Die Nichtigkeit des Menschen und die Übermacht Gottes: Studien zur Gottes- und Selbsterkenntnis bei Paulus, Philo und in der Stoa 9783161550089, 9783161550096, 3161550080

Die Sorge um das Selbst ist in jüngerer Vergangenheit als eines der zentralen Themen der hellenistischen Philosophie wie

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Die Nichtigkeit des Menschen und die Übermacht Gottes: Studien zur Gottes- und Selbsterkenntnis bei Paulus, Philo und in der Stoa
 9783161550089, 9783161550096, 3161550080

Table of contents :
Cover
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Kapitel 1: Einleitung
Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott.Die theologisch zentrierte Anthropologie bei Paulusund Philo im Spiegel griechisch-römischerund biblisch-jüdischer Traditionsbildung
Kapitel 2: Paulus – „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“ (1Kor 4,6). Die Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung
2.1 Theologische Grundlegung (1Kor 1,18–2,16)
2.1.1 Die Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten (1Kor 1,18–25; 2,6–16)
2.1.2 Die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung angesichts der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten (1Kor 1,26–2,5)
2.1.3 Traditionsgeschichtliche Erwägungen zu 1Kor 1,26–31
2.2 Das Verhalten der sich weise dünkenden Korinther im Licht der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten (1Kor 3f.)
2.2.1 Die Nichtigkeit der Verkündiger des Evangeliums angesichts der Wirkmacht Gottes (1Kor 3,5–9)
2.2.2 Die Herrschaft Christi über alle als Grund für die Unmöglichkeit, sich mit Menschen zu rühmen (1Kor 3,18–23)
2.2.3 „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“. Kein sich-Rühmen des vermeintlich Eigenen (1Kor 4,6–13)
2.3 Paulus und die gegnerischen Apostel im Licht der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten (2Kor 10–13)
2.3.1 Die Selbsterhebung der Gegner über den Apostel als Ausdruck einer verfehlten Gotteserkenntnis (2Kor 10,1–6)
2.3.2 Legitimes und illegitimes Rühmen
2.3.2.1 Der maßlose Selbstruhm der Gegner und das an dem von Gott zugeteilten Maß orientierte .sich-Rühmen des Apostels (2Kor 10,12–18)
2.3.2.2 Vom rhetorisch legitimen, theologisch aber illegitimen sich-Rühmen zum christusgemäßen sich-Rühmen (2Kor 11,16–12,13)
2.3.2.3 Traditionsgeschichtliche Erwägungen zu 2Kor 10–13 .
2.4 Fazit
Kapitel 3: Philo – Das Übermaß der Größe Gottes und die Nichtigkeit des Menschen als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung
3.1 Die Verabsolutierung von Vernunft und sinnlicher Wahrnehmung
3.1.1 Die Selbstverabsolutierung des Menschen und die Erkenntnis Gottes
3.1.1.1 φιλαυτία als Verabsolutierung von Vernunft und sinnlicher Wahrnehmung
3.1.1.2 Gotteserkenntnis bei Philo
3.1.1.2.1 Die Gotteserkenntnis Abrahams
3.1.1.2.2 Natürliche Gotteserkenntnis und Offenbarungserkenntnis als die beiden möglichen Gestalten jüdischer Gotteserkenntnis
3.1.1.2.3 Voraussetzungen der Gotteserkenntnis
3.1.1.2.4 Fazit
3.1.1.3 Gotteserkenntnis bei Philo und Paulus im Vergleich
3.1.2 Scheinweisheit und wahre Weisheit
3.1.3 φιλαυτία als Abkehr von Gott
3.2 φιλαυτία als willentliche Abwendung von Gott versus Gottesliebe als Suche des Seienden
3.3 φιλαυτία als Illusion angesichts der Wirklichkeit von Gott und Mensch
3.3.1 φιλαυτία als Ausdruck knechtischen Bewusstseins und als Selbstbetrug angesichts der passiven Natur des Menschen und der puren Aktivität Gottes
3.3.2 Die Nichtigkeit des Menschen und die Gnadenmacht des fürsorgenden Gottes als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung
3.3.2.1 Die Gottes- und Selbsterfahrung Abrahams im Gegensatz zum kainitischen Lebensentwurf
3.3.2.2 Gott als Ruhm des Menschen als Alternative zum menschlichen Hochmut
3.4 Gott als die alleinige Ursache aller menschlichen Güter
3.4.1 Die φιλαυτία als Infragestellung der Alleinursächlichkeit Gottes im Horizont von Dtn 8 und 9
3.4.2 Leben aus dem Empfangen
3.5 Zur Herkunft der Niedrigkeitsanthropologie Philos
Kapitel 4: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott – Literarisch-theologische, religionsgeschichtliche und historische Perspektiven auf den philonisch-paulinischen Kern und seine Entfaltung
4.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Der literarisch-theologische Befund
4.2 Der philonisch-paulinische Kern und seine Entfaltung im Horizont religionsgeschichtlicher Modelle
4.2.1 Religionsgeschichtliche Modelle zur Erklärung von Gemeinsamkeiten zwischen Philo und Paulus. Eine Forschungsskizze
4.2.2 Der philonisch-paulinische Motivkomplex im Spiegel der religionsgeschichtlichen Erklärungsmodelle
4.3 Der Philo und Paulus gemeinsame Kern als Spezifikum im Kontext der frühjüdischen Literatur
4.4 Von Alexandrien nach Jerusalem. Überlegungen zur Vermittlung des Philo und Paulus gemeinsamen Kerns
4.4.1 Zur Verbreitung philonischen Denkens in Alexandrien und Jerusalem
4.4.2 Jerusalem als potentieller Ort der Vermittlung alexandrinisch-philonischer Tradition an Paulus
4.5 Fazit
Kapitel 5: Der Philo und der Korintherkorrespondenz gemeinsame Kern und die paulinische Rechtfertigungslehre
5.1 Zur Bestimmung des Zentrums der Rechtfertigungslehre in der neutestamentlichen Wissenschaft
5.2 Das Zentrum der Rechtfertigungslehre und seine Anklänge in den frühpaulinischen Briefen
5.2.1 1Kor 1f und die Rechtfertigungslehre
5.2.2 1Thess und die Rechtfertigungslehre
5.3 Der Philo und Paulus gemeinsame Kern und die Rezeption der Rechtfertigungslehre in Eph 2,8–10
5.4 Der Philo und Paulus gemeinsame Kern und die Entstehung der Rechtfertigungslehre
5.4.1 Die Entstehung der Rechtfertigungslehre. Ein Forschungsüberblick
5.4.2 Überlegungen zur Entstehung der Rechtfertigungslehre. Ein Alternativvorschlag
Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbstbei Philo und Paulusim Horizont der kaiserzeitlichen Stoa
Einführung
Kapitel 6: Das Selbst und die Sorge um das Selbst als Gegenstand der Philosophie in der kaiserzeitlichen Stoa – Eine Skizze
Kapitel 7: Rezeption und Abweisung stoischer Vorstellungen vom Selbst bei Philo in Leg 3,1–48
7.1 Das Beispiel Moses (Leg 3,11–14)
7.1.1 Der Text (Leg 3,11–14)
7.1.2 Der Argumentationsgang
7.1.3 Zum Verständnis des Rückzugs (ἀναχωρεῖν) in Leg 3,12–14 und in der stoischen Tradition
7.1.4 Zum Verständnis der ‚beurteilenden Betrachtung‘ (κρίσις)
7.1.5 Flucht und Anachorese
7.1.6 Gott als oberster Lenker der Seelentätigkeit als philonisches Spezifikum
7.2 Das Beispiel Jakobs (Leg 3,15–27)
7.2.1 Der Text
7.2.2 Der Argumentationsgang
7.2.3 Die Übung (ἄσκησις und μελέτη)
7.2.4 Vorstellung (φαντασία) und Antrieb (ὁρμή)
7.2.5 Die Erlangung der Freiheit durch den rechten Gebrauch der Vorstellungen
7.2.6 Das Handeln Gottes im Kontext des Gebrauchs der Vorstellungen und der Überwindung der Leidenschaften als philonisches Spezifikum
7.3 Zuflucht zu Gott oder zum Selbst. Die philonische Alternative (Leg 3,28–31)
Kapitel 8: Zum Gottesverständnis in der Stoa
8.1 Zwei forschungsgeschichtliche Deutungsansätze
8.2 Zum Verhältnis pan(en)theistischer und personal-theistischer Gottesaussagen bei Seneca
8.3 Zum Verhältnis personal-theistischer und pan(en)theistischer Gottesaussagen bei Epiktet
8.4 Fazit
Kapitel 9: Paulus und die Frage nach dem Selbst
Kapitel 10: Ergebnisse und Perspektiven
Literatur
1. Quellen: Textausgaben und Übersetzungen
2. Hilfsmittel
3. Sekundärliteratur
Stellenregister
Autorenregister
Namensregister
Sachregister

Citation preview

I

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber/Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber/Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL) · Tobias Nicklas (Regensburg) J. Ross Wagner (Durham, NC)

377

II

III

Gudrun Holtz

Die Nichtigkeit des Menschen und die Übermacht Gottes Studien zur Gottes- und Selbsterkenntnis bei Paulus, Philo und in der Stoa

Mohr Siebeck

IV Gudrun Holtz, geboren 1959; Studium der Ev. Theologie und der Judaistik in Tübingen, Berlin und Jerusalem; 1993 Promotion; seit 1995 Pfarrerin der Evangelischen Landeskirche in Württemberg; 1999–2002 Dozentur am United Technological College, Bangladore (Indien); 2006 Habilitation; Lehrstuhlvertretungen u.a. in Bochum, Berlin, München und Heidelberg; seit 2014 apl. Professorin für Neues Testament und Antikes Judentum an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.

e-ISBN 978-3-16-155009-6 ISBN 978-3-16-155008-9 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Sabon gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

V

Vorwort



Deze vroomheid is ... een diep weten waar men is, een weten waar men staan moet en wat de plaats die ons is toegewezen heerlijk maakt, een welhaast lichamelijk waarnemen dat een mens niets is en wonder boven wonder toch iets, een onherroepelijk iets.



Kornelis Heiko Miskotte, Verzameld Werk 3,299

Ursprünglich als kleinere Arbeit zu Paulus und Philo geplant, hat sich die vorliegende Untersuchung dank verschiedener Gespräche zu einer umfangreichen Studie entwickelt. Deshalb ist es mir eine Freude, an dieser Stelle all denen zu danken, die zu ihrer jetzigen Gestalt beigetragen haben. Mein Dank gilt an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Matthias Konradt, der mich während einer Lehrstuhlvertretung an der Universität Heidelberg im Wintersemester 2013/14 zu einem Vortrag vor der Neutestamentlichen Sozietät einlud. Dies gab mir die Gelegenheit, einen Teil meiner Thesen vorzustellen und zu diskutieren. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Sozietät danke ich für das stimulierende Gespräch, das mich ermutigt hat, auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Besonders danke ich Herrn Prof. Dr. Peter Lampe und Herrn Prof. Dr. Gerd Theißen für ihre Anregungen, die den Fortgang der Untersuchung befördert haben. Herrn Prof. Dr. Michael Tilly danke ich für eine Einladung zum English-German Colloquium der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen im Frühsommer 2014, wo eine erste Fassung des Kapitels zum stoischen Gottesverständnis vorgestellt und diskutiert wurde. Herrn OStR i.R. Gerhard Schwemer danke ich sehr herzlich für die Durchsicht meiner Übersetzungen der angeführten Philo-­Texte. Für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe „Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament“ habe ich Herrn Prof. Dr. Jörg Frey zu danken. Dem Mohr Siebeck Verlag danke ich für die exzellente Betreuung der Herausgabe der Studie, Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Herrn Philipp Henkys für das Lektorat, Frau Kendra Mäschke für die Werbe- und Klap-

VI

Vorwort

pentexte, Frau Daniela Zeiler und dem Satzbetrieb für die überaus sorgsame Erstellung der Druckvorlage. Mein besonderer Dank gilt meinem Mann, Prof. Dr. Rolf Noormann, der an der vorliegenden Untersuchung ein außergewöhnliches Interesse genommen hat. In einem Gespräch über die „Selbstsorge“ bei Philo hat er mich auf eine Arbeit von Michel Foucault aufmerksam gemacht, der der zweite Teil der vorliegenden Untersuchung wesentliche Anregungen verdankt. Für meine Untersuchungen zur Stoa war es mir eine große Hilfe, ihn als sachkundigen Gesprächspartner im Hintergrund zu wissen. Auch hat er das ganze Manuskript gelesen und kritisch kommentiert. Alle verbliebenen Fehler sind selbstverständlich meine. Gewidmet sei das Buch meinen Eltern in Dankbarkeit. Denkendorf, den 31. Oktober 2016

Gudrun Holtz

VII

Inhaltsverzeichnis Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  XIII

Kapitel 1: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     1 Teil 1

Nicht aus Menschen, sondern aus Gott. Die theologisch zentrierte Anthropologie bei Paulus und Philo im Spiegel griechisch-römischer und biblisch-jüdischer Traditionsbildung Kapitel 2: Paulus – „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“ (1Kor 4,6). Die Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung . . .   9 2.1 Theologische Grundlegung (1Kor 1,18–2,16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   9 2.1.1 Die Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten (1Kor 1,18–25; 2,6–16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11 2.1.2 Die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung angesichts der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten (1Kor 1,26–2,5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  17 2.1.3 Traditionsgeschichtliche Erwägungen zu 1Kor 1,26–31 . . . . .  24 2.2 Das Verhalten der sich weise dünkenden Korinther im Licht der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten (1Kor 3f.) . . . . . . . . .  36 2.2.1 Die Nichtigkeit der Verkündiger des Evangeliums angesichts der Wirkmacht Gottes (1Kor 3,5–9) . . . . . . . . . . . .  37 2.2.2 Die Herrschaft Christi über alle als Grund für die Unmöglichkeit, sich mit Menschen zu rühmen (1Kor 3,18–23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  39

VIII

Inhaltsverzeichnis

2.2.3 „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“. Kein sich-Rühmen des vermeintlich Eigenen (1Kor 4,6–13) ���  44 2.3 Paulus und die gegnerischen Apostel im Licht der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten (2Kor 10–13) . . . . . .  53 2.3.1 Die Selbsterhebung der Gegner über den Apostel als Ausdruck einer verfehlten Gotteserkenntnis (2Kor 10,1–6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   53 2.3.2 Legitimes und illegitimes Rühmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   57 2.3.2.1 Der maßlose Selbstruhm der Gegner und das an dem von Gott zugeteilten Maß orientierte .sich-Rühmen des Apostels (2Kor 10,12–18) . . . . . . . .   57 2.3.2.2 Vom rhetorisch legitimen, theologisch aber illegitimen sich-Rühmen zum christusgemäßen sich-Rühmen (2Kor 11,16–12,13) . . . . . . . . . . . . . . . .   61 2.3.2.3 Traditionsgeschichtliche Erwägungen zu 2Kor 10–13 .   71 2.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   86

Kapitel 3: Philo – Das Übermaß der Größe Gottes und die Nichtigkeit des Menschen als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   88 3.1 Die Verabsolutierung von Vernunft und sinnlicher Wahrnehmung   90 3.1.1 Die Selbstverabsolutierung des Menschen und die Erkenntnis Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   90 3.1.1.1 φιλαυτία als Verabsolutierung von Vernunft und sinnlicher Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   90 3.1.1.2 Gotteserkenntnis bei Philo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  100 3.1.1.2.1 Die Gotteserkenntnis Abrahams . . . . . . . .   101 3.1.1.2.2 Natürliche Gotteserkenntnis und Offenbarungserkenntnis als die beiden möglichen Gestalten jüdischer .Gotteserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  105 3.1.1.2.3 Voraussetzungen der Gotteserkenntnis . . .  119 3.1.1.2.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  123 3.1.1.3 Gotteserkenntnis bei Philo und Paulus im Vergleich .  125 3.1.2 Scheinweisheit und wahre Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  135 3.1.3 φιλαυτία als Abkehr von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  139 3.2 φιλαυτία als willentliche Abwendung von Gott versus Gottesliebe als Suche des Seienden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  141 3.3 φιλαυτία als Illusion angesichts der Wirklichkeit von Gott und Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  144

Inhaltsverzeichnis

IX

φιλαυτία als Ausdruck knechtischen Bewusstseins 3.3.1 und als Selbstbetrug angesichts der passiven Natur des Menschen und der puren Aktivität Gottes . . . . . . . . . . . . . . . .  144 3.3.2 Die Nichtigkeit des Menschen und die Gnadenmacht des fürsorgenden Gottes als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  147 3.3.2.1 Die Gottes- und Selbsterfahrung Abrahams im Gegensatz zum kainitischen Lebensentwurf . . . . . . .  148 3.3.2.2 Gott als Ruhm des Menschen als Alternative zum menschlichen Hochmut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   157 3.4 Gott als die alleinige Ursache aller menschlichen Güter . . . . . . . . . .  164 3.4.1 Die φιλαυτία als Infragestellung der Alleinursächlichkeit Gottes im Horizont von Dtn 8 und 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  164 3.4.2 Leben aus dem Empfangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  174 3.5 Zur Herkunft der Niedrigkeitsanthropologie Philos . . . . . . . . . . . . .  176

Kapitel 4: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott – Literarisch-theologische, religionsgeschichtliche und historische Perspektiven auf den philonisch-paulinischen Kern und seine Entfaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  190 4.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Der literarisch-theologische Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  191 4.2 Der philonisch-paulinische Kern und seine Entfaltung im Horizont religionsgeschichtlicher Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . .  198 4.2.1 Religionsgeschichtliche Modelle zur Erklärung von Gemeinsamkeiten zwischen Philo und Paulus. Eine Forschungsskizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  199 4.2.2 Der philonisch-paulinische Motivkomplex im Spiegel der religionsgeschichtlichen Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . .  201 4.3 Der Philo und Paulus gemeinsame Kern als Spezifikum im Kontext der frühjüdischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  204 4.4 Von Alexandrien nach Jerusalem. Überlegungen zur Vermittlung des Philo und Paulus gemeinsamen Kerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  215 4.4.1 Zur Verbreitung philonischen Denkens in Alexandrien und Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  215 4.4.2 Jerusalem als potentieller Ort der Vermittlung alexandrinisch-philonischer Tradition an Paulus . . . . . . . . . .  219 4.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  226

X

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 5: Der Philo und der Korintherkorrespondenz gemeinsame Kern und die paulinische Rechtfertigungslehre . . . . .  227 5.1 Zur Bestimmung des Zentrums der Rechtfertigungslehre in der neutestamentlichen Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  228 5.2 Das Zentrum der Rechtfertigungslehre und seine Anklänge in den frühpaulinischen Briefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   236 5.2.1 1Kor 1f und die Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  237 5.2.2 1Thess und die Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  243 5.3 Der Philo und Paulus gemeinsame Kern und die Rezeption der Rechtfertigungslehre in Eph 2,8–10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  250 5.4 Der Philo und Paulus gemeinsame Kern und die Entstehung der Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  258 5.4.1 Die Entstehung der Rechtfertigungslehre. Ein Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  258 5.4.2 Überlegungen zur Entstehung der Rechtfertigungslehre. Ein Alternativvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  266 Teil 2

Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus im Horizont der kaiserzeitlichen Stoa Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  277

Kapitel 6: Das Selbst und die Sorge um das Selbst als Gegenstand der Philosophie in der kaiserzeitlichen Stoa – Eine Skizze. . . . . . . .  281 Kapitel 7: Rezeption und Abweisung stoischer Vorstellungen vom Selbst bei Philo in Leg 3,1–48 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  292 7.1 Das Beispiel Moses (Leg 3,11–14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  293 7.1.1 Der Text (Leg 3,11–14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  294 7.1.2 Der Argumentationsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  294 7.1.3 Zum Verständnis des Rückzugs (ἀναχωρεῖν) in Leg 3,12–14 und in der stoischen Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  297 7.1.4 Zum Verständnis der ‚beurteilenden Betrachtung‘ (κρίσις) . .  305 7.1.5 Flucht und Anachorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  307 7.1.6 Gott als oberster Lenker der Seelentätigkeit als philonisches Spezifikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  309

Inhaltsverzeichnis

XI

7.2 Das Beispiel Jakobs (Leg 3,15–27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  311 7.2.1 Der Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  312 7.2.2 Der Argumentationsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  314 7.2.3 Die Übung (ἄσκησις und μελέτη) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  317 7.2.4 Vorstellung (φαντασία) und Antrieb (ὁρμή) . . . . . . . . . . . . . . .  324 7.2.5 Die Erlangung der Freiheit durch den rechten Gebrauch der Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  328 7.2.6 Das Handeln Gottes im Kontext des Gebrauchs der Vorstellungen und der Überwindung der Leidenschaften als philonisches Spezifikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  332 7.3 Zuflucht zu Gott oder zum Selbst. Die philonische Alternative (Leg 3,28–31) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  334

Kapitel 8: Zum Gottesverständnis in der Stoa . . . . . . . . . . . . . . . . . .  344 8.1 Zwei forschungsgeschichtliche Deutungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . .  345 8.2 Zum Verhältnis pan(en)theistischer und personal-theistischer Gottesaussagen bei Seneca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  350 8.3 Zum Verhältnis personal-theistischer und pan(en)theistischer Gottesaussagen bei Epiktet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  363 8.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  369

Kapitel 9: Paulus und die Frage nach dem Selbst . . . . . . . . . . . . . . . .  371 Kapitel 10: Ergebnisse und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  386 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  403 1.  Quellen: Textausgaben und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  403 2. Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  407 3. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  408 1. Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  433 2. Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  455 3. Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  460 4. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  463

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Abkürzungen Die Abkürzungen folgen „Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG 4, hg. von der Redaktion von RGG 4, Tübingen 2007“. Hier nicht verzeichnete Titel etc. werden folgendermaßen abgekürzt: AncYB Anchor Yale Bible BDR Blass, Debrunner, Rehkopf BEC.NT Baker Exegetical Commentary on the New Testament BN.NF Biblische Notizen. Neue Folge BRLJ The Brill Reference Library of Judaism EC.SLA European Cultures. Studies in Literature and the Arts ECh Early Christianity GEL A Greek-English Lexicon of the Septuagint HDAC Histoire des Doctrines de l’Antiquité Classique KG Kühner, Gerth LEH Lust, Eynikel, Hauspie LNTS Library of New Testament Studies LSJ Liddell, Scott, Jones MCL.NS Martin Classical Lectures. New Series ND Nachdruck NTT New Testament Theology OB Outside the Bible PACS Philo of Alexandria Commentary Series PAPM Philo in der Ausgabe von Arnaldez, Pouilloux, Mondésert PCHAT Philo in der Ausgabe von Cohn, Heinemann, Adler und Theiler PCNT Paideia. Commentaries on the New Testament PCWR Philo in der Ausgabe von Cohn, Wendland, Reiter PLCL Philo in der Ausgabe der Loeb Classical Library PNTC The Pillar New Testament Commentary PP Perspektiven der Philosophie PRS Perspectives in Religious Studies SAPERE Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam REligionemque pertinentia SBLi Studies in Biblical Literature SFEG Schriften der finnischen exegetischen Gesellschaft SPhA The Studia Philonica Annual SPhM Studia Philonica Monographs SPoA Studies in Philo of Alexandria SPS Sacra Pagina Series StPh Studia Philonica

XIV TA TBN.JCT TC.SV

Abkürzungen

Transformationen der Antike Themes in Biblical Narrative. Jewish and Christian Traditions Trends in Classics – Supplementary Volumes

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Kapitel 1

Einleitung „Was aber hast du, was du nicht empfangen hast? Wenn du es aber doch empfangen hast, was rühmst du dich (dann) als einer, der nicht empfangen hat?“ In dieser Doppelfrage aus 1Kor 4,7 verdichtet sich die paulinische Grundüberzeugung, dass der Mensch aus Gott lebt und nicht aus sich selbst und es deshalb kein Rühmen des Menschen vor Gott geben kann. Diese Einsicht artikuliert zugleich den Kern des theologisch-anthropologischen Denkens des Apostels, das seiner biographischen Grunderfahrung vor den Toren von Damaskus korrespondiert: Es ist die Erfahrung der übermächtigen Gnade Gottes in der Offenbarung seines Sohnes, die ihn vom Pharisäer zum Apostel Jesu Christi werden und ihn die eigene Unwürdigkeit erkennen lässt. Diese Erfahrung verallgemeinert Paulus in seinen Briefen zum Gegenüber von göttlicher Gnadenmacht und menschlicher Nichtigkeit, Schwachheit und Sündhaftigkeit, aus dem die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung in Gestalt des Rühmens folgt. Der skizzierte theologisch-anthropologische Kern ist kein paulinisches Proprium. Er zeigt sich in eigener Weise auch im corpus philonicum, in dem er ebenfalls zu den zentralen Themen gehört. Wie bereits R. Bultmann festgestellt hat, erreichen im Kontext des antiken Judentums „die philonischen Aussagen die größte Nähe zu den paulinischen“ Warnungen vor Selbst­ruhm.1 Dabei spielt das Lexem καυχᾶσθαι κτλ bei Philo jedoch keine Rolle. Er verwendet stattdessen andere Begriffe, darunter den der φιλαυτία , der in der vorliegenden Untersuchung von tragender Bedeutung ist. Dieser Begriff, dessen lexikalische Grundbedeutung „Eigenliebe“ ist, wird in weiten Teilen des philonischen Werkes in anthropologischer Bedeutung mit theologischem Nebensinn gebraucht. φιλαυτία bezeichnet hier die Selbsterhebung des Menschen über Gott, die sich in der Überzeugung artikuliert, dass Verstandestätigkeit, sinnliche Wahrnehmung und damit zugleich jegliches Handeln des Menschen von Gott abgelöst sind und der Mensch autonom agiert. Philo charakterisiert diese Haltung wiederholt als Sein bzw. Handeln ‚aus sich selbst‘ und berührt sich damit eng mit Paulus. Ähnlich wie der Apostel stellt auch Philo dieser verfehlten Haltung ein Sein und Handeln ‚aus Gott‘, den er als die Ursache aller Güter versteht, antithetisch gegenüber. Die bei Paulus hin1 

Bultmann, καυχάομαι, 648.

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Kapitel 1: Einleitung

ter dieser Antithese stehende theologisch-anthropologische Grundüberzeugung begegnet ebenso auch bei Philo, wenn er im Kontext der Entfaltung der φιλαυτία die Macht und Herrschaft des ungewordenen Gottes und die gänzliche Nichtigkeit und Schwachheit des gewordenen Menschen als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung angibt. Philo sieht in dieser von ihm als ‚großes Geheimnis‘ bestimmten theologisch-anthropologischen Grundeinsicht2 das Ziel der menschlichen Gottes- und Selbsterkenntnis. So betrifft die von Bultmann konstatierte Nähe zwischen Paulus und Philo nicht allein die Kritik jeder Selbsterhebung des Menschen, sondern zugleich die damit verbundene theologische Grundkonzeption. Philo entfaltet das ‚große Geheimnis‘ von Gott und Mensch wiederholt in kaum zu übersehender Auseinandersetzung mit stoischem Denken. Den Vertretern dieser Schulrichtung wirft er vor, in Verkennung des fundamentalen Unterschieds von Gott und Mensch das Selbst an die Stelle Gottes zu setzen. Dies ist für ihn der Inbegriff der φιλαυτία. Damit ist in dieser Frage bei Philo ein theologisch-religionsphilosophischer Gegenentwurf zum stoischen Denken zu erkennen, das in seiner kaiserzeitlichen Gestalt den Charakter einer Philosophie des Ich hat, in der die Befreiung des Selbst durch das Selbst im Zentrum steht. 3 Philo rezipiert in hohem Maße stoisches Gedankengut, dar­ unter auch die für die Philosophie des Selbst konstitutiven Elemente. Er folgt stoischen Lehren in der Beschreibung der Prozesse der vernünftigen Seele, wendet sich aber gegen sie, sofern sie die Seele als sich selbst genügendes, autonom agierendes Subjekt begreifen, das unabhängig von Gott handelt. Bei Paulus ist demgegenüber kein eigenständiges Interesse an einer Auseinandersetzung mit der stoischen Philosophie des Selbst zu erkennen. Manches deutet aber darauf hin, dass ihm diese Diskussion in ihren Grundzügen vertraut war und er sich hier und da auf sie bezieht. So lässt sich auch seine Theologie zumindest als ein indirekter Beitrag zu der theologisch-philosophischen Auseinandersetzung verstehen, wie sie zwischen Philo und kaiserzeitlich stoischem Denken geführt wird. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind Entfaltung und Begründung der skizzierten Zusammenhänge und Thesen. Dazu wird in einem ersten Teil der Befund bei Paulus und Philo dargelegt und unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet, bevor im zweiten Teil ausgehend vom philonischen Befund die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Gott und Selbst nachgezeichnet wird. Im ersten, längeren Hauptteil werden zunächst paulinische (Kap. 2) und philonische (Kap. 3) Texte analysiert, die das ‚große Geheimnis‘ von Gott und Mensch verhandeln, wie es für beide Autoren oben umschrieben wor2  3 

So in einem Fragment aus Leg 4; dazu s. u. Kap. 7.3. Dazu s. u. die Einführung zu Teil 2.

Kapitel 1: Einleitung

3

den ist. Das Kriterium für die Auswahl der philonischen Texte ist in diesem ersten Teil die φιλαυτία-Terminologie einschließlich ihrer Synonyme, mit der der alexandrinische Gelehrte die von ihm verworfene Position des ‚aus sich selbst‘-Seins in besonderer Prägnanz umschreibt. Dem ‚aus sich selbst‘-Sein stellt er in diesen Zusammenhängen in aller Regel den Gegenentwurf eines Lebens aus dem Empfangen der göttlichen Gnadengaben antithetisch gegenüber. So ist bereits durch den Textbefund sichergestellt, dass der Vorstellungskomplex als ganzer im corpus philonicum belegt und also kein wissenschaftliches Konstrukt ist. Bei Paulus ist es das Lexem καυχάομαι κτλ , das zu den hier relevanten Zusammenhängen führt. Dabei handelt es sich zum einen um die Rechtfertigungslehre, wie er sie im Römerbrief entfaltet, zum anderen um die Korintherbriefe, in denen der Selbstruhm vor allem in 1Kor 1–4 und 2Kor 10–13 thematisiert wird. Mit Blick auf Philo ist die sprachliche und motivisch-inhaltliche Gestalt, die Paulus dem Problem in der Korintherkorrespondenz verleiht, von besonderer Bedeutung. Sie bildet deshalb den Gegenstand von Kap. 2. Die Rechtfertigungslehre wird an späterer Stelle in einem eigenen Kapitel thematisiert (Kap. 5). Die ausgewählten Texte beider Autoren berühren sich nicht nur im Grundsätzlichen, das heißt in dem ihnen gemeinsamen Kern, sondern auch in der ihn entfaltenden Motivik. Dennoch bietet sich ein motivgeschichtliches Verfahren hier nicht an. Denn damit würde zum einen nur ein Teil der den Kern entfaltenden Motive erfasst, nämlich die beiden Autoren gemeinsamen, zum anderen könnte er nicht in den spezifischen Kontexten zur Sprache gebracht werden, in denen er sich bei Philo und Paulus jeweils findet. Auf diese Weise würden die Gemeinsamkeiten einseitig auf Kosten der Unterschiede betont. Deshalb wird der Befund zunächst für Philo und Paulus gesondert entfaltet und erst danach in komparativer Absicht ausgewertet. Gegen die chronologische Abfolge wird mit der Analyse der Korintherkorrespondenz begonnen, um so den Weg vom Bekannteren zum weniger Bekannten zu gehen. Um die Wahrnehmung der Bezüge zwischen den Texten beider Autoren zu erleichtern, wird direkt im Anschluss an die Erörterung der einzelnen Philo-Abschnitte die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden gestellt, bevor ein zusammenhängender Vergleich beider Entwürfe vorgenommen wird (Kap. 4). Auf diese Weise wird sowohl dem Ziel, die Eigenaussagen beider Autoren zu erheben, als auch den komparativen Interessen Rechnung getragen. Zugleich wird damit der Forderung L.W. Hurtados Genüge getan, Philo genauso wie Paulus „in his own right“ zu verstehen4 und ihn nicht als Parallelenfundus für Paulus zu missbrauchen5. 4  Hurtado, Philo, 74; vgl. auch Engberg-Pedersen, Self-sufficiency, 118, im Anschluss an A. Malherbe. 5 Ebd., 92, formuliert er als Mahnung an seine „fellow New Testament scholars to avoid simplistic use of ‚parallels‘“. Dazu s. auch unten Kap. 10. (5).

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Kapitel 1: Einleitung

In den beiden exegetischen Kapiteln finden sich wiederholt ausführlichere traditionsgeschichtliche Abhandlungen. Damit verbinden sich, abgesehen von der Erhellung der Aussage der einzelnen Texte, zwei Absichten. Zum einen sollen die in der Forschung teilweise kontrovers diskutierten Herleitungen paulinischer und philonischer Motive, Vorstellungen und Argumenta­ tionstechniken aus Judentum und Hellenismus im Licht des in dieser Untersuchung herangezogenen Materials erörtert und gegebenenfalls neu bewertet werden. Zum anderen soll damit der Vergleich zwischen beiden Autoren vorbereitet werden. Die Klärung traditionsgeschichtlicher Zusammenhänge lässt erkennen, welche Gemeinsamkeiten sich ihrer Verankerung in der Literatur der Zeit verdanken und bei welchen es sich um Spezifika handelt. Kap. 4 verbleibt bei der Bestimmung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden aber nicht auf der literarisch-theologischen Ebene, sondern stellt auf dieser Grundlage auch die Frage nach der religionsgeschichtlichen Erklärung der in den exegetischen Teilen hervorgetretenen Gemeinsamkeiten. Hier werden zunächst die in der gegenwärtigen Forschung debattierten Modelle zur Herleitung von Übereinstimmungen zwischen Philo und Paulus bzw. dem Neuen Testament diskutiert, bevor dann Argumente für ein genealogisches Erklärungsmodell erwogen werden.6 Einer gesonderten Untersuchung bedarf die Frage nach dem Verhältnis des für Philo und die Korintherkorrespondenz gleichermaßen bestimmenden Kerns ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ zur paulinischen Rechtfertigungslehre (Kap. 5), und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wird das Zentrum der Rechtfertigungslehre in der neutestamentlichen Wissenschaft in einer Weise bestimmt, die sich eng mit den analysierten philonischen und paulinischen Texten berührt. Zum anderen finden sich in den erörterten Texten aus dem corpus philonicum mehrere Passagen, die mit Begriffen und Vorstellungen operieren, die paulinischerseits in die Rechtfertigungslehre verweisen. Das Kapitel leistet vor diesem Hintergrund einen Beitrag zur Geschichte der Entstehung der Rechtfertigungslehre, die den aufzuzeigenden Übereinstimmungen zwischen Philo und der Korintherkorrespondenz Rechnung trägt. Zur Plausibilisierung der hier vorgeschlagenen Rekonstruktion ihrer Entstehung wird eine Analyse von Motiven und Vorstellungen vorangestellt, die der Rechtfertigungslehre und früheren Paulusbriefen gemeinsam sind. Im Sinne einer Verifizierung wird zudem die nachpaulinische Fortentwicklung der Rechtfertigungslehre in Eph 2,8–10 erörtert. Im Zentrum des kürzeren zweiten Hauptteils steht die Nachzeichnung der Auseinandersetzung Philos mit dem Verständnis des Selbst in der kaiserzeitlichen Stoa. Mit Blick auf das Philo-Kapitel des ersten Hauptteils geht es da6  Dieser Teil der Untersuchung ist in einer früheren Fassung bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden.

Kapitel 1: Einleitung

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bei darum, die Polemik des alexandrinischen Gelehrten gegen die φιλαυτία als Teil seiner Auseinandersetzung mit der stoischen Philosophie des Selbst zu erweisen (Kap. 7). Um das Verständnis zu erleichtern, wird der Nachzeichnung dieser Auseinandersetzung eine Skizze der Philosophie des Selbst in der kaiserzeitlichen Stoa vorausgeschickt (Kap. 6). Der Haupttext des zweiten Teils ist Leg 3,1–48, ein Abschnitt, der eine bemerkenswerte Dichte stoischer Terminologie und Vorstellungen aufweist und sich daher in besonderer Weise dazu eignet, Gemeinsamkeiten und Differenzen in der Frage des Verständnisses des Menschen herauszuarbeiten. Bei Paulus ist die Intensität der Bezugnahme auf diese Dimension der stoischen Philosophie in keiner Weise mit Philo vergleichbar. Da jedoch auch bei ihm vereinzelt Bezugnahmen auf die von Philo geführte Debatte wahrzunehmen sind, werden in Kap. 9 die entsprechenden paulinischen Texte erörtert. Für beide Autoren sind die motivischen und konzeptionellen Voraussetzungen ihrer Auseinandersetzung mit der Philosophie des Selbst traditionsgeschichtlich zu klären. Liegt die entscheidende Differenz zwischen Philo und dem kaiserzeitlichen stoischen Denken in der hier untersuchten Thematik im Verständnis des Selbst in seinem Verhältnis zur Gottheit, so sind markante Unterschiede auch in dem jeweiligen Verständnis der Gottheit selbst zu erkennen. Da in der jüngeren Forschung teilweise abweichende Auffassungen zum Gottesverständnis in der kaiserzeitlichen Stoa vertreten worden sind, wird die hier vorausgesetzte Deutung der stoischen Theologie in Kap. 8 ausführlicher begründet. Das Schlusskapitel (Kap. 10) bietet neben einer kurzen Rekapitulation der Hauptergebnisse der Untersuchung weiterführende Überlegungen zu den in ihr berührten theologischen, methodischen und hermeneutischen Fragen.

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Teil 1

Nicht aus Menschen, sondern aus Gott. Die theologisch zentrierte Anthropologie bei Paulus und Philo im Spiegel griechisch-römischer und biblisch-jüdischer Traditionsbildung

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Kapitel 2

Paulus „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“ (1Kor 4,6). Die Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung In 1Kor 1–4 deutet Paulus die Parteiungen in der Gemeinde in Korinth als Ausdruck der illegitimen Selbsterhöhung der an den Gruppenbildungen Beteiligten. Den Grund dafür sieht er in einem verfehlten Weisheitsstreben. Er stellt der sich darin artikulierenden menschlichen Weisheit die Weisheit Gottes antithetisch gegenüber und identifiziert sie mit der Person des Gekreuzigten. Von diesem theologisch-christologischen Zentrum her argumentiert er nicht nur in der konkreten Konfliktsituation des 1. Korintherbriefes, sondern auch in 2Kor 10–13, wo er von dieser Mitte aus sein eigenes Auftreten in der Gemeinde reflektiert und das Verhalten der gegnerischen Apostel als Hybris bestimmt. In beiden Zusammenhängen illustriert er die menschliche Selbsterhebung an der Gotteserkenntnis und am Rühmen. Im Folgenden wird zunächst dieses theologische Zentrum anhand des dafür grundlegenden Zusammenhangs 1Kor 1,18–2,16 entfaltet, bevor die beiden Aktualisierungen, die es im Kontext von 1Kor 3,1–4,21 und 2Kor 10–13 erfährt, untersucht werden. Da der traditionsgeschichtliche Hintergrund für das Verständnis der in Frage stehenden Texte unabdingbar ist, wird er ebenfalls in den Blick genommen. Damit wird zugleich der Vergleich mit Philo vorbereitet.

2.1 Theologische Grundlegung (1Kor 1,18–2,16) Obgleich konstitutiver Bestandteil der Gesamtargumentation des ersten Hauptteils (1,10–4,21) des 1Kor, hat der Mittelteil, 1,18–2,16, eine gewisse Autonomie gegenüber den Rahmenteilen 1,10–17 und 3,1–4,21.1 Sein Thema 1 Vgl. Kammler, Kreuz, bes. 186–192, der begründet, inwiefern es sich bei 2,6–16 um eine „konsequente argumentative Weiterführung von 1 Kor 1,18–2,5“ handelt (ebd., 186 [kurs.]). Für 2,6–16 weist er ebd., 192, auf die prinzipielle Gültigkeit der paulinischen Äußerungen hin. Der Abschnitt „darf keineswegs als eine lediglich durch die konkrete Situation veranlaßte polemische Anpassung an die Adressaten gewertet und

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

ist die Erkenntnis Gottes. 2 Für den Schlussabschnitt des Mittelteils, 2,6–16, liegt dies angesichts der fünfmaligen Verwendung von γιγνώσκω auf der Hand. 3 Es gilt aber auch für dessen Anfang, 1,18–25, obwohl der Begriff selbst nur einmal verwendet wird, dies freilich in dem zentralen v21, der anschließend erläutert wird.4 Paulus thematisiert mit Blick auf die Frage der Erkenntnis Gottes in 1Kor 1,18–2,16 vor allem zwei Aspekte, die Frage des ‚Wie‘ seiner Erkenntnis und die nach ihrem Subjekt. Die Erkenntnis Gottes durch den Menschen vollzieht sich Paulus zufolge im Gekreuzigten (1,21–24; 2,2.8) durch den Geist (2,10–15). Erkannt wird Gott von den Glaubenden als denen, die den Geist haben (2,11f.); nicht erkannt wird er dagegen von den Weisen und der Welt (1,20f.) bzw. diesem Äon und seinen Herrschern (2,6), und das heißt zugleich: vom natürlichen Menschen (2,14). 1Kor 1,26–2,5 fügen sich in diesen Rahmen ein. Der Abschnitt dient der empirischen Verifikation der paulinischen These von der Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten, die der Apostel anhand zweier der Erfahrungswelt der Korinther entnommenen Sachverhalte illustriert, der Sozialgestalt der Gemeinde (1,26–31) und seinem eigenen Auftreten als Apostel (2,1–5). Sofern die beiden Verifikationen der Veranschaulichung des Unanschaulichen, nämlich der Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten, dienen, liegen sie ebenso wie das Erkenntnisproblem selbst den in 1Kor 1,10–17; 3,1–4,21 markierten aktuellen Konflikten zeitlich und sachlich voraus. Deshalb greift Paulus in den aktualisierenden Partien von 1Kor 3,1–4,215 und später in den Konflikten von 2Kor 10–13 für seine Argumentation wiederholt auf den grundlegenden Zusammenhang 1Kor 1,18–2,5 zurück.

so in seinem Anspruch relativiert werden“. Vgl. auch ders., Torheit, 299–301, Furnish, Theology, 37f., Snyman, Corinthians, 133, und Schmeller, Kreuz, 251, der für 1Kor 1,18–2,16 von der „grundsätzlichen theologischen Ebene“ spricht. 2  Vgl. auch Furnish, Theology, 28f.45. 3  Vgl. v8 [2-mal]; v11.14.16; hinzu kommen die Begriffe οἶδα (v11f.) und νοῦς (v16). 4  Im Anschluss an Martyn, Epistemology, 272, spricht Thiselton, Epistle, 147, von einer „epistemological dimension“ von 1Kor 1,18–25; s. ähnlich Frey, Perspektiven, 81, der den Text als „epistemologische Grundlage“ bezeichnet (vgl. auch ebd., 92). Merklein, Paradox, 300, spricht mit Blick auf 1Kor 1,21 (vgl. dazu ebd., 289–292) von der „gnoseologische(n) Funktion“ des Kreuzes; vgl. ferner Sänger, Christus, 177, sowie Engberg-Pedersen, Self-Sufficiency, 128 mit Anm. 27. 5  Vgl. auch Lampe, Wisdom, 118f.125.128f. Ebd., 125, deutet er 1Kor 1,18–2,16 als „‚Trojan horse‘“, mit dem sich Paulus in die Auseinandersetzung mit den Korinthern über die Parteiungen werfe. Er lulle sie hier mit allgemeinen theologischen Reflexionen ein, bevor er sie beginnend mit 3,1 angreife und sie auf eine Ebene mit Juden und Griechen (1,22f.) stelle. Vgl. auch Ciampa/Rosner, Letter, 89.

Kapitel 2: Paulus

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2.1.1 Die Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten (1Kor 1,18–25; 2,6–16) Die Schlüsselstelle von 1Kor 1,18–25 im Kontext dieser Untersuchung ist v21, wo die Frage der Erkenntnis Gottes explizit angesprochen wird. Dies ergibt sich aus dem Gang der Argumentation: Wie verschiedentlich hervorgehoben wurde, dient v19 in erster Linie der Begründung von v17b.6 Danach ist Paulus nicht in Redeweisheit nach Korinth gekommen, da Gott der Weisheit (v19) und den Weisen (v20) ein Ende bereitet hat. V21 enthält die Begründung dafür: Menschenweisheit vermag Gott nicht zu erkennen (v21a), er wird vielmehr im Gekreuzigten erkannt, in dem er sich selbst zu erkennen gegeben hat (v21b). Paulus entfaltet dies in v22–25: V22 führt v21a weiter, v23–25 die Aussage v21b. V18 unterbricht den Gedankenfluss von v17b.19–25 und formuliert in Erläuterung von v17c in thesenhafter Prägnanz die Bedeutung des Kreuzes und seiner Verkündigung. Dabei werden zugleich die beiden neben σοφία (v17b) für die weitere Argumentation zentralen Begriffe μωρία und δύναμις eingeführt. Dabei kommt v21 mit Blick auf v18 die Aufgabe zu, die Notwendigkeit des Wortes vom Kreuz und seiner Wirkweise zu erläutern.7 Nach diesen Vorbemerkungen zur Struktur des Abschnitts sind nun die für die hier interessierende Fragestellung relevanten Aussagen näher zu betrachten. V21a zufolge „hat die Welt in der Weisheit Gottes durch die Weisheit Gott nicht erkannt“. Bei der Welt (κόσμος) ist hier an die nichtjüdische Welt zu denken.8 Mit Blick auf das erkennende Subjekt stellt sich der Sachverhalt in 1Kor 1 damit ähnlich wie in Röm 1,18–25 dar, wo Paulus ebenfalls die nichtjüdische Menschheit im Blick hat. Die Wendung ‚in der Weisheit 6 Vgl. Lindemann, Korintherbrief, 36; s. ähnlich Zeller, Brief, 107, sowie Kammler, Kreuz, 71, dem zufolge das Schriftzitat die „Gegenaussage zu V.17b“ formuliert. 7  Terminologisch und konzeptionell sind v18 und v21 sachlich durch die Wendungen ὁ λόγος … ὁ τοῦ σταυροῦ und ἡ μωρία τοῦ κηρύγματος einerseits sowie durch die Begriffe σῴζειν und μωρία andererseits verbunden. 8 Vgl. Zeller, Brief, 109, der mit überzeugenden Argumenten bestreitet, dass Paulus in v21 Juden in den Begriff κόσμος einbezogen wissen will (so meist; vgl. etwa Wolff, Der erste Brief, 37f., und Theissen, Kreuz, 444f.). Diese Deutung setzt freilich voraus, dass σοφός, γραμματεύς und συζητητής in v19 Funktionen beschreiben, die im hellenistischen Kontext beheimatet sind, was in der Tat der Fall zu sein scheint; vgl. dazu Thiselton, Epistle, 162–164, Dutch, Elite, 278–287, Zeller, Brief, 108, und Schottroff, Brief, 34. Lindemann, Korintherbrief, 45, erkennt das Problem einer paulinischen Verneinung jüdischer Gotteserkenntnis zwar, löst es dann aber so: „daß Juden Gotteserkenntnis bereits besaßen, ist für Pls hier nicht im Blick“. Zellers These, dass Juden erst ab v22 in den Blick kommen, wird dadurch untermauert, dass sie auch in v22 nicht mit Weisheit und Torheit verbunden werden, sondern mit Zeichenforderungen. Die Weisheitsproblematik scheint für Paulus damit eine strikt auf die griechische Welt bezogene Fragestellung darzustellen; vgl. auch Betz, Selbsttäuschung, 18. Voss, Kreuz, 75, dagegen deutet den κόσμος auf Griechen und Juden. Dies führt ihn zur Übernahme der von P. Wendland übernommenen, durch 1Kor 1 nicht gedeckten These: „‚Damit ist auch Israels Weisheit, die sich in der Auslegung und Anwendung des Gesetzes bekundet, verworfen‘“.

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

Gottes‘ (ἐν τῇ σοφίᾳ τοῦ θεοῦ; 1Kor 1,21) verweist auf die Schöpfung, bei deren Hervorbringung die göttliche Weisheit wirksam war.9 Gott wäre für die Welt deshalb eigentlich in der Schöpfung erkennbar gewesen, ist von ihr aber nicht erkannt worden. Ähnlich geht Paulus in Röm 1,19f. davon aus, dass das, was für den Menschen von Gott zu erkennen ist, in den Schöpfungswerken erkannt wird, in denen er es „vernünftiger Einsicht“ zugänglich gemacht hat10. Bei dem Erkennbaren handelt es sich um „seine ewige Macht und Gottheit (ἥ τε ἀΐδιος αὐτοῦ δύναμις καὶ θειότης)“. Erkannt wird die Existenz Gottes aus seinen Werken.11 Im Unterschied zu 1Kor 1 geht Paulus in Röm 1 jedoch davon aus, dass Gott vom Menschen in der Schöpfung auch tatsächlich erkannt wurde (γνόντες τὸν θεόν; v21). Doch ziehen die Menschen aus ihrer Erkenntnis Gottes falsche Schlüsse. Sie verweigern ihm Ehre und Dank (v21) und vertauschen im Namen ihrer angemaßten – weil nur menschlichen – Weisheit „die Herrlichkeit des unsterblichen Gottes mit der Gleichgestalt des Bildes des sterblichen Menschen“ bzw. der Tiere (v22f.). Sie setzen m. a. W. das Geschöpf an die Stelle Gottes und beten diesen zum Objekt gewordenen Gott, der als solcher nicht mehr Gott ist12, als Gott an (v25). Damit depotenzieren sie Gott und stellen das Geschaffene einschließlich ihrer selbst über den Schöpfer.13 Darin manifestiert sich ihre Torheit (v22). In 1Kor 1,21a ist zwar die Selbstvergottung des Menschen nicht Thema. Doch ist es Paulus zufolge auch hier der Mensch, der sich zum Subjekt macht und sich durch die Weisheit (διὰ τῆς σοφίας), nämlich die eigene menschliche Weisheit, „Gottes bemächtigen“ will14, was hier wiederum als ‚Torheit‘ bezeichnet wird. Beide Zuspitzungen, die die Frage nach der Erkenntnis Gottes erhält, sind damit Ausdruck des für diese Untersuchung konstitutiven Topos der Selbsterhebung des Menschen über Gott. Bei der Philosophie, die der in 1Kor 1,21a und Röm 1,19f. umschriebenen Weisheit im Raum des Hellenismus am deutlichsten entspricht, handelt es sich um die Stoa.15

 9 Vgl. Wolff, Der erste Brief, 38, der mit Sir 1,9; 24,3–5 und Weish 9,1–3 auf die jüdische Weisheitsüberlieferung verweist. 10  So im Anschluss an Wilckens, Brief, 94, für νοούμενα. – Merklein, Paradox, 289, sieht den „besten Kommentar“ zu 1Kor 1,21a in Röm 1,18–3,20. 11 Vgl. Hirsch-Luipold, Literatur, 132, Anm. 55. Dabei handelt es sich zugleich um ein stoisches Konzept; dazu s. ausführlich unten Kap. 3.1.3. 12  Vgl. auch Lampe, Wisdom, 123: „The domestication of God, this objectification of God when God is no longer allowed to be God, this is the sin of the fools“. 13 Vgl. Carson, Mystery, 399, der für Röm 1 von den „attempts of creatures“ spricht, „to de-god God and elevate the created above God (which lies at the heart of idolatry)“. 14  Wolff, Der erste Brief, 35; s. ähnlich Conzelmann, Brief, 62, und Lampe, Wisdom, 123. 15  Dazu s. u. Kap. 3.1.1.3.

Kapitel 2: Paulus

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V21b benennt demgegenüber die Weise, in der Gott angesichts des Scheiterns der auf Menschenweisheit basierenden Erkenntnis seiner Person tatsächlich erkannt werden will, nämlich in der Torheit der Verkündigung: „es gefiel Gott, durch die Torheit des Kerygmas die Glaubenden zu retten“. Dieser Halbvers führt die in v21a aufgeworfene Frage nach der Erkenntnis Gottes zwar nicht explizit fort, ausweislich der Logik des Satzes ist ein solches Verständnis aber gefordert. Der gescheiterte Versuch der Welt, Gott in der Schöpfung zu erkennen, ist der Grund (ἐπειδή), dass Gott eine andere Form wählt, sich zu erkennen zu geben. In der Torheit der Verkündigung kommt die Rettungsmacht des Wortes vom Kreuz nicht nur zur Sprache, sondern sie vollzieht sich in ihr auch. Deshalb ist die Verkündigung des Kreuzes zugleich der Ort, an dem Gott erkannt wird, und zwar Gott in seiner Dynamis.16 Mit Blick auf die Frage der Erkenntnis Gottes ist in v21 der Subjektwechsel die zentrale Verschiebung: In v21a ist der Kosmos das Subjekt, das sich in seinem Bemühen, Gott zu erkennen, seiner eigenen Weisheit bedient, während in v21b Gott das Subjekt ist, das sich zu erkennen gibt. C. Wolff spricht in diesem Zusammenhang von den „eigenmächtige(n) Erkenntnisbemühungen, die Gott zum Objekt machen, anstatt seinen allem überlegenen Subjektcharakter zu akzeptieren“.17 Paulus erläutert dies in v22–24 „auf der Ebene geschichtlicher Erfahrung“18 für die „heilsgeschichtlich differenzierte Menschheit“ aus Juden und Griechen.19 Beide, Juden und Griechen, machen Gott auf je eigene Weise zum Gegenstand ihres Erkenntnisstrebens. Juden fordern Machterweise (σημεῖα)20, in denen sich Gott zu erkennen geben soll, Grie16  Vgl. 1Kor 1,18. Röm 1,16 benennt dies explizit: Das Evangelium ist δύναμις … θεοῦ … εἰς σωτηρίαν. Zum Ganzen s. auch Engberg-Pedersen, Cosmology, 133f. 17 Vgl. Wolff, Der erste Brief, 38. S. ähnlich Fee, The First Epistle, 34, Söding, Kreuzestheologie, 165, Merklein, Paradox, 289f., Zumstein, Wort, 36, und Furnish, Theology, 38. 18  Lindemann, Korintherbrief, 36. – ἐπειδή hat hier anders als in v21 keine kausale Bedeutung, sondern ist „locker subordinierend“ gebraucht (BDR § 456.3). 19  Zeller, Der erste Brief, 110. Paulus weitet hier den Blick von dem bislang im Zentrum stehenden κόσμος als der Heidenwelt (s. o. Anm. 8) auf die Menschheit insgesamt. Anders als in v21a ist nun nicht mehr das Erkenntnisstreben der Welt vor Kreuz und Auferstehung im Blick, sondern die Reaktion auf die Verkündigung des gekreuzigten Christus, in der sich Juden und Nichtjuden nicht grundsätzlich unterscheiden. Dies gilt unabhängig davon, dass sie mit „ethnischen Klischees“ eingeführt werden: Dem „prophetischen Grundmuster der jüdischen Kultur“ stellt Paulus das „rationale Denken der griechischen gegenüber“ (Betz, Selbsttäuschung, 19). 20  In der Literatur dazu wird meist auf Zeichen im Kontext des zeitgenössischen Judentums verwiesen, insbesondere auf solche, die mit dem Auftreten messianischer Gestalten verbunden sind; vgl. u. a. Müller, Anstoß, 95–97, Wolff, Der erste Brief, 39, Lindemann, Korintherbrief, 46, und Zeller, Brief, 110f. Diese Einschränkung ist aber nicht zwingend, weil Zeichen den Selbsterweis Gottes bereits im Buch Ex begleiten; vgl. auch Joh 6,30f. Zu weiteren Stellen vgl. Lampe, Wisdom, 120, Anm. 8.

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chen dagegen suchen ihn mittels der Weisheit zu erkennen. 21 Weil sich ihre jeweilige Gottsuche innerhalb eines genau umrissenen Erwartungshorizontes vollzieht22, verkennen beide, wenn auch in eigener Weise, die spezifische Gestalt, in der sich Gott im Gekreuzigten als wirkmächtig erweist. Darum ist für Juden die Verkündigung eines aller Macht ledigen, gekreuzigten Messias ein Skandal, für Nichtjuden eine Torheit. Für die Berufenen aber, denen sich zu offenbaren Gott beschlossen hat, Juden wie Griechen, enthüllt sich in dem Gekreuzigten die Macht (δύναμις)23 und Weisheit (σοφία) Gottes (v24) und damit das, was die Nichtberufenen aus Juden und Heiden auf ihre – im Sinne des Paulus verfehlte – Weise suchen (v22). Gott wird vom Menschen im Gekreuzigten aber nur dann erkannt, wenn er sich selbst in ihm zu erkennen gibt. In 1Kor 2,6–16 kommt Paulus noch einmal auf das Problem der Gotteserkenntnis im Gekreuzigten zu sprechen. Den κόσμος von 1Kor 1,21 mittels seiner exemplarischen Vertreter präzisierend 24, heißt es nun, dass die Herrscher dieses Äons ausweislich der Tatsache, dass sie Christus kreuzigten, die in seinem Kreuzestod beschlossene Weisheit Gottes nicht erkannt hatten (2,8), die Paulus verkündigt. Die antithetische Entsprechung zur Nichterkenntnis Gottes aufseiten ‚dieses Äons‘ ist seine Erkenntnis durch diejenigen, die Gott lieben (v9f.), das heißt die Glaubenden. 25 Wie in 1,21b–24 in der Erkenntnis Gottes durch die Torheit der Verkündigung, so zeigt sich der Subjektcharakter Gottes auch in seiner Erkenntnis durch die Glaubenden, wie diese in 2,9.10–14 entfaltet wird. Paulus bestimmt Gott als Subjekt menschlicher Erkenntnis hier aber pneumatologisch. Die Erkenntnis der im gekreuzigten Christus beschlossenen Weisheit Gottes ist als das, „was“, wie 21 

Zur Gotteserkenntnis der Griechen s. ausführlich unten Kap. 3.1.1.2. Vollenweider, Weisheit, 49f., spricht in diesem Zusammenhang von einer „egozentrierte(n) Wahrnehmung der Welt“. Dabei kommt „Gottes Weisheit nicht mehr in ihrer eigenen Kraft zur Erscheinung, sondern wird von unseren eigenen Projektionen verstellt“ (Hvb. G.H.); s. ähnlich Söding, Kreuzestheologie, 165. 23  Mit der δύναμις als dem Paulus zufolge eigentlichen Inhalt des jüdischen Strebens nach Zeichen verbindet sich auch für den Apostel selbst die zentrale Qualität Gottes und seines Evangeliums; vgl. neben 1Kor 1,18.24; 2,5 bes. Röm 1,16; 2Kor 4,7; 12,9f.; 13,4. Statt in sichtbaren Machterweisen wie in der jüdischen Tradition (s. o. Anm. 20) zeigt sich diese für ihn jedoch im und ausgehend vom Gekreuzigten. 24  Der Zusammenhang mit 1Kor 1,21 wird auch dadurch untermauert, dass die philosophischen Forscher τοῦ αἰῶνος τούτου (v20c) in v20d der Weisheit τοῦ κόσμου subsumiert werden. Von der Weisheit eben dieses Kosmos, der Gott nicht erkennt, ist sodann in v21 die Rede. Dies berührt sich direkt mit der Rede von der Nichterkenntnis der in Christus offenbarten Weisheit Gottes (2,7f.) durch die Herrscher dieses Äons (v6.8). Zur Deutung der „Herrscher dieses Äons“ auf Menschen vgl. die Wolke der Zeugen bei Wolff, Der erste Brief, 53f., Anm. 168; zu anderen Deutungen vgl. ebd., 53f. mit Anm. 168. 25  Vgl. v9 mit ἀλλά, das den Übergang von den in v6–8 im Zentrum stehenden Herrschern dieses Äons zu denen, die Gott lieben, markiert. 22 

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Paulus unter Berufung auf die Schrift sagt, „kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und im Herzen keines Menschen aufgestiegen ist“ (v9)26, geoffenbarte Erkenntnis, die Gott den Glaubenden durch den Geist erschlossen hat: ἡμῖν δὲ ἀπεκάλυψεν ὁ θεὸς διὰ τοῦ πνεύματος (v10). Der Geist, der den Menschen Gott erkennen lässt, auch seine Tiefen als das „Unergründliche an Gott“27, ist der Geist Gottes. Denn das Göttliche kann, wie Paulus in Übereinstimmung mit griechischem Denken formuliert, nur vom Göttlichen erkannt werden, nicht vom Menschen, dessen Geist nur das Menschliche zu erkennen vermag (v11). Dem Apostel geht es hier darum, die „Differenz von menschlicher und göttlicher Ebene herauszustreichen“. 28 Damit der Mensch Gott erkennen kann, braucht er Anteil am Geist Gottes. Dies expliziert der Apostel in dem im Kontext dieser Untersuchung zentralen v12, der Gott und Mensch in grundlegender Weise bestimmt: „Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen (ἐλάβομεν), sondern den Geist, der aus Gott (τὸ ἐκ τοῦ θεοῦ) ist, damit wir erkennen (εἰδῶμεν), was uns von Gott geschenkt ist (τὰ ὑπὸ τοῦ θεοῦ χαρισθέντα ἡμῖν)“.

Hier spricht sich der ‚überlegene Subjektcharakter‘ Gottes in besonderer Deutlichkeit aus: Gott ist Subjekt des menschlichen Erkennens seines Handelns, weil er der Geber seines Geistes ist, der menschliche Gotteserkenntnis überhaupt erst ermöglicht. Ihr Inhalt ist nicht Gott an sich, sondern sein Handeln zugunsten des Menschen in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi und damit das, „was uns von Gott geschenkt ist“. Eben darin enthüllen sich die unergründlichen Tiefen Gottes. Dass Gott allein Subjekt ist, zeigt sich in v12 demnach in doppelter Weise: zuerst im Heilsgeschehen als dem christlichen Ursprungsgeschehen, sodann in dessen Kundgabe an die Glaubenden durch die Vermittlung des Geistes. Der Mensch dagegen ist der Gegenstand göttlichen Handelns.29 Er ist der von Gott in Christus gnadenhaft Beschenkte, der davon durch den Empfang des Geistes Kenntnis erhält. Entsprechend zeigt sich der Subjektcharakter Gottes in der Verkündigung des Apostels: Dieser redet nicht in Worten, die von menschlicher Weisheit gelehrt werden, sondern in vom Geist gelehrten Worten (v13). Demgegenüber nimmt der psychische Mensch, der als der natürliche Mensch den Geist Gottes nicht hat, „die Dinge des Geistes Gottes nicht an (οὐ δέχεται)“, weil sie für ihn „Torheit“ (μωρία) sind (v14). Bei diesen von den Psychikern als „Torheit“ verkannten Dingen (καὶ οὐ δύναται γνῶναι) handelt es sich ausweislich 26  27 

58f.

28 

Zu diesem Schriftrekurs s. ausführlich unten Kap. 2.2.3. Wolff, Der erste Brief, 58; zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. ebd.,

Vollenweider, Geist, 178, Anm. 59 (tw. kurs.). Theozentrik des Abschnitts in Verbindung mit der Gegenüberstellung von Gott und Mensch vgl. bes. Collins, First Corinthians, 123f. 29  Zur

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des Begriffs μωρία um das Wort vom Kreuz. 30 Es wird nicht erkannt, weil die Psychiker den Geist Gottes nicht haben, dessen es bedarf, um die Torheit des Kreuzes richtig zu beurteilen (ἀνακρίνει), und das heißt, sie als Weisheit Gottes zu erkennen. Damit unterstreicht Paulus noch einmal die Bedeutung des Geistes für die Erkenntnis Gottes. Mit 1Kor 1,19f. ist ein letzter Ausschnitt des hier erörterten Abschnitts aufzunehmen. Ging es bislang um die Gotteserkenntnis von Berufenen und Nichtberufenen, so ist nun die Beurteilung der Weisen und ihrer Weisheit in den Blick zu nehmen, die Paulus im Licht der Offenbarung des Gekreuzigten als Kraft und Weisheit Gottes vornimmt. Er sieht die Weisen als die traditionellen Säulen von Religion und Gesellschaft im Horizont des göttlichen Gerichts stehen. Gott vollzieht in seinem eschatologischen Selbsterweis im Gekreuzigten sein einst durch den Propheten Jesaja angekündigtes Gericht (v19/Jes 29,14)31: „‚Ich werde die Weisheit der Weisen zugrunde richten und den Verstand der Verstehenden verwerfen‘“. Jetzt, da das Gericht über die Weisen und ihre Weisheit vollzogen ist, ist diese Weisheit als Torheit entlarvt. Dies verdeutlicht die Reihe triumphierender Fragen in v20: „Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein (philosophischer) Forscher?32 Hat Gott nicht die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?“33 Mit ihrem umfassenden Nichterkennen Gottes, zuerst aus seinen Werken, sodann in seinem Handeln im Gekreuzigten, ist so in der Tat „das ganze System ‚Weisheit‘ diskreditiert“34, und damit insbesondere die Weisen selbst, die es tragen. Deshalb sind ihre Versuche, sich Gottes mittels ihrer eigenen Weisheit zu bemächtigen, als Ausdruck menschlicher Hybris zu werten, wie der Apostel in v20 zu 30  Vgl.

1,18.21.23. Grund für dieses Gerichtshandeln nennt Jes 29,13 LXX auffälligerweise die Tatsache, dass das Volk Gott vergeblich ehrt, „weil sie Menschengebote und -lehren erteilen“ (μάτην δὲ σέβονταί με διδάσκοντες ἐντάλματα ἀνθρώπων καὶ διδασκαλίας; sofern nicht anders vermerkt, folgt die Wiedergabe der LXX der Übersetzung von Kraus/ Karrer, Septuaginta Deutsch). Dies entspricht, zumindest was die Menschenlehren anbelangt, den vergeblichen Erkenntnisversuchen der Griechen nach 1Kor 1,21f., deren Gotteserkenntnis Menschenweisheit ist. Zur Textgestalt von Jes 29,14 MT und LXX vgl. Inkelaar, Conflict, 182–186, zur paulinischen Rezeption des Textes ebd., 199–203; s. ferner Heil, Role, 17–19. Inkelaar, aaO., 202f., weist auf weitreichende Übereinstimmungen zwischen dem jesajanischen Prätext Jes 18–29 LXX und 1Kor 1 hin. Dies betrifft zum einen den Charakter der „divine action“ als „unexpected“ und zum anderen die Zeichnung der traditionellen ‚Weisen‘ als unverständig. Zu weiteren Aspekten der Rezeption von Jes 29,14 s. u. Kap. 2.1.3. 32  Zur Deutung dieser strittigen Begriffe s. o. Anm. 8. Einen Forschungsüberblick bietet Winter, Philo, 187f. (mit weiterer Literatur). Winter selbst deutet συζητητής, ebd., 194, auf die Sophisten. 33  Williams, Wisdom, 49–51, sieht in dieser Fragenreihe Anspielungen auf Jes 33,18, Inkelaar, Conflict, 190–198, verweist außerdem auf Jes 19,11–14; 44,24–28. 34  Vogel, Theologien, 725. 31  Als

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erkennen gibt. 35 Sie zerschellen an der Wirklichkeit des Selbsterweises Gottes im Gekreuzigten. Gott zeigt sich hier als der souverän Handelnde, angesichts dessen alles menschliche Bemühen, ihn zu erkennen, Ausdruck von Selbstherrlichkeit ist. Gotteserkenntnis ist Offenbarungserkenntnis, die vom Menschen nur empfangen werden kann. Alles andere ist für Paulus Hybris. 2.1.2 Die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung angesichts der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten (1Kor 1,26–2,5) Den im Kreuz Jesu Christi sichtbar gewordenen Subjektcharakter Gottes verifiziert Paulus im Blick auf seine Konsequenzen für Selbstverständnis und Verhalten des Menschen in 1Kor 1,26–2,5 an zwei Beispielen aus der Erfahrungswelt der Adressaten. (1) Das erste Beispiel, 1,26–1,31, nimmt seinen Ausgang bei der Zusammensetzung der Gemeinde. Wie sich Gott in der Kreuzigung Jesu Christi als jenem Geschehen, an dem im Horizont der Kultur des antiken Mittelmeerraumes „nichts anderes als nur ‚Scham und Schande‘ haftet“36, selbst bestimmt, so handelt er auch im Raum der Gemeinde. Er erwählt in erster Linie diejenigen, die nichts gelten und der Beschämung durch die Eliten ausgesetzt sind. 37 Demgemäß gehören zur Gemeinde nicht viele, die, an menschlichen Maßstäben gemessen (κατὰ σάρκα)38, zu den Weisen (σοφοί), das heißt den philosophisch und rhetorisch Gebildeten39, zählen, nicht viele 35 Vgl. Conzelmann, Der erste Brief, 57, dem zufolge σοφία und σύνεσις „nicht nur das theoretische Erkennen, sondern auch das Verhalten, in diesem Falle: die Hybris“, bezeichnen. Folgende Argumente sprechen für diese Deutung: (1) Der Kontext des Zitates Jes 29,14 gehört zu einer Reihe von Texten, „that regularly warn Israel, or someone in Israel not to try to match wits with God“ (Fee, The First Epistle, 70); zum Ganzen s. auch Thiselton, Epistle, 161. (2) Die drei Begriffe σοφός, γραμματεύς und συζητητής sind „status related“ (ebd., 165; dazu s. auch Schnabel, Brief, 122). (3) Ignatius, Epheser 18,1, zitiert die drei rhetorischen Fragen v20a und ergänzt sie um eine vierte: ποῦ καύχησις τῶν λεγομένων συνετῶν; er sieht in ihrem Verhalten also καύχησις am Werk. (4) Das Verbum ἐμώρανεν bezeichnet „the unexpected disclosure of the foolishness of a self-important person or persons of assumed achievement or status whose assumption of importance, achievement, or status is exposed as illusory“ (Thiselton, aaO., 165). Vgl. auch Schrage, Brief, 1 175.177, und Ciampa/Rosner, Letter, 94f. 36  Wolter, Kreuzestheologie, 205f. 37  Vgl. dazu Aristoteles, Rhet 2,6.13; 2,17.6, und dazu das Folgende sowie Kap. 2.1.3. 38 Vgl. Fitzmyer, Corinthians, 162, und Vos, Argumentation, 102. 39  Für eine weite Deutung des Begriffs σοφία κτλ bei Paulus auf Rhetorik und Philosophie plädieren neuerdings bes. Zeller, Brief, 96f., sowie Brookins, Rhetoric, der in Kritik der in der anglo-amerikanischen Literatur verbreiteten exklusiven Deutung der σοφία auf die Rhetorik (vgl. dazu den Forschungsüberblick ebd., 235–238) zu zeigen sucht, dass es sich bei der Entgegensetzung von Rhetorik und Philosophie um eine falsche Alternative handelt (vgl. ebd., 239–249). Entsprechend heißt es bei Vos,

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Mächtige (δυνατοί), nicht viele von vornehmer Herkunft (εὐγενεῖς; v26). Die drei genannten Gruppen sind, so die einhellige Meinung in der neueren Literatur40, auf die gesellschaftliche Elite Korinths zu deuten, das heißt auf Gebildete, wirtschaftlich Vermögende und gesellschaftlich Einflussreiche sowie auf alte, angesehene Familien.41 Es würde allerdings zu kurz greifen, in Weisheit, Macht und Herkunft allein soziologische Kategorien zu sehen. Sie sind im antiken Denken zugleich Gegenstand der Philosophie, sofern sich diese als „ars bene et beate vivendi, als Lehre vom u(nd) Anweisung zum guten u(nd) glückl(ichen) Leben“ versteht42, und werden nicht zuletzt in der philosophisch ausgerichteten ‚Rhetorik‘ des Aristoteles43 thematisiert. In diese philosophische Debatte mischt sich Paulus vom Standpunkt des Wortes vom Kreuz aus ein. Der Grund dafür sind die Gruppenbildungen in der Gemeinde, die zeigen, dass sich die Werte der Elite und das ihnen korrespondierende Verhalten auch in der korinthischen Gemeinde festgesetzt haben. So geht es in 1Kor 1,26–31 nicht nur um Soziologie, sondern auch um Ideologie.44 Aristoteles zählt in seiner ‚Rhetorik‘ Einsicht bzw. Vernunft, Macht und privilegierte Herkunft zu den Teilen der Eudämonie, zu denen ein Redner ra­ Argumentation, 94: „In der Sophistik sind Redekunst und Weisheit bzw. Philosophie durchweg zwei Seiten derselben Medaille“. Für 1Kor 1,18–2,16 gilt dies, anders als Vos insinuiert, nicht nur in dem allgemeinen Sinn, dass Paulus sich gegen die in der Rhetorik als Redekunst transportierten philosophischen Inhalte (dazu s. im Folgenden sowie Winter, Philo, 155–161.187–194) wendet, sondern auch in dem präzisen Sinn, dass er in 1,21f. explizit die Gotteserkenntnis der Philosophie kritisiert (dazu s. u. Kap. 3.1.1). Dem Kontextprinzip entsprechend kann der Begriff σοφοί in v26 nicht losgelöst von 1,22 bestimmt werden. 40  Einige neuere Ausleger deuten die Begriffe dabei genauer „auf die Sophisten und die von den Sophisten unterrichteten Angehörigen der lokalen Eliten: die δυνατοί und εὐγενεῖς repräsentieren jene Bürger, die von den Sophisten unterrichtet wurden, und die σοφοί sind die Sophisten, deren Eltern oder Vorfahren δυνατοί und εὐγενεῖς waren“ (Schnabel, Brief, 141, auf der Basis der ebd., Anm. 280, genannten Literatur; s. ferner die von Brookins, Corinthians, 52, Anm. 2 und 3, genannten Autoren). Mit Winter, Philo, 191, ist jedoch hervorzuheben, dass die σοφοί nicht in exklusiver Weise mit den Sophisten zu identifizieren sind, vielmehr alle drei Begriffe auf die „ruling class of Corinth“ zu beziehen sind, „from which orators and sophists came“. Dazu ist insbesondere auf Plutarch, Mor 58e, zu verweisen, dem zufolge „ὁ σοφός could at the same time be described as πλούσιος, καλός, εὐγενής, βασιλεύς and the rich man as a ῥήτωρ καὶ ποιητής“ (ebd., 189). Dass im Sinne des Paulus die weite Deutung vorzuziehen ist, belegt seine Anspielung auf Jer 9,22f. LXX / 1Sam 2,10 LXX in 1Kor 1,31, wo ebenso wenig wie in Spr 8,15f.18; PsPhok 53f. an Sophisten gedacht ist. Eine weite Deutung ist auch für Aristoteles, Rhet 1,5.4 (dazu s. u.), und Philo, Det 33f. (dazu s. u.), vorauszusetzen. 41  Vgl. etwa Wolff, Der erste Brief, 42f., und Schnabel, Brief, 140f., mit weiterer Literatur. 42  Bien, Glück, 757. 43 Vgl. Sieveke, Aristoteles, 317. 44 Vgl. Brookins, Corinthians, bes. 51–53.

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ten soll.45 Dies ist auch in der antiken Schulrhetorik ein wichtiges Thema. Damit können diese und andere von Paulus ebenfalls thematisierte Größen wie Reichtum, Herrschaft und Ehre als Ideale insbesondere der griechisch-römischen Elite gelten46, die in Korinth offenbar von den rhetorisch Gebildeten geteilt wurden.47 Diesen zum „‚Zeitgeist‘“ gehörigen Idealen48, die Paulus mit den menschlichen Maßstäben identifiziert, handelt Gott, der seine eigenen Maßstäbe hat, zuwider, wenn er genau das erwählt, von dem ein Redner ausdrücklich abraten soll: das Törichte, das Schwache, das von unedler Herkunft, das Verachtete, kurz gesagt, „das, was nichts ist (τὰ μὴ ὄντα)“. Mit diesem Handeln aber zielt Gott auf die Weisen und Mächtigen. Er beabsichtigt ihre Beschämung und Entmachtung49. Rhetorisch gebildet, wie der Teil der korinthischen Gemeinde, an den sich Paulus hier wendet, wohl war, werden sie in dem auch biblischen Wort καταισχύνω κτλ 50 die Bedeutung mitgehört haben, die der Begriff der Scham – αἰσχύνη – in der Rhetorik hat: Die Scham entsteht an den Übeln, die zur ἀδοξία , zur Schande und Verachtung, führen und damit zu dem, wovon ein Redner Aristoteles zufolge abraten soll51: „Scham aber empfindet man dann, wenn man solches, was zu Verlust der Ehre (ἀτιμίαν) und zu Verhöhnung (ὀνείδη) führt, erlitten hat bzw. erleidet oder erleiden wird. [Dazu aber gehören alle Akte der Person bzw. Ereignisse schändlicher Handlungen, die auf Dienst und Unterwürfigkeit (τὰ εἰς ὑπηρετήσεις) zielen]: z. B. das Erdulden übermütiger Behandlung (τὸ ὑβρίζεσθαι) …“ (Rhet 2,6.13). 52 45 

Vgl. Aristoteles, Rhet 1,5.2. Dazu s. ausführlich unten Kap. 2.1.3. 1Kor 4,8.10. Für die griechische Welt vgl. grundlegend Aristoteles, Rhet 1,5.7–9. Wie Quintilian, Inst 3,7.10–16, belegt, hat dieser Kanon in der Schulrhetorik bis zum Ende des 1. Jh.s nichts von seiner Bedeutung verloren. Aufgegriffen werden diese Ideale aber auch in der biblisch-jüdischen Welt. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund s. ausführlich unten Kap. 2.1.3. 47  DeSilva, Hope, 121, spricht davon, dass viele der korinthischen Glaubenden „imported their primary socialization, which included emphasis on competition for honor and on displays of beauty, power, and charisma as marks of one’s honor and giftedness, into the new social body“. Zu diesen „markers of precedence“ zählt er außerdem Dinge wie „wealth or social status“. 48  Vollenweider, Weisheit, 46, definiert den „‚Zeitgeist‘“ als „die grundlegenden Orientierungsmaßstäbe einer Epoche“ und identifiziert ihn mit der Weisheit. Im Blick auf 1Kor 1,26–31 und 4,8.10 ist diese Konzentration auf die Weisheit aber zu eng gefasst. 49  Zu dieser Wiedergabe von καταργέω vgl. Holtz, Gott, 47. 50  Vgl. etwa Jes 1,29; 3,15; 29,22; Mi 7,16. 51  Diese Art der Rhetorik, die zu Ehre rät und von Schande abrät, gehört DeSilva, Shame, zufolge zur „Dominant Cultural Rhetoric“ (ebd., 28); einer der Vertreter dieser Rhetorik ist für ihn Aristoteles (vgl. ebd., 62–66). Zum Ganzen vgl. bes. ebd., 37–61. Jüdischerseits spiegelt sich diese Rhetorik u. a. in Spr 8,12; 13,14–20 wider (vgl. ebd., 69–77). Sir repräsentiert dagegen die „Rhetoric of Minority Cultures“ (ebd., 80; zum Ganzen vgl. ebd., 109–118); vgl. dazu bes. Sir 10,19–25. 52  Die Übersetzung folgt hier und im Folgenden Sieveke, Aristoteles; bei den in einfachen eckigen Klammern gesetzten Textausschnitten handelt es sich um „Hinzu46 Vgl.

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

Diese Beschreibung trifft die Absicht, die Gott Paulus zufolge mit der Beschämung „dessen, was etwas gilt (τὰ ὄντα)“, das heißt der Weisen, Starken und Wohlgeborenen, verfolgt, ziemlich genau, auch wenn sie aus der entgegengesetzten Perspektive formuliert ist. Diese Beschämung vollzieht sich aber nicht durch ein ihnen direkt geltendes göttliches Handeln, sondern im Akt der Erwählung dessen, was der Apostel mit dem „‚Nichts‘“ identifiziert, dem die „eschatologische creatio ex nihilo“ gilt. 53 Im weiteren Kontext ist die Beschämung der Weisen als Illustration des Gerichts zu verstehen, das Gott im Kreuz über die Weisen vollzogen hat (1Kor 1,18–20). Die „Wirklichkeitsauffassung“ im Horizont des Wortes vom Kreuz erweist sich damit als unvereinbar mit der der „Mehrheitsgesellschaft“, in der die Weisen, Mächtigen und Wohlgeborenen über ein hohes Sozialprestige verfügen54 und den Geringen, auch im Raum der Gemeinde, mit Hochmut und Arroganz begegnen. 55 Im Raum der Gemeinde übersetzt sich dies aber zugleich in eine neue Wirklichkeit56: Das in der außergemeindlichen Wirklichkeit vor­fi nd­ liche Verständnis von Schande und Scham wird doppelt durchbrochen. Die Weisen und Mächtigen, die in Verkennung der Weisheit Gottes Jesus das Kreuz als Ort der Schande bereitet haben, werden im Kontext des göttlichen Erwählungshandelns der Beschämung preisgegeben. Dagegen wird die von ihnen praktizierte Beschämung der Geringen in deren Erwählung aufgehoben, die wiederum die ekklesiologische Entsprechung zum Handeln Gottes mit dem Gekreuzigten im Akt seiner Auferweckung ist. Die Erwählung des „Nichtseienden“ zielt, wie Paulus in v29–31 ausführt, auf die Klärung des Verhältnisses von Gott und Mensch. Danach gebraucht Gott seine Macht, zu erwählen und zu verwerfen, mit der Absicht57, das sich-selbst-Rühmen des Menschen auszuschließen (v29) und ihn in ein Verhalten einzuweisen, das ihm angesichts des Handelns Gottes in Christus einzig angemessen ist, das sich-Rühmen des Herrn (v31).

fügungen von fremder Hand in das Original“ (ebd., 327). Die in runden Klammern stehenden griechischen Begriffe sind hier und im Folgenden von der Vf.in ergänzt. – Die übernommenen Übersetzungen wurden in der gesamten Untersuchung an die derzeit gültigen Rechtschreibregeln angepasst. 53  Vollenweider, Weisheit, 51 (tw. kurs.); s. auch Schenk, ‚Kreuzestheologie‘, 106. In formelhafter Verdichtung wird dies bes. in 1Kor 12,13; Gal 3,28 zum Ausdruck gebracht. 54 Vgl. Wolter, Paulus, 122f. 55  Dazu s. u. Kap. 2.1.3. 56  S.o. Anm. 53. Vgl. Thiselton, Significance, 329: „The cross can have only the inevitable effect of subverting and reversing the value-system that dominated Corinthian culture“ (tw. kurs.). Vgl. auch Vogel, Theologien, 728. 57  ὅπως μή dient zur „Angabe der Absicht od. des Zweckes“ (Bauer/Aland, 1169, s. v. ὅπως 2a [kurs.]).

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Das menschliche sich-Rühmen vor Gott (ἐνώπιον τοῦ θεοῦ; v29), das angesichts des Handelns Gottes in Erwählung und Verwerfung als Option für den Menschen ausscheidet, meint nicht das Rühmen eines leistungsstolzen Menschen, der Gott gegenüber „einen Anspruch auf Ruhm“ erhebt, sondern, wie es durch den durch Jer 9,22f. LXX / 1Sam 2,10 LXX konstituierten traditionsgeschichtlichen Hintergrund58 wie auch durch den unmittelbaren und den weiteren Kontext nahegelegt wird, „ein zwischenmenschliches Überlegenheitsbewusstsein“, das sich im sich-Rühmen gegenüber den Geringen artikuliert. 59 Die Wendung ἐνώπιον τοῦ θεοῦ bedeutet „‚im Angesicht Gottes‘“ und verweist „auf Gott als denjenigen, vor dem sich die Menschen mit ihrem Verhalten, das sie anderen gegenüber zeigen, verantworten müssen“.60 Die hier zum Ausdruck kommende Gerichtsdimension zeigt sich nicht nur in den erörterten paulinischen Aussagen über die Verwerfung der Weisen u. a. in 1Kor 1,18f.27f., sondern auch in den in 1Kor 1,29–31 im Hintergrund stehenden Schriftstellen Jer 9,22f. LXX / 1Sam 2,10 LXX. Gerichtsrelevant ist das sich-Rühmen den Geringen gegenüber deshalb, weil es sich zugleich gegen den Gott wendet, der sich im Gekreuzigten als der ultimativen Verkörperung des μὴ ὄντα selbst bestimmt hat und in ihm seine Weisheit und Macht zeigt. Deshalb macht der sich seiner Weisheit, Macht und privilegierten Herkunft als den Werten der Mehrheitskultur61 rühmende Mensch zugleich sichtbar, dass er aus sich selbst zu leben meint und Gott als Urheber aller Dinge ignorieren zu können glaubt62: „Im Rühmen bekundet der Mensch, worauf er sich im Leben stützt und verläßt, worauf er seine Existenz baut“63, auf sich selbst oder eben auf Gott. Selbstruhm ist damit ein paradigmatischer Ausdruck der Selbsterhebung des Menschen über Gott. In v30f. verdeutlicht Paulus ausgehend von den soteriologischen Auszeichnungen der Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung, was im Gegensatz zum illegitimen sich-Rühmen der Elite das legitime sich-Rühmen vor Gott ist, nämlich das sich-Rühmen des Herrn. In v30 bestimmt er Gott 58 

Dazu s. u. Kap. 2.1.3. Wilk, Ruhm, 60f. Für den näheren Kontext verweist er auf 1Kor 1,26–28, für den weiteren auf das sich-Rühmen in den „‚Parteihäuptern‘“ (ebd., 59) in 3,21 und 4,6. Diese Deutung wird durch die in Kap. 2.1.3 und 2.3.2.3 erörterten Texte aus der rhetorischen Tradition nachhaltig bekräftigt, die hier ebenfalls im Hintergrund steht. 60 Ebd., 60. 61  Vgl. auch DeSilva, Hope, 121: „Most of the problems in Corinth appear to be related to improper boasting, to the believers’ failure to comprehend that the gospel of the crucified Messiah also entails a transvaluation of dominant cultural norms of evaluating honor and understanding divine giftedness“. Zu diesen kulturellen Normen vgl. ebd., zum Geschenkcharakter christlicher Existenz ebd., 125. 62 Vgl. ­H eckel, Kraft, 181 u. ö. 63  Zmijewski, καυχάομαι, 686; s. auch Heil, Role, 43, und Inkelaar, Conflict, 219. 59 

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dezidiert als Ursprung der neuen Existenz der Gemeinde in Christus. Sprachlich wird dies durch die betonte Voranstellung der präpositionalen Wendung ἐξ αὐτοῦ in v30a unterstrichen, die θεοῦ aus v29 aufnimmt. V30b verdeutlicht die theozentrische Dimension des Christusereignisses durch die Hinzufügung von ἀπὸ θεοῦ. Demgemäß verdankt sich das Sein der Gemeinde in Christus Gott selbst, der die eigentliche Quelle ihrer soteriologischen Auszeichnungen ist. Es ist zwar Christus, der ihre Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung ist, er ist dies aber von Gott her. Was sie in Christus sind, haben die korinthischen Christen also nicht aus sich selbst, es ist ihnen vielmehr in Christus von Gott her zuteil geworden, m. a. W. sie haben es empfangen.64 Auch damit verbindet sich, wie v31, in dem der ganze Abschnitt kulminiert, zeigt, eine göttliche Absicht ( ἵνα): Gott hat in Christus so an den Korinthern gehandelt, damit sie sich Gottes rühmen.65 Dieser ist, wie Paulus in Anspielung auf Jer 9,22f. LXX / 1Sam 2,10 LXX formuliert, der einzig legitime Grund und Gegenstand menschlichen Rühmens: „Wer sich rühmt, soll sich des Herrn rühmen (ἐν κυρίῳ καυχάσθω)“.66 Die Autorität, auf die Paulus seine Kritik am Selbstruhm gründet, ist die Schrift. Kritisiert wird der Selbstruhm freilich auch in der Rhetorik.67 In seinem in 1Kor 1–4 zu beobachtenden Bestreben, sich von den in der Rhetorik transportierten, zum Zeitgeist gewordenen Idealen abzugrenzen, knüpft Paulus in 1Kor 1,29–31 demgemäß in seiner Formulierung nicht an die Rhetorik an, sondern argumentiert in der Sprache der Schrift. Damit stellt er zugleich der Rhetorik, das heißt in der Sprache von 1Kor 1 formuliert: der Weisheit der Weisen, die ‚wahre‘ Weisheit entgegen, nämlich die das Handeln Gottes im Gekreuzigten bezeugende Schrift, die er demgemäß in 1Kor 1,19 mit Jes 29,14 programmatisch an den Anfang seiner Argumentation stellt. Gleichwohl kann er davon ausgehen, dass den Korinthern sehr wohl bewusst ist, dass das Selbstlob auch gegen die kulturellen Normen der antiken Gesellschaft verstößt. (2) Hat Paulus in 1Kor 1,26–31 mit der Verneinung der Selbstmächtigkeit des Menschen, die sich für ihn im menschlichen Selbstruhm verdichtet, das Gegenstück zur überlegenen Wirkmacht Gottes im Gekreuzigten skizziert, 64 

Vgl. auch Ciampa/Rosner, Letter, 108: „The point is that if it is ‚of him‘ that the Corinthians have their standing with God, it is presumably not ‚of yourselves‘“. 65  κύριος dürfte hier auf Gott zu beziehen sein, da dieser nach 1,26–30 der Handelnde ist; vgl. auch Schrage, Bedeutung, 420. Kammler, Kreuz, 142f., plädiert dagegen für Jesus Christus. 66  Die Präposition ἐν bezeichnet den Grund des Rühmens; vgl. BDR § 194 mit Anm. 3. 67  Vgl. dazu auch ­H eckel, Kraft, 145–157, der mit Blick auf die „Wortfamilie καυχᾶσθαι“ von einem „gemeinantike(n) Grundkonsens zwischen der jüdisch-christlichen Tradition und heidnischen Autoren“ spricht (hier: 157 [tw. kurs.]). Zum Befund in der Rhetorik s. ausführlich unten Kap. 2.3.2.3.

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so illustriert er in 2,1–5 das dieser Selbstoffenbarung gemäße Verhalten an seinem eigenen Auftreten als Apostel in Korinth. Er zeichnet sich dabei als Gegenbild zu der angesichts des Kreuzes anachronistisch gewordenen Hybris der Weisen (1,19f.) und ihrer Adepten in der korinthischen Gemeinde (1,26). Dem von ihm verkündigten Inhalt, Jesus Christus, dem Gekreuzigten, entsprechend ist Paulus in Schwachheit, Furcht und Zittern nach Korinth gekommen (2,2f.), nicht in hervorragender Rede und Weisheit (v1) und auch nicht mit der Überredungskunst der Weisheit (ἐν πειθοῖ[ς] σοφίας [λόγοις]; v4). Seine Verkündigung entsprach damit nicht den Normen der antiken Rhetorik zur Gewinnung des Publikums „mit den drei Graden des docere, delectare und movere“.68 Paulus verlässt sich für die Beglaubigung der Wahrheit seiner Verkündigung vielmehr auf den „Beweis des Geistes und der Kraft“ (ἐν ἀποδείξει πνεύματος καὶ δυνάμεως). Mit ἀπόδειξις und δύναμις verwendet er in v4b zwei in der Rhetorik beheimatete Termini. Ersterer bezeichnet die klare Beweisführung69, die „mittels sicherer Tatsachen zweifelhaften zur Glaubwürdigkeit (fidem) … verhelfen soll“. Die Griechen, so Quintilian, bezeichneten solche Beweise als πίστεις, was wörtlich mit „‚fides‘“ wiederzugeben sei.70 Auch der Begriff der πίστις fällt in diesem Zusammenhang bei Paulus, und zwar in 1Kor 2,5, wo er das Resultat der ἀπόδειξις πνεύματος καὶ δυνάμεως bezeichnet. δύναμις ist bei Aristoteles eine Umschreibung der Rhetorik als Vermögen.71 Alle drei Begriffe deutet Paulus in 1Kor 2,1–5 in seiner Auseinandersetzung mit der Überredungskunst der Weisheit, die die Rhetorik lehrt, um. Die Wendung „Geist und Macht“ ist als Hendiadyoin zu verstehen, das auf den Beweis des machtvoll wirkenden Geistes Gottes zu 68  Schnabel, Brief, 155, in Aufnahme von Quintilian, Inst 12,10.59. Schnabel entnimmt v3 die paulinische Absage an ἦθος und πάθος, v4 den Verzicht auf „den Beweis durch die logische Folgerichtigkeit der Darlegung der Sache selbst (ἀπόδειξις)“. Vgl. dazu auch Winter, Philo, 153f.158–161, und Vos, Argumentation, 93f.105f. Vos, ebd., 104, weist zudem darauf hin, dass Paulus, indem er sein Auftreten als in Furcht und Zittern geschehend beschreibt, sich als das „extreme(n) Gegenteil des idealen Rhetors“ zeichnet, für den „παρρησία und θάρσος“ entscheidend waren. 69 S. auch oben Anm. 68. ἀπόδειξις wird von Quintilian, Inst 5,10.7, als „evidens probatio“ definiert, das heißt als „eine ins Auge fallende Beweisführung“ (so die Wiedergabe von Rahn, Quintilianus, 1 551; seiner Übersetzung folge ich auch im Weiteren). Vgl. auch Epiktet, Diss 4,7.6 (und dazu unten Kap. 9). 70  Inst 5,10.8. 71  Vgl. Aristoteles, Rhet 1,2.1: „Die Rhetorik stelle also das Vermögen (δύναμις) dar, bei jedem Gegenstand das möglicherweise Glaubenerweckende (πιθανόν) zu erkennen“. Auch Quintilian, Inst 2,15.3, nimmt den δύναμις-Begriff bezogen auf die Rhetorik auf: „Es ist also die häufigste Definition, ‚die Rhetorik sei die Fähigkeit zu überreden‘. Was ich ‚vis‘ (Fähigkeit) nenne, bezeichnen sehr viele mit ‚potestas‘ (Möglichkeit), einige mit ‚facultas‘ (Gabe). Damit dies keine Unklarheit bringe, sage ich, ‚vis‘ meine soviel wie δύναμις (Kraft, Möglichkeit).“ Zum Ganzen s. auch Winter, Philo, 154f., der mit ὑπεροχή und πειθός zwei weitere in 1Kor 2,1.4 gebrauchte Termini der rhetorischen Tradition zuordnet, sowie Collins, First Corinthians, 120.

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deuten ist, der sich im „rettenden Glauben“ manifestiert.72 Die zum Glauben führende ἀπόδειξις des Paulus hängt damit nicht an der Person des Redners, sondern bezieht ihre Kraft aus der Wirkmacht des Geistes (v5): „damit ( ἵνα) euer Glaube nicht in Menschenweisheit (ἐν σοφίᾳ ἀνθρώπων) (begründet) sei, sondern in (der) Macht Gottes (ἐν δυνάμει θεοῦ)“. Diese Zielbestimmung fügt sich in die in 1Kor 1,18–2,16 insgesamt dominierende Bewegung von Gott zum Menschen ein: Alles, was die Berufenen ausmacht, einschließlich ihres Glaubens, verdankt sich dem Handeln Gottes in Christus. Während also „der Glaube transparent ist für Gottes Dynamis“, rückt die Überredungskunst der Weisheit „etwas ‚Selbstgemachtes‘ in den Vordergrund“.73 Für 1Kor 2,1–5 ist damit festzuhalten, dass Paulus mit seinem christusförmigen Auftreten in Korinth, das den Verzicht auf überredende Weisheitsworte einschließt, das Ziel verfolgt, die Kraft Gottes als die Wirkmacht seiner apostolischen Verkündigung erkennbar werden zu lassen. Obwohl es sich bei 1Kor 1,26–31 und 2,1–5 um zwei eigenständige Verifikationen der kreuzestheologischen Grundlegung 1Kor 1,18–25 handelt, sind somit zwei das Grundsätzliche betreffende Gemeinsamkeiten zu beobachten: Paulus interpretiert Weisheit und Weisheitsrede, für die sich die Elite der Gemeinde in Korinth begeistert, im Horizont der Rhetorik und der von ihr transportierten Werte. Seine Kritik daran gründet hier wie dort auf der für 1Kor 1,18–2,16 konstitutiven Grundüberzeugung, dass Gott selbst es ist, der in der Auferweckung des ohnmächtigen Gekreuzigten machtvoll gehandelt hat, um auf diese Weise zu demonstrieren, dass alles aus seiner Macht kommt und nichts aus den Möglichkeiten des Menschen. Paulus sieht in dem von den Korinthern rezipierten dominanten Zeitgeist m. a. W. eine Infragestellung der Wirkmacht Gottes, die sich im Gekreuzigten erschlossen hat. Seine Kritik der Rhetorik beinhaltet jedoch, wie an späterer Stelle zu zeigen sein wird74, keine grundsätzliche Absage an die Rhetorik als Redekunst (τέχνη). Sie gilt in den untersuchten Texten vor allem den von ihr vermittelten Werten und Idealen sowie deren Missbrauch durch eine Gruppe in der Gemeinde. 2.1.3 Traditionsgeschichtliche Erwägungen zu 1Kor 1,26–31 Wie angedeutet, rezipiert Paulus in 1Kor 1,26–31 sowohl griechisch-römische (1) als auch biblische (2) Tradition. Dies ist für die im Kontext dieser Untersuchung interessierenden Aspekte nun im Einzelnen aufzuzeigen. Damit verbindet sich im weiteren Horizont der Untersuchung die Absicht, die geistesgeschichtlichen Positionen, mit denen sich Paulus auseinandersetzt, in72  Kammler, Kreuz, 171; vgl. ferner Schrage, Brief, 1 234, Lindemann, Korintherbrief, 56, und Schnabel, Brief, 156. 73  Vollenweider, Weisheit, 52 (tw. kurs.). 74  S.u. Kap. 2.3.2.3.

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haltlich genauer zu bestimmen und zu klären, wie sich der paulinische Entwurf zu ihnen verhält. Zugleich wird damit der Vergleich mit Philo unter der Frage der Aufnahme und Abweisung von Traditionen vorbereitet. Bereits im Folgenden wird daher hier und da auf den alexandrinischen Gelehrten Bezug genommen. (1) Was die griechisch-römische Überlieferung anbelangt, so werden in diesem Kapitel sowie unten in Kap. 2.3.2.3 Traditionen aus der Rhetorik bearbeitet. Im Zentrum stehen dabei die ‚Rhetorik‘ des Aristoteles, die ‚Ausbildung des Redners‘ von Quintilian sowie Plutarchs Schrift ‚Wie man, ohne anzustoßen, sich selbst loben kann‘. Alle drei Werke verarbeiten die zu ihrer Zeit vorhandenen Erkenntnisse zu den in ihnen erörterten Stoffen. Für die von Aristoteles bereits während seiner ersten Schaffensperiode verfasste ‚Rhetorik‘75 bildet „eine große Materialsammlung und genaue Kenntnis der übrigen Theoretiker der Rhetorik die Vorbedingung“ seiner eigenen Forschung.76 Dies gilt auch für Quintilians gegen Ende der Regierungszeit Domi­ tians (81–96 n.Chr.) abgefasste Institutio Oratoria, die die „Summe … eines halben Jahrtausends auf dem Gebiet … der Sprachschulung durch die Rhetorik“ zieht, wie sie sich in Griechenland und Rom herausgebildet hatte.77 Auch Plutarch hatte Zugang zu der ihm vorausgehenden rhetorischen Tradition und verarbeitet diese in seinem Werk.78 Deshalb ist mit einer Kenntnis der in den beiden nachpaulinischen Werken verarbeiteten Stoffe bei Paulus79 und speziell bei den Gebildeten unter den Korinthern zu rechnen. Dies gilt umso mehr, als Korinth ein Zentrum der antiken Redekunst war.80 In 1Kor 1,26–31 nimmt Paulus vor allem auf zwei Topoi der antiken Rhetorik Bezug, zum einen auf die soziologischen Kategorien der Weisen, Mächtigen und Wohlgeborenen, die zugleich Aspekte der Eudämonie umschreiben, zum anderen auf die Frage legitimen und illegitimen Rühmens (1,29.31). Dabei herrscht in den rhetorischen Abhandlungen ein Konsens darüber, dass das Selbstlob grundsätzlich illegitim ist, unter genau benannten Bedingungen aber auch zulässig sein kann. In diesem Kapitel wird nur der erste Punkt erörtert, der zweite wird in Verbindung mit 2Kor 10–13 aufgenommen, wo der Apostel das Rühmen sehr viel ausführlicher thematisiert als in 1Kor 1 75 

Die in der vorliegenden Untersuchung erörterten Texte sind den beiden ersten Büchern der Rhetorik ohne 2,23–24 entnommen und fallen damit in die Akademiezeit des Philosophen in Athen bis 347 v. Chr. Rhet 1 und 2 wurden in späterer Zeit aber mehrfach überarbeitet; zum Ganzen vgl. Sieveke, Aristoteles, 304f. 76 Ebd., 312. 77  Rahn, Quintilianus, 2 805. 78 Vgl. Betz, De laude ipsius, 367. 79  Vgl. auch Dulling, Corinthians, 289. 80 Vgl. Winter, Philo, 126–144. Auch Philo nimmt in den in dieser Untersuchung berücksichtigten Texten wiederholt auf die rhetorische Überlieferung Bezug. Vgl. bes. Det 33f. und dazu s. u.; s. ferner Virt 162.166.174 und dazu s. im Folgenden.

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und in vielfältiger Weise auf die rhetorische Tradition anspielt. In diesem Zusammenhang wird auch auf die εὐγένεια zurückzukommen sein, die in 2Kor 11 im Unterschied zu 1Kor 1,26–28 eigenständige Bedeutung erhält. Die von Paulus in 1,26–28 und ähnlich in 4,8.1081 für die Elite der Korinther verwendeten soziologischen Kategorien der Weisheit, Macht bzw. Herrschaft, Herkunft, Einsicht bzw. Vernunft, Ehre sowie des Reichtums berühren sich, wie gesehen, mit dem, was die Glückseligkeit ausmacht, zu der ein Redner Aristoteles zufolge raten soll. So heißt es in seiner Rhetorik: „Wir wollen daher zum Beispiel untersuchen, was die Glückseligkeit an sich ist und welches ihre Teile sind; denn auf die Glückseligkeit und auf das, was sich auf sie bezieht bzw. was ihr entgegengesetzt ist, tendieren durchweg alle zu- und abratenden Reden: Denn was diese oder irgendeinen ihrer Teile bewirkt oder ein größeres Maß statt eines kleineren davon hervorbringt, das soll man tun; das aber, was verderblich oder hinderlich ist bzw. sogar das Gegenteil hervorbringt, das muss man unterlassen“ (Rhet 1,5.2).

Zur Glückseligkeit gehören: „edle Herkunft (εὐγένειαν), Zuneigung vieler Freunde und rechtschaffener Freunde, Reichtum (πλοῦτον), Wohlergehen mit Kindern und Kinderreichtum, ein glückliches Alter, noch dazu Vorzüge des Leibes wie Gesundheit, Schönheit, Stärke (ἰσχύν), Größe, Tauglichkeit für Leibesübungen, guter Ruf (δόξαν), Ansehen (τιμήν), Gunst des Glücks, Tugend [oder auch ihre Teile, Einsicht (Vernunft {φρόνησιν}82), Mannhaftigkeit, Besonnenheit (Mäßigkeit {σωφροσύνην}), Rechtschaffenheit]“ (Rhet 1,5.4).83

Auch Quintilian thematisiert in seiner Rhetorik viele der von Aristoteles erwähnten Elemente als Gaben des Glücks (fortuna).84 Mit Blick auf 1Kor 1,26–31 und im Vorgriff auf 4,6–10 ist zudem bemerkenswert, dass eine der Wirkungen auf das Wesen des Menschen, die Aristoteles den dem Glück zugehörigen Teilen zuschreibt, Hochmut ist, teils gepaart mit der Verachtung weniger Glücklicher. In Rhet 2,15–17 erörtert er die Konsequenzen des Glücks an ihren wichtigsten Dimensionen, die allesamt auch in den beiden Paulustexten Erwähnung finden, nämlich Geburts­ adel (εὐγένεια), Reichtum (πλοῦτος) und Macht (δύναμις). Sein Fazit lautet 81 

Die Begriffe sind hier aber teilweise metaphorisch verstanden. Rhet 2,16.2f. wird in einem verwandten Zusammenhang der Begriff σοφός gebraucht. 83  Diese Elemente werden in Rhet 1,5.6–18 im Einzelnen erläutert. Für den frühen Befund verweist Winter, Philo, 191, auf Isokrates, übergeht aber Aristoteles. – Begriffe, die in dieser Untersuchung auch an anderer Stelle Verwendung finden, werden der besseren Vergleichbarkeit wegen auch griechisch wiedergegeben; entsprechend wird bei anderen Texten auch verfahren. 84  Vgl. Inst 3,7.7–18, bes. § 12–14. Ähnliche Aufzählungen werden mit Chrysipp (Plutarch, De Stoicorum repugnantiis 1034b) in Verbindung gebracht (vgl. Moreau, Écriture, 250, Anm. 21 und 22); s. ferner Plutarch, De Fortuna, 99e–f. 82  In

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in 2,17.6: „Aufgrund des Glücks (εὐτυχία) sind die Menschen auch hochmütiger (ὑπερηφανώτεροι) und unvernünftiger (ἀλογιστότεροι)“.85 Zählt der Hochmut demnach zu den Charaktereigenschaften (τὰ ἤθη) der Glücklichen im Allgemeinen, so verbindet ihn Aristoteles in besonderer Weise mit dem Reichtum86. So heißt es in Rhet 2,16.1f.: „Welches Wesen mit dem Reichtum verbunden ist, ist für jedermann hervorragend zu sehen. Sie (die Reichen) sind nämlich übermütig (ὑβρισταί) und hochmütig (ὑπερήφανοι), wie wenn sie durch den Besitz ihres Reichtums etwas erleiden… Ferner sind sie üppig (τρυφεροί) und prahlerisch (σαλάκωνες); üppig aufgrund ihrer Weichlichkeit und, um ihr Glück zur Schau zu stellen, prahlerisch aber und ungebildet (σόλοικοι), weil alle gewohnt sind, sich damit zu beschäftigen, was von ihnen geliebt und bewundert wird, und weil sie glauben, die anderen strebten nach denselben Dingen wie sie“.

Zudem schreibt Aristoteles den Reichen „die Meinung (τὸ οἴεσθαι)“ zu, „zum Regieren (ἄρχειν) würdig zu sein. Sie meinen nämlich, das zu besitzen, worauf das Verdienst des Herrschens (ἄρχειν) basiere“ (2,16.3). Dass Aristoteles die Reichen äußerst kritisch sieht, zeigt auch seine Zusammenfassung in § 3: „Und zusammenfassend: der Charakter, der zum Reichtum gehört, ist der eines glücklichen Unverständigen (ἀνοήτου εὐδαίμονος)“. Kaum weniger schmeichelhaft fällt sein Urteil über die Mächtigen aus: „In gleicher Weise manifestieren sich nahezu die meisten Charaktereigenschaften, die die Gewalt (Macht [περὶ δυνάμεως]) betreffen; denn teils hat die Gewalt die gleichen (τὰ αὐτά) wie der Reichtum, teils bessere“ (2,17.1).

Diese besseren Eigenschaften der Mächtigen entfaltet Aristoteles in Rhet 2,17.2–4. Den Geburtsadel verbindet er demgegenüber mit dem Streben nach Ehre und Ruhm: 85  Der Text fährt fort: „Aber eine sehr gute Charaktereigenschaft begleitet das Glück: Die Menschen sind gottesfürchtig (φιλόθεοι) und begreifen sich in einem gewissen Verhältnis zu dem Göttlichen. Ihr Vertrauen (πιστεύοντες) basiert auf den aus dem Glück resultierenden Gütern“. Während Paulus ähnlich wie die biblische Tradition und Philo der Aussage des Aristoteles über den Hochmut der mit edler Geburt, Gesundheit und Macht Versehenen zugestimmt hätten, schließen sich Hochmut und Gottesfurcht für Paulus, das Alte Testament und Philo aus. Auch der von Aristoteles hergestellte Zusammenhang von Vertrauen und Glücksgütern wäre auf ihren Widerspruch gestoßen, wie übrigens auch bei den Stoikern. 86  In 1Kor 1,26–31 wird der Reichtum nicht explizit erwähnt, dürfte in der zusammenfassenden Wendung τὰ ὄντα aber inkludiert sein. Zwei Argumente sprechen dafür. Zum einen dürfte er von einer hellenistisch wie jüdisch sozialisierten Leserschaft bei der Erwähnung von Geburtsadel und Macht mitgedacht worden sein (s. o. Anm. 40). Für erstere ist auf den Befund bei Aristoteles hinzuweisen, für zweitere auf Jer 9,22 LXX / 1Sam 2,10 LXX. Zum anderen verwendet Paulus den Begriff in 1Kor 4,8 in einem verwandten Zusammenhang, wenngleich metaphorisch.

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„Charakteristikum des Geburtsadels ist es, dass sein Besitzer in besonderer Weise nach Ehre strebt (φιλοτιμότερον); denn jeder, sofern er etwas besitzt, strebt nach Vermehrung dessen. Der Geburtsadel aber ist Würde der Vorfahren. Ferner hat er die Neigung zum Verachten (καταφρονητικόν) auch solcher, die mit den eigenen Vorfahren vergleichbar sind, weil dergleichen Auszeichnungen eher zur Vermehrung der Ehre (ἐντιμότερα) und zu dem, womit man sich rühmen kann (εὐαλαζόνευτα), gereichen, wenn sie weit zurückliegen, als wenn sie nahe sind“ (2,15.2).

Aristoteles wirft dem Geburtsadel m. a. W. vor, dass sie diejenigen ihrer Zeitgenossen verachten, die zwar über dieselben Vorzüge wie die eigenen Vorfahren verfügen, aber selbst keinen Geburtsadel aufzuweisen haben. Diesen gegenüber missbrauchen sie ihre Herkunft, um sich zu rühmen. So zeigt sich Aristoteles den Reichen und Mächtigen sowie dem Geburts­ adel gegenüber äußerst kritisch. Er wendet sich insbesondere gegen ihren Hochmut und ihren Hang zu Prahlerei und Ruhmsucht bei gleichzeitiger Verachtung der weniger vom Glück Gesegneten. Im Raum des hellenistischen Judentums lässt sich bei Philo eine ähnlich beißende Kritik an den Reichen, Angesehenen und Mächtigen beobachten, denen auch er Hochmut (ὑπεροψία) und Prahlerei (ἀλαζονεία) vorwirft87. Seine diesbezügliche Kritik begründet er aber mit Mose, für den er in diesem Zusammenhang Dtn 8,11–14.18 heranzieht. Auch den Geburtsadel beurteilt Philo ähnlich kritisch wie Aristoteles, und auch hier beruft er sich auf die Schrift. Die in diesen Traditionen zu beobachtende Verbindung der Reichen, Mächtigen und Geburtsadeligen mit dem Selbstruhm einerseits und der Verachtung derer, die vom Glück weniger begünstigt sind, andererseits, spiegelt sich in 1Kor 1,26–29. Paulus identifiziert τὰ ἀγενῆ dieser Welt ausdrücklich mit dem Verachteten (v28) und begründet die Entmachtung der Starken, Weisen und Wohlgeborenen mit der Absicht Gottes, ihrem sich-selbst-Rühmen anderen gegenüber ein Ende zu machen. Die konkrete Formulierung in v29 berührt sich ähnlich wie bei Philo mit der biblischen Tradition. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Topos selbst in der griechisch-römischen Tradition ungleich stärker verankert ist als in der biblisch-jüdischen. Auch die Gegenüberstellung von Weisen, Mächtigen und Wohlgeborenen einerseits und Toren, Schwachen und Menschen niedriger Herkunft andererseits (v27f.) hat bei Aristoteles wie später auch bei Philo Parallelen88. Wie mit den Charaktereigenschaften der vom Glück Begünstigten befasst sich Aristoteles auch mit denen der anderen. Er fasst sich hier aber kurz, weil sie im Modus des Gegensatzes aus dem Gesagten deduzierbar sind: 87  Vgl. Virt 161–168. Die griechisch wiedergegebenen Begriffe finden sich in § 161 im Rahmen der Einleitung. 88  Rhetorisch betrachtet, liegt hier eine ἐναντιότης vor, die Quintilian, Inst 9,3.90, mit „Gegensatz (contrarium)“ umschreibt.

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„Das Gegenteil (τά … ἐναντία) zu dem Besprochenen ist klar aus den Gegensätzen, wie z. B. das Wesen des Armen, des Glücklosen und des Machtlosen (πένητος καὶ ἀτυχοῦς ἦθος καὶ ἀδυνάτου)“ (Rhet 2,17.6).

Die Kürze, mit der er von dieser Gruppe handelt, deutet freilich auch darauf hin, dass sie für ihn von geringerer Bedeutung ist. Darin unterscheidet er sich unverkennbar ebenso von Paulus wie von Philo, die in ihren Gegenüberstellungen der beiden Gruppen deutlich anders gewichten. Für den Apostel zeigt sich dies außer in 1Kor 1,27f. auch in 4,8–10, für Philo ist an dieser Stelle auf Virt zu verweisen. Der Hochmütige und der Prahler (Virt 171f.), der sich, „um mit Pindar zu reden, ‚nicht für einen Menschen und nicht für einen Halbgott, sondern für einen ganzen Gott‘ hält“89, „glaubt, er sei unter allen (Menschen) der Reichste (πλουσιώτατος), der Geachtetste (ἐντιμότατος), der Schönste, der Stärkste (ἰσχυρότατος), der Klügste (φρονιμώτατος), der Besonnenste, der Gerechteste, der Beredteste ( λογιώτατος), der Kenntnisreichste (ἐπιστημονικώτατος); und die anderen hält er für arm (πένητας), unbedeutend (ἀδόξους), verachtet (ἀτίμους), unverständig (ἄφρονας), ungerecht, ungebildet (ἀνεπιστήμονας), für den Auswurf der menschlichen Gesellschaft (καθάρματα)90, für nichts (τὸ μηδέν)“ (Virt 174).91

Dass Philos Sympathie dabei den Niedrigen gilt, die, Paulus vergleichbar, aus der Zuwendung Gottes leben, zeigt sich im corpus philonicum wiederholt.92 Der Nichtigkeit, in der die Aufzählung der von den Hochmütigen Verachteten kulminiert, entspricht in 1Kor 1,28 τὰ μὴ ὄντα als das, was nichts gilt. Für das Gegenstück dazu, τὰ ὄντα , finden sich im Kontext der Erörterung des Selbstlobes auch in der postaristotelischen Rhetorik Parallelen. So heißt es im Eröffnungssatz von Plutarchs Schrift vom Selbstlob folgendermaßen: „Von sich selbst wie von einer bedeutenden (τι ὄντος) oder mächtigen (Person) zu anderen zu reden93, gilt … in der Theorie als anstößig“.94 Mit τὰ ὄντα 89 … ‚οὔτε ἄνδρα οὔτε ἡμίθεον ἀλλ’ ὅλον δαίμονα‘… (§ 172). Zur religiösen Dimension des sich-Rühmens bei Pindar und in der weiteren griechischen Literatur vgl. ­H eckel, Kraft, 155f. Der sich hier artikulierende widergöttliche Charakter des Selbstruhms zeigt sich auch in der LXX; vgl. ebd., 156f. 90  Wiedergabe nach Pape, 1 1281, s. v. κάθαρμα, hier u. a. unter Verweis auf Demosthenes, bei dem sich eine ähnliche Reihung findet: τοὺς μὲν πτωχούς, τοὺς δὲ καθάρματα, τοὺς δ’ οὐδὲν ὑπολαμβάνων εἶναι. 91  Zu einer vergleichbaren Gegenüberstellung bei Philo vgl. Det 33f. und dazu s. u. Kap. 3.3.2.1. Dieser Text überschneidet sich in der konkreten Begrifflichkeit aber weniger stark mit den hier zur Debatte stehenden Texten von Aristoteles und Paulus als Virt 174. 92  Vgl. dazu bes. Her 24–30 (dazu s. u. Kap. 3.3.2.1) und Spec 1,299–312 (dazu s. u. Kap. 3.3.2.2). 93  Τὸ περὶ ἑαυτοῦ λέγειν ὥς τι ὄντος ἢ δυναμένου πρὸς ἑτέρους … 94  Mor 539a–b. Bei den Übersetzungen von Plutarchs Moralia handelt es sich hier und im Folgenden um eigene Übersetzungen. – Im näheren Kontext (539a–c) umschreibt

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(v28) / τι ὄντος und δύνατοι (v26) / τι … δυναμένου95 sind dabei zwei terminologische Überschneidungen mit 1Kor 1,26–28 festzustellen. Ebenfalls im Kontext der Auseinandersetzung um das angemessene Rühmen findet sich bei Quintilian als Entsprechung zu τι ὄντος der Ausdruck: „falsam de se opinionem (falsche Geltung)“. Vor diesem Hintergrund kann es kaum zweifelhaft sein, dass Paulus mit den angeführten rhetorischen Traditionen zur Eudämonie, wie sie sich insbesondere in der Verbindung mit dem Selbstlob auf der einen und der Verachtung der vom Glück weniger Begünstigten auf der anderen Seite niedergeschlagen haben, vertraut war und ihre Sprache und Inhalte seiner Darstellung adaptierte. Ob er dabei direkten Zugang zur Rhetorik hatte oder nur vermittelt durch das hellenistische Judentum, scheint im ersteren Sinne zu beantworten zu sein, da Paulus in der Korintherkorrespondenz rhetorische Tradition in einer Weise rezipiert, die an eine eigenständige Kenntnis denken lässt.96 Das schließt freilich nicht aus, dass er, wie durch den Vergleich mit Philo nahegelegt wird, zugleich über das Judentum mit Interpretationen der in der Rhetorik verhandelten Topoi vertraut war. (2) Sprache und Inhalt von 1Kor 1,26–31 verweisen aber zugleich in die biblische Überlieferung, was für Paulus angesichts der ihn leitenden argumentativen Absichten eine glückliche Koinzidenz dargestellt haben dürfte. Wie gesehen, spielt er in 1Kor 1,29.31 auf Jer 9,22f. LXX / 1Sam 2,10 LXX an und entnimmt diesen Texten die Anweisung zum richtigen Rühmen. Beide Stellen mitsamt ihrem Kontext sind auch jenseits der unmittelbaren Schriftrezeption in v29 und v3197 für die paulinische Argumentation in 1Kor 1,26–31 konstitutiv. Das Schriftwort lautet in der Fassung Jeremias folgendermaßen: „Der Weise (σοφός; bzw. φρόνιμος in 1Sam) rühme sich nicht seiner Weisheit, und der Starke (ἰσχυρός; bzw. δυνατός in 1Sam) rühme sich nicht seiner Stärke, und der Reiche (πλούσιος) rühme sich nicht seines Reichtums, sondern wer sich rühmt, Plutarch τὸ περὶ ἑαυτοῦ λέγειν mit ἑαυτὸν ἐπαίνειν (im Titel der Schrift), αὑτὸν εὖ λέγειν (einem Euripides-Zitat) und καυχᾶσθαι (einem Pindar-Zitat). 95 Vgl. Pape, 1 672, s. v. δύναμαι 1: das Partizip wird oft in der Bedeutung „des Vielvermögenden, Mächtigen, Angesehenen“ gebraucht. 96  Dazu s. auch unten Kap. 2.3.2.3. 97  1Kor 1,31 ist kein Schriftzitat, obwohl es mit καθὼς γέγραπται eingeführt wird. Zur Herkunft der Formulierung vgl. bes. Wolff, Der zweite Brief, 207, mit weiterer Literatur, sowie ­H eckel, Kraft, 173f.; s. ferner Williams, Wisdom, 104–108, und Inkelaar, Conflict, 223–225. An weiteren Texten zur Wirkungsgeschichte von Jer 9,22f. im antiken Judentum nennt ­H eckel, aaO., 169f., LibAnt 50f.; Sir 10,22; PsPhok 53f.; Sib 2,125f.; dazu und zu weiteren Texten vgl. auch Williams, aaO., 115–124. Zudem verweist ­H eckel, aaO., für „dieselben Grundgedanken von Gott als Ruhm und Gegenstand des Sich-Rühmens sowie die Ablehnung aller menschlichen Überheblichkeit“ auf verschiedene Stellen bei Philo, die teilweise unten in Kap. 3.1.1.1 (Spec 1,10) und Kap. 3.3.2 (Spec 1,311.293; Mut 155) bearbeitet werden; zum rabbinischen Befund vgl. ebd., 172, Anm. 163.

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möge sich darin rühmen: zu verstehen und zu erkennen, dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit und Recht und Gerechtigkeit auf die Erde bringt, denn in diesen liegt mein Wohlgefallen“.

In Jer 9 wie in 1Sam 2 schließt sich daran eine Aussage über das Gerichtshandeln Gottes an.98 Die Stelle wendet sich bei Jeremia an die führenden Kreise der Gesellschaft, deren Ideologie und Hochmut gegenüber den nicht zu dieser Schicht Gehörigen99 sie kritisiert100 und sie in den Horizont des göttlichen Gerichtes stellt. Für 1Sam gilt Entsprechendes. Sämtliche dieser Aspekte finden in 1Kor 1,26–31 Widerhall, die Kritik an der Elite, die Warnung an sie, sich nicht sich selbst rühmend über die Geringen zu erheben101, und die Gerichtsdimension. Auch in seiner Formulierung des legitimen Gegenstands des Rühmens folgt Paulus mit ἐν κυρίῳ (v31) in der Sache Jer 9,22f. LXX / 1Sam 2,10 LXX. Das Rühmen des Herrn hat seinen Grund im Anschluss an v30 im Handeln Gottes mit der Gemeinde: Was sie in Christus ist, ist sie aus Gott, und deshalb soll sie sich seiner rühmen. Ähnlich sollen sich die Weisen etc. nach Jer 9 in ihrer Erkenntnis des Gottes rühmen, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf Erden bringt. Gegenstand ihres Rühmens soll m. a. W. der Gott sein, der zugunsten der Erde handelt, nicht die eigenen Vorzüge. Die theologische Kontur der Begründung des illegitimen wie des legitimen Rühmens kommt im Hannahlied 1Sam 2102 noch deutlicher zum Tragen als in Jer 9. In 1Sam 2,10 LXX folgt die Mahnung an den Klugen etc., sich nicht selbst zu rühmen, sondern sich zu rühmen, „einsichtig zu sein und den  98  Vgl. Jer 9,24f. LXX: „Siehe, Tage werden kommen, spricht der Herr, da werde ich an allen an ihrer Vorhaut Beschnittenen heimsuchen, an Ägypten und an Judäa und an Edom und an den Kindern Ammons und an den Kindern Moabs und an jedem, der sich an seinem Gesicht rundum scheren lässt, (an denen), die in der Wüste wohnen. Denn alle Völker sind Unbeschnittene im Fleisch, und das ganze Haus Israel sind Unbeschnittene in ihren Herzen“. In 1Sam 2,10 LXX heißt es: „Der Herr ging hinauf in die Himmel und donnerte, er wird die Enden der Erde richten und unseren Königen Kraft geben und das Horn seines Gesalbten erhöhen“.  99 Vgl. Wilk, Ruhm, 61. 100 Vgl. Inkelaar, Conflict, 217, in Aufnahme von W. Brueggemann: Der Prophet „‚challenges the foundations of the establishment credo,‘ and has the intention to ‚discredit and dismantle the epistemology of the regime‘“. 101  Dies gilt unabhängig davon, dass die paulinische Warnung vor Selbstruhm „allem Fleisch“ gilt. Denn ausweislich der Argumentation in v27f. richtet sie sich in erster Linie an diejenigen, die Gott mittels der Erwählung der Geringen demütigt, nämlich die σοφοί, die δυνατοί und die εὐγενεῖς. Der Gebrauch des in Jer 9 / 1 Sam 2 nicht verwendeten Begriffs εὐγενεῖς verdankt sich, wie gesehen, der Rhetorik. Auf den Reichtum kommt Paulus, wie erwähnt, in metaphorischer Redeweise in 1Kor 4,8 zu sprechen. 102  Zur Bedeutung des Hannahliedes für das Verständnis des Rühmens in der Korintherkorrespondenz vgl. die vielen Hinweise bei ­H eckel, Kraft, die über das Register (ebd., 350) zu erschließen sind.

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Herrn zu erkennen und Recht und Gerechtigkeit im Lande zu tun“103, auf die Feststellung: κύριος ἅγιος.104 Die Mahnung, sich nicht zu rühmen, ist damit als die anthropologische Konsequenz aus der Heiligkeit Gottes verstanden. Die Aussage κύριος ἅγιος weist auf die Heiligkeitsaussagen in v2 zurück, auf die auffälligerweise ebenfalls die Mahnung folgt, sich nicht zu rühmen (v3): „Rühmt euch nicht und redet nichts Hochtrabendes (μὴ καυχᾶσθε καὶ μὴ λαλεῖτε ὑψηλά); Großsprecherei (μεγαλορρημοσύνη) komme nicht aus eurem Munde“. Begründet wird sie mit der Größe Gottes: „Denn ein Gott der Erkenntnisse (γνώσεων) ist der Herr und ein Gott, der seine Pläne durchführt (ἑτοιμάζων)“.105 In v4–9a wird die Art und Weise, in der Gott seine Pläne umsetzt, entfaltet. Kennzeichnendes Merkmal seines Handelns ist die Erhöhung der Geringen und Schwachen (ἀσθενοῦντες) und die Erniedrigung der Starken.106 V9b formuliert sodann die anthropologischen Konsequenzen aus diesem souveränen Gotteshandeln: „Denn nicht durch (seine eigene) Kraft (ἰσχύι) ist mächtig (δυνατός) ein Mann“. Was der Mensch ist, ist er demnach aufgrund des Handelns Gottes. Seine Stärke ist verliehene Stärke, nicht eigene. Wie um dies noch einmal zu untermauern, charakterisiert v10a das Handeln Gottes mit den vermeintlich Starken folgendermaßen: „Der

103  Im Unterschied zu Jer 9,23 LXX ist als Gegenstand des Rühmens hier also nicht nur die Erkenntnis Gottes und seines Handelns im Blick, sondern auch die Erfüllung des Willens Gottes durch den Menschen. 104  Sie hat im MT ebenso wenig wie die zu Jer 9,22f. LXX parallelen Aussagen von 1Sam 2,10 LXX ein Äquivalent. 105  Der zweite Teil der Begründung, v3bβ, hat im MT kein Äquivalent; zu den Unterschieden vgl. Kraus/Karrer, Erläuterungen. I, 748. Dass Gott handelt, nämlich als universaler Richter, ist freilich auch hier Thema. 106  Ein mit Blick auf 1Kor 1,26–31 auffälliger Text, der zweifelsohne in die Rezep­ tionsgeschichte des Hannahliedes gehört, ist HekhR 1,2 (= Schäfer, Synopse, § 82), wo enge Bezüge zu 1Sam 2,4–9a zu beobachten sind (zu Fragen der Datierung vgl. Morray-Jones, Ascent, 258). Im Zusammenhang mit § 81 interpretiert (vgl. dazu Schäfer, Übersetzung. II, 3, Anm. 6), heißt es mit Bezug auf den Merkava-Visionär, er erkenne alles, was künftig auf der Welt geschehen werde, namentlich: „1 wen sie (sc. die Engel) erniedrigen, wen sie erhöhen (‫ ;)למי משפילין למי מגביהין‬2 wen sie schwächen, wen sie stärken (‫ ;)למי מרפים למי מגבירין‬3 wen sie arm machen, wen sie bereichern (‫;)למי מרוששים למי מעשרין‬ 4 wen sie sterben lassen, wen sie leben lassen (‫ ;)למי ממיתין למי מחיים‬5 von wem sie Erbbesitz nehmen, wem sie Erbbesitz geben (‫ ;)למי נוטלין ממנו ירושה למי נותנין לו ירושה‬6 wem sie Tora übereignen, wem sie Weisheit übergeben (‫“)למי מנחילין לו תורה למי נותנין לו חכמה‬ (Übersetzung im Anschluss an ebd., 2f [unter Berücksichtigung von Anm. 6]). 1 spielt auf 1Sam 2,7 an, 2 eventuell auf v9, 3 auf v7, 4 auf v6, 5 eventuell auf v8. Was in HekhR §82 vom Merkava-Visionär als Resultat seines Aufstiegs zum Thron Gottes behauptet wird, nämlich das Wissen um Erhöhung und Erniedrigung etc., hat sich Paulus durch das Offenbarungshandeln Gottes in Christus erschlossen. Mit Blick auf 1Kor 1,18–2,16 ist ferner auffällig, dass zu den Kenntnissen des Visionärs auch die Empfänger der Gabe der Weisheit gehören. Diese ist in beiden Traditionen in Übereinstimmung mit biblischen Vorstellungen himmlische Gabe, nicht selbst erworbenes Gut.

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Herr wird schwach (ἀσθενῆ) machen seinen Widersacher (ἀντίδικον)“. Ausweislich der Mahnung an die Klugen, Mächtigen und Reichen107, sich nicht ihrer Vorzüge zu rühmen, scheint die LXX bei den Widersachern des heiligen Gottes nicht zuletzt an diese drei Gruppen zu denken. Damit sind zentrale Aussagen von 1Kor 1,26–31 in 1Sam 2,1–10 LXX präfiguriert. Neben der Absage an das Rühmen bezogen auf jene Gruppen der Gesellschaft, die in dieser Frage als besonders gefährdet gelten, betrifft dies auch das Verständnis Gottes und des Menschen. Gott ist der allein Handelnde, der allein Mächtige, der die herrschende Wirklichkeit auf den Kopf stellt, indem er die Geringen erhebt und die Eliten erniedrigt.108 Deshalb kann es aufseiten des Menschen auch kein sich-Rühmen der eigenen Vorzüge geben. Diese Gemeinsamkeiten gelten unbeschadet dessen, dass es in 1Kor 1 anders als im Hannahlied um „den göttlich gewirkten Durchbruch auf ein fundamental neues Niveau“ geht109, sofern Paulus ein solches Gotteshandeln anders als das Hannahlied nicht antizipiert, sondern auf sein Handeln im Gekreuzigten zurückschaut und die in dessen Auferweckung wirksam gewordene Macht Gottes als sich an ihm selbst und im Evangelium durchsetzende Macht erfährt.110 Das notwendige Gegenstück zu dem sich in seiner Wirkmacht artikulierenden Subjektcharakter Gottes ist das Verständnis des Menschen als eines Empfangenden. Auch dies verbindet das Hannahlied mit 1Kor 1,26–31. Somit ist festzuhalten, dass die paulinische Argumentation in der Sache weitgehend mit der Theologie und Anthropologie dieses alttestamentlichen Liedes übereinstimmt. Ähnliche Gedanken artikulieren sich in Jes 29,9–24, dem Abschnitt, aus dem Paulus in 1Kor 1,19 die Stelle v14 zitiert. Der Text besteht aus zwei Teilen. Im ersten wird das Verhalten der religiösen und politischen Führer verurteilt und ihnen das Gericht angekündigt (v9–16), der zweite enthält eine Heilsankündigung (v17–24), die die umfassende endzeitliche Umwandlung Israels und der es konstituierenden Gruppen ins Auge fasst. Die Transformation beinhaltet wie in 1Kor 1,26–28 und 1Sam 2 die

107 

Auf die Mächtigen wird zudem in v4.8, auf den Reichtum in v7 verwiesen. Vgl. auch Wagner, Call, 184. Während Paulus zufolge jedoch die Erwählung der Niedrigen – durch ἵνα verknüpft – auf die Demütigung der Hochstehenden zielt, so dass ihr kein absoluter Wert zukommt – das Ziel des Gotteshandelns ist der Ruhm Gottes [v31] –, wird im Hannahlied ein solcher Zusammenhang nicht hergestellt. Hier sind die Aussagen zum gegensätzlichen Gotteshandeln einander parataktisch zugeordnet. 109  Vollenweider, Weisheit, 51. – Vogel, Theologien, 730, sieht in der Deutung Vollenweiders eine traditions- und religionsgeschichtliche Relativierung der „‚Bevorzugung des ›Unteren‹ und ›Verachteten‹‘“. Eine rein sozialkritische Deutung der Kreuzestheologie verkürzt jedoch den paulinischen Befund. Denn zum einen transzendiert Paulus in v30f. die soziale Ebene theologisch, zum anderen konkretisiert er 1Kor 1,18–25 nicht nur mit 1Kor 1,26–31 erfahrungstheologisch, sondern auch mit Hilfe von 1Kor 2,1–5. 110  Vgl. 1Kor 1,18; Röm 1,16; zu Paulus selbst vgl. bes. 1Kor 2,4; 2Kor 4,7; 12,9f. 108 

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Umkehrung der herrschenden Hierarchien.111 Den einen wird das Ende bereitet – so neben den Weisen u. a. den Hochmütigen (ἀπώλετο ὑπερήφανος; v20) –, während sich das Geschick der Tauben, Blinden und Armen zum Guten wendet. In dieser glorreichen Zukunft wird auch Jakob nicht beschämt werden ([ο]ὐ … αἰσχυνθήσεται ; v22).112 Wie für 1Sam 2,1–10 LXX gesehen, verbinden sich auch bei der paulinischen Rezeption von Jes 29,14 in dem für den Vers skizzierten Kontext Kontinuität und Diskontinuität. Letztere zeigt sich im „eschatological setting of 1 Cor 1–4“, erstere „in the character of God’s actions and in the readiness to confront the wisdom of the wise“.113 Beide von Paulus in 1Kor 1 als Schrift eingeführten Texte argumentieren im Wesentlichen gleichsinnig. Das Zitat Jes 29,14 hat mitsamt seinem Kontext programmatischen Charakter für 1Kor 1,18–31 insgesamt.114

Mit Blick auf die Rezeption der beiden skizzierten Traditionsbereiche, auf die Paulus in 1Kor 1,26–31 zurückgreift, ist festzustellen, dass es zwischen diesen sowohl Berührungspunkte als auch Differenzen grundsätzlicher Art gibt. Beide Traditionen stehen dem menschlichen sich-selbst-Rühmen kritisch gegenüber, beide verbinden ein solches Verhalten, das sie auch als Hochmut bestimmen können, mit den gesellschaftlichen Eliten. Während in der rhetorischen Tradition jedoch allein die Auswüchse des Rühmens kritisiert werden und der Gegensatz von gesellschaftlich Arrivierten und Elenden als gegeben hingenommen wird, erhofft sich 1Sam 2 eine grundlegende Transformation der herrschenden gesellschaftlichen Ordnung durch Gott. Auch stellt sich für Jer 9 und 1Sam 2 das Rühmen nicht nur als Eigenheit eines bestimmten gesellschaftlichen Segments dar, sondern zugleich als ein grundsätzliches theologisch-anthropologisches Problem. Paulus macht sich die biblischen Ausführungen zu eigen. Theologie und Anthropologie der aufgeführten Aussagen der Schrift, die er freilich im Licht der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten in eigenständiger Weise zuspitzt, sind ausweislich von 1Kor 1,30f. der Standort, von dem aus er seine Position formuliert. 111 Vgl. Wilk, Bedeutung, 248. Inkelaar, Conflict, 184, engt dies zu Unrecht auf „causing a conversion or creating a change of mind“ ein. 112 Auch Inkelaar, ebd., 211f., verweist mit Blick auf 1Kor 1,26–28 neben anderen Schriftstellen besonders auf Jes 29,19 (die Armen) und v22f. (Beschämung) 113  Inkelaar, Conflict, 198; zum Ganzen vgl. ebd., 198–203. 114  Vgl. auch Heil, Role, 30–35, Inkelaar, Conflict, 176, und Seifrid, Letter, 398, dem zufolge das ganze das Wort vom Kreuz (1Kor 1,17f.) entfaltende Argument, vor allem aber 1Kor 1,26–31, „receives its structure and content from Paul’s opening citation Isa 29:14 and from the text of Jeremiah that Paul cites at the close (1Cor 1:31)“. – Inkelaar, aaO., 225, behauptet für Jes 29,9–24 und 1Sam 2,1–10 LXX gleichermaßen ein „pattern of reversal“, um ebd., 226, zu betonen, dass 1Kor 1 kein „simple pattern of social reversal“ biete, da die Toren Toren und die Weisen Weise blieben. An die Stelle des Paradigmas des „reversal“ stellt er das von „election and shame“, das heißt „election of unlikely candidates and shame for the self-satisfied“. Dass sich auch damit eine Umkehrung der Verhältnisse verbindet, wird man kaum in Frage stellen können. Die vorgeführten Texte aus der Rhetorik deuten darauf hin, dass Scham und Beschämung in der Antike keineswegs nur innerpsychische Faktoren waren, sondern auch gesellschaftliche.

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Dennoch stellen seine Aussagen in 1Kor 1,26–31 weniger eine Fundamentalkritik an der Rhetorik als einem Teil der „cultural mores“ der Zeit als solcher dar115, denn an den von ihr vertretenen Werten und den Auswüchsen, die die Rhetorik bei den Sophisten annehmen konnte.116 Diese Auswüchse wurden allerdings auch in der Rhetorik selbst, wie sie in den Handbüchern von Aristoteles und Quintilian, aber auch in Plutarchs Schrift über das angemessene Selbstlob Niederschlag gefunden hat, problematisiert.117 Dass Paulus keine grundsätzlichen Einwände gegen die Rhetorik als Regelwerk der Redekunst hat, zeigt sich in 1Kor 1–4118 ebenso wie in dem Passus 2Kor 10–13, der von Anspielungen auf die Rhetorik des Rühmens durchzogen ist. Dies gilt entsprechend für seine Einstellung zur Rhetorik als praktizierter Redekunst, die er selbst zwar nicht beherrscht zu haben scheint, an der er bei Apollos aber offenbar keinen Anstoß nahm, da sie bei diesem im Dienst der Verkündigung des Evangeliums stand.119 Zusammenfassend ist für Kap. 2.1 damit Folgendes festzuhalten: Ob im Kreuz, ob in der Erwählung der Gemeinde, ob in ihrer Gotteserkenntnis, ihrem soteriologischen Stand oder ihrem Glauben, ob im paulinischen Apostolat, Wirkmacht liegt Paulus zufolge exklusiv bei Gott. Diese bricht sich grundlegend in seinem Handeln mit dem Gekreuzigten Bahn. In Kreuz und Auferstehung Jesu Christi hat sich Gott als denjenigen bestimmt, der handelt, 115 So Winter, Philo, 179, dem zufolge 1Kor 1–4 „presents a radical critique of the cultural mores which Paul encountered in Corinth“. 116  Zur Situation in Korinth vgl. Winter, Philo, 126–144. Ob die gebildete Elite der korinthischen Gemeinde jedoch mit den Auswüchsen, die die Rhetorik bei den Sophisten annehmen konnte (vgl. ebd., 126–144), zu identifizieren ist, scheint fraglich. Denn es ist kaum vorstellbar, dass sich Personen der christlichen Gemeinde angeschlossen haben sollten, die sophistischen Idealen huldigten. Paulus kam als Apostel der Niedrigkeit nach Korinth (2,1–5) und verkündigte einen Gekreuzigten und stellte sich damit in einen unüberbrückbaren Gegensatz zu diesen Idealen. Deshalb scheint die Annahme näher zu liegen, dass die Anklänge an die „sophistic tradition“, in deren Licht Paulus das Verhalten der gebildeten Elite der Gemeinde zeichnet, in 1Kor 1–4 weniger im Sinne einer Identifikation der Elite mit dieser Tradition zu deuten sind. Vielmehr scheint Paulus sie vor allem in rhetorischer Absicht rezipiert zu haben, um ihr die Nachbarschaft zu verdeutlichen, in die sie sich aus paulinisch-christlicher Perspektive begibt, wenn sie sich den Lehrern des Evangeliums gegenüber in vergleichbarer Weise verhält (vgl. bes. 1Kor 3,5–9 und dazu s. u. Kap. 2.2.1 und 1Kor 4,6 und dazu s. u. Kap. 2.2.3) wie die korinthischen Massen den Sophisten gegenüber. 117  Vgl. dazu die bereits erörterten Texte aus der rhetorischen Tradition; s. ferner unten Kap. 2.3.2.3 sowie Thiselton, Significance, 332. 118  Collins, First Corinthians, 117, nennt 1Kor, bes. aber die Kap. 1–4, „a rhetorical masterpiece“; er folgt darin J.N. Aletti, der sie als „‚rhetorical chef d’oeuvre‘“ bezeichnet. Zu 1Kor 1–4 und der Rhetorik vgl. u. a. Smit, Rhetoric, und Brookins, Rhetoric, 235–239. 119 Vgl. Wolff, Der erste Brief, 27: „Paulus schätzte das Werk des Apollos in Korinth (vgl. 3,5–9)“.

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den Menschen dagegen als denjenigen, an dem gehandelt wird. Christliche Existenz ist deshalb Existenz aus Gott, nicht aus dem Eigenen des ­Menschen. Diese theologischen Grundpositionen formuliert Paulus in kritischer Auseinandersetzung mit dem Denken der griechisch-römischen Welt seiner Zeit. In 1Kor 1,21 ist sein Gegenüber die Stoa, in 1,26–2,5 die Rhetorik. Die in der jüngeren Forschung verbreitete These, wonach die von Paulus verworfene Weisheit der Welt auf Rhetorik bzw. Sophistik zu deuten sei, interpretiert den paulinischen Befund einseitig.120 Die kritisierte Weisheit ist vielmehr auf Rhetorik und Philosophie zu beziehen. Auch wenn Paulus in 1,18–2,5 beides zu verwerfen scheint, ist doch nicht zu übersehen, dass er für seine Kritik an der Rhetorik an die rhetorische Tradition anzuknüpfen vermag, wie er auch mit seiner Zurückweisung der Gotteserkenntnis der Griechen partiell im Einklang mit bestimmten philosophischen Traditionen steht.121 Dagegen zeigt sich Paulus in 1Kor 1,18–31 in Einzelheiten wie auch im Grundsätzlichen stark von biblischer Tradition beeinflusst, wie er mit dem doppelten, jeweils durch γέγραπται eingeleiteten Rekurs auf die Schrift in v19 und v31 auch selbst herausstellt.

2.2 Das Verhalten der sich weise dünkenden Korinther im Licht der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten (1Kor 3f.) Was Paulus in 1Kor 1,18–2,16 scheinbar weitgehend unter Absehung von den konkreten Konflikten in der korinthischen Gemeinde entfaltet hat, ist ausweislich von 1Kor 1,10–17 ein grundsätzlicher theologischer Kommentar zur konkreten Situation in Korinth. Diesen Faden nimmt er in 1Kor 3f. wieder auf und kritisiert das Verhalten des sich aus seiner Perspektive für weise erachtenden Teils der Gemeinde im Horizont der Selbstbestimmung Gottes im Gekreuzigten und ihrer Konsequenzen für das Verhältnis von Gott und Mensch. Dies nachzuzeichnen ist Aufgabe dieses Kapitels. Am deutlichsten artikuliert sich die theologische Kritik des Apostels an den Korinthern in den drei Abschnitten, die die konfliktträchtigen Gruppenbildungen um Paulus und Apollos theologisch bearbeiten, nämlich 1Kor 3,5–9; 3,18–23 und 4,6– 13. Dabei betont er auch hier den Subjektcharakter Gottes und die diesem korrespondierende Rolle des Menschen als eines Empfangenden.

120  Mit eigenen Argumenten s. auch Brookins, Rhetoric, 244–249, sowie ders., Corinthians. In diesem Beitrag sucht er den Nachweis zu erbringen, dass die Weisheit der Korinther stoischen Charakter hat; auf die Frage der Gotteserkenntnis geht er allerdings nicht ein. Vgl. auch Frey, Perspektiven, 81. 121  Dazu s. u. Kap. 3.1.1.3.

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2.2.1 Die Nichtigkeit der Verkündiger des Evangeliums angesichts der Wirkmacht Gottes (1Kor 3,5–9) In dem 1Kor 3,5–9 vorausgehenden Abschnitt 3,1–4 stellt Paulus heraus, dass Eifersucht und Streit unter den Korinthern, die sich in Loyalitätsbekundungen einzelnen Aposteln gegenüber äußern, zeigen, dass sie in ihrem Denken noch in fleischlichen Kategorien (v1.3) verhaftet sind. Sie verhalten sich, wie es der natürliche Mensch nun einmal tut (κατὰ ἄνθρωπον; v3f.), der von der Gegenwart des Geistes Gottes, der die Erkenntnis seines Handelns im Gekreuzigten erschließt (2,12), unberührt ist. Um die an den Gruppenbildungen beteiligten Korinther zu einem Verhalten den Aposteln gegenüber zu bewegen, das diesem Gotteshandeln gemäß ist, sucht Paulus in 1Kor 3,5–9 klarzustellen, wer die Verkündiger im Verhältnis zu Gott sind. Der Apostel charakterisiert Apollos und sich selbst in v5 zunächst als „Diener (διάκονοι)“, durch die die Korinther „zum Glauben gekommen“ sind, und zwar „wie der Herr es einem jeden gegeben hat (ἔδωκεν)“. Diese Aussage wendet sich gegen jenen „Personenkult“122, den die Weisheitselite unter den Korinthern um die Lehrer des Evangeliums treibt. Drei Argumente scheinen hier durch. Die Bestimmung der Verkündiger als Diener identifiziert sie mit dem unteren Ende der Sozial- und Wertehierarchie der griechisch-römischen Welt.123 Deshalb kommen sie für eine gurugleiche Verehrung nicht in Frage. Zudem weist Paulus sie darauf hin, dass sie, indem sie zum Glauben gekommen sind, nicht zu Menschen gekommen sind, sondern zu Gott124, der ihren Glauben geweckt hat (2,5). Schließlich erinnert er sie daran, dass die Art und Weise, in der er und Apollos ihren Dienst ausüben, dem jedem von ihnen vom Herrn gegebenen Charisma entspricht. Ihr Wirken gründet also nicht in individuellen Fähigkeiten, sondern in der ihnen je verliehenen Aufgabe und Begabung. Dies wird in 3,6 in metaphorischer Sprache erläutert: Paulus hat gepflanzt, indem er die Gemeinde gegründet hat, Apollos dagegen hat gegossen, indem er sie mit seiner Verkündigung gestärkt hat. Diese Tätigkeiten der Diener wären aber wirkungslos, wenn nicht Gott das alles entscheidende Wachstum gegeben hätte.125 Auch mit dieser Aussage werden die von den Korinthern 122 

Wolff, Der erste Brief, 66. Vgl. dazu etwa Clarke, Leadership, 119f., Anm. 38, und Schnabel, Brief, 191; s. auch oben zu Aristoteles, Rhet 2,6.13; 2,16.3; 2,17.6. Anders Fitzmyer, Corinthians, 193f., der διάκονος auf „an intermediary or agent in some activity, business, or transaction in which one gives assistance“ deutet, das heißt hier auf die Apostel als „agents through whom Corinthians came to faith in God and Jesus Christ“. 124 Vgl. Wolff, Der erste Brief, 66. 125  Die theozentrische Dimension dieser landwirtschaftlichen Metapher wird bes. von Clarke, Leadership, 119, herausgestellt. – Für den Dienst der beiden Apostel an der Gemeinde, der Anfangsverkündigung des Apostels in Korinth und der darauf auf123 

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zu konkurrierenden Schulhäuptern gemachten Lehrer depotenziert. Aus der Gegenüberstellung (ἀλλά) zwischen den beiden Dienern und Gott ergibt sich mit Notwendigkeit die in v7 formulierte Konsequenz: Pflanzer und Begießer sind nichts (οὔτε … ἐστίν τι), Gott aber, der das Wachsen gibt, ist alles126, weil von seinem Wirken alles abhängt. Die Verkündiger sind für sich betrachtet also deshalb nichts, weil ohne den das Wachstum wirkenden Gott alles andere Tun vergeblich wäre. V8a fasst den bisher erreichten Stand der Ausführungen für Paulus und Apollos zusammen. Auch wenn die Weisheitselite unter den Korinthern die Unterschiede zwischen ihnen hervorhebt, de facto sind Pflanzer und Begießer coram deo doch „eins“ (ἕν), weil beide Diener Gottes sind. Gleichwohl werden sie von Gott individuell beurteilt und jeder erhält den seiner Arbeit entsprechenden Lohn (v8b). Auch in dieser Aussage klingt Kritik an den Korinthern an: Im Gegensatz zu den Adressaten beurteilt Gott ihr Wirken „nicht nach ihrer ‚Weisheit‘, das heißt nicht nach ihrer rhetorischen Brillianz und Argumentation …, sondern nach der Mühsal ihrer Arbeit“.127 Damit ist zugleich gesagt, dass das Urteil über die Verkündiger Gott obliegt und nicht der Gemeinde. Er setzt sich auch hier als Subjekt durch. In v9 schließlich wird die Gemeinde in das Beziehungsgefüge von Gott und Verkündigern einbezogen. Paulus und Apollos sind unterschiedslos „Gottes Mitarbeiter“ (θεοῦ … συνεργοί), die Gemeinde, das heißt hier speziell die an der Gruppenbildung beteiligten „Brüder“128, dagegen ist „Gottes Ackerfeld“ bzw., so in Überleitung zu v10–15, „Gottes Bau“. Beide Metaphern deuten die Gemeinde als Gegenstand, an dem sich andere zu schaffen machen, nämlich Gott, dem sie gehört, sowie Paulus und Apollos als seine Mitarbeiter. Wenngleich in Handlangerfunktion, gehören sie als aktiv am Werk Gottes Beteiligte dennoch auf die Seite Gottes und sind dadurch „dem Zugriff der Gemeinde“ entzogen129. Das theologische Argument gegen die Bildung von Gruppen um gurugleich verehrte Lehrer lässt sich damit folgendermaßen zusammenfassen: Die Verkündiger des Evangeliums sind Diener Gottes, die in der Gemeinde die Rolle des gesellschaftlich verachteten Dienens wahrnehmen. Im Blick auf Gott sind sie ‚nichts‘, Teil des μὴ ὄντα von 1Kor 1,28, weil Gott allein der in bauenden Verkündigungstätigkeit des Apollos, wird der Aorist gebraucht, für das Tun Gottes das Imperfekt als duratives Tempus. 126  „Alles“ steht nicht im Text, ist aber sinngemäß zu erschließen; s. ähnlich Schnabel, Brief, 190. Fitzmyer, Corinthians, 194 (tw. kurs.), zufolge ist θεός „emphatically in the last place in the sentence“ gestellt, „because God alone counts. God is the only ‚something‘ (ti) that matters“. 127  Schnabel, Brief, 199. 128  Vgl. 1Kor 3,1.3f. mit 1,10f. 129  Wolff, Der erste Brief, 68.

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allem wirkmächtig Handelnde ist130, im Blick auf die Gemeinde aber sind sie Mitarbeiter Gottes. Paulus stellt dem von der Elite der Gemeinde verfolgten, an Personen orientierten „leadership“-Konzept damit ein an Aufgaben ausgerichtetes Verständnis entgegen131, das als solches der Überhöhung von Personen von vornherein wehrt. Die Aufgaben hat Gott individuell einem jeden selbst zugewiesen, so dass auch hier das Prä Gottes gewahrt bleibt. 2.2.2 Die Herrschaft Christi über alle als Grund für die Unmöglichkeit, sich mit Menschen zu rühmen (1Kor 3,18–23) In 1Kor 3,18–23 kommt Paulus erneut auf das Verhältnis der Gemeinde, auch hier repräsentiert durch ihre sich weise dünkende Elite, zu ihren Lehrern zu sprechen, deutet es nun aber von der Herrschaft Christi über die Gemeinde (v23) her.132 Dabei bezieht er sich in starkem Maße auf die theologische Grundlegung in 1Kor 1,18–2,16 zurück. Der Abschnitt setzt mit der Warnung an die Korinther ein, sich keiner Selbsttäuschung hinzugeben (v18a).133 Sie verkennen, dass ihr selbstmächtiges Weisheitsstreben, mit dem sie die Einheit der Gemeinde gefährden, vor Gott nicht Weisheit, sondern Torheit ist, weil es Ausdruck der Weisheit dieser Weltzeit ist (v18b–19a).134 Um weise im Sinne der Weisheit Gottes zu werden, müssen sie Toren werden, und das heißt: die Torheit der Verkündigung eines gekreuzigten Christus als Weisheit Gottes erkennen und ihr gemäß handeln. Den Torheitscharakter der von der gebildeten Elite der Gemeinde praktizierten Weltweisheit begründet Paulus mit zwei von ihm als Schrifttexte eingeführten Stellen (v19b.20): Gott „fängt die Weisen in ihrer Verschlagenheit“ (Hi 5,12f.)135, ergreift also diejenigen, die sich ihm listig zu entziehen suchen, mit ihren eigenen Mitteln136 und entlarvt auf diese Weise ihre Torheit. Die zweite Schriftstelle, „Der Herr kennt die Gedanken der Weisen, (er weiß,) 130  Das nichts-Sein der Apostel ist hier also nicht, wie in 1,28 τὰ μὴ ὄντα, primär sozial konnotiert, obwohl diese Dimension auch hier mitschwingt (vgl. das zu den διάκονοι Gesagte), sondern anthropologisch-theologisch. Was die Apostel gleichwohl mit dem μὴ ὄντα verbindet, ist die Tatsache, dass Gott an und in den Nichtsen wirkmächtig handelt. 131 Vgl. Clarke, Leadership, 119. 132 Vgl. Fee, The First Epistle, 154, der v23 als die „ultimate theological basis for what has preceded“ bezeichnet. 133  V21a verklammert die beiden Teilabschnitte von 1Kor 3,18–23. Er formuliert die Konsequenzen aus dem Voranstehenden, das damit zugleich Begründungscharakter für v21a hat. Eine zweite Begründung für v21a folgt in v21b–23. 134  Vgl. bes. 1Kor 1,20; 2,6. 135  Zur Textgestalt s. u. Anm. 145. 136 Vgl. Fee, The First Epistle, 152: Hi 5,13 gebraucht das „imagery of hunting, in which the hunter uses the very craftiness, or cunning, of the prey as the means of capture“.

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dass sie nichtig (μάταιοι) sind“ (Ps 93,11 LXX), untermauert, dass Gott die Vergeblichkeit des Denkens auch und gerade der Weisen durchschaut137. Mit diesen Aussagen werden diejenigen in der Gemeinde, die bei der sich in den Gruppenbildungen um einen Lehrer manifestierenden Weltweisheit verharren, von Paulus in der Autorität der Schrift als Toren identifiziert. Deshalb kann die Konsequenz (ὥστε) nur lauten: Niemand soll sich mit anderen Menschen rühmen (καυχάσθω; v21a) und in ihrem Windschatten der „Selbstglorifizierung“ verfallen138. So nimmt Paulus hier einerseits auf 1Kor 1,29 Bezug, setzt mit ἐν ἀνθρώποις aber zugleich einen neuen Akzent, indem er der Fragestellung des Kontextes gemäß den Selbstruhm als ein sich-Rühmen mit anderen Menschen interpretiert. In v21b–23 folgt die christologisch-theologische Begründung für die Mahnung, sich nicht mit Menschen zu rühmen (v23). Paulus leitet den Abschnitt mit dem stoisch inspirierten Satz ein: πάντα γὰρ ὑμῶν ἐστιν, den er aber eigenständig interpretiert.139 Die ersten drei Konkretionen des πάντα , die der Apostel in v22 vornimmt – Paulus, Apollos und Petrus –140, erweisen die Aussage „alles gehört euch“ als ersten Teil der Gegenthese zu 3,4: ἐγὼ μέν εἰμι Παύλου, ἕτερος δέ· ἐγὼ Ἀπολλῶ.141 Statt das Zentrum einer eifernden An-

137  Paulus ersetzt im Zitat den im LXX-Text gebotenen Begriff ἀνθρώπων durch σοφῶν und passt ihn damit dem Duktus seiner Argumentation an. 138  Betz, Selbsttäuschung, 19. Plutarch weist in Mor 542c–d darauf hin, dass das Lob der anderen oft die Funktion eines versteckten Selbstlobes hat und von den Zuhörern nach dem Motto „‚Bist du nicht auch ein solcher‘“ auch als solches identifiziert wird. 1Kor 3,21 in Verbindung mit 4,6c deutet darauf hin, dass Paulus eine solche verkehrte Intention auch bei den sich weise dünkenden Korinthern wahrnimmt. 139  Zum stoischen Hintergrund vgl. bes. DiogLaert 6,72: πάντα τῶν σοφῶν εἶναι, sowie die weiteren von Conzelmann, Brief, 99f., Anm. 17, Schrage, Brief, 1 314, Anm. 234, und Strecker/Schnelle, Wettstein. II. 1,257–258, aufgeführten Belege. Zur Deutung der Formulierung in der Stoa vgl. etwa Fee, The First Epistle, 154, Schrage, Brief, 1 314, und Betz, Selbsttäuschung, 20, sowie ebd., 29, Anm. 41. – Ausgehend von der stoischen Formel πάντα τῶν σοφῶν εἶναι, die auf den Weisen als Herrn über alles und wahrhaft Freien gedeutet wird, wird die Wendung πάντα γὰρ ὑμῶν ἐστιν in der Literatur verschiedentlich mit dem paulinischen Freiheitsdiskurs in 1Kor, wie er insbesondere in 6,12; 10,23 zum Ausdruck kommt, verbunden, der wiederum auf das Freiheitsbewusstsein der Gemeinde in Korinth reagiert (vgl. Wolff, Der erste Brief, 77, und die von ihm ebd., 298, genannten Autoren). Einmal davon abgesehen, dass in 1Kor 6,12; 10,23 eine andere Formel vorliegt, geht es Paulus in 1Kor 3,18–23 nicht um die Begründung der Freiheit, sondern um die Begründung der Forderung, sich nicht der Menschen zu rühmen (v21a). Auf diese Aussage läuft, wie gesehen, der vorausgehende Zusammenhang, zu (ὥστε), während die nachfolgenden Verse, eingeleitet durch γάρ, v21a begründen. Paulus interessiert an der stoischen Formel hier somit nur der Aspekt des Weisen als Herrn über alles, den er mit dem für ihn grundlegenden Gedanken der κυριότης Jesu Christi verbindet. 140  Die weiteren Konkretionen transzendieren den aktuellen Konflikt. 141 S. ähnlich Lindemann, Korintherbrief, 93, und Schnabel, Brief, 224.

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hängerschaft zu sein, sind die drei großen Verkündiger des Evangeliums umgekehrt in der Verfügungsgewalt der Korinther, deren Diener sie sind (3,5). V23 formuliert den zweiten Teil der Gegenthese zu 3,4: „ihr aber gehört Christus, Christus aber Gott (ὑμεῖς δὲ Χριστοῦ, Χριστὸς δὲ θεοῦ)“. Nichts, was der Herrschaft Christi untersteht, seien es seine Verkündiger, sei es irgendeine Dimension der Wirklichkeit der Schöpfung in Raum und Zeit einschließlich des Todes (v22b)142, hat Macht über die Glaubenden. Vielmehr sind sie es, denen alles gehört, weil sie selbst Christus angehören, dem alles unterstellt ist. Er hat die Herrschaft über den Kosmos angetreten und steht im Begriff, sich alles zu unterwerfen, was sich ihm in der Gegenwart widersetzt (1Kor 15,24–28). Folglich gehört ihm umso mehr die Herrschaft über die Glaubenden (Röm 14,8f.), einschließlich der sich im Menschenruhm gefallenden Korinther. Den korinthischen Christen gehört zwar alles, die Lehrer des Evangeliums eingeschlossen, aber nur in Christus. Deshalb kann es für die Korinther kein Sich-rühmen mit Menschen geben, die in ihrer Verfügungsgewalt sind, sondern nur ein Rühmen dessen, der ihnen diese Macht verliehen hat, Christus. Dieser aber gehört Gott als dem Ursprung und Ziel von allem.143 Menschliche Weisheit zeigt sich nach dem Gesagten in den Parteienbildungen darin, dass die ‚Weisen‘ unter den Korinthern den von ihnen als Häuptern ihrer jeweiligen Gruppe erkorenen Aposteln die Ehre erweisen und nicht Gott, dessen Weisheitsoffenbarung sie als menschliche Weisheit, das heißt als paulinische, apollinische oder petrinische Weisheit, missverstehen.144 Gott ist Subjekt der Offenbarung wie des Erkenntnisprozesses (2,10–16), nicht die Apostel. So zeigt sich auch hier das in den bereits erörterten Texten sichtbar gewordene theozentrische Gefälle. Die Wirklichkeit Gottes, wie sie sich im auferstandenen Gekreuzigten erschlossen hat, ist die kritische Instanz für das Rühmen des Menschen. Wie im Zusammenhang mit 1Kor 1,18–2,16 ist auch hier der Frage nach der paulinischen Schriftrezeption nachzugehen, um das Profil der paulinischen Argumentation genauer hervortreten zu lassen. Die erste Stelle, die in 1Kor 3,19 Verwendung findet, ist eine freie Verarbeitung von Hi 5,12f.145. Die Stelle ist Teil eines Hi 5,8–16 umfassenden Zusam142 

Konkret nennt er Welt, Leben, Tod, Gegenwärtiges und Zukünftiges. Vgl. 1Kor 8,6; 15,28; Phil 2,11. Das theozentrische Gefälle des Textes betont auch Furnish, Theology, 36. 144 Vgl. Lampe, Wisdom, 124. 145  ὁ δρασσόμενος τοὺς σοφοὺς ἐν τῇ πανουργίᾳ αὐτῶν· Statt des hier verwendeten Verbs findet sich in der LXX καταλαμβάνων, statt der paulinischen Wendung ἐν τῇ πανουργίᾳ die wertfreie Formulierung ἐν τῇ φρονήσει. Paulus entnimmt πανουργία vermutlich aus Hi 5,12, wo es heißt, Gott habe die Pläne (βουλάς) der Verschlagenen (πανούργων) vereitelt; ähnlich Fitzmyer, Corinthians, 207, und Schottroff, Brief, 65. Die Textversion in 1Kor 3,19 steht Hi 5,13a MT (‫ )לכד חכמים בערמם‬näher als der 143 

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menhangs, mit dem als ganzem Paulus vermutlich vertraut war.146 Hier wird die Größe Gottes (v9–13), die in einer Partizipienreihe hymnisch besungen wird, als Grund für Bitte (v8) und Hoffnung (v14–16) des Beters genannt. Die Größe Gottes wird in v10 zunächst schöpfungstheologisch bestimmt – Gott gibt der Erde den Regen –, bevor in v11–13 sein Handeln mit dem Menschen ins Auge gefasst wird. Wie in den in 1Kor 1,19.31 apostrophierten Abschnitten aus Jes 29 und 1Sam 2 zeichnet sich das göttliche Handeln auch hier vor allem dadurch aus, dass es die herrschenden Verhältnisse auf den Kopf stellt: Gott bringt Niedrige in die Höhe (τὸν ποιοῦντα ταπεινοὺς εἰς ὕψος) und richtet Zugrundegegangene auf (καὶ ἀπολωλότας ἐξεγείροντα147; v11). Demgegenüber wendet er sich gegen die Verschlagenen, die Weisen und die Durchtriebenen, deren Sinnen und Trachten er durchkreuzt (v12f.). In v14–16 folgen in der LXX-Version, eingeleitet durch ein Futur, an das sich mehrere Optative anschließen148, die Erwartungen des Beters mit Blick auf beide Gruppen. Auch sie fassen die Umkehrung der gegenwärtigen Realität ins Auge: Finsternis soll den Verschlagenen begegnen (v14), im Krieg mögen sie zugrundegehen (ἀπόλοιντο; v15a) und der Mund des Ungerechten möge gestopft werden (v16b). Demgegenüber möge der Machtlose (ἀδύνατος; v15b.16a) aus der Hand des Mächtigen (δυνάστου) entkommen (v15b) und so wieder Hoffnung gewinnen (v16a). Die Berührungen zwischen Hi 5,8–16 und 1Kor 3,18–23 beschränken sich nicht auf die in v19 herangezogene Schriftstelle Hi 5,12f., sondern zeigen sich auch darüber hinaus. Die Umwertung und Umkehrung der Wirklichkeit der Weisen spiegelt sich im gesamten Abschnitt. Auch das damit sachlich verbundene Gericht über die Weisen wird in beiden Abschnitten thematisiert. Dies gilt entsprechend für das Verständnis Gottes als des machtvoll Handelnden, das sich in 1Kor 3,18–23 nicht nur im Handeln Gottes mit den sich weise Dünkenden (v19) widerspiegelt, sondern zugleich die Voraussetzung (v23) der gesamten Argumentation ist, die darin 1,18–25 aufnimmt. Der in 1Kor 3,20 verwendete Text aus Ps 93,11 LXX ist ein weitgehend wörtliches Zitat, bei dem Paulus, wie erwähnt, das im Psalm verwendete Nomen ἀνθρώπων den Erfordernissen seines Kontexts entsprechend durch LXX. Das Nomen ‫ ערמה‬hat Gesenius/Buhl, 620, s. v. ‫( ערמה‬v. ‫ ערם‬II), zufolge zwei Bedeutungen, nämlich Hinterlist und Klugheit. Die LXX versteht das Lexem im letzteren Sinn, Paulus im ersteren. Zum Ganzen vgl. Williams, Wisdom, 303–305, Heil, Role, 77, und Inkelaar, Conflict, 288f. 146  Vgl. auch Röm 11,33, zu welcher Stelle Strutwolf-Nestle-Aland eine Anspielung auf Hi 5,9 erkennen. 147 Statt „aufrichten“ ist auch „auferwecken“ eine mögliche Wiedergabe; vgl. Kraus/Karrer, Septuaginta Deutsch, 1013, Anm. z.St. 148  Das Verständnis der Optative ist strittig. Sie werden entweder „im Sinn eines Wunsches“ oder „im Sinn eines partikellosen Potentialis“ gedeutet; vgl. ebd., Anm. zu 5,4a–16b.

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σοφῶν ersetzt hat. Dass Ps 93 LXX dem Apostel vertraut war, belegt ein weiteres Zitat des Psalms (v14) in Röm 11,2.149 Der Psalm thematisiert auch jenseits von v11 Fragen, die sich inhaltlich mit Aussagen aus 1Kor 1–4 berühren.150 Ps 93,1 LXX nennt Gott einen „Gott der Rache“ und appelliert darum an ihn, an den Hochmütigen (ὑπερηφάνοις) Vergeltung zu üben (v2). In v3f. folgt die Frage, wie lange Gott den Sündern erlauben wolle, sich zu rühmen (καυχήσονται) und Unrecht zu verkünden.151 V5–7 konkretisieren deren Verhalten: Sie erniedrigen (ἐταπείνωσαν) Gottes Volk, töten Witwen, Fremde und Waisen und behaupten zudem, Gott werde es nicht sehen und begreifen. V8–11 sind eine Entgegnung auf diese Behauptung. Der Beter fordert die Unverständigen (ἄφρονες) und Toren (μωροί) dazu auf, Verstand anzunehmen (v8), um am Ende der „Beweisführung in 11“ eine „deutliche Antithese gegen die Aussage in 7“ zu formulieren152: „Der Herr kennt die Gedanken der Menschen (und weiß), dass sie nichtig sind“. In v12–15 werden daraus die Konsequenzen für den Gerechten gezogen: Der von Gott im Gesetz Unterwiesene wird glücklich gepriesen (v12), weil ihn Gott aufgrund seiner unwandelbaren Treue zu seinem Volk (v14) bewahrt (v13a), „bis dem Sünder eine Grube gegraben wird“ (v13b). Nach dem Text der LXX verbindet sich dies zukünftig damit, dass Gerechtigkeit in die Gerichtsbarkeit zurückkehren wird.153 Damit ist auch in diesem Psalm eine grundlegende, durch das richterliche Handeln Gottes ins Werk zu setzende Umwandlung ins Auge gefasst, die mit dem Volk zugleich dem einzelnen Gerechten gilt, der hier im Zentrum steht. So hebt der Psalm den Subjektcharakter Gottes hervor, der sich im Gericht über die sich selbst rühmenden Gottlosen und in seiner Hilfe für den Gerechten (βοηθόν; v22) erweisen wird. Auch wenn Paulus in 1Kor 3,18–23 nur v11 zitiert, dürfte ihm gleichwohl der weitere Kontext des Zitats in Ps 93 vor Augen gestanden haben. Dies wird nicht nur durch terminologische Übereinstimmungen nahegelegt, für die außerhalb des Zitats die Begriffe μωρός κτλ und καυχάομαι zu nennen sind, sondern auch durch inhaltliche Merkmale. Als Toren gelten in Ps 93 diejenigen, die die Gottheit Gottes in grundsätzlicher Weise in Frage stellen; in 1Kor 3 ist die Torheit ebenfalls theologisch bestimmt, sofern diese die Selbst­offenbarung Gottes im Gekreuzigten negiert. Hier wie dort gilt den 149  Strutwolf-Nestle-Aland verzeichnen zudem zwei Anspielungen auf Ps 93 LXX im corpus paulinum, auf v2 in 1Thess 4,6, auf v11 in Röm 1,21. 150  Inkelaar, Conflict, 291, stellt demgemäß fest, dass die „congruity between the original and the new context of the quotation intensifies the relationship between 1 Cor 1–4 and Ψ 93“. Zu Ps 93 LXX vgl. ebd., 289–291. 151  So nach der Interpunktion der LXX. 152  Kraus, Psalmen II, 824, zum MT, mit dem die LXX-Version des Psalms aber weitgehend übereinstimmt. 153  Vgl. das doppelte ἕως οὗ in v13.15. Zum Ganzen vgl. Williams, Wisdom, 305f., und Inkelaar, Conflict, 289–292.

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Toren die Aussage, Gott werde sie in ihrer Verschlagenheit fangen. Wenn Paulus in v20 ἀνθρώπων durch ein – ironisch verstandenes – σοφῶν ersetzt, dann trägt er nicht nur seiner eigenen Argumentationslinie Rechnung, sondern trifft damit – in ironischer Umkehrung – auch den Duktus von Ps 93, wo sich die „Menschen“ (v11) auf die „Toren“ und „Unverständigen“ (v8) und damit auf das Äquivalent zu den paulinischen Weisen beziehen. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in der Gerichtsdimension. In Ps 93 liegt sie auf der Hand, in 1Kor 3 ist sie durch den Zusammenhang mit dem Schriftzitat aus Hi 5 sowie den Rückbezug von v19a auf 1,18.20 gegeben. So zeichnen die von Paulus in 1Kor 1,19.31 und 3,19f. herangezogenen Texte mitsamt ihrem jeweiligen Kontext ein auffällig einheitliches Bild. Paulus stellt damit nicht nur der Weisheit der Korinther die im auferstandenen Gekreuzigten geoffenbarte Weisheit Gottes entgegen, sondern darin zugleich der Weisheit der Welt die Weisheit der Schrift, die seine Argumentation in 1Kor 1–3 stärker beeinflusst, als es die bloße Schriftrezeption vermuten lässt. 2.2.3 „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“. Kein sich-Rühmen des vermeintlich Eigenen (1Kor 4,6–13) Mit 1Kor 4,6–13 bringt Paulus das bis 1,10 zurückreichende Thema der Gruppenbildungen in der Gemeinde zum Abschluss. Hier geht es ihm dar­um, das überdimensionierte Selbstbewusstsein der an den Gruppenbildungen Beteiligten mittels einer Gegenüberstellung von Lehrern und Weisheitselite der Gemeinde in Schranken zu weisen. Sie konterkarieren mit ihrem Rühmen die neue, durch Gottes Handeln in Christus gesetzte Wirklichkeit, die sich in der christusförmigen Existenz der Apostel widerspiegelt. In v6 erläutert Paulus resümierend den Zweck seiner Ausführungen in 1Kor 3,5–4,5.154 Er hat die Gruppendifferenzen an sich und Apollos illustriert, „damit ( ἵνα) ihr an uns das ‚Nicht über das hinaus, was geschrieben steht‘ lernt, damit ihr euch nicht aufbläht (φυσιοῦσθε), jeder zugunsten des einen (Lehrers) gegen den anderen (Lehrer)“. Die Wendung τὸ μὴ ὑπὲρ ἃ γέγραπται ist auf die in 1,18–4,5 zitierten Schriftstellen zu beziehen.155 Diese 154 Vgl. Wolff, Der erste Brief, 84, und Lindemann, Korintherbrief, 101, zu ταῦτα in v6. 155  So mehrheitlich. Demgegenüber deutet Heil, Role, 86, die Wendung auf „the whole plurality of ‚things‘ written in scripture that similarly speaks of God’s vastly superior knowledge and wisdom over the humanly wise and eloquent of this world“. Ähnlich bezieht sie Thiselton, Epistle, 356, auf „scripture, especially those passages which address the situation“. Zu einem Forschungsüberblick vgl. u. a. ebd., 351–356, Fitzmyer, Corinthians, 215f., und Schrage, Brief, 1 334–336; dieser selbst gesteht ebd., 335, eine „gewisse Ratlosigkeit“ ein, die er mit einer Reihe von Auslegern teilt (vgl. u. a. Conzelmann, Brief, 105, und Collins, First Corinthians, 177); deshalb plädie-

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markieren die Grenze bzw. das Maß, das nicht überschritten werden darf.156 Jegliches Verhalten, das darüber hinausgeht, stellt einen Akt der Hybris dar, die, griechisch gedacht, als eine aus Unkenntnis des wahren Selbst geborene Arroganz und Überheblichkeit zu verstehen ist.157 An welche der in 1Kor 1,18–4,5 aufgeführten Schriftstellen genau zu denken ist, ist in der Forschung strittig.158 Paulus führt in diesen Kapiteln fünf der sechs als Schriftworte erkennbaren Stellen mit (καθὼς) γέγραπται ein und gibt damit einen wichtigen Hinweis darauf, was ἃ γέγραπται im Kontext von 1,18–4,5 umfasst. Die so eingeleiteten Stellen sind ohne weiteres für das ‚Lernziel‘ transparent, das er in v6c den weisheitsverliebten Korinthern bestimmt159, nämlich sich nicht im Glanz des einen Lehrers zugunsten des anderen aufzublähen.160 Mit dieser Aussage konkretisiert er in dem aktuellen Konflikt die Mahnung, sich nicht in Menschen zu rühmen. V6c weist über 1Kor 3,21, „Keiner rühme sich mit Menschen“, auf 1Kor 1,31 par Jer 9,22f. LXX / 1Sam 2,10 LXX zurück: „Wer sich rühmt, soll sich des Herrn rühmen“. Dabei ist „wohl auch das ‚Nicht rühme sich der Weise in seiner Weisheit‘ mit(zu)hören“.161 Die mit 1Kor 4,6c verwandte Aussage 3,21a formuliert im Duktus der Argumentation von 3,18–23 die Konsequenz aus den beiden zuvor angeführten Schriftstellen Hi 5,12f. und Ps 93,11 LXX. Weil die Weisen von der Schrift als Toren erwiesen sind, kann es kein sich-Rühmen mit Menschen geben. Insofern ist der Inhalt dieser beiden Schriftstellen als Voraussetzung für die auf der Schrift basierende Mahnung ren verschiedene Ausleger für die Streichung der zitierten Wendung (vgl. dazu zuletzt Arzt-Grabner, Gloss, und Vleugels, Scripture). 156  τὸ μὴ ὑπὲρ ἃ γέγραπται „functions as a kind of ‚mean‘ or conveys the idea of moderation much in the same fashion as the traditional phrase mēden agan“ (Marshall, Enmity, 202 [tw. unterstr.]). 157  Vgl. ebd., 193f.: „Thus hybris is conceived of as arrogance or insolence borne out of an ignorance (anoētos, amathia) of one’s true self. The hybristic person’s failure to think mortal thoughts leads to an arrogant violation of limits, of both human and divine law“ (tw. unterstr.). 158  Fee, The First Epistle, 169, verweist auf Jes 29,14; Jer 9,22f.; Hi 5,12; Ps 93,11 LXX, Lindemann, Korintherbrief, 102, vor allem auf die beiden zuletzt genannten Stellen; Zeller, Brief, 181, und Schottroff, Brief, 68, auf Jer 9,22f.; ähnlich Wagner, Call, 284, der auf 1Sam 2,10 („with or without Jer 9.22–3 in mind“) verweist. Savage, Power, 59f., plädiert für die von Fee genannten Stellen sowie für Jes 64,3/65,16 in 1Kor 2,9, das heißt für alle durch eine Zitationsformel eingeführten Stellen, Wolff, Der erste Brief, 85, zudem für Jes 40,13 in 1Kor 2,16. 159 Vgl. Fee, The First Epistle, 166. Nicht zu entscheiden ist, ob der zweite ἵνα-Satz von v6a abhängig ist oder von v6b; vgl. ebd., Anm. 6. 160  Darin ist, so Marshall, Enmity, 203, „a warning against overstepping the limits of human knowledge set by God“ impliziert, um das es in 1Kor 1–3 zentral gehe. Zu φυσιόω und dem Gebrauch des Lexems in der griechisch-hellenistischen Tradition vgl. bes. Collins, First Corinthians, 176f. 161  Zeller, Brief, 181, unter Hinweis auf Jer 9,22.

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zu verstehen, sich nicht zugunsten eines Lehrers über den anderen aufzublähen. Dies gilt entsprechend für die in 1Kor 1,19 zitierte Stelle Jes 29,14, in der sich wie in Hi 5,12f. und Ps 93,11 LXX die Kritik an der Weisheit und den Weisen ebenfalls direkt artikuliert.162 In eigener Weise lässt sich auch die von Paulus in 1Kor 2,9 als Schriftwort eingeführte Aussage, „‚was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und im Herzen keines Menschen aufgestiegen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben‘“, mit der Frage des Rühmens verbinden, sofern sie den Grund benennt, der jegliches sich-selbst-Rühmen ausschließt. Was Paulus hier als Schriftwort einführt, findet sich im Alten Testament so nicht. Am deutlichsten sind die Bezüge zu Jes 64,3 und 65,16.163 Paulus identifiziert mit diesem schriftbasierten Wort die von ihm verkündigte Weisheit Gottes im Gekreuzigten, die von den Herrschern dieser Welt verkannt wurde (2,6–8). Damit ist diese Weisheitsoffenbarung als ein ganz und gar neues Geschehen charakterisiert, das „menschlichem Denken und somit der menschlichen Weisheit nicht zugänglich“ ist164, so dass es sich ein Mensch mit der ihm eigenen Vernunft hätte ausdenken können.165 Für Paulus heißt das aber zugleich, dass es sich ganz und gar dem Handeln Gottes verdankt, der es denen bereitet hat, die ihn lieben. Als exklusives Gotteshandeln kommt diese Weisheitsoffenbarung Gottes in Christus auf einer Ebene mit 1Kor 1,30 zu stehen.166 Ohne dass das Rühmen im unmittelbaren Kontext dieses Verses thematisiert würde, erweist sich die von Paulus als Schrift eingeführte, von ihm christologisch gedeutete Aussage 1Kor 2,9 damit als Variation des in 1,30 genannten theologischen Grundes, der alle menschliche Selbsterhebung ausschließt.167 162  Dass Paulus, so Schrage, Brief, 1 175, im Kontext seiner Erörterung von 1Kor 1,19/Jes 29,14, „unbekümmert Sätze und Satzteile aus ihrem Zusammenhang heraus(reißt) und … ihnen ohne Rücksicht auf ihren ursprünglichen Sinn die für ihn passende Deutung“ gibt, lässt sich damit kaum behaupten. 163  Zu den in der Forschung diskutierten Bezugstexten von 1Kor 2,9 vgl. ausführlich Williams, Wisdom, 159–165, Heil, Role, 53–57, Fitzmyer, Corinthians, 177–179, sowie Inkelaar, Conflict, 248–256. 164  Wolff, Der erste Brief, 58. 165  Kammler, Torheit, 303, spricht in diesem Zusammenhang von der „schlechthinnige(n) Unableitbarkeit und Analogielosigkeit des Christusgeschehens“ (tw. kurs.). 166  Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass Paulus das göttliche Handeln in 1Kor 1,30 soteriologisch zuspitzt, in 1Kor 2,9 und seinem Kontext offenbarungstheologisch-gnoseologisch. 167  Mit 1Kor 2,16 gibt es eine weitere Stelle, in der Schriftrezeption zu finden ist, Jes 40,13. Sie wird aber nicht mit einer Zitationsformel eingeführt. Auch diese Stelle lässt sich auf die aktuelle Auseinandersetzung des Apostels mit den Korinthern beziehen, wenn auch weniger offensichtlich. Wie Fee, The First Epistle, 119, zeigt, geht es auch hier um die konkurrierenden Weisheitsformen, die Paulus in 1Kor 1–4 unterscheidet. Seine Paraphrase der Stelle lautet: „Who among his detractors, now enamored with human wisdom and passing judgment on Paul, is so capable of knowing the mind of the Lord that he/she can bypass the very wisdom of God itself as it is revealed in the cross?“

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„Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“ heißt vor diesem Hintergrund: Weil Gott allein es ist, der handelt – grundlegend in seiner Offenbarung dessen, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat“, das heißt der Weisheit in der Person des auferstandenen Gekreuzigten, sodann mit den Weisen, deren Weisheit er angesichts seines Selbsterweises für nichtig erklärt –, kann es in der Gemeinde kein sich-Rühmen in Menschen geben, sondern allein ein sich-Rühmen Gottes. Mit Blick auf den Menschen bedeutet das „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“ damit zugleich die Notwendigkeit der Selbstbegrenzung.168 Im Kontext des aktuellen Konfliktes in der Gemeinde heißt dies nichts anderes als den Verzicht darauf, sich in der angemaßten Weisheit des einen Lehrers zugunsten seiner gegen den anderen Lehrer aufzublähen. In 1Kor 4,7–10 versucht der Apostel, die sich weise dünkenden Christen in Korinth von ihrem verfehlten Selbstbewusstsein abzubringen, das sie zu unangemessenen Vergleichen zwischen den Lehrern des Evangeliums und zum sich-Rühmen verleitet.169 Dazu greift er zum Mittel der Ironie (v7f.10). Er beginnt in v7 mit einer Reihe von ironischen Fragen.170 Die erste lautet, welcher Vorrang ihnen eingeräumt wurde (τίς γάρ σε διακρίνει), der sie dazu berechtigen würde, die Qualitäten eines der Lehrer für sich zu reklamieren (v7c)!? Damit unterstreicht Paulus, dass es unter den Gemeindegliedern keine Vorrangstellung gibt.171 Die Frage weist auf 1Kor 1,26–29 zurück, wo Paulus diejenigen, die sich gegenüber den Geringen ihrer Weisheit, Macht und privilegierten Herkunft rühmen, kritisiert. Weil sie damit die Grenzen der Schrift überschreiten, wird das Verhalten der Adressaten als zugleich gegen Gott gerichtetes Verhalten bestimmt. Die damit angedeutete theologische Dimension des Sachverhalts wird in der zweiten Frage direkt zum Thema: Haben sie nicht alles, was sie besitzen, empfangen (τί δὲ ἔχεις ὃ οὐκ ἔλαβες), und zwar von Gott!? Dabei ist in erster Linie an die beiden in 1Kor 2,12 genannten Gaben zu denken, den Geist aus Gott, den sie empfangen haben (ἐλάβομεν), und das ihnen von Gott Geschenkte (τὰ ὑπὸ τοῦ θεοῦ χαρισθέντα), dessen Erkenntnis der Geist ihnen ermöglicht, nämlich das durch Gott ins Werk gesetzte Heilsgeschehen in Kreuz und Auferstehung. Die anderen in 1Kor 1f. genannten Charismen, nämlich Reden und Erkenntnis (1,5), Gotteserkenntnis (1,21; 2,10–12), Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung (1,30) sowie der Glaube (2,5), sind dem zugeordnet. Wenn die Korinther dies al168  Vgl. auch Ciampa/Rosner, Letter, 176, im Anschluss an R.B. Hays: „‚The cumulative force of these citations is unmistakable: the witness of Scripture places a strict limit on human pride and calls for trust in God alone‘“; s. auch oben Anm. 156. 169 Vgl. Winter, Philo, 198. 170 Vgl. Marshall, Enmity, 205. – Eine vergleichbare Fragenreihe bietet Seneca, Benef 6,3.1f., wo die Fragen einem Reichen gestellt werden. 171 Vgl. Wilk, Ruhm, 61.

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les aber empfangen haben, so die dritte Frage in 4,7, welchen Grund haben sie dann, sich dessen zu rühmen, als hätten sie es nicht empfangen (εἰ δὲ καὶ ἔλαβες, τί καυχᾶσαι ὡς μὴ λαβών)!? Paulus wirft den Korinthern mit dieser Fragenreihe vor, das, was sie empfangen haben, als ihr Eigenes misszuverstehen, dessen sie sich rühmen zu können meinen.172 Sie übersehen damit den Gabencharakter dessen, was sie haben, und trennen die Gabe vom Geber ab.173 In Wahrheit ist das, was sie haben, so die Überzeugung des Paulus, aber streng an ihr Sein in Christus gebunden.174 Dies gilt für die Vorzüge des von ihnen jeweils erkorenen Lehrers (v6), die sie illegitimerweise zugleich als ihre eigenen zu reklamieren scheinen, ebenso wie für die in v8 angedeuteten eschatologischen Güter. So geht es Paulus hier im Gegensatz zu 3,21 darum, den Korinthern zu sagen: „‚nichts ist euer‘“.175 Ein Widerspruch ist dies nicht. In 3,21 ist die Aussage, „alles gehört euch“, sachlich von der Aussage abhängig: „ihr aber gehört Christus“ (v23). Demgegenüber argumentiert Paulus in 4,6–13 aus der Perspektive des faktischen Verhaltens der ‚Weisen‘ unter den Korinthern, die sich gebärden, als gehörten sie Christus nicht. Über dem Rühmen dessen, was sie zu ‚haben‘ und zu ‚sein‘ meinen, vergessen sie das, was als Einziges sachgemäßer Gegenstand des Rühmens sein kann, die χαρισθέντα in Gestalt des auferstandenen Gekreuzigten und der durch ihn erworbenen Güter, die auf Gott selbst als die Ursache all dessen, was sie haben, verweisen.176 Deshalb läge es in der Konsequenz von 1Kor 1,30, statt sich selbst zu rühmen, sich Gottes zu rühmen. T. Schmeller weist die Deutung, dass es in 1Kor 4,7f. (auch) darum gehe, dass die „Gabe vom Geber“ abgelöst werde, entschieden zurück.177 Er sieht im Hintergrund die „(… natürlich auf Paulus bezogene) Auffassung Luthers von der Gnade als vis aliena stehen, die nie in die Verfügungsgewalt des Menschen übergehen kann“. Obwohl, wie er selbst einräumt, die paulinische Argumentation hier „unscharf“ bleibt, stellt er zu 1Kor 4,7 apodiktisch fest: „Der Gedanke ist aber kaum: ‚Du darfst dich 172  Schrage, Brief, 1 337, spricht davon, „daß die Adressaten sich als die beati possidentes aufspielen“ (tw. kurs.). Vgl. auch Noack, Haben, 291: „Das ‚sich-Rühmen‘ entspringt demnach einer Haltung des Stolzes auf scheinbar Selbsterworbenes“. 173  Vgl. dazu etwa Schrage, Brief, 1 337, Wolff, Der erste Brief, 86, und Schnabel, Brief, 245. 174  Vgl. 1Kor 1,30 und dazu Furnish, Theology, 43. 175 Vgl. Schrage, Brief, 1 338, und im Anschluss an ihn Schnabel, Brief, 345, sowie Fitzmyer, Corinthians, 217. 176  Lindemann, Korintherbrief, 104, verweist für die Vorstellung der „Aussagen über Gott als den Geber aller (guten) Dinge“ auf den Aristeasbrief („z. B. Arist 196“). Auch bei Philo gehört dies zu den Grundüberzeugungen seines Gottesdenkens; dazu s. bes. Kap. 3.4 und Kap. 4.3.(1). 177  Vgl. hier und im Folgenden Schmeller, Kreuz, 252. Gerber, Selbstlob, 217, bezeichnet es dagegen als „(u)numstritten … in der Paulusauslegung, dass Paulus Selbstlob theologisch kritisiert, weil es nicht Gott als Geber der Gaben im Blick hat (vgl. bes. 1 Kor 4,7)“.

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nicht rühmen, weil du den Gegenstand deines Ruhms nur empfangen, nicht selbst hervorgebracht hast und er dir nicht wirklich gehört!‘, sondern: ‚Du darfst dich nicht rühmen, weil das Empfangen dich nicht wirklich auszeichnet!‘ Die Überzeugung, dass schlechthin alles nur von Gott empfangen ist, nivelliert die Unterschiede zwischen den Empfängern“. Wenn aber die paulinische Argumentation selbst „unscharf“ ist, wie Schmeller betont, ist der Kontext für die Deutung heranzuziehen, zumal Paulus selbst in 1Kor 4,6 auf ihn verweist. Dazu ist im Folgenden an verschiedene Zusammenhänge zu erinnern, in denen es um das Verhältnis von sich-Rühmen und Besitz bzw. Eigenem geht. Grundlegend ist dabei die Einsicht, dass 1Kor 4,6f. zusammenfassenden Charakter hat und deshalb im Horizont von 1Kor 1–4 insgesamt zu interpretieren ist. Bevor jedoch auf den weiteren Kontext eingegangen wird, ist zunächst an den Befund von 1Kor 4,7a in Verbindung mit v6 zu erinnern, der ein erstes Indiz für das Verständnis von v7 ist. Nach der obigen Deutung geht es hier darum, dass die Weisheitsverliebten unter den Korinthern die Vorzüge je eines der Lehrer des Evangeliums für sich reklamieren und zu ihrem Eigenen machen. Insofern ist bereits in v6.7a in gewisser Weise die Frage des ‚eigenen Besitzes‘ berührt. Der zweite hier relevante Text ist 1Kor 3,21–23, der als Gegenstück zu 4,6f. zu verstehen ist. Auch hier geht es um ‚Besitzfragen‘, nämlich um die Frage, wer wem gehört: „alles gehört euch“, „ihr aber gehört Christus“. Aufgrund eben dieser ‚Besitzverhältnisse‘ soll sich niemand mit Menschen rühmen. Nach 1Kor 1,26–29 verhält es sich des Weiteren so, dass Gott die Weisen und Mächtigen deshalb demütigt, weil sie sich dessen, was sie ‚sind‘ und ‚haben‘, gegenüber den Habenichtsen rühmen. Dem stellt Paulus in v30f. das sachgemäße Rühmen antithetisch gegenüber. Rühmen sollen sich die Korinther im Herrn, und zwar deshalb, weil alles, was sie in Christus ‚sind‘ und ‚haben‘, aus Gott ist. So erweist sich auch 1Kor 1,26–31 als Beitrag zur Frage des ‚eigenen Besitzes‘. Dies gilt entsprechend für 4,8.10, und das heißt für zwei Verse, die unmittelbar auf die zur Debatte stehende Stelle folgen. Hier wird den sich-Aufblähenden abgesprochen, das zu haben, was sie zu haben meinen, nämlich die eschatologische Herrschaft. So ist die Thematik von Besitz und Eigenem in 1Kor 4,7 nicht in einem lutherischen Deutungshorizont in den Text hineingelesen, sondern durch den Kontext begründet. Es kommt hinzu, wie in Kap. 3 zu zeigen sein wird, dass sich bei Philo, einem des Luthertums gänzlich unverdächtigen Autor, ähnliche Gedanken wie bei Paulus finden. Schmeller begründet seine Deutung der Stelle damit, dass die paulinische Argumentation nur greifen könne, „wenn Paulus und die Adressaten die gemeinsame Überzeugung von der grundsätzlichen Angewiesenheit aller auf Gott verbindet“. Dies wird, wie auch das Folgende zeigt, durch die oben vertretene Deutung gar nicht in Frage gestellt. Schmeller hebt aber zu Recht hervor, dass der Ton in 4,7 nicht auf dem Gedanken liegt, dass Paulus sich gegen das Rühmen wendet, weil der sich Rühmende ein Empfangender ist, da er den Gegenstand seines Ruhms nicht selbst hervorgebracht hat und er ihm darum nicht wirklich gehört. Der Akzent liegt vielmehr auf dem Verbot des sich-Rühmens menschlicher Auszeichnungen, insbesondere der Weisheit, die als eigener Besitz missverstanden werden, statt im Kontext des neuen Seins in Christus auf Gott zurückgeführt und seinem Handeln in Christus gemäß gebraucht zu werden. So geht es in der 1Kor 1–4 brennpunktartig verdichtenden Stelle

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4,6f. in der Tat auch um die ‚vis aliena‘, ohne dass der Akzent dabei jedoch auf der Aussage läge, dass sie „nie in die Verfügungsgewalt des Menschen übergehen kann“.

Die χαρισθέντα als Gnadengaben Gottes müssten die Korinther eigentlich zu einem christusgemäßen Verhalten anleiten. Stattdessen legen sie einen Trium­ phalismus an den Tag.178 Angemessen wäre demgegenüber Dankbarkeit, wie der Apostel sie im Rahmen der Danksagung 1Kor 1,4–9 praktiziert, wo er u. a. für den Reichtum der Korinther in Rede und Erkenntnis dankt (v5). Die Selbsterhebung der vermeintlich Weisen unter den Korinthern karikiert Paulus in 1Kor 4,8–10 in Gestalt eines antithetischen Vergleichs.179 Das sich-Aufblähen und sich-selbst-Rühmen der Korinther zeigt, dass sie bereits alles haben und nichts mehr brauchen. Satt (κεκορεσμένοι) sind sie schon180 und reich (ἐπλουτήσατε), und sie wähnen sich in ihrem Vollendungsbewusstsein bereits als eschatologische Herrscher (ἐβασιλεύσατε). In der griechisch-römischen Literatur sind diese drei Begriffe besonders mit dem Vorwurf der Hybris verbunden.181 Im Kontext der paulinischen Argumentation exemplifizieren sie zugleich das Überschreiten des schriftgemäßen Maßstabs (v6). Den illusionären Charakter ihres Selbstbewusstseins verdeutlicht Paulus anhand des Herrschaftsgedankens. Dem Herrschen (ἐβασιλεύσατε) stellt er in v8aγ pointiert χωρὶς ἡμῶν voran und verleiht der Aussage damit einen erkennbar ironischen Unterton, der in v8b inhaltlich begründet wird. Wäre die Elite der Korinther tatsächlich zur Herrschaft gelangt, dann würden auch die Apostel mitregieren182, da den Glaubenden in ihrer Gesamtheit das Regieren verheißen ist (Röm 5,17183). Das aber ist offenkundig nicht der Fall.184 Den Nachweis dafür erbringt Paulus in v9–13, wo er die Niedrigkeit der ­Apostel thematisiert. Diese hat keine menschlichen Gründe, sondern 178 Vgl.

Fee, The First Epistle, 172. V8 erläutert also das Rühmen in v7 – vgl. auch Fee, The First Epistle, 172, und Lindemann, Korintherbrief, 104 –, nicht das Empfangen; anders Zeller, Brief, 182: Die Korinther „haben so viel empfangen – diesen Zwischengedanken wird man einfügen dürfen –, dass sie jetzt ‚gesättigt‘, ja überdrüssig sind“. 180  Zur Deutung von ἤδη κεκορεσμένοι ἐστέ verweist Zeller, Brief, 183, auf Philos Verständnis von κόρος (Wohlstand), der zu Hybris führt. 181 Vgl. Marshall, Enmity, 206. Zu Reichtum und Herrschaft s. o. Kap. 2.1.3 zu Aristoteles und Philo; vgl. auch Marshall, ebd., 183f.188f., mit weiteren Stellen aus der paganen Literatur, sowie Clarke, Leadership, 123, der diese Elemente mit den Stichworten von „secular success and self-sufficiency“ umschreibt. 182  ἡμεῖς in v8 ist wie der Apostelbegriff in v9 auf Paulus und die anderen Apostel zu beziehen, zu denen Paulus hier auch Apollos rechnet; vgl. Kuck, Judgment, 312, und im Anschluss an ihn Lindemann, Korintherbrief, 106, und Schnabel, Brief, 247. 183  Vgl. auch 1Kor 6,2. 184  Fitzmyer, Corinthians, 218, sieht durch v8b alle drei in v8a vorausgehenden „statements upside down“ gestellt. Damit wolle Paulus zum Ausdruck bringen, „that he refuses to consider them ‚kings‘“. 179 

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entspringt einer göttlichen Setzung: Gott selbst hat sie zum Allerletzten gemacht. Sie sind wie zum Tod Verurteilte, ein Schauspiel für Welt, Engel und Menschen (v9) – und damit wohl auch für die Korinther –, sie sind wie der Auswurf (περικαθάρματα) der Welt, wie Abschaum (v13). Die Niedrigkeit der Verkündiger entfaltet Paulus mit einem Peristasenkatalog (v11–13) sowie mit einem antithetischen Vergleich zwischen den Aposteln und den sich aufblähenden Korinthern (v10). Damit sind die Lehrer des Evangeliums der sichtbare Gegenbeweis gegen das Vollendungsbewusstsein in der korinthischen Gemeinde. Der Vergleich zwischen den Aposteln und den sich aufblähenden Korinthern in v10 knüpft an 1,26–28 an185, verteilt Torheit und Einsicht, Schwäche und Stärke, Ansehen und Verachtung nun aber nicht auf zwei Gruppen innerhalb der Gemeinde, sondern auf das Verhältnis von Aposteln und Gemeinde (ὑμεῖς). Die Gruppe der ὑμεῖς ist nicht auf die gesamte Gemeinde zu beziehen, sondern auf die an den Gruppenbildungen beteiligten ‚Weisen‘.186 Wie gesehen, reflektieren die soziologischen Kategorien zugleich die herrschenden Werte der griechisch-römischen Mehrheitsgesellschaft. Paulus identifiziert demnach in v10 die ‚Weisen‘ in der Gemeinde mit den Werten, die nach 1Kor 1,26–28 von Gott verworfen sind, die Apostel dagegen mit dem, was er in denen, die nichts gelten, erwählt hat. Im Duktus der Argumentation von 4,6–13 heißt dies, dass die sich weise dünkenden Korinther sich selbst genau dessen rühmen, was Gott verworfen hat. Während die Aussagen über die Gruppe der ἡμεῖς ironiefrei sind, sind die zur Gruppe der ὑμεῖς ironisch zu verstehen.187 So sind die Apostel, die von Gott vor aller Welt zum Schauspiel gemacht sind, tatsächlich Toren um des Gekreuzigten willen (διὰ Χριστόν), den sie verkündigen (1,23; 2,2). Sie sind 185 

Zu Einzelheiten vgl. Winter, Philo, 199. Der erste Brief, 88, und Schnabel, Brief, 250. Vgl. auch 1Kor 8,9–12, wo Paulus die Starken in der 2. pers. pl. anspricht. Dass diese eine von den Schwachen gesonderte Gruppe darstellen, erhellt bes. aus v12. Entsprechendes ist in 11,22 zu beobachten, wo die Ihr-Gruppe darauf angesprochen wird, dass sie diejenigen, die nichts haben, beschämen (καὶ καταισχύνετε τοὺς μὴ ἔχοντας). Damit ist der Einwand von Lindemann, Korintherbrief, 108, gegen Fee und Schrage hinfällig, der gegen deren These, 4,10 knüpfe an 1,26 an, einwendet, dass es „nicht mehr Sarkasmus (wäre), sondern verächtlich machender Hohn, wenn Paulus jetzt die real eher schlechte soziale Lage der Mehrheit der christlichen Korinther ironisieren würde, um auf diese Weise ihren geistlichen ‚Höhenflug‘ zu kritisieren“. Dies gilt um so mehr, als die in v10 den ‚Weisen‘ in der Gemeinde zugesprochenen Merkmale sich mit den entsprechenden Aussagen in 1,26 decken. Die den Aposteln in v10 zugewiesenen Kennzeichen stimmen mit denen der Niedrigen in 1,27f. überein. Es kommt hinzu, dass die in 4,10 gebrauchten Adjektive nicht nur soziologische Kategorien sind, sondern zugleich gesellschaftliche Ideale und Werte formulieren. 187  Lindemann, Korintherbrief, 106, versteht auch die Aussagen über die ἡμεῖς als ironisch. Dies ist aber angesichts des vorausgehenden Kontexts kaum plausibel zu machen; vgl. vor allem 1Kor 2,1–3. S. auch das Folgende. 186 S. ähnlich Wolff,

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schwach (2,3; 4,9) und werden als „Letzte“, als wie zum Tod Verurteilte (4,9) verachtet.188 Die vermeintliche Elite unter den Korinthern dagegen ist, wie Paulus ironisch formuliert, in Christus (ἐν Χριστῷ) ‚so‘ verständig189, dass sie Christus in ihrer „überheblichen, eingebildeten Klugheit“190 nicht als den erkennen, der er ist, nämlich als den Gekreuzigten. Ihre Einsicht „in Christus“ ist daher die der „Unmündigen in Christus“ (νηπίοις ἐν Χριστῷ; 3,1).191 Auch sind sie ‚so‘ stark (ἰσχυροί), dass sie sich, wie die ironische Aussage im Kontext zu deuten ist, im Windschatten eines Lehrers gegen den anderen aufblähen (4,6); dass sie nichts aus sich selbst haben, sondern ganz aus dem Empfangen leben (v7); dass sie eine Herrschaft angetreten haben, die es faktisch noch gar nicht gibt (v8); dass ihre Stärke, die die Stärke der Aufgeblasenen ist (v18f.), vorläufig nur in der Rede liegt, deren Dynamis aber erst noch zu erweisen ist (v19f.).192 Schließlich sind sie aus sich selbst ‚so‘ angesehen (ἔνδοξοι), dass sie mit dem Kosmos und den Engeln aufseiten der Angesehenen dem Schauspiel zuschauen193, das Gott ihnen in Gestalt der Apostel bereitet (v9), obwohl sie doch „Nachahmer“ des Apostels sein sollten (v16). Würden sie zu solchen Nachahmern, dann wären sie vor den Augen der Welt wie die Apostel töricht, schwach und verachtet, „in Christus“ aber wären sie, richtig verstanden, das, was sie sich jetzt lediglich anmaßen, nämlich verständig, stark und angesehen. Damit ist festzuhalten, dass Paulus in 1Kor 4,7 die grundlegenden Aspekte des „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“ inhaltlich zusammenfasst und damit zugleich zentrale Aussagen von 1Kor 1,18–4,5 resümiert. Bei 188  Das Begriffspaar ἔνδοξος – ἄτιμος tritt an die Stelle von εὐγενής – ἀγενής in 1,26.28. Bereits bei Aristoteles in Rhet 2,15.2 verbindet sich die εὐγένεια mit dem „Streben nach Ehre“ (φιλοτιμότερον) einerseits und der Verachtung (καταφρονητικόν) weniger edel Geborener andererseits. Paulus verbindet in 1,28 ἀγενῆ entsprechend mit ἐξουθενημένα. 189  So im Anschluss an Fee, The First Epistle, 176: „‚You are so wise in Christ‘“. Mit der Partikel ‚so‘, die im griechischen Text kein Äquivalent hat, kommt die ironische Dimension der Aussage auch im Deutschen klar zum Ausdruck. 190  Wolff, Der erste Brief, 88. φρόνιμος ist bei Paulus anders als in der paganen griechisch-hellenistischen Tradition – vgl. u. a. Aristoteles, Rhet 1,5.4, und die Stoa, wo φρόνησις zu den Haupttugenden zählt –, negativ konnotiert (vgl. 2Kor 11,19; Röm 11,25; 12,16); vgl. auch Fee, The First Epistle, 176, Anm. 60. 191  So richtig Zeller, Brief, 185. Damit ist auch ἐν Χριστῷ Teil der Ironie von v10aβ; s. auch Zeller, ebd., sowie Wolff, Der erste Brief, 88. Anders Schnabel, Brief, 251, dem zufolge der Nachsatz ἐν Χριστῷ anders als ὑμεῖς δὲ φρόνιμοι „nicht ironisch gemeint“ sei. Diese Annahme legt sich angesichts des ironischen Charakters der paulinischen Aussagen über die Elite unter den Korinthern nicht nahe; sie ist aufgrund der Verbindung mit 1Kor 3,1 auch nicht nötig. 192  Zum Gegensatz von λόγος und δύναμις s. o. Kap. 2.1.2 zu 1Kor 2,4 und dazu Winter, Philo, 200f. 193 Vgl. Fee, The First Epistle, 177, und Thiselton, Significance, 330f.

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diesen Aspekten handelt es sich um den Subjektcharakter Gottes194, um das Verständnis des Menschen als eines Empfangenden sowie um die Unmöglichkeit menschlichen Selbstruhms, die die Folge des wirkmächtigen Gottes­ handelns im Gekreuzigten ist. In den beiden ersteren Aspekten artikuliert sich die paulinische Grundüberzeugung des ‚Nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ unmittelbar. Den dritten Punkt verdeutlicht er an den Aposteln, deren Niedrigkeitsexistenz dem Handeln Gottes im Gekreuzigten entspricht. Das Kriterium der paulinischen Kritik am menschlichen Selbstruhm ist so auch hier theologischer Art.

2.3 Paulus und die gegnerischen Apostel im Licht der Selbstoffenbarung Gottes im Gekreuzigten (2Kor 10–13) Die Auseinandersetzung zwischen Paulus und den gegnerischen Aposteln in 2Kor 10–13 ist eine weitere Aktualisierung der in der theologischen Grundlegung 1Kor 1,18–2,16 erörterten Fragen. In einer neuen Konfliktsituation kommt Paulus erneut auf das Problem der Gotteserkenntnis und des Rühmens zu sprechen. 2.3.1 Die Selbsterhebung der Gegner über den Apostel als Ausdruck einer verfehlten Gotteserkenntnis (2Kor 10,1–6)195 In 2Kor 10,1–6 deutet Paulus die Angriffe der gegnerischen Apostel auf sein schwaches, am gekreuzigten Christus196 orientiertes Auftreten als Apostel als Angriff auf Gott selbst, den mit aller Macht zurückzuschlagen er als seine Aufgabe sieht.197 Seine Gegner werfen ihm vor, in der persönlichen Begegnung „unterwürfig“ und „kriecherisch“ (ταπεινός) zu sein.198 Diesen Vorwurf, der möglicherweise auf eine Formulierung der Gegner zurückgeht199, 194 

Dieser wird auch von Noack, Haben, 298f., für 1Kor 1–4 hervorgehoben. Kowalski, Boasting, 68–71.275, betont zu Recht die Schlüsselrolle von 2Kor 10 für das Verständnis von 2Kor 10–13 insgesamt. – Zur Identität der Gegner vgl. zuletzt Schmeller, Brief, 2 149–171 (mit weiterer Literatur). Er kommt zu dem Ergebnis, dass „Kern des Streits … Anerkennung, Autorität und Einfluss in der Gemeinde (waren), die von auswärts nach Korinth gekommene Missionare Paulus streitig machten und für die dieser kämpfte“ (ebd., 271); s. ähnlich die ebd., Anm. 98, genannten Autoren. 196  Vgl. die Charakterisierung Christi in v1 und dazu bes. Wolff, Der zweite Brief, 196, Thrall, Epistle, 2 601f., und Schmeller, Brief, 2 127. 197  Vgl. dazu Wanamaker, Rhetoric, 210, und Gerber, Krieg, 108.125. 198  Im griechisch-römischen Bereich ist ταπεινός eindeutig negativ konnotiert; vgl. dazu Schmeller, Brief, 2 129f., mit weiterer Literatur. Davon unterscheidet sich der jüdische Sprachgebrauch (dazu s. u. Kap. 3.3.2.2 zu Spec 1,308 und Kap. 3.5). 199  So etwa Bultmann, Brief, 185, Wolff, Der zweite Brief, 196, Grässer, Brief, 2 77, sowie die von Thrall, Epistle, 2 602, Anm. 49, genannten Ausleger, darunter Chrysostomos. 195 

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weist er zunächst indirekt unter Hinweis auf die Sanftmut und Milde Christi zurück. Dem dient auch die Reformulierung des gegnerischen Vorwurfs in v10, wo Paulus sein persönliches Auftreten als schwach (ἀσθενής) und seine Rede als verachtenswert (ἐξουθενημένος) bezeichnet. Mit diesen beiden Begriffen weist er auf 1Kor 1,27f. zurück 200, wo sie dasjenige benennen, was Gott seiner Selbsterschließung im Gekreuzigten entsprechend in denen erwählt hat, die nicht in Geltung stehen, nämlich die sozial und kulturell Ausgegrenzten.201 Demgemäß charakterisiert er sein Auftreten in Korinth in 2,3 als schwach (ἐν ἀσθενείᾳ) und von Furcht und Zittern begleitet. Darin sieht er ausdrücklich eine Analogie zum Gekreuzigten. 202 Ist durch diese Zusammenhänge sichergestellt, dass der Apostel selbst seine Niedrigkeit im Horizont des Kreuzes versteht, so erscheint sein schwaches Auftreten, das scheinbar die Kraft des Geistes vermissen lässt, in den Augen der Gegner als berechnend 203 und inkonsistent204 (10,2). Gegen diesen die Christusförmigkeit seines Wandels bestreitenden Angriff setzt sich Paulus in v3–6 mit einem rhetorischen Feuerwerk zur Wehr, das mit militärischer Metaphorik durchtränkt ist.205 Er wandelt zwar „im Fleisch ([ἐ]ν σαρκί)“ mit all seinen Begrenzungen und Schwachheiten, kämpft aber anders als es seine Gegner anzunehmen scheinen, nicht „nach dem Fleisch (κατὰ σάρκα)“, so dass er unterwürfig, feige und inkonsistent handeln ­würde. 206 Er begründet dies mit dem nichtfleischlich-menschlichen Charakter der „Waffen unseres Kampfes“. Diese sind vielmehr δυνατὰ τῷ θεῷ. Das Verständnis des Dativs ist strittig. Er ist entweder direkt instrumental zu deuten, wie dies einige wenige Ausleger explizit und eine größere Zahl faktisch tun 207: Die Waffen sind mächtig durch Gott. Sieht man dagegen die göttlich-pneumatische 200 Wie

Vegge, Corinthians, 330–332, gezeigt hat, „2 Cor 10:1b and 10 can be traced back to 1 Cor 4:18–21“. Auch deshalb erscheint es gerechtfertigt, für die Interpretation von 2Kor 10–13 auch und gerade auf 1Kor 1–4 zurückzugreifen. 201  Glancy, Knowledge, 44, macht in diesem Zusammenhang auf einen weiteren, damit verbundenen Aspekt aufmerksam. Sie deutet 2Kor 10,1.10 als Hinweis darauf, dass die gegnerischen Angriffe nicht nur dem Sozialstatus des Apostels und seiner Autorität gelten, sondern auch seinem Körper. Vgl. dazu auch 1Kor 4,10f. und 2Kor 6,5.8 sowie Philo, Det 34, wo im Rahmen eines Peristasenkatalogs neben Umschreibungen eines niedrigen Sozialstatus körperliche Beeinträchtigungen zu stehen kommen. Das Umgekehrte gilt entsprechend für die gesellschaftliche Elite (vgl. Det 33); dazu s. u. Kap. 3.3.2 sowie oben Kap. 2.1.3 zu Aristoteles, Rhet 1,5.4. 202  Vgl. auch 2Kor 4,10; 13,4; Phil 3,10. 203  So in Umschreibung von κατὰ σάρκα; vgl. dazu Wolff, Der zweite Brief, 197. S. ähnlich Schmeller, Brief, 2 132. 204 Vgl. Vegge, Corinthians, 295, und Schmeller, Brief, 2 132, in Umschreibung von κατὰ σάρκα. 205  Vgl. dazu bes. Wanamaker, Rhetoric, 209–211, und Gerber, Krieg, 105–113. 206 Vgl. Vegge, Corinthians, 297. 207  Vgl. Thrall, Epistle, 2 609f., sowie den zweiten Unterpunkt von Harris, Epistle, 679 (beide bieten auch einen Überblick über die verschiedenen Deutungen des Dativs).

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Dimension dieser Waffen, die sachlich durch die Gegenüberstellung mit σαρκικός gefordert ist208, im Begriff δυνατά selbst enthalten, worauf der Gebrauch des Wortes in 2Kor 10–13 deutet 209, so ist der Dativ τῷ θεῷ mit der Mehrzahl der Ausleger als Dativus commodi zu interpretieren, so dass zu paraphrasieren ist: „mit göttlicher Macht erfüllte Waffen für die Sache Gottes“.

Der Apostel handelt also nicht aus eigenem menschlichen Vermögen, was angesichts der Tatsache, dass er „im Fleisch“ wandelt und so den Bedingungen der menschlichen Existenz unterworfen ist, auch gar nicht möglich wäre, sondern in der Kraft der mit göttlicher Macht erfüllten Waffen. 210 Damit handelt es sich auch bei dieser Aussage um ein Interpretament der paulinischen Grundüberzeugung: ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘. Eingesetzt werden diese Waffen zur Zerstörung von „Bollwerken“ (ὀχυρωμάτων)211, als welche Paulus die – menschlich allzu menschlichen – Gedanken (λογισμούς) seiner Gegner bzw. ihre Gedankengebäude charakterisiert, sowie von „allem Hochragenden, das sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt (πᾶν ὕψωμα ἐπαιρόμενον κατὰ τῆς γνώσεως τοῦ θεοῦ)“. Bei den λογισμοί handelt es sich offenbar um die bösartigen, gegen Paulus gerichteten Argumente seiner Gegner. 212 ὕψωμα bezeichnet metaphorisch das Hoch208 

Vgl. den sonstigen Sprachgebrauch bei Paulus, wo der Sphäre der σάρξ wiederholt die des πνεῦμα gegenübersteht (σαρκικά [v4] nimmt κατὰ σάρκα [v2f.] auf). 209  Das Adjektiv δυνατός wird von Paulus 9-mal gebraucht, davon, 2Kor 10,4 nicht mitgerechnet, 3-mal bezogen auf Gott (Röm 4,21; 9,22; 11,23) und 2-mal auf das Menschen durch Gott bzw. Christus verliehene δυνατός-Sein, ohne dass zusätzlich ein τῷ θεῷ entsprechender Dativ gebraucht würde. Letzterer Gebrauch liegt in 2Kor 12,10; 13,9 vor, was angesichts der Tatsache, dass 10,4 im selben Briefabschnitt steht, ein gewichtiges Argument ist. Das Nomen δύναμις wird von Paulus 34-mal gebraucht, davon 28-mal von der δύναμις Gottes, des Pneuma und den sich ihrer Dynamis verdankenden Machttaten. Entsprechend entfallen in 2Kor 10–13 von fünf Belegen vier auf die δύναμις Gottes bzw. Christi und einer auf die Machttaten Gottes. Die drei Belege für das Verbum δυνατέω beziehen sich sämtlich auf Gott bzw. Christus; in 2Kor 13,3 findet sich einer davon. 210  Worin diese Kampfeswaffen bestehen, wird nicht gesagt. Es könnte sich um den Ausschluss der gegnerischen Apostel aus der Gemeinde handeln und/oder um „some exercise of miraculous power that belonged to him as apostle“ (Thrall, Epistle, 2 615f., hier: 616). Grässer, Brief, 2 86, vermutet demgegenüber die Waffen des „‚Wortes der Wahrheit, in der Kraft Gottes‘ (6,7)“. Seifrid, Letter, 380, denkt unter Hinweis auf die „Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken“ (2Kor 6,7) an den Kampf mit den beiden Händen, der „Christ’s power … present only within weakness“ sei. 211  Als biblische Belege vgl. Sach 9,12; Spr 21,22. Thrall, Epistle, 2 611, nimmt demgegenüber an, dass das Bild „orginates simply in the tactics of Graeco-Roman siege warfare“. Seine Verwendung sei auch unter griechisch-römischen Philosophen üblich gewesen, was den paulinischen Gebrauch erklären könne. Schmeller, Brief, 2 133, sieht Anknüpfungspunkte in der Weisheitsliteratur wie auch in der philosophischen Tradition. 212  Harris, Epistle, 681, und Grässer, Brief, 2 87, verweisen zur Erklärung auf das paulinische Urteil über die Gegner: τοὺς λογιζομένους ἡμᾶς ὡς κατὰ σάρκα περιπατοῦντας in v2. Diese Deutung stimmt mit dem Wortgebrauch von λογισμός in

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ragende unter dem Gesichtspunkt der Überheblichkeit213, ἐπαίρομαι die arrogante Selbsterhebung der Gegner214. Der Apostel gedenkt demnach, alles Hochragende und Überhebliche bei seinem nächsten Besuch zu zerstören, so wie Gott in Christus die Weisen, Mächtigen und Wohlgeborenen beschämt und entmachtet (1Kor 1,27f.).215 Textpragmatisch beweist er mit dieser „Demonstration der Kraft in der Zukunft“ nichts anderes als „das Recht seines Schwachseins in der Vergangenheit“.216 Entscheidend für die paulinische Argumentation ist dabei, dass er die hochfahrenden Gedankengebäude seiner Gegner, die sie zur Geringachtung des Apostels veranlassen, als gegen Gott selbst gerichtet versteht. Sie wenden sich damit, so Paulus, „gegen die Erkenntnis Gottes“. Dabei denkt der Apo­ stel an die Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten217, dem er in seinem Apostolat zu entsprechen sucht. Diese Gestalt der Erkenntnis bestimmt zugleich das Ziel seines Handelns: Er führt jeden gegen diese Erkenntnis gerichteten Gedanken (νόημα)218 als „Kriegsgefangenen zum Gehorsam gegen Christus“ (v5b). Paulus kämpft also „nicht gegen Erkenntnis an sich“, sondern nur gegen die Ablehnung der „wahren Erkenntnis“. 219 Dabei ist, wie angedeutet, an das Handeln Gottes in Christus zu denken, der auch als der Auferstandene bleibend die Insignien des Leidens und der Schwachheit an sich trägt. Wenn Paulus die verfehlte Gotteserkenntnis der Gegner in 2Kor 10,1–6 als Ausdruck ihrer Selbsterhebung deutet, so knüpft er damit an 1Kor 1,19–22 an: Gotteserkenntnis ist Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten, der sich die in ihrem Denken dieser Weltzeit Verhafteten verweigern. 220 Zugleich aber arder LXX überein (vgl. dazu Grässer, ebd.) und findet sich auch in der Profangräzität; vgl. LSJ, 1056, s. v. II.2. Auch der nachfolgende Kontext (v5a) widerrät der von Bauer-­ Aland als Sonderbedeutung gewählten Wiedergabe mit „Sophismen“; so neuerdings auch etwa Lambrecht, Corinthians, 155, und Collins, Second Corinthians, 199 („sophistries“). 213 Vgl. Wolff, Der zweite Brief, 198, und Thrall, Epistle, 2 612, unter Hinweis auf Hi 24,24 LXX. 214 Vgl. Bauer-Aland, 570, s. v. 2.b.β: „sich überheben, sich brüsten“. 215 Vgl. Seifrid, Letter, 381. 216  Aejmelaeus, Schwachheit, 70 (kurs.). 217  Vegge, Corinthians, 299, deutet diese Erkenntnis offener mit der Bestimmung „as Paul reveals it“. Als für die Situation des Paulus (ταπεινός, ἀσθενής, ἐξουθενημένος) transparente Aussage muss es sich bei dieser Erkenntnis Gottes jedoch um seine Erkenntnis des gekreuzigten, erniedrigten Christus (v5) handeln; s. auch Wolff, Der zweite Brief, 198f. 218  νόημα hat hier ähnlich wie in 2Kor 3,14; 4,4 negativen Sinn; vgl. Wolff, Der zweite Brief, 199. 219  Schmeller, Brief, 2 136; s. ähnlich Vegge, Corinthians, 298. 220  Im Kontext von 2Kor 10–13 kommt dieser Zusammenhang besonders deutlich in 11,3f.13–15 zum Ausdruck. Anstelle der in 1Kor 1,20; 2,6–8 bevorzugten Redeweise von „diesem Äon“ qualifiziert Paulus in 2Kor 11,13–15 seine Gegner, die Pseudoapostel, als Diener Satans; vgl. auch 2Kor 4,4.

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beitet er eine weitere Facette des Problems heraus: Nicht am Kreuz ausgerichtete Gotteserkenntnis ist eigenmächtige Gotteserkenntnis, weil sie die Unterordnung unter Christus verweigert. Sie erweist sich damit als ungehorsames Denken und ist als solches per se ‚hochragend‘ und überheblich. 2.3.2 Legitimes und illegitimes Rühmen Paulus aktualisiert in 2Kor 10–13 die in 1Kor 1,29.31 getroffene Unterscheidung zwischen einem legitimen und einem illegitimen Rühmen. Zwei Abschnitte sind hier von besonderer Bedeutung, 2Kor 10,12–18 und 11,16–12,13. In beiden setzt er sein eigenes Rühmen zu dem der gegnerischen ­Apostel in Bezug und begründet in Auseinandersetzung mit dem antiken Diskurs über das Selbstlob die Verwerflichkeit des gegnerischen Rühmens, dem er sein eigenes antithetisch gegenüberstellt. Um die Erörterung der paulinischen Texte von traditionsgeschichtlichen Analysen zu entlasten, wird der Einzelnachweis zu den hier vorgetragenen Thesen zum Verhältnis des Paulus zur jüdischen und zur rhetorischen Überlieferung wiederum im Anschluss in einem eigenen Kapitel geführt. 2.3.2.1 Der maßlose Selbstruhm der Gegner und das an dem von Gott zugeteilten Maß orientierte sich-Rühmen des Apostels (2Kor 10,12–18) In 2Kor 10,12–18 wendet sich Paulus der Frage zu, wer „zum Aposteldienst befähigt und legitimiert ist“. 221 Sie entzündet sich am Problem der spezifischen Selbstempfehlung der gegnerischen Apostel, das in den Rahmenversen v12.18 angesprochen222 und in v13–17 am Selbstruhm konkretisiert wird.223 Die Antwort auf die Frage nach der Befähigung zum Apostolat bringt er in v18 folgendermaßen auf den Punkt: „Denn nicht jener, der sich selbst empfiehlt (ἑαυτὸν συνιστάνων), ist bewährt, sondern wen der Herr empfiehlt“. Mit dieser Gegenüberstellung von Selbstempfehlung und Empfehlung durch Gott ist die Kernaussage des Abschnitts prägnant zum Ausdruck gebracht. Sie schließt eng an 2Kor 3,5f. an, wo Paulus ausdrücklich betont, seine Befähigung zum Apostolat sei nicht ἀφ’ ἑαυτῶν bzw. ἐξ ἑαυτῶν, sondern ἐκ τοῦ θεοῦ.224 Bei dieser Antithese handelt es sich um eine weitere Aktualisierung dessen, was für 1Kor 1 mit dem Begriff des Subjektcharakters Gottes umschrieben wurde. 221 

Grässer, Brief, 2 102. Im negativen Sinn wird συνίστημι im 2Kor ferner in 3,1 und 5,12 gebraucht, im positiven Sinn in 4,2 und 6,4. 223  Vgl. Wolff, Der zweite Brief, 204. καυχάομαι steht in v13.15f. sowie 2-mal in v17. 224  Vgl. auch 2Kor 2,17. 222 

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Paulus bedient sich in 2Kor 10,12–18 des argumentativen Mittels der Synkrisis, das er in v12–16 konsequent einsetzt. Er beschließt den Abschnitt in v17f. mit einem Fazit zum Rühmen. Im Folgenden werden zunächst die paulinischen Aussagen zur sich selbst rühmenden Selbstempfehlung der Gegner erörtert, bevor die Selbstaussagen des Apostels im Einzelnen betrachtet werden. Die Vorwürfe an die Adresse der Gegner sind in Gestalt verneinter Selbstaussagen – „wir tun nicht … “ – formuliert. Im Kern sind es zwei Vorwürfe, die Paulus erhebt: Nach v12b „messen sich die Gegner an sich selbst“ (ἐν ἑαυτοῖς ἑαυτοὺς μετροῦντες) und „vergleichen sich mit sich selbst“ (συγκρίνοντες ἑαυτοὺς ἑαυτοῖς), machen also sich selbst zu ihrem Maßstab225, statt sich wie Paulus an dem ihnen von Gott gegebenen Maß zu messen226. Eben darin besteht, so der Apostel, ihr Unverstand. 227 Wor­in der Maßstab, an dem die Gegner sich konkret messen, besteht, wird nicht ausgeführt. M. Thrall vermutet wohl zu Recht, dass es sich um einen Maßstab handelt, „which they were confident of having themselves reached (whilst Paul, in their view, did not)“.228 Ihr Maßstab sei darum nur ein Spiegel ihrer eigenen Person gewesen, für die sie auf Auszeichnungen wie Körpererscheinung, Bildung und eigene Leistungen verwiesen haben könnten 229; dazu scheinen auch rhetorische Fähigkeiten gehört zu haben230. Solche oder ähnliche Kriterien dürften sie ihren gruppeninternen, von einem Geist der Freundschaft und des gegenseitigen Respekts getragenen Vergleichen zugrunde gelegt haben, deren eigentliche Zielscheibe aber Paulus gewesen zu sein scheint. 231 Dieser musste angesichts der auf die Gegner zugeschnittenen Kriterien bei solchen Vergleichen unweigerlich den Kürzeren ziehen.232 Des Weiteren wirft Paulus seinen Gegnern Maßlosigkeit in ihrem Rühmen vor (εἰς τὰ ἄμετρα).233 Diese zeigt sich darin, dass sie sich „fremder Mü225 Vgl. Schmeller, Brief, 2 177. Vgl. auch Marshall, Enmity, 327: „they themsel-

ves represented the measure“. Damit die Gegner die Korinther überzeugen konnten, war es der „Greek persuasion“ gemäß eine wesentliche Voraussetzung, dass die Adressaten, in diesem Falle die Korinther, den Maßstab der Gegner anerkannten und akzeptierten. 226 Vgl. ­H eckel, Kraft, 193, und Savage, Power, 55. 227  Gegen den westlichen Text ist die gut bezeugte längere Textform οὐ συνιᾶσιν. ἡμεῖς δέ als ursprünglich anzusehen; vgl. dazu bes. die Diskussion bei Thrall, Epistle, 2 636–639. ­H eckel, Kraft, 193, zufolge handelt es sich bei οὐ συνιᾶσιν um eine Anspielung auf Jer 9,22. 228  Thrall, Epistle, 2 642. 229 So Thrall, Epistle, 2 642, im Anschluss an Marshall, Enmity, 327, der die drei genannten Merkmale den „encomiastic topics“ zuschreibt. 230  Vgl. ebd., 339. 231 Vgl. Forbes, Comparison, 15, und im Anschluss an ihn Thrall, Epistle, 2 642. 232  Vgl. auch DeSilva, Hope, 121, der im Horizont des „Honor Discourse“ in der Korintherkorrespondenz folgendermaßen formuliert: „Paul’s own honor comes under heavy attack when he is evaluated on the basis of what he considers worldly standards“. 233  Vgl. v13a.15a. Zum Verständnis des μέτρον in der griechischen Tradition, an die

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hen“ (ἐν ἀλλοτρίοις κόποις) rühmen (v15a), nämlich ihrer Tätigkeit in einem „fremden Gebiet“ (ἐν ἀλλοτρίῳ κανόνι), das bereits von anderer Seite be­ ackert wurde (v16b). Beides bezieht sich auf die paulinische Mission, deren Erfolge, zumindest was Korinth angeht, sie für sich zu reklamieren scheinen. Was Paulus den Gegnern unterstellt, verneint er für seine eigene Person ausdrücklich. Das Maß, das sein Handeln leitet, hat ihm Gott bestimmt. Darum geht sein Rühmen auch nicht ins Maßlose. Er rühmt sich vielmehr „nach dem Maß des Wirkungsfeldes, das Gott uns als Maß zugeteilt hat (κατὰ τὸ μέτρον τοῦ κανόνος οὗ ἐμέρισεν ἡμῖν ὁ θεὸς μέτρου), um auch bis zu euch zu gelangen“ (v13). Deutlicher als mit der dreimaligen Verwendung von α /μετρος für „Maß“ kann Paulus den Gegensatz zwischen dem selbstgewählten Maß der Gegner, das sie zu maßlosem Selbstruhm treibt (v13a), und seinem eigenen Rühmen, das sich an dem ihm von Gott zugemessenen Maß bemisst (v13b), kaum ausdrücken. κανών hat hier räumlich-geographische Dimension und bezieht sich einer neueren Deutung zufolge auf das territoriale Programm, das ihm von Gott zugewiesen wurde.234 In diesem Rahmen war es Paulus bestimmt, auch nach Korinth zu kommen, um dort das Evangelium zu verkündigen.235 Wie er in v15f. ausführt, hat er diesen Teil des Programms noch nicht erfüllt, weil der Glaube der Korinther, wie ihre Hinwendung zu den Gegnern zeigt, der notwendigen Stabilität ermangelt. Sobald diese Voraussetzung gegeben ist, hofft der Apostel ganz unbescheiden, von den Korinthern „groß gemacht zu werden (μεγαλυνθῆναι)“. 236 In dem durch die Thematik des Rühmens bestimmten Kontext ist dabei offenbar an die Hoffnung auf Fremdlob zu denken. 237 Paulus in 2Kor 10,12f. anschließt, vgl. bes. Marshall, Enmity, 200–202, und Wanamaker, Rhetoric, 218. 234  Eine räumlich-geographische Dimension des Begriffs wird durch den Kontext nahegelegt; vgl. bes. ἐφικνέομαι in Verbindung mit ἄχρι (v13) und εἰς (v14) sowie ἄχρι … ἐφθάσαμεν (v14). Räumlich-geographisch wird der Begriff u. a. von Bauer-Aland, 818, s. v. κανών 2 („d. abgemessene Gebiet, d. zugemessene Bezirk“), Thrall, Epistle, 2 635, und Schmeller, Brief, 2 181, verstanden. Im Anschluss an V.P. Furnish und E.A. Judge weist Thrall, ebd., 646f., allerdings aufgrund eines neu ausgewerteten Textes darauf hin, dass der Begriff nicht, „tout court, ‚geographical sphere‘“ bedeute, sondern auf „God’s scheduling“ des paulinischen „territorial commitment“ verweise. Darum gibt sie κανών mit „territorial schedule“ wieder; s. ähnlich Guthrie, Corinthians, 492f. Demgegenüber deuten etwa Bultmann, Brief, 196, Wolff, Der zweite Brief, 205, Grässer, Brief, 2 104, Collins, Second Corinthians, 206, und Seifrid, Letter, 392, den Begriff im Sinne von Maßstab, Richtschnur, Regel (vgl. Bauer-Aland, aaO., s. v. 1). 235  Vgl. v13c.14b. Bei ἐφικέσθαι … (v13c) dürfte es sich vermutlich um einen Infinitiv des Zwecks handeln; vgl. Thrall, Epistle, 2 647, Anm. 370. 236  Seifrid, Letter, 395, bemerkt zur Hoffnung des Apostels „of ‚being made great,‘ being ‚magnified‘ by the Corinthians“ zu Recht, dass er „by no means shy in stating his aims“ sei. 237  Seifrid, ebd., zufolge schließt dies die Erwartung auf „financial support“ ein

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Eine solche Anerkennung würde Paulus als Unterstützung verstehen238, um das ihm von Gott anvertraute, über Korinth hinausgehende territoriale Programm fortzusetzen und seine missionarische Tätigkeit von Korinth weg hin zu den Gebieten zu verlagern, in denen das Evangelium noch nicht verkündigt ist. In dieser ihm zugewiesenen Erstverkündigung liegt sein Ruhm 239, nicht darin, sich mit Blick auf einen bereits erfolgreich bereiteten Boden des einem anderen zugewiesenen Wirkungsfeldes zu rühmen, wie dies nach der Darstellung des Paulus die Gegner tun. Indem sie sich mit fremden Federn schmücken, verletzen sie im übrigen nicht nur den biblisch inspirierten, bereits in 1Kor 1,31 zitierten Grundsatz: „Wer sich … rühmt, soll sich des Herrn rühmen“ (v17), sondern überschreiten auch die nach den Kriterien der hellenistischen Rhetorik gültige Grenze vom gerade noch legitimen sichselbst-Rühmen zur illegitimen Prahlerei. Da zumindest die Gebildeten unter den Korinthern mit großer Wahrscheinlichkeit mit den Grundregeln der antiken Rhetorik vertraut waren, konnte es ihnen kaum entgehen, dass sie – aus der Sicht des Apostels – in dessen Widersachern Prahlern aufgesessen waren. Demgegenüber zeichnet Paulus sein eigenes Rühmen als regelkonform. Indem er sich dem ihm von Gott zugeteilten Maß gemäß rühmt, verbleibt er aber zugleich auch innerhalb des durch v17 abgesteckten, biblisch inspirierten Rahmens und ordnet sich damit einmal mehr dem von ihm formulierten Grundsatz unter: „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“ (1Kor 4,6). Darum kann er im Gegensatz zu den Gegnern, die sich selbst (ἑαυτόν) empfehlen, als vom „Herrn“ empfohlen gelten240. Beides, seine Kritik an der Orientierung der Gegner an sich selbst wie auch die Deutung seines eigenen Verhaltens, basiert auf der Einsicht, dass Gott und sein Handeln das Maß aller Dinge sind und nicht das eigene Ich.241 Insofern verteidigt er in 2Kor 10,12–18 sein apostolisches Handeln im Sinne des für ihn grundlegenden Theologumenons: ‚Nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘.

(so unter Hinweis auf 2Kor 1,16). Wolff, Der zweite Brief, 206, spricht allgemeiner von „Anerkennung“; s. ähnlich Collins, Second Corinthians, 207, der zugleich darauf hinweist, dass ein solches Lob der Korinther „within the limits that God has estab­ lished“ wäre. 238  Vgl. das wohl instrumental zu deutende ἡμῖν und dazu Thrall, Epistle, 2 651, Anm. 397, und Guthrie, Corinthians, 495. 239 Vgl. auch Röm 15,20. Statt καυχάομαι verwendet Paulus hier φιλοτιμέομαι („seine Ehre darin suchen“). 240  ὁ κύριος dürfte hier auf Gott verweisen, der das Subjekt des Zuteilens der κανόνες (v13.15f.) ist; s. auch Collins, Second Corinthians, 207f. Schmeller, Brief, 2 186f., hält die Frage, ob bei κύριος an Gott oder Christus zu denken ist, dagegen für unentscheidbar. 241 S. ähnlich Guthrie, Corinthians, 498f. Zu diesem Topos vgl. auch Kap. 3.1.2.

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2.3.2.2 Vom rhetorisch legitimen, theologisch aber illegitimen sich-Rühmen zum christusgemäßen sich-Rühmen (2Kor 11,16–12,13) In 2Kor 11–12 führt Paulus die Auseinandersetzung um das richtige Rühmen unter einer gegenüber 10,12–18 veränderten Problemstellung weiter. Ging es Paulus in Kap. 10 um die Feststellung, sich im Rühmen von den Gegnern, die er auch Überapostel nennt242, zu unterscheiden – ‚wir verhalten uns nicht wie sie‘ –, so handelt er in der sogenannten Narrenrede 2Kor 11,16–12,13 nach dem Motto ‚was andere können, kann ich auch‘ bzw. mit den Worten von 11,18: „Weil viele sich nach dem Fleisch rühmen, will auch ich mich rühmen“. 243 Paulus inszeniert hier m. a. W. einen Wettstreit der Toren in der Disziplin des Selbstlobes, das, wie erwähnt, auch in der antiken Rhetorik als anstößig gelten kann. Wie jedoch im Folgenden zu zeigen sein wird, unterscheidet er sich in seinem törichten, unvernünftigen Versuch, sich den Gegnern im Rühmen gleichzustellen, dennoch grundsätzlich von diesen. Das eigentliche Selbstlob des Apostels beginnt in 11,22 mit einem Vergleich mit den Gegnern (v22–23a). 244 Wie bereits in 10,12–18 umreißt er auch hier den Inhalt ihres Rühmens. Ein erster Aspekt betrifft ihre Herkunft. So rühmen sie sich Hebräer zu sein, Israeliten und Nachkommen Abrahams.245 Damit verstoßen sie gegen eine Grundregel der griechisch-römischen Rhetorik, die das Lob der Herkunft ablehnt. Zugleich aber handeln sie der Realität des neuen Äons zuwider, in dem die Herkunft irrelevant geworden ist, weil Gott in Christus durch den Geist an allen in gleicher Weise handelt. 246 242 

Vgl. 2Kor 11,5; 12,11. v21. Zur Narrenrede und ihrer pragmatischen Funktion vgl. u. a. Betz, Apostel, 79–89, Holland, Fool, 255–263, und Wanamaker, Rhetoric, 219f. 244  In dem im Folgenden aufzunehmenden Teil der Narrenrede (11,16–12,13) ist der mittlere Teil (12,1–10), der Gemeinde und Gegner scheinbar ausblendet, von zwei Teilen gerahmt, in denen beide direkt in den Blick genommen werden. Auf die einführenden Bemerkungen zu Motivation und Charakter der Rede (v16f.) folgt ein erster Vergleich zwischen Apostel und Gegnern mit Blick auf ihr Verhältnis zur Gemeinde (v18–21). Dar­an schließt sich ein zweiter Vergleich an, in dem es um die Qualitäten der verschiedenen Lehrer geht (v22–33); dabei ist es Aufgabe von v23b–33, die Überlegenheit von Paulus zu begründen. In 12,11–13 wendet sich der Apostel erneut an die Gemeinde und knüpft dabei an 11,17 an. Darin eingeflochten ist ein weiterer Vergleich zwischen Apostel und Superaposteln. 245 Mit Ἑβραῖοι spielt er auf ihr Traditionsbewusstsein an, mit Ἰσραηλῖται auf ihre ­religiöse und mit σπέρμα ’Αβραάμ auf ihre genealogische Herkunft; vgl. Wolff, Der zweite Brief, 230–232, und ähnlich Seifrid, Letter, 425f. Anders Heszer, ‚Fool’s ­Speech‘, 229, die Ἑβραῖοι auf den „Hebrew cultural context“, Ἰσραηλῖται auf „ethnic origin“ und σπέρμα Ἀβραάμ auf „Jews as well as converts to the messianic type of Judaism which Paul and the competing apostles propagated“ deutet. S. zuletzt ferner Duling, Corinthians, 837f., und Sook Choi, Peristasenkatalog, 184–189; Schmeller, Brief, 2 250, dagegen stellt die Möglichkeit, „die Titel genau gegeneinander abgrenzen zu können“, in Frage. 246  Vgl. 1Kor 12,13; Gal 3,28; 5,6; 6,15. 243 S. ähnlich

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Als weitere Dimension des gegnerischen sich-Rühmens nennt Paulus in 11,23a ihre Dienerschaft Christi, im weiteren Kontext der Narrenrede zudem ihre Redekunst und Erkenntnis247 sowie ihre pneumatische Exzellenz, die sich in ekstatischen Erfahrungen (12,1) und Machttaten (12,12) geäußert zu haben scheint. 248 Das Selbstlob, das er seinen Gegnern explizit oder implizit zuschreibt, bezieht sich damit auf ihre besonderen Eigenschaften, Fähigkeiten und Erfahrungen. Damit ignorieren sie freilich, so Paulus, die Wirklichkeit des Gekreuzigten. 249 Paulus lässt sich auf das vergleichende Rühmen mit seinen Widersachern, ein seiner Natur nach törichtes Rühmen, zunächst ein. Abgesehen von der Redekunst reklamiert er sämtliche der genannten Vorzüge seiner Gegner auch für sich selbst. 250 In seinem Dienst für Christus aber, der von vielfältigen Leidenserfahrungen begleitet wird, beansprucht er, die Überapostel sogar zu überbieten. Unter allen Auszeichnungen, die er mit ihnen teilt, ist der Dienst Christi für ihn jedoch entscheidend. Dies zeigt zum einen die auf diesen Dienst bezogene Überbietungsaussage, „ich bin es noch viel mehr“ (ὑπὲρ ἐγώ; 11,23), zum anderen die Zentralität des Dienstes bei der Bestimmung 247 

Vgl. 2Kor 11,6, wo sich Paulus als „Laie in der Rede, nicht aber in der Erkenntnis (ἰδιώτης τῷ λόγῳ, ἀλλ’ οὐ τῇ γνώσει)“ bezeichnet. Dieser Feststellung geht die Aussage voraus, er stehe den Superaposteln (ὑπερλίαν ἀποστόλων) in nichts nach (v5), so dass v6 zugleich als implizite Aussage über diese zu lesen ist. – Marshall, Enmity, 328, weist darauf hin, dass die Verbindung von „eloquence and education“ bei griechischen und römischen Autoren verbreitet sei. Diese Verbindung weise Paulus zurück, räume aber zugleich den „apparent lack of rhetorical training“ ein; s. ähnlich Heszer, ‚Fool’s Speech‘, 227. Der Begriff ἰδιώτης wird von Philo, Agr 159f., für verschiedene Arten von in der Rede Ungeübten gebraucht, die den Sophisten nicht gewachsen sind; s. auch unten zu Kap. 3.3.2.1 zu Det 32–34. So könnte Paulus mit dem Gebrauch dieses Begriffs beabsichtigen, die gegnerischen Apostel implizit in den Horizont der Sophisten in ihrer Funktion als Oratoren und Deklamatoren zu stellen (vgl. dazu Bowie, Sophistik, 852f.), die auch in der griechisch-hellenistischen Kultur umstritten waren. Vgl. dazu DeSilva, Hope, 118–120, und Winter, Philo, bes. 40–59.99–112.116–144.203–230; s. auch oben Kap. 2.1.3. 248  Auch diese beiden Aspekte schreibt Paulus den Gegnern nicht explizit zu. Für 12,12 ergibt sich dies aus der Verbindung mit v11c, für 12,1 aus der Gesamtstruktur des Textes, zu dessen zentralen Elementen der Vergleich (Synkrisis) mit Blick auf das Rühmen zählt; innerhalb von Kap. 11–12 sind dazu 11,5f.; 11,18–21.22–23a; 12,11f. zu vergleichen. S. ähnlich Wolff, Der zweite Brief, 240.243, Aejmelaeus, Schwachheit, 231f., Seifrid, Letter, 426f.434, und Schmeller, Brief, 2 280f. Dass Paulus mit dem Rühmen seiner ekstatischen Erfahrungen in 2Kor 12,1–10 „auch jetzt seinem Grundsatz treu (bleibt), sich nur seiner Schwachheiten und des Herrn zu rühmen“ (Wolff, aaO., 240), wird man freilich kaum sagen können. 249  Dies ergibt sich aus der vergleichenden Selbstdarstellung des Paulus; dazu s. im Folgenden. 250  Mit Blick auf die Herkunft heißt es explizit κἀγώ (11,22). Einen Überblick über die zentralen Aspekte des Vergleichs zwischen Apostel und Gegnern bietet Duling, Corinthians, 831.

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seines apostolischen Selbstverständnisses im 2Kor insgesamt. 251 Im unmittelbaren Kontext spiegelt sich dies in der Ausführlichkeit, mit der er seinen Dienst für Christus mit Hilfe eines Peristasenkatalogs als einen Dienst der Niedrigkeit erläutert (v23–28). Eine zentrale Rolle spielt die apostolische διακονία im 2Kor aber vor allem im Rahmen der paulinischen Verteidigung seines Apostolats in 2Kor 2,14–6,10. Hier verweist er ganz im Sinne seiner theologischen Grundüberzeugung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘, wie gesehen, darauf, dass seine Befähigung zum Apostolat nicht aus ihm selbst kommt, sondern von Gott, der ihn zum Diener des neuen Bundes befähigt hat (3,6).252 Dabei verhält er sich so, dass sein Dienst nicht getadelt wird. Er empfiehlt sich als Diener Gottes (συνιστάντες ἑαυτοὺς ὡς θεοῦ διάκονοι ; 6,4) durch seine Bereitschaft zur Annahme des Leidens, das auch hier mit einem Peristasenkatalog konkretisiert wird (6,4–10). Einem solchen Dienst entziehen sich die Gegner, die lieber herrschen (11,20)253 und sich der Arbeit anderer rühmen, als sich den Herausforderungen der Erstverkündigung zu stellen (10,15f.). Wenn Paulus sie in 11,13–15 zudem als Pseudoapostel und Diener Satans bezeichnet, dann erscheint seine Aussage, „ich bin es noch viel mehr“ (v23), als ironische Untertreibung 254, da er ihnen im Kontext eben das abspricht, was sie ihrem Selbstverständnis nach sind, „Diener Christi“. 255 Charakteristisches Merkmal eines Apostels Jesu Christi ist für Paulus das Leiden, nicht Herkunft und auch nicht rhetorische, noetische oder pneumatische Exzellenz. Mit dem Vergleich 11,23a grenzt sich Paulus somit in doppelter Weise von den Gegnern ab, in der Sache, indem er sie im Dienst Christi übertrifft und ihren Dienst als Pseudodienst verwirft, aber auch in der Form: Während das gegnerische sich-selbst-Rühmen nach den Kriterien der Rhetorik als kritikwürdig einzustufen ist, hält sich Paulus an den akzeptierten Kanon. Wer, wie er, angegriffen wird, ist dazu berechtigt, sich selbst zu rühmen, theologisch ist es freilich trotzdem ein illegitimes Rühmen. 251  Die Begriffe διακονία und διάκονος werden innerhalb des corpus paulinum vorzugsweise im 2Kor gebraucht. So entfallen von 16 Belegen für διακονία 11, von 12 für διάκονος 4 auf 2Kor. 252 Vier διακονία-Belege entfalten dies in 3,7–9. 253  Zu der hinter den Gegnern stehenden Führungsfigur vgl. Welborn, Caricature. 254  Zur Ironie als rhetorischem Mittel in 2Kor 10–12 vgl. u. a. Forbes, Comparison, 10–13, und Duling, Corinthians, 826–828. 255 Angesichts des Verständnisses des Begriffs διάκονος in 2Kor 11,13–15, wo er parallel zum Apostelbegriff gebraucht wird, sowie der Verwendung des Stammes διακον- im neutestamentlichen Sprachgebrauch „überwiegend für die Verkündigungstätigkeit“ (vgl. 2Kor 11,6; 3,6–8 u. ö.), der den klassischen und spätantiken Sprachgebrauch für den „‚Boten, Gesandten‘“ aufnimmt (Wolff, Der zweite Brief, 232), konnten die Gegner diese „‚titelartige Selbstbezeichnung‘“ (ebd., 231, Anm. 249) legitimerweise auf sich anwenden, zumal sie möglicherweise auch mit eigenen Peristasen argumentierten (s. u. Anm. 256).

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Im Weiteren (11,23b–28.32f.) vollzieht Paulus in sachlicher Übereinstimmung mit 1Kor 1,18–2,5 einen Bruch mit dem Wertekanon der antiken Mehrheitskultur. In radikalem Gegensatz zum Verständnis der Eudämonie in der Rhetorik des Aristoteles besteht der Ruhm des Apostels in seinen Leiden. Diese zeichnen aus paulinischer Sicht den wahren Apostel aus, in dessen Dienst sich die Leiden Christi zu spiegeln haben. Die Aufzählung der Peristasen256 mündet in 11,30 folgerichtig in eine Neubestimmung des apostolischen Rühmens: „Wenn es nötig ist, sich zu rühmen, will ich mich der (Dinge) meiner Schwachheit (τὰ τῆς ἀσθενείας) rühmen“ (v30). 257 Der Begriff der ἀσθένεια ist hier ähnlich wie in 1Kor 1,26–28 bezogen auf die Stellung des Apostels am unteren Ende der Gesellschaft zu verstehen und bezeichnet die kulturell verpönte, sozial konnotierte Schwachheit und Niedrigkeit. 258 Das rhetorisch legitime, theologisch aber illegitime Rühmen des Paulus, auf das er sich im Gegenüber zum illegitimen Rühmen der Überapostel zunächst eingelassen hat, verwandelt sich somit in Übereinstimmung mit 1Kor 1,29.31 in ein dem Maß Gottes entsprechendes, weil christusgemäßes Rühmen, insofern es sich am Gekreuzigten orientiert. Rhetorisch legitim ist sein Rühmen am Anfang (11,18.21b.22–23a) darum, weil er nach den Regeln der 256  Bei

den Peristasenkatalogen handelt es sich um eine griechisch-römische Gattung. Sie liegt in zwei Ausprägungen vor. Der eine Typ führt Beispiele von Unglücksereignissen auf, die jeden Menschen treffen können, während der zweite Typ mit einer historischen oder mythologischen Person verbunden ist. In 2Kor 11,23–28 liegt der zweite Typ vor; vgl. Thrall, Epistle, 2 734. – V29–33 ist nicht mehr Teil des Peristasenkatalogs (vgl. dazu Andrews, Form, 269–273); inhaltlich ist freilich auch v32f. den Peristasen zuzurechnen (anders Sook Choi, Peristasenkataloge, 175–223). Da der Peristasenkatalog auch im Kontext der philosophischen Polemik eine verbreitete Gattung war, wird vermutet, dass Paulus im übergeordneten Kontext der Synkrisis mit v23b–28 auf einen von den Gegnern verwendeten Peristasenkatalog reagiert; vgl. u. a. Holland, Fool, 259 (mit weiterer Literatur), und mit eigenen Argumenten auch Schmeller, Brief, 2 253f. 257  Thrall, Epistle, 2 761, bestimmt die Funktion von v30 völlig korrekt als „a substantial point of transition“; s. ähnlich Guthrie, Corinthians, 572, der von „A Midpoint Transition“ spricht. 258  Dies ergibt sich aus der Stellung des Begriffs im Duktus der Argumentation: Er fasst die vorausgehenden Peristasen zusammen und weist auf v32f. voraus. S. ähnlich u. a. Andrews, Form, 265–270, Lambrecht, Boasting, 336f., Wanamaker, Rhetoric, 219, und deSilva, Hope, 133. Demgegenüber gilt Guttenberger, Klugheit, 88, zufolge das paulinische sich-Rühmen mit den Peristasen (v22–28) einer „lange(n) Liste von Ereignissen“, die kulturell „die Stärke des Paulus belegen“, von diesem aber mit dem Begriff der Schwachheit verbunden worden seien. Diese Liste verknüpfe er mit dem in v32f. berichteten Ereignis, das auch kulturell „als Ausdruck von Schwäche“, nämlich von Feigheit, bewertet und ihm darum zum Vorwurf gemacht worden sei (vgl. dazu bes. ebd., 96). So richtig Guttenbergs Deutung von v32f. ist, so wenig überzeugt ihre Interpretation von v22–28. Dem steht zum einen die von Paulus selbst vorgenommene Bewertung der Peristasen in v29f. entgegen (vgl. dazu Andrews, aaO., 270–272), zum anderen der für die Korintherkorrespondenz primäre kulturelle Hintergrund (dazu s. o. Kap. 2.1.2 und Kap. 2.1.3 sowie unten Kap. 2.3.2.3).

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Rhetorik als Angegriffener das Recht hat, sich selbst zu rühmen. Theologisch ist es aber illegitim, weil auch hier der Grundsatz gilt: „Wer sich rühmt, soll sich des Herrn rühmen“. Darum bezeichnet Paulus selbst sein Rühmen im Wettstreit mit den Überaposteln als Torheit. 259 Die rühmende Überbietung der Superapostel im Dienst Christi, die in v23a noch den Regeln des hellenistisch-römischen Selbstlobes folgt, wird von v23b an zu einem christusgemäßen Rühmen, das angesichts der Niedrigkeit der paulinischen διακονία der Niedrigkeit des Gekreuzigten entspricht. Damit vollzieht Paulus inhaltlich zugleich einen Bruch mit dem mehrheitlich akzeptierten antiken Wertekanon. Eröffnet durch einen Neueinsatz mit Καυχᾶσθαι δεῖ 260, schreitet Paulus in 2Kor 12,1–10 den für 11,18.21b–30 aufgezeigten Weg vom illegitimen zum legitimen Rühmen an einem weiteren Thema ab, dem der pneumatischen Exzellenz, derer sich seine Gegner offenbar ebenfalls rühmen. Anders als in Kap. 11 erläutert er nun allerdings nicht, wie sich ihre diesbezüglichen Ansprüche konkret äußern. Die Absicht, die Paulus mit dem Bericht über seine Entrückung in den dritten Himmel verbindet, die eine schwerlich zu überbietende apokalyptisch-ekstatische Erfahrung darstellt (12,2–4), ist es, seine Überlegenheit auch in diesem Bereich herauszustellen. In v5–7a wertet er seine sogenannte Himmelsreise mit Blick auf sein Rühmen aus. 261 Dabei unterscheidet er in v5 für seine eigene Person zwischen „diesem“ (τοῦ τοιούτου), das heißt dem „Menschen in Christus“ (v2), der von Gott entrückt wurde, und „sich selbst“ (ἐμαυτοῦ), das heißt dem Apostel in Niedrigkeit. Mit Blick auf ersteren rühmt er sich im Modus des närrischen, durch die Gegner herausgeforderten Rühmens, das als solches im Rahmen des rhetorisch Legitimen verbleibt. Mit Blick auf letzteren dagegen vermag er sich in Übereinstimmung mit 2Kor 11,30 gegen alle rhetorischen Gepflogenheiten nur der genannten Schwachheiten zu rühmen, die seinen Dienst als Apostel Jesu Christi begleiten. Mit beidem aber, mit dem, was Gegner und Gemeinde als Stärke ansehen, und mit dem, was sie als Schwäche verstehen, überbietet Paulus die Gegner. 262 In v6–7a streicht er nun freilich heraus, dass er auch als der Apostel in Schwachheit angesichts seiner Visionen und Offenbarungen allen Grund zum Selbstlob hätte. Sollte er sich in der Zukunft aus freien Stücken und nicht wie jetzt gezwungenermaßen263 rühmen wollen, wäre er kein Tor, son259  Vgl. 11,1.16–21.23; 12,11. Eine Sonderrolle spielt 12,6; vgl. dazu Wolff, Der zweite Brief, 245 mit Anm. 242, und Grässer, Brief, 2 192. 260  Die Wendung bezieht sich auf 11,30 zurück. 261  Die Zuordnung von v7a ist strittig. Zum Stand der Diskussion vgl. bes. Thrall, Epistle, 2 803–805, und Grässer, Brief, 2 195f. 262 Vgl. Schmeller, Brief, 2 300f. 263 Vgl. θελήσω (v6) im Unterschied zu ὑμεῖς με ἠναγκάσατε (v11).

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dern würde die Wahrheit sagen.264 In der jetzigen Situation aber verzichtet er auf diesen Akt der Hybris265, obwohl er angesichts des Übermaßes der ihm widerfahrenden Offenbarungen (v7a) durchaus Grund dazu hätte. Er will damit vermeiden, dass die Korinther ihr Urteil über ihn aufgrund seiner apokalyptisch-ekstatischen Erfahrungen bilden, die nicht Teil seines Aposteldienstes an ihnen sind, und nicht aufgrund dessen, was sie an ihm in Ausübung seiner Verkündigungstätigkeit sehen und hören. Die Wendung ὑπὲρ ὅ βλέπει με ἢ ἀκούει [τι] ἐξ ἐμοῦ in v6b ist mit der Wendung τὸ μὴ ὑπὲρ ἃ γέγραπται in 1Kor 4,6 zu verbinden. Wie Paulus und Apollos sich – anders als die ‚Weisen‘ unter den Korinthern – innerhalb der durch die Schrift vorgegebenen Grenzen bewegen, hält sich Paulus auch in der Auseinandersetzung mit den Superaposteln an das ihm von Gott gegebene Maß des apostolischen Dienstes266 und weigert sich darum, seine besonderen ekstatischen Erfahrungen zum Gegenstand der Beurteilung durch Gemeinde und Gegner zu machen. Er will an seiner irdisch-menschlichen Erscheinung, zu der der Stachel im Fleisch als das Signum seiner Schwachheit gehört267, und an seinem apostolischen Handeln als Apostel gemessen werden, nicht an seinen – womöglich missverständlichen – Begegnungen mit der überirdisch-göttlichen Sphäre. Indem Paulus für sich in Anspruch nimmt, sich auf das Sicht- und Hörbare zu begrenzen, unterstellt er den Gegnern indirekt, sich auch mit dem Prahlen angesichts ihrer (vorauszusetzenden) besonderen pneumatischen Erfahrungen maßlos zu verhalten. Indem er freilich auf das „Übermaß“ seiner eigenen Offenbarungen (τῇ ὑπερβολῇ τῶν ἀποκαλύψεων) zu sprechen kommt, rühmt auch er sich ihrer, wenngleich im Modus der Verneinung, gleichwohl. Die Korinther sollen wissen, dass der Apostel, den sie in der persönlichen Begegnung als verzagt (10,1), als körperlich schwach und als verachtenswerten Redner erfahren (10,10), in seinen pneumatischen Erfahrungen mit den Superaposteln sehr wohl mithalten kann.268 Sein vorgeblicher Verzicht auf den Selbstruhm angesichts seiner ekstatischen Exzellenz erweist sich damit als Fortsetzung seines närrischen Rühmens, das für ihn das Mittel der Wahl für den Vergleich mit den gegnerischen Aposteln ist. 269 264 

V6a ist ein Eventualis; anders Grässer, Brief, 2 177. Marshall, Enmity, 377, weist unter Hinweis auf Aristoteles darauf hin, dass die Verbindung der Vorstellungen des Rühmens, der Torheit und der Wahrheit (v7) „characteristic of discussions of hybris“ ist (tw. kurs.). 266  Im Hintergrund dieser Aussage steht die Präposition ὑπέρ in 2Kor 12,6; vgl. dazu Marshall, Enmity, 377. 267 Vgl. Schmeller, Brief, 2 304; dazu s. auch im Folgenden. 268  Vgl. dazu auch 12,11c.12. 269  Holland, Fool, 262, sieht hier sogar „the very heights of Paul’s ‚foolishness‘“. – „Das Narrenspiel“ ist gegen Grässer, Brief, 2 192, mit v6a also keineswegs „beendet“. 265 

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In 12,7bα klingt das sarkisch-törichte Rühmen abschließend noch einmal an, und zwar im Modus der Versuchung dazu. Paulus hat Grund, sich aufgrund seiner Offenbarungen ähnlich wie die Gegner hochmütig zu überheben (ὑπεραίρωμαι)270, und er scheint in Gefahr gestanden zu haben, eben dies zu tun. Um dies zu verhindern, hat Gott ihm einen Stachel im Fleisch (τῇ σαρκί), einen Engel des Satan271, gegeben, der ihn „mit der Faust schlägt“. Die dreimalige Bitte des Paulus, ihn von diesem Stachel zu befreien, wird vom „Herrn“ abgelehnt (v8). Damit wird ihm auch die Unversehrtheit des Fleisches verweigert, die es ihm erlauben würde, seinen Dienst als Apostel Jesu Christi (jedenfalls auch) im Vertrauen auf das Fleisch auszuüben und sich wie die Gegner zu überheben. 272 Dem möglichen Vertrauen ins Fleisch in all seinen Dimensionen 273 stellt Paulus die Gnade Christi entgegen, die von allem Anfang an die Grundlage seines apostolischen Wirkens ist. Sie genügt (ἀρκεῖ ), wie Paulus mit einem ihm von Christus zugegangenen Offenbarungswort sagt, auch weiterhin (v9a). Durch die Gnade Gottes ist er einst geworden, was er ist, nämlich Apostel Jesu Christi, und diese ihm zuteil gewordene Gnade (ἡ χάρις αὐτοῦ ἡ εἰς ἐμέ) ist nicht ohne Wirkung geblieben. Er hat, wie er sagt, mehr als alle anderen Apostel gearbeitet, „doch nicht ich (οὐκ ἐγώ), sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist“ (1Kor 15,10). Die Gnade hat zur Folge, dass im Handeln des Apostels Gott selbst wirksam wird. Diese für das paulinische Selbstverständnis grundlegende Einsicht bestimmt die weiteren Ausführungen. S. auch v11, wo Paulus nach eigenem Bekunden aus der Redeform unter der Maske des Narren aussteigt. 270  Vgl. das zweimalige ὑπεραίρωμαι in v7. Das Verb gehört ebenfalls in den Kontext der Hybris. 271  ἐδόθη ist passivum divinum. Zu einem Überblick über die Deutungen des Sa­tans­ engels vgl. bes. Thrall, Epistle, 2 809–818. 272  Vgl. den Zusammenhang von 2Kor 11,20.22 (v21 ist demgegenüber Ich-Rede). Schmeller, Brief, 2 251, weist demgemäß darauf hin, dass die Gegner „aus ihrer jüdischen Herkunft gegenüber der Gemeinde eine besondere Autorität abgeleitet und beansprucht haben“, dies „(o)ffenbar mit Erfolg“. 273  Vom Vertrauen ins Fleisch ist in der Narrenrede nicht explizit die Rede. Es handelt sich dabei um eine aus Phil 3,3f. übernommene Kategorie, die in v7 im Modus der Verneinung gleichwohl anklingt. Phil 3 berührt sich in verschiedener Weise mit der Narrenrede. Gemeinsam ist beiden Zusammenhängen der Selbstvergleich des Apostels mit seinen jeweiligen Gegnern, den er in Phil 3 auf das Vertrauen ins Fleisch bezieht, in 2Kor 11f. auf das törichte Rühmen. Auffällig ist dabei, dass Paulus in 11,22 die Herkunft aus Israel bzw. aus dem Samen Abrahams, die er in Phil 3 unter dem Stichwort des Vertrauens ins Fleisch verhandelt, dem törichten Rühmen subsumiert. Im Unterschied zu dieser ethnisch-genealogischen Deutung des Fleisches kommt dieses in 12,7 im Sinne der Leiblichkeit des Apostels in den Blick. Mit dem nachfolgenden christologischen Argument (2Kor 12,9) stellt er dem durch den Stachel im Fleisch verunmöglichten Vertrauen in die eigene Person mit ihren Erfahrungen die Gnade Christi als die in ihm wirksame Kraft antithetisch gegenüber. Demgemäß folgt in Phil 3,7–11 das christologische Argument auf die Aussage über das dem Fleisch mögliche Selbstvertrauen.

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Die konkrete Gestalt, in der sich die Gnade Christi nach 2Kor 12,9f. manifestiert, ist die δύναμις. Die Kraft Christi „gelangt gerade im Zustand (ἐν) der Schwachheit des Apostels zum Ziel und damit zur Vollendung“.274 Denn nur unter der Voraussetzung menschlicher Schwachheit wird erkennbar, dass das Wirken des Apostels nicht in seinen eigenen Ressourcen gründet, sondern in der „Übermacht der Kraft“ Gottes, so dass es ‚aus Gott‘ ist. 275 Es ist diese Erfahrung, die ihn als wahren Apostel Jesu Christi im Gegensatz zu den Gegnern ausweist. Darin entspricht er Christus. Denn auch dieser „wurde aus Schwachheit gekreuzigt, er lebt aber aus der Kraft Gottes“. 276 Diese im Auferstandenen wirksame Kraft Gottes entfaltet ihre Wirkmacht auch in dem aus sich selbst schwachen Apostel (2Kor 13,4). Folglich rühmt sich der Apostel „sehr gern ([ἥ]διστα … μᾶλλον)“ seiner Schwachheiten, damit ( ἵνα)277 die Kraft Christi in ihm Wohnung nehme (12,9b). Denn nur in dieser Kraft weiß sich der Apostel in der Schwachheit „mächtig (δυνατός)“ zu handeln (v10). 278 Indem sich Paulus seiner Schwachheiten rühmt, bleibt er am Ende bei der in 1Kor 1,31; 2Kor 10,17 formulierten Linie: Er rühmt sich des Herrn, sofern sein Rühmen in seinen Schwachheiten zugleich ein Rühmen der in ihm zur 274 

Wolff, Der zweite Brief, 249. Das heißt aber nicht, dass die δύναμις nur in der Schwachheit des Apostels zum Zug käme; dazu s. u. Anm. 278. 275  Vgl. 2Kor 4,7: ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν. Auch hier kommt die paulinische Grundüberzeugung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ zum Ausdruck; s. ferner 2Kor 2,17; 3,5. 276  καὶ γὰρ ἐσταυρώθη ἐξ ἀσθενείας, ἀλλὰ ζῇ ἐκ δυνάμεως θεοῦ. Anders Schmeller, Brief, 2 310f., der sich gegen eine kreuzestheologische Deutung von 2Kor 12,9f. mit dem Argument wendet, dass die Stelle „mehr mit der Argumentation in 6,1–10“, wo das Kreuz ebenfalls nicht vorkommt, „gemeinsam“ habe, als mit 4,7–12 oder 13,4. Worin die größere Nähe zu 6,1–10 besteht, wo freilich nicht nur das Kreuz fehlt (wie übrigens auch in 4,7–12), sondern auch jeder Hinweis auf Christus, erläutert Schmeller nicht. Die in 6,7 erwähnte δύναμις θεοῦ hat als Teil einer längeren Aufzählung jedenfalls kein eigenständiges Gewicht. 277  Die Deutung von ἵνα wird als schwierig empfunden, da sowohl ein finales als auch ein konsekutives Verständnis der Konjunktion das Rühmen in den Schwachheiten und damit einen Tatbestand aufseiten des Menschen zur Voraussetzung für die Einwohnung der Macht Christi macht. Zum Ganzen vgl. Thrall, Epistle, 2 826f., die unter den von ihr diskutierten Deutungen die von C.E.B. Cranfield als die beste bezeichnet, wonach der ἵνα-Satz den „‚divine purpose behind the weaknesses‘“ zum Ausdruck bringe. Zum Problem vgl. auch Sook Choi, Peristasenkataloge, 239–241 (mit weiterer Literatur). 278 Wie Schmeller, Kreuz, 260, zu Recht hervorhebt, wird in v10b „keine Identität von kontradiktorischen Gegensätzen behauptet: ‚Es wird nicht gesagt, die Kraft offenbare sich als Schwachheit, sondern in der Schwachheit‘“; so im Anschluss an J. Jervell. Die göttliche δύναμις zeigt sich im paulinischen Apostolat aber nicht in der Schwachheit allein. Dazu ist im Kontext dieser Untersuchung insbesondere auf 2Kor 10,1–6 zu verweisen; s. ferner 13,2–4 und 1Kor 4,18–20. Zum Ganzen vgl. bes. Schmeller, aaO., 254–258; s. ferner etwa Lambrecht, Boasting, 325.338f.343–345, und Gerber, Krieg, 106, Anm. 28.

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Wirkung kommenden Kraft Christi ist. 279 Obwohl er sich aus argumenta­ tionsstrategischen Gründen zwischenzeitlich auf das an sich selbst Maß nehmende Rühmen der Gegner eingelassen hat, verfällt er ihm nicht. Dies zeigt bereits 11,30, wo er sich seines die Gegner überbietenden Dienstes der Niedrigkeit als der Dinge seiner Schwachheit rühmt. Dass er sich seiner Schwachheiten „sehr gerne“ rühmt, kann er in diesem Zusammenhang freilich noch nicht sagen, weil sein Rühmen hier im Kontext des vergleichenden Wettstreits mit den Superaposteln steht und als solches theologisch illegitim ist. Anders ist der Fall in 12,9 gelagert, wo der Bezugspunkt des Rühmens die Selbstoffenbarung Christi ist: Die Schwachheit des Apostels ist als der Ort der Präsenz Christi und der Entfaltung seiner Macht qualifiziert, die ihn sich „sehr gerne“ seiner Schwachheiten rühmen lässt. Dennoch steht auch dieses Rühmen im Duktus der Argumentation unter dem Vorzeichen des närrischen Rühmens. 280 Der gegnerische Vorwurf der Schwachheit des Apostels (10,1.10) erweist sich damit paradoxerweise als seine ultimative Auszeichnung gegenüber den Superaposteln. Denn seine Schwachheit, die nach 12,9 die conditio sine qua non der Einwohnung der Macht Christi ist, wird durch eben die Präsenz Christi in ihm geadelt. Damit werden zugleich die Maßstäbe, die die Gegner an einen Apostel anlegen, nämlich Herkunft (11,22), Redekunst und Erkenntnis (10,10; 11,6), Machtausübung (11,20) und pneumatische Exzellenz (12,1.12), zurückgewiesen und als christuswidrig desavouiert. Im Horizont des im 2Kor wiederholt sichtbar werdenden Dualismus gesprochen, erscheinen die angeblichen Diener Christi (11,23) als Pseudoapostel (11,13) und Diener Satans (11,14f.), weil sie den Wertmaßstäben dieses Äons folgen und sich nicht am Gekreuzigten orientieren. Sie leben aus sich selbst, nicht aus Gott, und ihre Kraft ist „self-possessed“281, während die Kraft des Apostels die des Auferstandenen ist, der seinerseits aus der Kraft Gottes lebt (13,4). Hinter der δύναμις τοῦ Χριστοῦ wird so die δύναμις Gottes (2Kor 4,7; 6,7) erkennbar. 282 Die Narrenrede kulminiert so in der spezifisch paulinischen Grundüberzeugung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘. Durch die Rede von der Gnade und ihrer Näherbestimmung durch die Kraft Gottes bzw. Christi wird Gott in Christus als das alleinige Subjekt des Handelns gezeichnet, der Apostel dagegen als ein irdenes Gefäß283, in dem die Kraft Christi einwohnt, 279 

Vgl. auch Gal 6,14f. und dazu Lambrecht, Boasting, 335. Dazu s. o. Anm. 269 sowie bes. ebd., 337–339. 281  Seifrid, Letter, 453. 282  Guthrie, Corinthians, 593, spricht hier darum von Synonymität. 283  Vgl. 2Kor 4,7; zum Bild vom Schatz in irdenen Gefäßen vgl. Wolff, Der zweite Brief, 91, und Schmeller, Brief, 1 255f., der die tönernen Gefäße explizit auf den „schwachen, zerbrechlichen Menschen“ deutet. Zu den von beiden Autoren hierzu aufgeführten alttestamentlichen Stellen sind die Belege aus der Qumranliteratur hinzuzu280 

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die ihn zum Handeln befähigt. Dieses tönerne Gefäß, das, aus der Kraft Gottes lebend, befähigt ist, die Werke eines Apostels zu wirken (2,12), bezeichnet Paulus in 12,11b als ein „Nichts“. 284 Diese Selbstaussage ist Teil der Aussage: „Denn in nichts habe ich hinter den Superaposteln zurückgestanden, auch wenn ich nichts bin (οὐδέν εἰμι)“. Mit ihr begründet Paulus, warum er von der Gemeinde eigentlich hätte empfohlen (συνίστασθαι) werden müssen. Die Aussage ist, wie neuerdings hervorgehoben wird, doppeldeutig. 285 Mit Blick auf die Überapostel ist sie in hohem Maße ironisch286, da sich Paulus trotz der von ihm betonten Ebenbürtigkeit den Superaposteln, die er auf der expliziten Ebene nur im Dienen zu überbieten beansprucht, grundsätzlich überlegen weiß, weil Christus in ihm einwohnt und ihn zu einem christusgemäßen Apostolat befähigt. Im Blick auf Gott aber ist die Aussage gänzlich unironisch 287, da der Apostel in seinen Schwachheiten (v10) in der Tat „nichts“ ist288, „mächtig“ dagegen allein durch die in ihm wohnende Kraft Christi (v9f.). Insofern ist seine Aussage, ein Nichts zu sein, das anthropologische Korrelat zur Wirkmacht Gottes in seinem Apostolat. Die Doppeldeutigkeit der Aussage οὐδέν εἰμι erschließt erst vollständig die Pointe ihrer ironischen Seite: Indem Paulus in eben jenem Zusammenhang, in dem er seine Ebenbürtigkeit mit den Superaposteln herausstellt, gleichermaßen ironisch wie nichtironisch seine Nichtigkeit betont, schließt er die Gegner in seine eigene Nichtigkeit vor Gott ein. 289 Vor diesem Hintergrund ist auch 2Kor 12,9–11 als Aktualisierung von 1Kor 1,18–2,5 im Kontext eines neuen Konflikts zwischen Apostel und Gemeinde zu verstehen, in dessen Zentrum nun freilich nicht Einzelne aus der nehmen, in denen der Mensch als Staub (‫ ;עפר‬vgl. Gen 2,7) bezeichnet wird; dazu s. u. Kap. 2.3.2.3. 284 Vgl. Aejmelaeus, Schwachheit, 333. 285 Vgl. Thrall, Epistle, 2 837, Harris, Epistle, 872f., und Schmeller, Brief, 2 332. Zu einem Überblick über die Diskussion vgl. Thrall, aaO., 835–837. 286  Vgl. u. a. Bultmann, Brief, 233 („schärfste Ironie“), Wolff, Der zweite Brief, 251, und ähnlich Betz, Apostel, 121. 287  Demgemäß stellt Harris, Epistle, 873, unter Bezugnahme auf 1Kor 15,9 („der geringste der Apostel“) sowie auf den Gebrauch von ταπεινός in 2Kor 10f. und 1Kor 3,6f. fest, dass sich für 2Kor 12,11 die Frage nach einer Alternative von Ironie und Nichtironie nicht stellt: „Even if Paul’s primary intent was irony, he would gladly have acknow­ledged the truth that apart from God’s prospering of his service he amounted to nothing (1Cor 3,6–7)“. 288  Vgl. etwa die von Wolff, Der zweite Brief, 251, Anm. 383, aufgeführten Autoren. 289  Vgl. auch Betz, Apostel, 122. Betz, ebd., 130, hält es für „nicht unwahrscheinlich“, dass Paulus den Topos der οὐδένεια über das hellenistische Judentum, repräsentiert durch Philo von Alexandrien, „aufgenommen haben kann“. Den Topos selbst führt er auf die griechisch-hellenistische Tradition, u. a. vertreten durch Plato und Epiktet, zurück; s. ähnlich Lambrecht, Corinthians, 211, und Collins, Second Corinthians, 242f. Dazu s. aber im Folgenden sowie unten Kap. 3.5.

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Gemeinde stehen, sondern die gegnerischen Apostel. Übereinstimmungen gibt es insbesondere mit 1Kor 1,23f.26–31, teilweise aber auch mit den erörterten, diesen Grundtext interpretierenden Abschnitten aus 1Kor 3f. Die grundlegende Gemeinsamkeit besteht im ‚Subjektcharakter‘ Gottes, der sich hier wie dort im Begriff der δύναμις verdichtet, die in der Person Jesu Christi wirksam wird. In dieser Kraft wendet sich Gott dem Niedrigen zu und das heißt zugleich: dem, was ‚nichts‘ gilt290, den Vielen in der Gemeinde und den Lehrern des Evangeliums, allen voran Paulus selbst. Zugleich verwirft Gott diejenigen, die nach den herrschenden Maßstäben in Geltung stehen. 291 Mit den betreffenden Personen verwirft er zugleich die Werte, die die Kontrahenten des Apostels seiner Darstellung nach jeweils mit der hellenistisch-römischen Mehrheitskultur teilen. Der Dynamis-Erweis Gottes an den Niedrigen enthüllt damit zugleich die Wahrheit über den Menschen. Er ist aus sich selbst heraus nichts, sondern lebt ganz aus Gott. Deshalb kann es aus der Sicht des Paulus kein sich-selbst-Rühmen des Menschen geben. Sein Ruhm ist Gott, der sich in Christus am Menschen als machtvoll handelnd erweist. Dieser in beiden Zusammenhängen vertretenen Grund­ anschauung entspricht es, dass hier wie dort zwischen einem legitimen und einem illegitimen Rühmen unterschieden wird. Paulus nimmt beide Male die Rolle des exemplarischen Menschen ein, der im Gegensatz zu seinen jeweiligen Kontrahenten in Auftreten und Verhalten die Offenbarung Gottes im Gekreuzigten spiegelt. 2.3.2.3 Traditionsgeschichtliche Erwägungen zu 2Kor 10–13 Wie in 1Kor 1–4 rezipiert Paulus auch in 2Kor 10–13 sowohl biblisch-jüdische als auch griechisch-römische Tradition. 292 Während die Bezüge zur antiken Rhetorik in diesen Kapiteln nicht zu übersehen sind (2), nimmt er biblisch-jüdische Tradition deutlich zurückhaltender auf (1). (1) Was den biblisch-jüdischen Traditionsbereich anbelangt, so fällt auf, dass in den erörterten Abschnitten von 2Kor 10–13 abgesehen von 2Kor 10,17/Jer 9,22f. LXX und 1Sam 2,10 LXX kaum Anspielungen auf spezifische alttestamentliche Texte zu finden sind. Die für die Anthropologie von 2Kor 10–13 kennzeichnende Motivverbindung von Macht Gottes und Nichtigkeit des Menschen ist freilich in der biblisch-jüdischen Tradition tief verankert. Sie verweist auf die alttestamentliche Niedrigkeitsanthropologie. 290 Vgl. τὰ μὴ ὄντα (1Kor 1,28), οὔτε ὁ φυτεύων (sc. Paulus) ἐστίν τι οὔτε ὁ ποτίζων (sc. Apollos; 3,7) und οὐδέν εἰμι (2Kor 12,11). 291  Auf diesen Zusammenhang zwischen 1Kor 1 und 2Kor 10–12 verweist Grässer, Brief, 2 206, im Anschluss an H. Merklein. Dass die Überapostel im Horizont des Gerichts stehen, klingt besonders in 2Kor 11,6.15 an. 292  Zu den Gründen s. o. Kap. 2.1.3 sowie speziell zur Rhetorik die Bemerkungen in Kap. 2.3.2.2.

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Grundgelegt insbesondere in den Psalmen, wird sie im Frühjudentum intensiv rezipiert, und zwar im griechisch- wie auch im hebräischsprachigen Judentum. Der biblische Befund ist bereits angeklungen 293, weitere Aspekte desselben sowie der jüdisch-hellenistische Befund werden im Philo-Kapitel (Kap. 3) thematisiert. Im Zusammenhang mit 2Kor 10–13 werden im Folgenden dagegen vor allem Texte aus dem hebräischsprachigen Judentum, namentlich der Qumran- und der Hekhalotliteratur, erörtert, die sich insbesondere mit 2Kor 12 berühren und den Gegensatz von Macht Gottes und Schwachheit des Menschen explizit zum Thema machen. Das Frühjudentum knüpft in dieser Frage an biblische Aussagen wie an die bereits berührte, besonders prägnant formulierte Stelle 1Sam 2,9 an. Hier wird ähnlich wie in 2Kor 12,9–11 herausgestellt, dass Kraft allein aufseiten Gottes liegt, menschliche Kraft darum immer abgeleitete, von Gott gegebene Kraft ist: „Denn durch (eigene) Kraft ist ein Mann nicht stark (‫ כי־לא בכח יגבר־איש‬/ ὅτι οὐκ ἐν ἰσχύι δυνατὸς ἀνήρ)“. 294 Denn Stärke etc. verdankt sich, wie das Hannahlied zu betonen nicht müde wird, allein dem Handeln Gottes. 295 Vergleichbare Aussagen zur Schwachheit des Menschen im Gegenüber zur überragenden Macht Gottes finden sich auch in den Qumran-Texten wiederholt. In 1QM 11,2–5 wird dieses Grundmotiv im Kontext des militärischen Kampfes verarbeitet. Das machtvolle Eingreifen Gottes zugunsten der Seinen hat seinen Grund ausschließlich in Gott selbst. Der Heilige Israels überlieferte Goliath in die Hand Davids, weil dieser „auf deinen großen Namen vertraute (‫ )בטח‬und nicht auf Schwert und Spieß. Denn dein ist der Kampf. Und die 3 Philister demütigte (‫ )הכנ]י[ע‬er viele Male mit deinem heiligen Namen. Und auch durch unsere Könige hast du viele Male geholfen (‫ )הושעתנו‬4 um deines Erbarmens (‫ )רחמיכה‬willen, und nicht nach unseren Werken, die wir übel getan haben, und nach unseren Freveltaten. Dein ist der Kampf (‫)לכה המלחמה‬, und von dir ist die Stärke (‫ )מאתכה הגבורה‬5 und nicht unser (‫)ולוא לנו‬. Und nicht unsere Kraft (‫ )ולוא כוחנו‬und die Stärke (‫ )ועצום‬unserer Hände haben Macht ( ‫ )חיל‬erwiesen, sondern (‫ )כיא‬durch deine Kraft (‫ )בכוחכה‬und durch die Stärke (‫)ובעוז‬ deiner großen Macht (‫)חילכה‬.“

Nach diesem Text gründen die Siege, die Israel in seiner Geschichte errungen hat, allein in Gott selbst, der ihm aus Erbarmen zu Hilfe kommt. Menschlicherseits kommt es ausschließlich auf das Vertrauen auf den Namen Gottes 293 

S.o. Kap. 2.1.3. Mit Blick auf das Wortfeld von 2Kor 12,9f. ist zu beachten, dass in 1Sam 2, bezogen auf das Handeln Gottes besonders an seinen Widersachern, auf die zitierte Aussage in v10 LXX die Wendung ἀσθενῆ ποιήσει folgt; vgl. auch v4. Vgl auch ­H eckel, Kraft, 211.296, der zudem auf Joel 4,10 verweist. Vgl. ferner PsSal 16,11–15 und dazu ebd., 287. 295  Zu 1Sam 2,9 in seinem Kontext s. o. Kap. 2.1.3. 294 

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an, und das heißt zugleich: nicht auf die eigenen Werke, die übel sind, und die eigene Kraft. Besonders häufig wird der Gedanke der Nichtigkeit des Menschen im Gegenüber zur Macht Gottes im Kontext der theologischen Anthropologie in 1QH entfaltet. Einige wenige Hinweise müssen hier genügen. 296 Zu den besonders aussagekräftigen Texten gehört 1QH 17,13–17, wo der Beter zunächst bekennt, dass es angesichts der Niedrigkeit des Menschen, die durch Bedrängnisse und Sünde gekennzeichnet ist, Hoffnung allein aufgrund der Güte bzw. Gnade Gottes (‫)חסדיכה‬297 und der Fülle seiner Kraft (‫)רוב כוחכה‬ gibt. Gemessen an der Vollkommenheit Gottes erweist sich im göttlichen Gericht niemand als gerecht, mögen sich die Menschen mit Blick auf ihre Gerechtigkeit, Klugheit, Ehre und Geistkraft auch noch so stark unterscheiden. Allen Menschen, auch den herausragendsten, stellt der Beter die unvergleichliche Größe Gottes antithetisch gegenüber: „Doch deiner Macht ist nichts an Kraft gleich, und für deine Ehre gibt es keinen [Preis], und für deine Weisheit gibt es kein Maß, und für [deine] Wahrheit [gibt es keinen …]“ (z16f.). 298

1QH 18,3–14 argumentiert im Grundsatz ähnlich, interpretiert die Grundfigur aber nach beiden Seiten eigenständig. Anthropologisch ist hier nicht die Sünde des Menschen im Blick, sondern seine fundamentale Schwachheit.299 Der Mensch ist Staub und Asche (‫ ;עפר ואפר‬z7). Als solcher weiß er sich in seinen grundlegenden Lebensäußerungen, seinem Denken, Planen und Stehvermögen, seiner Einsicht, seinem Sprechen und Antworten von der Hilfe Gottes abhängig, ohne die er nichts vermag (z7–9). Die unvergleichliche Größe Gottes verdeutlicht der Beter im Folgenden aber nicht allein im Vergleich zum Menschen im Allgemeinen, sondern auch im Verhältnis zu Herrschern und Gewalten: „Siehe, du bist Fürst (‫ )שר‬der Götter und König (‫ )מלך‬der Geehrten, Herr (‫ )אדון‬für jeden Geist und Herrscher ( ‫ )מושל‬über jedes Werk. 11 Ohne dich (‫ )ומבלעדיכה‬wird überhaupt nichts getan und nichts wird ohne deinen Willen (‫ )רצונכה‬erkannt. Keiner 296 

Zum Ganzen vgl. bes. Lichtenberger, Studien, sowie Barré, Qumran. Begriff wird seinem Bedeutungsspektrum entsprechend unterschiedlich wiedergegeben. Maier, Qumran-Essener, 93, übersetzt „[G]nade“, Lohse, Texte, 147 (Zählung Sukenik 9,14), „[Ba]rmherzigkeit“, García Martínez/Tigchelaar, Scrolls, 185, „kindness“. 298 …[ ‫ ת]כה אין‬m‫ ;וכגבורתכה אין בכוח ולכבודכה אין] מחיר ו[לחכמתכה אין מדה ולא‬zit. nach Qimron, ‫מגילות‬, 84. 299  Diese Unterscheidung ist auch mit Blick auf das corpus paulinum von Interesse. Die Sünde gehört zu den Zentralbegriffen im Römerbrief, während der Terminus der Schwachheit in der Korintherkorrespondenz dominiert. Wie für die Qumraniten bezeichnen diese Begriffe auch für Paulus die beiden Seiten ein und derselben Medaille, nämlich der Niedrigkeit des Menschen. 297 Der

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ist außer dir 12 und keiner mit dir an Kraft (‫)כוח‬, keiner entspricht deiner Herrlichkeit (‫)כבודכה‬, und für deine Macht (‫ )גבורתכה‬gilt kein Preis. Und welches 13 von all deinen großen Wunderwerken verfügt (schon) über die Kraft, sich hinzustellen vor deine Herrlichkeit? 14 Was ist er (sc. der Mensch) schon – er kehrt zurück zu seinem Staub (‫– )עפרו‬, dass er die Kraft (‫ )כוח‬dazu aufbrächte? Allein zu deiner Ehre hast du dies alles getan.“300

Was nach diesem Text von der Größe Gottes im Vergleich zu Herrschern und Gewalten gilt, trifft umso mehr auf das Verhältnis von Gott und Mensch zu. Dieser ist Staub, darauf angewiesen, dass Gott ihm mit seiner Stärke helfend zur Seite tritt. Demgemäß heißt es in 1QH 23,8f., dass Gott seine Macht erweist „mit der Rechten (s)einer Stärke, um die Geringen (‫ )דלים‬mit der Kraft (s)einer Macht zu führen“. 301 Als Grund für das machtvolle Handeln Gottes zugunsten des schwachen Menschen treten in den ausgewählten Texten zwei Motive hervor, seine Güte bzw. Gnade einerseits und sein heiliger Name andererseits. So zeigt sich, 2Kor 12,9–11 vergleichbar, auch hier der Zusammenhang von göttlicher Gnade und Machtentfaltung, die sich an dem Nichtigen, an Staub und Asche, manifestiert. 302 Die für Paulus in diesem Kontext konstitutive Verbindung mit dem Selbstruhm zeigt sich in den Qumrantexten nicht. In eigener Weise artikuliert sich die für Paulus zentrale Vorstellung der Niedrigkeit des Menschen im Gegenüber zur überragenden Macht Gottes zudem in Texten der protorabbinischen Mystik, die auch sonst eine auffällige Nähe zu 2Kor 12,1–12 aufweisen. Von besonderer Bedeutung ist hier die von R. Jischmael weitergegebene Warnung des Gegenwartsengels, sich im Zusammenhang mit visionären Erfahrungen nicht selbst zu erheben. Sie folgt unmittelbar auf die Schilderung einer Offenbarung, in der der Rabbine ermächtigt wird, die Namen der sieben Torhüter der sieben Hekhalot auszusprechen. R. Yishma’el sagte: ŠQDH . WZYH (‫)שקדחוזיא‬, der Engel des Angesichts, sprach zu mir: Sohn von Stolzen (‫)בן גאים‬, zeige dich nicht stolzer (‫ )אל תתגאה‬als all deine Gefährten und sage nicht: Von allen bin nur ich würdig (‫)זכיתי‬, denn nicht aufgrund

300  Übersetzung im Anschluss an Maier, Qumran-Essener, 96f. Die Zeilenzählung orientiert sich an der Ausgabe von Qimron, ‫מגילות‬, 86. 301  ‫בימין עוזכה לנהל דלים בכוח גבורתכה‬. Gesenius/Buhl, 162, s. v. II.2, geben den Begriff ‫ דל‬mit „gering, schwach, unbedeutend“ wieder. 302  Vgl. ferner 1QH 19,6–17 (Qimron) = 19,3–14 (García-Martínez/Tigchelaar). Dieser Text setzt mit der Bestimmung des Menschen als „Staub (‫ “)עפר‬ein, um sodann zu bekennen, dass das Erkennen der Wunderwerke Gottes wie auch sein Lobpreis dem Menschen von Gott gegeben sind. Das so von Gott ermächtigte Ich besingt die „Güte (‫ “)חסדיכה‬bzw. „Gnade“ (s. o. Anm. 297) Gottes und bedenkt seine Stärke (‫ ;גבורתכה‬z8).

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deiner Kraft (‫ )מכחך‬und aufgrund deiner Macht (‫( )ומגבורתך‬besteht) es, (sondern) aufgrund der Kraft der Macht deines Vaters (‫)מכח גבורה של אביך‬, der im Himmel ist“. 303

Die Berührungen mit Paulus liegen auf der Hand. Da ist zunächst die Motivverbindung von Offenbarung und Selbsterhebung des Offenbarungsempfängers: R. Jischmael, charakterisiert als Sohn von Stolzen unter Stolzen, wird von dem direkt am Thron Gottes lokalisierten Engel vor Arroganz gewarnt. Dem entspricht in 2Kor 12, dass der auf Gott selbst zurückgeführte „Stachel im Fleisch“ den Apostel von Selbstruhm abhalten soll. 304 Damit verbindet sich hier wie dort der Hinweis auf die fundamentale Unterschiedenheit von Gott und Mensch: Macht liegt nicht beim Menschen, sondern bei Gott; auf diese Kraft ist und bleibt auch der Visionär und der Empfänger von Offenbarungen grundsätzlich angewiesen. Paulus erwähnt in diesem Zusammenhang den Gedanken der Würdigkeit nicht explizit. Er findet sich aber in dem sachverwandten Text 1Kor 15,9, wo sich Paulus ebenfalls im Offenbarungskontext als ὁ ἐλάχιστος τῶν ἀποστόλων bezeichnet: Ihm, dem Geringsten der Apostel, der nicht würdig (ἱκανός) ist, Apostel genannt zu werden, ist eine Erscheinung des Auferstandenen widerfahren. Umgekehrt findet der Gedanke der Schwachheit und Nichtigkeit, den Paulus in 2Kor 12,1–12 pointiert herausstellt, keinen Widerhall in dem zitierten Text aus MaMerk. Für dieses Motiv verweist C. Morray-Jones auf eine Tradition aus HekhR, der zufolge 303 Ma’ase Merkava (= MaMerk) = Schäfer, Synopse, § 584; Wiedergabe nach Schäfer, Übersetzung. III, 307. MaMerk gehören Morray-Jones, Ascent, 258, zufolge, zu den „seemingly later collections of hekhalot traditions“. Dies besagt, wie er ebd. unter Hinweis auf Schäfer betont, jedoch nichts für „questions of dating, priority, provenance and original meaning“, die an „individual units of tradition, not the ‚macroforms‘ themselves“ zu stellen seien. Morray-Jones, ebd., 259, geht im modifizierenden Anschluss an G. Scholem und I. Gruenwald davon aus, dass die „esoteric traditions associated with the vision of God’s enthroned Glory …, including the practice of heavenly ascents, were indeed inherited from apocalyptic circles and enthusiastically developed by some Tannaim“. Paulus ist, so Morray-Jones im Anschluss an A.F. Segal, „a witness to the currency of a mystical tradition within first-century apocalyptic Judaism“ (ebd.). Paulus und die hier verhandelten Überlieferungen aus der Hekhalot-Literatur gebrauchen die „language of a common tradition, which … was already well-developed in the mid-first century CE“ (ebd., 281). 304  Vgl. auch HekhZ = Schäfer, Synopse, § 344, wo R. Akiva begründet, warum er anders als seine Gefährten seine Reise ins Paradies unbeschadet überstanden hat: „Nicht weil ich größer wäre als meine Gefährten (‫)גדול מחביריי‬, sondern (weil) meine Taten mich dazu führten, die Mishna zu erfüllen, die die Weisen in ihrer Mishna lehrten: Deine Taten werden dich heranführen, deine Taten werden dich fernhalten“ (mEd 5,7; Wiedergabe nach Schäfer, Übersetzung. III, 11 [= § 344]). Bei HekhZ handelt es sich um die älteste Hekhalot-Sammlung „(‚macroforms‘)“. Der Text gibt vor, die mystischen Lehren R. Akivas zu vertreten (Morray-Jones, Ascent, 258).

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„den Aufrichtigen (‫ )לישרים‬und den Tauglichen (‫ לכש]י[רים‬305), den Demütigen (‫)לענוים‬ und den Frommen (‫לחסידים‬306), den Elenden (‫ )לעלובים‬und den Verständigen (‫)לנבונים‬, den Erwählten (‫לבחירים‬307) und den Ausgesonderten (‫ )לפרושים‬die Erlaubnis verliehen wurde, hinabzusteigen und hinaufzusteigen in die Merkava“. 308

Die vom Merkava-Visionär beanspruchte Autorität wird demnach „‚to the pure, to the humble, to the meek‘“ gegeben. 309 Demgemäß bestimmt Paulus die ihm von Gott verliehene apostolische Autorität als die dem Apostel in seiner Schwachheit verliehene Autorität. 310 Auch wenn die aufgezeigten Motive in 2Kor 12 und in den Hekhalot-Texten im Einzelnen in unterschiedlicher Weise verknüpft sind, so ist deutlich, dass der in 2Kor 12 betont herausgestellte Gegensatz von Macht Gottes und Schwachheit und Nichtigkeit des Apostels enge Bezüge zu Texten aus der mystischen Tradition des hebräischsprachigen Judentums aufweist. 311 Dies gilt es auch mit Blick auf Philo hervorzuheben. (2) Wie in Kap 2.3.2.2 verschiedentlich angedeutet, reflektieren die erörterten paulinischen Äußerungen zum Rühmen in 2Kor 10–13 Grundsätze der antiken Rhetorik. In der griechisch-römischen Literatur nimmt der Umgang mit dem Rühmen breiten Raum ein. Dabei wird zwischen einem legitimen und einem illegitimen Rühmen unterschieden. Paulus folgt dieser Unterscheidung, wie gesehen, in modifizierter Form. Im Folgenden werden zunächst die mit Blick auf Paulus zentralen Aspekte des illegitimen Rühmens in der antiken Literatur, namentlich bei Aristoteles, Quintilian und Plutarch, betrachtet. Ein solch illegitimes Rühmen schreibt der Apostel in der Korintherkorrespondenz, wie bereits erwähnt, seinen jeweiligen Kontrahenten zu, der Elite der Weisen in der Gemeinde in 1Kor, den Superaposteln in 2Kor. Für Aristoteles gehört das sich-selbst-Rühmen zu den „schimpflichen und Schande bringenden“ Handlungen (αἰσχρά … καὶ ἀναίσχυντα ; Rhet 2,6.11), ob derer man „Scham empfindet“ (αἰσχύνονται ; 2,6.1). Dazu zählt er u. a.: 305 

Ein MS liest stattdessen ‫( לעשירים‬den Reichen). Diese Gruppe wird in einem Teil der MSS nicht erwähnt. 307  Ein MS liest stattdessen ‫( לברורים‬den Reinen). 308  HekhR 2,22 = Schäfer, Synopse, § 92; Wiedergabe nach Schäfer, Übersetzung. II, 8 (= MS O1531). 309  Morray-Jones, Ascent, 275. 310  Auch andere Attribute entsprechen dem von Paulus entworfenen Selbstbild. Aufrichtigkeit und Verständnis reklamiert er für sich in der Auseinandersetzung mit den Superaposteln in 2Kor (vgl. 2Kor 11,6 [γνῶσις] und 2Kor 11,13, wo er den Gegnern vorwirft, im Unterschied zu ihm selbst „betrügerisch“ zu sein; dazu s. auch 2,17; 4,2). Dass er sich als berufener Apostel erwählt weiß, versteht sich von selbst. In Gal 1,15f. behauptet er im Kontext seiner Schilderung der ihm zuteil gewordenen Offenbarung ausdrücklich, Gott habe ihn ausgesondert (ἀφορίσας), und deutet dies als Berufung (καλέσας), die sich allein der Gnade Gottes verdankt. 311  Hier ist zudem an den Text HekhR 1,2 (= Schäfer, Synopse, § 82) zu erinnern, der in Kap. 2.1.3, Anm. 106, erörtert wurde. 306 

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„von sich reden (τὸ περὶ αὑτοῦ … λέγειν) und prahlen (ἐπαγγέλλεσθαι) und sich Verdienste anderer zuschreiben (τὸ τἀλλότρια αὑτοῦ φάσκειν); denn das sind Zeichen der Angeberei (ἀλαζονείας)“ (2,6.11).

Der Zusammenhang von Selbstruhm und Scham klingt bei Paulus in 1Kor 1,26–29 an. Die Weisen und Starken, die der Apostel hier im Blick hat, rühmen sich selbst, empfinden darüber aber offenbar keine Scham. Beschämt werden sie jedoch von Gott: Durch die Erwählung der Geringen, die nichts haben, dessen sie sich rühmen könnten, vollzieht er eine Beschämung der ruhmsüchtigen Elite. Die aristotelische Formulierung „sich (Verdienste) anderer zuschreiben“ ist vor allem mit Blick auf 2Kor 10,12–18 von Interesse, wo es, wie gesehen, um eben diesen Sachverhalt geht. Terminologisch berühren sich die beiden Texte im Begriff ἀλλότριος. Was Aristoteles unbestimmt formuliert, konkretisiert Paulus in doppelter Weise (v15f.): Die Gegner rühmen sich „fremder Mühen (ἐν ἀλλοτρίοις κόποις)“ und eines „fremden territorialen Programms (ἐν ἀλλοτρίῳ κανόνι)“. Indem er den gegnerischen Verkündigern vorwirft, sich fremder Verdienste zu rühmen, zieht Paulus im Horizont des aristotelischen Textes ihre moralische Integrität in Zweifel. Dahinter dürfte die Absicht stehen, bei den Adressaten des Briefs Abneigung gegen sie hervorzurufen. Dies verdeutlicht auch ein Abschnitt zur Frage des illegitimen Rühmens bei Quintilian, der zudem die zu erwartenden emotionalen Reaktionen beschreibt, die der Selbstruhm zur Folge hat:312 „15 Vor allem ist alles Großtun mit der eigenen Person (omnis sui … iactatio) ein Fehler, zumal jedoch beim Redner das Prahlen mit seiner Beredsamkeit (eloquentiae tamen in oratore praecipue), und es bereitet den Zuhörern nicht nur Widerwillen, sondern meistens sogar ein Gefühl des Hasses. 16 … Wer sich … über das Maß erhebt (qui se supra modum extollit), von dem glaubt man (creditur), er sei ein Unterdrücker und Verächter und mache nicht so sehr sich größer wie die anderen kleiner. 17 … Meistens indessen wird man das Großtun da antreffen, wo man sich eine falsche Geltung anmaßt (adrogantium falsam de se opinionem), jedoch auch bei echten Verdiensten (in veris) genügt das (eigene) Bewusstsein“ (Inst 11,1.15-17).

Quintilians Fazit zu seiner Abhandlung über das sich-selbst-Rühmen lautet folgerichtig: „Von anderen also sollen wir uns loben lassen (ab aliis ergo laudemur)“ (§ 22). Verschiedene der hier angesprochenen Aspekte finden in 2Kor 10–12 Widerhall. Das betrifft in § 15a zunächst ganz grundlegend das Großtun mit der eigenen Person, insbesondere das Prahlen mit der eigenen Eloquenz. Paulus nimmt diesen Topos in doppelter Weise auf, indem er zum einen auf 312  Die Wiedergabe folgt hier und im Folgenden der Übersetzung von Rahn, Quintilianus.

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das eigene rednerische Unvermögen hinweist313, zum anderen auf die Beredsamkeit der Superapostel, derer diese sich gerühmt zu haben scheinen. 314 In Übereinstimmung mit § 15b dürfte Paulus damit die Absicht verfolgen, den Widerwillen der Adressatenschaft gegen die Superapostel zu wecken. Den Ausführungen Quintilians in § 16 entsprechend wirft Paulus seinen Gegnern maßlose Selbsterhöhung vor, und wie der Römer darauf hinweist, dass Personen, die ein solches Verhalten an den Tag legen, gemeinhin als Unterdrücker beurteilt werden, stellt der Apostel in 2Kor 11,20 Selbsterhebung in eine Reihe mit Unterwerfung (καταδουλόω) und anderen Formen der Gewaltausübung. Auch das mit der Maßlosigkeit des Selbstruhms in § 16 verbundene ‚Kleinermachen‘ anderer hat sich bei Paulus gezeigt, insbesondere in 2Kor 10,12–18. Der von Quintilian in § 17 hergestellte Zusammenhang von rhetorischem Großtun und Anmaßung falscher Geltung war bei der Analyse der paulinischen Texte der Sache nach wiederholt zu beobachten. Schließlich findet auch Quintilians Forderung, sich loben zu lassen, statt sich selbst zu loben, bei Paulus Widerhall. In 2Kor 10,15 formuliert er die Hoffnung, dereinst aufgrund seiner missionarischen Errungenschaften von der Gemeinde überschwänglich gepriesen zu werden315, wohingegen er selbst sich jetzt nicht ins Maßlose fremder Mühen rühmt. Ein weiterer Aspekt des illegitimen Rühmens ist der griechisch-römischen Rhetorik zufolge, wie zu 2Kor 11,22 erwähnt, das Rühmen der Herkunft, das von Aristoteles wie von Quintilian thematisiert wird. Aristoteles zufolge ist das „Enkomion … eine Rede über Taten (ἔργων), und die Umstände dienen zur Beglaubigung, wie edle Abkunft (εὐγένεια) und Erziehung (παιδεία); denn es gilt als wahrscheinlich, dass von Guten gute Menschen abstammen und dass jemand, der so erzogen worden ist, derart sein werde. Daher behandeln wir im Enkomion auch nur solche, die Taten vollbracht haben“ (Rhet 1,9.33).

Die Herkunft darf danach nur gerühmt werden, wenn der Grund der Lobrede die Taten der zu rühmenden Person sind. Dabei versteht es sich nach dem Gesagten von selbst, dass die Herkunft nur im Rahmen des Fremdlobes eine das Lob unterstützende Funktion haben kann, nie im Kontext des Selbst­ruhms. Ähnlich ist auch nach Quintilian die Herkunft nur im Zusammenhang mit dem Handeln der zu lobenden Person zu thematisieren. Beim Lob auf Menschen wird man, so der Römer, mit „Vaterland, Eltern und Vorfahren“ beginnen. Jene können auf zweierlei Weise gelobt werden: 313 

Vgl. 2Kor 10,10; 11,6; vgl. auch 1Kor 1,17; 2,1.5. sagt dies zwar nicht explizit, deutet es aber in 2Kor 11,5f. an (dazu s. o. Kap. 2.3.2.2); s. ferner 2Kor 10,12b (dazu s. o. Kap. 2.3.2.1). Selbst wenn die Gegner nicht ausdrücklich mit ihrer Eloquenz geprahlt haben sollten, so ergibt sich Entsprechendes aus ihrer Kritik am λόγος ἐξουθενημένος des Paulus (10,10). 315  Vgl. ferner 2Kor 12,11. 314  Paulus

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„entweder wird es eine schöne Leistung sein, sich eines adligen Hauses würdig gezeigt oder aber ein weniger angesehenes Geschlecht berühmt gemacht zu haben durch seine eigenen Taten“ (Inst 3,7.10). 316

Bei Paulus reflektiert sich der rhetorische Topos des Lobes der Herkunft in eigener Weise. Im Gegensatz zu den beiden Lehrern der Rhetorik thematisiert er dieses in 1Kor 1 ebenso wie in 2Kor 11,22 nicht im Kontext des Fremdlobes, sondern des Selbstlobes. In 2Kor 11,22f. verbindet er die Herkunft den Regeln der Rhetorik gemäß mit den Taten, nämlich dem Dienst für Christus. Da er den Superaposteln, wie gezeigt, diesen Dienst abspricht, besteht ihr Ruhm faktisch allein im Lob eines Glücksumstands, dessen man sich nach den Regeln der Rhetorik nicht zu rühmen hat. 317 Paulus selbst macht sich im Rahmen seines törichten Rühmens zwar auch den Ruhm der Herkunft zu eigen, freilich mit ironischem Unterton. Tatsächlich besteht sein Ruhm im Dienst der Niedrigkeit. Dessen würden sich seine Gegner ebenso wenig rühmen wie Griechen und Römer. In pragmatischer Hinsicht geht es Paulus mit dem Hinweis auf das gegnerische Selbstlob aufgrund der Herkunft wiederum darum, die Superapostel zu desavouieren. Plutarch eröffnet seine Abhandlung zum Rühmen in Übereinstimmung mit Aristoteles und Quintilian mit der programmatischen Aussage: „Von sich selbst wie von einer bedeutenden und mächtigen (Person) zu anderen zu reden … gilt in der Theorie (λόγῳ) als anstößig (ἐπαχθές)“. Das in der Theorie Anstößige ist jedoch, wie er am Beispiel der Dichter Euripides, Pindar und Timotheus von Milet verdeutlicht, gängige Praxis (ἔργῳ; Mor 539a–b). Für andere aber sei nichts „lästiger als Selbstlob ([ἔπαινος] … ἑτέροις δὲ ὁ περὶ αὑτοῦ λυπηρότατον)“ (539d). Deshalb würden Leute, die sich selbst loben, allgemein für unverschämt (ἀναισχύντους) gehalten, müssten sie sich im Grunde doch bereits bei Fremdlob schämen (αἰδεῖσθαι ; 539d). 318 Wie ­­Aristoteles thematisiert so auch Plutarch den Zusammenhang von Selbstlob und Scham, auf den, wie oben gesehen, auch Paulus anspielt. 316  Entsprechend verfährt Quintilian in Inst 3,7.11–17 bei der Beurteilung der anderen vom einzelnen Menschen nicht zu beeinflussenden Gegebenheiten des Körpers und der Glücksumstände, für die er Reichtum (divitiae), Macht (potentia) und Einfluss (gratia) nennt (3,7.14). – Zum Topos ‚Über die Herkunft‘ vgl. auch Betz, Apostel, 97, und Winter, Philo, 189–191. 317  Auch Seneca wendet sich in Ep 41,6–8 gegen das Lob der eigenen Glücksumstände, eine ansehnliche Dienerschaft, ein schönes Haus, viel Geld. Zugleich aber erlaubt er das Lob dessen, was dem Menschen „eigen“ ist, und zwar als Selbstlob wie als Fremdlob: „Nemo gloriari nisi suo debet“, sowie „in homine quoque id laudandum est, quod ipsius est“ (§ 7). Dieses Eigene, das ihm nicht entrissen werden kann, sind freilich die allen Menschen gemeinsame vernünftige Seele (animus) und die Vernunft (ratio). Von ihnen heißt es: „Lauda in illo, quod nec eripi potest nec dari, quod proprium hominis est“ (§ 8). Zum Ganzen s. auch unten Kap. 6 und vor allem Kap. 8.2. 318  Es folgen weitere „commonly accepted reasons“ (Betz, De laude ipsius, 368) gegen das Selbstlob, die mit Blick auf Paulus aber nicht unmittelbar relevant sind.

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Das Lob dessen, der sich lobt, um von anderen gelobt zu werden, ist, so Plutarch, ein leeres Lob (κενὸς ἔπαινος) und „wird am meisten verachtet (καταφρονεῖται), weil es aus Ehrliebe (φιλοτιμίας) und unzeitiger Ruhmsucht (δόξης ἀκαίρου) zu kommen scheint“ (Mor 540a). Das, was Plutarch das leere Lob nennt, entspricht dem törichten sich-selbst-Rühmen des Apostels. Dieser lobt sich nicht zuletzt, um von der Gemeinde die ihm gebührende Wertschätzung zu empfangen. 319 Damit reklamiert er für sich das, was nach seiner Darstellung die Superapostel von der Gemeinde bekommen, die auf deren Selbsterhebung mit Wohlwollen zu reagieren scheint (11,20). Allerdings ist sich Paulus dessen bewusst, dass sein Buhlen um das Lob der Gemeinde ein törichtes sich-selbst-Rühmen ist, ein „leeres Lob“ also. So sehr er auf die Anerkennung der Gemeinde erpicht gewesen sein mag, so geht es ihm jedoch in erster Linie darum, die Gemeinde für sich wiederzugewinnen, und das heißt für ihn zugleich: sie für Christus wiederzugewinnen. Die Beanspruchung fremden Lobes, die bereits Aristoteles in seiner Rhetorik thematisiert, wird von Plutarch mit einigen Formulierungen problematisiert, die sich ebenfalls mit dem in dieser Frage relevanten Abschnitt 2Kor 10,12–18 berühren. Der Zusammenhang lautet bei ihm: „Wenn sie aber nicht einfach und für sich allein (καθ’ αὑτούς) gelobt zu werden suchen, sondern mit fremdem Lob (ἀλλοτρίους ἐπαίνοuς) wetteifern und es mit ihren (eigenen) Werken und Taten vergleichen, um (das Lob) anderer zu verdunkeln 320, fügen sie zu (ihrer) Eitelkeit (τῷ κενῷ) (noch) Neid und Bosheit hinzu. Wer nämlich in einen fremden Tanz (ἐν ἀλλοτρίῳ χορῷ) einen Fuß setzt, den erweist das Sprichwort als einen, der sich mit Dingen beschäftigt, die ihn nichts angehen321, und als lächerlich“ (Mor 540b).

Eben dies wirft Paulus in 2Kor 10,12–18 den gegnerischen Aposteln vor: Sie vergleichen sich mit ihm (v12), rühmen sich in fremden Mühen, das heißt mit dem Paulus gehörigen und ihnen also fremden Lob (v15f.), und verdunkeln so seine Erfolge. Die von Plutarch vorgenommene Beurteilung der Anmaßung fremden Lobes als Eitelkeit, Neid und Bosheit hat in dem paulinischen Text selbst kein Äquivalent. 322 Entsprechende Assoziationen konnte Paulus bei seiner mit den kulturimmanenten Regeln des Rühmens vertrauten Leserschaft aber voraussetzen. 323 319  Vgl. 2 Kor 10,15, allerdings im Kontext des maßvollen Rühmens. S. ferner 2Kor 12,11: Paulus hätte eine Empfehlung durch die Gemeinde als angemessen empfunden. 320  ἔργα καὶ πράξεις ἀντιπαραβάλλωσιν αὑτῶν ὡς ἀμαυρώσοντες ἑτέρους. – Pape, 1 257, gibt ἀντιπαραβάλλω mit „dagegenhalten, vergleichen“ wieder. 321  περίεργον; PLCL 7, 121, übersetzt „meddler“. Pape, 2 575, gibt das Adjektiv s. v. 1. u. a. mit „unnütz, ohne Noth Etwas thuend“ wieder, das Nomen περιεργία u. a. mit „Beschäftigung mit Dingen, die Einen Nichts angehen“. Die Grundbedeutung ist „sorgfältig“ bzw. „Sorgfalt“. 322  Vgl. aber 2Kor 11,13–15.20. 323  In Mor 540b–c fordert Plutarch, man solle denjenigen, die des Lobes unwürdig

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Für die paulinische Auseinandersetzung mit den gegnerischen Aposteln ist schließlich auch folgendes von Plutarch beschriebenes Fehlverhalten beim Selbstlob transparent. Danach ist derjenige, „der der Herabsetzung eines anderen das eigene Lob beimischt (ὁ μιγνύων ἔπαινον ἴδιον ἀλλοτρίῳ ψόγῳ) und durch die Ruhmlosigkeit (δι’ ἀδοξίας) des anderen Ruhm für sich selbst (δόξαν αὑτῷ) zu gewinnen sucht, völlig verhasst und lästig, weil er durch die Beschämung anderer (ἀσχημονοῦσιν ἄλλοις 324) seinen Ruhm suchen (ἐνευδοκιμεῖν) will“ (Mor 547a). 325

Wie in der Auslegung gesehen, zielen die zugleich für Paulus transparenten Selbstvergleiche der Gegner nicht zuletzt auf dessen Diskreditierung. Sie scheinen insbesondere an seiner fehlenden Beredsamkeit Anstoß genommen zu haben (2Kor 10,10). Plutarch erörtert in seiner Schrift über das Selbstlob nicht nur das sichselbst-Rühmen, sondern auch Fehlentwicklungen beim Fremdlob. Dazu gehört für ihn die Maßlosigkeit. In diesem Zusammenhang rät er den Adressaten von Lobeshymnen dazu, bei „übermäßigen Lobreden (ὑπερφυῶν … ἐπαίνων)“, die aus Schmeichelei geboren sind, mit Homer zu sagen: „‚Wahrlich, ein Gott bin ich nicht. Warum machst du mich den Unsterblichen ähnlich?‘“326 Stattdessen solle der Gelobte auf das „mäßigere (μετριώτερα)“ Lob dringen, wie zum Beispiel Unbestechlichkeit, Mäßigung, Einsicht und Menschenliebe. Dadurch verliere das wahre Lob nichts (Mor 543d). Sein Gegenbeispiel sind die „rhetorischen Sophisten (ῥητορικοὶ σοφισταί)“, die ihre Reden als „‚göttlich (θείως)‘“ und „‚übermenschlich (δαιμονίως)‘“ bejubeln lassen und sich damit um das Lob bringen, „maßvoll (μετρίως)“ und „menschlich (ἀνθρωπίνως)“ zu sein (543e). Plutarch sieht hier also die Gefahr der Selbstvergottung gegeben. 327 Paulus thematisiert das Problem der Selbstvergottung im Kontext des Rühmens nicht explizit. Wenn er in 1Kor 3 jedoch fordert, keiner solle sich sind, das Lob nicht dadurch entziehen, dass man sich selbst lobt. Vielmehr solle man ihr Betragen aufdecken und nachweisen, dass sie dieses Lob nicht verdient hätten. Betz, Apostel, 77, bemerkt zu dieser Stelle, dass Paulus „nach diesen Anweisungen“ gehandelt habe. Dies trifft allenfalls zum Teil zu. Es ist zwar richtig, dass er in 2Kor 10,12–18 wie auch in 11,16–12,10 die Gegner „ihres Scheinruhmes“ überführt, zugleich aber rühmt er sich in beiden Zusammenhängen auch selbst, in 2Kor 10,12–18 maßvoll, in 11,16–12,10, in der Rolle des Narren freilich, ähnlich maßlos wie die Gegner. 324 LSJ, 267, s. v. ἀσχημονέω, geben das Verb mit „behave unseemly, disgrace oneself“ (kurs.) wieder, das Nomen u. a. mit „discredit, disgrace“ (kurs.), das Adjektiv u. a. mit „unseemly, shameful“. 325  Diese Aussage weist auf Demosthenes (384–322 v. Chr.) zurück; vgl. Weise/­ Vogel, Plutarch, 1 920, Anm. 86. 326  οὔ τίς τοι θεός εἰμι· τί μ’ ἀθανάτοισιν ἐίσκεις; vgl. dazu Homer, Odyss 16,187 (81d). 327  Zur Selbstvergottung in der hier erörterten Schrift Plutarchs vgl. Betz, De laude ipsius, 373f.

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

mit Menschen rühmen (v21) und sich als Paulus- oder Apollos-Anhänger (v4) bekennen, und schließlich darauf hinweist, dass die Gemeinde nicht den Aposteln u. a. gehört, sondern Christus und in ihm Gott (v23), dann wirft er den Betreffenden damit indirekt vor, Menschen eine Würde zuzuschreiben, die nach seiner Ansicht allein Gott zukommt. In 1Kor 1,26–31 spielt das Thema der Selbstvergottung ebenfalls hinein. Wenn sich Menschen rühmen zu müssen meinen, obwohl Wirkmacht allein bei Gott liegt, maßen sie sich an, was allein Gott zukommt. Deshalb kann für Paulus ein sachgemäßes sich-selbst-Rühmen nur ein sich-Rühmen Gottes sein. Auch Philo thematisiert, wie gesehen, die Selbstvergottung im Kontext des Selbstlobes. 328 Neben dem illegitimen Selbstlob ist in 2Kor 10–12 das legitime Rühmen das zweite große Thema. Auch hierfür haben sich in der griechisch-römischen Rhetorik klare Grundsätze herausgebildet. In systematischer Weise wird es vor allem von Quintilian und Plutarch erörtert, die dabei wiederum auf frühere Autoren zurückgreifen. Quintilian beschränkt sich auf einige wenige Punkte. Auch wenn sein Grundsatz, wie gesehen, lautet: „Von anderen … sollen wir uns loben lassen“, so will er damit dennoch nicht behaupten, „dass ein Redner nicht zuweilen von seinen Taten sprechen dürfe (non aliquando de rebus a se gestis oratori esse dicendum)“. Als Beispiel nennt er Demosthenes, der „es dadurch gutgemacht“ habe, „dass er die Zwangslage (necessitatem), die ihn dazu nötige, darlegte, und so alle Abneigung auf den ablenkte, der ihn dazu gezwungen habe (coegisset)“ (Inst 11,1.22). Dieses Arguments bedient sich auch Paulus. Wie er in 2Kor 12,11 ausdrücklich sagt, haben ihn die Korinther dazu gezwungen (ὑμεῖς με ἠναγκάσατε), töricht zu werden, das heißt sich selbst zu rühmen, wo es doch an ihnen gewesen wäre, ihn zu empfehlen (ὑφ’ ὑμῶν συνίστασθαι). 329 Akzeptabel ist das Selbstlob Quintilian zufolge zudem dann, wenn die eigenen Taten anderen zugeschrieben werden. So habe M. Tullius (Cicero) seine „Unterdrückung der catilinarischen Verschwörung“ bald der „Tüchtigkeit des Senates … bald der Vorsehung der unsterblichen Götter“ zugeschrieben (Inst 11,1.23). Dieses Motiv findet sich in leicht veränderter Gestalt auch bei Plutarch, der dazu rät, den „Ruhm, gleich einer Last, entweder dem Glück oder der Gottheit zuzuteilen“ (τὸ μὲν εἰς τὴν τύχην τὸ δὲ εἰς τὸν θεὸν ἀποτίθεσθαι ; Mor 542e). 330 Entsprechend rühmt sich Paulus des ihm 328 

Dazu s. o. Kap. 2.1.3. Vgl. auch 2Kor 11,17, wo Paulus von „diesem (mir aufgezwungenen) Gegenstand des Rühmens“ spricht; so die Wiedergabe von Wolff, Der zweite Brief, 225, für ἐν ταύτῃ τῇ ὑποστάσει τῆς καυχήσεως. 330  Betz, De laude ipsius, 377, weist mit Blick auf das unanstößige Rühmen darauf hin, „that the author is primarily concerned with the ethical problem of the offensiveness of self-praise, while the rhetorical possibilities for inoffensive self-praise are only 329 

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von Gott zugeteilten Maßes (2Kor 10,13). In 2Kor 12,9f. rühmt er sich seiner Schwachheiten, nicht freilich um ihrer selbst willen, sondern weil nur so die Kraft Christi in ihm Wohnung nehmen und ihn so mächtig machen kann. Legitim ist das Selbstlob in der Rhetorik ferner bei Anfeindungen. Quintilian erläutert dies wiederum am Beispiel von Cicero. Dieser habe „(m)eistens … nur gegen seine Gegner und Verleumder für sich selbst mehr in Anspruch“ genommen (plus vindicat sibi), „denn er musste seine Taten dann verteidigen (tuenda), wenn sie ihm zum Vorwurf gemacht wurden“ (Inst 11,1.23f.). Anfeindungen sind auch bei Plutarch eine grundlegende Voraussetzung für die Legitimität des Selbstlobes. 331 „Sich selbst zu loben ist erstens (dann) völlig in Ordnung 332, wenn du dies tust, um dich gegen eine Anschuldigung (διαβολήν) oder Anklage (κατηγορίαν) zu verteidigen (ἀπολογούμενος)“ (Mor 540c). Der übliche Effekt eines solchen Selbstlobs besteht Plutarch zufolge darin, dass die Hörer solcher Prahlereien (μεγαλαυχίαις), wenn diese denn zuverlässig und wahr sind, „hingerissen sind (ἐπαίρονται), sich ergötzen und begeistert sind“ (540d). Von den gegnerischen Aposteln angegriffen333, befindet sich auch Paulus in einer Verteidigungssituation (2Kor 12,19), die ein Selbstlob rechtfertigt. Wie bei Plutarch verbindet sich damit auch bei ihm die Erwartung einer Veränderung aufseiten der Adressaten. Er erhofft sich davon die Erneuerung des Gehorsams der Gemeinde gegen Christus und damit zugleich ihres Verhältnisses zu ihm selbst. 334 Ein weiterer Grund, der Plutarch zufolge das Selbstlob rechtfertigt, ist dann gegeben, wenn es einem positiven Zweck dient. Drei Absichten werden genannt: erstens Ermunterung, Eifer und Ehrgeiz (544d); zweitens, um die Hörer „in Furcht zu versetzen und in Schranken zu verweisen und den Anmaßenden und Dreisten zu demütigen (ταπεινῶσαι) und niederzuhalten“ (544f.). 335 Drittens ist es dann erlaubt, wenn das Lob, das anderen zuteil wird, „Schaden anrichtet und korrumpiert und Eifer für das Schlechte hervorruft und zu schlechte(n) Vorsätz(en) in wichtigen Dingen (ἐν πράγμασι μεγάλοις) (führt)“. In diesem Fall soll das Selbstlob den Zuhörer „zum Besseren“ führen, „indem es den Unterschied aufzeigt“ (545d). Ein verfehltes Lob wird am besten dadurch widerlegt, dass „das wahre danebengestellt wird“ used for argumentative purposes. His intention is not to recommend inoffensive selfpraise, but to avoid its offensiveness. In effect this means for him the avoidance, if pos­ s­ible, of open self-praise altogether“ (tw. kurs.). 331  Entsprechendes scheint auch Dionysius von Halicarnassus (30–8 v. Chr. in Rom lehrend) vertreten zu haben; vgl. Forbes, Comparison, 8. 332  ἀμέμπτως; die Grundbedeutung ist laut Pape, 1 121, „nicht getadelt, tadellos“. Das Wort kann zugleich „vollkommen gut“ bedeuten. 333  Vgl. bes. 2Kor 10,1–6.10. 334  Vgl. bes. 2Kor 10,15f.; 12,19–13,10. 335  Diese beiden Rechtfertigungen für das Selbstlob finden sich auch in der 57. Rede von Dio Chrysostomos; vgl. dazu Forbes, Comparison, 9.

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

(545f.). Alle drei Absichten sind auch in 2Kor zu erkennen. Dem ersten von Plutarch genannten Grund entsprechend zielt das apologetische Rühmen des Apostels auf die Auferbauung der Gemeinde. 336 Dem zweiten Grund gemäß steigt er in den Wettstreit der Toren im Rühmen mit der Absicht ein, die Gegner und diejenigen in der Gemeinde, die sich an sie halten, in Schranken zu weisen. 337 In Übereinstimmung mit Plutarchs drittem Grund tritt er in diesen Wettstreit ein, weil er die Gemeinde durch den Ruhm der gegnerischen Apostel gefährdet sieht und Schaden von ihr abwenden will. Wie es Plutarch empfiehlt, stellt er dem gegnerischen Rühmen sein eigenes ‚wahres‘, und das heißt für ihn: sein christusgemäßes Rühmen entgegen. Mit Blick auf Paulus ist aus Plutarchs Schrift über das Selbstlob schließlich auf die psychologisch-anthropologischen Voraussetzungen des menschlichen Drangs, sich selbst zu loben, einzugehen. Dies zu verstehen, trägt dem Philosophen zufolge dazu bei, das „unzeitige Selbstlob (τὸ ἐπαινεῖν … ἑαυτόν)“ zu vermeiden. Ursache und Ausgangspunkt (ὁρμητήριον338) des sich-selbstRühmens (περιαυτολογία) ist die menschliche Selbstliebe (φιλαυτίαν). 339 Diese wird beim „fremden Lob“, das heißt bei dem einem anderen geltenden Lob, geweckt, so dass selbst Leute, die für gewöhnlich ein nur mäßiges Interesse an Ruhm haben (μετρίως ἔχειν πρὸς δόξαν), die Neigung in sich verspüren, von sich selbst zu reden (546b). Ein erster Grund, warum die menschliche Ehrliebe sich im Selbstlob äußert, ist das Lob anderer (ἐν τοῖς ἀλλοτρίοις ἐπαίνοις). Dann „ergreift eine gewisse unwiderstehliche Begierde und ein Drang nach Ruhm (das Selbst), das gereizt und gekitzelt ist wie von einem Jucken, von einer unwiderstehlichen Begierde und (einem unwiderstehlichen) Drang nach Ruhm ergriffen, besonders (dann), wenn ein anderer für (Dinge) gelobt wird, in denen er (dem ehrliebenden Selbst) gleich (ἐπὶ τοῖς ἴσοις) oder unterlegen (τοῖς ἐλάττοσιν) ist“ (546c).

Dass auch Paulus angesichts der Zuwendung der Gemeinde zu den konkurrierenden Aposteln, die von ihm sehr wohl im Sinne eines ‚fremden Lobes‘ verstanden worden sein dürfte, narzisstisch gekränkt war und er sich deshalb zum törichten sich-selbst-Rühmen hinreißen ließ, klingt in 2Kor 10–12 wiederholt an. Besonders deutlich ist dies in 2Kor 11,17f., wo er ausdrücklich einräumt, dass sein sich-selbst-Rühmen eine Reaktion auf das gegneri336 

Vgl. bes. 2Kor 12,19; s. ferner 10,8; 13,10. 2Kor 11,16–12,13. Den genannten Zweck formuliert er expressis verbis in 10,5f.; 13,2, aber ohne ausdrückliche Bezugnahme auf das Rühmen. 338  Pape, 2 381, s. v. 2, zufolge bezeichnet ὁρμητήριον den „Ort, von wo man ausgeht, besonders in der Kriegssprache, von dem aus ein Feldherr seinen Angriff macht, Operationsbasis“. 339  Der von Betz, Apostel, 76, behauptete Zusammenhang von φιλαυτία und Selbstvergottung u. a. wird in den von ihm erwähnten Stellen Mor 543d–f und 546d nicht hergestellt. 337  Vgl.

Kapitel 2: Paulus

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sche, von der Gemeinde positiv aufgenommene Rühmen ist und als solches dem Selbstlob κατὰ σάρκα der Superapostel entspricht. Die Zuwendung der Gemeinde zu den Gegnern wiegt für Paulus umso schwerer, als er sich ihnen in keiner Weise unterlegen sieht. 340 Auch dies berührt sich mit Plutarch. Auch wenn der Apostel keine expliziten psychologisch-anthropologischen Reflexionen über das Rühmen anstellt, dürfte er sich dieser Mechanismen ausweislich der Charakterisierung seines Selbstlobes als töricht und christuswidrig durchaus bewusst sein. Die Vielzahl der Übereinstimmungen zwischen Paulus und der griechisch-römischen Rhetorik zeigt 341, dass er mit ihren Regeln des Rühmens vertraut war und sie mit großer Kompetenz einzusetzen wusste. Als Teil des profan-antiken kulturellen Codes gehörte die Rhetorik zum Grundwissen zumindest der gebildeten Elite der korinthischen Gemeinde. Deshalb konnte Paulus davon ausgehen, dass sie die Darstellung seines eigenen wie des Rühmens der gegnerischen Apostel zu dechiffrieren wusste und verstand342, dass gemessen an den maßgeblichen kulturellen Normen der hellenistischen Gesellschaft das Rühmen der von ihnen verehrten Lehrer illegitim ist, während das von ihm praktizierte Rühmen trotz seiner theologischen Unangemessenheit zumindest in rhetorischer Perspektive legitim ist. 343 Davon bleibt unberührt, dass für das paulinische Verständnis des Rühmens Jer 9,22f. LXX und 1Sam 2,2–10 LXX von großer Bedeutung sind. Es ist die Vertrautheit mit beiden Traditionsbereichen, dem jüdischen wie dem profan-antiken, die es Paulus erst ermöglicht, mit „rhetorischer Eleganz und theologischer Virtuosität“ zu argumentieren344. Die Bevorzugung eines Traditionskomplexes auf Kosten des anderen345 widerspricht dem Befund.

340 

Vgl. 2Kor 11,22–23a; 12,11–13. Kowalski, Boasting, 274, sieht 2Kor 10–13 als Texte, die „should be read as speeches transmitted in a written form“ (tw. kurs.). Daraus würde sich die intensive Verwendung von Mitteln der gesprochenen Rede erklären. 342  Dass dies mehr als eine Vermutung ist, untermauert Mitchell, Perspective, mit dem Hinweis, dass mit Chrysostomos einer der antiken Paulus-Ausleger das paulinische Rühmen verteidigt, „by showing that he kept to the rules of rhetorical propriety as documented by Plutarch and extending back to Demosthenes“ (ebd., 370). 343  Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt neuerdings Smit, Paul, 359f., für das paulinische Rühmen in Phil 3,2–21. 344  ­H eckel, Kraft, 213. 345 So ­H eckel, ebd., dem zufolge „die traditionsgeschichtliche Erklärung aus dem Zitat von Jer 9,22f. und dem Sprachgebrauch der Septuaginta entschieden den Vorzug gegenüber einer rein formalen Herleitung aus dem hellenistischen Enkomienstil“ verdient (tw. kurs.). Ebd., 214, stellt er die These auf, dass „besonders die Parallelen von Plutarchs Traktat über das Selbstlob … die Schwierigkeiten des Selbstruhms“ erhellen. Dies kommt einer Unterbestimmung des Befundes gleich. 341 

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

2.4 Fazit Die verschiedenen von Paulus kritisierten Formen menschlicher Selbsterhebung über Gott – ob eine an menschlichen Maßstäben orientierte Gotteserkenntnis, ob Selbstruhm oder Orientierung am eigenen Ich – erklären sich aus der Tatsache, dass der Mensch Maß an sich selbst nimmt und nicht an Gott, und das heißt für Paulus zugleich: nicht an der in der Selbstoffenbarung Gottes im Kreuz Jesu Christi manifest gewordenen Bestimmung von Gott und Mensch. Hier hat sich Gott als der am Ohnmächtigen machtvoll Handelnde erwiesen, der Mensch dagegen als der, der aufgrund seiner Niedrigkeit ganz aus dem Empfangen lebt. Dies gilt zunächst in grundlegender Weise für Jesus Christus, den auferstandenen Gekreuzigten, selbst. Wie Paulus es in 2Kor 13,4 in großer Prägnanz formuliert, wurde Christus „aus Schwachheit gekreuzigt, aber er lebt aus Gottes Kraft“. Seine Niedrigkeit ist die des Menschen im Allgemeinen. Ihre Besonderheit liegt darin, dass sie selbstgewählte Selbsterniedrigung ist (Phil 2,7). Seine Auferstehung dagegen gründet ausschließlich in der Macht Gottes. Die hier grundgelegte Bestimmung von Gott und Mensch illustriert Paulus sodann vor allem an sich selbst. Er ist aus sich selbst schwach, aber weil es Schwachheit in Christus ist, wird in ihr zugleich die Kraft Gottes wirksam. 346 In 1Kor 1,26–28 spiegelt sich dies in der eschatologischen Neuschöpfung des Nicht-Seienden, die sich in der Erwählung der – sozial bestimmten – Geringen vollzieht. Für die Gemeinde als ganze zeigt sich das eschatologische Gotteshandeln in ihrem neuen Sein in Christus, den Gott zu ihrer Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung gemacht hat (1,30). 347 Damit ist zugleich das Leben aus dem Empfangen als die Signatur der christlichen Existenz bestimmt (4,7). Die umfassende Niedrigkeit einschließlich des Preisgegebenseins an den Tod 348 ist dabei Merkmal christlichen Seins, das Paulus für sich und die anderen Apostel reserviert, in denen sich die Schwachheit Christi direkt widerspiegelt. Das in diesen Ausführungen sichtbar werdende Gefälle von Gott und Mensch lässt sich in Aufnahme paulinischer Formulierungen auf den Nenner ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ bringen. Dem sich darin artikulierenden Subjektcharakter Gottes korrespondiert anthropologisch die Nichtigkeit des Menschen coram deo. Aus dieser Verhältnisbestimmung von Gott 346  Vgl. 2Kor 13,4; 12,9f. Während sich die Kraft Gottes nach 13,2–4 gegen die Korinther richten könnte (vgl. dazu Lambrecht, Boasting, 343–345, der hier von der „anticipative resurrection power“ spricht), bezieht sie sich in 12,9f. auf die Schwierigkeiten und Notlagen, denen sich der Apostel in seinem Apostolat gegenübersieht. 347  S. ferner bes. 2Kor 4,10–12.14f., wo die Bewegung des Lebens aus der Kraft Gottes von Christus über den Apostel bis hin zu den Korinthern beschrieben wird. Zum Ganzen vgl. auch Glancy, Knowledge, 45–57. 348  Vgl. 1Kor 4,9–13 und 1Kor 4,10–12; 6,4–10, bes. v4f.9f.; 11,23–27.

Kapitel 2: Paulus

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und Mensch folgt die Unmöglichkeit menschlichen sich-Rühmens. Weil der Mensch alles, was er ist, hat und zu tun vermag, aus Gott empfängt, ist dieser sein einziger Ruhm. Für den Menschen impliziert dies die Selbstbegrenzung auf das ihm von Gott zugeteilte Maß. Die skizzierte Erkenntnis der Wahrheit von Gott und Mensch hat sich Paulus in der Selbstbestimmung Gottes im Gekreuzigten erschlossen. Sie ist für ihn zugleich der hermeneutische Schlüssel für seine Lektüre der Schrift. Die von ihm rezipierten Schriftstellen entsprechen dem Gefälle der Kreuzestheologie, wie sie der Apostel in 1Kor 1,18–2,16 entfaltet. So interpretieren sich das Gotteshandeln in Jesus Christus und das Zeugnis der Schrift gegenseitig. Deshalb fasst seine Mahnung „nicht über das hinaus, was geschrieben steht“ die Konsequenzen der Selbsterschließung Gottes im Gekreuzigten für die Gemeinde prägnant zusammen.

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Kapitel 3

Philo Das Übermaß der Größe Gottes und die Nichtigkeit des Menschen als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung Wie in der Einleitung erwähnt, gibt es mit φιλαυτία bei Philo einen Begriff, der als Entsprechung zur paulinischen καύχησις gelten kann. Er repräsentiert im weiteren Kontext dieser Untersuchung die am Selbst orientierte Grundhaltung des Menschen in Antithese zu seiner Ausrichtung auf Gott. Seine lexikalische Grundbedeutung „Selbstsucht, Eigenliebe“1 greift in unserem Zusammenhang deshalb zu kurz. Aus diesem Grund bleibt der Begriff im Folgenden unübersetzt. Er bezeichnet bei Philo das Selbstbewusstsein des Menschen, der sich in widergöttlicher Weise als die Ursache seines eigenen Seins und Handelns begreift2 und sich damit an die Stelle Gottes setzt, der für Philo die Ursache von allem ist. Deshalb kann Philo die φιλαυτία auch als Selbstvergottung kritisieren bzw., was für ihn dasselbe ist, als die Abkehr vom wahren Gott. Der Wortstamm φιλαυτ- findet sich im corpus philonicum insgesamt 39-mal. 3 Philo hat den Begriff mit großer Wahrscheinlichkeit aus der aristotelischen Tradition übernommen, da er sich außerhalb ihrer in dem für Philo und das Neue Testament relevanten Zeitraum in größerem Umfang nur noch bei Philos spätem Zeitgenossen Plutarch findet4. In der LXX und 1 

Benseler, 963.

2 S. auch Deutsch,

La philautie, 95, der deren „signification religieuse“ herausstellt und sie als „l’amour de soi en tant que négation de Dieu“ bestimmt; s. ferner Warnach, Selbstliebe, 204, der die philonische φιλαυτία als „das gottfeindliche Denken bestimmt“. Ihre religiöse Dimension wird u. a. von Hausherr, Philautie, 24, Spicq, Êpitre, 773, und Daniel, De specialibus legibus, LVII, nicht hinreichend deutlich herausgestellt, auch wenn ihr Gegensatz zur Gottesliebe teilweise betont wird. 3  Davon entfallen 17 Belege auf das Nomen, 21 auf das Adjektiv und ein Beleg auf das Verbum. 4  Plutarch ist ca. 45 n.Chr. geboren. – Bei Aristoteles finden sich in den beiden hier relevanten Werken Rhet und NikEth 16 Belege für das Adjektiv, in dem wohl pseudo­ aristotelischen Werk Magna moralia 9. Bei Plutarch sind je 9 Belege für Adjektiv und Nomen nachgewiesen. In der stoischen Literatur findet sich kein Beleg. In größerem Stil wird der Begriff in der patristischen Literatur gebraucht.

Kapitel 3: Philo

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in den pseud­epigraphischen Schriften finden sich keine Belege, bei Josephus zwei5 und im Neuen Testament einer6. Im corpus philonicum zeigen sich zwei Verwendungsweisen des Begriffs, eine ethische und eine anthropologische. Der seltene ethische Gebrauch von φιλαυτία κτλ bei Philo schließt an Aristoteles an, der anthropologische hat gewisse Parallelen bei Plutarch. Vorgeprägt ist diese Verwendung allerdings bereits bei Plato, der in Leg 731d–732b wiederholt den Sachverhalt der anthropologisch konnotierten Selbstliebe anspricht, dafür aber noch nicht den späteren Begriff der φιλαυτία κτλ gebraucht, sondern ihn mit den Wendungen φίλος αὑτῷ, ἑαυτοῦ φιλίαν und φιλεῖν αὑτόν umschreibt. So heißt es hier: „Das größte von allen Übeln ist den meisten Menschen in die Seele eingepflanzt, für das sich jeder Verzeihung gewährt und sich (darum) um keinerlei Ausflucht bemüht. Es besteht darin, dass, wie man sagt, jeder Mensch von Natur aus sich selbst liebt (ὡς φίλος αὑτῷ πᾶς ἄνθρωπος φύσει τέ ἐστιν), und dass es in Ordnung ist, so sein zu müssen“.7

Philo folgt Plato nicht nur in der anthropologischen Deutung der Selbstliebe8, sondern auch in ihrem Verständnis als des größten Übels. Die bei Philo damit verbundene theologische Interpretation der φιλαυτία ist seine Innovation.9 Ausgangspunkt der Textauswahl in diesem Kapitel ist das Auftreten des Begriffs φιλαυτία κτλ . Von hier aus werden weitere Kreise gezogen. Dabei spielen die von R. Bultmann genannten Synonyme zu φιλαυτία , nämlich „die Begriffe … οἴησις, ἀλαζονεία , ὑπεροψία , κενοδοξία , τῦφος, φυσᾶσθαι ua.“10, eine entscheidende Rolle. Wie in der Einleitung erwähnt, geht es dabei vor jeder komparativen Abzweckung zunächst allein darum, die ausgewählten Texte in ihrem jeweiligen Kontext zu Gehör zu bringen. Erst danach wird mit Blick auf die übergeordnete Fragestellung dieser Untersuchung für jede Einzeltradition nach möglichen Bezügen zu den in Kap. 2 bearbeiteten Texten aus der Korintherkorrespondenz gefragt.

 5 

Vgl. Ant 3,190 (in positivem Sinn); 5,215 (in negativem Sinn). 2Tim 3,2.  7  Übersetzung in Anlehnung an Otto, Platon, 6 109. Vgl. dazu auch Deutsch, La philautie, 88f.  8  In der Fortsetzung entfaltet Plato die Selbstliebe dann aber ethisch. Er beurteilt sie, wie später Philo, ausschließlich negativ, während Aristoteles zwei Formen der Selbstliebe unterscheidet, eine positive und eine negative; vgl. bes. NikEth 9,8. Zu Plato und Aristoteles vgl. Warnach, Selbstliebe, 202f., und Deutsch, La philautie, 88–91.  9  Vgl. auch ebd., 96. 10  Bultmann, καυχάομαι, 648. Zu weiteren Begriffen, die die philonische φιλαυτία konkretisieren, vgl. Zeller, Charis, 114. Ebd., Anm. 322, weist er darauf hin, dass καύχησις bei Philo nur einmal vorkommt, und zwar in Congr 107: μὴ καυχήσει καὶ οἰήσει φυσωμένοις.  6 

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

3.1 Die Verabsolutierung von Vernunft und sinnlicher Wahrnehmung Die Loslösung der Vernunft und der sinnlichen Wahrnehmung von Gott, die für Philo der Inbegriff der φιλαυτία ist, gehört im corpus philonicum zu den wiederkehrenden Themen. Im Folgenden wird dies unter drei thematischen Gesichtspunkten entfaltet, die je auf ihre Weise Bezüge zu den erörterten paulinischen Texten aufweisen. 3.1.1 Die Selbstverabsolutierung des Menschen und die Erkenntnis Gottes Der ausführlichste Zusammenhang, in dem Philo die Verabsolutierung von Vernunft und sinnlicher Wahrnehmung in Verbindung mit der φιλαυτία-Begrifflichkeit erörtert, findet sich in De specialibus legibus 1,324–345 (Kap. 3.1.1.1). Dabei kommt er auch auf die Gotteserkenntnis der φίλαυτοι zu sprechen. Dem stellt er in § 345 die jüdische Gottsuche entgegen, die für ihn das antithetische Gegenstück zur φιλαυτία ist, entfaltet dies hier aber nicht im Einzelnen. Der paradigmatische Gottsucher ist für Philo Abraham. An ihm zeigt er in Abr 68–80 den Weg der Gott suchenden Seele, der diese zur Erkenntnis Gottes führt. Dabei kommt er auf verschiedene Aspekte der Gotteserkenntnis zu sprechen, die er in anderen Texten systematisch entfaltet und vertieft. Aufgabe von Kap. 3.1.1.2 ist es daher, ausgehend von Abr 68–80 die im weiteren Kontext dieser Untersuchung relevanten Aspekte der Gotteserkenntnis herauszuarbeiten. Abschließend wird der Anlage des Philo-Kapitels gemäß der philonische mit dem paulinischen Befund ins Gespräch gebracht (Kap. 3.1.1.3). 3.1.1.1 φιλαυτία als Verabsolutierung von Vernunft und sinnlicher Wahrnehmung In Spec 1,324–344 erläutert Philo die fünf nach Dtn 23,2–4 aus der Gemeinde Israels ausgeschlossenen Gruppen. Allegorisch gedeutet, handelt es sich dabei um fünf Spielarten der Gottlosigkeit (§ 327–344). Drei davon kennzeichnet ein falsches Gottesverständnis. Die einen leugnen die Ideen, die anderen die Existenz Gottes, während die dritten die Vielgötterei lehren (§ 327–332). Die vierte und fünfte Gruppe schließlich, denen hier das Interesse gilt11, machen sich der φιλαυτία schuldig, die für ihn ein „gewaltiges Übel“ (μεγάλου κακοῦ; § 333) darstellt (§ 333–344).12 Während die einen die menschliche Ver11  Wie die Länge der Abhandlung zeigt, gilt diesen beiden Gruppen das eigentliche Interesse Philos. 12  Bei den Übersetzungen der griechischen Texte des corpus philonicum handelt es

Kapitel 3: Philo

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nunft verabsolutieren, propagieren die anderen die Selbsttätigkeit der sinnlichen Wahrnehmung. Bei ersteren scheint Philo in erster Linie an Stoiker zu denken, bei letzteren an Epikureer.13 Die Anhänger der Vernunft schreiben ihr die Leitung (τὴν ἡγεμονίαν) und Regierung (βασιλείαν) der menschlichen Angelegenheiten zu und damit das, was Philo zufolge allein Gott zukommt. Dieses fehlgeleitete Verständnis der Vernunft beschreibt er in § 334–336. Zunächst charakterisiert er die überragenden Fähigkeiten der Vernunft in zeitlicher Hinsicht. Der νοῦς gilt als fähig, das Vergangene in Erinnerung zu bewahren (τὰ παρεληλυθότα μνήμῃ διασῴζειν), das Gegenwärtige sicher zu begreifen (τῶν παρόντων ἐρρωμένως ἀντιλαμβάνεσθαι) und das Zukünftige aufgrund von Vermutungen, die alle Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite haben, sich vorzustellen und auszurechnen (τὰ μέλλοντα εἰκότι στοχασμῷ φαντασιοῦσθαί τε καὶ λογίζεσθαι ; § 334). In diese Beschreibung scheint stoisches Gedankengut eingeflossen zu sein. Am deutlichsten zeigt sich dies für Philos Aussage über die Zukunft, die bis in die Formulierungen hinein Parallelen zur Wiedergabe der stoischen Auffassungen in Ciceros De divinatione durch dessen Bruder Quintus aufweist. Dieser unterscheidet in Verteidigung der stoischen Lehre von der Mantik wissenschaftliche Mantik von einer ekstatischen. Erstere wird folgendermaßen charakterisiert: „Kunstmäßigkeit findet sich nämlich bei denjenigen Wahrsagern, die neuen Erscheinungen (novas res) mit Hilfe von Vermutungen nachgehen, nachdem sie sich über die alten (veteres) durch Beobachtung kundig gemacht haben“. Anders gesagt, „ahnen“ sie „das Zukünftige (futura) … mittels Vernunft oder Vermutung aufgrund empirisch beobachteter Zeichen (ratione aut coniectura observatis ac notatis signis)“ voraus.14 In diesem Sinne

sich um eigene Übersetzungen, für die die im Literaturverzeichnis genannten Ausgaben konsultiert wurden. 13  Vgl. PCHAT, 2 103, Anm. 2; zum Ganzen s. auch im Folgenden. 14  Cicero, Div 1,34 (= Long/Sedley, Philosophen, 309 [42C]); s. ferner Cicero, Div 1,117–118 (= Long/Sedley, Philosophen, 310f. [42E]): „… dann ist es notwendigerweise so, dass die Menschen von den Göttern in der Tat Zeichen zukünftiger Ereignisse bekommen. Aber wir müssen natürlich spezifizieren, wie … ihre (sc. der Stoiker) Auffassung ist, dass die Welt von Anfang an so eingerichtet war, dass bestimmten Ereignissen bestimmte Zeichen vorausgehen… Diejenigen, die sie gut erkennen, werden selten getäuscht. Die Falschheit schlechter Vermutungen und schlechter Interpretationen geht nicht auf einen Fehler in der Welt zurück, sondern auf die Unkenntnis der Interpreten.“ S. ferner Cicero, Fat 11–14, und dazu Bobzien, Freedom, bes. 146–148. Die Fragestellung reicht bis Chrysipp zurück; zum Befund bei Epiktet vgl. Bonhöffer, Ethik, 44–46. – Die in den Übersetzungen vermerkten quellensprachlichen Begriffe sind oben und im Folgenden von der Vf.in ergänzt; wenn es sich dabei um von Long/ Sedley, Philosophen, übernommene Texte handelt, wird die Ausgabe von Long/Sedley, Philosophers. II, zugrunde gelegt. Die sonstigen nicht eigens ausgewiesenen Texte werden, wenn nicht anders vermerkt, nach den im Literaturverzeichnis genannten Ausgaben zitiert. Bei den nicht Long/Sedley entnommenen Texten aus SVF handelt es sich, sofern nicht anders vermerkt, um eigene Übersetzungen. Die lateinische Schreibweise ist vereinheitlicht.

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erlaubt die Vermutung in Verbindung mit dem vernünftigen Denken so auch Philos Vernunftanhängern Aussagen über die Zukunft.15

Mit Blick auf die hier interessierende Fragestellung ist besonders Philos Verwendung des Begriffs μνήμη für die menschliche Erinnerung aufschlussreich. In diesem Sinne wird er von dem Stoiker Chrysipp gebraucht, der sie als das „Einsammeln und Aufbewahren von Vorstellungen“ bestimmt.16 Demgegenüber gebraucht Philo für die menschliche Erinnerung normalerweise den Begriff der ἀνάμνησις, während μνήμη bei ihm im Anschluss an Plato „eine Gabe der Natur“ ist. Sie „kennzeichnet eigentlich gar keinen Menschen, sondern die göttliche oder himmlische Vernunft“.17 Indem Philo in § 334 den Begriff μνήμη verwendet, kennzeichnet er das Unterfangen der Vernunftanhänger gleich zu Beginn als menschliche Hybris. Die Herrschaft der Vernunft im Menschen wird im Weiteren nach ihren Hervorbringungen bestimmt (§ 335–337). Ihre Verfechter führen jedwede Tätigkeit des Menschen auf ihre Leitung zurück: vom Besäen und Bepflanzen des Bodens über die Erfindung der Handwerke bis hin zu den Wissenschaften und der Philosophie als dem höchsten Gut. In Übereinstimmung mit antikem philosophischem Denken unterscheidet Philo innerhalb der Philosophie drei Teile, nämlich Logik, Ethik und Physik (§ 336).18 Jeder davon ist für das menschliche Leben von Nutzen. Die Logik ermöglicht den bestmöglichen sprachlichen Ausdruck, die Ethik führt zur Verbesserung des Charakters, der Nutzen der Physik liegt in der „Erkenntnis von Himmel und Kosmos (ἐπιστήμην οὐρανοῦ τε καὶ κόσμου)“. Diese Wendung führt ins Zentrum der stoischen Naturphilosophie, zu deren zentralen Bestandteilen Kosmologie und Theologie gehören.19 Bei den Stoikern finden sich zahlreiche Bestimmungen von Himmel und Kosmos, die teilweise auch zur Größe ‚Gott‘ in Bezug gesetzt werden. Zeno definiert den „Himmel“ als den „äußersten Äther… Er umfasst nämlich alles außer sich selbst. Denn nichts umfasst sich selbst, sondern es umfasst anderes“20, nämlich die Erde und das, was auf ihr ist, das heißt Wasser und Luft, um 15  Bei Philo ist das Vernunftmoment sicher in dem Verbum λογίζομαι enthalten; es dürfte aber auch in der Wendung εἰκότι στοχασμῷ enthalten sein, die eine Entsprechung zum stoischen Analogieverfahren darzustellen scheint, das aus dem Alten das Neue erschließt. Auf stoisches Denken weist zudem der Begriff φαντασιοῦσθαι; dazu s. ausführlich unten Kap. 7.2.4. 16  SVF 1,64 (Chrysipp): μνήμη θησαυρισμὸς οὖσα φαντασιῶν; zur Wiedergabe von θησαυρισμός vgl. Pape, 1 1211, s. v. 17  Mühlenberg, Problem, 87. 18  Vgl. dazu u. a. Hadot, Seneca, 108–119, Hadot, La division, sowie ders., Burg, 119–125. 19 Vgl. Long/Sedley, Philosophie, VII, sowie ebd., 317–319. Seit Chrysipp und Kleanthes ist die Theologie die „culmination of physics“ (Inwood, Seneca, 158). 20  SVF 1,115: οὐρανός ἐστιν αἰθέρος τὸ ἔσχατον. ἐξ οὗ καὶ ἐν ᾧ ἐστι πάντα ἐμφανῶς·

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die sich der Äther bewegt.21 Das Ganze aber, Himmel und Erde, macht, so Chrysipp, den Kosmos aus.22 Er bestimmt ihn zugleich als „Gott“, weil durch ihn die kosmische Wohlordnung entsteht und sich vollendet.23 Die Gleichsetzung von Gott und Kosmos findet sich in einer Reihe stoischer Texte, so auch bei Zeno, von dem die Aussage überliefert ist, dass „die Existenzform (οὐσία) Gottes der ganze Kosmos und der Himmel ist“.24 Später wird Seneca formulieren: „Dieses Ganze (totum), von dem wir umfangen werden, ist das Eine und der Gott (et unum est et deus)“ (Ep 92,30).25 Wenn Philo der Physik die „Erkenntnis von Himmel und Welt“ zuschreibt, dann denkt er dabei vor diesem Hintergrund nicht an die Kosmologie allein, sondern zugleich an die Erkenntnis Gottes. 26 Noch breiteren Raum als dem Lob der Errungenschaften des Verstandes (ἐγκώμια νοῦ; § 336) gibt Philo dem Lob (ἔπαινον) der Sinne (§ 338–343). Ihre Anwälte klassifizieren sie ihrem Nutzen entsprechend, indem sie die Sinne, die das Leben (τοῦ ζῆν) ermöglichen, nämlich Geruch und Geschmack, von περιέχει γὰρ πάντα πλὴν αὑτοῦ· οὐδὲν γὰρ ἑαυτὸ περιέχει, ἀλλ’ ἑτέρου ἐστὶ περιεκτικόν. Der Himmel wiederum wird von der Leere (τὸ κενόν) umfasst (SVF 1,94.96). 21 SVF 2,527: Τοῦ δὲ κατὰ τὴν διακόσμησιν λεγομένου κόσμου τὸ μὲν εἶναι περιφερόμενον περὶ τὸ μέσον, τὸ δ’ ὑπομένον· περιφερόμενον μὲν τὸν αἰθέρα, ὑπομένον δὲ τὴν γῆν καὶ τὰ ἐπ’ αὐτῆς ὑγρὰ καὶ τὸν ἀέρα. 22  Κόσμον δ’ εἶναί φησιν ὁ Χρύσιππος σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γῆς καὶ τῶν ἐν τούτοις φύσεων (SVF 2,527). Diese Bedeutung ist auch bei Philo vorauszusetzen; vgl. Aet 4. 23  Λέγεται δ’ ἐτέρως κόσμος ὁ θεός, καθ’ ὃν ἡ διακόσμησις γίνεται καὶ τελειοῦται (SVF 2,527). 24  SVF 1,163: οὐσίαν δὲ θεοῦ … τὸν ὅλον κόσμον καὶ τὸν οὐρανόν; s. ferner Cicero, Nat deor 1,37 (= SVF 1,530). Wildberger, Seneca, 1 4, sieht in diesem Gedanken das stoische Denken zu dieser Thematik zusammengefasst: „die οὐσία Gottes, also die Materie, die zu Gott insgesamt gehört, sei der gesamte Kosmos, das heißt die Materie im gesamten Kosmos“ (tw. kurs.). S. ferner Cicero, Nat deor 1,39 (= Long/Sedley, Philosophen, 385 [54B]): „(E)r (sc. Chrysipp) sagt, dass Gott die Welt selbst ist (ipsumque mundum deum dicit esse) und die universale Durchdringung ihres Geistes“; Nat deor 2,39 (= Long/Sedley, Philosophie, 389 [54H]): „In dieser (sc. der Welt) gibt es also Tugend. Folglich ist die Welt weise und daher Gott (sapiens est igitur et propterea deus)“; Nat deor 2,21: „… Daraus aber wird sich der Schluss ergeben, dass das Weltall ein Gott ist (Ex quo efficietur esse mundum deum)“ (Übers. in Anlehnung an Gerlach/Bayer, Cicero, 169). Vgl. auch die weiteren von Wildberger, Seneca, 2 497f., Anm. 138, genannten Stellen. Zum Ganzen vgl. Mansfeld, Theology, 461, Algra, Theology, 166– 168, Wildberger, Seneca, 1 3f.6.22, sowie unten Kap. 8.2 und Kap. 8.3. 25  In dieser Formulierung, so Fürst, Seneca, 105, sind „die beiden Aspekte miteinander verbunden, die zusammen Pantheismus ergeben: Monismus und die Göttlichkeit des Alls“; zum stoischen ‚Pantheismus‘ s. u. Kap. 8.2 und Kap. 8.3. Vgl. auch Seneca, Benef 4,7.1: „Was nämlich ist die Natur (natura) anderes als der Gott (deus) und die göttliche Vernunft (divina ratio), die der ganzen Welt (mundo) und ihren Teilen (partibusque) eingepflanzt (inserta) ist“, sowie Ep 65,23. Zur antiken Kritik an der stoischen Lehre, dass sich Gott in allen seinen Werken befinde, vgl. Wildberger, Seneca, 1 16. 26  Zur Erkenntnis Gottes in der Stoa vgl. bes. Mansfeld, Theology, 454–462.470– 472; s. auch unten Kap. 3.1.1.2.1 und Kap. 3.1.1.3.

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denen unterscheiden, die zum guten Leben (τοῦ καλῶς ζῆν) führen, das heißt Sehen und Hören (§ 337).27 Es sind in der antiken Philosophie vor allem die Epikureer, die das Lob auf den Nutzen der Sinnesorgane anstimmen. Philo bestreitet den Nutzen von νοῦς und αἴσθησις in keiner Weise. Seine Kritik richtet sich gegen ihre Verabsolutierung, die für ihn mit ihrer Vergöttlichung in eins fällt. In dem Kontext, in dem er diese Kritik äußert, dem Schlussteil seiner Auslegung des ersten und zweiten Dekaloggebots, impliziert die Ablösung der Verstandes- bzw. Sinnestätigkeit von Gott einen Verstoß gegen das erste Gebot. Anthropologisch gewendet, erfüllt dies den Tatbestand der φιλαυτία . Philo bringt dies in dem zusammenfassenden § 344 folgendermaßen zum Ausdruck: „Solcherart (Argumente) reihen die Verehrer (θιασῶται 28) des Verstandes und der Sinne aneinander, die einen machen jenen, die anderen diese zu Göttern (θεοπλαστοῦσιν) und vergessen in (ihrer) φιλαυτία den wahrhaft seienden Gott. Deshalb hat (Mose) mit Recht alle (fünf) aus der heiligen Versammlung ausgeschlossen:29 … und schließlich die φίλαυτοι , von denen die einen die Vernunft (λογισμόν), die anderen jeden der Sinne (αἰσθήσεων) vergöttern (ἐξεθείωσαν). Denn alle diese drängen auf ein und dasselbe Ziel, auch wenn sie von unterschiedlichen Absichten geleitet werden, den einen und wahrhaft seienden Gott mit Stillschweigen zu übergehen.“

Die Konsequenzen der faktischen Selbstvergottung des Menschen benennt Philo in Leg 3,30f.: Wo „Künste und Gewerbe, Gesetze und Sitten … ausschließlich“ als Hervorbringungen des „menschlichen Nous“ begriffen werden, „alles in der Welt“ m. a. W. als „selbsttätig (ἀπαυτοματίζοντα) ohne einen Lenker bewirkt“ gedacht wird, ist die Verwerfung Gottes die Folge. Der Lenker wird entthront. So besteht „die eigentliche Sünde des Menschen“ in der Aufrichtung seiner eigenen Vernunft zu einem Gott30. Diese meint, sich von der göttlichen Vernunft losreißen zu können, obwohl sie ein „unabtrennbares Fragment (ἀπόσπασμα … οὐ διαιρετόν)“ der göttlichen Vernunft bzw. Seele ist (Det 90). 31

27  Philo schreibt dem Gesichtssinn u. a. das Fliehen vor dem Schädlichen (βλαβερῶν … φυγήν) und die Wahl des Nützlichen (τῶν ἐπ’ ὠφελείᾳ) zu (§ 340). Hierzu findet sich eine Parallele bei Lukrez, Rer nat 4,469–521 (= Long/Sedley, Philosophen, 92). Zu einem weiteren Lob auf die Sinne bei Philo vgl. Leg 2,7 (s. auch PCHAT, 3 55, Anm. 2, mit Hinweisen auf antike Parallelen). 28 Vgl. Pape, 1 1211, s. v. θιασώτης: „Mitglied eines θίασος, dah. Verehrer eines ­Gottes“. 29  Es folgt die Nennung der drei ersten Gruppen. 30  Mühlenberg, Problem, 79. 31 S. auch u. a. Leg 1,38 und Det 86 und dazu s. u. Kap. 3.1.1.2.3. Wie dort zu zeigen sein wird, kann Philo das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Vernunft aber auch anders fassen; dazu s. auch im Folgenden.

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Der Vorwurf Philos an die Adresse der φίλαυτοι , sie vergöttlichten Verstand bzw. Sinne, hat Anhalt am antiken philosophischen Denken. In der stoischen Tradition findet sich eine Reihe von Texten, die von der Göttlichkeit der Vernunft ausgehen. Von Zeno ist die Aussage überliefert: „Man muss den Göttern keine Tempel bauen, sondern man muss das Göttliche allein in der Vernunft haben, mehr noch die Vernunft für Gott halten“. 32 Laut Diogenes Laertius sind die Stoiker „der Ansicht, daß das Universum zwei Prinzipien habe, das Tätige und das, wor­ auf eingewirkt wird (τὸ ποιοῦν καὶ τὸ πάσχον). Dasjenige, worauf eingewirkt wird, sei die nicht eigenschaftsmäßig bestimmte Substanz (οὐσίαν), das heißt die Materie (ὕλην); das Tätige dagegen sei die Vernunft in ihr, das heißt Gott (τὸ δὲ ποιοῦν τὸν ἐν αὐτῇ λόγον, τὸν θεόν)“. 33

Wenn der Text dann fortfährt: „Da sie (sc. die Vernunft) nämlich ewig sei, schaffe sie jeden einzelnen Gegenstand im gesamten Bereich der Materie“34, dann ist dies die makrokosmische Entsprechung zur mikrokosmischen Aussage Philos über die von der gegnerischen Lehre vertretene Allwirksamkeit des menschlichen Nous. 35 Während die Stoa von der Einheit der Vernunft ausgeht, die den Kosmos hervorgebracht hat und zugleich Gabe an den Menschen ist 36, und sie darum die Position vertreten kann, dass „das ver32  ἔφη μὴ δεῖν θεοῖς οἰκοδομεῖν ἱερά, ἀλλ’ ἔχειν τὸ θεῖον ἐν μόνῳ τῷ νῷ, μᾶλλον δὲ θεὸν ἡγεῖσθαι τὸν νοῦν (SVF 1,146); vgl. dazu Wildberger, Seneca, 1 782f., Anm. 1077. 33  SVF 2,300 (= Long/Sedley, Philosophen, 319f. [44B]). Vgl. auch SVF 2,311, wo das die Substanz (οὐσία) bewegende und gestaltende Prinzip jedoch statt als λόγος als δύναμις bezeichnet wird. Diese Kraft wird als „göttlich und ewig (θεία καὶ ἀΐδιος)“ charakterisiert. Zu den beiden bei Diogenes Laertius unterschiedenen Prinzipien s. auch Seneca, Ep 65,23, wo es heißt: „Denn das Weltall besteht aus Materie und Gott (universa ex materia et ex deo constant). Der Gott ordnet das, was ihn als den Lenker und Führer umgibt und ihm folgt. Das, was wirkt (quod facit), das heißt Gott, ist aber mächtiger und wertvoller als die Materie, die sich dem Gott fügt (patiens dei)“ (Übers. hier und im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt, in Anlehnung an Giebel). Vgl. dazu Wildberger, Seneca, 1 15: „Gott berührt die Materie überall im Kosmos, weil er vollständig mit ihr vermengt ist: Gott ist ‚in der Materie‘ (ἐν τῇ ὕλῃ) und schafft, ‚die Materie durchdringend‘, die differenzierte Welt“ (tw. kurs.). Das Wort ‚Gott‘ hat in der Stoa somit eine doppelte Bedeutung: Es kann sich einerseits „auf das aktive Prinzip“ beziehen, „das die Seele des Kosmos ist“ (so hier), „andererseits aber auch auf den Kosmos insgesamt, das vollkommene Lebewesen aus Gott und Materie, dessen Seele Gott ist“ (Wildberger, Seneca, 1 22 [tw. kurs.]; so die oben zu Spec 1,336 aufgeführten Stellen); vgl. auch Setaioli, Theology, 382f. 34  τοῦτον γὰρ ἀΐδιον ὄντα διὰ πάσης αὐτῆς δημιουργεῖν ἕκαστα (SVF 2,300). 35  In Ep 65,24 bricht Seneca die in Anm. 34 zitierte makrokosmische Aussage auf den Mikrokosmos Mensch herab: „Die Stelle, die in dieser Welt der Gott (deus) innehat, hat im Menschen die (vernünftige) Seele (animus) inne: was dort die Materie (materia) ist, ist bei uns der Körper (corpus). Es soll also das Geringere dem Besseren dienen“. 36 Vgl. Hadot, Burg, 117: Gott ist „nichts anderes … als die Allvernunft, die in Kohärenz mit sich selbst alle kosmischen Ereignisse hervorruft. Die menschliche Vernunft ist eine Emanation, ein Teil jener Allvernunft“. Zu Texten vgl. bes. Cicero, Nat

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nunftbegabte Lebewesen von Natur aus der Vernunft folgt und so, als sei sie sein Führer, in Übereinstimmung mit der Vernunft handelt“37, unterscheidet Philo in bestimmten Kontexten zwei Arten des Nous, die „Vernunft des Alls, welche Gott ist (τοῦ … τῶν ὅλων νοῦ, ὅς ἐστι θεός)“, und die menschliche Vernunft. 38 Daher hat der Mensch grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Er kann in dem Wissen, dass der menschliche Nous nichtig ist (ὁ γὰρ νοῦν τὸν ἴδιον … μηδὲν εἶναι) und darum notwendigerweise alles auf Gott zu beziehen ist (ἅπαντα δὲ προσάπτει θεῷ), den eigenen Nous verlassen und vor sich selbst zu Gott fliehen, oder er verharrt in seinem Nous und entläuft damit Gott, so dass er nicht Gott zur Ursache von „allem, was entsteht (τῶν δὲ γινομένων ἁπάντων)“, erklärt, sondern sich selbst (ἑαυτόν; Leg 3,29). 39 Was im Horizont stoischen Denkens die Göttlichkeit der Vernunft begründet, schließt es für Philo gerade aus: Die selbsttätig zeugende Vernunft ist für ihn eine gottlose Vernunft. Der philonische Vorwurf einer Vergottung der Sinne dürfte auf die epikureische Schule zielen. Nicht, dass die Epikureer die Sinneswahrnehmung mit den Göttern verbänden – Gott ist Epikur zufolge „ein unvergängliches Wesen“ und als solches „schlechthin unverträglich mit den Beanspruchundeor 2,88; 2,133 (= Long/Sedley, Philosophen, 391f. [54L; N]). – Zur Vernunft als „Gabe“ der Natur (a natura) vgl. Cicero, Nat deor 2,147: „Wer vollends den Geist selbst und die Denkkraft des Menschen sowie seine Urteilsfähigkeit, Umsicht und Einsicht nicht als Werke der göttlichen Vorsorge (non divina cura perfecta esse) erkennt, der scheint mir gerade diese Vorzüge selbst nicht zu besitzen“. 37  So nach Chrysipp: τὸ λογικὸν ζῷον ἀκολουθητικὸν φύσει ἐστὶ τῷ λόγῳ, καὶ κατὰ τὸν λόγον ὡς ἂν ἡγεμόνα πρακτικόν (SVF 3,462 [= Long/Sedley, Philosophen, 493 (65J)]). Das heißt aber nicht, dass stoisches Denken davon ausginge, dass der Mensch grundsätzlich der Vernunft folgen würde. Die Ursache dafür sehen die Stoiker aber nicht in der Vernunft, sondern in der Leidenschaft (πάθος), die „ein Antrieb (ὁρμήν) ist, der exzessiv (πλεονάζουσαν) ist und der gebietenden Vernunft nicht gehorcht“ (SVF 3,378 [= Long/Sedley, Philosophen, 490 (65A)]). Zum Verhältnis von Antrieb und Exzess s. auch Chrysipp, ebd., 493f. [65J]. Hadot, Burg, 133f., weist für Epiktet darauf hin, dass „der Antrieb zum Handeln und das Begehren Akte der vernünftigen Seele, des ‚leitenden Prinzips‘ des ganzen menschlichen Wesens“ sind. Sie sind „der stoischen Lehre zufolge wesentlich Urteile der vernünftigen Seele“. Und wie die Vernunft „nicht wesenhaft gut“, sondern „gut oder schlecht“ ist, „je nachdem, ob sie wahre oder falsche Urteile abgibt“, so auch Antrieb oder Begehren. Vor diesem Hintergrund trifft die Bestimmung der „grande différence“ zwischen Philo und den Stoikern durch Le Boulluec, La place, 135, nicht zu, der sie darin sieht, dass die Stoiker im Gegensatz zu Philo die „faculté d’abuser la raison“ durch die πάθη nicht kennen (zum Ganzen s. auch ebd., 132f.). Der Unterschied zwischen Philo und den Stoikern scheint vielmehr darin zu bestehen, dass Philo anders als diese grundsätzlich zwischen der göttlichen und menschlichen Vernunft unterscheidet. 38  Diese Aussage steht scheinbar im Widerspruch zu der oben zitierten Aussage Det 90. Philo geht es aber hier wie dort um die Abhängigkeit des menschlichen νοῦς von Gott. Die unterschiedlichen Formulierungen und Zuspitzungen sind kontextbedingt; dazu s. u. Kap. 3.1.1.2.3. 39  Zu diesem Text s. ausführlich unten Kap. 7.3.

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gen und Anstrengungen der Weltverwaltung“ 40 –, sie schreiben den Sinneseindrücken aber Wahrheit zu und bestimmen sie als eine die Grundlagen des Lebens selbst verbürgende Instanz: „Welchen Eindruck die Sinne zu welcher Zeit auch immer haben, er ist wahr (verumst). Selbst wenn die Vernunft nicht in der Lage ist, den Grund aufzuklären, war­um das, was aus der Nähe quadratisch war, aus der Ferne rund gesehen wurde, ist es trotzdem besser, in Ermanglung einer adäquaten Erklärung die Gründe für die beiden Gestalten fehlerhaft anzugeben, als das, was manifest ist, seinen Händen irgendwohin entgleiten zu lassen und so die ursprüngliche Verlässlichkeit zu verletzen und alle Grundlagen total zu erschüttern, auf die das Leben und das Wohlergehen aufbaut (convellere tota fundamenta quibus nixatur vita salusque). Denn es würde nicht nur alle Vernunft (ratio … omnis) einstürzen, auch das Leben selbst (vita ipsa) würde sofort zusammenfallen, wenn du es nicht wagst, deinen Sinnen zu glauben (credere sensibus), es nicht wagst, Stellen, wo man abstürzen kann, ebenso zu vermeiden wie alles andere dieser Art, was man fliehen muss, und es nicht wagst, Dinge anzustreben, die dem entgegengesetzt sind.“41

Dieser Text verabsolutiert die Sinne, indem er sie als die das Leben selbst und seine Grundlagen verbürgende Instanzen deutet. Insofern hat der Vorwurf der Vergottung der Sinne, den Philo erhebt, Anhalt an epikureischen Selbstaussagen. So beschließt Philo seine Auslegung des ersten und zweiten Gebots mit einem Angriff auf diejenigen, die die dem Menschen von Gott verliehenen Fähigkeiten der Verstandestätigkeit und der Sinneswahrnehmung vergöttlichen.42 Die Frage der Selbstvergottung des Menschen ist für Philo von grundsätzlicher Bedeutung. Dies zeigt die Anlage seiner die Schriften De specialibus legibus 1–4 und De virtutibus umfassenden Auslegung der Einzelgebote. Er kommt auf das Problem zu Beginn und am Ende des Gesamtzusammenhangs zu sprechen, und zwar wie in Spec 1,327–344 im Kontext der Selbsterhebung des Menschen. Philo rundet seine Auslegung der Einzelgebote in Virt 161–174 mit einem längeren Abschnitt über den Hochmut ab43, den er, wie gesehen, mit Pindar 40 

Long/Sedley, Philosophen, 73. Rer nat 4,499–510 (= Long/Sedley, Philosophen, 91f. [16A]; Hvb. G.H.); vgl. ferner DiogLaert 10,31–32 (ebd., 92 [16B]) mit der Aussage: „(A)lle Vernunft (hängt) von den Sinnen ab“. 42  Vgl. auch Praem 28–30. 43  Auf die Erörterung der den Dekalog entfaltenden Einzelgebote in Spec 1–4 folgt die Deutung der von Philo den Tugenden der Gerechtigkeit (Spec 4), der Tapferkeit und der Menschenliebe (Virt) zugeordneten Gebote. Die „Warnung vor Hochmut und Mahnungen, nie Gott zu vergessen (§ 161–174)“ (PCHAT, 2 319), beschließt die Erörterung der Gebote der Menschenliebe, konkret der Gebote zur schonenden Behandlung von Tieren und Pflanzen, an denen der Mensch lernen soll, wie er sich vernunftbegabten Menschen gegenüber zu verhalten hat. Darauf folgen die beiden Anhänge „Über die 41 Lukrez,

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in den Horizont der Selbstvergottung des Menschen stellt. Philo eröffnet seine Erörterung mit der Aussage: „Durch solche Anweisungen hat er (sc. der Gesetzgeber) die Gesinnung der nach seiner Staatsverfassung Lebenden verfeinert und sie von Hochmut (ὑπεροψίας) und Prahlerei (ἀλαζονείας) (als) den schwersten und unangenehmsten Lastern abgeschnitten (διέζευξεν), an denen die meisten, als seien es die größten Güter, festhalten“ (§ 161).44

Am Ende der Auslegung der Einzelgebote stehend, verweist dieser Satz auf die gesamte Deutung dieser dem Dekalog und den Haupttugenden zugeordneten Gebote zurück. Damit ist das Gesetz des Mose in der Vielzahl seiner Einzelgebote als das wirksame Mittel bestimmt, das menschlichem Hochmut und Prahlerei, und das heißt für Philo zugleich, der Selbstvergottung des Menschen wehrt. Dies ist Philo zufolge auch die eigentliche Bedeutung der Beschneidung, mit deren Erörterung er in Spec 1,1–11 die Auslegung der Einzelgebote eröffnet. Dieses von den Judenfeinden „verspottete (γελωμένου)“ Gebot (§ 2) dient der Selbsterkenntnis (τοῦ γνῶναι … ἑαυτόν) des Menschen, die zu den großen Idealen der griechischen Welt gehört45, und das heißt zugleich der Einsicht in die Notwendigkeit, die schwere Krankheit der οἴησις (§ 10), einer Spielart der φιλαυτία46, zu überwinden. Philo erläutert dies im Einzelnen folgendermaßen: „10 Denn einige prahlten (ηὔχησαν) als gute Bildner das Vortrefflichste der Lebewesen, den Menschen, schaffen (δημιουργεῖν) zu können, und vergötterten sich (ἑαυτοὺς ἐξεθείωσαν), aufgeblasen von Prahlerei (φυσηθέντες ὑπ ’ ἀλαζονείας), selbst, während sie Gott, der in Wahrheit die Ursache (αἴτιον) des Werdens ist, ignorierten, obwohl sie doch, aus der Erfahrung (belehrt), die trügerische (Vorstellung) hätten berichtigen können. 11 Denn es gibt bei ihnen viele zeugungsunfähige Männer und viele unfruchtbare Frauen, deren eheliche Umgang(sbemühungen) erfolglos sind, so dass sie kinderlos altern. Die böse Einbildung (πονηράν … δόξαν) muss also aus dem Denken herausgeschnitten werden (ἐκτμητέον)47 und (ebenso) die anderen (Vorstellungen), die der Liebe zu Gott nicht (entsprechen; ὅσαι μὴ φιλόθεοι).“

Die Beschneidung symbolisiert danach die Entfernung der Illusion, dass der Mensch, und das heißt im Kontext der Beschneidung in Sonderheit der Mann, als Ursache der Entstehung menschlichen Lebens an die Stelle GotReue“ (§ 175–186) und „Über den Adel“ (§ 187–227), die anthropologisch-theologische Aspekte von Gesetz und Tugend erörtern, nicht jedoch die Einzelgebote selbst. 44  Auch bei den beiden griechisch wiedergegebenen Begriffen handelt es sich um Synonyme zu φιλαυτία; vgl. Bultmann, καυχάομαι κτλ, 648. 45  Dazu s. u. Kap. 3.4.1 und bes. Kap. 3.5. 46 Vgl. Bultmann, καυχάομαι κτλ, 648. 47 Das dazugehörige Nomen ist ἔκτμησις und bedeutet „castration“ (LSJ, 522 [kurs.]). Philo dürfte mit dem Gebrauch von ἐκτμητέον zu einem Wortspiel mit περιτομή (§ 2) bzw. περιτμηθέντος (§ 6) greifen.

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tes tritt. Dieser Illusion anzuhängen ist für Philo nichts anderes als ein Akt der Selbstvergottung. Die Selbsterkenntnis, die die Beschneidung ins Werk setzen soll, meint m. a. W. die Erkenntnis dessen, wer Gott ist und wer der Mensch.48 Wenn Philo Gott hier als „Ursache des Werdens“ bestimmt, dann führt er damit gleich zu Beginn seiner Gesetzesauslegung eines der für ihn zentralen Gottesattribute ein. Gott ist für ihn, wie im Folgenden wiederholt zu sehen sein wird, die Ursache schlechthin, die nicht nur hinter der Entstehung von Mensch und Welt steht, sondern hinter allen Aspekten menschlicher Existenz.49 Indem sich also der Topos der aus Arroganz geborenen Selbstvergottung des Menschen als doppelte inclusio um die Auslegung des ersten und zweiten Gebotes und die Gesetzesauslegung als ganze legt, erweist sich die Beschneidung in der Tat als „‚vestibule‘ or portal through which one must pass if one is to understand properly the nature of the nomos and its special laws“. 50 Die Beschneidung ist das Symbol des adäquaten Verhältnisses von Gott und Mensch, das am Körper des Mannes, der Philo zufolge in besonderer Weise zur Selbstvergottung neigt51, eingraviert wird. Sie verleiblicht das vom Gesetz intendierte Menschsein, das die arrogante Infragestellung Gottes hinter sich gelassen hat und das Gottsein Gott überlässt. In dieser Haltung ist das Gesetz als ganzes zu lesen und zu verstehen, wie umgekehrt die Beschäftigung 48  Vgl. auch Hecht, Contexts, 74, dem zufolge die durch die Beschneidung hervorgebrachte Selbsterkenntnis „the simple realization that man is totally dependent on God“ meint. Wenn er jedoch ebd. behauptet, dass die philonische Deutung des in der griechischen Kultur tief verankerten γνῶθι σαυτόν im Gegensatz zu seinem Verständnis in der Philosophie, in der die Aufforderung zur Selbsterkenntnis „philosophical intro­­ spection“ bedeutet, zu stehen komme und von Philo „in a thoroughly biblical sense, encapsulating the most obvious aspects of the Hebrew Bible’s anthropology“ verstanden sei, so baut er einen Gegensatz auf, der durch die griechisch-philosophischen Quellen nicht gestützt wird; dazu s. u. Kap. 3.5. 49  Bormann, Philosophie, 31, weist also zu Recht darauf hin, dass der Gott Philos „nicht der aristotelische erste Beweger (ist), der lediglich als Finalursache bewegt, sondern er vereinigt alle Kräfte in sich, durch die er causa efficiens der Welt ist“, das heißt: „das Wirken Gottes manifestiert sich in vielfältiger Weise“, es ist aber in Wirklichkeit die „Manifestation einer einzigen, mit Gott identischen Kraft“. 50  Hecht, Contexts, 75. 51  Vgl. QG 3,47, wo Philo begründet, warum der Gesetzgeber nur die Beschneidung des Männlichen (Gen 17,10), nicht aber die des Weiblichen befiehlt: „… the matter of the female in the remains of the menstrual fluids produces the fetus. But the male (provides) the skill and the cause (τὴν τέχνην καὶ τὸ αἴτιον). And so, since the male provides the greater and more necessary (part) in the process of generation, it was proper that his pride should be checked by the sign of circumcision, but the material element, being inanimate, does not admit of arrogance. So much for that. However, we must note what follows upon it. That which sees in us is the mind, and it is necessary to cut off its superfluous growths. Now these superfluous growths are vain opinions (κεναὶ δόξαι) and what is done in accordance with them.“ S. ferner QG 3,46.

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mit den Geboten darauf zielt, οἴησις und φιλαυτία als Ausdruck der Selbstvergottung zu überwinden. 3.1.1.2 Gotteserkenntnis bei Philo Wie angedeutet, findet sich eine der für Spec 1,10f. beobachteten Antithese von Eigendünkel und Liebe zu Gott vergleichbare Gegenüberstellung auch in Spec 1,324–345. Hier kontrastiert Philo den φίλαυτοι, die ähnlich wie die von ihm in § 10 Angegriffenen ihre vermeintliche Fähigkeit, Dinge hervorzubringen, vergöttlichen, die Anhänger und Schüler des Propheten Mose. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der „Suche nach dem Seienden (τὴν τοῦ ὄντος ζήτησιν)“, das heißt Gottes, nicht nachlassen52, weil sie „seine Erkenntnis (τὴν ἐπιστήμην αὐτοῦ)“ als die höchste Stufe der Glückseligkeit erachten (§ 345). 53 Im weiteren Kontext von Spec 1,324–345 ist die jüdisch-philonische „Erkenntnis“ Gottes als Antithese zur stoischen „Erkenntnis von Himmel und Welt (ἐπιστήμην οὐρανοῦ τε καὶ κόσμου)“ (§ 336) zu verstehen, die, wie gesehen, eine andere Gestalt der Gotteserkenntnis impliziert, nämlich die Identifizierung von Gott und Welt. Anthropologisch gewendet, bedeutet sie die Selbstvergottung des Menschen. Vor diesem Hintergrund geht es in diesem Kapitel nun darum, die von Philo für die Anhänger des Mose als möglich erachteten Gestalten der Gotteserkenntnis in den Blick zu nehmen. Dabei handelt es sich, wie im Einzelnen zu zeigen sein wird, um natürliche Gotteserkenntnis und um Offenbarungserkenntnis. Unter Offenbarungserkenntnis werden dabei diejenigen Gestalten der Erkenntnis Gottes subsumiert, bei denen sich Gott selbst als Subjekt dem Menschen erschließt. Philo kommt auf das Problem der Gotteserkenntnis in einer Vielzahl von Texten zu sprechen. Dabei fällt auf, dass er sie nicht zuletzt mit Blick auf die in dieser Untersuchung im Zentrum des Interesses stehende Frage von Gott und Selbst erörtert. Da er es äußerst facettenreich thematisiert, ist es notwendig, eine größere Anzahl von Texten aufzunehmen. Dabei kommt es, bedingt durch die Darstellungsweise Philos, verschiedentlich zu Überschneidungen. 52  Das Grundthema von Spec 1,324–345 zeigt sich auch in Her 106–108, wenngleich in etwas anderer Zuspitzung: Philo identifiziert die Selbstliebe hier mit der Behauptung, dass Seele, Sinne und Sprache Eigentum des Menschen seien, statt sie Gott, der sie ihm anvertraut hat, zu weihen. Richtig wäre es, sie „nicht ‚für sich‘, sondern ‚für Gott‘ zu nehmen“ (Noack, Haben, 288). 53  Als zweiten Gewinn der Suche des Seienden erwähnt Philo „langwährendes Leben“ (ζωὴν μακραίωνα). Während PLCL, 7 303, die Wendung mit „agelong life“ übersetzt, gibt sie PCHAT, 2 106, in Anlehnung an die Wendung ἀθάνατον βίον ζῶσιν mit „ewiges Leben“ wieder. Ausweislich des Kontextes scheint Philo hier aber nicht an ein postmortales Leben zu denken, sondern an die durch die Gottessuche und -erkenntnis vermittelte Teilhabe an Gott. Der biblische Bezugstext ist Dtn 4,4: „alle, die Gott anhängen, leben“.

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3.1.1.2.1 Die Gotteserkenntnis Abrahams Der Text, an dem dies illustriert werden soll, ist Abr 68–80. Philo erörtert hier das Problem der Gotteserkenntnis an dem exemplarischen Gottsucher Abraham und seinem Weg vom Chaldäer zum Verehrer des jüdischen Gottes. Abraham steht im Rahmen der Allegorie für die „tugendliebende Seele, die den wahren Gott sucht (τὸν ἀληθῆ ζητούσης θεόν)“ (§ 68) und damit das unternimmt, was nach Spec 1,345 für die Anhänger des Mose im Allgemeinen kennzeichnend ist. In der Beschreibung Philos ist Abrahams Chaldäertum für stoische Überzeugungen transparent. 54 Die Chaldäer, so Philo in § 69, schreiben alles (πάντα) den Bewegungen der Gestirne zu und glauben, dass alles in der Welt von Kräften (δυνάμεσιν) gelenkt wird, die in Zahlen und Zahlenverhältnissen enthalten sind. Dies bedeutet, so Philo aus einer gleichermaßen biblischen wie philosophischen Perspektive 55, dass sie die Leitung der Welt auf die sichtbare Wirklichkeit zurückführen und sie damit dem unsichtbaren Gott absprechen. Philos Ausführungen zur chaldäischen Wissenschaft münden in die Erwähnung zweier für die Stoa kennzeichnender Überzeugungen. Im Zuge ihrer Naturbeobachtungen, die den Bewegungen der Gestirne und dem Wechsel der Jahreszeiten gelten, erkennen die Chaldäer eine Wechselwirkung (συμπάθειαν)56 zwischen himmlischen und irdischen Phänomenen. Deshalb glauben sie, „dass die Welt selbst Gott ist (τὸν κόσμον αὐτὸν ὑπέλαβον εἶναι θεόν)“. 57 Philo interpretiert dies im Sinne einer schuldhaften Gleichstellung des Gewordenen mit dem, der es geschaffen hat (οὐκ εὐαγῶς τὸ γενόμενον ἐξομοιώσαντες τῷ πεποιηκότι).

54 Vgl. Dillon, Platonists, 114, und Runia, Philo, 190.204 (s. aber ders., Creation,

111f.); s. ferner Mack, Logos, 124–130, sowie ders., Philo, 247. 55 Vgl. Dillon, Platonist, 155f., der, was die philosophische Seite anbelangt, hier genauer auf den neopythagoreischen Einfluss auf den für Philo vorauszusetzenden Mittelplatonismus verweist. 56  Zu diesem stoischen Konzept s. u. Kap. 8.3. 57  Zum stoischen Profil dieser Überzeugung s. o. Kap. 3.1.1.1. Vgl. auch Her 97: „Das ihm früher geschenkte Gut war demnach der ‚Auszug‘ aus der chaldäischen Himmelskunde (ἔξοδος … ἀπὸ τῆς Χαλδαϊκῆς μετεωρολογίας), die die Auffassung lehrte, die Welt sei nicht Gottes Werk, sondern Gott (οὐ θεοῦ ἔργον, ἀλλὰ θεόν), und das Wohlund Übelergehen aller Wesen sei den Bewegungen und festbestimmten Umkreisungen der Gestirne zuzuschreiben und davon hänge auch die Entstehung des Guten und Bösen ab“. Die Verneinung der Vorsehung ist allerdings nicht stoisch, sondern vor allem epikureisch. Epikur vertritt die Philo und auf eigene Weise auch den Stoikern widersprechende Ansicht, dass „die Himmelskörper in ihren Bewegungen nicht unter der Leitung eines Lenkers stehen“ (Brief an Herodot 76 [= Long/Sedley, Philosophen, 164 (23C)]), wie sich die epikureischen Götter grundsätzlich nicht in die Welt einmischen (vgl. ebd., 173; s. ferner ebd., 390 [54J und K]).

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Nachdem Abraham aber das Chaldäertum hinter sich gelassen58 und sich für die Wirklichkeit Gottes geöffnet hat (§ 70), nimmt er, „wie aus einem tiefen Schlaf“ erwachend, wahr, „was er zuvor nicht geschaut hatte, einen Beherrscher und Lenker (τινὰ ἡνίοχον καὶ κυβερνήτην) der Welt“, der an ihrer Spitze steht, sein „eigenes Werk heilsam (σωτηρίως) lenkt und Fürsorge (ἐπιμέλειαν) (für es) … aufwendet“. Zwar findet sich die Vorstellung, dass „die Welt … durch den Ratschluss der Götter verwaltet“ wird 59, auch im stoischen Denken. Diese werden hier aber als Symbolisierungen der „immanenten stoischen Gottheit“ in ihren „verschiedenen Aspekten“ verstanden.60 Demgegenüber betont Philo den transzendenten Charakter des jüdischen Gottes. Gott und Welt sind getrennt und verhalten sich zueinander wie Ursache und Wirkung. Entsprechend heißt es in § 75 in einer weiteren anti-stoisch gewendeten Aussage, „dass die Welt nicht der höchste Gott ist, sondern ein Werk (ἔργον) des höchsten Gottes und Vaters aller (Dinge)“. In der Sache ähnlich heißt es in § 78, Abraham habe „erkannt (ἔγνω), dass die Welt untertan (ὑπήκοον), nicht aber unabhängig ist (οὐκ αὐτοκράτορα), dass sie nicht herrscht, sondern beherrscht wird von einer Ursache (ὑπ’ αἰτίου), von dem, der (sie) geschaffen hat“.

Der Inhalt der abrahamitischen Gotteserkenntnis ist nach dieser Stelle nicht Gott an sich, sondern Gott in seiner Beziehung zur Welt.61 Er ist die Ursache, er ist der Schöpfer, Herrscher und fürsorgliche Lenker der Welt, sie ist Hervorbringung, Geschöpf und Gegenstand seines Handelns. Damit wird der Subjektcharakter Gottes auch von Philo deutlich herausgestellt. Außer mit dem Inhalt der Gotteserkenntnis beschäftigt sich Philo in De Abrahamo auch mit der Weise seiner Erkenntnis. Er unterscheidet dabei zwei Gestalten, die Vernunfterkenntnis und die auf Offenbarung gründende Erkenntnis.62 In unserem Zusammenhang verbindet er beide Formen, ordnet die Vernunfterkenntnis aber der Offenbarungserkenntnis unter. Aufgabe der an die Vernunft appellierenden Argumentation ist es nach § 71, die offenbarte Schau (τὴν φανεῖσαν ὄψιν) dem Geist (διανοίᾳ) einzuprägen. Philo bedient sich dazu in § 72–74 eines Analogieschlusses von der mikrokosmischen Ebene des Menschen, in dem der unsichtbare Nous die Sinneswahrnehmung des Menschen lenkt, auf die makrokosmische Ebene, das heißt auf das Verhältnis von Gott und Welt, in dem es in Analogie zum Mikrokosmos ebenfalls ei58  Philo spricht hier von einem χαλδαΐζειν Abrahams, was von LSJ, 1971, mit „follow the Chaldean fashion or creed“ (kurs.) wiedergegeben wird (s. auch § 77). 59 Cicero, Nat deor 2,76 (= Long/Sedley, Philosophen, 390 [54J]). 60  Long/Sedley, Philosophen, 395. 61  Vgl. auch Runia, Naming, 80. 62  Vgl. auch Radice, Theology, 126: „for Philo, abstract philosophical thought is not the only way to arrive at the truth about God. There exists also the way of revelation, which God initiates Himself to respond to man’s thirst for knowledge“.

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nen Lenker geben muss, das ist Gott. Im Rahmen der antiken Gottesbeweise verweist das Argument aus der Analogie in die stoische Tradition, die hierin Aristoteles folgt.63 Mit Blick auf die im Weiteren zu besprechenden Texte ist bereits an dieser Stelle zu betonen, dass sich die hier beschriebene Vernunft­ erkenntnis grundlegend von der chaldäisch-stoisierenden Wissenschaft unterscheidet, aus der Abraham ausgewandert ist. In § 77–80 dann legt Philo sein Offenbarungsverständnis vertiefend dar. Er entnimmt der Aussage Gen 12,7, „Gott aber erschien dem Abraham (ὤφθη δὲ ὁ θεὸς τῷ Ἀβραάμ)“, dass Gott diesem in seiner chaldäischen Phase nicht sichtbar war (οὐκ ἦν ἐμφανής; § 77) und dieser ihn erst nach seiner Auswanderung aus der Sinnenwelt erkannte (ἔγνω). Diese Erkenntnis verortet Philo im Geist (διάνοια ; § 78). Zuvor hatten sich die sinnlich wahrnehmbaren Dinge (τῶν αἰσθητῶν) wie ein Nebel über seinen Geist gelegt. Er lichtet sich durch die „glühenden und feurigen Lehren (δόγμασιν)“ über das Verhältnis von Gott und Welt (§ 70.75.78), die er im Zuge der Offenbarung erhält.64 Dass die Bewegung des menschlichen Geistes hin zu Gott bei aller Bedeutung, die sie im Prozess der Gotteserkenntnis hat, der Selbstoffenbarung Gottes nachgeordnet ist, verdeutlicht abschließend § 79f.: Gott wendet sich wegen seiner Menschenliebe nicht von der Seele ab, die aus der vernebelnden Welt der Sinne zu ihm aufsteigt. Er kommt ihr in katabatischer Bewegung vielmehr „im Vor­ aus entgegen“ (προϋπαντήσας) und zeigt (ἔδειξε) ihr seine Natur. Entscheidend ist demnach die Bewegung Gottes zum Menschen. Implizit zeigt sich dieses Gefälle freilich bereits in § 70, wo Philo in metaphorischer 63 Vgl. Mansfeld, Theology, 471. Als Vertreter der Stoiker charakterisiert Balbus bei Cicero, Nat deor 2,15 (= Long/Sedley, Philosophen, 386 [54C]), den kosmologischen Gottesbeweis folgendermaßen: „Die vierte und wichtigste Ursache war das Gleichmaß der Bewegung, die Umdrehung des Himmels, die Individualität, Nützlichkeit, Schönheit und Ordnung der Sonne, des Monds und aller Sterne. All dies nur zu sehen beweise schon hinlänglich, dass es kein Produkt des Zufalls ist. Gerade so, wie wenn jemand ein Haus oder ein Gymnasium oder das Forum betritt, dort in allen Dingen das planvolle Vorgehen, die Gesetzmäßigkeit und Disziplin sieht und daraufhin nicht urteilen kann, all dies geschehe ohne Ursache, wie er vielmehr erkennt, dass es jemanden gibt, der alledem vorsteht und dem es gehorcht, so muss er um vieles mehr bei so gewaltigen Bewegungen und so riesigen Wechseln und bei Ordnungsgefügen derart vieler und großer Sachen, bei denen trotz des unermesslichen und unendlichen Alters niemals irgendein Irrtum vorgekommen ist, notwendigerweise schließen, dass es ein Geist sein muss, der so eindrucksvolle Bewegungen der Natur lenkt“. 64  Vgl. dazu Calabi, Acting, 64. Ganz ähnlich beschreibt Philo den Weg Jakobs zum Gott Schauenden, das heißt von Jakob zu Israel (= ‫ ;אישׁ ראה אל‬zur Etymologie von Israel als ὁρῶν θεόν vgl. bes. Birnbaum, Place, 70–77), in Praem 36–40.44 (z.St. vgl. ebd., 111f.). Jakob, dessen Auge der Seele zunächst verschlossen war, begann es bei seinen anhaltenden Kämpfen zu öffnen (s. auch unten zu Abr 79) und den verhüllenden Nebel (ἐπισκιάσασαν … ἀχλύν) zu zerstreuen. „Denn plötzlich leuchtete das reinere körperlose Licht des Äthers auf (ἐπιλάμψασα) und offenbarte (ἀνέφηνεν) die geistig wahrnehmbare Welt, wie sie gelenkt wird“ (§ 37).

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Sprache die erste Phase der Gotteserkenntnis Abrahams beschreibt: Dieser erwachte wie aus einem tiefen Schlaf und „öffnete das Auge der Seele und begann, einen reinen Lichtstrahl anstelle tiefer Finsternis zu schauen, und er folgte dem Licht und sah, was er zuvor nicht geschaut hatte (ἐϑεάσατο)“,

nämlich den fürsorglichen Lenker der Welt.65 In dem Moment, in dem Abraham das Auge der Seele öffnet, ist das Licht bereits da. Es ist ihm gewissermaßen ebenfalls bereits „im Voraus entgegengekommen“. Folgerichtig schließt der Zusammenhang mit der Aussage (§ 80): „Darum heißt es nicht, dass der Weise (sc. Abraham) Gott sah (εἶδε), sondern dass dem Weisen ‚Gott erschien (ὁ θεὸς ὤφθη)‘. Denn es wäre (in der Tat) auch unmöglich, dass jemand durch sich selbst (δι’ αὑτοῦ) das wahrhaft Seiende erfasst, wenn nicht jenes sich selbst sehen ließe und zeigte (μὴ παραφήναντος ἐκείνου ἑαυτὸν καὶ ἐπιδείξαντος)“.

So ist philonische Gotteserkenntnis in erster Linie geschenkte Erkenntnis, nicht Folge eigener menschlicher (δι’ αὑτοῦ) Erkenntnisfähigkeit und Suchbewegung. Damit ist nach diesem Zusammenhang die Erkenntnis Gottes keine Möglichkeit, die der Mensch von sich aus und aus sich heraus hat.66 Sie geht von Gott aus, der sich dem Menschen offenbart. Dessen Aufgabe ist es, den Selbsterweis Gottes im Geist schauend wahrzunehmen und ihm denkend nachzugehen. Philo eröffnet den Abschnitt zwar mit dem Hinweis auf die Seele, die den wahren Gott sucht (§ 68). Diese Suche entfaltet er dann aber im Sinne der Wahrnehmung der göttlichen Selbsterschließung durch den Menschen. Im Unterschied dazu erforschen die stoisierenden Chaldäer Philos den Kosmos mit den Mitteln einer Gott gegenüber autonomen Vernunft67, um ihn dann fälschlicherweise mit Gott gleichzusetzen. Damit vergöttlichen sie ihn ähnlich wie die φίλαυτοι von Spec 1,344, die die Sinne ebenso wie die menschliche Vernunft und mit ihr den von ihr erkannten Himmel mitsamt dem Kosmos deifizieren. Beide verwechseln Schöpfer und Geschöpf. Während also die Quelle stoischer Gotteserkenntnis die menschliche Vernunft ist, die an der Allvernunft partizipiert, liegt bei Philo in De Abrahamo der Ton auf der Offenbarungserkenntnis; als zweites Moment kommt das menschliche Suchund Erkenntnisbemühen hinzu, das er der göttlichen Selbsterschließung zu65  Zur Lichtmetaphorik bei Philo s. ferner Abr 119 sowie Praem 37.45f. und dazu s. u. Kap. 3.1.1.2.2.(3). 66  Vgl. das betonte δι’ αὑτοῦ (Abr 80). Adverbial gebrauchtes δι’ ἑαυτοῦ geben LSJ, 389, s. v. A.III.a, mit „of oneself, not by anothers’s agency…; but also, by oneself alone, unassisted“ (tw. kurs.) wieder; s. auch Benseler, 189, s. v. A.3., der δι’ ἑαυτῶν mit „eigenmächtig, auf eigene Faust“ umschreibt. 67  Vgl. bes. Philos Aussagen zu Zahlen und Zahlenverhältnissen.

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und unterordnet. Auf diesem Weg wird Gott als schlechterdings transzendentes Gegenüber zur Welt erkannt, während ihn die autonome Vernunft als immanent begreift. Die autonome Vernunft ist für Philo daher zugleich eine eigenmächtige Vernunft, die sich anmaßt, was ihr nicht zukommt. 3.1.1.2.2 Natürliche Gotteserkenntnis und Offenbarungserkenntnis als die beiden möglichen Gestalten jüdischer Gotteserkenntnis Wie gesehen, unterscheidet Philo mit der natürlichen Gotteserkenntnis und der auf Offenbarung beruhenden Erkenntnis Gottes grundsätzlich zwei Gestalten jüdisch legitimer Gotteserkenntnis. In den Texten zu diesem Thema arbeitet er dabei verschiedene Aspekte heraus. Im Kontext dieser Untersuchung sind die Abschnitte Spec 1,32–50, Leg 3,96–102 und Praem 36–47 von besonderer Bedeutung. (1) Philo eröffnet seine Auslegung der Einzelgebote in Spec 1,32–50 mit einer Erörterung der Frage der Gotteserkenntnis und verdeutlicht damit die Bedeutung der Thematik für das Ganze seiner Gebotsauslegung. Er stellt seine Erörterung der beiden im Raum des Gesetzes möglichen Formen der Gotteserkenntnis unter das gemeinsame Stichwort der Gottsuche (ζήτησις)68. Für beide Formen entfaltet er Erkenntnisvorgang und Erkenntnisinhalt. In § 33–35 bestimmt Philo die natürliche Gotteserkenntnis als ein vernunftgeleitetes Schlussverfahren. Wie die Betrachter von Bildsäulen auf den dahinter stehenden Bildhauer, die von Bildern auf den Maler schließen (§ 33), so schließen in Analogie dazu die Betrachter des Kosmos – beginnend mit den Tieren und Pflanzen über den Wechsel der Jahreszeiten bis hin zu den Umläufen der Himmelskörper – mit „Wahrscheinlichkeit (εἰκότως), mehr noch, mit Notwendigkeit (ἀναγκαίως)“ auf die Existenz eines „Schöpfers, Vaters und zugleich Lenkers“ der Welt (§ 34)69. Denn wie kein Kunstwerk „aus sich selbst entsteht (ἀπαυτοματίζεται)“ 70, so muss auch die Welt von jemandem geschaffen sein, der über vollkommenes Wissen verfügt. Dieses auf Naturbeobachtung gründende, mit den Mitteln der menschlichen Vernunft vollzogene Schlussverfahren führt zur Erkenntnis der Existenz Gottes (ὑπάρξεως θεοῦ; § 35). In § 41–49 erörtert Philo eine der von ihm vertretenen Gestalten der Offenbarungserkenntnis. In einem ersten Abschnitt, § 41–44, verdeutlicht er in ei68  Vgl. § 32.36.39f. 69  ποιητὴς καὶ πατήρ

ist platonischer Sprachgebrauch (Tim 28c), wessen Philo sich bewusst gewesen sein dürfte (Runia, Philo, 109). Auch die Vorstellung eines „creator and providential maintainer of the cosmos“ ist in der platonischen Tradition zu finden; vgl. ebd., 435. Neben dem platonischen Einfluss ist aber zugleich der biblische zu beachten: „two strains of thought merge together in a manner which is characteristically Philonic“ (ebd., 111). 70  Zu diesem Begriff s. auch Praem 42 und QG 2,34.

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ner Interpretation der Bitte des Mose, Gott möge sich ihm zeigen (ἐμφάνισόν μοι σαυτόν; Ex 33,13), dass dessen Wesen (οὐσία) vom Menschen ebenso wenig erfasst werden kann wie von irgendeiner anderen Kreatur, und seien es Himmel und Kosmos (§ 44). Deshalb ist jede über die – auf dem Weg natürlicher Gotteserkenntnis gewonnene – Einsicht in die Existenz Gottes hin­ ausgehende Erkenntnis Gottes Philo zufolge ein Geschenk (δωρεάς), das Gott dem seiner Gnade Würdigen (τῷ χάριτος ἀξίῳ) je nach dessen Fassungsvermögen enthüllt.71 Dieses Geschenk kann vom Menschen nur empfangen werden (§ 43).72 Angesichts der Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit wird Mose73, so Philo, von Gott mit der delphischen Formel γνῶθι … σαυτόν zur Selbsterkenntnis aufgefordert. Dies aber heißt für Philo nichts anderes, als dass er die durch nichts zu überbrückende Verschiedenheit von Gott und Mensch zu respektieren lernt (§ 44)74, die er mit seiner Bitte, Gott möge sich ihm zeigen, missachtet hat. Die delphische Formel impliziert für Philo die Nichtigkeit des Menschen.75 In § 45–49 wendet er sich sodann der Frage zu, worin die über das Wissen um die Existenz Gottes hinausgehende, dem Menschen von Gott verliehene Erkenntnis des Göttlichen besteht und wie sie von jenem erfasst werden kann. Was von Gott zu erkennen ist, sind, wie Philo im Horizont der platonischen Ontologie formuliert, lediglich die Wirkungen seiner Kräfte (δυνάμεις; § 45), nicht sein Wesen. Erkennbar sind „Abdruck und Abbild ihrer Wirkkraft (ἐκμαγεῖόν τι καὶ ἀπεικόνισμα τῆς ἑαυτῶν ἐνεργείας)“ im Raum der nur der Vernunft zugänglichen unsichtbaren Ideen (§ 47). Die mit den Ideen identischen Kräfte, die vom Menschen zu erkennen sind, geben allen Dingen Gestalt (εἰδοποιοῦσι), dem Unbestimmten Eigenschaften und dem Formlosen Form (§ 48f.). 71 

Vgl. dazu Runia, Beginnings, 303. § 43 verwendet Philo mit χαρίζομαι und χάρις zwei Begriffe, die den Gnadencharakter des göttlichen Handelns umschreiben. Das menschliche Äquivalent zur Gnadengabe Gottes ist das Empfangen, auf das Philo hier insgesamt dreimal zu sprechen kommt (λαμβάνω [zweimal] und δέχομαι). 73  Diesen Gedanken formuliert Philo in § 43 insgesamt dreimal: Gott schenkt das, was „dem Empfänger angemessen ist“ (χαρίζομαι δ’ ἐγὼ τὰ οἰκεῖα τῷ ληψoμένῳ). Er weiß darum, dass „nicht alles, was für mich ein Leichtes zu geben wäre, der Mensch auch empfangen kann (ἀνθρώπῳ λαβεῖν δυνατόν)“. Mit Blick auf die Gaben (s. o.) heißt es: die „er fähig ist anzunehmen (οἷóς τε ᾖ δέξασθαι)“. 74  Wörtlich heißt es hier an die Adresse des Mose: „Daher erkenne dich selbst (γνῶθι δὴ σαυτόν) und lass dich in deinem Streben und Verlangen nicht über (deine) Kraft hinaus (ὑπὲρ δύναμιν) fortreißen“. Vgl. dazu auch Runia, Beginnings, 301: Der Mensch soll erkennen, „that God and humans are on different sides of the basic division of reality“, das heißt dass Gott die „wirksame Ursache (τό … δραστήριον αἴτιον)“ ist, der Mensch dagegen auf die Seite des Erleidenden (τό … παθητόν) gehört (vgl. Opif 8). „God and man are unlike. God acts and bestows, man receives and reacts“. Zum Ganzen s. auch unten Kap. 3.3.1 und Kap. 3.5. 75  Dazu s. u. Kap. 3.4.1. 72  In

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Dem intelligiblen Charakter der unsichtbaren Kräfte korrespondiert die Weise ihrer Erkenntnis. Sie werden unabhängig von der sinnlichen Wahrnehmung rein noetisch erkannt. Dazu schwingt sich die Seele in die höchsten Regionen des Äthers auf und erhebt sich so über die sinnlich wahrnehmbare Welt (§ 37). Demgemäß unterscheidet Philo bei seiner Beschreibung des Erkenntnisvorgangs zwei mögliche Weisen des Erkennens. Wenn Gott von den durch die Vernunft erfassbaren (νοητάς) unsichtbaren Kräften spricht, meine er „nicht diejenigen (Kräfte), die bereits von der Vernunft (ὑπὸ νοῦ) erfasst werden76, sondern dass sie, sofern sie überhaupt erfasst werden könnten, nicht sinnliche Wahrnehmung (αἴσθησις) sie wohl erfasste, sondern reinste Vernunft (ἀκραιφνέστατος νοῦς)“ (§ 46).

Bei den Kräften, die bereits durch die Vernunft – gemeint ist die menschliche Vernunft – erfasst werden, ist vermutlich an diejenigen Kräfte zu denken, die sich unmittelbar mit den auf dem Weg der natürlichen Gotteserkenntnis gewonnenen Einsichten verbinden. So korrespondiert Gott als Schöpfer die schöpferische Macht, Gott als Lenker die königliche77. Die reinste Vernunft ist demgegenüber auf die göttliche Vernunft zu beziehen, die dem Menschen die skizzierten Schöpfungsgeheimnisse erschließt. Im Duktus der Gesamtargumentation von § 41–49 ist die „reinste Vernunft“ als eine göttliche Gabe zu verstehen, in der und durch die Gott im Prozess seiner Erkenntnis dem von ihr erfüllten Menschen sich selbst erschließt, so dass Gott bzw. das von ihm Erkennbare durch Gott erkannt wird. Wäre es anders, wäre der erste Teil des Arguments, § 41–44, sinnlos.78 Damit ist die Erkenntnis der Kräfte Gottes hier als Resultat von menschlichem Erkenntnisbemühen (ἐπιζητεῖν) und akzidenteller Gabe der reinsten, weil göttlichen Vernunft verstanden. (2) Im Grundsatz ähnlich, in den Einzelheiten aber deutlicher zeigen sich die zuletzt erörterten Sachverhalte in Leg 3,96–102. Bei der Beschreibung der natürlichen Gotteserkenntnis arbeitet Philo in § 97–99 deren vernünftigen, auf logischen Operationen basierenden Charakter besonders deutlich heraus. In einer ausgreifenden ὥσπερ - οὕτως-Phrase (§ 98f.) betont er, dass die Erkenntnis Gottes in Analogie zu innerweltlichen Erkenntnisprozessen geschieht. Wie der Betrachter von künstlerischen Hervorbringungen auf den Künstler schließt, so der Betrachter der Welt auf Gott. Der Betrachter „wird“, so Philo, aus der Beobachtung der Naturphänomene „sicher zu dem Schluss kommen (λογιεῖται δήπου)“79, dass der Kosmos

76 

Zur Übersetzung dieser Stelle vgl. Cohen, Laws, 1045, Anm. 46. Dazu s. u. Anm. 133. 78  Die im Weiteren zu erörternden Texte werden diese Deutung bestätigen. 79  Vgl. LSJ, 1055, s. v. λογίζομαι, II.5: „conclude by reasoning, infer that“ (kurs.). 77 

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„nicht ohne vollkommene Kunst geschaffen ist, sondern dass der Schöpfer all dieser Dinge Gott war und ist. Diejenigen also, die zu einem solchen Schluss kommen (οὕτως ἐπιλογιζόμενοι)80, begreifen (καταλαμβάνουσι) Gott durch einen Schatten (διὰ σκιᾶς), indem sie den Künstler durch die Werke (διὰ τῶν ἔργων) verstehen (κατανοοῦντες)“ (§ 99).

Die hier von Philo beschriebene Erkenntnisbewegung verläuft in Übereinstimmung mit stoischer Lehre von den Schöpfungswerken zum Schöpfer. Wenn er neben dem Begriff der ‚Werke‘ den des ‚Schattens‘ verwendet, dann trägt er in den kosmologischen Gottesbeweis, der sich zur Zeit Philos besonders unter den Stoikern großer Beliebtheit erfreute81, aber zugleich einen seiner platonisch bestimmten Ontologie zugehörigen Terminus und damit eine Abwertung der natürlichen Gotteserkenntnis ein. Dies verdeutlichen seine Aussagen zur Offenbarungserkenntnis in der Fortsetzung. Die gegenüber der im Kontext der natürlichen Gotteserkenntnis wirksamen, bloß menschlichen Vernunft „vollkommenere und reinere Vernunft (τελεώτερος καὶ μᾶλλον κεκαθαρμένος νοῦς)“ ist, wie er wiederum an Mose erläutert, die in „die großen Geheimnisse“ eingeweihte (μυηθείς) Vernunft82, die als solche die bloß menschliche Vernunft übersteigt. Die eingeweihte Vernunft „erkennt (γνωρίζει) nicht die Ursache aus dem Gewordenen, das Bleibende gleichsam aus dem Schatten (ὡς ἂν ἀπὸ σκιᾶς), sondern überspringt (ὑπερκύψας) das Gewordene und empfängt ( λαμβάνει) eine klare Erscheinung (ἔμφασιν ἐναργῆ) des Ungewordenen, so dass er von ihm (selbst [sc. Gott]; ὡς ἀπ’ αὐτοῦ) ihn selbst begreift (καταλαμβάνειν) und seinen Schatten, nämlich den Logos sowie diese Welt“ (§ 100).

Die Erkenntnis Gottes aus der Natur unterscheidet sich danach qualitativ in grundsätzlicher Weise von der Offenbarungserkenntnis. Erstere erschließt sich Gott durch die menschliche und also gewordene Vernunft aus dem Schatten des Schattens oder, wie Philo in § 96 formuliert, aus dem Abbild des Abbildes, das heißt aus der Welt als dem Abbild des Logos. Als solche ist sie zugleich Erkenntnis aus den dem Wandel unterworfenen Wirkungen des Logos in Gestalt der Welt (§ 101). Zweitere überspringt, wie Philo in Anspielung auf 80  Vgl.

ebd., s. v. ἐπιλογίζομαι, I: „reckon over, conclude, consider“ (kurs.). Plato selbst gibt dem kosmologischen Gottesbeweis in Leg 893b–899b „sehr viel Raum“. Im späteren Platonismus gehört er demgegenüber nicht mehr in „den Kanon der Gottesbeweise“ (Dörrie/Baltes/Pietsch, Theologia, 365). Dem Mittelplatoniker Maximus von Tyrus gilt er als eine Form der Gotteserkenntnis „für die schlichteren ­Gemüter“ (ebd., 373): „Wenn dir aber die Kräfte zur Schau des Vaters und Demiurgen nicht reichen (εἰ δὲ ἐξασθενεῖς πρὸς τήν … θέαν), dann genügt dir fürs erste die Schau seiner Werke (ἀρκεῖ σοι τὰ ἔργα ἐν τῷ παρόντι ὁρᾶν) und die Verehrung seiner Nachkommen“ (Or 11; zit. nach ebd., 84f.; z95–97). In der Beurteilung der beiden Arten der Gotteserkenntnis stimmt Maximus mit Philo überein. 82  Die Initiierung des Mose entnimmt er der Tatsache, dass dieser auf den Berg hinaufgerufen wurde (§ 101). 81 

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Plato formuliert83, die mit dem Auge sichtbare Wirklichkeit und empfängt ihre Erkenntnis unmittelbar aus der Quelle des Ungewordenen, das keinen Wandlungen unterworfen ist (§ 101). Deshalb erhält sie auch eine ‚klare Erscheinung‘ im Gegensatz zur natürlichen Gotteserkenntnis, deren Grundlage der wandelbare ‚Schatten‘ ist. Bei dieser ‚klaren Erscheinung‘ handelt es sich um Gott in der Gestalt des Logos und dessen Schatten, die Welt.84 Von hier aus wird auch deutlich, was Philo unter den großen Geheimnissen versteht. Es sind die Schöpfungsgeheimnisse, die er ausgehend von dem Namen Bezaleel, der „‚im Schatten Gottes (ἐν σκιᾷ θεοῦ)‘“ bedeute, erläutert (§ 96). Der Schatten, von dem hier die Rede ist, ist der Logos (λόγος), der Gott bei der Erschaffung der Welt „gleichsam als Werkzeug (καθάπερ ὀργάνῳ)“ gedient hat. Der Logos-Schatten wiederum, den Philo auch als Abbild (ἀπεικόνισμα) Gottes bestimmen kann, ist das Urbild (ἀρχέτυπον) für den Menschen (§ 96) und den Kosmos (§ 99).85 Gotteserkenntnis als Offenbarungserkenntnis ist somit Erkenntnis Gottes aus seinem unmittelbaren Abbild, dem Logos als Kraft Gottes, und Einsicht in das Wesen der Welt. So wenig Philo die natürliche Gotteserkenntnis, die, wie er sagt, von denen vertreten wurde, die als herausragende Philosophen gelten (§ 97), in Leg 3,96–102 grundsätzlich verwirft, so unmissverständlich macht er deutlich, warum er sie für defizitär hält. Sie erkennt mit den Mitteln der bloß menschlichen Vernunft Gott lediglich als Schöpfungsursache (§ 97)86, ohne jedoch 83  Cover, Sun, 160, sieht in dem Partizip ὑπερκύψας in Leg 3,100 eine Anspielung auf die beiden Partizipien von Phaedr 249c, wo es im Rahmen der Beschreibung des Seelenaufstiegs heißt: „Und dies ist Erinnerung an jene Dinge, die unsere Seele einst schaute (εἶδεν), als sie im Gefolge Gottes dahinzog und über die Dinge hinausblickte (ὑπεριδοῦσα), die wir als jetzt seiend (νῦν εἶναι) behaupten, und zu dem wahrhaft Seienden (τὸ ὂν ὄντως) das Haupt emporrichtete (ἀνακύψασα)“. Die Seele, die in Phaedr mit einem Wagengespann verglichen wird, muss, um im Gefolge Gottes dahinziehen zu können, „dem edelmütigen …, aber von der Vernunft (λογιστικόν) geleiteten und nicht dem begierlichen Rosse“ folgen (von Rintelen, Frage, 85). 84  So meist; Cover, Sun, sucht dagegen neuerdings „The Possibility of Unmediated Vision of God“ (ebd., 155) zu begründen. Die wesentlichen Gegenargumente zu seiner These diskutiert er ebd., 155–158, selbst. Ein für ihn zentrales Argument ist die Aussage in Leg 3,96, wo der Logos als Schatten Gottes bezeichnet wird, was mit der mehrheitlich vertretenen Deutung von § 100f. unvereinbar sei. Dabei übersieht Cover freilich die Fortsetzung § 102, wo Philo unter Rückgriff auf § 96 seine Erörterung von § 100f. weiterführt. Mose wird hier als der Bildner der Urbilder (τὰ ἀρχέτυπα) nach dem ihm von Gott gezeigten Muster (τὸ παράδειγμα; vgl. Ex 25,40) bezeichnet, während Bezaleel die Geräte auf der Grundlage der ihm von Mose gezeigten Urbilder herstellt. Diese Urbilder aber sind von § 96 her mit dem Logos als dem Schatten Gottes zu identifizieren. Damit ist der Rahmen, innerhalb dessen § 100f. zu stehen kommt, eindeutig: Mose bekommt nicht Gott selbst zu sehen, sondern den Logos. Da diese Deutung, wie Cover selbst feststellt, eine mögliche Deutung von § 100 ist, gibt es keinen überzeugenden Grund, für § 100f. mit einer „Unmediated Vision of God“ zu rechnen. 85  Zum Verständnis von σκία bei Philo vgl. Schulz, σκία, 398f. 86  Philo gebraucht in Leg 3,96–102 den Begriff der „Ursache“ mit Bezug auf das, was

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in die Schöpfungsgeheimnisse einzudringen, wie es denen möglich wird, die durch die vollkommenere Vernunft eine klare Erscheinung gleichsam von Gott empfangen. (3) Mit Praem 36–47 ist ein weiterer Text aufzunehmen, der hier aus mehreren Gründen von Interesse ist. Er reflektiert die im Kontext dieser Untersuchung zentrale Gegenüberstellung von Gott und Selbst, die sich in diesem Abschnitt sowohl in der Deutung Jakobs, des Gott schauenden Israel, als auch in der metasprachlichen Begrifflichkeit, mit der die beiden gegenläufigen Gestalten der Gotteserkenntnis bestimmt werden, zeigt. Zum anderen findet sich hier ihre ekstatische Dimension zusätzlich zu der für Spec 1 und Leg 3 herausgearbeiteten noetischen Gestalt der Offenbarungserkenntnis als eine weitere Form. Schließlich weist dieser Text vielfältige Anspielungen auf platonische Traditionen auf, auf die am Ende des Abschnitts einzugehen sein wird. Die Gegenüberstellung von Gott und Selbst verbindet sich mit dem, was Philo als den Hauptkampfpreis Jakobs (§ 36.47) bezeichnet im Unterschied zu einer zweiten Auszeichnung (§ 47), die dem Patriarchen in Folge seines Kampfes (§ 36) und stetigen Übens (§ 51)87 ebenfalls zuteil geworden ist. Besteht der Hauptpreis in der Schau Gottes, in der sich Gott als Subjekt dem Jakob erschließt, so der zweite Preis im Erreichen des vollkommenen Menschseins, das Philo in einer anmaßungsfreien Existenz sieht. Dieser zweite Preis heißt für ihn mit Gen 32,6 „Lähmung der Hüftpfanne“. Die ‚Hüftpfanne‘ steht symbolisch für Prahlerei und Hochmut (ἀλαζονεία … καὶ ὑπεροψία), während die ‚Lähmung‘ für die „Einschränkung des Dünkels (οἰήσεως), der sich in die Höhe schwingt (μετεώρου) und aufbläht (πεφυσημένου)“, steht (§ 47f.).88 Die Nomina Prahlerei, Hochmut und Dünkel entsprechen dem, was Philo an anderer Stelle auf den Begriff der φιλαυτία bringen kann. So verbindet sich auch hier die Gotteserkenntnis mit der Einsicht in die fundamentale Unterschiedenheit von Gott und Mensch, die diesen von jeder Form der Selbsterhebung absehen lässt.89 von Gott erkannt wird, sowohl im Kontext dessen, was hier als ‚natürliche Gotteserkenntnis‘ bezeichnet wird (§ 97), als auch im Kontext dessen, was hier mit dem Begriff der ‚Offenbarungserkenntnis‘ in dem oben definierten Sinn umschrieben wird (§ 100). Insofern ist die Erkenntnis Gottes als Ursache kein Spezifikum des kosmologischen bzw. physikoteleologischen Gottesbeweises, wie Kaiser, Philo, 192, meint. Die Frage der ‚Offenbarungserkenntnis‘ wird von Kaiser nicht thematisiert. 87  Dazu s. ausführlich unten Kap. 7.2.3. 88  Vgl. ähnlich Somn 1,130–132. 89  Für Abraham wird Entsprechendes zu beobachten sein; dazu s. u. Kap. 3.3.2.1 zu Her 26–30. Der Lähmung der Hüftpfanne Jakobs als Zeichen der Begrenzung von Dünkel, Prahlerei, Hochmut und Aufgeblasenheit im Zusammenhang mit der Gottesschau korrespondiert bei Paulus der „Stachel im Fleisch“, der ihm angesichts des Übermaßes der Offenbarungen gegeben wurde, damit er sich nicht überhebt (2Kor 12,7) und dem sich-selbst-Rühmen verfällt.

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Was nun die Gotteserkenntnis anbelangt, so bezeichnet Philo die natürliche Gotteserkenntnis als die wissenschaftliche Erkenntnis (δι’ ἐπιστήμης; § 41). Sie vollzieht sich in der Betrachtung des Kosmos und schließt mittels vernünftiger Überlegung (εἰκότι λογισμῷ) von den Werken auf den Schöpfer und dessen fürsorgendes Walten (§ 43). Demgegenüber definiert er die Offenbarungserkenntnis als das Begreifen Gottes aus ihm selbst heraus (αὐτὸν ἐξ ἑαυτοῦ καταλαβεῖν) ohne die Mitwirkung der vernünftigen Überlegung (λογισμῷ συνεργῷ; § 43).90 Die natürliche Gotteserkenntnis bestimmt er näher als Erkenntnis „von unten nach oben (κάτωθεν ἄνω)“ (§ 43), während sich die Offenbarungserkenntnis im Kontext von Praem als eine Verbindung von katabatischen und anabatischen Bewegungen erweist. Jakob, so Philo, hat seine Erkenntnis der Existenz Gottes „allein von“ Gott (παρ’ αὐτοῦ μόνου; § 44). Dies wird mit Hilfe eines platonisch inspirierten Vergleichs erläutert. Wie die Sonne durch nichts als die Sonne, die Sterne durch nichts als die Sterne und das Licht durch nichts als das Licht geschaut werden, so ist auch „Gott sein eigenes Licht und wird durch sich allein geschaut (δι’ αὐτοῦ μόνου θεωρεῖται), ohne dass ein anderer mitwirkt (συνεργοῦντος) oder mitwirken kann zum reinen Erfassen seiner Existenz (τῆς ὑπάρξεως αὐτοῦ)“ (§ 45).

Aufgrund der Lichtmetaphorik ist in diesem Vergleich die Bewegung von oben nach unten impliziert. Die Verbindung dieser katabatischen Bewegung mit einem anabatischen Moment erhellt aus Philos Deutung der Gottesschau Jakobs in § 37–40a, auf die sich die skizzierten theoretischen Äußerungen zur Erkenntnis Gottes als Offenbarungserkenntnis beziehen. Jakob öffnet die lange verschlossenen Augen der Seele und entfernt allmählich den Nebel, bis „plötzlich (ἐξαίφνης)“ – eine Anspielung auf Platos Ep 7 – „ein unkörperliches Licht, reiner als Äther, aufstrahlte und den intelligiblen Kosmos offenbarte (τὸν νοητὸν κόσμον ἀνέφηνεν), wie er gelenkt wird (ἡνιοχούμενον)“ (§ 37). Dieses Licht identifiziert Philo mit einem lichtumstrahlten Wagenlenker (ὁ … ἡνίοχος) und spielt damit höchst eigenwillig auf das Bild vom Wagenlenker und seinem Gespann in Platos Phaedrus an.91 Der Wagenlenker steht hier für Gott92, der wegen der Blendung des Auges der Seele vom Menschen nur schwer zu sehen und zu erkennen ist. Weil Gott als der Vater und Retter jedoch Erbarmen mit der ihn suchenden Seele hat, zeigt er dem Auge, nicht „was er ist (ὅ ἐστιν)“, sein Wesen also, sondern „dass er ist (ὅτι ἔστιν)“, das heißt seine Existenz (§ 39). Das Wesen Gottes selbst, das 90  Vgl. auch Spec 3,188f. (im Kontext eines weiteren Textes zur natürlichen Gotteserkenntnis [3,187–191]). 91 Vgl. Cover, Sun, 163. Dieses Bild wird in Phaedr 246a–257b entfaltet. 92  Demgegenüber bezieht sich der Wagenlenker bei Plato auf die Seele; zum Ganzen vgl. Apelt, Platon, 2. Phaidros, 14–18, sowie von Rintelen, Frage, 85.

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„besser ist als das Gute (ἀγαθοῦ κρεῖττον), ehrwürdiger als die Monade (μονάδος πρεσβύτερον) und reiner als die Eins (ἑνὸς εἰλικρινέστερον), kann unmöglich von irgendeinem anderen (ὑφ’ ἑτέρου … τίνος) geschaut werden (θεωρεῖσθαι), weil es ihm allein erlaubt ist, von ihm selbst (ὑφ’ ἑαυτοῦ) begriffen zu werden“ (§ 40).

Somit ist festzuhalten: Die Rede vom κόσμος νοητός, den Jakob gezeigt bekommt, setzt den Seelenaufstieg Jakobs voraus, das Aufleuchten des Lichtes in seiner Seele hingegen impliziert das katabatische Moment des Offenbarungsgeschehens.93 Obwohl beide Formen der Gotteserkenntnis nach Praem – auf den ersten Blick jedenfalls – zu ein- und derselben Erkenntnis gelangen, nämlich dass Gott ist (§ 39–41.44f.), haben sie dennoch nicht dasselbe Gewicht. Die Erkenntnis „von unten nach oben“ ist zwar legitim – diejenigen, die sie betreiben, landen mit ihren Schlussfolgerungen immerhin einen glücklichen Treffer (στοχασταί; § 46) –, sie ist aber zweitrangig, weil sie von der Materie, die in der pythagoreischen Philosophie mit der Zweiheit identifiziert wird 94, ausgeht und von ihr auf das Göttliche, repräsentiert durch die Eins, schließt, statt umgekehrt von der Monade ausgehend die Dyade, das heißt die Zweiheit der sinnlichen Welt, zu betrachten (§ 46). Das Geschaffene ist „dem Wandel unterworfen, so dass die menschliche Vernunft in ihm, das heißt auch in sich selbst, keinen festen Halt findet“.95 Deshalb gelangt die natürliche Gotteserkenntnis, so sehr sie auch glückliche Treffer zu erzielen vermag, doch nicht zur Wahrheit. Diese bleibt, soweit sie dem Menschen zugänglich ist, denen vorbehalten, die „die Vorstellung von Gott durch Gott gewinnen, vom Licht durch das Licht“ (§ 46)96, das heißt durch eine göttliche Selbstoffenbarung. Damit stellt Philo in Praem 36–46 den grundlegenden Unterschied von Gott und Selbst auch mit Blick auf die Gotteserkenntnis heraus. Im Gegenüber zur Offenbarungserkenntnis als Erkenntnis Gottes ‚aus Gott‘ ist die natürliche Gotteserkenntnis im Umkehrschluss als Erkenntnis ‚aus sich selbst‘ zu bestimmen. Auch deshalb ist die Offenbarungserkenntnis die vollkommenere Form der Erkenntnis: „Denn der Gipfel der Glückseligkeit ist die Gegen-

93  Zum

Problem der Verbindung von anabatischen und katabatischen Momenten s. u. Kap. 3.1.1.2.3 zu Leg 1,32.36–38. 94  Vgl. dazu Holtz, Gott, 436–443 (mit weiterer Literatur). 95  Mühlenberg, Problem, 80, unter Hinweis auf Post 16f.22–27 und Cher 18f. Die menschliche Vernunft „ist echt platonisch der Bereich der δόξα des μὴ ὄν“ (ebd.). 96  Das göttliche Licht ist, wie Philo in Mut 6 hervorhebt, nicht das sinnlich wahrnehmbare Licht. „Denn das Intelligible (τὸ νοητόν) wird natürlich nur durch den Intellekt erfasst (νοήσει)“. Deshalb gilt: „Wenn du nun hörst, dass Gott von einem Menschen gesehen wurde (ὀφθέντα θεὸν ἀνθρώπῳ), bedenke (νόει), dass dies ohne sinnlich wahrnehmbares Licht (χωρὶς φωτὸς αἰσθητοῦ) geschieht“. Vgl. auch Mut 15 sowie oben Praem 37. Zum Ganzen s. auch Mackie, God, 26–28.43f.

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wart (παρουσία) Gottes, die die ganze Seele vollständig mit seinem ganzen unkörperlichen und ewigen Licht ausfüllt“ (QG 4,4).97 Wie angedeutet, spielt Philo in Praem 36–46 wiederholt auf platonische Texte an. Dies ist im Folgenden zu vertiefen, um die Tragweite der betreffenden Aussagen genauer zu erfassen. Philo zeigt sich ähnlich zurückhaltend wie Plato, wenn es darum geht zu erklären, wie die Offenbarung Gottes durch sich selbst, des Lichts durch das Licht geschieht. Sie ereignet sich, wie gesehen, an der menschlichen Vernunft vorbei (§ 43), aber dennoch im Raum des intelligiblen Kosmos, das heißt jenseits der Welt der Erscheinungen. D.T. Runia vermutet hier eine Anspielung auf Platos bekannte Umschreibung ‚mystischer‘ Erfahrung in Ep 798, wo es heißt: „Es lässt sich doch in keiner Weise wie andere Kenntnisse in Worte fassen, sondern es tritt aufgrund der langen Beschäftigung mit dem Gegenstand und dem Sichhineinleben plötzlich (ἐξαίφνης) in der Seele hervor wie ein durch einen abspringenden Feuerfunken entzündetes Licht (φῶς) und nährt sich durch sich selbst“ (341c).99

Philo, so die These Runias, theologisiert diese Aussage. Damit werde „God’s existence … intuitively apprehended as a unity at the level of the Logos“.100 Mit diesem intuitiven Begreifen der Existenz Gottes gewinnt dann freilich auch die auf sie bezogene Erkenntnis eine gegenüber dem Erkennen ‚von unten nach oben‘ andere Qualität, indem sie nicht allein in anschauungsbedingten logischen Operationen gründet, sondern in der unmittelbaren Erfahrung des Göttlichen in der vernünftigen Seele. Runia betont zu Recht, dass Philo in Praem 40–46 nicht seine eigene Erfahrung beschreibt.101 Gleichwohl gibt es mit Migr 34–36 einen – von Runia nicht berücksichtigten – autobiographischen Text des alexandrinischen Gelehrten, der sich wie ein Kommentar zu Ep 7 liest. Philo schildert hier zunächst, wie er sich mit den philosophischen Lehren beschäftigt, ohne mit den Mitteln des eigenen Denkens zu Ergebnissen zu kommen. Das Hadern mit diesem Unvermögen interpretiert er seiner Grundüberzeugung gemäß, dass der Mensch in allem auf die Zuwendung Gottes angewiesen ist, als Ausdruck des Dünkels (οἰήσεως) der menschlichen Denkkraft und verweist sich darum selbst an die Kraft Gottes. Gelegentlich, so Philo weiter, mache er in Situa-

97 

Vgl. auch Winston, Logos, 44: „The genuine worshipers and true friends of God … are those who apprehend him through himself without cooperation of reasoned inference“ – wie sie für die natürliche Gotteserkenntnis charakteristisch ist – „as light is seen by light“, sowie Calabi, Acting, 58f.  98 Vgl. Runia, Plato, 437, Anm. 161.  99  Zur Übersetzung vgl. Otto, Platon, 1 317, und Apelt, Platon, 6 72. Vgl. auch Symp 210e. 100  Runia, Plato, 437; vgl. auch Winston, Mysticism, 82. 101  Vgl. ebd., 437, Anm. 161.

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tionen geistiger Leere dann jedoch die Erfahrung plötzlicher Eingebung, die er in Anspielung auf Plato, Ep 7, folgendermaßen schildert: „… plötzlich (ἐξαίφνης) wurde ich erfüllt von Gedanken, die unsichtbar von oben (ἄνωθεν) herabströmten und ausgesät wurden, so dass ich in göttlicher Begeisterung nach Art der Korybanten verzückt war und nichts erkannte, den Ort (nicht), die Anwesenden, mich selbst, das Gesprochene, das Geschriebene (nicht). Denn ich erhielt Sprache102, Vorstellung(en), einen Lichtgenuss, eine äußerst scharfblickende Schau, eine deutlich vernehmbare Klarheit der Dinge, wie es durch die Augen (nur) infolge klarsten Zeigens geschehen könnte. Was nun gezeigt wird, ist das Sehenswerte, das Betrachtenswerte, das Liebenswerte, das vollkommene Gute“ (Migr 35f.).

Diese Stelle stimmt nicht nur in der Grundaussage mit Plato, Ep 7, überein, sondern weist auch wörtliche Anspielungen auf diesen Text auf. Mit πλήρης ἐξαίφνης ἐγενόμην ist bei Plato γιγνομένης … ἐξαίφνης zu vergleichen. Der Inhalt dessen, was sich der Seele dann zeigt, wird von beiden Autoren mit dem Begriff des Lichts (φῶς) umschrieben. Dieses Licht identifiziert Philo sodann platonisch mit „dem vollkommenen Guten“ (Migr 36), das für ihn nichts anderes als Gott selbst ist. So scheinen beide Stellen, Platos Ep 7 wie auch Philos Migr 35f., geeignet, das zu verdeutlichen, was Philo in Praem 43 das Begreifen Gottes „aus sich selbst“ nennt, wie auch die Bezugnahme auf Platos 7. Brief in Praem 37f. bestätigt. Dabei ist hervorzuheben, dass Philo ein solches Erkennen in beiden Zusammenhängen – im Unterschied zu Plato – dem als οἴησις gebrandmarkten Begreifen aus sich selbst antithetisch gegenüberstellt. Die Zusammenschau beider Texte lässt die in der Ekstase zuteil werdende Gotteserkenntnis als eine zweite Form der Offenbarungserkenntnis sichtbar werden. Ihre katabatische Dimension, die in Praem nur angedeutet ist, benennt Philo in Migr 35 ausdrücklich: Im Moment der Ekstase strömen „von oben“ Gedanken unsichtbar in den Menschen und erfüllen ihn ganz und gar.103 Ähnliche Vorstellungen, wenn auch nicht zwingend in exakt derselben Kombination, finden sich auch in der mittelplatonischen Rezeption von Platos Ep 7. So ist Plutarch (ca. 45–120 n.Chr.) der Ansicht, dass „der intellektuelle Zugang zur Einfachheit und Reinheit der intelligiblen Welt … nur gelegentlich und momenthaft (ἅπαξ ποτέ) eröffnet“ wird. Wie in Platos 7. Brief geschieht dies „in einem plötzlichen, blitzartigen Aufleuchten einer die Seele durchdringenden Erleuchtung“, allerdings ähnlich wie bei Philo nach langer 102 

Zu den hier bestehenden textlichen Problemen vgl. PLCL, 4 150, Anm. 3. ekstatischen Gotteserfahrung vgl. auch Her 69f., wo die anabatische Seite betont wird. Der Aufstieg der Seele steht freilich unter der Führung Gottes: Nicht mehr in sich seiend (οὐκέτ’ οὔσης ἐν ἑαυτῇ διανοίας), wird der Geist, von himmlischer Liebe getrieben, „von dem wahrhaft Seienden geführt und zu ihm nach oben (ἄνω) gezogen“, während die Wahrheit vorausgeht und alle ihr im Wege stehenden Hindernisse beiseiteräumt. Vgl. dazu Winston, Mysticism, 76. 103  Zur

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Vorbereitung. Dabei wird das Intelligible aber nicht nur gesehen (προσιδεῖν), sondern auch erfahren (θιγεῖν).104 Demgegenüber sind dem menschlichen Erkennen Gottes, „wenn es sich auf seine eigenen rationalen Möglichkeiten stützt, letztlich nur gutbegründete Vermutungen und ein lediglich indirekter Zugang zum Göttlichen möglich“.105 Noch näher kommen dem philonischen Befund Aussagen eines zweiten Mittelplatonikers des 2. Jh.s, Apuleius von Madaura. Anders als Philo hält er den höchsten Gott zwar nicht für grundsätzlich unerkennbar, doch ist seine Erkenntnis an Voraussetzungen gebunden, die nur die besten Philosophen zu erfüllen vermögen. Sie bedürfen einer Kraft der Seele, die es ihnen erlaubt, sich weit möglichst vom Körper zu trennen. Erst in „diesem Zustand des reinen und durch alles Körperliche ungetrübten Denkens – und selbst in diesem nur gelegentlich … –“106 ist die Erkenntnis des höchsten Gottes möglich. „Der höchste Gott offenbart sich also nur dem, der alles Körperliche abstreift und sich mit der ganzen Kraft seiner Seele oder seiner Vernunft auf ihn ausrichtet, der selbst reine Vernunft ist“.107 Die Gotteserkenntnis ist, wie in der Literatur hervorgehoben wird, hier „offenbar keine menschliche Leistung – denn was der Mensch zu ihr beitragen kann, ist ganz auf ihre Vorbereitung beschränkt –, sondern eine von Gott geschenkte Erleuchtung, die dem Menschen überraschend wie ein Blitz und wie ein Licht in tiefster Dunkelheit aufleuchtet“.108 So begegnet auch in der außerphilonischen Interpretationsgeschichte von Platos 7. Brief der Gedanke einer momenthaften Selbsterschließung des Göttlichen, die geschenkte Erleuchtung ist, auf die sich der Denker zwar vorbereiten kann und muss, die er aber selbst nicht bewirken kann.109 Auch wenn sich in den herangezogenen philosophischen Texten in diesem Zusammenhang keine explizit ‚räumlichen‘ Aussagen finden, so sind bei Plutarch andernorts 104 

Dörrie/Baltes/Pietsch, Theologia, 358. Vgl. dazu Plutarch, De Is et Os 77 (= Mor 382d; zit. nach dens., aaO., 74f., z1–3). Diese momenthafte Vernunfteinsicht vergleicht Plutarch mit einer „Einweihung in die Mysterien (τελετῇ)“ (z9); vgl. auch Philo, Leg 101, und dazu s. o. 105  Dörrie/Baltes/Pietsch, Theologia, 354. 106 Ebd., 548. 107 Ebd., 549. 108 Ebd., 548f. Der Textausschnitt, auf den sich Dörrie/Baltes/Pietsch hier beziehen, ist Apuleius, De deo Socr 3,123–125: „… dass kaum den weisen Männern, wenn sie sich mit der lebendigen Kraft ihrer Seele soweit wie möglich vom Körper getrennt haben, die Erkenntnis dieses Gottes (intellectum huius dei) – und auch das nur bisweilen – wie in tiefster Dunkelheit ein helles Licht durch ein sehr rasches Aufblitzen aufscheine“ (zit. nach Dörrie/Baltes/Pietsch, aaO., 182f., z13–19). 109  Anders dagegen zu Unrecht Zeller, Gott, 38f., dem zufolge die „Erkenntnis Gottes durch Gott selbst … nirgends bei heidnischen Philosophen gelehrt“ wird. Hierbei handle „es sich um eine feste Überzeugung von Gottes Existenz, wie sie nur Spitzenvertretern Israels möglich ist“. Zeller denkt hier insbesondere an Philo, für den er auf Leg 3,95–103 verweist.

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mehr oder weniger deutliche Aussagen über die Kosmostranszendenz Gottes zu erkennen. So bezieht Plutarch die Aussage Platos, die Idee des Schönen sei „hoch oben (ἄνω που)“110, auf Gott, der seinen Ort „hoch oben“ in der „Wirklichkeit der immer unwandelbaren Dinge, der Ideen“, habe.111 Was bei Plato angelegt ist, ohne ausgeführt zu werden, wird von Plutarch in eine Philo vergleichbare räumliche Vorstellung überführt, die es nahelegt, auch hier in der Selbsterschließung Gottes ein katabatisches Moment anzunehmen. Intensive Plato-Rezeption findet sich des Weiteren, wie gesehen, in Praem 45f. D.T. Runia bestimmt die entsprechenden Aspekte folgendermaßen: „God alone is true being (τὸ ὄντως ὄν), the source of being and knowledge for all other existents. Just as the sun illumines himself and is the source of light to all other visible objects, so God is his own brightness, by which light he alone can be seen. The visio dei is the ultimate quest, accessible only to the eye of the soul (Rep. 533d). It was granted to the spiritual athlete Jacob, as indicated by the new name he re­ceived, Israel ὁ ὁρῶν τὸν θεόν (cf. Gen 32:29)“.112

Doch ist damit die Bedeutung von Platos Republik für den untersuchten Abschnitt noch nicht ausgeschöpft. Bei dem Vergleich Gottes mit der Sonne in Praem 45f. steht das Sonnengleichnis in Rep 508c–509b im Hintergrund. Philo rezipiert es jedoch höchst differenziert. Plato zufolge ist die Sonne nicht das Gesicht, wohl aber dessen Ursache und wird als solche vom Gesicht gesehen (ὁρᾶται). Sie ist der Sprössling des Guten, den dieses als Analogon zu sich selbst (ἀνάλογον ἑαυτῷ) in der sichtbaren Welt hervorgebracht hat (508b). Das Verhältnis der Analogie zwischen dem Guten und der Sonne ist die Voraussetzung des Sonnengleichnisses.113 Demgemäß verhält sich das Gute „in dem Gebiet des Denkbaren zu dem Denken und dem Gedachten (ἐν τῷ νοητῷ τόπῳ πρός τε νοῦν καὶ τὰ νοούμενα)“ wie die Sonne „in dem des Sichtbaren zu dem Gesicht und dem Gesehenen (ἐν τῷ ὁρατῷ πρός τε ὄψιν καὶ τὰ ὁράμενα)“ (508c). Dies illustriert Plato im Weiteren an den Augen, die für den Gesichtssinn stehen, einerseits und der Seele andererseits (508d). Die Augen erscheinen als blind, wenn sie sich auf Gegenstände richten, die von der Sonne nicht angestrahlt werden, als Augen mit Sehkraft dagegen, wenn sie sich auf solche im Licht richten. Ebenso verhalte es sich mit der Seele: „Wenn sie sich auf das heftet, woran Wahrheit und das Seiende glänzt (καταλάμπει ἀλήθειά τε καὶ τὸ ὄν), so versteht und erkennt sie es (ἐνόησέν τε καὶ 110 Phaedr

254b. Bei Plato spielt die Frage nach dem Ort Gottes „keine wirkliche Rolle“. Jedoch ist Aussagen im Parmenides zu entnehmen (Parm 138a–b), dass er das Eine jenseits des Raumes denkt (Dörrie/Baltes/Pietsch, Theologia, 448). In Phaedr 247c ist ausdrücklich von einem ὑπερουράνιος τόπος die Rede. 111 Ebd., 451, zu Plutarch, Ad principem ineruditum 5. Gegen die Stoiker gewendet, heißt es hier: „Vielmehr ist er irgendwo oben (ἄνω που) im Bereich der Wirklichkeit, die sich immer selbig und gleich verhält, festgegründet auf heiligem Fundament“ (zit. nach Dörrie/Baltes/Pietsch, aaO., 128f., z5). – Apuleius zeigt sich demgegenüber bemüht, „jede direkte räumliche Vorstellung von Gott fernzuhalten“ (ebd., 558). 112  Runia, Philo, 435. 113 Vgl. Dörrie/Baltes, Axiome, 325.

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ἔγνω αὐτό), und es zeigt sich, dass sie Vernunft hat (νοῦν ἔχειν)“. Wenn sie sich dagegen auf das „mit Finsternis Vermischte“ richtet, „das Entstehende und Vergehende (τὸ γιγνόμενόν τε καὶ ἀπολλύμενον)“, kommt sie nur zu – volatilen – Meinungen (δοξάζει), so dass es „aussieht, als ob sie keine Vernunft hätte (νοῦν οὐκ ἔχοντι)“ (508d). Subjekt der Mitteilung der Wahrheit an „die Dinge, die erkannt werden (τοῖς γιγνωσκομένοις)“, und des Vermögens (δύναμιν) zu erkennen „an den Erkennenden (τῷ γιγνώσκοντι)“ ist „die Idee des Guten“ (508e). In der Fortsetzung begründet Plato mit der Entsprechung zur Sonne, die größer ist als „Licht und Gesicht (φῶς τε καὶ ὄψιν)“ (509a), die Überlegenheit des Guten über „Erkenntnis und Wahrheit (γνώσεώς τε καὶ ἀληθείας)“ (508e). Die Subjekthaftigkeit und schlechthinnige Überlegenheit der Sonne und des Guten zeigen sich bei Plato nicht nur im Kontext ihrer Erkenntnis, sondern auch in ihrer Wirksamkeit: „Die Sonne … verleiht den Dingen, die gesehen werden (ὁρωμένοις), nicht nur die Kraft gesehen zu werden (ὁρᾶσθαι), sondern auch das Werden (τὴν γένεσιν), das Wachstum und die Nahrung, obwohl sie selbst nicht Werden ist… Und den Dingen, die erkannt werden (τοῖς γιγνωσκομένοις), sage ich daher, sind von dem Guten (τοῦ ἀγαθοῦ) nicht nur das Erkanntwerden (τὸ γιγνώσκεσθαι) eigen, sondern auch das Sein (τὸ εἶναι) und das Wesen (τὴν οὐσίαν) haben sie von jenem, obwohl das Gute selbst nicht das Sein ist, sondern noch über das Sein (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας) an Rang und Kraft hinausragt“ (509b).114

Der Vergleich des platonischen Sonnengleichnisses mit Praem 36–46 zeigt Übereinstimmungen wie auch charakteristische Differenzen. Die grundlegende Gemeinsamkeit wird durch den Kontext markiert, in dem beide Autoren das Gute (Plato) bzw. Gott (Philo) mit der Sonne vergleichen115, nämlich die Erkenntnis des jeweiligen höchsten Guts durch den Menschen. Dieser Gegenstand der Erkenntnis fällt hier wie dort in den Bereich des Intelligiblen. Seine Erkenntnis vollzieht sich demgemäß rein noetisch. Subjekt im Prozess der Erkenntnis ist das jeweilige oberste Gut selbst, das das Erkennen überhaupt erst ermöglicht. Gemeinsam ist Plato und Philo zudem die Unterscheidung zweier Gegenstandsbereiche der Erkenntnis der Seele, mit denen sich zugleich unterschiedliche Grade der Gewissheit verbinden. Während Plato das, woran Wahrheit und das Seiende glänzen, dem mit Werden und Vergehen identifizierten ‚mit-Finsternis-Vermischten‘ gegenüberstellt, kontrastiert Philo in Praem 46 die Monade der mit der materiellen Welt identifizierten Dyade und in Leg 3,100f. das Ungewordene dem Gewordenen und das Feste und Ewige dem sich Auflösenden. Und wie Plato Verstehen und Erkennen den Meinungen 114 

Übers. in Anlehnung an Otto, Platon, 3 220f. Deutung von Platos Vergleich der Sonne mit dem Guten vgl. u. a. Baumgartner, Möglichkeit, 94, Bormann, Platon, 51–55, Mitchell/Lucas, Engagement, 88f., und Rehn, Höhlengleichnis, 331f. Plato identifiziert das Gute aber nicht mit Gott; vgl. dazu Dörrie/Baltes/Pietsch, Theologia, 546, und Brenk, God, 47. Der Plato-Interpret Plutarch identifiziert dagegen die Idee des Guten mit dem höchsten Gott; vgl. Dörrie/Baltes/Pietsch, aaO., 452. 115  Zur

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gegenüberstellt, so unterscheidet Philo bezogen auf die Gotteserkenntnis in Praem das ‚zur-Wahrheit-Hinkommen‘ (ἀλήθειαν … μετίασιν; Praem 46) von einem ‚zu-einem-Gedanken-‘ bzw. ‚zu-einer-Vorstellung-Kommen‘ (εἰς ἔννοιαν ἦλθον; § 42).116 Schließlich ist festzustellen, dass in den verglichenen Zusammenhängen beide Autoren ihr jeweiliges oberstes Gut radikal von der gesamten Sphäre des Seins abgrenzen. Plato verortet das Gute ἐπέκεινα τῆς οὐσίας, Philo bezeichnet es als „besser als das Gute, ehrwürdiger als die Monade, reiner als die Eins“. Mit der Rede von einer Sphäre „jenseits des Seins“, das sich momenthaft dem Erkennen erschließt117, führt Plato eine räumliche Kategorie ein118, die er aber nicht weiter ausführt. Damit verbindet sich jedoch zugleich ein Unterschied zwischen Philo und Plato. Während dieser die Erkenntnis der Idee des Guten im Linien- wie im Höhlengleichnis119, die eng auf das Sonnengleichnis bezogen sind120, in einem anabatischen Erkenntnisweg verortet121, rezipiert Philo das Sonnengleichnis in Praem im Kontext einer katabatischen Grundstruktur. Differenzen zeigen sich des Weiteren bezogen auf die Erkennbarkeit des zu erkennenden Gegenstandes. Plato verwendet das Sonnengleichnis, um damit die Erkennbarkeit des Guten zu verdeutlichen. Wie die Sonne geschaut werden kann, so wohl auch die Idee des Guten.122 Philo verwendet die Metaphorik des Sonnengleichnisses dagegen, um die Nichterkennbarkeit und Nichtschaubarkeit Gottes zu verdeutlichen:123 Wie die Sonne nur durch die Sonne 116 

Vgl. auch Leg 3,100. Bormann, Platon, 54, bezeichnet die Aletheia zusammen mit dem Licht des Seienden als „das vom Guten ausstrahlende ‚Ins Sein Entbergende‘“. 118  Sie wird von H.J. Krämer als „‚Übertranszendenz‘“ bezeichnet (Rehn, Höhlengleichnis, 332). 119  Zum Liniengleichnis vgl. Rep 509c–511e, zum Höhlengleichnis Rep 514a–517a. 120 Vgl. Rehn, Höhlengleichnis, 331. 121  Intendiert ist hier, so Rehn, ebd., 333, „ein Aufstieg oder Denkweg …, der bei den Phänomenen der Erfahrungswelt beginnt, über die Formen der intelligiblen Welt fortschreitet und schließlich bei der Schau der Idee des Guten Halt macht, gleichsam eine Pause einlegt, dann erneut absteigt in die Welt der Vielheit und des bloßen Meinens“. 122  Vgl. Rep 517b–c und dazu Bormann, Platon, 79f., und Rehn, Höhlengleichnis, 332. – Wie Rehn, ebd., 331, hervorhebt, ist das Sonnengleichnis „das Ergebnis des Eingeständnisses des Sokrates, vom ‚Guten selbst‘ vorerst nicht sprechen zu können …, wohl aber von der Sonne, die als ‚Abkömmling‘ des Guten dem Guten ‚sehr ähnlich‘ sei“ (vgl. Rep 506d–e). In der Plato-Forschung ist strittig, ob von der „Idee des Guten prinzipiell kein Wissen möglich ist … oder ob die Zurückhaltung des Sokrates als Indiz zu werten ist, dass das Wissen um die Idee des Guten einem speziellen Publikum vorbehalten bleiben soll“. Rehn, ebd., plädiert mit einleuchtenden Argumenten für die zweite Möglichkeit. 123 Vgl. Calabi, Acting, 62: „The Platonic good, as likened to the sun, is the source of truth and being, of knowability, but also the object of knowledge. In Philo, the ana117 

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erkannt werden kann, so Gott nur durch Gott. Deshalb kann der Mensch nur durch Gott eine Vorstellung von Gott gewinnen (φαντασιωθέντες; § 46). Ziel der Argumentation Philos ist es m. a. W., die Unmöglichkeit, Gott mit den Mitteln der Vernunft zu erkennen, herauszustellen124 und die Möglichkeit menschlicher Gotteserkenntnis in Gott selbst zu verankern. Damit hängt ein weiterer Unterschied zusammen. Im Sonnengleichnis sind die Augen faktisch blind, wenn sie sich auf Gegenstände richten, die von der Sonne nicht angestrahlt werden. Philo betont in Praem 38 demgegenüber die Blendkraft des Lichtes: Das Auge Jakobs wird durch die Strahlen des Lichts derart geblendet, dass es den vom reinsten Licht umstrahlten Wagenlenker, das heißt Gott, gerade nicht schauen kann. Indem Philo in Praem 36–46 in besonderer Dichte auf verschiedene platonische Zusammenhänge anspielt, diese aber eigenständig verarbeitet, knüpft er im Zentrum seiner Erkenntnislehre nicht nur an Plato an, sondern grenzt sich zugleich von ihm ab: Der Gott Philos ist vom Menschen nicht zu erkennen. Das von ihm Erkennbare, seine Existenz, ist geschenkte Erkenntnis. Dem entspricht die katabatisch zentrierte Struktur seiner Erkenntnislehre, die darin Platos 7. Brief folgt. 3.1.1.2.3 Voraussetzungen der Gotteserkenntnis Stand bislang die Erörterung der Gestalten der Gotteserkenntnis und der Erkenntnisweisen im Vordergrund, so sind nun die theologisch-anthropologischen Voraussetzungen der Gotteserkenntnis in den Blick zu nehmen. Sie werden im Folgenden anhand von Leg 1,32.36–38 und Det 86–90 erörtert. Die beiden Texte weisen Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede auf. Sie stimmen darin überein, dass es der Seele unmöglich ist, Gott aus eigenem Vermögen zu erkennen, das Erkennen vielmehr von Voraussetzungen abhängt, die allein Gott ins Werk zu setzen vermag. Zugleich aber unterscheiden sie sich im Verständnis des erkennenden νοῦς fundamental, was nicht ohne Konsequenzen für das Verständnis des Modus der Erkenntnis bleibt. In Leg 1,36–38 legt Philo das Verbum des Teilsatzes von Gen 2,7 aus: „und er blies in (ἐνεφύσησεν) sein (sc. Adams) Angesicht Lebensatem“. Für das Verständnis seiner Deutung ist der Zusammenhang mit § 32 entscheidend. Hier heißt es mit Bezug auf den Geist Adams, des irdischen Menschen: „Dieser νοῦς ist (ἐστί) nun tatsächlich irdisch und vergänglich, wenn ihm Gott nicht jeweils Kraft (δύναμιν) wahren Lebens einhaucht (ἐμπνεύσειεν)“.125 Das heißt, dass der νοῦς Adams durch die Einhauchung erst „zu einer Seele, logy with the sun is introduced to support the opposite thesis: impossibility of knowing God by intellectual means“. 124  Vgl. ebd. 125 S. ähnlich Sellin, Gotteserkenntnis, 27, der sich damit explizit gegen die Über-

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… zu einer intellektuellen und wirklich lebenden (Seele) wird“. Wie G. Sellin bemerkt, ist „Adams νοῦς … von Natur her irdisch“, er kann aber je und je „durch Inspiration himmlisch werden“. Deshalb sieht er hier zu Recht keine „Schöpfungsaussage“ vorliegen.126 In § 36 erklärt Philo dann ἐνεφύσησεν als gleichbedeutend ( ἴσον) mit „er hauchte ein (ἐνέπνευσεν) und beseelte das Unbeseelte (ἐψύχωσε τὰ ἄψυχα)“.127 Aus diesen Umschreibungen leitet Philo in § 37 die allgemeingültige Lehre ab128, dass für die Gotteserkenntnis dreierlei vorhanden sein muss, „das Einhauchende (τὸ ἐμπνέον), das Empfangende (τὸ δεχόμενον), das Eingehauchte (τὸ ἐμπνεόμενον)“. Diese Trias identifiziert er mit Gott (ὁ θεός), der menschlichen Vernunft (ὁ νοῦς) und dem göttlichen Geist (τὸ πνεῦμα) und bezieht sich damit auf die Trias Gott, νοῦς und δύναμις von § 32 zurück; damit bestätigt sich, dass diese Aussage nicht ontologisch zu verstehen, sondern auf den einzelnen Erkenntnisakt bezogen ist. Die Vereinigung (ἕνωσις) dieser drei Größen findet statt, „damit wir eine Vorstellung von ihm (sc. Gott) empfangen (ὅπως ἔννοιαν αὐτοῦ λάβωμεν)“. Sie vollzieht sich, indem Gott die von ihm selbst ausgehende Kraft (τὴν ἀφ’ ἑαυτοῦ δύναμιν) durch die Mittlerschaft des Geistes ausstreckt bis zum intendierten Gegenstand (ἄχριτοῦ ὑποκειμένου), dem νοῦς des Menschen (§ 37). Dies wird in § 38 unter Rückgriff auf die Gotteserkenntnis Adams, des irdischen Menschen, begründet:129 „Denn wie hätte die Seele Gott erkennen können (ἐνόησεν)130, wenn er sie nicht mit Atem erfüllt (ἐνέπνευσε) und sie gemäß (ihrer) Möglichkeit berührt hätte (ἥψατο)? Denn der menschliche Geist (ἀνθρώπινος νοῦς) hätte nicht gewagt, sich so sehr zu erheben, um die Natur Gottes (θεοῦ φύσεως) zu begreifen, wenn nicht Gott selbst (αὐτὸς ὁ θεός) ihn zu sich selbst (ἑαυτόν) hinaufgezogen hätte131, soweit es möglich war, dass der menschliche Geist hinaufgezogen wurde, und ihn gemäß den dem setzung von PCHAT, 3 27, wendet: „Dieser Geist wäre … vergänglich, wenn Gott ihm nicht … einhauchte“ (Hvb. G.H.; vgl. auch Niehoff, Interpretation, 905, z. St.). 126  Sellin, Gotteserkenntnis, 27, spricht stattdessen – nicht ganz unproblematisch – von einer „soteriologische(n) Aussage von der erlösenden Inspiration durch das Pneuma oder die Sophia“. Deutlicher noch ist in ders., Streit, 105, „von einer jeweils möglichen Inspiration“ die Rede (Hvb. G.H.); vgl. auch Vollenweider, Geist, 172. 127  Mit den beiden griechisch wiedergegebenen Verben nimmt Philo die beiden Nomina πνοή und ψυχή aus dem biblischen Zitat auf: καὶ ἐνεφύσησεν εἰς τὸ πρόσωπον αὐτοῦ πνοὴν ζωῆς, καὶ ἐγένετο ὁ ἄνθρωπος εἰς ψυχὴν ζῶσαν. 128  Er wechselt hier vom Aorist zum Präsens. 129  Hier wechselt Philo in die Vorzeitigkeit, und das heißt zu Adam, zurück. Er spielt in dem mit ἐπεί eingeleiteten Satzteil zugleich auf den Schluss von § 32 an; vgl. ἐνόησεν ἡ ψυχὴ θεόν (§ 38) mit εἰς ψυχήν, … εἰς νοεράν (§ 32). 130  Hier liegt ein Irrealis der Vergangenheit vor (εἰ mit Aorist in der Protasis und Aorist mit ἄν in der Apodosis); so auch PLCL, 1 171; anders PCHAT, 3 28f. („könnte … erkennen, wenn nicht Gott selbst … erfüllt … hätte“), und ähnlich Niehoff, Interpretation, 907. 131  In Migr 170 warnt Philo ausdrücklich davor, dass die Seele, die den Weg zu Gott

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Erkennen (νοηθῆναι) erreichbaren (göttlichen) Kräften (δυνάμεις) geprägt hätte (ἐτύπωσε)“.

Nach dieser an Adam exemplifizierten Bestimmung des einzelnen Aktes der Erkenntnis Gottes durch die Seele kommt es dabei zu einer doppelten Bewegung, einer katabatischen aufseiten Gottes und einer anabatischen aufseiten des Menschen. Aber auch der Aufstieg der Seele ist nicht ihr eigenes Werk, es ist vielmehr Gott, der sie, wie Philo wiederum in Anspielung auf platonisches Denken formuliert, in dem für sie möglichen Maß zu sich zieht, nachdem er den irdischen und vergänglichen νοῦς (§ 32), der den Aufstieg zu Gott von sich aus nicht gewagt hätte (§ 38), mit seiner pneumatischen Kraft berührt und mit seinen Kräften geprägt132 und auf diese Weise selbst die Voraussetzung für den Seelenaufstieg geschaffen hat. Das katabatische Moment zeigt sich in der Vorstellung, dass Gott die von ihm ausgehende Kraft durch den Geist bis zum menschlichen Empfänger ausstreckt (§ 37) bzw. dass er die Seele mit seinem Geist berührt, um sie hernach zu sich zu ziehen. Dabei ist entscheidend, dass Gott in allem, was die Seele betrifft, handelndes Subjekt ist, während Vernunft und Seele ausschließlich im Modus des Empfangens in den Blick kommen. Menschliches Erkennen Gottes ist nach Leg 1,36–38 damit ermöglichtes, von Gott jeweils selbst gegebenes Erkennen. Erkannt werden „außer der Existenz Gottes nur die nachgeordneten Kräfte, was wohl mit der Schau der geistigen Welt identisch ist“.133

nicht kennt, ihn „von sich aus (δι’ ἑαυτῆς)“ geht; vgl. auch Somn 2,283–286 und zum Ganzen Mackie, Means, 150f. 132  Mühlenberg, Problem, 85, sieht hier die „menschliche Vernunft … als menschliche aus(ge)löscht“. Philo scheint mit dem Bild des „Prägens“ allerdings eher an eine Transformation des menschlichen νοῦς zu denken. Es bleibt der νοῦς des Menschen, der angesichts dessen, dass er mit dem Irdisch-Vergänglichen behaftet ist, einer fundamentalen Umprägung bedarf. Vgl. in diesem Sinne auch Kahn, Connais-toi, 302, der zur hiesigen Stelle darauf hinweist, dass „la partie divine de l’âme n’est pas un donné de la nature, mais une grâce qu’il faut mériter“. Dass sich der Mensch die Erneuerung seiner Seele ‚verdienen‘ muss, wird hier freilich nicht gesagt; zur Frage des ‚Verdienstes‘ s. u. Kap. 3.4.1. Zum Gnadencharakter der Gotteserkenntnis vgl. auch Barclay, Agency, 146, und Niehoff, Interpretation, 907. Zu philonischen Texten, die stärker das menschliche Bemühen im Prozess der Gotteserkenntnis akzentuieren, vgl. Mackie, Means, 152–158. 133  Mühlenberg, Problem, 82. Die Kräfte, die das Seiende (τὸ ὄν) in die Welt des Werdens spannt, sind nach Mut 27–29 die königliche und die wohltuende Kraft (τὴν βασιλικήν, τὴν εὐεργετικήν) einerseits und die schöpferische Kraft andererseits (ἡ ποιητικὴ δύναμις). In Sacr 59 werden Güte (ἀγαθότης) und Macht (ἐξουσία) genannt; diese beiden Kräfte entsprechen den beiden wichtigsten δυνάμεις Gottes bei Philo, nämlich θεός und κύριος (vgl. u. a. Spec 1,307 und Leg 1,96). Zum Verständnis der Kräfte bei Philo vgl. etwa. Mack, Logos, 179–184, Dillon, Platonists, 161–166, Bormann, Philosophie, 30–38, Bos, Philo, 75–84, Calabi, Acting, 84–90, und Mackie, God, 29f.

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In Det 86–90 geht Philo der Frage nach, „wie der Mensch eine Vorstellung des unsichtbaren Gottes empfangen hat (ἔλαβεν)“.134 Er beantwortet sie, indem er den Subjektcharakter Gottes betont herausstellt. „Der Schöpfer machte dem Körper keine Seele, die aus sich selbst (ἐξ ἑαυτῆς) fähig ist, den Schöpfer zu sehen (ἰδεῖν). Da er aber meinte, dass das Geschöpf einen großen Nutzen hätte, wenn es eine Vorstellung (ἔννοιαν) dessen, der es geschaffen hat, empfinge ( λάβοι) – denn dies ist das Glück und die äußerste Seligkeit –, hauchte er von oben etwas von seiner eigenen Gottheit ein (ἄνωθεν ἐνέπνει τῆς ἰδίου θειότητος). Die unsichtbare (Gottheit) aber drückte der unsichtbaren Seele ihr eigenes Gepräge als Siegel auf (τοὺς ἑαυτῆς τύπους ἐνεσφραγίζετο), damit auch die irdische Stätte nicht ohne Anteil am Bild (εἰκόνος) sei“ (§ 86).

Die Vorstellung von Gott verdankt sich auch hier Gott selbst, der, um seine Transzendenz zu wahren135, der Seele von oben etwas von seiner eigenen Gottheit einhaucht136, damit diese, das heißt die für die menschliche Erkenntnis Gottes zugängliche Dimension der Gottheit Gottes, der Seele eingeprägt wird. Die Seele verfügt damit über den Stempelabdruck des Stempels, m. a. W. über das Bild der ihr zugewandten Seite Gottes, nicht über Gott selbst137, der als der von oben Einhauchende jenseits des von ihm eingehauchten Teils seiner Gottheit verbleibt. Inhaltlich besteht die Selbstmitteilung Gottes an den Menschen somit in der der Seele ontologisch eingeprägten Möglichkeit der Erkenntnis der Existenz Gottes und seiner Gegenwart, derer der Einzelne in dem je spezifischen Erkenntnisakt durch die Reflexion des Geistes auf die Grundbedingungen der Wirklichkeit gewahr wird.138 Im Duktus der philonischen Argumentation hat diese detaillierte Beschreibung der Selbstmitteilung Gottes an den Menschen die Funktion, die Alternative zur vermeintlichen Erkenntnis Gottes durch den Menschen aus sich selbst (ἐξ ἑαυτῆς) darzulegen, die bei Philo unter dem Verdikt des sich selbst verabsolutierenden Geistes steht.139 Wie aus dem nachfolgenden Kontext (§ 87–90) hervorgeht, handelt es sich bei der Gotteserkenntnis aber lediglich um die höchste Form des Erkennens überhaupt. Die hierfür nötigen Voraussetzungen im erkennenden 134 

πῶς ἔννοιαν ἔλαβεν ἄνθρωπος θεοῦ τοῦ ἀειδοῦς (§ 86). Vgl. dazu § 87a. 136  Der Genitiv ist hier als gen. partitivus zu verstehen. 137  Vgl. auch Spec 1,47, wo bezogen auf die Kräfte von einem Abdruck (ἐκμαγεῖον) und Abbild (ἀπεικόνισμα) die Rede ist, die mit Siegeln (σφραγῖδες) verglichen werden. Sie werden in § 48 mit den Ideen identifiziert. 138 Vgl. Winston, Logos, 45f. 139  Sellin, Gotteserkenntnis, 26, verbindet Philos Skepsis gegenüber einer sich selbst verabsolutierenden Vernunft unter Hinweis auf Phaedr 244ff. (sic) mit Plato: „Nicht erst der fromme Jude Philo, sondern schon der weise Philosoph erschrickt vor dem hybriden, sich jede Erkenntnis zutrauenden Menschen.“ Vgl. auch SapSal 8,21: „Wissend, dass ich ihrer (sc. der Weisheit) nicht habhaft würde, wenn Gott sie mir nicht gäbe (ἐὰν μὴ ὁ θεός δῷ) …“. 135 

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Geist sind für jegliches Erkennen dieselben, handle es sich dabei um göttliche, handle es sich um irdisch-kosmische Gegebenheiten (§ 87–89). Ontologisch eingeprägt ist nach Det somit die Erkenntnisfähigkeit als solche. Darin unterscheiden sich die hiesigen Ausführungen von Leg 1,36–38 in grundsätzlicher Weise140, wie auch Det 90 in augenfälliger Weise zeigt. Die umfassende Erkenntnisfähigkeit des so kleinen menschlichen Geistes (βραχὺν οὕτως ὄντα τὸν ἀνθρώπινον νοῦν), der die Größe des Himmels und des Kosmos zu ermessen vermag, ist nur möglich, weil er ein unabtrennbares Fragment (ἀπόσπασμα)141 der göttlichen, glückseligen Seele ist. Da der νοῦς eine Ausdehnung des göttlich Vollkommenen ist, das in allem ist, vermag er auch alles zu durchmessen.142 Philo argumentiert hier im Horizont der stoischen Allvernunft, die als in allem Existierenden anwesend gedacht wird.143 Demgegenüber ist der Νοus, von dem er in Leg 1,36–38 handelt, der irdisch-vergäng­ liche Νοus, dem Gott je und je seine Geistkraft einhaucht. Trotz dieser fundamentalen erkenntnistheoretischen Differenzen stimmen beide Texte darin überein, dass die Fähigkeit des Menschen, Gott zu erkennen, das katabatisch gedachte Einhauchen Gottes zur Voraussetzung hat. Die Unterschiedlichkeit der Konzeptionen weist noch einmal darauf hin, dass es Philo in der Frage der Gotteserkenntnis zuerst und vor allem darum geht, argumentativ sicherzustellen, dass Gott nur dann recht erkannt wird, wenn er durch Gott erkannt wird und nicht kraft der menschlich-vergänglichen Vernunft. Dazu kann er sich durchaus unterschiedlicher philonischer Vorstellungen bedienen. 3.1.1.2.4 Fazit Somit ist festzuhalten, dass Philo im Rahmen seiner Deutung des jüdischen Gesetzes im Grundsatz zwei Arten der Gotteserkenntnis unterscheidet, die platonisch inspirierte Offenbarungserkenntnis in ihren beiden Gestalten noetischen und ekstatischen Erkennens und die stoisch beeinflusste natürliche Erkenntnis Gottes. Die stoische Gotteserkenntnis selbst verwirft er in Abr 68–80 allerdings, weil sie aus den richtigen Beobachtungen der Natur die falschen Schlussfolgerungen zieht, nämlich die Gleichsetzung von Gott und Welt, und das heißt für Philo: die Identifikation von Schöpfer und Geschöpf. Die philonisch-jüdische Gestalt der natürlichen Gotteserkenntnis führt dem140 Anders

Zeller, Gott, 40, der die beiden Texte als gleichsinnig versteht. Dazu s. u. Kap. 8.3. 142  Vgl. auch § 89. 143  Die stoische Allvernunft verbindet sich in Det 86–90 mit platonischen Elementen. In § 87 thematisiert Philo das Urbild-Abbild-Modell, in § 87–89 ist die auf Plato, Theaet 173e, zurückgehende Vorstellung rezipiert, „dass der Geist bei den Gegenständen seiner Forschung auch wirklich weilt“ (PCHAT, 3 305, Anm. 1; vgl. auch Leg 1,62). Dieser platonische Gedanke lässt sich im Sinne Philos mit der Vorstellung der menschlichen Vernunft als eines ἀπόσπασμα der göttlichen Allvernunft plausibilisieren. 141 

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gegenüber mittels logischer Schlussverfahren, die auf der Beobachtung der Wirklichkeit des Seienden aufruhen, zur Erkenntnis der Existenz Gottes als des Schöpfers. Insofern ist die stoische Gotteserkenntnis im Sinne Philos ein Paradebeispiel für die Problematik einer von Gott losgelösten und darum dem Irrtum unterliegenden Vernunft. Aber auch die natürliche Gotteserkenntnis, die aus ihren Naturbeobachtungen die richtigen Schlüsse zieht, ist Philo zufolge im Verhältnis zur Offenbarungserkenntnis zweitrangig. Mehrere Gründe sind dafür in Anschlag zu bringen. Dies betrifft zunächst den Inhalt der Gotteserkenntnis. Philo betont zwar wiederholt, dass beide Gestalten der Gotteserkenntnis gleichermaßen zur Erkenntnis der Existenz Gottes und seines Waltens führen, sein Wesen aber nicht erfassen. Wenn er dennoch verschiedentlich auch von einer Erkenntnis des Wesens Gottes sprechen kann, so bezogen auf seine Kräfte und deren Wirkungen, wie sie sich im Kosmos zeigen. In diesem Sinne ist die Wesenserkenntnis als Einsicht in die Schöpfungsgeheimnisse zu verstehen, nicht aber als Erkenntnis des Wesens Gottes an sich. Damit geht diese Gestalt der Gotteserkenntnis über die auf dem Weg logischen Denkens gewonnene Einsicht in die Existenz Gottes hinaus. Entsprechendes gilt für die ekstatisch gewonnene Erkenntnis der Existenz Gottes. Durch unmittelbare Erfahrung des sich offenbarenden Gottes erlangt, hat sie gegenüber einer auf dem Weg der vernunftgemäßen Schlussfolgerung erzielten Erkenntnis einen unabweisbaren Mehrwert. Was ihre Form betrifft, ist es der Weg von der Monade zur Dyade oder, was für Philo dasselbe ist, der im Kern katabatische Weg von oben nach unten144, der den Vorzug der Offenbarungserkenntnis gegenüber der natürlichen Gotteserkenntnis, die von unten nach oben verläuft, ausmacht. Die Betonung der Bewegung von oben nach unten ist ein Reflex der platonischen Ontologie, die sich in Philos Urbild-Abbild-Denken manifestiert, in dem dem Logos eine Scharnierfunktion zwischen dem Göttlichen und der Welt des Geschaffenen zukommt. Der Logos ist Abbild des göttlichen Urbildes und kann als solches mit der Ideenwelt identifiziert werden (Leg 3,101). Zugleich ist er Urbild der geschaffenen Wirklichkeit. Entsprechend scheint der Mittelplatoniker Eudoros von Alexandrien (1. Jh. v.Chr.) innerhalb seiner hierar­chisch-katabatisch strukturierten Konzeption der Wirklichkeit die Ideen mit dem Logos zu identifizieren.145 Das katabatische Moment der Gotteserkenntnis im Raum des zeitgenössischen Platonismus hat sich aber vor allem im Kontext der Auslegung von Platos 7. Brief gezeigt. Damit ist die katabatische Struktur der Gotteserkenntnis bei Philo Teil des Platonismus, 144  Wie gesehen, können sich mit der katabatischen Gotteserkenntnis auch anabatische Elemente verbinden, die aber katabatische Voraussetzungen haben. 145 Vgl. Dillon, Platonists, 128, und Kaiser, Philo, 173f. Cover, Sun, 161, weist darauf hin, dass einige der späteren Neuplatoniker entsprechend verfahren sind.

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in dessen Kontext er steht.146 Zugleich aber entspricht sie dem biblischen Offenbarungsdenken. Da die katabatische Dimension der Gotteserkenntnis bei Philo deutlich stärker ausgeprägt ist als im Platonismus, ist die Bedeutung des biblischen Hintergrundes für ihre Ausformulierung durch Philo nicht zu unterschätzen. Sein Gewicht für das philonische Verständnis der Gotteserkenntnis wird sich auch im Weiteren zeigen. Schließlich ist der Vorrang der Offenbarungserkenntnis menschlicherseits in dem ‚Organ‘ begründet, mit dem der Mensch Gott erkennt. Während die natürliche Gotteserkenntnis neben dem natürlichen Denkvermögen, das sich des ‚Auges‘ der Vernunft bedient, des physischen Auges bedarf147, das im Horizont der platonisch-philonischen Ontologie in den Bereich der nachrangigen Materie gehört, ist für die Offenbarungserkenntnis das innere Auge der Vernunft die Voraussetzung. Aber auch die menschliche Vernunft als solche kann in ihrer irdisch-vergänglichen Natur Gott nicht erkennen. Dies vermag nur die durch Gott selbst zum Erkennen befähigte Vernunft. So wird in alledem deutlich, dass die Gotteserkenntnis bei Philo, sofern sie Offenbarungserkenntnis ist, durch und durch theozentrisch strukturiert ist. Gott als Subjekt gibt sich dem Menschen zu erkennen, während der Gott suchende Mensch als Empfänger der göttlichen Selbstkundgabe verstanden ist. Gotteserkenntnis ist aus Gott und von Gott, nicht aus dem Menschen und von Menschen. Als geoffenbarte Erkenntnis ist sie zugleich immer Gnade und damit Geschenk Gottes. Damit zeigt sich bereits im Kontext der Frage der Gotteserkenntnis das für das philonische Denken insgesamt konstitutive Verhältnis von Gott und Mensch. 3.1.1.3 Gotteserkenntnis bei Philo und Paulus im Vergleich Ein Vergleich der philonischen und paulinischen Aussagen zur Erkenntnis Gottes lässt neben Übereinstimmungen, die bis ins Grundsätzliche reichen, auch unverkennbare Differenzen hervortreten. Unterschiede sind angesichts der Verschiedenheit der beiden Autoren grundsätzlich zu erwarten. Die zu beobachtenden Gemeinsamkeiten sind deshalb umso auffälliger. Dies gilt 146  Hier sind insbesondere die beiden Mittelplatoniker Eudoros von Alexandrien und Plutarch (dazu s. o. Kap. 3.1.1.2.2) zu nennen. 147  Kaiser, Philo, 184, akzentuiert anders, kommt in der Sache aber zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Erkenntnis von unten nach oben vollzieht sich „nicht mit den gewöhnlichen Augen als die äußere Welt erschließenden Sinnesorganen, sondern nur mit ‚dem Auge der Seele‘ und d. h. mittels Analogieschlüssen von der sichtbaren Welt auf hinter ihnen stehende unsichtbare göttliche Akte“. Wie gesehen, spricht Philo in denjenigen Zusammenhängen vom ‚Auge der Seele‘, die dem, was hier als Offenbarungserkenntnis bezeichnet wird, subsumiert werden; vgl. bes. Abr 70 und Praem 37. Die Betrachtung des Kosmos im Rahmen der natürlichen Gotteserkenntnis geschieht dagegen mit dem körperlichen Auge und ist die Voraussetzung für den Analogieschluss (vgl. bes. Praem 41–43a).

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umso mehr, als Philo auf den ersten Blick unter das Verdikt des Apostels gegen die Gott suchenden Griechen zu fallen scheint (1Kor 1,22f.148), werden die idealtypischen Moseanhänger (Spec 1,32–50.345) doch ebenso wie die durch Abraham repräsentierte tugendliebende Seele (Abr 68) als Gottsucher beschrieben. Dem ist im Folgenden nachzugehen. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Philo wie Paulus zwei Formen der Gotteserkenntnis unterscheiden, die natürliche Gotteserkenntnis149 und die Offenbarungserkenntnis. Beide Autoren rechnen, wenngleich in unterschiedlicher Weise, mit der Möglichkeit einer natürlichen Gotteserkenntnis, räumen der Offenbarungserkenntnis aber den Vorrang ein, weil sich die erkennende menschliche Vernunft für beide als irrtumsbehaftet erweist und Fehlurteile hervorbringt. Bei Philo ergibt sich dies aus der Tatsache, dass die natürliche Vernunft des Menschen Teil des Gewordenen ist, bei Paulus zeigt es sich an ihren Resultaten, der Nicht-Erkenntnis Gottes. Deshalb verbürgt bei Philo wie bei Paulus allein die Offenbarungserkenntnis wahre Gotteserkenntnis. (1) Was die natürliche Gotteserkenntnis anbelangt, so fällt zunächst auf, dass beide Autoren sie im Kontext ihrer theologisch interpretierten Anthropologie erörtern. Beide richten dabei den Blick auf den sündigen Menschen, der sich über Gott zu erheben sucht, Philo auf den φίλαυτος, der Apostel in der Korintherkorrespondenz auf den καυχώμενος. Paulus nimmt ausschließlich diese Perspektive ein, während Philo auch in anderen Kontexten von der natürlichen Gotteserkenntnis handelt. So gilt für beide Autoren, was G. Sellin für die von ihm als soteriologisch qualifizierten Zusammenhänge bei Philo formuliert: „die Erkenntnis, die dem natürlichen νοῦς möglich ist“ – so bei Philo – bzw. möglich sein müsste – so bei Paulus –, wird in diesen Kontexten „geradezu zum Paradigma der Verblendung, Torheit, Hybris und Sündhaftigkeit“.150 Ähnlich wie Philo in den oben erörterten Textzusammenhängen stellt dem auch Paulus in 1Kor 1 wie in Röm 1–3 die Offenbarungserkenntnis entgegen. Während Paulus die natürliche Gotteserkenntnis angesichts ihres Ergebnisses, der Nicht-Erkenntnis Gottes, verwirft, weist Philo ihr aus philosophischen Überlegungen heraus eine positive, aber nachrangige Bedeutung zu. Im Horizont der platonischen Ontologie formuliert, ist ihr Erkenntnisgegenstand mit dem Kosmos und dem, was ihn konstituiert, der Schatten des Schattens Gottes bzw. das Abbild des Abbildes, das heißt des Logos. Damit verbindet sich bei Philo die Kritik an ihrem Erkenntnisweg von unten nach oben. 148  Die folgenden Aussagen zu Paulus setzen die obigen Ausführungen zu 1Kor 1f. voraus (s. o. Kap. 2.1.1). 149  Die im Folgenden getroffenen Aussagen zur natürlichen Gotteserkenntnis bei Paulus beruhen nicht nur auf dem bereits erörterten Befund in 1Kor, sondern auch auf Röm 1,19–22; dazu s. ausführlich im Folgenden. 150  Sellin, Gotteserkenntnis, 25.

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Anders als Philo äußert sich Paulus nur in wenigen Sätzen zur natürlichen Gotteserkenntnis. Deshalb lässt sich die von ihm mutmaßlich vertretene Gestalt natürlicher Gotteserkenntnis nur aus ihrem religionsgeschichtlichen Kontext im hellenistischen Judentum und in der Stoa extrapolieren. Da sich diese beiden Kontexte, wie bei der Erörterung von Abr 68–80 exemplarisch gesehen, in manchem erheblich unterscheiden, ist im Folgenden der Frage nachzugehen, welcher Kontext für Paulus der wahrscheinlichere ist. Dazu ist zunächst Röm 1,19f. aufzunehmen. Der Apostel behauptet in Röm 1,19f. die Erkennbarkeit Gottes aus den Werken seiner Schöpfung: „Denn was von Gott zu erkennen ist (τὸ γνωστόν), ist bei ihnen offenbar (φανερόν). Gott hat es ihnen nämlich offenbart (ἐφανέρωσεν). Denn (in) seiner Unsichtbarkeit (τά … ἀόρατα)151 wird er seit der Erschaffung des Kosmos an den (Schöpfungs-) Werken (τοῖς ποιήμασιν) (mittels) vernünftiger Wahrnehmung geschaut (νοούμενα καθορᾶται152): seine ewige Macht (δύναμις) und Gottheit“.

Gott, soweit er aus der Schöpfung erkennbar ist, das heißt in seiner ewigen Macht und Gottheit – alles, was darüber hinausgeht, ist der Vernunft­ erkenntnis entzogen153 –, ist vernünftiger Wahrnehmung offenbar, weil er als solcher aus seinen Werken zu erkennen ist. Insoweit stimmt Paulus mit Vorstellungen einer natürlichen Gotteserkenntnis im hellenistischen Judentum und in der Stoa im Grundsatz überein.154 Diese Gemeinsamkeit wird keineswegs dadurch in Frage gestellt, dass Paulus mit seinen Aussagen zur Gotteserkenntnis in Röm 1,19f. eine spezifische argumentative Absicht verfolgt, die ihn von Philo und den Stoikern unterscheidet.155 151 

Übers. im Anschluss an Käsemann, Römer, 32. Zur Übersetzung vgl. Wilckens, Brief, 1 105 mit Anm. 174; vgl. ähnlich Dunn, Romans, 57: „are perceived intellectually“. 153  Vgl. auch Hirsch-Luitpold, Literatur, 132, Anm. 55, zu Röm 1,19f.: „Was hier gesehen und gefühlt werden kann, ist also die Existenz und sein gütiges Wesen, nicht aber Gott selbst, wie das Johannesevangelium behauptet“. 154  Zum hellenistischen Judentum vgl. die erörterten Belege aus dem corpus philonicum sowie SapSal 13,5 und Arist 132; zur Stoa vgl. Seneca, Nat Quaest 7,30.3, und Cicero, Tusc 1,69. Zu dem Doppelausdruck δύναμις καὶ θειότης verweist Wilckens, Brief, 1 106 mit Anm. 179, auf Plato, Leg 691e, und Cicero, Nat deor 1,18.44. Zur Göttlichkeit der die Substanz bewegenden δύναμις in der Stoa vgl. den oben Kap. 3.1.1.1, Anm. 33, zitierten Textausschnitt aus SVF 2,311. 155  In v20c benennt er seine Intention direkt: Die Erkennbarkeit Gottes aus den Werken der Schöpfung dient dem Aufweis der Unentschuldbarkeit der Nichtjuden, die den Schöpfergott nicht erkennen. Das Bemühen von Käsemann, Wilckens u. a., die paulinischen Aussagen in Röm 1,19f. von ihrer Umwelt abzugrenzen, ist systematischen Interessen geschuldet, die historisch-exegetisch kaum begründbar sind. So ist etwa den für die natürliche Gotteserkenntnis bei Philo relevanten Stellen (s. o.) kaum zu entnehmen, dass das „Schauen“ des νοῦς bei Philo „die mystische Funktion der Erhebung der Seele über den Bereich des Irdisch-Gewordenen zu unmittelbarem Einswerden mit dem ab­ 152 

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Mit Blick auf die teils erheblichen Differenzen zwischen Philo und den Stoikern gilt es, den paulinischen Befund weiter auszuloten. J.D.G. Dunn zufolge rezipiert Paulus die „well known premise of the time that God is knowable, and his brief elaboration of it … draws principally on influential Stoic ideas: that there is an innate rapport between the divine and the human because the divine logos immanent throughout the world is immanent also in man as the power of reason; and that consequently the invisible realities and eternal power of divinity behind the visible cosmos are clearly seen by the eye of understanding (that same rational power) in and through the creation“.156

So sachgemäß die Aussagen Dunns stoisches Denken wiedergeben, so wenig wird man sie in dieser Form für Paulus in Anspruch nehmen können. Der Apostel äußert sich in Röm 1,19f. zwar nicht ausführlich genug, als dass von hier aus Rückschlüsse auf sein Vernunftverständnis möglich wären; dennoch gibt es Indizien, die geeignet sind, die Deutung Dunns in Frage zu stellen. Diese werden zudem durch Texte des hellenistischen Judentums, insbesondere Philos, verstärkt. Das erste hier relevante Argument ist 1Kor 2,11f. zu entnehmen, wo Paulus zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Pneuma unterscheidet.157 Der von ihm mit Philo und der griechischen Tradition vertretene Grundsatz lautet, dass Gott durch Gott erkannt wird, das heißt im Kontext von 1Kor durch das den Glaubenden gegebene göttliche Pneuma, das sich vom menschlichen unterscheidet. Die Erkenntnis Gottes gründet hier so gerade nicht auf der Einheit von göttlicher und menschlicher Vernunft.158 Verstünde Paulus die natürliche Gotteserkenntnis tatsächlich stoisch, so dass der Mensch mittels der Vernunft als seines Anteils am göttlichen Logos im Zuge der Betrachtung der Natur Gott erkennen würde und Gott in diesem Sinne ebenfalls durch Gott erkannt würde, so wäre nicht zu erklären, dass er ihn auf diesem Weg faktisch nicht erkennt. Folglich ist davon auszugehen, dass auch in Röm 1 die Vernunft als das ‚Organ‘ der natürlichen Gottes­erkenntnis exklusiv das Denkvermögen des natürlichen Menschen meint, das als solches Fehlurteilen unterliegt. strakt-transzendenten Gott“ hat (Wilckens, Brief, 1 105). Vgl. auch Winston, Logos, 53f., sowie ders., Mysticism, 74. 156  Dunn, Romans, 71. 157  Vgl. auch Röm 8,16, wo es vom göttlichen πνεῦμα heißt, es bezeuge „unserem“, das heißt dem menschlichen πνεῦμα, „dass wir Kinder Gottes sind“. Vollenweider, Geist, 178, weist jedoch darauf hin, dass „(e)xegetisch … kaum begründet zu entscheiden ist, ob es sich bei diesem (sc. dem menschlichen πνεῦμα) um den menschlichen Geist als anthropologisches Konstitutivum oder um das in die Glaubenden eingegangene Pneuma handelt“; zum Ganzen vgl. ebd., 177–180. 158  Eine gewisse Ausnahme stellt im Kontext der erörterten Texte Philos Det 86–90 dar; hier geht es, wie gesehen, allerdings nicht speziell um die Gotteserkenntnis, sondern um das Erkennen überhaupt.

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Das zweite Argument ergibt sich aus Vergleichstexten des hellenistischen Judentums. Anders als die von Dunn beschriebene stoische Lehre argumentieren jüdische Autoren im Kontext von Äußerungen zur vernünftigen Gotteserkenntnis in aller Regel nicht mit der Einheit von göttlicher und menschlicher Vernunft. Das Vernunftprinzip zeigt sich in den einschlägigen Texten als die menschliche Fähigkeit, vernünftige Überlegungen anzustellen. Konkret äußert es sich darin, aus der wissenschaftlichen Beobachtung irdischer und kosmischer Phänomene die richtigen Schlüsse für die Frage der Existenz Gottes zu ziehen. Das Schlussverfahren, das dabei zur Anwendung kommt, ist die stoisch verstandene Analogie. Dieser für Philo bereits dargelegte Tatbestand wird im Folgenden an einer bislang noch unbeachtet gebliebenen Aussage aus Praem illustriert, die in SapSal 13,4f. eine Parallele hat. In Praem 41f. beschreibt Philo, wie gesehen, den Erkenntnisweg derer, die „durch wissenschaftliche Erkenntnis (δι’ ἐπιστήμης) die Kraft haben, sich den Schöpfer und Lenker des Alls vorzustellen (φαντασιωθῆναι)“: Sie „betraten (παρελθόντες) die Welt wie eine wohlgeordnete Stadt und sahen (θεασάμενοι) die Erde“ in ihrer ganzen Vielfalt sowie die Gestirne und den Himmel: Da „staunten sie (θαυμάσαντες) und gerieten außer sich (καταπλαγέντες) und gelangten zu einer Vorstellung (ἔννοιαν), die aus den Erscheinungen folgt (ἀκόλουθον), dass solche Schönheiten (κάλλη159) und eine so überragende Ordnung natürlich nicht von selbst (οὐκ ἀπαυτοματισθέντα) entstanden sind, sondern von einem Bildner und Weltenschöpfer, und dass es notwendig (auch) eine Vorsehung (geben) müsse“.

Das von Philo hier angewandte Schlussverfahren ist die Folgerung160, die ein analogisches Moment enthält, wie der Vergleich des Kosmos mit einer Stadt zeigt.161 Partiell ähnlich argumentiert SapSal 13,4f., wo die Analogie als logisches Schlussverfahren jedoch explizit genannt und mit einem Schluss a minore ad maius kombiniert wird: „Wenn sie (sc. die Menschen) über deren (sc. der von ihnen als Götter angesehenen kosmischen Phänomene) Macht und Wirkkraft (δύναμιν καὶ ἐνέργειαν) (vor Staunen) außer sich gerieten (ἐκπλαγέντες), sollten sie von ihnen her wahrnehmen (νοησάτωσαν), um wie viel mächtiger (πόσῳ … δυνατώτερος) derjenige ist, der sie bereitet hat. Aus der Größe nämlich und der Schönheit der Geschöpfe (μεγέθους 159 

Zum Staunen über die Schönheit des Kosmos bei Philo vgl. Runia, Philo, 458f. ἀκόλουθος vgl. LSJ, 52. Vgl. auch Spec 3,189. 161  Vgl. auch den bereits erörterten Text Spec 1,34f. (und dazu Zeller, Gott, 37), der teils dieselben Schlüsselbegriffe (θεασάμενον, ἔννοιαν λήψεσθαι) und einen iden­tischen Argumentationsgang aufweist und ebenfalls auf Analogie fußt. Die Vor­stellung vom Schöpfer, Vater und Lenker (§ 34) wird in § 35 auf die „Vorstellung (ἔννοιαν) von der Existenz (ὑπάρξεως) Gottes“ zugespitzt. S. auch oben zu Abr 72–74 sowie Leg 3,99. 160 Zu

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καὶ καλλονῆς κτισμάτων) wird in Entsprechung dazu (ἀναλόγως) ihr Schöpfer geschaut“.162

Was das Verständnis der natürlichen Gotteserkenntnis, wie es den erörterten paulinischen Texten in Umrissen, SapSal und insbesondere Philo aber ziemlich eindeutig zu entnehmen ist, anbelangt, so berührt sich das hellenistische Judentum, zu dem in dieser Frage auch Paulus zu zählen ist, mit der stoischen Gotteserkenntnis im Erkenntnisweg und in der Erkenntnismethode. Hier wie dort gründet die Erkenntnis Gottes auf der Beobachtung der Natur, aus der per Analogieschluss die Existenz Gottes abgeleitet wird. Aber es gibt auch einen wesentlichen Unterschied. Während Stoiker aus der Naturbeobachtung auf ein dem Kosmos einschließlich des Menschen innewohnendes Göttliches schließen, das sich auf den Begriff der Allvernunft bringen lässt, schließt das hellenistische Judentum von der Schönheit des Kosmos auf einen außerhalb seiner befindlichen Schöpfer. Philo deutet Gott dabei genauer als den Logos, der in der Art eines Architekten die Welt erdacht und sie nach dem im Raum der Ideen verorteten Urbild als Abbild ins Werk gesetzt hat.163 Auch ist die Gott aus seinen Werken erkennende Vernunft bei Philo, SapSal und Paulus im Unterschied zu stoischem Denken gerade nicht eine dem Menschen immanente göttliche Vernunft164, sondern, wie gesehen, die ihm bei seiner Erschaffung zuteil werdende geschöpfliche Vernunft, die den Bedingungen des Geschöpflichen unterworfen und deshalb fehlbar ist. Dem Apo­ s­tel zufolge erkennt der menschliche νοῦς Gott entweder gar nicht (1Kor 1) oder er zieht aus seiner Erkenntnis die falschen Schlüsse (Röm 1). Eben dies behauptet auch der Verfasser von SapSal: Diejenigen, die sich dem analogischen Denken verweigern, bleiben in ihrer Gottsuche bei den Phänomenen im Sinne der Schöpfungswerke stehen und verkennen aufgrund ihres irrtümlichen Denkens Gott in seiner Unterschiedenheit von der Welt (13,16f.).165 Dies zeigt sich ähnlich bei den stoisierenden Chaldäern Philos, die Gott und Welt identifizieren. Für Philo erweist sich diese Gleichsetzung als das Resul-

162 

Übers. im Anschluss an Kraus/Karrer, Septuaginta Deutsch. kommt die platonische Analogie ins Spiel, die „nichts anderes ist als ein Ausdruck des alles durchwirkenden und alles begründenden Urbild-Abbild-Verhältnisses“ (Dörrie/Baltes, Axiome, 375). Gegen George, Begriff, 196, ist allerdings zu betonen, dass in Sap 13,5 die Analogie nicht platonisch gedacht ist, sondern aristotelisch-stoisch (dazu s. o. Kap. 3.1.1.2.1). Zum platonischen Verständnis der Analogie s. o. Kap. 3.1.1.2.2 (3). 164  Auch in der Stoa weiß man selbstverständlich um das Problem von Fehlurteilen; zum Umgang damit s. o. Kap. 3.1.1, Anm. 39, sowie unten Kap. 6; 7.2.4 sowie Kap. 9.(3). 165  Vgl. auch George, Begriff, 197: „Analog über die Beziehung von Welt und Gott zu denken heißt hier soviel wie richtig zu denken. Oder negativ ausgedrückt: die Menschen sind in ihrer Suche nach Gott in die Irre gegangen, weil sie nicht analog gedacht haben“. 163  Hier

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tat der von Gott losgelösten natürlichen Vernunft des Menschen, die sich selbst begegnet und nicht Gott. So lassen es beide Argumente als wahrscheinlich erscheinen, dass sich das paulinische Verständnis der natürlichen Gotteserkenntnis zwar mit stoischen Vorstellungen berührt, es diese jedoch über das hellenistische Judentum rezipiert und dabei auch die kritische Auseinandersetzung mit ihnen mit aufgenommen hat. (2) Auch im Blick auf die Offenbarungserkenntnis zeigen sich zwischen Philo und Paulus überraschend dichte Übereinstimmungen bei gleichzeitig nicht zu übersehenden Differenzen auch grundsätzlicher Art. Eine erste grundlegende Übereinstimmung ist dem Offenbarungsgedanken inhärent. In der Offenbarung gibt sich Gott selbst kund und erweist sich darin als Subjekt. Gleichwohl fällt auf, dass beide, Philo und Paulus, den Subjektcharakter Gottes in seiner Selbstmitteilung auffällig stark betonen. Dies zeigt sich bei beiden Autoren auch daran, dass Gott nicht nur als derjenige verstanden wird, der sich zeigt, sondern zugleich als derjenige, der dem Menschen das Medium, in dem er sich zu erkennen gibt, zuteil werden lässt. Im Hintergrund steht hier die gemeinsame, in der Antike auch sonst vertretene Überzeugung, dass Gott nur durch Gott erkannt wird. In beiden Entwürfen spielen in diesem Zusammenhang das göttliche Pneuma und der νοῦς eine zentrale Rolle. Damit wird zugleich zum Ausdruck gebracht, dass Gotteserkenntnis ‚aus Gott‘ ist und nicht ‚aus dem Menschen‘, dieser sie vielmehr nur empfangen kann. Mit dem Subjektcharakter Gottes im Kontext seiner Selbstkundgabe verbindet sich hier wie dort zudem das Verständnis, dass die Offenbarung Gnaden- und Geschenkcharakter hat. Ein zweiter Aspekt, der dem Offenbarungsgedanken inhärent ist, ist seine katabatische Struktur. Dies gilt unbeschadet der in den philonischen Texten verschiedentlich hervortretenden anabatischen Elemente auch für Philo, da sich diese ganz in die katabatische Gesamtstruktur einfügen. S. Vollenweider bezeichnet die katabatische Bewegung als Proprium des paulinisch-christlichen Offenbarungsvorgangs und spricht „für die antike Philosophie“ als ganze demgegenüber von der für sie „konstitutive(n) Bewegung des Aufstiegs“.166 Folgt man Vollenweider, so ließe sich argumentieren, dass die von Philo herausgestellte katabatische Bewegung des Offenbarungsvorgangs auf sein biblisches Erbe und nicht auf die philosophische Tradition, in der er ebenfalls steht, zurückzuführen ist. Nun hat sich freilich gezeigt, dass diese Bewegung auch ein Merkmal des Platonismus ist, in dessen Tradition Philo mit seiner Erkenntnislehre steht. Deshalb ist davon auszugehen, dass die biblische Tradition hier zwar verstärkend, nicht aber begründend gewirkt hat. 166 

Vollenweider, Areopag, 313.

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Vor diesem Hintergrund steht zu vermuten, dass Paulus bei seinem Verdikt über die Gott suchenden Griechen in erster Linie an die stoische Tradition und weniger an den Platonismus gedacht haben dürfte. Was den Inhalt der Gotteserkenntnis anbelangt, so sind hier naturgemäß die größten Unterschiede zwischen Philo und Paulus zu verzeichnen. Philo betont auch im Kontext seiner Äußerungen zur Offenbarungserkenntnis wiederholt, dass nur die Existenz Gottes zu erkennen ist, nicht aber sein Wesen. Er kann zwar auch davon sprechen, dass Gott dem Menschen sein Wesen enthüllt, denkt dabei aber nicht an die umfassende Offenbarung seines Wesens, sondern an das vom Menschen zu fassende und ihm zuträgliche Maß. Dazu verweist er in den erörterten Texten auf die Wirkungen der Kräfte Gottes, die sich nicht zuletzt in den Schöpfungsgeheimnissen manifestieren. D.T. Runia sieht in der von Philo vertretenen These der „unknowability of God’s true being“ einen Einfluss der biblischen Theologie, für die er auf die u. a. in Spec 1,41–49 interpretierte Stelle Ex 33 verweist.167 Demgegenüber bestimmt Paulus das Wesen Gottes in 1Kor 1 christologisch. Christus ist Kraft und Weisheit Gottes (v24). Gleichwohl sind auch in dieser Frage Übereinstimmungen mit Paulus zu verzeichnen. Der Apostel ist, was die Erkennbarkeit des Wesens Gottes anbelangt168, zwar deutlich weniger zurückhaltend als Philo, aber auch er geht, nicht zuletzt unter Rekurs auf alttestamentliche Texte, keineswegs von einer umfassenden Erkennbarkeit des Wesens Gottes aus.169 167  Runia, Beginnings, 310, partiell im Anschluss an eine ältere, von der Forschung mit „little favour“ (ebd.) aufgenommene These von H.A. Wolfson. Runia, ebd., 311, hält es für möglich, dass Philo bei der Überführung des biblisch-jüdischen „topos of divine invisibility into negative theology … may well have been an innovator“. Dem jüdischen Hintergrund weist er zudem den „counterfactual threat of collapse“ zu, der sich ereignen könnte, wenn es der Rezipient, sei es der Kosmos, sei es der Mensch, mit der „higher metaphysical power which has not been properly adjusted and measured out“, zu tun bekäme. Für das Alte Testament ist hierzu neben Ex 33 an Texte wie Ex 19f. und Jes 6,6f. zu denken. Neutestamentlich findet dies bei Lukas Widerhall; vgl. dazu Holtz, Relevanz. Für das rabbinische Judentum ist auf die Tradition vom Aufstieg von vier Tannaiten der zweiten Generation ins Paradies zu verweisen, deren älteste literarische Gestalt in tChag 2,1 greifbar ist. Nur einer von ihnen, R. Akiva, überlebt den Aufstieg unbeschadet. Da Paulus in 2Kor 12,2–4 ebenfalls von einer Entrückung ins Paradies berichtet, ist davon auszugehen, dass auch er um die Gefährlichkeit eines solchen Aufstiegs wusste; vgl. auch 2Kor 12,7; 3,7.13. Die beiden letzteren Stellen illustrieren, was Runia, ebd., 310, für Philo unter Hinweis auf die Beschreibung „of God’s splendour (δόξα, kavod …) which Moses can only see from the rear“ als starken Hinweis auf die „conception of divine power that must be accomodated in order to be received by humankind“ (tw. kurs.) sieht. 168 Vom „Wesen“ Gottes spricht für Paulus im Kontext von 1Kor 2,10–16 Schrage, Brief, 1 259. 169 Anders Sellin, Gotteserkenntnis, 25, der für Paulus (zu 1Kor 2,6–16) im Gegensatz zu Philo mit einer umfassenden Erkenntnis des Wesens Gottes rechnet.

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So betont Paulus in 1Kor 2,10 zwar, dass der Geist Gottes alles (πάντα) ergründet, auch die Tiefen Gottes, eine Feststellung, die zweifelsohne umfassend zu verstehen ist. Mit dem Geist Gottes bezieht sie sich aber auf das innergöttliche Erkenntnisvermögen. Was das Erkennen der Glaubenden betrifft, so hat Paulus hier die χαρισθέντα im Blick (v12), bei denen es sich in erster Linie um Kreuz und Auferstehung handelt, das heißt um das Offenbarungshandeln Gottes in Jesus Christus. In v15 heißt es dann zwar, der Pneumatiker beurteile alles ([τὰ] πάντα), was jedoch auf die Wendung τὰ τοῦ πνεύματος τοῦ θεοῦ (v14) zu beziehen ist170, die wiederum auf die vom Pneuma offenbarten χαρισθέντα von v12 zurückverweist.171 In v16 schließlich verweist Paulus mit der Autorität der Schrift (Jes 40,13) auf die Unergründbarkeit des νοῦς Gottes auch für diejenigen, die den νοῦς Christi haben.172 Somit ist dasjenige, was vom Wesen Gottes zu erkennen ist, das, was Gott in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi von sich offenbart. Zugleich aber gibt es in Gott für den Menschen Unergründbares. Insofern ist für 1Kor 2,6–16 von einer nur partiellen Wesensoffenbarung Gottes zu sprechen. Demgemäß bestimmt Paulus die Erkenntnis Gottes in der eschatologischen Gegenwart als nur „bruchstückhaft (ἐκ μέρους)“ (1Kor 13,12) und postuliert in Röm 11,33–35 mit erneutem Bezug auf Jes 40,13 die Unergründbarkeit der „Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes“. Diese Tiefe enthüllt sich dem menschlichen Erkennen in der Gegenwart nur stückweise – in diesem Fall handelt es sich dabei um das universale Erbarmen Gottes über Juden und Nichtjuden (Röm 11,32). Was die Gestalten des Offenbarungshandelns Gottes betrifft, so unterscheidet Paulus drei Formen, in denen sich Gott dem Menschen in der eschatologisch bestimmten Gegenwart gezeigt hat (und zeigt). Die erste und grundlegende Gestalt ist seine Offenbarung in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Diese geschichtliche und als solche einmalige und unwiederholbare Offenbarung war im Ereignis selbst für ihre Zeugen freilich nicht als Offenbarung Gottes zu erkennen.173 Dass Tod und Auferstehung Jesu als Offenbarungshandeln Gottes gedeutet wurden, gründet auf den Erscheinungen des Auferstandenen. Demgemäß widerfährt Paulus die Erkenntnis Got170 Vgl.

Wolff, Der erste Brief, 61, Anm. 217, und Schnabel, Brief, 178 (ebd. zugleich mit einem kurzen Forschungsüberblick). 171 Vgl. Wolff, Der erste Brief, 61, und Schnabel, Brief, 176. 172  Vgl. auch Wolff, Der erste Brief, 62, und Schrage, Bedeutung, 421. 173  Den Evangelien zufolge gibt es für die Auferstehung Jesu am dritten Tag keine Augenzeugen. Anders verhält es sich mit dem Tod Jesu, der nach Darstellung des ältesten Evangeliums vom Zerreißen des Vorhangs im Tempel begleitet und vom Hauptmann unter dem Kreuz mit der Aussage, Jesus sei der Sohn Gottes gewesen, gedeutet wird (Mk 15,38f.). Damit interpretiert Mk den Tod Jesu als Offenbarungshandeln Gottes. Dabei handelt es sich historisch jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit um eine Deutung ex post.

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tes im gekreuzigten Auferstandenen in einer äußeren Offenbarung, die die Apostelgeschichte auf seinem Weg nach Damaskus verortet.174 Für Philo ist ein solch äußerlich sichtbares Heraustreten Gottes aus der Transzendenz undenkbar175, auch wenn er von plötzlichen ekstatischen Erfahrungen berichtet, denen er Offenbarungsqualität zuschreibt. Es handelt sich dabei jedoch um eine sich rein geistig im νοῦς vollziehende Schau, bei der die Sinne ausgeschaltet sind.176 Der paulinische Befund ist jedoch vielschichtiger, als es das bisher Gesagte vermuten lässt. So bestimmt Paulus in 2Kor 4,6 die in 1Kor 15,8 als äußere Offenbarung beschriebene Erscheinung des Auferstandenen als ein Geschehen, das sich im Herzen des Menschen vollzieht177; καρδία und νοῦς aber sind bei Paulus Äquivalente.178 Die Nähe zu Philo wird vollends deutlich, wenn Paulus dasselbe Geschehen mit Hilfe von Lichtmetaphorik umschreibt. So heißt es in unverkennbarem Rückgriff auf Gen 1,3179 in 2Kor 4,6: „Denn Gott, der sprach: ‚Aus Finsternis erstrahle Licht (φῶς λάμψει)‘, (er ist es), der in unseren Herzen erstrahlte (ἔλαμψεν) zum Leuchten (φωτισμόν) der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi“. Für Paulus sind vor diesem Hintergrund offenbar beide Darstellungsweisen seiner christlichen Ursprungserfahrung, die äußere und die innere, als die beiden Seiten ein und derselben Medaille zu verstehen. Wie Paulus die von ihm erlebte Offenbarung Jesu Christi auch als innere Erfahrung bestimmen kann, so versteht er auch die Erkenntnis Gottes in Jesus Christus, die sich durch die Verkündigung des Evangeliums (1Kor 1,21) vollzieht, gleichermaßen als innere pneumatische Erkenntnis, die dem Menschen durch den Geist Gottes erschlossen wird (2,10–12). Auf diese Weise 174 

Vgl. 1Kor 15,8 in Verbindung mit Gal 1,15f. Von Damaskus ist in den Paulusbriefen selbst in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Der Begriff ὤφθη in 1Kor 15,8 lässt jedoch vermuten, dass Paulus die ihm widerfahrene Erscheinung des Auferstandenen als äußere Erscheinung verstanden hat, so wie die ihm vorausgehende christliche Tradition die Erscheinungen vor Petrus und den Zwölfen (v5) auch als äußere Erscheinungen verstanden hat (v5 ist Teil der von Paulus übernommenen Tradition). 175  Vgl. dazu bes. Leg 3,101, wo Philo Ex 33,13: „Offenbare dich mir, dass ich dich deutlich (γνωστῶς) sehe“, auslegt. Dabei deutet er das Adverb im Sinne von „erkennend“. Entsprechend richtet sich die Bitte des Mose darauf, dass Gott sich nicht durch Gewordenes offenbare, „durch Himmel, Erde, Wasser, Luft oder durch überhaupt etwas Erschaffenes“, sondern nur durch sich selbst; vgl. dazu auch oben Kap. 3.1.1.2.2.(2). 176  Vgl. Migr 35 und dazu PCHAT, 5 162, Anm. 6, sowie oben Kap. 3.1.1.2.2. 177  Vgl. auch Vollenweider, Geist, 175, der darauf hinweist, dass dem Apostel in seiner Berufungserfahrung nach Gal 1,16 und „evtl. 2Kor 4,6“ die „Offenbarung des Gottessohns so zuteil geworden ist, dass dieser in seinem Innersten Einzug gehalten hat (Gal 2,20)“. 178 Vgl. Bultmann, Theologie, 221. 179  Lambrecht, Corinthians, 66, nennt als weiteren möglichen alttestamentlichen Referenztext Jes 9,1, wo es statt ἐγένετο φῶς (Gen 1,3) wie in 2Kor 4,6 φῶς λάμψει heißt.

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wird Gott aus Gott erkannt. Wie bei Philo für Leg 1,37 festgestellt, gibt es auch hier den Einhauchenden, den Empfänger und das Eingehauchte. Gott ist derjenige, der einhaucht, das menschliche πνεῦμα als das paulinische Äquivalent zum philonischen νοῦς ist der Empfänger, das Eingehauchte ist der Geist, durch den Gott erkannt wird. In 2Kor 4,4 verwendet Paulus in diesem Zusammenhang ebenso wie bei der Umschreibung seiner Ursprungserfahrung Lichtmetaphorik. So spricht er davon, dass „das Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, der das Ebenbild Gottes ist“, von den Hörern der paulinischen Verkündigung genau „gesehen wird“ (v4)180. Das aber heißt, dass der Modus, in dem die in der Verkündigung des Evangeliums sich vollziehende Selbstoffenbarung Gottes in Christus im νοῦς bzw. im Herzen des Menschen geschieht, den Bestimmungen bei Philo in manchem durchaus nahe kommt. 3.1.2 Scheinweisheit und wahre Weisheit Die Gottsuche der Mose-Anhänger (Spec 1,345) ist nur eine Vorstellung, die Philo der φιλαυτία antithetisch gegenüberstellt. In Post 52 identifiziert er diese in einer 1Kor 1 näherstehenden Terminologie mit der Scheinweisheit menschlicher Selbstmächtigkeit und stellt ihr die Abhängigkeit des Menschen von Gott als wahre Weisheit entgegen. Dies ist im Folgenden im Einzelnen aufzuzeigen. In allegorischer Deutung der Aussage Gen 4,17, Kain sei zum Erbauer einer Stadt (πόλις) geworden, nennt Philo zunächst drei konstitutive Bestandteile einer Stadt, nämlich Gebäude, Einwohner und Gesetze. Die Gebäude der Stadt Kains identifiziert er mit „beweiskräftigen Worten ( λόγοι οἱ ἀποδεικνύντες)“, bei denen es sich Philo zufolge freilich um „leicht zu glaubende Erfindungen gegen die Wahrheit (πιθανὰς εὑρέσεις κατὰ τῆς ἀληθείας)“ handelt; mit diesen Aussagen spielt er auf ein Grundanliegen der Rhetorik an.181 Die Gesetze bezieht er auf unethische Verhaltensweisen. Die Einwohner, denen hier das besondere Interesse gilt, deutet er auf „die sich weise dünkenden Genossen (ἑταῖροι δοκησίσοφοι) des Frevels gegen Gott (ἀσεβείας), der Gottlosigkeit (ἀθεότητος), der φιλαυτία , der großspurigen Prahlerei (μεγαλαυχίας) (und) der lügnerischen Ansicht (ψευδοῦς δόξης), die die wahre Weisheit (τὸ πρὸς ἀλήθειαν σοφόν) nicht kennen, die Unwissenheit, Unbildung, Unkenntnis und die anderen (ihnen) verschwisterten und verwandten Schäden vereinigt haben“.

180  αὐγάσαι bedeutet Lambrecht, ebd., 65, zufolge „most probably … ‚to see s­ harply‘“; s. auch Barnett, Epistle, 218, Anm. 41. Das ‚Sehen‘ des Lichts ist, „of course, metaphorical for hearing“ (ebd., 220). 181  Dazu s. im Folgenden sowie Kap. 3.1.3 mit Anm. 203.

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

Was Philo mit den drei die Stadt Kains konstituierenden Bestandteilen aussagen will, ist also dies: Die Scheinweisen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Rhetorik in ihrem Kampf gegen die Tugend unsachgemäß einsetzen. Ihr Verhalten ist im weiteren Kontext des corpus philonicum für die Sophisten transparent.182 Mit Kain ist der biblische Prototyp des φίλαυτος genannt, der in den allegorischen Schriften Philos der Inbegriff all dessen ist, was er ablehnt. Die Bewohner der von ihm gegründeten Stadt repräsentieren den weitverbreiteten Seelentyp Kains und eifern ihm in allem Schlechten nach. Kains Name bedeutet Philo zufolge ‚Besitz‘.183 Darum symbolisiert er die sich selbst liebende Ansicht (φίλαυτον), die alles auf sich selbst bezieht (ἐφ’ ἑαυτόν), während sein Bruder Abel für die gottliebende Ansicht steht (φιλόθεον), die alles auf Gott bezieht.184 Die Selbstorientierung und Selbstbezogenheit Kains kann Philo in immer neuen Varianten konkretisieren. Was er bei seiner Aufzählung in Post 52 im Blick hat, erhellt aus dem vorausgehenden Kontext.185 In § 35 identifiziert Philo die Ansicht des Gottlosen (ἀσεβοῦς δόξα) mit der Aussage „eines der alten Sophisten mit Namen Protagoras186 …, eines der Nachkommen des Wahnsinns (ἀπονοίας) Kains“. Sie lautet: „Das Maß aller Dinge ist der menschliche Geist“.187 Wahnsinn ist dieses Diktum für Philo darum, weil dann „alles eine Gunst (χάρις) und eine Gabe (δωρεά) der (sc. menschlichen) Vernunft (τοῦ νοῦ) ist“, die den Sinnen die ihnen korrespondierenden Fähigkeiten und dem Wort, das geäußert werden soll, das 182  Demgemäß spricht Noack, Haben, 295, für die Gebäude der Stadt Kains von der „sophistische(n) Sprachwirklichkeit“. Vgl. auch Winter, Philo, 88, wo er auf Somn 2,281 verweist; hier spricht Philo von der „der Tugend feindlichen sophistischen Rede (ὁ πολέμιος ἀρετῆς σοφιστὴς λόγος)“. Bei der Tugend ist hier neben den vier Kardinaltugenden (vgl. Det 73) besonders an „the greatest of all“ (ebd., 87), die θεοσέβεια, zu denken, die aus Post 52 zu erschließen ist. Was die Frage der Tugend anbelangt, stellt er ebd. fest: „Philo did not criticise the topics upon which they declaimed“, nämlich die Tugenden, „but the fact that their lifestyles contradicted their teaching, Det. 73“ (tw. kurs.); dazu s. auch unten Kap. 3.3.2.1. 183  Diese Deutung basiert auf Gen 4,1, wo der Name ‫ קין‬/ Καιν von ‫ קניתי‬/  Ἐκτησάμην („ich habe erworben“) abgeleitet wird; vgl. dazu Grabbe, Etymology, 176f. 184  So grundlegend in Det 32; s. ferner u.a. Sacr 2 und Cher 52.65. 185  Vgl. bes. § 35–38.41f. Der größere Zusammenhang umfasst § 33–65 und hat die Auslegung von Gen 4,17 zum Gegenstand. 186  Vgl. dazu Plato, Prot 313c. 187  μέτρον εἶναι πάντων χρημάτων τὸν ἀνθρώπινον νοῦν. Vgl. dazu Plato, Leg 716c und Theaet 152a, wo allerdings nur vom „Menschen“ die Rede ist. Folgerichtig unterscheidet sich auch die Bedeutung des Satzes bei beiden Autoren. Während bei Plato wie aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei Protagoras „der Satz vom Menschen als Maß der Dinge im Sinne … der individuellen Subjektivität zu nehmen“ ist (Apelt, Platon. 4. Theätet, 169, Anm. 16), so dass sie dem einen auf die eine, dem anderen auf andere Weise erscheinen (Theaet 152a), steht er bei Philo für den menschlichen νοῦς als die Ursache aller seiner Operationen.

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Reden schenkt und das Denken ermöglicht mit allem, was an Gedanken, Entschlüssen etc. dazugehört (§ 36). Philo kann diesen Geist als „widergöttlich“ (τὸν ἀντίθεον νοῦν; § 37) bezeichnen. Folgerichtig rechnet er alle, die sagen, dass, „was immer im Denken (ἐν τῷ νοεῖν), in der sinnlichen Wahrnehmung (αἰσθάνεσθαι) oder im Reden ( λέγειν)“ geschieht, „ein Geschenk ihrer eigenen Seele ist (δωρεάν … τῆς ἑαυτῶν ψυχῆς)“, dem Geschlecht ­Kains zu, weil sie eine „frevlerische und gottlose Ansicht (ἀσεβῆ καὶ ἄθεον … δόξαν“; § 42) vertreten.188 In § 46 wird diese Ansicht mit „aufgeblasener Einbildung (οἰδούσης οἰήσεως)“ identifiziert, in § 48 mit „großspuriger Prahlerei (μεγαλαυχίαν)“. Der Antityp zu Kain ist in diesem Zusammenhang Lamech, dessen Name Philo zufolge „Erniedrigung (ταπείνωσις)“ bedeutet (§ 41).189 Die durch Lamech verkörperte Erniedrigung erläutert er mit dem zehnten Tag des Monats, das heißt dem Versöhnungstag, an dem es geboten ist, „die Seelen zu erniedrigen (ταπεινοῦν)190 …, was bedeutet, die μεγαλαυχία abzulegen“. Die Selbsterniedrigung erst, die eine große Kraftanstrengung bedeutet, führt zur Sühnung (ἱλασμός) der freiwillig und der unfreiwillig begangenen Unrechtstaten (§ 48). Damit mündet die Selbsterniedrigung nach diesem Zusammenhang in eine Heilserfahrung. Die Verbindung des Topos der Prahlerei mit dem Versöhnungstag verdeutlicht einmal mehr, dass Philo die Grundsünde des Menschen in seiner Selbsterhebung über Gott sieht. Ihre Überwindung, und das heißt menschlicherseits zugleich die Bereitschaft, sich vor Gott zu erniedrigen und damit das eigene Menschsein im Gegenüber zum Gottsein Gottes anzuerkennen, ist für Philo die Voraussetzung dafür, dass die Vollzüge des Versöhnungstags wirksam werden können. Damit dürfte deutlich geworden sein, was Philo unter den sich gegenseitig erläuternden Wortpaaren ἀσέβεια und ἀθεότης bzw. φιλαυτία und μεγαλαυχία in § 52 versteht. Sie umschreiben die Anmaßung des Menschen, aus sich selbst handeln und Gott als Ursache von allem leugnen zu können, m. a. W. die Selbsterhebung des Menschen über Gott. Dabei wäre aus der Sicht Philos die Selbsterniedrigung des Menschen im Sinne einer Anerkenntnis der Differenz von Schöpfer und Geschöpf erforderlich. Das fünfte Satzglied, das in § 52 die sich „weise dünkenden Genossen“ erläutert, die „lügnerische Ansicht“, hat zusammenfassenden Charakter und verdeutlicht die Antithese zwischen der lügnerischen Scheinweisheit der Kainiten und der 188  Die anderen, die das Gute Gott zuschreiben, sieht Philo demgegenüber durch Enoch, den Nachfahren Seths, verkörpert. Sein Name bedeutet χάρις σου (§ 41f.); dazu s. auch unten Anm. 200. 189  Vgl. dazu Grabbe, Etymology, 177f. 190  Vgl. Lev 23,27; danach gilt für den zehnten Tag des Monats, den Sühnetag (ἡμέρα ἐξιλασμοῦ), die Weisung: καὶ ταπεινώσετε τὰς ψυχὰς ὑμῶν.

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„wahren Weisheit“. Diese besteht im weiteren Kontext darin, das Schöne, das es in der Schöpfung gibt, nicht für sich selbst in Anspruch zu nehmen, sondern es – wie Abel – den göttlichen Gnaden zuzuschreiben (χάρισι δὲ ταῖς θείαις ἐπιγράφοντες; § 42). Die in § 52 abschließend erwähnte Unwissenheit samt ihren Synonymen sind Näherbestimmungen der Scheinweisheit der Bewohner der Stadt Kains. Mit Blick auf Paulus ist bei allen Unterschieden im Einzelnen festzuhalten, dass Philo die Kritik der φιλαυτία mit der Weisheitsterminologie verbinden kann. Die paulinische Entsprechung zur philonischen Scheinweisheit ist die Menschenweisheit, die zur wahren Weisheit Philos die Weisheit Gottes191. Diese wird von beiden Autoren als Gabe Gottes verstanden. Auffällig ist auch, dass Philo entsprechend der paulinischen Identifikation der Menschenweisheit mit der Torheit die Scheinweisheit der Kainiten als Unkenntnis u. ä. bestimmt. Zudem stellt er wiederum ähnlich wie Paulus, der den Gekreuzigten als Weisheit Gottes verkündigt und die Anerkenntnis dessen als Ausdruck der Weisheit des neuen Äons versteht, die am Versöhnungstag verlangte Selbsterniedrigung des Menschen in den Horizont der wahren Weisheit. Festzuhalten ist schließlich auch dies: Wendet sich Paulus in 1Kor 2,4f. im Kontext der Gegenüberstellung von Menschen- und Gottesweisheit schließlich indirekt gegen die für die Rhetorik charakteristische ἀπόδειξις, die auf Beweisen (πίστεις) beruht, so positioniert sich Philo in einem verwandten Zusammenhang gegen die λόγοι οἱ ἀποδεικνύντες mit ihren πιθαναὶ εὑρέσεις, die er als gegen die wahre Weisheit gerichtet ansieht. Von Post 48 her ist zudem Phil 2,3f.6–9 in den Blick zu nehmen. Wie Philo in Post 48 stellt auch Paulus in Phil 2,3f. Selbsterniedrigung und Selbsterhebung einander antithetisch gegenüber. Was bei Philo der Gegensatz von ταπείνωσις und μεγαλαυχία ist, ist bei Paulus der Gegensatz von Selbstbescheidung (ταπεινοφροσύνη)192 auf der einen und Selbstsucht (ἐριθεία)193 und eitler Prahlerei (κενοδοξία)194 auf der anderen Seite. Statt sich in Selbstsucht und eitler Prahlerei zu gefallen, soll sich die Gemeinde in Selbstbescheidung üben, so dass einer den anderen für vorzüglicher hält als „sich 191 Die „wahre Weisheit“ von Post 52, die mit § 42 inhaltlich erläutert wurde, ist die anthropologische, das heißt auf den Mikrokosmos Mensch bezogene Entsprechung zu der den Makrokosmos betreffenden Erkenntnis, dass „die Welt nicht der höchste Gott ist, sondern sein Werk“ (Abr 75). 192 Zu dieser Wiedergabe von ταπείνοφροσύνη vgl. Bauer-Aland, 1604, wo „Selbstbescheidung“ neben „Bescheidenheit“ und „Demut“ genannt wird. Selbstbescheidung ist darum vorzuziehen, weil es das aktive Moment stärker zum Ausdruck bringt, das zum einen durch die beiden vorausgehenden Nomina (dazu s. u.) nahegelegt wird, zum anderen durch das in v7f. geschilderte Handeln Christi, das der Gemeinde als Vorbild dienen soll. 193 Vgl. Bauer-Aland, 626, denen zufolge „Selbstsucht“ und „Eigennutz“ als Wiedergabe für ἐριθεία „in allen Fällen einen mindestens ebenso guten, viell. besseren Sinn“ ergibt als „d. Streitsucht, d. Hader“. Der Kontext (2,3f.) legt dies hier unbedingt nahe. 194 So Bauer-Aland, 869, s. v. 1, neben „nichtige Ruhmsucht“.

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selbst (ἑαυτῶν)“. Demgemäß sollen die Adressaten nicht „das Eigene (τὰ ἑαυτῶν)“ suchen, sondern das der anderen. Paulus legt die Forderung, sich selbst zu bescheiden, im Unterschied zu Philo, Post 48, ethisch aus, reflektiert damit aber dennoch die Vorstellung einer Existenz ‚aus sich selbst‘ im Unterschied zu einer solchen ‚aus Gott‘ in Christus.195 Denn die Selbstbescheidung, die sich in der Zuwendung zu den anderen äußert, soll die Gemeinde an Christus lernen, der „sich selbst entäußerte (ἑαυτὸν ἐκένωσεν), Sklavengestalt annehmend, den Menschen gleich geworden und der Erscheinung nach erfunden als ein Mensch“, und „sich selbst erniedrigte (ἐταπείνωσεν ἑαυτόν), sich gehorsam zeigend bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz“ (v7f.).196 Die von den Philippern geforderte, sich ethisch artikulierende Selbstbescheidung entspricht damit der Selbsterniedrigung Christi als einem spezifisch christologischen Sachverhalt. Eine weitere Verbindung zwischen den paränetisch-ekklesiologischen und den christologischen Sachverhalten ist mit der Mahnung des Apostels verbunden, nicht der ἐριθεία und κενοδοξία zu verfallen. So stellt er mit Blick auf den Präexistenten fest, dieser habe seine Gottgleichheit nicht als Raub festgehalten, so dass er sich in seiner Hoheitsstellung gefallen hätte, sondern habe sich erniedrigt (v6). Darin ist er das Gegenbild zu denen in der Gemeinde, die sich womöglich in Selbstsucht und Prahlerei gefallen und das Ihre suchen, statt sich selbst zu bescheiden und das der anderen zu suchen. In komparativer Hinsicht ist damit festzustellen, dass das, was Philo an ‚Lamech‘ als anthropologisches Ideal formuliert, bei Paulus Mahnung an die Gemeinde einerseits und vom präexistenten Christus vollzogenes Handeln andererseits ist. Wie die Selbsterniedrigung ‚Lamechs‘ am Versöhnungstag197 die Voraussetzung einer Heils­ erfahrung ist, so ist diese bei Christus die Voraussetzung seiner Erhöhung.198 Der spezifischen Christuserfahrung des Paulus gemäß ist beides, Erniedrigung und Erhöhung, ein kosmisches Geschehen, das Himmel und Erde umfasst und damit naturgemäß das an ‚Lamech‘ verdeutlichte anthropologische Ideal transzendiert.199

3.1.3 φιλαυτία als Abkehr von Gott Eng mit den beiden erörterten Texten aus Spec 1 und Post verbunden ist Conf 122–133, wo Philo die Verabsolutierung von νοῦς und αἴσθησις ebenfalls als Gestalt der φιλαυτία (§ 128) deutet. Wenn der Abschnitt hier dennoch erörtert wird, dann deshalb, weil er die φιλαυτία im Weiteren in auffälliger Übereinstimmung mit einem der oben herangezogenen Paulus-Texte deutet. In 195  Für das ‚aus sich selbst‘-Sein stehen im Horizont der untersuchten Texte ἐριθεία, κενοδοξία und (τὰ) ἑαυτῶν, für das ‚aus Gott‘-Sein ταπεινοφροσύνη und τὰ ἑτέρων. 196  Übersetzung in Anlehnung an Müller, Brief, 89. 197  Paulus stellt in Phil 2 keine Verbindung zwischen der Selbsterniedrigung Jesu und dem Versöhnungstag her. Ein Zusammenhang zwischen dem Tod Jesu und dem Versöhnungstag artikuliert sich in Röm 3,25, wo der Tod Jesu aber nicht als Selbsterniedrigung, sondern als Dahingabe durch Gott gedeutet wird. 198 Vgl. διό in Phil 2,9. 199  Vgl. auch unten Kap. 3.3.2.1 zu den Zusammenhängen Her 24–30 und Mut 154– 156, die ebenfalls für die paulinische Christologie transparent sind.

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§ 122–127 vergleicht Philo Kain und seine Nachkommen mit Abel200. Dieser opfert im Gegensatz zu Kain, der Gott erst nach einer gewissen Zeit von seinen Früchten darbringt, diesem sofort von seinen Erstgeburten. Abel weiß, dass die „ersten“ Ursachen (αἰτίας) die „allererste“ Ursache, das heißt Gott, voraussetzen (§ 124).201 „Dem Gottlosen (ἀσεβεῖ ) aber scheint das Gegenteil (wahr zu sein), (nämlich) dass die Vernunft selbständig über das herrscht (αὐτοκράτορα), was sie erwägt, und die sinnliche Wahrnehmung selbständig über das herrscht (αὐτοκράτορα), was sie wahrnimmt“ (§ 125).

Dieses Verhalten wird in § 128 mit φιλαυτία zusammengefasst, welche die Nachkommen Kains von ihrem Vater erben. In § 128–130 wird die Thematik in der oben für 2Kor 10,4f. analysierten Motivik weitergeführt. Als Kennzeichen der nie aussterbenden Nachkommenschaft Kains ist sie ein quasi anthropologisches Merkmal, das im Turmbau zu Babel sein Sinnbild gefunden hat. Die Kainiten streben danach, die ererbte φιλαυτία „bis zum Himmel zu vermehren“, und hören damit nicht auf, bis Stadt und Turm von der (göttlichen) Gerechtigkeit zerstört sind. Der die φιλαυτία verkörpernde Turm aber werde im Buch der Richter ‚Phanuel‘ genannt, was Philo zufolge „Abkehr von Gott“ (ἀποστροφὴ θεοῦ; § 129) bedeutet. 202 Genauer steht der Turm für ein durch argumentative Überzeugungskraft, das heißt durch rhetorische Fähigkeiten, errichtetes Bollwerk (ὀχύρωμα)203, das die Abkehr des Denkens (διάνοιαν) von der Gottesverehrung (τῆς τοῦ θεοῦ τιμῆς; § 129204) bewirkt. Dieses Bollwerk aber, und das 200  Unter den Nachkommen Kains wird in § 122f. namentlich sein Sohn Enoch genannt, dessen Namen Philo mit χάρις σου („dein Geschenk“) übersetzt. Im MT von Gen 4,17 lautet sein Name ‫חנוך‬. Philo deutet ‫ך‬- als Suffix der 2. pers. sgl. zu ‫„( חן‬Gnade“, „Gunst“); vgl. PCHAT, 5 133, Anm. 1, und Grabbe, Etymology, 156f. Philo bezieht den Namen auf den Gottlosen, der meint, seine Gedanken etc. seien ihm von seinem eigenen Verstand, seine Sinneswahrnehmungen von den entsprechenden Körperteilen gegeben (χαρίζεσθαι). 201  Im Griechischen steht für „erste“ und „allererste“ Ursache/n πρεσβυτέρας bzw. πρεσβύτατον, wörtlich „ältere“ bzw. „älteste“. Die hier mit PCHAT, 5 133, gewählte Übersetzung schließt an πρῶτον αἴτιον von § 123 sowie an πρωτότοκα an (§ 124). Die anderen von LSJ, 1462, s. v. πρέσβυς, vermerkten Bedeutungsaspekte passen im Deutschen nicht besser. PLCL, 4 79, paraphrasiert, eine der von LSJ aufgeführten Bedeutungen aufnehmend, folgendermaßen: „higher in the chain of causation“ bzw. „highest and first of all“. 202  Vgl. PCHAT, 5 134, Anm. 2: Abgeleitet „von ‫ פנה‬sich abwenden und ‫ אל‬Gott“ (tw. kurs.). Philos Basistext in § 129f. ist Ri 8,9. Vgl. dazu Grabbe, Etymology, 211. 203  τὸ γὰρ κατεσκευασμένον ὀχύρωμα διὰ τῆς τῶν λόγων πιθανότητος (§ 129); die Wiedergabe erfolgt im Anschluss an PLCL, 4 81: „through persuasiveness of argument“. Vgl. auch Post 53 mit einer verwandten Deutung des Turms von Gen 11,4. 204 Vgl. auch § 131: καθαιρήσειν πάντα λόγον ἀποστρέφειν διάνοιαν ὁσιότητος ἀναπείθοντα. Wenn Downing, Paul, 137, im Anschluss an A. Malherbe den Unterschied zwischen Paulus und Philo dahingehend bestimmt, „that Paul is attacking de-

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heißt jedes es konstituierende Argument, werde von Gideon, dessen Name „Heimsuchung“ bezeichnet205, niedergerissen (καθαίρω).206 Die Übereinstimmungen mit 2Kor 10 liegen auf der Hand: Die Gegner – hier die Kainiten und dort die gegnerischen Apostel – revoltieren gegen Gott, indem sie die Gotteserkenntnis verdunkelnde Denkgebäude errichten und sie mit einer ausgefeilten Rhetorik propagieren207. Entgegen einer langen Auslegungstradition heißt dies aber nicht, dass die beiden Texte anti­ rhetorische Kampfansagen wären, gilt der Kampf doch den widergöttlichen Denkgebäuden, die von ‚Gideon‘, der Heimsuchung Gottes, bzw. dem Apo­ s­tel zerstört werden, nicht aber der Redekunst selbst. 208 Philo und Paulus verleihen dem mit einer gemeinsamen Metaphorik sprachlichen Ausdruck, wenn sie von den Bollwerken (ὁχύρωμα) sprechen, die ihrer Zerstörung (καθαίρεσις) entgegengehen.

3.2 φιλαυτία als willentliche Abwendung von Gott versus Gottesliebe als Suche des Seienden War die Abkehr vom wahren Gott in den bislang erörterten Texten die Kehrseite der Geisteshaltung der Kainiten, so deutet Philo die φιλαυτία in Post 8–21 ausgehend von dem Schriftvers Gen 4,16: „Es ging aber Kain vom Angesicht Gottes weg“, als die willentliche und absichtsvolle Abwendung von

fences set up against the ‚knowledge of God‘, while Philo is concerned with intellectual defence against sophistic attack“, so ist hier die Tatsache übersehen, dass das philonische Bollwerk im Kontext des Kampfes gegen die Verabsolutierung des νοῦς zu stehen kommt und damit theologisch konnotiert ist: Es ist bei Philo ähnlich wie bei Paulus der symbolische Ausdruck eines gegen die Gottesverehrung gerichteten Denkens. – Zu Philo und den Sophisten s. auch unten Kap. 3.3.2.1. 205  Zur Etymologie vgl. De Somn 2,35 sowie PCHAT, 5 134, Anm. 4, und Grabbe, Etymology, 146. 206 Vgl. § 130: τὴν τοῦ ὀχυρώματος τούτου καθαίρεσιν, und § 131: καθαιρήσειν πάντα λόγον. 207  Bei Paulus vgl. 2Kor 11,6; 10,10. 208  Ob man Conf 128–130 mit Windisch, Korintherbrief, 297, der „Anschauung und (der) Terminologie vom Kampf des Philosophen gegen die Sophistik“ zuordnen und aufgrund der Parallele 2Kor 10,4 die Philosophen zu „Kampfgenossen des Apostels“ machen kann, scheint fraglich. Obwohl Philo immer wieder gegen die Sophistik polemisiert, wendet er sich nicht grundsätzlich gegen die Sophistik als Redekunst, sondern gegen ihren Missbrauch durch die Kainiten, die ein Denken ohne Gott propagieren (vgl. Det 35–37.39; dazu s. auch unten Kap. 3.3.2.1 zu Det 35, wo mit Blick auf die Redefähigkeiten der Tugendhaften ὀχυρώσασθαι gebraucht ist). Wie im Zusammenhang mit Spec 1 gesehen, kann sich dieser Vorwurf bei Philo auch gegen die Philosophie, genauer gegen die theologischen Konsequenzen bestimmter philosophischer Positionen, wenden. Antisophistisch werden die beiden Texte auch von Betz, Apostel, 68f., und Winter, Philo, 221.230, ausgelegt.

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Gott. 209 Ihnen stellt er mit Mose und Abraham die beiden Gottliebenden (φιλόθεοι)210, die nach der Erkenntnis und Schau Gottes streben, antithetisch gegenüber. Zwischen diesen beiden Extremen religiöser Existenz kommen mit Adam einerseits und den Schülern des Mose andererseits die beiden Gruppen zu stehen, die den Normalfall religiöser Existenz im Negativen wie im Positiven repräsentieren. Philo setzt in § 10 mit der Gegenüberstellung von Adam und Kain ein. 211 Die beiden verbindet, dass sie vom Angesicht Gottes entfernt sind. Sie unterscheiden sich aber darin, dass der Gottesferne Kains ein freiwilliger (ἑκούσιον) Entschluss zugrunde liegt, während sich Adam, von Gott aus dem Paradies geworfen, unfreiwillig (ἀκούσιον) entfernt hat (§ 10). Der unterschiedlichen Schwere ihres Vergehens entspricht die Unterschiedlichkeit der Strafe. Während Adams Sünde mit der Geburt Seths als geheilt gilt, zieht ­Kains Handeln, nämlich Weggang und Flucht vor dem Allherrscher, die höchstmögliche Strafe nach sich (§ 10–12). Beide Handlungsweisen umschreibt Philo mit einer Reihe synonymer Wendungen. Die unfreiwillige Tat gründet „nicht in unserem Entschluss (οὐχ ἡμετέρᾳ γνώμῃ)“, die Seele, die sie begeht, handelt „nicht aus sich selbst“ (μὴ παρ’ ἑαυτῆς; § 10), wie dies bei den Kainiten der Fall ist. Demgegenüber heißt es von Kain und Seinesgleichen, dass sie „sich aus freiwilligem Entschluss von dem, der ist, abwenden (ἑκουσίῳ γνώμῃ τὸ ὂν ἐξετράποντο; § 9)“, was für Philo der Überschreitung der Grenze der Bosheit selbst gleichkommt. Kain ist „aus freiem Willen (ἐθελοντής)“ weggegangen (§ 10), sein Handeln ist in seinem Willen (βουλῇ) und seinem Vorsatz (προμηθείᾳ) begründet (§ 11). Damit zeigt sich die Eigenmächtigkeit, die den φίλαυτος generell kennzeichnet, hier in zugespitzter Form: es ist Eigenmächtigkeit mit der ‚erhobenen Hand‘. Der φίλαυτος handelt hier nicht nur ‚aus sich selbst‘, sondern darin zugleich absichtsvoll und willentlich gegen Gott. Kennzeichen der Gottliebenden, Moses wie Abrahams, dagegen ist ihre Gottsuche (§ 13–21), die Philo als unablässiges Streben, Gott zu schauen, beschreibt. Auch wenn sie ihr Ziel nicht erreichen, ist ihr Sinnen und Trachten 209  In § 1–9 stellt Philo Überlegungen zu der Frage an, wie Gen 4,16 auszulegen sei. In § 7 postuliert er die Notwendigkeit einer allegorischen Lektüre des Textes und legt in § 8 eine solche Deutung vor, um in § 9 das dort für Kain formulierte Verhalten, nämlich der Entschluss, die Schau Gottes zu vermeiden, auf den Begriff der Freiwilligkeit zu bringen. Dies wird in § 10–13 im Verhältnis zu anderen Typen religiöser Existenz erläutert (dazu s. im Folgenden). In § 14–18.19f. erörtert er anhand von Mose und Abraham die Gottsuche und damit verbundene theologische Fragen. In § 21 fasst er das Gesagte abschließend zusammen. Zum Argumentationsgang vgl. auch Arnaldez, De posteritate Caini, 40; zu dem § 9–12 durchziehenden Topos der Strafe vgl. ebd., 48f., Anm. 3. 210  Der Begriff φίλαυτος fällt erst am Ende des Abschnitts in § 21 und bringt das Verhalten Kains auf den Punkt. 211 § 9 ist für diese Gegenüberstellung bereits transparent.

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gleichwohl ganz auf die Erkenntnis Gottes ausgerichtet. 212 Auf diesem Weg gelangen sie zu Einsichten über Gott, während der φίλαυτος ohne Vorstellung von Gott (ἀφάνταστον … τοῦ ὄντος; § 21) bleibt, weil er das Auge der Seele, das allein Gott sehen könnte, willentlich blendet. 213 Da Abraham und Mose für Philo exzeptionelle Gottsucher waren, zeigt er zugleich eine für die Masse der Schüler des Mose erreichbare Form der Gottesbeziehung auf. 214 Sie besteht in dem Gebot Dtn 30,20: „Gott zu lieben und (auf ihn) zu hören und sich an ihn zu halten (ἔχεσθαι αὐτοῦ)“. Das letzte Satzglied hebt er besonders hervor und deutet es auf die Dauerhaftigkeit und Unverbrüchlichkeit der Eintracht und Einung zwischen Gott und Mensch, die dadurch entsteht, dass sich dieser mit Gott vertraut macht (κατ’ οἰκείωσιν; § 12). 215 Philo unterscheidet in Post 8–21 damit vier religiöse Charaktere. Den Tatbestand der φιλαυτία erfüllt nur einer von ihnen, nämlich Kain, der sich bewusst und willentlich von Gott abwendet und darum die Höchststrafe auf sich zieht. Der Antitypus dazu, repräsentiert durch Abraham und Mose, ist der φιλόθεος, der das religiöse Ideal Philos verkörpert. Dazwischen kommen die beiden Ausprägungen des Normalfalls religiöser Existenz zu stehen, Adam, der sich versündigt und darum temporär gegen seinen Willen vom Angesicht Gottes weichen muss, und die Mose-Schüler, die sich Dtn 30,20 entsprechend verhalten.216 Zu diesem Aspekt des φιλαυτία-Verständnisses des alexandrinischen Theologen finden sich in den paulinischen Texten zur Selbsterhebung des Menschen keine Entsprechungen. Den in Post 8–21 vorausgesetzten freien Willen, der sich selbstmächtig für die Abwendung von Gott entscheidet, kennt Paulus nicht.

212  In § 13–20 erörtert Philo die Grundfragen der Gotteserkenntnis. Sie decken sich in wesentlichen Punkten mit den Ausführungen in Kap. 3.1.1.2 zur Offenbarungserkenntnis, gehen teilweise aber auch darüber hinaus. 213  Vgl. dazu § 8. 214  Vgl. dazu Holtz, Gott, 503f. 215 Wie Radice, Philo, 143f., Anm. 8, hervorhebt, gebraucht Philo den Begriff der οἰκείωσις „never in the Stoic-philosophical sense, but mainly in the sense of affinity, familiarity, propensity, and often in a political sense too“. Vgl. auch Forschner, Ethik, 145, demzufolge der Begriff im Griechischen „eine spezifische Beziehung von Etwas (Jemandem) zu Etwas (Jemandem)“ beinhaltet, „die als Vertrautsein mit, interessiertes Gerichtetsein auf, Besorgtsein um etwas (jemanden) charakterisiert werden mag“. Das Verb bedeute „in bezug auf Sachen ‚sich aneignen‘, in bezug auf Personen aktiv ‚auf seine Seite bringen‘, passiv ‚mit jemandem vertraut bzw. bekannt sein‘“ oder auch „‚vertraut machen‘“. Zur spezifisch stoischen οἰκείωσις-Lehre vgl. ebd., 144–148. 216  Vgl. dazu die entsprechenden Aussagen über die Anhänger des Mose in Spec 1,345.

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3.3 φιλαυτία als Illusion angesichts der Wirklichkeit von Gott und Mensch Zu den Grundüberzeugungen Philos gehört die Einsicht in die überragende Macht Gottes, der aufseiten des Menschen Schwäche und Nichtigkeit korrespondieren. Die Weigerung, dies anzuerkennen, stellt für Philo eine Illusion dar. Er bringt dies nicht zuletzt auf den Begriff der φιλαυτία , umschreibt ihn aber, wie gesehen, auch mit anderen dazu synonymen Wendungen wie μεγαλαυχία und ἀλαζονεία u. a. Im Folgenden werden einige der wichtigeren Zuspitzungen der skizzierten Grundüberzeugung Philos dargelegt. 3.3.1 φιλαυτία als Ausdruck knechtischen Bewusstseins und als Selbstbetrug angesichts der passiven Natur des Menschen und der puren Aktivität Gottes In Cher 53–83 bestimmt Philo den von Kain verkörperten Charaktertyp zunächst ähnlich wie im Zusammenhang mit Post 52 gesehen: Er glaubt, dass alles sein Besitz ist und einem anderen überhaupt nichts gehört. Diese Geisteshaltung charakterisiert Philo als „widersinnigen Hochmut (ἀλόγου φρονήματος)“217 und Aufgeblasenheit (ἐφυσήθη) (§ 64). Er erläutert dies an zwei ‚geschichtlichen‘ Persönlichkeiten, Alexander dem Großen sowie Laban. Ersterer soll, nachdem er die Herrschaft über Europa und Asien erzwungen hatte, geprahlt haben (αὔχημα αὐχῆσαι): „‚dies hier und das dort ist mein (τά … ἐμά)‘“ (§ 63). Laban wird dafür kritisiert, dass er prahlerisch rühmend (σεμνομυθῶν218) Töchter, Söhne und Vieh durch Hinzufügung des Possessivpronomens „mein (τὸ ‚ἐμόν‘)“ zu seinem Eigentum erklärt habe (§ 67). 219 In einem fiktiven Gespräch mit Laban zeigt Philo die Absurdität einer solchen Haltung auf (§ 68–73). 217  Vgl. Pape, 2 1308, s. v. φρόνημα, dem zufolge das Lexem in „tadelnder Bedeutung“ das folgende Bedeutungsspektrum besitzt: „allzu hohe Meinung von sich, Hochmuth, Hoffart, Stolz u. Prahlerei“. Der Begriff ἄλογος hat neben der Grundbedeutung „unvernünftig“ Pape, 1 108, s. v. 2, zufolge die Bedeutung „widersinnig, abgeschmackt …“. 218 Zu σεμνομυθέω verweist Pape, 2 871, auf σεμνολογέω: „würdevoll, feierlich, ernsthaft sprechen, in feierlichem Tone reden“; entsprechend LSJ, 1590. Pape, 2 871, s. v. σεμνολόγημα, hat hier „würdevolle … Rede, ein Gegenstand, mit dem man prahlen, worauf man stolz sein kann“; LSJ, aaO., s. v. σεμνολόγημα, übersetzt: „pride … II. anything that one may be proud of“ (tw. kurs.), s. v. σεμνολογία „boasting“ (kurs.). Passow, 2.2 1398, verweist zu σεμνολογέω auf σεμνομυθέω und vermerkt hierzu: „würdevoll, feierlich reden …; meist mit der Nebenbedeutung des Scheines, der affectirten Würde u. der Ruhmredigkeit, … stolz od. vornehm reden, prahlerisch rühmen“. 219  Philos Bezugstext ist Gen 31,43. Laban, dessen Namen ‫„ לבן‬weiß“ bedeutet, ist „bei Philo Symbol der Farben und des rein Aeusserlichen überhaupt, daher Typus des Unvernünftigen (de agric § 42)“ (PCHAT, 3 189, Anm. 1); vgl. auch Grabbe, Etymology, 177. Vgl. auch Leg 3,15 und dazu s. u. Kap. 7.2.1.

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In § 71–83 wird das von Kain symbolisierte Selbstverständnis des Menschen in zwei Durchgängen anthropologisch näher bestimmt. In einem ersten Schritt (§ 71–73) identifiziert Philo das kainitische Denken, das den Geist, die Sinne und die mit ihnen verbundenen Größen als Besitztum des Menschen begreift, anthropologisch mit selbstgewählter Knechtschaft. Er begründet dies mit Ex 21,5f. Diesem Text zufolge wird dem Knecht, der aus Liebe zu seinem Herrn und seiner Familie auf seine Freilassung verzichtet (οὐκ ἄπειμι ἐλεύθερος), zum Zeichen für seine dauerhafte Knechtschaft das Ohr durchbohrt (§ 72). Dieses bereits in der LXX als Richterspruch Gottes verstandene Verfahren220 deutet Philo allegorisch als Absage des Knechtes an den ihm geltenden Ruf Gottes zur Freiheit der Seele: Sein Ohr wird durchbohrt, „so dass er nicht die zu (hörende) göttliche Botschaft zur Freiheit der Seele annimmt“ (§ 72).221 Die drückenden Herrinnen, denen die kainitisch disponierte Seele unterworfen ist, sind Einbildungen222, Begierden, Lüste, Ungerechtigkeiten, Torheiten und falsche Meinungen (§ 71).223 Die Versklavung an diese Herrinnen, die letztlich allesamt der fehlgeleiteten Verstandes- und Sinnestätigkeit zugeordnet werden können224, ist die Folge der Leugnung dessen, dass alles, was der Mensch besitzt, „Besitztümer Gottes“ sind und nicht des Menschen (§ 71). Philo sieht in der kainitischen Geisteshaltung prahlerische Rühmerei (σεμνολογεῖν; § 73) und bringt dies erneut auf den Begriff der φιλαυτία (§ 74). Das Gegenbild zum Kainiten Laban ist für ihn, wie an späterer Stelle zu zeigen sein wird 225, in dieser Frage Jakob, der die Flucht vor den Verlockungen der Sinne wählt und damit zugleich der Knechtschaft die Freiheit vorzieht. In gesteigerter Form findet Philo die kainitische Geisteshaltung bei Pharao. Denn bei ihm zeigt sie sich in völliger Verkennung der anthropologischen Grundsituation nicht nur in Großsprecherei, sondern auch im entsprechenden Tun. Deshalb bezichtigt Philo ihn außer der Philautie (τῷ φιλαύτῳ) auch des Wahnsinns (τὸ μανιῶδες). Die Egomanie Pharaos sieht er in Ex 15,9 in kaum noch zu überbietender Weise zum Ausdruck gebracht, steht das „Ich“ hier doch in einer im Vergleich zu Laban sehr viel aggressiveren Weise 220  Die LXX verdeutlicht die unspezifische Formulierung ‫ והגישׁו אדניו אל־האלהים‬folgendermaßen: προσάξει αὐτὸν ὁ κύριος αὐτοῦ πρὸς τὸ κριτήριον τοῦ θεοῦ. Philo zitiert daraus die Wendung πρός … θεοῦ und bezeichnet Gott sodann explizit als Richter (δικαστοῦ). 221  ἵνα μὴ δέξηται θείαν ἀκοὴν ὑπὲρ ἐλευθερίας ψυχῆς. Zur Wiedergabe von ἀκοή mit ‚göttliche Botschaft‘ vgl. Wilckens, Brief, 2 217; s. auch PLCL, 2 53: „message“. Zum Begriff der Freiheit in Cher 71–83 vgl. zu ἐλεύθερος § 72.80, zu ἐλευθερία § 74.77; dazu s. auch unten Kap. 7.2.5. 222  Vgl. LSJ, 1201, s. v. οἴησις „self-conceit“; s. auch oben Kap. 3.1.2. 223  οἰήσεσιν, ἐπιθυμίαις, ἡδοναῖς, ἀδικίαις, ἀφροσύναις, ψευδέσι δόξαις; zu letzterer Wendung s. o. zu Post 52 (Kap. 3.1.2). 224  Dazu s. auch unten Kap. 7.2.5. 225  Dazu s. u. Kap. 7.1.5 und Kap. 7.2.2 zu Leg 3,17.

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im Zentrum: „Ich werde verfolgen und ergreifen, ich werde Beute verteilen, ich werde meine Seele sättigen, ich werde töten mit meinem Schwert, herrschen wird meine Hand“ (§ 74). Diese Äußerung demaskiert Philo in einer fiktiven Streitrede als Illusion. Jeder, der zu verfolgen meine, werde selbst verfolgt, nämlich durch Krankheiten, Alter, Tod und die übrigen Missgeschicke (§ 75). Auch die anderen Behauptungen Pharaos entlarvt Philo als Selbstbetrug. Implizit weist er darauf hin, dass seine großspurigen Ankündigungen durch den Verlauf der Geschichte aufs deutlichste widerlegt wurden. Auf diese Streitrede folgt in § 76–77 die theologische Deutung. In dem oben nicht zitierten Teil von Ex 15,9 wird Pharao als „Feind“ bezeichnet. Diesen Begriff nimmt Philo im Folgenden auf, um Pharaos Verhalten zu kennzeichnen. Allegorisch gedeutet, richtet sich diese Feindschaft gegen die überwältigende Vernunft und die Natur selbst, die hier in Übereinstimmung mit stoischem Sprachgebrauch eine Umschreibung für Gott ist. Der Feind verkennt die Wirklichkeit von Gott und Mensch grundlegend, wenn er sich zuschreibt, was Gott gehört (τοῦ … τὸ ἴδιον θεοῦ προσκληροῦντος ἑαυτῷ). Entspricht diese Stelle insoweit den Aussagen Philos über Kain und seine Nachkommen, so liegt das Spezifikum seiner Pharao-Deutung in der Bestimmung dessen, was Gott zukommt und was dem Menschen, nämlich das Tun aufseiten Gottes ( ἴδιον μὲν δὴ θεοῦ τὸ ποιεῖν) und das Erleiden aufseiten des Menschen ( ἴδιον δὲ γενητοῦ τὸ πάσχειν)226. Angesichts dessen ist das vollmundige Gerede Pharaos über die Größe seines Ichs für Philo nichts anderes als Großprahlerei (μεγαλαυχία ; § 77), in der sich eine durch nichts begründete Selbsterhebung des Menschen über Gott, die φιλαυτία also, artikuliert. Für die durch Charaktere wie Alexander der Große, Laban und Pharao exemplifizierten Typen hat Philo nur Spott übrig: Sie sind „sogenannte Herren (λεγόμενοι δεσπόται)“, die dies nur ihrer Einbildung nach (δόξῃ) sind, aber nicht in Wahrheit (πρὸς ἀλήθειαν). Denn wirklich „Herrscher und Führer“ ist nur der eine Gott, dem alles gehört (§ 83). Philo geht es in Cher 53–83 darum, den Menschen in seiner maßlosen Selbstüberschätzung zu depotenzieren, die sich in der Überhöhung des eigenen Ich manifestiert. 227 Er sucht die Behauptung der Selbsttätigkeit des 226  Zum

Erleiden als Bestimmung des Menschen s. auch Leg 4,6 und dazu s. u. Kap. 7.3. S. ferner Arist 197.208. 227  S. ferner Leg 3,198, wo demjenigen, der behauptet, ihm gehöre etwas, folgende Rede in den Mund gelegt wird: „‚Mein ist der Herr, der Geist, er ist sein eigener Herr und Gebieter, mein ist auch die Sinnlichkeit, ein ausreichendes Prüfmittel der Körper, mein sind auch deren Kinder, die des Geistes (sind) die rein geistigen Dinge, die der Sinnlichkeit (sind) die sinnlich wahrnehmbaren Dinge, denn in meiner Macht stehen das Denken und das Wahrnehmen‘“ (Übers. Noack, Haben, 291 [tw. kurs.]). Philo beschreibt hier „ein stolzes, sich selbst ermächtigendes Ich“, für das eine „egoistische(n) Selbstreflexion des Geistes“ (ebd., 292) wie auch eine sich verabsolutierende sinnliche Wahrnehmung charakteristisch ist.

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Geistes und der Sinne und der Selbstmächtigkeit des Handelns als Selbstbetrug zu entlarven. 228 Die Geisteshaltung, die Vernunft- und Sinnestätigkeit der eigenen Person zuschreibt, charakterisiert er als knechtisch, weil sie sich dem göttlichen Ruf in die Freiheit verweigert. Dieser ist der Sache nach ein Ruf, sich von den Illusionen über die Fähigkeiten des Menschen zu befreien und stattdessen alles Gott zuzuschreiben. Hinter diesem Selbstbetrug sieht Philo ein grundsätzliches Missverständnis der menschlichen Natur stehen: Statt aktiv zu sein, ist sie ihrem Wesen nach passiv, bestimmt zum Erleiden. Aktivität im strengen Sinn liegt Philo zufolge bei Gott, der auf geheimnisvolle Weise hinter allem Handeln des Menschen steht. Was Paulus-Bezüge anbelangt, so lassen sich keine spezifischen Berührungen sprachlicher und motivischer Art zu den in Kap. 2 erörterten Texten feststellen. Sie sind eher allgemeiner Natur. Die Kritik der Ich-Prahlerei verbunden mit der Bestimmung der menschlichen Natur als erleidender berührt sich mit dem Aufweis der Ohnmacht des Ich in Röm 7. 229 Beide Autoren stellen dem die Wirkmacht Gottes entgegen, die sie ihren jeweiligen argumentativen Interessen entsprechend aber unterschiedlich deuten. 3.3.2 Die Nichtigkeit des Menschen und die Gnadenmacht des fürsorgenden Gottes als Grund für die Unmöglichkeit menschlicher Selbsterhebung Philo erörtert die Unmöglichkeit der Selbsterhöhung des Menschen angesichts der Gnadenmacht Gottes und der Schwachheit des Menschen sowohl in den allegorischen Schriften als auch in der Exposition. Im Folgenden werden Texte aus beiden Schriftengruppen aufgenommen. Zunächst wird das Thema anhand von Abraham, der den Typus des Gottliebenden repräsentiert, im Gegenüber zu Kain, dem exemplarischen φίλαυτος, und der durch ihn exemplifizierten kainitischen Denkweise an verschiedenen Texten erörtert (2.3.2.1). Danach werden zwei Texte aus Spec 1 in den Blick genommen, die es in einer stärker an der biblischen Sprache und Motivik angelehnten Weise thematisieren (2.3.2.2). 228  Zum illusionären Charakter des menschlichen Handelns s. auch Her 121, wo Philo Anfang und Ende aller Dinge, sei es in der Landwirtschaft, sei es in der Wissenschaft, allein bei Gott sieht: „Denn vollkommen ist keiner in irgendeinem Streben; (es verhält sich) vielmehr (so, dass) die Vollendungen und äußersten Enden in Wahrheit allein (Sache) des Einen (ἑνός … μόνου) sind. So bewegen wir uns eilends in der Mitte zwischen dem Ziel und dem Anfang, lernend, lehrend, Ackerbau und jedes andere Handwerk betreibend, wie wenn wir ins Schwitzen kämen, damit es scheine, dass auch das Geschöpf etwas vollbringen könne (ἵνα τι καὶ γένεσις πράττειν δοκῇ)“. Vgl. dazu Winston, Logos, 51. 229  Dazu s. ausführlich unten Kap. 9.(2).

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3.3.2.1 Die Gottes- und Selbsterfahrung Abrahams im Gegensatz zum kainitischen Lebensentwurf (1) Philo imaginiert in Det 32–34 ein Rededuell zwischen Kain und Abel, und das heißt: zwischen der selbst- und der gottliebenden Ansicht.230 In § 33f. lässt er einen Vertreter der als Genussmenschen charakterisierten Kainiten eine allen Ansprüchen einer sophistischen Argumentation (σοφιστεύειν; § 35) genügende fiktive Rede halten, in der sie, ihren Lebensentwurf propagierend, Abel und Menschen wie ihn in Grund und Boden reden. Eine Antwort Abels fehlt. Dies erklärt sich textintern vor allem daraus, dass Abel nach § 37 die Kunstfertigkeiten der Rede (τέχνας … λόγων) nicht beherrschte. Trotz seiner Polemik gegen die sophistische Argumentation verdammt Philo die Sophistik keineswegs in Bausch und Bogen, im Gegenteil. Sofern sie Rhetorik ist, ist sie für die φιλόθεοι eine Notwendigkeit. Denn er schreibt den Sieg der Sophisten nicht ihrer Stärke (ἰσχύς) zu, sondern der Schwäche (ἀσθένεια) ihrer Gegner (§ 35). Zugleich aber weist er darauf hin, dass unter denjenigen, die sich (wie Abel) der Tugend befleißigen, es nicht nur solche gibt, die nur lobenswerte Taten vorzuweisen haben, sondern auch solche, die beides haben, einen „Verstand (διάνοιαν)“, der „durch guten Rat und gute Werke“, und eine Redefähigkeit (τοὺς … λόγους), die durch die „diesbezüglichen Kunstfertigkeiten (ταῖς περὶ αὐτοὺς τέχναις)“ befestigt sind (ὀχυρώσασθαι ; § 35). 231 Demgemäß fordert Philo die zweite Gruppe der Tugendhaften dazu auf, den Sophisten entgegenzutreten (vgl. § 36–39). Er spricht sich somit nicht gegen die Sophistik aus, sofern sie rhetorische τέχνη ist, sondern gegen eine sich in den Dienst der φιλαυτία stellende Rhetorik. Wird sie dagegen in den Dienst der Tugend bzw. der Gottesliebe gestellt, ist sie Philo zufolge hochnotwendig. 232

Im weiteren Kontext des corpus philonicum findet sich mit Her 24–29.30 aber ein Text, der aufgrund formaler und inhaltlicher Merkmale partiell als Gegenrede eines anderen φιλόθεος, nämlich Abrahams233, zur Rede der Kai­ niten in Det gedeutet werden kann. 234 230  „… Abel, der alles auf Gott bezieht, ist eine gottliebende Ansicht (φιλόθεον δόγμα), Kain aber, (der alles) auf sich selbst (ἐφ’ ἑαυτόν) (bezieht) – er wird nämlich als Besitz (κτῆσις) erklärt – (ist eine) selbstliebende (φίλαυτον) (Ansicht). 231  Dazu s. auch oben Anm. 208. 232  Zum Ganzen vgl. Winter, Philo, bes. 84f.91–94.104–106.109f., und Wyss, ­Philon. 233  Bei § 24–29 handelt es sich genauer um eine Rede Abrahams an Gott in Gestalt eines Gebetes; vgl. Borgen, Prayers, 293. Die Ich-Rede wird in § 30 fortgesetzt, wo sie sich aber zunächst als Dialog mit der Schrift vollzieht. Inhaltlich schließt § 30 jedoch eng an das Vorausgehende an. – Der hier ausgewählte Zusammenhang Her 24–29.30 bildet den Abschluss des Eingangsteils von Her, in dem Philo ausgehend von der Tatsache, dass Abraham auf die Lohnverheißung Gottes (Gen 15,1//§ 2) hin nicht schwieg, sondern die Rückfrage stellte: „Gebieter, was willst du mir geben?“ (v2//§ 2.24), Freimut (παρρησία) bzw. Zuversicht (θάρσος) und Furcht (φόβος) als zwei für das Gottesverhältnis Abrahams charakteristische Merkmale bestimmt (§ 27f.). Als weiteres Kennzeichen kommt seine Einsicht in die fundamentale Differenz zwischen Gott und Mensch hinzu,

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Mit einer Reihe rhetorischer Fragen lässt Philo in Det die Kainiten zunächst ihren hedonistischen Lebensentwurf skizzieren (§ 33).235 Sie münden in die Frage, was sie davon abhalten sollte, sich Reichtum, Ruhm, Ehren, Macht und dergleichen mehr zu verschaffen, aus denen nicht nur ein sicheres (ἀσφαλῶς), sondern auch ein glückliches (εὐδαιμόνως) Leben resultiere. Die Überlegenheit dieses auf die eigene Person bedachten Lebensstils – Philo nennt die Kainiten in § 34 „Selbstsorger“ (οἱ δ’ αὑτῶν ἐπιμελούμενοι) – über den der von ihnen „sogenannten Tugendfreunde“ (οἱ … λεγόμενοι φιλάρετοι), die mit den φιλόθεοι identisch sind, untermauern sie mit einem Vergleich ihres Ergehens mit dem der Gegner (§ 34). Dies geschieht mittels zweier Kataloge, einer Art Peristasenkatalog 236 und einer entgegengesetzten Liste, die in Ermangelung eines adäquaten formgeschichtlichen terminus technicus als „Leben-in-Freuden-Katalog“ bezeichnet werden könnte und in rhetorischer Hinsicht als Selbstlob fungiert237. In diesen Katalogen artikuliert sich, wie zu 1Kor 1,26–31 geschehen, der Wertekanon der hellenistischen Mehrheitsgesellschaft. Während die von den Kainiten als „sogenannte Tugendfreunde“ verunglimpften Liebhaber Gottes durch Ruhmlosigkeit (ἄδοξοι), Verachtung (εὐκαταφρόνητοι), Niedrigkeit (ταπεινοί), Bedürftigkeit (ἐνδεεῖς), Gering­ achtung, die die der Hörigen und Sklaven übersteigt (ἀτιμότεροι), Schmutz, Blässe, Auszehrung, Hunger, Krankheit sowie Einübung ins Sterben238 gekennzeichnet sind, sind für die für sich selbst Sorgenden Ansehen (ἔνδοξοι), Reichtum (πλούσιοι), Führungspositionen (ἡγεμόνες), (öffentliche) Lobesdie sich in dem Begriff der οὐδένεια verdichtet (§ 29). Zum Argumentationsgang des Eingangsteils § 2–30 vgl. Borgen, ebd., 293–295. 234  Wie Post 8–21 zeigt, kann Abraham von Philo auch sonst als das gottliebende Gegenmodell zu Kain verstanden werden. Die beiden φιλόθεοι Mose (§ 12.13–16) und Abraham (§ 17–19) werden dem φίλαυτος Kain (τῷ …φιλαύτῳ Κάιν) antithetisch gegenübergestellt (§ 21). Im übrigen wird der Begriff φιλόθεος auch sonst auf Abraham bezogen; vgl. Her 289 sowie Abr 50, wo dieser (neben Noah, Enoch und Enosch) als φιλόθεος und θεοφιλής charakterisiert wird. Die beiden Begriffe werden von Philo folgendermaßen erklärt: ἀγαπήσαντας τὸν ἀληθῆ θεὸν καὶ ἀνταγαπηθέντας πρὸς αὐτοῦ. 235  Winter, Philo, 108, zufolge spiegelt sich in der nachfolgenden Aufzählung die soziale Situation der Sophisten. An den Schulen der Sophisten wurde die zukünftige gesellschaftliche Elite ausgebildet; vgl. ebd., 5.35–38. 236  Von einer „Art“ Peristasenkatalog ist hier die Rede, weil nach Berger, Formen, 285, diese Formen nur dann gegeben sind, „wenn es um die Leiden und Nöte einer Einzelfigur geht, das heißt im biographischen oder autobiographischen Kontext, wozu dann auch Belege aus Romanen zu rechnen sind“. Berger sieht deshalb „auch eine Beziehung zu Märtyrerberichten“. Beides liegt hier nicht vor. 237  Zum Selbstlob s. o. bes. Kap. 2.1.2 und Kap. 2.3.2.3. – Um die Vergleichbarkeit mit den oben zu 1Kor 1,26–28 herangezogenen Texten aus der Rhetorik des Aristoteles zu erleichtern, wird im Folgenden ein Teil der in den beiden Katalogen verwendeten Begrifflichkeit auf Griechisch wiedergegeben. 238  Zum platonischen Hintergrund dieses Motivs vgl. Feuer, Quod deterius potior insidiari soleat, 43, Anm. 2.

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hymnen (ἐπαινούμενοι), Ehrerbietungen (τιμώμενοι), Gesundheit, Wohlbeleibtheit, Robustheit, Überfluss, Üppigkeit, Freiheit von der Mühsal (des Lebens) sowie Leben in Freuden charakteristisch. Der Gegensatz in Lebensweise und Ergehen von φίλαυτοι und φιλόθεοι könnte größer nicht sein. Wird die Existenzweise der Liebhaber Gottes hier von den Kainiten verächtlich gemacht, so wird sie durch Abraham, den paradigmatischen φιλόθεος, in Her 26–30 geadelt. Abraham bekennt sich vor Gott zu seiner eigenen Nichtigkeit (οὐδένεια)239, die er mit einem leicht verfremdeten, biographisch angelegten Peristasenkatalog erläutert240: ausgewandert aus dem Vaterland, ausgeschlossen aus der Verwandtschaft, dem väterlichen Haus entfremdet, als Verstoßener und Verbannter von allen verlassen und verachtet (ἄτιμον; § 26). Gott aber gleicht ihm allen Verlust und Mangel aus. Er ist ihm Vaterland, Verwandtschaft, väterlicher Herd, Ehre (ἐπιτιμία), Freimut (παρρησία) und unentreißbarer Reichtum (πλοῦτος). In der Terminologie von Det 34 gesprochen heißt dies, dass der sich in den Peristasen artikulierende Mangel Abrahams durch die Fürsorge Gottes ausgeglichen wird 241, m. a. W. an die Stelle der Selbstsorge des Menschen die Fremdsorge Gottes tritt. Aus dieser doppelten Erfahrung, der Einsicht in die eigene Nichtigkeit (τὴν … οὐδένειαν τὴν ἐμαυτοῦ) und der Erfahrung der göttlichen Wohltaten, erwächst Abraham die Kühnheit (θάρσος), vor Gott zu treten und ihm zu sagen, was er denkt242. Die Kühnheit gründet dabei genauer in der Erfahrung der gnadenhaften Zuwendung Gottes zu dem sich seiner Nichtigkeit bewussten Menschen. Dieses Bewusstsein der eigenen Nichtigkeit wiederum ist die Voraussetzung seiner Hinwendung zu Gott: „Und wenn ich mich als ‚Staub und Asche‘ (γῆν καὶ τέφραν) oder als etwas (noch) Geringeres empfinde, erkühne ich mich eben dann, vor dich zu treten, gering (ταπεινός)

239  Der Begriff der οὐδένεια fällt erst in § 29f. In § 26 heißt es: τίς γὰρ ἐγενόμην, (ἵνα σύ μοι λόγου μεταδῷς). Die Frage, „Denn wer bin ich?“, wird mit Hilfe des nachfolgenden Peristasenkatalogs im Sinne der οὐδένεια gefüllt. 240  Verfremdet darum, weil er wie die Eingangsfrage τίς γὰρ ἐγενόμην formal in einer Fragenreihe gefasst ist. – Borgen, Prayers, 298, sieht in § 26 die „precarious situation of the Jewish people in Diaspora situations“ reflektiert. 241  Vgl. auch Harl, Quis rerum divinarum heres sit, 179, Anm. 3: „Dieu est tout pour celui qui de lui-même n’est rien“. 242  Exegetisch ist die Einsicht in die eigene Nichtigkeit eine Folge der Lohnverheißung Gen 15,1; vgl. § 24. Zeller, Charis, 111, verweist in diesem Zusammenhang auf Mut 54, wo die „Verheißung der χάρις“ in Gen 17,1f. „die Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit“ auslöst. Philo entnimmt dies der Reaktion Abrahams, der auf die göttliche Verheißung des Bundes hin vor Gott niederfällt: „Sollte er also nicht durch die göttlichen Versprechungen (ὑποσχέσεσι θείαις) sich selbst erkennen (γνῶναι … ἑαυτόν) und die Nichtigkeit des sterblichen Geschlechtes und vor dem Stehenden (sc. Gott) niederfallen, um so die Meinung unter Beweis zu stellen, die er von sich selbst (περὶ ἑαυτοῦ) und von Gott (θεοῦ) hatte …“.

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geworden, niedergeworfen in Staub, wieder aufgelöst in die Elemente, so dass ich nicht mehr zu existieren scheine“ (Her 29). 243

Die Wendung ‚Staub und Asche‘ spielt auf die von Philo in § 30 zitierte Stelle Gen 18,27 an, wo Abraham in seinem Ringen mit Gott um die Rettung der Einwohner Sodoms sagt: „‚Nun habe ich angefangen, zu dem Herrn zu reden, ich aber bin Erde und Asche (γῆ καὶ σπoδός)‘“. So ist für Philo die Einsicht in die abgrundtiefe Niedrigkeit des Menschen im Vergleich zur überragenden Macht Gottes244, gepaart mit der Erfahrung der göttlichen Gnadenerweise (§ 25f.30), die Voraussetzung für ein adäquates Gottesverhältnis. Erst diese Einsicht ist es, die es Abraham ermöglicht, in Freimut vor Gott zu treten. Dieses paradigmatisch durch den Patriarchen verkörperte Verhalten ist das Gegenmodell zur φιλαυτία Kains. Indem Philo die durch Kain repräsentierte sich selbst liebende Ansicht, die die Selbstsorge auf ihre Fahnen schreibt, und die mit Abel verbundene, durch Abraham illustrierte gottliebende Ansicht einander gegenüberstellt, bringt er eine Auseinandersetzung zwischen seiner eigenen, biblisch inspirierten philosophischen Theologie und der zeitgenössischen Philosophie auf den Punkt. Die „epiméleia heautoû, die cura sui ist ein Gebot, auf das man in zahlreichen philosophischen Lehren stößt“. Sie ist Teil einer „‚Kultur seiner selbst‘“, deren Blütezeit die beiden ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit waren. 245 Dieses philosophische Grundanliegen lehnt Philo strikt ab. Dem Selbstbezug und der Selbstsorge stellt er Gottesbezug und Sorge Gottes für den Menschen antithetisch gegenüber246. Die Art und Weise, wie Philo den Begriff der ἐπιμέλεια ἑαυτοῦ in Det verwendet, ist freilich eine Karikatur seines philosophischen Gebrauchs, weil das, was Philo der Selbstsorge der Kainiten in Det zuweist, nämlich Reichtum, Ruhm etc., mit der Selbstsorge, wie sie in der antiken Literatur gefasst wird, nichts zu tun hat. In der stoischen Philosophie, in der sie zu den zentralen Themen gehört247, zählen Reichtum etc. vielmehr zu den Adiaphora. So lässt sich der Befund in Det und Her folgendermaßen zusammenfassen: Während die Kainiten in ihrem gesellschaftlichen, ökonomischen und privaten Wohlergehen den Beweis für die Richtigkeit ihrer Lebensphiloso243 

Borgen, Prayers, 299, verweist zu § 29 auf die für die Hodayot verschiedentlich beobachtete Niedrigkeitsdoxologie, für die ähnlich wie für Her das Nebeneinander von Niedrigkeit des Menschen und Größe und Souveränität Gottes charakteristisch ist. Sein Referenztext ist 1QH 18,5.6–8.10 (Zeilenzählung Qimron, ‫מגילות‬, 86); in z7 bekennt der Beter ausdrücklich: „Ich bin Staub und Asche (‫“)ואני עפר ואפר‬. Dazu s. auch unten Kap. 3.5. 244 Vgl. § 24: οὐκ ἀγνοῶ σου τὸ ὑπερβάλλον κράτος, ἐπίσταμαι τὸ φοβερὸν τῆς δυναστείας. Die Niedrigkeit des Menschen ist bei Philo strikt an das Gegenüber zur Macht Gottes gebunden. 245  Foucault, Sorge, 62. 246 Zur (Für-)Sorge Gottes s. auch unten Kap. 3.3.2.2 zu Spec 1,310. 247  Dazu s. u. die Einleitung zum zweiten Hauptteil sowie Kap. 6.

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phie sehen, begreift der Gottesfreund Abraham Gott als die alleinige Quelle seines Wohls und erkennt im Licht der Wirklichkeit Gottes zugleich seine eigene Nichtigkeit. Angesichts dieser Wirklichkeit von Gott und Mensch erweist sich der Lebensentwurf der in der Sorge um das eigene Ich befangenen φίλαυτοι als pure Illusion. Abschließend sind die herangezogenen Abschnitte aus Det und Her auf die in Kap. 2 erörterten paulinischen Texte zu beziehen. Obwohl sich Redner und Kontext bei Paulus und Philo unterscheiden, sind Berührungen zwischen den beiden philonischen Texten und Aussagen bei Paulus unverkennbar. Formal fällt die Verwendung von peristasenkatalogähnlichen Aufzählungen als Mittel der Auseinandersetzung mit sich überhebenden Gegnern im Kontext der Synkrisis auf. 248 Gemeinsamkeiten inhaltlicher Art zeigen sich in der Zeichnung der Kontrahenten Abels auf der einen und des Apostels auf der anderen Seite. Zu nennen sind Selbstruhm, Ich-Fixierung, die Orientierung an dem Wertekanon der hellenistischen Mehrheitsgesellschaft in Gestalt von Reichtum, Herkunft, Ruhm, Ehre und Macht. 249 Das von beiden Autoren dazu als Gegenbild gezeichnete Ideal heißt gesellschaftliche Niedrigkeit bzw. Statusverzicht. Theologisch wird dies im Sinne der menschlichen Nichtigkeit (οὐδένεια) aufgenommen250, die ihre volle Bedeutung erst im Gegenüber zur machtvollen Gnade Gottes erhält251, die dem Geringen allen Mangel ausgleicht 252. Damit verbindet sich bei beiden ein Paradox, bei Philo das der Kühnheit des Nichtigen, bei Paulus das seiner Macht. So ist im Verhältnis zur alles überragenden Größe Gottes das Eingeständnis, ein Nichts zu sein, konstitutiv für das Gottesverhältnis. Das Gemeinsame wird freilich jeweils unterschiedlich entfaltet. Abraham führt die Einsicht in die eigene Nichtigkeit zur Freimut Gott gegenüber, während sie für Paulus die Voraussetzung des machtvollen Gotteshandelns an ihm ist. Zwei weitere Texte, in denen Philo Abraham ebenfalls in Auseinandersetzung mit dem kainitischen Lebensmodell zeigt, sind Mut 154–156 und Abr 262–269. Mit der für Kain konstitutiven Prahlerei und Arroganz253 greifen diese Texte einen Aspekt auf, der in Her 24–30 nicht thematisiert wird. Kain selbst wird auch hier nicht explizit erwähnt, gleichwohl finden sich in beiden Abschnitten Bezüge zu ihm, sei es zum biblischen Prätext, sei es zu ande248 

Vgl. 1Kor 4,11–13; 2Kor 4,8f.; 6,4–10; 11,23b–27.28f. Zur Bedeutung solcher Aufzählungen im Kontext der sophistischen Schulen vgl. Winter, Philo, 5.35.189–191 (mit weiterer Literatur). 250  Vgl. Her 26.29f.; 2Kor 12,9; s. auch 1Kor 1,28. 251  Vgl. Her 26.29 (s. auch unten zu Sacr 54.57); 2Kor 12,9; s. auch 1Kor 1,21.30; 2,1–5.12 252  Vgl. Her 26f.; 2Kor 12,9f. sowie Phil 4,19; s. ferner 1Kor 1,30. 253  Vgl. dazu neben Det 32–34 auch Post 52 und dazu oben Kap. 3.1.2. 249 

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ren Auslegungen seiner Person bei Philo. Die beiden Stellen sind im Kontext dieser Untersuchung auch darum von Interesse, weil sich Bezüge zu Paulus herstellen lassen. (2) In Mut 154–156 hebt Philo hervor, dass angesichts der anthropologischen Grundsituation der Nichtigkeit des Menschen jede Form der Selbsterhebung verfehlt ist. Dies exemplifiziert er an dem Weisen Abraham (§ 155), der, um „uns“, das heißt die Masse der Kainiten, die wegen der kleinsten Dinge „erhobenen Nackens einherzugehen (ὑψαυχενεῖν)“ pflegen, zu überführen254, trotz der großen Verheißungen, die Gott ihm gab255, seinen νοῦς nicht „aufblähte (ἐκφυσηθέντα), so dass er in die Höhe davon getragen wurde (μετέωρον ἀρθῆναι)“. Im Gegenteil, Abraham „fällt nieder (πίπτει) und lacht sofort ein Seelenlachen“, wie Philo im Anschluss an Gen 17,17 bemerkt (§ 154). 256 Sein Niederfallen ist seiner „Geringschätzung der sterblichen Nichtigkeit (τῆς θνητῆς οὐδενείας)“ des Menschen geschuldet, die ihn auf Großprahlerei (μεγαλαυχεῖν) verzichten lässt. Sein Lachen versteht Philo als Ausdruck seiner Frömmigkeit (εὐσεβείας), für die „Gott allein die Ursache von Gnadenerweisen und Gütern (χαρίτων καὶ ἀγαθῶν)“ ist (§ 155).257 Bei dem Weisen fallen Niederfallen und Lachen zusammen, was ihn grundlegend vom Geschöpf (γένεσις), dem kainitischen ‚wir‘, unterscheidet. Dieses soll sich deshalb am Beispiel Abrahams, der der Natur gemäß handelt, ausrichten und ähnlich wie der große Weise „betrübt blickend niederfallen“. Philo begründet dies unter Anspielung auf die Kainsgeschichte damit, dass die Kreatur „unbeständig und betrübt (ἐπίλυπος) ist aus sich selbst (ἐξ ἑαυτῆς)“. 258 So stellt Abraham nicht nur einen Gegenentwurf zum Prahlen 254  πρὸς ἔλεγχον ἡμῶν; möglich wäre auch die Wiedergabe: „zu unserer Beschämung“ (so PCHAT, 6 139). PLCL, 5 221, übersetzt „to convict us“, Arnaldez, De mutatione nominum, 105, „ce qui est une charge contre nous“. 255  Bezugspunkt sind in erster Linie die in § 130–153 erörterten Teilaspekte der Verheißung Gen 17,16. 256  πίπτει καὶ εὐθὺς γελᾷ τὸν ψυχῆς γέλωτα . Der LXX-Text lautet: καὶ ἔπεσεν Αβρααμ ἐπὶ πρόσωπον καὶ ἐγέλασεν. 257 Diese „expérience mystique“ umschreibt Arnaldez, De mutatione nominum, 104, Anm. 1, folgendermaßen: „la joie de subsister en Dieu dans l’anéantissement de la créature mortelle que l’homme porte en lui; mort de l’homme, naissance de l’homme de Dieu“. 258  πιπτέτω μὲν δὴ καὶ σκυθρωπαζέτω γένεσις, φυσικῶς – ἀνίδρυτός τε γὰρ καὶ ἐπίλυπος ἐξ ἑαυτῆς ἐστιν (§ 156). Vgl. dazu Gen 4,5f.: καὶ ἐλύπησεν τὸν Καιν λίαν, καὶ συνέπεσεν τῷ προσώπῳ. καὶ εἶπεν κύριος ὁ θεὸς τῷ Καιν Ἵνα τί περίλυπος ἐγένου, καὶ ἵνα τί συνέπεσεν τὸ πρόσωπόν σου; – Die im MT erzählte Rast- und Heimatlosigkeit Kains (Gen 4,12.14 [‫ )]נע ונד‬hat in der LXX στένων καὶ τρέμων als Äquivalent. Dennoch artikuliert sich in Philos Auslegung der Stelle in Det 119–122 auch das Motiv der Unbeständigkeit: Die Gerechtigkeit verbannt alle Betrübnis, wie Philo an Noah verdeutlicht, dessen Namen in Gen 5,29 LXX auf das Ausruhen gedeutet wird: „Dieser wird uns ein wenig ausruhen lassen (διαναπαύσει) von unseren Arbeiten …“. Auffälligerweise umfasst ἀνίδρυτος ein umfänglicheres Bedeutungsspektrum, zu dem nicht nur „1) nicht

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Kains dar. An ihm lässt sich auch das richtige Fallen lernen. Während Kain den Affekten anheimfiel (Det 119), so dass sein Angesicht fiel259, verbinden sich bei Abraham Niederfallen und Lachen aufs engste (ἀμφότερα δὲ κατὰ τὸν αὐτὸν χρόνον; Mut 155). Deshalb soll der Mensch fallen um dessetwillen, was er ‚aus sich selbst‘ ist, nämlich nichtig und haltlos, lachen aber soll er wegen des Handelns Gottes (§ 156): Das Geschöpf „soll von Gott aufgerichtet werden (ἀνιστάσθω) und lachen. Denn er allein ist seine Stütze und seine Freude (χαρά)“. Auch von Mut 154–156 lassen sich Verbindungen zu den erörterten paulinischen Texten und auch sonst zu Paulus erkennen. So grenzt sich Paulus in 2Kor 12,11 als οὐδέν von den sich selbst rühmenden Superaposteln ab260 und stellt in 1Kor 4,6–13 dem Hochmut der Gemeinde, der sich im Aufblähen und im Selbstruhm manifestiert, die Niedrigkeit der Apostel antithetisch gegenüber (v9–13). In dem Peristasenkatalog, in den diese Gegenüberstellung mündet, findet sich u. a. eine Liste gegensätzlicher Erfahrungen, für die Paulus Gleichzeitigkeit behauptet (v12b–13a). Dem Befund in Mut noch näher kommt ein Ausschnitt (v9f.) aus dem Peristasenkatalog 2Kor 6,4–10: „wie Sterbende, und siehe, wir leben, … als Betrübte, die sich aber immer freuen (ὡς λυπούμενοι ἀεὶ δὲ χαίροντες)“. Auch in einem weiteren Peristasenkatalog, 2Kor 4,8f., findet sich eine Formulierung, die sich mit dem philonischen Text in der Sache berührt: „als zu Boden Geworfene (καταβαλλόμενοι), aber nicht Zugrundegehende“ (v9).261 In diesen gegensätzlichen Erfahrungen weiß sich der Apostel als Spiegelbild Jesu Christi, dessen Sterben er ebenso an seinem Leib trägt wie dessen Leben. Diese Aussage steht nun freilich unter der Überfestgestellt, rastlos, … unbeständig, veränderlich…“ gehört, sondern auch „2) keinem Menschen Stand haltend, menschenfeindlich“ (Pape, 1 236). So könnte Philo hier bewusst diesen Begriff verwendet haben. 259  Vgl. QG 1,63: „for he was grieved (ἐλυπήθη), and his countenance fell“. 260  Forbes, Comparison, 22, weist im Zusammenhang mit 2Kor 12,9f. darauf hin, dass sich Paulus dadurch von Philo unterscheide, dass sich ersterer „seiner Schwachheit rühme“, was ein „quite extraordinary paradox“ sei, während es bei Philo die „human weakness“ sei, die „most effectively reduces boasting by reminding man of his proper relation to God“. Dies ist richtig, denn Philo lehnt den menschlichen Selbstruhm grundsätzlich ab. Die von Forbes vorgenommene Gegenüberstellung trifft den Befund bei beiden Autoren aber nicht umfassend. Zum einen formuliert auch Philo ein vergleichbares Paradox, und zwar in Mos 1,69, wo er Mose dem Volk sagen lässt: „Lasst den Mut nicht sinken. Die Schwäche ist eure Kraft (τὸ ἀσθενὲς ὑμῶν δύναμίς ἐστιν)“. Zum anderen schließt auch Paulus in 1Kor 1,26–31 das menschliche Rühmen aufgrund der conditio humana aus: Die einen sind „nichts“ und die anderen, die etwas zu sein meinen, werden von Gott entmachtet, „damit sich kein Fleisch vor Gott rühme“. Somit relativiert sich der Unterschied zwischen Paulus und Philo, was die Unmöglichkeit menschlichen Selbstruhms anbelangt, erheblich. 261  Anders als Philo formuliert Paulus hier aber passivisch. Gleichwohl steht das ‚zu-Boden-geworfen-Sein‘ des Apostels nicht anders als das Niederfallen Abrahams für Niedrigkeit.

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schrift (4,7), dass Paulus den Schatz, das heißt den apostolischen Verkündigungsdienst, in irdenen Gefäßen hat, damit „die Übermacht der Kraft von Gott ist (ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ τοῦ θεοῦ) und nicht aus uns selbst (μὴ ἐξ ἡμῶν)“. 262 Vergleichbar führt Philo die Aufrichtung Abrahams zur Freude – und in seinem Gefolge die des kainitischen Menschen – auf das Handeln Gottes zurück. Während Paulus seine Niedrigkeitserfahrungen jedoch als Widerfahrnisse des Christus gemäßen apostolischen Dieners deutet, ist das Niederfallen Abrahams in Mut 154–156 seiner eigenen Einsicht geschuldet, nämlich seiner Geringschätzung der sterblichen Nichtigkeit. Die Bewegung des selbstgewählten Niederfallens Abrahams und seine Erfahrung der Gnadenmacht Gottes verbinden sich eher mit der Bewegung des Phil-Hymnus. (3) In Abr 262–269 reflektiert Philo den menschlichen Stolz als eine Form des von ihm verschiedentlich mit φιλαυτία bezeichneten Sachverhalts im Horizont der auf Abraham bezogenen Aussage Gen 15,6: „‚Er vertraute Gott (ἐπίστευσε τῷ θεῷ)‘“263. Unter dem Vertrauen in Gott ist hier die Hoffnung auf Gott als die Quelle alles Guten (§ 268) verstanden. Lobenswert ist das von Abraham unter Beweis gestellte Vertrauen in Gott deshalb, weil es zwar leicht ist, darüber zu reden, es durch die Tat (ἔργῷ) zu untermauern aber eine große Sache ist (§ 262). Die von Philo im Anschluss gestellte Frage, „wem anders man (sonst) vertrauen solle (πιστευτέον)“, beantwortet er mit dem, worauf Menschen, Kain vergleichbar, erfahrungsgemäß ihr Vertrauen setzen, nämlich auf Macht, Ruhm, Ehre, Reichtum, edle Abkunft, körperliche Vorzüge und Schönheit (§ 263).264 Wie er im Einzelnen zeigt, sind diese Dinge unzuverlässig und bieten allenfalls eine trügerisch-illusionäre (σφαλερόν) Sicherheit265 (§ 263–267). Auffälligerweise bezeichnet Philo den zuvor mit πιστεύειν (c. dat.) umschriebenen Sachverhalt in § 266 mit μέγα φρονεῖν („stolz gesinnt sein“) 262  Vgl. auch 2Kor 13,4, wo Paulus seine Erfahrung der Kraft Gottes in der Schwachheit (12,9f.) in Analogie zu Christus interpretiert: Wie Christus aus Schwachheit (ἐξ ἀσθενείας) gekreuzigt wurde und aus der Kraft Gottes (ἐκ δυνάμεως θεοῦ) lebt, so ist auch der Apostel in Christus zwar schwach (ἀσθενοῦμεν), wird aber der Gemeinde gegenüber mit ihm aus der Kraft Gottes (ἐκ δυνάμεως θεοῦ) leben. 263  Philo deutet die Aussage als Lob (ἔπαινος) Abrahams, das Mose ihm aufgrund eines Gottesspruches zollte. 264  Vgl. Det 33, wo Reichtum, Ruhm, Ehre, Macht und „dergleichen“ als Größen genannt werden, von denen die Kainiten behaupten, sie verschafften „nicht nur das sichere (ἀσφαλῶς), sondern auch das glückliche (εὐδαιμόνως) Leben“. In Her 92 bietet Philo eine vergleichbare Reihe ebenfalls im Kontext der Auslegung von Gen 15,6. Her 90–95 zeigt aber gegenüber Abr 262–269 u. a. darin ein eigenes Profil, dass der Glaube Abrahams als „acte de l’intellect ou comme jugement“ entfaltet wird, „par lequel… on s’ancre dans l’Être“ (Moreau, Écriture, 260). 265  Vgl. das Bedeutungsspektrum des Adjektivs bei Pape, 2 1048: „was leicht zum Fallen, Ausgleiten bringt, schlüpfrig, u. übertr., leicht zu einem Fehler bringend, verführerisch, betrüglich, … fallend, wankend, … unzuverlässig“.

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und vorausgehendem περί mit der Nennung des Gegenstands. Offenbar ist für ihn in diesem Zusammenhang das Vertrauen, das Menschen in Macht, Ruhm etc. setzen, gleichbedeutend mit dem Stolz auf sie. Der Stolz ist im Horizont von Det 32–34 im Sinne der prahlerischen Selbsterhebung Kains zu deuten, der alles auf sich bezieht, während Abel alles auf Gott bezieht. Abraham verhält sich daher in der Weise Abels, wenn „er Gott vertraute“.266 Wie Kain und Abel Antipoden sind, so schließen sich für Philo auch Vertrauen auf die dem Zufall geschuldeten äußeren und körperlichen Güter und Vertrauen auf Gott aus. Zusammenfassend heißt es demgemäß in § 269: „Wer auf jene Dinge vertraut (πεπιστευκώς), vertraut nicht auf Gott (ἀπιστεῖ θεῷ), wer aber jenen nicht vertraut (ἀπιστῶν), vertraut (πεπίστευκε) Gott“. Auch hier zeigen sich auffällige Übereinstimmungen mit Paulus. Wie an späterer Stelle zu zeigen sein wird 267, sind ‚nicht rühmen‘ und ‚glauben‘ im corpus paulinum äquivalent. In 1Kor 1,26–31 bezieht sich die Forderung, sich nicht selbst zu rühmen, ähnlich wie bei Philo die Mahnung, nicht stolz zu sein, auf äußere Dinge wie die von beiden Autoren genannte Macht und privilegierte Geburt. Daneben weist Abr 262 einen Bezug zu Röm 4,2f. auf. Hier räumt der Apostel in Auseinandersetzung mit jüdischer Abraham-Deutung ein, dass der Patriarch aufgrund von Werken gerechtfertigt worden sein und deshalb Anlass zum Rühmen gehabt haben könnte (ἔχει καύχημα), aber eben nicht mit Blick auf Gott. Er begründet dies mit Gen 15,6: „Abraham aber glaubte Gott (ἐπίστευσεν … τῷ θεῷ), und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“. 268 Auch wenn der Rechtfertigungsdiskurs einschließlich der Frage der Werke des Gesetzes bei Philo keine Rolle spielt, sind die Gemeinsamkeiten nicht zu übersehen. Philo zufolge beruht das Lob Abrahams auf seinem Vertrauen zu Gott, wie es sich in Gen 15,6 artikuliert. Paulus verbindet die Frage des Ruhms des Patriarchen ebenfalls mit dieser Schriftstelle und der hier formulierten Aussage über sein Glauben. Bei aller Unterschiedlichkeit der in diesem Abschnitt erörterten Texte zieht sich ein roter Faden durch Philos Abraham-Deutung. Als Gegenbild zu Kain und seinen Vorfahren, die aus ihren eigenen – nur menschlichen – Auszeichnungen und Ressourcen leben, orientiert sich Abraham aus der Einsicht in die Nichtigkeit des Menschen in allem an Gott und lebt aus seiner gnadenhaften Fülle. Dies verbindet ihn mit Paulus. 266  Die Hinzuziehung einer Stelle aus dem allegorischen Kommentarwerk Philos zu einem Text aus der Exposition scheint hier angesichts der sachlichen Berührungspunkte als methodisch akzeptabel trotz des von Runia, Beginnings, 288, als „sound methodology“ bezeichneten Verfahrens, „first to work within the framework of the separate commentaries before mixing together results from all three“. Dies gilt um so mehr, als Abr 262–269 eine Parallele in Her 90–95 hat. 267  S.u. Kap. 5.2.1. 268  Zu Röm 4,2f. s. ausführlich unten Kap. 5.2.1.

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3.3.2.2 Gott als Ruhm des Menschen als Alternative zum menschlichen Hochmut Gegen Ende von Spec 1 kommt Philo in gedrängter Form auf das kainitische Verhalten zu sprechen, ohne dabei jedoch, wie in den allegorischen Schriften, Kain selbst zu nennen. Er problematisiert dieses Verhalten hier ausgehend vom biblischen Gesetz und rekurriert dabei insbesondere in § 299–312 in starkem Maße auf biblische Vorstellungen. Der erste hier aufzunehmende Abschnitt ist Spec 1,291–295, mit dem er die Auslegung der Gebote vorläufig zum Abschluss bringt. Ausgehend von dem Gebot Lev 2,11, die Opfer ohne Honig und Sauerteig darzubringen, warnt er vor Hochmut, bevor er in § 296–298 die Vorschrift thematisiert, die Lichter des heiligen Leuchters vom Abend bis zum Morgen hinter dem Vorhang zum Zeichen der Dankbarkeit für die Güte Gottes, die er den sterblichen Menschen durch den Schlaf zuteil werden lässt, brennen zu lassen. 269 Damit schließt die Auslegung der Einzelgebote zum ersten und zweiten Gebot mit der Gegenüberstellung von Hochmut und Dank, und das heißt: eines dem Menschen angesichts der Größe Gottes und der eigenen Schwachheit gänzlich unangemessenen Verhaltens einerseits und dem der Kreatur allein zukommenden Verhalten andererseits.270 Darauf folgt in § 299 eine knappe Überleitung, in der Philo darauf hinweist, dass er nun im Anschluss an die Entfaltung der „zur Frömmigkeit“ gegebenen Gebote (§ 13–298) zur Darlegung der im Gesetz enthaltenen philosophischen Lehren und Ermahnungen übergehe. Die letzte davon, die fünf Arten der Gottlosigkeit, zu denen die φιλαυτία prominent gehört (§ 324– 345), wurde bereits ausführlich erörtert. Die erste dieser Lehren und Ermahnungen gilt dem Abschnitt Dtn 10,12–21, den er in § 300–314 entfaltet, und damit der Forderung, Gott zu fürchten und zu lieben, deren sachliche Vor­ 269  Im Hintergrund stehen hier Ex 27,21; 30,8 und Lev 24,3f. Diese Stellen fordern nicht ausdrücklich, auch tagsüber die Lichter brennen zu lassen, was im Tempel offenbar usus war; vgl. PCHAT, 2 93, Anm. 1, und Daniel, De specialibus legibus, 186f., Anm. 4. Diese Offenheit der Schrift macht sich Philo zu Nutzen, da er so eine Tag und Nacht umfassende Dankbezeugung im Tempel postulieren kann, um die es ihm hier geht. Dem nächtlichen Licht im Inneren des Tempels entspricht am Tag das Dankopfer. 270  Zu diesem Gegenüber vgl. auch Zeller, Charis, 113–119, unter der Überschrift: „Zwei Grundhaltungen: Selbstsucht und Dankbarkeit“; er geht auf Spec 1,291–295 allerdings nicht ein. Dankbarkeit ist auch bei Paulus ein Thema, und zwar nicht nur als fehlende Dankbarkeit (vgl. Röm 1,21f.), sondern auch darüber hinaus (vgl. dazu Noack, Haben, 300.304). Im Kontext dieser Untersuchung ist insbesondere an die Danksagung in 1Kor 1,4–9 zu erinnern, für die intratextuelle Bezüge zu 1Kor 4,8 her­ aus­gearbeitet worden sind (dazu s. o. Kap. 2.2.3). Indem Paulus für den Reichtum an λόγος und γνῶσις, den die Korinther haben, dankt, stellt er ihnen das angemessene Verhalten angesichts der Gaben Gottes vor Augen und kontrastiert dies mit dem von ihnen geübten Aufblähen angesichts ihres Reichtums.

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aus­setzung die Herzensbeschneidung ist. Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild. Philo erläutert zunächst das Gebot, Gott, den Wohltäter (εὐεργέτην) des Menschen, zu lieben und ihn als Herrscher und Herrn (ἄρχοντα καὶ κύριον) zu fürchten (§ 300–302)271. In § 303 erörtert er kurz die Erwählungsaussage Dtn 10,15, die er aber nicht auf das Volk Israel bezieht, sondern auf diejenigen aus dem ganzen Menschengeschlecht, die „wahrhaftig Menschen“ sind, das heißt diejenigen, die von Natur mit der Tugend begabt sind 272, also Menschen wie Isaak 273. Daraufhin wendet er sich denen zu, die die Tugend nicht kennen (§ 304–306) und identifiziert sie in Auslegung von Dtn 10,16 mit denen, die unbeschnittenen Herzens sind und darum der Beschneidung ihrer Herzenshärte bedürfen. Dazu zählt er die von der Unvernunft (ἀφροσύνη) gepflanzten Auswüchse der leitenden Vernunft (ἡγεμονικοῦ; § 305). Im weiteren Kontext manifestiert sich die Unvernunft im Selbstruhm der Unverständigen (οἱ κενοὶ φρενῶν)274, der dem eigenen Reichtum, Ruhm etc. gilt (§ 311), das heißt – im Horizont der allegorischen Schriften Philos gesprochen – im kainitischen Verhalten. Indem Philo unmittelbar im Anschluss an die Auslegung der Einzelgebote im Rahmen der Entfaltung der philosophischen Lehren und Ermahnungen sogleich auf die Notwendigkeit der Beschneidung des Herzens zu sprechen kommt, weist er auf das „Portal“ zu den Einzelgeboten, die Beschneidung, zurück, die er in allegorischer Auslegung zu Beginn von Spec 1 auf die Entfernung des Dünkels (οἴησις) und des prahlerischen Hochmuts deutet275. Vor diesem Hintergrund ist die Herzensbeschneidung als das biblische Äquivalent zu den verschiedenen Ausdrucksformen zu verstehen, derer sich Philo bedient, um die Absage an φιλαυτία , οἴησις, ἀλαζονεία und μεγαλαυχία etc. zu formulieren. Mit diesen einführenden Bemerkungen sind die Voraussetzungen geschaffen, um nun die beiden hier relevanten Textausschnitte Spec 1,293–295 und 1,307–312 genauer in den Blick zu nehmen. 271  Vgl. Dtn 10,12f.//Spec 1,300f.; in § 302 entfaltet Philo Dtn 10,14. Bei der Gottesliebe handelt es sich nach dem von Dtn unterschiedenen Verständnis Philos um „l’étape ultime de l’initiation spirituelle“, während die Gottesfurcht, die das „principe de sagesse“, ist, „accessible à tous“ ist (Daniel, De specialibus legibus, 190, Anm. 1). 272  Vgl. ebd., 192, Anm. 2. 273  Vgl. Abr 52–54. 274 PCHAT, 2 97, gibt οἱ κενοὶ φρενῶν mit „die Unverständigen“ wieder, PLCL, 7 279, mit „the hearts of the empty-minded“. Die Wendung „empty-minded“ gibt den griechischen Ausdruck ziemlich genau wieder; vgl. Pape, 2 1305, s. v. φρήν 2: „die Seele, der Geist, der Sinn, das Gemüth, übh. das Empfindungs-, Denk- u. Willensvermögen, oder … das Herz“ als Sitz „von μένος, νοῦς, μῆτις, βουλή“. Der mit φρήν umschriebene geistige Bereich verweist auf § 304–306 mit den Begriffen καρδία /σκληροκαρδία, ἡγεμονικόν und ἀφροσύνη zurück; zum Zusammenhang von § 311 und § 304–306 s. auch im Folgenden. 275  Zu Einzelheiten s. o. Kap. 3.1.1.

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Philo zufolge hat das Gebot Lev 2,11, Opfer ohne Sauerteig darzubringen, seinen Grund darin, dass zu seinen Eigenschaften das Aufgehen (ἔπαρασιν) gehört 276. Deshalb steht die biblische Vorschrift symbolisch für das Verbot, sich hochmütig und aufgeblasen vor Prahlerei (ἐπαίρηται φυσηθεὶς ὑπ’ ἀλαζονείας) dem Altar zu nähern. Die angemessene gottesdienstliche Haltung besteht vielmehr darin, durch den Blick auf die Größe Gottes (τοῦ θεοῦ μέγεθος) der Schwäche des Geschöpfs (περὶ τὸ γενητὸν ἀσθενείας) gewahr zu werden, die als anthropologische Grundkonstante auch für die mit den Glücksgütern des Zufalls – wie Reichtum und Macht – Verwöhnten kennzeichnend ist. Deshalb soll der Opfernde „den übermäßig stolzen hohen Gedanken aus (seinem) Sinn (τὸ τοῦ φρονήματος ὑπέραυχον ὕψος) fortschaffen und den hinterlistigen Eigendünkel zerstören (τὴν ἐπίβουλον οἴησιν)“ (§ 293). Die grenzenlose Selbsterhöhung manifestiert sich nach diesem Zusammenhang in einem gegen andere Menschen (πρὸς ἀνθρώπους) gerichteten Handeln, das heißt ethisch. Philo weist es mit zwei Argumenten zurück. In theologischer Perspektive erinnert er an die Grundtatsache, dass Gott nicht auf „das Übermaß seiner Stärke und Macht (τὰς ὑπερβολὰς τοῦ κράτους αὑτοῦ καὶ τῆς ἐξουσίας)“, sondern auf die menschliche Schwäche (τὴν σὴν ἀσθένειαν) sieht und dem Menschen Anteil an seiner Gnadenmacht (τῆς ἵλεω δυν́αμεως) gibt, indem er dessen Bedürfnisse stillt (§ 294). In anthropologischer Hinsicht verweist er seinen fiktiven Gesprächspartner auf den doppelten Sachverhalt der fundamentalen, weil von der Natur eingestifteten Gleichheit aller Menschen sowie auf ihre Nichtigkeit: Nichts (τὸν μηδέν), nicht einmal sich selbst (μηδὲ σαυτόν), haben sie in die Welt hineingebracht (§ 294), denn „nackt, bewundernswerter (Freund), bist du gekommen, und nackt gehst du wieder fort“, wie es in Anspielung auf Hi 1,21 heißt. Die Zeit zwischen Kommen und Gehen, Geburt und Tod, empfängt der Mensch als Leihgabe von Gott (παρὰ τοῦ θεοῦ χρῆσιν λαβών).277 In dieser Zeit kann er aus den genannten Gründen gar nicht anders, als menschenfreundlich zu handeln (§ 295). Ohne den Begriff der φιλαυτία zu gebrauchen, handelt der Text eben davon. Dies zeigt nicht nur die Verwendung der beiden mit φιλαυτία weitgehend synonymen Begriffe der ἀλαζονεία und οἴησις, sondern auch der Inhalt des Abschnitts, in dem Philo Hochmut, Aufgeblasenheit und Eigendünkel als Illusion angesichts der Macht Gottes und der Schwäche und der Nichtigkeit des Menschen zu erweisen sucht. Auch von diesem Abschnitt aus lassen sich Verbindungslinien zu den in Kap. 2 erörterten Paulus-Texten ziehen. In terminologischer Hinsicht ist an 276  Das Nomen ἔπαρσις enthält neben der Grundbedeutung „das Erhöhen, Anschwellung“ zugleich „das sich Erheben“ als Aspekt (Pape, 1 905); vgl. auch QE 2,14. 277  Daniel, De specialibus legibus, 186, Anm. 2, verweist hierzu auf Ps 39,13; 119,19 sowie auf Cher 116–120.

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die Verwendung der beiden auf die Selbsterhebung des Menschen bezogenen Begriffe ἐπαίρομαι 278 und φυσιόω279 zu erinnern wie auch an das Gegenüber von Macht Gottes und Schwäche des Menschen in eben diesem Kontext.280 Sodann korrespondiert dem Gedanken, dass der Mensch das Leben als Leihgabe Gottes zum menschenfreundlichen Gebrauch empfängt, 1Kor 4,6f.: Die Weisen unter den Korinthern verhalten sich, als ob sie nicht aus dem Empfangen lebten, und blähen sich den Aposteln gegenüber in unethischer Weise auf. Schließlich verweist die Erläuterung von ἔπαρσις /ἐπαίρομαι in § 293 u. a. durch „übermäßig stolze hohe Gedanken (τὸ τοῦ φρονήματος ὑπέραυχον ὕψος)“, die fortzuschaffen seien, und οἴησις, die zu vernichten (καθαιρῶν) sei, terminologisch und sachlich auf 2Kor 10,4f.: λογισμοὺς καθαιροῦντες καὶ πᾶν ὕψωμα ἐπαιρόμενον. Damit ist auf Spec 1,300–312 zurückzukommen. Dabei werden die skizzenhaften Bemerkungen zu § 300–306 vorausgesetzt. In § 307 ruft Philo in Auslegung der Stelle Dtn 10,17, die eine versteckte Gerichtsdrohung enthält, die beiden Kräfte Gottes in Erinnerung, seine wohltätige (εὐεργέτις) und seine strafende Kraft (κολαστήριος). Mit ersterer hat er das All eingesetzt und geordnet, mit zweiterer übt er seine „Macht über alle (Dinge)“ aus, über Menschen, gewöhnliche ebenso wie Herrscher, und über Götter (§ 307). Trotz seiner Größe erweist Gott mit seiner wohltätigen Kraft den Bedürftigen Mitleid und Erbarmen (ἔλεον καὶ οἶκτον) und hält den Geringen (τὸ ταπεινόν), das heißt Proselyten, Waisen und Witwen 281, der Vorrechte (προνομίας 282) für würdig, wohingegen er Könige, Tyrannen und große Machthaber „übersieht (ὑπεριδών)“ (§ 308). Gott ist die Hoffnung derer, die bei Menschen keine Zuflucht finden, so dass er „aufgrund seiner gnädigen Natur (τὴν ἵλεω φύσιν) die Vorsehung (πρόνοιαν) und Fürsorge (ἐπιμέλειαν) nicht von den so Verlassenen abzieht. ‚So soll denn‘, sagt (sc. die Schrift), ‚Gott allein dein Stolz (αὔχημα) und größter Ruhm (κλέος) sein‘; und weder sollst du dich des Reichtums noch des Ansehens noch der (politischen) Macht noch der Wohlgestalt des Körpers noch der Kraft noch ähnlichen Dingen rühmen (σεμνυνθῇς), womit sich die Unverständigen (κενοὶ φρενῶν) zu überheben (ἐπαίρεσθαι) pflegen“ (§ 310f.).

278  Vgl. Spec 1,293 mit 2Kor 10,5; 11,20; s. ferner 2Kor 12,7 mit dem Gebrauch von ὑπεραίρομαι. 279  Vgl. Spec 1,293 mit 1Kor 4,6. 280  Vgl. Spec 1,294 mit αἱ ὑπερβολαὶ τοῦ κράτους und ἵλεος δύναμις bezogen auf Gott und ἀσθένεια bezogen auf den Menschen mit 2Kor 12,9f., 1Kor 1,26–31 und 2,3–5. 281  Vgl. dazu Dtn 10,18. Die Gründe, warum Gott diesen drei Gruppen hilft, erläutert Philo in § 309f. 282  So die Lesart der MSS, die von Daniel, De specialibus legibus, 195, Anm. 8, mit guten Gründen gegen die von Mangey u. a. vorgeschlagene Konjektur προνοίας vertreten wird.

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In diesem Abschnitt bestimmt Philo Gott in grundlegender Weise als gnädigen Gott: Gnade kennzeichnet seine Natur. Sie manifestiert sich in doppelter Weise als Vorsehung und Fürsorge. Der Begriff der πρόνοια ist stoisch geprägt, ἐπιμέλεια zählt zu den Schlüsselbegriffen der antiken Philosophie, die ihn, wie angedeutet, zur Bezeichnung der Selbstsorge des Menschen gebraucht, wohingegen Philo den Begriff zur Umschreibung des Handelns Gottes verwenden kann. Im weiteren Kontext der Schriften Philos gelesen, hat die Rede von der ἐπιμέλεια Gottes programmatischen Charakter.283 Die von Philo anschließend als Schriftzitat eingeführte Aussage ist eine freie Wiedergabe von Dtn 10,21, wo es von Gott, der an Israel große Dinge getan hat, heißt: οὗτος καύχημά σου καὶ οὗτος θεός σου. Den Israelbezug ignoriert er bei seiner Auslegung und individualisiert die Zuwendung Gottes. Aus seinem Handeln an den Geringen soll die Leserschaft von Spec die allgemeingültige Erkenntnis der Schrift lernen, dass Gott allein ihr Ruhm ist, weil alles von ihm kommt.284 Deshalb kann es kein Rühmen in Dingen geben, die sich den zufälligen Glücksumständen verdanken wie etwa der Reichtum. In einem solchen Verhalten artikuliert sich der Unverstand derer, die unbeschnittenen Herzens sind (§ 304f.). Bei der Forderung, sich nicht des Reichtums etc. zu rühmen, handelt es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um eine an der Sprache der Rhetorik geschulte Reformulierung von Jer 9,22f. LXX.285 Ob eine Bezugnahme auf Jer 9,22f. LXX vorliegt, ist strittig. Die Herausgeber der deutschen Philo-Übersetzung verneinen eine solche ausdrücklich. 286 Doch gibt es sowohl inner- als auch außerphilonische Argumente, die für eine Bezugnahme sprechen. Neben den sprachlichen und motivischen Übereinstimmungen zwischen § 311 und Jer 9,22f. – der Forderung, sich nicht des Reichtums etc. zu rühmen und dem sprachlichen Berührungspunkt zwischen καυχάομαι und dem philonischen Äquivalent der αὔχημα – gibt es auch Verbindungslinien zwischen Jer 9,22–25 LXX als Teil von Jer 8f. und dem exegetischen Zusammenhang Spec 1,304–312. Wenn der Mensch, der sich rühmen will, sich nach Jer 9,23 LXX dessen rühmen soll, „zu verstehen (συνίειν) und zu erkennen (γινώσκειν), dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit (ἔλεος), Recht (κρίμα) und Gerechtigkeit (δικαιοσύνην) auf die Erde bringt (ποιῶν)“, dann ist damit zugleich eine Reihe von Begriffen und Vorstellungen erwähnt, die in dem zur Debatte stehenden exegetischen Zusammenhang eine Rolle spielen. Verstehen und Erkennen werden von Philo hier vor allem im Modus des Nichterkennens aufgenommen. Er spricht von den Auswüchsen des ἡγεμονικόν, des leitenden Seelenteils, der mit der Vernunft identisch ist 287, von ἀφροσύνη (§ 305), 283 

Dazu s. u. Kap. 3.5 sowie bes. Kap. 6 und Kap. 7.3. Dtn 10,17f./Spec 1,307–310. Um diesen Punkt zu machen, verlässt Philo seine Vers-für-Vers-Kommentierung von Dtn 10,12–21. Er geht in seiner Auslegung direkt von v18 zu v21 über. V19 überspringt er ganz, v20 erörtert er erst im Anschluss an seine Deutung von v21 (§ 311) in § 312. 285  Dazu s. auch oben Kap. 2.1.2. 286  Vgl. PCHAT, 7 97, Anm. 1. 287  Dazu s. u. Kap. 6 und Kap. 7.1.2. 284  Vgl.

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ἀμαθία (§ 306) und den κενοὶ φρενῶν (§ 311). Der Bezugspunkt der in § 305f. gebrauchten Begriffe ist die Unbeschnittenheit des Herzens und die Halsstarrigkeit, die sich im Kontext darin zeigt, dass der Mensch Gott in seiner Wohltätigkeit und als Herrscher und Herrn ignoriert 288, was im Duktus der Argumentation nichts anderes heißt, als dass er sich unter die „Unverständigen“ einreiht, die sich ihres Reichtums etc. rühmen (§ 311). Im Horizont von Jer 9,22f. LXX bedeutet dies, dass sie, indem sie sich selbst rühmen, verkennen, dass Gott ist und dass er handelt. Das in Jer 9,23 LXX beschriebene Handeln Gottes zeigt sich in Spec 1,308–310 auch in Einzelheiten, die nicht in dem hier zur Auslegung stehenden Text Dtn 10,12– 21 vorgegeben sind. 289 So heißt es zwar in Dtn 10,18, Gott habe Proselyten, Waisen und Witwen „Recht verschafft (ποιῶν κρίσιν)“. Anstelle dieser Dtn 10,18 und Jer 9,23 LXX gemeinsamen Wendung formuliert Philo, Gott sei diesen Gruppen zum „Richter geworden (γενέσθαι κριτής)“ (§  308). Der in Jer 9 verwendete Ausdruck ποιῶν ἔλεος hat in Dtn 10 dagegen keine Entsprechung, wohl aber in Spec 1,308, wo von seinem ἔλεος-Tun den Bedürftigen gegenüber die Rede ist. In Jer 9,24f. LXX kommt der Prophet sodann auf das Thema der Beschneidung zu sprechen. Der Gott, dessen Wohlgefallen in Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit (v23) liegt, wird „alle an ihrer Vorhaut Beschnittenen heimsuchen“, Ägypten, Judäa, Edom, Ammon, Moab etc. „Denn alle Völker sind Unbeschnittene (ἀπερίτμητα) im Fleisch, und das ganze Haus Israel sind Unbeschnittene (ἀπερίτμητοι) in ihrem Herzen“. Was Jer innerhalb weniger Verse verbindet, den Selbstruhm von Weisen, Starken und Reichen mit dem Gedanken der Heimsuchung der im Fleisch Beschnittenen, im Herzen aber Unbeschnittenen, wird in Spec 1,304–312 über einen längeren Argumentationsgang zueinander in Bezug gesetzt. 290 In dem von Philo ausgelegten Vers Dtn 10,16 wird zwar auch die Beschneidung der Herzenshärte gefordert, dies wird in Dtn aber nicht mit dem Selbstruhm angesichts von Reichtum o.ä. verbunden. 291 So legt es der vorgeführte Befund nahe, Jer 9,22f. LXX in Verbindung mit Jer 9,24f. LXX als philonischen Resonanzboden zu betrachten, der bei Philos Auslegung von Dtn 10,12–21 mitschwingt. 292 288  Vgl. § 300.307. 289  Dies gilt auch für

das bereits oben mit Jer in Verbindung gebrachte noetisch-kognitive Moment, das in Dtn 10,12–21 fehlt. 290  Ähnlich sieht Biblia Patristica, 89, in Spec 1,304 eine Bezugnahme auf Jer 9,24. Der Text der LXX (καὶ πᾶς οἶκος Ισραηλ ἀπερίτμητοι καρδίας αὐτῶν) kommt der Formulierung Philos (ἀλλ’ εἰσὶν ἀπερίτμητοι τὴν καρδίαν) näher als Lev 26,41 (τότε εντραπήσεται ἡ καρδία αὐτῶν ἡ ἀπερίτμητος); an sie ist hier zunächst zu denken, weil Philo auf den νόμος verweist. 291  Die auf die Beschneidung des Herzens bezogene, in Spec 1,304 zitierte Aussage Dtn 10,16 findet sich in Jer 4,4 fast identisch. 292  Eine weitere Verbindung zwischen dem weiteren Kontext von Jer 9,22f. LXX und Spec 1,304 ist zu erwägen. So gibt es motivische Berührungen zwischen § 304 und Jer 8,6 innerhalb eines sachverwandten Kontextes (Rendtorff, Testament, 213, sieht in Jer 8,4–9,25 einen zusammenhängenden Abschnitt). Philo identifiziert die – in bibli­scher Sprache ausgedrückt – am Herzen Unbeschnittenen mit Personen, die „wegen des (ihrem) Charakter (eigenen) Starrsinns (wie) wilde Pferde“ (ἀφηνιασταί [vgl. Pape, 1 283, s. v. ἀφηνιαστής: „zügelabstreifendes wildes Pferd“, das heißt „Empörer“]) „springen und das Joch vom Hals abschütteln“. Dazu ist Folgendes zu bemerken: Innerphilonisch weist diese Beschreibung, die in § 305 mit dem Unverstand verbunden wird,

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Die Absage an den Selbstruhm vertieft Philo im Anschluss mit zwei weiteren Argumenten. Er hält ihn für unvereinbar mit dem wahrhaft Guten. Zudem trage er der Wechselhaftigkeit des menschlichen Geschicks nicht Rechnung, schwinde der Mensch doch dahin, bevor er in voller Blüte steht. Dies ist eine Variation des Motivs der Schwachheit und Nichtigkeit des Menschen, das im Kontext von Spec 1,310f. zugleich auf den illusionären Charakter des Selbst­ ruhms anspielt. Auch dieser Text zeigt Berührungen mit den erörterten Abschnitten aus der Korintherkorrespondenz. Die Vorstellung, dass Gott der Ruhm des Menschen ist, artikuliert Paulus in 1Kor 1,31 und 2Kor 10,17. Die Absage an den Selbstruhm zeigt sich in den Paulus-Texten mit großer Regelmäßigkeit. In 1Kor 1,26–31 verbindet sich dies wie in Spec 1,311 mit Jer 9,22f. LXX, aber auch mit den Werten der hellenistischen Mehrheitsgesellschaft, die partiell auch in Jer 9,22 LXX reflektiert sind. Mit der Bestimmung Gottes als Ruhm des Menschen geht in beiden Traditionen ein Theozentrismus einher. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass Philo, wenn auch deutlich verhaltener als Paulus in 1Kor 1,26–28, in einem verwandten Kontext das gegensätzliche Handeln Gottes mit den Geringen einerseits und den Mächtigen andererseits herausstellt.

auf § 311 voraus, wo Philo von Selbsterhebung (ἐπαίρεσθαι) spricht. Mit Blick auf Jer 8f. ist festzuhalten, dass in 8,4–9 LXX das Volk Israel zunächst ob seines Entschlusses der „unverschämten Abwendung“ von Gott, an dem es unbeirrt festhält, kritisiert wird (v4f.), anstatt Reue zu zeigen (v6a) und sich an dem „Läufer“ ein Beispiel zu nehmen, der „seinen Lauf einstellte wie ein abgehetztes Pferd bei seinem Wiehern“ (v6b). Nach einem weiteren Vergleich aus der Tierwelt, der auf die Feststellung hinausläuft, das Volk kenne die Gerichte Gottes nicht (v7), folgt die rhetorische Frage, wie sie sich weise (Σωφοί) nennen (vgl. Jer 9,22 LXX) und der Überzeugung sein können, das Gesetz auf ihrer Seite zu haben (v8). Daran schließt sich eine Gerichtsankündigung über die Weisen an (v9). Ist die Gerichtsdimension und die Umkehrforderung von Jer 8, die bei Philo in § 306f. anklingt, auch in Dtn 10,16f. mehr oder weniger deutlich angesprochen, so ist der Vergleich derer, die ein unbeschnittenes Herz haben (§ 304f.; Jer 8,25f. LXX; 4,4), mit einem Pferd (bei allen Differenzen im Einzelnen) und ihre Verbindung mit dem Thema Weisheit bzw. Unverstand in Dtn 10,12–21 nicht enthalten. So legt sich auch von hier aus die Annahme nahe, dass Philo Jer 8f. bei seiner Auslegung von Dtn 10 im Kopf hatte.

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3.4 Gott als die alleinige Ursache aller menschlichen Güter Das Thema der Alleinursächlichkeit Gottes ist in den bearbeiteten Texten aus dem corpus philonicum bereits mehrfach angeklungen. In Sacr 52–58 und Congr 127–130 steht es im Zentrum der philonischen Deutung der φιλαυτία. 3.4.1 Die φιλαυτία als Infragestellung der Alleinursächlichkeit Gottes im Horizont von Dtn 8 und 9 Wie in einigen der bereits erörterten Texte macht Philo die φιλαυτία auch in Sacr 52–58 an der Gestalt Kains fest.293 Von ihm heißt es in Gen 4,3: „Und es geschah nach (einigen) Tagen, dass Kain von den Früchten des Landes dem Herrn ein Opfer darbrachte“. In diesem Vers sieht Philo zwei Vorwürfe gegen den φίλαυτος zum Ausdruck gebracht: Kain stattet Gott nicht unmittelbar nach der Ernte Dank ab, sondern erst nach „(einigen) Tagen“, und er opfert nicht von den „ersten Früchten“, sondern „von den Früchten“ (§ 52). Den ersten Vorwurf vertiefend, folgert Philo aus Dtn 23,24: „Wenn du ein Gelübde getan hast, sollst du nicht zögern, es zu erfüllen“, dass derjenige, der die von Gott aufgrund seines Gelübdes erhofften Dinge erhält, „Gott mit einem Ehrenkranz schmücken soll, nicht sich selbst (στεφανῶσαι θεόν, μὴ ἑαυτόν)“ (§ 53), und zwar möglichst ohne zeitlichen Verzug. Mit dieser Aussage formuliert Philo das, was den φιλόθεος im Gegensatz zum φίλαυτος kennzeichnet: Er sieht von sich selbst ab und schreibt alles Gott zu, dem dar­ ­um die Ehre gebührt. Philo zufolge sind es drei Gruppen, die, von ihm als Spielarten der φιλαυτία bzw. des ihr zugrunde liegenden Lasters des Selbstdünkels (οἴησις; § 58) ­bestimmt294, dem von der Schrift geforderten Verhalten zuwiderhandeln (§ 54–57). Das Besondere dieses Textes liegt nun darin, dass Philo die Kritik an der φιλαυτία mit Hilfe dreier Schriftzitate aus Dtn 8f. formuliert, die bereits dem Wortsinn nach, das heißt ohne einer allegorischen Deutung zu bedürfen, als Kritik an der Selbstzentrierung des Menschen verstehbar sind, ohne jedoch so verstanden werden zu müssen. Während im Dtn das Volk Israel in seiner Gesamtheit der Adressat ist, deutet Philo die Schriftstellen auf das Individuum. Anders als in den zuvor erörterten Texten sucht er bei der Entfaltung 293  Zur

364f.

Stelle vgl. auch Courcelle, Connaîs-toi, 42f., und Früchtel, Problem,

294  Der Begriff der φιλαυτία rahmt den gesamten Abschnitt (§ 52.58). In § 58 steht φιλαυτία in einer Reihe mit Vergessen (λήθην) und Undankbarkeit (ἀχαριστίαν), wohingegen die beiden letzteren Begriffe in § 54 Interpretamente der φιλαυτία sind (in § 54 ist genauer vom Verlust der „Dankbarkeit [εὐχαριστίας]“ die Rede). In § 58 werden die drei Begriffe dagegen gleichermaßen dem Grundlaster der οἴησις subsumiert: τὴν γεννητικὴν τούτων κακίαν … οἴησιν.

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der φιλαυτία in Sacr Anschluss an die biblisch-alttestamentliche Sprache, was den Vergleich mit Paulus erleichtert. Die Überheblichkeit der ersten Gruppe zeigt sich Philo zufolge darin, dass sie die Wohltaten Gottes vergessen und ihm Dankbarkeit schuldig bleiben (§ 54). 295 Ihren Vertretern hält er in § 55 Dtn 8,11–14 vor, wo das Volk gewarnt wird, sich nicht in seinem Herzen zu überheben (ὑψωθῇς τῇ καρδίᾳ) und Gott zu vergessen (ἐπιλάθῃ), nachdem es im Land Israel zu Wohlstand gekommen ist. 296 Diesen Satz legt Philo folgendermaßen aus: ‚Gottes nicht vergessen‘ heißt soviel wie: „(s)ich selbst nicht vergessen (μὴ ἐπιλάθῃ σεαυτοῦ)“. Im Hintergrund steht die auch sonst belegte Überzeugung, dass „Selbsterkenntnis zu Gotteserkenntnis“ führt. 297 Diesen Grundsatz entfaltet er dann so: „Denn indem du d(ein)er eigenen Nichtigkeit (τῆς ἰδίου περὶ πάντα οὐδενείας) in allem gedenkst, gedenkst du auch der Überlegenheit Gottes in allem (τῆς τοῦ θεοῦ περὶ πάντα ὑπερβολῆς)“. 298 Die anthropologische Einsicht in die Nichtigkeit des Menschen setzt danach die theologische Erkenntnis der Überlegenheit Gottes aus sich heraus. Deutlicher noch formuliert Philo diesen Sachverhalt in Somn 1,60:

295  Die Dankbarkeit ist nach Plant 130 für den Menschen die einzige Möglichkeit, „to requite God’s gifts“ (Gundry, Benefaction, 48; vgl. auch McFarland, God, 100f.). S. ähnlich Zeller, Charis, 113–119; ebd., 117.125, nennt er die Stoa als religionsgeschichtlichen Hintergrund der Vorstellung der Dankbarkeit. In Virt 165 ist sie „(t)he antidote to arrogance“ (Gundry, aaO., 51); s. auch oben Kap. 3.3.2.2 zu Spec 1,296–298. Für eine paulinische Parallele dazu ist auf Röm 1,21f. zu verweisen (die Arroganz klingt hier in der Behauptung der Undankbaren durch, sie seien weise). 296  Zu einer weiteren Auslegung von Dtn 8,11–14 vgl. Virt 163. 297 PCHAT, 3 237, Anm. 1, unter Hinweis auf Cicero, Leg 1,59: „Denn wer sich selbst erkennt, wird als erstes merken, dass er etwas Göttliches in sich trägt, und den ihm innewohnenden Geist wird er gleichsam für ein geweihtes Götterbild halten, und er wird in seinem Tun und Denken immer diesem so großen Geschenk der Götter entsprechen; und wenn er sich selbst genau erkannt und sein ganzes Wesen geprüft hat, wird er verstehen, wie gut von der Natur ausgerüstet er ins Leben gekommen ist und wie große Hilfsmittel er zur Erlangung und Bewahrung der Weisheit besitzt“. Leg 1,59 vermag den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Aussage Philos aber nicht umfassend zu klären. Dieser würde der Aussage im Grundsatz zwar zustimmen, dass der Mensch von der Natur bzw. den „unsterblichen Göttern“ (§ 58) hervorragend ausgestattet wurde, indem sie ihm mit der Philosophie das vortrefflichste Geschenk gemacht haben, das ihn das Schwierigste lehrt, nämlich sich selbst zu erkennen (ipsos nosceremus; § 58). Die Näherbestimmung der Selbsterkenntnis in Leg würde dagegen auf den heftigsten Widerspruch Philos stoßen. Denn für ihn ist nicht der dem Menschen innewohnende Geist an sich göttlich, ganz im Gegenteil: Er ist der οὐδένεια unterworfen. Es ist die Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit, die die Erkenntnis der überragenden Macht des transzendenten Gottes aus sich heraussetzt (dazu s. im Folgenden). Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Niedrigkeitsanthropologie Philos, zu dem auch die delphische Maxime ‚erkenne dich selbst‘ und ihre Interpretationsgeschichte gehört, s. u. Kap. 3.5. 298  Vgl. dazu 2Kor 4,7: ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν.

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„Wer sich selbst ganz erkannt hat (καταλαβὼν ἑαυτόν), sieht ganz (von sich selbst) ab (ἀπέγνωκε), nachdem er zuvor klar die Nichtigkeit (οὐδένειαν) in allem Gewordenen erkannt hat (προλαβών); wer aber von sich selbst abgesehen hat (ἀπογνοὺς ἑαυτόν), der erkennt (γινώσκει) den Seienden (τὸν ὄντα)“. 299

Die zweite Gruppe der φίλαυτοι sind diejenigen, die „aus übergroßem Eigendünkel (ὑπὸ … οἰήσεως) sich selbst (ἑαυτούς) für Urheber der (ihnen) zufallenden Güter halten, aber nicht die wahre Ursache“ (§ 54). 300 Philo konfrontiert diese Gruppe in § 56 mit Dtn 8,17f., wo es heißt: „Sage nicht (μὴ εἴπῃς), … meine Kraft (ἱσχύς) oder die Stärke (κράτος) meiner Hand hat mir all diese Macht (δύναμιν) verschafft, sondern gedenke in (deinem) Gedächtnis des Herrn, deines Gottes, der dir Kraft (ἰσχύν) gibt (διδόντος), (dir) Macht zu verschaffen“ (§ 56). 301

Die hiermit kritisierte Gruppe der φίλαυτοι sieht Philo unmittelbar durch das Schriftwort widerlegt, so dass sich für ihn ein Kommentar dazu erübrigt. Dtn 8,17f. ist für ihn die biblische Version seiner Grundauffassung, dass Gott hinter allem Tun des Menschen als Ursache steht und ihm die dazu nötige Kraft verleiht. Eine dem Menschen eigene Fähigkeit zu wirken verneint er angesichts von dessen Nichtigkeit explizit. Im Sinne eines Kommentars zu diesem Text ist auf Leg 3,136f. zu verweisen, wo Philo die auf die Heilsopfer (τῶν θυσιῶν τοῦ σωτηρίου ὑμῶν; § 133) bezogene Wendung „das Bruststück der Auflage und den Arm der Wegnahme“ (Lev 7,34) auslegt. Dabei deutet er das ‚Bruststück der Auflage‘ auf die Vernunft, die auf dem Herzen als dem Sitz der Gemütsbewegungen (θυμός) aufliegen muss, um diese im Zaum zu halten. Demgegenüber heiße der Arm deshalb „‚Arm … der Wegnahme (βραχίονα … ἀφαιρέματος)‘, weil die Seele die Mühe für die Tugend nicht sich selbst (μὴ ἑαυτῇ) zuschreiben darf, sondern von sich selbst (ἀφ’ ἑαυτῆς) wegnehmen und Gott hinbringen muss, indem sie bekennt (ὁμολογοῦσαν), dass nicht ihre Stärke noch ihre Kraft sich das Schöne verschafft hat (οὐχ ἡ ἰσχὺς αὐτῆς οὐδὲ ἡ δύναμις περιεποίησε τὸ καλόν), sondern derjenige, der auch das Verlangen (danach) geschenkt hat (ὁ καὶ τὸν ἔρωτα χαρισάμενος)“ (§ 136). Dass Bruststück und Arm nur vom Heilsopfer angenommen werden, hat Philo zufolge folgenden Grund:

299 

Zur Übersetzung vgl. PCHAT, 6 185. PLCL, 5 327.329, übersetzt ἀπογιγνώσκω dagegen mit „despair“. Im Deutschen sind die Wortspiele καταλαμβάνω – προλαμβάνω und ἀπογιγνώσκω – γιγνώσκω nicht wiederzugeben. 300  οἱ δὲ ὑπὸ σφοδρᾶς οἰήσεως ἑαυτοὺς τῶν συμβεβηκότων ἀγαθῶν αἰτίους ἐνόμισαν, ἀλλ’ οὐ τὸ ὄντως αἴτιον; s. ähnlich § 56: τὸν δὲ ἑαυτὸν νομίζοντα τῶν συμβαινόντων ἀγαθῶν αἴτιον. Méasson, De sacrificiis Abelis et Caini, 120, Anm. 2, verweist hierzu auf Agr 169f., wo Philo daran erinnert, dass manch einer der kainitisch Gepolten in höchste Höhen emporgehoben wurde, nur um nachher um so tiefer zu fallen. 301  Der Text ist auf der Grundlage des philonischen Textes wiedergegeben, der sich teilweise von dem der LXX unterscheidet. – Weitere Auslegungen zu Dtn 8,18 finden sich in Agr 172 und Virt 165f.

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„Denn dann wird die Seele gerettet (σῴζεται), wenn sowohl der θυμός von der Vernunft (ὑπὸ λόγου) gezügelt ist als auch die Mühe (sc. für die Tugend) nicht den Selbstdünkel (οἴησιν) hervorbringt, sondern sich Gott, dem Wohltäter, überlässt (παραχώρησιν τῷ εὐεργέτῃ θεῷ)“ (§ 137). 302 Was in Sacr 56//Dtn 8,17f. die δύναμις ist, ist in Leg 3,136f., griechisch-philosophisch formuliert, τὸ καλόν bzw. in biblischer Diktion τὸ σωτήριον. So wenig das Schöne durch eigene Kraft und Stärke erlangt wird, sondern durch Gott, der das Verlangen danach überhaupt erst schenkt, das wiederum die Anstrengung motiviert, so wenig wird die Seelenrettung durch die von Gott losgelöste und deshalb dünkelhafte Anstrengung erreicht 303, sondern durch die das Selbst preisgebende Hingabe an Gott, die die Voraussetzung dafür ist, dass Gott dem Menschen zum Wohltäter wird.

Die φίλαυτοι der dritten Gruppe, mit der sich Philo auseinandersetzt, räumen zwar theoretisch ein, dass der „führende Geist“ (τὸν ἡγεμόνα νοῦν), das heißt Gott, die Ursache aller Güter ist. Gleichzeitig jedoch behaupten sie, diese seien ihnen ‚billigerweise‘ bzw. ‚mit Recht‘ (εἰκότως) zugefallen, weil Gott sie aufgrund ihrer Tugenden der Gnadengaben für würdig erachtet habe (ὥστε ἄξιοι διὰ ταῦτα καὶ παρὰ θεῷ χαρίτων νομισθῆναι ; § 54); an Tugenden werden die vier Kardinaltugenden der Klugheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit genannt, die Philo zufolge durch die intellektuelle Reflexion auf das Gesetz und das Tun der Gebote erlangt werden. 304 Entsprechend sieht Philo diesen Typus des φίλαυτος in § 57 dadurch charakterisiert, dass er sich des Besitzes und des Genusses von Gütern als würdig erachtet (ὁ … ἀξιόχρεων ἑαυτὸν ὑπολαμβάνων κτήσεως καὶ ἀπολαύσεως ἀγαθῶν). Dass der Mensch aufgrund seiner Tugendhaftigkeit oder, wie Philo an anderer Stelle formuliert, aufgrund seiner Taten305 Anspruch auf die göttliche Zuwendung von Gütern hat, ist ein Gedanke, den er ganz und gar ablehnt. Die Wohltaten Gottes sind Gnadengaben, die allein in der Gnade Gottes gründen. 306 302  Zur Wiedergabe von παραχώρησις vgl. LSJ, 1331: „π. ἄλλων ἄλλοις surrender of … another to another“ (tw. kurs.). 303  Die Zügelung des θυμός durch die Vernunft ist dabei die sachliche Voraussetzung dafür, dass die Mühe für die Tugend nicht zum Dünkel führt. 304  Vgl. Mos 2,216, und dazu s. u. Kap. 4.4.1. 305  Vgl. Leg 3,77, wonach Noah keine bemerkenswerte Tat vollbracht hat, aufgrund derer er Gnade (χάριν) vor Gott gefunden hätte (μηδὲν πρότερον ἐργασάμενον); s. auch ebd. ἔργον οὐδέν. 306  Den Gnadencharakter alles Existierenden entfaltet Philo in Leg 3,78 im Kontext einer Auslegung von Gen 6,8, dem Gnade-Finden Noahs (τὸ … χάριν εὑρεῖν): alles (τὰ σύμπαντα) ist Gnade Gottes, wohingegen das Gewordene keine Gnadengaben auszuteilen hat, weil alles, was ist, Besitz Gottes ist. Der Ursprung allen Werdens liegt in der ἀγαθότης καὶ χάρις τοῦ θεοῦ begründet, die er dem Menschengeschlecht gnädig zuwendet (ἐχαρίσατο). „Denn Gabe (δωρεά), Wohltat (εὐεργεσία) und Geschenk (χάρισμα) Gottes ist alles, was in der Welt ist, und auch die Welt selbst“ (vgl. dazu auch McFarland, God, 50). Philo verbindet hier die platonische Vorstellung der ἀγαθότης,

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Philo hält dieses Vergehen für schwerwiegender als das erste, aber für leichter als das zweite (§ 54). Der Grund dafür liegt auf der Hand. Während die erste Form der φιλαυτία ihre Ursache in der Nachlässigkeit des Menschen hat – er vergisst, von wem er die Wohltaten empfangen hat, ohne dies jedoch grundsätzlich in Frage zu stellen –, verkennen die φίλαυτοι der zweiten Gruppe in grenzenloser Selbstüberschätzung die Wirklichkeit von Gott und Mensch. Die dritte Gruppe weiß zwar darum, verkennt aber den Charakter des Gotteshandelns und damit einhergehend die Stellung des Menschen vor Gott. Philo verdeutlicht dies in § 57 mit Hilfe von Dtn 9,5: „‚Nicht wegen deiner Gerechtigkeit (δικαιοσύνην) noch wegen der Frömmigkeit (ὁσιότητα) deines Herzens gehst du in das Land, um es zu erben, sondern‘ erstens ‚wegen der Gesetzlosigkeit dieser Völker‘ …, (und) zweitens ‚damit er (sc. Gott) den Bund aufrichte 307, den er unseren Vätern geschworen hat‘“ (§ 57).

Der Wortsinn dieses Verses besteht J.H. Tigay zufolge in einem Doppelten: Gott vertreibt die Völker nicht wegen der ‚Tugenden‘308 und der Aufrichtigkeit Israels, sondern wegen ihrer Bosheit und erweist sich eben darin als der gerechte Gott. „But to date“ – dies ist der zweite Aspekt – „Israel has not earned the right to succeed them“. Gott bringe Israel nur deshalb ins Land, weil er den Vätern einen Eid geschworen habe, der Israel auch dann noch erhält, „when it is devoid of merits“. 309 Dass Israel selbst keinerlei Taten vorzuweisen hat, aus denen es den Anspruch ableiten könnte, das Land zu erben, zeigt der folgende Abschnitt (Dtn 9,6–24), in dem seine bisherige Geschichte als fortdauernde Provokation Gottes beschrieben wird310.

der Gutheit (zu dieser Wiedergabe des Begriffs vgl. Bormann, Philosophie, 31) Gottes, der sich die Erschaffung der Welt verdankt (Tim 29d–30a), mit dem „unPlatonic theme of God’s grace“ (Runia, Philo, 133), das biblischer (χάρις) Redeweise entstammt. Die Verbindung mit der Gnade, die Noah bei Gott gefunden hat, „may encourage the interpreter to conclude that Philo is taking over the language and thematic of Timaeus without understanding it in the same way“ (ebd., 441f. [tw. kurs.]). Das heißt dann aber, dass Philo in Leg 3,78 den Begriff der χάρις im biblischen Sinn versteht als „the lovingkindness and forebearance shown by a father to his children“ (ebd., 441; vgl. dazu Spec 1,310, wo Philo dafür die Begriffe πρόνοια und ἐπιμέλεια verwendet). Entsprechendes gilt für Sacr 54. 307  Im MT fehlt der Begriff des Bundes. Statt ἵνα στήσῃ τὴν διαθήκην αὐτοῦ heißt es hier: ‫ולמען הקים את־הדבר‬. 308  Tigay, Deuteronomy, 98, gibt ‫ צדקתך‬mit „virtues“ wieder, fügt aber präzisierend hinzu: „Here the term may refer specifically to loyality or devotion, not virtues in general“. Tigay wählt diese Wiedergabe, weil es in Dtn 9 im Wesentlichen um „Israel’s lack of loyality“ geht (ebd., 97). 309 Ebd., 98. 310  Das Lexem ‫ קצף‬im Hifil findet sich in Dtn 9,7.8.22 und wird von Gesenius/ Buhl, 721, mit „z. Zorne reizen“ wiedergegeben. Tigay, Deuteronomy, 98, übersetzt „provoke“.

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Philos Deutung der Stelle weicht in zweifacher Hinsicht von ihrem Wortsinn, wie Tigay ihn versteht, ab. Zum einen bezieht er die dem Volk als ganzem geltenden Aussagen auf die Einzelperson. Zum anderen stellt er anders als Dtn 9 in keiner Weise in Abrede, dass die von ihm kritisierten φίλαυτοι Tugenden aufzuweisen haben. Er bestreitet nur, dass Gott ihnen die Güter aufgrund ihres Verhaltens, und das heißt aufgrund ihrer Würdigkeit, zuwendet (§ 57). 311 Dem damit von den φίλαυτοι vertretenen Prinzip von ‚Recht und Billigkeit‘ im Verhältnis von Gott und Mensch (§ 54), das dem griechisch-römischen Reziprozitätsdenken entspricht312, stellt Philo hier das Prinzip der alleinigen Gnade entgegen. 313 Auch dieses entnimmt er Dtn 9,5, sofern er in den göttlichen Gnadengaben (αἱ χάριτες) den symbolischen (συμβολικῶς) Gehalt der Vorstellung des „Bundes Gottes“ erkennt. Scheint er mit dieser Bestimmung insofern dem im Zitat anklingenden Zusagecharakter des Bundes Rechnung zu tragen314, so füllt er den biblisch konnotierten Begriff der χάριτες315 im Folgenden im Horizont philosophischen Den311 

Zum Bedeutungsspektrum von ἄξιος bei Philo vgl. Barclay, Reason, 11–13. Vgl. dazu u. a. Elliot, Patronage, bes. 42f., DeSilva, Honor, und Lampe, Paul, 502–505. 313  Er kann aber auch anders akzentuieren. So zeigt Gundry, Benefaction, 45–50, dass in denjenigen Zusammenhängen, in denen Philo im Horizont der königlichen bzw. strafenden Kraft Gottes argumentiert, Gott „requites good with benefits, and evil with harm, that is, its activity is reciprocating in nature“ (ebd. 47). Demgegenüber argumentiere er in denjenigen Texten, die von der wohltätigen Kraft Gottes handeln und Gott als Wohltäter interpretieren, mit der freien Gnade Gottes, der ohne Vorleistungen des Menschen seine Wohltaten verschenkt und sich damit gegen die „Greco-Roman benefaction ideology, according to which divine benefaction is almost always recipro­ cating“, stellt. Dazu verweist sie auf Deus 108, Virt 160 (dieser Text zeige „the liberality and universality of God’s kindness and graciousness“ [ebd., 48]), Plant 130 und Abr 126–130. Hier sieht sie eine grundlegende Übereinstimmung mit Paulus: „both … Jew­ ish thinkers and interpreters of Scripture promote the view of an all-beneficent God over that of a reciprocating/requiting God“ (ebd., 53). Bei eigenen Argumenten kommt Barclay, Agency, 143–145, zu ähnlichen Ergebnissen. Anders akzentuiert Barclay, Reason, 18.20. Dem Problem widmet sich auch Zeller, Charis. Er kommt zwar zu dem Schluss, dass „die Wohltat nur ‚Würdigen‘ zuteil wird“. Dabei deutet er die Würdigkeit aber auf die Anerkenntnis, „daß der Mensch nichts, Gott alles besitzt“ (ebd., 110), was für ihn auf das „(d)ankbare Bekenntnis zur Gnade als höchste Tugend“ (ebd., 111) zuläuft. Entsprechend heißt es ebd., 113: „Es ergibt sich also das Paradox, daß Gott den ihrer (sc. der Tugenden) für wert erachtet, der seine totale Unfähigkeit zugibt. Das Würdig-Sein in der Sicht Gottes ist das Unwürdigsein in der Sicht des Menschen“ (vgl. dazu Somn 1,212). Damit löst Zeller den Begriff der Würdigkeit aber von der Praktizierung der Tugenden (vgl. Sacr 54) ab, so dass er auch bei ihm das Reziprozitätssystem transzendiert. S. ähnlich McFarland, God, bes. 101f. 314 Vgl. Kutsch, tyrI B,] 347–349. 315  Wie oben, Anm. 306, bemerkt, ist die χάρις bei Plato und in der Stoa keine auf die Gottheit bezogene Vorstellung. Der Gedanke zeigt sich dagegen im „durchschnittlichen religiösen Denken“ der griechischen Antike; auch kennt die griechische Tradition die weiblichen Gottheiten der Χάριτες (vgl. dazu Zeller, Charis, 14–18, mit weiterer 312 

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kens. Weil Gott nichts Unvollkommenes (οὐδὲν ἀτελές) gewährt, sind „alle Geschenke (δωρεαί) des Ungewordenen ganz und vollkommen (§ 57). Ganz unter den existierenden Dingen aber sind die Tugend und die der Tugend gemäßen Taten“. 316 Die φίλαυτοι , die in der eigenen Tugendhaftigkeit die Ursache dafür sehen, dass sie von Gott mit Gütern bedacht werden, erinnert Philo in § 57 daran, dass ein an der Tugend bemessenes Handeln keine Möglichkeit des Menschen ist, sondern göttliche Gabe. Das ihnen widerfahrende Gute ist für ihn deshalb keine als billig anzusehende Folge ihres eigenen tugendhaften Handelns, das heißt kein Verdienst, sondern Gnade. 317 Auch für Sacr 52–58 sind Verbindungen zur paulinischen Tradition zu erkennen. Die Bezüge von § 55f. entsprechen dem bereits für andere Texte aufgezeigten Befund und müssen hier darum nicht eigens thematisiert werden. 318 Anders verhält es sich mit Sacr 57. Während sich die Entsprechungen zu den bislang erörterten Texten aus dem corpus philonicum vor allem in der Korintherkorrespondenz finden, verweist Sacr 57 terminologisch und sachlich auch auf Röm und Phil. Der Grund dafür ist in dem von Philo hier ins Spiel gebrachten Text Dtn 9,4–6 zu sehen, der auch bei Paulus im Hintergrund stehen dürfte. Zunächst aber ist 1Kor 15,9f. aufzunehmen. Wie Philo der Behauptung der eigenen Würdigkeit den auf die Gnadengaben gedeuteten Bund entgegenstellt und die Würdigkeit von der Praktizierung der Tugenden ablöst und mit der Einsicht in die eigene Nichtigkeit verbindet, so deutet Paulus seine Berufung retrospektiv als eine solche, die dem „Geringsten der Apostel“, der „nicht würdig (ἱκανός)“ ist, ein Apostel genannt zu werden, gnadenhaft widerfahren ist. 319

Literatur; Zitat: 14). Philo spielt gelegentlich darauf an. Doch sind die χάριτες von Sacr im Horizont der Gnade des Gottes der Bibel zu verstehen. Zeller, ebd., 113, zufolge, „nimmt Philon διαθήκη als Testament, das meist Schenkungen enthält“. Als solche ist die διαθήκη ebenso einseitig konstruiert wie die ‫ ברית‬des Dtn, das den Bund „als einseitigen Schwur Gottes an die Erzväter verstand“. 316  In diesem letzten Satz liegt PCHAT, 3 237, Anm. 3, zufolge ein „echt stoischer Satz“ vor, wonach „das sittlich Gute zugleich auch das ‚vollkommene‘ Gute“ ist. So heißt es etwa bei Seneca in Ep 71,4: „‚Das höchste Gut ist, was sittlich vollkommen ist (summum bonum est quod honestum est)‘, und was man noch mehr bewundern könnte: ‚Das einzige Gut ist, was sittlich vollkommen ist, die übrigen Güter sind falsch und unecht (unum bonum est, quod honestum est, cetera falsa et adulterina bona sunt)‘“. 317  Zu Sacr 54.57 vgl. auch Barclay, Agency, 144. 318  Vgl. dazu Kap. 3.3.2.1. 319  Ohne dass Paulus in Röm 3,9.21–24 mit der Sacr und 1Kor 15,9f. gemeinsamen Begrifflichkeit argumentieren würde, artikuliert sich dies der Sache nach doch auch in Röm 3,23f.

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In Röm 10,6 lässt Paulus die Rede der Glaubensgerechtigkeit (v6–13) mit den Anfangsworten von Dtn 9,4, μὴ εἴπῃς ἐν τῇ καρδίᾳ σου320, beginnen, um dann jedoch mit Dtn 30,12 fortzufahren. Dass die in Dtn 9,4–6 thematisierten Sachverhalte in einer Philos Deutung nicht unähnlichen Weise freilich auch im Röm im Hintergrund stehen dürften, wird durch Röm 10,3 nahegelegt. Paulus kritisiert Israel hier, weil es die Gerechtigkeit Gottes verkennt, die aus seiner Gnade in Jesus Christus fließt (3,24; 5,17.21), und stattdessen die eigene Gerechtigkeit (τὴν ἰδίαν [δικαιοσύνην]) aufzurichten sucht. Als Interpretationshilfe zu ἰδίαν [δικαιοσύνην] gilt Phil 3,9, wo die Wendung μὴ ἔχων ἐμὴν δικαιοσύνην τὴν ἐκ νόμου gebraucht ist, die wiederum der „Gerechtigkeit durch den Glauben an Christus“, und das heißt zugleich: „der Gerechtigkeit aus Gott (ἐκ θεοῦ) auf Grund des Glaubens“ antithetisch gegenübergestellt wird. Der Ausdruck ἐμὴν δικαιοσύνην kommt der Wendung (δ)ιὰ τὰς δικαιοσύνας (μ)ου (Dtn 9,4.6) bzw. διὰ τὴν δικαιοσύνην σου (v5) ziemlich nahe. C. Noack „betont“ für das Possessivpronomen „‚mein‘ ohne Artikel“ in Phil 3,9 „den possessiven Charakter der ‚eigenen‘ Gerechtigkeit“. 321 Paulus deute „sein ehemaliges Vertrauen auf religiöse Mitgifte und Leistungen als etwas, das er als ‚eigenes‘, als ‚Besitz‘, als ‚Gewinn‘ (κέρδη 3,7) verstand, dessen er sich selbst loben und auf das er vertrauen konnte“. Es ist zwar richtig, dass Paulus auch seine Untadelhaftigkeit mit Blick auf die Gerechtigkeit im Gesetz (v6) dem „Vertrauen auf das Fleisch“ (v4) subsumiert. Dennoch handelt es sich bei der Betonung der possessiven Bedeutung der pharisäischen Gerechtigkeit des Paulus, die Noack in Entsprechung zu den philonischen Texten, die das ‚mein‘ ins Zentrum stellen, herausstellt322, wohl doch um eine Überinterpretation. Richtig ist, dass Paulus der Gerechtigkeit durch den Glauben an Christus bzw. der Gerechtigkeit aus Gott die Gesetzesgerechtigkeit antithetisch gegenüberstellt. Die Gerechtigkeit im Gesetz basiert, wie die neuere Forschung herausgestellt hat 323, jedoch nicht auf Leistungen, sondern ist die gehorsame Antwort des Israeliten auf die Gabe des Bundes durch Gott. Diese Gerechtigkeit ist damit nicht in erster Linie die des Individuums, sondern die des Einzelnen als Teil des Volkes Israel. Entsprechend beginnt Paulus die Aufzählung derjenigen Größen, die sein Vertrauen ins Fleisch begründen, mit verschiedenen Aspekten der Zugehörigkeit zum Volk Israel, das heißt mit dem, was Noack „religiöse Mitgifte“ nennt. Die Betonung der eigenen Untadeligkeit zielt aber nicht auf die Herausstellung der eigenen religiösen Leistungen in Gestalt von Gebotserfüllungen, sondern benennt den Grund, warum Paulus mit Fug und Recht Vertrauen auf das Fleisch haben kann. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Reihe „‚eigenes‘, … ‚Besitz‘, … ‚Gewinn‘“, die Noack konstruiert, keineswegs im Sinne eines spezifischen „Besitzdenkens“ des ehemaligen Pharisäers zu deuten ist, weil Paulus die 320  MT liest hier: ‫אל־תאמר בלבבך‬. Auf diese Stelle verweisen Strutwolf-NestleAland z.St. Der Text ist als Zitat ausgewiesen. 321  Hier und im Folgenden Noack, Haben, 300. 322  Vgl. ebd., 290. 323  Dazu s. auch im Folgenden.

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den beiden letzteren Begriffen zugrunde liegenden griechischen Begriffe nicht nur auf seine vorchristliche Zeit verwendet, sondern auch für den Apostel Jesu Christi. Dem ehemaligen Gewinn (v7) korrespondiert Christus als Gewinn ( ἵνα Χριστὸν κερδήσω; v8), dem ehemaligen Haben (ἔχων) „meiner“ im Sinne der eigenen „Gerechtigkeit“ das jetzige Haben der Gerechtigkeit durch den Glauben an Christus. So ist Noack bei der Deutung von Phil 3 wohl doch zu stark von den von ihm bearbeiteten ­Philo-Texten her beeinflusst.

Anders als Dtn 9, aber partiell ähnlich wie Philo sieht sich Paulus mit der Behauptung einer dem Menschen eigenen Gerechtigkeit konfrontiert. 324 Er selbst bezeichnet sich mit Blick auf seine jüdische Vergangenheit als „gemäß der Gerechtigkeit, die im Gesetz (zu finden ist), untadelig“ (Phil 3,6). Ohne dass er dies explizit formulierte, scheint er für Israel Entsprechendes vorauszusetzen. 325 Im Unterschied zu Philo meint die eigene Gerechtigkeit bei Paulus jedoch die „spezifische Gerechtigkeit des Judentums im Unterschied zur Gerechtigkeit für alle Glaubenden aus allen Völkern, die Paulus verkündigt“. 326 Die Gerechtigkeit des Judentums kann der Apostel auch als 324 

Marshall, Salvation, 351, hält die These von Heiligenthal, ἔργον, 126, dass Paulus „aus der alexandrinisch-jüdischen Schöpfungstheologie den Gegensatz Gnade-­ Werke“ (Leg 3,77–79) ableite, für „improbable“, weil Philo zwar der Meinung sei, dass Gott die gottgleichen Naturen ohne erkennbaren Grund, das heißt ohne Rücksicht auf vorzeigbare Werke, vorziehe, er diesen Gedanken aber mit der Behauptung verbinde, dass Noah aufgrund der Gnade Gottes ein von Geburt an Gerechter sei. Damit verlagere sich das Argument vom abgewiesenen Gedanken des Gnadenhandelns Gottes aufgrund von Werken zur Geburtsgnade. Dieser Einwand ist mit Blick auf § 79 berechtigt. Im Zusammenhang mit § 78 erweist sich die Geburtsgnade Noahs jedoch als Beispiel eines umfassenderen Sachverhalts: Alles in der Welt ist Gnadengabe Gottes. Damit ist der Gegensatz von Werken und Geburtsgnade Teil des umfassenderen Gegensatzes von Gnade und Werken. Marshall selbst plädiert ebd. demgegenüber für die Ableitung der paulinischen Antithese von Gnade und Werken aus der deuteronomischen Tradition (er nennt u. a. Dtn 8,14 [vgl. 8,17] und 9,4–6 und damit Texte, die Philo auch in Sacr aufführt). Die Antithese Gnade – Werke findet sich in den Texten aus dem Dtn aber nicht. Der Begriff der χάρις bzw. der χάριτες wird von Philo in Sacr allegorisch aus der διαθήκη erschlossen. Der Begriff ἔργον findet sich aber weder in Dtn 8,17f. und 9,4–6 noch in Sacr, doch ist er in dem partiell sachverwandten Zusammenhang Leg 3,77 als Gegenbegriff zu χάρις belegt. So scheint die von Heiligenthal postulierte Ableitung der paulinischen Antithese aus dem alexandrinisch-philonischen Denken durchaus möglich; dabei ist neben Leg 3,77f. auch Sacr 56f. zu berücksichtigen. Neben der von Philo vorgenommenen Verbindung von „nicht deine δικαιοσύνη“ (vgl. Dtn 9,4–6 [s. auch 8,17f.]; dies entspricht der Rede von ἔργα in Leg 3,77), χάρις (auf der Grundlage von Dtn 9,5) und φιλαυτία (auf der Grundlage von Dtn 8,14), die sachverwandt auch bei Paulus begegnet und somit auf eine philonisch inspirierte Rezeption von Dtn 8f. hindeutet, sprechen zwei weitere Argumente für eine solche Rezeption von Dtn 8f. durch Paulus. Zum einen individualisiert Paulus wie Philo (und anders als Dtn) die Aussagen von Dtn, zum anderen, und wichtiger noch, argumentieren beide gegen Gruppen und Personen, die im Gegensatz zu Dtn eine „eigene Gerechtigkeit“ für sich reklamieren. 325  Vgl. Röm 10,2f.5. 326  Haacker, Brief, 205f.; s. ähnlich Wolter, Paulus, 361, Anm. 54.

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„Gerechtigkeit aus Werken“ bezeichnen. 327 Wenn Israel seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten sucht, dann verkennt es (10,3) aus der Sicht des Apo­ stels den fundamental gnadenhaften Charakter der Gerechtigkeit Gottes. Im Grundsatz ähnlich argumentiert Philo, wenn er betont, dass die φίλαυτοι nicht wegen ihrer Tugend in den Genuss der göttlichen Gaben kommen, sondern wegen des Bundes, den er im Sinne der Gnadengaben Gottes deutet. Ein weiterer Bezugspunkt zwischen Sacr und dem corpus paulinum ist mit Röm 4,2f. gegeben. Wie erwähnt, räumt Paulus hier zunächst die Möglichkeit ein, dass Abraham aufgrund von Werken gerechtfertigt worden sein könnte. In diesem Fall hätte er tatsächlich Grund gehabt, sich gegenüber denen zu rühmen, die keine Werke vorzuweisen haben. Weil Gott aber nicht auf der Basis der Werke rechtfertigt, sondern aus Glauben (v3) und damit gemäß der Gnade (v16), gibt es mit Blick auf Gott nichts, dessen Abraham sich hätte rühmen können. 328 Wie Paulus angesichts des gnadenhaften Handelns Gottes zu dem Schluss kommt, dass ein sich-Rühmen des Menschen angesichts der eigenen Werke ausgeschlossen ist, so kritisiert Philo angesichts desselben Gotteshandelns die Behauptung einer eigenen Gerechtigkeit bzw. einer sich den eigenen Tugenden verdankenden Würdigkeit der φίλαυτοι. Gnade und Selbstorientierung schließen sich so für beide Autoren aus. Jenseits aller Differenzen, die den je unterschiedlichen Erfahrungen und Gesprächssituationen der beiden Autoren geschuldet sind und die sich vor allem in der je spezifischen inhaltlichen Füllung der Begriffe der Gerechtigkeit und der Gnade zeigen329, sind die beiden Denkern gemeinsamen Grundkoordinaten nicht zu übersehen: Gott als Subjekt handelt am Menschen auf der Basis seiner freien Gnade, nicht aufgrund einer vom Menschen reklamierten eigenen Gerechtigkeit. Philo weist einen solchen Anspruch als φιλαυτία zurück, Paulus kritisiert die Behauptung einer Gerechtigkeit aus Werken als καύχημα . Demgegenüber ist die Gerechtigkeit bei beiden Autoren fremde Gerechtigkeit, die ihren Ursprung in der Gnade Gottes hat, sei es die Gerechtigkeit als Tugend bei Philo, sei es als Gerechtigkeit im Sinne einer soteriologischen Gabe bei Paulus. So verstanden, und das heißt für Philo zugleich als dünkelfreie Tugendanstrengung verstanden, die Ausdruck der Selbsthingabe an Gott ist, hat sie nach Leg 3,136f. dann aber zugleich soteriologische Qualität. Damit zeigen sich in Sacr 52–58 und in eigener Weise auch in Leg 3,136f. verschiedene Elemente dessen, was sich bei Paulus in einer neuen Konstellation zur Rechtfertigungslehre entwickeln sollte330. 327 

Vgl. Gal 2,16; Röm 3,20.27f.; s. ferner 9,32. Zur Begründung dieser Deutung s. u. Kap. 5.2.1. 329  Zur Bestimmung der χάριτες bei Philo s. o., zu Paulus vgl. bes. Röm 3,24. 330  Deshalb ist Berger, Theologiegeschichte, 431, zuzustimmen, der von einer „jüdisch-hellenistische(n) Basis … der Rechtfertigungslehre“ spricht; s. auch oben Anm. 324. Zugleich aber zeigt sie sich auch von jüdisch-hebräischem Denken beein328 

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3.4.2 Leben aus dem Empfangen In Congr 127–130 liegt ein weiterer Text vor, in dem Philo das Selbstverständnis des Menschen, selbst die Ursache seiner vielfältigen Hervorbringungen zu sein, als Philautia brandmarkt und sie als das „größte Übel“ zurückweist (§ 130). Dem stellt er sein Idealbild vom Menschen antithetisch gegenüber. Dabei bedient er sich einer Sprache, die starke Übereinstimmungen mit Paulus, insbesondere mit 1Kor, aufweist. Diejenigen, die zu besitzen (ἔχειν) meinen, schreiben die Wahl und Entstehung ihrer Weisheit prahlerisch sich selbst zu (ἑαυταῖς ἐπιγράφουσαι σεμνομυθοῦσιν). Demgegenüber bekennen die Gottesverehrer, „aus sich selbst zwar nichts Eigenes zu haben (τὸ μὲν μηδὲν οἰκεῖον ἐξ ἑαυτῶν ἔχειν), die Samen aber und die Nachkommenschaft, von außen (ἔξωθεν) getränkt, empfangend und den Geber (τὸν διδόντα) bewundernd, weisen sie das größte Übel, (die) φιλαυτία , durch das vollkommene Gute, die Gottesverehrung (θεοσεβείᾳ 331) ab“ (§ 130).

Diese Gegenüberstellung gewinnt Philo aus Gen 25,21–23, wo er, entgegen dem einfachen Wortsinn des Textes, zwei Seelentypen erwähnt findet, nämlich diejenigen, die wie Rebekka „in (ihrem) Bauch empfangen (λαβοῦσα … ἐν γαστρί)“, und diejenigen, die wie sie „zwei Völker in (ihrem) Bauch haben (ἔχειν ἐν γαστρὶ)“ (§ 129f.)332. Letzteres bedeutet, so Philo, „anschwellen und mit Eitelkeit erfüllt sein und mit übermäßigem Stolz umkleidet sein“333 (§ 128). Dabei handelt es sich um ein „illusorisches Besitzdenken“. 334 Im vorausgehenden Kontext sind diejenigen, die „im Bauch haben“, für die Sophisten transparent, die Unsummen für den von ihnen erteilten Unterricht in den mittleren, das heißt den enzyklischen Wissenschaften, zu denen auch die Rhetorik zählt, fordern und bildungshungrige, aber mittellose Schüler abweisen. 335 Diejenigen, die sich aufblähen, das heißt solche, die etwas „im Bauch haben“, sind die Sophisten für Philo darum, weil sie sich als alleinige Urheber (μόνος … αἴτιος) der Lernfortschritte ihrer Schüler sehen. Ihre Abweisung armer Schüler336 sieht er entsprechend als Beleg dafür, dass sie so flusst. Hierbei ist vor allem an die Qumranliteratur zu denken; vgl. dazu die Kap. 5.3, Anm. 89, zitierte Literatur. 331  Eine entsprechende Gegenüberstellung von φιλαυτία als großem Übel und Gottesverehrung war in Spec 1,333.345 zu beobachten. 332  Im biblischen Text steht freilich ἐν τῇ γαστρί σού εἰσιν (v23); Philo liest das Verb im Sinne von ἔχειν; vgl. PCHAT, 6 37, Anm. 7. 333  οἰδεῖν καὶ τετυφῶσθαι καὶ ὄγκον πλείονα τοῦ μετρίου περιβεβλῆσθαι. 334  Noack, Haben, 290. 335  In § 129 bezeichnet Philo die Streitsüchtigen und Sophisten als Hervorbringungen der Seelen, die „ohne Vernunft“ (ἄνευ φρονήσεως) schwanger werden. 336  Der Vorwurf, mit dem Unterricht finanzielle Interessen zu verfolgen, begleitete die Sophisten von Anfang an; vgl. Winter, Philo, 49.95–97.

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tun, als hätten sie „allein (μόνος)“ den Schatz der Weisheit entdeckt (§ 127), so dass sie berechtigt wären, diesen Schatz anderen vorzuenthalten. Ihr Verhalten entspricht dem in den zuvor erörterten Texten wiederholt mit Kain verbundenen Verhalten, dessen Name Philo zufolge ‚Besitz‘ bedeutet und der für ihn darum der Prototyp des Menschen ist, der ‚besitzen‘ will. Wie ihrem Urahn so wirft er auch den Sophisten Dünkel vor, den er in § 127 wortreich umschreibt. 337 Für Philo ist die anthropologische Alternative damit die gegensätzliche Existenzweise von sich-Aufblähen und Empfangen, was gleichbedeutend ist mit Selbstbezug und Gottesbezug. 338 Wer nicht aus Gott lebt, bläht sich auf. Ein Drittes gibt es nicht. Die Übereinstimmungen mit der Korintherkorre­ spondenz sind frappierend. 339 Das gemeinsame Grundthema – der Gegensatz von Leben aus dem Empfangen und sich-Aufblähen – wird von beiden Autoren sprachlich-motivisch ganz ähnlich entfaltet. 340 Folgende Aspekte sind zu nennen: das Begriffspaar λαμβάνειν – ἔχειν; die Bestimmung Gottes als des Gebers; die Umschreibung des Selbstischen mit ἐξ ἑαυτῶν ο.ä.; der Begriff φυσάω bzw. φυσιόω für das sich-Aufblähen341; dann die Vorstellung vom Maß des sich-Rühmens bzw. Aufschwellens und schließlich die landwirtschaftliche Metaphorik. Zusammenfassend ist für Philo festzuhalten: Der Gedanke der Selbsterhebung, wie er ihn in Verbindung mit dem Begriff der φιλαυτία entfaltet, besteht im Kern darin, den Menschen an die Stelle Gottes als Ursache und Gebers aller Dinge zu setzen. Angesichts der Wirklichkeit von Gott und 337 Neben αὐχέω (sich rühmen) verwendet Philo in § 127 μετεωρίζω (erheben, in die Höhe heben), φυσάω (aufblasen, aufblähen), ὑψαυχενέω (den Nacken oder Hals hochtragen, sich brüsten), τὰς ὀφρῦς εὖ μάλα ἀνασπάω (die Augenbrauen hochziehen) und τυφόω (das Gemüt durch Dünkel bzw. Stolz benebeln). Von diesen Ausdrücken findet sich bei Paulus mit φυσιόω (sich aufblähen) ein etymologisch verwandter Begriff. Neben diesen sechs Konkretionen der φιλαυτία in § 127 werden, wie gesehen, in § 128 drei weitere erwähnt. τυφόω findet sich in beiden Reihen. 338  Vgl. auch Sacr 2f., wo Philo in grundsätzlicher Weise ihre Unvereinbarkeit feststellt: Sie entstammen einer einzigen Seele, müssen nach der Geburt aber getrennt werden (διακριθῆναι). 339  Auf die Gemeinsamkeiten zwischen 1Kor 4,7 und Congr verweist auch Noack, Haben, 297. 340  Vgl. bereits Sellin, Streit, 149f., und Zeller, Charis, 115f. 341  Der Begriff kommt im NT mit Ausnahme von Kol 2,18 nur im 1Kor vor. In der griechisch-hellenistischen Literatur findet sich φυσάω im hier erörterten Sinne nicht selten; in der LXX kommt er insgesamt nur viermal vor. Er hat hier die physisch verstandene Bedeutung von „entfachen, blasen“ (vgl. LEH, 510: „to blow …; to blow on …; to breath“), die in der paganen Literatur die Grundbedeutung ist; vgl. Pape, 2 1317, s. v. Das verwandte Wort ἐμφυσάω kommt in derselben Bedeutung wie φυσάω in der LXX 11-mal vor (vgl. LEH, 148). ἐμφυσιόω bedeutet in der LXX demgegenüber „to inspire, to put meaning into“ (ebd.). Dieser Befund macht den Gebrauch des Wortes bei Philo und Paulus in der übertragenen Bedeutung um so auffälliger.

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Mensch, die durch die Übermacht Gottes und die Nichtigkeit und Schwäche des Menschen bestimmt ist, hält Philo diese Überzeugung für Irrwitz. Diesen Kern entfaltet er in Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Topoi des intellektuellen Diskurses der hellenistischen Welt. Die Basis seiner Kritik ist der biblisch-jüdische Gottesglaube und seine Anthropologie. 342

3.5 Zur Herkunft der Niedrigkeitsanthropologie Philos H.D. Betz verweist zu 2Kor 12,11c, οὐδέν εἰμι, und einigen οὐδένεια-Aussagen Philos, darunter vor allem Sacr 55, in erster Linie auf den griechischen Hintergrund. 343 Seine Hauptzeugen dafür sind zum einen die Philosophen Plato und Epiktet, zum anderen die „alte delphische Lehre von der Nichtigkeit des Menschen angesichts der göttlichen Macht“. 344 Demgegenüber verneint M. Harl mit Blick auf Philo die Möglichkeit, die „origine de cette notion dans la pensée grecque“ zu finden. „C’est un contenu typiquement juif que Philon glisse sous le mot dont le sens acquiert, de ce fait, une valeur toute nouvelle“. 345 Beiden Thesen gegenüber sind Differenzierungen nötig. Sie betreffen zum einen die von Betz herangezogenen philosophischen Texte, zum anderen die Verhältnisbestimmung von griechischem und biblisch-jüdischem Hintergrund. (1) Was die von Betz erörterten Texte Platos und Epiktets betrifft, so erhellen sie die paulinische Wendung, sofern es um die selbstironische Seite der Aussage des Paulus geht, die sein Verhältnis zu den Gegnern bestimmt. 346 Dem Verhältnis von Apostel und Gegnern korrespondiert in den philosophischen Texten der Gegensatz von Philosoph und Sophist bzw. Rhetor. Innerhalb dieses Gegenübers beschreibt sich der Philosoph als ein Nichts im Verhältnis zum Rhetor. So spendet Sokrates der Rede des Lysias zum Thema Liebe ein vergiftetes Lob, das sich „auf das rein Rhetorische beschränkt“: Ob dieser das „Richtige zum Thema gesagt habe, sei ihm entgangen, und zwar, wie er sagt: ‚wegen meiner Nichtigkeit‘ (ὑπὸ τῆς ἐμῆς οὐδενίας)“347. Epiktet bestimmt in einer konstruierten Szene das Urteil eines Rhetors, der ihn wäh342 

Vgl. auch Sellin, Gotteserkenntnis, 26–28. Betz, Apostel, 122–130, sowie im Anschluss an ihn u. a. Aejmelaeus, Schwachheit, 324, und zuletzt Schmeller, Brief, 2 332. 344  Betz, Apostel, 127. Letztere Lehre spricht sich in dem delphischen Spruch γνῶθι σεαυτόν aus, der Nilsson, Geschichte, 651, zufolge „im Mund des delphischen Gottes (bedeutet): erkenne, daß du ein Mensch bist, überhebe dich nicht! Er ist der Kernpunkt im Verhalten der Menschen zu den Göttern“. Schadewaldt, Gott, 19–22.25f., sieht das Spezifikum des Menschlichen in der Religion von Delphi dabei in der Sterblichkeit des Menschen. 345  Harl, Quis rerum divinarum heres sit, 25. 346  Dazu s. o. Kap. 2.3.2.2 zu 2Kor 12,11. 347  Betz, Apostel, 122; der zugrunde liegende Plato-Text ist Phaedr 234e. 343 

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rend einer Reise wie eine Sehenswürdigkeit aufgesucht habe, folgendermaßen: „‚Epiktet war nichts‘ (οὐδὲν ἦν ὁ Ἐπίκτητος)“, denn „seine Sprache war voller Solözismen und Barbarismen“. 348 Trotz der genannten Übereinstimmungen mit Paulus greift die von Betz vorgeschlagene Herleitung zur Erklärung des Befundes bei Paulus und Philo zu kurz, da anders als bei den beiden Philosophen die menschliche οὐδενία bei den beiden jüdischen Denkern im Gegenüber zur göttlichen Macht zu stehen kommt, sie somit zugleich eine anthropologisch-theologische Dimension hat und keine ausschließlich ironische. Damit ist das platonische Material für die Frage nach dem Verständnis der Nichtigkeit des Menschen allerdings noch nicht ausgeschöpft. Deshalb werden im Folgenden einige Texte Platos herangezogen, die bei Betz in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. In Leg 803c.804b wird der Mensch als „ein Spielzeug in der Hand Gottes (θεοῦ τι παίγνιον)“ bzw. als „nach dem überwiegenden Teil ihrer Seele bloße Drahtpuppe“ beschrieben, die „an dem wahren Wesen der Dinge nur ganz geringen Anteil“ hat. 349 Deshalb sollten „Spiele … zum eigentlichen Inhalt des Lebens“ gemacht werden, „nämlich Opfer, Gesänge und Tänze, so dass man sich in die Lage bringt, die Götter sich geneigt zu machen ( ἵλεως αὑτῷ παρασκευάζειν; 803e)“. Wie bei Philo und Paulus klingt die Nichtigkeit des Menschen auch hier im Gegenüber zur Gottheit an, und ihnen vergleichbar impliziert die platonische Formulierung die Angewiesenheit des Menschen auf die Zuwendung der Götter. Der bei den beiden jüdischen Autoren in diesem Zusammenhang zentrale Aspekt der Macht Gottes fehlt hier aber. Zudem wird die Vorstellung der menschlichen Nichtigkeit von Plato inhaltlich anders bestimmt. Obwohl als ‚Spielzeug in der Hand Gottes‘ nichtig, hat der Mensch Anteil am Wesen des Gottes, wenn auch nur einen sehr geringen. Das Niedrigkeitsmotiv begegnet bei Plato zudem im Zusammenhang mit Aussagen über das Orakel von Delphi und der delphischen Maxime: „Erkenne selbst dich“. 350 Am nächsten kommt dem philonischen und dem paulinischen Befund dabei Apol 20d–24b. Nach diesem Text befragt Chairephon, ein Freund des Sokrates, das Orakel von Delphi, ob es einen Weiseren als Sokrates gebe. Von der Pythia erhält er den Spruch, dass niemand weiser sei als dieser. Da Sokrates jedoch „von Weisheit nicht die geringste Spur in (sich) finden kann (ἐγὼ γὰρ δὴ οὔτε μέγα οὔτε σμικρὸν σύνοιδα ἐμαυτῷ σοφὸς 348 

Betz, Apostel, 124; der zugrunde liegende Text ist Diss 3,9.14. Wiedergabe der Plato-Texte folgt hier und im Folgenden der Ausgabe von Apelt, Platon. Auf den Text aus Leg verweist Apelt in seinem Gesamtregister (Bd. 7, 94) unter dem Stichwort der „Nichtigkeit der menschlichen Dinge“. Partielle Berührungen zeigen sich mit Leg 604c. Die beiden anderen von Apelt in diesem Zusammenhang erwähnten Texte tragen hier nichts aus. 350  Überprüft wurden die von Apelt, ebd., 24.105, zu „Delphi… Der delphische Spruch ‚Erkenne dich selbst‘“ und zu „Pythia“ aufgeführten Texte. Nur ein kleinerer Teil davon ist hier relevant. 349  Die

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ὤν)“ (21b), fragt er sich, was der Gott mit dem Spruch wohl gemeint haben könnte. Nach langem ergebnislosen Nachdenken beschließt er der Sache im Gespräch auf den Grund zu gehen und mit den im Ruf der Weisheit stehenden Männern zu sprechen, um auf diesem Weg „womöglich den lebendigen Gegenbeweis gegen den Spruch Gottes zu finden“ (21b–c). So geht er zu Staatsmännern, Dichtern und Handwerkern, um immer wieder ein und dieselbe Erfahrung zu machen: dass diese ebenso wenig wie er etwas Rechtes wissen, sich aber ungeachtet ihrer Unwissenheit einbilden, etwas zu wissen, „während ich, meiner Unwissenheit mir bewusst, mir auch nicht einbilde, etwas zu wissen (ἐγὼ δέ, ὥσπερ οὖν οὐκ οἶδα , οὐδὲ οἴομαι)“. Deshalb ist er in der Tat weiser als die anderen: „was ich nicht weiß, das bilde ich mir auch nicht ein zu wissen (ἃ μὴ οἶδα οὐδὲ οἴομαι εἰδέναι)“ (21d). „In Wahrheit“, so Sokrates, „kommt Weisheit nur der Gottheit zu und ihr Orakelspruch kann nur dieses besagen, dass die menschliche Weisheit herzlich wenig, ja gar nichts bedeutet“ (23a). 351 Ohne dass hier die delphische Maxime explizit genannt würde, ist sie das inhaltliche Zentrum dieses Zusammenhangs. 352 Indem Sokrates anders als alle anderen sich selbst erkennt, erkennt er seine Unwissenheit und versteht, dass Weisheit nur der Gottheit zukommt. Seine eigene Weisheit ist im Vergleich dazu nichts wert (οὐδενὸς ἄξιος). Dies berührt sich mit Philos Deutung des Leitsatzes von Delphi in Sacr 55, ohne jedoch identisch zu sein. Bei So­ krates ist die Rede von der Gottheit in diesem Zusammenhang ein Grenzgedanke. Es geht ihm anders als Philo nicht um den Weg von der Selbsterkenntnis zur Gotteserkenntnis353, sondern um die Erkenntnis der Begrenztheit der menschlichen Weisheit. Mag er der Erkenntnis des Menschen auch jeden Wert absprechen, so hat dies mit der anthropologisch gedeuteten Nichtigkeit bei Philo und Paulus, deren Referenzpunkt die Übermacht der Gnade Gottes ist, wenig gemein. 354 Aus derselben anthropologischen Grundsituation resul351  τὸ δὲ κινδυνεύει … τῷ ὄντι ὁ θεὸς σοφὸς εἶναι, καὶ ἐν τῷ χρησμῷ τούτῳ τοῦτο λέγειν, ὅτι ἡ ἀνθρωπίνη σοφία ὀλίγου τινὸς ἀξία ἐστὶν καὶ οὐδενός. Vgl. auch Apol 23b, wo Sokrates den Sinn des Orakelspruchs folgendermaßen wiedergibt: „Derjenige unter euch ist der weiseste, der wie Sokrates erkannt hat, dass seine Weisheit in Wahrheit keinen Heller wert ist (Οὖτος ὑμῶν, ὦ ἄνθρωποι, σοφώτατός ἐστιν, ὅστις ὥσπερ Σωκράτης ἔγνωκεν ὅτι οὐδενὸς ἄξιός ἐστι τῇ ἀληθείᾳ πρὸς σοφίαν)“. 352  Vgl. dazu auch Schadewaldt, Gott, 32–34. 353  Zu Philo vgl. auch Mühlenberg, Problem, 82f. Philos Position ist auch in PsPhilo, De Deo 2, reflektiert, wo es in Auslegung von Gen 18,2, „mit aufblickenden Augen sah er…“, heißt: „Denn auch diejenigen, die in der Heiligen Schrift des Herrn bewandert sind, verstehen jenes ‚Erkenne dich selbst‘. Auf menschliches Glück verzichtend, wovon sie einen Teil, die Geradheit der Lebensweise, schon erreicht haben, öffnen sie die Augen, sehen und erblicken (die Dinge), welche, das Obere (und) Erhabene emporhaltend, schweben, und sie erforschen die göttliche Natur“ (zit. nach Siegert, Predigten. I, 85). 354  Vgl. auch Kahn, Connais-toi, 293: Gemeinsam seien Sokrates und Philo (Somn

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tiert eine andere menschliche Haltung. Sokrates steht in Apol in keiner Weise in der Gefahr, sich selbst als ein Nichts zu begreifen355; er versteht das Wissen um sein Nichtwissen im Gegenteil als Auszeichnung vor allen anderen. 356 Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Sokrates der Apologie und den erörterten Texten aus dem corpus philonicum ist der Gedanke des eingebildeten Wissens, der sich besonders in Post 52 gezeigt hat. Wie aus der zur Erläuterung von § 52 herangezogenen Stelle Post 35 hervorgeht, ist der Gegensatz von Scheinweisheit und wahrer Weisheit und damit zugleich der Gegensatz von φίλαυτον und φιλόθεον bei Philo zutiefst von Plato beeinflusst. Das φίλαυτον als die gottlose Ansicht artikuliert sich für ihn, wie gesehen, in der Aussage des Protagoras: „Das Maß aller Dinge ist der menschliche Geist“. Demgegenüber bestimmt Philo die gottliebende Ansicht in Post als diejenige, die alles auf Gott bezieht. Dieser Gegensatz findet sich bereits bei Plato, der der Behauptung, die „jetzt gang und gäbe ist, der erste beste Mensch sei das Maß der Dinge“, die Aussage entgegenstellt, dass „(e)igentliches Maß aller Dinge … für uns … die Gottheit sein“ dürfte. 357 Hierin spiegelt sich die „del­ phische-sokratische ‚menschliche‘ Wissenshaltung“, die für Plato „immer gültig geblieben“ ist. 358 Philo hat sich diese platonische Überzeugung angeeignet, sie aber im Sinne des Gegenübers von menschlicher οὐδένεια und göttlicher ὑπερβολή o.ä. selbständig entfaltet. Des Weiteren ist auf Leg 923a einzugehen, wo den ‚lieben Freunden‘ abgesprochen wird, dem Spruch der Pythia zu entsprechen und die eigenen Angelegenheiten, geschweige denn sich selbst zu erkennen. Dies habe offenbar sei1,58–60) die „critique des connaissances mondaines – ‚D’abord, connais-toi toimême‘ – et son appel à l’humilité – ‚désespérer de soi-même‘“. Demgegenüber stelle die philonische Zuspitzung des Gedankens in Somn 1,60: „‚mais celui qui désespère de luimême connaît Celui qui est‘“, nichts weniger als „une nouveauté dans l’histoire de la pensée humaine“ dar. Vgl. auch ebd., 297: Die philonisch verstandene Selbsterkenntnis „ce n’est pas le projet d’une enquête psychologique, mais la prise de conscience de notre place dans le monde: nous sommes créés par Dieu et soumis à sa toute-puissance, nous sommes un rien par rapport à lui, et nous vivons dans un monde qui ne nous appartient pas“. 355  In eigener Weise betont dies auch Kahn, Connais toi, 295, dem zufolge das so­ kratische „se connaître soi-même, c’était certes reconnaître que nous ne sommes que des hommes, limités à notre modeste condition humaine; mais, à l’intérieur de notre propre conscience, dans l’intimité de notre pensée, nous sommes vraiment des hommes, c’està-dire les maîtres de nous-mêmes. Se connaître soi-même, c’est affirmer cette maîtrise“. 356  Bei Paulus berührt sich dies mit dem Verständnis des Apostolats als Apostolat der Niedrigkeit, in dem er sich den ‚Superaposteln‘ überlegen weiß. Der Grund ist aber ganz und gar unsokratisch: Es ist die Schwachheit des Apostels, die Gott erst Raum gewinnen lässt, durch ihn zu wirken. 357  Leg 716c; zit. nach Apelt, Platon, 7 132. Der griechische Text lautet: ὁ δὴ θεὸς ἡμῖν πάντων χρημάτων μέτρον ἂν εἴη μάλιστα, καὶ πολὺ μᾶλλον ἤ πού τις, ὥς φασιν, ἄνθρωπος. 358  Schadewaldt, Gott, 33f.

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nen Grund darin, dass sie „Eintagsgeschöpfe (ἐφήμεροι)“ seien, die sich der Suche nach Erkenntnis entziehen. Ihrer mangelnden Selbsterkenntnis hilft der Gesetzgeber ab, wenn er ihnen erklärt, dass „weder ihr euch selbst gehört (οὔθ’ ὑμᾶς ὑμῶν αὐτῶν εἶναι) noch dieses Hab und Gut (οὔτε τὴν οὐσίαν ταύτην); vielmehr gehört es eurem ganzen Geschlecht, vergangenem wie zukünftigem, und nicht genug damit: euer ganzes Geschlecht und Vermögen gehört in noch strengerem Sinne dem Staat (πόλεως) an“.

Von Philo herkommend würde man erwarten, dass die Adressaten selbst nicht anders als ihr Besitz Gott gehören; bei Plato ist das Gegenüber hier jedoch der Staat. Dies verdeutlicht noch einmal, dass Selbsterkenntnis bei Plato nicht notwendig die Gotteserkenntnis als Gegenüber hat, sondern sich auf unterschiedliche Größen beziehen kann. 359 Dies bestätigt mit Phaedr 229e–230a ein weiterer Text, der mit der Frage nach der Selbsterkenntnis zugleich den Topos der Selbstaufblähung verbindet, eine Motivverbindung, die sich auch in Sacr 55 findet. Sokrates lehnt es nach dieser Stelle ab, sich mit Mythen zu beschäftigen, weil er noch nicht einmal dem delphischen Spruch nachgekommen sei, sich selbst zu erkennen (γνῶναι ἐμαυτόν). Dazu gehört für ihn zu erforschen, „ob ich ein Ungetüm bin, abenteuerlicher zusammengeschlungen und fürchterlicher aufgebläht als Typhon360 oder ein sanfteres und einfältigeres Geschöpf (ἡμερώτερόν τε καὶ ἁπλούστερον ζῷον), das von Natur (φύσει) ohne Aufblähung (ἀτύφου) an göttlichem Lose in gewisser Weise Anteil hat“.

Das Ideal des Sokrates ist nach diesem Text zweifelsohne die zweite Alternative. Dieses ist aber nicht Erkenntnisgegenstand, sondern geht der Selbsterkenntnis voraus, indem es den Maßstab darstellt, an dem sich das sich selbst erkennende Subjekt bemisst. Zudem ist mit Blick auf Philo hervorzuheben, dass der anthropologische Gegensatz hier durch das Gegenüber von ‚sanfterem und einfältigerem‘, am göttlichen Los partizipierenden ‚Geschöpf‘ auf der einen und Aufblähung auf der anderen Seite konstituiert wird. Ein solcher Gegensatz war bei Philo nicht zu erkennen. Dass Selbstaufblähung und Teilhabe am göttlichen Los nicht zusammengehen, hat im Horizont von Apol seinen Grund wohl darin, dass der Mensch angesichts seines Nichtwissens keinen Grund zur Selbsterhebung hat. Philo würde dem in der Sache zustimmen. Die philonische Konstellation der Nichtigkeit des Menschen im Gegensatz zur Überlegenheit Gottes wird von Plato in Phaedr aber allenfalls von Ferne ins Auge gefasst. 359  Vgl. auch Plato, Alc 1 124b, wo sich die Selbsterkenntnis an der Einschätzung der Gegner bemisst. 360  Typhon personifiziert die zerstörende Sturm- und Feuersgewalt; vgl. Apelt, Platon, 2. Phaidros, 2 114, Anm. 19.

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So ist festzuhalten, dass die platonischen Texte zwar Aussagen bieten, die sich auf verschiedene Weise mit dem philonischen (und dem paulinischen) Befund berühren, die bei dem alexandrinischen Gelehrten zu findende Zuspitzung sich aber kaum von Plato her erklärt. 361 Insofern wird die Deutung von Betz: „Wenn der platonische Sokrates gegenüber den Sophisten bereitwillig zugesteht: ‚οὐδέν εἰμι‘, so handelt es sich hierbei ja nur vordergründig um ein ‚Zugeständnis‘. In Wirklichkeit ist das ‚οὐδέν εἰμι‘ ein Bekenntnis zur alten delphischen Lehre von der Nichtigkeit des Menschen angesichts der göttlichen Macht“362,

durch die platonischen Texte insofern widerlegt, als deren Ton auf der Unzulänglichkeit und Beschränktheit des menschlichen Wissens363 und nicht auf der Macht Gottes liegt. Die Verknüpfung „theologische(r) und metaphysische(r) Spekulationen mit dem delphischen Apollon“ geschah wohl erst in der alten Akademie, wofür Plutarchs Schrift ‚De E apud Delphos‘ als Hauptzeugnis gilt. 364 Der hier entscheidende, bereits von Betz aufgenommene Text ist De E 394c. Dieser geht darin über die erörterten platonischen Texte hin­aus, dass er wie die Texte Philos den Gegensatz von Größe Gottes und menschlicher Schwachheit programmatisch formuliert. Der Abschnitt, der sich auf die Inschriften am Eingang zum Heiligtum von Delphi bezieht, lautet: „Übrigens scheint dem DU-bist (εἶ ) in gewisser Hinsicht das Erkenne-dich-selbst (‚γνῶθι σαυτόν‘) entgegengesetzt zu sein und in gewisser Weise wiederum (mit ihm) übereinzustimmen. Denn das eine (sc. εἶ ) wird in (heiligem) Schrecken und in Verehrung dem Gott als dem, der durch alle (Zeiten hindurch) ist, zugerufen, das andere (sc. γνῶθι σαυτόν) aber ist eine Erinnerung für den Sterblichen an die für ihn (konstitutive) Natur und Schwäche (τῆς περὶ αὐτὸν φύσεως καὶ ἀσθενείας)“.

Derjenige, der den Tempel betritt, bekennt mit dem Ausruf εἶ so das ewige Sein der Gottheit, während diese ihm mittels der Inschrift γνῶθι σαυτόν zuruft, seine der Sterblichkeit unterworfene schwache Natur zu erkennen. 365 361  Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Winter, Philo, 12 mit Anm. 43, in seiner Beurteilung der These von Betz, wonach 2Kor 10–12 vor dem Hintergrund des platonischen Sokrates zu verstehen sei. 362  Betz, Apostel, 127. 363 Vgl. Schadewaldt, Gott, 32f. 364  Gigon, Delphi, 706. 365  Vgl. Betz, Apostel, 128, und Schadewaldt, Gott, und dazu oben Anm. 344. Die Nichtigkeit des Menschen wird bereits von dem durch die delphische Theologie bestimmten Dichter Pindar und dem ebenfalls von ihr beeinflussten Tragiker Sophokles mit der Sterblichkeit des Menschen erläutert; vgl. dazu Schadewaldt, aaO., 28–31. Die sprachliche Verbindung von Nichtigkeitsbegrifflichkeit und Sterblichkeit findet sich explizit bei Pindar, Nem 6,1–4 (aus Lesbarkeitsgründen wird hier die englischsprachige Übersetzung von Race, Pindar, 59, geboten): „There is one race of men, another of gods; but from one mother/we both draw our breath. Yet the allotment of

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Der Gegensatz besteht demnach zwischen dem sterblichen Menschen und dem ewigen Gott. Die Transzendierung der Zeitlichkeit, die Ewigkeit m. a. W., ist, wie Plutarch zuvor ausführt, das entscheidende Merkmal des Seins der Gottheit. 366 Der Grundgedanke von De E 394c mit der Gegenüberstellung von der Größe Gottes und der Schwachheit des Menschen findet sich bei Philo und bei Paulus, wie gesehen, in vielen Texten. Auch wenn es den beiden jüdischen Autoren bei der Gegenüberstellung von menschlicher οὐδένεια und göttlicher ὑπερβολή – so die Formulierung in Sacr 55 und 2Kor 4,7 – nicht um den abstrakten Gegensatz von Sterblichkeit und Ewigkeit, sondern um die Angewiesenheit des Menschen auf Gott als die Quelle aller Wohltaten bzw. um seine Alleinursächlichkeit geht, zeigen sich grundlegende Übereinstimmungen zwischen dem Text Plutarchs einerseits und Philo und Paulus andererseits. (2) Gleichwohl scheinen Zweifel an einer einseitigen Ableitung der philonischen und paulinischen Konzeption der menschlichen οὐδένεια aus der griechischen Tradition angebracht, wie dies Betz mit der Aussage insinuiert, Philo habe die in Sacr 55 formulierte Lehre „(z)weifellos aus der zeitgenössischen griechischen Philosophie übernommen“ und sie – gewissermaßen sekundär – mit „alttestamentlichen Stellen verbunden“. 367 Vielmehr wird man für Philo von einer kreativen Synthese auszugehen haben, in die neben griechischer Tradition auch biblisch-jüdisches Denken eingeflossen ist. Ein Indiz dafür ist die bereits erörterte Abraham-Deutung Philos in Her 24–30, wo sich die biblische Rede vom Staub-und-Asche-Sein Abrahams (Gen 18,27) und seine Nichtigkeit gegenseitig interpretieren. Die alttestamentlich-jüdische Dimension der philonischen Niedrigkeitsanthropologie soll im Folgenden anhand einiger grundlegender Zusammenhänge verdeutlicht werden. Einzusetzen ist mit dem schon erwähnten Text Gen 18,27, bei dem es sich um einen unstrittigen Beleg handeln dürfte. Der Ausdruck ‫ עפר ואפר‬bzw. γῆ καὶ σποδός ist bereits in Gen 18,27 a wholly/different power separates us, for the one race is nothing,/whereas the bronze heaven remains a secure abode/forever. Nevertheless, we do somewhat resemble/the immortals, either in greatness of mind or bodily nature,/although we do not know/by day or in the night/what course destiny/has marked for us to run. ( Ἓν ἀνδρῶν, ἕν θεῶν γένος· ἐκ μιᾶς δὲ πνέομεν/ματρὸς ἀμφότεροι· διείργει δὲ πᾶσα κεκριμένα /δύναμις, ὡς τὸ μὲν οὐδέν, ὁ δὲ /χάλκεος ἀσφαλὲς αἰὲν ἕδος /μένει οὐρανός. ἀλλά τι προσφέρομεν ἔμπαν ἢ μέγαν/νόον ἤτοι φύσιν ἀθανάτοις,/…)“. Vgl. auch Sophokles, König Ödipus: „Io! Geschlechter der Sterblichen! Wie zähle ich euch gleich dem Nichts In eurem Leben (ἰὼ γενεαὶ βροτῶν, ὡς ὑμᾶς ἴσα καὶ τὸ μηδὲν ζώσας ἐναριθμῶ)“ (Übersetzung Schadewaldt, aaO., 31). 366  Vgl. De E 393a–b. Dieses durch Zeitlosigkeit bestimmte εἶ wird von Plutarch im Anschluss an die Alten (ὡς ἔνιοι τῶν παλαιῶν) mit der der Vielheit (πολλά) gegenüber gestellten Einheit identifiziert: εἶ ἕν. 367  Betz, Apostel, 128, scheint dabei vor allem an Dtn 8,11–14 zu denken.

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„der allerstärkste Gegensatz zu dem ewigen Himmelsherrn und Ausdruck der tiefsten Demut in dem durchbohrenden Gefühl des eigenen Nichts. Der Staub ist das Niedrigste, auf das jeder tritt, die Asche der letzte wertlose Rest einer Sache“. 368

Auffälligerweise findet sich diese Wendung auch im Buch Hiob. Sie steht dort zum einen in Hi 30,19 im Kontext der Klage, wo Hiob, sein gegenwärtiges Elend beschreibend, sagt: „Du(, Gott,) hältst mich gleichsam für Lehm, in Staub und Asche ist mein Anteil“. 369 Die Wendung ‚Staub und Asche‘ wird hier nicht anders als in der Selbstaussage Abrahams in Gen 18 im Gegenüber zu Gott gebraucht, der in Hi 30,11–22 als derjenige in den Blick kommt, der in seiner Macht mit Hiob nach Gutdünken verfährt. Deutlicher noch zeigt sich dies in Hi 42,6, dem Schlusssatz der Antwort Hiobs auf die zweite Gottesrede (40,6–41,26). Nach dieser Rede gibt es für den Menschen eigentlich nichts mehr zu sagen. Hiob redet dennoch und beschließt seine Antwort, die mit einem Bekenntnis zur Allmacht Gottes beginnt, mit der Aussage ἥγημαι δὲ ἐμαυτὸν γῆν καὶ σποδόν370, die somit seine angesichts der Machtentfaltung Gottes in der Schöpfung gewonnene Einsicht in die Nichtigkeit des Menschen zum Ausdruck bringt. Als Pendant dazu steht an ähnlich pointierter Stelle in Hi 40,4 die synonyme Wendung οὐθὲν ὤν, die Teil der kurzen Erwiderung Hiobs (v4f.) auf die erste Rede Gottes (38,1–40,2) ist. Damit interpretieren sich im Hiobbuch ähnlich wie bei Philo die Metapher ‚Staub und Asche‘ und das Abstraktum des ‚Nichts-Seins‘ gegenseitig. Ob Philo den Zusammenhang zwischen Gen und Hi gesehen hat, lässt sich nicht sicher sagen, ist aber anzunehmen, da er aus dem Buch Hiob zitiert und dabei auch und gerade solche Stellen rezipiert, in denen es um die Macht Gottes und die Niedrigkeit des Menschen geht. 371 Eine Kenntnis dieses Zusammenhangs ist umso wahrscheinlicher, als sowohl Hi 42,6 als auch Hi 40,4 an herausgehobener Stelle im Hiobbuch stehen und Hi 42,6b, ἥγημαι δὲ ἐμαυτὸν γῆν καὶ σποδόν, in Inhalt und Struktur Her 29, καὶ ἐπειδὰν ‚γῆν καὶ τέφραν‘ … ἐμαυτὸν αἴσθωμαι , nahekommt. 372 In der frühjüdischen Tradition findet sich ‚Staub und Asche‘ als Metapher für den Menschen zudem in Sir 17,32, wo sie auf den Menschen im Allge368 

Jacob, Genesis, 452. ἐν γῇ καὶ σποδῷ μου ἡ μερίς; im MT heißt es sinngemäß: Er hat mich in den Kot geworfen, und Staub und Asche bin ich ähnlich geworden (‫)ואתמשׁל כעפר ואפר‬. 370  Der MT liest stattdessen ‫ונחמתי על־עפר ואפר‬. 371  Vgl. Hi 1,21//Spec 1,295 (dazu s. o. Kap. 3.3.2.2) sowie Hi 14,4f.//Mut 48. Bei den anderen in der Biblia patristica zu Philo ausgewiesenen Texten handelt es sich um die theologisch argumentierenden Texte Hi 28,24 (dreimal) und Hi 38,4 (in Verbindung mit der Niedrigkeit des Menschen). 372  Dass hier τέφραν statt σποδόν steht, widerspricht dem nicht, da Philo die Vielfalt des Ausdrucks liebt. γῆ καὶ σποδός steht im Rahmen des Zitats Gen 8,21 in Her 30, οὐδένεια in Her 29f. 369 

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meinen bezogen wird: καὶ ἄνθρωποι πάντες γῆ καὶ σποδός.373 Zudem findet sich die Wendung in 1QH 18,7, wo der Beter im Vergleich zur Größe Gottes bekennt: „Ich bin Staub und Asche (‫“)ואני עפר ואפר‬. 374 Dieses biblische Motiv zeigt sich damit im antiken Judentum insgesamt, dem griechisch- wie dem hebräischsprachigen. Dies gilt darüberhinaus auch für die Niedrigkeitsan­­ thropologie. 375 Dem für alles Weitere grundlegenden biblischen Befund ist im Folgenden nachzugehen. Die Nichtigkeit des Menschen im Gegenüber zur Macht Gottes verbindet sich hier vor allem mit dem, was den Menschen als ‫ בשׂר‬bzw. σάρξ kennzeichnet, nämlich seine Hinfälligkeit und Schwäche. 376 Im Folgenden sollen die einschlägigen Forschungsergebnisse im Anschluss an B. Janowski dargestellt werden, der diese exemplarisch anhand von Ps 8 darlegt. Dabei wird sich zeigen, dass das philonische Verständnis des Menschen, wie es besonders in den erörterten Texten zur οὐδένεια hervorgetreten ist, eine große Nähe zu Grundstrukturen der alttestamentlichen Anthropologie aufweist. Ps 8,4f.: „Wenn ich deinen Himmel sehe, die Werke deiner Finger, Mond und Sterne, die du festgesetzt hast – Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und der einzelne Mensch, dass du (sorgend) nach ihm siehst?“, bezeichnet Janowski mit H. Spiekermann als „‚poetisches Kompendium klassischer psalmentheologischer Anthropologie‘“. 377 Janowski zufolge ist der Mensch nach dieser Stelle „Mensch, weil Gott an ihn denkt und wohlwollend nach ihm sieht“. 378 Gott überlässt ihn in seiner Bedürftigkeit nicht sich selbst, sondern wendet sich ihm fürsorgend zu. Angesichts des majestätischen Himmels über ihm erfährt sich der Mensch „in seiner Kleinheit und Hinfälligkeit“. 379 Vor diesem Hintergrund sieht er die Aufmerksamkeit Gottes zugleich „im Dienst der Herausstellung der Größe des Schöpfers von Himmel und Erde“ stehen „und damit ‚der Gnade, die darin besteht, dass 373 

S. ferner Sir 10,9 und THiob 38,2 und dazu s. u. Kap. 4.3.4. Qimron, ‫מגילות‬, 86. Vgl. auch 1QH 18,3–8, wo der Weisheit Gottes die Niedrigkeit des Menschen gegenübergestellt wird: Auf die Frage, was der Mensch ist, lautet die Antwort: „Erde ist er (‫)אדמה הוא‬. [Aus Lehm] ist er gebildet, und zum Staub (‫ )לעפר‬ist seine Rückkehr“ (z5f.). Zu 1QH 18 s. auch oben Kap. 2.3.2.3. 375  Zu Qumran s. auch oben Kap. 2.3.2.3. Für das hebräischsprachige Judentum ist hier zudem an die in Kap. 2.3.2.2 erörterten Texte aus der Hekhalot-Literatur zu erinnern. Auch sie erweisen sich als Fortschreibung der biblischen Anthropologie. 376  Vgl. dazu Wolff, Anthropologie, 62f., der dazu vor allem auf Dtn 5,26; Ps 56,5; Hi 10,4; 34,14f.; Jer 17,5.7; 2Chr. 32,8; Jes 40,6 verweist. Metaphern, die dies zum Ausdruck bringen, sind insbesondere „Hauch“ (Ps 39,6.12; 62,10; 144,4), „Gras“ (Jes 40,6– 8; Ps 37,2; 90,5f.; 103,15f.) und „Staub“ (Ps 90,3; 103,14). 377  Janowski, Anthropologie, 389, unter Bezugnahme auf Spiekermann, Heilsgegenwart, 237. – Die Wiedergabe von Ps 8,4f. folgt der Übersetzung von Janowski, aaO., 389. 378  Ebd. Dazu verweist er auf Ps 144,3. 379 Ebd., 390 (tw. kurs.). 374 Zeilenzählung

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dieser so große Gott sich dem so kleinen/hinfälligen Menschen zuneigt‘“. 380 Die hier in der Interpretation von Ps 8 von Janowski herausgearbeiteten Aspekte der Größe des Schöpfers, seiner Gnade und Fürsorge für den Menschen auf der einen und dessen Hinfälligkeit auf der anderen Seite spielen, wie gezeigt, auch für Philo eine zentrale Rolle. Auffällig ist zudem, dass sich seine abstrakte Terminologie teilweise mit der von den heutigen Interpreten verwendeten Begrifflichkeit berührt. H.W. Wolff hat zu Ps 8 bemerkt, dass der „seine Überlegenheit in der Welt“ entdeckende Mensch diese gerade nicht im Modus des „Selbstruhm(es) zur Sprache“ bringe, sondern in der „preisenden Anrede Gottes (V. 6f.)“. Der Dialog mit dem Schöpfer werde deshalb „nicht von einer Selbstfaszination des Menschen durch seine eigenen Fähigkeiten verdrängt, weil er sich selbst auch mit seiner eigenen Hilfsbedürftigkeit im Auge behält (V.5)“. 381 Im Anschluss an Wolff sieht Janowski hier ein Verständnis vom Menschen zum Ausdruck gebracht, das diesem „nicht die Position eines seiner selbst mächtigen Zentrums zuschreibt, sondern ihn dezidiert als ‚Mensch Gottes‘ sieht – ‚Alles ist und empfängt der Mensch von Gott her‘“. 382 Wenn Janowski den Sachverhalt auch auf das Gegenüber von „‚Geschöpflichkeit‘“ und „‚Selbstkonstitution‘“ bringt383, ist die Nähe zum philonischen Denken unübersehbar. In Ps 8 selbst ist von Selbstruhm und Selbsterhebung des Menschen über Gott und darin von einer Selbstkonstitution des Menschen begrifflich nicht die Rede. Es gibt jedoch eine Reihe von alttestamentlichen Texten, in denen sich dies auch explizit zeigt. Im Zuge der Erörterung von Spec 1,307–312 wurde bereits auf die von Philo rezipierten Texte Dtn 10,21 und Jer 9,22f. LXX / 1Sam 2,10 LXX verwiesen. Nach Spec 1,307.308–311 ergibt sich aus der Tatsache, dass der starke Gott die Mächtigen übergeht, aufgrund seiner Gnade den Niedrigen aber seine Fürsorge zukommen lässt, dass Gott der Ruhm des Menschen sein (Dtn 10) und dieser nicht aufgrund seines eigenen Reichtums, seines Ansehens, seiner Macht etc. ins sich-selbst-Rühmen verfallen soll (Jer 9). Für die philonische Argumentation transparente Motive und Motivverbindungen finden sich im Alten Testament auch sonst. So mündet das Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes in seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit in 1Sam 2,2 in die Aufforderung: „Rühmt euch nicht und redet nicht Hochtrabendes; Großsprecherei komme nicht aus eurem Munde. Denn ein Gott der Erkenntnisse ist der Herr und ein Gott, der seine Pläne durchführt“ (v3). 384 380 Ebd.,

unter Rekurs auf Schnieringer, Psalm 8, 390. 316f.; s. auch ebd., 391. 382 Ebd., 392, unter Verweis auf Irsigler, Interdependenz, 370–372. 383 Ebd., 401. 384  Dazu s.o. Kap. 2.1.3 mit Anm. 105. 381 Ebd.,

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Der Selbstruhm ist so auch hier angesichts der Größe Gottes ausgeschlossen, der, wie 1Sam im Anschluss daran in sachlicher Übereinstimmung mit Spec 1,307f. darlegt, die Niedrigen erhöht und die zu Selbstruhm neigenden Mächtigen erniedrigt. Mit Blick auf Philo sind zwei weitere Psalmentexte genauer zu betrachten. Der von hellenistischer Armentheologie385 geprägte Ps 9,1–10,18 (MT)//9,1– 39 LXX schließt mit dem Lobpreis: „Der Herr wird König sein (bis) in Ewigkeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Geht unter, Völkerschaften, (und verschwindet) aus seinem Land. Das Begehren der Bedürftigen hat der Herr angehört, auf die Bereitschaft ihres Herzens hat dein Ohr geachtet, um der Waise und dem Niedrigen (ταπεινῷ) Recht zu verschaffen, damit auf Erden kein Mensch sich weiterhin erhebe (μεγαλαυχεῖν).“386

Der Textausschnitt setzt mit einem Bekenntnis zur unbegrenzten Königsherrschaft Gottes ein, die sich in der Zukunft politisch im Verschwinden der Fremdvölker aus Israel manifestieren wird. Der mächtige Gott aber wendet sich den Niedrigen zu, um dem Selbstruhm des Menschen ein Ende zu machen. In Gedankengang und Terminologie sind auch hier Entsprechungen zu dem oben erwähnten Passus Spec 1,307–312 zu beobachten. 387 Mit Ps 49 MT/48 LXX ist ein weiterer Text heranzuziehen, in dem sich ebenfalls Motive des hier interessierenden Motivkomplexes zeigen. 388 In v7 werden die Reichen dafür kritisiert, sich „auf ihre Macht (ἐπὶ τῇ δυνάμει) zu verlassen und sich der Fülle ihres Reichtums zu rühmen (ἐπὶ τῷ πλήθει τοῦ πλούτου αὐτῶν καυχώμενοι)“. Erlösung werden sie so nicht finden, sondern umkommen. Dem MT zufolge ist dies das Ende derer, die auf sich selbst vertrauen (‫ ;כסל למו‬v14389), wohingegen der Beter Erlösung durch Gott finden

385 Vgl.

Hossfeld/Zenger, Psalmen, 88. 9,37–39 LXX. Die MT-Version zeigt verschiedene Varianten gegenüber der der LXX, die im Blick auf die hier interessierende Fragestellung jedoch von untergeordneter Bedeutung sind. In v39 liest die LXX ταπεινῷ für ‫( דך‬Bedrücker), μεγαλαυχεῖν für ‫לערץ‬. 387  Vgl. auch 1Kor 1,26–28, wo die Zuwendung Gottes zu den Niedrigen ebenfalls mit der Absicht begründet wird, den menschlichen Selbstruhm auszuschließen. 388  Zum Argumentationsgang von Ps 48 LXX = 49 MT vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen, 299–301. Der MT wird hier nicht in der Annahme einbezogen, dass Philo ihn gekannt habe, sondern um einen im Alten Testament auch sonst vorhandenen Gedanken, der in Ps 48 LXX aber fehlt, nämlich das Vertrauen in die eigene Person, hier mitberücksichtigen zu können. Dadurch kann auf die Einbeziehung weiterer alttestamentlicher Texte verzichtet werden. 389  In v14 MT heißt es: „So geht es denen, die auf sich selbst vertrauen, und so ist das Ende derer, die sich in großen Worten gefallen“ (so in der Übersetzung von Hossfeld/Zenger, Psalmen, 301; zu dieser Verwendung von ‫ כסל‬vgl. auch Hi 8,14). Was hier als Parallelismus formuliert ist, zeigt sich in v14 LXX – „ihr eigener Weg ist für sie ein Anstoß, und danach werden sie an ihrem Mund Gefallen haben“ – der Sache nach 386 

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wird (v16 MT/LXX). 390 Der Psalm interpretiert den Selbstruhm danach als ein dem Menschen unangemessenes Vertrauen in das Selbst. Verankert ist diese Kritik auch hier in der Niedrigkeit des Menschen, die der Psalmist in v13 LXX in besonders drastischer Weise umschreibt: „Und als der Mensch in Ehre stand, verstand er nicht, er glich dem unvernünftigen Vieh und war ihm ähnlich.“ Was die neuere alttestamentliche Forschung exemplarisch anhand von Ps 8 für das alttestamentliche Verständnis vom Menschen herausgearbeitet hat und im Voranstehenden mit Blick auf die sprachliche Gestalt, die es bei Philo findet, an weiteren alttestamentlichen Texten illustriert wurde, lässt deutlich erkennen, wie sehr die anthropologischen Grundeinsichten Philos in der bi­ blischen Tradition verwurzelt sind. Wenn von den philonischen Texten zuletzt vor allem auf Spec 1,307–312 verwiesen wurde, so deshalb, weil dieser Text durch seinen Rückgriff auf die Schrift auch in deren Begrifflichkeit die Nähe zum alttestamentlichen Denken reflektiert. In den Grundaussagen stimmen damit jedoch, wie erwähnt, auch die aus den allegorischen Schriften herangezogenen Texte überein, in denen Philo eine abstraktere Sprache wählt. Auch hier ist, wie gezeigt, der Einfluss biblisch-jüdischen Denkens zu er­kennen. Gleichwohl ist auch der griechische Beitrag nicht zu übersehen. Dies sei abschließend noch einmal an einem Text, Congr 107, verdeutlicht, in dem sich die verschiedenen hier zur Debatte stehenden Hauptmotive in besonderer Weise verdichten. In seinem Kontext dient Congr der Erklärung des Gebots Lev 23,27, Gott am zehnten Tag des siebten Monats, das heißt am Versöhnungstag, ein Sühnopfer darzubringen. An diesem Tag „fleht (ἱκετευούσης) die Seele zu Gott, der der Zehnte ist, und ist von der Niedrigkeit (ταπεινότητα) und Nichtigkeit (οὐδένειαν) des Gewordenen auf Grund von verstandesmäßiger Überlegung (περίνοιᾳ λογισμοῦ) überzeugt und hat den übermäßigen Reichtum und das extreme Maß an allem Guten begriffen(, die) den Ungewordenen (auszeichnen). Gnädig ( ἵλεως) nun wird er, und auch ohne Flehen wird er sofort gnädig denen, die sich selbst martern (τοῖς ἑαυτοὺς κακοῦσι) und sich demütigen (συστέλλουσι) und sich nicht im Selbstruhm (καυχήσει) und im Dünkel (οἰήσει) aufblähen (φυσωμένοις)“.

Der ungewordene Gott wird hier mit der Zehn des Versöhnungstags iden­­ tifiziert, weil diese für das Intelligible und Göttliche steht (νοητόν ἐστι καὶ θεῖον; § 106)391 und sich als solche in grundsätzlicher Weise vom Gewordenen als dem αἰσθητόν unterscheidet. Insoweit bewegt sich Philo ganz im Horiin v14b, der eine Wiedergabe von v14b MT ist. Damit kommt der Gedanke der Selbst­ orientierung auch in der LXX zum Ausdruck, wenn auch nicht als Vertrauen in die eigene Person. 390  Zur LXX-Version vgl. Kraus/Karrer, Erläuterungen. II, 1636. 391  Zur philonischen Arithmologie vgl. Holtz, Gott, 436–443 (mit weiterer Literatur).

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zont griechischen Denkens. Die zu Gott flehende Seele gehört demgegenüber zu seinem biblischen Erbe. 392 Dies gilt auch für den Begriff der ταπεινότης, die in Congr 107 den Menschen als ‚Gewordenen‘ charakterisiert. Niedrigkeit ist in der biblisch-jüdischen Tradition ein Ideal, während sie in der griechischen Welt äußerst negativ besetzt ist. 393 Entsprechendes gilt für die Vorstellung der Selbsterniedrigung. Der Begriff der οὐδένεια κτλ ist in beiden Traditionen beheimatet. Dass die Nichtigkeit des Menschen Selbstruhm ausschließt, ist ebenfalls ein primär biblisch-jüdischer Gedanke, auch wenn der Selbstruhm in der griechischen Tradition ebenfalls als unangemessen gelten kann. 394 Die Gnade Gottes, die den Niedrigen umfassend gilt, zählt ebenfalls zu den biblisch-jüdischen Vorstellungen. 395 Die Bestimmung des Weges, auf dem die Seele zu der Einsicht in die Niedrigkeit des Menschen kommt, nämlich durch verstandesmäßige Überlegung, ist wiederum ein durch und durch griechischer Gedanke, den Philo in Migr 134 unverkennbar aus dem oben erörterten Zusammenhang der Apologie des Sokrates ableitet. 396 Die Frage, was das Ziel rechten Erkennens (τοῦ φρονεῖν ὀρθῶς) ist, beantwortet Philo hier so: „gegen sich selbst (ἑαυτοῦ) und gegen alles Geschaffene das Urteil der Unwissenheit (ἀφροσύνην) zu fällen. Denn es ist das Ziel des Wissens (ἐπιστήμης), nichts zu wissen zu meinen (τό … μηδὲν οἴεσθαι εἰδέναι), da Einer allein weise ist, der auch allein Gott ist“. 397

Somit ist für Congr festzuhalten, dass Philo die biblisch-jüdische und die sokratisch-platonische Tradition als gleichsinnig wahrnimmt. Während sich der Gegensatz von Gott und Mensch in diesem Stratum der griechischen Tradition jedoch als Gegensatz von menschlichem Nichtwissen und göttlicher 392 Vgl.

Nikiprowetzky, Les suppliants, bes. 19f.43; s. ähnlich Runia, Philo, 133. Rehrl, Problem, 69 (ταπεινός bedeutet in der griechischen Literatur „jene knechtische Gesinnung, die sich aus ‚Furcht und Kriecherei‘ zusammensetzt“), Leivestad, Ταπεινός, und Schadewaldt, Gott, 25; s. auch oben Kap. 2.3.1, Anm. 198. Vgl. aber Betz, Apostel, 44–57. 394  Dazu s. o. Kap. 2.1.3. S. ferner die beiden oben erörterten Texte Apol 20d–24a und Phaedr 229e–230a. 395  S.o. Anm. 306. 396  Auf diesen Zusammenhang verweist PCHAT, 6 31, Anm. 6. 397  Im Weiteren findet sich in Philos Ausführungen die sokratisch-delphische Forderung, sich selbst zu erkennen (§ 137). Dazwischen thematisiert er die Größe Gottes als des Schöpfers von allem und fordert dazu auf, die Prahlerei sein zu lassen und sich nicht anzumaßen, über das Schöpfungswerk Gottes Bescheid zu wissen. Partiell ähnlich bestimmt Schadewaldt, Gott, 33, die sokratische „‚im Dienst Gottes‘“ stehende Wissenschaft. „Sie ist nicht jene angemaßte, übermenschliche, die um die Dinge im Himmel und unter der Erde Bescheid wissen will. Sie ist, wie er tastend sagt …, ‚vielleicht eine menschliche Wissenschaft‘“, nämlich die Philosophie. Sie beruht auf der delphischsokratischen Einsicht, „daß ‚wissend in Wahrheit nur der Gott ist‘“ (Apol 23a). 393 Vgl.

Kapitel 3: Philo

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Weisheit zeigt, verallgemeinert ihn Philo zum Gegensatz von allumfassender Niedrigkeit und Nichtigkeit des Menschen und übermäßigem göttlichem Reichtum und Güte. Er fasst sie seinem Ausgangstext Lev 23,27 entsprechend soteriologisch und deutet sie im Horizont der strikt biblischen Vorstellung des Gnadenhandelns Gottes. Entsprechende Ausführungen finden sich bei Philo wiederholt. Die Verallgemeinerung des platonischen Gegensatzes, die hier zu beobachten ist, ist zweifellos biblisch-jüdisch inspiriert. Aber auch diese Tradition erklärt das Gewicht, das die Vorstellung der Nichtigkeit des Menschen im Gegenüber zur Größe Gottes im corpus philonicum besitzt, nicht vollständig. Die Synthese von Sokratisch-Platonischem und Delphischem auf der einen und Biblisch-Jüdischem auf der anderen Seite398 in der philonischen Anthropologie ist eine Innovation, mit der Philo aller Wahrscheinlichkeit nach auf geistesgeschichtliche Herausforderungen seiner Zeit im alexandrinischen Judentum, aber auch darüber hinaus reagiert. Dies wird im Einzelnen an späterer Stelle aufzuzeigen sein.

398  Dieser Gebrauch des Begriffs der ‚Synthese‘ orientiert sich an Winston, Judaism, 19, der ihn mit Blick auf die philonische „synthesis of Judaism and Hellenism“ verwendet.

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Kapitel 4

Nicht aus Menschen, sondern aus Gott Literarisch-theologische, religionsgeschichtliche und historische Perspektiven auf den philonisch-paulinischen Kern und seine Entfaltung Das Philo und Paulus gemeinsame Thema der menschlichen Selbsterhebung angesichts der Übermacht Gottes weist ins Zentrum der Theologie beider Autoren. Es wird von ihnen trotz aller Unterschiede in der ihrem Denken zugrunde liegenden Gotteserfahrung und in der Grammatik ihrer Theologie erstaunlich einheitlich gefasst. Dieses Zentrum lässt sich auf die Formel ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ bringen. Diese ist zwar in Anlehnung an paulinische Aussagen formuliert, beschreibt aber auch den philonischen Befund exakt. So kritisiert Philo wiederholt, dass Menschen ‚aus sich selbst (ἐξ ἑαυτῶν)‘ schöpfen zu können meinen.1 Der zweite Teil der Formel spiegelt sich in der Vielzahl der Texte, in denen er Gott im Gegenüber zum Anspruch des Menschen, Ursache seiner vielfältigen Hervorbringungen zu sein, als Ursache von allem bestimmt. 2 Nach Überzeugung beider Autoren lebt der sich selbst erhebende Mensch, der für beide den anthropologischen Normalfall darstellt, ‚aus sich selbst (ἐξ ἑαυτῶν)‘ und ‚nicht aus Gott (οὐκ ἐκ θεοῦ)‘, so dass er Schöpfer und Geschöpf, Gott und Mensch verwechselt. Philo bringt dies auf den Begriff der φιλαυτία , Paulus verbindet es mit dem der καύχησις. Angesichts der Wirklichkeit von Gott und Mensch, die durch die überragende Macht Gottes und die Nichtigkeit und Schwachheit des Menschen konstituiert ist, halten beide dieses für die Vielen charakteristische Selbstbewusstsein für gänzlich verfehlt und geißeln es als Illusion und Ausdruck von Hybris. Dem stellen sie das Ideal eines Seins und Handelns ‚nicht aus sich selbst (οὐκ ἐξ ἑαυτῶν), sondern aus Gott (ἐκ τοῦ θεοῦ)‘ entgegen. Diesen gemeinsamen Kern entfalten beide Autoren, wie im Folgenden gezeigt werden soll (Kap. 4.1), erstaunlich ähnlich. Damit stellt sich die Frage, wie diese Gemeinsamkeiten religionsgeschichtlich zu erklären sind. Dazu 1 

Vgl. bes. Praem 43; Det 86; Mut 155; Congr 127. Wendung ἐκ θεοῦ findet sich in den untersuchten philonischen Texten nicht; vergleichbar ist aber der Ausdruck παρὰ τοῦ θεοῦ in Spec 1,295. 2  Die

Kapitel 4: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

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wird zunächst der Philo und Paulus gemeinsame Motivkomplex im Horizont der in der Forschung verhandelten religionsgeschichtlichen Modelle erörtert (Kap. 4.2) und vor diesem Hintergrund die Frage nach dem Verhältnis des den beiden Autoren gemeinsamen Kerns zur übrigen Traditionsbildung des antiken Judentums gestellt (Kap. 4.3). Da er sich in diesem Kontext als singulär erweist, wird hier für ein genealogisches Erklärungsmodell plädiert. Dabei werden mögliche Vermittlungswege philonisch-alexandrinischer Tradition nach Jerusalem erörtert, die es als möglich erscheinen lassen, dass Paulus im Umfeld der hellenistischen Synagogen der Stadt auf sie gestoßen sein könnte (Kap. 4.4).

4.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Der literarisch-theologische Befund3 Die Gemeinsamkeiten, die sich bei der Explikation des Kerns zeigen, betreffen vier Aspekte. Dabei handelt es sich um die motivisch-inhaltliche Seite, für die die meisten Übereinstimmungen zu konstatieren sind, dann aber auch um die formale und die terminologische Dimension. Hinzu kommen einige von beiden Autoren gleichermaßen rezipierte Traditionen. (1) Was die motivisch-inhaltliche Seite anbelangt, so sind sowohl die den oben explizierten Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ als ganzen betreffenden Gemeinsamkeiten zu beachten als auch Übereinstimmungen bei Einzelaspekten. Zu beginnen ist mit der Benennung der verschiedenen Gegensatzpaare, die ihn bei Philo und Paulus umschreiben, ohne dass sie zwingend jeweils dasselbe Gewicht hätten. Die wichtigste, bei beiden Autoren zu beobachtende Deutung des Kerns sind die gegensätzlichen Existenz­ weisen von Leben ‚aus dem Haben‘ im Unterschied zu einem Leben ‚aus dem Empfangen‘.4 Als weitere Entfaltungen des Kerns sind der Gegensatz von φιλαυτία bzw. καύχησις und Dank einerseits5 und Vertrauen bzw. Glauben (πιστεύειν) andererseits6 anzusprechen. Die beiden gegensätzlichen Existenz­ weisen manifestieren sich für beide zudem erkenntnistheoretisch. So gehört die natürliche Gotteserkenntnis auf die Seite des Seins ‚aus sich selbst‘, während die Offenbarungserkenntnis ‚aus Gott‘ ist.7 Dem korrespondiert die Unterscheidung einer menschlichen Scheinweisheit von der wahren Weis3 

Die komparativen Passagen von Kap. 3 sind im Folgenden vorausgesetzt. Diesen Aspekt hat vor allem Noack, Haben, in den Blick genommen. Zu philonischen Texten, die in Kap. 3 dazu thematisiert wurden, vgl. Congr 130; Leg 1,37; 3,100; Det 86 und Spec 1,43, zu Paulus den die vorausgehende Diskussion bündelnden Text 1Kor 4,7. 5  Vgl. Spec 1,291–295.296–298 und 1Kor 1,4–9; 4,8; s. auch Röm 1,21. 6  Vgl. Abr 262–269 und Röm 3,27–4,4. 7  Vgl. dazu Kap. 3.1.1. Wie gesehen, ist hier jedoch im Einzelnen zu differenzieren. 4 

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heit, die im Einzelnen aber unterschiedlich bestimmt wird8, und der Gegensatz von einer selbstmächtigen Errichtung und rhetorisch ausgefeilten Propagierung von Denkgebäuden und der Erkenntnis bzw. Verehrung Gottes.9 Schließlich reflektiert sich der Kern in den gegensätzlichen Lebensentwürfen eines selbstrühmerischen Prahlens angesichts von Reichtum, Macht, Ehre etc. einerseits und einer aus der Zuwendung Gottes lebenden Existenz andererseits.10 Auch die Art und Weise, wie Philo und Paulus diejenigen, die ‚aus sich selbst‘ leben11, im Einzelnen zeichnen, berührt sich trotz unterschiedlicher Akzentuierungen verschiedentlich. Für beide Autoren zeigt sich das ‚aus sich selbst‘-Sein in der Überhöhung der menschlichen Vernunft. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Vernunftkritik im Gesamtwerk Philos ein weit größeres Gewicht hat als im corpus paulinum.12 So geißelt Philo die Verabsolutierung einer menschlichen Vernunft, die alles auf sich selbst zurückführt, wiederholt mit Nachdruck.13 Die von Philo in diesem Zusammenhang des öfteren artikulierte Kritik an der Verabsolutierung der sinnlichen Wahrnehmung ist für Paulus kein Thema. Weitere Kennzeichen des ‚aus sich selbst‘-Seins sind die Bedeutung, die dem Besitzen und Haben zugemessen wird, sowie die Überzeugung, dass der Mensch selbst aufgrund seines Handelns die Ursache für die Gnadengaben Gottes ist. Auch hier sind Unterschiede im Einzelnen festzustellen.14 Des Weiteren verstehen beide Autoren die Orientierung an  8 

Vgl. Post 35–52 und 1Kor 1,21–24. für Philo Conf 122–133 und für Paulus 2Kor 10,4f. – Damit verbindet sich aber keine grundsätzliche Absage an die Rhetorik. Die Kritik beider Autoren gilt Missbrauch der Rede zur Selbsterhöhung bzw. zur Selbstvergottung, nicht der Rhetorik als τέχνη. Als solches fordert sie Philo ausdrücklich ein (vgl. Kap. 3.3.2.1 zu Det 32–34). Auch muss er sie als Leiter der Delegation an den römischen Kaiser auch selbst beherrscht haben (vgl. Winter, Philo, 99–103, der auf die in Legat 8–22 überlieferte captatio benevolentiae der Rede Philos an den Kaiser verweist). Paulus zeigt in 1Kor Hochachtung für Apollos, der über die Kunst der Rede verfügt zu haben scheint. 10  Vgl. für Philo Det 32–34, Abr 263–267, Spec 1,311 einerseits und Her 25–29 und Spec 1,294.309f. andererseits, für Paulus 1Kor 1,26–31; 4,7f.9–13. 11  In diesem und im folgenden Abschnitt kommt es zu unvermeidlichen Überschneidungen mit dem voranstehenden Absatz. 12  Für Paulus vgl. 1Kor 1,21f. in Verbindung mit Röm 1,20–22; 1Kor 2,6–16; Röm 8,16 und Phil 4,7 (und dazu s. u. Kap. 9.[1]). Bei Philo hat sich die Thematik in einer ganzen Reihe von Zusammenhängen gezeigt. 13  Vgl. bes. Spec 1,134–336 und Post 36.42. 14  Zum Haben vgl. die Auseinandersetzung mit der Deutung Noacks in Kap. 3.4.1 im Kontext von Sacr; zum Verständnis menschlichen Handelns als Ursache göttlichen Handelns vgl. Sacr 57 und Leg 3,136f. mit Röm 4,2–5. Die Neudeutung der Werke des Gesetzes aufgrund der Erkenntnisse der New Perspective hat zur Folge, dass die Werke des Gesetzes bei Paulus nicht primär im Horizont des Lohnes bzw. des antiken Reziprozitätsdenkens gedeutet werden können (dazu s. o. Kap 3.4.1); in dem allgemeingültigen Grundsatz in Röm 4,4 klingt dieser Gedanke gleichwohl an.  9  Vgl.

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Macht, Reichtum, Ehre, Weisheit etc.15 und die Errichtung der die Gotteserkenntnis verdunkelnden Denkgebäude durch die Rhetorik16 als Ausdruck eines Lebens ‚aus sich selbst‘. Entsprechend zeigen sich Übereinstimmungen bei der Zeichnung der Existenz ‚aus Gott‘. Grundlegend dafür ist, philonisch gesprochen, das Ineinander von Selbst- und Gotteserkenntnis. Darunter ist die Einsicht in die Nichtigkeit und Schwachheit des Menschen auf der einen und die überragende Macht Gottes auf der anderen Seite zu verstehen. Wie Philo betont, bedingt das eine das andere.17 Dieses Doppel spiegelt sich anthropologisch in der Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Erfahrungen. Bei den beiden Autoren gemeinsamen Paradoxa, die Philo mit Abraham, Paulus dagegen mit seiner eigenen apostolischen Existenz verbindet, handelt es sich um Trauer und Freude18 sowie Schwachheit und Stärke.19 Demgemäß korrespondiert der Einsicht in die eigene Nichtigkeit bei Philo die Kühnheit Abrahams, bei Paulus die Macht des Apostels.20 Reflektiert die Seite der Schwachheit das, was der Mensch, der sich im Gegenüber zu Gott versteht, seiner Natur nach ist, so verdankt sich die zweite Seite der Paradoxa dem machtvollen Handeln Gottes. Dabei ist zu betonen, dass die Einsicht in die Nichtigkeit des Menschen ihren Ort ausschließlich in Verbindung mit der Erkenntnis der Übermacht Gottes hat, die paradoxerweise gleichzeitig an dem seiner Nichtigkeit bewussten Menschen machtvoll wirksam wird, bei Abraham als Freimut, bei Paulus als Kraft. Der Mensch ‚aus Gott‘ ist vor diesem Hintergrund zugleich der Mensch, der aufgrund seiner Schwachheit um seine fundamentale Angewiesenheit auf Gott weiß. Deshalb ist es für beide Autoren gerade der seiner Nichtigkeit bewusste Mensch, dem göttliche Offenbarungen zuteil werden. Der Niedrige ist es, der vor allen anderen der Gnade würdig ist.21 Ein Aspekt dieser Offenbarungen kann die Begrenzung des Drangs zur Selbsterhöhung sein. In diesem Sinne deutet Philo die Lähmung der Hüftpfanne Jakobs durch Gott, Paulus den ihm von Gott gegebenen Stachel im Fleisch. 22 In eigener Weise spiegelt sich der erwähnte Gegensatz von menschlicher Niedrigkeit und überragender Macht Gottes auch im Kontext der paulini15 

Vgl. Det 33, Abr 263–267 und Spec 1,311 sowie 1Kor 1,26–28; 4,8. Vgl. Conf 128–130 17  Vgl. bes. Congr 107. 18  Vgl. Mut 154–156 und 2Kor 6,10. Trauer und Freude interpretieren bei Philo das von ihm der Schrift entnommene Paradox von Niederfallen und Lachen. 19  Vgl. Mos 1,69 und 2Kor 12,10. 20  Vgl. Her 25.28f. und 2Kor 12,9f.11. 21  Zu Philo vgl. Spec 1,43 (s. o. Kap. 3.1.1.2); 1,308 (s. o. Kap. 3.1.1.2) und Sacr 54.57 (s. o. Kap. 3.4.1) und zur Diskussion um das Verständnis der Würdigkeit bei Philo Anm. 313; zu Paulus vgl. 1Kor 15,9f. (s. o. Kap. 3.4.1) und 2Kor 12,9–11 sowie MaMerk (= Schäfer, Synopse, § 584; s. o. Kap. 2.3.2.3). 22  Vgl. Praem 47 und 2Kor 12,7. 16 

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schen Christologie wider. Er zeigt sich hier jedoch anders als für den ­Apostel nicht in Gestalt der Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen, sondern in einem Kreuz und Auferstehung korrespondierenden Nacheinander.23 Damit ist festzuhalten, dass der für die philonischen Schriften und die Korintherkorre­­ spondenz identifizierte Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ auch als eine Grundfigur der paulinischen Christologie gelten kann. Mit Blick auf die Art und Weise, wie Paulus diese Grundfigur auf Christus anwendet, sind freilich auch grundsätzliche Differenzen nicht zu übersehen. Anders als Paulus lebt Christus nicht nur aus der Kraft Gottes, durch die dieser ihm das Leben schenkt, als der Auferstandene partizipiert er zugleich an ihr und erweist sich als solcher in einzigartiger Weise selbst am Menschen als wirksam. Diese Differenz betrifft das Zentrum der paulinischen Christologie und transzendiert damit naturgemäß den philonisch-paulinischen Kern. Die Übereinstimmung im Grundsätzlichen, wie sie sich in dem Gegenüber von Sterblichkeit und Leben in 2Kor 4 und von Gekreuzigtwerden aus Schwachheit und Leben aus der Kraft Gottes in 2Kor 13 zeigt, wird dadurch jedoch nicht in Frage g­ estellt. Auch die der Niedrigkeit des Menschen korrespondierende Größe und Macht Gottes entfalten beide Autoren ähnlich. Für Philo wie für Paulus ist Gott alleiniges Subjekt24 und ist als solches zugleich Ursache und Geber aller Dinge25. Dabei denken beide gleichermaßen an die Gabe der Gotteserkenntnis26 wie an sein Handeln im Raum der Schöpfung und im Kontext der ­Soteriologie. Während jedoch Paulus den letztgenannten Aspekt in den Vordergrund rückt, steht in den erörterten Texten Philos ersterer im Mittelpunkt.27 Schließlich ist auf die Personen und Gruppen einzugehen, die Philo und Paulus mit dem Leben ‚aus sich selbst‘ verbinden. Auch hier zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Die Existenzweise eines Lebens ‚aus sich selbst‘ wird in den philonischen Texten insbesondere von Kain und den Kainiten verkörpert. In den bearbeiteten Texten aus den allegorischen Schriften handelt es sich dabei um die Redekunst missbrauchende Sophisten, als deren herausragende Gestalt Philo den Sophisten Protagoras nennt. 28 23 

Dazu s. o. Kap. 2.3.2.2; 3.1.2 und Kap. 3.3.2.1. Horizont griechisch-philosophischen Denkens bestimmt Philo Gott als Aktivität, den Menschen dagegen als Erleidenden und Passiven; vgl. Cher 75–77 und das Fragment Leg 4 (dazu s. u. Kap. 7.3). 25  Der Begriff der Ursache findet sich aber allein bei Philo. 26  Vgl. dazu Kap. 3.1.1. 27  In 1Kor 1,26–31; 4,7 klingen beide Dimensionen an, wobei der Schwerpunkt auf den soteriologischen Gaben liegt (s. o. Kap. 2.1.2; 2.2.3). Für Philo vgl. zu soteriologischen Texten Leg 3,136f., wo von der Seelenrettung die Rede ist, Post 48 mit der Rede von der Sühnung (ἱλασμός) sowie Mut 156 mit ἀνίστημι. Texte zum Handeln Gottes im Raum der Schöpfung sind Sacr 56; Post 36.42; Mut 155. 28  Weitere von Philo genannte Einzelpersonen sind Alexander der Große, Laban und Pharao. 24  Im

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Diese Gruppe überschneidet sich partiell mit den Vertretern der Mehrheitskultur und ihren Werten wie Reichtum, Macht und Ehre. In den Texten zur Gotteserkenntnis werden hinter den ‚Chaldäern‘ Stoiker erkennbar, in Spec 1,333–344 Vernunft und Sinne verabsolutierende Philosophen stoischer und epikureischer Provenienz einerseits und diejenigen unter den Juden, die das Gesetz nicht durch das Portal der Beschneidung als Symbol für die Preisgabe menschlichen Hochmuts betreten (Spec 1,10f.), andererseits. Damit berührt sich der Befund in der Korintherkorrespondenz partiell. Grundsätzlich hat Paulus hier all diejenigen im Blick, die sich der durch den Gekreuzigten gesetzten Wirklichkeit verweigern, nämlich die nicht an Christus Glaubenden aus Juden und Griechen, aber auch und vor allem die selbsternannte Elite der Gemeinde in Korinth. Im Kontext seiner Äußerungen zur Gotteserkenntnis sind die Stoiker als Repräsentanten eines Denkens ‚aus sich selbst‘ zu erkennen (1Kor 1,21). Dies gilt in 1Kor 1–4 entsprechend für die Vertreter der hellenistischen Mehrheitskultur und ihres Wertesystems, das für die Sophistik transparent ist und sich Paulus zufolge auch bei der Elite der christlichen Gemeinde zeigt. Die Aussagen in 2Kor richten sich gegen die gegnerischen Apostel jüdischer Provenienz. Was demgegenüber die Existenz ‚aus Gott‘ anbelangt, so wird sie in den allegorischen Schriften Philos von Abel und vor allem von Abraham repräsentiert, in den Schriften der Exposition ebenfalls von dem Patriarchen, aber auch von den „Geringen“, hinter denen Proselyten, Witwen und Waisen erkennbar werden, sowie von den Anhängern des Mose, die das Gesetz durch das Portal der Beschneidung von Prahlerei und Dünkel betreten. Demgegenüber exemplifiziert Paulus das Leben ‚aus Gott‘ vor allem an sich selbst, teilweise auch an seinen Mitaposteln. Charakteristisches Merkmal dieser Lebensweise ist bei beiden Autoren die Selbstbegrenzung des Menschen, der sich an dem ihm von Gott verliehenen Maß orientiert. (2) Auch im formalen Bereich zeigen sich bei der Entfaltung des Kerns Übereinstimmungen zwischen den philonischen und den paulinischen Texten. Für beide ist die Synkrisis ein zentrales Mittel der Darstellung. So kontrastiert Philo Kain mit Abel und mit Abraham, Paulus die Elite der korinthischen Gemeinde und die gegnerischen Apostel mit seiner eigenen Person. Dieses rhetorische Mittel findet auch bei der kontrastierenden Aufzählung der Status und Glück bzw. Unglück umschreibenden Güter von Reichtum und Armut, Ehre und Unehre etc. Anwendung. Das Mittel der Wahl kann in diesem Zusammenhang auch der Peristasenkatalog sein. Ein weiteres gemeinsames Formelement ist das Selbstlob, das sich bei beiden Autoren ebenfalls mit der Synkrisis verbindet. Diese formalen Übereinstimmungen sind umso bemerkenswerter, als sich die Rahmengattungen beider Textcorpora erheblich unterscheiden. Auch darüber hinaus zeigt sich bei beiden Denkern eine Vertrautheit mit der Rhetorik. Für Paulus ist dies anders als für Philo

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eigens hervorzuheben. Er ist, wie gezeigt, in den Regeln der Rhetorik des Rühmens bewandert, auch wenn ihm Philo in der Beherrschung der Rhetorik überlegen war. (3) Übereinstimmungen zeigen sich ferner in der Terminologie, derer sich die beiden Autoren zur Entfaltung des identifizierten Kerns bedienen. Neben unspezifischen Übereinstimmungen wie den Werten der Mehrheitsgesellschaft, die sich bei antiken Autoren auch sonst finden, gibt es eine Reihe spezifischerer sprachlicher Überschneidungen, die auch deshalb besondere Beachtung verdienen, weil sie Teil von Philo und Paulus gemeinsamen Kontexten und Motivclustern sind. Dabei handelt es sich bei den die Entfaltung des Kerns unmittelbar betreffenden Aussagen um folgende Begriffe und Wendungen: um die Gegensatzpaare ἔχειν/ λαμβάνειν und μέγα φρονεῖν bzw. καυχάομαι /πιστεύειν29, um das ‚aus sich selbst‘-Sein o.ä. (ἐξ ἑαυτῶν) des Menschen, sein Maß (μέτρον)30, sein Nichtssein (οὐδέν bzw. οὐδένεια), das sich auch darin zeigen kann, als Auswurf ([περι]καθάρματα) zu gelten31, sowie um sein sich-Aufblähen (φυσιόω und ἐπαίρομαι bzw. ὑπεραίρομαι). Dieser gemeinsame Wortgebrauch ist umso auffälliger, als er sich in einem gleichermaßen durch das Gegenüber von Größe bzw. Macht Gottes und Schwäche (ἀσθένεια) des Menschen konstituierten Kontext zeigt. 32 Mit Blick auf Gott ist bei beiden von seiner überragenden Macht (ὑπερβάλλον κράτος; ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ τοῦ θεοῦ)33 die Rede; beide bezeichnen ihn als Ruhm des Menschen (θεὸς αὔχημα; καυχᾶσθαι ἐν κυρίῳ). 34 Bei den Paradoxa erwähnen beide das Gegensatzpaar von Trauer und Freude (ἐπίλυπος und χαρά bei Philo, λυπούμενοι und χαίροντες bei Paulus). 35 Beide Autoren verwenden zudem die Wurzel ταπειν- im Gegenüber zur menschlichen Prahlerei. 36 Gemeinsam ist beiden ferner die Rede von der Zerstörung (καθαίρεσις) des Bollwerks (ὀχύρωμα) der Vernunft. 37 Schließlich grenzen sich Philo wie Paulus in verwandten Kon-

29 

Vgl. Abr 266 und Röm 3,27–4,3. Der Gedanke des Maßes wird bei Philo wie bei Paulus zudem mit ὑπέρ-Formulierungen zum Ausdruck gebracht; vgl. Spec 1,44 sowie 1Kor 4,6; 2Kor 12,6. 31  Vgl. 1Kor 4,13 (und dazu Kap. 2.2.3) mit Virt 174 (und dazu Kap. 2.1.3). 32  Vgl. Spec 1,293 und 2Kor 12,7–9. Während sich dieser Begriff in 2Kor 12 (und 2Kor 10,12–18) mit der Rede vom sich-Rühmen (καυχάομαι) verbindet, steht er in Spec 1,293 im Zusammenhang mit dem Sachäquivalent φυσιόω (vgl. auch 1Kor 4,6f.). 33  Vgl. Her 24 und 2Kor 4,7. Vgl. auch Sacr 55 mit τῆς τοῦ θεοῦ περὶ πάντα ὑπερβολῆς. 34  Zu ersterer Wendung vgl. Spec 1,311, zu zweiterer 1Kor 1,31; 2Kor 10,17. 35  Vgl. Mut 154–156 und 2Kor 6,10. 36 Vgl. Post 41.48 (ταπείνωσις /ταπεινοῦν) und Phil 2,3.8 (ταπεινοφροσύνη /ἐταπείνωσεν ἑαυτόν). 37  Vgl. Conf 130 und 2Kor 10,4f. 30 

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texten von der Rhetorik als einem auf glaubwürdigen Beweisen (αποδεικ-) basierenden Verfahren ab. 38 Hinzuweisen ist schließlich auch auf die in zentralen Texten dieser Untersuchung verwendete Begrifflichkeit einer ‚eigenen δικαιοσύνη‘ und der σοφία o.ä. Diese Begriffe werden von Paulus und Philo aber im Einzelnen unterschiedlich gefüllt. Die eigene Gerechtigkeit meint bei Philo eine der Kardinaltugenden, in deren Besitz sich Menschen aufgrund ihres tugendhaften Verhaltens legitimerweise wähnen und aus der sie einen Anspruch auf die göttlichen Gnadengaben ableiten zu können meinen. Demgegenüber bezeichnet sie bei Paulus das menschliche Bemühen um Gerechtigkeit vor Gott. Sich der Bewegung von Gott zum Menschen verweigernd, jagt ihr Israel nach (Röm 9,30) und sucht sie selbst aufzurichten (10,3), statt sie zu empfangen (9,30) und sich dem machtvollen Gotteshandeln zu unterwerfen (10,3). Was die Weisheit anbelangt, so unterscheiden beide zwei Formen, bestimmen sie inhaltlich aber unterschiedlich. Philo stellt der wahren Weisheit die Scheinweisheit antithetisch gegenüber, Paulus der Weisheit Gottes die Menschenweisheit. Die philonische Scheinweisheit besteht in der menschlichen Inanspruchnahme der Schöpfungsgüter für die eigene Person, die wahre Weisheit dagegen in ihrer Zuschreibung an Gott. Paulus identifiziert die Menschenweisheit mit der menschlichen Vernunft, die Weisheit Gottes mit der Tradition als Schöpfung (1Kor 1,21), seiner Offenbarungserkenntnis gemäß aber auch und vor allem mit Christus (v24). (4) Schließlich sind die von Philo und Paulus gleichermaßen rezipierten Traditionen aus dem biblisch-jüdischen und dem griechisch-römischen Bereich in Erinnerung zu rufen. Was ersteren anbelangt, so zeigt sich bei Philo wie bei Paulus die Verwendung einiger gemeinsamer Schriftstellen in verwandten Kontexten. Auf Jer 9,22f. LXX wird von beiden Autoren in Zusammenhängen angespielt, in denen sich die drei folgenden Motive verbinden: die Zuwendung Gottes zu den Geringen, die Bestimmung Gottes als des Ruhms des Menschen sowie die Absage an Reichtum, Ansehen, Macht u. a. als den Werten der Mehrheitsgesellschaft. 39 Dtn 9,4–6 wird im Kontext der Problematisierung einer eigenen Gerechtigkeit rezipiert.40 Schließlich kommen Philo und Paulus im Kontext der Auseinandersetzung um den Gegensatz von Prahlerei bzw. Selbstruhm einerseits und Vertrauen bzw. Glauben (πιστεύειν) andererseits auf Gen 15,6 zu sprechen. Sie argumentieren im Einzelnen aber unterschiedlich. Zudem ist auf den Gleichklang von 1Sam 2,9b und Dtn 8,17f. zu verweisen; erstere Stelle wurde im Zusammenhang mit 38  Vgl. Post 52 und 1Kor 2,4f. Philo spricht von λόγοι οἱ ἀποδεικνύντες, Paulus verwendet das Nomen ἀπόδειξις, dies aber verfremdend (dazu s. o. Kap. 2.1.2). 39  Vgl. Spec 1,310f. und 1Kor 1,26–31. Die obige Aufzählung folgt der Reihenfolge in Spec. 40  Vgl. Sacr 57 und Röm 10,3; Phil 3,9 und dazu s. o. Kap. 3.4.1.

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1Kor 1,26–31 und 2Kor 12,9–11 thematisiert, letztere im Kontext von Sacr 56. Die alttestamentlichen Texte bringen zum Ausdruck, dass es die Kraft Gottes ist, die im Menschen zur Wirksamkeit kommt, nicht die eigene Kraft des Menschen. Damit steht auch die bei beiden Autoren zu erkennende Abhängigkeit von der Niedrigkeitsanthropologie der Schrift in Zusammenhang. Sie zählt aber nicht zu den philonisch-paulinischen Propria, sondern zeigt sich im antiken Judentum auch sonst.41 Aus dem griechisch-römischen Bereich rezipieren Philo und Paulus – wiederum in verwandten Kontexten – den Wertekanon der dominanten Kultur, wie er insbesondere in der rhetorischen Überlieferung greifbar wird. Zudem spiegelt sich bei beiden die auch in der Rhetorik selbst formulierte Kritik an der Arroganz der Reichen, Mächtigen, Weisen etc. wider. Dies gilt entsprechend für den dort ebenfalls problematisierten Missbrauch der Rhetorik. So zeigt sich bei der Entfaltung des Kerns ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ ein dichtes Netz an Gemeinsamkeiten. Besonderes Gewicht haben dabei die motivisch-inhaltlichen Übereinstimmungen.

4.2 Der philonisch-paulinische Kern und seine Entfaltung im Horizont religionsgeschichtlicher Modelle In den komparativ interessierten Passagen in Kap. 3 wie auch in den voranstehenden Ausführungen in Kap. 3.1 sind vielfältige Übereinstimmungen zwischen Philo und Paulus hervorgetreten. Zugleich sind auch teils grundlegende Unterschiede zu beobachten. Diese betreffen vor allem das Gottesbild und das Zeitverständnis. Während Philos Denken um Gott als Schöpfer und Ursache aller Dinge, insbesondere aller Lebensäußerungen des Menschen, kreist, sieht Paulus Gott durch sein Handeln im Gekreuzigten bestimmt. Damit verbindet sich eine je unterschiedliche Sicht auf die Zeit. Während Paulus in Kreuz und Auferstehung den Anfang der eschatologischen Neuschöpfung sieht, denkt Philo von der ersten Schöpfung her. Da beide Autoren eigenständige Denker sind, die von ihren je spezifischen Voraussetzungen und religiösen Erfahrungen her mit Blick auf unterschiedliche Adressaten argumentieren, sind fundamentale Unterschiede grundsätzlich zu erwarten. Deshalb erscheinen weniger die Differenzen erklärungsbedürftig als vielmehr die bei aller Verschiedenheit dennoch zu verzeichnenden Gemeinsamkeiten. Mit dieser Problematik beschäftigen sich die folgenden Abschnitte von Kap. 4 unter verschiedenen Perspektiven.42 41 

Dazu s. o. Kap. 3.5 sowie unten Kap. 3.3. Die Kap. 4.2.1; 4.2.2 und Kap. 4.4 sind bei Unterschieden im Einzelnen bereits in dem Beitrag von Holtz, Alexandrien, 228–232.245–248.251–263, veröffentlicht worden. Kap. 4.3 basiert auf ebd., 248–251, ist hier aber deutlich erweitert. Auf Einzelnachweise wird im Folgenden verzichtet. 42 

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4.2.1 Religionsgeschichtliche Modelle zur Erklärung von Gemeinsamkeiten zwischen Philo und Paulus. Eine Forschungsskizze In der vergleichenden Forschung zu Philo und Paulus wird das Problem der Erklärung von Gemeinsamkeiten vor allem an dem Abschnitt 1Kor 15,44–49 und seinen philonischen Parallelen erörtert, der als „(e)in, wenn nicht gar das klassische Beispiel“ für diese Fragestellung gilt.43 Diskutiert werden zudem verschiedene Stellen aus 1Kor 1–4.44 In dem 2004 von R. Deines und K.-W. Niebuhr herausgegebenen Band, „Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen“, der den damaligen Stand der Forschung zu resümieren versucht, werden mit Blick auf das Verhältnis von Philo und Paulus drei Modelle zur Erklärung von Ähnlichkeiten erwogen.45 Das am weitesten gehende Modell zur Erklärung von Gemeinsamkeiten zwischen Philo und Paulus ist die literarische Abhängigkeit. Es wird von der großen Mehrheit der Forschung explizit oder implizit ausgeschlossen.46 Zu den Ausnahmen gehört D.M. Hay, dem zufolge zwar keine der von ihm zu 1Kor 15,44–49 aufgeführten Ähnlichkeiten bei Philo „a direct historical link between Paul and the Corinthians on the one hand and Philo … on the other“ begründet. Zugleich aber betont er: „Yet Philo was a prominent figure in the Alexandrian Jewish community, and one can hardly prove that Paul or Christians in Corinth could not have known his writings“.47 Literarische Abhängigkeit ist Hay zufolge also nicht auszuschließen.

43 

Schaller, Adam, 143. Zeller, Logos-Theologie, der die von G. Sellin in verschiedenen Publikationen (s. u. Anm. 48) erörterten Belege 1Kor 1,12; 2,10b–16; 3,3f.; 3,18–23 diskutiert, sowie Konradt, Weisheit, 195f. mit Anm. 72, der auf 2,6–3,4 verweist; zum Ganzen vgl. ebd., 195–202. 45  In den inzwischen erschienenen neueren Arbeiten, die im Folgenden mitberücksichtigt werden, haben sich in dieser Frage keine grundsätzlich neuen Einsichten ergeben. 46  Implizit wird es von all denen ausgeschlossen, die ein anderes Modell vertreten, explizit von Zeller, Charis, 11, und Siegert, Philo, 183: „Paul … was surely not a reader of Philo“. S. ähnlich Nickelsburg, Philo, 70: „but contact specifically with him (sc. Philo) and his writings is not certainly demonstrable“, und Deines/Niebuhr, Philo, 4: „Ob indes auch nur ein einziger der neutestamentlichen Autoren den großen Alexandriner wahrgenommen hat, muss fraglich bleiben“. 47  Hay, Anthropology, 142. Vgl. ferner Nordgaard, Appropriation, 352: „Paul and his readers could actually have been familiar with Philo’s own writings (possibly as mediated to them through Apollos)“. Er spricht ausdrücklich davon, dass Paulus in 1Kor 15,51 „was trying to direct his readers’ attention to a specific passage in Philo’s writings (QG 1.86 and through that passage Mos. 2.288)“ (ebd., 363 [tw. kurs.]). Nordgaard zieht dieses Erklärungsmodell explizit dem unten diskutierten Modell des ‚common background‘ vor (ebd., 352). 44 Vgl.

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Nach dem zweiten für Philo und Paulus diskutierten Modell erklären sich die Gemeinsamkeiten mit mündlicher Überlieferung. Eine entscheidende Rolle wird dabei dem alexandrinischen Juden und Jesus-Anhänger Apollos zugewiesen (Apg 18,24f.). Er soll in Korinth in Spannung zur paulinischen Verkündigung stehendes philonisches Gedankengut eingeführt haben, das sodann die korinthischen Gegner des Paulus rezipiert hätten und von diesem zurückgewiesen worden wäre.48 Diese These ist nicht unwidersprochen geblieben.49 Das dritte Modell zur Erklärung der Gemeinsamkeiten zwischen 1Kor 15 und philonischen Texten ist der „common“ oder „shared background“ beider Autoren im griechischsprachigen Judentum. 50 Es entspricht partiell dem Modell der cultural codes. 51 Übereinstimmungen sind demnach nicht genealogisch, d. h. durch beschreibbare Beziehungen zwischen beiden Autoren, seien sie nun literarischer (Modell 1) oder mündlicher Art (Modell 2), zu erklären. Vielmehr wird damit gerechnet, dass beide Autoren unabhängig voneinander aus dem gemeinsamen Fundus der Traditionsbildung des hellenistischen Judentums schöpfen und sie in je eigener Weise rezipieren. Entsprechend heißt es bei H. Chadwick, dass „both men fished in the same pool“. 52 L.W. Hurtado übernimmt dieses Bild53, spitzt es aber, um die grundsätzliche Differenz zwischen beiden Autoren zu betonen, folgender­maßen zu: Philo und Paulus 48  Dieses Modell wird etwa von B.A. Pearson und R.A. Horsley vertreten, die beide eine größere Anzahl von Studien zum Thema vorgelegt haben; vgl. die Angaben bei Sterling, Place, 41, Anm. 138 und 139; s. ferner Sellin, Streit, 79–189.290, ders., Geheimnis, 74–79.95f., ders., Hintergründe, 15, ders., Einflüsse, 166–168, Sterling, ‚Wisdom among the Perfect‘, 382f., ders., Place, 45, wo er die These in leicht modifizierter Weise vertritt: Danach hätten die Korinther alexandrinisches Gedankengut von griechischsprachigen Juden vermittelt bekommen; Siegert, Philo, 176.190f. 49  Zurückgewiesen wird die These u. a. von Wedderburn, ‚Heavenly Man‘, Zeller, Front, 180–185, ders., Logos-Theologie, Grindheim, Wisdom, 703f., Konradt, Weisheit, 200–202, Schaller, Adam, sowie Noack, Haben, 283, Anm. 1. 50  Vgl. bes. Runia, Literature, 64, der programmatisch folgendermaßen formuliert: „Philo and the New Testament … share a common background“. Sinngemäß heißt es ebd., 73: „Philo and Paul had much in common because of their shared background of Judaism in a Greek world“. 51  Vgl. dazu Holtz, Literatur, 186–191 (mit weiterer Literatur). 52  Chadwick, Paul, 292. 53  Hurtado, Philo, 77. Dieses Modell vertritt neben Runia, Chadwick und Hurtado auch etwa Nickelsburg, Philo, 70: „some of the New Testament writers were immersed in the kind of Hellenistic Judaism represented by Philo and their texts are illuminated by the Philonic corpus, but contact specifically with him and his writings is not certainly demonstrable. Interpretation of these texts should balance Philonic par­ allels with those in other forms of contemporary Judaism, and in all cases, one should seek the unique contours of the Christian interpretation“. S. ferner Noack, Haben, 285: „Philo und Paulus teilten freilich einen … Hintergrund an gemeinsamen Traditionen und damit auch an konzeptionellen Ähnlichkeiten, die sich der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, besonders in der Form des hellenistischen Diasporajudentums, verdank-

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hätten „clearly … different bait and equipment“ benutzt, „from w ­ idely different points of the shore“ gefischt und auf „very different catches“ gezielt. 54 In der Frage der Erklärung von Gemeinsamkeiten zwischen Philo und Paulus dürfte mit keinem dieser drei Modelle bereits das letzte Wort gesprochen sein. Sie soll deshalb vor dem Hintergrund der hier vorgelegten Analysen noch einmal neu gestellt werden. Im Unterschied zu den Studien, die sie an ihrem klassischen Beispiel 1Kor 15,44–49 oder an den ebenfalls viel diskutierten Stellen aus 1Kor 1–4 erörtern, ist der Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung, wie gesehen, nicht eine Philo und Paulus gemeinsame Begrifflichkeit55, sondern ein gemeinsames Sachproblem56. Der Ansatz bei einer Sachfrage bietet sich auch deshalb an, weil verschiedene Studien zu Philo und Paulus gezeigt haben, dass eine gemeinsame Begrifflichkeit keineswegs das Vorhandensein vergleichbarer Vorstellungen verbürgt. 57 4.2.2 Der philonisch-paulinische Motivkomplex im Spiegel der religionsgeschichtlichen Erklärungsmodelle Wendet man die vorgestellten Modelle zur Erklärung von Ähnlichkeiten bei Philo und Paulus auf das Problem der historischen Vermittlung des skizzierten Kerns und seiner Entfaltung an, so wird schnell deutlich, dass das erste und das zweite Modell hier nicht in Frage kommen. Literarische Abhängigkeit ist so gut wie ausgeschlossen, da trotz der aufgezeigten Gemeinsamkeiten Kern und Entfaltung von beiden Autoren in einer weitgehend eigenständigen Sprache gefasst und in ganz unterschiedlichen Kontexten thematisiert werden. Auch das zweite Modell, das mit der mündlichen Überlieferung philonisch-alexandrinischen Gedankenguts in der Person des Apollos nach Korinth rechnet, scheidet zumindest in dieser Zuspitzung aus. Während im Rahmen dieses Erklärungsmodells davon ausgegangen wird, dass Paulus im 1Kor das den Korinthern durch Apollos übermittelte Gedankengut beten“. Noack, ebd., 283, verneint explizit „direkte(n) Abhängigkeits-, Abstammungsoder Herleitungsverhältnisse“ zwischen den philonischen und den paulinischen Texten. 54  Hurtado, Philo, 77, geht es mit dieser Feststellung konkret darum, die „distinctiveness und specificity“, ja den radikalen Unterschied zu betonen; vgl. auch ebd., 76f.: „… by any reasonable judgement of the evidence, in all the crucial specifics of their hopes Philo and Paul differ from each other radically, and there is no plausible way to derive either expression from the other“. 55  Vgl. die unten, Anm. 57, genannten Studien zu 1Kor 15,44–49. 56 S. ähnlich Noack, Haben, 285–287. 57  Dies ist von einer Reihe von Forschern an 1Kor 15,44–49 beobachtet worden; vgl. vor allem Runia, Literature, 69.71–73, Nickelsburg, Philo, 69, Hurtado, Philo, 77; s. ferner Schaller, Adam, 148–150. Zu χάρις vgl. Zeller, Charis, 197–199, und dazu Runia, Literature, 73f. S. auch oben Kap. 4.1.1. (3).

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kämpft 58, stimmen Paulus und Philo in der Frage der Selbsterhebung des Menschen über Gott in der Sache gegen die von Teilen der Gemeinde in Korinth vertretenen Positionen überein. Die Elite der Korinther hätte sich für den skizzierten Kern, den Paulus kritisch gegen sie wendet, folglich kaum auf die Autorität des Apollos und des alexandrinisch-philonischen Judentums berufen, um damit bei Paulus offene Türen einzurennen. Demgegenüber vermag das Modell des ‚common‘ oder ‚shared back­ ground‘ von Philo und Paulus im griechischsprachigen Judentum bzw. der ‚cultural codes‘ in der Tat zentrale Aspekte des aufgezeigten literarischen Befundes zu erklären. Es verweist auf den gemeinsamen kulturell-religiösen Hintergrund der beiden Autoren, aus dem sich die Ähnlichkeiten maßgeblich speisen. Dazu gehören der gemeinsame Bildungskanon, der Rhetorik und stoische Philosophie einerseits59 und die Schrift in Gestalt der Septuaginta und die Theologie des hellenistischen Judentums andererseits umfasst60, sowie die Kenntnis der großen Fragen der hellenistischen Welt, zu denen auch die ‚Kultur seiner selbst‘ zählt. Doch auch gegenüber diesem Modell lassen sich Einwände erheben. Erstens ist die These, wonach sich Philo auf der einen und Paulus bzw. das Neue Testament auf der anderen Seite gleichermaßen aus dem großen Traditionspool des griechischsprachigen Judentums bedienen, sehr pauschal und ignoriert damit die Vielfalt des geschichtlich Rekonstruierbaren etwa bei Philo und Paulus. So wissen wir, um es an zwei der von G.E. Sterling aufgegriffenen Beispiele zu verdeutlichen61, deutlich mehr über die Biographie des Paulus als über den Verfasser des Hebräerbriefes. Daraus ergeben sich markante Unterschiede hinsichtlich der Möglichkeit, die Wege der Vermittlung von Traditionen nachzuzeichnen. Zweitens müsste sich die These, wonach Philo und Paulus gleichermaßen aus dem griechischsprachigen Judentum schöpfen, an weiteren Texten aus 58  Vgl. die oben Anm. 48 als Vertreter der Apollos-These aufgeführten Autoren. So heißt es etwa bei Sterling, Place, 51, dass die mit Philo parallelen Traditionen „often appear in polemical contexts in the New Testament in which we only hear one side of the argument“ (Hvb. G.H.). Entsprechend stellt Sterling, ebd., 41, seine Deutung von 1Kor 15,44–49 und den ausgewählten philonischen Vergleichstexten unter die Überschrift „Ontology versus Eschatology“. 59 Vgl. Noack, Haben, 283–285. Zu Paulus vgl. etwa Forbes, Comparison, 22– 24, Hengel, Paulus, 183f.260–264, Hengel/Schwemer, Paulus, 264, Vegge, Paulus, 352–424.457–462, sowie die im Literaturverzeichnis aufgeführten Arbeiten von Engberg-Pedersen. Zu Philo vgl. etwa Borgen, Survey, 115–117.147–150, Runia, Philo, 35f.476–527, Barclay, Jews, 160f., und Nickelsburg, Philo, 57–63. Dabei ist unstrittig, dass Philo in beiden Bereichen, der Rhetorik wie der Philosophie, sehr viel umfassendere Kenntnisse besaß als Paulus. 60  Vgl. dazu etwa Borgen, Survey, 113–115, Runia, Literature, 73, Noack, Haben, 285, und Nickelsburg, Philo, 55–57. 61 Vgl. Sterling, Place, 41–45.

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dem doch recht umfangreichen Corpus griechisch-jüdischer Texte aus den Jahrhunderten um die Zeitenwende verifizieren lassen. Sonst hätte sie nur begrenzte Beweiskraft. Dies ist aber nicht der Fall.62 Drittens ist nicht einzusehen, weshalb für Paulus ausgeschlossen werden sollte, was F. Siegert für das Neue Testament63 und G.E. Sterling für andere Literaturen für möglich halten, nämlich historisch beschreibbare Philo-Rezeption. Wie Sterling in verschiedenen Studien gezeigt hat, ist der Gebrauch der Schriften Philos bereits in der ersten Hälfte des 1. Jh.s n.Chr. außerhalb Alexandriens nachweisbar. Er verweist dazu auf PsLonginus, der in dieser Zeit in Rom lebte 64; dort lässt sich in der 2. Hälfte des 1. Jh.s auch in den Werken des Josephus Philo-Rezeption wahrscheinlich machen65. Kenntnis des philonischen Schrifttums vermutet Sterling des Weiteren in der von ihm in Ägypten verorteten Apokalypse 2Enoch, die er auf das 1. Jh. n.Chr. datiert66. Für den palästinischen Raum kommt er für das 1. Jh. über wohlbegründete Vermutungen nicht hinaus67, für Syrien rechnet er mit Philo-Kenntnissen ab dem 2. Jh.68. Sollte sich tatsächlich bereits in der ersten Hälfte des 1. Jh.s Philo-Rezeption in Rom nachweisen lassen, kann nicht a priori ausgeschlossen werden, dass auch Autoren des Neuen Testaments Zugang zu seinem Denken hatten, die Gemeinsamkeiten mit Philo also nicht zwingend allgemein auf den ‚pool‘ des griechischsprachigen Judentums zurückzuführen sind.69 Für den hier erörterten Motivkomplex ist eine literarische Abhängigkeit des Apostels von Philo zwar ebenso auszuschließen wie eine den Korinthern über Apollos vermittelte Kenntnis der philonisch-alexandrinischen Tradition. Das heißt aber nicht, dass Paulus nicht auf anderem Weg Zugang zum Denken des alexandrinischen Gelehrten gehabt haben könnte. 62 

Dazu s. u. Kap. 4.3. Siegert, Philo, 175 (dazu s. u. Anm. 69). 64 Vgl. Sterling, Recluse, 612f., ders., Recherché, 25f., sowie ders., Place, 39. Vgl. aber Royse, Philo, 81. 65 Vgl. Sterling, Recluse, 613f., ders., Recherché, 27–29, sowie ders., Place, 35. Vgl. aber Royse, Philo, 86. 66 Vgl. Sterling, Recluse, 601f., ders., Recherché, 8–10, sowie ders., Place, 34. 67 Vgl. Sterling, Recluse, 604–606, sowie ders., Recherché, 11–15. 68 Vgl. Sterling, Recluse, 606–610, sowie ders., Recherché, 15–21. 69  Von diesem weitgehenden Forschungskonsens weicht Siegert, Philo, 175, ab, wenn er behauptet, dass in den „first two centuries CE“ die christlichen Quellen „are the only sources that tell us about the possible influence of his (sc. Philos) teachings on the Greek world“, und weiter: „All clues to Philo’s earliest influence on the Greekspeaking world are hidden in the literary corpus of what was to be called the New Testament“ (Hvb. G.H.). Die detaillierten Forschungen von Sterling, Recluse, und ders., Recherché, widerraten der von Siegert postulierten These einer exklusiven Philo-Rezeption durch neutestamentliche Autoren im 1. und 2. Jh. Davon abgesehen, ist, wie im Folgenden gezeigt wird (s. u. Kap. 4.4.2, Anm. 163), Siegert im Recht, wenn er auf den Einfluss Philos auf neutestamentliche Autoren hinweist. 63 Vgl.

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Vor diesem Hintergrund stellen sich zwei Fragen. Erstens müsste sich, um die These vom ‚common background‘ zu erhärten, der skizzierte Kern in der Literatur des griechischsprachigen Judentums über Philo und Paulus hinaus nachweisen lassen. Da sich, wie zu zeigen sein wird, diese Annahme nicht bestätigt, wird zweitens die Frage nach anderen historisch beschreibbaren Wegen, auf denen Paulus dem hier interessierenden Motivkomplex begegnet sein könnte, umso dringlicher.

4.3 Der Philo und Paulus gemeinsame Kern als Spezifikum im Kontext der frühjüdischen Literatur Obwohl sich einzelne Motive, die mit dem für Philo und Paulus aufgezeigten Kern verbunden sind, in der Literatur des antiken Judentums auch sonst nachweisen lassen, findet sich der umschriebene Kern ‚nicht aus Menschen‘ und also ‚nicht aus sich selbst, sondern aus Gott‘ als solcher im Kontext der Thematik der menschlichen Selbsterhebung, wie sie Philo im Zusammenhang des Begriffs der φιλαυτία und seiner Synonyme und Paulus in Verbindung mit καυχάομαι entfalten, sonst nicht. Dies ist im Folgenden aufzuzeigen.70 (1) Am nächsten kommen dem skizzierten Kern einige Aussagen in A ­ rist, ohne dass sie sich mit ihm jedoch deckten. An erster Stelle ist hier ­Arist 196 zu nennen. Hier antwortet ein jüdischer Weiser auf die an ihn gerichtete Frage des Königs, wie er sein Reich unversehrt halten und es seinen Nachkommen in einem guten Zustand übergeben könne, mit dem Rat, er solle Gott um gute Gedanken bitten und seine Kinder ermahnen, sich nicht durch Ansehen (τῇ δόξῃ) und Reichtum (τῷ πλούτῳ) blenden zu lassen71. Begrün70 

Geprüft wurden die von Sterling, School, 153, erwähnten Schriften, die diesem zufolge entweder von Philo rezipiert wurden (Aristobul, ­Arist, Ezechiel der Tragiker) oder einem mit Philo gemeinsamen Milieu angehören (PsPhoc, SapSal, aber auch THiob und JosAs) oder in die Nachgeschichte Philos gehören (die pseudophilonischen Schriften De Jona und De Samsone; Siegert, Predigten. II, 48, verortet sie im „1. vorchristlichen bis 2. christlichen Jahrhundert, mit Schwerpunkt in der Mitte dieser Zeit“ [tw. kurs.]; als wahrscheinlichsten Abfassungsort sieht er Alexandrien an [vgl. ebd., 49–51]; ähnlich Muradyan/Topchyan, Pseudo-Philo, 750). Zudem wurden die weiteren von Sterling, Recherché, 5–29, im Zusammenhang mit Philo erörterten vorpaulinischen bzw. mit Paulus grob kontemporären Schriften Cleodemus Malchus, Test XII, 2Hen, 3Bar, S­ ibOr 3, Eupolemos, Das Leben der Propheten, Justus von Tiberias, Ps-Longinus, 4Makk und die Hellenistischen Synagogalgebete ausgewertet. Die Schriften von Josephus wurden anhand der oben Kap. 2 von Bultmann aufgeführten Syn­onyme zu καυχάομαι κτλ überprüft; keine der Stellen ist im Kontext der vorliegenden Untersuchung relevant. Ausgewertet wurden schließlich PsPhilo, De Deo, Sir und CD 2,14–3,12. 71  So in Anlehnung an Calabi, Lettera, 127, die ἐκπλήττεσθαι mit „abbagliare“ wiedergibt; ähnlich OTP 2, 26: „dazzled by fame or riches“. LSJ, 517, nennen als Bedeutung für das Passiv zum einen „drive out of one’s senses by a sudden shock, amaze, astound“ bzw. „to be panic-struck, amazed“ (II.1), zum anderen „generally, of any sudden, overpowering passion, to be struck with desire“ (II.2 [jeweils tw. kurs.]). Meisner,

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det wird diese Mahnung mit dem Handeln Gottes: „Denn Gott sei es, der dies schenkt (χαριζόμενον), und sie hätten das Übermaß an allen (Dingen) nicht durch sich selbst (οὐ δι’ ἑαυτοὺς ἔχειν)“. Diese Aussage entspricht zwar dem skizzierten Kern und wird wie von Philo und Paulus den Werten der hellenistischen Mehrheitsgesellschaft entgegengestellt. Ihr Kontext ist aber nicht die Selbsterhebung des Menschen über Gott, sondern zwischenmenschliche Überheblichkeit, konkret die Arroganz der Herrscher ihren Untertanen gegenüber. Auch in ­Arist 18 ist die Selbsterhebung des Menschen über Gott nicht der Kontext einer Aussage, die sich ansonsten eng mit Philo berührt. Danach „führt (κατευθύνει)“ in dem, was Menschen aus Frömmigkeit an Gerechtigkeit und guten Werken „zu tun meinen, (in Wahrheit) der alles regierende Gott die Taten und Intentionen“.72 Die Alleinursächlichkeit Gottes ­ rist auch an anderen Stellen thematisiert, aber ebenfalls nicht im wird in A Kontext der anthropologisch zugespitzten Frage der menschlichen Selbsterhöhung, so dass auch die mit dem Kern verbundene Nichtigkeit des Menschen hier keine Rolle spielt. So wird in § 210 die Frömmigkeit (εὐσεβείας) als die Erkenntnis definiert, „dass Gott alles allezeit bewirkt (ἐνεργεῖ ) und erkennt (γινώσκει) …“, in § 205 wird Gott als „Ursache des Guten für alle“ (ὁ θεὸς πᾶσιν αἴτιος ἀγαθῶν ἐστιν) bestimmt. Beide Aussagen betonen den Subjektcharakter Gottes, doch liegt ihr Zweck wiederum in der Ethik.73 (2) Auch die mit Gott als Ursache verbundene Vorstellung Gottes als des Gebers aller Güter findet sich in der konsultierten frühjüdischen Literatur, ohne dass sie jedoch einem ‚aus sich selbst‘-Sein antithetisch gegenübergestellt würde. Mit Philo und Paulus teilen diese Vorstellung insbesondere SapSal und die pseudophilonischen Schriften De Jona und De Samsone sowie die hellenistischen Synagogalgebete.74 Nach SapSal ist Gott vor allem derjenige, der Schöpfungsgaben verleiht: Er gibt (ἐδόθη; 6,3) Herrschaft und Machtbesitz, Klugheit, den Geist der Weisheit (7,7), alles Können und Vermögen und alle Kenntnis (7,15–21). Die Auswahl ist vor allem dadurch bedingt, dass Salomo in diesen Kapiteln auf das reflektiert, was er als König von Gott empfangen hat. Demgegenüber denkt das siebte hellenistische Syn­ a­gogalgebet vor allem an das rettende Handeln Gottes in Vergangenheit und Gegenwart, aber auch an die Gabe des Lebens an den Menschen und seine Ausstattung mit den fünf Sinnen sowie mit Händen und Füßen (ApostCon 7,38.1–8). JSHRZ, 70, übersetzt mit „überheblich werden“. Dies scheint ausweislich der zitierten Grundbedeutung aber nicht gemeint zu sein. 72 S. ähnlich § 195 mit § 191f. 73  Weil Gott die Ursache des Guten für alle ist, soll ihm der Mensch darin „folgen“ (κατακολουθεῖν [§ 205]). Auch in § 210 ist von der Nachahmung Gottes durch den Menschen die Rede (μιμούμενος). 74 S. auch oben zu ­A rist 196.205.

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Auch De Jona verweist auf das Leben als Geschenk Gottes (§ 120.153) und denkt dabei offenbar an Gott als Geber der Früchte der Frömmigkeit (§ 216f.).75 In De Samsone werden, Philo und Paulus vergleichbar, die Gaben Gottes als Gnade interpretiert.76 Genannt werden die Simson vorgeburtlich verliehene unwiderrufbare Gnade (§ 3), der „Tropfen Gnade“, den ihm Gott trotz seiner Verfehlung wenigstens noch gibt (§ 4), die Schwangerschaft seiner Mutter (§ 5), der Geist der Stärke, den Simson empfängt (§ 24), und die übrigen Geister, die Gott anderen Gestalten der Geschichte Israels verleiht, Abraham den Geist der Gerechtigkeit, Joseph den der Beherrschung, Simeon und Levi den des Eifers, Juda den des gerechten Richtens. Diese Geister sind Tropfen „aus der Quelle, ja dem großen Meer der Gnade“ (§ 25). So betonen beide Predigten, dass Gott der Geber aller Gaben ist, in De Samsone werden sie als Gnadengaben gedeutet. Die rhetorische Funktion der Aussagen unterscheidet sich jedoch von den für Philo und Paulus erörterten Texten. Geht es bei letzteren um Gott als Geber im Unterschied zum Menschen als Empfänger, so zielt die Aussage in De Jona auf die Unterscheidung von Gott und Pseudogöttern77, in De Samsone auf die Klärung des Charakters der göttlichen Gnade. (3) Der Philo und Paulus gemeinsame Kern wird auch in denjenigen frühjüdischen Texten berührt, die die Selbsterhebung des Menschen als Angriff auf Gott bzw. die mit ihm verbundenen Größen deuten. Die griechischsprachigen Texte verbinden dies aber nicht mit dem Gegensatz von Gott und Selbst. An die Stelle des Selbst treten hier politische bzw. religiöse Führer, die sich gegen Gott und das, was auf seine Seite gehört, auflehnen. Besonders stark ist das Motiv in den Makkabäer-Büchern vertreten. Für 2Makk ist vor allem auf 7,34–36 zu verweisen, wo die Selbsterhebung von Antiochos IV. Epiphanes in seinem Kampf gegen das Gesetz und diejenigen, die es halten, thematisiert wird. Sich in törichter Weise selbst überhebend (μετεωρίζου), aufgeblasen (φρυαττόμενος) von vagen Hoffnungen, erhebt er seine Hand (ἐπαιρόμενος χεῖρα) gegen die himmlischen Kinder. Doch während diese in den Genuss des ewigen Lebens kommen, werden Antiochos im Gericht die gerechten Strafen für seine Überhebung (ὑπερηφανίας) ereilen. In 2Makk 9 wird dies narrativ umgesetzt.78 Besonders ausgeprägt ist das Motiv in 3Makk, wo Ptole75 

Vgl. dazu Siegert, Predigten. II, 215. ebd., 239, wo Siegert Gaben und Gnade in § 4 als synonym bestimmt. S. ferner SapSal 8,21. 77  Die Niniviten bringen ihren Dank nun „nicht mehr der Natur … für (ihre) Früchte und halten der wärmenden (Kraft der) Elemente keinen Gottesdienst mehr, sondern sie bekennen sich dazu, den Geber der Früchte für die Früchte zu ehren, und haben sich verpflichtet, statt dieser Welt (ihren) Baumeister anzubeten“ (§ 217). 78  Vgl. 9,4 (ὑπερηφάνως); 9,7.11 (ὑπερηφανίας); 9,8 (τὴν ὑπὲρ ἄνθρωπον ἀλαζονείαν); s. ferner 1,28 (ἐξυβρίζοντας ἐν ὑπερηφανίᾳ); 15,6 (μετὰ πάσης ἀλαζονείας ὑψαυχενῶν). Vgl. auch 1Makk 1,3.21; 2,47.49; 3,20; 4,32; 16,13 sowie 4Makk 4,15; 5,21; 9,30. 76  Vgl.

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maios IV. Philopater wiederholt als überheblicher Machthaber geschildert wird, der sich in seiner Hybris zunächst gegen den Jerusalemer Tempel als das Heiligtum Gottes wendet (1,8–2,24) und dann, nach Ägypten zurückgekehrt, die ägyptischen Juden umzubringen sucht (2,25–7,22), in beiden Fällen aber am machtvollen Eingreifen Gottes scheitert. Entsprechend wird Gott von dem greisen Eleazar im Kontext eines Gebets daran erinnert, dass er das Volk Israel und Einzelne daraus wiederholt aus der Hand überheblicher Herrscher gerettet hat. Mit Blick auf Pharao heißt es, er habe sich mit gesetzloser Kühnheit und prahlerischer Zunge überhoben (ἐπαρθέντα ἀνόμῳ θράσει καὶ γλώσσῃ μεγαλορρήμονι) und sei mit seinem stolzen Heer (σὺν τῇ ὑπερηφάνῳ στρατιᾷ) vernichtet worden, während Israel gerettet worden sei (6,4). Ähnlich erging es später dem mit großer Heeresmacht sich brüstenden (γαυρωθέντα) Sanherib (6,5).79 Vor diesem Hintergrund bittet Eleazar den alle Hybris hassenden Gott (μίσυβρι ; v9) um Erbarmen für die Juden, die „gemäß der unvernünftigen Hybris (καθ’ ὕβριν … ἀλόγιστον) der Gottlosen … aus dem Leben entfernt werden (sollen)“ (6,12).80 Das Argument ist hier wiederum geschichtlich-machtpolitischer und nicht wie in den erörterten philonischen und paulinischen Texten anthropologischer Art. Dies gilt entsprechend für das Vorwort Dan 5 LXX: „An jenem Tag lobte (ἐπῄνεσε) Baltasar, der vom Wein überheblich und prahlerisch wurde (ἀνυψούμενος … καὶ καυχώμενος), bei seinem Trinkgelage alle Götter der Völker, die aus Metall gegossenen und die geschnitzten, und dem höchsten Gott gab er kein Lob (οὐκ ἔδωκεν αἴνεσιν)“.81 Obwohl das für die Entfaltung des Kerns beobachtete Gegenüber von Selbsterhebung und dankbarem Lob Gottes hier in Gestalt der Nichtverehrung Gottes reflektiert ist, ist die Aus79  Ohne

namentlich genannt zu werden, werden Nebukadnezar (3Makk 6,6) und Darius (6,7), die sich nach Dan 3 und 6 ebenfalls gegen den Gott Daniels und seiner Gefährten auflehnen, indem sie diese zu vernichten suchen, in 3Makk nicht der Überheblichkeit geziehen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Beide Großkönige erkennen anders als Pharao und Sanherib angesichts der Rettung der jüdischen Frommen den Gott Israels schlussendlich an. Die in v8 thematisierte Gestalt Jonas fügt sich in die Auseinandersetzung mit einem überheblichen König nicht ein. 80  Übersetzung der Texte aus der LXX hier und im Folgenden in Anlehnung an Kraus/Karrer, Septuaginta Deutsch. – Mit Blick auf den König s. ferner 3Makk 1,25 (τὸν ἀγέρωχον αὐτοῦ νοῦν; das Adjektiv ist Pape, 1 13, zufolge im „tadelnden Sinne“ Äquivalent zu ἀλαζών und ὑβριστής); 1,27 (τὴν ἄνομον καὶ ὑπερήφανον πρᾶξιν); 2,2 (πεφρυαγμένου); 2,3 (ὕβρει καὶ ἀγερωχίᾳ); 3,11 (γεγαυρωμένος); 6,16 (παντὶ τῷ τῆς δυνάμεως φρυάγματι); mit Blick auf die Völker vgl. 5,13 (ἔθνεσιν ὑπερηφάνοις); als Vorwurf des Königs an Israel vgl. 3,19 (ὑψαυχενοῦντες). 81  Den aramäischen Text ergänzend, wird in Dan 5,2 LXX ähnlich καὶ ἀνυψώθη ἡ καρδία αὐτοῦ eingefügt. Dies bezieht sich hier auf einen Übergriff auf die goldenen und silbernen Gefäße aus dem Jerusalemer Tempel. Vorwort und Einfügung fehlen in θ. Es wird vermutet, dass dem LXX-Übersetzer „in Dan 4–6 … wohl ein vom masoretischen Text (Dan MT) verschiedener Text“ vorlag (Kraus/Karrer, Septuaginta Deutsch, 1423).

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sage Teil der jüdischen Götterpolemik, so dass es auch in Dan 5 LXX, sei es auch in Verbindung mit der Arroganz des Herrschers, um den Gegensatz von Gott und Göttern, nicht um den von Gott und Selbst geht. Im Kontext der Aufzählung der zukünftigen Sünden der levitischen Priester findet sich das Motiv der prahlerischen Selbsterhebung in TLevi 14,7f.: „Und ihr werdet euch aufblähen (φυσιωθήσεσθε) wegen des Priestertums und euch nicht nur gegen Menschen überheben (ἐπαιρόμενοι), sondern auch gegen die Gebote Gottes. Ihr werdet euch aufblähen (φυσιούμενοι) und euch über die heiligen (Dinge) lustig machen und in Verachtung spaßen (ἐν καταφρονήσει γελοιάζοντες)“.

Grund und primärer Bezugspunkt der Prahlerei ist hier anders als im Kontext des Philo und Paulus gemeinsamen Kerns wiederum nicht ein ‚aus sich selbst‘-Sein, sondern die den Priestern von Gott gewährte Auszeichnung mit dem Priestertum.82 Mit dem Geschichtsrückblick CD 2,14–3,12 ist hier auch ein Text aus dem hebräischsprachigen Judentum zu berücksichtigen. Er deutet, dem Philo und Paulus gemeinsamen Kern entsprechend, die Selbstorientierung des Menschen als Angriff auf Gott und seine Gebote. Auch wenn es sich bei diesem Text um einen Geschichtsrückblick handelt, so ist er doch zugleich ein an­ thro­pologischer Text, weil er mit Ausnahme von Abraham, Isaak und Jakob der gesamten Menschheit seit den Wächterengeln und ihren Söhnen bis hin zur Exilsgeneration83 Selbstherrlichkeit vorwirft.84 Er umschreibt dies auf zweierlei Weise, zum einen mit der Zurückweisung der Gebote Gottes und dem Nicht-Hören auf seine Stimme, zum anderen mit verschiedenen Wendungen, die die Selbstorientierung der einzelnen Menschengruppen kennzeichnen. Wie aus dem Folgenden ersichtlich wird, ist das Verhältnis der beiden Aussagereihen als Parallelismus zu bestimmen. So heißt es einleitend (2,15f.), die Adressaten sollen „auf allen seinen Wegen vollkommen … wandeln und nicht nach(zu)gehen den Gedanken des schuldigen Triebes und der 82  Der zitierte Text ist Hollander/de Jonge, Commentary, 129, zufolge Teil der starke christliche Bearbeitung aufweisenden Kapitel 14f., so dass die hier erwähnten Sünden „are clearly sins against Jesus Christ“ (vgl. bes. 14,2). Für die Parallelisierung von φυσιοῦσθαι und ἐπαίρεσθαι verweisen sie ebd., 170, jedoch auf zwei Stellen in primär an Juden gerichteten Schriften Philos, nämlich Spec 1, 293 (dazu s. o. Kap. 3.3.2.2) und Virt 171 (dazu s. o. Kap. 2.1.3). Zudem verdichtet sich Hollander/de Jonge, ebd., zufolge die Haltung der Nachfahren Levis in „the καὶ ὑπερηφανίας (‚and arrogance‘) of the testament’s title“: διαθηκη Λευι περι ιεροσυνης και υπερηφανιας. Dazu passt TLevi 14,7f. gut. So sprechen beide Argumente von Hollander/de Jonge gegen den christlichen Charakter der Stelle. Zur Frage nach dem jüdischen und christlichen Charakter von Test XII vgl. ebd., 82–85, sowie Kugel, Testaments, 1702f., der insbesondere den jüdischen Charakter von TLevi hervorhebt. 83 Vgl. Knibb, Community, 32. 84  In der Gegenwart des Autors setzt die Qumrangemeinschaft die abrahamitische Linie fort; vgl. CD 3,12–16.

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unzüchtigen Augen (‫“)במחשבות יצר אשמה וע)י(ני זנות‬. Im Blick ist hier der böse Trieb bzw., im Horizont der Zwei-Wege-Lehre formuliert, der Geist des Frevels.85 Diese Grundaussage wird im weiteren Verlauf der Rede vielfach variiert. So heißt es von den Wächterengeln, sie seien „in der Verstocktheit ihres Herzens (‫ “)בשרירות לבם‬gewandelt und hätten „die Gebote Gottes nicht gehalten“ (2,17f.). Von der Sintflutgeneration wird gesagt, sie habe „nach ihrem (eigenen) Willen getan (‫ )עשותם את רצונם‬und die Gebote ihres Schöpfers nicht gehalten“ (2,20f.). Entsprechendes gilt für die Nachkommenschaft ­Noahs (3,1), d. h. für die Nichtjuden. Wie angedeutet, werden die Patriarchen als die einzigen Ausnahmen der in dem Geschichtsrückblick nachgezeichneten Menschheitsgeschichte geschildert. Von Abraham heißt es, er habe „die Gebote Gottes gehalten und nicht den Willen seines (eigenen) Geistes gewählt (‫( “)ולא בחר ברצון רוחו‬3,2f.). Die Enkelgeneration Jakobs macht sich dagegen wiederum der Übertretung der Gebote schuldig, weil sie „in der Verstocktheit ihres Herzens wandelte“, sich „gegen die Gebote Gottes“ verschwor und „ein jeder das tat, was in seinen Augen recht (war; ‫“)לעשות איש הישר בעיניו‬, und Blut aß (3,5f.). Die Weigerung der Wüstengeneration, ins verheißene Land zu ziehen, wird als Befolgung „ihres (eigenen) Geistes (‫ “)רוחם‬gedeutet (3,7)86, was im Horizont der Wüstenwanderungserzählung mit dem Nicht-Hören auf die Stimme Gottes und auf die Gebote sowie dem Murren identifiziert wird.87 Der Rest der Geschichte Israels vom Bundesschluss am Sinai bis zum Exil ist die Fortsetzung des Vorangegangenen: Sie „verließen den Bund Gottes und wählten ihren (eigenen) Willen und sie strebten nach der Verstockheit ihres Herzens, so dass ein jeder (‫ )איש‬seinen (eigenen) Willen tat“.88 Auffällig ist, dass die durch den biblischen Text vorgegebenen Kollektive, die Enkelgeneration Jakobs und das sinaitische und post-sinaitische Israel, in Einzelne überführt werden. Es ist „jeder“ Einzelne, der die Selbstorientierung wählt und sich dem Willen Gottes widersetzt. Mit Blick auf den für Paulus und Philo identifizierten Kern ist für CD damit Folgendes festzuhalten: Wie bei diesen beiden Autoren hat auch die in CD gezeichnete Selbsterhebung des Menschen eine gesamtmenschheitliche 85  Zum Ganzen vgl. Knibb, Community, 29.106f. CD 2f. deutet den Sachverhalt aber anders als 1QS 3,13–4,26 nicht prädestinatianisch, sondern geht von der Verantwortung des Menschen für sein Handeln aus. 86  Der Text ist unvollständig. ‫ רוחם‬ist aber gesichert; vgl. Qimron, ‫מגילות‬, 1 8, zu Zeile 76. 87  Zum Nichthören vgl. Dtn 9,23b und Ps 106,25b, zum Murren v24a und Dtn 1,27 sowie zum Ganzen Knibb, Qumran, 31f. Die Vorstellung, dem eigenen Geist zu folgen, ist ebenfalls biblisch vorgeprägt; so heißt es in Ez 13,3 von den törichten Priestern: ‫אשר הלכים אחר רוחם‬. Der Gedanke hat hier aber kein vergleichbares Gewicht wie in CD, wo er zu einem Interpretament der gesamten Menschheitsgeschichte wird. 88  ‫ויסגרו לחרב בעזבם את ברית אל ויבחרו ברצונם ויתורו אחרי שרירות לבם לעשות איש את רצונו‬ (z10–12).

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Dimension, von der es nur einige wenige Ausnahmen gibt, darunter der in allen drei Textcorpora genannte Abraham. Gemeinsam ist ihnen ferner das Gegenüber von Selbstorientierung und Ausrichtung auf Gott, das sich in CD im Gegenüber von eigenem Geist und der Stimme bzw. den Geboten Gottes zeigt. Was hier im Vergleich zu Philo und Paulus fehlt, ist der Bezug zum Rühmen sowie die Vorstellung eines Seins ‚aus Gott‘. CD betont demgegenüber den Gedanken des Gehorsams. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass der Text das menschliche ‚aus sich selbst‘-Sein stark betont und darin dem eruierten Kern sehr viel näher kommt als die anderen vorgestellten frühjüdischen Texte. Mit diesen teilt er den Gedanken des Widerstands gegen Gott. (4) Die Selbsterhebung als Rühmen, Hochmut o.ä. hat in den frühjüdischen Texten eine anthropologische und eine ethische Seite. In beiden Bereichen kann es sich mit dem Niedrigkeitstopos verbinden, der, wie bereits für Philo und Paulus gesehen, eine theologisch-anthropologische89 sowie eine soziale90 Dimension haben kann. Was die anthropologische Interpretation des sich-Rühmens o.ä. betrifft, so findet sich die bei Philo begegnende alttestamentliche Metapher von Staub und Asche91 auch in anderen frühjüdischen Texten. Auch hier wird sie auf die Grundsituation des Menschen gedeutet, die eine Selbsterhebung als völlig verfehlt erscheinen lässt. In Sir 10,9 heißt es: „Wozu überhebt sich Erde und Staub (τί ὑπερηφανεύεται γῆ καὶ σποδός)? Denn (schon) zu Lebzeiten habe ich seine Innereien verworfen“. Der Verfasser denkt hierbei an Krankheiten und an die Sterblichkeit des Menschen (10,10f.)92, die Teil der Schöpfungswirklichkeit sind. Angesichts dieser anthropologischen Grundtatsache, die auch Philo betont93, verbietet sich Sir zufolge jeglicher Hochmut. In Sir 17,32 wird der Unterschied zwischen der Hoheit Gottes und der Nichtigkeit des Menschen durch eine direkte Gegenüberstellung deutlich gemacht: „Die Kraft (in) der Höhe des Himmels beaufsichtigt Er, und alle Menschen (sind) aus Staub und Asche (καὶ ἄνθρωποι πάντες γῆ καὶ σποδός)“. Auch in THiob 38,2 wird die Differenz zwischen Gott und Mensch mit Hilfe der zur Diskussion stehenden Metapher zum Ausdruck gebracht: „Wer nämlich sind wir, dass wir uns mit den himmlischen (Dingen) beschäftigen, da wir fleischlich (σάρκινοι) sind und unseren Teil in Staub und Asche (ἐν γῇ καὶ 11.

89 

Vgl. Her 24–30; Spec 1,293–295; Mut 154–156 und 1Kor 1,26–31; 4,7; 2Kor 12,9–

90  Vgl. bes. Det 32–34; Her 24–30; Spec 1,308–310 und 1Kor 1,26–28; 4,9–13; 2Kor 11,23–29.32f. 91  Vgl. Her 24–30 unter Rekurs auf Gen 18,27; s. ferner Kap. 3.5 mit Hiob 30,19; 42,6. 92  Ohne Verbindung zur Selbsterhebung des Menschen findet sich das Motiv der Niedrigkeit, verstanden im Sinne von Krankheit, Schmerzen und Sterblichkeit o.ä., in den konsultierten Texten bes. in Arist 197.208 und SapSal 9,5f. 93  Vgl. Cher 75 und dazu s. o. Kap. 3.3.1

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σποδῷ) haben?“94 Anthropologisch relevant ist schließlich auch TRub 3,5, wo das sich-Rühmen als Folge des fünften der sieben dem Menschen gegebenen Geister des Irrtums bezeichnet wird.95 Es ist der Geist des Hochmuts, der bewirkt, dass der Mensch sich rühmt und übermütig ist.96 So zeigen sich hier deutliche Bezüge zur anthropologischen Seite des Philo und Paulus gemeinsamen Kerns. Mit dem Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ selbst zeigen sich aber keine Berührungspunkte. Dies gilt entsprechend für die ethischen Zusammenhänge, in denen Hochmut und Prahlerei thematisiert werden. In frühjüdischen Texten wird immer wieder vor Hochmut gegenüber den Mitmenschen gewarnt: So wird in Arist der König von den Weisen aus Jerusalem mehrfach ermahnt, sich nicht über andere zu überheben und hochmütig zu werden.97 Entsprechend mahnt Simeon in TSim 7,1 seine Söhne, sich nicht „über die beiden Stämme“, nämlich Levi und Juda, zu überheben (μὴ ἐπαίρεσθε).98 In TLevi 17,11 werden die Hochmütigen (ὑπερήφανοι) ebenfalls in ethischer Absicht im Rahmen eines Lasterkatalogs neben Götzendienern, Ehebrechern, Habsüchtigen, Gesetzlosen, Ausschweifenden, Knabenschändern und Tierschändern genannt.99 In JosAs 1–21 zählt die Arroganz Aseneths zu den Hauptmotiven100 und ist u. a. sozial konnotiert: Aseneth war „prahlerisch und hochmütig gegenüber jedem Mann“.101 Joseph gegenüber zeigt sich dies darin, dass sie das Ansinnen ihres Vaters, diesen zu heiraten, unter Hinweis auf seinen niedrigen Sozialstatus ablehnt. Er ist „ein Fremder, ein Flüchtling und ein verkaufter (Sklave), der Sohn eines Hirten aus dem Land Kanaan“, der mit seiner Herrin in flagranti ertappt wurde, von seinem Herrn ins Gefängnis geworfen und dann von Pharao begnadigt wurde, weil er „wie die alten Frauen der Ägypter“ Träume deuten konnte (JosAs 4,9–11). Auch in THiob artiku 94  S. ferner THiob 38,5. – Der griechische Text des nicht in der LXX vertretenen Teils der in diesem Kapitel aufgenommenen Pseudepigraphen wird, sofern im Literaturverzeichnis nicht andere Textausgaben aufgeführt sind, nach Denis, Concordance, zitiert.  95  Zu den sieben Sinnen des Irrtums vgl. TRub 3,2–6.  96  πνεῦμα ὑπερηφανίας ἵνα καυχᾶται καὶ μεγαλοφρονῇ; vgl. ferner TJud 13,2f. (ebenfalls mit καυχᾶσθαι).  97  Vgl. Arist 191.211.262f.  98  Thema der Schrift ist ausweislich ihres Titels (διαθηκη Συμεων περι φθονου) der Neid; vgl. Hollander/de Jonge, Commentary, 109; vgl. ferner TJud 21,1 (μὴ ἐπαίρεσθε) und TRub 6,5 (ζητήσετε ὑψωθῆναι).  99  Vgl. ferner TJud 13,2; TIss 1,9; TJos 17,8; 4Makk 1,26; 2Tim 3,2; s. auch Röm 1,30. 100 Vgl. Burchard, Joseph und Aseneth, 203, Anm. 2a; vgl. 4,12; 6,2–8; 7,7f.; 11,6; 12,5; 13,13; 21,12.16.21. 101  ἀλαζὼν καὶ ὑπερήφανος πρὸς πάντα ἄνθρωπον (JosAs 2,1); s. ferner SapSal 5,8; 17,7 (Nutzlosigkeit der Überheblichkeit).

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liert sich die soziale Dimension von Hochmut (ὑπερηφανία) und Arroganz (ἀλαζονεία)102, die sich u. a. im Selbstruhm manifestieren. So bringt Hiob Opfer für seine Kinder dar und gibt den Armen davon, damit sie für sie beten, könnten seine Söhne doch vor Gott gesündigt haben, „indem sie sich rühmten und (voller) Verachtung sagten (καυχώμενοι λέγοντες μετὰ καταφρονήσεως), wir sind Söhne dieses reichen Mannes, uns nämlich gehören diese Güter. Weshalb also sollten wir dienen?“

Diese Haltung kommentiert der Verfasser mit dem Satz: „Daher ist der Hochmut (ὑπερηφανία) ein Gräuel (βδέλυγμα) vor Gott“.103 Hier wie dort wird Niedrigkeit positiv bewertet. Die soziale Dimension von Prahlerei und Hochmut und die Kritik dar­an verbinden diese Texte mit Philo und Paulus. Damit geht die positive Bewertung der Niedrigkeit einher, die sich hier wie dort in der Relativierung und Geringschätzung äußerer Güter zeigt, insbesondere der gesellschaftlich anerkannten Güter von Reichtum, Ansehen und Macht. In JosAs betrifft dies außer den in 4,9–11 genannten Größen Reichtum, Schönheit und Macht (21,16–21), in Arist 262f. Macht. Der philonisch-paulinische Kern wird gleichwohl in keinem dieser Texte berührt. Abschließend ist hier auf den von G.E. Sterling im Zusammenhang mit Philo ins Gespräch gebrachten nichtjüdischen Autor PsLonginus einzugehen, dem er Philo-Kenntnisse attestiert. Bei dem Autor, der Mitte des 1. Jh.s in Rom gelebt hat104, zeigt sich ähnlich wie in den aufgeführten frühjüdischen Texten ebenfalls eine kritische Sicht auf Reichtum, Ehre, Ruhm und Gewaltherrschaft (πλοῦτοι, τιμαί , δόξαι, τυραννίδες) „und was sonst noch alles aufzieht mit äußerlichem Prunk“. Für PsLonginus ist „schon ihre Geringschätzung … ein nicht geringes Gut“. Mit Blick auf Philo und Paulus fällt hier zudem die Problematisierung des Besitzes, des Habens solcher Güter auf: „Jedenfalls bewundert man mehr als die Besitzer (τῶν ἐχόντων αὐτά) jene Menschen, die sie besitzen können (τοὺς δυναμένους ἔχειν) und (sie) aus Seelengröße verschmähen“ (7,1). Die Art und Weise, in der PsLonginus das Haben problematisiert, berührt sich aber enger mit stoischen und kynischen Texten als mit Philo und Paulus. Zudem teilt er mit ihnen die Theologisierung des Problems nicht. 102 Vgl. Spittler, Testament, 845, Anm. e, wo diese beiden Laster (vgl. 15,8; 21,3) neben der Verachtung (ὀλιγωρία [14,5; 20,1]) zu den „leading vices“ von THiob gezählt werden. 103  THiob 15,5–8; vgl. auch THiob 41,3f., wo Elihu Hiob vorwirft, sich zu rühmen (καυχωμένου), ein Gerechter zu sein, und großsprecherisch (μεγάλως καὶ ὑπερβαλλόντως) für sich einen Thron im Himmel zu reklamieren. Diese Rede Elihus gegen Hiob bezeichnet der Verfasser als „arrogante Rede“ (μεγαλορημοσύνης[sic]). 104  Zu PsLonginus s. auch oben Kap. 4.2.2.

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Damit ist festzuhalten: Der Paulus und Philo gemeinsame Kern mitsamt den ihn entfaltenden Motiven weist verschiedene Berührungspunkte mit der Motivik der zum Vergleich herangezogenen Schriften auf. Für den philonisch-paulinischen Motivkomplex als ganzen lässt sich aber keine Entsprechung nachweisen. Am nächsten kommt ihm eindeutig die zitierte Aussage in Arist, einer im 2. Jh. v.Chr. entstandenen Schrift105. Sie ist aber noch weit von der Gestalt entfernt, die die entsprechenden Aussagen bei Philo gewinnen. In anderer Weise gilt Entsprechendes auch für den Geschichtsrückblick in CD 2f. Angesichts des Befundes in Arist kann vermutet werden, dass der Entstehungsort der Gegenüberstellung ‚nicht aus sich selbst, sondern aus Gott‘ in Alexandrien zu suchen ist. Dabei bleibt freilich festzuhalten, dass die für den Vergleich mit Philos Gestalt von Kern und Entfaltung relevanten Motive in Arist in den anderen konsultierten Texten aus Alexandrien nicht vertreten sind. Sie wurden offenbar nur innerhalb philosophisch interessierter Kreise des alexandrinischen Judentums, deren Denken im Werk Philos kulminiert, rezipiert. Für die Frage nach der Verbreitung von Kern und Entfaltung im weiteren Kontext des hellenistischen Judentums ist neben den nichtphilonischen jüdischen Texten aus hellenistischer Zeit auch das von Philo rezipierte Traditionsgut zu berücksichtigen.106 Dabei fällt freilich auf, dass sich keiner der erörterten philonischen Texte in Zusammenhängen findet, in denen Philo die Meinung anderer Ausleger referiert107 oder er jüdisch-alexandrinisches Quellenmaterial verarbeitet108. Die These einer Verarbeitung jüdisch-alexandrinischen Quellenmaterials durch Philo wurde von W. Bousset begründet. Die von ihm identifizierte sogenannte „exegetische ‚Quelle‘“ ist noch in der späteren Forschung posi105 Vgl. Scott, Letter, 9, der den Brief auf ca. 170 v.Chr. datiert, Meisner, Aristeas-

brief, 43, der ihn auf 127 bis 118 v. Chr. datiert, und Gruen, Letter, 2711, der „a date around 200 BCE or a half century or so later“ nennt. 106  Wie bereits in einer Reihe von älteren Arbeiten wie Bousset, Schulbetrieb, 2, Bréhier, Les idées, 45–61, Goodenough, Introduction, 27, und Shroyer, Literalists, 261–284, wird Philo heute wieder verstärkt als Teil der jüdisch-alexandrinischen exegetischen Tradition verstanden; vgl. vor allem Hay, Allegorists, ders., Exegetes, Mack, Traditions, ders., Philo Judaeus, 241–249, Tobin, Creation, sowie Sterling, School, 152–154. 107  Dies hat eine Auswertung der in Anm. 106 aufgeführten neueren Literatur sowie der von Tobin, Creation, 5, Anm. 15–17, und ebd., 190–195, im Index aufgeführten Stellen ergeben. Auch die beiden ebd., 8, genannten Kriterien für die Ermittlung nichtphilonischen Materials im corpus philonicum – zum einen die von Philo explizit als fremde Interpretationen eingeführten Deutungen, zum anderen Interpretationen, die „clash with a position that spans the Philonic corpus and is therefore Philo’s own position“ – treffen auf das dieser Untersuchung zugrunde gelegte Material nicht zu. 108  Vgl. dazu den Forschungsüberblick von Hamerton-Kelly, Sources, 5–10.17– 19, Hay, Allegorists, bes. 42f., sowie Mack, Philo Judaeus, 244–247.

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tiv beurteilt worden.109 Gegen die in dieser Quelle vertretene Grundposition wende sich Philo in seinen eigenen Darlegungen, zu denen Bousset auch Aussagen zählt, die den hier identifizierten Kern ausdeuten. So bezeichnet er es als den „religiöse(n) Lieblingssatz“ Philos, „daß der Mensch von sich aus mit seinem Nus nichts recht verstehen, mit seiner Sinnlichkeit nichts richtig auffassen und wahrnehmen könne. Das ist die religiöse Ursünde, diese menschliche Vermessenheit, die da glaubt, daß Nus und Sinnlichkeit das Maß der Dinge seien“.110

Und „nichts“, so Bousset weiter, sei Philo „verhaßter … als der Satz von der Autarkie der menschlichen Vernunft, d. h. doch eben der Fundamentalsatz der griechischen Philosophie“.111 Ob Philo nun die ihm missliebigen Traditionen einer ‚exegetischen Quelle‘ entnommen hat oder es sich dabei, wofür hier plädiert wird, um seine Wiedergabe von Positionen der hellenistischen Umwelt handelt, deutlich ist, dass seine eigene Position in der hier zur Debatte stehenden Frage durch die von ihm zurückgewiesene Tradition wenn nicht hervorgerufen, so doch mitbeeinflusst und geschärft worden ist.112 Dies ändert freilich nichts an der Tatsache, dass die philonische Gestalt des Kerns ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ als ein ihm eigentümlicher Gedanke anzusprechen ist, der sich sonst nicht findet. Mit Blick auf die oben gestellte Frage nach der Möglichkeit, einen ‚common background‘ für den für Philo und Paulus skizzierten Kern in der grie109  Von den von Hamerton-Kelly wie Mack positiv beurteilten Quellenhypothesen der früheren Forschung ist neben Boussets „exegetische(r) ‚Quelle‘“ (Schulbetrieb, 43–83, Zitat: 43) vor allem die etymologische Quelle von Stein, Exegese, von Bedeutung. – Der These einer durch den derzeitigen wissenschaftlichen ‚mainstream‘ vertretenen „Jewish allegorizing tradition“ gegenüber zeigt sich allerdings Matusova, Interpretation, 11–13, Zitat: 12, skeptisch. 110  Bousset, Schulbetrieb, 80f. 111 Ebd., 83. Vgl. auch Warnach, Selbstliebe, 204, für den sich der „ganze Abstand vom griechischen Denken“ bei Philo darin zeigt, dass dieses die „Forderung nach unbedingter Autonomie der Vernunft“ nicht preisgibt, während die menschliche Vernunft Philo zufolge „ausschließlicher Besitz Gottes und alle unsere Gedanken und geistigen Regungen jedesmal unverdiente Geschenke seiner Güte sind“; dazu s. auch unten Kap. 6 und 7. 112  Für die hier vorgetragene Argumentation ist es sekundär, ob es sich bei dem von Bousset der ‚exegetischen Quelle‘ zugewiesenen Stoffen tatsächlich um Quellenmaterial handelt. Es reicht, sie der Sache nach als außerphilonische Traditionen erweisen zu können, was, wie unten zu zeigen ist, möglich ist (dazu s. bes. unten Kap. 7). Trotz ihrer positiven Beurteilung durch die genannten Forscher bleiben Zweifel an Boussets ‚exegetischer Quelle‘, weist er doch selbst darauf hin, dass sich in der angenommenen Quelle ebenso wie in philonischen Abschnitten „derselbe weitschweifige, in ermüdenden Wiederholungen sich ergehende Stil, dieselbe Häufung von synonymen Ausdrücken, dasselbe Pathos in der Darstellung hüben und drüben“ zeigen (Schulbetrieb, 83). Damit formuliert er selbst einen wesentlichen Einwand gegen seine Quellenhypothese.

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chischsprachigen Literatur des antiken Judentums (sowie in CD) zu verifizieren, ist der Befund demnach negativ. Damit erscheint die Wahrscheinlichkeit, dass Paulus den mit Philo gemeinsamen Motivkomplex aus dem großen ‚pool‘ des griechischsprachigen Judentums ‚rezipiert hat‘, geringer, als dass er einen wie auch immer gearteten Zugang zu philonischem Gedankengut hatte. Doch selbst wenn der Kern in der verloren gegangenen Literatur des hellenistischen Judentums auch sonst vorgekommen sein sollte, bleibt davon unberührt, dass er bei Philo zu den zentralen Themen gehört, die, über sein Werk verstreut, regelmäßig wiederkehren.113 Darum dürfte er zu denjenigen Stoffen zählen, die potentiell wahrgenommen und dann möglicherweise auch rezipiert wurden. Damit ist die Frage aufgeworfen, auf welchem Weg Paulus dem hier zur Debatte stehenden Vorstellungskomplex begegnet sein könnte. Wie im Folgenden zu zeigen ist, ist ein plausibler Ort, an dem er mit philonischem Gedankengut in Berührung gekommen sein könnte, Jerusalem. Das Erklärungsmodell, mit dem im Folgenden operiert wird, ist eine Variante des oben vorgestellten zweiten Modells.

4.4 Von Alexandrien nach Jerusalem. Überlegungen zur Vermittlung des Philo und Paulus gemeinsamen Kerns Ziel dieses Kapitels ist es, Vermittlungswege zwischen Philo und Paulus zu plausibilisieren, die an der particula veri der genealogisch argumentierenden religionsgeschichtlichen Erklärungsmodelle festhalten, und das heißt: mit spezifischen, historisch beschreibbaren Überlieferungswegen rechnen. Diese Vermittlungsprozesse sind jedoch, wie im Folgenden gezeigt werden soll, komplexer, als es die Modelle suggerieren, die mit literarischer Abhängigkeit oder mündlicher Überlieferung durch Apollos rechnen. 4.4.1 Zur Verbreitung philonischen Denkens in Alexandrien und Jerusalem Die folgende Rekonstruktion nimmt ihren Ausgangspunkt in Alexandrien. In Mos 2,216 bestimmt Philo die in „allen Städten“ verbreiteten jüdischen „Gebetshäuser“ (κατὰ πόλεις προσευκτήρια) als „Schulen (διδασκαλεῖα) der Einsicht, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit (wie auch) der Frömmigkeit, Heiligkeit und jeder (anderen) Tugend, mit deren Hilfe die Pflichten gegen Mensch und Gott114 bedacht und gut verrichtet werden“. 113 

Dazu s. u. Kap. 4.4.1. „die menschlichen und göttlichen (Dinge)“. Die obige Wiedergabe orientiert sich an der Ausgabe PLCL, 6 557, die ausweislich der nachfolgenden Verba 114 Wörtlich:

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Hinter dieser hellenistisch gefärbten Bestimmung der Gebetshäuser als Schulen der Tugend115 sind Synagogen zu erkennen, in denen an den Sabbaten zwei Formen der Unterweisung stattfanden, die gottesdienstliche Verlesung des Gesetzes116 und die Lehre117. Dabei unterscheidet Philo zwei Zielsetzungen der Lehre, die intellektuelle Reflexion des Gesetzes und das Tun der Gebote. Wenn er diese Gebetshäuser in „allen Städten“ verbreitet sieht, dann hat dies ausweislich neuerer Untersuchungen Anhalt an der historischen Realität des Judentums in der antiken Welt.118 Wie genau man sich das Verhältnis von Synagoge und Schule für Philo selbst vorzustellen hat, ist strittig.119 Ein weitgehender Konsens besteht allerdings darüber, dass Philo einer Schule vorgestanden hat.120 Seine fortgeschrittenen Studenten waren G.E. Sterling zufolge „presumably Jewish intellectuals who were active in the cities (sic) numerous ‚houses of prayer‘“.121 Philo habe sie in allegorischen Kommentaren unterrichtet, deren implizite Leser über ein hohes Bildungsniveau verfügt haben müssen, da die Kommentare überdurchschnittliche Kenntnisse des biblischen Textes sowie die Fähigkeit, ausgedehnten philosophischen Auslegungen zu folgen, voraussetzen.122 Die allegorischen Kommentare enthalten aber auch homiletisches Material, dessen Einbeziehung Sterling u. a. mit den Aktivitäten der Philo-Schüler in den ‚Gebetshäusern‘ der Stadt begründet.123 Die im Voranstehenden her­ angezogenen Schriften Philos entstammen zwar mehrheitlich den für die inden Sinn richtig trifft. Bestätigt wird diese Deutung durch Spec 2,63, wo als die beiden jüdischen Grundlehren die Pflichten gegen Gott (τό … πρὸς θεόν), nämlich Frömmigkeit und Heiligkeit, sowie die Pflichten gegenüber den Menschen (τὸ πρὸς ἀνθρώπους) genannt werden, nämlich Menschenfreundlichkeit und Gerechtigkeit. 115 Vgl. Sterling, School, 155, der die Benennung der Tugenden als die ersten Lehrinhalte der Gebetshäuser als Teil des „Hellenistic garb“ bestimmt, den Philo „for apologetic purposes“ wähle, um so den Vorwurf der Untätigkeit der Juden am Sabbat zu entkräften; vgl. dazu bes. Spec 2,62. 116  Vgl. Apol 7,12. 117  Vgl. neben Mos 2,216 ferner Spec 2,62f.; Legat 156 sowie Somn 2,127, hier jedoch in der Sprache der Gegner. Der feindlichen Gesinnung des Redners (vgl. § 123) wird von Catto, Synagogue, 19.22, nicht genügend Rechnung getragen. 118 Vgl. Levine, Synagogue, 135–142.144f., und Runesson, Synagogue, 54; s. auch unten zur Theodotos-Inschrift. 119  Dass es im antiken Judentum Synagogen gab, die zugleich Schulen waren, ist freilich unstrittig; vgl. Sterling, School, 155, sowie die ebd., Anm. 37, aufgeführte Literatur. 120  Vgl. ebd., 163; s. ähnlich die ebd., 149, genannten Autoren. 121 Ebd., 163. 122  Vgl. ebd., 159. Sterling formuliert damit einen weitgehenden Konsens; vgl. dazu den Forschungsüberblick von Böhm, Rezeption, 112–114. Böhm, ebd., 345, zufolge stellt der Allegorische Kommentar „hohe, von langjährigen Experten betriebene Theologie dar“; ebd., 320, spricht sie für diese Schriftenserie von einem „überaus pentateuchgeschulten Adressatenkreis“. 123  Vgl. ebd., 163.

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tellektuelle Elite der alexandrinisch-jüdischen Gemeinschaft bestimmten allegorischen Kommentaren. Mit Spec 1 findet sich das Thema der φιλαυτία aber auch in der für ein breiteres Publikum bestimmten Exposition, die ein „concern with education and preaching“ zeigt.124 Entsprechendes gilt auch für die Quaestiones, die vermutlich als Kommentare für Studenten im Anfangsstadium gedacht waren.125 In QG 1,60f. zu Kain und Abel begegnen ebenfalls einige der Motive, die in den vorgestellten Philo-Texten ausgeführt werden.126 Die Überlegungen zur Adressatenschaft der Schriften Philos deuten dar­ auf hin, dass sein Gedankengut durch ihn selbst, aber auch durch seine Schüler und Hörer in der jüdischen Gemeinschaft Alexandriens und vielleicht auch in anderen Städten, nicht zuletzt Jerusalem, verbreitet worden sein 124  Schürer/Vermes/Millar, History, 3/2 818. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Details der Adressatenfrage der Expositio Legis ist noch kein Konsens erzielt; vgl. den kurzen Forschungsüberblick bei Böhm, Rezeption, 111f. Böhm, ebd., 185, zieht als Adressatenkreis von SpecLeg Heiden, genauer Gottesfürchtige, in Betracht, „die auf eine potentielle volle Übernahme des Judentums vorbereitet werden sollten“. In der Zusammenfassung sieht sie ebd., 415, den Adressatenkreis der Expositio Legis als ganzer allgemeiner in „für am Judentum interessierte(n) Heiden aus einem gebildeten, griechisch geprägten Oberschichtsmilieu“. Mit der neueren Forschung schließt sie völlig zu Recht allerdings nicht „vollständig“ aus, dass auch jüdische Adressaten „mitintendiert“ waren (ebd., 187), die sie am „‚Rand‘ der jüdischen Gemeinde“ vermutet (ebd., 189). Geht man mit Böhm davon aus, dass Philo für SpecLeg nicht nur Leser, sondern auch „Hörer“ hatte (ebd., 188), dann stellt sich die Frage nach dem Ort seiner Vorträge. Dabei ist mit großer Wahrscheinlichkeit von Einrichtungen im Raum der jüdischen Gemeinde Alexandriens auszugehen. In erster Linie ist dabei an die Sabbatgottesdienste zu denken, die bekanntermaßen auch von Gottesfürchtigen aufgesucht wurden. Dann aber ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Philo in SpecLeg (zumindest) in gleicher Weise auch an jüdische Adressaten wendet, stärker zu gewichten. 125 Vgl. Sterling, School, 161. Hinsichtlich des gegenüber dem Allegorischen Kommentar weniger anspruchsvollen Charakters der Quaestiones besteht ein Konsens; vgl. die Bemerkungen zur Forschung von Böhm, Rezeption, 112–114. Wenig wahrscheinlich erscheint die Bestimmung ihres Auditoriums durch Schürer/Vermes/Millar, History, 3/2 830: „these treatises reflected Alexandrian Sabbath lections“. In dem überkommenen Zustand scheint dies angesichts der großen Kürze und Dichte der Auslegung wenig wahrscheinlich. Die Quaestiones können allenfalls Zusammenfassungen solcher Lektionen darstellen; vgl. dazu auch Böhm, aaO., 339–342. 126  Kain wird hier als „the lover of self“ (φίλαυτος) im Gegenüber zu Abel als „the lover of God“ bezeichnet; denn Kain „took for himself the fruit of the firstfruits and impiously thought God worthy (only) of the second fruits …“ (§ 60). Die Selbsterhebung Kains über Gott ist hier in der Unterscheidung von ersten und zweiten Früchten impliziert: Kain setzt sich an die erste Stelle, Gott an die zweite. In § 61 werden die beiden Charaktere ethisch interpretiert als „good and evil“. Abel wird als „lover of goodness and virtue“ näherbestimmt, der Schlechte dagegen mit „arrogance and flattery“ identifiziert. Marcus, Philo, 38, Anm. g, nennt als mögliche griechische Äquivalente zu „arrogance“ die Begriffe „ἀλαζονείας, τύφους, ὑπερηφανίας vel sim.“. Die Arroganz ist hier ethisch verstanden.

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könnte. Dabei dürfte vor allem die von ihm unterrichtete intellektuelle Elite eine wichtige Rolle gespielt haben. Für Philo selbst lässt sich eine Reihe direkter und indirekter Bezüge zu Jerusalem feststellen. Er entstammt einer stark mit dem Jerusalemer Tempel verbundenen Familie. Sein Bruder Alexander hat Josephus zufolge neun Tempeltore mit „besonders wertvollem Schmuck“, nämlich mit „ziemlich d ­ icke(n) Silber- und Goldbeläge(n)“, versehen lassen.127 Philo selbst hat die den Opferkult betreffenden Gebote der Tora in extenso ausgelegt128 und sich mit der Bedeutung von Tempel und Tempelwallfahrt befasst129. Für ihn war die Deutung des Kultes aber nicht nur von theoretischem Interesse. So hat er den Vollzug des Tempelkultes verteidigt und seine Preisgabe im Zuge einer allegorischen Deutung der Tora als eine „reductio ad absurdum“ beurteilt (Migr 91f.).130 Auch hat er der Auseinandersetzung um die Aufstellung eines Standbildes von Gaius Caligula im Jerusalemer Tempel große Teile einer Schrift gewidmet.131 So nimmt es kaum Wunder, dass Philo auch selbst auf Wallfahrt nach Jerusalem ging.132 In Spec 1,70 spricht er davon, dass 127 

Vgl. Josephus, Bell 5,205. Schwartz, Philo, 12–14, vermutet, dass wohl nicht nur Alexander und seine engere Familie mit Nachfahren von Herodes dem Großen Kontakt pflegten, sondern auch Philo selbst. 128  Vgl. Spec 1,168–193 (Opfer) und Spec 2,39–223 (Feste am Tempel) und dazu Holtz, Gott, 425–451. 129  Vgl. Spec 1,66–70 und dazu Holtz, Gott, 411–416. 130  Schwartz, Philo, 28 (kurs.). 131 Legat 184–338, bes. § 186–194. In § 189 schildert Philo seinen persönlichen Schmerz angesichts der Bedrohung des Tempels durch die von Gaius befohlene Aufstellung einer Statue von ihm in Gestalt des Juppiter: „Diese Nachricht traf uns überraschend, wir waren vor Schreck starr und konnten uns nicht rühren. Sprachlos standen wir da, ohnmächtig, dem Zusammenbruch nahe. Die Spannkraft der Nerven verließ uns“ (zit. nach PCHAT, 7 223f.). Schwartz, Philo, 24–27.28f., hebt demgegenüber zugleich hervor, dass für Philo Gott nicht an den Tempel in Jerusalem gebunden sei, er ihn vielmehr als „transcendent, universally available“ (ebd., 25) verstehe und sich dadurch für ihn die Bedeutung Judäas relativiere. So habe er in Spec 1,66 von zwei Tempeln gesprochen, dem Tempel des Universums und dem mit Händen gemachten Tempel in Jerusalem, in Somn 2,248 von der Welt sowie der Seele als Tempel. So ist Philo Schwartz, ebd., 30, zufolge ein typischer Vertreter des Diasporajudentums, der Caesar und Gott das ihnen je Zukommende gebe, was bei jemandem, „for whom Plato was ‚the greatest of all‘ and ‚the most holy‘“ (Prob 13), auch nicht anders sein könne. Die im Kontext dieses Kapitels entscheidende Seite Philos ist aber die zweite von Schwartz, ebd., herausgestellte Seite Philos als eines Juden, „who was so bound up with his people that when he was called upon to leave his ivory tower and serve them, he steadfastly defended his flesh and blood. He, in his own way, in Alexandria and Rome, just as the Zealots and the Sicarii in theirs, in Judea, proclaimed his allegiance to Judea, and to its capital – Jerusalem“. S. ferner Borgen, Exegete, 19–21, sowie Pearce, Jerusalem (mit weiterer Literatur). 132  Vgl. Prov 2,64. Wie PLCL, 9 501, Anm. b, und im Anschluss daran Schürer/ Vermes/Millar, History, 3/2 818, Anm. 25, hervorheben, ist es nicht ausgeschlossen, dass Philo den Tempel mehrmals besuchte.

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auf den Wallfahrten Freundschaften (φιλίαν) mit zuvor unbekannten Personen geschlossen würden. Mag die Aussage auch stilisiert sein133, so impliziert sie doch, dass die Wallfahrten zugleich zum – wohl auch intellektuellen – Austausch genutzt wurden. Und warum sollte der berühmte Gelehrte aus Alexandrien während seines Jerusalem-Aufenthaltes nicht auch in der ­Synagoge der Alexandriner aufgetreten sein und dort, wie Paulus in den Synagogen der Diaspora, gesprochen haben? Dies gilt entsprechend für Philos alexandrinischen Schülerkreis, der, dem Beispiel seines Lehrers folgend, ebenfalls zum Tempel gepilgert sein dürfte. Philo scheint freilich nur ein besonders bekanntes Beispiel für die guten Beziehungen zwischen der jüdischen Gemeinde in Alexandrien und Jerusalem zu sein.134 Ihre Intensität zeigt sich u. a. daran, dass mehrere hohepriesterliche Familien aus Alexandrien stammten135, die alexandrinischen Juden Agrippa I. im Jahr 38 n.Chr. offenbar einen stürmischen Empfang bereiteten136 und das auch von Philo geteilte Selbstverständnis der ägyptischen, einschließlich der alexandrinischen, Juden das von Judäern war137. 4.4.2 Jerusalem als potentieller Ort der Vermittlung alexandrinisch-philonischer Tradition an Paulus Paulus hat sich vor seinem Damaskuserlebnis länger in Jerusalem aufgehalten und hier wohl auch zumindest einen Teil seiner Ausbildung absolviert.138 Apg 22,3 stellt zwar sein Studium der pharisäischen Lehre in den Vordergrund139, doch zeigen seine Briefe zugleich eine profunde Kenntnis der Theologie des hellenistischen Judentums, darunter des hier zur Debatte stehenden Motivkomplexes. Als Ort der Vermittlung lassen sich die griechischsprachi133 Vgl.

Holtz, Gott, 415f. Sterling, Judaism, 278, spricht von „apparently relatively good relations be­ tween the two communities“; s. ferner, Safrai, Wallfahrt, 74–81. 135  Vgl. dazu Stern, Reign, 274. Hengel, Paulus, 262f., vermutet, dass „die Familie des von Herodes aus Alexandrien nach Jerusalem berufenen Hohenpriesters Simon, Sohn des Boethos“, in der Stadt „die griechische Bildung gepflegt haben“ wird. – Mit Nikanor wird in mJom 3,10; tKipp 2,4 ein weiterer Alexandriner erwähnt, der ähnlich wie Philos Bruder Alexander zu den Großsponsoren des Jerusalemer Tempels zählte. Nikanor ist für seine Stiftung des sog. Nikanortors bekannt; vgl. dazu u. a. Safrai, Relations, 203, und Levine, Synagogue, 53, Anm. 45. 136 Vgl. Schwartz, Philo, 21f. 137  Vgl. ebd., 22f.: „this is the point of view Philo bespeaks by terming them ‚colonists‘ from the Judean homeland, of which the capital was the ‚metropolis‘ of all Jews“ (so unter Hinweis auf Flacc 46; Legat 281f.). 138  Wie lange dieser Zeitraum war, ist strittig. Vgl. dazu bes. van Unnik, Tarsus, 259–320, Hengel, Paulus, 212–239, und Vegge, Paulus, 425–456. 139 Vgl. dazu etwa Hengel, Paulus, 220–232, Haacker, Werdegang, 850– 852.854–877, Frey, Judentum, 11–24, Stemberger, Paul, Stegemann, Apostel, sowie Holtz, Götzendienstvorstellung, 389–401. 134 

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gen Synagogen in Jerusalem plausibel machen. Dazu ist zunächst ein Blick auf die Jerusalemer Synagogenlandschaft in der ersten Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. zu werfen. In Apg 6,9 werden die Synagogen der Libertiner, d. h. Freigelassener aus Rom, die Synagogen der Kyrenäer, Alexandriner, Kilikier, zu denen Paulus gehörte, sowie der Juden aus der römischen Provinz Asia erwähnt.140 Mitglieder dieser Synagogen sollen mit Stephanus diskutiert haben. Kontakte zwischen den griechischsprachigen Synagogen Jerusalems sind damit im Sinne des Lukas vorausgesetzt. Sie sind auch historisch plausibel, da die Gruppe der griechischsprachigen Einwohner Jerusalems ca. 10–15 % der Gesamtbevölkerung (maximal 100 000 Personen) umfasst haben soll141 und damit als relativ überschaubar gelten kann. Als Kilikier wird auch Paulus Kenntnis von der Jerusalemer griechischsprachigen Synagogenlandschaft einschließlich der Synagoge der Alexandriner gehabt haben. M. Hengel sieht in ihnen sogar seine „geistige Heimat“.142 Auch scheint Paulus in die Konflikte von Mitgliedern der griechischsprachigen Synagogen mit Stephanus involviert gewesen zu sein.143 M. Hengel vermutet, dass „zumindest einzelne dieser Synagogen einen eigenen Lehrerstand“ hatten144 und sie für die in Jerusalem ansässigen „landschaftlichen Gruppen“ der Diasporajuden ein Ort der „Diskussionen“ waren.145 Die ‚landschaftliche‘ Prägung der griechischsprachigen Synagogen scheint auch eine finanzielle Seite gehabt zu haben. So geht L.I. Levine 140  Vgl. etwa Hengel, Paulus, 259, Schürer/Vermes/Millar, History, 2 428 mit Anm. 8, und Levine, Synagogue, 53, die fünf Synagogen unterscheiden. Grammatisch legt sich die Unterscheidung zweier Gruppen nahe, der Synagoge der Libertiner, Kyrenäer und Alexandriner auf der einen und der Juden aus Kilikien und Asien auf der anderen Seite. Jeremias, Jerusalem, 71, geht von nur „eine(r) hellenistischen“ Synagoge aus. Erstere Deutung wird freilich durch andere Quellen gestützt. So weiß tMeg 3,6 von einer Synagoge der Alexandriner, bMeg 26a von einer der Tarsier, die Hengel, Paulus, 259, Anm. 261, zufolge mit der Synagoge der Kilikier aus Apg 6,9 zu identifizieren ist. Die Synagoge der Libertiner wird mit der durch die Synagogeninschrift des Theodotos archäologisch bezeugten Synagoge zu verbinden sein; vgl. Hüttenmeister/Reeg, Synagogen, 192–195, Hengel, Paulus, 205.259f., sowie ders./Schwemer, Paulus, 390. Auch Levine, Synagogue, 53f., rechnet mit fünf Synagogen und begründet dies mit der „extensive Diaspora presence in the city“ und den „significant differences be­ tween these various communities“. 141 Vgl. Hengel, Paulus, 258. Demgegenüber rechnet Sterling, Judaism, 268 mit Anm. 37, auf der Basis von Berechnungen von Broshi, La population, und Wilkinson, Jerusalem, für das 1. Jh. v. Chr. mit ca. 35 000 Einwohnern, für die Zeit des 1. jüdisch-römischen Krieges mit ca. 70 000 – 80 000 Einwohnern. 142  Hengel, Paulus, 265, spricht genauer von „einer der (oder … den) griechischsprechenden Synagogen in Jerusalem“; s. ähnlich ders./Schwemer, Paulus, 81. 143  Vgl. Apg 7,58; 8,1 und dazu Hengel/Schwemer, Paulus, 56. 144  Hengel, Paulus, 259. 145  Ders./Schwemer, Paulus, 250, Anm. 1010.

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davon aus, dass sie ganz oder zumindest teilweise von den auswärtigen Dias­poragemeinden getragen wurden, da sie nicht nur von den Neubürgern Jerusalems, sondern auch von den auswärtigen Pilgern genutzt wurden.146 Bei alledem wäre es nur konsequent, wenn sich die ‚landschaftliche‘ Ausrichtung der Diasporasynagogen in Jerusalem auch in der Gestalt des Gottesdienstes und des Unterrichts niedergeschlagen hätte.147 Für die Synagoge der Alexandriner ist bei aller Pluralität des alexandrinischen Judentums davon auszugehen, dass auch sein philosophisch geprägter Teil – und das schließt vom philonischen Denken beeinflusste Gruppen ein – sich in Jerusalem durch Lehrer, Neubürger und Pilger Gehör verschaffte. Die einzige griechischsprachige Synagoge in Jerusalem, über die Genaueres bekannt ist, ist die von Theodotos, einem mutmaßlichen Nachfahren eines römischen Freigelassenen, gegründete Synagoge148, der zugleich ein Hospiz für Festpilger angegliedert war. In der bekannten Inschrift der Synagoge heißt es: „Theodotos … baute die Synagoge zur Verlesung des Gesetzes und zur Lehre der Gebote und die Herberge und die Räume und die Wasserbecken zur Aufnahme derer aus der Fremde, die sie benötigen“.149 Herberge und Wasserbecken, vermutlich Ritualbäder für Reinigungsriten150, waren für Pilger bestimmt. Die Synagoge selbst war Ort des Gottesdienstes und der Unterweisung. Aller Wahrscheinlichkeit nach erfüllten die anderen in Apg 6,9 genannten Synagogen ähnliche Funktionen.151 Dies dürfte zumal für die Synagoge der Alexandriner gelten, deren Zweck sich dann mit der Bestimmung der „διδασκαλεῖα in allen Städten“ decken würde, wie Philo sie, wie gesehen, formuliert: Sie sind Stätten, an denen das Gesetz verlesen wird und 146 Vgl.

Levine, Synagogue, 54. Vgl. auch ebd., 145: „The educational bent of Galilean villagers or of Jews from the Egyptian chora was undoubtedly much less than that of the Essenes, Therapeutae, or Alexandrian intellectuals, whose entire Sabbath might have been spent in either selfstudy or communual study“. 148  Vgl. etwa Hengel, Paulus, 205, und Levine, Synagogue, 53f. Runesson et al., Synagogue, 54, stellen neuerdings die Identifikation von Theodotos mit einem Freigelassenen und damit die Identifikation mit der Synagoge der Libertiner aus Apg 6,9 in Frage. 149  θ[ε]όδοτος … ᾠκοδόμησε τὴν συναγωγὴν εἰς ἀν[άγν]ωσ[ιν] νόμου καὶ εἰς [δ]ιδαχ[ὴ]ν ἐντολῶν, καὶ τ[ὸ]ν ξενῶνα, κα[ὶ τὰ] δώματα καὶ τὰ χρησ[τ]ήρια τῶν ὑδάτων εἰς κατάλυμα τοῖς [χ ]ρήσουσιν ἀπὸ τῆς ξένης …; zit. nach Runesson et al., ebd., 53f. (eigene Übersetzung). 150  Vgl. ebd., 54. 151 Vgl. Levine, Synagogue, 134: „Information regarding the religious agenda of the synagogue is uneven. Some activities are well documented, and there is a virtual consensus as to their centrality… The … category for which documentation is comparatively rich includes the reading and study of Scriptures … on Sabbaths and holidays“. Die Argumentation von Levine, ebd., 132, legt es nahe, für den Herbergsbetrieb für Pilger in Jerusalem ebenfalls von einer verbreiteten Praxis auszugehen: „… the fact that later synagogues also served such a purpose may point to similar needs in the pre-70 era as well“. 147 

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mit Hilfe der Tugenden die Pflichten gegen Mensch und Gott, d. h. die Gebote, bedacht werden. M. Hengel bezieht die Lehre der Gebote in der Theodotos-Synagoge zum einen auf die Unterweisung in der mündlichen Tora der Pharisäer und denkt dabei vor allem an die Notwendigkeit, die „Festpilger aus der Dia­ spora“ in den „über die schriftliche Tora hinausgehende(n) Bestimmungen, die den Kult betrafen“, zu unterweisen.152 Zum anderen bezieht er sie auf die Synagogenpredigt am Sabbat, deren ersten Adressatenkreis er ebenfalls in den Diasporajuden sowie in gottesfürchtigen Sympathisanten sieht.153 Philo, Mos 2,216, lässt in Verbindung mit der Theodotos-Inschrift für die griechischsprachigen Synagogen in Jerusalem jedoch sowohl an eine breitere Adressatenschaft als auch an ein umfassenderes ‚Curriculum‘ denken. Geht man davon aus, dass im 1. Jh. n.Chr. griechische Muttersprachler in größerer Zahl dauerhaft in Jerusalem lebten154, spricht alles dafür, dass sich die Unterweisung in ihren Synagogen zumindest in den wallfahrtsfreien Monaten nicht nur an den Interessen und Notwendigkeiten der Auswärtigen orientierte, sondern auch die ständigen griechisch-jüdischen Bewohner der Stadt im Blick hatte. Darauf deutet auch Apg 6,9 mitsamt der Stephanusgeschichte hin.155 Wie immer es um den historischen Wert dieses Zusammenhangs im Einzelnen bestellt sein mag, Lukas setzt in jedem Fall ein die Tempelhalacha und Pilger­ interessen übersteigendes Themenspektrum der Vertreter der griechischen Synagogen in Jerusalem voraus. Nicht zuletzt scheint es dabei um den Tempel und den Tempelkult gegangen zu sein.156 Die ‚landschaftlich‘ geprägte Synagoge der Alexandriner in Jerusalem dürfte ausweislich des corpus philonicum in der Lage gewesen sein, zu diesen Fragen substantielle Beiträge zu leisten.157 Philo selbst hat, wie angedeutet, im Rahmen der für ein breiteres Publikum bestimmten Exposition die den Opferkult betreffenden Gebote der Tora ausgelegt und sich mit der Bedeutung von Tempel und Tempelwallfahrt befasst. In Migr 91f. nennt er in Auseinandersetzung mit gegnerischen Positionen den Tempeldienst in einem Atemzug mit den Sabbat, Feste und Beschneidung betreffenden Geboten und betont, sie seien nicht nur in ihrem symbolischen Gehalt zu bedenken, sondern auch zu praktizieren. So deutet 152  Hengel, Paulus, 260, nimmt demgemäß auch für die Gründung der Theodotos-Synagoge einen pharisäischen Hintergrund an, weil er für das Land Israel von einem „Zusammenhang zwischen Pharisäismus und Synagoge“ ausgeht (ebd., 260, Anm. 267). 153 Ebd., 261. 154  Dazu s. o. mit Anm. 141. 155  Vgl. bes. Apg 6,11–14; 7,44–50. 156 S. auch Hengel/Schwemer, Paulus, 56. 157  Da aus den anderen der in Apg 6,9 genannten Regionen kaum jüdische Literatur vorliegt, lässt sich über ihre Positionen zum Tempel nichts Belastbares sagen; vgl. aber Apg 21,27–29.

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der Befund in der Exposition wie in Migr darauf hin, dass Tempel und Tempelkult in der alexandrinischen jüdischen Gemeinde breit erörtert wurden und die Diskussionen folglich auch den Weg in die Synagoge der Alexandriner in Jerusalem genommen haben dürften. Dies gilt umso mehr, als die Tempelwallfahrer von den an die Synagogen angeschlossenen Pilgerzentren aus auch die Synagogen aufgesucht haben werden.158 Sie dürften dort nicht nur Hörende gewesen sein, wie Hengels Äußerungen es nahelegen, sondern sich auch an den von ihm vermuteten synagogalen Diskussionen beteiligt haben, waren die Wallfahrer doch „die Kommunikationskanäle … für das, was im Volke erdacht worden war und Gestalt angenommen hatte“.159 Für die um Tempel und Tempelkult kreisenden Fragen ist die Forschung insofern in einer glücklichen Lage, als sich an diesem Thema potentielle Kontaktpunkte zwischen philonisch-alexandrinischem Denken, den griechischsprachigen Synagogen in Jerusalem, in deren Umfeld sich Paulus bewegt zu haben scheint, und dem durch Stephanus repräsentierten griechischsprachigen Judenchristentum in Jerusalem wahrscheinlich machen lassen. Greifbar wird dies aber auch in der Rede des Stephanus in Apg 7, die D.T. Runia zufolge stark an Philo erinnert.160 Damit ist sie ein weiteres Indiz dafür, dass sich alexandrinisch-philonisches Denken über Alexandrien hinaus ausbreitete. Ihre mutmaßlich vorlukanische Beheimatung im Kreis judenchristlicher Hellenisten deutet wiederum auf Jerusalem.161 Für den in diesem Beitrag zur Debatte stehenden Motivkomplex lassen sich Kontaktpunkte nicht in einer Weise, wie sie für die in Apg 6f. verarbeiteten Motive und Themen aufgezeigt wurde, rekonstruieren, wohl aber per Analogie erschließen. Auch ohne eine direkte Begegnung zwischen Philo und Paulus anzunehmen162, lassen es die vorgetragenen Überlegungen als möglich erscheinen, 158  Nach Spec 1,69 suchen die Pilger auf der Wallfahrt „eine kurze Zeit (βραχύν τινα … χρόνον)“ des Atemholens. Mag diese Aussage auch stilisiert sein, so dürfte ihr doch zu entnehmen sein, dass die Wallfahrt nach Jerusalem mehr als nur ein kurzes Tempel­ opfer umfasste; vgl. auch § 70, wo von „Muße“ (σχολήν) die Rede ist, der sich die Pilger in Frömmigkeit und Gottesfurcht hingeben. Angesichts der Fülle der Pilger ist zudem kaum davon auszugehen, dass sie während ihres Jerusalem-Aufenthaltes nur am Tempel waren; vgl. auch Safrai, Volk, 58. 159  Safrai, ebd. (tw. kurs.). S. auch Borgen, Exegete, 21: „The picture given above of pilgrimages (Spec. 1:69) indicates, however, that Jerusalem to some extent served as a pool of information and a place of exchange of traditions and news about Jews of Judea and from the various Diaspora communities“ (tw. kurs.). 160  Dazu s. u. Anm. 162. 161 Vgl. Steck, Israel, 268f.; Wilckens, Missionsreden, 219; Schneider, Apostelgeschichte, 448.452, sowie Roloff, Apostelgeschichte, 117–119, der ebd., 119, genauer den Stephanuskreis im Auge hat. 162  Der armenische Übersetzer Philos aus dem 6. Jh. hat zwar nicht mit einer Begegnung zwischen Philo und Paulus gerechnet, wohl aber mit einer solchen zwischen Philo und Stephanus: „Those Jews who disputed with Stephen were for the most part from Alexandria (cf. Acts 6:9), and Philo is believed to have belonged to their number (!)“

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dass Paulus in Jerusalem mit philonisch-alexandrinischem Gedankengut in Berührung kam. Es könnte ihm vor seinem Damaskuserlebnis im Umfeld der griechischsprachigen Synagogen Jerusalems begegnet sein. Multiplikatoren hat es mit den alexandrinischen Wallfahrern, zu denen auch Philo-Schüler und -Hörer gehört haben dürften, und der Synagoge der Alexandriner in Jerusalem jedenfalls gegeben. Dies dürfte auch die „diffusion of Philonic lan­ guage and ideas“ erklären, die im corpus paulinum zu beobachten ist.163 Eine Variante der vorgetragenen These ist die Annahme, dass Paulus durch die Vermittlung griechischsprachiger Judenchristen auf philonisches Gedankengut gestoßen ist, als er sich in seinen ‚unbekannten Jahren‘ in Antiochien aufhielt.164 Nach Apg 8,1.4; 11,19f. gelangten einige der in Folge des Konflikts um Stephanus aus Jerusalem vertriebenen Hellenisten u. a. nach Antiochien. Bei einem davon handelt es sich vermutlich um den in Apg 13,1 erwähnten Kyrener Lucius.165 Die anderen in 13,1 Genannten sind die Graecopalästiner Barnabas, Simeon, der Schwarze, und Manaen, ein Freund von Herodes Antipas, die „vermutlich aus Jerusalem oder dem jüdischen Palästina“ stammten.166 Ob diese vier zu den griechischsprachigen Synagogen in Jerusalem Kontakt hatten, ist auf der Basis der Apg nicht zu entscheiden, ins(zit. nach Runia, Literature, 5). Für Runia ist diese Aussage „of course pure fantasy“, er fügt aber hinzu: „Taken symbolically, however, the intuition is not all that unsound. Chronologically Philo could have been among this group. There is much in Stephen’s account of the history of Israel that reminds us quite strongly of Philo (most notably the reference to Moses’ education at Acts 7:22)“ (ebd., 66). Runia bezeichnet die von Lukas zur Bestimmung des Christentums in Anknüpfung an die hellenistische Synagoge gebrauchte Rede ebd. als „an example of what the shared background of Christianity and Judaism meant in practice“. Runias Äußerungen zur keineswegs ganz unbegründeten Intuition des armenischen Übersetzers deuten darauf hin, dass hier Raum für genauere historische Nachfrage wäre. 163 S. auch die allgemeinen Überlegungen von Siegert, Philo, 175: „The innumerable Greek-speaking synagogues of the Roman Empire, and especially those in the big cities, will have served as relay stations. They must have been places of learning in one way or another, and they did serve as the setting of one of Judaism’s most important innovations, public sermons on Holy Scripture. If we assume that more than one ­teacher like Philo was active in the urban synagogues of antiquity, the diffusion of Philonic language and ideas can be explained by an appeal to oral forms of transmission“. Während Siegert dieses Erklärungsmodell ebd., 178, für den Hebräerbrief und ebd., 195, in eigener Weise für das Johannesevangelium expliziert, fehlt bei seiner Erklärung der Gemeinsamkeiten zwischen Philo und Paulus ebd., 183, die historische Nachfrage. Er sieht sie in „(h)is general background in the world of Greek-speaking Judaism acquired in a number of different locations“. Demgegenüber rechnet Hengel, Septuaginta, 243, damit, dass “Werke wie die Sapientia oder Schriften Philos auch in Jerusalem gelesen wurden”. 164  Diese Variante hat G. Theissen mündlich ins Gespräch gebracht. 165 Vgl. Hengel/Schwemer, Paulus, 334 mit Anm. 1376, unter Hinweis auf Apg 11,20; 6,9. 166 Ebd., 425; s. ferner ebd., 334f.

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besondere für Lucius und Barnabas aber anzunehmen.167 In diesem Zusammenhang kommt Barnabas besondere Bedeutung zu. Mit diesem aus Zypern stammenden Juden, der im aramäischen wie im griechischen Kultur- und Sprachbereich beheimatet war, arbeitete Paulus weit länger als mit den anderen aus Jerusalem stammenden, in Apg 13,1 genannten graecopalästinischen Propheten und Lehrern zusammen, nämlich ca. acht bis neun Jahre.168 Somit kommt auch dieser Personenkreis, insbesondere aber Barnabas, als Vermittler alexandrinisch-philonischen Denkens an Paulus in Frage. Doch verläuft die Traditionsvermittlung auch bei dieser Annahme über die griechischsprachigen Synagogen in Jerusalem. Als weiterer Mittler des erörterten Motivkomplexes an Paulus kommt auch Apollos in Betracht, wenngleich, wie oben dargelegt169, nicht über die Brücke der Korinther. Apollos hielt sich zur Zeit der Abfassung des Ersten Korintherbriefes in Ephesus auf.170 Das Verhältnis der beiden Lehrer war offenbar so unbeschwert, dass Paulus seinen alexandrinischen Mitchristen wiederholt (πολλά ; 1Kor 16,12) dazu auffordern konnte, die Gemeinde in Korinth zu besuchen.171 Sie dürften daher wohl auch theologisch im Gespräch gestanden haben. Für den hier erörterten Motivkomplex der Selbsterhebung des Menschen über Gott ist die Traditionsvermittlung über Apollos gleichwohl wenig wahrscheinlich, weil sein Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ bereits in 1Thess anklingt, den Paulus vermutlich während seines ersten Aufenthalts in Korinth im Jahr 50/51 abgefasst hat.172 So dankt Paulus den Thessalonichern dafür, dass sie das von ihm verkündigte Wort als „Wort der Kunde … annahmen als von Gott (τοῦ θεοῦ), nicht als Wort von Menschen (οὐ λόγον ἀνθρώπων), sondern als das, was es in Wahrheit ist, als Wort Gottes ( λόγον θεοῦ), der sich auch in euch, den Glaubenden, als wirksam erweist“ (1Thess 2,13).173

167  Vgl. ebd., 56, zu den sogenannten Hellenisten: „Vermutlich gingen sie aus den verschiedenen Diasporasynagogen“ Jerusalems hervor. Auch Barnabas wird sich nicht nur im Tempel, sondern auch im Umfeld der griechischsprachigen Synagogen in Jerusalem bewegt haben, bevor er sich der aramäischsprachigen Urgemeinde anschloss. Er muss das Milieu der späteren sogenannten Hellenisten gekannt haben, wenn er von der aramäischsprachigen Urgemeinde als „‚Verbindungsmann‘“ (ebd., 331) nach Antiochien geschickt wurde. „(K)ein Mann war für solche Kontaktaufnahme besser geeignet als Barnabas, der sicher auch maßgebliche ‚Hellenisten‘, etwa seine Landsleute aus Zypern (Apg 11,20) gut kannte“ (ebd.). 168  Vgl. Apg 13,1 und dazu ebd., 425. 169  Dazu s. o. Kap. 4.2.1. 170  Vgl. 1Kor 16,8 mit 16,12. 171  Vgl. 1Kor 16,12; s. ferner 4,6. S. aber Sellin, Geheimnis, 78. 172  Vgl. etwa Schnelle, Einleitung, 62 mit Anm. 99, und Pokorný/­H eckel, Einleitung, 206. 173  S. ferner 1Thess 1,5. Dazu s. auch unten Kap. 5.2.2.

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

Deshalb ist es wahrscheinlicher, dass Paulus auf den erörterten Motivkomplex entweder in seiner vorchristlichen Zeit in den griechischsprachigen Synagogen Jerusalems gestoßen ist oder aber durch Vermittlung der aus den Synagogen der Stadt hervorgegangenen Judenchristen in Antiochien. Da in Kap. 5 der Philo und Paulus gemeinsame Kern mit der paulinischen Deutung des Damaskuserlebnisses verbunden wird, dürfte die erste dieser beiden Varianten vorzuziehen sein.

4.5 Fazit Die vorgetragenen Überlegungen zum möglichen Weg des untersuchten Motivkomplexes von Alexandrien nach Jerusalem vermögen die aufgezeigten Übereinstimmungen zwischen Philo und Paulus historisch präziser zu erklären als das religionsgeschichtliche Modell des ‚common background‘ bzw. des großen ‚pool‘ des griechischsprachigen Judentums, das damit rechnet, dass beide Autoren gleichermaßen aus diesem ‚pool‘ schöpfen. Die Hauptschwäche dieses Modells zeigt sich bei diesem Motivkomplex in der Schwierigkeit, belastbare Hinweise auf einen entsprechenden ‚common background‘ im griechischsprachigen Judentum auszumachen, sei es in der außerphilonischen Literatur, sei es in den von Philo mutmaßlich verarbeiteten Traditionen des alexandrinischen Judentums. Für den skizzierten Kern und seine Entfaltung, wie er sich bei Paulus zeigt, sprechen die Argumente daher für die Annahme einer genealogischen Herleitung von Philo, auch wenn nicht von direkten Abhängigkeitsverhältnissen, ob schriftlicher oder mündlicher Art, auszugehen ist. Vielmehr sind komplexere Tradierungsprozesse vorauszusetzen, an deren Anfang Philo und Alexan­drien und an deren Ende Paulus und Jerusalem stehen. Während sich die institutionellen Bedingungen solcher Prozesse in Gestalt von Schulen und Synagogen, aber auch von anderen Voraussetzungen, wie insbesondere dem Wallfahrtswesen, vergleichsweise gut bestimmen lassen, kommt man in der Frage der Tradenten über wohlbegründete Möglichkeiten nicht hinaus. Dennoch reicht der Befund aus, um eine genealogische Herleitung der eruierten Gemeinsamkeiten zwischen Paulus und Philo wahrscheinlich zu machen.

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Kapitel 5

Der Philo und der Korintherkorrespondenz gemeinsame Kern und die paulinische Rechtfertigungslehre Wie erwähnt, bleibt die Bestimmung des Philo und der Korintherkorrespondenz gemeinsamen Kerns nicht ohne Konsequenzen für die theologische und historische Verortung der paulinischen Rechtfertigungslehre. Dies darzulegen ist die Aufgabe dieses Kapitels. Ausgehend von dem zu Beginn zu führenden Nachweis, dass sich der Philo und Paulus gemeinsame Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ auch in der Rechtfertigungslehre spiegelt, zielt Kap. 5 darauf, ihre Entstehung vor diesem Hintergrund im Gespräch mit der Forschung zu rekonstruieren. Dazu ist zunächst die These zu erhärten, wonach die Rechtfertigungslehre mit dem für Philo und die Korintherkorrespondenz eruierten Kern in der Sache zusammenfällt. Voraussetzung dafür ist die Ermittlung von Zentrum und Grundstruktur der Rechtfertigungslehre. Um dies auf eine möglichst objektive Basis zu stellen, werden einige forschungsgeschichtlich relevante Darstellungen herangezogen1 (Kap. 5.1). In einem zweiten Schritt werden die so ermittelten Grundaspekte der Rechtfertigungslehre mit Blick darauf, ob und, wenn ja, wie sie sich in den dem Röm zeitlich vorausgehenden Paulusbriefen niederschlagen, untersucht (Kap. 5.2). Dies geschieht zum einen anhand von 1Kor 1f. als der Grundgestalt, in der sich der für die Korintherkorrespondenz ermittelte Kern zeigt (Kap. 5.2.1), zum anderen anhand von 1Thess als dem frühesten Brief des Apostels (Kap. 5.2.2). Im Sinne einer argumentativen Unterstützung der vorgetragenen These, wonach sich die Rechtfertigungslehre mit dem aufgezeigten Kern aufs Engste berührt, wird einer der frühesten Paulus-Interpreten herangezogen, nämlich der Verfasser des Eph, für den sich anhand von 2,8–10 eine Synthese von Sprachformen beider Komplexe aufzeigen lässt (Kap. 5.3). Mit dem literarisch-theologischen Aufweis der Übereinstimmungen zwischen der Grundstruktur der Rechtfertigungslehre und dem aufgewiesenen Kern sind die Voraussetzungen gegeben, um eine ihnen Rechnung tragende Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte 1  Vollständigkeit ist nicht angestrebt. Berücksichtigung finden vor allem Entwürfe ab der Mitte des 20. Jh.s, die in die Gattung Theologie des Neuen Testaments und in umfassendere Paulus-Darstellungen Eingang gefunden haben.

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Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

der Rechtfertigungslehre vorzunehmen. Dabei kann auf vielfältige Einsichten alternativer Rekonstruktionen der Forschung zurückgegriffen werden (Kap. 5.4).

5.1 Zur Bestimmung des Zentrums der Rechtfertigungslehre in der neutestamentlichen Wissenschaft2 Liest man, von der Wahrnehmung des Philo und Paulus gemeinsamen Kerns herkommend, Darstellungen der paulinischen Rechtfertigungslehre, stößt man darauf, dass bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Deutung im Einzelnen ihr theologischer Kern in der Forschung im Grundsatz ähnlich bestimmt wird. Dies ist im Folgenden anhand einer Forschungsskizze aufzuzeigen. Zu beginnen ist mit R. Bultmann: Er eröffnet seine Darstellung der δικαιοσύνη θεοῦ in § 28 mit einer Klärung des Begriffs der δικαιοσύνη, die er durch den Sachverhalt der πίστις grundlegend bestimmt sieht. 3 Wie der Mensch unter der πίστις das Leben empfängt, und das heißt: „sich selbst an Gott preisgebend, sein Selbst gewinnt“ – im Gegensatz zu seiner Todesverfallenheit, die ihren Grund darin hat, „daß der Mensch in dem Streben, aus sich selbst zu leben, sein Selbst verliert“ –, so ist auch das „Gerechtfertigtwerden … die Voraussetzung für den Empfang des Lebens“. Im Begriff der Glaubensgerechtigkeit als der „Bedingung für den Empfang des Heils und des Lebens“ fällt dies zusammen. In der Bedeutung der „Heilsbedingung oder des Heilsgutes“ sei δικαιοσύνη zugleich ein forensischer Begriff.4 Nachdem Bultmann in § 29 die forensische Gerechtigkeit als bereits in der Gegenwart zugesprochene näherbestimmt hat5, entfaltet er in § 30 die δικαιοσύνη als δικαιοσύνη θεοῦ. Er beginnt mit der Nennung der Bedingungen, die „Gottes freisprechendes Urteil“ zur Folge haben. Dabei handelt es sich negativ um „‚ohne Werke des Gesetzes‘“, positiv um „‚aus Glauben‘“. Diesen bestimmt er als „radikale(n) Gegensatz zur καύχησις“, die sich auf das „Bemühen des Menschen“ gründet und deshalb im Unterschied zur „Haltung der πίστις“ keinen Anspruch auf διακαιοσύνη begründet. Diese „ist reines Geschenk“. Dieser anthropologische Sachverhalt kann Bultmann zufolge auch „dadurch zum Ausdruck gebracht werden, daß als Grund der Rechtfertigung die χάρις (τοῦ θεοῦ) genannt wird“.6 Wie die πίστις steht selbstredend auch die Gnade im Gegensatz zu den Werken des Gesetzes. Die Gnade 2  Für den nachfolgenden Überblick werden nur Arbeiten herangezogen, die die Gerechtigkeitsterminologie zum Ausgangspunkt ihrer Aussagen über das, was Rechtfertigung bei Paulus ist, machen; anders z. B. Söding, Skopos, bes. 416–426. 3  Vgl. hier und im Folgenden Bultmann, Theologie, 271f. (tw. kurs.). 4 Ebd., 273. 5 Ebd., 275–280. 6 Ebd., 280f. (tw. kurs.).

Kapitel 5: Der gemeinsame Kern und die Rechtfertigungslehre

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Gottes ist „nicht seine Freundlichkeit und Güte … angesichts des Bemühens (sc. des Menschen) im Guten“, die sich in der Sündenvergebung manifestiert. „Sie erkennt vielmehr gerade jenes Bemühen nicht an, sofern in ihm die eigentliche Sünde steckt, der Hochmut des Menschen, seine Selbstillusion, aus sich selbst leben zu können“.

Diese fast philonisch anmutende Beschreibung der göttlichen Gnade stellt Bultmann zufolge an den Menschen die „entscheidende Frage, ob er sich ganz dem Wirken Gottes preisgeben will, – ob er sich als Sünder vor Gott verstehen will“. Deshalb heißt, so das Fazit Bultmanns, „die δικαιοσύνη, weil sie einzig in Gottes χάρις ihren Grund hat, δικαιοσύνη θεοῦ, von Gott geschenkte, zugesprochene Gerechtigkeit“.7 In dieser Formulierung wird zugleich Gott als das Subjekt der Rechtfertigung erkennbar.8 Die teilweise philonisch anmutenden Aussagen Bultmanns sind ein deutliches Indiz dafür, dass der für Philo und die Korintherkorrespondenz identifizierte Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ auch eine mögliche Umschreibung der Rechtfertigungslehre ist. Mit Blick auf das Folgende ist hervorzuheben, dass Bultmann mit dem Glauben als der Bedingung der Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit als in der Gnade Gottes gründender δικαιοσύνη θεοῦ für die Rechtfertigungslehre zwei Pole unterscheidet. Innerhalb der Konzeption des Abschnitts „B. Der Mensch unter der πίστις. 1. die δικαιοσύνη θεοῦ“ geht er den für seine Theologie vielfach beobachteten Weg von der Anthropologie zur Theologie, indem er beim Glauben des Menschen einsetzt und die χάρις als das Korrelat dazu aufseiten Gottes bestimmt.9 Bekanntlich hat sich E. Käsemann gegen die einseitige Deutung der Gerechtigkeit Gottes als Gabe durch Bultmann gewandt und sie auch und vor allem als Gottes Macht gedeutet. Zusammenfassend kann er formulieren, „daß δικαιοσύνη θεοῦ für Paulus die sich eschatologisch in Christus offenbarende Herrschaft Gottes über die Welt ist“.10 Wenig später heißt es mit Bezug auf die Gerechtigkeit Gottes: „Gottes Macht greift nach der Welt, und Heil der Welt ist es, daß sie unter Gottes Herrschaft zurückgeführt wird“. In diese Bestimmungen zeichnet sich Käsemann zufolge dann auch die von  7 Ebd.,

284f. Weil Gott von Bultmann als der bei der Rechtfertigung Handelnde beschrieben wird, ist Wolter, Paulus, 391, Anm. 115, zufolge „Bultmanns Gen. auctoris viel eher ebenfalls ein Gen. subjectivus, da bei ihm der Genitiv ‚Gottes‘ für das Subjekt der Rechtfertigung steht“ (tw. kurs.). Im Weiteren argumentiert Wolter vor dem Hintergrund von Bultmanns Deutung von Phil 3,9, dass für dessen Sicht der Dinge auch ein gen. orig. in Frage komme.  9  Im Weiteren ist dann freilich festzuhalten, dass er auf „1. Die δικαιοσύνη θεοῦ“ den Abschnitt über die χάρις (= 2.) und dann erst den über die πίστις folgen lässt (= 3.). 10  Käsemann, Gottesgerechtigkeit, 192. Er deutet den Genitiv folgerichtig als gen. subjectivus.  8 

230

Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

Bultmann ins Zentrum gerückte δικαιοσύνη θεοῦ als Gabe ein:11 „Eben dar­um ist es Gottes Gabe und das Heil auch des einzelnen, daß wir der Gottesgerechtigkeit gehorsam werden“. Die Gerechtigkeit Gottes als Gabe Gottes besteht hier freilich genauer darin, sich der Gerechtigkeit Gottes als seiner Macht zu unterstellen und sich von ihr gebrauchen zu lassen. An anderer Stelle heißt es: „Gerechtfertigtwerden meint, daß der Schöpfer dem Geschöpf Treue hält wie der Vater dem verlorenen Sohn über alle Schuld … hinweg, daß er das Gefallene und Abgefallene zur neuen Kreatur wandelt, seine von uns mißbrauchten Verheißungen mitten in der Welt der Sünde und des Todes wiederaufrichtet und erfüllt“.12

Sinngemäß heißt es dann: Gottes „Wesen ist die Rechtfertigung des Gottlosen und darum die Auferweckung der Toten und Schöpfung aus dem Nichts“.13 Somit steht im Zentrum der Rechtfertigungslehre nach der Deutung Käsemanns die Macht Gottes, der als das in singulärer Weise handelnde Subjekt nach Mensch und Welt ausgreift und am Nichtigen, zu dem der Mensch gehört, zu dessen Heil als der Schöpfer handelt: „Heil für das Geschöpf ist allein der Schöpfer, nicht das eigene Werk“.14 In diese Bewegung von Gott zur Welt und darin zum Menschen ist auch der Glaube hineingenommen. Die Glaubenden bestimmt er als „die in Gottes Herrschaft zurückgeholte Welt“. Folgerichtig ist für sie der Gehorsam gegenüber der Gottesgerechtigkeit als Gabe konstitutiv.15 Der Glaube ist die Signatur des neuen Bundes, dem er den durch den νόμος gekennzeichneten Sinaibund antithetisch gegenüberstellt.16 Das Gesetz in Gestalt der „frommen Werke“ steht für den Versuch, sich „vor Gott Geltung und eigene Gerechtigkeit zu verschaffen“ und „Unabhängigkeit“ gegenüber Gott zu erlangen. Hierin sieht Käsemann die Grundsünde des Menschen. Die πίστις wäre demgegenüber als das Eingeständnis der Abhängigkeit von Gott zu bestimmen. Im Unterschied zu Bultmann bestimmt Käsemann die Rechtfertigungslehre somit einpolig. Der Glaube des Menschen zeichnet sich in seiner Deutung in das Ausgreifen Gottes nach der Welt ein. Zudem scheint er die konkrete Gestalt des durch den Glauben im Kontext der Gerechtigkeit Gottes bezeichneten Sachverhalts in der spezifischen Polemik des Apostels gegen das Judentum zu verorten. Angesichts der für Käsemann beschriebenen einseitigen Bewegung von Gott zum Menschen kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der für Philo und die Korintherkorrespondenz eruierte Kern sich auch in Käsemanns Deutung der Rechtfertigungslehre reflektiert. 11 Ebd.,

193. Käsemann, Rechtfertigung, 132f. 13 Ebd., 134. 14  Käsemann, Heilsbedeutung, 75; zum Ganzen s. bes. ebd., 74–76. 15  Käsemann, Gottesgerechtigkeit, 193. 16 Ebd., 192. 12 

Kapitel 5: Der gemeinsame Kern und die Rechtfertigungslehre

231

P. Stuhlmacher stellt die beiden von Bultmann und Käsemann unterschiedlich gewichteten Aspekte der Rechtfertigungslehre gleichberechtigt nebeneinander. So lässt sich ihm zufolge der „berühmte Begriff Gottesgerechtigkeit … bei Paulus weder rein theozentrisch noch rein soteriologisch fassen“, er umfasst vielmehr „beide Aspekte des schöpferischen Heilshandelns Gottes: Gott, der Schöpfer und Richter aller Kreatur, entreißt die an Christus Glaubenden durch den Sühnetod seines Sohnes der Herrschaft der Sünde und nimmt sie neu in seine Gemeinschaft auf. Juden und Heiden gewinnen aus Glauben allein und ohne Zutun des Gesetzes Zugang zu dem einen Gott, der sie (und die ganze Schöpfung) um Christi willen vor sich leben läßt, und zwar in Zeit und Ewigkeit. Von hier aus wird verständlich, daß und warum man mit dem einen Begriff δικαιοσύνη θεοῦ das Ganze der paulinischen Theologie umschreiben kann“.17

Stuhlmacher identifiziert danach Theozentrik und Soteriologie als die beiden Dimensionen der Rechtfertigungslehre. Innerhalb der Soteriologie betont er den Glauben im Gegensatz zum Gesetz als den Modus des Zugangs zu Gott.18 G. Strecker stellt ähnlich wie Stuhlmacher die soteriologische19 und die theologische Dimension der Rechtfertigungslehre ins Zentrum seiner Erörterung. Anders als dieser beginnt er aber mit ihrer soteriologischen Seite. Er bestimmt die δικαιοσύνη θεοῦ als „die Gerechtigkeit des Richters, der Gnade übt, anstatt dem Recht Geltung zu verschaffen, und durch sein gnadenhaftes Handeln dem Menschen Gerechtigkeit zuerkennt“. 20 Die „einzige Voraussetzung“ der Zuerkennung der Gerechtigkeit „ist der Glaube, der alles andere als ein Werk ist, weil er nicht aus der Leistung des Menschen erwächst, sondern mit dem Verzicht auf Leistungsforderungen und -nachweise identisch ist, ohne daß dies die Verantwortlichkeit des Menschen ausschließt“.­

17 

Stuhlmacher, Theologie, 337. ebd., 345: „Juden und Heiden wird die Rechtfertigung nach Paulus allein aus Glauben und nicht aus Werken des Gesetzes zuteil (Röm 3,28). Gott eröffnet ihnen den Glauben durch das Evangelium und verschafft ihnen durch Christus Sündenvergebung und neues Leben. Sie werden deshalb nicht aus eigenem Verdienst, sondern allein aus Gnade um Christi willen gerechtfertigt“. 19  Wenn im Folgenden von der soteriologischen Dimension der Rechtfertigungslehre die Rede ist, dann im Sinne Stuhlmachers, der ihn zur Umschreibung des Gabencharakters der Rechtfertigung verwendet. 20  In der Debatte zwischen Bultmann und Käsemann positioniert sich Strecker, Theologie, 162, zwischen beiden Auslegern. Er nimmt zwar den Käsemann’schen Gedanken des Machtcharakters der Gerechtigkeit Gottes auf, betont aber mit Bultmann zugleich, dass „doch kein Zweifel“ besteht, „daß Paulus von der Gerechtigkeit Gottes nur im Interesse des Menschen spricht; denn der gerechte Gott verlangt die Gerechtigkeit des Menschen“. Diese Gerechtigkeit bestimmt er ebd., 164f., als imputative und effektive zugleich. 18 S. auch

232

Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

Strecker bestimmt die – göttliche – Gnade und den – menschlichen – Glauben als die beiden „Strukturelemente“ des Rechtfertigungsgeschehens. Es folgt eine Formulierung, die deutliche Anklänge an die für Philo und die Korintherkorrespondenz identifizierte Grundüberzeugung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ aufweist: „Der Mensch als Gerechtfertigter lebt nicht aus sich selbst, sondern aus einem ‚extra nos‘, das sich im Christusgeschehen manifestiert“.21 An späterer Stelle rückt Strecker in einer an Käsemann gemahnenden Weise die Theozentrik des Rechtfertigungsgeschehens in den Vordergrund: „Daß der Mensch in ein neues Sein gerufen ist, kommt darin zur Sprache, daß Gott ihn zu einem Gerechten erklärt; denn der rechtfertigende Gott ist kein anderer als der Schöpfergott, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Sein ruft… So wird auch das Rechtfertigungsgeschehen einem Schöpfungsakt vergleichbar, durch den der Mensch aus dem Tod ins Leben geführt wird“. 22

Gott ist als das Subjekt verstanden, der Mensch dagegen als Gegenstand göttlichen Handelns. Umgekehrt wie Strecker und ähnlich wie Stuhlmacher setzt J.D.G. Dunn bei der Theozentrik ein. Dabei spielt der Gedanke der ‚Initiative Gottes‘ für die Erklärung des Begriffs der Gerechtigkeit Gottes eine entscheidende Rolle. „For the righteousness of God … denotes God’s fulfilment of the obligations he took upon himself in creating humankind and particularly in the calling of Abraham and the choosing of Israel to be his people. Fundamental to this conception of God’s righteousness, therefore, is the recognition of the prior initiative of God, both in creation and in election“. 23

Aus dieser von Paulus übernommenen jüdischen Konzeption der Gerechtigkeit Gottes erkläre sich dann auch seine „emphasis on the initiative of divine grace within his teaching on justification“.24 Der Primat Gottes ist für Dunns Verständnis der Gerechtigkeit Gottes damit grundlegend. Mit der Rettungsbegrifflichkeit verwendet er an anderer Stelle einen weiteren für ihn zentralen Vorstellungskomplex zur Erläuterung des theozentrischen Herzstücks der Rechtfertigungslehre: „The heart of Paul’s theology of justification was the dynamic interaction between ‚the righteousness of God‘ as God’s saving action for all who believe and ‚the right­ eousness of God‘ as God’s faithfulness to Israel, his chosen people“. 25

21 

Strecker, Theologie, 163. 164. 23  Dunn, Theology, 342. 24 Ebd., 345. 25 Ebd., 344. 22 Ebd.,

Kapitel 5: Der gemeinsame Kern und die Rechtfertigungslehre

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Entsprechend ist die Gerechtigkeit Gottes in Röm 1,16f. „the power of God for salvation“. 26 Der zweite Pol von Dunns Interpretation der Rechtfertigungslehre ist der Glaube. 27 In Erläuterung des Begriffs der ‚Rechtfertigung aus Glauben‘, den er auf die Formel „by faith alone“ bringt, stellt Dunn den Gedanken der gänzlichen Abhängigkeit des Menschen von Gott und seiner Gnade ins Zentrum: „It was a profound conception of the relation between God and humankind – a relation of utter dependence, of unconditional trust. Human dependence on divine grace had to be unqualified or else it was not Abraham’s faith… Justification was by faith, by faith alone“. 28

Diese Bestimmung der Rechtfertigung aus Glauben (und nicht aus Werken des Gesetzes)29 besagt nichts anderes, als dass der Glaubende ganz aus Gott lebt und nicht aus sich selbst und sich umfassend von Gott abhängig weiß. K. Niederwimmer erörtert die inhaltliche Seite der Rechtfertigungslehre unter der Überschrift „Rechtfertigung und Glauben“. 30 Innerhalb seiner soteriologischen Deutung der Rechtfertigung bestimmt er das Verhältnis beider Elemente folgendermaßen: „Ist die göttliche gratia die prima causa der Rechtfertigung, so ist der Glaube die causa secunda. Man kann … also auch sagen: Der Glaube ist der Grund der Rechtfertigung… Aufgrund des Glaubens rechtfertigt Gott den Menschen, teilt Gott das Heilsgut seiner Gerechtigkeit zu“. 31

Damit stellt auch Niederwimmer zwar formal den Primat Gottes im Rechtfertigungsgeschehen heraus, um dem sodann den Glauben des Menschen gleichberechtigt zur Seite zu stellen. Er unterscheidet

26 Ebd.,

343. Zweipoligkeit der Deutung der Rechtfertigungslehre bei Dunn, Theology, erhellt aus der Struktur des der „Justification by Faith“ gewidmeten § 14. Er beginnt nach einer Einführung, „A New Perspective on Paul“ (§ 14.1; vgl. ebd., 335–340), mit der Explikation der „righteousness of God“ (§ 14.2; vgl. ebd., 340–346). „§ 14.3 The impact of Paul’s conversion“ (ebd., 346) enthält die biographische Hinführung zur Explikation der verschiedenen Dimensionen der Werke des Gesetzes (§ 14.4–6; vgl. ebd., 354–371). In § 14.7 entfaltet Dunn vor diesem Hintergrund den zweiten Pol der paulinischen Rechtfertigungslehre, „By faith alone“ (ebd., 371–378). Zwei weitere Paragraphen führen diese Seite der Rechtfertigungslehre weiter („§ 14.8 Faith in Christ“ und „§ 14.9 The blessings of justification“). 28 Ebd., 379. S. auch ebd., 373: Rechtfertigung aus Glauben „not only addresses the argument over the terms of Gentile acceptance, but also presses beyond to provide a fundamental statement of human dependence on God“. 29  Diese Problematik erörtert Dunn in den vorausgehenden Paragraphen 14,4–6; vgl. Anm. 27. 30  Niederwimmer, Theologie, 230. 31 Ebd., 233. 27  Die

234

Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

„zwei Wege, die Gerechtigkeit, das Heilsgut, anzustreben; entweder man verläßt sich auf das eigene Vermögen und sucht durch Erfüllung des Gebotenen die Gerechtigkeit zu erreichen … oder man verläßt sich auf Gottes Gnade in Christus und akzeptiert im Glauben, daß man von Gott (abgesehen vom religiös-sittlichen Stand) angenommen ist“. 32

Der erste Weg ist, mit der Begrifflichkeit der Rechtfertigungslehre gesprochen, der Weg ἐξ ἔργων νόμου, der zweite die Weise des ἐκ πίστεως. Angesichts der Gegenüberstellung von ‚eigenem Vermögen‘ und ‚von Gott‘ berührt sich auch Niederwimmers Deutung der Rechtfertigungslehre mit dem identifizierten Kern. Ähnlich fokussiert sich U. Schnelle auf die soteriologische Dimension der Rechtfertigungslehre, betont dabei aber die theologische Dimension ungleich stärker. Der Glaube spielt im Kontext seiner Bestimmung ihres theologischen Gehalts eine untergeordnete Rolle. Er wird in dem entsprechenden Kapitel zwar als die „Voraussetzung“ erwähnt, dass Juden und Heiden zur Gerechtigkeit gelangen. Bei seiner eigentlichen Bestimmung des Gehalts der Rechtfertigungslehre spielt er dann aber keine Rolle mehr. Den Kern der paulinischen Gerechtigkeitsvorstellung bestimmt Schnelle im Gegenüber zum jüdischen Denken folgendermaßen: Für Paulus ist „Gerechtigkeit im strikten Sinn kein Tat-, sondern ein Seinsbegriff. Gottes Handeln ist … jeglicher menschlicher Aktivität vorgängig, das neue Sein hat nicht Tat-, sondern Geschenkcharakter“.

Danach besteht das theologische Zentrum der Rechtfertigungslehre in der Priorität des göttlichen gegenüber dem menschlichen Handeln. Der Geschenkcharakter konkretisiert sich für Schnelle sodann darin, dass „(v)or Gott … der Mensch nicht die Summe seiner Taten, … die Person unterscheidbar von ihren Werken (ist)… Nicht das Tun definiert das Menschsein, sondern allein das Verhältnis zu Gott“. 33 Dabei handelt es sich offenkundig um eine Umschreibung des Glaubens an Jesus Christus, den Schnelle in diesem Zusammenhang auffälligerweise zu erwähnen vermeidet. Offenbar sieht er in dem konkreten Begriff des Glaubens keinen notwendigen Bestandteil der Rechtfertigungslehre. Die Bewegung der Rechtfertigung verläuft ausschließlich von Gott zum Menschen: „Gerechtigkeit … kann in ihrer Totalität nur empfangen und nicht hergestellt werden“. 34 In dieser Aussage spiegelt sich der für Philo und die Korintherkorrespondenz eruierte Kern direkt. 32 Ebd., 235. Wenn Niederwimmer, ebd., im Weiteren formuliert, der Glaube „schafft die Gerechtwerdung, was dem religiös-sittlichen Vermögen extra fidem et sine fidem nie gelingt“, dann geht er über Paulus und seine eigene Rede von der göttlichen Gnade als prima causa hinaus. Nicht der Glaube schafft die Gerechtwerdung, sondern Gott. 33  Schnelle, Theologie, 243. 34 Ebd., 244.

Kapitel 5: Der gemeinsame Kern und die Rechtfertigungslehre

235

Auch M. Wolter stellt die soteriologische Seite der Rechtfertigungslehre ins Zentrum seiner Auslegung. Im Unterschied zu Schnelle sind für ihn das rechtfertigende Handeln Gottes und der menschliche Glaube als Rezep­ tionsmodus der Gerechtigkeit aber gleichberechtigte Elemente. So heißt es bei ihm: „Immer ist Gott das Subjekt der Rechtfertigung oder der Ursprung der Gerechtigkeit, und immer ist der Mensch ihr Empfänger. Immer sind es ausschließlich der menschliche Glaube … bzw. das menschliche Glauben …, auf Grund derer der Mensch Gerechtigkeit und Rechtfertigung empfängt. Gott spricht den Menschen auf Grund seines Glaubens gerecht – das soll im Folgenden als Zentrum jenes theologischen Konzepts gelten, das wir als ‚paulinische Rechtfertigungslehre‘ bezeichnen“. 35

Diese Aussagen entsprechen dem zweiten Teil des identifizierten Kerns ‚sondern aus Gott‘, indem sie den Subjektcharakter Gottes betonen. Sie implizieren damit zwar ihren ersten Teil, betont wird dies von Wolter in diesem Zusammenhang aber nicht. Entsprechendes gilt für M. Theobald, der die „axiomatische Mitte“ der Rechtfertigungslehre in Fortschreibung von Gal 2,15–21 in Röm 3,21–31 sieht. Er verortet ihre „innere Mitte“ in der Aussage: „‚Wir sind der Überzeugung: Der Mensch wird durch Glauben gerechtfertigt ohne Werke des Gesetzes‘“. Dieses Axiom aber besitzt ihm zufolge „verschiedene Implikationen“, von denen er für den Röm zwei aufführt: „die theologische Überzeugung, dass Gott der Gott der Juden und Heiden ist, ‚da doch gilt: Gott ist ‚der Eine‘ (Dtn 6,4)‘, der alle auf demselben Weg des Glaubens rettet (Röm 3,29f.), und die daraus folgende anthropologische Überzeugung, dass es zwischen den Menschen ‚keinen Unterschied‘ gibt“ (Röm 3,22)36,

weil alle der Herrlichkeit Gottes ermangeln und Sünder sind. Aus dieser Grundsituation des Menschen folgt die „axiomatische(n) Grundüberzeugung“ des Apostels, „dass ‚der Mensch‘ allein ‚durch Gottes Gnade‘, und das heißt: ‚durch die Erlösung in Christus Jesus gerechtfertigt wird‘ (Röm 3,24)“. 37 Damit steht bei Theobald das rettende Handeln Gottes ‚allein durch Gottes Gnade‘ im Zentrum seiner Deutung der entfalteten Gestalt der Rechtfertigungslehre im Röm. ‚Durch den Glauben ohne Werke des Gesetzes‘ bildet Theobald zufolge zwar ihre innere Mitte. Bei der Entfaltung ihrer Implikationen ordnet er ihre Grundgestalt dann aber ganz dem Handeln Gottes ein. So steht die explizit christologisch gedeutete theologische Dimension im Zentrum seiner Deutung. Mit Blick auf den für Philo und die Korintherkorrespondenz eruierten Kern zeigen sich in den beiden für den 35 

Wolter, Paulus, 344. Wörtlich wiederholt in: ders., Hintergrund, 348. Theobald, Universalisierung, 356. Zur ekklesiologischen Dimension der Rechtfertigungslehre bei Theobald vgl. ders., Rechtfertigung, 106–112. 37  Theobald, Universalisierung, 357. 36 

236

Teil 1: Nicht aus Menschen, sondern aus Gott

Röm genannten Implikationen von Theologie und Anthropologie enge Bezüge. Dabei ist die Rede vom Menschen als Sünder im Kontext des Röm das sachliche Äquivalent zur Niedrigkeit und Nichtigkeit des Menschen bei Philo und in der Korintherkorrespondenz. Trotz der beobachteten, teil gravierenden Unterschiede, die im Kontext dieser Untersuchung aber auf sich beruhen können, zieht sich durch alle Auslegungen der Rechtfertigungslehre die grundlegende Gemeinsamkeit, dass Gott das Subjekt der Rechtfertigung ist, während der Mensch in der Rolle des Empfängers gezeichnet wird. Letzteres wird meist durch den Glauben konkretisiert, der aber unterschiedlich gewichtet wird: entweder als eigenständiger Pol der Rechtfertigungslehre oder als Teil der Bewegung des Rechtfertigungsgeschehens, das von Gott zum Menschen führt. Demgegenüber wird der Gnadencharakter des göttlichen Handelns in aller Regel betont herausgestellt. Bemerkenswert ist auch, dass die Christologie nicht als zum Zentrum der Rechtfertigungslehre gehörig bestimmt wird. Damit entspricht dieses Zentrum in der Sache dem für Philo und die Korintherkorrespondenz umschriebenen Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘. 38 Wie gesehen, kommen dem manche Formulierungen, die die Ausleger bei der Bestimmung der Rechtfertigungslehre gefunden haben, ziemlich nahe.

5.2 Das Zentrum der Rechtfertigungslehre und seine Anklänge in den frühpaulinischen Briefen Dass die Übereinstimmungen zwischen dem Zentrum der Rechtfertigungslehre und dem für Philo und die Korintherkorrespondenz aufgezeigten theologischen ‚Kern‘ keineswegs zufällig sind, lässt sich auch exegetisch zeigen. Die grundlegenden Strukturen der theologischen Argumentation des Pau38  Vgl. auch Vollenweider, Lebenskunst, 144: „Auch dort, wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumentiert, stellt er sein basales Prinzip, alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhalten ausschließlich als Re­ sponsion auf Gottes Wirken zu pointieren, klar heraus“; dazu verweist er auf 2Kor 4,7 und 1Kor 4,7. – Was hier als Kern bezeichnet wird, nennt Theobald, Rechtfertigung, 108, die „Tiefenstruktur“ der Rechtfertigungslehre. Er bringt sie auf die Formel: „‚aus lauter Gnade in Christus‘/‚ohn all mein Verdienst‘“, und geht von ihrer Übersetzbarkeit „in verschiedene ekklesiale Kontexte“ aus, z. B. in 1Kor 1,26–30 (ebd., Anm. 13). Die inhaltlichen Übereinstimmungen mit der hier als Kern bezeichneten Formel sind evident. Gleichwohl ist die von Theobald gewählte Formel m. E. weniger geeignet, um die ihm zufolge auch in anderen Texten aufweisbare Tiefenstruktur der Rechtfertigungslehre zu beschreiben als die hier gewählte, weil diese sich anders als Theobalds Formel auch sprachlich an den paulinischen Texten verifizieren lässt, und zwar vom frühesten Brief, dem 1Thess, an und sie sich in deutlich mehr theologischen Kontexten nachweisen lässt. Es kommt hinzu, dass in Theobalds Formel der Subjektcharakter Gottes nicht deutlich genug zum Ausdruck kommt und der Begriff des ‚Verdienstes‘ die zweite, die auf den Menschen bezogene, Seite unnötig verengt.

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lus erweisen sich über die verschiedenen Briefe und theologischen Konflikte hinweg in weiten Teilen als einheitlich. Dies soll im Folgenden am Beispiel der rechtfertigungstheologischen Anführungen des Röm auf der einen und ausgewählten Abschnitten aus dem 1Kor und dem 1Thess auf der anderen Seite gezeigt werden. 5.2.1 1Kor 1f. und die Rechtfertigungslehre Die Sache der Rechtfertigungslehre, wie sie in der Forschung bestimmt wurde, zeigt sich auch in 1Kor 1,18–2,16. Der Zusammenhang wurde in Kap. 1 bereits einer ausführlichen Analyse unterzogen, die im Folgenden vor­ ausgesetzt wird. Wie gesehen, besteht in der Forschung Konsens darüber, dass das Zentrum der paulinischen Rechtfertigungslehre im Subjektcharakter Gottes zu sehen ist. Gott ist es, der den Menschen rechtfertigt, und zwar, wie von einer Reihe von Auslegern betont wird, aus Gnade, geschenkweise. Diese theologische Seite der Rechtfertigungslehre ist mit Blick auf 1Kor 1f. zunächst in den Blick zu nehmen. Dabei ist für die weitere Argumentation von der grundlegenden Einsicht auszugehen, dass das, was den Juden das Tun des Gesetzes ist, das den Kontext der Rechtfertigungslehre bildet, den Griechen die philosophische Erkenntnis ist. 39 In 1Kor 1f. arbeitet Paulus an diesem Thema, seinen Ausführungen zur Rechtfertigungslehre vergleichbar, den Subjektcharakter Gottes und die Gnadenhaftigkeit seines Handelns heraus.40 In Röm 9,30–10,4 kritisiert Paulus, dass Israel durch das Tun der Werke des Gesetzes vor Gott Gerechtigkeit zu erlangen sucht, in 1Kor 1, dass Griechen Gott in ihrem Weisheitsstreben verobjektivieren. Damit machen sich aus paulinischer Perspektive beide, Juden und Griechen, im Blick auf Gott selbst zum Subjekt und verkehren damit das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf. Deshalb erweist Gott beiden gegenüber seinen Subjektcharakter, Juden und Griechen (Röm 1,16) gegenüber in der Offenbarung seiner Ge39 

Vgl. zuletzt bes. Zeller, Brief, 122; s. auch ders., Pragmatik, 215f. Frey, Perspektiven, 83 mit Anm. 114, hervorhebt, „wird in der gegenwärtigen Paulusforschung“ häufig die Tatsache übersehen, dass „auch die Argumentation im Ersten Korintherbrief dezidiert rechtfertigungstheologisch zu interpretieren“ ist. Er verweist dazu auf das in 1Kor 1,26–28 sichtbar werdende sola gratia (ebd., 82f.; s. ähnlich Söding, Kreuzestheologie, 166) sowie auf „die Rede vom ausgeschlossenen Rühmen in 1. Kor 1,29–31“ (ebd., 83, Anm. 114). Daran hat sich seit Erscheinen dieses Beitrages m.W. nichts Entscheidendes geändert, so dass eine eingehendere Beschäftigung mit dem Thema gerechtfertigt erscheint. Im Unterschied zu Frey geht es im Folgenden aber nicht um eine rechtfertigungstheologische Deutung der Kreuzestheologie von 1Kor 1f., vielmehr werden beide Zugänge als situationsspezifische Zuspitzungen eines ihnen beiden gleichermaßen vorausgehenden Theologumenons verstanden, eben jenes für Philo und die Korintherkorrespondenz herausgearbeiteten gemeinsamen Kerns. 40 Wie

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rechtigkeit ohne Gesetz (3,21) durch die Erlösung in Jesus Christus (v24), den nach Weisheit strebenden Griechen gegenüber in seiner Selbstoffenbarung in der Torheit der Verkündigung des gekreuzigten Christus (1Kor 1,21–24). Für 1Kor 1f. ist dabei genauer an folgende Aspekte zu erinnern: Angesichts des Scheiterns menschlichen Erkenntnisbemühens (1,21a) gibt sich Gott in der Torheit der Verkündigung selbst zu erkennen und rettet auf diesem Weg die Glaubenden. In seinem ‚Wohlgefallen‘ gründend, zeigt sich hier zugleich der Gnadencharakter der Selbstkundgabe Gottes (v21b).41 Der Subjektcharakter Gottes zeigt sich im Weiteren in der Erwählung der Törichten und Schwachen in der Welt und der Beschämung der Starken (v27f.). Sein Rettungshandeln manifestiert sich im neuen Sein der Glaubenden in Christus, das ihnen „aus Gott“ verliehen ist, so dass ihnen Christus „von Gott her“ Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung geworden ist (v30). Auch der Glaube der Glaubenden stammt aus dieser Quelle (2,5). Schließlich zeigt sich Gott als Subjekt im Kontext der menschlichen Gotteserkenntnis. Der Gott, der sich selbst zu erkennen gibt (1,21), verleiht den Glaubenden zugleich den Geist ἐκ τοῦ θεοῦ als Mittel, um ihn zu erkennen, so dass Gott vom Menschen paradoxerweise durch Gott erkannt wird, konkret durch seinen Geist (2,11–12a). Auch in diesem Zusammenhang begegnet das Gnadenmoment des göttlichen Handelns: Der Gegenstand des menschlichen Erkennens ist das Heilsgeschehen in Kreuz und Auferstehung, das Paulus als „das uns von Gott (gnadenhaft) Geschenkte (χαρισθέντα)“ umschreibt (v12b), das sich menschlicherseits in den das neue Sein in Christus konkretisierenden Gaben manifestiert. So verwendet Paulus für das Gotteshandeln in 1Kor 1f. zwar keinen vergleichbar prägnanten Begriff wie den der δικαιοσύνη θεοῦ, darüber aber, dass Gott es ist, der handelt, und der Mensch es ist, an dem gehandelt wird, kann auch für diesen Zusammenhang kein Zweifel bestehen. „Das ‚Wort vom Kreuz‘ fördert … zutage, wie Gott immer schon den Menschen retten will: nämlich in der Souveränität göttlichen Heilshandelns… Dies ist die Thematik der Rechtfertigungslehre, die in 1Kor 1,21 zwar angedeutet, nicht aber entfaltet wird“.42 Der in der Forschung herausgearbeitete zweite Pol der Rechtfertigungslehre betrifft die Seite des Menschen, dessen Antwort auf das Gotteshandeln mit dem Begriff des Glaubens umschrieben wird. Der Glaube wird dabei als der Modus der Rezeption der Gerechtigkeit Gottes verstanden. Der Mensch erfährt sich im Rechtfertigungsgeschehen m. a. W. als ein Empfangender. Somit kann der Glaube, wie gesehen, zugleich als Alternative zum „eige-

41 

42 

Zur Gnade im Kontext der Rede vom Wort vom Kreuz vgl. Zumstein, Wort, 38f. Merklein, Paradox, 292.

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nen“ menschlichen „Vermögen“ bzw. zu einem Handeln „aus sich selbst“ bestimmt werden. Auch dieses Moment spiegelt sich in 1Kor 1f. wider. Es zeigt sich überall dort, wo Gott als Handelnder, der Mensch aber im strengen Sinne als Empfänger in den Blick kommt. Sprachlich am deutlichsten ist 2,12, wo ‚wir‘, d. h. die Glaubenden bzw. die Berufenen (1,21.23), als diejenigen charakterisiert werden, die den Geist ἐκ τοῦ θεοῦ ‚empfangen‘ haben (ἐλάβομεν). Deutlichen Ausdruck findet es zudem in 1,30, wo Paulus zum einen das Sein der Glaubenden in Christus auf Gott zurückführt (ἐξ αὐτοῦ), zum anderen das, was ihnen in Christus von Gott her (ἀπὸ θεοῦ) zuteil geworden ist, nämlich Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung.43 Ein weiterer Aspekt des Glaubens, den Paulus im Kontext der Rechtfertigungslehre entfaltet, auch wenn er in den vorgestellten Arbeiten, von Bultmann einmal abgesehen, in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt, ist seine Unvereinbarkeit mit dem sich-Rühmen. Weil sich das sich-Rühmen sowohl in der Korintherkorrespondenz als auch bei Philo eng mit dem eruierten Kern verbindet, ist es hier mit Blick auf die Rechtfertigungslehre ebenfalls aufzunehmen, auf deren Zentrum es bezogen ist. Die Textzusammenhänge aus dem Röm, die hier in den Blick zu nehmen sind, sind Röm 2,17–4,3; 5,1–11. Dabei ist von der zutreffenden Beobachtung von F. Wilk auszugehen, dass hier ebenso wie in 1Kor 1 der Adressat des sich-Rühmens nicht Gott ist, dem gegenüber der sich rühmende Mensch Anspruch auf Ruhm hätte, sondern Menschen.44 Demgemäß geht es in Röm 2,17–24 beim sich-Rühmen des jüdischen Schriftgelehrten, der sich Gottes (v17) und des Gesetzes rühmt (v23), um ein sich-Rühmen gegenüber Nichtjuden, das sich aber „infolge seiner unvermeidlichen Gesetzesübertretung als verfehlt“ erweist.45 In partieller Übereinstimmung mit 1Kor 1 kritisiert Paulus hier also weder das sich-Rühmen Gottes noch das sich-Rühmen des Gesetzes als einer Gabe Gottes, sondern das dazu in Spannung stehende Verhalten, das zur Verunehrung Gottes führt. Dadurch wird das sich-Rühmen Gottes und des Gesetzes gleichermaßen konterkariert. In Röm 2,25–3,20 wird das Verhalten des Schriftgelehrten von 2,17–24 verallgemeinert: Alle, Juden und Nichtjuden, werden der Übertretung des Gesetzes beschuldigt (3,9). Das Argument zielt aber ausweislich von 3,19 auf die Juden: Das Gesetz spricht zu 43 

Vgl. auch 1Kor 4,7. Wilk, Ruhm, 64–75. Damit formuliert er die Gegenposition zu Bultmann; dazu s. o. Kap. 5.1. 45  Wilk, Ruhm, 68; s. auch Thompson, Critique, 525. Demgemäß drückt sich in den Ruhmesäußerungen von Röm 2,17–24, wie Wilk, Ruhm, 67, betont, anders als in der Forschung vielfach angenommen, „weder ‚eitler Selbstruhm‘ noch ‚stolze Heilsfreude‘ im Bezug ‚auf den Besitz der Tora‘ aus; in ihnen meldet sich auch nicht ‚the Jew per se‘ zu Wort oder ganz Israel, um seine Erwählung zum Gottesvolk zu preisen“. Vgl. auch Thompson, Critique, 523f. 44 Vgl.

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denen, an die es sich wendet, das heißt zu den Juden, um so jeden Mund, im Duktus der Argumentation also auch und gerade jeden jüdischen Mund, zu stopfen, so dass er sich nicht mehr Nichtjuden gegenüber rühmt, die das Gesetz nicht haben.46 Auf diese Weise wird die gesamte Menschenwelt, Juden und Heiden, als strafwürdig erwiesen. Das aber heißt für Paulus zugleich, dass es angesichts der jüdischen Gesetzesübertretungen eine Rechtfertigung aus Werken des Gesetzes nicht geben kann (v20). In Röm 3,21–26 entfaltet Paulus die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes in Jesus Christus als exklusives Gotteshandeln an Juden und Heiden, das vom Menschen nur im Glauben empfangen werden kann. Die von Paulus im Anschluss daran in v27a noch einmal aufgeworfene Frage nach dem jüdischen sich-Rühmen den Nichtjuden gegenüber, das in diesem neuen Kontext nun auch für das judenchristliche Rühmen transparent ist, wird mit einem knappen „es wurde ausgeschlossen“ beantwortet. Dies begründet er in v27c.28 unter Hinweis auf das Gesetz des Glaubens mit der v20.21–26 verdichtenden Aussage: „denn wir urteilen, dass ein Mensch durch Glauben ohne Werke des Gesetzes gerechtfertigt wird“ (v28). Für diesen Grundsatz verweist er in Übereinstimmung mit v21–26 auf das souveräne Handeln Gottes: Der Gott von Juden und Heiden rechtfertigt beide auf ein und derselben Grundlage, nämlich der des Glaubens (v29f.). Der eigentliche Grund für die Unmöglichkeit jüdischen sich-Rühmens gegenüber den Nichtjuden ist damit im souveränen Handeln Gottes zu sehen, der beschlossen hat, mit beiden Menschheitsgruppen in ein und derselben Weise zu handeln, nämlich sie durch den Glauben zu rechtfertigen. Dieses Argument führt über Röm 2,17– 24; 3,19 insofern hinaus, als Paulus die Unmöglichkeit jüdisch-judenchristlichen Rühmens hier nicht mit der Gesetzesübertretung begründet, sondern theologisch.47 Anders formuliert: Gott rechtfertigt Juden und Nichtjuden durch den Glauben ohne Werke des Gesetzes, weil er auch in dem unwahrscheinlichen Fall, dass Juden das Gesetz nicht übertreten und sie nach den eigenen Kriterien des Apostels deshalb allen Grund hätten, sich Gottes und des Gesetzes zu rühmen, der Gott von Juden und Nichtjuden ist, der den Juden mit den Werken des Gesetzes nichts an die Hand gibt, dessen sie sich vor den Nichtjuden rühmen könnten. Dies verdeutlicht Paulus in Röm 4,1–3 auf der Basis des Gesetzes als Schrift am Beispiel Abrahams. Auch „unser Vorfahr nach dem Fleisch“, d. h. Abraham als Vater der Juden, hatte nichts, dessen er sich gegenüber den Nichtjuden rühmen konnte. Paulus räumt zwar die hypothetische Möglichkeit ein, dass Abraham aufgrund von Werken gerechtfertigt worden sein könnte 46 

Vgl. dazu Holtz, Gott, 284f. Zu dieser Unterscheidung vgl. auch Thompson, Critique, 525–528; s. ferner Lambrecht, Boasting, 335. 47 

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(v2a)48, so dass er in der Tat Anlass gehabt hätte, sich zu rühmen (v2b), „und zwar, so ist von 2,17–24; 3,27–30 her zu ergänzen, gegenüber denen, die keine Werke vorzuweisen haben“49, nämlich die Nichtjuden. Weil aber ein solches auf Werken gründendes sich-Rühmen im Horizont des Handelns Gottes im Zuge der Offenbarung seiner Gerechtigkeit nicht möglich ist (4,2c) – denn auch Abraham wurde nicht aus Werken, sondern, wie die Schrift (Gen 15,6) bezeugt, aus Glauben gerechtfertigt (4,3) –, gibt es für ihn Nichtjuden gegenüber nichts zu rühmen. Ausgeschlossen ist ein solches sich-Rühmen m. a. W. auch hier aufgrund des Handelns Gottes, nicht aufgrund wie auch immer gearteter menschlicher Voraussetzungen. Deutlich wird hier aber auch, dass sich für Paulus das ἐξ ἔργων potentiell mit dem Selbstruhm, wenn auch nicht Gott gegenüber, verbindet, wohingegen das ἐκ πίστεως als Dimension göttlichen Handelns das zwischenmenschliche Rühmen grundsätzlich ausschließt. ἐκ πίστεως ist Teil der Bewegung Gottes zum Menschen, in der dieser sich als Empfangender der Gerechtigkeit Gottes erfährt. In dieser Bewegung gibt es für den Selbstruhm schlechterdings keinen Platz. Steht Röm 2,17–4,3 im Zeichen einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Selbstruhm, so nimmt Paulus das sich-Rühmen in Röm 5,1–11 positiv auf. Rechtfertigung aus Glauben hat für die Glaubenden Frieden mit Gott zur Folge, der ihnen durch Christus erworben wurde. Dieser ist es auch, der ihnen durch den Glauben den Zugang zu dieser Gnade eröffnet hat. Diese umfassende Verwandlung der Gerechtfertigten durch das Handeln Gottes in Christus setzt zugleich ein – nun durch und durch – legitimes sich-Rühmen aus sich heraus. Es ist im Unterschied zu Röm 2,17–4,3 kein sich-Rühmen der eigenen heilsgeschichtlichen Auszeichnungen anderen Menschen gegenüber, sondern ein sich-Rühmen, dessen Grund das Handeln Gottes in Christus ist. Als seinen Gegenstand nennt Paulus die Hoffnung (ἐπ’ ἐλπίδι) auf die Herrlichkeit Gottes (5,2), deren Gegenstück die eschatologischen Bedrängnisse der Gegenwart sind (ἐν ταῖς θλίψεσιν; v3)50, die ebenfalls einen Grund des sich-Rühmens darstellen, sowie Gott selbst (ἐν τῷ θεῷ; v11), durch dessen Handeln in Christus die Glaubenden die Versöhnung empfangen haben (v11). Dieses sich-Rühmen ist Lobpreis Gottes. 51 Das Sein ἐκ πίστεως, das ein Sein aus dem Empfangen ist, verschafft sich Ausdruck im sich-Rühmen Gottes, der die Ursache all dessen ist, was die Glaubenden sind und haben. Damit sind im Röm der Glaube und das 48 Vgl.

Wilk, Ruhm, 71.

49 Ebd.

50  Die Präpositionen ἐν und ἐπί bezeichnen gleichermaßen den Grund des sich-Rühmens; vgl. BDR § 196.2 mit Anm. 3. 51 Vgl. Wilk, Ruhm, 75.

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sich-Rühmen Gottes ähnlich eng aufeinander bezogen wie das ἐξ ἔργων und das sich-Rühmen im zwischenmenschlichen Bereich. Bei nicht zu übersehenden Unterschieden im Einzelnen berührt sich das aufgezeigte Verständnis des sich-Rühmens in Röm 2–5 im Grundsätzlichen eng mit 1Kor 1. Wie gesehen, unterscheidet Paulus auch hier zwischen einem illegitimen und einem legitimen sich-Rühmen. Er kritisiert das sich-Rühmen der Weisen, Mächtigen und Wohlgeborenen gegenüber den Geringen und fordert stattdessen, sich des Herrn zu rühmen. Beides hat auch hier theologische Gründe: Gott erwählt die Geringen, die nichts haben, dessen sie sich rühmen könnten, und beschämt diejenigen, die in Geltung zu stehen glauben und deshalb Grund zu haben meinen, sich gegenüber denen, die nichts gelten, rühmen zu können. Mit der Entmachtung der Weisen etc. hebt Gott im Grundsatz die Unterschiede zwischen ihnen und den Geringen auf52 – ähnlich wie in Röm 2–4 die Unterschiede zwischen Juden und Heiden – und setzt damit ihrem sich-Rühmen ein Ende. Das legitime sich-Rühmen im Herrn gründet auch in 1Kor 1 ausschließlich im Handeln Gottes. Er ist die Ursache des neuen Seins der Glaubenden (v30) in Christus und zielt damit auf ein neues, seinem Handeln an der Gemeinde entsprechendes Rühmen, das auch hier Lobpreis Gottes ist. Einen Zusammenhang mit einem Sein ἐκ πίστεως stellt Paulus hier nicht her, weil dieses ebenso wie das ἐξ ἔργων in den spezifischen Kontext der Rechtfertigungslehre gehört. Ein weiterer Unterschied besteht in der Charakterisierung des jüdischen sich-Rühmens in Röm 2–4 und des sich-Rühmens der hochmütigen Elite im Kontext von 1Kor 1: Während Paulus im Röm mit Blick auf Abraham die Möglichkeit nicht ausschließt, dass es im Horizont der jüdischen Tradition unabweisbare Gründe für ein sich-Rühmen gegenüber den Nichtjuden geben könnte, verneint er dies für die sich ihrer äußeren Vorzüge rühmende korinthische Elite uneingeschränkt. Dass Paulus das jüdisch-judenchristliche sich-Rühmen gegenüber den Nichtjuden aber genauso verwirft wie das der Weisen und Vornehmen in 1Kor 1, ist, wie gesehen, in seiner theozentrischen Denkweise begründet, für die er hier wie dort auf die Schrift verweist, in Röm 4,3 auf Gen 15,6, in 1Kor 1,29–31 auf Jer 9,22f. LXX / 1Sam 2,10 LXX. So bleibt festzuhalten, dass die Rechtfertigungslehre in der oben beschriebenen Doppelpoligkeit der Sache nach im Kontext der Kreuzestheologie, wie sie in 1Kor 1f. entfaltet wird, ein Äquivalent hat. Die grundlegenden Übereinstimmungen zwischen diesen beiden zentralen Ausformulierungen der paulinischen Theologie lassen sich auf folgenden Nenner bringen: „‚A l’abolition 52  Vgl. auch Wolter, Paulus, 123. Vgl. auch Gal 6,11–15, wo Paulus dem statusbezogenen sich-Rühmen im Fleisch, d. h. in der Beschneidung im Gegenüber zur Unbeschnittenheit, das sich-Rühmen im Kreuz Jesu Christi antithetisch gegenüberstellt.

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de la Loi par l’Évangile de la grâce53 correspond la destitution de la sagesse; à la justification de l’impie, l’election de ce qui n’existe pas (1,28); à la foi la glorification dans le Seigneur (1,32 [sic])‘“54. 5.2.2 1Thess und die Rechtfertigungslehre Die mit Blick auf 1Thess aufschlussreichsten Zusammenhänge aus dem Röm, die die Rechtfertigungslehre thematisieren, sind Röm 1,16f. und 10,9f. In Röm 1,16f. wird das von Paulus verkündigte Evangelium (1,1) als „Macht Gottes (δύναμις … θεοῦ) zur Rettung (σωτηρίαν) für jeden, der glaubt (πιστεύοντι), den Juden zuerst und auch den Griechen“, bestimmt. Als Grund dafür wird die Offenbarung der „Gerechtigkeit Gottes (δικαιοσύνη … θεοῦ)“ im Evangelium „aus Glauben zum Glauben“ genannt. Das verkündigte Evangelium, dessen Ursprung Gott ist (1,1), ist danach nicht nur gesprochenes Wort und Mitteilung, sondern Wirkmacht (δύναμις) Gottes, die sich in der zukünftigen Rettung all derer aus Juden und Heiden manifestiert, die glauben, das heißt „das Evangelium annehmen“55. Diese Bestimmung des Evangeliums wird in v17 rechtfertigungstheologisch zugespitzt. Die im Evangelium wirksame Macht Gottes zur Rettung konkretisiert sich in der Gegenwart56 in der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes57, die im Menschen „nur und allein der Glaube“ wirksam werden lässt. 58 Die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes wird Paulus in 3,21–24 im Sinne der christologisch vermittelten Rechtfertigungsgnade präzisieren, den Glauben als Glauben an Jesus Christus. Blickt man von Röm 1,16f. aus auf 1Thess, so ist unverkennbar, dass sich der Aussagegehalt von Röm 1,16 bereits in diesem Brief zeigt, nicht aber seine rechtfertigungstheologische Konkretion. 59 53 

Diese Gegenüberstellung ist aber anders zu fassen, da von einer Abschaffung des Gesetzes bei Paulus nicht die Rede ist. 54  Senft, Epître, 42 (zit. nach Zumstein, Wort, 41). Vgl. ferner Söding, Kreuzestheologie, 167, und Vollenweider, Weisheit, 44. 55  Käsemann, Römer, 21. 56  Vgl. das präsentische ἀποκαλύπτεται in v17 sowie Röm 3,21 mit der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes νυνί. 57 Zur δικαιοσύνη im Verhältnis zur σωτηρία vgl. bes. Dunn, Romans, 37: „Attention should not be focused exclusively on v 17: the principal emphasis is actually on the saving power of the gospel (v16b), with v 17 functioning as the chief justification (‚for‘) for the assertion“; so im Anschluss an Zeller, Juden, 62: „Die in 1,16b behauptete Heilsmacht des Ev ist das umgreifende Motiv“ (im Original unterstrichen). Haacker, Brief, 38, sieht in εἰς σωτηρίαν und δικαιοσύνη eine sachliche Entsprechung. S. ferner Schlier, Römerbrief, 44f. 58  Wolter, Paulus, 68. 59  Während letzteres, das Fehlen rechtfertigungstheologischer Aussagen, für den 1Thess in der Literatur häufig hervorgehoben wird, wird ersteres nicht in derselben Deutlichkeit betont. Gewisse Ausnahmen stellen Michel, Brief, 54, und Wilckens,

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In 1Thess 1,5 schreibt Paulus bezüglich des von ihm verkündigten Evangeliums (εὐαγγέλιον ἡμῶν), es sei bei den Thessalonichern „nicht allein im Wort (ἐν λόγῳ) geschehen, sondern in Kraft (ἐν δυνάμει), in heiligem Geist (ἐν πνεύματι ἁγίῳ) und in großer Wirkung ([ἐν] πληροφορίᾳ πόλλῇ)“.60 Diese drei Bestimmungen benennen die Begleitumstände, unter denen die Verkündigung ergeht, und die Wirkung, die sie erzielt. Auf diese Weise wird der Machtcharakter des Evangeliums noch deutlicher zum Ausdruck gebracht als in Röm 1. Dass dieses Evangelium das Evangelium Gottes ist, in dem dieser selbst wirkt, wird Paulus im weiteren Verlauf des 1Thess verdeutlichen.61 Nach 1Thess 1,5c.6a erweist sich der Machtcharakter des Evangeliums zum einen im Auftreten des Apostels (v5c), dem es von Gott anvertraut ist (2,4), zum anderen an den Thessalonichern selbst, die zu Nachahmern des Paulus und des Kyrios wurden, „indem sie das Wort des Evangeliums in großer Bedrängnis mit Freude annahmen“ (δεξάμενοι τὸν λόγον; 1,6)62, bzw., was dasselbe ist, diesem Wort ‚glauben‘.63 Der Glaube der Thessalonicher verdankt sich m. a. W. der Wirkmacht des Evangeliums. Dieser Zusammenhang wird in Röm 1,16 nicht explizit hergestellt64, wohl aber der Zusammenhang Brief, 1 83, dar, die für den δύναμις-Begriff in Röm 1,16 auf 1Thess 1,5 verweisen, sowie bes. Haacker, Brief, 37, und Wolter, Brief, 116. 60  Bauer-Aland, 1348, zufolge ist die Hauptbedeutung von πληροφορία „d. (volle) Überzeugung, d. Gewißheit“; als weitere mögliche Bedeutung führen sie „Fülle“ (kurs.) auf; v5 ordnen sie ersterer Bedeutung zu. Entsprechend übersetzt Fee, Letters, 28, „deep conviction“, während Holtz, Brief, 41, den Begriff mit „große(r) Fülle“ wiedergibt. Fee, Letters, 35, weist jedoch mit Recht darauf hin, dass der Ausdruck „refers in a way both to Paul’s preaching and to their (sc. der Thessalonicher) response to it. His ­preaching was accompanied by the power of the Holy Spirit so as to carry great conviction, which finally was evidenced by their conversion“ (s. ebd. auch zum Stand der Diskussion). Weil hier der Akzent auf der „Wirkung“ liegt, die auch diejenigen Ausleger im Blick haben, die den Begriff mit „Fülle“ wiedergeben (vgl. dazu die Diskussion bei Malherbe, Letters, 112, der selbst aber für „conviction“ plädiert), wird hier für „Wirkung“ optiert. Dies gilt umso mehr, als es Paulus hier gerade nicht um seine eigene „Überzeugungskraft“ geht, sondern ausweislich der beiden vorausgehenden Begriffe um die dem Evangelium innewohnende göttliche Macht. Diese Wiedergabe wird auch durch 1Thess 2,13 gestützt, wo die Wirksamkeit des Wortes Gottes (λόγον θεοῦ) ausdrücklich hervorgehoben wird (ὅς … ἐνεργεῖται) sowie durch das in πληροφορέω enthaltene dynamische Moment; vgl. LSJ, 1491: „bring full measure“. S. ähnlich Delling, πληροφορία, 309: „nicht bloß im Wort, sondern in großer Fülle göttlichen Wirkens“ (tw. kurs.); zustimmend aufgenommen von Hübner, πληροφορέω, 255. 61  Vgl. 1Thess 2,13 (λόγον θεοῦ). S. auch Malherbe, Letters, 125: „Paul describes the gospel, not in terms of its content …, but totally in terms of its power and effect“. Zum Evangelium als Kraft in 1Thess s. auch Jantsch, Gott, 61–86. 62  Vgl. dazu Fee, Letters, 38. 63  Vgl. u. a. Söding, Thessalonicherbrief, 196, und Wolter, Paulus, 68.72. Vgl. auch v7: Die Thessalonicher sind den Glaubenden (τοῖς πιστεύουσιν) in Makedonien und in der Achaia darin τύπος, dass sie das Wort (λόγος) angenommen haben. 64  Vgl. aber 1Kor 2,5; s. ferner Röm 15,18f. sowie 10,14.17.

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von der Rettungsmacht des Evangeliums und dem Glauben als dem Modus, in dem es angenommen wird. Die in v16 erwähnte soteriologische Seite des Evangeliums wird in 1Thess 1,5f. nicht benannt. Ausweislich der inhaltlichen Bestimmung des mit der Annahme des Wortes identischen Glaubens in v9f. hat Paulus diese aber bereits im Blick. Dies verdeutlichen die vv8–10. In v8 verschmelzen ὁ λόγος τοῦ κυρίου und ἡ πίστις ὑμῶν ἡ πρὸς τὸν θεόν weitgehend, das heißt Wort und Glaube. Das „Wort des Herrn“, das von den Thessalonichern aus in Makedonien und der Achaia zum Ertönen gebracht worden ist (ἐξήχηται), ist die in diesen Gebieten bekannt gewordene Nachricht von dem, was der Kyrios an und unter den Thessalonichern gewirkt hat (v6), nämlich ihren „Glauben an Gott“.65 Die πίστις … ἡ πρὸς τὸν θεόν ist vom λόγος als ihrer Ursache nicht zu trennen. So kommt der Glaube der Thessalonicher auch hier unter dem Aspekt der Wirkmacht des Evangeliums in den Blick. Nach v9f. manifestiert sich dieser Glaube im Verhältnis zum Apostel und seiner Botschaft, das heißt in seinem Zugang zu den Thessalo­ nichern (v9a) und deren Antwort auf seine Verkündigung (v9b–10). Diese Antwort besteht in einem Doppelten, nämlich in der existenzverändernden Hinwendung zu dem lebendigen und wahren Gott und im Warten auf den von Gott aus den Toten erweckten Sohn aus den Himmeln, Jesus, den Retter (τὸν ῥυόμενον) aus dem kommenden Zorn. Der Glaube ist demnach zum einen ein Tun, das sich in der Hinwendung zu Gott und im Warten auf den Sohn zeigt. Zum anderen ist der Glaubensinhalt gemeint: Er ist ähnlich wie in 4,14 als der Glaube an den Sohn bestimmt, den Gott von den Toten erweckt hat und der als der endzeitliche Retter wiederkommen wird. Die soteriologische Dimension wird Paulus in 5,9 mit der göttlichen Bestimmung von Apostel und Gemeinde „zur Erlangung der Rettung (εἰς περιποίησιν σωτηρίας)“ explizit benennen. Zusammenfassend ist für den erörterten Gedankengang damit Folgendes festzuhalten: Die πίστις, die durch die dem Evangelium innewohnende δύναμις Gottes geschaffen ist, enthält das Versprechen auf endzeitliche Rettung. Die Begriffe εὐαγγέλιον, δύναμις, πίστις und ῥύομαι /σωτηρία finden sich ebenfalls in Röm 1,16, wenngleich in etwas anderer Zuordnung. Hier ist es die dem Evangelium inhärente Kraft Gottes, die für die Glaubenden die Rettung wirkt. Diese Differenz dürfte kaum einen grundsätzlichen Unterschied implizieren, sondern als Akzentverschiebung zu deuten sein. In jedem 65  Vgl. die Struktur des Satzes und dazu Fee, Letters, 42f. Dagegen deutet Malherbe, Letters, 117, den λόγος τοῦ κυρίου auf die Verkündigung der Thessalonicher (vgl. v3 mit τοῦ ἔργου τῆς πίστεως). Diese Deutung steht in Spannung zu der richtigen Beobachtung von Wolter, Paulus, 335f., der in den Zusammenstellungen von Glaube und Liebe, wie sie u. a. in v3 vorgenommen wird, den Glauben theologisch als das Verhalten gegenüber Gott deutet, die nachfolgende „Liebe“ als Äquivalent zur hellenistischen φιλανθρωπία.

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Fall ist deutlich, dass der Subjektcharakter des im Evangelium wirksamen Gottes für beide Texte konstitutiv ist66 und der Glaube als die adäquate Reaktion auf das Evangelium bestimmt wird.67 Damit reflektiert bereits 1Thess die beiden Aspekte, die in der Forschung als das Zentrum der Rechtfertigungslehre ausgemacht werden. Entsprechendes gilt für 1Thess 2,13. Es handelt sich dabei um die zweite Danksagung des Briefes, die die Annahme des Evangeliums durch die Thessalonicher zum Inhalt hat:68 „… als ihr das Wort der Verkündigung, (das) von Gott (stammt), von uns empfingt (παραλαβόντες), habt ihr es nicht als Wort von Menschen (οὐ λόγον ἀνθρώπων) angenommen (ἐδέξασθε), sondern, was es in Wahrheit ist, als Wort Gottes (λόγον θεοῦ), das auch unter euch, den Glaubenden, wirksam ist (ἐνεργεῖται)“.69 Als Wort von Gott und nicht von Menschen erweist sich das von Paulus den Thessalonichern verkündigte Wort darum, weil dieses Wort als ein solches erfahren wird, in dem Gott unter den Glaubenden machtvoll wirkt. Die Figur ‚nicht von Menschen, sondern von Gott‘ verbindet 1Thess 2,13 direkt mit den erörterten Texten von Paulus und Philo. Zugleich entspricht der Vers mit der ihm zugrunde l­ iegenden Sequenz: (a) Verkündigung des Wortes Gottes, d. h. des Evangeliums, (b) Annahme des Wortes bzw. Glauben, (c) Wirksamkeit des Wortes bzw. des Evangeliums unter den Glaubenden, in der Sache ziemlich genau Röm 1,16. Während in 1Thess 2,13 jedoch nur allgemein von der Wirkmacht Gottes in seinem Wort die Rede ist, spezifiziert Paulus diese in Röm 1,16 durch den Begriff der σωτηρία.70 Schließlich sind mit 1Thess 4,14 und Röm 10,9f. zwei Texte aufzunehmen, die verdeutlichen, dass die der Rechtfertigung zugrunde liegende theologische Grundstruktur bereits im 1Thess Niederschlag gefunden hat. Der Text aus 1Thess 4 lautet:71 66 S. auch Malherbe, Letters, 123, der für 1Thess von einer „perspective dominated by God“ spricht; ebd., 132, erläutert er dies für 1Thess 1,9f. S. ferner ebd., 299. 67  Zu notwendigen Differenzierungen im Glaubensverständnis von 1Thess und Röm s. u. 68 Vgl. Fee, Letters, 85, der v13 als eigenen Unterabschnitt behandelt. Malherbe, Letters, 172, hält v13 demgegenüber für eine „interpolation“ bzw. eine „rhetorical digression“. 69  Das Relativpronomen ὅς kann sich grammatisch auf λόγος wie auch auf θεός beziehen; meist wird es auf λόγος bezogen, „but the distinction need not be made too sharply“ (Malherbe, Letters, 167). 70 S. aber oben zu 1Thess 5,9. 71  Bei 1Thess 4,14 in seiner Gesamtheit dürfte es sich nicht um eine Paulus überkommene Formulierung handeln; vgl. Holtz, Brief, 190 – dass es sich um eine Formel handelt, „ist kaum sicher zu sagen“ – mit Anm. 238. Malherbe, Letters, 265, erörtert das Problem nur für v14b und kommt zu einem negativen Ergebnis, Fee, Letters, greift es erst gar nicht auf.

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„a Wenn wir nämlich glauben,   b dass Jesus gestorben und auferstanden ist,   c so wird Gott auch die Entschlafenen durch Jesus mit ihm (zusammen) herauf­ führen“.72

Paulus benennt in v14b den Glaubensinhalt, nämlich Tod und Auferstehung Jesu. Dieser Glaube, so in der durch εἰ eingeleiteten Protasis v14a.b, ist die Voraussetzung dafür, dass Gott, wie der Apostel in der Apodosis v14c formuliert, in der Folge die Verstorbenen durch Jesus aus dem Tod heraufführen wird. 1Thess 5,9f. spricht in diesem Zusammenhang, wie angedeutet, von σωτηρία73. Sinngemäß heißt es in Röm 10,9 74: „a1 Denn wenn du mit deinem Mund bekennst (ὁμολογήσῃς),  b1 (dass) Jesus Herr (ist),   a2 und du in deinem Herzen glaubst (πιστεύσῃς),   b2 dass Gott ihn von (den) Toten auferweckt hat,   c wirst du gerettet werden (σωθήσῃ)“.

In der Satzstruktur und in seinem Inhalt entspricht dieser Vers im Kern 1Thess 4,14. Auf die Protasis, in der sich an die Einleitung (a1+2) der jeweilige Bekenntnis- und Glaubensinhalt anschließt (b1+2), folgt in der Apodosis die Zusage der göttlichen Rettung (c), die damit wie in 1Thess 4 als Folge des Glaubens (bzw. Bekennens) verstanden ist. In Röm 10,10 erfolgt die Explikation des vorausgehenden Verses: „mit dem Herzen nämlich wird geglaubt zur Gerechtigkeit (πιστεύεται εἰς δικαιοσύνην), mit dem Mund aber bekannt zur Rettung (ὁμολογεῖται εἰς σωτηρίαν)“. Während Bekennen und Glauben nach v9 gemeinsam als die notwendige Voraussetzung der Rettung erscheinen, erläutert Paulus den Begriff σωθήσῃ (v9) in v10 durch δικαιοσύνη einerseits und σωτηρία andererseits. Er unterscheidet damit ähnlich wie in Röm 1,16f. zwischen der präsentischen und der futurischen Gestalt der Rettung.75 Entscheidend ist hier aber dies: Wie Paulus davon reden kann, dass zur Ge72  εἰ γὰρ πιστεύομεν ὅτι Ἰησοῦς ἀπέθανεν καὶ ἀνέστη, οὕτως καὶ ὁ θεὸς τοὺς κοιμηθέντας διὰ τοῦ Ἰησοῦ ἄξει σὺν αὐτῷ. Zum Verständnis der Satzkonstruktion εἰ … οὕτως vgl. Malherbe, Letters, 265f. – V14 enthält die übergeordnete Aussage, die in v15–17 entfaltet wird; Holtz, Brief, 186, bezeichnet das Verhältnis von v14 zu v15.16f. als „das des Allgemeinen zum Speziellen“. 73  Die Stelle ist insgesamt als Sachparallele zu 1Thess 4,14 zu verstehen, auch wenn sie eine andere Satzstruktur hat. Für beide Texte ist Gott das Subjekt der endzeitlichen Rettung, die durch Jesus Christus ins Werk gesetzt wird. Beide Stellen leiten aus Tod (und Auferstehung) das zukünftige Zusammensein der Entschlafenen (sowie in 5,10 auch der Lebenden) mit Christus ab. 74  V9 wird häufig als eine aus der Tradition übernommene Formel verstanden (vgl. u. a. die von Haacker, Brief, 211, Anm. 59, zitierte Literatur). Haacker, ebd., 211, im Anschluss an O. Kuss, zufolge kommt man dabei „über die bloße Denkbarkeit“ aber kaum hinaus. Dunn, Romans, 609, scheint in v9 als ganzem eine paulinische Formulierung zu sehen, die Röm 1,16 in Erinnerung rufe. 75 S. auch Dunn, Romans, 609, und Wilckens, Brief, 2 28.

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rechtigkeit geglaubt wird, was nichts anderes heißt, als dass „Gott … den Menschen auf Grund seines Glaubens gerecht(spricht)“76, so kann er parallel dazu auch sagen, dass zur Rettung bekannt wird. Die in v10 vorgenommene Verbindung der Rettung mit dem Bekennen und nicht mit dem Glauben, ist angesichts der Verknüpfung von Glaube und Rettung in 1,16 und 10,9 als variatio eines gemeinsamen Grundthemas, nicht als eine das Prinzipielle betreffende Differenz zu verstehen. Dies gilt um so mehr, als Paulus in 1Thess 4,14 in Verbindung mit 5,9f. die endzeitliche Rettung der Verstorbenen ähnlich aus dem Glauben an Jesu Tod und Auferstehung ableitet. Im Horizont von Röm 10,9f. lässt sich für 1Thess 4,14/5,9f. damit folgendermaßen formulieren: „Geglaubt wird zur Rettung“. In Abwandlung von M. Wolters Bestimmung des Glaubens im Kontext der Rechtfertigungslehre heißt dies dann, dass Gott den Menschen auf Grund seines Glaubens rettet. Dass dies nicht retrospektiv von Röm 10 in 1Thess 4 hineingelesen wird, sondern in diesem frühesten Paulusbrief bereits angelegt ist, wird durch die vorgetragene Auslegung von 1,8–10 und 4,14 mit 5,9f. bestätigt.77 Damit ist festzustellen, dass das, was Wolter (und ähnlich andere) als Zentrum der paulinischen Rechtfertigungslehre bestimmt, nämlich dass „Gott … den Menschen auf Grund des Glaubens gerechtspricht“, entsprechend für das göttliche Rettungshandeln gilt, und zwar nicht nur im Röm, sondern bereits im 1Thess. Auf dieses Faktum wird in den Darstellungen zur Rechtfertigungslehre nur selten verwiesen.78 Ein wesentlicher Grund dafür mag sein, dass die Formeln, die das ‚auf Grund des Glaubens‘ im Röm zum Ausdruck bringen, sich im 1Thess nicht finden.79 Darüber sollte aber nicht die Sache selbst ver76 

Wolter, Paulus, 344 (kurs.). der hervorgehobenen Übereinstimmungen sind die Differenzen zwischen Röm und 1Thess nicht zu übersehen. Während in 1Thess die futurische Eschatologie dominiert (was freilich nicht heißt, dass Paulus in diesem Brief nicht auch für die „Gegenwart des Heils … durchaus einen Blick hat“ [Söding, Thessalonicherbrief, 188; s. auch ebd., 184]), wird für den Röm nicht zuletzt aufgrund der Gerechtigkeitsterminologie die präsentische Dimension der Eschatologie hervorgehoben. Bei aller Betonung des Präsentischen sind auch für den Röm die futurisch konnotierten Aussagen, die sich mit der Wurzel δικαι- verbinden, nicht zu übersehen; vgl. dazu Röm 5,18f.21; 10,9–13 (zu nicht mit dieser Wurzel verbundenen futurischen Aussagen vgl. bes. Röm 5,9f.; 11,26f.31f.; 13,11; 14,10–12). So ist der Unterschied nicht im Grundsätzlichen zu suchen, sondern in der Betonung. S. auch unten Anm. 94, wo Forschungspositionen Erwähnung finden, die, nun freilich umgekehrt, auf die Ersetzung der futurischen Eschatologie des Paulus durch das präsentische Rettungsverständnis des Eph hinweisen. 78  Zu einer Ausnahme vgl. Söding, Thessalonicherbrief, 201, der betont, dass die „Rechtfertigungstheologie auf der christologischen und soteriologischen Linie liegt, die Paulus bereits in seiner Frühzeit verfolgt hat“. Nach dieser Linie ist „Gott nicht nur der Ursprung, sondern auch uneingeschränkt das Subjekt des gesamten Heilsgeschehens“ (ebd., 189). 79  Am nächsten kommt der Sprache des Röm in 1Thess die Wendung διὰ τῆς ὑμῶν 77  Trotz

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loren gehen, dass der rettende Glaube, den Paulus im Röm auch als rechtfertigenden Glauben fasst, bereits in 1Thess thematisiert wird. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Rede vom Glauben in beiden Briefen ist in der Antithetisierung der gemeinsamen Grundüberzeugung ‚aufgrund von Glauben‘ zu sehen, die im Röm (und Gal) zur Formel wird, der Paulus das gleichermaßen formelhafte ‚aufgrund von Werken‘ gegenüberstellt. Bei dieser Antithese aber geht es, wie gesehen, im Kern um die Frage, wer Subjekt der Rechtfertigung ist, Gott oder der Mensch. Der Subjektcharakter Gottes ist aber kein neues Thema der Rechtfertigungslehre, sondern zeigt sich, wie gesehen, bereits in 1Thess 2,13 und 1Kor 1f. (u. a.). Deshalb ist es auch folgerichtig, wenn Paulus in Röm 9,30–10,13 beide Dimensionen verbindet. In 9,30–10,6 handelt er ausführlich über die ἐκ πίστεως δικαιοσύνη (o.ä.) im Unterschied zur δικαιοσύνη ἡ ἐκ [τοῦ] νόμου, um in 10,9 dann eine sprachliche Form zu finden, die 1Thess 4,14 nahekommt. Wie die Weiterung 10,10 um die δικαιοσύνη -Thematik zeigt, lässt sich im Kontext von Röm 9,30– 10,13 die Aussage v9 zwar nicht von der ihn bestimmenden Auseinandersetzung mit dem Teil des Judentums, mit dem Paulus im Röm im Gespräch ist, loslösen. Dass es sich bei dieser Gestalt aber um eine Entfaltung einer unpolemischen Grundüberzeugung handelt, belegt 1Thess 4,14. Denn trotz ihrer jeweiligen kontextualen Zuspitzung formulieren beide Texte denselben Gedanken: Die Rolle des Menschen besteht im Glauben an das Handeln Gottes in Tod und Auferstehung Jesu Christi, handelndes Subjekt aber ist Gott. So zeigen sich wesentliche Aspekte, die in der Rechtfertigungslehre in einer spezifischen theologiegeschichtlichen Situation ausformuliert werden, in nuce bereits in 1Thess. Somit ist festzuhalten, dass das „spezifisch und original paulinische(s) Konzept“ der Rechtfertigungslehre80 mit seinem Doppel von Subjektcharakter Gottes und rechtfertigendem (und rettendem) Glauben trotz seiner Spezifizität und Originalität in dem Gesamt der paulinischen Theologie kein eigenständiges, von den übrigen Theologumena losgelöstes Konzept ist, sondern bereits im 1Thess in seiner Grundstruktur, das heißt vor seiner rechtfertigungstheologischen Zuspitzung, erkennbar ist.

πίστεως (3,7), die hier aber in einem anderen Sinn gebraucht wird: Paulus wird durch den Glauben der Gemeinde getröstet. 80  Wolter, Paulus, 344 (tw. kurs.). Er bezieht diese Aussage auf die Einzigartigkeit der Rechtfertigungslehre „in der theologischen Landschaft des frühen Christentums“; dazu s. aber unten Kap. 5.3.

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5.3 Der Philo und Paulus gemeinsame Kern und die Rezeption der Rechtfertigungslehre in Eph 2,8–10 Einer der frühesten Interpreten der paulinischen Theologie, der Verfasser des Eph, hat den für Paulus und Philo identifizierten Kern wie kein anderer neutestamentlicher Autor erfasst und ihn mit sprachlichen Figuren und Motiven aus der Rechtfertigungslehre und den erörterten Zusammenhängen aus der Korintherkorrespondenz reformuliert81. Damit untermauert er nachdrücklich, dass das „spezifisch und original paulinische(s) Konzept“ der Rechtfertigungslehre82 sich in das Ganze der paulinischen Theologie harmonisch einfügt, es sich bei ihr m. a. W. um nichts anderes als eine, wenngleich gewichtige Zuspitzung einer Grundfigur des paulinischen Denkens handelt. Der Abschnitt, aus dem dies erhellt, ist Eph 2,8–10. 81  Der Eph stellt nach einem weitgehenden Konsens der Forschung zwar über „weite Strecken“ eine „Relecture des Kolosserbriefs“ dar (Theobald, Kanon, 208; s. dazu ferner ders., Epheserbrief, 417–420, Schnelle, Einleitung, 350, und Pokorný/­H eckel, Einleitung, 630–633). Dies gilt aber nicht für den hier im Zentrum stehenden Abschnitt Eph 2,8–10, in dem sich der Verfasser an paulinischer Theologie orientiert. Er rekurriere im Zuge „einer verstärkten Paulinisierung des überkommenen Erbes“ (Theobald, Epheserbrief, 420 [tw. kurs.]) zwar auch „auf Paulusbriefe…, die ihm womöglich in Form einer ersten kleinen Briefsammlung vorlagen“ (Theobald, Kanon, 208; ebd., Anm. 187, hält er eine paulinische Kenntnis von 1Kor, 2Kor, Gal und Röm für möglich [dazu s. auch Gese, Vermächtnis, 74f., sowie Schnelle, Einleitung, 350]). Für Eph 2,8–10 rechnen große Teile der Forschung aber eher nicht bzw. nicht ausschließlich mit einem direkten Rückgriff des Verfassers auf die Paulusbriefe, weil es, so Luz, Brief, 131, „keine Stelle (gibt), auf die er sich direkt bezieht“. Theobald, Kanon, 208, tendiert bei der nicht „eindeutig entscheidbar(en)“ Frage, „ob literarischer Bezug oder Rekurs auf lebendige Überlieferung vorliegt“ (tw. kurs.), zu letzterem (für vergleichbare Positionen s. den Forschungsüberblick bei Gese, Vermächtnis, 90). Er verweist dafür auf den „stark formelhafte(n) Charakter der Parolen“. Dazu ist freilich zum einen zu bemerken, dass sich die in die Rechtfertigungstheologie gehörenden „Formeln“ in Eph 2,8–10 teilweise mit sachlich-strukturellen Äquivalenten aus 1Kor 1 verbinden (dazu s. im Folgenden). Zum anderen ist festzustellen, dass sich die Darstellung in Eph 2,8–10 keineswegs in der Formelhaftigkeit der sprachlichen Bezüge zur Rechtfertigungslehre erschöpft, diese sich vielmehr auch in der Sache reflektiert (vergleichbar argumentiert Lincoln, Ephesians, 111–113; s. auch Gese, Vermächtnis, 162–168). Das schließt Verschiebungen und Neuakzentuierungen nicht aus; dazu s. im Folgenden sowie bes. Gese, ebd., und Lincoln/Wedderburn, Theology, 130–132.134–137. So wird man hier durchaus auch mit literarischem Bezug zu rechnen haben. – Für Mussner, Brief, 28, Lincoln/ Wedderburn, Theology, 131, Schnelle, Einleitung, 345, u. a. ist ein Beispiel für die beträchtlichen Unterschiede zu den echten Paulinen der gänzlich unpolemische Charakter der Rechtfertigungslehre in Eph 2,5.8–10. Doch betrifft diese Differenz angesichts des in der Forschung eruierten Zentrums der paulinischen Rechtfertigungslehre (s. o. Kap. 4.1) nicht ihren Kern. Es kommt hinzu, dass die Aussagen von Eph 2 dann kaum als unpolemisch zu bezeichnen sind, wenn die unten vorgetragene Deutung des χάρις-Begriffs und der Wendung οὐκ ἐξ ἔργων, wie sie durch ihren Kontext (2,11–22) präzisiert wird, zutrifft. 82  Wolter, Paulus, 344 (tw. kurs.).

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In dem ihm vorausgehenden Zusammenhang Eph 2,1–7 stellt der Verfasser dem Einst des Wandels in Übertretungen und Sünden (v1–3)83 die durch die machtvolle Gnade Gottes in der Taufe gewirkte neue Existenz der Adressaten in Christus (v4–7) antithetisch gegenüber.84 Die vv8–10 formulieren in einer an Paulus angelehnten Terminologie die Implikationen von v4–7 für Selbstverständnis und Handeln der Adressaten. V4–7 zufolge hat der Gott, der reich an Erbarmen ist, die einst in ihren Übertretungen Toten zusammen mit Christus lebendig gemacht, sie mitauferweckt und in den Himmeln miteingesetzt in Christus Jesus. Ziel dessen ( ἴνα) ist der Erweis „des überschwänglichen Reichtums der Gnade (χάριτος)“ Gottes in Christus Jesus durch keinen anderen als Gott selbst. Die theozentrische Kontur dieser Aussagen ist unübersehbar. Damit bleibt festzuhalten, dass für v4–7 der Subjektcharakter Gottes im Kontext seines soteriologischen Handelns vom Verfasser des Eph in ähnlicher Deutlichkeit formuliert wird, wie von Paulus selbst.85 Dies zeigt sich auch in dem hier entscheidenden Zusammenhang v8–1086, der nun in den Blick zu nehmen ist. In v8a setzt der Verfasser, zuvor Gesagtes (v5) aufnehmend, mit der Bemerkung ein: „denn durch die Gnade ([τ]ῃ … χάριτι) seid ihr gerettet (σεσῳσμένοι) aufgrund des Glaubens (διὰ πίστεως)“. Obwohl er wie Paulus in 1Thess und 1Kor 1 die Rechtfertigungsterminologie hier nicht verwendet und stattdessen Rettungsbegrifflichkeit gebraucht, umschreibt der Satz das inhaltliche Zentrum der Rechtfertigungslehre, wie es oben bestimmt wurde, entspricht doch der Glaube aufseiten des Menschen dem Gnadenhandeln Gottes in der Rettung der Glaubenden aufseiten Gottes. Eine entsprechende Verbindung findet sich in Röm 4 im Zusammenhang mit der Rechtfertigungsterminologie (δικαιοσύνης πίστεως; v13) auch in v16: „Deswegen: aus Glauben (ἐκ πίστεως), damit gemäß der Gnade ( ἵνα κατὰ χάριν)“. In der Forschung gibt es deutlich vernehmbare Stimmen, die im Gegensatz zu der hier vorgeschlagenen Deutung in v8a eine „Zurückdrängung der Rechtfertigungsbotschaft“ wahrnehmen.87 Zwei Gründe werden dafür vor allem genannt, zum einen die bereits erwähnte Ersetzung der Rechtfertigungs83 

Vgl. das zweifache ποτέ in v2f. V4 wird durch adversatives δέ eingeleitet. 85 S. ähnlich Luz, Rechtfertigung, 372, Anm. 22, dem zufolge χάρις in Eph 2 „weit­ hin der pln δικαιοσύνη θεοῦ“ entspricht. Dies gelte sowohl für ihren „theozentrischen Aspekt“ als auch für ihren Gabencharakter. 86  In der Sache ähnlich wird die Aussageabsicht von Eph 2,1–10 auch von Gerber, Leben, 374, bestimmt: Die „Menschen jüdischer wie nichtjüdischer Herkunft (sind) von sich aus nicht in der Lage … zu einem gottgefälligen Leben, sondern Gott (hat) sie mit der Auferweckung Jesu Christi gerettet und zu einem neuen Leben befähigt“. 87  So u. a. Luz, Rechtfertigung, 375, und Schnackenburg, Brief, 100. Zu einem Forschungsüberblick zur Rezeption der Rechtfertigungslehre in Eph 2,8–10 vgl. Gerber, Leben, 368–372. 84 

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durch die Rettungsterminologie, zum anderen das Verständnis der „Rettung als schon erfolgtes und bleibend wirksames Heilsgeschehen (Perfekt)“.88 Zum ersten Argument ist Folgendes zu bemerken: Eph 2,8f. gebraucht mit χάρις, διὰ πίστεως und ἐξ ἔργων drei Formulierungen, die sich in der Hauptstelle der Rechtfertigungslehre, Röm 3,19–30, finden; hinzu kommt mit δῶρον ein Begriff, dessen Wurzel δωρ - in Röm 3,24 in Gestalt des L ­ exems δωρεάν verwendet wird. Ferner ist daran zu erinnern, dass Paulus in Röm 10,10 die bereits in 1Thess 4,14 ähnlich formulierte Aussage Röm 10,9, „wenn … du … glaubst, dass Gott ihn von (den) Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden“, rechtfertigungstheologisch zuspitzt und damit wie bereits zuvor in 1,16f.; 5,9f. die konzeptionelle Zusammengehörigkeit von Rettung und Rechtfertigung zum Ausdruck bringt. Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass der Verfasser des Eph in seinem an Heidenchristen gerichteten Brief dieselbe Terminologie verwendet wie Paulus in den für denselben Adressatenkreis bestimmten Briefen 1Thess und 1Kor. Denn im Kontext der Rechtfertigungslehre gebraucht, ist δικαιοσύνη κτλ ein jüdisch-judenchristlicher Spezialbegriff 89, der einer griechisch geprägten Leserschaft unverständlich war.90 Deshalb ist mit der Verwendung von δικαιοσύνη κτλ im Eph im Kontext der Rezeption der Rechtfertigungslehre auch nicht zwingend zu rechnen. Auch ohne die Verwendung des Begriffs der δικαιοσύνη bleibt das für Paulus in der Auseinandersetzung mit dem Judentum konstitutive kritische Potential der Rechtfertigungslehre in ihrer Übersetzung durch den Verfasser des Eph erhalten. Der Begriff der χάρις kann im Hellenismus seinen Ort in der Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Mensch haben, wird dort aber meist als ein auf Verdienst beruhendes Handeln der Götter im Kontext

88  Schnackenburg, Brief, 98, der damit ebenfalls einen weitgehenden Konsens formuliert; s. ferner u. a. Luz, Rechtfertigung, 372. 89  Vgl. dazu u. a. Wilckens, Brief, 1 212–222, Stuhlmacher, Theologie, 330–332, Dunn, Theology, 340–344, Hossfeld, Gedanken, Niebuhr, Rechtfertigungstheologie, 121–123, ders., Bausteine, 350–354, und die ebd., 354, aufgeführte Literatur, Seifrid, Language, ders., Use, und bei eigener Akzentuierung Schnelle, Theologie, 233–236. 90 S. ähnlich Sellin, Brief, 186; zur Bedeutung des Begriffs in der griechisch-hellenistischen Welt vgl. u. a. Dillon, Platonism, 163, und Schnelle, Theologie, 235f., mit weiterer Literatur. Die δικαιοσύνη-Begrifflichkeit gehört in die paulinische Debatte mit dem Judentum bzw. dem Judenchristentum, der Eph aber ist (wie 1Thess und 1Kor) „more of an address to Gentiles“ (Marshall, Salvation, 343). Marshall, ebd., nennt es zudem „a fair conclusion, that Paul’s preferred term for the effect of believing in Christ is in fact salvation“. Es bedürfe also keines „special reason“ für die „absence“ der Rechtfertigungsterminologie im Eph. S. auch Pokorný, Brief, 104: „In der paulinischen Schule hat man also das Erbe des Meisters verständlicherweise in Begriffen überliefert, die der späteren Phase christlicher Sprache entsprechen“.

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des Reziprozitätssystems verstanden.91 Auch die πίστις gehört in dieses System und bezeichnet in diesem Kontext vor allem die Loyalität bzw. Treue der Rezipienten der göttlichen Wohltaten.92 Der Verfasser des Eph weist mit seiner an Paulus geschulten Theologie und Begrifflichkeit die mit dieser Terminologie in der paganen Umwelt verbundenen Vorstellungen zurück und füllt χάρις und πίστις im Sinne der paulinischen Rechtfertigungslehre. So ist Eph 2,8 als eine kontextbedingte Reformulierung der Rechtfertigungslehre zu erkennen, die paulinisches Denken in die hellenistische Geisteswelt übersetzt. Zum zweiten Argument ist festzustellen, dass das Perfekt ἐστε σεσῳσμένοι keineswegs impliziert, dass der Verfasser des Eph die futurische Eschatologie des Paulus durch ein präsentisches Rettungsverständnis ersetzt.93 Denn die Zeitverhältnisse sind bei beiden Autoren weniger eindeutig, als es diese These vermuten lässt. So finden sich auch in den echten Paulinen Stellen, in denen die σωτηρία primär präsentisch konnotiert ist94, wie umgekehrt auch im Eph Elemente einer futurischen Eschatologie zu erkennen sind.95 Wichtiger noch aber ist dies: Wenn es sich bei v8a um eine Aktualisierung der paulinischen Rechtfertigungslehre für einen griechisch geprägten Adressatenkreis handelt, wofür oben plädiert wurde, dann ist die präsentische Rede von der Rettung eine genaue Entsprechung zur Rechtfertigung bei Paulus, die ebenfalls primär präsentisch zu verstehen ist.96 So ist auch das Perfekt 91 Vgl.

Talbert, Ephesians, 63–67. Dazu s. auch oben Kap. 3.4.1. Talbert, Ephesians, 64. 93  Vgl. u. a. Luz, Rechtfertigung, 372, und Schnackenburg, Brief, 98. 94  Vgl. Röm 8,24 und 1Kor 1,18; 2Kor 2,15 (vgl. dazu Adam, Paulus, 217; die rein präsentische Deutung dieser Stelle ist aber strittig [vgl. Wolff, Der erste Brief, 35, und Holtz, Völker, 74]). Die auch präsentische Deutung der σωτηρία durch Paulus (vgl. dazu Sellin, Differenzierungsprozesse, 267) wie umgekehrt die auch futurische Deutung der Eschatologie im Eph (dazu s. im Folgenden) wird von Gerber, Leben, 382f., bei ihrer Deutung des perfektischen σῴζειν in Eph 2,5.8, mit der es ihr darum geht, die Heilungsaussagen der Evangelien als nächste Parallele dazu zu erweisen, ebenso wenig berücksichtigt wie die Tatsache, dass die juridische Dimension der Rechtfertigungslehre nur ein Aspekt ist, der, wie gesehen, in der gegenwärtigen Forschung zudem nicht als zum Zentrum der Rechtfertigungslehre gehörig bestimmt wird. Auch berücksichtigt sie die enge Verbindung von Rechtfertigung und Rettung in Röm 1,16f.; 10,9f. nicht hinreichend. 95  Luz, Rechtfertigung, 372 mit Anm. 23, räumt dies auch selbst unter Hinweis auf Eph 4,30; 5,6; 6,13 ein. 96 S. aber Röm 5,18f.; Gal 5,5. Zum Ganzen vgl. auch Marshall, Salvation, 344: Der „alleged contrast between Ephesians and the Hauptbriefe (sc. den echten Paulinen) in regard to placing the accent on a past salvation-event appears to ignore the fact that in Paul justification and reconciliation are both regarded as past events in the life of the believer. They undoubtedly look forward to the future, but it is surely the case that Pauline theology is firmly centred on what God has done in Christ…“. S. ferner ebd., 345: „There does not appear to be any significant difference between the Hauptbriefe and Ephesians so far as the basic structure of salvation is concerned“. 92 Vgl.

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ἐστε σεσῳσμένοι kein Argument für die These von einer „Zurückdrängung der Rechtfertigungsbotschaft“ durch den Verfasser des Eph, im Gegenteil.97 Den Gedanken „durch die Gnade … aufgrund des Glaubens“ (Eph 2,8a) expliziert der Verfasser in v8b in einem dazu chiastisch stehenden Parallelismus folgendermaßen: „Und dies nicht von euch aus (οὐκ ἐξ ὑμῶν), Gottes (θεοῦ) Gabe ist es“.98 Damit bringt er die im Horizont der paulinischen Rechtfertigungslehre formulierte Aussage v8a auf den Nenner ‚οὐκ ἐξ ὑμῶν, sondern θεοῦ‘, reformuliert sie m. a. W. im Horizont der für die Korintherkorrespondenz99 und Philo aufgezeigten sprachlichen und motivischen Gestalt und verdeutlicht damit das theozentrische Gefälle der Aussage v8a. In v9a sucht der Verfasser erneut den Anschluss an die Begrifflichkeit der Rechtfertigungslehre, wenn er die Wendung οὐκ ἐξ ὑμῶν (v8b) nun durch οὐκ ἐξ ἔργων aufnimmt und damit in Anlehnung an Paulus den Gegensatz zu διὰ πίστεως (v8a) markiert.100 V8.9a erinnern an zwei Stellen im Röm. In Röm 11,6 heißt es: εἰ δὲ χάριτι, οὐκέτι ἐξ ἔργων. In v4f. geht dem eine soteriologische Aussage über die gnadenhafte Bewahrung des Restes voraus, so dass in beiden Briefen der Zusammenhang von Gnade, Rettung und ‚nicht aus Werken‘ hergestellt wird. Die zweite hier zu erwähnende Stelle ist Röm 9,12, die wie v8b ein antithetisches Moment enthält und die menschliche Seite wie v9a mit ‚nicht aus Werken‘ umschreibt: οὐκ ἐξ ἔργων ἀλλ’ ἐκ τοῦ καλοῦντος, das ist Gott. Die soteriologische Dimension wird in dem vorausgehenden Vers (v11) ebenso wie in 11,4–6 als Erwählung (ἐκλογή) gefasst. Die Werke, die hier im Blick sind, sind ethisch konnotiert.101

 97 

Vgl. auch Wolter, Entwicklung, 37, der – mit eigenen Argumenten – Eph 2,8–10 als hermeneutische Fortschreibung und Neukontextualisierung der paulinischen Rechtfertigungstheologie versteht.  98  „θεοῦ has been placed first in the word order for the sake of an emphatic contrast with the ὑμῶν“ (Lincoln, Ephesians, 112). Die zitierten Wendungen in v8 folgen der Struktur des Chiasmus a-b-b'-a', so dass οὐκ ἐξ ὑμῶν (v8b) διὰ πίστεως (v8a) erläutert und θεοῦ τὸ δῶρον (v8b) χάριτί ἐστε σεσῳσμένοι. Während also b+b' die menschliche Seite beleuchten, beziehen sich a+a' auf die göttliche. Die Syntax der beiden Teilverse stellt keine genaue Entsprechung dar. Gleichwohl sprechen die aufgezeigten strukturellen Überlegungen dafür, καὶ τοῦτο in v8b auf v8a als ganzen zu beziehen; vgl. dazu u. a. Schnackenburg, Brief, 98, Lincoln, aaO., 112, und Gese, Vermächtnis, 90 („καί explicativum“; das Folgende ist durch das „Demonstrativum besonders nachdrücklich hervorgehoben“).  99  Vgl. 1Kor 1,30 (übrigens wie in Eph 2,10 mit vorangestelltem [ἐξ] αὐτοῦ); 2,12; 3,6f.; 2Kor 10,13.18. Zur Verwendung der antithetisch strukturierten Formel im Kontext der Rechtfertigungslehre vgl. Phil 3,9. 100  Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass bei Paulus im Kontext der Rechtfertigungslehre διά bzw. ἐξ ἔργων νόμου steht (dazu s. Lincoln, Ephesians, 112). S. aber im Folgenden zu Röm 9,6; 11,6. 101  Vgl. v11, wo es um das Tun von Gut und Böse geht.

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In vergleichbarer Weise bezeichnen die „Werke“ in Eph 2,9a nicht die zwischen Juden und Heiden trennenden „Werke des Gesetzes“.102 Sie repräsentieren vielmehr die menschlichen Fähigkeiten und Handlungweisen im Allgemeinen.103 Der Verfasser des Eph verallgemeinert die Diskussion im Röm „to make it one about salvation by grace as opposed to human effort in general rather than works of the law in particular“.104 Zu den Werken zählen im weiteren Kontext auch der „heidenchristliche(r) Dünkel gegenüber der judenchristlichen Minorität“.105 In v9b folgt der Finalsatz ἵνα μή τις καυχήσηται. Die Aussage beschreibt die Absicht, die sich mit der theozentrisch strukturierten Heilsökonomie, wie sie in v8.9a entfaltet wird, verbindet.106 Wie bei Paulus in der Korintherkorrespondenz und im Kontext der Rechtfertigungslehre mündet auch im Eph die Überzeugung des sich in v8.9a artikulierenden ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ in die Absage an den Selbstruhm, der sich hier im Verhältnis zum judenchristlichen Teil der Gemeinde Ausdruck zu verschaffen scheint.107 Die sprachliche Form v9b entspricht 1Kor 1,29.108 Auf die Konjunktion ἵνα folgt 102 

370f.

Vgl. bes. Gnilka, Epheserbrief, 131, Pokorný, Brief, 110, und Dunn, Theology,

103 Vgl.

Gnilka, Epheserbrief, 131, Lincoln, Ephesians, 112, Theobald, Kanon, 209, Wolter, Entwicklung, 36, und Gerber, Leben, 385f. 104  Lincoln/Wedderburn, Theology, 135. Auch Dunn, Theology, 371, deutet sie auf „human effort“. S. ferner Marshall, Salvation, 346: Die Werke im Eph sind „a person’s own achievements, whether good deeds or the requirement of the Jewish law, and they are what a person relies on for a right relationship with God“. Damit enthält die „Neufassung des paulinischen Basissatzes (sc. Röm 3,28) in Eph 2,8f.“ anders als bei Paulus das „Potential eines ekklesiologischen Kriteriums … nicht mehr“ (Theobald, Rechtfertigung, 105). 105  Theobald, Kanon, 209 (tw. kurs.), stellt dies dem sich im sich-Rühmen des Röm artikulierenden „falschen jüdischen Erwählungsstolz“ gegenüber (tw. kurs.); s. ähnlich bereits Schnackenburg, Brief, 98, der von der Überheblichkeit der „Heidenchristen gegenüber den Judenchristen“ spricht. Folgende Argumente sind dafür in Anschlag zu bringen. (1) Der Verfasser des Eph spricht die Adressaten in 2,1f. ausdrücklich auf ihre heidnische Vergangenheit an. Sie sind nicht anders als die Juden „einem verfehlten Leben verfallen“ (Theobald, Augen, 69). (2) Der auf 2,1–10 folgende Abschnitt thematisiert die Frage von Juden und Heiden in der Gemeinde. (3) Der 2,1–10 bestimmende Gegensatz von einst und jetzt wird in 2,11–13 fortgeführt. (4) Den Darlegungen in 2,11–22 scheint ein gestörtes Verhältnis zwischen Heiden- und Judenchristen zugrunde zu liegen. 106  Lincoln/Wedderburn, Theology, 132, sehen in Eph 2,8–10 einen „decrease in the role given to human response to salvation“ im Vergleich zu Paulus, und das heißt zugleich: eine Intensivierung der Gnade. 107  Unter Hinweis auf die alttestamentliche Tradition widerspricht Gese, Vermächtnis, 164, der Deutung des Rühmens auf ein „Rühmen im zwischenmenschlichen Bereich“; zurückgewiesen werde „der Selbstruhm des Geschöpfes vor seinem Schöpfer“. Im Horizont des paulinischen Befundes (dazu s. o. Kap. 5.2.1), den der Eph hier rezipiert, ist diese Deutung aber nicht zwingend. 108  Auf diese Stelle verweist auch Gerber, Leben, 386, bezeichnet sie aber als „nicht mehr als eine knappe Anspielung“; vgl. demgegenüber Wolter, Entwicklung, 36.

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jeweils die Nennung der durch sie bezeichneten Absicht, nämlich das Verbot des Selbstruhms. Es ist in beiden Texten in universaler Weite formuliert. Die Fortsetzung Eph 2,10 zeigt Übereinstimmungen mit dem Duktus der Argumentation von 1Kor 1,30f. Wie in v30 auf die Ablehnung des sich-Rühmens ein Satz folgt, in dem eine betont vorangestellte Gottesaussage mit einer Feststellung über das neue Sein der Adressaten verbunden ist (ἐξ αὐτοῦ δὲ ὑμεῖς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ), so auch in Eph 2,10: „Denn sein Gebilde sind wir (αὐτοῦ γάρ ἐσμεν ποίημα)109, erschaffen in Christus Jesus (ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ) zu guten Werken, die uns Gott im Voraus bereitet hat, damit ( ἵνα) wir in ihnen wandeln“. V10 dient der Begründung (γάρ) der Absage an den Selbst­ruhm:110 Weil Gott die Glaubenden in Christus zu guten Werken erschaffen hat, kann es kein sich-Rühmen mit Blick auf das eigene Handeln geben. Bei näherer Betrachtung zeigen sich in v10 noch weitere Gemeinsamkeiten mit 1Kor 1,30f. So folgt in beiden Texten auf das theologische Argument eine Aussage über die Neuschöpfung der Glaubenden in Jesus Christus.111 Sie unterscheiden sich zwar in der Formulierung – in 1Kor 1,30 ist vom Sein der Gemeinde in Christus Jesus und ihrer durch ihn hervorgebrachten neuen Existenz die Rede, in Eph 2,10 von ihrer Erschaffung in Christus Jesus –, stimmen in der Grundtendenz aber überein. Die Neuschaffung zielt auf das Tun der guten Werke, was aber keinen Gegensatz zu Paulus bedeutet, weil sie „im Voraus von Gott bereitet sind“. Damit bleibt das theozentrische Gefälle hier ebenso wie in 1Kor gewahrt.112 Zudem ist zu beachten, dass Christus in 1Kor 1,30 u. a. als ἁγιασμός für die Gemeinde beschrieben wird113, der sich nicht anders als der Wandel in den guten Werken (Eph 2,10) ethisch vollzieht. Auf die Aussage über die Neuschöpfung der Glaubenden und die Charakterisierung des Wie ihrer Erneuerung (Eph 2,10a.b//1Kor 1,30) folgt dann jeweils ein weiterer ἵνα-Satz, der die Zielsetzung des göttlichen Handelns in 109 

Auf das betont vorangestellte αὐτοῦ verweist auch Schnackenburg, Brief, 99. 1Kor 1,30 hat im Verhältnis zum Vorausgehenden demgegenüber keine begründende Funktion, sondern wird mit kontrastivem δέ an v29 angeschlossen; vgl. dazu Fee, Epistle, 84f. 111  Zur Neuschöpfung in Jesus Christus bei Paulus in Zusammenhängen, in denen Schöpfungsterminologie gebraucht wird, vgl. Gal 6,15; 2Kor 5,17 (im darauffolgenden v18 wird die Neuschöpfung in Christus ausdrücklich auf Gott zurückgeführt: τά … πάντα ἐκ τοῦ θεοῦ; dieser wird sodann christologisch-soteriologisch näherbestimmt). 112  Darum ist Sellin, Brief, 188, zuzustimmen, wenn er formuliert, dass die „Auffassung von der ‚Präexistenz der Werke‘ … eine nicht mehr steigerbare Radikalisierung der paulinischen Rechtfertigungslehre darstellt“. Am nächsten kommen Eph 2,10b bei Paulus Aussagen wie Röm 6,4; 8,4 und Phil 2,(12.)13, wo der Apostel betont, dass das Tun durch Gott bzw. seinen Geist gewirkt ist, es also Ausfluss der transformierenden Macht des Handelns Gottes ist und sich im neuen Wandel manifestiert (Röm 6,4). Zu Phil 2,12f. vgl. Marshall, Salvation, 357f., sowie zum Ganzen Lincoln, Ephesians, 114f., und Gese, Vermächtnis, 165–167. 113  Zur Auslegung von 1Kor 1,30 s. o. Kap. 2.1.1. 110 

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Christus neuerlich benennt. Dem Inhalt nach unterscheiden sich die Aussagen auch hier – in Eph 2,10 ist es der Wandel in den von Gott bereiteten Werken, in 1Kor 1,31 das sich-Rühmen im Herrn –, in der wesentlichen Zielsetzung aber stimmen sie überein: Die Glaubenden sollen in ihrem Handeln dem ihnen von Gott verliehenen eschatologischen Status entsprechen. So sind bei allen Unterschieden im Einzelnen die Übereinstimmungen in der Argumentationsstruktur wie in der Grundaussage von 1Kor 1,29–31 und Eph 2,8–10 unübersehbar. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass der Verfasser des Eph in geradezu kongenialer Weise Elemente der paulinischen Rechtfertigungslehre mit Sprachformen verbindet, mit denen der Apostel die ekklesiologischen und anthropologischen Konsequenzen seiner theologisch zentrierten Kreuzestheologie in 1Kor 1 entfaltet. Der Eph ist somit ein Zeuge dafür, dass bereits in der frühesten Paulus-Auslegung die Rechtfertigungslehre mit anderen Gestalten des Zentrums der paulinischen Theologie versprochen werden konnte. Möglich war dies, weil sie allesamt Ausformulierungen der Mitte der paulinischen Theologie sind, die sich auf den Nenner ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ bringen lässt. Dies verdeutlicht der Verfasser des Eph mit der Synthese von Elementen der Rechtfertigungslehre und der Korintherkorrespondenz, insbesondere 1Kor 1. In diese Synthese fließen mit dem Subjektcharakter Gottes und der Zurückweisung des Selbstruhms des Menschen zwei Aspekte ein, die sich in der Rechtfertigungslehre ebenso wie in 1Kor 1 zeigen. Aus der Rechtfertigungslehre übernimmt der Verfasser des Eph die Vorstellung der Gnade Gottes, die sich aufseiten des Menschen im Geschenkcharakter des göttlichen Handelns manifestiert, sowie des Glaubens, der im Gegensatz zu einem ἐξ ἔργων zu stehen kommt (v8a.9a). Mit diesen Elementen, dem Subjektcharakter Gottes, der Gnade und dem Glauben, integriert der Verfasser des Eph diejenigen Elemente der Rechtfertigungslehre, die in der Forschung als ihre zentralen Elemente identifiziert wurden. Aus der Korintherkorrespondenz übernimmt er das ‚aus Gott‘, das im Gegensatz zu einem ‚aus Menschen‘ zu stehen kommt (v8b). Zudem rezipiert er aus 1Kor 1 die Vorstellung, dass sich der Selbstruhm aufgrund der Neuschöpfung in Christus verbietet. So interpretieren sich für den Verfasser des Eph Motive aus der paulinischen Rechtfertigungslehre und des philonisch-paulinischen Kerns, der sich in exemplarischer Weise in 1Kor 1 verdichtet findet, gegenseitig. Für diesen frühen Interpreten der paulinischen Tradition gehört offenbar beides untrennbar zusammen, der Philo und der Korintherkorrespondenz gemeinsame Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ und sein Äquivalent im Kontext der Rechtfertigungslehre, ‚nicht aus Werken‘ (v9a), ‚sondern durch die Gnade Gottes aufgrund des Glaubens‘ (v8a).

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5.4 Der Philo und Paulus gemeinsame Kern und die Entstehung der Rechtfertigungslehre Unter Voraussetzung der im Voranstehenden begründeten These, dass sich die paulinische Rechtfertigungslehre in den für Philo und die Korintherkorrespondenz identifizierten Kern einzeichnet, ist ihre Entstehung partiell anders zu bestimmen, als dies in den bislang vorliegenden Entwürfen geschieht. Diese sind zunächst in der gebotenen Kürze darzustellen (4.4.1), bevor ein der vorgetragenen These korrespondierendes alternatives Entstehungsmodell entfaltet wird (4.4.2). 5.4.1 Die Entstehung der Rechtfertigungslehre. Ein Forschungsüberblick In der Forschung werden zur Frage des Zeitpunkts der Entstehung der Rechtfertigungslehre im Wesentlichen drei Modelle vertreten, die Frühdatierung, ein diachrones Modell und die Spätdatierung. Angesichts der Fülle der Literatur können hier nur die wichtigsten Deutungen vorgestellt werden. Für die Vertreter der Frühdatierung ist zunächst auf P. Stuhlmacher zu verweisen, für den sich die Rechtfertigungslehre mit der Berufung des Paulus zum Apostel Jesu Christi verbindet. Paulus habe „die Rechtfertigung der Gottlosen … vor Damaskus am eigenen Leibe erfahren!“ Damit habe sich ein „weiterer Erfahrungsaspekt“ verknüpft: „Vor Damaskus ist Paulus deutlich geworden, daß nicht er, sondern die von ihm verfolgten ‚Hellenisten‘ … mit ihrem Bekenntnis und ihrer Lehre vor Gott recht hatten. Durch diese Einsicht wurde für Paulus das Verhältnis von Tora und Evangelium umgekehrt. Die vor Gottes Gerichtsthron ausschlaggebende Gerechtigkeit war nicht durch … Gesetzesobservanz zu erhalten …, sondern nur durch … den Glaubensgehorsam gegenüber dem Κύριος Ἰησοῦς“.114

Der Grundsatz der Rechtfertigung ‚aus Glauben, nicht aus Werken des Gesetzes‘ würde demnach direkt in der Christusoffenbarung des Apostels vor Damaskus wurzeln, ohne allerdings selbst Teil der Offenbarung zu sein.

114  Stuhlmacher, Theologie, 247f.; zu Stuhlmachers Argumenten gegen eine Spätdatierung der Rechtfertigungslehre vgl. ebd., 333f. S. ähnlich u. a. Dietzfelbinger, Berufung, 90–92, und Kim, Origin, 269–288, bes. 271: „These biographical data (sc. die in Gal 1 berichteten) already make it abundantly clear that Paul perceived the revelation of the Son of God on the Damascus road as the revelation of God’s righteousness apart from the law (Rom 3,21) immediately“; in leicht revidierter Form vertritt Kim diese Position in ders., Paul, 45–53, bes. 52: „It seems realistic to suppose that Paul … formulated his doctrine of salvation (or justification) within that initial period of his apostolic ministry“, d. h. in den ersten „two to three years after the Damascus revelation“.

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Ein weiterer Vertreter der Frühdatierung ist M. Hengel. Er geht davon aus, dass auch und gerade das paulinische „teaching concerning justification and the law“ sich in den ca. sechzehn Jahren zwischen dem Damas­kus­ erlebnis und dem Beginn der sog. zweiten Missionsreise entwickelt haben muss.115 Damit wendet er sich ähnlich wie Stuhlmacher116 zugleich gegen die von A. Schweitzer und die durch ihn beeinflussten Ausleger vertretene These, die Rechtfertigungslehre sei ein durch die galatische Krise bedingter ‚Nebenkrater‘. Innerhalb der von ihm abgesteckten Zeitspanne von sechzehn Jahren verortet Hengel ihre Ausbildung in großer zeitlicher Nähe zum Damaskuserlebnis: „the encounter with the Resurrected One near Damascus set before him the question of the law or Christ in the form of a soteriological alternative“.117 Diese und andere Einsichten gehören nicht zu einer „later ephemeral ‚polemical doctrine,‘ accidental consequences of anger over Ju­ daistic disturbances in Galatia. They are rather basic insights of his new, christologically imprinted existence, insights which were present from its beginning onward“.

Diese These sieht er ausdrücklich nicht durch die Tatsache widerlegt, dass Paulus die Rechtfertigungslehre erst zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre nach Damaskus formuliert habe. „Here the individual statements are not so significant as the astounding riches of the Pauline language and argument which they make visible… It is indeed remarkable how little he repeats himself and how he expresses the same matter, the end of the law and the salvation which has been newly opened in Christ, in ever new metaphors and forms of argument“.

Ihm zufolge ist es unmöglich, „to demonstrate a fundamental change in the center of the Pauline message from the time of his conversion“.118 Nur auf dieser Basis seien die retrospektiven Aussagen des Apostels in Gal 1f. und Phil 3 überhaupt zu verstehen. Die „first six or seven decisive years from Damascus up to the end of his stay in Tarsus“ dürften entgegen einer Tendenz in der Forschung, die Ausbildung der paulinischen Theologie in Antiochien zu verorten, nicht übersehen werden.119 Die Frage, ob der Gesetzesgehorsam „a condition of salvation“ oder das Werk Christi ihre hinlängliche Voraussetzung sei, sei nicht erst auf dem ‚Apostelkonzil‘ und im antiochenischen Konflikt virulent geworden, sie sei vielmehr die Voraussetzung beider Konflikte.120 Folgerichtig geht Hengel davon aus, dass Paulus während seines 115  Den folgenden Ausführungen wird Hengels verdichteter Beitrag „Stance“ zugrunde gelegt (Zitat: 75). 116 Vgl. Stuhlmacher, Theologie, 333. 117  Hengel, Stance, 84; s. ähnlich Frey, Perspektiven, 93. 118  Hengel, Stance, 85. 119 Ebd. 120 Ebd., 87. Das bislang Gesagte verhandelt Hengel unter der Überschrift: „2. The

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ersten Jerusalemer Besuchs Petrus von seiner in Gal 2,16 formulierten Einsicht überzeugt habe, dass keiner ‚aus Werken des Gesetzes, vielmehr durch Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt‘ werde. Dies sei die Voraussetzung für den antiochenischen Konflikt.121 Entsprechendes gelte für Barnabas.122 Ursache dieses Konflikts sei nicht eine Verhärtung der paulinischen Position zum Gesetz gewesen, sondern die der Jerusalemer.123 Paulus könne in der galatischen Krise nur so scharf reagiert haben, weil er zuvor u. a. auch den Galatern „his theologia crucis and Christ as ‚the end of the law‘“ verkündigt habe. Ohne eine solche Vorbereitung wäre den Galatern der an sie gerichtete Brief nicht verständlich gewesen.124 Für die Gruppe derer, die ein diachrones Modell für die Entstehung der Rechtfertigungslehre vertreten, werden im Folgenden vier Ansätze vorgestellt. J. D. G. Dunn zufolge war das paulinische Verständnis der Rechtfertigung aus Glauben „probably clear and firm from the first“. Demgegenüber sei die antithetische Formulierung „‚from faith and not from works of the law‘ … probably the outcome of his confrontation with his fellow believing Jews in Jerusalem and Antioch (Gal. 2.1–16)“.125 Es hat Dunn zufolge also nicht die galatische Krise gebraucht, um Paulus zu der Einsicht zu bringen, dass Gott alle, die ans Evangelium glauben, akzeptiert. Für den Apostel sei die Gerechtigkeit Gottes als rettende Gerechtigkeit (Röm 1,16f.) Teil seines alttestamentlich-jüdischen Erbes gewesen, die er von Beginn seiner heidenmissionarischen Aktivitäten an als Evangelium für Juden und Heiden verkündigt habe.126 Die in Gal 2,16 aufgeworfene Frage von „faith versus works“ sieht er als „response to the crisis at Antioch. The belief that justification was from faith in Christ Jesus was the common ground. The events at Antioch showed Paul that the teaching had to be sharpened – faith and not works“.127 Conversion of the Persecutor near Damascus and Its Theological Consequences“ (ebd., 78). Das im Folgenden Dargestellte stellt er unter die Überschrift: „3. Arabia and Jerusalem“ (ebd., 87). 121  Vgl. ebd., 92f. 122  Vgl. ebd., 97. Dies verhandelt Hengel unter der Überschrift „4. The Fourteen Years in Syria and Cilicia“ (ebd., 93). 123 Vgl. ebd., 101. Ursächlich dafür seien die Entwicklungen beginnend mit Agrippa I. gewesen. 124 Ebd., 98 (tw. kurs.). 125  Dunn, Perspective, 36. 126  Vgl. ebd., 37. S. auch Stuhlmacher, Theologie, 232. Ähnlich gehen Hengel/ Schwemer, Paulus, 167, davon aus, dass folgende Vorstellungen „dem pharisäischen Schriftgelehrten schon von Jerusalem her vertraut“ waren: „die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes, das Unvermögen des Sünders, als Fleisch Gottes Willen zu tun, und seine Angewiesenheit auf die Rechtfertigung von Gott her und das Wirken des Geistes, die Formel ‚Werke des Gesetzes‘ u. a. m.“. In der Zuweisung bestimmter, die spätere Rechtfertigungslehre konstituierender Vorstellungen an den Pharisäer Paulus besteht eine gewisse Übereinstimmung mit Burchard; dazu s. im Folgenden. 127  Dunn, Perspektive, 40f.; s. ähnlich Niebuhr, Rechtfertigungstheologie, 113f.,

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Für M. Seifrid steht fest, dass die paulinische „conclusion that righteousness is given solely through Christ would have been concomitant to his adoption of early Christian traditions of Jesus’ death as an atonement“.128 Er verortet die paulinische Einsicht der Gerechtigkeit als allein durch Christus gegebener Gabe ziemlich am Anfang der apostolischen Existenz des Paulus, das heißt „within a fairly short period of time“ nach seiner Vision des auferstandenen Christus.129 Inhaltlich vollzieht sich mit seiner Berufung Sei­f rid zufolge ein verändertes Verständnis der Gerechtigkeit. Hoffte er sie als Pharisäer „due to a combination of God’s prevenient gifts and his own faithfulness“ zu erlangen, so lernte er sie nach Damaskus als „a salvific event in which Paul played no contributory role“ zu verstehen. Er erhoffte die eschatologische „right­eousness solely ἐκ θεοῦ, to the exclusion of his cooperative efforts“. In der Folge dieses neuen Verständnisses der Gerechtigkeit war Paulus dann auch „able to embrace Gentiles as equal heirs to salvation, and to engage in a mission in which the distinction between Jew and Gentile was dis­ mantled“.130 Das heißt, dass für Seifrid die veränderte Soteriologie mit der Gerechtigkeit ‚aus Glauben, nicht aus Werken des Gesetzes‘ als ihrem Zentrum eine neue Ekklesiologie aus sich heraussetzte. Damit bestimmt er die Abfolge von Entstehung der Rechtfertigungslehre und Heidenmission genau umgekehrt wie Dunn. Zugleich aber betont er, dass „a difference must be recognized between the shift in Paul’s soteriology following his conversion, which can be described only in the most general language, and the arguments which he later enunciates in Galatians, Phil 3 and Romans“.

Folglich sieht Seifrid in den „arguments regarding ‚justification by faith apart from works of the Law‘ … a development in Paul’s thought“131, die durch die Auseinandersetzung über die Frage der Beschneidung von Heiden und der Tischgemeinschaft zwischen Juden und Heiden in Antiochien beschleunigt worden sei. Er scheint damit im ‚Apostelkonvent‘ und in der antiochenischen Krise zentrale Ereignisse für die Klärung des paulinischen Rechtfertigungskonzeptes zu sehen, ohne dass es in jener Zeit bereits voll ausgeprägt gewesen wäre. Dazu verweist er u. a. auf 1Thess.132 Folgerichtig stellt er fest, dass die „development of arguments and the elaboration of his views were distinct from his own acceptance of a righteousness given ­through faith in Christ alone“.133 Am Röm zeigt er sodann auf, dass Paulus der „die Auseinandersetzung um die Beschneidung in Galatien kaum als Wendepunkt“ (Hvb. G.H.) ansieht. 128  Seifrid, Justification, 178. 129 Ebd., 179. 130 Ebd. 131 Ebd., 180. 132  Vgl. ebd., Anm. 163. 133 Ebd., 180.

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die „forensic justification by faith“, und zwar „‚by faith alone‘“, in diesem Brief nicht „solely in regard to Jew-Gentile relations“, und das heißt im Kontext der Ekklesiologie, anwendet, sondern auch in Bezug auf weitere Fragestellungen: im Kontext der Vergewisserung der Heiden hinsichtlich ihrer Rettung, als Grund des Ausschlusses des „boasting in any religious pride“ und schließlich in der individuell-existentiellen Dimension.134 Auch C. Burchard vertritt ein diachrones Modell. Ihm zufolge kannte Paulus die Rechtfertigungslehre bereits in seiner pharisäischen Zeit, d. h. vor seiner Christusvision „vor Damaskus“.135 Die Aussage Gal 2,16a.b, „nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus“, die sicher auf die antiochenische Gemeinde zurückzuverfolgen sei136, sei Paulus schon in seiner pharisäischen Phase durch Christus-Gläubige, konkret die Jerusalemer Hellenisten, vermittelt worden.137 ‚Gerechtigkeit aus Werken des Gesetzes‘ beziehe sich ursprünglich nicht auf den „Toragehorsam schlechthin“138, sondern bezeichne einen „energischen“ bzw. eine bestimmte Art von „intensiviertem Toragehorsam“139, den Paulus Burchard zufolge vor Damaskus selbst gelebt und der sich bei ihm zugleich mit Christenfeindschaft verbunden habe. Retrospektiv habe er ihn in Phil 3,5f. auf die Formel „untadelig gemäß der Gerechtigkeit im Gesetz“ gebracht. Infolge seiner Christwerdung habe er die Gerechtigkeit aus Werken des Gesetzes verworfen und sich die Position seiner ehemaligen Gegner, das heißt der frühesten judenchristlichen Kirche140, die er zuvor verfolgte, zu eigen gemacht: gerecht ‚nicht aus Werken des Gesetzes, sondern aus Glauben an Jesus Christus‘.141 In der Neudeutung dieses Grundsatzes im Kontext der galatischen Krise in 134 Ebd., 249; zu diesen Themen verweist Seifrid auf Röm 5,1–11; 9–11 und 7,14– 25. S. auch ebd., 211: „These expansions of the field of forensic justification to questions broader than the status of uncircumcised Gentiles, both confirm the fundamental significance it had to Paul’s thought, and indicate that Paul’s theology of ‚justification by faith‘ had undergone development“. Seifrid geht es bei seiner Argumentation darum zu zeigen, dass die Rechtfertigungslehre gegen W. Wrede nicht „a mere Kampfeslehre“ ist (ebd., 249 [tw. kurs.]). 135  Burchard, Nicht aus Werken, 408. 136  Vgl. ebd., 407, mit Becker, Paulus, 101.303. 137  Vgl. ebd., 408. 138 Ebd., 410. 139 Ebd., 411 (positiv aufgenommen von Theobald, Kanon, 191; Burchard verweist dazu u. a. auf 4QMMT). Das aber heißt, dass ‚nicht aus Werken des Gesetzes‘ „ursprünglich weder ‚nicht durch (den vollen Anschluß ans Judentum kraft Beschneidung und) Erfüllung der Tora‘ bedeutet noch ‚nicht durch Erfüllung der (in Christus überholten, ungültigen oder schädlichen) Tora‘“ (ebd., 409 [Hvb. G.H.]). Mit ersterer Bestimmung spielt Burchard auf die Deutung der Werke des Gesetzes im Kontext der New Perspective an, mit zweiterer auf die der sog. Old Perspective. 140 Ebd., 410, verortet Burchard, Gal 2,16b in der „frühe(n)“ nachösterlichen „Anhängerschaft Jesu in Jerusalem (Judäa?)“. 141  Vgl. ebd., 409f.

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Gal 2,15f., wo Paulus ihn „abwehrend, jetzt gegen Judenchristen, die Heidenchristen zum ἰουδαΐζειν bringen wollen“, wende, sieht Burchard „eine unvorhergesehene, aber keine unsachliche Anwendung“.142 Paulus habe im Versuch der Gegner, „nachträglich auch alles von ihnen (sc. den heidenchristlichen Galatern) zu verlangen, was Juden im Unterschied von den Heiden tun müssen, … nicht zu Unrecht eine Parallele zu ausgrenzender Rechtfertigung aus Werken des Gesetzes (ge)sehen, gegen die sich der Grund-Satz ursprünglich gewandt hatte“.143

In der Deutung Burchards wird er so von einem soteriologisch-eschatologischen Satz im Raum der exklusiv judenchristlichen Kirche zu einem ekklesiologischen Satz im Kontext der galatischen Krise.144 Schließlich ist M. Theobald dem diachronen Modell zuzuordnen. Er vermutet, dass Gal 2,16 „der in der antiochenischen Gemeinde anerkannte missionstheologische Kanon gewesen“ sei. „Wenn man will, kann man ihn paulinisch nennen, da Paulus an der Konsensbildung in der Gemeinde… beteiligt gewesen sein dürfte; doch sollte man dabei nicht übersehen, daß es sich eben um den Grundsatz einer Ortskirche, nicht den eines einzelnen Theologen gehandelt hat“.145 Zeitlich verortet er die Ausbildung des Grundsatzes unter Hinweis auf Apg 15,1.5; Gal 2,4f. in der Zeit vor dem ‚Apostelkonzil‘, als die antiochenische Gemeinde „‚zu einer programmatischen ‚offenen Heidenmission‘‘ übergegangen“ sei.146 Dabei habe sie versucht, „ihre Option einer beschneidungsfreien Heidenmission gegen eine pharisäisch bestimmte Überzeugung durchzusetzen, was seinen Niederschlag in der oppositionellen Struktur des Lehrsatzes fand“. Folglich sieht Theobald den „‚Sitz im Leben‘“ des rechtfertigungstheologischen „Kanon(s)“ in der Ekklesiologie, dabei sei der Gemeinde aber „ausschließlich am soteriologischen Gesichtspunkt“ gelegen gewesen.147 Paulus habe den antiochenischen Kanon, den er „als autoritative Größe betrachtet“ habe, zweimal aufgegriffen, in Gal 2,16

142 Ebd.,

413.

143 Ebd., 413f. – An dieser Stelle stimmt Burchard

mit Dunns Deutung der Werke des Gesetzes überein. 144  Letzteres ergibt sich unmittelbar aus dem Zitat, für ersteres ist auf folgende Aussage Burchards zu verweisen: Der antiochenische Grundsatz Gal 2,16a sei weder nur auf den Pharisäismus zu beziehen, noch auf das „Judentum schlechthin“, sondern „könnte … ursprünglich gemeint haben: der jüdische Mensch … wird nicht dadurch gerechtfertigt, daß er eine besondere Halacha eines Bundes für entschiedenes Judentum auf sich nimmt und sich damit einerseits von der lauen Mehrheit des real existierenden Israel absondert …, andererseits die Christgläubigen (und andere alternative Erneuerungsbewegungen) bekämpft“ (ebd., 410 ([Hvb. G.H.]); s. auch ebd., 405–407. 145  Theobald, Kanon, 189f. (tw. kurs.). 146 Ebd., 192, in Aufnahme einer Formulierung von W. Kraus. 147 Ebd., 191f.

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und Röm 3,28, und habe ihn als „Basissatz“ für die nachfolgende Argumentation verwendet. „Von besonderem hermeneutischem Interesse dabei ist, daß er den Satz über seinen ursprünglichen Sinn und seine Anwendung in Gal 2f. und Röm 3f. hinaus zur Deutung auch anders gelagerter und neuer Probleme verwendet: nämlich der Frage, wie der ‚Anstoß‘, den Israel am Evangelium genommen hat, zu verstehen sei (9,30–33), bzw. was es bedeute, daß dennoch ein ‚Rest‘ aus Israel zum Glauben an Jesus gelangt ist (11,5f. …)“.

In Röm 11,6; 9,12 finde die bereits im Basissatz enthaltene „Opposition eine Auslegung auf ihre gnaden- bzw. erwählungstheologische Tiefendimension hin“. Seine „theologische Entfaltung“ im Gal und Röm „verläuft“ also „vielschichtig“.148 Mit diesem Deutungsansatz berührt sich Theobald mit Sei­ frid, wenngleich nicht in den konkreten Elementen. Die theologische Entfaltung, die Theobald vornimmt, ist hier nicht darzustellen.149 Entscheidend ist in unserem Zusammenhang, dass er mit verschiedenen Aktualisierungen des antiochenisch-paulinischen ‚Basissatzes‘, die er im Rahmen eines Kontinuitätsmodells interpretiert, rechnet, und nicht mit einem Schlüsselereignis, das einen Wendepunkt im Verständnis der Tradition darstellt.150 Darin berührt er sich mit Burchard. Abschließend ist auf das Modell der Spätdatierung einzugehen. Seine Vertreter schließen Vorformen des Rechtfertigungsdenkens bei Paulus zwar nicht aus151 und rechnen insofern auch mit einer Entwicklung des paulinischen Denkens. Es wird aber deshalb nicht der Diachronie zugeordnet, weil seine Vertreter die Entstehung der Rechtfertigungslehre nicht als Ergebnis einer verschiedene Stadien umfassenden Entwicklung verstehen, sondern als Konsequenz der galatischen Krise, die sie als Wendepunkt im missionarischen Wirken des Paulus deuten152. Dabei, so die These von J. Becker und U. Schnelle, habe sie ihren ursprünglichen Sitz im Leben in der Taufe verloren. J. Becker stellt fest, dass sich die Gerechtigkeitsterminologie in den paulinischen Texten außerhalb der Rechtfertigungslehre in zwei typischen Zu148 Ebd.,

192f. (tw. kurs.). dazu die Skizze ebd., 193–195, und die Hinweise ebd., 193, Anm. 129, auf ausführlichere Darstellungen. 150  Dieses Modell impliziert im weiteren Kontext dieser Untersuchung ähnlich wie Burchards Ansatz die bleibende Bedeutung des antiochenischen Basissatzes für Paulus. Das lässt Raum für die Möglichkeit, dass er den Inhalt dieses Satz in den Briefen, die sich anders als Gal und Röm nicht mit judenchristlichen Fragestellungen befassen, anders ausgedrückt hat; dazu s. o. Kap. 5.2. 151  Dabei unterscheiden sich die Rekonstruktionen im Detail. 152  Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Schnelle, Theologie, 237, selbst sein Erklärungsmodell für die Genese der Rechtfertigungslehre explizit der Diachronie zuordnet. 149  Vgl.

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sammenhängen findet, nämlich im Kontext von Aussagen über das Endgericht153 und im Zusammenhang mit der Taufe154. In diesen Zusammenhang stellt er auch die „Konsensaussage antiochenischer Theologie“ Gal 2,16/Röm 3,28. Sie lasse sich folgendermaßen verstehen: „Gott nimmt Menschen durch die Taufe aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus an, nicht aber aufgrund gesetzlicher Lebensweise, also aufgrund der Beschneidung und Gesetzesobservanz“. Dies sei „präzise der Grundentscheid in der antiochenischen Gemeinde gewesen“.155 Becker zufolge sind nicht nur die Gerechtigkeitsaussagen im Kontext von Endgericht und Taufe „von ausschlaggebender Bedeutung für seine ausgeführte Rechtfertigungsbotschaft“. Für diese habe zudem die Septuaginta eine wichtige Rolle gespielt.156 Er kommt zu dem Schluss, „daß Paulus in Antiochia und die antiochenische Gemeinde z.Z. des Paulus zwar noch keine Rechtfertigungsbotschaft im Sinn von Gal, Phil B oder Röm besaßen, jedoch Rechtfertigungsaussagen in zwei typischen semantischen Wortfeldern formulieren konnten…“.157

Becker verbindet die Ausbildung der Rechtfertigungslehre im strengen Sinn mit der galatischen Krise.158 Er begründet dies damit, dass sie „von der antiochenischen Zeit bis zum Gal nur in ganz begrenzten formelhaften Zusammenhängen nachgewiesen werden kann, und umgekehrt Gal und Phil B die antiochenische und korinthische Theologie des Apostels fest in sich bergen“.159

Entsprechend argumentiert U. Schnelle. Die Ausbildung der „exklusiven Rechtfertigungslehre“, wie sie in Gal, Röm und Phil entfaltet werde, begründet er mit „der aktuellen Gemeindesituation“ in Galatien. Sie trete zu der „inklusiven Rechtfertigungslehre“ hinzu, die er u. a. in 1Kor 1,30 im Kontext von Tauftraditionen erkennt.160 Andernorts stellt er fest, dass „Paulus … mit Gal 2,16 einen entscheidenden Schritt über die Vereinbarung des Apostelkonvents und den Streitpunkt des antiochenischen Zwischenfalls hinaus 153 Vgl.

Becker, Paulus, 296–299. Vgl. ebd., 299–301. S. ähnlich Schnelle, Theologie, 237: „Innerhalb der paulinischen Theologie haftet Gerechtigkeit zuallererst an Tauftraditionen“. Als Ergebnis formuliert er: „Es ist deutlich, dass diese Rechtfertigungslehre im Kontext der Taufe sich organisch mit den tragenden Grundanschauungen der paulinischen Christologie verbindet: Transformation und Partizipation“ (kurs.). 155  Becker, Paulus, 101. 156 Ebd., 301. 157 Ebd., 304. 158  Vgl. ebd., 101f.296. 159 Ebd., 296. 160  Schnelle, Theologie, 238f.; an weiteren Stellen nennt er für die ‚inklusive Rechtfertigungslehre‘ im Kontext der Taufe 1Kor 6,11; 2Kor 1,21f.; Röm 3,25.26a; 6,3f.; 4,25. Ebd., 238, sieht er die Entstehung der ‚exklusiven Rechtfertigungslehre‘ aber ausdrücklich nicht in einem „defizitären Charakter der inneren Logik der inklusiven Rechtfertigungslehre“ begründet. 154 

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(geht). Hatte er dort noch das Miteinander von Christusglauben und Toratreue für Judenchristen anerkannt, so behauptet er nun, dass niemand aus Werken des Gesetzes/der Tora vor Gott gerechtfertigt werden kann“.

So zeigt sich auch bei Schnelle das Verständnis des galatischen Konflikts als des entscheidenden Wendepunkts im Verständnis der Tradition.161 Aus dem Mit- und Nebeneinander wird nun eine Antithese. Die im Folgenden dargebotene Rekonstruktion der Entstehung der Rechtfertigungslehre berührt sich mit diesen Modellen in unterschiedlicher Weise, sie unterscheidet sich von ihnen aber darin, dass sie ihren Ausgang bei dem oben identifizierten Zentrum der Rechtfertigungslehre nimmt, das mit dem Philo und der Korintherkorrespondenz gemeinsamen Kern übereinstimmt. 5.4.2 Überlegungen zur Entstehung der Rechtfertigungslehre. Ein Alternativvorschlag Die Analysen der paulinischen und philonischen Texte haben, wie gesehen, einen Philo und der Korintherkorrespondenz gemeinsamen Kern hervortreten lassen, der sich in der Sache auch in der paulinischen Rechtfertigungslehre, wie sie oben bestimmt wurde162, zeigt. Aufgrund der chronologischen Verhältnisse hat Paulus als Rezipient dieses Gedankenkomplexes zu gelten, der literarisch erstmals bei seinem älteren Zeitgenossen Philo von Alexan­ drien greifbar wird. Paulus ist, wie in Kap. 4.4 wahrscheinlich gemacht, mit dem gemeinsamen Kern bereits in seiner vorchristlichen Zeit in Jerusalem in Berührung gekommen. Diesen Kern, der sich auf den Nenner ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ bringen lässt, hat Paulus nach Damaskus christologisch reinterpretiert und, wie gezeigt, auf verschiedene Fragestellungen angewendet. Dies schließt die Aspekte, die der Rechtfertigungslehre einerseits und den analysierten Texten aus 1Thess und im 1Kor andererseits gemeinsam sind, ein. Doch weist der identifizierte Kern über seine literarische Erstgestalt im 1Thess auf das zentrale Datum der paulinischen Biographie zurück, auf die ihm vor den Toren von Damaskus zuteil gewordene Christusoffenbarung. Die wichtigsten Texte dafür finden sich zwar im Gal, der zugleich die Erstgestalt der Rechtfertigungslehre enthält. Doch dürfte es sich bei den diesbe161  Schnelle, Paulus, 302. Für vergleichbare Positionen vgl. u. a. Strecker, Theologie, 148f., Martyn, Galatians, 263–275, Westerholm, Perspectives, 442, und Wolter, Paulus, 345–347, sowie ders., Hintergrund, 349. 162  S.o. Kap. 5.1. Von „Rechtfertigungslehre“ ist im Folgenden nur dann die Rede, wenn in den Texten, für die sie in Anspruch genommen wird, die δικαιοσύνη-Begrifflichkeit vorliegt. Mögliche Strukturparallelen ohne sie gelten wie in Kap. 5.2.1 und Kap. 5.2.2 nicht als Ausdrucksformen der Rechtfertigungslehre; anders etwa Stuhlmacher, Hengel und Seifrid (s. o. Kap. 5.4.1).

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züglichen Aussagen nicht in erster Linie um die gewissermaßen verspätete Reflexion des Apostels auf die eigene Biographie gut 20 Jahre nach dem Ereignis handeln, sondern um Gedanken, die er bereits in unmittelbarer zeitlicher Nähe dazu angestellt haben wird. Darauf weisen zum einen die für seine Berufung transparenten Selbstaussagen in den dem Gal vorausgehenden Briefen. Zum anderen liegt es in der inneren Logik der paulinischen Biographie begründet. Denn seine Berufung illustriert den identifizierten Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ in kaum zu überbietender Deutlichkeit.163 Die ihm vor Damaskus widerfahrene göttliche Offenbarung zwingt ihn auf einen Weg, den er ‚aus sich‘ nie gegangen wäre: Er muss auf göttliche Veranlassung hin denjenigen verkündigen, dessen Gemeinde er zuvor verfolgte164, und wird so vom Pharisäer zum Apostel Jesu Christi. Dass er gut 20 Jahre gebraucht haben sollte, um diese Erfahrung auf den Nenner zu bringen: „Apostel nicht von Menschen …, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater“ (Gal 1,1), ist nicht anzunehmen, auch wenn die präzise Formulierung selbst spät sein mag und er seine biographische Wende erst im Gal in dieser prägnanten Weise fasst.165 Literarische Hinweise darauf, dass die theozentrische Deutung seiner Berufung zum Apostel der Abfassung des Gal zeitlich vorausgeht, sind vor allem Aussagen in 1Thess und den Korintherbriefen, in denen er seinen Apostolat auf den Willen Gottes zurückführt166, sowie 1Kor 15,9f. Hier verneint er explizit, dass seine Berufung, und das heißt: die des „Geringsten der Apostel“, der ein Verfolger der Gemeinde war, in der eigenen Person gründet, und verankert sie stattdessen in der Gnade Gottes (οὐκ ἐγώ … ἀλλὰ ἡ χάρις τοῦ θεοῦ). Diesen Grundgedanken wiederholt er in Gal 1,13–15 teilweise wortgleich. Die Tatsache der Wiederholung dieser Deutung seiner Berufung weist dar­ auf hin, dass es sich hierbei um einen festen Baustein der Darstellung seiner Biographie handelt. Gal 1,22–24 enthält jedoch Anhaltspunkte dafür, dass diese Deutung bis in die Anfangszeit seines Apostolates zurückreicht. So bezeugen diejenigen in den Gemeinden Judäas, die einst Opfer der Verfolgertätigkeit des Apostels waren, „dass der, der uns einst verfolgte (ὁ διώκων 163  Dies ist m. E. die particula veri der Position von Stuhlmacher, der die Erfahrung vor Damaskus dann aber auf den Begriff der ‚Rechtfertigung‘ bringt, der sich in den Paulusbriefen in explizit biographischen Zusammenhängen nirgendwo findet. S. auch Zumstein, Wort, 39, der im Damaskuserlebnis das Paradigma des Bruchs mit „dem religiösen Vollkommenheitsideal“ des Apostels sieht. Diesen Bruch versteht er als konstitutiv für das Wort vom Kreuz, dessen Entfaltung er in der Kreuzestheologie von 1Kor 1f. und der Rechtfertigungslehre gleichermaßen sieht (vgl. ebd., 41). 164  Vgl. 1Kor 15,9; Gal 1,13; Phil 3,6. 165  Vgl. auch Gal 1,11f. – Das argumentative Hauptanliegen, das er in Gal 1,1–2,21 mit seinen biographischen Äußerungen verfolgt, ist der Nachweis der Unabhängigkeit seines Evangeliums von den Jerusalemer Aposteln. 166  Vgl. bes. 1Thess 2,4; 1Kor 1,1 und 2Kor 3,5f.; 4,6.

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ἡμᾶς ποτε), jetzt (νῦν) den Glauben verkündigt, den er einst zu zerstören versuchte“. Darüber, so Paulus, „lobten sie Gott“. Dieser seiner Verwandlung vom Verfolger zum Verkündiger geltende Lobpreis Gottes ist nur denkbar, wenn die einst Verfolgten darin ein Handeln Gottes erkennen. Historisch plausibel ist diese Darstellung allemal. Unklar ist jedoch, wann die Nachricht von der Transformation des Paulus Judäa erreichte. „Sie wird vermutlich schon relativ bald nach seiner Bekehrung während seines Aufenthalts in ‚Arabien‘, d. h. wohl schon einige Zeit vor seiner Reise nach Jerusalem …, dorthin gelangt sein“.167 Gal 1,22f. enthält zwar keinen Hinweis auf ein Handeln Gottes. Dass die Statusveränderung des Paulus vom Verfolger zum Verkündiger aus der Sicht der einst Verfolgten in Gott gründet, stellt aber eine Strukturparallele zu den späteren paulinischen Selbstaussagen dar. Es ist kaum anzunehmen, dass Paulus über seinen Weg nicht ebenso staunte wie die Gemeinden in Judäa und nicht ähnlich früh wie diese seine Lebenswende deutete: als Handeln Gottes im Modus der Gnade. Diese biographische Grunderfahrung übersetzt er, wie gesehen, bereits in seinen ersten beiden Briefen in Theologie. In 1Thess 2,13 überträgt er sie im Kontext einer Danksagung für den Glauben der Thessalonicher auf die Art und Weise, in der sie das von ihm verkündigte Evangelium angenommen haben, nämlich nicht als Menschenwort, sondern als Gotteswort. Herausgefordert durch die spezifische Situation in Korinth, die durch Gruppenbildungen, verbunden mit dem, was Paulus als das sich-Rühmen-in-Menschen beschreibt (1Kor 3,21; 4,6f.), gekennzeichnet ist, expliziert er den theologischen Grundgehalt seiner biographischen Grunderfahrung, der mit dem identifizierten Kern zusammenfällt, im 1Kor im Kontext der Kreuzestheologie.168 Weitere Aktualisierungen seiner biographischen Grunderfahrung zeigen sich zudem in 2Kor.169 Diesen Grundgehalt spitzt er im Kontext der Rechtfertigungslehre in neuer Weise zu, indem er ihn mit Hilfe des Gedankens der Gerechtigkeit Gottes und dem Gegenüber von δικαιοσύνη ἐξ ἔργων νόμου und δικαιοσύνη ἐκ πίστεως interpretiert. Diese Vorstellungen übernimmt er aus der jüdischen und der ihm vorausgehenden judenchristlichen Tradition. Das Theologumenon der Gerechtigkeit Gottes findet sich bereits im Alten Testament und hat im Frühjudentum an Bedeutung gewonnen.170 Es dürfte ihm somit bereits vor dem Damaskuserlebnis bekannt gewesen sein.171 Dies gilt ähnlich für das 167 

Hengel/Schwemer, Paulus, 63. Dazu s. o. Kap. 2.1.1 und Kap. 2.1.2. 169  Dazu s. o. Kap. 2.3. 170  Vgl. dazu die oben Anm. 89 genannte Literatur. Auf die Qumranliteratur ist hier eigens hinzuweisen, weil die Gerechtigkeit Gottes hier in einer sich mit Paulus eng berührenden Weise entfaltet wird. 171 Vgl. Dunn, Theology, 345; s. auch Stuhlmacher, Theologie, 231f. 168 

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Konzept der Werke des Gesetzes172, die er zumindest in seiner pharisäischen Zeit selbst praktizierte. Darauf spielt er in Phil 3,6 an, wo er sich für diese Phase als untadelig gemäß der δικαιοσύνη ἡ ἐν νόμῳ bezeichnet. Zurückgreifen konnte er zudem auf das frühe, spätestens mit Antiochien verbundene judenchristliche Theologumenon Gal 2,16a.b173, das die Rechtfertigung aus Werken des Gesetzes und die Rechtfertigung aus Glauben an Jesus Christus nebeneinander stellt174, ohne darin eine Spannung oder gar einen Widerspruch zu erkennen, den Paulus angesichts der galatischen Krise zu sehen lernt und darum in v16c.d antithetisch formuliert.175 Ein weiterer Baustein der Rechtfertigungslehre, den die alttestamentlich-jüdische Tradition Paulus zur Verfügung stellte, war die Abrahamsüberlieferung Gen 15,6 LXX: „Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“.176 Dennoch ist die paulinische Rechtfertigungslehre keine bloße, durch die Situation in Galatien bedingte Weiterentwicklung der rezipierten jüdisch-judenchristlichen Konzeptionen, wie sie umgekehrt auch keine fundamental neue Lehre ist, die Paulus angesichts der galatischen Krise unter Rückgriff auf frühere Tradition entwickelt hätte. Vielmehr ist sie als Neuinterpretation der biographisch verankerten, das gesamte corpus paulinum durchziehenden Grundüberzeugung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ zu verstehen. Herausgefordert durch den von den pharisäisch geprägten judenchristlichen Lehrern in Galatien initiierten Beschneidungs- und Gesetzesdiskurs, womöglich aber bereits durch die antiochenische Krise177, aktualisiert Paulus diese Grundüberzeugung mit Hilfe der ihm überkommenen jüdisch-judenchristlichen Theologumena, insbesondere der antiochenischen Formel Gal 2,16a.b. Dabei weist er die Beschneidung der Gerechtigkeit ἐξ ἔργων νόμου 172 S.o.

Kap. 5.4.1 zu Hengel/Schwemer, Paulus, 167 (s. o. Anm. 126), und Burchard, Nicht aus Werken, 408 (Anm. 139). 173  S.o. Kap. 5.4.1 (Burchard, Theobald, Becker und Schnelle). 174 v16a εἰδότες [δὲ] v16b ὅτι οὐ δικαιοῦται ἄνθρωπος ἐξ ἔργων νόμου ἐὰν μὴ διὰ πίστεως Ἰησοῦ Χριστοῦ, v16c καὶ ἡμεῖς εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν ἐπιστεύσαμεν… Gal 2,16b enthält den exzeptiven Begriff ἐὰν μή und versteht den Glauben an Jesus Christus damit als die notwendige Voraussetzung, ohne die die Rechtfertigung aus Werken des Gesetzes unmöglich ist; vgl. dazu Holtz, Gott, 198f. mit Anm. 23 (mit weiterer Literatur). 175  ἵνα δικαιωθῶμεν ἐκ πίστεως Χριστοῦ καὶ οὐκ ἐξ ἔργων νόμου, ὅτι ἐξ ἔργων νόμου οὐ δικαιωθήσεται πᾶσα σάρξ. 176  Wolter, Paulus, 348, zufolge war es „tatsächlich Gen 15,6 …, welchem Text die paulinische Rechtfertigungslehre ihre Entstehung verdankt“; zum Ganzen vgl. ebd., 347f. Doch dürfte dies nur ein inhaltlicher Faktor gewesen sein; vgl. das zu Gal 2,16a Gesagte sowie das Folgende. 177  Ob die Ausbildung der Rechtfertigungslehre erst mit Galatien oder bereits mit Antiochien zu verbinden ist, lässt sich kaum sicher entscheiden. Argumente gibt es für beide Positionen. Für Antiochien spricht, dass hier mit großer Wahrscheinlichkeit die Formel Gal 2,16 beheimatet war und nach der Darstellung von Gal 2,11–14 die Probleme in Antiochien denen in Galatien ähnlich waren. Für die galatische Krise spricht vor allem die Tatsache, dass sie sich erst in den späten Briefen findet.

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zu, die den Gedanken ‚aus Menschen‘ situationsspezifisch expliziert, und stellt dem die Gerechtigkeit ἐκ πίστεως eines Abraham als die den Glaubenden angemessene Haltung antithetisch gegenüber.178 Diese Gestalt der Gerechtigkeit korrespondiert seiner Grundüberzeugung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘. Im Röm wird er dies in grundsätzlicher Weise reflektieren und dabei die Theozentrik des Rechtfertigungsgeschehens deutlicher noch als im Gal herausarbeiten.179 Dass aber bereits im Gal trotz der primär christologischen, ekklesiologischen und soteriologischen Akzentuierung der Rechtfertigungslehre180 ihre theologische Dimension und damit der Aspekt des ‚aus‘ bzw. ‚von Gott‘ und also ‚nicht von Menschen‘ impliziert ist, verdeutlicht Gal 2,19–21.181 Dazu ist zunächst Gal 1,1 aufzunehmen, wo Paulus den zweiten Teil der Formel ‚nicht von Menschen, sondern von Gott‘ folgendermaßen fasst: ‚sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn von (den) Toten auferweckt hat‘. In Gal 1,12 wird die Formel in einer weiteren ‚nicht-sondern‘-Aussage folgendermaßen aufgenommen: „nicht von (παρά) einem Menschen …, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi“. Gott wird hier zwar nicht explizit genannt, er ist nach v15f. aber Subjekt der Offenbarung des Sohnes Gottes. Damit kommt an beiden Stellen neben Jesus Christus auch Gott als derjenige in den Blick, der am Sohn als Auferwecker bzw. Offenbarer handelt. Somit ist Christus in diesen beiden Gal 2,19–21 vorausgehenden Aussagen grundsätzlich durch das Handeln Gottes bestimmt, die theologische Grundlegung der Christologie auch hier durchgehalten. Daher ist trotz der exklusiv christologischen Zuspitzung von Gal 2,20a: „aber nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir (ζῶ δὲ οὐκέτι ἐγώ, ζῇ δὲ ἐν ἐμοὶ Χριστός)“182, der Zusammenhang der Aussage mit dem identifizierten anthropologisch-theologischen Kern sichergestellt. Das dem Gesetz gestorbene, mit Christus mitgekreuzigte und also im neuen Äon wandelnde ἐγώ (v19) lebt nicht mehr selbsttätig, sondern ist das Gefäß, in dem 178 

Vgl. Gal 2,16; 3,2.5 sowie 3,6–9. auch Wolter, Paulus, 389f. An im Gal gleichwohl erkennbaren theologischen Formulierungen erwähnt er Gal 3,8, wo Gott innerhalb eines Verbalsatzes als das Subjekt der Rechtfertigung genannt wird, sowie die passiva divina in Gal 2,16f.; 3,11.24; s. ferner 1,16 (anders Theobald, Kanon, 169). Zum Befund im Röm vgl. Schnelle, Theologie, 242, dem zufolge die Christologie dieses Briefes in besonderer Weise „theozentrisch profiliert“ ist (tw. kurs.). 180  Vgl. dazu Holtz, Gott, 199. 181  In diesen Versen finden sich einige der in Röm 3,21–26 im Kontext der Entfaltung der Rechtfertigungslehre gebrauchten Begriffe und Vorstellungen: Gnade Gottes (Gal 2,21/Röm 3,24); Gerechtigkeit (Gal 2,21/Röm 3,21–26); Glaube (Gal 2,20/Röm 3,22.25f.); Gesetz (Gal 2,19.21/Röm 3,21); der erlösende (o.ä.) Tod Jesu (Gal 2,20/Röm 3,25). 182  Übersetzung nach Eckstein, Verheißung, 71, der die „adversative Bedeutung“ der Partikel δέ vertritt; statt „sondern“ könnte auch „vielmehr“ übersetzt werden. 179  Vgl.

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Christus lebt. Dem Subjektcharakter Jesu Christi entspricht aufseiten des Apostels – und mit ihm der Glaubenden183 – das Leben im „Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat“. Mit dieser fundamentalen Umorientierung von einem Leben in Bindung an das Gesetz zu einem von Christus bestimmten Leben im Glauben wird, so v21, die Gnade Gottes gerade nicht verworfen, sondern aufgerichtet. Sie würde beseitigt, wenn die Gerechtigkeit aus dem Tun des Gesetzes käme, weil dann das ἐγώ für ihre Erlangung maßgebend wäre und nicht Christus. Er wäre dann in der Tat umsonst gestorben. Damit hat bereits die erste Explikation der Rechtfertigungslehre im corpus paulinum trotz ihrer exklusiv christologischen Zuspitzung als sachgemäße Entfaltung der philonisch-paulinischen Grundüberzeugung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott in Christus‘ zu gelten. Diese Grundüberzeugung entspricht, wie gesehen, der biographischen Grunderfahrung des Apostels. Deshalb dürfte es kein Zufall sein, dass er diese im Gal expliziter und prägnanter als in allen anderen Briefen entfaltet. So ist festzuhalten, dass seine Grunderfahrung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott in Christus‘ Paulus in der galatischen Krise den entscheidenden Schlüssel an die Hand gibt, um einerseits die gegnerische Aufforderung an die Galater, sich beschneiden zu lassen, theologisch zu dechiffrieren und andererseits seinen Gegenentwurf, die Rechtfertigung aus Glauben, zu formulieren, deren theologisch-anthropologische Dimension er in christologischer Zuspitzung in Gal 2,19–21 präzise fasst. Er verbindet die Beschneidungsforderung der in Galatien wirksamen, bundestheologisch argumentierenden Lehrer zwar mit dem bereits in der antiochenischen Formel Gal 2,16a.b enthaltenen ἐξ ἔργων νόμου. Für die Ausbildung der Rechtfertigungslehre ist aber nicht dies entscheidend, sondern die Verbindung der von ihm auf den Nenner ἐξ ἔργων νόμου gebrachten Beschneidungsforderung der Gegner mit seiner Grunderfahrung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘, die am Anfang seines Weges als Apostel Jesu Christi steht und die er im Gal auch deshalb so stark betont. Diese Grunderfahrung hatte sich ihm im Laufe seines Apostolates als tragfähig erwiesen, um in verschiedenen Situationen und Konflikten das Evangelium auszusagen. In der antiochenischen Formel selbst, die die zentralen sprachlichen Elemente der späteren Rechtfertigungs183  Vgl. u. a. Eckstein, Verheißung, 71f., Martyn, Galatians, 280 (Paulus als „paradigmatic eschatological anthropôs“ [tw. kurs.]) und Vouga, Galater, 60. Etwas anders nuanciert Burchard, Nicht aus Werken, 406 mit Anm. 10, wenn er das „Ich“ von v19–21 zunächst auf den Apostel bezieht, dabei aber betont, dieser erwarte von den Judenchristen nicht, dass sie ihr „Verhältnis zu Christus so sehen wie er seines“, wohl „aber von den Galatern“. Dunn, Epistle, 143, zeigt sich dagegen unentschieden, „(w)hether the ‚I‘ is generalized or not“; sicher aber sei der Satz „a personal statement of Paul himself“.

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lehre enthält, ist das in der Forschung identifizierte Zentrum dieser Lehre – der Subjektcharakter Gottes und der Mensch als im Modus des Glaubens Empfangender – noch nicht zu erkennen. Sie benennt das ‚Wie‘ des Gerechtigkeitsempfangs des Menschen und ist damit primär ein Beitrag zu einer soteriologisch-eschatologischen Frage. Zur Rechtfertigungslehre werden die sie konstituierenden sprachlichen und vorstellungsmäßigen Elemente erst dadurch, dass Paulus sie im Kontext der galatischen Krise zum Interpretament des Kerns ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott in Christus‘ macht. Wie deutlich geworden sein wird, enthält die vorliegende Rekonstruktion der Entstehung der Rechtfertigungslehre Elemente aus allen drei in Kap. 5.4.1 erörterten Datierungsmodellen. Sie rechnet wie die Vertreter der Spätdatierung der Rechtfertigungslehre mit ihrer Ausformulierung infolge der galatischen Krise. Sie begreift diese aber nicht als eine späte neue Lehre, womöglich gar in Diskontinuität zu früheren paulinischen Positionen, sondern als Aktualisierung einer Paulus von Beginn seines Apostolates an eigenen Überzeugung. Darin stimmt sie mit der Gruppe der Frühdatierer, aber auch mit Dunn und Seifrid überein, die dem diachronen Ansatz zugeordnet wurden. Sie unterscheidet sich von ersterer Gruppe ebenso wie von Seifrid darin, dass sie den Kern der Rechtfertigungslehre nicht im Gegensatz von Tora und Christus sieht, sondern in der Antithese von ‚aus Menschen‘ und ‚aus Gott in Christus‘. Die Argumente dafür sind aus dem Voranstehenden zu ersehen. Besonders nachdrücklich ist in diesem Zusammenhang auf Gal 1,15f. zu verweisen, wo Paulus ähnlich wie zuvor in 1Kor 15,9f. seine Berufung als Gnadenhandeln Gottes deutet, und zudem den Zweck der göttlichen Offenbarung Jesu Christi an ihm mit der Verkündigung des Evangeliums unter den Völkern umschreibt. Dafür musste er zunächst nicht sein Verhältnis zum Gesetz klären. So scheint er für Judenchristen über einen längeren Zeitraum das undefinierte judenchristliche Nebeneinander von ‚aus Werken‘ und ‚aus Glauben‘ mitgetragen zu haben. Für seine Mission unter den Völkern dürfte sich die Frage des Gesetzes in den Anfangsjahren, d. h. bis zu den Ereignissen in Antiochien, die zum ‚Apostelkonvent‘ führten, auch deshalb nicht gestellt haben, weil er als ehemaliger Pharisäer wusste, dass sich das Gesetz, insbesondere in Gestalt der zwischen Israel und den Völkern unterscheidenden ‚identity markers‘, an Juden und nicht an Heiden wendet.184 Insofern bestand für ihn zu Beginn seines Wirkens als Apostel Jesu Christi keinerlei Notwendigkeit, das Verhältnis von Christusglauben und Gesetzesgehorsam grundsätzlich zu klären. So stimmt die vorliegende Rekonstruktion zwar mit Hengel darin überein, dass sie keinen „fundamental change in the center of the Pauline message from the time of his conversion“ annimmt und wie er 184  Vgl. bes. Gen 17,9–19; Ex 31,13; Lev 11,2; 12,2f.; 15,2; 17,2; 18,24; 19,2; 20,2 sowie Röm 3,19.

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damit rechnet, dass Paulus angesichts der „astounding riches“ seiner ­­Sprache „ever new metaphors and forms of argument“ verwenden konnte185, um das Zentrum seines Denkens zu formulieren. Sie bestimmt dieses Zentrum aber anders und deutet die Rechtfertigungslehre, wie sie in Kap. 5.1 gefasst wurde, als Konkretion des identifizierten Kerns ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘. Nach dem Gesagten ist damit in Abwandlung von A. Schweitzers bekanntem Diktum: „Die Lehre von der Gerechtigkeit aus dem Glauben ist also ein Nebenkrater, der sich im Hauptkrater der Erlösungslehre der Mystik des Seins in Christo bildet“186, folgendermaßen zu formulieren: Die Lehre von der Gerechtigkeit aus dem Glauben ist also eine besonders markante Erhebung, die sich im Hauptkrater der paulinischen Grundüberzeugung ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott in Christo‘, bildet und neben anderen unterschiedlich markanten Erhebungen steht. Sie verbindet sich von Anfang an mit dem ‚Sein in Christo‘, d. h. mit „Transformation und Partizipation“187.

185 

S.o. Kap. 5.4.1 zu Hengel. Schweitzer, Mystik, 220. 187  Schnelle, Theologie, 237; vgl. dazu bes. 1Kor 1,30; Gal 2,20; 3,24.26. 186 

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Teil 2

Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus im Horizont der kaiserzeitlichen Stoa

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Einführung Wie gesehen, unterziehen Paulus und Philo die Ich-Orientierung des Menschen einer Fundamentalkritik und stellen ihr die Ausrichtung auf Gott antithetisch gegenüber. Während es bei Paulus unklar bleibt, ob er sich dabei zugleich gegen eine bestimmte zeitgenössische Philosophie oder Theologie wendet, ist der geistesgeschichtliche Kontext, in dem die Auseinandersetzung Philos mit der Philosophie des Selbst steht, eindeutig. Sein mehr oder minder expliziter Gesprächspartner ist das, was M. Foucault als „Kultur seiner selbst“ bezeichnet hat.1 Für sie ist die „Sorge um sich selbst“, die ἐπιμέλεια ἑαυτοῦ bzw. die ‚cura sui‘, ein charakteristisches Merkmal. 2 Die „Vorstellung, daß man sich an sich selbst wenden, sich mit sich selbst beschäftigen 1  Vgl. Foucault, Sorge, 53–94. Der Titel von Foucaults zweitem Kapitel lautet: „Die Kultur seiner selbst“ (ebd., 53). Hadot, Philosophie, 179, zieht es vor, statt von einer „‚Kultur des eigenen Ichs‘ (culture de soi) … von der Transformation des Ichs, von einem ‚Über-seine-eigene-Grenzen-Hinausgehen‘“ zu sprechen. Gleichwohl heißt es ebd., 38, auch bei ihm: „Das in diesen Übungen“ – gemeint sind „rhetorische(n) und dialektische(n) Techniken der Überzeugung, Versuche(n), die innere Ruhe zu meistern, geistige Konzen­ tration“ – „von allen Philosophenschulen angestrebte Ziel ist die Veredelung, die Verwirklichung des Ich (sic)“. – Foucaults Arbeit: „Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3“, hat eine intensive Diskussion ausgelöst; vgl. dazu etwa Inwood, Self-assertion, 322–352, Gill, Structured Self, 334f., Hadot, Philosophie, 177–181, und Nicolet-Anderson, Self, 187–193. Die in der vorliegenden Untersuchung rezipierten Gedanken Foucaults sind im Wesentlichen unstrittig. So heißt es etwa bei Nussbaum, Therapy, 353: „Stoicism is indeed, as Michel Foucault and other affiliated writers have recently insisted, a set of techniques for the formation and shaping of the self“. Ihre Kritik an Foucault gilt der Betonung der „techniques du soi“ (kurs.), die sich in der Antike auch sonst fänden, zu Lasten der Vernunft: „Argument shapes – and, eventually, is – a self and is the self’s way of fulfilling its role as citizen of the universe“. Long, Seneca 370, zufolge „we need to recognize as Foucault so ably has done, the special emphasis of the Imperial Roman epoch on care of the self as a lifelong project, engaged in for its own, rather than for the community’s sake, and involving a host of ascetic exercises and meditative techniques“. In Zustimmung zu und Präzisierung von Foucault stellt zudem Inwood, Self-assertion, 349f., fest, dass „the intensely personal element in the care of the soul is precisely what we mean by saying that Seneca breaks new ground in establishing a concept of self“, um zugleich zu betonen: „I … am only denying that there is any interesting or innovative ontology behind it“. Senecas „core philosophical commitments“ seien, wie er im Anschluss an P. Veyne betont, „conservative“ (ebd., 352). Pietsch, Blick, 344, stellt u. a. mit Blick auf Foucault heraus, dass „(z)u Recht … gerade in den letzten Jahrzehnten … herausgearbeitet worden (ist), wie sehr diese Bemühung um das eigene ‚Selbst‘, die cura sui oder ἐπιμέλεια αὑτοῦ, als zentrale Aufgabe des nachsokratischen Philosophierens angesehen wurde.“ 2  Foucault, Sorge, 62.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

(heautû epimeleîsthai) muß“, ist „ein ganz altes Thema in der griechischen Kultur“, das seinen Höhepunkt in der frühen Kaiserzeit erreichte. 3 Bestimmend wurde es insbesondere in der Stoa und im Epikureismus, zeigte sich aber auch sonst im hellenistisch-römischen Denken.4 Es manifestiert sich in dem „turn towards the self“ einerseits und dem Verständnis der Philosophie als einer „kind of therapy“ andererseits. 5 Beide Aspekte fließen bei Cicero, Tusc 3,6, programmatisch zusammen: „Es gibt in der Tat ein Heilmittel für die Seele (animi medicina), die Philosophie. Ihre Hilfe (auxilium) ist nicht wie bei den körperlichen Krankheiten von außen (foris) zu holen, sondern mit aller Macht, mit allen Kräften müssen wir uns anstrengen, dass wir selbst uns heilen können (ut nosmet ipsi nobis mederi possimus).“6 3  Ebd., 60; dazu s. ferner Várhely, Self-Care, 222. Vgl. aber bereits Plato, Alc 1, 132c: „Sokrates: ‚Man muss sich um die Seele sorgen (ψυχῆς ἐπιμελητέον) und darauf schauen‘. Alkibiades: ‚klar‘. – Sokrates: ‚Die Sorge um Körper und Sachen (Σωμάτων δὲ καὶ χρημάτων τὴν ἐπιμέλειαν) aber muss man anderen überlassen?‘ – Alcibiades: ‚Was sonst?‘“. S. ferner Phaedr 229e–230a: „Ich bin noch nicht in der Lage, mich der delphischen Inschrift entsprechend selbst zu erkennen (γνῶναι ἐμαυτόν). Da kommt es mir doch lächerlich vor, obwohl ich das noch nicht weiß, auf die fremden Dinge zu schauen. Daher lasse ich diese Dinge sein und mich von dem überzeugen, was der Brauch dar­über für richtig hält, und betrachte, wie ich gerade sagte, nicht diese Dinge, sondern mich selbst“ (σκοπῶ οὐ ταῦτα ἀλλ’ ἐμαυτόν) (zit. nach, Pietsch, Blick, 343f., Anm. 4). S. ferner Plato, Apol 29c–30c, wo Sokrates die Sorge um die Seele (τῆς ψυχῆς … οὐκ ἐπιμελῇ οὐδὲ φροντίζεις [Apol 29e; der Begriff ἐπιμελέομαι fällt im unmittelbaren Kontext auch sonst]) als Gegenstand der Philosophie bestimmt (vgl. dazu Rahe, Epimeleia). Die Fürsorge für die Seele wird nach So­ krates durch Übung (ἄσκησις) vollzogen; darum ist die sokratische Philosophie τέχνη (vgl. dazu Sellars, Art, 36–39). Dies gilt entsprechend für die stoische Philosophie (vgl. dazu ebd., 33–85). Einen Überblick über die Geschichte des Selbst in der griechischen Literatur bieten u. a. Reydams-Schils, Stoics, 20–25, und Inwood, Self-assertion, 327–339. 4  Vgl. Gill, Self, 362. 5  Gill, ebd., spricht von der „introspection or the turn towards the self as important recurrent features of Hellenistic-Roman thought“ sowie von der „presentation of philosophy as a kind of therapy or quasi-medical treatment“. S. ferner Hadot, Philosophie, 15: „Die Herrschaft der Sorge hindert ihn (sc. den Menschen) daran, wirklich zu leben. Die Philosophie erscheint also in erster Linie als Therapie der Leidenschaften“; so unter Hinweis u. a. auf Cicero, Tusc 3,6 (dazu s. im Folgenden), und Epiktet, Diss 3,23.30: „Der Schulraum des Philosophen ist eine Klinik ([ἰ]ατρεῖον)“. S. ferner Seneca, Ep 94,13: „Daher müssen wir die kranke Sinnesart (mentem aegram) … gründlich auskurieren (percurare) und von Fehlhaltungen befreien“; dies u. a. leisten „die Grundsätze der Philosophie (decreta philosophiae)“. Zum Ganzen vgl. Nussbaum Untersuchung „Therapy of Desire“, deren Schlusskapitel mit dem Satz eröffnet wird: „So philosophy, in these schools (sc. des Epikureismus und der Stoa) makes itself the doctor of human lives“ (ebd., 484 [tw. in Kapitälchen]), sowie Sellars, Art, 64–68. Zusammenfassend heißt es ebd., 68: „the Stoics held the task of the philosopher to be the cultivation of the health of the soul (ἡ τῆς ψυχῆς ὑγίεια; animi sanitas), ‚to take care of one’s soul‘ (ἐπιμελεῖσθαι τῆς ψυχῆς) as Socrates would have put it“. S. ferner Setaioli, Philosophy (mit weiterer Literatur). In der Stoa reicht das Verständnis der Philosophie als Therapie bis in die Anfänge der Schule zurück; es findet sich bereits bei Chrysipp; vgl. Nussbaum, Therapy, 316, und Várhelyi, Self-Care, 227. 6  S. ferner Tusc 3,6.13, wo Ciceros Interlokutor sagt: „Das halte fest: wenn die Seele

Einführung

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Demgemäß spricht P. Veyne für die Stoa von einem „individuelle(n)7 Glückskonzept“ und einer „Methode der Selbstverwandlung“.8 Für die Briefe Senecas an Lucilius beschreibt er dies folgendermaßen: „Sie entfalten die stoische Philosophie von einem ‚Ich‘ aus, dem Ich des Neophyten Lucilius…; sie gehen von dem Interesse des Ichs aus, stoisch zu werden, und lassen das Ich fühlen, daß es allmächtig ist, daß es allein zählt und daß es sich selbst genügen kann. Damit Tod und Unglück nicht mehr zählen, genügt es, sie für nichts zu achten. Und die Welt: ist sie feindselig? Es genügt, sie zu vernachlässigen; das Ich vermag das, und so bleibt ihm das einzige, was zählt: es selbst“.9

Davon bleibt unberührt, dass in der stoischen Philosophie zugleich die Gemeinschaftsorientierung von großer Bedeutung ist. Entscheidend ist aber die Konzentration auf das Ich: „Die Pflicht gegen den Nächsten, die Moral, wird nicht vergessen: Jeder einzelne betrachtet alle Menschen als Angehörige seiner eigenen Familie. Wichtiger als alles andere aber ist die Sorge um sich selbst; der Stoizismus ist weniger eine Ethik als eine paradoxe Anweisung zum Glücklichsein“.10

Die Konzentration der kaiserzeitlichen Stoa auf „die Autonomie des Ichs und dessen Möglichkeit, an sich selbst zu arbeiten“11, bedeutet aber zugleich ihre nicht geheilt ist (nisi sanatus animus sit), was ohne Philosophie nicht geschehen kann (quod sine philosophia fieri non potest), wird kein Ende des Elends (miseriarum) sein. Deshalb – da wir ja einmal begonnen haben – übergeben wir uns ihr zur Heilung (tradamus nos ei curandos): wir werden geheilt, wenn wir (nur) wollen (volemus)“.  7  Foucault, Sorge, 58f., und insbesondere Gill, Structured Self, bes. 328–344, wenden sich gegen die Deutung des „Individuellen“ im Sinne moderner Konzeptionen des Individuums, das heißt des post-Cartesianischen Verständnisses des Subjekts. Gill stellt der subjektiv-individualistischen Konzeption des Selbst in der Moderne das objektiv-partizipatorische Konzept des Selbst in der Antike entgegen; s. auch ders., Self, 370. Entsprechend bestimmt Engberg-Pedersen, Cosmology, 113, Epiktets „‚true human self‘“ als „certainly not just this or that individual, but rather a kind of ‚self‘ that is self-identically shared by all human beings who operate human cognition in a proper way“. Ähnlich weist Johnson, God, 16, für Plato darauf hin, dass seine „version of self-knowledge could hardly be farther removed from that we are most accustomed to, the search for a subjective, personal self that is more a matter for psychoanalysis than philosophy. Plato … would have us all look for the same thing, not who we are as individuals, but what we are as rational creatures. Instead of finding our inner selves we find what is most objectively real“.  8  Veyne, Weisheit, 10 (kurs.).  9  Ebd., 11. 10  Ebd., 53. Zur gesellschaftlich-politischen Dimension des Stoizismus s. ferner Nussbaum, Therapy, 319.402–438; Hadot, Burg, 62f.291–318; Reydams-Schils, Stoics, 3–5.83–176; Gill, Self, 370f., sowie Barclay, Security, 63f., und Engberg-­P edersen, Cosmology, 115. Zum Verhältnis von Selbst- und Gemeinschaftsorientierung vgl. bes. Annas, Epictetus. S. auch unten Kap. 9.(2) zu Diss 3,13.1–8. 11  Veyne, Weisheit, 13. S. auch Hadot, Burg, 126f., der für das stoische Ich von „einer kleinen unbezwingbaren Insel der Autonomie inmitten des unermeßlich großen Flusses der Ereignisse, des Schicksals“, spricht.

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Orientierung am „Ich als tätigem Subjekt, ohne Gott … und ohne Herrn“.12 Philo lehnt diese Konzeption aus offensichtlichen Gründen ab, rezipiert aber zugleich die Diskussion um das Selbst intensiv.13 Als wichtigster Gesprächspartner erweist sich dabei die Philosophie des Selbst, wie sie in der Stoa der Kaiserzeit Gestalt angenommen hat.14 Im Zentrum dieses zweiten Hauptteils steht die Nachzeichnung der Auseinandersetzung Philos mit der ‚Ich-Philosophie‘ der Stoa in Rezeption und Abweisung anhand von Leg 3,1–48. Dabei wird die stoische Position in erster Linie mit Hilfe von Texten der mit Philo mehr oder minder kontemporären kaiserzeitlichen Philosophen Seneca (ca. 50 v. Chr. bis 40 n.Chr.) und Epiktet (ca. 55 – ca. 135 n.Chr.) exemplifiziert, bei denen die Philosophie der Sorge um sich selbst ihren Höhepunkt erreicht. Herangezogen wird zudem der von Epiktet abhängige Philosophenkaiser Marc Aurel (121–180 n.Chr.), weil sich bei ihm in der technischen Terminologie einige auffällige Übereinstimmungen mit Philo zeigen, die bei Epiktet fehlen.15 Wie insbesondere der zitierte Text Ciceros, Tusc 3, zeigt, findet sich der Kern des kaiserzeitlichen Verständnisses des Selbst bereits in der vorphilonischen Stoa. Wie Philo greifen auch die kaiserzeitlichen Philosophen bei ihrer je spezifischen Entfaltung des Konzepts unverkennbar auf Grundvorstellungen der älteren Stoa zurück, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Es ist daher methodisch vertretbar, zur Verdeutlichung philonischer Anspielungen auf zentrale Aspekte der stoischen Philosophie des ‚Ich‘ auch spätere Texte der kaiserzeitlichen Stoa mit heranzuziehen. Um das Verständnis der Analysen zu Leg 3,1–48 (Kap. 7) zu erleichtern, wird zunächst anhand einiger zentraler Texte Senecas und Epiktets überblickshaft in die Ich-Dimension der stoischen Philosophie des Selbst, deren maßgeblicher Inhalt die ‚cura sui‘ bzw. ἐπιμέλεια αὑτοῦ ist, und die diese Philosophie tragende Begrifflichkeit eingeführt (Kap. 6). Ausgehend von den Darlegungen Philos wird im Anschluss daran die Frage nach dem Verständnis Gottes in der Stoa aufzunehmen sein (Kap. 8). Abschließend wird nach möglichen Spuren gefragt, die der antike Diskurs über das Selbst bei Paulus hinterlassen hat (Kap. 9).

12 

Veyne, Weisheit, 12. Zum Verständnis Gottes in der Stoa s. u. Kap. 8. ‚Ich‘ und ‚Selbst‘ werden im Folgenden synonym gebraucht; s. auch Wildberger, Self, 23. Vgl. demgegenüber Vollenweider, Geist, 167f. 14  Zur Gestalt der Ich-Philosophie im Epikureismus vgl. etwa Hadot, Seneca, 47– 54, Foucault, Sorge, 63f., sowie Nussbaum, Therapy, 102–139. 15  Marc Aurel rezipiert ältere Terminologie. – Auch in den Fragmenten des Lehrers Epiktets, Musonius (ca. 30–100 n.Chr.), finden sich Hinweise auf die Philosophie des Selbst; vgl. Plutarch, Moralia 453d. 13 

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Kapitel 6

Das Selbst und die Sorge um das Selbst als Gegenstand der Philosophie in der kaiserzeitlichen Stoa Eine Skizze Die Sorge um das Selbst bzw. das Ich bildet, wie gesehen, in der Kaiserzeit den zentralen Gegenstand der stoischen Philosophie des Selbst. Aufgabe der Philosophie ist es, den Menschen dazu anzuleiten, zu seinem wahren Ich als dem Zentrum seiner Autonomie vorzudringen1 mit dem Ziel, „to draw on one’s natural cognitive and ethical resources“. 2 Diese Ressourcen sind dem Menschen qua Geburt verliehen und liegen in der vernünftigen Seele bereit. Mit deren Hilfe soll die Seele von den sie von außen, aber auch von innen bedrängenden Beunruhigungen therapiert und also verbessert werden. 3 Darin vollzieht sich die ‚cura sui‘ bzw. die ἐπιμέλεια αὑτοῦ. Für Seneca lässt sich die Bedeutung der Philosophie für das Ich besonders an Ep 82,4–7 veranschaulichen: „4 … Vieles gibt es draußen (extra), was uns umringt, um uns zu täuschen oder zu bedrängen, vieles drinnen (intus), was (in uns) mitten in der Einsamkeit aufbrandet. 1 Vgl.

Hadot, Burg, 127: „Der Stoiker grenzt … ein Zentrum der Autonomie ab: die Seele im Gegensatz zum Körper, das leitende Prinzip (hégemonikon) im Gegensatz zum Rest der Seele, und eben in diesem leitenden Prinzip liegen die Freiheit und das wahre Ich“. Ebd., 175, umschreibt er den Sachverhalt folgendermaßen: Was der Mensch fälschlicherweise für sein „wahres Ich“ hält, nämlich der Körper und die „Seele als Lebensprinzip mitsamt ihren Gemütsbewegungen“, das heißt die sieben, der Vernunft als dem Leitungsvermögen (ἡγεμονικόν) untergeordneten Seelenteile (dazu s. u. Anm. 20), sind ihm vom Schicksal auferlegt. Demgegenüber besteht „unser wirkliches Ich“, das ἡγεμονικόν, in der Macht zu wählen, und ist „über das Schicksal hinausgehoben“. Zum ἡγεμονικόν s. auch Long, Stoic psychology, 572–583, und Forschner, Ethik, 59f.; dazu s. auch unten Kap. 7.1.2, Anm. 6. 2  Gill, Self, 370. Vgl. auch ebd., 366: „The stress on turning towards the self in Stoic practical ethics reflects the idea that we all have, within our nature as rational animals, the capacity to develop towards wisdom, regardless of our social or political situation. The ‚self‘ towards which we turn is our innate or constitutional capacity, as human beings (or rational animals) to develop this way, and not a private or uniquely individual self“. S. auch oben Anm. 7 in der Einführung zu Teil 2. 3  Vgl. dazu Nussbaum, Therapy, bes. 329–331.

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5 Die Philosophie muss uns ringsum schützen, eine uneinnehmbare Mauer (inexpugnabilis murus), die das Schicksal (fortuna) nicht übersteigt, auch wenn es uns mit vielen Belagerungsmaschinen zusetzt. An unüberwindlichem Platz steht die (vernünftige) Seele (animus), die Fremdes (externa) hinter sich gelassen hat und in der Burg das Ihre für sich in Anspruch nimmt (arce se sua vindicat); unterhalb fällt jedes Geschoss nieder. Das Schicksal hat nicht, wie wir glauben, weitreichende Arme: Niemanden fällt es an, wenn er sich nicht an ihm festklammert. 6 Deshalb wollen wir, soweit wir können, von ihm zurückweichen (ab illa resi­ liamus); und das wird allein die Kenntnis der eigenen Person (sui) und der Natur gewährleisten. Der Mensch soll wissen, wohin er gehen wird, woher er stammt, was für ihn gut (bonum), was schlecht (malum) ist, was er anstreben (petat), was er meiden soll (evitet), welches jene Vernunft (ratio) ist, die zu Begehrendes (adpetenda) und zu Meidendes (fugienda) unterscheidet (discernat), durch die der Wahnsinn der Begierden zur Ruhe kommt [und] die Wildheit der Ängste gebändigt wird. 7 Manche glauben, das alles selbst (ipsos) auch ohne Philosophie bewältigt zu haben; aber wenn sie in ihrer Sorglosigkeit irgendein Vorfall auf die Probe gestellt hat, wird ihnen spät ein Eingeständnis abgepresst …“ 4

Die Philosophie gleicht danach einer uneinnehmbaren Burgmauer, die das Selbst vor den von der Fortuna ausgehenden Angriffen der ihm äußeren Dinge als dem ihm Fremden schützt. Beunruhigt wird es aber auch durch innere Aufwallungen und Gemütsbewegungen (§ 4), die durch die der Vernunft als dem Leitungsvermögen untergeordneten Seelenteile hervorgerufen werden. 5 Durch den dem Ich durch die Philosophie gewährten Schutz vermag es, sich selbst zu gewinnen, oder anders formuliert: Die Philosophie befähigt die vernünftige Seele dazu, das Ihre für sich durch „eigene Willenskraft und Leistung“ in Anspruch zu nehmen6, indem sie „anstrengende und beharrliche Eigenleistungen“ in ihrem „‚Rückzugsgebiet‘“ vornimmt.7 Macht hat die Fortuna folglich nur über denjenigen, der sie ihr einräumt (§ 5). Aufgabe des Menschen ist es daher, sich mit Hilfe der Philosophie ins Selbst zurückzuziehen (resiliamus)8, um sich so aus den Fängen des Schick4  Die Wiedergabe erfolgt hier und im Folgenden in Anlehnung an die Übersetzung der Ausgabe von Giebel; die anderen im Literaturverzeichnis aufgeführten Übersetzungen wurden konsultiert und teilweise übernommen. 5  Vgl. Anm. 16 sowie Hadot, Burg, 166.174f. Dem Leitungsvermögen (ἡγεμονικόν) sind die sieben Seelenteile untergeordnet, nämlich die fünf Sinne, die die Informationen über die Welt bereitstellen, die Fortpflanzung, die dafür sorgt, dass die menschliche Natur an die Nachkommen weitergegeben wird, sowie die Stimme, die die Interaktion mit anderen ermöglicht; vgl. SVF 2,836 = Long/Sedley, Philosophen, 376 (53H). Zum Verständnis der Seele in der Stoa vgl. vor allem Long, Stoic psychology, bes. 562–572, Forschner, Ethik, 59f., und Brennan, Psychology. 6  Hamacher, Brief, 138; er verweist für diese Deutung ebd. auf „die beiden durch Alliteration betonten Reflexivpronomina (se sua)“ (tw. kurs.). 7 Ebd., 131. 8  Hier umschreibt ‚resilire‘ Hamacher, Brief, 146, zufolge den inneren Rückzug vor der Fortuna im Gegensatz zu einem äußeren Rückzug vor ihr.

Kapitel 6: Das Selbst und die Sorge um das Selbst

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sals zu befreien (§ 6) und das Ziel der Philosophie, die ‚tranquillitas animi‘, zu erlangen.9 Die Befreiung aus den Armen des Schicksals durch den Rückzug ins Selbst geschieht Seneca zufolge durch die Erkenntnis des Selbst und der Natur. Was damit gemeint ist, erhellt aus Senecas Schrift über die Vorsehung. Die Erkenntnis des eigenen Selbst und der Natur fallen in Eins, weil beide das Wissen um den Menschen zum Gegenstand haben. Nach Prov 5,6 läuft alles nach einem feststehenden, auf ewig gültigen Gesetz ab. Dekrete des Schicksals (fata) bestimmen das Leben des Menschen. Dazu gehören die Stunde der Geburt und die Länge des Lebens (§ 7). Das Leben, sofern es die vergängliche Existenz betrifft, fällt in den Machtbereich der Natur: „Es gebrauche die Natur, wie sie will, (unsere) Körper, (ihr) Eigentum (Utatur ut vult suis natura corporibus)“. Was dagegen dem Menschen gehört, was ‚unser‘ ist, geht nicht zugrunde (nihil perire de nostro; § 8). Worum es sich dabei handelt, wird hier nicht ausgeführt. Das in Ep 82,6 erwähnte Wissen um Ziel und Herkunft des Menschen fällt vor dem Hintergrund von Prov in den Bereich der Erkenntnis der Natur, die sich nach Maßgabe der fata vollzieht10, während das Wissen um Gut und Böse, um Erstrebenswertes und zu Meidendes in den Bereich der Erkenntnis des Selbst gehört.11 Was in Prov 5,8 das ‚noster‘ ist, ist in Ep 82,5 das ‚sua‘ der Seele, über das sie, durch nichts gehindert, völlige Verfügungsmacht hat.12 Das ‚sua‘ ist mit dem Selbst identisch, zu dessen elemen 9 Vgl. Hamacher, Brief, 145. In der Sache ähnlich wird auch Epiktet das Ziel der Philosophie bestimmen: Sie bereitet darauf vor, allen Widerfahrnissen zu begegnen; vgl. Diss 3,10.6: τὸ δὲ φιλοσοφῆσαι τί ἐστίν; οὐχὶ παρασκευάσασθαι πρὸς τὰ συμβαίνοντα. Eine dem Schlussteil von Ep 82,6 entsprechende Bestimmung des λόγος der Philosophie findet sich in Diss 3,13.11, wo diese ihre Hörer mit folgenden Aussichten lockt: „Wenn ihr zu mir kommt, o Menschen, wo immer ihr seid, was immer ihr tut, ihr werdet kein Leid verspüren, keinen Zorn, keinen Zwang, kein Hemmnis, sondern werdet leidenschaftslos (ἀπαθεῖς) sein und euer Leben frei (ἐλεύθεροι) von alledem zubringen“ (§ 11). S. ferner Diss 3,15.12: „… komm (zur Philosophie), wenn du willens bist, diese (Dinge) einzutauschen gegen Leidenschaftslosigkeit (ἀπάθειαν), Freiheit (ἐλευθερίαν), Unerschütterlichkeit (ἀταραξίαν)“; zum Freiheitsversprechen der Philosophie Epiktets vgl. Forschner, Theorie, 110–112. Eine Epiktet in der Sache ähnliche Definition der Philosophie findet sich bei Marc Aurel, Wege 2,17: „Alles Körperliche ist ein Fluss, alles Seelische ein Traum und Wahn, das Leben Krieg und Aufenthalt eines Fremden (ξένου), der Nachruf Vergessenheit. Was vermag (uns) da zu geleiten? Einzig und allein die Philosophie (ἓν καὶ μόνον φιλοσοφία). Diese liegt darin, den inneren Dämon (τὸν ἔνδον δαίμονα) ungeschändet und ungeschädigt zu bewahren (τηρεῖν): den Lüsten (ἡδονῶν) und Schmerzen (πόνων) überlegen …; ferner dass er das Begegnende und Zugeteilte (τὰ συμβαίνοντα καὶ ἀπονεμόμενα) annimmt als von irgendwo dort drüben kommend, woher er selbst kam; zuletzt, dass er den Tod mit heiterm Sinn (ἵλεῳ τῇ γνώμῃ) erwartet“ (Übersetzung hier und im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt, im Anschluss an Theiler, Marc Aurel, 50); s. ferner Marc Aurel, Wege 6,30. 10  Vgl. dazu Reydams-Schils, Stoics, 41f. 11  Vgl. dazu Hamacher, Brief, 148f. 12  In der griechischsprachigen Stoa wird das ‚Unsere‘ durch τὸ ἐφ’ ἡμῖν ausgedrückt;

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

taren Vollzügen die von der Vernunft ins Werk gesetzte Unterscheidung von zu Begehrendem und zu Meidendem gehört (§ 6). Diese Hauptform der ‚cura sui‘ ist im Folgenden in Aufnahme weiterer Traditionen der älteren und der jüngeren Stoa zu verdeutlichen. Das Selbst bzw. das Ich ist in der Stoa mit dem Leitungsvermögen der Seele, dem ἡγεμονικόν, bzw. der Vernunft identisch.13 Seine Aufgabe ist, in einer Formulierung der älteren Stoa, der Vollzug von „Vorstellung, Zustimmung, Antrieb und Vernunft“.14 In einer ersten Annäherung lassen sich diese Größen folgendermaßen bestimmen: Die Vorstellung (φαντασία) „is obviously connected with the five sensory parts of the soul, though it also goes beyond them in its function to include a considerable amount of processing, memory, and concept formation. Impulse (sc. ὁρμή) has a central role to play in the generation of actions, and assent (sc. συγκατάθεσις) functions in both practical and theoretical ways. Reason (sc. λόγος), as a distinct capacity, seems to have an important role in the production of articulable experience on the basis of our material interaction with the outside world“.15

Eine besondere Bedeutung kommt der Vernunft zu. Sie „qualifiziert die ganze Seele und macht ihre Vorstellungen und Antriebe vernünftig; und dies gilt auch für ihre Fähigkeiten, Zustimmung zu geben oder zu verweigern“.16 Deshalb kann der Antrieb (ὁρμή) auch als die „Vernunft selbst in einer Weise ihres Verhaltens“ bestimmt werden.17 Dies gilt in qualifizierter Weise auch für das mit dem Antrieb und seinem Gegenteil, der Zurückweisung (ἀφορμή), bei Epiktet regelmäßig verbundene Gegensatzpaar von Begehren (ὄρεξις) und Aversion (ἔκκλισις), dem bei Seneca das zu Begehrende (adpetenda) und das zu Meidende (fugienda) entspricht (Ep 82,6). So heißt es bei Chrysipp:

vgl. z. B. Epiktet, Encheir 1,1f.; Frag. 4. Cicero, Fat 39–43, gibt den Ausdruck mit ‚in nostra potestate‘ wieder. 13 Vgl. Reydams-Schils, Stoics, 15: „On the level of Stoic theory, the ‚self‘ is the ruling principle in a human soul, the so-called hēgemonikon, or the mind, which represents a rational and unified consciousness“; s. auch oben Anm. 1 sowie unten Kap. 7.1.2, Anm. 6. 14  Vgl. SVF 2,826 = Long/Sedley, Philosophen, 377 (53K): „… so kombiniert auch das Führungsvermögen in demselben Körper Vorstellung, Zustimmung, Trieb und Vernunft (φαντασίαν, συγκατάθεσιν, ὁρμήν, λόγον)“. S. auch SVF 2,836 = Long/Sedley, Philosophen, 376 (53H), und dazu s. u. Kap. 7.2.4. 15  Inwood, Reason, 250 (Hvb. G.H.); dazu s. auch Long/Sedley, Philosophen, 382–384. Zur senecanischen Gestalt dieser Theorie vgl. Graver, Action, 264–267. 16  Long/Sedley, Philosophen, 384. 17  Forschner, Ethik, 120. Graver, Action, 259, weist präzisierend darauf hin, dass ὁρμή den „psychic event“ bezeichnet, „in which behavior is initiated …; it is this rather than the resulting movement of the limbs“. Zur ὁρμή vgl. ferner Bonhöffer, Stoa, 250–255, Inwood, Ethics, 42–101, Brennan, Psychology, 265–269, und Willms, Diatribe, 105.

Kapitel 6: Das Selbst und die Sorge um das Selbst

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„Der Antrieb … des Menschen ist die Vernunft, die ihm zu handeln befiehlt, wie er in dem Buch ‚Über das Gesetz‘ geschrieben hat. Folglich ist auch die Zurückweisung die Vernunft, wie sie verbietet, und ebenso die Aversion, ‚jedenfalls wenn sie vernünftig ist; denn sie ist das Gegenteil des Begehrens‘ …“18

Der wiedergegebene Text setzt die Vernünftigkeit des Begehrens voraus. An anderer Stelle wird Chrysipp explizit mit der Aussage wiedergegeben: „das Begehren gehört zur vernünftigen Kraft“.19 In diesen die Selbstsorge umschreibenden Vollzügen des Selbst liegt bei Epiktet das Zentrum seines philosophischen Denkens. Dies erhellt aus der Zuspitzung, die dieser Vorstellungskomplex bei ihm erhält. Der Philosoph lässt Zeus in Diss 1,1.10–12 sagen: „10 Epiktet, wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich deinen elenden Leib (σωμάτιον) und (dein) kleines Besitztum frei und ohne jede Beeinträchtigung geschaffen. 11 Nun aber – lass es dir nicht entgehen – ist dieser (Leib) nicht der deine (οὐκ ἔστιν σόν), sondern Lehm, der geistreich vermengt worden ist. 12 Weil wir dies nicht vermochten, haben wir dir einen Teil von uns gegeben (ἐδώκαμέν σοι μέρος τι ἡμέτερον), diese Kraft (τὴν δύναμιν ταύτην) des Antriebs und der Zurückweisung (τὴν ὁρμητικήν τε καὶ ἀφορμητικήν), des Begehrens und der Aversion (ὀρεκτικήν τε καὶ ἐκκλιτικήν), oder kurz gesagt: den Gebrauch der Vorstellungen (τὴν χρηστικὴν ταῖς φαντασίαις); wenn du für diese (Kraft) Sorge trägst (ἐπιμελούμενος) und das, was dir gehört (τὰ σαυτοῦ), in sie hineinlegst, wird sich dir niemals (etwas) hindernd in den Weg stellen, wirst du niemals aufgehalten werden, nicht stöhnen, nicht tadeln, niemanden schmeicheln“.

Wenn Epiktet hier zunächst vom Leib handelt, dann entspricht dies dem, was in der Diktion von Seneca in den Machtbereich der Natur als dem Bereich, in dem das Schicksal wirksam ist, fällt.20 Er ist, in den Worten Epiktets, nicht das ‚deine‘. 21 Das ‚deine‘, τὰ σαυτοῦ, das mit dem senecanischen ‚sua‘ bzw. ‚noster‘ identisch ist, ist vielmehr der göttliche Anteil im Menschen. Dabei 18 … ἡ ὁρμή … τοῦ ἀνθρώπου λόγος ἐστὶ προστακτικὸς αὐτῷ τοῦ ποιεῖν, ὡς ἐν τῷ περὶ Νόμου γέγραφεν. οὐκοῦν καὶ ἡ ἀφορμὴ λόγος ἀπαγορευτικός, καὶ ἡ ἔκκλισις 〈, εὔλογός γ’ οὖσα· τῇ ὀρέξει γὰρ ἐναντία· 〉 … (SVF 3,175 = Plutarch, De Stoic repugn [Mor 1037f]). Bei dem in Klammern gesetzten Text handelt es sich um die Rekonstruktion von Cherniss, Plutarch’s Moralia, XIII/2, 450. Von Arnim, Fragmente, ergänzt demgegenüber ἡ δὲ εὐλάβεια; zur Rekonstruktion von Pohlenz vgl. Cherniss, aaO., Anm. 10. Der überlieferte Text fährt mit εὔλογος ἔκκλισις fort und betont damit neuerlich den vernünftigen Charakter der Aversion. 19  ἡ ὄρεξις… τῆς λογικῆς ἐστι δυνάμεως (SVF 3,463). Zum vernünftigen Charakter von ὄρεξις und ὁρμή vgl. auch SVF 3,169: ἡ … ὄρεξις οὐκ ἒστι λογικὴ ὁρμή, ἀλλὰ λογικῆς ὁρμῆς εἶδος. Zum Verhältnis von ὁρμή und ὄρεξις vgl. Bonhöffer, Stoa, 233– 249, Forschner, Ethik, 121, und Willms, Diatribe, 108f. 20  Zu § 10f. vgl. auch Seneca, Prov 6,6, wo dieser den Gott sprechen lässt: „Weil ich euch vor diesem (sc. dem Traurigen, Schrecklichen und schwer zu Ertragenden) nicht in Schutz nehmen konnte (non poteram … subducere), habe ich eure Herzen gegen alles gewappnet“. 21  Zum Eigenen und Fremden bei Epiktet vgl. Forschner, Theorie, 102–106.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

handelt es sich nach Diss 1,1.12 um die Kraft der Vernunft22 im Modus von Antrieb und Zurückweisung, Begehren und Aversion 23, nach Diss 3,2.1–5 zudem um die Zustimmungen. Das so bestimmte Eigentum des Menschen ist bei Epiktet mit dem Ich bzw. dem Selbst identisch, das er auch προαίρεσις nennt. 24 Entscheidend ist hier nun, dass Epiktet dieses mit dem Selbst identische Eigentum des Menschen als Gegenstand der ‚Sorge‘ bestimmt und damit auf das Konzept der ‚Selbstsorge‘, der ἐπιμέλεια ἑαυτοῦ bzw. der ‚cura sui‘, anspielt.25 Antrieb und Zurückweisung, Begehren und Aversion sowie die Zustimmungen sind bei Epiktet die drei Bereiche, die die Schüler der Philosophie nicht nur zu lernen, sondern auch einzuüben haben. Sie konstituieren bei ihm zugleich die drei Teile der Ethik. 26 Das wichtigste und drängendste Gebiet ist der auch von Seneca in Ep 82,6 erwähnte Bereich von Begehren und Aversion. Denn ihr rechter Gebrauch verhindert, dass die Leidenschaften, die πάθη, die den Menschen in Verwirrung, Tumult etc. stürzen, ihre Macht entfalten. Die Leidenschaften entstehen nur, wenn das vernünftige Begehren seinen Gegenstand, das Gute, nicht erlangt und die vernünftige Aversion das Schlechte nicht meidet.27 Eine solche Ausrichtung des Begehrens und der Aversion entspricht der Natur der Seele (πέφυκεν … πᾶσα ψυχή; Diss 3,3.2). Deshalb wird sie nie eine Vorstellung des Guten (ἀγαθοῦ φαντασίαν) zurückweisen, wohl aber des Schlechten (§ 4). 22 Vgl.

Dobbin, Epictetus, 69, sowie oben Anm. 34. Vgl. auch Encheir 1,1f.; 2,1f. Zur ἔκκλισις vgl. bes. Willms, Diatribe, 109f. 24 Vgl. Long, Epictetus, 207: Das „divine endowment …: the reasoning and self-studying faculty, the faculty that can make correct use of impressions, and the faculty of positive and negative impulse and of desire and aversion“, nennt Epiktet auch „‚me‘ (i. e. the self) and prohairesis“. S. ferner Inwood, Self-assertion, 339: Epiktets „‚self‘ is no doubt the prohairesis“, sowie Sorabji, Epictetus, 87: „Proairesis is Self“ (in Kapitälchen), sowie Fetz, Dialektik, 188. Der Begriff προαίρεσις gehört zu den philosophischen Grundkategorien Epiktets. Sorabji, aaO., charakterisiert ihn folgendermaßen: „Very roughly, your proairesis is your rational decision, or the tendency of your rational decisions, about how it is appropriate to act. But there is good proairesis and bad.“ In der intensiven Verwendung des Begriffs προαίρεσις unterscheidet sich Epiktet von den frühen Stoikern; vgl. Dragona-Monachou, Epictetus, 112. Dragona-Monachou, ebd., zufolge umfasst der Begriff folgendes Bedeutungsspektrum: „the autonomous inner disposition and attitude, volition, moral choice, moral purpose, moral character … and, particularly, basic free choice“. Anders formuliert ist die προαίρεσις damit „the self, what each of us is, as abstracted from the body“ (Long, Epictetus, 28); s. auch Engberg-Pedersen, Cosmology, 112, der auf Diss 3,1.40 verweist: ὅτι οὐκ εἶ κρέας οὐδὲ τρίχες, ἀλλὰ προαίρεσις. Der Gebrauch von προαίρεσις bei Epiktet schließt an den des Aristoteles an, der ihn in die Philosophie eingeführt hat; vgl. Alesse, Prohairesis, 204f., sowie Forschner, Theorie, 106–108. 25  Vgl. dazu Dobbin, Epictetus, 74. 26  Zu Epiktet vgl. Diss 3,2.1–5 (= Long/Sedley, Philosophen, 410f., [56C]); ähnlich unterscheidet auch Seneca drei Teile der Ethik; vgl. Ep 89,14 (= ebd., 410, [56B]). 27  Vgl. Diss 3,2.3 und 3,3.1–4. 23 

Kapitel 6: Das Selbst und die Sorge um das Selbst

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Obwohl es der Natur der Seele gemäß ist, sich nur mit dem zu beschäftigen, was in den Bereich der προαίρεσις als dem, was sie angeht, fällt (3,2.13–16), versteht sich dies keineswegs von selbst. So lassen sich die Philosophenschüler auch von dem, was nicht das ‚Ihre‘ ist, beeinflussen, indem sie den durch die sinnliche Wahrnehmung entstandenen Vorstellungen nicht widerstehen und dadurch den Leidenschaften Raum geben. Wenn sie etwa ein Mädchen erblicken, weisen sie die dadurch entstandene Vorstellung nicht ab und lassen damit der Begierde freien Lauf; wenn ihr Nachbar etwas erbt, werden sie neidisch usw. (3,2.8–12). Deshalb muss, wie insbesondere Epiktet nicht müde wird zu betonen, der Umgang mit den Vorstellungen eingeübt werden. Demgegenüber bezieht sich der zweite Bereich der Ethik, Antrieb und Zurückweisung, auf das Handeln. Dabei denkt Epiktet vor allem an das auf die Gemeinschaft bezogene Handeln (τὸ καθῆκον).28 Die Zustimmungen als dritter Bereich der Ethik schließlich betreffen Nichttäuschbarkeit und Nüchternheit und die Zustimmungen überhaupt. Ihr Studium soll, so Epiktet, den wenigen in der Philosophie wirklich Fortgeschrittenen vorbehalten bleiben, weil es hier um die Sicherheit in all jenen Gebieten geht, die die Schüler erst noch zu erlangen haben. Sie zeigt sich darin, selbst in Träumen, im Rausch oder in der Depression keine Vorstellung ungeprüft durchzulassen. 29 Dies ist die Aufgabe der Zustimmungen, die zwischen Vorstellungen und Antrieben vermitteln, indem sie mit dem Inhalt der Vorstellungen mitgehen, so dass sich der Verstand auf etwas in der Handlungssphäre hinbewegt – dies ist der Antrieb30 – oder von ihm Abstand nimmt. Der Gebrauch der Vorstellungen als die Betätigung von Begehren und Antrieb ist nach Diss 1,1.10–12 der dem Menschen gegebene Daseinszweck. Für die bestimmungsgemäße Betätigung dieses Vermögens, das heißt für die dem Menschen von Zeus gegebene Kraft, muss der Mensch selbst Sorge tragen. Wie Epiktet in § 14 ausführt,

28  Vgl. Diss 3,2.4, wo Epiktet die natürlichen und erworbenen Beziehungen nennt: als religiöser Mensch, als Sohn, Bruder, Vater und Bürger. Vgl. dazu Oldfather, Epictetus, xxii–xxiii, der darauf hinweist, dass Epiktet „(a)mong duties … is concerned principally with those of social character“. Zum καθῆκον s. ferner Long/Sedley, Philosophen, 435, die statt von „duties“ von „‚zukommende(n) Funktionen‘“ sprechen und darunter „alle Aktivitäten“ verstehen, „die der Konstitution eines Lebewesens ‚zu eigen‘ oder für sie natürlich sind“, und das heißt beim Menschen: solche, die seinem sozialen Bewusstsein entsprechen. 29  Vgl. Diss 3,2.5–7. In § 6 nimmt Epiktet die von Inwood (s. o.) benannte theoretische Dimension der Zustimmungen in den Blick. In § 7–18 polemisiert er heftig gegen Philosophenschüler, die die ersten beiden Studiengebiete, die das moralische Handeln betreffen, zugunsten der Logik missachten. Mit diesbezüglichen Fragen sollen sich nur die gestandenen Philosophen befassen, die die ersten beiden Gebiete bereits beherrschen. 30  Vgl. SVF 3,169.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

„steht es in unserer Macht (δυνάμενοι), für eine (Sache) Sorge zu tragen (ἑνός … ἐπιμελεῖσθαι) und uns einer (Sache) zu widmen (ἑνὶ προσηρτηκέναι ἑαυτούς), wir wollen (aber) lieber für viele (Dinge) Sorge tragen und uns vielen (Dingen) verschreiben, dem Körper und dem Besitz, Bruder und Freund, Kind und Sklave“.

Die Sorge für das Viele anstatt der für das Eine hat freilich zur Folge, dass der Mensch davon beschwert und heruntergezogen wird (§ 15). Auf diese Weise verspielt er bei der Konzentration auf das ihm Eigene die ihm mögliche Freiheit und Glückseligkeit. 31 So erweist sich für Epiktet die Selbstsorge als ein Herzstück seiner Philosophie. Auch wenn Seneca in dem oben präsentierten Abschnitt in Ep 82,4–7 den Begriff der ‚cura sui‘ nicht explizit verwendet, weist die Rede von der Unterscheidung von zu Begehrendem und zu Meidendem doch auf eben diese Konzeption. Für ihn ist die Philosophie der Weg für das Ich, die Seele zu einer uneinnehmbaren Burg zu machen, so dass sie sich für sich selbst zu reklamieren vermag. Damit trägt sie Sorge für sich selbst. Die Bestimmung des Menschen, für die ihm verliehene Kraft Sorge zu tragen, ist eine Gabe der Natur, die das Ich gebrauchen muss. Epiktet bestimmt sie in Diss 1,1.10–12, wie gesehen, ausdrücklich als Gabe des Zeus. Diese theologische Konturierung seiner Philosophie ändert nichts an ihrer radikalen Ich-Orientierung, sie begründet sie vielmehr. Dies ist im Folgenden ausgehend von Diss 4,12.7–12 zu zeigen. Epiktet setzt hier mit der Formulierung zweier allgemeiner Prinzipien ein, die man in jeder Lebenslage zur Hand haben sollte. Das erste lautet: „Niemand ist ein Herr über die einem anderen gehörige vernünftige Entscheidung (προαιρέσεως ἀλλοτρίας)“, das zweite: „in ihr allein (ist) das Gute und das Übel“ (§ 7). Aus diesen Grundsätzen ergibt sich für ihn, dass keiner die Macht hat, „mir Gutes zu verschaffen oder mich mit Schlechtem zu umgarnen, sondern ich selbst (ἐγὼ αὐτός) habe in diesen (Dingen) allein Vollmacht (ἐξουσίαν) über mich selbst (ἐμαυτοῦ)“ (§ 8). 32 Weil alle Ressourcen des Ichs ausschließlich im eigenen Selbst liegen, gibt es keinen Grund, sich durch Externa wie Furcht, Krankheit, Armut oder Misshelligkeit beunruhigen zu lassen (§ 9) oder sich an denen zu orientieren, die Rang und Namen haben (§ 10). 33 Vielmehr gilt: „Ich aber habe jemandem, dem ich gefallen muss, dem

31 

Vgl. Encheir 1,4. οὐδεὶς οὖν κύριος οὔτ’ ἀγαθόν μοι περιποιῆσαι οὔτε κακῷ με περιβαλεῖν, ἀλλ’ ἐγὼ αὐτὸς ἐμαυτοῦ κατὰ ταῦτα ἐξουσίαν ἔχω μόνος. Dazu s. auch Algra, Epictetus, 44, und Wildberger, Self, 36. 33  Vgl. auch Diss 2,16.28: „Was aber ist das göttliche Gesetz? Das Eigene zu bewahren, das Fremde nicht zu beanspruchen, sondern die gegebenen (Dinge) zu gebrauchen und die nicht gegebenen nicht zu verlangen; wenn aber etwas weggenommen wird, es leicht und ohne Umstände abzugeben, dankbar für die Zeit, in der man es zum Gebrauch hatte …“. 32 

Kapitel 6: Das Selbst und die Sorge um das Selbst

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ich mich unterordnen, dem ich gehorchen muss: dem Gott und nach jenem mir (selbst)“ (§ 11). 34 Der Grund dafür erhellt aus § 12: „Jener (sc. der Gott) hat mich (ἐμέ) an mich selbst (ἐμαυτῷ) empfohlen und hat meine vernünftige Entscheidung (προαίρεσιν) allein mir (ἐμοὶ μόνῳ) untergeordnet, indem er mir Normen zu ihrem rechten Gebrauch gegeben hat“. 35

Der Gott als Subjekt verweist demnach das Ich in der Ausübung seiner προαίρεσις an sich selbst. Unter der Voraussetzung, dass sich das Ich aus den Quellen speist, die dem Menschen als rationale animal von dem Gott als Anteil an sich selbst verliehen sind36, ist der Gehorsam gegenüber dem Ich im Sinne der vernunftgemäßen Betätigung der erwähnten ἐξουσία identisch mit dem Gehorsam gegenüber Gott. Der stoische Mensch ist an sich selbst gewiesen und auf sich selbst gestellt. Deshalb liegen, wie Epiktet an anderer Stelle formuliert, auch Verderben und Hilfe ausschließlich in der Macht des Selbst. 37 Die geforderte Hinwendung zum vernünftigen Selbst wird von Epiktet auch sonst auf den Gott zurückgeführt. In Diss 1,29.4 wird dies als göttliche Setzung charakterisiert: „Dieses Gesetz (νόμον) hat der Gott verfügt, und er spricht: ‚Wenn du ein Gut willst, nimm es von dir selbst (παρὰ σεαυτοῦ λάβε)‘“. 38 Ähnlich stellt Epiktet in Diss 2,8.21 fest, dass der Gott den Menschen nicht nur geschaffen, sondern ihn auch „allein (s)ich selbst anvertraut und (allein an sich selbst) übergeben hat (σοὶ μόνῳ ἐπίστευσεν καὶ παρακατέθετο)“. Die Begründung dafür erfolgt in § 23: „Er (sc. der Gott) hat dir dich selbst übergeben (παραδέδωκέ σοι σεαυτόν), (so dass du dir selbst gehörst 39), und sagt: ‚Ich hatte keinen anderen, der vertrauenswürdiger war als du (πιστότερόν σου). Diesen bewahre mir in der Gestalt, in der er von Natur aus geschaffen ist: schamhaft (αἰδήμονα), vertrauenswürdig (πιστόν), erhaben 34 

ἐγὼ δ’ ἔχω, τίνι με δεῖ ἀρέσκειν, τίνι ὑποτετάχθαι, τίνι πείθεσθαι· τῷ θεῷ καὶ μετ’ ἐκεῖνον ἐμοί. 35  ἐμὲ ἐκεῖνος συνέστησεν ἐμαυτῷ καὶ τὴν ἐμὴν προαίρεσιν ὑπέταξεν ἐμοὶ μόνῳ δοὺς κανόνας εἰς χρῆσιν αὐτῆς τὴν ὀρθήν. 36  Vgl. dazu auch § 15. Der Text beginnt mit der Aufzählung dessen, was nicht zu tun ist, nämlich den externen, der eigenen Person fremden Dingen nachzustreben, um sodann aufzuführen, was stattdessen zu tun ist: so zu handeln, „wie es der, der mächtig ist (ὁ δυνάμενος; sc. der Gott), angeordnet hat, ganz und gar die Dinge (zu verfolgen), die zur vernünftigen Entscheidung (τὰ προαιρετικά) gehören, die anderen aber, wie immer sie gegeben sind“. 37  Vgl. Diss 4,9.16: ἔσωθεν γάρ ἐστι καὶ ἀπώλεια καὶ βοήθεια; s. ferner Diss 4,9.13. Dazu vgl. auch Fetz, Dialektik, 190.192, und Algra, Epictetus, 44f. 38  Diese programmatische Aussage wird in der Fortsetzung nach den beiden, in dem Zitat anklingenden Seiten entfaltet, der Seite der Theonomie und der der Autonomie. Die Ethik Epiktets ist theonom begründet; vgl. Long, Epictetus, 186–189. 39  Dies dürfte der Sinn des Perfekts als resultativem Tempus sein. παραδίδωμι hat u. a. die Bedeutung „anvertrauen zu einem bestimmten Zwecke“; vgl. Pape, 2 477, s. v. S. ähnlich Diss 4,12.12 und Diss 2,16.28.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

(ὑψηλόν), unerschrocken (ἀκατάπληκτον), leidenschaftslos (ἀπαθῆ), unerschütterlich (ἀτάραχον)’.“

Das Lexem πιστός, das hier ein Hauptbegriff ist, „describes someone who is trustworthy, loyal, and credible“.40 Die Unüberbietbarkeit der Vertrauenswürdigkeit des Selbst, die als Grund für die Überantwortung des Menschen an das eigene Ich genannt wird, hat seine Ursache darin, dass die Vertrauenswürdigkeit ein natürliches Vermögen bzw. eine angeborene moralische Sensibilität ist.41 Dies gilt entsprechend für die anderen von Epiktet in Verbindung mit πιστός aufgeführten Begriffe. Sie umschreiben das, was A.A. Long für Epiktet Integrität nennt.42 Gemeinsam mit der Prohairesis konstituieren sie das „normative Selbst“.43 Während das Konzept der Integrität in der Regel auf soziale Beziehungen bezogen ist44, ist hier die Beziehung des Ichs zu sich selbst im Blick. Das Selbst ist sich selbst Aufgabe. Es ist von sich in der Gestalt zu bewahren, die es von der Natur empfangen hat. Nach § 11 ist dieses Ich aber zugleich ein ἀπόσπασμα … τοῦ θεοῦ und damit dasjenige, in dem der Gott anwesend ist.45 Dieser Gott ist seinem Wesen nach (οὐσία θεοῦ) Geist, Wissen und rechte Vernunft (νοῦς, ἐπιστήμη, λόγος ὀρθός; § 2). Daran hat der Mensch Anteil. Indem er an sein Selbst übergeben ist, ist er zugleich der göttlichen Vernunft übergeben. So zeigt sich die theologische Dimension im Kontext der Konstituierung des Selbst in doppelter Weise. Die geforderte Hinwendung zum Selbst ist eine göttliche Setzung. Wenn sich das Ich aber in sich selbst zurückzieht, trifft es in seinem wahren Ich auf das Göttliche im Menschen, die Vernunft. In ihr sind beide, Gott und Selbst, ununterscheidbar geworden.46 40  Long, Epictetus, 223. S. ähnlich Hard/Gill, Epictetus, 87, in Wiedergabe von πιστός in § 23: „in whom I could put more confidence“ bzw. „trustworthy“; Oldfather, Epictetus, 1 265, übersetzt dagegen „faithful“. 41 Vgl. Long, Epictetus, 225: Epiktet „treats his preferred terms of ethical excellence and integrity (aidôs, etc.) as ‚natural‘ faculties or equipment“. Zu diesen Vorzugstermini zählt auch πιστός; vgl. ebd., 223–225. 42  Vgl. ebd., 30. Besonders häufig gebraucht Epiktet das Adjektiv αἰδήμων und das dazugehörige Nomen (zum Bedeutungsspektrum vgl. ebd., 223); er verbindet es regelmäßig mit anderen Begriffen, von den in Diss 2,8.23 genannten vor allem mit πιστός und ἀτάραχος. Long, ebd., 223f., weist in diesem Zusammenhang auf einen Unterschied zur traditionellen Stoa hin: Während die Begriffe dort „special virtues of the ideal sage“ bezeichnen, stehen sie bei Epiktet für „a range of ordinarily approved qualities that … will resonate well with his students and fall within their experience and aspirations“. 43  Das normative Selbst ist „one’s self, but one’s self reclaimed from alienation by time and false values“ (Long, Seneca, 373). 44 Vgl. Long, Epictetus, 30. 45  Vgl. Diss 2,8.11: σὺ ἀπόσπασμα εἶ τοῦ θεοῦ· ἔχεις τι ἐν σεαυτῷ μέρος ἐκείνου; s. ferner § 13: ἐν σαυτῷ φέρεις αὐτόν; § 14: αὐτοῦ δὲ τοῦ θεοῦ παρόντος ἔσωθεν; § 16: οὗτος οὐκ οἶδεν αὑτοῦ θεόν, οὗτος οὐκ οἶδεν, μετὰ τίνος ἀπέρχεται. 46  Entsprechende Äußerungen finden sich auch bei Seneca; dazu s. ausführlich unten Kap. 8.

Kapitel 6: Das Selbst und die Sorge um das Selbst

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Nach dem Gesagten dürfte deutlich geworden sein, dass für die beiden kaiserzeitlichen Stoiker Seneca und Epiktet die Sorge um das Selbst zu den Kernstücken ihrer Philosophie gehört. Wie in Kap. 7 zu zeigen sein wird, rezipiert Philo zwar verschiedene Aspekte der das Selbst konstituierenden innerseelischen Prozesse, die Konzeption als solche lehnt er aber entschieden ab.

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Kapitel 7

Rezeption und Abweisung stoischer Vorstellungen vom Selbst bei Philo in Leg 3,1–48 Der Abschnitt Leg 3,1–48 reflektiert in hohem Maße die stoische Diskussion über das Selbst, grenzt sich aber, wie angedeutet, an entscheidenden Punkten von der stoischen Philosophie ab und stellt ihr eine jüdisch-theologische Perspektive entgegen. Diese Auseinandersetzung wird im Folgenden nachgezeichnet, um so den spezifischen Ort Philos im philosophischen Diskurs der Antike über das Selbst genauer bestimmen zu können. Ausgangspunkt der folgenden Darlegungen ist der philonische Text, dessen stoische technische Terminologie zunächst identifiziert wird. Um Philos Umgang mit den stoischen Konzeptionen zu verdeutlichen, werden die sich mit dieser Begrifflichkeit verbindenden Vorstellungen anhand ausgewählter stoischer Texte erläutert und ihre Verwendung bei Philo analysiert. Methodisch kommt hier damit das traditionsgeschichtliche Verfahren zur Anwendung. Dass der alexan­drinische Gelehrte in hohem Maße stoisches Gedankengut rezipiert, ist unstrittig. Davon unabhängig ist die Frage, die hier aber auf sich beruhen kann, ob Philo ein Stoiker war bzw. in welchem Maß er durch die Stoa im Vergleich zu anderen philosophischen Schulen geprägt wurde.1 Leg 3,1–48 enthält Philos Auslegung zu Gen 3,8b: „Und sowohl Adam als auch seine Frau verbargen sich (ἐκρύβησαν) vor dem Angesicht Gottes des Herrn inmitten des Gehölzes des Paradieses“. Für die hier zu erörternde Frage sind § 11–27 und § 28–31 von besonderem Interesse. Geht es in § 4–10, ausgehend vom Verbergen Adams und Evas (§ 1), um das – von Philo kritisierte – Verbergen des Menschen vor Gott, so geht es in § 11–27 im Gegensatz dazu um sein als Flucht gedeutetes Verbergen vor den Leidenschaften und der sinnlichen Wahrnehmung hin zu Gott. Philo erläutert dies an zwei unterschiedlichen Charakteren, an Mose, dem Freund Gottes (§ 1) und Gottschauenden 2, einerseits (§ 11–14) und an Jakob, dem 1  Vgl. dazu Long, Philo, Reydams-Schils, Philo, Dillon, Philo, Sterling, Sources, und Lincicum, Library. Die Ergebnisse, zu denen die Autoren bei ihren Untersuchungen kommen, unterscheiden sich erkennbar. – Von Zielsetzung und Methodik her berührt sich das folgende Kapitel mit Radice, Philo. Dies gilt entsprechend für ein Hauptergebnis seiner Studie, wonach der entscheidende Unterschied zur Stoa in der Rolle Gottes bei Philo zu sehen ist. 2 Vgl. Birnbaum, Place, 93.

Kapitel 7: Rezeption und Abweisung stoischer Vorstellungen

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Übenden, der zum Gottschauenden wird, andererseits (§ 15–27). In § 28–31 wird diese Erörterung weitergeführt und auf das Gegenüber von Gott und Selbst zugespitzt. 3

7.1 Das Beispiel Moses (Leg 3,11–14) An Moses Flucht vor Pharao erläutert Philo die Flucht vor den Leidenschaften4 und das Sichtbar-Werden des Weisen vor Gott. Für den ersten Aspekt sind enge Bezüge zur stoischen Tradition zu beobachten, mit der zweiten Thematik grenzt er sich an dem für ihn entscheidenden Punkt implizit vom stoischen Denken ab. Um dies im Einzelnen nachvollziehbar zu machen, ist hier zunächst der Text Leg 3,11–14 in Übersetzung darzubieten. 3  Im Einzelnen ergibt sich für den Aufbau der philonischen Auslegung von Gen 3,8b in Leg 3,1–48 folgendes Bild: (I) In § 1–27 thematisiert Philo den ersten Teil von Gen 3,8b. Dabei sind die folgenden Abschnitte zu unterscheiden: (1) In der Einleitung § 1–3 formuliert er ausgehend von dem Zitat Gen 3,8b die Lehre (δόγμα), dass der Schlechte ein Flüchtiger (φυγάς) ist. Die den Weisen eigene Stadt ist die Tugend. Wer keinen Anteil an ihr hat, der Schlechte also, ist verbannt (ἀπελήλαται) und flüchtig (πεφυγάδευται). Der vor der Tugend Fliehende verbirgt sich aber zugleich vor Gott (ἀποκέκρυπται θεόν). Demgegenüber sind die Weisen als Freunde Gottes diesem sichtbar (ἐμφανεῖς; § 1). Dieser Gegensatz wird in § 2f. an Esau und Jakob illustriert. (2) In § 4–10 ist der Schlechte im Blick. Philo stellt bezüglich seiner die Frage, in welchem Sinne man von jemandem sagen könne, er verberge sich vor Gott (ἀποκρύπτεσθαί τις θεόν), und gibt darauf zwei Antworten: (a) Nach § 4–6 glaubt der Schlechte, dass Gott an einem spezifischen Ort und somit dort, wo er sein Versteck hat, nicht anwesend ist. Theologisch gesprochen stellt er damit die Lehre in Frage, dass Gott alles durchdringt und nichts leer lässt (§ 4; dazu s. o. Kap. 3.1.1 sowie unten Kap. 8.2 zu Seneca, Benef 8,2) bzw. dass der Urheber aller Dinge nicht alles umfängt. Der hier vorgestellte Schlechte erscheint somit als ein Leugner einer stoisch anmutenden Gottesvorstellung. (b) § 7–10 zufolge ist im Schlechten das richtige Gottesverständnis verdunkelt (zu verschiedenen Fehlurteilen vgl. § 7f.), weil er ohne göttlichen Lichtstrahl (ἐναύγασμα θεῖον) ist. Demgegenüber streben die weisen Gedanken danach, sichtbar (ἐμφανεῖς) zu sein: so wie Abraham, der vor Gott steht und nicht wie der Ungerechte flieht. (3) In § 11–27 kommen die Guten bzw. die Weisen, verkörpert durch Mose (§ 12–14) und Jakob (§ 15–27; in § 24–27 verwoben mit Abraham), in den Blick. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich nicht vor Gott verbergen, sondern vor ihm erscheinen (ἐμφανής … θεῷ; § 12). (II) In § 28–47 entfaltet Philo ausgehend von Gen 3,8b: „inmitten des Gehölzes des Gartens“, die Alternativen, die die Guten und die Schlechten mit Blick auf den Ort ihrer Zufluchtnahme ergreifen. (1) In § 28–31 deutet er die Wendung auf den Ort, an dem sich der Schlechte vor Gott verbirgt, nämlich in seinem eigenen Nous. Gegenstück dazu ist derjenige, der zu Gott flieht. (2) In § 32–35.36 werden ausgehend von Ex 22,1f. die Konsequenzen der Flucht in den eigenen Nous weiterentwickelt. Das in § 35 anklingende Strafmoment wird in § 36 für ein anderes Fehlverhalten Gott gegenüber weitergeführt. (3) In § 37–39a exemplifiziert Philo das Verbergen in sich und die Flucht aus sich hin zu Gott an Mose und dem von ihm erschlagenen Ägypter. (4) § 39b–41.42–47 interpretieren das Fliehen zu Gott als göttliches Herausführen des Geistes aus der Sinnenwelt, das wiederum die Voraussetzung der Gottesbegegnung ist. (III) § 48 fasst die Hauptthese der Auslegung abschließend zusammen. 4  Zu Gebrauch und Bedeutungsspektrum von φυγή κτλ. vgl. Runia, Flight, 9f.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

7.1.1 Der Text (Leg 3,11–14) „11 Zu drei Zeiten also, o Seele, das heißt während der ganzen dreifach geteilten Zeit, sollst du immer vor Gott in Erscheinung treten (ἐμφανής), aber du sollst nicht die weibliche Leidenschaft der sinnlichen Wahrnehmung (αἰσθητόν) mit dir bringen, sondern sollst das männliche, Selbstbeherrschung übende Denken (καρτερίας ἀσκητὴν λογισμόν) als Weihrauch darbringen. Denn „zu drei Zeiten im Jahr soll alles Männliche vor dem Herrn, dem Gott Israels, sich zeigen (ὀφθῆναι)“ (Dtn 16,16f.), schreibt das heilige Wort ( λόγος) vor. 12 Deshalb flieht (φεύγει) auch Mose, als er sich sichtbar (ἐμφανής) vor Gott hinstellt, vor der zerstreuenden Art des Pharao (τὸν διασκεδαστὴν τρόπον), welcher sich rühmt und sagt (αὐχεῖ λέγων), er kenne den Herrn nicht. Denn es heißt: „Es zog sich zurück (ἀνεχώρησε) Mose vom Angesicht Pharaos und ließ sich im Land Midian nieder“ (Ex 2,15), (das heißt) in der beurteilenden Betrachtung (τῇ κρίσει) der Dinge der Natur, „und er setzte sich an den Brunnen“ (v15), (darauf) wartend, mit welchem Trank Gott die dürstende und sich nach dem Guten sehnende Seele (ποθούσῃ ψυχῇ τὸ ἀγαθόν) begießen würde. 13 So zieht er sich also von der gottlosen Meinung (δόξης) Pharaos, der Führerin der Leidenschaften (ἡγεμονίδος τῶν παθῶν), zurück (ἀναχωρεῖ ). Er zieht sich aber zurück (ἀναχωρεῖ ) nach Midian, (das heißt zur) beurteilenden Betrachtung (τὴν κρίσιν), um zu prüfen (ἐξετάζων), ob er sich ruhig verhalten oder ob er wieder gegen den Schlechten streiten soll, um ihn zu verderben. Er aber überlegt bei sich (σκέπτεται), ob er, wenn er angreift, stark genug sein wird (ἰσχύσει), den Sieg davon zu tragen (νικηφορῆσαι). Deshalb hält er auch an sich (κατέχεται) und wartet ab (ὑπομένων), wie ich (schon) sagte, ob Gott dem tiefen, nicht oberflächlichen Denken ( λογισμῷ) eine geeignete Quelle aufsprudeln lassen wird, um das Ungestüm des Königs der Ägypter, (sc. das Ungestüm) seiner Leidenschaften, wegzuspülen. 14 Tatsächlich wird er dieser Gnade (χάριτος) gewürdigt. Denn nachdem er den Kampf für die Tugend gekämpft hat, hört er nicht auf, Krieg zu führen, bis er die Lüste (ἡδονάς) zu Boden geworfen und regungslos gebunden hat. Deshalb flieht (φεύγει) Mose nicht vor Pharao, denn (dann) würde er weglaufen (ἂν ἀπεδίδρασκεν), ohne umzukehren, sondern er zieht sich zurück (ἀναχωρεῖ ), das heißt, er macht eine Kampfpause (ἀνακωχήν … τοῦ πολέμου) wie ein Athlet, der durchatmet und wieder Atem holt (πνεῦμα), bis er die Kampfgenossenschaft der Einsicht (φρονήσεως) und der übrigen Tugend durch göttliche Worte (λόγων θείων) erweckt (hat) und (dann) mit größter Kraft (erneut) angreift.“

7.1.2 Der Argumentationsgang Philo eröffnet den Abschnitt mit der Mahnung an die Seele, „immer vor Gott in Erscheinung zu treten (ἐμφανής)“. Damit greift er einerseits auf § 1 zurück, wo die Weisen als Freunde Gottes als solche bestimmt werden, die Gott sichtbar sind, andererseits auf das Gebot Dtn 16,16f., man solle dreimal im Jahr vor Gott „sich zeigen (ὀφθῆναι)“ (§ 11). 5 5  Philo hat diese Schriftaussage in Leg 3 offenbar von Anfang an im Blick, wenn er den Begriff ἐμφανής bereits in § 1 mit Bezug auf die Freunde Gottes verwendet. Zu die-

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Die erwähnten „drei Zeiten“ beziehen sich im Kontext von Dtn auf die Wallfahrtsfeste und damit auf drei präzise Zeitabschnitte. Philo deutet sie auf die „dreigeteilte Zeit“ – gemeint sind offenbar Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und damit auf die gesamte Zeit. Bei den Gott darzubringenden Gaben handelt es sich, allegorisch gedeutet, um das Selbstbeherrschung übende Denken (λογισμός)6, das immer gefordert ist, weil es die durch die sinnliche Wahrnehmung hervorgerufenen Vorstellungen zu prüfen hat, die sich beim Menschen fortwährend einstellen.7 Das Beispiel, an dem Philo dies illustriert, ist Mose. Dieser stellt sich vor Gott hin8, um von ihm gesehen zu werden, damit dieser ihm in seinem Kampf mit den Leidenschaften Unterstützung gewährt. Diesen Grundgedanken entfaltet er in drei Durchgängen (§ 12; § 13–14a; § 14b). In § 12 formuliert er ihn mit Hilfe einer Auslegung von Ex 2,14–16. Gegen den Wortsinn von v14, wo davon die Rede ist, dass der Mord des Mose an dem Ägypter bekannt (ἐμφανές) geworden sei, deutet er den Begriff im Horizont von Dtn 16,16f. auf Moses Sichtbarwerden vor Gott. Die weiteren Aussagen von § 12 basieren auf Ex 2,15. Den hier erwähnten Rückzug des Mose von Pharao deutet er zunächst als Flucht vor dem Ägypter. Die Auslegung des Namens Pharao als Sinnbild der Zerstreuung basiert auf den ersten drei Radikalen von ‫פרעה‬, die „frei laufen lassen“ bedeuten können.9 In Her 60 wird der Name genauer „auf die Zerstreuung der Frömmigkeit“ gedeutet.10 Philo spielt in Leg 3,12 darauf an, wenn er Pharao in der Art eines φίλαυτος mit Ex 5,2 sich selbst rühmend sagen lässt, er kenne Gott nicht, und ihn in § 13 mit der gottlosen Meinung verbindet. Die in § 12 als Ziel des Rückzugs bestimmte „beurteilende Betrachtung der Dinge der Natur“ basiert wiederum sen Freunden zählt Mose, auf den sich die in § 12 zur Auslegung stehende Schriftstelle Ex 2,14f. explizit bezieht (dazu s. im Folgenden). Hier wird der ἐμφανής … θεῷ dann zugleich zum Erfüller des Gebots Dtn 16,16f. – Das Schriftzitat stimmt weitgehend mit dem Text der LXX überein, die Änderung von ὀφθήσεται zu ὀφθῆναι ist der Einbettung des Zitats in die Syntax der Aussage Philos geschuldet. 6  Der von Philo in § 11.13.16.17 gebrauchte Begriff λογισμός κτλ ist für das ἡγεμονικόν transparent (dazu s. bereits oben Kap. 1 mit Anm. 6; das gilt entsprechend für den der διάνοια [§ 16f.]). Vgl. dazu Forschner, Ethik, 60, demzufolge das ἡγεμονικόν in der Stoa „mit dem Vermögen der διάνοια (Verstand) bzw. des λογισμός (bewußte Erwägung) gleichgesetzt“ werden kann; beide Begriffe beziehen sich aber „nicht nur auf die theoretische Denkkraft, sondern auch auf das bewußte Empfinden und Streben“. Dazu s. auch unten Kap. 7.2.4 mit Anm. 116. 7  Dazu s. u. Kap. 7.1.4 und 7.2.4. 8  Mit der Formulierung, Mose habe, als er vor Pharao flieht, sich sichtbar vor Gott „hingestellt“, knüpft Philo an § 9 an, wo er die Schriftstelle, Abraham „stand (ἑστηκώς) noch vor Gott und sprach nähertretend: Vernichte nicht den Gerechten mit dem Gottlosen“ (Gen 18,22f.), auf das Fliehen des Gottlosen einerseits und das Vor-Gott-Stehen und Nicht-Fliehen des Gerechten andererseits deutet. 9  Vgl. PCHAT, 3 90, Anm. 1. 10  Dazu s. u. Kap. 7.1.6.

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auf Etymologie. Das in Ex 2,15 erwähnte hebräische Lexem für Midian (‫)מדין‬ enthält die Radikale ‫דין‬, die „richten, urteilen“ bedeuten. Die Auslegung des letzten Teilverses von Ex 2,15 in § 12 hat ebenfalls an Ex 2 Anhalt. Mose wartet nach v16 am Brunnen und begegnet dort den Töchtern des Priesters von Midian, die gekommen waren, Wasser zu schöpfen und das Vieh zu tränken (ποτίσαι). Philo deutet dies allegorisch auf das Warten der nach dem Guten dürstenden Seele auf einen Trank (πότιμον) von Gott. In § 13–14a entfaltet er seine Deutung von Ex 2,14–16 unter Rekurs auf stoische Tradition. Sein Hauptaugenmerk gilt dabei der κρίσις, die das Ziel der in Ex 2,15 erwähnten Anachorese des Mose ist. Dieser prüft, welche Schritte er nach seinem Rückzug von Pharao, das heißt von den Leidenschaften (§ 13), einschlagen soll, ob er sich ruhig verhalten und eine Kampfpause einlegen oder wieder in den Kampf gegen die Leidenschaften und die Lüste ziehen soll11, wobei er überlegt, ob seine Mittel zu einem siegreichen Bestehen des Kampfes ausreichen. Mose entscheidet sich, so Philo, in der Hoffnung auf göttliche Unterstützung für das Abwarten, das er als An-Sich-Halten deutet – wohl ein Rückbezug auf das ‚Selbstbeherrschung übende Denken‘ in § 11. Der Art des zu führenden Kampfes entsprechend erhofft sich Mose göttliche Hilfe für den λογισμός. Er erhält diese Gnade, die mit der Gabe der Tugend, insbesondere der Einsicht, in eins fällt. So ist Mose jetzt bereit, aus der Anachorese in die Arena des Kampfes zurückzukehren und die Lüste zu besiegen. In § 14b betont Philo in einer zusammenfassenden Schlussaussage, dass sich dieser Rückzug fundamental von einer Flucht unterscheidet.12 Es handelt sich dabei vielmehr um einen zeitweiligen Rückzug, der der Erneuerung der Kampfkraft dient, an der Gott maßgeblich beteiligt ist. Damit bereitet er zugleich seine Deutung Jakobs in § 15–27 vor, für den die Flucht kennzeichnend sein wird. Philos Auslegung von Ex 2,14–16 basiert in hohem Maß auf Anleihen aus der stoischen Psychologie. Dies gilt für das Grundproblem, den Umgang mit den Leidenschaften, ebenso wie für die beiden Schlüsselbegriffe, den außerhalb des Schriftzitates Ex 2,15 noch dreimal verwendeten Begriff des Rückzugs (ἀναχωρέω) und den aus der Auslegung von ‚Midian‘ abgeleiteten, von Philo zweimal gebrauchten Begriff der κρίσις, der ‚beurteilenden Betrach11  Bei der Deutung von ἀναχωρέω auf die Pause (ἀνακωχή) vom Krieg liegt ein Wortspiel vor, das zugleich die auch stoische Seite des Begriffs der Anachorese sachgemäß füllt; dazu s. u. Kap. 7.1.3. 12  Im Sinne Philos ist es also kein Widerspruch, wenn er in § 12 zunächst behauptet, dass Mose vor Pharao flieht, während er in § 14 das genaue Gegenteil postuliert. Die Flucht wird bereits in § 12 durch den Schriftvers im Sinne einer Anachorese gedeutet und so auch in § 13 aufgenommen. Weil Flucht und Rückzug klar unterschieden sind, kann er in § 14 formulieren: „Mose flieht nicht vor Pharao“.

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tung‘. Beide Termini werden im Folgenden einer eingehenden Analyse unterzogen, welche auch die sie entfaltenden, ebenfalls stoisch belegten Begrifflichkeiten und Vorstellungen berücksichtigt. 7.1.3 Zum Verständnis des Rückzugs (ἀναχωρεῖν) in Leg 3,12–14 und in der stoischen Tradition Die Grundstruktur der Anachorese findet Philo in Ex 2,15 zum Ausdruck gebracht. Es ist ein Rückzug weg von etwas hin zu etwas anderem: vom ‚Angesicht Pharaos‘ weg hin in das ‚Land Midian‘. Allegorisch gedeutet, besagt dies, wie gesehen, den Rückzug aus ‚Zerstreuung‘ und ‚Leidenschaften‘ in die ‚beurteilende Betrachtung‘ (§ 12f.) bzw. in die ‚Kriegspause‘ und das ‚Atemholen‘ (§ 14). Die Anachorese unterscheidet sich damit wesentlich von der Flucht. Bei näherer Betrachtung erweist sich die philonische Deutung der Anachorese und der sie kennzeichnenden Merkmale, wie angedeutet, als stoisch geprägt. In der kaiserzeitlichen Stoa wird die Anachorese insbesondere von Seneca, Epiktet und Marc Aurel thematisiert, die diese als Rückzug ins Selbst bestimmen. Seneca handelt davon besonders häufig. Eine erste Formulierung dessen ist in dem bereits erörterten Text Ep 82,4–7 zu finden, wo vom Zurückweichen von dem Schicksal die Rede ist (ab illa resiliamus; § 6). Er drückt den Gedanken aber in einer Vielzahl von Wendungen aus13, von denen einige besonders aussagekräftige im Folgenden vorgestellt werden. Zu Beginn des ersten Briefes an Lucilius steht folgende Wendung, die damit die Leserichtung für das gesamte Briefcorpus vorgibt:14 „Handle so, mein Lucilius: Befreie Dich für Dich selbst“ bzw. „reklamiere dich für dich selbst (vindica te tibi)“.15 Subjekt und Objekt fallen hierbei in eins: Das Ich handelt an sich 13  Unter dem Stichwort der „epiméleia heautoû“ bzw. der „cura sui“ (Foucault, Sorge, 64 [kurs.]) führt dieser ebd., 64, eine Reihe von senecanischen Wendungen auf, die den Rückzug des Menschen in sich selbst entweder direkt benennen oder aber das beschreiben, was den Rückzug in sich selbst in der Sache ausmacht. Dabei handelt es sich um die folgenden Wendungen: „sich für sich selbst freimachen (sibi vacare)“ (ebd.; Ep 17,5 und Brev 7,5); se formare (Brev; ohne nähere Angabe); se sibi vindicare (Ep 1,1); se facere (Beat 24,4); se ad studia revocare (Tranq 3,6); sibi applicare (Tranq 14,2); suum fieri (Ep 75,18); in se recedere (Tranq 17,3; Ep 74,29); ad se recurrere (Brev 18,1); secum morari (Ep 2,1); ad se properare (Ep 35,4). 14  Zum Charakter des Briefwerkes vgl. Griffin, Philosopher, 346–353, und Maurach, Bau, bes. 24.60–64. Ebd., 29, heißt es: „Kein Zweifel, ep. 1 ist als Proömium konzipiert“. Vgl. auch K. Abel: „Der Skopos des Werkes enthüllt sich … im ersten Satz des eröffnenden Briefes: Ita fac, mi Lucili, vindica te tibi!“ (zit. nach Maurach, Seneca, 175). 15  Long, Seneca, 371, weist darauf hin, dass das Verb vindicare „probably hints at that word’s frequent usage for claiming freedom from literal enslavement“. Etwas anders nuancieren Blänsdorf/Breckel, Paradoxon, 19, denen zufolge die Grundbe-

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selbst.16 Es soll „ein Doppeltes tun: von etwas fort und zu sich hin kommen“; im Blick ist hier m. a. W. der Rückzug in die Freiheit.17 Die Selbstinanspruchnahme vollzieht sich nach Ep 1,1 im Zusammenhalten und Hüten der Zeit. Zeitverschwendung ist für Seneca gleichbedeutend mit Selbstentfremdung, da die Zeit das einzige Gut ist, das ‚uns‘ selbst gehört.18 Deshalb schließt die Aufforderung Senecas an Lucilius die radikale Konzentration auf das jeweilige Heute, den jeweiligen Augenblick ein (§ 2). Hier und jetzt ist der potentielle Zeitpunkt der Selbstinanspruchnahme. „Der Mensch wird Herr seiner selbst, wenn er Herr seiner Zeit wird“.19 Dies verdeutlicht eine Aussage in Ep 62,1: „Ich habe Zeit, Lucilius, ich habe Zeit ([v]aco), und überall, wo ich bin, da bin ich mein Eigentum (ibi meus sum). Den Alltagsdingen liefere ich mich nämlich nicht aus, sondern passe mich ihnen an und suche nicht nach Anlässen, Zeit zu vergeuden; und an jedem Platz, an dem ich gerade bin, da hänge ich meinen Gedanken nach und erwäge etwas Nutzbringendes in meinem Sinn.“

Macht hat das Ich immer nur dann über sich, wenn es von den Dingen der Welt unbehelligt ist und in diesem Sinne ‚Zeit hat‘, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Dann gehört es sich selbst. Weil das Sich-selbst-gehören immer in einem spezifischen ‚Jetzt‘ geschieht, lenken die Vergangenheit mit ihren Erinnerungen und die Zukunft mit ihren Unwägbarkeiten von der Konzentration auf den Augenblick ab.20 Demgemäß heißt es in Ep 32,5: „Ich wünsche dir die Verfügungsgewalt über dich selbst (opto tibi tui facultatem), damit der von unsteten Gedanken gehetzte Geist (agitata mens) endlich Halt und Sicherheit findet, damit er an sich selbst Gefallen hat und – nach Erkenntnis der deutung von vindicare „‚einen Rechtsanspruch auf etwas legen‘“ ist, „es somit aus dem Besitz eines anderen herausnehmen und folglich von diesem befreien“. 16  Vgl. auch ebd., 19, wo Blänsdorf/Breckel von der paradoxen Identität von „Befreier und Befreite(m)“ sprechen. S. ferner Seneca, Brev 2,4f. 17 Vgl. Maurach, Bau, 26f. Das Ziel des Rückzugs ist die „Freiheit für wesentlicheres Tun“, letztlich „die Kosmosschau“ (vgl. Otio 5,6f.). „Doch in ep. 1 bleibt all dies unausgesprochen, der Kenner der stoischen Systematik aber wußte, was alles sich hinter dem vindica te tibi verbarg“ (Maurach, Bau, 27). 18 Vgl. Long, Self, 371; vgl. auch Ep 71,36. – Zur Bedeutung der Zeit bei Seneca vgl. von Albrecht, Wert, und Blänsdorf/Breckel, Paradoxon. 19 Ebd., 23. 20  Die Vergangenheit gehört bereits dem Tod (Ep 1,2), die Zukunft hat das Potential zur Beunruhigung; vgl. dazu Seneca, Ep 32,4: „O, wann wirst du jenen Zeitpunkt erleben, da Du Dir bewusst wirst, dass die Zeit für Dich belanglos ist, da Du gelassen und ruhig bist, unbekümmert um den morgigen Tag und in voller Zufriedenheit mit Dir selbst (in summa tui satietate)! Willst Du den Grund wissen, der die Menschen auf die Zukunft versessen macht? Niemand gehört [und genügt] sich selbst (Nemo sibi contigit)“. Denn dies geschieht nur im Jetzt des Rückzugsbereichs; z.St. vgl. Blänsdorf/ Breckel, Paradoxon, 27f. Die Konzentration auf den Augenblick ist folgerichtig auch Teil der philosophischen Übung; vgl. dazu Hadot, Philosophie, 17f.111–116, Reydams-Schils, Stoics, 29f., und Wildberger, Seneca, 1 118–120.122–124.

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wahren Güter (veris bonis), die, sobald erkannt, in Besitz übergehen (possidentur) – eine Verlängerung der Lebensdauer nicht nötig hat. Der erst ist über die Bedürfnisse erhaben, ist unabhängig und frei (exauctoratur ac liber) …“

Die Macht, über sich selbst zu verfügen, sich selbst zu besitzen und in diesem Sinne ganz und gar frei zu sein, hat den Rückzug aus der Unruhe der Außenwelt ins Ich zur Voraussetzung. Nur in der vollkommenen Autonomie des Selbst gehört sich der Mensch. Der Rückzug ins Selbst verbindet sich notwendig mit dem Rückzug aus der Masse, da deren Laster Seneca zufolge den Charakter selbst der Besten zu zerstören vermögen (Ep 7,6–8): „6 Entziehen muss man ([s]ubducendus) der Volksmenge die empfindsame und im Guten noch zu wenig gefestigte (vernünftige) Seele (animus): Leicht geht man zur Mehrheit über. (Selbst) einem Sokrates und Cato und Laelius hätte eine andersdenkende Menge ihren Charakter auszutreiben vermocht … 7 Ein (einziges) Beispiel von Schwelgerei oder Habgier richtet viel Unheil an. Ein verwöhnter Tischgenosse entkräftet und verweichlicht uns allmählich … 8 … Zieh Dich selbst in Dich zurück, soweit Du kannst (Recede in te ipse, quantum potes)! Verkehre mit solchen, die Dich bessern können; lass jene zu dir, die du zu bessern vermagst!“

Der Rückzug ins Selbst dient dem Schutz des jungen, noch ungeformten Geistes vor der Beschädigung durch die Menge, die die Leidenschaften auslebt und so das untrainierte Ich unvermeidlicherweise gefährdet.21 Zur Bewahrung seiner Integrität ist der Rückzug ins Selbst unabdingbar22, weil es sich nur auf sich selbst verlassen kann. Es ist „a ‚safe place‘ because it is here that virtue, wisdom and happiness are propagated and given the chance to grow“. 23 Der Rückzug ins Ich schließt für Seneca den Austausch mit Gleichgesinnten nicht aus. Das Gespräch über die grundlegenden Lehrsätze, mit

21  Ähnlich argumentiert Philo in Spec 2,42–48. – Richardson-Hay, Lessons, 262, weist darauf hin, dass es sich bei der Zeichnung der Gefährdung der drei „outstanding examples of moral integrity and virtuous resolution“ um eine „exaggeration“ handelt. 22  Zu beachten ist in diesem Zusammenhang freilich, dass Seneca das Verhältnis von Ich und Menge, von Einsamkeit durch den Rückzug ins Selbst und Geselligkeit auch anders fassen kann. So rät der Philosoph in Tranq 17,3 zu einer Balance zwischen beidem: „Oft muss man sich in sich selbst zurückziehen (in se recedendum est): der Umgang mit Ungleichartigen stört nämlich, was wohlgeordnet ist, und erneuert die Leidenschaft, und was immer Schwaches in der Seele ist und nicht völlig Ausgeheiltes, verschlimmert er. Man muss dennoch beides verbinden und abwechseln, Einsamkeit und Geselligkeit. Jene verursacht in uns das Verlangen nach Menschen (hominum), diese nach uns selber (nostri), und die eine dürfte das Heilmittel (remedium) der anderen sein: der Widerwille gegen die Menschenmenge heilt die Einsamkeit, die Abneigung gegen die Einsamkeit (heilt) die Menge“. Inwood, Self-assertion, 351, betont in diesem Zusammenhang, dass die „inner citadel is explicitly said to be not enough for human happiness“. 23  Richardson-Hay, Lessons, 265.

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denen sich die Seele stärken soll, ist zentraler Bestandteil der stoischen Übungen.24 In Ep 75,16–18 thematisiert Seneca den Lohn, der sich mit dem Rückzug aus dem ‚irdischen Schmutz‘ verbindet. Die Reihe der Belohnungen kulminiert in der Wiedergewinnung des Selbst. „16 … Aber was für eine bedeutende Belohnung (grande praemium) wartet, wenn wir uns von unseren Beschäftigungen (occupationes) und den hartnäckigsten Übeln (mala) losreißen (abrumpimus)! 17 Nicht die Begierde (cupiditas) wird uns treiben, nicht die Furcht (timor); nicht gejagt von Schrecken (terroribus), nicht verdorben von Vergnügungen (voluptatibus), werden wir vor dem Tod erschaudern noch vor den Göttern; wir werden wissen, dass der Tod kein Übel ist, die Götter nichts Übles vorhaben. Was schadet, ist so schwach wie der, dem der Schaden zugefügt wird (nocet): das Beste (optima) ist ohne schädliche Macht (vi noxia). 18 Es erwarten uns, wenn wir einmal aus diesem Morast (ex hac … faece) irgendwann zu jenem Hohen und Hervorragenden entkommen, Ruhe der Seele (tranquillitas animi) und nach Vertreibung der Irrtümer uneingeschränkte Freiheit (absoluta libertas). Du fragst, was das ist? Nicht die Menschen zu fürchten, nicht die Götter; weder Schändliches zu wollen noch Maßloses; über sich selbst vollkommene Macht zu haben (in se ipsum habere maximam potestatem): ein unschätzbares Gut ist es, sein eigenes Eigentum zu werden (suum fieri)“.

Der Preis, den diejenigen erlangen, die sich aus dem Morast der sie vom Guten abhaltenden Dinge, nämlich von der Verstrickung in Fehler, Beschäftigungen und Übel, zurückziehen, sind Seelenruhe und vollkommene Freiheit. Negativ erläutert Seneca dies mit zwei Sentenzen, der epikuräisch geprägten Einsicht, dass weder Götter noch Menschen zu fürchten sind, weil beide dem Ich nichts können – die Menschen nicht, weil sie zu den externa gehören, vor denen das Ich zurückweichen kann, die Götter nicht, weil sie kein Unheil stiften können –, und dem Ideal, weder Schändliches noch Maßloses zu wollen. Ersteres ist auf das moralisch Verwerfliche zu beziehen, zweiteres nimmt auf die sprichwörtliche Wendung ‚nicht zu viel (nil nimis)‘ Bezug, die das Maßhalten meint. 25 Positiv drückt Seneca das Ziel mit ‚vollkommene Macht über sich selbst haben‘ aus, das heißt sich weder durch Verwerfliches, wie etwa die Leidenschaften, noch durch Äußeres, wie den als Übel empfundenen Tod, noch durch die Furcht vor Göttern und Menschen in Unruhe bringen zu lassen bzw. von Ep 82,4 her: das Selbst weder durch innere Gemütsbewegungen noch durch Äußeres berühren zu lassen. Die Verfügungsmacht über das ei24  Dazu s. u. zu Marc Aurel sowie Kap. 7.2.3. Der Rückzug aus der Masse ist nicht mit dem Rückzug von den gesellschaftlichen und politischen Pflichten zu verwechseln; vgl. Ep 62,1f. sowie Kap. 6 und Kap. 9.(2). 25  Vgl. dazu Ep 94,43. Es handelt sich bei der zitierten Wendung um einen bekannten Grundsatz der griechisch-römischen Antike, der u. a. für Delphi belegt ist; vgl. dazu Otto, Sprichwörter, 243.

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gene Ich umschreibt Seneca abschließend mit der Wendung ‚suum fieri‘, die das Ziel der durch den Rückzug ins Selbst erlangten Befreiung benennt26 und in Ep 75 der ultimative Ausdruck des ‚summum bonum‘ ist. So ist für Seneca festzustellen, dass der Rückzug auf das Selbst mit dem Ziel, sich selbst zu gewinnen, das zentrale Projekt seiner in den Briefen an Lucilius entfalteten Philosophie ist. Auch wenn die Rückzugsterminologie bei Epiktet deutlich weniger prominent ist als bei Seneca, finden sich auch hier Aussagen zum Rückzug ins Selbst. In dem Kapitel über die philosophische Übung: Περὶ ἀσκήσεως (Diss 3,12), stellt Epiktet die Frage, worin sich diejenigen, die Philosophen zu sein behaupten, üben sollen. Die Antwort lautet kurz und knapp: „sich ungehindert auf Begehren und Aversion zurückzuziehen (ὀρέξει καὶ ἐκκλίσει ἀκωλύτως ἀναστρέφεσθαι 27)“, und das heißt für ihn: „weder den Gegenstand des Begehrens zu verfehlen noch dem der Aversion zu verfallen“ (§ 4), m. a. W. das Gute nicht zu verfehlen und dem Übel nicht zu verfallen. In § 5 heißt es demgegenüber: „Wenn du es zulässt, dass sie (sc. die Übung) sich nach außen abwendet (ἔξω … ἀποστρέφεσθαι 28) zu dem, was nicht in den Bereich der vernünftigen Entscheidung (ἐπὶ τὰ ἀπροαίρετα) gehört“, werden Begehren und Aversion ihr Ziel verfehlen. Im Bereich der mit dem Selbst identischen προαίρεσις 29, die das Ziel des Rückzugs ist, befasst sich das Ich mit dem, was in seiner Macht liegt, und vermag so die richtigen Entscheidungen zu treffen, das heißt wiederum, das Gute zu wählen und das Übel zu vermeiden. Wenn es dagegen den Rückzug vom Rückzug antritt und sich dem Äußeren zuwendet, lässt es sich zum Schlechten hinreißen. 26 Vgl. Noormann, Paränese, 76, sowie Blänsdorf, L’interprétation, 83–87. S. auch Epiktet, Encheir 1,3f., für den das Wissen, dass nur τὸ σόν das Eigene und das Fremde das Fremde ist, dazu führt, dass niemand einen zwingen (οὐδείς σε κωλύσει) oder einem Schaden zufügen kann. Daran festzuhalten ist allein „Freiheit und Eudaimonie“. 27  ἀναστρέφεσθαι wird von PLCL mit „to act“ wiedergegeben. LSJ, 122, s. v. B. Pass., bietet folgende Bedeutungen: I. „turn upside down“, II. „dwell in a place; to be engaged in …; … generally, conduct oneself, behave“; III. „of soldiers, face about, rally“, „2. to be reversed or inverted“ sowie „3. return, … retreat“ (tw. kurs.). Von diesen Bedeutungen kommt hier am ehesten III.3. in Frage, da die Betätigung von Begehren und Aversion den Rückzug in das Selbst voraussetzt. Diese Bedeutung wird durch den in § 5 verwendeten Begriff ἀποστρέφεσθαι gestützt; dazu s. im Folgenden Anm. 28. Möglich wären aber auch die unter II. aufgeführten Bedeutungen. 28 LSJ, 220, s. v. ἀποστρέφω, Β.ΙΙ., geben das Lexem im Medium und Passiv mit „turn oneself from or away“ (kurs.) wieder. 29  Dazu s. o. Kap. 6, Anm. 24. Der Begriff der προαίρεσις findet sich auch bei Philo, allerdings nicht in Leg 3,11–33. Er ist bei ihm nicht terminus technicus, sondern hat Alesse, Prohairesis, 207–209, zufolge fünf verschiedene Bedeutungen, auf die er, wie es ebd., 218f., zusammenfassend heißt, „apparently not on the basis of a unitary or univocal philosophical conception of human choice and will, but often in conformity to the traditional uses of common language and sensibility“ zurückgegriffen habe.

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Konkret kann der Prozess des Rückzugs so aussehen, dass der Philosophenschüler dann, wenn „sogenannte unerwünschte ( λεγομένων ἀβουλήτων)“ Ereignisse, wie zum Beispiel der Tod des eigenen Kindes, eintreten, sich zunächst vergegenwärtigt, dass er selbst sterblich ist und also auch Sterbliche zeugen wird, um sich dann zu sich selbst hinzuwenden (ἐπιστρέφῃς κατὰ σαυτόν)30 und sich durch vernünftige Überlegung klarzumachen, wovon sein Schmerz herrührt: nämlich „aus dem Bereich dessen, was nicht in der vernünftigen Entscheidung (ἐκ τῆς τῶν ἀπροαιρέτων) liegt, was nicht das meine ist (τῶν οὐκ ἐμῶν)“. So wird er erkennen, dass diese Dinge für das Ich in Wahrheit keine Bedeutung haben und daher keine eines Philosophen unwürdigen Affekte hervorrufen dürfen (Diss 3,24.104–106). Mit Bezug auf die Vorstellungen erörtert Epiktet dieses Thema in dem Kapitel: „Wie müssen wir gegen die Vorstellungen kämpfen?“ (Diss 2,18.19–26). Er antwortet: Wenn man von einer nicht wünschenswerten Vorstellung angefallen wird, sollte man es mit Plato halten, der empfohlen habe, in einem solchen Fall den Göttern ein Sühnopfer darzubringen, um Unheil abzuwenden31, und den Umgang mit den Guten zu suchen. 32 Epiktet formuliert letzteren Sachverhalt so: „Es genügt, wenn du dich zum Umgang mit guten und vortrefflichen Männern zurückziehst (ἀποχωρήσας) und dahin kommst, dich prüfend mit ihnen zu vergleichen (ἀντεξετάζων)“, sei es einer von den Lebenden oder einer von den Toten (§ 21). Stellvertretend für diese verweist er auf Sokrates, der einen großartigen Sieg gefeiert habe, als sich Alcibiades eines Nachts zu ihm legte und der Weise dessen Jugendreize ignorierte, so dass nichts Weiteres geschah, als wenn der Jüngling bei seinem Vater oder seinem älteren Bruder gelegen hätte. 33 Wenn Epiktet anschließend auf die Notwendigkeit hinweist, den unerwünschten Vorstellungen Gedanken wie diese Sokrates-Episode entgegenzusetzen, dann versteht er den Rückzug als Rückzug zur Selbstprüfung, die geübt werden muss. Ein Zusammenhang zwischen Anachorese und Selbstprüfung ist auch bei Philo in Leg 3,13 zu beobachten, auch wenn der Inhalt der Selbstprüfung dort ein anderer ist. Kampf- und Siegesmetaphorik begegnen aber hier wie dort. Ähnlich wie Epiktet, mit dem er vertraut war, argumentiert auch Marc Aurel. 34 Er ist hier darum von besonderem Interesse, weil er den Rückzug 30  Das Verbum ἐπιστρέφω in Verbindung mit κατὰ τινά bedeutet „turn towards“ (LSJ, 661, s. v. I.2. [kurs.]). 31  Der Kontext dieser Äußerung ist bei Plato der „unselige Drang (ἐπιθυμία κακή)“ bzw. die „Anwandlung (τι τῶν τοιούτων δογμάτων)“ (Leg 854 a–b), einen Tempelraub zu begehen. Diese beiden Begriffe nimmt Epiktet mit φαντασία auf. 32  Vgl. ähnlich oben zu Seneca, Ep 7,6–8. 33  Vgl. § 22 und dazu Plato, Symp 218d–219e. 34  Marc Aurel hat Epiktet durch die Vermittlung von Junius Rusticus, „der vorherrschenden Gestalt des Seelenleiters…, die für ihn mit seiner Bekehrung zur Philosophie verbunden ist“ (Hadot, Burg, 36), kennengelernt. So erwähnt Marc Aurel in § 1,7, dass

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ins Selbst ähnlich prominent wie Philo mit dem Begriff der Anachorese ausdrückt. 35 In seiner Schrift ‚Wege zu sich selbst‘36 heißt es in § 4,3: „Sie (sc. die Vielen) suchen sich Plätze, um sich zurückzuziehen (ἀναχωρήσεις): Ländlichkeit, Strände, Gebirge. Auch du (sc. Marc Aurel) pflegst Derartiges besonders zu ersehnen. All dies aber ist recht unphilosophisch, kannst du dich doch, zu welcher Stunde du willst, in dich zurückziehen (εἰς ἑαυτὸν ἀναχωρεῖν). Denn in keinen ruhigeren und sorgenfreieren Ort zieht sich der Mensch zurück (ἀναχωρεῖ ) als in seine Seele (εἰς τὴν ἑαυτοῦ ψυχήν), besonders wenn einer im Innern (ἔνδον) derartige (Leitsätze) besitzt, über die er sich nur zu bücken braucht, um gleich im vollen Wohlbefinden zu sein… Gib dir selbst also fortgesetzt diese (Gelegenheit) des Rückzugs (ταύτην τὴν ἀναχώρησιν), und erneuere dich selbst (ἀνανέου σεαυτόν). Kurz aber und elementar sollen sie sein, um, sobald sie (dir) nur entgegentreten, zu genügen, jeden Kummer auszuschließen und dich frei von Unwillen zu jenen Dingen zurückzuschicken, zu denen du zurückkehren sollst.“37

Der Rückzug nicht aufs Land, ans Meer und in die Berge, sondern in sich selbst, wo der entsprechend Geübte die Formeln entdecken wird, die den Menschen erneuern, ist wie bei Epiktet der Rückzug in philosophische Übungen, die darin bestehen, Lebensregeln bzw. „Dogmen wiederholt zu sich selbst zu sagen, sie für sich selbst niederzuschreiben“. 38 Auf diese Weise ermöglicht der Rückzug in das Selbst bzw. in die Seele Ruhe, Sorglosigkeit und Wohlbefinden und dient der Erneuerung des Ich. Konkret wird diese Erneuerung darin, dass der Mensch seinen Unwillen über die Schlechtigkeit der Menschen und über das ihm Zugeteilte aufgeben39, sich vom Körperlichen er durch Rusticus „die Aufzeichnungen über Epiktet kennenlernte, die er mir von zu Hause mitgab“. Daraus dürften sich die weitreichenden Übereinstimmungen zwischen Marc Aurel und Epiktet erklären; zum Ganzen vgl. Hadot, Burg, 34–38. 35  Allein in dem nachfolgend zitierten Ausschnitt wird ἀναχωρέω κτλ. viermal gebraucht. Gegen Ende des Paragraphen wird der Begriff noch einmal aufgenommen. 36  Zur Problematik des Titels vgl. Hadot, Burg, 45–47. 37  Übersetzung tw. im Anschluss an Theiler, Marc Aurel, 62f. 38  Hadot, Burg, 65f. Zwei dieser Leitsätze, die sich in der Sache eng mit Epiktet berühren, werden am Ende von Wege 4,3 explizit genannt. Der erste lautet, „dass die Dinge nicht die Seele berühren, sondern ruhig draußen stehen (ἔξω), und dass die Beschwerden (ὀχλήσεις) allein von der inneren Annahme (τῆς ἔνδον ὑπολήψεως) her kommen“. Der zweite Grundsatz heißt: „dass all dies, was du siehst, sich sogleich verwandeln (μεταβαλεῖ) wird und nicht mehr sein wird“. Die Übung der Niederschrift hat für Marc Aurel eine herausragende Bedeutung, sind seine ‚Wege zu sich selbst‘ doch das Produkt dieser geistigen Übungen. Er „bedient sich einer Technik, eines Verfahrens, des Schreibens, um einen Einfluß auf sich selbst auszuüben, um seine innere Rede durch die Meditation über die Dogmen und die Lebensregeln des Stoizismus umzuwandeln“ (ebd., 83f.; s. auch ebd., 55). Allerdings genüge der Rückzug in die Übungen nicht, häufig werde es erforderlich sein, auf die theoretischen Grundlagen der Dogmen zurückzukommen (vgl. ebd., 70). Zu den Übungen bei Marc Aurel vgl. auch Sellars, Art, 146–166. 39  Subjekt des Zuteilens ist der von Marc Aurel nur „minimally personalist“ verstandene Gott (Long, Epictetus, 178). Er kann ihn auch Zeus nennen (5,18).

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nicht mehr berühren und sich vom Ruhm nicht mehr ablenken lassen wird.40 So hat der Rückzug in das Selbst ähnlich wie bei Seneca und Epiktet zugleich therapeutische Funktion. Die vorgestellten Texte belegen, dass der Rückzug ins Selbst ein wesentlicher Bestandteil des kaiserzeitlichen stoischen Denkens ist. Trotz unterschiedlicher Formulierungen und Zuspitzungen, die für die Bestimmung von Ziel und Bedeutung des Rückzugs verwendet werden, werden hinter der Vielfalt der Ausdrucksweisen vor allem zwei Sachverhalte erkennbar. Es geht zum einen um die Befreiung von den Leidenschaften, Beunruhigungen, Sorgen etc.41, die als Heilung42 interpretiert und mit der Ruhe43 gleichgesetzt werden kann, zum anderen um die Verfügungsmacht über das Ich44, die es erlaubt, Begehren und Aversion ungehindert zu betätigen45 und damit die Vorstellungen zu beurteilen. Diese für die Stoa aufgezeigten Aspekte des Rückzugs in das Selbst finden sich auch bei Philo in Leg 3,12–14, auch wenn er den Begriff des ἀναχωρεῖν aus theologischen Gründen wohl bewusst nicht reflexiv verwendet.46 Der erste der genannten Sachverhalte spiegelt sich nicht nur in der Sache, sondern auch sprachlich wider. Auch Philo redet von den Leidenschaften, wenn es darum geht, wovon sich die Seele zurückzieht – in § 17 wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich von der Freiheit die Rede sein –, wie auch von der Ruhe, dem Atemholen und der Kampfpause als dem Wohin der Anachorese. Der zweite Aspekt zeigt sich bei ihm in der Aussage, Mose habe sich in die beurteilende Betrachtung zurückgezogen, um zu prüfen, wie er sich nach seiner Rückkehr daraus verhalten solle. Die Verbindung von Rückzug und Prüfung wird in einer sich eng berührenden Terminologie auch von Epiktet hergestellt. Eine Reflexion auf den Zusammenhang von Anachorese und Rückkehr daraus findet sich bei Marc Aurel.47 Somit ist festzuhalten, dass Philo den Begriff der Anachorese, zu dessen Auslegung er sich von der Septuaginta anregen lässt, im Grundsatz in dem Sinne entfaltet, den er in der Stoa gewonnen hat. Er adaptiert damit seinem Denken zugleich ein Herzstück der Philosophie der kaiserzeitlichen Stoa, auch wenn er sich, wie an späterer Stelle zu zeigen sein wird, an dem für ihn entscheidenden Punkt zugleich davon distanziert. 40 

Vgl. die auf das obige Zitat folgenden Aussagen von Marc Aurel, Wege 4,3.

41 Seneca, Ep 75,18; Epiktet, Diss 3,24.104–106; Encheir 1,4; Marc Aurel, Wege 4,3. 42 Seneca,

Ep 7,6–8; Marc Aurel, Wege, 4,3. Ep 75,18; 82,6; Marc Aurel, Wege 4,3. 44 Seneca, Ep 62,1; 75,18; Marc Aurel, Wege 4,3, sowie bei Epiktet die Vielzahl der Texte, die das ἐφ’ ἡμῖν und die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem thematisieren; vgl. z. B. Encheir 1,1f. 45 Seneca, Ep 82,6; Epiktet, Diss 3,12.4; Encheir 2,1f. 46  Dazu s. u. Kap. 7.1.6. 47  Zu Epiktet vgl. Diss 2,18.21, zu Marc Aurel vgl. Wege 4,3. 43 Seneca,

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7.1.4 Zum Verständnis der ‚beurteilenden Betrachtung‘ (κρίσις) Was Philo unter der κρίσις versteht, erhellt im Kontext von Leg 3,11–27 aus § 12–14 einerseits und § 16f.22 andererseits. Den Begriff der κρίσις verwendet er in § 13f. mit Bezug auf Mose, der sich in die ‚beurteilende Betrachtung‘ zurückzieht, in § 22 für Laban, der die körperlichen und äußerlichen Dinge als Güter „beurteilt“. Auch wenn die beiden bei ihrer Beurteilung zu gegensätzlichen Schlussfolgerungen gelangen, so gilt sie doch ein und demselben Gegenstand, nämlich den durch die Leidenschaften einerseits und die Externa andererseits hervorgerufenen Vorstellungen. Im Zusammenhang mit Jakob (§ 16f.) verwendet er den Begriff selbst zwar nicht, wohl aber eine Reihe von Termini, die in den Kontext des ‚Gebrauchs der Vorstellungen‘ in der Stoa gehören, darunter der Begriff der φαντασία selbst.48 Die Vorstellungen sind der Gegenstand der κρίσις, die jene der vernunftgeleiteten Beurteilung unterzieht. Die Vorstellungen umfassen „alle Bewußtseinszustände“, das heißt nicht nur die durch die Sinneswahrnehmung hervorgerufenen, sondern auch diejenigen, die durch „Lustempfinden und Schmerzen, die als Gegenstände einer ‚inneren Berührung‘ erklärt werden“49, verursacht sind. Philo thematisiert die κρίσις an den stoisch verstandenen Leidenschaften, mit denen es Mose, allegorisch gedeutet, in der Person des Pharao zu tun bekommt. Die Begriffe, mit denen er die κρίσις erläutert, sind ἐξετάζω und σκέπτομαι (§ 13). Philo setzt dabei voraus, dass Mose die von den Leidenschaften hervorgerufenen Vorstellungen prüft und sie zurückweist, um danach seine Handlungsoptionen zu bedenken. Dabei sieht er den λογισμός am Werk, den er im Gegenüber zur „gottlosen Meinung“ Pharaos als der Führerin (ἡγεμονίδος) der Leidenschaften in Übereinstimmung mit stoischem Denken als Ausdrucksform der leitenden Vernunft (ἡγεμονικόν) zu verstehen scheint. 50 Diese kommt bei Philo im Unterschied zur Stoa aber nicht ohne 48  Bei den anderen Begriffen handelt es sich in erster Linie um αἰσθητόν, λογισμός, διάνοια, φαντασία, φανέν αἰσθητόν, ὑπόμνησις κτλ, ὁρμάω; dazu s. u. Kap. 7.2. 49  Long/Sedley, Philosophen, 383, unter Hinweis auf Cicero, Acad 2,20 (Lustempfinden und Schmerzen zählen zu den Leidenschaften; vgl. dazu u. a. SVF 3,378.394). S. ferner Long, Representation, 270: Die Vorstellung als geistige Fähigkeit umfasst alle Gegenstände des Bewusstseins. „Apply the notion to human animals, we may take it as a Stoic datum that my sensing something white, my awareness that what is hurting is my leg, my recollection of someone’s birthday, my current thought of Socrates, and my reflection on the square root of two, are all alike in being representations, appearances of something to me“ (Hvb. G.H.). S. ferner ebd., 271, wo Long betont: „we should not be misled … into treating sense-perception as anything more than the paradigm case of representations“. Neben den durch die Sinneswahrnehmung hervorgerufenen Vorstellungen behaupten die Stoiker ähnlich wie Aristoteles, „that all our concepts (ennoiai) are phantasiai; that memory is a ‚store‘ of them; and that they enter into causal account of everything we do“. Vgl. zudem ders., Epictetus, 214–216, mit Diss 2,18.5–26. 50 Zum Verhältnis von Hegemonikon und λογισμός s. o. Anm. 6. Forschner, Ethik, 122, zufolge ist der πάθος „in stoischer Sicht eine Perversion der Vernunft“.

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die Hilfe Gottes aus, weshalb er auf den Gebrauch dieses stoischen terminus technicus hier wohl verzichtet. Auch in der Stoa verbindet sich der Begriff der κρίσις κτλ und des bei Philo damit verbundenen Terminus ἐξετάζω mit dem ‚Gebrauch der Vorstellungen‘. Wie bei Seneca in Ep 82,6 gesehen, ist es die Aufgabe der Vernunft, zwischen dem in den Vorstellungen präsenten Begehrenswerten und dem zu Meidenden zu ‚unterscheiden‘ (discernat). Entsprechend heißt es in einer Zusammenfassung stoischer Lehre bei Origenes: „das vernunftbegabte Lebewesen (τό … λογικὸν ζῷον) hat zusätzlich zu seiner vorstellungshaften Natur auch Vernunft ( λόγον), die die Vorstellungen beurteilt (κρίνοντα τὰς φαντασίας) und sie teils zurückweist (ἀποδοκιμάζοντα) und teils akzeptiert (παραδεχόμενον)“. 51

Ähnlich argumentiert auch Epiktet, der dabei aber den Begriff κρίνω in aller Regel nicht verwendet. Eine Ausnahme ist Diss 1,1.5f., wo der Wortstamm κρίν- Verwendung findet. Dass Menschen Gold für schön halten, verdankt sich Epiktet zufolge der Fähigkeit, die Vorstellungen zu gebrauchen. „Was sonst beurteilt (διακρῖνον) die Musik, die Grammatik und die übrigen Künste und Fertigkeiten und beurteilt (δοκιμάζον) ihren Gebrauch und weist auf die (richtigen) Zeiten (dafür)?“

Nichts anderes, so Epiktet, als das Vermögen, die Vorstellungen vernunftgemäß zu gebrauchen. 52 Daneben findet sich bei Epiktet in diesem Zusammenhang auch der Begriff ἐξετάζω. So fordert er in Diss 3,12.15 in Analogie zur Mahnung des Sokrates, das „Leben, nicht zu leben, ohne es einer Prüfung zu unterziehen (ἀνεξέταστον)“, dazu auf, „keine Vorstellung anzunehmen, ohne sie einer Prüfung zu unterziehen“. 53 Wie man sich diesen Prüfvorgang genauer vorzustellen hat, erhellt aus Encheir 1,5: „Mache es dir daher von Anfang an zur Übung (μελέτα), jeder harten Vorstellung vorzuhalten: ‚eine Vorstellung bist du und ganz und gar nicht das, was du zu sein scheinst‘. Dann prüfe (ἐξέταζε) und beurteile (δοκίμαζε) sie anhand dieser Regeln, die du hast, zuerst und vor allem an diesem: ob sie mit dem (zu tun hat), was in unserer Macht steht (τὰ ἐφ’ ἡμῖν), oder mit dem, was nicht in unserer Macht steht. Wenn sie mit etwas (von den Dingen zu tun hat), die nicht in unserer Macht stehen,

51  De principiis 3,1.2f. = SVF 2,988; die Übersetzung folgt Long/Sedley, Philosophen, 373 (53A). 52  Vgl. auch Marc Aurel, Wege 8,47 (κρῖμα); 11,16 (κρίσεις), sowie zum Ganzen Hadot, Burg, 158–162. 53  ὡς γὰρ ὁ Σωκράτης ἔλεγεν ἀνεξέταστον βίον μὴ ζῆν, οὕτως ἀνεξέταστον φαντασίαν μὴ παραδέχεσθαι. Vgl. auch Diss 1,26.18; 2,18.21 und dazu s. o.

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(dann) sei (dir) die Antwort zur Hand (πρόχειρον): ‚Es geht mich nichts an (οὐδὲν πρὸς ἐμέ 54)‘“.

In Abhängigkeit vom zu prüfenden Gegenstand unterscheiden sich auch die jeweiligen Prüfverfahren. Das von Philo in Leg 3,13 für Mose beschriebene Prüfverfahren weist eine große Nähe zu Epiktet, Diss 3,24.103–109, auf. 55 Die Beurteilung der Vorstellungen verbindet sich dabei regelmäßig mit dem stoischen Konzept der Übung, für die Philo ebenso wie Epiktet die beiden Begriffe ἄσκησις und μελέτη verwendet. Dass Philo bereits in Leg 3,11–14 die Übung im Blick hat, belegen die Begriffe σκέπτομαι κτλ und καρτερία , die im Kontext der in § 18 thematisierten Übung eine Rolle spielen, bzw. das die Selbstbeherrschung in § 13 umschreibende κατέχεσθαι, auch wenn Philo Mose in Leg 3 im Gegensatz zu Jakob nicht als Übenden zeichnet. 7.1.5 Flucht und Anachorese Für Philo ist, wie gesehen, wichtig, dass Mose sich zwar von Pharao zurückzieht, jedoch nicht vor ihm flieht, da er zu ihm zurückkehrt. Sein Weg führt ihn m. a. W. von der Beunruhigung durch die Leidenschaften in die Anachorese und von dort zurück zum Kampf gegen sie. Im Zustand der Muße im Raum des Rückzugs widmet sich Mose der κρίσις. Im Kontext stoischen Denkens würde seine Überlegung, sich „ruhig“ zu verhalten, bedeuten, dass er sich zurückzieht, um sich in den Leitsätzen zu üben, um dadurch für den späteren Kampf gegen die Leidenschaften gewappnet zu sein. Diesen Weg wird Jakob, der Übende, tatsächlich beschreiten. Mose, der Gottesfreund, dagegen wartet in der Anachorese auf die Einsicht und alle übrigen Tugenden, die er sich als Gabe Gottes für den Kampf gegen die Leidenschaften erhofft, weil er sich seiner eigenen Stärke nicht sicher ist. Mit diesen Tugenden ausgestattet, zieht er dann – wie ein Stoiker auch – in den Kampf gegen die Leidenschaften. Mose verlässt also seinen Rückzugsraum, um dorthin zu gehen, wo er erneut auf Pharao trifft. Es ist der Raum außerhalb der geschützten Burg des Ich, in dem der Mensch in vielfältigen Bezügen aktiv ist. Hier gibt es Philo zufolge mit Blick auf die Leidenschaften grundsätzlich zwei Handlungsoptionen. Die eine ist, wie gesehen, der Kampf, die andere die Flucht, die in der Fortsetzung an Jakob exemplifiziert wird. 56 Im Horizont der Texte Epiktets lassen sich die beiden sichtbar gewordenen Alternativen ebenfalls als stoisches Gedankengut begreifen. In Diss 54  Boter, Epictetus, 3, bietet statt ἐμέ (so Oldfather, Epictetus, 2 484, und Steinmann, Epiktet, 6) die Lesart σέ. 55  Dazu s. u. Kap. 7.1.5. 56  Vgl. dazu von Gemünden, Jacob, 362f.

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3,24.103–109 schreitet der Philosoph den Weg vom Rückzug als dem Raum der Muße zum Kampf mit den Vorstellungen ab. In § 103 fordert er zunächst dazu auf, die Gedanken, die es braucht, um mit Unerwünschtem richtig umzugehen, durch die Übung zu internalisieren, um sie dann, wenn das Unerwünschte eintritt und es zum Realitätstest kommt, zur Verfügung zu haben. Wenn er zum Beispiel in die Verbannung geschickt wird, solle er sich sagen, er habe gewusst, dass dies eintreten könne. Dann solle er sich die Frage stellen, ob die Entscheidung, ihn ins Exil zu schicken, in den Bereich dessen fällt, was in seiner Macht liegt. Sei dies nicht der Fall, so solle er sich an den Grundsatz erinnern, dass es für ihn dann bedeutungslos ist. Zugleich solle er sich sagen, dass er dem Gesetz in allem gehorchen und dem Befehl Folge leisten müsse. Epiktet fordert von seinen Schülern damit ein Verhalten, wie es der Sokrates der Apologie begründet. Er fährt dann fort: „Wenn dich die φαντασία dann doch zum Zorn reizt (δάκνῃ) – denn dies liegt nicht in deiner Macht –, dann bekämpfe (sie) mit der Vernunft (ἀναμάχου τῷ λόγῳ), besiege sie (καταγωνίζου), lass sie nicht stark werden (ἐνισχύειν) oder weiter gehen zum nächsten (Schritt), indem sie sich ausdenkt, was sie will und wie sie es will“ (§ 108).

Das bedeutet für das erörterte Beispiel, dass sich der am Ort seiner Verbannung Befindliche nicht ausmalen soll, wie das Leben in Rom oder Athen wäre. Er soll sich vielmehr in das Leben im Exil einfinden und dieses Leben zum alleinigen Gegenstand seiner Übung machen (§ 109). 57 Der Gedanke eines mittels der Vernunft gegen die durch die Vorstellungen hervorgebrachten Leidenschaften geführten Kampfes, den Epiktet hier in eindrücklicher Weise illustriert, kommt Philos Mosedeutung in Leg 3,13 ziemlich nahe, nur dass hier die Übung nicht explizit thematisiert wird. Auch die zweite Alternative, die Philo in § 14 erwähnt, die Flucht, wird von Epiktet thematisiert, und zwar in Diss 3,12.7–12. Der Übende (ὁ ἀσκητής) wird hier als der μελετῶν definiert, „der das Begehren nicht gebraucht und die Aversion nur für das gebraucht, was im Bereich der vernünftigen Entscheidung liegt“ (§ 8). Er wird sich vor allem darum bemühen, die schwierigen Dinge zu meistern. Zu den dafür erforderlichen Übungen gehört für die Arroganten etwa der Umgang mit Schmähungen, für andere der rechte Gebrauch von Wein. Wenn dann der Realitätstest kommt, wird sich erweisen, ob die entsprechenden Vorstellungen den Übenden noch zu besiegen (ἡττῶσιν) in der Lage sind oder nicht (§ 11). Abschließend erteilt Epiktet folgenden Rat: „Zuerst aber fliehe weit von den (Dingen) weg, die stärker sind als du (τὰ πρῶτα δὲ φεῦγε μακρὰν ἀπὸ τῶν ἰσχυροτέρων). Der Kampf zwischen einem netten Mädchen und einem jungen Mann, der (gerade erst) anfängt, ein Philosoph zu sein, ist 57 § 109. Die Argumentation Epiktets ist weniger stringent als die hier gebotene Zusammenfassung; diese entspricht aber ihrem Sinn.

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ungleich (ἄνισος). ‚Ein Topf‘, sagt man, ‚und ein Stein passen nicht zusammen (οὐ συμφωνεῖ )‘“ (§ 12). 58

Damit wird auch deutlich, warum Philo betont, dass Mose nicht vor Pharao flieht. Anders als der übende Jakob und die übenden Philosophenschüler Epiktets ist Mose dank der göttlichen Gabe der Einsicht stark genug (ἰσχύσει; Leg 3,13), die Leidenschaften zu besiegen (νικηφορῆσαι). Darin ist er dem in der Philosophie Fortgeschrittenen vergleichbar, der mit dem καλὸς καὶ ἀγαθός identifiziert wird (Diss 3,2.5–7). Dieser muss sich im Unterschied zu den Anfängern der Philosophie nicht mehr mit den beiden Grunddisziplinen der Ethik beschäftigen, der Übung von Begehren und Aversion, Antrieb und Zurückweisung, weil sie ihm bereits in Fleisch und Blut übergegangen sind, und kann sich deshalb der theoretischen Seite der Zustimmung widmen. 59 7.1.6 Gott als oberster Lenker der Seelentätigkeit als philonisches Spezifikum Wie aus dem Voranstehenden ersichtlich geworden, rezipiert Philo in Leg 3,11–14 stoisches Gedankengut in großer Dichte.60 Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich in der hier im Zentrum stehenden Frage nach dem Verständnis von Gott und Selbst grundlegend vom stoischen Denken unterscheidet. So sehr im Verständnis der psychologisch-ethischen Seite der Funktionsweise der Seele weitreichende Übereinstimmungen festzustellen sind, so sehr divergiert Philo von der Stoa, wenn es um die theologische Dimension der Psychologie geht. So sind Rückzug und beurteilende Betrachtung in Leg 3,12–14 im Gegensatz zur Stoa nur propädeutischer Art. Die in der Anachorese vollzogene κρίσις dient nur in dem Maß dem Umgang mit den Vorstellungen, in dem sie die Hindernisse aus dem Weg räumt, die die Seele davon abhalten könnten, sich vor Gott mit dem Selbstbeherrschung übenden Denken sichtbar hinzustellen, damit dieser sich dem Denken mitteilen und den λογισμός mit der ihn erst zum Kampf mit den Leidenschaften befähigenden Einsicht (φρόνησις) begnaden kann. Mit diesen Aussagen wendet sich Philo implizit gegen die Vorstellung einer Selbsttätigkeit der Vernunft, die nach stoischer Überzeugung zwar ein göttlicher Anteil im Menschen ist61, als solche dann aber unabhängig von göttlicher Beeinflussung den Gebrauch der Vorstellungen lenkt.62 58 S. ähnlich

Encheir 2,2. Dazu s. ausführlich oben Kap. 6. 60  Vgl. auch Radice, Philo, 149, Anm. 34: „Philo’s psychology draws amply on the Stoics“; so unter Hinweis auf Post 127 und Deus 42. 61  In anderen Texten finden sich ähnliche Aussagen auch bei Philo; dazu s. o. bes. Kap. 3.1.1.2.3 zu Det 86–90. 62  Ähnlich hebt Radice, Philo, 149, mit Hinweis auf Leg 1,29 hervor: „what is not 59 

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Philo scheint diese Position in Leg 3,13 mit dem ‚oberflächlichen Denken‘ zu identifizieren, während er das ‚tiefere‘ Denken dadurch charakterisiert sieht, dass die natürliche Vernunft auf die durch Gott gnadenhaft geschenkte Einsicht angewiesen bleibt. Der λογισμός ist hier damit nicht das stoische ἡγεμονικόν, das die Seelenprozesse selbständig lenkt, vielmehr ist Gott auch im Mikrokosmos der Seele als ἡγεμών wirksam. So als wollte Philo die Differenz zwischen seinem Verständnis der Anachorese und dem stoischen auch sprachlich andeuten, verzichtet er konsequent darauf, das Selbst als Zielpunkt des Rückzugs Moses explizit zu benennen, obwohl dessen Beschreibung als eines philosophischen Selbsttherapeuten, der im Raum der Anachorese Atem holt, eben dies impliziert. Der Grund für diesen Verzicht ist darin zu sehen, dass Mose im Duktus der Gesamtargumentation Leg 3,1–48 ein Beispiel für die Zuflucht zu Gott ist, die der Flucht ins Selbst diametral entgegengesetzt ist.63 Das Verständnis Gottes, das in Leg 3,11–14 durchscheint, zeigt sich erneut als eine Synthese aus platonischem und biblischem Denken. Ähnlich wie bei Abraham, der sich auf Gott ausrichtet und dem Gott darum entgegenkommt64, verhält es sich auch bei Mose. Dieser stellt sich sichtbar vor Gott hin und wendet ihm seine sich nach dem Guten sehnende Seele zu, damit Gott ihm eine geeignete Quelle für sein Denken aufsprudeln lässt (§ 13) und ihm durch „göttliche Gedanken“ die Tugend der Einsicht gewährt (§ 14).65 Nimmt Philo mit diesen Aussagen platonische Vorstellungen auf, so ist der Gedanke der gnadenhaften Zuwendung Gottes zu Mose biblisch gezeichnet. found in any Stoic text is God’s role in the process of knowledge as activator of cognitive processes, for both the senses and the intellect“. Mansfeld, Philosophy, 89–102, hat Entsprechendes für die von Philo diagnostizierten vielfältigen Meinungsverschiedenheiten in der Philosophie gezeigt, die, wie dieser mit der Skepsis betont, die menschliche Vernunft nicht aufzulösen vermag (vgl. dazu Her 246–248). Während er aufseiten des Menschen den Zweifel verortert (QG 1,55), ist Gott ihm zufolge frei von Zweifeln (QG 1,21; Opif 149). Dabei, so Mansfeld, aaO., 94, komme es bei Philo zu einer „fascinating distortion of the very familiar Stoic theory of perception. Whereas Stoics supposed that certain sense-impressions, by their sheer clarity, naturally induce the mind’s assent, Philo suggests that man’s natural response to all impressions is ambivalent“ (vgl. dazu QG 3,58). Weil bei Gott keine Zweifel sind, ist er es auch, der für den Menschen die Entscheidung trifft (ebd.). Weil die göttlichen Orakel in der Schrift gesammelt sind, ist der „studious exegete … in a position to lord over the Greek philosophers“ (ebd., 102). 63  Dazu s. u. Kap. 7.2.6 zu Leg 3,28–31. 64  S.o. Kap. 3.1.1.2.1. Zum Platonismus Philos im Kontext des Gottesverständnisses s. o. bes. Kap. 3.1.1.2.2. 65  In dieser Hinsicht ist Mose also Abraham gleich, der das Sinnbild der durch Belehrung erworbenen Tugend ist (σύμβολον διδασκαλικῆς ἀρετῆς ἐστιν; Abr 52). – Im Kontext seiner Deutung der Selbsterkenntnis heißt es bei Kahn, Connais-toi, 303, diese sei „d’abord une exigence de silence intérieur, mais non pas, comme pour les autres philosophes, le calme pour lui-même, l’ataraxie; au contraire, c’est un silence tendu, une attente absolument sincère de la parole“.

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In einer stärker durch die Schrift beeinflussten Sprache kann Philo den in Leg 3,12–14 formulierten Sachverhalt an anderer Stelle darum folgendermaßen formulieren: „Diejenigen aber, die noch Genossen des blutdurchtränkten, an der sinnlichen Wahrnehmung orientierten Lebens sind, greift die Denkweise an, die (so) schlau (darin ist), die Frömmigkeit zu zerstreuen (σκεδάσαι), deren Name Pharao ist. Seinem Machtbereich voller Gesetzlosigkeit und Grausamkeit zu entfliehen (ἐκφυγεῖν) ist unmöglich, wenn nicht ‚Eliezer‘66 in der Seele hervorgebracht wird und man die Hilfe Gottes, des alleinigen Retters (τὴν παρὰ τοῦ μόνου σωτῆρος θεοῦ βοήθειαν), erhofft“ (Her 60).

Pharao, dem Symbol der Sinne und Leidenschaften, kann die Seele also nur entkommen, wenn Gott ihr helfend zur Seite tritt. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass Philo in Leg 3,11–14 zentrale Vorstellungen der Stoa verarbeitet, die jedoch durch die Verbindung mit seinem platonisch und biblisch geprägten Gottesdenken eine erhebliche Umdeutung erfahren. Was für die Stoiker die Sache selbst ist, nämlich der Rückzug ins Ich, wird bei Philo zu einer, obgleich unabdingbaren, Vorbereitung auf die für ihn alles entscheidende Selbstmitteilung Gottes. Er erwartet sich Hilfe letztlich allein von Gott, die Stoiker finden sie durch das Selbst im Selbst.

7.2 Das Beispiel Jakobs (Leg 3,15–27) Jakob repräsentiert bei Philo außer dem Gott Schauenden auch den Übenden. Deshalb verfügt er teilweise über andere Voraussetzungen als Mose, um den Kampf mit den Leidenschaften erfolgreich zu bestehen. Die Probleme, die sich aus der Sicht Philos für Jakob stellen, unterscheiden sich indes nur graduell von denen des Mose. Im Kern geht es auch hier um das Verhältnis von philosophischer Therapie und Gotteshandeln. Philo bestimmt dieses für Jakob im Grundsatz ähnlich, in den Einzelheiten zeigen sich dagegen einige bemerkenswerte Unterschiede. Auch hier empfiehlt es sich, zunächst den Text als ganzen in Übersetzung darzubieten.

66  In Her 59 wird ausgehend von dem zur Auslegung stehenden Namen „Eliezer von Damaskus“ (Gen 15,2), der „Gott ist mein Helfer (θεός μου βοηθός)“ bedeute (§ 58), an den zweitgeborenen Sohn des Mose, Eliezer, erinnert, der diesen Namen aus dem Grund (αἰτίαν) erhalten habe, dass „‚der Gott meines Vaters mein Helfer war (βοηθός μου) und mich der Hand Pharaos entrissen hat‘“ (Ex 18,4).

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7.2.1 Der Text „15 Jakob aber, der der mit der Ferse Schlagende ist67, der sich durch Methoden und Kunstfertigkeiten (μεθόδοις καὶ τέχναις) mühelos die Tugend (ἀρετήν) erwarb – denn er war noch nicht in Israel umbenannt –, läuft von den bei Laban befindlichen Dingen weg (ἀποδιδράσκει), das heißt von Farben, Formen und körperlichen (Dingen) überhaupt, deren Natur es ist, den Verstand (τὸν νοῦν) durch die Sinne (τῶν αἰσθητῶν) zu beschädigen. Denn weil er sie, solange er sich (bei Laban) aufhielt, nicht vollständig besiegen (νικῆσαι) konnte, flieht (φεύγει) er aus Furcht vor einer Niederlage (τήν … ἧτταν), die sie ihm zufügen könnten, und verdient dafür entschieden Lob. Denn ‚vorsichtig‘, sagt Mose, ‚sollt ihr die Söhne des Sehenden (τοῦ ὁρῶντος) machen‘ (Lev 15,31), nicht übermütig (θρασεῖς) und das begehrend, was ihnen nicht zukommt (τῶν μὴ καθ’ αὑτοὺς ἐρῶντας). 16 ‚Und Jakob verbarg (ἔκρυψεν) es Laban, dem Syrer, so dass er ihm nicht mitteilte (ἀναγγεῖλαι), dass er wegläuft (ἀποδιδράσκει). Und er selbst lief weg (ἀπέδρα) und alles, was ihm gehörte, und er durchquerte (διέβη) den Fluss und eilte (ὥρμησεν) zum Berg Gilead los‘ (Gen 31,20f.). Ganz der Natur gemäß ist es, dass er es verbirgt, dass er wegläuft und es dem von den Sinnen abhängigen Denken (τῷ ἠρτημένῳ τῶν αἰσθητῶν λογισμῷ), (das heißt) Laban, nicht mitteilt. Zum Beispiel wenn du eine Schönheit siehst und durch sie gefangengenommen wirst und im Begriff bist, durch sie ins Unglück zu geraten (πταίειν), (so) fliehe (φύγε) heimlich vor der Vorstellung (φαντασίας) von ihr und teile sie nicht mehr dem Verstand (τῷ νῷ) mit, das heißt, denke nicht wieder darüber nach (ἐπιλογίσῃ) und beschäftige dich (μελετήσῃς) nicht (mehr damit). Denn die unablässigen Erinnerungen (ὑπομνήσεις) graben deutliche Spuren ein (ἐγχαράττουσαι) und schädigen das Denkvermögen (διάνοιαν) und zerstören es oft gegen seinen Willen. 17 Dasselbe Prinzip gilt auch für alle Verlockungen eines jeden Sinnes. Denn bei ihnen ist die heimliche Flucht (φυγή) die Retterin, das Erinnern (ὑπομιμνῄσκεσθαι) aber und Mitteilen (ἀναγγέλλειν) und Wiederbetrachten (ἀναπολεῖν) überwältigen das Denken ( λογισμόν) und unterdrücken es gewaltsam. Niemals also, o Denkvermögen (διάνοια), teile dir (σαυτῇ) den (dir) erschienenen Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung (τὸ φανὲν αἰσθητόν) mit, wenn du im Begriff stehst, von ihm gefangengenommen zu werden, und betrachte ihn nicht wieder, damit du nicht überwältigt wirst (κρατηθεῖσα) und ins Unglück gerätst (κακοδαιμονῇς). Sondern frei von sinnlichen Gegenständen68 eile los (ὁρμήσασα) und laufe weg (ἀπόδραθι) und ziehe die unzähmbare Freiheit (ἐλευθερίαν) der gezähmten Knechtschaft (δουλείας) vor (προκρίνουσα).

67 So

Pape, 2 808, s. v., für πτερνιστής. Demgemäß gibt Muraoka, GEL, 605, s. v. πτερνίζω, den Ausdruck sinngemäß mit: „to kick (with) the heel with a view to throw­ ing the opponent“ (tw. kurs.), wieder. Als Zweitbedeutung nennt Muraoka, GEL, ebd.: „to cheat, defraud by withholding or robbing what is due to sbd else“. Letzterer Bedeutung entsprechend übersetzt PCHAT, 3 91, „der Listige“. Die erste Bedeutung ist hier aber vorzuziehen, weil Jakob in Leg 3,15–27 in der Tat als derjenige gezeigt wird, der gegen einen Feind ausschlägt, nämlich gegen die Sinnenwelt. 68  ἄφετος bedeutet LSJ, 288, s. v. II, zufolge bei Personen: „dedicated, free from ­worldly business“ (kurs.).

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18 Weshalb aber sagt (die Schrift) nun, als ob Jakob nicht wüsste, dass Laban ein Syrer ist: ‚Jakob aber verbarg (ἔκρυψε) es Laban, dem Syrer?‘ Es hat aber auch dies keineswegs nebensächliche Bedeutung. Denn Syrien heißt (übersetzt) ‚Höhen‘. Deshalb wartet Jakob, der übende Verstand (ὁ ἀσκητής … νοῦς), solange er die Leidenschaft darniederliegen sieht, ab (περιμένει) und denkt darüber nach ( λογιζόμενος), sie nach Kräften zu besiegen; solange sie aber in die Höhe gehoben ist, stolz und hochmütig, läuft zunächst der übende Verstand weg und dann auch alle Teile seiner Übung (τὰ αὐτοῦ πάντα μέρη τῆς ἀσκήσεως): Lektüren, Übungen, Therapien (sc. der Leidenschaften), Erinnerungen an das Schöne, Selbstbeherrschung und Ausübung der Pflichten; und ‚er durchquert den Fluss‘ der Sinnenwelt (τῶν αἰσθητῶν), der die Seele überschwemmt und überflutet durch den Ansturm der Leidenschaften (παθῶν), und, nachdem er [ihn] durchquert hat, eilt er los (ὁρμᾷ) auf den erhabenen, hoch gelegenen ‚Ort (τόπον)‘, das Prinzip der vollkommenen Tugend (τὸν λόγον τῆς τελείας ἀρετῆς).69 19 ‚Denn er eilte (ὥρμησε) zum Berg Gilead los‘. Das bedeutet die Übersiedlung des Zeugnisses70, denn Gott hat die Seele von den Leidenschaften, wie sie durch Laban verkörpert werden, an einen anderen Ort verpflanzt und hat ihr bezeugt, dass der Ortswechsel vorteilhaft und nützlich ist; und er leitet die Seele (τὴν ψυχήν … προάγοντος) von den Übeln (κακῶν), die sie niedrig und klein machen (ταπεινὴν καὶ χαμαίζηλον ἀπεργαζομένων), hin zur Höhe und Größe der Tugend (εἰς ὕψος καὶ μέγεθος ἀρετῆς). 20 Deshalb ist Laban, der Freund der Sinne und der (Mensch), der ihnen gemäß, nicht aber dem Geist (νοῦν) entsprechend handelt, außer sich und jagt (ihm) nach und sagt: ‚Warum bist du heimlich geflohen (ἀπέδρας)‘ (Gen 31,26) und nicht bei dem körperlichen Genuss (τῇ τοῦ σῶματος ἀπολαύσει) geblieben und bei der Lehre (τῷ δόγματι), die die körperlichen und äußerlichen Dinge als Güter beurteilt (τῷ 〈τὰ〉 περὶ σῶμα καὶ τὰ ἐκτὸς ἀγαθὰ κρίνοντι)? …71 22 Denn nicht nur von dir, o Laban, (du) Freund von Körpern und Farben, laufen wir weg (ἀποδιδράσκομεν), sondern auch von allem, was dir gehört, darunter auch die Stimmen der Sinne, die mit den Betätigungen der Leidenschaften in Einklang stehen. Denn wir haben, da wir ja Übende der Tugend sind (ἀρετῆς ἐσμεν ἀσκηταί), (die) zwingend nötige Übung geübt (μεμελετήκαμεν … μελέτην ἀναγκαίαν), die auch Jakob geübt hat (ἐμελέτησεν), die der Seele fremden Götter zu vernichten und zu zerstören, nämlich die in Metall gegossenen Götter, die Mose herzustellen verboten hat.72 Diese aber bedeuten die Auflösung der Tugend (ἀρετῆς) und der wahren 69  So nach dem Text von PCWR, den auch PLCL bietet, die τόπον ergänzen. Royse, Text, 25, weist darauf hin, dass T. Mangey, I. Heinemann sowie C. Mondésert – dieser aber mit inzwischen ausgeräumten Vorbehalten – als Konjektur für λόγον das Lexem λόφον vorschlagen, das bei Philo auch sonst nachgewiesen ist, „each time used for the top of a hill“. Dann wäre zu übersetzen: „eilt er los auf den erhabenen, hoch gelegenen Gipfel der Tugend“. 70  Philo führt ‫ גלעד‬auf ‫( גלה‬verbannen) und ‫( עד‬Zeugnis) zurück; vgl. PCHAT, 3 92, Anm. 4. 71  Es folgt in § 20b.21, weiterhin in direkter Rede, der Vorwurf Labans an Jakob, an ihm Diebstahl begangen zu haben (Gen 31,26 [Ende]), als er Lea und Rahel mitnahm, die für das Denken stehen. Dies wird sodann erläutert. Für die hier interessierende Frage trägt dieser Exkurs nichts aus. 72  Vgl. Ex 34,17; Lev 19,4 u. ö.

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Seelenlust (εὐπαθείας)73, die Vereinigung und Festigung von Schlechtigkeit (κακίας) und Leidenschaften (παθῶν), denn das Gegossene wird, wenn aufgelöst, wieder fest. 23 (Die Schrift) aber sagt so: ‚Und sie gaben Jakob die fremden Götter, die in ihren Händen waren, und die Ohrringe in ihren Ohren, und Jakob verbarg sie unter der Terebinthe in Sichem‘ (Gen 35,4). Diese aber sind die Götter der Schlechten. Von Jakob aber heißt es nicht, dass er sie annahm, sondern dass er sie verbarg und vernichtete – (eine) in allem sehr genaue (Beschreibung). Denn der Gute (ὁ … ἀστεῖος)74 wird vom (Eigentum) der Schlechtigkeit (κακίας) nichts zum eigenen Vorteil annehmen, sondern er wird es verbergen und heimlich zerstören. 24 So sagt auch Abraham … 27 Siehst du nicht, dass er (sc. Jakob) die Götter, obwohl er sie anzunehmen schien, nicht (wirklich) angenommen hat, sondern sie verbarg und vernichtete und sie für immer von sich weg zerstörte? Welcher Seele nun gelingt es, die Schlechtigkeiten zu verbergen und zu vernichten, außer derjenigen, der sich Gott gezeigt hat (ἐνεφανίσθη) und die er auch der unaussprechlichen Geheimnisse (τῶν ἀπορρήτων μυστηρίων) für wert erachtet hat? Denn es heißt: ‚Ich werde nicht vor Abraham, meinem Knecht, verbergen, was ich tue‘ (Gen 18,17). Schön, Retter (σῶτερ), dass du deine eigenen Werke der sich nach dem Schönen sehnenden Seele (τῇ ποθούσῃ τὰ καλὰ ψυχῇ) zeigst (ἐπιδείκνυσαι) und ihr nichts von deinen Werken verbirgst. Deshalb vermag sie (ἰσχύει), der Schlechtigkeit zu entfliehen (φεύγειν) und die schädliche Leidenschaft (τὸ βλαβερὸν πάθος) immer zu verbergen, zu überschatten und zu vernichten.“

7.2.2 Der Argumentationsgang § 15 hat überleitenden Charakter. Philo führt hier die Person Jakobs ein und stellt zunächst fest, dass dieser – im Unterschied zu Mose – flieht, und zwar vor Laban, dessen hebräischer Name ‫‚ לבן‬weiß‘ bedeutet und der deshalb das Symbol der Farben und der Sinnenwelt ist.75 Jakob steht in § 15 für die durch Methoden und Kunstfertigkeiten, und das heißt: durch Übung, erworbene Tugend.76 Darin unterscheidet er sich von Mose, dem Gottesfreund, der die Tugend ähnlich wie Abraham direkt durch göttliche Belehrung als Geschenk erhielt (§ 14). Weil er nur der Übende ist, muss Jakob sich fürchten, in der Auseinandersetzung mit Laban eine Niederlage einstecken zu müssen und flieht deshalb vor ihm. Als Übender ist Jakob, wie Philo eigens hervorhebt, noch nicht Israel, das heißt noch nicht derjenige, der ‚Gott schaut‘.77 In Israel wird er in Gen 32,29 umbenannt. Deshalb ist es konsequent, wenn Philo 73  So zu Recht PCHAT, 3 39, für εὐπαθείας im Unterschied zu den zuvor verworfenen πάθη. 74  Zu dieser Wiedergabe vgl. LSJ, 260f., s. v. 5. 75  Vgl. PCHAT, 3 91, Anm. 3. 76  Vgl. § 18.22. Vgl. auch Abr 52, wo Philo drei Arten des Erwerbs der Tugend unterscheidet. Jakob ist Sinnbild der durch Übung, Isaak der durch Geburt und Abraham der durch Belehrung erworbenen Tugend; vgl. dazu Birnbaum, Blocks, 74–88. 77  Diese Auslegung beruht wiederum auf der Etymologie von ‫ ישראל‬als ‫איש ראה אל‬.

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ihn in § 16–19.20–22 auf der Basis von Gen 31,20f. und 31,26 als ‚Übenden‘ deutet78, ihn in § 23–27 im Kontext der Auslegung von Gen 35,4 dagegen als Gottschauenden in den Blick nimmt. Solange Jakob der Übende ist, unterscheidet er sich nicht von den ‚Söhnen des Sehenden‘, das heißt von den Kindern Israels (τοὺς υἱοὺς Ισραηλ), die nach Lev 15,31 der Mahnung bedürfen. Insofern beherzigt Jakob als Übender bereits die von Mose gegebene Mahnung zur Vorsicht. In § 16 zitiert Philo zunächst Gen 31,20f. und erschließt in diesem Text, den er in § 16–19 auslegt, Jakob als Übenden. Philo deutet das hier beschriebene Verhalten Jakobs, kurz: seine Flucht, als naturgemäß und begründet dies im Weiteren mit Hilfe von Grundaussagen der stoischen Psychologie, in § 16 bezogen auf den mit Laban identifizierten Sehsinn, in § 17 bezogen auf alle Sinne. Hier verwendet er in seiner Deutung erstmals auch den im Schriftzitat gebrauchten Begriff ὁρμάω κτλ, der zu den Zentralbegriffen der stoischen Seelenlehre gehört. Weitere in diesen Kontext gehörige Begriffe fallen in § 16f., darunter φαντασία , διάνοια und λογισμός, ὑπόμνησις sowie προκρίνω, ἐλευθερία und δουλεία. In § 18 deutet Philo die Flucht Jakobs vor ‚Laban, dem Syrer,‘ auf den Umgang mit den Übungen, die ebenfalls in die Stoa u. a. verweisen. In § 19 verlässt er die stoische Psychologie als Deutungshorizont und erläutert die Aussage vom Loseilen Jakobs auf den Berg ‚Gilead‘ theologisch: Subjekt des Fliehens ist hier nicht länger der λογισμός, vielmehr ist es Gott, der die Seele von den durch Laban verkörperten Leidenschaften verpflanzt. In § 20–22 erörtert Philo ausgehend von Gen 31,26 die Frage, welchen Dingen Jakob und diejenigen, die ihm nacheifern, entfliehen. Die Auskunft lautet: Farben, körperlichen Dingen und Stimmen. Diese werden in § 22b mit den fremden Göttern von Gen 35,2 identifiziert, die fortzuschaffen Jakob seinem Haus befiehlt. Der Vers wird nicht zitiert. Dass Philo hier aber nicht nur an die von ihm in seiner Paraphrase der Stelle ausdrücklich erwähnte Zerstörung der fremden Götter, die er psychologisch und ethisch deutet, denkt, sondern auch an Jakobs Befehl an sein Haus, die in § 15 erwähnten ‚Söhne des Sehenden‘, erhellt aus der veränderten Sprechhaltung in § 22: Das Gegenüber Labans ist hier nicht Jakob, sondern das ‚Wir‘ der jetzt Übenden, in das sich Philo einschließt.

Mose wie Abraham sind Gottschauende; vgl. dazu Birnbaum, Place, 93, und Holtz, Gott, 406. 78  Philo deutet Gen 31,20f. auch in Fug 7–22. Hier wird Laban als Symbol einer materialistischen Weltanschauung interpretiert: Er verehrt stoffliche Mächte als göttlich (ὑλικάς … θεοπλαστοῦντα ἡγεμονίας), ohne daneben ein wirkendes Prinzip anzunehmen (§ 11). Zum Ganzen vgl. Runia, Flight, 14f.20; ebd., 15, nennt er Jakob den „archetypal ‚man‘ of flight“.

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Eingeleitet durch § 22, dienen § 23–27 der Auslegung von Gen 35,4, einem Schriftvers, der ausweislich von § 27 nach der Umbenennung Jakobs in Israel den gottschauenden Jakob im Blick hat. Deshalb ist in diesem Abschnitt nicht mehr von der Flucht Jakobs die Rede, sondern von seinem Sieg über die Leidenschaften, den Philo mit der biblischen Aussage von der Vernichtung der Götter identifiziert.79 Der Perspektivwechsel von Jakob, dem Übenden, zu Jakob, dem Gottschauenden, ergibt sich zum einen aus dem zweifachen Hinweis auf Abraham (§ 24.27), der in § 24 explizit als „Schauender (ὁρῶντα)“ bezeichnet wird80, zum anderen aus seiner Identifikation mit dem „Guten“ (ἀστεῖος; § 23) und dem „Weisen“ (τῷ σοφῷ; § 25).81 Inhaltlich geht es um die Vernichtung der fremden Götter. Wie Jakob diese nicht annahm (§ 23), so nahm zuvor auch Abraham von Melchizedek nicht die vernunftlose Kreatur (ἀλόγου φύσεως; § 24) – Pferde – als Ersatz für das vernünftige (λογικήν) Geschöpf – Menschen – an. In § 25f. folgt die Auslegung der in Gen 35,4 erwähnten Verwahrung der Götter in Sichem im Unterschied zu ihrer Zerstörung durch den Weisen.82 In § 27 schließlich stellt Philo heraus, wie es Jakob gelingen konnte, die fremden Götter zu vernichten: Wie Gott einst Abraham seine Werke nicht verbarg, so auch Jakob nicht, sondern offenbarte ihm seine Geheimnisse und ermöglichte ihm so, die allegorisch auf die Leidenschaften gedeuteten fremden Götter zu vernichten.83 79  In § 23 zitiert Philo nur den Teil des LXX-Textes, der eine Entsprechung im MT hat. Gleichwohl basiert die Auslegung auf dem in der LXX gebotenen umfangreicheren Text, der das Verbergen der fremden Götter durch Jakob um die Aussage über ihre Vernichtung ergänzt: καὶ ἀπώλεσεν αὐτὰ ἕως τῆς σήμερον ἡμέρας. In seiner Auslegung spielt nicht nur das Motiv der Vernichtung der Götter eine Rolle, sondern auch die Wendung „bis zum heutigen Tag“ (vgl. § 25). 80 PCHAT, 3 94, Anm. 2, hält τὸν ὁρῶντα in § 24 für „wohl verderbt (aus τὸν σοφόν?)“. Dies ist sicher nicht der Fall. Dagegen spricht die Aussage über Jakob als noch nicht Sehenden in § 15 in Verbindung mit der Tatsache, dass es Philo in § 24 darum geht, Jakob in Analogie zu dem Gott schauenden Abraham zu zeichnen. Philo gibt die Aussage von Gen 14,23: ἵνα μὴ εἴπῃς ὅτι Ἐγὼ ἐπλούτισα τὸν Αβραμ, in § 24 mit: ἵνα μὴ εἴπῃ πλούσιον πεποιηκέναι τὸν ὁρῶντα, wieder. 81  In § 25 ist zwar nicht ausdrücklich von Jakob die Rede, sondern allgemeiner von dem „Weisen“, bei dem die Lüste nicht nur kurz, sondern „bis zum heutigen Tag“, das heißt für immer, zerstört werden. Da sie aber nach § 23 von Jakob zerstört wurden, ist er der Prototyp dessen, der nach § 25 aktiv wird. 82  Eine exkursartige Aussage über die Gaben Jakobs an seine Söhne Joseph und Juda schließt sich in § 26 an. Weil Joseph derjenige ist, der sich mit den Lüsten abmüht, sie m. a. W. also nur verwahrt und nicht zerstört, erhält er von Jakob ‚Sichem‘ als Geschenk (Gen 48,22), das heißt ein körperliches und sinnlich wahrnehmbares Gut, wohingegen Juda Lob und Preis erhält (49,8). Philo weist ausdrücklich darauf hin, dass Jakob Sichem, das Körperlich-Sinnliche, nicht von Gott erhielt, der ein solches Geschenk nicht machen würde, sondern es selbst mit „Schwert und Bogen“ (48,22) erwarb, und das heißt für ihn: mit „scharfen und abweisenden Worten“. Jakob bewahrt das von ihm Erworbene nicht, sondern schenkt es Joseph, der dafür geschaffen ist. 83  Zum Zusammenhang von Namenswechsel – von Jakob zu Israel – und Übergang

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7.2.3 Die Übung (ἄσκησις und μελέτη) Jakob wird von Philo in § 18 als der übende Verstand (ὁ ἀσκητής … νοῦς) bezeichnet, der dann, wenn die Leidenschaften ihn nicht bedrängen, „abwartet und darüber nachdenkt, sie … zu besiegen“. Er zieht sich m. a. W. in die Übung zurück und bereitet sich auf den bevorstehenden Kampf vor. Entsprechendes gilt für das ‚Wir‘, das er in § 22 in Analogie zum übenden Jakob als „Übende der Tugend“ charakterisiert, „die die zwingend nötige Übung geübt haben“, nämlich die Vernichtung von Schlechtigkeit und Leidenschaften. Da Jakob als Anfänger aber noch nicht dazu in der Lage ist, die Leidenschaften, wenn sie mit ganzer Macht aufflammen, niederzuringen, fliehen „der übende Verstand und … alle Teile“. Letztere werden mit einer Aufzählung der einzelnen Übungen konkretisiert: „Lektüren (ἀναγνώσεις), Übungen (μελέται), Heilungen (θεραπεῖαι ; sc. der Leidenschaften), Erinnerungen an das Schöne (τῶν καλῶν μνῆμαι), Selbstbeherrschung (ἐγκράτεια), Ausübung der Pflichten (τῶν καθηκόντων ἐνέργειαι)“ (§ 18).84

Zusammen mit einer zweiten, in Her 253 aufgeführten Liste enthält diese Aufzählung „eine ziemlich vollständige Übersicht“ der in der Antike geläufigen Übungen.85 Die Liste in Her umfasst folgende Elemente: „die Untersuchung (ζήτησις ), die gründliche Prüfung (σκέψις ), die Lektüre (ἀνάγνωσις), das Anhören (ἀκρόασις; sc. von Unterweisung86), die Wachsamkeit (προσοχή), die Selbstbeherrschung (ἐγκράτεια), die Gleichgültigkeit (ἐξαδιαφόρησις) gegenüber gleichgültigen Dingen“.

Einige dieser Elemente flicht Philo bei seiner Beschreibung des Verhaltens seiner Protagonisten in Leg 3,11–27 ein. Die ἐγκράτεια (§ 11) und die gründliche Prüfung (σκέψις; § 13) verbindet er mit Mose87, den damit sachverwandten Begriff (ἐπι)λογίζομαι mit Jakob.88 Die Therapie der Leidenschaften thematisiert er ebenso für beide wie die Wachsamkeit, die sich mit dem Schriftzitat Lev 15,31 verbindet, wo von der Vorsicht die Rede ist. μελετάω (§ 16.22)89 von der Übung zu einem göttlich inspirierten Handeln vgl. von Gemünden, Jacob, 365–367. 84  Zur Übersetzung dieser Reihe wurde zusätzlich zu PCHAT und PLCL Hadot, Philosophie, 16, konsultiert; der numerus entspricht nicht immer dem griechischen Original. μελέται, hier mit „Übungen“ wiedergegeben (vgl. LSJ, 1096, s. v. μελέτη), präzisiert Hadot, aaO., 16, als „Meditationsübungen“. 85  Hadot, Philosophie, 16; er nimmt in den Listen „stoisch-platonischen Einfluß“ wahr (ebd.). 86  Vgl. PLCL, 1 413: „listening to instruction“. 87 Dem σκέπτεσθαι des Mose entspricht, wie oben Kap. 7.1.4 gesehen, zudem sein ἐξετάζειν. 88  Vgl. § 13 mit § 18; s. auch § 16. Zum Ganzen vgl. Hadot, Philosophie, 18. 89  ἀναπολέω (wiederbetrachten) ist ein sachliches Äquivalent zu μελετάω, sofern es das für die Übung konstitutive Moment der Wiederholung impliziert.

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und ὑπόμνησις κτλ (§ 16f.) verbinden sich direkt mit der Aufzählung der Bestandteile der Übung in § 18. Da in § 16–18 aber eine Situation vorausgesetzt ist, in der die durch die Sinneswahrnehmung entstandenen Vorstellungen Leidenschaften aus sich heraussetzen und diese mit Macht aufflammen, ist Philo zufolge die Möglichkeit versperrt, die philosophischen Übungen mit Erfolg durchführen zu können. In diesem Fall bleibt nur die Flucht. Gleichwohl misst er ihnen eine positive Bedeutung bei, die sich, wie gesehen, bei der Vorbereitung auf den Kampf mit den Leidenschaften zeigt.90 Auch hierin spiegelt sich stoischer Einfluss auf sein Denken. Um zu verdeutlichen, woran Philo bei der „Übung“ und „ihren Teilen“ gedacht haben könnte, werden im Folgenden die Grundzüge dessen im stoischen Kontext anhand illustrierender Texte von Seneca und Epiktet aufgezeigt. In der Stoa besitzen die philosophischen Übungen einen überragenden Stellenwert. Sie konstituieren den Gegenstand des Rückzugs ins Selbst und stellen seine therapeutische Dimension sicher. „Jede geistige Übung ist … in der Hauptsache eine Rückkehr zu sich selbst, die das Ich von der Selbstentfremdung befreit, zu der die Sorgen, Leidenschaften und Begierden es gebracht haben“.91 Geistige Übungen waren im Hellenismus verbreitet, besonders im Epikureismus und in der Stoa.92 Ihre überragende Bedeutung für die Philosophie der kaiserzeitlichen Stoa zeigt sich auch darin, dass die stoischen Texte selbst, die Diatriben Epiktets, die seines Lehrers Musonius Rufus, die Briefe Senecas sowie die Ermahnungen Marc Aurels, bestimmte „Formen der Einübung, des μελετᾶν“ sind, „die der sittlichen Verarbeitung und Aneignung des Gelernten und als richtig Erkannten dienen“.93 90  In

Her 253 nimmt Philo die Teile der Übung (τὰ τῆς ἀσκήσεως) dagegen ausschließlich positiv auf. Dies hängt mit dem unterschiedlichen argumentativen Kontext zusammen. In Leg 3 hängt die Nützlichkeit der Übungen von der Situation ab, in der sich der Übende befindet, entweder unmittelbar durch die Vorstellungen und Leidenschaften herausgefordert oder im Zustand der Ruhe. In Her 252f. dagegen zeichnen die Übungen Jakob im Gegenüber zu Esau aus. Jakob hat sie erjagt und bringt sie, die allesamt genießbar sind, Isaak zur Prüfung. Dieser testet sie nur, damit der Übende (τῷ ἀσκητῇ), Jakob, den Preis seiner Bemühungen auch selbst als Nahrung genießen kann. 91  Hadot, Philosophie, 40. 92 Vgl. Hadot, Seneca, 39. In hellenistischer Zeit finden sie sich außerdem bei den sog. Kleinen Sokratikern und den Kynikern; vgl. ebd., 39f. Die Praktizierung der Übungen im Sinne einer „mit ständiger Askesis verbundene(n) strenge(n) Schulung“ reicht bei den Schulen Epikurs und der Stoa bis in die Anfangszeit des Hellenismus zurück (ebd., 46). 93 Ebd., 59. Ähnlich wie Hadot erkennt Sellars, Art, 126f., in der überlieferten Literatur der Stoa zwei Arten geistiger Übungen. Den ersten Typus sieht er durch Epiktets Encheiridion exemplifiziert, den zweiten durch Marc Aurels ‚Wege zu sich selbst‘. Das Encheiridion „is devoted to the process of philosophical habituation and digestion, that is, to spiritual exercises conceived as an essential second stage of philosophical education“; die erste Stufe bildet demgegenüber die Vermittlung philosophischer Theo-

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Seneca beschreibt Nutzen und Charakter der Übungen in Ep 82,8 ganz kurz so: „Doch nur beständiges Nachdenken (meditatio) wird diese Festigkeit (sc. des Herzens) hervorbringen, wenn Du nicht Worte übst (exercueris), sondern die vernünftige Seele (animum), wenn Du dich gegen den Tod vorbereitest (praeparaveris) …“

Die Notwendigkeit der Übungen gründet in der Erfahrung, dass sich die Kenntnis der Lehren, der δόγματα bzw. λόγοι, nicht automatisch in ein entsprechendes Handeln (ἔργα) und Verhalten (βίος) übersetzt.94 Zwei Gründe hierfür scheinen durch. Nach stoischer Einsicht kann sich der Mensch den Vorstellungen nicht entziehen, da sie, hervorgerufen durch sinnliche und nicht-sinnliche Gegenstände95, fortlaufend im Geist entstehen. Sie „beißen“ ihn, so Epiktet, ob er will oder nicht, weil sie „nicht in (s)einer Macht“ (οὐκ ἐπὶ σοί ; Diss 3,24.108) stehen. Es steht aber sehr wohl in seiner Macht, rechten Gebrauch von den Vorstellungen zu machen, so dass Handeln und Verhalten mit den Lehren zur Deckung kommen. Dazu aber sind die Übungen unerlässlich. Der zweite Grund ist in der Tatsache zu sehen, dass sich falsche Meinungen (ὑπολήψεις) und schlechte Gewohnheiten (εἰθίσμεθα) über die Jahre einschleichen und darum nur durch sorgfältige Beschäftigung (μελέτην) und Übung (ἄσκησιν; Diss 2,9.13f.) korrigiert werden können.96 Konkret kann dies dann so aussehen, dass der Übende der machtvollen Gewohnheit, das Begehren nur auf Externa wie etwa Reichtum und Ruhm zu richten, „eine entgegengesetzte Gewohnheit entgegenstellt“ (ἐναντίον ἔθος ἀντιθεῖναι ; Diss. 3,12.6). Die stoische Philosophie rechnet also mit fehlbaren Menschen, die durch das eigene Bemühen in Gestalt der Übungen die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis zumindest verringern.97

rie (λόγος). Deshalb bezeichnet Sellars das Handbuch Epiktets auch als einen „instructional text directed towards training the student of philosophy who has already completed his preliminary education in philosophical theory“. Im Unterschied dazu sieht er in Marc Aurels ‚Wege‘ einen „text produced by a student where the very act of writing itself can be seen to constitute the exercise“. 94  Vgl. dazu Sellars, Art, 119. 95 Vgl. Long, Representation, 271. 96 S. ähnlich Marc Aurel, Wege 7,54. 97  Entsprechend bestimmt Long, Epictetus, 33, Epiktets Philosophie als „a philosophy for persons who are fallible but completely committed to doing the best they can to live as free, thoughtful, self-respecting, and devoted family members and citizens“. Dazu verweist er auf Diss 4,12.19: „Ist es möglich, schon ganz fehlerfrei (ἀναμάρτητον) zu sein? (Nein), es ist unmöglich; aber jenes ist möglich, sich unaufhörlich darauf auszurichten, keine Fehler zu begehen (τὸ μὴ ἁμαρτάνειν). Denn wir sollten uns damit zufrieden geben, wenn wir, indem wir niemals in dieser Aufmerksamkeit nachlassen, wenigstens einige Fehler vermeiden.“

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Um das als richtig erkannte Handeln – wenigstens ansatzweise – zur Gewohnheit werden zu lassen, müssen die Grundlehren der Schule vom Einzelnen in der Seele „verdaut“ werden.98 Dabei betonen die Stoiker, dass die Übungen auf die Aneignung einiger weniger Grundlehren zielen. So stellt Seneca im Anschluss an den Kyniker Demetrius fest, dass, um dem ‚Dreck‘ erfolgreich entgegenzutreten, weniges reicht: „Es pflegt mehr zu nützen, wenn du wenige Vorschriften der Weisheit (pauca praecepta sapientiae) einhältst, sie dir aber zur Hand (in promptu tibi) sind und zur Verfügung stehen (in usu), als wenn du zwar viel gelernt hast, es aber nicht zur Hand (ad manum) hast“ (Benef 7,1.3).

Nachdem Seneca in § 4–7, weiterhin in Aufnahme von Demetrius, Beispiele für nicht zwingend notwendiges Wissen einerseits und den Fundus der unerlässlichen Grundsätze andererseits aufgeführt hat, beschließt er sein Referat mit folgender zusammenfassender Bemerkung: „entzogen (subductus) den Stürmen, steht er auf festem und heiterem (Grund) und hat das nützliche und notwendige Wissen (scientiam utilem ac necessariam) zur Vollendung gebracht. Das Übrige ist Vergnügen der Muße. Er kann sich nämlich, wenn die Seele schon in Sicherheit zurückgebracht ist (retracto animo), sich auch auf Dinge einlassen, die dem Geist Verfeinerung (cultum), nicht Stärke (non robur) bringen“ (§ 7).

Es sind also die zu übenden Grundsätze des Nützlichen und Notwendigen, die den Geist in Sicherheit bringen und ihm Stärke verleihen, alles darüber hinausgehende Wissen ist Luxus.99 Die Konzentration auf das Wenige im Kontext der Übung veranschaulicht besonders Seneca, Ep 2,4f.: „‚Doch bald dieses‘, so wendest Du (sc. Lucilius) ein, ‚bald jenes Buch will ich aufschlagen‘. Die Art eines verwöhnten Magens ist es, vieles (multa) zu kosten; sooft das allerlei unvereinbare Dinge sind, bringen sie Schaden und nähren nicht. Anerkannte Autoren lies daher immer (semper lege), und wenn du einmal Lust hast, einen Abstecher zu anderen zu machen, kehre zu den ersteren zurück (redi)! Beschaffe Dir täglich (cotidie) etwas Hilfe gegen die Armut, etwas gegen den Tod und ebenso gegen sonstiges Ungemach; und wenn du vielerlei (multa) flüchtig durchgesehen hast, so greife eines heraus (unum excerpe), um es an jenem Tag zu verdauen (concoquas). 5 Das mache ich selbst auch; aus dem vielen (ex pluribus), was ich gelesen habe, eigne ich mir etwas an (aliquid adprehendo).“

98 So Sellars, Art, 119, auf der Basis einer wohl durch Epiktet beeinflussten Aussage Galens; ähnliche Bestimmungen finden sich bei Clemens von Alexandrien und Musonius Rufus; zur Gewöhnung vgl. ebd., 119–121, zur Verdauung ebd., 121f. (s. auch unten zu Seneca). 99  Vgl. auch Griffin, Society, 315.

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Bei den von Seneca erwähnten Übungen handelt es sich um das Lesen und die Verdauung, sprich die Meditation des Gelesenen und damit seine Aneignung.100 Ziel der Übungen ist es, sich auf eventuelle Schicksalsschläge vorzubereiten, damit sie, wenn sie eintreten, das Ich nicht erschüttern. Die Übungen sind m. a. W. der Vollzug der praemeditatio malorum.101 Epiktet formuliert seine Grundlehren, die zu dem gehören, was die Philosophenschüler zur Hand haben sollen, in Encheir 1,1f. folgendermaßen: „Von den Dingen, die es gibt, sind die einen in unserer Macht (ἐφ’ ἡμῖν), die anderen dagegen nicht in unserer Macht (οὐκ ἐφ’ ἡμῖν). In unserer Macht sind Werturteil (ὑπόληψις), Antrieb (zum Handeln; ὁρμή), Begehren (ὄρεξις), Aversion (ἔκκλισις), mit einem Wort, alles, was von uns ausgeht (ἡμέτερα ἔργα). Nicht in unserer Macht dagegen sind der Körper, der Reichtum, Ruhm, Ämter und, mit einem Wort, alles, was nicht von uns ausgeht. 2 Und die Dinge, die in unserer Macht sind, sind ihrer Natur nach frei (ἐλεύθερα), (können) nicht gehindert (ἀκώλυτα) oder gehemmt (ἀπαραπόδιστα) werden, die Dinge aber, die nicht in unserer Macht sind, sind schwach (ἀσθενῆ), versklavt (δοῦλα), gehemmt (κωλυτά), fremd (ἀλλότρια).“

Die an jede Vorstellung zu richtende Frage: ‚Steht es in meiner Macht oder steht es nicht in meiner Macht‘ (§ 5), bildet die „erste Grundregel des Kanons, die jeder Schüler Epiktets auswendig zu lernen und einzuüben hatte“.102 Nach Diss 3 sind es wie in Encheir 1,1f. Begehren und Aversion, Antrieb zum Handeln bzw. Nicht-Handeln sowie die Zustimmungen, die von denen geübt werden müssen, die edel und gut werden wollen (περὶ οὓς ἀσκηθῆναι δεῖ τὸν ἐσόμενον καλὸν καὶ ἀγαθόν; Diss 3,2.1). Wie dies konkret aussehen könnte, erörtert Epiktet in Diss 3,12.7–15. Er empfiehlt etwa demjenigen, der eine Abneigung (ἐκκλιτικῶς) gegen harte Arbeit hat, die Vorstellungen dahingehend zu üben (γυμνάσω), dass die Aversion gegen die Arbeit aufhört. Denn der Übende (ἀσκητής) ist der, der sein Üben (μελετῶν) darauf ausrichtet, sein Begehren, und das heißt hier: den Wunsch nicht zu arbeiten, nicht zu gebrauchen, und seine Aversion nur auf das auszurichten, was in den Bereich der vernünftigen Entscheidung (τὰ προαιρετικά) fällt (§ 7f.), nicht aber auf die

100  Vgl. dazu Maurach, Bau, 31 mit Anm. 26, sowie Hadot, Seneca, 55: Bei der Einübung geht es um die „Komprimierung und Konzentration des Gelernten…, die Einübung der aus ganz wenigen Dogmen bestehenden ‚regula vitae‘ in täglicher Meditation“. 101 S. auch Hadot, Seneca, 60f., die unter Hinweis auf Cicero, Tusc 3,52 und 3,31, und Seneca, Benef 7,1.6; Ep 78,29; 91,3f.7f. und 99,32, die praemeditatio malorum selbst zu den geistigen Übungen zählt. Zu Epiktet vgl. Diss 3,5,11; 3,24.94–109; 3,26.39 und dazu s. u. 102  Hadot, Seneca, 57, im Anschluss an § 5. Die Diatriben stellen „nichts anderes dar als Einübungshilfen für diese Grundregeln“ (ebd.).

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Arbeit. Andere Beispiele, die Epiktet nennt, sind Lust (§ 7), der Umgang mit Schmähungen u. ä. (§ 10) und der Gebrauch von Wein (§ 11).103 Den zitierten Listen von Übungen bei Philo vergleichbare Listen finden sich bei Epiktet im Kontext der praemeditatio malorum, insbesondere des Todes. In Diss 3,24.94–109 formuliert er zunächst verschiedene Gedanken, die seine Schüler im Angesicht von unerwünschten Ereignissen wie Tod und Verbannung zur Verfügung haben sollen. Um dies sicherzustellen, empfiehlt er ihnen konkrete Übungen: „Diese (sc. die erwähnten Gedanken) soll er bei Nacht, (Gedanken wie) diese (soll er) bei Tag bereithalten (πρόχειρα ἔστω)104. Diese (soll er) aufschreiben (γράφειν), diese soll er lesen (ἀναγιγνώσκειν), über diese Gespräche führen (τοὺς λόγους ποιεῖσθαι), er mit sich selbst (αὐτὸν πρὸς αὑτόν), mit einem anderen …“ (§ 103).

Das Lesen bezieht sich auf die Lektüre philosophischer Schriften105, das Niederschreiben auf das schriftliche Memorieren und Meditieren der wesentlichen Grundsätze106, das Selbstgespräch auf den inneren Dialog107, das Gespräch mit anderen auf den Austausch mit Freunden oder auch auf die briefliche Kommunikation mit dem Lehrer108. Wenn die Philosophenschüler dann von den Leidenschaften und den Wechselfällen des Lebens eingeholt werden, entfalten die durch die Übungen internalisierten Leitsätze ihre therapeutische Wirkung: „Dann, wenn eines der sogenannten unerwünschten (Dinge) geschieht, wird dir jener Gedanke, dass es nicht unerwartet eintritt, als erster Erleichterung verschaffen. Denn es ist in jeder Hinsicht etwas Großes (sagen zu können): ‚Ich wusste, dass ich 103  In § 13–15 entfaltet er die anderen den Umgang mit den Vorstellungen betreffenden „Topoi“, nämlich Antrieb und Zurückweisung (τὴν ὁρμὴν καὶ ἀφορμήν) sowie Zustimmungen (τὰς συγκαταθέσεις). Diese drei Stufen der Übung werden erstmals in 1,4.11 erwähnt; zum Ganzen vgl. Sellars, Art, 134–136, und Cooper, Theory, 15–19. 104  „Bereithalten“ ist terminus technicus (πρόχειρον ἔχειν); vgl. Hadot, Seneca, 58, Anm. 107. S. auch oben zu Seneca, Benef 7,1.3 (in promptu bzw. ad manum). 105  Vgl. dazu Hadot, Seneca, 56f. 106  Vgl. ebd., 59, Anm. 111. 107  Ein Beispiel eines inneren Dialoges bietet Diss 3,8.15. Zum inneren Dialog gehört auch die tägliche Selbstprüfung. So rät Seneca dazu, sich am Ende jedes Tages Rechenschaft über das eigene Handeln abzulegen, und zitiert dazu die Fragen, die sich Sextius täglich zu stellen pflegte: „‚Welches Übel von dir hast du heute geheilt (sanasti)? Welchem Fehler hast du Widerstand geleistet? In welchem Punkt bist du (jetzt) besser geworden?“ (Ira 3,36.1). Zu einem vergleichbaren Fragenkatalog, den sog. goldenen Versen, vgl. Epiktet, Diss. 3,10.2f. Zur täglichen Selbstprüfung s. auch Hadot, Seneca, 66–71, und Reydams-Schils, Stoics, 19f. 108 Vgl. Hadot, Seneca, 59, Anm. 111. Nussbaum, Therapy, 337, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass für Seneca, Ep 38,1 „(c)onversation … is ‚more useful‘ than writing, even intimate letter writing, ‚because it creeps bit by bit into the soul‘… Compared with personal conversation, lectures prepared in advance and poured out to a listening crowd have more volume but less intimacy“. Zum Ganzen s. auch Hadot, Philosophie, 19.

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einen Sterblichen gezeugt habe‘… ‚Ich wusste, dass ich ins Gefängnis geschickt werden kann‘“ (§ 104f.).

Weitere Erleichterung erfährt das Ich, das sich auf die philosophischen Übungen einlässt dann, wenn es sich „zu sich (s)elbst hinwendet (ἐπιστρέφῃς κατὰ σαυτόν)“. Der Rückzug ins Selbst führt sogleich zur Erinnerung (ἀναμνησθήσῃ) daran, dass das ihn beunruhigende Ereignis aus einem Bereich rührt, der nicht in seiner Entscheidungsmacht liegt (ἀπροαιρέτων), der nicht das Eigene (τῶν οὐκ ἐμῶν) umfasst. Die Übungen kommen an ihr Ziel, wenn sie in den erleichterten Ausruf münden: „‚Welche Bedeutung hat das also für mich!?‘“ (τί οὖν πρὸς ἐμέ; Diss 3,24.106). Die Antwort, die darauf zu geben ist, lautet im Sinne Epiktets selbstverständlich: Keine. Was außerhalb des dem Ich zugewiesenen Bereichs liegt, ist ethisch irrelevant. In einem weiteren Text, der eine kurze Liste von Übungen enthält, werden diese mit dem Gewinn der Freiheit selbst identifiziert.109 Er findet sich im Schlussparagraphen des dritten Buches, ebenfalls im Kontext der praemedi­ tatio malorum (Diss 3,26.39). Die exponierte Stellung der Liste ist nochmals ein Hinweis auf die Bedeutung, die den Übungen bei Epiktet bzw. dem Stenographen und Herausgeber seiner Diatriben, Arrian, zukommt. Hier sind sie als Übungen zur Überwindung der Todesfurcht gedacht: „Gegen diese (sc. die Todesfurcht) liegt mir also daran, dass du dich übst (γυμνάζου) – alle vernünftigen Überlegungen ( λόγοι) sollen sich darauf ausrichten110, die Übungen (τὰ ἀσκήματα), die Lektüren (τὰ ἀναγνώσματα); und (dann) wirst du wissen, dass allein auf diese Weise Menschen Befreiung finden“.111

Gemeinsam ist Philo und den Stoikern danach die Überzeugung, dass die Übungen unabdingbar sind, um äußeren Widerfahrnissen und innerseelischen Beunruhigungen gleichmütig begegnen, und das heißt: mit den Vorstellungen in adäquater Weise umgehen zu können. Überschneidungen gibt es auch in der Bestimmung der einzelnen Übungen und in der Einschätzung ihrer Nützlichkeit. Des Weiteren kann Philo wie auch Epiktet den Anfängern in der Übung dazu raten, übermächtigen Leidenschaften zu entfliehen, statt sie im Modus der Übung zu bearbeiten.112 Unterschiede zeigen sich im Stellenwert der Übungen und in ihrem jeweiligen philosophisch-theologischen Rahmen. Für die kaiserzeitlichen Stoiker gehören die Übungen zum Zentrum der Philosophie, dagegen ist bei Philo ihre Bedeutung begrenzt. Was den philosophisch-theologischen Rahmen anbelangt, so verbindet sich mit den philosophischen Übungen bei den Stoikern das Ziel, das Ich auf den in seine Verfügungsgewalt gegebenen Bereich zurückzuführen und die dem Menschen 109 

Vgl. auch Encheir 1,4: ἐλευθερία καὶ εὐδαιμονία. Wörtlich: hinneigen (νευέτωσαν). 111  Vgl. auch Diss 3,5.1. 112  S.o. Kap. 7.1.5 zu Diss 3,12.12. 110 

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verliehenen eigenen Ressourcen zu aktivieren, die in der vernünftigen Seele ihren Ort haben. Bei Philo hingegen sind sie gewissermaßen propädeutischer Natur. Sie schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Gott selbst die Führung der innerseelischen Prozesse übernehmen kann.113 7.2.4 Vorstellung (φαντασία) und Antrieb (ὁρμή) Thema von Leg 3,15–22 ist der Umgang mit den durch die sinnliche Wahrnehmung hervorgerufenen Vorstellungen. Philo geht es hierbei darum, zu ihrem rechten Gebrauch anzuleiten. Dies schließt vereinzelte Äußerungen über den falschen Umgang mit ihnen ein. So fordert er in § 15 dazu auf, nicht das zu begehren (ἐρῶντας), was der individuellen Seele nicht zukommt. Dabei ist im Horizont von § 20 an die körperlichen und äußerlichen Dinge zu denken, an denen Laban hängt. Sie fallen in den Bereich dessen, was für Seneca und Epiktet nicht das Unsere ist. Dass sich die Externa zu einer Gefährdung für die Seele auswachsen können, ist, wie angedeutet, eine Folge des falschen Umgangs mit den durch sie hervorgerufenen Vorstellungen. Dass diese sich einstellen, ist unvermeidlich, dass sie von der beurteilenden Vernunft in einer Weise zugelassen werden, dass sich das Begehren auf die falschen Gegenstände richtet, ist ihrem falschen Gebrauch anzulasten. Wie sie dagegen recht zu gebrauchen sind, erläutert Philo in § 16f. Die durch die Sinne hervorgerufenen Vorstellungen sind, wie Philo mit den Stoikern vertritt, dazu angetan, Menschen ins Unglück zu stürzen114. Deshalb soll der Mensch vor ihnen fliehen und sich auf diese Weise retten (§ 17). Wie man sich den Vorstellungen entziehen soll, erläutert Philo mit Hilfe der stoischen Psychologie. Allgemein formuliert, fordert er dazu auf, die unerwünschte Vorstellung (§ 16) bzw. den dem Denkvermögen erschienenen, aber zu meidenden Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung (τὸ φανὲν αἰσθητόν; § 17) zurückzuweisen. Dies soll in der Weise vonstattengehen, dass die grundlegenden Elemente der Übung nicht auf solch unerwünschten Vorstellungen angewendet werden, das heißt konkret, sie nicht dem Denken mitzuteilen (ἀναγγέλλειν), nicht über sie nachzudenken (ἐπιλογίζομαι), sich nicht an sie zu erinnern (ὑπόμνησις κτλ) bzw. sie nicht wiederzubetrachten (ἀναπολεῖν). Ziel ist es zu vermeiden, dass die unliebsamen Vorstellungen im Denken Abdrücke hinterlassen, die sich bei Gelegenheit wieder melden und 113  Vgl. auch Kahn, Connais-toi, 302: „Les exercises ascétique d’un Jacob-Israël ont pour but d’harmoniser notre personnalité humaine naturelle avec cet épiphénomène qu’est l’inspiration divine. Il s’agit certe de détruire ou d’amoindrir ou d’humilier tout ce qui, en nous, serait rebelle à cette sorte de ‚visitation‘ de l’inspiration divine“. Zum Ganzen s. auch unten Kap. 7.3. 114 Vgl. πταίειν in § 16 und κακοδαιμονῇς in § 17. Vgl. auch Epiktet, Encheir 2,1, mit dem geballten Gebrauch von ἀποτυγχάνω, ἀτυχής κτλ und δυστυχής κτλ.

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den Geist beunruhigen.115 Der Umgang mit den Vorstellungen und mit dem Antrieb wird von der leitenden Vernunft gesteuert, die Philo in § 16f. in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch der Stoa mit den Begriffen διάνοια und λογισμός bezeichnet.116 Was die Verwendung des Begriffs ὁρμάω anbelangt, so bleibt Philo in § 16– 18 im rein Deskriptiven. Er verwendet ihn zweimal im Zitat von Gen 31,21 (§ 16.19) und zweimal in der Paraphrase des Textes (§ 17f.). Gleichwohl ist unverkennbar, dass er das biblische ὥρμησε(ν) im Sinne der stoischen ὁρμή gebraucht, sofern sie die Bewegung von der Vorstellung zum Handeln markiert: Dank der leitenden Vernunft verweigert die Seele die Meditation der durch die Sinneswahrnehmung entstandenen Vorstellungen und eilt los. So speist sich das, was Philo hier anhand von Gen 31,20f. entfaltet, ganz aus der stoischen Tradition. Die Texte dazu sind Legion, so dass im Folgenden nur einige für Leg 3 besonders sprechende Aussagen von Stoikern, aber auch von Philo selbst aufgeführt werden können. Der ca. 100 v. Chr. schreibende griechische Doxograph Aëtios zitiert die Stoiker mit einer Aussage, die die verschiedenen, in Leg 3,16–18 entweder explizit gebrauchten oder implizit vorausgesetzten Begriffe und Vorstellungen in großer Verdichtung auf den Punkt bringt: „Die Stoiker sagen, das Führungsvermögen sei der oberste Teil der Seele, welcher die Vorstellungen, Zustimmungen, Sinneswahrnehmungen und Antriebe bewirkt. Sie bezeichnen es auch als Denkvermögen“.117

Ein von Cicero zitiertes Panaitios-Fragment bestätigt die Grundaussage des Stoiker-Zitates von Aëtios vom Primat des Denkens gegenüber dem zum Handeln drängenden Antrieb der Sache nach, fasst das Verhältnis von Denken und Handeln aber präziser: „Die Bewegungen der Seele sind von zweierlei Art: die einen gehören zum Denken (cogitationis), die anderen zum Streben (appetitus). Das Denken befasst sich in erster Linie mit der Erforschung des Wahren (in vero exquirendo), während das Streben 115  Es geht Philo hier also ausschließlich darum, bestimmte Vorstellungen zurückzuweisen und ihnen die Zustimmung zu verweigern, damit Begehren und Antrieb sich nicht den Gegenständen zuwenden, die von der Vernunft, die das Gute will und das Schlechte zu vermeiden sucht, negativ beurteilt werden. 116  Dazu s. o. Kap. 7.1.2, Anm. 6. Wenn Philo in § 16f. das Denkvermögen als Subjekt und Objekt beschreibt – als Objekt kann es beschädigt, zerstört, überwältigt und unterdrückt werden, als Subjekt, das den Umgang mit den Sinneseindrücken steuert, soll es eben dies verhindern –, dann reflektiert sich darin die Möglichkeit der „Selbstverkehrung des Logos bzw. des Hegemonikon“ (Forschner, Ethik, 122 [tw. kurs.]; zum Ganzen vgl. ebd., 122f.). 117  SVF 2,836 = Long/Sedley, Philosophen, 376 (53H): οἱ Στωϊκοί φασιν εἶναι τῆς ψυχῆς ἀνώτατον μέρος τὸ ἡγεμονικόν, τὸ ποιοῦν τὰς φαντασίας και συγκαταθέσεις καὶ αἰσθήσεις καὶ ὁρμάς· καὶ τοῦτο λογισμὸν καλοῦσιν. Zum Ganzen s. auch oben Kap. 6 mit Anm. 29.

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zum Handeln (ad agendam) antreibt. Es ist also dafür Sorge zu tragen, dass wir das Denken für die bestmöglichen Sachen gebrauchen und das Streben der Vernunft (rationi) gehorsam machen“.118

Für die vorphilonische Stoa ist schließlich auf eine auf Chrysipp zurückgehende Aussage zu verweisen, welche die in Zustimmung und Antrieb sich äußernde Seelentätigkeit naturphilosophisch bestimmt: „(Nach Chrysipp und anderen Stoikern) hat jedes Seiende, was entstanden ist, etwas, das ihm vom Fatum verliehen ist. Wie es dem Wasser gegeben ist, kühl zu sein, … so ist es auch dem Lebewesen gegeben, zuzustimmen und Antriebe zu haben“.119

Ähnlich grundsätzliche Bestimmungen der Seelentätigkeit finden sich auch bei Philo selbst. Zwei mit Blick auf Leg 3,16–18 besonders wichtige Formulierungen finden sich in Deus 41–44 und Leg 1,30.120 Sie enthalten die Begriffe und Vorstellungen, die Philo in seiner Deutung von Gen 31,20f. auf die Seele des Übenden verwendet. Zugleich weisen sie auf Aussagen früher Stoiker zurück. Beide Texte setzen wie die eben zitierte Aussage Chrysipps naturphilosophisch ein. In Deus 41–44 heißt es: „41 Die Seele aber schuf der Schöpfer so, dass sie in dreierlei (Hinsicht) von der Natur verschieden ist, (nämlich) in der sinnlichen Wahrnehmung (αἰσθήσει), in der Vorstellung (φαντασίᾳ) und im Antrieb (ὁρμῇ). Denn die Pflanzen sind ohne Antrieb, ohne Vorstellung und haben keine sinnliche Wahrnehmung, jedes aber von den Lebewesen hat an (allen) genannten (Größen) Anteil. 42 ‚Sinnliche Wahrnehmung‘ nun, die, wie es (ihr) Name doch wohl beweist, gewissermaßen ein Hineinstellen (εἴσθεσις) ist, führt die Erscheinungen (τὰ φανέντα) dem Geist (τῷ νῷ) zu. Denn weil er ja eine sehr große und allumfassende Schatzkammer ist, wird in diesem alles, was durch das Sehen, Hören und die anderen Sinnesorgane eingestellt wird, (dort) auch aufbewahrt. 43 ‚Vorstellung‘ aber ist eine Prägung (τύπωσις) in der Seele. Denn von dem, was ein jeder der Sinne herbeigeführt hat, drückt sie wie ein Ring oder ein Siegel das zugehörige Gepräge (οἰκεῖον χαρακτῆρα) auf. Dem Wachs121 gleich aber nimmt der Geist den Abdruck (ἐκμαγεῖον) genau auf und bewahrt (ihn) bei sich, bis Vergesslichkeit, die Gegnerin der Erinnerung, das Gepräge (τύπον) einebnet und unkenntlich macht oder ganz zum Verschwinden bringt. 44 Das aber, was sich (dem Geist) gezeigt und ihm (ein Bild) eingeprägt hat, versetzt die Seele bald in eine geneigte (Stimmung), bald aber in die entgegengesetzte. Diese Empfindung (πάθος) aber wird Antrieb genannt, den man, (ihn) definierend, als die erste Bewegung (κίνησιν) der Seele bezeichnet hat.“122 118 Cicero,

Off 1,132 = Long/Sedley, Philosophen, 377 (53J). bei dem um 400 n.Chr. schreibenden Bischof Nemesios; vgl. SVF 2,991 = Long/Sedley, Philosophen, 378 (530): ὡς τῷ ὕδατι τὸ ψύχειν … οὕτω καὶ τῷ ζῴῳ τὸ συγκατατίθεσθαι καὶ ὁρμᾶν. 120  Dazu vgl. auch Bousset, Schulbetrieb, 75f. 121  Zur Rede vom Wachs vgl. Graver, Action, 259. 122  Zur Rede von der ersten Bewegung vgl. PCHAT, 3 82, Anm. 1. 119  Überliefert

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In Leg 1,30 setzt Philo ganz ähnlich ein wie in Deus und bestimmt auch die ‚Vorstellung‘ im Wesentlichen wie dort. Er verdeutlicht hier aber die Wirkweise des Antriebs. Der Text lautet: „Denn das Lebewesen zeichnet sich gegenüber dem Leblosen durch zweierlei aus, durch Vorstellung und Antrieb. Die Vorstellung bildet sich durch den Zutritt dessen, was außerhalb (τοῦ ἐκτός) von uns ist und vermittels der Sinneswahrnehmung im Geist einen Eindruck erzeugt (τυποῦντος). Hingegen entsteht der Antrieb, der Bruder der Vorstellung, durch die Kraft des Geistes zur Ausdehnung (τὴν τοῦ νοῦ τονικὴν δύναμιν); wenn er diese Kraft durch die Sinneswahrnehmung anspannt, setzt er sich mit dem Gegenstand in Kontakt (ἅπτεται) und bewegt sich (χωρεῖ ) zu ihm hin mit der Sehnsucht, bei ihm anzulangen (ἐφικέσθαι) und ihn zu erfassen (συλλαβεῖν)“.123

Die beiden philonischen Texte reflektieren in hohem Maße Gedankengut der frühen Stoiker. Der Anfang von Leg 1,30 erscheint fast wie ein Zitat der oben angeführten naturphilosophischen Bestimmung Chrysipps, Deus 41 reflektiert dieselbe Vorstellung in der angeführten Form. Die Bestimmung des νοῦς als einer fast unbegrenzten Schatzkammer, die die zu Vorstellungen geronnenen sinnlichen Wahrnehmungen aufnimmt, ist stoisches Gemeingut. So bestimmt Long den Geist als „a receptor which is constantly being occupied by a sequence of representations“.124 Die Bestimmung der Vorstellung als einer in der Seele vorgenommenen Prägung geht auf Zeno zurück.125 Die Unterscheidung zweier gegenläufiger Antriebe findet sich bei Chrysipp, der zwischen ὁρμή und ἀφορμή unterscheidet. Den Antrieb definiert er, wie gesehen, als „die Vernunft des Menschen, die ihm zu handeln befiehlt“, die ἀφορμή als „die Vernunft, wie sie verbietet“.126 Schließlich handelt es sich auch bei dem Gedanken der ‚Kraft zur Ausdehnung‘ um stoisches Gedankengut.127 Philo erweist sich danach als ein exzellenter Kenner der stoischen Psychologie. Die Grundzüge dessen, was er hier in seinen theoretischen Aussagen über die φαντασία und die ὁρμή formuliert, spiegeln sich auch in Leg 3,16f. wider. Hier betont er allerdings die Notwendigkeit, den λογισμός bzw. die διάνοια von schädlichen Vorstellungen freizuhalten, um ihn nicht zum Schuttplatz verkommen zu lassen. Weil sich die unerwünschten Vorstellungen in den Geist eingraben können, geht es Philo zufolge darum, ihr Eindringen zu verhindern, damit sich der Antrieb erst gar nicht auf die verlockenden 123 Übersetzung

Long/Sedley, Philosophen, 378 (53P). Long, Representation, 272. 125  φαντασία δέ ἐστι τύπωσις ἐν ψυχῇ (Deus 43); vgl. dazu SVF 1,58: ὅταν λέγῃ ὁ Ζήνων φαντασίαν εἶναι τύπωσιν ἐν ψυχῇ, ἀκουστέον. 126  SVF 3,175 = Long/Sedley, Philosophen, 378, (53R): …ἡ ὁρμή … τοῦ ἀνθρώπου λόγος ἐστὶ προστακτικὸς αὐτῷ τοῦ ποιεῖν… οὐκοῦν καὶ ἡ ἀφορμὴ λόγος ἀπαγορευτικός. 127 Vgl. Bousset, Schulbetrieb, 75. 124 

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Gegenstände hinbewegt. Die ὁρμή, wie Philo sie hier fasst, zeigt sich deshalb als ἀφορμή, nämlich als die Vernunft, die das in den Vorstellungen angelegte Handeln verbietet und deshalb zur Flucht vor ihnen drängt. Damit geht es Philo in Leg 3, modern ausgedrückt, um so etwas wie ‚Seelenhygiene‘. Er bewegt sich damit in einem ähnlichen geistigen Horizont wie Epiktet, der sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt, wie sich der Mensch von unerwünschten Vorstellungen lösen kann. Auch ihm geht es darum zu verhindern, dass schlechte Vorstellungen vom νοῦς Besitz ergreifen und ihn dorthin treiben, wo sie ihn haben wollen. Stattdessen ist der ersten (schlechten) Vorstellung „eine schöne und edle Vorstellung (καλὴν καὶ γενναίαν φαντασίαν)“ entgegenzustellen und die schmutzige (ῥυπαράν) hinauszuwerfen (ἔκβαλε).128 7.2.5 Die Erlangung der Freiheit durch den rechten Gebrauch der Vorstellungen Von den vier in dem Aëtios-Zitat erwähnten Entitäten, die die leitende Vernunft, das ἡγεμονικόν, bewirkt, nämlich Vorstellungen, Zustimmungen, Sinneswahrnehmungen und Antriebe, erwähnt Philo in Deus und Leg 1 nur die Zustimmungen nicht explizit. Die Zustimmung kommt zwischen Vorstellung und Antrieb zu stehen. Ohne sie gibt es den Stoikern, namentlich Chrysipp und Antipater, zufolge kein Handeln und keinen Antrieb (μήτε πράττειν μήθ’ ὁρμᾶν ἀσυγκαταθέτως). Sie halten es für „Unsinn“ und „leere Hypothesen“, wenn die Akademiker behaupten, „dass, wenn sich eine eigentümliche Vorstellung (οἰκείας φαντασίας) einstellt, der Antrieb ihr sofort folgt, ohne dass die Menschen der Vorstellung zunächst stattgeben oder zustimmen (εὐθὺς ὁρμᾶν μὴ εἴξαντας μηδὲ συγκαταθεμένους)“.129

Die Zustimmung aber impliziert „(i)n nuce …, mit der Wahrheit, der Wünschbarkeit usw. des Sachverhalts, den eine Vorstellung zum Inhalt hat, ‚mitzugehen‘, oder ‚sich darauf zu verpflichten‘, und die Fähigkeit, von diesem Mitgehen oder sich Verpflichten Abstand zu nehmen“.130 128  Vgl.

Diss 2,18.23–26, Zitat § 25; s. ferner Encheir 34, wo Epiktet dazu auffordert, sich davor zu hüten, von einer lustvollen Vorstellung (ἡδονῆς τινὸς φαντασίαν) mitgerissen zu werden. Die Beeinflussung des Charakters des Geistes durch die Art der Vorstellungen thematisiert auch Marc Aurel, Wege 5, 16: „Wie du dir häufig Vorstellungen bildest (φαντασθῇς), so wird deine Denkkraft (διάνοια) sein; denn die Seele wird von den Vorstellungen gefärbt“ bzw. in einer etwas freieren Übersetzung: „Your mind will be just like the repetition of your representations; for the soul is couloured by its representations“ (so die Wiedergabe von Long, Representation, 277). Zum Ganzen vgl. ebd., 277–281, bes. 279. 129  SVF 3,177 = Long/Sedley, Philosophen, 379 (53S). 130  Long/Sedley, Philosophen, 384.

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Die Zustimmung impliziert m. a. W. das Moment der Wahl. Philo handelt davon explizit in Leg 3,17. Indem die von nicht wünschenswerten Vorstellungen betroffene Seele diesen die Zustimmung verweigert, verweigert sie zugleich die Kontaktaufnahme mit dem vorgestellten Gegenstand. Sie wählt also zwischen zwei Optionen, nämlich ὁρμή und ἀφορμή. Indem sie sich für letztere entscheidet, ‚zieht‘ sie, wie Philo sagt, zugleich die Freiheit der Knechtschaft der Sinnenwelt ‚vor‘ (προκρίνουσα). Umgekehrt verhält sich nach § 20 Laban. Er beurteilt die körperlichen und äußerlichen Dinge als Güter (ἀγαθὰ κρίνοντι), stimmt den durch sie hervorgerufenen Vorstellungen also zu, und wählt damit, ohne dass Philo dies explizit sagen würde, die Knechtschaft anstelle der Freiheit.131 Auch der Gedanke der Wahl zwischen Knechtschaft und Freiheit, die sich im Gebrauch der Vorstellungen manifestiert, ist in der stoischen Psychologie ebenso verankert wie die Zustimmung. In der stoischen Tradition spielt dieser in Leg 3 nur knapp angedeutete Zusammenhang vor allem bei Epiktet eine zentrale Rolle. Ein erster Aspekt erhellt aus Diss 3,22.42f., wo er auf den Einwand seiner Gesprächspartner hin, er besitze nichts, was frei (ἐλεύθερον) ist, deutlich zu machen sucht, dass der Mensch im Gebrauch der Vorstellungen, und das heißt im Akt des Wählens, frei ist. „42 Und wer kann euch zwingen, dem zuzustimmen (συγκαταθέσθαι), was Lüge zu sein scheint? Keiner. Wer aber [kann euch zwingen], dem nicht zuzustimmen, was Wahrheit zu sein scheint? Keiner. Hier seht ihr also, dass es in euch etwas seiner Natur nach Freies gibt (ὅτι ἔστι τι ἐν ὑμῖν ἐλεύθερον φύσει). 43 Aber zu begehren oder eine Aversion zu haben (ὀρέγεσθαι δ’ ἢ ἐκκλίνειν), einen Antrieb zu haben oder (etwas) zurückzuweisen (ὁρμᾶν ἢ ἀφορμᾶν)132, sich (auf etwas) vorzubereiten oder sich (etwas) vorzunehmen (παρασκευάζεσθαι ἢ προτίθεσθαι), wer von euch vermag [dies], ohne [zuvor] eine Vorstellung (φαντασίαν) dessen, was vorteilhaft oder was unziemlich ist, aufgenommen zu haben? Keiner. Also habt ihr auch darin etwas Ungehindertes und Freies (ἀκώλυτόν τι καὶ ἐλεύθερον).“

Auch wenn Epiktet den Begriff des Wählens hier nicht gebraucht, so ist doch deutlich, dass es ihm eben darum geht. Die Freiheit des Menschen besteht im 131  Ähnlich werden Sklaverei und Freiheit auch in Prob 17f.22 bestimmt. Sie bemessen sich, wie Philo in Übereinstimmung mit der stoischen Tradition formuliert, an der Haltung gegenüber den Leidenschaften einerseits und den äußeren Dingen wie der Liebe zu Geld und Ruhm sowie der Vergnügungssucht andererseits. 132  PLCL übersetzt „to choose or to refuse“.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

Wählen zwischen den mit den Vorstellungen gegebenen Alternativen. „We, our essential selves, are our volitions. In that domain, and only in that domain, we have the possibility of freedom“.133 Der Mensch kann das moralisch Gute wählen und das Schlechte zurückweisen und umgekehrt. Freiheit ist damit zugleich die Möglichkeit, gut oder schlecht zu sein134, zu wählen. Der Vergleichspunkt des Epiktet-Textes mit Philo liegt im Gegenstand des Wählens, nämlich der ὁρμή und ἀφορμή vorausgehenden Vorstellungen. Anders als Epiktet in Diss 3,22 sieht Philo die Freiheit in Leg 3 aber nicht im Akt des Wählens selbst, sondern im Ergebnis der richtigen Wahl. Aber auch dieses Verständnis der Freiheit findet sich bei Epiktet. Besonders deutlich zeigt sich dies in Diss 3,24.67–71, wo er ausgehend von einer dem Kyniker Diogenes zugeschriebenen Tradition135 erläutert, was Freiheit ist und wie sie erlangt wird. „67 ‚Von der Zeit an, da mich Antisthenes frei ließ (ἠλευθέρωσεν)136, war ich kein Sklave mehr (οὐκέτι ἐδούλευσα).‘ 68 Wie hat er ihn befreit? Höre, was er sagt: ‚Er lehrte mich, was das Meine (τὰ ἐμά) ist und was nicht das Meine. Besitz ist nicht meines. Verwandte, Familie, Freunde, Ruf, vertraute Orte, Gespräch: dies alles sind fremde Dinge (ἀλλότρια). 69 ›Was ist dann deines (σόν)? Der (richtige) Gebrauch der Vorstellungen (χρῆσις φαντασιῶν).‹ Er zeigte mir, dass ich (über) diesen (Gebrauch) ungehindert und ohne (jeden) Zwang (verfüge). Keiner kann (mich) aufhalten, keiner (mich) nötigen, (die Vorstellungen) anders zu gebrauchen als ich will. 70 Wer also hat noch Macht (ἐξουσίαν) über mich? Philipp oder Alexander oder Perdikkas oder der große König (sc. von Persien137)? Woher (sollten) sie (die Macht haben)? Denn derjenige, der von einem Menschen überwältigt werden (ἡττᾶσθαι) soll, muss (schon) viel früher von den Dingen überwältigt worden sein.‘ 71 Derjenige also, über den Lust (ἡδονή) keine Macht hat, Leiden nicht, Ruhm nicht, Reichtum nicht, der aber, wenn es ihm gefällt, sein ganzes elendes Leibchen vor jemandem ausspeien und (aus der Welt) scheiden kann, ist dieser (nun) noch jemandes Sklave, (noch) jemandem untertan?“

Für Diogenes besteht Sklaverei darin, sich von Menschen und äußeren Dingen überwältigen zu lassen (§ 68.70), Freiheit dagegen im unabhängigen Gebrauch der Vorstellungen (§ 69). Anders gesagt, verbindet sich Knechtschaft 133 

Long, Epictetus, 29. Vgl. auch ebd., 217: „The natural or proper condition of prohairesis, then, is complete autonomy“. Vgl. auch Forschner, Theorie, 100f. 134 Vgl. Hadot, Burg, 176. – Trotz der Übereinstimmungen zwischen Philo und Epiktet in der Frage des Wählens ist nicht zu übersehen, dass das für Epiktet grundlegende Konzept der προαίρεσις äußerst komplex ist und viele Aspekte umfasst, die sich bei Philo nicht finden; zur προαίρεσις vgl. bes. Long, Epictetus, 210–220, sowie oben Kap. 6. 135  Zum Problem der Diogenes-Überlieferung vgl. Dörrie, Diogenes, 48f. 136 Antisthenes „set Diogenes free (symbolically) by his teaching“ (Hard/Gill, Epictetus, 336, Anm. z.St.). 137 Vgl. Oldfather, Epictetus, 2 206, Anm. 2.

Kapitel 7: Rezeption und Abweisung stoischer Vorstellungen

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mit allem Fremden und Äußeren, Freiheit dagegen mit dem, was in den eigenen Machtbereich fällt. Wenn Epiktet in seiner Zusammenfassung von Diogenes mit Ruhm und Reichtum zwei äußere Güter nennt (§ 71), dann knüpft er an dessen Bestimmung des Fremden an. Zugleich aber geht er über Diogenes hinaus, wenn er den Bereich, der der Knechtschaft unterliegt, um die Affekte ergänzt138, für die er stellvertretend auf die beiden gegensätzlichen πάθη von Lust und Leiden verweist. Freiheit ist für ihn damit negativ die Freiheit, all diesen Dingen keine Macht über sich einzuräumen, und positiv die Freiheit, über das Eigene zu verfügen. Das Verhältnis der Seele zu den äußeren Gütern und den Leidenschaften ist es auch, das Philo in Leg 3,15–22 in den Horizont von Freiheit und Sklaverei stellt. Insofern gilt auch für Philos Freiheitsverständnis das, was A.A. Long für Epiktet formuliert: „The freedom that interests Epictetus is entirely psychological and attitudinal. It is freedom from being constrained or impeded by any external circumstance or emotional reaction“.139 Die voranstehenden Analysen lassen keinen Zweifel daran zu, dass sich Philos Ausführungen in Leg 3,15–22 weitgehend aus stoischer Philosophie speisen. Seine Schriftgrundlage dafür ist Gen 31,20f., wo er mit ‚Laban‘ und ὥρμησεν die beiden Schlüsselbegriffe für seine Auslegung findet. Die Charakterisierung Labans als Syrers erlaubt ihm in Verbindung mit seinem Verständnis Jakobs als des paradigmatisch Übenden und Fliehenden die Unterscheidung der Zeiten der Übung von denen der Flucht. Kongruieren aus seiner Sicht so die stoische Seelenlehre und die tiefere Bedeutung der Schrift, so transzendiert er die stoische Weltsicht zugleich, indem er sie in einen theologischen Horizont stellt, wie im Folgenden zu zeigen ist.

138 

Vgl. dazu Forschner, Theorie, 109f. Epictetus, 27. – Bobzien, Determinism, 342–343, zufolge ist der spezifische Beitrag Epiktets zum Freiheitsgedanken dessen Verbindung mit der Vorstellung des ἐφ’ ἡμῖν (zum Ganzen vgl. Kap. 8); s. ähnlich Dragona-Monachou, Epictetus, 114. Dieser Aspekt ist daher bei Philo nicht zu erwarten (dazu s. u. zu Leg 4). In Diss 3,24 wird dieser terminus technicus nicht verwendet, der damit verbundene Gedanke ist aber in der Rede von τὰ ἐμά und σόν vorbereitet (s. ähnlich bereits Seneca, Ep 82,5f.). Die von Epiktet vorgenommene Verbindung ist daher keine radikale Neuerung, sondern eher eine begrifflich-konzeptionelle Weiterentwicklung. In Encheir 1,1–3 werden alle relevanten Begriffe gebraucht. § 1 beginnt mit der Aussage: „Von den Dingen, die es gibt, sind die (einen) in unserer Macht (ἐφ’ ἡμῖν), die (anderen) dagegen nicht in unserer Macht (οὐκ ἐφ’ ἡμῖν)“ (§ 1f. ist oben, Kap. 7.2.3, vollständig wiedergegeben). § 3 lautet: „Denke also daran, dass du, wenn du das, was von Natur aus versklavt (δοῦλα) ist, für frei (ἐλεύθερα) hältst und das Fremde für das Eigene (τὰ ἀλλότρια ἴδια), du in Fesseln sein wirst, …, wenn du aber meinst, dass das Deine (τὸ σόν) allein deines (σόν) ist, das Fremde aber, was es (tatsächlich) ist, Fremdes ist, wird dich keiner jemals zwingen …“ 139 Vgl. Long,

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

7.2.6 Das Handeln Gottes im Kontext des Gebrauchs der Vorstellungen und der Überwindung der Leidenschaften als philonisches Spezifikum Philo reflektiert auf den Beitrag Gottes bei der Überwindung der Leidenschaften am Ende seiner Auslegung von Gen 31,20f. einerseits und von Gen 35,4 andererseits. In § 19 liegt der Schwerpunkt der Auslegung des letzten Satzgliedes von Gen 31,20f. nicht länger auf ὥρμησεν, sondern auf ‚Gilead‘. In dem hebräischen Lexem ‫ גלעד‬erkennt Philo die Verbindung von ‫גלה‬, das heißt ‚verbannen‘, und ‫עד‬, das heißt ‚Zeugnis‘.140 Mit der Verlagerung des Auslegungsschwerpunktes verbindet sich zugleich ein Subjektwechsel. Im Blick ist nun anders als in § 17f. nicht länger der loseilende Jakob, sondern Gott, der die Seele von den Leidenschaften befreit, indem er sie weg von den Übeln hin zum erhabenen Ort der Tugend führt. Die griechische Begrifflichkeit, die Philo hierfür verwendet, ist τὴν ψυχήν … προάγοντος. Damit spielt er vermutlich auf die in der griechischen philosophischen Tradition begegnende Vorstellung der Seelenleitung an.141 In der hellenistischen und kaiserzeitlichen Philosophie vollzieht sich die Seelenleitung konkret „in diesem ständigen Memorieren und inneren Bereitstellen philosophischer Grunddogmen“.142 Was in der Stoa und anderen Schulen die Philosophie und hier speziell die Übung leistet, wird von Philo für Gott beansprucht: Er ist für ihn der therapeutische Seelenleiter.143 Anders als es zunächst den Anschein hat, ist es damit nicht Jakob, der übende Verstand, der sich mittels der Zurückweisung von Vorstellungen aus den Fängen der Leidenschaften befreit, sondern Gott, der die Seele an einen sicheren Ort bringt. Beides steht unvermittelt nebeneinander. Im Rahmen der Philo-Exegese ergibt sich dies daraus, dass Philo in § 16–18 ὥρμησεν auslegt, in § 19 Gilead. Im Sinne Philos ist dies kein Widerspruch. Auch verfolgt er mit § 19 keineswegs die Absicht, die Aussagen von § 16–18 zu relativieren oder aufzuheben. Vielmehr geht es ihm darum, sie zu qualifizieren. Im Rückgriff auf Spec 1,324–345 und im Vorgriff auf Leg 3,23–27.28–31 und ein Fragment aus Leg 4 ist davon auszugehen, dass Philo sich auch hier in Leg 3,19 gegen den philosophischen Überbau der stoischen Konzeption des Umgangs mit den Vorstellungen wendet, dem zufolge die gesamten innersee140 

Vgl. PCHAT, 3 92, Anm. 4. Hadot, Seneca, 7f., die jedoch darauf hinweist, dass der in der älteren griechischen Literatur „gebräuchlich(en)“ Begriff des ψυχαγωγεῖν, der das „Lenken der Seele durch jede Art von Lockung oder Reiz“ bezeichnet, in der antiken Literatur nicht in diesem Sinne verwendet wird. 142 Ebd., 59. 143  Zur Bedeutung der Seelenleitung für die antike Philosophie vgl. etwa Hadot, Seneca. Zum Philosophen als Seelenleiter s. auch oben Anm. 34. 141 Vgl.

Kapitel 7: Rezeption und Abweisung stoischer Vorstellungen

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lischen Prozesse vom vernünftigen Ich gelenkt werden, ohne dass dabei Gott eine Rolle spielen würde. Im Grundsatz ähnlich wie in § 16–19 argumentiert Philo in Leg 3,23–27, wo er nun nicht von Jakob als dem Übenden handelt, sondern von Jakob, dem gottschauenden Israel. Stellt er in § 23 im direkten Anschluss an Gen 35,4 fest, dass Jakob die fremden Götter, nämlich die Leidenschaften, verborgen und vernichtet habe, so präzisiert er in § 27, dass es dazu der Kraft Gottes bedurfte. Gott zeigt der Seele sich und seine Werke und ermöglicht es ihr damit, sich der Schlechtigkeit und der Leidenschaften zu erwehren. So wird Gott für sie zum Retter (σῶτερ). Als solcher ist er das Gegenüber der menschlichen Seele und wird als ‚du‘ angesprochen. Damit ist die in unserem Zusammenhang entscheidende Differenz zwischen Philo und der Stoa benannt. Der Kampf gegen die Leidenschaften und die durch die Sinneswahrnehmung hervorgerufenen, vom Denkvermögen verworfenen Vorstellungen führt bei Philo zu Gott als dem Gegenüber der Seele. Demgegenüber führt diese Auseinandersetzung im Raum stoischen Denkens zum Selbst. An dieses hat der Gott den Menschen verwiesen.144 Das stoische Ich ist also radikal auf sich selbst bezogen. Es soll aus den ihm von der Natur bzw. von dem Gott verliehenen Ressourcen schöpfen. Dabei ist vor allem an die Vernunft zu denken, die, richtig gebraucht, „mit der großen Vernunft der Allnatur zusammenfällt“145, so dass der Mensch bei seinem Rückzug in sein wahres Selbst zugleich auf das Göttliche in sich stößt. Bei diesen Prozessen tritt die Philosophie in ihrer Funktion als Seelenführerin dem Ich unterstützend zur Seite. Die skizzierte stoische Konzeption bringt Marc Aurel in besonderer Verdichtung zum Ausdruck: „… eine Burg (ἀκρόπολις) ist das von Leidenschaften freie Denken (ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια). Denn nichts Festeres (ὀχυρώτερον) besitzt der Mensch. Wer zu ihr Zuflucht nimmt (καταφυγών), wird fortan unbezwingbar sein. Wer das nicht gesehen hat, ist unverständig, wer es aber gesehen hat und nicht Zuflucht (zu ihr) nimmt (μὴ καταφεύγων), verpasst sein Glück (ἀτυχής).“146

Die Differenz zwischen Philo und der Stoa lässt sich demnach auf folgenden Nenner bringen: Während für die Stoiker das eigene Ich der sichere Ort der Zuflucht ist, zielt die Flucht des Menschen bei Philo auf die Begegnung mit Gott als einer von ihm unabhängigen Wirklichkeit (Leg 3,12–14.27) und setzt auf Gott als Seelenleiter (§ 19). Die analysierten Unterabschnitte § 11–14.15–19 und § 23–27 münden jeweils in die Formulierung eines dezidiert theologischen Standpunkts. Im 144 

Dazu s. o. Kap. 6 zu Epiktet. Hadot, Burg, 172. 146  Wege 8,48. 145 

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

Zuge seiner Darlegungen bedient sich Philo ausgehend von Schlüsselbegriffen des biblischen Textes intensiv stoischer Tradition, der er, soweit sie das Verständnis der innerseelischen Prozesse betrifft, folgt. Der Dissenz ist ausschließlich theologischer Art. Philo markiert diesen hier aber nur indirekt, indem er eine kundige Leserschaft mit den erörterten stoischen Begriffen und Vorstellungen auf das stoische Schlüsselkonzept des Selbst verweist und ihm Aussagen zum Handeln Gottes zur Seite stellt. Seinen Erstadressaten, vermutlich die intellektuelle Elite der jüdischen Gemeinde Alexandriens147, wird diese Differenz aber kaum entgangen sein. In der Fortsetzung § 28–31 spitzt Philo die Auseinandersetzung mit der stoisch-philosophischen Tradition dann explizit auf die für ihn programmatische Antithese von Gott und Selbst, Nous des Alls und Nous des Menschen, zu und formuliert seine Gegenposition zum stoischen Denken.

7.3 Zuflucht zu Gott oder zum Selbst. Die philonische Alternative (Leg 3,28–31) Nachdem Philo in Leg 3,11–27 ausgehend von der Aussage Gen 3,8, Adam und Eva hätten sich vor dem Antlitz Gottes verborgen, das als Flucht gedeutete Verbergen des Schlechten und sein Gegenteil, das Sichtbarsein des Weisen, anhand von Mose und Jakob erörtert hat, wendet er sich beginnend mit § 28 der Entfaltung des Schlussteils des Schriftverses: „inmitten des Gehölzes des Gartens“, zu. Hier beschäftigt ihn nun nicht mehr in erster Linie die § 11–27 bestimmende Frage, wovor die Seele fliehen soll, sondern wohin. Die Alternative, die er in dem hier relevanten Abschnitt § 28–31 entfaltet, lautet: Zuflucht zu Gott oder zu sich selbst. „28 Inwiefern also der Schlechte flüchtig (φυγάς) ist und sich vor Gott verbirgt (ἀποκρύπτεται), haben wir gezeigt. Nun aber wollen wir sehen, wo er sich verbirgt. ‚Inmitten des Gehölzes des Gartens‘, sagt (die Schrift; Gen 3,8), das bedeutet mitten im Geist (κατὰ μέσον τὸν νοῦν), der auch selbst in der Mitte gleichsam des Gartens der ganzen Seele ist. Denn derjenige, der von Gott wegläuft (ἀποδιδράσκων θεόν), nimmt Zuflucht zu sich selbst (καταφεύγει εἰς ἑαυτόν). 29 Denn da es zweierlei (Geist) gibt, den Geist des Alls (τοῦ … τῶν ὅλων νοῦ), welcher Gott ist, und den eigenen (τοῦ ἰδίου) (Geist), flieht der eine von (φεύγων ἀπό) dem eigenen (τοῦ καθ’ αὑτόν) (Geist) und nimmt Zuflucht bei dem aller Dinge (καταφεύγει ἐπὶ τὸν συμπάντων) – denn indem er den eigenen Geist (νοῦν τὸν ἴδιον) verlässt, bekennt er, dass das, was sich am menschlichen Geist ausrichtet, nichts ist (μηδὲν εἶναι), schreibt aber alles Gott zu –, der andere wiederum läuft von Gott weg (ἀποδιδράσκων) und sagt, Gott sei die Ursache von nichts (οὐδενός), vielmehr sei er selbst (ἑαυτόν) (die Ursache) von allem Gewordenen.

147 

Dazu s. o. Kap. 4.4.1.

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30 Es wird ja von vielen gesagt, dass alles in der Welt automatisch (ἀπαυτοματίζοντα) ohne einen Lenker (χωρὶς ἡγεμόνος) vonstatten geht, Künste aber und Fertigkeiten, Gesetze, Sitten, Staatseinrichtungen, Rechte des Einzelnen und der Gesamtheit … allein der menschliche Geist (μόνος ὁ ἀνθρώπινος νοῦς) aufgestellt habe. 31 Aber, o Seele, du siehst, den Unterschied der (beiden) Meinungen. Denn die eine verlässt den Einzel(geist), den gewordenen und sterblichen, und wählt sich (ἐπιγράφεται148) in der Tat den ungewordenen und unsterblichen (Geist) des Alls, die andere wiederum weist Gott zurück (ἀποδοκιμάζουσα) und lässt sich irrtümlicherweise zu dem Geist als Bundesgenossen fortreißen (ἐπισπᾶται), der nicht dazu fähig ist, sich selbst zu helfen (ἁυτῷ βοηθῆσαι).“

In § 28 knüpft Philo über § 11–27 hinweg an § 1–10 an, wo er die These vertritt, dass der Schlechte ein Flüchtiger ist. Als Ort seines sich-Verbergens wird nun der eigene, menschliche Geist bestimmt. Von § 15–22 zieht er das Stichwort ἀποδιδράσκω in den neuen Abschnitt hinüber, bezieht es hier aber nicht mehr wie mit Blick auf Jakob auf das – positiv bewertete – Weglaufen von den Leidenschaften, sondern auf das – negativ beurteilte – Weglaufen des Schlechten von Gott. Mit dem Schlechten, der vor Gott flieht, um im eigenen Selbst Zuflucht zu nehmen, nimmt Philo, so scheint es vor dem Hintergrund von § 11–27, den sich in das eigene Selbst zurückziehenden Stoiker in den Blick. In § 29–31 entfaltet Philo die Alternative Zuflucht zu Gott oder Zuflucht zu sich selbst. Er setzt mit der Unterscheidung von zweierlei Gestalten des Geistes ein, dem νοῦς des Alls, den er mit Gott identifiziert, und dem menschlichen Geist. Wie das Folgende zeigt, versteht er die beiden Größen hier strikt antithetisch und formuliert damit zugleich eine Gegenthese zum stoischen Verständnis des νοῦς. Die Stoiker unterscheiden zwar ebenfalls zwischen der Vernunft des Alls und der des Menschen, setzen sie aber anders ins Verhältnis: Für sie ist die menschliche Vernunft ein Fragment der göttlichen149 bzw. der Anteil des Menschen an dem Gott150, der ihm qua Geburt verliehen ist. Die göttliche Vernunft im Menschen fällt m. a. W. mit der menschlichen Vernunft in Eins. Vor diesem Hintergrund ist die philonische Alternative Zuflucht zum Geist aller Dinge, das ist Gott, und Zuflucht zum eigenen Geist, das heißt zum Selbst, als stoakritisches Statement zu beurteilen.151 Mit diesem Rückzug auf das Selbst verbindet sich für Philo eine Selbstvergottung, macht es das Selbst so doch selbst zur Ursache aller Dinge.152 148  Vgl.

LSJ, 628, s. v. ἐπιγράφω, ΙΙΙ.5. s. u. Kap. 8.3 zu Epiktet, Diss 1,14; s. ferner oben Kap. 3.1.1.2.3 zu Det

149  Dazu

86–90. 150  Dazu s. o. Kap. 6. 151  In § 31 bindet Philo diese Alternative an seine Erörterung der Grundfunktionen der Seele in § 16f. zurück, indem er Wahl und Zurückweisung nun auf Gott bezieht. 152  Vgl. § 29f., wo der zu sich selbst fliehende Geist als der Geist gedeutet wird, der Gott als Ursache irgendeines Dings verneint und alles auf sich selbst zurückführt. Ein

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

Für das stoische Gegenüber ist hier noch einmal an den zuletzt zitierten Text von Marc Aurel zu erinnern, der die stoische, von Philo kritisierte Position in besonderer Prägnanz zum Ausdruck bringt:153 Was für den Kaiserphilosophen das Festeste ist, das unverdorbene Denken bzw. der Geist des Menschen, ist für Philo das bloß Menschliche, das im Horizont der von ihm rezipierten platonischen Ontologie das Gewordene und also Sterbliche ist154, das sich deshalb nicht selbst zu helfen vermag, oder, wie er mit einer sich seiner jüdischen Frömmigkeit verdankenden charakteristischen Formulierung sagt: der menschliche Geist, der sich an sich selbst orientiert, ist ein Nichts.155 Als Ort der Zufluchtnahme ist das Selbst darum gänzlich ungeeignet. Dafür kommt für Philo allein Gott in Frage, weil er der ungewordene und unsterbliche Geist des Alls ist, der als solcher tatsächlich die Ursache von allem Gewordenen ist und darum, so die logische Konsequenz, auch allein dazu in der Lage ist, dem Menschen zu helfen. Auch zu diesem Gedanken ist bereits die stoische Alternative sichtbar geworden. Zu erinnern ist hier an den oben zitierten, für die stoische Philosophie des Selbst programmatischen Text aus Ciceros Schrift Tusculanae disputationes, in dem die Philosophie als die „Hilfe (auxilium)“ beschrieben wird, „damit wir selbst uns heilen können“ (3,6). Epiktet geht davon aus, dass das Verderben ebenso wie die Hilfe (βοήθεια) im Menschen selbst (ἔσωθεν) zu suchen sind.156 Deutlicher als in Leg 3,29–31 kann Philo das stoische Konzept des Selbst kaum zurückweisen. Das im Gegenüber dazu entfaltete Ideal der Zuflucht zu Gott als dem Urheber aller Dinge und alleinigen Helfer ist die im corpus philonicum dominante Konzeption, die sich seinem biblisch-jüdischen Denken verdankt.157 Die philonische Absage an ein Kernkonzept der Stoa erweist sich damit als die notwendige Folge seines Gottesglaubens. Aus dieser Perspektive betrachtet, lehrt die stoische Philosophie die Selbsterlösung bzw. Selbstbefreiung des Menschen158, die für Philo mit der Depotenzierung Gottes gleichbedeutend solches Verhalten stellt Philo in Spec 1,324–345 unter das Verdikt der Selbstvergottung; dazu s. o. Kap. 3.1.1.1. 153  S.o. Kap. 7.2.6. 154  Dazu s. o. Kap. 3.1.1.2.2. Bei Plato selbst aber kommt der νοῦς, auch der νοῦς im Menschen, nicht auf der Seite des Gewordenen zu stehen. 155  Dazu s. o. Kap. 3.2.3. Vgl. auch Dillon, Platonists, 143f., dem zufolge es die „Jewish piety“ Philos ist, die „on occasion to a downgrading of the ability of the human intellect (unaided by God’s grace) to comprehend truth“ führt. 156  Zu Ciceros Text s. o. die Einleitung zu Teil 2, zu Epiktet s. Diss 4,9.16 und dazu oben Kap. 6. 157 S. auch Runia, Flight, 22, der hierfür von der „Levitic spirituality“ spricht; dazu s. auch ebd., 17f. 158  Vollenweider, Lebenskunst, 129, hält es „nicht“ für „ratsam, Figuren, die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben – beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterlösung und Gnade – an philosophische Texte, die in

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ist. Er wendet sich damit gegen ein Weltbild, das ohne einen personifizierten Lenker auskommt. Dennoch bleibt die stoische Philosophie für ihn unabdingbar, weil sie einen angemessenen Umgang des Menschen mit den ihn unausweichlich bedrängenden Vorstellungen lehrt. Sie hat für ihn aber nur propädeutischen Charakter; ihr Fehler liegt für ihn darin, dass sie aus einer Etappe der seelischen Prozesse das Ziel macht. Für Philo ist nicht die Gewinnung des Selbst das Ziel des Rückzugs aus den Leidenschaften, dieser ermöglicht vielmehr die Selbstmanifestation Gottes in der Seele, die es dem Menschen erlaubt, seiner Bestimmung gemäß das Gute zu begehren. Dafür sind Mose und Jakob als der Gott schauende Israel Beispiele. Aber auch denen, die aus Übenden noch nicht zu Schauenden geworden sind, tritt nach philonischer Auffassung der biblische Gott helfend zur Seite und führt sie zur Tugend, die ohne diese Hilfe unerreichbar bliebe. Damit stellt Philo der im griechischen Denken tief verankerten Konzeption der Selbstsorge (cura sui) die Sorge Gottes für den Menschen (dei cura hominis) entgegen.159 Ein Fragment aus dem verloren gegangenen vierten Buch von Leg verdichtet brennpunktartig in großer Prägnanz die hier für Philo erörterten Fragestellungen wiederum im Gegenüber zum stoischen Denken, konfiguriert sie dabei aber zugleich neu. Es bestätigt noch einmal die philonische Kritik an der stoischen Konzeption des Selbst. Zugleich aber verdeutlicht das Fragment, warum sich Philo bei aller Kritik gleichwohl die psychologisch-ethische Dimension der stoischen Philosophie des Selbst umfassend angeeignet hat. „1 ‚Siehe‘, sagt [der Gesetzgeber], ‚ich habe die sich widersprechenden (Dinge) vor dich gegeben, das Leben (ζωήν) und den Tod, das Gute und das Übel‘ (Dtn 30,15). ‚Wähle (ἔκλεξαι) das Leben, damit du lebst‘ (v19). ganz anderen Kontexten zu situieren sind, heranzutragen“, und denkt dabei insbesondere an den stoischen Philosophen Epiktet. Wenn Philo den Stoikern „Selbsthilfe“ (Leg 3,31) vorwirft und dem die Zufluchtnahme zu Gott, dessen Handeln er in dem der Auseinandersetzung mit der Stoa gewidmeten Kontext (§ 14) als gnadenhaft bestimmt, antithetisch gegenüberstellt, dann kommt er der von Vollenweider monierten Gegenüberstellung ziemlich nahe. Es kommt, wie gesehen, hinzu, dass Philos Darstellung dem stoischen Selbstverständnis in der Sache, wenn auch nicht im polemischen Ton entspricht. 159  Diese Feststellung gilt trotz der stoischen Lehre von der göttlichen Providenz (πρόνοια), die mit der Menschenfreundlichkeit, Fürsorge und Hilfe des Gottes rechnet; vgl. SVF 2,1126: ἀλλὰ καὶ φιλάνθρωπον καὶ κηδεμονικὸν καὶ ὠφέλιμον προλαμβάνεσθαι καὶ νοεῖσθαι τὸν θεόν (= Long/Sedley, Philosophen, 390 [54K]). Denn, wie Long, Epictetus, 186, gezeigt hat, wird „God’s care for us as individuals … evidenced by his ‚proclamations‘ via our own reason ([Diss] 3.13.12) or internal divinity“. Diese wie­ derum koinzidiert mit dem normativen Selbst (ebd., 187). Damit erweist sich die göttliche Fürsorge in der Stoa als die providentielle Gabe der göttlichen Vernunft an den Menschen. Sie unterscheidet sich damit von der Fürsorge des Gottes Philos für den Menschen grundlegend. Dazu s. auch im Folgenden Kap. 8.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

2 Eine glückliche Sache ist es, nachdem der Schöpfer beides vorgelegt hat, wenn die Seele das Bessere nehmen kann. Glücklicher aber ist es, wenn sie nicht wählt (ἑλέσθαι), sondern der Schöpfer sie an sich zieht (προσάγεσθαι) und bessert. 3 Denn, genau genommen, wählt (αἱρεῖται) der menschliche Geist (νοῦς) das Gute auch nicht durch sich selbst (δι’ ἑαυτοῦ), sondern gemäß der Weisheit (ἐπιφροσύνην) Gottes, der den Würdigen die vortrefflichsten Dinge schenkt (δωρουμένου). 4 Denn zwei Grundsätze sind bei dem Gesetzgeber (zu finden), zum einen, dass Gott alle Dinge nicht wie ein Mensch regiert, zum anderen, dass er wie ein Mensch erzieht und zur Besonnenheit bringt. 5 Wenn er den zweiten (Grundsatz) aufstellt, nämlich(, dass Gott sich) wie ein Mensch (verhält), führt er auch das ein, was in unserer Macht ist (τὸ ἐφ’ ἡμῖν): dass er (sc. der Mensch) fähig ist, etwas zu wissen (γνῶναί τι), zu wollen (βούλεσθαι), zu wählen (ἑλέσθαι) und zu fliehen (φυγεῖν). 6 Wenn er aber den ersten und besseren (ἄμεινον) (Grundsatz aufstellt), dass er nicht wie ein Mensch (handelt), schreibt er die Kräfte und Ursachen aller Dinge Gott zu und überlässt kein Werk dem Gewordenen, sondern erweist es als unfähig, etwas zu wirken (ἄπρακτον), und als erleidend (πάσχον).160 (Dies) aber gibt er zu erkennen, wenn er an anderer Stelle sagt, dass ‚Gott die, die sein sind, erkannt hat und seine Heiligen zu sich gezogen hat (προσηγάγετο)‘ (Num 16,5). 7 Wenn aber Wahl (ἐκλογαί)161 und Zurückweisung (ἀπεκλογαί), genau genommen, von dem einen Urheber vorgenommen werden, was ermahnst du mich (dann), o Gesetzgeber, das Leben oder den Tod zu wählen, als ob ich mit der unbeschränkten Vollmacht des Wählens versehen wäre (αἱρέσεως αὐτοκράτορι)? 8 Er würde (dazu) wohl sagen: Über solche Dinge höre etwas sehr Elementares! Diese Dinge sind denen gesagt, die noch nicht eingeweiht worden sind in die großen Geheimnisse von der Herrschaft und Macht des Ungewordenen (μυστήρια περί τε ἀρχῆς καὶ ἐξουσίας τοῦ ἀγενήτου) und von der gänzlichen Nichtigkeit des Gewordenen (περὶ ἄγαν οὐδενείας τοῦ γενητοῦ).“

Thema des Fragments ist die Frage, ob der Mensch frei ist zu wählen. Philo erörtert sie ausgehend von dem biblischen Grundtext dazu, Dtn 30,15.19 (§ 1), entfaltet sie aber unverkennbar in Auseinandersetzung mit Grundpositionen der Stoa.162 Die Antwort, die er auf die Frage nach der Wahlfreiheit des Menschen gibt, ist äußerst differenziert. In § 2 betont er zunächst den relativen Wert der dem Menschen von Gott verliehenen Freiheit, wählen zu können, und das heißt für ihn vor allem: sich für das Bessere, nämlich das Leben, entscheiden zu können. Dieser von ihm als „glückliche Sache“ charakterisierten Wahl stellt er als „noch glücklichere Sache“ gegenüber, nicht selbst zu wählen, sondern es dem Handeln Gottes 160  Übersetzung des grammatikalisch schwierigen Passus § 5f. in Anlehnung an ­Winston, Logos, 51. – Die griechische Textgrundlage des übersetzten Zusammenhangs findet sich bei Harris, Fragments, 8. Die Nummerierung der Paragraphen geht auf die Vf.in zurück. 161  Der Plural des griechischen Textes kann im Deutschen nicht adäquat wiedergegeben werden. 162  Auf die stoische Kolorierung dieses Fragments verweist auch Winston, Logos, 50.

Kapitel 7: Rezeption und Abweisung stoischer Vorstellungen

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zu überlassen. In § 3 stellt er sodann den illusionären Charakter der Freiheit des Wählens heraus.163 Es ist Philo zufolge ein Trugschluss zu meinen, dass der νοῦς des Menschen bei der Wahl des Guten autonom agiere (δι’ ἑαυτοῦ); diese Wahl verdankt sich vielmehr dem Schöpfer, der, wie oben für Mose und Jakob gesehen, dem menschlichen Geist Einsicht schenkt (δωρουμένου). Demnach liegt nicht nur die „glücklichere Sache“ in der Hand Gottes, sondern in Wirklichkeit auch die „glückliche“ – zumindest wenn die Wahl gut ausgeht –, was aber offenbar vielfach verkannt werde. In § 4 führt Philo die beiden in § 2f. thematisierten Sachverhalte auf die beiden von Mose formulierten Grundsätze des Handelns Gottes zurück, die er in § 5f. entfaltet. In Dtn 30 findet er den Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass Gott sich wie ein Mensch verhält, da er mit seiner Aufforderung, im Rahmen der Wahl zwischen Leben und Tod, Gut und Böse das Leben und also das Gute zu wählen, erzieherisch wirksam wird und wie ein menschlicher Lehrer handelt. Was das Wählen ausmacht, erläutert Philo unter Rückgriff auf griechisch-stoische Vorstellungen. Zum Ausgangspunkt seiner Ausführungen macht er mit τὸ ἐφ’ ἡμῖν den stoischen terminus technicus, der das, was ausschließlich in menschlicher Macht liegt, bezeichnet. Bei Epiktet verbindet sich dies mit dem Thema der προαίρεσις.164 Philo umreißt dies hier nur ganz knapp mit der Nennung einiger zentraler Begriffe, die die grundlegenden Funktionen der menschlichen Vernunft umschreiben, nämlich das Wissen und das Wollen, das Wählen und das Fliehen (§ 5)165 sowie Wahl und Zurückweisung (§ 7). Diese Vollzüge konstituieren nach stoischem Verständnis die Freiheit des Menschen. Der demgegenüber „bessere“ Grundsatz des Mose lautet, dass Gott nicht wie ein Mensch agiert. Hinter diesem Grundsatz verbirgt sich die fundamentale Differenz zwischen Gott und Mensch (§ 6.8). Mose schreibt Gott Allwirksamkeit zu und erweist den Menschen damit zugleich als schlechter163 

Dazu s. auch ebd. Forschner, Theorie, 101, weist darauf hin, dass Epiktet nicht nur den Begriff der προαίρεσις aus der aristotelischen Tradition übernimmt (s. auch oben Kap. 6, Anm. 39), sondern auch die von Aristoteles terminologisierte Formel „‚was bei uns liegt‘“, die er in einen stoisch strukturierten theoretischen Kontext „einfügt“. τὸ ἐφ’ ἡμῖν findet sich aber auch in der Epiktet vorausgehenden stoischen Tradition; dazu s. u. den Exkurs zu ­Winstons Deutung eines Fragments aus Leg 4. 165  Die Begriffe γνῶναι und βούλεσθαι sind gemeingriechisch, das Begriffspaar αἵρεσις und φυγή findet sich in der epikureischen Tradition einerseits und in der Auseinandersetzung mit stoischer Tradition andererseits; vgl. LSJ, 41, s. v. αἵρεσις, B.I.3. Zu φυγή s. auch oben Kap. 7.1.5 zu Epiktet, Diss 3,12.12. Das Begriffspaar ἐκλογαί und ἀπεκλογαί (§ 7) scheint auf die nicht mehr zitierte Fortsetzung von Num 16,5: καὶ οὓς ἐξελέξατο ἑαυτῷ, προσηγάγετο πρὸς ἑαυτόν, zurückzuverweisen (vgl. das Stichwort ἐξελέξατο). In Leg 3,31 drückt Philo es dagegen mit ἐπιγράφεσθαι und ἀποδοκιμάζειν aus. So scheint die Wahl des Begriffspaars durch den biblischen Text beeinflusst. Zugleich aber ist das Wortpaar stoisch belegt; vgl. SVF 3,118f.; 3 Frr DiogBab 44. 164 

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

dings passiv.166 Die Schriftstelle, in der Philo diesen Grundsatz artikuliert findet, ist Num 16,5. Auf den Einwand eines Interlokutors, ob Mose mit Dtn 30 nicht in die Irre führe, wenn er dem Menschen die unbeschränkte Vollmacht des Wählens suggeriere, die er angesichts der Allwirksamkeit Gottes doch gar nicht habe (§ 7), reagiert Philo mit einer hypothetischen Antwort des Gesetzgebers, die auf die unterschiedlichen Adressaten der mosaischen Grundsätze verweist: Der gute Grundsatz richtet sich an die Nichteingeweihten, der bessere an die Eingeweihten. Im weiteren Kontext des corpus philonicum verbindet sich diese Unterscheidung mit der in Leg 3,13 beobachteten Differenzierung zwischen dem oberflächlichen und dem tieferen Denken. Ersteres ist, wie gesehen, für die sich ins Selbst zurückziehenden Stoiker transparent, letzteres für den Gottesfreund und gottschauenden Mose.167 Eine vergleichbare Konstellation liegt auch in dem hier zur Debatte stehenden Fragment aus Leg 4 vor. Im Unterschied zu Leg 3 wird die von den Stoikern und dem stoisierenden Gesetzgeber Mose gleichermaßen vertretene Position hier jedoch nicht negativ bewertet. Sie ist das Gute im Vergleich zum Besseren.168 Mag sich dieser erste Grundsatz dem tieferen Denken auch als illusionär erweisen, so ist er dennoch notwendig. Die Nichteingeweihten müssen nicht wissen, dass ihre Wahl des Guten, die sie als frei glauben, in Wahrheit eine göttliche Gabe ist, mehr noch: dass diese menschliche Aktivität im Horizont des zweiten Grundsatzes als „totally passive and even as non-action“ zu beurteilen ist.169 Für sie kommt es vielmehr darauf an, auf Gott als Lehrer zu hören und die ethische Verantwortung, die sein Gebot, das Gute zu wählen, impliziert, zu übernehmen.170 Die hintergründige, verborgene Wahrheit des besseren Grundsatzes identifiziert Philo mit den „großen Geheimnissen“, die nur die Eingeweihten erfassen.171 Diese Geheimnisse bestehen in den grundlegen166  Der Begriff ist hier in dem Sinne verstanden, dass dem Gewordenen Dinge widerfahren. Dazu s. auch oben Kap. 3.3.1. 167  Dazu s. auch oben Kap. 3.1.1.2.2 zu Leg 3,96–102. 168  Die Hierarchisierung der beiden Positionen in Gut und Besser ist zugleich der Versuch, die beiden für das Werk Philos kennzeichnenden gegensätzlichen Aussagen zur Frage des freien Willens systematisch ins Verhältnis zu setzen. Den freien Willen des Menschen vertritt Philo u. a. in Deus 45–47. Dagegen thematisiert er Gott als Beweger aller Dinge, gerade auch der „Kräfte des Körpers und der Seele“ u. a. in Cher 128; vgl. dazu Dillon, Philo, 228. Zum freien Willen in der Stoa und bei Philo vgl. Radice, Philo, 158–164. 169  Winston, Logos, 50. 170  Bei der von Chrysipp verfochtenen Position, die Zustimmungen in der Freiheit des Menschen zu verankern (dazu s. o. Kap. 7.2.5), geht es darum, die ethische Verantwortlichkeit des Menschen sicherzustellen (vgl. dazu Long/Sedley, Philosophen, 470). So zeigt sich auch hier, dass Philo für den guten, das Wählen betreffenden Grundsatz Moses im Horizont stoischen Denkens argumentiert. 171  Zu einer vergleichbaren Unterscheidung von Vollkommenen und Unvollkom-

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den Erkenntnissen, die, wie im ersten Teil der Untersuchung gezeigt, von den φίλαυτοι verkannt werden, nämlich im Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf, und das heißt: in der Allursächlichkeit Gottes (§ 6) und der Herrschaft und Macht des Ungewordenen (§ 8), deren Korrelat aufseiten des Menschen die Passivität (§ 6) und gänzliche Nichtigkeit des Gewordenen einschließlich des Menschen ist (§ 8). Das Fragment präzisiert damit das Verhältnis Philos zur stoischen Philosophie. Als psychologisch-ethische Theorie172 ist sie für ihn unabdingbar. Sie kongruiert aus seiner Sicht mit dem Gesetz des Mose, wie er es in Leg 4 in Dtn 30,15.19 verdichtet sieht173, und ist für ihn daher ein zentrales Mittel, um die tiefere Bedeutung des Gesetzes ans Licht zu bringen. Exemplarisch dafür steht seine Auslegung von Dtn 30 in § 5.7. Dagegen irrt die stoische Philosophie nach philonischem Verständnis, wenn sie das Selbst zu ihrem ultimativen Gegenstand macht. Damit verschließt sie sich in der Konsequenz dem großen Geheimnis von Gott und Mensch, welches das Zentrum der Philosophie der kaiserzeitlichen Stoa, die Fürsorge für das Selbst, als Illusion erweist: Gott ist die Ursache aller Dinge, auch der richtigen Entschlüsse des Menschen. Wo sich der Stoiker als schlechterdings frei wähnt, beim Wählen dessen, was in den Bereich des ihm vom Fatum174 bzw. den Göttern175 anvertrauten ἐφ’ ἡμῖν fällt, sieht Philo, soweit es die Wahl des Guten betrifft, Gott als die Ursache von allem am Werk. Das aber heißt, dass für ihn der Weg der Tugend ohne göttliche Hilfe nicht zu gehen ist. D. Winston hat das untersuchte philonische Fragment mit Hilfe eines stoischen Textes beleuchtet176, der geeignet ist, das stoische Profil von Leg 4, wie es oben bestimmt worden ist, in Frage zu stellen. In dem von Winston angeführten stoischen Text, für den es auch Parallelen bei Philo gibt177, werden die Stoiker mit folgender Aussage zitiert: „Die Bewegungen unseres Geistes sind nichts anderes als Tätigkeiten (ministeria) der Dekrete des Schicksals (decretum fatalium), wenn anders es notmenen, sich zur Gottesschau Aufschwingenden und Normalmenschen, kleiner Elite und großer Mehrheit, der das Tun des Gesetzes aufgegeben ist, vgl. Holtz, Gott, 406f.445.450.503f. 172  Radice, Philo, 149, Anm. 35, betont zu Recht, dass es in der Stoa „no sharp distinction between psychology, gnoseology and morality“ gebe. 173  Zur stoisierenden Deutung des jüdischen Gesetzes durch Philo, für die die Identifikation des Mosegesetzes mit dem stoischen Naturgesetz grundlegend ist, vgl. Holtz, Gott, 382–386 (mit weiterer Literatur). Sie zeigt sich auch in der Auslegung der Einzelgebote, die er wiederholt im Horizont des Umgangs mit den Leidenschaften o.ä. deutet; vgl. dazu u. a. Spec 1,173.175; 4,113.118. 174  S.o. Anm. 170 zu Chrysipp. 175  Vgl. Epiktet, Diss 1,1.7: „Wie es also angebracht war, legten die Götter nur das mächtigste und wichtigste von allem in unsere Macht, den richtigen Gebrauch der Vorstellungen.“ 176 Vgl. Winston, Logos, 50f. 177  Vgl. Cher 128 und dazu s. o. Kap. 3.3.1 sowie Ebr 107.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

wendig ist, dass (sie) durch uns vollzogen werden, indem das Fatum sie vollzieht (sit agi per nos agente fato)“.178 Stoisch wäre demnach nicht, wie oben behauptet, die Freiheit des Menschen zu wählen, sondern sein Wählen dessen, was das Fatum ihm zuteilt. Die Deutungsschwierigkeiten, die sich hier stellen, sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Frage nach dem Verhältnis von Fatum und freiem Willen, die hier im Hintergrund steht, sowohl bei Philo als auch in der ihm vorausgehenden griechischen Philosophie eine „vexed question“ darstellt.179 In unserem Zusammenhang stellt sie sich in erster Linie mit Blick auf die Stoa. Für diese ist zwar grundsätzlich von der Allmacht des Fatum auszugehen. Die Stoiker, insbesondere Chrysipp, waren sich aber der Aporien bewusst, die ein absoluter Determinismus für die Ethik bedeuten würde, und vertraten darum auch die Freiheit des Menschen zu wählen.180 Cicero hat in seiner Schrift De fato die Position Chrysipps zu der Frage, welche Rolle dem Fatum bei den Zustimmungen, die den Akt des Wählens konstituieren, zukommt, einer eingehenden Analyse unterzogen und sie philosophiegeschichtlich eingeordnet. Dabei sieht er Chrysipp einen „Mittelweg (medium)“ beschreiten zwischen denen, die die Zustimmungen vom Fatum bewirkt sehen – er nennt hier „Demokrit, Heraklit, Empedokles und Aristoteles“ –, und denen, die es davon trennen. Das Wesen des Fatum ist es, dass „sich nichts ohne vorausliegende Ursachen ereignet“ (§ 5). Entsprechend bilden sich Chrysipp zufolge die Zustimmungen aufgrund vorausliegender Ursachen, nämlich der Vorstellungen, die den äußeren Impuls darstellen (§ 8). Die Zustimmungen aber liegen in der Macht des Menschen (nostra … in potestate): „Nachdem sie … den Impuls von außen empfangen hat, wird sie sich von da an mit eigener Kraft und aus ihrer eigenen Natur heraus bewegen (suapte vi et natura)“ (§ 9).181 So bleibt nach Chrysipp trotz deterministischer Vorstellungen die Freiheit des Wählens, die sich mit der Zustimmung verbindet, dennoch gegeben.182 Der stoische Schlüsselbegriff, der sich in Leg 4 ebenso wie in Ciceros Chrysipp-Zitat findet, ist τὸ ἐφ’ ἡμῖν bzw. ‚nostra … in potestate‘. Philo verbindet diesen mit dem Begriff des Wählens, Chrysipp mit den ‚Zustimmungen‘, durch die sich das Wählen vollzieht. Dass Philo hier an prominenter Stelle stoische technische Terminologie verwendet, ist ein deutliches Indiz dafür, dass er mit der mit Gott als Erzieher verbundenen Position die stoische Lehre im Blick hat, das philonische Konzept der Freiheit des Menschen zu wählen somit keineswegs als unstoisch anzusprechen ist. Auch die in den Ausführungen Winstons implizierte These, das stoische Profil von Leg 4 darin zu sehen, dass Gott hinter allem menschlichen Wählen steht, ist wenig wahrscheinlich. Philo würde Gott dann in Analogie zum stoischen Fatum verstehen. Dies ist aber kaum der Fall. So bestimmt er in Somn 2,253 Gott als „freien Willen 178 

SVF 2,943. Dillon, Philo, 228. Zum philonischen Befund s. o. Anm. 168. 180 Vgl. Radice, Philo, 158; s. auch Long/Sedley, Philosophen, 468–470. 181 Cicero, Fat 39–43 (= Long/Sedley, Philosophen, 461f. [62C]). 182  Vgl. auch Long/Sedley, Philosophen, 468: „Nach Ansicht der Stoiker sind Determinismus und moralische Verantwortung nicht bloß kompatibel, sondern setzen sich in Wirklichkeit gegenseitig voraus“. Zum Ganzen vgl. u. a. Jedan, Chrysipp, bes. 154– 157, und Fischer, Seneca, 200–202. 179 

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(ἑκούσιον)“, während die geschaffene Wirklichkeit „Notwendigkeit (ἀνάγκη)“ ist.183 Der transzendente Gott Philos unterliegt nicht dem Gesetz der ‚heimarmene‘.184 Entsprechend ist in Leg 4 die Freiheit Gottes impliziert. Nach § 2f. ist es Gott, der das Wählen an sich zieht bzw. den Würdigen die vortrefflichsten Dinge: hier das Wählen des Guten, schenkt. Wenn der Mensch hingegen das Schlechte wählt, ist Gott nicht aktiv; diese Wahl trifft offenbar allein der Mensch. Damit ist aber zugleich die Freiheit Gottes gewahrt, der die Würdigen beschenkt bzw. die Seinen erkennt und zu sich zieht (§ 6).185 Die Freiheit Gottes besteht m. a. W. in der Betätigung seiner Gnade, die aufseiten des Menschen seine Würdigkeit zur Voraussetzung hat. Mit dem Fatum des von Winston zitierten stoischen Textes hat dies offenkundig nichts zu tun, so dass die Rolle Gottes im Akt menschlichen Wählens zumindest nicht in diesem Sinne stoisch gefasst ist. So ist in dem, was Philo in Leg 4 dem besseren Grundsatz zuweist, spezifisch Stoisches nicht zu erkennen. Dies gilt um so mehr, als die Ausführungen in § 8 in den spezifisch philonischen Gedanken der Wirkmacht Gottes im Gegenüber zur Nichtigkeit des Menschen münden.

183  Wie er anschließend betont, kann der Mensch aber auch zum ἑκούσιον, der mit dem Ungewordenen identifiziert wird, hinübergehen. 184 Vgl. Radice, Philo, 164. 185 § 6 steht Philo damit terminologisch wie sachlich bereits in § 2f. vor Augen. – Zum Problem der Würdigkeit des Menschen bei Philo s. o. Kap. 3.4.1.

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Kapitel 8

Zum Gottesverständnis in der Stoa Als entscheidende Differenzen zwischen Philo und der stoischen Tradition haben sich im voranstehenden Kapitel zum einen das Verständnis des Selbst in seinem Verhältnis zur Gottheit erwiesen, zum anderen das Verständnis der Gottheit selbst. Nun stehen einige Äußerungen von H. Cancik-Lindemaier und H. Cancik in ihrem Beitrag „Senecas Konstruktion des Sapiens. Zur Sakralisierung der Rolle des Weisen im 1. Jh. n. Chr.“1 in Spannung zu der in Kap. 7 vertretenen These von der grundsätzlichen Differenz zwischen dem philonischen und dem stoischen Gottesverständnis. Angesichts dieser Sachlage erscheint es daher notwendig, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Forschungsdiskussion (Kap. 8.1) zentrale Texte Senecas und Epiktets zur Gottesfrage zu analysieren (Kap. 8.2 und Kap. 8.3). Zuvor aber sind die für den Gott Philos auf der Basis von Leg 3,11–27 hervorgetretenen Merkmale in Erinnerung zu rufen. Gott ist es, der der nach dem Schönen sich sehnenden Seele des Mose und des gottschauenden Jakob die Tugend bzw. seine Werke zeigt, der Gnade erweist und der Seele je und je Unterstützung im Kampf mit den Leidenschaften und der Schlechtigkeit gewährt. Er ist es auch, der die Übersiedlung der Seele des übenden Jakob von den Leidenschaften Labans hin zur vollkommenen Tugend vollzieht. Dieser Gott ist ein freies Gegenüber des Menschen, der mit Einzelnen in spezifischer Weise handelt, mit einem Mose anders als mit einem Jakob und mit dem übenden Jakob anders als mit Jakob, dem gottschauenden Israel. Er lässt sich als ein „Du“ ansprechen, das sich einzelnen Menschen als Retter zeigt. Von einer solchen Gottesvorstellung, so die hier vertretene These, unterscheidet sich der Gott der Stoiker in grundsätzlicher Weise.

1 2006; Erstveröffentlichung 1991. Dieser Beitrag ist in der Forschung verschiedentlich rezipiert worden – vgl. bes. Stroumsa, Master, 189.194, Anm. 19, Feldmeier, Volk, 215, von Albrecht, Wort, 138.143.152, Feldmeier, Der Höchste, 31, und Betz, Self-Sufficiency, 101 mit Anm. 44 –, aber nicht zu der hier im Zentrum des Interesses stehenden Frage.

Kapitel 8: Zum Gottesverständnis in der Stoa

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8.1 Zwei forschungsgeschichtliche Deutungsansätze Cancik-Lindemaier/Cancik sehen die Rolle des „‚Weise(n)‘ der Älteren Stoa … nicht priesterlich oder theokratisch konzipiert. Er erreicht ethische Vollendung durch Wissen, Bildung, Übung und Arbeit. Seine Eudaimonie ist hart errungen und, bei aller Frömmigkeit, nicht das Geschenk von Gnade und Erlösung. In der jüngeren Stoa ändert sich die Konstruktion dieser Rolle“. 2

Hier zeige sich die Sakralisierung des Weisen: In seinem Geist (animus) leuchten die vier Kardinaltugenden sowie weitere Tugenden auf, die den Weisen als Schmuck von den Göttern verliehen (adderent) worden seien (Seneca, Ep 115,3). Wenn jemand die schöne Gestalt (pulchram faciem) des Geistes des Weisen sähe, würde er, „wie durch die Erscheinung eines göttlichen Wesens betäubt, innehalten und schweigend beten, … anbeten und kniefällig verehren“. 3 Wenig später heißt es in dem Beitrag: „Der sophos der Älteren Stoa trägt, wie jeder Mensch, etwas Göttliches in sich… (D)as Vernünftige kann erkannt, die Tugend gelehrt, das Glück durch Einsicht und Übung erreicht werden. Tugend und Weisheit werden nicht von den Göttern geschenkt, nicht geoffenbart.“4

Der das Handeln der Götter betreffende Hauptunterschied in der Älteren und Jüngeren Stoa besteht danach in ihrer Rolle als Geber von Tugend und Weisheit. Während diese in der Älteren Stoa durch menschliche Anstrengung erworben werden, sind sie in der Jüngeren spezifische Gaben der Götter. Im Duktus der Argumentation von Cancik-Lindemaier/Cancik sind in diese Differenz Gnade, Erlösung und Offenbarung als Lehren der Jüngeren Stoa eingeschlossen. Im Weiteren heißt es im Gegenüber zur Älteren Stoa sodann, „die Vision des vir bonus bei Seneca“ (Ep 115) zeige, „wie die ethische Konstruktion durch Schau, Erscheinung, Mythos und geistlichen Kult religiös umformuliert, sozusagen sakral aufgeladen wird“. Diese Konstruktion wird sodann anhand der vielzitierten Stelle Ep 41,1f. illustriert. Sie erörtert „den ‚guten Sinn‘ (bona mens), die ‚vollkommene Vernunft‘ (ratio perfecta)“, die mit dem ‚nahen Gott‘ identifiziert wird, von dem in dem von ihnen zitierten Textausschnitt die Rede ist: „nahe bei dir ist der Gott, mit dir ist er, in dir (prope a te deus, tecum est, intus est) … ein heiliger Hauch (sacer spiritus) wohnt in uns … keiner kann ohne Gott ein vir bonus sein: oder könnte irgendjemand über das Schicksal emporsteigen, wenn er nicht von jenem gestützt wird?“5 2 

Cancik-Lindemaier/Cancik, Konstruktion, 313. Ep 115,3 nach der Übersetzung von Cancik-Lindemaier/Cancik, ebd., 314. 4 Ebd., 316. 5 Ebd., 317 (tw. kurs.). 3 

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Cancik-Lindemaier/Cancik sehen in der Bestimmung des Gottes als ‚nahen Gottes bei, mit und in dir‘ eine „Verschärfung alter philosophischer Kultkritik“, da die Vernunft „nicht vom Himmel oder den Göttern“ erbeten werden müsse. Gleichwohl betonen sie, dass die ethische Vollkommenheit hier „von der Hilfe des Gottes abhängig (wird). Damit werden, so scheint uns, ethisches Streben und göttliche Hilfe stärker aufeinander bezogen, als es für die Ältere Stoa nachweisbar ist“.6 Diese Formulierung impliziert im Duktus der Argumentation, dass der Gott einem Teil der Menschheit, den vires boni, zueignet, was er den Vielen nicht zukommen lässt, so dass hier tatsächlich die von dem Forscherpaar für die Ältere Stoa ausgeschlossenen Kategorien der ‚Gnade‘ und des ‚Göttergeschenks‘ zu greifen scheinen, die ein persönlich verstandener Gott den Weisen erzeigt. Damit gäbe es Berührungspunkte zwischen der Jüngeren Stoa und Philo. Freilich ist der von Cancik-Lindemaier/Cancik postulierte Unterschied zwischen der Älteren und der Jüngeren Stoa mit Blick auf Wesen und Funktion der Götter nicht so eindeutig, wie sie suggerieren. Zur Stützung ihrer These verweisen sie auf Plutarch, der die Position der älteren Stoa folgendermaßen zusammenfasst: „‚nicht der Gott gibt (δίδωσιν) den Menschen die Tugend, sondern das Schöne ist selbstgewählt (αὐθαίρετον)‘“.7 Doch setzt bereits Kleanthes, der nach dem Tod Zenos 262 v. Chr. die von diesem gegründete Schule leitete8, in seinem Hymnus an Zeus unverkennbar einen anderen, nämlich personal-theistischen Akzent:9 6 Ebd., 317. Vgl. auch Erler, Hilfe, 394f. mit Anm. 34, der u. a. unter Hinweis auf die mit Ep 41,2 sachverwandte Stelle Ep 73,15 für Seneca mit der Vorstellung einer spezifischen Hilfe der Götter rechnet – ‚er reicht die Hand‘ o.ä. gehört Erler, ebd., 394, zufolge in der griechisch-römischen Tradition seit Homer „in den religiösen Kontext“ – und diese im Weiteren (vgl. u. a. ebd., 389.393) in den Horizont der Gnade stellt. Vgl. dazu auch unten Kap. 8.2 mit Anm. 61. Im Grundsatz ähnlich weist von Albrecht, Wort, 142, vor dem Hintergrund der senecanischen Rede von der Gabe der Entschlüsse durch den Gott darauf hin, dass die Gegenüberstellung von „christliche(r) Erlösung durch Gnade“ und der „sogenannten Selbsterlösung des Stoikers“ differenzierter zu betrachten sei. Damit scheint auch von Albrecht Ep 41 in den Horizont der Gnade zu rücken, betont er doch ebd., 145, ausdrücklich, „daß Seneca die Vorzüge des Weisen auf göttliche Hilfe zurückführt“. Zu vergleichbaren Deutungsansätzen vgl. ferner ­S etaioli, Theology, 388 mit Anm. 74. 7  Vgl. De Stoicorum repugnantiis 1048d (= SVF 3,215), zit. n. Cancik-Lindemaier/Cancik, 316, Anm. 65. 8 Vgl. Inwood, Kleanthes, 499. 9 Vgl. Long, Epictetus, 154: „In Cleanthes’ poem there is no explicit pantheism“. S. auch Algra, Epictetus, 36: „early Stoicism was not as exclusively pantheistic as it is often supposed to be, whereas … the kind of personalistic theism that we may attribute to Epictetus does not appear to have been all that radical or unheard after all“. Zum Befund in der Älteren Stoa vgl. ebd., 36–42, sowie Long, aaO., 147: „Pantheism has often been viewed as incompatible with a theistic or personalist conception of God, but the early Stoics were as committed to the latter as to the former“.

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„Aber du, alles schenkender Zeus der schwarzen Gewitterwolken und des hellleuchtenden Blitzes, errette die Menschen (ἀνθρώπους ῥύου) aus ihrer jammervollen Ignoranz (ἀπειροσύνης). Die verscheuche, Vater, weg von unserer Seele. Gib (δός) uns die Kraft der Erkenntnis (γνώμης), im Vertrauen auf welche du alles mit Gerechtigkeit steuerst.“10

Zeus wird hier als Person, sogar als Vater11, gefasst, der gebeten wird, mit der Einsicht zugleich die Tugend zu geben.12 Er wird hier also auch als Gebender gedacht, der auf menschliches Bitten reagiert oder, was im Kontext des Gebetes immer auch als Möglichkeit in Betracht zu ziehen ist13, nicht reagiert. Dieser Befund scheint eine Kontinuität zwischen Seneca und der älteren Stoa zu implizieren. Nun hat freilich K. Algra die Frage gestellt, ob und in welcher Weise die Bitte um göttliche Hilfe von denen, die den Hymnus als philosophischen Text lesen, wörtlich verstanden werden sollte oder in dem von den früheren Stoikern sonst vertretenen Sinn, dass der Gott die Vernunft als Quelle der Eudämonie und Tugend grundsätzlich gibt.14 Diese Frage stellt sich für die Jüngere Stoa, das heißt hier für Seneca wie für Epiktet, allerdings ganz ähnlich. Darauf deuten auch die Äußerungen A.A. Longs zum Gottesverständnis in der Stoa hin. Er betont durchgängig die Immanenz des Göttlichen, die keinen Raum für einen Gott als helfendes Gegenüber einzelner Menschen lasse. Zudem weist er auf „a number of radical differences“ zu den Gottesvorstellungen der monotheistischen Religionen hin, obwohl auch er – nicht anders als andere Forscher15 – durchaus Berührungspunkte zwischen der theologischen Sprache der Stoiker und dem jüdischen und christlichen Gottesverständnis sieht.16 Für die Unterschiede nennt Long an erster Stelle die „characteristically Stoic identification between God and rational perfection. There is no gap between an ideally wise Stoic and God because the human paragon, by vir10 Kleanthes, Zeus-Hymnus, z32–35, in Anlehnung an die Übersetzung bei Long/ Sedley, Philosophen, 389f. (54I). 11  Algra, Epictetus, 46, zufolge bedeutet das Wort ‚Vater‘ mit Bezug auf den Gott bei den frühen Stoikern einschließlich des Kleanthes: „god has provided us both with life and other external goods – and … reason“. 12  Vgl. dazu Long, Epictetus, 153f. 13  Zum Gebet in der Stoa s. auch unten Kap. 8.3. 14 Vgl. Algra, Epictetus, 45, Anm. 45; vgl. auch ders., Theology, 174–176. S. ferner Hadot, Burg, 223, der mit Bezug auf den Zeus-Hymnus des Kleanthes feststellt, die Vorstellung einer individuellen Vorsehung entspreche dem „Bedürfnis, das Verhältnis zur Welt bzw. Natur zu personalisieren, die Gegenwart, die Güte, die Väterlichkeit Gottes zu spüren“. Die Gestalt des Zeus gebe „der unpersönlichen Kraft des logos, der Natur oder der ersten Ursache gleichsam ein Gesicht“. 15  Vgl. dazu die Überblicke bei Fürst, Seneca, 88–94, Algra, Epictetus, 33f., und Görgemanns, Philosophie, 51f. 16 Vgl. Long, Epictetus, 145; zu den Übereinstimmungen mit der jüdischen und christlichen Tradition vgl. ebd., 143–145.

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tue of being perfectly rational, is obedient to God and in conformity with the divine will and law. We have already noticed how Epictetus talks about ‚the God within‘. At times he seems to distinguish a human being’s ‚holy spirit‘ from God as such, but we are never to think of the Stoic Zeus as transcendent in the Christian sense of the first person of the divine Trinity.“17

Sodann sind für die Stoiker „our minds … literally ‚offshoots‘ of God, parts of God that God has assigned to be the mind or self of each person. As cosmic rationality, God also exists outside every individual’s mind because he is the structuring principle of the entire universe; and Epictetus, like other Stoics again, will sometimes use language that could suggest a god who is distinct from his creation. But this is not to be taken literally. The Stoic God is nature, extending through everything.“18

Die Identifizierung des Gottes mit der vollkommenen Vernunft und seine Bestimmung als immanent haben Konsequenzen für die Gotteserkenntnis des Menschen, dessen Vernunft der Gott in ihm ist.19 Da beide ihrem Wesen nach Vernunft sind, ist der Gott daher „fully accessible to human understanding… Physical nature, not a sacred text or revelation or inspired prophecy, is the Stoic’s guide to the divine. The Stoic outlook on God is this-worldly in the sense that there is no supernatural domain for which we should be preparing ourselves in this life.“20

Mit dem skizzierten Gottesverständnis gehen auch Unterschiede im Verständnis des Menschen einher: „human beings are innately equipped by God to perfect themselves by their own efforts. There is no need, then, for a divine act of grace or redemption or sacrifice.“21

Mit diesen Bestimmungen negiert Long für den Gott der Stoa alles, was Philo dem jüdischen Gott in Leg 3,11–31 zuschreibt, und bestätigt damit indirekt die im Zuge dieser Untersuchung wiederholt markierte Differenz zwischen dem Gott Philos und dem der Stoiker. 17 Ebd.,

145. 145f. Vgl. auch ebd., 21f.: „They (sc. die Stoiker) take all phenomena and living beings to be the observable effects of a cosmic order, constituted and implemented by a principle they called Zeus, God, reason, cause, mind, and fate. This principle, though divine, is not supernatural, but nature itself, as manifested in such different things as the movement of the heavens, the structure of minerals, and the vital properties of plants and animals. Everything that happens is ultimately an expression of this single principle, which by acting on ‚matter‘ extends itself throughout the universe and makes it one gigantic organism“. 19  Weil die Natur Gottes vollkommene Vernunft ist, an der theoretisch auch der Mensch partizipiert, kann Epiktet die These vertreten, dass Zeus zwar mächtiger ist als irgendein Mensch, aber „he was not necessarily superior in virtue and happiness to what a human being might in principle achieve“ (Long, Epictetus, 146). 20 Ebd., 146. 21 Ebd., 147. 18 Ebd.,

Kapitel 8: Zum Gottesverständnis in der Stoa

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Damit unterscheiden sich die Aussagen Longs zugleich markant von der Deutung Cancik-Lindemaiers/Canciks. Auch diese verneinen zwar den für den jüdischen und christlichen Theismus konstitutiven „Bruch zwischen Gott und Welt, Welt und Mensch“ aufgrund der stoischen Einheitsphilosophie. 22 Wie aber ihre Anwendung der Kategorien ‚Offenbarung, Gnade, Erlösung, Geschenk‘ auf den Gott Senecas zeigt, betonen sie das personal-theistische Moment23 im Gottesverständnis der Jüngeren Stoa auf Kosten seiner sonst meist in den Vordergrund gestellten pantheistischen bzw. panentheistischen Dimension. Götter, die sich offenbaren, manchen Gnade zuwenden, sie erlösen (und es anderen verweigern), Einzelne beschenken und ihnen besondere Hilfe zuteil werden lassen, sind ein freies Gegenüber des Menschen und implizieren, wenn schon nicht einen Bruch zwischen Gott und Mensch, so doch einen kategorialen Unterschied zwischen ihnen. Damit ist die Frage nach dem Verhältnis von personal-theistischer und pan(en)theistischer Gottesvorstellung gestellt, dem im Folgenden zunächst für Seneca nachgegangen werden soll. Unter Pan(en)theismus wird die Identifikation von Gott und Natur und der ihr immanenten Vernunft verstanden24, während unter theistischen Aussagen solche gefasst werden, in denen der Gott oder eine seiner Manifesta­ tionen, wie etwa der ‚sacer … spiritus‘ von Ep 41, als Gegenüber zu Welt und Mensch gedeutet und personal-individuell gedacht wird. 25 Die Vorfindlich22 Vgl.

Cancik-Lindemaier/Cancik, Konstruktion, 318. Dieser Begriff knüpft an folgende von Long, Epictetus, 156, für Epiktet getroffene Unterscheidung an: „Theist rather than pantheist, personalist rather than impersonal, ethical rather than physical“. 24 Vgl. Fürst, Seneca, 91. S. ähnlich Long, Epictetus, 147, der den Pantheismus folgendermaßen definiert: „God combines with ‚matter‘ (the passive principle) to form the world, and indeed makes the world one with himself; in this pantheistic sense, the world is God“. – Da in der Forschung für den beschriebenen Sachverhalt sowohl der Begriff des Pantheismus als auch der des Panentheismus verwendet wird, wird er hier und im Folgenden mit ‚Pan(en)theismus‘ o.ä. bezeichnet. 25 Vgl. Fürst, Seneca, 91, der für den Theismus von einer Unterschiedenheit von Gott und Welt spricht. Stoisch verstanden, impliziert diese Unterschiedenheit aber nicht die Trennung von Gott und Welt, sondern bezeichnet die Hypostasierung des Gottes oder seiner Manifestationen, die als Gegenüber zu Welt und Mensch gefasst werden können, sei es als „governing mind or soul“ der Welt (Long, Epictetus, 147), sei es als Präsenz „in an exemplary or specially refined way in the human mind“ (ebd., 148). – Die Problematik der Kategorien Theismus und Pan(en)theismus (vgl. dazu Fürst, aaO., 99, sowie Long, aaO., 148) besteht darin, dass es sich bei ihnen um „Kategorien der neuzeitlichen Philosophie“ handelt, die deren Fragestellungen spiegeln. Fürst, Seneca, 95, stellt deshalb ausdrücklich in Frage, „ob die antiken Phänomene damit angemessen in den Griff zu bekommen sind“, um anschließend dieses „von christlichen Maßstäben aus“ wahrgenommene Gegenüber in eine dem antiken Denken gemäße Gestalt zu überführen, nämlich das „Einheitsdenken der antiken Philosophie“ (ebd., 94). Trotz der berechtigten Einwände gegen diese Terminologie (vgl. dazu auch Wildberger, Self, 26) werden die Begriffe hier verwendet, da sie sich in der wissenschaftlichen Diskussion ein23 

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

keit eines personal-theistischen Moments in manchen Gottesaussagen der Stoiker verbindet diese zwar mit Philo (und der weiteren jüdischen wie auch christlichen Tradition). Für sich genommen besagt sie aber wenig für das Verhältnis beider Traditionsbereiche. Entscheidend ist vielmehr, in welchem Horizont die jeweiligen Aussagen zu verstehen sind. Deshalb geht es bei den folgenden Analysen der stoischen Texte darum, die personal-theistischen Elemente in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen und von hier aus nach ihrem Verhältnis zu Philo zu fragen.

8.2 Zum Verhältnis pan(en)theistischer und personal-theistischer Gottesaussagen bei Seneca Der Brief Ep 41, auf den sich Cancik-Lindemaier/Cancik in ihrem vorgestellten Beitrag vor allem beziehen, gilt als einer der Kronzeugen für die personal-theistische Dimension des senecanischen Gottesbildes, dem darum eine besondere Nähe zum Gottesverständnis der jüdischen und christlichen Tradition attestiert wird.26 Deshalb ist der Brief mit Blick auf Philo einer eingehenderen Analyse zu unterziehen. Wie gesehen, gilt das Interesse von Cancik-Lindemaier/Cancik an diesem Brief der personal-theistischen Seite Gottes, den sie in einem spezifischen Verhältnis zum Weisen stehen sehen: Der Gott wendet dem Weisen bei seinem Streben nach ethischer Vollkommenkeit seine besondere Hilfe zu. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, hält diese Deutung einer genaueren Analyse von Ep 41 aber nicht stand. Sie gründet auf einer stark vom Kontext abstrahierenden Lektüre einzelner Aussagen des Briefes. Dies wird in zwei

gebürgert haben; s. unter den neueren Publikationen bes. Mansfield, Theology, 462, Long (dazu s. o. Anm. 9 sowie unten Anm. 87), Engberg-Pedersen, Self-Sufficiency, 124f., Algra, Theology, 165–168, ders., Epictetus, bes. 32f.55, sowie Vollenweider, Lebenskunst, 150–152. Bei aller mit den Begriffen verbundenen Problematik sind sie als metasprachlicher Ausdruck im religionsgeschichtlichen Vergleich eine hilfreiche heuristische Kategorie. In diesem Sinne weist Algra, Epictetus, 37, darauf hin, dass es einen Theismus von „different kinds, or degrees“ gebe, etwa einen Theismus stoischer Art und einen Theismus christlicher Art, beide Vorstellungen dennoch unter dem Begriff des Theismus subsumierbar seien. 26  Vgl. neben Cancik-Lindemaier/Cancik bes. Fürst, Seneca, 88–94, der in Zusammenfassung der einschlägigen Forschungsbeiträge den Befund, ebd., 88, folgendermaßen zusammenfasst: „In Senecas Gottesidee lassen sich Analogien zur christlichen finden. So, wie er von ‚Gott‘ und von ‚Göttern‘ redete, könnte man den Eindruck haben, der Plural ‚Götter‘ sei nur noch althergebrachte Redeweise und es herrsche in seiner Gottesvorstellung entschieden die Idee eines einzigen Schöpfers und Lenkers der Welt“. (Es folgt eine Zusammenstellung der entsprechenden Begriffe.) Vgl. auch von Al­b recht, Wort, 134–150, der Ep 41 zum Ausgangspunkt seiner Ausführungen zu Seneca in der christlichen Tradition macht.

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Schritten gezeigt. Zunächst ist nach der Absicht des Briefes zu fragen (1), bevor das Gottesverständnis einer genaueren Analyse unterzogen wird (2). Zu beidem finden sich in dem Abschnitt, aus dem Cancik-Lindemaier/ Cancik in Auswahl zitieren, wichtige Aussagen. Der Text lautet: „1 Du tust etwas Vortreffliches und für Dich Heilsames, wenn Du, wie Du schreibst, beharrlich auf dem Weg zu einer guten Sinnesart (bonam mentem) bist, die (von den Göttern) zu erbitten töricht wäre, da Du sie ja von Dir (selbst) erlangen (a te impetrare) kannst. Nicht brauchen wir die Hände zum Himmel zu erheben noch den Tempelwächter anzuflehen, dass er uns zum Ohr des Götterbildes Zutritt gewähre, als ob wir so eher erhört werden könnten: Nahe ist Dir der Gott, mit Dir ist er, in Dir ist er (prope est a te deus, tecum est, intus est). 2 So sage ich, Lucilius: ein heiliger Geisthauch wohnt in uns (sacer intra nos spiritus sedet), als Beobachter und Wächter (observator et custos) unserer schlechten und guten [Taten]; wie dieser von uns behandelt wurde, so behandelt er uns. Ein guter Mensch (bonus … vir) aber ist niemand ohne den Gott: Oder vermag sich jemand über das Schicksal (supra fortunam) hinaus zu erheben, außer wenn er von jenem unterstützt wird (ab illo abiutus)? Er gibt (dat) bedeutende und erhabene Entschlüsse (consilia). In jedem guten Menschen wohnt ein Gott (habitat deus) – welcher Gott, ist ungewiss.“27

(1) Der Brief wendet sich an das „Du“ des Lucilius, des Schülers Senecas. Ihm schreibt der Philosoph, er könne die ‚bona mens‘ von sich selbst erlangen, ohne die Götter darum zu bitten, weil ihm der Gott nahe sei28. Diese Aussage wird im Folgenden verallgemeinert, wenn es heißt, der ‚sacer … spiritus‘ wohne in ‚uns‘, das heißt ausweislich des Folgenden im Menschen im Allgemeinen mit seinen schlechten und guten Taten. Die bis dahin allgemeingültigen Aussagen verengt Seneca in der Fortsetzung auf die Person des Weisen, des ‚bonus vir‘. Die Voraussetzung dafür, ein solcher werden zu können, ist die Unterstützung durch den Gott als den Geber von ‚consilia‘. Diese Aussage wird dahingehend erläutert, dass im ‚vir bonus‘ ein Gott wohne, wie Seneca mit einem Vergil-Zitat unterstreicht. 29 Die Gabe der ‚consilia‘ ist demnach eine direkte Wirkung der Einwohnung des Gottes im Weisen. Letzteres behauptet Seneca, wie gesehen, nun freilich auch von dem angesprochenen Du (intus est) wie auch vom Menschen im Allgemeinen (intra nos). So verbindet Weise 27  Die kursiv gesetzten Sätze entsprechen dem von Cancik-Lindemaier/Cancik, Konstruktion, 317, in Auswahl zitierten Text. Was hier mit „Geisthauch“ wiedergegeben wird, übersetzen Cancik-Lindemaier/Cancik mit „Hauch“, Fürst, Seneca, 90, mit „Odem“, Rosenbach, Seneca, 1 325, und Giebel, Briefe, 131, mit „Geist“, Nussbaum, Therapy, 326, entsprechend mit „spirit“. 28  Hamacher, Brief, 138, sieht hier den Gedanken der „Eigenleistung“ betont, „insofern er (sc. Seneca) das Erreichen der Vollkommenheit unabhängig von den Göttern denkt“. Zur Kultkritik bei Seneca vgl. auch von Albrecht, Wort, 135f.; zu Parallelen zur Aussage ‚prope … est‘ vgl. Ep 73,16; 83,1. 29  ‚Quis deus incertum est, habitat deus‘; vgl. Vergil, Aen 8,352.

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und Nichtweise die Präsenz des Gottes in ihnen. Eine besondere Hilfe des Gottes speziell für den Weisen ist Ep 41,1f. also nicht zu entnehmen. Der ‚bonus vir‘ hat im Unterschied zu den Nichtweisen die ‚bona mens‘ jedoch bereits erlangt, indem er sich durch die dank der Gegenwart des Gottes in ihnen allen gleichermaßen zugänglichen ‚consilia‘ leiten lässt. In diesem Sinn soll auch Lucilius die ‚bona mens‘ von sich selbst, in dem der Gott wohnt, erlangen, indem er die ihm wie jedem Menschen als ‚rationale animal‘ von dem Gott verliehene Vernunft die richtige Wahl zwischen Begehrenswertem und zu Meidendem treffen lässt30 und so selbst die Entschlüsse fasst, die ihn wie den ‚bonus vir‘ über das Schicksal erheben. 31 Den exemplarischen Charakter des Weisen arbeitet Seneca in § 4 heraus. Er charakterisiert ihn hier als einen Menschen, „unerschrocken in Gefahren, unberührt von Leidenschaften, im Unglück glücklich, mitten in den Stürmen gelassen, von höherer Ebene aus die Menschen betrachtend, von gleicher die Götter“.

Die Schau dieses Menschen lässt beim Betrachter „Verehrung (veneratio)“ aufkommen, so dass er zu dem Urteil kommt: „Dieses Wesen ist größer und erhabener, als dass man annehmen könnte, es gleiche diesem schwächlichen Körper (corpusculo), in dem es sich befindet.“

Dem Betrachter zeigt sich im Weisen m. a. W. das Göttliche. So findet hier, um mit Cancik-Lindemaier/Cancik zu sprechen, in der Tat eine Sakralisierung des ‚vir bonus‘ statt. Wie die weitere Argumentation zeigt, geht es Seneca in Ep 41 jedoch weniger darum als vielmehr um die ethische Relevanz des Weisen für die Nichtweisen. Ihnen stellt er den ‚bonus vir‘ als das Ideal vor Augen, an dem sie sich orientieren sollen, und zwar nicht, weil der Weise von dem Gott mit besonderen Gaben ausgestattet worden wäre – eine solche Argumentation wäre auch textpragmatisch widersinnig –, sondern weil er mit denselben Ressourcen das erlangt, was Lucilius erlangen soll, nämlich die ‚bona mens‘. 32 Nur so taugt der Weise als Vorbild. 33

30 

Dazu s. o. Kap. 6 zu Ep 82,6. Darauf spielt Seneca für den Menschen im Allgemeinen in § 7 an. 32  Vgl. auch Setaioli, Theology, 398, der für Seneca darauf hinweist, dass letztlich die ὁμοίωσις θεῷ das Ziel (τελός) des Menschen sei. Dabei sei „the divine and heavenly origin of our soul … the guarantee that we are well equipped to attain this goal“. Die dazu nötige Vernunft hat die Natur dem Menschen gegeben. Diese ist „perfect in gods and perfectible in men, but common to both“. Den Menschen, der seine Vernunft perfektioniert hat, identifiziert er mit dem „wise and good man“. 33 S. ähnlich von Albrecht, Wort, 143f., dem zufolge Seneca hier „die religiöse Scheu als Anreiz zum Lernen und zur Nachfolge“ versteht. Der als „Vorbild“ vorgestellte Lehrer sei aber nur als „Durchgangsstadium“ zu betrachten. 31 

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Diesen Faden nimmt Seneca in § 8 im Anschluss an eine längere Erörterung der Frage nach der vernünftigen Seele des Weisen in ihrem Verhältnis zur Gottheit wie zu den Normalsterblichen erneut auf. Es heißt hier: „Preise an ihm (sc. dem Menschen), was weder genommen noch gegeben werden kann, was das spezifische Merkmal (proprium) des Menschen ist. Du fragst, was es sei? Die vernünftige Seele (animus) und die in der vernünftigen Seele vollkommene Vernunft (ratio in animo perfecta). Ein vernunftbegabtes Wesen ([r]ationale … animal) nämlich ist der Mensch; zur höchsten Vollendung gelangt (consummatur) daher sein sittlich Gutes (bonum)34, wenn er das erfüllt hat, wozu er geboren wird. Was aber ist es, was von ihm diese Vernunft fordert? Die einfachste Sache der Welt – gemäß seiner Natur zu leben. Doch gerade das macht die überall herrschende Unvernunft schwierig: In Laster drängen wir einer den anderen. Wie aber können diejenigen wieder zum Heil geführt werden, die niemand zurückhält, der Pöbel aber (zum Bösen) treibt?“ (§ 8). 35

Das, was weder entrissen noch gegeben werden kann, wird im Kontext von den Gaben der Fortuna abgegrenzt, einer ansehnlichen Dienerschaft, einem schönen Haus, viel Geld und Zinsen. Wie es nach § 2 die von dem Gott gegebenen consilia dem Weisen erlauben, sich über die Fortuna zu erheben, so ist es hier die vollkommene Vernunft, die den Menschen dazu befähigt, sein ‚bonum‘ zur Vollendung zu führen, indem er der ‚Natur gemäß‘, und das heißt der Vernunft gemäß, lebt. 36 Von einer spezifischen Rolle des Gottes ist hier aber nicht die Rede. So relativiert sich die sakrale Aufladung, die Cancik-­ Lindemaier/Cancik für den senecanischen ‚vir bonus‘ auszumachen glauben. 37 Nach dem Gesagten unterscheidet sich der Weise von den Nichtweisen darin, dass jener sich der ihm gegebenen Vernunft in vollkommener Weise bedient, während die anderen der Unvernunft Raum geben. Die Bestimmung des Menschen, sein ‚bonum‘ zur Vollendung zu bringen (§ 8), ist bei den Weisen bereits Realität 38, beim Nichtweisen dagegen das Ziel. Wie Seneca an 34  Rosenbach, Seneca, 3 331, übersetzt ‚bonum‘ mit „Vorzug“, Giebel, Briefe, 133, mit „Wert“. Wenn hier „sittlich Gutes“ bevorzugt wird, dann deshalb, weil Seneca die Aufgabe der Vernunft des Menschen darin sieht, „seiner Natur gemäß zu leben“, und dies in der Fortsetzung von den ‚vitia‘ – „Fehlverhalten“ (Rosenbach, aaO.) bzw. „Laster“ (Giebel, aaO.) – abgrenzt. 35  Übersetzung in Anlehnung an Giebel, Briefe, 133. 36  Vgl. dazu Seneca, Ep 124,13f.: Das „wahre Gute“ ist „das, was der Natur eines jeden Menschen entspricht. Aber ein Gut kann einem stummen Geschöpf auf keine Weise zufallen; es gehört zu einer glücklicheren und besseren Natur. Es gibt nirgends Platz für das Gute, es sei denn, es ist dort Platz für die Vernunft“ (Long/Sedley, Philosophen, 442f. [60H]). 37 Vgl. Cancik-Lindemaier/Cancik, Konstruktion, 317f. 38  In Ep 42,1 weist Seneca im Rückblick auf Ep 41 darauf hin, dass der ‚vir bonus‘ ein ausgesprochen seltenes Phänomen ist. Er „wird vielleicht wie der Phönix nur alle fünfhundert Jahre einmal geboren, Und es ist nicht verwunderlich, dass Großes in [langen] Abständen zustande kommt: Mittelmäßiges und bei seinem Entstehen für die Masse Bestimmtes bringt das Geschick häufiger hervor; das Außergewöhnliche aber empfiehlt

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anderer Stelle betont, ist das vollkommene Gut des Menschen „ein Werk der sorgfältigen Arbeit [an sich selbst] (cura)“ (Ep 124,14). Dabei ist genauer an die Übung zu denken39, deren Praktizierung darüber entscheidet, inwieweit sich die menschliche ‚cura‘ dem Ziel der Vollkommenheit annähert.40 Thema des 41. Briefes ist damit nicht ein besonderes Verhältnis zwischen dem Gott und dem Weisen, das es diesem erlaubt, dank besonderer Hilfen vollkommen zu leben. Es geht vielmehr um das Verhältnis von Weisem und Nichtweisem. Weil ersterer sein ‚bonum‘ vollendet, ist er das verehrungswürdige Vorbild, an dem sich letzterer ausrichten soll. (2) Was das in Ep 41 vorausgesetzte Verständnis des Göttlichen betrifft, so zeigt sich, dass die von Cancik-Lindemaier/Cancik hervorgehobene personal-theistische Seite pan(en)theistisch verankert ist. Damit wird ein Gedanke vertieft, der bereits der Vorstellung einer allgemeinen Einwohnung des Gottes im Menschen inhärent ist. So wird auch aus dieser erweiterten Perspektive deutlich, dass der Gott Senecas dem Weisen keine besondere Hilfe zuteil werden lässt. Die pan(en)theistische Seite der personal-theistischen Gottesaussagen in Ep 41,1f. ist zunächst mit Hilfe eines senecanischen Vergleichstexts zu verdeutlichen. Der ‚nahe‘ Gott, der ‚Gott mit und in Dir‘ (Ep 41,1), wird in § 2, wie gesehen, mit dem ‚sacer … spiritus‘ identifiziert. Dieser ‚Geisthauch‘ wird in Nat quaest 2,45.1f. als „belebender Geist der Welt (animum ac spiritum mundi)“41 bzw. als der Geist des Gottes, durch den wir leben (cuius spiritu vivimus), bestimmt. Der Geisthauch ist nach dieser Stelle also in der Welt und allen ihren Teilen, einschließlich des Menschen, gleichermaßen wirksam und damit eindeutig eine kosmische Größe.42 In der Gestalt des ‚sacer … spiritus‘ „durchzieht die Weltvernunft ( λόγος) … die eigenschaftslose Materie und bewirkt so ihre planvolle Entwicklung. In allen Gegenständen sind Logoskeime ( λόγοι σπερματικοί) enthalten, in denen ihre Entwicklung angelegt ist. Urelement ist das Feuer, das als Wärme und Lebensodem alles vernünftig bewegt. Sacer spiritus ist als ‚feurige Luft‘ natürlich nicht genau ‚heiliger Geist‘, sondern Energie“.43 es gerade durch die Seltenheit“. Zu dem Mittelmäßigen zählt Seneca auch sich selbst; vgl. dazu Ep 75,16 (s. u. Anm. 64). Vgl. dazu auch von Albrecht, Wort, 15. 39  Die Übersetzung bei Long/Sedley, Philosophen, 443 (60H), gibt ‚cura‘ in Ep 124,14 mit „Übung“ wieder. 40  Dazu s. o. Kap. 6 zu Epiktet, Diss 3,2.8–12. 41  So in der Wiedergabe von O. und E. Schönberger. Sie bringen damit die rationale Dimension von animus ebenso wie die lebensenergetische Seite von spiritus zum Ausdruck. 42  Seine kosmische Dimension wird durch die Verbindung mit „omnia“ verdeutlicht: „Willst du ihn (sc. Juppiter) Natur nennen, ist es nicht falsch, ist er es doch, dem alles entstammt, durch dessen Hauch wir leben (hic est, ex quo nata sunt omnia, cuius spiritu vivimus)“. 43  Von Albrecht, Wort, 138. Im Weiteren macht er darauf aufmerksam, dass es in christlichen Texten, in denen sich eine Ähnlichkeit mit Seneca zeigt, demgegenüber

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Diese Energie ist in der stoischen Physik „materiell“ vorgestellt.44 Ein Weiteres kommt hinzu. Der allen Menschen einwohnende, kosmische ‚spiritus‘ wird in Ep 41,2 mit dem „Beobachter und Wächter (observator et custos) unserer schlechten und guten Taten“ identifiziert45; er reagiert auf das menschliche Verhalten ihm gegenüber, indem er ‚uns‘ behandelt, wie ‚wir‘ ihn zuvor behandelt haben. So liegt auch hier eine personal-theistische Zuspitzung vor. Dieser in allen Menschen wirksame ‚custos‘ verweist freilich erneut auf den eben erörterten Text aus Nat quaest, wo er mit dem kosmischen ‚spiritus‘ gleichgesetzt wird. Juppiter wird hier als „Lenker und Hüter (custodem) des Alls, als belebender Geist (spiritum) der Welt, als Herr und Schöpfer dieses Kunstwerks“ bestimmt46, das das All ist. ‚custos‘ ist hier damit nicht anders als ‚spiritus‘ eine Bezeichnung für den Gott, der das Ganze ist und allen seinen Teilen eingewoben ist, das heißt für den pan(en)theistisch verstandenen Gott.47 Ist er im Menschen als so etwas wie das Gewissen präsent48, so mit Blick auf das All in seiner kosmischen Funktion als Hüter. So deutet der Zusammenhang mit Nat quaest darauf hin, dass das personal-theistische Moment der senecanischen Gottesvorstellung eine auf den Menschen bezogene Konkretion seines im Grundsatz pan(en)theistischen Gottesverständnisses ist. Dies zeigt sich auch im weiteren Verlauf von Ep 41, wo Seneca verschiedene Phänomene schildert, die den Betrachter in religiöses Staunen versetzen.49 Die Aufzählung beginnt mit staunenswerten Naturphänomenen und kulminiert „mehr um die wirkende Präsenz von Gottes Geist (hebr. ruach) als um die Vorzüglichkeit der Seele geht“. 44  Fürst, Seneca, 90. Zum senecanischen ‚spiritus‘ vgl. auch Setaioli, Theology, 381f.: „Seneca accepts, in principle, the monistic conception of Stoicism. His universe is unitary and his spiritus is not an immaterial ‚spirit‘“. S. ferner Furley, Cosmology, 440, der das Pneuma in der Stoa im Einzelnen folgendermaßen bestimmt: „It is a mixture of hot and cold, fire and air, and it pervades the entire universe, down to its smallest parts: the Stoics developed a new concept of ‚through-and-through mixing‘ (κρᾶσις δι’ ὅλου) to describe the total union of pneuma with the rest of the substance of the world. By mixing with the whole world it exercises control over everything. It is the vehicle of (perhaps more strictly, it is identical with) God’s providence. As an active ingredient in all things in the world, pneuma is responsible for the ‚tension‘ that holds all the world and everything in it together.“ Zum Aspekt der Vermischung vgl. Sedley, Hellenistic physics, 390f. 45  Zur Vorstellung von Gott als Wächter der Taten des Einzelmenschen s. auch Epiktet, Diss 1,14, und dazu unten Kap. 8.3. 46  rectorem custodemque universi, animum ac spiritum mundi, operis huius dominum et artificem (Nat quaest 2,45.1). 47  Neben Ep 41,1f. gibt es mit Ep 65,23 (s. o. Kap. 3.1.1.1, Anm. 33) einen weiteren Text, der theistisch klingt, weil er die Unterschiedenheit von Gott und Welt zum Ausdruck bringt. 48  Für die Deutung des ‚custos‘ auf das Gewissen vgl. von Albrecht, Wort, 138f.; er betont hier allerdings einseitig das Wächtersein Gottes mit Blick auf den Menschen. 49  Vgl. die Fülle der Ausdrücke religiöser Verehrung (o.ä.) in § 3: fidem tibi numinis

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in der Person des Weisen. Wie jene ist auch dieser Gegenstand religiöser Verehrung (§ 3f.), weil sich in beiden, dem Weisen wie der Natur, das Göttliche spiegelt50, das ihnen eingewoben ist. Es ist „als Pneuma und Seele des Kosmos in sämtlichen Einzelkörpern der differenzierten Welt vertreten“51, in den Dämonen und göttlichen Himmelskörpern ebenso wie in den irdischen Teilen des Kosmos: in Menschen, Tieren und Pflanzen wie auch im Gestein52. So zeigt sich der ‚bonus vir‘ auch hier als Teil eines umfassenderen Ganzen. Dass hier keine über die allgemeine Gabe der Vernunft als dem Göttlichen im Menschen hinausgehende „Hilfe des Gottes“ im Blick ist, so dass sich die personal-theistische Seite Gottes von einer pan(en)theistischen ablösen würde, verdeutlicht Ep 41,5–7. Was zuvor ‚deus‘ und ‚sacer … spiritus‘ genannt wurde, wird nun als göttliche Kraft bezeichnet, die in dem Weisen erkennbar Raum genommen hat. Von ihr heißt es in § 5: „Eine göttliche Kraft (Vis … divina) hat sich da hineingesenkt (descendit): Eine vernünftige Seele (animum)53, hervorragend und maßvoll (moderatum), die sich über alles, als wäre es weniger wichtig, hinwegsetzt, alles, was wir fürchten und wünschen, belächelt, die bewegt eine himmlische Macht (caelestis potentia). Nicht kann ein so großartiges Gebilde ohne Stütze der Gottheit (sine adminiculo numinis) bestehen; daher befindet es sich mit dem größeren Teil seiner selbst dort, woher es herabgestiegen ist (descendit). Wie die Sonnenstrahlen zwar die Erde berühren, jedoch dort daheim sind, von wo sie ausgeschickt werden, so verweilt die vernünftige Seele (animus) – groß (magnus) und heilig (sacer) und dazu herabgesandt (demissus), dass wir Göttliches (divina) näher kennenlernen –, zwar bei uns, bleibt jedoch mit ihrem Ursprung verbunden (haeret origini suae); daran hängt sie, dahin blickt und strebt sie, an unseren Anliegen nimmt sie gewissermaßen als ein höheres Wesen teil.“

Der Abschnitt erweckt den Eindruck, als handele es sich bei der ‚vernünftigen Seele‘ um eine dem Weisen in Sonderheit verliehene göttliche Kraft, die ihn über das Wirken der Fortuna in Widrigkeiten und Schicksalsschlägen, aber auch im Glück hinwegsehen lässt, das die Normalsterblichen fürchten faciet; animum tuum quadam religionis suspicione percutiet; veneramur; aras habet; coluntur; sacravit. 50 S. auch Wildberger, Seneca, 1 26f., die darauf hinweist, dass zu den Gottesvorstellungen Senecas auch „Naturphänomene“ zählen, die „dadurch beeindrucken, daß sie in ihrer Art vollkommen sind. Auch sie können als etwas Göttliches erfahren werden.“ Dazu verweist sie auf die in Ep 41,3f. aufgeführten Phänomene in der Natur einschließlich der „Gegenwart eines vollkommenen Menschen“ (tw. kurs.). 51  Wildberger, Seneca, 1 228 (tw. kurs.). 52  Vgl. ebd. Der Scala naturae entsprechend ist der Gott in verschiedenen Einzelkörpern aber in unterschiedlicher Weise präsent, als Zusammenhalt, Leben, Seele oder Vernunft; vgl. ebd. In Ep 124,14 unterscheidet Seneca mit „Baum, Tier, Mensch, Gott“ vier Wesenheiten. 53  Rosenbach, Seneca, 3 327, gibt ‚animum‘ mit „Seele“ wieder, Fink, Seneca, 219, und Giebel, Briefe, 132, mit „Geist“.

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oder wünschen. Der animus des Weisen, der ihn dergestalt handeln lässt, vermag dies nach § 5, weil er über diese Kraft offenkundig dauerhaft verfügt. Seneca verdeutlicht dies mit dem Hinweis auf die Stütze, die die Gottheit seinem ‚animus‘ gewährt, indem dieser, den Strahlen der Sonne gleich54, mit dem ‚größeren Teil seiner selbst‘ in der göttlichen Sphäre verweilt. Seinem kleineren Teil nach ist der große und heilige ‚animus‘ des Weisen ‚bei uns‘, damit ‚wir‘ die Nähe des Göttlichen in seiner Person erfahren. So scheint der Weise in der Tat in einer singulären Beziehung zum Göttlichen zu stehen. Nun weist freilich J. Wildberger darauf hin, dass die Rede vom Herabsteigen der göttlichen Kraft und der vernünftigen Seele im übertragenen Sinn zu verstehen ist. 55 Ihr zufolge steht die bildhafte Rede dafür, dass als „Teil des Kosmos … jeder Einzel-Körper der differenzierten Welt ein Teil der höchsten Gottheit (ist), und in jedem Einzel-Körper … ein Teil von Gott (ist), nämlich sein Pneuma, das heißt seine individuelle Eigenschaft“. 56 Einer dieser Einzelkörper ist der Mensch, der für Seneca „der großartigste Teil des Kosmos (pars eius [sc. mundi] magnificentissima)“ ist (Helv 8,4), da er mit dem Gott die ratio teilt (Ep 124,14). Damit wäre der Weise nicht mit einem besonderen animus ausgestattet, sondern hätte ihn lediglich zu einer besonderen Perfektion gebracht. 57 Der Fortgang von Ep 41, wo Seneca die Aussagen über den animus des Weisen in solche über den animus des Menschen im Allgemeinen überführt, bestätigt die Deutung Wildbergers. In § 6 stellt Seneca pointiert die Frage: „Wer also ist diese vernünftige Seele“? Die Antwort lautet: „Welche durch kein Gut glänzt (nullo bono) außer dem ihr Eigenen (nisi suo)“. 58 Dies Eigene ist von § 5 her das Göttliche, von § 8 her das Unveräußerliche, „das, was ihm (sc. dem Menschen) weder genommen noch gegeben werden kann“, nämlich „die vernünftige Seele und die Vernunft, die in der vernünftigen Seele vollendet wird ([a]nimus et ratio in animo perfecta)“. So ist es Seneca zufolge die göttliche Vernunft, die das unveräußerliche Eigentum des Menschen ist, so dass keine Notwendigkeit besteht, sie von den Göttern zu erbitten (§ 1). 59 Die Vernunft aber ist nicht anders als der animus das entpersonalisierte Gött54  Der Vergleich des ‚animus‘ mit der Sonne und ihren Strahlen ist durch platonische Vorstellungen beeinflusst; vgl. Setaioli, Theology, 384, sowie oben Kap. 3.1.1.2.2. Anders als bei Seneca ist die Seele dort jedoch verstanden als „a transcendent entity that cannot mix with corporeal objects and is radically different in essence from all sources of material light, including the sun“ (ebd., 385). 55 Vgl. Wildberger, Seneca, 1 222f.227. 56 Ebd., 228. 57  Demgemäß deutet Setaioli, Theology, 391 mit Anm. 98, Ep 41,5 ausdrücklich auf den „heavenly and divine origin“ der „human soul“ im Allgemeinen; s. ähnlich Hachmann, Freundschaftsthematik, 136f. 58  Übersetzung in Anlehnung an Rosenbach, Seneca, 3 329. 59  Vgl. dazu Nussbaum, Therapy, 325.

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liche im Menschen, und ist als solches die anthropologische Gestalt der Allvernunft. Die pan(en)theistisch verstandene Vernunft ist damit die abschließende Gestalt, in der Seneca den scheinbar theistischen Gott des Briefanfangs, den ‚nahen Gott bei, mit und in dir‘ bzw. den ‚sacer … spiritus‘, in Ep 41 näherbestimmt. Demgemäß deutet auch M. Nussbaum die Gottesaussagen des Briefanfangs in pan(en)theistischer Perspektive: „Reasoning, on the Stoic view, is not just divine internally: it is our piece of the divinity that inhabits the whole framework of the universe“.60 Der Beistand, den die Weisen nach Ep 41 von den Göttern erhalten, ist damit nicht als eine ihnen speziell im Unterschied zur großen Masse der Nichtweisen zugeeignete gnadenhafte Hilfe zu verstehen. Die Differenz zwischen beiden Gruppen liegt vielmehr darin, dass die Vielen die ihnen angeborenen Ressourcen vernachlässigen, indem sie sich vom Fehlverhalten der Masse anstecken lassen und lieber dem allgemeinen Wahnsinn (communis insania; § 9) als der Vernunft folgen. Das Gegenmittel dazu ist, wie gesehen, der Rückzug aus der Menge und die Beschäftigung mit der Philosophie, ohne dass Seneca hierfür eine spezifische Hilfe des Gottes für nötig erachtete. Dies erhellt auch aus Ep 73,15f.: „Die Götter sind nicht abweisend, nicht neidisch: sie gewähren Zugang und strecken denen, die emporsteigen, die Hand entgegen (ascendentibus manum porrigunt). 16 Du wunderst dich, dass der Mensch zu den Göttern geht? Der Gott kommt zu (ad) den Menschen, ja was noch näher ist, er kommt in die Menschen hinein (in): kein sittlich guter Geist existiert ohne Gott (nulla sine deo mens bona est). Göttliche Samen ([s]emina … divina) sind in die menschlichen Körper ausgestreut; wenn diese ein guter Gärtner aufnimmt, kommen sie ihrem Ursprung ähnlich zum Vorschein und wachsen gleich denen heran, von denen sie abstammen: wenn ein schlechter Gärtner sie aufnimmt, lässt er sie absterben, nicht anders als unfruchtbarer und sumpfiger Boden und lässt daraufhin Unkraut statt Früchten wachsen.“ 61

So entwickelt der Weise anders als die Vielen die ihm eingestifteten Pneuma-­ Samen des Gottes vollständig in sich und stellt „so Übereinstimmung und 60 Ebd.,

326. der Grundlage dieses Textes hat bereits Hadot, Seneca, 148, die These einer spezifischen Hilfe oder Gnade des Gottes zurückgewiesen: Seneca geht „von der Voraussetzung aus, daß in allen Menschen von Natur die Keime zur Tugend angelegt sind, die sich entfalten, wenn man ihnen eine gründliche Pflege angedeihen läßt. Diese Keime oder Funken sind nichts anderes als die noch unentwickelte ratio selbst, die von den Stoikern als Teil des göttlichen Pneumas gedacht wird. Auf diese Weise kann man auch davon sprechen, daß ein Gott im Menschen wohnt … und daß es daher durch göttliche Hilfe geschieht, wenn man zur Tugend gelangt. Aber das Entscheidende bleibt immer das eigene Bemühen des Menschen, vom Gotte verliehen ist nur die Anlage zum Guten. Auf keinen Fall ist daher in einen Satz wie ‚bonus vero vir sine deo nemo est‘ so etwas wie christliche göttliche Gnade hineinzudeuten“. Entsprechendes gilt für die jüdisch-philonische Gnade. Die zitierten Ausführungen von Hadot stehen damit in klarem Widerspruch zu Erlers oben, Anm. 6, wiedergegebener Deutung von Ep 73,15 im Sinne einer besonderen Hilfe der Götter. 61  Auf

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Einklang zwischen dem Dämon (sc. dem göttlichen Geist) in sich selbst und Gott im Kosmos her“. Dadurch erreicht er das Ziel des Menschen und kann darum „mit vollem Recht als Gottheit bezeichnet werden“62. Der Weisheit eines solchen Menschen gilt nach Ep 64,6 die Bewunderung Senecas, die sich in nichts von der für den Kosmos unterscheidet: „Mich jedenfalls kostet die bloße Betrachtung der Weisheit (contemplatio ipsa sapientiae) gewöhnlich viel Zeit; ich schaue sie voller Staunen an, nicht anders als bisweilen das Weltall (mundum) selber, auf das ich oft so schaue, als sähe ich es zum ersten Mal.“ 63

Die ‚Sakralisierung des Weisen‘ verdankt sich danach gerade nicht einem besonderen Eingreifen des Gottes, sondern der Arbeit des Weisen, der er sich anders als die Nichtweisen unterzieht.64 Er bringt die in ihn eingesenkten göttlichen Pneuma-Samen selbst zur Vollkommenheit. Dies erhellt auch aus Ep 79,12, wonach es den Weisen auszeichnet, dass er seine Fehler abwirft und mit gereinigtem Geist sich „rein und leicht zu göttlichen Gedanken aufschwingt“.65 Dabei stützt er sich nicht auf die Hilfe des Gottes, sondern realisiert die „bei Seneca und den jüngeren Stoikern“ allen geltende Forderung, seinen „Geist zu reinigen und von allen Verschmutzungen durch Affekte und Unvollkommenheiten frei zu halten“.66 Ein weiterer Text, Benef 4,7.1–8.3, ist in unserem Zusammenhang aus zwei Gründen erhellend. Zum einen reflektiert er explizit auf das Verhältnis personalisierter Gottesbezeichnungen zu pan(en)theistischen Vorstellungen67, zum anderen kann er als ein Seitenstück zu Ep 41 verstanden werden, das aus theologischer Perspektive durchbuchstabiert, was dort aus anthropologischer Sicht entfaltet wird. Der Text lautet:68 62 

Wildberger, Seneca, 1 231 (tw. kurs.). 2 804, Anm. 1139, verbindet Wildberger Ep 64,6 u. a. mit Ep 41,4f. 64  Vgl. Ep 75,16: „‚Ich aber hoffe‘, sagst Du, ‚dass ich auch die Zugehörigkeit zu einer angeseheneren Klasse erreichen kann‘. Ich möchte das für uns mehr wünschen als versprechen: wir sind vorbelastet, wir eilen zur sittlichen Vollkommenheit, obwohl wir noch in unsere Fehler verstrickt sind. Ich schäme mich zu sagen: wir pflegen das sittlich Vollkommene, soweit freie Zeit ist. Aber was für eine bedeutende Belohnung wartet, wenn wir uns von unseren Beschäftigungen und den hartnäckigsten Übeln losreißen!“ 65  Der ganze Zusammenhang lautet: „Nach oben rufen ihn seine Ursprünge; er wird aber dort sein, auch bevor er aus diesem Gefängnis erlöst wird, wenn er die Fehler abwirft (vitia disiecerit) und sich rein und leicht zu göttlichen Gedanken aufschwingt“. 66  Wildberger, Seneca, 1 234 (tw. kurs.); vgl. ebd., 2 808f., Anm. 1137, mit einer Fülle von Belegtexten. 67  Vgl. dazu auch Fürst, Seneca, 91f. 68  Voraus geht in Benef 4,6.5f. eine Darstellung verschiedener Naturphänomene, u. a. der Lebensalter des Menschen. § 6 schließt mit der Feststellung: „Eingeboren sind uns Keime aller Lebensalter, aller Fähigkeiten, und als Meister (magister) bringt der Gott (deus) aus dem Verborgenen (unsere) Anlagen hervor.“ Zu Beginn von 6,7.1 weist Seneca darauf hin, dass die Aussage: „Die Natur (natura) … gewährt mir dies“, nichts 63 Ebd.,

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

„7.1 Was nämlich ist die Natur (natura) anderes als der Gott (deus) und die göttliche Vernunft (divina ratio), die der ganzen Welt und ihren Teilen (mundo partibusque) eingepflanzt ist? Sooft du willst, kannst du diesen Urheber unserer Dinge auf andere Weise anreden; sowohl wirst du ihn nach dem rechten Brauch der Religion (rite) Iuppiter Optimus ac Maximus als auch Tonans und Stator nennen, der nicht, wie es die Geschichtsschreiber überliefert haben, deshalb Stator und Stabilator (stator stabilitorque) ist, weil nach Verrichtung eines Gelübdes die Schlachtreihe der fliehenden Römer stehen blieb (stetit), sondern weil alles durch seine Wohltat Bestand hat (stant beneficio eius omnia). 2 Wenn du denselben auch Fatum nennst, wirst du nicht lügen; denn weil das Fatum nichts anderes ist als eine verknüpfte Folge von Ursachen, ist jener die erste Ursache aller (Dinge), von der die übrigen abhängen. Welche (Namen) auch immer (du ihm beilegen) willst, du wirst ihm Namen (nomina) beilegen, die speziell irgendeine Kraft oder Wirkung der himmlischen Dinge zum Inhalt haben. So viele Bezeichnungen seiner (Person) kann es geben, wie (die Zahl seiner) Gaben (munera) (an uns ist).69 8.1 Diesen halten die Unseren sowohl für Liber Pater als auch für Hercules und Mercurius. Liber Pater, weil er der Vater von allem sei, von dem zuerst die Kraft der Samen (seminum vis) entdeckt worden ist, damit sie durch die Lust für die Dauerhaftigkeit des Lebens sorgten; Hercules, weil seine Kraft (vis) unbesiegbar sei und, wenn sie einmal durch (ihm) auferlegte Arbeiten ermattet sei, in das Feuer zurückkehren solle; Mercurius, weil die Vernunft (ratio) bei ihm ist, die Zahl (numerus), die Ordnung (ordo) und die Wissenschaft (scientia). 2 Wohin immer du dich wendest, dort wirst du ihn sehen, wie er dir entgegengeht; nichts ist frei von ihm (vacat), er selbst füllt sein Werk vollständig aus (implet). Also erreichst du (gar) nichts, Undankbarster der Sterblichen, der du es verneinst, dem Gott (deo) (etwas) schuldig zu sein, sondern der Natur (naturae), weil weder die Natur ohne den Gott ist noch der Gott ohne die Natur, sondern beides ein und dasselbe (idem) ist, sich (lediglich) durch die Aufgabe (officio) unterscheidet. 3 Wenn du, was du von Seneca entgegengenommen hättest, dem Annaeus oder dem Lucius zu schulden behauptetest, so wechseltest du nicht den Gläubiger, sondern (allein) den Namen, da er ja dennoch, hättest du seinen Vornamen, seinen Namen oder auch seinen Beinamen genannt, derselbe (idem) wäre. So nenne (ihn) nun Natur, Fatum oder Schicksal (fortunam): alle sind Namen desselben (eiusdem) Gottes, der sich auf unterschiedliche Weise seiner Macht bedient. Auch Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit, Klugheit, Tapferkeit, Genügsamkeit sind gute (Eigenschaften) einer einzigen (vernünftigen) Seele (animi). Was immer dir von ihnen gefällt, die (vernünftige) Seele gefällt (dir).“

Dieser Text fasst den Gott in pan(en)theistischer Weise und ordnet dem so verstandenen Gott die personal-theistischen Götternamen der griechischen und römischen Tradition zu, die „Charakteristika, Fähigkeiten, Aktivitäanderes als eine Variation der Bezeichnung für Gott ist. Damit ist er bei seinem Thema, den Namen Gottes. Zum Argumentationsgang von Benef 4,6–8 vgl. Griffin, Society, 229.235f. 69  Zur Übersetzung von § 2 vgl. neben Rosenbach, Seneca, 5 303, auch Wildberger, Seneca, 1 25.

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ten oder Wirkungsweisen Gottes oder … Dinge, die Gott hervorbringt“, bezeichnen.70 Die grundlegende pan(en)theistische Dimension von Benef 4,7f. zeigt sich zum einen in der Aussage, die göttliche Vernunft sei der ganzen Welt und allen ihren Teilen eingepflanzt (4,7.1).71 Dies gilt entsprechend für die Bestimmung des Gottes als desjenigen, der dem Menschen in allen Dimensionen der Natur entgegenkommt, von dem nichts frei ist und der sein Werk vollständig ausfüllt. Zum anderen zeigt sich die pan(en)theistische Seite des Textes in den unpersönlichen Bezeichnungen dessen, was J. Wildberger das „Prinzip Gott“ nennt, das „von den Griechen mit Zeus und den römischen Stoikern mit Juppiter gleichgesetzt“ wird.72 An unpersönlichen Bezeichnungen für diesen Gott werden Natur, Fatum und Fortuna genannt.73 Anders als es das Verhalten des Interlokutors Senecas nahelegt, ist die Natur aber nicht a-theistisch zu verstehen, sondern als Erscheinungsweise des Gottes. Natur und Gott sind ein und dasselbe, ebenso Fatum und Fortuna. Sie sind unterschiedliche Wirkungsweisen des einen Prinzips Gott. Durch keinen der Namen, die der pan(en)theistischen Gottesvorstellung zugeordnet sind, wird der Gott als eine göttliche Person identifiziert, die mit dem Einzelnen in spezifischer Weise in Beziehung träte und spezifische Gaben gäbe. Er kommt allen in gleicher Weise entgegen, da er in allem gleichermaßen zugegen ist, wenn auch in unterschiedlicher Reinheit.74 Daran ändern auch die personal-theistischen Götternamen nichts, die Seneca in Benef 4,7f. anführt. Das ‚Prinzip Gott‘ kann dem religiösen Brauchtum der Römer entsprechend zwar ‚Iuppiter Optimus und Maximus‘75 wie auch ‚Tonans‘ und ‚Stator‘ 76 genannt werden. Wie Senecas Bemerkungen zum Namen Stator zeigen, gilt dies freilich unter der Voraussetzung, dass ‚Stator‘ nicht im Sinne der Geschichtsschreiber mythologisch, sondern philosophisch gedeutet wird.77 Bei Zugrundelegung dieses hermeneutischen Prinzips steht der Name ‚Stator‘ für den im Kontext pan(en)theistisch bestimmten Gott als Erhalter des Alls. Die Allegorisierungen der traditionellen Götternamen Liber Pater, Hercules und Mercurius sind unmittelbar für das pan(en)theistische Gottesdenken der Stoa transparent. Als die „Kraft der Samen“ steht der ‚Vater‘ von allem hinter der Hervorbringung aller Körper der 70 

Wildberger, Seneca, 1 24f. Zur stoischen Lehre von der πολυωνυμία vgl. Setaioli, Theology, 389f. 71 S. auch Ep 65,2 sowie DiogLaert 7,134. 72 Ebd., 24. 73  Zu diesen Identifikationen vgl. Griffin, Society, 237f. 74  Vgl. dazu Wildberger, Seneca, 1 22–24. 75  Die beiden Attribute Juppiters, Optimus und Maximus, sind besonders in Verbindung mit der staatlichen Ordnung von Bedeutung; vgl. Graf, Iuppiter, 78f. 76  Zur Erklärung des Namens Stator s. o. Benef 4,7.1 und dazu Griffin, Society, 236f. Tonans bezieht sich auf Juppiter als Donnerer. 77 Vgl. Wildberger, Seneca, 1 36.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

differenzierten Welt einschließlich des Menschen.78 Als Kraft und Vernunft durchwaltet er das All.79 Die vielen Namen des Gottes von Benef 4,7f. stehen für die vielfältigen Wirkungsweisen eines Gottes, der alles durchdringt und dem Menschen in allem entgegenkommt. So erweisen sich die traditionellen Namen der Götter ähnlich wie in der Älteren Stoa80 als Personifikationen des ‚Prinzips Gott‘81 und ermöglichen dem religiös gestimmten Stoiker die Vereinbarkeit von Religion und Philosophie.82 Vor diesem Hintergrund ist die göttliche Hilfe, die Cancik-Lindemaier/Cancik im Kontext ihrer Interpretation des ethischen Bemühens des Weisen anhand von Ep 41 als besonderes Merkmal der Jüngeren Stoa herausarbeiten, kaum als akzidentelle, gnadenhafte Hilfe eines personal-theistisch verstandenen Gottes zu deuten. Vielmehr ist sie in den anthropologischen Voraussetzungen zu sehen, die dem Menschen als ‚rationale animal‘ von dem Gott eingestiftet sind, nämlich in ‚animus‘ und ‚ratio‘, derer sich der Weise in eigener Kraft und Verantwortung bedient. Dabei ist unstrittig, dass die stoische Vorstellung von der Allwirksamkeit des Gottes sein Verständnis als Geber des dem Menschen spezifischen Vermögens, wie etwa der Entschlüsse, einschließt. Er gibt sie jedoch dem Menschen als Gattungswesen, nicht aber einzelnen Menschen, und das heißt implizit zugleich: und anderen nicht. Die personal-theistisch formulierten Gottesaussagen bei Seneca sind deshalb als religiös gefärbte Konkretionen eines wesenhaft pan(en)theistischen Gottes zu verstehen. Demgemäß verweist M. von Albrecht trotz der von ihm wiederholt herausgestellten Aussagen Senecas zur Nähe des Gottes auf den „Unterschied zwischen dem ab78  Vgl.

ebd., 205–208. Zur Kraft vgl. Ep 41,5; zur Vernunft vgl. etwa auch Benef 4,7.1. 80  Vgl. dazu den von Philodemus, Piet 4,12–8,13, überlieferten und von Mansfeld, Theology, 461f., zitierten Text von Chrysipp und dazu ebd., 462: „the gods being parts, or rather manifestations, of the supreme ruling divinity who pervades the whole cosmos“ (Mansfeld, ebd., qualifiziert diesen Text als „pantheistic“); s. ferner DiogLaert 7,147. 81  Vgl. auch Long, Epictetus, 144: „Strictly … these gods“ – das heißt die Götter, von denen die Stoiker im Plural sprechen, und die Götternamen der griechischen und römischen Popularreligion – „are only symbolical ways of referring to the world’s most powerful constituents all of which owe their existence to the single ‚active principle‘ named God in the singular or Zeus.“ S. ferner Noormann, Paränese, 356 (mit weiterer Literatur), und Hadot, Burg, 226, der für die Stoa insgesamt feststellt, „daß die Gestalten der Götter, die sich über das Los des Individuums beraten, … lediglich mythische und bildhafte Ausdrücke sind, dazu bestimmt, die stoischen Vorstellungen der Vernunft und des Schicksals lebendiger und persönlicher zu machen“. 82  Wildberger, Seneca, 1 36, zufolge dienen Allegorie und Etymologie bei Seneca dazu, „neues Wissen“, nämlich philosophisches Wissen, „in althergebrachte Kultformen zu integrieren und die herkömmlichen Götter so umzudeuten, daß sie auch von einem aufgeklärten Stoiker mit Fug und Recht verehrt werden können“. Deshalb konnte Seneca als römischer Politiker auch Kulthandlungen vollziehen. 79 

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strakten Monotheismus der Philosophen und dem persönlichen Gott der Christen“83 bzw., wie zu ergänzen ist, der Juden.

8.3 Zum Verhältnis personal-theistischer und pan(en)theistischer Gottesaussagen bei Epiktet Im Sinne einer Gegenprobe wird im Folgenden mit Epiktet ein weiterer Vertreter der kaiserzeitlichen Stoa in den Blick genommen, dessen Theologie von A.A. Long ein „warmly and urgently personalist tone“ attestiert worden ist.84 Diese Dimension seines Denkens hat verschiedentlich dazu geführt, dass sein Gottesverständnis als auch theistisch qualifiziert worden ist.85 Gleichzeitig ist zu beobachten, dass sich Epiktet nur am Rande mit der stoischen Physik und ihrem pan(en)theistischen Verständnis des Gottes beschäftigt.86 Sein Hauptinteresse gilt der Präsenz Gottes im Menschen, seiner Providenz und Fürsorge für die Menschen und der Rolle und den Qualifikationen, die sie als die privilegiertesten Mitglieder des „divine orchestra“ spielen.87 Deshalb soll im Folgenden anhand eines zentralen Textes Epiktets ausgelotet werden, was Theismus im Rahmen stoischen Denkens in seiner äußersten Zuspitzung bedeuten kann, um anschließend vor dem Hintergrund der Analysen zu Seneca und Epiktet das Spezifikum des stoischen Theismus im Vergleich zu seiner in dieser Untersuchung hervorgetretenen philonischen Gestalt umreißen zu können. Ausgangspunkt der folgenden Darlegungen ist der für die Frage nach dem Gottesverständnis Epiktets als grundlegend beurteilte Text Diss 1,14.88 Der Text wird zunächst in Übersetzung wiedergegeben.89 83 

Von Albrecht, Wort, 149; dieser Unterschied dürfte nicht zuletzt an Benef deutlich geworden sein. Vgl. auch Setaioli, Theology, 389: Senecas Gott „is not, and cannot be, a personal god, though he repeatedly calls him parens, ‚father‘“. 84 Vgl. Long, Epictetus, 143. 85  Vgl. ebd., bes. 156, sowie Algra, Epictetus, bes. 33: „the prominence of ­theistic language in the Discourses is indeed striking“. Fetz, Dialektik, 190, qualifiziert den Gott Epiktets als einen „persönlichen Gott(es), zu dem der Mensch in ein vertrauensvolles Ich-Du-Verhältnis treten kann“; ähnlich Vollenweider, Lebenskunst, bes. 150–152. 86 Vgl. Long, Epictetus, 148–152. Zur Gewichtung der Physik in der römischen Stoa vgl. Reydams-Schils, Stoics, 37–43. 87  Long, Epictetus, 153; zum Ganzen vgl. auch ebd., 148.151. Long bezeichnet das umschriebene Hauptinteresse Epiktets im Unterschied zu der in Diss ebenfalls erkennbaren kosmischen Perspektive als theistisch. Insgesamt gewichtet er das Verhältnis von theistischen und pantheistischen Tendenzen in der theologischen Sprache und Schwerpunktsetzung Epiktets folgendermaßen: „(t)heist rather than pantheist, personalist rather than impersonal, ethical rather than physical“ (ebd., 156). 88  Long, ebd., 25, zufolge ist Diss 1,14 „better than any summary to show how he expresses and interprets the characteristically Stoic perspective on cosmic order (Epictetus prefers to call it God) and human nature“. Deshalb druckt er den Text, ebd., 25f.,

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„1 Als aber einer fragte, wie jemand (davon) überzeugt werden könne, dass jede seiner Taten von Gott überblickt werde, sagte er (sc. Epiktet): Meinst du nicht, dass alles zu einer Einheit verbunden ist (ἡνῶσθαι τὰ πάντα)? Ich meine es, sagte er. 2 Gut, meinst du nicht, dass die irdischen (Dinge) mit den himmlischen in Wechselwirkung stehen (συμπαθεῖν)? Ich meine es, sagte er. 3 Denn wie (wäre es sonst möglich), dass (alles) so regelmäßig (geschieht), als ob auf Anordnung Gottes? Wenn dieser den Pflanzen sagt, dass sie blühen sollen, blühen sie; wenn er sagt, dass sie keimen sollen, keimen sie; wenn (er sagt), dass sie Furcht bringen sollen, bringen sie Frucht … 4 Und wäre es (sonst möglich), dass man bei der Zunahme und Abnahme des Mondes und dem Kommen und Gehen der Sonne eine solche Veränderung bei den irdischen (Dingen) und (ihre) Verwandlung ins Gegenteil sieht? 5 Aber wenn schon die Pflanzen und unsere Körper so mit dem Weltall verbunden sind (ἐνδέδεται τοῖς ὅλοις) und in Wechselwirkung (mit ihm) stehen (συμπέπονθεν), (gilt) das nicht so viel mehr für unsere (vernünftigen) Seelen (ψυχαί)90? 6 Aber wenn (unsere) vernünftigen Seelen so mit Gott verbunden (ἐνδεδεμέναι) sind und (mit ihm) in Zusammenhang stehen (συναφεῖς), wie sie ja Teile (μόρια) und Fragmente (ἀποσπάσματα) von ihm sind, nimmt Gott (dann) nicht jede Bewegung von ihnen als ihm gehörig (οἰκείου) und mit ihm verwachsen wahr (συμφυοῦς)? 7 Aber du hast die Macht, über die göttliche Regierung und über jede der göttlichen wie auch über (jede) der menschlichen Angelegenheiten nachzudenken und von den unzähligen Dingen teils (im Bereich der) sinnlichen (Wahrnehmung), teils (in dem des) Denkvermögens bewegt zu werden, teils (in dem die) Zustimmung, die Ablehnung und die Enthaltung (des Urteils betreffenden); 8 du bewahrst in deiner (vernünftigen) Seele so viele Eindrücke (τύπους) von so vielen und verschiedenartigen Dingen und, von diesen (Eindrücken) bewegt, kommst du auf Gedanken, die den ursprünglichen Eindrücken entsprechen, und von unzähligen Dingen bewahrst du eine um die andere Fertigkeit und Erinnerungen. 9 Ist Gott dann nicht fähig, alles zu überblicken (πάντα ἐφορᾶν) und in allem anwesend zu sein (πᾶσιν συμπαρεῖναι) und von allen Dingen (ἀπὸ πάντων) eine gewisse (Wirkung) durch Weitergabe (διάδοσιν) zu empfangen?91 10 Doch ist die Sonne fähig, einen so großen Teil des Alls zu erleuchten und nur das Wenige unbeleuchtet zu lassen, das vom Schatten bedeckt ist, den die Erde wirft. Der aber, der auch die Sonne gemacht hat und sie, die (nur) ein kleiner Teil von ihm vollständig ab. Ebd., 147, behauptet er von § 13f., dass „(n)o passage is more revealing“ hinsichtlich von „God’s concern for human beings“ als eben dieser Text; der genannte „concern“ repräsentiert bei ihm die personal-theistische Seite Gottes. S. ferner ebd., 142f., Algra, Epictetus, 36f., und Wildberger, Self, 30–35. 89  Zur Übersetzung des Textes wurde neben den im Literaturverzeichnis genannten Übersetzungen auch Long, Epictetus, 25f., konsultiert. 90  Die Wiedergabe für ψυχαί nimmt „minds“ bei Long, ebd., 25, auf; vgl. auch Pape, 2 1403, s. v. ψυχή: „Geist, Verstand“, sowie oben Kap. 6, Anm. 1.5. Diese Verwendung von ψυχή entspricht der Rede vom ‚animus‘ in Senecas Ep 41. 91  So im Anschluss an Wildberger, Seneca, 1 17. Ähnlich findet sich der Ausdruck κατὰ διάδοσιν bei Sextus Empiricus (SVF 2,1013). Dobbin, Epictetus, 31, übersetzt: „and enjoy a certain communication with“.

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ist im Vergleich zum Ganzen, zum Umkreisen (der Erde) bringt, vermag dieser nicht alles wahrzunehmen? 11 Aber ich, sagt er, vermag dem allen nicht sogleich zu folgen. Sagt dies aber auch irgendeiner zu dir, dass du dieselbe Fähigkeit wie Zeus hast? 12 Aber nichtsdestotrotz hat er einem jeden als Aufseher (ἐπίτροπον) den ihm eigenen göttlichen Geist (τὸν ἑκάστου δαίμονα) zur Seite gestellt, und hat ihn an ihn (sc. den göttlichen Geist) überantwortet, damit er ihn hüte, und (zwar als Aufseher, der) nicht schläft und nicht zu täuschen ist. 13 Denn welchem anderen besseren und fürsorglicheren Hüter (κρείττονι καὶ ἐπιμελεστέρῳ φύλακι) hätte er einen jeden von uns überantworten sollen? Daher, wenn ihr die Türen schließt und es drinnen (ἔνδον) dunkel macht, erinnert euch daran, niemals zu sagen, dass ihr allein (μόνοι) seid. 14 Denn ihr seid es nicht, sondern der Gott ist drinnen (ὁ θεὸς ἔνδον ἐστί) und euer göttlicher Geist (ὁ ὑμέτερος δαίμων) ist es (ebenfalls). Und welches Lichtes bedürfen diese, damit sie sehen, was ihr tut? 15 Diesem Gott müsst auch ihr einen Eid schwören, wie die Soldaten dem Caesar. Aber jene schwören, wenn sie (ihren) Sold empfangen, allem anderen das Wohlergehen Caesars vorzuziehen; ihr aber, die ihr schon großer und zahlreicher (Vorzüge) gewürdigt wurdet, schwört ihr etwa nicht oder, wenn ihr bereits geschworen habt, bleibt ihr etwa nicht (bei eurem Eid)? 16 Und was werdet ihr schwören? Niemals ungehorsam zu sein, niemals zu klagen und euch niemals über irgendetwas von dem, was von jenem (sc. Gott) gegeben wurde, zu beschweren, auch nicht (die Dinge) widerwillig zu tun oder zu erleiden, die unvermeidlich sind. 17 Ist dieser Eid jenem (sc. an Caesar) gleich? Dort schwören sie, diesem keinen anderen an Ehre voranzustellen, hier aber allem anderen sich selbst (αὑτούς) (an Ehre voranzustellen).“

Ausgangspunkt der Diatribe ist die vom Gesprächspartner Epiktets in die Diskussion eingebrachte These, dass der Gott jede Handlung des Menschen überschaue (§ 1). Der Gott ist ausweislich seiner Charakterisierung in der Schülereinlassung ein personal-theistisch verstandener Gott. Die Antwort des Philosophen umfasst zwei Teile. Im ersten (§ 1–11) nennt Epiktet als Grund dafür, dass Gott alle Taten des Menschen übersieht, die universale kosmische ‚Sympathie‘; er argumentiert hier also aus einer pan(en)theistischen Perspektive. Im zweiten Teil (§ 12–17) verweist er dagegen in personal-theistischer Zuspitzung der pan(en)theistischen Aussagen des ersten Teils auf die Präsenz des Gottes im Menschen.92 Im Einzelnen argumentiert er folgendermaßen: Weil das All eine Einheit darstellt (§ 1), stehen alle Dinge in ihm in Wechselwirkung 93, Irdisches und Himmlisches. Epiktet illustriert dies anhand verschiedener Naturphänomene. Er zeigt, dass nichts in der Natur einschließ92  Vgl. dazu Algra, Epictetus, 42f., Wildberger, Self, 30, und Dobbin, Epictetus, 149, der den zweiten Teil der Diatribe als eine „consequence of pantheism“ bestimmt. 93 Vgl. Oldfather, Epictetus, 1 100, Anm. 1: „This is the famous principle of συμπάθεια …, i. e., the physical unity of the cosmos in such a form that the experience of one part necessarily affects every other“; vgl. dazu ferner Dobbin, Epictetus, 148f. („Being in sympathy with itself means that an affection in one part of the universe is felt throughout“ [ebd., 148]), sowie Wildberger, Seneca, 1 16–20, bes. 16. Ebd., 2 485, Anm. 11, verweist sie auf verschiedene stoische Parallelen zu Diss 1,14.4.

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lich des menschlichen Körpers ohne Anweisung des Gottes geschieht (§ 3–5a). Mittels eines Schlusses vom Leichteren auf das Schwerere schließt er von der Ebene der Materie auf den menschlichen Geist: Wenn Pflanzen, der Lauf der Sterne und der Leib des Menschen mit dem Universum verbunden sind, gilt dies umso mehr für den menschlichen Geist (§ 5). Für diesen konkretisiert er den Sympathie-Gedanken mit einer Reflexion auf den spezifischen Zusammenhang zwischen der vernünftigen Seele und Gott (§ 6). Die menschliche Seele bestimmt er als Teil und Fragment des kosmischen Gottes. ἀπόσπασμα, wörtlich ‚abgerissener Teil‘, ist seit Zeno terminus technicus für einen Teil oder ein Stück der mit Gott identischen Weltenseele.94 Die Sympathie zwischen Gott und Mensch, die es jenem erlaubt, die Bewegung der menschlichen Seele als Teil seiner selbst wahrzunehmen, basiert auf der Tatsache, dass der Gott physisch-materiell95 verstandene Stücke des vernünftigen Pneumas, das er selbst ist, über den ganzen Kosmos ergießt und an jedes vernünftige Wesen, die Menschen also, austeilt.96 Damit baut Epiktet ein pan(en)theistisches Element in den übergeordneten theistischen Zusammenhang ein.97 Wie man sich die Sympathie zwischen den räumlich getrennten Fragmenten der vernünftigen Seele im Menschen und dem Gott vorzustellen hat, erläutert Epiktet in § 7–9.98 Weil der Mensch ein Fragment der göttlichen Vernunft in sich trägt, übt er die vielen in § 7f. erwähnten Verstandestätigkeiten aus99 und affiziert damit den Gott, der „von allen Dingen“, einschließlich der Gedanken des Menschen, eine „(Einwirkung durch) Transmission“ empfängt und darum alles überblickt. In § 10 folgt ein weiteres Argument für 94 Vgl. Dobbin, Epictetus, 152, unter Hinweis auf DiogLaert 7,142f. Zum ἀπόσπασμα vgl. SVF 1,128: „Zeno sagt, dass das Sperma, das ein Mann ergießt, Geist in Gestalt von Feuchtigkeit ist, ein Stück und Fragment der Seele (πνεῦμα μεθ’ ὑργοῦ, ψυχῆς μέρος καὶ ἀπόσπασμα)“; zu weiteren Definitionen vgl. ebd. sowie SVF 2,742. Wildberger, Self, 29, weist darauf hin, dass „in other Stoics the word always indicates detached portions of God that are humans or their minds“. (Der Begriff ἀπόσπασμα wird im übrigen auch mehrfach von Philo gebraucht; vgl. Opif 146; Leg 3,161; Det 90; Her 283; Mut 222f.; Somn 1,34 und dazu Reydams-Schils, Philo, sowie dies., Stoics, 123–126. So zeigt sich hier eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der stoischen und der philonischen Anthropologie.) 95  Vgl. Anm. 94 und zum Ganzen bes. Sedley, Hellenistic physics, 388–390, Algra, Epictetus, 43, und Wildberger, Seneca, 1 75–78.233f. 96 Vgl. dies, Self, 33. 97  Vgl. § 1a.12–17 und dazu s. o. 98  Vgl. dazu Wildberger, Self, 33. 99  So zeigt sich auch in § 6–8 die bereits in Kap. 6, Anm. 53, sichtbar gewordene Verbindung von Theonomie und Autonomie bei Epiktet, die Long, Epictetus, 186–189, folgendermaßen fasst: „We don’t need God, as distinct from ourselves, to tell us what to do, but we are able to tell ourselves what to do only because of the way our nature has been constructed. And the author of our nature’s construction is God“. Zu den hier erwähnten Geistestätigkeiten s. o. Kap. 6 sowie Kap. 7.2.4.

Kapitel 8: Zum Gottesverständnis in der Stoa

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den kosmisch-universalen Überblick des Gottes, das das Problem aus der entgegengesetzten Perspektive betrachtet, das heißt von dem Gott her. Der Gott wird mit der Sonne verglichen, die fast das gesamte All beleuchtet. Dar­ aus ergibt sich, wie Epiktet mit einem impliziten, auf dem stoischen Pan(en)theismus basierenden Schluss a minore ad maius argumentiert100, dass der Gott umso mehr alles wahrzunehmen vermag, was Taten (§ 1) und Gedanken (§ 7f.) des Menschen einschließt. § 10 ist hier aber noch aus einem weiteren Grund von Interesse. Epiktet setzt den Gott hier mit dem Ganzen gleich, von dem die Sonne ein Teil ist und von dem sie bewegt wird. Dieses Ganze aber ist der Himmel.101 „This is the closest Epictetus ever comes to describing God in the specific Stoic sense of the leading part or mind of the cosmos, which was identified with the ether, the fiery outer layer of the cosmos, or the purest uttermost part of it“.102

Damit bedient sich Epiktet im ersten Teil seiner Argumentation von Diss 1,14 einer weiteren pantheistischen Vorstellung, die er dem personal-theistisch zentrierten Gesamtargument einordnet. Demgegenüber argumentiert der zweite Teil der Diatribe 1,14 ausschließlich personal-theistisch. Dies verdeutlichen insbesondere die in § 12–17 gebrauchten Metaphern und Vergleiche.103 Der Gott, der alles übersieht, ist für Epiktet kein anderer als der Gott, der den Namen Zeus trägt. Dieser stellt jedem Menschen einen Aufseher zur Seite, der nicht schläft und nicht zu täuschen ist und der ein fürsorglicher Hüter ist (§ 12f.). In § 15–17 wird der Gott sodann mit dem Kaiser verglichen, und wie diesem von den Soldaten so ist auch jenem von den Philosophenschülern ein Eid zu schwören. Diese für den Theismus charakteristischen „warmly … personalist“ Bestimmungen des Gottes Epiktets berühren sich in der Tat mit der biblischen Rede von Gott.104 Dies ist aber nicht das ganze Bild. Die Person des Gottes Epiktets weist zugleich ganz andere Züge auf. So identifiziert er in § 12 den Aufseher und Hüter des Menschen mit dem ‚Daimon‘, dem göttlichen Geist105, der für ihn mit 100 Vgl.

Dobbin, Epictetus, 149. Wildberger, Self, 32. 102 Ebd., 32. Zu dieser Vorstellung s. auch oben Kap. 3.1.1. 103  Vgl. dazu Long, Epictetus, 168–172. Long, ebd., 170, zufolge dient der Gebrauch von Metaphern und Vergleichen der Betonung der „personalist conception of God“. Vgl. auch Vollenweider, Lebenskunst, 133–140, zu drei von ihm als „Gleichnis“ bestimmten Abschnitten in Diss 4,1.85–110, denen er Parallelen aus dem Neuen Testament zur Seite stellt. 104  Zum Motiv des nimmer schlafenden Hüters vgl. Ps 121,3f.; zu Gott als dem, dem kein Tun und Denken des Menschen verborgen ist, vgl. Ps 139; zur Frage des Eides an Gott und Mensch vgl. Lev 19,12; Num 30,3; Mt 6,33–37 u. ö. 105  δαίμων steht hier für den göttlichen Geist im Menschen; vgl. Dobbin, Epictetus, 153, Long, Epictetus, 163, und Wildberger, Self, 34; zum Verständnis des Daimon in der Stoa vgl. Long, aaO., 163–168. Die Vorstellung eines inneren Dämon findet sich be101 Vgl.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

dem ‚Gott drinnen‘ zusammenfällt.106 Der so bestimmte Gott erscheint als „an alter ego or at least a superego“107 bzw. als eine Art unabhängiger Wächtergeist108, der dem Ich des Menschen selbständig gegenübertritt. Deshalb kann Epiktet behaupten, dass der Mensch niemals allein sei (§ 13). Der Daimon bzw. der ‚Gott in uns‘ aber ist mit dem ἀπόσπασμα , als welches er die vernünftige Seele des Menschen bestimmt, identisch.109 Der göttliche Geist im Menschen, der Daimon, fällt deshalb mit der menschlichen Vernunft, die das Selbst konstituiert, zusammen, da er Teil der Allvernunft, und das heißt: Teil der Substanz bzw. des Wesens Gottes im Inneren des Menschen ist.110 Nach dem Vergleich zwischen Caesar und dem Gott wäre zu erwarten, dass die Schüler Epiktets in Analogie zu den kaiserlichen Soldaten, die dem Daimon des Caesar schwören111, sein Wohlergehen allem anderen voranzustellen, den Eid ablegen, vor allem anderen dem Gott Ehre zu erweisen. Epiktet fordert sie jedoch dazu auf, sich selbst (αὑτούς) an die erste Stelle zu setzen (§ 17). Das Selbst ist hier freilich das mit dem Daimon und dem ‚Gott drinnen‘ identische Selbst. Indem die Anhänger des Gottes schwören, allem anderen sich selbst voranzustellen, stellen sie damit zugleich denjenigen vor­an, dessen Teil und Fragment ihr Geist bzw. ihre Vernunft ist, nämlich den Gott. Der Gott in Gestalt des ‚Gottes drinnen‘, des Daimon, und das mit der Vernunft identische Selbst fallen, kurz gesagt, zusammen. Deshalb betont Long zu Recht, dass „(a)lthough Epictetus sometimes speaks as if the pre-

reits bei Chrysipp. Ihm zufolge besteht „die Tugend des glücklichen Menschen und der gute Fluss seines Lebens“ darin, dass „alle Handlungen im Einklang des Schutzgeistes (τοῦ παρ’ ἑκάστῳ δαίμονος) eines jeden Menschen mit dem Willen des Verwalters von allem insgesamt erfolgen“ (Long/Sedley, Philosophen, 471 [63C]); vgl. dazu Hard/ Gill, Epictetus, xvii. 106  Zum innerstoischen Hintergrund des Daimon als des ‚Gottes in uns‘ vgl. Wildberger, Seneca, 1 222. Zu Diss 1,14.12 vgl. bes. Ep 41,1f. und dazu s. o. Kap. 8.2. 107  Long, Epictetus, 165, für den Daimon. 108 Vgl. Algra, Epictetus, 43, Anm. 40, in Fortsetzung der Aussage Longs. 109 Vgl. ebd., 43. S. auch Marc Aurel, Wege 5,27: „Mit den Göttern lebt zusammen, wer ihnen ununterbrochen seine Seele zeigt, wie sie über das Zugeteilte (τοῖς ἀπονεμομένοις) zufrieden ist und tut, was immer der Daimon will, den Zeus jedem als Beschützer (προστάτην) und Leiter (ἡγεμόνα) beigegeben hat, als ein Bruchstück seiner selbst (ἀπόσπασμα ἑαυτοῦ). Dieser aber ist eines jeden Geist und Vernunft (ὁ ἑκάστου νοῦς καὶ λόγος)“. S. ferner 12,26: „dass der Geist eines jeden Gott ist (ὁ ἑκάστου νοῦς θεός), und von dort drüben geflossen ist“. Insgesamt hebt Rutherford, Meditations, 219, für Marc Aurel die Vorstellung von „relatively impersonal, inscrutable gods“ hervor. Demgemäß weist Long, Epictetus, 178, darauf hin, dass bei Marc Aurel die physikalische Seite Gottes dominiert. Er vermutet als Ursache für den Unterschied zwischen Epiktet und Marc Aurel „a difference … between their experience and status, or at least their temperaments“. 110 Vgl. Wildberger, Self, 34. 111 Vgl. Dobbin, Epictetus, 155.

Kapitel 8: Zum Gottesverständnis in der Stoa

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sence or availability of his voice pluralizes the person, or makes the person distinct from his daimôn, we should regard that language as metaphor“.112 Dies bestätigt K. Algras Untersuchung weiterer personal-theistischer Aussagen im Werk Epiktets. Hilfe und Wohltaten des Gottes seien ausschließlich moralischer und geistiger Art und „come to us through our own rationality“.113 Wenn es heiße, dass der Gott zu uns rede, dann sei dies ein Kürzel dafür, dass er den Menschen durch den Logos der Philosophen zu erreichen suche.114 Ferner sei unter der Strafe Gottes keineswegs dessen direkte Intervention zu verstehen, vielmehr seien die Konsequenzen einer moralisch verwerflichen Disposition im Blick, so dass das den Menschen betreffende Unheil als selbstverursacht zu gelten habe.115 Das Gebet schließlich, das als Manifestation des Theismus par excellence zu gelten habe, erscheine bei Epiktet als funktionales Äquivalent zum Genus der Selbstermahnungen.116 Wie Algra Mal um Mal zeigt, transzendiert Epiktet den durch die Ältere Stoa vorgegebenen Rahmen nicht. Er spitzt den überlieferten Kern einseitig zu, ohne ihn jedoch in Frage zu stellen. Epiktets „warmly … personalist“ Gott ist so kein anderer als die pan(en)theistisch verstandene Gottheit der orthodoxen Stoa. Dies zeigt sich besonders in Diss 1,14, wo er die beiden Gestalten der Gottheit verbindet.117

8.4 Fazit Im Vergleich mit Seneca ist bei Epiktet eine weit stärkere Betonung personal-theistischer Ausdrucksformen zu beobachten. Die beiden Autoren scheinen die theistische und die pan(en)theistische Dimension des Gottes der Stoa genau umgekehrt zu gewichten. Während bei Seneca der ‚Gott in allem‘ do112 

Long, Epictetus, 166. Algra, Epictetus, 45. – Forschner, Theorie, 116, bezeichnet die Deutung der Theologie Epiktets durch Algra als „überzeugend“. 114 Vgl. Algra, Epictetus, 45. 115  Vgl. ebd., 46; zur Rede von Gott als Vater und dem Menschen als Sohn vgl. ebd., 46f. 116  Vgl. ebd., 47.50. Vgl. demgegenüber Vollenweider, Lebenskunst, 140f., dessen Beitrag als Gegenentwurf zu Algra, Epictetus, gelten kann, auch wenn er ebd., 151, Anm. 109, die Untersuchungen von Jagu, Épictète, und im Anschluss an ihn von Cassanmagnago/Reale, Epitteto, 31–36, auf der einen und die Arbeiten Algras auf der anderen Seite als „einseitig“ bezeichnet. Vollenweider selbst postuliert ebd., 151f., „eine bestimmte religiöse Haltung und Praxis Epiktets zunächst ganz unabhängig von der philosophischen Schulung“, die sich aber, wie er selbst betont, „biographisch nicht verifizieren“ lasse. Er geht für den Philosophen von einer „persönliche(n) Beziehung zu Zeus“ aus. Diese Frömmigkeit habe er „in die pantheistische Dimension hinein“ entwickelt. – Zum Gebet bei Seneca vgl. Setaioli, Theology, 396, zum Gebet in der Stoa im Allgemeinen vgl. Algra, Theology, 174–177. 117  Epiktet gilt als „orthodoxer“, zugleich aber innovativer Stoiker; vgl. etwa Long, Epictetus, bes. 12–34, Algra, Epictetus, 42, und Gill, Structured Self, 373. 113 

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

miniert, der alles in allem ist, steht bei Epiktet ein stärker theistisch gezeichneter Gott im Zentrum, dessen Kommunikation mit dem Menschen sich aber gut stoisch ausschließlich über die Vernunft als dem Teil des ‚Gottes in ihm‘ vermittelt. Innerstoisch bedeutet dies eine Verschiebung. Für die Frage nach dem Verhältnis zum Gottesverständnis Philos ist dieser Unterschied jedoch unerheblich. Der mit ‚Wärme‘ gezeichnete persönliche Gott Epiktets unterscheidet sich vom persönlichen Gott Philos in grundsätzlicher Weise. Dieser ist der transzendente Gott, der ontologisch von Kosmos und Menschenwelt geschieden ist118, der sich je und je offenbart und Gnade übt, während für Epiktet und ähnlich für Seneca der persönliche Gott ontologisch mit dem vollkommenen Geist des Menschen verbunden ist, der ein Fragment des Gottes ist. Gnade und Erlösungshandeln sind so auch bei diesen beiden Stoikern keine Merkmale der Gottheit.119 So bestätigen die in diesem Kapitel vorgenommenen eingehenderen Analysen zum Verständnis des Gottes in der kaiserzeitlichen Stoa die in Kap. 7 verschiedentlich markierten Differenzen zwischen Philo und der Stoa, die dort regelmäßig im Verhältnis von Gott und Selbst zu beobachten waren. Die Alternative von Gott und Selbst, die Philo in Leg 3,28–31 formuliert, ist damit zugleich für das Gottesverständnis der Stoa transparent. Die Seele des Menschen, von der Philo sagt, sie wähle den eigenen Geist zum Bundesgenossen, tut dies, weil sie den eigenen Geist als Fragment des Gottes weiß und deshalb in ihm alle Ressourcen zur Verfügung glaubt, derer sie bedarf. Für Philo hingegen ist der eigene Geist als gewordener und sterblicher nichtig. Er nimmt darum zu dem Geist des von der menschlichen Vernunft unterschiedenen Gottes Zuflucht, weil er in ihm alle Ressourcen vorhanden weiß, derer der nichtige Mensch bedarf.

118  Dies ist, wie gesehen, bei Epiktet nicht der Fall. Entsprechendes gilt für Seneca, für den Setaioli, Theology, 383, hervorhebt, dass sein Gott „cannot be conceived of as an entity separated from his phenomenalization in nature and the cosmos“. Dieser wird von Seneca als „urbs diis hominibusque communis‘ bestimmt (Marc 6,18.1), was der bekannten Formulierung der griechischen Stoiker entspreche: πόλις … ἐκ θεῶν καὶ ἀνθρώπων συνεστῶσα (SVF 2,528). „Such a unitary cosmos entails no impassable gulf between God and man“. 119 S. ähnlich Forschner, Theorie, 116f., für den Unterschied von stoischer und christlicher Religiosität, die in der hier erörterten Frage jedoch mit der philonisch-jüdischen übereinstimmt.

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Kapitel 9

Paulus und die Frage nach dem Selbst Wie gesehen, entspringt Philos Kritik an der Selbstorientierung des Menschen seiner Auseinandersetzung mit dem kaiserzeitlichen Verständnis des Selbst, wie es sich insbesondere in der Stoa artikuliert. Für die Eruierung der Kontroverse zwischen beiden Bereichen hat sich die von Philo rezipierte technische Terminologie der Stoa als wichtiger Wegweiser erwiesen. Paulus zeigt in der hier zur Debatte stehenden Thematik allenfalls unspezifische sprachliche Berührungspunkte mit der kaiserzeitlichen Philosophie, von einer Philo vergleichbaren Rezeptionsdichte philosophischer Konzepte ganz zu schweigen. Gleichwohl gibt es einige Argumente, die vermuten lassen, dass auch Paulus den kontemporären Diskurs zum Selbst kannte und sich zumindest indirekt dazu verhielt. Das an erster Stelle zu nennende Indiz sind die weitreichenden konzeptionellen Übereinstimmungen zwischen Philo und Paulus in Bezug auf das Verhältnis von ἐξ ἡμῶν (etc.) und ἐκ τοῦ θεοῦ. Da nach einem weitgehenden Forschungskonsens auch Paulus zumindest mit den Grundzügen des stoischen Denkens, zu denen auch die Frage des Selbst gehört, vertraut war1, ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass auch seine Antworten durch ähnliche Fragen hervorgerufen wurden wie bei Philo. An der geistesgeschichtlichen Großwetterlage der hellenistisch-römischen Kultur partizipiert auch Paulus, wenngleich in anderer Intensität als Philo. Neben diesen allgemeinen Überlegungen gibt es in wenigstens drei Bereichen Hinweise darauf, dass auch Paulus zum Problem des Selbst die stoische Tradition direkt im Blick hatte. (1) Der erste Bereich ist die Gotteserkenntnis. Wie in dem oben erörterten Abschnitt 1Kor 1,18–2,16 gesehen2, weist Paulus neben der jüdischen Weise, Gott zu erkennen, auch und vor allem die Gotteserkenntnis der ‚Griechen‘ zurück. Er kritisiert ihre Weisheitssuche und stellt dieser die Selbstoffenbarung Gottes durch den Geist entgegen. Bei der Weisheitssuche der Griechen dürfte er sich, ausweislich von Röm 1,19f. und des philonischen Befundes, 1  Wie weitreichend seine diesbezüglichen Kenntnisse waren, ist strittig. Dass er aber über einschlägige Kenntnisse verfügte, wird von so unterschiedlichen Autoren wie Hengel und Engberg-Pedersen angenommen; dazu s. o. Kap. 4.2.2, Anm. 59. 2  Dazu s. o. Kap. 2.1.1.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

der hier als Interpretationshilfe herangezogen werden kann, nicht pauschal gegen ‚die‘ Gotteserkenntnis ‚der‘ Griechen als solcher wenden, sondern speziell gegen deren stoische Gestalt. 3 In der stoischen Philosophie wird der Gott durch die menschliche Vernunft erkannt. In unserem Kontext ist hier besonders eine Stelle in den Diatriben Epiktets erhellend. Danach sind es die Vernunft ( λόγου) und die (vernunftmäßige) Beweisführung (ἀποδείξεως), die lehren (μαθεῖν), dass „der Gott alle Dinge in der Welt geschaffen hat, auch die ganze Welt selbst …“ (Diss 4,7.6).4 Demgegenüber ist der paulinische λόγος, das heißt seine Verkündigung, eine ἀπόδειξις von Geist und Kraft (1Kor 2,4f.), „that will generate something other than Epictetus’ ‚learning‘, namely, faith“. 5 Damit stehen sich die Erschließung des Gottes durch die menschliche Vernunft in der Stoa und die Selbsterschließung Gottes, die auf die Antwort des Glaubens zielt, bei Paulus antithetisch gegenüber. Neben der stoischen Form der Gotteserkenntnis gibt es im griechischen Denken, wie gesehen, auch weitere Gestalten, namentlich die platonische, die Philo sich zu eigen machen und der stoischen entgegensetzen kann.6 Die philonisch-platonische Gotteserkenntnis basiert auf zwei Säulen, der menschlichen Such- und Erkenntnisbewegung einerseits und der – letztlich entscheidenden – Selbsterschließung Gottes andererseits. Wie immer es um die paulinische Kenntnis der platonisch-philonischen Gestalt der Gotteserkenntnis im Einzelnen stehen mag, deutlich geworden ist, dass Paulus bei seiner Kritik der griechischen Weise, Gott zu erkennen, kaum die platonische im Auge hatte, sondern die stoische.7 Diese lässt sich, wie Philo es unternimmt, im Sinne eines ἐξ ἡμῶν o.ä. deuten, während für erstere die Selbsterschließung Gottes (ἐκ τοῦ θεοῦ) konstitutiv ist. Sollte die Überlegung von J.M.G. Barclay zutreffen, dass der Gebetswunsch Phil 4,7: „Und der Friede Gottes, welcher jede Vernunft übersteigt (ἡ ὑπερέχουσα πάντα νοῦν), bewahre eure Herzen und Gedanken in Christus Jesus“, (s)einen Ort womöglich in der Auseinandersetzung mit stoischem Denken hatte8, dann wäre dies ein weiterer Hinweis darauf, dass Paulus sein Gottesdenken bewusst dem stoischen entgegenstellt. In diesem Horizont kann die Feststellung, dass der Friede Gottes jeden Nous übersteigt, als Depotenzierung des stoisch gedachten göttlichen Nous im Menschen verstanden werden. Paulus würde sich damit im antiken Diskurs inhaltlich ähnlich 3 

Dazu s. o. Kap. 3.1.1.2 und Kap. 3.1.1.3. Aussage findet sich im Kontext einer gegen die „Galiläer“, das heißt die Christen, gerichteten Polemik; vgl. dazu Engberg-Pedersen, Cosmology, 133. 5  Ebd. Zu 1Kor 2,4f. s. auch oben Kap. 2.1.2. 6  Wie in Kap. 3.1.1.2 gesehen, kann Philo stoische und platonische Gotteserkenntnis aber auch komplementär fassen, wobei er aber der platonisch verstandenen den Vorrang einräumt. 7  Dazu s. o. Kap. 3.1.1.3; s. auch Kap. 3.1.1.2.2. 8 Vgl. Barclay, Security, 68. 4  Diese

Kapitel 9: Paulus und die Frage nach dem Selbst

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positionieren wie Philo. Anders als Philo führt der Apostel hier jedoch keine explizite Auseinandersetzung mit dem stoischen Denken. Auffällig ist gleichwohl, dass diese Aussage in einem Zusammenhang steht, in dem er sich gegen die eigene Sorge wendet (μηδὲν μεριμνᾶτε) und die Gemeinde stattdessen ermahnt, ihre Anliegen im Gebet vor Gott zu bringen (v6). Damit formuliert er in Phil 4,6f. drei Punkte, in denen er von dezidiert stoischen Positionen abweicht: in dem jeden Nous übersteigenden Frieden Gottes, in der Aufforderung zum Gebet9 sowie in seiner Aussage zum Umgang mit der Sorge10. Auch wenn hier nicht von der stoisch verstandenen Selbstsorge die Rede ist, sondern „von einer Sorge, die sich von den alltäglichen Beschwerden und Ängsten beherrschen läßt“11, so zielt die paulinische Aufforderung, die eigenen Anliegen in „Gebet und Bitte mit Danksagung vor Gott“ zu bringen, doch darauf, Gott zum Adressaten der menschlichen Sorge zu machen und nicht die eigene Person. Damit unterscheidet sich Paulus in grundsätzlicher Weise von der erörterten stoischen Konzeption.12 Diese Häufung von direkten und indirekten Bezügen deutet darauf hin, dass sich Paulus hier, bewusst oder unbewusst, in einem stoischen Assoziationsfeld bewegt. (2) Der zweite Zusammenhang, der hier ausführlicher aufzunehmen ist, ist Phil 4,10–20, wo Paulus mit αὐτάρκης einen Begriff verwendet (v11), der mit dem Problem des Selbst unmittelbar verbunden ist. Die Verwendung des Begriffs in diesem Kontext hat in der exegetischen Diskussion der beiden letzten Jahrzehnte eine wichtige Rolle gespielt. Dabei wurde in verschiedenen Beiträgen die Frage nach seiner traditionsgeschichtlichen Herleitung gestellt, die recht unterschiedlich beantwortet wurde. Die ältere Auslegung13 und neuerdings wieder besonders T. Engberg-­ Pedersen plädieren für eine stoische Herleitung des Begriffs.14 Er sieht das Spezifikum der stoischen Deutung der Autarkie darin, dass abgesehen von  9  Vgl.

Seneca, Ep 41,1; dazu s. auch oben Kap. 8.2 und 8.3. Bultmann, μεριμνάω, 594, weist darauf hin, dass der Begriff in der Stoa ebenso wie bei Philo fehlt und durch φροντίς ersetzt wird. 11  Müller, Brief, 195. 12  Der Unterschied erhellt besonders aus Epiktet, Diss 4,1.103–111, wo sich der Philosoph dagegen wendet, sich bei Gott zu beklagen, wenn er einem etwas nimmt oder die eigenen Wünsche keine Erfüllung finden. Vielmehr fordert er zu einer Haltung der Dankbarkeit auf (§ 105f.). Das Selbst soll die eigenen Kräfte nutzen (§ 109) und den Umgang mit dem Unerwünschten zum Gegenstand der Übung von morgens bis abends machen (§ 111). – Bemerkenswert ist schließlich noch, dass Paulus in v11 mit αὐτάρκης einen Begriff aufgreift, der nicht zuletzt in der stoischen Tradition Verwendung findet. Dazu s. u. (2). 13 Vgl. Malherbe, Self-Sufficiency, 126f., unter Hinweis auf R. Bultmann und A. Bonhöffer. 14 Von den Beiträgen von Engberg-Pedersen vgl. bes. Stoicism, 270, Paul, 89f.100–103, sowie Cosmology, 132; s. ferner Müller, Brief, 203f., und Betz, Self-Sufficiency, 106f.110f. 10 

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

dem, was die Autarkie einer Person konstituiert, alles andere ein Adiaphoron sei. „Now that is precisely the idea that Paul uses too“.15 Andere gehen demgegenüber davon aus, dass Paulus den Begriff ähnlich wie die kynische16 und pythagoreische17 Tradition gebraucht. Dazu wird auf den Freundschafts- und Gemeinschaftsgedanken18 in Phil 4,10–20 verwiesen, der hier ähnlich wie in Texten aus diesen beiden Traditionsbereichen den Kontext für die Rede von der Autarkie bilde. Nach A. Malherbe verwendet Paulus den Begriff ähnlich wie der Kyniker Teles, dem zufolge man sich den je und je wandelnden Umständen entsprechend verhalten soll. Paulus beschreibe seine Beziehung zu den Philippern somit in den „clichés of friendship“ und „does not indulge in introspection“, wie es für die Stoiker typisch sei.19 In eigener Weise betont J. M. G. Barclay, dass der Apostel im Phil den κοινωνία-Gedanken derart in den Vordergrund stelle, dass er seine Unabhängigkeit unmöglich auf die κοινωνία mit den Philippern bezogen haben könne und daher nur die materielle Dimension der Autarkie im Auge gehabt haben könne. Barclay hebt die Bedeutung der Gegenseitigkeit von Apostel und Gemeinde im Kontext ihrer κοινωνία hervor und kommt zu dem Schluss, dass Paulus hier ganz unstoisch argumentiere: „One can imagine Epictetus raising loud objections to this strong Pauline notion of mutual dependency“. 20 Die vorgestellten Positionen liegen m. E. näher beieinander, als es die Diskussion vermuten lässt. 21 Was die traditionsgeschichtliche Herleitung von αὐτάρκης in seinem paulinischen Kontext anbelangt, ist der Hinweis von Engberg-Pedersen zu beachten, dass es Aristoteles war, der die Vorstellung auf die „philosophical map“ gesetzt habe. 22 Auf diese Konzeption bezögen 15 

Engberg-Pedersen, Paul, 101. Berry, Function, 115, Malherbe, Self-Sufficiency, 137f., und Fitzgerald, Friendship, 153. Betz, Self-Sufficiency, 95, klassifiziert den Begriff als „obviously Cynic-Stoic“. 17 Vgl. Malherbe, Self-Sufficiency, 134f. 18  Vgl. die in Anm. 16 erwähnten Arbeiten von Berry, Malherbe und Fitzgerald. 19  Malherbe, Self-Sufficiency, 137f.; aufgenommen von Fitzgerald, Friendship, 152f. 20  Barclay, Security, 70. Ebd., erwähnt er eine weitere, obgleich weniger wahrscheinliche Deutung der paulinischen Autarkie. Sollte diese implizieren, dass Paulus nur von Gott abhängig sei, die Hilfe von Menschen aber „additional, non-essential“ sei, würde auch dies Epiktet widersprechen, dessen Ideal der stoische Weise sei, „who needs nothing in the category of ‚the good‘ from others“. 21 Während Berry, Fitzgerald, Malherbe und auf eigene Weise auch Barclay eine stoische Deutung des Begriffs ablehnen, markiert Engberg-Pedersen, Paul, 100, „doubts“, ob die Deutung von v11 im Kontext des antiken Freundschaftstopos berechtigt sei. 22  Engberg-Pedersen, Paul, 101. Aristoteles bestimmt die Autarkie folgendermaßen: „Als sich selbst genügend gilt uns demnach das, was für sich allein das Leben begehrenswert macht, so dass es keines Weiteren bedarf“. Aristoteles identifiziert sie daher 16 Vgl.

Kapitel 9: Paulus und die Frage nach dem Selbst

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sich die verschiedenen späteren Schulen gleichermaßen zurück, auch wenn sie dem Gedanken ihre je eigene Zuspitzung verliehen hätten.23 Deshalb verbietet sich die einseitige Festlegung auf eine bestimmte traditionsgeschichtliche Herleitung. 24 Der Verweis auf den Kynismus ist darum berechtigt, weil sich für Paulus wie für die Kyniker die Autarkie durch die Akzeptanz der jeweiligen äußeren Umstände bestimmt. 25 Demgegenüber sieht die Ableitung der Selbstgenügsamkeit des Apostels aus der Stoa richtig, dass seine materielle Situation für ihn in der Tat ein Adiaphoron darstellt. 26 Schließlich ist kaum in Zweifel zu ziehen, dass die Freundschaftsterminologie in Phil 4,1–20 und der κοινωνία-Gedanke hier wie auch sonst im Phil stark betont sind. Gegenüber der Argumentation Barclays ist festzuhalten, dass sich ausweislich verschiedener Texte Senecas und Epiktets auch in der stoischen Tradition der Freundschafts- und der κοινωνία-Gedanke mit der Autarkie-Terminologie verbinden kann. So heißt es bei Seneca, Ep 9,3: „Das ist uns (sc. den Stoikern und Epikureern) und ihnen (sc. den Kynikern) gemeinsam, dass der Weise sich selbst genügt (sapientem se ipso esse contentum). Aber dennoch will (vult) er einen Freund haben und einen Nachbarn und einen Gefährten, obwohl er sich selbst genug ist (quamvis sibi ipse sufficiat).“27 mit der Eudämonie (NikEth 1,5). Vgl. dazu Engberg-Pedersen, aaO., 48. Zu einem philosophiegeschichtlichen Durchgang der Verwendung des Begriffs der αὐταρκία vgl. Betz, Self-Sufficiency, 97–105. 23 Vgl. Engberg-Pedersen, Paul, 101; s. auch Fitzgerald, Friendship, 152f. 24  Müller, Brief, 202, spricht offener von der „kynisch-stoischen Philosophie“. 25 Vgl. Malherbe, Self-Sufficiency, 134.138; Berry, Function, 115. 26 Vgl. Engberg-Pedersen, Paul, 101. Ebd., beschreibt er die spezifische Zuspitzung des aristotelischen Konzepts der Autarkie in der Stoa folgendermaßen: „what we do see in Stoicism in particular is a further elaboration of that shared content of the concept: that apart from the something – whatever it may be – that constitutes a person’s autarkeia everything else is of no consequence whatever. It is adiaphoron, as the Stoics and no one else formulated it.“ 27  Seneca nimmt mit dieser Aussage auf § 1 Bezug, wo Lucilius ihm die Frage vorlegt, ob „Epikur … diejenigen zu Recht tadelt, die sagen, dass der Weise sich selbst genüge (sapientem se ipso esse contentum) und deshalb eines Freundes nicht bedürfe (amico non indigere)“. Richardson-Hay, Lessons, 298, bemerkt hierzu, dass Seneca im Unterschied zu Lucilius, der von der Notwendigkeit (indigere) eines Freundes spricht, den Begriff ‚vult‘ verwendet und damit einen „subtle but decisive change“ vornimmt. – Seneca identifiziert das Gegenüber Epikurs mit Stilpon von Megara, einem kynisierenden Philosophen (vgl. ebd., 295f.). Zwischen den drei oben erwähnten Gruppen ist die Selbstgenügsamkeit des Weisen unstrittig. Während dies für die Kyniker jedoch bedeutet, dass ein Freund nicht notwendig ist, plädieren Epikur und Seneca für die Freundschaft. Zur Position dieser drei philosophischen Schulen zur Freundschaft im Einzelnen vgl. Dietsche, Strategie, 240f. – Malherbe berücksichtigt bei seiner Deutung nicht, dass es sich nach Ep 9 um eine verschiedenen Gruppen gemeinsame Position handelt. Dieser Umstand ist ein weiteres Argument dafür, dass die antike Philosophie in der Frage des Verhältnisses von Freundschaft und Autarkie weniger unterscheidbar ist, als es einige von Malherbes Aussagen nahelegen.

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

In § 4f. erläutert Seneca den Gedanken des sich-selbst-genug-Seins nach zwei Seiten. Zunächst erörtert er, was es bedeutet, wenn Unfälle und Krankheiten den Weisen schwächen, etwa wenn er ein Auge verliert. Seneca zufolge vermisst er es nicht (non desiderat), wenn es fehlt, was aber nicht heißt, dass er es nicht lieber hätte, es fehlte ihm nicht. Der Weise kann sich an die jeweiligen Umstände anpassen, eben weil sie Adiaphora sind. Folgerichtig argumentiert er mit Bezug auf den Freund: „Dergestalt genügt der Weise sich selbst (se contentus est), nicht dass er ohne Freund sein will (velit), sondern dass er (es) kann (possit). Und das, was ich ‚kann‘ nenne, ist Folgendes: (den) Verlust (eines Freundes) trägt er mit Gleichmut. Ohne Freund wird er freilich niemals sein: in seiner Macht steht es, (den Verlust) schnellstmöglich auszugleichen.“ (§ 5)28

Den Freund nun möchte der Weise haben, nicht damit er selbst jemanden habe, der sich bei Krankheit zu ihm ans Bett setzt (o.ä.), sondern damit er die Tugend der Freundschaft übe, das heißt gegen Epikur und seinen utilitaristischen Grundansatz gerichtet29, damit er sich an das Bett des Freundes setze (o.ä.; § 8). So bezeichnet Autarkie nach dieser Stelle gerade nicht die Bedeutungslosigkeit von Freunden, sondern den gleichmütigen Umgang mit ihrem ungewollten Verlust. Das heißt aber nicht, dass der Weise den Freund nicht vermissen würde, wie es Seneca mit Bezug auf das verlorene Auge ausdrücklich sagt. Weil der Weise nicht ohne Freund sein will, wird er sich nach dem Verlust eines Freundes sogleich einen neuen suchen. Mit seiner antistoischen Deutung von Phil 4,10–13 – „what he (sc. Paulus) is indifferent about here is his material condition…; he is not indifferent as to whether or not he enjoys fellowship with others“30 – trägt Barclay in die Bestimmung des Verhältnisses von Paulus und den kaiserzeitlichen Stoikern somit eine Zuspitzung ein, die diesem Verhältnis nicht gerecht wird. Senecas Äußerungen erweisen 28  Vgl. auch § 15, wo Seneca seine Haltung zu Freunden mit dem ‚summum bonum‘ begründet: Obwohl der Weise „sich selbst genügt (se ipso contentus sit), benötigt er Freunde (amicis illi opus est); diese wünscht er möglichst zahlreich (quam plurimos) zu besitzen, nicht um glücklich zu sein. Das höchste Gut ([s]ummum bonum) sucht nicht Hilfsmittel von draußen (extrinsecus); im eigenen Haus (domi) wird es gepflegt, es beruht ganz auf sich selbst (ex se totum est); es beginnt dem Zufall (fortunae) unterworfen zu werden, wenn es irgendeinen Teil von sich draußen (foris) sucht.“ Vgl. ferner Ep 104,11 und dazu Reydams-Schils, Stoics, 171. 29  Schottlaender, Epikureisches, 172, weist darauf hin, dass Seneca sich in Ep 9 bestrebt zeige, „dem Epikureismus nicht zu weit entgegenzukommen“, er schrecke daher „vor einer ungerecht einseitigen Überbetonung des utilitaristischen Moments in der epikureischen Freundschaftslehre … nicht zurück“ (vgl. § 8). Zur Auseinandersetzung Senecas mit Epikur s. ferner Dietsche, Strategie, und Hachmann, Freundschaftsthematik, 138f. 30  Barclay, Security, 70.

Kapitel 9: Paulus und die Frage nach dem Selbst

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auch die Behauptung Malherbes, für das stoische Verständnis der Autarkie sei die „introspection“ charakteristisch31, als einseitig. Zudem ist festzuhalten, dass eine Formulierung in dem von Malherbe zitierten Text des Pythagoreers Ecphantus ziemlich genau die im Folgenden erörterte Position Epiktets wiedergibt: „‚For although κοινωνία exists, each man nevertheless lives sufficient unto himself.‘“32 Epiktet stimmt in seinen Ausführungen in Diss 3,13.1–8 mit der Position Senecas im Wesentlichen überein und bestätigt damit das auch stoische Profil der Verbindung von Freundschaft und Autarkie. Epiktet wendet sich in diesem Abschnitt der Frage zu, was Einsamkeit (ἐρημία) ist. Er identifiziert sie mit Hilflosigkeit33 und unterscheidet sie zugleich vom Alleinsein (μόνος). Dieses werde zu Unrecht mit der Einsamkeit identifiziert und negativ beurteilt, weil das Alleinsein als Lebensweise nicht vorstellbar sei. Denn, so das Argument, die Natur habe es so eingerichtet, dass der Mensch von Natur aus gesellig (ἀπὸ τοῦ φύσει κοινωνικοῦ εἶναι) und auf wechselseitige Zuneigung (φιλαλλήλου) angelegt sei und sich gerne mit anderen Menschen verbinde (συναναστρέφεσθαι; § 5). 34 Obwohl Epiktet dies einräumt35, fordert er dennoch dazu auf, sich auf den Zustand der Einsamkeit vorzubereiten, da diese sich unvermeidlich einstellt, wenn etwa ein Bruder, Sohn oder Freund stirbt (§ 2). Vorbereiten soll man sich, indem man die Fähigkeit erwirbt, „sich selbst zu genügen (ἑαυτῷ ἀρκεῖν) und mit sich selbst zusammen zu sein (ἑαυτῷ συνεῖναι)“ (§ 6). Der Philosophenschüler soll darin Zeus gleichwerden, der mit sich selbst zusammen ist (ἑαυτῷ σύνεστιν), in Frieden mit sich selbst ist und seine Regentschaft reflektiert: 31 Vgl.

Malherbe, Self-Sufficiency, 138; s. auch ebd., 125f. Zit. nach ebd, 135. – Bei Fitzgerald, Friendship, 152f., heißt es dazu: „The relationship between φιλία and αὐτάρκεια had in fact been discussed for centuries by philosophers, including Aristotle, the Stoics, the Neopythagoreans, and others, who tried to find some way to avoid or at least to mitigate the conclusion that friends are necessarily superfluous for the truly self-sufficient individual“. Wenig später heißt es: „Paul follows in the train of those who want to affirm strongly both αὐτάρκεια und φιλία“. 33  Vgl. § 1: Ἐρημία ἐστὶ κατάστασίς τις ἀβοηθήτου; s. auch § 3. 34  Vgl. auch Seneca, Ep 95,52f.: „Alles, was du siehst, darin Göttliches und Menschliches zusammengefasst sind, ist eine Einheit (unum est): Glieder eines großen Körpers sind wir (membra sumus corporis magni). Die Natur hat uns als Blutsverwandte (cognatos) geschaffen, als sie uns aus demselben (Stoff) zu derselben (Bestimmung) zeugte. Sie hat uns gegenseitige Liebe (amorem … mutuum) eingepflanzt und uns zu geselligen Wesen (sociabiles) gemacht… Seien wir einander verbunden (Cohaereamus): für die Gemeinschaft sind wir geboren (in commune nati sumus).“ 35  In § 5 wird dies als die Meinung anderer eingeführt (λέγουσί τινες). In § 6 scheint sich Epiktet dieser Meinung jedoch anzuschließen, da er hier nach dem Motto argumentiert: das eine tun und das andere nicht lassen. Es heißt hier: „aber nicht weniger muss man sich auch darauf vorbereiten (ἀλλ’ οὐδὲν ἧττον δεῖ τινὰ καὶ πρὸς τοῦτο παρασκευὴν ἔχειν).“ 32 

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

„So sollen auch wir fähig sein, uns mit uns selbst zu unterhalten (ἑαυτοῖς λαλεῖν), anderer nicht zu bedürfen (μὴ προσδεῖσθαι ἄλλων) und nicht ratlos zu sein, (wie wir) die Zeit verbringen sollen. Wir sollen unseren Sinn auf die göttliche Regentschaft (und) auf unser Verhältnis zu (allen) anderen Dingen richten …“ (§ 7f.).

Auch der eigene Umgang mit Ereignissen und Dingen soll reflektiert werden (§ 8). So redet Epiktet die gesellige, auf Soziabilität und Gemeinschaft hin angelegte Seite des Menschen keineswegs gering. Sie gehört für ihn zu den dem Menschen von der Natur eingestifteten Anlagen, die er ausleben soll. 36 Die von ihm geforderte Autarkie des Menschen steht dazu nicht im Widerspruch, sondern ergibt sich aus der anthropologischen Grunderfahrung, dass Freundschaft und Soziabilität die Einsamkeit des Menschen nicht aufzuheben vermögen. Dies gelingt Epiktet zufolge nur durch den Rückzug auf sich selbst und die Mobilisierung der dort vorhandenen noetischen Fähigkeiten, die es erlauben, sich dem durch äußere Widerfahrnisse hervorgerufenen Unglück entgegenzustellen. Deshalb bleibt die Autarkie des Selbst ein unabdingbarer Bestandteil der Anthropologie des Philosophen, auch wenn er den Wert der Freundschaft nicht bestreitet. G. Reydams-Schils sieht in der Verbindung von Autarkie und Geselligkeit ein Kennzeichen der kaiserzeitlichen Stoa: „The Roman Stoics carry out a radical shift from Plato’s notions of interiority and self-sufficiency in the Phaedo to a notion of selfhood that embraces relations with others“. 37 Diesen Sachverhalt illustriert besonders Diss 2,22.20, wo Epiktet die ihrem Wesen nach autarke προαίρεσις mit Beziehungen zu anderen verknüpft, mehr noch: jene zum „Fundament wahrer Menschenliebe“ macht:38 „Wenn dort ich nun bin (εἰμι ἐγώ), wo die prohairesis ist, so und nur so werde ich auch Freund, auch Sohn, auch Vater sein, wie ich sein soll. Denn dann wird es mein Anliegen sein, die Treue, die Zurückhaltung, die Geduld, die Mäßigung und die Solidarität zu bewahren und (menschliche) Beziehungen zu pflegen.“

Mit Blick auf die durch die Forschung aufgeworfene Frage, ob die Autarkie in Phil 4,11 in einem stoischen Horizont verstehbar ist, ist demnach festzu36 

Vgl. dazu auch Epiktet, Fragm 1: „Scheint es dir also, dass der Mensch als Lebewesen gemacht worden ist, (das) von sich selbst (ἐφ’ αὑτοῦ) (lebt) oder (das) zur Gemeinschaft (πρὸς κοινωνίαν) (bestimmt ist)? – Zur Gemeinschaft [Ergänzung Heeren]). – Von wem? – Von der Natur.“ Im weiteren Kontext geht es Epiktet darum zu verdeutlichen, dass die naturphilosophischen Fragen nicht Gegenstand menschlicher Reflexion sein sollen: „they are of use only to the extent to which they help us realize that nature also made humans intrinsically social beings“ (Reydams-Schils, Stoics, 38). 37 Ebd., 53. 38  Fetz, Dialektik, 192. Die von Fetz beobachtete Verknüpfung gründet in der Tatsache, dass der Gegenstand der προαίρεσις u. a. ὁρμή und ἀφορμή sind, die Epiktet primär auf das soziale Verhalten bezieht; dazu s. o. Kap. 6, Anm. 43.

Kapitel 9: Paulus und die Frage nach dem Selbst

379

stellen, dass sich in der kaiserzeitlichen Stoa Freundschaft und Autarkie in der Tat verbinden können, Autarkie in dieser Tradition also nicht allein der ‚Introspektion‘ bzw. der inneren Freiheit39 zuzuordnen ist. Damit steht einer Deutung der Aussage von Phil 4,11 im Horizont stoischen Denkens nichts im Weg, zumal, wie gesehen, auch in Phil 4,6f. mehrere Begriffe und Vorstellungen auf stoische Tradition verweisen. Paulus knüpft demnach mit einiger Wahrscheinlichkeit an diese Tradition an, wenn er die äußeren Lebensumstände (v12) als Adiaphora deutet, von denen er sich unabhängig weiß, auch wenn er gleichzeitig die Hilfe der Gemeinde in Philippi in hohem Maße zu würdigen versteht (v10.14f.). Wie in den aufgeführten stoischen Texten verbinden sich so auch hier der Autarkie- und der Gemeinschaftsgedanke. Zugleich aber grenzt sich der Apostel, wie verschiedentlich betont wird, von stoischen Überzeugungen ab, wenn er in v13 darauf hinweist, dass er mit den wechselnden Lebensumständen umzugehen vermag, „durch den, der mich stark macht (τῷ ἐνδυναμοῦντί με)“, nämlich Christus. Paulus ist zwar autark, so wie es auch der stoische Weise ist. Die Quelle seiner Autarkie aber ist eine andere. Während für den stoischen Weisen ihre Quelle das eigene Ich in Gestalt der dem Menschen als ‚rationale animal‘ von den Göttern bzw. der Natur mitgeteilten Vernunft ist, ist es bei Paulus der in Christus handelnde Gott.40 Wie in Phil 4,6f. die Sorge für den Menschen nicht an das Selbst delegiert wird, sondern an Gott, so ist in v10–13 die Basis der Autarkie nicht das vernünftige Ich, sondern Christus. So stimmt Phil 4,6f.10–13 in seinem Gefälle mit den im ersten Hauptteil analysierten paulinischen Texten überein, mit dem Unterschied freilich, dass die Argumentation hier ähnlich wie in 1Kor 1,18–2,16 für eine Auseinandersetzung mit der stoischen Tradition und ihrer Deutung des Selbst transparent ist.

39 

S.o. mit Anm. 19. Engberg-Pedersen, Cosmology, 132, sieht im Gottesverständnis eine „fundamental difference“ zwischen Paulus und Epiktet, die er genauer im „contrast between God’s power and Greek wisdom“ verortet (hier und im Folgenden ebd., 134). Während jedoch der Gott Epiktets als „predictable God“ zu bestimmen sei, der mittels der menschlichen Vernunft erkannt werden könne, charakterisierten den Gott des Paulus „unpredictability“. Letzteres ergebe sich aus der Tatsache, dass „the proper knowledge of God can only be acquired through ‚revelation‘“. Dem entspreche, dass das paulinische Denken sich „within the Jewish framework“, genauer: „an ‚apocalyptic‘ framework“ bewege, während der Raum des Denkens Epiktets die griechische Philosophie sei. Der Befund bei Philo erweist das Gegenüber von jüdisch – griechisch und apokalyptisch – philosophisch als zu holzschnittartig. Die Verbindung der in der Offenbarung gründenden „unpredictability“ Gottes mit dem apokalyptischen Denken ist keineswegs zwingend. Auch Philo kennt die Kategorie der Offenbarung. Sie ist bei ihm aber platonisch und das heißt philosophisch begründet; vgl. dazu auch Tronier, Correspondence, 168. Zur Gegenüberstellung von Philosophie versus Apokalyptik vgl. auch ebd., 168f.180–182, sowie Vollenweider, Lebenskunst, 128f., Anm. 33. 40 

380

Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

(3) Der dritte, im Kontext dieser Untersuchung für Paulus im Verhältnis zur Stoa relevante Zusammenhang ist Röm 7,14–25. Der Abschnitt wird heute vielfach als Teil des antiken Diskurses über die ἀκρασία interpretiert. Damit wird die Machtlosigkeit des Menschen gegenüber dem eigenen Willen bezeichnet, die ihn zu einem seinem guten Wollen entgegengesetzten Handeln verleitet. Dabei kommt dem Medea- und Phädra-Stoff des Euripides und seiner kaiserzeitlichen Interpretation in der römischen Dichtung bei Ovid und Seneca auf der einen41 und der philosophischen Tradition beginnend mit dem platonischen Sokrates auf der anderen Seite42 besondere Bedeutung zu. Wie vor allem R. von Bendemann gezeigt hat, zeigt die von Paulus in Röm 7 thematisierte Diastase von Wissen, Wollen und Handeln dabei eine besondere Nähe zu Epiktet, zu dem „die mit Abstand engsten Parallelen festzustellen“ sind: „Über die konkrete sprachliche Ausgestaltung des Topos hinaus finden sich die Aussagen zudem in vergleichbaren semantischen Kontexten“.43 Da sich diese Nähe aber zugleich mit unverkennbaren inhaltlichen Differenzen verbindet, steht auch für Röm 7,14–25 zu vermuten, dass sich Paulus hier indirekt mit stoischem Denken auseinandersetzt. Im Folgenden werden die Berührungspunkte zwischen Röm 7 und der stoischen Tradition im Blick auf die Entfaltung der ἀκρασία zunächst summarisch aufgeführt, bevor das spezifisch paulinische Profil im Gegenüber zur Stoa skizziert wird. Eine erste Gemeinsamkeit betrifft das Verständnis des ἐγώ, dessen stoisches Gegenstück das Selbst bzw. das Ich ist, das heißt – im Unterschied zu Paulus – der Mensch abzüglich seines Körpers.44 Das stoische Ich im Sinne des wahren Selbst ist überindividuell-gemeinmenschlich45 und ist durch die 41 

Vgl. dazu u. a. Hommel, Sebasmata, 141–173, Vollenweider, Schöpfung, 350– 352, Lichtenberger, Ich, 176–186, von Bendemann, Diastase, 38–54, Wasserman, Death, 90, Wolter, Brief, 447–451, Gill, Seneca, und Müller, Seneca. 42  Darauf verweisen insbesondere Vollenweider, Schöpfung, 352f., von Bendemann, Diastase, 55–61, sowie Engberg-Pedersen, Reception, 54–56; zu Sokrates vgl. Prot 352b–358d. 43  Von Bendemann, Diastase, 58; dazu s. im Einzelnen ebd., 58f. Vgl. auch Schnelle, Theologie, 265, der auf Diss 2,26.1 verweist. Vgl. aber bes. § 4: πῶς ὃ θέλει οὐ ποιεῖ καὶ ὃ μὴ θέλει ποιεῖ, mit Röm 7,16: ὃ οὐ θέλω τοῦτο ποιῶ. S. ferner Diss 1,28.6–8. 44  Dazu s. o. Kap. 6, Anm. 39.: „the self, what each of us is, as abstracted from the body“ (Long, Epictetus, 28). Vgl. dazu Diss 3,1.40. 45  Dazu s. o. die Einleitung zu Teil 2 (mit Anm. 7) sowie mit Blick auf Seneca und Epiktet bes. Gill, Seneca, 76–78. Gill, ebd., 77, betont gegen eine Verbindung des von beiden Stoikern vertretenen Gedankens der ‚Selbstprüfung‘ mit postcartesianischen Annahmen, denen zufolge „human thought is necessarily accompanied by selfcon­sciousness or that to be a rational agent is to be conscious of oneself as a unique ‚I‘ or holder of a first-personal view“, dass die Selbstprüfung vielmehr ein Instrument sei, um die psycho-ethische Entwicklung des Menschen voranzutreiben. „Also, this development, and the view of psychological experience associated with it, is conceived in

Kapitel 9: Paulus und die Frage nach dem Selbst

381

Vernunft konstituiert46. Entsprechendes gilt in eigener Weise auch für das paulinische ἐγώ. Dieses ist ein allgemeinmenschliches Ich, das „als idealtypisches jüdisches Ich“ zugleich „immer auch ein adamitisches Ich“ ist.47 Das paulinische Ich ist wie in der Stoa durch den νοῦς (v23.25) konstituiert, wenngleich, anders als dort, nicht ausschließlich.48 Zudem will das paulinische Ich wie das Selbst der Stoiker das Gute, das vom Apostel freilich mit dem jüdischen Gesetz identifiziert wird, und sucht das Schlechte zu vermeiden (v19.21.22). Dazu ist etwa an Epiktet zu erinnern, dem zufolge es zur Natur der vernünftigen Seele gehört, das Gute zu begehren und das Schlechte zurückzuweisen.49 Gemeinsam ist beiden Traditionsbereichen schließlich die Zustimmung zum Guten50, die für Paulus, wie gesehen, die Zustimmung zum Gesetz ist (v16.22). 51 Trotz der herausgestellten Gemeinsamkeiten im Verständnis des Ich verbinden sich mit eben diesem Topos zugleich fundamentale Differenzen. Während das paulinische Ich, wie angedeutet, ein gespaltenes Ich ist, ist das stoische Ich im Sinne des wahren Selbst ein einheitliches Ich, das durch die Vernunft konstituiert ist. 52 Ein Kerngedanke Chrysipps, des großen Theoretikers der stoischen Philosophie, dem darin auch die kaiserzeitlichen Stoiker gefolgt sind, ist es, „that all human beings are – and remain – fundamentally capable of development t­ hrough oikeiōsis towards virtuous rationality in decision-making and relation­ ships, although in practice virtually all of us fail to do so“. 53

Deshalb ist für die Stoa zwischen dem

strongly objectivist, indeed, in a sense, ‚naturalist‘ terms, rather than giving a privileged status to the subjective, first-personal view“. 46  Dazu s. o. Kap. 6. 47  Wolter, Brief, 466f. Vgl. dagegen jüngst Byrskog, Adam. 48  Wasserman, Death, 91.93, verbindet das gespaltene Ich von Röm 7 mit der platonischen Vorstellung einer „double nature“, die das Schlechtere und das Bessere gleichermaßen umfasst. 49  Vgl. Diss 3,3.1–4; dazu s. o. Kap. 7.2.5. 50  Zur Zustimmung in der Stoa s. bes. oben Kap. 6 und Kap. 7.2.5. Paulus verwendet hierfür die beiden Begriffe σύμφημι und συνήδομαι. σύμφημι wird von LSJ, 1687, s. v. 1, mit „assent, approve, or agree fully“ (tw. kurs.) wiedergegeben. συνήδομαι mit dat. bedeutet LSJ, 1715, s. v., zufolge „to rejoice at“ (kurs.). Paulus weist die freudige Zustimmung zum Gesetz in 7,22 dem „inneren Menschen“ zu, den er in v22.25b mit dem νοῦς verbindet, das heißt mit jener Instanz, die auch in der Stoa für die Zustimmung zuständig ist. 51  Vgl. dazu Lichtenberger, Ich, 146. 52  Dazu s. o. Kap. 6. 53  Gill, Seneca, 73.

382

Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

„‚natural self‘, that is, the capacity for full rationality that is constitutive of our nature as rational animals, and our ‚actual self,‘ which imperfectly realizes this capacity“54,

zu unterscheiden. Dennoch halten die Stoiker an ihrem „unified or ‚holistic‘ psychological model“ fest55, darauf vertrauend, dass der Mensch als ‚rationale animal‘ sich seines Versagens, ethische Vollkommenheit zu erlangen, und darin seiner Zurückweisung der Vernunft und seinem Ungehorsam ihr gegenüber bewusst ist 56. Damit aber halten sie in der Konsequenz am Primat der Vernunft fest und weigern sich, das ‚actual self‘ dem ‚natural self‘ an Bedeutung gleichzustellen. Demgemäß lösen sie auch den Widerspruch zwischen Wissen, Wollen und Handeln mittels der Vernunft auf. 57 Weil sich die Stoiker aber dieses bleibenden Widerspruchs bewusst sind, und das heißt zugleich: der Begrenztheit der Vernunft, versuchen sie, „to explain away … the phenomenon of akrasia“, während es Paulus darum geht, „to make it stand out as being as unresolvable as possible“. 58 Der Grund dafür liegt in seiner Auflösung der Diastase von Wissen, Wollen und Handeln, die sich auch in seiner Konstruktion des Ich widerspiegelt. Das paulinische Ich ist durch den νοῦς einerseits und die σάρξ andererseits konstituiert (v25b). Beide liegen im Widerstreit miteinander. Sie sind aber keine ebenbürtigen Gegner, weil die σάρξ mit der ihr innewohnenden Sünde59 einen mächtigen Verbündeten hat, dem der ‚innere Mensch‘ (v22), für den der νοῦς konstitutiv ist60, nichts entgegenzusetzen hat. Die Vernunft ist m. a. W. nicht Herrin im Haus des Ich, sondern die Sünde, deren Macht dem Ich, sofern es das Gute will, überlegen ist.61 Deshalb ist der νοῦς auch nicht dazu in der Lage, die Sünde und die von ihr hervorgebrachten Begierden (v8) bzw. die Leidenschaften (v5) zu besiegen.62 Das der Sarx innewohnende „Gesetz der Sünde“ nimmt vielmehr das Ich gefangen (v23). Deshalb stimmt es zwar seinem inneren Menschen (v22) nach dem Gesetz Gottes als dem Guten (v16) zu und dient ihm mit seinem νοῦς (v25), vermag aber nicht danach zu handeln. Dementsprechend vollbringt es das Gute, das es will, 54 Ebd.,

74f. 76. 56  Vgl. ebd., 74. 57  Vgl. exemplarisch Epiktet, Diss 2,26.3–7. 58  Engberg-Pedersen, Reception, 56 (tw. kurs.). 59  Vgl. v14.17.20.23. 60  Zum Verhältnis von νοῦς und „innerem Menschen“ vgl. bes. Wolter, Brief, 458f.; s. ferner etwa Lichtenberger, Ich, 148, und Betz, Concept, 332.338 mit Anm. 96. 61 Vgl. Schnelle, Paulus und Epiktet, 157: „die Sünde ist das eigentliche Subjekt des Geschehens, nicht der erkennende Mensch“. Es dürfte daher kein Zufall sein, wenn Paulus in Röm 12,2 von der Notwendigkeit der Erneuerung des νοῦς spricht. 62 Vgl. von Bendemann, Diastase, 52, der hierfür auf die „stoische Diskussion der Affekte“ verweist. 55 Ebd.,

Kapitel 9: Paulus und die Frage nach dem Selbst

383

nicht, sondern das Schlechte, das es nicht will (v19). Als dieses gespaltene, ohnmächtige Ich erfährt es sich als einen „elenden Menschen“, der nur noch nach einer außerhalb seiner selbst liegenden Rettung zu rufen vermag (v24).63 Dies ist ein gänzlich unstoischer Gedanke; Hilfe kann das Selbst hier nur von sich selbst erwarten.64 Die von außen kommende Rettung trägt bei Paulus den Namen Jesus Christus (v25a; 8,1–3). In Röm 8 wird sie pneumatologisch entfaltet: Der Geist (πνεῦμα) Gottes erfüllt das Ich der Geretteten, so dass es nicht mehr ἐν σαρκί ist, sondern ἐν πνεύματι, weil der Geist Gottes (8,9) bzw. Christi in ihm wohnt (v10). Wenn der im Voranstehenden aufgezeigte religionsgeschichtliche Hintergrund zutrifft, formuliert Paulus in Röm 7,7–25; 8,1–11 im Kontext seiner Bestimmung des Gesetzes einen theologischen Gegenentwurf zur zeitgenössisch dominanten stoischen Anthropologie in Gestalt einer christologisch-soteriologisch gedeuteten Anthropologie.65 Das jüdisch-adamitische Ich, das das Gesetz als das Gute zu erfüllen sucht und daran scheitert, deutet Paulus im Licht des stoischen Ichs. Während dieses jedoch idealiter mit Hilfe der Vernunft dazu in der Lage ist, den Widerspruch zwischen dem Wollen des Guten und dem faktischen Handeln aufzulösen, ist dies dem paulinischen Ich grundsätzlich nicht möglich. Sein Scheitern begründet Paulus in Röm 7 vordergründig rein anthropologisch. Die damit implizit verbundene Kritik an dem stoisierend gezeichneten jüdisch-adamitischen Ich ist jedoch von seiner Theo-logie aus entworfen66, die in Röm 7,7–8,11 christologisch-pneumatologisch entfaltet wird. Rettung für das Ich kommt hier ganz unstoisch allein aus dem ‚extra nos‘ des in Christus handelnden Gottes, der durch seinen Geist im Menschen wirksam wird.67 63 

Engberg-Pedersen, Reception, 56, betont die Zentralität von v24: „the whole point of Rom. 7.7–25 is right from the start to work towards the startlingly strong description of the experience of akrasia that is given in 7.21–23 and is then given literary voice in 7.24“ (tw. kurs.). Er übergeht dabei freilich im Interesse seiner paränetisch-ethischen Deutung von 7,7–8,13 (vgl. ebd., 38.57) das theologisch-christologisch konnotierte τίς in v24, das in v25a beantwortet wird: „Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn“. Vgl. auch Schnelle, Paulus und Epiktet, 157. 64 S. bes. oben Kap. 6. Diese Differenz markiert auch Vollenweider, Lebenskunst, 145. 65  Vgl. auch von Bendemann, Diastase, 60, der Röm 7 als ein „kritisches Kontrafakt der optimistischen Anthropologie der späten Stoa“ bezeichnet. S. ferner Holland, Self, 266–268. Das Moment der kritischen Auseinandersetzung im Sinne von Bendemanns bleibt bei Engberg-Pedersen, Reception, 56, unterbelichtet, wenn er mit Blick auf den Gesamtzusammenhang Röm 7,7–8,13 betont: „Paul will belong within the context of Graeco-Roman moral philosophy“. 66  Die stoisierende Deutung des jüdischen Ichs und die antistoisch gefärbte Kritik an ihm dürften ein wesentlicher Grund dafür sein, warum sich das Judentum in der paulinischen Entfaltung des Gesetzes nie wiedergefunden hat; dazu s. auch den Kap. 10 (4.2.3). 67  Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf Thiselton, Significance,

384

Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

Parallelen zu den paulinischen Ausführungen gibt es in den erörterten philonischen Texten: Das Streben des Menschen nach dem Guten führt Philo zufolge nur dann zum Ziel, wenn Gott ihm die dafür nötigen Voraussetzungen schenkt. Denn der Mensch als solcher ist der Nichtigkeit unterworfen und vermag sich nicht selbst zu retten. In eigener Weise zeigt sich dies auch in Leg 2,31f., einem Text, der sich thematisch eng mit der Problematik von Röm 7,14–25 berührt.68 In Auslegung von Gen 2,21: „‚Gott warf eine Entrückung (ἐπέβαλε … ἔκστασιν) auf Adam‘“, heißt es: „Treffend aber sagt sie (sc. die Schrift), dass er aus sich heraustritt (ἐξίσταται), das heißt, sich verändert (τρέπεται), (aber) nicht durch sich selbst (παρ’ ἑαυτόν), sondern durch den, der die Veränderung (τροπήν) über (ihn) wirft (ἐπιβάλλοντα) und bringt und sendet, (nämlich) Gott. 32 So verhält es sich ja auch: Wenn also die Veränderung durch mich (παρ’ ἐμέ) geschehen würde, würde ich, so oft ich wollte (ἐβουλόμην), von ihr Gebrauch machen, und so oft ich (sie) nicht wählte (ἐπροῃρούμην), würde ich unverändert bleiben. Tatsächlich aber kämpft die Veränderung mit Eifer gegen mich, und oft, wenn ich etwas Angemessenes denken will (βουλόμενος καθῆκόν τι νοῆσαι), werde ich mit Strömen des Unangemessenen überschüttet, und umgekehrt, wenn mich der Gedanke (ἔννοιαν) an etwas Schändliches befällt, so wasche ich es mit angenehmen Gedanken ab, weil Gott durch seine Gnade (τῇ ἑαυτοῦ χάριτι) einen süßen Strom anstelle des salzigen in meine Seele hineingießt.“

Das Ich dieses Textes, das wie das paulinische ἐγώ überindividuell zu verstehen ist, will das „Angemessene“ und weiß sich wider Willen dem Unangemessenen ausgesetzt. Es vermag sich des Schändlichen nur mittels der Hilfe Gottes zu erwehren. Die Ähnlichkeiten mit Röm 7,14–8,11 liegen auf der Hand. Im Unterschied zu Paulus geht es in dem philonischen Text aber nicht um das Handeln, sondern um das Denken. Für Philo hat sich an einer Vielzahl von Texten zeigen lassen, dass die Betonung der Notwendigkeit des göttlichen Handelns angesichts des menschlichen Unvermögens im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der Stoa zu verorten ist. Diese Tatsache unterstützt die Annahme, dass auch Röm 7 in einem entsprechenden Horizont zu deuten ist. Die analysierten Texte aus dem corpus philonicum lassen erkennen, dass die stoakritischen Äußerungen des alexandrinischen Gelehrten keineswegs einem billigen antistoischen Affekt geschuldet sind. Dafür finden sich bei ihm zu viele positive Bezugnahmen auf stoisches Gedankengut. In eigener Weise gilt dies auch für Paulus. Die bes. 327–332, der im Rahmen eines hermeneutisch angelegten Beitrags den Autonomie-Gedanken mit der von ihm rekonstruierten Theologie der Korinther verbindet, der er das Wort vom Kreuz antithetisch gegenüberstellt. Diese Deutung der Theologie der Korinther vorausgesetzt, ist sie für das Anliegen der Stoa transparent. 68  Wolter, Brief, 465, verweist mit Blick auf die Verwendung der 1. prs. sgl. auf Leg 2,32, ohne sich jedoch mit den anderen, mit Blick auf Röm 7 relevanten Aspekten des Textes zu befassen.

Kapitel 9: Paulus und die Frage nach dem Selbst

385

Kritik der beiden Autoren hat einen präzisen Grund, nämlich das, was sich mit Philo als das große Geheimnis von Gott und Mensch bezeichnen lässt: die einzigartige Wirkmacht Gottes und die Nichtigkeit des Menschen. Dieses Geheimnis liegt auch Röm 7f. zugrunde. Die komparative Lektüre von Paulus und Philo kann so dazu beitragen, Grundaussagen der paulinischen Theologie als Teil des antiken Diskurses über das Selbst sichtbar werden zu lassen. Bei Paulus sind die direkten Bezüge zu selten, als dass seine Ausführungen ohne Weiteres als Teil dieses Diskurses zu erkennen wären. Über Philo als Brücke erweisen sich dann aber auch zentrale Zusammenhänge des corpus paulinum als Beitrag zu derselben Debatte. Die erörterten philonischen Texte, die die Auseinandersetzung mit der kaiserzeitlichen Konzeption des Selbst teilweise direkt führen, geben theologische Grundstrukturen zu erkennen, die sich in vergleichbarer Weise in den Briefen des Apostels finden und das Zentrum seines Denkens berühren. So lässt sich der beiden Autoren gemeinsame theologische Kern, wie gesehen, auf die Formel ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ bringen. Im Horizont der philonischen Ausführungen lassen sich dann auch die paulinischen Passagen, die diesen Kern entfalten, als indirekter Kommentar zu dem griechisch-stoischen Ideal der Selbstsorge verstehen. Dies gilt umso mehr, als die zuletzt erörterten paulinischen Texte, 1Kor 1,18–2,16, Phil 4,6f.10–13 und Röm 7,7–25, sich offenbar indirekt mit der stoischen Deutung des Selbst auseinandersetzen. Dass Paulus die aufgezeigte Sprach- und Denkform als Gegenüber wählt, hat seinen Grund aber wohl nicht nur darin, dass er an der geistesgeschichtlichen Großwetterlage des kaiserzeitlichen Hellenismus teil hat. Er greift sie auch deshalb auf, weil es, wie gesehen69, mit Philo im Raum des Judentums einen Vorläufer gibt, der auf die durch die Philosophie gestellten geistigen Herausforderungen eine theologische Antwort gefunden hat, die mit seiner christlichen Grunderfahrung vor den Toren von Damaskus kompatibel ist.

69 

S.o. Kap. 4.4.

386

Kapitel 10

Ergebnisse und Perspektiven Nachdem die Ergebnisse für die einzelnen Kapitel bereits am Ende der jeweiligen Hauptkapitel zusammengefasst worden sind, besteht die Aufgabe dieses abschließenden Teils darin, die übergreifenden Linien der vorliegenden Untersuchung zu resümieren und weiterführende Perspektiven aufzuzeigen. (1) Die literarisch-theologischen Analysen der ausgewählten philonischen und paulinischen Texte zum anthropologischen Problem der Selbsterhebung des Menschen über Gott haben ungeachtet der Eigenständigkeit der Entwürfe beider Autoren auffällige Übereinstimmungen zwischen ihnen hervortreten lassen. Diese Gemeinsamkeiten sind nicht nur das wichtigste Ergebnis der exegetischen Studien zu Paulus und Philo im ersten Hauptteil, sondern zugleich die Basis der zentralen Thesen der vorliegenden Untersuchung.1 Die Gemeinsamkeiten betreffen das Grundsätzliche, wie es sich im Anschluss an Paulus auf die Formel ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ bringen lässt. Darunter ist die beiden Autoren gemeinsame Überzeugung zu verstehen, dass der Mensch nicht ‚aus sich selbst‘ lebt und schöpft, sondern sich in allem, was er ist, hat und tut, dem Handeln Gottes verdankt. Ihren Grund hat diese gemeinsame Einsicht in dem, was sich mit Philo als das ‚große Geheimnis‘ von Gott und Mensch bezeichnen lässt und die Schwachheit und Nichtigkeit des Menschen angesichts der Übermacht Gottes meint. Den umschriebenen Kern entfalten Philo und Paulus mit einer Reihe antithetisch strukturierter Figuren. Dazu gehören besonders der Gegensatz von Haben und Empfangen sowie von Ruhm und Dank. Das Sein ‚aus sich selbst‘ sehen beide bei Unterschieden im Einzelnen in der Überhöhung der menschlichen Vernunft nicht zuletzt im Prozess der Gotteserkenntnis sowie in der Orientierung an Besitz und Haben, für die sie auf die in der hellenistisch-römischen Mehrheitskultur geltenden Werte von Reichtum, Macht, Weisheit etc. verweisen. Das Sein ‚aus Gott‘ hingegen manifestiert sich in der Einsicht in die eigene Nichtigkeit und die alles überragende Kraft Gottes. Demgemäß unterstreichen beide den Subjektcharakter Gottes. Existentiell spiegelt sich 1  Vgl. dazu ausführlich oben Kap. 4.1.1. Zu den im Zuge der Untersuchung ebenfalls hervorgetretenen, teilweise auch grundlegenden Differenzen vgl. Kap. 4.1.1 sowie vor allem die jeweiligen komparativ angelegten Schlussabschnitte in Kap. 2. In dieser Schlussauswertung geht es vor allem darum, die Bedeutung der festgestellten Gemeinsamkeiten herauszustellen. S. ferner oben Kap. 4.2 sowie im Folgenden.

Kapitel 10: Ergebnisse und Perspektiven

387

diese Gottes- und Selbsterkenntnis in einer von Paradoxa geprägten Existenz wider, die beide Autoren mit Gegensatzpaaren wie Schwachheit und Stärke, Trauer und Freude bezeichnen. Dabei ist zu beachten, dass die Behauptung der Nichtigkeit des Menschen bei beiden ausschließlich coram deo gilt und auf das Handeln Gottes am nichtigen Menschen bezogen bleibt. Die Nichtigkeit wird dadurch in die paradoxe Gleichzeitigkeit von Schwachheit und Stärke einbezogen. Übereinstimmungen sind des Weiteren in der Formensprache, in der Terminologie sowie in den aus Judentum und Hellenismus rezipierten Traditionen zu erkennen. Für letztere sind insbesondere gemeinsame Schriftstellen, die biblisch-jüdische Niedrigkeitsanthropologie und die von beiden gleichermaßen kritisch rezipierten Werte der hellenistischen Mehrheitsgesellschaft zu nennen. Diese Übereinstimmungen sind nicht in jedem Fall spezifisch. Dennoch ist die Häufung übereinstimmender Ausdrucksformen auch spezifischer Art, insbesondere im motivisch-inhaltlichen Bereich, im Kontext der Entfaltung der gemeinsamen Frage der menschlichen Selbsterhebung nicht zu übersehen. Vor diesem Hintergrund ist der These L.W. Hurtados entschieden zu widersprechen: „To reiterate the point, it is in fact difficult to find any ‚parallel‘ where Paul is echoing something that is unique to Philo“.2 Dabei ist noch einmal hervorzuheben, dass der in der vorliegenden Untersuchung aufgezeigte gemeinsame Kern keine Marginalie betrifft, sondern eine theologische Grundaussage beider Autoren. 3 Die Übereinstimmungen zwischen Philo und Paulus sind umso bemerkenswerter, als sie sich bei zwei intellektuellen Größen ihrer Zeit zeigen, die sich in vielem unterscheiden. Dies betrifft ihre Herkunft und Bildung, ihr Temperament und ihre Lebensweise: hier der philosophisch hoch gebildete und in der Exegese des alexandrinischen Judentums bewanderte jüdische Intellektuelle, der seine primäre Aufgabe als Lehrer und Autor in der Auslegung der biblischen Schriften sieht, dort die mit der Breite der jüdischen Überlieferung vertraute zelotisch temperierte Kämpfernatur, die zunächst als Pharisäer und dann als Apostel Jesu Christi für ihre Überzeugungen wirbt und mündlich wie schriftlich auch für sie streitet. Große Unterschiede zeigen sich auch im Zentrum ihrer religiösen Überzeugungen: hier der platonisch inspirierte Denker, für den das Ziel seiner religiösen Existenz die Gottesschau ist, dort der Apokalyptiker, dessen Existenz als Apostel auf einer einzigarti2 

Hurtado, Philo, 77. Kaiser, Philo, thematisiert in seiner jüngst erschienenen Studie den Philo und Paulus gemeinsamen Kern im Rahmen seines dem Vergleich der beiden Autoren gewidmeten Kap. 23.2 nicht. Dies gilt entsprechend für die in den Philo-Teilen dieser Untersuchung herausgearbeiteten Elemente dessen, was hier als Kern bezeichnet wird. 3 Auch

388

Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

gen religiösen Ursprungserfahrung gründet und sich in einer rastlosen Missionstätigkeit äußert. Weil beide Autoren ebenso eigenständige wie unterschiedliche Denker sind, die von ihren je spezifischen Voraussetzungen und religiösen Erfahrungen her argumentieren, sind fundamentale Differenzen also grundsätzlich zu erwarten. Erklärungsbedürftig erscheinen darum weniger die Unterschiede als vielmehr die dennoch zu verzeichnenden Gemeinsamkeiten. Als Gründe für die Gemeinsamkeiten sind im Lauf der Untersuchung vor allem die folgenden drei hervorgetreten: An erster Stelle ist die gemeinsame Verankerung in der Schrift zu nennen, die beide im Kontext des Judentums ihrer Zeit lesen. Dabei ist das gebildete griechischsprachige, mit dem Hellenismus einschließlich seiner Philosophie vertraute Judentum die Philo und Paulus gemeinsame Schnittmenge. Als zweiter Grund für die aufgezeigten Gemeinsamkeiten zwischen Philo und Paulus ist an die geistesgeschicht­ liche Großwetterlage ihrer Zeit zu erinnern, für die im Kontext dieser Untersuchung vor allem die kaiserzeitliche Stoa zu nennen ist. Schließlich ist auf die historischen Beziehungen zwischen Alexandrien und Jerusalem zu verweisen, die darauf hindeuten, dass Paulus in Jerusalem mit philonisch-­ alexandrinischem Gedankengut in Berührung kam. (2) Die aufgewiesenen Überlieferungswege von Alexandrien nach Jerusalem lassen es im Horizont des religionsgeschichtlichen Vergleichs als möglich erscheinen, gegen den derzeitigen wissenschaftlichen mainstream, der die Ähnlichkeiten zwischen Philo und Paulus allein mit ihrem ‚common‘ bzw. ‚shared background‘ im hellenistischen Judentum begründet, für ein genealogisches Modell zu optieren. Dabei ist für Paulus nicht von einer direkten Kenntnis philonischer Schriften auszugehen. Vielmehr ist mit komplexeren, gleichwohl historisch-genealogisch aufweisbaren Überlieferungswegen zu rechnen. In diesem Zusammenhang kommt den hellenistischen Synagogen in Jerusalem, insbesondere der alexandrinischen, eine entscheidende Rolle zu. Über sie dürfte Paulus, entweder vermittelt durch graeco-palästinische Judenchristen oder aber, was wahrscheinlicher ist, direkt, Zugang zu philonisch-alexandrinischem Gedankengut erhalten haben. Das entscheidende Argument für ein modifiziertes genealogisches Modell anstelle des religionsgeschichtlichen Modells des ‚gemeinsamen Hintergrundes‘ ist jenseits aller historischen Rekonstruktionen der Beziehungen zwischen Alexandrien und Jerusalem im vorgestellten literarischen Befund zu sehen. Wie anhand einer eingehenden Auswertung der jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit gezeigt worden ist, handelt es sich bei dem aufgewiesenen Kern und den ihn entfaltenden Motiven um einen Vorstellungskomplex, der zu den Spezifika von Philo und Paulus gehört, auch wenn sich einzelne Motive dieses Vorstellungskomplexes auch in anderen zeitgenössischen jüdischen Schriften finden.

Kapitel 10: Ergebnisse und Perspektiven

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(3) Was das Verhältnis der vorgestellten philonischen und paulinischen Texte zur Stoa anbelangt, so ist mit Blick auf den alexandrinischen Gelehrten festzuhalten, dass das, was bei ihm das ‚große Geheimnis‘ umschreibt, den Gegenentwurf zum stoischen Verständnis des Menschen als eines autonom agierenden Ichs darstellt. Die Zurückweisung dieser Sicht auf den Menschen gründet in seiner primär biblisch-jüdisch inspirierten Überzeugung, dass die Behauptung der Selbstmächtigkeit des Menschen eine Illusion ist, weil dieser ein Gewordener ist, der in allen seinen Lebensäußerungen aus der Zuwendung des ungewordenen Gottes, dem allein Wirkmacht im eigentlichen Sinn zukommt, lebt. Soweit diese Grundtatsache nicht berührt wird, bedient sich Philo zur Beschreibung der das Ich konstituierenden Seelenprozesse in hohem Maße stoischen Gedankenguts. Bei Paulus ist deutlich weniger offensichtlich, dass seine Theologie, sofern sie eine Entfaltung des mit Philo gemeinsamen Kerns ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ ist, auf die stoische Anthropologie reagiert. Wie jedoch anhand von 1Kor 1, Phil 4 und Röm 7 gesehen, gibt es auch bei ihm Hinweise darauf, dass die Gestalt, die das ‚große Geheimnis‘ bei ihm annimmt, auch eine Reaktion auf die vor allem von den kaiserzeitlichen Stoikern vertretene, durch die Vernunft vollzogene Autonomie des Menschen ist, der Paulus das ‚extra nos‘ des Handelns Gottes entgegensetzt. T. Engberg-Pedersen vertritt mit Blick auf die Frage der Rezeption hellenistisch-jüdischen und griechisch-römischen Gedankenguts durch das Neue Testament, die er an Röm 7,7–25 exemplifiziert, die These, dass angesichts der Tatsache des Zusammenfließens der beiden Traditionsströme die Wahrscheinlichkeit einer „fusion or amalgam“ a priori größer ist als die einer „friction“4 – eine These, die im Sinne Engberg-Pedersens auch auf Philo übertragbar ist. 5 Mit Blick auf die hier untersuchten Texte ist festzustellen, dass damit eine falsche Alternative aufgestellt wird. Philo wie Paulus nehmen Elemente des griechisch-römischen Gedankenguts auf, teils weil sie selbstverständliche Elemente ihrer Bildung und Weltanschauung geworden sind oder sie damit eigene Vorstellungen am besten zur Sprache bringen können, teils weil sie sich im Namen ihres je spezifisch zugespitzten biblisch-frühjüdischen Gottesglaubens und Verständnisses vom Menschen6 kritisch damit auseinandersetzen. Damit ist nicht einer apriorischen Privilegierung eines 4 

Engberg-Pedersen, Reception, 33. Überschrift, unter die Engberg-Pedersen, ebd., 33, den hier diskutierten Sachverhalt für Paulus stellt: „The New Testament within Hellenistic Judaism within the Graeco-Roman world“, gilt analog für Philo, für den zu formulieren wäre: „Philo within Hellenistic Judaism within the Graeco-Roman world“. 6  Wie insbesondere in Kap. 3.1.1.2 gesehen, ist das philonische Gottesdenken auch platonisch beeinflusst. Das hier thematisierte Gegenüber von menschlicher Nichtigkeit und göttlicher Macht verdankt sich aber primär biblisch-jüdischer Tradition; dazu s. auch oben Kap. 3.5. 5  Die

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Traditionsstroms gegenüber dem anderen das Wort geredet. Denn so sehr sich Philo und Paulus zur griechisch-römischen Tradition kritisch und auswählend verhalten, so sehr treffen sie auch im Verhältnis zu der ihnen vorausgehenden jüdischen Tradition bewusste Entscheidungen, indem sie das eine rezipieren, anderes ignorieren und sich mit wieder anderem kritisch auseinandersetzen. Wie die vorgestellten philonischen Texte zum Selbst zeigen, verbinden sich bei ihnen „fusion“ und „friction“. Die Seelenprozesse, die Philo mit Hilfe der stoischen Tradition beschreibt, ‚amalgamieren‘ mit seiner biblisch-frühjüdisch inspirierten Sicht auf den Menschen, die einen klaren Bruch („friction“) mit dem Verständnis des Menschen in der Stoa als eines autonom agierenden Ichs vollzieht. Dieses Menschenverständnis wird von Philo aufgrund der biblisch-jüdischen Niedrigkeitsanthropologie, die er sich in Verbindung mit einem bestimmten Gottesverständnis angeeignet hat, zurückgewiesen. Auch für Röm 7,7–25 greift das von Engberg-Pedersen vorgetragene Modell nicht. Es ist zwar richtig, dass Paulus die griechisch-hellenistische Vorstellung der ἀκρασία in Röm 7 inkorporiert und sie eigenständig zuspitzt7, so dass hier das Moment von „fusion or amalgam“ zum Tragen kommt. Paulus ‚amalgamiert‘ es sich aber, wie Engberg-Pedersen selbst zeigt, in einer Weise, die der griechisch-hellenistischen Gestalt der ἀκρασία widerspricht („friction“): Während die Philosophie das Problem zu lösen suche, habe Paulus das Interesse, es so unlösbar wie möglich erscheinen zu lassen.8 Es geht ihm mit dieser Zuspitzung aber von vornherein darum, den Kerngedanken der griechisch-hellenistischen Anthropologie, dass der Mensch autonom agiert, im Namen seiner christologisch interpretierten Gestalt des ‚großen Geheimnisses‘, das sich für ihn mit der Formel ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ umschreiben lässt, zurückzuweisen („friction“). So ist das Verhältnis von „fusion or amalgam“ auf der einen und „friction“ auf der anderen Seite nicht einseitig aufzulösen, sondern für jeden Traditionskomplex in seinen vielfältigen Facetten differenziert zu bestimmen. (4) Der Ertrag der komparativen Lektüre von Philo und Paulus einerseits sowie von Philo, Paulus und der Stoa andererseits in der vorliegenden Untersuchung führt jedoch über die kondensierte Zusammenfassung der voranstehenden Ergebnisse und ihre Einordnung in die Forschung hinaus. (4.1) Der Ertrag der Einbeziehung stoischer Texte in die Untersuchung von Philo und Paulus: (4.1.1) Die Berücksichtigung stoischer Überlieferungen zur Deutung Philos ermöglicht es, den philonischen Kerngedanken des ‚großen Geheimnisses‘ von der Macht Gottes und der Nichtigkeit des Menschen geistesgeschichtlich 7 Vgl.

8 

Engberg-Pedersen, Reception, 55f. Dazu s. o. Kap. 9.(3).

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in seiner Auseinandersetzung mit dem Hellenismus zu verorten. Dabei zeigt sich, dass der alexandrinische Gelehrte dieses ‚Geheimnis‘ dem inhaltlichen Zentrum der kaiserzeitlichen Philosophie des Selbst, der Autonomie des Ichs, entgegenstellt. In Aufnahme einer Formulierung von P. Borgen erweist sich Philo dabei – anders als Borgen meint – eher als ein „conqueror“, denn als „a conqueror, on the verge of being conquered“.9 Er folgt zwar weitgehend der für die Entfaltung des Verständnisses des Selbst in der Stoa konstitutiven Psychologie. An dem Punkt aber, an dem die Psychologie aus philonischer Sicht zu einer Anthropologie ohne Gott, das heißt ohne den einen und wahrhaft seienden Gott Philos, wird, und das autonome Ich sich damit aus seiner Sicht an die Stelle Gottes setzt, grenzt er sich von der Philosophie ab. Philo erweist sich im Zentrum seiner Anthropologie somit als ein ‚conqueror‘, der trotz seiner Übernahme der stoischen Seelenlehre in keiner Weise ‚on the verge of being conquered‘ steht. Die Psychologie der Stoiker erklärt einen Sachverhalt, der in der jüdischen Tradition seiner Zeit nicht reflektiert wird. Philo rezipiert sie, adaptiert sie aber zugleich seinem stark in der biblisch-jüdischen Tradition wurzelnden ‚großen Geheimnis‘ von Gott und Mensch.10 Da es sich bei diesem ‚Geheimnis‘ um einen im corpus philonicum häufig wiederkehrenden Topos handelt, kann er den zentralen Einsichten Philos zugerechnet werden, die für die Bestimmung des Verhältnisses von ‚conqueror‘ und ‚conquered‘, und das heißt: von Judentum und Hellenismus, ‚Jerusalem‘ und ‚Athen‘, von grundlegender Bedeutung sind.11 (4.1.2) Die Vehemenz, mit der Philo die stoische Position an dieser Stelle zurückweist, deutet darauf hin, dass er hier Grundsätzliches in Frage gestellt sieht. Dass er das Problem der φιλαυτία in allen drei Kommentarreihen, den Quaestiones, der Allegorie der Gesetze und der Exposition12, thematisiert, die sich an verschiedene Zielgruppen richten, von der an den Sabbaten in der Synagoge versammelten Gemeinde bis hin zu seiner intellektuellen Schülerschaft, weist darauf hin, dass der Philo „verhaßte“ Satz von der Selbsttätigkeit der menschlichen Vernunft13 quer durch die jüdische Gemeinde Alexan­ driens auf positive Resonanz gestoßen zu sein scheint. Philos Polemik gegen die sich in der φιλαυτία artikulierende Autonomie des Selbst ist so mit großer Wahrscheinlichkeit dem aktuellen Zeitgeist geschuldet, durch den er den jüdischen Glauben an den einen und wahren Gott bedroht sieht. Damit erweist sich die für Philo konstitutive Antithese von Gott und Selbst als Teil  9 

Borgen, Survey, 151. Dazu s. o. Kap. 7.1.3–5 und Kap. 7.2.3–5. 11  Dazu. s. auch unten (4.1.4). 12  Für die Quaestiones s. o. Kap. 4.4.1, zur Exposition vgl. die Texte aus Abr, Praem und besonders Spec 1 (Kap. 3.1.1.1; 3.1.1.2 und Kap. 3.3.2.2), die übrigen Texte sind der Allegorie der Gesetze zuzurechnen. 13  S.o. Kap. 4.2.3 zu Bousset. 10 

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seiner Apologie des Judentums, die in dieser Frage in erster Linie nach innen gerichtet zu sein scheint.14 (4.1.3) Die komparative Lektüre von Philo und Paulus einerseits und der Stoa andererseits gibt die Entwürfe der beiden jüdischen Autoren auch als intellektuellen Beitrag zum antiken Diskurs über das Verständnis des Menschen zu erkennen. Der Ich-Identität des Menschen im Kontext der zeitgenössischen Stoa stellen sie eine theonom geprägte Identität des aus sich selbst schwachen Menschen antithetisch gegenüber, die bei Philo durch Gott als die Alleinursache alles Gewordenen einschließlich des Menschen bestimmt ist, bei Paulus dagegen als christologisch vermitteltes neues Sein des Menschen zu fassen ist. Die komparative Lektüre von Philo und Paulus ermöglicht so die Identifizierung einer maßgeblichen ‚differentia specifica‘ des philonisch-paulinischen Denkens im Verhältnis zur griechisch-römischen Antike und erweist es als theologisch-religionsphilosophischen Gegenentwurf dazu. (4.1.4) Von dem in dieser Untersuchung gewählten Ansatz eines Vergleichs von Philo, Paulus und der Stoa am Beispiel des Diskurses15 über das Verhältnis von Gott und Selbst fällt auch ein klareres Licht auf die Beurteilung der paulinischen Theologie im Gegenüber zur Philosophie. S. Vollenweider stellt dazu fest: „So sehr sich aus der Perspektive von Diskurs und Kontext die urchristliche Religion als Einzelphänomen in einem gleichermaßen globalen wie pluralen Kulturraum einzeichnen lässt, so sehr sticht die Eigenwilligkeit und Sperrigkeit der Grammatik, die ihre eigenen Diskurse bestimmt, ins Auge. Die älteren Versuche der Theologie, fundamentale Differenzen zwischen ‚Athen‘ und ‚Jerusalem‘ zu konstatieren, haben hier ihr bleibendes Recht“.

Die Differenz zwischen der kaiserzeitlichen Philosophie und der frühchristlichen Theologie verortet Vollenweider in der christlichen Eschatologie, die „in der Repräsentation von Zeit vor einen tiefen Graben stelle“. Mit Blick auf 1 Kor 1f. sieht er die „Grunddifferenz zwischen Philosophie und Evangelium“ in der „Christologie selber“, das heißt in der „Verkündigung eines Gekreuzigten als endzeitlichem Erweis der δύναμις θεοῦ“.16 Bezieht man die untersuchten Texte aus dem corpus philonicum in die Verhältnisbestimmung von Philosophie und frühchristlicher Theologie ein17, 14  Zur

Frage der Apologie des Judentums im Werk Philos vgl. u. a. Hecht, Con­ texts, 79, Runia, Exegesis, I 5, Borgen, Exegete, 160, und van der Horst, Apologetik, 612. 15 Unter ‚Diskursen‘ werden hier im Anschluss an Vollenweider, Areopag, 314, „argumentative Dialoge über die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimität von Normen“ verstanden. 16 Ebd., 318. 17  Vollenweider, ebd., 298, hebt den Zusammenhang der frühchristlichen Theologie mit dem griechischsprachigen Judentum ausdrücklich hervor.

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so zeigt sich, dass es weder die Christologie noch die auch bei Philo fehlende Eschatologie ist, die den ‚Graben‘ zwischen beiden Bereichen markiert, sondern die hier herausgearbeitete Verbindung von Theo-logie und Anthropologie, das heißt von überragender Macht Gottes – δύναμις θεοῦ – und Nichtigkeit des Menschen. Dafür steht im Horizont der vorliegenden Untersuchung ‚Jerusalem‘ in seiner doppelten Gestalt von alexandrinisch-philonischem und paulinischem Denken, während im Gegenüber dazu ‚Athen‘ in Gestalt der kaiserzeitlichen Stoa für die Selbstmächtigkeit des Ichs steht, das durch die Vernunft konstituiert ist. Die Christologie, verstanden als der ‚Gekreuzigte als endzeitliche(r) Erweis der δύναμις θεοῦ‘, erweist sich im Horizont der vorliegenden Untersuchung als ein erfahrungsgetränktes Interpretament der aufgezeigten philonisch-paulinischen Grundfigur und markiert nur unter Absehung vom philonischen Kontext des paulinischen Denkens die entscheidende Differenz zur Philosophie. Entsprechendes gilt für die Eschatologie. Obwohl sie bei Philo fehlt, rechtfertigt auch sie es kaum, die ‚urchristliche Religion‘ als ein ‚Einzelphänomen‘ zu betrachten, da sie ebenfalls für große Teile des zeitgenössischen jüdischen Denkens kennzeichnend ist.18 Beiden, dem Judentum wie der Philosophie, gegenüber ist dagegen der Gedanke neu, dass das geschichtliche Ereignis von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi den Einbruch der Endzeit in die geschichtliche Zeit bedeutet. Was das spezifisch Christliche an ‚Jerusalem‘ im Unterschied zu ‚Athen‘ ist, lässt sich demnach nicht auf der Basis des Neuen Testaments allein bestimmen, sondern ist im Verbund mit den Schriften des antiken Judentums zu klären. Das gilt auch für die verschiedenen Aspekte der Christologie. Kreuz und Auferstehung Jesu Christi konstituieren die Ursprungserfahrung des Christentums und bilden deshalb per se das Differenzkriterium zu jeder Philosophie und Religion.19 Die zur Interpretation von Kreuz und Auferstehung verwendeten Motive und Vorstellungen sind aber nicht zwingend Teil des Spezifischen. Bezogen auf die Formulierung Vollenweiders heißt dies, dass sich die Deutung des Gekreuzigten als Erweis der δύναμις θεοῦ im Horizont des Philo und Paulus gemeinsamen Kerns begreifen lässt, sofern darunter die Tatsache zu verstehen ist, dass der in Schwachheit Gekreuzigte „aus der Kraft Gottes (ἐκ δυνάμεως θεοῦ)“ lebt. 20 Zugleich aber lassen sich mit Vollenweider Differenzen zum jüdischen ‚Jerusalem‘ und zu ‚Athen‘ gleichermaßen in der Christologie und der Eschatologie benennen. Christo18  Vollenweider, ebd., 318, betont im Anschluss an seine Äußerungen zu 1Kor 1f. aber selbst, dass „wir“ damit „bereits im Feld systematischer Konstruktion angelangt (sind), die der Vielheit der überlieferten Texte nicht hinreichend gerecht zu werden vermag“. 19  Dazu s. auch unten (5). 20  Vgl. 2Kor 13,4 und dazu s. o. Kap. 4.1.2.

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logisch zeigt sich der Unterschied darin, dass der Gekreuzigte als Auferstandener nicht nur aus der δύναμις θεοῦ lebt, sondern auch an ihr partizipiert und sie wirksam werden lässt. 21 In der Eschatologie liegt er in der präsentischen Dimension der apokalyptischen Dimension des δύναμις-Erweises Gottes im Gekreuzigten. (4.2) Der Ertrag der komparativen Lektüre von Philo und Paulus: (4.2.1) Die voranstehende vergleichende Lektüre von Philo und Paulus zur Frage der Selbsterhebung des Menschen über Gott relativiert diejenigen Forschungspositionen, die vor allem die Differenzen zwischen den beiden Autoren betonen22 oder Berührungspunkte zwischen beiden ganz in Abrede stellen23, und bekräftigt die Studien, die das Grundsätzliche betreffende Übereinstimmungen herausarbeiten. 24 Die Identifizierung des Gemeinsamen schließt Differenzen nicht aus, sondern setzt sie voraus. Solange Philo und Paulus nicht umfassend der vergleichenden Lektüre unterzogen sind, sind Pauschalurteile über das religionsgeschichtliche Verhältnis beider Autoren zu vermeiden. Untersuchungs- und Bewertungsgegenstand können vorläufig nur einzelne Motive, Topoi oder Vorstellungskomplexe sein. (4.2.2) Mit Blick auf Philo verdeutlichen die aufgezeigten Übereinstimmungen mit Paulus, dass das, was Philo positiv dem ‚großen Geheimnis‘ zurechnet und als Gegenentwurf zur φιλαυτία bestimmt, Teil seines jüdischen Profils ist. Darauf deuten zwar auch die herausgearbeiteten Bezüge zur biblischen Tradition und zum Frühjudentum hin, doch unterscheidet sich das, worin Philo und Paulus übereinstimmen, von beidem, so dass den Paulusbriefen in der hier erörterten Frage eigenes Gewicht beizumessen ist. Sie füllen so eine Lücke, die die jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit einschließlich der Qumranschriften in diesem Zusammenhang ansonsten lassen. Zugleich aber belegen sie, dass es sich bei den philonischen Ausführungen zum ‚großen Geheimnis‘ und zur φιλαυτία nicht um einen singulären Sachverhalt handelt. Die paulinische Entfaltung des mit Philo gemeinsamen ‚Kerns‘ gibt zudem zu erkennen, dass der philonische Gegenentwurf zur stoischen Philosophie des Selbst eine religiöse Antwort war, die im Raum der hellenistisch geprägten Antike geeignet war, Überzeugungskraft zu entfalten. Ansonsten wäre kaum vorstellbar, dass Paulus die ihm zuteil gewordene Christusoffenbarung gleichsinnig ausgedeutet und damit Anhänger gefunden hätte. 21 

Vgl. 2Kor 12,9; 1Kor 1,30. Dazu s. o. Kap. 4.2.1 sowie im Folgenden (5). 23  Dazu s. o. Kap. 4.4.2, Anm. 163. 24  Dazu ist in Sonderheit auf die verschiedenen komparativ angelegten Arbeiten zum Verständnis der Gnade bei Philo und Paulus aus jüngerer Zeit – vgl. Zeller, Charis, Barclay, Agency, und ders., Reason, sowie Gundry, Benefaction, – sowie auf die Studie von Noack, Haben, zu verweisen. 22 

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(4.2.3) So sehr der Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ bei Paulus biographisch in seiner Erfahrung des auferstandenen Christus vor Damaskus gründet, so sehr zeigen die erörterten Texte Philos, dass die Deutung dieser Erfahrung und ihre Verbindung mit zentralen Themen der paulinischen Theologie an das hellenistisch-jüdische Denken, wie es sich bei Philo äußert, anknüpfen können. Ferner ermöglicht es der Vergleich mit Philo, die paulinische Theologie, sofern sie den ‚Kern‘ entfaltet, als Beitrag zur antiken Diskussion um das Selbst wahrzunehmen. Die Unterschiedlichkeit im Umgang mit der stoischen Tradition ist dabei nicht zu verkennen. Philo sucht die direkte intellektuelle Auseinandersetzung mit ihr. Dabei rezipiert er zentrale Aspekte der stoischen Psychologie, weist deren inneren Kern, die Hinwendung zum Selbst und dessen Therapie mittels der eigenen, dem Menschen von der Natur zur Verfügung gestellten intellektuellen und ethischen Ressourcen, aber zurück, weil dies mit seinem Gottesglauben unvereinbar ist. Demgegenüber führt Paulus mit dem zeitgenössischen paganen Denken keine direkte Auseinandersetzung, obwohl er wie Philo an der geistesgeschichtlichen Großwetterlage des kaiserzeitlichen Hellenismus, wie sie insbesondere durch die Stoa repräsentiert wird, partizipiert. Ausgangspunkt seines Denkens ist die eigene Erfahrung vor den Toren von Damaskus, die er im Gal theologisch auf den Nenner ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott in Christus‘ bringt. Diese Einsicht legt er seiner Interpretation des Handelns Gottes in Christus mit dem Einzelnen einerseits und Israel und den Völkern andererseits als Deutungsschema zugrunde. In den Korintherbriefen wendet er dieses Deutungsschema kritisch gegen die Orientierung vor allem des griechisch geprägten Menschen an der eigenen Person und den gesellschaftlich gesetzten Werten. In eigener Zuspitzung kommt es freilich auch im Kontext der Rechtfertigungslehre zum Tragen. Für die Rekonstruktion der Entstehung der paulinischen Rechtfertigungslehre bedeutet dies, dass Paulus den ihm wohl bereits aus seiner vorapostolischen Zeit bekannten Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ im Kontext der galatischen Krise mittels der auf der antiochenischen Formel basierenden Antithese von ‚Gerechtigkeit aus Werken des Gesetzes‘ und ‚Gerechtigkeit aus Glauben‘ interpretiert und damit erst die Rechtfertigungslehre im eigentlichen Sinn formuliert. Damit erweist sich zugleich die These, wonach der Kern der Rechtfertigungslehre im Gegensatz von Tora und Christus besteht, als unbegründet. Dieser Gegensatz erscheint vielmehr als eine spätere Deutung des Gegenübers ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘. Über die bisherigen Ausführungen zur Rechtfertigungslehre hier und in Kap. 5 hinaus lässt sich die Deutung des Gedankens ‚nicht aus Menschen‘, die Paulus ihm im Kontext der Rechtfertigungslehre gibt, im Licht der erörterten Texte aus den Korintherbriefen und der Stoa folgendermaßen präzisieren: Paulus überträgt die ihm mit Philo gemeinsame Grundüberzeugung ‚nicht

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aus Menschen, sondern aus Gott‘, die der alexandrinisch-jüdische Exeget in der Auseinandersetzung mit der stoischen Philosophie entwickelt hat, auf seine Auseinandersetzung mit einem neuen Gegenüber, dem bundesnomistischen Judentum. Diese Kontroverse liegt seiner Formulierung der Rechtfertigungslehre im Gal und insbesondere im Röm zugrunde. Wenn Paulus den Bundesnomismus auf die Formel der ‚Gerechtigkeit aus Werken des Gesetzes‘ im Gegensatz zu einer ‚Gerechtigkeit aus Glauben‘ bringt, spitzt er ihn in einer Weise zu, die diesem von Hause aus fremd ist. Denn das bundesnomistische Denken zielt nicht auf die Selbsterhöhung des jüdischen Menschen, sondern auf dessen gehorsame Antwort auf die Gabe der Tora im Kontext des Bundes Gottes mit Israel. 25 Weil aber die Werke des Gesetzes auch und gerade die Israel von den Völkern unterscheidenden Gebote meinen 26, geht es bei der Praxis des Gesetzes Paulus zufolge immer auch um die Affirmation jüdischer Identität im Gegenüber zur nichtjüdischen. Deshalb kann er das jüdische Bemühen um die Bewahrung der eigenen religiösen Identität – anders ausgedrückt: des kollektiven Selbst – mit Hilfe der ἔργα νόμου auch als Spielart des ἐξ ἑαυτῶν deuten und mit dem Anliegen der für das hellenistisch-römische Denken seiner Zeit einflussreichen Philosophie des Selbst, wie es in polemischer Zuspitzung bei Philo erscheint, identifizieren. 27 Paulus deutet das bundesnomistische Denken m. a. W. stoisierend. Wie Philo in der menschlichen Selbstorientierung einen Verstoß gegen das erste Gebot sieht, so versteht Paulus die bundesnomistische Deutung der Werke des Gesetzes als einen Angriff auf Gott selbst, dessen Identität als Gott der Juden und der Nichtjuden er dadurch in Frage gestellt sieht (Röm 3,27–30). Das aber heißt nach dem Gesagten, dass Philo sich das Zentrum der paulinischen Rechtfertigungslehre, wie es von einer Reihe von Autoren ohne Bezugnahme auf Gesetz und ἔργα νόμου bestimmt wurde28, durchaus hätte zu eigen machen können, nicht aber die von Paulus damit verbundene Deutung des Gesetzes. Denn in seiner Konzeption gehört das Gesetz auf die Seite Gottes, da es, wie Philo – gänzlich unpaulinisch – ausgerechnet an der Beschneidung zeigt, den Hochmut des Menschen als Ausdruck der φιλαυτία „beschneidet“ und damit dessen Selbstvergottung wehrt bzw., positiv formuliert, zur θεοφιλία anleitet. Auch wenn damit das Verständnis des Gesetzes Paulus und Philo trennt, stimmen sie ganz im Sinne der paulinischen Rechtfertigungslehre als einer Entfaltung des Kerns ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ darin überein, dass Gott allein es ist, der sich dem ohnmächtigen 25 

Vgl. dazu Holtz, Gott, 280, mit weiterer Literatur. Dazu s. o. Kap. 5.2.1. 27  Entsprechendes war für die Deutung des jüdisch(-adamitischen) Ichs in Röm 7 zu beobachten; vgl. Kap. 9.(3). 28  S.o. Kap. 5.1.1. Zu diesem Zentrum gehört auch die Christologie nicht. 26 

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Menschen in seiner Wirkmacht gnadenhaft zuwendet und zu seinen Gunsten handelt. 29 In die Sprache der antiken Philosophie übersetzt, zeigt sich nach dem Gesagten so auch bei Paulus die im Philo-Teil beobachtete Ersetzung der besonders für die Stoa charakteristischen ‚cura sui‘ durch die ‚dei cura hominis‘. Insofern ist auch die paulinische Theologie als ein, wenngleich indirekter, Beitrag zum antiken Diskurs über das Selbst zu betrachten. 30 (5) Dass der formulierte Ertrag der vorliegenden Untersuchung eine komparative Lektüre von Philo und Paulus rechtfertigt, dürfte auf der Hand liegen. Nun hat freilich L.W. Hurtado die neutestamentliche Wissenschaft angesichts des von ihm konstatierten radikalen Unterschieds der beiden Autoren31 vor einem „simplistic use of ‚parallels‘“ gewarnt und stattdessen vorgeschlagen, „to acquire as deep an acquaintance as we can with this remarkable Jewish leader of Alexandria so that we may grasp better what first-century Christianity represented in the context of Roman-era Judaism“.

Die Beschäftigung der neutestamentlichen Forschung mit Philo sollte demnach in erster Linie dem Ziel dienen, das Proprium des Christlichen zu erfassen. Hurtado begründet dies damit, dass weder Philo noch andere frühjüdische Texte „‚explain(s)‘ key features of earliest Christianity witnessed in the New Testament, in the sense of accounting for their appearance“. 32 Dass Philo in der gegenwärtigen neutestamentlichen Wissenschaft in markanter Weise als Parallelenfundus für die Erklärung des Neuen Testaments herangezogen würde, ist nicht erkennbar33. Insofern trifft die Warnung Hurtados vor einem simplizistischen Gebrauch philonischer Parallelen, so richtig sie im Prinzip ist, kaum den gegenwärtigen Stand der neutestamentlichen Wissenschaft. Dagegen ist ihm zuzustimmen, wenn er auf die Bedeutung 29 

Vgl. dazu auch Zeller, Charis, 169. Ein weiterer Ertrag der vergleichenden Lektüre von Philo und Paulus ist mit Blick auf die paulinische Christologie, die im Kontext dieser Untersuchung ein Nebengleis darstellt, festzustellen. Auch hier zeigt sich der in den exegetischen Kapiteln des ersten Teils eruierte Kern ‚Nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ in Verbindung mit dem, was Philo als das ‚große Geheimnis‘ von Gott und Mensch bezeichnet. Wie der philonische Abraham und Paulus selbst durch äußerste Niedrigkeit, Schwachheit und Nichtigkeit gekennzeichnet sind und ihr Sein in der Übermacht der Gnade Gottes gründet, so zeigt sich dieser Gegensatz von Gott und Mensch auch in der paulinischen Christologie (dazu s. o. Kap. 3.1.2 und Kap. 3.3.2.1). In den erörterten Passagen deutet der Apostel das Kreuz Jesu Christi als Zeichen seiner Schwachheit, seine Auferstehung dagegen als Erweis der Kraft Gottes. Vor diesem Hintergrund steht zu vermuten, dass insbesondere die von Paulus stark akzentuierte Niedrigkeitschristologie traditionsgeschichtlich nicht zuletzt auf Philo zurückverweist. 31  Dazu s. auch oben Kap. 4.2.1 mit Anm. 54. 32  Hurtado, Philo, 92. 33  Dazu s. u. 30 

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der Kenntnis Philos als Kontext des frühesten Christentums verweist. Dies wird durch die vorliegende Untersuchung nachdrücklich bestätigt. Seine Begründung, dass Philo „key features“ des frühesten Christentums nicht ‚erklären‘ könne, ist so richtig wie selbstverständlich. Da diese Aussage allerdings dazu beitragen könnte, die Bedeutung der Schriften Philos für die Interpretation des Neuen Testaments zu relativieren, bedarf sie einer näheren Untersuchung. Die Schwäche der Begründung Hurtados zeigt sich bei genauerer Betrachtung der von ihm für Paulus erörterten „Two Key Distinguishing Features“34, der Heidenmission und der Jesus-Verehrung. Mit Blick auf das erste „key feature(s)“ verweist er darauf, dass „(n)othing that I can see in Philo provides us a missing explanatory link or key that unlocks the remarkable conviction that drove Paul to traverse a good part of the Roman Empire“. 35 Bezogen auf das zweite Schlüsselmerkmal, die „Devotion to Jesus“36, bemerkt er, dass Philo in der Auseinandersetzung zwischen Stephanus und seinen Gegnern mit diesen symphatisiert und vermutlich neben dem „zealous Pharisee from Tarsus“ gestanden hätte. 37 „I see nothing in Philo that would make him a likely candidate to be baptized in the name of Jesus“. 38 In der Tat vermag das corpus philonicum weder das eine noch das andere zu ‚erklären‘, es vermag die beiden Sachverhalte noch nicht einmal zu beleuchten. Das hat seinen Grund darin, dass sowohl die Heidenmission als auch die Jesus-Verehrung von Paulus und anderen frühen Christen einer ganz spezifischen frühchristlichen Erfahrung geschuldet ist, nämlich den Erscheinungen des Auferstandenen (1Kor 15,5–8) bzw. der göttlichen Offenbarung des Auferstandenen, die für Paulus den Auftrag zur Völkermission einschließt (Gal 1,16). Die spezifisch christliche Erkenntnis kann, weil Offenbarungserkenntnis, in der Tat nicht mit Philo oder einer anderen frühjüdischen Tradition erklärt werden. Insofern eignen sich die beiden von Hurtado angeführten „key features“ nicht dazu, über Sinn und Nutzen eines religionsgeschichtlichen Vergleichs von Philo und Paulus bzw. dem Neuen Testament zu urteilen. Offenbarung liegt jeder Theologie als denkerischer Anstrengung des Menschen voraus. Paulus hat die ihm widerfahrene Offenbarung in der Sprache der Theologie auf die in dieser Untersuchung als ‚Kern‘ bezeichnete Formel ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ gebracht und zentrale Themen seiner Theologie im Sinne dieser – bei ihm – erfahrungsbasierten Formel entfaltet. 39 Bei beidem, der Versprachlichung seiner christlichen Ursprungserfahrung 34 

Hurtado, Philo, 87. 89. 36 Ebd., 90. 37 Ebd., 92. 38 Ebd., 91. 39  Dazu s. o. Kap. 5.4.2. 35 Ebd.,

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wie auch der Entfaltung seiner Theologie, bedient er sich aber der Sprache und Grammatik der von ihm rezipierten theologischen Traditionen, zu denen auch die philonisch-alexandrinische Tradition gehört. Wenn Paulus sich dieser Traditionen bedient, geht es ihm also nicht darum, die Beweggründe für seinen Christus-Glauben anzugeben und das sich daraus ergebende Handeln zu ‚erklären‘, sondern die allem Glauben und Handeln vorgängige Offenbarung angesichts der vielfältigen Herausforderungen, denen er im Zuge seines Apostolats begegnet, in sachlicher Übereinstimmung mit der philonisch-­ alexandrinischen Traditionsbildung zu entfalten. Vor diesem Hintergrund erweist sich die von Hurtado gebrauchte Kategorie der ‚Erklärung‘ eines paulinischen Phänomens durch ein philonisches als untauglich, um das Verhältnis von Philo und Paulus überhaupt erst in den Blick zu nehmen. Philo erklärt Paulus nicht und kann ihn auch nicht erklären, so wenig wie andere nichtpaulinische Schriften dies vermögen. Vielmehr entfaltet Paulus seine grundlegenden Überzeugungen mit Hilfe alexandrinisch-philonischen Gedankenguts, das ihm in den in dieser Untersuchung verhandelten Fragen die geeigneten Denkformen zur Verfügung stellt, die er seiner eigenen spezifischen Zielsetzung gemäß gebraucht.40 Philonisch-alexandrinisches Gedankengut ist, wie gesehen, freilich nur eine der von Paulus rezipierten Traditionen des Frühjudentums.41 Es ist im Raum der neutestamentlichen Wissenschaft im Zuge der Entdeckung der Qumranliteratur und des zunehmenden Interesses an der Apokalyptik in den letzten Jahrzehnten allerdings in den Hintergrund getreten.42 Dazu dürfte auch das verschiedentlich zu beobachtende Unbehagen an der philosophisch-ontologischen Zentrierung des philonischen Denkens beigetragen haben, das teilweise als unvereinbarer Gegensatz zu dem in den Qumranschriften und der Apokalyptik repräsentierten geschichtlich-heilsgeschichtlichen Denken wahrgenommen wird, das im Neuen Testament eine maßgebliche Fortsetzung findet. Damit scheint zugleich die Relevanz Philos für die Paulusforschung in Frage gestellt.43 Wie jedoch die vorliegende Untersuchung zeigt, sind die gegensätzlichen Weltanschauungen, bei Paulus die Apokalyp40 

Bei eigener Fragestellung im Ergebnis ähnlich Noack, Haben, 306. Vgl. dazu Kap. 2.3.2.3. 42 Vgl. Sterling, Significance, 263. 43  Vgl. dazu Holtz, Bund, 219–221, am Beispiel O. Michels, dessen diesbezügliche Positionen auf J. Schniewind und M. Kähler zurückzuführen sind. Auch Sterling, Significance, 263–266, operiert mit der Gegenüberstellung von platonischer, durch Philo vertretener Ontologie und neutestamentlich-paulinischer Eschatologie; erstere verbindet er mit der von Paulus zurückgewiesenen Anthropologie der Korinther in 1Kor 15,44–49 (ebd., 264). Sterling beschreibt diesen Unterschied, ohne ihn zu bewerten. Zur Diskussion um den Hebräerbrief vgl. ebd., 264–266. S. ferner Engberg-Pedersen, Cosmology, 134f.136f., für den die gegensätzlichen Weltanschauungen von Apokalyptik und Philosophie im Blick auf Paulus und Epiktet ebenfalls Thema sind. 41 

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Teil 2: Zum Verständnis von Gott und Selbst bei Philo und Paulus

tik, bei Philo die Ontologie, mit Blick auf die hier verhandelte Thematik von geringer Bedeutung. Beide Autoren adaptieren Kern und Entfaltung ihrem jeweiligen Rahmen und stellen sie ins Zentrum ihres theologischen Denkens. Eine vergleichende Untersuchung von Philo und Paulus wird dadurch also keineswegs überflüssig, im Gegenteil. Der programmatischen Aussage von G. Sterling kann deshalb auch mit Blick auf Paulus nur zugestimmt werden: „‚Philo has not been used half enough‘“.44 (6) Unter hermeneutischen Gesichtspunkten sind die philonischen und paulinischen Konkretionen des ‚großen Geheimnisses‘ in Verbindung mit dem für beide Autoren identifizierten Kern ‚nicht aus Menschen, sondern aus Gott‘ dazu geeignet, die Stoßrichtung der paulinischen Rechtfertigungslehre, die diesen Kern ebenfalls entfaltet, genauer zu fassen und sie aus ihrer in der Rezeption der Theologie Martin Luthers zu beobachtenden soteriologischen Verengung herauszuholen. Die in der vorliegenden Untersuchung vorgenommene Verhältnisbestimmung der theologischen Konzeption von Philo und Paulus zur stoischen Philosophie des Selbst lässt sich anthropologisch auf den Gegensatz von Geschöpflichkeit versus Autonomie bringen. Theologisch entspricht dem der Gegensatz zwischen dem ‚extra nos‘-Handeln des biblischen Gottes bei den beiden jüdischen Autoren und der Überantwortung des Menschen an das eigene Ich in der Stoa. Die philonisch beeinflusste paulinische Seite des antiken Diskurses über das Verständnis des Menschen wurde theologiegeschichtlich vor allem in der Theologie Martin Luthers relevant. In der gegenwärtigen Luther-Rezeption wird dagegen bei der „Frage nach Luthers Moderne-Tauglichkeit“ der im antiken Diskurs mit der Stoa verbundene Autonomie-Gedanke mit dem Reformator verknüpft.45 So gewinnt der antike Diskurs über Gott und das Selbst für die Frage nach einer heute zu verantwortenden reformatorischen Theologie neue Relevanz. Die in der Antike zwischen Philo, Paulus und den kaiserzeitlichen Stoikern stattfindende Auseinandersetzung über das Verständnis des Menschen verdeutlicht die potentielle Aktualität der philonischen und paulinischen Theologie im Horizont des heutigen anthropologischen Diskurses. P. Veyne zufolge gibt es „eine moderne Nutzanwendung des Stoizismus“, genauer: des „egozentrischen Stoizismus“46, der sich in Senecas Briefen an Lucilius artikuliere. Diese spiegele sich in der modernen Seneca-Renaissance wider, die durch M. Foucault und seinen Kreis, der mit der Bedrohnung durch Aids lebte, ausgelöst wurde47. Für Foucault sei die stoisch inspirierte Überzeu44  Sterling, Significance, 268, im Anschluss an S.T. Coleridge. Das Zitat ist zugleich Teil des Titels von Sterlings Beitrag. 45 Vgl. Trowitzsch, Luther, 406. S. auch oben Kap. 9, Anm. 67. 46  Veyne, Weisheit, 11. 47  Dazu ist außer auf Foucaults oben in der Einleitung zu Teil 2 aufgenommener

Kapitel 10: Ergebnisse und Perspektiven

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gung, dass „vor dem Tod … ein Ich (ist), das die Verneinung setzen kann, die einzige Waffe, die uns bleibt“, überlebenswichtig gewesen. Der Stoizismus, obwohl er in seiner Ganzheit für den modernen Menschen „die … unglaubwürdigste Philosophie“ darstelle, erregt Veyne zufolge dennoch „die Sehnsucht und Begeisterung eben dieses modernen Menschen“, und zwar dank eben jenes einen entscheidenden Punktes, den sich Foucault angeeignet habe, der „Lehre vom Ich als tätigem Subjekt, ohne Gott … und ohne Herrn“.48 So zeige sich das Paradox, „daß ein einziger Punkt der stoischen Lehre – die Autonomie des Ichs und dessen Möglichkeit, an sich selbst zu arbeiten – für uns zur Methode des Überlebens wird, auch wenn alles andere, was die Stoa als existent gesetzt hatte: Natur, Gott, Einheit des Ichs, verschwunden ist“.49

Als für die Gegenwart bedeutsam erweist sich damit eben jener Punkt der stoischen Lehre, mit dem sich in der Antike Philo und in eigener Weise auch Paulus im Namen ihres Gottesglaubens auseinandergesetzt und dem sie theologisch begründete Gegenentwürfe im Sinne des ‚großen Geheimnisses‘ von Gott und Selbst entgegengesetzt haben. Angesichts der antiken Diskurskonstellation scheint es zumal für eine sich von Luther her verstehende evangelische Theologie naheliegend, den philonisch-paulinischen Beitrag zu der alt-neuen Diskussion um die Autonomie des Ichs und dessen Möglichkeit, sich selbst zu entwerfen, unter den geistesgeschichtlichen Bedingungen der Gegenwart mit ihrer Stoa-Renaissance neu zur Geltung zu bringen.

Arbeit „Die Sorge um das Selbst“ auf die dort, Anm. 1, aufgeführte Literatur zu verweisen. S. ferner W. Schmid, Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst: Die Frage nach dem Grund und die Neubegründung der Ethik bei Foucault. 48  Veyne, Weisheit, 12. 49 Ebd., 13.

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Stellenregister I. Altes Testament (Masoretischer Text und Septuaginta, ohne Apokryphen) Genesis 1,3 135 2,7 119 2,21 384 3,8 292f., 334 4,3 164 4,5f. 153 4,12 153 4,14 153 4,16 141 4,17 135f., 140 5,29 LXX 153 6,8 167 8,21 183 11,4 140 12,7 103 15,1 148, 150 15,2 148, 311 15,6 155f., 197, 241f., 269 17,1f. 150 17,9–19 272 17,10 99 17,16 153 17,17 153 18,17 314 18,22f. 295 18,27 151, 182, 210 25,21–23 174 31,20f. 312, 315, 325, 331f. 31,21 325 31,26 313, 315 31,43 144 32,6 110 32,29 116, 314

35,2 315 314–316, 332f. 35,4 48,22 316 49,8 316 Exodus 2,14–16 295f. 2,15 294–297 5,2 295 15,9 145f. 18,4 311 19f. 132 21,5f. 145 22,1f. 293 25,40 109 27,21 157 30,8 157 31,13 272 33,13 106, 132, 134 34,17 313 Leviticus 2,11 157, 159 7,34 166 11,2 272 12,2f. 272 15,2 272 312, 315, 317 15,31 17,2 272 18,24 272 19,2 272 19,4 313 19,12 367 20,2 272

434

Stellenregister

23,27 137, 187, 189 24,3f. 157 26,41 162 Numeri 16,5 338–340 30,3 367 Deuteronomium 1,27 209 4,4 100 5,26 184 6,4 235 8f. 164–173 28, 165, 182 8,11–14 8,14 172 8,17f. 166f., 172, 197 8,17 172 8,18 28, 166 9,4–6 170–172, 197 9,4 171 9,5 168f., 171f. 9,6–24 168 9,6 171 9,23 209 10,12–21 157, 161–163 10,12f. 158 10,14 158 10,16 162f. 10,17 160–162 10,18 160–162 10,21 161, 185 16,16f. 294f. 23,2–4 90 23,24 164 30,12 171 30,15 337f., 341 30,19 337f., 341 30,20 143 Richter 8,9 140 1. Samuel 2 2,1–10 LXX 2,2 2,3

31, 33, 42, 72 33f. 32, 185 32, 185

2,4–9 32 2,4 33 2,6 32 2,7 32f. 2,8 32f. 2,9 32, 72, 197 2,10 LXX 18, 21f., 27, 30–32, 45, 71f., 85, 185, 242 Jesaja 1,29 19 3,15 19 6,6f. 132 9,1 134 19,11–14 16 29 42 29,9–24 33f. 29,13 LXX 16 29,14 16f., 22, 33f., 45f. 29,19 34 29,20 34 29,22f. 34 29,22 19, 34 33,18 16 40,6–8 184 40,6 184 40,13 45, 133 44,24–28 16 64,3 45f. 65,16 45f. Jeremia 4,4 162f. 8,4–9,25 162f. 8,4–9 LXX 163 8,6 162 8,25f. LXX 163 9,22–25 161 9,22f. LXX 18, 21f., 27, 30–32, 45, 71, 85, 161–163, 185, 197, 242 9,22 LXX 45, 58, 163 9,23 LXX 32, 161f. 9,24f. LXX 31, 162 9,24 LXX 162 17,5 184 17,7 184

435

I. Altes Testament

Ezechiel 13,3 209 Joel 4,10 72 Micha 7,16 19 Sacharja 9,12 55 Psalmen 8 184f. 8,4f. 184 8,5 185 8,6f. 185 9,1–10,18 186 9,1–39 LXX 186 9,37–39 LXX 186 39,2 184 39,6 184 39,12 184 39,13 159 186 48 LXX 48,13 LXX 187 48,14 LXX 186f. 187 48,16 LXX 49 186 49,14 186f. 49,16 187 56,5 184 62,10 184 90,3 184 90,5f. 184 93 LXX 43f. 93,1–15 LXX 43 93,1 LXX 43 93,8 LXX 43f. 93,11 LXX 40, 42–46

103,14 184 103,15f. 184 119,19 159 121,3f. 367 139 368 144,3 184 Sprüche 8,12 19 8,15f. 18 8,18 18 13,14–20 19 21,22 55 Hiob 1,21 159 5 44 5,8–16 41f. 5,9 42 5,12f. 39, 41f., 45f. 5,13 39 8,14 186 10,4 184 14,4f. 183 24,24 LXX 56 28,24 183 30,11–22 183 30,19 183, 210 34,14f. 184 38,4 183 40,4f. 183 40,4 183 42,6 183 Daniel 5,2 LXX

207

2. Chronik 32,8 184

436

Stellenregister

II. Apokryphen und Pseudepigraphen zum Alten Testament Aristeasbrief 18 205 132 127 191f. 205 191 211 195 205 196 48, 204f. 197 146, 210 205 205 208 146, 210 210 205 211 211 262f. 211f. Joseph und Aseneth 2,1 211 4,9–11 211f. 21,16–21 212 Liber Antiquitatum Biblicarum 50f. 30 2. Makkabäer 1,28 206 7,34–36 206 9,4–11 206 15,6 206 3. Makkabäer 1,8–2,24 207 2,25–7,22 207 6,4 207 6,5 207 6,9 207 6,12 207 Psalmen Salomos 16,11–15 72 Pseudo–Phokylides 53f. 18, 30 Sapientia Salomonis 5,8 211 6,3 205

7,7 205 7,15–21 205 8,21 122, 206 9,1–3 12 9,5f. 210 13,4f. 129 13,5 127, 130 17,7 211 Sibyllinen 2,125f. 30 Sirach 1,9 12 10,9 184, 210 10,10f. 210 10,19–25 19 10,22 30 17,32 183, 210 24,3–5 12 Testament Hiobs 15,5–8 212 38,2 184, 210 38,5 211 41,3f. 212 Testament der zwölf Patriarchen Testament Rubens 3,5 211 6,5 211 Testament Simeons 7,1 211 Testament Levis 14,7f. 208 17,11 211 Testament Judas 13,2f. 211 21,1 211

IV. Philo

III. Qumranliteratur Damaskusschrift (CD) CD 2,14–3,12 208–210 CD 2,15f. 208 CD 2,17f. 209 CD 3,1 209 CD 3,2 209 CD 3,5f. 209 CD 3,7 209 CD 3,10–12 209 CD 3,12–16 208

Hôdājôt (1QH) 17,13–17 73 17,16f. 73 18,3–14 73f. 18,3–8 151, 184 18,5f. 184 18,7–9 73 18,7 73, 184 19,6–17 74 23,8f. 74

Gemeinderegel (1QS) 3,13–4,26 209

Kriegsregel (1QM) 11,2–5 72

IV. Philo Apologia pro Judaeis 7,12 216 De Abrahamo 50 149 52–54 158 52 310 68–80 90, 101–105, 123, 127 104, 126 68 69 101 70 102f., 125 71 102 72–74 102, 129 75 102f., 138 77–80 103 78 102f. 79f. 103 79 103 80 104 119 104 126–130 169 262–269 152, 155f., 191 262 155f. 263–267 155, 192f. 263 155 266 155, 196 268 155 269 156

De agricultura 42 144 159f. 62 169f. 166 172 166 De Cherubim 18f. 112 136 52 53–83 144–147 63 144 64 144 65 136 67 144 71 145 72 145 73 145 74 145 75–77 194 146, 210 75 77 145f. 80 145 83 146 116–120 159 128 340f.

437

438 De confusione linguarum 122–133 139–141, 192 122f. 140 124 140 125 140 128–130 140f., 193 128 139 129 140 130 141, 196 131 140f. De congressu quaerendae eruditionis gratia 106 187 107 89, 187f., 193 127–130 164, 174–176 127 175, 191 128 174f. 129 174 130 174, 191 De ebrietate 107 341 De fuga et inventione 7–22 315 315 11 De legatione ad Gaium 8–22 192 156 216 186–194 218 281f. 219 De migratione Abrahami 34–36 113 35f. 114 91f. 218, 222 134 188 137 188 170 120 De mutatione nominum 6 112 15 112 27–29 121 48 183 54 150

Stellenregister

154–156 139, 152–155, 193, 210 154 153 155 30, 153f., 191, 194 156 153f., 194 De opificio mundi 8 106 149 310 De plantatione 130 165, 169 De posteritate Caini 1–9 142 8–21 141–143, 149 8 143 9 142 10 142 11 142 12 143 16f. 112 17–19 149 21 142f., 149 22–27 112 35–52 192 35 136, 179 36 137, 192, 194 37 137 41f. 136f. 41 137, 196 42 137f., 192, 194 46 137 48 137f., 194, 196 52 135–139, 144f., 152, 179, 197 127 309 De praemiis et poenis 28–30 97 36–47 105, 110–119 110 36 36–40 103 37–40 111 37f. 114 37 103f., 111f., 125 38 119 39 111f. 40 112

IV. Philo

40–46 113 41–43 125 111f., 129 41 42 118, 129 43 111, 113f., 190 44 103, 111f. 45f. 104, 116 45 111f. 46 112, 117f., 119 47f. 110 47 110, 193 De providentia 2,64 218 De sacrificiis Abelis et Caini 2f. 175 136 2 52–58 164–173 52 164 164 53 54–57 164 54 152, 165–170, 193 165, 170, 178, 180, 55 182, 196 56 166f., 170, 172, 194, 198 57 152, 167–170, 172, 192f., 197 58 164 59 121 De somniis 1,58–60 179 166, 179 1,60 1,130–132 110 1,212 169 2,35 141 2,127 216 2,248 218 2,253 342 2,283–286 121 De specialibus legibus 1,1–11 98–100 1,2 98 1,6 98 1,10f. 100, 195

439

1,10 30, 98, 100 1,13–298 157 1,32–50 105–107, 126 1,32 105 1,33–35 105 1,34 105, 129 1,35 105, 129 1,36 105 1,37 107 1,39f. 105 1,41–49 105, 107, 132 1,41–44 105, 107 1,43 106, 191, 193 1,44 106 1,45–49 106 1,45 106 1,46 107 1,47 106, 122 1,48f. 106 1,66–70 218 1,66 218 1,69 223 1,70 223 1,173 341 1,175 341 1,291–298 157 1,291–295 157, 191 1,293–295 158–160, 210 1,293 30, 159f., 196, 208 1,294 159, 192 1,295 159, 183, 190 1,296–298 157, 165, 191 1,299–312 29, 157 1,299 157 1,300–312 158, 160–163 1,304–312 161f. 1,307–312 158, 185–187 1,304f. 161 1,307f. 186 1,307 121, 160, 185f. 1,308–310 210 1,308 53, 160, 186, 193 1,309f. 160, 192 1,310f. 160, 163, 192 1,310 151, 168, 197 1,311 30, 163, 192f., 196 1,324–345 90–97, 100, 157, 336 1,324–344 90

440

Stellenregister

1,327–344 97 1,333–344 195 1,333 174 1,334–336 91, 192 1,334 91f. 1,335–337 92 1,336 92f., 95, 100 1,337 94 1,338–343 93 1,344 94, 104 1,345 90, 100f., 126, 135, 143, 174 2,42–48 299 2,62 216 2,63 216 3,188f. 111 3,189 129 4,113 341 4,118 341 De virtutibus 160 169 161–174 97 161–168 28 161 28, 98 162 25 163 165 165f. 166 166 25 171f. 29 171 208 172 29 174 25, 29, 196 De vita Mosis 1,69 154, 193 2,216 167, 215, 222 2,288 199 Legum allegoriae 1–3 1,29 309 1,30 327 1,32 112, 119–121 1,36–38 112, 119–123 1,36 120 1,37 120f., 135, 191 1,38 94, 120f.

1,62 123 1,96 121 2,7 94 2,31f. 384 3,1–48 5, 280, 292–343 3,1–10 293, 335 3,1 292, 294 3,9 295 3,11–31 348 3,11–27 292f., 305, 334f., 344 3,11–14 292, 292–311, 294, 333 3,11 294, 296, 317 3,12–14 293, 297–305, 309, 311, 333 3,12f. 297 3,12 295f. 3,13f. 295f., 305 3,13 295f., 302, 305, 307– 310, 317, 340 3,14 295–297, 308, 310, 314, 337 3,15–27 293, 296, 311–334, 312–314 3,15–22 324, 331, 335 3,15 314f., 324 3,16–19 315, 333 3,16–18 318, 325f., 332 3,16f. 305, 315, 318, 324f., 327, 335 3,16 295, 315, 317, 324f. 3,17f. 325, 332 3,17 145, 295, 304, 324f., 329 3,18 307, 315, 317f., 325 3,19 315, 325, 332f. 3,20–22 315 3,20 324, 329 305, 315–317 3,22 3,23–27 315f., 332f., 333 3,23 316 3,24–27 293 3,24 316 3,25f. 316 3,25 316 3,26 316 3,27 316, 333

IV. Philo

3,28–47 293 3,28–31 292f., 310, 332, 334– 343, 334f. 3,29–31 335f. 3,28 334f. 3,29f. 335 3,29 96 3,30f. 94 3,31 335, 337, 339 3,32–35 293 3,36 293 3,37–39 293 3,39–41 293 3,42–47 293 3,48 293 3,77–79 172 3,77 167f. 3,78 167f., 172 3,79 172 3,95–103 115 3,96–102 95, 107–110, 340 3,96 108f. 3,97–99 107 3,97 109f. 3,99 108f., 129 3,100f. 117 3,100 108–110, 118, 191 3,101 108f., 124, 134 3,133 166 3,136f. 166f., 173, 192, 194 3,136 166 3,137 167 3,198 146 Legum allegoriae 4, Fragment (eigene Nummerierung) 4 2, 194, 331f., 337–343 4,1 338 4,2f. 339 4,2 338 4,3 339 4,4 339 4,5f. 338f. 4,5 339, 341 4,6 146, 339, 341 4,7 339–341 4,8 339, 341

441

Quaestiones et Solutiones in Exodum 2,14 159 Quaestiones et Solutiones in Genesin 1,21 310 1,55 310 1,60f. 217 1,63 154 1.86 199 3,46 99 3,47 99 3,58 310 4,4 113 Quis rerum divinarum heres 2 148 24–30 29, 139, 148, 150–152, 182, 210 24–29 148 24 148, 150f., 196 25f. 151 25 193 26 152 26–30 110, 150 26f. 152 26 150, 152 27f. 148 28f. 193 29f. 152, 183 29 149–152, 183 30 148, 150f., 183 58 311 59 311 60 311 69f. 114 90–95 155f. 92 155 97 101 106–108 100 121 147 252f. 318 253 317f. 289 149

442

Stellenregister

Quod deterius potiori insidiari soleat 32–34 62, 148, 152, 156, 192, 210 32 136 33f. 18, 25, 148 33 54, 149, 155, 193 34 149f. 35–37 141 35 141, 148 37 148 39 141 73 136 86–90 119, 121f., 128, 309 86 94, 122, 190f. 87 122

90 96, 123 119 154 Quod Deus immutabilis sit 41–44 326 41 327 42 309 43 327 45–47 340 108 169 Quod omnis probus liber sit 13 218 17f. 329 22 329

V. Neues Testament Matthäus 6,33–37 367 Markus 15,38f. 133 Johannes 6,30f. 13 Apostelgeschichte 6,9 220–224 6,11–14 222 7,22 224 7,44–50 222 7,58 220 220, 224 8,1 8,4 224 11,19f. 224 11,20 224f. 13,1 224f. 15,1 263 15,5 263 18,24f. 200 21,27–29 222 Römer 1,1 243 1,16f. 233, 243, 252f., 260

1,16

13f., 33, 237, 243–246, 248 1,17 243 1,18–3,20 12, 126 1,18–25 11 1,19–22 126 1,19f. 12, 127f., 371 1,20–22 192 1,21f. 157, 165 1,21 12, 43, 191 1,22f. 12 1,22 12 1,25 12 1,30 211 2,17–4,3 239, 241 2,17–24 239–241 2,17 239 2,23 239 2,25–3,20 239 3,9 170, 239 3,19–30 252 3,19 239f., 272 3,20 173, 240 3,21–31 235 3,21–26 240, 270 3,21–24 170, 243 3,21 238, 243, 258, 270 3,22 235, 270

V. Neues Testament

3,24 171, 173, 235, 252, 270 3,25f. 265, 270 139, 270 3,25 3,27–4,4 191 3,27–30 241, 396 3,27f. 173 3,27 240 3,28 231, 240, 255, 264f. 3,29f. 235, 240 4,1–3 240 4,2–5 192 4,2f. 156, 173 4,2 241 4,3 173, 241f. 4,4 192 4,13 251 4,16 173, 251 4,21 55 4,25 265 5,1–11 239, 241, 262 5,2 241 5,9f. 248, 252 5,11 241 5,17 50, 171 5,18f. 248, 253 5,21 171, 248 6,3f. 265 6,4 256 7,5 382 7,7–8,13 383 7,8 382 7,14–25 262, 380–385, 389f. 7,16 380–382 7,19 381, 383 7,21–23 383 7,21 381 7,22 381f. 7,23 381f. 7,24 383 7,25 381–383 8,1–11 383f. 8,1–3 383 8,4 256 8,9 383 8,10 383 8,16 128, 192 8,24 253 9–11 262

443

9,6 254 9,11 254 9,12 254, 264 9,22 55 9,30–10,13 249 9,30–10,4 237 9,30–33 264 9,30 197 9,32 173 10,2f. 172 10,3 171, 197 10,5 172 10,6 171 10,9–13 248 10,9f. 243, 246, 248, 253 10,9 247–249, 252 10,10 247–249, 252 10,14 244 10,17 244 11,4–6 254 11,5f. 264 11,6 254, 264 11,23 55 11,25 52 11,26f. 248 11,31f. 248 11,32 133 11,33–35 133 11,33 42 12,16 52 13,11 248 14,8f. 41 14,10–12 248 15,18f. 244 15,20 60 1. Korinther 1–4

3, 9, 22, 34f., 43, 46, 49, 53f., 71, 195, 199, 201 1f. 47, 126, 227, 237–243, 249, 267, 392f. 1 11f., 16, 22, 34, 126, 130, 135, 250f., 257 1,1 267 1,4–9 50, 157, 191 1,5 47, 50 1,10–4,21 9

444

Stellenregister

1,10–17 9f., 36 1,10f. 38 1,10 44 1,12 199 1,17f. 34 1,17 11, 78 1,18–4,5 44f., 52 1,18–2,16 9–36, 9f., 18, 24, 32, 39, 41, 53, 87, 237, 371, 379, 385 1,18–2,5 9f., 36, 64, 70 1,18–31 34, 36 1,18–25 10, 11–14, 24, 33, 42 1,18–20 20 1,18f. 21 1,18 11, 13f., 16, 33, 39, 44, 253 1,19–22 56 1,19f. 16, 23 1,19 11, 16, 22, 33, 36, 42, 44 1,20f. 10 1,20 11, 14, 16f., 39, 44, 56 1,21–24 10, 14, 192, 238 1,21f. 16, 18, 192 1,21 10–14, 16, 36, 47, 134, 152, 195, 197, 238f. 1,22–25 11 1,22–24 13 1,22f. 10, 126 1,22 11, 14, 18 1,23–25 11 1,23 16, 71, 239 1,24 14, 71, 132, 197 1,26–2,5 17–24, 36 1,26–31 10, 17–22, 24–36, 71, 82, 149, 154, 156, 160, 192, 194, 197f., 210 1,26–30 22, 236 1,26–29 28, 49, 77 1,26–28 21, 26, 30, 33f., 51, 64, 86, 149, 186, 193, 210, 238 1,26 18, 23, 30, 51f. 1,29–31 20–22, 238, 242, 257 1,27f. 21, 28f., 31, 51, 54, 56, 238

1,28

28–30, 38, 52, 71, 152, 243 1,29 20–22, 25, 28, 30, 64, 255f. 1,30f. 21, 33f., 256 21f., 31, 46f., 48, 86, 1,30 152, 238f., 242, 254, 256, 265, 273, 394 1,31 20, 22, 25, 30f., 33, 36, 42, 44, 60, 64, 68, 196, 243, 257 2,1–5 10, 22–24, 152 2,1 23, 78 2,2f. 23 2,3–5 160 2,3 23, 52, 54 2,4f. 138, 197, 372 2,4 23, 33, 52 2,5 14, 23, 37, 78, 238, 244 2,6–3,4 199 2,6–16 9–11, 14–16, 132, 192 2,2 10 2,6–8 56 2,6 10, 14, 39 2,7f. 14 2,8 10, 14 2,9f. 14 2,9 14f., 45f. 2,10–16 41, 132, 199 2,10–15 10 2,10–12 47, 134 2,10 15, 133 2,11f. 10, 128, 238 10, 15 2,11 2,12 15, 37, 47, 133, 152, 239, 254 2,13 15 2,14 10, 15, 133 2,15 133 2,16 10, 133 3f. 36–53, 71 3,1–4,21 9f., 36, 71 3,1–4 37 3,1 10, 37f., 52 3,3f. 37f., 199 3,3 37 3,4 40f., 82

V. Neues Testament

3,5–9 35f., 37–39 3,5 37, 41 3,6f. 254 3,6 37, 70 3,7 38, 70 3,8 38 3,9 38 3,10–15 38 3,18–23 36, 39–44, 199 3,18f. 39 3,18 39 3,19f. 39, 44 3,19 41f., 44 3,20 44 3,21–23 39f., 49 3,21 21, 39f., 45, 48, 82, 238, 268 3,22 40, 41 3,23 39–42, 48, 82 4,6–13 36, 44–53, 154 4,6–10 26 4,6f. 49f., 160, 268 4,6 9, 21, 35, 44f., 48–50, 52, 60, 66, 160, 196 4,7f. 47f., 192 4,7 1, 47–50, 52, 86, 194, 210, 236 4,8–10 29, 50 4,8 19, 26f., 31, 48–50, 52, 157, 191, 193, 225 4,9–13 50, 86, 154, 192, 210 4,9 50–52, 154 4,10–12 86 4,10f. 54 4,10 19, 26, 47, 49, 51, 154 4,11–13 51 4,12f. 154 4,13 51, 196 4,14f. 86 4,16 52 4,18f. 52 4,18–21 54 4,18–20 68 4,19f. 52 6,2 50 6,4–10 86 6,11 265

445

6,12 40 8,6 41 8,12 51 10,23 40 11,22 51 11,23–27 86 12,13 20, 61 13,12 133 15,5–8 398 15,5 134 15,8 134 15,9f. 170, 193, 267, 272 15,9 267 15,10 67, 70 15,24–28 41 15,28 41 15,44–49 199, 201f., 399 15,51 199 16,8 225 16,12 225 2. Korinther 1,16 60 1,21f. 265 2,14–6,10 63 2,12 70 2,15 253 2,17 57, 68, 76 3,1 57 3,5f. 57, 267 3,5 68 3,6–8 63 3,6 63 3,7–9 63 3,7 132 3,13 132 3,15 56 4,2 57, 76 4,4 56, 135 4,6 134, 267 4,7–12 68 4,7 14, 33, 68f., 155, 165, 182, 196, 236 4,8f. 154 4,9 154 4,10 54 5,12 57

446

Stellenregister

5,17f. 256 6,1–10 68 6,3f. 63 6,4–10 63, 154 6,4 57 6,5 54 6,7 55, 68f. 6,8 54 6,10 193, 196 10–13 3, 9f., 25, 35, 53–85, 55–57, 71f., 76, 85 10–12 63, 71, 77, 82, 84, 181 10,1–6 53–57, 83 10,1 53f., 66, 69 10,2 54f. 10,3–6 54 10,4f. 140, 160, 192, 196 10,4 55 10,5f. 84 10,5 56, 160 10,8 84 10,10 54f., 66, 69, 78, 81, 83, 141 10,12–18 57–60, 61, 77f., 80f., 196 10,12 57f., 78, 80 10,13–17 57 10,13 57–60, 83, 254 10,14 59 10,15f. 57, 59f., 63, 77, 80, 83 10,15 58f., 78, 80 10,16 59 10,17f. 58 10,17 57, 60, 68, 71, 196 10,18 57, 254 11 26 11,1 65 11,3f. 56 11,5f. 62, 78 11,5 61 11,6 62f., 66, 69, 71, 76, 78, 141 11,7 66 11,13–15 56, 63, 80 11,13 69, 76 11,14f. 69 11,15 71 11,16–12,13 57, 61–71, 84

11,16–12,10 81 11,16–21 65 11,17f. 84 11,17 82 11,18–21 62 61, 64f. 11,18 11,19 52 11,20 63, 67, 69, 78, 80, 160 11,21 64, 67 11,22f. 61f., 64, 79, 85 11,22 61f., 67, 78f. 11,23–29 210 11,23–28 63f. 11,23 62f., 65, 69 11,30 64f., 69 11,32f. 64, 210 12,1–12 74f. 12,1–10 62, 65 12,1 62, 69 12,2 65 12,2–4 65, 132 12,5–7 65 12,5 65 12,6f. 65 12,6 65f., 196 12,7–9 196 12,7 65, 67, 110, 132, 160, 193 12,8 67 12,9–11 70, 72, 74, 193, 198, 210 12,9f. 14, 33, 68, 70, 72, 83, 152, 154f., 160, 193 12,9 67–69, 152, 394 12,10 55, 68, 70, 193 12,11–13 85 12,11f. 62 12,11 61, 65f., 70f., 78, 80, 82, 176, 193 12,12 62, 66, 69 12,19–13,10 83 12,19 83f. 13,2–4 68 13,2 84 13,3 55 13,4 14, 54, 68f., 155 13,9 55 13,10 84

V. Neues Testament

Galater 1f. 259, 267 267, 270 1,1 1,11f. 267 1,12 270 1,13–15 267 1,13 267 1,15f. 76, 134, 270, 272 1,16 134, 270, 398 1,22–24 267 1,22f. 268 2,1–16 260 2,4f. 263 2,11–14 269 2,15–21 235 2,15f. 263 2,16f. 270 2,16 173, 260, 262f., 265, 269–271 2,19–21 270f. 2,19 270 2,20 134, 270, 273 2,21 270f. 3,2 270 3,5 270 3,6–9 270 3,8 270 3,11 270 3,24 270, 273 3,26 273 3,28 20, 61 5,5 253 5,6 61 6,11–15 242 6,14f. 69 6,15 61, 256 Epheser 2,1–10 251, 255 2,1–7 251 2,1f. 255 2,2f. 251 2,4–7 251 2,5 250f., 253f. 2,8–10 4, 227, 250–257 2,8f. 252, 255 2,8 251, 253–255, 257 2,9 254f., 257

2,10 254, 256f. 2,11–22 250, 255 2,11–13 255 4,30 253 5,6 253 6,13 253 Philipper 2,3f. 138, 196 2,3 196 2,6–9 138 2,6 139 2,7f. 138f. 2,7 86 2,9 139 2,11 41 2,12f. 256 3 259, 261 3,2–21 85 3,3f. 67 3,4 171 3,5f. 262 3,6 171, 267, 269 3,7–11 67 3,7 171f. 3,8 172 3,9 171, 197, 229, 254 3,10 54 4,6f. 373, 379, 385 4,7 192, 372 4,10–20 373–379 4,10–13 376, 379, 385 4,10 379 4,11 373f., 378f. 4,12 379 4,13 379 4,14f. 379 4,19 152 Kolosser 2,18 175 1. Thessalonicher 1,3 245 1,5f. 245 1,5 225, 244 1,6 244f. 1,7 244

447

448

Stellenregister

1,8–10 245, 248 1,8 245 1,9f. 245f. 2,4 267 2,13 225, 244, 246, 249, 268 3,7 249

4,14 245–249, 252 4,15–17 246 5,9f. 247f. 5,9 245 2. Timotheus 3,2

89, 211

VI. Pagane antike Literatur Apuleius von Madaura De deo Socratis 3,123–125 115

De fato 11–14 91 39–43 284, 342

Aristoteles Nikomachische Ethik 1,5 375 9,8 89

De legibus 1,58 165 1,59 165

Rhetorik 1,2.1 23 1,5.2 19, 26 1,5.4 18, 26, 52, 54 1,5.6–18 26 1,5.7–9 19 1,9.33 78 2,6.1 76 2,6.11 76f. 2,6.13 17, 19, 37 2,15–17 26 2,15.2 52 2,16.1f. 27 2,16.2f. 26 2,16.3 27, 37 2,17.1 27 2,17.2–4 27 2,17.6 17, 27, 29, 37 Cicero Academica 2,20 305 De divinatione 1,34 91 1,117–118 91

De natura deorum 1,18 127 1,37 93 1,39 93 1,44 127 2,15 103 2,39 93 2,76 102 2,88 95f. 2,133 96 2,147 96 De officiis 1,132 326 Tusculanae disputationes 1,69 127 3,6 278, 336 3,31 321 3,52 321 Diogenes Laertius 6,72 40 7,134 361f. 10,31–32 97

VI. Pagane antike Literatur

Epikur Brief an Herodot 76 101 Epiktet Dissertationes 1,1.5f. 306 1,1.10–12 285–288 1,1.12 286 1,1.14 287 1,1.15 288 1,14 335, 363–369 1,14.1 365, 367 1,14.5 366 1,14.6 366 1,14.7f. 366f. 1,14.10 366f. 1,14.12f. 367 1,14.12 367f. 1,14.13f. 363 1,14.13 368 1,26.18 306 1,28.6–8 380 1,29.4 289 2,8.11 290 2,8.13 290 2,8.14 290 2,8.16 290 2,8.21 289 2,8.23 289–290 2,9.13f. 319 2,16.28 288f. 2,18.5–26 305 2,18.19–26 302 2,18.23–26 328 2,18.21 302, 304, 306 2,18.25 328 2,22.20 378 2,26.1 380 2,26.3–7 382 2,26.4 380 3,1.40 286 3,2.1–5 286 3,2.1 321 3,2.3 286 3,2.4 286f. 3,2.5–7 287, 309

3,2.7–18 287 3,2.8–12 287 3,2.13–16 287 286, 381 3,3.1–4 3,3.2 286 3,5.1 323 3,5.11 321 3,8.15 322 3,9.14 177 3,10.2f. 322 3,10.6 283 3,12.4 301, 304 3,12.5 301 3,12.6 319 3,12.7–15 321 3,12.7–12 308 3,12.7f. 321 3,12.7 322 3,12.8 308 3,12.10 322 3,12.11 308, 322 3,12.12 308f., 323, 339 3,12.13–15 322 3,12.15 306 3,13.1–8 279, 377 3,13.1 377 3,13.2 377 3,13.5 377 3,13.6 377 3,13.7f. 378 3,13.11 283 3,13.12 337 3,15.12 283 3,22.42f. 329f. 3,23.30 278 3,24.67–71 330f. 3,24.68 330 3,24.69 330 3,24.70 330 3,24.71 331 3,24.94–109 321f. 3,24.103–109 307f. 3,24.103 308, 322 3,24.104–106 302, 304 3,24.104f. 322f. 3,24.106 323 3,24.108 319

449

450

Stellenregister

3,24.109 308 3,26.39 321, 323 4,1.85–110 367 4,1.103–111 373 4,7.6 23, 372 4,9.13 289 4,9.16 289 4,12.7–12 288f. 4,12.7 288 4,12.8 288 4,12.9 288 4,12.10 288 4,12.11 289 4,12.12 289 4,12.15 289 4,12.19 319 Encheiridion 1,1–3 331 1,1f. 284, 286, 321, 331 1,3f. 301 1,3 331 1,4 288, 304, 323 1,5 306f., 321 2,1f. 286, 304 2,1 324 2,2 309 34 328 Fragmenta 1 4

378 284

Homer Odyssea 16,187 (81d)

81

Kleanthes Zeus–Hymnus 32–35 347 Lukrez De rerum natura 4,469–521 94 4,499–510 97

Marc Aurel Wege zu sich selbst 1,7 302 2,17 283 4,3 303f. 5,16 328 5,18 303 5,27 368 6,30 283 7,54 319 8,47 306 8,48 333 11,16 306 12,26 368 Maximus von Tyrus Orationes 11 108 Pindar Nemeische Oden 6,1–4 181 Plato Alcibiades 1,124b 180 1,132c 278 Apologia 20d–24b 177, 188 21b–c 178 21d 178 23a 178, 188 29c–30c 278 29e 278 Epistulae 7 (341c)

111, 113–115, 119, 124

Leges 604c 177 691e 127 716c 136, 179 731d–732b 89 803c 177 803e 177 804b 177

VI. Pagane antike Literatur

451

854a–b 302 893b–899b 108 923a 179

De E apud Delphos 393a–b 182 394c 181f.

Parmenides 138a–b 116

De cohibenda ira 453d 280

Phaedrus 229e–230a 180, 188, 278 234e 176 246a–257b 111 249c 109 254b 116

De se ipsum citra invidiam laudando 539a–c 29 539a–b 79 539d 79 540a 80 540b 80 540b–c 80 540c 83 540d 83 542c–d 41 542c 82 543d–f 84 543d 81 543e 81 544d 83 544f 83 545f 83 546b 84 546c 84 546d 84 547a 81

Protagoras 313c 136 Res publica 506d–e 118 508c–509b 116f. 514a–517a 118 517b–c 118 533d 116 Symposium 218d–219e 302 Theaetetus 152a 136 173e 123 Timaeus 28c 105 29d–30a 168 Plutarch Moralia Quomodo adulator ab amico internoscatur 58e 18 De fortuna 99e–f 26 De Iside et Osiride 382d 114

De Stoicorum repugnantiis 1034b 26 1037f 285 1048d 346 Pseudo-Longinus De sublimitate 7,1 212 Quintilian Institutionis Oratoriae 2,15.3 23 3,7.7–18 26 3,7.11–17 79 3,7.10 79 3,7.14 79 5,10.7 23 5,10.8 23

452 9,3.90 28 11,1.15–17 77 11,1.15 77 11,1.22 77, 82 11,1.23f. 83 11,1.23 82 12,10.59 23 Seneca De beneficiis 4,6.5f. 359 4,7.1–4,8.3 359–362 4,7.1 93, 361f. 6,3.1f. 47 6,7.1 359 7,1.3 320, 322 7,1.4–7 320 7,1.6 321 7,1.7 320 Dialogi De providentia 5,6 283 5,7 283 5,8 283 6,6 285 De ira 3,36.1 322 Ad Marciam de consolatione 18,1 370 De vita beata 24,4 297 De otio 5,6f. 298 De tranquillitate animi 3,6 297 14,2 297 17,3 297, 299 De brevitate vitae 2,4f. 298 7,5 297 18,1 297

Stellenregister

Ad Helviam matrem de consolatione 8,4 357 Ad Lucilium epistulae morales 1,1 297f. 1,2 298 2,1 297 2,4f. 320 7,6–8 299, 302, 304 9,1 375 9,3 375 9,4f. 376 9,8 376 9,15 376 17,5 297 32,4 298 32,5 298 35,4 297 38,1 322 41 346, 349, 350–362, 364 41,1f. 345, 351f., 354f., 368 41,1 353f., 357, 373 41,2 346, 353–355 41,3f. 356 41,4f. 359 41,4 352 41,5–7 356 41,5 356f., 362 41,6–8 79 41,6 357 41,7 79 41,8 79, 353, 357 41,9 358 62,1f. 300 62,1 298, 304 64,6 359 65,2 361 93, 95, 355 65,23 65,24 95 71,4 170 71,36 298 73,15f. 358 73,15 346, 358 73,16 351 74,29 297 75,16–18 300f. 75,16 354, 359

VIII. Rabbinische Literatur

75,18 297, 304 78,29 321 79,12 359 82,4–7 281–284, 288 82,4 282, 300 82,5f. 331 82,5 282f. 82,6 283f., 286, 297, 304, 306, 352 82,7 283 82,8 319 89,14 286 91,3f. 321 91,7f. 321 92,30 93 94,13 278 94,43 300 95,52f. 377 99,32 321 115,3 345 124,13f. 353 124,14 353f., 356f. Naturales quaestiones 2,45.1f. 354 2,45.1 355 7,30.3 127

Stoicorum Veterum Fragmenta 1,58 327 1,64 92 1,94 93 1,96 93 1,115 92 1,146 95 1,163 93 1,530 93 2,300 95 2,311 95, 127 2,527 93 2,528 370 2,826 284 2,836 282, 284, 325 2,943 342 2,991 326 2,1013 364 2,1126 337 3,118f. 339 3,169 285, 287 3,175 285, 327 3,215 346 3,378 96, 305 3,394 305 3,462 96 3,463 285

VII. Hekhalot-Literatur Hekhalot Rabbati 32 1,2 (§81) 1,2 (§82) 32, 76 2,22 (§92) 76

Hekhalot Zutra §344 75 Ma’ase Merkava §584 75, 193

VIII. Rabbinische Literatur Mischna Ed 5,7 Jom 3,10

75 219

Tosefta Chag 2,1 Kipp 2,4 Meg 3,6

132 219 220

Babylonischer Talmud bMeg 26a 220

453

454

Stellenregister

IX. Sonstige jüdische und frühchristliche Literatur Ignatius Ad Ephesios 18,1 17 Josephus Antiquitates 3,190 89 5,215 89 Pseudo-Philo Drei hellenistisch-jüdische Predigten De Jona 120 206 153 206 216f. 206

De Samsone 3 4 5 24 25

206 206 206 206 206

De Deo 2

178

455

Autorenregister Abel, K., 297 Adam, J., 253 Aejmelaeus, I., 56, 62, 70, 176 Albrecht, M. von, 298, 344, 346, 350– 352, 354f., 362f. Alesse, F., 286, 301 Aletti, J.N., 35 Algra, K., 93, 288f., 346f., 350, 363– 366, 368f. Andrews, S.B., 64 Annas, J., 279 Apelt, O., 111, 113, 136, 176, 179f. Arnaldez, R., 142, 153 Arnim, J. von, 285 Arzt-Grabner, P., 45

Boter, G., 307 Bousset, W., 213f., 326f., 391 Bowie, E., 62 Breckel, E., 297f. Bréhier, E., 213 Brenk, F.E., 117 Brennan, T., 282, 284 Brookins, T., 17, 35f. Broshi, M., 220 Brueggemann, W., 31 Bultmann, R., 1f., 53, 59, 70, 89, 98, 134, 204, 228–231, 239, 373 Burchard, C., 211, 260, 262–264, 269, 271 Byrskog, S., 381

Baltes, M., 108, 115–117, 130 Barclay, J.M.G., 121, 169f., 202, 279, 372, 374–376, 394 Barnett, P., 135 Barré, M.L., 73 Baumgartner, H.M., 117 Bayer, K., 93 Becker, J., 262, 265, 269 Bendemann, R. von, 380, 382f. Berger, K., 149, 173 Berry, K.L., 374f. Betz, D., 11, 13, 25, 40, 61, 70, 79, 81f., 84, 141, 176f., 181f., 188, 344, 373– 375, 382 Bien, G., 18 Birnbaum, E., 103, 292, 314f. Blänsdorf, J., 297f., 301 Bobzien, S., 91, 331 Böhm, M., 216f. Bonhöffer, A., 91, 284f., 373 Borgen, P., 148–151, 202, 223, 391f. Bormann, K., 99, 117f., 121, 168 Bos, A.P., 121

Calabi, F., 103, 113, 118, 121, 204 Cancik, H., 344–346, 349–354, 362 Cancik-Lindemaier, H., 344–346, 349–354, 362 Carson, D.A., 12 Catto, S.K., 216 Chadwick, H., 200 Cherniss, H., 285 Ciampa, R.E., 10, 17, 22, 47 Clarke, A.D., 37, 39, 50 Cohen, N.G., 107 Coleridge, S.T., 400 Collins, R.F., 15, 23, 35, 44f., 56, 59f., 70 Conzelmann, H., 12, 17, 40, 44 Cooper, J.M., 322 Courcelle, P., 164 Cover, M., 109, 111, 124 Cranfield, C.E.B., 68 Daniel, S., 88, 157–160 Deines, R., 199 Delling, G., 244

456

Autorenregister

DeSilva, D.A., 19, 21, 58, 62, 64, 169 Deutsch, F., 88f. Dietsche, U., 375f. Dietzfelbinger, C., 258 Dillon, J., 101, 121, 124, 252, 292, 336, 340 Dobbin, R.F., 286, 364–368 Dörrie, H., 108, 115–117, 130, 330 Downing, F.G., 140 Dragona-Monachou, M., 286, 331 Duling, D., 25, 61–63 Dunn, J.D.G., 127–129, 232f., 247, 252, 255, 260f., 268, 271f. Dutch, R.S., 11 Eckstein, H.-J., 270f. Elliot, J.H., 169 Engberg-Pedersen, T., 3, 10, 13, 202, 279, 286, 350, 371–375, 379f., 382f., 389f., 399 Erler, M., 346, 358 Fee, G., 13, 17, 39f., 45f., 50–52, 244– 246 Feldmeier, R., 344 Fetz, R.L., 286, 289, 363, 378 Feuer, I., 149 Fink, G., 356 Fischer, S., 342 Fitzgerald, J.T., 374f., 377 Fitzmyer, J.A., 17, 37f., 41, 44, 46, 48, 50 Forbes, F., 58, 63, 83, 154, 202 Forschner, M., 143, 281–286, 295, 305, 325, 330f., 339, 369f. Foucault, M., 151, 277, 279f., 297, 400f. Frey, J., 10, 36, 219, 237, 259 Früchtel, E., 164 Furley, D., 355 Furnish, V.P., 10, 13, 41, 48, 59 Fürst, A., 93, 347, 349–351, 355, 359 García Martínez, F., 73 Gemünden, P. von, 307, 317 George, S., 130 Gerber, C., 48, 53f., 68, 251, 253, 255 Gerlach, W., 93

Gese, M., 250, 254, 256 Giebel, M., 282, 351, 353, 356 Gigon, O., 181 Gill, C., 277–279, 281, 290, 330, 368f., 380f. Glancy, J.A., 54, 86 Gnilka, J., 255 Goodenough, E.R., 213 Görgemanns, H., 347 Grabbe, L.L., 136f., 140f., 144 Graf, F., 361 Grässer, E., 53, 55–57, 59, 65f., 71 Graver, M.R., 284, 326 Griffin, M.T., 297, 320, 360f. Grindheim, S., 200 Gruen, E., 213 Gruenwald, I., 75 Gundry, J.M., 165, 169 Guthrie, G.H., 59f., 64, 69 Guttenberger, G., 64 Haacker, K., 172, 219, 243f., 247 Hachmann, E., 357, 376 Hadot, I., 92, 280, 318, 321f., 332, 358 Hadot, P., 92, 95f., 277–282, 298, 302f., 306, 317f., 322, 330, 333, 347, 362 Hamacher, U.G., 282f., 351 Hamerton-Kelly, R.G., 213f. Hard, R., 290, 330, 368 Harl, M., 150, 176 Harris, J.R., 338 Harris, M.J., 54f., 70 Hausherr, I., 88 Hay, D.M., 199, 213 Hays, R.B., 47 Hecht, R.D., 99, 392 Heckel, U., 21f., 29–31, 58, 72, 85, 225, 250 Heil, J.P., 16, 21, 34, 42, 44, 46 Heiligenthal, R., 172 Heinemann, I., 313 Hengel, M., 202, 219–224, 259f., 266, 268f., 272f., 371 Heszer, C., 61f. Hirsch-Luitpold, R., 12, 127 Holland, G., 61, 64, 66 Holland, G.S., 383

Autorenregister

Hollander, H.W., 208, 211 Holtz, G., 19, 112, 132, 143, 187, 198, 200, 218f., 240, 253, 269f., 315, 341, 396, 399 Holtz, T., 244, 246f. Hommel, H., 380 Horsley, R.A., 200 Horst, P. van der, 392 Hossfeld, F.-L., 186, 252 Hübner, H., 244 Hurtado, L.W., 3, 200, 387, 396f. Hüttenmeister, F., 220 Inkelaar, H.-J., 16, 21, 30f., 34, 42f., 46 Inwood, B., 92, 277f., 284, 287, 346 Irsigler, H., 185 Jacob, B., 183 Jagu, A., 369 Janowski, B., 184f. Jantsch, T., 244 Jedan, C., 342 Jeremias, J., 220 Jervell, J., 68 Johnson, D.M., 279 Jonge, M. de, 208, 211 Judge, E.A., 59 Kähler, M., 399 Kahn, J.-G., 121, 178f., 310, 324 Kaiser, O., 110, 124f., 387 Kammler, C., 9–11, 22, 24, 46 Karrer, M., 16, 32, 42, 130, 187, 207 Käsemann, E., 127, 229–232, 243 Kim, S., 258 Knibb, M.A., 208f. Konradt, M., 199f. Kowalski, M., 53, 85 Krämer, H.J., 118 Kraus, H.-J., 43 Kraus, W., 16, 32, 42, 130, 187, 207 Kuck, D.W., 50 Kuss, O., 247 Kutsch, E., 169 Lambrecht, J., 56, 64, 68–70, 86, 134f., 240

457

Lampe, P., 10, 12f., 41, 169 Le Boulluec, A., 96 Leivestad, R., 188 Levine, L.I., 216, 219–221 Lichtenberger, H., 73, 380f. Lincicum, D., 292 Lincoln, A.T., 250, 254–256 Lindemann, A., 11, 13, 24, 40, 44f., 48, 50f. Long, A.A., 91–97, 101–103, 277, 281f., 284, 286–290, 297f., 303, 305f., 319, 325–328, 330f., 337, 340, 342, 346–350, 353f., 362–364, 366– 369, 380 Lucas, J.R., 117 Luz, U., 250–253 Mack, B.L., 101, 121, 213f. Mackie, S.D., 112, 121 Maier, J., 73f. Malherbe, A., 3, 140, 244–247, 373– 375, 377 Mangey, T., 160, 313 Mansfeld, J., 93, 102, 310, 350, 362 Marcus, R., 217 Marshall, I.H., 172, 252f., 255f. Marshall, P., 45, 47, 50, 58f., 62, 66 Martyn, J.L., 10, 266, 271 Matusova, E., 214 Maurach, G., 297f., 321 McFarland, O., 165, 167, 169 Méasson, A., 166 Meisner, N., 204 Merklein, H., 10, 12f., 71, 238 Michel, O., 243, 399 Millar, F., 217f., 220 Mitchell, B., 117 Mitchell, M.M., 85 Mondésert, C., 313 Moreau, J., 26, 155 Morray-Jones, C.R.A., 32, 75f. Mühlenberg, E., 92, 94, 112, 121, 178 Müller, J., 380 Müller, K., 13 Müller, U.B., 139, 373, 375 Muradyan, G., 204 Mussner, F., 250

458

Autorenregister

Nickelsburg, G.W.E., 199–202 Nicolet-Anderson, V., 277 Niebuhr, K.-W., 199f., 252, 260 Niederwimmer, K., 233f. Niehoff, M.R., 120f. Nikiprowetzky, V., 188 Nilsson, M.P., 176 Noack, C., 48, 53, 100, 136, 146, 157, 171f., 174f., 192, 200f., 394 Noormann, R., 301, 362 Nordgaard, S., 199 Nussbaum, M., 277–281, 322, 351, 357f. Oldfather, W.A., 287, 307, 330, 365 Otto, A., 300 Otto, W.F., 89, 113, 117 Pearce, S., 218 Pearson, B.A., 200 Pietsch, C., 108, 115–117, 277f. Pokorný, P., 225, 250, 252, 255 Qimron, E., 74, 151, 184, 209 Race, W.H., 181 Radice, R., 102, 143, 292, 309, 340– 343 Rahe, H., 278 Rahn, H., 23, 25, 77 Reeg, G., 220 Rehn, R., 117f. Rehrl, S., 188 Rendtorff, R., 162 Reydams-Schils, G., 278f., 283f., 298, 322, 363, 366, 376, 378 Richardson-Hay, C., 299, 375 Rintelen, F.-J. von, 109, 111 Roloff, J., 223 Rosenbach, M., 351, 353, 356f., 360 Rosner, B.S., 10, 17, 22, 47 Royse, J.R., 203, 313 Runesson, A., 216, 221 Runia, D.T., 101f., 105f., 113, 116, 129, 132, 156, 168, 188, 200–202, 223f., 293, 315, 336, 392 Rutherford, R.B., 368

Safrai, S., 219, 223 Sänger, D., 10 Savage, T.B., 45, 58 Schadewaldt, W., 176, 178f., 181f., 188 Schäfer, P., 32, 75f., 193 Schaller, B., 199–201 Schenk, W., 20 Schlier, H., 243 Schmeller, T., 10, 48f., 53–56, 58–62, 64–70, 176 Schmid, W., 401 Schnabel, E.J., 17f., 23f., 37f., 40, 48, 50–52, 133 Schnackenburg, R., 251–256 Schneider, G., 223 Schnelle, U., 40, 225, 234, 250, 252, 264–266, 269f., 273, 380, 382f. Schnieringer, H., 185 Schniewind, J., 399 Scholem, G., 75 Schönberger, O. u. E., 354 Schottlaender, R., 376 Schottroff, L., 11, 41, 45 Schrage, W., 17, 22, 24, 40, 44, 48, 51, 132f. Schulz, S., 109 Schürer, E., 217f., 220 Schwartz, D.R., 218 Schweitzer, A., 259, 273 Schwemer, A.M., 202, 220, 222, 224, 260, 268f. Scott, R.J.H., 213 Sedley, D., 91–97, 101–103, 282, 284, 286f., 305f., 325–328, 337, 340, 342, 347, 353–355, 366 Seifrid, M., 34, 55f., 59, 61f., 69, 252, 261f., 266 Sellars, J., 278, 303, 318–320, 322 Sellin, G., 119f., 122, 126, 132, 175f., 199f., 225, 252f., 256 Senft, C., 243 Setaioli, A., 95, 278, 346, 352, 355, 357, 361, 363, 369f. Shroyer, M., 213 Siegert, F., 178, 199f., 203f., 206, 224 Sieveke, F.G., 18f., 25 Smit, J.F.M., 35

Autorenregister

Snyman, A.H., 10 Söding, T., 13f., 228, 237, 243f., 248 Sook Choi, Y., 61, 64 Sorabji, R., 286 Spicq, P.C., 88 Spiekermann, H., 184 Spittler, R.P., 212 Steck, O.H., 223 Stegemann, W., 219 Stein, E., 214 Steinmann, K., 307 Stemberger, G., 219 Sterling, G., 200, 202–204, 212f., 216f., 219f., 292, 399f. Stern, M., 219 Strecker, G., 40, 231f., 266 Stroumsa, G., 344 Stuhlmacher, P., 231, 252, 258–260, 266–268 Sukenik, E., 73 Talbert, C.H., 253 Theiler, W., 283, 303 Theißen, G., 11, 224 Theobald, M., 235f., 250, 255, 262– 264, 269f. Thiselton, A.C., 10f., 17, 20, 35, 44, 52, 383f. Thompson, R.W., 239f. Thrall, M.E., 53–56, 58–60, 64f., 67f., 70 Tigay, J.H., 168f. Tigchelaar, E.J.C., 73f. Tobin, T.H., 213 Topchyan, A., 204 Tronier, H., 379 Trowitzsch, M., 400 Unnik, W.C. van, 219 Várhelyi, Z., 278 Vegge, I., 54, 56 Vegge, T., 202, 219 Vermes, G., 217f., 220 Veyne, P., 277, 279f., 400f. Vleugels, G., 45 Vogel, M., 16, 20, 33, 81

459

Vollenweider, S., 14f., 19f., 24, 33, 120, 128, 131, 134, 236, 243, 280, 336f., 350, 363, 367, 369, 379f., 383, 392f. Vos, J.S., 17f., 23 Voss, F., 11 Vouga, F., 271 Wagner, J.R., 33, 45 Wanamaker, C.A., 53f., 59, 61, 64 Warnach, W., 89, 214 Wasserman, E., 380f. Wedderburn, A.J.M., 200, 250, 255 Weise, C., 81 Welburn, L.L., 63 Wendland, P., 11 Westerholm, S., 266 Wilckens, U., 12, 127f., 145, 223, 243, 247, 252 Wildberger, J., 93, 95, 280, 288, 298, 349, 356f., 359–362, 364–368 Wilk, F., 21, 31, 34, 47, 239f. Wilkinson, J., 220 Williams, H.H.D., 16, 30, 42f., 46 Willms, L., 284–286 Windisch, H., 141 Winston, D., 113f., 122, 128, 147, 189, 338–343 Winter, B.W., 16, 18, 23, 25f., 35, 47, 51f., 62, 79, 136, 141, 148f., 152, 174, 181, 192 Wolff, C., 11–15, 18, 30, 35, 37f., 40, 44–46, 48, 51–54, 56f., 59–63, 65, 68–70, 82, 133 Wolff, H.W., 184f., 253 Wolfson, H.A., 132 Wolter, M., 17, 20, 172, 229, 235, 242– 245, 248–250, 254f., 266, 269f., 380– 382, 384 Wrede, W., 262 Wyss, B., 148 Zeller, D., 11, 13, 17, 45, 50, 52, 89, 115, 123, 129, 150, 157, 165, 169f., 175, 199–201, 237, 243, 394, 397 Zenger, E., 186 Zmijewski, J., 21 Zumstein, J., 13, 238, 243, 267

460

Namensregister Abel 136, 138, 140, 148, 151f., 156, 195, 217 Abraham 61, 90, 101–104, 110, 126, 142f., 147–156, 173, 182f., 193, 195, 206, 209f., 232f., 240, 242, 269, 293, 295, 310, 314–316, 397 Adam 119–121, 142f., 292, 334, 384 Aëtios 325, 328 Agrippa I. 219 Akiva 132 Alcibiades 278, 302 Alexander der Große 144, 146, 330 Alexander, ein Bruder Philos 218f. Alexandrien 203f., 213, 215, 217, 219, 223, 226, 266, 334, 388 Antiochien 224–226, 259–261, 265, 269, 272 Antiochos IV. Epiphanes 206 Antipater 328 Antisthenes 330 Apollon 181 Apollos 35–38, 40f., 44, 50, 66, 82, 192, 199–203, 225, 391 Apuleius von Madaura 115f. Arabien 260, 268 Aristoteles 18f., 23, 25–29, 35, 64, 66, 76–80, 88f., 99, 103, 130, 149, 286, 305, 339, 342, 374f., 377 Arrian 323 Aseneth 211 Athen 25, 308, 391–393 Balbus 103 Baltasar 207 Barnabas 224f., 260 Cato 299 Chrysipp 26, 91–93, 96, 278, 284f., 326–328, 340–342, 362, 368, 381

Chrysostomos 53, 85 Cicero 82f., 91, 278, 280, 325, 336, 342 Clemens von Alexandrien 320 Damaskus 1, 134, 258–262, 266f., 385, 395 Daniel 207 Delphi 176-178, 181, 278, 300 Demetrius, Kyniker 320 Demokrit 342 Demosthenes 81f., 85 Dio Chrysostomos 83 Diogenes 330f. Diogenes Laertius 95 Dionysius von Halicarnassus 83 Ecphantus 377 Eleazar 207 Eliezer von Damaskus 311 Elihu 212 Empedokles 342 Ephesus 225 Epiktet 70, 91, 96, 176f., 279f., 283–291, 297, 301–304, 306–309, 318–324, 328–331, 336f., 339, 344, 347–349, 363–370, 372, 374f., 377–381, 399 Epikur 96, 101, 375f. Esau 293, 318 Eudoros von Alexandrien 125 Euripides 30, 79, 380 Eva 292, 334 Gaius Caligula 218 Galatien 259, 261, 265, 269, 271 Galen 320 Gideon 141 Gilead 313, 315, 332

Namensregister

Heraklit 342 Hercules 360f. Herodes der Große 218f. Herodes Antipas 224 Hiob 182f., 212 Homer 81, 346 Isaak 158, 208, 314, 318 Isokrates 26 Jakob-Israel 103, 110–112, 116, 119, 145, 193, 208f., 292f., 296, 305, 307, 309, 311–318, 331–336, 344 Jeremia 30f. Jerusalem 191, 207, 211, 215, 217–226, 260, 262, 266–268, 388, 391–393 Jesaja 16 Jischmael 74f. Jona 207 Joseph 206, 211, 316 Josephus 89, 203, 218 Juda 206, 211, 316 Junius Rusticus 302f. Juppiter (Optimus ac Maximus) 218, 354f., 360f. Kain 135–138, 140, 142, 144–147, 151– 157, 164, 175, 194f., 217 Kleanthes 92, 346f. Laban 144–146, 194, 305, 312–315, 324, 329, 331, 344 Laelius 299 Lamech 137, 139 Lea 313 Levi 206, 211 Liber Pater 360 Lucilius 279, 297f., 301, 320, 351f., 375 Lucius, der Kyrener 224f. Lukas 220, 222 Luther, Martin 48f., 400f. Manaen 224 Marc Aurel 280, 297, 300, 302–304, 318f., 333, 336, 368 Maximus von Tyrus 108 Melchizedek 316 Mercurius 360f.

461

Midian 294, 296f. Mose 28, 98, 100f., 106, 108f., 126, 132, 134, 142f., 195, 292–296, 304f., 307–315, 317, 334, 336, 339–341, 344 Musonius Rufus 280, 318, 320 Nebukadnezar 207 Nikanor 219 Noah 149, 153, 167f., 172, 209 Ovid 380 Panaitios 325 Perdikkas 330 Petrus 40f., 134, 260 Phanuel 140 Pharao 145f., 194, 207, 211, 293–297, 305, 307, 309, 311 Philipp von Mazedonien 330 Pindar 29f., 79, 97 Plato 70, 89, 92, 105, 108f., 111–114, 116–119, 122, 176f., 179f., 279, 302, 336, 378 Plutarch 25, 29f., 35, 40, 76, 79–85, 88f., 114–117, 125, 181f., 346 Protagoras 136, 179, 194 Ptolemaios IV. Philopater 206f. Pythia 177, 179 Quintilian 23, 25f., 30, 35, 76–79, 82f., 88f. Rahel 313 Rebekka 174 Rom 25, 212, 218, 220, 308 Salomo 205 Sanherib 207 Seneca 277, 279–381, 283–286, 288, 290f., 297–301, 304, 318–322, 324, 344, 346f., 349–363, 369f., 375–377, 380, 400 Seth 137, 142 Sextius 322 Sichem 316 Simeon, Sohn Jakobs 206, 211 Simeon, der Schwarze 224 Simon, Sohn des Boethus 219

462

Namensregister

Simson 206 Sokrates 118, 176–181, 188, 278, 299, 302, 306, 308, 380 Sophokles 181 Stator 360f. Stephanus 220, 222–224, 397 Stilpon von Megara 375

Tarsus 259, 398 Teles 374 Theodotus 221f. Timotheus von Milet 79 Tonans 360f. Zeno 93, 95, 327, 346, 366 Zeus 285, 287f., 303, 346–348, 361f., 365, 367–369, 377

463

Sachregister Adiaphora 151, 376, 379 Affekte 154, 302, 331, 359, 382 Akrasia/ἀκρασία 380, 382f., 390 Allvernunft s. Vernunft, göttliche Anachorese/ἀναχωρεῖν s. Rückzug Analogieschluss s. Schlussverfahren Ansehen s. Ehre Antrieb/ὁρμή 96, 284–287, 305, 309, 312f., 315, 321f., 324–330, 378 Aphormē/ἀφορμή s. Zurückweisung Apospasma/ἀπόσπασμα 94, 123, 290, 364, 366, 368 Arroganz s. Hochmut Askēsis/ἄσκησις s. Übung Aufblähen, Aufgeblasenheit s. Selbsterhebung Auferweckung s. Christus, Auferstandener Aus Gott s. Gott, aus Gott-Sein Aus sich selbst s. Selbst, (nicht) aus sich selbst-Sein Äußeres s. Fremdes Autarkie/αὐτάρκεια 214, 373–379 Autonomie 1f., 214, 279, 281, 286, 289, 299, 330, 339, 366, 384, 389–391, 400f. Aversion/ἔκκλισις 284–286, 301, 304, 308f., 321, 329 Befreiung s. Freiheit, frei Begehren/ὄρεξις 96, 145, 186, 282, 284–288, 301, 304, 306, 308f., 318f., 321, 324f., 329, 337, 352, 381 Begierde 84, 145, 282, 287, 300, 318, 382 Beschämung 17, 19f., 34, 56, 77, 79, 81, 238, 242

Beschneidung 31, 98f., 158, 162, 195, 222, 242, 261-263, 265, 269, 271, 396 Besitz s. Eigene, das Beurteilung, beurteilende Betrachtung/ κρίσις 16, 294–297, 304–307, 309, 313, 329 Chaldäer 101–104, 130, 195 Christus – Auferstandener, Auferstehung 15, 20, 24, 33, 35, 47, 56, 68f., 75, 86, 133f., 194, 198, 238, 245, 247–249, 251f., 259, 270, 393f., 397f. – Gekreuzigter 11, 14, 16f., 20–25, 33–37, 39, 41, 43f., 46–48, 51–54, 56, 62, 64f., 69, 71, 86f., 138, 195, 198, 238, 392–294 – als Gerechtigkeit 22, 86, 238f. – als Kraft 14, 16, 21, 41, 68f., 83, 132, 379 – Sein in Christus 22, 31, 48f., 66, 86, 238, 273 – als Weisheit 14, 16, 22, 86, 132, 238f. Damaskuserlebnis 1, 133f., 219, 224, 226, 258f., 261–263, 266–268, 271, 385, 394, 398 Dank, Dankbarkeit 12, 50, 157, 164f., 191, 206, 288, 373, 386 Delphische Maxime 106, 165, 176– 178, 180f., 278 Demütigung s. Erniedrigung Dünkel s. Eigendünkel

464

Sachregister

Ehre – Gottes 12, 41, 73, 164, 368 – menschliche 19, 26–28, 51f., 58, 60, 73, 84, 149f., 152, 155, 160, 185, 192f., 195, 197, 204, 212, 365 Eigendünkel 100, 110, 113, 158f., 166f., 175, 187, 195, 255 Eigenliebe s. Selbstliebe Eigene, das, Besitz, Haben 12–14, 16, 31–33, 36, 44, 48f., 55, 58, 68, 72f., 77–80, 83, 94, 96, 104f., 113, 115, 119, 121, 137, 139f., 144–147, 149, 152, 156, 158, 167, 170–174, 178, 185, 191f., 197f., 209f., 230, 234, 256, 267, 277, 282, 285–288, 290, 293, 298, 300f., 304, 307, 319, 323f., 330f., 333–335, 342, 351, 357f., 362, 370, 373, 376, 379, 386, 395 Eigenmächtigkeit s. Selbstmächtigkeit Einwohnung, göttliche 68–70, 83, 130, 165, 244, 345, 351–353, 354f., 358, 365, 367f., 370, 383 Ekklisis/ἔκκλισις s. Aversion Eliten, gesellschaftliche 17–19, 21, 24, 26, 31, 33–35, 37–39, 44, 50, 52, 54, 76f., 85, 149, 195, 202, 217f., 242, 334, 341 Empfangen 1, 3, 15, 17, 22, 32f., 36, 47–50, 52f., 86f., 106, 108–110, 120– 122, 125, 131, 135, 159f., 168, 174f., 185, 191, 197, 205f., 228, 234–236, 238–241, 246, 272, 290, 342, 364, 366, 386 Epikureismus, epikureisch 91, 94, 96f., 101, 195, 278, 280, 300, 318, 339, 375f. Erfahrung – biographische Grunderfahrung s. Damaskuserlebnis – ekstatische 62, 65f., 74, 113–115, 134f. – Gottes 33, 68, 113, 125, 139, 148, 150f., 154f., 193, 241, 246, 267 – Niedrigkeitserfahrung 62, 150, 154f., 185, 190, 193 Erinnerung 91f., 109, 181, 298, 312f., 317, 323f., 326, 364

Erkenntnis – Gottes 9–18, 32, 35f., 47, 53, 56f., 86, 90, 93, 100–115, 118–133, 141– 143, 165, 178, 180, 191–195, 238, 348, 371f., 386f. – Gottes, anabatische 107, 111f., 114, 118, 121, 124, 131 – Gottes, ekstatische 62, 110, 114, 123f. – Gottes, katabatische 103, 111f., 114, 116, 118f., 121, 123–125, 131 – Gottes, natürliche 100, 105–109, 111–113, 123–128, 130, 191 – Gottes, noetische 107, 111, 117, 123 – Gottes im Gekreuzigten 9–11, 56 – von Himmel und Erde 92f., 100 – Offenbarungserkenntnis 14f., 17, 100, 102, 104f., 108–112, 114, 123– 126, 131f., 143, 191, 197, 398 – Selbsterkenntnis 2, 98f., 106, 150, 165, 178–180, 193, 282f., 310, 387 – Vernunfterkenntnis 12, 102, 119, 129 Erkenntnisstreben 9, 13, 39, 104, 107, 237f., 371 Erniedrigung 31–33, 43, 49, 83, 137 Erwählung 19–21, 31, 33f., 35, 77, 86, 232, 238, 243, 264 Eudämonie 18, 25f., 30, 64, 100, 112, 149, 155, 287, 299, 301, 345, 347f., 375 Evangelium 13f., 33, 35, 37f., 41f., 47, 49, 51, 59f., 71, 134f., 231, 243–246, 253, 258, 260, 264, 267, 268, 271f., 392 Externa s. Fremdes Fatum s. Schicksal Fliehen, Flucht 94, 142, 145, 292f., 295–297, 307f., 310–312, 314–316, 318, 323f., 328, 331, 333–335, 339 Freiheit, frei 2, 40, 145, 147, 150, 281, 283, 288, 298, 300f., 304, 312, 318, 321, 323, 328–332, 338f., 342f., 379 Fremdes 58–60, 77f., 80, 84, 173, 278, 282, 285, 288f., 300f., 304, 313, 319, 324, 329–331, 376

Sachregister

Freude 154f., 193, 196, 244, 387 Freund, Freundschaft 26, 152, 177, 219, 224, 288, 292–295, 307, 313f., 322, 330, 340, 374–379 Führungsvermögen s. Leitungsvermögen Fürsorge s. Gott, Fürsorge Gabe s. Gott, Geber Gebet 148, 204f., 347, 351, 357, 369, 372f. Gebot 94, 97–99, 100, 105, 143, 151, 157f., 167, 171, 187, 208–210, 216, 218, 221f., 294f., 340, 396 Geburtsadel s. Herkunft Geheimnis, großes 2, 108f., 338, 340f., 385f., 389–391, 394, 397, 400f. Geist – als Erkenntnismedium 10, 15, 37, 47, 238 – göttlicher 14f., 23, 61, 120, 123, 128, 131, 133–135, 244, 260, 334f., 351, 354–357, 366–368, 371, 383 – als Kraft 23, 54, 123 – des Menschen 15, 96, 102–104, 119f., 122f., 128, 136f., 293, 298, 313, 319, 326f., 334f., 338, 341, 359, 365, 370 Gekreuzigter s. Christus, Gekreuzigter Gerechtigkeit – Christus s. Christus, als Gerechtigkeit – eigene 73, 168, 171–173, 197, 230, 234, 237 – als Eigenschaft des Menschen 29, 43, 73, 172, 212, 295 – als Gabe Gottes 21f., 31f., 47, 86, 161f., 173, 206, 229–231, 233–235, 239, 241, 261, 272 – im Gesetz s. Werke (des Gesetzes) – aus Glauben 171f., 228, 233–235, 238, 247, 258, 261, 270, 273, 395f. – Gottes 168, 171, 173, 185, 229–233, 238, 240f., 243, 260, 268 – als Handeln des Menschen 43, 73, 205f. – als richtende 140, 206, 231 – als Tugend 97, 167f., 173, 215f., 360

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– im Urteil Gottes 73, 156, 228, 232, 269 – aus Werken (des Gesetzes) 156, 173, 240f., 258, 261f., 269, 271f., 395f. Geringe, der 20f., 28f., 31–33, 42f., 47, 70f., 74f., 77, 86, 150, 152, 160f., 163, 170, 185f., 188, 193, 195, 197, 211, 242, 267 Geschenk, Geschenkcharakter s. Gott, Geber Geschöpf, Geschöpflichkeit 12, 102, 104, 122f., 129f., 137, 147, 153f., 159, 180, 185, 190, 230, 237, 255, 316, 341, 353, 400 Gesetz 11, 43, 98f., 105, 123, 157, 163, 167, 171f., 195, 206, 216, 218, 221, 230f., 237–240, 243, 258–263, 265f., 269–272, 283, 288f., 308, 341, 343, 381–383, 395f. Gesundheit 26f., 150 Geworden/es 2, 101, 108, 112, 117, 126, 134, 166f., 187f., 334–336, 338, 340f., 370, 389, 392 Glaube 24, 27, 35, 37, 47, 59, 67, 72, 155f., 171–173, 186f., 191, 197, 228– 236, 238–241, 243–249, 251, 254, 257f., 260–262, 264f., 268–273, 372, 399 Glück, Glücksgüter, -umstände 26–30, 79, 82, 159, 195 Glückseligkeit s. Eudämonie Gnade 1, 15, 48, 67–69, 72–74, 76, 106, 121, 125, 131, 138, 147, 150–153, 155f., 159, 161, 167–173, 184f., 188f., 193, 206, 228f., 231–238, 241, 243, 251, 254f., 257, 264, 267f., 270–272, 294, 296, 309f., 336f., 343–346, 348f., 358, 362, 370, 384, 394, 397 Gnadengabe 3, 50, 106, 167, 169f., 172f., 192, 197, 206 Gott – aus Gott-Sein 1, 4, 7, 15, 22, 24, 31, 35f., 47, 49, 53, 55, 57, 60, 63, 68f., 71, 86f., 111f., 125, 131, 135, 139, 171, 175, 190f., 193–195, 198, 204, 210f., 213f., 225, 227, 229, 232–236, 238f., 246, 254f., 257, 261, 266f., 269–273, 385f., 389f., 395–398, 400

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Sachregister

– Ehre s. Ehre, Gottes – Erkenntnis s. Erkenntnis, Gottes – Existenz 12, 90, 105f., 111, 113, 115, 119, 121f., 124, 127, 129f., 132 – Fürsorge 102, 111, 147, 150f., 160f., 184f., 337, 363, 367, 373, 379 – Geber 3, 15, 21, 32, 47f., 104, 106f., 121, 131, 137f., 150, 157f., 160, 162, 165–170, 175, 182, 194, 205f., 214, 228–230, 234, 237f., 253, 257, 296, 307, 309f., 314, 343, 360, 362, 369 – Gottheit 12, 43, 122, 127, 137 – Größe 32, 42, 73f., 88, 92, 151f., 157, 159f., 165, 180–182, 184f., 188f., 194, 196 – Herrschaft s. Macht, göttliche – Kraft s. Macht, göttliche – Kräfte 101, 106f., 121f., 124, 132, 161 – Lenker 91, 94, 96, 102–105, 107, 129, 313, 324, 337, 350, 368 – Macht s. Macht, göttliche – Natur s. Gott, Wesen; Natur, Gott/heit – philosophisch 95, 99, 108, 115f., 177f., 181f., 285, 289f., 344–370 – Quelle s. Ursache – Retter s. Retter – Richter 32, 43, 145, 162, 169, 231 – Ruhm 30, 33, 71, 81, 157, 161, 163, 185, 197 – Schöpfer 12, 102, 104f., 107f., 111, 122–124, 127, 129f., 137, 184f., 188, 190, 198, 209, 230–232, 237, 255, 326, 338f., 341, 350, 355 – Subjekt, Subjektcharakter 13-15, 17, 33, 36, 38, 41, 57, 69, 71, 86, 100, 110, 117, 121f., 125, 131, 173, 194, 205, 229, 232, 235–238, 246, 248f., 251, 257, 272, 289, 315, 386 – Transzendenz 102, 104, 122, 128, 165, 343 – Ungewordener 2, 108f., 170, 187, 335f., 338, 341, 343, 389 – Ursache s. Ursache – Vater 75, 102, 105, 108, 111, 129, 140, 267, 270, 311, 347, 360f., 369 – Verehrung s. Verehrung

– Vernunft s. Vernunft, göttliche – Wesen 103, 106, 111, 120, 124, 132f., 160, 230 – Wirkmacht 22, 24, 35, 37–39, 53, 67, 70, 82, 225, 243, 339f., 343, 385, 397 – Wohltäter s. Gott, Geber – Zuflucht s. Zuflucht, zu Gott – Zuwendung 29, 113, 150, 161, 167, 186, 192, 197, 310, 389 Götter 73, 82, 91, 94–96, 101f., 160, 165, 176f., 181, 207f., 252, 300, 302, 313–316, 341, 345f., 349–352, 357f., 360–362, 368, 379 Gottesbeweis 103, 108, 110 Gotteserkenntnis s. Erkenntnis, Gottes Gottesliebe 88, 98, 100, 141–143, 148– 151, 158, 164, 179 Gottesschau s. Schau, Gottes Gottlosigkeit 43, 90, 96, 135–137, 140, 157, 179, 207, 230, 258, 294f., 305 Gottsuche 14, 16, 90, 100f., 104f., 111, 125f., 130, 132, 135, 141–143 Grenze s. Maß Haben s. Eigene, das Hegemonikon/ἡγεμονικόν s. Vernunft, leitende Heilmittel, Heilung s. Therapie Herkunft 18–21, 25–28, 30, 47, 52, 56, 61–63, 67, 69, 78f., 152, 155f., 172, 242, 251, 387 Hilfe – göttliche 43, 72–74, 296, 306, 311, 336f., 341, 346f., 349f., 351f., 354, 356, 358f., 362, 369, 384 – Philosophie als 278, 336 – Selbsthilfe 289, 311, 320, 335–337, 383 Hochmut 20, 26–32, 34, 43, 45, 50–52, 56, 67, 97–99, 110, 144, 154, 157– 159, 165, 195, 198, 210–212, 217, 229, 242, 255, 308, 313, 396 Hormē/ὁρμή s. Antrieb Hybris 9, 16f., 23, 45, 50, 66f., 92, 122, 126, 190, 207 Ich s. Selbst Ideen 90, 106, 116, 122, 124, 130

Sachregister

Illusion 50, 98f., 144, 146f., 152, 159, 190, 229, 339–341, 389 Ironie 44, 47, 49f., 52, 63, 70, 79, 177 Kainiten, kainitisch 137f., 140–142, 145, 147–153, 155, 157f., 166, 194 Knechtschaft 144, 312, 329–331 Körper 54, 58, 66f., 79, 95, 99, 115, 122, 125, 140, 155f., 160, 281, 283, 285, 313, 316, 352, 364, 366 Kosmos – All 92f., 95, 101f., 104–107, 109, 116, 123–130, 356f., 359, 366 – intelligibler 107, 111–115, 117f. – Menschenwelt 10–14, 52 Kreuz, Kreuzestheologie 10f., 13f., 16– 18, 20, 23, 34f., 54, 57, 68, 86f., 133, 139, 155, 194, 198, 237f., 242, 257, 260, 267f., 393, 397 Krisis/κρίσις s. Beurteilung, beurteilende Betrachtung Kynismus 212, 318, 320, 330, 374f. Leidenschaften 96, 278, 283, 286f., 290, 292–297, 299f., 304f., 307–309, 311, 313–318, 322f., 329, 331–333, 335, 337, 341, 344, 352, 382 Licht 103f., 111–116, 119, 134f., 157 Logos 108f., 113, 124, 126, 128, 130 Lust, Lüste 145, 283, 294, 296, 316, 322, 330f., 360 Macht – gesellschaftlicher Eliten 18–20, 25– 29, 33, 42, 47, 49, 56, 69, 79, 149, 152, 155, 159, 185f., 197, 242, 386 – göttliche 2, 12–14, 24, 33, 55, 68, 71–76, 86, 102, 109, 113, 121, 127, 129, 144, 147, 151f., 156, 159, 176f., 183–186, 190, 193f., 196–198, 207, 229f., 232, 243–245, 251, 256, 333, 338, 341, 356f., 360, 362, 379, 386, 389, 392f., 397 – menschliche 26, 32, 51f., 72–75, 106, 154, 166, 193, 278, 307, 309, 387 Mächtige s. Macht, gesellschaftlicher Eliten Maß 45, 50, 57–60, 64, 66, 69, 73, 77,

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80, 83, 87, 132, 136, 142, 179, 195f., 214 Maßlosigkeit 57–59, 66, 78, 81, 300 Meiden, Vermeiden 282–284, 288, 301, 306, 319, 324f., 352, 381 Mensch – aus sich selbst-Sein s. Selbst – Beschenkter 15, 21, 47, 101, 104, 106, 116, 119, 125, 137, 165, 228f., 234, 257 – Empfänger s. Empfangen – Geschöpf s. Geschöpf – Gewordener s. Geworden/es – Hilfsbedürftigkeit 43, 72f., 185, 296, 306, 311 – natürlicher 10, 15f., 37, 128 – nichtiger s. Nichtigkeit – Ohnmacht 24, 86, 147, 380, 383, 396 – passiver 106, 144, 146f., 194, 196, 338, 340f., 365 – rationale animal 79, 279, 281, 289, 352, 362, 379, 382 – schwacher s. Schwachheit – Stärke s. Macht, menschliche – Staub 70, 73f., 150f., 182–184, 210 Mittelplatonismus 101, 108f., 114f., 124f. Natur – Gott/heit 92f., 96, 146, 153, 159, 165, 206, 282f., 285, 288, 333, 347– 349, 352, 354, 359–361, 377–379, 395 – kosmische/geschöpfliche Wirklichkeit 103, 108, 130, 326, 347, 365 – menschliche 89, 96, 125, 144, 147, 181, 193, 282, 286f., 306, 353, 381 Naturbeobachtung 101, 105, 107, 111, 123–125, 128, 130 Naturphilosophie 92, 326f., 378 Neuschöpfung 86, 198, 256f. Nichtigkeit 1f., 17, 19f., 29, 37–40, 43, 51, 54, 70f., 73–76, 86, 88, 96, 106, 138, 144, 147, 150f., 153–156, 159, 163, 165f., 170, 176–184, 187–190, 193, 196, 205, 210, 230, 236, 238, 243, 336, 341, 343, 370, 384–387, 389f., 393, 397

468

Sachregister

Nichts s. Nichtigkeit Nichtseiend s. Geringe, der Niedrigkeit 35f., 50f., 53f., 63–65, 69, 75f., 149, 151f., 154f., 177, 179, 183f., 187–189, 193f., 210, 212, 236, 397 Niedrigkeitsanthropologie 71, 73f., 86, 165, 176, 182, 198, 387, 390 Nous/νοῦς s. Vernunft Offenbarung 1, 13–17, 21, 23, 36f., 41, 43, 47, 53f., 66f., 71, 86f., 100, 103f., 107, 110, 112f., 115, 122, 131, 133– 135, 238, 269, 272, 311, 316, 333, 345, 349, 370–372, 394, 399 Peristasenkatalog 51, 54, 63f., 149f., 152, 154, 195 Philautia/φιλαυτία 1–3, 5, 84, 88–90, 94, 98, 100, 110, 135, 137–141, 143– 146, 148, 151, 155, 157–159, 164f., 168, 172–175, 190f., 204, 217, 391, 394, 396 Philosophie – des Selbst 2, 5, 277, 279–281, 291, 301, 336f., 391, 394, 396, 400 – stoische s. Stoa Physik 92f., 110, 355, 363, 368 Platonismus, platonisch 105f., 108, 110–114, 117–119, 121, 123–126, 130–132, 167f., 177, 179, 181, 188f. Pneuma, pneumatologisch s. Geist Prahlerei 27–29, 60, 66, 77f., 83, 98, 110, 137–139, 144–147, 152f., 156, 158f., 174, 188, 192, 195–197, 205, 207f., 211f. Prohairesis/προαίρεσις s. Vernünftige Entscheidung Prüfung, Selbstprüfung 165, 287, 294– 296, 302, 304–307, 317f., 322, 380 Psychologie, psychologisch 84f., 179, 296, 309, 315, 324, 327, 329, 331, 337, 341, 380, 382, 391, 395 Pythagoreismus, Neopythagoreismus 101, 112, 374, 377 Rechtfertigung, Rechtfertigungslehre 3f., 156, 173, 227–243, 246, 248–273, 395f., 400

Reichtum 19, 26–31, 33, 50, 79, 149– 152, 158–162, 185f., 192f., 195, 197, 204, 212, 319, 321, 330f., 386 Retter, Rettung, Rettungsmacht 13, 111, 151, 167, 205, 207, 232f., 235, 238, 243, 245, 247f., 251–253, 255, 258f., 261f., 311, 314, 333, 344, 383f. Rhetorik, rhetorisch 17–19, 22–25, 29–31, 34–36, 54, 60–65, 71, 76f., 79, 82f., 85, 135f., 138, 140f., 148, 161, 174, 192–195, 198, 202 Rückzug/ἀναχωρεῖν 282f., 290, 294– 304, 307, 310f., 318, 323, 333, 335f. Ruhm, menschlicher 64, 79, 84, 151, 156, 158, 160, 212, 239, 304, 319, 321, 329–331, 386 – Gottes s. Gott, Ruhm Rühmen – illegitimes 21, 25, 31, 57, 60–65, 67, 69, 71, 76–80, 82, 85, 242 – legitimes 21f., 25, 30, 31, 57, 60f., 64f., 71, 76, 82–84, 241–243 – Selbstruhm, sich-Rühmen 1, 3, 20–22, 25, 28–35, 39–41, 43–51, 53, 57–66, 69, 71, 75–87, 110, 149, 152, 154, 156, 158, 173, 175, 185–188, 192, 195–197, 210f., 239–242, 255– 257, 261, 268, 294f. – sich-Rühmen Gottes 22, 31, 47, 71, 87, 239, 241 Scham, Schande s. Beschämung Schau Gottes 103f., 110f., 114, 116, 134, 142f., 311, 314–316, 333, 336, 352, 387 Schicksal 279, 281–283, 285, 297, 321, 326, 341–343, 345, 348, 351f., 356, 360–362 Schlussverfahren, Analogieschluss 12, 102, 105, 107, 112f., 123-125, 129f. Schönheit – des Körpers 19, 26, 155, 212, 312 – des Kosmos 103, 129f. Schöpfung 12f., 41f., 86, 108–110, 124, 128, 132, 168, 183, 194, 197f., 230 Schöpfungswerk(e) 12, 16, 93, 101f., 108, 111, 127, 130, 138, 184, 188

Sachregister

Schwäche, Schwachheit 1f., 19, 23, 28, 32f., 51–54, 56, 64–66, 68–70, 72– 76, 83, 86, 144, 147f., 154f., 157, 159f., 163, 176, 179, 181f., 184, 190, 193f., 196, 238, 299f., 321, 352, 376, 386f., 392f., 397 Seelenaufstieg 103, 109, 112, 114, 118, 121, 131 Selbst 2, 4f., 67, 86, 88, 100, 110, 112, 146f., 152, 167, 206, 208, 228, 275, 277–286, 288–293, 297–304, 307, 309–311, 318, 321, 323, 333–337, 340f., 344, 368, 370f., 373, 378–385, 389–392, 394–397, 400f. – (nicht) aus sich selbst-Sein 1, 3f., 7, 21f., 36, 52f., 55, 60, 63, 68f., 71, 86, 122, 131, 137, 139, 142, 153, 155, 190–196, 198, 204f., 208, 210f., 213f., 225–227, 229, 232, 236, 246, 253–255, 257, 267, 269–273, 385f., 389f., 395–398, 400 Selbstbegrenzung 47, 87, 195 Selbstbeherrschung 294–296, 307, 309, 313, 317 Selbsterhebung 1f., 12, 17, 44–46, 49– 53, 75, 78, 86, 88, 97, 110, 137f., 143f., 147, 153f., 156f., 159f., 163, 174–176, 180, 185, 187, 190, 192f., 202, 205–210, 214, 386f., 394, 396 Selbsterhöhung s. Selbsterhebung Selbsterkenntnis s. Erkenntnis, Selbsterkenntnis Selbsterniedrigung 86, 137–139, 188 Selbsterschließung s. Offenbarung Selbsterweis s. Offenbarung Selbsthilfe s. Hilfe, Selbsthilfe Selbstliebe 1, 88f., 148 Selbstmächtigkeit 14, 22, 39, 75, 105, 135, 142f., 147, 192, 389, 393 Selbstorientierung 164, 173, 187, 208– 210, 277, 288, 371, 396 Selbstprüfung s. Prüfung Selbstruhm s. Rühmen, Selbstruhm Selbstsorge/ἐπιμέλεια ἑαυτοῦ/cura sui 149–152, 161, 277–281, 285–288, 291, 297, 337, 341, 373, 379, 385, 397 Selbsttätigkeit 91, 94, 96, 146, 270, 309, 391

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Selbstvergottung 12, 81f., 84, 88, 94, 97–100, 192, 335f., 396 Sinne, Sinneswahrnehmung 1, 90f., 93–97, 101–104, 107, 112, 125, 134, 136f., 140, 145–147, 192, 195, 205, 211, 214, 282, 287, 292, 294f., 305, 311–316, 318f., 324–328, 333, 364 – Ablösung von Gott 1, 94, 102 – Verabsolutierung, Vergottung, der 90, 94, 96f., 104, 139, 192, 195 Sophisten 16, 18, 35f., 81, 136, 141, 148f., 152, 174–176, 181, 194f. Sorge 278, 303f., 318, 373, 379 s. auch Gott, Fürsorge; Selbstsorge Stärke s. Macht, göttliche; menschliche Staub s. Mensch, Staub Sterblichkeit 12, 81, 150, 153, 155, 157, 176, 181f., 194, 210, 302, 323, 335f., 370 Stoa, Stoiker, stoisch 2, 4f., 12, 36, 40, 91, 93, 95f., 100–104, 116, 123, 127– 131, 143, 151, 194f., 202, 275, 278– 281, 284, 286, 289–293, 297, 304–306, 309, 311, 315, 318f., 323–328, 331– 333, 335–337, 339–343, 344–350, 361–363, 369–376, 378–385, 388–396, 400f. Sünde, Sünder 43, 73, 94, 126, 137, 142f., 229f., 236, 251, 261, 382 Synkatathesis/συγκατάθεσις s. Zustimmung Theonomie 289, 366, 392 Theozentrik 15, 22, 37, 41, 125, 163, 231f., 242, 251, 254–256, 267, 270 Therapie 278f., 281, 299, 304, 311, 313, 317, 322, 332, 336, 395 To eph hēmin/τὸ ἐφ’ ἡμῖν s. Verfügungsmacht Tor, Torheit 11, 12–16, 19, 28, 34, 39, 43–45, 51f., 61, 65, 82, 84f., 126, 138, 238 Tora s. Gesetz Tugend 26, 52, 93, 97f., 101, 126, 136, 148f., 158, 166–170, 173, 197, 215f., 222, 293f., 296, 299, 307, 310, 312– 314, 317, 332, 337, 341, 344–347, 358, 368, 376

470

Sachregister

Übung/ἄσκησις, μελέτη 277f., 293f., 298, 300f., 303, 306–309, 313–315, 317–324, 331f., 345, 354, 373 Unglück 64, 195, 279, 312, 324, 352, 378 Ursache 1, 21f., 48, 88, 96, 98f., 102, 106, 108f., 137, 140, 152f., 155, 164, 166f., 175, 182, 190, 194, 198, 205, 242f., 248, 293, 334–336, 338, 341, 347f., 360, 392 Verachtung, verachtet 19, 26, 28–30, 33, 38, 51f., 54, 66, 80, 149f., 208, 212 Verehrung 37f., 85, 94, 101, 108, 140f., 174, 181, 192, 207, 315, 345, 352, 354–356, 362, 398 Verfügungsmacht/τὸ ἐφ’ ἡμῖν 281, 283, 288f., 298–301, 304, 306–308, 311, 319, 321, 323, 330f., 338–342, 364, 376 Vernunft – autonome 104f., 215 – göttliche 92–96, 102, 104, 107f., 115, 123, 128, 130f., 133, 290, 309, 333–335, 337, 345, 347f., 352, 356– 358, 360–362, 366–368, 370, 372, 379, 389 – leitende/ἡγεμονικόν 158, 161, 167, 281f., 284, 295, 305, 310, 325, 328 – menschliche 18, 26f., 46, 79, 94–97, 106–109, 112, 115, 120, 123–126, 128, 130, 134, 192, 197, 214, 282, 284–286, 293, 305, 309f., 324, 327f., 333–335, 339, 352, 357, 368, 372f., 380, 382f., 386, 393 – natürliche 126, 131, 310 – Verabsolutierung, Vergottung der 90f., 94, 104, 122, 131, 139, 141, 192, 195 – vollkommene 108, 110, 345, 347f., 352f., 357 Vernünftige Entscheidung/προαίρεσις 286–289, 301f., 308, 321, 330, 339, 378 Vernunfterkenntnis s. Erkenntnis, Vernunfterkenntnis

Versöhnungstag 137–139, 187 Verstand 16, 58, 93, 95, 140, 148, 287, 295, 312f., 317, 332 Vertrauen s. Glaube Vorstellung/φαντασία 112, 114, 118– 120, 122, 129, 284–287, 295, 302, 304–309, 312, 318f., 321–330, 332f., 337, 341f. Wahl, Wählen 94, 145, 209, 281, 301, 312, 329f., 335, 337–343, 346, 352, 370, 384f. Weise, der 10f., 16, 19–21, 22, 25, 28, 30, 34, 40, 42, 45, 49, 51, 56, 198, 242, 345, 351–354, 356–359, 374– 376, 379 Weisheit – Christus s. Christus, als Weisheit – als Gabe 21f., 32, 47, 86, 239, 345 – göttliche 11f., 14, 16, 39, 44, 46, 86, 138, 178f., 184, 188f., 191f., 197, 338 – menschliche 11–16, 18, 24, 26, 34, 36, 39–41, 44, 46f., 49, 138, 177–179, 191, 193, 197, 243, 299, 359, 386 Werke – des Gesetzes 156, 192, 228, 231, 233, 235, 237, 240, 254f., 258, 260– 263, 266, 269, 395 – gute 148, 205, 254, 256 – menschliche 72f., 80, 172f., 230f., 234, 241, 249, 254f., 257 Werte der Mehrheitsgesellschaft o.ä. 18, 20, 24, 37, 51, 64, 149, 152, 163, 195–197, 205, 387 Wille – eigener 141–143, 209, 282, 380 – freier 142f., 340, 342 – göttlicher 32, 73, 260, 267, 368 – menschlicher 142f., 158, 312, 339, 380, 382f. Würdigkeit, würdig 1, 27, 74f., 79f., 106, 160, 167, 169f., 173, 193, 338, 343 Zuflucht – zu Gott 310, 334–337, 370 – zum Selbst 333–336

Sachregister

Zurückweichen s. Rückzug Zurückweisung/ἀφορμή 284–287, 305f., 309, 322, 327–330, 332, 335, 338f., 378, 381f.

471

Zustimmung/συγκατάθεσις 284, 286f., 309, 321f., 325f., 328f., 340, 342, 364, 381