbereichs ersichtlich nicht konstruierbar356. Das gilt auch dann, wenn man den wesentlichen Zweck des Koalitionsbeitritts gerade darin sieht, den einschlägigen Tarifnormen unterworfen zu sein. Denn unabhängig davon, ob den Beitrittswilligen eine solche Absicht wirklich allgemein unterstellt werden kann357, wäre sie jedenfalls bloße Motivation 352 353 354

Scholz in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 151 Rn. 87. Bethge, NJW 1982, 2145, 2147. So zutreffend Schubert, RdA 2001, 199, 202; ähnlich Dieterich in: FS Däubler, S. 451,

456. 355 356

Vgl. oben § 2 I. 1. a). Schubert, RdA 2001, 199, 202.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

der Grundrechtsausübung und als solche vom Schutzbereich der individuellen positiven Koalitionsfreiheit nicht umfaßt. Eine generelle Freiheit von tariflicher Rechtsetzung könnte deshalb nur dann Bestandteil der negativen Koalitionsfreiheit sein, wenn diese (auch) „Kehrseite“ der kollektiven positiven Koalitionsfreiheit wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Die kollektive positive Koalitionsfreiheit gewährleistet den Koalitionen, sich durch den Abschluß von Tarifverträgen koalitionsspezifisch zu betätigen358. Ihr negatives Korrelat ist die Freiheit der Koalition, solche Betätigungen zu unterlassen. Auch wenn es sich bei der Koalitionsbetätigung letztlich nur um die gebündelte Wahrnehmung der Mitgliederinteressen handelt, bleibt sie doch ein Akt der Freiheitsausübung des Verbands. Er und nicht der einzelne ist Träger der Tarifautonomie und Inhaber der daran anknüpfenden Rechtsetzungsmacht 359. Deshalb kann es auch kein „spiegelbildliches“ Recht des einzelnen geben, keine Tarifnormen erlassen zu wollen und von fremdgeschaffenen Tarifnormen nicht erfaßt zu werden360. Eine individuelle „negative Tarifautonomie“ ist dogmatisch nicht begründbar. Die negative Koalitionsfreiheit des einzelnen bezieht sich nur auf seinen Status als Mitglied361. Sie sichert ihm die freie Entscheidung über den Beitritt zu einer Koalition, nicht aber über deren Betätigung. Freiheit von kollektiver Koalitionsbetätigung kann der einzelne deshalb im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG nur beanspruchen, soweit seine Entscheidungsfreiheit über eine Mitgliedschaft betroffen ist. Allein dadurch, daß jemand den Vereinbarungen fremder Tarifvertragsparteien unterworfen wird, ist demgegenüber – wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont – noch kein spezifisch koalitionsrechtlicher Aspekt betroffen362. Der Bürger ist gegen eine staatlich veranlaßte Unterwerfung unter Tarifnormen nicht stärker geschützt als gegen die Unterwerfung unter sonstige fremdbestimmte Regelungen. Einen besonderen Schutz gerade vor der Geltung von Tarifnormen gewährt das Grundgesetz nicht363. Das bedeutet nicht, daß der einzelne der Rechtsetzung der 357 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 374 f., weist nicht zu Unrecht darauf hin, daß jedenfalls in der Rechtswirklichkeit angesichts der verbreiteten arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf Tarifverträge die Anreize für einen Gewerkschaftsbeitritt heute eher in Nebenleistungen wie der Gewährung von Rechtsschutz etc. liegen. 358 Vgl. oben § 2 I. 1. a). 359 Vgl. oben § 2 I. 1. a), b). 360 Ossenbühl, Tarifautonomie, S. 36 f.; Schubert, RdA 2001, 199, 202; ebenso Kreiling, Erstreckung, S. 226. 361 Löwisch, Arbeitsrecht, Rn. 114; Löwisch / Rieble in: MünchArbR, § 244 Rn. 4; Rolf, Betriebsratsstruktur, S. 191; Spinner, Betriebsverfassung, S. 119. 362 BVerfGE 64, 208, 213; vgl. auch Dieterich in: FS Däubler, S. 451, 456: „Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht zuständig für den Schutz vor fremdbestimmter Normsetzung.“. 363 Es erschiene auch wertungsmäßig wenig überzeugend, dem Bürger gerade vor im Wege gegenseitigen Aushandelns durch prinzipiell ebenbürtige Partner zustande gekommenen, gar mit dem Prädikat der „Richtigkeitsvermutung“ (vgl. BAGE 48, 195, 201) selbst gegenüber Tarifaußenseitern (BAG AP Nr. 1 zu § 620 BGB Saisonarbeit) versehenen Vereinbarungen der Koalitionen einen besonders qualifizierten verfassungsrechtlichen Schutz zuzubilligen.

§ 2 Verfassungsrechtliche Analyse

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Koalitionen schutzlos ausgeliefert werden darf. Vielmehr ist jeder Bürger im Rahmen seiner allgemeinen Handlungsfreiheit davor geschützt, Normbefehle zu erhalten, die nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören364. Das gilt unabhängig davon, ob der Staat die Geltung eigener oder fremder (hier: Tarif-)Normen anordnet. Denn der staatliche Geltungsbefehl hat in beiden Fällen dieselbe Wirkung: Er macht die Regelung für den einzelnen rechtlich verbindlich. Deshalb muß jede Normgeltungsanordnung namentlich demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen genügen (Art. 20 GG). Mit der negativen Koalitionsfreiheit hat das jedoch nichts zu tun365. In Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung ist deshalb davon auszugehen, daß die spezielle Garantie der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG keinen generellen Schutz vor Tarifnormgeltung, sondern lediglich vor Koalitionsdruck oder -zwang gewährt.

3. Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit durch § 3 Abs. 2 TVG? Ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit liegt demnach nicht schon allein darin, daß § 3 Abs. 2 TVG die betriebseinheitliche Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen anordnet. Es kommt vielmehr darauf an, ob dadurch die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers, (k)einer Gewerkschaft beizutreten, beeinträchtigt wird. Eine solche Beeinträchtigung scheitert nicht schon daran, daß der Gesetzgeber in § 3 Abs. 2 TVG lediglich den Wirkungskreis betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen erweitert, das „Ob“ der Regelung aber den Koalitionen überläßt. Konkrete Auswirkungen für den einzelnen Arbeitnehmer hat die gesetzliche Regelung dadurch zwar erst in dem Moment, in dem ein entsprechender Tarifvertrag besteht. Das heißt aber nicht, daß ein gesetzlicher Eingriff deshalb ausscheidet. Denn die für eine mögliche Beeinträchtigung maßgebliche Außenseiterwirkung erhält der Tarifvertrag gerade durch den staatlichen Geltungsbefehl366. Entscheidend ist, ob § 3 Abs. 2 TVG (im Fall seines Eingreifens) Zwangswirkungen gegenüber nicht oder anders organisierten Arbeitnehmern entfaltet, der tarifschließenden Gewerkschaft beizutreten. In Betracht kommen dabei grundsätzlich sowohl unmittelbare als auch mittelbare Zwangswirkungen. Ein unmittelbarer 364 Rieble, RdA 1993, 140, 142; Rolf, Betriebsratsstruktur, S. 191; vgl. auch BVerfGE 64, 208, 214. 365 Rieble, RdA 1993, 140, 142; ähnlich ders., RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 48; auch Schwarze, Betriebsrat, S. 123, betont mit Recht die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen den rechtsstaatlich-demokratischen Anforderungen an die tarifliche Normsetzung einerseits und dem Schutz der negativen Koalitionsfreiheit andererseits. 366 Im übrigen setzt ein Grundrechtseingriff nicht voraus, daß der Gesetzgeber ihn unmittelbar selbst vornimmt. Es genügt, daß er durch ein Gesetz lediglich ermöglicht wird, vgl. nur Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 207.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

Beitrittszwang wird durch die vorliegende gesetzliche Regelung allerdings offensichtlich nicht ausgelöst. Denn § 3 Abs. 2 TVG begründet weder kraft Gesetzes eine Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft, noch ordnet er einen Koalitionsbeitritt für alle Arbeitnehmer des Betriebs an. In Erwägung zu ziehen ist daher allein ein mittelbarer Beitrittszwang. Er kann dadurch entstehen, daß dem Außenseiter aus seiner Nichtmitgliedschaft in einer Koalition Nachteile erwachsen, aufgrund derer ihm eine freie Entscheidung über den Beitritt nicht mehr möglich ist. Das Bundesarbeitsgericht hat eine (unzulässige) Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit namentlich in tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln367 gesehen, die eine Gleichstellung von nicht organisierten mit organisierten Arbeitnehmern verhindern sollen368. Solche Klauseln, so die Begründung, erzeugten einen „sozialinadäquaten Druck“ auf die Außenseiter und verletzten „das Gerechtigkeitsempfinden gröblich“. Demgegenüber hat das Gericht der Regelung des § 3 Abs. 2 TVG ausdrücklich verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit attestiert, weil die betriebseinheitliche Geltung des Tarifvertrags „gerade Organisierte und Nichtorganisierte gleichermaßen betrifft, also durch Gewerkschaftsbeitritt keine Änderung eintreten würde“369. Das ist zumindest konsequent, denn es wäre in der Tat wenig einleuchtend, wenn die Gleichbehandlung von Nichtorganisierten mit Organisierten (durch § 3 Abs. 2 TVG) die negative Koalitionsfreiheit ebenso beeinträchtigen würde wie die Ungleichbehandlung (durch Differenzierungsklauseln). Dennoch greift die Begründung des Bundesarbeitsgerichts zu kurz. Es ist zwar richtig, daß ein Gewerkschaftsbeitritt an der Geltung der Tarifnormen für den Außenseiter nichts ändert. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft für ihn keinen Anreiz bietet und deshalb jeder Beitrittsdruck von vornherein ausgeschlossen ist. Denn die Mitgliedschaft in einer Koalition hat nicht nur Bedeutung für die Geltung der Tarifnormen. Sie verschafft dem einzelnen auch die Möglichkeit, durch Wahrnehmung seiner koalitionsinternen Mitwirkungsrechte auf Zustandekommen und Inhalt der Tarifvereinbarungen Einfluß zu nehmen. Eine vergleichbare Einflußnahmemöglichkeit besteht für den Außenseiter nicht. Das kann für ihn durchaus Anlaß sein, der tarifschließenden Koalition beizutreten, auch und gerade wenn er den Tarifnormen ohnehin ausgesetzt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb mit Recht darauf hingewiesen, daß durch die Geltungserstreckung von Tarifnormen auf Außenseiter ein mittelbarer Druck entstehen kann, um der größeren Einflußmöglichkeit willen Mitglied in der tarifschließenden Koalition zu werden370. 367 Zu dem einzelnen Formen solcher Differenzierungsklauseln Loritz in: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 38 II 2, S. 426. 368 BAG (GS) AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. 369 BAG AP Nr. 46 zu § 2 KSchG 1969. 370 Vgl. BVerfG (Kammerbeschluß) NZA 2000, 948, 949; BVerfGE 64, 208, 213 f.; 55, 7, 22.

§ 2 Verfassungsrechtliche Analyse

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Im Ergebnis folgt daraus allerdings keine von der Einschätzung des Bundesarbeitsgerichts abweichende Beurteilung des § 3 Abs. 2 TVG im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit der negativen Koalitionsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat zur Verfassungsmäßigkeit von § 3 Abs. 2 TVG zwar bislang nicht Stellung genommen. Zieht man jedoch seine Rechtsprechung zur Allgemeinverbindlicherklärung371 und zur dynamischen gesetzlichen Verweisung auf Tarifverträge372 heran, so dürften im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit Einwände des Gerichts gegen § 3 Abs. 2 TVG kaum zu erwarten sein. Auch die Allgemeinverbindlicherklärung und die dynamische Verweisung erstrecken die Geltung von Tarifnormen auf Außenseiter. In beiden Fällen hat das Bundesverfassungsgericht einen verfassungswidrigen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit verneint. Dabei hat es einen möglichen Beitrittsdruck für die Betroffenen durch die Geltungserstreckung nicht in Abrede gestellt. Dieser Druck sei aber jedenfalls „nicht so erheblich, daß die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde“373. Dem liegt die zutreffende Prämisse zugrunde, daß eine verfassungsrechtlich relevante Grundrechtsbeschränkung zumindest eine gewisse Eingriffsintensität voraussetzt374. Das gilt in besonderem Maße für lediglich mittelbare Beeinträchtigungen 375. Der von § 3 Abs. 2 TVG ausgehende mittelbare Druck überschreitet diese Eingriffsschwelle nicht. Die gesetzliche Regelung erzeugt keinen Beitrittsdruck, der die Entscheidungsfreiheit der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer in einer die negative Koalitionsfreiheit beeinträchtigenden Weise einschränkt376. Dabei ist in Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsgericht zunächst festzuhalten, daß der Beitritt allein dem Außenseiter noch keine Vorteile bringt, sondern darüber hinaus ein koalitionsinternes Engagement erforderlich ist. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß ein Arbeitnehmer, der von betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen erfaßt wird, sich deswegen zum Gewerkschaftsbeitritt entschließt. Ebensogut läßt sich aber auch argumentieren, daß die betriebseinheitliche Geltung kraft Gesetzes den Gewerkschaftsbeitritt gerade entbehrlich macht377. Hinzu kommt, daß betriebsverVgl. BVerfGE 55, 7; 44, 322. Vgl. BVerfGE 64, 208. 373 Vgl. BVerfGE 64, 208, 213 f. für die dynamische Verweisung; 55, 7, 22 für die Allgemeinverbindlicherklärung; ebenso für die Geltungserweiterung von Tarifnormen durch Rechtsverordnung BVerfG (Kammerbeschluß) NZA 2000, 948, 949; einen Beitrittsdruck gänzlich verneinend noch BVerfGE 44, 322, 352: Durch die Allgemeinverbindlicherklärung werde „die Freiheit, sich einer anderen als der vertragschließenden oder keiner Koalition anzuschließen, nicht beeinträchtigt, Zwang oder Druck in Richtung auf eine Mitgliedschaft nicht ausgeübt.“. 374 Ausführlich Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 252 ff. m. w. N. 375 Vgl. allgemein zur Eingriffsschwelle bei mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 26 f. 376 So i.E. auch Dieterich in: FS Däubler, S. 451, 546; Löwisch / Rieble in: MünchArbR, § 259 Rn. 20; Kreiling, Erstreckung, S. 228 f. 377 Auf diesen Aspekt beschränken sich die meisten Stellungnahmen zu § 3 Abs. 2 TVG in der Literatur, vgl. etwa Schleusener, ZTR 1998, 100, 101; Schubert, RdA 2001, 199, 200; 371 372

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

fassungsrechtliche Fragen in Tarifverträgen eine eher untergeordnete Rolle spielen und den einzelnen Arbeitnehmer in der Regel weit weniger interessieren als etwa Fragen des Lohns und der sonstigen materiellen Arbeitsbedingungen. Schon generell sind Tarifregelungen, von denen ein Außenseiter, der im Betrieb kollegial mit organisierten Kollegen zusammenarbeitet, gänzlich unberührt bleibt, kaum vorstellbar378. Daß gerade von Tarifverträgen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen ein Druck zum Gewerkschaftsbeitritt ausgehen soll, erscheint wenig lebensnah. Ein solcher Druck wäre jedenfalls nicht so groß, daß er die freie Entscheidung über den Beitritt in koalitionsrechtlich relevanter Weise beeinträchtigen würde, zumal die mit einer Gewerkschaftsmitgliedschaft verbundenen Möglichkeiten zur Einflußnahme auf einzelne Tarifvereinbarungen zumindest in tatsächlicher Hinsicht eher gering sind379.

4. Ergebnis Die gesetzliche Anordnung betriebseinheitlicher Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen in § 3 Abs. 2 TVG ist mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten negativen Koalitionsfreiheit vereinbar. Im Schrifttum380 geäußerte verfassungsrechtliche Bedenken sind insoweit nicht begründet.

III. Gesetzliche Regelung und allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) Die Geltungserstreckung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen auf Außenseiter nach § 3 Abs. 2 TVG wird vielfach nur im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit der negativen Koalitionsfreiheit thematisiert. Daß die gesetzliche Regelung mit Art. 9 Abs. 3 GG in Einklang steht, wird für ausreichend erachtet, um ihr verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit zu bescheinigen381. Dabei wird übersehen, ebenso für die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 5 Rn. 61; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 5 Rn. 14; Wank in: Wiedemann, TVG, § 5 Rn. 23. 378 Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 190. 379 Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Problem des Koalitionszwangs durch Tarifnormerstreckung betrafen allesamt Fälle, in denen es um einen möglichen (vom Bundesverfassungsgericht stets verneinten) Beitrittsdruck zu einem Arbeitgeberverband ging, bei dem die Einflußmöglichkeiten des einzelnen Mitglieds auf die Tarifpolitik schon angesichts der verglichen mit einer Gewerkschaft in der Regel deutlich geringeren Mitgliederzahl in der Praxis weitaus größer sein dürften. 380 Vgl. oben § 2 II. Fn. 329. 381 So etwa T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 33 ff.

§ 2 Verfassungsrechtliche Analyse

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daß der Gesetzgeber nicht nur an einzelne Grundrechte, sondern an die gesamte Verfassung gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG). § 3 Abs. 2 TVG muß sich deshalb nicht nur an Art. 9 Abs. 3 GG, sondern auch an sonstigem Verfassungsrecht messen lassen. Insoweit kommen, wie bereits erwähnt382, die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG sowie das aus Art. 20 GG abgeleitete Demokratieund Rechtsstaatsprinzip in Betracht.

1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet jedem „das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“. Diese Formulierung könnte es nahelegen, die Garantie lediglich als Persönlichkeitsschutzrecht zu verstehen, das den durch Art. 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Schutz der Körperlichkeit durch den Schutz der geistig-sittlichen Persönlichkeit (Ehre, Recht am eigenen Wort etc.) ergänzt383. Das Bundesverfassungsgericht384 und der ganz überwiegende Teil des Schrifttums385 gehen jedoch vor allem mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte der Verfassungsnorm386 zu Recht davon aus, daß Art. 2 Abs. 1 GG die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne schützt. Der Schutzbereich des Grundrechts beschränkt sich danach nicht auf einen bestimmten, gegenständlich begrenzten Lebensbereich, sondern umfaßt jedes menschliche Verhalten ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt387. Die Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit hat damit eine Auffangfunktion: Sie erstreckt sich auf jedes Tun oder Unterlassen, das nicht in den Schutzbereich eines speziellen Freiheitsgrundrechts fällt, und gewährleistet auf diese Weise lückenlosen Grundrechtsschutz388. Art. 2 Abs. 1 GG findet deshalb (auch) Anwendung, Vgl. oben § 2 II. 3. In diesem Sinne die sog. „Persönlichkeitskerntheorie“, vgl. vor allem Peters, Entfaltung, S. 48 f; ders. in: FS Laun, S. 669, 673 f.; ähnlich Grimm, abweichende Meinung zu BVerfGE 80, 137, 164 f. (Reiten im Walde); Hesse, Grundzüge, Rn. 428. 384 Grundlegend BVerfGE 6, 32, 36 (Elfes); seitdem st. Rspr. vgl. z. B. BVerfGE 97, 332, 340; 80, 137, 152 f.; 75, 108, 154 f.; 74, 129, 151 f.; 54, 143, 144. 385 Badura, Staatsrecht, C Rn. 108, S. 255 f.; Degenhart, JuS 1990, 161, 162 f.; Di Fabio in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Rn. 12; Dreier in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 22 f.; Erichsen in: Isensee / Kirchhof, HbStR VI, § 152 Rn. 13; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 3; Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 51; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 368; Starck in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 2 Rn. 13; Stein / Frank, Staatsrecht, S. 251 f. 386 Vgl. dazu Dreier in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 8 f. 387 BVerfGE 80, 137, 152; Dreier in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 27; Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 52. 388 Vgl. Di Fabio in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Rn. 12; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 3; Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 10; Pieroth / Schlink, Grundrechte Rn. 369. 382 383

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

wenn eine staatliche Maßnahme den Schutzbereich eines anderen Grundrechts – hier Art. 9 Abs. 3 GG – trotz sachlicher Nähe zu dessen Regelungsbereich nicht beeinträchtigt 389.

2. Der Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit durch § 3 Abs. 2 TVG Aufgrund seiner generalklauselartigen Weite wird Art. 2 Abs. 1 GG praktisch durch jede (imperative) Regelungstätigkeit des Gesetzgebers berührt. Denn allgemeine Handlungsfreiheit bedeutet auch Freiheit von staatlichen Normbefehlen390. Insofern können betriebsverfassungsrechtliche Normen ebenso wie andere Rechtsnormen Belastungen hervorrufen, die den jeweiligen Normadressaten in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG betreffen. § 3 Abs. 2 TVG ordnet jedoch nicht lediglich die einheitliche Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Normen an. Entscheidend ist vielmehr, daß sich die Geltungsanordnung auf Normen bezieht, die nicht vom Staat, sondern von außerstaatlichen Stellen geschaffen werden. Darin liegt ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG, denn der Gesetzgeber darf seine Normsetzungsbefugnis nicht in beliebigem Umfang außerstaatlichen Stellen überlassen und den Bürger schrankenlos der normsetzenden Gewalt autonomer Gremien ausliefern391. 3. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Die Regelung des § 3 Abs. 2 TVG ist nur verfassungsmäßig, wenn sie durch die Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit gedeckt ist.

a) Die „verfassungsmäßige Ordnung“ als Schranke der allgemeinen Handlungsfreiheit Die allgemeine Handlungsfreiheit steht unter dem Vorbehalt, daß ihre Ausübung „nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“. Diese sogenannte „Schrankentrias“ veranschaulicht die Vielgestaltigkeit möglicher Kollisionen der allgemeinen Handlungsfreiheit mit anderen Rechtspositionen392. Die „Rechte anderer“ und das „Sittengesetz“ haben jedoch als Grundrechtsschranken keine eigenständige Bedeutung, sondern werden vom Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung“ mit umfaßt393. Denn dazu 389 390 391 392

Vgl. BVerfGE 64, 208, 213; Di Fabio in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Rn. 17. Vgl. Starck in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 2 Rn. 13. Vgl. BVerfGE 64, 208, 214; 44, 322, 348; Rieble, RdA 1993, 140, 142. Vgl. Dreier: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 52 f.

§ 2 Verfassungsrechtliche Analyse

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zählen alle Rechtsnormen, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen394. Art. 2 Abs. 1 GG steht also unter einfachem Gesetzesvorbehalt. Dieser wird durch § 3 Abs. 2 TVG in verfassungskonformer Weise ausgefüllt, wenn die gesetzliche Regelung mit dem Grundgesetz insgesamt vereinbar ist395. b) Die Wahrung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips Die Geltungserstreckung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen auf Außenseiter wirft zunächst die Frage nach der Wahrung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsgrundsätze auf. aa) Die Notwendigkeit rechtsstaatlich-demokratischer Legitimation Nach Art. 20 Abs. 2 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Zudem bindet Art. 20 Abs. 3 GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die Verfassung. Jede Ordnung eines staatlicher Regelung offenstehenden Lebensbereichs durch Sätze des objektiven Rechts muß deshalb auf eine Willensentschließung der vom Volk bestellten Gesetzgebungsorgane rückführbar sein396. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zählen zu den fundamentalen, unabänderlichen397 Rechtsprinzipien des Grundgesetzes. Im Zusammenhang mit der Geltungserstreckung von Tarifnormen nach § 3 Abs. 2 TVG wird die Notwendigkeit rechtsstaatlich-demokratischer Legitimation 393 Di Fabio in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Rn. 44, 46; Dreier in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 53, 60; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 18 f.; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 385, 388. 394 Grundlegend BVerfGE 6, 32, 37 f. (Elfes); seitdem st. Rspr., vgl. die Nachweise bei Di Fabio in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Rn. 39, Fn. 2; aus dem Schrifttum ferner Badura, Staatsrecht, C Rn. 109, S. 256; Dreier in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 54; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 17; Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 89; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 383. 395 Die verfassungsrechtliche Überprüfbarkeit ist nicht deshalb eingeschränkt, weil das Tarifvertragsgesetz in seiner ursprünglichen Fassung noch vor Inkrafttreten des Grundgesetzes vom Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets beschlossen und verkündet worden ist. Mit der Ausdehnung seines Geltungsbereichs auf das gesamte Bundesgebiet (Gesetz v. 23. 4. 1953, BGBl. I, S. 156) sowie verschiedenen inhaltlichen Änderungen (vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 58 ff.) hat der nachkonstitutionelle Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß er das Tarifvertragsgesetz nachträglich in seinen Willen aufgenommen hat. Das Tarifvertragsgesetz ist deshalb nachkonstitutionelles Recht, vgl. nur BVerfGE 44, 322, 337, 343 (st. Rspr). 396 BVerfGE 64, 208. 214; 33, 125, 158. 397 Nach Art. 79 Abs. 3 GG sind die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze auch einer Verfassungsänderung nicht zugänglich (sog. „Ewigkeitsgarantie“).

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

jedoch teilweise bestritten398. Zur Begründung wird angeführt, das Grundgesetz habe in Art. 9 Abs. 3 GG den Tarifvertragsparteien ein Mandat zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gegeben, das auch den Einbezug der Nichtorganisierten in die tariflichen Arbeitsbeziehungen rechtfertige. Die Aufgaben der Tarifautonomie gäben insoweit einen „verfassungsunmittelbaren Dispens vom Grundsatz der demokratischen Legitimation nach Art. 20 GG“399. Der in Art. 9 Abs. 3 GG enthaltene Ordnungsauftrag an die Tarifvertragsparteien lasse sich nur einlösen, wenn die übrige Rechtsordnung nicht durch einschränkende Bedingungen der Erreichung des Ordnungsziels entgegenarbeite400. Die starre Beharrung auf der individuellen Legitimation der Tarifnormgeltung durch Verbandsbeitritt wäre eine in diesem Sinne kontraproduktive Rechtsregel, weil auf Arbeitnehmerseite der gewerkschaftliche Organisationsgrad nicht hinreichend hoch sei. Die Legitimation zur Normsetzung auch gegenüber Außenseitern finde sich deshalb direkt in der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Tarifautonomie. Dem kann nicht gefolgt werden. Art. 9 Abs. 3 GG verleiht den Koalitionen zwar ein Mandat zur Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, das sich auch auf die Betriebsverfassung erstreckt401. Daraus läßt sich aber kein Normsetzungsrecht gegenüber Außenseitern ableiten. Mit dem Bundesverfassungsgericht402 und der überwiegenden Ansicht im Schrifttum403 ist vielmehr davon auszugehen, daß die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Rechtsetzungsbefugnis der Koalitionen sich grundsätzlich nur auf die Mitglieder der tarifvertragschließenden Parteien erstreckt. Diese Begrenzung der Tarifmacht entspricht nicht nur der historisch gewachsenen und im Grundgesetz niedergelegten Bedeutung der Koalitionsfreiheit; auch im Selbstverständnis der Koalitionen findet sich kein Anhaltspunkt für einen weitergehenden Rechtsetzungsauftrag, der alle am Arbeitsleben beteiligten Personen umgreift404. Die tarifvertragliche Rechtsetzung im Bereich der Betriebsverfassung bildet dabei keine Ausnahme, im Gegenteil: Gerade die gesetzliche Geltungserstreckung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen auf Nichtmitglieder hat namentlich von Gewerkschaftsseite frühzeitig Kritik erfahren405. 398 Vgl. Bunge, Tarifinhalt, S. 55; Däubler, Grundrecht, S. 283 ff.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 97; Hirschmann, Begrenzung, S. 128 ff.; Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 150 f.; Weyand, Mitbestimmung, S. 91 f. 399 So Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 151. 400 Dieser Gedanke steht wohl auch hinter der immer wieder ohne nähere Begründung vorgebrachten These, betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen könnten schon „ihrer Natur nach“ nur einheitlich gelten, vgl. etwa T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 33. 401 Vgl. oben § 2 I. 2. 402 BVerfGE 64, 208, 215; 55, 7, 23; 44, 322, 347. 403 Annuß, NZA 2002, 290, 291; Biedenkopf, Vereinbarungsbefugnis, S. 153 f.; Loritz in: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 38 I, II, S. 425 f.; Rieble, RdA 1993, 140, 142; Schleusener, ZTR 1998, 100, 108; Schlüter in: FS Lukes, S. 559, 562; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 236; Schwarze, Betriebsrat, S. 152. 404 BVerfGE 44, 322, 347 f.

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Der aus Art. 9 Abs. 3 GG folgende Ordnungsauftrag rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn auch er besteht nur im Rahmen der Verfassung. Soweit seine Erfüllung eine gesetzliche Erweiterung der Tarifmacht erfordert, sind deshalb auch die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grenzen einer solchen Erweiterung zu beachten. Zu diesen zählen neben den Grundrechten namentlich die in Art. 20 GG niedergelegten Verfassungsprinzipien. Art. 9 Abs. 3 GG entbindet den Gesetzgeber deshalb nicht von der Beachtung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips. bb) Die Anforderungen an die rechtsstaatlich-demokratische Legitimation Steht damit fest, daß die Geltungserstreckung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen auf Außenseiter rechtsstaatlich-demokratisch legitimiert sein muß, so stellt sich weiter die Frage, welche Anforderungen an diese Legitimation zu stellen sind. Art. 20 GG enthält dazu keine konkreten Vorgaben. Teilweise wird eine ausreichende Legitimation schon darin gesehen, daß – in Gestalt von § 3 Abs. 2 TVG – überhaupt eine gesetzliche Regelung vorhanden ist406. Dieser Gedanke klingt auch in einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts407 zu einer Tarifnorm über betriebliche Fragen an. Darin verneint das Gericht einen Verstoß gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip mit der Begründung, § 3 Abs. 2 TVG enthalte „eine vom Gesetzgeber geschaffene und ausreichend eingeschränkte Ermächtigung zur Normsetzung gegenüber nichtorganisierten Arbeitnehmern“. Hinter diesen Aussagen verbirgt sich eine im Ausgangspunkt zutreffende Überlegung: Der parlamentarische Gesetzgeber ist aufgrund von Wahlen durch das ganze Volk, also auch durch die Tarifaußenseiter, demokratisch legitimiert. Jedes Parlamentsgesetz läßt sich deshalb mittelbar auf die (Wahl-)Entscheidung der Normunterworfenen zurückführen. Das gilt auch für § 3 Abs. 2 TVG als formelles Bundesgesetz. Die Vorschrift erfüllt insoweit die Forderung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips nach einer parlamentsgesetzlichen Regelung. Das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip erschöpft sich jedoch nicht in der Forderung nach einer gesetzlichen Regelung; es verlangt darüber hinaus, daß alle 405 Vgl. Nr. 16 der Begründung des Entwurfs eines Tarifvertragsgesetzes, aufgestellt vom Gewerkschaftsrat der Vereinten Zonen, September 1948 (abgedruckt in ZfA 1973, 129, 148): „Die Gewerkschaften haben kein Interesse, ohne weiteres eine tariflich festgelegte Betriebsverfassung für Unorganisierte gelten zu lassen. In geeigneten Fällen hilft hier die Allgemeinverbindlichkeitserklärung.“ 406 So explizit Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 719: „Das Gesetz ist Legitimation genug“; ähnlich Riester in: Bundesrat, Plenarprotokoll der 761. Sitzung v. 30. 03. 2001, S. 133; vgl. auch Hirschmann, Begrenzung, S. 131; unausgesprochen dürfte dieser Gedanke den Ausführungen vieler Autoren zugrunde liegen, die eine Außenseitergeltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen ohne nähere Begründung allein auf § 3 Abs. 2 TVG stützen. 407 BAG AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

wesentlichen Fragen vom Parlament selbst entschieden werden408. Die Existenz einer parlamentsgesetzlichen Grundlage ist deshalb zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung rechtsstaatlich-demokratischer Legitimation. Es genügt nicht, daß der Gesetzgeber irgendeine Regelung trifft; zu berücksichtigen ist auch ihre inhaltliche Ausgestaltung. Denn der Inhalt einer Norm entscheidet letztlich über ihre Auswirkungen für den Normunterworfenen. Er darf deshalb nicht zur beliebigen Disposition Dritter gestellt werden, die nicht in gleicher Weise wie das Parlament vom Volk legitimiert sind. Für die Ermächtigung der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen ergibt sich das unmittelbar aus Art. 80 Abs. 1 GG. Danach können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen nur durch ein Gesetz ermächtigt werden, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt. Sinn der Vorschrift ist es, das Parlament daran zu hindern, sich seiner Verantwortung als Gesetzgebungsorgan zu entäußern409. Deshalb sind der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen auf staatliche Exekutivorgane von Verfassungs wegen Grenzen gesetzt. Für die gesetzliche Geltungserstreckung von Tarifnormen auf Außenseiter fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung im Grundgesetz. Art. 80 Abs. 1 GG findet auf sie keine Anwendung410. Daraus ist vereinzelt ihre generelle Unzulässigkeit abgeleitet worden411. Diese Schlußfolgerung geht jedoch zu weit. Denn Art. 80 Abs. 1 GG enthält keine abschließende Regelung über das Verhältnis des Parlamentsgesetzgebers zu sonstigen Normgebern, sondern (nur) eine Konkretisierung des Grundsatzes der Gewaltenteilung und des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips im Bereich der Verordnungsgebung412. Er hindert den Gesetzgeber deshalb nicht daran, die einheitliche Geltung von Tarifnormen verbindlich anzuordnen oder staatliche Exekutivorgane dazu zu ermächtigen. Für die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen durch den Arbeitsminister nach § 5 TVG ist das heute weitgehend anerkannt413. Für die Geltungserweiterung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen durch den Gesetzgeber selbst nach § 3 Abs. 2 TVG gilt insoweit nichts anderes. Das bedeutet freilich nicht, daß die Geltungsanordnung von Tarifnormen gegenüber Außenseitern unbeschränkt zulässig ist. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 80 Abs. 1 GG darf der Gesetzgeber seine Normsetzungsgewalt nicht beliebig aus der Hand geben. Denn der darin zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke rechtsstaatlich-demokratischer Legitimation bean408 Vgl. BVerfGE 98, 218, 251; 95, 267, 307; 83, 130, 152; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 54. 409 BVerfGE 78, 249, 272. 410 BVerfGE 44, 322, 349. 411 Vgl. Lieb, Allgemeinverbindlicherklärung, S. 75, Fn. 23. 412 Vgl. Lücke in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 2 f.; Pieroth in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 80 Rn. 1. 413 Vgl. nur BVerfGE 44, 322, 349.

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sprucht im Bereich der Gesetzgebung allgemein Gültigkeit. Ihm widerspräche es, wenn der Gesetzgeber, dem die Übertragung von Rechtsmacht auf – immerhin mittelbar demokratisch legitimierte – Organe der Exekutive nur unter den Beschränkungen des Art. 80 Abs. 1 GG gestattet ist, Rechtsnormen privaten Ursprungs in beliebigem Umfang zum Gegenstand staatlicher Gesetze machen könnte414. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht mit Recht betont, daß auch eine Verweisung von staatlichen Gesetzen auf tarifvertragliche Regelungen nicht dazu führen darf, daß der Bürger schrankenlos der normsetzenden Gewalt der Tarifvertragsparteien ausgeliefert wird, die ihm gegenüber weder rechtsstaatlich-demokratisch noch mitgliedschaftlich legitimiert sind415. Eine Geltungserstreckung von Tarifnormen über den Kreis der (freiwillig) tarifgebundenen Personen hinaus, also die Verweisung der Außenseiter auf eine tarifvertragliche Regelung416, ist deshalb unter rechtsstaatlich-demokratischen Gesichtspunkten nur begrenzt zulässig. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, daß „der Inhalt der tarifvertraglichen Regelungen, auf die staatliche Rechtsnormen verweisen, im wesentlichen feststeht“417. Entscheidendes Kriterium ist mithin die inhaltliche Bestimmtheit der Regelung418. Sie setzt entweder voraus, daß auf einen bestimmten Tarifvertrag verwiesen wird, der bei Erlaß des Gesetzes bereits abgeschlossen ist419, oder daß alle Tarifnormen, die von der Verweisung erfaßt werden können, ihrem Inhalt nach im wesentlichen feststehen. cc) Die Erfüllung der Legitimationsanforderungen durch § 3 Abs. 2 TVG i.V.m. den Zulassungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes Die Geltungsanordnung in § 3 Abs. 2 TVG bezieht sich auf alle „Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebsverfassungsrechtliche Fragen“. Sie genügt den Anforderungen des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips mithin nur, wenn der Inhalt all dieser potentiell von ihr erfaßten Tarifnormen vom Gesetzgeber hinreichend bestimmt vorgegeben ist. Allein die tatbestandliche Beschränkung der Geltungsanordnung auf Tarifnormen über „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ erfüllt dieses Bestimmtheitserfordernis ersichtlich nicht. Die schon ihrem Wortsinn nach weite Formulierung Vgl. Schlüter in: FS Lukes, S. 559, 564 f.; siehe auch BVerfGE 88, 366, 379. BVerfGE 64, 208, 214; zustimmend Annuß, NZA 2002, 290, 291; Dieterich in: FS Däubler, S. 451, 457 f.; Rieble, RdA 1993, 140, 141 f. 416 Zur Qualifizierung von § 3 Abs. 2 TVG als „dynamische Verweisung“ vgl. H. Hanau, RdA 1996, 158, 167; Rieble, RdA 1993, 140, 142; Scholz in: FS G. Müller, S. 509, 533 f. 417 BVerfGE 64, 208, 215. 418 So auch Annuß, NZA 2002, 290, 291. 419 Zur Geltungserstreckung der Rechtsnormen eines bereits abgeschlossenen Tarifvertrags auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer bestimmten Branche vgl. BVerfG (Kammerbeschluß) NZA 2000, 948. 414 415

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

entspricht der in § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 S. 2 TVG über den Inhalt bzw. die Normwirkung des Tarifvertrags. In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber mit der Umschreibung „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ bewußt eine offene Formulierung gewählt, um den Tarifpartnern möglichst viel Freiraum zu eigener Gestaltung zu lassen420. Die Aufnahme „betriebsverfassungsrechtlicher Fragen“ in den Katalog der Tarifnormen des § 1 Abs. 1 TVG sollte die Tarifvertragsparteien in die Lage versetzen, eine Betriebsverfassung nach ihren Vorstellungen und in eigener Verantwortung zu schaffen. Der wesentliche Inhalt der tariflichen Regelungen sollte gerade nicht festgelegt werden. Derselben Formulierung in § 3 Abs. 2 TVG kann auf der Grundlage tradierter Auslegungsmethodik keine andere Bedeutung entnommen werden. Damit ist die Geltungserstreckung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen auf Außenseiter allerdings noch nicht verfassungswidrig. Denn der Gesetzgeber hat sich nicht auf die allgemeine Regelung in § 3 Abs. 2 TVG beschränkt, sondern den Begriff der betriebsverfassungsrechtlichen Fragen in zahlreichen Zulassungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes inhaltlich konkretisiert421. Im Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ist der Regelungsspielraum der Tarifparteien durch diese Zulassungsklauseln begrenzt422. Auch die Geltungsanordnung in § 3 Abs. 2 TVG betrifft insoweit nur Tarifnormen, deren Inhalt durch die Zulassungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes vorgegeben ist. Den rechtsstaatlich-demokratischen Legitimationsanforderungen genügt es deshalb, wenn diese Vorschriften dem Bestimmtheitserfordernis ausreichend Rechnung tragen. Das ist für die meisten Öffnungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes im Ergebnis zu bejahen. Relativ unproblematisch sind dabei zunächst diejenigen Regelungen, die lediglich punktuelle Änderungen und Ergänzungen des gesetzlichen Organisationsrechts zum Gegenstand haben. Das betrifft die tarifvertragliche Verlängerung des gesetzlichen Übergangsmandats des Betriebsrats um sechs Monate (§ 21a Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BetrVG) ebenso wie anderweitige Freistellungsregelungen für Betriebsratsmitglieder (§ 38 Abs. 1 S. 5 BetrVG), abweichende Regelungen über die Mitgliederzahl und Stimmengewichtung in betriebsübergreifenden Gremien (§§ 47 Abs. 4, Abs. 9, 55 Abs. 4, 72 Abs. 4, Abs. 8, 73a Abs. 4 BetrVG), die Errichtung einer tariflichen Schlichtungsstelle (§ 76 Abs. 8 BetrVG) und tarifvertragliche Regelungen über Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens (§ 86 BetrVG). All diese Regelungen knüpfen unmittelbar an die gesetzliche Betriebsverfassung an. Sie tasten die gesetzliche Organisationsstruktur nicht an, sondern setzen sie voraus. Dadurch sind die Modifikationsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien von vornherein eng begrenzt. Nicht nur die organisatorische Grundentscheidung, sondern auch ihre konkrete Umsetzung bleibt in der 420 421 422

Vgl. oben § 1 III. 2. a). Vgl. oben § 1 II. Vgl. oben § 1 III. 2. c).

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Hand des Gesetzgebers. Die zugelassenen Abweichungsmöglichkeiten sind inhaltlich im wesentlichen vorgezeichnet. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ist gerichtlich überprüfbar. Mehr verlangt das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit von Gesetzen nicht immer gleich hoch sind. Das erforderliche Maß an Bestimmtheit ist vielmehr abhängig von der Bedeutung der jeweiligen Regelung: Je wesentlicher die Regelung und je schwerwiegender die Auswirkungen für die Betroffenen, desto größer muß die Bestimmtheit sein423. Auch unter diesem Gesichtspunkt sind im Hinblick auf die genannten Öffnungsklauseln, die lediglich geringfügige Veränderungen des gesetzlichen Organisationsrechts erlauben, verfassungsrechtliche Bedenken nicht begründet. Problematischer ist § 3 Abs. 1 BetrVG; denn er läßt tarifvertragliche Regelungen zu, die nicht auf den gesetzlichen Organisationsstrukturen aufbauen, sondern neben sie oder an ihre Stelle treten. Die Gestaltungsoptionen der Tarifpartner sind also nicht von vornherein durch feststehende gesetzliche Strukturen vorgezeichnet. Das gilt vor allem für Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG. Durch sie kann die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats, die Zusammenfassung mehrerer Betriebe, die Errichtung von Spartenbetriebsräten und die Schaffung anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen bestimmt werden. Die neu gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten gelten gemäß § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG „als Betriebe im Sinne dieses Gesetzes“. Nicht der gesetzlich vorgesehene Aufbau der Betriebsverfassung gibt also den Inhalt des Tarifvertrags vor, sondern dieser den Aufbau der Betriebsverfassung. Existenz, Größe, Zusammensetzung und Zuständigkeiten der gesetzlich vorgesehenen Interessenvertretungen richten sich nach der tarifvertraglich definierten Organisationseinheit. Weil davon auch der Umfang der betrieblichen Mitbestimmung abhängt, können Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG erhebliche Auswirkungen für die von ihnen betroffenen Arbeitnehmer haben. Der zulässige Inhalt der tarifvertraglichen Regelungen muß deshalb vom Gesetzgeber hinreichend klar vorgegeben sein. Daß § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG diesem Erfordernis genügt, wird in der Literatur teilweise bezweifelt. Es sei, so wird argumentiert, „nicht abzusehen, welche organisatorischen Einheiten überhaupt von den Tarifvertragsparteien zur Plattform einer Arbeitnehmervertretung gemacht werden können“424. Die im Gesetz genannten Organisationseinheiten ließen sich kaum klar bestimmen, zumal die neu geschaffenen Begriffe der „Sparte“ und der „anderen Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ kaum subsumierbar seien; ebensowenig sei abzusehen, wie die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der „sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer“ bzw. der „wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeit423 Vgl. Lücke in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 27; a.A. Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 223, der verlangt, daß immer eine „bis in die Einzelheiten konkrete zwingende gesetzliche Regelung vorliegt“. 424 Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 309.

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nehmer“ subsumiert werden sollen425. Namentlich § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG stelle den Tarifvertragsparteien einen „Freibrief“ aus und öffne „jeder Beliebigkeit Tür und Tor“426. Dem ist zu widersprechen. Die Tarifvertragsparteien sind in der Ausübung ihrer Regelungsbefugnis keineswegs frei, sondern an die deutlich zum Ausdruck gebrachten Grundwertungen des Gesetzgebers gebunden427. In § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG ist festgelegt, welche neuen Organisationseinheiten gebildet werden können. Dabei knüpft das Gesetz überwiegend an die bekannten Organisationseinheiten Betrieb, Unternehmen und Konzern an, die auch Grundlage der gesetzlichen Organisation der Betriebsverfassung sind. Der Umgang mit diesen Gesetzesbegriffen mag zwar gelegentlich Schwierigkeiten bereiten. Die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Organisationsvorschriften wegen mangelnder Bestimmtheit ist aber bislang – soweit ersichtlich – noch von niemandem postuliert worden. Warum für § 3 BetrVG nunmehr428 anderes gelten soll, ist nicht nachvollziehbar. Auch die neu eingeführten Begriffe „Sparten“ und „andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ geben keine unlösbaren Rätsel auf. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG enthält eine Legaldefinition der „Sparte“. Sie erfaßt mit „produktoder projektbezogenen Geschäftsbereichen“ typische, aus Betriebswirtschaftslehre und Gesellschaftsrecht bekannte Formen der Unternehmens- und Konzernorganisation. Der Begriff der „Sparte“ erweist sich mithin durchaus als „subsumierbar“429. Das gilt auch für „andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Der Wortlaut dieser Vorschrift ist zwar wenig aussagekräftig und könnte in der Tat den (Trug-)Schluß nahelegen, hier werde den Tarifvertragsparteien ein „Freibrief“ zur Umgestaltung der Betriebsverfassung erteilt. Die systematische Verknüpfung mit § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG zeigt jedoch, daß davon keine Rede sein kann. Denn mit der Einordnung der neu gebildeten Organisationseinheiten „als Betriebe im Sinne dieses Gesetzes“ ist klargestellt, daß sich die betriebliche Binnenorganisation weiterhin allein nach dem Betriebsverfassungsgesetz richtet430. Dies entspricht dem erklärten Willen des 425 Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 309; vgl. dens., BB 2002, 1480, 1481; widersprüchlich Rolf, Betriebsratsstruktur, der § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG zwar einerseits für zu unbestimmt und deshalb verfassungswidrig hält (S. 201 f., 204), anderseits aber davon ausgeht, daß die Tarifvertragsparteien „exakt das regeln dürfen, was § 3 BetrVG gestattet“ (S. 17). 426 Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 37. 427 Ebenso Annuß, NZA 2002, 290, 291, für § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG; auch Thüsing, ZIP 2003, 693, 695, stellt zu Recht fest, „daß – betrachtet man die Norm in ihrem Gesamtkontext – der Spielraum der Tarifvertragsparteien so groß nicht ist“; Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2499 f., konstatieren, § 3 BetrVG setze den Tarifparteien „enge Grenzen“. 428 Gegen den – ebenfalls durchaus weit gefaßten – § 3 Abs. 1 BetrVG a.F. ist der Einwand mangelnder Bestimmtheit nicht erhoben worden, vgl. etwa Richardi in: Richardi, BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 1 ff., insb. Rn. 22 ff. 429 Ausführlich zum Begriff der Spartenorganisation unten § 3 II. 2. a). 430 Ebenso Annuß, NZA 2002, 290, 292.

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Gesetzgebers431. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erlaubt demnach lediglich einen anderen Zuschnitt der betriebsverfassungsrechtlichen Repräsentationseinheiten, nicht jedoch die Errichtung einer von den gesetzlichen Regeln über die Organisation der Betriebsräte abweichende „andere“ Arbeitnehmervertretung432. Weiter eingeschränkt und konkretisiert wird der Gestaltungsspielraum der Tarifpartner durch ergänzende Vorgaben auf der Tatbestandsseite der gesetzlichen Zulassungsklauseln. Die Schaffung der neuen Organisationseinheiten ist danach nur zulässig, wenn sie „die Bildung von Betriebsräten erleichtert“433, „einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer“434 bzw. „der Aufgaben des Betriebsrats“435 oder „einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer“ dient436. Bei diesen Voraussetzungen handelt es sich zwar um normative Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürfen. Auslegungsbedürftigkeit schließt aber Bestimmtheit nicht aus437. Es müssen nur die äußeren Grenzen des Spielraums abgesteckt und damit die Möglichkeit richterlicher Überprüfung ihrer Einhaltung gegeben sein438. Daran können im vorliegenden Zusammenhang letztlich keine ernsthaften Zweifel bestehen. Denn auch wenn die Tatbestände eine gewisse Unschärfe aufweisen, so ist doch eindeutig zu ermitteln, daß sie auf das materielle Betriebverfassungsrecht Bezug nehmen439. Daraus folgt, daß die Bildung tarifvertraglicher Organisationseinheiten nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG nur zulässig ist, soweit die mit dem Betriebsverfassungsgesetz verfolgten Zwecke im Rahmen der alternativen Repräsentationsstruktur auch erreicht werden. Ob die Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind, ist gerichtlich überprüfbar. Der Überprüfungsmaßstab ist gesetzlich vorgegeben. Unter Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte lassen sich unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgebots verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG nicht erheben. Gleiches gilt für § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BetrVG. Danach können durch Tarifvertrag „zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremien (Arbeitsgemeinschaften), die der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertretungen dienen“440, sowie „zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen der Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 35. Annuß, NZA 2002, 290, 292; vgl. auch Thüsing, ZIP 2003, 693, 695. Näher zum Gestaltungsspielraum der Tarifpartner im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG unten § 3 III. 433 § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BetrVG. 434 § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BetrVG. 435 § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. 436 § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. 437 Degenhart in: Sachs, GG, Art. 103 Rn. 68; allgemein zur Vereinbarkeit auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe mit dem Bestimmtheitsgebot BVerfGE 87, 234, 263 f.; 85, 69, 73; 80, 103, 108. 438 Vgl. BVerfGE 21, 73, 79; 20, 150, 157 f.; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 61. 439 Annuß, NZA 2002, 290, 292. 440 § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. 431 432

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Arbeitnehmer, die die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern erleichtern“441, gebildet werden. Die gesetzlichen Vorgaben für die Bildung dieser Gremien sind zwar weniger konkret als die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG. Allerdings sind auch die möglichen Auswirkungen für die Arbeitnehmer wesentlich geringer442. Denn die „zusätzlichen“ Gremien sind, wie sich aus ihrer Bezeichnung und der fehlenden Erwähnung in § 3 Abs. 4 und 5 BetrVG ergibt, keine Mitbestimmungsorgane443. Sie berühren die gesetzliche Organisation der Betriebsverfassung nicht, sondern sollen lediglich die Zusammenarbeit zwischen bestehenden Vertretungen bzw. diesen und den Arbeitnehmern erleichtern. Angesichts ihrer geringen Bedeutung für die Arbeitnehmer ist eine konkretere gesetzliche Ausgestaltung im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz deshalb nicht erforderlich444. Zu unbestimmt ist demgegenüber § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG. Danach kann für Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen, die im Flugbetrieb beschäftigt sind, durch Tarifvertrag „eine Vertretung“ errichtet werden. Nähere Vorgaben über Ausgestaltung, Zuständigkeiten und Rechte dieser Vertretung enthält die Vorschrift nicht. Das entspricht dem mit ihr verfolgten Zweck: Die Tarifvertragsparteien sollen selbst darüber bestimmen, auf welche Weise den Besonderheiten des fliegenden Personals im Rahmen der Betriebsverfassung Rechnung getragen werden kann445. § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG geht damit weit über die anderen gesetzlichen Zulassungsklauseln hinaus. Mit ihm legt der Gesetzgeber die Errichtung einer Betriebsverfassung für das fliegende Personal allein in die Hände der Tarifpartner. Da § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG inhaltlich kaum konkreter ist als § 3 Abs. 2 TVG, kann er dessen unzureichende Bestimmtheit nicht kompensieren. Die Unterwerfung von Außenseitern unter die Normen eines Tarifvertrags nach § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG ist deshalb mangels hinreichender rechtsstaatlich-demokratischer Legitimation mit dem Grundgesetz unvereinbar446. Daraus folgt allerdings nicht die Verfassungswidrigkeit von § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG447. Denn die Vorschrift legt nur den Inhalt der Tarifnormen fest, nicht ihre § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG. Zur Abhängigkeit der Bestimmtheitsanforderungen von Auswirkungen und Tragweite der gesetzlichen Regelung vgl. oben S. 95. 443 Engels / Trebinger / Löhr-Steinhaus, DB 2001, 532, 533; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 87, 97; vgl. auch BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 444 Im Ergebnis ebenso Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 311, der eine rechtliche Betroffenheit der Außenseiter-Arbeitnehmer sogar gänzlich verneint. 445 Vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972. 446 Unproblematisch im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot ist dagegen § 117 Abs. 2 S. 2 BetrVG, der lediglich die Frage der Zusammenarbeit der Flugbetriebsvertretung mit den Vertretungen der Landbetriebe des Luftfahrtunternehmens tarifvertraglicher Regelung überläßt. Dabei handelt es sich um bloße Kooperationsvereinbarungen, welche die gesetzliche Organisation der Betriebsverfassung allenfalls geringfügig beeinflussen können. Insoweit gelten die obigen Ausführungen zu §§ 21a Abs. 1 S. 4, Abs. 2, Abs. 3, 38 Abs. 1 S. 5, 47 Abs. 4, Abs. 9, 55 Abs. 4, 72 Abs. 4, Abs. 8, 73a Abs. 4, 86 BetrVG entsprechend. 441 442

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Geltung gegenüber Außenseitern. Diese ergibt sich allein aus § 3 Abs. 2 TVG448. Die Frage kann deshalb nur sein, ob § 3 Abs. 2 TVG für verfassungswidrig erklärt werden muß. Das ist jedoch zu verneinen; denn die Vorschrift kann verfassungskonform ausgelegt werden449: Unvereinbar mit dem Grundgesetz ist lediglich die Außenseitergeltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen, deren Inhalt nicht hinreichend gesetzlich bestimmt ist450. Die meisten gesetzlichen Zulassungsklauseln erfüllen jedoch die verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen und konkretisieren so den Begriff der „betriebsverfassungsrechtlichen Fragen“ in § 3 Abs. 2 TVG. Es würde deshalb zu weit gehen, § 3 Abs. 2 TVG insgesamt für verfassungswidrig zu erklären. Dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip kann durch eine differenzierende Lösung besser Rechnung getragen werden. Dazu ist der Tatbestand von § 3 Abs. 2 TVG einschränkend in dem Sinne auszulegen, daß Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebsverfassungsrechtliche Fragen nur solche Tarifnormen sind, deren Inhalt hinreichend gesetzlich bestimmt ist. Auf diese Weise wird die gesetzliche Geltungsanordnung exakt in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang beschränkt: Ist der Inhalt betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen durch den Gesetzgeber hinreichend präzise vorgegeben, gelten sie auch gegenüber Außenseiter-Arbeitnehmern. Die rechtsstaatlich-demokratische ersetzt insoweit die mangelnde mitgliedschaftliche Legitimation. Fehlt es hingegen an einer hinreichenden gesetzlichen Konkretisierung des Tarifinhalts, scheidet eine Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen gegenüber Außenseitern aus. Letzteres betrifft namentlich Vereinbarungen nach § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG sowie Tarifverträge, die allein auf Grundlage von § 1 Abs. 1 TVG geschlossen werden451. Ihre 447 Das BAG hat die Verfassungsmäßigkeit von § 117 BetrVG ausdrücklich bejaht, wenn auch in erster Linie bezogen auf die Ausklammerung des fliegenden Personals aus dem Geltungsbereich des BetrVG. Deren Zulässigkeit hat es freilich u. a. darauf gestützt, daß der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit zur Errichtung einer Vertretung durch Tarifvertrag gelassen hat, vgl. BAG AP Nr. 4, 6 zu § 117 BetrVG 1972; Dem BAG folgend das ganz überwiegende Schrifttum, vgl. Fitting, BetrVG, § 117 Rn. 8; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 117 Rn. 6; Joost in: MünchArbR, § 321 Rn. 121; Kania in: ErfK, BetrVG, § 117 Rn. 1; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 117 Rn. 2; Wiese / Franzen in: GK-BetrVG, § 117 Rn. 9; teilweise a.A. Däubler in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 117 Rn. 5 f. (Verfassungswidrigkeit der vollständigen Herausnahme des fliegenden Personals aus dem Geltungsbereich des BetrVG); Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 327 f. (Verfassungswidrigkeit der Zulassung tarifvertraglicher Vertretungsregelungen). 448 Vgl. oben § 1 I., II. Das übersieht Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 327, wenn er die Verfassungswidrigkeit von § 117 Abs. 2 BetrVG auf die Prämisse stützt, „daß § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG mit der Ermöglichung tarifvertraglich errichteter Arbeitnehmervertretungen auch die Außenseiter-Arbeitnehmer im Betrieb erfaßt und ihren Status innerhalb dieser Betriebsverfassung regelt“. 449 Zum Gebot verfassungskonformer Auslegung vgl. oben § 1 III. 2. d). 450 Vgl. oben § 2 III. 3. b) bb). 451 § 1 Abs. 1 TVG kommt als alleinige Grundlage von Tarifverträgen über die Organisation der Betriebsverfassung allerdings nur in Betracht, soweit die gesetzlichen Organisationsvorschriften keine zwingende Wirkung entfalten, also außerhalb des Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes, vgl. oben § 1 III. 2. b).

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Rechtsnormen gelten entsprechend § 4 Abs. 1 TVG nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen452. Tarifaußenseiter können allenfalls durch arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag in dessen Geltungsbereich einbezogen werden. Wird § 3 Abs. 2 TVG in diesem Sinne verfassungskonform ausgelegt, bestehen gegen die Vorschrift unter dem Gesichtspunkt des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips keine Bedenken. c) Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit Die gesetzliche Geltungserstreckung (hinreichend konkretisierter) betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen auf Außenseiter darf diese ferner nicht unverhältnismäßig belasten. Sie muß zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein453. § 3 Abs. 2 TVG zielt darauf ab, die Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen durch Tarifvertrag praktisch zu erleichtern und damit die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie im Bereich der Betriebsverfassung sicherzustellen 454. Dahinter steht die zutreffende Erwägung, daß die Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen mit Wirkung nur für Gewerkschaftsmitglieder in vielen Fällen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, unter Umständen sogar unmöglich wäre455. Namentlich die Ausfüllung der gesetzlichen Zulassungsklauseln, die Veränderungen des auf einheitliche Geltung angelegten gesetzlichen Organisationsrechts erlauben, würde kaum überwindbare Probleme aufwerfen. Die Anordnung betriebseinheitlicher Geltung der Tarifnormen vermeidet diese Probleme und ist daher zur Erreichung des genannten Zwecks geeignet. Sie ist auch erforderlich, weil ein milderes Mittel gleicher Wirkung nicht zur Verfügung steht. Dem Gesetzgeber bliebe nur die Alternative, es bei einer Beschränkung der Tarifnormgeltung für die Koalitionsmitglieder zu belassen. Auf diese Weise wäre zwar eine rechtliche Beeinträchtigung der Außenseiter ausgeschlossen. Zugleich aber würden die Tarifpartner faktisch zu einem weitgehenden Verzicht auf (sinnvolle) betriebsver452 Das gilt freilich nur unter der Voraussetzung, daß eine Geltungsbeschränkung der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen auf die Mitglieder der Tarifvertragsparteien möglich ist. Davon ist allerdings bei Regelungen nach § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG und § 1 Abs. 1 TVG grundsätzlich auszugehen. Hinsichtlich der Geltungsbeschränkung auf tarifgebundene Arbeitgeber dürfte das außer Frage stehen. Aber auch die Beschränkung der Tarifnormgeltung auf tarifgebundene Arbeitnehmer begegnet keinen prinzipiellen Einwänden. Die Errichtung einer Arbeitnehmervertretung nur für Gewerkschaftsmitglieder mag zwar ungewöhnlich und in vielen Fällen auch wenig praktisch sein. Technisch oder gar denknotwendig ausgeschlossen ist sie aber nicht, vgl. Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 328; Jahnke, Tarifautonomie, S. 127; Schwarze, Betriebsrat, S. 155 f. 453 Zu den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vgl. oben § 2 I. 4. b) bb). 454 Vgl. Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 104; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 138; Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 196 f., 206 f.; Waltermann, ZfA 2000, 53, 84. 455 Vgl. die Beispiele bei Schwarze, Betriebsrat, S. 157 ff.

§ 2 Verfassungsrechtliche Analyse

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fassungsrechtliche Regelungen genötigt. Damit würde nicht nur das gesetzgeberische Regelungsziel verfehlt, sondern letztlich auch die Einbeziehung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen in den Kanon zulässiger Tarifnormen negiert456. Das vermeidet § 3 Abs. 2 TVG, ohne die Interessen der Außenseiter unangemessen zu beeinträchtigen. Zu deren Schutz ist die Regelungsbefugnis der Koalitionen durch die zwingenden Organisationsnormen des Betriebsverfassungsgesetzes eng begrenzt457. Die tatbestandlichen Vorgaben der gesetzlichen Zulassungsklauseln verhindern, daß tarifvertragliche Vereinbarungen den Wertungen des gesetzlichen Betriebsverfassungsrechts widersprechen. Damit hat der Gesetzgeber dafür gesorgt, daß die Regelungen (auch) für Nichtorganisierte keine erheblichen Nachteile mit sich bringen können458. Die mit der gesetzlichen Geltungsanordnung verbundene Beeinträchtigung ist den Außenseitern daher zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks zumutbar, das Verhältnismäßigkeitsprinzip mithin gewahrt.

4. Ergebnis § 3 Abs. 2 TVG greift in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit der Außenseiter-Arbeitnehmer ein. Der Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, soweit die Vorschrift mit Rücksicht auf das Rechtsstaatsund Demokratieprinzip einschränkend ausgelegt wird: Tarifnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen im Sinne von § 3 Abs. 2 TVG sind nur solche Tarifnormen, deren Inhalt hinreichend gesetzlich bestimmt ist. Diese Voraussetzung wird durch die Zulassungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes mit Ausnahme von § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG erfüllt. Ohne hinreichende gesetzliche Konkretisierung des Norminhalts kommt eine Geltungserstreckung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen hingegen nicht in Betracht. In diesem Sinne interpretiert ist § 3 Abs. 2 TVG auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

IV. Gesetzliche Regelung und allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) Die in § 3 Abs. 2 TVG angeordnete einheitliche Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen für alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf deren Koalitionszugehörigkeit läßt schließlich an eine mögliche Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) denken. 456 457

Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 138. Zum zwingenden Charakter der gesetzlichen Organisationsvorschriften vgl. oben § 1 III.

2. b). 458

Vgl. auch Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 105.

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1. Teil: Die rechtlichen Grundlagen

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der auch den Gesetzgeber bindet459, soll die Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherstellen460. Der Schutzbereich des Grundrechts ist berührt, wenn wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird461. Im vorliegenden Zusammenhang kommt eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem in Betracht. Sie könnte darin gesehen werden, daß § 3 Abs. 2 TVG nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer in gleicher Weise betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen unterwirft wie Gewerkschaftsmitglieder, also die Gewerkschaftszugehörigkeit als wesentliches Unterscheidungsmerkmal unberücksichtigt läßt. Eine solche Sichtweise setzt allerdings voraus, daß die Gewerkschaftszugehörigkeit im gesetzlichen Regelungskontext ein Merkmal darstellt, das zur Unvergleichbarkeit der vom Gesetz gleich behandelten Sachverhalte führt462. Das erscheint im Hinblick auf § 3 Abs. 2 TVG zweifelhaft. Denn maßgeblicher Anknüpfungspunkt der gesetzlichen Geltungsanordnung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen für die Arbeitnehmer ist nicht Koalitionsmitgliedschaft, sondern die Betriebszugehörigkeit. Sie entsteht durch Abschluß des Arbeitsvertrags und Eingliederung in den Betrieb, ohne daß es auf die Gewerkschaftszugehörigkeit ankommt. Daß sich unter den betriebszugehörigen Arbeitnehmern sowohl Gewerkschaftsmitglieder als auch Nichtorganisierte befinden, macht sie als Normadressaten nicht unvergleichbar. Aus diesem Grund läßt sich bereits ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 3 Abs. 1 GG verneinen463. Aber selbst wenn man die einheitliche Behandlung aller betriebsangehörigen Arbeitnehmer durch § 3 Abs. 2 TVG als Gleichbehandlung verschiedenartiger Sachverhalte qualifizierte, wäre diese jedenfalls gerechtfertigt. Eine verfassungswidrige Beeinträchtigung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor, wenn für die Gleich- oder Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund besteht464. Dabei ist namentlich in den Fällen gesetzlicher Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte ein großzügiger Beurteilungsmaßstab anzulegen465. Art. 3 Abs. 1 GG ist 459 Art. 3 Abs. 1 GG verlangt zwar seinem Wortlaut nach („vor dem Gesetz“) lediglich Rechtsanwendungsgleichheit, doch besteht wegen Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 GG Einigkeit darüber, daß Art. 3 Abs. 1 GG auch Rechtsetzungsgleichheit gebietet (so schon BVerfGE 1, 14, 52; vgl. aus dem Schrifttum nur Gubelt in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 3 Rn. 8 m. w. N.). 460 Belling in: FS Kollhosser, S. 15, 28; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 1. 461 BVerfGE 98, 365, 385; 86, 81, 87; 84, 133, 158; 49, 148, 165; Gubelt in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 3 Rn. 10 f.; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 4, 5; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 83. 462 Eine für Art. 3 Abs. 1 GG relevante Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem liegt nur vor, wenn nicht vergleichbare Sachverhalte gleichbehandelt werden, vgl. Jarass in: Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 5. 463 Nach überwiegender Ansicht setzt eine Beeinträchtigung von Art. 3 Abs. 1 GG neben der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung außerdem voraus, daß diese einen Nachteil für den Betroffenen bewirkt, vgl. BVerfGE 67, 239, 244; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 84 m. w. N. 464 BVerfGE 80, 109, 118; 71, 39, 53; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 439 f.

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nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Differenzierungen, die er vornehmen darf, nicht vornimmt466. Vielmehr hat der Gesetzgeber einen weiten Ermessens- und Gestaltungsspielraum. Er ist erst überschritten, wenn sich ein vernünftiger Grund für die Gleichbehandlung nicht finden läßt467. Davon ausgehend kann eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch § 3 Abs. 2 TVG nicht festgestellt werden. Die Regelung dient dem verfassungslegitimen Ziel, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie im Bereich der Betriebsverfassung zu sichern468. Darin liegt ein sachlicher Grund, der die Anordnung einheitlicher Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen für alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer ungeachtet ihrer Koalitionszugehörigkeit rechtfertigt469. Der allgemeine Gleichheitssatz wird daher durch § 3 Abs. 2 TVG ebensowenig verletzt wie die Freiheitsrechte der nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer470.

465 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 28; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 83; vgl. auch Belling, NZA 2004, 885, 887. 466 BVerfGE 90, 226, 239; 86, 81, 87. 467 BVerfGE 90, 226, 239. 468 Vgl. oben § 2 III. 3. c). 469 Die für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit der Außenseiter-Arbeitnehmer maßgebenden Erwägungen [vgl. oben § 2 III. 3. c)] können insoweit auch zur Rechtfertigung einer Gleichbehandlung im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG herangezogen werden. 470 Dazu ausführlich oben § 2 II. 3. und § 2 III. 3. b), c).

Zweiter Teil

Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner In den vorangegangenen Untersuchungen wurde der einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Rahmen für tarifvertragliche Vereinbarungen zur Organisation der Betriebsverfassung abgesteckt. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse sollen nachfolgend die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner im einzelnen ausgelotet werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten, Gremien und Vertretungen nach § 3 BetrVG (§ 3). Außerdem ist auf weitere durch das Betriebsverfassungsgesetz eröffnete Gestaltungsmöglichkeiten (§ 4) sowie Regelungsspielräume außerhalb des Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes (§ 5) einzugehen.

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten, Gremien und Vertretungen nach § 3 BetrVG Zentraler Anknüpfungspunkt des gesetzlichen Organisationsrechts ist der Betrieb. Er bildet die organisatorische Grundeinheit, in welcher der Betriebsrat gewählt wird und seine gesetzlichen Beteiligungsrechte ausübt1. § 3 BetrVG eröffnet den Tarifpartnern die Möglichkeit, anstelle des Betriebs andere Organisationseinheiten zu bestimmen, die sodann kraft gesetzlicher Fiktion2 als Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gelten. Auf diese Weise kann der Anknüpfungspunkt des gesetzlichen Organisationsrechts durch Tarifvertrag verändert werden. Darüber hinaus können auf tarifvertraglicher Grundlage neben den gesetzlich vorgesehenen Arbeitnehmervertretungen zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremien und Vertretungen gebildet werden. Die einzelnen Regelungsmöglichkeiten und ihre Voraussetzungen sind in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BetrVG zwingend3 vorgegeben. 1 Vgl. §§ 1, 74 ff. BetrVG. Auch die nach dem Betriebsverfassungsgesetz vorgesehene Repräsentation und Beteiligung der Arbeitnehmer auf der Unternehmens- und Konzernebene setzt stets die Existenz einer Arbeitnehmervertretung auf Betriebsebene voraus, vgl. §§ 47 I, 54 I, 106 I, 107 BetrVG. 2 Vgl. § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG. 3 Vgl. oben § 1 III. 2. c) und § 2 I. 5.

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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I. Die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats und die Zusammenfassung von Betrieben (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG läßt alternativ zwei tarifvertragliche Regelungen zu. Für beide gelten dieselben Tatbestandsvoraussetzungen. 1. Die Regelungsmöglichkeiten a) Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats Die erste gesetzlich vorgesehene Regelung ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG die „Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebrats“4. Die Gesetzesformulierung ist wenig glücklich, weil sie den Eindruck erwecken könnte, es werde durch Tarifvertrag ein Betriebsrat auf Unternehmensebene eingesetzt. Das ist freilich nicht gemeint. Es geht vielmehr darum, das Unternehmen als betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit festzulegen. Das ergibt sich aus § 3 Abs. 5 BetrVG, der auf die „nach Absatz 1 Nr. 1 bis 3 gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten“ Bezug nimmt und bestimmt, daß diese „als Betriebe“ im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gelten. Durch eine Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG können die Tarifpartner also bewirken, daß ein Unternehmen betriebsverfassungsrechtlich wie ein Betrieb behandelt wird. Sie schaffen damit die organisatorische Grundlage für die Wahl eines „Betriebsrats“ durch alle wahlberechtigten Arbeitnehmer des Unternehmens5. Das schließt zugleich die Bildung eines Gesamtbetriebsrats aus, weil diese das Bestehen mehrer Betriebsräte in einem Unternehmen voraussetzt6. Die Ersetzung der Organisationseinheit „Betrieb“ durch die Organisationseinheit „Unternehmen“ hat außerdem zur Folge, daß für die Erfüllung aller gesetzlichen Schwellenwerte, die an die Betriebsgröße anknüpfen7, die Unternehmensgröße maßgeblich ist. b) Zusammenfassung von Betrieben Alternativ zur Bildung eines „unternehmenseinheitlichen Betriebsrats“ erlaubt § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG „die Zusammenfassung von Betrieben“8. Die zusam4 Die Vorschrift hat ein Vorbild in § 20 Abs. 1 SprAuG, der die Bildung eines „Unternehmenssprecherausschusses“ für leitende Angestellte erlaubt. 5 Diese rechtliche Konstruktion mag der Grund für den Gesetzgeber gewesen sein, die zu bildende Arbeitnehmervertretung als „unternehmenseinheitlichen Betriebsrat“ und nicht – was sprachlich nahegelegen hätte – als „Unternehmensrat“ zu bezeichnen. 6 Vgl. § 47 Abs. 1 BetrVG. Die Aufgaben des Gesamtbetriebsrats in einem Konzernbetriebsrat nimmt der unternehmenseinheitliche Betriebsrat wahr, § 54 Abs. 2 BetrVG. 7 Vgl. § 1 Abs. 1 S. 1, 9, 14 a, 28 a, 38 Abs. 1, 92a Abs. 2, § 95 Abs. 2 BetrVG.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

mengefaßten Betriebe gelten als ein Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes9. Anders als nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG ist es also nach Nr. 1b möglich, die Anzahl der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten zu reduzieren, ohne die gesetzliche Unterscheidung zwischen Betriebs- und Unternehmensebene aufzugeben: Auf der Betriebsebene werden in betriebsratsfähigen Betrieben, die nicht zusammengefaßt sind, weiterhin Betriebsräte gewählt; bestehen in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte, ist ein Gesamtbetriebsrat zu errichten10. Derartige Zusammenlegungen einzelner Betriebe unter prinzipieller Beibehaltung des zweistufigen Organisationsaufbaus hatten offenbar auch die Gesetzesverfasser im Sinn. Das belegt die Entwurfsbegründung, in der die Rechtsfolge von § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG damit umschrieben wird, daß „in einem Unternehmen jeweils mehrere Betriebe zusammengefaßt werden“ können11. Der Gesetzeswortlaut läßt allerdings auch andere Regelungen zu. Die Formulierung „Zusammenfassung von Betrieben“ umfaßt nämlich nach allgemeinem Sprachverständnis ohne weiteres auch die Zusammenfassung aller Betriebe eines Unternehmens und damit die betriebsverfassungsrechtliche „Verschmelzung“ von Betriebs- und Unternehmensebene zu einem unternehmenseinheitlichen Repräsentationsbereich. Solche Regelungen sind indessen schon nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG möglich12. Will man diese Vorschrift nicht ihres Anwendungsbereichs berauben, wird man Nr. 1b einschränkend dahin auslegen müssen, daß sie nicht die Zusammenfassung aller Betriebe eines Unternehmens umfaßt13. 2. Die Regelungsvoraussetzungen a) Unternehmen mit mehreren Betrieben Sowohl die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG als auch die Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 8 Möglich ist auch die Zusammenfassung von Betriebsteilen, die nach § 4 Abs. 1 BetrVG als selbständige Betriebe gelten. Dagegen kommt eine Teilung von Betrieben nach dem eindeutigen Wortlaut von § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG nicht in Betracht; ebenso Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 4; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 36; Kort, AG 2003, 13, 19; a.A. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 34, 36. 9 § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG. 10 Vgl. §§ 1 Abs. 1 BetrVG, 47 Abs. 1 BetrVG. 11 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34 (Hervorh. d. Verf.); vgl. auch die dort beispielhaft genannte Möglichkeit, „Regionalbetriebsräte in Unternehmen mit bundesweitem Filialnetz errichten zu können“. 12 Vgl. oben § 3 I. 1. a). 13 Fraglich bleibt allerdings, warum der Gesetzgeber überhaupt zwischen der Zusammenfassung aller Betriebe (Nr. 1 a) und der Zusammenfassung von Betrieben (Nr. 1 b) unterschieden hat. Da die zweite Regelungsmöglichkeit ihrem Wortlaut nach die erste mit umfaßt und für beide Regelungsoptionen dieselben Tatbestandsvoraussetzungen gelten, wäre Nr. 1a eigentlich überflüssig gewesen. Will man dem Gesetzgeber insoweit keine „Fehlleistung“ unterstellen, bleibt als mögliches Motiv für die Differenzierung wohl allenfalls ein Klarstellungsinteresse.

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Abs. 1 Nr. 1b BetrVG ist nur „für Unternehmen mit mehreren Betrieben“ zulässig. Dabei handelt es sich um eine gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung, die nicht der Disposition der Tarifvertragsparteien unterliegt14. Ob sie erfüllt ist, bestimmt sich in Ermangelung einer Legaldefinition nach den von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Kriterien. Danach ist Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt15. Entscheidend ist, daß die in einer Arbeitsstätte vorhandenen Betriebsmittel zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwekke zusammengefaßt, geordnet und eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird, wobei sich die einheitliche Leitung auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten erstrecken muß16. Das Unternehmen wird definiert als organisatorische Einheit, mit der hinter dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebs liegende wirtschaftliche oder ideelle Zwecke verfolgt werden17. Die organisatorische Einheit muß einem einheitlichen Rechtsträger zugeordnet sein18. Ein Unternehmen mit mehreren Betrieben liegt demnach vor, wenn ein Rechtsträger wirtschaftliche oder ideelle Zwecke in mehreren arbeitstechnischen Einheiten unter jeweils einheitlicher Leitung verfolgt. Fraglich ist, ob auch gemeinsame Betriebe mehrerer Unternehmen als Betriebe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG anzusehen sind. Dafür könnte sprechen, daß § 1 Abs. 1 S. 2 und § 47 Abs. 9 BetrVG gemeinsame Betriebe wie sonstige Betrie14 Entgegen Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 25 können deshalb auch Zweifel an der rechtlich zutreffenden Abgrenzung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten nicht durch die kollektivvertragliche Regelung ausgeräumt werden. Andernfalls könnten die Tarifvertragsparteien sich die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen selbst schaffen und damit anstelle des Gesetzgebers über die Zulässigkeit des Tarifvertrags entscheiden. 15 St. Rspr. des BAG, vgl. nur BAG NZA 2004, 618 m. w. N.; ebenso die h.L., vgl. etwa Fitting, BetrVG, § 1 Rn. 63; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 1 Rn. 2; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 3 II 1, S. 26; Kraft / Franzen in: GKBetrVG, § 1 Rn. 28; Loritz in: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 45 I 3, S. 508. Grundlegend zum Betriebsbegriff A. Hueck in: Hueck / Nipperdey, Lehrbuch I, § 16 II, S. 93, im Anschluß an Jacobi, Betrieb und Unternehmen, S. 9. Kritisch zur Begriffsbildung der h. M. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 81 ff. 16 BAG NZA 2004, 618; BAG AP Nr. 3, 5 zu § 4 BetrVG 1972; Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 1 Rn. 10; Fitting, BetrVG, § 1 Rn. 71; Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 1 Rn. 35 – 44; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 1 Rn. 4; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 1 Rn. 30. 17 BAG AP Nr. 4 zu § 47 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 1 zu § 88 BetrVG 1952; Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 1 Rn. 7; Fitting, BetrVG, § 1 Rn. 145; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 3 II 3, S. 30; Kort, AG 2003, 13, 14. 18 Vgl. BAG AP Nr. 7, 9 zu § 47 BetrVG 1972; Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 47 Rn. 3; Kreutz in: GK-BetrVG, § 47 Rn. 13; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 1 Rn. 53. Rechtsträger können sowohl natürliche als auch juristische Personen bzw. rechtsfähige Personengesellschaften sein.

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be behandeln. Trümner19 folgert aus diesen Vorschriften, der gemeinsame Betrieb sei generell „betriebsverfassungsrechtlich mit einem ,Normalbetrieb‘ gleichgestellt“. Das überzeugt nicht. § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG bestimmt lediglich, daß die in Satz 1 der Vorschrift genannten Voraussetzungen für die Betriebsratsfähigkeit auch für gemeinsame Betriebe mehrerer Unternehmen gelten. Eine allgemeine betriebsverfassungsrechtliche Gleichstellung von Betrieben und gemeinsamen Betrieben – die gesetzestechnisch ohne weiteres möglich gewesen wäre20 – hat der Gesetzgeber damit nicht vorgenommen. Sie folgt auch nicht aus § 47 Abs. 9 BetrVG. Der Vorschrift läßt sich zwar entnehmen, daß Betriebsratsmitglieder aus einem gemeinsamen Betrieb in den Gesamtbetriebsrat entsandt werden können. Das ist aber nur eine konsequente Fortsetzung der in § 2 Abs. 1 S. 2 BetrVG getroffenen Regelung. Zwingende Rückschlüsse für § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG lassen sich daraus nicht ziehen. Ob § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auch gemeinsame Betriebe mehrerer Unternehmen umfaßt, muß daher durch Auslegung der Vorschrift selbst festgestellt werden. Dabei kommt es mangels Ergiebigkeit von Wortlaut und Gesetzesbegründung maßgeblich auf systematische und teleologische Gesichtspunkte an. Sie sprechen klar gegen die Einbeziehung gemeinsamer Betriebe in den Anwendungsbereich der Norm. Die Tatbestandsvoraussetzung „Unternehmen mit mehreren Betrieben“ hat erkennbar den Sinn, die kollektivvertragliche Gestaltungsfreiheit auf Betriebe eines Unternehmens zu begrenzen21. Andernfalls hätte es der Gesetzgeber bei der Festlegung des Regelungsgegenstands „Zusammenfassung von Betrieben“ belassen können, der eine solche Begrenzung nicht enthält. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG grenzt sich damit zugleich von Nr. 2 und 3 der Vorschrift ab, deren weiter gefaßte Tatbestände auch unternehmensübergreifende Regelungen zulassen. Nimmt man die gesetzgeberische Differenzierung ernst, bleibt für eine tatbestandliche Erfassung gemeinsamer Betriebe im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG kein Raum. Die Tatbestandsvoraussetzung „Unternehmen mit mehreren Betrieben“ ist deshalb beispielsweise nicht erfüllt, wenn ein Unternehmen (nur) einen Betrieb allein führt und daneben mit einem oder mehreren weiteren Unternehmen an einem gemeinsamen Betrieb beteiligt ist22. Da gemeinsame Betriebe ex definitione mehreren Unternehmen zugeordnet sind, durchbrechen sie die von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG vorausgesetzte Grenze des einen Unternehmens, innerhalb dessen die kollektivvertraglichen Regelungsmöglichkeiten bestehen23. Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 21. Etwa durch die Formulierung: „Als Betriebe im Sinne dieses Gesetzes gelten auch gemeinsame Betriebe mehrerer Unternehmen“. 21 Vgl. Kort, AG 2003, 13, 18. 22 Ebenso (ohne Begründung) Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 18; a.A. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, § 3 Rn. 21. 23 Kort, AG 2003, 13, 18; i.E. ebenso Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 1; einschränkend Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 27, wonach die Einbeziehung gemeinsamer Betriebe in Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG „jedenfalls dann“ ausscheiden soll, wenn für diese Betriebe ein eigener Betriebsrat gebildet wird; a.A. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 3 f. 19 20

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Nicht erforderlich ist, daß die einzelnen Betriebe des Unternehmens betriebsratsfähig im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG sind24. Eine solche Einschränkung, wie sie gelegentlich im Schrifttum25 postuliert wird, läßt sich dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht entnehmen. Sie wiederspräche auch dem Gesetzeszweck, gerade in kleineren Unternehmen mit häufig kleinen arbeitstechnischen Einheiten bessere Voraussetzungen für die Wahl von Betriebsräten zu schaffen26. Zwar sind nicht betriebsratsfähige Kleinbetriebe grundsätzlich schon nach § 4 Abs. 2 BetrVG kraft Gesetzes „dem Hauptbetrieb zuzuordnen“. Diese gesetzliche Zuordnung ist aber nicht in allen Fällen sachgerecht27. Sie kann zudem daran scheitern, daß der Kleinstbetrieb wegen seines selbständigen Betriebszwecks keinem Hauptbetrieb zugeordnet werden kann28. § 4 Abs. 2 BetrVG schließt deshalb, wie auch die Gesetzesbegründung29 betont, eine anderweitige Zuordnung durch Kollektivvertrag nicht aus30.

b) Erleichterung der Bildung von Betriebsräten oder sachgerechte Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verlangt, daß die tarifvertragliche Regelung „die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient“. Die Tatbestandsvoraussetzung Erleichterung der Bildung von Betriebsräten war in ähnlicher Form bereits in § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG a.F. enthalten. Danach konnten durch Tarifvertrag Regelungen über die Zuordnung von Betriebsteilen und Nebenbetrieben getroffen werden, soweit dadurch die Bildung von Vertretungen der Arbeitnehmer erleichtert wurde. Diese Voraussetzung wurde unter Geltung des bisherigen Rechts sehr großzügig interpretiert. Sie sollte nicht nur erfüllt sein, wenn die betroffenen Nebenbetriebe und Betriebsteile bislang vertretungslos waren, sondern auch dann, wenn dort bereits Betriebsräte bestanden und die neue Zuordnung lediglich der „Verbesserung“ der Wahrnehmung und Durchsetzung der Arbeitneh24 Ebenso Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 3 Rn. 6; Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 9; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, § 3 Rn. 22. Anderes gilt für Betriebsteile, die nach § 4 Abs. 1 BetrVG nur dann als selbständige Betriebe anzusehen sind, wenn sie (u. a.) die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG erfüllen. 25 Kort, AG 2003, 13, 18; zumindest mißverständlich Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 3, der verlangt, daß „mehrere Betriebe nach § 1“ bestehen. 26 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 33. 27 Plander, NZA 2002, 483, 485; vgl. auch BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 35. 28 Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 3 Rn. 6, § 4 Rn. 12. 29 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 35. 30 Um Unklarheiten über das Verhältnis von § 4 Abs. 2 zu § 3 BetrVG von vornherein auszuschließen, hätte der Gesetzgeber freilich gut daran getan, die gesetzliche Zuordnung nach § 4 Abs. 2 BetrVG ausdrücklich nur für den Fall vorzusehen, daß eine Regelung nach § 3 Abs. 1 oder 2 BetrVG nicht besteht.

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merrechte diente31. Diese schon mit dem damaligen Gesetzeswortlaut schwer vereinbare Interpretation kann jedenfalls nach neuer Rechtslage nicht mehr aufrechterhalten werden. Denn § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG n.F. unterscheidet nunmehr ausdrücklich zwischen erleichterter Betriebsratsbildung einerseits und sachgerechter Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen andererseits. Eine Verquickung beider Kriterien ist also nicht (mehr) zulässig. Die neue Gesetzesformulierung ist zudem enger als die bisherige, weil sie allein auf die Erleichterung der Bildung von Betriebsräten32 abstellt. Eine erleichterte Bildung anderer Arbeitnehmervertretungen wie Gesamt- oder Konzernbetriebsräten genügt demnach nicht (mehr)33. Vor diesem Hintergrund fragt es sich, welcher Anwendungsbereich für das Merkmal „Erleichterung der Bildung von Betriebsräten“ nach neuem Recht überhaupt verbleibt. Allein dadurch, daß in einem vom Tarifvertrag erfaßten Betrieb bislang kein Betriebsrat gebildet wurde, ist der Tatbestand jedenfalls noch nicht erfüllt34. Denn die Nichtwahl eines Betriebsrats kann auf einer bewußten Entscheidung der Arbeitnehmer beruhen, die auch der Tarifvertrag nicht ersetzen kann. Es bedarf deshalb auch bei Einbeziehung betriebsratsloser Betriebe grundsätzlich näherer Begründung, warum durch die tarifvertragliche Regelung die Bildung von Betriebsräten erleichtert wird. Anders ist es nur, wenn kraft Gesetzes nicht betriebsratsfähige Betriebe35 infolge des Tarifvertrags Betriebsratsfähigkeit erlangen. Streng genommen wird dadurch zwar die Betriebsratsbildung nicht (bloß) erleichtert, sondern überhaupt erst ermöglicht. Doch wird man den gesetzlichen Tatbestand im Wege des ErstRecht-Schlusses jedenfalls auf diesen Fall erstrecken müssen. Ein größerer Anwendungsbereich dürfte der alternativen Voraussetzung zukommen, daß die tarifvertragliche Regelung einer sachgerechten Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen dient. Da das Gesetz nicht verlangt, daß die neu gebildeten Organisationseinheiten sachgerechter sind als die gesetzlichen36, muß die tarifvertragliche Gestaltung lediglich zweckmäßig sein. Den maßgeblichen Bezugspunkt bildet dabei in erster Linie das materielle Betriebsverfassungsrecht. Die tarifvertragliche Regelung muß vor allem eine sinnvolle und effektive Wahrnehmung der gesetzlichen Beteiligungsrechte ermöglichen, weil auf diese Weise die gemeinsamen Interessen der Arbeitnehmer am besten verfolgt werden können. Eine in 31 Vgl. etwa LAG Düsseldorf, LAGE Nr. 4 zu § 3 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, (20. Aufl.), § 3 Rn. 49. 32 Die Pluralform läßt es zweifelhaft erscheinen, ob die Voraussetzung bei Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG überhaupt erfüllt sein kann. 33 Zutreffend Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 4. 34 Fast einhellig a.A. ohne nähere Begründung die Kommentarliteratur, vgl. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 4; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 22; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 29; wohl auch Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 17; zurückhaltender Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 29. 35 Oder Betriebsteile i. S. d. § 4 Abs. 1 BetrVG. 36 So aber Kort, AG 2003, 13, 18.

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diesem Sinne sachgerechte Regelung kann etwa darin liegen, daß der Zuschnitt der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit(en) den für die Ausübung der Beteiligungsrechte bedeutsamen Entscheidungsabläufen im Unternehmen angepaßt wird37. Auch dient es regelmäßig den Interessen der Arbeitnehmer, wenn durch Vergrößerung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit(en) betriebsbezogene Schwellenwerte für bestimmte Beteiligungsrechte 38 überschritten werden39. Zu denken ist ferner an Fälle, in denen aufgrund des Tarifvertrags Arbeitnehmer in ansonsten nicht betriebsratsfähigen (Kleinst-)Betrieben oder Betriebsteilen eine Vertretung erhalten. Die Einbeziehung solcher Betriebe in Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG kann also auch zulässig sein, wenn sie nicht die Tatbestandsvoraussetzung „Erleichterung der Bildung von Betriebsräten“ erfüllt, etwa weil der nicht betriebsratsfähige Betrieb lediglich vom Betriebsrat eines größeren Betriebs mit betreut wird. Andere Gesichtspunkte als die Erleichterung der Bildung von Betriebsräten und die sachgerechte Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen können die Zulässigkeit tarifvertraglicher Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht begründen40. So rechtfertigt etwa das Interesse des Arbeitgebers an Kosteneinsparungen durch Verringerung der Anzahl der Gremien und Betriebsratsmitglieder die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats ebenso wenig wie das Interesse der tarifschließenden Gewerkschaft an erleichterter „Betreuung“ einer zentralen Arbeitnehmervertretung. Das bedeutet allerdings nicht, daß solche Erwägungen beim Abschluß des Tarifvertrags keine Rolle spielen dürfen oder gar dessen Unwirksamkeit zur Folge haben41. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfüllt, ist die tarifvertragliche Regelung zulässig. Das Hinzutreten weiterer Gesichtspunkte ändert daran nichts.

II. Die Bildung von Spartenbetriebsräten (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG kann durch Tarifvertrag bestimmt werden: „für Unternehmen und Konzerne, soweit sie nach produkt- oder projektbezogenen Vgl. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 4; Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2499. Vgl. §§ 92a Abs. 2, 95 Abs. 2 BetrVG. 39 Dagegen dient die Erhöhung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder (§ 9 BetrVG) oder der Freistellungen (§ 38 BetrVG) allein noch nicht einer sachgerechten Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen, weil allein größere Gremien oder freigestellte Betriebsratsmitglieder nicht zwingend eine effektive(re) Ausübung der Beteiligungsrechte bewirken; wohl a.A. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 32. 40 Vgl. Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 31; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 17; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 22. 41 So aber Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 29; unklar Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 31. 37 38

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Geschäftsbereichen (Sparten) organisiert sind und die Leitung der Sparte auch Entscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten trifft, die Bildung von Betriebsräten in den Sparten (Spartenbetriebsräte), wenn dies der sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats dient“. Die Vorschrift unterscheidet also ebenso wie § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zwischen dem möglichen Inhalt der tarifvertraglichen Regelung und ihren Voraussetzungen42.

1. Die Regelungsmöglichkeiten a) Bildung von Betriebsräten in den Sparten § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erlaubt Regelungen über die „Bildung von Betriebsräten in den Sparten“. Die durch den Klammerzusatz als „Spartenbetriebsräte“ legaldefinierten Arbeitnehmervertretungen werden freilich ebensowenig wie der „unternehmenseinheitliche Betriebsrat“ nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG unmittelbar durch den Tarifvertrag installiert43. Vielmehr geht es auch bei Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (lediglich) darum, durch Festlegung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten die organisatorische Grundlage für Betriebsratswahlen in diesen Einheiten zu schaffen. Allerdings ist der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien größer als bei § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG, weil die Organisationseinheiten, die kollektivvertraglich als „Wahlgebiet“44 definiert werden können, tatbestandlich nicht abschließend vorgegeben sind. Anders als im Fall von § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG das Unternehmen kann nämlich nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht nur die tatbestandlich vorausgesetzte (ganze) Sparte, sondern auch ein tarifvertraglich erst noch zu bestimmender Teil davon als betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit festgelegt werden. Das folgt schon aus dem Gesetzeswortlaut, der nicht etwa nur die Bildung eines „sparteneinheitlichen Betriebsrats“ zuläßt, sondern ganz allgemein die Bildung von „Betriebsräten in den Sparten“. Auch die Gesetzesbegründung45 nennt ausdrücklich die Möglichkeit, „mehrere Betriebsräte je Sparte“ zu errichten46. Wie eine solche sparteninterne Organisation im einzelnen ausgestaltet werden kann, läßt das Gesetz offen. Denkbar wäre es beispielsweise, in einem Unternehmen mit mehreren Produktionsstätten, die derselben Sparte angehören, für jede Produktionsstätte unabhängig von 42 Diese durch die Normstruktur zwingend vorgegebene Differenzierung wird in der Diskussion um § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG vielfach nicht hinreichend beachtet. Nicht zuletzt darauf dürften zumindest einige der im Schrifttum beklagten Schwierigkeiten bei der Erfassung des Regelungsgehalts der Vorschrift beruhen. 43 Vgl. oben § 3 I. 1. a); mißverständlich daher Heinkel, Organisationseinheit, S. 138, § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG eröffne „den Kollektivvertragsparteien die Möglichkeit der Bildung von Betriebsräten in den Sparten“. 44 Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 1. 45 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 46 Kritisch zu dieser Gestaltungsmöglichkeit Buchner, NZA 2001, 633, 634.

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deren Betriebseigenschaft die Bildung eines (Spartenteil-)Betriebsrats vorzusehen. Die dementsprechend gebildeten Spartenbetriebsräte würden dann gemäß § 47 Abs. 2 BetrVG auch Mitglieder in einen nach § 47 Abs. 1 BetrVG in dem Unternehmen zu errichtenden Gesamtbetriebsrat entsenden47.

b) Bildung von „Spartengesamtbetriebsräten“? Nach der Gesetzesbegründung48 sollen bei unternehmensübergreifender Spartenorganisation auch „Spartengesamtbetriebsräte“ gebildet werden können. Was damit gemeint sein soll, ist unklar. Denn das Gesetz selbst sieht die Bildung von „Spartengesamtbetriebsräten“ weder aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarung noch als deren gesetzliche Folge vor: § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erwähnt und definiert nur Spartenbetriebsräte, nicht Spartengesamtbetriebsräte. § 3 Abs. 5 BetrVG stellt zudem ausdrücklich klar, daß für sie die Vorschriften über den Betriebsrat Anwendung finden. Die damit durch den Gesetzeswortlaut gezogene Grenze tarifvertraglicher Gestaltungsmacht läßt sich nicht mit dem Argument überwinden, auch Gesamtbetriebsräte seien „Betriebsräte im weitesten Sinne“49. Das Gesetz unterscheidet stets genau zwischen den verschiedenen Mitbestimmungsebenen und den für sie zuständigen Vertretungsorganen (Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat). Nur so ist ein geordneter Aufbau der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation überhaupt gewährleistet. Es verbietet sich daher auch aus systematischen Gründen, unter den Begriff „Spartenbetriebsräte“ auch Spartengesamtbetriebsräte – und in logischer Konsequenz dann wohl auch Spartenkonzernbetriebsräte – zu subsumieren. Eine entsprechende Erweiterung der gesetzlichen Zulassungsnorm im Wege der Analogie scheidet ebenfalls aus50. Die Bildung von Spartengesamtbetriebsräten ist deshalb keine nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zulässige Regelungsmöglichkeit51. 47 Das folgt daraus, daß nach § 3 Abs. 5 BetrVG die kollektivvertraglich als betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten festgelegten Sparten oder Spartenteile als Betriebe und die dort gebildeten Vertretungen wie Betriebsräte behandelt werden. 48 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 49 So aber Friese, RdA 2003, 92, 95; ihr folgend Heinkel, Organisationseinheit, S. 157 f.; wie hier dagegen Thüsing, ZIP 2003, 693, 703; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 52. 50 Allein aufgrund einer nicht näher erläuterten Äußerung in der Gesetzesbegründung kann noch nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden. Darüber hinaus bestünden gegen eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Zulassungsnorm durch Analogiebildung erhebliche Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot [vgl. oben § 2 III. 3. b)]. 51 Im Ergebnis ebenso Kort, AG 2003, 13, 20; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 3 Rn. 9; Thüsing, ZIP 2003, 693, 703; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 53; wohl auch Fitting, BetrVG § 3 Rn. 45; a.A. ArbG Frankfurt v. 24. 5. 2006 – 14 BV 518 / 04 (juris) unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung; Engels / Trebinger / Löhr-Steinhaus, DB 2001, 532, 533 (unter Beschränkung auf die wörtliche Wiedergabe der Gesetzesbegründung);

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Sie ist auch nicht gesetzliche Folge der Errichtung von Spartenbetriebsräten. Zwar ist bei Bestehen mehrerer Spartenbetriebsräte in einem Unternehmen nach § 47 Abs. 1 BetrVG ein Gesamtbetriebsrat zu bilden52, den man – freilich ohne großen Erkenntnisgewinn – als „Spartengesamtbetriebsrat“ bezeichnen könnte. Nach der Gesetzesbegründung soll die Bildung von „Spartengesamtbetriebsräten“ jedoch voraussetzen, daß „einer Sparte mehrere Unternehmen“ angehören. Derartige unternehmensübergreifende (Sparten-)Gesamtbetriebsräte sind weder in § 47 Abs. 1 BetrVG noch in anderen Vorschriften vorgesehen53. Hätte der Gesetzgeber sie einführen wollen, hätte es mehr bedurft als einer nicht näher erläuterten Andeutung in der Gesetzesbegründung54. Die Bildung von unternehmensübergreifenden „Spartengesamtbetriebräten“ kommt daher de lege lata nicht in Betracht.

c) Ergänzung oder Ersetzung gesetzlich vorgesehener Betriebsräte? Nach einer in der Literatur55 vertretenen Ansicht sollen die Tarifpartner im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht nur die Bildung von Spartenbetriebsräten vereinbaren, sondern auch darüber entscheiden können, ob diese neben oder an die Stelle der gesetzlich vorgesehenen Betriebsräte treten. Zur Begründung wird auf den Normzweck des § 3 BetrVG verwiesen: Ziel der Vorschrift sei die Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung; Arbeitgeber und Betriebsrat sollten dort zusammengeführt werden können, wo sie kompetent und verantwortungsvoll miteinander verhandeln und Entscheidungen treffen können56. Im Fall der Spartenorganisation könnten die Entscheidungskompetenzen aber auf verschiedene Ebenen verteilt sein. Da die Spartenleitung lediglich auch Entscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten treffen müsse, sei es nicht auszuschließen, daß zumindest ein Teil der beteiligungsrelevanten Entscheidungen weiterhin auf Friese, RdA 2003, 92, 95 f.; Heinkel, Organisationseinheit, S. 159; unklar Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 32; einschränkend LAG Hessen v. 21. 4. 2005 – 9 / 5 TaBV 115 / 04 (juris): Spartengesamtbetriebsräte „nur als mehrstufige sparteninterne Betriebsverfassungsstruktur“ und „nicht neben Unternehmensgesamtbetriebsräten“. 52 Vgl. oben § 3 II. 1. b) Fn. 47. 53 § 47 Abs. 9 BetrVG ist allerdings (mittelbar) zu entnehmen, daß aus einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen Mitglieder in alle bei den beteiligten Unternehmen errichteten Gesamtbetriebsräte entsandt werden (können). In Ermangelung einer anderweitigen Regelung und angesichts der durchaus vergleichbaren Konstellation spricht einiges dafür, nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG als betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten festgelegte Sparten oder Spartenteile, die zu mehreren Unternehmen gehören, ebenso zu behandeln (vgl. Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 37; Thüsing, ZIP 2003, 693, 703). 54 In diesem Sinne auch Thüsing, ZIP 2003, 693, 703. 55 Friese, RdA 2003, 92, 97; Heinkel, Organisationseinheit, S. 167 f.; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 62 f.; vgl. auch Däubler, AiB 2001, 313, 315; ders., AuR 2001, 1, 2; Hanau, RdA 2001, 65, 66; Plander, NZA 2002, 483, 485. 56 Friese, RdA 2003, 92, 96; Heinkel, Organisationseinheit, S. 163 f.

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betrieblicher Ebene verbleibe57. Hinsichtlich der dort getroffenen Entscheidungen fehle den bei der Spartenleitung angesiedelten Repräsentationsorganen die Beteiligungsbefugnis. Zur Vermeidung von Repräsentationsdefiziten und Mitbestimmungslücken könne deshalb eine Kombination gesetzlicher und vereinbarter Betriebsverfassungsstrukturen sinnvoll sein58. Erst wenn sowohl der gesetzliche Betriebsrat auf Betriebsebene als auch der Spartenbetriebsrat auf Spartenebene vorhanden seien, bestehe in allen Fällen der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung ein Vertretungsorgan auf Arbeitnehmerseite 59. Seien die Entscheidungskompetenzen hingegen bei der Spartenleitung zentralisiert, könne im Tarifvertrag auch eine Verdrängung der gesetzlichen Vertretungsorgane durch den Spartenbetriebsrat vereinbart werden60. Demgegenüber gehen andere Stimmen im Schrifttum davon aus, daß sich das Verhältnis der Spartenbetriebsräte zu den „klassischen“ Arbeitnehmervertretungen bereits aus dem Gesetz ergebe und eine entsprechende kollektivvertragliche Regelungsbefugnis deshalb nicht bestehe. Die Ergebnisse der Gesetzesauslegung fallen allerdings höchst unterschiedlich aus: Teilweise wird angenommen, daß der Spartenbetriebsrat stets an die Stelle des gesetzlich vorgesehenen Betriebsrats tritt, diesen also ersetzt61. Das folge bereits aus § 3 Abs. 4 S. 2 BetrVG62. Gegen die Zulässigkeit von Doppelstrukturen spreche auch, daß in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG anders als in § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BetrVG nicht von „zusätzlichen“ Gremien und Vertretungen die Rede ist63. Schließlich mache auch § 3 Abs. 5 BetrVG deutlich, daß die Vertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG „in vollem Umfang an die Stelle der gesetzlichen Betriebsräte treten“64. Andere Autoren gehen dagegen davon aus, daß ein Nebeneinander von Spartenbetriebsräten und nach dem Gesetz zu bildenden Arbeitnehmervertretungen zumindest möglich ist. Hess65 und Kraft66 nehmen das für den Fall an, daß nicht alle Arbeitnehmer einer Sparte zugeordnet 57 Heinkel, Organisationseinheit, S. 164; Friese, RdA 2003, 92, 96, spricht allgemeiner davon, daß „Entscheidungskompetenzen dezentralisiert auf verschiedene Entscheidungsträger innerhalb der Sparte oder spartenübergreifend verteilt sind“. 58 Friese, RdA 2003, 92, 96; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 61 f.; nach Heinkel, Organisationseinheit, S. 165, ist in diesem Fall sogar „eine Doppelstruktur die notwendige Konsequenz“; vgl. auch Däubler, AuR 2001, 1, 2. 59 Heinkel, Organisationseinheit, S. 165. 60 Friese, RdA 2003, 92, 97; Heinkel, Organisationseinheit, S. 167; vgl. auch Hanau, RdA 2001, 65, 66. 61 Buchner, NZA 2001, 633, 634; Diringer, AuA 2001, 172, 174; Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 1; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 52; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 26; Thüsing, ZIP 2003, 693, 702. 62 Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 1; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 52; Thüsing, ZIP 2003, 693, 702. 63 Diringer, AuA 2001, 172, 174; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 52. 64 Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 52; ähnlich Thüsing, ZIP 2003, 693, 702. 65 Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 24. 66 GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 11.

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werden können. Auch nach Kort67 ist es „keineswegs so, daß der Spartenbetriebsrat andere betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmervertretungen im Unternehmen ersetzen muß“. Er trete vielmehr „häufig, insofern den zusätzlichen Gremien nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BetrVG nicht unähnlich, neben sie“. Richardi68 zufolge bleibt der nach dem Gesetz zu bildende Betriebsrat „auch sogar für die Arbeitnehmer, die einen Spartenbetriebsrat bilden, in den Angelegenheiten für die Mitbestimmungsausübung zuständig, in denen auf Arbeitgeberseite nicht die Leitung der Sparte die Entscheidungen trifft“. Keine der dargestellten Ansichten vermag vollends zu überzeugen. Die Befürworter einer tarifvertraglichen Regelungsbefugnis berücksichtigen nicht ausreichend, daß schon das Gesetz selbst Aussagen zum Verhältnis von Spartenbetriebsrat und den gesetzlich vorgesehenen Arbeitnehmervertretungen enthält. Auf der anderen Seite folgt aber allein aus dem Vorhandensein einer gesetzlichen Regelung auch noch nicht die Unzulässigkeit einer tarifvertraglichen. Richtigerweise ist an zwei Punkten anzusetzen: Zunächst gilt es zu klären, welche Aussagen das Gesetz zum Verhältnis von Spartenbetriebsrat und gesetzlich vorgesehenen Arbeitnehmervertretungen trifft. Anschließend ist zu untersuchen, ob und gegebenenfalls inwieweit davon abweichende Regelungen durch Tarifvertrag möglich sind. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erwähnt – ebenso wie die Gesetzesbegründung – mit keinem Wort, welche Auswirkungen die Bildung von Spartenbetriebsräten auf bereits bestehende oder nach dem Gesetz zu errichtende Arbeitnehmervertretungen hat. Die im Tatbestand der Vorschrift genannte Voraussetzung, daß die tarifvertragliche Regelung „der sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats dient“69, bezieht sich offenkundig nicht auf eine bereits bestehende Arbeitnehmervertretung (deren „Unterstützung“ dann der Spartenbetriebsrat dienen könnte70), sondern auf den Spartenbetriebsrat selbst71. Bezieht man allerdings § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BetrVG in die Betrachtung mit ein, erweist sich das Schweigen des Gesetzgebers im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG als durchaus beredt: In 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BetrVG hat der Gesetzgeber durch die Wahl der Formulierung „zusätzliche“ betriebsverfassungsrechtliche Gremien beziehungsweise Vertretungen klar zum Ausdruck gebracht, daß diese neben bestehende Arbeitnehmervertretungen treten sollen. Das Fehlen einer entsprechenden Formulierung in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG rechtfertigt den Umkehrschluß, daß der Spartenbetriebsrat den gesetzlich 67 AG 2003, 13, 19; Konzen, RdA 2001, 76, 87, forderte noch vor Verkündung des BetrVerf-Reformgesetzes 2001 eine Klarstellung dahingehend, „daß es nur um zusätzliche Spartenbetriebsräte ( . . . ) gehen kann“ (Hervorhebung im Original). 68 Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 34. 69 Hervorhebung d. Verf. 70 So die Überlegung von Heinkel, Organisationseinheit, S. 161. 71 Vgl. nur Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 11. Die Verwendung des Singulars („Aufgabenwahrnehmung des Betriebsrats“) ließe sich sogar in dem Sinne interpretieren, daß es nur einen, nämlich den Spartenbetriebsrat geben soll, zumal jeder Hinweis auf etwaige von einem weiteren Betriebsrat wahrzunehmende Aufgaben fehlt.

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vorgesehenen Betriebsrat verdrängt72. Diesem argumento e contrario kann nicht entgegengehalten werden, die zusätzlichen betriebsverfassungsrechtlichen Gremien im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BetrVG seien mit den aufgrund einer Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildeten nicht vergleichbar, weil sie in Bezug auf die betriebsverfassungsrechtlichen Repräsentationsorgane lediglich unterstützende Funktion ohne eigene Mitbestimmungskompetenz haben und es sich deshalb von vornherein nur um zusätzliche Gremien handeln könne73. Wenn ohnehin klar ist, daß es bei § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BetrVG nur um zusätzliche Gremien gehen kann, hätte der Gesetzgeber auf die Formulierung „zusätzliche“ auch verzichten können. Daß er sie gleichwohl verwendet hat spricht dann erst recht dafür, daß damit der Unterschied zu § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG deutlich gemacht werden sollte. Weitere gewichtige Anhaltspunkte für die Alternativität von Sparten- und gesetzlich vorgesehenem Betriebsrat ergeben sich zudem aus § 3 Abs. 4 und 5 BetrVG. § 3 Abs. 4 S. 2 BetrVG ordnet zwar nicht explizit den Vorrang des Spartenbetriebsrats an, geht aber ganz selbstverständlich davon aus, daß bestehende Betriebsräte „durch die Regelungen nach Abs. 1 Nr. 1 bis 3 entfallen“74. Dafür spricht auch § 3 Abs. 4 S. 1 BetrVG, wonach die tarifvertraglichen Regelungen grundsätzlich erst bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl zur Anwendung kommen, „es sei denn, es besteht kein Betriebsrat oder es ist aus anderen Gründen eine Neuwahl des Betriebsrats erforderlich“. Hinzu kommt die gesetzliche Fiktion des § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG, aufgrund derer die im Tarifvertrag als betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten festgelegten Sparten oder Spartenteile „als Betriebe“ im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gelten. Versteht man sie entsprechend ihrem Wortlaut umfassend, kann es keinen „Betrieb im Betrieb“ oder sich „überlappende“ Betriebe geben75. § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG bestätigt insoweit den für die gesetzliche Organisation allgemein anerkannten Grundsatz, daß ein Arbeitnehmer nur durch einen Betriebsrat repräsentiert wird. Diese Interpretation liegt um so näher bedenkt man, daß § 3 BetrVG keinerlei Regelungen zur Lösung von Zuständigkeitskonflikten vorsieht, wie sie bei Zulassung von Doppelstrukturen nahezu zwangsläufig aufträten76. Auch der mit der Novellierung der Vorschrift verfolgte Zweck, einfache und effiziente Mitbestimmungsstrukturen zu schaffen77, steht daher einer Kumulation von Sparten- und „normalem“ Betriebsrat prinzipiell entgegen. Es ist deshalb grundsätzlich davon auszugehen, daß der aufgrund KolEbenso Diringer, AuA 2001, 172, 174; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 52. So aber Friese, RdA 2003, 92, 96, die deshalb den Hinweis auf § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BetrVG für „unergiebig“ hält. 74 Im Ergebnis ebenso Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 1; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 52; Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 11; Thüsing, ZIP 2003, 693, 702; vgl. auch Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 58; a.A. Friese, RdA 2003, 92, 96. 75 Thüsing, ZIP 2003, 693, 702. 76 Vgl. Kort, AG 2003, 13, 20. 77 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 26. 72 73

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

lektivvertrags gebildete Spartenbetriebsrat in seinem Zuständigkeitsbereich78 den auf gesetzlicher Grundlage bestehenden oder zu errichtenden Betriebsrat ersetzt. Damit ist noch nicht die Frage beantwortet, ob die Parteien des Kollektivvertrags anderes vereinbaren können. In Betracht käme insoweit – weil die grundsätzliche Verdrängung des Betriebsrats durch den Spartenbetriebsrat sich ja bereits aus dem Gesetz ergibt – vor allem die Einführung von Doppelstrukturen. Eine solche „Kombination gesetzlicher und vereinbarter Betriebsverfassungsstrukturen“79 findet allerdings, wie auch ihre Befürworter einräumen80, weder in Wortlaut und Systematik des § 3 BetrVG noch in der Gesetzesbegründung eine Stütze. Sie wird deshalb allein mit teleologischen Erwägungen begründet. Diese vermögen eine entsprechende Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien indessen nicht zu tragen. Das zentrale Argument, die Vereinbarung von Doppelstrukturen müsse zur Vermeidung von „Mitbestimmungslücken“ zulässig sein, die bei Verdrängung des gesetzlich vorgesehenen Betriebsrats durch den Spartenbetriebsrat entstünden, überzeugt nicht. Gravierende „Mitbestimmungslücken“ können nämlich bei Beachtung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG überhaupt nicht auftreten. Denn die Bildung von Spartenbetriebsräten ist nur zulässig, wenn sie „der sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats dient“81. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn dem Spartenbetriebsrat in wesentlichen beteiligungsrelevanten Angelegenheiten die „Beteiligungsbefugnis“ fehlt. In solchen Fällen dürfen Spartenbetriebsräte gar nicht erst gebildet werden82. Die mangelnde Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen kann nicht durch Erweiterung der Regelungsmöglichkeiten überwunden werden. Die Vereinbarung von Doppelstrukturen würde zudem – ebenso wie deren gesetzliche Zulassung – das Folgeproblem der Zuständigkeitsabgrenzung aufwerfen. Ohne sie hätte die Kumulation von Sparten- und ordentlichem Betriebsrat bestenfalls ein unfruchtbares Nebeneinander, schlimmstenfalls ein „Horror-Szenario von Kompetenzgerangel“ 83 zur Folge. Das sehen auch die Anhänger kollektivvertragli78 Dieser erstreckt sich nur auf Arbeitnehmer und Betriebe, die der Sparte oder dem jeweiligen Spartenteil zugeordnet sind. Ist nur ein Teil eines Betriebs in die Sparte einbezogen und ist der von der Sparte nicht umfaßte Teil betriebsratsfähig, bleibt für diesen Teil ein ggf. auf gesetzlicher Grundlage errichteter Betriebsrat zuständig. Ebenso Kraft / Franzen in: GKBetrVG, § 3 Rn. 15; wohl auch Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 24, allerdings mit dem mißverständlichen Hinweis, die Zuständigkeitsbereiche müßten im Tarifvertrag abgegrenzt werden. 79 Friese, RdA 2003, 92, 96. 80 Vgl. Friese, RdA 2003, 92, 96; Heinkel, Organisationseinheit, S. 166; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 56 f., 62. 81 Näher zu dieser Tatbestandsvoraussetzung unten § 3 II. 2. c). 82 Ebenso Thüsing, ZIP 2003, 693, 702, Fn. 79; vgl. auch Buchner, NZA 2001, 633, 634. 83 Kort, AG 2003, 13, 20; vgl. auch LAG Hessen v. 21. 4. 2005 – 9 / 5 TaBV 115 / 04 (juris), wonach eine Installierung von doppelten Vertretungsstrukturen für dieselben Bereiche (Sparten und Betriebe der Sparten) unzulässig ist, „weil dann die Betriebe als Anknüpfungs-

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cher Doppelstrukturvereinbarungen. Sie fordern deshalb, der Tarifvertrag müsse eine „Funktions- und Kompetenzzuweisung“84 enthalten, die den „Aktionsradius des jeweiligen Organs festlegt“85 und dessen „Kompetenzbereich in räumlicher und gegenständlicher Hinsicht“86 klar regelt. Damit ist man endgültig im Bereich der freien Rechtsschöpfung angelangt, denn für die Zulässigkeit derartiger Regelungen fehlt im Gesetz jeder Anhalt. Abgesehen davon würden solche „Kompetenzzuweisungsregelungen“ nicht nur in der praktischen Umsetzung erhebliche Schwierigkeiten bereiten, weil für jede potentiell beteiligungsrelevante Angelegenheit eine Kompetenzüberschneidungen ausschließende Regelung getroffen werden müßte. Sie gäben den Tarifvertragsparteien auch die Möglichkeit, die gesetzlichen Organisationsstrukturen praktisch nach Belieben zu verändern. Derartige unreglementierte Eingriffe der Tarifvertragsparteien in die gesetzliche Organisation will § 3 BetrVG aber gerade nicht zulassen87. Das Verhältnis der vereinbarten zu den gesetzlich vorgesehenen Arbeitnehmervertretungen kann deshalb nicht durch Tarifvertrag geregelt werden.

2. Die Regelungsvoraussetzungen a) Unternehmen oder Konzern mit Spartenorganisation Die Regelungsmöglichkeiten nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bestehen nur „für Unternehmen und Konzerne, soweit sie nach produkt- oder projektbezogenen Geschäftsbereichen (Sparten) organisiert sind.“ Damit wird der äußere Rahmen für die kollektivvertragliche Bestimmung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten vorgegeben88. Den maßgeblichen gesetzlichen Anknüpfungspunkt bildet eine spezifische Organisationsform, die Organisation nach Sparten. Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen dem nach Sparten organisierten Unternehmen und dem nach Sparten organisierten Konzern. Als nach Sparten organisiertes Unternehmen kommt zunächst jedes Unternehmen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes in Betracht. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG knüpft insoweit an den bekannten und auch in anderen Vorschriften vorausgesetzten Unternehmensbegriff89 an. Spezifische Anforderungen an die punkt der Rechte und Pflichten der Vertretungsorgane und ihrer Mitglieder sich überlagern und Zuständigkeitsprobleme auftreten müssen, die der sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG entgegenstehen“. 84 Heinkel, Organisationseinheit, S. 167 f. 85 Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 63. 86 Friese, RdA 2003, 92, 97. 87 Zum grundsätzlich zwingenden Charakter der gesetzlichen Organisationsvorschriften vgl. oben § 1 III. 2. b). 88 Vgl. oben § 3 II. 1. a). 89 Vgl. oben § 3 I. 2. a).

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

Rechtsform oder die Unternehmensgröße stellt das Gesetz nicht. Gegenstand tarifvertraglicher Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG kann das Unternehmen allerdings nur sein, soweit es nach produkt- oder projektbezogenen Geschäftsbereichen (Sparten) organisiert ist. Damit kommt dem Merkmal der Spartenorganisation für die Bestimmung des Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien entscheidende Bedeutung zu. Was unter einer Spartenorganisation im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist, ist bislang nicht geklärt. Die Gesetzesbegründung schweigt dazu. Das Schrifttum beschränkt sich ganz überwiegend darauf, auf die Tatbestandsvoraussetzung hinzuweisen, ohne sie näher zu erläutern90. Zum Teil wird sie als „diffus“91, „schwammig“92 und „kaum subsumierbar“93 kritisiert. Die Unsicherheiten bei der Interpretation des gesetzlichen Tatbestands sind verständlich wenn man bedenkt, daß der Begriff der Spartenorganisation erstmals durch das BetrVerf-Reformgesetz 2001 in das Betriebsverfassungsgesetz eingeführt wurde, kein historisches Vorbild im Betriebsverfassungsrecht hat und auch in der Gesetzesbegründung nicht erläutert wird. Ein völlig neues Phänomen ist die Spartenorganisation allerdings nicht. Es handelt sich um einen Begriff, der ursprünglich aus der Betriebswirtschaft stammt und dort eine Grundform der Unternehmensorganisation beschreibt. Anknüpfend an die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten hat er außerdem im Gesellschaftsrecht, namentlich im Kapitalgesellschaftsrecht, rechtliche Anerkennung, wenn auch keine gesetzliche Fixierung erfahren94. Auf die in diesen Bereichen entwickelten Grundsätze kann bei der Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zurückgegriffen werden. In der Betriebswirtschaftslehre wird zwischen zwei Grundformen der Unternehmensorganisation unterschieden, der Funktionalorganisation und der Spartenorganisation95. Die Funktionalorganisation gilt als die klassische Organisationsform des Industrieunternehmens. Sie ist gekennzeichnet durch eine Gliederung nach typischen unternehmerischen Funktionen wie Einkauf, Produktion, Vertrieb, 90 Vgl. etwa Dachroth / Engelbert, BetrVG, § 3 Rn. 7; Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 5; Engels / Trebinger / Löhr-Steinhaus, DB 2001, 532, 533; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 39; Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2499; Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 11 (erste Ansätze einer Erläuterung nunmehr bei Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 12); Leßmann / Liersch, DStR 2001, 1302, 1303; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 3 Rn. 8; Plander, NZA 2002, 483, 485; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 26. Vereinzelt finden sich Ausführungen zum Produkt- bzw. Projektbezug der Geschäftsbereiche, vgl. Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 21; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 38. 91 Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 33. 92 Thüsing, ZIP 2003, 693, 694. 93 Giesen, BB 2002, 1480, 1481. 94 Vgl. einstweilen nur Kort, AG 2003, 13, 16. 95 Vgl. Bleicher, Organisation, S. 388; Frese, Organisation, S. 409, 425; Laux / Liermann, Organisation, S. 289; Schierenbeck, Betriebswirtschaftslehre, S. 115; Schmalen, Betriebswirtschaft, S. 172 Schreyögg, Organisation, S. 129, 131; Vahs, Organisation, S. 141, 146.

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Personal, Finanzen, Forschung und Entwicklung96. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß durch die funktionale Gliederung Entscheidungseinheiten entstehen, die alle für eine homogene Gruppe von Handlungen notwendigen Kompetenzen auf sich vereinen97. Durch die organisatorische Zusammenfassung aller Marktaktivitäten in einem Funktionsbereich wird ein hohes Maß an Markteffizienz erreicht, weil alle marktorientierten Entscheidungen in einem Bereich getroffen werden98. Auf der anderen Seite erfordert die funktionale Aufgabenverteilung einen hohen Koordinationsaufwand zwischen den verschieden Funktionsbereichen und erschwert die Zurechenbarkeit von Ergebnissen und Ineffizienzen99. Vor allem bei zunehmender Diversifikation nach Produkten und Märkten bringt die funktionale Organisation erhebliche Koordinations- und Überwachungsprobleme mit sich. Zur Vermeidung dieser Probleme gehen immer mehr Unternehmen zu einer Organisation nach Sparten (synonym: Geschäftsbereichen, Divisionen) über100. Charakteristisch für die Spartenorganisation ist die Gliederung nach Objekten, in der Regel nach Produkten101. Die Koordination der Grundfunktionen (Einkauf, Produktion usw.) erfolgt nicht in zentralen Funktionsbereichen, sondern innerhalb der einzelnen Sparten bezogen auf das jeweilige Produkt (z. B. Waschmittel, Kosmetik, Klebstoffe102). Weil eine Sparte leichter zu überschauen ist als das gesamte Unternehmen, kann die Koordination im Vergleich zur Funktionalorganisation wesentlich erleichtert und die Flexibilität erhört werden103. Bei Verwirklichung der Spartenorganisation in reiner Form entstehen Entscheidungseinheiten, die alle für ein Produkt oder eine Produktgruppe notwendigen Kompetenzen auf sich vereinen104. Die „reine“ Spartenorganisation ist allerdings in der Praxis selten. In der Regel bleiben einzelne Funktionsbereiche (z. B. Finanzen, Personal und Recht) bestehen, die als sogenannte Zentralbereiche die Objektgliederung überlagern105. Den Zentralbereichen kommt meist vor allem die Aufgabe 96 Laux / Liermann, Organisation, S. 289; Schmalen, Betriebswirtschaft, S. 172; Schreyögg, Organisation, S. 129. 97 Frese, Organisation, S. 409. 98 Frese, Organisation, S. 412. 99 Laux / Liermann, Organisation, S. 290; Schertler, Unternehmensorganisation, S. 33 f.;; Schreyögg, Organisation, S. 130; Vahs, Organisation, S. 143. 100 Ausführlich zum Prozeß der Umorganisation und zum Verbreitungsgrad der Spartenorganisation in deutschen Großunternehmen Poensgen, Geschäftsbereichsorganisation, S. 110 ff.; Wendeling-Schröder, Divisionalisierung, S. 19 ff.; vgl. auch Vahs, Organisation, S. 148; m. w. N. 101 Bleicher, Organisation, S. 434; Frese, Organisation, S. 427; Jost, Organisation, S. 475; Kieser / Walgenbach, Organisation, S. 242; Laux / Liermann, Organisation, S. 290; Picot / Dietl / Franck, Organisation, S. 289; Schertler, Unternehmensorganisation, S. 34; Wöhe / Döring, Betriebswirtschaftslehre, S. 144. 102 Vgl. die Organisation der Henkel KGaA, www.henkel.de (Stand: 14.10. 2005). 103 Laux / Liermann, Organisation, S. 290 f.; Wöhe / Döring, Betriebswirtschaftslehre, S. 144. 104 Frese, Organisation, S. 430.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

zu, Querschnittsfunktionen wahrzunehmen und die Ressourcenverteilung auf die einzelnen Sparten zu koordinieren106. Gesellschaftsrechtlich ist die Unternehmensorganisation nach Sparten eine Frage der Organisation der Geschäftsführung. Da die einzelnen Sparten grundsätzlich selbständig wirtschaften sollen, muß die Geschäftsführung innerhalb des Unternehmens entsprechend aufgeteilt sein. Das erfordert bei Unternehmen, deren Geschäftsführung einem mehrköpfigen Handlungsorgan obliegt, regelmäßig eine spartenbezogene Geschäftsverteilung innerhalb des Handlungsorgans. Weil eine solche Geschäftsverteilung gesetzlich für keine Gesellschaftsform vorgesehen ist, kann sie sich nur aus einer autonomen Organisationsregelung, namentlich aus der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Derartige Organisationsregelungen sind gesellschaftsrechtlich grundsätzlich möglich, solange sie nicht gegen zwingendes Recht verstoßen. Bedenken gegen die Zulässigkeit spartenbezogener Geschäftsverteilung speziell bei der Aktiengesellschaft, wie sie in der Vergangenheit vereinzelt erhoben worden sind107, haben sich nicht durchgesetzt. Die Spartenorganisation ist heute als gängige Form der Vorstandsorganisation anerkannt108. Sie kann in der Satzung oder, wie es in der Praxis vielfach üblich ist, in der Geschäftsordnung des Vorstands geregelt werden109. Rechtlich bedeutet sie eine Abweichung von dem in § 77 Abs. 1 S. 1 AktG niedergelegten Grundsatz der gemeinschaftlichen Geschäftsführung aller Vorstandsmitglieder: Mit der Aufteilung nach Geschäftsbereichen wird den jeweils zuständigen Vorstandsmitgliedern regelmäßig Einzelgeschäftsführungsbefugnis für ihren Bereich eingeräumt und die Geschäftsführungsbefugnis zugleich grundsätzlich auf diesen Bereich begrenzt110. Die Geschäftsführung der einzelnen Sparten kann auch Personen unterhalb der Vorstandsebene übertragen werden, soweit es nicht um originäre Leitungsaufgaben des Vorstands geht111.

105 Die Kombination von Funktional- und Spartenorganisation wird auch als Matrixorganisation bezeichnet, vgl. Jung, Betriebswirtschaftslehre, S. 267; Wöhe / Döring, Betriebswirtschaftslehre, S. 145; siehe auch Kort, AG 2003, 13, 16; Schiessl, ZGR 1992, 64, 65. 106 Jost, Organisation, S. 482; Schreyögg, Organisation, S. 134 f.; Vahs, Organisation, S. 153; ausführlich zu den verschiedenen Erscheinungsformen von Zentralbereichen Frese, Organisation, S. 490 ff. 107 Vgl. Schwark, ZHR 142 (1978), 203, 207 ff.; Wendeling-Schröder, Divisionalisierung, S. 31 ff. 108 Vgl. Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 498; Hueck / Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 23 Rn. 19; Hüffer, Aktiengesetz, § 76 Rn. 3, § 77 Rn. 10; Kort in: Hopt / Wiedemann, AktG, § 76 Rn. 155; Martens in: FS Fleck, S. 191, 192, 207 f.; Schiessl, ZGR 1992, 64, 66 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 II 3 b, S. 813; Semler in: FS Döllerer, S. 571, 592; siehe auch Bundesministerium der Justiz, Bericht, Rn. 1736 ff. 109 Hüffer, Aktiengesetz, § 77 Rn. 9 f.; Kort in: Hopt / Wiedemann, AktG, § 77 Rn. 23; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 II 3 b, S. 813. 110 Vgl. T. Bezzenberger, ZGR 25 (1996), 661, 663 f.; Hüffer, Aktiengesetz, § 77 Rn. 10; ferner Kort in: Hopt / Wiedemann, AktG § 77 Rn. 23 f., 83 (auch zu weiteren Gestaltungsmöglichkeiten).

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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Für die Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG liefert die betriebswirtschaftliche und gesellschaftsrechtliche Erfassung der Spartenorganisation wertvolle Hinweise. Denn die Gesetzesformulierung knüpft ersichtlich an die aus diesen Bereichen bekannte Terminologie an. Das zeigt nicht nur die Verwendung des Begriffs „Sparte“, sondern auch deren – ebenfalls übliche – Umschreibung als „Organisation nach Geschäftsbereichen“. Mit der Organisation nach „produktbezogenen“ Geschäftsbereichen nennt das Gesetz zudem explizit den betriebswirtschaftlichen Prototyp der Spartenstruktur. Die begriffliche Übereinstimmung legt es nahe, daß der Gesetzgeber sich auch inhaltlich an dem aus Betriebwirtschaftslehre und Gesellschaftsrecht Bekannten orientiert hat. Die insoweit bestehenden Erkenntnisse können deshalb bei der Interpretation von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG herangezogen werden. Ausgehend von Wortlaut und Normzweck der Vorschrift läßt sich der Begriff der Spartenorganisation für das Betriebsverfassungsrecht darüber hinaus weiter präzisieren: Die Formulierung „soweit“ stellt zunächst klar, daß nicht das ganze Unternehmen nach Geschäftsbereichen organisiert sein muß. Damit hat der Gesetzgeber zum einen deutlich gemacht, daß der Begriff der Spartenorganisation im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht nur die im betriebswirtschaftlichen Sinne idealtypische, „reine“ Spartenorganisation erfaßt, sondern auch die in der Praxis verbreitete Kombination von Spartengliederung und funktional strukturierten (Zentral-)Bereichen. Zum anderen wird klargestellt, daß nicht allein die Geschäftsbereichsorganisation auf der obersten Führungsebene (Vorstand, Geschäftsleitung) gemeint ist, sondern auch eine Spartengliederung auf nachgeordneten Ebenen die Tatbestandsvoraussetzung erfüllt. Beides entspricht dem Zweck der Vorschrift, den spezifischen betriebsverfassungsrechtlichen Problemen der Spartenbildung im Unternehmen Rechnung zu tragen. Sie ergeben sich daraus, daß durch die Spartenbildung eigenständige Organisationseinheiten entstehen, die nicht mit den im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Organisationseinheiten Betrieb und Unternehmen korrespondieren112. Weil gerade dieser Mangel durch die kollektivvertraglichen Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG behoben werden soll, ist es für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals Spartenorganisation unerheblich, ob diese im gesamten Unternehmen oder nur in Teilen davon besteht. Zugleich wird durch die Formulierung „soweit“ der Regelungsspielraum der Tarifvertragsparteien auf die nach Sparten organisierten Unternehmensbereiche beschränkt. Unternehmens- oder Betriebsteile, die keiner Sparte zugeordnet sind, können deshalb in Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht einbezogen werden113. Weiter präzisiert wird der gesetzliche Tatbestand durch 111 Schiessl, ZGR 1992, 64, 80 f.; Semler in: FS Döllerer, S. 571, 577; vgl. auch Bundesministerium der Justiz, Bericht, Rn. 1740 ff.; zur (unzutreffenden) Bezeichnung spartenleitender Personen als „Bereichsvorstände“ vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 II 3 d, S. 815. 112 Vgl. Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 26; Wendeling-Schröder, Divisionalisierung, S. 113 ff. 113 Ebenso Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 34; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 40a, a.A. offenbar Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 1: auch Betriebsteile, die nicht in die Spartenbildung einbezogen sind, seien „einer Sparte zuzuordnen“; ders.,

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

die Legaldefinition der Sparte als „produkt- oder projektbezogener“ Geschäftsbereich. Die Definition ist einerseits enger, andererseits weiter als die des betriebswirtschaftlichen Spartenbegriffs. Enger ist sie, weil sie von den möglichen Gestaltungsformen der Objektgliederung allein die – freilich in der Praxis häufigste – Gliederung nach Produkten umfaßt. Geschäftsbereiche, die nach anderen Objekten, etwa nach Kundengruppen oder Absatzregionen114, organisiert sind, erfüllen daher den Spartenbegriff des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht115. Eine Erweiterung liegt hingegen in der Einbeziehung projektbezogener Geschäftsbereiche in den betriebsverfassungsrechtlichen Spartenbegriff. Als projektbezogene Organisation wird in der Betriebswirtschaftslehre die zeitlich befristete Bildung von Organisationseinheiten zur Wahrnehmung einmaliger, befristeter Projekte bezeichnet 116. Diese Organisationseinheiten sind nach betriebswirtschaftlicher Terminologie keine Sparten. Sie werfen allerdings betriebsverfassungsrechtlich ähnliche Probleme auf wie die Spartenorganisation, weil auch sie nicht mit den gesetzlich vorgesehenen Organisationsstrukturen korrespondieren. Es ist deshalb anzunehmen, daß die aus der Betriebswirtschaft bekannte projektbezogene Organisation in den Spartenbegriff des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG implementiert werden sollte. In Betracht kommt die Bildung von Spartenbetriebsräten in projektbezogenen Organisationseinheiten beispielsweise im Rahmen industrieller Großprojekte, aber auch bei projektförmig organisierter Arbeit in größeren Forschungseinrichtungen117. Die Möglichkeit unternehmensübergreifender Spartenbetriebsratsbildung eröffnet § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG für den nach Sparten organisierten Konzern. Auch diese Tatbestandsvoraussetzung wird in der Gesetzesbegründung nicht näher erläutert118. Sie wirft zunächst die Frage auf, was unter einem Konzern im Sinne der a. a. O., Rn. 5: „Spartenbetriebsräte müssen so gebildet werden, daß alle Arbeitnehmer erfaßt werden“. 114 Vgl. Kieser / Walgenbach, Organisation, S. 242; Laux / Liermann, Organisation, S. 290. 115 Ebenso Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 38, der als Beispiel den Geschäftsbereich „Privatkunden“ einer Bank nennt; a.A. Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 12, die „davon ausgehen, dass der Gesetzgeber Unternehmen und Konzerne mit divisionaler objektbezogener Organisationsstruktur umfassend einbeziehen wollte, auch wenn diese nicht produkt-, sondern anderweitig objektbezogen – etwa nach Absatzmärkten oder Regionen – organisiert sind“. Ein derartiger „Wille des Gesetzgebers“ ist indessen weder in der Gesetzesbegründung noch anderswo dokumentiert und hat auch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden. Für eine über die Legaldefinition in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hinausgehende Auslegung des Spartenbegriffs ist daher – so wünschenswert sie rechtpolitisch sein mag – de lege lata keine Raum. 116 Bleicher, Organisation, S. 388; Schertler, Unternehmensorganisation, S. 38; ausführlich zu den verschiedenen Formen der Projektorganisation Frese, Organisation, S. 500 ff. 117 Vgl. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 38. 118 Die Entwurfsbegründung (BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34) ergänzt lediglich die knappen und wenig ergiebigen Ausführungen zur Errichtung von Spartenbetriebsräten im Unternehmen um den Hinweis: „Entsprechendes gilt für einen nach Geschäftsbereichen organisierten Konzern“. Erläuterungen zum Konzernbegriff oder zu möglichen Erscheinungsformen der Spartenorganisation im Konzern finden sich nicht.

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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Vorschrift zu verstehen ist. Anders als §§ 8 Abs. 1 S. 2, 54 Abs. 1 S. 1 und 73a Abs. 1 S. 1 BetrVG enthält § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG keine „definitorische Verweisung“119 auf den Konzernbegriff des § 18 Abs. 1 AktG. Allerdings nimmt das Gesetz auch keine eigene Begriffsbestimmung vor. Es ist deshalb davon auszugehen, daß § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ebenso wie die übrigen auf den Konzern Bezug nehmenden Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes an den gesellschaftsrechtlichen Konzernbegriff des § 18 AktG anknüpft120. § 18 AktG unterscheidet zwischen dem Unterordnungskonzern (Absatz 1) und dem Gleichordnungskonzern (Absatz 2). Da § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG keine Beschränkung auf den Unterordnungskonzern vorsieht, erstreckt sich der Anwendungsbereich der Vorschrift auch auf den Gleichordnungskonzern121. Der dagegen im Schrifttum vorgebrachte Einwand, § 54 Abs. 1 S. 1 BetrVG enthalte eine allgemeine, für das gesamte Betriebsverfassungsrecht geltende Beschränkung des Konzernbegriffs auf den Unterordnungskonzern122, überzeugt nicht. Das Betriebsverfassungsgesetz verwendet den Begriff des Konzerns in verschiedenen Vorschriften sowohl mit123 als auch ohne124 Verweisung auf § 18 Abs. 1 AktG. Die Annahme eines einheitlichen, auf den Unterordnungskonzern beschränkten betriebsverfassungsrechtlichen Konzernbegriffs begegnet deshalb schon im Hinblick auf Wortlaut und Systematik des Gesetzes durchgreifenden Bedenken. Sie findet auch in den Gesetzesmaterialien keine Stütze. An verschiedenen Stellen ist im Gegenteil ausdrücklich dokumentiert, daß der Gesetzgeber sich bewußt für oder gegen eine Beschränkung des Konzernbegriffs auf den Unterordnungskonzern entschieden hat125. Die Entscheidung für eine Beschränkung kommt in der Verweisung auf § 18 Abs. 1 AktG zum Ausdruck. Wo die Verweisung fehlt, ist hingegen grundsätzlich davon auszugehen, daß alle Formen des Konzerns in Bezug genommen sind. Das gilt auch126 für § 3 Abs. 1 Kreutz in: GK-BetrVG, § 54 Rn. 12. Vgl. Friese, RdA 2003, 92, 94; zum gesellschaftsrechtlichen Konzernbegriff ausführlich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 17 III, S. 499 ff.; allgemein zur Anwendung des Konzernbegriffs im Betriebsverfassungsrecht Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 309 ff. 121 Diringer, AuA 2001, 172, 174; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 44; Friese, RdA 2003, 92, 94; Heinkel, Organisationseinheit, S. 142; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 3 Rn. 9; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 41. 122 So Kort, AG 2003, 13, 16; ähnlich Richardi, NZA 2001, 346, 350; ders. in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 28; Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 35; auch Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 23, verneint eine Einbeziehung des Gleichordnungskonzerns mit der Begründung, für § 3 BetrVG sei „der allgemeine Konzernbegriff des BetrVG maßgeblich“. 123 Vgl. §§ 8 Abs. 1 S. 2, 54 Abs. 1 S. 1, 73a Abs. 1 S. 1 BetrVG 124 Vgl. §§ 18a Abs. 3 S. 2, 56, 87 Abs. 1 Nr. 8, 112 Abs. 5 Nr. 2 S. 2, 112a Abs. 2 S. 2 BetrVG. 125 Vgl. etwa die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 54 BetrVG 1972 (BT-Drucks. VI / 1786, S. 43) einerseits und die Begründung zu § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG n.F. (BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34) andererseits. 126 Vgl. für § 18a Abs. 3 S. 2 BetrVG Fitting, BetrVG, § 18a Rn. 46; Kreutz, GK-BetrVG, § 18 Rn. 58; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 18a Rn. 7; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 18a 119 120

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

Nr. 2 BetrVG127. Die Bildung von Spartenbetriebsräten ist daher prinzipiell sowohl im Unterordnungs- als auch im Gleichordnungskonzern möglich. Der Konzern muß zumindest teilweise („soweit“) nach Sparten organisiert sein. Die Spartenorganisation im Konzern ist ebenso wie die im Unternehmen betriebswirtschaftlich und gesellschaftsrechtlich anerkannt128. Sie tritt vor allem bei besonders intensiven Formen der vertraglichen oder faktischen Konzernierung auf129. Ihre konkrete Ausgestaltung kann sehr unterschiedlich sein. Möglich ist etwa eine Spartenorganisation in der Weise, daß mehrere zu einem Konzern verbundene Unternehmen jeweils eine Sparte bilden130. Denkbar ist aber auch, daß einzelne Unternehmen eines Konzerns verschiedenen Sparten zugeordnet sind. In diesem Fall führt die Spartengliederung zu einer „organisatorischen Teilung“ der betreffenden Unternehmen, die bis auf die Betriebsebene reichen kann.

b) Entscheidungen der Spartenleitung in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten Weitere Voraussetzung für Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist, daß „die Leitung der Sparte auch Entscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten trifft“. Damit wird das materielle Betriebsverfassungsrecht in Bezug genommen: Beteiligungspflichtige Angelegenheiten sind alle Angelegenheiten, in denen der Betriebsrat zu beteiligen ist131, diesem also ein Beteiligungsrecht zusteht. Das Beteiligungsrecht kann sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz132, aber Rn. 39; für § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 346; Klebe in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 87 Rn. 211; für §§ 112 Abs. 5 Nr. 2 S. 2, 112a Abs. 2 S. 2 BetrVG Däubler in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 70. Der Konzernbegriff in § 56 BetrVG ist hingegen wegen des systematischen Zusammenhangs mit § 54 Abs. 1 S. 1 BetrVG auf den Unterordnungskonzern beschränkt. 127 Friese, RdA 2003, 92, 94 und Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 41 weisen mit Recht darauf hin, daß auch teleologische Gesichtspunkte für eine Einbeziehung des Gleichordnungskonzerns in den Konzernbegriff des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG sprechen. 128 Kort, AG 2003, 13, 16, 19. 129 Vgl. Kort, AG 2003, 13, 19; Schwark, ZHR 142 (1978), 203, 223 ff.; zu einzelnen Erscheinungsformen divisionaler Strukturen im Konzern siehe auch Schiessl, ZGR 1992, 64, 65 f. 130 In diesem Fall entstehen durch die Spartenorganisation allerdings keine besonderen betriebsverfassungsrechtlichen Probleme, die über die allgemeine Konzernproblematik hinausgehen. Dieser trägt bereits das dreistufig angelegte gesetzliche Organisationsmodell Rechnung. Die Bildung von Spartenbetriebsräten wird deshalb regelmäßig nicht „der sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats“ dienen. 131 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 132 Ist die Spartenleitung nicht bei einem deutschen Unternehmen, sondern z. B. bei einer ausländischen Konzernmuttergesellschaft angesiedelt, können keine Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz bestehen, da dessen Geltungsbereich auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist, vgl. Kappenhagen in: Jaeger / Röder / Heckelmann, Betriebsverfassungsrecht, Kap. 5 Rn. 76.

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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auch aus anderen gesetzlichen Regelungen ergeben133. Auf seine Art und Stärke kommt es nach der Gesetzesformulierung nicht an. Umfaßt sind daher (echte) Mitbestimmungsrechte ebenso wie Mitwirkungsrechte in Gestalt von Informations-, Anhörungs- und Beratungsrechten134. Die Spartenleitung muß auch weder alle noch die wesentlichen beteiligungspflichtigen Angelegenheiten entscheiden. Das Gesetz verlangt lediglich, daß sie auch Entscheidungen in solchen Fragen trifft. Die Anforderungen an das Entscheidungsspektrum der Spartenleitung bleiben damit weit hinter dem für die Betriebseigenschaft maßgeblichen Erfordernis einheitlicher Entscheidungskompetenz in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten135 zurück136. Das ist konsequent wenn man davon ausgeht, daß der Gesetzgeber die mit der Bestimmung der Betriebseigenschaft verbundenen Schwierigkeiten im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG vermeiden wollte137. Es stellt sich dann allerdings die Frage, warum er die Entscheidungstätigkeit der Spartenleitung in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten überhaupt als eigenständige Tatbestandsvoraussetzung normiert hat. Denn daß die Spartenleitung zumindest irgendwelche beteiligungsrelevanten Fragen entscheidet, ist regelmäßig notwendige Bedingung für eine sachgerechte Aufgabenwahrnehmung des Spartenbetriebsrats und daher schon von dieser Voraussetzung138 mit umfaßt. Anders ist es nur, wenn ausschließlich (Spartenteil-)Betriebsräte unterhalb der Spartenleitung errichtet werden sollen139 und es deshalb auf deren Entscheidungskompetenz in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten für eine sachgerechte Aufgabenwahrnehmung des Betriebsrats nicht ankommt. Warum es allerdings gerade in diesem Fall trotzdem erforderlich sein soll, daß auch die Spartenleitung beteiligungsrelevante Entscheidungen trifft, ist nicht einsichtig. Überzeugender wäre es gewesen, die Ent133 Zu außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes normierten Beteiligungsrechten vgl. etwa Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 1 Rn. 66. Eine tarifvertraglich begründete Beteiligungspflicht kann hingegen – ungeachtet der Frage ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit – für § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht ausreichen, weil die Tarifvertragsparteien ansonsten selbst über die Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzung und damit über die Zulässigkeit des Tarifvertrags entscheiden könnten; a.A. Heinkel, Organisationseinheit, S. 148. 134 Ebenso Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 46; zur terminologischen Zusammenfassung aller Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte unter dem Oberbegriff „Beteiligungsrechte“ vgl. nur Fitting, BetrVG, § 1 Rn. 242. 135 Vgl. oben § 3 I. 2. a). 136 Vgl. Friese, RdA 2003, 92, 94; Heinkel, Organisationseinheit, S. 150; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 45; a.A. offenbar Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 12, wonach ein Spartenbetriebsrat „nur in einer Sparte eingerichtet werden kann, die einen (gemeinsamen) Betrieb darstellt“. 137 So Friese, RdA 2003, 92, 94; im Ausgangspunkt ebenso Heinkel, Organisationseinheit, S. 151, der allerdings zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „sachgerechte Aufgabenwahrnehmung des Betriebsrats“ dann doch „Qualität und Quantität der der Spartenleitung zustehenden Entscheidungsbefugnisse in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten“ als maßgebliche Kriterien heranziehen will. 138 Zu ihr sogleich. 139 Zu dieser Gestaltungsmöglichkeit oben § 3 II. 1. a).

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

scheidungsbefugnis der Spartenleitung in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten lediglich als ein mögliches Kriterium für eine sachgerechte Aufgabenwahrnehmung des Betriebsrats vorzusehen oder ganz auf eine ausdrückliche Normierung zu verzichten.

c) Sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats Die Bildung von Spartenbetriebsräten darf nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG durch Tarifvertrag nur bestimmt werden, „wenn dies der sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats dient“. Mit „Betriebsrat“ ist, wie sich aus dem Regelungszusammenhang und dem Zweck der Norm ergibt, der Spartenbetriebsrat gemeint140. Da dieser nach § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG dieselben Rechte und Pflichten hat wie ein auf gesetzlicher Grundlage errichteter Betriebsrat, können auch für die Beurteilung einer sachgerechten Aufgabenwahrnehmung die nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes maßgeblichen Kriterien herangezogen werden141. Dazu zählen die Gesichtspunkte einer entscheidungsträgernahen Installation der Repräsentationsorgane (vgl. §§ 47, 54 BetrVG), der räumlichen Nähe zwischen Repräsentationsorgan und Belegschaft (§§ 4, 28, 28a, 42 ff. BetrVG), einer klaren Funktionsabgrenzung zwischen verschiedenen Repräsentationsorganen (vgl. §§ 50, 58 BetrVG), der Kontinuität der Betriebsratsarbeit (vgl. §§ 13, 21, 21a und b, 22 BetrVG) einer möglichst umfassenden Belegschaftsrepräsentation (vgl. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4, 50 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, 58 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BetrVG) und einer effektiven Ausübung der Beteiligungsrechte durch Freistellung und Spezialisierung (vgl. §§ 38 Abs. 1, 28, 28a BetrVG). Die einzelnen Aspekte haben teils ergänzenden, teils gegenläufigen Charakter und sind für die Sachgerechtigkeit der Aufgabenwahrnehmung des Betriebsrats von unterschiedlich großer Bedeutung142. Welches Gewicht dem jeweiligen Kriterium im Rahmen von Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zukommt, kann nicht allgemeingültig festgestellt werden, sondern hängt von der konkreten Ausgestaltung der Spartenorganisation im Unternehmen oder Konzern ab143. So ist etwa im Fall einer Bündelung betriebsverfassungsrechtlich relevanter Entscheidungskompetenzen bei der Spartenleitung dem Gesichts-

140 Vgl. Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 12; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 48; scheinbar zweifelnd, im Ergebnis aber ebenso Kort, AG 2003, 13, 20, 21. 141 Für eine Beurteilung anhand des Betriebsverfassungsgesetzes auch Friese, RdA 2003, 92, 100. 142 Nach der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34, soll es vor allem darauf ankommen, daß dem Betriebsrat „ein kompetenter Ansprechpartner und Entscheidungsträger gegenübersteht“; ähnlich (beschränkt auf die Spartenleitung) Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 41; Heinkel, Organisationseinheit, S. 154; kritisch zu diesem Kriterium Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 49; ablehnend Friese, RdA 2003, 92, 100. 143 Zu den verschiedenen Erscheinungsformen der Spartenorganisation vgl. oben § 3 II. 2. a).

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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punkt einer entscheidungsträgernahen Ansiedlung des Repräsentationsorgans besondere Beachtung zu schenken144. In Fällen projektbezogener Geschäftsbereichsorganisation spielt der Gesichtspunkt der Kontinuität der Betriebsratsarbeit eine wesentliche Rolle, weil nur bei längerfristig angelegten Projekten eine sinnvolle und sachgerechte Aufgabenwahrnehmung durch den Spartenbetriebsrat möglich ist145.

III. Andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG können durch Tarifvertrag „andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ bestimmt werden, „soweit dies insbesondere aufgrund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient“. Die Vorschrift eröffnet den Tarifvertragsparteien weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten. Einen „Freibrief“146 hat ihnen der Gesetzgeber freilich nicht ausgestellt. Die Zulässigkeit des Tarifvertrags ist vielmehr von der Beachtung der auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite der Norm gesetzten Grenzen abhängig147.

1. Die Regelungsmöglichkeiten § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erlaubt den Tarifvertragsparteien148, „andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ zu vereinbaren. Der neu eingeführte149 Begriff der „Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ umschreibt Inhalt und Grenzen der tarifvertraglichen Regelung allerdings nur sehr vage. Nach dem Gesetzeswortlaut ausgeschlossen ist angesichts der Beschränkung auf Arbeitnehmervertretungsstrukturen eine Erstreckung des Tarifvertrags auf Personen, die keine Arbeitnehmer im 144 Die ausschließliche Errichtung von (Spartenteil-)Betriebsräten unterhalb der Spartenleitung wäre in diesem Fall nicht sachgerecht. 145 Auf welche Dauer die projektbezogene Geschäftsbereichsorganisation mindestens angelegt sein muß, regelt § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht. Es liegt nahe, sich insoweit an der gesetzlichen Regelung der Amtszeit des Betriebsrats (§ 21 BetrVG) zu orientieren. 146 Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 37. 147 Vgl. schon oben § 2 III. 3. b). 148 Die Betriebspartner sind gem. § 3 Abs. 2 BetrVG von Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ausgeschlossen, weil „wegen der besonderen Tragweite dieser Regelung eine Vereinbarungslösung nur durch Tarifvertrag zulässig“ sein soll (BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34). 149 § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG a.F. sah die „Errichtung einer anderen Vertretung der Arbeitnehmer“ vor.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

Sinne des § 5 BetrVG sind150. Im übrigen scheint die Gesetzesformulierung den Tarifpartnern weitgehend freie Hand bei der Schaffung neuer Formen der Belegschaftsrepräsentation zu lassen. Diesen Eindruck erwecken auch einige Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs. So heißt es dort unter anderem: „Wie die Arbeitnehmervertretungsstruktur im Einzelnen ausgestaltet wird, obliegt den Tarifvertragsparteien. Darüber hinaus hat die Regelung den Sinn, den Tarifvertragsparteien zu ermöglichen, auf zukünftige neue Entwicklungen von Unternehmensstrukturen in Produktion und Dienstleistung angemessen zu reagieren und entsprechende Arbeitnehmervertretungssysteme errichten zu können, ohne dabei auf ein Tätigwerden des Gesetzgebers angewiesen zu sein“151. Die wenig klare Gesetzesformulierung und die wolkigen Ausführungen in der Entwurfsbegründung haben offenbar die juristische Phantasie einiger Autoren beflügelt und einen regelrechten Wettbewerb um die kreativsten „Vereinbarungslösungen“ im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ausgelöst. So soll etwa die Bildung von Spartenbetriebsräten auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zulässig sein, wenn die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht erfüllt sind152. Eine weitere Regelungsoption wird darin gesehen, zusätzliche Gremien mit Kompetenzen zu errichten, beispielsweise den im Gesetzgebungsverfahren gescheiterten Konzernwirtschaftsausschuß153. Ebenso soll es möglich sein, die Repräsentationsbereiche auch auf Unternehmens- und Konzernebene durch Tarifvertrag neu abzugrenzen154 oder die Kompetenzen zwischen den gesetzlichen Arbeitnehmervertretungen „neu zu konturieren“155. Der Tarifvertrag könne auch eine „andere Art der Ausübung des Übergangsmandats“ nach § 21a Abs. 2 BetrVG etwa dergestalt vorsehen, daß sämtliche Betriebsräte der zusammenzufassenden Betriebe ein Übergangsorgan unter Beteiligung von Vertretern aller betroffenen Organisationsbereiche entsprechend dem zahlenmäßigen Verhältnis der jeweiligen Beschäftigten bilden156. Für zulässig gehalten wird ferner, die Zahl der Betriebsräte abweichend von § 9 BetrVG zu bestimmen sowie Amtszeit, Wahl und Zusammensetzung der Vertretung abweichend vom Gesetz zu regeln157. Am weitesten geht die Ansicht, durch Tarifvertrag könne „jedwede Struktur der Arbeitnehmervertretung zu jedem denkbaren Zweck statuiert werden“158. 150 Unzulässig wäre etwa die Einbeziehung von Beamten oder arbeitnehmerähnlichen Personen, für die das Betriebsverfassungsgesetz nach § 5 BetrVG nicht gilt, vgl. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 86. 151 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 152 Rolf, Betriebsratsstruktur, S. 117, 120; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 76; wohl auch Heinkel, Organisationseinheit, S. 182; Kort, AG 2003, 13, 21. 153 Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 39. 154 Annuß, NZA 2002, 290, 292; ähnlich Heinkel, Organisationseinheit, S. 185. 155 Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 39. 156 Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 73. 157 Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 6; vgl. auch Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2500.

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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Bei einem derartigen Verständnis von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hätten die Tarifvertragsparteien in der Tat „freie Bahn“159. Das wäre indessen nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen höchst bedenklich160. Auch die Beachtung traditioneller Regeln der Gesetzesauslegung steht der Annahme einer „uferlosen Weite der Regelungsmöglichkeiten“161 im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG entgegen. Schon der Wortlaut der Vorschrift ist nämlich keineswegs so „vereinbarungsoffen“, wie teilweise postuliert wird. Denn tarifvertraglich bestimmt werden können nicht etwa „jedwede“, sondern nur andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen. Die verbreitete Annahme, damit seien andere als die gesetzlich vorgesehenen Arbeitnehmervertretungsstrukturen gemeint162, geht fehl. Ihr steht schon die grammatikalische Hürde entgegen, daß ein entsprechender Bezugspunkt in § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG fehlt. Das Wort „andere“ kann sich deshalb nur auf die vorangegangen Satzteile, also die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG genannten Regelungsmöglichkeiten beziehen. Dafür spricht auch die Gesetzessystematik: § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG lassen bestimmte vom Gesetz abweichende Regelungen zu und knüpfen diese an tatbestandliche Voraussetzungen163. Könnte nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG jede vom Gesetz abweichende Arbeitnehmervertretungsstruktur vereinbart werden, wären § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG überflüssig, die dort normierten Tatbestandsvoraussetzungen Makulatur. Eine solche Auslegung entspräche weder dem Gesetzeszweck noch dem in der Entwurfsbegründung dokumentieren Willen der Gesetzesverfasser164. Als „andere“ Arbeitnehmervertretungsstrukturen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG können daher nur solche angesehen werden, die nicht schon in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG geregelt sind165. Ist eine Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 BetrVG mangels Erfüllung der dort normierten Tatbestandsvoraussetzungen unzulässig, kann sie auch nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nicht getroffen werden. Deshalb ist es beispielsweise ausgeschlossen, Spartenbetriebsräte auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu errichten,

158 Diringer, AuA 2001, 172, 175; ähnlich Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 73. 159 Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 39. 160 Vgl. oben § 2 III. 3. b). 161 Diringer, AuA 2001, 172, 175. 162 Vgl. Kort, AG 2003, 13, 21; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 73; Heinkel, Organisationseinheit, S. 185. 163 Vgl. oben § 3 I. und § 3 II. 164 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34: „Nummer 3 eröffnet die Möglichkeit, über die in Nummer 1 und 2 genannten speziellen Fälle hinaus ( . . . ) eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu errichten“. Auch Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 73, räumt ein, daß das in der Gesetzesbegründung vorausgesetzte Normverständnis „offenbar enger“ ist als die von ihm befürwortete „sehr weitgehende Auslegung“, will daraus aber keine Einschränkungen ableiten. 165 Vgl. auch Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 3 Rn. 11.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

wenn die Voraussetzungen für ihre Errichtung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht vorliegen166. Eine weitere Einschränkung der tarifvertraglichen Regelungsmöglichkeiten ergibt sich aus der systematischen Verknüpfung von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mit § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG. Danach gelten (auch) die aufgrund eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten als Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Bei Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG geht es also – ebenso wie bei solchen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG167 – allein um die Festlegung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit(en), für die ein Betriebsrat gewählt wird168. Daraus folgt zunächst eine Beschränkung der tariflichen Gestaltungsbefugnis auf die unterste Ebene der betrieblichen Interessenvertretung. Die Schaffung weiterer Arbeitnehmervertretungsstrukturen auf Unternehmens- oder Konzernebene, etwa die Bildung eines Konzernwirtschaftsausschusses, bleibt den Tarifpartnern also verwehrt169. Der Wortlaut von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG steht dem nicht entgegen, denn der Begriff „Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ impliziert nicht notwendig eine vertikale Stufung, sondern kann auch im Sinne einer horizontalen Gliederung verstanden werden170. Auch der immer wieder zur Begründung einer weitergehenden Regelungsmacht angeführte Satz aus der Entwurfsbegründung, die konkrete Ausgestaltung der Arbeitnehmervertretungsstruktur obliege den Tarifvertragsparteien171, läßt sich ohne weiteres auf die Ausgestaltung der Vertretungsstruktur auf Betriebsebene beziehen172. 166 Vgl. auch LAG Hessen v. 21. 4. 2005 – 9 / 5 TaBV 115 / 04 (juris); a.A. die oben (§ 3 III. 1. Fn. 152) genannten Autoren. 167 Vgl. oben § 3 I. 1. und § 3 II. 1. a). 168 Ebenso Kraft / Franzen, GK-BetrVG, § 3 Rn. 19; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 37; a.A. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 69, der meint, daß „ein nur strukturregelnder Tarifvertrag sich ja auf die Ebene des Konzerns oder des Unternehmens beschränken könnte“. Die Betriebsfiktion des § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG hält Trümner für „irritierend“ und in solchen Fällen nicht „anwendbar“. 169 Ebenso Thüsing, ZIP 2003, 693, 703 f.; zweifelnd Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 50, unter Hinweis auf die in der Gesetzesbegründung (BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34) erwähnte Möglichkeit, „für einen mittelständischen Konzern mit wenigen kleinen Konzernunternehmen statt einer dreistufigen eine zwei- oder gar nur einstufige Interessenvertretung vorzusehen“. Diese Möglichkeit besteht jedoch auch nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis: Eine zweistufige Vertretung (Betriebsrat / Konzernbetriebsrat) kann durch Bildung unternehmenseinheitlicher Betriebsräte in den Konzernunternehmen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG herbeigeführt, eine einstufige Vertretung (konzernweiter Betriebsrat) als andere Arbeitnehmervertretungsstruktur nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG vereinbart werden. 170 Insoweit zutreffend Annuß, NZA 2002, 290, 292; vgl. auch Thüsing, ZIP 2003, 693, 704. 171 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 172 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 35, stellt zudem ausdrücklich klar, daß die Betriebsfiktion des § 3 Abs. 5 BetrVG auch für die nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten gilt.

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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Aus der gesetzlichen Fiktion der gebildeten Organisationseinheiten als „Betriebe im Sinne dieses Gesetzes“ folgt weiter, daß sich die betriebsverfassungsrechtliche Binnenorganisation allein nach dem Betriebsverfassungsgesetz richtet173. Auf die in der anderen Arbeitnehmervertretungsstruktur gebildeten Arbeitnehmervertretung finden nach § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und die Rechtsstellung seiner Mitglieder Anwendung. Vom Gesetz abweichende Regelungen etwa über die Zahl der Betriebsratsmitglieder oder die Zusammensetzung, Wahl oder Amtszeit der Vertretung sind deshalb auch auf Grundlage von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nicht möglich174. Durch Tarifvertrag kann beispielsweise nicht bestimmt werden, daß gewerkschaftliche Vertrauensleute die „andere“ Arbeitnehmervertretung bilden175. Ebensowenig können die Tarifpartner über das Verhältnis der „anderen“ Arbeitnehmervertretung zu den gesetzlich vorgesehenen Vertretungen disponieren. Insoweit gilt dasselbe wie für den Spartenbetriebsrat176: Die aufgrund Kollektivvertrags gebildete Vertretung ersetzt in ihrem Zuständigkeitsbereich den auf gesetzlicher Grundlage bestehenden oder zu errichtenden Betriebsrat. Eine „Kombination“ von gesetzlich vorgesehenen und tarifvertraglich vereinbarten Arbeitnehmervertretungen scheidet aus.

2. Die Regelungsvoraussetzungen Andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen können nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nur bestimmt werden, „soweit dies insbesondere aufgrund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient“. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG enthält mithin ebenso wie § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG eine „Dienlichkeitsklausel“, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der tarifvertraglichen Vereinbarung normiert. Gleichwohl wird im Schrifttum teilweise angenommen, die Tarifvertragparteien könnten die Voraussetzungen für die Schaffung anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG selbst bestimmen. Diringer177 folgert das aus der Formulierung „insbesondere“, die sich seiner Ansicht nach auf den gesamten Tatbestand der Norm bezieht. Die Tarifvertragsparteien könnten daher andere Ebenso Annuß, NZA 2002, 290, 292. Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 35; a.A. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 6; im Hinblick auf Größe und Zusammensetzung der anderen Arbeitnehmervertretung auch Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2500; wie hier dagegen Annuß, NZA 2002, 290, 292; Thüsing, ZIP 2003, 693, 704. 175 Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 23; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 37. 176 Vgl. oben § 3 II. 1. c); die dort angeführten Argumente können für die Beurteilung des Verhältnisses von gesetzlicher und „anderer“ Arbeitnehmervertretung entsprechend herangezogen werden. 177 AuA 2001, 172, 175. 173 174

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

Arbeitnehmervertretungsstrukturen auch „allein aufgrund eigener, weder rechtlich noch sachlich gebundener Erwägungen“ schaffen. Diese Ansicht ist schon mit dem Gesetzeswortlaut offensichtlich unvereinbar. Der Adverbkonnektor „insbesondere“ bezieht sich ausweislich des Satzbaus178 eindeutig nur auf den Einschub „aufgrund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen“ und nicht darauf, daß die Regelung einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient179. Entgegen Rieble180 genügt es zur Erfüllung dieser Voraussetzung auch nicht, „daß die Tarifparteien die Regelung für sinnvoll halten“. Ob der Tarifvertrag einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient, ist vielmehr nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Es handelt sich um eine gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung, die nicht der Disposition der Tarifvertragsparteien unterliegt181. Die Tatbestandsvoraussetzung bedarf der inhaltlichen Präzisierung. Als wenig hilfreich erweist sich dabei die Entwurfsbegründung, nach der es bei § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG darum gehen soll, „auch dort eine wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu errichten, wo dies ( . . . ) in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht generell mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist“182. Damit greift die Begründung eine Formulierung aus § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG a.F. auf, wonach die Bildung einer anderen Vertretung der Arbeitnehmer für Betriebe vereinbart werden konnte, „in denen wegen ihrer Eigenart der Errichtung von Betriebsräten besondere Schwierigkeiten entgegenstehen“. Das Merkmal der „besonderen Schwierigkeiten“ findet sich jedoch in § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG n.F. nicht wieder. Allein aufgrund eines nicht weiter erläuterten Satzes in der Entwurfsbegründung anzunehmen, daß der Gesetzgeber das alte Tatbestandsmerkmal und den mit seiner Auslegung verbundenen Streit183 ins neue Recht übernehmen wollte, ist schwerlich vertretbar184. Wesentlich näher liegt es, die Tatbestandsvoraussetzung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in Anlehnung an § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG zu deuten185: Das Merkmal der „wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer“ besitzt schon dem Wortlaut nach große Ähnlichkeit mit 178 Es heißt “ ( . . . ) soweit dies insbesondere ( . . . ) “, nicht “ ( . . . ) insbesondere soweit dies ( . . . ) “. 179 Insoweit zutreffend Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 85. 180 RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 38; ähnlich Plander, NZA 2002, 483, 487. 181 Vgl. Annuß, NZA 2002, 290, 291 f.; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 48; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 35 f.; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 95. Insoweit gilt dasselbe wie für die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG normierten Tatbestandsvoraussetzungen, vgl. oben § 3 I. 2. a). 182 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 183 Vgl. dazu nur Fitting, BetrVG (20. Aufl.), § 3 Rn. 29. 184 Ablehnend auch Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 72, 74. 185 Vgl. auch Heinkel, Organisationseinheit, S. 180; Plander, NZA 2002, 483, 487; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 85.

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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den Tatbestandsmerkmalen der „sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer“186 und der „sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats“187. Wie jene hat es den Zweck, die Einhaltung der im Betriebsverfassungsgesetz normierten Grundsätze auch im Rahmen der tarifvertraglich vereinbarten Vertretungsstrukturen sicherzustellen. Ebenso wie bei Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG geht es bei Vereinbarungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG vor allem darum, eine sinnvolle und effektive Wahrnehmung der gesetzlich vorgesehenen Beteiligungsrechte zu ermöglichen, weil auf diese Weise die gemeinsamen Interessen der Arbeitnehmer am besten verfolgt werden können188. Aus diesem Grund gelten auch die durch einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG festgelegten Organisationseinheiten als Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes und finden auf die in ihnen gebildeten Arbeitnehmervertretungen die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats Anwendung189. Es spricht deshalb alles dafür, auch für die Beurteilung einer „wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer“ die nach dem Betriebsverfassungsgesetz maßgeblichen Kriterien heranzuziehen190. Zu beachten sind daher namentlich die Gesichtspunkte einer entscheidungsträgernahen Installation der Repräsentationsorgane, der räumlichen Nähe zwischen Repräsentationsorgan und Belegschaft, einer klaren Funktionsabgrenzung zwischen verschiedenen Repräsentationsorganen, der Kontinuität der Betriebsratsarbeit, einer möglichst umfassenden Belegschaftsrepräsentation und einer effektiven Ausübung der Beteiligungsrechte durch Freistellung und Spezialisierung191. Die einzelnen Gesichtspunkte haben teils ergänzenden, teils gegenläufigen Charakter und sind für eine wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer von unterschiedlich großer Bedeutung. Welche Aspekte im Einzelfall die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen begründen können, hängt von den konkreten Gegebenheiten ab. Als mögliche Gründe dafür, daß die Schaffung anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung dient, nennt § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beispielhaft192 die „Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation“ sowie „andere Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen“. Aufgrund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation können solche Arbeitnehmervertretungsstrukturen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung dienen, die den Besonderheiten der jeweiligen Organisation in spe§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. 188 Vgl. oben § 3 I. 2. b). 189 Vgl. § 3 Abs. 5 BetrVG sowie oben § 3 III. 1. 190 In diesem Sinne auch Heinkel, Organisationseinheit, S. 179 f.; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 85. 191 Vgl. oben § 3 II. 2. c), auch zur gesetzlichen Herleitung der einzelnen Gesichtspunkte. 192 A.A. offenbar Rolf, Betriebsratsstruktur, S. 123, wonach „die Zusammenarbeit von Unternehmen einzige Grenze im Tatbestand“ sein soll. 186 187

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

zifischer Weise Rechnung tragen. Geht man davon aus, daß für idealtypische Organisationsformen schon das Betriebsverfassungsgesetz wirksame und zweckmäßige Vertretungsstrukturen vorsieht, kommen tarifvertragliche Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG umso eher in Betracht, je weiter die konkrete Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation vom gesetzlichen Idealbild abweicht. Zu denken ist etwa an Betriebe und Unternehmen, in denen das Personal ständig wechselt (z. B. Varietés)193 oder in denen eine relativ kleine Stammbelegschaft einer großen Zahl nur vorübergehend Beschäftigter gegenübersteht (z. B. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, Bauunternehmen, Saison- oder sog. „Ausbildungsbetriebe“)194. Organisatorische Besonderheiten können sich auch bei Betrieben und Unternehmen mit ständig wechselnden Arbeitsstätten, etwa in der Forstwirtschaft oder in der Binnenschiffahrt, ergeben195. In derartigen Fällen kann es einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dienen, durch Tarifvertrag die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten in personeller oder räumlicher Hinsicht abweichend vom Gesetz festzulegen. Als weiteren Anwendungsfall nennt die Entwurfsbegründung196 die Möglichkeit, „für einen mittelständischen Konzern mit wenigen kleinen Konzernunternehmen statt einer dreistufigen eine zwei- oder gar nur einstufige Interessenvertretung vorzusehen“197. Wenig Erkenntnisgewinn bringt der zweite gesetzliche Beispielsfall, wonach sich die Dienlichkeit anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen für eine wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen ergeben kann. Fraglich ist schon der Bezugspunkt des Worts „anderer“. Nach dem Satzbau bezieht es sich eigentlich auf die (gesamte) vorangestellte Alternative „Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation“. Betriebsund Unternehmensorganisation sind jedoch keine „Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen“. Die Alternative „andere Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen“ kann daher wohl nur als Abgrenzung zur „Konzernorganisation“ verstanden werden198. Der Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erstreckt sich danach auch auf Unternehmensverbindungen, die keine Konzerne darstellen. Welche Formen von Zusammenarbeit aber statt dessen gemeint sind, läßt das Gesetz offen. Die Entwurfsbegründung199 nennt als Beispiele für „moderne Erschei193 Vgl. Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 50; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 75. 194 Vgl. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 6; in Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 39; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 75; zu den dabei auftretenden Problemen ders. in: JbArbR, Bd. 36 (1999), S. 59, 77 f. 195 Vgl. Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 50; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 75. 196 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 197 Vgl. dazu bereits oben § 3 III. 1. Fn. 169. 198 So im Ergebnis auch Kort, AG 2003, 13, 22. 199 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34.

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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nungsformen von Produktion, Dienstleistung und Zusammenarbeit von Unternehmen“ ohne weitere Differenzierung die „just in time“-Produktionskette und den „shop in shop“200. Bei just-in-time-Produktionsketten, an denen mehrere Unternehmen beteiligt sind, beruht die Zusammenarbeit der Unternehmen meist auf Lieferbeziehungen, in der Regel schuldrechtlichen Austauschverträgen201. Die rechtliche Grundlage von shop-in-shop-Konzepten, bei denen es um die Überlassung innerbetrieblicher Verkaufsflächen an Hersteller oder Großhändler zur eigenständigen Präsentation von Waren geht, bilden regelmäßig Miet-, Agentur- oder Franchiseverträge202. Ob derartige schuldrechtliche Verbindungen allein schon ausreichen, um von einer Zusammenarbeit von Unternehmen sprechen zu können, ist zweifelhaft. Der Normzweck legt es nahe, zumindest eine gewisse Intensität der Kooperation in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht203 zu verlangen, weil andernfalls für die Bildung unternehmensübergreifender Arbeitnehmervertretungen überhaupt kein Grund ersichtlich ist. Letztlich kommt es darauf aber nicht entscheidend an. Denn die Zusammenarbeit von Unternehmen begründet weder eine Vermutung noch ein Indiz dafür, daß die Errichtung anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen „einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient“. Ob diese zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung für Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erfüllt ist, bestimmt sich allein anhand der oben204 dargelegten, dem Betriebsverfassungsgesetz entnommenen Kriterien.

IV. Arbeitsgemeinschaften (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG) § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG eröffnet den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit, „zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremien (Arbeitsgemeinschaften)“ zu bestimmen, „die der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertretungen dienen“. Der Gesetzgeber sieht darin ein „Angebot für ein best-practice-Verfahren“, das „Arbeitgebern und Betriebsräten gleichermaßen zugute kommen“ wird205. In der Literatur werden die zusätzlichen Gremien demgegenüber als „betriebsverfassungsrechtliche Stammtische“206 und „Schwatz200 Daneben erwähnt die Begründung noch die „fraktale Fabrik“. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Form der Zusammenarbeit von Unternehmen, sondern um eine besondere Form der Arbeitsorganisation innerhalb eines Unternehmens oder Betriebs, vgl. Giesen, BB 2002, 1480, 1481; Kort, AG 2003, 13, 22. 201 Vgl. Giesen, BB 2002, 1480, 1481. 202 Kort, AG 2003, 13, 23. 203 Denkbar etwa in dem von Löwisch, BB 2001, 1734, 1735, genannten Fall einer zur Durchführung eines Großprojekts gebildeten Arbeitsgemeinschaft von Bauunternehmen (ARGE). 204 S. 161 f. 205 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 206 Hanau RdA 2001, 65, 66.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

buden“207 kritisiert, für die „kein schützenswertes Interesse“208 ersichtlich sei. Ungeachtet der rechtspolitischen Bewertung von § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG ist der materielle Regelungsgehalt der Vorschrift zu bestimmen.

1. Die Regelungsmöglichkeiten Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG können durch Tarifvertrag zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremien bestimmt werden, die das Gesetz als Arbeitsgemeinschaften bezeichnet 209. Näheres über die Errichtung und Zusammensetzung dieser Arbeitsgemeinschaften, ihre Rechtsstellung und die ihrer Mitglieder ist in § 3 BetrVG nicht ausdrücklich geregelt. Das bedeutet jedoch, wie sich aus der Auslegung des Gesetzes ergibt, keineswegs, daß ihre Ausgestaltung „nach Gutdünken der Tarifpartner“210 erfolgen kann. Eine Begrenzung der Regelungsmöglichkeiten folgt zunächst daraus, daß es sich bei den nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG vorgesehenen Gremien um betriebsverfassungsrechtliche Gremien handeln muß. Darin liegt eine Abgrenzung vor allem zu gewerkschaftlichen Gremien, deren Einrichtung auf der Satzungsautonomie der Gewerkschaften beruht211. Konstitutiv für betriebsverfassungsrechtliche Gremien ist, daß sie nach den Grundsätzen demokratischer (und nicht verbandsmitgliedschaftlicher) Legitimation gebildet werden212. Arbeitsgemeinschaften im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG sind deshalb nur solche Gremien, deren Mitglieder auf der Grundlage eines demokratischen Wahlakts bestellt und nicht lediglich „ernannt“ werden213. Eine unmittelbare Wahl durch die Arbeitnehmer ist allerdings nicht erforderlich, weil die auf Grund von § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG gebildeten Arbeitsgemeinschaften keine Arbeitnehmervertretungen sind, sondern allein der Zusammenarbeit bestehender Vertretungen dienen. Es genügt daher, wenn ihre Mitglieder aus dem Kreis der beteiligten (ihrerseits demokratisch gewählten) Arbeitnehmervertretungen gewählt oder von diesen durch Beschluß bestimmt werden214. Die EinzelRieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 40. Konzen, RdA 2001, 76, 87. 209 Ausweislich der Satzstellung nicht von der „Legaldefinition“ der Arbeitsgemeinschaften umfaßt ist die im zweiten Satzteil des § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG genannte Voraussetzung, daß die zusätzlichen Gremien „der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertretungen dienen“. 210 So aber Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 14. 211 Vgl. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 89. 212 Vgl. §§ 1 Abs. 1 S. 1, 14, 14a, 27, 28, 28a, 33, 47, 54, 55, 63, 73a, 107 Abs. 2, 3 BetrVG. 213 Vgl. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 7; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 89. 214 Vgl. auch Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 56; wohl a.A. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 7, der anscheinend ausschließlich eine Begründung der Amtsstellung der Gremiumsmit207 208

§ 3 Die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten

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heiten der Gremienbildung sind im Tarifvertrag unter Beachtung der betriebsverfassungsrechtlichen Grundprinzipien zu regeln. Die Regelung muß zweckmäßig und an der Funktion der Arbeitsgemeinschaft ausgerichtet sein. In Betracht kommt etwa eine tarifvertragliche Regelung des Wahl- oder Beschlußverfahrens nach dem Vorbild von § 27 oder § 33 BetrVG. Unzulässig wäre es hingegen, die Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft von der Gewerkschaftszugehörigkeit abhängig zu machen215. Mit ihrer Qualifizierung als zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremien hat der Gesetzgeber außerdem klargestellt, daß die nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG gebildeten Arbeitsgemeinschaften vorhandene Arbeitnehmervertretungen nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen. Arbeitsgemeinschaften sind, wie die Entwurfsbegründung ausdrücklich betont, „keine Mitbestimmungsorgane“216. Sie können deshalb durch Tarifvertrag nicht mit Kompetenzen ausgestattet werden, die den aufgrund Gesetzes oder einer Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildeten Arbeitnehmervertretungen zustehen217. Ferner muß sichergestellt sein, daß die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft die Amtsausübung der vorhandenen Arbeitnehmervertretungen nicht beeinträchtigt oder gar behindert218. Dem ist durch eine entsprechende Ausgestaltung der Arbeitsgemeinschaft im Tarifvertrag Rechnung zu tragen. Nur wenige Vorgaben enthält das Gesetz in Bezug auf die Rechtsstellung der Arbeitsgemeinschaftsmitglieder. § 78 BetrVG erstreckt das – nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG strafbewehrte – Verbot der Störung, Behinderung, Benachteiligung und Bevorzugung auf die Mitglieder der „in § 3 Abs. 1 BetrVG genannten Vertretungen der Arbeitnehmer“. Außerdem gilt nach § 79 Abs. 2 BetrVG die Pflicht zur Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen für die Mitglieder der „gemäß § 3 Abs. 1 BetrVG gebildeten Vertretungen der Arbeitnehmer“ sinngemäß. Bei Arbeitsgemeinschaften nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG handelt es sich zwar nicht um „Arbeitnehmervertretungen“ im engeren Sinn. Die pauschale Verweisung auf § 3 Abs. 1 BetrVG legt es jedoch nahe, daß der Gesetzgeber alle auf der Grundlage dieser Vorschrift errichteten Gremien erfassen wollte. Dafür spricht auch ein systematischer Vergleich mit § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG: Dort ist glieder durch Wahl (und nicht durch Beschluß) für zulässig hält. Es besteht jedoch kein Grund dafür, an die Begründung der Mitgliedschaft in Arbeitsgemeinschaften nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG höhere Anforderungen zu stellen als an die in echten Mitbestimmungsorganen wie Gesamt- oder Konzernbetriebsrat, deren Mitglieder durch Beschluß bestimmt werden können (vgl. dazu nur BAG AP Nr. 13 zu § 47 BetrVG 1972). 215 Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 56; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 89. 216 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34; ebenso Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 53; Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 24; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 44; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 87. 217 In diesem Sinne auch Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 40; vgl. auch Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 33. 218 Vgl. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 87.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

ausdrücklich nur von den „in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 oder 5 bezeichneten Vertretungen der Arbeitnehmer“ die Rede, Nr. 4 also explizit ausgenommen. Eine entsprechende Differenzierung fehlt in §§ 78, 79 Abs. 2 BetrVG. Es ist daher davon auszugehen, daß diese Vorschriften auch für die Mitglieder von Arbeitsgemeinschaften nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG gelten219. Im übrigen folgt im Umkehrschluß aus § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG, daß die gesetzlichen Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und die Rechtsstellung seiner Mitglieder auf Arbeitsgemeinschaften keine Anwendung finden220. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft haben deshalb aufgrund dieser Eigenschaft221 weder Anspruch auf Arbeitsbefreiung, Freistellung und Fortbildung nach §§ 37, 38 BetrVG222, noch genießen sie den besonderen Kündigungs- und Versetzungsschutz nach §§ 15 KSchG, 103 BetrVG223. Weil die Arbeitsgemeinschaft keine Betriebsratstätigkeit ausübt, besteht auch keine Kostentragungspflicht des Arbeitgebers nach § 40 BetrVG224. All diese Fragen müssen daher im Tarifvertrag geregelt werden, wenn die Funktionsfähigkeit der Arbeitsgemeinschaft gewährleistet sein soll. 2. Die Regelungsvoraussetzungen Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 setzt die Bildung von Arbeitsgemeinschaften voraus, daß diese „der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertretungen dienen“. Als Arbeitnehmervertretungen im Sinne der Vorschrift kommen zunächst die nach dem Betriebsverfassungsgesetz gebildeten Vertretungen in Betracht. Ungenau 219 Im Ergebnis ebenso Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 88; für § 78 BetrVG auch Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 78 Rn. 5; nicht eindeutig für § 79 BetrVG ders., a. a. O., § 79 Rn. 20; zweifelnd Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 41; für eine entsprechende Anwendung von § 79 BetrVG Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 57. 220 Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 57; Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 28; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 69; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 33; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 88. 221 Unberührt bleiben selbstverständlich diejenigen Rechte, die Arbeitsgemeinschaftsmitgliedern aufgrund ihrer Tätigkeit in anderen Gremien, etwa als Mitglieder des Betriebsrats, zustehen. 222 Vgl. Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 57; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 33; a.A. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 7; Löwisch, BB 2001, 1734, 1735. 223 Vgl. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 7; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 57; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 70; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 88. 224 Ebenso Reichold, NZA 2001, 857, 859; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 24 / 2001, 32, 35; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 33; wohl auch Hanau, NJW 2001, 2513, 2514; a.A. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 7; Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 25; Löwisch, BB 2001, 1734, 1735; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 47; trotz seiner Prämisse der „Unanwendbarkeit“ von § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG auf Arbeitsgemeinschaften auch Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 91; für eine Kostentragungspflicht in „zumindest entsprechender“ Anwendung des § 40 BetrVG auch Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 57. 225 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34 (Hervorhebung d. Verf.).

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ist allerdings die Formulierung der Entwurfsbegründung, wonach Arbeitsgemeinschaften „nur der Zusammenarbeit zwischen den Betriebsräten einzelner Unternehmen dienen sollen“225. Der Begriff „Arbeitnehmervertretungen“ umfaßt nämlich nicht nur Vertretungen auf Betriebsebene, sondern schließt auch andernorts angesiedelte Mitbestimmungsorgane ein. Neben den Betriebsräten werden daher auch Gesamt- und Konzernbetriebsräte vom Tatbestand der Norm erfaßt226. Anders verhält es sich mit den Jugend- und Auszubildenden-227 sowie den Schwerbehindertenvertretungen228. Sie sind keine Arbeitnehmervertretungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG; denn sie haben – trotz ihrer Bezeichnung als „Vertretungen“ – keine eigenen Mitwirkungs- oder Mitbestimmungsrechte229. Diese werden vielmehr für alle Arbeitnehmer, auch für Jugendliche, Auszubildende und Schwerbehinderte, allein vom Betriebsrat ausgeübt. Bei den Jugend- und Auszubildenden- und den Schwerbehindertenvertretungen handelt es sich daher lediglich um zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Einrichtungen230, die keiner Unterstützung durch weitere zusätzliche Gremien nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG bedürfen. Echte Mitbestimmungsorgane mit der Rechtsstellung von Betriebsräten sind dagegen die Vertretungen, die aufgrund von Vereinbarungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildet werden. Daß sie „Arbeitnehmervertretungen“ sind, ergibt sich unmittelbar aus § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG. Die Arbeitsgemeinschaft muß der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit solcher Arbeitnehmervertretungen dienen. Es genügt also nicht, wenn lediglich die Koordination zwischen Vertretungen eines Unternehmens erleichtert werden soll, selbst wenn dafür im konkreten Fall – etwa bei einem Großunternehmen mit zahlreichen örtlichen Betriebsvertretungen – ein Bedürfnis bestehen sollte. Erforderlich ist stets, daß Arbeitnehmervertretungen mehrerer Unternehmen einbezogen werden. Eine besondere Verbindung der Unternehmen verlangt das Gesetz allerdings nicht. Erfaßt werden daher – ähnlich wie bei § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG – nicht nur Konzerne, sondern auch andere Formen der Unternehmenskooperation. Die Entwurfsbegründung231 bezeichnet Arbeitsgemeinschaften nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG ausdrücklich als „Alternative zu Regelungen nach Nummer 3 bei Zusammenarbeit von Unternehmen in Form von just in time, fraktaler Fabrik oder 226 Ebenso Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 93; vgl. auch Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 7. 227 §§ 60, 72, 73a BetrVG. 228 §§ 94, 97 SGB IX. 229 Zur Rechtsstellung der Jugend- und Auszubildendenvertretung vgl. BAG AP Nr. 2 zu § 60 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 1 zu § 65 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, § 60 Rn. 4 m. w. N.; zur Rechtsstellung der Schwerbehindertenvertretung vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 23 SchwbG; Fitting, BetrVG, § 32 Rn. 14 m. w. N. 230 Vgl. Richardi / Annuß in Richardi, BetrVG, § 60 Rn. 13 (für die Jugend- und Auszubildendenvertretung) sowie Thüsing, a.a.O, § 32 Rn. 3 (für die Schwerbehindertenvertretung). 231 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 232 Vgl. auch Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 55.

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shop in shop“232. Eine gleichwertige Alternative sind sie freilich nicht; denn im Gegensatz zu den aufgrund von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gebildeten Vertretungen stehen den Arbeitsgemeinschaften nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG keinerlei Beteiligungsrechte zu233. Ihre Errichtung anstelle „anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ kann allerdings dort sinnvoll sein, wo die von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG geforderte „wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer“234 sich schon durch eine verbesserte Zusammenarbeit der vorhandenen Vertretungen erreichen läßt. In jedem Fall ist es erforderlich, daß die Arbeitsgemeinschaft so, wie sie konkret ausgestaltet ist, auch tatsächlich der Zusammenarbeit der Arbeitnehmervertretungen dient. Das setzt etwa voraus, daß sie sich (zumindest im wesentlichen) aus Mitgliedern der Arbeitnehmervertretungen zusammensetzt, deren Kooperation sie dienen soll235. Andernfalls ist weder eine präzise Diagnose konkret bestehender Koordinationsprobleme noch eine zielgerichtete und zeitnahe Umsetzung der im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft gefundenen Lösungen gewährleistet. Der Zweck der Arbeitsgemeinschaft, einen „Erfahrungsaustausch der Arbeitnehmervertreter über gleich gelagerte oder ähnliche Probleme und die gefundenen Lösungen zu sichern“236 würde verfehlt. Ähnliche Erwägungen gelten auch für die Größe des Gremiums und Regelungen über die Geschäftsführung. Sie müssen so gestaltet sein, daß die Arbeitsgemeinschaft ihre Koordinationsfunktion sinnvoll ausüben kann. Vor diesem Hintergrund dürfte sich jedenfalls die „Vision eines auf Tarifvertrag beruhenden nationalen Betriebsrätekongresses237“ mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG eher als Illusion erweisen.

V. Zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG) § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG schließlich ermöglicht es, „zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen der Arbeitnehmer“ einzurichten, welche „die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern erleichtern“. Die Vorschrift knüpft an § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG a.F.238 an239. Bei den auf ihrer Grundlage gebil-

Ähnlich Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 14. Vgl. dazu oben § 3 III. 2. 235 Zu eng allerdings Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 24, wonach der Arbeitsgemeinschaft „nur gewählte Betriebsratsmitglieder“ angehören können. 236 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 237 Hanau, NJW 2001, 2513, 2514. 238 Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG a.F. konnten durch Tarifvertrag bestimmt werden: „zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen der Arbeitnehmer bestimmter Beschäftigungsarten oder Arbeitsbereiche (Arbeitsgruppen), wenn dies nach den Verhältnissen der 233 234

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deten Vertretungen handelt es sich ebenso wie bei Arbeitsgemeinschaften nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG um zusätzliche Einrichtungen. Anders als die Arbeitsgemeinschaften sind sie jedoch in ihrer Funktion nicht horizontal, sondern vertikal ausgerichtet. Sie bilden, mit Hanau240 gesprochen, deren „Gegenstück nach unten“.

1. Die Regelungsmöglichkeiten Mit der Formulierung „zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen der Arbeitnehmer“ sind die Regelungsoptionen der Tarifpartner in § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG ähnlich weit umschrieben wie in § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. Wie dort sind auch hier Umfang und Grenzen der Tarifmacht durch Auslegung des Gesetzes zu ermitteln. Zulässig ist die Errichtung von Vertretungen der Arbeitnehmer. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist, wird durch § 5 BetrVG zwingend vorgegeben241. Für Personen, die nicht unter den betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff fallen242, können keine Vertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG geschaffen werden. Anders als nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG a.F. beschränkt sich die Möglichkeit zur Bildung zusätzlicher Vertretungen allerdings nicht mehr auf Arbeitnehmer „bestimmter Beschäftigungsarten oder Arbeitsbereiche“. Vertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG können daher grundsätzlich für alle Arbeitnehmer vorgesehen werden. Möglich sind damit beispielsweise auch zusätzliche Vertretungen für Frauen, Ausländer oder Teilzeitbeschäftigte 243. Aus der Kennzeichnung als betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen folgt, daß das Mandat zur Repräsentation der Arbeitnehmer auf den Grundsätzen demokratischer Legitimation beruhen muß244. Vertretungen, deren Mitglieder von der Gewerkschaft entsandt oder vom Arbeitgeber ernannt werden, fallen daher ebenso wenig unter § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG wie gewerkschaftliche Vertrauensleute, die allein von Gewerkschaftsmitgliedern gewählt werden. Da es sich bei den zusätzlichen Vertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG um Vertretungsorgane der Arbeitnehmer handelt245, genügt es – anders als bei Arbeitsgemeinschaften nach § 3 vom Tarifvertrag erfaßten Betriebe der zweckmäßigeren Gestaltung der Zusammenarbeit des Betriebsrats mit den Arbeitnehmern dient“. 239 So ausdrücklich BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. 240 NJW 2001, 2513, 2514. 241 Vgl. nur Fitting, BetrVG, § 5 Rn. 12, sowie Raab in: GK-BetrVG, § 5 Rn. 6, jeweils m. w. N. 242 Beispielsweise Beamte, arbeitnehmerähnliche Personen oder „Nicht-Arbeitnehmer“ i. S. d. § 5 Abs. 2, 3 BetrVG. 243 Vgl. Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 8; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 62; Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 28; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 98. 244 Vgl. oben § 3 IV. 1. 245 Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 59.

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Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, die lediglich der Koordination von Vertretungsorganen dienen – auch nicht, daß ihre Mitglieder durch Beschluß des Betriebsrats bestimmt werden. Erforderlich ist vielmehr eine freie, gleiche und unmittelbare Wahl der Vertretung durch diejenigen Arbeitnehmer, für die sie gebildet werden soll246. Davon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen, wie die ausdrückliche Erstreckung des strafrechtlichen Wahlschutzes nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auf die „Wahl ( . . . ) der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 oder 5 bezeichneten Vertretungen“247 zeigt. Die Einzelheiten des Wahlverfahrens sind im Tarifvertrag unter Beachtung der betriebsverfassungsrechtlichen Grundprinzipien zu regeln. Als Vorbild für die tarifvertragliche Regelung können etwa die Vorschriften über die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung (§§ 60 ff. BetrVG) oder der Schwerbehindertenvertretung (§ 94 SGB IX) dienen. Weil § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG nur die Bildung zusätzlicher Vertretungen erlaubt, können diese nicht anstelle des Betriebsrats eingerichtet werden. Die zusätzlichen Vertretungen sind – ebenso wie die Arbeitsgemeinschaften nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG248 – keine Mitbestimmungsorgane. Sie dürfen daher weder Aufgaben des Betriebsrats übernehmen noch in dessen Zuständigkeitsbereich eingreifen. Vertretungsbefugnisse gegenüber dem Arbeitgeber stehen ihnen nicht zu und können ihnen auch durch Tarifvertrag nicht eingeräumt werden249. Dadurch unterscheiden sich die zusätzlichen Vertretungen von den in § 28a BetrVG vorgesehenen Arbeitsgruppen. Arbeitsgruppen nehmen Aufgaben wahr, die ihnen vom Betriebsrat übertragen werden; sie können im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben selbständig Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber schließen250. Diese Rechte haben zusätzliche Vertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG gerade nicht; ihre Aufgabe ist allein die Kontaktvermittlung zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern251. Weitgehend tarifvertraglicher Regelung vorbehalten ist die Rechtsstellung der Mitglieder der zusätzlichen Vertretungen. Insoweit gilt dasselbe wie für die Arbeitsgemeinschaften 252. Gesetzliche Vorgaben enthalten lediglich § 78, 79 BetrVG. Im übrigen folgt im Umkehrschluß aus § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG, daß die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und die Rechtsstellung seiner Mitglieder für zusätzliche Vertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG nicht 246 Ebenso Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 63; Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 26; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 102. 247 Hervorhebung d. Verf. 248 Vgl. oben § 3 IV. 1. 249 Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 30; Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 40; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 97. 250 Vgl. § 28a Abs. 1, 2 BetrVG. 251 Vgl. Löwisch, BB 2001, 1734, 1736. Bei der Errichtung zusätzlicher Vertretungen durch Tarifvertrag können Abgrenzungsprobleme in dieser Richtung ohnehin nicht auftreten, weil die Aufgabenübertragung auf Arbeitsgruppen nach § 28a BetrVG nur aufgrund einer (Rahmen-)Betriebsvereinbarung möglich ist. 252 Vgl. oben § 3 IV. 1.

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gelten253. Die Mitglieder der zusätzlichen Vertretungen haben deshalb ebensowenig wie die der Arbeitsgemeinschaften Anspruch auf Arbeitsbefreiung, Freistellung und Fortbildung nach §§ 37, 38 BetrVG und genießen keinen Kündigungsund Versetzungsschutz nach §§ 15 KSchG, 103 BetrVG254. Auch eine Kostentragungspflicht des Arbeitgebers nach § 40 BetrVG besteht nicht255.

2. Die Regelungsvoraussetzungen Die zusätzlichen Vertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG müssen „die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern erleichtern“. Das setzt zunächst voraus, daß in dem betreffenden Betrieb überhaupt ein Betriebsrat besteht256. Dabei muß es sich nicht notwendigerweise um einen auf gesetzlicher Grundlage errichteten Betriebsrat handeln. Auch Arbeitnehmervertretungen, die in tarifvertraglich definierten Organisationseinheiten nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildet werden, werden vom Tatbestand erfaßt257. Für Arbeitnehmervertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG ergibt sich das schon aus dem Wortlaut dieser Vorschriften (unternehmenseinheitlicher Betriebsrat, Spartenbetriebsrat). Für Vertretungen, die im Rahmen anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gebildet werden, folgt es aus § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG, der diesen Vertretungen die Rechtsstellung von Betriebsräten verleiht. Keine Betriebsräte im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG sind dagegen Gesamt- und Konzernbetriebsräte; denn die zusätzlichen Vertretungen haben den Zweck, einen „Unterbau“258 für das Mitbestimmungsbasisorgan zu schaffen, um dessen Anbindung an die Belegschaft zu sichern. Die Kontaktvermittlung zu Mitbestimmungsorganen auf Unternehmens- oder Konzernebene ist nicht ihre Aufgabe. Die Bildung der zusätzlichen Vertretung muß zu einer Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsrat und den durch die Vertretung repräsentierten Arbeitnehmern führen. Sie kommt deshalb vor allem für solche Arbeitnehmer und A.A. nur Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 100. Vgl. die Nachweise oben § 3 IV. 1. Fn. 222, 223. 255 In diesem Punkt a.A. ohne Begründung Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 8; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 64; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 44; wie hier Reichold, NZA 2001, 857, 859; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 24 / 2001, 32, 35; wohl auch Hanau, NJW 2001, 2513, 2514; widersprüchlich Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), vgl. § 3 Rn. 22 einerseits, Rn. 30 andererseits. 256 Vgl. Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 29; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 97. 257 Ebenso Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 60; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 52; vgl. auch die in der Entwurfsbegründung (BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34) als Regelungsbeispiel genannte Möglichkeit, Vertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG zusätzlich zu einem „unternehmenseinheitlichen Betriebsrat eines bundesweit tätigen Unternehmens“ zu errichten. 258 Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 97. 253 254

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

Arbeitnehmergruppen in Betracht, die über keinen ausreichenden Kontakt zum Betriebsrat verfügen259 und zur Wahrung ihrer Interessen einer zusätzlichen Vertretung als „Bindeglied“ und „Kommunikationsbrücke“260 bedürfen. Die Gründe für den mangelnden Bezug zum Betriebsrat können vielfältig sein. Zu denken ist an räumliche Besonderheiten, etwa bei Betrieben mit zahlreichen räumlich getrennten oder einzelnen abseits liegenden Arbeitsstätten. Auch organisatorische Besonderheiten können den Kontakt zum Betriebsrat erschweren, beispielsweise für in einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen beschäftigte Arbeitnehmer261 oder Außendienstangestellte eines Versicherungsunternehmens262. Schließlich kann die Einrichtung zusätzlicher Vertretungen aus in der Person der Arbeitnehmer liegenden Gründen sinnvoll sein, etwa wenn der Kommunikation mit dem Betriebsrat Sprachbarrieren263 im Wege stehen. Dagegen scheidet die Bildung zusätzlicher Vertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG für Jugendliche, Auszubildende oder Schwerbehinderte jedenfalls dann264 aus, wenn bereits eine auf gesetzlicher Grundlage errichtete Jugend- und Auszubildenden- oder Schwerbehindertenvertretung besteht. Denn durch parallel agierende Vertretungen wird die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat nicht erleichtert, sondern erschwert. Der Voraussetzung einer Erleichterung der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat muß auch die konkrete Ausgestaltung der zusätzlichen Vertretung im Tarifvertrag Rechnung tragen. So wird es regelmäßig erforderlich sein, der zusätzlichen Vertretung oder zumindest einem ihrer Mitglieder ein Teilnahmerecht an den Sitzungen des Betriebsrats einzuräumen, jedenfalls im Hinblick auf solche Angelegenheiten, die speziell die von der Vertretung repräsentierten Arbeitnehmer betreffen265. Denn ohne ein Minimum an institutionalisierter Kommunikation kann die zusätzliche Vertretung ihre Bindeglied- und Brückenfunktion kaum sinnvoll erfüllen. IhVgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 34. Vgl. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 109. 261 Vgl. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 107. 262 Vgl. Löwisch, BB 2001, 1734, 1735. 263 Vgl. Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 61. 264 Dasselbe muß m. E. gelten, wenn trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung einer Jugend- und Auszubildenden- oder Schwerbehindertenvertretung eine solche nicht gewählt wird. Denn der Tarifvertrag kann die Entscheidung der Arbeitnehmer, keine Vertretung zu wählen, nicht ersetzen. 265 Vgl. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 109 f.; gegen die Möglichkeit der Einräumung eines solches Teilnahmerechts unter Hinweis auf den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 61; Kraft in: GKBetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 20, 30 (einschränkend aber jetzt Kraft / Franzen, GK-BetrVG, § 3 Rn. 27, wonach es immerhin möglich sein soll, dass „der Arbeitgeber und der Betriebsrat gemeinsam die zusätzliche Vertretung beiziehen, wenn Angelegenheiten zu erörtern sind, die Arbeitnehmer betreffen, für die ddie zusätzliche Vertretung errichtet wurde“.). Ein Stimmrecht im Betriebsrat kann der zusätzlichen Vertretung allerdings nicht eingeräumt werden, weil damit in unzulässiger Weise in die gesetzliche Organisation der Betriebsverfassung eingegriffen würde; insoweit zutreffend Kraft, a. a. O. 259 260

§ 4 Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz

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rer Funktion entsprechend müssen auch Zusammensetzung, Größe und Geschäftsführung der zusätzlichen Vertretung nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG ausgestaltet sein.

§ 4 Weitere Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz Neben § 3 BetrVG erlauben weitere Zulassungsklauseln im Betriebsverfassungsgesetz Veränderungen und Ergänzungen des gesetzlichen Organisationsrechts durch Tarifvertrag266. Die durch sie eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten haben allerdings überwiegend nur geringen Umfang. Sie beschränken sich im wesentlichen auf punktuelle Modifikationen einzelner Vorschriften, die das organisatorische Grundkonzept des Gesetzes nicht antasten267.

I. Verlängerung des Übergangsmandats des Betriebsrats Mit dem BetrVerf-Reformgesetz 2001 wurde in § 21a BetrVG erstmals ein allgemeines Übergangsmandat des Betriebsrats bei Spaltung und Zusammenfassung von Betrieben gesetzlich normiert268. Das Übergangsmandat soll sicherstellen, daß bei betrieblichen Organisationsänderungen in der für die Arbeitnehmer besonders kritischen Übergangsphase keine betriebsratslosen Zeiten entstehen269. Es endet, sobald ein neuer Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekanntgegeben ist, spätestens jedoch sechs Monate nach Wirksamwerden der Spaltung oder Zusammenfassung (§ 21a Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BetrVG). Durch Tarifvertrag270 kann nach § 21a Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BetrVG „das Übergangsmandat um weitere sechs Monate verlängert werden“. Damit kön266 267

Vgl. oben § 1 II. Vgl. oben § 2 III. 3. b) cc); eine Ausnahme bildet § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG; dazu unten

VI. 268 Zu früheren, mit der Einführung des § 21a BetrVG überholten Regelungen von Übergangsmandaten in einzelnen Spezialgesetzen vgl. Fitting, BetrVG, § 21a Rn. 2 f.; Kreutz in: GK-BetrVG, § 21a Rn. 3 f.; zur Anerkennung eines Übergangsmandats im Wege richterlicher Rechtsfortbildung vgl. BAG EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 39. 269 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 39. 270 Ebenfalls möglich ist eine Verlängerung des Übergangsmandats durch Betriebsvereinbarung. Im Fall einer tarifvertraglichen Regelung geht diese jedoch als höherrangiges Recht einer Betriebsvereinbarung vor; ebenso Thüsing in: Richardi, BertrVG, § 21a Rn. 20a; einschränkend Kreutz in: GK-BetrVG, § 21a Rn. 54; unklar Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 21a Rn. 18: „Eine Rangfolge zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung ist nicht vorgesehen“.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

nen die Tarifvertragsparteien besonderen Situationen vor allem im Rahmen größerer und zeitlich langwieriger Umstrukturierungsmaßnahmen Rechnung tragen, in denen die gesetzliche Sechsmonatsfrist zur Wahl neuer Betriebsräte in allen betroffenen Betrieben nicht ausreicht. Zulässig ist allerdings nur eine Verlängerung, keine (Neu-)Begründung des Übergangsmandats. Verlängerung bedeutet unmittelbares, vor Ablauf des bestehenden Übergangsmandats vereinbartes Anschließen des tarifvertraglichen Mandats. Hat das Übergangsmandat bereits geendet, scheidet eine Verlängerung begriffsnotwendig aus271. Ebensowenig kann das Übergangsmandat verlängert werden, bevor es begonnen hat272. Das widerspräche auch dem Zweck der Ermächtigung, weil vor Beginn des gesetzlichen Übergangsmandats eine Notwendigkeit für dessen Verlängerung noch gar nicht absehbar ist. Die Verlängerungsoption soll den Tarifpartnern eine Reaktionsmöglichkeit auf unvermeidbare zeitliche Verzögerungen bei der Neuwahl von Betriebsräten eröffnen und nicht dazu dienen, allgemein „Übergangsmandate auf Vorrat“ zu schaffen273. Sprachlich mißglückt ist die Formulierung „um weitere sechs Monate“, die den Tarifvertragsparteien lediglich eine starre Verlängerung um exakt diese Zeit zu erlauben scheint. Das wäre jedenfalls dann wenig sinnvoll, wenn zum Zeitpunkt der Verlängerung schon feststünde, daß ein kürzeres Übergangsmandat ausreicht274. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift muß es den Tarifpartnern deshalb möglich sein, auch eine kürzere Verlängerungsdauer zu vereinbaren275. Erweist sich diese wider Erwarten doch als zu knapp bemessen, ist eine weitere Verlängerung des Mandats möglich, solange die Höchstdauer von sechs Monaten insgesamt nicht überschritten wird276. In jedem Fall endet auch das verlängerte Übergangsmandat, wenn in allen betroffenen Betrieben neue Betriebsräte gewählt worden sind.

Ebenso Fitting, BetrVG, § 21a Rn. 26; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 21a Rn. 19. A.A. Buschmann in: Däubler / Kittner / Klebe, § 21a Rn. 46; Kreutz in: GK-BetrVG, § 21a Rn. 52; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 21a Rn. 15; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 21a Rn. 19. 273 So aber offenbar Kreutz in: GK-BetrVG, § 21a Rn. 52, der es für zulässig hält, „durch Verbandstarifvertrag generell die Verlängerung von Übergangsmandaten“ festzulegen; ebenso Worzalla in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 21a Rn. 46. 274 Kritisch auch Lingemann, NZA 2002, 934, 944; Richardi / Annuß, DB 2001, 41, 44. 275 Im Ergebnis ebenso ohne Begründung Buschmann in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 21a Rn. 46; Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 21a Rn. 1; Kreutz in: GK-BetrVG, § 21a Rn. 51; a.A. Lingemann, NZA 2002, 934, 944. 276 Ebenso Hohenstatt in: Willemsen / Hohenstaat / Schweibert / Seibt, Umstrukturierung, D Rn. 91; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 21a Rn. 20. 271 272

§ 4 Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz

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II. Anderweitige Regelung über die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern § 38 Abs. 1 S. 1, 2 BetrVG sieht eine pauschal nach der Anzahl der regelmäßig im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer gestaffelte Freistellung von Betriebsratsmitgliedern von ihrer beruflichen Tätigkeit vor. Die pauschalierte Staffelung soll Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Umfang der zur Ausübung der Betriebsratstätigkeit notwendigen Arbeitsbefreiung vermeiden277. Das Gesetz geht davon aus, daß bei einer bestimmten Betriebsgröße in der Regel eine entsprechende Anzahl von Freistellungen erforderlich ist, um die Betriebsratsarbeit ordnungsgemäß zu erledigen278. Nach § 38 Abs. 1 S. 5 BetrVG können aber durch Tarifvertrag279 „anderweitige Regelungen über die Freistellung vereinbart werden“. Damit gibt das Gesetz den Tarifpartnern die Möglichkeit, abweichend von der pauschalen gesetzlichen Regelung den konkreten betrieblichen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Die Freistellungsvereinbarung kann auch mit einer Organisationsregelung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG kombiniert werden280, um die Arbeit der auf tarifvertraglicher Grundlage gebildeten Arbeitnehmervertretung(en) zu erleichtern. Als „anderweitige Regelungen über die Freistellung“ kommen vor allem Veränderungen der in § 38 Abs. 1 S. 1, 2 BetrVG vorgesehenen Zahlen und Schwellenwerte in Betracht. So kann etwa die Anzahl der nach Maßgabe der gesetzlich gestaffelten Betriebsgrößen freizustellenden Betriebsratsmitglieder erhöht oder reduziert281 oder die Staffelung der Betriebsgrößen verändert werden. Möglich ist es aber auch, andere Kriterien als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Umfangs der Freistellungen festzulegen, diesen also nicht von der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, sondern zum Beispiel von der Zahl der Betriebsratsmitglieder (§ 9 BetrVG)282 oder Betriebsteile abhängig zu machen. Ebenfalls zulässig sind nähere Regelungen über Umfang und Lage von Teilfreistellungen im 277 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 38 BetrVG 1972 (BT-Drucks. VI / 1786, S. 41). 278 Vgl. BAG EzA § 38 BetrVG 1972 Nr. 15; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 38 Rn. 6. 279 Eine Regelung durch Betriebsvereinbarung ist nur zulässig, soweit und solange eine tarifvertragliche Regelung nicht besteht. Der Tarifvertrag geht als höherrangige Rechtsquelle der Betriebsvereinbarung vor. Ein „Günstigkeitsvergleich“ der Organisationsregelungen kommt nicht in Betracht; im Ergebnis ebenso Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 38 Rn. 23; a.A. wohl Fitting, BetrVG, § 38 Rn. 32; Glock in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 38 Rn. 22. 280 Das folgt aus § 3 Abs. 5 BetrVG, der zur Anwendbarkeit von § 38 BetrVG führt. 281 Vgl. BAG EzA § 38 BetrVG 1972 Nr. 17; Fitting, BetrVG, § 38 Rn. 30; Glock in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 38 Rn. 20; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 38 Rn. 21; Weber in: GK-BetrVG, § 38 Rn. 32; kritisch Wedde in: Däubler / Kittner / Klebe, § 38 Rn. 26; a.A. Weiß / Weyand, BetrVG, § 38 Rn. 4. 282 Vgl. Wedde in: Däubler / Kittner / Klebe, § 38 Rn. 25; Weber in: GK-BetrVG, § 38 Rn. 32.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

Sinne von § 38 Abs. 1 S. 3 BetrVG283. Keine „anderweitige Regelung über die Freistellung“ wäre hingegen deren genereller Ausschluß284. Er kann deshalb im Tarifvertrag nicht vereinbart werden285. Wie sich aus ihrer systematischen Stellung in § 38 Abs. 1 S. 5 ergibt, gilt die Ermächtigung zur Vereinbarung anderweitiger Regelungen nicht für das in § 38 Abs. 2 BetrVG normierte Freistellungsverfahren286. Das Gesetz schreibt zwingend vor, daß die freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus dessen Mitte in geheimer Wahl gewählt werden (§ 38 Abs. 2 S. 1, 2 BetrVG). Unzulässig wäre daher etwa eine namentliche Benennung der freizustellenden Betriebsratsmitglieder im Tarifvertrag oder eine Beschränkung der Wählbarkeit auf Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft. Auch von den sonstigen Verfahrensvorschriften kann durch Tarifvertrag nicht abgewichen werden.

III. Änderung von Mitgliederzahl und Stimmgewichtung in überbetrieblichen Gremien Bestehen in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte, ist nach § 47 Abs. 1 BetrVG ein Gesamtbetriebsrat zu errichten. In den Gesamtbetriebsrat entsendet jeder Betriebsrat mit bis zu drei Mitgliedern eins, jeder Betriebsrat mit mehr als drei Mitgliedern zwei seiner Mitglieder (§ 47 Abs. 2 S. 1 BetrVG). Die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats hängt danach in erster Linie von der Anzahl der im Unternehmen bestehenden Betriebsräte ab. Das kann in Unternehmen mit vielen kleinen (z. B. Filial-)Betrieben dazu führen, daß ein unverhältnismäßig großer Gesamtbetriebsrat entsteht, der zu einer sachgerechten Aufgabenwahrnehmung nicht in der Lage ist; umgekehrt kann in einem Unternehmen, das aus wenigen Großbetrieben besteht, der Gesamtbetriebsrat im Verhältnis zum Stimmengewicht seiner Mitglieder (vgl. § 47 Abs. 7, 8 BetrVG) extrem klein sein287. Um derartige Mißverhältnisse zu vermeiden und den besonderen Bedürfnissen des jeweiligen Unternehmens Rechnung tragen zu können, räumt § 47 Abs. 4 BetrVG den Tarifvertragsparteien das Recht ein, „die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats abweichend von Absatz 2 Satz 1 zu regeln“. Dies kann dadurch geschehen, daß die nach § 47 Abs. 2 Fitting, BetrVG, § 38 Rn. 28; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 38 Rn. 12. Glock in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 38 Rn. 20; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 38 Rn. 21; Weber in: GK-BetrVG, § 38 Rn. 33. 285 Von einem unzulässigen Ausschluß der Freistellung durch Tarifvertrag ist der Fall zu unterscheiden, daß es aufgrund der tarifvertraglichen Regelung in einem Betrieb konkret nicht zu Freistellungen kommt, etwa weil die für eine Freistellung notwendige, durch Tarifvertrag zulässigerweise festgelegte Mindestanzahl von Arbeitnehmern nicht erreicht wird. 286 Vgl. Fitting, BetrVG, § 38 Rn. 29; Wedde in: Däubler / Kittner / Klebe, § 38 Rn. 29. 287 Vgl. die anschaulichen Beispiele bei Kreutz in: GK-BetrVG, § 47 Rn. 61; siehe auch Fitting, BetrVG, § 47 Rn. 45; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 47 Rn. 43. 283 284

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S. 1 BetrVG für die Bestimmung der Mitgliederzahl maßgeblichen Faktoren geändert werden: Es kann vereinbart werden, daß nicht jeder Betriebsrat ein Mitglied entsendet, oder daß umgekehrt aus einem oder mehreren Betriebsräten mehr als die gesetzlich vorgesehenen ein oder zwei Mitglieder entsandt werden288. Auf diese Weise kann die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats verringert oder erhöht werden. Zur Verkleinerung des Gesamtbetriebsrats kann der Tarifvertrag ferner bestimmen, daß mehrere Betriebsräte gemeinsam ein oder mehrere Mitglieder entsenden289. In diesem Fall muß der Tarifvertrag allerdings auch Regelungen über das für die Bestimmung der zu entsendenden Mitglieder maßgebliche Verfahren enthalten, um Manipulationen auszuschließen290. Nach § 47 Abs. 7 S. 1 BetrVG hat jedes Mitglied des Gesamtbetriebsrats so viele Stimmen, wie in dem Betrieb, für den es gewählt wurde, wahlberechtigte Arbeitnehmer in die Wählerliste eingetragen sind. Wird ein Mitglied für mehrere Betriebe entsandt, richtet sich das Stimmengewicht gemäß § 47 Abs. 8 BetrVG nach der Anzahl aller in diesen Betrieben wahlberechtigten Arbeitnehmer. Bei Entsendung mehrerer Mitglieder für einen oder mehrere Betriebe werden die Stimmen gleichmäßig aufgeteilt (§ 47 Abs. 7 S. 2, Abs. 8 Hs. 2 BetrVG). Diese Grundsätze gelten, wie sich aus dem durch das BetrVerf-Reformgesetz 2001 neu eingefügten § 47 Abs. 9 BetrVG ergibt, auch für gemeinsame Betriebe mehrerer Unternehmen. Der Betriebsrat eines Gemeinschaftsbetriebs entsendet also in jeden bei den beteiligten Unternehmen gebildeten Gesamtbetriebsrat Mitglieder, die dort jeweils volles Stimmgewicht haben291. Dadurch wird eine Mitbestimmungslücke vermieden, zugleich aber ein Legitimationsproblem geschaffen; denn die Vertreter des Gemeinschaftsbetriebs können in den Gesamtbetriebsrat eines Unternehmens auch die Stimmen von Arbeitnehmern einbringen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zu dem Unternehmen stehen. Der Gesetzgeber hat dieses Problem selbst nicht gelöst, in § 47 Abs. 9 BetrVG aber den Tarifvertragsparteien292 die Möglichkeit eingeräumt, „von den Absätzen 7 und 8 abweichende Regelungen“ zu treffen. Der Tarifvertrag kann namentlich regeln, daß im Gesamtbetriebsrat eines Unternehmens bei der Ermittlung der Stimmenanzahl der Vertreter des Gemeinschaftsbetriebs nur diejenigen Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs berücksichtigt werden, die in einem Arbeitsverhältnis zu diesem Unternehmen stehen293. Eine Kreutz in: GK-BetrVG, § 47 Rn. 65; vgl. auch Fitting, BetrVG, § 47 Rn. 56 – 58. Kreutz in: GK-BetrVG, § 47 Rn. 67. 290 Zu möglichen Verfahrensregelungen Fitting, BetrVG, § 47 Rn. 63 f.; Glock in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 47 Rn. 51a-g; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 47 Rn. 58 f. 291 Vgl. Kreutz in: GK-BetrVG, § 47 Rn. 108; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 47 Rn. 77 f. 292 Bei deren Untätigkeit: den Betriebspartnern. 293 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 42. Unzulässig wäre hingegen eine Regelung, nach der sämtliche Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs bei der Ermittlung der Stimmenzahl unberücksichtigt bleiben; denn damit wären die Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs im Gesamtbetriebsrat nur noch formal repräsentiert, ohne auf die Beschlußfassung 288 289

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solche Reduzierung des Stimmengewichts kann generell oder nur für bestimmte Angelegenheiten vorgesehen werden. Sie empfiehlt sich vor allem für Abstimmungen in solchen Angelegenheiten, die nur eines der an dem Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen betreffen294. Die in § 47 Abs. 4 und 9 BetrVG zugelassenen Abweichungsmöglichkeiten beziehen sich nur auf den Gesamtbetriebsrat. Für den Konzernbetriebsrat sowie die Gesamt- und Konzern- Jugend- und Auszubildendenvertretung sind aber entsprechende Regelungsoptionen vorgesehen (vgl. §§ 55 Abs. 4, 72 Abs. 4, Abs. 8, 73a Abs. 4 BetrVG). Auch für diese überbetrieblichen Gremien können danach Mitgliederzahl und Stimmengewichtung durch Tarifvertrag abweichend vom Gesetz geregelt werden.

IV. Errichtung einer tariflichen Schlichtungsstelle Nach § 76 Abs. 1 BetrVG ist zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, Gesamt- oder Konzernbetriebsrat bei Bedarf eine Einigungsstelle zu bilden. Damit stellt das Gesetz eine spezifisch betriebsverfassungsrechtliche Institution zur Konfliktlösung zwischen den Betriebspartnern bereit. Die gesetzlichen Regelungen über die Errichtung der Einigungsstelle und das Einigungsstellenverfahren sind zwingend und können kollektivvertraglich nicht abgeändert werden. Nach § 76 Abs. 8 BetrVG kann aber durch Tarifvertrag bestimmt werden, „daß an die Stelle der in Absatz 1 bezeichneten Einigungsstelle eine tarifliche Schlichtungsstelle tritt“. Damit ist es den Tarifpartnern möglich, die gesetzlich vorgesehene Einigungsstelle ganz oder teilweise295 durch eine tarifliche Schlichtungsstelle zu ersetzen. Weiter reicht die Regelungsbefugnis nach § 76 Abs. 8 BetrVG allerdings nicht. Die zwingenden Errichtungs- und Verfahrensvorschriften des § 76 BetrVG gelten (entsprechend) auch für die tarifvertragliche Schlichtungsstelle: Auch sie muß daher paritätisch besetzt sein und einen unparteiischen Vorsitzenden haben (vgl. § 76 Abs. 2 BetrVG); ihre Zuständigkeit entspricht derjenigen der Einigungsstelle; von den Verfahrensregeln des § 76 Abs. 3 BetrVG kann nicht abgewichen werden296. Auch die Sprüche der tariflichen Einfluß nehmen zu können. Die in § 47 Abs. 9 BetrVG zum Ausdruck kommende Entscheidung des Gesetzgebers, den Gemeinschaftsbetrieb ebenso wie andere Betriebe als gesamtbetriebsratsfähig anzuerkennen, würde negiert. 294 BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 42, nennt als Beispiel Abstimmungen in Angelegenheiten der betrieblichen Altersversorgung, die nur in einem Unternehmen besteht. 295 Vgl. BAG AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972; Kreutz in: GK-BetrVG, § 76 Rn. 180. 296 Vgl. Fitting, BetrVG, § 76 Rn. 116; Joost in: MünchArbR, § 320 Rn. 128; Kania in: ErfK, BetrVG, § 76 Rn. 33; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 76 Rn. 149 f.; Worzalla in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 76 Rn. 25; a.A. Berg in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG § 76 Rn. 98. Möglich sind aber ergänzende Regelungen zu Einzelheiten des Verfahrens vor der Einigungsstelle entsprechend § 76 Abs. 4 BetrVG; ebenso Kreutz in: GKBetrVG, § 76 Rn. 182.

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Schlichtungsstelle unterliegen in demselben Umfang wie die der Einigungsstelle arbeitsgerichtlicher Überprüfung297. Die Kosten der Einigungsstelle oder der tarifvertraglichen Schlichtungsstelle trägt nach § 76a Abs. 1 BetrVG zwingend der Arbeitgeber. § 76a Abs. 5 BetrVG erlaubt aber eine vom Gesetz oder einer (bislang nicht erlassenen) Rechtsverordnung abweichende tarifvertragliche Regelung über die Vergütung des Vorsitzenden der Einigungs- oder Schlichtungsstelle und der betriebsfremden298 Beisitzer.

V. Regelung des Beschwerdeverfahrens und Errichtung einer betrieblichen Beschwerdestelle § 84 BetrVG räumt jedem Arbeitnehmer das Recht ein, sich bei den zuständigen Stellen im Betrieb zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder anderen Arbeitnehmern benachteiligt, ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Alternativ, kumulativ oder sukzessiv299 kann die Beschwerde nach § 85 BetrVG beim Betriebsrat eingereicht werden, der im Fall ihrer Berechtigung beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken hat und im Streitfall die Einigungsstelle anrufen kann. Für beide Beschwerdeformen sieht § 86 S. 1 BetrVG die Möglichkeit vor, „Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens“ durch Tarifvertrag300 zu regeln. Ein Bedürfnis für derartige Regelungen kann vor allem in Großbetrieben bestehen. Dort kann es beispielsweise zweckmäßig sein, die „zuständigen Stellen“ im Sinne von § 84 BetrVG, bestimmte Formen und Fristen für die Bescheidung der Beschwerden oder einen „Instanzenzug“ festzulegen301. Sinnvoll sein kann auch der Erlaß einer Beschwerdeordnung. Die tarifvertragliche Regelung darf aber das Beschwerderecht des Arbeitnehmers nicht einschränken. Deshalb darf das Verhältnis der Beschwerdeverfahren nach § 84 und § 85 BetrVG nicht so ausgestaltet werden, daß dem Arbeitnehmer einer der beiden Beschwerdewege versperrt ist302. 297 BAG EzA § 4 TVG Metallindustrie Nr. 79; BAG AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972; Kreutz in: GK-BetrVG, § 76 Rn. 187; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 76 Rn. 41. 298 Für die betriebsangehörigen Beisitzer gilt zwingend § 76a Abs. 2 BetrVG, auf den sich die tarifvertragliche Abweichungsbefugnis in § 76a Abs. 5 BetrVG nicht bezieht. 299 Vgl. BAG v. 11. 3. 1982 – 2 AZR 798 / 79 (n.v.); Wiese in: GK-BetrVG, § 84 Rn. 31. 300 Gilt kein Tarifvertrag, kommt auch eine Regelung durch Betriebsvereinbarung in Betracht. 301 Vgl. Fitting, BetrVG, § 86 Rn. 3; Wiese in: GK-BetrVG, § 86 Rn. 5. 302 Vgl. Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 86 Rn. 2; bedenklich insofern die Ansicht von Wiese in: GK-BetrVG, § 86 Rn. 6, nach der es zulässig sein soll, eine gleichzeitige Durchführung beider Beschwerdeverfahren auszuschließen. Problematisch erscheint es auch, für Einreichung von Beschwerden durch den Arbeitnehmer Formen oder Fristen vorzuschreiben; a.A. wohl Fitting, BetrVG, § 86 Rn. 3.

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Für das kollektive Beschwerdeverfahren nach § 85 BetrVG kann der Tarifvertrag bestimmen, daß „an die Stelle der Einigungsstelle eine betriebliche Beschwerdestelle tritt“. Die Regelung entspricht nach Wortlaut und Systematik derjenigen zur Errichtung einer tariflichen Schlichtungsstelle in § 76 Abs. 8 BetrVG. Ebenso wie diese muß daher auch die betriebliche Beschwerdestelle den zwingenden Errichtungs- und Verfahrensvorschriften des § 76 BetrVG genügen303.

VI. Errichtung einer Vertretung für Flugbetriebe § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG nimmt „im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen“ vom Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes aus und überläßt es den Tarifvertragsparteien, für sie eine Vertretung zu errichten304. Die Vorschrift unterscheidet sich grundlegend von den übrigen Zulassungsnormen; denn anders als jene betrifft sie nicht die Modifikation grundsätzlich anwendbarer Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes, sondern die tarifvertragliche Regelung eines vom Gesetz gar nicht erfaßten Bereichs. Es handelt sich mithin weniger um eine „Öffnungsklausel“ als vielmehr um eine allgemeine Regelungsermächtigung ähnlich § 1 Abs. 1 TVG305. Die Ausnahmevorschrift soll der besonderen, nicht ortsgebundenen Art der Tätigkeit des „fliegenden Personals“ Rechnung tragen306: Für die im Flugbetrieb eingesetzten Arbeitnehmer ist es wegen der typischerweise fehlenden Ortsgebundenheit und der damit einhergehenden wechselnden Aufenthalte an unterschiedlichen Flughäfen im In- und Ausland besonders schwierig, zusammen mit den Arbeitnehmern des Landbetriebs eine Interessenvertretung nach den Grundsätzen des Betriebsverfassungsgesetzes zu organisieren und sich daran aktiv zu beteiligen307. Einige Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes sind mit der Tätig303 Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 86 Rn. 10 f.; Weiss / Weyand, BetrVG, § 86 Rn. 3; vgl. auch Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 86 Rn. 1; a.A. Fitting, BetrVG, § 86 Rn. 4. 304 Die Vorschrift knüpft an § 88 BetrVG 1952 an, der Betriebe der Luftfahrt vom Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausnahm und die Regelung dieses Bereichs einem besonderen Gesetz vorbehielt. Lediglich für Landbetriebe von Luftfahrtunternehmen bestimmte § 88 Abs. 4 BetrVG 1952 übergangsweise die Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes bis zum Erlaß eines speziellen Gesetzes. Dieses kam jedoch nie zustande. In § 117 BetrVG 1972 wurde dann die Regelung für Landbetriebe endgültig übernommen und um die Möglichkeit zur Errichtung einer tarifvertraglichen Vertretung für Flugbetriebe ergänzt. Das BetrVerf-ReformG 2001 hat daran festgehalten. Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung vgl. oben § 2 III. 3. b) cc). 305 Zur aus der Unbestimmtheit der Vorschrift folgenden Unzulässigkeit einer Unterwerfung von Außenseitern unter die Normen eines Tarifvertrags nach § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG vgl. oben § 2 III. 3. b) cc). 306 So die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 117 BetrVG 1972 (BT-Drucks. VI / 1786, S. 58). 307 BAG AP Nr. 5, 6 zu § 117 BetrVG 1972.

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keit im Flugbetrieb zudem schlechterdings unvereinbar. So können etwa Berufspiloten zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben nicht nach § 38 BetrVG von ihrer Tätigkeit freigestellt werden, weil ihnen andernfalls wegen Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Mindestflugzeiten der Verlust der Fluglizenz droht308. § 117 Abs. 2 BetrVG will diese Probleme vermeiden und sicherstellen, daß in Luftfahrtunternehmen eine dem Flugbetrieb angemessene Personalvertretung möglich ist309. Luftfahrtunternehmen im Sinne der Vorschrift sind Unternehmen, die Personen oder Sachen durch Luftfahrzeuge310 gewerbsmäßig befördern311. Im Flugbetrieb beschäftigt sind diejenigen Arbeitnehmer, welche die Beförderungstätigkeit unmittelbar ausführen, indem sie entweder an der Führung des Luftfahrzeugs mitwirken oder die beförderten Personen oder Sachen betreuen und die mit der Beförderung verbundenen Dienstleistungen erbringen312. Personen, die nicht an der Beförderung mitwirken, gehören nicht zu den im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmern, auch wenn ihre Tätigkeit teilweise im Luftfahrzeug erbracht wird. Nimmt ein Arbeitnehmer unterschiedlich zuzuordnende Aufgaben wahr, ist entscheidend, welche Tätigkeit seiner Stellung das Gepräge gibt313. Zu den im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmern zählen danach vor allem die (ständigen) Besatzungsmitglieder von Luftfahrzeugen, also namentlich Flugkapitäne, Kopiloten und Flugbegleiter314. Nicht unter § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG fallen dagegen Ausbilder, Ingenieure und Techniker, die überwiegend ortsgebundene Aufgaben wahrnehmen und nur zu Schulungs-, Prüfungs- oder Kontrollzwecken mitfliegen315.

Vgl. Grabherr, NZA 1988, 532, 533; Mußgnug in: FS Duden, S. 335, 340. BAG AP Nr. 3 zu § 117 BetrVG 1972; vgl. auch BAG AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972. 310 Zur Bestimmung des Begriffs des Luftfahrzeugs kann auf § 1 Abs. 2 LuftVG zurückgegriffen werden (ebenso Joost in: MünchArbR, § 321 Rn. 119; Wiese / Franzen in: GKBetrVG, § 117 Rn. 4). Danach sind Luftfahrzeuge namentlich Flugzeuge, Drehflügler, Luftschiffe, Frei- und Fesselballone, Luftsportgeräte und sonstige für die Benutzung des Luftraums bestimmte Geräte, sofern sie in Höhen über dreißig Metern über Grund oder Wasser betrieben werden können. 311 So in Anlehung an § 20 LuftVG a.F. BAG AP Nr. 5, 6 zu § 117 BetrVG 1972; Däubler in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 117 Rn. 3; Joost in: MünchArbR, § 321 Rn. 119; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 117 Rn. 4; weitergehend Wiese / Franzen in: GK-BetrVG, § 117 Rn. 3: auch nichtgewerbsmäßige Beförderung. 312 BAG AP Nr. 5 zu § 117 BetrVG 1972. 313 BAG AP Nr. 5 zu § 117 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, § 117 Rn. 7; Joost in: MünchArbR, § 321 Rn. 122. 314 Grabherr, NZA 1988, 532; Kania in: ErfK, BetrVG, § 117 Rn. 1; Natter in: AR-Blattei SD, Betriebsverfassung XIII, 530.13, Rn. 174; Wiese / Franzen in: GK-BetrVG, § 117 Rn. 8. 315 Vgl. BAG AP Nr. 1, 5 zu § 117 BetrVG 1972; Däubler in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 117 Rn. 9; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 117 Rn. 7; a.A. für Fluglehrer LAG Bremen v. 21. 2. 2001 – 2 TaBV 12 – 14 / 00 (n.v.). 308 309

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

Für den in § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG umschriebenen Personenkreis kann durch Tarifvertrag „eine Vertretung errichtet werden“316. Nähere Vorgaben über Ausgestaltung, Zuständigkeiten und Rechte dieser Vertretung und die Rechtsstellung ihrer Mitglieder enthält das Gesetz nicht. Die Tarifvertragsparteien sollen – dem Zweck der Vorschrift entsprechend – selbst entscheiden, auf welche Weise den Besonderheiten des fliegenden Personals im Rahmen der Betriebsverfassung am besten Rechnung getragen werden kann317. Das schließt es nicht aus, die Vertretung und ihre Rechte in Anlehnung an oder unter Bezugnahme auf Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zu gestalten. Soweit die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften im Hinblick auf die Besonderheiten des Flugbetriebs keine Probleme aufwirft, spricht rechtlich nichts dagegen, sie in einen Tarifvertrag nach § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG zu übernehmen oder auf sie zu verweisen. Zwingend ist das freilich nicht; denn die Ermächtigung in § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG beschränkt sich entgegen Däubler318 nicht auf durch die Spezifik des Flugbetriebs bedingte, partielle Abweichungen vom gesetzlichen Betriebsverfassungsmodell. Sie läßt den Tarifvertragspartnern vielmehr die Freiheit, auch andersartige, eigenständige Regelungen für das „fliegende Personal“ zu vereinbaren, ohne dabei einen dem Betriebsverfassungsgesetz entsprechenden „Mindeststandard“ einhalten zu müssen319. Die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes gelten nur, wenn und soweit es im Tarifvertrag vereinbart ist. Das betrifft auch die Regelungen über die Rechtsstellung der Vertretungsmitglieder. Diese sind keine Betriebsräte im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Sie haben deshalb auch keinen gesetzlichen Anspruch auf Arbeitsbefreiung und Fortbildung nach § 37 BetrVG und genießen keinen besonderen Kündigungs- und Versetzungsschutz nach §§ 15 KSchG, 103 BetrVG320. Ebensowenig besteht – vorbehaltlich einer entsprechenden Vereinbarung im Tarifvertrag – eine Kostentragungspflicht des Arbeitgebers nach § 40 BetrVG. Nach § 117 Abs. 2 S. 2 BetrVG kann der Tarifvertrag Regelungen über die Zusammenarbeit der Flugbetriebsvertretung mit den Arbeitnehmervertretungen der Landbetriebe des Luftfahrtunternehmens vorsehen. Ein solcher „Kooperationsvertrag“321 erlaubt es, die auf tarifvertraglicher Grundlage gebildeten Vertretungen 316 Einen Überblick über bislang in Deutschland abgeschlossene Tarifverträge nach § 117 Abs. 2 BetrVG gibt Schmitt in: Glaubrecht / Halberstadt / Zander, Betriebsverfassung, Gruppe 7, S. 130 f., mit ausführlicher Erläuterung des Tarifvertrags Personalvertretung für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa (S. 136 ff.). 317 Vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972. 318 in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 117 Rn. 14. 319 Vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, § 117 Rn. 9; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 117, Rn. 8; Natter in: AR-Blattei SD, Betriebsverfassung XIII, 530.13, Rn. 175; Wiese / Franzen in: GK-BetrVG, § 117 Rn. 13. 320 Ebenso für den Kündigungsschutz LAG Frankfurt, AuR 1985, 29; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 117, Rn. 13; Wiese / Franzen in: GK-BetrVG, § 117 Rn. 20; a.A. Etzel in: GK-KR, § 103 BetrVG Rn. 10; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 103 Rn. 5. 321 Fitting, BetrVG, § 117 Rn. 10.

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systemkonform mit der gesetzlichen Betriebsverfassung zu verzahnen. So kann etwa eine Beteiligung der Flugbetriebsvertretung am Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat oder Wirtschaftsausschuß des Luftfahrtunternehmens vereinbart werden322.

§ 5 Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes Außerhalb des Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes entfalten dessen zwingende Organisationsvorschriften keine Sperrwirkung im Hinblick auf tarifvertragliche Vereinbarungen. Die Tarifpartner sind – im Rahmen der allgemeinen Grenzen – frei, betriebsverfassungsrechtliche Fragen auf der Grundlage des Tarifvertragsgesetzes zu regeln323. Durch Tarifvertrag kann damit namentlich die Möglichkeit zur Bildung von Arbeitnehmervertretungen auch dort geschaffen werden, wo das Betriebsverfassungsgesetz nicht gilt.

I. Kleinbetriebe Betriebe, in denen nicht in der Regel mindestens fünf ständige wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind, von denen drei wählbar sind, sind nach § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG nicht betriebsratsfähig. In ihnen können deshalb auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes keine Betriebsräte gewählt werden. § 1 Abs. 1 TVG erlaubt es aber den Tarifvertragsparteien, die Voraussetzungen für die Errichtung einer Arbeitnehmervertretung mittels betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen zu schaffen324. Eine solche Arbeitnehmervertretung ist zwar kein Betriebsrat im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes; ihre Stellung und Befugnisse ergeben sich allein aus dem Tarifvertrag325. Es bleibt den Tarifpartnern allerdings unbe322 Vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972; Wiese / Franzen in: GK-BetrVG, § 117 Rn. 17. 323 Vgl. oben § 1 III. 2. b). Zu beachten ist allerdings, daß solche Regelungen bei verfassungskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 TVG unmittelbar nicht gegenüber Außenseitern, sondern nur entsprechend § 4 Abs. 1 TVG zwischen den beiderseits Tarifgebundenen gelten, vgl. oben § 2 III. 3. b) cc). 324 Vgl. Eisemann in: ErfK (2. Aufl.), BetrVG, § 3 Rn. 1; Heither in: FS Schaub, S. 295, 309; ders., JbArbR Bd. 36 (1999), S. 37, 48; Jahnke, Tarifautonomie, S. 192; Kraft in: GKBetrVG (7. Aufl.), § 1 Rn. 25, § 3 Rn. 17; Rolf, Betriebsratsstruktur, S. 13 f.; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 140; a.A. Buchner, AR-Blattei SD, Tarifvertrag V Rn. 244. 325 Vgl. Heither, JbArbR Bd. 36 (1999), S. 37, 48; Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 1 Rn. 25; bedenklich deshalb T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 140 f., der etwaige „Lücken“ in der tarifvertraglichen Vereinbarung unter Rückgriff auf das Betriebsverfassungsgesetz schließen will.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

nommen, sich bei der tarifvertraglichen Normierung an den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zu orientieren oder darauf Bezug zu nehmen326. Der Anwendungsbereich für Tarifverträge zur Errichtung von Kleinbetriebsvertretungen ist freilich gering. § 4 Abs. 2 BetrVG sieht nämlich bereits vor, daß Betriebe, die nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG erfüllen, „dem Hauptbetrieb zuzuordnen“ sind327. Damit ist in Fällen, in denen neben dem Kleinbetrieb ein „Hauptbetrieb“ existiert, in aller Regel schon eine Einbeziehung des Kleinbetriebs in die gesetzliche Betriebsverfassung sichergestellt. Ist die gesetzliche Zuordnung zum Hauptbetrieb im Einzelfall nicht sachgerecht oder aus anderen Gründen ausnahmsweise nicht möglich, kommt eine Einbeziehung des Kleinbetriebs in einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG in Betracht328. Ein Rückgriff auf die allgemeine Regelungsbefugnis aus § 1 Abs. 1 TVG scheidet wegen Vorrangs des insoweit spezielleren § 3 Abs. 1 BetrVG aus. Der mögliche Anwendungsbereich für Tarifverträge nach § 1 Abs. 1 TVG reduziert sich damit im wesentlichen auf (Klein-)Unternehmen, die allein aus einem Kleinbetrieb bestehen. Hier kommt weder eine Zuordnung zum „Hauptbetrieb“ nach § 4 Abs. 2 BetrVG noch eine tarifvertragliche Einbeziehung in eine betriebsübergreifende Regelung nach § 3 Abs. 1 BetrVG in Frage. Eine Vereinbarung nach § 1 Abs. 1 TVG wäre mithin zulässig. Allerdings dürfte für die Schaffung einer kollektiven Arbeitnehmervertretung in Kleinbetrieben dieser Art nur selten ein praktisches Bedürfnis bestehen. Denn bei ihnen handelt es sich zumeist um kleine Handwerksbetriebe, Freiberufler-Büros und „Tante-Emma-Läden“, in denen wegen des engen persönlichen Kontakts zwischen den wenigen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber die Zwischenschaltung eines zusätzlichen Repräsentationsorgans regelmäßig nicht erforderlich oder sogar kontraproduktiv ist. Deshalb sind sie aus dem Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgeklammert329. Dieselben Erwägungen werden in den meisten Fällen auch die Errichtung einer Vertretung aufgrund Tarifvertrags untunlich erscheinen lassen.

326 Vgl. Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 14; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 140; a.A. Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 17. 327 So auch schon BAGE 50, 251, 256. 328 Vgl. oben § 3 I. 2. a). Die Errichtung einer Kleinbetriebsvertretung als „zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretung“ auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG ist hingegen nicht möglich, denn die Bildung einer zusätzlichen Vertretung setzt die Existenz eines Betriebsrats in dem betreffenden Betrieb voraus, vgl. oben § 3 V. 2. 329 Vgl. BAGE 50, 251, 256; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, § 4 Rn. 66; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 139.

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II. Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen Gemäß § 118 Abs. 2 BetrVG findet das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung auf „Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform“330. In ihnen ist demnach die Bildung von Arbeitnehmervertretungen auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nimmt § 118 Abs. 2 BetrVG damit „auf das verfassungsrechtlich Gebotene Rücksicht“331. Die Grundlage für dieses verfassungsrechtliche Gebot sieht das Gericht in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV332. Danach ist jeder Religionsgesellschaft das Recht garantiert, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten. Unter Religionsgesellschaft ist nach überkommener Definition ein Verband zu verstehen, der die Angehörigen eines Glaubensbekenntnisses zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfaßt333. Darunter fallen namentlich die Bistümer, die evangelischen Landeskirchen und die jüdischen Kultusgemeinden sowie deren Zusammenschlüsse. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können sich aber nicht nur die „organisierte Kirche“ und ihre rechtlich selbständigen Teile auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV berufen, sondern darüber hinaus alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen, wenn sie nach dem kirchlichen Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen und zu erfüllen334. Damit wird der Gewährleistungsbereich des Selbstbestimmungsrechts auf Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Wohlfahrtseinrichtungen und andere privatrechtlich organisierte Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft erstreckt. Sachlich umfaßt das Selbstbestimmungsrecht die selbständige Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten. Dazu wird auch das Recht gezählt, den kirchlichen Dienst auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständnisses rechtlich zu gestalten335. Ausgehend von diesem verfassungsrechtlichen Verständnis wird heute ganz überwiegend auch die Bereichsausnahme in § 118 Abs. 2 BetrVG interpretiert. Der 330 Entsprechende Regelungen enthalten § 112 BPersVG 1974 und § 1 Abs. 3 Nr. 2 SprAuG. 331 BVerfGE 46, 73, 95 (Katholisches Krankenhaus Goch). 332 Zum verfassungsgeschichtlichen Hintergrund von Art. 137 Abs. 3 WRV und seiner Inkorporation in das Grundgesetz sowie zu dem – vom BVerfG nicht erörterten – Verhältnis von Art. 140 GG zu Art. 4 GG ausführlich Belling, ZevKR 48 (2003), 407, 418 ff. 333 Vgl. BVerwGE 99, 1, 3; Belling, AfkKR 2005 / II, (unter III 2); Hesse in: Listl / Pirson, HdbStKirchR, Bd. I, S. 534; Muckel in: FS Listl, S. 715, 727; aus der Weimarer Zeit Anschütz, WRV, Art. 137 Anm. 2. 334 BVerfGE 70, 138, 162; 57, 220, 242; 53, 366, 391; 46, 73, 85. 335 Vgl. BVerfGE 70, 138, 165; 46, 73, 95 f.; Belling in: 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 477, 483; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 25 f.; § 17 Rn. 1.

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

dort verwendete Begriff der Religionsgemeinschaft wird in demselben Sinne verstanden wie der der Religionsgesellschaft in Art. 140 GG i.V.m. 137 Abs. 3 WRV336. Einrichtungen, die nach dem Selbstverständnis der Kirche der Verwirklichung des karitativen oder erzieherischen Auftrags dienen, werden ebenfalls vom Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen337. Sie sollen selbst darüber bestimmen können, ob und in welcher Weise die Arbeitnehmer und ihre Vertretungsorgane in Angelegenheiten des Betriebs, die ihre Interessen berühren, mitwirken und mitbestimmen338. Das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV hindert die Religionsgesellschaften freilich nicht daran, Tarifverträge abzuschließen339. Rechtlich wäre es daher prinzipiell möglich, für sie und ihre Einrichtungen, soweit diese vom Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen sind, auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 TVG durch Tarifvertrag die Bildung betrieblicher Interessenvertretungen vorzusehen340. Ein praktisches Bedürfnis dafür dürfte allerdings zumindest im Bereich der großen christlichen Kirchen in Deutschland derzeit kaum bestehen. Denn dort wurde bereits auf kirchenrechtlicher Grundlage ein Mitarbeitervertretungsrecht geschaffen, das den Mitarbeitern im kirchlichen Dienst eine Mitbestimmung in betrieblichen Angelegenheiten ermöglicht. Es beruht im Bereich der Katholischen Kirche auf der Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO)341, im Bereich der Evangelischen Kirche auf dem Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG)342. Die Regelungen343 tragen den Eigenheiten des 336 BAG AP Nr. 48 zu § 118 BetrVG 1972; Weber in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 218; Fitting, BetrVG, § 118 Rn. 54; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 118 Rn. 68; Wedde in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 118 Rn. 106. 337 Vgl. BAG AP Nr. 70 zu § 118 BetrVG 1972 (Krankenhaus-GmbH in Trägerschaft eines Mitglieds des Diakonischen Werks); BAG AP Nr. 60 zu § 118 BetrVG 1972 (von einem Mitgliedsverein des Diakonischen Werks betriebenes Jugenddorf); BAG AP Nr. 48 zu § 118 BetrVG 1972 (Evangelischer Presseverband e.V.); BAG AP Nr. 36 zu § 118 BetrVG 1972 (Berufsbildungswerk in Trägerschaft des Kolpingwerks); Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 118 Rn. 69; Fitting, BetrVG, § 118 Rn. 59; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 118 Rn. 196 ff.; eine starke Verwässerung der gesetzlichen Beschränkung auf karitative und erzieherische Einrichtungen durch eine „weitgehend uferlose verfassungsrechtliche Definition des Selbstbestimmungsrechts“ beklagt Kania in: ErfK, BetrVG, § 118 Rn. 32; kritisch auch Wedde in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 118 Rn. 107. 338 So BVerfGE 46, 73, 94. 339 Vgl. nur Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 3. 340 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1087; ders., Grundrecht, S. 383; Fitting, BetrVG, § 117 Rn. 8; Frey, Tendenzbetrieb, S. 102; Jahnke, Tarifautonomie, S. 192; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 14; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 64, Fn. 254. 341 Abgedruckt in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Arbeitshilfen 128; www.http://dbk.de/schriften/fs_schriften.html. 342 Abl. EKD 1992, S. 445.

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kirchlichen Dienstes Rechnung und sind der besonderen Aufgabenstellung der Kirchen und ihrer Einrichtungen angepaßt344. Trotz dieser Besonderheiten weist das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht in formeller wie materieller Hinsicht zahlreiche Übereinstimmungen mit dem staatlichen Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht auf. Die umfassende Regelung des Mitarbeitervertretungsrechts durch die Kirchen läßt, auch wenn sie nicht in jeder Hinsicht dem „Standard“ des Betriebsverfassungsgesetzes entspricht, für ergänzende tarifvertragliche Regelungen nur wenig Raum.

III. Tendenzbetriebe Eine teilweise Herausnahme aus der gesetzlichen Betriebsverfassung sieht § 118 Abs. 1 BetrVG für Unternehmen und Betriebe vor, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen. Auf diese (verkürzt) sogenannten „Tendenzbetriebe“ finden die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes keine Anwendung, „soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht“. Der Tendenzschutz des § 118 Abs. 1 BetrVG soll dem Arbeitgeber die Verwirklichung verfassungsrechtlich geschützter Ziele nach eigenen Vorstellungen ermöglichen345. Er schirmt deshalb die grundrechtlich gewährleistete Betätigung im geistig-idellen Bereich und die Verfassungsgarantie für die Parteien vor einer unzulässigen Beeinträchtigung durch die betriebliche Mitbestimmung ab346. Namentlich in den für die Tendenzverwirklichung besonders bedeutsamen Bereichen der wirtschaftlichen und personellen Angelegenheiten ist die Geltung des gesetzlichen Betriebsverfassungsrechts eingeschränkt347, um die Tendenzfreiheit des Arbeitgebers zu schützen. 343 Überblick über das Mitarbeitervertretungsrecht im Bereich der Katholischen und Evangelischen Kirche bei Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, §§ 18, 19. 344 Vgl. BVerfGE 53, 366, 403. 345 BVerfG AP Nr. 14 zu § 118 BetrVG 1972; Belling / Meyer, Anm. AP Nr. 66 zu § 118 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, § 118 Rn. 49; Kania in: ErfK, BetrVG, § 118 Rn. 1. 346 BVerfG AP Nr. 14 zu § 118 BetrVG 1972; Belling / Meyer, Anm. AP Nr. 66 zu § 118 BetrVG 1972; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 118 Rn. 17. 347 Nach § 118 Abs. 1 S. BetrVG sind die §§ 106 bis 110 BetrVG (Wirtschaftsausschuß) gar nicht und die §§ 111 bis 113 BetrVG (Beteiligung bei Betriebsänderungen) nur insoweit anzuwenden, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen regeln. Die Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten ist eingeschränkt, soweit es um tendenzbezogene Maßnahmen geht, die Tendenzträger betreffen (vgl. nur BAG AP Nr. 51 zu § 118 BetrVG 1972 m. w. N.).

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

Der Arbeitgeber ist freilich nicht gezwungen, sich unter den gesetzlichen Tendenzschutz zu begeben. Er kann die Mitbestimmungsordnung des Betriebsverfassungsgesetzes für sein Unternehmen auch uneingeschränkt gelten lassen oder sogar die Arbeitnehmer in noch weitergehendem Umfang an seinen Entscheidungen beteiligen; das kann gerade Ausdruck der von ihm verfolgten Tendenz sein348. Als Gestaltungsmittel zur Rückführung des gesetzlichen Tendenzschutzes kommen auch tarifvertragliche Regelungen der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 TVG in Betracht. So ist es beispielsweise möglich, für ein Unternehmen mit karitativer Zwecksetzung durch Tarifvertrag die Bildung eines Wirtschaftsausschusses zuzulassen349. Ebenso kann für einen Zeitungsverlag zur Sicherung der „inneren Pressefreiheit“ ein „Redaktionsstatut“ vereinbart werden, das die Bildung eines Redaktionsrats zur Beteiligung der Redakteure an tendenzbezogenen Maßnahmen vorsieht350. Auch die Einführung besonderer Mitbestimmungsorgane für Bühnenkünstler ist zulässig351. Der grundsätzlich zwingende Charakter des gesetzlichen Organisationsrechts352 steht derartigen Vereinbarungen nicht entgegen; denn im Bereich des § 118 BetrVG hat der Gesetzgeber einen Freiraum gelassen, innerhalb dessen die Tarifvertragsparteien ihre betriebsverfassungsrechtliche Zuständigkeit nach dem Tarifvertragsgesetz ausüben können353. Allerdings darf die tarifvertragliche Regelung zu (anderen) zwingenden Organisationsvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes nicht in Widerspruch geraten. Namentlich bei der Errichtung von Sondervertretungen für Tendenzträger („Redaktionsrat“) muß sichergestellt sein, daß die Tätigkeit der Sondervertretung nicht die Amtsausübung der nach dem Betriebsverfassungsgesetz gebildeten Arbeitnehmervertretungen beeinträchtigt354. Die Zuständigkeit der Sondervertretung muß deshalb auf Tendenzangelegenheiten beschränkt bleiben, für die das Be348 Vgl. BAGE 98, 76, 89; BAG AP Nr. 56, 69 zu § 118 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, § 118 Rn. 50. 349 Vgl. BAG AP Nr. 69 zu § 118 BetrVG 1972. 350 Vgl. BAGE 98, 76 für ein Redaktionsstatut auf Grundlage einer arbeitsvertraglichen Einheitsregelung; ausrücklich für tarifvertragliche Vereinbarungen Schwerdtner, JR 1972, 357, 3360; allgemein Kania in: ErfK, BetrVG, § 118 Rn. 3. 351 Vgl. Tödtmann, Mitbestimmungsregelungen, S. 158, 207 f. 352 Vgl. oben § 1 III. 2. b). 353 Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 138; Weber in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 39 f.; Fitting, BetrVG, § 118 Rn. 52; Wedde in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 118 Rn. 104; Matthes in: MünchArbR, § 364 Rn. 3; a.A. Dörrwächter, Tendenzschutz, S. 226; im Hinblick auf Redaktionsvertretungen auch Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 118 Rn. 239 mit der Begründung, weder das Tarifvertragsgesetz noch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit gäben den Tarifvertragsparteien eine „Befugnis zur Regelung spezifisch presserechtlicher Materien“. Diese Begründung überzeugt nicht, denn die Errichtung einer Redaktionsvertretung, die in betrieblichen Angelegenheiten die kollektiven Interessen der Redakteure gegenüber dem Arbeitgeber wahrnimmt, ist keine spezifisch presserechtliche, sondern eine spezifisch betriebsverfassungsrechtliche Materie, zu deren Regelung die Tarifpartner nach § 1 Abs. 1 TVG und Art. 9 Abs. 3 GG befugt sind. 354 Vgl. BAGE 98, 76, 87 f.; Fitting, BetrVG, § 118 Rn. 51.

§ 5 Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes

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triebsverfassungsgesetz nicht gilt. Nur so kann vermieden werden, daß sie in Konkurrenz zum Betriebsrat oder anderen auf Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes gebildeten Gremien tritt. Tarifvertragliche Regelungen, die die Grenzen des durch § 118 Abs. 1 BetrVG gelassenen Freiraums überschreiten oder gegen zwingendes Organisationsrecht verstoßen, sind unwirksam und entfalten keine Rechtswirkungen.

IV. „Ausbildungsbetriebe“ Auszubildende sind grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes einbezogen. Die „zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten“ gehören nach § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG zu den Arbeitnehmern im Sinne des Gesetzes. Sie nehmen an den Wahlen zum Betriebsrat teil und werden wie die anderen Arbeitnehmer von diesem repräsentiert. Zusätzlich ist nach Maßgabe der §§ 60 ff. BetrVG eine besondere Jugend- und Auszubildendenvertretung zu errichten, die dafür sorgt, daß die spezifischen Belange der Auszubildenden im Rahmen der Betriebsratsarbeit angemessen berücksichtigt werden. Das gesetzliche Organisationsrecht ist – auch insoweit355 – zwingend. Für abweichende tarifvertragliche Sonderregelungen nach § 1 Abs. 1 TVG besteht kein Raum356. Eine Ausnahme gilt für sogenannte „Ausbildungsbetriebe“. Darunter werden Betriebe verstanden, deren Zweck allein oder hauptsächlich darauf gerichtet ist, anderen Personen eine berufspraktische Ausbildung zu vermitteln („sonstige Berufsbildungseinrichtungen“ gemäß § 1 Abs. 5 BBiG)357. Auszubildende, die in einem solchen Betrieb ausgebildet werden, gehören nicht zu dessen Belegschaft. Denn „zu ihrer Berufsbildung beschäftigt“ im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG sind nur solche Auszubildenden, die in vergleichbarer Weise wie die übrigen Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert sind358. Das trifft auf Auszubildende in einem „Ausbildungsbetrieb“ nicht zu. Ihre Ausbildung vollzieht sich nicht im Rahmen des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs, denn sie werden nicht an Aufgaben geschult, die in dem Betrieb anfallen und auch von den dort tätigen Mitarbeitern verrichtet werden. Sie sind vielmehr selbst „Gegenstand“ des Betriebszwecks, der auf sie und ihre Berufsausbildung hin ausgerichtet ist359. Deshalb gehören sie auch betriebsverfassungsgesetzlich nicht zu den Arbeitnehmern des Vgl. nur Fitting, BetrVG, § 60 Rn. 8 m. w. N. Vgl. oben § 1 III. 2. b), c). 357 Vgl. BAG AP Nr. 8, 10, 11 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 5 Rn. 1a. 358 BAG AP Nr. 8, 10 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 5 Rn. 64, 68; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 5 Rn. 101 f. 359 BAG AP Nr. 8 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung; Fitting, BetrVG, § 5 Rn. 261; Raab in: GK-BetrVG, § 5 Rn. 39. 355 356

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2. Teil: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner

Betriebs360. Sie haben kein Wahlrecht zum Betriebsrat und zu einer Jugend- und Auszubildendenvertretung und werden von diesen Gremien nicht vertreten. § 18a BBiG sieht zwar für Auszubildende in sonstigen Berufsbildungseinrichtungen die Schaffung einer „besonderen Interessenvertretung“ vor. Mangels Erlaß der nach § 18b BBiG erforderlichen Rechtsverordnung über Errichtung, Ausgestaltung und Zuständigkeiten dieser Interessenvertretung läuft die Vorschrift aber bislang leer. Eine betriebsverfassungsrechtliche Vertretung für Auszubildende in „Ausbildungsbetrieben“ kann deshalb (nur) auf der Grundlage eines Tarifvertrags nach § 1 Abs. 1 TVG errichtet werden361.

360 Damit wird zugleich eine Majorisierung der Stammbelegschaft durch die in „Ausbildungsbetrieben“ typischerweise große Überzahl von Auszubildenden (vgl. nur die Sachverhalte von BAG AP Nr. 8 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildungsbetrieb [13 Stammarbeitnehmer, 105 Umschüler] und BAG NZA 2005, 371 [1300 Stammarbeitnehmer, 11000 Auszubildende]) verhindert. Dazu auch Raab in: GK-BetrVG, § 5 Rn. 39. 361 Im Ergebnis ebenso BAG NZA 2005, 371, 372, allerdings mit der Begründung, ein solcher Tarifvertrag sei „von Art. 9 Abs. 3 GG, § 3 Abs. 2 TVG gedeckt“. Nach der hier vertretenen Ansicht kommt eine unmittelbare Geltung der Tarifnormen für Außenseiter nach § 3 Abs. 2 TVG jedoch nicht in Betracht [vgl. oben § 2 III. 3. b) cc)]. Die vom BAG ausdrücklich offengelassene Frage, ob sich die tarifvertragliche Regelung auch „auf § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG stützen ließe“, ist zu verneinen: Andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen nach dieser Vorschrift können nur für Arbeitnehmer i.S.v. § 5 BetrVG errichtet werden (vgl. oben § 3 III. 1.). Diese Eigenschaft fehlt den Auszubildenden in einem „Ausbildungsbetrieb“ aber gerade.

Dritter Teil

Tarifrechtliche Besonderheiten Die Organisation der Betriebsverfassung durch Tarifvertrag bringt eine Reihe tarifrechtlicher Probleme mit sich, für die allgemein anerkannte oder auch nur überwiegend gebilligte Lösungen bislang nicht gefunden worden sind. Klärungsbedarf besteht namentlich im Hinblick auf die Parteien des Tarifvertrags (§ 6), die Auflösung von Tarifkollisionen (§ 7), Beginn und Ende der Tarifwirkungen (§ 8) und die Erzwingbarkeit des Tarifabschlusses durch Arbeitskampf (§ 9).

§ 6 Die Parteien des Tarifvertrags I. Allgemeine Grundsätze Partei eines Tarifvertrags kann nur sein, wer tariffähig und tarifzuständig ist. Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit der Vertragsparteien sind Wirksamkeitsvoraussetzungen des Tarifvertrags1. Tariffähig, also fähig, überhaupt Partei eines Tarifvertrags sein zu können, sind nach § 2 Abs. 1 TVG Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber und Arbeitgebervereinigungen. § 2 Abs. 3 TVG erstreckt die Tariffähigkeit außerdem auf Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, zu deren satzungsmäßigen Aufgaben der Abschluß von Tarifverträgen gehört. Tariffähige Gewerkschaften müssen Koalitionen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG sein2. Darüber hinaus verlangen Rechtsprechung3 und herrschende Lehre4, daß die Gewerkschaft über eine 1 BAG AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 688; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 47; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, Bd. 2, § 13 Rn. 59; Oekter in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 15, 43; Schaub / Franzen in: ErfK, TVG, § 2 Rn. 5, 38; kritisch im Hinblick auf die Tarifzuständigkeit Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 536 f. 2 BAGE 29, 72; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 48; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 199 Rn. 2; Söllner / Waltermann, Grundriss, Rn. 377; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 33. 3 St. Rspr., vgl. etwa BAG AP Nr. 38, 39, 55 zu § 2 TVG; BAG AP Nr. 30 zu § 2 TVG (bestätigt durch BVerfG AP Nr. 31 zu § 2 TVG). 4 Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 691; Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 513; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, Bd. 2, § 12 Rn. 24; Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 35; Schaub / Franzen in: ErfK, TVG, § 2 Rn. 11; Söllner / Waltermann, Grundriss, Rn. 379; Stein, Tarif-

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

hinreichende Mächtigkeit verfügt, um zumindest die Aufnahme von Tarifverhandlungen gegenüber dem sozialen Gegenspieler durchzusetzen. Auf Arbeitgeberseite setzt Tariffähigkeit demgegenüber weder Koalitionseigenschaft noch eine bestimmte Durchsetzungskraft voraus5. Vertragspartner der Gewerkschaft können sowohl einzelne Arbeitgeber (Firmentarifvertrag) als auch Arbeitgeberverbände (Verbandstarifvertrag) sein. Tarifzuständigkeit ist die Fähigkeit, Tarifverträge mit einem bestimmten räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich abzuschließen6. Sie ist als Wirksamkeitsvoraussetzung des Tarifvertrags nicht ausdrücklich gesetzlich normiert, aber als tradiertes Institut des Tarifvertragsrechts anerkannt und in §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG vorausgesetzt7. Die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ergibt sich aus deren Satzung8. Der einzelne Arbeitgeber ist für sein gesamtes Unternehmen und die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer tarifzuständig9. Tarifverträge können nur wirksam abgeschlossen werden, soweit sich die Tarifzuständigkeiten der Parteien für den Geltungsbereich des Tarifvertrags decken10.

II. Besonderheiten bei Organisationstarifverträgen Weder das Tarifvertragsgesetz noch das Betriebsverfassungsgesetz enthalten spezielle Vorschriften zur Parteistellung für Tarifverträge über die Organisation der Betriebsverfassung. § 2 TVG bestimmt die Tarifvertragsparteien allgemein ohne Rücksicht auf den Tarifinhalt und damit auch für Tarifverträge, die betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln. § 3 BetrVG und die übrigen Öffnungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes nehmen mit der Zulassung von Regelungen „durch Tarifvertrag“ lediglich auf das allgemeine Tarifrecht Bezug. Zu klären ist, ob sich aus dem Regelungsgegenstand betriebsverfassungsrechtlicher Organisationstarifverträge Besonderheiten im Hinblick auf die Vertragsparvertragsrecht, Rn. 45; kritisch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 433 ff.; a.A. Loritz in: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 34 I 2 a, S. 380; Oetker in Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 325 m. w. N. 5 Vgl. BAG AP Nr. 40 zu § 2 TVG. 6 BAG AP Nr. 7, 8 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG AP Nr. 19 zu § 2 TVG; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 2 Rn. 85. 7 Ausführlich zur Tarifzuständigkeit und den unterschiedlichen Ansätzen ihrer dogmatischen Begründung Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 43 ff.; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 67. 8 BAG AP Nr. 7, 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 695; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 531. 9 Vgl. BAG AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 161; Schaub / Franzen in: ErfK, TVG, § 2 Rn. 37. 10 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 86; Schaub / Franzen in: ErfK, TVG, § 2 Rn. 33.

§ 6 Die Parteien des Tarifvertrags

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teien ergeben, die bei der Anwendung der allgemeinen Grundsätze berücksichtigt werden müssen. 1. Parteien auf Arbeitgeberseite Nach § 2 Abs. 1 TVG können Tarifvertragsparteien auf Arbeitgeberseite sowohl einzelne Arbeitgeber als auch Arbeitgeberverbände sein.

a) Arbeitgeberverbände Im Zusammenhang mit Vereinbarungen zur Organisation der Betriebsverfassung wird die Zulässigkeit von Verbandstarifverträgen jedoch teilweise in Frage gestellt. Eich11 zufolge scheidet für Regelungen nach § 3 BetrVG „aufgrund der Natur der Sache“ zumindest der Flächentarifvertrag als Regelungsinstrument aus. Denn es würden „stets die betriebsverfassungsrechtlichen Individualinteressen von Unternehmen (mit ihren Betrieben) bzw. Konzernen (mit ihren Unternehmen) sowie die betriebsverfassungsrechtlichen Interessen der Arbeitnehmer dieser Rechtssubjekte geregelt“. Thüsing12 bezweifelt darüber hinaus auch die Zulässigkeit firmenbezogener Verbandstarifverträge. Er sieht die Berufsfreiheit der einzelnen Arbeitgeber gefährdet, weil die Tarifpolitik eines Verbandes die Interessen einzelner Mitglieder zu Lasten einer anderen Gruppe von Mitgliedern unberücksichtigt lassen könne. Daher erscheint es ihm vorzugswürdig, nur den „durch den Konsens des Arbeitgebers legitimierten Haustarifvertrag“ zuzulassen. Beiden Ansichten kann nicht gefolgt werden. Das Argument, Flächentarifverträge seien schon „aufgrund der Natur der Sache“ ausgeschlossen, überzeugt weder in Bezug auf betriebsverfassungsrechtliche Regelungen allgemein noch hinsichtlich solcher nach § 3 BetrVG. Jeder Tarifvertrag betrifft in seinem Geltungsbereich „Individualinteressen von Unternehmen“ und „Interessen der Arbeitnehmer“, gleichgültig ob es sich um einen Flächentarifvertrag, einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag oder einen Haustarifvertrag handelt. Allein der Umstand, daß es um betriebsverfassungsrechtliche Interessen geht, läßt den Flächentarifvertrag nicht von vornherein als rechtlich zulässiges Regelungsinstrument ausscheiden. Richtig ist allerdings, daß namentlich für Regelungen nach § 3 Abs. 1 BetrVG der Flächentarifvertrag nur ausnahmsweise in Betracht kommt13. Denn es sollen ja – in Abweichung zur gesetzlichen „Einheitsstruktur“ – gerade Arbeitnehmervertretungen geschaffen werden, „die auf die besondere Struktur des jeweiligen Betriebs, Unternehmens oder Konzerns zugeschnitten sind“14. Eine flächendeckende tarif11 12 13 14

FS Weinspach, S. 17, 20; ders., EuroAS 2003, 12, 13 f. ZIP 2003, 693, 697. So zutreffend Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 13, 19. Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 33.

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

vertragliche Einheitsregelung kann diesem Ziel regelmäßig nicht gerecht werden. Sie wird daher an den in § 3 Abs. 1a BetrVG normierten Regelungsvoraussetzungen scheitern. Ob beispielweise die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient, läßt sich in der Regel nur einzelfallbezogen und nicht für mehrere oder gar alle Mitgliedsunternehmen eines Arbeitgeberverbands einheitlich feststellen. So käme etwa eine verbandsweite Einführung unternehmenseinheitlicher Betriebsräte kaum in Betracht. Grund dafür ist aber nicht die generelle rechtliche Unzulässigkeit des Flächentarifvertrags, sondern die mangelnde Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG15. Wo derartige Voraussetzungen nicht bestehen und der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien größer ist, kann sich das Instrument des Flächentarifvertrags durchaus als brauchbar erweisen. So wäre es etwa denkbar, außerhalb des Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 TVG die Errichtung von Arbeitnehmervertretungen für Kleinbetriebe16 einer bestimmten Branche vorzusehen. Gegen die Zulässigkeit des firmenbezogenen Verbandstarifvertrags lassen sich durchgreifende rechtliche Bedenken ebenfalls nicht erheben. Das Problem der unzureichenden Berücksichtigung der individuellen Unternehmenssituation tritt bei ihm – anders als beim Flächentarifvertrag – von vornherein nicht auf. Seine Unternehmensbezogenheit läßt ihn im Gegenteil gerade für Regelungen nach § 3 Abs. 1 BetrVG als geeignet erscheinen17. Daß der Abschluß firmenbezogener Organisationstarifverträge durch einen Arbeitgeberverband generell an der Berufsfreiheit einzelner diesem beigetretener Arbeitgeber scheitern soll, ist nicht überzeugend. Der firmenbezogene Verbandstarifvertrag ist als Regelungsinstrument anerkannt18. Das gilt unabhängig von seinem Regelungsinhalt. Die Berufsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers ist durch die Tarifpolitik seines Verbands in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen nicht stärker bedroht als durch die Tarifpolitik in anderen Angelegenheiten. Will man den firmenbezogenen Verbandstarifvertrag nicht prinzipiell für unzulässig halten, muß er auch die Organisation der Betriebsverfassung regeln können19.

Vgl. auch Buchner, NZA 2001, 633, 635; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 53. Zu dieser Gestaltungsmöglichkeit vgl. oben § 5 I. 17 Vgl. auch Eich in: FS Weinspach, S. 17, 20. 18 Vgl. BAG AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 504; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 51; insoweit zutreffend auch Eich in: FS Weinspach, S. 17, 20. 19 Ausdrücklich für die Zulässigkeit firmenbezogener Verbandstarifverträge im Rahmen von § 3 BetrVG Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 18; Plander, NZA 2002, 483, 486; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 14. 15 16

§ 6 Die Parteien des Tarifvertrags

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b) Einzelne Arbeitgeber Die Befugnis einzelner Arbeitgeber zum Abschluß von Tarifverträgen zur Organisation der Betriebsverfassung ist im Grundsatz unbestritten. Für Regelungen nach § 3 BetrVG wird der unmittelbar zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft geschlossene Firmentarifvertrag sogar als besonders praxisrelevantes Regelungsinstrument angesehen20. Schwierigkeiten können sich ergeben, wenn durch Firmentarifvertrag organisationsrechtliche Fragen geregelt werden sollen, die – wie im Fall der Festlegung unternehmensübergreifender Organisationseinheiten nach § 3 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG – mehrere Arbeitgeber betreffen. § 2 Abs. 1 TVG stellt auf den einzelnen Arbeitgeber ab. Die Arbeitgebereigenschaft bestimmt sich nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen21. Arbeitgeber ist danach jeder, der einen anderen auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt22. Aus der rechtlichen Anknüpfung an den Arbeitsvertrag ergibt sich zugleich die Grenze der Tarifzuständigkeit: Tarifvertragliche Vereinbarungen kann der Arbeitgeber nur mit Wirkung für diejenigen Arbeitnehmer treffen, mit denen er arbeitsvertraglich verbunden ist. Soll ein Firmentarifvertrag auch für Arbeitnehmer anderer Arbeitgeber gelten, müssen diese selbst daran beteiligt sein. Eine solche Beteiligung ist im Rahmen eines sogenannten mehrgliedrigen Tarifvertrags möglich23. Er kann in der Weise zustande kommen, daß alle betroffenen Arbeitgeber gemeinsam einen einheitlichen Vertrag mit der Gewerkschaft abschließen und unterzeichnen; ebenso zulässig ist es, daß ein Arbeitgeber die Tarifführerschaft übernimmt und nach Maßgabe der §§ 164 ff. BGB in Vertretung der übrigen kontrahiert. Mit Beteiligung aller Arbeitgeber lassen sich so auch durch Firmentarifvertrag einheitliche Regelungen für mehrere rechtlich selbständige Unternehmen realisieren. Daß der Weg des mehrgliedrigen Tarifvertrags (auch) für betriebsverfassungsrechtliche Organisationsregelungen eröffnet ist, wird – soweit ersichtlich – von niemandem bezweifelt. 20 Vgl. Buchner, NZA 2001, 633, 635; Engels / Trebinger / Löhr-Steinhaus, DB 2001, 532, 533; Plander, NZA 2002, 483, 486; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 14. 21 BAG AP Nr. 14 zu § 3 TVG; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 523; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 96; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 55; abweichend Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 139, die ohne Begründung davon ausgehen, die Arbeitgebereigenschaft richte sich „nach dem Charakter der Tarifnorm“. Danach soll für Individualnormen (wohl) der allgemeine, für Betriebsnormen hingegen „der betriebsverfassungsrechtliche Arbeitgeberbegriff“ maßgeblich sein. Wie die Abgrenzung im einzelnen erfolgen soll, wird allerdings nicht recht deutlich. Wenig Klarheit bringt der Hinweis, betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen könnten „nur einheitlich mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitgeber geregelt werden, und zwar in einem Haustarifvertrag mit der Gesamtheit der Arbeitgeber in ihrer gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit“. 22 Vgl. nur BAG AP Nr. 14 zu § 3 TVG. 23 Zur Rechtsfigur des mehrgliedrigen Tarifvertrags Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 503; Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 472; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 176; Spinner, ZTR 1999, 546.

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

Fraglich ist hingegen, ob unternehmensübergreifende Regelungen auch auf andere Weise als durch mehrgliedrigen Tarifvertrag möglich sind. Im Schrifttum wird das zum Teil für Unternehmen bejaht, die in einem Konzernverbund stehen. Zwar besteht Einigkeit darüber, daß der Konzern als solcher mangels rechtlicher Eigenständigkeit nicht tariffähig ist24. Vertreten wird aber die Ansicht, die Konzernmuttergesellschaft sei „tariffähig ( . . . ) auch in bezug auf die Arbeitnehmer der von ihr beherrschten Unternehmen“25. Sie könne deshalb auch ohne Bevollmächtigung einen „Konzerntarifvertrag“ mit unmittelbarer Wirkung für ihre Tochtergesellschaften abschließen26. Zur Begründung dieser Auffassung wird eine Parallele zur Konzernbetriebsvereinbarung gezogen: Der Konzernbetriebsrat könne mit der Leitung der Konzernmuttergesellschaft Konzernbetriebsvereinbarungen abschließen, die unmittelbar und zwingend in den konzernangehörigen Unternehmen gelten. Die Regelungsmacht der Muttergesellschaft in Bezug auf die bei den Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer könne aber nicht davon abhängen, ob ihr auf Arbeitnehmerseite ein Konzernbetriebsrat oder eine Gewerkschaft gegenüberstehe27. Deshalb müsse die Muttergesellschaft auch zum Abschluß konzernweit geltender Tarifverträge berechtigt sein28. Diese Ansicht ist abzulehnen. Die Konzernmuttergesellschaft kann zwar Arbeitsverträge abschließen und infolgedessen als Arbeitgeber im Sinne von § 2 Abs. 1 TVG tariffähig sein. Ihre Tarifzuständigkeit ist aber auf die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer beschränkt. Ein tarifrechtlicher „Durchgriff“ auf die konzernangehörigen Unternehmen ist weder im Tarifvertragsgesetz noch im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen. Auch die konzernrechtliche Leitungsmacht der Obergesellschaft verleiht dieser keine Befugnis, „Konzerntarifverträge“ mit normativer Wirkung für die Tochtergesellschaften abzuschließen29. Ebensowenig läßt sich eine „der Leitungsmacht folgende Kompetenz der Muttergesellschaft“30 zum Abschluß konzernweit geltender Tarifverträge auf Parallelen zur Konzernbetriebsvereinbarung stützen31. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Leitung der Mutter24 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 525; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 105; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 461, jeweils m. w. N.; mangels Verbandsstruktur kann der Konzern entgegen der Überlegung von Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 98, auch nicht als „Arbeitgeberverband mit der Befugnis zum Abschluß von Tarifverträgen für alle Konzerngesellschaften“ angesehen werden. 25 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 79. 26 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 79; ders, ZIAS 1995, 525, 529 f.; ders., Grundrecht, S. 444 f.; ebenso für Tarifverträge nach § 3 BetrVG Hanau / Wackerbarth in: FS Ulmer, S. 1303, 1310. 27 Hanau / Wackerbarth in: FS Ulmer, S. 1303, 1310; ähnlich Däubler, Grundrecht, S. 444. 28 Vgl. auch Däubler, ZIAS 1995, 525, 529: „Was man dem Konzernbetriebsrat gestattet, kann man der Gewerkschaft nicht verweigern“. 29 Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 55. 30 So Hanau / Wackerbarth in: FS Ulmer, S. 1303, 1310. 31 Auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 106, sieht keine dogmatische Grundlage dafür, „die Tarifmacht durch einen Vergleich mit anderen gesetzlichen Regelungen zu erweitern“.

§ 6 Die Parteien des Tarifvertrags

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gesellschaft mit dem Konzernbetriebsrat auch ohne Beteiligung der Tochterunternehmen Betriebsvereinbarungen mit Wirkung für diese schließen kann32, folgt daraus nicht, daß für Tarifverträge der Muttergesellschaft mit der Gewerkschaft dasselbe gilt. Denn die Konzernbetriebsvereinbarung hat in § 58 BetrVG eine normative Verankerung erfahren, die für den „Konzerntarifvertrag“ gerade fehlt33. Unternehmensübergreifende Organisationsregelungen durch Firmentarifvertrag34 sind daher auch innerhalb eines Konzerns nur unter Beteiligung aller betroffenen Unternehmen möglich35. Dafür steht das Instrument des mehrgliedrigen Tarifvertrags zur Verfügung. 2. Parteien auf Arbeitnehmerseite Auf Arbeitnehmerseite kommt jede tarifzuständige Gewerkschaft als Partei eines Organisationstarifvertrags in Betracht. Die tarifschließende Gewerkschaft muß – ebenso wie ihr(e) Vertragspartner auf Arbeitgeberseite – für alle Betriebe und Unternehmen tarifzuständig sein, die in den Geltungsbereich des Tarifvertrags einbezogen werden sollen. Daraus können sich Probleme vor allem bei betriebs- und unternehmensübergreifenden Organisationsregelungen ergeben. Ist etwa eine Gewerkschaft nach dem Industrieverbandsprinzip nur für einen Teil der Betriebe eines Unternehmens oder Konzerns zuständig, kann sie eine unternehmens- oder konzerneinheitliche Regelung nicht wirksam36 vereinbaren. Tut sie es (bewußt oder in irrtümlicher Verkennung der Reichweite ihrer Zuständigkeit) dennoch, stellt sich Frage, ob der Tarifvertrag insgesamt nichtig ist oder wenigstens teilweise aufrechterhalten werden kann. Es liegt nahe, insoweit in Anlehnung an § 139 BGB auf die Teilbarkeit abzustellen: Ist der Tarifvertrag in dem Sinne „teilbar“, daß er mit dem von der Tarifzuständigkeit der Vertragspartner umfaßten Geltungsbereich sinnvoll bestehen bleiben kann, ist er insoweit wirksam. Stellt der von der Tarifzuständigkeit gedeckte Teil des Tarifvertrags bei isolierter Betrachtung hingegen keine sinnvolle und zulässige Regelung (mehr) dar, tritt Gesamtnichtigkeit ein37. Soll beispielsweise durch Tarifvertrag die organisatorische Grundlage für die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats 32 Bejahend Fitting, BetrVG, § 58 Rn. 35; Trittin in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 58 Rn. 9; verneinend Joost in: MünchArbR, § 315 Rn. 82; Richardi / Annuß in: Richardi, BetrVG, § 58 Rn. 42 f., m. w. N. zum Streitstand. 33 Vgl. auch Thüsing, ZIP 2003, 693, 698. 34 Regelungen in einem (konzernbezogenen) Verbandstarifvertrag können grundsätzlich ohne weiteres für alle Konzernunternehmen getroffen werden, die Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes sind. Eine Verbandsmitgliedschaft allein der Konzernobergesellschaft reicht aber auch in diesem Fall für eine konzernweite Tarifgeltung nicht aus. 35 Ebenso im Ergebnis, aber ohne Begründung Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 2; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 14; Friese, ZfA 2003, 237, 271. 36 Zur Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung des Tarifvertrags vgl. oben § 6 I. 37 Vgl. Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 185.

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG geschaffen werden, setzt das zwingend die Einbeziehung aller Betriebe des betreffenden Unternehmens voraus38. Wird ein entsprechender Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft geschlossen, die nicht für alle Betriebe zuständig ist, kann die Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG im übrigen keinen Bestand haben, weil die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats ohne Einbeziehung aller Betriebe nicht möglich ist. Im Rahmen der bestehenden Tarifzuständigkeit kann die Vereinbarung allerdings als Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG wirksam sein, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Regelungsalternative gegeben sind39. Die mangelnde Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft für einzelne Betriebe und Unternehmen kann nur durch Beteiligung der für diese Betriebe und Unternehmen zuständigen Gewerkschaft(en) am Tarifvertrag überwunden werden. Dazu ist – ebenso wie bei teilweise fehlender Tarifzuständigkeit auf Arbeitgeberseite40 – der Abschluß eines mehrgliedrigen Tarifvertrags erforderlich41. Die zuständigen Gewerkschaften müssen entweder selbst am Vertragsschluß mitwirken oder eine Gewerkschaft zum Abschluß des Tarifvertrags bevollmächtigen. Ein Ersatz der Beteiligung aller Gewerkschaften etwa dadurch, daß die mitgliederstärkste oder die für den größten Betrieb zuständige Gewerkschaft den Tarifvertrag abschließt, ist nicht möglich42. Schwierigkeiten kann die Ermittlung der richtigen Vertragspartei auf Arbeitnehmerseite bereiten, wenn mehrere Gewerkschaften nach ihrer Satzung für denselben Betrieb zuständig sind. Zu solchen Zuständigkeitsüberschneidungen kann es vor allem dann kommen, wenn eine Gewerkschaft ihre Tarifzuständigkeit betriebsbezogen, die andere hingegen unternehmens- oder konzernbezogen festgelegt hat43. Handelt es sich um DGB-Gewerkschaften, gilt der Grundsatz, daß es keine Doppelzuständigkeiten geben, sondern für jeden Betrieb nur eine DGB-Gewerkschaft zuständig sein soll („Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“)44. Zuständigkeitskonflikte sind nach § 16 der Satzung des DGB in einem Schiedsverfahren zu entVgl. oben § 3 I. 1. a). Vgl. dazu oben § 3 I. 2. 40 Vgl. oben § 6 II. 1. b). 41 Zutreffend Friese, ZfA 2003, 237, 271; Thüsing, ZIP 2003, 693, 699. 42 In diesem Sinne auch Thüsing, ZIP 2003, 693, 699, unter Hinweis auf Berichte über eine teilweise abweichende Tarifpraxis insbesondere bei der Errichtung von Spartenbetriebsräten. 43 Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 57. Zur Tendenz der Arbeitnehmerkoalitionen, ihre fachliche Zuständigkeit nicht mehr auf den Fachbereich einzelner Betriebe zu beschränken, sondern auf branchenfremde Betriebe innerhalb eines Konzerns auszudehnen, Hanau / Wackerbarth in: FS Ulmer, S. 1303, 1308. 44 Zur Verbindlichkeit dieses Grundsatzes für die dem DGB angehörigen Gewerkschaften vgl. BAG AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; ausführlich zum Grundsatz „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ als grundlegendem Organisationsprinzip des DGB Blank in: 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 597, 598 ff. 38 39

§ 6 Die Parteien des Tarifvertrags

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scheiden. Der Schiedsspruch45 klärt die Frage der Tarifzuständigkeit auch für den sozialen Gegenspieler und die staatlichen Gerichte verbindlich46. Solange das Schiedsverfahren nicht durchgeführt ist, bleibt es bei der Alleinzuständigkeit derjenigen Gewerkschaft, die vor Entstehen der Konkurrenzsituation als zuständig angesehen worden war47. Anders liegen die Dinge, wenn für denselben Betrieb neben einer DGB-Gewerkschaft eine nicht dem DGB angehörige Gewerkschaft zuständig ist und beide die Zuständigkeit zum Abschluß eines Organisationstarifvertrags beanspruchen. In diesem Fall bleibt es bei der Doppelzuständigkeit. Sie kann weder durch Schiedsspruch noch durch Einigung zwischen den Gewerkschaften48 beseitigt werden. Zur Vermeidung von Tarifkonkurrenzen dürfte es zwar regelmäßig für beide Gewerkschaften ratsam sein, gemeinsam einen einheitlichen Tarifvertrag mit dem Arbeitgeber abschließen. Rechtlich zwingend ist das jedoch nicht; denn die mögliche Entstehung von Tarifkonkurrenzen ist für die Frage der Tarifzuständigkeit ohne Bedeutung49. Entgegen einer vereinzelt im Schrifttum50 vertretenen Auffassung setzt die Befugnis zum Abschluß eines Organisationstarifvertrags nicht voraus, daß die tarifschließende Gewerkschaft in den vom Geltungsbereich des Tarifvertrags erfaßten Betrieben durch Mitglieder vertreten ist. Weder das Tarifvertragsgesetz noch das Betriebsverfassungsgesetz kennen eine derartige Einschränkung der Tarifmacht51. Sie wäre auch evident systemwidrig: Wenn die Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen im Betrieb nach § 3 Abs. 2 TVG keine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft voraussetzt, kann auch deren Tarifzuständigkeit nicht davon abhängen, ob sie im Betrieb durch Mitglieder vertreten ist. Aus § 2 Abs. 1 BetrVG, wonach Arbeitgeber und Betriebsrat unter Beachtung der geltenden (!) Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften zusammenarbeiten, läßt sich nichts anderes entnehmen52. Die Vorschrift richtetet sich an die Betriebsparteien, nicht an die Tarifpartner. Sie gibt daher für die Frage der Tarifzuständigkeit nichts her. 45 Nach BAG AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit hat auch die Einigung der Gewerkschaften im Rahmen des Schiedsverfahrens die Wirkung eines Schiedsspruchs. 46 BAG AP Nr. 14 zu § 2 TVG; BAG AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 533; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 2 Rn. 87; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 70; Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 159 f.; a.A. Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 99 f. 47 BAG AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 48 Vgl. auch BAG AP Nr. 5 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 49 Vgl. BAG AP Nr. 4, 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; a.A. Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 16. 50 Eich in: FS Weinspach, S. 17, 22; ders., EuroAS 2003, 12, 15; Richardi, NZA 2001, 346, 350, hält die Frage für „offen“; anders aber ders., in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 57: „( . . . ) unerheblich, ob die Arbeitnehmer der tarifschließenden Gewerkschaft angehören“. 51 Zutreffend Friese, ZfA 2003, 237, 271; vgl. auch Thüsing, ZIP 2003, 693, 697. 52 So aber Eich in: FS Weinspach, S. 17, 22. 53 Vgl. oben § 6 II. 1., 2.

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

§ 7 Die Auflösung von Tarifkollisionen Da sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite jeweils mehrere Parteien zum Abschluß eines Tarifvertrags für denselben Betrieb, dasselbe Unternehmen oder denselben Konzern zuständig sein können53, ist es nicht ausgeschlossen, daß verschiedene Tarifverträge miteinander kollidieren. Solche Kollisionen müssen aufgelöst werden.

I. Allgemeine Grundsätze Üblicherweise werden zwei Arten von Tarifkollisionen unterschieden: die Tarifkonkurrenz und die Tarifpluralität54. Tarifkonkurrenz liegt vor, wenn Rechtsnormen verschiedener, miteinander konkurrierender Tarifverträge Geltung für dasselbe Rechtsverhältnis beanspruchen55. Sie kann tarifautonom oder staatlich veranlaßt sein. Eine tarifautonome Tarifkonkurrenz kann etwa eintreten, wenn ein Verbandstarifvertrag zwischen einem Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft besteht und ein verbandsangehöriger Arbeitgeber mit derselben Gewerkschaft einen Firmentarifvertrag abschließt56. Praktisch häufigster Fall der staatlich veranlaßten Tarifkonkurrenz ist das Zusammentreffen eines Verbands- oder Firmentarifvertrags mit einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag. Tarifpluralität ist gegeben, wenn Rechtsnormen verschiedener Tarifverträge für unterschiedliche Rechtsverhältnisse innerhalb eines Betriebs Geltung beanspruchen57. Sie entsteht etwa dann, wenn ein Arbeitgeberverband Tarifverträge mit zwei Gewerkschaften abgeschlossen hat und ein verbandsangehöriger Arbeitgeber Mitglieder beider Gewerkschaften beschäftigt. Das Bundesarbeitsgericht löst sowohl die Fälle der Tarifkonkurrenz als auch die der Tarifpluralität nach dem Grundsatz der Tarifeinheit: Für dasselbe Arbeitsverhältnis und denselben Betrieb soll immer nur ein Tarifvertrag gelten58. Welcher Tarifvertrag vorgeht, beurteilt das Gericht nach dem Spezialitätsprinzip. Danach soll derjenige Tarifvertrag zur Anwendung kommen, der dem Betrieb räumlich,

Ausführlich Schliemann, Sonderbeilage zu NZA Heft 24 / 2000, 24, 25 f. Vgl. BAG AP Nr. 20, 21 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 753; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 115; Söllner / Waltermann, Grundriss, Rn. 444; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 267; Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 150. 56 Zu den einzelnen Fallgruppen tarifautonomer Tarifkonkurrenz Jacobs, Tarifeinheit, S. 273 ff. 57 Vgl. BAG AP Nr. 19, 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1482; Söllner / Waltermann, Grundriss, Rn. 448; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 274; Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 151. 58 St. Rspr., vgl. zuletzt BAG AP Nr. 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz (mit umfangreichen Nachweisen der Judikatur). 54 55

§ 7 Die Auflösung von Tarifkollisionen

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betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebs und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird59. So genieße etwa der Firmentarifvertrag stets Vorrang vor dem Verbandstarifvertrag, weil er den besonderen betrieblichen Bedürfnissen besser gerecht werden könne als dieser60. Das Schrifttum folgt, soweit es um die Auflösung von Tarifkonkurrenzen geht, im Grundsatz61 nahezu einhellig der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts62. Die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit auch auf die Fälle der Tarifpluralität wird in der Literatur dagegen überwiegend als unzulässige richterliche Rechtsfortbildung abgelehnt63. Tarifnormen, die für unterschiedliche Rechtsverhältnisse innerhalb eines Betriebs Geltung beanspruchen, sollen vielmehr nebeneinander gelten.

II. Tarifkollisionen bei Organisationstarifverträgen Auch bei einem Zusammentreffen mehrerer Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung kann Tarifkonkurrenz oder Tarifpluralität gegeben sein. 1. Tarifkonkurrenz a) Auftreten Nach § 3 Abs. 2 TVG gelten Tarifnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Betriebsverfassungs59 BAG AP Nr. 16, 20, 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG AP Nr. 242 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau. Der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb führt freilich nicht dazu, daß der speziellere Tarifvertrag ohne weiteres auf alle Arbeitsverhältnisse des Betriebs anzuwenden ist. Vielmehr setzt auch die Anwendung des spezielleren Tarifvertrags stets eine entsprechende Tarifbindung, Allgemeinverbindlicherklärung oder arbeitsvertragliche Inbezugnahme voraus, vgl. BAG AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 60 BAG AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 61 Zu den abweichenden Ansichten speziell bei Organisationstarifverträgen sogleich unten, II 2 a). 62 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 754 f.; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, Bd. 2, § 13 Rn. 265 f.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 203 Rn. 57 f.; Söllner / Waltermann, Grundriss, Rn. 446 f.; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 272, 276; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 288 f.; weitere Nachweise bei Jacobs, Tarifeinheit, S. 246 (Fn. 25) und 258 (Fn. 79). 63 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1502; Loritz in: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 37 V 2, S. 422 f.; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 137 f.; Söllner / Waltermann, Grundriss, Rn. 449; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 284; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 277; Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 156 ff.; dem BAG folgend aber etwa Buchner in: 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 631, 633; differenzierend Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 203 Rn. 66; ausführlich zum Problem Jacobs, Tarifeinheit, S. 356 ff.

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

rechtliche Tarifnormen beanspruchen danach Geltung für alle im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers beschäftigten Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf deren Gewerkschaftszugehörigkeit64. Ist der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden, deren Rechtsnormen denselben Betrieb erfassen, liegt („betriebsweite“65) Tarifkonkurrenz vor. Sie ist bei Organisationstarifverträgen in vielerlei Konstellationen denkbar und in ihrer praktischen Bedeutung nicht zu unterschätzen. Es genügt schon, daß ein Arbeitgeber mit zwei Gewerkschaften, die für denselben Betrieb tarifzuständig sind, zwei unterschiedliche Tarifverträge abschließt. Betriebsund unternehmensübergreifende Organisationstarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG sind besonders anfällig für Tarifkonkurrenz, weil diese bereits dann eintritt, wenn auch nur ein von einem Tarifvertrag erfaßter Betrieb durch einen anderen Tarifvertrag einer anderen Organisationseinheit zugeordnet wird66. So kann etwa ein Arbeitgeber, der in einem Firmentarifvertrag mit der zuständigen Gewerkschaft eine Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG vereinbart hat, später in einen – möglicherweise von seinem Arbeitgeberverband mit einer anderen Gewerkschaft abgeschlossenen – Organisationstarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 BetrVG einbezogen werden, der eine andere Zuordnung einzelner Betriebe vorsieht. Ebenso ist es denkbar, daß ein an einem unternehmensübergreifenden Organisationstarifvertrag beteiligter Arbeitgeber seine Meinung ändert und sich mit einer anderen Gewerkschaft auf abweichende Organisationsstrukturen für sein Unternehmen einigt67. Die Liste möglicher Fälle von Tarifkonkurrenz namentlich im Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG ließe sich nahezu beliebig verlängern. Der Gesetzgeber hat das Problem, obwohl durch warnende Hinweise aus dem Schrifttum68 frühzeitig darauf aufmerksam gemacht, bei der Novellierung von § 3 BetrVG nicht berücksichtigt, geschweige denn gelöst. Auch in den Gesetzesmaterialien finden sich dazu keinerlei Hinweise.

b) Lösungsvorschläge in der Literatur In der Literatur zeichnet sich bislang kein Konsens bei der Lösung des Problems ab. Einigkeit besteht lediglich darin, daß mehrere konkurrierende Organisationstarifverträge nicht nebeneinander zur Anwendung kommen können, sondern (auch) insoweit der Grundsatz der Tarifeinheit gelten muß. Die entscheidende Frage, ob Vgl. oben § 1 I. So treffend Jacobs, Tarifeinheit, S. 248, 306 f. 66 Vgl. Giesen, BB 2002, 1480, 1483 f.; Thüsing, ZIP 2003, 693, 699; auch Däubler, AuR 2001, 1, 3, weist darauf hin, daß das Problem der Tarifkonkurrenz im Rahmen von § 3 BetrVG „sehr oft praktische Bedeutung gewinnen könnte“. 67 Vgl. Thüsing, ZIP 2003, 693, 699; weiteres Beispiel bei Giesen, BB 2002, 1480, 1484. 68 Vgl. etwa Däubler, AuR 2001, 1, 3; Konzen, RdA 2001, 76, 86; Richardi / Annuß, DB 2001, 41, 42. 64 65

§ 7 Die Auflösung von Tarifkollisionen

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und nach welchen Kriterien der Anwendungsvorrang eines Tarifvertrags gegenüber einem konkurrierenden bestimmt werden kann, wird hingegen unterschiedlich beantwortet. Teilweise wird die Auffassung vertreten, (auch) eine Kollision von Organisationstarifverträgen sei nach den allgemeinen Regeln der Tarifkonkurrenz, also unter Anwendung des Spezialitätsprinzips69, aufzulösen70. Die Vertreter dieser Ansicht beschränken sich allerdings zumeist71 auf einen entsprechenden Hinweis ohne darzulegen, wie anhand der allgemeinen Spezialitätskriterien der räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Nähe der Vorrang eines Organisationstarifvertrags gegenüber einem anderen ermittelt werden soll. Unklar bleibt, ob und inwieweit auch bei betriebs- und unternehmensübergreifenden Tarifverträgen nach § 3 Abs. 1 BetrVG auf die Erfordernisse und Eigenarten des Betriebs abgestellt werden kann. Der bloße Verweis auf die allgemeinen Regeln der Tarifkonkurrenz und die klassische Spezialitätsformel führt daher nicht viel weiter. Andere Stimmen im Schrifttum wollen zur Auflösung einer Konkurrenz von Organisationstarifverträgen anstelle des Spezialitätsprinzips das Mehrheitsprinzip heranziehen. Vorrang soll der Tarifvertrag genießen, der von der Gewerkschaft mit der größten Mitgliederzahl abgeschlossen wurde72. Umstritten ist dabei allerdings der Bezugspunkt: Teilweise wird auf die Mitgliederzahl „im Betrieb“ abgestellt73, wobei unklar bleibt, auf welchen Betrieb es bei betriebsübergreifenden Regelungen ankommen soll74. Nach anderer Auffassung soll jedenfalls bei Tarifverträgen nach § 3 Abs 1 Nr. 1 bis 4 BetrVG, die „zwangsläufig auf eine überbetriebliche Regelung angelegt“ seien, die Mitgliederzahl im Unternehmen den Ausschlag Vgl. oben § 7 I. Eisemann in: ErfK (5. Aufl.), BetrVG, § 3 Rn. 2 (wohl a.A. ohne ausdrückliche Aufgabe seiner bisherigen Ansicht jetzt ders. in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 2); Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 25; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 3 Rn. 21; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 216 Rn. 7, § 203 Rn. 55 ff.; Thüsing, ZIP 2003, 693, 699; allgemein für betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 537; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 753, 755; vgl. auch Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 297. 71 Vgl. aber Thüsing, ZIP 2003, 693, 699 f. 72 Däubler, AuR 2001, 1, 3; ders., AuR 2001, 285; 288; Friese, ZfA 2003, 237, 277 f.; Heinkel, Organisationseinheit, S. 228; Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2500; Löwisch / Rieble in: MünchArbR, § 276 Rn. 29; dies., TVG, § 4 Rn. 151; Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 42; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, § 3 Rn. 157; zumindest ergänzend zum Spezialitätsprinzip auch Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 180 f. 73 So Löwisch / Rieble in: MünchArbR, § 276 Rn. 29; dies., TVG, § 4 Rn. 151; WendelingSchröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 186. 74 Vgl. aber auch Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 42, der – allerdings ohne Begründung – fordert, daß die Gewerkschaft des vorrangigen Tarifvertrags über „die Mehrheit in jedem einzelnen Betrieb“ verfügen müsse. Andernfalls setze sich kein Tarifvertrag durch und die Regelung der Betriebsstruktur scheitere. 69 70

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

geben75. Bei „zwangsläufig unternehmensübergreifenden“ Organisationsregelungen innerhalb eines Konzerns wird zum Teil auch die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Konzern herangezogen76. Nach wieder anderer Ansicht soll die Mitgliederzahl im Geltungsbereich des Tarifvertrags maßgeblich sein77. Schließlich findet sich die Aussage, im Konkurrenzfall setze sich der Tarifvertrag mit der Gewerkschaft durch, „die die größere Mitgliederzahl im Deckungsbereich des Tarifvertrages hat“78. Im Zusammenhang mit Organisationstarifverträgen nach § 3 Abs. 1 BetrVG wird als Instrument zur Lösung von Tarifkonkurrenzen neuerdings79 auch wieder das Prioritätsprinzip empfohlen80, allerdings in einer besonderen Variante. Danach soll ein Arbeitgeber oder eine Gewerkschaft den Eintritt in Verhandlungen über einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 BetrVG zunächst im Betrieb bekannt geben müssen. Falls daraufhin eine weitere dort vertretene tarifzuständige Gewerkschaft ebenfalls ihre Zuständigkeit geltend mache, könne ein Tarifvertrag nur unter ihrer Einbeziehung geschlossen werden. Reklamiere hingegen keine andere Gewerkschaft ihre Zuständigkeit, könne der Tarifvertrag mit der ersten Gewerkschaft geschlossen werden. Ein späterer abweichender Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft sei dann nicht mehr möglich. Insoweit gelte bis zum Ablauf der regelmäßigen Amtszeit des Betriebsrats das Prioritätsprinzip. Ein gleichwohl abgeschlossener anderweitiger Tarifvertrag sei unwirksam81. Im Ergebnis noch einen Schritt weiter geht Annuß82, der im Fall mehrerer konkurrierender Tarifregelungen überhaupt keine gelten lassen will83. Eine Auflösung der Tarifkonkurrenz nach dem Spezialitäts-, Mehrheits- oder Prioritätsprinzip lehnt 75 So Friese, ZfA 2003, 237, 278; Heinkel, Organisationseinheit, S. 227; vgl. auch Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2500. 76 So Heinkel, Organisationseinheit, S. 227 f.; vgl. auch Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2500; ablehnend Friese, ZfA 2003, 237, 279, Fn. 191, freilich ohne Nennung einer Alternative. 77 So Däubler, AuR 2001, 285, 288; Plander, NZA 2002, 483, 486; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, § 3 Rn. 157. 78 So Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 14; die Formulierung „im Deckungsbereich des Tarifvertrags“ gibt Rätsel auf. Möglicherweise handelt es sich lediglich um einen Schreibfehler, und mit „Deckungsbereich“ ist „Geltungsbereich“ gemeint (dafür spricht die Verweisung auf Däubler, AuR 2001, 285, 288, der diese Ansicht vertritt). Ein anderer Sinn ergäbe sich hingegen, verstünde man „im Deckungsbereich“ einschränkend so, daß nicht die Mitgliederzahl im gesamten Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrags entscheidend sein soll, sondern nur die im „Überschneidungsgebiet“, also dort, wo sich die Geltungsbereiche der konkurrierenden Tarifverträge „decken“. 79 Vgl. zu § 20 BetrVG 1952 schon Dietz, BetrVG, § 20 Rn. 42, § 47 Rn. 26, § 49 Rn. 11. 80 Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 16. 81 So der Lösungsvorschlag von Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 16; ihm folgend nunmehr auch Kraft / Franzen, GK-BetrVG, § 3 Rn. 34. 82 NZA 2002, 290, 293. 83 Im Ergebnis ähnlich Eich in: FS Weinspach, S. 17, 23; ders., EuroAS 2003, 12, 16.

§ 7 Die Auflösung von Tarifkollisionen

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Annuß ab: Keiner dieser Lösungsansätze vermöge die Bevorzugung eines bestimmten Tarifvertrags gegenüber einem anderen überzeugend zu begründen, da sie sämtlich auf dogmatisch nicht ableitbare Entscheidungsparameter zurückgriffen. Die Entscheidung über den Vorrang eines Tarifvertrags gegenüber einem anderen könne nur der Gesetzgeber treffen, was er in § 3 Abs. 2 TVG aber nicht getan habe. In Anbetracht dessen sei bei einer Konkurrenz zwischen Tarifverträgen verschiedener Tarifparteien im Bereich betriebsverfassungsrechtlicher Normen von der Unwirksamkeit sämtlicher einander widersprechender Regelungen auszugehen.

c) Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag Annuß84 weist zutreffend auf das generelle Problem hin, daß eine gesetzliche Regelung zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen nicht existiert85. Weder das Spezialitätsprinzip noch das Mehrheits- oder das Prioritätsprinzip sind im Tarifvertragsgesetz oder anderen Vorschriften explizit normiert oder haben in sonstiger Form als allgemeine tarifrechtliche Grundsätze positiv-rechtliche Anerkennung durch den Gesetzgeber erfahren. Insoweit lassen sich gegen die dogmatische Begründung sämtlicher von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Lösungen des Konkurrenzproblems grundsätzliche Bedenken erheben. Das trifft freilich auch und erst Recht für die von Annuß vorgeschlagene Lösung zu. Für die von ihm propagierte Unwirksamkeit sämtlicher Tarifverträge im Fall ihrer Konkurrenz findet sich weder im Tarifvertrags- noch im Betriebsverfassungsgesetz ein Anhaltspunkt. Das Tarifvertragsgesetz spricht vielmehr jedem wirksam zustande gekommenen Tarifvertrag grundsätzlich volle Geltung zu86. Dieser Grundsatz kann und muß zwar bei Zusammentreffen mehrerer miteinander unvereinbarer Tarifregelungen notwendigerweise Einschränkungen erfahren. Auch in solchen Konkurrenzfällen muß es aber, der gesetzlichen Intention entsprechend, stets darum gehen, die Geltung jedes Tarifvertrags soweit wie möglich zu erhalten. Die pauschale Annahme der Unwirksamkeit sämtlicher konkurrierender Regelungen schließt eine insoweit gebotene differenzierende Lösung aus. Sie hätte zudem die fragwürdige Konsequenz, daß bei Bestehen eines Tarifvertrags ein weiterer nur noch zum Zweck der Vernichtung des bereits bestehenden geschlossen werden könnte. Eine derartige reine „Vernichtungskompetenz“ der Tarifvertragsparteien wäre nicht nur wenig sachdienlich, sondern auch mit den grundlegenden Zielen und Prinzipien des Tarifrechts schwerlich in Einklang zu bringen87. Der Ansicht von Annuß kann daher nicht gefolgt werden. NZA 2002, 290, 293. Die in verschiedenen Entwürfen für ein Tarifvertragsgesetz vorgesehenen Regelungen zur Tarifkonkurrenz sind in das TVG vom 9. 4. 1949 nicht übernommen worden. Näher dazu Jacobs, Tarifeinheit, S. 64 ff. 86 Vgl. Friese, ZfA 2003, 237, 272. 87 Vgl. Thüsing, ZIP 2003, 693, 700; ablehnend auch Friese, ZfA 2003, 237, 275 und Giesen, BB 2002, 1480, 1484, beide mit dem Hinweis, bei Unwirksamkeit sämtlicher Regelungen werde die Entscheidung über die Tarifgeltung praktisch dem Arbeitgeber überlassen. 84 85

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

Ungeeignet zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen ist auch das Prioritätsprinzip. Die Bestimmung des Anwendungsvorrangs eines Tarifvertrags nach der Devise „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ würde letztlich zu reinen Zufallsergebnissen führen88. Sie wäre zudem tarifpolitisch fragwürdig, weil durch bestehende, langfristige Regelungen eine dynamische Tarifentwicklung blockiert würde89. Diese grundlegenden Einwände werden auch durch das bei Fitting90 vorgeschlagene „Vorverfahren“ nicht ausgeräumt, ganz abgesehen davon, daß eine Pflicht der Tarifparteien zur Bekanntgabe der Verhandlungsaufnahme und eine Obliegenheit konkurrierender Gewerkschaften zur Reklamation ihrer Tarifzuständigkeit rechtlich kaum begründbar ist. Auf den ersten Blick näher liegt eine Lösung des Konkurrenzproblems nach dem Mehrheitsprinzip, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen scheint das „Prinzip der größten Zahl“91 als Ausdruck des „Vorrang(s) stärkerer mitgliedschaftlicher Legitimation“92 auf tarifrechtlich zumindest einigermaßen tragfähiger Grundlage zu stehen; zum anderen verspricht die Anknüpfung an das „formale Kriterium“ der Mitgliederzahl eine unproblematische Handhabung und damit Rechtssicherheit für die Praxis93. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß beide Erwägungen eine Konkurrenzlösung nach dem Mehrheitsprinzip bei Tarifverträgen zur Organisation der Betriebsverfassung nicht tragen. Betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen gelten nach § 3 Abs. 2 TVG im Betrieb unabhängig von einer mitgliedschaftlichen Legitimation durch die Arbeitnehmer94. Ist die Gewerkschaftsmitgliedschaft aber keine Voraussetzung für die Tarifnormgeltung, kann sie auch nicht über den Geltungsvorrang von Tarifnormen im Fall der Konkurrenz entscheiden. Anders gewendet: Wenn die Geltung einer Tarifnorm allein von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängt, kann es bei einem (Geltungs-)Konflikt mehrerer Tarifnormen nicht auf die Tarifbindung der Arbeitnehmer ankommen95. Das zeigt sich besonders anschaulich im Fall der Konkurrenz mehrerer Organisationstarifverträge in einem Betrieb oder Unternehmen, in dem überhaupt kein Arbeitnehmer Mitglied einer der tarifschließenden Gewerkschaften ist. Hier scheidet nicht nur die Anwendung des Mehrheitsprinzips offensichtlich aus; es wird auch deutlich, daß eine Anknüp88 In diesem Sinne schon Nikisch, Arbeitsrecht II, § 86 III 6, S. 487; ebenso Friese, ZfA 2003, 237, 272, Fn. 160. 89 Jacobs, Tarifeinheit, S. 262. 90 BetrVG, § 3 Rn. 16. 91 So Rieble, RWS-Forum Arbeitsrecht 2001, S. 25, 42; Thüsing, ZIP 2003, 693, 699. 92 So Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 151. 93 Vgl. Heinkel, Organisationseinheit, S. 225: „Die Ermittlung des vorrangigen Tarifvertrages anhand der Anzahl mitgliedschaftlich organisierter Arbeitnehmer gibt allen Beteiligten Rechtssicherheit“. 94 Vgl. oben § 1 I.; zum Erfordernis rechtsstaatlich-demokratischer Legitimation vgl. oben § 2 III. 3. b). 95 Insoweit zutreffend Annuß, NZA 2002, 290, 293; vgl. auch Thüsing, ZIP 2003, 693, 699.

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fung an die Gewerkschaftsmitgliedschaft zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen bei betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen grundsätzlich dogmatisch verfehlt ist96. Ferner versagt das „Prinzip der größten Zahl“ eo ipso, wenn die an den konkurrierenden Tarifverträgen beteiligten Gewerkschaften in dem bei der Zählung zugrunde gelegten Einzugsbereich97 gleich viele Mitglieder haben. Auch das Problem der Konkurrenz mehrerer Tarifverträge mit derselben Gewerkschaft, das etwa bei Zusammentreffen von Verbands- und Firmentarifvertrag häufig auftritt, läßt sich mit Hilfe des Mehrheitsprinzips nicht lösen. Dort, wo die Anwendung des Mehrheitsprinzips theoretisch zumindest Ergebnisse liefern könnte, erweist sie sich als dazu praktisch ungeeignet. Schon die Bestimmung des richtigen Bezugspunkts für die Ermittlung der Mitgliederzahl – Betrieb(e), Unternehmen, Konzern, Geltungs- oder „Deckungsbereich“ des Tarifvertrags? – wäre, wie die Vielfalt der dazu im Schrifttum geäußerten Ansichten98 bereits erahnen läßt, kaum rechtssicher zu bewältigen. Selbst wenn sie gelänge, bliebe die nicht minder problematische Aufgabe, die Mitgliederzahl verläßlich festzustellen. Die Arbeitgeberseite wird dazu aus eigener Kenntnis in aller Regel nicht in der Lage sein. Eine Pflicht der Arbeitnehmer zur Offenbarung der Gewerkschaftsmitgliedschaft ist weder rechtlich begründbar noch tatsächlich durchsetzbar99. Und die an den konkurrierenden Tarifverträgen beteiligten Gewerkschaften, die über die Anzahl ihrer Mitglieder zuverlässig Auskunft geben könnten, dürften dazu regelmäßig nur bereit sein, wenn sie sich „ihrer“ Mehrheit gewiß sein können. Daß eine Gewerkschaft, die eine Auskunft über die Zahl ihrer Mitglieder verweigert, dazu rechtlich gezwungen werden kann, ist im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG mehr als zweifelhaft100. Darüber hinaus gilt es gerade unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit zu bedenken, daß die Mitgliederzahl zwar ein „formales“, aber keineswegs statisches Kriterium ist. Jede Änderung der Mehrheitsverhältnisse in der Arbeitnehmerschaft müßte zwangsläufig auch zu einer anderen Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses der Tarifverträge führen, was bei knappen Mehrheitsverhältnissen unter Umständen einen ständigen Wechsel des anzuwendenden Tarifvertrags zur Folge hätte. Das würde gerade bei betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsregelungen, die auf langfristige Geltung angelegt sind, praktisch kaum überwindbare Schwierigkeiten aufwerfen. Diese Schwierigkeiten werden nur scheinbar dadurch vermieden, daß man das Mehrheitsprinzip um eine zeitliche Komponente ergänzt und allein auf die Mitglie96 A.A. Heinkel, Organisationseinheit, S. 225, der meint, das quantitative Element der Mitgliederzahl erlaube „einen Rückschluß auf die ,Stärke‘ der Normsetzungskompetenz ( . . . ) insoweit, als einiges dafür spricht, daß sich die Arbeitnehmer bei der Gewerkschaft organisieren, die für ihre Arbeitsverhältnisse die größere Sachkompetenz besitzt“. 97 Zu möglichen Bezugspunkten für die Ermittlung der Mitgliederzahl vgl. oben § 7 II. 1. b). 98 Vgl. oben § 7 II. 1. b). 99 Vgl. BAG AP Nr. 16, 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 100 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1492, weist ferner zu Recht darauf hin, daß die Anwendung des Mehrheitsprinzips Minderheitsgewerkschaften faktisch von der Regelung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen ausschließt.

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

derzahl „bei Abschluß des Tarifvertrags“101 abstellt. Denn es müßten die Abschlußzeitpunkte aller konkurrierenden Tarifverträge zugrunde gelegt werden102, und auch dazwischen können sich die Mehrheitsverhältnisse ändern. Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten: Eine Bestimmung des Verhältnisses konkurrierender Organisationstarifverträge nach dem Mehrheitsprinzip ist weder rechtlich begründbar noch praktikabel und deshalb abzulehnen. Auch gegen die Heranziehung des Spezialitätsprinzips zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen lassen sich dogmatische und praktische Bedenken erheben. In dogmatischer Hinsicht läßt sich einwenden, daß das Spezialitätsprinzip seinem Ursprung nach eine Auslegungsregel zur Bestimmung des Verhältnisses von Regelungen desselben Normgebers ist, was auf Tarifnormen verschiedener Tarifvertragsparteien nicht zutrifft103. In praktischer Hinsicht erscheint bedenklich, daß die klassischen Spezialitätskriterien der räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Nähe nicht auf konkurrierende Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung zugeschnitten sind104. Diese Bedenken greifen jedoch nicht durch, wenn man bei der dogmatischen Begründung des Spezialitätsprinzips und seiner Anwendung die Besonderheiten von Organisationstarifverträgen berücksichtigt. Dabei ist zunächst zu beachten, daß es bei der Auflösung von Tarifkonkurrenzen nicht darum geht, das Spezialitätsprinzip als Auslegungsregel zur Beantwortung der Frage heranzuziehen, in welchen Gesamtzusammenhang ein Normgeber verschiedene Regelungen seines Normwerks gesetzt hat105. Eine solche Analogie zur Gesetzeskonkurrenz (lex specialis derogat legi generali) käme in der Tat nur bei Identität des Normgebers in Betracht106, die bei Konkurrenz von Tarifverträgen verschiedener Parteien nicht vorliegt. Bei der Auflösung von Tarifkonkurrenzen fungiert das Spezialitätsprinzip vielmehr als Ordnungsgrundsatz, welcher über den Vorrang der sachnäheren vor der sachferneren Regelung entscheidet; es geht darum, der tarifvertraglichen Regelung Geltungsvorrang einzuräumen, die aufgrund ihrer Sachnähe den Erfordernissen des Betriebs und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird107. In dieser Funktion ist die Heranziehung des Spezialitätsprinzips Vgl. Plander, NZA 2002, 483, 486. Die Berücksichtigung lediglich eines Tarifvertrags, etwa des zeitlich ersten oder letzten, ließe sich nur begründen, wenn man neben dem Mehrheitsprinzip zusätzlich noch das Prioriäts- oder Posterioritätsprinzip heranzöge. Das wird allerdings – soweit ersichtlich – bislang nicht vertreten. 103 Vgl. Annuß, NZA 2002, 290, 293; Jacobs, Tarifeinheit, S. 260 f.; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 142. 104 Vgl. Friese, ZfA 2003, 237, 273; Heinkel, Organisationseinheit, S. 223. 105 So aber offenbar Jacobs, Tarifeinheit, S. 260 f. und Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 142, die aus diesem Grund das Spezialitätsprinzip bei Tarifkonkurrenzen generell für unanwendbar halten. 106 Näher zum Spezialitätsprinzip als Auslegungsregel bei Gesetzeskonkurrenz Larenz, Methodenlehre, S. 267 f. 101 102

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als Konkurrenzregel durchaus dogmatisch begründbar. Dabei mag dahingestellt bleiben, ob ein Grundsatz des Vorrangs der sachnäheren Regelung als allgemeines tarifrechtliches Prinzip anzuerkennen ist. Für das Verhältnis konkurrierender Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung läßt sich ein solcher Grundsatz jedenfalls aus dem Betriebsverfassungsgesetz ableiten: Die den Tarifpartnern zustehenden Befugnisse zur Organisation der Betriebsverfassung dienen der Schaffung möglichst sachnaher Regelungen. Soweit sie im Betriebsverfassungsgesetz normiert sind108, entspricht das nicht nur der erklärten Zielsetzung des Gesetzgebers109, sondern hat auch im Gesetzestext an zahlreichen Stellen Niederschlag gefunden. Bei Organisationsregelungen nach § 3 Abs. 1 BetrVG kommt das Erfordernis der Sachnähe besonders deutlich in den gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen zum Ausdruck110. Bei den übrigen Öffnungsklauseln ergibt es sich klar aus dem Regelungszusammenhang und dem Gesetzeszweck. Ist die Sachnähe danach unabdingbare Voraussetzung jeder einzelnen tarifvertraglichen Organisationsregelung, so folgt daraus zwingend, daß bei Zusammentreffen mehrerer Regelungen, von denen nur eine gelten kann, die sachnähere den Vorrang haben muß. Für Organisationsregelungen außerhalb des Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes111 kann dieser Grundsatz zwar nicht unmittelbar daraus abgeleitet, mangels anderweitiger Regelung des Konkurrenzproblems aber zumindest entsprechend herangezogen werden. Bei der Anwendung des Spezialitätsprinzips kann grundsätzlich auch im Fall konkurrierender Organisationstarifverträge an einer betriebsbezogenen Ermittlung der Sachnähe festgehalten werden. Vorrang ist dem Tarifvertrag einzuräumen, der den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebs und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird112. Es ist also zu prüfen, welcher der konkurrierenden Tarifverträge für den von ihren Geltungsbereichen übereinstimmend umfaßten Betrieb die sachnähere Regelung darstellt. Konkurrieren beispielsweise in einem Unternehmen mit drei Betrieben A, B und C zwei Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG, von denen einer die Zusammenfassung der Betriebe A und B und der andere die Zusammenfassung der Betriebe B und C vorsieht, so ist zu fragen, ob für Betrieb B und die dort beschäftigen Arbeitnehmer die Zusammenlegung mit Betrieb A oder mit Betrieb C sachgerechter ist113. Stimmen die Geltungsbereiche der konkurrierenden Tarifverträge für mehrere Betrie107 Vgl. BAG AP Nr. 16, 20, 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 755; Thüsing, ZIP 2003, 693, 699. 108 Vgl. oben § 1 II. 109 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 25 f., 27, 33 f. 110 Vgl. nur § 3 Abs. 1 Nr. 1 („sachgerechte Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer“), Nr. 2 („sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats“), Nr. 3 („wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer“) BetrVG. 111 Vgl. oben § 5. 112 Vgl. oben § 7 I. 113 Zu den Kriterien für die Ermittlung der Sachnähe sogleich.

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be überein, muß für alle erfaßten Betriebe eine Prüfung der Sachnähe erfolgen. Auf diese Weise läßt sich auch der – freilich eher theoretische – Fall einer Konkurrenz mehrerer Organisationstarifverträge mit unternehmensübergreifend dekkungsgleichen Geltungsbereichen sachgerecht bewältigen. Schwierigkeiten kann die betriebsbezogene Anwendung des Spezialitätsprinzips allerdings bereiten, wenn die sich überschneidenden Geltungsbereiche der konkurrierenden Tarifverträge einen Betrieb nicht vollständig erfassen. Das ist namentlich bei Tarifverträgen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG möglich, weil die in diesen Vorschriften vorgesehenen Regelungen keine Anknüpfung an den Betrieb voraussetzen114. So kann zum Beispiel ein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, der die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung eines Betriebs zu einer Unternehmensoder Konzernsparte vorsieht, mit einem Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kollidieren, der (lediglich) einen Teil dieses Betriebs in eine unternehmensübergreifende „andere Arbeitnehmervertretungsstruktur“ einbezieht. Von den Geltungsbereichen beider Tarifverträge ist dann nicht der (ganze) Betrieb, sondern nur der betreffende Betriebsteil erfaßt. In solchen Fällen kann allein der Betriebsteil Bezugspunkt für die Spezialitätsprüfung sein, weil nur insoweit Tarifkonkurrenz vorliegt. Das Konkurrenzverhältnis ist mithin zugunsten desjenigen Tarifvertrags aufzulösen, der die für den Betriebsteil sachgerechtere Regelung enthält. Welche Regelung im konkreten Fall die sachnähere ist, beurteilt sich entsprechend der rechtlichen Herleitung des Sachnähegrundsatzes nach betriebsverfassungsrechtlichen Kriterien. Soweit es um Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 BetrVG geht, ist dabei – abhängig vom Regelungsgegenstand – in erster Linie auf die dort normierten Gesichtspunkte der Erleichterung der Betriebsratsbildung, der sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer und der Aufgaben der Betriebsräte sowie einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer abzustellen. Ergänzend und für sonstige Organisationsregelungen können weitere in den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes zum Ausdruck kommende Organisationsgrundsätze herangezogen werden, namentlich die Gesichtspunkte einer entscheidungsträgernahen Installation der Repräsentationsorgane, der räumlichen Nähe zwischen Repräsentationsorgan und Belegschaft, einer möglichst umfassenden Belegschaftsrepräsentation, einer klaren Funktionsabgrenzung zwischen verschiedenen Repräsentationsorganen, der Kontinuität der Betriebsratsarbeit und einer effektiven Ausübung der Beteiligungsrechte durch Freistellung und Spezialisierung115. Die für und gegen die größere Sachnähe der konkurrierenden Regelungen streitenden Aspekte sind entsprechend ihrer Bedeutung zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Das mag im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten116, die aber im Interesse einer dogmatisch abgesicherten und im Er114 Vgl. oben § 3 II. 2. a) und § 3 III. 2. Bei Tarifverträgen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG kann das Problem hingegen nicht auftreten, weil dort die Anknüpfung an den Betrieb tatbestandlich vorausgesetzt ist, vgl. oben § 3 I. 2. a). 115 Zur gesetzlichen Herleitung der einzelnen Gesichtspunkte vgl. oben § 3 II. 2. c).

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gebnis sachgerechten Auflösung der Tarifkonkurrenz hinzunehmen sind. Ist in der Frage des vorrangig anzuwendenden Tarifvertrags zwischen den Beteiligten keine Einigung zu erzielen, kann und muß gegebenenfalls eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden117. 2. Tarifpluralität a) Auftreten Soweit betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen nach § 3 Abs. 2 TVG betriebseinheitlich gelten, kann es keine Tarifpluralität geben, weil nicht verschiedene, sondern stets alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfaßt werden118. Möglich ist sie aber dort, wo die gesetzliche Geltungsanordnung des § 3 Abs. 2 TVG infolge verfassungskonformer Reduktion nicht eingreift119. Das betrifft namentlich Vereinbarungen nach § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG sowie Tarifverträge, die allein auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 TVG geschlossen werden120. Deren Rechtsnormen gelten nach der hier vertretenen Auffassung entsprechend § 4 Abs. 1 TVG nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen. Beanspruchen Rechtsnormen mehrerer solcher Organisationstarifverträge Geltung für verschiedene in einem Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer, ist Tarifpluralität gegeben. Denkbar ist zum Beispiel, daß für den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens die Errichtung einer betriebsverfassungsrechtlichen Vertretung für Flugbegleiter nach § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG121 sowohl in einem mit ver.di als auch in einem mit der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO) abgeschlossenen Tarifvertrag geregelt wird. Ebenso kann Tarifpluralität eintreten, wenn mehrere mit verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossene Tarifverträge nach § 1 Abs. 1 TVG die Errichtung einer Betriebsvertretung für denselben Kleinbetrieb vorsehen122. 116 Auch Thüsing, ZIP 2003, 693, 700, weist mit Blick auf Vereinbarungen nach § 3 Abs. 1 BetrVG zu Recht auf die Schwierigkeit hin, „unter diesen allesamt sachnahen Tarifverträgen den sachnäheren zu finden“. 117 Für die Tarifpraxis kann es im Interesse der Streitvermeidung empfehlenswert sein, in potentiell problematischen Konstellationen durch Selbstbeschränkungsklauseln (dazu allgemein Schliemann, Sonderbeilage zu NZA Heft 24 / 2000, S. 24, 26; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 280) die Entstehung einer Tarifkonkurrenz auszuschließen. So könnte etwa im obigen Beispielsfall der Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG vorsehen, daß die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung des Betriebs zur Sparte keine Betriebsteile erfaßt, die von einem anderen Tarifvertrag einer anderen Organisationseinheit zugeordnet werden. 118 Jacobs, Tarifeinheit, S. 248, 306; Kempen in: FS Schaub, S. 357, 370; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 157; vgl. auch Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 58. 119 Vgl. dazu oben § 2 III. 3. b) cc). 120 Vgl. zu den insoweit bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten oben § 4 VI. und § 5. 121 Zu dieser Gestaltungsmöglichkeit vgl. oben § 4 VI. 122 Zur Möglichkeit der Errichtung einer betriebsverfassungsrechtlichen Vertretung für Kleinbetriebe vgl. oben § 5 I.

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

b) Rechtsfolgen Das Bundesarbeitsgericht wendet auch im Fall der Tarifpluralität den Grundsatz der Tarifeinheit an123. Es begründet seine Auffassung mit dem Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit124. Eine Anwendung mehrerer, von verschiedenen Parteien abgeschlossener Tarifverträge in einem Betrieb würde zu kaum lösbaren Schwierigkeiten führen. Die rechtlichen und tatsächlichen Unzuträglichkeiten, die sich aus einem Nebeneinander von Tarifverträgen in einem Betrieb ergäben, könnten nur durch die betriebseinheitliche Anwendung eines Tarifvertrags vermieden werden. Unter mehreren Tarifverträgen sei dem sachnäheren Tarifvertrag der Vorzug zu geben. Dem ist jedenfalls für Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung zuzustimmen. Die parallele Errichtung verschiedener betriebsverfassungsrechtlicher Vertretungen in einem Betrieb nach dem Motto „jeder Gewerkschaft ihre eigene Betriebsverfassung“125 wäre zwar theoretisch denkbar, praktisch aber kaum umzusetzen. Streitigkeiten und Kompetenzgerangel wären vorprogrammiert, eine sinnvolle und effektive Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen nicht möglich. Deshalb muß bei Organisationstarifverträgen auch im Fall der Tarifpluralität der Grundsatz der Tarifeinheit gelten126. Anzuwenden ist der Tarifvertrag, der den Erfordernissen des Betriebs und der dort beschäftigten Arbeitnehmer am besten gerecht wird127.

§ 8 Beginn und Ende der Tarifwirkung Ist ein Tarifvertrag zur Organisation der Betriebsverfassung wirksam geschlossen, muß geklärt werden, von welchem Zeitpunkt an die vereinbarten Organisationsregelungen gelten und wie lange die Tarifwirkung andauert. Davon hängt etwa ab, wann in neu gebildeten Organisationseinheiten nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG erstmals Arbeitnehmervertretungen zu wählen sind und wann deren Amtszeit endet.

Vgl. oben § 7 I. Vgl. BAG AP Nr. 16, 19, 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 125 Plander, NZA 2002, 483, 486. 126 Zur Tarifeinheit im Betrieb gelangt im Ergebnis auch die h.L., die § 3 Abs. 2 TVG uneingeschränkt anwendet und deshalb stets Tarifkonkurrenz annimmt. Auf die umstrittene Frage, ob der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb generell anzuerkennen ist, kommt es daher im vorliegenden Zusammenhang nicht an. 127 Vgl. dazu ausführlich oben § 7 II. 1. c). 123 124

§ 8 Beginn und Ende der Tarifwirkung

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I. Allgemeine Grundsätze Mit seinem wirksamen Abschluß entfaltet der Tarifvertrag schuldrechtliche Wirkungen zwischen den Vertragsparteien. Wann die Wirkung der Rechtsnormen des Tarifvertrags einsetzt, hängt von der Vereinbarung der Parteien ab. Diese können bestimmen, daß die Tarifnormen sofort oder erst zu einem späteren128 Zeitpunkt gelten (wirken; in Kraft treten129). Fehlt eine vertragliche Bestimmung über den Beginn der Tarifnormgeltung, fällt er im Zweifel mit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses zusammen130. Endet der Tarifvertrag, etwa durch Zeitablauf, Kündigung oder einverständliche Aufhebung, erlöschen grundsätzlich131 seine schuldrechtlichen Wirkungen. Die Rechtsnormen des Tarifvertrags gelten hingegen auch nach Ablauf des Tarifvertrags weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (Nachwirkung, § 4 Abs. 5 TVG). Sie wirken nach wie vor unmittelbar, aber nicht mehr zwingend. Dadurch wird verhindert, daß zwischen der Beendigung des Tarifvertrags und dem Abschluß einer neuen Vereinbarung ein tarifloser Zustand eintritt132.

II. Besonderheiten bei Organisationstarifverträgen 1. Beginn der Tarifwirkung Der Beginn der Tarifwirkung bestimmt sich auch bei Tarifnormen zur Organisation der Betriebsverfassung grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln. Maßgeblich ist der im Tarifvertrag festgelegte Zeitpunkt, bei Fehlen einer entsprechenden Vereinbarung der des Vertragsschlusses. Eine Besonderheit sieht § 3 Abs. 4 S. 1 BetrVG für Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG vor. Diese sind in Ermangelung einer anderweitigen tarifvertraglichen Bestimmung „erstmals bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl anzuwenden, es sei denn, es besteht kein Betriebsrat oder es ist aus anderen Gründen eine Neuwahl des Betriebsrates erforderlich“. Damit wird für den Fall des Feh128 Zum Sonderproblem der Vereinbarung rückwirkender Geltung vgl. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 116 ff.; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 236 ff., jeweils m. w. N. 129 Die Terminologie ist uneinheitlich, vgl. etwa Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 203, Rn. 2 f. einerseits und Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 1 andererseits. 130 Näher zum Beginn der Tarifwirkungen Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 759 ff.; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, Bd. 2, § 13 Rn. 81 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht II, § 78 VI 1, S. 377 f.; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 114 f.; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 1, 228 ff. 131 Die Durchführungspflicht bleibt bestehen, solange die Tarifnormen nachwirken. 132 Näher zur Beendigung und Nachwirkung des Tarifvertrags Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1431 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 769 ff., 872 ff.; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, Bd. 2, § 13 Rn. 88 ff.; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 121 ff.

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lens einer vertraglichen Regelung der Beginn der Tarifwirkung gesetzlich festgelegt133. Die Formulierung „sind ( . . . ) erstmals ( . . . ) anzuwenden“ ist zwar nicht ganz eindeutig. Sie muß angesichts des Regelungszusammenhangs aber wohl so verstanden werden, daß der Geltungsbeginn der Tarifnormen und nicht etwa (wie bei einem Stufentarifvertrag134) lediglich der Eintritt ihrer Rechtsfolgen zeitlich hinausgeschoben wird. Diese Unterscheidung kann praktische Bedeutung erlangen, wenn man davon ausgeht, daß vor Geltungsbeginn der Tarifnormen keine Tarifgebundenheit eintritt, auch wenn der Tarifvertrag bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgeschlossen wurde135; denn dann erlaubt es § 3 Abs. 4 S. 1 BetrVG, daß ein Arbeitgeber auch noch nach Abschluß eines (Verbands-)Tarifvertrags der Tarifgebundenheit (und deren Fortbestehen nach § 3 Abs. 3 TVG) entgeht, indem er vor der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl den tarifschließenden Verband verläßt. Die Rechtsfolge des § 3 Abs. 4 S. 1 BetrVG tritt nur ein, wenn der Tarifvertrag „nichts anderes bestimmt“. Es bleibt also den Tarifvertragsparteien vorbehalten, den Beginn der Tarifwirkung autonom festzulegen und durch Bestimmung eines früheren Zeitpunkts auch die Möglichkeit einer „Tarifflucht“ des Arbeitgebers zwischen Vertragsschluß und Geltungsbeginn auszuschließen. Sieht der Tarifvertrag einen anderen Wahlzeitpunkt als den der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl vor, ist allein dieser maßgeblich. Existieren zu diesem Zeitpunkt noch Betriebsräte (sei es auf gesetzlicher, sei es auf kollektivvertraglicher Grundlage), welche durch die Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG entfallen136, so endet deren Amtszeit gemäß § 3 Abs. 4 S. 2 BetrVG mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Auch bei Fehlen einer anderweitigen tarifvertraglichen Regelung greift § 3 Abs. 4 S. 1 BetrVG nicht ein, wenn „kein Betriebsrat (besteht)“ oder „aus anderen Gründen137 eine Neuwahl des Betriebsrates erforderlich“ ist. In diesen Fällen bleibt es nach allgemeinen Grundsätzen dabei, daß die Wirkung der Tarifnormen mit Abschluß des Tarifvertrags beginnt138, die neuen Organisationseinheiten und Arbeitnehmervertretungen also sofort zu bilden sind. Unklar ist die Rechtslage, wenn bei betriebsübergreifenden Organisationsregelungen nicht in allen Betrieben „kein Betriebsrat“ besteht oder nicht überall eine „Neuwahl des Betriebsrates erforderlich“ ist. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit unergiebig, weil er keinen räumlichen Bezugspunkt für die Nichtexistenz eines Betriebsrats und das Erfordernis 133 Der Zeitpunkt der regelmäßigen Betriebsratswahlen bestimmt sich nach § 13 Abs. 1 BetrVG. 134 Vgl. dazu BAG AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 135 So etwa Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 721 f.; Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 74 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 28; a.A. Stein, Tarifvertragsrecht, S. 79, Fn. 44. 136 Vgl. oben § 3 I., II. 1. c) und III. 1. 137 Gemeint sind die in § 13 Abs. 2 BetrVG genannten Gründe, vgl. BegrRegE, BTDrucks. 14 / 5741, S. 35; ebenso Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 143. 138 Vgl. oben § 8 I.

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der Neuwahl enthält. Da auch die Gesetzesbegründung schweigt, kommt es entscheidend auf Normzweck und Gesetzessystematik an. Die Anordnung der erstmaligen Anwendung von Organisationsregelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG zum Zeitpunkt der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl hat erkennbar den Zweck, bestehende Betriebsräte ihr Amt grundsätzlich bis zum Ablauf der Wahlperiode zu Ende führen zu lassen. Dieser Zweck kann allerdings nicht (mehr) erreicht werden, wenn kein Betriebsrat besteht oder er vor Ablauf seiner regulären Amtszeit neu gewählt werden muß. In diesen Fällen soll daher nicht erst der Zeitpunkt der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahlen abgewartet werden müssen, sondern sofort eine neue Vertretung gewählt werden können. Gesetzessystematisch ist § 3 Abs. 4 S. 1 BetrVG als Regel-Ausnahme-Vorschrift konzipiert. Die erstmalige Anwendung der Organisationsregelung bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl stellt den Grundsatz, die sofortige Anwendung die Ausnahme („es sei denn“) dar. Daraus folgt: Erfaßt eine betriebsübergreifende Organisationsregelung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG sowohl Betriebe mit als auch solche ohne Betriebsrat, ist sie entsprechend dem Normzweck und der Regel-Ausnahme-Struktur des § 3 Abs. 4 S. 1 BetrVG grundsätzlich (erst) bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl anzuwenden. Eine frühere Anwendung in betriebsratslosen Betrieben kommt nur in Betracht, wenn und soweit eine teilweise Anwendung nach dem Inhalt der Organisationsregelung möglich ist. Bestimmt beispielsweise ein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats, so ist dieser nach § 3 Abs. 4 S. 1 BetrVG erst bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl zu wählen, wenn auch nur in einem Betrieb des Unternehmens ein Betriebsrat besteht. Denn die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats bezieht stets alle Betriebe des Unternehmens mit ein139; eine teilweise Anwendung der Organisationsregelung nur in den betriebsratslosen Betrieben ist nicht möglich. Sieht dagegen etwa ein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG eine Zusammenfassung der Betriebe A und B einerseits und der Betriebe C und D andererseits vor und besteht nur im Betrieb A ein Betriebsrat, kann die Organisationsregelung zeitlich differenzierend angewendet werden. In den Betrieben A und B kommt sie daher nach § 3 Abs. 4 S. 1 BetrVG erst bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl, in den Betrieben C und D bereits mit Abschluß des Tarifvertrags zur Anwendung.

2. Beendigung des Tarifvertrags und Nachwirkung Besondere gesetzliche Regelungen über die Beendigung von Organisationstarifverträgen bestehen nicht. Wie jeder andere Tarifvertrag kann daher auch ein Organisationstarifvertrag befristet, gekündigt oder aufgehoben werden. Insoweit herrscht Einigkeit. Umstritten ist hingegen, welche Folgen die Beendigung eines Organisationstarifvertrags nach sich zieht. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung 139

Vgl. oben § 3 I. 1. a).

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

steht dabei die Frage, ob Tarifnormen zur Organisation der Betriebsverfassung gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirken.

a) Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur Die Rechtsprechung140 und das überwiegende Schrifttum141 gehen davon aus, daß auch betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen einschließlich solcher zur Organisation der Betriebsverfassung142 an der in § 4 Abs. 5 TVG vorgesehenen Nachwirkung teilnehmen. Zur Begründung wird vor allem auf den Wortlaut der Vorschrift verwiesen, der alle Rechtsnormen des Tarifvertrags ungeachtet ihres Inhalts erfasse. Im Hinblick auf Organisationsnormen, die auf Grundlage der betriebsverfassungsgesetzlichen Zulassungsklauseln geschaffen werden, wird zudem auf deren Zweck abgestellt: Das Betriebsverfassungsgesetz gehe davon aus, daß durch Tarifvertrag eine den strukturellen Besonderheiten des Betriebs adäquatere Regelung etabliert werde, als sie das zwingende Gesetzesrecht mit seinen unvermeidlichen Generalisierungen anordne; diese Erwägung besitze auch nach Ablauf des Tarifvertrags ihre Berechtigung, da die Sachgerechtigkeit der tarifvertraglichen Regelungen unabhängig von der Geltungsdauer des Tarifvertrags bestehe143; auch Organisationsnormen müßten daher weitergelten, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Um eine „ewige“ Ausstrahlung nachwirkender Tarifnormen auf die gesetzliche Betriebsverfassung zu verhindern, wird allerdings teilweise erwogen, die Nachwirkung zeitlich zu begrenzen. Sie soll danach entweder nur bis zu einem Jahr144, bis zum Scheitern von Verhandlungen über eine Nachfolgeregelung145 oder – bei Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG – bis zur nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl146 andauern147. 140 BAG AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; BAG AP Nr. 4 zu § 4 BAT; LAG Düsseldorf, LAGE Nr. 4 zu § 4 TVG Nachwirkung; vgl. auch BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG (für betriebliche Normen). 141 Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 725; Dahlbender, Austritt, S. 83 f.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1454; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 875; Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 525; Graune, Nachwirkung, S. 49; Kempen in: FS Schaub, S. 357, 369 f.; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 403; Nikisch, Arbeitsrecht III, § 95 III 3 b, S. 73; Oetker in: FS Schaub, S. 535, 541; Otto in: MünchArbR, § 286 Rn. 80; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 344. 142 Vgl. BAG AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; LAG Bremen v. 21. 2. 2001 – 2 TaBV 12 – 14 / 00 (n.v.) für einen Tarifvertrag zur Errichtung einer Personalvertretung für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa; Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 526 f.; Graune, Nachwirkung, S. 33 f.; Heinkel, Organisationseinheit, S. 213; Oetker in: FS Schaub, S. 535, 547 f. 143 Oetker in: FS Schaub, S. 535, 549; vgl. auch Heinkel, Organisationseinheit, S. 207. 144 So Löwisch / Rieble, TVG, § 3 Rn. 398, dort wohl nur de lege ferenda, vgl. aber auch Rn. 403. 145 So Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 875; vgl. auch Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 166; ähnlich Oetker in: FS Schaub, S. 535, 553 f.: Nachwirkung entfällt, wenn die Tarifvertragsparteien keine Regelung mehr treffen wollen oder können.

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Zahlreiche Stimmen, namentlich in der Kommentarliteratur zum Betriebsverfassungsgesetz, nehmen demgegenüber an, daß betriebsverfassungsrechtliche (Organisations-)148Normen von vornherein keine Nachwirkung entfalten149. Für diese Ansicht werden, sofern sie überhaupt begründet wird150, im wesentlichen drei Argumente angeführt: Einmal wird geltend gemacht, die mit der Nachwirkung bezweckte Überbrückungsfunktion verliere bei betriebsverfassungsrechtlichen Normen „ihren Ansatzpunkt“, weil nach Ablauf des Tarifvertrags das Betriebsverfassungsgesetz zur Verfügung stehe, dessen Regelungen sofort eingreifen könnten; eine Nachwirkung sei deshalb nicht erforderlich151. Weiter wird argumentiert, wenn mit Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag schon rangniedrigere und ranggleiche Rechtsquellen (als „andere Abmachung“) nachwirkende Tarifnormen verdrängen könnten, müsse dasselbe erst recht für das ranghöhere Gesetz gelten152. Schließlich wird gegen die Nachwirkung eingewandt, durch sie würde, wenn kein neuer Tarifvertrag zustande komme, ein Zu146 So Heinkel, Organisationseinheit, S. 211; wohl auch Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 526 f. 147 Nach Graune, Nachwirkung, S. 115, soll dem Arbeitgeber „unabhängig von seiner Stellung als Tarifvertragspartei“ (!) ein „Recht zur außerordentlichen Kündigung nachwirkender Tarifbestimmungen in entsprechender Anwendung von § 324 BGB“ zustehen. Das ist schon im dogmatischen Ansatz verfehlt: Bei der Begrenzung der Nachwirkung geht es nicht um die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses (Tarifvertrag), sondern um deren gesetzlich angeordnete Rechtsfolgen. Diese können nicht „gekündigt“ werden. 148 Das Problem wird vor allem im Zusammenhang mit Tarifverträgen nach § 3 BetrVG diskutiert, die Stellungnahmen beziehen sich aber vielfach allgemein auf Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen, ohne daß eine Differenzierung zwischen Organisations- und sonstigen Regelungen erfolgt. 149 Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 2, 11; Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 12; Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 31; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 65; Thüsing, ZIP 2003, 693, 704; wohl auch Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2502; im Ergebnis ebenso Eich in: FS Weinspach, S. 17, 31, allerdings mit der [unzutreffenden, vgl. oben § 1 III. 2. a)] Begründung, Tarifnormen nach § 3 BetrVG seien keine betriebsverfassungsrechtlichen Normen im Sinne des TVG; ausdrücklich beschränkt auf Tarifverträge nach § 3 BetrVG Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 35; nur für Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG (ohne Stellungnahme zu § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BetrVG) Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 84; für Regelungen nach § 3 BetrVG a.F. auch T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 175 m. w. N. 150 Vielfach wird die „Nicht-Nachwirkung“ betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen trotz § 4 Abs. 5 TVG ohne jede Begründung geradezu wie eine Selbstverständlichkeit dargestellt, vgl. etwa Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 2, 11 („Eine Nachwirkung findet nicht statt“); Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 12 („Eine Nachwirkung des Tarifvertrages scheidet aus“); Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 65 („Eine Nachwirkung betriebsverfassungsrechtlicher Normen gibt es nicht“). 151 Vgl. Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2502; Kraft / Franzen in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 35; Thüsing, ZIP 2003, 693, 704; T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 175; vgl. auch Eich in: FS Weinspach, S. 17, 31. 152 Vgl. T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 175; ähnlich auch Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 166;

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

stand aufrechterhalten, der nicht mehr vom Willen der Tarifvertragsparteien gedeckt sei153. Aus diesen Gründen verdränge der Tarifvertrag das gesetzliche Organisationsrecht nur für die Dauer seiner „vollen normativen Wirkung“. Unterschiedlich wird von den Vertretern dieser Auffassung beurteilt, welche Folgen die Beendigung des Tarifvertrags für die auf seiner Grundlage gebildeten Arbeitnehmervertretungen hat. Da ihnen – wenn keine Nachfolgeregelung abgeschlossen wurde – mangels Nachwirkung des beendeten Tarifvertrags die Rechtsgrundlage fehlt, müßte ihre Amtszeit eigentlich mit Ablauf des Tarifvertrags enden. Diese Konsequenz wird indessen nur vereinzelt gezogen154. Nach überwiegender Ansicht sollen die Vertretungen hingegen nicht sofort entfallen, sondern aufgrund eines Übergangsmandats analog § 21a155 oder § 22 BetrVG156 die Geschäfte weiterführen. Teilweise wird sogar angenommen, die auf Grundlage des beendeten Tarifvertrags gebildeten Vertretungen bestünden bis zum Ende der „regulären Amtszeit“ unverändert fort157.

b) Eigene Ansicht Die Auseinandersetzung um die Nachwirkung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen leidet darunter, daß sie vielfach ohne ausreichenden Bezug zur bestehenden Gesetzeslage erfolgt. § 4 Abs. 5 TVG enthält eine ausdrückliche Regelung zur Nachwirkung von Tarifnormen, die nicht einfach ignoriert oder beiseite geschoben werden kann. Ob Rechtsnormen zur Organisation der Betriebsverfassung nachwirken, ist keine im Wege „freier Rechtsfindung“ zu beantwortende Frage, sondern eine solche der Gesetzesauslegung. Auszugehen ist vom Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG. Danach gelten nach Ablauf des Tarifvertrags „seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden“. Zu den Rechtsnormen eines Tarifvertrags zählen gemäß § 1 153

So Kraft in: GK-BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 31; vgl. auch Roßmann, NZA 1999, 1252,

1254. 154 Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 12; Kraft in: GKBetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 31. 155 Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 65; Thüsing, ZIP 2003, 693, 704; ohne Gesetzesbezug Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 2: Betriebsrat „hat Übergangsmandate wahrzunehmen“; nach Konzen, RdA 2001, 76, 86, ist „eine Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG nicht empfehlenswert, sondern statt dessen die Regelung eines Restmandats der Betriebsvertretung unter lockerer Anlehnung an § 21b RegE“. 156 T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 176; ebenso Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 875, für die Zeit zwischen dem Ende der Nachwirkung und der Wahl einer neuen Vertretung auf gesetzlicher Grundlage. 157 Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 84; im Ergebnis ebenso Eich in: FS Weinspach, S. 17, 31; Kraft / Franzen, GK-BetrVG, § 3 Rn. 36; vgl. auch Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 167, der trotz grundsätzlicher Ablehnung einer Nachwirkung insoweit eine „noch aus den Tarifnormen herwirkende Amtszeit“ annimmt.

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Abs. 1 TVG auch Normen, die betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln. Für eine Ausklammerung dieser Rechtsnormen aus dem Anwendungsbereich von § 4 Abs. 5 TVG bietet dessen Wortlaut keinen Anhaltspunkt. Sie läßt sich auch der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht entnehmen158. Bestätigt wird dieses Verständnis durch die Gesetzessystematik. In § 3 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 TVG unterscheidet das Gesetz präzise zwischen Rechtsnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen einerseits und den sonstigen nach § 1 Abs. 1 TVG zulässigen Tarifnormen andererseits. Eine vergleichbare Differenzierung fehlt in § 4 Abs. 5 TVG. Daraus läßt sich unter regelungssystematischen Gesichtspunkten schließen, daß die Vorschrift nicht nur bestimmte, sondern alle Rechtsnormen des Tarifvertrags erfaßt, mithin auch betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen an der Nachwirkung teilhaben159. Systematisch verfehlt ist die Argumentation, wenn schon Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag nachwirkende Tarifnormen verdrängen könnten, müsse das erst recht für das ranghöhere (Betriebsverfassungs-)Gesetz gelten. Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag können zwar als „andere Abmachung“ im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG die Nachwirkung von Tarifnormen beenden. Das setzt jedoch notwendig voraus, daß sie zunächst besteht. Die Möglichkeit einer Beendigung der Nachwirkung durch „rangniedrigere“ Regelungen kann deshalb nicht zur Begründung ihres generellen Ausschlusses herangezogen werden160. Die Nachwirkung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen wird durch das Betriebsverfassungsgesetz auch nicht beendet161. Denn das Gesetz ist keine „andere Abmachung“ im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG162. Ist ein Ausschluß der Nachwirkung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen danach weder dem Wortlaut oder der Entstehungsgeschichte von § 4 Abs. 5 TVG noch der Gesetzessystematik zu entnehmen, kann er allein teleologisch begründet werden. Es kommt mithin darauf an, ob die Anwendung von § 4 Abs. 5 TVG auf betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen mit Sinn und Zweck der Vorschrift vereinbar ist. 158 Weder in den Vorarbeiten zum Tarifvertragsgesetz noch in den Gesetzesmaterialien finden sich Hinweise auf eine beabsichtigte Einschränkung der Nachwirkung für betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen; vgl. auch Heinkel, Organisationseinheit, S. 212 f. 159 Vgl. Oetker in: FS Schaub, S. 535, 538; siehe auch Heinkel, Organisationseinheit, S. 203. 160 Das verkennt T. Wißmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 175, der nicht zwischen Ausschluß und Beendigung der Nachwirkung differenziert, sondern lediglich (ungenau) davon spricht, die nachwirkende Tarifnorm werde durch rangniedrigere Rechtsquellen „verdrängt“. 161 So aber Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 166, mit erkennbaren Schwierigkeiten, den Zeitpunkt der Beendigung der Nachwirkung zu bestimmen. 162 Vgl. nur BAG AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung; Schaub / Franzen in: ErfK, TVG, § 4 Rn. 77; speziell im Hinblick auf das Betriebsverfassungsgesetz Eich in: Festschrift Weinspach, S. 17, 31. Das gilt auch dann, wenn es sich – wie etwa im Fall von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG – um lediglich tarifdispositives Gesetzesrecht handelt, vgl. BAG AP Nr. 12 zu § 13 BUrlG; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 132 f.

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

Sinn und Zweck der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ist es, im Interesse der Arbeitnehmer, des Arbeitgebers und der Tarifvertragsparteien eine „Überbrückungshilfe“163 zu schaffen164. Dafür besteht insoweit ein praktisches wie rechtliches Bedürfnis, als zum Zeitpunkt der Beendigung eines Tarifvertrags die Verhandlungen für einen neuen Tarifvertrag häufig noch nicht abgeschlossen sind und wegen der bis dahin bestehenden Friedenspflicht auch nicht mit dem Druck eines Arbeitskampfs verbunden werden können. Durch die Nachwirkung soll sichergestellt werden, daß nach Beendigung des Tarifvertrags dessen Regelungen nicht ersatzlos wegfallen oder durch dispositives Gesetzesrecht ergänzt werden müssen, sondern der Tarifvertrag weiterwirkt, bis eine andere Abrede an seine Stelle tritt165. Die Kontinuität der tariflichen Ordnung soll gesichert werden166. Dabei geht es nicht nur darum, daß überhaupt eine Regelung bereit gestellt wird, sondern auch darum, den bisherigen Standard beizubehalten167. § 4 Abs. 5 TVG kommt damit eine Überbrückungs- und Ordnungsfunktion zu. Daß diese Überbrückungs- und Ordnungsfunktion bei Tarifnormen zur Organisation der Betriebsverfassung „ihren Ansatzpunkt verliert“168, ist nicht ersichtlich. Es ist zwar richtig, daß nach Beendigung eines Organisationstarifvertrags auf die Organisationsnormen des Betriebsverfassungsgesetzes zurückgegriffen werden könnte, soweit dieses anwendbar ist169. Dadurch wird eine Nachwirkung der Tarifnormen jedoch keineswegs überflüssig. Die Möglichkeit, nach Ablauf eines Tarifvertrags entstehende Regelungslücken durch Rückgriff auf gesetzliche Regelungen zu füllen, besteht angesichts der ausgedehnten Kodifizierung des Arbeitsrechts fast immer. Das ist keine Besonderheit betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen, sondern trifft in gleicher Weise auf Individualnormen zu, deren Nachwirkung allgemein anerkannt ist. So entfällt etwa die Nachwirkung tarifvertraglicher Vergütungs-, Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen nicht deshalb, weil Lohn, Arbeitszeit und Urlaub auch nach § 612 Abs. 2 BGB, Arbeitszeit- und Bundesurlaubsgesetz BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 327. Vgl. ferner BAG AP Nr. 34, 38, 40 zu § 4 TVG Nachwirkung; Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 725; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1450; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, Bd. 2, § 13 Rn. 101; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 372; Oetker in: FS Schaub, S. 535, 540. 165 BAG AP Nr. 13 zu § 3 TVG; BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG; Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 725; Dahlbender, Austritt, S. 67; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 872. 166 Vgl. BAG AP Nr. 34 zu § 4 TVG; Oetker in: FS Schaub, S. 535, 540. 167 Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 327; vgl. auch BAG AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 375. 168 Vgl. oben § 8 II. 2. a) Fn. 151. 169 Außerhalb des Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes trifft schon diese Prämisse nicht zu. Endet beispielsweise ein Tarifvertrag zur Errichtung einer Vertretung für das fliegende Personal eines Luftfahrtunternehmens nach § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG (vgl. dazu oben § 4 VI.), kommt ein Rückgriff auf gesetzliche Organisationsregelungen von vornherein nicht in Betracht. 163 164

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bestimmt werden könnten. Die Ordnungs- und Überbrückungsfunktion des § 4 Abs. 5 TVG erschöpft sich gerade nicht darin, irgendeine Regelung bereitzustellen. Es soll vielmehr der tarifliche Rechtszustand aufrechterhalten bleiben. Dafür besteht auch und gerade bei Regelungen zur Organisation der Betriebsverfassung ein Bedürfnis, weil diese in besonderem Maße auf Kontinuität angelegt sind. Es wäre wenig sinnvoll und zudem mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden, wenn bei Beendigung eines Organisationstarifvertrags zunächst die gesetzlichen Vorschriften eingreifen, bei Abschluß eines neuen Tarifvertrags aber sogleich wieder verdrängt würden170. Unnötig durchgeführte Betriebsratswahlen, Rechtsunsicherheit über den Status der Arbeitnehmervertretungen, Beeinträchtigung der Mitbestimmung und der betrieblichen Entscheidungsabläufe und nicht zuletzt zusätzliche Kostenbelastungen wären die Folgen. Sie werden nur vermieden, wenn nach Beendigung der Tarifvertrags eine funktionsfähige „Überbrückungshilfe“ zur Verfügung steht. Das sehen auch die Vertreter des Schrifttums, die eine Nachwirkung von Organisationstarifverträgen ablehnen, den auf tarifvertraglicher Grundlage gebildeten Vertretungen aber ein Übergangsmandat analog § 21a oder § 22 BetrVG einräumen wollen171. Dieser Weg würde zwar zumindest im Anwendungsbereich von § 3 BetrVG172 zu einer Entschärfung des Übergangsproblems führen. Er ist indessen nicht gangbar, weil es an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke fehlt173. Wendet man nämlich § 4 Abs. 5 TVG im Übereinstimmung mit Wortlaut und Gesetzessystematik uneingeschränkt auch auf Tarifnormen zur Organisation der Betriebsverfassung an, bedarf es keines Übergangsmandats. Für dieses besteht nur dann ein Bedürfnis, wenn man eine Nachwirkung tarifvertraglicher Organisationsregelungen verneint. Es ist jedoch methodisch nicht zulässig, durch teleologische Reduktion des § 4 Abs. 5 TVG zunächst eine Regelungslücke zu schaffen, um diese dann durch analoge Anwendung von § 21a oder § 22 BetrVG (teilweise) wieder zu schließen174. Ebensowenig rechtlich begründbar ist die Ansicht, der Tarifvertrag habe zwar keine Nachwirkung, die auf seiner Grundlage gebildeten Vertretungen bestünden aber gleichwohl bis zum Ende der regulären Amtszeit unverändert fort175. 170 Vgl. Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 527; Heinkel, Organisationseinheit, S. 208; Nikisch, Arbeitsrecht III, § 95 III 3 b, S. 73. 171 Vgl. oben § 8 II. 2. a) Fn. 155, 156. 172 Für tarifvertragliche Organisationsregelungen, die nicht die Konstituierung von Betriebsvertretungen betreffen, bietet ein Übergangsmandat keine taugliche Überbrückungshilfe. 173 Ebenso Heinkel, Organisationseinheit, S. 208 f. 174 Bemerkenswert ist, daß teilweise eine teleologische Beschränkung von § 4 Abs. 5 TVG ausdrücklich mit mangelndem Überbrückungsbedarf begründet, zugleich aber ein Übergangsmandat zur Überbrückung betriebsratsloser Zeiten für erforderlich gehalten wird; vgl. etwa Thüsing, ZIP 2003, 693, 704. 175 Vgl. oben § 8 II. 2. a) Fn. 157; bemerkenswert vor allem die Begründung von Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, Rn. 167, es handele sich insoweit um eine „noch aus den Tarifnormen herwirkende Amtszeit“ (Hervorhebung d. Verf.).

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

Nicht überzeugend ist schließlich der Einwand, durch die Nachwirkung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen werde ein vom Willen der Tarifvertragsparteien nicht mehr gedeckter Zustand aufrechterhalten 176. Auch hierbei handelt es sich nicht um eine Besonderheit betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen, sondern um ein allgemeines Problem. Durch § 4 Abs. 5 TVG wird stets ein Zustand aufrechterhalten, der im Hinblick auf den Faktor Zeit nicht mehr vom Willen der Tarifvertragsparteien getragen ist177. Will man aus diesem Grund eine Nachwirkung von Tarifnormen nicht generell ablehnen, besteht dafür auch bei betriebsverfassungsrechtlichen Normen keine Veranlassung. Ist danach grundsätzlich von einer Nachwirkung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen auszugehen, kann sich allenfalls noch die Frage ihrer Dauer stellen. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß sich Verhandlungen über einen Nachfolge-Tarifvertrag erhebliche Zeit – mitunter jahrelang – hinziehen können, möglicherweise auch überhaupt kein Tarifvertrag mehr zustande kommt178. Die Nachwirkung des abgelaufenen Tarifvertrags kann zwar grundsätzlich auch durch Betriebsvereinbarung oder arbeitsvertragliche Vereinbarung beendet werden. Bei betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsregelungen scheidet jedoch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung aus, und auch eine Ablösung der tarifvertraglichen Regelung durch Betriebsvereinbarung kommt – namentlich im Anwendungsbereich von § 3 BetrVG179 – häufig nicht in Betracht. Wird kein neuer Tarifvertrag abgeschlossen, droht eine „Versteinerung“180 der nachwirkenden Tarifnormen, im Extremfall gar eine „ewige“ Verdrängung der gesetzlichen Betriebsverfassung181. Es sprechen deshalb gute Gründe dafür, die Nachwirkung von Tarifnormen zur Organisation der Betriebsverfassung zeitlich zu begrenzen. Allerdings sieht § 4 Abs. 5 TVG keine zeitliche Begrenzung der Nachwirkung vor. Das Bundesarbeitsgericht182 hat sie deshalb für Individualnormen ausdrücklich abgelehnt. Für betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen kann de lege lata nicht anders entschieden werden183. Eine zeitliche Begrenzung der Nachwirkung ohne gesetzliche Grundlage müßte sich den Vorwurf der Willkürlichkeit gefallen lassen. Eine starre Zeitgrenze, wie sie teilweise vorgeschlagen wird184, würde zudem die ÜberbrückungsVgl. oben § 8 II. 2. a) Fn. 153. Oetker in: FS Schaub, S. 535, 549. 178 Vgl. etwa Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 371. 179 Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 und 5 BetrVG können durch Betriebsvereinbarung nur unter den engen Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BetrVG getroffen werden; Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sind nur durch Tarifvertrag möglich. 180 LAG Düsseldorf, LAGE Nr. 4 zu § 4 TVG Nachwirkung. 181 Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 397; Oetker in: FS Schaub, S. 535, 552. 182 BAG AP Nr. 41 zu § 4 TVG Nachwirkung. 183 Vgl. auch LAG Bremen v. 21. 2. 2001 – 2 TaBV 12 – 14 / 00 (n.v.) für einen seit über einem Jahrzehnt gekündigten Tarifvertrag zur Errichtung einer Personalvertretung für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa. 184 Vgl. oben § 8 II. 2. a) Fn. 144. 176 177

§ 9 Die Erzwingbarkeit des Tarifabschlusses durch Arbeitskampf

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funktion der Nachwirkung gefährden; es könnte die Situation eintreten, daß die Nachwirkung entfällt, obwohl das Inkrafttreten eines neuen Tarifvertrags unmittelbar bevorsteht185. Statt dessen auf das Fortbestehen eines Regelungswillens der Tarifpartner abzustellen186, ist keine brauchbare Alternative; denn damit würde die Dauer der Nachwirkung letztlich dem Belieben der Tarifvertragsparteien überlassen und erhebliche Rechtsunsicherheit erzeugt. Der Zeitpunkt der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahlen187 könnte zwar zumindest bei Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG ein tauglicher Fixpunkt zur Begrenzung der Nachwirkung sein. Doch auch eine solche Begrenzung findet im Gesetz keine Stütze188. So wünschenswert eine zeitlich Begrenzung der Nachwirkung sein mag – ihre allgemein verbindliche Anordnung ist Sache des Gesetzgebers. Solange sie nicht erfolgt, bleibt es grundsätzlich bei der zeitlich unbefristeten Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG. „Unerträgliche“189 Zustände sind dadurch namentlich bei Regelungen nach § 3 BetrVG kaum zu befürchten. Denn nachwirkende Organisationsregelungen können nur Geltung beanspruchen, solange die Tatbestandsvoraussetzungen von § 3 Abs. 1 BetrVG erfüllt sind. Eine Verdrängung der gesetzlichen Betriebsverfassung setzt also stets voraus, daß die tarifvertragliche Regelung (noch) sachgerecht ist. Im übrigen sind die Tarifvertragsparteien einer Nachwirkung auch nicht hilflos „ausgeliefert“. Es steht ihnen frei, die Nachwirkung zeitlich zu befristen oder ganz auszuschließen; denn § 4 Abs. 5 TVG ist dispositives Recht190.

§ 9 Die Erzwingbarkeit des Tarifabschlusses durch Arbeitskampf Lebhaft umstritten ist seit der Novellierung von § 3 BetrVG191 die Frage, ob Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung mit Mitteln des Arbeitskampfs durchgesetzt, namentlich erstreikt werden können. Ihre Beantwortung Insoweit zutreffend Oetker in: FS Schaub, S. 535, 552. Vgl. oben § 8 II. 2. a) Fn. 145. 187 Vgl. oben § 8 II. 2. a) Fn. 146. 188 A.A. Heinkel, Organisationseinheit, S. 211. 189 Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 398. 190 Vgl. nur BAG AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 362, jeweils m. w. N. 191 Unter Geltung von § 3 BetrVG a.F. wurde die Frage der Erkämpfbarkeit von Organisationstarifverträgen kaum diskutiert. Die vorhandenen Stellungnahmen gingen allerdings ganz überwiegend, wenn auch meist ohne nähere Begründung, von einer Erkämpfbarkeit der dort vorgesehenen Organisationsregelungen aus, vgl. etwa Eisemann in: ErfK, BetrVG (2. Aufl.), § 3 Rn. 1; Feichtinger, Regelungsbefugnis, S. 86 f.; Fitting, BetrVG (20. Aufl.), § 3 Rn. 11; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 5; zweifelnd Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 1070. 185 186

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

dürfte zwar in erster Linie von akademischem Interesse sein, denn allein für eine „bessere Betriebsverfassung“ wird sich – wie auch der empirische Befund belegt192 – wohl kaum ein Arbeitnehmer zum Arbeitskampf motivieren lassen193. Praktische Bedeutung kann ihr aber zukommen, wenn die Forderung nach einer tarifvertraglichen Organisationsregelung mit anderen Tarifvertragszielen, bei denen ein größeres „Streikpotential“ vorhanden ist, verknüpft wird: Scheitert eine friedliche Einigung über einen Tarifvertrag, der nach dem Willen der beteiligten Gewerkschaft neben Inhaltsnormen auch eine Regelung zur Organisation der Betriebsverfassung enthalten soll, kann unter Umständen die Rechtmäßigkeit eines sich anschließenden Arbeitskampfs insgesamt von der Erkämpfbarkeit der Organisationsregelung abhängen194.

I. Meinungsstand Nach verbreiteter Auffassung können Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung, namentlich Organisationstarifverträge nach § 3 Abs. 1 BetrVG, zulässigerweise im Wege des Arbeitskampfs erzwungen werden195. Auszugehen sei von dem Grundsatz, daß tarifvertraglich Regelbares auch erkämpfbar sei196. 192 Arbeitskämpfe um Organisationstarifverträge sind bislang nicht bekannt geworden und haben auch die Rechtsprechung, soweit ersichtlich, noch nicht beschäftigt, vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 1070; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 153. 193 Vgl. auch die Einschätzung von Reichold, Sonderbeilage zu NZA Heft 24 / 2001, S. 32, 36, Streiks um einen Tarifvertrag nach § 3 BetrVG könnten „rein pragmatisch nicht auf einen Funken Kampfbereitschaft bauen, weil sie den Arbeitnehmern nicht als ,günstigere‘ Arbeitsbedingungen vermittelbar sind“; ähnlich auch H. Wißmann, AiB 2000, 321, 322. 194 Wie sich die gleichzeitige Verfolgung zulässiger und unzulässiger Kampfziele auf die Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfs insgesamt auswirkt, ist umstritten. Teilweise wird angenommen, in diesem Fall sei stets der gesamte Arbeitskampf rechtswidrig (so etwa Otto in: MünchArbR, § 285 Rn. 24); nach anderer Auffassung soll es darauf ankommen, welche Forderung dem Arbeitskampf „das Gepräge“ gibt (so etwa Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 236). Nach der Rechtsprechung des BAG führt die Verfolgung zulässiger und unzulässiger Kampfziele jedenfalls dann zur Rechtswidrigkeit des gesamten Arbeitskampfs, wenn es sich bei der unzulässigen Forderung um eine „Hauptforderung“ handelt (BAG AP Nr. 2, 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). 195 Däubler, AuR 2001, 285, 288; Eisemann in: ErfK (5. Aufl.), BetrVG, § 3 Rn. 2 (gegenteiliger Ansicht aber nunmehr ders. in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 2); Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 563 f.; Heinkel, Organisationseinheit, S. 239; Kraft in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 23; Plander, NZA 2002, 483, 488; Richardi, Betriebsverfassung; S. 36; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 216 Rn. 7; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 154 f.; H. Wißmann, AiB 2000, 321, 322; wohl auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 36 Rn. 11; Konzen, RdA 2001, 76, 86; grundsätzlich auch Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 20 (entgegen der 21. Aufl., § 3 Rn. 17, allerdings nunmehr unter Ausnahme von § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG) und Thüsing, ZIP 2003, 693, 701 (unter Ausnahme von § 3 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG). 196 Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 564; Richardi, Betriebsverfassung; S. 36; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 155.

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Das treffe auf Organisationstarifverträge zu, da sowohl § 1 Abs. 1 TVG als auch § 3 Abs. 1 BetrVG den Tarifpartnern eine Rechtsetzungskompetenz bezüglich betriebsverfassungsrechtlicher Normen eröffneten197. Solange für Gegenstände, die im Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich der tarifvertraglichen Normierung zugänglich gemacht seien, keine ausdrückliche gesetzliche Friedenspflicht angeordnet sei, müsse daher von ihrer Erkämpfbarkeit ausgegangen werden198. Die Gegenansicht hält einen Arbeitskampf, der zum Abschluß eines Organisationstarifvertrags – jedenfalls eines solchen nach § 3 Abs. 1 BetrVG – geführt wird, für rechtswidrig199. Nicht alle tariflich regelbaren Gegenstände könnten durch Arbeitskampf erzwungen werden; der Schluß von der Tarifierbarkeit auf die Erstreikbarkeit von Regelungen sei „rechtsirrig“200. Vielmehr müsse unterschieden werden zwischen tarifvertraglich regelbaren und erkämpfbaren Materien einerseits und Materien, die tarifvertraglich regelbar, aber nicht erkämpfbar seien, andererseits201. Zu letzteren gehörten Regelungen zur Organisation der Betriebsverfassung, denn bei ihnen bewegten sich die Tarifvertragsparteien außerhalb ihrer tarifautonomen Zuständigkeit202. Namentlich der Abschluß von Tarifverträgen nach § 3 BetrVG gehöre nicht zu den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten koalitionsspezifischen Betätigungen203. Zudem gehe es bei Organisationstarifverträgen nicht um bessere materielle Arbeitsbedingungen, sondern lediglich um spezifischere Vertretungsstrukturen, die den betroffenen Arbeitgebern schon wegen Art. 2, 12, 14 GG nicht aufgezwungen werden könnten204. Auch dürfe der tarifvertragliche Regelungsbereich des § 3 BetrVG nicht dazu genutzt werden, die betriebliche Friedenspflicht des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG zu unterlaufen. Betriebsverfassungsrechtliche Fragen, die sowohl durch Tarifvertrag als auch durch Betriebsvereinbarung regelbar seien, deren Regelung in Form der Betriebsvereinbarung der Arbeitgeber aber Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 155. Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 563 f. 199 Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 13; Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2501; Reichold, Sonderbeilage zu NZA Heft 24 / 2001, 32, 35 f.; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 59; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 11; für Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG auch Buchner, NZA 2001, 633, 635; nur de lege ferenda für ein Arbeitskampfverbot Franzen, ZfA 2000, 285, 297: „Dies müßte ausdrücklich im Gesetz angeordnet werden“; für ein Arbeitskampfverbot de lege lata dagegen Kraft / Franzen in GK-BetrVG, § 3 Rn. 32 (für Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BetrVG). 200 Buchner, NZA 2001, 633, 635; ebenso Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2501. 201 Eich in: FS Weinspach, S. 17, 24; Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2501 202 Hohenstatt / Dzida, DB 2001, 2498, 2501; Eich in: FS Weinspach, S. 17, 24; Reichold, Sonderbeilage zu NZA Heft 24 / 2001, 32, 35. 203 Eich in: FS Weinspach, S. 17, 24; Friese, ZfA 2003, 237, 269; nur für Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 20. 204 Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 13; Kraft in: GKBetrVG (7. Aufl.), § 3 Rn. 23; Reichold, Sonderbeilage zu NZA Heft 24 / 2001, 32, 35 f.; Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 11. 197 198

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verweigere, könnten ansonsten über Tarifvertrag im Streikwege durchgesetzt werden205. Schließlich handele es sich bei Vereinbarungen zur Organisation der Betriebsverfassung um keine Angelegenheit, für die der Arbeitskampf als ultima ratio in Betracht komme; denn wenn die Tarifvertragsparteien keine Einigung erzielten, bleibe es bei der gesetzlichen Regelung206.

II. Stellungnahme 1. Grundlage, Umfang und Grenzen des Arbeitskampfrechts Das Recht, den Abschluß eines Tarifvertrags mit Mitteln des Arbeitskampfs durchzusetzen, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Es findet seine Grundlage nach heute unbestrittener Ansicht in Art. 9 Abs. 3 GG207. Die Verfassungsnorm gewährleistet über ihren Wortlaut hinaus nicht nur die Freiheit des einzelnen zur Koalitionsbildung, sondern auch Bestand und spezifische Betätigung der Koalitionen selbst208. Zu den koalitionsspezifischen Betätigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zählt namentlich der Abschluß von Tarifverträgen. Dabei sollen die Koalitionen frei sein und die Mittel, die sie zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten, selbst wählen können. Zu den geschützten Mitteln zählen auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichtet sind209. Infolge der in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ausdrücklich angeordneten Drittwirkung wirkt die Verfassungsvorschrift nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch unmittelbar zwischen privaten Rechtssubjekten. Umfang und Grenzen des Arbeitskampfrechts sind aus dessen Funktion heraus zu bestimmen210. Der Arbeitskampf ist ein „Hilfsinstrument“ zur Sicherung der Tarifautonomie; er dient dem Ausgleich anders nicht lösbarer tariflicher Interessenkonflikte211. Erst die Option des Arbeitskampfs verschafft den Koalitionen Hess in: Hess / Schlochauer / Worzalla / Glock, BetrVG, § 3 Rn. 13. Richardi in: Richardi: BetrVG, § 3 Rn. 59; vgl. auch Franzen, ZfA 2000, 285, 298. 207 Grundlegend BVerfGE 84, 212, 224 f.; vgl. ferner BVerfGE 88, 103, 114; BAG AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Belling in: 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 477, 479; Otto in: MünchArbR, § 284 Rn. 10; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 193 Rn. 1; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 311, 313, jeweils m. w. N. 208 Vgl. dazu ausführlich oben § 2 I. 1. 209 BVerfGE 84, 212, 225; BAG AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 210 BAG AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch BAG AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Belling in: 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 477, 480; ders., ZevKR 48 (2003), 407, 416. 211 Vgl. BVerfGE 84, 212, 224, 225; BVerfGE 88, 103, 114; BAG AP Nr. 64, 85, 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 2; Rüthers in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 138. 205 206

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die Möglichkeit, den Abschluß von Tarifverträgen auch gegen den Willen der Gegenseite durchzusetzen. Im Interesse eines funktionierenden Tarifvertragssystems muß sichergestellt sein, daß nicht eine Tarifvertragspartei der anderen von vornherein ihren Willen aufzwingen kann212. Nur Tarifverträge, die von annähernd gleich mächtigen Partnern des Arbeitslebens ausgehandelt werden, haben die Vermutung für sich, daß sie den Interessen beider Seiten gerecht werden213. Aus der Ableitung des Arbeitskampfrechts aus der Bestands- und Betätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG folgt, daß Arbeitskämpfe als Instrument zur Durchsetzung tarifvertraglicher Regelungen nur zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen zulässig sind214. Darüber hinaus unterliegt das Recht, Arbeitskämpfe zu führen, den der kollektiven Koalitionsfreiheit gezogenen Schranken215. Einschränkungen können sich mithin aus Grundrechten Dritter und sonstigen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechten ergeben. Eine allgemeine, stets zu beachtende Rechtmäßigkeitsgrenze des Arbeitskampfs bildet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit216.

2. Der Organisationstarifvertrag als zulässiges Arbeitskampfziel a) Tarifierbarkeit und Erkämpfbarkeit betriebsverfassungsrechtlicher Organisationsregelungen als Ausfluß der Tarifautonomie Umfaßt die Befugnis der Koalitionen zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen den Abschluß von Tarifverträgen zur Organisation der Betriebsverfassung, ist ihnen insoweit als „Hilfsinstrument“ grundsätzlich auch das Recht zum Arbeitskampf garantiert. Der Einwand, die Tarifvertragsparteien bewegten sich bei Regelungen zur betriebsverfassungsrechtlichen Organisation außerhalb ihrer tarifautonomen Zuständigkeit, trifft nicht zu. Wie bereits nachgewiesen wurde, ist die tarifautonome Zuständigkeit der Tarifpartner zur Organisation der Betriebsverfassung sowohl einfachgesetzlich durch § 1 Abs. 1 TVG – ergänzt durch die Zulassungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes – Vgl. BAG (GS) AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 939. 214 Vgl. Dieterich in: ErfK, GG, Art. 9 Rn. 111; Oswald, Streikrecht, S. 37; weitergehend BAG AP Nr. 47 zu Art. 9 GG Arbeitskampf: „Führt eine Gewerkschaft einen Streik um die Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, so besteht eine Vermutung dafür, daß dieser Streik rechtmäßig ist“. 215 Vgl. dazu oben § 2 I. 4. a). 216 Grundlegend BAG (GS) AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. ferner BAG AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 7 ff.; Rüthers in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 163; Seiter, Streikrecht, S. 146 – 156; vgl. auch Belling in: 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 477, 486. 212 213

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

begründet217 als auch verfassungsrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG abgesichert218. Der Einsatz von Arbeitskampfmitteln zur Herbeiführung eines Organisationstarifvertrags ist daher ebenfalls als koalitionsspezifische Betätigung geschützt. b) Kein genereller Ausschluß des Streikrechts durch Art. 2, 12, 14 GG Ein genereller Ausschluß des Streikrechts läßt sich nicht mit dem Hinweis auf entgegenstehende Grundrechte des betroffenen Arbeitgebers aus Art. 2, 12, 14 GG begründen. Insoweit bleibt schon unklar, warum sich eine besondere Grundrechtsbeeinträchtigung gerade daraus ergeben soll, daß es bei Organisationstarifverträgen „nicht um bessere materielle Arbeitsbedingungen, sondern lediglich um spezifischere Vertretungsstrukturen“ geht. Die Betriebsverfassung zählt zu den Bedingungen, unter denen die Arbeitnehmer abhängige Arbeit leisten und der Arbeitgeber Arbeitnehmer beschäftigen darf, mithin zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG219. Das Streikrecht ist auch sonst nicht auf die Durchsetzung „materieller Arbeitsbedingungen“ beschränkt. Die – schon allgemein zweifelhafte – Unterscheidung zwischen materiellen und formellen Arbeitsbedingungen hat jedenfalls im Tarif- und Arbeitskampfrecht keine Bedeutung220. Grundrechte des Arbeitgebers aus Art. 2, 12 und 14 GG können durch jeden Streik beeinträchtigt werden, ganz gleich mit welchem Ziel er geführt wird. Qualität und Quantität der durch einen Streik verursachten Belastungen sind nicht abhängig vom Inhalt des angestrebten Tarifvertrags. Vor unzulässigen Beeinträchtigungen (z. B. existenzbedrohendem Streik, Verweigerung von Notstands- oder Erhaltungsarbeiten) ist der Arbeitgeber durch das bei jedem Arbeitskampf zu beachtende Verhältnismäßigkeitsprinzip221 geschützt. Die Möglichkeit einer Grundrechtsbeeinträchtigung macht Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung hingegen nicht zu einem von vornherein unzulässigen Arbeitskampfziel222.

c) Kein Ausschluß des Arbeitskampfs durch § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG Auch aus § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG folgt kein Ausschluß des Arbeitskampfs zur Durchsetzung von Organisationstarifverträgen. Die Vorschrift ergänzt das allgemeine Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) um den Vgl. oben § 1 III. 2. Vgl. oben § 2 I. 2. 219 Vgl. oben § 2 I. 2. a) cc). 220 Vgl. nur Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 316; insoweit zutreffend auch Friese, ZfA 2003, 237, 260. 221 Dazu sogleich unter § 9 II. 3. 222 Vgl. auch Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 20; Friese, ZfA 2003, 237, 260. 217 218

§ 9 Die Erzwingbarkeit des Tarifabschlusses durch Arbeitskampf

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Grundsatz der betrieblichen Friedenspflicht. Streitfragen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sollen nicht im Wege des Arbeitskampfs ausgetragen, sondern entsprechend dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren entweder durch die Einigungsstelle oder vom Arbeitsgericht entschieden werden223. Dementsprechend bestimmt § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG, daß „Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat“ unzulässig sind. Vom Arbeitskampfverbot ausdrücklich ausgenommen sind dagegen „Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien“, also zwischen Gewerkschaften einerseits und Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Arbeitgebern andererseits224. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG differenziert damit schon seinem Wortlaut nach klar nach den Parteien des Arbeitskampfs: Normadressaten des Arbeitskampfverbots sind allein Arbeitgeber und Betriebsrat225 in ihrer Eigenschaft als Betriebspartner226, nicht jedoch die Tarifvertragsparteien. Das entspricht dem Zweck der Norm, im Interesse der Kooperation der Betriebspartner diese – und nicht etwa die Tarifvertragsparteien – mit einer Friedenspflicht zu belegen227. § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG ist eine betriebsverfassungsrechtliche, keine arbeitskampfrechtliche Vorschrift228. Auf das von einer Tarifpartei verfolgte Regelungsziel kommt es nicht an. Für die Tarifvertragsparteien gilt das Arbeitskampfverbot des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG deshalb auch dann nicht, wenn sie eine Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen durchsetzen wollen229.

3. Grenzen der Erkämpfbarkeit Aus der prinzipiellen Anerkennung des Organisationstarifvertrags als zulässiges Arbeitskampfziel folgt nicht, daß jeder mit diesem Ziel geführte Arbeitskampf rechtmäßig ist. Auch Arbeitskämpfe um Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung unterliegen den allgemeinen Schranken des Arbeitskampfrechts. Grenzen der Erkämpfbarkeit ergeben sich vor allem aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nach der vom Bundesverfassungsgericht230 bestätigten RechtBAG AP Nr. 52 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Fitting, BetrVG, § 74 Rn. 11 f. Vgl. § 2 Abs. 1 TVG. 225 Nach ganz h. M. gilt das Verbot des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG nicht nur für den Betriebsrat als Kollektivorgan, sondern auch für die einzelnen Betriebsratsmitglieder in dieser Eigenschaft, vgl. Berg in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 74 Rn. 13; Fitting, BetrVG, § 74 Rn. 15; Kreutz in: GK-BetrVG, § 74 Rn. 34, 38, jeweils m. w. N. 226 Vgl. Jansen, Betriebliche Mitbestimmung, S. 64 f.; Kreutz in: GK-BetrVG, § 74 Rn. 37. 227 Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung, S. 563; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 74 Rn. 16. 228 Fitting, BetrVG, § 74 Rn. 12. 229 Brox in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 411; Kania in: ErfK, BetrVG, § 74 Rn. 10; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 36 Rn. 11; Kreutz in: GK-BetrVG,§ 74 Rn. 43; Löwisch / Kaiser, BetrVG, § 74 Rn. 6; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 230 Rn. 12; v. Hoyningen-Huene in: MünchArbR, § 301, Rn. 23. 230 BVerfGE 84, 212, 230 f. 223 224

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3. Teil: Tarifrechtliche Besonderheiten

sprechung des Bundesarbeitsgerichts und der nahezu einhelligen Ansicht im Schrifttum dürfen Arbeitskämpfe „nur insoweit eingeleitet und durchgeführt werden, als sie zur Erreichung rechtmäßiger Kampfziele und des nachfolgenden Arbeitsfriedens geeignet und sachlich erforderlich sind“ und der „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ (im engeren Sinne) beachtet wird231. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind namentlich die Grundrechte der durch einen Arbeitskampf Betroffenen zu berücksichtigen. Kollidierende Grundrechtspositionen müssen zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Das kann im Einzelfall zu weitgehenden Einschränkungen des Arbeitskampfrechts führen. Ein Arbeitskampf zur Erzwingung eines Organisationstarifvertrags ist allerdings nicht schon deshalb unverhältnismäßig, weil mit dem Organisationsrecht des Betriebsverfassungsgesetzes bereits eine Regelung zur Verfügung steht232. Das Bestehen gesetzlicher Regelungen macht tarifvertragliche Vereinbarungen nicht überflüssig233. Namentlich die in § 3 BetrVG vorgesehenen Regelungsmöglichkeiten sind den Tarifvertragsparteien ja gerade deshalb eingeräumt worden, weil das einheitliche gesetzliche Organisationsrecht den unterschiedlichen praktischen Bedürfnissen nicht ausreichend Rechnung trägt und auch nicht tragen kann. Die Anwendbarkeit des gesetzlichen Organisationsrechts steht der Erkämpfbarkeit tarifvertraglicher Regelungen als ultima ratio daher nicht entgegen.

231 BAG (GS) AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; weitere Nachweise oben § 9 II. 1. Fn. 216. 232 So aber offenbar Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 59; vgl. auch Franzen, ZfA 2000, 285, 298. 233 Vgl. schon oben § 8 II. 2. b).

Vierter Teil

Rechtsschutzfragen Im Schrifttum kaum diskutiert wurde bislang, auf welche Weise und in welchem Umfang Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung gerichtlicher Überprüfung zugänglich gemacht werden können. In Anbetracht der zahlreichen Zweifelsfragen, die sich im Zusammenhang mit Organisationstarifverträgen stellen, kommt der Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung für die Praxis erhebliche Bedeutung zu. Für Tarifverträge nach § 3 BetrVG sind die staatlichen Gerichte nach dem Wegfall des behördlichen Zustimmungserfordernisses zudem die einzige unabhängige Kontrollinstanz1.

§ 10 Möglichkeiten der gerichtlichen Kontrolle von Organisationstarifverträgen Eine gerichtliche Kontrolle tarifvertraglicher Organisationsregelungen kann auf unterschiedlichen Wegen herbeigeführt werden.

I. Die Wahlanfechtung nach § 19 BetrVG Bildet der Organisationstarifvertrag die Grundlage für die Durchführung einer Betriebsratswahl, kann eine Überprüfung seiner Wirksamkeit und seines Inhalts durch Anfechtung der Wahl vor dem Arbeitsgericht nach § 19 BetrVG veranlaßt werden2. Im Rahmen des gerichtlichen Anfechtungsverfahrens ist zu klären, ob gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist (§ 19 Abs. 1 BetrVG). Wird das „Wahlgebiet“ tarifvertraglich – namentlich durch einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG3 – abweichend vom Gesetz festgelegt, ist die Wirksamkeit des Tarifver1 Die Notwendigkeit unabhängiger gerichtlicher Kontrolle entfällt entgegen Pauli, AuR 2000, 411, 413, nicht schon aufgrund seiner optimistischen „Prognose, daß die Tarifpartner nichts vereinbaren werden, was die Grundgedanken des BetrVG antastet“. 2 Ebenso Annuß, NZA 2002, 290, 294; Thüsing, ZIP 2003, 693, 706; a.A. Pauli, AuR 2000, 411, 414. 3 Vgl. oben § 3 I.–III.

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4. Teil: Rechtsschutzfragen

trags Voraussetzung für die rechtmäßige Durchführung der Betriebsratswahl. Ist der Tarifvertrag (etwa mangels Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen) unwirksam, liegt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften vor, weil ein Betriebsrat nur auf gesetzlicher und nicht auf tarifvertraglicher Grundlage hätte gewählt werden dürfen. Ebenso kommt eine Verletzung wesentlicher Wahlvorschriften in Betracht, wenn der Tarifvertrag zwar wirksam ist, die Betriebsratswahl aber in Widerspruch zu seinem Inhalt, etwa unter Verkennung der durch ihn gebildeten Organisationseinheiten 4, durchgeführt wurde. Entsprechend anwendbar ist § 19 BetrVG, wenn auf Grund eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 BetrVG zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremien oder Vertretungen gewählt wurden. Berechtigt zur Anfechtung der Wahl, die innerhalb einer Frist von Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen muß, sind mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft sowie der Arbeitgeber, in dessen Betrieb die Wahl stattgefunden hat (§ 19 Abs. 2 BetrVG)5. Das Arbeitsgericht entscheidet im Beschlußverfahren (§ 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG). Es hat daher nach § 83 Abs. 1 S. 1 ArbGG im Rahmen der gestellten Anträge alle erkennbaren Anfechtungsgründe, auch sofern sie sich aus dem Tarifvertrag ergeben, von Amts wegen zu erforschen.

II. Das Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG Unabhängig von einer Betriebsratswahl6 kann nach § 18 Abs. 2 BetrVG eine Entscheidung des Arbeitsgerichts zu der Frage beantragt werden, „ob eine betriebsratsfähige Organisationseinheit vorliegt“. Voraussetzung ist lediglich, daß das Vorliegen einer solchen Organisationseinheit „zweifelhaft“ ist, die Abgrenzung also in rechtlich oder tatsächlicher Hinsicht Schwierigkeiten bereitet7. Unerheblich ist, ob es um eine gesetzlich vorgesehene oder um eine kollektivvertraglich festgelegte Organisationseinheit geht. § 18 Abs. 2 BetrVG eröffnet damit eine Möglichkeit der Rechtskontrolle namentlich für Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG8: Wird über Vorliegen oder Abgrenzung einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit im Sinne von § 3 Abs. 5 BetrVG gestritten, muß daß Gericht Wirksamkeit und Inhalt des zugrunde liegenden Tarifvertrags klären. 4 Zur Verkennung des Betriebsbegriffs als Wahlanfechtungsgrund vgl. etwa BAG EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 25, 39, 42. 5 Sind von einem Organisationstarifvertrag mehrere Arbeitgeber betroffen, ist jeder einzelne zur Anfechtung berechtigt. 6 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 38. 7 Vgl. Kreutz in: GK-BetrVG, § 18 Rn. 54. 8 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 38; Fitting, BetrvG, § 18 Rn. 54; Kreutz in: GK-BetrVG, § 18 Rn. 56; Schneider in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 18 Rn. 17; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 18 Rn. 22 f.

§ 10 Möglichkeiten der gerichtlichen Kontrolle

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Der Streit ist gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG ebenfalls im Beschlußverfahren auszutragen. Antragsberechtigt sind nach § 18 Abs. 2 BetrVG der Arbeitgeber, jeder beteiligte Betriebsrat, jeder beteiligte Wahlvorstand und jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Eine Antragsberechtigung einzelner Arbeitnehmer ist im Gesetz hingegen nicht vorgesehen. Sie kann auch nicht durch eine analoge Anwendung von § 19 Abs. 2 BetrVG begründet werden, weil es an der dafür notwendigen, ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke fehlt9. Der einzelne Arbeitnehmer hat, solange nicht sein eigenes aktives oder passives Wahlrecht in Frage steht10, kein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung über die Abgrenzung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um gesetzlich oder tarifvertraglich vorgesehene Organisationseinheiten handelt.

III. Das Verfahren nach § 9 TVG § 9 TVG eröffnet den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit eines abstrakten Feststellungsverfahrens über Wirksamkeit und Inhalt von Tarifnormen11. Gegenstand des Verfahrens können alle Arten von Tarifnormen sein, mithin auch Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen einschließlich solcher zur Organisation der Betriebsverfassung. Von Bedeutung ist das vor allem für tarifvertragliche Organisationsregelungen, die nicht nach § 19 oder § 18 Abs. 2 BetrVG kontrollfähig sind. Sie können im Verfahren nach § 9 TVG ganz oder teilweise zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden12. Über die Anträge der Tarifvertragsparteien entscheidet das zuständige Arbeitsgericht im Beschlußverfahren. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 ArbGG sieht zwar für „Rechtsstreitigkeiten ( . . . ) aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen“ grundsätzlich das Urteilsverfahren vor. Soweit es jedoch um Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung geht, handelt es sich zugleich um eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit, für die nach der spezielleren Vorschrift des § 2a Abs. 1, 2 BetrVG das Beschlußverfahren statthaft ist13: Immer dann, wenn die Ordnung des Betriebs oder die Rechte und Pflichten der Betriebspartner im Streit sind, soll darüber im Beschlußverfahren 9 Ebenso Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 18 Rn. 8; Fitting, BetrVG, § 118 Rn. 60; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 18 Rn. 26; a.A. Kreutz in: GK-BetrVG, § 18 Rn. 58. 10 Zur Antragsberechtigung in diesem Fall BAG AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG. 11 BAG AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen; BAG AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Löwisch / Rieble, TVG, § 9 Rn. 2. 12 BAG AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Löwisch / Rieble, TVG, § 9 Rn. 21; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 9 Rn. 21. 13 Vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972; Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 13; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 104; Matthes in: Germelmann / Matthes / Müller-Glöge / Prütting, ArbGG, § 2a Rn. 10; siehe auch Grunsky, ArbGG, § 2a Rn. 10.

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4. Teil: Rechtsschutzfragen

als der dafür besonders geeigneten Verfahrensart entschieden werden. Das gilt unabhängig davon, ob um eine gesetzliche oder tarifvertragliche Regelung der Betriebsverfassung gestritten wird14. Zudem berühren Streitigkeiten aus einer tarifvertraglichen geregelten Betriebsverfassung vielfach zugleich Rechte und Pflichten der auf gesetzlicher Grundlage gebildeten Organe und Einrichtungen15. Auch aus diesem Grund ist die einheitliche Durchführung des Beschlußverfahrens sachgerecht.

IV. Inzidentkontrolle in anderen Verfahren Schließlich können Wirksamkeit und Inhalt eines Organisationstarifvertrags in anderen Rechtsstreitigkeiten als entscheidungserhebliche Vorfragen inzident zu prüfen sein. Die möglichen Fallkonstellationen sind vielgestaltig. So kann etwa der Ausgang eines Rechtsstreits über die Beendigung der Amtszeit eines auf gesetzlicher Grundlage gebildeten Betriebsrats davon abhängen, ob der Betrieb wirksam in eine tarifvertraglich festgelegte Organisationseinheit einbezogen wurde16. Ebenso können Wirksamkeit und Inhalt eines Organisationstarifvertrags entscheidungserhebliche Vorfragen für die Beurteilung des Verhältnisses von auf tarifvertraglicher Grundlage errichteten Vertretungen zu anderen betriebsverfassungsrechtlichen Gremien sein17. Selbst in Verfahren ohne betriebsverfassungsrechtlichen Streitgegenstand kann sich die Notwendigkeit zur Überprüfung einer tarifvertraglichen Organisationsregelung ergeben, etwa wenn es in einem Kündigungsschutzprozeß auf die Frage ankommt, ob ein aufgrund Tarifvertrags gebildeter Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu hören war.

§ 11 Umfang der gerichtlichen Kontrolle Kommt es zur gerichtlichen Überprüfung eines Organisationstarifvertrags, stellt sich die Frage nach deren Umfang. Allgemein unterliegen Tarifverträge voller gerichtlicher Rechtskontrolle. Sie sind von den Gerichten darauf zu überprüfen, ob sie gegen das Grundgesetz, zwingendes Gesetzesrecht oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen18. Vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972. Vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972. 16 Vgl. BAGE 97, 31, 43. 17 Vgl. etwa BAG AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972: Entsendung von Mitgliedern einer auf tarifvertraglicher Grundlage gebildeten Vertretung des fliegenden Personals einer Fluggesellschaft in den Wirtschaftsausschuß. 18 Vgl. BAG AP Nr. 36 zu § 611 BGB Kirchendienst; BAG EzA § 1 BetrAVG Ablösung Nr. 27; BAGE 79, 236, 242; BAG AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Besitzstand (st. Rspr.); 14 15

§ 11 Umfang der gerichtlichen Kontrolle

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Liegt ein solcher Verstoß vor, ist der betreffende Tarifvertrag nichtig und darf nicht angewendet werden19. Grundsätzlich nicht gerichtlich überprüfbar ist dagegen, ob der Inhalt eines Tarifvertrags angemessen, sachgerecht oder zweckmäßig ist. Eine solche allgemeine Billigkeits-, Sachgerechtigkeits- oder Zweckmäßigkeitkontrolle wäre unzulässig, weil sie zu einer mit Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbaren „Tarifzensur“ führen würde20. Dieser Kontrollmaßstab gilt grundsätzlich auch für Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung. Auch sie unterliegen keiner Billigkeitskontrolle, sind aber von den Gerichten im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung und dem einfachen Recht überprüfbar. Eine Einschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs soll allerdings nach verbreiteter Auffassung in der Literatur für Tarifverträge nach § 3 BetrVG gelten. Insoweit wird angenommen, den Tarifvertragsparteien stehe ein (großer21) Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu22, der die gerichtliche Überprüfbarkeit begrenze. Das folge aus der Offenheit und Unbestimmtheit der gesetzlichen Tatbestände, deren Ausfüllung der Gesetzgeber bewußt den Tarifvertragsparteien überlassen habe23. Die gerichtliche Rechtskontrolle sei deshalb auf (grobe24) Fehler bei der Beurteilung und Ermessenausübung seitens der Tarifvertragsparteien beschränkt. Dem kann nicht gefolgt werden. § 3 BetrVG konkretisiert den Gestaltungsspielraum der Tarifpartner im Bereich der Organisation der Betriebsverfassung. Die gesetzlichen Regelungen in diesem Bereich sind zwingendes Recht25. Dessen Beachtung durch die Tarifvertragsparteien ist nach allgemeinen Grundsätzen in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar. Für die Anerkennung eines gerichtlicher Kontrolle entzogenen „Beurteilungsspielraums“ der Tarifpartner bei der GesetzesausKoberski / Clasen / Menzel, TVG, § 1 Rn. 100; Loritz in: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 38 VI, S. 434. 19 Löwisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 346, 350; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 244; vgl. auch Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 23; Thüsing, ZIP 2003, 693, 700. 20 Vgl. BAG EzA § 1 BetrAVG Ablösung Nr. 27; BAG AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 695 f.; Löwisch / Rieble in: MünchArbR, § 246 Rn. 96; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 227. 21 Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 156; vgl. auch Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 1; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 21. 22 Eisemann in: ErfK, BetrVG, § 3 Rn. 1; Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 21; Heinkel, Organisationseinheit, S. 326 f.; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 95; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 156; vgl. auch Friese, ZfA 2003, 237, 257: „weites Regelungsermessen“; zweifelnd Annuß, NZA 2002, 290, 292. 23 Friese, ZfA 2003, 237, 257; Heinkel, Organisationseinheit, S. 325 f., 327; Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 156. 24 Trümner in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 3 Rn. 156; vgl. auch Plander, NZA 2002, 483, 488: Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf Fälle „offenkundiger Unzweckmäßigkeit“. 25 Vgl. oben § 1 III. 2. c).

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4. Teil: Rechtsschutzfragen

legung besteht kein Raum. Der Gesetzgeber hat in § 3 BetrVG die gesetzliche Organisation der Betriebsverfassung gerade nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien gestellt, sondern lediglich einzelne, enumerativ aufgezählte Abweichungsmöglichkeiten zugelassen26. Daß er bei deren Ausgestaltung normative Rechtsbegriffe verwendet hat, erweitert zwar den Handlungsspielraum der Tarifvertragsparteien, verringert aber nicht die gerichtliche Kontrolldichte. Auch Rechtsbegriffe, deren Inhalt nicht durch einen festumrissenen Sachverhalt ausgefüllt wird, sondern bei der Rechtsanwendung im Einzelfall der Präzisierung bedarf, unterliegen grundsätzlich der uneingeschränkten richterlichen Nachprüfung27. Die in § 3 BetrVG verwendeten normativen Gesetzesbegriffe bilden insoweit keine Ausnahme. Sie sollen Organisationsregelungen ermöglichen, die auf die besondere Struktur des jeweiligen Betriebs, Unternehmens oder Konzerns zugeschnitten sind28. Das bedingt angesichts der Vielgestaltigkeit der in Rede stehenden Sachverhalte ein gewisses gesetzliches Abstraktionsniveau. Die Letztverantwortung für die Gesetzesauslegung obliegt aber nicht den Tarifpartnern, sondern der Judikative29. Nur bei diesem Verständnis ist die Geltungserstreckung der betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen auf Außenseiter nach § 3 Abs. 2 TVG verfassungsrechtlich gerechtfertigt30. Die Gerichte können und müssen daher im Streitfall prüfen, ob die tarifvertragliche Organisationsregelung den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Sie entscheiden letztverbindlich darüber, ob die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, also etwa ein „Unternehmen mit mehreren Betrieben“31 oder eine Unternehmensorganisation „nach produkt- oder projektbezogenen Geschäftsbereichen“ 32 vorliegt und die gesetzlichen „Dienlichkeitsklauseln“ beachtet wurden33. Ebenso haben sie zu prüfen, ob die im konkreten Fall getroffene tarifvertragliche Vereinbarung zu den nach § 3 Abs. 1 BetrVG zulässigen Regelungen zählt. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie wird dadurch nicht verletzt. Denn eine allgemeine Sachgerechtigkeits- oder Zweckmäßigkeitskontrolle, die zu einer unzuVgl. oben § 1 III. 2. b). Vgl. BVerwGE 94, 307, 309. Im Verwaltungsrecht entspricht es heute allgemeiner Ansicht, daß die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe grundsätzlich vollständiger richterlicher Kontrolle unterliegt (st. Rspr. des BVerwG, vgl. zuletzt BVerwGE 100, 221, 225; aus dem Schrifttum vgl. nur Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 475; Mauerer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 62). Die früher vertretene sog. „Lehre vom Beurteilungsspielraum“ hat sich nicht durchgesetzt. Nur in wenigen Ausnahmefällen, namentlich im Prüfungsrecht, ist die gerichtliche Überprüfbarkeit eingeschränkt (näher dazu Mauerer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 37 ff., m. w. N.). 28 Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14 / 5741, S. 33. 29 Insoweit zutreffend auch Friese, ZfA 2003, 237, 252. 30 Vgl. oben § 2 III. 3. b). 31 § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. 32 § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. 33 Für eine „an den Tatbestandsmerkmalen des § 3 ausgerichtete Rechtskontrolle durch die Gerichte“ auch Stege / Weinspach / Schiefer, BetrVG, § 3 Rn. 11. 26 27

§ 11 Umfang der gerichtlichen Kontrolle

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lässigen „Tarifzensur“ führen würde, findet nicht statt. Sachgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit des Tarifvertrags sind lediglich insoweit gerichtlich überprüfbar, als der Gesetzgeber sie zu gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erhoben hat. Die in § 3 Abs. 1 BetrVG normierten tatbestandlichen Vorgaben, wonach die jeweilige tarifvertragliche Regelung „einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer“34 bzw. „der Aufgaben des Betriebsrats“35 oder „einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer“36 dienen muß, bilden eine gesetzliche Grenze der tarifvertraglichen Regelungsbefugnis im Bereich der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation. Die darin liegende Beschränkung der Tarifmacht ist mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar37. Nichts anderes gilt für die gerichtliche Überprüfung der tarifvertraglichen Organisationsregelungen im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit dem Gesetz. Ein „Ermessenspielraum“ der Tarifvertragsparteien besteht im Rahmen von § 3 BetrVG lediglich insofern, als ihnen die Entscheidung darüber frei steht, welche von mehreren zulässigen Regelungen sie im konkreten Fall treffen. Es ist Aufgabe der Tarifpartner, diejenige Organisationsregelung zu ermitteln und zu vereinbaren, die für den jeweiligen Einzelfall „am besten paßt“. Die Gerichte sind nicht befugt, ihre Vorstellung von einer im Einzelfall besonders „sinnvollen“ Regelung an die Stelle derjenigen der Tarifvertragsparteien zu setzen. Die Grenzen des tarifvertraglichen Gestaltungsspielraums sind aber durch die gesetzlich normierten Regelungsmöglichkeiten und Tatbestandsvoraussetzungen verbindlich vorgegeben. Ihre Einhaltung unterliegt in vollem Umfang richterlicher Nachprüfung. Eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf „grobe“ oder „offenkundige“ Fehler ist auch insoweit nicht angezeigt.

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§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Vgl. oben § 2 I. 4.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse 1. Die Organisation der Betriebsverfassung durch Tarifvertrag ist Gegenstand verschiedener einfachgesetzlicher Regelungen, deren Verhältnis zueinander durch Auslegung zu ermitteln ist. a) Das Tarifvertragsgesetz sieht vor, daß Rechtsnormen über „betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ Inhalt von Tarifverträgen sein können, unmittelbare und zwingende Wirkung haben und für alle Arbeitnehmer in Betrieben gelten, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Das Betriebsverfassungsgesetz läßt in zahlreichen Einzelvorschriften Abweichungen vom gesetzlichen Organisationsrecht durch Tarifvertrag zu, ohne Wirkung und personelle Reichweite der abweichenden Tarifregelungen festzulegen. b) Das Tarifvertragsgesetz kommt prinzipiell als Grundlage für tarifvertragliche Vereinbarungen über die Organisation der Betriebsverfassung in Betracht. Die gesetzliche Ermächtigung zur Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen ist nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck des Gesetzes in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Sie ist nach wie vor geltendes Recht. c) Die Regelungsbefugnis der Tarifpartner nach dem Tarifvertragsgesetz wird jedoch durch die Organisationsvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes beschränkt. Diese sind grundsätzlich zweiseitig zwingend ausgestaltet. Im Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes sind Abweichungen von den gesetzlichen Organisationsnormen deshalb nur zulässig, soweit das Gesetz sie ausdrücklich vorsieht. Wirkungen und personelle Reichweite betriebsverfassungsrechtlicher Tarifregelungen richten sich hingegen allein nach dem Tarifvertragsgesetz. 2. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der tarifvertraglichen Regelungsbefugnisse zur Organisation der Betriebsverfassung ist mit dem Grundgesetz vereinbar. a) Die (zwingende) Normierung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation durch das Betriebsverfassungsgesetz verstößt nicht gegen das Grundrecht der kollektiven Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG. Sie greift zwar in dessen Schutzbereich ein, der sich auch auf tarifvertragliche Vereinbarungen zur Organisation der Betriebsverfassung erstreckt. Der Eingriff ist aber zum Schutz der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt. b) Die gesetzliche Anordnung betriebseinheitlicher Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen durch § 3 Abs. 2 TVG verletzt nicht die individuelle Koalitionsfreiheit der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer. Art. 9 Abs. 3

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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GG schützt die Entscheidungsfreiheit des einzelnen über den Beitritt zu einer Koalition. Die gesetzliche Regelung erzeugt keinen Druck, der diese Freiheit in verfassungsrechtlich relevanter Weise beeinträchtigt. c) § 3 Abs. 2 TVG greift in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer ein. Der Eingriff ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn die Vorschrift im Hinblick auf das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip einschränkend ausgelegt wird. Die gesetzliche Geltungsanordnung ist auf solche Tarifnormen zu beschränken, deren Inhalt hinreichend gesetzlich bestimmt ist. Diese Voraussetzung wird durch die Zulassungsklauseln des Betriebsverfassungsgesetzes mit Ausnahme von § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG erfüllt. d) In der Anordnung betriebseinheitlicher Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen durch § 3 Abs. 2 TVG liegt keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). 3. Zentrale gesetzliche Zulassungsnorm für Organisationstarifverträge ist § 3 BetrVG. Danach kann durch Tarifvertrag die Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten, Gremien und Vertretungen geregelt werden. Die einzelnen Regelungsmöglichkeiten sind an das Vorliegen gesetzlicher Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft. a) § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ermöglicht die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats und die Zusammenfassung von Betrieben. Damit kann durch Tarifvertrag der Betrieb als gesetzlich vorgesehene betriebsverfassungsrechtliche Organisationsheit durch das Unternehmen oder mehrere Betriebe ersetzt werden. Tatbestandsvoraussetzung ist, daß ein Unternehmen mit mehreren Betrieben existiert; gemeinsame Betriebe mehrerer Unternehmen fallen nicht darunter. Außerdem muß die tarifvertragliche Regelung die Bildung von Betriebsräten erleichtern oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen dienen. b) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG kann durch Tarifvertrag die Bildung von Spartenbetriebsräten bestimmt werden. Die Vorschrift ermöglicht die Schaffung unternehmensübergreifender betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten, nicht aber die Bildung von „Spartengesamtbetriebsräten“. Der Spartenbetriebsrat ersetzt in seinem Zuständigkeitsbereich auf gesetzlicher Grundlage gebildete Betriebsräte. Tatbestandliche Voraussetzung ist ein nach Sparten organisiertes Unternehmen oder ein nach Sparten organisierter Konzern, worunter auch der Gleichordnungskonzern fällt. Der Begriff der Spartenorganisation knüpft an betriebswirtschaftliche und gesellschaftsrechtliche Terminologie an und hat in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG seine spezifisch betriebsverfassungsrechtliche Ausprägung erfahren. Die Spartenleitung muß zumindest auch in nach dem Betriebsverfassungsgesetz beteiligungspflichtigen Angelegenheiten entscheiden. Die Bildung von Spartenbetriebsräten muß zudem der sachgerechten Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben dienen. Dabei ist auf die für eine sachgerechte Aufgabenwahrnehmung des Betriebsrats nach dem Betriebsverfassungsgesetz maßgeblichen Kriterien abzustellen.

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Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

c) § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erlaubt es den Tarifvertragsparteien, „andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ zu schaffen. Darunter fallen nur solche Strukturen, die nicht schon in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG geregelt sind. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind auf die unterste Ebene der betrieblichen Interessenvertretung beschränkt; die Errichtung von Vertretungsstrukturen auf Unternehmens- oder Konzernebene ist nicht möglich. Die betriebsverfassungsrechtliche Binnenorganisation richtet sich allein nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Die aufgrund des Tarifvertrags gebildete Vertretung ersetzt in ihrem Zuständigkeitsbereich den gesetzlichen Betriebsrat. Zwingende gesetzliche Voraussetzung für die Zulässigkeit der tarifvertraglichen Vereinbarung ist, daß diese einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient. Maßgeblich dafür sind die in den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes zum Ausdruck kommenden Wertungskriterien. d) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG können auf tarifvertraglicher Grundlage „Arbeitsgemeinschaften“ errichtet werden, die der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertretungen dienen. Diese zusätzlichen betriebsverfassungsrechtlichen Gremien sind keine Mitbestimmungsorgane, sondern haben lediglich Koordinationsfunktion. Die gesetzlichen Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und die Rechtsstellung seiner Mitglieder finden auf sie keine Anwendung. e) § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG eröffnet den Tarifvertragparteien die Möglichkeit, zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen der Arbeitnehmer vorzusehen, welche die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern erleichtern. Die zusätzlichen Vertretungen dürfen weder Aufgaben des Betriebsrats wahrnehmen noch in dessen Zuständigkeitsbereich eingreifen. Ihre Aufgabe beschränkt sich auf die Kontaktvermittlung zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern. Die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und die Rechtsstellung seiner Mitglieder gelten nicht. 4. Neben § 3 BetrVG läßt das Betriebsverfassungsgesetz nur wenige Abweichungen von der gesetzlichen Organisation durch Tarifvertrag zu. Die Gestaltungsmöglichkeiten beschränken sich im wesentlichen auf punktuelle Modifikationen und Ergänzungen einzelner Vorschriften. Eine Ausnahme bildet § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG, der die Errichtung einer Vertretung für fliegendes Personal von Luftfahrtunternehmen ermöglicht. 5. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes können betriebsverfassungsrechtliche Fragen auf der Grundlage des Tarifvertragsgesetzes geregelt werden. Durch Tarifvertrag kann damit die Möglichkeit zur Bildung von Arbeitnehmervertretungen auch dort geschaffen werden, wo das Betriebsverfassungsgesetz nicht gilt. Mögliche Regelungsbereiche sind Kleinbetriebe, Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen sowie Tendenzbetriebe. Bei verfassungskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 TVG gelten solche tarifvertraglichen Regelungen allerdings unmittelbar nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen.

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6. Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit zum Abschluß von Organisationstarifverträgen richten sich grundsätzlich nach allgemeinem Tarifrecht. Zulässsig sind sowohl Verbands- als auch Firmentarifverträge. Unternehmensübergreifende Organisationsregelungen durch Firmentarifvertrag sind auch innerhalb eines Konzerns nur im Rahmen eines mehrgliedrigen Tarifvertrags unter Beteiligung aller betroffenen Unternehmen möglich. Die Tarifvertragspartner müssen für alle Betriebe und Unternehmen tarifzuständig sein, die in den Geltungsbereich des Tarifvertrags einbezogen werden sollen. Ein trotz teilweise fehlender Tarifzuständigkeit abgeschlossener Tarifvertrag ist nur wirksam, wenn und soweit er mit dem von der Tarifzuständigkeit der Vertragspartner umfaßten Geltungsbereich sinnvoll bestehen bleiben kann. Die Zuständigkeit einer Gewerkschaft zum Abschluß eines Organisationstarifvertrags setzt nicht voraus, daß sie in den vom Geltungsbereich des Tarifvertrags erfaßten Betrieben durch Mitglieder vertreten ist. 7. Die Auflösung von Tarifkonkurrenzen mehrerer Organisationstarifverträge erfolgt nach dem Grundsatz der Tarifeinheit. Welcher der konkurrierenden Tarifvertrag Anwendungsvorrang genießt, ist auf der Grundlage des Spezialitätsprinzip zu ermitteln. Dabei sind die Besonderheiten von Organisationstarifverträgen zu berücksichtigen. Vorrang ist dem Tarifvertrag einzuräumen, der aufgrund seiner Sachnähe den Erfordernissen des Betriebs und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird. Die Beurteilung der Sachnähe richtet sich nach betriebsverfassungsrechtlichen Kriterien. Dieselben Grundsätze gelten für den Fall der Tarifpluralität. 8. Die Wirkung von Tarifnormen zur Organisation der Betriebsverfassung beginnt mit dem in Tarifvertrag bestimmten Zeitpunkt. Fehlt eine entsprechende Vereinbarung, setzt die Tarifwirkung mit Vertragsschluß, bei Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG grundsätzlich bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl ein. Nach Beendigung des Tarifvertrags wirken seine Rechtsnormen nach. Eine zeitliche Begrenzung der Nachwirkung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen findet im geltenden Recht keine Grundlage. 9. Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung können grundsätzlich im Wege des Arbeitskampfs erzwungen werden. Der Einsatz von Arbeitskampfmitteln zur Herbeiführung eines Organisationstraifvertrags ist als koalitionsspezifische Betätigung durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Ein genereller Ausschluß des Streikrechts folgt weder aus kollidierendem Verfassungsrecht noch aus einfachem Gesetzesrecht. Arbeitskämpfe sind aber nur als ultima ratio zulässig und unterliegen den allgemeinen Schranken des Arbeitskampfrechts. 10. Tarifverträge zur Organisation der Betriebsverfassung unterliegen der Rechtskontrolle durch die staatlichen Gerichte. Sie sind von diesen darauf zu überprüfen, ob sie gegen das Grundgesetz, zwingendes Gesetzesrecht oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen. Dieser Kontrollmaßstab gilt auch für Tarifverträge nach § 3 BetrVG. Die Einhaltung der durch die gesetzlich normierten Tatbestandsvoraussetzungen und Regelungsmöglichkeiten gezogenen Grenzen un-

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Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

terliegt in vollem Umfang richterlicher Nachprüfung. Die gerichtliche Kontrolldichte ist nicht auf grobe oder offenkundige Fehler bei der Rechtsanwendung und Ermessensausübung beschränkt.

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Sachwortverzeichnis Allgemeine Handlungsfreiheit 86 ff. Allgemeinverbindlicherklärung 85, 92, 174 Andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen 95 ff., 129 ff., 184 Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 42, 50 ff., 200 Arbeitsgemeinschaften 25, 97 f., 137 ff. Arbeitsgruppen 144 Arbeitskampf 44, 73, 194, 197 ff. Ausbildungsbetriebe 31, 136, 163 f. Ausgliederung 18 Ausnahmetatbestände s. Zulassungsklauseln Außendienstmitarbeiter 146 Außenseiter 60 ff., 76 ff., 86 ff., 210

Flugbetriebsvertretung 26, 98, 145 ff. Freistellung von Betriebsratsmitgliedern 26, 94, 149 f. Funktionalorganisation 120 f.

Bauunternehmen 136, 137 (Fn. 203) Berufsfreiheit 42 – der Arbeitnehmer 70 ff. – des Arbeitgebers 167 f., 199, 202 Beschäftigungsgesellschaften 136 Beschwerdestelle, betriebliche 26, 153 f. Beschwerdeverfahren 26, 94, 153 f. Beteiligungsrechte des Betriebsrats 17, 110 f., 128, 135 – Erweiterung durch Tarifvertrag 20, 30 Betriebsbegriff 107 Beurteilungsspielraum 209 ff.

Individuelle Koalitionsfreiheit s. Koalitionsfreiheit Inzidentkontrolle von Organisationstarifverträgen 208

Gemeinschaftsbetrieb 26, 107 f., 146, 151 f. gerichtliche Kontrolle 95, 97, 152 f., 205 ff. Geschäftsbereichsorganisation s. Spartenorganisation Gewerkschaftliche Vertrauensleute 133, 143 Handlungsfreiheit s. allgemeine Handlungsfreiheit Haustarifvertrag s. Firmentarifvertrag

Jugend- und Auszubildendenvertretung 26, 141, 146, 152, 163 f. Just-in-time-Produktion, 137, 141

Ermessensspielraum – der Tarifvertragsparteien 209 ff. – des Gesetzgebers 103 Erstreikbarkeit s. Arbeitskampf

Karitative Einrichtungen 30 f., 159 ff., 161 f. Kernbereichsformel 47 ff. Kirchlicher Dienst 159 ff. Kleinbetriebe 30 f., 109, 157 f., 168, 185 Koalitionsfreiheit 24, 42 – individuelle negative 76 ff. – kollektive 43 ff., 200 f. Konzern 18, 96, 124 ff., 135 ff., 152 Konzerntarifvertrag 170 f. Konzernwirtschaftsausschuß 130, 132 Kostentragungspflicht des Arbeitgebers 140, 145, 156

Filialbetriebe 106, 150 Firmentarifvertrag 166, 169 ff., 174 ff. Fliegendes Personal 98, 154 ff., 185

Legitimation, rechtsstaatlich-demokratische 89 ff. Luftfahrtunternehmen 26, 98, 154 ff., 185

Demokratieprinzip 89 ff. Divisionalisierung 18, 121, s. auch Spartenorganisation

Sachwortverzeichnis Matrixorganisation 122 (Fn. 105), 123 Mehrgliedriger Tarifvertrag 169, 172 Mehrheitsprinzip 177 f., 180 ff. Mitarbeitervertretungsrecht, kirchliches 160 f. Nachwirkung 189 ff. Negative Koalitionsfreiheit s. Koalitionsfreiheit Öffnungsklauseln s. Zulassungsklauseln Outsourcing 18 Parlamentsvorbehalt 91 f. Personalvertretungsrecht 35, 36, 52 f. Prioritätsprinzip 178, 180 Prognosespielraum des Gesetzgebers 74 Qualifizierungsgesellschaften 136 Rechtskontrolle s. gerichtliche Kontrolle Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen 23 f., 32 ff., 93 ff. Rechtsstaatsprinzip 89 ff. Redaktionsstatut 162 Reform des Betriebsverfassungsgesetzes 20, 38 f. Religionsgemeinschaften 30 f., 159 ff. Saisonbetriebe 136 Schiedsverfahren 172 f. Schwellenwerte 105, 111, 149 Shop-in-shop-Konzepte 137, 141 f. Sozialstaatsprinzip 71 Spartenbetriebsrat 112 ff. Spartengesamtbetriebsrat 113 f. Spartenorganisation 18, 119 ff. Spezialitätsprinzip 174 f., 177, 182 ff.

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Streikrecht s. Arbeitskampf Tarifaußenseiter s. Außenseiter Tarifautonomie 46 ff. – Begriff 61 f. – personelle Reichweite 60 ff. Tariffähigkeit 165 ff. Tarifflucht 188 Tarifierungsermächtigung s. Zulassungsklauseln Tarifkollisionen 174 ff. tarifliche Schlichtungsstelle 26, 94, 152 f. Tarifzensur 209 ff. Tarifzuständigkeit 165 ff. Tendenzbetriebe 31, 161 ff. Übergangsmandat des Betriebsrats 192, 195 – Verlängerung 26, 94, 147 f. Unternehmen, Begriff 107 Unternehmenseinheitlicher Betriebrat 105 ff. Varietés 136 Verbandstarifvertrag 166 ff., 174 f. Verfassungskonforme Auslegung 41, 76, 99 f. Verweisung auf Tarifnormen 85, 93 Wahlanfechtung 205 f. Wandel der Normsituation 34 Zulassungsklauseln, Begriff 25 (Fn. 9) Zusammenfassung von Betrieben 25, 95, 105 ff. Zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen 142 ff. Zuständigkeitskonflikte 172 f. Zustimmung der Aufsichtsbehörde 19 f. Zweckmäßigkeitskontrolle 209, 210 f.