Die neueste Bankkrisis und das deutsche Aktienrecht
 9783111701622, 9783111312965

Table of contents :
Vorrede
Die neueste Bankkrisis und das deutsche Aktienrecht

Citation preview

Die neueste Bankkrists und das

deutsche Aktienrecht. Von

Dr. Siermer, Professor an der Universität Gießen.

1902.

Die nachfolgenden Ausführungen wenden sich an ein größeres Publikum und waren deswegen ursprünglich nur als Zeitungs­

artikel gedacht.

Sie behandeln Fragen, die gegenwärtig wieder

lebhaft diskutiert werden und versuchen von einem Einzelfalle aus­ gehend gewisse Reformvorschläge, die gegenwärtig in der Fach­

literatur gemacht werden, auf ihre Durchführbarkeit und Zweck­ mäßigkeit zu prüfen.

Der Hauptzweck meiner Darlegungen ist der,

das private Kapitalistenpublikum, das über einen Aktienbesitz ver­ fügt, daran zu erinnern, daß auch auf diesem Gebiete die Selbst­

hilfe einen sehr weiten Spielraum läßt.

Dem Anlasse entsprechend

denke ich bei dem, was ich hier zu sagen habe, in erster Linie an die Aktienbanken.

Hierbei schweben mir nicht etwa die skandalösen

Vorkommnisse der jüngsten Zeit, wo Bankanstalten durch betrüge­ rische Manipulationen, Bilanzverschleierungen und Bilanzfälschungen

in schmählicher Weise zusammengebrochen sind, vor, vielmehr habe ich leichtere, dafür aber auch häufigere Fälle, leichtsinnige Gründungs­ und Konsortialgeschäfte, auf die sich angesehene Banken eingelassen

haben, im Auge.

Daß wir in Deutschland wieder einmal eine

Gründungsperiode hinter uns

haben,

die sich jetzt bitter rächt,



IV

kann kaum mehr bezweifelt werden.



Hierbei ist an verschiedenen

Stellen eine höchst bedenkliche Mißwirtschaft aufgedeckt worden, die zu schweren Vermögensverlusten vieler Kapitalisten führte.

Es er­

scheint zeitgemäß, zu diesen Ereignissen ein kurzes kritisches Nach­

wort zu geben. Gießen, 20. September 1902.

Biermer.

Im August dieses Jahres wurde das deutsche Kapitalisten­

publikum auf das Peinlichste durch die Nachricht überrascht, daß ein Bankinstitut, das zu den ältesten und angesehensten Deutschlands gehört, solche Verluste erlitten habe, daß fast 3*/2 Millionen Mark

als gänzlich verloren oder wenigstens als in allerhöchstem Grade

gefährdet anzusehen seien.

Es handelt sich um die Deutsche Ge­

nossenschaftsbank von Soergel, Parrisius & Co., Kommanditgesell­

schaft auf Aktien.

Diese Bank wurde 1864 errichtet und hatte ur­

sprünglich, wie schon ihr Name sagt, den Zweck, für die auf Selbst­

hilfe beruhenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, wie sie

zuerst Schulze-Delitzsch ins Leben gerufen hat, eine Art von Bank­ zentrale zu bilden.

Die Genossenschaftsbank begann ihre Tätigkeit

mit recht bescheidenen Mitteln.

Sie betrugen ursprünglich 810000

Mark, wurden zuerst langsam vermehrt, und erst in der zweiten Hälfte der 80 er Jahre erfolgten erhebliche Kapitalerhöhungen, die

rasch aufeinander folgten, und so nahm die Anstalt den Charakter eines großen modernen Finanzinstitutes an.

1871 war das Be­

triebskapital 6 Millionen, 1887 wurde es auf 15 Millionen, 1889 auf 21 Millionen, 1897 auf 28 Millionen und 1899 auf 36 Milli­ onen gebracht.

Allein schon aus diesen Zahlen geht hervor, daß

die Genossenschaftsbank ihren Geschäftsbereich ziemlich unvermittelt

weit über den ursprünglichen Geschäftskreis ausgedehnt haben mußte, 1

2 so daß die ursprüngliche Aufgabe, die sie aber nach wie. vor bei­ behielt, nämlich den Kreditgenossenschaften Bankkredit zu gewähren, mehr und mehr in den Hintergrund trat.

Die Bank war also,

namentlich dank ihrer engen Beziehungen zu kleineren Provinzial­

banken, ein führendes Kreditinstitut geworden, zeichnete sich aber auch in der neuen Gestalt durch den Ruf vorsichtiger Geschäfts­ führung

und großer Solidität aus.

Dieser

Tatsache

entsprach

auch die Zusammensetzung ihres Aufsichtsrates, in dem die eigent­

lichen Großfinanziers und Börsenmänner gar nicht vertreten waren,

und auch die durchschnittliche Rentabilität des Institutes trug den hergebrachten Geschäftsgrundsätzen offenbar Rechnung.

Die Ren­

tabilität schwankte meistens zwischen 7 und 5 ®/0 und war jahre­ lang 6% gewesen.

Starke Schwankungen in den Erträgnissen

kamen nur selten vor, und da auch der Börsenkurs in seinen Kurven

nach oben und nach unten verhältnismäßig nicht allzu stark os­ zillierte, so durfte man daraus den Schluß machen, daß die Ge­

nossenschaftsbank nicht zu den großen Gründungs- und Industrie­ banken gehörte, die von den industriellen Konjunkturen besonders

lebhaft beeinflußt und dank der dadurch herbeigeführten Kurs­

sprünge von jeher zu besonders beliebten Spekulationsobjekten an

den Börsenmärkten geworden sind.

Wer also Aktien der Deutschen

Genossenschaftsbank besaß, galt, wenn man nicht einen zu eng­ herzigen Maßstab anlegen will, als ein Kapitalist, der auf eine

mäßige, aber sichere, Schwankungen wenig ausgesetzte, Dividende rechnen durfte und ruhig schlafen konnte.

Diese Ruhe ist nun auf einmal in der empfindlichsten Weise

gestört worden.

Es stellte sich nämlich heraus, daß die Bank sich

stark in Konsortialgeschäfte mit großindustriellen Unternehmungen

eingelassen und dabei alsbald sehr schwere Verluste erlitten hatte. Diese Verluste betrafen namentlich eine Gewerkschaft, ein Akkumu-

3



latorenwerk und eine Spiritus-Glühlicht-Gesellschaft, alles drei junge Unternehmungen. Die Kuxe der ersteren hatte die Bank bei einem Bankkonkurse erworben. Sehr bald stellte sich das Unternehmen als so fragwürdig heraus, daß die Bank, die es mit der Zeit ganz in die Hand bekommen hatte, sich entschließen mußte, den Betrieb gänzlich einzustellen, so daß eine Million mit einem Schlage ver­ loren ging. Die zweite Beteiligung bezog sich auf die „Akku­ mulatorenwerke Watt". Hier besaß die Bank ursprünglich einen Anteil der Aktien, den sie aber inzwischen hat abschreiben müssen. Sie gab aber dem Werke Kredite bis zum Betrage von 1% Milli­ onen, von denen nur ein Drittel dinglich — durch Kautions­ hypothek — gedeckt war. Um den Konkurs dieser Akkumulatoren­ werke zu vermeiden, schritt man zur Liquidation, und von deren Abwickelung wird es abhängen, wie groß der endgültige Schaden der Genossenschaftsbank sein wird. Vorläufig soll der ganze un­ gedeckte Teil des Bankguthabens in Reserve gestellt werden. Er beträgt ebenfalls rund eine Million. Die dritte Unternehmung, durch die die Genossenschaftsbank durch ihre unglückliche Operationen in Mitleidenschaft gezogen ist, ist die „Spiritus-Glühlicht-Gesellschaft Schuchardt & Co.", eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Bei diesem Institute war die Genossenschaftsbank nur mit einem mini­ malen Aktienkapital beteiligt, aber sie gewährte ihm einen aus­ gedehnten Kredit ohne jede Deckung. Da das Institut seit Jahren mit Unterbilanz arbeitet und in der Verwaltung desselben arge Mißwirtschaft geherrscht hat, so soll jetzt diese Unternehmung „saniert" werden. Bis dahin muß eine größere Summe zur eventuellen Deckung für wahrscheinliche Verluste zurückgestellt werden. Das Konsortialkonto der Genossenschaftsbank weist auch noch andere Beteiligungen, die als recht riskant gelten, auf, so daß insgesamt für Abschreibungen und außerordentliche Reservestellungen 3x/2 Milli1*

4

onen Mark notwendig werden. Sie sollen dadnrch beschafft werden, daß 2670000 Mark aus der Reserve, die übrigens haupt­ sächlich durch Agiogewinn bei der Neu-Emission neuer Aktien an­ gefüllt worden war, entnommen und die ganzen Überschüsse des ersten Halbjahres 1902 im Betrage von rund 800000 Mark für Sanierungszwecke verwendet werden. Alle diese Verhältnisse, die in ihrer Tragweite offenbar selbst den bestinformiertesten Börsenblättern überraschend gekommen sind, hat die Verwaltung der Genossenschaftsbank, als es absolut nicht mehr zu umgehen war, in einer Denkschrift mit bemerkenswerter Offenheit den Aktionären klargelegt, und gleichzeitig hat sie eine Generalversammlung einberufen, in der über einen Sanierungsplan Beschluß gefaßt werden sollte. Dieser Plan gipfelt in dem Vor­ schlag, einen Teil der Aktien der Gesellschaft, nämlich 6000000 Mk., zurückzukaufen. Die Erfahrungen der letzten Jahre hätten, so wurde zur Begründung ausgeführt, bewiesen, daß das jetzige Aktienkapital für das Institut zu groß sei, das Beteiligungsgeschäft in dem bis­ herigen Umfange zu pflegen. Die Bank solle deshalb künftig ihre Tätigkeit auf diesem Gebiete einschränken und in erhöhtem Maße sich wiederum der Pflege ihres eigentlichen Geschäftsgebietes, dem Verkehr mit den Genossenschaften, zuwenden. Um gleichsam ein neues Leben anzufangen und tabula rasa mit den mißglückten Spekulationen der letzten Zeit zu machen, wurde gleichzeitig pro» poniert, daß int Statut ein neues Geschäftsjahr, welches mit dem zweiten Semester d. Js., statt wie bisher mit dem Kalenderjahr, zu beginnen hat, vorgesehen wird. Alle diese Pläne haben in der letzten außerordentlichen General­ versammlung der Aktionäre vom 16. September d. Js. vor einer großen Majorität Annahme gefunden, und so steht zu hoffen, daß das Bankinstitut auf neuer Grundlage sich bald wieder erholen wird. —

5

Es hat nicht allzuviel Zweck, nachträglich untersuchen zu wollen, wie es gekommen ist, daß ein so renommiertes Bankhaus gleichsam über Nacht auf eine schiefe Ebene geraten konnte. Selbst­ verständlich tragen die Direktoren der Bank die Hauptschuld, und man wird der Angabe Glauben schenken dürfen, daß namentlich einer der Berliner Direktoren, Siebert, dem man in den wichtigsten Angelegenheiten allzu freie Hand gelassen hat, verantwortlich zu machen ist. Siebert, einer der vier persönlich haftenden Gesell­ schafter, ist inzwischen schwer erkrankt und kann weder finanziell noch moralisch zur Verantwortung gezogen werden. Es steht fest, daß er im Wege einer mehrfachen Personalunion an der Spitze der Aufsichtsräte der Gesellschaften, denen er so leichtfertig Blanko­ kredit eingeräumt hat, gestanden hat. Es wird ferner behauptet, daß er seine Kollegen im Direktorium starrköpfig zur Seite schob, den Aufsichtsrat nicht hinreichend in seine Pläne einweihte bezw. durch die Berichte der Gesellschaften, an denen er und die Bank in großem Umfange interessiert waren, getäuscht hat. Auf der anderen Seite steht aber auch fest, daß sich seine Kollegen im Direktorium und die Mitglieder des Aufsichtsrates haben täuschen und es an dem nötigen Widerstände haben fehlen lassen, so daß sie eben zur Seite geschoben werden konnten. Die Aktionäre können, wie ver­ sichert wird, an Siebert keinen Regreß nehmen, da er nichts mehr besitzt. Wohl aber konnte die Frage der Regreßpflicht der anderen persönlich haftenden Gesellschafter und des Aufsichtsrates in Frage kommen, und jeder, der die Angelegenheit unparteiisch zu verfolgen Gelegenheit hatte, war auf stürmische Verhandlungen in der General­ versammlung gefaßt. Zwei solche Generalversammlungen sind in­ zwischen abgehalten worden. Die erste gelangte nicht zu definitiven Beschlüssen, da zu einer Statutenänderung die Vertretung von mindestens 12 Millionen Mk. notwendig ist. Nur 10 ’/8 Millionen

6

Mark Kapital waren stimmberechtigt angemeldet. Es war also die Einberufung einer zweiten Generalversammlung erforderlich. Sie trat vor wenigen Tagen zusammen. Diesmal waren sogar nur 8 % Millionen Kapital vertreten, also noch nicht der vierte Teil des Stammkapitals, und trotzdem wurden zur allgemeinen Über­ raschung die Vorschläge von Vorstand und Verwaltungsrat zum Teil einstimmig, zum Teil mit erdrückenden Majoritäten angenommen. Der recht bescheidene Gegenantrag, der die Einsetzung einer drei­ gliedrigen Revisionskommission verlangte, fiel mit 12 838 gegen 907 Stimmen. Angesichts dieser Abstimmung zog ein anderer Aktionär auch seinen weitergehenden Antrag auf Anstrengung einer Regreß­ klage gegen die persönlich haftenden Gesellschafter zurück. Schließ­ lich wurde die Bilanz glatt genehmigt und die erbetene Entlastung erteilt. Beides geschah mit 11810 Stimmen gegen 701. Auch an der Zusammensetzung des Aufsichtsrats wurde, von Ergänzungs­ wahlen abgesehen, nichts geändert, und alle Vorstandsmitglieder blieben in ihrer Stellung. Siebert war schon im Frühjahre aus­ geschieden. Die Opposition auf der Generalversammlung war also auf der ganzen Linie zurückgeschlagen worden, und das Endresultat der ganzen Aktion, bei der die Aktionäre um 3 V2 Millionen Mk. ge­ kommen waren, verlief so, als wenn eigentlich nichts Ungewöhn­ liches passiert sei. Diese Vorgänge find in hohem Grade lehrreich, ja es liegt ein förmlicher Schulfall vor zum Beweise der Tatsache, daß man mit Leichtigkeit die Verantwortung für frivole und miß­ bräuchliche Transaktionen einer einzelnen Person in die Schuhe schieben kann, und daß die im Gesetze statuierte Regreßpflicht in der Praxis einfach auf dem Papiere steht. Nicht einmal eine genaue Untersuchung der Sachlage wurde der Opposition zugebilligt, und die harmlosen Aktionäre, die um ihr Geld gekommen sind,

7 trösten sich wahrscheinlich mit dem Gedanken, daß sie noch viel mehr

hätten verlieren können. Unser

deutsches

Aktienrecht ist gar nicht übel und

enthält

schärfere Bestimmungen, als man gewöhnlich anzunehmen pflegt.

Es bietet eine Reihe brauchbarer Handhaben, um eine leichtfertige

oder fahrlässige Geschäftsführung zu ahnden und einen Aufsichtsrat, der

seine Schuldigkeit

machen.

nicht getan hat,

civilrechtlich haftbar zu

Aber diese Bestimmungen versagen in der Praxis in der

Regel ihren Dienst; nicht etwa deswegen, weil das Gesetz nichts

taugt, sondern weil es den Aktionären an Schneid und Umsicht

fehlt, weil sie indolent sind, einen geradezu lächerlichen Herdentrieb haben und sich durch die leiseste Drohung, daß ein Rechtsstreit mit nachfolgender Regreßklage den Kredit ihres Institutes noch weiter

schädigen könne, mit Leichtigkeit ins Bockshorn jagen lassen.

Für

mich sind jene Vorgänge, die sich an die unzweifelhaften Mißstände in der Verwaltung der Genossenschaftsbank knüpften, ein geradezu

typischer Beweis dafür, daß selbst das beste und schärfste Aktien­

recht

an der Sachunkenntnis und Energielosigkeit der Aktionäre

scheitern kann.

Aber auch unser Aktienrecht

erscheint mir nach

verschiedener Richtung hin reformbedürftig, oder wenigstens fort­

bildungsfähig; und endlich ist wieder einmal auf bestimmte Unter­

nehmungsformen, wie es die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die

Gewerkschaft und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung sind, bei dieser Gelegenheit ein grelles Schlaglicht geworfen worden. — Der Formaljurist sieht in dem Aktionär einen Unternehmer,

denn der Aktionär ist an der Gesellschaft mit Kapital beteiligt,

hat einen gewissen Anteil an der Verwaltung und das Anrecht auf

den Gewinn.

Er ist nicht Gläubiger der Gesellschaft, sondern Ge­

sellschafter selbst.

Rein rechtlich aufgefaßt, steht die Unternehmer­

qualität des Aktionärs unzweifelhaft fest.

Ökonomisch ist aber das

8 Verhältnis meistens ein ganz anderes.

nichts anderes als eine

der Aktienunternehmung

an

beteiligung

Tatsächlich ist die Kapital­

mit dem

Kreditgewährung,

einzigen Unterschiede

von

sonstigen

man das kreditierte Kapital nicht im Wege der

Darlehen, daß

Kündigung herauszieht, sondern die Rückzahlung in der Form des Aktienverkaufes bewerkstelligt.

Ein weiterer Unterschied von dem

gewöhnlichen Darlehen liegt darin, daß der Aktionär keine feste,

sondern eine schwankende Verzinsung erhält.

Die große Masse der

Aktionäre versteht von den Geschäften der Gesellschaft gar nichts

und begibt sich von vornherein jeglichen Einflusses auf die Ver­ waltung.

Sie zeichnet und kauft Aktienanteile nur als Kapital­

anlagen in der Hoffnung, daß diese an Wert steigen und hoch ver­ zinslich werden.

Mit Behagen steckt man hohe Dividenden ein, ohne

zu wissen, warum sie hoch sind.

Man ist aber unangenehm ent­

täuscht, wenn magere Jahre mit geringen Überschüssen kommen oder gar die Ausbeute ganz ausfällt.

Viele Aktionäre wechseln

auch, sobald sie einen nennenswerten Kursgewinn erzielen können,

ihren Aktienbesitz, und je häufiger diese Besitzwechsel sind, desto geringer

sind

unternehmen.

das Interesse und der Überblick an dem Gesamt­

Der private Aktionär legt sein Geld nicht nur in ris­

kanten Werten an, sondern er ist auch sehr oft Spekulant. Warnungen

helfen gegenüber dieser Tatsache gar nichts: denn ein großer Teil unseres

Privatkapitalistenpublikums,

auch

des nicht kaufmännisch

gebildeten, will spekulieren und spekuliert viel mehr, als man ge­

wöhnlich

annimmt.

Die großen

Börsentransaktionen mit ihren

massenhaften, häufigen, nicht selten täglichen Umsätzen wären über­ haupt unmöglich ohne die Heranziehung des mobilen Privatkapitals,

das dauernd spekulativ angelegt und umgesetzt wird. papierlombard

Privatleuten

erleichtert

noch

weiterhin

diese

Der Wert­

Beteiligung

von

an den Transaktionen der Börse und verführt zu

9

vielen Zeit- und Differenzgeschäften, an denen das nicht kaufmännische Publikum ebenfalls viel stärker beteiligt ist, als man gewöhnlich glaubt. Die sog. Unternehmerqualität des Aktionärs äußert sich am klarsten auf den Generalversammlungen. Dort sollen Bilanzen ge­ prüft werden, Direktoren ernannt oder bestätigt und Aufsichtsräte gewählt werden. Von der eigentlichen Verwaltung der Gesellschaft hängt alles ab, und sie ist in erster Linie eine Personenfrage. Der gewöhnliche Aktionär besucht aber die Generalversammlung nur in Ausnahmefällen. Er scheut die Reise, langweilt sich in der Sitzung, weil er eben von Geschäften nichts versteht und ge­ wöhnlich überläßt er sein wichtigstes Recht, das einzige, das er in Bezug auf die Verwaltung hat, anderen Personen, die mitten im Geschäftsleben stehen. Auf diese Weise wird es möglich, daß Bankiers, die sonst gar nicht oder nur in geringem Umfange an der Aktiengesellschaft beteiligt sind, wie Großaktionäre mit zahlreichen Aktienstimmen auftreten können, alle Beschlüsse beherrschen und eine gegebenenfalls auftretende Opposition einfach niederstimmen können. Daß der Privatmann mit bescheidenem Aktienbesitz, der im Gegensatz hierzu sein Recht auf der Generalversammlung selbst ausübt, indiskret genug ist, Aufschlüsse zu verlangen und auch sonstwie ge­ legentlich seinen Mund auftut, wird im besten Falle geduldet, von oben herab behandelt und gilt in der Direktorensprache als ein „unbequemer Krakehler". Da er zudem nur ein bescheidenes Stimmrecht besitzt, also mit Leichtigkeit majorisiert werden kann, so zieht er es vielfach später vor, ebenfalls weg zu bleiben. Das Endresultat dieses eigentümlichen Mißverhältnisses zwischen formalem Recht und tatsächlichem Einfluß, bezw. zwischen Recht und Aus­ übung desselben ist gewöhnlich das, daß auf den Generalver­ sammlungen nur wenige Finanzleute mit zahlreichen erborgten

10

Stimmen erscheinen, die Aufsichtsratstellen kliquenmäßig besetzen und jede unliebsame Kritik im Keime ersticken. Man lese nur die Be­ richte über solche Generalversammlungen. Meistens sind wenige Personen anwesend, und diese vertreten nur einen Bruchteil des Aktienkapitals. Die größere Hälfte des Grundkapitals bleibt un­ vertreten und begibt sich damit aller Rechte. Bei der letzten außer­ ordentlichen Generalversammlung der deutschen Genossenschaftsbank, die, nachdem die erste beschlußunfähig gewesen war, einberufen werden mußte, und deren Verhandlungen doch für jeden Aktionär die allergrößte Bedeutung hatten, waren 111 Personen anwesend, die 14215 Stimmen hatten und 81j2 Millionen Aktienkapital repräsentierten. Die Besitzer von 27 % Millionen Aktienkapital waren zu Hause und unvertreten geblieben. Warum hatten sie nicht ein Schutzkomitee gebildet oder wenigstens sich schleunigst mit den Wortführern der Opposition, die sich ja zur Ver­ tretung von Aktien bereit erklärt hatten, in Verbindung gesetzt? Sie hätten dann wahrscheinlich die Mehrheit gehabt und wären mit dem Antrag, daß eine Revisionskommission eingesetzt würde, durchgedrungen. Eine solche Revisionskommission kann niemals etwas schaden, sie bringt mindestens Aufklärung und Beruhigung, und es ist eine sehr durchsichtige Gespenstermalerei, wenn man gegen einen solchen Antrag sofort den Einwand erhebt, er schade dem Kredite der Bank. Die Ablehnung eines solchen Antrages gilt in Börsenkreisen doch kaum als ein zugkräftiges Vertrauens­ votum, sondern erweckt viel eher den Verdacht, daß man noch manches andere zu verheimlichen habe. Der Kurs der Aktien der Genossenschaftsbank — auch das ist sehr charakteristisch — ist nach diesem „Vertrauensvotum", das in der glatten Dechargeerteilung und der Ablehnung der Bestellung einer besonderen Revisions­ kommission liegen soll, nicht gestiegen und hält sich seither auf der

11

Höhe von 961l„, während die zuletzt — 1899 — emittierten Aktien bei den Aktionären zu 1131/2 % untergebracht worden waren. Die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft ist ferner dazu da, Vorstand und Aufsichtsrat zu kontrollieren und, wenn es sein muß, mit ihm abzurechnen. In unserem Falle ist die Sachlage so dargestellt worden, daß der ausgeschiedene Direktor Siebert der alleinige Sündenbock sei. Ihm wird Vertrauensbruch und Pflicht­ verletzung zum Vorwurfe gemacht, und es heißt wörtlich in der Denkschrift, „daß ihm in wichtigen Angelegenheiten leider zu freie Hand gelassen worden sei". Hier wird also ein allgemeiner Miß­ stand in der Verwaltung zugegeben. Ist denn niemand für ihn verantwortlich? Die persönliche Mithaftung der anderen Gesell­ schafter hat jedenfalls nicht ausgereicht, daß diese Gesellschafter sich gegenseitig schärfer kontrollierten. Wie war es möglich, so fragt mit Recht die „Frankfurter Zeitung",*) daß Engagements, wie die an der Gewerkschaft Kyffhäuser und der Aktiengesellschaft Watt, die bereits im vorigen Jahre zu erheblichen Abschreibungen nötigten, nicht damals schon hinreichend klargestellt worden sind, um die gegenwärtigen Überraschungen auszuschließen? Daß Siebert Vor­ sitzender des Aufsichtsrates der Gesellschaft Watt war, mußte doch den Mitdirektoren bekannt sein. Auch bei Schuchardt & Co. stand er an der Spitze der Verwaltung. In dem einen Falle hatte er durch falsche Angaben seine Kollegen zu täuschen verstanden, in dem anderen hatte er einen unerhörten Bankokredit bewilligt. Bei der Gewerkschaft „Kyffhäuser", einer Kalibergwerksgesellschaft, hatte er eine Forderung an das Konsortium, dadurch daß er versäumte, die vertragsmäßige Genehmigung zu weiteren Vorschüssen ein­ zuholen, rechtsunwirksam gemacht. Und von all' diesen Machinationen

12

haben, wie es scheint, weder die Mitdirektoren noch der Aufsichtsrat etwas gemerkt. In Aktionärenkreisen erzählte man sich ferner, daß Herr Direktor Siebert sich mit seinen Berliner Kollegen nicht vertragen habe. Ist das richtig, so lag unzweifelhaft ein unhalt­ barer Zustand vor, gegen den der Aufsichtsrat unverzüglich ein­ zuschreiten hatte. Auch hier ist der Aufsichtsrat untätig oder wenigstens säumig gewesen. Das Verhältnis Sieberts zu der Bank wurde erst im Frühjahr d. Js. gelöst. Dadurch wurde ein Personen­ wechsel notwendig, und erst jetzt stellten sich die wirklichen Verluste heraus, die die Gesellschaft erlitten hatte. So wenigstens stellt die Verwaltung die Sachlage dar. Man kann das glauben oder auch nicht. Eine wirkliche Klarheit gewinnt man aber nur durch Be­ rufung einer Revisionskommission, die alles gründlich untersucht. Ich halte mich hier nur an die Tatsachen, die offiziell zugestanden, also auch dem Außenstehenden offensichtlich sind, könnte aber noch manche andere Frage, die der Aufklärung bedürftig ist, aufwerfen. Ich verzichte indessen darauf; denn es ist nicht der Einzelfall, der die Allgemeinheit interessiert. Dieser geht uns als solcher gar nichts an. Auch hat man keinen zuverlässigen Einblick, um ein ab­ schließendes Urteil zu fällen, und die beteiligten Personen können uns ziemlich gleichgültig sein. Was uns interessiert, ist nur der Typus, und typisch ist dieser Fall. Er gibt wieder einmal einen recht merkwürdigen Beitrag zur Kenntnis der Struktur unseres Aktienwesens, über das gegenwärtig, wie immer, wenn eine ge­ schäftliche Depression die bisherige Vertrauensseligkeit erschüttert hat, viel geschrieben, und bezüglich dessen stark in Reformvorschlägen ge­ macht wird. — In der jüngsten Zeit sah man sich veranlaßt, namentlich das Rechtsinstitut des Aufsichtsrates wieder etwas näher zu betrachten. Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Aufsichtsrate der Aktien-

13

gesellschaften beimißt, geht schon aus der Tatsache hervor, daß eine Aktiengesellschaft ohne Aufsichtsrat nicht denkbar ist. Sie ist recht­ lich einfach unmöglich, und die Bestellung des Aufsichtsrates kann nicht etwa durch statutarische Bestimmung ausgeschlossen werden. Früher herrschte bei uns, wie überall, auf dem Gebiete der Aktien­ gesetzgebung das Konzessionssystem. An seine Stelle trat dann das System der privatrechtlichen Normativbestimmungen, und mit diesem System wurde der Aufsichtsrat obligatorisch, zuerst bei der Kommandit­ gesellschaft auf Aktien, die mit Recht als besonders kontrollbedürftig angesehen wurde, und dann durch die Bundesnovelle von 1870 für alle Aktiengesellschaften. Die Aktiennovelle vom Juni 1884 ver­ schärfte dann die Verantwortung des Aufsichtsrates. Eigentüm­ licherweise schweigt der Gesetzgeber über die passive Wahlfähigkeit, also über die wichtige Frage, wer als Mitglied des Aufsichtsrates gewählt werden kann. Dieses Schweigen ist um so merkwürdiger, als doch gerade auf die Persönlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder alles ankommt. Über die Qualifikation der Mitglieder des Auffichtsrates enthält das Gesetz nur eine Bestimmung, und zwar eine negative. Das Gesetz bestimmt nur, daß das Aufsichtsratsmitglied nicht zugleich Vorstand der Gesellschaft oder Beamter derselben sein darf. Aktionär braucht er nicht zu sein, aber Analphabet kann er sein, im Konkurs kann er sich befinden, die Ehrenrechte können ihm aberkannt sein, er kann zahlreiche Aufsichtsratsstellen zu gleicher Zeit bekleiden, auch bei Konkurrenzinstituten oder bei Instituten, die untereinander im Verhältnis von Gläubiger zum Schuldner stehen, und endlich kann er mit dem Vorstand nahe verwandt und verschwägert sein. Hier liegen offenbare Lücken des Gesetzes zu Tage, die freilich in der Hauptsache nur theoretische Bedeutung haben; denn die Qualifikation der Mitglieder des Aufsichtsrates kann durch die

14

Statuten näher umgrenzt werden, und außerdem darf man an­ nehmen, daß die Generalversammlungen, die ja den Aufsichtsrat

wählen, auch ohne gesetzlichen und statutarischen Zwang vorsichtig in der Auswahl der Personen, denen sie die Wahrnehmung ihrer Geldinteressen

anvertrauen,

sein

werden.

Der

Gesetzgeber

ist

optimistisch genug gewesen, das als ganz selbstverständlich anzusehen.

So ganz selbstverständlich ist das aber doch nicht;

denn da, wo

die schon hervorgehobene Indolenz und Geschäftsignoranz der großen Masse der Aktionäre sich breit macht, kommen Aufsichtsratswahlen

zu stände, die manches zu wünschen übrig lassen.

Eine Verschärfung

der Normativbestimmungen des Gesetzes nach dieser Richtung hin wäre wohl diskutierbar, wenn es nur nicht so schwer wäre, die

richtigen Grenzen

zu finden.

Gesetzliche

Reformen

auf

diesem

schwierigen Gebiete pflegen, wie man an dem Börsengesetz gesehen

hat, plump und schablonenhaft auszufallen und schaden dann mehr, als sie nützen.

Gegenwärtig ist besonders viel davon die Rede, wie man ver­

hindern kann, daß mehrere Aufsichtsratsstellen in der Hand ein und derselben Person kumuliert werden.

Daß unter Umständen eine

solche übertriebene Kumulation schwere Gefahren mit sich bringt, ist kaum zu bestreiten.

Denn in der Tat ist es heutzutage zu einem

lohnenden Neben- oder sogar Hauptberufe geworden, in so und

soviel Aufsichtsräten zu sitzen und alljährlich daher leicht verdiente Tantiemen zu beziehen.

Man hat ausgerechnet, daß in Deutschland

allein 70 Personen in 1184 Aktiengesellschaften die Aufsichtsrats­ stellen

in

Beschlag genommen

haben.

Finanzmänner,

die

zur

gleichen Zeit bei 20 und mehr Gesellschaften Mitglieder der Auf­

sichtsräte sind, sind gar nicht so selten.

Wer es ernst nimmt mit

den Pflichten solcher Ämter, die ja keine Ehrenämter, sondern gut dotierte Pfründen zu sein pflegen, muß schon eine ungewöhnliche

15

Arbeitskraft haben, wenn er allen, billigerweise vorauszusetzenden, Verpflichtungen nachkommen will. Man bedenke nur, daß gewöhn­ lich diese Aufsichtsräte, die bei einer größeren Anzahl von Gesell­ schaften die Hand im Spiele haben, noch für ihr eigenes Geschäft zu sorgen haben. Die Häufung von zahlreichen Aufsichtsratsstellen in einer Hand wird namentlich Bankiers zugestanden. Die Kapitalkonzentration in den großen Emissionshäusern, die Vermittelungstätigkeit der Banken bei den Gründungen, Vergründungen und Vergrößerungen der großen Unternehmungen erklärt dieses Überwiegen der Bankiers und Bankdirektoren in den Aufsichtsräten. Und am Ende ist der Bankier immer noch am ehesten befähigt, sich in die Verhältnisse von Gesellschaften aller Art, selbst solcher, die ihm bis dahin gänz­ lich fremd waren, hineinzufinden. Aber vielfach spielt bei der Be­ setzung der Aufsichtsratsstellen auch die Vetternwirtschaft eine große Rolle, und nicht selten werden Leute in den Aussichtsrat delegiert, die nichts als einen guten Namen, einen hohen Titel oder ein großes Portemonnaie haben, aber sonst nur als Dekoration dienen Auf diese Weise werden Sinekuren geschaffen, die den Aktionären verhängnisvoll werden können. Die Wahl des Aufsichtsrates ist Sache der Generalversamm­ lung, wird also von der Majorität bestimmt. Auch hier liegt, wie die Verhältnisse nun einmal sind, ein Scheinrecht vor. Gewöhn­ lich steht schon vor der Generalversammlung fest, wer gewählt wird. Der Vorstand und der bisherige Aufsichtsrat machen die Vorschläge, und dazu sagt die Generalversammlung Ja und Amen. Die Auf­ sichtsratsmitglieder, namentlich wenn sie Bankiers sind, verfügen in der Generalversammlung dank des ihnen überantworteten Aktien­ besitzes über die Mehrzahl der Stimmen, und wenn einmal die Opposition in zu bedenklicher Weise gegen den Stachel löcken sollte,

16

so greift man gelegentlich zu dem probaten Aushilfsmittel, daß man den Führer der Opposition kooptiert und ihn dann im Auf­ sichtsrat mundtot macht. Gerade diejenige Gruppe der Kleinaktionäre, die schon lange Aktionäre sind und also Wert legen auf möglichst gleichmäßige Dividenden, wird häufig von den Großaktionären zurückgedrängt. Die Finanzmänner unter den Großaktionären haben nicht selten an der Aktiengesellschaft ein ganz anderes Interesse als die zahl­ reichen Privatleute, die Aktien besitzen. Ja, das Interesse dieser beiden Gruppen ist zum Teil ein direkt entgegengesetztes. Die Finanzleute, die die Umsätze auf den Effektenmärkten vermitteln, wünschen Kursschwankungen der Aktien, und da diese wieder von den Erträgnissen des Aktienunternehmens abhängen, so ist ihnen auch ein häufiges Schwanken in den Geschäftsergebnissen nicht un­ erwünscht, zumal wenn sie die Jahresabschlüsse früher als das private Kapitalistenpublikum abzuschätzen vermögen. Ein vorsich­ tiges und gesundes Finanzgebaren wird grundsätzlich Betriebs­ verbesserungen und Geschäftserweiterungen in erster Linie aus den Rücklagen zu decken suchen, d. h. man wird in guten Zeiten ge­ wissenhaft abschreiben und die verschiedenen Reservefonds reichlich speisen. Eine solche Dividendenpolitik liegt aber nur im Interesse derjenigen Aktionäre, die ihren Aktienbesitz nicht spekulativ wechseln. Der vorübergehende Besitzer, dividendenhungrig wie er ist, fordert gewöhnlich die volle Ausschüttung hoher Gewinne und schlägt dann seinen Aktienbesitz, wenn es die Konjunktur empfiehlt, los. Mit diesen Spekulanten sind die Finanzmänner in hohem Grade in­ teressenverwandt. Wo sie das Übergewicht haben, löst ein Finanz­ plan den anderen ab, Aktien-Emission folgt auf Aktien-Emission, Fusionen werden angestrebt, Beteiligungen an anderen Gesell­ schaften werden durchgeführt.

17

Die Bankiers und Bankgruppen erhalten gewöhnlich erst dann die Führung, wenn die Aktien an die Börsen kommen und dort regelniäßig notiert werden. Die Börsennotiz hat zwar für alle Aktienbesitzer gewisse Vorteile; denn sie können fast alltäglich fest­ stellen, wie ihre Effekten bewertet werden. Im gewöhnlichen Laufe der Dinge wird man also vor allzu großen Überraschungen bewahrt, und die Börse, die einen unglaublich feinen Instinkt zu haben pflegt, und wo sich die Hausse- und Baissepartei das Gleichgewicht zu halten suchen, kontrolliert die Aktienunternehmungen und tut dies an Stelle des Privatmannes, der einen zuverlässigen Überblick über den Gang der Geschäfte nicht haben kann. Diesen Vorteilen der Verbringung der Aktien an die Effektenmärkte stehen aber erhebliche Nachteile gegenüber. Einmal gibt nicht immer der Börsenkurs ein richtiges Bild von dem Tageswerte des Papieres. Es ist ein großer Irrtum anzunehmen, daß der Bankier alles besser weiß. Sehr oft weiß der Bankier absolut nicht mehr, als der Nicht­ geschäftsmann und wird gegebenenfalls ebenso getäuscht wie dieser. Ferner kommen bekanntlich Börsenmanöver vor, wo es einer Spekulantengruppe gelingt, die Preise künstlich zu beeinflussen, und endlich ist die Zulassung zur Börse dazu angetan, die Aktien­ gesellschaften mehr als bisher von den maßgebenden Finanzmächten abhängig zu machen. Alle diese Momente beeinflussen die Dividendenpolitik und lockern das persönliche Verhältnis zu der Gesellschaft. Bei den dadurch häufiger werdenden Operationen verdient in erster Linie die Bankwelt, die sie vermittelt, und das Risiko trägt nicht sie, sondern ihre Kundschaft. Da sie sich regelmäßig in den Aufsichts­ räten festgesetzt hat, weiß sie sich auch in dem sicheren Genuß der Tantiemen, die vielfach übertrieben hoch sind. Über die Höhe der Tantiemen hat jüngst ein genauer Sachkenner Dr. Ernst Loeb 2

18

interessante Berechnungen angestellt. *) Danach betrugen im Jahre 1900/1901 bei 400 Kreditbanken mit einem Gesamtaktien­ kapital von 2459 Millionen Mark die Tantiemen 11 Millionen Mark, d. i. x/2 % vom Kapital. Bei 41 Hypothekenbanken mit einem Kapital von 625 Millionen Mark betrugen die Tantiemen 4 Millionen Mark oder % °/0 vom Kapital. Bei 3443 Industrie­ gesellschaften mit einem Gesamtkapital von 5915 Millionen Mark waren die Tantiemen des Aufsichtsrates 41 Millionen Mark, also ebenso wie bei den Hypothekenbanken % % des Aktienkapitals. Nach der genannten Quelle kommt im Durchschnitt auf ein ein­ zelnes Aufsichtsratsmitglied an Tantiemen Vio % des Aktienkapitals, also bei einer Gesellschaft mit einer Million Aktienkapital 1000 Mark. Nehmen wir zwei verschiedene Beispiele zum Vergleich heraus. Die Dresdener Bank z. B. hat ein Aktienkapital von 130 Millionen Mark und gab im Jahre 1900 8 % Dividende. Der Aufsichtsrat bekam an Tantiemen 470000 Mark. Er bestand aus 24 Mit­ gliedern, von denen jedes beinahe 20000 Mark für seine Tätigkeit vergütet erhielt. Die deutsche Genossenschaftsbank mit einem Aktien­ kapital von 36 Millionen Mark gab im gleichen Jahre 5 % Dividende, an Tantiemen wurden 29 000 Mark ausgeschüttet, auf jedes Mitglied des Aufsichtsrates kamen nicht ganz 3000 Mark an Tantiemen. Wenn man bedenkt, daß die Aufsichtsräte, die in der Regel nur als Kollegium tagen, sehr selten zusammentreten, meistens nur ein paar Mal im Jahre, sehr oft sogar nur ein- bis zweimal im Jahre zur Abnahme der Jahresbilanz oder der Semestralabrechnung, so sind diese Vergütungen gewiß sehr reichlich gemessen. Um zu verhindern, daß aus der Mitgliedschaft von Aufsichtsräten *) Conrads Jahrbücher III. Folge, Bd. 23, Jena 1902. — Ich verdanke

diesem Aufsatze eine Reihe wertvoller Anregungen.

19

ein lukratives Geschäft gemacht wird, ist neuerdings von dem Würz­ burger Nationalökonomen Schanz *) der Vorschlag gemacht worden, es möge durch Gesetz die Zahl der Aufsichtsratsstellen, die eine Person bekleiden darf, beschränkt werden z. B. auf drei. Dieser Vorschlag ist gewiß gut gemeint, aber kaum zweckmäßig. Eine gesetzliche Maximalzahl festzustellen, zumal eine so willkürlich und niedrig gewählte, ist kaum möglich. Es gibt auch auf dem Gebiete des Aufsichtsratswesens Spezialisten, die doppelt und dreifach so viel leisten können, als andere. Die Reform muß hier nicht vom Gesetzgeber, sondern von den Aktionären selbst ausgehen. Sie müssen sich vor der Wahl über die Kandidaten orientieren, sich zusammenschließen, selbst mit Anträgen vorgehen und darauf dringen, daß die Vorschlagsliste des Vorstandes und des Aufsichts­ rates bereits in der Einladung zur Generalversammlung veröffent­ licht wird. Gewöhnlich wird dort nur ganz allgemein als Punkt der Tagesordnung das Rubrum „Neuwahlen" aufgeführt. Zu er­ wägen wird es ferner sein, ob nicht mit der Proportionalwahl, die überall, wo starke Minoritäten vorhanden sind, empfehlenswert ist, Versuche gemacht werden können. Um den Besuch der General­ versammlungen besser zu gestalten, empfiehlt sich vielleicht eine Prämie für die persönlich anwesenden Aktionäre, z. B. Vergütung der Reisekosten, Gewährung von Diäten bei gleichzeitiger Er­ schwerung der Übertragung des Stimmrechtes. Ein weitergehender und in seinen Wirkungen radikalerer Reform­ vorschlag ist kürzlich in einer Schrift von Josef Bauer (Der Auf­ sichtsrat, 2. Auflage, Leipzig 1900) gemacht worden. Bauer ver­ langt, daß für alle Aktiengesellschaften staatliche Revisoren ernannt werden. Es sollen also Staatsbeamte, die im Hauptamte den Vor*) Münchener Neuesten Nachrichten, von, 14. August 1901.

20

stand und den Aufsichtsrat fortlaufend kontrollieren, bestellt werden. Über diesen Vorschlag hat man sich nicht nur in kommerziellen,

sondern auch in wissenschaftlichen Kreisen lustig gemacht.

Auch ich

halte ihn nicht für durchführbar; nicht etwa aus dem Grunde, weil man auf diese Weise Privatbetriebe unter „Polizeiaufsicht" stelle. Ein

solcher Vorwurf ist in dieser Allgemeinheit eine Phrase, und die Gesetzgebung ist längst nehmungen

davon

abgekommen,

die großen Unter­

grundsätzlich sich selbst zu überlassen.

Die Börsen

werden beaufsichtigt, für die Hypothekenbanken sind Staatskommissare ernannt, die privaten Versicherungsunternehmungen

müssen

sich

schärfere Kontrollen gefallen lassen, und auch für die Aktienbanken wäre prinzipiell wenigstens eine Aufsicht von Staats wegen manch­ mal recht wünschenswert.

Warum ich gegen den Bauerschen Vor­

schlag bin, hat einen anderen Grund.

Ich fürchte nämlich, daß

Beamte, die sich einer solchen verantwortungsvollen Stellung mit hinreichender,

kaufmännischer

und

volkswirtschaftlicher

widmen können, nur in Ausnahmefällen zu finden sind.

Bildung Wenn

aber der Staatskommissar die nötigen Fachkenntnisse nicht hat,

schadet er mehr als er nützt; denn die Tatsache, daß alles staat­ lich revidiert wird, lullt die Aktionäre in Vertrauensseligkeit ein

und belastet die Staatsregierung mit einer ganz enormen Verant­ wortung. Wenn neben dem Aufsichtsrate eine geordnete Revision statt­

finden soll, so muß sie nicht von der Regierung, sondern von der Aktiengesellschaft selbst eingesetzt werden.

Ich denke mir diesen Vor­

schlag nicht etwa so, daß der Aufsichtsrat durch Revisoren, die fort­

während mitten in dem Unternehmen stehen, ersetzt wird, sondern

daß neben dem Aufsichtsrat Revisionskommissionen periodisch tätig sind.

Ersteres ist in dem englischen Aktienrecht, das 1890 neu ge­

regelt worden ist, der Fall, und seine Bestimmungen sind des-

21

wegen kaum besser als die deutschen. Die englischen Revisoren haben freilich weitgehende Befugnisse, denn jeder Revisor hat das Recht, jederzeit die Bücher, Rechnungen und Belege der Gesellschaft einzusehen und ist berechtigt, von den Direktoren und Beamten der Gesellschaft die Auskünfte und Erklärungen zu fordern, die not­ wendig sind zur Erfüllung der Revisionspflichten. Auch sollen die Revisoren am Fuße der Bilanz eine Erklärung darüber abgeben, ob in ihr alle ihre Anforderungen erfüllt worden sind oder nicht und den Aktionären Bericht erstatten über die Rechnungen, die sie geprüft haben und über jede Bilanz, die während ihrer Amtsdauer der Generalversammlung vorgelegt wird. In jedem solchen Bericht sollen sie feststellen, ob nach ihrer Ansicht die Bilanz so gezogen ist, daß sie ein wahres und korrektes Bild von dem Stande der Geschäfte der Gesellschaft gibt, wie er nach den Büchern erscheint; und dieser Bericht soll in der Generalversammlung verlesen werden.*) Diese Revisoren des britischen Aktienrechts, die, wie gesagt, unseren Aufsichtsrat ersetzen, müssen bei jeder Generalversammlung gewählt werden und bleiben dann bis zur nächsten General­ versammlung im Amte. Für sehr zweckmäßig kann ich diese Ein­ richtung nicht halten, jedenfalls für nicht zweckmäßiger als die deutsche des Aufsichtsrates. Wohl aber kann subsidiär das Revisoren­ amt in unser Aktienrecht eingefügt werden. Eine solche Neuerung wäre in doppelter Weise möglich, fakultativ und obligatorisch. Fakultativ nämlich in der Form, daß die Generalversammlung der Aktionäre in bestimmten kritischen Fällen sich veranlaßt sieht, Revisionskommissionen einzusetzen. Bekanntlich ist diese Möglichkeit bereits jetzt gegeben, und es wird auch gelegentlich von ihr Gebrauch gemacht. Ob genug, ist freilich eine andere Frage. Ein Antrag

22

auf Einsetzung einer Revisionskommission setzt stets die Verfügung über einen erheblichen Anteil der Aktien voraus. Nach dem Gesetze wird ein solcher Beschluß mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt. Sind die Antragsteller in der Minorität geblieben, so können sie durch das Gericht Revisoren bestellen lassen, aber diese Möglichkeit ist von einer ganzen Reihe von Voraussetzungen abhängig. Einmal muß diese Minorität den zehnten Teil des Grundkapitals besitzen. Ferner muß sie dem Gerichte glaubhaft machen, daß Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages stattgefunden haben. Und endlich sind vorher der Vorstand und der Aufsichtsrat zu hören. Es wird schwer halten alle diese Voraus­ setzungen zu erfüllen. Um das zu erleichtern, wäre eine Herab­ setzung des Mindestmaßes von Aktienbesitz wünschenswert. Auch dürften in einer Generalversammlung, wo die Bestellung von Revisoren auf der Tagesordnung steht, die Aufsichtsräte nicht mit­ stimmen, ein Punkt, auf den ich gleich in anderem Zusammenhänge zu sprechen komme. Ich sprach vorhin auch von obligatorischen Revisionskommissionen und denke sie mir unter folgenden Voraussetzungen. Sobald eine Bankaktiengesellschaft nach Ausweis des Jahresabschlusses mit einer Unterbilanz gearbeitet hat und zur Deckung derselben den Reservefond angreifen muß, muß eine Revisionskommission in Tätigkeit treten. Von ihrem Bericht, der dann einer neuen Generalversammlung vorgelegt wird, hängt dann die Dechargeerteilung an Vorstand und Aufsichtsrat ab. Selbstverständlich dürfen die Revisoren weder Mitglieder des Vorstandes noch des Aufsichtsrates sein, und auch hier wäre die Proportionalwahl am Platze. — Eine vielgehörte Klage geht dahin, daß der Aufsichtsrat sein Amt zu leicht nimmt. Das Handelsgesetzbuch hat die Arbeitsteilung

23

zwischen Vorstand und Aufsichtsrat so geregelt, daß dem ersteren die Führung der Geschäfte obliegt, dem letzteren die Überwachung der Geschäftsführung. Der Paragraph 246 des Handelsgesetzbuches sagt über den Aufsichtsrat folgendes: „Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung der Gesellschaft in allen Zweigen zu überwachen und sich zu dem Zwecke von dem Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft zu unterrichten. Er kann jederzeit über diese An­ gelegenheiten Berichterstattung von dem Vorstande verlangen und selbst oder durch einzelne von ihm zu bestimmende Mitglieder die Bücher und Schriften der Gesellschaft einsehen, sowie den Bestand der Gesellschaftskasse und die Bestände an Wertpapieren und Wären untersuchen. Er hat die Jahresrechnungen, die Bilanzen und die Vorschläge zur Gewinnverteilung zu prüfen und darüber der General­ versammlung Bericht zu erstatten. Er hat eine Generalversammlung zu berufen, wenn dies im Interesse der Gesellschaft erforderlich ist. Weitere Obliegenheiten werden durch den Gesellschaftsvertrag be­ stimmt." Es geht aus diesen sehr summarisch gehaltenen Bestimmungen ohne weiteres hervor, daß der Gesetzgeber sich damit begnügt hat, nur das Mindestmaß der Überwachungspflicht zu umschreiben. Alles Nähere wird also der statutarischen Regelung überlassen. Es hängt deswegen hauptsächlich von der konstituierenden Generalversamm­ lung ab, wie sie den Pflichtenkreis des Aufsichtsrates im einzelnen präzisieren will. Offenbar genügen diese diskretionären Vollmachten in vielen Fällen nicht. Infolgedessen scheint es geboten, die gesetz­ lichen Bestimmungen zu erweitern und zwar nach zwei Richtungen hin. Einmal muß dem einzelnen Aufsichtsratsmitgliede eine größere Bewegungsfreiheit zugestanden werden. Da der Aufsichtsrat ein kollegialisch zusammengesetztes Organ ist, arbeitet er schwerfällig und selten. Das Gesetz müßte also einen Zusatz erhalten etwa des

24 Inhaltes, daß jedes Mitglied des Aufsichtsrates auch ohne besonderes Mandat berechtigt ist, jederzeit die Bücher und Schriften der Gesell­

schaft einzusehen. Ferner — und das ist die andere reformbedürftige Seite der Aktiengesetzgebung — müßten in gewissen längeren Perioden obligatorische Revisionen, die dem Aufsichtsrate zur Pflicht gemacht

werden, stattfinden.

In sehr

angemessener Weise hat das

vor

einiger Zeit*) eine große Berliner Zeitung, das „Berliner Tage­

blatt", formuliert. seiner

Mitte

Sie schlägt vor, daß der Aufsichtsrat oder aus

gewählte Spezialkommissiouen in jedem Geschäfts­

halbjahr unter Zugrundelegung eines vom Vorstande verfaßten Be­ richtes alle Briefe und Schriften der Gesellschaft prüfen, die Kassen­ bestände aufnehmeu und ihre Befunde in einen Revisionsbericht, der vom gesamten Aufsichtsrat gezeichnet oder gegengezeichnet werden

muß, niederlegen sollen.

Dieser Semesterbericht,

der

daun

der

Generalversammlung vorgelegt werden muß, würde die Feststellung

der Haftung des Aufsichtsrates, dessen Mitglieder solidarisch regreß­ pflichtig sein sollen, ganz erheblich erleichtern.

Dr. Loeb schlägt im

Anschluß hieran noch vor, daß der Vorstand der Gesellschaft dem

Aufsichtsrate allmonatlich einen Auszug aus der Kasse und dem

Hauptbuche nebst Erläuterungen und Angabe der laufenden Ver­ bindlichkeiten schriftlich mitteilt.

Ich halte auch diesen Vorschlag

für durchführbar. — Der dunkelste Punkt in den Geschäftsverhältnissen vieler großer

Banken, deren Bilanzen viel zu summarische Posten enthalten, ist

das Konsortialkonto.

Wir haben an der Krisis der deutschen Ge­

nossenschaftsbank ein klassisches Beispiel dafür, daß die längere Zeit verdeckten Schwierigkeiten, die dann später zu den großen Kapital­

verlusten führten, in erster Linie in diesem Konsortialkonto wurzeln.

*) 14. Oktober 1901.

25

Die von Dr. Loeb verlangten Monatsberichte des Vorstandes müßten also bei den Aktienbanken gerade dieses Konto erläutern. Der Monatsbericht müßte die Angabe der Beteiligungen, also des Effektenbesitzes, der Kommandit- und Konsortialbeteiligungen und der Deckungsverhältnisse enthalten. Auf diesen Reformvorschlag lege ich ganz besonderen Nachdruck, weil er die Kontrolle des Auf­ sichtsrates außerordentlich erleichtert und damit auch die Prüfung der Tätigkeit des Aufsichtsrates durch die Generalversammlung. Jedenfalls wird es auf diese Weise auch möglich, die Jahresbilanz besser zu übersehen, die sonst nicht selten eine Rechnung mit zahl­ reichen Unbekannten bleibt. Also nicht nur die Zusammensetzung des Aufsichtsrates ist äußerst wichtig, sondern auch seine gesetzlich und statutarisch fixierten Rechte. Wenn der Aufsichtsrat zur regelmäßigen Tätigkeit im Überwachungsdienste auf diese Weise gezwungen wird, wird auch das Bedenken hinfällig werden, daß er durch seine Revisionen und häufigeren Sitzungen dem Vorstand der Gesellschaft gleichsam Miß­ trauen entgegenbringe. Unsere Aktiengesellschaftsdirektoren pflegen nicht nur kolossal selbständig, sondern auch recht empfindlich zu sein. Man kann das begreifen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sie allein die Hauptarbeitslast leiste« und die eigentliche Intelligenz und Tüchtigkeit in der durch Kapitalassociation geschaffenen Gesellschaft repräsentieren. Aber sobald Gesetz und Statut regelmäßige Auf­ sichtsratssitzungen und regelmäßige Berichte der Direktion an den Aufstchtsrat vorschreiben, fällt das Omen, als ob man den Direktoren nicht recht traue, von selbst weg. Nach englischem Recht können die Revisoren nicht nur von dem Vorstand, sondern auch von den Beamten der Gesellschaft Berichte einfordern, eine Einrichtung, deren Nachahmung sich auch für unsere Verhältnisse empfiehlt. Die Revisionen werden vielfach dadurch erschwert, daß es keine

26

festen Rechtsnormen gibt für die Buchführung der Aktiengesell­ schaften und die Aufstellung der Bilanzen. Es wird aber schwer sein, diese Materie im Wege einer Aktiennovelle zu regeln. Was die Aktienbanken anbetrifft, so ist ja ganz kürzlich zum ersten Male in Frankfurt a. M. ein glänzend besuchter Bankiertag zusammen­ getreten. Die Ausbeute seiner Kongreßverhandlungen war freilich nicht besonders ergiebig. Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand eine entschlossene und fulminante Kundgebung gegen die Börsen­ gesetzgebung. Was man über die Checkgesetzgebung, welcher Gegen­ stand ebenfalls auf der Tagesordnung stand, gesagt hat, war weder neu noch besonders eingehend. Bemerkenswert war nur die Ein­ mütigkeit, in der man — wie uns scheint mit gutem Recht — dem Reichstage in seiner jetzigen Zusammensetzung die Fähigkeit und den Beruf absprach, Gesetze, die das kommerzielle Leben be­ treffen und vorsichtige und weise Reformen bringen, zu verabschieden. Es steht zu erwarten, daß der Bankiertag ein regelmäßig veranstalteter Kongreß werden wird. Ist das richtig, so wird man auf den späteren Tagungen Spezialkommissionen einsetzen können, die für die Buchführung, die Bilanzaufstellungen und die Revisions­ ordnungen einheitliche Normativbestimmungen durchberaten und veröffentlichen. Die doppelte Buchführung ist eine so ingeniöse Erfindung, daß jeder, der in ihre Geheimnisse eingeweiht ist, jeden, auch den kleinsten Rechenfehler entdecken muß. Fingierte Buchungen, Verschleierungen und Unterlassungen in den Hauptkonten wird aber selbst der geschäftskundigste Aufsichtsrat nicht entdecken. Buch­ führungsspezialisten, wie Bauer und andere, schlagen deswegen vor, daß keine Buchungen ohne schriftliche Unterlagen, die bei den Revisionen übersichtlich geordnet beigebracht werden, gemacht werden sollen. Gewöhnlich arbeitet man bei den Revisionen nur mit Stich­ proben und überläßt damit vieles dem Zufall. Solche Stich-

27

proben sind ein sehr dürftiges Aushilfsmittel und haben Buch­ verschleierungen gegenüber ohne gleichzeitige Beibringung aller Belege keinerlei Wert. Ich halte auch die regelmäßige Hinzuziehung vereidigter Bücherrevisoren, die manchmal eine geradezu erstaunliche Findigkeit haben und sich jedenfalls rascher als andere Personen orientieren können, für wünschenswert. Was die Zusammensetzung des Aufsichtsrates, also die Personen­ frage, anbetrifft, so gebe ich endlich einen Vorschlag wieder, der, wenn er acceptiert wird, von weittragender Bedeutung sein kann. Von verschiedener Seite ist nämlich verlangt worden, daß die Aktien der Aufsichtsräte bei den Neu- und Ergänzungswahlen, sowie bei Abstimmungen über Anträge auf Einsetzung von Revisions­ kommissionen nicht stimmberechtigt sind, und daß den Aufsichts­ räten auch von anderen Aktionären in der Generalversammlung Aktienstimmen nicht übertragen werden dürfen. Dieser Vorschlag ist meines Erachtens durchaus konsequent gedacht. Der Aufsichts­ rat ist in solchen Fällen Partei, und es entspricht natürlichen Rechtsgrundsätzen, daß er in eigener Sache sich der Abstimmung enthalten muß. Der Einfluß gewisser Cliquen wird durch eine solche neue verschärfte Bestimmungen in heilsamer Weise eingedämmt werden. — Ist die Überwachungspflicht des Aufsichtsrates schärfer um­ grenzt, und sind seine regelmäßigen Funktionen einigermaßen ge­ währleistet, so wird man auch die Regreßpflicht des Aufsichtsrates präziser formulieren müssen. Nach dem heutigen deutschen Aktien­ recht haften Vorstand und Aufsichtsrat solidarisch für den Schaden, der aus der Verletzung ihrer Obliegenheiten entsteht. Strafrechtlich werden sie verfolgt, wenn sie absichtlich zum Nachteile der Gesell­ schaft handeln, oder wenn sie in ihren Darstellungen, in Ver­ mögensübersichten, oder in sonstigen Berichten an die Generalver-

28

sammlung die Verhältnisse der Gesellschaft unwahr darstelftn oder verschleiern. Die civilrechtliche Haftpflicht des Aufsichtsrates ist aber die Hauptsache; sie ist eine doppelte; einmal der Gesellschaft, zum anderen der Gesellschaft und ihren Gläubigern gegenüber. Die Re­ greßansprüche an den Aufsichtsrat unterliegen einer fünfjährigen Verjährungsfrist. Geltend zu machen sind sie, wenn es in der Generalversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen oder von einer Minderheit der Aktionäre verlangt wird, deren Stinimrecht dem zehnten Teil des Grundkapitals entspricht. Im letzteren Falle muß die Geltendmachung des Anspruchs binnen drei Monaten vom Tage der Generalversammlung ab erfolgen; ander­ seits ist ein Verzicht oder ein Vergleich der Gesellschaft nur dann zulässig, wenn von den die Minderheit bildenden Aktionären so viele zustimmen, daß die Aktien der übrigen nicht mehr den zehnten Teil des Grundkapitals darstellen. Nach § 264 des Handelsgesetz­ buches ist die Genehmigung der Bilanz zu vertagen, wenn auch nur eine Minderheit von 10 % des Grundkapitals bestimmte Ansätze bemängelt. Nach § 254 genügen schon 5 % des Grundkapitals, um die Berufung einer Generalversammlung zu erzwingen. Nach § 266 endlich kann jede Generalversammlung mit einfacher Stimmen­ mehrheit Revisoren zur Prüfung der Bilanz oder der Geschäfts­ führung bestellen; und wenn die Mehrheit dies ablehnt, kann unter Umständen schon auf den Antrag von 10 % des Grundkapitals das zuständige Gericht Revisoren ernennen. Über letztere Bestimmung habe ich schon oben gesprochen. Gewöhnlich wird behauptet, diese Bestimmungen seien recht weitgehende und müßten eigentlich genügen, wenn man von ihnen nur den richtigen Gebrauch machte. Das klingt sehr schön, ist aber falsch; denn wie die Verhältnisse nun einmal liegen, wird eben der richtige Gebrauch von dem Handhaben des Gesetzes nicht gemacht,

29

und faktisch ist die Erhebung der Regreßklage doch außerordentlich erschwert. Bei dem notorisch schlechten Besuch der Generalver­ sammlungen ist es häufig unmöglich, daß die Opposition über 10 % des Grundkapitals verfügt. Diese Mindestsumme müßte herabgesetzt werden, etwa auf den zwanzigsten Teil des Grund­ kapitals oder auf den zehnten Teil desjenigen Kapitals, das wirk­ lich auf der Generalversammlung vertreten ist. Letzteres verdient sogar den Vorzug, denn dadurch wird ein Stimulans geschaffen für den besseren Besuch der Versammlung. Das Gesetz schreibt ferner vor, daß die Minderheit 10 °/0 des Grundkapitals für die Dauer des Rechtsstreites zu hinterlegen hat, glaubhaft machen muß, daß sie die Aktien bereits seit sechs Monaten besitzt und gegebenen­ falls auf Verlangen des Beklagten noch weitere Sicherheiten bei­ bringen muß. Der Gesetzgeber will offenbar verhindern, daß eine Minderheit, die vielleicht versteckte, spekulative Absichten hat, sich ad hoc in den Besitz von Aktien setzt, um schikanöse Störungen zu erregen. Ich gebe zu, daß solche Gefahren nicht ganz von der Hand zu weisen sind, und daß unter Umständen Spekulations­ manöver zu befürchten sind. Aber die unerfreuliche Tatsache des häufigen Besitzwechsels an Aktien ist nun einmal vorhanden, und man wird mit ihr rechnen müssen. Die „Kölnische Zeitung" *) hat deshalb vorgeschlagen, daß schon der Nachweis eines dreimonatlichen Be­ sitzes genügen solle, und diesen Vorschlag halte ich für unbedenklich. Als eine geradezu wunderliche Bestimmung des Gesetzes er­ scheint mir die, daß die Minderheit, die eine Regreßklage anstrengt, die Kosten des Rechtsstreites in allen Fällen, auch wenn sie ob­ siegt, der Gesellschaft gegenüber zu tragen hat. So besagt der § 269

30

des Handelsgesetzbuches. Eine Berechtigung kann ich dieser-eigen­ tümlichen Bestimmung absolut nicht zuerkennen. Wenn die Regreß­ klage vor den Gerichten Erfolg hat, so war sie eben berechtigt und im Interesse der Gesellschaft. Wenn dann die Kosten von dem unter­ liegenden Teil nicht beitreibbar sein sollten, so wären sie meines Er­ achtens von der Gesellschaft und nicht von der Minorität zu tragen. — Sehr wichtig ist, daß der Aufsichtsrat und der Vorstand, die regreßpflichtig sind, auch zahlungsfähig bleiben. Das heutige Aktien­ recht gewährt hierfür gar keine Garantien. Verschiedene Verbesse­ rungsvorschläge liegen vor. Der eine geht dahin, daß der Auf­ sichtsrat und der Vorstand eine bestimmte Quote des Aktienkapitals besitzen müssen und diese während ihrer Amtsdauer nicht veräußern dürfen. Will man diesen Vorschlag annehmen — er hat in der Tat manches für sich — so wird man freilich die Quote nicht zu hoch greifen dürfen, weil sonst nur Großkapitalisten an die Spitze der Verwaltung treten können. Auch muß man dafür Sorge tragen, daß der Aktienbesitz auch nach dem Austritt aus der Direk­ tion und dem Aufsichtsrat eine Zeitlang unveräußerlich und haftbar bleibt. Eine andere Anregung geht von Professor Schanz in Würz­ burg aus, der die Tantiemen erst nach einem Jahre zur Auszahlung gelangen lassen will. Dieser Gedanke enthält gewiß einen sehr brauchbaren Kern, muß aber noch weiterhin verschärft werden. Hier gibt uns, wenigstens was die Direktoren anbetrifft, das Reichsbank­ gesetz wertvolle Fingerzeige. Die Reichsbankbeamten erhalten außer den festen Gehältern Tantiemen, die aber nicht ausgezahlt, sondern festgelegt und als Amtskautionen haftbar gemacht werden. Diese Einrichtung hat die Reichsbank von der Preußischen Bank über­ nommen, und sie hat sich sehr bewährt. In Anlehnung an diese Einrichtung bin ich für eine Schaffung eines solchen Garantiefonds während der ganzen Amtszeit und zwar sowohl für den Vorstand,

31

als für den Aufsichtsrat; aber nicht etwa, wie Professor Schanz sich die Sache denkt, daß diese Tantiemen verzinslich dem Unter­ nehmen überlassen werden, sondern indem sie in mündelsicherer An­ lage außerhalb des Unternehmens deponiert werden müssen. Ich gebe zu, daß damit große Härten verbunden sind, indem rechtmäßig verdiente Bezüge dem Verfügungsbereich der Eigentümer entzogen und niedrig verzinslich festgelegt werden. Aber das ist ja die Eigentümlichkeit bei allen Kautionen, und um eine neue Art von Kautionen handelt es sich. Folgt man nur Professor Schanz, so ist gar keine Gewähr gegeben, daß ein betrügerischer Direktor nach der Art eines Schmidt oder Exner auch den Posten. des Tantiemen­ guthabens eskomptiert. Den Beteiligten erwächst unzweifelhaft, wenn man nach meinem viel radikaleren Vorschläge verfährt, ein Vermögensnachteil. Aber mir scheint es zweckmäßiger zu sein, da wo es notwendig ist, lieber die Gehälter und Tantiemen zu erhöhen, wenn man dafür gleichzeitig die Regreßansprüche besser als bisher sichern kann. Da der Vorstand auch bei noch so scharfer Kontrolle durch den Aufsichtsrat die Seele der Unternehmung ist, muß er schon von Vorstands wegen kontrolliert werden. Die Statuten aller Bank­ aktiengesellschaften müßten sowohl am Sitze des Hauptgeschäftes als bei jeder erheblichen und selbständigen Zweigniederlassung die Kollektiv­ prokura von mindestens zwei leitenden Direktoren vorsehen. In großen industriellen Unternehmungen in Aktiengesellschaftsform kann man die Generaldirektoren, die in hohem Grade selbständig sind und selbständig zeichnen, nicht entbehren. Aber bei Bankinstituten ist das System der Gegenzeichnungen kein erhebliches Hindernis für eine freie Bewegung und deshalb, soweit ich sehen kann, auch bei zahlreichen Anstalten ersten Ranges durchgeführt. Diese Einrichtung müßte überall Wich werden. Man sollte grundsätzlich nie einem

32 einzelnen Bankdirektor die rechtsverbindliche Unterschrift allein geben. Ich weiß sehr wohl, daß im Laufe der alltäglichen Geschäfte die Doppelunterschrift eine reine Formalität ist. In einem großen kaufmännischen Kontor mit seinem fieberhaften Betrieb in den eigentlichen Geschäftsstunden werden die Unterschriften fast fabrik­ mäßig vollzogen. Die Chefs verlassen sich aufeinander und auf ihr Bureaupersonal und müssen das auch. Aber bei wichtigen Korrespondenzen, in denen große Kredite und sonstige Transaktionen von erheblicher finanzieller Tragweite in Frage stehen, ist die Gegenzeichnung zweier Vorstandsmitglieder das mindeste, was man verlangen darf. Eigentlich müßten der Gewährung von erheblichen Blankokrediten und der Einlassung auf Konsortialgeschäfte stets Sitzungen des Gesamtvorstandes vorausgehen, und außerdem müßte auch noch der Aufsichtsrat zusammentreten. In vorsichtig geleiteten Instituten ist das auch der Fall. Es dürfte nicht vorkommen, wie es tatsächlich geschehen ist, daß es später heißt, man habe den ein­ zelnen Direktor so souverän schalten und walten lassen, daß die anderen koordinierten Instanzen einen Einblick in die folgenschweren Entscheidungen des leitenden Chefs erst dann erhalten haben, als es zu spät war. Freilich ist die Selbstkontrolle im Schoße der Direktion außer­ ordentlich erschwert, wenn die Bank große, so gut wie selbständige Niederlassungen an verschiedenen Orten unterhält. Die deutsche Genossenschaftsbank hat ihren Sitz in Berlin und Frankfurt a. M. Berlin ist als Zentrale gedacht; ihr sind als Betriebsmittel zwei Drittel des Grundkapitals überwiesen, während die Frankfurter Zweigniederlassung mit 12 Millionen Mark ausgestattet wurde. Die verhängnisvollen Konsortialgeschäfte waren von Berlin aus bewerkstelligt worden. Die Frankfurter Direktoren scheinen dabei ziemlich zur Seite geschoben worden zu sein, obgleich sie ebenfalls

33 persönlich haftende Kommanditäre waren.

In solchen Fällen sind

Sitzungen und Beratungen des Gesamtvorstandes besonders dring­

lich, und auch dem Aufsichtsrate erwachsen doppelte Pflichten der Ver­

antwortung.

Bei manchen anderen Großbanken sind die Verhält­

nisse noch verwickelter. und

Wir stehen ja im Zeichen der Bankfusionen

einer fast täglich wachsenden Kapitalkonzentration, und so

gibt es Banken ersten Ranges, wie z. B. die Deutsche Bank, die Bank für Handel und Industrie, die Dresdener Bank und die Diskonto­ gesellschaft, die mit einem ganzen Netz von Zweigniederlassungen,

Kommanditen und Depositenkassen und mit einem ganzen Stabe von Direktoren arbeiten und ihr Geschäft sogar über die Grenzen

des deutschen Reiches ausgedehnt haben.

Es gehört eine geradezu

erstaunliche Organisation dazu, wenn bei dieser gewaltigen Aus­

dehnung des Geschäftes die einzelnen Stellen miteinander Hand in Hand arbeiten sollen, und wenn Vorstand und Aufsichtsrat dabei

den Gesamtüberblick nicht verlieren sollen.

Ohne Versetzungen der

höheren Beamten von der einen Niederlassung zur anderen und ohne

eines öfteren Stellenaustausches wird es, wie mir scheint, außer­

ordentlich schwer sein, dem Riesenbetriebe den einheitlichen Charakter zu bewahren.

kürzlich

Dem

verstorbenen,

glänzend

begabten

Dr. Georg v. Siemens von der Deutschen Bank wurde besonders

sein ungewöhnliches Organisationstalent, das mit der Gabe, einen vorzüglichen Nachwuchs von Prokuristen und Direktoren auszu­ bilden, verbunden war, nachgerühmt.

Ein großer Teil der Erfolge

seines Institutes, das von der letzten Krisis am wenigsten berührt worden ist, werden auf diese Eigenschaften dieses wirklich genialen Mannes zurückgeführt.

gleiche Einheitlichkeit

In anderen Instituten der Art fehlt die

und

bei der Deutschen Genossenschaftsbank

scheint, wenigstens in der letzten Zeit, diese Einheitlichkeit so gut wie ganz abhanden gekommen zu sein. —

34 Ganz außerordentlich erschwert werden die Verhältnisse eines

großen Bankinstitutes, wenn, wie bei der Deutschen Genossenschafts­

bank, die meines Erachtens direkt gefährliche Form der Kommaditgesellschaft auf Aktien beibehalten wird.

Man hat diese Unter­

nehmungsform in nationalökonomischen Kreisen, die das Aktien-

wesen

genauer

verfolgen

konnten,

stets

argwöhnisch

betrachtet.

Persönlich haftende Kommanditäre, die gleichzeitig Direktoren sind, haben nach der ganzen juristischen Struktur der Kommanditgesell­ schaft auf Aktien ein kolossales Übergewicht über die eigentlichen

Aktionäre, die Kommanditisten, und damit auch über den Aufsichtsrat. Der Kommanditär unterliegt nach dem Gesetze nicht dem strengen Konkurrenzverbote des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, sondern

nur dem milderen eines offenen Gesellschafters.

Damit sind die

Kommanditisten den Kommanditären fast völlig ausgeliefert, und in vielen wichtigen Fällen hat der Generalversammlungsbeschluß gar

keine

Gültigkeit ohne die Zustimmung der Kommanditäre.

Wenn die persönlich haftenden Teilhaber die alleinigen Direktoren

der Gesellschaft sind, verschiebt sich das natürliche Verhältnis von Direktion zu

Aufsichtsrat und

Generalversammlung

vollständig.

Im Widerstreit zu diesem Übergewicht der persönlich haftenden Gesellschafter über die Aktionäre steht nicht gerade selten die Größe

ihres Privatvermögens, das haftbar sein soll.

Man kann zwar die Kommanditisten im Gesellschaftsvertrage

dadurch einigermaßen schützen, daß man in den Statuten den Kommanditären eine weniger günstige Stellung einräumt.

Das ist

in manchen Kommanditgesellschaften auf Aktien, von denen es glück­

licherweise nicht allzu viele in Deutschland gibt, geschehen.

Aber

besser ist es, wenn die Kommanditgesellschaft auf Aktien als Unter­ nehmungsform großer Erwerbsgesellschaften, namentlich im Bank­

wesen, möglichst verschwindet.

Man darf deshalb als erfreulichstes

35 Ereignis der letzten Generalversammlung der Deutschen Genossen­

schaftsbank dasjenige bezeichnen, daß man sich im Prinzip allseits damit einverstanden erklärt hat, die Bank in eine reine Aktien­

gesellschaft umzuwandeln. — In den letzten Jahren konnte man konstatieren, daß die Errich­

tung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung in Deutschland rapide zugenommen hat und die Kommanditgesellschaften auf Aktien

dadurch noch mehr zurückgedrängt wurden, als durch die Aktiengesellfchaften.

Nebenbei bemerkt beurteile ich die Gesellschaften mit be­

schränkter Haftung im Einklang namentlich mit vielen Juristen, unter denen ich besonders den ausgezeichneten und in seinem Urteile durch­

aus selbständigen, leider zu früh verstorbenen Reichsgerichtsrat Otto Bähr namhaft machen möchte, höchst pessimistisch.

Ich kann das

aber hier in diesem Zusammenhänge nicht näher ausführen, sondern

erspare mir die Veröffentlichung einer solchen Studie auf einen Zeit­

punkt, wo wir hinreichend unterrichtet sind über den Verlauf der letzten Krisis und auch die neueste Konkursstatistik vollständig über­ sehen können.

An dieser Stelle sei nur hervorgehoben, daß es gewiß nicht zufällig ist, daß die Deutsche Genossenschaftsbank einen Teil ihrer

Verluste bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung erlitten hat

und einen anderen Teil bei einem Unternehmen, das eine Gewerk­ schaft war, infolgedessen sich deren geschäftliche Lage der Kontrolle

durch die großen Börsen und der sonstigen Öffentlichkeit so gut

wie ganz entzog.

Bezeichnend ist es auch, daß die dritte Gesell­

schaft, bei der die Genossenschaftsbank so viel verloren hat, die

Akkumulatorenwerke Watt in Berlin, zwar eine reine Aktiengesell­ schaft war, aber an keiner Börse zur Notiz eingeführt war.

trafen zwei unerfreuliche Momente zusammen;

einmal

Hier

die Tat­

sache, daß sich das Unternehmen der Beobachtung durch die Börse 3*

36 entzog, und zum anderen die allgemeine Lage unserer Elektrizitäts­

werke.

Auf dem Gebiete der Elektrizitätsgesellschaften ist in den

letzten Jahren geradezu ein Schwindel getrieben worden, und zwar

ein Gründungs- und Fusionsschwindel zugleich.

Die Vorgänge auf

diesem Gebiete drücken der letzten Gründungsperiode geradezu die

Signatur auf.

Vielleicht werden zu den vielen Überraschungen, die

wir auf diesem Gebiete bereits erlebt haben, noch weitere hinzu­

kommen. —

Wenn man wirklich später einmal an eine ernste Reform unseres Aktienrechtes herantreten

wird,

wird

voraussichtlich

die größte

Schwierigkeit die Festsetzung der zulässigen Grenzen, bis zu welchen

die Vorstände einer Aktiengesellschaft für fremde oder eigene Rechnung andere

Erwerbsgeschäfte betreiben und sich in die Aufsichtsräte

anderer Aktiengesellschaften wählen lassen dürfen, machen.

Nach

§ 236 des Handelsgesetzbuches dürfen die Mitglieder des Vorstandes

ohne Einwilligung der Gesellschaft weder ein Handelsgewerbe be­

treiben, noch in deni Handelszweige der Gesellschaft für eigene oder

fremde Rechnung Geschäfte machen, auch nicht an einer anderen Handelsgesellschaft als persönlich haftende Gesellschafter teilnehmen. Die Einwilligung

wird

durch

dasjenige Organ der Gesellschaft

erteilt, welchem die Bestellung des Vorstandes obliegt. stimmung gilt nur für die eigentlichen Aktiengesellschaften.

Diese Be­ Bei den

Kommanditgesellschaften auf Aktien steht dem persönlich haftenden

Gesellschafter ein größerer Spielraum zu.

in Frage.

Hier kommt der § 326

Derselbe lautet: „Ein persönlich haftender Gesellschafter

darf ohne Einwilligung der Gesellschaft weder in dem Handels­ zweige der Gesellschaft Geschäfte machen,

noch an einer anderen

gleichartigen Handelsgesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter teilnehmen.

Die Einwilligung wird durch die übrigen persönlich

haftenden Gesellschafter und, soweit nicht die Befugnis zur Er-

37 teilung durch den Gesellschaftsvertrag oder durch einen Beschluß

der Generalversammlung dem Aufsichtsrate übertragen ist, durch die Generalversammlung erteilt."

Sehr oft ist es im Interesse der Aktienbank, wenn ihre Direk­ toren in denjenigen industriellen und merkantilen Unternehmungen

im Aufsichtsrate sitzen, mit denen die Bank arbeitet.

Solche Per­

sonalunionen können vorübergehender oder dauernder Natur sein

und sind bei den Emissionsbanken gar nicht zu entbehren. kommen deswegen auch sehr häufig vor.

Sie

Eine solche Doppelstellung

der Direktoren ist aber nur dann wünschenswert, wenn sie im In­ teresse der Bankaktionäre sich als notwendig erweist.

Das gleiche

gilt von den Aufsichtsräten, die bei mehreren miteinander arbeitenden

Gesellschaften

diese

Funktionen versehen.

In dem einen Falle

müßte statutarisch bestimmt sein, daß der Aufsichtsrat dem Vor­ stande die Genehmigung erteilt, in dem anderen Falle müßte die

Generalversammlung dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied die Erlaub­ nis gewähren.

Besonders wichtig ist hier die Kontrolle des Auf­

sichtsrates gegenüber den Direktoren.

Ihre Befugnisse müßten mit

der allergrößten Umsicht ausgeübt werden, da in dieser Richtung hin allem Anschein nach Mißbrauch von einer zu großen Be­

wegungsfreiheit der Direktoren getrieben wird.

Es soll nicht selten

vorkommen, daß die Direktoren ihren Einblick in die Betriebsresul­ tate ihrer eigenen Gesellschaft oder in andere für private Speku­

lationen ausnützen, oder auf andere Nachrichten ihrer Gesellschaft, oder auf Operationen der Kundschaft hin spekulative Geschäfte für ihre Privatrechnung

unternehmen.

Die

„Frankfurter Zeitung",

bekanntlich eines der angesehensten Handelsblätter Deutschlands und

sicherlich eines der bestorientiertesten von allen, die aber eine prin­ zipielle Abneigung gegen eine Aktienrechtsreform zeigt und hierin,

wie mir scheint, entschieden zu weit geht, hat wiederholt gerade diese

38 Verhältnisse zum Gegenstand ihrer Kriük gemacht.

Sie befürchtet

aus diesen Personalunionen, soweit sie leichtfertig von den Kontroll­

organen zugestanden werden, eine Präokkupation und Befangenheit

der Direktoren und das mit Recht.

Ich stimme auch weiterhin

darin mit ihr überein, daß weniger die Gesetzgebung als das Ge­

sellschaftsstatut und seine gewissenhafte Beobachtung und Durch­

führung gewissen vielbeklagten Mißbräuchen vorbeugen können. Auch ohne Inanspruchnahme der Legislative, die der Mannigfaltigkeit der

möglichen Verhältnisse mit dem einfachen Erlaß von Normativ­ bestimmungen kaum gerecht werden kann, kann im Wege der Selbst­

bestimmung manches gebessert werden. —

Mit diesen Erörterungen bin ich am Ende desjenigen, was ich zu sagen hatte.

besprechen.

Ich hatte hier nur pathologische Erscheinungen zu

Im großen und ganzen aber halte ich unser Aktien­

wesen für gesund, unser Aktienrecht indessen für fortbildungsfähig.

Ich bin natürlich weit davon entfernt zu glauben, daß ein schärferes

Aktienrecht

eine Panacee gegen Mißbräuche und Kapitalverluste

Das wäre eine Utopie sondersgleichen.

Auch ich

bin ein Gegner jeder Gelegenheitsgesetzgebung ab irato.

Was das

gewähren kann.

Bankwesen insonderheit anbetrifft, so erwärme ich mich in erster Linie

für

eine größere

Arbeitsteilung

Instituten, die Bankgeschäfte betreiben.

unter den

verschiedenen

Wir können in dieser Be­

ziehung recht viel von England lernen, wo diese Arbeitsteilung in großem Umfange und viel stärker, als in Deutschland durchgeführt

ist.

Gründungsbanken sind in ihrer Art ebenso notwendig und

volkswirtschaftlich

nützlich,

Depositenbanken.

Aber

wie

zwischen

die den

gewöhnlichen Kreditverschiedenen

Arten

und

von

statutarisch erlaubten Bankgeschäften müßte eine reinliche Scheidung

eintreten, und der spezielle und grundsätzlich festgehaltene Charakter jedes Bankinstitutes sollte jedermann offensichtlich sein.

Es sollte.

39 UM an unseren Ausgangspunkt wieder anzuknüpfen, unmöglich werden, daß gleichsam über Nacht ein Bankinstitut wie die Deutsche Genossenschaftsbank, die bisher ganz vorwiegend das reine Bank­

geschäft gepflegt hat, zu einer Gründungs- und Spekulationsbank wird.

Die größere Spezialisierung der Bankarten ist das natürliche

Ziel der volkswirtschaftlichen Entwicklung.

Auf dem Gebiete des

Notenbankwesens ist diese Entwicklung durchgeführt; auf dem Ge­ biete der Hypothekenbanken und Pfandbriefinstitute zum Teil auch.

großen

Neuerdings kommen auch die reinen Depositenbanken,

die auf dem eng begrenzten Gebiete der Vermögensverwaltung arbeiten,

in Aufnahme.

Wo wir aber bislang arg zurückgeblieben sind, das

ist die Trennung des gewöhnlichen Bankgeschäftes der Gewerbeund Handelsbanken von der Gründungs- und Konsortialtätigkeit. Hier herrscht vielfach eine volkswirtschaftlich wie privatwirtschaftlich

gleich gefährliche, ganz unrationelle, Verbindung in einer und der­

selben Anstalt vor, und diese Verbindung wird sich immer, wie ich

fest überzeugt bin, bei allen Instituten, die nicht erstklassig sind, über kurz oder lang rächen. —

Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.